Lodz. Geschichte einer multikulturellen Industriestadt im 20. Jahrhundert [1. ed.] 9783506793805, 9783657793808

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Lodz. Geschichte einer multikulturellen Industriestadt im 20. Jahrhundert [1. ed.]
 9783506793805, 9783657793808

Table of contents :
Inhalt
Kapitel 1. Warum Lodz?
Kapitel 2. Die Entstehung einer Textilmetropole
Kapitel 3. Lodz im russländischen Imperium um 1900: Multikulturalität einer Migrationsgesellschaft
Kapitel 4. „Lodzermenschen“ in der „Bösen Stadt“
Kapitel 5. Lodz im polnischen Staat 1914/1918–1939: Bürgergesellschaft und Integration
Kapitel 6. Lodzer Gesellschaft 1918/20–1939: Soziale und ethnische Radikalisierung
Kapitel 7. Lodz im Krieg 1939: Berichte von Verfolgung und Verrat
Kapitel 8. Lodz wird Litzmannstadt: Eskalation und Rassenpolitik
Kapitel 9. Deutsche in Litzmannstadt: Reichsdeutsche, Volksdeutsche, Deutsche?
Kapitel 10. Polen im besetzten Lodz: Überlebensstrategien und Widerstand
Kapitel 11. Juden im Getto Litzmannstadt: Ausgrenzung, Verfolgung, Ermordung
Kapitel 12. Lodz nach Kriegsende: Keine „Stunde null“ für Polen, Deutsche und Juden
Kapitel 13. Das rote Lodz: Heimliche Hauptstadt Polens in Propaganda und Strukturwandel
Kapitel 14. Volkspolnische Provinz: Die Textilstadt Lodz 1956–1989
Kapitel 15. Lodz nach 1989: Zusammenbruch und Metamorphose einer Stadt
Kapitel 16. Lodz als Erinnerungsort: Die polnische, deutsche und jüdische Erinnerung an Lodz nach 1945
Nachwort und Dank
Stadtplan von Lodz 1913
Stadtplan von Litzmannstadt 1942
Abkürzungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Orts- und Namensregister
Personenregister

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Lodz

Hans-Jürgen Bömelburg

Lodz Geschichte einer multikulturellen Industriestadt im 20. Jahrhundert

Autor: Hans-Jürgen Bömelburg ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte Ostmitteleuropas, insbesondere Polens vom 15.-21. Jahrhundert. Er ist deutscher Co-Vorsitzender der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission; er hat mehrere Monographien zur frühneuzeitlichen Geschichte Polen-Litauens und zur Geschichte Polens im 19./20. Jahrhundert vorgelegt. Umschlagabbildungen: Postkarte Stadtansicht Lodz (vor 1939), Herder-Institut für Historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg, Bildarchiv, Inventarnummer 191536; Arbeiterinnen in den Hallen einer Textilfabrik in Lodz, 1920–1922, Muzeum Narodowe w Warszawie, licencja PD, cyfrowe MNW.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2022 Brill Schöningh, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Nora Krull, Hamburg Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-506-79380-5 (hardback) ISBN 978-3-657-79380-8 (e-book)

Inhalt 1.

Warum Lodz?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2.

Die Entstehung einer Textilmetropole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

3.

Lodz im russländischen Imperium um 1900: Multikulturalität einer Migrationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

4.

„Lodzermenschen“ in der „Bösen Stadt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

5.

Lodz im polnischen Staat 1914/1918–1939: Bürgergesellschaft und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

6.

Lodzer Gesellschaft 1918/20–1939: Soziale und ethnische Radikalisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

7.

Lodz im Krieg 1939: Berichte von Verfolgung und Verrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

8.

Lodz wird Litzmannstadt: Eskalation und Rassenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

9.

Deutsche in Litzmannstadt: Reichsdeutsche, Volksdeutsche, Deutsche? . . . . 201

10. Polen im besetzten Lodz: Überlebensstrategien und Widerstand . . . . . . . . . . . 230 11.

Juden im Getto Litzmannstadt: Ausgrenzung, Verfolgung, Ermordung . . . . . . 257

12. Lodz nach Kriegsende: Keine „Stunde null“ für Polen, Deutsche und Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 13. Das rote Lodz: Heimliche Hauptstadt Polens in Propaganda und Strukturwandel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 14. Volkspolnische Provinz: Die Textilstadt Lodz 1956–1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 15. Lodz nach 1989: Zusammenbruch und Metamorphose einer Stadt . . . . . . . . . 390 16. Lodz als Erinnerungsort: Die polnische, deutsche und jüdische Erinnerung an Lodz nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

vi

Inhalt



Nachwort und Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442



Stadtplan von Lodz 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444



Stadtplan von Litzmannstadt 1942  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446



Abkürzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Abbildungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 Orts- und Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Personenregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

Kapitel 1

Warum Lodz?



GROSSE ZEIT, VERTAN Ich habe gewußt, daß Städte gebaut wurden Ich bin nicht hingefahren. Das gehört in die Statistik, dachte ich Nicht in die Geschichte. Was sind schon Städte, gebaut Ohne die Weisheit des Volkes? Bertolt Brecht, Buckower Elegien

Die Industriestadt Lodz ist im polnischen, genauso im deutschen oder europäischen Bewusstsein kaum präsent. Die 1914 sechstgrößte russländische und durch das ganze 20. Jahrhundert zweitgrößte polnische Stadt wird vielfach als hypertrophe Sonderentwicklung abgetan, die nur dank ihrer Entwicklung als globale Textilmetropole Bedeutung verdiene. Es gibt keine Stadtgeschichte von Lodz im 20. Jahrhundert, von einem bereits Ende der 1950er Jahre begonnenen dreibändigen Projekt erschien nur Band 1 bis 1918, die Bände zum 20. Jahrhundert wurden nicht weiterverfolgt.1 Dieses Defizit wurde von Seiten der Stadtbehörden selbst gesehen, ein in mehreren Sprachen, auch in Englisch, vorliegender, von Geographen und Stadtsoziologen bestimmter Band sollte Abhilfe schaffen, ist aber keine historische Darstellung.2 Was bedeutet dies? In der polnischen Geschichte gibt es eine Warschauer Perspektive, die sehr stark durch die Selbstbehauptung der Nation angesichts der Teilungen, der Unterdrückung durch Russen und Deutsche (nationale Aufstände, Warschauer Aufstand 1944) sowie den Wiederaufbau geprägt ist. Es gibt eine Krakauer Perspektive, die stärker die älteren Traditionen und eine konservative Kulturgeschichte beschwört, genauso einen Lubliner katholischen und einen „nachdeutschen“, transkulturellen Blick auf die polnische Geschichte aus der Perspektive von Breslau.3 Aus diesen Perspektiven entsteht eine Spannung zwischen einer – aktuell dominanten – ethnischen Nationalgeschichte und einer transkulturellen Geschichte à la Breslau und Danzig, an der auch nichtpolnische Autoren beteiligt sind.

1 Ryszard Rosin (Hg.), Łódź. Dzieje miasta. Bd.  1: do 1918 r., hg. v. Bohdan Baranowski u. Jan Fijałek. Warszawa, Łódź 1980 [²1988], Vorwort S. 7–15. 2 Stanisław Liszewski, Łódź. A monograph of the city. Łódź 2009. 3 Norman Davies, Roger Moorhouse, Microcosm. Portrait of a Central European City. London 2002; Eduard Mühle, Breslau. Geschichte einer europäischen Metropole. Köln 2015.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_002

2

Kapitel 1

Lodz, die Stadt, in der 1914 über 50% katholische und polnische, über 30% jüdische und ca. 15% evangelische und deutschsprachige Menschen lebten, fehlt hier. Die Eliten der Stadt besaßen als Industriekapitäne, oft halb deutscher, halb jüdischer Herkunft einen schlechten Ruf und galten als gewissenlose „Lodzermenschen“, gekennzeichnet durch – aus der Perspektive nach 1945 und ähnlich nach 1989 – scheinbar überflüssige Kompromisse mit europäischen Mächten und globalen Märkten. Lodz blieb so im polnischen kulturellen Bewusstsein eine „böse Stadt“, als die sie bereits auf der gesamtpolnischen Bühne erschienen war.4 Zygmunt Bartkiewiczs Reportage aus dem Jahre 1907 prägte diesen dystopischen Topos: „Es gibt in Polen eine böse Stadt. Und zugleich scheinheilig, wie in einen Trauerschleier eingehüllt, aber tatsächlich den Tod verspottend. Tausende Spitzen trägt sie in den Himmel empor, aber der Boden ist in Blut getränkt. Unbeugsame Kraft schöpft sie aus welken Baumwollpflanzen und aus totem Gold Leben. Ihren Lastern verdankt sie ihre Erfolge.“5 Und im Folgenden hieß es über Lodz: „Die dortige Umgebung erstickt im Keim jeden klareren Gedanken […]. Alles sind vergebliche Bemühungen, in den Fabriken blühen keine Blumen. Im Morast erklingt kein Lied und wenn hier die Venus von Milo auftauchen würde, würde man sie sofort zu Bargeld machen.“6 Nach Bartkiewicz benötigen die „Lodzermenschen“ keine Kultur: „Sie brauchen nichts, und sei es nur die Spur einer geistigen Befreiung aus der gegenseitigen Unterdrückung, aus den hässlichen menschlichen Angelegenheiten, in ihrem Kampf um das Dasein, grausamer als in der Wildnis.“7 Der polnische Diskurs über Moderne und eigene Modernität grenzte Lodz dauerhaft aus. Ähnliches gilt für die moderne jüdische Perspektive, die die traditionale Kultur des Shtetls erfand und als großstädtische Vorbilder Wilna und Odessa imaginierte, übrigens beides um 1900 Städte mit deutlich geringerer jüdischer Bevölkerung als Lodz. Und aus der zionistischen Perspektive war das jüdische Lodz geprägt durch eine im Nachhinein schwer verständliche – und bis heute kaum erforschte – Akkulturation an die deutsche Minderheit sowie durch den fehlenden Widerstand im Getto im Zweiten Weltkrieg, in das Menschen eingesperrt waren, die ihre Überlebenschancen vor allem in der Arbeit für die Deutschen erblickten. Hierin sahen viele israelische Autoren, aber auch Lodzer Polen eine Form von Kollaboration, die kaum erzählenswert schien. 4 Kamil Śmiechowski, Kwestie miejskie. Dyskusja o problemach i przyszłości miast w Królestwie Polskim 1905–1915. Łódź 2020, S. 90–91, 127–133. 5 „Jest w Polsce takie miasto – złe. I jakże obłudne, bo jakby w welon żałobny spowite, a drwiące ze śmierci. Tysiące szczytów wyniosło w podniebia wysoko, a spodem we krwi się płuży. Nieugiętą moc czerpie z wiotkich kwiatów bawełny, a z martwego złota życie. Występkom zawdzięcza zasługę.“ Zygmunt Bartkiewicz, Złe miasto [1909], in: ders., Trzy opowieści. Warszawa 1930, S. 177–231, hier 179. 6 „Otoczenie niszczy w zaraniu każdy promień jaśniejszy (…). Daremne wysiłki, bo nie rosną kwiaty w fabryce. Na grzęzawisku nie ozwie się pieśń, a niech tutaj Wenus z Milo się zjawi, to ją wezmą na szmelc.“ Ebenda, S. 203–204. 7 „Niepotrzebne mu nic, w czym choćby ślad wyzwolenia myśli ze spraw wzajemnego wyzysku, brzydkich spraw ludzkich, w tej walce o byt, okrutniejszej niż w puszczy“. Ebenda, S. 205.

Warum Lodz?

3

Und die Deutschen? Lodz war keine „ostdeutsche“ Stadt, Deutsche wurden hier zu russländischen Wirtschaftsbürgern oder nach 1918 zu polnischen Staatsbürgern. Die kosmopolitische Anpassungsleistung erschien im Kaiserreich wie im nationalistisch aufgeladenen Deutschland nach 1918 als Verrat. Selbst der Name der Stadt war lange umstritten, das polnische „Łódź“ („das Boot“) galt im Deutschen als „unaussprechlich“ und wurde 1939 in Lodsch, 1940 schließlich in „Litzmannstadt“ germanisiert. Noch in den 1950er Jahren sprach man im Deutschen von „Litzmannstadt“, politische Korrektheit der letzten Jahrzehnte müht sich mit einer korrekten Aussprache: „Wutsch“, aber das bilabiale „Ł“ ist im Deutschen fremd. Dabei geriet in Vergessenheit, dass die deutsche Bevölkerung von Stadt und Region ganz einfach von „Lodz“ sprach und den deutsch ausgesprochenen polnischen Stadtnamen als das Selbstverständlichste der Welt empfand. Und schließlich: Wer von den überlebenden 60.000–100.000 Lodzern wollte eine Geschichte erzählen, in der eine multiethnische Stadt durch deutsche Radikalisierung von innen zerstört wurde, in der die deutsche Stadtbevölkerung mit der Straßenbahn täglich durch ein Getto fuhr, in dem zehntausende Menschen an Hunger krepierten. Nichts gewusst? Zumindest für die Lodzer Deutschen galt dies handgreiflich nicht und auch deshalb erschien nach 1945 keine deutschsprachige Stadtgeschichte, sondern man beschränkte sich auf eine selektive Erzählung von „deutschen Pionieren“, die nach 1945 zu „Vertriebenen“ wurden – „erst gerufen und dann vertrieben“, so lautete das Credo der letzten Mitglieder einer deutschen Erinnerungsgeneration.8 Dahinter lagen – und das ist zentral – in allen Fällen nationale Meistererzählungen, sei es von nationalen, Widerstand leistenden Polen, von religiös und kulturell eigenständigen Juden oder von deutschen „Kulturpionieren“ im Osten. Lodz, die Stadt der Kosmopoliten und Kompromisse, in denen unterschiedliche Gruppen ein Auskommen fanden, erschien fremd und passte in keinen nationalen Erzählrahmen nach 1945. Dies setzte sich nach 1989 fort: Wer konnte nun im immer stärker westeuropäisch werdenden Polen ein Interesse daran haben, die Geschichte des „roten Lodz“ erzählen zu wollen, in der ein Internationalismus in der Revolution von 1905 und den Lodzer Stadtratswahlen 1938 mehrheitsfähig war, einer Stadt, die nach 1945 zur Kaderschmiede eines kommunistischen Polen werden sollte? Sicher kamen Überlieferungsprobleme hinzu. Das jüdische wie das russische und deutsche Lodz versanken nach 1939 unwiderruflich, zusammen mit den dort verfassten Schriften mit hebräischen Schriftzeichen in jiddischer Sprache, zusammen mit den in russischer Sprache und Kyrillica gehaltenen Akten der Industriekommission der Gouvernementsverwaltung in Piotrków oder den Sütterlin-Handschriften der 8 Zur Erinnerungsgeschichte der Stadt Kessler, Lodz nach Lodz, S.  163; Hans-Jürgen Bömelburg, Lodz. Gegen den Strich, in: Hans-Henning Hahn, Robert Traba (Hg.), Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 2 Geteilt/Gemeinsam. Paderborn 2014, S. 93–109; Zitat nach Edmund Effenberger, Erst gerufen und dann vertrieben, in: Mitteilungen der Heimatkreisgemeinschaft der Deutschen aus dem Lodzer Industriegebiet 18 (1996), S. 1–9, 19 (1997), S. 1–9, 20 (1998), S. 1–21.

4

Kapitel 1

Briefkorrespondenzen der Lodzer Deutschen. Die ältere volkspolnische Geschichtsschreibung fokussierte sich auf die Wirtschaftsgeschichte und die Arbeiterbewegung, Themen, die 1989 überholt erschienen. Neuanfänge einer Geschichte aller Lodzer kommen aus der Lodzer Germanistik (Krystyna Radziszewska), aus der dort aktuell entstehenden Jiddistik und Hebraistik (Monika Polit, Dariusz Dekiert) sowie den Jewish Studies (Adam Sitarek, Ewa Wiatr). Diesen Neuansätzen ist der Autor verpflichtet. Was ist das Ziel? Die Industrie- und Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts prägte eine kosmopolitische Bürgerelite, die trotz eines stets fragilen und immer wieder herzustellenden „Homogenitätsbewusstseins“, das durch religiöse, soziale und nationale Konflikte erschüttert wurde, einen Minimalkonsens herstellte. Dieser Konsens zerbrach 1939, die davon geprägte städtische Gesellschaft ging unter. Die daraus entstandenen multikulturellen Traditionen, zu denen Aushandlungsprozesse, Toleranz und Kompromissfähigkeit gehörten, gerieten durch die folgenden Ereignisse in Vergessenheit bzw. wurden aus politischen Gründen oder wegen traumatischer Erlebnisse verschwiegen. Eine letzte nationalistischen Zäsur bildete die antisemitische Kampagne von 1968, die zur abschließenden nationalen Unifizierung der Stadt führte. Zu Ende des 20. Jahrhunderts, als die letzten Angehörigen der Erlebnisgeneration, die die multikulturelle Zwischenkriegszeit bewusst erlebt hatten, verschwanden, war eine Anknüpfung kaum mehr möglich. Die Stadt hatte sich kulturell und architektonisch katholisiert und polonisiert – die historischen Orte der Synagogen blieben klaffende Wunden, die evangelischen Gotteshäuser waren zu katholischen Stadtkirchen geworden. Trotz eines weitgehend bewahrten Stadtbilds fielen die älteren Schichten der Stadtgeschichte weitgehend dem Vergessen anheim. Dagegen möchte die vorliegende Darstellung die verschiedenen Formen einer multikulturellen Gemeinschaftsbildung in einer gesamteuropäischen Perspektive offenlegen. Einer Gemeinschaft, die in den 1990er Jahren in die Vorstellung einer Stadt der „vier Kulturen“ (alphabetisch Deutsche, Juden, Polen und Russen) mündete. Gegen solche kulturellen Container betont die Darstellung eine Gemeinschaftsbildung jenseits der Nationalkulturen, die in der durch Migranten geprägten Industriestadt Integrationserfolge erlebte. Sie blieb stets fragil, denn die nationalistischen Identitätskulturen schauten stets misstrauisch auf den „Schmelztiegel Lodz“. Zerstört wurde die Stadt durch den deutschen Nationalsozialismus, die spätere Stadt- und Industriegeschichte im Ostblock verfestigte die Festlegung auf die Textilstadt, die nach 1989 unter einer nicht vorbereiteten und staatlich nicht abgefederten Globalisierung zusammenbrach. Begriffe wie „Multikulturalität“ und „pluralistische Gemeinschaftsbildung“ werden bewusst verwandt, gerade Lodz kannte Zehntausende von mehrsprachigen Unternehmern, Meistern, mehrheitlich weiblichen Textilarbeiterinnen und Textilarbeitern in den Fabriken, später Autoren und Übersetzern, die ein vielsprachiges Bild der Stadtgeschichte prägten. Solch einem sicher unvollständigen, immer fragilen „Kosmopolitismus von unten“, der gegenwärtig für die Europäische Union häufig beschworen, historisch

Warum Lodz?

5

aber zumeist für Städte wie Breslau oder Lemberg verneint wurde, soll am Beispiel von Lodz nachgespürt werden – durch ein Jahrhundert von Kriegen und Katastrophen vor Ort, in der es immer wieder Ansätze einer polnisch-deutsch-jüdischen Bürgergesellschaft gab. Dies erscheint heute in einer Zeit, in der identitäre Geschichtsschreibungen gesamteuropäisch wieder an Gewicht gewinnen, mehr denn je notwendig. Als Antwort auf Brecht ließe sich formulieren: Lodz ist nicht nur Statistik, sondern gehört in die Geschichte und war auch von der Weisheit vor Ort zusammenlebender Menschen geprägt.

Kapitel 2

Die Entstehung einer Textilmetropole „Auf Sachsens und Schlesiens sandigen Wegen, die nach Polen führten, durch Wälder, Dörfer und Shtetl, in den Napoleonischen Kriegen zerstört und verbrannt, zogen Wagen mit Männern, Frauen, Kindern und Gegenständen – einer nach dem anderen. Die polnischen Landarbeiter, Leibeigene der Großgrundbesitzer, unterbrachen die Arbeit auf dem Feld, hoben vor Sonne und Staub die Hände an die Augen und beobachteten lange […] die fremden Wagen und Menschen. […]. Vor jüdischen Dorfgasthäusern standen jüdische Jünglein mit schwarzen, gekräuselten Schläfenlocken, gekleidet in Tallit Katanim [Unterbekleidung gläubiger Juden, H.-J.B] […] und beobachteten mit vor Erstaunen aufgerissenen Augen die Wagen. […] Seltsam waren sie und die Menschen, welche über die polnischen Straßen fuhren. Dergleichen hatte man noch nie in Polen gesehen […]. Ähnlich ihre wohlhabenden Besitzer. Feiste, dickbäuchige Deutsche mit blonden Bärten, vorn glattrasiert, mit Backenbärten, Männer mit Pfeifen in ihren Mäulern und Uhren an ihren Taschen […]. Erschöpft, halb verhungert und barfuß die Ärmsten von ihnen; diejenigen, die ihre kleinen Karren selbst mit ihren Händen zogen […]. Das Einzige, was jeder mit sich trug, ob wohlhabend oder arm: einen hölzernen Webstuhl […].“1

Mit dieser Schilderung setzt Israel Joshua Singers jiddischsprachiger Roman „Brider Aschkenasi“ in den 1930er Jahren ein, der vor dem Hintergrund der Stadtgeschichte Aufstieg und Fall der Unternehmerfamilie Aschkenasi zwischen den 1860er und 1920er Jahren erzählt. Die zeitgenössische Wahrnehmung verband die Entstehung der zentralpolnischen Textilmetropole mit der Einwanderung deutschsprachiger Kolonisten und Weber, die die Grundlagen für die Industrie in der Region gelegt und gemeinsam mit ebenfalls zuwandernden Polen und Juden eine multikulturelle und internationale Industriemetropole geprägt hätten. Die moderne Wirtschafts- und Migrationsgeschichte hat die komplexen Voraussetzungen dieses industriellen Aufstiegs geklärt. Die polnische Wirtschaftspolitik im bis zum Aufstand 1830/1 autonomen Königreich Polen suchte Textil- und Industriestädte in dem mit schlechten Sandböden ausgestatteten, aber wald- und wasserreichen Zentralpolen zu gründen und so wirtschaftliche Entwicklungsrückstände aufzuholen. Dadurch sollte die Staatsverschuldung reduziert und industrielle Perspektiven entwickelt werden.2 Holz und Wasser wurden für eine Textilindustrie benötigt, in Zentralpolen bestanden exzellente Voraussetzungen, so die Kalkulation. Da die bäuerliche polnische Bevölkerung aber an die grundherrliche Scholle gebunden war, wurden ausländische Textilfabrikanten 1 Israel Joshua Singer, Die Brüder Aschkenasi. München, Wien 1986, S.  9–10. Die Passage wurde durch Norina Jakobi und Lukas Pohl aus dem Jiddischen neu uund näher am Original übersetzt. 2 Jerzy Jedlicki, Jakiej cywilizacji Polacy potrzebują: studia z dziejów idei i wyobraźni XIX wieku. Warszawa 1988; Tomasz Kizwalter, Polska nowoczesność. Genealogia. Warszawa 2020, S. 139–146.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_003

Die Entstehung einer Textilmetropole

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und -arbeiter mit Grundstücken und anfänglichen Steuervergünstigungen angeworben. Ein Teil der in den neu geplanten Textilsiedlungen tätigen deutschsprachigen Weber und Handwerker war bereits im 18. Jahrhundert nach Polen gekommen, also bereits in zweiter oder dritter Generation in der Region tätig, sie wanderten nun aus Städten wie Zdunska Wola oder Ozorków nach Lodz ab. Unter Planung des Sejmabgeordneten und Präsidenten der Woiwodschafts­ kommission, Rajmund Rembieliński, entstanden so in den 1820er Jahren Pläne und Vermessungsarbeiten für zahlreiche Textilsiedlungen. Rembieliński ließ staatliche Siedlungen in der Region Łęczyca (deutsch: Lentschütz) fördern und plante Tuchmache­ ransiedlungen in Zgierz und Baumwollmanufakturen in Lodz.3 Lodz verfügte zwar seit 1423 über Stadtrechte, war aber frühneuzeitlich eine Siedlung zwischen Dorf und ackerbürgerlicher Zwergstadt geblieben. Um 1820 besaß der Ort weniger als 800 Einwohner, ca. zwei Drittel Katholiken und ein Drittel Juden, der Entzug der Stadtrechte hatte mehrfach zur Diskussion gestanden.4 Erst die Aufnahme in die Reihe der zukünftigen Industriestädte, in der eine staatliche Ansiedlungs- und Industrieplanung erfolgen sollte, schuf Perspektiven. Südlich der Altstadt entstand so als Plansiedlung ab 1821 die „Neustadt“ mit dem achteckigen Neuen Markt (heute Plac Wolności) als Zentrum, an dem ein Rathaus und eine evangelische Pfarrkirche angelegt wurden (Abbildung  1), noch weiter südlich schlossen sich an den in gerader Linie geführten Petrikauer Trakt – die spätere ul. Piotrkowska – die Fabriksiedlungen Łódka und Schlesing mit weiteren staatlich geplanten Weberkolonien und Fabriken an.5 Die Anlage der evangelischen Hauptkirche St. Trinitatis unmittelbar gegenüber dem Rathaus unterstrich die Bedeutung der evangelischen Gemeinschaft in der Stadt. Die zuwandernden Weber sollten vergünstigte Zollkonditionen für die Einfuhr von Textilvorprodukten und Maschinen erhalten.6 Diese polnische Politik und die Werbung fanden in Sachsen, Schlesien und Böhmen, teilweise auch in Hessen und Württemberg in einer durch schlechte Ernten, hohe Abgaben und Hunger bedrohten Bevölkerung erheblichen Anklang. Große Krisen der Zeit trugen ihr Übriges zu einer verstärkten Abwanderung bei: Die Klimakrise durch den Ausbruch des Vulkans Tambora östlich von Java löste erhebliche Eintragungen in die Erdatmosphäre und 1816 in Mitteleuropa ein „Jahr ohne Sommer“ aus, Missernten schlossen 3 Polski Słownik Biograficzny, Bd.  36, S.  82–84; Krzysztof Woźniak, Ojciec. Rajmund Rembieliński jako inicjator utworzenia osady fabrycznej, in: Kronika miasta Łodzi (2020) 1(88), S. 5–14. 4 Ryszard Rosin (Hg.), Łódź. Dzieje miasta. T. I do 1918 r. Warszawa, Łódź ²1988, S. 57–146. 5 Die städtebaulichen Planungen der 1820er Jahre sind gut in Karten erfasst, so Filip de Viebig, Plan sytuacyjny uregulowanych ogrodów sukienniczych [w] mieście Łodzi [1823], Jan Leśniewski, Plan sytuacyjny zajętych gruntów na urządzenie osady rękodzielniczej Łódzka zwanej [1825] und weitere Pläne und Vermessungszeichnungen für die Jahre 1827 und 1828, alle im Faksimile abgedruckt in Maciej Janik [u.a.], Łódź na mapach 1793–1939. Łodź, Warszawa 2012, S. 34–61. 6 Rafał Matyja, Miejski grunt. 250 lat polskiej gry z nowoczesnością. Kraków 2021, S. 67–75, 119–121.

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Kapitel 2

sich an. Bis 1822 folgten Preissteigerungen von Agrarprodukten, eine Hungerkrise und oft antijüdische Unruhen, die sogenannten Hepp-Hepp-Krawalle.7 Für die Kleinbauern in den Grenzertragsregionen der Mittelgebirge, die nur winzige Parzellen bewirtschafteten und sich durch Heimindustrie über Wasser hielten, aber auch für Weber, Spinner und Textilhandwerker zeichneten sich Hunger und dauerhafte Armut ab. Der schlesische Dichter Karl von Holtei publizierte 1830 in seinen im Dialekt gehaltenen „Schlesischen Gedichten“ ein Porträt der Migranten: „Bèr kummen vòn à Bärgen här / Bèr zieh’n ei’s Polen nei; / Bèr seon ur’när schund matt vur Nuth, / s‘ is‘ gòr à hungrich Stückel Brudt, / Dè Schlä’sche Wäberei. / Im Ru’schen Polen ga’n se uns / Jedwedem à Stück Landt“.8 Aus solcher wirtschaftlichen Not wanderten Zehntausende ins benachbarte östliche Europa aus, zeitgenössisch die mit Abstand beliebteste und für Auswanderer billigste Aufnahmeregion (erst nach 1848 durch die USA abgelöst). Der Unternehmer Titus Kopisch siedelte etwa 100 schlesische Familien in der Lodzer Siedlung „Szlezyng“ (Schlesing) an. Ziele der Auswanderung waren neben Polen vor allem die Schwarzmeerregion und das bis dahin dünn besiedelte Bessarabien (heute Moldova). Bedeutendstes Ziel war jedoch Polen, das von Böhmen, Schlesien oder Sachsen in einigen Wochen zu Fuß oder mit Gespannen zu erreichen war. Bäuerliche Kolonisten ließen sich seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Siedlungen nieder, ein Schwerpunkt dieser Siedlungen lag nördlich und östlich in den Waldgebieten bei Lodz (Brużyca, Modlica, Andrespol, Neu-Sulzfeld/Nowasolna, Königsbach/Bukowiec, bei Wiączyn, Grömbach/Łaznowska Wola, weiterhin Siedlungen um die Dörfer Bedoń und Stoki sowie um die Kleinstädte Pabianice, Brzeziny und Stryków). Die Mehrheit der Neuankömmlinge war deutschsprachig, es gab aber auch tschechischsprachige Gruppen, die sich allerdings im Fall eines evangelischen Bekenntnisses deutsch, bei einem katholischen Bekenntnis polnisch akkulturierten. Die Siedlungen, oft von adligen Grundeigentümern in Form eines „Abbaus“, einer „Kolonie“ (Kolonia) oder einer „Freiheit“ (Wola) neben polnischen Dörfern angelegt, blieben für die Entwicklung von Lodz von Bedeutung, denn aus ihnen strömten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert weiterhin deutschsprachige Kolonistensöhne und -töchter nach Lodz, als die Einwanderung aus Deutschland bereits lange versiegt war.9 7 Wolfgang Behringer, Tambora und das Jahr ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte. München 2015. 8 „Dè Leinewäber“, in: Karl von Holtei, Schlesische Gedichte. Berlin 1830, S. 60–62. 9 Die Literatur zu dem Thema ist von völkischen Einflüssen geprägt, so etwa die Sammlung des zweisprachigen Geographen Oskar Kossmann, Ein Lodzer Heimatbuch. Geschichte und Geschichten aus Stadt und Land. Nürnberg 1967, S.  42–113 (veränderter Wiederabdruck von Beiträgen aus den 1930er Jahren); zu dem Geographen Kossmann und dem Autodidakten Otto Heike: Thomas Fuchs, Die verlorene Welt und die anderen: Deutsche, Polen und Juden im Spiegel der deutschen Lodz-Historiographie. Eine Betrachtung am Beispiel der Arbeiten von [Eugen] Oskar Kossmann und Otto Heike, in: Jürgen Hensel (Hrsg.): Polen, Deutsche und Juden in Lodz 1820–1939. Eine schwierige Nachbarschaft. Osnabrück 1999 (= Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau. 1), S. 87–99; zu Kossmann in der polnischen Gesellschaft auch Krzysztof A. Kuczyński, Łódzkie lata niemieckiego geografa. O Eugenie Oskarze Kossmannie, in: Niemcy w dziejach Łodzi do 1945, S. 117–165.

Die Entstehung einer Textilmetropole

Abb. 1

Darstellung des Geometers Filip de Viebig (1823): Erkennbar ist die planmäßige Anlage des neustädtischen Rings (Plac Wolności) und der oberen Parzellen der ul. Piotrkowska, eingezeichnet sind die Wasserläufe mit großer Bedeutung für die Textilindustrie.

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Kapitel 2

Um gewerbliche Zuwanderer konkurrierten die von Adligen gegründeten privaten Textilkolonien und die staatlichen Industriesiedlungen. In Ozorków entstanden seit dem frühen 19. Jahrhundert große Wollspinnereien und –färbereien unter Leitung der Familien Schlösser und Werner, die 1816 eingerichtete Stadt erreichte 10 Jahre später über 5.600 Einwohner, zu einem erheblichen Teil sächsische Zuwanderer.10 Weiter westlich konzentrierte sich die gewerbliche Einwanderung in Zdunska Wola und Turek, weiter südlich in Zgierz (1823 über 3.100 Einwohner) und schließlich Lodz (1830 über 4.300 Einwohner), weiterhin in Aleksandrów, Konstantynów und Pabianice. Die Neustadt Lodz entstand so im Zusammenspiel polnischer staatlicher Planungen und der Ansiedlung vor allem deutschsprachiger Weber und Handwerker als planmäßig angelegte und besiedelte Textilstadt.11 Bereits die frühen Karten, hier (Abbildung  1) eine Darstellung des Geometers Filip de Viebig aus dem Jahre 1823, zeigen die sorgfältigen Planungen. Im Mai 1825 besuchte der russische Kaiser und polnische König Alexander I. die Fabriksiedlung, soll sich anerkennend geäußert sowie die Verlängerung nach Süden empfohlen haben.12 Diese polnisch-deutsche Gemeinschaftsleistung wurde nach 1830 in den Hintergrund gedrängt und vergessen, da nach dem Polnischen Aufstand die polnischen Behörden aufgelöst und durch russländische Militärbehörden und oktroyierte Bürgermeister ersetzt wurden, die wenig Initiative zeigen durften. Der langjährige evangelische Bürgermeister Franciszek (Franz) Träger, der in die katholische Adelsfamilie Czarnecki eingeheiratet hatte, arbeitete zuvor als Polizeisekretär in Gostynin und Lodz und war als Stadtpräsident 1844–1862 von der russländischen Gubernialverwaltung abhängig.13 In dieser Epoche wuchsen die Fabriksiedlungen schrittweise zu einer Stadt zusammen, belastungsfähige Angaben zur Bevölkerung gibt es für 1862. Danach lebten in Lodz ca. 32.000 Einwohner, darunter über 20.000 Evangelische („Deutsche“), ca. 7.000 Katholiken („Polen“) und 5.000 Juden. Sicherlich wird der deutsche Anteil hier leicht überzeichnet, polnische Wanderarbeiter und jüdische Wanderhändler fehlen in der Statistik.14 Die über 40 Jahre prägende Zuwanderung durch eine evangelische und deutschsprachige Bevölkerung hatte soziale und rechtliche Gründe: Die polnische Landbevöl­ kerung war wie die russländischen Bauern bis in die 1860er Jahre an den Grundbesitz gebunden. Juden war die Zuwanderung in die Neustadt Lodz bis 1862 verboten. 10 11 12 13 14

Otto Heike, Ozorkow, erste Textilstadt in Polen: das Aufbauwerk eingewanderter deutscher Tuchmacher und Weber. Mönchengladbach 1967. Grundlegende Darstellung: Krzysztof Stefański, Narodziny miasta. Rozwój przestrzenny i architektura Łodzi do 1914 roku. Łódź ²2016. Flatt, Opis, S. 41. Jerzy Józef Głowacki, Prezydent Łodzi Franciszek Traeger. Łódź 2020, S.  30–32; zur Situation der Stadt: Oskar Flatt, Opis miasta Łodzi pod względem historycznym, statystycznym i przemysłowym. Warszawa 1853. Reprint 1980. Niedrigere Zahlen in der Magisterarbeit von Witold Kula, Charakter społeczno-gospodarczy miast powiatu łódzkiego i łęczyckiego 1807–1869, in: Studia z Historii Społeczno-gospodarczej XIX i XX wieku 31/32 (2019), S. 29–380, hier 194.

Die Entstehung einer Textilmetropole

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Zuwandern konnte also zunächst in erster Linie die durch keine Verbote gegängelte aus- oder inländische deutschsprachige Bevölkerung. Als diese diskriminierenden Beschränkungen aufgehoben wurden, kam es zwischen den 1860er und 1890er Jahren in Lodz zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion von 32.000 auf 314.000 Einwohner (1897). Nun lebten in der Stadt etwa 50% Katholiken, 30% Juden und 20% Protestanten. Europäische Textilunternehmer sahen in der Textilstadt mit Zugang zum riesigen und sich dynamisch entwickelnden russländischen Markt früh ihre Chance, zumal das russländische Zollregime die Einfuhr von Textilien schwankend und schwer kalkulierbar besteuerte. Aus Neugersdorf bei Löbau im Lausitzer Bergland, einer für ihre Textilproduktion bekannten Region, kam 1826 Louis Ferdinand Geyer aus einer Fabrikantenfamilie nach Polen und ließ sich 1828 in Lodz nieder. Geyer war zunächst als Textilverleger und Baumwolldrucker tätig, der Baumwollstoffe in Lohnarbeit an Handwebstühlen herstellen und bedrucken ließ. Bereits bei seiner Ankunft brachte er Druckstöcke, 12 Zentner Baumwollgarn und Druckfarbe mit. Der Geyersche Betrieb entwickelte sich in den 1830er Jahren zu einem der größten Betriebe in Lodz. 1836–1838 ließ Geyer an der ul. Piotrkowska ein großes dreistöckiges Fabrikgebäude errichten und bezog aus Belgien von der Firma Cockerill eine moderne Fabrikeinrichtung mit Spinnmaschinen, 180 mechanischen Webstühlen sowie die erste im Kaiserreich Russland betriebene Dampfmaschine in der Textilindustrie.15 Das Geyersche Verlagssystem und die moderne Fabrik trugen dazu bei, dass Lodz und nicht das 10 km nördlicher gelegene Zgierz zur dominierenden Textilmetropole in der Region wurde. Geyer und seine verzweigte Nachkommenschaft standen nicht allein. Genannt werden muss die ebenfalls aus Sachsen über Warschau nach Polen gekommene Familie Grohmann (vgl. S. 16), vor allem aber Karl Scheibler. Scheibler zeichnete sich gegenüber den Geyers oder Grohmanns durch seine technisch-industriellen Erfahrungen, seine familiären Konnexionen und seine finanziellen Möglichkeiten aus. Er stammte aus einer Fabrikantenfamilie in Montjoie (seit 1918 Monschau) im deutsch-belgischen Grenzraum in der Eifel und erwarb in seiner Jugend durch umfangreiche Praktika in Großbritannien, Belgien und Frankreich Erfahrungen in der Textilindustrie. Bereits 1838 in der Fabrik seines Onkels Konrad Gustav Pastor im belgischen Verviers beschäftigt, arbeitete Scheibler bis 1848 in Österreich als technischer Vertreter der auf dem Kontinent führenden belgischen Firma Cockerill und britischer Firmen. Nach 1848 ging er ins Kaiserreich Russland und wurde Direktor in der Baumwollspinnerei seines aus Aachen stammenden Onkels Friedrich Schlösser in Ozorków. 1854 heiratete er die Fabrikantentochter Anna Werner, die in die Ehe ein doppelt so großes Vermögen einbrachte. Derart finanziell aufgestellt konnte Scheibler, der über eine belgische Staatsangehörigkeit verfügte, ab 1855 in Lodz gestützt auf modernste Maschinen, deren Herkunft und Leistungsfähigkeit er über Jahrzehnte verfolgt hatte, ein Textilimperium errichten. Dieses vermehrte er durch gelungene Spekulationen mit der durch den amerikanischen Sezessionskrieg 15

Otto Heike, Geyer, Louis Ferdinand in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 358 f.

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Kapitel 2

knappen Baumwolle. In den 1870er Jahren ließ Scheibler in Pfaffendorf (Księży Młyn) im südlichen Lodz monumentale Fabrikanlagen und eine Siedlung für Vorarbeiter und Meister seiner Fabriken errichten.16 Scheibler war europaweit vernetzt, seine Anlagen am Wassermarkt (Wodny Rynek) und in Pfaffendorf standen in den 1870er Jahren auf der Höhe der europäischen Technik und leisteten einen integrierten Produktionsprozess von Massentextilien. Warum erlebte gerade Lodz diesen Aufstieg zur führenden osteuropäischen Textilmetropole? Unter den miteinander konkurrierenden zentralpolnischen Fabriksiedlungen besaß die Stadt durch ihren Wasserreichtum und die umliegenden Waldressourcen17 sowie die frühe Konzentration auf Baumwolle als Rohstoff strukturelle Vorteile. Die Baumwolle setzte sich gegenüber Leinen und Wolle als der erheblich billigere und darum für die Massenproduktion geeignetere Rohstoff durch. Andere Fabrikanten, Heinzel und Kunitzer aus Turek, die Kindermanns aus dem nordböhmischen Warnsdorf (tschech. Varnsdorf), die Biedermanns aus Zdunska Wola, siedelten ebenfalls nach Lodz über. Nur hier fanden sich neben Wasser und Wald qualifiziertes Personal und seit 1865 ein Eisenbahnanschluss, der spätere Bahnhof Lodz Fabryczna. Nach 1865 konzentrierte sich hier 80% der Baumwollverarbeitung Zentralpolens. Dies zog andere Textilbranchen wie die Woll- und Teppichverarbeitung nach und förderte auch einen Maschinenbau (Mechanische Webstühle) und eine Chemieindustrie (Färbereien) vor Ort.18 Die Baumwolle erforderte globalisierte Produktionsketten – vom Anbau in Indien, im Mittelmeerraum, in den US-amerikanischen Südstaaten und seit dem späten 19. Jahrhundert nördlich des Kaukasus und in Mittelasien (Turkestan) über die großindustrielle Verarbeitung unter Einsatz von Kohle,19 Dampfmaschinen und modernen Spinn- und Webmaschinen bis zum Absatz von Massenprodukten in überregionalen Vertriebsnetzen.20 Gerade die vielsprachigen Lodzer industriellen Eliten, die in Belgien, Deutschland, Österreich, Frankreich oder Großbritannien Erfahrungen gesammelt hatten, waren in Lage, solche Produktionsketten aufzubauen. Sie brachten durch diese Kosmopolität gegenüber Moskauer Konkurrenten bessere internationale Kenntnisse und ein hoch kompetitives technisches Wissen mit. Die Lodzer Industriellen verfügten zudem über gute Kontakte zu den russländischen staatlichen Eliten: Nicht am polnischen Januaraufstand 1863 beteiligt, gelang es ihnen nach der Niederschlagung des Aufstandes belastbare Beziehungen zur neuen 16 17 18 19 20

Jacek Kusiński, Ryszard Bonisławski, Maciej Janik, Księga fabryk Łodzi. Łódź 2009, S. 264–269. Entwickelt bei Oskar Kossmann, Lodz. Eine historisch-geographische Analyse. Würzburg 1966. Die Studie entwickelt die Ergebnisse von Kossmanns Krakauer Dissertation in polnischer Sprache aus dem Jahre 1932 weiter. Rosin, Łódz. Dzieje miasta, S. 239–246. Berbelska/Michalska-Szałacka, Die Herbsts, S. 28–30 mit dem Beispiel der großindustriellen Bergbaugesellschaft „Saturn“ in Czeladź, die 10% der Förderung im Dąbrowa-Becken vor allem für die Bedürfnisse der Lodzer Textilindustrie leistete. Beckert, King Cotton.

Die Entstehung einer Textilmetropole

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russländischen Verwaltung aufzubauen. Diese setzte sich teilweise aus deutschbaltischen Offizieren wie Robert Alexander von Broemsen und aus evangelischen Beamten wie den Bürgermeistern Edmund Pohlens und Maurycy Taubwurcel zusammen. Zwischen russländischen Beamten oft polnischer oder baltischer Herkunft, manchmal evangelischer Konfession und deutschsprachigen Textilunternehmern bestand eine konfessionellpolitische Soziabilität, wobei man sich an die Petersburger Vorgaben anpasste. Bereits Rosa Luxemburg hatte in ihrer Zürcher Dissertation (1897) den Aufstieg der Lodzer Industrie vor allem auf die russländische Industrie- und Zollpolitik zurückgeführt, die 1851 die Zollgrenze zum Königreich Polen aufhob. Lodzer Produkte konnten nun den Markt erobern.21 Die ab 1877 wachsende russländische Abschottung durch hohe Zolltarife nach außen wie der Aufbau einer kolonialen Baumwollindustrie im Kaukasus und in Mittelasien (Turkestan, heute Usbekistan), schuf weitere günstige Bedingungen, unter denen sich der Aufstieg der Textilmetropole vollzog.22 Die ältere Generation der Lodzer Unternehmer und der technischen Intelligenz entwickelte vor diesem Hintergrund enge kulturelle Verbindungen zum russländischen Staat, war vielfach auf russischsprachigen Gymnasien ausgebildet worden und drei- (russisch, polnisch, deutsch) oder sogar vielsprachig (weiterhin französisch, englisch) aufgewachsen. Der Maschinenpark wurde dagegen vor allem aus Belgien, dem Deutschen Reich und Großbritannien eingeführt. Der Fabrikantensohn Bruno Biedermann beschrieb 1907 in seiner in Heidelberg angenommenen Dissertation „Die Versorgung der russischen Baumwollindustrie mit Baumwolle eigener Produktion“ genau diese Situation: Der russländische Staat sichere die Rahmenbedingungen, unter denen loyale Unternehmer industriell expandieren könnten.23 Nichtsdestotrotz stammte in den großen Betrieben über 60% der Baumwolle aus den USA, etwa ein Viertel aus Russland.24 Nach 1877 kamen aus dem Ausland weitere Textilfabrikanten nach Lodz, um die russländischen Zolltarife zu umgehen, so aus Sachsen Ernst Leonhardt, aus Frankreich Léon Allart, der Begründer eines transeuropäischen Wollkonzerns mit Werken in Roubaix und in Lodz. Diese Textilindustrie konnte sich mit dem Russländischen Kaiserreich auf den europaweit größten Absatzmarkt stützen. Sie konnte innerrussländisch erfolgreich gegenüber Konkurrenten, etwa den altgläubigen Textilunternehmern in Moskau, agieren,

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Rosa Luxemburg, Die industrielle Entwicklung Polens. Leipzig 1898, S. 19–21. Ireniusz Ihnatowicz, Z badań nad kapitałem łódzkim na Kaukazie na przełomie XIX i XX wieku, in: Przegląd historyczny 54 (1963), 4, S. 592–610. Bruno Biedermann, Die Versorgung der russischen Baumwollindustrie mit Baumwolle eigener Produktion. Diss. Heidelberg 1907; ähnlich auch Kurt Schweikert, Die Baumwollindustrie RussischPolens. Leipzig 1913. Zu Loyalitätskonzepten: Jana Osterkamp / Martin Schulze Wessel (Hg.), Exploring Loyalty. Göttingen 2017 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 136). Wiesław Puś, Stefan Pytlas, Dzieje Łódzkich Zakładów Przemysłu Bawełnianego im. Obrońców Pokoju „Uniontex“ (d. Zjednoczonych Zakładów K. Scheiblera i. L. Grohmana) w latach 1827–1977. Warszawa 1979, S. 107–109.

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Kapitel 2

da sie technologisch überlegen war und einen direkten Zugang zu den westeuropäischen Neuentwicklungen und Modeströmungen besaß. Dieser russländische Absatzmarkt stellte die eigentliche Triebfeder der großindustriellen Entwicklung in Lodz dar. 1892 betrug der Produktionswert der Textilindustrie im Russländischen Reich über 580 Millionen Rubel, davon stammten knapp ein Fünftel aus einer Stadt, nämlich aus Lodz, das sich immer mehr zu einer überlegenen Konkurrenz gegenüber den zentralrussischen Textilstädten entwickelte.25 Viele erfolgreiche Lodzer Unternehmen verfügten im Osten – in Kiev, St. Petersburg, Moskau oder Rostov am Don – über Filialen. Die größten Unternehmen bauten im Nordkaukasus eigene Organisationen zum Einkauf von Baumwolle auf. Durch die Zuwanderung von Juden, die zu einer imperialen Wirtschaftselite aufstiegen, konnten zudem weitere Handels- und Absatznetzwerke entwickelt sowie große wirtschaftserfahrene Gruppen in den Produktionsprozess integriert werden. Bereits ältere jüdische Akteure wie die Handelsunternehmen von Dawid Lande und Ludwik Mamroth hatten in großem Stil Lodzer Produkte vertrieben, lebten aufgrund der diskriminierenden Ansiedlungsbedingungen jedoch noch außerhalb der Stadt.26 Die nächste Generation jüdischer Unternehmer baute nach 1862 in der Stadt selbst ihre Betriebe auf. Sichtbar wird dies am Aufstieg von Israel Poznański: Er stammte aus einer Familie von Textilhändlern in Aleksandrów und baute seit den 1850er Jahren eigene Textilgeschäfte auf, in denen er über das Verlagssystem vor allem von jüdischen Webern bezogene Textilien verkaufte. Ab 1871 ließ er als zweite Säule seines Unternehmens im Nordwesten von Lodz an der ul. Ogrodowa eine Baumwollweberei errichten, die schrittweise über eine Spinnerei und Fertigungsbetriebe zu einem integrierten Textilwerk weiterentwickelt wurde. Die Fabriken Poznańskis beschäftigten weitgehend christliche Textilarbeiterinnen und -arbeiter, da unter Fabrikbedingungen eine koschere Verpflegung und die Einhaltung des Sabbatgebotes nicht sicherzustellen waren.27 Als Poznański 1900 starb, zählte sein Konzern zu den drei größten Textilbetrieben der Stadt. Erkennbar ist in Poznańskis oder auch in Markus Silbersteins Geschäftsbetrieb ein stärkerer Schwerpunkt auf Einkauf und Absatz, während sich die Betriebe von Grohmann, Leonhardt oder Scheibler vor allem auf die Fertigungsprozesse konzentrierten. Auch diese Verbindung von Produktion und Handel stärkte den Standort Lodz. Poznańskis Fabriken, 1889 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, waren nur der ersten und bedeutendsten jüdischen Betriebe. Im späten 19. Jahrhundert entstanden zahlreiche weitere, vor allem aber auch Fabrikations-, Handels- und Absatzunternehmen. Nach den Pogromen im Russländischen Reich 1881 wanderten russisch akkulturierte Juden aus dem historischen Litauen und der Ukraine nach Lodz, die 25 26 27

Luxemburg, Die industrielle Entwicklung, S. 145–146. Filip Friedman, Dzieje Żydów w Łodzi. Od początku osadnictwa Żydów do r. 1863. Stosunki ludnościowe, życie gospodarcze, stosunki społeczne. Łódź 1935, S. 123–124. Andrzej Machejek (Hg.), Imperium rodziny Poznańskich w Łodzi. Łódź 2010.

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vielfach Handelsunternehmen aufbauten, die auch einen Handel nach Innerrussland organisieren konnten.28 Um 1900 waren etwa 40% des Lodzer Industriekapitals in den Händen von evangelischen Fabrikanten, etwa eine genau so große Zahl in den Händen von jüdischen Unternehmern und Aktionären, die allerdings eine größere Gruppe darstellten. Industriekonsortien wurden oft religionsübergreifend entwickelt, so rivalisierten etwa drei ethnisch-konfessionell gemischte Konsortien um die Übernahme der Lodzer Gaswerke, während in der Aktiengesellschaft, die die erste Straßenbahn in Polen baute, jüdische und christliche Unternehmer vertreten waren.29 Aus einer russländischen Zentralperspektive erschien Lodz ohne Frage ökonomisch bedeutend, aber politisch peripher und kulturell fremd. Lodz war die am weitesten westlich gelegene Großstadt des Kaiserreichs, 80 km von der deutschen Grenze und 400 km von Berlin, aber 1.300 km von der Residenzstadt Petersburg entfernt. Die Industriestadt befand sich in einer mehrheitlich polnischsprachigen Umgebung mit starken jüdischen und deutschen Siedlungen, aber, bei Nichtberücksichtigung der Militärgarnison und russischer Beamter, ohne irgendeine ostslavische oder orthodoxe Bevölkerung. Die Gouvernementshauptstadt, von der die Verwaltung des westlichsten russländischen Verwaltungsbezirks aus geleitet wurde, lag in dem 50 km von Lodz entfernten Landstädtchen Piotrków (Petrikau, ca. 30.000 Einwohner). Dagegen fiel dem mehr als zehnmal so großen Lodz nur der Sitz eines Bezirkes (russ. uezd) zu. Als Stadtpräsident von Lodz fungierte über mehr als 32 Jahre Władysław Pieńkowski, der als Sekretär russländischer Offiziere aufstieg, zum orthodoxen Glauben übertrat und in der Stadt aufgrund seiner Diensteifrigkeit gegenüber den provinziellen Behörden und dem russländischen Militär äußerst unbeliebt war. Unter seiner Präsidentschaft blieb der Stadtausbau vernachlässigt, finanzielle Mittel flossen vor allem in den Ausbau von Militärbehörden und –gebäuden oder stärkten den russländischen Staatsschatz.30 Die Stadt blieb so um 1900 administrativ und hierarchisch ein weißer Fleck im Imperium31 – gerade vor dem Hintergrund der städtebaulichen Vernachlässigung eine Rahmenbedingung für die Entstehung eines wirtschaftsbürgerlichen Eigenbewusstseins.

28 29 30 31

David Schick, On Religion and Economy: A Business Network Analysis of a Jewish Textile Company from Nineteenth Century Łódź, in: Franziska Davies (Hg.), Jews and Muslims in the Russian Empire and the Soviet Union. Göttingen 2015, S. 87–102. Stefan Pytlas, Die Beziehungen zwischen jüdischen und christlichen Unternehmern in Lodz bis 1914, in: Hensel, Polen, Deutsche und Juden, S. 131–138, hier 132–133. Śmiechowski, Kwestie miejskie, S. 129–133, 141–142, 146. Pamjatnaja knižka Petrokowskoj gubiernij na 1904 god. Petrokov 1904, S.  65 Überblick über den Magistrat der Stadt Lodz.

Kapitel 3

Lodz im russländischen Imperium um 1900: Multikulturalität einer Migrationsgesellschaft „‚Wie würden Sie Lodz vor dem Krieg charakterisieren?‘ ‚Eine eigenartige, gesonderte Region, die nicht viel mit dem Rest Polens gemein hatte und aus diesem Grund nicht geliebt wurde. Einst sagte ich für das deutsche Fernsehen, dass Lodz vor dem Krieg das war, was heute in der Europäischen Union geschieht. Ein Konglomerat verschiedener Nationalitäten, Religionen und Lebensformen, hier lebten Deutsche, Polen, Russen, Juden, Armenier und Nationalitätenfragen spielten keine große Rolle, außer Konflikten vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Rivalitäten.‘“1  Jerzy Grohman 2003/2004

Diese rückblickende Charakteristik beschreibt das Lodz des frühen 20. Jahrhunderts aus der Perspektive einer der führenden Industriellenfamilien. Die Grohmanns waren nicht irgendwer: Die Begründer des Familienvermögens, Traugott Grohmann und Ludwig Grohmann – der Urgroßvater bzw. der Großvater von Jerzy – hatten in der boomenden Textilmetropole Lodz eines der größten Textilunternehmen des Russländischen Reiches aufgebaut. Durch den Ersten Weltkrieg wie alle Lodzer Unternehmen schwer geschädigt, schloss sich die Firma 1921 zu den „Vereinigten Textilwerken K. Scheibler und L. Grohman AG“ (Zjednoczone Zakłady Scheiblera i Grohmana S. A.) zusammen, an denen staatsnahe Banken erhebliche Aktienpakete hielten und die auch dank dieser Staatshilfe als einer der größten polnischen Betriebe die Weltwirtschaftskrise überdauerten. Auch symbolisch näherten sich die Grohmans, die nach 1918 das in der polnischen Orthographie unübliche zweite „n“ aus dem Familiennamen strichen, polnische Vornamensformen benutzten und eng mit der Intelligenzschicht der Zwischenkriegszeit verbunden waren, der polnischen Gesellschaft an.2 Grohman berichtete aus seiner Erziehung in den 1920er und 1930er Jahren: „Gezielt lernte ich in der Schule das Französische anstelle des Deutschen, im Zuge einer Polonisierung. […] Nach dem Ersten Weltkrieg nahmen sich alle als Ehrensache vor, die Kinder in polnischer Sprache zu erziehen, sie wollten die Kinder nicht in das Deutsche Gymnasium abgeben. […] Die

1 „‚Jak by pan najkrócej określił charakter przedwojennej Łodzi?‘ ‚To była dziwna, odrębna kraina, mająca niewiele wspólnego z resztą Polski i z tego powodu niezbyt lubiana. Kiedyś powiedziałem dla telewizji niemieckiej, że w Łodzi już przed wojną było to, co się teraz dzieje w Unii Europejskiej. To był zlepek różnych narodowości, religii i obyczajów, tu mieszkali Niemcy, Polacy, Rosjanie, Żydzi, Ormianie, i sprawy narodowościowe nie odgrywały wielkiej roli, poza konfliktami na tle rywalizacji gospodarczej.‘“ Spodenkiewicz, Piasek, S. 32–33. 2 Spodenkiewicz, Piasek; Skrzydło, Rody fabrykanckie, S. 35–51.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_004

Lodz im russländischen Imperium um 1900

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Scheiblers, Eisert, die Kindermanns, alle gingen zum Zimowski-Gymnasium. Das war ein in gewissem Sinne elitäres Gymnasium.“3 Die Familie stand damit wohl besonders eindrücklich, aber grundsätzlich repräsentativ für erhebliche Teile der Lodzer Unternehmer deutscher und jüdischer Herkunft, die nach 1918 um enge Verbindungen zum polnischen Staat bemüht waren. Dafür sprachen viele Faktoren, auch die loyalistische Tradition aus der Zugehörigkeit zum russländischen Kaiserreich wie die pragmatische Überlegung, dass man auf eine gute Kooperation mit den neuen Staatsbehörden angewiesen war. Weit verbreitet war eine Verbitterung über die deutsche Beschlagnahme- und Demontagepolitik im Ersten Weltkrieg, die die Unternehmen existentiell geschädigt hatte (dazu S. 62). In dem Maße, in dem eine Diversifizierung der Produktion angestrebt war, waren Unternehmer auf Unterstützung durch die polnische Verwaltung angewiesen, zumal insbesondere eine Maschinenbau- (Fa. Steinert) und Lebensmittelindustrie (Fa. Karol Eisert) aufgebaut wurden, die auch auf Staatsaufträge angewiesen war. Bevölkerungsschichten und Migrationserfahrungen Auch historisch hatten die textilindustriellen Eliten immer gute Kontakte zum Staat unterhalten und Loyalitätsvorstellungen verinnerlicht. Die Textil- und insbesondere die Baumwollindustrie waren auf einen starken Staat, der Baumwollproduktionsstätten erschloss und Absatzmärkte durch Zollgrenzen sicherte, angewiesen.4 Nach dem Ersten Weltkrieg veränderten sich allerdings weltweit wie im neugegründeten polnischen Staat die industriellen Rahmenbedingungen: Die Lodzer Textilfabrikanten waren durch Beschlagnahmen und Demontagen im Krieg sowie das Abgeschnittensein vom russländischen, nun sowjetischen Markt finanziell ausgeblutet, sie mussten sich neu aufstellen. Eine Organisation in Aktiengesellschaften gab es bereits seit den 1880er Jahren. Diesem Beispiel folgten in der Epoche weitere Großunternehmen. Neu war allerdings, dass nach dem Ersten Weltkrieg ausländisches Kapital Minderheits-, nun aber auch Mehrheitsbeteiligungen erwarb. Italienisches Kapital um die Banca Commerciale Italiana übernahm die Poznański-Betriebe, traditionell das zweitgrößte Lodzer Unternehmen.5 In britischem Kapitalbesitz der global aufgestellten J.&P. Coats befand sich bereits vor dem

3 „Celowo uczono mnie języka francuskiego zamiast niemieckiego, w ramach spolszczania. […] Po pierwszej wojnie światowej wszyscy stawiali sobie za punkt honoru wychowywać dzieci po polsku, więc nie chcieli oddawać dzieci do Gimnazjum Niemieckiego. […] Scheiblerowie, Eisert, Kindermannowie, wszyscy byli u Zimowskiego. – To było gimnazjum w jakimś sensie elitarne.“ Spodenkiewicz, Piasek, S. 23–24. 4 Sven Beckert, King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kapitalismus. München 2019 [12014], S. 59–63, 155–161, 317–346. 5 Laut Grohman eine „banditenhafte Übernahme“ („bandyckie przejęcie“), vgl. Spodenkiewicz, Piasek, S. 44.

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Kapitel 3

Ersten Weltkrieg die Lodzer „Niciarnia“ (Nähgarnfabrik),6 die für die Textilproduktion unentbehrlich war, sowie der Maschinenbau- und Chemiebetrieb Greenwood (Orla 3). Die Unternehmerfamilie Haebler besaß Fabriken in Lodz und Pabianice, leitete den Konzern jedoch von Brüssel und Wien aus. Die aus dem heute weißrussischen Mahileau und Szkłów (Škloŭ) nach Lodz zugewanderte, deutsch- und russischsprachige Kaufmannsfamilie Eitingon agierte in Verbindung mit Leipziger und New Yorker Kapital und baute gestützt darauf durch Firmenzukäufe einen modernen Mischkonzern auf, der in Lodz wie heutige moderne Hedgefonds Textilindustriebeteiligungen und Immobilien sammelte.7 Zu den größten Firmen zählte auch die französisch geprägte „Textilunion“ (Allart, Rousseau et Compagnie), die die Wolltextilfabrikation beherrschte, sowie weitere französische und belgische Unternehmen.8 Die Lodzer Unternehmen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts besaßen eine gesamteuropäische Kapitalstruktur und agierten global. In diese internationalen Unternehmereliten waren jüdische Industrielle integriert, die – vielfach aus dem historischen Litauen zuwandernd, in Lodz seit den 1880er Jahren Betriebe aufgebaut hatten.9 Von großer Bedeutung waren neben den Poznańskis die Familien Barciński, Eitingon, Kohn, Kon, Osser und Rosenblatt. Man kannte sich, traf sich. Gegenüber den christlichen polnisch-deutschen Unternehmern gab es jedoch unsichtbare Trennlinien, die Jerzy Grohman benennt: „Bei mir zuhause wurden Juden grundsätzlich nicht empfangen, nicht deshalb, weil es ihnen gegenüber Vorbehalte gegeben hätte, aber es war einfach nicht die gemeinsame Welt. Die Herren begegneten sich in der Stadt, sie waren zusammen im Klub im Grand Hotel.“10 Es ist diskutabel, wie weit Verbindungen wie auch Trennlinien in den Eliten reichten: Manche Sportklubs, wie der „Lawn Tennis Club“ (gegr. 1913/19) galten als exklusives Milieu der christlichen Eliten.11 Die Schulbildung der christlichen polnisch-deutschen Eliten erfolgte auf dem ZimowskiGymnasium (später umbenannt in Żeromski-Gymnasium),12 während fachliche, auch 6 7 8 9 10 11 12

Dong-Woon Kim, J. & P. Coats in Tsarist Russia, 1889–1917, in: Business History Review, 69 (1995), H. 4, S. 465–493. Kazimierz Badziak, Włókienniczy koncern Eitingonów w II Rzeczpospolitej, in: Rocznik Łódzki 35 (1985), S.  107–137; zu den internationalen Verknüpfungen der Eitingons Mary-Kay Wilmers, The Eitingons. A Twentieth-Century Story. London, New York 2010. John P. Mc Kay, Pioneers for Profit: Foreign Entrepreneurship and Russian Industrialization, 1885–1918. Chicago, London 1970, S. 49–50. Am Beispiel des Unternehmers David Silberstein zeigt dies David Schick, Vertrauen, Religion, Ethnizität. Die Wirtschaftsnetzwerke jüdischer Unternehmer im späten Zarenreich. Göttingen 2017, S. 33–84. „U mnie w domu w zasadzie nie przyjmowano Żydów, nie dlatego że były do nich pretensje, tylko to nie był ten świat. Panowie widywali się na mieście, bywali razem w klubie w Grand Hotelu.“ Spodenkiewicz, Piasek, S. 19–20. Spodenkiewicz, Piasek, S. 35. „Scheiblerowie, Eisert, Kindermannowie, wszyscy byli u Zimowskiego.“ Spodenkiewicz, Piasek, S. 24. Gimnazjum i Liceum Aleksego Zimowskiego, ul. Boczna 5, später Tylna 1. Zur Schulgeschichte: Stanisław Zimowski, Prywatne Gimnazjum i Liceum Męskie Aleksego Zimowskiego. Łódź 2004. Das

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jüdische Wirtschaftseliten die „Schule des Kaufmannsverbands“ (Szkoła Zgromadzenia Kupców)13 besuchten. Strukturell handelt es hierbei um eine Ausgrenzung jüdischer Angestellter und Unternehmer durch ihre christlichen Konkurrenten, manchmal auch um Antisemitismus. Dem standen von Seiten chassidischer oder orthodoxer Familien Fremdheitswahrnehmungen, Stereotypen und Abgrenzungsbestrebungen gegenüber, während reformorientierte Juden wie die Poznańskis oder Silbersteins auch über stärker christliche Netzwerke verfügten. Der Londoner Historiker François Guesnet geht davon aus, dass die Durchlässigkeit zwischen christlicher und jüdischer Gesellschaft „am oberen und unteren Ende der sozialen Hierarchie“ größer gewesen sei, es also unter Unternehmern und Arbeitern intensivere Kontakte gegeben habe, während der Mittelstand, Angestellte, technische Intelligenz und die Meister in den Betrieben, miteinander konkurrierte und sich wechselseitig ausgrenzte.14 Polnisch akkulturierte jüdische Unternehmer verfügten auch über Warschauer Kontakte sowie über enge Verbindungen zu den polnischen Staatseliten: So die Gebrüder Henryk, Stefan und Marceli Barciński, Söhne des Unternehmensgründers, die im Ersten Weltkrieg sich jeweils im Lodzer Bürgerkommitee engagierten, das als Ansprechpartner für die deutschen Besatzer diente und die Kriegsfolgen in der Stadt abmildern sollte. Nach dem Krieg spielten sie eine wichtige Rolle in der Lodzer Kaufmannsvereinigung und in mehreren Aufsichtsräten von Warschauer und Lodzer Banken und stellten so ein Verbindungsglied zwischen der neuen Hauptstadt und der wichtigsten Industriestadt Polens her. Auch andere Lodzer Unternehmer hatten Verbindungen in die Warschauer Intelligencja: Für die Familie Rosenblatt, deren Unternehmen nach dem Tod des Gründers Szaja Rosenblatt in den 1920er Jahren hoch verschuldet und von einer feindlichen Übernahme bedroht war, engagierte sich der bekannte Historiker und zeitweise Vertreter Polens im Völkerbund Szymon Askenazy, dessen Frau Felicja mütterlicherseits aus der Familie Rosenblatt stammte.15 Insgesamt ist also festzuhalten: Trotz aller Trennlinien verbanden dieses internationale Industriellenmilieu gemeinsame Interessen sowie durchweg eine gemischte kulturelle Prägung und eine umfangreiche Mehrsprachigkeit, die einen kulturellen Eklektizismus bis hin zu einer transnationalen Perspektive nahelegten. Zeitgenössisch wurde das in den Begriff des „Kosmopoliten“ gefasst, der allerdings im Ersten Weltkrieg und in den

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Gymnasium wurde später in Żeromski-Gymnasium umbenannt, zur Atmosphäre vgl. auch Karl Dedecius, Der Stadt Lodz verdanke ich viel, in: Gdzie są Niemcy z tamtych lat, S. 129–133, hier 131. Agnieszka Szczerba, Szkoła Zgromadzenia Kupców miasta Łodzi (1898–1939). Łódź 2016. François Guesnet, Lodzer Juden im 19. Jahrhundert. Ihr Ort in einer multikulturellen Stadtgesellschaft. Leipzig 1997, S. 7–10, 24. Mariola Hoszowska, Szymon Askenazy i jego korespondencja z Ludwikiem Finklem. Rzeszów 2013, S.  182; Puś, Żydzi, S.  92; zur Gründerpersönlichkeit: Kazimierz Badziak, Szaja Rosenblatt. Kupiec, przemysłowiec, działacz gospodarczy i społeczny oraz jego rodzina, in: Rocznik Łódzki 53 (2006), S. 115–140.

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1920er Jahren immer stärker zum Feindbild national agierender Gruppen in ganz Europa wie kommunistischer Angriffe gegenüber „den Kapitalisten“ wurde.16 In Lodz bildeten unterhalb dieser Eliten die Ingenieure, Techniker, Meister, Prokuristen, Angestellten und Facharbeiter das Rückgrat der Industriestadt. Sie standen Betrieben oder Fachabteilungen vor, entwickelten innovative Lösungen und standen Krisen in den Betrieben durch. Lebensweltlich dominierten mehrere Herkunftsmilieus, die – für das östliche Europa sehr früh – die Fabrikproduktion und eine durchrationalisierte Arbeitsorganisation verinnerlichten, in diesem Umfeld Fertigkeiten erwarben und familiär weiterentwickelten. Diese Gruppen bildeten den Kern der Industriestadt Lodz und können typologisch beschrieben werden. Ein Teil der Fachkräfte rekrutierte sich aus eingesessenen deutsch-polnischen Meistern und Industriearbeitern, deren Großeltern vielfach als selbständige Weber nach Lodz eingewandert waren, während Kinder und Enkel zum Fachpersonal in den Fabriken wurden. Jerzy Grohman traf in den frühen 1950er Jahren Ludwik Radke wieder,17 der in der Zwischenkriegszeit als leitender Angestellter und Prokurist in den ScheiblerGrohman-Werken beschäftigt gewesen war und beschrieb dessen Räsonnement: „Radke beklagte sich, dass ihm infolge der Unterzeichnung der Volksliste [Deutsche Volksliste 1939–1945, H.-J.B] stets irgendwelche Schwierigkeiten gemacht würden. ‚Ich bin in Lodz als russländischer Staatsbürger geboren worden […]. Meine Eltern und ich sprachen ebenso gut deutsch, wie polnisch und russisch. Nach dem Ersten Weltkrieg zogen die Russen ab und es entstand der polnische Staat. Sollte ich aus dem Grund, dass ich die russländische Staatsangehörigkeit besaß, Lodz verlassen und nach Russland gehen? Ich fühlte mich immer als Lodzer, also nahm ich die polnische Staatsangehörigkeit an und blieb in meiner Heimatstadt. Dann brach der Zweite Weltkrieg aus und in Lodz zogen die Deutschen ein. Ich blieb am Ort, denn ich sah keinen Grund, um in das Generalgouvernement abzuwandern. Als das Kriegsschicksal sich umkehrte und die Deutschen aus Lodz flohen, blieb ich, denn ich fühlte mich nicht als Deutscher, sondern als Lodzer. Warum sollte ich ausreisen, wenn ich niemandem auch nur das geringste Unrecht getan hatte?‘“18 16 17 18

Immer wieder auftauchend bei Eichler, Deutschtum, S. 221–223, 230–232, u.ö. Fotograph, vgl. worldcat.org/identities/viaf-316028871/. Vgl. Bronisława Kopczyńska-Jaworska, Krzysztof Woźniak, Łódzcy Luteranie: społeczność i jej organizacja. Łódź 2002. „Pan Radke użalał się, że z powodu podpisania folkslisty robią mu ciągle jakieś kłopoty. ‚Urodziłem się w Łodzi jako obywatel rosyjski […]. Ja i moi rodzice mówiliśmy równie dobrze po niemiecku, jak po polsku i po rosyjsku. Po pierwszej wojnie światowej Rosjanie odeszli i powstało państwo polskie. Czy z tego względu, że miałem obywatelstwo rosyjskie, powienienem opuścić Łódź i udać się do Rosji? Zawsze czułem się łodzianinem, przyjąłem więc obywatelstwo polskie i pozostałem w moim rodzinnym mieście. Potem wybuchła druga wojna światowa i do Łodzi wkroczyli Niemcy. Zostałem na miejscu, bo nie widziałem powodu, żeby wyjeżdżać do Generalnej Guberni. Kiedy losy wojny odwróciły się i Niemcy uciekali z Łodzi, zostałem, bo nie czułem się Niemcem, tylko łodzianinem. Dlaczego miałbym stąd wyjeżdżać, jeśli nie uczyniłem nikomu najmniejszej krzywdy?‘“ Spodenkiewicz, Piasek, S. 34.

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Das Beispiel Ludwik Radke, dessen DVL-Akte und dessen polnische Rehabilitationsunterlagen aus der Volksrepublik Polen erhalten sind und der eine umfangreiche Zeitungsausschnitt-, eine Postkarten- sowie eine Fotosammlung hinterlassen hat,19 steht typologisch für eine alteingesessene Mittelschicht, die ein städtisches, übernationales Lokalbewusstsein entwickelte. Radke, neben Eugeniusz Krasuski einer der wichtigsten Prokuristen bei Scheibler-Grohman, stellt einen Akteur der Lodzer Fabrikintelligenz dar. Besonders durch Migrationserfahrungen und Mehrsprachigkeit geprägt war die jüdische Bevölkerung. Sie wanderte seit den 1860er Jahren zum Teil aus der Umgebung, zum Teil seit den 1880er Jahren infolge der Pogrome verstärkt aus Litauen, als „Litwaken“, nach Lodz ein. Die jiddischsprachige Literatur beschreibt die Atmosphäre unter den jüdischen Migranten eindrücklich. Israel Joshua Singer benennt die Animositäten zwischen „litauischen“ und „polnischen“ Juden. Erstere waren weniger traditionell, eher russischsprachig und stärker auf Bildung und Aufstieg bedacht: „Die Lodzer Juden machten zwar Geschäfte mit den Litwaks, vermieden es aber, privat mit ihnen zu verkehren. Diese Einstellung beruhte auf Gegenseitigkeit. Litwaks machten sich über die altmodische Kleidung und die Redeweise der Einheimischen lustig und bezeichneten sie als ‚Itsche-Mayers‘ – Provinzler, die noch mit Groschen statt mit Rubeln und Kopeken rechneten.“20 Der Dichter Julian Tuwim beschreibt in seinen autobiographischen Aufzeichnungen und Werken mehrfach seinen Vater Izydor, der aus dem litauischen Kalvarija stammte, seinen Schulabschluss in Königsberg erworben und in Paris studiert hatte. Izydor Tuwim ging anschließend nach Lodz und arbeitete für die russländische Azov-Don-Bank in der Meyer-Passage 8 (heute ul. Moniuszki), sein Sohn beschrieb ihn in den „Polnischen Blumen“ (1940/44): „In der engen Straße, wo das Pflänzchen sich rankt, / gleich Klaczkins gegenüber, / sitzt mein Vater, / in der Azov-Don-Bank, / er ist noch nicht hinüber und schreibt, / auf Französisch an langen Briefen rum, / addiert unzählige Zahlen, / und quält sein graues Haupt herum. / Hunderttausende notiert er zwischen den / Buchhalterischen Kästchen seiner Rubriken, / Und es fehlen ihm 60 Rubel, / für uns, auf dem Dorf für die Ausgaben. / Und die Wechsel … und für die Raten des Schneiders … / Er begleicht es und verschuldet sich erneut. / Er schreibt und schreibt in das Hauptbuch / die Vermögen der 19

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Eine Zeitungsausschnittsammlung Radkes befindet sich in der Biblioteka Uniwersytecka, Zbiór Ludwika Radke, Łódź, Wodny Rynek 11 und zeigt exemplarisch dessen Mehrsprachigkeit und stadthistorischen Interessen; er sammelte deutsch- und polnischsprachige Ausschnitte in der Regel über das vermittelnde deutsch-polnische Milieu, nämlich über den zweisprachigen, national ausgleichenden und sozial engagierten Pastor Gundlach, Artikel der Journalisten Alexander Milker und Alexis Drewing, Beiträge von Alexander Hoefig und Philip Friedman(n), Nachrichten über Alfred Grohman(n), Romanfragmente von Władysław Szulc-Rymkiewicz, weiterhin Zeitungsartikel von Paweł Korzec über die Revolution 1905 (die Radke kritisch kommentiert, etwa auf die Auslassung von antijüdischen Ausschreitungen 1905 hinweist) und Artikel von Mirosław Cygański über den deutschen Einmarsch 1939. Zu R. weiterhin AP Łódź, Niemiecka Lista Narodowa, 342188; AIPN Łódź 92/865. Singer, Brüder Aschkenasi, S. 213–219, hier 215.

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Herren Fabrikanten, / der zufriedenen Besitzer, / der Paläste, Kutschen und Brillianten.“21 Bei dem jungen Tuwim wird die Empörung angesichts der ungleichen Vermögensverhältnisse immer wieder spürbar, er fordert eine Beteiligung der Mittelschichten an den Vermögen ein. In der Forschung wurde die These aufgestellt, gerade die jüdischen Unternehmer und die jüdische Intelligenz im östlichen Europa hätten einen Weg von einer russländischen Reichsloyalität zu einem Kosmopolitismus beschritten.22 Zeigen kann man das am Beispiel von Unternehmern wie den Eitingons oder Kons, die gestützt auf Niederlassungen in West- und Osteuropa und ab der Zwischenkriegszeit auch in den USA und in Südamerika international agierten. Auch jüdische Schriftsteller und bildende Künstler, die im Kontext einer globalen Moderne Metropolen wie Paris (Marek Szwarc und Alexandre Tansman), New York, Berlin oder Düsseldorf (Jankiel Adler) als Arbeits- und Lebensorte entdeckten, können hier subsummiert werden.23 Insgesamt prägten die Vertreter eines evangelisch-deutsch oder jüdisch akkulturierten Bürgertums seit den 1880er Jahren eine Mittelschicht, in der „sozial integrative Kulturmuster Gültigkeit“ besaßen.24 Zu diesem Habitus der Wirtschaftsbürger gehörte eine Drei- oder Viersprachigkeit, die beruflich gefordert war. Das Russische und das Deutsche funktionierten als internationale und lokale Wirtschaftssprachen. Eine Akkulturation erfolgte deshalb zunächst an die russische und deutsche Wirtschaftskultur. Spätestens nach 1905 wurden mit dem Entstehen eines auch polnischen Schulwesens gemeinsame Muster einer Polonität durch den polnischen Literaturkanon des 19. Jahrhunderts, insbesondere die polnischen Romantiker, vermittelt. Das Polnische entwickelte sich von nun an auch stärker als Träger einer bürgerlichen Soziabilität. Diese Vorbilder waren teilweise anschlussfähig, da sie Zugang zu einer distinguierten adligen Welt boten. Unternehmer wie etwa die Familie Heinzel (von Hohenfels) oder die Scheiblers erwarben Adelstitel und näherten sich einer deutsch-polnischen Adelswelt an.25 Dies trug zu einer Mehrsprachigkeit und einer Soziabilität im Anschluss an adlige Traditionen bei und stellte Loyalitätsentwürfe in mehrere Richtungen bereit. 21

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„Na tej uliczce, tam gdzie krzaczki, / A na przeciwko państwo Klaczkin, / Ojciec mój, ojciec nieumarły, /W Azowsko-Dońskim Banku siedzi, / Pisze francuskie długie listy, / I liczb sumuje ciąg spadzisty, / I siwiejącą głowę biedzi. / Setki tysięcy wstawia w kratki / Buchalteryjnych swoich rubryk, / A brak mu sześćdziesięciu rubli / Dla nas, tam na wieś na wydatki. / A weksel … a krawcowi rata … / Znów się zadłuży i załata …/ Pisze i pisze w głównej księdze / Fortuny panów fabrykantów, / Zadowolonych posiadaczy, / Pałaców, karet i brylantów.“ Julian Tuwim, Kwiaty polskie. Wrocław 2005, S. 58. Malachi Hacohen, From Empire to Cosmopolitanism: The Central European Jewish Intelligentsia, 1867–1968, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 5 (2006), S. 117–133. Vgl. die jeweiligen Biogramme der jiddischen Autoren in Sztetl, szund, bunt i Palestyna; zur Anziehungskraft von Paris vgl. die Biographien von Marek Szwarc und Alexandre Tansman. Bianka Pietrow-Ennker, Wirtschaftsbürger und Bürgerlichkeit im Königreich Polen: das Beispiel von Lodz, dem „Manchester des Ostens“, in: Geschichte und Gesellschaft 31 (2005), 2, S. 169–202. Jacek Strzałkowski, Heinzlowie. Z dziejów wielkiej kariery i filantropii łódzkich przemysłowców. Łódź 2004.

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Die große Mehrheit der Bevölkerung der Textilstadt Lodz bildeten jedoch ungelernte und angelernte Textilarbeiterinnen und -arbeiter, vielfach Analphabeten, die seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vor allem aus den Dörfern und Kleinstädten der Umgebung in die boomende Industriemetropole eingewandert waren. Etwa zwei Drittel der gesamten Beschäftigten der Stadt waren 1897 in der Textilindustrie tätig.26 Sie stammten aus wirtschaftlich beengten ländlichen Verhältnissen, oft nachgeborene Kinder in großen Familien, hatten Armut erlebt bzw. durchlitten und suchten in der Industriestadt Existenzchancen. Unter ihnen fanden sich mehrheitlich Nachkommen polnischer Bauern, aber auch deutscher Kolonisten. Auch junge Jüdinnen und Juden; sie alle vereinte die Suche nach einem Neuanfang ohne eigenes Kapital unter möglichst erträglichen Bedingungen. Zuwanderung in eine Boomtown und Akkulturation Zeitgenössisch Aufsehen rief die Größe der Zuwanderung hervor: Nach amtlichen Zahlen war Lodz 1885 eine Stadt von 106.000 Einwohnern und wuchs bald auf 314.000 (1897) und schließlich 512.000 (1911, ohne nicht eingemeindete Vororte mit weiteren 100.000 Menschen) Einwohner an. Sie war damit um 1900 die am schnellsten wachsende Metropole Europas und eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt, ohne jede Frage bestimmt von Zuwanderern und Migranten, die sich in eine von Fabrikarbeit nach globalen Mustern geprägte mehrsprachige und multikulturelle Stadtgesellschaft einfügen mussten. Zuverlässige Angaben zu Sprach- und Nationalitätenstatistiken sind unter diesen Rahmenbedingungen ausgeschlossen. Die je nach verschiedenen Zählungen abweichenden Angaben geben vielfach nur vor, eine buntschillernde, raschen Veränderungen unterliegende Stadtgesellschaft zu kategorisieren und zu klassifizieren.27 Relationen widerspiegeln können Schätzungen, wonach 1914 in Lodz neben polnischen Katholiken (ca. 50%) große Gruppen von Juden (ca. 30%) und Deutschen (ca. 15%) lebten. Infolge der älteren deutschen Prägung der Textilstadt verliefen Akkulturationsprozesse in alle Richtungen und im Stadtbild war das von Restriktionen der zarischen Obrigkeit weniger betroffene Deutsch trotz der geringeren Zahl an Muttersprachlern in gleichem Maße wie Polnisch und Jiddisch zu hören. In Singers „Brider Aschkenasi“ erlebt die Hauptfigur Max Aschkenasi den Bildungsbegriff zunächst in seiner russischen Form als „prosveščenie“ (Aufklärung), beschließt dann aber, „Bildung“ in seiner deutschen 26 27

Julian  K.  Janczak, Struktura społeczna ludności Łodzi w latach 1820–1918, in: Paweł Samuś (Hg.), Polacy – Niemcy – Żydzi w Łodzi w XIX–XX w. Sąsiedzi dalecy i bliscy. Łódź 1997, S. 40–69, hier 60–67. Vgl. die Beiträge von Paweł Samuś, Lodz. Heimatstadt von Polen, Deutschen und Juden und Wiesław Puś, Die Berufs- und Sozialstruktur der wichtigsten ethnischen Gruppen in Lodz und ihre Entwicklung in den Jahren 1820–1914, beide in Hensel, Polen, Deutsche und Juden in Lodz, S. 13–32 bzw. 33–44.

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Spielart zu erwerben, so wie seine Frau auch „deutsche Romane“ liest. Schließlich rasiert er sich den traditionellen Bart ab, trägt „europäische Mode“, nennt sich anstelle Simcha Meir nun Max und wechselt vom Jiddischen zum – laut Singer gebrochen beherrschten – Lodzer Deutsch.28 Ähnlich könnten auch Akkulturationsprozesse ans Russische oder Polnische aufgezeigt werden. Ihren kulturellen Ausdruck fand diese Migrantengesellschaft auch in einer eigenen Soziabilität sowie einem oft verzweifelten, manchmal ironischen Blick auf die vom Scheitern geprägten Versuche, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen. Um 1900 entstanden populäre Lieder und Gassenhauer, die den industriellen Aufschwung der Textilmetropole, die Einwanderung von Teilen der ländlichen und kleinstädtischen Bevölkerung aus der Umgebung und die unerschütterliche Hoffnung auf eine Karriere zum Inhalt hatten. Unter den Juden Zentralpolens war der Liedtext „Itzek, komm mit nach Lodz  …“ populär, in dem die arme jüdische Bevölkerung halb ernsthaft, halb spöttisch aufgefordert wurde, in der Metropole Karriere zu machen. Vor allem unter der deutschen Bevölkerung kursierte der Liedtext „Leo, wir geh’n nach Lodz, wir bau’n ein Haus und eine Fabrik …“, der ironisch Aufstiegssehnsüchte und -wünsche der deutschsprachigen Bevölkerung reflektierte. Ursprung und Verbreitungswege dieses populären Liedes sind im Detail nicht zu klären, in der Forschung wird mehrheitlich die Position vertreten, die erste Version sei von zentralpolnischen Juden geschaffen worden, habe sich dann aber auch unter den in Zentralpolen ansässigen Deutschen rasch verbreitet, allerdings textuell die Sprachgrenze zum Polnischen niemals überschritten.29 Postuliert werden kann, dass im Polnischen die unternehmerischen Erfolgsgeschichten fehlten, ja das Städteimage dauerhaft von einer Lodz als „böse Stadt“ abwertenden Städtekritik geprägt blieb (vgl. S. 52). In der Migration handelte es sich um eine saisonale, wirtschaftlichen Konjunkturen unterliegende Land-Stadt-Migration. Die Bevölkerung verdingte sich im Herbst und Winter teilweise auf Tages- oder Wochenlohnbasis in der Stadt und kehrte im Frühling und Sommer zu Aussaat und Ernte auf das umliegende Land zurück. Vom Land wurden Lebensmittel in die Stadt mitgebracht, so war angesichts der niedrigen Löhne ein Überleben in Krisenzeiten möglich. Mitgebracht wurden auch die Lebensstile der ländlichen Bevölkerung, so die Haltung von Haustieren in Höfen und Hinterhäusern, der Rückgriff auf die Großfamilie in Notsituationen und ein Paternalismus, in dem an die Stelle der Grundbesitzer und Großbauern nun Fabrikanten und Familienoberhäupter traten, die zu Nennonkeln und Nenntanten wurden. Ein erheblicher Teil der Textilarbeiter (bis zu 70% der zuwandernden Katholiken) waren Analphabeten, eine Schulpflicht wurde in

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Singer, Brüder Aschkenasi, S. 54–55 (T.I, Ende Kap. 7), 105, 210, 224. Valentin Polcuch, „Theo, wir fahr’n nach Lodz“, in: Peter E. Nasarski (Hg.), Lodz. „Gelobtes Land“. Von deutscher Tuchmachersiedlung zur Textilmetropole im Osten. Dokumente und Erinnerungen, Berlin 1988, S. 13–14.

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Lodz, wie insgesamt in den Territorien des russländischen Teilungsgebiets, erst 1917/19 eingeführt. Die schlecht bezahlte Arbeit in der Textilindustrie war zudem durch Frauen- und Kinderarbeit geprägt. Historisch war und ist das weltweit in der Textilindustrie so, billige jugendliche und weibliche Arbeitskräfte produzieren Textilprodukte in einem scharfen Preis- und Konkurrenzkampf.30 Unter den staatlicherseits kaum regulierten Bedingungen des russländischen Frühkapitalismus entwickelten sich gerade in Lodz stark durch Ausbeutung und Gewalt, sowie im Gegenzug durch Konflikte und Widerständigkeit geprägte Verhältnisse. Eine funktionierende Fabrikaufsicht entstand erst schrittweise in den 1920er und 1930er Jahren. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg arbeiteten in Spinnereien und Webereien mehr Frauen als Männer, die sich in der repressiven, teilweise militarisierten Atmosphäre der Fabriken arrangieren mussten und ein erträgliches Auskommen suchten.31 Die Textilfabrik bot zugleich Spinnerinnen – solange die Frauen gesund und kinderlos waren – einen hinreichenden Lebensunterhalt, wurde also auch zu einem Vehikel einer frühen weiblichen Selbständigkeit. Unter diesen Bedingungen dominierte ein pragmatisches Miteinander oder Nebeneinander, während ein Gegeneinander in Konflikten eskalierte, aber kaum erfolgversprechend war. Konflikte entwickelten sich eher entlang der sozialen, weniger entlang der sprachlich-nationalen Trennlinien. Die Publizisten Artur Glisczyński und Antoni Mieszkowski berichteten 1894: „In den Reihen der charakteristischen Züge, die das Neue schafft, ist insbesondere der Kosmopolitismus hervorzuheben. Handel und Industrie sind seine ersten Eroberungen, hier führt der Weg durch die Fabrikhallen. Die laute Bestie kennt keine ethnischen Differenzen, lässt sich nicht nationalen, konfessionellen oder geschlechtlichen Unterschieden leiten. Sie braucht starke Arme, und verschlingt mit gleichmäßigem Appetit den hiesigen Bauern, den deutschen Weber oder den böhmischen Landmann.“32 „Laute Bestie“ – Zeitzeugen wie heutige Historiker schreckte der Lärm der mechanischen Webstühle. Allerdings gab es – entgegen der Einschätzung Mieszkowskis – keinerlei gleiche Rechte: Frauen waren durchweg die am schlechten bezahltesten Arbeiten vorbehalten, Aufstiegsmöglichkeiten fehlten völlig.33 30 31 32

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Beckert, King Cotton. Zahlen bei Marta Sikorska-Kowalska, Armia nowoczesnych niewolnic. Robotnice w Łodzi przełomu XIX i XX wieku in: Kamil Śmiechowski, dies., Kenshi Fukumoto, Robotnicy Łódz drugiej połowy XIX wieku. Nowe kierunki badawcze. Łódź 2016, S. 49–84, hier 51–52. „W szeregach cech charakterystycznych, przez nowe wytworzonych warunki, jaskrawo wyróżnia się kosmopolityzm. Handel i przemysł, oto pierwsze jego zdobycze, do których droga prowadzi przez gmach fabryczny. Hałaśliwa bestja nie zna odrębności rasowych, nie kieruje się względami narodowości, wyznania i płci. Potrzebuje silnych dłoni, i z jednakowym apetytem pożera tutejszego chłopa, niemieckiego tkacza i czeskiego wieśniaka.“ XYZ [d.i. Artur Glisczyński, Antoni Mieszkowski], Łódź miasto i ludzie, zit. nach Piotr Boczkowski [Hg.], Łódź, która przeminęła w publicystyce i prozie (antologia). Łódź 2008, S. 24. Sikorska-Kowalska, Armia, S. 57–59, 60–67.

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Auch das Stadtbild war oft von Familien und Frauen mit Kindern geprägt, die bei schlechten Wohnbedingungen auf der Straße lebten. Julian Tuwim beschrieb die im Norden von Lodz gelegenen Slums des Industriedorfes Bałuty seiner Kindheit, die vor allem jüdische Arbeiter beherbergten: „Die Baluter anämischen Kinder / hocken in der Rinne mit scharfen Gesichtszügen (als ob aus einem grauen Büchlein, jemand mit einer Schere ihre Gesichtszüge ausgeschnitten hätte), / über der stinkenden Łódka, / mit eingefallener Brust und ältlichem Blick“.34 Solche Aussagen finden sich auch in der städtischen Presse. Im Februar 1898 wurde die Arbeiterin Berta Schwalm zu drei Monaten Gefängnis wegen Diebstahls von Wolle in der Geyer’schen Fabrik verurteilt. In der Zeitung hieß es: „Da sie niemanden hatte, bei dem sie die Kinder, davon ein zu stillendes, belassen konnte, nahm sie sie mit in den Polizeiarrest an der Ecke Targowa/ Cegielniana. Was für einen traurigen Anblick stellen die hungernden Kinder dar, die neun Kopeken, die eine Arrestierte zum Leben erhält, können nicht zum Unterhalt von vier Seelen ausreichen.“35 Das Nebeneinander von Männern und Frauen sorgte in den Fabriken für neue Konflikte entlang patriarchaler Geschlechterordnungen: Arbeiterinnen wurden von ihren durchweg männlichen Vorgesetzten, zumeist Facharbeitern oder Meistern, vielfach ausgebeutet, belästigt, nicht selten sexuell bedrängt oder sogar vergewaltigt. Allerdings waren die Arbeitsbedingungen in den privaten Haushalten für Dienstmädchen in der Regel noch bedrückender, die Löhne noch niedriger, die Herrschaft noch stärker auf private Ausbeutung und Unselbständigkeit aus.36 In den Fabriken konnten junge Frauen zumindest mit einer begrenzten Solidarität der Belegschaften rechnen. Den Weg in die Quellen fanden solche, wie postuliert werden kann, nicht seltenen Ereignisse nur in Ausnahmefällen, wenn es zu Gewalttaten und Anzeigen kam oder sich eine Belegschaft mit einer Arbeiterin solidarisierte.37 Arbeiterinnen und ihre Lebenswelten bleiben im Russländischen Reich und in Lodz in der schriftlichen Überlieferung zumeist stumme Beteiligte, über die vor 1918 kaum Aussagen möglich sind.38 In den Quellen besser greifbar wird die Rolle von Frauen erst in den sozialen Konflikten der 1930er Jahre (vgl. S. 81).

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„Bałuckie limfatyczne dzieci / Z wyostrzonymi twarzyczkami (Jakbyś z bibułki sinoszarej / Wyciął ich rysy nożyczkami),/ Upiorki znad cuchnącej Łódki, / Z zapadłą piersią, starym wzrokiem, / Siadając w kucki nad rynsztokiem“ Tuwim, Kwiaty polskie, cz. I, rozdz. I, w. 1122–1128. Rozwój 39 (1908) v. 6./18.02.1898, „Nie mając przy kim zostawić trojga owych drobnych dzieci, z których jedno ssące, zabrała je ze sobą do aresztu policyjnego na rogu ulic Targowej i Cegielnianej. Jakie przykry sprawiają widok biedne dzieci zgłodniałe, 9 kopiejek bowiem, które dostaje aresztantka na jej życie, nie może wystarczyć na wyżywienie czterech dusz.“ Zit. nach Madejska, Aleja włókniarek, S. 37. Zur Situation von Dienstboten im Russländischen Reich: Angela Rustemeyer, Dienstboten in Petersburg und Moskau, 1861–1917. Hintergrund, Alltag, Soziale Rolle. Stuttgart 1996 (Quellen und Studien zur Geschichte des Östlichen Europa, 45); Lodz: Madejska, Aleja włókniarek, S. 50–53. Źródła do dziejów rewolucji 1905–1907 w okręgu łódzkim. Bd. 1, T. 1 Warszawa 1956, S. 257, 274. Madejska, Aleja włókniarek, S. 28–39.

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Diese Arbeiterbäuerinnen und Arbeiterbauern waren durchweg mit ihren ländlichen Herkunftsregionen verbunden, fanden dort aber in der Regel kein Auskommen mehr. Sie blieben aber auf deren günstige Ernährungsressourcen angewiesen und waren hochmobil.39 Vielfach allerdings nicht freiwillig: Die global organisierte und ausdifferenzierte Textilindustrie blieb ein konjunkturabhängiges Gewerbe, das sich durch technische Innovationen, die Erschließung neuer Produktions- und Absatzmärkte sowie veränderliche Zolltarife vielfach sprunghaft in plötzliche Hochkonjunkturen und darauffolgende Abkühlungsphasen entwickelte. Im Russländischen Kaiserreich wurde dies vor Ort in keiner Weise sozial abgefangen, eine plötzliche Konjunktur bedeutete Einstellungen und zog abrupt neue (Wander-)Arbeiter an, eine Rezession führte zu kurzfristigen Massenentlassungen und zwang die betroffenen, nun einkommenslos gewordenen Arbeiter vielfach zu einer zeitweisen Remigration. Wenn diese denn möglich war: Die jüdischen Zuwanderer gaben vielfach hinter sich ihre gesamte Existenz auf. Die jiddische Literatur vor 1939 enthält zahlreiche Schilderungen einer oft nicht freiwilligen Mobilität. Perec Opoczyński, der selbst aus der Kleinstadt Lutomiersk nach einem aus Geldnöten abgebrochenen Rabbinerstudium in Deutschland nach Lodz ging, beschreibt in seiner Erzählung „Chaśkiel Pączner zieht nach Lodz um“ die Abwanderung und die Integrationsprobleme eines chassidisch geprägten Juden mit seiner Familie in der von „glattrasierten Kleinunternehmern“ geprägten Stadt.40 Gerade jüdische Milieus durchzogen nach 1900 scharfe Konfliktlinien. Eine erhebliche Rolle spielte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts das Verlagssystem, in dem Baumwoll-, Woll- und Leinenprodukte im Heimbetrieb angefertigt wurden. Die Hausproduktion konkurrierte mit der fabrikmäßigen Herstellung und wurde nur langsam verdrängt. Das Verlagssystem konnte auf Konjunkturschwankungen flexibel reagieren, es verlangte allerdings von den Beschäftigten, die vielfach in Großfamilienverbänden unter Beteiligung von Kindern und Alten organisiert waren, hohe Familiensolidarität, erhebliche Flexibilität, ein unbegrenztes Zeitbudget, extremes Durchhaltevermögen und eine Mobilität. Vor allem die jüdische Lebenswelt wurde stark von der Verlagsarbeit organisiert, in der ganze Familien mit ihren Kindern von morgens bis abends in ihren Unterkünften schufteten. Chaim Krul, der später in die USA auswanderte, beschreibt das für seine Familie, die im frühen 20. Jahrhundert auf dem Land in Weberkolonien in Bełchatów und 39

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Kenshi Fukumoto, Reconstruction of Narrative on Factory Workers in Łódź, 1864–1914. Drinking alkohol, struggle for survival, and praying, in: Kamil Śmiechowski, Marta Sikorska-Kowalska, ders., Robotnicy Łódz drugiej połowy XIX wieku. Nowe kierunki badawcze. Łódź 2016, S. 87–110, hier 90–95; Clemens Zimmermann, Vom Nutzen und Schaden der Subsistenz. Fachdiskurse über „Arbeiterbauern“ vom Kaiserreich zur Bundesrepublik, in: Westfälische Forschungen 61 (2011), S. 155–178; ders., Arbeiterbauern. Die Gleichzeitigkeit von Feld und Fabrik, in: Sowi 27 (1998), S. 176–181; Josef Moser, Arbeiterleben in Deutschland, 1900–1970. Frankfurt a.M. 1984, S. 167 ff. Perec Opoczyński, Chaśkiel Pączner przeprowadza się do Łodzi, in: Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 44–50.

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in Tomaszów, dann in Lodz in der Zgierska 64 für Verleger tätig war. Aufgezeichnet wird die entbehrungsvolle Tätigkeit an den Textilmaschinen, Kontakte mit polnischen Nachbarn und eine allmähliche Akkulturation der Familie an das christliche Umfeld.41 Christliche Textilarbeiter arbeiteten mehrheitlich in den Textilfabriken, wo in wachsendem Maße zur Ausnützung des Maschinenparks im Zwei- und Dreischichtsystem gearbeitet wurde, geschützt von Gewerkschaften und eingehegt durch die Vorschriften jüdischer Observanz, die jüdischen Arbeitern die Integration auf Fabrikarbeitsplätze erschwerten. Welche Folgen hatten die hohe Mobilität und weitgehende Armut unter der Arbeiterschaft? Erhebliche Teile der Lohnarbeiter richteten sich in der Stadt nur provisorisch ein, fanden Unterschlupf in einer Kammer, in Kellern oder einer Bettstelle bei Verwandten und gingen bei Wirtschaftskrisen auf das Land zurück. Die Gesundheitsbedingungen und die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal, Lodz war um 1900 in Mitteleuropa ein Schwerpunkt von Choleraausbrüchen und endemischen Tuberkuloseerkrankungen. Wohltätige Stiftungen von Fabrikanten – so finanzierte Anna Scheibler 1884 das AnnaKrankenhaus, die Familie Herbst das Anna-Maria-Kinderkrankenhaus (1899–1905),42 die Poznańskis 1885–1890 ein Krankenhaus für die jüdische Bevölkerung, konnten diese Misere nur teilweise lindern. Hinzu traten Arbeitskämpfe und Aussperrungen: Aus Anlass von Arbeiterprotesten und Streiks griffen Lodzer Unternehmen um 1900 mehrfach zur scharfen Waffe wochenund monatelanger Aussperrungen, die den Arbeitern Einkommens- und Lebensgrundlagen entzogen und sie vielfach zu einer Rückkehr aufs Land zwangen. 1907, nach einer Welle von Gewalt in der Russländischen Revolution, sperrte der Verband der Textilindustriellen zwischen Januar und Mai systematisch die gesamten Belegschaften aus, die daraufhin im Winter ohne Einkommen dastanden.43 Der Betrieb wurde erst im Mai 1907 wieder aufgenommen, wobei Streikführer nicht wieder angestellt und verstärkt auf die Beschäftigung von Frauen zurückgegriffen wurde. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und der deutschen Besatzung seit Ende 1914 kam die Baumwollindustrie weitgehend zum Erliegen, da die Stadt sowohl von den Rohstoffmärkten wie auch von den Absatzmärkten in Innerrussland abgeschnitten war und die Kriegssituation keinen Export in die Territorien Deutschlands und ÖsterreichUngarns erlaubte. 1915 waren ca. 200.000 Menschen ohne Beschäftigung und dadurch ohne Einkommen, ein erheblicher Teil wanderte aufs Land ab. Schätzungsweise verblieben im Großraum Lodz von 590.000 Menschen (Sommer 1914) im Sommer 1918 nur

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Chaim Krul, Pokolenia (Autobiografia), in: Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 51–64. Berbelska/Michalska-Szałacka, Die Herbsts, S. 69–73. Richard D. Lewis, Labor-Management. Conflict in Russian Poland. The Lodz Lockout of 1906–1907, in: East European Quarterly 7/4 (1973/74), S. 413–434. Die Konsequenzen beschrieb Bolesław Prus in der Zeitschrift Tygodnik Powszechny 8 (1907), 23.02.1907, wiederabgedruckt in ders., Kroniki. Wybór, hg. v. Stanisław Fita. Warszawa 1987, Bd. 2, S. 161–166.

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Abb. 2

Der Ausschnitt des Plans von 1897 zeigt die Parzellenstruktur der relativ großen, länglichen Grundstücke, die häufig mit Vorderhaus (mit Durchfahrt) und ein oder mehreren Innenhöfen mit Hinterhäusern dicht bebaut wurden.

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noch 340.000 Menschen, ein Rückgang von über 40%.44 Schon 1922 erreichte die Stadt wieder die frühere Bevölkerungszahl. Die Stadtstruktur Lodz entstand zunächst als planmäßig angelegte Tuchmacher- und Weberstadt, die entlang der schnurgerade verlaufenden Petrikauer Landstraße – die ul. Piotrkowska wurde lange als „szosa“, im Deutschen als „Landstraße“ bezeichnet – und später geplanten Kreuzungs- und Parallelstraßen errichtet wurde. Über diese „Lodzer Neustadt“, im Unterschied zur „Altstadt“ im Norden, wurden mehrere in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene unabhängige Fabriksiedlungen (Łódka, Szlezyng) schrittweise erschlossen und an das Verkehrsnetz angebunden.45 Als zentral für die spätere Stadtentwicklung erwies es sich weiterhin, dass die ersten Ansiedler schmale, aber besonders tiefe Grundstücke in den Maßen 5 x 50 polnische Ruten (ca. 21,6 x 216 m) erwarben,46 da dies zeitgenössisch zur Anlage von Textilbetrieben inklusive Werkstätten und erforderlichen Flächen zur Bleiche sowie Gärten zur Versorgung der Familienbetriebe geeignet erschien (Abbildung  2: Parzellenstruktur). In dem Maße, in dem die Bevölkerung der Stadt Lodz nach der Aufhebung von Zuzugsbeschränkungen für Juden (1862) und der Bauernbefreiung (1864) im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sprunghaft und ungeplant anwuchs, entstanden auf den handtuchartigen Grundstücken Hinterhöfe mit zunächst provisorischen Schuppen und Gebäuden, dann Mietskasernen und Hinterhäuser mit Randbebauung und Innenhöfe (manchmal bis zu drei Hinterhäuser hintereinander). Fabriken wurden vielfach ungeplant auch im Stadtzentrum angelegt, das Stadtzentrum entlang der Piotrowska im nächsten Schritt vielgeschossig überbaut. Diese für eine europäische Großstadt untypische Struktur einer „Fabrikstadt“ prägte die Lebensräume der Stadtbevölkerung bis ins späte 20. Jahrhundert und konnte in der Zeit der sprunghaften Zuwanderung kaum abgeändert werden.47 In Lodz herrschte im späten 19., aber auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchweg eine erhebliche Wohnungsnot, da kein Kapital für den Wohnungsbau für Hunderttausende zuziehende Menschen vorhanden war und eine staatliche Wohnungsbaupolitik völlig fehlte. Die Stadtbehörden besaßen im russländischen Verwaltungssystem 44 45 46 47

Stawiszyńska, Łódź, S. 221–233 mit Fachliteratur. Die in der Forschungsliteratur verfügbaren Zahlen sind durch die Eingemeindung der Arbeiterstädte 1915 – darunter Bałuty mit ca. 100.000 und Chojny mit 30.000 Einwohnern – vielfach widersprüchlich. Krzysztof Stefański, Narodziny miasta. Rozwój przestrzenny i architektura Łodzi do 1914 roku. Łódź ²2016. Die spezifischen Grundstücksstrukturen sind auf den frühen Lodzer Stadtplänen gut zu erkennen, etwa auf den Stadtplänen von 1827, 1828, 1849 und 1873, vgl. Maciej Janik [u.a.], Łódź na mapach 1793– 1939. Łódź, Warszawa 2012, S. 54–61, 66–69, 88–93; Stefański, Narodziny miasta, S. 38. Marek Koter, Geneza układu przestrzennego Łodzi przemysłowej. Warszawa 1969.

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keinerlei Autonomie und keine eigenen Befugnisse, städtebauliche und feuerpolizeiliche Vorschriften fehlten oft oder wurden umgangen. Solche Bedingungen und die Gängelung der Stadtbehörden verhinderten bis 1914 Ansätze einer eigenen Stadtregulierung oder den Aufbau einer städtischen Infrastruktur. Zwar gab es einen lebhaften Immobilienhandel oft auch zu spekulativen Zwecken, doch fehlte eine funktionale Differenzierung in Quartiere nach Wohn-, Geschäfts-, Gewerbe- und Industrievierteln, in Lodz entstanden schroff nebeneinander Industrieanlagen, Unternehmervillen und Mietskasernen.48 Diese fehlende Planung hatte fatale Folgen: Als einzige Großstadt Mitteleuropas verfügte die Halbmillionenstadt vor dem Ersten Weltkrieg über kein Wasserversorgungssystem und keine Kanalisation. Ein Wasser- und Kanalisationsnetz wurde zwar 1909 projektiert, vor dem Ersten Weltkrieg dazu allerdings keine Arbeiten mehr unternommen.49 Mehrheitlich lebten mehrere Generationen einer Großfamilie in Einraumwohnungen, 65% aller Lodzer Wohnungen bestanden aus nur einer Stube. Durchschnittlich lebten vor 1914 in einem Raum etwa fünf Personen, mehr als in der durch einen Festungsgürtel eingezwängten Metropole Warschau.50 Bettstellen wurden vermietet, Obdachlosigkeit war verbreitet. Zugezogene verdingten sich als Wachpersonal in Ladenlokalen oder als Hausmeister, um eine Schlafmöglichkeit zu haben. Billigere, aber feuchte Souterrain- und Kellerwohnungen förderten Krankheiten und die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts endemische Tuberkulose. Das galt auch für die Innenstadt, in der bürgerliche Wohnhäuser neben Mietskasernen ohne sanitäre Versorgung standen. Tuwim führte in seinen Erinnerungen aus: „Ein Abschnitt aus der kindlichen ‚Farbenlehre‘ [im Org. deutsch, H.-J.B.]/ Die Innenstadt hat eine erdige Haut / In einem Tor sitzt ein alter Arbeiter / Er ißt Kartoffeln aus einem Napf / Er hat ein gelbgraues Antlitz / Hungrig, kalt, schmutzig, böse.“51 Noch schlimmer sah es in den besonders armen Vororten aus. Ein Bericht eines katholischen Geistlichen zu Bałuty führte aus: „Ein Bett für fünf Menschen. In dem Bett schläft die Mutter, neben ihr ein Kind, ihr zu Füßen zwei weitere. Auf einem Lager ohne Stroh jedoch, auf alten Lumpen, die auf dem feuchten Fußboden liegen, schläft der Vater, auch er bedeckt von übelriechenden Lumpen. Manchmal andersherum die Kinder auf dem Bett, und auf einem kleinen Strohsack schlafen ineinandergeknäuelt

48 49 50 51

Andreas R. Hofmann, Von der Spekulation zur Intervention. Formen des Arbeiterwohnungsbaus in Lodz und Brünn vor und nach dem Ersten Weltkrieg. In: Janatková, Kozińska-Witt, Wohnen in der Großstadt, S. 225–248, hier 229–230. Karten von William Heerlein Lindley von 1909 in Janik, Łódź na mapach, S. 142–149. Żarnowska, Veränderungen, S.  44; Wiktoria Jaskółowska, Rozwój stosunków mieszkaniowych w Łodzi przemysłowej (do 1914 r.), in: Rocznik Łódzki 17 (1973), S.  41–55; dies., Rozwój stosunków mieszkaniowych w Łodzi w latach 1918–1968. Łódź 1976. „Rozdział z dziecinnej „Farbenlehre“: / Śródmieście ma ziemistą cerę, / W bramie robotnik usiadł stary, / Suche kartofle z miski je, / A kolor jego żółtoszary, / Bo głodno, chłodno, brudno, źle.“ Tuwim, Kwiaty polskie, S. 106.

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unter Kleiderfetzen oder irgendeinem dünnen Lappen mehrere Kinder.“52 Der Autor Włodzimierz Kirchner argumentierte – weit entfernt von einer katholischen Soziallehre – diese Lebenssituation sei vor allem durch Alkoholismus und Sozialismus bedingt, gerade die jüdische Bevölkerung ernähre sich durch Bettelei. Privater Mietskasernenbau fand zwar statt, die Miete besser ausgestatteter Wohnungen war aber für Arbeiterfamilien in der Regel zu hoch und die Neubauten konnten die Bedürfnisse kaum befriedigen. Es fehlte Kapital, in den Kämpfen 1914/15 um die Stadt wurden erhebliche Wohnungsressourcen zerstört oder beschädigt. Bis in die zweite Hälfte der 1920er Jahre existierte keine staatliche Wohnungspolitik, Lodz wuchs weiter und so verfestigte sich die Wohnungsnot.53 Kapitalkräftige Unternehmer suchten diesen Konflikten zu entkommen, indem sie zur Versorgung der Stammarbeiter, aber auch zur Disziplinierung der Belegschaft in einzelnen Zonen der Stadt Privatstraßen und abgeschlossene Wohnviertel mit eigenen Geschäften, Schulen und Wohnhäusern errichten ließen. Diese Entwicklung ist modernen Tendenzen einer „compound-Struktur“ in asiatischen und arabischen Großstädten nicht unähnlich. Hier konnte – entgegen der fehlenden Regulationskraft der russländischen Behörden – eine städtebauliche Ordnung, aber auch eine patriarchal-unternehmerische Struktur umgesetzt werden, die Züge einer Kommandowirtschaft annahm.54 Bekannt sind Immobilienkaufleute und -millionäre wie Ludwig Meyer, der als Textilunternehmer begann, dann aber als Stadtrat, Hotelier (Grand-Hotel) und Immobilienkaufmann ein Vermögen aufbaute. Auf die Initiative von Meyer ging die auf einer Querstraße zur ul. Piotrkowska errichtete „Meyer-Passage“ (heute ul. Moniuszki) zurück, zunächst eine Privatstraße, an der Hotels, Banken und elegante Stadtvillen entstanden. Dort lebte vor 1914 der russländische Stadtpräsident Pieńkowski, in der Zwischenkriegszeit Teile der städtischen Eliten. Andere Unternehmer eiferten dem nach, die Brauereibesitzer Anstadt eröffneten – gegen Eintrittsgebühren – in Helenenhof (Helenów) 1885 einen privaten Erholungs- und Vergnügungspark, in dem europäische Schausteller und Sensationen wie Fallschirmsprünge aus Ballons und erste Kinovorstellungen (1897) einen Platz fanden.55 Zu den Immobilienbesitzern zählten auch deutsche Weber, Tuchmacher und technische Mittelschichten. Immobilienbesitz konnte ein wirtschaftliches Rückgrat darstellen, so auch bei der Familie Zerbe, die in der Piotrkowska 290 ein Mietshaus besaß. 52

53 54 55

Włodzimierz Kirchner, Walka z nędzą na Bałutach. Łódź 1901. Zur intensiven Diskussion um Autor und Buch: Dorota Samborska-Kukuć, The Controversy Surrounding Rev. Włodzimierz Kirchner’s Brochure (Challenging Poverty in Bałuty), in: Czytanie Literatury. Łódzkie Studia Literaturoznawcze 8 (2019), S. 335–347. Vergleichend Alena Janatková, Hanna Kozińska-Witt, Wohnen in der Großstadt 1900–1939. Wohnsituation und Modernisierung im europäischen Vergleich. Stuttgart 2006. Die Argumentation zu Lodz als „laboratory of capitalist (urban) space“ wurde entliehen von Kajetan Stobiecki, Capitalist Production of Urban Space in 19th-century Łódź. Berlin 2020 [unveröffentlichte Masterarbeit], S. 20, 44–46, 63–66. Stobiecki, Capitalist production of Urban Space, S. 65–66; Matyja, Miejski grunt, S. 166–168.

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Abb. 3

Die Fabriksiedlung Pfaffendorf (Księży Młyn), errichtet in den 1870er Jahren im Südosten von Lodz unmittelbar gegenüber der Scheiblerschen Textilfabrik.

Abb. 4

Ausschnitt der Fassade der Scheiblerschen Werke, Fabrik, Werkssiedlung und die benachbarten Fabrikantenvillen bildeten eine Einheit.

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Emil Zerbe, der seit 1922 einer der führenden Vertreter der deutschen Sozialisten und zeitweise polnischer Parlamentsabgeordneter war, konnte aus den Mieteinnahmen nach Rückschlägen in den Wahlen der Zwischenkriegszeit zeitweise seine politische Tätigkeit finanzieren. Insbesondere bauten aber zu Wohlstand gekommene Textilfabrikanten nach britischen und deutschen Vorbildern zumeist unmittelbar neben ihre Fabriken Wohnanlagen, in denen Meister und Facharbeiter kleine Wohnungen erhielten. Hierdurch band man die Facharbeiter an die eigene Fabrik. In großem Maßstab und vorbildhaft für andere Fabrikanten unternahm dies Karl Scheibler: Zunächst errichtete er am Wassermarkt 1865–1868 fünf zweigeschossige Wohnhäuser. In der geplant angelegten und bis heute erhaltenen Fabriksiedlung Pfaffendorf (Księży Młyn) im Südosten der Stadt, in der 1892 6.085, später bis zu 20.000 Menschen lebten, entstanden in den 1870er Jahren Werkswohnungen mit einer Schule und einem Kolonialwarenladen.56 Die Anlage war zeitgenössisch eine der größten Europas, vergleichbar mit Londoner Werkssiedlungen (Bedford Park) und der Werkssiedlung der Krupp-Werke in Essen. Andere Fabrikanten errichteten in der Folge ebenfalls Arbeiterhäuser in unmittelbarer Nähe der Fabriken, allerdings oft mit sehr niedrigen Wohn- und Hygienestandards. So ließ die Familie Poznański neben ihre Textilfabriken „Familienhäuser“ bauen, die bis 1920 allerdings weder an das Wasserleitungs- noch an das Elektrizitätsnetz oder die erst in Planung befindliche Kanalisation angeschlossen waren.57 Es dominierten Einraumwohnungen, die mit Petroleumlampen beleuchtet wurden. Wasserbrunnen lagen auf dem Hof. Der Unternehmer Julius Heinzel ließ ein 140 m langes, viergeschossiges Wohngebäude errichten (ul. Przejazd  23/25), in der Publizistik als „Arbeiterkaserne“ verschrien. Um die Nähgarnfabrik (Łódzka Fabryka Nici) nördlich des Industriedorfes Widzew entstand um 1910 die Industriesiedlung „Grembach“, in der Werkswohnungen und private Arbeitersiedlungen ein eigenes Stadtviertel bildeten.58 Insgesamt entstanden in Lodz vor 1914 ca. 3.000 Werkswohnungen – für 600.000 Einwohner eine recht überschaubare Größe.59 Die Gründung von Wohnungsgenossenschaften oder Stiftungen kam vor 1914 56

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Zu den Fabriksiedlungen: Małgorzata Łapa, Krwiopijcy czy filantropi? O społecznej działalności łódzkich przedsiębiorstw w XIX wieku, in: Kronika miasta Łodzi (2020) 1(88), S. 23–35; Zur Wohnungssituation um 1905: Kamil Śmiechowski, Warunki mieszkaniowe robotników na łamach „Gońca Łódzkiego“ (1898–1906), in: Studia z historii społeczno-gospodarczej 10 (2012), S. 105–120. Bartosz M. Walczak, Zespoły fabryczno-mieszkalne w europejskim przemyśle włókienniczym w latach 1771–1914. Geneza – rozwój – typologia. Łódź 2010 (Zeszyty Naukowe Politechniki Łódzkiej, 1084). Die Etymologie von „Grembach“ ist ungeklärt, entweder von dem württembergischen Dorf Grömbach, aus dem Ansiedler infolge einer Kettenmigration schließlich nach Zentralpolen kamen oder von „Grünbach“ nach einem dortigen Gewässernamen, vgl. Grażyna Ewa Karpińska, Aleksandra KrupaLawrynowicz, Grembach. Etnograficzny przewodnik po łódzkim osiedlu. Łódź 2019, S. 21–25. Aufstellung „Werkswohnungen großer Lodzer Unternehmen vor 1914“, Hofmann, Arbeiterwohnungsbau, S. 236.

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nicht zustande – etwa im Unterschied zu Warschau, wo die Wawelberg-Stiftung billige Arbeiterwohnungen errichtete. Dies führte in Lodz zu einem spezifischen Wohnmilieu mit abgegrenzten Lebenswelten, die sich vor allem um Innenhöfe und Werkssiedlungen gruppierten, in denen sich das alltägliche Leben abspielte. Ein 1873 geborener deutschsprachiger Schneidermeister beschrieb diese Wohn- und Lebenssituation: „Meine engere Heimat war der ‚Grüne Ring‘ und in dessen unmittelbarer Umgebung wiederum der ‚Schmale Hof‘“60. Der „Schmale Hof“ (in der Nähe der ul. Zielona) entstand durch die Bandweberei und Spitzenfabrik Rudolf Keller aus Barmen, die in der Nähe der Fabrik Wohnungen errichten ließ. „Das Leben und die Konflikte spielten sich auf dem Hof ab, auf dem Bewohner und Kinder, die in den Ein- bis Zweizimmerwohnungen kaum Platz hatten, sich aufhielten, spielten und stritten. […] Schlimmer wurde es, wenn ein Meister oder Obermeister eingriff. Dann zogen die Arbeiterkinder gewöhnlich den Kürzeren, und die Väter bekamen nicht selten die Folgen noch am Arbeitsplatz zu spüren – wobei die ‚Barmer‘ noch stets das letzte Wort gegenüber den ‚einfachen‘ Lodzer Arbeitern hatten.“61 Auch in polnischen Erinnerungen werden Atmosphäre, Zusammenleben und Konflikte in den Wohnhöfen wiederholt beschrieben.62 Die Arbeiter erhielten einen Teil des Lohnes in Gutscheinen für die fabrikeigenen Kolonialwarenläden, waren damit aber zugleich von der Preisgestaltung in diesen Läden abhängig. Frühe hygienische Institutionen, etwa Badeeinrichtungen, bestanden in den Fabriken und wurden meist in Schichten und im Zweiwochenturnus von den Belegschaften getrennt nach Geschlechtern genutzt – erst 1921–1924 wurde das erste städtische Volksbad errichtet (ul. Nawrot/Wodna). Eine in sich geschlossene, vielfach unternehmerisch-paternalistische, hierarchische und repressive Welt, in die Ereignisse von außen eindrangen und diese Lebenswelt mit prägten: Die Revolution von 1905 mündete in der Stadt in Barrikaden- und Straßenkämpfe, die zarischen Behörden reagierten erneut mit Repression und Ausweisungen von verdächtigen wie unbeteiligten „Ausländern“: „Die meisten reichsdeutschen Meister der Firma Keller wurden von den Behörden gezwungen, Lodz zu verlassen, andere gingen von selbst.“63 1906 verkaufte Keller die Werke an Emil Eisert. Fabrik- und Arbeitersiedlungen sowie Innenhöfe bildeten so spezifische Lebens- und Kommunikationsräume, zumal ein wirkliches Stadtzentrum fehlte. Die Stadtanlage der Neustadt Lodz mit dem achteckigen Zentrum des „Neuen Rings“ (Nowy Rynek, heute Plac Wolności), von dem sternförmig aus ein Straßennetz ausstrahlte und an dem sich das kleine Rathaus und die zentrale evangelische Pfarrkirche befanden, war für eine Mittelstadt mit vielleicht 50.000 Einwohnern geplant, aber aufgrund seiner 60 61 62 63

Albert Hausmann, Der „schmale Hof“ am „Grünen Ring“, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe  29 (1983), S. 90–95, hier 94. Ebenda, hier S. 94–95. Tadeusz Pabin, Chłopak z Przędzalnianej. Wspomnienia z Łodzi 1939–1952. Łódź 2014, S.  11–18; Madejska, Aleja włókniarek, S. 119–120. Ebenda, S. 95.

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bescheidenen Ausmaße nicht als zentraler Platz einer Großstadt geeignet. Innerhalb der Stadtanlage wurde der Platz nach der Anlage der Straßenbahn zu einem Mittelpunkt und einem Umsteigeplatz innerhalb des Verkehrsnetzes, jedoch nicht zu einem Treffpunkt der Bürgerschaft. Noch weniger eigneten sich dazu die kleineren öffentlichen Plätze, die in der Regel als Handels- und Marktplätze angelegt waren.64 Zentraler Treffpunkt wurde so kein Platz, sondern die Gehstreifen entlang der bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts vielbefahrenen ul. Piotrkowska. Diese schnurgerade in Nord-Süd-Richtung verlaufende, ca. 4,2 km lange Verkehrsader bildete das Rückgrat der Stadtentwicklung, zu einem zentralen Spazierweg wurde der mittlere Straßenabschnitt mit den repräsentativen Bauwerken. Erinnerungen beschrieben immer wieder diesen Abschnitt, der die Funkion eines Ortes des Sehens und Gesehen-Werdens einnahm.65 Da kein zentrales repräsentatives Rathausgebäude oder ein anderes Forum existierte, trafen sich Großindustrielle und gutbürgerliche Verbände in dem 1887 errichteten, 1896 und 1912/13 nach neuesten Vorbildern renovierten Luxushotel Grand am zentralen Abschnitt der Piotrkowska, das zudem mit Geschäften, Cafés und Kino ausgestattet war. Dort fanden öffentliche Veranstaltungen, Abschlussfeiern, Bälle und gesellschaftliche Veranstaltungen statt. Sichtbar wird hier eine Privatisierung der Öffentlichkeit, das „Grand“ diente durch das ganze 20. Jahrhundert solchen öffentlichen Zwecken (vgl. S. 290). Die Piotrkowska wurde so zur wichtigsten Arena innerstädtischer öffentlicher Aufmärsche. Demonstrationen und Ereignisse fanden hier einen Raum. Erschlossen wurde die Großstadt Lodz seit 1898 durch eine von einem privaten Unternehmer-Konsortium errichtete elektrische Straßenbahn, das erste Straßenbahnnetz im historischen Königreich Polen. Das war nicht untypisch: Technische Innovationen wurden im russischen Teil Polens vielfach zunächst in Lodz durch private Initiative umgesetzt. Hier entstanden die ersten Dampfmaschinen und die ersten Gas- und Elektrizitätswerke, im russländischen Horizont von 1900 konnte die Stadt als moderne Industriestadt gelten. Die elektrische Straßenbahn wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg innerhalb des gesamten Großraumes Lodz und bis in die Vororte hinein ausgebaut, indem Linien nach Zgierz, Pabianice, Aleksandrów, Konstantynów und Tuszyn angelegt wurden. Verbunden damit war ein Impuls zur Elektrifizierung der Stadt und des Großraums. Im  20. Jahrhundert weiter ausgebaut, zählte das Lodzer Netz zu den größten Straßenbahnnetzen Europas mit bereits 1918 deutlich über 50 km Streckenlänge. Die Straßenbahn stellte einen öffentlichen Nahverkehr bereit, erschloss den Raum der neuen Metropolregion und schuf für die Verhältnisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts relativ bequeme Verkehrsverbindungen, was die Anlage von Fabriken auch am 64

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Historisch verzeichnete Lodz 1906 acht weitere öffentliche Plätze, den „Górny Rynek“ (aktuell Plac Reymonta), „Rynek Szpitalny“ (pl. Katedralny) „Targowy Rynek“ (pl. Dąbrowskiego), „Wodny Rynek“ (Wassermarkt, pl. Zwycięstwa), „Zielony Rynek“ (Grüner Ring, aktuell pl. Barlickiego), „Stary Rynek“, „Bazar Tanfaniego“ (pl. Piastowski) und den „Rynek Leonhardta“ (pl. Niepodległości). Tuwim, Kwiaty polskie, S. 105.

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Stadtrand und in den Vororten Widzew, Pabianice oder Ruda Pabianicka ermöglichte. Zugleich war die Straßenbahn ein öffentliches Massenverkehrsmittel im städtischen Raum, das von allen Schichten der Gesellschaft genutzt werden konnte und dem deshalb ein egalisierender Charakter zukam. Herrschaft, Politik und Gewalt: Lodz 1905–1907 Was dies hieß, zeigte sich im Extremen in der Revolution von 1905.66 Julius Kunitzer, einer der Initiatoren der Straßenbahn, der zu den reichsten Fabrikanten zählte, wurde am 30. September  1905 von zwei mit der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) verbundenen Aktivisten namens Adolf Schulz (Szulc) und Stefan Jędras mit Revolverschüssen in der Straßenbahn ermordet.67 Kunitzer, der aus einer deutsch-polnischen evangelischen Familie stammte, wurde als öffentliches Attentatsziel durchaus symbolträchtig ausgewählt. Als Selfmademan, der sich vom einfachen Weber ohne Schulabschluss und Ausbildung bis zum mehrere Millionen Rubel schweren Eigentümer der Widzewer Manufaktur hochgearbeitet hatte, und der als „Lohndrücker“ und als kapitalistischer „Blutsauger“ galt, bildete Kunitzer den Prototyp des durchsetzungsstarken, wenig Rücksichten nehmenden Fabrikanten.68 Als im April  1905 Arbeiter die Widzewer Fabriken besetzten und so die Produktion zum Erliegen brachten, forderte Kunitzer bei den zarischen Behörden Kosaken an: „Ungefähr 200 Menschen besetzen seit 24 Stunden ununterbrochen die Weberei unserer Gesellschaft und wollen sie nicht verlassen. Sie sitzen dort ohne Verpflegung, unter ihnen befinden sich viele Aufrührer. Ich halte es für möglich, – mit Berufung auf die besondere Schutzwürdigkeit – alle festzunehmen und dabei durch individuelle Verhöre rücksichtslos alle Aufrührer zu enttarnen. Ich bin überzeugt, dass solch eine feste Haltung einen abschreckenden Einfluss auf die restlichen Fabriken in Lodz hat und die Stadt vor den [Oster]feiertagen beruhigt.“69 66 67 68

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Robert Blobaum, Rewolucja. Russian Poland 1904–1907. Ithaca 1995. Zu dem späteren Prozess gegen die Täter: Kazimierz Badziak, Justyna Badziak, Pitawal łódzki. Głośne procesy karne od początku XX w. do wybuchu II wojny światowej. Łódź 2017, S. 71–84. Kazimierz Badziak, Juliusz Kunitzer – symbol Łodzi wielonarodowościowej i wielkoprzemysłowej, in: Polacy, Niemcy, Żydzi w Łodzi w XIX–XX w. Sąsiedzi dalecy i bliscy. Red. Paweł Samuś. Łódź 1997, S. 192–228; veraltet und apologetisch-völkisch: Adolf Eichler, Julius Kunitzer und seine Zeit. Schicksal und Aufgabe eines Industrieführers in Litzmannstadt. Litzmannstadt 1944. „Około dwustu ludzi już od 24 godzin siedzi nieprzerwanie w tkalni naszego Towarzystwa i nie chcą jej opuścić. Siedzą bez jedzenia, między nimi jest wielu podżegaczy. Czy nie uważa Pan za możliwe, by – odwołując się do prawa o specjalnej ochronie – aresztować ich wszystkich, a przy tym poprzez indywidualne przesłuchania bezwarunkowo zdemaskować wszystkich podżegaczy. Jestem przekonany, że takie stanowcze rozwiązanie nieuchronnie wywrze wpływ odstraszający na pozostałe fabryki Łodzi i uspokoi miasto przed świętami [wielkanocnymi].“ Stanisław Kalabiński, Carat i klasy posiadające w walce z rewolucją 1905–1907 w Królestwie Polskim. Materiały archiwalne. Warszawa 1956, S. 121.

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Aufgrund dieses Vorgehens galt Kunitzer als besonderer Feind der Arbeiter und wurde zur Zielscheibe von Attentatsplänen. Begangen in der Straßenbahn, die von ihm geplant und von Fabrikanten wie Arbeitern genutzt wurde, kann das Ereignis als Fanal der sozialen Konflikte gelten, die die Stadt durchzogen. Wie konfliktträchtig und gewalttätig war die Lodzer Industriegesellschaft? Spätestens seit den revolutionären Unruhen der 1890er Jahre, die 1892 im „Lodzer Aufruhr“ (poln. bunt łódzki) aufbrachen, galt die Industriestadt als gefährliches Zentrum revolutionärer Bewegungen. Die Unruhen und Straßenkämpfe, in denen 1892 nach Gerüchten und Flugblättern mehr als 100 Arbeiter umkamen – tatsächlich waren sechs Tote zu verzeichnen – bewiesen, dass von auswärts zusammengezogene Militärdetachements gegen vieltausendköpfige Arbeitermassen, unter denen sich auch viele Frauen befanden, in einer Industriestadt kaum wirksam vorgehen konnten. Für die Arbeiterbewegung zeigten die Lodzer Ereignisse, dass auch in einem repressiven und autokratischen Reich eine Organisation und öffentlicher Widerstand möglich war – in der Folge entstand nach Anfängen bereits in den 1870er Jahren eine polnische Arbeiterbewegung mit einer Massenbasis, die in eine stärker nationale, die Polnische Sozialistische Partei (PPS, gegründet 1892) und eine internationalistische Richtung, die Sozialdemokratie des Königreichs Polens und Litauens (SDKPiL, gegründet 1893), zerfiel.70 Zusammen mit jüdischen Arbeiterparteien (Bund, gegründet 1897) baute die Arbeiterbewegung gerade in Lodz funktionsfähige informelle Strukturen auf, woraufhin die Polizei und die Militärgarnisonen verstärkt wurden. Lodz besaß deshalb für die Entstehung und Entwicklung der polnischen und osteuropäischen Arbeiterbewegung zentrale Bedeutung. Vor Ort bestand ein deutliches Repräsentationsdefizit, die weit entfernten Zentren in Petersburg und Warschau konnten normative Ordnungsvorstellungen und Herrschaftsansprüche weder zeitnah administrativ, noch gestützt auf mit Autorität versehene Repräsentanten symbolisch durchsetzen. In der Stadt besaß der niederrangige russländische „Policmajster“, der die Polizeikräfte kommandierte und die Ordnung aufrechterhalten sollte, kaum Autorität. Um einen Einsatz des in Lodz und in der Umgebung der Stadt in größerer Zahl stationierten Militärs auszulösen, mussten erst telegraphisch Einsatzbefehle aus Petrikau, von dort aus in Warschau und dann schließlich Truppen aus den Garnisonen angefordert werden, was Stunden, aber auch mehrere Tage beanspruchen konnte, wenn die höheren Beamten nicht verfügbar waren. Polizeiliche und militärische Maßnahmen setzten so häufig zu spät, dann aber mit hoher Brutalität ein, der Befehl „Schickt Kosaken!“ wurde in Lodz geradezu zur Redewendung.71

70 71

Zur SDKPiL: Georg  W.  Strobel, Die Partei Rosa Luxemburgs, Lenin und die SPD. Der polnische „europäische“ Internationalismus in der russischen Sozialdemokratie. Wiesbaden 1974. Literarisch wird die lange russländische Befehlskette bei Singer, Brüder Aschkenasi, S.  262–263 karikierend nachgezeichnet.

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Dies mündete in der russländischen Revolution von 1905 in eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt:72 Bereits vier Tage nach den blutigen Ereignissen in Petersburg (09./22.01.) begannen am 13./26. Januar in Lodz Streiks, an denen sich schnell 70.000 Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligten, am 28. Januar soll bereits die gesamte Arbeiterschaft, über 100.000 Menschen, vom Generalstreik erfasst worden sein.73 Diese Spontaneität überraschte, ja überrollte auch die sozialistischen Parteien, gab jedoch den vor Ort aktiven Arbeiterinnen und Arbeitern ein Gefühl von Handlungsmacht.74 In aller Munde waren rasch die klassischen Forderungen der europäischen Arbeiterbewegung, nämlich der Achtstundentag, ein Ende des Akkords in den Textilfabriken, die Einführung von Kranken- und Sozialversicherungen, die Legalisierung von Gewerkschaften, aber auch politische Forderungen nach einem Ende des autokratischen Zarenregimes und nationale Appelle nach einem „freien Polen“. Politisch gab die russländische Verwaltung ein Verbot von Aussperrungen vor, um „die Straße“ von nicht kontrollierbaren Massendemonstrationen freizuhalten. So kam es zunächst in den Fabriken und im Umfeld kleinerer Demonstrationen zu wiederholten Eskalationen: Bei Zusammenstößen waren am 30./31. Januar ca. 20 Tote zu verzeichnen. Am  6. Februar brach der Generalstreik, nach der Anerkennung von „Fabrikkomitees“, die Arbeiterinteressen vertreten sollten und der Festlegung eines Zehnstundentages, zusammen. Eine Arbeitsaufnahme erfolgte aber nur teilweise. So setzten sich durch das ganze Jahr 1905 die Konflikte fort: In Schulstreiks wurde die Durchsetzung der regionalen Volkssprachen als Unterrichtssprachen gefordert – bis dahin waren alle Gymnasien russischsprachig gewesen. In Fabrikbesetzungen, die dann doch zu Aussperrungen führten, kämpften die Arbeiterparteien für weitergehende Reformen. Am  1. Mai und am 3. Mai, dem polnischen Verfassungstag, fanden erneute Massendemonstrationen statt. Die Pattsituation eskalierte schließlich in wachsende Gewalt: Als „Aufrührer“ wahrgenommene Arbeiter wurden entlassen, unbeliebte Vorarbeiter von den Belegschaften auf Schubkarren aus den Betrieben gefahren75 – das Moment der symbolischen Zurschaustellung und Demütigung ist hier nicht zu übersehen. Dieser „Kampf um die Fabriken“ mündete in eine Rückeroberung der Fabriken durch Polizei und Militär. Im Gegenzug bewaffneten sich beide Seiten: Sozialistische Kämpfer verübten Bombenattentate auf Polizeistationen, mit Revolvern bewaffnete Arbeiter lieferten sich Schusswechsel mit Ordnungskräften, aber auch untereinander, zumal nationalistische Akteure auftauchten, die forderten, die „Anarchie“ zu ersticken. Vom  22. bis zum 24. Juni erschütterten Straßenkämpfe auf Barrikaden und in Hinterhöfen die Stadt. Nach offiziellen Angaben 72 73 74 75

Natalia Gąsiorowska (Hg.), Źródła do dziejów rewolucji 1905–1907 w okręgu łódzkim. 3 Bde. Warszawa 1957–1964. Władysław Lech Karwacki, Łódź w latach rewolucji 1905–1907. Łódź 1975. Wiktor Marzec, Rebelia i reakcja. Rewolucja 1905 roku i plebejskie doświadczenie polityczne. Łódź, Kraków 2016, S. 207–239. Verarbeitet bei Singer, Brüder Aschkenasi, S. 258–261.

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waren 151 tote Arbeiter sowie weitere Opfer unter Soldaten zu beklagen, unzutreffende Gerüchte und Flugschriften sprachen von 1.500, manche sogar von 2.000 Toten. Bereits Zeitgenossen sahen hier einen „Aufstand“ oder eine „Revolte“, die moderne polnische Forschung und Publizistik spricht in Anlehnung daran auch vom „Lodzer Aufstand“.76 Im Oktober 1905 kam es – ausgelöst durch Unruhen im gesamten Imperium – zu einer neuen Streikbewegung, die erst durch das zarische Manifest vom 30. Oktober, das demokratische Reformen versprach und sprachliche Zugeständnisse an die Minderheitensprachen machte, zeitweise entschärft werden konnte. Im November/Dezember spitzte sich die Situation erneut zu: Weiteren Protesten und Demonstrationen standen Gerüchte über Pogrome gegenüber, die in der ganzen Stadt Selbstverteidigungsverbände in Stellung brachten. Die Aufhebung (01.12.) und Wiedereinführung des Kriegszustandes (21.12.) zeigte deutlich, dass die staatliche Obrigkeit unkoordiniert reagierte und die Situation nicht in den Griff bekam, am 27.12. wurde erneut ein Generalstreik ausgerufen. Die nun im ganzen Russländischen Imperium zugelassenen Parteien, Verbände und Gewerkschaften agierten gerade in Lodz in scharfer Rivalität. Gerüchte und Verleumdungen gerieten in Umlauf. Persönliche Rechnungen wurden beglichen, zumal auch die staatliche Ordnungsmacht keinerlei Interesse an einer friedlichen und demokratischen Integration einer zukünftigen Stadtgesellschaft hatte. Als spezifisch und besonders gewalttreibend erwies sich in Lodz 1905/06 die Ausbildung einer sozialistischen und parallel dazu einer nationalpolnischen Arbeiterbewegung. Letztere vertrat einen „Fabriknationalismus“ gegen „fremde Ausbeutung“ durch „deutsche Meister“ und „jüdische Fabrikanten“ und forderte die Durchsetzung des „polnischen Wesens der Arbeit“. Die nationale Fraktion agierte antisemitisch und entwickelte, religiös-endzeitlich verbrämt, nationalistische Forderungen:77 „Wir Polen sind von allen verlassen und können nur auf uns selbst und des Herrgotts Hilfe und Rettung hoffen. […] Wenn wir uns die Hilfe und Gnade Gottes verdienen wollen, entfernen wir diese Sozialisten und hören nicht auf ihre Lehren. Brüder, nur in unserer Eintracht und der Einheit unseres Landes liegt die Erlösung!“78 Politisch stand die im „Nationalen Arbeiterbund“ (NZR) organisierte Arbeiterbewegung unter dem Einfluss der Parolen der chauvinistischen Nationaldemokratie, Streiks wurden wechselseitig nacheinander ausgerufen, „Streikbrecher der anderen Seite“ gewalttätig bekämpft. PPS, SDKPiL und NZR bauten 1905/06 Kampfverbände auf, die Richtungskämpfe mit den jeweiligen Gegnern blutig austrugen. Dies eskalierte in einem 76 77 78

rewolucja1905.pl/powstanie-lodzkie-na-mapie-miasta/. Marzec, Rebelia, S.  252–279; Marzec, Die Revolution, S.  35–36. Laura Crago, The „Polishness“ of Production. Factory Politics and the Reinvention of Working Class National and Political Identities in Russian Poland’s Textile Industry, 1880–1910, in: Slavic Review 59 (2000), Nr. 1, S. 16–41. „My Polacy jesteśmy od wszystkich opuszczeni i tylko od siebie samych i od Pana Boga pomocy i ratunku możemy się spodziewać. […] Jeżeli chcemy zasłużyć sobie na pomoc i łaskę Bożą, odsuńmy od siebie tych socyalistów i nie słuchajmy ich nauk. Bracia, tylko w zgodzie i jedności nasze i naszego kraju zbawienie!“ Aufruf undatiert „Strejki zgubią Polskę!“, zit. nach Marzec, Rebelia, S. 274.

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Bürgerkrieg. In einer Zeitschrift der PPS hieß es: „Seit einer gewissen Zeit […] ist Lodz der Schauplatz fortwährender Morde unter den Arbeitern. Diese Morde trugen einen einheitlichen Charakter. Kommandos der nationalen Sportbewegung (Sokol) fielen über die Wohnungen von Sozialisten her und ermordeten diese.“79 Andererseits wurde der „rote Terror“ geradezu verherrlicht und in die Erinnerung sogar der Ruhm der revolutionären „Kindersoldaten“ vermittelt: „Es lebt noch die Generation, die durch die Morgenröte und das Blut des Jahres 1905 gezeichnet ist. Diese Zeit wurde vor unseren Augen eine romantische Legende, ein Ereignis, das vom Nimbus des Heldentums umgeben ist, aus dem der alleraufrichtigste Wille stammt, dass einst die Stunde der Zurückzahlung kommen wird. […] Das ist Lodz, das rote Lodz. Derjenige, der die zehnjährigen Lodzer Jungs erinnert, die genau vor der Polizeistation Papierschlangen in die Luft steigen ließen, um den Gendarmen hervorzulocken, mit dem ein ‚Kämpfer‘ abrechnen wollte, der versteht sicher, dass auf dem Lodzer Grund eine in dieser Form einzigartige Flora wächst, und das, was dort geschieht, ist das Ergebnis […] besonderer ‚atmosphärischer Bedingungen‘.“80 Diese wechselseitigen Anschuldigungen und Konflikte wurden bald auch in die Häuser, Straßenzüge und Familien getragen. Einerseits griffen gerade aktivistische sozialistische Verbände zur „Propaganda der Tat“, zu wahllosen Überfällen, Anschlägen und Attentaten. Dagegen agierten nationalistische, vielfach antisemitische Kampfgruppen, die ihrerseits die „Roten“ angriffen.81 Nach einer obrigkeitlichen Zählung wurden bei Überfällen und Attentaten 1906/07 in Lodz 322 Menschen ermordet, allein in den beiden gewalttätigsten Wellen im OktoberDezember 1906 120 Personen sowie vom 30. März bis zum 21. April 1907 54 Menschen. Hinzu kamen Hunderte an Verletzten, oft unter unbeteiligten Dritten, erhebliche Zerstörungen durch Bombenattentate und Plünderungen. Für Lodz ist deshalb 1906/07 der

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„Od pewnego czasu […] Łódź jest widownią nieustających mordów pomiędzy robotnikami. Zabójstwa te nosiły charakter jednakowy: bandy sokolskie napadały na mieszkania lub też na przechodzących socjalistów i mordowały ich.“ Łodzianin, 22.02.1907, zit. nach Gąsiorowska, Źródła, Bd. 2, S. 586–587. „Żyje bowiem jeszcze pokolenie naznaczone czerwienią i krwią 1905 roku. Ów czas stał się na naszych oczach romantyczną legendą, zdarzeniem otoczonym nimbem bohaterstwa z którego wzięła się najszczersza wiara w to, że kiedyś nadejdzie dzień odpłaty. […] To jest Łódź, czerwona Łódź. Kto pamięta dziesięcioletnich łódzkich chłopaków wypuszczających w powietrze papierowego węża tuż przed cyrkułem, by wywabić stamtąd żandarma, z którym chciał się policzyć jakiś ‚bojowiec‘, ten na pewno zrozumie, że na łódzkim gruncie wyrasta jedyna w swym rodzaju flora, a to, co się tam dzieje, jest wynikiem […] szczególnych ‚warunków atmosferycznych‘.“ Perec Opoczyński, Czerwona Łódź, in: Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 270–272. Vgl. auch Archiwum Ringelbluma. Konspiracyjne archiwum Getta Warszawy. Bd. 31 Pisma Pereca Opoczyńskiego. Warszawa 2017, S. 87–89. Zum Antisemitismus Wiktor Marzec, What Bears Whiteness of the Failed Revolution, The Rise of Political Antisemitism during the 1905/07 Revolution in the Kingdom of Poland, in: Eastern European Politics and Societies 30 (2016), 1, S. 189–213.

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Begriff des Bürgerkriegs verwandt worden, nirgendwo sonst im gesamten russländischen Kaiserreich kam es zu einer so großen Zahl von politischen Morden.82 Auch die staatlich-unternehmerische Seite, die in der von Konflikten gezeichneten Industriestadt keine Mittel zur Lösung der Spannungen fand, reagierte repressiv. Zwei Beispiele: Ende 1906 griff die Fabrikantenseite, die infolge der Ausschreitungen und Attentate das unsichere Lodz vielfach verlassen und vor allem in Berlin Zuflucht gesucht hatte, nach Konflikten zwischen Meistern und Arbeitern in der Firma Poznański zu einem letzten Druckmittel:83 Ganzen Belegschaften wurde summarisch gekündigt und ab Ende 1906 wurden alle großen Textilfabriken (Poznański, Biedermann, Grohmann, Heinzel und Kunitzer, Scheibler und Steinert) „aufgrund der hartnäckigen Störung der Fabrikordnungen durch die Arbeiter“84 geschlossen. Diese unbefristete „große Aussperrung“ (poln. „wielki lokout“) in den Wintermonaten 1906/07 stürzte ca. 25.000 Arbeiter, zusammen mit den Familien ca. 100.000 Menschen ins Elend und zwang große Gruppen der nun einkommenslosen Textilarbeiter, aufs Land abzuwandern, um Lebensmittelversorgung und Lebensunterhalt zu sichern. Die Kindersterblichkeit lag in Lodz bei ca. 22%, stieg jedoch 1905/07 auf 44%.85 Im März/April 1907 kapitulierten die Arbeitervertretungen, Verbitterung und Frustration mündeten in neue Gewalt: die Kampfverbände griffen zu Gewalt und zu Abrechnungen untereinander (54 Tote). Die Belegschaften wurden von Unternehmensseite durchkämmt, angebliche „Aufrührer“ nicht wieder eingestellt, festgenommen und ins Innere Russlands deportiert. Nach dieser gewaltsamen Neuordnung von oben blieb umstritten, zu welchen Bedingungen die Stadt reorganisiert werden sollte. Die Unternehmer legten Wert darauf, dass „wir selbst in unseren Fabriken bestimmen werden und nicht die Arbeiter“.86 So auch in den Fabriken der Familie Silberstein, die mit den Poznańskis verschwägert war. Daraufhin brachte eine Arbeitergruppe aus Mitgliedern der SDKPiL und der PPS den Technischen Leiter der Fabrik Mieczysław Silberstein, der in Berlin und Heidelberg Chemie studiert hatte, in ihre Gewalt und ermordete ihn – nach einer Abstimmung unter den Arbeitern – am 13. September  1907 in der Fabrik (Piotrkowska  242). Die zarische Repression reagierte mit massiver Gegengewalt: Aufgrund des Kriegszustands wurden acht beteiligte Arbeiter – sieben Männer und eine Frau – ohne Gerichtsurteil erschossen,

82 83 84

85 86

Zahlen nach Rosin, Łódz. Dzieje miasta Łodź, Bd. 1, S. 435–436; zahlreiche Quellen in Gąsiorowska, Źródła, Bd. 2, S. 602–603, 636–639, 649–651. Wywiad u Maurycego Poznańskiego, in: Rozwój Nr. 6, 08.01.1907, S. 1. „Z powodu uporczywego zakłócenia przez robotników porządku fabrycznego“. Anschlag der AG Karl Scheibler, 15.01.1906 abgebildet in Rosin, Łódz. Dzieje miasta, Abbildung  45; vgl. auch Andreas  R. Hofmann, The Biedermanns in the 1905 Revolution. A Case Study in Entrepreneurial riot Management, in: The Slavonic and East European Review 82 (2004), S. 27–49. Madejska, Aleja włókniarek, S. 61. „Rządzić w fabrykach naszych chcemy my sami i nie pozwolimy, aby w nich rządzili robotnicy“, Skrzydło, Rody fabrykanckie, Bd. 2, S. 85.

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676 Arbeiter festgenommen, von diesen 130 deportiert und der Lodzer Polizeiapparat auf Kosten der Fabrikanten ausgebaut.87 Die Obrigkeit dämmte durch diese Maßnahmen die offene Gewalt ein, weniger aber die Konflikte, die weiter glimmten. Unter der Bevölkerung agierten weiterhin anarchistische Kampfverbände wie die Gruppe Revolutionärer Rächer (Grupa Rewolucjonistów Mścicieli) neben nationalistischen Kampfgruppen.88 Es ist offensichtlich, dass die staatlichen Maßnahmen 1905–1907 keine Lösung der scharfen gesellschaftlichen Polarisierung herbeiführen konnten. Bis Juni 1909 blieb der Kriegszustand in Kraft, bereits 1913 griff eine neue Streikwelle um sich, auf die erneut mit Aussperrungen reagiert wurde und über die die mit Lodz gut vertraute Rosa Luxemburg in der deutschen Textilarbeiterpresse berichtete: „Im Allgemeinen ist die Stimmung unter den Arbeitern sehr frisch und kampflustig. Die meisten sind zur Arbeit zurückgekehrt mit der festen Entschlossenheit, bei der nächsten günstigen Gelegenheit den Kampf wieder aufzunehmen; ihn jetzt gleich fortzusetzen war für die Zehntausende einfach physische Unmöglichkeit angesichts der kargen Unterstützung. Die meisten Streikenden konnten ohnehin nur in der Weise durchhalten, dass sie auf die umliegenden Dörfer gingen und bei Verwandten Unterkunft suchten oder bei der Ernte einigen Verdienst fanden. Wenn man bedenkt, dass unter diesen Umständen, nach Jahren größten Elends, ohne jede Aussicht auf feste Unterstützung, Zehntausende wochenlang im Kampf aushielten – die offiziell registrierte Höchstzahl der Ausgesperrten und Streikenden betrug 69.000, wovon mehrere 7 Wochen in Bewegung stehen – und dass jetzt immer noch 20.000, also mit Familien zirka 80.000 Menschen nackten Hunger leiden, ohne sich dem Machtwort des Unternehmertums zu fügen, so kann man dem Mut und der Zähigkeit der Łódźer Arbeiterschaft die Bewunderung nicht versagen. Wenn selbst die teilweise errungenen Lohnerhöhungen nicht wären, so würde der Riesenkampf doch wieder beweisen, dass man es hier nicht mit einem Strohfeuer, nicht mit einem kopflosen Verzweiflungsausbruch zu tun hat, sondern mit zäher Energie und entschlossenem Kampfesmute, mit einer Opferfreudigkeit, die keine Grenzen kennt und die Freund wie Feind Respekt einflößen muss.“89 Ohne Frage war diese Einschätzung einseitig, das erneute Aufflammen der Streiks zeigte jedoch zweierlei: Einerseits die lang andauernde Pattsituation in der Industriestadt, in der zu Niedriglöhnen und schlechten Arbeitsbedingungen beschäftigte Arbeiterinnen und Arbeiter unter dem Einfluss einer europäischen Arbeiterbewegung eine Widerstands- und Kampfkultur entwickelten, die an der eigenen Zerstrittenheit, aber auch am Bündnis von Unternehmern und Imperium scheiterte. Zugleich entwickelte sich auch eine europäische Wahrnehmung dieser Konflikte – die Stadt wurde in dem Jahrzehnt vor 87 88 89

Skrzydło, Rody fabrykanckie, Bd. 2, S. 85–86; Badziak/Badziak, Pitawal łódzki, S. 101–117. Adrian Sekura: Rewolucyjni Mściciele. Śmierć z browningiem w ręku. Poznań 2010. Der Riesenkampf in Lodz, nach: Der Textil-Arbeiter (Berlin), Nr. 35 v. 29.08.1913, S. 277. Nachdruck: Rosa Luxemburg, Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin 1973, S. 298 f. Vgl. auch die Briefe von Luxemburg an Jogiches, Róża Luksemburg, Listy do Leona Jogichesa-Tyszki, Bd. 3, Warszawa 1971, S. 336–345.

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dem Ersten Weltkrieg zu einer europaweit beachteten Arena der sozialen Konflikte des frühen 20. Jahrhunderts.90 Die Mobilisierungsfähigkeit und Militanz der Arbeiterinnen und Arbeiter ging auf ihre gerade in der russländischen Textilindustrie noch frühkapitalistischen Arbeits- und Lebensbedingungen zurück. Die Textilfabriken im frühen 20. Jahrhundert waren laut, schmutzig und gesundheitsgefährdend. Die jahrelange Arbeit in ihnen löste Berufskrankheiten (Ertaubung, Krankheiten der Atemwege, Staublunge) aus, eine Altersabsicherung der Belegschaften bestand nicht. Die Forschung hat versucht, den Anteil der einzelnen Bevölkerungsgruppen an der öffentlichen Gewalt wie auch am Widerstand zu rekonstruieren. Einigkeit herrscht in der Feststellung, dass insbesondere fehlende, da verbotene Organisationsstrukturen sowie eine Verelendung und Erbitterung unter den Arbeitern zu wachsender individueller Gewalt führten, die jeglicher Kontrolle entglitt. Das Auftauchen von sozialistischen und nationalistischen „Kämpfern“ löste Racheaktionen aus, in denen Häuser und Straßenzüge zu verteidigten Festungen wurden. Nationale Zuordnungen, etwa bei den Kämpfen im Juni 1905 seien „55 Polen, 79 Juden und 17 Deutsche umgekommen“,91 die auf einer vielfach unsicheren Auszählung nach vorgeblichen Religions- und Namenskriterien beruhen, sind höchst fragwürdig. Die Opferlisten zeigen lediglich, dass 1905 die gesamte Bevölkerung an den Konflikten teilnahm, wobei überproportional viele jüdische Opfer zu beklagen waren, was an einer besonderen Mobilisierung der jüdischen Arbeiter,92 aber auch an einem besonders brutalen Vorgehen von Seiten der Polizei und Soldaten gerade gegen jüdische Arbeiter liegen konnte. Viele Akteure besaßen eine mehrfache Sozialisation, so war etwa der den Kampfverbänden der PPS angehörige Aleksy Rżewski anschließend 1909/10 als Chemieund Metallarbeiter in Ludwigshafen tätig. Wiederholt wurde in Aufrufen und in Flugblättern an alle Bevölkerungsgruppen in Lodz appelliert.93 Gut nachweisbar ist die Mehrsprachigkeit der Agitation in Lodz: Sowohl PPS als auch SDKPiL gaben polnische, jiddische und deutsche Zeitungen sowie Flugschriften heraus. Dezidiert wurde insbesondere bei der SDKPiL an eine mehrsprachige Zusammenarbeit 90 91 92

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Vgl. auch die internationale Berichterstattung, gut zugänglich sind in polnischer Übersetzung die Berichte des russischen Journalisten Iwan Timkovskij-Kostin, Miasto Proletariuszów. Łódź 2001 (Łódź sprzed 100 lat, 15). Zuordnungen bei Strobel, Die Partei Rosa Luxemburgs; Tadeusz  Z.  Bogalecki, Łódzcy robotnicy na barykadach. 115. rocznica rewolucji 1905 roku, in: Kronika miasta Łodzi (2020) 1(88), S.  101–124, hier 123. Vgl. dazu die Erinnerungen des Mitglieds des jüdischen Arbeiterbundes und anarchistischer Gruppen Noj Giter Granatsztajn, Barykady i katorga, Wspomnienia anarchisty. Poznań 2015; systematisch analysiert bei Inna Shtakser, Structure of feeling and radical identity among working-class Jewish youth during the 1905 revolution. Austin 2007. Thomas Fuchs, Krzysztof Wożniak, „Auf die Straße, Brüder!“ Als Polen, Juden und Deutsche gemeinsam gegen die Unterdrückung kämpften. Eine Betrachtung der Lodzer Revolution aus interkultureller Sicht, in: 1999 – Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21 Jahrhunderts 12 (1996), 1, S. 13–28.

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appelliert: „Vergessen wir nicht, Genossen, dass wir nur in der Einheit mit allen ungeachtet der Unterschiede in der Sprache, der Kleidung und der Religion, stark sind, dass man sich dem Augenblick des Sieges einzig und allein durch die Verbundenheit der Arbeiter aller Nationalitäten nähern kann.“94 Dem stand bei der NZR der Appell ausschließlich an die nationale Solidarität und an die Nation als „geistige Gemeinschaft“ entgegen.95 Die scharfen sozialen Konflikte und die revolutionäre Stimmung fanden aufgrund dieser multikulturellen und internationalistischen Dimension in der europäischen Öffentlichkeit ein Echo: Als am 24. Juni der Kriegszustand in Stadt und Kreis Lodz ausgerufen wurde, reisten führende Vertreter der europäischen Linken in die Industriestadt. Hier fanden sich sowohl Rosa Luxemburg wie auch der spätere sowjetische Geheimdienstchef Feliks Dzierżyński ein: Luxemburg reiste im Dezember 1905 unter dem Pseudonym Anna Matschke mit Leo Jogiches nach Warschau und Lodz, um die Revolution zu unterstützen. Im März 1906 wurde sie verhaftet. Es gelang ihr, ein Kriegsgerichtsverfahren mit drohender Todesstrafe abzuwenden. Dzierżyński, der seit 1904 mehrfach in Lodz war und intensive Kontakte zu der sozialistisch eingestellten Familie Hirszfeld-Tennenbaum unterhielt, agitierte unter Arbeitern. Die Lodzer Arbeiteropposition war vielsprachig und kosmopolitisch, man wechselte zwischen dem Deutschen, Polnischen und Russischen.96 Lodz wurde in diesem Zeitraum auch für den europäischen Zeitungsleser zu einem Begriff, das „rote Lodz“ zu einem Ort, das die lokale Mythologie und das Stadtimage in Erinnerungen und Literatur prägen sollte. Aus sozialistischer Sicht entstand ein neuer Typus des Arbeiters, der in Selbstzeugnissen auch noch aus den 1920er und 1930er als Erzählmodell und idealisiertes Vorbild vorscheint: „Der Lodzer Arbeiter hasst Kompromisse und Unentschiedenheit. Und selbst wenn dies nicht aus seinen inneren Überzeugungen herrührt, dann aus den Traditionen der Stadt, deren Proletariat sich im Widerstand gegen eine rückständige Ordnung, gegen Konventionen, gegen überkommene Formen und Gewohnheiten härtete.“97 So stilisierten sich im Nachhinein linke Organisatoren der Arbeiterbewegung, Frauen wie Männer, immer mit dem „roten Lodz“ im Rücken.98 Andererseits setzte seit 1907 ein erster Aufbau nationaler Kultureinrichtungen ein: Gefördert durch das zarische Manifest vom Oktober 1905 entstanden nun nationale – polnische, deutsche und jiddische – Mittelschulen, in denen ein muttersprachliches 94 95 96 97

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Źródła, Bd. 1, 1, S. 239. Marzec, Rebelia, S. 341–352. Witold Leder, Stefan Leder, Czerwona nić. Ze wspomnień i prac rodziny Lederów. Warszawa 2005, S. 86–142. „Łódzki robotnik nienawidzi kompromisów i niezdecydowania. I nawet jeśli nie pochodzi to z jego głębokich przekonań, to wynika z tradycji miasta, którego proletariat hartował się w buncie wobec [sic!] zastanemu porządkowi, konwenansom, zastygłym formom i zwyczajom.“ Perec Opoczyński, Czerwona Łódź, in: Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 270–272. Vgl. auch die Aufzeichnungen von Edda Tenenbaum, verfasst 1926 in Moskau: Leder, Czerwona nić, S. 143–171.

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Schulprogramm aufgebaut wurde. Insbesondere in den ersten polnischen und deutschen Gymnasien besaß dieser Bildungserwerb – unterstützt durch die romantische Nationalliteratur – eine deutlich nationalemanzipatorische Richtung. In dieser Förderung nationaler Anliegen durch den Staat ist auch ein Versuch zu sehen, durch einen Rückgriff auf die „nationale Karte“ Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Gut belegt ist die Beobachtung, dass sich in die sozialen (Arbeiter vs. Kapitalisten), imperialen (gegen die zarische Autokratie) und nationalen Konflikte (Polen gegen russländische Obrigkeit) auch religiöse Mobilisierungen und kirchliche Konflikte mischten. Als Ausdruck des Protests dienten auch katholisch-patriotische Kirchenlieder und Begräbnisse von Opfern (18. Juni: 5 Tote; 21. Juni: 21 Opfer), die von nationalen Organisationen bewusst eingesetzt wurden. Die Evangelische Kirche versuchte durch eine kirchennahe „Gewerkschaft Evangelischer Textilarbeiter“ unter Leitung des sozial engagierten Pastors Rudolf Gundlach eine Radikalisierung abzuwenden. Dagegen kam es in der katholischen Kirche, die im höheren Klerus gegenüber Staat und Obrigkeit loyal blieb, zu einer Spaltung: In Lodz und Umgebung fasste nach 1905 die „Katholische Mariawitenkirche“ Fuß, die aus einer vom Heiligen Stuhl abgelehnten Frömmigkeitsbewegung in der Region Płock entstanden war und eine volksnahe Sozialfürsorge entwickelte: Durch Kinderkrippen, Kindergärten, Waisenhäuser, Schulen, Alphabetisierungskurse, Näh- und Schneiderkurse, Suppenküchen, Krankenambulanzen und eine Wohnversorgung – so neu errichtete „Volkshäuser“ (domy ludowe) als Erstunterbringungsorte und Unterkunft für Obdachlose und Wanderarbeiter – waren die Mariawiten in der Region Lodz höchst erfolgreich. Eine in vielen Pfarreien geförderte „Hilfe zur Selbsthilfe“ ermöglichte es, Textil- und Speisebetriebe oder Tee- und Lesestuben bei den Kirchen einzurichten und so Migranten und Personen ohne Kapital und Ausbildung Mithilfemöglichkeiten und ein bescheidenes Auskommen zu geben.99 Aus polnisch-katholischer Sicht waren die Mariawiten vor allem ein spaltendes Element, das nach Möglichkeit verleumdet wurde.100 In Lodz entstanden drei Pfarreien und 1910 als erstes Bistum in der Stadtgeschichte eine mariawitische Diözese, was die Verhältnisse in der Region, in der über 5% (30.000 Menschen, ca. 10% der Katholiken) der Bevölkerung in unterschiedlichem Ausmaß mariawitischen Einflüssen unterlagen, noch spezifischer machte. Diese Multireligiosität und -kulturalität der Lodzer Gesellschaft wie auch der Arbeiterbewegung findet sich auch in der Literatur um ihre Helden wieder: In seinem internationalen Erfolgsroman „Die schöne Frau Seidenmann“ (1986) stellte Andrzej Szczypiorski einen „guten Deutschen“ vor, der der Titelheldin, einer Warschauer Jüdin, 99

Hans-Jürgen Bömelburg, Katholische Frömmigkeitsbewegungen und heterodoxe Kirchbildungen in Ostmitteleuropa. Die Mariawiten in Polen vor dem Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Ermlands 63 (2019), S. 3–28; detailliert zu den Lodzer Pfarreien und Akteuren: Mateusz Sidor, Starokatolicki Kościół Mariawitów, in: Kronika Miasta Łodzi (2018), 3(82), S. 61–70. 100 Bartkiewicz, Złe miasto, S. 213–216.

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bei der Gestapo das Leben rettet. Der mehrsprachige Lodzer Johann „Hansio“ Müller verbringt schließlich, aus Lodz geflohen, seinen Lebensabend in Westdeutschland, umgeben von Visionen an seine Jugend: Er „schüttelte den Kopf über sein eigenes krüppeliges Schicksal, und sah, als er zum Sterben kam, die Stadt Lodz, Piotrkowska-Straße, darauf einen sozialistischen Umzug, darin den jungen Johann Müller inmitten polnischer, jüdischer und deutscher Genossen, wie sie mannhaft mit dem Ruf ‚Es lebe Polen!‘ auf die berittenen Kosaken zugingen, die am Straßenrand versammelt waren.“101 Man kann diesem Erinnerungsbild vorwerfen, es idealisiere die realen Konflikte. Tatsächlich finden wir in Lodz 1905 bis 1907 beides, einerseits eine gelebte, zumeist sozial organisierte, Solidarität von Arbeitern, aber auch von Fabrikbesitzern über die religiösen und sprachlichen Grenzen hinweg, andererseits ebenfalls scharfe und brutale soziale und politische Konflikte, die in Bürgerkrieg und öffentliche Gewalt mündeten. Beide Seiten standen unverbunden nebeneinander, ein Beleg für die soziale Härte der Konflikte in der Fabrikstadt.

101 Andrzej Szczypiorski: Die schöne Frau Seidenmann, Zürich 1988, S. 150.

Kapitel 4

„Lodzermenschen“ in der „Bösen Stadt“ „Die Stadt schlief schon, sie lag im Schatten im Hinterhalt und warf wie ein Krake mit all seinen Fabrikarmen alles zu Boden; die fernen, dahingeworfenen elektrischen Lichter schauten mit kalten Pupillen in die Nacht, sie hielten für den schlafenden Moloch Wache, wie eine Kranichschar mit feurigen Köpfen. […] für diesen Kraken leerten sich die Dörfer, verschwanden die Wälder, gab die Erde ihre Schätze preis, vertrockneten die Flüsse und wurden Menschen geboren. Der Krake saugte alles in sich hinein und zermalmte es mit seinen mächtigen Kiefern, er verdaute Menschen und Sachen, Himmel und Erde und gab dafür einer Handvoll Menschen sinnlose Millionen und den Massen Hunger und Entbehrung.“1  Władysław Reymont, Das Gelobte Land (1898)

Die Ereignisse der Revolution reaktualisierten, popularisierten und radikalisierten einen älteren Diskurs, in dem die besonderen Verhältnisse in Lodz in grellen Farben beschrieben und abgewertet wurden. Die Industriestadt wurde – aus einer postromantischen Perspektive – als Ort einer grenzenlosen und gewalttätigen industriellen Moderne wahrgenommen. Bereits in den 1850er Jahren hatte der auch in Lodz tätige Lehrer und Schriftsteller Wiktor Dłużniewski die Stadt ironisch als „Gelobtes Land“ beschrieben und als Ort dargestellt, wo geschäftstüchtige, aber grobe Deutsche und rückständig-abergläubische Juden ihren Tätigkeiten nachgehen, ohne deren Modernität wahrzunehmen.2 Er stand damit im Kontext eines umfangreichen gesamtpolnischen Diskurses, in dem Józef Ignacy Kraszewski die „Krankheiten unseres Jahrhunderts“ (1856) skandalisierte.3 Seit den 1870er Jahren bürgerte sich in der Warschauer Publizistik der Begriff des „Lodzermenschen“ ein,4 zumeist aufgefasst als materialistische, amoralische, aber geschäftstüchtige Gewaltmenschen. Der Begriff wurde zunächst im Polnischen von Publizisten und Literaten aufgegriffen, die hierunter einen besonderen Typus von mehrsprachigen, wirtschaftlich aktiven, deutsch oder jiddisch sprechenden Unternehmern und Geschäftsleuten in einer polnischen Umgebung sahen. Auch die polnische 1 Władysław Reymont, Ziemia obiecana [1897/98], Warszawa 1995, Bd. 2, S. 310–312. 2 Wiktor Dłużniewski, Wyprawa do Ameriki. Dzieło szeniczne w trzech aktach napisane przez Anastazego Podhalskiego. Quodlibet złożony z żywych obrazów miasta Łodzi. Hg. v. Piotr Noczkowski. Łódź 2012. 3 Kizwalter, Polska nowoczesność, S. 146–154. 4 Der Begriff wurde häufig aufgegriffen, vgl. Winson Chu, The „Lodzermensch“: From Cultural Contamination to Marketable Multiculturalism, in: Kristin Kopp, Joanna Niżyńska (Hg.), Germany, Poland and Postmemorial Relations: In Search of a Livable Past. New York 2012, S. 239–258; Frank M. Schuster, Stadt der vielen Kulturen – Stadt der ‚Lodzermenschen‘. Komplexe lokale Identitäten bei den Bewohnern der Industriestadt Lodz (1820–1939/1945), in: Barbara Lewandowska-Tomaszczyk, Hanna Pułaczewska (Hg.), Intercultural Europe: Arenas of Difference, Communication and Mediation. Stuttgart 2014 (Cinteus, 7), S. 33–60 (dort auch die umfangreiche ältere Literatur).

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Bevölkerung, so zumindest das Feuilleton, veränderte sich unter diesem Einfluss. Antoni Wiśniewski stellte 1889 fest: „Der durchschnittliche Lodzer Pole unterscheidet sich erheblich vom Rest der Polen, es charakterisiert ihn das Fehlen jeglicher Gefühle für gesellschaftliche Ideale, eine Untertänigkeit gegenüber Neuankömmlingen und ein Einschmeicheln; jeden Deutschen spricht er auf deutsch an, er wagt es nicht, ihn an seine Rechte zu erinnern.“5 Populär wurde der „Lodzermensch“ jedoch erst im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, als der Aufstieg der Industriestadt aus dem Nichts allerorts Aufsehen erregte, ja die polnische Öffentlichkeit Alarm schlagen ließ und eine grundsätzliche Diskussion um das eigene Verhältnis zum Fremden und zur Moderne auslöste. Lodz wurde nun zu einem deutlich negativ konnotierten Symbol eines seelenlosen, bedrohlichen Industriemolochs. Das rasche Bevölkerungswachstum der Industriestadt, die mehrheitlich von deutschem, jüdischem und russischem Kapital beherrscht wurde und in der als „deutsch“, „jüdisch“ oder „russisch“ wahrgenommene Unternehmereliten den Ton angaben, wurde in vielfacher Hinsicht als Fanal einer modernen Bedrohung empfunden: Das schnelle und scheinbar maßlose Wachstum bei unzureichenden Wohnungs- und sanitären Verhältnissen erschien als Symbol eines brutalen Kapitalismus, in dem besonders die polnischen Zuwanderer ausgebeutet und „entnationalisiert“ würden. Das „masowische Klondike“ wurde so in der polnischen Publizistik zu einem Pendant amerikanischer Goldrausch-Städte, zum „Vorhof der Hölle“, zu einer „verkommenen Stadt“, in der alle Übel der Großstadt wie Ausbeutung, Überfremdung, Sittenverfall, Prostitution und Kosmopolitentum zusammentrafen, zu einem Babylon mitten in Polen. Die Vorstellung von der Industriestadt als der „bösen Stadt“, die um 1900 in vielen europäischen Heimatliteraturen und Heimatkunstbewegungen zu finden ist, konkre­ tisierte sich in Polen vor allem am Lodzer Beispiel.6 Hierfür gab es reale Motive: Die fehlende Sozialkontrolle durch Obrigkeit und Geistlichkeit sowie das unterentwickelte katholische Pfarreinetz beförderten Tendenzen einer Dechristianisierung, die Auswirkungen auf Moral und Sozialdisziplin hatten.7 Weiterhin erweckten die Ausschreitungen im Umfeld der Lodzer Streikbewegungen 1892 und 1905, die in Demonstrationen, Straßenkämpfe und Terror von mehreren Seiten gipfelten und von den russländischen Behörden brutal niedergeschlagen wurden, innerpolnisch wie 5 „Przeciętny Polak łódzki wielce różni się od reszty Polaków, charakteryzuje go brak wszelkiego poczucia ideałów społecznych, uległość dla przybyszów, schlebianie im, do każdego Niemca odzywa się po niemiecku, o swoje prawa nie śmie się upomnieć“. Antoni Wiśniewski, Przegląd Tygodniowy (1889); grundsätzlich zur Warschauer Presse über Lodz: Kamil Ṥmiechowski, Z perspektywy stolicy. Łódź okiem warszawskich tygodników społeczno-kulturalnych (1881–1905). Łódź 2012. 6 Zygmunt Bartkiewicz, Złe miasto. Obrazy z 1907 roku. Warszawa 1911; zum Kontext vgl. Jerzy Jedlicki, Ṥwiat zwyrodniały. Lęki i wyroki krytyków nowoczesności. Warszawa 2000, vor allem das Kapitel „Die Anklage gegen die Stadt“ (Proces przeciwko miastu), S. 83–112. 7 Andrzej Chwalba, Sacrum i rewolucja. Socjaliści polscy wobec praktyk i symboli religijnych (1870–1918). Kraków ²2007, S. 59–60, 67–68, 77.

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international das Bild einer von Manchesterkapitalisten, sozialistischen Agitatoren und einem Lumpenproletariat beherrschten anarchischen Großstadt.8 Auch der bis heute bekannteste Lodz-Roman vermittelt dieses Bild: Władysław Reymonts „Gelobtes Land“ (Ziemia obiecana, 1898/99) ist der erste polnische Großstadtroman und wurde „[e]in stilbildender Topos“, denn er war „die bekannteste und nachhaltig wirkungsvollste literarische Behandlung des Themas Lodz.“9 Im Roman dargestellt wird der Versuch dreier Karrieristen, des Polen Karol Borowiecki, des Deutschen Max Baum und des Juden Moryc Welt, durch Spekulation, Ausbeutung und wohlberechnete Liebschaften ein florierendes Unternehmen aufzubauen. Der Versuch scheitert, die Fabrik wird wahrscheinlich – so suggeriert es der Roman – von Welt angezündet, Baum zieht sich aus dem Geschäft zurück. Der (von einem Juden und einem Deutschen) hintergangene Borowiecki ist in seinem Unglück allein. Sein Vater stirbt und die Beziehung mit seiner Verlobten Anka geht in die Brüche. Er flüchtet sich schließlich in eine Ehe mit der Fabrikantentochter Müller, muss jedoch auf dem Gipfel seiner Karriere erkennen, dass sein egoistisches Dasein sinnlos ist, während seine ehemalige Verlobte als Erzieherin ein – auch im Sinne des polnischen Ideals der Organischen Arbeit an den nationalen Grundlagen – erfülltes Leben gefunden hat. Im Zentrum des Romans steht Lodz, das am herausgehobenen Romanende als abscheulicher Krake (poln. polip) abgewertet wird, der alles verschlingt: „Die Stadt schlief schon, sie lag im Schatten im Hinterhalt und warf wie ein Krake mit all seinen Fabrikarmen alles zu Boden; die fernen, dahingeworfenen elektrischen Lichter schauten mit kalten Pupillen in die Nacht, sie hielten für den schlafenden Moloch Wache, wie eine Kranichschar mit feurigen Köpfen. […] Aus den entfernten Ebenen, von den Bergen, den versunkenen Dörfern, aus Kleinstädten und Metropolen, aus Hütten und Palästen, von der Höhe und aus der Gosse zogen die Menschen in einer nicht enden wollenden Prozession in dieses ‚verheißene Land‘. Sie kamen und düngten es mit ihrem Blut, brachten ihre Kraft, ihre Jugend, Gesundheit, ihre Freiheit, Hoffnung und Elend, ihr Hirn und ihre Arbeit, ihren Glauben und ihre Träume. Für dieses ‚gelobte Land‘, für diesen Kraken, leerten sich die Dörfer, verschwanden die Wälder, gab die Erde ihre Schätze preis, vertrockneten die Flüsse und wurden Menschen geboren. Der Krake saugte alles in sich hinein und zermalmte es mit seinen mächtigen Kiefern, er verdaute Menschen und Sachen, Himmel und Erde und gab dafür einer Handvoll Menschen sinnlose Millionen und den Massen Hunger und Entbehrung.“10 8 9

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Jerzy Myśliński, Opinia publiczna wobec „buntu łódzkiego“ w roku 1892, in: Paweł Samuś (Hg.), „Bunt łódzki“ 1892 roku. Łódź 1993, S. 69–86. Andreas R. Hofmann, Imageprobleme einer Antimetropole. Lodz 1900/1930, in: ders., Anna Veronika Wendland (Hg.), Stadt und Öffentlichkeit in Ostmitteleuropa 1900–1939. Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallinn und Triest, Stuttgart 2002, S.  235–257, hier S. 240. „Miasto już spało, przyczaiło się w cieniach i przywarło do ziemi jak polip wszystkimi mackami fabryk, a dalekie, porozrzucane elektryczne słońca błękitnawymi źrenicami patrzyły w noc, stróżowały śpiącego

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Die Kraken-Metapher im Roman kann vieldeutig gelesen werden: Sie wurde als Bild für die wuchernden Industriestädte der Epoche etwa von Émile Verhaeren in der französischsprachigen Literatur verwandt.11 Der auch französischsprachige Reymont kann das Bild von dort entlehnt haben. Sie kann für das imperiale Zarenreich stehen, das auf humoristischen und „sprechenden“ europäischen Landkarten seit den 1870er Jahren wiederholt als Krake dargestellt wird, dessen Tentakel und Machtansprüche den Globus umfassen. Konkreter lässt sich die Metapher auf die in der multikulturellen Stadt immer wieder allgegenwärtige Globalisierung und eine postulierte Verschwörung unter den städtischen Fabrikanten beziehen, die das kapitalistische Geschäft mit seinen vielarmigen Gerüchten präge. Dieser „monopolistische Krake“ (Uwe Lindemann) stand seit den 1880er Jahren im Zentrum einer von den USA ausgehenden Anti-Trust-Diskussion, die sich gegen den Standard Oil-Konzern unter der Führung John D. Rockefellers richtete und in eine Zerschlagung des Öl-Konzerns mündete. In diesem Kontext verbreitete sich die Kraken-Metapher und Reymont griff diese auf. Im Spezialfall kann man die Metapher auch antisemitisch deuten, seit den 1880er Jahren galten jüdische Kapitalisten in der internationalen Publizistik vielfach als Träger globaler Monopole. Aus Warschauer Perspektive wurde auch für die Lodzer Fabrikantenoligarchie postuliert, die Stadt falle immer stärker einer „Verschwörung“ jüdischer Eliten anheim.12 Der Kraken-Topos konnte sich dabei lokal nicht durchsetzen, er tauchte stärker nur in Vorstellungen einer Lodzer Gangsterwelt auf, in der Mafiagangs regierten, die im Polnischen als „Lodzer Krake“ („Łódzka ośmiornica“) bezeichnet wurden. Aber: Der Roman schuf einen wirk- und bildmächtigen Mythos eines wuchernden, kulturlosen Industriemolochs. Er bewahrte sich in der polnischen Öffentlichkeit bis heute den Ruf als Lodz-Roman schlechthin. Auffällig ist, dass Reymont 1897 an seinem Roman zur gleichen Zeit schrieb, als in Zürich Rosa Luxemburg ihre Dissertation zum Aufstieg der Lodzer Textilindustrie anfertigte.

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molocha, jak stado żurawi o głowach ognistych. […] Z równin odległych, z gór, z zapadłych wiosek, ze stolic i z miasteczek, spod strzech i z pałaców, z wyżyn i z rynsztoków ciągnęli ludzie nieskończoną procesją do tej ‚ziemi obiecanej‘. Przychodzili użyźniać ją krwią swoją przynosili jej siły, młodość, zdrowie, wolność swoją, nadzieje i nędze, mózgi i pracę, wiarę i marzenia. Dla tej ‚ziemi obiecanej‘, dla tego polipa pustoszały wsie, ginęły lasy, wycieńczała się ziemia ze swoich skarbów, wysychały rzeki, rodzili się ludzie, a on wszystko ssał w siebie i w swoich potężnych szczękach miażdżył i przeżuwał ludzi i rzeczy, niebo i ziemię, i dawał w zamian nielicznej garstce miliony bezużyteczne, a całej rzeszy głód i wysiłek.“ Władysław Reymont, Ziemia obiecana [1897/98], Warszawa 1995, Bd. 2, S. 310–312. Die Passage wurde vom Autor neu aus dem Polnischen übersetzt, da die alte deutsche Übersetzung von Aleksander Guttry aus dem Ersten Weltkrieg die Schärfe der Konflikte und des Verdikts abmilderte, vgl. Władysław St. Reymont, Das gelobte Land. München 1917; mit sprachlichen Korrekturen wiederaufgelegt Leipzig 1984. Émile Verhaeren, Les Villes tentaculaires. Bruxelles 1895. Auf den Lyrikband wies mich Uwe Linde­ mann hin. Uwe Lindemann, Der Krake. Geschichte und Gegenwart einer politischen Leitmetapher. Berlin 2021, S. 102–106, 118–125. Für den Hinweis auf die Neuerscheinung danke ich Filip Schuffert.

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Beide wussten nichts voneinander, bei beiden steht die moderne Industriestadt im Fokus, allerdings mit entgegengesetzten Wertungen: Reymont sieht in ihr ein Fanal für eine aus der Bahn geratene Moderne, in der traditionelle Werte zurücktreten und die polnische Kultur überfremdet werde. Luxemburg beschreibt die Modernität der Textilindustrie, die sogar mit der Metropole Moskau mithalten kann und entwickelt daraus die Hoffnung, dass aus dieser mitteleuropäischen Moderne zukünftig eine soziale Revolution hervorgehe. Die aktuelle Forschung spricht von „asynchronen Modernisierungsdiskursen“,13 die einen Beleg für die vielfältigen Modernen in der führenden Textilmetropole Mittel- und Osteuropas bieten. Bei Reymont wurde an dem Bild der „bösen Stadt“ weitergestrickt, nachhaltiger wirkte allerdings eine andere Sprachschablone: Zum Symbol der gewissenlosen Großstadt wurde in der polnischen Literatur um 1900 der „Lodzermensch“, ein von deutscher und jüdischer „Geschäftemacherei“ angesteckter Asphaltmensch und „vaterlandsloser Geselle“ ohne sittliche und nationale Bindungen. Der Literaturkritiker Antoni Sygietyński charakterisierte den „Lodzermenschen“ 1898 so: „Tatsächlich, ein besonderer Typus, obwohl in Lodz und der Umgebung von Lodz sehr verbreitet, seiner Rede nach ein fürchterlicher Zyniker, seinen Taten nach ein amerikanischer Squatter, dem Bekenntnis nach Protestant, den Gewohnheiten nach ein Deutscher, der Kultur nach ein Pole. Eine eigenartige Mischung […]“.14 Der Begriff tauchte auch bei Reymont auf, im Feuilleton der Zeitschrift „Rozwój“ hieß es in einer deutsch-polnischen Mischsprache, der Begriff sei negativ zu verstehen „für die Lodzermenschen sei alles ganz gleichgültig, was sie nicht ein Geschäft wittern ließe und Lodz sei ein Teil des Vaterlands der Alldeutschen.“15 Für Stefan Górski, der 1904 ein populäres Buch über das zeitgenössische Lodz herausbrachte, waren die „lodzermensche“ ohne politische und patriotische Grundsätze, sie hätten aufgehört Deutsche zu sein, seien aber noch keine Polen.16 Auf diese Art und Weise wurde im polnischen Diskurs ein öffentliches Bild kreiert, wonach die Stadt ihre Position auf Brutalität, illegalen Geschäften und manifester Ausbeutung aufbaue. Das kapitalistische Lodz sei „in unserem Land die Hauptstadt des Betrugs und der Ausbeutung“, wo Bestechung „Provision“ genannt werde und ein Betrug ein „gutes Geschäft“ biete.17

13 14 15 16 17

Agata Zysiak [u.a.], From Cotton and Smoke. Łódź – Industrial City and Discourses of Asynchronous Modernity 1897–1994. Łódź, Kraków 2018. „Zaiste, typ to szczególny, jakkolwiek w Łodzi i pod Łodzią dość zwykły podobno, z mowy cynik potworny, z postępowania squatter amerykański, z wyznania protestant, z obyczajów Niemiec, z kultury Polak. Dziwna mieszanina (…)“. Antoni Sygietyński in: Kurier Warszawski (1898). Zit. nach Andrzej Galecki, Lodzermensch, nach Jerzygrzesiak.pl/zjazd/andrzej_tadzik/lodzermensch. doc (19.07.2011). Stefan Górski, Łódź współczesna. Obrazki i szkice publicystyczne. Łódź 1904, S. 21–22. „Na naszej ziemi Łódź jest stolicą oszustwa i nadużyć, gdzie łapówkę nazywa się mianem „prowizji“, a przekręt „dobrym interesem“. Ebd.

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Kultur erschien hier fehl am Platze und falls doch, so handelte es sich um eine lasterhafte und geistlose, auf jeden Fall jedoch fremde kosmopolitische und vielsprachige Pflasterkultur,18 die von der Lodzer Jeunesse dorée gepflegt werde und wie folgt karikiert wird: „‚Bitte, Fräulein Rosa …‘ [im Org. deutsch, H.-J.B.] lädt sie die Freundin an den Tisch ein, an dem die neu-goldene Jugend der Bösen Stadt, die Söhnlein der Reichen, der Abschaum ohne Hirn und Herz, allein an das eine Gold glaubend, die reisende Diva mit Schaumwein verköstigt. Und nach einer Weile […] verbrüdern sich die zwei Gesänge, der falsche Champagner knallt mit einem Vivat: ‚Hoch! Wer liebt kein Weib, kein Wein, kein Gesang‘ [im Org. deutsch] und ‚Urra – Urra!‘ wild, unmenschlich …“.19 Die städtischen Eliten werden hier als dekadente und landfremde – Deutsche und Russen verbrüdern sich – Kapitalisten dargestellt. In diesem Ton geht es weiter. Jarosław Iwaszkiewicz besuchte Lodz 1911 und erinnerte „Landschaften einer seltsamen und brutalen Stadt“.20 In der satirischen Zeitschrift „Mucha“ finden sich zwischen 1909 und 1913 eine ganze Reihe von kurzen satirischen Erzählungen über die plumpen und unwissenden Lodzermenschen.21 Im Ersten Weltkrieg sprach die deutsche Verwaltung Lodzs von der deutsch-polnischen Mischsprache als einer „Hottentottensprache“.22 Je weiter wir im 20. Jahrhundert fortschreiten, um so mehr wurden Reymonts „Gelobtes Land“ und der „Lodzermensch“ zu Matrizen für alle späteren Diskurse.23 International fand das Werk vor allem durch die mehrfach nachgedruckte deutsche Übersetzung aus dem Ersten Weltkrieg Resonanz, die Reymont als Autor populär machte. Dieser internationale Ruhm trug ihm schließlich – für das ebenfalls über die deutsche Sprache international rezipierte Werk „Die Bauern“ – 1924 den Nobelpreis für Literatur ein. „Die Bauern“ stellt die einheimische bäuerlich-landadlige Welt einfühlsam dar und schuf das positive Gegenbild zur „bösen Stadt“. Gerade nationale Unzuverlässigkeit und Opportunismus wurden der Bevölkerung in allen diesen nationalen Diskursen stereotyp vorgeworfen. Noch Ende der 1930er Jahre wurde der Begriff in der 15. Auflage des populären polnischen Fremdwörterbuchs 18 19

20 21 22 23

Zur Ethnisierung des Diskurses Śmiechowski, Kwestie miejskie, S. 194–212. „Bitte, Fräulein Rosa  …“ zaprasza ją towarzyszka do stolika, gdzie nowo-złota młódź Złego miasta, synkowie bogaczy, potworki bez mózgów i serc, w jedno złoto wierzący, raczą przyjezdną divę szumiącem winem. Chwila […] zbratały się dwie pieśni, fałszowany szampan strzelił wiwatem: ‚Hoch! Wer liebt kein Weib, kein Wein, kein Gesang‘ i ‚Urra – Urra!‘ dzikie, nieludzkie …“ Zygmunt Bartkiewicz, Złe miasto [1909], in: ders., Trzy opowieści. Warszawa 1930, S. 210. „Pejzaży dziwnego i okrótniego miasta“, Jarosław Iwaszkiewicz, Spotkanie z Łodzią, Odglosy 21 (1978), 5, S. 11. Maria Łukowska, Mit lodzermenscha a rzeczywistość dawnej i współczesnej Łodzi, in: Irena Bukowska-Floreńska (Hg.), Symbole kulturowe, komunikacja społeczna, społeczności regionalne. Studia. Katowice 1995, S. 119–133, hier 131–133. Nach Eichler, Deutschtum, S. 245 wurde der Begriff von dem Polizeipräsidenten Matthias von Oppen benutzt. Igor Rakowski-Kłos, Miasto lumpów i złodziei. Dlaczego Polska nienawidzi Łodzi?, in: Gazeta Wyborcza, 14.04.2016.

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folgendermaßen definiert: „Lodzermensch – Typ eines Lodzer Geschäftemachers, der sich unter deutsch-jüdischem Einfluss ausbildete, sich zu keiner Nationalität rechnet und sich nur um seine wirtschaftlichen Interessen sorgt.“24 Spiegelbildlich findet sich diese abwertende Einschätzung ebenfalls von deutscher Seite: so hieß es unter deutschen Nationalisten, die „Neue Lodzer Zeitung“ sei „ein getreues Spiegelbild bürgerlichspießerhafter Gesinnungslosigkeit der ‚Lodzermenschen‘“.25 Andererseits gab es aus den Reihen einheimischer deutscher und jüdischer Autoren hin und wieder auch positivere Darstellungen, wenn Heimatverbundenheit statt nationalem oder religiösem Rigorismus die Betrachtung leitete. Das deutschsprachige Feuilleton beschrieb in „Die Erschaffung des Lodzers“ (1914) eher liebevoll-ironisch die Erschaffung des Großstadtmenschen aus einem Wettstreit zwischen Teufel und Engeln.26 Jüdische Intellektuelle brachten in jiddischer Sprache 1929–1931 die Zeitschrift „Illustrirter Pojliszer Menczester“ heraus, die bewusst an die Traditionen einer multikulturellen Industriestadt anknüpfte und hieraus eine Modernität entwickelte. Singers Max und Jakob Aschkenasi – als Vorbilder dienten die Familien Poznański und Kon – stammen aus einer frommen jüdischen Familie, akkulturieren sich jedoch an die deutsche und russische Umgebung und machen als Textilproduzenten Karriere, bis sie schließlich durch Ersten Weltkrieg, deutschen Militarismus, Russische Revolution und polnischen Chauvinismus scheitern. Neben ihnen werden die Schicksale jüdischer Textilarbeiter, die sich organisieren und in Arbeiterparteien tätig sind, sowie von Rabbinern und Chassidim, die sich in der Moderne anpassen müssen, dargestellt. Besonderes Augenmerk liegt auf jüdischen Frauen, die zwischen Moderne und Tradition zerrissen – alle Ehen der Protagonisten scheitern – dennoch die Herausforderung von Geschäft und Anpassung vielfach besser verbinden können als die akkulturierten und assimilierten Männer. Lodz wird dabei als eine Welt der Möglichkeiten dargestellt, die auch ärmeren Juden Zugang zu Arbeit, Aufstiegsmöglichkeiten und eine Weltläufigkeit verschafft, zwar auch oft enttäuscht, aber jüdischen Lebensläufen in der Moderne ihre Chancen bietet.27 Bei Singer fehlt die städtefeindliche, antikosmopolitische Perspektive Reymonts. Lodz wird eher im Stile eines amerikanischen Schmelztiegels beschrieben. Literarisch kann das Werk durchaus mit dem „Gelobten Land“ auf eine Stufe gestellt werden. Die Rezeptionsgeschichte der „Brider Aschkenasi“ verlief jedoch verspätet: Der Roman wurde zwar bereits in den 1930er Jahren ins Englische und Polnische übersetzt, jedoch vor dem Zweiten Weltkrieg nur in den USA ausschließlich in Kreisen osteuropäischer 24 25 26 27

Michał Arct, Słownik wyrazów obcych. Warszawa 1937, S. 180. Eduard Kneifel, Adolf Eichler. Ein Leben im Dienste des Deutschtums, in: Adolf Kargel/Eduard Kneifel, Deutschtum im Aufbruch. Vom Volkstumskampf der Deutschen im östlichen Wartheland, Leipzig 1942 (Ostdeutsche Heimatbücher, 7), S. 16. Die Erschaffung des Lodzers. Eine Legende, in der Sommerfrische zu lesen, in: Beilage zu Neue Lodzer Zeitung 302, 25.06.–08.07.1914; Wiederabdruck: Monika Kucner, Jörg Riecke (Hg.), Literatura w cieniu fabrycznych kominów. Literatur im Schatten der Fabrikschornsteine. Łódź 2018, S. 115–117. Israel Joshua Singer, Die Brüder Aschkenasi. München, Wien 1986.

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Juden populär. In Polen erschien die erste Buchausgabe erst im Jahre 1992, die erste deutsche Übersetzung erst 1986, sodass die Darstellung in Europa bis heute eher zu den literarischen Geheimtipps gehört. Der im Lodz des frühen 20. Jahrhunderts groß gewordene Julian Tuwim beschrieb die städtische Atmosphäre anschaulich und mit viel Empathie, wobei er im polnischen Original viele Entleihungen bei der Lodzer Mischsprache machte: „Wenn die Lodzer Fabriken irgendeine größere Bestellung erhalten und die Konjunktur anläuft – dann scheint dort die Sonne, blüht der Flieder, zwitschern die Nachtigallen in Helenów, der Schlamm leuchtet in allen Farben des Lichtspektrums und die verschlafenen Lodzermenschen werden zu Übermenschen, gewinnen die Schnelligkeit Ihrer Bewegungen zurück, schauen wach in die Welt und denken scharf. Auf der Petrikauer quillt das Leben über. Die Grynbergs, Grynfelds, Grynsteins und Goldbergs eilen wie besessen durch die Stadt, springen aus ihren Droschken, eilen in die Cafes, telefonieren, schreiben, telegraphieren, fahren fort, kehren zurück, fahren erneut fort, schreiben auf, zählen: ‚Fynef und cwancyk … zyben und drasyk … hundert achcyk …, ausgemacht, dann rufe ich bei ihm an, Herr Grynholz, schnell ins Grand Cafe, ich fahre inzwischen zur Bank, hallo Herr Goldberg, alles klar? Hallo Herr Grynspan, alles erledigt?‘ Hunderttausend auf- und abspringende, geistesabwesende Grynmachers versetzen Lodz in Aufruhr. Dieser nervöse Zustand auf den Lodzer Straßen heißt in Fachkreisen: ‚Jetzt geht es los‘.“28 Könnte es ein besseres Erinnerungsbild an die fiebrige, zerrissene, aber lebendige und lebenshungrige Großstadt geben?

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„Gdy fabryki łódzkie dostają jakieś większe zamówienie, gdy zjawia się koniunktura – zaczyna tam świecić słońce, zakwitają bzy, słowiki turkocą w Helenowie, błoto się mieni spektralnymi kolorami, a ospali lodzermensche stają się übermenschami, odzyskują gibkość ruchów, żywość spojrzeń, bystrość myśli. Pietryna wre. Grynbergi, Grynfeldy, Grynsteiny i Goldbergi uwijają się po mieście jak opętani, wyskakują z dorożek, wskakują do kawiarni, telefonują, zapisują, telegrafują, jadą, wracają, znowu jadą, notują, obliczają: ‚Fynef und cwancyk  … zyben und drasyk  … hundert achcyk  …‘, ‚gemacht, zrobione, to ja do niego zadzwonię, panie Grynholz, leć pan do Grand Cafe, ja pójdę tymczasem do banku, hallo panie Goldberg, no co? Hallo panie Grynszpan załatwione?‘ Sto tysięcy skaczących nieprzytomnych Grynmacherów wprawia Łódź w drgawki geszeftu. Ten febryczny stan łódzkiej ulicy ma fachową nazwę: ‚Ruszyło się‘“. Julian Tuwim, Wspomnienia o Łodzi, in: Wiadomości Literackie (1934), Nr. 33, S. 19.

Kapitel 5

Lodz im polnischen Staat 1914/1918–1939: Bürgergesellschaft und Integration „Erstmals verstanden wir, dass Lodz unsere Stadt war, dass es unsere Aufgabe war, sich um sie zu kümmern, ihr eine Struktur und öffentliche Ordnung zu geben – eine Ordnung, die von uns selbst in einer schweren und aufopferungsvollen Tätigkeit geschaffen wurde.“1  Mieczysław Hertz (1933) über den August 1914

1914 begann der Weltkrieg. Damit ging für die in der globalisierten Textilindustrie vielfältig vernetzte Industriestadt Lodz eine Epoche zu Ende. Die Industrie hatte sich, gestützt auf den riesigen russländischen Absatzmarkt, die mittelasiatische Baumwolle und das Imperium, als globales Textilzentrum entwickelt. Erst die russländischen Zollgrenzen hatten den Aufstieg der Textilstadt am westlichen Rand des Reiches unter weitgehender Ausschaltung westeuropäischer Konkurrenz ermöglicht. Zwar spielte west- und mitteleuropäische Technik und Innovationsfähigkeit, die von den Lodzer Technikern adaptiert worden war, seit der Gründung eine erhebliche Rolle, doch war Lodz – in viel stärkerem Maße als die historische polnische Hauptstadt Warschau oder andere „westrussische“ Städte wie Wilna oder Riga – ein Kind der russländischen Industrialisierung und des imperialen Wirtschaftsaufschwungs. Die großen Unternehmen besaßen vielfach Produktionsstätten und Niederlassungen in Innerrussland, einige sogar Baumwollplantagen im Nordkaukasus. Russländische Banken saßen in Lodz, im Kontext der globalen Produktionskette der Textilindustrie war die Stadt mit ca. 2–3% der damaligen Weltproduktion eines der weltweit wichtigsten Zentren. Damit war es 1914/15 vorbei. Die weniger als 100 km östlich der deutschen Grenze, in der westlichsten Ausbuchtung des Russländischen Reichs etwa auf demselben Längengrad wie Kattowitz oder Elbing gelegene Stadt wurde bereits ab August 1914 zum unmittelbaren Frontgebiet. Die großen Banken schlossen Anfang August mit der Mitteilung, dass die jeweiligen Einlagen nur noch in Petersburg und Moskau realisiert werden könnten.2 Die russländischen Verwaltungsbehörden verließen bereits am 1. August erstmals die Stadt, deutsche und österreichische Staatsbürger, in Lodz ca. 2.000–2.500 Personen, wurden auf der Basis willkürlicher Polizeianordnungen ins Innere Russlands deportiert.3 Nach den Misserfolgen der russischen Offensiven in Ostpreußen startete das deutsche Oberkommando zur Entlastung des österreichischen Bündnispartners mehrere eigene 1 „Po raz pierwszy zrozumieliśmy, że Łódź to nasze miasto, że naszym obowiązkiem jest się nim opiekować, zapewniać mu porządek i ład – ład, stworzony przez nas samych ciężką i ofiarną pracą“. Hertz, Łódź, S. 9. 2 Stimmungsvoller Bericht der Tage des Kriegsausbruchs bei Hertz, Łódź, S. 5–7. 3 Berbelska/Michalska-Szałacka, Die Herbsts, S. 15–18 mit Hinweisen auf einzelne Berichte.

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Offensiven – so die Schlacht von Warschau mit einem vorübergehenden Vorstoß und einer Einnahme von Lodz im September/Oktober 1914, die Einnahme von Włocławek und ein gescheiterter Vorstoß auf Łowicz im November 1914. Für die Zukunft Lodzs sollte sich als bedeutsam erweisen, dass bei diesem gescheiterten Vorstoß dem deutschen Infanteriegeneral Karl Litzmann bei Brzeziny am 23./24. November ein Durchbruch durch die russischen Frontlinien und damit ein Ausbruch aus einer sich abzeichnenden Einkreisung gelungen war. Entgegen neueren militärischen Darstellungen, die sich unkritisch auf die deutsche Literatur der 1940er Jahre stützen, war das Ganze aber kein Vorläufer späterer „Blitzkriege“.4 Das russische Oberkommando entschloss sich allerdings Anfang Dezember 1914 zu einer Rücknahme der Front bei Lodz, zumal der auf Konsumgüter ausgerichteten Stadt keine strategische Bedeutung für das Imperium zugeschrieben wurde. Sie erschien als schwer zu verteidigen, auch erwies sich eine Lebensmittelversorgung der weit im Westen gelegenen Metropole im ersten Kriegswinter als immer schwieriger. Deutsche Besatzung und Lodzer Bürgergesellschaft Lodz, das durch den Artilleriebeschuss im Herbst 1914 Zerstörungen erlitten hatte,5 fiel so im Dezember 1914 beinahe kampflos in die Hände des deutschen Militärs, die Grenze stabilisierte sich ca. 50 km östlich der Stadt, bevor im Juni-August 1915 – mit Hilfe von Giftgasangriffen – Warschau eingenommen und das kaiserlich deutsche Generalgouvernement Warschau (1915–1918) gegründet werden konnte, in das auch Lodz eingegliedert wurde. Die Region um Lodz spielte so in der deutschen Besatzungspolitik des Ersten Weltkriegs im Vergleich mit anderen Städten (Warschau, Kaunas, Wilna) nur eine untergeordnete Rolle, obwohl es die viertgrößte (nach Warschau, Riga und Brüssel) Stadt war, die Truppen der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg eroberten. In ihr befanden sich keine übergeordneten Besatzungsbehörden und zumindest ab Sommer 1915 auch keine größeren deutschen Garnisonen. In der deutschen Öffentlichkeit und Kriegspublizistik fand Lodz ebenfalls zunächst keine Aufmerksamkeit. Vor 1914 kamen außer Textilspezialisten und Ingenieuren kaum deutsche Reisende nach Lodz, die wirtschaftliche Spezifik fand im Kaiserreich nur unter Spezialisten Beachtung. Selbst aus der Posener Perspektive – neben Breslau die nächste preußische Großstadt – dominierte herablassendes Unwissen, wie der Posener Gotthold Rhode, Sohn eines Pfarrers, aus der Familienerinnerung nachzeichnete: „Zwar war die Grenze an der Prosna nahe, und man bezog auch Textilien aus den Lodzer Fabriken, aber wer kam vor dem Ersten Weltkrieg schon auf die Idee, eine Reise nach Lodz zu 4 Georgij  K.  Korolko, Operacja łódzka 1914. Najciekawsza batalia pierwszej wojny światowej. Oświęcim 2014. 5 Auflistung bei Stawiszyńska, Łódź, S. 456–457.

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machen? Man blickte naturgemäß nach Berlin oder nach Breslau, wo viele Posener studierten, fuhr, wenn man sich einen Urlaub leisten konnte, an die Ostsee oder ins Riesengebirge, […] aber was gleich jenseits der Ostgrenze vor sich ging, wo alles ärmlicher und unordentlicher war als in der wohlgeordneten eigenen Provinz, das bewegte niemanden sonderlich.“6 Dieses Nichtwissen verbunden mit einer abwertenden Stereotypie ist für den älteren deutschen Blick typisch, es wurde zudem im Ersten Weltkrieg auf zahlreichen Bildpostkarten und in Soldatenbriefen festgehalten. Diese Unkenntnis änderte sich aber partiell seit dem Einmarsch deutscher Truppen im Dezember 1914 in Lodz, als die Soldaten wie die deutsche Kriegsberichterstattung nun die Großstadt, ihre Industrie und ihre Bevölkerung erstmals auch für eine deutschlandweite Publizistik entdeckten. In Österreich, dessen Truppen ebenfalls südlich von Lodz standen, entstand daraufhin von Fritz Löhner-Beda und Artur Werau das Marsch- und Soldatenlied „Rosa, wir fahr’n nach Lodz“, wobei mit „Rosa“ ein in den Škoda-Rüstungswerken hergestellter großkalibriger Mörser der k.u.k.-Armee gemeint war. Als diese Nachrichten 1915 nach Lodz drangen, kommentierten selbst deutschnationale Zeitungen vor Ort „Möge uns der Himmel vor solcherlei Besuchen bewahren!“7 Lodz fand infolge seiner Ressourcen und seiner Größe jetzt rasch Aufmerksamkeit: Bereits 1915/16 wurde das „Gelobte Land“ Reymonts in einer eilig hergestellten deutschen Übersetzung veröffentlicht, die 1918 bereits im 11. Zudruck vertrieben wurde. Zeitgleich wurde das wirtschaftliche Potential der Stadt nun breiter bekannt, Lodz fand sich nun erstmals in – aus der fernen Berliner Perspektive überstürzt erstellte – imperiale und alldeutsche Wirtschaftskonzepte einbezogen, während nüchterner denkende Wirtschaftsplaner die fehlenden Integrationsperspektiven des auf die russländischen Märkte ausgerichteten Lodz in den zahlreichen Nachkriegsplanungen eines deutsch dominierten Mitteleuropa deutlich erkannten. Im Gegenzug füllte rasch eine entstehende Bürgergesellschaft die durch den russischen Abzug und das deutsche Desinteresse geschaffenen Freiräume. Hierin ist das wirklich Neue zu sehen, der Krieg war eine Gerüchteküche, verunsicherte Menschen und zwang zu neuen Konzepten.8 Probleme stellten sich ein, die zunächst vor Ort von der lokalen Bevölkerung geregelt werden mussten: Als nach Abzug der russischen Behörden Chaos und Plünderungen drohten, entstand bereits am 1. August  1914 ein Bürgergremium, das am 3. August in Anschlägen verkündete, es werde vor Ort bleiben.9 Es wurde am  10. August in ein repräsentatives „Hauptbürgerkomitee“ (poln. Główny Komitet 6 Gotthold Rhode, Lodzer Deutsche – Posener Deutsche. Keine wissenschaftliche Untersuchung, sondern eine Plauderei, in: Elvira Grözinger, Andreas Lawaty (Hg.): Suche die Meinung. Karl Dedecius. Dem Übersetzer und Mittler zum 65. Geburtstag. Wiesbaden 1986, S. 237–256, hier 238–239. 7 Deutsche Post, 1. Jg. Nr. 7 v. 09.08.1915. 8 Heinrich Zimmermann, 18.11.1914: Man sagt. Aus unvergesslichen Tagen. Tagebuchaufzeichnungen, in: Neue Lodzer Zeitung v. 18.11.1915, S. 1; Wiederabdruck Kucner/Rieke, Literatura w cieniu, S. 174–177. 9 „Organizacja ta w razie ewentualnych komplikacyj spełniać będzie nadal swoje obowiązki“, Anschlag zitiert nach Hertz, Łódź, S. 7.

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Obywatelski) umgebildet, in dem sich führende Unternehmer (Vorsitz Alfred Biedermann, weiterhin Gustaw Geyer, Ludwig Grohmann, Stefan Barciński, Stanisław Silberstein), Vertreter aller Konfessionen (Pastor Rudolf Gundlach, Pfarrer Henryk Przeździecki, der orthodoxe Geistliche Protojerej Wolamowski und der städtische Rabbiner Eliezer Leib Treistman), der Kaufmannschaft und der Funktionseliten (Antoni Stamirowski, Mieczysław Hertz, Eugeniusz Krasuski) zusammenschlossen, um in der schwierigen Situation eines unklaren Kampfgeschehens die Stadt zu verwalten. Frühe Maßnahmen des Bürgerkomitees bestanden in einem Einfrieren der Preise, der Einrichtung von Suppenküchen und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch die Einberufung einer städtischen Miliz anstelle der ebenfalls abziehenden zarischen Polizei.10 Einer der Lodzer Akteure fasste die Stimmung wie oben zitiert zusammen: „Wir verstanden, dass es unsere Stadt war, der wir eine Struktur und Ordnung zu geben hatten.“11 In der Forschung ist bisher die These vertreten worden, die Lodzer seien in erster Linie „Wirtschaftsbürger“ (Bianka Pietrow-Ennker) gewesen.12 Selbst wenn man das für das 19. Jahrhundert akzeptiert, so wird doch erkennbar, in welchem Ausmaß im Ersten Weltkrieg durch die Kooperation von Unternehmern, städtischer Intelligenz, Funktionseliten und Geistlichen aller Religionen nun eine Bürgergesellschaft entstand, die das Schicksal der Stadt in die eigene Hand nahm. Die Dramatik der Situation war unverkennbar. Wir haben über die Lodzer Ereignisse zwischen 1914 und 1918 und die Tätigkeit des Bürgerkomitees deutschsprachige Tagebuch- und Feuilletonaufzeichnungen13 sowie umfangreiche polnischsprachige Nachrichten von einem Insider. Mieczysław Hertz stammte aus einer polnisch akkulturierten jüdischen Familie, er hatte in Dorpat und am Polytechnikum Riga studiert und war familiär mit der führenden Unternehmerfamilie Poznański verschwägert. Seit 1914 engagierte er sich intensiv im Bürgerkomitee und in der 1915 von deutscher Seite eingesetzten Verwaltung, wurde 1917 in den Stadtrat gewählt und bemühte sich als Kaufmann und Statistiker nach dem Weltkrieg, Ausmaß und Intensität der Veränderungen im städtischen Wirtschafts- und Kulturleben abzuschätzen.14 Hertz war mehrsprachig, politisch zählte er wie die Mehrzahl der Akteure zur polnisch akkulturierten Intelligenz, gegenüber Forderungen einer jiddisch- oder deutschsprachigen Autonomie vertrat er eine kritische Einstellung. Zugleich sprach er auch deutsch und nahm wiederholt an Verhandlungen mit der deutschen Militär- und Zivilverwaltung teil. 10 11 12 13 14

Stawiszyńska, Łódź, S.  23–36; Mieczysław Skarzyński, Główny Komitet Obywatelski w Łodzi i jego działalność w latach 1914−1915, Łódź 1986 (Varia Muzeum Historii Miasta Łodzi, nr 3). Hertz, Łódź, S. 9. Pietrow-Ennker, Wirtschaftsbürger und Bürgerlichkeit. Heinrich Zimmermann, Aus unvergeßlichen Tagen. Tagebuchaufzeichnungen. Wiederabdruck: Kucner/Rieke, Literatura w cieniu, S. 164–222. Mieczysław Hertz, Łódzki Bataljon Robotniczy. Z. A. B. 23. Łódź 1920; ders., Łódź w czasie wielkiej wojny. Łódź: Seipelt 1933. Neuausgabe: Bezbronne miasto. Łódź 1914–1918. Łódź 2014. Zu Hertz: Ebd., S. 21–23.

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Das Lodzer Bürgerkomitee war das erste, das in den von den Kämpfen betroffenen und schließlich von deutscher Seite besetzten ostmitteleuropäischen Städten entstand und das Vorbild für weitere im deutsch besetzten Ostmitteleuropa wurde. Selbstbewusstsein erlangte das Bürgerkomitee durch die relativ lange Zeit einer unklaren Lage zwischen August und Dezember 1914, in der mehrfach deutsche und russische Truppen die Stadt kurzzeitig besetzten. Um den 20. August 1914 hielt Hertz ironisch fest: „Die [russischen] Dragoner zogen durch die ul. Główna [heute al. Pilsudskiego] in Richtung Brzeziny ab und die [deutsche] Abteilung Brauns‘ begab sich nach Pabianice. Und die Republik Lodz blieb erneut ohne regierungsamtliche Fürsorge.“15 Erfolgreich agieren konnte das Bürgerkomitee, weil es sich auf die vor Ort noch verfügbaren Ressourcen von Unternehmern und Kirchengemeinden stützen konnte, die eine Struktur boten und organisatorische Erfahrungen besaßen. Das Bürgerkomitee bot öffentliche Sprechstunden an, um die vordringlichsten Aufgaben und deren innerstädtische Umsetzung entwickelte sich ein öffentlicher Diskurs. Unklar war etwa zunächst die Frage der Verhandlungssprache: Die Akteure stammten in der Regel aus bisher gegenüber der zarischen Verwaltung loyalen Familien und hatten russischsprachige Bildungsinstitutionen durchlaufen. An den Lodzer Schulen blieb die traditionelle Dominanz des Russischen zunächst erhalten. So blieb es in der Lodzer Commerz-Schule bis 1915 beim russischsprachigen Schulgebet, das dann durch ein Gebet in den drei Sprachen in der Reihenfolge Russisch, Deutsch und Polnisch abgelöst wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt fast keine russischsprachigen Muttersprachler mehr die Schule besuchten.16 Auffällig ist, in welchem Maße an der russischen Unterrichtsund Verkehrssprache festgehalten wurde. Im Bürgerkomitee wurde ebenfalls über die Sprachenfrage mehrfach diskutiert, viele Mitglieder brachten neben dem Russischen das Polnische und die deutsche Familien- oder Bildungssprache mit. Schließlich siegte der Gedanke einer breit gefassten Polonität – man verständigte sich auf das Polnische als Landes- und Tagungssprache. Erstmals in der Lodzer Stadtgeschichte breit in städtischen Gremien vertreten waren nun auch jüdische Akteure, die aus der jüdischen Kultusgemeinde, aus der jüdischen Unternehmerschaft, aber auch aus den auf Emanzipation ausgerichteten sozialdemokratischen Kreisen kamen. Diese Emanzipation gerade der jüdischen Einwohner, deren Anteil im Ersten Weltkrieg bis auf 45% anstieg, da die Juden nicht wie viele polnisch- oder deutschsprachige Einwohner in Landgemeinden Zuflucht finden konnten und der jüdische Anteil durch Eingemeindungen der Vorstädte wuchs, fand in günstigen Zeitumständen Unterstützung. Als die Nachricht erster gewaltsamer Zusammenstöße der Bürgermiliz mit 15 16

„Dragoni skręcili w ulicą Główną, kierując się na Brzeziny, a odział Braunsa udał się do Pabjanic. I znów Republika Łódzka została bez rządowej opieki.“ Hertz, Łódź, S. 17; vgl. auch die Erinnerungen bei Eichler, Deutschtum, S. 138–140. Richard Hans Schulz, Das russische Schulgebet, in: Kulturwart. Beiträge zur deutsch-polnischen Nachbarschaft 145 (1981), S. 27.

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Plünderern am 11. August 1914 die Runde machte, hieß es in einem öffentlichen Aufruf des Bürgerkomitees: „Die Bürger der ganzen Stadt, Polen, Russen, Deutsche und Juden, bilden heute eine einheitliche Friedensarmee, die die ganze Stadt retten kann. Es lebe die Bürgermiliz! […] Einer der Verwundeten ist ein Christ, der zweite ein Jude.“17 Als der verwundete jüdische Bürger Tanche Weingarten verstarb, richtete man ein öffentliches Begräbnis auf dem jüdischen Friedhof aus, an dem nichtjüdische Vertreter des Bürgerkomitees teilnahmen. Vor dem Hintergrund des älteren, im Russländischen Reich offiziell gepflegten Antijudaismus und des Antisemitismus in der russischen Armee, der auch 1914 in Lodz sichtbar war,18 wies eine solche Inklusion neue Perspektiven für jüdische Lodzer auf. Verstärkt wurde dies durch die Rolle jüdischer Persönlichkeiten im Bürgerkomitee: Für die Finanzverwaltung, die zu einem erheblichen Teil auf einer städtischen Ersatzwährung in Form eines Notgeldes aufbaute, durch die eine Sozialfürsorge gewährleistet wurde, waren der Finanzspezialist Józef Konic und der Unternehmer Stanisław Silberstein verantwortlich,19 eine erhebliche Rolle in der Lodzer Öffentlichkeit spielte der Mediziner Seweryn Sterling, der durch seine Erfolge in der Bekämpfung der Tuberkulose und seine Verbindung mit der PPS großen Einfluss besaß. Auch die deutsche Verwaltung unterstützte eine reguläre Beteiligung der jüdischen Bevölkerung, indem nach der Auflösung des Bürgerkomitees zum 01. Juli 1915 eine paritätisch besetzte Stadtdeputation ins Leben gerufen wurde, zu der jeweils 12 Katholiken, 12 Protestanten und 12 Juden ernannt wurden und somit die Kontinuität zum Bürgerkomitee gewahrt blieb.20 Die im Juli 1915 eingerichtete deutsche Zivilverwaltung bemühte sich zudem um eine rationale Verwaltung der Großstadt: Am 18. August 1915 wurde die Eingemeindung der Industriedörfer und Vororte Bałuty, Chojny, Widzew und Radogoszcz verordnet, wodurch sich die Stadtfläche von 2.064 ha auf 5.875 ha mehr als verdoppelte,21 vor allem aber eine stärker geschlossene und einheitlich verwaltete Stadtstruktur entstand, zu der nun auch die Elendsquartiere und Randbezirke zählten. Zum 1. März 1916 wurde Lodz aus dem Stadtkreis ausgegliedert und so mehr Kompetenzen an die Stadt gegeben. 1915/16 baute man in großem Maße offene Abwasserkanäle, um Seuchen zu bekämpfen. Parallel erfolgte die erstmalige Aufstellung von Stadt- und Bebauungsplänen (1917). Diese gingen

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„Obywatele całego miasta, Polacy, Rosjanie, Niemcy i Żydzi, dziś stanowią jednolitą armię pokojową, która miasto całe ocalić potrafi. Cześć milicji obywatelskiej! […] Jeden z rannych jest chrześcijaninem, drugi – żydem.“ Hertz, Łódź, S. 14–15. Hertz, Łódź, S. 38–41. Hertz, Łódź, S. 78–106. Marcos Silber, Ruling Practices and Multiple Cultures. Jews, Poles, and Germans in Łódź during WW I, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts  5 (2006), S.  189–208; Liste der Stadtverordneten bei Stawiszyńska, Łódź, S. 39. Stawiszyńska, Łódź, S. 63–73.

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maßgeblich auf den Hamburger Architekten Christoph Ranck zurück, dessen Einsatz auch von polnischen Experten gewürdigt wurde.22 Neben solch positiven Elementen erwies sich die Zusammenarbeit zwischen deutschen Behörden und der Lodzer Bürgerschaft jedoch in wachsendem Maße durch Unterschiede im Habitus (deutsche Militärs versus polnische Bürger), durch Irritationen, „wechselseitige Missverständnisse“,23 eine immer drastischer werdende Mangelversorgung und eine zunehmend hungernde Stadtbevölkerung geprägt. Verantwortlich hierfür war die zentral organisierte deutsche Kriegswirtschaft, die zudem schnell Fakten schuf. Da die traditionellen Rohstoff- und Absatzmärkte östlich der deutschen Frontlinien verschlossen blieben, die Baumwollvorräte nur für einige Monate reichten und die bisherige Kohleversorgung aus dem Dąbrowabecken durch die Kriegszerstörungen nicht länger gesichert war, brach die Textilproduktion bereits 1914/15 zusammen, zumal die Branche von deutscher Seite nicht als kriegswichtig angesehen wurde. Deutsche Produktionsketten wurden durch Beschlagnahme von Waren bevorzugt mit Rohstoffen versorgt, die besetzten Gebiete als auszubeutendes Feindesland angesehen, Lodz so offensichtlich benachteiligt.24 Stärker intakt blieb nur die Woll- und Leinenindustrie, ca. ein Drittel der Kapazitäten, da sie auf einheimische Rohstoffe aufbauen konnte und Armeeaufträge ausführte. Da die Fabriken stillstanden, sahen die deutschen Stellen nun in der Stadt Ressourcen brachliegen und ordneten eine Erfassung der Kapazitäten und schließlich massenhafte Demontagen an. Zeitgenössische Unternehmer beschrieben in ihren Erinnerungen das Vorgehen der deutschen Behörden, insbesondere der Kriegsrohstoff- und der Metallgewinnungsstelle: „Am fürchterlichsten blieb die Heraustrennung sogar von kleinen Teilen von Kupfer aus den Maschinen. Nach der Demontage, die sich auf Kosten des Eigentümers der Fabrik vollzog, entnahm man alle Messingteile, wodurch die Maschinen wertlos wurden.“25 Israel Singer beschreibt die Demontage der Keilriemen und Kupferteile für die deutsche Kriegsindustrie und dessen fatale Folgen für die Fabrik der Familie Aschkenasi ironisch: „Für jeden requirierten Artikel stellte ihr der pedantische Deutsche eine Quittung aus, die gleich nach dem glorreichen Sieg eingelöst werden sollte.“26 Die Demontage der Maschinen ließ Fertigungskreisläufe zusammenbrechen, die Entnahme von Einzelteilen verursachte erhebliche, unter Kriegsbedingungen nicht wiedergutzumachende Schäden27 und eine wachsende Arbeitslosigkeit. Immer mehr 22 23 24 25

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Hertz, Łódź, S. 114. Hertz, Łódz, S. 114. Zysiak, From Cotton and Smoke, S. 102–104. „Najstraszliwsze było wydobywanie nawet drobnych ilości miedzi z maszyn. Po zdemontowaniu, które odbywało się na koszt właściciela fabryki, wyjmowano mosiężne części wskutek czego maszyny stawały się bezwartościowe.“ Hertz, Łódź, S. 187–188. Hertz hatte als Textilunternehmer angefangen und kannte die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Singer, Brüder Aschkenasi, S. 379. Hertz, Łódź, S. 187–191.

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Arbeiterinnen und Arbeiter waren auf städtische Suppenküchen angewiesen, parallel wurden auf dem Stadtgebiet Kleinstparzellen bebaut und man versuchte sich von Schmuggel und Schwarzhandel zu ernähren. Fabrikanten, die ihr Eigentum nicht zur Demontage bereitstellten, wurden Opfer von Denunziationen und mit hohen Geldstrafen belegt. Im Fabrikantenmilieu löste dieses Procedere Verbitterung aus, da hierdurch Unternehmen und Existenzen zerstört wurden. Deutschsprachige Unternehmer, die im Herbst 1914 als Akteure und Mittelsmänner in Lodz tätig waren (Leon Grohmann, Gustaw Geyer, Alfred Biedermann, Karl Eisert), sahen ihre Erwartungen an eine neutrale deutsche Politik enttäuscht. Am Ende stand das rasche Ende aller Sympathien auch der Lodzer deutschsprachigen Unternehmer für das Kaiserreich und für die Formen deutscher Expansionspolitik, als deren Verlierer man sich sah. Andrzej Wierzbicki, ein führender Warschauer Wirtschaftsmanager, berichtete von einem Besuch 1915: „Wenn es in Teilen der Lodzer Unternehmer, die aus Deutschland stammten, vor dem Krieg noch gewisse deutsche Sympathien gab, so beseitigte die Politik der Besatzer, die von Anfang an konsequent und rücksichtslos eine Zerstörung der polnischen Industrie herbeiführte, was man uns im Detail besonders in der Textilindustrie, als einem zukünftigen Konkurrenten der deutschen Industrie, zeigte, solche Sympathien. Sie verstanden, dass ein deutscher Sieg ihren Untergang bedeutete und solidarisierten sich ohne Einschränkungen mit der polnischen Gesellschaft. Als gewiefte Organisatoren und Verwalter entwickelten sie eine breite Tätigkeit im örtlichen Bürgerkomitee.“28 Diese Entwicklung zeigte sich bereits während der deutschen Besatzung in aller Schärfe. Als am 26. Juni 1916 der neu ernannte Staatsminister und Staatssekretär des Innern Karl Helfferich, der eng mit der deutschen Kolonialbewegung und der imperialen deutschen Rechten verbunden war, Lodz besuchte, kam es zum Eklat: Unternehmer verweigerten eine Teilnahme an einem Bankett mit dem Reichsstaatssekretär und den obersten Zivilbehörden des Generalgouvernements, Helfferich zeigte kein Verständnis für die Lage der Stadt.29 Vor diesem Hintergrund wurde die deutsche Ausrufung des Königreichs Polen am 5. November 1916 in Lodz eher kühl aufgenommen. Neben den Demontagen sprachen auch die im Alltag allgegenwärtigen Kontributionen und Ablieferungsvorschriften im 28

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„Jeżeli wśród części przemysłowców łódzkich, wywodzących się z Niemiec, trwały jeszcze przed wojną pewne sentymenty niemieckie, polityka okupantów, od samego początku konsekwentnie i nieubłagalnie dążąca do zniszczenia polskiego przemysłu, co nam szczegółowo zilustrowano, zwłaszcza przemysłu włókienniczego, przyszłego konkurenta przemysłu niemieckiego, gruntownie je wykorzeniła. Zrozumieli, że zwycięstwo Niemiec to zagłada dla nich, i solidaryzowali się bez zastrzeżeń ze społeczeństwem polskim. Jako wytrawni organizatorzy i administratorzy rozwinęli szeroką działalność w miejscowym Komitecie Obywatelskim.“ Andrzej Wierzbicki, Żywy Lewiatan. Wspomnienia. Warszawa 2001, S. 187. Hertz, Łódź, S. 125; aus entgegengesetzter Perspektive: Eichler, Deutschtum, S. 264–266, der bei der Einschätzung Helfferichs sich auf Ernst Leonhardt beruft.

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Agrarsektor,30 die Einführung einer Lebensmittelbewirtschaftung mit Brot- und Zuckerkarten sowie niedrigen Lebensmittelrationen und die wiederholte Drohung mit Gewalt durch die Militärbehörden gegen eine Verständigung mit der Besatzung. Intensive Kritik und Proteste löste die deutsche Arbeitskräftebewirtschaftung im besetzten Ostmitteleuropa aus, die in Lodz besonders scharfe Züge annahm. Die in der Stadt tätigen deutschen Arbeitsämter versuchten Arbeitslose oder nur zeitweise Beschäftigte seit 1915 in Fabriken auf Reichsgebiet zu verschicken, die durch die Einberufungen unter massivem Arbeitskräftemangel litten. Seit Juli 1915 brachten Sonderzüge Lodzer Arbeiter ins Reich, die dort in Zechen und in der Industrie eingesetzt wurden. Bis 1918 wurden ca. 80.000 Lodzer – ca. 25% der arbeitsfähigen Bevölkerung! – durch die Deutsche Arbeiterzentrale zur Arbeit im Reich angeworben oder zwangsverpflichtet. Die Grenzen zwischen freiwilliger Arbeitsannahme und erzwungener Arbeit verschwammen dabei mit wachsender Kriegsdauer immer stärker. Ab 1916 wurden in Arbeiterbataillionen paramilitärisch organisierte Einheiten unter Zwang und bei miserabler Versorgung zum Bau von Feldeisenbahnen und in der Ausbeutung der Waldressourcen in Litauen und Belarus‘ eingesetzt. Lodzer Aktivisten dokumentierten bereits 1917 die harten, vielfach menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen die Zwangsarbeit stattfand,31 das Thema wurde auch in jiddischen und polnischen Augenzeugenberichten und literarisch gestalteten Texten mehrfach aufgegriffen.32 Für die ins Deutsche Reich verbrachten Arbeitskräfte bedeutete die Praxis der Arbeitskontrakte, dass sie im Krieg legal nicht nach Lodz zurückkehren konnten.33 Ein Teil dieses Personenkreises, darunter auch jüdische Arbeiter, blieb auch nach 1918 in Deutschland und wurde in den 1930er Jahren als Staatenlose vielfach Opfer nationalsozialistischer Repressionen. Die Bilanz der fast vierjährigen deutschen Besatzung in Lodz ist deshalb ambivalent. Insbesondere die Härte der deutschen Kriegswirtschaft rief in der Stadt zahlreiche Gegner auf den Plan, die schrittweise Partizipation unter Einschluss der polnischen und jüdischen Bevölkerung im Stadtrat wurde angesichts der individuellen Nöte und einer Mangelversorgung zeitgenössisch kaum als demokratischer Fortschritt wahrgenommen. Die Ausrufung des Königreichs Polen 1916 begrenzte eine Fremdherrschaft, zielte aber offensichtlich auf die Gewinnung der polnischen Bevölkerung ab und wurde als Teil eines deutschen Machtplans unter dem Motto „Teile und herrsche!“ erlebt.

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Hertz, Łódź, S. 116–118. Diskussionen und Verlesen von Berichten von Zwangsarbeitern während der zweiten Sitzung des Stadtrats am 24. Mai 1917; Mieczysław Hertz, Łódzki Batalion Robotniczy. Z.A.B. 23. Łódź 1920; Hertz, Łódź, S. 127. Memuarn fun Lejbl. Łódź 1933, in: Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 240–265, hier 244–245. Zur Organisation und praktischen Durchführung der deutschen Arbeitskräftebeschaffung: Christian Westerhoff, Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Deutsche Arbeitskräftepolitik im besetzten Polen und Litauen 1914–1918. Paderborn 2012 (= Studien zur Historischen Migrationsforschung, 25).

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Identitätsentwürfe: Polonität, jüdische Konzepte und die deutsche Alternative Aber wie verstand die Lodzer Bürgergesellschaft diese Situation, was verbarg sich hinter dem von deutscher Seite durchaus unterstützten Angebot einer staatlichen Polonität im Rahmen des Königreichs Polen? Und mit welchen Identitätsentwürfen und Loyalitätskonzepten konkurrierte eine solche Vision? Eine Polonität konnte sich in Lodz nicht auf ältere Traditionen der Stadtgeschichte stützen, sondern musste im Krieg neu konzipiert werden und konnte an ältere staatliche Traditionen anknüpfen. Dazu boten sich insbesondere die im Russländischen Reich unterdrückten konstitutionell-demokratischen partizipativen Traditionen an, die in der Arbeiterstadt Lodz zudem auch Perspektiven einer Inklusion versprachen. Eine erste gesamtstädtische Präsentation dieser Polonität erfolgte anlässlich des Jahrestages der ersten polnischen (und der ersten schriftlich fixierten europäischen) Verfassung vom 3. Mai 1791. Am 3. Mai 1916 fand – ähnlich wie in Warschau – aus Anlass des 125. Jahrestages der Verfassung ein von der Militärverwaltung genehmigter feierlicher Umzug des städtischen Magistrats, aller Lodzer Berufsorganisationen, der Vereine und der Schulen auf der ul. Piotrkowska statt, beteiligt waren auch deutsche und jüdische Schulen und Organisationen. Die Feierlichkeiten eröffnete um 9 Uhr ein Gebet in der jüdischen Hauptsynagoge in der ul. Wolborska, zugleich fanden öffentliche Gebete in allen christlichen Gotteshäusern, dabei in den evangelischen Hauptkirchen geleitet von den Pastoren Gundlach und Angerstein, statt. Hier wurde in allen Gotteshäusern auch jeweils die polnische Hymne „Gott, der du Polen …“ („Boże, coś Polskę …“) gesungen.34 Die Umzüge endeten vor der Stanisław Kostka-Kirche, der katholischen Hauptkirche der Stadt und wiesen so auf die Verbindung von polnischer Staatlichkeit und Katholizität hin.35 Diese Reihe von Feierlichkeiten und Veranstaltungen erwies sich in der Stadtöffentlichkeit als Erfolg: Nach Schätzungen nahmen 50.000 Menschen teil. Im Anschluss sorgte eine breite Presseberichterstattung, eine Präsentation der Aufnahmen der Umzüge als Lichtbilder in den Kinos Mirage und Odeon als Zugabe zu Filmen und eine Herausgabe von Alben für eine nachhaltige Verbreitung und ein öffentliches Interesse.36 Lediglich die von der polnischen Nationaldemokratie geprägte „Gesellschaft für die Verbreitung von Bildung“ (poln. Towarzystwo Krzewienia Oświaty) nahm aufgrund der noch 1916

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Krzysztof R. Kowalczyński, Łódź 1915–1918. Czas głodu i nadziei. Łódź 2014, S. 82–89. Vgl. den Bericht in der Gazeta Łódzka v. 04. Mai 1916, fotopolska.eu/131479,foto.html?o=b31191. An einem Seitenalter der späteren Stanisław-Kostka-Kathedrale wurde daraufhin eine Gedenktafel errichtet, die an die feierlichen Umzüge vom 3. Mai 1916 erinnerte. Verbreitet waren insbesondere die ca. 190 Aufnahmen Michał Daszewskis, vgl. Ryszard Bonisławski, Wielka Wojna 1914–1918. Łódź i okolice na fotografiach Michała Daszewskiego. Łódź 2014; Präsentation von Aufnahmen: fotopolska.eu/Lodz/b31191,1916_-_125_rocznica_uchwalenia_Konstytucji_3_Maja_-_ Lodz.html.

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vorhandenen russlandfreundlichen Einstellung der Nationaldemokratie nicht teil und musste dafür Kritik und zeitweiligen Bedeutungsverlust hinnehmen.37 Als Symbolfigur einer Lodzer Polonität wurde dabei im Laufe der Jahre 1916/17 in den Beratungen des Stadtrats der Freiheitskämpfer und Aufständische Tadeusz Kościuszko entdeckt und breit akzeptiert.38 Kościuszko stammte aus dem heutigen Belarus‘ und war nicht mit der Region verbunden, seine Biographie bot aber ein geeignetes rundes Jubiläum. Aus Anlass des 100. Todestages Kościuszkos 1917 fand in der Lodzer Öffentlichkeit seine Wiederentdeckung statt; seit dem Sommer war ein Vorbereitungskomitee tätig, am 14./15. Oktober wurden Umzüge organisiert. Am 15. Oktober 1917, auf den Tag genau Kościuszkos 100. Todestag, fasste der Stadtrat in einer feierlichen Sitzung den Beschluss, die nach der ul. Piotrkowska bedeutendste städtische Magistrale, die ul. Spacerowa (auch „Promenada“ genannt, da zwischen zwei Fahrbahnen historisch ein Spazierweg entlangführte), nach Kościuszko zu benennen. Zugleich wurde der Beschluss gefasst, ein Denkmal zu errichten, für das zunächst die Kreuzung al. Kościuszki / ul. Andrzeja vorgesehen war. Tatsächlich entstand das Denkmal jedoch in einem langjährigen Planungsund Aushandlungsprozess in den 1920er Jahren und wurde am Neuen Markt (ab 1918 poln. Plac Wolności – Freiheitsplatz) aufgestellt und stand damit an dem wichtigsten innerstädtischen Platz.39 Der symbolische Rückgriff muss als eine ausgesprochen kluge und weitsichtige Entscheidung charakterisiert werden, besaß Kościuszko doch als internationaler Freiheitsheld, der zu den Geburtshelfern der USA zählte und europaweit verehrt wurde, ein hohes Renommee.40 Auch in der deutschsprachigen Welt war Kościuszko bekannt und konnte während seines Exils in der Schweiz geradezu als Volksheld gelten. Noch 100 Jahre später galt er in der deutschen liberalen Welt als Heldenfigur.41 Da er einen Aufstand gegen das russländische Kaiserreich angeführt hatte, war er auch für deutsche Militärs akzeptabel. Innerpolnisch stand der in Litauen aufgewachsene Kościuszko zudem für eine liberale, bauern- und unterschichtenfreundliche polnische Elite: Im Erlass von Połaniec 1794 hatte er die Frondienste der Bauern beschränkt und ihre persönliche Freiheit unterstützt, an Napoleon für eine Bauernbefreiung appelliert, so dass eine aktuelle Biographie leicht anachronistisch zu dem Schluss kommt, er habe sich „für Bauern, Juden, Indianer, 37 38 39 40 41

Kowalczyński, Łódź 1915–1918, S. 89. Anna Barszczewska-Krupa (Hg.), Kościuszko w kręgu mitologii narodowej. Łódź 1995; Maria Nartonowicz-Kot, Sprawa pomnika Tadeusza Kościuszki w okresie międzywojennym w Łodzi, in: Acta Universitatis Lodziensis, Folia Historica 3 (1981), S. 103–115. Pomnik Tadeusza Kościuszki na pl. Wolności, in: Celina Jaworska-Maćkowiak, Tadeusz Maćkowiak, Pomniki łódzkie. Historia w brązie i kamieniu. Łódź 2008, S. 28–29. Heiko Haumann, Jerzy Skowronek (Hg.), „Der letzte Ritter und erste Bürger im Osten Europas“. Kościuszko, das aufständische Reformpolen und die Verbundenheit zwischen Polen und der Schweiz. Basel, Frankfurt a.M. 1996. Konstantin K. Falkenstein, Thaddäus Kosciuszko. Leipzig 1827 ²1834. Auf dieser Darstellung bauten zahlreiche literarische Schilderungen K.s auf.

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Frauen und alle Diskriminierten“ eingesetzt.42 In Lodz war Kościuszko deshalb für das liberale Bürgertum wie für die Arbeiter akzeptabel, ja populär. Die Feierlichkeiten zum 3. Mai 1916 und die Berufung auf Kościuszko entwickelten so eine inklusiv angelegte polnisch-demokratische Traditionsstiftung und konnten auch für die Mehrheit der jüdischen und deutschen Stadtbürger Attraktivität entwickeln. Sie konnten zudem durch ihren Appell an verfassungsrechtliche Partizipation und internationale Freiheitsideale verschiedene gesellschaftliche Gruppen in Lodz ansprechen, Vertreter der Sozialisten nahmen an den Umzügen zum 3. Mai an zentraler Stelle teil und sprachen sich ebenfalls für die Ehrungen Kościuszkos aus. Dagegen blieben konkurrierende Loyalitätskonzepte erheblich umstrittener: Eine russländische Loyalität hatte zwar den Aufstieg der Textilmetropole geprägt und war auch in Berichten polnischer Legionäre über erste Truppenwerbungen im Stadtgebiet im Oktober 1914 noch spürbar: „Der Glaube an den Sieg Russlands und der Glaube an die Aufrichtigkeit seiner guten Absichten gegenüber Polen sowie an kriegerische Erfolge in der gegenwärtigen Zeit waren beinahe allgemein.“43 Darauf folgten allerdings die Deportation von Einwohnern, die eine deutsche oder österreichische Staatsangehörigkeit besaßen oder für die eine Deutschlandfreundlichkeit vermutet wurde, ins Innere Russlands, weiterhin die Niederlagen der Truppen 1914 und 1915 sowie der vielfach chaotische Züge annehmende Abzug der russländischen Verwaltung. Bis zum Spätherbst 1915 hing in der Aula des deutschsprachigen Gymnasiums das lebensgroße Bild von Nikolaus II., dann wurde es – im Kontext von Sprachverordnungen, die das Russische aus der Öffentlichkeit verbannten – abgenommen.44 1916 waren kaum noch Vertreter einer russländischen Orientierung in Lodz anwesend. Am ehesten fanden sich Stimmen einer Neutralität noch unter Vertretern der Fabrikanten (Henryk Grohmann, Maurycy Poznański) oder der Nationaldemokratie, die infolge der russophilen Politik des Parteiführers Roman Dmowski zunächst orientierungslos wirkte. Als politisch gespalten zeigten sich die jüdischen Vertreter, die zwischen mehreren, kaum miteinander zu vereinbarenden Orientierungen schwankten: Nebeneinander standen konservative Vertreter einer traditionalen jüdischen Orthodoxie (Rabbiner Treistman), Akteure assimilatorischer Tendenzen an die polnische oder deutsche Kultur, Vertreter einer jiddischen Kultur „oyf der yidishe gas“ sowie Anhänger einer linksorientierten internationalen Arbeiterbewegung oder des Zionismus. Diese program­ matischen Unterschiede führten nach den Stadtverordnetenwahlen im Januar 1917, in denen jüdische Vertreter mit ca. 40% eine relative Mehrheit der Mandate erlangten, dazu, dass keine gemeinsamen Ziele formuliert werden konnten. 42 43 44

Alex Storozynski, The Peasant Prince. Thaddeus Kosciuszko and the Age of Revolution. New York 2009, S. XIII. „Wiara w zwycięstwo Rosji, oraz wiara w szczerość jej dobrych zamiarów względem Polski, wobec jej wojennych sukcesów w obecnej dobie, była niemal powszechna.“ Gustaw Daniłowski, Z jednego źródła. Warszawa 1919, S. 128. Das Lodzer Deutsche Gymnasium 1981, S. 125.

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Auch innerjüdisch umstritten blieb der Umgang mit der jiddischen Sprache, zeitgenössisch oft als bloß verunstalteter Dialekt und vulgäre, nicht bildungsadäquate Sprachvariante abqualifiziert. Vertreter einer Eigenständigkeit forderten eine Aufwertung des Jiddischen durch eine Anerkennung als Umgangssprache auch in städtischen Aushängen und Publikationen, Vertreter eines jüdischen Assimilationismus an die polnische Kultur lehnten dies dezidiert ab.45 Zwar unterstützten Zionisten in der deutschen Verwaltung und auch der Rabbiner der reformierten jüdischen Gemeinde Markus Braude (Mordechai Ze’ev Broide) sowie Israel Lichtenstein vom Jüdischen Arbeiterbund die Einführung des Jiddischen, doch konnte sich dies bis 1918 nicht in der Breite durch­ setzen – das Jiddische wurde nur zu einer Hilfssprache auf Aushängen in einigen Stadtvierteln mit großer jüdischer Bevölkerung.46 Deutlich expansiver erschien dagegen zunächst eine „deutsche Orientierung“, die sich auch auf Vertreter der Besatzungsmacht stützen konnte. Als deutscher Offizier kam etwa Hans Georg von Kramsta nach Lodz, der aus einer schwerreichen schlesischen Textilunternehmer-, Zechen- und Gutsbesitzerfamilie stammte und als Sohn von Emma Pauline, einer Tochter Karl Scheiblers, bestens vernetzt war.47 Georg Cleinow, Sohn eines russlanddeutschen Agrarfachmanns, stand an der Spitze des deutschen Presseamtes zunächst in Lodz und dann beim Generalgouverneur in Warschau, er begründete die „Deutsche Lodzer Zeitung“ und strebte danach, eine nationale Presse aufzubauen und die deutschsprachige Bevölkerung für das Kaiserreich zu gewinnen. Eine noch größere Rolle spielten Pfarrer und Lehrer, die mit dem Militär nach Lodz kamen, das GustavAdolf-Werk entsandte Pfarrer aus dem Reich, um die theologische wie patriotische Betreuung der lutherischen Diaspora zu sichern. Eine Persönlichkeit mit deutschlandweiter Ausstrahlung war der spätere Theologieprofessor Paul Althaus, der 1915 als junger Gouvernementspfarrer nach Lodz kam und dort eine breite Publizistik-, Predigt- und Vortragstätigkeit entwickelte.48 Teile seiner Vorträge und Predigten fasste Althaus in seinen „Lodzer Kriegsbüchlein“ in zwei Bänden und in seinen „Lodzer Kriegspredigten“ zusammen, die reichsweit Interesse fanden.49 Althaus, seit 1914 habilitiert, fand auch familiär in Lodz Anschluss50 und positionierte sich als Vertreter einer Volks- und Kriegstheologie, die das Nationale als unhinterfragte 45 46 47 48 49 50

Silber, Jews, S. 203–205. Michał Trębacz, Izrael Lichtenstein. Biografia żydowskiego socjalisty. Łódź 2016, S. 48–55. www.lodz.ap.gov.pl/bitewnik9.pdf, S. 8 (Fotographie von Kramstas vor dem Grand Hotel); karikiert bei Singer, Brüder Aschkenasi, S. 368–371 in der Figur des Barons von Heidel-Heidelau. Tanja Hetzer, „Deutsche Stunde“. Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus. München 2009, S. 47–69. Paul Althaus, Lodzer Kriegsbüchlein. Deutsch-evangelische Betrachtungen  I.  Göttingen 1916; Ders., Um Glauben und Vaterland. Neues Lodzer Kriegsbüchlein. Göttingen 1917; Ders., Aus der Heimat. Lodzer Kriegspredigten. Lodz, Leipzig 1916. Althaus heiratete 1918 Dorothea Zielke, die Tochter eines in Lodz und Warschau tätigen Chemikers, vgl. Gotthard Jasper, Paul Althaus (1888–1966): Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit. Göttingen ²2015, S. 82–88; zu Althaus auch Eichler, Deutschtum, S. 260–262, 359. Althaus hielt zeit seines Lebens

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Grundkategorie von Politik und Gesellschaft auffasste und im evangelischen deutschen Volk das Volk Gottes sah.51 In der Öffentlichkeit sah Althaus sich als publizistischer Advokat der „Lodzer Deutschen“ und widmete ihnen, „denjenigen echten Männern und Frauen, die ihres Deutschtums wieder bewußt und froh geworden sind“,52 seine „Kriegsbüchlein“. Er sprach seine Zuhörer in Lodz im Sinne seiner Volkstheologie stets als „Wir Deutsche“ an, zugleich wollte er die Deutschen im Reich aufrütteln, um sie auf die schwierige Situation des Lodzer Deutschtums aufmerksam zu machen. In Lodz fand Althaus ein breites Publikum, er berichtete brieflich davon, dass seine Predigten in der Johanniskirche von 2.000–3.000 Menschen besucht worden seien und publizierte Predigten in der „Deutschen Lodzer Zeitung“ und der „Deutschen Post“: „Neben unseren Landsturmkameraden aus den Provinzen Schlesien, Sachsen und Westpreußen sowie aus der Rheinpfalz suchen große Scharen deutscher Bürger und Arbeiter aus Lodz und Zgierz ihre Erbauung in unseren Gottesdiensten. Wir haben uns des Zustroms derer, die in dieser großen Stunde Deutschlands das Walten Gottes mit deutschen Augen anzuschauen begehren, allezeit herzlich gefreut. Daß unsere gemeinsamen Sonntagsstunden bewußt und öfter unbewußt neben der Freudigkeit des Christenglaubens auch deutschen völkischen Stolz und deutschen vaterländischen Ernst wecken, wird keiner […] für Entweihung des Gotteshauses halten.“53 Ein „deutscher völkischer Stolz“? Die multikulturelle und gemischte Zusammensetzung der evangelischen Gemeinden in der Stadt, zu denen zahlreiche Zugewanderte und auch größere Gruppen polnischsprachige Protestanten zählten, entging Althaus nach Auskunft seiner Aufzeichnungen und Publikationen völlig. Althaus sah im Rückblick seine Lodzer Jahre als „Höhe seines Lebens“54 und resümierte dies so: Das deutsche Volk habe sein nationales Bewusstsein wiedergefunden, seither sei ein „volksloser Individualismus und ein übervölkischer Kosmopolitismus“ unmöglich geworden.55 Diese Volkstheologie mündete bei Althaus in eine völkische und antisemitische Positionierung: Der an der Universität Erlangen tätige Theologe wurde 1933 zu einem der Befürworter des Ausschlusses von „nichtarischen“ Bewerbern aus der evangelischen Kirche,56 was nach Lodz ausstrahlte, wohin Althaus nach wie vor Verbindungen pflegte. Althaus bildete in seiner völkisch-deutschnationalen Ausrichtung

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Kontakt mit den Lodzer Deutschen. Das Manuskript der Jugenderinnerungen von Dorothea Althaus befindet sich im Archiv der Universität Erlangen-Nürnberg, G I/30 Nachlass Karl Althaus, K 7c. Zu Strömungen einer Volkstheologie im europäischen Vergleich: Hans-Jürgen Bömelburg, „Churchbuilding“ im östlichen Europa. Ein komplementärer Ansatz zur Beschreibung von Vergemeinschaftung im östlichen Europa. Die Volkskirchen in Polen und den baltischen Ländern, in: Markus Krzoska (Hg.), Zwischen Glaube und Nation? Beiträge zur Religionsgeschichte Ostmitteleuropas im langen 19. Jahrhundert. München 2011, S. 11–34. Althaus, Lodzer Kriegsbüchlein, S. 1. Althaus, Aus der Heimat, S. 5. Jasper, Paul Althaus, S. 82. Althaus, Erlebnis der Kirche (1919) zit. nach Hetzer, „Deutsche Stunde“, S. 68. Hetzer, „Deutsche Stunde“, S. 171–181.

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keine Ausnahme: Pfarrer wie der in Pabianice als Gouvernementspfarrer tätige Friedrich Wilhelm Paarmann, der Autor des Ostmarkenromans „Deutschkloster“ (1909) und von Kriegspredigten (Eisern Kreuz 1914), unterstützten eine völkische Bewegung. Militärs, Pastoren und Lehrer schufen so im besetzten Lodz 1915–1918 ein Klima, in dem erstmals in der Stadtgeschichte eine deutschnationale Gruppe entstand: Um die Wochenzeitschrift „Deutsche Post“, die unterstützt durch das Presseamt unter Leitung Cleinows seit Juni 1915 erschien, von dem Lodzer Adolf Eichler57 verantwortet wurde und auf deren Titelblatt „Herausgegeben von den Lodzer Deutschen“ prangte, entstand eine spezifische deutschzentrierte Publizistik und ein nun deutschnational akzentuiertes Vereinsleben. Das Wochenblatt fasste sich als „Bürgerzeitung“ auf und sprach ganz selbstverständlich ohne nähere Definition von „der Lodzer deutschen Gesellschaft“.58 Unter der Leitung Eichlers wurde zudem seit März 1916 ein „Deutscher Verein für Lodz und Umgegend“ mit Ortsgruppen – Eichler selbst sprach von 31 Ortsgruppen mit 7.000 Mitgliedern – sowie eine „Deutsche Selbsthilfe“ zur Lebensmittelversorgung aufgebaut. Im Kern entstand so eine deutsche Parallelgesellschaft, was die Akteure publizistisch in das Bild benachbarter, aber getrennter Räume fassten, in denen zukünftig die Lodzer Bevölkerung leben sollte: „Nicht das Zusammen-, sondern das Nebeneinanderwohnen [Hervorhebung i. Org., H.-J.B.] sichert das Sichnichtindenwegkommen. Wir denken uns in unserem Gleichnis Deutsche, Polen und Juden in drei nebeneinanderliegenden Zimmern.“59 Den „Kampf um Erhaltung ihrer deutschen Art“ könnten die Deutschen nur in einer Isolation betreiben; eine Integration sei abzulehnen, da die polnische Seite die demographisch und wirtschaftlich Stärkere sei. Verbunden wurde dies mit einer Polemik gegen das frühe Erlernen fremder Sprachen vor der „Muttersprache“. Dieser „Entnationalisierungsprozeß“ sei künftig zu stoppen. In einem „kulturfeindlichen Osten“60 hätten „polnisch gesinnte Deutsche“ ihre deutsche Kultur zugunsten eines bloßen Wirtschaftsgedankens verloren: „Diesem ‚kosmopolitischen‘ [Hervorh. im Org.] Lodzer ist der Krieg vor allem deshalb furchtbar, weil er ihm die Möglichkeit des gewohnten Erwerbs beschneidet.“ Scharf angegriffen wurden deshalb „politisch eunuchierte Lodzer Deutsche“, die aber nun wegen der Behandlung Deutscher „mit dem Russentum quitt“ seien und zur deutschen Gesellschaft zurückkommen würden.61 Was sollte allerdings „deutsch“ sein? In einem programmatischen Artikel „Wer ist deutsch?“ verstieg sich der Autor vor allem in Tautologien: „Deutscher heißen ist noch lange nicht ‚deutsch‘ sein! […] Deutsch sein heißt in deutscher Kultur aufgehen, sich 57 58 59 60 61

Vgl. Eichlers ideologisch eingefärbte Biographie: Adolf Eichler, Deutschtum im Schatten des Ostens. Ein Lebensbericht. Dresden 1942. Selbstdarstellung von Lage und Aktivitäten: Adolf Eichler, Deutsche Arbeit in Lodz während des Kriegs, in: Althaus, Um Glauben und Vaterland, S. 1–20; Eichler, Deutschtum, S. 199–409. Friedrich Flierl, Die Lodzer Deutschen, in: Deutsche Post, 1. Jg. Nr. 2 v. 05. Juli 1915. R. Schwarz, Unsere Schulen und ihre Lehrer, Deutsche Post, 1 Jg., Nr. 9. v. 23.08.1915. Friedrich Flierl, Die Lodzer Deutschen, in: Deutsche Post, 1. Jg. Nr. 2 v. 05. Juli 1915.

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deutscher Art und deutschen Wesens befleißigen, sich in deutscher Tugend täglich üben, nach deutschem Geiste streben ohne Unterlaß. […] Darum, ihr Lodzer, strebt und arbeitet an euch, damit ihr auch als ‚deutsch‘ empfunden werdet.“62 Übrig blieb ein Sprachnationalismus und die Kritik an der Mehrsprachigkeit, etwa wenn jüdische Stadtverordnete, die deutsch sprachen, belobigt wurden oder die Polemik gegen mehrsprachige Lodzer, die sich als polnische oder russische Bürger auffassten,63 immer wieder neu ansetzte. Scharf polemisierten deutsche Aktivisten vor allem gegen die Etablierung der polnischen Sprache durch mehrsprachige Pastoren in der evangelischen Kirche: „Zurück zum Deutschtum! wird die Losung aller Pastoren unseres Landes sein müssen.“64 Oder noch schärfer: „Schande über die, die ihr Deutschtum verleugnen. […] Dem Lande gegenüber, in welchem man gewohnt, hat man selbstverständlich seine Bürgerpflicht zu erfüllen, aber man braucht deswegen nicht sein Deutschtum aufzugeben.“65 Zwar fanden sich neben solchen sprachnationalen Diskursen auch Modernisierungsvorstellungen, die gelegentlich mit Bündnisangeboten an polnische Partner einhergingen. So hieß es in einem gereimten ironischen Text über die Missstände der Vergangenheit: „Hast Du Gedächtnis, Łódkasohn? / Die Stadt verkam. Kanalisation / blieb aus so wie die Wasserleitung / Und klagte irgendeine Zeitung / bekam sie einen Nasenstüber, / Da ward man still und seufzte lieber.“ Gefordert wurde nun eine Modernisierung unter deutscher Leitung, welche Rolle allerdings der polnischen Bevölkerungsmehrheit und Kultur in Lodz zufallen sollte, blieb unklar. Im Kern des Räsonnements der „deutschen Bewegung“ standen ausschließlich „deutsche Pioniere“ und die Forderungen nach der Stärkung des deutschen Schulwesens, für die Ludwig Wolff (d.Ä.) die Wiedereröffnung des evangelischen Lehrerseminars zum 1. September 1916 als Erfolg verzeichnen konnte. Aufgerufen wurde zu einer deutschen Sammlungsbewegung, wobei im Laufe des Jahres 1916, in dem die Ausrufung eines Königreichs Polen durch die Mittelmächte näher rückte, die Agitation immer schriller wurde. Im April 1916 hieß es nach der Gründung des Deutschen Vereins noch: „Wie aber steht es nun um unser nationales Erwachen? Wir haben begonnen, zu rufen und zu sammeln.“66 Im Mai 1916 nahmen bereits Warnungen und Drohungen zu, „weil die Stunde näherkommt, da jeder deutsche Mann, der nicht weiß, wohin er gehört, der nicht mutvoll bekennt das er ein Deutscher ist, zum Schädling an der Sache des Deutschtums in Polen wird.“67 Solche Agitation war selbst einem volksbewussten lutherischen Theologen wie Paul Althaus zu viel. In seiner Festtagspredigt 1916 „Unsere Kirche. Ein Wort zum 62 63 64 65 66 67

Katten, Wer ist deutsch? In: Deutsche Post, 1. Jg. Nr. 2 v. 05. Juli 1915. Sind wir Lodzer Deutsche Polen?, in: Deutsche Post, 1. Jg., Nr. 7 v. 09.08.1915. Adolf Eichler, Zurück zum Deutschtum!, in: Deutsche Post, 1. Jg., Nr. 4 v. 19.07.1915. Stahl, Seines Deutschtums sich schämen, in: Deutsche Post, 1. Jg., Nr. 8 v. 16.08.1915. F., Nationales Erwachen, in: Deutsche Post, 2. Jg., Nr. 18 v. 30.04.1916. F., Deutsche Pflichten, in: Deutsche Post, 2. Jg. Nr. 22, 28.05.1916.

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Pfingstfeste“,68 hieß es besorgt: „Es darf nicht sein, daß wir die deutsche Bewegung zu solcher Schneidigkeit schärfen, daß sie das Zutrauen zu der heimischen Kirche zerstört.“ Dagegen formulierten nationalistische Aktivisten, die „deutsche Bewegung fordert Stellungnahme“.69 Althaus ruderte in diesen Diskussionen zurück und befleißigte sich einer nationalen Rhetorik, wetterte 1916 gegen „völkische Selbstentmannung“ unter den Lodzer Lutheranern und verurteilte nationale Lauheit als „Treulosigkeit gegen das Volkstum“.70 Die Publizistik der deutschen Bewegung ist deshalb so bemerkenswert, weil sie erstens am Anfang einer als vorbildhaft gezeichneten Deutschtumsbewegung in der Region Lodz steht, deren zentrale Akteure, Inhalte und Mobilisierungspraktiken auch in den 1930er und 1940er Jahren in der Region eine Berufungsinstanz bildeten. Auch aus der Perspektive des Jahres 1939 behielten die Konzepte von 1915–1918 Gewicht – ein Vorabdruck der Erinnerungen Eichlers erschien 1940 in der NS- Presse.71 Zweitens bildete der „Deutsche Verein“, der sich auf die zu einem erheblichen Teil von Deutschen geprägte Industrialisierungsgeschichte von Lodz und auf die Besatzungsverwaltung stützen konnte, eine reale Loyalitätsalternative gegenüber Polonitätsbestrebungen. Und drittens: Noch aus der Perspektive deutscher Lodzer „Vertriebener“ der 1960er und 1970er Jahre waren Eichler, Wolff und ihre Gruppe vorbildhafte Akteure, die als „Väter des Deutschtums“ zu ehren waren – ihre Geburts- und Sterbetage wurden unter die Gedenktage der „Lodzer Deutschen“ in Heimatkalendern aufgenommen.72 Warum scheiterte die „deutsche Alternative“ dennoch eklatant? Erhebliche Gruppen der deutschsprachigen Bevölkerung, darunter vor allem Unternehmer und Kaufleute, aber auch nicht völkisch orientierte Pastoren (Gundlach, Julius Dietrich) und die durchschnittliche Stadtbevölkerung, engagierten sich nicht. „Deutschgesinnte Juden“ wollte Eichler selbst ausgeschlossen sehen und propagierte und förderte damit einen Antisemitismus.73 Zudem schreckte die enge Verbindung mit der deutschen Militärverwaltung zahlreiche Lodzer ab, die von dieser Seite vor allem Befehle, Mängelverwaltung und militaristisches Gebaren kannten.74

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Deutsche Post, 2 Jg., Nr. 24 v. 11.06.1916. Adolf Eichler, Kirche und Deutschtum in Rußland und Polen, in: Deutsche Post, 2 Jg., Nr.  25 v. 18.06.1916. Zitate aus Paul Althaus, Die Zukunft unserer lutherischen Kirche, in: Deutsche Post, 2 Jg, Nr.  45, 05.11.1916. Vgl. die Ausgaben der Litzmannstädter Zeitung im August und September 1940. So Adolf Kargel, Adolf Eichler, eine bedeutende Persönlichkeit des Deutschtums im Osten, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 24 (1978), S. 44–48. Vgl. die jeweiligen Jahreskalender mit Gedenktagen, die dem Jahrbuch Weichsel-Warthe vorangestellt wurden. Eichler, Deutschtum, S. 230–231 berichtet selbst über Widerstände; bei Eichler klar erkennbarer Antisemitismus: S. 245–246, 271, 631 u.ö. Vgl. etwa die jiddische Erzählung von Symcha Bunim Glicksman Freuenreich. Zichrojnes fun der dojczer okupacie in Lodz, in: Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 81–96 (verfasst 1930).

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Zugleich erschien ein abgesondertes „Deutschsein“ von ca. 10–15% der Stadtbevölkerung in einer vielsprachigen und multikulturellen Industriestadt, die bereits früh von Globalisierungsprozessen erfasst worden war, als ausgesprochen wirklichkeitsfremd, wirtschaftlich schädlich und das gute Zusammenleben störend. Deutschsprachige Gewerbetreibende konnten dem nichts abgewinnen, evangelische Pfarrer mussten auch auf ihre polnischsprachigen Gemeindemitglieder Rücksicht neben und den deutschsprachigen Meistern und Facharbeitern musste eine Abtrennung von der Masse der polnischen und jüdischen Belegschaften unsinnig erscheinen. Die deutschsprachigen Ratsherren und Magistratsmitglieder wie Bürgermeister Ernst Leonhardt75 oder der Stadtverordnetenvorsitzende Ernst Julius Triebe mussten mit ihren polnischen und jüdischen Kollegen zusammenarbeiten, öffentlich auch Polnisch sprechen und wurden dafür in der deutschnationalen „Deutschen Post“ getadelt. Eine Unterstützung konnte die „Deutsche Partei“ deshalb in erster Linie unter den räumlich und gesellschaftlich isolierten deutschen Kolonisten auf dem Lande organisieren, denen bessere Abnahmepreise und eine deutsche Genossenschaftsbank versprochen wurden. Eine stärker inklusive, deutsche, polnische und jüdische Traditionen verbindende, Kulturpolitik wurde von deutschsprachigen Eliten nicht unternommen, auch von Seiten der deutschen Behörden höchstens geduldet. So führte etwa im Rahmen der regelmäßigen „Akademische Vorträge“, die in deutscher Sprache im Gymnasium (al. Kościuszki) stattfanden, der Literaturwissenschaftler Dr. Malte Wagner Vorträge zu polnischen literarischen Persönlichkeiten wie Norwid, Mickiewicz oder Sienkiewicz durch.76 Eine stärker integrierende Kulturkonzeption auf der Basis deutsch-polnischer Verflechtungen lag im Bereich des Denkbaren, wurde jedoch von deutscher Seite nicht entwickelt. Insgesamt fehlten solche deutsch-polnischen Perspektiven, zugleich scheiterte der Gedanke eines exklusiven „Deutschseins“ in Lodz im Ersten Weltkrieg, er konnte keine Attraktivität und keine Zukunftsvisionen entwickeln. In deutlicher Frontstellung dazu vollzog der nach einem Kurienwahlrecht in sechs Kurien Anfang 1917 gewählte Stadtrat mit 60 Sitzen (davon mehr als die Hälfte deutsche und jüdische Vertreter, die allerdings auf Ausgleich im Rahmen einer weit verstandenen Polonität drängten) zahlreiche Entscheidungen in Richtung einer allgemeinen und offenen Modernisierung der Stadtgesellschaft: So fand, unterstützt vom Polnischen Staatsrat in Warschau, eine weitgehende Polonisierung der Stadtverwaltung, die bis dahin zu einem erheblichen Teil russisch-, deutsch- oder mehrsprachig gewesen war, statt. Die mehrsprachigen deutsch-polnischen Mitarbeiter verblieben in der Stadtverwaltung, 75

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Zu L. Otto Heike, Ernst Leonhardt, 1849–1917. Ein Industrieller als Förderer des deutschen Bildungswesens in Lodz, in: Fritz Weigelt (Hg.), Von unserer Art: Vom Leben und Wirken deutscher Menschen im Raume von Weichsel und Warthe. Wuppertal 1963, S. 85–88; Adolf Kargel, Ernst Leonhardt, ein verdienter Lodzer Industrieller, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 10 (1964), S. 76–83. Vgl. die jeweiligen Hinweise in den deutschsprachigen Zeitungen; Universitätsarchiv Gießen, Nachlass Otto Behaghel, Briefe von und an Wagner. Vgl. auch Malte Wagner, Adam Mickiewicz und sein „Konrad Wallenrod“, Deutsche Zeitung 1916 v. 10. und 13. März.

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neuer Bürgermeister wurde der Chemiker Leopold Skulski, der an der Technischen Hochschule Karlsruhe studiert hatte und politisch den Nationaldemokraten nahestand. Im polnischsprachigen Stadtrat bestand bis 1918 die Möglichkeit, auch deutsch zu sprechen, allerdings machten die gewählten deutschen Vertreter davon keinen Gebrauch, sondern sprachen durchweg polnisch. Informell organisierten sich die Vertreter in polnischen, jüdischen und deutschen Arbeitskreisen, deren Zuordnung allerdings fließend blieb – insgesamt wurde die gute Zusammenarbeit zwischen diesen Gruppen betont.77 So setzten etwa alle Vertreter gemeinsam die Einführung einer weitgehend allgemeinen Schulpflicht durch, die Diskussion wurde von dem Direktor der Jüdischen Handwerksschule und Vorsitzenden des Jüdischen Lehrerverbandes Abraham Szwajcer (Schweitzer) geprägt, der bereits im Herbst 1917 engagiert für eine allgemeine Schulpflicht eintrat.78 Am 30. April 1919 wurde die Schulpflicht endgültig für alle Kinder durchgesetzt, konnte sich dabei allerdings auf einen bereits etablierten Konsens stützen.79 Zwischen 1914 und 1921 wuchs die Zahl der eine Schule besuchenden Kinder von 13.000 auf 70.000 Schüler, erst jetzt wurde die Schulpflicht konsequent durchgesetzt.80 Jedoch blieb in Lodz – insbesondere infolge der Zuwanderung vom Lande – die Zahl der Analphabeten lange Zeit hoch: Noch 1957 lag die Analphabetenrate bei einem Drittel der Bevölkerung.81 Zu kontroversen Diskussionen kam es in der Frage der Schulsprache: In welchen Sprachen sollte der Unterricht erfolgen? Sollten die historisch dominanten Sprachen – vor allem das Russische, auch das Deutsche – mit Blick auf potentielle Absatzmärkte der Textilindustrie weiterhin gefördert werden? In welchem Maße sollte Zweisprachigkeit unterstützt werden? Inwieweit sollte das Jiddische unterrichtet werden? Sollten alle Bürger die polnische Sprache lernen? Hier wurden Diskussionen geführt, die auch in der Zwischenkriegszeit intensiv andauerten. Pastor August Gerhardt, Sprecher der deutschen Gruppe, führte im November 1917 aus: „Die deutsche Fraktion protestiert gegen alle klammheimlichen Behauptungen und Vorwürfe […], dass die Deutschen in Lodz antipolnische, antistaatliche und separatistische Bestrebungen haben. […] Wir haben bisher und werden in Zukunft loyal die Bürgerpflichten erfüllen, wir werden uns dabei daran halten und dafür kämpfen, dass unsere sprachlichen und religiösen Eigenarten erhalten bleiben; wir sind selbstverständlich der

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Hertz, Łódź, S. 135–137. Szwajcer arbeitete einen Antrag zum „Städtischen Statut über de Einführung der Schulpflicht in Lodz“ (Statut miejscowy o wprowadzeniu przymusu szkolnego w m. Łodzi) aus. Vgl. Hertz, Łódź, S. 164–165. Vgl. auch die Diskussionen in der Allgemeinen Städtischen Lehrkommission (poln. Komisja Powszechnego Nauczania), Dziennik Zarządu m. Łodzi 1 (1919), Nr. 1–2, S. 8–10. Dziennik Zarządu m. Łodzi. 4 (1922) Nr. 1 (117), S. 2. Aleksander Kamiński, Łódź kulturalna – uwagi wstępne, in: E. Rosset (Hg.), Łódź w latach 1945–1960. Łódź 1962, S. 267–274, hier 269.

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Ansicht, dass die polnische Sprache zweifellos die Staatssprache ist und für alle Staatsbürger verpflichtend sein muss.“82 Die gute deutsch-polnische Zusammenarbeit in Lodz verschlechterte sich mit dem Bekanntwerden des Separatfriedens von Brest-Litovsk mit der Ukraine 1918, nach dessen Bestimmungen der Bezirk Chełm ukrainisch werden sollte. Für polnische Vertreter war diese weitere Abtrennung nicht akzeptabel. Am  17. Februar erschütterten Demonstrationen Lodz, am 18. Februar wurde ein eintägiger Schulstreik ausgerufen und Straßenkämpfe zwischen Demonstranten und der Polizei brachen aus. Daraufhin verhängte der Generalgouverneur über Lodz eine Geldstrafe von 100.000 Mark, die jedoch vollständig von Anna Scheibler, der Witwe Karl Scheiblers, beglichen wurde. Symbolisch wird hier erkennbar, dass auch die traditionalen deutschsprachigen Stadteliten gegenüber dem Deutschen Kaiserreich kritisch eingestellt waren. Integration in den polnischen Staat Nach den deutschen Niederlagen, der Ausrufung einer Republik in Berlin am 9. Novem­ ber 1918 und parallel zur Ausrufung eines polnischen unabhängigen Staates in Warschau erfolgte am 11./12. November nach kleineren Auseinandersetzungen zwischen polnischen paramilitärischen Verbänden und deutschen Truppen die Aushandlung einer friedlichen Übergabe der Stadt durch einen deutschen Soldatenrat an die Stadtverwaltung. Die deutschen Truppen verließen bis zum 20. November die Stadt. Es ist zu fragen, inwieweit der November  1918 für Lodz den Charakter einer Zäsur besitzt. Ohne Zweifel bedeutete die Entstehung eines unabhängigen polnischen Staates einen Einschnitt, 1919 wurde die Stadt erstmals Sitz einer regionalen Verwaltungseinheit, der Wojewodschaft Lodz, in der über 2,5 Millionen Menschen lebten. Lodz wurde zum unbestrittenen regionalen Verwaltungszentrum, damit verschwand die in vieler Hinsicht anormale Situation, dass die Metropole Lodz aus einer Kleinstadt verwaltet wurde. Ein Jahr später, 1920, gelang es ein katholisches Bistum zu gründen: Aus der Stanisław-Kostka-Kirche wurde die Kathedralkirche, erster Bischof der in den Kriegsjahren verdiente Ortspfarrer Wincenty Tymieniecki. Damit verfügte Lodz mit dem Sitz einer überregionalen Verwaltung und eines Bistums über die zentralen administrativen Insignien einer modernen Metropole. 82

„Frakcja niemiecka protestuje przeciwko wszystkim insynuacjom i zarzutom […] jakoby Niemcy w Łodzi mieli dążenia antypolskie, antypaństwowe, dążenia separatystyczne. […] Będziemy więc i chcemy wiernie i lojalnie spełniać obowiązki obywatelskie, trzymając się i walcząc za uwzględnienie swej odrębności językowej i religijnej; jesteśmy oczywiście tego zdania, że język polski jest bezspornie językiem państwowym i musi być dla wszystlich obywateli obowiązkowym.“ Zit. nach Hertz, Łódź, S. 168.

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Kapitel 5

Die Hauptstadt war nun nicht mehr 1.200 km, sondern nur noch 120 km entfernt, Lodz war die mit weitem Abstand zweite Stadt des neugegründeten Staates, mehr als doppelt so groß wie die nächstgrößeren Städte Lemberg, Posen und Krakau. Die von keiner Seite bestrittene Integration Lodzs in den polnischen Staat – im Gegensatz zu Lemberg oder Posen gab es keine konkurrierenden Ansprüche von einer anderen Seite – löste einige strukturelle Probleme der Stadt. Eine moderne Stadtverwaltung konnte nun erstmals historisch aufgestaute strukturelle Mängel und Probleme der Stadtentwicklung selbständig und eigenverantwortlich angehen. In vieler Hinsicht konnten über 1918 hinaus Entwicklungen an Dynamik gewinnen, die bereits 1915 begonnen hatten. Führende Personen der Stadtpolitik wie Leopold Skulski, der 1919 kurzzeitig als polnischer Ministerpräsident amtierte oder Aleksy Rżewski, ab 1919 der erste Stadtpräsident, hatten ihre Karrieren bereits vor 1914 oder im Stadtrat im Ersten Weltkrieg begonnen. Zentrale Aufgaben der Stadtpolitik, die Aufstellung von Entwicklungsplänen, die Fortentwicklung der über ein halbes Jahrhundert nicht geförderten Infrastruktur (Wassernetz, Kanalisation, Elektrizitäts- und Gasnetz, fehlende öffentliche Gebäude) setzten bereits im Ersten Weltkrieg ein, konnten nun aber mit neuen Mitteln fortgeführt werden. Zudem hielten zahlreiche Krisenmomente aus dem Ersten Weltkrieg bis in die 1920er Jahre an. Insbesondere blieb der Absatzmarkt für die Lodzer Textilindustrie auf den neu entstehenden polnischen Staat und einige ostmitteleuropäische Nachbarn beschränkt, 70% der bisherigen Absatzgebiete lagen im neuerrichteten Sowjetrussland und gingen 1919/20 verloren. Die Produktion der Textilfabriken konnte erst nach der Wiederinstandsetzung des Maschinenparks sowie der Versorgung mit Baumwolle einsetzen; diese Restrukturierung zog sich bis 1921/22 hin. Schließlich endete der Erste Weltkrieg im östlichen Europa erst 1921, zu diesem Zeitpunkt verfügte Polen über gesicherte Grenzen und es wurden Verkehrs- und Handelswege wieder frei. Die erhebliche Abwanderung konnte kurzfristig nur schrittweise ausgeglichen werden, zumal zunächst kaum neue Wohnungen entstanden. Lodz wuchs aber weiterhin durch die Landflucht: Es zählte im Herbst 1918 über 300.000 Einwohner, 1925 über 500.000, 1930 590.000, 1939 672.000 Einwohner. Migranten und Remigranten kamen als Arbeiter aus dem Deutschen Reich, als Arbeiterbauern aus der Umgebung von Lodz, als Verschleppte aus Russland, als Opfer von Pogromen aus weißrussischen und ukrainischen Territorien. Zugleich hielt jedoch die Auswanderung an: Neben den deutschen Besatzungsbehörden wanderten nach 1918 auch Lodzer Deutsche wie Adolf Eichler oder August Gerhardt ab, die in einem polnischen Staat für sich keine Perspektive sahen. Hinzu kamen deutsche, jüdische und polnische Arbeiter, die im Weltkrieg in den deutschen Territorien gearbeitet hatten und nach 1918 entweder nach Deutschland oder nach Übersee gingen. Die stockend wieder anlaufende Industrie bot nur begrenzt Arbeitsplätze, migrationserfahrene Gesellschaftsgruppen nutzten Chancen anderswo. 1918–1931 verließen aus keiner anderen Region so viele Menschen Polen wie aus der Wojewodschaft

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Lodz, mehrheitlich gingen sie in deutschsprachige Territorien, teilweise migrierten sie nach Amerika.83 Lodz blieb eine Migrantengesellschaft, über die Hälfte der Bewohner der 1930er Jahre hatte ihre Wurzeln nicht in der Stadt. Auch in den 1920er und 1930er Jahren kehrten im Zuge von Wirtschaftskrisen Menschen auf das Land zurück, junge Arbeiterinnen und Arbeiter zogen hingegen auf der Suche nach Verdienstmöglichkeiten in die Stadt. Die Sozialgeschichtsforschung hat erhebliche Anstrengungen darauf verwandt, die National- und Sozialstruktur der Bevölkerung genauer zu bestimmen: man kann etwa davon ausgehen, dass im Lodz der Zwischenkriegszeit 55% Polen, ein Drittel Juden und 10% Deutsche lebten. Während Polen nun im öffentlichen Dienst und in der städtischen Kommunikation dominierten, arbeiteten Deutsche nach wie vor im Textilgewerbe (über 50% der deutschen Bevölkerung), Juden in Handel und Gewerbe. Es ist argumentiert worden, dass die hohe Mobilität und Migration langfristig Integrationstendenzen schwächten, da die Zuwandererwellen eine Distanz zwischen Stadtbevölkerung und Zuwanderern erneuerten, die immer wieder überwunden werden musste.84 Dabei war die Ausgangslage dramatisch. Es fehlte, wie das städtische Bauamt festhielt, weitgehend eine Infrastruktur: „Lodz besitzt beinahe keine öffentlichen Gebäude und früher oder später wird man über ihre Errichtung nachdenken müssen. Es fehlt uns ein Gebäude für die Stadtverwaltung, die Büros sind gegenwärtig über 8–10 Punkte in der Stadt verteilt. Es fehlt uns ein städtisches Krankenhaus, die Stadt besitzt kein eigenes und alle Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheit werden in drei oder vier privaten Stiftungen der Poznański, Konstadt usw. erledigt. Wir haben keine Hebammenhäuser, keine Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder und Alte, weiterhin keinerlei Gebäude für eine Sozialfürsorge. Wir haben kein städtisches Gebäude für die kulturellen Bedürfnisse einer Großstadt wie etwa ein Theater, einen Konzertsaal, eine Lesehalle, ein Volkshaus usw.“85 Natürlich stimmte dies nur aus dem spezifischen kommunalen Blickwinkel: Caritative und kulturelle, vor allem musikalische Institutionen existierten in Trägerschaft religiöser Gemeinschaften, aus einem kommunal-laizistischen Verständnis erschien dies allerdings unzureichend. 83 84 85

Apoloniusz Zarychta, Emigracja polska 1918–1931 i jej znaczenie dla państwa. Warszawa 1933, S. 64–67, Anhang Tab. IX. Ludwik Mroczka, Die Berufs- und Sozialstruktur der wichtigsten ethnischen Gruppen in Lodz und ihre Entwicklung in den Jahren 1918–1939, in: Hensel, Polen, Deutsche und Juden, S. 45–66. „Łódź nie posiada prawie żadnych gmachów miejskich użyteczności publicznej i wcześniej czy później trzeba będzie pomyśleć o ich budowie. A zatem brak nam budynku dla pomieszczenia Magistratu, którego biura są obecnie rozrzucone w 8 czy 10 rozmaitych punktach miasta. Brak nam szpitala miejskiego; miasto nie posiada ani jednego własnego szpitala; wszystkie potrzeby lecznictwa publicznego są załatwiane w 3 czy 4 szpitalach fundacyjnych, jak Poznańskich, Konstadtów i t.p. Brak nam przytułków położniczych, dla starców i dzieci, domów noclegowych i t.p. zakładów opieki społecznej. Nie mamy ani jednego gmachu miejskiego dla zadowolenia potrzeb kulturalnych wielkiego miasta, jak teatr, sala koncertowa i odczytowa, domów ludowych i t.p.“ Zit. nach Dziennik Zarządu m. Łodzi 4 (1922) Nr. 1 (117), S. 5.

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Kapitel 5

Im Zentrum der städtischen Aufgaben stand zweifelsohne die Errichtung einer modernen Infrastruktur – Lodz war 1920 die einzige mitteleuropäische Großstadt ohne flächendeckendes Wasserleitungs- und Kanalisationsnetz. Solche Netze wurden unter Inanspruchnahme städtischer Investitionen zwischen 1919 und 1939 errichtet, wobei man auf die Pläne William H. Lindleys aus dem Jahre 1909 zurückgreifen konnte – in zwanzig Jahren wurden jeweils über 100 km Kanalisation und Wasserleitungen gebaut, wodurch die Innenstadt angeschlossen werden konnte. Der Anschluss der Wohnhäuser an das Kanalisations- und Wasserleitungssystem wurde von der Stadtverwaltung erzwungen, inwieweit allerdings Hinterhäuser und einzelne Wohnungen angeschlossen wurden, hing von den Finanzmitteln und dem Willen der Eigentümer und Mieter ab. Die Arbeiten waren 1939 nicht abgeschlossen. Diese erheblichen Sanierungsmaßnahmen bedeuteten allerdings eine Erschöpfung der städtischen Finanzierungsmöglichkeiten, das hier buchstäblich vergrabene Geld fehlte an anderer Stelle.86 Das betraf insbesondere die Wohnungsfrage – für einen kommunalen Wohnungsbau, der im Zentrum der Politik anderer europäischer Großstädte wie Wien oder Frankfurt stand, fehlte das Geld. Da nach 1920 erneut ein Bevölkerungswachstum einsetzte, blieb die Wohnungsnot notorisch: Zwar führte die Stadt eine Luxussteuer ein, mit der vor allem Fabrikantenvillen besteuert wurden,87 doch waren noch 1931 63% der Lodzer Wohnungen Einraumwohnungen, in denen 58% der Bevölkerung lebten.88 Erst in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gelang es vor allem durch privaten Wohnungsbau mehr Wohnungen zu errichten als das Bevölkerungswachstum betrug.89 Um die Wohnungssituation erträglich zu halten, erließ der Magistrat eine Mietpreisbindung für Altbauten.90 Erhebliche Teile der Bevölkerung lebten auf dem Sofa bei entfernten Verwandten, in Dachwinkeln, verdingten sich als Hauswarte (poln. dozorca) gegen Wohnrecht oder als Nachtwächter (poln. stróż), indem sie sich des Nachts in Geschäfte einschließen ließen. Georg W. Strobel berichtete aus seiner Jugend: „Die Hauswarte, die im Lodzerdeutsch wie auf polnisch „strusch“ genannt wurden, hatten die späten Heimkehrer gegen ein festgelegtes Trinkgeld, das häufig deren einzige Einnahme neben dem Wohnrecht darstellte, in die mit Toren abgesperrten Wohnhöfe einzulassen, zu denen nur sie die Schlüssel besaßen […] eine aus der Zarenzeit übriggebliebene polizeistaatliche Maßnahme. […] Diese ‚Hauswächter‘, wie sie auch genannt wurden, gehörten zu der untersten, herumgestoßenen und verachteten Menschengruppe im ‚christlichen‘ Lodz. […] die Frauen verdingten sich 86 87 88 89

90

Księga pamiątkowa dziesięciolecia Samorządu miasta Łodzi 1919–1929. Łódź 1930. Berbelska/Michalska-Szałacka, Die Herbsts, S. 38–40. Liszewski, Łódź, S. 271. Tabelle bei Hofmann, Von der Spekulation zur Intervention, S. 242: 1921: 108.202 Wohnungen, 1931: 145.174 Wohnungen, 1939: 177.060 Wohnungen, resp. Einwohnerzahlen: 446.726 (1921), 599.041 (1931), 666.489 (1939); Kazimierz Badziak, Małgorzata Łapa, Bilans rozwoju Łodzi międzywojennej na polu przemian ekonomicznych, zmian ludnościowych i kształtowania się infrastruktury miejskiej, in: Toborek/Wajngertner, Łódź w 1939 roku, S. 25–61, hier 46–52. Edward Rosset, Samorząd łódzki w walce z głodem mieszkaniowym. Łódź 1930.

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gerne als Waschfrauen in ‚besseren‘ Haushalten. Deren Kinder wurden nicht selten aus der Hofgemeinschaft ausgestoßen.“91 Gerade in der Weltwirtschaftskrise mündete das in extreme Wohnungsnot und in Obdachlosigkeit – infolge dieser Lebenssituation bei vielen Einwohnern war Tuberkulose bis in die 1930er Jahre die weitverbreitetste Todesursache.92 Erst die Tätigkeit von Dr. Aleksander Margolis, der sich im jüdischen Arbeiterbund engagierte und Leiter der Abteilung für ansteckende Krankheiten in Radogoszcz war, als Leiter des Gesundheitsamtes 1927–1933 verbesserte das Krankenhaussystem in den 1930er Jahren.93 Das führende Wohnungsbauprojekt der Zwischenkriegszeit bildete zwischen 1928 und 1931 die Errichtung der Siedlung Montwiłł-Mirecki im Nordwesten der Stadt. Die Siedlung umfasste ca. 1.500 Wohnungen in mehrgeschossigen modernen Gebäuden mit Kanalisations-, Wasser- und Elektrizitätsanschlüssen, die infolge der relativ hohen Gestehungskosten und erheblicher Mieten vor allem von Beamten, Ärzten, Rechtsanwälten und der städtischen Intelligenz bewohnt wurden. Die Siedlung wurde nach dem PPS-Kämpfer Józef Montwiłł-Mirecki benannt, infolge der Wirtschaftskrise in kleinerem Umfang als geplant realisiert und nicht abschließend fertiggestellt; 1939 lebten hier 5.000 Menschen in 1.500 Wohnungen (vgl. S. 179).94 Ökonomische Transformation und Diversifizierung Für die Industrie bildeten die 1920er und 1930er Jahre eine schwierige Transformationsepoche. Die Maschinenparks mussten wiederhergestellt, die für den polnischen Staat deutlich überdimensionierte Textilindustrie diversifiziert und an den Bedarf angepasst werden. Hinzu traten säkulare Trends: In den 1920er und 1930er Jahren verlagerte sich die Textilindustrie zurück in den globalen Süden, europäische Standorte gerieten unter wachsenden Lohn-, Preis- und Qualitätsdruck.95 In Lodz produzierte die Textilindustrie in der Zwischenkriegszeit nur ca. 50% des Volumens von vor 1914, als ausländischer Absatzmarkt spielte in den 1920er Jahren nur Rumänien eine Rolle. 91 92 93

94 95

Strobel, Das multinationale Lodz, S. 193. Realistische Beschreibung aus den 1920er Jahren bei Memuarn fun Lejbl. Łódź 1933, in: Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 240–265, hier 249–254; ebenfalls Perec Opoczyński, Łódzkie izby, ebenda, S. 268/270. Michał Trębacz, Aleksander Margolis. Lekarz-społecznik, polityk, Żyd, in: Ewa Wiatr, Piotr Zawilski (Hg.), Studia i szkice ofiarowane Julianowi Baranowskiemu. Łódź 2010, S.  95–106. Grundlegende Studie: Aleksander Margolis, Gruźlica w Łodzi. Studium epidemiologiczno-statystyczne. Łódź 1932; vgl. auch Gertrud Pickhan, „Gegen den Strom“. Der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund „Bund“ in Polen 1918–1939, Stuttgart, München 2001 (Schriften des Simon-Dubnow-Instituts, 1), S. 359. Dorota Fornalska, Osiedle Montwiłła-Mireckiego. Opowieść mieszkańców przed wojną – wysiedlenia – powroty. Łódź 2018. Beckert, King Cotton, S. 363–384.

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Kapitel 5

Die Lodzer Textilindustrie trafen diese Entwicklungen, die durch die nationale Schutzzollpolitik nur teilweise abgebremst wurden, relativ stark: Der polnische Staat verfügte über weitere Textilzentren, die ebenfalls erhalten werden wollten und die politisch und strategisch gefährdeter erschienen (Teschen, Białystok), so dass Staatsaufträge auf drei Zentren verteilt wurden. Die Durchsetzung des Achtstundentags, bessere Arbeitsbedingungen (eine staatliche Fabrikaufsicht) und eine Sozialgesetzgebung verschärften den Kostendruck. Unter diesen Rahmenbedingungen erfolgte eine nur beschränkte Modernisierung des Maschinenparks und stattdessen eine maximale Ausnutzung des vorhandenen Maschinenstocks, der nun vielfach im Dreischichtsystem betrieben wurde. Seit 1924 bestand ein weitgehendes Verbot der Nachtarbeit für Frauen, das aber durch Ausnahmeregelungen unterlaufen wurde, sowie ein Verbot der Arbeit unterhalb des 15. Lebensjahres.96 Die Antwort der Textilbetriebe lag vielfach in einer Rationalisierung unter Übernahme amerikanischer Managementmethoden und Vorbilder. Unternehmer wie die Familie Kon in Widzew kopierten nach Besuchen in den USA dortige Systemlösungen, die Fabrikleitungen erhöhten die Leistungs- und Akkordvorgaben: Arbeiterinnen und Arbeiter sollten mehrere Maschinen gleichzeitig bedienen, Arbeitspausen wurden gestrichen, eine möglichst hohe Ausnutzung der Arbeitskraft wurde angestrebt, indem man ältere Arbeitnehmer entließ. Allgemein gingen die Firmenleitungen zu einem Akkordsystem sowie zur Leistungserfassung und -entlohnung über.97 Dagegen wandten sich Belegschaften in Streiks und Besetzungen – die 1920er und 1930er Jahre waren auch eine Epoche der Arbeitsniederlegungen, in Lodz griff man infolge der Erfahrungen von 1905 auf die Praxis der Fabrikbesetzungen zurück. Grundsätzlich waren in den Textilbetrieben der Zwischenkriegszeit über 50% (1928 51%) Frauen beschäftigt, in den großen Betrieben überproportional viel,98 da Frauenarbeit billiger blieb. Jedoch verbesserten sich die Arbeitsbedingungen durch die staatliche Fabrikaufsicht, auch die Lohnunterschiede verringerten sich tendenziell. Fabrikarbeit war deshalb für junge Frauen attraktiv und bildete einen zwar harten, aber möglichen Weg zu einem selbstbestimmten Leben.99 In der Literatur der 1930er Jahre finden sich Reportagen über Haushalte von Textilarbeitern, in denen beide Seiten in Wechselschichten arbeiteten, dabei Männer in der Regel in der Nachtschicht, weil so am ehesten ein Auskommen möglich war.100 Dies mündete in eine gleichmäßigere Rollenverteilung, beide Partner waren für Arbeit und Haushalt zuständig.

96 97

Edward Rosset (Hg.), Włókniarzy łódzcy. Łódź 1966, S. 128. Literarische Beschreibung am Beispiel der Familie Kon: Bolesław Lesman, Recepta na miliony. Z dziejów rodu Konów. 11967 Łódź 2017. 98 Aggregierte Statistik bei Kurt Klötzner, Die Lodzer Textilindustrie in der Krise. Łódź 1936, S. 47. 99 Madejska, Aleja, S. 54, 58/59. 100 Helena Boguszewska, Włókniarze. 11934, Wiederabdruck: Konrad Frejdlich (Hg.), Uśmiech Ariadny. Antologia reportażu łódzkiego, od Oskara Flatta do Andrzeja Makowieckiego. Łódź 1973, S. 125–128.

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Rationalisierung und Wirtschaftskrise führten um 1930 in wachsende Konflikte: Textilarbeiterinnen und -arbeiter sollten nun nicht mehr zwei, sondern vier bis sechzehn Webstühle bedienen. Darüber kam es in den 1930er Jahren zu erbitterten Streiks, Fabrikbesetzungen und Aussperrungen, denn die weitere Rationalisierung bedeutete unweigerlich eine höhere Arbeitsbelastung und wachsende Arbeitslosigkeit, 1933 waren von ca. 100.000 Textilarbeitern ca. ein Drittel beschäftigungslos, weitere Belegschaften arbeiteten in verkürzten Schichten. An der Spitze der Streiks standen, oft auch aus performativen Gründen und um polizeiliche Gewalt abzuschwächen, Frauen aus den Fabriken, die so lokale und regionale Bekanntheit erlangten. Das hatte langfristige Folgen: Da die männlichen Vertreter der Arbeiterbewegung durch Krieg und NS-Verfolgung überproportional betroffen waren, wurden stadtweit bekannte Frauen zu „Veteraninnen“ der Arbeiterbewegung. Die polenweit einzigartige Karriere von Michalina Tatarkówna-Majkowska nahm hier ihren Ursprung – sie nahm an den Streiks in der Widzewer Manufaktur intensiv Anteil (vgl. S. 350).101 Über die Situation unter den Lodzer Textilarbeiterinnen sind wir dank der Berichte der Fabrikinspektorin und Schriftstellerin Maria Przedborska gut informiert. Przedborska stammte aus einer Lodzer Intelligenz- und Ärztefamilie, erwarb an der Jagiellonenuniversität den Doktortitel und arbeitete seit 1926 in der Lodzer Fabrikaufsicht, wo sie bemüht war, die Ausbeutung der Frauen zu beschränken. Daneben schrieb sie in ihrer Freizeit Gedichte über die schwierige Situation der Textilarbeiterinnen. Ein Auszug: „Von den Webstühlen in die Küche, zum Badezuber oder an die Wiege, / von der Wiege, dem Zuber, der Küche erneut an die Webstühle, / aus dem riesigen Saal in ihre niedrige Höhle, / hier und dort: überall muss es gleichermaßen laufen! Der Tag hat 24 – ja? – Stunden: / zehn für die Fabrik (acht auf dem Papier!), / mit dem Weg bis zu dreizehn, fünf-sechs für die Familie; / der Schlaf? – der Kerl fordert das Seinige, immer, wenn er will, nimmt er!“102 Benannt wird hier die Situation der Textilarbeiterinnen Anfang der 1930er, die zwischen Fabrikarbeit und Familie aufgerieben wurden und deren Lebenswelt von Not und Gewalterfahrungen gezeichnet waren. Einzelne Unternehmer bemühten sich angesichts der Krise der Textilindustrie um eine Diversifizierung ihrer Produktion: So investierte Karl Eisert neben seiner Wollwarenfabrik in Maschinenbau und die Lebensmittelindustrie; er zählte zur absoluten polnischen Finanzelite. Allerdings fehlte auf gesamtstaatlicher Ebene eine Unterstützung durch die staatliche Wirtschaftspolitik, die dirigistisch ausgerichtet war, jedoch neben Warschau vor allem den Ausbau eines neuen Ostseehafens in Gdynia und den 101 Piotr Ossowski, Czerwona Michalina. Michalina Tatarkówna-Majkowska. Prządka – działaczka – łodzianka. Łódź 2017, S. 46–49. 102 „Od krosien do kuchni, balji czy kołyski, / od kołyski, balji, kuchni znów do krosien, / z przeogromnej Sali do swej nory niskiej, / tu – tam: byle wszędzie równo kręciło się! Doba ma dwadzieścia cztery – tak? – godziny: / dziesięć do fabryki (osiem na papierze!), / z drogą do trzynastu, pięć sześć dla rodziny; / sen? – chłop żąda swego: kiedy, jak chce bierze!“ Maria Przedborska, Wśród kominów Łodzi. Warszawa 1932, zit. nach Madejska, Aleja, S. 111–112.

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Kapitel 5

Aufbau eines Zentralen Industriebezirks (Centralny Okręg Przemysłowy, COP) unterstützte. Unter Berücksichtigung allein des industriellen Potentials hätte dieser Industriebezirk in der Region Lodz entstehen müssen, die polnische Industrieplanung und das Militär unterstützen jedoch aus militärstrategischen Gründen die deutlich weiter von den deutschen Grenzen entfernte Region Radom – Rzeszów – Kielce. Für den Aufbau des Zentralen Industriebezirks waren in den Jahren 1935–1939 60% der staatlichen Investitionsmittel reserviert, die dort aufgebauten Chemie-, Metall- und Rüstungsbetriebe, die durch Steuererleichterungen und Ausbau der Infrastruktur sowie des Verkehrsnetzes bevorzugt wurden, konkurrierten mit bestehenden Lodzer Betrieben.103 Lodzer Kritiker hoben hervor, dass dagegen das Verkehrsnetz in der Zwischenkriegszeit unterentwickelt geblieben sei und zentrale Investitionen in Stadt und Region fehlten. Man muss deshalb für Lodz von einer insgesamt zwar erfolgreichen, aber – gegenüber anderen polnischen Städten – sehr krisenhaft verlaufenden Modernisierung sprechen. Einem breiten städtischen Modernisierungsdiskurs,104 der von den wechselnden Stadtregierungen unter sozialistischer Leitung mit Berufung auf „Fortschritt“ und demokratische Stadtplanung, unter nationaldemokratischer Leitung mit Berufung auf eine „nationale Wirtschaftsentwicklung“ betrieben wurde, standen begrenzte Mittel, fehlende zentralstaatliche Hilfen und eine konjunkturempfindliche Wirtschaftsentwicklung gegenüber. Insgesamt konnten nur die Jahre 1926–1928 und die zweite Hälfte der 1930er Jahre als Phasen guter Konjunktur gelten, während Nachschub- und Absatzschwierigkeiten (1919–1921), Inflation (1922–1925) und die Weltwirtschaftskrise (1929–1935) die städtische Industrie beeinträchtigten und immer wieder zu Kurzarbeit und Entlassungen führten. Kulturelle Integration: Perspektiven und Grenzen Im polnischen wie europäischen kulturellen Kontext der Zwischenkriegszeit stand die Industriestadt vor Herausforderungen: Die Stadt besaß innerpolnisch einen schlechten Ruf als kultur- und sittenlose „böse Stadt“, ein Ruf, der in der Publizistik aufgegriffen und tagespolitisch reaktualisiert wurde. Im ‚Kurier Łódzki“, einer der größten, national ausgerichteten Tageszeitungen, hieß es im Februar 1920: „Lodz hat jedoch, trotz seiner halben Million Einwohner, keine Züge einer westlichen Stadt, selbst wenn diese nur 100.000 Einwohner zählte. Es hat abweichende Züge, sowohl aus einer äußeren, wie auch aus einer inneren, geistigen Perspektive. […] Vier- oder fünfstöckige Häuser findet man viele, aber allzu selten trifft man auf ein Bauwerk, das durch seine Architektur auf sich aufmerksam macht. […] Lodz hat keine Kanalisation und keine Wasserleitungen. […] Der Verkehr auf den Hauptstraßen, also auf der Piotrkowska und weiter der Zgierska, ist sehr 103 Jerzy Gołębiowski, COP. Dzieje industrializacji w rejonie bezpieczeństwa 1922–1939, Kraków 2000. 104 Zur Diskursgeschichte mit diesem Ergebnis: Zysiak, From Cotton and Smoke, S. 106–159.

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belebt, die Straßenbahnen sind immer überfüllt, wobei man feststellen muss, dass sich dieses Straßenleben nicht allzu farbig ausnimmt. Beginnend mit dem prätentiösen Hotel ‚Grand‘ […] wirken die Straßen dunkel und einen finsteren und traurigen Hintergrund geben diesem die träge sich bewegenden oder herumstehenden Gestalten in langen Mänteln, unter welchen von Zeit zu Zeit, wie ein rostiger Fleck unter einer schmierigen Kappe, sich ein flammend roter Bart abzeichnet.“105 Dieser offensichtlich antisemitische Artikel fand sich unter einem Beitrag im Februar 1920, der die Friedensvorschläge der Bolševiki als unglaubwürdig abhandelte,106 kurz vor der Eskalation im polnisch-sowjetischen Krieg. Lodz wird hier als wenig orginelle, politisch unsichere „jüdische Stadt“ denunziert, die den fremden Einflüssen eines „jüdischen Bolschewismus“ unterliege. Dieses Negativbild knüpfte in den 1920er Jahren an das ältere Bild des „Lodzermenschen“ an, wobei nun die Bedrohung vor allem von der jüdischen Bevölkerung ausgehen sollte. Zuvor war es am 17. September  1919 zum einzigen Pogrom der Stadtgeschichte gekommen: Aufgrund der katastrophalen Verpflegungslage brachen im September Arbeiterproteste und Demonstrationen aus, die von nationalistischen Teilen der Arbeiterbewegung und in der Stadt stationierten Soldaten gegen die jüdische Bevölkerung gewendet wurden: Es folgten Plünderungen und Schlägereien, bei denen Schlag- und Stichwaffen benutzt wurden. Nach offiziellen Statistiken kamen sechs Menschen um und ca. 80 Personen wurden verletzt. In der Forschung wird den Soldaten, teilweise aus der für ihren Antisemitismus bekannten Haller-Armee, eine zentrale Rolle zugeschrieben. Diese konnten sich jedoch auf Gruppen der Bevölkerung stützen, die jüdische Mitbürger des Verrats und Paktierens mit den Bolševiki bezichtigten – zwei Vorwürfe, die in der Zwischenkriegszeit virulent blieben.107 Dem kann man das Bild entgegenstellen, das Julian Tuwim 1925 von der Stadt seiner Jugend entwickelte: „Den Ton und den Charakter gab der Stadt die Fabrik, ihr Tempo hing immer von der Anzahl der Bestellungen ab, den eigentümlichen Kolorit gaben ihr 105 „Łódź bowiem, mimo swej pół miljonowej ludności nie ma cech miasta zachodniego, liczącego chociażby tylko 100 000 mieszkańców. Ma ona cechy odmienne, tak pod względem zewnętrznym, jak też wewnętrznym, duchowym. […] Domów cztero i pięciopiętrowych znajdziesz wiele, ale z rzadka tylko spotyka się budowle, zwracające uwagę swą architektoniką. […] Łódź nie ma kanalizacji ani wodociągów. […] Ruch na głównych arterjach miasta, a więc na ulicy Piotrkowskiej i dalej Zgierskiej jest bardzo ożywiony, tramwaje są zawsze przepełnione, przyczem zaznaczyć należy, że ruch ten uliczny nie przedstawia się zbyt różnobarwnie. Począwszy od pretensjonalnego hotelu ‚Grand‘ […] ma on zabarwienie czarne, a ponure i to żałobne tło nadają mu leniwo poruszające się lub uparcie sterczące postacie w długich kapotach, wśród których od czasu do czasu, jak rdzawa plama, z pod wstrętnej ‚po ukazu‘ czapki, zarysuje się jaskrawo ruda broda.“ Nieco o Łodzi, in: Kurier Łódzki (1920), Nr. 38 v. 08.02.1920. 106 Artikel „Propozycje pokojowe Bolszewików. Wywiad dziennikarzy z ministrem Patkiem“, ebd. 107 Michał Trębacz, Masakra robotników i pogrom Żydów w Łodzi. 17 września 1919 r., in: Kamil Kijek, Artur Markowski, Konrad Zieliński (Hg.), Pogromy Żydów na żiemiach polskich w XIX i XX wieku. Bd. 2 Studia przypadków (do 1939 roku). Warszawa 2019, S. 285–300.

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die Rauchschwaden. Und wenn die Augen lebendigere Farben als den von einem graubraunen Nebel bedeckten Himmel suchten, wandten sie sich zu den Rinnsteinen, zu den auf der Welt nur in Lodz farbigen Rinnsteinen, in denen die Spülreste aus den Fabrikfärbereien schwammen – ein Regenbogen und ein Kaleidoskop der armen Arbeiterbrut. Die Stadt der Schornsteine und des Schlamms, der Paläste und der kleinen Holzhäuser, des Elends und der Millionen: des Hämmerns der Werkstätten und der stummen Stille, wenn die Motoren verstummten, die Stadt der schwarzen, schweren Arbeit, unter der die rotglühende Wut wühlt, die Stadt des Hungers und des Überflusses, der Langeweile und der Monotonie, ewig derselben Leute und der gleichförmigen Dinge, das Gelobte Land für Hundert und die Böse Stadt für Fünfhunderttausend, oh ‚schmerzensreiche Stadt‘, wie kam es, dass ich dich mit einer so großen und herzlichen Zuneigung liebte?“108 Ablehnung oder Empathie, dazwischen schwankte das Bild von Lodz im kulturellen Milieu der Zwischenkriegszeit. So boten die Migration und die populäre Kultur der 1920er Jahre erhebliche Chancen, doch fehlten Institutionen, die diese nutzten. Zwar erhielt Władysław Reymont, der Schöpfer des einprägsamen Bildes eines Industriemolochs Lodz, das in ironischer Brechung zum „Gelobten Land“ wurde, am 13. November 1924 den Nobelpreis für Literatur, doch was bedeutete das für das Lodzer Kulturleben? In die Stadt kamen im Gefolge des Weltkriegs und der anhaltenden (Bürger-)Kriege und Pogrome zahllose Flüchtlinge und machten die Stadt auch international weiter bekannt. Diesen Hintergrund nutzte Joseph Roth für seinen Roman „Hotel Savoy“ aus dem Jahre 1924 und schuf damit ein Panorama von europäischer Bedeutung: In dem Hotel, das tatsächlich 1911/12 als damals höchstes Gebäude in der Innenstadt in der ul. Krótka (ab 1920 ul. Traugutta) errichtet wurde, kommt 1919 eine multikulturelle Gesellschaft zusammen: Kriegsheimkehrer, Flüchtlinge, Glücksritter und Revolutionäre, die zwischen der harten Lodzer Industriewelt und der Halbwelt der Hotelbar auf- und absteigen – ironisch verkehrt wohnen oben in den schlechtesten Mansardenzimmern die armen Flüchtlinge, unten amüsieren sich reiche Industriebarone. Gezeigt werden auch die in Bewegung kommenden Geschlechter- und Klassenbilder der Epoche: Fabrikanten und ihre Söhne halten Varietétänzerinnen aus, alle werden Opfer einer aus dem Ruder laufenden Revolution.

108 „Ton i charakter nadała miastu fabryka, tempo zależało zawsze od ilości zamówień, koloryt zasadniczy tworzyły kłęby dymu. A kiedy oczy szukały barw żywszych niż zasnute szarobrunatną mgłą niebo, wtedy zwracały się ku rynsztokom, ku jedynym na świecie kolorowym rynsztokom łódzkim, w których płynęły pomyje z farbiarni fabrycznych – tęcza i kalejdoskop ubogiej dziatwy robotniczej. Miasto kominów i błota, pałaców i małych, drewnianych domków, nędzy i milionów: turkotu warsztatu i głuchej ciszy, kiedy zamilkną motory, miasto czarnej, ciężkiej pracy, pod którą wre czerwony gniew, miasto głodu i przesytu, nudy i monotonii, wiecznie tych samych ludzi i jednakowych spraw, ziemia obiecana dla stu, a złe miasto dla pięciuset tysięcy, o, „citta dolente“, jakże się to stało, że cię tak wielką i serdeczną miłością pokochałem?“ Julian Tuwim, Moje dzieciństwo w Łodzi (1925), in: Pisma prozą (Dzieła, t. V), oprac. J. Stradecki, Warszawa 1964, S. 14–15.

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Joseph Roth kannte Lodz aus mehreren Perspektiven: Bereits im Ersten Weltkrieg durfte er – so erinnerte er sich – die Stadt „flüchtig streifen“ und nahm sie wahr als „eine Etappenstadt, eine Etappe des Merkantilismus und der Textilien, und ein Kampfgebiet jener Eroberer, deren Ziel nicht ein Territorium, sondern der Weltmarkt ist.“109 1924 griff er zur Niederschrift seiner Novelle auf die älteren Erinnerungsbilder zurück – Lodz besaß für ihn als „Ikone des Frühkapitalismus“ und als Tor zwischen Ost und West eine besondere Sinnhaftigkeit.110 Eine erhebliche Rolle für die Übersetzung und Vermittlung Roths spielte dessen langjähriger Freund, der ebenfalls aus Galizien stammende Józef Wittlin, der sich 1922 als literarischer Leiter am Stadttheater in Lodz in einem Vorort niederließ.111 „Hotel Savoy“, das ins Polnische bereits 1933 von Izydor Berman übersetzt wurde,112 stieß in Polen zwar auf Interesse unter Intellektuellen, wurde aber von einem breiteren Publikum zunächst nicht wahrgenommen; die Handlung erschien als zu grotesk und zu fremd. Wittlin war kein Einzelfall – in den Jahren nach 1918 ließ sich eine ganze Reihe von Schriftstellern und Künstlern aus dem östlichen Europa zeitweise oder dauerhaft in der Metropole nieder, die Beschäftigung, Raum für Experimente und ein Auskommen versprach. Mosze (Mojsze) Broderson kam 1918 aus Moskau nach Lodz und gründete um die Avantgarde-Gruppe Jung Jidysz (1919–1921) und später das Kabarett Ararat, die sich aus Publizisten, Malern, Grafikern, Bildhauern und Musikern zusammensetzte, eine Zeitschrift. Die Gruppe war von den Ideen des deutschen Expressionismus und Marc Chagalls beeinflusst und entwickelte in jiddischer Sprache eine moderne Kultur.113 Prägend waren der Maler Jankiel Adler und der Maler und Bildhauer Marek Szwarc, beide 1919 ebenfalls in Lodz. Aus Riga und Moskau bzw. aus Minsk und Smolensk kamen die Bildhauerin Katarzyna Kobro sowie der Maler und Kunsttheoretiker Władysław Strzemiński. Sie ließen sich in den 1930er Jahren in der neu errichteten Montwiłł-Mirecki-Siedlung nieder, wo sie zusammen mit Karol Hiller und Henryk Stażewski die Avantgardegruppe „a.r.“ begründeten, eine internationale Sammlung moderner Kunst in Verbindung mit den städtischen Sammlungen anstießen und Impulse für die Begründung eines internationalen Konstruktivismus gaben.114 Die Lodzer moderne Kunstsammlung zählte in 109 Joseph Roth, „Russische Überreste“ – Die Textilindustrie in Lodz, in: ders., Werke II. Das journalistische Werk 1924–1928. Hg. v. Klaus Westermann. Köln 1989, S. 949–953, hier 951. 110 Joanna Jabłkowska, Ein Grab der armen Leute. Hotel Savoy – Parabel für das Ende des alten Europa oder Lodz-Roman?, in: Wiebke Amthor, Richard Brittnacher (Hg.), Joseph Roth – Zur Modernität des melancholischen Blicks. Berlin, Boston 2012, S. 103–115. 111 Hubert Orłowski, Joseph Roth und Józef Wittlin oder das ungleiche Dioskurenpaar, in: Komparatistik. Theoretische Überlegungen und südosteuropäische Wechselseitigkeit. Festschrift für Zoran Konstantinovič, hg. v. Friedrun Rinner u. Klaus Zerinschek, Heidelberg 1981, S. 443–448. 112 Joseph Roth, Hotel Savoy, übersetzt v. Izydor Berman. Lwów 1933; Wiederauflage Warszawa 1959. 113 Gilles Rozier, Mojżesz Broderson. Od Jung Idysz do Araratu. Łódź 1999. 114 Katarzyna Kobro: 1898–1951. Ausstellungskatalog. Köln 1991; Katarzyna Kobro 1898–1951. W setną rocznicę urodzin – katalog wystawy. Łódź 1999; Nika Strzemińska, Katarzyna Kobro. Warszawa 1999;

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den 1930er Jahren europaweit zu den größten Sammlungen von Avantgardekunst und bildete den Grundstock für die heutigen namhaften Sammlungen.115 Warum entstand eine moderne Kunstbewegung gerade in Lodz, wo die Stadt doch bis zum Ersten Weltkrieg kaum ein eigenes künstlerisches Profil entwickelte? Lodz besaß durch die großen jüdischen und deutschen Bevölkerungsgruppen ein kosmopolitisches Flair, eine Mehrsprachigkeit und eine Internationalität, alles Anziehungspunkte für eine Avantgarde. In der Stadt existierte eine starke, auch internationalistisch geprägte Arbeiterbewegung. Sie wurde 1919–1923, erneut ab 1927 bis in die frühen 1930er Jahre und ab 1936 von einer linken Mehrheit im Stadtparlament regiert,116 die Kulturzentren aufbaute und experimenteller Kunst offener gegenüberstand. Während Warschau hohe Lebenshaltungskosten aufwies und hier spätestens nach der Ermordung des Staatspräsidenten Gabriel Narutowicz nationale Abschließungstendenzen spürbar wurden, galt Lodz als billiger und moderner. „Arm, aber sexy“, könnte man formulieren. Schließlich war Lodz durch die jüdische und deutsche Bevölkerung stärker international ausgerichtet. Ein Teil der Einwohner hatte sich sprachlich deutsch akkulturiert, ein modernes Jiddisch-Sein und der Zionismus besaßen erhebliche Anziehungskraft. Dafür können Persönlichkeiten wie Jicchak Kacenelson stehen, der hebräisch- und jiddischsprachige Dichter stammte aus Lodz und leitete gemeinsam mit seinem Bruder ein privates hebräisches Gymnasium.117 Eine aktuelle Anthologie hat aus der Zeit vor 1939 mehr als 20 Autoren mit literarischen Texten in jiddischer Sprache versammeln können, deren Werke seitdem vergessen waren.118 Intensive Verbindungen reichten nach Warschau, aber auch nach Berlin und Paris. Als Alfred Döblin 1924 in Lodz war, traf er sich mit Mosze Broderson und besuchte Józef Wittlin in dessen Landhaus.119 Die Schriftsteller kannten sich gut, später sahen sie sich in Paris wieder.120 In Lodz besuchte Döblin 1924 mit Wittlin und seiner Frau Halina, einer promovierten Polonistin, ein Konzert Karol Szymanowskis, der seine Schwester,

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Marzena Bomanowska, 7 rozmów o Katarzynie Kobro. Łódź 2011; zu Karol Hiller: Karol Hiller 1891– 1939. Katalog wystawy. Łódź 1967; Zenobia Karnicka, Janina Ładnowska, Karol Hiller, 1891–1939. Nowe widzenie [Ausstellungskatalog]. Łódź 2002. Aleksandra Jach (Hg.), Muzeum Sztuki w Łodzi. Monografia. 2 Bde. Łódź 2015. Maria Nartonowicz-Kot, Oblicze polityczne samorządu miejskiego w Łodzi w latach 1919–1939, in: Rocznik Łódzki 31 (1982), S. 99–130. Krystyna Radziszewska, Środowisko literackie łódzkich Żydów 1918–1950, in: Violetta KrawczykWasilewska (Hg.), Kultura jako czynnik rozwoju miasta na przykładzie Łodzi. Łódź 2012, S. 35–56. Krystyna Radziszewska, Sztetl, szund, bunt i Palestyna. Antologia twórczości literackiej Żydów w Łodzi (1905–1939). Łódź 2017. Marion Brandt, Erläuterungen zu Alfred Döblins „Reise in Polen“. Gdańsk 2016 www.alfred-doeblin. de/data/erlaeuterungen-zu-doeblins-reise-in-polen.pdf. Brief Józef Wittlins an Louis Huguet vom 15.10.1961, DLA Marbach, Nachlass  A.  Döblin, Sammlung Huguet. Für die Information danke ich Andreas Lawaty. Józef Wittlin: Podróż Döblina po Polsce [Döblins Reise durch Polen], in: Wiadomości Literackie, 1927, Nr. 9, S. 1.

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die Sopranistin Stanisława Szymanowska-Korwin, am Klavier begleitete.121 Sichtbar wird hier, wie offensiv die Metropole sich in den 1920er und 1930er Jahren in ein kulturelles Europa eingegliederte und an Ausstrahlung gewann. Das galt auch für moderne Medien: In Lodz entwickelte sich eine intensive Kinokultur, zudem entstanden Filmproduktionen. In der Stadt war bereits 1915 der Film „Der Spion“ (Szpieg) erstellt worden, der eine Spionageaffäre unter deutscher Besatzung beschrieb. 1927 hatte die Filmproduktionsfirma Sfinks in Lodz u.a. in den Fabriken Scheibler & Grohman eine Verfilmung des „Gelobten Landes“ von Reymont gedreht, der Film fiel jedoch bei der Kritik durch. Aleksander Ford drehte 1929/30 in Lodz zwei Kurzfilme, „Am Morgen“ (Nad ranem) und „Der Puls des polnischen Manchester“ (Tętno polskiego Manchesteru).122 Beide Filme spiegelten die industrielle Atmosphäre der Stadt und die Mechanisierung der Arbeitskraft in experimentellen Bildern wider.123 Allerdings kann diese Blüte einer internationalen Avantgarde in Lodz auf die 1920er und die frühen 1930er Jahre begrenzt werden – ein erheblicher Teil gerade der erfolgreichen Künstler wanderte rasch infolge begrenzter Angebote vor Ort in andere Metropolen ab. Jankiel Adler ging nach Düsseldorf, Marek Szwarc wie der Komponist Alexandre Tansman nach Paris, Wittlin trat aufgrund von Stipendien ab 1925 langjährige Europareisen an. Besonders drastisch setzte sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre der Abzug nach Warschau durch: Tuwim hatte dort studiert und kehrte nicht nach Lodz zurück, nun folgten auf den Spuren von Künstlern, Politikern (Skulski) und Unternehmern (Barciński, Eisert, Poznański) Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieure: Michał Kalecki ging zum Studium nach Danzig und Warschau und emigrierte in den 1930er Jahren nach Großbritannien – er gilt als einer der Vordenker einer modernen keynesianischen Wirtschaftspolitik. Ary Sternberg ging zu einem Ingenieursstudium nach Nancy, in der Sowjetunion wurde er später zu einem der Pioniere der modernen Raumfahrt. Eine Ursache der Abwanderung muss klar benannt werden: Infolge der Geringschätzung durch nationale Eliten und zentralstaatlicher Instanzen gelang es in der mit Abstand zweitgrößten polnischen Stadt der Zwischenkriegszeit nicht, eine allgemeinbildende oder eine technische Universität zu errichten. Eine Universität erhielten Posen und Lublin, beide weniger als halb so groß wie Lodz, reaktiviert wurde die Universität Wilna, eine Technische Universität entstand in Warschau. Seit 1921 bemühte sich die Stadtverwaltung um die Einrichtung einer technischen oder allgemeinen Hochschule – scheiterte aber auf allen Ebenen. Gesamtpolnisch herrschte die Auffassung vor, Lodz besitze kein ausreichendes Potential und Personal für eine Universität, die industriell und 121 Vgl. Freie Presse, 22.11.1924, S. 4; Brandt, Reise in Polen, S. 77. 122 Zu dem in der Publizistik häufig bemühten Manchester-Vergleich: Agata Zysiak, Manchester und Łódź – „die Hölle auf Erden“, in: Pierre Monet / Olaf  B.  Rader (Hg.), Europa im Plural. Darmstadt 2019, S. 146–157. 123 Jakób Wiewiórski, Ujrzeć na ekranie Łódź. Tak wyglądały początki przemysłu filmowego, in: Gazeta Wyborcza v. 08.01.2017; zur Kinogeschichte: Kulesza/Michalska/Koliński, Łódzkie kina.

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jüdisch geprägte Stadt galt zudem als politisch unzuverlässig. Nur einen Notnagel bildete schließlich nach langen Rechtsstreitigkeiten die Etablierung einer Filiale der Warschauer „Freien Polnischen Hochschule“ (poln. Wolna Wszechnica Polska) ab 1928, schließlich mit geklärtem Rechtsstatus erst ab 1937. Die „Freie Hochschule“ ging aus freien berufsbegleitenden Kursen hervor, hatte einen gesellschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt, wurde vor allem von Frauen und von Juden (jeweils ca. 50% der Studierenden) besucht und galt gesellschaftspolitisch als „links“. 1938/39 lebten in Lodz ca. 500 Studierende, allerdings verließen die Institution bis zum Zweiten Weltkrieg nur wenige Absolventen mit einem Examen.124 Lodz gelang also bis 1939 nicht der Aufstieg zur Universitätsstadt – im Gegenzug erhoben sich weiterhin Stimmen, die die Stadt als kultur- und zivilisationsfeindliche Stadt diskreditierten. Der linkssozialistische Schriftsteller Witold Wandurski nahm 1925 in einem Bericht für die wichtigste gesamtpolnische Literaturzeitschrift Zygmunt Bartkiewiczs älteres Diktum auf: „Lodz ist eine böse Stadt – auf jeden Fall für Künstler. Publizisten, die in Lodz wohnen, sind völlig überflüssig. […] Hier kann man wohnen – man ist aber außerhalb von Lodz und ohne Lodz schöpferisch tätig. Dieser Zustand kann noch lange Jahre dauern, es sei denn es verändern sich grundsätzlich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, hin zu einem Übergewicht der Intelligenz: darüber kann man heute noch nicht einmal träumen. In Lodz begann man endlich mit den Arbeiten an der Kanalisation, wann beginnt man mit den Arbeiten an einer Kanalisierung des geistigen Lodz? […] Machen wir uns nichts vor! Es gibt keinen Platz für die Kunst in Lodz. Eine böse Stadt.“125 Stanisław Rapalski, 1927–1933 Vizepräsident, beschrieb die Stadt so: „Lodz, die nach Warschau größte Stadt in Polen, die Stadt hoffnungsloser Straßen, stinkender Rinnsteine, unfassbar holpriger Pflaster, mit einem Wasser, das aus einer durch hunderte Fabriken und einer halben Million Menschen verunreinigten Erde geschöpft wird“.126 Kaum von der Hand zu weisen ist angesichts der Statistik von Investitionen der öffentlichen Hand, dass Lodz tatsächlich benachteiligt wurde. Weder erfolgten in der Region strategisch Investitionen noch solche, die den Gesamtstaat aufbauen sollten. In der Statistik des Steueraufkommens lag Lodz nach Warschau auf dem zweiten Platz, aber nur ein kleiner Teil des Geldes kehrte zurück. Tatsächlich mehrten sich in der 124 Krzysztof Baranowski, Oddział Wolnej Wszechnicy Polskiej w Łodzi 1928–1939. Warszawa, Łódź 1977. 125 „Łódź jest złem miastem – dla artystów w każdym razie. Ludzie pióra, zamieszkujący w Łodzi, są tu zupełnie zbyteczni. […] Tu można mieszkać – tworzy się poza Łodzią i bez Łodzi. Stan taki potrwać może jeszcze długie lata – chyba że zasadniczo zmieni się ustosunkowanie sił społecznych, z przewagą inteligencji: o tem dziś nawet marzyć nie można. Rozpoczęto w Łodzi nareszcie roboty nad kanalizacją miasta; kiedyż rozpocznie się praca nad kanalizacją umysłowości łódzkiej? […] Nie łudźmy się! Niema miejsca dla sztuki w Łodzi. Złe miasto.“ Witold Wandurski, Artyści w złem miejście. Łódź w sierpniu 1925, in: Wiadomości Literackie (1925), 32 (84), 09.08.1925, S. 2. 126 „Łódź, największe po Warszawie miasto w Polsce, miasto beznadziejnych ulic, cuchnących rynsztoków, nieprawdopodobnie wyboistych bruków, wody czerpanej z zanieczyszczonej przez setki fabryk i pół miliona ludności ziemi“, zit. nach Bolanowski, Architektura, S. 9.

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Stadtöffentlichkeit die Stimmen, die von einer strukturellen Vernachlässigung sprachen. 1927 hieß es im nationaldemokratischen „Kurier Łódzki“: „Man mag und versteht diese Stadt nicht. Selten schaut einer der nationalen Führer vorbei – und wenn er endlich erscheint, treten Verstimmungen auf und fallen bittere Vorwürfe. Man sagt unseren Landsleuten, dass diese auf ihrem Land entstandene Stadt ihnen geistig und städtebaulich fremd sei. Man wirft ihnen Geldgier vor und vergisst dabei ihr Arbeitsethos; man bedauert die Fremdheit und Gleichgültigkeit für nationale Fragen in Industrie und Handel, und vergisst dabei die Arbeitermassen; man ist verzweifelt über das Fehlen einer romantischen Kultur in diesem Ameisenhaufen der Kamine und erkennt nicht die Existenz einer anderen Kultur, einer Kultur der Tat und der Härte. Aber so entstand Lodz – die Stadt der Parias, die aussätzige Stadt im Kreise der Kulturstädte, die sich der Ehrwürdigkeit ihrer Geschichte und des Schönen ihrer Traditionen rühmen; es wuchs ins Riesenhafte, verschlang immer neue Bauernmassen und hatte Bestand, elendig, schmutzig, von oben herab betrachtet, indem es mit Hunger und Arbeit die zukünftigen tatsächlichen Erbauer, Meister und Arbeiter eines wiedergeborenen Vaterlandes härtete.“127 Entwickelt wurde hier ein gesamtpolnischer Diskurs der nationalen Arbeit, der einem stärker internationalistischen Fortschrittsdiskurs entgegenstand – beide Diskurse, aber auch beide methodische Ansätze bestimmten die Integration Lodzs in die polnische Gesellschaft und den polnischen Staat. Auch die Stadtverwaltung förderte in eigenen Publikationen ein Image als „Stadt der Arbeit“.128 Es ist offensichtlich, dass beide Prozesse widersprüchlich verliefen. Der Weg von einer monoindustriellen globalen Textilstadt zu einer modernen diversifizierten Industriestadt war weit und wurde von allen Akteuren hinter Eigeninteressen zurückgestellt und nicht konsequent verfolgt. Internationale Krisen, eine geringe staatliche Unterstützung, ein niedriger Kapitalstock vor Ort wie auch nationale Abschließungstendenzen und Aspekte einer antijüdischen und antideutschen Xenophobie standen dem entgegen.

127 „Nie lubiano i nie rozumiano tego miasta. Rzadko który z wodzów narodu zaglądał do niego – a gdy taki się wreszcie zjawiał – padały ciężkie słowa i gorzkie zarzuty – Mówiono rodakom, że to miasto wyrosłe na ich ziemi jest obce im z ducha i z oblicza swojego. Wytykano mu gorączkę złota, a zapominano wspomnieć o gorączce pracy; ubolewano nad obcością i obojętnością dla sprawy narodowej filarów przemysłu i handlu, a zapominano o masach robotniczych; rozpaczano nad brakiem w tem mrowisku ognisk kultury romantycznej, nie dostrzegając istnienia innej kultury – kultury czynu i hartu. I była Łódź – miastem pariasem, miastem podrzutkiem w gronie grodów polskich szczycących się sędziwością swych dziejów i pięknem swych tradycji; rosła, olbrzymiała, wchłaniała w siebie coraz to nowe rzesze oraczy i żyła, nędzna, brudna, lekceważona, hartując się głodem i pracą na przyszłych realnych budowniczych, majstrów i robotników odrodzonej Ojczyzny.“ Kurier Łódzki (1927), zit. nach Igor Rakowski-Kłos, Miasto lumpów i złodziei. Dlaczego Polska nienawidzi Łodzi?, Gazeta Wyborcza 14.04.2016. 128 Edward Rosset, Łódź. Miasto pracy. Łódź: Wydawnictwo magistratu m. Łodzi 1929.

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Lodzer Gesellschaft 1918/20–1939: Soziale und ethnische Radikalisierung „Ah, meine lieben Deutschen, meine lieben Juden, hier treffe ich euch nun nebeneinander. Welch sonderbare Situation! Ihr seid nun beide Fremdvölker! Gleichberechtigt in der fehlenden Gleichberechtigung. Sieh da, kuriose Suppe. Ihr ähnelt euch sonst nicht sehr; ob ihr jetzt etwas aneinander findet; – es braucht nicht gleich die Taufe zu sein, seitens der Juden, oder Tiffilin [Gebetsriemen] legen seitens der Deutschen. Da gehe ich über den Damm in der Petrikauer Straße. Und gerade – mein Dämon führt mich – stoße ich auf eine Buchhandlung, eine deutsche. […] Zwei Schaufenster hat der Buchladen: das polnische mit seinen Hieroglyphen lasse ich. Dann zwei Schritte links ‚Die Sünde wider das Blut‘ […] ganze Reihe. […] Die Evangelien; so viele Evangelien. Ja, die Deutschen hier sind evangelisch. […] Und da sehe ich – das Hakenkreuz auf dem Umschlag, und der Name eines deutschvölkischen Agitators steht darüber. Seine Evangelien. […] Wie ist es mit der interessanten Situation der Deutschen und Juden. Sie werden fünf Schritte zusammen gehen. Aber ich glaube, es ist nichts mit dem Tifillinlegen der Deutschen.“1  Alfred Döblin (1924)

Im Herbst 1924 besuchte Döblin bei seiner Reise durch Polen Lodz. Motive des Aufenthalts finden sich Jahre später in „Berlin Alexanderplatz“. Was interessierte Döblin, ohne Frage einen der sensibelsten Beobachter großstädtischen Lebens der Epoche? Seine „Reise in Polen“ wurde im Auftrag der Berliner Vossischen Zeitung durchgeführt; im November  1924 war Döblin vor Ort und führte ein ausführliches, nicht erhaltenes Reisetagebuch. Besonderes Interesse zeigte er an den komplexen jüdisch-deutschen Verhältnissen in der Stadt, er nahm wahr, dass die Juden vielfach auch deutschsprachig waren und dass es unter der progressiven, eher links ausgerichteten Intelligenz zahlreiche Verbindungslinien gab. Zugleich besaß Döblin ein Sensorium für verborgene Spannungen: Den deutschen Sozialisten unterstellte er, sie bildeten eine soziale Partei „mit völkischem Einschlag“ und lauerte „heimtückisch“ auf ethnonationale Zungenschläge bei seinen sozialistischen Gesprächspartnern.2 Immer wieder konstatierte er verborgene Spannungen, sprach von einem „schrecklichen Haß der Deutschen und Polen“.3 In einem Gespräch mit dem Sozialisten Otto Heike bemerkt er antijüdische Ressentiments, „will ihn aber nicht weiter nach den Juden fragen, denn er ist ein Preuße, und ich kenne seine Farben.“4

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Alfred Döblin, Reise in Polen. München 42006, S. 306–307. Döblin, Reise in Polen, S. 305. Döblin, Reise in Polen, S. 310. Döblin, Reise in Polen, S. 306. Döblin spielte hier auf das Preußenlied (1830) an.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_007

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Beim Blick auf die Auslage einer deutsch-polnischen Buchhandlung in der ul. Piotrkowska stieß er bei der Durchmusterung der deutschsprachigen, dort ausliegenden Werke auf mehrere Romane des völkischen Bestsellerautors Artur Dinter, dessen „Die Sünde wider das Blut“ (1917) bereits in den 1920er Jahren in Deutschland Auflagen in sechsstelliger Höhe erreicht hatte. Dinter beschrieb hier in sexualantisemitischer Form eine angebliche Vorliebe jüdischer Männer für blonde Frauen, um im Anschluss daran vermeintlich fatale Konsequenzen solcher Verbindungen aufzuzeigen.5 Dinter war 1919 an der Gründung des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes“, einem Vorläuferverband der NSDAP, beteiligt und 1924 kurzzeitig NSDAP-Gauleiter in Thüringen – er verfasste in dieser Zeit Literatur mit einer deutlichen christlich-völkischen Tendenz mit dem Ziel, die christliche Lehre zu „entjuden“. Döblin stieß in der Lodzer Buchhandlung wohl auf das 1923 erschiene „Evangelium unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus […] im Geiste der Wahrheit“ eine völkisch-antisemitische Neubearbeitung der christlichen Lehre. Dass sich gerade dieses Werk im Schaufenster einer Buchhandlung an der Hauptstraße befand, deutet auf eine Durchdringung der evangelischen Kirche in Lodz durch völkisches Gedankengut an – sollte die von Paul Althaus im Ersten Weltkrieg gelegte Saat (vgl. S. 68) so aufgegangen sein?6 Döblin zieht in seinem Reisejournal daraus einen klaren Schluss – es werde wohl aufgrund dieser Tendenzen auch vor Ort nichts mit einem deutsch-jüdischen Bündnis. Laut Marion Brandt und Frank M. Schuster könnte es „sich um die Buchhandlung von Ludwig Fischer (Ludwik Fiszer) gehandelt haben (Piotrkowska 47), die damals von dessen Schwager Paul Mix (Paweł Miks) geleitet wurde und in der Zeit eine der bekanntesten, wenn nicht die bekannteste Buchhandlung vor Ort war.“7 Die Buchhandlung, zu der ein polnischsprachiger Verlag gehörte, ging in der Weltwirtschaftskrise bankrott und wurde von der deutsch-polnischen Familie Seipelt übernommen (vgl. S. 223). Döblin sieht hier mitten auf der Flaniermeile mit dem Sensorium eines Intellektuellen einige Besonderheiten des deutsch-jüdischen Zusammenlebens in der polnischen Stadt Lodz. Beide Gruppen hatten in einer Mehrheitsgesellschaft ihre Eigenart bewahrt – wichtig für den seine Identität suchenden assimilierten Juden Döblin. Zugleich erkennt er die ersten völkisch-nationalistischen Ansätze in Lodz und die Sprengkraft dieser Parolen. Bemerkenswert ist, wie deutlich Döblin 1924 neben den sozialen, für die die Industriestadt bekannt war, auch ethnische und nationale Trennlinien im liberalen und linken Milieu – nur mit diesem hatte er bei seinem Aufenthalt Kontakte – wahrnahm. 5 Volker Roelcke, Roman der rassischen Reinheit. „Die Sünde wider das Blut“ von Artur Dinter (1917/1918). In: Dirk van Laak (Hg.): Literatur, die Geschichte schrieb. Göttingen 2011, S. 165–181. 6 Der spätere Bischof Karol Kotula aus dem Teschener Land stellte nach seiner Versetzung nach Lodz 1927 vor Ort ebenfalls einen „deutschen Geist, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg“ („duch niemiecki, zwłaszcza od pierwszej wojny światowej“) fest. Karol Kotula, Od marzeń do ich spełnienia. Wspomnienia z lat 1884–1951. Bielsko-Biała 1998, S. 144. 7 Marion Brandt, Erläuterungen zu Alfred Döblins „Reise in Polen“. Gdańsk 2016 www.alfred-doeblin.de/ data/erlaeuterungen-zu-doeblins-reise-in-polen.pdf, S. 71.

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Daran schließt sich die Frage an, ab wann sich solche Konflikte verschärften, ab wann man in der multikulturellen Stadt von harten nationalen Konfliktlinien sprechen kann. Nationalisierung und Weltwirtschaftskrise Lodz ist eine der wenigen polnischen und westrussischen Städte, die in ihrer Geschichte kaum Pogrome kannten – genannt werden können höchstens die Ausschreitungen vom 6./7. Mai 1892, als nach Arbeiterunruhen jüdische Geschäfte geplündert wurden und das unter Beteiligung auswärtiger Militärs veranstaltete Pogrom am 17. September 1919 (vgl. S. 83).8 Warschau (1881), Lemberg (1918), Krakau (1945), Kielce (1946), Lublin (1919), Białystok (1906), Tschenstochau (1946) verzeichneten schwerere Pogrome, Lodz findet sich auf dieser Liste nur randständig. Die Stadt galt im frühen 20. Jahrhundert als ein den amerikanischen Verhältnissen ähnlicher Schmelztiegel, gerade der „Lodzermensch“ lebte durch und in einer transnationalen Akkulturation, die Wahrnehmung als „rotes Lodz“ schien die Stadt weniger anfällig für nationale Konflikte zu machen. Jüdische Bevölkerung wanderte zu, auch um den Pogromen nach dem Ersten Weltkrieg in der Ukraine und dem von Nationalisten ausgerufenen Wirtschaftsboykott in den Kleinstädten zu entkommen.9 Natürlich konnten scharfe soziale Konflikte auch in nationale Konflikte übersetzt werden, schließlich standen sich nicht selten polnische Fabrikarbeiter und deutsche bzw. jüdische Fabrikanten oder deutsche Meister gegenüber. Solche Vorstellungen existierten in der populären Lodzer Liedkultur – 1907 wurden in der polnischen Öffentlichkeit anlässlich der massenhaften Aussperrung (vgl. S. 42) die sich mehrheitlich in Berlin aufhaltenden Fabrikanten mit den als antipolnisch stigmatisierten Deutschordensrittern verglichen: „Um das Gold nicht offen über die Grenze Polens fortzuschaffen / heuerten sie Provokateure an, die das Volk aufwiegelten / Um Kampf und Verleumdung unter ihm zu wecken / und dann die Fabriken schließen zu lassen! / Als alles so geschehen war, wie sie es angeordnet hatten / Ab ins Vaterland [im Original in Deutsch, H.-J.B.] wie die Räuber / das Vermögen nahmen sie mit – flüchteten / und schrien: Aussperrung! Soll doch der Pole verrecken oder sich vergiften. / Oh ihr Niederträchtigen, die ihr nicht wisst, dass Gott alles sieht, / dass er selbst den elenden Wurm nicht vergisst / der Kreuzritter, um des Goldes willen, lästert sogar Gott / aber die Geschichte wird zur rechten Zeit an alles erinnern.“10 8 9 10

Literarische Verarbeitung: Singer, Brüder Aschkenasi, S. 258–268. Kamil Kijek, Dzieci modernizmu. Świadomość, kultura i socjalizacja polityczna młodzieży żydowskiej w II Rzeczypospolitej. Wrocław 2017, S. 270, 333, 367. „Lecz by jawnie nie wysyłać złota z polskiej ziemi, / Zwieźli prowokatorów, by lud podburzali, / By bójki i niesnaski wzbudzić między niemi / a potem fabryki zamknąć przykazali! / Gdy się wszystko już stało, tak jak uradzili, / Wnet do Vaterlandu czmychnęli jak zbóje, / majątki zabrawszy – uciekli w tej chwili / krzycząc: Lokout! Niech Polak zdycha lub się truje. / O nikczemni, nie wiedzą, że Bóg wszystko

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Der sozialistische Gegenentwurf, das Marschlied „Łodzianka“, eine Überarbeitung der „Warszawianka“ (1905), sprach dagegen ohne nationale Konnotation von Fabrikanten als „Unterdrückern“ – und war zeitgenössisch deutlich populärer.11 Auch die polnische bürgerlich-nationale Literatur, die die Lodzer Deutschen als grobianisch, geschmacklos und unkultiviert stereotypisierte (vgl. S. 53), fand vor dem Ersten Weltkrieg vor Ort keine große Verbreitung.12 Die Erfolge solcher nationalistischer Umdeutungen hielten sich also vor 1914 in Grenzen, auch Deutsche arbeiteten schließlich als Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter, zur Unterschicht zählten auch viele Juden und nach 1918 gab es immer mehr leitende polnische Industrievorstände. Ähnlich wie die „deutsche Partei“ im Ersten Weltkrieg mit einer Nationalisierung der Lebenswelt scheiterte, so scheiterten auch die polnischen Nationaldemokraten 1905/06 und im Ersten Weltkrieg mit ihren nationalen Parolen an der multikulturellen Lebenswirklichkeit. Ab wann änderte sich das? Man kann die imperial-nationalistische deutsche Besatzungspraxis im Ersten Weltkrieg benennen und auf die polnische Staatsbildung nach 1918 hinweisen, die nun im Kern ohne Einbezug der deutschen und jüdischen Bevölkerung stattfand, sondern im Gegenteil von antisemitischen Pogromen (Lemberg, Zentral- und Ostpolen) begleitet war. Die jüdische Jugend besuchte mehrheitlich staatliche polnisch-jüdische Schulen und wurde dort mit einem polnischen Bildungsprogramm konfrontiert, zugleich aber immer wieder lebensweltlich von der Teilhabe am katholischen Staat ausgeschlossen.13 Das mündete in Frustration und schuf den Boden für die zionistische Bewegung. Der Soziologe Thomas Fuchs hat in einem Beitrag zur älteren deutschen Histo­ riographie der 1920er und 1930er Jahre die These aufgestellt, die „deutlichen Auflösungserscheinungen“ unter den deutschsprachigen Lodzern, bei denen das Wirtschaftsbürgertum für eine Annäherung an den Staat und eine Polonität optierte sowie die schrittweise Polonisierung deutscher Kolonisten durch die Schule habe das Klima eines „Verfalls“ deutscher Kultur potenziert, aus dem von deutschnationalen Akteuren eine völkische Perspektive als „Akt der Selbstbehauptung“ angesehen wurde.14 Soziale Konflikte beschleunigte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929, die die weiterhin von der Textilkonjunktur abhängige Stadt schwer traf. Seit den frühen 1930er Jahren können

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widzi, / Że o nędznym robaczku nawet nie zapomni, / bo  … Krzyżak, by miał złoto, nawet z Boga szydzi / Lecz historia w swym czasie o wszystkiem przypomni.“ Lokout w Łodzi 1907 r., in: Eugeniusz Ajnenkiel, Ponad brukiem pieśni płyną, in: Śpiewnik łódzki. T. 1. Łódź 1983, S. 86–87. Maria  A.  Lukowska, Fabrykant łódzki we wspomnieniach robotników. Łódź 2007, S.  194; Abdruck: Katarzyna Badowska [Hg.], „Budzi się Łódź…“. Obrazy miasta w literaturze do 1939 roku. Antologia. Łódź 2020, S. 301–302. So Zygmunt Bartkiewicz, Psie dusze. Nowele i obrazy. Warszawa 1910, S. 159–164 in der Novelle „Na łódzkim torze“ (Auf der Lodzer Rennbahn). Kijek, Dzieci modernizmu, S. 123–152. Fuchs, Verlorene Welt, S. 90.

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eine ganze Reihe von Ereignissen oder Zeugnissen benannt werden, die auf die deutliche Veränderung des gesellschaftlichen Klimas hinweisen. Kurzarbeit, Entlassungen, Hunger, Fabrikbesetzungen und Streiks prägten die Atmosphäre bis 1935. Diese erneute Radikalisierung wurde zeitgenössisch auch für die Situation in den Fabriken konstatiert: Politische Konflikte verschärften sich, die Abhängigkeit von Meistern, die teilweise Bestechungszahlungen wie den „Einstand“ (im Lodzer Polnisch „ajnsztand“) forderten,15 um eine Beschäftigung zu sichern, wuchs erneut an. Das polnische „Nationale Lager“ und die Entstehung von Kampfverbänden In der polnischen Gesellschaft löste die Wiedergründung der eigenen Staatlichkeit erhebliche Richtungskonflikte aus, die vor allem um die Frage kreisten, ob wie historisch ein vielsprachiges Staatswesen gegründet werden sollte oder ob man einen modernen und ethnisch einheitlichen Nationalstaat anstrebte. Innerpolnisch standen sich die Konzepte eines multikulturellen „jagiellonischen“, an die polnisch-litauische Union anknüpfenden, oder eines national einheitlichen „piastischen“ Polens gegenüber. Für die erstere Konzeption stand der Staatsgründer Józef Piłsudski, für einen Nationalstaat die Nationaldemokratie unter Führung von Roman Dmowski. Aufgrund der realen kulturellen und politischen Verhältnisse – in den 1921 stabilisierten Grenzen lebten mehr als ein Drittel nicht polnischsprachige Bevölkerungen und die westlichen Alliierten erlegten Polen am 28. Juni 1919 einen Minderheitenschutzvertrag auf16 – war ein Nationalstaat auf kurze Sicht keine praktikable Alternative, wurde aber von einem relevanten Teil der polnischen Politiker langfristig konsequent angestrebt, was konfliktverschärfend wirkte. Dieser Ethnozentrismus mündete in eine scharfe, öffentlich ausgetragene Rivalität: Am  9. Dezember 1922 wurde Gabriel Narutowicz, der aus einer litauisch-polnischen Adelsfamilie stammte und Professor an der Technischen Hochschule Zürich gewesen war, mit den Stimmen der Minderheitenvertreter vom polnischen Parlament zum Staatspräsidenten gewählt. Narutowicz war ausgesprochen vielsprachig, sein Bruder Stanislovas setzte sich als litauischer Politiker für eine polnisch-litauische Verständigung ein. Auch Gabriel stand wie kaum ein anderer für ein weltoffenes Polen. Diese Wahl wurde von nationaldemokratischer Seite als „Schande“ und als „nationaler Verrat“ interpretiert, im Lodzer nationaldemokratischen „Rozwój“ hieß es, der Wille des polnischen Volkes sei „vergewaltigt“ worden, denn die polnische Linke habe gemeinsam 15

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Georg W. Strobel, Das multinationale Lodz, die Textilmetropole Polens, als Produkt von Migration und Kapitalwanderung, in: Hans-Werner Rautenberg (Hg.), Wanderungen und Kulturaustausch im östlichen Mitteleuropa. Forschungen zum ausgehenden Mittelalter und zur jüngeren Neuzeit. München 2006, S. 163–223, hier 190. Minderheitenschutzvertrag zwischen den Alliierten und Assoziierten Hauptmächten und Polen. Versailles, 28. Juni 1919, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, www.europa.clio-online.de/ quelle/id/q63-28322.

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mit „Juden, Deutschen und Ruthenen“ gegen die „polnische Mehrheit“ gestimmt. Die Wahl sei unter „dem Diktat der jüdischen Minderheit“ zustandegekommen, die polnische Nation habe verloren, der Kampf gehe aber weiter und die Nation müsse gewinnen.17 In solchen Texten wurde die Aufteilung in eine ethnisch verstandene katholische „polnische Nation“ und „fremde Minderheiten“ mit minderen Rechten, die lediglich als „Gäste“ angesehen wurden, jenseits demokratischer Regeln festgeschrieben. Dieses Konzept prägte die polnischsprachige Öffentlichkeit der Stadt weit über das nationale Lager hinaus durch das ganze 20. Jahrhundert, Stimmen, die zwischen ethnischen „Polen“ und „Gästen“ trennten und daraus unterschiedliche Rechte ableiteten, fanden sich noch am Rande einer wissenschaftlichen Tagung im Jahre 1995.18 Wie scharf der Ton 1922 war, zeigt ein Aufruf „An die Polnische Jugend“ der „Gesellschaft der Entwicklung des Nationalen Lebens in Polen“, der in ebendieser Ausgabe der Lodzer Zeitung abgedruckt wurde: „An Dich, Polnische Jugend, wenden wir uns erneut, da unser Vaterland von einer neuen Gefahr bedroht wird. Unser Land wird von Horden verdorbener Judenbengel aus dem Osten und Westen überschwemmt, die hier in Polen schmarotzen und auf verbrecherischen Pfaden mit Schwindel, Diebstahl und Korruption unser unerfahrenes polnisches Landvolk übers Ohr hauen und ausbeuten. Die Missbräuche und Betrügereien dieser schändlichen Mächte, die am Körper der polnischen Nation schmarotzen und sich von unserem Blut und Schweiß mästen, gelangten zu einem solchen Grad an Dreistigkeit und Unverschämtheit, dass sie nicht länger geduldet werden können, denn dies führt zu einem Untergang des ganzen polnischen Volkes.“19 Diese Agitation fiel auf fruchtbaren Boden. Nach gewalttätigen Demonstrationen griff ein Anhänger zur Waffe und ermordete Narutowicz am 16. Dezember 1922 in Warschau. Polen erlebte erstmals einen Rechtsruck und scharfe Konflikte, Julian Tuwim formulierte über die Attentäter: „Ein Kreuz trugen sie auf der Brust / Und eine Browning in der Hosentasche / Mit Gott waren sie im Bündnis / Und mit dem Mörder hatten sie 17

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„Wola ta została zgwałcona przez blok mniejszości narodowych przy pomocy klubów lewicy włącznie z znaczną częścią piastowców, którzy zdecydowali, że wolą iść z żydami, Niemcami, Rusinami, aniżeli – z większością polską. […] Ale nie została zwyciężona ostatecznie. Walka o Polskę, o prawa Narodu Polskiego trwa dalej i w walce tej Naród Polski musi być zwycięzęcą.“ Rozwój, 341 (1922), Ausgabe v. 12. Dezember 1922. Eigene Beobachtungen am Rande einer wissenschaftlichen Tagung des Deutschen Historischen Instituts Warschau und des Historischen Instituts der Universität Lodz, Lodz, 19.–21.10.1995. Gegen die Klassifizierung als Gäste wandte sich nachdrücklich Feliks Tych. „Do Ciebie, Młodzieży Polska, zwracamy się znowu, gdy Ojczyźnie naszej zagraża nowe niebezpieczeństwo. Ziemię naszą zalewają hordy rozwydrzonego żydłactwa, przybywającego ze Wschodu i Zachodu, aby tu, w Polsce pasożytować i wszelkiego rodzaju zbrodniczemi drogami, jak: szachrajstwem, złodziejstwem i przekupstwem obdzierać i wyzyskiwać niedoświadczony lud polski. Nadużycia i łajdactwa tej niecnej falangi, pasożytującej na skórze narodu polskiego i tuczącej się krwią i potem naszym doszły do tego stopnia rozwydrzenia i bezczelności, że dłużej cierpiane być nie mogą, gdyż grozi to zagładą całemu narodowi polskiemu.“ Rozwój, 341 (1922), Ausgabe vom 12. Dezember 1922.

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einen Pakt geschlossen.“20 1923 gewann in Lodz erstmals eine katholisch-nationaldemokratische Mehrheit knapp die Wahlen zum Stadtparlament, allerdings blieb in der Stadt zunächst eine Radikalisierung in der Öffentlichkeit aus. Eine der größten städtischen Ost-West-Verbindungen wurde 1924 zu Ehren des ermordeten Staatspräsidenten in ul. Narutowicza umbenannt. Die auf Ausgleich bedachte, durchaus kosmopolitische Atmosphäre änderte sich schrittweise nach 1926, als nach dem Staatsstreich Józef Piłsudskis die Nationaldemokraten von der Macht entfernt und infolge des autoritären Regimes vielfach in den Untergrund gedrängt wurden. Die polnische Demokratie fiel so der ersten Welle des neuen autoritären Gedankenguts zum Opfer, so wie Deutschland sieben Jahre später. Die Wirtschaftskrise und die scharfen staatlichen Repressionen führten dazu, dass ab den frühen 1930er Jahren die Mobilisierung der Straße und der öffentliche Antisemitismus drastisch zunahm – zu klären ist für Lodz, ob hierbei nicht auch die Vorbilder aus dem nahen Deutschland Anstöße gaben.21 Für die Region lässt sich ab 1933/34 ein dramatischer Anstieg national und antisemitisch eingestellter Ortsgruppen (poln. koło) der „Nationalen Fraktion“ (Stronnictwo Narodowe) oder des „Lagers für ein Großes Polen“ (Obóz Wielkiej Polski) nachweisen, deren Mitglieder männlich und jung, im Durchschnitt zwischen 18 und 25 Jahre alt waren.22 Damit einher ging auch eine Belebung einer nationalistischen Presselandschaft. Ab 1934 erschien die Tageszeitung „Orędownik“ (Der Fürsprecher) mit einer eigenen Lodzer Ausgabe in einer Auflage von ca. 4.000–5.000, in Momenten besonderer öffentlicher Diskussionen mit bis zu 15.000 Exemplaren. Die Zeitung mit dem Untertitel „Illustrierte nationale und katholische Zeitschrift“ agitierte im Unterschied zu ihrem Posener Vorbild nicht nur antisemitisch, sondern auch deutlich sozial radikaler.23 Im Zentrum stand der Kampf gegen „Judensozialisten“ (poln. żydo-socjaliści) und Aufrufe zum Wirtschaftsboykott gegen jüdische Unternehmen und Händler: „Diese Tätigkeit sollte vor allem den erprobten Weg des wirtschaftlichen und kulturellen Boykotts gehen, was doch immer die Kraft der grundsätzlichen polnischen Forderungen stärkt: ‚Den Juden alle politischen Rechte nehmen!‘ Und wir wissen, dass die Ausrottung der Juden in Lodz gleichzeitig auch den Marxismus austreibt.“24 Verbunden wurde dies mit namentlichen Kampagnen 20 21 22 23 24

„Krzyż mieliście na piersi, / a brauning w kieszeni / Z Bogiem byli w sojuszu, / a z mordercą w pakcie“. Julian Tuwim, Pogrzeb prezydenta, in: poezja.org/wz/Tuwim_Julian/22656/Pogrzeb_prezydenta. Grzegorz Krzywiec, Czy państwo w Polsce pomajowym było czynnikiem antyżydowskim (1926–1939)? Stan badań i perspektywy badawcze, in: Janusz Żarnowski (Hg.), Państwo i społeczeństwo Drugiej Rzeczypospolitej. Warszawa 2014 (Metamorfozy społeczne, 8), S. 369–388, hier 372. Krzysztof Waldemar Mucha, Obóz narodowy w Łódzkiem w latach 1926–1939. Łódź 2009, S. 65–95. Mucha, Obóz narodowy, S. 214–216. „Działalność ta winna iść głównie wypróbowaną drogą bojkotu gospodarczego i kulturalnego, co przecież zawsze wzmacnia siłę zasadniczego żądania polskiego: ,Pozbawić praw politycznych żydów!“ A wiemy, że likwidacja żydowska w Łodzi, to równocześnie wytrzebienie z niej marksizmu.“ Jan Wyganowski, Wobec niemiecko-żydowskiego naporu, in: Orędownik (1938), Nr. 298 v. 30.12.1938, S. 7.

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gegen, so wörtlich, „Judenfreunde“ und „verjudete Polen“,25 so sollte eine nationale Einheit hergestellt werden. In den 1930er Jahren ging man dabei immer stärker auch zu konkreten Aktionen über. Aufsehen erregten vor allem Konflikte und Straßenschlachten im Umfeld der als „feindlich“ angesehenen Arbeiteraufmärsche zum 1. Mai sowie der als „polnisch“ deklarierten eigenen Aufmärsche am 3. Mai. So zog am 3. Mai 1934 ein nicht genehmigter „nationaler Aufmarsch“ zur Kathedrale, auf dem Weg kam es zu Tätlichkeiten gegenüber jüdischen Passanten.26 Am 1. Mai 1936 wurde eine sozialistische Demonstration, an der Anhänger der polnischen, jüdischen und der deutschen Arbeiterpartei teilnahmen, vor dem Redaktionsgebäude des „Orędownik“ mit Steinen und Schlagstöcken angegriffen, es kam zu Straßenkämpfen, bei denen das Redaktionsgebäude angegriffen wurde und Schusswechsel ausbrachen.27 In den Jahren 1936 und 1937 fanden mehrere Bombenanschläge auf jüdische Geschäfte und Attentate mit Toten gegen jüdische Ladenbesitzer und Passanten statt, die von der Justiz ausgesprochen milde bestraft wurden.28 Beteiligt an diesen Ausschreitungen war auch der Journalist und Schriftsteller Konstanty Dobrzyński, eine der interessantesten Persönlichkeiten im Umfeld des „nationalen Lagers“.29 Er stammte aus einer Arbeiterfamilie aus einem Vorort, er arbeitete als Weber in den Scheiblerschen Betrieben, holte am Abendgymnasium das Abitur nach30 und verfasste als „Sohn der Arbeiterstadt Lodz“ lyrische Werke, in denen er Sozialkritik übte, aber auch aus einer nationalen Perspektive Ungleichheit anprangerte. In dem Band „Schwarze Poesie“31 findet sich das Gedicht „Der Weber“, in dem es heißt „Schau! … was eine hübsche weiche Seide, glänzend / wie wird sie auf runden Schultern liegen / rosa Brüsten, lächelnden Schößen / in Salons, in denen sich Jazz verbreitet, wild und lärmend …“.32 Angespielt wird hier auf das weit verbreitete Bild einer kosmopolitischen Dekadenz und einer Sittenlosigkeit in den Palästen der Fabrikanten, die nur auf den Schultern „polnischer Arbeiter“ möglich sei. Andere Gedichte rufen im Namen eines „Neuen Polens“ zu einem Kampf der jungen Generation für eine „neue Zeit“, gegen überkommene Konventionen und Bedrückung auf. Auffällig ist dabei eine hohe Gewaltaffinität, die bereits zeitgenössisch Diskussionen 25 26 27 28 29 30 31 32

„Zżydziali Polacy“, Orędownik, 01.01.1939, S. 7. Mucha, Obóz narodowy, S. 168. Beschrieben im Vorwort zu Dobrzyński, Wiersze, S. 14. Konkrete Terroranschläge und Attentate bei Pawel K. Rutkiewicz, Łodzkie problemy w latach 1933– 1939. Ataki na żydowskie sklepy, in: Kronika miasta Łodzi (2017, 3(79), S. 128–140. Isabelle Vonlanthen, Ulrich Schmid, Między misją dziejową a nadziejami na przyszłość: mityczne koncepcje czasu, in: Schmid, Estetyka dyskursu, S. 190–202. Neue vollständige Ausgabe der Lyrik (ohne Publizistik): Konstanty Dobrzyński, Wiersze zebrane. Bearb. v. Wojciech Rotarski. Częstochowa 2017. Konstanty Dobrzyński, Czarna poezja. Poznań 1936 (Bibljoteka Głosu). „Patrz! … śliczny atłas miękki, połyskliwy, / jak będzie leżał na krągłych ramionach, / różowych piersiach, roześmianych łonach; / w salonach gdzie się rozpostarł dziko jazz wrzaskliwy  …“ Tkacz [Der Weber], in: Jan Dobrzyński, Czarna poezja, S. 74–76.

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auslöste und selbst im eigenen Lager als „Patriotismus der Fäuste“ zwiespältig gesehen wurde.33 Metaphern einer „erwachenden Nation“ und einer „polnischen Morgenröte“ riefen zum Kampf auf. Wiederholt tritt auch ein Arbeiterantisemitismus hervor, etwa wenn im Namen des „roten Lodz“ und den „Tränen von Mädchen mit blauen Augen“ zum Kampf gegen von der Familie Eitingon geführte Unternehmen aufgerufen wird, hinter denen sich jüdische Spekulanten verbergen würden.34 Gerade die Eitingons, die auch deutschsprachig waren, über Verbindungen zum sowjetischen Geheimdienst (der KGBFunktionär Naum I. Eitingon) und zum New Yorker Finanzkapital (die Eitingon Schild Holding unter Leitung von Motty Eitingon) verfügten, eigneten sich hervorragend als Zielscheiben einer antisemitischen und nationalistischen Agitation von unten.35 Dobrzyński erhielt 1939 zusammen mit Adolf Nowaczyński den Preis der einflussreichen Warschauer faschistoiden Zeitschrift „Prostu z mostu“. In seinem Werk kann man die Sprengkraft der Konflikte ermessen, die unter den Lodzer Bedingungen national gewendet und aktualisiert werden konnten. Der Wilnaer Reporter Ksawery Pruszyński hatte bei einem Besuch bereits 1936 die besondere Zusammensetzung der Lodzer Nationalisten erkannt, unter denen neben Akademikern Unterschichten dominierten: „Ein nationaler Aktivist ist in Lodz zuerst der Herr Doktor, der Kaufmann und Rechtsanwalt, dann lange, lange nichts. Dann kommt der neue nationale Aktivist, ein Arbeitsloser.”36 Gerade diese Mischung aus nationalistischen Intellektuellen und verführbaren Schlägern mündete wie in Deutschland in Gewalt und Terror. Besonders brutal geschah dies in landesweiten Aktionen des „nationalen Lagers“ gegen eine jüdische Präsenz in den polnischen Städten. Vor allem in der ländlichen Umgebung von Lodz kam es zu zahlreichen Ausschreitungen gegen jüdische Händler und Handwerker. Anlässlich von Arbeiterdemonstrationen zum 1. Mai und im September  1936 (Jahrestag von Ausschreitungen gegen Arbeiter im Jahre 1906, in Lodz erinnert als „blutiger Mittwoch“) brachen Straßenkämpfe aus. Am 1. Mai hatte die nationalistische Propaganda aufgerufen: „Arbeiter! Genug mit den Demonstrationen im Gefolge des jüdischen Bund! […] Weg mit dem Klassenkampf, der die Kräfte der polnischen Nation zerstört und die Juden mästet! Am 1. Mai feiern wir nicht! Das ist ein jüdischer Feiertag! Es ist klar geworden, dass keine Internationalen uns Arbeit und Brot geben! Wir werden dies nur bekommen, wenn das Polnische Volk der einzige Herr seines Landes sein wird!

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Dobrzyński, Wiersze zebrane, S. 78–79 „Robotniku Szary“ (An den grauen Arbeiter), S. 107 „Nowy tory“ (Neue Gleise). Ebd., S. 147–148 das Gedicht „Ejtingon i Ska“ (Eitingon & Co). Wilmers, The Eitingons, S. 40 (deutsch als Kommunikationssprache bis in die 1930er). „Narodowcem jest w Łodzi najpierw pan doktor, pan kupiec, pan mecenas, potem długa, długa przerwa. Potem idzie nowy narodowiec, bezrobotny.“ Ksawery Pruszyński, Podróż po Polsce. Żółci ludzie z Łodzi, in: Wiadomości Literackie, 07.06.1936, Nr. 25, S. 1.

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Polen hat hunderttausende arbeitslose Polen und ernährt vier Millionen Juden! Polen für die Polen! Fort mit den Juden!“37 Die demokratischen Stadtratswahlen 1936 standen unter diesen Zeichen wachsender Ausschreitungen und nationaler Hetze, die jüdischen Parteien suchten sich mit der Aufstellung von Selbstschutzverbänden für Versammlungen Ruhe zu verschaffen.38 Die Atmosphäre im Stadtparlament verschärfte sich 1936–1939 erheblich, die Nationalisten suchten jüdische Stadtratsmitglieder auszugrenzen, ja sogar im Stadtrat gesonderte Sitze für Juden nach dem Vorbild des „Bänkegettos“ an vielen polnischen Universitäten einzuführen.39 Dieser manifeste Antisemitismus entfremdete Polen und Juden. In Betrieben, Berufsorganisationen und im öffentlichen Leben nahmen Konflikte zu, katholische Ärzte lehnten jüdische Kollegen ab,40 Rechtsanwälte forderten den Ausschluss jüdischer Juristen infolge einer Überrepräsentation jüdischer Akademiker in diesem Sektor. Jüdischen Autoren wurde ihr Polentum abgesprochen, über Julian Tuwim hieß es etwa in einer nationalistischen katholischen Zeitschrift: „Und da er mitnichten ein Christ ist, kann Tuwim auch nicht ein Pole sein. Und er ist es auch nicht.“41 Weniger klar war das Verhältnis des polnischen „nationalen Lagers“ zu der deutschsprachigen Bevölkerung. Einerseits galt Deutschland, das vor allem durch das Prisma eines aggressiven preußisch-deutschen Nationalismus wahrgenommen wurde, als Feindbild, andererseits sahen viele junge nationale Polen im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland Vorbilder einer Ordnung, die sich nun auch in Polen durchsetzen sollte. Kazimierz Kowalski, in Lodz Führungsfigur der „Nationalen Fraktion“, definierte im April 1939 „Die Deutschen von außen und die Juden von innen“ als Feinde, die Deutschen waren Vorbilder und Feinde zugleich.42 Ein Problem stellte dar, dass unter den nationalen Aktivisten selbst mit Willy Schmitz, Waldemar Kautz oder Franciszek Szmajdler43 Personen waren, die aus deutschsprachigen 37

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„Robotnicy! Dość pochodów w ogonku żydowskiego Bundu! […] Precz z walką klasową która niszczy siły narodu Polskiego, a tuczy Żydów! W dniu 1 maja nie świętujemy! To święto żydowskie! Już stało się jasnym, że żadne międzynarodówki nie dadzą nam pracy i chleba! Mieć ją będziemy, gdy Naród Polski stanie się wyłącznym gospodarzem kraju! Polska ma setki tysięcy bezrobotnych Polaków, a karmi 4 miliony Żydów! Polska dla Polaków! Precz z Żydami!“ Orędownik 103 (1936) v. 02.05.1936, S. 1. Emanuel Nowogródzki, Żydowska Partia Robotnicza Bund w Polsce, 1915–1939, Warszawa 2001, S. 242–243. Michał Trębacz, „Our Power is Not the Number of Seats“. The Bund’s Representatives in the Łódź City Council, 1919–1939, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 10 (2011), S. 185–206, hier 194–195. Wincenty Tomaszewicz, Ze wspomnień lekarza. Warszawa 1960, S. 373–374. „A nie będąc ani w jednym calu chrześcijaninem, nie może być Tuwim – Polakiem. I nie jest nim.“ Pro Christo. Wiara i czyn. Organ młodych katolików (1936), Nr. 1. Zit. nach Monika Bednarczuk, „Kwestia żydowska“, in: Ulrich Schmid (Hg.), Estetyka dyskursu nacjonalistycznego w Polsce 1926–1939. Warszawa 2014, S. 126–155, hier 149. Zit. nach Mucha, Obóz narodowy, S. 309. Zusammen mit Klikar Gründungsmitglied der Korporacja Akademicka Res Publica.

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Familien stammten. Bei Akteuren wie dem katholischen Juristen Kurt Alexander Klikar44 gab es erbitterte Diskussionen, die nationale polnische Presse beharrte: „Klikar ist kein Deutscher, sondern Nationalpole.“45 Tatsächlich agierte der mehrsprachige Klikar, der noch an der Universität Moskau studiert hatte, durchaus opportunistisch: In den 1930er Jahren machte er gestützt auf polnische Korporationen wie die „Akademische Res Publica“ Karriere und bezog nationaldemokratische Positionen, nach 1939 geriet er als Leutnant der Polnischen Armee in ein deutsches Offizierslager, aus dem er als „Volksdeutscher“ entlassen wurde, optierte für die deutsche Besatzungsmacht, unterzeichnete 1941 die Deutsche Volksliste und war nun als deutscher Rechtsanwalt und Treuhänder tätig. Zur Familie zählte auch dessen Onkel Oskar Ambroży (Ambrosius) Klikar, der als Prokurist und Vorstandsmitglied der Widzewer Manufaktur tätig war. Der katholische Oskar, der über die Konfessionsgrenzen hinweg zunächst die evangelische Emma Wegener, dann eine Katholikin geheiratet hatte, besaß weitläufige Kontakte in der Textilindustrie und war Mitglied verschiedener deutscher und polnischer Verbände, zeitweise galt er in Widzew als ein Vertrauter Oskar Kons. Das machte nationale Zuordnungen schwierig, im Krieg wurde jahrelang über die nationale Zuordnung Oskars gestritten. Der Journalist Adolf Kargel formulierte im deutschen Litzmannstadt am 25. Juli 1940: „Oskar Klikar ist katholisch. Das besagt bei uns in vielen Fällen, dass der betreffende erst in zweiter Linie Deutscher ist. Bei Klikar kommt noch hinzu, dass er ein typischer Lodscher Geschäftsmann war: er war den Polen ein Pole, den Deutschen ein Deutscher – wenn er sich davon einen Vorteil versprach. […] Der katholische Glaube und sein überspitztes Geltungsbedürfnis brachten ihn den Polen nahe. Er wollte es sich aber auch mit den Juden nicht verderben.“46 Solch ein instrumentelles Verständnis entsprach in den 1930er und 1940er Jahren nicht mehr den Vorgaben behördlicher Politik. Oskar Ambrosius Klikar wurde in die Gruppe 4 der Deutschen Volksliste eingestuft und galt als Renegat, als Abtrünniger. Er starb unter ungeklärten Umständen 1945, sein Buchbestand fiel der Gemeindebibliothek Rzgów zu.47 Erkennbar wird hier aber auch: Ein Deutscher konnte Pole werden, ein Jude – in den Augen der Antisemiten – niemals. Eine wachsende Nationalisierung insbesondere der Jugend durch die Erziehung in den Schulen mündete in den 1930er Jahren auch in Lodz in Konflikte und Prügeleien mit Gleichaltrigen, die als „Deutsche“ wahrgenommen wurden. Ausgelöst durch ältere Stereotype und wechselseitige Gruppenbildungen wurden Innenhöfe und Straßen zu Austragungsorten von Konflikten. Der in Lodz geborene Andrzej Braun beschreibt das in seiner autobiographischen Erzählung „Hundsfeld“, deren Titel an einen sagenumwobenen, aber 44 45 46 47

Biogramm in Penne, Pauker, Pennäler, S. 268. „Klikar nie jest Niemcem, ale Polakiem-narodowcem.“ Kurjer Poznański 31 (1936), Nr. 457 v. 2.10.1936. AP Łódź, Niemiecka Lista Narodowa (Deutsche Volksliste), Nr. 1236, DVL-Akte Oskar Ambrosius Klikar, S. 13. Verwechslung wohl mit Kurt Alexander bei Lesman, Recepta na miliony, S. 250–251.

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erfundenen deutsch-polnischen Konflikt im Mittelalter anknüpft: Polnische Jugendliche entdecken im städtischen Umfeld in unbekannten, aber angeblich „deutschen“ Jugendlichen ihren Gegner und tragen mit diesen Prügeleien und Revierkämpfe, in diesem Fall in Bałuty (ul. Wspólna) aus.48 Braun beschreibt seine Erziehung auf dem eher fortschrittlich eingestellten ŻeromskiGymnasium und seine frühe Faszination für die deutsche Sprache, schildert aber dann die fortschreitende Nationalisierung, die 1938/39 in wachsende Rivalität zwischen polnischen Gymnasiasten und dem deutschen Gymnasium (al. Kościuszki) umschlug und sich schließlich in – von der Polizei beobachtete, aber nicht geahndete – Steinwürfe gegen das deutsche Gymnasium auswuchs.49 Umgekehrt berichten auch deutsche Gymnasiasten 1938/39 von Prügeleien mit polnischen Schülern, Erinnerungen sprechen von einem „politischen Druck, der bereits immer häufiger diese Formen öffentlichen Terrors“ angenommen habe.50 Bis zum Terror war es tatsächlich nicht mehr weit: Am 20. September 1938 kam es zu einem Bombenanschlag des nationalen Untergrunds auf ein Lokal des fortschrittlichen Polnischen Lehrerverbandes (Związek Nauczycielstwa Polskiego), bei dem ein Lehrer getötet und vier weitere Personen verletzt wurden.51 Vor allem jetzt, im Herbst 1938 und Frühjahr 1939 im Kontext wachsender deutschpolnischer Konflikte, setzte das „nationale Lager“ Firmen und Geschäfte von Deutschen durch Aufrufe zu Boykottaktionen und Entlassungen unter Druck. In der Presse hieß es am 6. April: „Kein Groschen sollte mehr in die Kassen eines deutschen Geschäfts, eines deutschen Handwerksbetriebs, einer deutschen Fabrik oder einer deutschen Bank fließen.“52 Jüdische Formierung und eigene „Schutzverbände“ Lodz entwickelte sich seit dem späten 19. Jahrhundert zu einem Migrationsziel zehntausender Juden – nur zwei der zwölf Stadtratsabgeordneten des „Bund“ aus der Zwischenkriegszeit waren auch in der Stadt geboren.53 Zugleich entstand hier ein neues jüdisches Selbstbewusstsein, Perec Opoczyński formulierte das in einem jiddischen Text so: „Es gibt 48

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Andrzej Braun, Psie pole. Warszawa 1997, S. 52–54, 77–90, 94–95. dazu Andreas Lawaty, Das Erinnern einer kulturellen Nachbarschaft. Andrzej Brauns „Hundsfeld“ (1997) im Lodz vor 1939, in: Edward Białek (Hg.), Literatur im Zeugenstand: Beiträge zur deutschsprachigen Literatur- und Kulturgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Hubert Orłowski, Frankfurt a.M. 2002, S. 101–110. Braun, Psie pole, S. 150, 154, 163–166. Alex Zinke, Unsere Schulmütze. Eine Episode aus dem Leben eines LDG-ers, in: Das Lodzer Deutsche Gymnasium, Gedenkschrift 1956, S. 102–103. Szymon Rudnicki, Falanga. Ruch Narodowo-Radykalny. Warszawa 2018, S. 154. „Ani jeden grosz nie powinien wpływać do kasy niemieckiego sklepu, niemieckiego warsztatu rzemieślniczego, niemieckiej fabryki, niemieckiego banku.“ Orędownik v. 06.04.1939, S. 7. Trębacz, Our power, S. 198–201.

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in Polen keine andere Stadt, die so kampferprobt wäre, wie dieses polnische Zentrum der Textilindustrie. Nicht nur der Kampf um den Sozialismus und die politische Selbständigkeit Polens, die einstmals identisch waren, waren Teile ihrer Geschichte. In Lodz besitzt auch der Kampf um die Befreiung des jüdischen Volkes vertiefte Traditionen. Hier entstand die jüdische Wiedergeburt. Die ersten Mitglieder der Poale Zion, die vor 30 Jahren ausreisten, um mit eigenen Händen ihre Felder zu bearbeiten, kamen aus Lodz. Und auf dem ersten zionistischen Kongress gab es unter den Delegierten und den Personen, die eng mit dem Arbeiterflügel des Zionismus verbunden waren, viele Lodzer.“54 Infolge der Proletarisierung und einer teilweisen Säkularisierung55 war die jüdische Bevölkerung in Lodz in zahlreichen gesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Stiftungen und Vereinen organisiert. Die politische Auffächerung der jüdischen Bevölkerung in religiöse Juden, Zionisten verschiedener gesellschaftlicher Orientierung56 und Sozialisten wird auch daran deutlich, dass die jüdischen Parteien in den Wahlen zwischen sieben und zehn Listen aufstellten, was zu einer Aufsplitterung der Stimmen und einer gegenüber der tatsächlichen Bevölkerungszahl geringeren Repräsentanz im Stadtrat führte. Dabei konzentrierte sich das jüdische Leben aber stärker als bei Polen und Deutschen, die über die gesamte Stadt verteilt lebten, in den Stadtteilen nördlich der ul. Narutowicza (nördliche Innenstadt, Altstadt, Bałuty), in denen die jüdische Bevölkerung eine klare Bevölkerungsmehrheit darstellte. Dabei bildete die nördliche Innenstadt das Wohngebiet der jüdischen Mittelschicht, während in Bałuty eher die ärmere Bevölkerung lebte. Die räumliche Trennung der Ethnien ging teilweise auch mit einer lebensweltlichen einher, in einer jüdischen Biographie hieß es: „Sehr selten traf ich Polen. In Lodz, in dem Mietshaus, in dem ich wohnte, an der ul. Północna, gab es einen polnischen Hausmeister und einen deutschen Besitzer. Und der Rest, dort gab es sicher 100 Wohnungen, waren alles Juden. Und nicht nur in unserem Haus. Die ganze ul. Północna, die ul. Wschodnia, die ul. Pomorska, dort lebten überall Juden. In den Schulen, in die wir gingen, waren alle Schüler Juden und die Lehrer auch […] obwohl es auch zwei polnische Lehrerinnen gab, mir scheint in der ul. Zawadzka [heute Próchnika, H.-J.B.]. Wer traf denn wo mit unserem Milieu zusammen: Wenn man zu den Klassengewerkschaften ging, aber dort gab es keine 54

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„Nie ma w Polsce innego miasta, które byłoby tak waleczne, jak owo polskie centrum przemysłu tekstylnego. Nie tylko bój o socjalizm i o polityczne samostanowienie Polski, które były kiedyś tożsame, zapisały się na kartach jego historii. W Łodzi głębokie korzenie ma również walka o wyzwolenie narodu żydowskiego. To tu zrodziło się żydowskie odrodzenie. Pierwsi członkowie Poalej Syjon, którzy trzydzieści lat temu wyjechali by własnymi rękami uprawiać ziemię, pochodzili z Łodzi. A na pierwszym kongresie syjonistycznym wśród delegatów i osób blisko związanych z robotniczym skrzydłem syjonizmu było wielu Łodzian.“ Perec Opoczyński, Czerwona Łódź, in: Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 270–272. Die vor allem jiddischsprachigen Werke Opoczyńskis wurden von Monika Polit in polnischer Übersetzung herausgegeben: Archiwum Ringelbluma. Konspiracyjne archiwum getta Warszawy. T. 31 Pisma Pereca Opoczyńskiego. Warszawa 2017. Beispiele bei Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 9, 13–14. Vgl. auch Leder, Czerwona nić. Jacek Walicki, Ruch syjonistyczny w Polsce w latach 1926–1930, Łódź 2005.

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Nationalitätenprobleme, dort war es etwas anderes. […] Vor dem Krieg hatte ich keine Probleme, ich traf nicht mit Polen zusammen.“57 Der jeweilige Charakter der Viertel wurde durch staatliche Schulen für die jüdische Bevölkerung, die des Samstags unterrichtsfrei hatten, jüdische Privatschulen und jüdische Geschäfte bestimmt. Die sprachliche Dominanz des Jiddischen unter den Lodzer Juden – noch 1931 gaben 94,7% als Muttersprache Jiddisch an58 – schuf ebenfalls eine eigene Lebenswirklichkeit. Im Jiddischen trugen die Straßen vielfach andere Namen, teilweise wurden die alten russischen Namen weiter benutzt, die ul. Limanowskiego blieb die „Aleksander gas“, teilweise wurden Parallelbezeichnungen verwandt. Dies verstärkte die Wahrnehmung einer sozialen und kulturellen Distanz, was durch die geringe Zahl an gemischten Ehen zwischen polnischen und jüdischen, ganz im Unterschied zu deutsch- und polnischsprachigen, Lodzern verstärkt wurde. Jüdische Erinnerungen benennen im Rückblick diese Distanz auch bei der Beschrei­ bung der Stadt, die in den 1930er Jahren als deutlich ethnisiert dargestellt wird: „Ich komme aus dem Norden herunter. Das Ende der Zgierska – polnisch. Dort, wo die Straßenbahn nach Zgierz abfährt – polnisch-deutsch. Dann Bałuty, die Zawiszy-, Wolborska-, Jakuba-Straße, überall Juden. Nur die Hausmeister waren Polen. Wir kommen auf die Nowomiejska und wieder überall Juden. Beginnend mit dem plac Wolności beginnen sich die Juden leicht mit der polnischen Gesellschaft zu mischen, es werden von 100% sagen wir 90%, dann noch weniger, an der ul. Andrzeja [Struga, H.-J.B.] sind es noch 20%. Die ganze Zeit über steigt die Zahl der Polen an und es kommen Deutsche hinzu. In der Umgebung der Kathedrale ist es auf der linken und rechten Seite schon ein rein polnisches Viertel. Polen oder Deutsche. Wir kommen an den Oberen Markt [pl. Reymonta, H.-J.B.]. Dort gibt es wieder Juden. Etwas Juden, Polen und sehr viele Deutsche. So war das Lodz, das ich erinnere, aufgeteilt.“59 57

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„Bardzo rzadko spotykałem się z Polakami. W Łodzi, w tej kamienicy gdzie mieszkałam, na Północnej, był dozorca Polak i gospodarz Niemiec. A reszta, tam było pewnie ze stu lokatorów, wszyscy byli Żydami. I nie tylko w naszym domu. Cała Północna, cała Wschodnia, Pomorska, to wszystko byli Żydzi. W szkołach, do których chodziliśmy wszyscy uczniowie byli Żydami i nauczyciele też […]. chociaż były dwie nauczycielki Polki, na Zawadzkiej zdaje się. Kto się stykał, na przykład, z naszych środowisk: jak szli do klasowych związków zawodowych, ale tam nie było problemu narodowościowego, tam było co innego. […] przed wojną problemów nie miałem, gdyż nie stykałem się z Polakami.“ Spodenkowicz, Zaginiona dzielnica, S. 34. Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 56. „Idę z północy w dół. Koniec Zgierskiej – polski. Tam gdzie tramwaj dojazdowy do Zgierza –polskoniemiecki. Potem Bałuty, ulice Zawiszy, Wolborska, Jakuba – to wszystko Żydzi. Od placu Wolności Żydzi zaczynają się lekko mieszać z polskim społeczeństwem, przechodzą ze stu procent na, powiedzy, dziewięćdzisiąt procent, potem jeszcze mniej, przy Andreja jest już dwadzieścia procent. Ciągle ilość Polaków wzrasta i przybywają Niemcy. Koło katedry jest już czysto polska dzielnica po prawej i lewej stronie. Polacy albo Niemcy. Dochodzimy do Górnego Rynku. Górny Rynek znów się miesza z Żydami. Jest trochę Żydów, Polacy i bardzo dużo Niemców. Tak jest podzielona Łódź, jak ja pamiętam, demograficznie.“ Erinnerungen von Don Goren, zit. nach Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 21–22.

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Antisemitismus gehörte auch in Lodz zu den jüdischen Grunderfahrungen, wurde aber infolge der geschilderten räumlichen und sozialen Distanz nicht als alltägliches Phänomen wahrgenommen. Ohne Frage spitzte sich die Situation in der Weltwirtschaftskrise zu, als soziale Deklassierung und Not auch national gelesen werden konnte. Bekannt ist, dass in der Krise die Agitation gegen jüdische Fabrikanten wie Oskar Kon und die Gebrüder Eitingon (vgl. S. 98), die der Lohndrückerei und der Ausbeutung beschuldigt wurden, massiv zunahm.60 Im Kampf um Arbeitsplätze wurden Juden der unlauteren Konkurrenz beschuldigt: „Die Juden wollten mich zerstören, denn es sollte nicht so sein, dass ein Pole etwas hat.“61 Zugleich existierte nach 1918 verstärkt das Stereotyp des „jüdischen Kommunisten“ (poln. żydokomuna), das durch die fortwährende nationalpolnische Agitation geschürt wurde. Mit dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland wurde auch für die erhebliche Gruppe von Lodzer Juden, die Kontakte nach Westen hatten, die Bedrohung konkreter. 1933 flohen Lodzer Juden aus Deutschland und berichteten von ihren Erfahrungen,62 daraufhin fanden im April  1933 Trauergebete in der zionistischen Synagoge in der ul. Gdańska 18 statt,63 die Gesellschaft B’nei Brith versorgte Flüchtlinge aus Deutschland.64 Daraufhin kam es am Palmsonntag, dem 9. April  1933, zu antideutschen Demonstrationen jüdischer und polnischer Verbände, die in Ausschreitungen und Verwüstungen deutscher Geschäftslokale und Firmen mündeten: Die Redaktion und Druckerei der „Freien Presse“ und des „Volksfreunds“, zweier nationaler deutscher Zeitungen sowie der Verlag „Libertas“ wurden verwüstet, im Deutschen Gymnasium, in der Deutschen Genossenschaftsbank sowie in deutschen Buchhandlungen Zerstörungen angerichtet. Es blieb jedoch bei der Gewalt gegen Sachen, Menschen kamen nicht zu Schaden.65 Auf diesen ersten Akt interethnischer Auseinandersetzungen folgte eine Woche später ein zweiter: An den Tagen nach Ostern, am 17.-19. April 1933, drangen Verbände, angeführt von einer sich selbst als „Junge Polen“ (poln. Młodzi Polacy) bezeichnenden Gruppe, in die mehrheitlich jüdisch bewohnten Stadtviertel ein, verprügelten einige Dutzend Passanten, schlugen Scheiben und Türen ein und zerstörten Werkstätten.66 60 61 62

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Beispiel für die Familie Kon bei Maria A. Łukowska, Fabrykant Łódzki we wspomnieniach robotników. Łódź 2007, S. 91–93. „Żydzi mnie chcieli zniszczyć, bo nie wolno było, żeby Polak coś miał.“ Ebd., S. 160. Symcha Bunim Glicksman [pseud. Szajewicz], Unterm hakenkrejz, konnte nicht nachgewiesen werden. Glicksman lebte von 1932–1934 in Deutschland, wurde dann als unerwünschter Ausländer deportiert und berichtet über das jüdische Leben und die Repressionen in Deutschland, vgl. Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S. 81. Quelle: Organizacja Syjonistyczna w Łodzi. Sprawozdanie za okres 1932–1934. [o.J.]. Zit. nach Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 59. Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 70. Kosmala, Lodzer Juden, S. 241–242; Chu, The German Minority, S. 213–217. Die Vorgänge sind aus stenographischen Protokollen des Lodzer Stadtrats bekannt, vgl. Jacek Walicki, Źródła do dziejów zajść na tle narodowościowym w Łodzi w kwietniu 1933 r., in: Lucjan Meissner

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In den folgenden Diskussionen im Stadtparlament grenzten sich die Mehrheitsparteien, vor allem polnische und jüdische Sozialisten, dezidiert von den Gewalttaten ab und lehnten eine kollektive Verantwortung der Deutschen oder Juden entschieden ab. Szmul Milman führte für den „Bund“ aus:67 „Wir unterstreichen, dass für das, was in Deutschland passiert, man nicht das ganze deutsche Volk verantwortlich machen kann […]. Die Hetze, die in Deutschland stattfindet, wurde auch in Lodz geweckt, in diesem gemischten Ort, wo neben dem polnischen auch der jüdische und deutsche Arbeiter tätig ist, in dem Ort, wo es schon seit vierzig Jahren keine ernsthaften antisemitischen Unruhen gab […]; das, was in den deutschen Institutionen passiert ist, wurde dann auch auf die jüdischen Institutionen übertragen.“68 Die Ausschreitungen beschädigten ohne Zweifel die interethnische Kooperation, die von den nicht-nationalistischen deutschen Verbänden unterstützt wurde und stellten die Koexistenz in der Stadt in Frage. Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus in Deutschland und die wachsenden Übergriffe durch paramilitärische polnische nationalistische Trupps führten dazu, dass Zionisten und Bundisten eigene Verbände aufstellten, die an die Traditionen einer jüdischen Selbstverteidigung im zarischen Russland anknüpften. Sie konnten hierbei auf Parteiformationen und Jugendbanden zurückgreifen, durch deren Kontaktnetze eine Mobilisierung erfolgte: In manchen Straßen – „der ul. Wolborska, Pieprzowa, Pfeiferówka – wohnten nur Juden. Dort gab es jüdische Kampfgruppen, wenn man etwas mit den Polen kämpfen musste, rief man die ganze Bande von dort zusammen. Sie saßen in Bałuty, hinter der ul. Zawiszy, in der ul. Dworska, Pieprzowa, Łagiewnicka […].“69 Die jüdische Selbsthilfe konnte vor allem anlässlich der Boykottkampagnen gegen jüdische Geschäfte aktiviert werden, die ab 1933 nach deutschen organisatorischen Vorbildern vom polnischen „Nationalen Lager“ organisiert wurden. Aus der Beschreibung eines Beobachters: „Dorthin [in die ul. Nowomiejska, H.-J.B.] kamen Jungs mit den Schwertern von Bolesław Chrobry auf den Schultern. Sie ließen niemanden in die Geschäfte und beklebten sie mit ‚Jüdisches Geschäft‘. Und dann, als die Polizei dies nicht erlaubte, sagten sie [zu den Besuchern]: ‚Wo gehen Sie hin, beim Juden werden Sie kaufen? Kaufen Sie beim Polen‘. Und sie ließen niemanden hinein. Aber vor den Läden standen

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(Hg.), Polska Środkowa w niemieckich badaniach wschodnich. Historia i współczesność. Łódź 1999, S. 221–248, Protokoll Stadtratssitzung v. 20.04.1933, S. 229–237. Trębacz, Our power, S.  202; zur Biographie und zu den Schriften Milmans: yleksikon.blogspot. com/2017/10/shmuel-milman.html. „My podkreślamy, że za to, co się dzieje w Niemczech nie można winić całego narodu niemieckiego […]. Ta heca, która odbywa się w Niemczech została pobudzona i w Łodzi, w tym mieście mieszanym, gdzie obok polskiego robotnika pracuje żydowski i niemiecki, w tym mieście, gdzie już od 40 lat nie było poważniejszych rozruchów antysemickich […]. I to co się stało w niemieckich instytucjach zostało przeniesione i na instytucje żydowskie.“ Walicki, Źródła, S. 231. „Wolborska, Pieprzowa, Pfeiferówka – tam sami Żydzi mieszkali. Tam były bojówki żydowskie, jak trzeba było trochę z Polakami walczyć; wołało się całą bandę stamtąd. Oni siedzieli na Bałutach, za Zawiszy, na Dworskiej, na Pieprzowej, na Łagiewnickiej […].“ Erinnerungen von Eliezer Grynfeld, zit. nach Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 22.

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die jüdischen Ausrufer. Es gab solche, die sich mit ihnen prügelten. Eines Tages nahm dies unvorhersehbare Ausmaße an, so gingen diese Ausrufer und die polnischen Kampfverbände gegeneinander vor. Plötzlich kamen dann jüdische Rollwagen, jüdische Träger und Fuhrleute. Das waren Jungs mit Muskeln. […] Sie brachten niemanden um, aber 17 der Schläger lagen auf dem Boden, blutüberströmt, bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt. Die sich versteckten, waren nur noch halb lebendig. Das war im Herbst 1935, vor den Feiertagen. Seitdem gab es dort keine Posten mehr. Nie mehr, bis zum Kriegsausbruch.“70 Auf der anderen Seite waren für junge Juden manche Stadtregionen sehr gefährlich. Als unsicher angesehen wurden die südliche Stadthälfte, Widzew, Chojny, vor allem die Umgebung der Garnison in der ul. Konstantynowska und die Umgebung des pl. Hallera: „Wir hatten kein Geld, deshalb gingen wir mit der ganzen Gruppe von Jungs in das Kino ‚Oświatowy‘ am Wassermarkt, dort kostete der Eintritt nur ein paar Groschen. Aber dort war es sehr gefährlich, denn die polnischen Jungs bewarfen uns mit Flaschen und Steinen. Das war schon das polnische Viertel.“71 Als gefährliche Eskalationsmomente galten Feiertage, an denen es häufig in Parks zu Auseinandersetzungen kam und die es zu meiden galt: So die städtischen Sienkiewicz- und Poniatowski-Parks an Sonntagen, insbesondere aber die polnischen Viertel um die Ostertage, am katholischen Fronleichnamsfeiertag und am 3. Mai, der vom nationalen Lager zum Kampftag gegen Juden und Sozialisten ausgerufen wurde. Der Historiker Kamil Kijek spricht anhand von Autobiographien jüdischer Jugendlicher von einer Radikalisierung auch der jüdischen Jugend, die parallel zu polnischen und deutschen Jugendlichen eigene Jugendverbände und paramilitärische Gruppen gegründet hätten. In Diskussionen mit polnischen Jugendlichen hätten sie stärker ihre eigene jüdische Nationalität entwickelt und unterstrichen.72 Auch ein Kult um die eigene Kraft und Sportlichkeit, zu denken wäre etwa in Lodz an die bejubelten Erfolge des Warschauer jüdischen Boxers Szapsel Rotholc oder des amerikanisch-jüdischen Boxers

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„Przychodzili tam [ul. Nowomiejska] chłopcy z mieczykami Chrobrego w klapie [ONR, H.-J.B.]. Nie wpuszczali do sklepów i naklejali ‚Sklep żydowski‘. Potem, jak policja nie pozwalała, to znów mówili: ‚Dokąd Pan idzie, u Żyda pan będzie kupował? Kupuj u Polaka‘. Nie dali wejść. Ale przed sklepem stali ci żydowscy nawoływacze. Byli tacy, co się lali. Pewnego dnia to przybrało nienormalne rozmiary, tak się zabrali do siebie ci nawoływacze i polskie bojówki. Nagle zajechały rolwagi żydowskie, tragarze żydowscy i furmani. To były chłopy na schwał. […] Nikogo nie zabili, ale siedemnastu bojownikarzy leżało na ziemi, pokrwawionych, pobitych do nieprzytomności. Jak który z nich się schował, to był półżywy. To było jesienią 1935 roku, tuż przed świętami. Od tego czasu nie było tam ani jednej pikiety. Nigdy, aż do wybuchu wojny.“ Aussage Don Goren, Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 33. „Ponieważ nie było pieniędzy, to myśmy całą grupą chłopców chodzili do kina Oświatowego, na Wodnym Rynku, tam wejście kosztowało parę groszy. Ale tam było bardzo niebezpiecznie, bo polscy chłopcy rzucali w nas butelkami, kamieniami. Bo to już była polska dzielnica.“ Erinnerungen von Eliezer Grynfeld, zit. nach Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 22. Kijek, Dzieci modernizmu, S. 333–335, 387, 404.

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Max Baer, seien vergleichbar. Katalysatoren seien auch Diskussionen um den Spanischen Bürgerkrieg gewesen, die eine Radikalisierung gefördert hätten.73 In den 1930er Jahren siedelten sich in Lodz durch die rassistische deutsche Verfolgung vertriebene Menschen an. Lodz war die erste polnische Großstadt nach der Flucht aus Deutschland. So kam aus Niedersachsen die Familie Perel; ihr Schuhgeschäft in Peine war verwüstet worden. Salomon (Sally) Perel und seine Geschwister hatten dort eine Tante und fanden Zuflucht.74 Nicht belegt und unwahrscheinlich ist es, dass in Lodz Eddie (Adi) Rosner, ein deutsch-jüdischer Berliner Jazzmusiker, der 1933 nach Polen flüchtete, einen eigenen Klub „Chez Adi“ eröffnete, wie vielfach kolportiert wird.75 Als nach den Massenausweisungen im November 1938 aus Deutschland ca. 1.100 Juden nach Lodz kamen, bemühte man sich vielfach im jüdischen Milieu um eine materielle Hilfe und eine Unterbringung. Wahrscheinlich ist, dass in diesem Umfeld auch der wachsende Antisemitismus polnischer und deutscher Jugendlicher deutlich wahrgenommen wurde. Auf dem Weg zur deutschen Minderheit: Kosmopolitismus und Nazifizierung der deutschsprachigen Bevölkerung Die neuere Forschung hat die Vorstellung einer historischen „deutschen Minderheit“ in Lodz infrage gestellt. Die nach Lodz einwandernden deutschsprachigen Menschen seien aus unterschiedlichen Regionen (Schlesien, Sachsen, Böhmen, Zentralpolen) gekommen und hätten die deutschsprachigen Territorien vielfach lange vor der Gründung des Kaiserreichs verlassen. Sie seien mit unterschiedlichen Konfessionen und kulturellen Prägungen versehen gewesen, hätten somit kein Nationskonzept besessen und dies im russländischen Kaiserreich unter den Bedingungen von Autokratie und Zensur sowie eines multiethnischen Zusammenlebens auch nicht ausgebildet.76 Als Argument kann man anführen, dass sich vielfach deutsche Verbände in Lodz lediglich als „deutschsprachig“ oder „deutschsingend“ benannten und von sich selbst wiederholt als „Deutschpolen“, „Russlanddeutsche“ oder „Polendeutsche“ sprachen, unter der deutschsprachigen Bevölkerung selbst also vermittelnde Orientierungen dominierten. Gerade Angehörige der älteren Generation hielten in Selbstzeugnissen eine fehlende eindeutige nationale Zuordnung fest. Rudolf Richter, in Lodz als Sohn des Wollfabrikanten Joseph Richter und seiner Frau Paulina (geb. Biedermann) geboren, später Übersetzer, formulierte noch 1960, als er in Worpswede lebte, mehrsprachig: „Tatsächlich 73 74 75 76

Kijek, Dzieci modernizmu, S. 404, 408. Sally Perel, Ich war Hitlerjunge Salomon. Berlin 1992. Auch Gertrud Pickhan, Maximilian Preisler, Von Hitler vertrieben, von Stalin verfolgt. Der Jazzmusiker Eddie Rosner. Berlin 2010, S. 55–56 halten das für unwahrscheinlich. Winson Chu, The German Minority in Interwar Poland. New York 2012 situiert die Lodzer deutschsprachigen Bevölkerung „am Rande der deutschen Minderheit“, S. 115–158.

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weiß ich ja selber nicht, was ich eigentlich bin – ob Pole, Deutscher oder Franzose. Dem Herzen nach bestimmt Pole, dem Geiste nach vielleicht Franzose, und Deutscher? Wohl nur par hasard, weil man mich seinerzeit zu einem Volksdeutschen gestempelt hatte und das nun das praktischste blieb. Meine Vorfahren stammen aus Böhmen. Więc cygan jestem najprawdziwszy! Bohémien!“77 Unzweifelhaft ist, dass die Akkulturation an eine polnische Elitenkultur sich dynamisch entwickelte, zumal sich in der Wirtschaft das Polnische als Verwaltungs- und Umgangsprache durchsetzte.78 Auch polnischsprachige Diskurse der Zwischenkriegszeit gingen zunächst davon aus, dass man die Deutschen assimilieren werde, 1926 hieß es in der Presse: „Wie heute Scheibler, Geyer und Grohman schon Polen sind, so werden in zehn oder 25 Jahren die Lodzer Schwalbe, Druze, Zerbe und Uta [Utta, H.-J.B.], trotz aller Bemühungen und der Propaganda aus Berlin, polonisiert sein. Und eines Tages wird vielleicht der kleine Zerbe oder Uta, aufgewachsen auf dem Lodzer Pflaster und in einer Abneigung zu Polen erzogen, in einer Reihe neben Pol und Dietl stehen.“79 Der Schriftsteller Wincenty Pol und der Krakauer Stadtpräsident Józef Dietl galten als zentrale Persönlichkeiten polnischer Kultur deutscher Herkunft, bemerkenswert, welche Rolle hier den Lodzer Deutschen, von denen Zerbe damals Sejmabgeordneter war, zugedacht wurde. Noch 1934 berichtete ein für das Auslandsdeutschtum zuständiger nationalsozialistischer Akademiker, Dr. Wilhelm Gradmann vom Deutschen Auslandsinstitut in Stuttgart, höchst unzufrieden an seine Vorgesetzten über die Indifferenz der Lodzer Deutschen: „Das Deutschtum in Lodz befindet sich insofern in einer besonderen Lage, als es zu einem nicht geringen Teil politisch unzuverlässig ist. Ein äußeres Zeichen dafür ist, daß die Vereine sich meist nicht deutsch, sondern ‚deutschsingend‘ und ‚deutschsprechend‘ nennen. Am besten wird diese Einstellung durch eine Schilderung der von mir miterlebten Jubiläumsfeier eines Vereins gekennzeichnet. Während des offiziellen Teils einer Jubiläumsfeier wird – auch wenn keine Vertreter der Behörden anwesend sind – fast nur polnisch gesprochen. Das gilt für die Ansprachen, wie für die Unterhaltung. Bei diesen Ansprachen wird zum Ausdruck gebracht, daß man das deutsche Lied und die deutsche Kultur pflegen wolle, daß man sich mit der alten Heimat verbunden fühle, daß 77

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„Ein wahrer Zigeuner bin ich also! Ein Bohémien!“ Rudolf Richter im Brief an Marcel Reich-Ranicki, zit. nach Heinrich Kunstmann, Die Rückkehr des Witold Gombrowicz nach Europa. Aus den Anfängen seiner deutschen Rezeption, in: Andreas Lawaty, Marek Zybura (Hg.), Gombrowicz in Europa. Deutsch-polnische Versuche einer kulturellen Verortung. Wiesbaden 2006 (Veröffentlichungen des Nordost-Instituts, 2), S. 81–115, hier 91. Stefan Pytlas, Problemy asymilacji i polonizacji społeczności niemieckiej w Łodzi do 1914 r., in: Marian Wilk (Hg.), Niemcy w Łodzi do 1939 roku. Łódź 1996, S. 13–20. „Jak dziś Scheibler, Geyer i Grohman są już Polakami, tak za lat dziesiątek, czy za ćwierć wieku spolszczeje łódzki Schwalbe, Druze, Zerbe i Uta, pomimo wszelkich wysiłków i propagandy z Berlina. A kiedyś może młody Zerbe czy Uta, wychowany na bruku łódzkim i chowany w niechęci do Polski […] stanie w szeregu obok Pola i Dietla.“ Kurjer Łódzki, 13.10.1926, S. 6.

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man nun aber in Polen lebe und die neue Heimat lieben müsse. […] man sei ja letzten Endes selbst Pole, ohne daß man damit die deutsche Kultur aufgeben würde.“80 Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt bereits seit 20 Jahren Akteure und Institutionen am Werk, die diese hybride – regionale, sprachliche, multikulturelle, kosmopolitische – Identität zu einem exklusiven Bekenntnis zur deutschen Nation zu verschieben suchten. Die Einflüsse des „Vereins der Deutschen in Kongreßpolen“ aus den Jahren 1916–1918 (vgl. S. 70) wirkten vor allem in dem 1924 gegründeten „Deutschen Volksverband“ (DVV) fort, der ursprünglich einen stadtbürgerlich-konservativen Verband für „alle Deutschen“ darstellte. Bis 1930 stellte die DVV auch gemeinsame Listen mit jüdischen Verbänden auf, um so bei Wahlen besser abzuschneiden; im November 1930 kam es zum Eklat, als der Parteivorsitzende August Utta den zum Sejmabgeordneten gewählten, in Bałuty lebenden, für eine deutsch-jüdische Kooperation stehenden und wegen seines Einsatzes in der Wohnungsfrage in der Stadt beliebten Josef Spickermann zum Rücktritt zwang.81 Mit der neuen Führung und unter dem Eindruck der Nachrichten über den Aufstieg des Nationalsozialismus richtete sich der Volksverband neu aus, aus Utta wurde kein polnischer, sondern ein deutschnationaler Politiker. Dabei kam es zu erheblichen Konflikten unter den alteingesessenen Lodzer Deut­ schen: Gegen den DVV trat der „Deutsche Kultur- und Wirtschaftsbund“ (DKuWB) auf, der aus der bürgerlichen Deutschen Partei der 1920er Jahre hervorging und eine auf Frieden und Aussöhnung ausgerichtete deutsch-polnische Verständigungspolitik betrieb. In Lodz saß der talentierte Journalist und Organisator Johann Danielewski, der aus einer deutschen Arbeiterfamilie stammte, in seiner Jugend mit den Sozialisten sympathisiert hatte und in den 1920er Jahren in der Firma Haebler eine kaufmännische Position innehatte.82 Danielewski baute die Partei ab 1929 auf und konnte dabei durch die Nähe zur polnischen Sanacja-Regierung auch auf staatliches Wohlwollen zurückgreifen. In einem Bericht des Starosten Rżewski aus dem Frühjahr 1932 hieß es: „Als Gegenmaßnahme gegen solche [nationalistische, H.-J.B.] Einflüsse und Stimmungen unterstützte ich den DKuBW auf dem Gebiet des Kreises und nahm an allen Feiern der evangelischen Bevölkerung auf dem Kreisgebiet teil […]. Ich sprach auf den Versammlungen oben genannter Organisationen [DkuBW, Schützenvereine, H.-J.B.] am 15. Mai in Konstantynów und am 16. Mai in Aleksandrów und gab Toleranz- und Gerechtigkeitsvorstellungen Ausdruck“.83 80 81 82 83

Dr. Wilhelm Gradmann an das Deutsche Auslands-Institut in Stuttgart, 09.11.1934, zit. nach Bömelburg/ Klatt (Hg.), Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 57–61, hier 58–59. Karl-Heinz Reschke, Josef Alexander Spickermann, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 53 (2007), S. 61–73. Nachruf auf Johann Danielewski in Deutscher Volksbote 2 (1932), Nr. 44 v. 30.10.1932. „Da przeciwdziałania tym wpływom i nastrojom współdziałałem w organizowaniu Niemieckiego Związku Kulturalno-Gospodarczego na terenie powiatu, biorąc udział we wszytkich uroczystościach ewangelików na terenie powiatu […] Przemawiając na zebraniach powyższych organizacyj w dn. 15 maja w Konstantynowe, a 16 maja w Aleksandrowie dałem wyraz poglądom tolerancyjnym i sprawiedliwości […]. AP Łódź, 239/33, Bl. 42 18.5.1932, Bericht Starosta Powiatowy Aleksy Rżewski.

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Selbst verstand sich der DKuWB als Verband der „Polen-Deutschen“, pflegte eine Zweisprachigkeit, arbeitete eng mit der Deutschen Liga für Menschenrechte und der pazifistischen Deutschen Friedensgesellschaft zusammen. Er positionierte sich eindeutig gegen den Nationalsozialismus und dessen rassistische und militaristische Konzepte.84 Von deutschnationaler Seite wurde dem Verband das Etikett des „Lodzermenschen“ und der „Lodzer Fraktion“ aufgedrückt, auch um den Verband zu diskreditieren. Zwischen DKuBW und DVV kam es rasch zu heftigen publizistischen und juristischen Auseinandersetzungen: Seit April  1931 erschien von Seiten des DKuWB der „Deutsche Volksbote“ als Wochenzeitung, man suchte mit einem regierungsnahen Programm (parallel bemühte sich der polnische Staat die Ukrainer zu gewinnen) insbesondere Lehrer und Staatsbedienstete zu beeinflussen, die Loyalität zeigen mussten. Sollten sich diese nicht stärker auf den polnischen Staat, als auf das von der Wirtschaftskrise geschüttelte Deutschland stützen? Gegen Danielewski wurde das Gerücht gestreut, sein Vater sei „russischer Gendarm“ gewesen und dies „entlarve“ ihn. Der Autor des Artikels, der Redakteur der Freien Presse Adolf Kargel, wurde vor Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt.85 Im DKuWB „Opportunisten“, oder „Renegaten“ zu sehen, hieße aber, den deutschnationalen Gegnern auf den Leim zu gehen. Die vermittelnde Ausrichtung des Verbandes unter Erhaltung einer deutschen Kultur bei der grundsätzlichen Loyalität gegenüber dem Staat folgte älteren Traditionslinien und fand breiten Rückhalt im Bürgertum.86 Über den DkuWB kam auch Elga Kern nach Lodz. Die promovierte Biologin arbeitete als Publizistin, Frauenrechtlerin und Pazifistin. Sie erreichte durch ihre Bücher „Wie sie dazu kamen“ (Interviews mit deutschen Prostituierten) und „Führende Frauen Europas“ (1928, bis 1932 vier Auflagen) beträchtliche Publikumserfolge. Kern stammte aus einer deutsch-jüdischen Familie, deren Wurzeln großväterlich nach Polen reichten und kannte Polen seit 1915; mehrfach kam sie, vermittelt über die Deutsche Friedensgesellschaft, auch nach Lodz. Durch ihre Aufenthalte 1930 und 1931 war das deutsche Konsulat alarmiert, die gesamte Delegation mit Kern sei „extrem pazifistisch“ eingestellt und der Konsul fragte am 9. Dezember 1931 an: „ob es nicht möglich ist, ihr [Elga Kern] das Handwerk zu legen und die Ausreise in Zukunft unmöglich zu machen.“87 84 85 86 87

Hitlers politische Ziele, in: Deutscher Volksbote 1 (1931), Nr. 30 v. 22.11.1931, S. 2–3. Der Führer des Deutschen Kultur- und Wirtschaftsbundes entlarvt, in: Freie Presse v. 3.05.1931; dagegen Bericht über die Gerichtsverhandlung und das Urteil: Die ‚Freie Presse‘ verurteilt, in: Deutscher Volksbote 24 v. 11.10.1931. So Chu, The German Minority, S. 135–139; archivgestützt: Karol Dziuda, Niemiecki Związek KulturalnoGospodarczy w Polsce na terenie Łodzi, in: Rocznik Łódzki 60 (2013), S. 115–132. Zit nach Jürgen Röhling, „Sollten wir nicht versuchen, Frau K. endlich das Handwerk zu legen?“ Elga Kerns Buch Vom alten und vom neuen Polen und die Akte Elga Kern im Auswärtigen Amt Berlin, in: Marion Brandt (Hg.), Grenzüberschreitungen. Deutsche, Polen und Juden zwischen den Kulturen (1918–1939). München 2006, S. 171–186, hier 181 [Akte PAAA, R 30853. Ca 170].

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In ihrem Buch „Vom alten und neuen Polen“ (1931) berichtete Kern über das Lodz der Weltwirtschaftskrise: „Keine andere Stadt trägt unverhüllter das Fetzengewand der Proletarierin. […] Die Männer sind schwer und still. Sie stehen an den Straßenecken mit dumpfen Augen, arbeitslos.“88 Nach 1933 wurden ihre Publikationen in Deutschland auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt und Kern emigrierte nach Polen. In Polen war sie nach 1930 an der Herausgabe einiger Bücher, vor allem des zur Verständigung aufrufenden „Vom alten und neuen Polen“ sowie zweier deutscher Schulfibeln, weiterhin Übersetzungen und einer Monographie über die Mutter Józef Piłsudskis beteiligt.89 Trotz dieser internationalen Kontakte arbeitete jedoch die Zeit gegen den DKuWB: Auch in Lodz gewannen die publizistischen und politischen Einflüsse aus dem nationalsozialistischen Deutschland immer mehr Gewicht, Danielewski verstarb und die internationalen pazifistischen Partner des Bundes wurden ab 1933 verdrängt und verfolgt. Mit der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nichtangriffsvertrages verzichtete der polnische Staat auf Einflussversuche gegenüber der Minderheit, sodass der Bund ab 1934/35 an Wirkungskraft verlor. Besonders früh und dynamisch entwickelte sich eine völkische Neuausrichtung am Lodzer deutschsprachigen Gymnasium, wo ein erheblicher Teil der Lehrerschaft (Ludwig Wolff d.Ä., Dr. Oskar Eugen Günther, Leo Müller) ein dezidiert von der Heimatbewegung und deutschnationalen Einflüssen geprägtes Deutschtum propagierte. Dies galt auch für die dort als evangelische Religionslehrer tätigen Pastoren und Vikare wie Adolf Doberstein und Gustav Schedler, die zu dem deutschnationalen Flügel der Pastorenschaft zählten. Lehrerschaft, Pastoren und Schüler, die später vielfach im Schulverein wirkten, knüpften dabei an völkisch-deutschnationale Traditionen aus dem Ersten Weltkrieg an – so wurde etwa Paul Althaus in der Erinnerung des Gymnasiums verklärt.90 Schüler und spätere Lehrer sprachen von einer „schola militans“ und führten noch rückblickend affirmativ aus, die Schüler hätten „sich in den Zeiten nach 1932 wirksam jedem Assimilierungsprozeß entzogen“. Ihre „Deutschheit“ sei damit unverletzbar geworden“, sie hätten „einen steten Kampf um völkische Eigenart“ geführt,91 so das Selbstbild noch 1956!

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Elga Kern, Vom alten und neuen Polen. Zürich, Leipzig. Stuttgart 1931, S. 115. Elga Kern, Maria Piłsudska. Matka marszałka. Wizerunek życia. Warszawa 1935. Erinnerungen an Althaus finden sich in allen Erinnerungsschriften rund um das Gymnasium, etwa Fritz Weigelt (Hg.), Das Lodzer Deutsche Gymnasium. Gedenkschrift zur Gründung des LDG  … Weinheim 1956, S.  76, Fritz Weigelt (Hg.), Penne, Pauker und Pennäler. Eine Gedenkschrift für die Lodzer deutschen Gymnasien 1866–1945. Wuppertal 1972 (Weichsel-Warthe-Schriften, 15), S. 27, 32; Peter E. Nasarski (Hg.), Das Lodzer Deutsche Gymnasium im Spannungsfeld zwischen Schicksal und Erbe. Berlin, Bonn 1981, S. 128. Fritz Weigelt, Schola militans, in: Das Lodzer Deutsche Gymnasium. Gedenkschrift 1956, S.  44–54, hier 53.

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„Unverletzbare Deutschheit“ und „völkische Eigenart“ – diese Radikalisierung ethnischer Exklusivität richtete sich natürlich auch gegen Juden: Obwohl ein nicht geringer Teil der Schüler des Deutschen Gymnasiums jüdischer Herkunft waren – 1908 18%, 1927/28 noch 6%92 – entwickelte sich an der Schule ein untergründiger Antisemitismus unter den Lehrern (Oskar Eugen Günther, auch Direktor Felix von Ingersleben), der etwa dazu führte, dass auf den Mappen jüdischer Mitschüler antisemitische Aufkleber aus dem reichsdeutschen Hammer-Verlag auftauchten oder im Herbst 1926 bei öffentlichen Theateraufführungen jüdische Schüler wie Marceli Forma93 durch antisemitische Agitation ausgeschlossen wurden: Aus der Erinnerung eines völkisch bewegten Jugendführers: „Und da ermannte sich einer und sagte, ‚man‘ habe beschlossen, eine Mitwirkung von Juden an der Aufführung zu verhindern.“94 Von Seiten des Lehrerkollegiums und der Schulleitung gab es keinerlei Gegenreaktion, eine schweigende Akzeptanz des Antisemitismus, somit ein klarer Tabubruch und ein Nachgeben gegenüber rassistischen Konzeptionen. Deutlich betont werden muss, dass ein solcher Antisemitismus im Lodzer deutschen Milieu in der Mitte der 1920er Jahre nicht die Regel darstellte. Deutschsprachige Unternehmer, Handwerker und die Presse pflegten die traditionellen Beziehungen mit dem jüdischen Bürgertum, in der „Neuen Lodzer Zeitung“ erschienen historisch fundierte Beiträge von Philip Friedman, der an der „Gesellschaft für Jüdische Mittelschulen“ (poln. Towarzystwo Żydowskich Szkół Średnich) und an der „Freien Polnischen Hochschule“ unterrichtete und in Wien promoviert hatte. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg einer der führenden jüdischen Holocaustforscher zunächst in Polen, später dann am YIVO in New York (vgl. S. 321).95 Der Tabubruch machte jedoch Schule: Seit Mitte der 1930er Jahre fanden sich keine jüdischen Schüler mehr am deutschen Gymnasium, die Schülerzahlen sanken in den 1930er Jahren auch deshalb deutlich.96 Klar benannt werden muss auch die Rolle von deutschnationalen Pastoren, die sich seit den 1920er Jahren in internen Auseinandersetzungen innerhalb der EvangelischAugsburgischen Kirche in Polen radikalisierten. Während die Warschauer Kirchenleitung unter Bischof Julius Bursche eine Politik der Polonisierung vertrat, um die Kirche besser im polnischen Staat aufstellen zu können und für polnische Christen attraktiver zu machen, wandten sich deutschbewusste Pastoren gerade in Lodz entschieden dagegen 92 93 94

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Zahlen nach Jacek Strzałkowski, „Das Lodzer deutsche Gymnasium“. Jego nauczyciele i uczniowie. Łódź 1998, S. 9. Forma studierte anschließend Medizin in Paris und schloss 1935 mit einer Promotion ab. Walter Günzel, Unsere jüdischen Lehrer und Schüler, in: Das Lodzer Deutsche Gymnasium, S. 40–48. Günzel war ab 1934 Führer der Jungdeutschen Partei in Lodz, aus seinen an sich verdienstvollen Ausführungen – der einzige Text deutscher Ehemaliger über ihre jüdischen Mitschüler! – schimmert aber ein Antisemitismus durch. Etwa in der Neue Lodzer Zeitung, 334 (1931) v. 6.12.1931 der Beitrag von Philipp Friedmann, Die Entstehungsgeschichte von Bałuty. Nach Akten aus dem Städtischen Archiv dargestellt. Strzałkowski, Lodzer Deutsche Gymnasium, S. 11–12.

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und förderten eine deutschnationale Volkskirche.97 In der Region Lodz führte dies zu scharfen Konflikten zwischen deutschen (Doberstein, Schedler, Adolf und Bruno Löffler) und polnischen (Karol Kotula) Pastoren, nach 1936 auch zu einem verdeckt geführten Kirchenkampf.98 In Zgierz explodierte die Situation im Sommer 1938 in einem Konflikt zwischen dem als „polnisch“ wahrgenommenen Alexander Falzmann und deutschnationalen Gemeindemitgliedern. Der Konflikt wurde in der Presse erbittert ausgetragen, in der deutschnationalen Publizistik wurde nur noch unter Entstellung des Namens von „ksiądz Falcman“ geschrieben.99 Am Deutschen Gymnasium mündeten die Einflüsse in eine Radikalisierung und völkische Aufladung der Schüler: Paramilitärische Traditionen waren bereits mit den deutschen Pfadfindern im Ersten Weltkrieg entstanden100 und lebten am Deutschen Gymnasium ab 1921 mit der Wiederaufnahme der Wandervogelbewegung wieder auf, die 1925/26 zusammen mit den Pfadfindern in die bündische Jugendbewegung als Gruppe der „Deutschen Jungenschaft in Polen“ überführt wurde. Die Gruppen, in die „Sippen“ der „Asen, Amelungen, Balten, Gauten und Wölsungen“ organisiert, führten gemeinschaftliche Abende durch, organisierten Wanderfahrten in Polen im Austausch mit anderen deutschen Jugendgruppen und reisten nach 1930 auch regelmäßig nach Deutschland.101 Wie hat man sich die Atmosphäre in der Jugendbewegung um 1930 vorzustellen? Einer der führenden Akteure, Peter Emil Nasarski, berichtete im Rückblick über seine erste Bekanntschaft mit der Bewegung: „Als ich zur Tür hereintrat [… malten sie] gerade einen Spruch an die Stirnwand, es war darin von Treue, Kameradschaft und Heldentum die Rede.“ Der Erzähler ist begeistert, er schließt sich der ersten Wochenendfahrt nach 97

Vgl. die „Richtlinien der Arbeit“ der „Arbeitsgemeinschaft der deutschen Pastoren innerhalb der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, Abdruck bei Alfred Kleindienst, Oskar Wagner, Der Protestantismus in der Republik Polen 1918/19 bis 1939 im Spannungsfeld von Nationalitätenpolitik und Staatskirchenrecht, kirchlicher und nationaler Gegensätze. Marburg/L. 1985, S. 170; aus polnischevangelischer Sicht nachgezeichnet bei Kotula, Od marzeń, S. 141–161. 98 Umfangreiche Literatur, im deutschnationalen Sinne vor allem Adolf Kneifel, Bischof Dr. Julius Bursche. Sein Leben und seine Tätigkeit 1862–1942. Vierkirchen o.J. [1980]; Gegenposition: Woldemar Gastpary, Biskup Bursche i sprawa polska. Warszawa 1972. Vermittlungsversuche: Bernd Krebs, Nationale Identität und kirchliche Selbstbehauptung. Julius Bursche und die Auseinandersetzungen um Auftrag und Weg des Protestantismus in Polen 1917–1939. Neukirchen-Vluyn 1993; mit stärkerer Berücksichtigung polnischer Literatur: Andreas Kossert, „Nieprzejednane sprzeczności?“ Napięcia narodowe w protestantyzmie łódzkim w latach 1918–1939. In: Bogusław Milerski/Krzysztof Woźniak (Hg.), Przeszłość przyszłości. Z dziejów luteranizmu w Łodzi i regionie. Łódź 1998, S. 151–174. 99 „Zgierz und sein Pastor“ in: Der Volksfreund 13 (1938) v. 27.03.; „Nur der Kultur- und Wirtschaftsbund für ks. Falcman“, in: Der Volksfreund  14 (1938); „Wohin soll der Unfug führen“, in: ebd. 16 (1938); „3 Kirchenvorsteher nicht bestätigt“, in: Freie Presse v. 15.09.1938; dagegen: „Was geht in Zgierz vor?“, in: Der deutsche Wegweiser 16 (1938). 100 Fritz Weigelt, Mens sana in corpore sano, in: Das Lodzer Deutsche Gymnasium, S. 75–84, hier 75–77. 101 Peter  E.  Nasarski, Deutsche Jugendbewegung und Jugendarbeit in Polen. Würzburg 1957, S.  10–18; Umfangreiche kritische polnische Rezension: Restitut W. Staniewicz, Niemiecki ruch młódzieżowy w Polsce w świetle dokumentów, in: Przegląd Zachodni (1958), H. 3, S. 180–193.

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Andrespol, einem auch von deutschen Ansiedlern bewohnten Dorf (heute Gemeinde Gałkówek) westlich von Lodz an: „Und als ich einmal draußen war, wog alles leicht gegenüber diesem einmaligen Erlebnis des Zusammenseins, des Zeltbauens, des verglimmenden Lagerfeuers, des Abkochens.“ Weiterhin wurden „Gautage“ organisiert, so in Ldzań das „große pfingstliche Treffen am Miazga-Fluß; die Amelungen und Balten, die Gauten und Wölsungen waren auf anderen Anmarschstrecken unterwegs […] Landsknechtstrommeln dröhnten, die Gaufahne wehte in der Lagermitte […] Nach dem Abendessen sammelten wir uns um das große Feuer […] das Feuer knisterte und wir alle – gleichgültig woher wir kamen und wie wir uns nannten – rückten innerlich eng zusammen. Beglückend empfanden wir unsere junge Gemeinschaft.“102 1934 und 1935 gab die Gruppe eine Zweimonatszeitschrift heraus, die „Zelte im Osten“ – als Redakteure werden Sigismund Banek, Ludwig Wolff, Kurt Seidel, Herbert Prietz und eben Nasarski genannt. Als Motto fungierte: „Aus dem Dunkel der letzten Jahre tritt neu ein Volk an – voran seine Jugend […] marschiert [..] als vorderster Träger und Bekenner deutschen Volkstums [Hervorh. im Org., H.-J.B] – eingedenk allzeit der besonderen Aufgabenstellung des Staates, dem sie hier zugehört. [… Sie ist] Ausdruck jener geistigen soldatischen Haltung, die wir als Mannschaft begreifen.““103 Beschworen wurden Soldatentum, Germanenmystik, großgermanische Solidarität in den Kämpfen der Buren, Reichsromantik, Preußen und Friedrich der Große, Führerkult und Kameradschaft. Kann man solche identitären Gemeinschaftserfahrungen der Lodzer deutschen Jugendlichen mit denen jüdischer Altersgenossen parallelisieren? Eine Teilnehmerin an einer zionistischen Kolonie berichtete: „Jetzt war ich frei […] Der Kolonietag begann des Morgens um sechs Uhr mit dem Wecken. Wir wachten auf und wuschen uns im Bach. Dann Gymnastik und Hebräischkurse bis zum Nachmittag. […] Am Abend tönte das ganze Lager von Liedern und von unseren Tänzen wieder, bis zum Abendbrot, dem Abendlichen Rapport und den Trompeten. […] Das Lagerfeuer, Berichte über unsere Erlebnisse, Tänze, der Chor und viele andere Zerstreuungen. […] Außerdem das Pfadfindertum in Theorie und Praxis.“104 Das Gemeinschaftserlebnis, Naturerfahrung, eine gemeineuropäische Pfadfinderbewegung und ein Repertoire romantisch-emotionalen 102 Peter [E.] Nasarski, Wandervogel und Wandergruppe am Lodzer deutschen Gymnasium, in: Das Lodzer deutsche Gymnasium Gedenkschrift 1956, S. 87–93, Zitate 87–89. 103 Zelte im Osten, H. 6 (1934), S. 2; vgl. auch Nasarski, Deutsche Jugendbewegung, S. 15. Evtl. Abbildung: Kulturpolitische Korrespondenz 1336 v. 25.09.2013, S. 15. 104 „Teraz byłam wolna. […] Dzień kolonijny rozpoczał się o 6-tej rano pobudką. Zrywaliśmy się ze snu i myli w strumieniu. Potem gimnastyka i kursy hebrajskie do południa. […] Wieczór cały obóz rozbrzmiewał się śpiewami, hasał w tańcu aż do kolacji, wieczornego raportu i trąbki. […] Ognisko, żywe dzienniki, tańce, chór i wiele innych rozrywek. […] Poza tym skauting w teorii i praktycy.“ Übersetzung von Aufzeichnungen einer jungen Jüdin in polnischer Sprache, zit. nach Kijek, Dzieci modernizmu, S. 334–335.

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Empfindens (Lagerfeuer, Lieder, Musik) können in der polnischen, jüdischen und deutschen Gemeinschaftsbewegung sicher verglichen werden, wohl auch die Beschäftigung mit der jeweiligen kulturellen Vergangenheit. Konkret bedeutete dies eine Beschäftigung mit polnischer Volkskultur gegenüber einem Hebräischlernen oder eine Vertiefung in die jüdische Vergangenheit versus eine Beschwörung der deutschen Siedlergeschichte. Insgesamt mündete diese identitäre Aufladung in einen harten und ausgrenzenden Nationalismus. Allerdings sollte klar formuliert werden: Die deutsche Jugendbewegung war zu diesem Zeitpunkt noch kein nationalsozialistischer Verband, die Zeitschrift „Zelte im Osten“ wurde sogar im nationalsozialistischen Deutschland wegen allzu freier Anknüpfung an die aufgehobene bündische Jugend verboten und ihr Erscheinen bereits 1935 eingestellt. Aber das hier vertretene völkische Gedankengut und die Vorstellungen einer „Volksgemeinschaft“ wiesen doch eine erhebliche Nähe zum Nationalsozialismus auf und erleichterten eine reibungslose Adaptation dieser Gruppen an die nationalsozialistische Ordnung.105 Mehr noch: Die „Führer“ dieser Jugendverbände spielten in der Radikalisierung der Lodzer Deutschen eine zentrale Rolle. Ludwig Wolff, der 1926 die aus den Wandergruppen des Gymnasiums hervorgegangene Deutsche Jungenschaft in Polen mitgründete, wurde zum zentralen Akteur. Während des Studiums in Warschau 1929–1930 avancierte er zum Landesführer der deutschen Jungenschaft in Polen und zum ersten Vorsitzenden des Vereins deutscher Hochschüler in Warschau,106 leistete dann 1933–34 den polnischen Militärdienst ab. Wolff leitete ab Herbst 1934 im Lodzer Deutschen Schul- und Bildungsverein die Jugendarbeit und überführte die Jugendverbände 1935 in den „Deutschen Volksverband in Polen“ (DVV). Ab 1935 erschien vom DVV die Wochenzeitschrift „Der Deutsche Weg. Kampfblatt der Deutschen in Polen“, das nun offen antisemitisch auftrat. Publizistisch unterstützten auch bis dahin liberale deutschsprachige Lodzer Medien zumindest zeitweise die völkische Bewegung unter den Lodzer Deutschen. Die „Neue Lodzer Zeitung“, die mit dem Untertitel „Die älteste, größe und verbreitetste deutsche Tageszeitung in Polen“ erschien, steuerte in den Jahren 1934–1937 ebenfalls in die Richtung einer völkischen Erneuerung. In der Sonntagsausgabe erschien jeweils die Beilage „Deutsche Erneuerung. Wochenbeilage für völkische Belange der Gegenwart“, die von der jungdeutschen Bewegung mit verantwortet wurde und in der kulturellnationale Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland tendenziell positiv vorgestellt wurden.107 So wurde in einem anonym erschienenen reflektierenden Beitrag unter dem Titel „Die Heimatlosen“ die bisherige fehlende Einbindung der Arbeiter 105 So auch in den Erinnerungen von Gerda Leber-Hagenau, Zwischen deutscher und polnischer Literatur – als Schülerin des Lodzer Deutschen Gymnasiums, in: Wilk, Niemcy, S. 159–169, hier 162–164. 106 Robert Friedrich, Der Verein deutscher Hochschüler in Warschau, in: Warschauer Kulturblätter (1943), H. 5, S. 84–90; Theodor Bierschenk: Die Vereine Deutscher Hochschüler in Polen 1922–1939. Hannover 1988. 107 Lt. Heike, Leben, S. 127 von der Jungdeutschen Partei herausgegeben.

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in die Gemeinschaft kritisiert: „Pflicht ist es, diesen Menschen eine Heimat zu geben. Können wir ihnen gleich keine Scholle geben, können wir sie nicht der Erde zuführen, so wissen wir doch um eine letzte Heimat, die jedem Deutschen offenstehen sollte: das ist die Gemeinschaft, das ist der Sozialismus unserer deutschen Art.“108 Eine deutliche Anlehnung, ja Anbiederung an nationalsozialistische Ziele, so könnte man den Beitrag lesen. Im Jahre 1937 erschienen diese Ziele der Zeitung nun aber gefährlich, weil sie die Deutschen zu radikalisieren drohten: „Es leben in der Volksgruppe Vorstellungen, die an sich verführerisch schön wirken mögen. Sie sind deshalb so ungeheuer gefährlich, weil sie die Eigenart haben, uferlos immer weiter fortgetrieben und immer weiter ausgesponnen zu werden. […] Niemand weiß heute mit Bestimmtheit zu sagen, ob das, was heute hinter uns liegt – bereits als Revolution angesprochen werden kann: als Revolution im anständigen neuformenden, neugestaltenden und hernach konservativ bauenden Sinne. Klar ist, daß zunächst die rein völkischen Lebenskräfte zum Aufbruch getrieben worden sind, daß die nationale Erhebung Tatsache geworden ist. Ob zugleich, Hand in Hand mit der nationalen Erhebung auch die völkische Neuordnung aller unserer gesellschaftlichen Kräfte erfolgt ist, wagen wir zu bezweifeln.“109 Zu einer Annäherung der Lodzer deutschsprachigen Bevölkerung trugen ohne Zweifel auch Besuche von reichsdeutschen Nationalsozialisten bei, die mit dem deutsch-polnischen Nichtangriffspakt nach 1934 zunahmen. Der Journalist Adolf Kargel berichtete rückblickend, dass er wiederholt deutsche Besuche durch Lodz führte und durch sie auf die Bedeutung der Lodzer Deutschen hingewiesen wurde, gleichzeitig aber bei den Besuchern auch eine Hochachtung der „deutschen Pioniere“ vor Ort zu wecken suchte.110 Tatsächlich wurden Teile der deutschsprachigen Bevölkerung von der völkischen Bewegung übernommen und neu ausgerichtet, wobei Wolff einen erheblichen Teil der deutschen Jugendbewegung mit sich zog. Über die zunehmende völkische Gleichschaltung informieren die Leitsprüche der Lodzer Jugendtagungen 1935–1938, die Wolff organisierte: „Opfern und dienen“, „Wer leben will, der kämpfe also“, „Ein Volk zu sein, ist die Religion unserer Zeit“, „Ewiges Volk“.111 Wolff und den deutschen Jugendführern gelang es, die traditionelle deutschsprachige Soziabilität durch völkische Gruppierungen (Jugendverbände, Ring Deutscher Akademiker) und Veranstaltungen neu zu besetzen. Im Deutschen Volksverband in Polen machte Ludwig Wolff eine steile Karriere: 1936 wurde er zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt; im Mai 1938 übernahm er im Alter von 30 Jahren das Amt des Parteiführers.112 Er war erfolgreich und konnte 1936–1939 108 109 110 111 112

Artikel „Die Heimatlosen“, in: Neue Lodzer Zeitung 218 (1935), Sonntag 11.08.1935. Artikel „Romantik unerwünscht“, in: Neue Lodzer Zeitung 106 (1937), Sonntag, 18. April 1937. Adolf Kargel, Als „Fremdenführer“ in Lodz, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 22 (1976), S. 69–72. Wolff, Der Volkstumskampf, S. 188. Zum Aufstieg von Wolff aus der Perspektive der Deutschen Minderheit in Polen: Chu, The German Minority, S. 229–243.

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ein erhebliches Wachstum des DVV vermelden, der im Gau Lodz-Stadt die Zahl von 5.000 Mitgliedern (= 10% der Deutschen) überschritt und bei den Kommunalwahlen 1938 23.150 Stimmen, d.h. die Stimmen von 50% aller Deutschen, erreichte. Das war ein Wahlerfolg, tatsächlich stimmte 1938 erstmals die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung für eine völkisch-nationalistische Partei. Ziel der Lodzer Deutschen wurde es daraufhin, die Stadt zur weltweiten „Hauptstadt des Auslandsdeutschtums“ auszubauen, in dessen Ausstrahlungsbereich – bei einer großzügigen Angabe deutscher bäuerlicher Kolonisten – nach eigenen Zählungen 180.000 Deutsche lebten. Dieses Zentrum müsse deshalb mit den entsprechenden Institutionen ausgestattet werden.113 Noch im Februar 1939 erklärte der Deutsche Volksverband im Lodzer Stadtrat durch seinen Vertreter Edmund Wendlandt: „Wir stehen auf der Grundlage der polnischen Staatlichkeit.“114 Nur zwei Jahre später, 1941, amtierte Wendlandt als stellvertretender Bürgermeister von Zgierz, das nun zu „Görnau“ germanisiert worden war. Zurück zu den späten 1930er Jahren: Aus Ludwig Wolffs Sicht war sein Aufstieg durch „das heiße Bemühen um Schaffung von Widerstandszentren gegen die Polonisierung und für die Erneuerung des so stark überfremdeten Volkssplitters“ und durch einen generationellen Konflikt geprägt. „Die Auseinandersetzung der Generationen war nicht zu vermeiden.“115 Die Bemühungen seiner Generation charakterisierte Wolff rückwirkend so: „Seit 1926 ist nämlich eine immer größer werdende Bewegung unter der jungen Generation dadurch aufgefallen, daß sie, entgegen den bisherigen Versuchen der Erhaltung und Bewahrung deutscher Art, begann, Unmögliches zu wollen, in ihren eigenen Reihen anzustreben und zu verwirklichen und von der Gesamtheit der Volksgruppe zu verlangen. Die Jugend ging neue, nationalsozialistische Wege.“116 Mit dieser Einstellung passen die führenden Vertreter der völkischen Jugendbewegung nahezu idealtypisch in die „Generation des Unbedingten“ (Michael Wildt), die radikale Weltanschauungselite des Nationalsozialismus in Deutschland. Ob Wolff und seine Kollegen bereits 1938/39 tatsächlich einen Anschluss von Lodz an das Dritte Reich am Horizont sahen, ist allerdings zweifelhaft. Eher sah der DVV Lodz als die „weltweite Minderheitenzentrale“ der Deutschen, wobei Wolff die eigene Rolle in der „Erweckung des Deutschtums“ im östlichen Europa unterstrich.117

113 Ansprache von Ludwig Wolff am 01.02.1939 in Antoniew-Stoki, in: Jacek Walicki (Hg.), Sprawozdania wojewody łódzkiego. Rok 1939. T. 1: Legalny ruch polityczny i narodowościowy. Łódź 2012, S. 44. 114 „Stoimy na płaszczyzczyźnie państwowości polskiej.“ Jacek Walicki, Deklaracje programowe frankcji łódzkiej Rady Miejrskiej z 1939 r., in: Acta Judaica Lodziensia 1 (2011), S. 153–184, hier 172. 115 Ludwig Wolff, Der Volkstumskampf des Deutschtums im Osten der Warthelandes, in: Der Osten des Warthelandes. Hg. anläßlich der Heimatschau in Litzmannstadt. [Stuttgart 1941], S.  176–195, hier 187–188. 116 Ebd., S. 188. 117 Chu, The German Minority, S. 243.

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Im Lodzer Milieu entstand auch 1935  Julian Wills Gedicht „Fern vom Land der Ahnen“,118 das in der auslandsdeutschen, NSDAP-gesteuerten Propaganda zur „Hymne aller Auslandsdeutschen“ verklärt, vertont und 1936/37 zum Motto von Filmen wurde.119 Nur als Kostprobe die erste Strophe des Liedes: „Fern vom Land der Ahnen / Gehen wir durch die Welt / Unter tausend Fahnen, / Wie es Gott gefällt. / Ist uns auch ent­ schwunden / Unsrer Ahnen Land, / Hält uns doch verbunden / Deutschen Blutes Band.“ Wolffs Pläne erscheinen im Horizont von 1938/39 somit als nicht völlig größenwahnsinnig, sondern schreiben die völkische Neuorientierung des Lodzer Verbands fort. Die Entstehung einer „deutschen Minderheit“ und die Radikalisierung der deutschsprachigen Bevölkerung gelangen durch eine Reihe von begünstigenden Faktoren: Dazu zählte die Mobilisierung durch die völkischen Bewegungen, eine verdeckte Finanzierung aus dem nationalsozialistischen Deutschland und wiederholte Besuche aus Deutschland.120 Der Germanist Heinz Kindermann berichtete von einem Besuch 1936 in einem repräsentativen Sammelwerk für die nationalsozialistische Mobilisierung der „Auslandsdeutschen“: „In Lodz begegnet uns einer der wichtigsten Lyriker aus der Generation der Vierzigjährigen: der Bibliothekar Sigismund Banek. […] Er kommt im Grunde von Rilke her; aber wie hart und straff ist im Verlaufe der Jahre seine Gestaltungsweise geworden! Lebensform und Kunstform hängen nur allzu eng zusammen. Ganz stark baut auch Banek die Brücken zur neuen deutschen Lebensform; klar und in sich geschlossen wirkt sein Bekenntnis zum Vermächtnis der Toten ebenso wie zum Mutterland. Der ‚Kampf um unser letztes Recht‘, der Kampf um die ‚Letzte Furche‘ von dem Banek erzählt, ist er, der diese Härte und Eindeutigkeit diktiert; und die Not der doppelt geprüften Volkheit läßt den Glauben an das Mutterland doppelt hoch aufflammen.“121 Dazu zählte ab 1933 auch die Propaganda aus dem nationalsozialistischen Deutschland – die Führer der deutschen Gruppen konnten auf diskrete Unterstützung durch das deutsche Konsulat in Lodz (ul. Piotrkowska  260) setzen und erhielten Beratung, Schulung und finanzielle Förderung durch auslandsdeutsche Stellen, allen voran das Stuttgarter Deutsche Auslands-Institut.122 Diskursiv versuchte man, deutschsprachige Kritiker an dem nationalistischen Kurs als „Volksverräter“ und „Renegaten“ auszugrenzen. Dies betraf insbesondere den 1929 gegründeten DKuWB (vgl. S. 109), der – gefördert mit Mitteln aus dem polnischen 118 Zu Will propagandistisch Adolf Kargel, Julian Will. In: Deutschtum im Aufbruch, S. 288–293. Moderne Einordnung: Ingo Eser, „Volk, Staat, Gott!“ Die deutsche Minderheit in Polen und ihr Schulwesen 1918– 1939. Wiesbaden 2010, S. 547–548. 119 Philipp Stiasny, Hitler hören in der Pampa. Gerhard Huttulas Propagandafilm „Fern vom Land der Ahnen“ (1937) und die deutsch-argentinischen Filmbeziehungen, in: Filmblatt 54 (2014), S. 14–30. 120 Adolf Kargel, Als „Fremdenführer“ in Lodz, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 22 (1976), S. 69–72. 121 Heinz Kindermann, Rufe über Grenzen. Antlitz und Lebensraum der Grenz- und Auslandsdeutschen in ihrer Dichtung. Berlin 1938, S.  226. Zu Banek auch Hubert Müller-Schwanneke (Hg.), Rufer des Ostens. Posen 1941. 122 Wenig ergiebig Katja Gesche, Kultur als Instrument der Außenpolitik totalitärer Staaten. Das Deutsche Ausland-Institut 1933–1945. Köln [u.a.] 2006.

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Staatshaushalt – dezidiert als deutschsprachiger propolnischer Verband auftrat und durch Sommerkolonien sowie Ernährungshilfen für arme Familien auch Unterstützung gewann, allerdings 1934 nach Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nichtangriffspakts von polnischer Seite fallengelassen wurde.123 Der DKuWB warf dem deutschen Gymnasium und Verbänden vor, nationalsozialistische Propaganda zu betreiben und griff dabei Vorfälle auf, bei denen Jugendgruppen Hakenkreuze in Ferienlagern auslegten.124 Das Jahr 1933 bedeutete einen Einschnitt für die deutschsprachige Bevölkerung Lodzs – mit der nationalsozialistischen Machtübernahme gelangten nun in Deutschland Akteure an die Macht, die offen antisemitisch und zeitweise auch antipolnisch auftraten. Die antisemitischen Maßnahmen, insbesondere der Boykott jüdischer Geschäfte und Firmen im März 1933 mit dem Höhepunkt in einem reichsweiten Boykotttag am 1. April 1933, betrafen auch Familien, die mit Lodz verbunden waren, die seit dem Ersten Weltkrieg vielfach als Staatenlose in Deutschland arbeiteten oder Agenten von Lodzer Firmen in Deutschland. Die Zeitungen des DVV begrüßten die Machtergreifung als „nationale Revolution“ und sprachen von einem „Sieg“,125 Gegner demolierten daraufhin als „deutsch“ wahrgenommene Institutionen (vgl. S. 104). Diese Ereignisse wurden in der deutschnationalen Presse als willkommene Unterstützung für die eigene Propaganda einer nationalen Segregation aufgefasst, ihnen wurde in alljährlichen Veranstaltungen als „Schwarzer Palmsonntag“ gedacht. Der Tag, „als die Deutschen kraft- und ratlos vor dem Terror standen“ erschien nun als Moment des nationalen Erwachens, am Palmsonntag 1934 wurde zu einem „Deutschen Abend“ eingeladen, 1935 veranstaltete die Jungdeutsche Partei ein Palmsonntagsfest, um an die Ereignisse 1933 zu erinnern.126 Ethnisch-nationalistische Unternehmer konnten so die Ausschreitungen nutzen und Wasser auf ihre Mühlen lenken.127 Insbesondere Lodzer Arbeiter wurden durch solche Propaganda erreicht, Gerüchte einer wachsenden Unsicherheit liefen um, die Deutsche Sozialistische Arbeitspartei berichtete in internen Sitzungen von einem wachsenden Antisemitismus auch unter Arbeitern, die bisher sozialistisch gewählt hätten, ein Boykott deutscher Waren sei deshalb nicht durchführbar.128 Insgesamt trieben so die Ereignisse von 1933 einen Keil in die älteren solidarischen Einstellungen gerade der internationalistischen Arbeiterschaft, die traditionellen Bündnisse zwischen deutschen und jüdischen Sozialisten wurden brüchig. Nationale Akteure

123 Lakeberg, Die deutsche Minderheitenpresse, S. 46–47. 124 Michael Schmit, Aus der Geschichte des Lodzer Deutschen Mädchengymnasiums, in: Das Lodzer Deutsche Gymnasium, Gedenkschrift 1956, S. 30–39, hier 32. 125 Beate Kosmala, Lodzer Juden und Deutsche im Jahr 1933. Die Rezeption der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland und ihre Wirkung auf das Verhältnis von jüdischer und deutscher Minderheit, in: Hensel, Polen, Deutsche und Juden, S. 237–245. 126 Ankündigung in: Das Lodzer Deutsche Gymnasium 1981, S. 74–75; Kosmala, Lodzer Juden, S. 242. 127 Chu, The German Minority, S. 216. 128 Kosmala, Lodzer Juden, S. 244–245.

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schwelgten im Nachhinein in Siegesgewissheit: „Der Kampf um den deutschen Menschen in unserem Raum war 1939 längst entschieden.“129 Multikulturelle Resistenz Aber stimmte dieses Triumphgeheul? Lodz war eine Stadt der kleinräumigen Milieus, wo Migranten spezifische Subkulturen ausbildeten. Kommunikativ konnten diese Milieus im Russländischen Reich nicht aufgebrochen werden, auch infolge des Fehlens attraktiver russischer und zunächst auch polnischer Kulturmuster und einer tragenden polnischen Hochkultur vor Ort. Dies änderte sich erst im neugegründeten polnischen Staat, zwischen 1915 und den frühen 1930er Jahren setzte bei Juden und Deutschen eine Akkulturation und Assimilation an die polnische Kultur ein. Dieser Prozess war aber Mitte der 1930er Jahre keineswegs – im Unterschied zu Warschau – fortgeschritten, ein Aufkommen nationaler und völkischer Denkmuster konnte auf einem sprachlichen und kulturellen Sonderbewusstsein aufbauen. Allerdings: In allen Gruppen der Bevölkerung gab es in den 1930er Jahren gerade auch aus ihrer jeweiligen Lebenswirklichkeit Widerstände gegen die wachsende Ethnisierung und Radikalisierung der Bevölkerung. Es muss gefragt werden, welche Reichweite diese Gegenbewegungen entwickelten und ob sie wirksame Gegenargumente beibrachten.130 Auffällig sind die Wahlergebnisse, die dem Trend zu einer Nationalisierung der Bevölkerung widersprachen. Lodz besaß nach den Wahlen vom Dezember 1938 eine sozialistische Mehrheit, die sich aus polnischen Sozialisten, Abgeordneten des jüdischen Bunds, linken jüdischen Zionisten und Emil Zerbe als Vertreter der deutschen Sozialisten zusammensetzte. In einzelnen Erklärungen im Stadtparlament am 16. Februar 1939 suchten die Mehrheitsparteien in einer stürmischen und immer wieder von Zwischenrufen unterbrochenen Aussprache ihre programmatischen Positionen für die Zukunft darzulegen. Die polnischen Sozialisten von der PPS, der mit Abstand stärksten Partei, führten aus: „Chauvinistische Parolen führten dazu, dass die deutsche Bevölkerung in Lodz in ihrer Mehrheit faschistischen Einflüssen und Dispositionen unterliegt, die von außen nach Polen einströmen; die Gesellschaft weiß gut, wohin der deutsche Faschismus führt und welche Gefahr uns von der Seite der hitlerisierten Deutschen droht.“131 Die PPS selbst bemühte sich, einen deutschen Widerstand zu stärken, indem man auf 129 Markgraf, Deutsche Presse in Lodz, S. 220. 130 Janusz Wróbel, Between Co-Existence and Hostility: A Contribution to the Problem of National Antagonisms in Łódź, in: Polin 6 (1991), S. 201–206. 131 „Hasła szowinizmu doprowadziły do tego, że ludność niemiecka w Łodzi w swej większości poddała się prądowi faszystowskiemu i dyspozycjom płynącym spoza granic Rzeczypospolitej, a społeczeństwo wie dobrze do czego faszyzm niemiecki zmierza i jakie niebezpieczeństwo grozi nam ze strony zhitleryzowanych Niemców.“ Jacek Walicki, Deklaracje programowe frakcji łódzkiej Rady Miejskiej z 1939 r., in: Acta Judaica Lodziensia 1 (2011), S. 153–184, hier 162.

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der eigenen Liste mit Emil Zerbe einem Vertreter der Deutschen Sozialistischen Arbeitspartei (DSAP) einen sicheren Platz einräumte. Eine Unterstützung der DSAP und insbesondere der deutschsprachigen sozialistischen „Volkszeitung“ erfolgte auch durch den jüdischen Arbeiterbund, die Arbeiterpartei sah hier eine Möglichkeit, gegen antijüdische Stimmungen unter der Arbeiterschaft Einfluss zu gewinnen.132 Die weiteren jüdischen Mehrheitsparteien äußerten sich ebenfalls programmatisch. Die Linkszionisten (Poale Zion) führten aus: „Wir werden zusammen mit dem polnischen und dem deutschen Proletariat eine Verbesserung der Lebensbedingungen der für unsere Stadt tätigen Arbeitermassen herbeiführen.“133 Und die Zionisten erklärten: „das Wohlergehen und die Entwicklung der Stadt erfordern eine harmonische Zusammenarbeit und ein einiges Zusammenleben aller ihrer Bürger ohne Unterschied der Nationalität und des Bekenntnisses.”134 Zerbe selbst bat im Stadtrat für die DSAP darum, dass „der Abgrund, der zwischen den einzelnen Nationalitäten in Polen infolge des Chauvinismus und des extremen Nationalismus, der von außen importiert wurde und der bis vor kurzem bei uns unbekannt war, verschwinden möge.“135 Er steuerte weiterhin in der von ihm verantworteten „Volkszeitung“ (Auflage ca. 900–1.100 Exemplare ggü. 3.000–5.000 der nationalistischen Konkurrenz)136, die 1935 auch zum Zeichen ihrer internationalistischen Gesinnung das Adjektiv „deutsch“ aus ihrem Titel gestrichen hatte, einen klar antifaschistischen Kurs und kämpfte bis September 1939 öffentlich gegen die Attraktivität des Nationalsozialismus unter deutschsprachigen Lodzern. Allerdings sank die Anziehungskraft der deutschen Sozialisten in den 1930er Jahren erheblich. Konnten sie 1927 noch für die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung sprechen, so spalteten sich 1934 mit Arthur Kronig und Ludwig Kuk und 1936 mit Otto Heike jeweils Akteure mit ihrer Anhängerschaft von der DSAP ab. Der Aufstieg NSDeutschlands schlug Aktivisten und ihre Wähler in seinen Bann. Als Zerbe – seit 1935 Parteivorsitzender – dennoch an dem internationalistischen Kurs festhielt, wurde er über Zuträger bespitzelt – sowohl die deutschen nationalistischen Verbände wie das deutsche Konsulat in Lodz suchten ihn auszuschalten. In der 132 Petra Blachetta-Madajczyk, Klassenkampf oder Nation? Deutsche Sozialdemokratie in Polen 1918– 1939. Düsseldorf 1997 (Schriften des Bundesarchivs, 49), S. 147–150, 252–253. 133 „Będziemy razem z proletariatem polskim i niemieckim dążyć do polepszenia warunków mas pracujących naszego miasta.“ Jacek Walicki, Deklaracje programowe frakcji łódzkiej Rady Miejskiej z 1939 r., in: Acta Judaica Lodziensia 1 (2011), S. 153–184, hier 168. 134 „Dobro i rozwój miasta wymaga harmonijnego współdziałania i zgodnego współżycia wszystkich jej obywateli bez różnicy narodowości i wyznania.“ Ebd., S. 156. 135 „Przepaść, jaka powstała między poszczególnymi narodowościami w Polsce na skutek szowinizmu i skrajnego nacjonalizmu wniesionego z zewnątrz i do niedawna i nam nieznanego, zniknęła“. Ebd., S. 175. 136 Zahlen nach Lucjan Meissner, Die deutschen Gegner des Nationalsozialismus in Lodz 1933–1939, in: Ders., Georg Pawłowski (Hg.), Studien und Forschung zur Deutschland- und Österreichkunde in Polen. Warszawa 2011, S. 354–384, hier 365–366.

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deutschsprachigen Presse wurde eine Kampagne losgetreten; die „Freie Presse“ schrieb, „der Jude Koziołek [sei] einer der wichtigsten Mitarbeiter“ Zerbes, der vom „volksbewußten Lodzer Deutschtum schon lange nicht mehr als einer der Ihren anerkannt“ werde und als „Mietling der jüdisch-marxistischen Agitationszentrale“137 zu gelten habe. Izrael Kociołek besaß eine Ausbildung als Buchhalter, arbeitete bei der Stadt Lodz, war langjähriger DSAP-Generalsekretär in Lodz und einer der wichtigsten Parteiakteure – besonders gewürdigt wird er als versierter Verwaltungsspezialist, aber auch als Redner, der in deutscher, polnischer und jiddischer Sprache überzeugende Ansprachen halten konnte. Kociołek gab selbst 1930 in den Personalunterlagen der Stadt Lodz an, er sei bekenntnislos, aber jüdischer Nationalität, habe fast 20 Jahre in Lodz, Deutschland und in der Schweiz gearbeitet.138 Seine drei Kinder Charlotte, Józef und Dorothea tragen mehrheitlich deutsche Namen, sodass von einer Akkulturation an die deutsche Kultur ausgegangen werden kann.139 Die antisemitische Kampagne zeigte jedoch innerparteilich Wirkung: Seit 1935/36 funktionierte die DSAP nur noch in begrenzten Zirkeln; der Mitgliederrückgang verschärfte sich und es sind kaum noch Einflüsse über Lodz hinaus zu verzeichnen. Die Auflösung von Ortsgruppen und der Rückgang der Wählerstimmen beförderten das Gefühl der Isolation. Hinzu trat die Zusammenarbeit zwischen dem autoritären polnischen Staat und dem Nationalsozialismus. Auf den Vorwurf, die Lodzer Volkszeitung „hetze in gemeinster Weise gegen die deutsche Regierung“ und auf Anregung des deutschen Konsuls in Lodz wurden Ausgaben von polnischer Seite häufig beschlagnahmt.140 In dieser Not sicherte allein die finanzielle Unterstützung durch den jüdischen Arbeiterbund das Erscheinen der Zeitung – eine für die zweite Hälfte der 1930er Jahre bemerkenswerte deutsch-jüdische Konstellation. Hervorzuheben ist die Standfestigkeit Zerbes und Kociołeks, die auch um den Preis lebensweltlicher Isolierung und Verfolgung an einer multinationalen Option festhielten. In dem deutsch-polnischen Propagandakrieg 1939 ergriff die „Volkszeitung“ – seit dem 16. Februar 1939 mit dem symbolischen polnischen Untertitel „Gazeta Ludowa“ – Partei für den polnischen Staat. Im Juni schrieb Zerbe: „Das deutsche Volk hat in den letzten Jahren viel Schweres erduldet. Es ist selbst in Sklaverei geraten und seine Knechtschaft soll noch dazu dienen anderen Völkern Knechtsfesseln anzulegen. In einem solchen Zeitpunkt betrachten wir es als unsere Pflicht, durch diese Stellungnahme Ehre und Recht als Deutsche zu schützen, in unserem eigenen Namen wie im Namen der Millionen, denen dazu die Möglichkeit heute nicht gegeben ist“.141 In einer Rubrik „Aus dem Nazi-Reich“ wurde im Jahr 1939 regelmäßig über Ereignisse in Deutschland berichtet. Detailstudien 137 Freie Presse, 19.11.1937, zit. nach Petra Blachetta-Madajczyk, Klassenkampf oder Nation? Deutsche Sozialdemokratie in Polen 1918–1939. Düsseldorf 1997 (Schriften des Bundesarchivs, 49), S. 256. 138 AP Łódź, Bestand 221 Akta Miasta Łodzi, Serie 4.2 (Wydział Prezydialny), 66443. 139 Jerzy Cesarski, PPS. Wspomnienia z lat 1918–1939. Warszawa 1987, S. 368. 140 Blachetta-Madajczyk, Klassenkampf, S. 217–226. 141 Volkszeitung vom 16. Februar 1939.

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gehen davon aus, dass die DSAP 1938/39 noch auf einige hundert Aktivisten zurückgreifen konnte, in der Stadtverwaltung Vertreter hatte und noch ca. 10.000 Deutschsprachige sie wählten. Die Partei vertrat bis zum September 1939 die Vision eines unabhängigen und sozialistischen Polen, das gerecht und minderheitenfreundlich agieren sollte. Neben der eindeutig auf die Arbeiter abzielenden DSAP existierte die „Vereinigung der Deutschen in Polen“, die im Februar 1938 aus dem älteren Deutschen Kultur- und Wirtschaftsbund hervorgegangen war und eher das verständigungsbereite Bürgertum ansprach. Neben den alten DKuWB-Mitgliedern verdienen besonders zwei Lodzer Journalisten, Carl Heinrich Schultz142 und Alexander Hoefig,143 erwähnt zu werden, die sich in der Vereinigung engagierten. Die neue Organisation stand, ebenso wie ihre Vorgängerin, auf der Position einer Verständigung mit dem polnischen Staat. Sie setzte sich als Ziel, die deutsche Minderheit in Polen anzusprechen und neue Wege einer kulturellen Existenz innerhalb Polens aufzuzeigen. Der Sitz des Verbandes und der Redaktion des „Deutschen Wegweisers“ in der Innenstadt (ul. Wólczańska 154) wurden 1938 aufgebaut; der Verband erhielt bei den Wahlen im Dezember 1938 ca. 5.000 Stimmen und zählte ca. 200 Mitglieder.144 Von sich reden machte vor allem die Zeitschrift „Der deutsche Wegweiser“, die noch 1938/39 eine demokratische und konsensuale Perspektive in Europa aufzuzeigen suchte und dabei Nationalismus scharf angriff. Schultz und Hoefig waren erfahrene Journalisten und verstanden es, eine anti-nationalsozialistische Perspektive zu akzentuieren. Dabei griff die Zeitung in einer Polemik mit der „Freien Presse“ auch in den Kirchenkampf ein, der in der evangelisch-augsburgischen Kirche in der Region Lodz herrschte. Die Warschauer Pastorenschaft unter der Leitung des Bischofs Bursche hatte 1936 ein neues Kirchengesetz durchgesetzt. Dagegen wandte sich die in Lodz starke „Arbeitsgemeinschaft deutscher Pastoren“ unter Leitung der Pastoren Adolf und Bruno Löffler und Gustav Schedler, die behauptete, dadurch sei der deutsche Einfluss in der Kirche gefährdet und die Warschauer Leitung polonisiere die Kirche. Daraufhin kam es in Zgierz und Pabianice zu Konflikten innerhalb der Gemeinden, auch in Lodz war die Situation umkämpft, da die Arbeitsgemeinschaft dem unbestrittenen Senior der Lodzer evangelischen Kirche, Superintendent Julius Dietrich, zu große Nachgiebigkeit gegenüber Polen vorwarf.145 Im „Deutschen Wegweiser“ wurde in Leserbriefen die Kritik an radikalen deutschnationalen 142 Monika Kucner (Hg.), Literackie i nieliterackie obrazy miasta. Łódź przełomi wieków oczami niemieckojęzycznego autora – Carla Heinricha Schultza. Łódź 2011. 143 Zuverlässiges Biogramm mit zahlreichen publizistischen Beiträgen von Hoefig aus den Jahren 1935– 1938 unter www.mittelpolen.de/index.php/hoefig. 144 Cygański, Mniejszość, S. 100–102. Dort Schilderung der Kampagne der Jungdeutschen Partei im Herbst 1938 gegen die Vereinigung. 145 Einseitig aus deutschnationaler Sicht: Kneifel, Das Werden und Wachsen, S. 166–167; Kneifel, Bischof Bursche, S.  125–146; Kotula, Od Marzeń, S.  141 bescheinigt Dietrich „obwohl er ein Deutscher war“ (bo choć był Niemcem) „eine herzliche Einstellung gegenüber den evangelischen Polen“ (odnosił się życzliwie do dążeń Polaków ewangelików).

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Vertretern artikuliert: „Manche dieser Schreier sind sogar nicht evangelisch, aber ‚daitsch‘ und das ist für sie die Hauptsache. […] Kirche und Volkstum werden von ihnen absichtlich gegeneinander ausgespielt und vermischt“.146 Carl Heinrich Schultz unterzog in seinen „Zeitgemäßen Betrachtungen“ im Juni 1938 den Aktivismus und deutschen Nationalismus der DVV einer geschliffen-ironischen Kritik: „Sommer blüh’n auf allen Auen, / ‚Sommer‘ ist’s auch in den ‚Gauen‘, / die da ‚tagen‘ vom ‚Verbande‘ / wie ‘ne wilde Sarabande.“ Und über die nationalistischen Akteure hieß es offen: „Ludwig Wolff ist ‚erster Führer‘ / Und des Zwistes erster Schüler, / Rapke Kurt ist Redakteur / nur find wenig er Gehör. […] Dann gibt’s, den „Verband“ benutzend, / „Führer“ noch ein ganzes Dutzend, / Alle leben vom „Verband“ / So was ist doch allerhand! […] Freilich ist es ihnen bange, / dass sie nicht mehr allzu lange /ihre Giftsaat werden streuen, / da könn’ sie sich doch nicht freuen! / Soll’n sie weiter phantasieren / Und sich noch recht oft blamieren! / Uns ist’s recht schon, wie ihr wisst! / Bumms! Ernst Heiter. Verschronist.“147 Schultz’ ironische Parodie löste bei deutschen Nationalisten wütende Angriffe und eine aggressive Kampagne auf die angeblichen „Renegaten“ aus. Wie tief die Resonanz in der Lodzer Öffentlichkeit reichte, ist unbekannt. Die Verbandsmitglieder der Vereinigung der Deutschen in Polen wurden 1939/40 brutal verfolgt und alle Erinnerung an eine andere, selbstironische und selbstkritische, deutlich weniger auftrumpfende deutsche Publizistik in der Stadtöffentlichkeit ausgelöscht (vgl. S. 162). Modernität und Radikalität Gesamteuropäisch wie gesamtpolnisch können die späten 1920er und 1930er Jahre als Epoche einer Radikalisierung der Einstellungen und Mentalitäten, einer Verhärtung der politischen und nationalen Lager sowie einer zunehmenden Identitätspolitik durch die Akteure aufgefasst werden. Das betraf durchweg alle Gesellschaften, wo liegt die Besonderheit von Lodz in diesem Prozess? In älteren Krisen und Konfliktsituationen war es der Migrationsgesellschaft und dem Schmelztiegel Lodz gelungen, unterschiedliche Zuwanderer zu integrieren. Sicher war dies in den 1870/80er Jahren oder vor dem Ersten Weltkrieg durch eine günstige Wirtschaftskonjunktur möglich gewesen, aber auch 1914/18 und in der Inflation der frühen 1920er Jahre hielt die Stadtgesellschaft zentrifugalen Segregationstendenzen stand. Die Bürgergesellschaft und demokratisch legitimierte Stadtbehörden konnten in der Bedrohungssituation gemeinsame Kräfte freisetzen, das Bürgerkomitee im Ersten Weltkrieg war ein Ausdruck dieser verbindenden Kräfte.

146 Der Deutsche Wegweiser, 12.06.1938. 147 Der Deutsche Wegweiser, Folge 16 v. 12. Juni 1938, S. 7; Wiederabdruck: Kucner, Literackie i nieliterackie obrazy, S. 144–145.

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In den 1930er Jahren gelang dies trotz der demokratischen Legitimierung einer linken Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung und des erstmals seit 1933 demokratisch gewählten Stadtpräsidenten Jan Kwapiński nicht mehr. Radikale nationalistische Organisationen und Minderheiten erreichten durch Aktionismus und eine fremdenfeindliche populistische Hetze eine schrittweise Segregation der Stadtgesellschaft in seine vorgeblich natürlichen Bestandteile, in „Polen“, „Juden“ und „Deutsche“. Sicherlich spielte hierbei die internationale Einflussnahme eine zentrale Rolle: Die deutschsprachige Bevölkerung stand unter dem immer stärker werdenden Einfluss der nationalsozialistischen Propaganda, die sich mit der Integration Österreichs und der „Sudetendeutschen“ auf einem anscheinend unaufhaltsamen Siegeszug befand. Unterstützt wurde diese Indoktrination der deutschen Bevölkerung – und hier liegt eine Paradoxie – von einer polnischen Politik, die 1934–1938 im nationalsozialistischen Deutschland einen Partner in Europa sah. Städtische Stimmen – etwa die Mehrheit des Stadtrates – konnten sich gegen die staatlichen Institutionen, in deren Händen auch Pressepolitik und institutionelle Zuwendungen lagen, nicht mehr durchsetzen. Zweitens verschärfte sich auf gesamtpolnischer Ebene die antisemitische Politik und eine Propaganda, die 1938/1939 auch immer stärker staatlicherseits unterstützt wurde. Ihr gelang es, antisemitische Denkmuster auch in der Lodzer Bevölkerung zu verankern, auch hier sah man im „jüdischen Fabrikanten“, im „jüdischen Kommunisten“, ja in jedem Juden immer stärker Feinde. Die Fabrikinspektorin und Schriftstellerin Maria Przedborska aus einer jüdischpolnischen Familie beschrieb in unveröffentlichten, kürzlich aufgefundenen und stark autobiographischen Gedichten rückblickend um 1940 ihre Lebensstationen. Dabei kontrastiert sie ihre Jugendjahre vor dem Ersten Weltkrieg mit den späten 1930er Jahren: „Die Schuljahre. Mir wurde ein Buch zugesteckt, / verbotene Gedichte, Krasińskis ‚Jener‘… Das Poem / eroberte mein Herz … Sibirien … Märtyrertode unentwegt. / Polen liebte ich in der stillen Majestät seiner Tränen. […] Der Schläger mit Stange, Schlagring und Messer bewaffnet, / der Schreiberling giftspeiend in seiner Zeitung Gosse, / krächzen ‚Fort aus Polen!‘ – schwarze Krähen vom Aas gelockt. / Ich hasse dieses Polen – – – In seinem Judenmantel wurde / der Onkel meines Großvaters / in der Nacht gehängt / von den Moskowitern. In Trauerkleid gehüllt stand Polen an seiner Seite / in Tränen – „Du, mein Sohn, bespuckt, verachtet!“ … / Dieses Polens Träne brennt heute in meinem gelben Lappen …“.148 148 „Lata szkolne. Dostałam od kogoś wzbroniony / tom wierszy Krasińskiego. ‚Tamten‘… W poemacie / zakochałam się  … Sybir  … i męczeńskie zgony  … / Kochałam Polskę w łez Jej cichym majestacie. […] Zbir w ‚gazrurkę‘, kastety i nóż uzbrojony, / pismak jadem ziejący w swej brukowej szmacie / kraczą – ‚Precz z Polski!‘ – czarne nad padliną wrony. / Nienawidzę tej Polski – – – W żydowskim chałacie został / stryj mego dziada / w nocy powieszony / przez Moskali. I Polska w swej żałobnej szacie / stanęła przy nim łkając – ‚Oplwany, wzgardzony / synu mój!‘ … Łza jej płonie dziś w żółtej mej łacie …“. Marta Madejska, Maria Przedborska – kolejne poszlaki w śledztwie, in: alejawlokniarek. wordpress.com/2017/05/30/maria-przedborska-kolejne-poszlaki-w-sledztwie/.

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Gerade für die jüdischen Opfer, die im Angesicht des mörderischen Nationalsozialismus von ihren deutschen und nicht selten auch polnischen Mitbürgern verraten wurden, wandelte sich die romantische und emanzipatorische Polonität in eine schmerzende Wunde. Maria Przedborska wurde 1939/40 aus Lodz deportiert und starb im Warschauer Getto.

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Lodz im Krieg 1939: Berichte von Verfolgung und Verrat „Inzwischen verstummen die Gespräche, leeren sich die Straßen, verschließen sich die Gesichter und Herzen mit einer finsteren, ruhigen Strenge und mit Hass. Herr Grabiński kehrt aus der Stadt zurück und erzählt, wie die hiesigen Deutschen ihre Landsleute begrüßten. Das Grand Hotel, in dem sich die Generalität aufhalten soll, wurde mit Blumengirlanden geschmückt, in die Militärautos springen Zivilisten, Jungen, Mädchen mit einem glücklichen Ruf ‚Heil Hitler!‘ Auf den Straßen laute deutsche Gespräche. Alles, was bis dahin verborgen, patriotisch, bürgerlich war, zeigt jetzt sein wahres Antlitz.“1  Dawid Sierakowiak, Tagebucheintrag vom 8. September 1939

Dawid Sierakowiak, zum Zeitpunkt des Tagebucheintrags ein fünfzehnjähriger Junge aus einer jüdischen Familie, beschreibt hier aus zweiter Hand, was man sich in Lodz in den Septembertagen 1939 erzählte. Sein Tagebuch, zunächst nur unvollständig und fehlerhaft ediert und in viele Sprachen übersetzt, ist in seiner weitgehend vollständigen, aktuell nur in Polnisch verfügbaren Ausgabe eine der wichtigsten Quellen zur Geschichte der Stadt und der jüdischen Bevölkerung unter deutscher Besatzung.2 Die deutsche Bevölkerung verriet ihre polnischen und jüdischen Mitbürger, so die Wahrnehmung. Was im Sommer und Herbst 1939 geschah, wer wen zurücksetzte oder ausgrenzte, denunzierte oder verriet, wer mit wem aus welchen Motiven zusammenarbeitete (oder kollaborierte?), ist ein Dreh- und Angelpunkt der Stadtgeschichte. Vorgeworfen wurde und wird der deutschsprachigen Bevölkerung, sie hätten die Stadt und ihre Mehrheitsbevölkerung „verraten“, den Nationalsozialisten zugejubelt und die durchmarschierende Wehrmacht begeistert begrüßt. Weiterhin sei die Bevölkerung an der Erstellung deutscher Fahndungslisten beteiligt gewesen, hätte sich an der Wegnahme jüdischen und polnischen Eigentums in großem Stil beteiligt, die Errichtung des Gettos befürwortet, ja in die Wege geleitet und sei damit – so wurde nach 1945 bei der Ausweisung großer Teile der deutschen Bevölkerung argumentiert – für einen erheblichen Teil der fast 250.000 Lodzer Kriegsopfer mit verantwortlich und hätte letztendlich deshalb kollektiv ihr Bürgerrecht verwirkt. 1 „A tymczasem milkną rozmowy, pustoszeją ulice, twarze i serce zasklepiają się ponurą, spokojną surowością i nienawiścią. Wraca pan Grabiński z miasta i opowiada jak to miejscowi Niemcy witali rodaków. Grand Hotel, w którym ma się zatrzymać generalicja przystrojony girlandami kwiatów, do aut wojskowych wskakują cywile, chłopcy, dziewczęta z radosnym okrzykiem ‚Heil Hitler!‘ Na ulicach głośna rozmowa niemiecka. Wszystko, co dawniej było ukryte, patriotyczne, obywatelskie, teraz pokazuje swe prawdziwe oblicze.“ Eintrag vom 08.09.1939. Dawid Sierakowiak, Dziennik. Bearb. v. Ewa Wiatr u. Adam Sitarek. Warszawa 2016, S. 62. 2 Die deutsche Ausgabe Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak. Aufzeichnungen eines Siebzehnjährigen 1941/1942. Leipzig 1993 enthält nur die Aufzeichnungen der genannten Jahre, das vollständige Manuskript tauchte erst deutlich später auf.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_008

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Zuvor hatten Vertreter der „deutschen Minderheit“ seit Herbst 1939 behauptet, sie seien zwischen Juni und Anfang September vor dem deutschen Einmarsch systematisch ausgegrenzt und schikaniert worden, Ende August und Anfang September seien zentrale Akteure der Minderheit verhaftet worden, „viele“ seien bei Gewaltmärschen umgekommen und in „Konzentrationslagern“ im Osten Polens, vor allem in Bereza Kartuska widerrechtlich eingesperrt und erst von deutschen Truppen befreit worden. Insgesamt seien in Polen  5.000–6.000 „Volksdeutsche“ – die nationalsozialistische Propaganda schwadronierte frei erfunden sogar von 59.000 „volksdeutschen Opfern“ – ermordet worden. Wie schätzt die heutige fachhistorische Forschung diese lange Zeit von der deutschen und polnischen Geschichtsschreibung verschwiegenen oder einseitig dargestellten Vorgänge ein?3 Welche Gruppen der Bevölkerung waren beteiligt? Wo gibt es immer noch in den nationalen Historiographien Unterschiede in Darstellung und Bewertung und wie könnten diese weiter versachlicht werden? Um diese oft kaum lösbaren, mit schwierigen Bewertungsfragen verbundenen Probleme geht es im Folgenden, berücksichtigt wurden zur Konturierung der Akteure und Ereignisse ausschließlich die Monate zwischen Frühjahr und Herbst 1939 bis zum Ende der Militärverwaltung am 25. Oktober und der Eingliederung von Lodz in den Reichsgau Wartheland. Arbeit und Leben in den Fabriken 1938/39 – Arenen der Radikalisierung Die wachsenden Konflikte griffen 1939 auch auf die Fabriken über, die bis dahin eine multinationale und mehrsprachige Belegschaft aufwiesen. Da vielfach die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften Grundlage für eine Arbeit in den Firmen war, diese aber kaum jüdische Mitglieder hatten, zudem das jüdische Sabbatgebot und eine Distanz gegenüber der Proletarisierung jüdische Arbeiter abschreckten, waren Lodzer Juden in Fabrikbelegschaften unterrepräsentiert.4 Überrepräsentiert waren dagegen deutschsprachige Arbeiter, nach Aufstellungen von 1931 waren über 50% der deutschen Beschäftigten der Region, über 16.000 Menschen, im Textilgewerbe tätig.5 Da das polnische Innenministerium angesichts der Kriegsgefahr am 15. Juni 1939 eine „Ausschaltung der deutschen Minderheit“ forderte, fand der wachsende deutsch-polnische Konflikt deshalb in den Fabriken eine Arena.6 Ältere Konflikte zwischen „deutschen“ Meistern und „polnischen“ Arbeitern konnten zudem in der aufgeladenen Atmosphäre reaktualisiert und ausgetragen werden. Im 3 Neuere Sammelwerke: Tomasz Toborek, Przemysław Waingertner (Hg.), Łódź w 1939 roku. Studia i szkice. Łódź 2011; Artur Kuprianis, Ewelina Ślązak (Hg.), Rok 1939 w Łodzi i w województwie łódzkim. Losy ludności cywilnej. Łódź, Warszawa 2020. 4 Spodenkiewicz, Zaginiona dzielnica, S. 24–26. 5 Mroczka, Berufs- und Sozialstruktur, S. 55. 6 Wróbel, Konflikty, S. 135–145 mit zahlreichen Beispielen.

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Nachhinein entstandene deutsche Erinnerungen sind voll von Ausgrenzungserfahrungen und Konflikten im Sommer 1939, sie sind aber oft von schwer überprüfbarem Realitätsgehalt, können insbesondere auch auf der späteren NS-Propaganda beruhen, die zur Anfertigung solcher Texte aufrief. Quellenkritisch werden deshalb im Folgenden stärker polnische Erinnerungen und Darstellungen aus den Reihen der deutschen Sozialisten berücksichtigt, die jeweils eine andere Perspektive besaßen. Als ein Beispiel der entstehenden Konflikte können die Textilwerke Adolf Horak (Zakłady Włókiennicze Adolfa Horaka) in Ruda Pabianicka südlich von Lodz dienen, ein Familienbetrieb, der in Form einer Aktiongesellschaft geführt wurde. Bestimmender Aktionär war Adolf Horak, im Vorstand saßen daneben dessen Schwiegersohn Dr. Adolf Speidel, Adolf Gustav Horak jun. und Frieda Horak. Der Betrieb entwickelte sich in den 1920er Jahren ausgesprochen gut, er wurde dank englischer Technik und fortwährender Expansion auch zu einer ernsthaften Konkurrenz für die großen Lodzer Fabriken und hatte 1939 ca. 2.400 Beschäftigte. Die Horaks waren wie ein Teil der Arbeiter Baptisten und galten in der Umgebung als „Deutsche“, Konflikte konnten also national wie auch konfessionell aufgeladen werden.7 Lucjan Kieszczyński arbeitete seit 1936 als Textilarbeiter in den Textilwerken Horak und beschrieb in einem autobiographischen Werk seine Erfahrungen: „Fast ausschließlich waren in der Verwaltung Deutsche beschäftigt. Sie dominierten nicht nur in der Verwaltung, sondern auch unter den Meistern, Vorarbeitern, um gar nicht erst über die Abteilungsleiter zu sprechen“.8 Auf der Arbeitsebene habe es nur wenige Kontakte zwischen Deutschen und Polen gegeben; Freundschaften seien aufgrund unterschiedlicher politischer Einschätzungen der Ereignisse des Jahres 1938 auseinandergebrochen:9 „Was die deutschen Arbeiter betrifft, kann ich nicht viel sagen, denn sie hielten sich gewöhnlich, mit Ausnahmen, von den Polen fern. Einige hielten sich auch für etwas Besseres. […] Es gab den Brauch, dass ein neu eingestellter Arbeiter zunächst das Wischen des Arbeitssaals zugeteilt erhielt. […] Der Leiter der Garnspulerei teilte mir jedoch vorsichtig mit, dass dies diesmal nicht so sei, denn [Herbert] Kutzner sei ein Deutscher und Baptist, und es gebühre sich nicht, dass er in der Garnspulerei wische […]“. Dies sollte Kieszczyński weiter erledigen, der aber protestierte: „In mir kochte etwas. Ich sagte Lech, dass mir das nicht gefiele. Es ginge mir nicht darum, dass ich nicht einige Zeit aufwischen würde, sondern darum, dass die Deutschen sich über die Polen erhöben und diese

7 Aneta Stawiszyńska, Gospodarcza i społeczna działalność rodziny Horaków do 1945 r., in: Studia z Historii Społeczno-Gospodarczej XIX i XX wieku 6 (2009), S. 220–235. 8 „Niemal w całości w administracji zatrudnieni byli Niemcy. Przeważali oni zdecydowanie nie tylko w administracji ale także wśród majstrów, podmajstrzych, nie mówiąc o kierownikach oddziałów […]“. Lucjan Kieszczyński, Pamiętnik z lat młodzieńczych, wrzesień 1936-styczeń 1945. Część II (Pamiętnik młodego robotnika). Warszawa 1996, S. 25. 9 Ebd., S. 72.

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erniedrigten.“10 Für Kieszczyński setzte sich in dieser Situation auch Erwin Reiter, ein in der Abteilung beschäftigter deutscher Arbeiter, ein. Später freundete sich Kieszczyński mit Kutzner an.11 Im August 1939 sollten die deutschsprachigen Arbeiter auf Initiative der nationalpolnischen Gewerkschaft Praca nicht in die Fabrik gelassen werden; die Werksblockade wurde aber abgebrochen.12 Begleitet wurden solche Werksblockaden 1939 von harten publizistischen Kampagnen.13 Das polnische „nationale Lager“ gab bereits im Januar 1939 den Ton vor: „Die Lodzer Deutschen tragen heute, ohne Rücksicht auf gewisse Unterschiede in den politischen Ansichten, ihre Einheitlichkeit und ihr germanisches Antlitz offen zur Schau. Diese Tatsache muß ihre Auswirkungen in der von den Polen entfalteten praktischen Tätigkeit finden. Die polnische Gesellschaft kann die Lodzer Deutschen mit keinerlei Gunstbezeigungen bedenken, und müßte sich jeglicher Handlungsweise enthalten, durch die die Stellung des deutschen Elements in irgendeiner Weise gestärkt werden könnte.“14 Die deutsche nationalistische „Freie Presse“ brachte den Abschnitt im polnischen Original und in deutscher Übersetzung, erkennbar wird in diesem Beitrag ein hartes nationalistisches Lagerdenken.15 Auch der Sozialist und Antifaschist Zerbe wurde „den Deutschen“ zugerechnet, obwohl er in derselben Zeit von deutschen Nationalisten heftig angegriffen und verleumdet wurde.16 Die deutsche nationalistische Presse griff solch eine Vorlage gerne auf und hämmerte den eigenen Lesern ähnliche Frontstellungen ein, beide nationalen Lager schaukelten sich gegenseitig hoch. Solche publizistischen 10

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„Jeśli chodzi o robotników niemieckich, to niewiele mogę powiedzieć, ponieważ trzymali się oni zazwyczaj, poza wyjątkami, z dala od Polaków, na pewien dystans. Niektórzy zresztą wywyższali się. […] Taki był zwyczaj, że nowy pracownik musiał zaczynać pracę od zamiatania sali. […] kierownik przewlekarni oznajmił mu dyskretnie, że [Herbert] Kutzner jest Niemcem i baptystą i nie wypada, aby zamiatał w przewlekarni. […] Aż mną coś szarpnęło. Powiedziałem Lechowi, że mi się to nie podoba. Nie idzie mi o to, że będę jeszcze przez jakiś czas zamiatał, lecz o takie wywyższanie Niemców, a poniżanie Polaków.“ Ebd., S. 32–34. Ebd., S. 32–34. Ebd., S. 112–113; Volkszeitung 215 (1939) v. 06.08.1939, S. 2. Michał Trębacz, „Wojna nerwów“ – codzienność łodzian w przededniu wybuchu II wojny światowej, in: Tomasz Toborek, Przemysław Waingertner (Hg.), Rok 1939 w Łodzi. Łódź 2011, S. 107–123. „Niemcy łódzcy – bez względu na pewne różnice w poglądach politycznych – wskazują dziś jawnie swoją jednolitość i swe germańskie oblicze. Fakt ten musi mieć swe następstwa w praktycznej działalności rozwijanej przez Polaków. Społeczeństwo polskie nie może Niemców łódzkich darzyć żadnymi względami i winno powstrzymać się od wszelkich posunięć, które by w jakieskolwiek bądź sposób wzmacniały pozycję elementu niemieckiego.“ Freie Presse 17 (1939), Nr. 5 v. 05.01.1939. Vorlage: Jan Wyganowski, Wobec niemiecko-żydowskiego naporu, in: Orędownik (1938), Nr.  298 v. 30.12.1938. Vgl. die Anklage Emil Zerbes gegen Eugen Nippe im November  1938, Nippe hatte in Wahlkampfreden Zerbe verleumdet und behauptet, dieser habe in der Firma Eitingon die Kündigung deutscher Arbeiter wegen deren Zugehörigkeit zur DVV verlangt, Abdruck Bömelburg/Klatt, Lodz, S. 61–62.

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Frontstellungen nahmen seit der öffentlichen Erklärung eines deutsch-polnischen Dissenses im April  1939 an Durchschlagskraft zu,17 man kann von einem „Nervenkrieg“ sprechen, der die Akteure in eine Radikalisierung trieb.18 Begleitet wurde dies durch zahlreiche Urteile gegen deutschnationale Aktivisten, aber auch gegen einfache Arbeiter wegen angeblicher „defätistischer Propaganda“.19 Im zweiten Quartal 1939 setzte eine Entlassungswelle von Deutschen vor allem aus Leitungspositionen in der Textilindustrie ein – in diesem Zeitraum sind ca. 150 Fälle in Lodz nachweisbar. Die „Volkszeitung“ berichtete hierüber am 6. April: „In den Fabriken kommt es letztens öfter zu Auseinandersetzungen auf politischer Grundlage. […] Aus diesem Grunde ist letztens aus der deutschen Häblerschen Fabrik […] ein deutscher Arbeiter entfernt worden, den man der Beleidigung des polnischen Volkes beschuldigte. In den Fabriken in Pabianice, Weberei der Firma Morawski, Pabianice, Fabrik Julius Kindermann wurden deutsche Arbeiter entlassen. [… Vertrauensmänner der DSAP] haben in den letzten Wochen oft genug eingreifen müssen“.20 Dahinter standen Versuche, den nach wie vor als „übermächtig“ angesehenen deutschen Einfluss in den Fabriken zu brechen und eine ausschließliche Beschäftigung von Polen in Firmenleitungen durchzusetzen. Staatlicherseits wurden diese Schritte als „Maßnahme zur Entdeutschung der Fabriken“ (poln. „akcja odniemczania fabryk“) gefördert.21 Durch unter Druck inszenierte Verhandlungen der Gewerkschaften mit den Firmenleitungen und durch Forderungen nach Entlassung von „Hitleristen“22 wurde dem Nachdruck verliehen. Manchmal geschah dies unter physischem Zwang: Die deutschen Arbeiter wurden von polnischen Kollegen gewaltsam vor die Tür gesetzt.23 Die deutschen Abteilungen der Gewerkschaften versuchten sich dagegen zur Wehr zu setzen, riefen im Juni 1939 in Aleksandrów bei Lodz eigene Streiks aus, um gegen die Entlassung einer deutschen Arbeiterin zu protestieren.24 Sie beriefen im August  1939 in den Betrieben wiederholt Versammlungen der deutschsprachigen Arbeiter ein, um in Zusammenarbeit mit polnischen Kollegen Entlassungen zu verhindern.25 Wie erfolgreich das war, ist fraglich, tatsächlich war im Sommer 1939 in Lodz angesichts des gezeigten Lagerdenkens kaum noch eine Unterscheidung zwischen „nationalsozialistischen“ und „antifaschistischen“ Deutschsprachigen möglich. 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Cygański, Mniejszość, S. 114. AP Łódź, Urząd Wojewódzki w Łodzi, vol. 41/450. Michał Trębacz, Wojna nerwów. Cygański, Mniejszość, S. 115. Volkszeitung v. 06.04.1939. Wochenmeldungen Juni-August  1939, vgl. Wróbel, Przemiany demograficzne, S.  32; Wróbel, Selbstschutz, S. 202–203. Cygański, Mniejszość, S. 135. Wróbel, Konflikty, S. 155. Wróbel, Konflikty, S. 157–158. Die Aktion der deutschen Arbeiterschaft in Lodz, in: Volkszeitung 215 (1939) v. 06.08.1939, S. 2.

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Am  10. August  1939 berichtete die „Volkszeitung“ unter der Überschrift „Belegschaften streiken um die Entlassung deutscher Arbeiter“ lakonisch: „In den Betrieben der Firma L. Geyer sind noch vorgestern die Arbeiter in den Streik getreten, verlangend, daß die Arbeiter deutscher Nationalität sofort entlassen werden sollen. […] Bald darauf fand sich auf dem Fabrikterritorium der Arbeitsinspektor ein. In einer abgehaltenen Konferenz wurde beschlossen, die Angelegenheit einer besonderen Kommission zu übergeben“.26 Besonders betroffen war auch der unternehmerische Mittelstand: Insgesamt wurden ca. 920 als „deutsch“ angesehene Geschäfte und Werkstätten in Lodz zwischen März und Juni 1939 freiwillig oder auf behördlichen Druck geschlossen. In den ersten Maitagen kam es zu antideutschen Demonstrationen. Solche Demonstrationen arteten in Pabianice im Juni in Zerstörungen von Geschäften aus.27 Hinzu kamen administrative Verbote von Vereinstätigkeiten, der „deutschsingende“ Männergesangverein sowie Sportvereine wurden geschlossen.28 Parallel stiegen die Lodzer Mitgliederzahlen des antideutsch eingestellten „Polnischen Westverbandes“ (Polski Związek Zachodni), der bis 1938 in Lodz nur schwach vertreten war (1.4.1938: 574, 1.4.1939: 1.951, 15.5.1939 3.000 Mitglieder).29 Der Verband versprach seinen Mitgliedern eine bevorzugte Unterstützung bei der Aufnahme von Beschäftigungen, das ökonomische Argument mobilisierte arbeitslose, schlecht bezahlte und unterbeschäftigte Arbeiter zum Eintritt. Aktuelle Forschungsmeinung ist es deshalb, bei den antideutschen Ausschreitungen im Sommer 1939 habe es sich um eine konzertierte Aktion von nationalen polnischen Gewerkschaften, teilweise auch von national orientierten Sozialisten der PPS mit Unterstützung der staatlichen Behörden gehandelt, die aber Exzesse, die international von der deutschen Seite hätten genutzt werden können, verhinderten.30 Immerhin führte diese Kampagne zu einer Schädigung von Tausenden deutschen Arbeitern und Ladenbesitzern, die entlassen oder deren Geschäfte geschlossen wurden. Gefühle einer Zurücksetzung, die von der deutschen Besatzung instrumentalisiert werden konnten, müssen ebenfalls in Rechnung gestellt werden.

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Volkszeitung 219 (1939) v. 10.08.1939; dort auch Berichte über weitere solche Streiks bei K. Hoffrichter und Markus Kohn. Ähnliche Aktionen fanden in der Widzewer Textilfabrik (Oskar Kon), in den Fabriken K. T. Buhle und den Poznańskibetrieben statt, vgl. Cygański, Mniejszość, S. 132. Wróbel, Konflikty, S. 152–154. Cygański, Mniejszość S. 126. Cygański, Mniejszość, S. 134. Wróbel, Konflikty, S. 154–159.

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Repressionen gegen Lodzer Deutsche im August und September 1939 In Planungen der deutschen Kriegsvorbereitungen gab es im Mai 1939 Überlegungen, den pro-nationalsozialistischen Deutschen Volksverband unter Führung von Ludwig Wolff an der Erfassung von Juden für den „Fall eines Eingriffs“ zu beteiligen.31 Inwieweit dies tatsächlich vor September geschah, ist allerdings unklar. Dagegen ist unstrittig, dass die Ausschreitungen im Zeichen der Kriegspsychose im Juli und August 1939 gegen als „deutsch“ aufgefasste Menschen vom deutschen Konsulat nicht nur beobachtet wurden. Mitarbeiter stellten seit Anfang Juli Listen von Personen auf, die sich angeblich Exzesse gegen Deutsche zuschulden kommen lassen hätten – wahrscheinlich mit Hilfe von deutschsprachigen Bürgern der Stadt.32 Ende Juli 1939 machten Nachrichten von Verhaftungen von ca. 20 Deutschen in der Umgebung von Lodz, in Nowasolna und Lipiny, aufgrund angeblicher Waffenfunde die Runde.33 Deutschnationale Aktivisten flohen im Sommer 1939 über die grüne Grenze ins Reich oder nach Danzig – aus der Wojewodschaft wurde bereits für Juni 1939 eine Zahl von 855 Personen angegeben.34 Dies unterstützten die deutschen Behörden, die eigene Kader schützen und waffenfähige Männer dem polnischen Militär entziehen wollten. Namenslisten liegen hierzu nicht vor und könnten lediglich durch eine Auswertung von zehntausenden Akten der späteren Deutschen Volksliste erstellt werden – bekannt ist etwa der Fall von Rudolf Wurm, der nach Danzig ging, dann prompt in die Danziger SSPolizeiverstärkung eintrat und im Kriege ein führender NS-Aktivist in Lodz wurde.35 Zu den Flüchtigen zählten auch Wirtschaftseliten wie Helmut Pattberg, der Sohn eines Lodzer Textilindustriellen (ul. Kopernika 3), die Brüder Achim und Armin von Haebler und Edmund Tesche. Einige dieser Akteure engagierten sich sofort auf deutscher Seite bei den Kriegsvorbereitungen, so dass in diesen Fällen sehr wohl von Illoyalität und Verrat gesprochen werden kann. So nahmen bereits am 5. September – zu diesem Zeitpunkt war Lodz noch nicht erobert – die Industriellen Pattberg und Helmut Boelcke an einem Gespräch mit den Beamten der militärischen Zivilverwaltung über die Strukturen der Lodzer Industrie teil, bezichtigten bereits zu diesem Zeitpunkt deutsch-polnische Unternehmer nationaler 31 32

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Bundesarchiv, R 58/954, Bl. 179–180: Aktenvermerk II 112 Geheime Reichssache, 09.05.1939; zit. nach Klein, Gettoverwaltung Litzmannstadt, S. 234, Anm. 14. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 101371, Das deutsche Konsulat in Lodz an das Auswärtige Amt, 11.7.1939; zit. nach Tomasz Rabant, Antypolska działalność niemieckiej służby dyplomatycznej i konsularnej w Polsce w przededniu II wojny światowej oraz jej ewakuacja i likwidacja, in: Pamięć i Sprawiedliwość 1 (9) (2006), S. 199–215, hier 207. Cygański, Mniejszość, S. 130. Wróbel, Konflikty, S. 147. Cygański, Mniejszość, S.  111. Genannt werden weiterhin dort Leopold Kunkel, Georg Böttig, Otto Triebe, Bruno Thiele und Waldemar Volkmann, wobei Cygański auf die DVL-Akten verweist. Akten DVL 17.354, 23.525, 25.314, 2.807.

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Unzuverlässigkeit und stellten Listen feindlicher Persönlichkeiten auf. Im Protokoll hieß es: „Pattberg ist Lodzer. Er ist vor 14 Tagen über die Grenze gekommen. Sein Vater hat dort einen Textilbetrieb mit 400 Arbeitern. […] Die Liste der hier bekannten Lodzer Textilbetriebe wurde im einzelnen mit Pattberg durchgegangen, wobei insbesondere auch die Frage erörtert [wurde], ob es sich um ein als deutsch anzusprechendes, polnisches oder jüdisches Geschäft handelt. Die Frage, ob ein Geschäft noch als deutsch angesehen werden kann, bereitet in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten, da die Betriebsinhaber zwar weitgehend deutscher Herkunft sind, nach Lage der Verhältnisse aber immer mehr gezwungen wurden, sich den polnischen Wünschen anzupassen. Inwieweit diese Anpassung mehr freiwillig und mehr unfreiwillig war, ist nur schwer zu beurteilen. In vielen deutschen Geschäften ist ein jüdischer Mitinhaber.“36 Die polnischen Behörden vermuteten bei Lodzer Deutschen grundsätzlich eine Kooperation mit dem nationalsozialistischen Deutschland und ließen – gestützt auf einen Regierungsbeschluss vom 23. August – seit dem 27. August 1939 zahlreiche Personen, die politisch in pro-nationalsozialistischen Verbänden engagiert waren, verhaften.37Dies war 1939 durchaus gängige Praxis in vielen Ländern war, Großbritannien und Frankreich internierten Exilanten als „feindliche Ausländer“ die USA japanischstämmige Bürger. Es handelte sich also nicht unbedingt um einen Ausdruck undifferenzierter Deutschenfeindlichkeit der polnischen Behörden, jedoch konnten die Maßnahmen in der Praxis jeden deutschsprachigen Lodzer Bürger treffen. Verhaftet wurde bei Kriegsausbruch am 1. September auch Emil Zerbe, der erst auf Intervention des Stadtpräsidenten Jan Kwapiński wieder freigelassen wurde.38 Die Festgenommenen aus Lodz und Umgebung, insgesamt ca. 600 Personen, d.h. mehr als 2% der erwachsenen Männer, wurden in drei Sammelstellen, in der Fabrik Emil Wicke (Kopernika 36), im Deutschen Sängerhaus (Piotrkowska 243) und in der ehem. Fabrik Ludwik Schmieder (Sienkiewicza  77) interniert. Die Verhaftung war insgesamt schlecht vorbereitet,39 unklar blieb, was weiter geschehen sollte. Einige Verhaftete wurden Anfang September nach Brest am Bug, dann teilweise in das KZ Bereza Kartuska 36 37

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AP Łódź, 259 Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi, Kriegswirtschaftliche Abteilung 21 Hauptsachbearbeiter für Gewerbliche Wirtschaft – Tätigkeitsberichte 31.8.–7.10.1939, Bl. 5. Cygański, Mniejszość, S. 179–180. Verhaftet wurden: Artur Wiesner, Artur Seidel, Bruno Hausmann, Leokadia und Olga Hausmann, Hermann und Reinhold Himmel, Johann Zoller, Martha Zoller (die letzten beiden Nowasolna); 28.–30.8.: Hans Himmel (Nowasolna), Ludwig Wolff, Eugen Nippe, Bruno Neurode, Gertrud Prietz, Otto Köppchen-Pawłowski, Elsa Köppchen, Maximilian Eisler, Maximilian Lange, Julius Maltzahn, Hugo Riemer (Akten DVL 30.234, 11.238, 30.647, 2.650); Nowy Kurier Łódzki, 239 (1939). Blachetta-Madajczyk, S. 259–262; BArch R 58/357 Geheime Staatspolizei an Reichssicherheitshauptamt v. 12.06.1940. Darunter auch Adolf Kargel, Horst Markgraf, A.  Nasarski, Artur Utta, Bertold Bergmann (Direktor Libertas), von der DVV: B.  Düsterhöft, T.  Bli(e)n, R.  Kwast, Sigismund Banek, A.  Follak, E.  Gollnik, D. Goltz, H. Rose, O. Tomm, Armin Teubner, Edmund Wendlandt, weiterhin galten als „eng mit der NS-Bewegung verbunden“: Artur Kronig, Artur Born, Gustav Benke, H. Böttcher, Kurt Mergel, Johann

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und nach Kostopol verbracht. Das seit 1930 bestehende polnische Konzentrationslager war als Lager für Regimefeinde übel beleumdet. Die Wachmanschaften verließen es allerdings am 13. September und deutsche Militäreinheiten „befreiten“ die Insassen am 15. September. Andere Internierte sollten mit dem Zug nach Warschau transportiert werden, mussten aber wegen Angriffen der Luftwaffe von Sochaczew nach Warschau zu Fuß marschieren und wurden weiter in den Osten geschickt.40 Wir besitzen über diese Verschleppungen und Deportationen zahlreiche Berichte, da die Betroffenen nach ihrer Rückkehr von nationalsozialistischen Stellen dazu angehalten wurden, Erinnerungen und Schilderungen anzufertigen, die dann propagandistisch ausgewertet wurden, so dass diese Quellen kritisch zu hinterfragen sind. Durchweg glaubhaft erscheint, dass als Begründungen für die Verhaftungen wiederholt „Vorbereitung einer Diversionskampagne gegen das polnische Militär“ und „Spionage“ genannt wurden, dies ist auch aus zahlreichen anderen Berichten aus anderen Regionen Polens bekannt.41 Gegen solche Vorwürfe ist festzuhalten, dass es in Lodz und Umgebung kaum Anzeichen für einen tatsächlichen deutschen militärischen Untergrund gab. Presseberichte wie „Waffenfund in einer deutschen Bank in Lodz“, „Waffenarsenale bei Lodzer Deutschen“ oder „Diversion von Lodzer Nazis“ sind eher auf Sensationsmeldungen der Boulevardpresse und die wachsende Kriegspsychose zurückzuführen.42 Angefeuert wurde diese Stimmung durch ein einer Hysterie Tür und Tor öffnendes aktionistisches Programm, in dem in allen Lodzer Fabriken und bei Wohnhäusern Luftschutzgräben ausgehoben wurden (26.-31. August 1939). In der Presse gab es verschiedene widersprüchliche Meldungen, in welchem Maße sich auch die Lodzer Deutschen an diesen Arbeiten beteiligt hätten,43 worauf in späteren Erinnerungen immer wieder als gesicherte Tatsache zurückgegriffen wurde.44 Ein deutscher militärischer Untergrund konnte auch leichtfertig herbeiimaginiert werden, etwa wenn polnische Offiziere der in der Region stationierten Armee in einem Tagesbefehl vom 1. September davon sprachen, dass „das Operationsgebiet der Armee

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Zander, Alfred Zundel. Die Namen müssten im Detail überprüft werden hier mit Korrekturen nach Cygański, Mniejszość, S. 138. Cygański, Mniejszość, S. 138–139. Tomasz Chinciński, Forpoczta Hitlera. Niemiecka dywersja w Polsce w 1939 roku. Gdańsk, Warszawa 2010; Markus Krzoska, Der „Bromberger Blutsonntag“ 1939. Kontroversen und Forschungsergebnisse. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), 2, S. 237–248. Etwa Skład broni w banku niemieckim w Łodzi, in: Kurier Łódzki, 30.08.1939; Arsenały broni u Niemców łódzkich, Głos Poranny, 30.08.1939; Dywersja hitlerowców łódzkich. Aresztowano kilkunastu Niemców, u których znaleziono dynamit i nitroglicerynę, Głos Poranny, 30.08.1939; zu der Pressekampagne Trębacz, Wojna nerwów, S. 110–112. Trębacz, Wojna nerwów, S. 112–119. So etwa in den Erinnerungen des Ringelblum-Archivs im Warschauer Untergrund durch Lodzer, etwa Fela Wiernikówna, Wspomnienia i przeżycia wojenne, in: Archiwum Ringelbluma. Konspiracyjne archiwum getta Warszawy. Bd. 10 Losy Żydów łódzkich (1939–1942). Bearb. v. Monika Polit. Warszawa 2013, S. 9–10.

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von Personen oder Gruppen deutscher Nationalität durchsetzt sei, aus denen sich […] Diversanten […] rekrutieren.“ Wenn dann alle Einheiten „zu höchster Wachsamkeit“ aufgefordert wurden,45 konnte ein Beschuss durch eigene Truppen oder eine unklare Situation rasch zu angeblichen Angriffen von „Diversanten“ werden.46 Insgesamt kamen die Lodzer Deutschen jedoch – trotz teilweise drastischer Erlebnisse während der Deportation bei Angriffen der deutschen Luftwaffe und in Situationen von Massenpanik – relativ glimpflich davon. Fast alle kehrten wieder zurück, verhältnismäßig wenige kamen bei Fliegerangriffen, Massenpanik oder durch Ausschreitungen polnischer Milizionäre und Soldaten um. Die Deutschen hatten dabei selbst kein prominentes Opfer zu beklagen, jedoch kamen einige in der Öffentlichkeit bekannte Deutsche ums Leben. Insbesondere zu nennen ist der Tod zweier evangelischer Pfarrer: Der aus einer Lodzer Handwerkerfamilie stammende Bruno Gutknecht wurde von einem Feldgericht zum Tode verurteilt, in einem kirchlichen Nekrolog nach 1945 hieß es zu den Todesumständen: „Nach […] dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nahmen polnische Behörden in Lodz, wo er sich häufig aufhielt, ein deutsches Diversions- und Sabotagenetz fest. Er wurde daraufhin von über die Verhaftungen in Lodz informierten polnischen Behörden in Gąbin festgenommen, die ihn des Verrats verdächtigten. Er wurde von einem polnischen militärischen Feldgericht verurteilt und erschossen.“47 Gutknecht war mit Oskar Kossmann verschwägert, der 1967 in einer Widmung seines „Lodzer Heimatbuches“ an ihn erinnerte: „Meinem Schwager, Pastor Bruno Gutknecht (gest. September 1939) stellvertretend für viele gewidmet“.48 Kurt Mergel, Pfarrer in Poddębice, wurde Anfang September in Lodz festgenommen, saß im Gefängnis in der ul. Kopernika ein und wurde um den 6. September in Helenówek zwischen Lodz und Zgierz von polnischem Militär oder paramilitärischen Verbänden erschossen, die Leiche erst zwei Monate später gefunden.49 In den Fällen von Gutknecht und Mergel ist davon auszugehen, dass es sich bei beiden um typische Kriegsverbrechen

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„Teren operacyjny armii naszpikowany jest jednostkami lub grupami obywateli narodowości niemieckiej, z pośród których […] rekrutują się […] dywersanci“. Juliusz Rómmel, vor den Truppen der Armee Łódź am 01.09.1939 zu verlesender Tagesbefehl, zit. nach Janusz Wróbel, Konflikty polskoniemieckie w Łodzi w w regionie łódzkim w przededniu II wohny światowej, in: Toborek/Waingertner, Łódź w 1939 roku, S. 125–159, hier 129–130. Beispiele bei Jochen Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939. Frankfurt am Main 2006, S. 57–75. „Po […] rozpoczęciu II wojny światowej władze polskie zatrzymały w Łodzi, gdzie często przebywał, niemiecką siatkę dywersyjno–sabotażową. Wówczas zatrzymany przez powiadomione o aresztowaniach w Łodzi i podejrzeniach o zdradę władze polskie w Gąbinie. Skazany przez polski wojskowy sąd polowy i rozstrzelany.“ www.swzygmunt.knc.pl/MARTYROLOGIUM/ POLISHRELIGIOUS/vPOLISH/HTMs/POLISHRELIGIOUSmartyr4043.htm. Oskar Kossmann, Ein Lodzer Heimatbuch. Geschichte und Geschichten aus Stadt und Land. Hannover 1967. Biogramm Gutknechts bei Kneifel, Die Pastoren der evangelisch-augsburgischen Kirche, S. 99. Biogramm Mergels bei Kneifel, Die Pastoren der evangelisch-augsburgischen Kirche, S. 133.

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handelte, zufällig festgenommene Personen wurden in Paniksituationen zu „Schuldigen“ erklärt, des „Verrats“ beschuldigt und hingerichtet. Wie „viele“ Lodzer – um in der Diktion Kossmanns zu bleiben – betraf dieses Schicksal? Wohl kaum weitere Personen, denn auch die NS-Behörden, die 1939/40 dezidiert nach Opfern suchten, fanden nur noch den ehemaligen Lehrer Erhard Patzer, der aber bereits seit 1934 in Posen lebte und nur eingeschränkt als Lodzer Opfer gelten konnte.50 Nach Patzer wurde dennoch 1940–1945 eine zentrale Straße als „Erhard-Patzer-Straße“ benannt (ul. Radwańska), die deutschen Opfer sollten der Lodzer Bevölkerung stets im Straßenbild präsent sein. Nicht von ungefähr wählten die NS-Behörden zudem nicht einen Pfarrer als Erinnerungsfigur aus, die Kirche galt den deutschen Behörden im Reichsgau Wartheland als kompromisslerisch und „durch die Ereignisse überholt“, sondern einen nationalen Aktivisten und Lehrer. Deutlich von diesen gut dokumentierten Opfern zu trennen sind Lodzer, seien es Deutsche, Polen oder Juden, die während des deutsch-polnischen Krieges 1939 Opfer von Kampfhandlungen, Luftangriffen oder sonstigen Kriegshandlungen wurden. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn seit September  1939 findet sich in den deutschen Zeitungen eine massive Pressekampagne über den „Polenterror“. Zahllose Berichte über „Unsere Blutopfer“ nennen unterschiedslos teilweise „während der Kampfhandlungen ums Leben gekommene“; aber ausschließlich Deutsche als Opfer, vielfach mit dem falschen Vermerk „Von Polen erschossen“. Regelmäßige Berichte sind mit „Unmenschliche Behandlung verschleppter Deutscher“, „Marsch in den Tod“, „Deutsche Dörfer ausgerottet!“ oder „Verschleppte kehren heim“ aufgemacht.51 Solche Kampagnen und Erzählungen lösten im Herbst 1939 und Winter 1939/40 eine regelrechte Jagd auf an den Ausschreitungen Beteiligte wie Unschuldige in der polnischen Bevölkerung, aber auch auf zu wenig nationale oder gar „abtrünnige“ deutschsprachige Lodzer aus.52 Wie viele Lodzer Deutsche von solchen Ausgrenzungen, Schikanen und Drohungen tatsächlich betroffen waren, wird sich deshalb nicht mehr klären lassen, denn mit der deutschen Eroberung der Stadt verschärfte sich diese Kampagne, die jedem 50 51

52

Cygański, Mniejszość, S. 144–145; vgl. Adolf Kargel, Dr. Johannes Erhard Patzer ermordet, Lodscher Zeitung  1 v. 01.01.1040; Wir klagen das gesamte polnische Volk an! Litzmannstadt grüßte seinen größten Toten Dr. Hans Erhard Patzer, Litzmannstädter Zeitung Nr. 235 vom 25. August 1940. Deutsche Lodzer Zeitung 260, 25.09. S. 2 „Unsere Blutopfer aus dem Alexandrower Gebiet“; S. 3 „Unsere Blutopfer“; 262, 27.09.1939 „Wieder verschleppte Volksdeutsche von unseren Truppen gerettet!“; 265, 30.09.1939 „Heimgekehrt“. Die Spalte „Unsere Blutopfer“ taucht den ganzen Oktober über regelmäßig auf; 268, 03.10.1939 Horst E. Markgraf, „Der Zug der Verschleppten“ (ganzseitig); 269, 04.10.1939 „Viehisch ermordet“; 270, 05.10.1939 „Marsch in den Tod“; 271, 06.10.1939 Horst E. Markgraf, „Der Zug der Verschleppten“; 273, 08.10.1939 Horst  E.  Markgraf, „Der Zug der Verschleppten“; 280, 15.10.1939 „Bereza Kartuska – die Hölle der Volksdeutschen“; 281, 16.10.1939 „Der Leidensweg der internierten Deutschen“; 283, 18.10.1939 „Wieder ein Massengrab mit Volksdeutschen gefunden“; 290, 25.10.1939 „Der Leidensweg der internierten Deutschen“; 291, 26.10.1939 „Schon 5000 ermordete Volksdeutsche“. Andrzej Kempa, Polakom, psom i Żydom wstęp wzbroniony, in: Tygiel Kultury  4–6 (2005), www. tygielkultury.eu/4_6_2005/aktual/37ram.htm (05.03.2014).

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Kapitel 7

deutschsprachigen Lodzer einzureden suchte, er sei von Polen im Sommer 1939 verfolgt und durch die Eroberung gerettet worden. Verfolgungserzählungen aus dem Sommer 1939 – tatsächlich geschehen, aufgebauscht oder erfunden – wurden zum diskursiven Allgemeingut der Lodzer Deutschen. Sie prägten die deutschen Erzählungen über den Sommer und Herbst 1939 noch den ganzen Krieg hindurch. Sogar noch mehr: Sie wurden auch in Lodz zu einer Gründungslegende einer nun als Tatsache empfundenen „deutschen Volksgemeinschaft“. Es ist dagegen aber deutlich festzuhalten: Lodz war kein Zentrum von polnischen Ausschreitungen gegen die deutsche Zivilbevölkerung. Benannt werden können einzelne Opfer von Kriegsverbrechen, es kann aber nicht die Rede von „vielen Opfern“ sein. Deutlich mehr Opfer gab es im nördlichen Großpolen und in Kujawien, aktuell sprechen deutsche und polnische Forscher insgesamt von ca. 3.000–5.000, bei verschiedenen Kriegshandlungen umgekommenen „Volksdeutschen“. Nach wie vor strittig zwischen deutschen und polnischen Forschern ist, inwieweit wirklich von einer „deut­ schen Diversion“ als einer Ursache ausgegangen werden kann. Für Lodz wurden solche Behauptungen in den letzten Jahrzehnten nicht erhärtet. Von Seiten der deutschen Presse wurde bereits ab September 1939 eine Propagandakampagne betrieben, die von einer großen Zahl von Opfern, von hunderten und tausenden Toten sprach, bis sich schließlich die NS-Zahl von „58.000 deutschen Blutzeugen“, eine pure Erfindung, in den Köpfen der Deutschen festsetzte.53 Solche Nachrichten wurden zeitnah auch von gut informierten Deutschen geglaubt. Etwa von dem Lehrer Wilm Hosenfeld, der im Herbst 1939 ein polnisches Kriegsgefangenenlager in Pabianice kommandierte und in einem Brief festhielt: „Hier leben viele Deutsche. […] Aber seit Anfang des Jahres setzte eine unglaubliche Deutschenhetze ein. Die Greuel, die man in den Zeitungen las, entsprechen den Tatsachen. Ich habe mit so vielen schon gesprochen, man hört immer wieder dasselbe.“54 Hosenfeld war nicht grundsätzlich antipolnisch eingestellt, er verfügte über zahlreiche Informationen und saß dennoch der Kampagne auf. So wird es auch vielen Lodzer Deutschen gegangen sein, die zudem über eigene Berichte aus dem Familienkreis oder Erzählungen vom Hörensagen verfügten. Sie saßen Lügen auf und richteten auch das eigene zukünftige Verhalten daran aus.

53

54

„58.000 volksdeutsche Blutzeugen“, in: Lodscher Zeitung v. Sonntag, 11.02.1940 (erste Seite). Die Nachricht auf der ersten Seite wurde an dem Tag gedruckt, als die Lodzer Bevölkerung infolge der Erfassung der Bevölkerung ihre Wohnungen nicht verlassen durfte, also eine besonders hohe Leserschaft garantiert war. Brief an den Sohn v. 30.09.1939, in: Hosenfeld, Ich versuche, S. 256.

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Der deutsche Einmarsch und die Reaktionen der Lodzer Deutschen Die Umstände des deutschen Einmarsches in Lodz am 9. September  1939 und insbesondere die öffentliche Wahrnehmung der Rolle der deutschsprachigen Stadtbevölkerung prägten Einstellungen gegenüber „Deutschen“ in Lodz während des Krieges und darüber hinaus – sie sind deshalb ein Wendepunkt der Stadtgeschichte und sollten sorgfältig analysiert werden. Ist es gerechtfertigt, von einem „Verrat“ der deutschen Bevölkerung zu sprechen und falls ja, für welche Personenkreise ist solch ein Urteil haltbar?55 Die Tage vor dem deutschen Einmarsch waren in der Stadt durch Ungewissheit, Luftangriffe, hektische Verteidigungsmaßnahmen, Gerüchte, Spionagefurcht und eine Flucht von Teilen der Stadtbevölkerung und der staatlichen Behörden gekennzeichnet. Hatte man bei Bekanntwerden des deutschen Überfalls Anfang September eine erfolgreiche Verteidigung Polens erhofft, trafen bald Nachrichten über den Vormarsch der deutschen Truppen ein. Am  5./6. September brachen sowohl die koordinierte Verteidigung wie die staatliche Verwaltung in der Region zusammen, zugleich wurden – später wieder zurückgezogene – Aufrufe über Radio bekanntgegeben, Gräben auszuheben und die Stadt zu verteidigen. Nicht zurückgezogen wurde dagegen der Aufruf, alle Männer über 50 Jahre sollten Polen in Warschau verteidigen, was die von Flüchtlingen und sich zurückziehenden Soldaten überfüllten Straßen, die von deutschen Flugzeugen bombardiert wurden, weiter verstopfte. Bis heute trifft man in Publikationen sowohl die ältere These, die Behörden hätten im September 1939 unfähig und wenig vorausschauend agiert, wie auch die neuere These, sie seien kommunikativ weitgehend überfordert gewesen.56 Unter diesen Bedingungen traf der Einmarsch der deutschen Truppen am 9. September auf eine weitgehend unvorbereitete, aber aufgewühlte Stadtbevölkerung. Er wurde zugleich von Seiten des deutschen Militärs vorbereitet und orchestriert: Seit dem Abend des 8. September handelten deutsche Voraustrupps mit dem Bürgerkomitee (vgl. S. 145) die Bedingungen der Übergabe und des Einmarsches aus. Die deutsche Seite forderte die vorherige Übergabe der zentralen Elektrizitätswerke und der Post sowie die Stellung von Geiseln. Am Morgen des 9. September inszenierte die Wehrmacht den Einmarsch als militärische Parade – Ziel war auch, durch einen martialischen Vorbeimarsch unter den Einwohnern der Metropole jeden Gedanken an Widerstand auszuschalten: Die deutschen Soldaten marschierten in zwei Marschkolonnen von Südwesten (ul. Rzgowska, Pabianicka, Piotrkowska) und von Westen (heutige ul. Legionów) aus durch das Stadtzentrum. Sie 55 56

Dazu zuletzt Janusz Wróbel, Mniejszość niemiecka w Łódzkim we wrześniu 1939 roku, in: Kuprianis/ Ślązak, Rok 1939, S. 51–65. Adam Sitarek, „Bezpieczeństwo Łodzi w naszych rękach“. Władzy Łodzi wobec wybuchu II wojny światowej, in: Toborek/Waingertner, Łódź w 1939 roku, S. 205–222.

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Kapitel 7

Abb. 5

Von Norden kommende Wehrmachtsfahrzeuge am Plac Wolności, 9. September 1939, im Hintergrund die evangelische Trinitatiskirche, das Kościuszko-Denkmal und das alte Rathaus.

Abb. 6

Einmarsch der Wehrmacht (9. September 1939), zujubelnde und den Hitlergruß zeigende Lodzer Bevölkerung, vermutlich volksdeutsche Aktivisten mit weißem Oberhemd und Krawatte.

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wurden dabei am Plac Wolności von höheren deutschen Offizieren begrüßt. Über das, was insgesamt passierte, sind wir aus zahlreichen Aufzeichnungen und Erinnerungen informiert. Hier Beispiele aus verschiedenen Perspektiven, ein polnischer Zeitzeuge, zwei unbeteiligte, aber in hohem Maße betroffene Anwohner und ein deutscher Soldat. Włodzimierz Graliński, ein höherer Lodzer Beamter, der als stellvertretender Vorsitzender im Bürgerkomitee tätig war, den Einmarsch beobachtete und uns schon aus dem Tagebuch Dawid Sierakowiaks bekannt ist, schreibt in seinen Erinnerungen seine Eindrücke so nieder: „Die Mehrzahl der Häuser an der ul. Piotrkowska war schon mit nationalsozialistischen Flaggen dekoriert worden und am pl. Wolności versammelten sich örtliche Deutsche, begrüßten das einmarschierende Militär und verköstigten es mit Getränken an auf die Schnelle aufgestellten Ständen. Die deutschen Soldaten kamen schon dekoriert mit Blumensträußen auf dem pl. Wolności an, die ihnen zuvor im Vorbeimarsch im Cyganka-Viertel […] überreicht worden waren, das zu einem beträchtlichen Teil von Deutschen bewohnt war.“57 Zudem habe es im Laufe des Tages ein Ständchen durch den Lodzer Männergesangsverein (Piotrkowska 243) gegeben und Schüler des deutschen Gymnasiums hätten in Schuluniformen mit Hakenkreuzbinden am Hotel Grand die deutschen Soldaten begrüßt.58 Die jüdischen Lodzer Aleksander und Tosia Klugman formulierten in ihren Erinnerungen: „Im September  1939 verwandelte sich die Piotrkowska, die zentrale Straße Lodzs, an der wir wohnten, in ein Zentrum der deutschen Propaganda. […] die ganze Straße wurde mit riesigen deutschen Hakenkreuzfahnen dekoriert. […] oder hatten vielleicht die örtlichen Deutschen, von denen es in Lodz sehr viele gab, bereits vor der Zeit die Flaggen vorbereitet? […] auf dem Bürgersteig spazierten Jungs aus dem deutschen Gymnasium in Uniformen der Hitler-Jugend […]. Die Piotrkowska begrüßte die Besatzer mit Fahnen und Orchestern.“59

57

58 59

„Większość domów na ulicy Piotrkowskiej była już udekorowana flagami hitlerowskimi, a na Placu Wolności zebrali się miejscowi Niemcy, witając wkraczające wojska i częstując je różnymi napojami z naprędce urządzonych stoisk. Żołnierze niemieccy wjeżdżali na Plac Wolności już udekorowani wiązankami kwiatów wręczonych im podczas przejazdu przez Cygankę […], zamieszkałą w znacznym odsetu przez Niemców.“ Włodzimierz Graliński, Wspomnienia z pamiętnych dni września 1939 r. w Łodzi, in: Rocznik Łódzki 46 (1999), S. 167–176, hier 173; vgl. auch: Kazimierz Woźniak (Hg.), Wrzesień 1939 we wspomnieniach Włodzimierza Gralińskiego, in: Tygiel Kultury (1999), Nr. 7/9, S. 23–29. Ebd.; ähnliche Erzählungen in zahlreichen polnischen und jüdischen Erinnerungen an den September 1939, etwa Ryszard Malecki, Pod herbem Wandalów. Warszawa 1985, S. 7–8. „We wrześniu 1939 roku centralna ulica Łodzi, Piotrkowska, przy której mieszkaliśmy, zamieniła się w niemieckie centrum propagandy. […] cała ulica udekorowana została ogromnymi niemieckimi flagami ze swastyką. […] czy też może miejscowi Niemcy , których w Łodzi było bardzo wielu, przygotowali te sztandary zawczasu? […] po deptaku spacerowali chłopcy z niemieckiego gimnazjum w mundurach Hitler-Jugend […]. Piotrkowska witała okupantów chorągwiami i orkiestrami.“ Aleksander und Tosia Klugman, Huśtawka we dwoje… . a droga wiodła przez Łódź. Łódź 2004, S. 16.

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Kapitel 7

Und der deutsche Soldat Willy Betz schrieb wenige Tage nach dem Ereignis am 15. September in einem Feldpostbrief: „Das schönste Erlebnis des bisherigen Krieges war unser Einmarsch in Lodz. Wir wurden dort von den hier wohnenden ungefähr 150200000 Deutschen sehr stürmisch begrüßt. Am Piłsudski-Platz fand ein Vorbeimarsch vor unserem General v. Weichs statt.“60 Trotz dieser in der Tendenz ähnlichen Zeugnisse, deren Zahl beliebig vermehrt werden könnte, müssen einige Behauptungen und scheinbare Gewissheiten hinterfragt werden. Zunächst: Die deutsche Regie hatte 1938/39 mit der Inszenierung von Einmärschen umfangreiche Erfahrungen. Die Einmärsche in Österreich (März 1938), in das tschechische Grenzgebiet des „Sudetenlandes“ (Oktober 1938), in die „Rest-Tschechei“ mit Prag (März 1939) und in das Memelgebiet (März 1939) lagen nicht weit zurück und in Lodz, das in der NS-Bewegung als „Hauptstadt des Auslandsdeutschtums“ galt, konnte man solche Erfahrungen verwerten. Es kann davon ausgegangen werden, dass entsprechende Inszenierungstypen bekannt waren und dass Propagandamaterial (Hakenkreuzfahnen, Armbinden etc.) bereitgestellt wurde. Angesichts der gespannten Situation in Lodz im Sommer 1939 und der Bedrohung ist es dagegen kaum vorstellbar, dass die Fahnen von Lodzer Deutschen zuvor heimlich angefertigt und dann versteckt worden waren. Naheliegend ist, dass Akteure aus den Reihen der deutschen Aktivisten in Lodz angeworben wurden oder Aktivisten aus der Minderheit solche Gruppen auf eigene Initiative und zur Anbiederung an die neuen Machthaber zusammenstellten. Bekannt ist, dass eine Gruppe von Deutschen aus Nowosolna, dem ländlichen Zentrum der deutschen Kolonisten nordöstlich von Lodz, mit LKW herbeigekarrt wurde. Bei Gruppen, die auf Fotographien demonstrativ mit Hitlergruß am Straßenrand stehen (siehe Abbildung  6),61 fällt die einheitliche Ausstaffierung mit weißem Hemd, Krawatte und dunkler Hose auf. Sowohl der Deutsche Volksverband wie die Jungdeutsche Partei kleideten so vor 1939 auf Veranstaltungen ihre Anhänger, um trotz Uniformverbotes ein einheitliches, uniformiertes Auftreten sicherzustellen. Bei den Personen auf der Fotographie handelt sich daher sicher nicht um euphorisch und begeistert herbeigeströmte Lodzer, die „zufällig“ gleich gekleidet sind, sondern um solche Parteikommandos. Wie viele Teilnehmer und insbesondere wie viele Lodzer Deutsche nahmen tatsächlich als solche Claqueure an dem Einmarsch teil? Auch hierzu gibt es keinerlei Forschung. Wenn Willy Betz von 150.000–200.000 „Deutschen“ spricht, muss er hierunter wohl die gesamte irgendwo anwesende Lodzer Bevölkerung subsummieren, nicht nur die deutschsprachigen Lodzer. Auch zahlreiche polnische Bewohner der Stadt betrach­ teten – sei es aus Neugier, sei es aus Informationsbedürfnis – den Einmarsch. Wir haben auch Erinnerungsberichte, in denen die Beteiligung von jüdischen und polnischen 60 61

Zit. nach Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 68–69. Rukowiecki, Łódź 1939–1945, S.  15. Abbildung Bild aus Muzeum Tradycji Niepodległościowych w Łodzi.

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Lodzern angesprochen wird. Die aus einer jüdischen Familie stammende junge Fela Wiernikówna vermerkte: „Juden umgaben die deutschen Fahrzeuge und die Soldaten sprachen mit ihnen höflich und flirteten mit den Jüdinnen, denen das sehr imponierte. Die Deutschen aus Lodz reichten den Soldaten Blumen.“62 Es ist durchaus möglich, dass deutsche Aktivistengruppen von einigen hundert Personen den Eindruck erwecken konnten, alle ca. 60.000 „Lodzer Deutschen“ bejubelten den Einmarsch. Dies war sicher nicht der Fall, Vorbehalte im Wirtschaftsbürgertum, aber auch unter den Textilarbeitern sind gut bekannt.63 Man kann natürlich nicht ausschließen, dass tatsächlich eine Mehrheit der Deutschsprachigen den Einmarsch unterstützte, wie die Wahlergebnisse vom Dezember 1938 nahelegen könnten, eine Evidenz gibt es dazu jedoch nicht. Festgehalten werden muss dagegen, dass wenige symbolische Ereignisse (die Begrüßung am Plac Wolności, die Hakenkreuzfahnen in der Piotrkowska und die deutschen Lieder des Männergesangvereins) zur Geburtsstunde der festen Überzeugung vieler polnischer und jüdischer Lodzer wurden, ihre deutschsprachigen Mitbürger hätten kollaboriert. Die These wurde auch international bereits 1941 in ins Englische übersetzten New Yorker Tagebuchauszügen entwickelt.64 Diese Erzählung vom „Verrat der Lodzer Deutschen“ wurde in der Folge zu einem festen Bestandteil der kollektiven Erinnerung des polnischen Lodz. Aus der Perspektive der deutschen nationalsozialistischen Erlebnisgeneration wurde sie auch nicht in Frage gestellt. Gotthold Rhode, zwar aus Posen, aber Angehöriger der NS-Aktivisten und bis 1939 polnischer Staatsangehöriger, formulierte: „„Daß alle Deutschen nach Tagen der Todesangst und größter Angst die deutschen Truppen als Befreier jubelnd begrüßten, war selbstverständlich und konnte gar nicht anders sein. Wie hätten sich Menschen, die eben noch als ‚hitlerowcy‘ (Hitleristen) beschimpft und zu Tode verängstigt, in ihren Kellern saßen, denn anders verhalten sollen? Wer daraus Vorwürfe ableitet, zeigt nur, daß er sich nie in Grenzsituationen befunden hat und daß ihm jegliches Einfühlungsvermögen in schicksalhafte geschichtliche Situationen fehlt.“65 Die Wahrnehmung eines deutschen „Verrats“ wurde umso mehr zu einem scharfen und auch zukünftig nicht mehr zu überbrückenden Gegensatz, als bereits während des Einmarsches am 9. September Ausschreitungen deutscher Soldaten gegen Juden an zentralen und öffentlich herausgehobenen Orten einsetzten. In den Mittagsstunden wurden jüdische Männer von Soldaten gezwungen, Luftschutzgräben am Plac Wolności 62 63 64 65

„Żydzi otaczali niemieckie samochody, a żółnierze rozmawiali z nimi najuprzejmiej w świecie i flirtowali z Żydówkami, którym to bardzo imponowało. Niemki i Niemcy z Łodzi podawali żółnierzom, kwiaty.“ Fela Wiernikówna, in: Archiwum Ringelbluma, Bd. 10, S. 12. Spodenkiewicz, Piasek, S. 76–77. Tagebuch von Jardena, in: Youth amidst the Ruins, a chronicle of Jewish youth in the war. Published by Hashomer Hatzair Organisation. New York 1941, S. 21 ff. Gotthold Rhode, Wie stehen wir zu unserer Geschichte?, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe  17 (1971), S. 21–29, hier 25.

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beim Kościuszko-Denkmal zu beseitigen; dabei kam es zu Gewalttätigkeiten gegen die willkürlich auf der Straße verhafteten Juden. Graliński berichtete in seinen Erinnerungen: „In den Mittagsstunden bemerkten Vertreter des Bürgerkomitees, dass deutsche Soldaten von überall her jüdische Männer zusammenzogen und ihnen befahlen, Luftschutzgräben mit bloßen Händen am pl. Wolności, um das Kościuszko-Denkmal herum zuzuschütten. Dabei kam es zu verschiedenen Ausschreitungen, man zog zum Beispiel aus der Menge einen alten Juden mit einem grauen Bart heraus und befahl ihm mit Spucke und einem Taschentuch die Schuhe der Soldaten zu reinigen, und inzwischen schlug ein anderer Soldat den Juden ins Gesicht. Das Mitglied des Präsidiums [des Bürgerkomitees, H.-J.B.] Arno Kindermann, durch diese Ereignisse empört, begab sich zum Stadtkommandanten, der im Erdgeschoss des Gebäudes pl. Wolności 14 residierte und beschwerte sich. Der Kommandant schickte einige Feldgendarmen, die die Soldaten, die mit den Juden Unfug machten, zerstreuten, dagegen wurde die Arbeit beim Zuschütten der Gräben nicht unterbrochen.“66 Es liegt auf der Hand, dass solche nicht unterbundenen und nicht geahndeten Ausschreitungen am Rande des offiziösen deutschen Einmarsches, die von tausenden Menschen beobachtet wurden, in der städtischen Öffentlichkeit so interpretiert wurden, dass Zurücksetzungen, Beleidigungen und körperliche Gewalt gegen jüdische Menschen nun erlaubt seien. Die städtische Miliz verzeichnete in den folgenden Tagen einen deutlichen Anstieg an Diskriminierungen, körperlicher Gewalt und Überfällen gegenüber jüdischen Lodzern. Daran beteiligt waren – wie aus den Meldungen und einigen späteren Prozessen zu ersehen ist – vielfach Lodzer Deutsche, die mit Soldaten gemeinsame Sache machten und Raubüberfälle durchführten. Dadurch entstand ein Klima der allgemeinen Verrohung, der Gewalt und der Angst,67 zynisch klangen dagegen Aussagen in der „Deutschen Lodzer Zeitung“ „Freiheit und Sicherheit im Lodzer Gebiet sind für alle gewährleistet, die guten Willens sind“.68 Allerdings war eine klare Trennung der Bevölkerung des multikulturellen Lodz zunächst nicht einfach – viele Menschen sprachen mehrere Sprachen und wer war 66

67 68

„Około południa przedstawiciele Komitetu zaobserwowali, że niemieccy żółnierze ścigają zewsząd mężczyzn Żydów i każą im zasypywać rękami rowy przeciwlotnicze na Placu Wolności, około pomnika T. Kościuszki. Miały przy tym różne ekscesy, jak np. wyciągnięto z tłumu starszego Żyda z siwą brodą i kazano mu śliną i chustką do nosa czyścić buty żołnierzowi, a tymczasem jego kolega bił owego Żyda po twarzy. Członek Prezydium A. Kindermann, oburzony tymi faktami, udał się do komendanta miasta, który już rezydował na parterze w gmachu przy Placu Wolności 14 ze skargą. Komendant wysłał kilku żandarmów polowych, ktorzy rozpędzili żołnierzy, czyniących wybryki z Żydami, natomiast samej pracy zasypywania rowów nie przerwał.“ Graliński, Wspomnienia, S.  173. Die Proteste Kindermanns wurden in polnischen Publikationen bis 1990 nicht erwähnt, vgl. etwa Z. Morski, Wrzesień 1939 r. w Łodzi. In: Dziennik Łódzki, 1.9. und 2.9.1947. Tomasz Walkowicz, Pierwsze tygodnie okupacji niemieckiej w świetle akt komendy milicji obywatelskiej miasta Łodzi, in: Toborek / Waingertner, Łódź w 1939 roku, S.  247–254; Ewa Wiatr, Sytuacja ludności żydowskiej w Łodzi w pierszych miesięcach okupacji, ebd., S. 279–297. Deutsche Lodzer Zeitung, 24.09.1939, S. 1.

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denn nun „Deutscher“, „Pole“ oder „Jude“? Zum Zwecke einer klaren Trennung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen rief die wieder erscheinende „Lodzer Zeitung“ bereits im September alle Deutschen auf, ihre Häuser und Geschäfte zu kennzeichnen: „Deutsche Häuser – Flaggen heraus!“ Zu diesem Zweck konnten „fertige Hakenkreuzfahnen“ in „Deutschen Geschäften“ erworben werden, zugleich sollten Geschäfte mit Aufschriften wie „Deutsches Geschäft“ gekennzeichnet werden. Am Sonntag, dem 24. September fand eine groß angelegte „Befreiungskundgebung der Jugend“ statt, bei der unter anderem Fanfarenzüge, Trommler und die Wandergruppen des Deutschen Gymnasiums aufmarschierten.69 Allerdings stießen diese Aufrufe offensichtlich auf Umsetzungsschwierigkeiten, denn in den letzten Septembertagen 1939 hieß es in der Zeitung: „Wie wir festgestellt haben, gibt es noch immer zahlreiche deutsche Geschäfte in Lodz, die nicht als solche kenntlich gemacht sind, oder deren diesbezügliches Schild klein und unscheinbar an unauffälliger Stelle angebracht ist.“70 So wie die (zu diesem Zeitpunkt noch freiwillige) Anbringung der Bezeichnung „Deutsches Geschäft“ einen offenen Akt der Entsolidarisierung mit jüdischen oder polnischen Nachbarn darstellte, so zeigte zugleich die Verschleppung der Maßnahme eine gewisse Resistenz von Teilen der deutschsprachigen Bevölkerung. Die Beseitigung der Bürgergesellschaft Parallel dauerte hinter den Kulissen eine Auseinandersetzung um die Beibehaltung von Mitspracherechten der Bürgerschaft an. Lodzer Bürger hatten mit dem Abzug der polnischen Behörden am Morgen des 6. September ein Bürgerkomitee gegründet, das sich aus verantwortungsbewussten Beamten, Lehrern, Vertretern von Industrie und Handel sowie Deputierten der Kirchen zusammensetzte. Das Bürgerkomitee, dem auch die Bürgermiliz zugeordnet war, griff hierbei offensichtlich auf die Erfahrungen der Bürgergesellschaft aus dem Ersten Weltkrieg zurück und beabsichtigte in ähnlicher Form zwischen Besatzern und Stadtgesellschaft zu vermitteln. Es konstituierte sich am 6. September im Rathaus. Gegenüber dem Komitee aus dem Ersten Weltkrieg gab es personale Kontinuitäten wie im Falle Eugeniusz Krasuski und tradierte Praktiken. Mitglieder waren allerdings ausschließlich bekannte deutsche und polnische Persönlichkeiten, Lodzer Juden waren nicht vertreten. Diese Zusammensetzung wurde auch zeitgenössisch diskutiert, manche sahen in ihr ein Entgegenkommen gegenüber den Deutschen, andere einen Beleg für die Fortdauer des Vorkriegsantisemitismus. An der Spitze stand mit Weihbischof Dr. Kazimierz Tomczak ein herausragender Theologe, der deutsch, französisch und russisch sprach. Stellvertretende Vorsitzende waren Arno Kindermann, ein bekannter Industrieller und Direktor der Fa. Krusche und Ender, der 69 70

Deutsche Lodzer Zeitung, 24.09.1939, S. 5. Ebd.

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Textilunternehmer Stefan Ender, der Ingenieur Karol Bayer, der Direktor der Lodzer Industrie- und Handelskammer, Krasuski, Direktor bei Scheibler & Grohman und Antoni Remiszewski, Direktor der staatlichen Versicherungsanstalt. Zu den Mitgliedern und Sekretären zählten polnische und deutsche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft, etwa Zygmunt Lorentz, ein bekannter Lehrer am städtischen Piłsudski-Gymnasium und Vertreter der städtischen Intelligenz oder Otto John, der Geschäftsführer der Firma Gebrüder Gerke. Die Mitglieder des Bürgerkomitees waren nicht unbedingt Anhänger der bisherigen polnischen Regierung, sie besaßen jedoch eine hohe Loyalität gegenüber der Stadt.71 Über die Tätigkeit des Bürgerkomitees und der Bürgermiliz sind wir gut informiert, da im Staatsarchiv Lodz Aktenbestände über seine Tätigkeit erhalten sind, Rechenschaftsberichte vorliegen, Mitglieder Erinnerungen vorgelegt haben72 und auch deutsche Akten über Gespräche mit dem Bürgerkomitee berichten. Die Übergabe der Stadt und der Einmarsch deutscher Truppen wurden am 8. September in Gesprächen mit dem Bürgerkomitee ausgehandelt, Vertreter suchten auch während des deutschen Einmarsches Spannungen beizulegen. In den folgenden Tagen suchte das Bürgerkomitee eine Kooperation mit der deutschen Zivilverwaltung und dem deutschen Militär einzurichten, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, eine Lebensmittelversorgung sicherzustellen sowie städtische Behörden und vor allem die medizinische Versorgung zu sichern. Am 10. September kam es im Rathaus zu Gesprächen deutscher Militärs mit dem Bürgerkomitee, die auf deutscher Seite Generaloberst Johannes Blaskowitz führte, der teilweise russisch sprach; er genehmigte die Ausgabe von Stadtgeld zur Notversorgung sowie die Leitung der städtischen Selbstverwaltung und die Organisation von Versorgungsprojekten durch das Bürgerkomitee.73 Allerdings erwies sich die Zusammenarbeit als äußerst schwierig, da die deutsche Zivilverwaltung von Anfang an eng mit SS- und Polizeibehörden verbunden war und selbst eine gezielte rassistische Verfolgungs- und Diskriminierungspolitik betrieb. Der deutsche Chef der Zivilverwaltung, Harry von Craushaar, machte selbst in der SS Karriere.74 Mitte September verschlechterten sich die Beziehungen deutlich; das Bürgerkomitee intervenierte mit wechselndem Erfolg bei Verhaftungen von Seiten der deutschen Besatzer, am 14. September entschloss man sich zum Auszug aus dem Rathausgebäude, in dem auch die Militärkommandantur untergebracht war und in dem Gefangene geschlagen 71 72 73 74

Cygański, Z dziejów okupacji, S.  18–24, 30–37 (gestützt auf unveröffentlichte Erinnerungen von Ludwik Waszkiewicz). AP Łódź 67. Komenda Milicji Obywatelskiej w Łodzi (6.9.–6.10.1939); Graliński, Wspomnienia; Berichtsentwurf des Bürgerkomitees, 16.09. 1939, abgedruckt bei Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 70–75. Details im Berichtsentwurf des Bürgerkomitees, ebd., S. 70–75. Jochen Böhler, Ordinary Clerks or Trailblazers of Destruction? The ‚First Wave‘ of Chiefs of Civil Administration and Their Implementation of Nazi Policy During the German Invasion of Poland in 1939, in: Dapim. Studies of the Holocaust 29 (2015), S. 17–40.

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wurden,75 in die Industrie- und Handelskammer (al. Kościuszki  3). Der erste Rechenschaftsbericht des Bürgerkomitees, der am 16. September vom stellvertretenden Vorsitzenden Arno Kindermann ins Deutsche übersetzt und den Besatzungsbehörden mit der „Bitte um Zensurierung“ vorgelegt wurde, durfte bereits nicht mehr erscheinen.76 Am 16. September übernahm eine deutsche Verwaltung unter Leitung von Albert Leister die Stadt, der kommissarische Bürgermeister besuchte das Bürgerkomitee und forderte zu einer weiteren Zusammenarbeit auf.77 Dieses suchte den eigenen Anspruch auf die Vertretung der Stadt schriftlich zu begründen: „Am  6. September  1939 entstand in Lodz ein Bürgerkomitee, welches die weitesten Schichten der Bevölkerung repräsentiert [… als] Repräsentant der Stadt Lodz den Okkupationsbehörden gegenüber. Der Zweck der Tätigkeit [… ist] das Wohl von Lodz, einer Stadt von über 600000 Einwohnern […]. Von dem Ergebnis dieser Verständigung wird die Wirksamkeit der weiteren Tätigkeit des B-K. abhängen, eine Tätigkeit, die dazu angetan ist, Ruhe und Ordnung in der Stadt aufrechtzuerhalten und Linderung der schweren Existenzbedingungen der breiten Bevölkerungsschichten zu bringen.“78 Zugleich intervenierte das Bürgerkomitee bei Verhaftungen von Polen und verwies auf die Unmöglichkeit, unter diesen repressiven Verhältnissen die Wirtschaftsproduktion in der Stadt wieder aufzunehmen. Dies stellte die deutschen Behörden vor Rechtfertigungszwänge; am 18. September schrieb Harry von Craushaar an den Regierungsrat und SS-Sturmbannführer Max Großkopf mit dem Zusatz „eilt!“: „Es sind folgende Männer verhaftet: 1.) Jan Przeradzki (seit 14.9., 12.00 Uhr), Prokurist der Firma R. Biedermann, Spinnerei. Biedermann ist ein alter Mann und Leiter des Textilindustriellen-Verbandes hier. Er beabsichtigt, der vom C.d.Z. [Chef der Zivilverwaltung] ergangenen Weisung nachzukommen die Textilfabriken wieder in Gang zu setzen [… und ist] auf seinen Prokuristen Przeradzki angewiesen. 2.) Lindner, Hauptkassierer der rein arischen Firma Scheibler & Grohmann, einer führenden Textilfabrik hier. Auch hier bereitet die Aufnahme der Arbeit ohne Lindner erhebliche Schwierigkeiten.  3.) Roszak  4.) Andrzejak […] Ich bitte, sofort bei der Einsatzgruppe die Möglichkeit einer Haftentlassung zu besprechen. […] Weshalb ist die Zusage für Przeradzki nicht eingehalten worden?“79 75 76 77 78 79

„Ponadto do gmachu sprowadzono z miasta aresztowanych, często ich bito tak, że jęki i krzyki rozlegały się we wszystkich pomieszczeniach obiektu.“ Graliński, Wspomnienia, S. 174. Abdruck Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S.  70–75; die Militärverwaltung lehnte eine Veröffentlichung ab. „Leister bardzo serdecznie odniósł się do pracy Komitetu i prosił o dalszą współpracę, wskazując, że przecież udział przedstawicieli społeczeństwa w zarządzie miejskim jest potrzebny i dodając dosłownie: ‚naturalnie do czasu, dopóki honor na to Panom pozwoli.“ Graliński, Wspomnienia, S. 175. AP Łódź, Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi, Nr. 3, Bl. 5–6 Komitet Obywatelski m. Łodzi an Zivilverwaltung des AOK 8 zu Lodz. AP Łódź, Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi, Nr. 11 Festnahmeaktion gegen polnische führende Personen  11.9.–24.10.39 S.  28 CdZ an Regierungsrat Großkopf, 18.9.39. Edward Andrzejak war ein Politiker der PPS und Mitglied des Stadtrats, nach 1945 von 1946–1950 Vorsitzender des

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Kapitel 7

Solche Interventionen stellte die SS- und Polizeiverbände unter Rechtfertigungsdruck: Der Leiter des Einsatzkommandos Fritz Liphardt schrieb an Großkopf: „Auf Ersuchen des Chefs der Zivilverwaltung wurden bereits in den letzten Tagen verschiedene führende Polen aus der sicherheitspolizeilichen Haft wieder entlassen. [… Przeradzki ist] durch seine Gehässigkeit gegenüber den Deutschen besonders hervorgetreten […] Zugehörigkeit zum Westmarkenverband […] Freilassung nicht tragbar […].“ Der Optiker Kazimierz Roszak habe „in den deutschfeindlichen Kreisen eine führende Rolle gespielt […]. Gegen die Entlassung des Abteilungsleiters Edward Andrzejak, geb. am 7.10.1894, habe ich unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen keine Bedenken, obwohl auch er als Deutschenhasser hervorgetreten ist und seinerzeit gegen die Auszahlung von Gehältern an Volksdeutsche protestiert hat.“80 Roszak starb im Februar 1940 im KZ Sachsenhausen. Für die nationalsozialistischen Akteure einer Gewaltpolitik gegen Polen wurde das Bürgerkomitee damit immer unbequemer, zumal dessen Spitzen unmittelbar bei hohen Militärs intervenierten. Der Kommandant der rückwärtigen Armee, Generalmajor Wolfgang von Plotho, berichtete am 27. September  1939 über ein Gespräch mit Weihbischof Tomczak: „Von wesentlicherer Bedeutung war die Bitte des Bischofs, nach der mit dem Kriege verbundenen Verhetzung der polnischen und deutschen Volksteile in Lodz nunmehr nach der Entscheidung durch das Schicksal eine Überbrückung der Gegensätze ins Auge fassen zu wollen. Bis zum Jahre 1939 hätten die Lodzer Bürger, ob deutsch oder polnisch schiedlich-friedlich nebeneinander gelebt. Zu diesem Zustand möchten sie wieder zurückfinden. Er für seine Person, sowie die ihm unterstellte Geistlichkeit stelle sich in diesem Sinne zur Verfügung. [… Es] scheine ihm aber der Augenblick gekommen, an eine Milderung der Gegensätze und an ein Auskommen miteinander zu denken, wie es früher auch in Lodz geherrscht habe. Er schloß daran die Bitte an, zu prüfen, ob es möglich sei, daß die örtliche Presse in diesem Sinne, nämlich in dem der allmählichen Befriedung beeinflußt werden könne.“81 Plotho selbst besaß ältere Kontakte zu Lodzer Industriellen, dessen Vorgesetzter Generaloberst Blaskowitz, ein ausgewiesener Kritiker des Vorgehens der nationalsozialistischen Einsatzgruppen in Polen, besuchte mit seinem Stab mehrfach des Sonntags die Gottesdienste in der evangelischen St. Matthäikirche in Lodz.82 Die Idee eines Bürgerkomitees lief völlig der Zielsetzung der Nationalsozialisten zuwider, Elemente einer polnischen Staatlichkeit vollständig zu vernichten und die polnische Elite zu beseitigen.

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Städtischen Nationalrats, Biogramm in Słównik biograficzny działaczy polskiego ruchu robotniczego, Bd. 1, S. 77–78. AP Łódź, Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi, Nr.  11 Festnahmeaktion gegen polnische führende Personen 11.9.–24.10.39, S. 29–31. AP Łódź, Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi, 20 Kirchensachen, S. 8–10: Bericht von Plotho. Nach Kneifel, Evangelische Kirche, S. 9.

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Es ist offen, ob diese Konfliktlinien zwischen Militärverwaltung und SS auch während des Aufenthalts von SS-Obergruppenführer Friedrich-Wilhelm Krüger in Lodz (25.-26. September) diskutiert wurden, auf jeden Fall verschoben sich nach der vollständigen Eroberung Polens die Machtverhältnisse. In Lodz gewannen Polizei und Zivilverwaltung immer mehr an Einfluss, während das Militär ausgeschaltet wurde. Die deutschen Behörden waren nicht mehr bereit, die Einflussnahme eines „polnischen Bürgerkomitees“ zu tolerieren. Insbesondere richteten sich die Maßnahmen gegen den ordnungspolizeilichen Arm des Bürgerkomitees, die Bürgermiliz. Dessen deutschpolnischer Leiter Stanisław Weyer wurde verhaftet83 und sein Vertreter Stanisław Dowbór von deutscher Seite immer stärker gezwungen, Personen aus der deutschen Minderheit und dem „Selbstschutz“ aufzunehmen. Milizangehörige wurden verhaftet und geschlagen, Überfälle auf Wohnungen und Plünderungen jüdischen wie polnischen Eigentums häuften sich. Alle Interventionen gegen diese Gewalt wurden zurückgewiesen. Vom 3. bis 5. Oktober 1939 löste die deutsche Verwaltung die Bürgermiliz auf, ab jetzt gab es nur noch deutsche Polizeitruppen. Zugleich geriet das Verhalten der „deutschen“ Mitglieder des Bürgerkomitees, etwa von Arno Kindermann oder Bruno Biedermann, die bis dahin auf Ausgleich bedacht gewesen waren, immer stärker zwischen die Fronten und wurde von polnischer Seite immer stärker als „Kollaboration“ aufgefasst. Graliński berichtete in seinen Erinnerungen, ohne dabei allerdings ein Datum zu nennen: „Ich bemerkte einstmals, dass das Präsidiumsmitglied Arno Kindermann, als er bei Oberbürgermeister Leister eintrat, den Hitlergruß benutzte. Ich berichtete diese Beobachtung Zygmunt Lorentz und wir kamen zu dem Schluss, dass keines der Mitglieder des Komitees, die aus dem sogenannten deutschen Umfeld kamen, weiterhin im Komitee sich zeigen würde. Unsere Vermutung erwies sich als gerechtfertigt, als zu der einberufenen Sitzung keiner von ihnen kam.“84 Über die Tätigkeit des Bürgerkomitees in der zweiten Oktoberhälfte und Anfang November sowie die Beendigung der Teilnahme Deutscher an den Sitzungen liegen keine Aussagen vor, zumal das Bürgerkomitee immer stärker konspirativ agierte. Ohne Zweifel bedeutete dies die Reduzierung der gesellschaftlichen Basis des Bürgerkomitees, das nun stärker caritative Aufgaben übernahm. Die Basis einer Tätigkeit für das Komitee entfiel mit der Eingliederung von Lodz in den Reichsgau Wartheland und der Verhaftungswelle

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Jerzy Bednarek, Stanisław Weyer (1891–1950). Zawiłe losy nadkomisarza Policji Państwowej w Łodzi, in: Zbigniew Nawrocki (Hg.), Sekretna wojna 3. Z dziejów Kontrwywiadu II RP (1914) 1918–1945 (1948), Bd. 3 Poznań 2015, S. 585–609. „Zauważyłem kiedyś, że członek Prezydium A. Kindermann wchodząc do nadburmistrza D. Leistera, użył hitlerowskiego pozdrowienia. Zakomunikowałem to spostrzeżenie Z.  Lorentzowi i wspólnie doszliśmy do wniosku, że żaden z członków Komitetu pochodzący z tak zw. środowiska niemieckiego, już więcej w Komitecie się nie pokaże. Przypuszczenia nasze okazały się słuszne, gdyż na zwołane posiedzenie żaden z nich nie przybył.“ Graliński, Wspomnienia, S. 175.

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Kapitel 7

von Polen und Juden am 9.-11. November 1939, Bischof Tomczak wurde am 9. November verhaftet. Damit verschwand eine vermittelnde Institution, die in Lodz auf eine große Tradition zurückblicken konnte und die die multikulturelle Stadtgesellschaft repräsentiert hatte. Von nun an gab es keine Einrichtung mehr, die für die Stadt und seine Bewohner hätte sprechen können. Terror im Herbst 1939 Mit der deutschen Eroberung der Stadt wurde die deutschsprachige Bevölkerung von einem Tag auf den anderen von einer bedrohten Minderheit zu potentiellen Angehörigen der Sieger, die Rache üben oder sich willkürlich bereichern konnten. Dieser Weg ist vor allem bei der Entwicklung des „Selbstschutzes“ festzustellen.85 Dabei handelte es sich um paramilitärische Verbände, die deutsche Bevölkerungen in den Stadtteilen im Zentrum und im Süden der Stadt aufstellten, wo sie in größeren Gruppen lebten. Otto Heike, ehemaliger Sozialist, der nach 1936 in das deutschnationale Lager abwanderte, beschrieb ihre Entstehung südlich von Lodz so: Es „stellte sich heraus, daß die 35.000 Einwohner zählende Gemeinde Chojny sich selbst überlassen war […] Angst und Ratlosigkeit waren die Merkmale der polnischen Einwohner der Gemeinde. Unsicherheit herrschte bei den etwa 5.000 Personen zählenden deutschen Bewohnern. Unter der Führung von Roman Zerbe hatte sich ein Deutscher Selbstschutz gebildet, um – wie es heißt – den Deutschen bei eventuell auftretender Bedrohung Schutz zu gewähren. […] Ende September oder Anfang Oktober wurden an einem Spätnachmittag in Chojny vom Deutschen Selbstschutz in großer Zahl polnische Männer abgeholt und auf dem Gelände des früheren polnischen Polizeipostens festgehalten.“86 Die Verbände des „Selbstschutzes“ entstanden teilweise spontan, oft betrieben SSund Polizeiführer ihre Gründung als paramilitärische Milizen aber von oben. In Lodz erhielt der SS-Oberführer Hans Kersten den Auftrag, solche Verbände aufzubauen und war damit seit dem 10. September beschäftigt. Am  15. September berichtete ein Protokoll der Militärverwaltung: „Bei der Besprechung bei Ic berichtete SS-Oberführer Kersten, dass er den Auftrag habe, den Selbstschutz (Hakenkreuzarmbinde) zur Hilfspolizei umzuorganisieren. Die Miliz (weiße Armbinde) wird aufgelöst.“87 Am 2. Oktober waren in der Stadt Lodz beim Selbstschutz  1.509 Personen, bei der Hilfspolizei  519 Personen beschäftigt, d.h. 10% der erwachsenen deutschen Männer.88 Die Tätigkeit erbrachte eine privilegierte Versorgung, einen regelmäßigen, wenngleich niedrigen Sold 85 86 87 88

Grundlegend Wróbel, Selbstschutz. Heike, Leben, S. 133–135. AP Łódź, Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi, 10a Polizeisachen, S. 50, 15.09.1939. Ebd., S. 116.

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(wichtig, da zahlreiche Deutsche arbeitslos waren), kostenlose Kinobesuche und weitere „Vergünstigungen“. Was der „Selbstschutz“ mit polnischen und jüdischen Mitbürgern machte, schrieb Otto Heike nicht, beschweigen deutsche Erinnerungen in der Regel. Aus deutschen Akten wie polnischen und jüdischen Berichten ist jedoch bekannt, dass die Männer des „Selbstschutzes“ vielfach Mitbürger schikanierten, willkürlich verhafteten, schlugen und ausraubten.89 In Pabianice im dortigen Kino Zachęta und in Ruda Pabianicka in der Fabrik Arnold Baier richtete der „Selbstschutz“ Lager ein, in die angeblich „deutschenfeindliche“ Polen eingeliefert, misshandelt und im Folgenden bei SS und Polizei denunziert wurden.90 Auch Antisemitismus war weit verbreitet: Als am 11. Oktober die jüdische Gemeinde Männer zum „Arbeitseinsatz“ stellen musste, hieß es in den Befehlen an die Polizei ausdrücklich: „Ich bitte, absprachegemäß an diese 4 Stellen Angehörige des Selbstschutzes abzukommandieren, die die Aufsicht übernehmen. Für eine Instruktion dieser Männer dahingehend, daß Mißhandlungen zu unterbleiben haben, wäre ich dankbar. [… Hinweis, dass] in Zukunft das Aufgreifen von Juden auf der Straße nicht mehr angängig ist“.91 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bis dahin Misshandlungen, willkürliche Verhaftungen und Erpressungen von Schutzgeld an der Tagesordnung waren. Oft ging es auch nur um – von den Betroffenen aber umso demütigender empfundene – Schikanen. David Sierakowiak schrieb unter dem Datum des 4. Oktober: „Auch ich konnte dem traurigen Schicksal meiner Landsleute, die zum Arbeiten aufgegriffen werden, nicht entkommen. […] Ungefähr in der Höhe der Andrzej-Straße [ul. Andrzeja Struga, H.-J.B.] läuft ein Schüler des deutschen Gymnasiums mit einem ordentlichen Knüppel in der Hand auf mich zu und schreit: ‚Komm arbeiten! In die Schule darfst du nicht gehen.‘ Ich habe mich nicht widersetzt. Denn ich wusste, hier hilft kein Ausweis. Er führte mich auf einen Platz, auf dem bereits etwa ein Dutzend Juden arbeiteten. […] Die Arbeiten auf dem Platz leitete ein Soldat, auch er mit einem Knüppel. Mit nicht besonders feinen Worten befahl er mir, Regenpfützen mit Sand zuzuschütten. Noch nie in meinem Leben fühlte ich mich derartig gedemütigt wie in dem Moment, als ich durch das Tor die freudig grinsenden Visagen der Passanten sah, die über das Unglück der anderen lachten.“92 Weitere Fälle schweren Raubs, von Erpressung und Vergewaltigung sind aus deutschen Prozessakten rekonstruierbar. Am  5. Oktober 1939 überfielen fünf Männer, die „in Angelegenheiten des Selbstschutzes dienstlich unterwegs“ waren, mit Waffengewalt die jüdische Fabrikantenfamilie Geyer in der ul. Zgierska: Dabei verprügelten sie die Familie, drei Männer vergewaltigten eine Frau und die Eindringlinge stahlen 89 90 91 92

Zahlreiche Beispiele: Sitarek, Otoczone drutem państwo, S.  23–27; Wróbel, Mniejszość niemiecka, S. 62–65. Wróbel, Selbstschutz, S. 210–211. AP Łódź, 259/25 Arbeitseinsatz, 11.10.1939 an Kersten, S. 7. Sierakowiak, Dziennik, S.  77; deutsche Übersetzung nach Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 4, Dok. 16, S. 98.

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Kapitel 7

Geld und Wertgegenstände. Vier der fünf Männer waren aktive Mitglieder, teilweise höhere Funktionäre, nämlich Kreisleiter und Amtswalter, des Deutschen Volksverbandes. In ihren Aussagen und späteren Bittschriften wird ein harter Antisemitismus und Antipolonismus, aber auch die Verlockung durch die nun rechtlose Situation der Mitbürger deutlich. Ein deutscher Beschuldigter führte aus: „die Zustände seit Einmarsch der deutschen Truppen in den Septembertagen 1939, in denen das bis dahin so allgewaltige und geschützte Judentum plötzlich rechtlos war […] versetzten auch mich in einen Taumel und haben mich veranlaßt, auf diese Weise, die meine Verurteilung zur Folge hatte, mich an den Juden zu rächen.“93 Sichtbar wird hier die erhebliche Verrohung eines Teils der Deutschen bereits im Herbst 1939 durch eine antipolnische und antijüdische Propaganda, die die Mitbürger zur Ausbeutung und Erpressung freigab. Die Mitglieder der „Selbstschutz“-Milizen wurden später in die Polizei- und SS-Verbände überführt. Erhebliche Teile der Lodzer Deutschen wurden so zu aktiven Erfüllungsgehilfen der NS-Politik, ja zu unmittelbaren Tätern, die an dem Terror gegenüber Mitbürgern und der Errichtung des Gettos beteiligt waren. Wendepunkt 1939 – abschließende Überlegungen Die Ereignisse im Sommer und Herbst 1939 sind der Wendepunkt für die Beziehungen innerhalb der Stadtgesellschaft. Durch Phänomene einer Desolidarisierung und durch Denunziation wurden Institutionen weiter von innen ausgehöhlt und schließlich dem Zugriff des nationalsozialistischen Deutschland preisgegeben. Deutsche Akteure standen dabei unter dem Eindruck polnischer polizeilicher oder paramilitärischer Maßnahmen im August/September 1939, die in Deportationen größerer Gruppen von Deutschen und in Morde gegen einzelne Personen gipfelten. Die deutschen Besatzer hämmerten dies in einer Pressekampagne in die Köpfe der Lodzer Deutschen, auch wenn der Schwerpunkt der Ausschreitungen nicht im Lodzer Raum, sondern in Großpolen und Kujawien lag. Vermittlungsversuche durch das Bürgerkomitee wies die deutsche Seite zurück, Persönlichkeiten, die sich dort engagierten, zerrieben sich in den Konflikten. Parallel – und hier gibt es keinen kausalen Zusammenhang – waren Lodzer deutsche Aktivisten bereits im August und Anfang September  1939 bereit, sich von polnischen Mitbürgern zu distanzieren, nationalsozialistischen Behörden zuzuarbeiten und selbst zu Gewalttätern zu werden. Denunziationen und eine Kollaboration mit der einmarschierenden Wehrmacht und deutschen Behörden waren alltäglich. Führende 93

Umfangreiche Gerichtsakten: AP Łódź, Sondergericht Litzmannstadt, 1165; auszugsweise Edition: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 120–123. Die Täter wurden auch wegen weiterer Überfälle in Sieradz und Lodz zu Gefängnisstrafen zwischen sieben Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt, vgl. auch Krzysztof Lesiakowski, Z dziejów Zagłady w Kraju Warty: losy ludności żydowskiej w Sieradzu 1939–1942, in: Pamięć i sprawiediwość 13/1 (2014), S. 247–266, hier 251–252.

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Akteure waren dabei vielfach Funktionäre des Deutschen Volksverbandes und deutsche Akademiker. Resümierend sei hierzu das Beispiel der evangelischen Kirche genannt, in der es seit den 1930er Jahren scharfe Konflikte zwischen deutsch- und polnischgesinnten Pfarrern gab (vgl. S. 113). Bereits vor dem deutschen Einmarsch erstellte die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Pastoren Listen „zuverlässiger deutscher Pastoren“, die den einmarschierenden Deutschen vorlagen. So disponierte die deutsche Verwaltung bereits vor dem Einmarsch am 6. September  1939 über eine solche Liste, auf der aus der Region Lodz Gustav Benke (Aleksandrów), Edmund Kneifel (Brzeziny), Gustav Schedler, Bruno Wendel, Harry Richter (alle Trinitatis Lodz), Adolf Doberstein (St. Johannis), Otto Welk, Adolf Loeffler (St. Matthäi), Arthur Schmidt (Radogoszcz) und Alfred Zundel (Zgierz) verzeichnet waren.94 Im Umkehrschluss galten andere Pfarrer als „unzuverlässig“ oder als „polnisch“ und wurden vielfach im Herbst 1939 verhaftet und in Konzentrationslager verbracht. Bereits am 25. September, Warschau war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erobert, gründeten deutschnationale Lodzer Pastoren auf Geheiß des Kirchlichen Außenamtes der Evangelischen Kirche Deutschlands einen Ausschuss der Deutschen Evangelischen Kirche in Polen,95 der eng mit den Besatzungsbehörden zusammenarbeitete. Insbesondere bemühte man sich, Beweise für antideutsche Maßnahmen zu sichern, SSund Polizeiverbände sollten Akten beschlagnahmen, der Chef der Zivilverwaltung führte aus: „Ich bin von Volksdeutschen, besonders von dem leitenden Ausschuss der deutschen evangelischen Kirche in Polen darauf aufmerksam gemacht worden, dass bei der Besetzung von Warschau das Konsistorialgebäude in Warschau, Wierzbowa 2, rasch besetzt und die dort vorhandenen Akten über den Kampf gegen das deutsche Volkstum gesichert werden möchten. Ich bitte um entsprechende Veranlassung.“96 Sichtbar wird hier Folgendes: Evangelische intellektuelle Eliten, in dem Fall deutschnationale Pastoren, die zu diesem Zeitpunkt noch polnische Staatsbürger waren, beteiligten sich bereits im September  1939 an einer Auflösung der Evangelisch-augsburgischen Kirche und arbeiteten mit deutschen Polizeibehörden zusammen. Selbst wenn man unterstellt, dass die Ziele der deutschen Behörden, in dem Fall die völlige Beseitigung der polnischen Eliten und der polnischen Intelligenz, den Pastoren nicht bekannt war, handelt es sich doch um eine klare Entsolidarisierung vor dem Hintergrund älterer Konflikte, die der zukünftigen Segregation Vorschub leistete.

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AP Łódź, Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi, 10a Polizeisachen, Bd. 1, S. 51–54 C.d.Z an Landräte, 6.9.1939. Alfred Kleindienst, Die „Litzmannstädter evangelische Kirche im Wartheland“ und die Kontinuität der evangelisch-augsburgischen Kirche, in: Zeitschrift für Ostforschung 13 (1969), S. 447–474. AP Łódź, Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi,10a Polizeisachen – Band I, S. 97 C.d.Z an Einsatzgruppe III, 26.9.1939.

Kapitel 8

Lodz wird Litzmannstadt: Eskalation und Rassenpolitik „In Lodz herrschen noch tolle Zustände. Die Judenplage wird allmählich unerträglich. Dazu regieren so ziemlich alle Stellen gegeneinander. Warum nur muß dieser Dreckhaufen eine deutsche Stadt werden! Es ist ja eine Sisiphusarbeit, Lodz germanisieren zu wollen. Und wir hätten diese Stadt so gut als Abladeplatz benützen können.“1  Tagebuch Joseph Goebbels, 17. November 1939

Goebbels besuchte Lodz erstmals am 31. Oktober 1939 und äußerte sich in seinem Tagebuch bereits unmittelbar anschließend äußerst negativ über die Stadt: „Lodz selbst ist eine scheußliche Stadt. […] Fahrt durch das Ghetto. Wir steigen aus und besichtigen alles eingehend. Es ist unbeschreiblich. Das sind keine Menschen mehr, das sind Tiere. Das ist deshalb auch keine humanitäre, sondern eine chirurgische Aufgabe. Man muß hier Schnitte tun, und zwar ganz radikale. Sonst geht Europa einmal an der jüdischen Krankheit zugrunde. Fahrt über polnische Straßen. Das ist schon Asien. Wir werden viel zu tun haben, um dieses Gebiet zu germanisieren.“2 Der Besuch des Propagandachefs Anfang November 1939 stand wie der zeitnahe Besuch anderer nationalsozialistischer Größen (SS-Führer Heinrich Himmler, Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Generalgouverneur Hans Frank, Reichsminister Arthur SeyßInquart) im Kontext der intensiv diskutierten Frage, was mit Lodz und der Region um die Großstadt geschehen sollte, bei der sich zwei Alternativen gegenüberstanden: Sollte Lodz zur Hauptstadt des Generalgouvernements, der neuen „Polnischen Heimstätte“ von deutschen Gnaden werden, wie dies Generalgouverneur Frank plante, der seinen Dienstsitz vom 26. Oktober bis 6. November in der Stadt nahm?3 Oder sollte es in den neu errichteten Reichsgau Wartheland eingegliedert und damit ein Teil des Großdeutschen Reiches werden? Die erstere Lösung lag in der Kontinuität einer älteren deutschen Polenpolitik aus dem Ersten Weltkrieg, Lodz war bis dahin nur in der ephemeren preußischen Episode 1795–1806 Teil eines deutschen Staatsverbandes gewesen. Über den Entscheidungsprozess liegen keine Quellen vor, Goebbels gehörte nach obiger Aussage zu den Anhängern einer Eingliederung ins Generalgouvernement und nicht in das nationalsozialistische Großdeutschland. Auffällig ist die radikale und brutale 1 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. T. 1 Aufzeichnungen 1918–1941, Bd. 7, Juli 1939-März 1940. Bearb. v. Elke Fröhlich. München 1998, S. 197. 2 Eintrag v. 2. November, ebd., S. 177. 3 In Lodz saßen bereits die Gründungsbehörden des Generalgouvernements, vgl. AP Łódź, Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi, Bd. 2, S. 100–102. Mehrere Schreiben der Behörde des Generalgouverneurs mit Sitz in Lodz in der al. Kościuszki 15 (zuvor Sitz Bank Handlowy), 28.10.–08.11.1939 in Werner Präg/Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 1939–1945. Stuttgart 1975 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 20), S. 25, 45–56.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_009

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Wortwahl, die er verwendet und die der zeitgenössischen Mehrheitsmeinung vieler deutscher und nationalsozialistischer Akteure entsprang, sie wird uns wiederbegegnen: Lodz sei eine „hässliche“, ja eine „Verbrecherstadt“, ein „Dreckhaufen“, der sich nur zu einem „Abladeplatz“ eigne. Trotz dieser radikal negativen Meinungen über die Stadt setzten sich am Ende die Anhänger einer Eingliederung in das Reichsgebiet durch. Da der Entscheidungsprozess nicht nachvollziehbar ist, werden in der Forschung zwei Argumente genannt: Das Industriezentrum, in dem große Unternehmen und gewerbliche Produktionsstrukturen lagen, weckte deutsche Begehrlichkeiten, diese wirtschaftlichen Ressourcen zu übernehmen und auszubeuten. Zweitens sollte die große Zahl der Deutschen, die Engagement und „Volksbewusstsein“ bewiesen hatten, nicht in einem „polnischen Reservat“ verbleiben.4 Der Versuch, die Industriestadt mit ihren 670.000 Einwohnern, von denen 1939 höchstens ca. 10% deutschsprachig waren, zu einer deutschen Stadt zu machen, ist völlig zu Recht als „größenwahnsinniges Unterfangen“ bezeichnet worden.5 Allein in Lodz lebten 1939 genauso viele Juden wie im gesamten deutschen „Altreich“ in den Grenzen von 1937 – und genau diese Bevölkerung wollte man ja „loswerden“. Innerhalb der NSBevölkerungspolitik im Zweiten Weltkrieg ist die „Deutschmachung“ von Lodz der mit Abstand umfangreichste Versuch, eine Großstadt mit gänzlich anderen kulturellen und ethnischen Strukturen zu germanisieren – mit katastrophalen Folgen. Reichsgau Wartheland: Rhetorische Eskalation und Terror Mit der Eingliederung in den Reichsgau Wartheland (9. November  1939) wurde Lodz Teil eines neuen Gebiets, das nach Vorstellungen der NS-Elite zu einem „Mustergau“ und einem „Experimentierfeld“ einer nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik umgestaltet werden sollte. Für das „Wartheland“, in dem fast fünf Millionen Menschen lebten, darunter 1939 ca. 4,2 Millionen katholische Polen und 400.000 Juden (davon 230.000 in Lodz), bedeutete eine solche Politik einen radikalen Einschnitt. Wie in allen in das Reich eingegliederten Gebieten wurden Verwaltungsorganisation und nationalsozialistische Parteiorganisation miteinander verschmolzen, besonders überzeugte und radikale Nationalsozialisten und „Parteisoldaten“ standen an der Spitze der Verwaltung. Für Lodz eine besonders große Bedeutung besaß neben Gauleiter Arthur Greiser, einem Volkstumskämpfer und „Führer“ des Gaus, der aber in Posen residierte, der neu ernannte Regierungspräsident Friedrich Uebelhoer – beide waren „alte Kämpfer“, radikale

4 Catherine Epstein, Model Nazi. Arthur Greiser and the Occupation of Western Poland. Oxford 2010, S. 136–139; Trębacz/Sitarek, Drei Städte, S. 299–300. 5 Trębacz/Sitarek, Drei Städte, S. 300.

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Kapitel 8

nationalsozialistische Akteure mit einem ausgeprägten Antisemitismus und einem Antipolonismus, der immer wieder Ausgrenzungen und „Endlösungen“ forderte.6 Mit ihrem ersten Auftreten in Lodz Anfang November fand eine brutale Radikalisierung der deutschen Publizistik und Politik statt. Der neue Gauleiter hielt am 9. November (am Jahrestag des Hitlerputsches 1923, der als Tag der sogenannten nationalsozialistischen „Blutzeugen“ reichsweit begangen wurde) angeblich vor 30.000 Personen im PoniatowskiPark eine öffentliche Ansprache, in der er laut gedruckter Fassung in der „Deutschen Lodzer Zeitung“ zunächst die Aufnahme von Stadt und Region in das Wartheland verkündete: „Ich vollziehe somit […] in der Form einer nationalsozialistischen Gemeinschaftskundgebung den Willen der hierher zusammengeströmten besten Deutschen dieser Stadt und übernehme Euch und den Bezirk Lodz in den Reichsgau Wartheland und damit in den Verband des Großdeutschen Reiches.“ Die „besten Deutschen“ und nur diese sollten den Ausschlag geben, die Mehrheitsverhältnisse in Stadt und in der Region mit 90% nichtdeutscher Bevölkerung wurden nicht erwähnt. Im Folgenden verkündete Greiser in seiner Rede sein Verhältnis zur polnischen und jüdischen Mehrheitsbevölkerung, seinen Eindruck von der Stadt und sein politisches Programm: „Das sind Gangster, Verbrecher und Mörder, genauso wie die polnischen Mörder, die Eure Kameraden ermordeten und schrecklich verstümmelten. Gestern hatte ich bei einer Besichtigungsfahrt durch einige Teile dieser Stadt Gelegenheit, Gestalten zu begegnen, denen man kaum noch den Namen ‚Mensch‘ zubilligen kann, und die wir bis jetzt noch in viel zu großer Anzahl hier haben. In ihren Gesichtern leben Verbrecherinstinkte […]. Für uns ist, das kann ich Euch versichern, die Judenfrage kein Problem mehr, auch da nicht, wo sie uns in solch massierter Form entgegentritt, wie hier. Sie ist für uns nur dazu da, um gelöst zu werden, und sie wird gelöst werden [Hervorh. im Org., H.-J.B.].“7 Es folgte der Appell an sein Publikum: „Eines steht fest, der deutsche Mensch, ob Mann oder Weib, ist nicht zu vergleichen mit irgendwelchen fremden Menschen, auch und erst recht nicht mit einem Polen. Die Polen sind seit Jahrhunderten von Pfaffen geführt und zu demütiger Unterwerfung unter diese angeblich gottgewollte Pfaffenherrschaft erzogen worden. Wir aber treten in dem stolzen Bewußtsein, Nachkommen alter germanischer Geschlechter zu sein, Nachkommen stolzer deutscher Bauern und Handwerkerfamilien, die dieses Land für die Kultur erschlossen haben, hocherhobenen Hauptes vor die Welt hin. […] Dieses stolze deutsche Bewußtsein überlegenen deutschen Herrentums hat dazu geführt, daß wir heute in Eurer Heimat vor Euch hintreten können.“8 Die Massenkundgebung und die Rede Greisers stellten einen Einschnitt dar. Erstmals in seiner Funktion als Gauleiter in Lodz anwesend, verkündete er öffentlich eine 6 Greiser: Epstein, Model-Nazi, S.  166–170, 184–190; Uebelhoer: Klein, Gettoverwaltung Litzmannstadt, S. 397–398. 7 Deutsche Lodzer Zeitung, Nr. 306 v. 10.11.1939, S. 1 (Hervorhebungen im Original). 8 Ebd.

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Ausschaltung und Stigmatisierung der Mehrheitsbevölkerung sowie eine radikale Umgestaltung der Stadt. Spezifisch für Greiser ist der antikatholische, ja antikirchliche Zuschnitt seines Denkens, der im Reichsgau Wartheland alle religiösen Gemeinschaften an den Rand der Gesellschaft stellte. Eingerahmt wurde Greisers erstes Auftreten von Ansprachen der bisherigen Deutschtumsführer, so führte Ludwig Wolff aus: „Durch die Eingliederung unseres Bezirkes Lodz ist eine stille, brennende Sehnsucht der hier beheimateten Deutschen in Erfüllung gegangen. Polnisches Schmarotzertum und jüdische Geldgier hatten uns schier um den Ertrag der von unseren Vätern geleisteten Arbeit gebracht. […] Heute treten wir als Deutsche zu unserem großen Volk im Altreich.“9 Die hier verkündeten Nachrichten waren für die durchschnittlichen Lodzer jenseits der politischen Akteure, egal ob deutschsprachig oder nicht, unerwartet und gänzlich neu. Die Umstände waren bemerkenswert, was sich auch in der gleichgeschalteten deutschen Presse bemerkbar machte, die aus NS-Sicht unerwünschte Zungenschläge nicht vermeiden konnte. So fand nach der Presseankündigung die Veranstaltung im „Poniatowski-Park, Zugang Bandurski-Straße“ statt, eingeladen wurde in der deutschen Presse „zur Begrüßung in der Wojewodschaft“!10 In einem nach einem polnischen König benannten Park, an einer nach einem Geistlichen, der in den polnischen Legionen tätig war, gelegenen Straße, wurde Lodz in den Reichsgau Wartheland eingegliedert, der in der Lodzer NS-Presse noch in polnischer Tradition als Wojewodschaft bezeichnet wurde – auch für die nationalsozialistischen Publizisten war der Vorgang wohl allzu überraschend. Es gibt leider weder von den deutschen Teilnehmern, noch von polnischen oder jüdischen Bürgern, die die Reden zumindest in den deutschsprachigen Zeitungen nachlesen konnten, irgendwelche unmittelbar überlieferten Reaktionen. Sicher auch, weil die Situation in Lodz im November 1939 zu gefährlich wurde, da die unmittelbaren Verfolgungen von NS-Gegnern immer brutaler ausfielen. Jedoch reichten diese radikalen Botschaften noch nicht aus, der neue Regierungspräsident Uebelhoer legte in einer Ansprache vor Lodzer Wirtschaftseliten, bezeichnet als „Vertreter der deutschen Kaufmannschaft und Industrie“, in einer geschlossenen Veranstaltung am 11. November 1939 in der Aula des deutschen Gymnasiums noch einmal nach: Bereits einleitend wurde vom Leiter der Wirtschaftskammer des Warthegaus Karsten verkündet, für die zukünftige Wirtschaftspolitik seien „nur volkspolitische und nicht wirtschaftlich-liberale Gesichtspunkte entscheidend“, die ideologische Ausrichtung auch der Wirtschaftspolitik wurde unterstrichen. Dann trat Uebelhoer auf und es ging zur Sache: „Als Herren aber müssen wir diese Fragen meistern. Der Pole ist hier nur Knecht und hat zu dienen. Mit dem Juden werden wir auch fertig werden, ohne viel zu sprechen […]. Es darf da keine Sentimentalitäten geben, keine Rücksichtnahme auf irgendwelche uns nahestehende Polen. Eine Spritze Eisen ins Rückgrat und kein Gedanke, daß hier Polen jemals wiederkehrt. Als Symbol 9 10

Deutsche Lodzer Zeitung, Nr. 306 v. 10.11.1939. Deutsche Lodzer Zeitung, Nr. 303 und 304 vom 7. und 8.11.1939.

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dafür habe ich gerade heute, am Freiheitstage der Polen, das Kosciuszko-Denkmal sprengen lassen. Die Machtverhältnisse hier sind restlos klar und endgültig.“11 Es muss deutlich formuliert werden: Unter den versammelten Unternehmern und Managern, die Uebelhoers Rede anhörten, befanden sich Dutzende Personen, die sich in den letzten zwanzig Jahren in den polnischen Staat integriert hatten, die vielfach ausgezeichnete Unternehmer gewesen waren und von denen nun verlangt wurde, langjährige Loyalitäten von einem auf den anderen Tag abzulegen, Mitbürger als zukünftige Unterschichten auszugrenzen und dem Großdeutschen Reich und Hitler „bedingungslose Gefolgschaftstreue“ zu geloben. Und das an dem historischen polnischen Nationalfeiertag, dem 11. November, an dem zugleich das Kościuszko-Denkmal in der Stadt, das während des Ersten Weltkrieges begründet und in der Zwischenkriegszeit eingeweiht worden war, abgebrochen wurde. Eine größere Provokation, ja ein brutalerer Zynismus ist kaum vorstellbar. Zugleich war ein drohender Unterton unüberhörbar: Die NSBehörden sprachen von „klaren Machtverhältnissen“ und forderten ein „Dienen“ der Wirtschaftseliten ein. Begleitet wurden diese Veranstaltungen, Aufmärsche und einschüchternden Reden von einer Welle von Brutalität, Gewalt und Terror, die in der Stadtgeschichte bis dahin einzigartig war.12 Wie angekündigt wurde am Samstag, dem 11. November, das KościuszkoDenkmal am zentralen Freiheitsplatz zerstört. In der Presse hieß es dazu drei Tage später unter der verharmlosend-ironischen Überschrift „Kościuszko in Scherben“: „Wie Regierungspräsident Uebelhoer in seiner denkwürdigen Rede auf der Versammlung der Lodzer deutschen Industriellen und Kaufleute in der Aula des deutschen Gymnasiums […] feststellte, ist die Sprengung absichtlich am Freiheitstag der Polen vorgenommen worden – zum Zeichen dessen, daß Polen hier niemals wiederkehren wird.“13 Wahrheitswidrig wurde behauptet, das Denkmal sei „als Symbol der Polenherrschaft in Lodz gedacht“ und ein „Werk des jüdischen Bildhauers Lubelski“ gewesen. Parallel wurden am 10./11. November alle Synagogen zerstört. Verbände der Sicherheitspolizei verfügten bereits seit 1938 über Erfahrungen im Zerstören und Abbrennen jüdischer Gotteshäuser,14 dies wurde nun auch in Lodz umgesetzt. Die reformierte Zentralsynagoge (al. Kościuszki 2), historisch auch „deutsche Synagoge“ genannt, wurde abgebrannt; zugleich die Inneneinrichtung der Synagoge in der ul. Wółczańska  6 verbrannt und die Synagoge anschließend abgebrochen. In den nächsten Tagen folgte die Schließung und Entweihung, schließlich die Zerstörung aller weiteren Lodzer Synagogen (ul. Wolborska  20, Abbruch 1940).15 Das betraf auch die teilweise traditionsreichen 11 12 13 14 15

Lodzer Zeitung, Nr. 308 v. 12.11.1939, Artikel „Nicht verdienen, sondern dienen.“ Aus jüdischer Sicht beschrieben im Tagebuch Sierakowiak, Einträge 12.–18.11. in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, S. 132–133. A[dolf] K[argel], Kosciuszko in Scherben, in: Lodzer Zeitung, 14.11.1939, S. 3. Klaus-Michael Mallmann, Jochen Böhler, Jürgen Matthäus, Einsatzgruppen in Polen. Darstellung und Dokumentation. Darmstadt 2008, S. 85. Verzeichnis: Jacek Walicki, Synagogi i domy modlitwy w Łodzi do 1939 r. Łódź 2000.

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Synagogen in dem Städtekranz um Lodz herum, so in Zgierz oder in Pabianice sowie die kleineren Synagogen in Lodz. Begleitet wurde dies in der Presse von zynischen Artikeln unter Überschriften wie „Synagogenbrand – Judentempel in der Kosciuszko-Allee zerstört“ oder „Judentempel niedergebrannt“.16 Als einzige Synagoge überdauerte das Gebäude der Reicher-Synagoge (ul. Południowa 28), die sich im zweiten Hinterhof eines Mietshauses befand und von den Besitzern an Deutsche verkauft worden war.17 Bei der Zerstörung der Synagogen suchte man die Rabbiner und gläubigen Juden weiter zu erniedrigen. Gemeinden wurden zu jüdischen Gottesdiensten gezwungen, die von deutschen Kamerateams aufgenommen, teilweise als Aufnahmen für den Propagandafilm „Der ewige Jude“ verwandt wurden.18 Der oberste Rabbiner von Lodz, Josek Menachem Segal, wurde von deutschen Polizisten gezwungen, die Tora zu zerstören. Diese Szene beschreibt Icchak Kacenelson, der in der Nähe der Synagoge als Lehrer lebte, im achten Gesang seines jiddischsprachigen „Lid funm ojsgehargetn jidischen folk“ 1944, hier ein Fragment: „Unsre Rabbiner leiden Todesqualen. Die Betstuben, die Thora-Rollen sind verbrannt, / Hast schon gesehen die Synagoge? An der Ostwand stand die Bundeslade, weißt du ja / Die Bima in der Mitte, um das Thora-Pult rennt unser Rabbi, du hast ihn gekannt / Den Rabbi Jossele, ihn peitscht ein deutscher Deutscher um die Bima rum, sieh da / Reb Jossele, das kleine Männel, hält den Kopf hoch, aber ach, sein Leistenbruch / Er windet sich im Kreis und stolpert und stürzt hin. Und immer, wenn ein Hieb / Sein‘ Buckel trifft, dann johlt das Publikum, das deutsche, und kriegt nicht genug / Erheb dein lichtes Antlitz, Rabbi, und beschäme dieses Pack. Nein, laß! Nein, gib / Den Schein von deinem Heiligengesicht nicht hin. Für die ist es zu schad. Soll doch / Die Sonne ihre Strahl besudeln, und der Himmel soll sein Blau entweihn / Vor diesen miesen Fressen. Viel, viel schöner bist du, Rebbe, als die Sonne hoch An dem verhurten Himmel, ehrlicher bist du. So mies wie die sollst du nicht sein […] Noch eh der Rabbi mit dem Synagogendiener mühsam heimkommt – seht! / Steigt Rauch zum Himmel, und die Flammen lecken hoch. Es brennt! Und welch / Ein Haus? Die Synagoge, unsre Bundeslade mit der Thora, unser Schtetl geht / In Flammen auf. Der Schammes stützt den Rebbe. Übervoll ist jetzt der Kelch“.19 Zugleich suchte man, alle vermuteten oder tatsächlichen Gegner des neuen deutschen Regimes in Lodz auszuschalten: Seit Anfang November, intensiviert zwischen dem 9. und dem 11. November, lief eine Verhaftungswelle unter den Lodzer Bürgern, die in deutschen Akten teilweise als „Direktaktion“ oder „Intelligenzaktion“ benannt wurde: Unter Beteiligung des zu einem erheblichen Teil aus Lodzer Deutschen rekrutierten 16 17 18 19

Lodzer Zeitung 311 v. 16.11.1939. Edward Reicher überlebte die deutsche Besatzung in Warschau und hat Erinnerungen hinterlassen: Edward Reicher, W ostrym świetle dnia. Londyn 1989. Beispiele bei Sitarek, Otoczone drutem państwo, S. 28–31. Jizchak Katzenelson, Dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk. Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk. Deutsch v. Wolf Biermann. Köln 1994, S. 92–95.

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„Selbstschutzes“, vor allem aber durch Ordnungs- und Kriminalpolizei wurden auf der Basis von bereits länger zuvor angelegten oder hastig zusammengestellten Listen und Denunziationen ca. 1.500–2.000 Personen verhaftet. Uebelhoer hatte am 11. November zur Rache aufgerufen: „Haltet Euch in solchen Augenblicken die Bilder vor Augen, wie Eure Kameraden von den Polen zu Tode gequält und gemeuchelt wurden, dann werdet Ihr hart werden“.20 Auch unbeteiligte deutsche Zeugen erfassten den radikalen Charakter der Maßnahmen bereits zeitgenössisch, Wilm Hosenfeld schrieb aus Pabianice: „Wie man sie behandelt, kann man sich denken, denn man übt Vergeltung. […] Eine ohnmächtige Wut, ein lähmender Schrecken zieht von Haus zu Haus, in der ein Pole wohnt, der über dem Durchschnitt steht. Es geht gar nicht um Vergeltung, es hat den Anschein, als ob man die Intelligenz ausrotten will nach Vorbild der Russen.“21 Hosenfeld erkannte hier bereits am 10. November 1939 die deutschen Intentionen, die nun nicht mehr auf irgendwie geartete Rache abzielten, sondern die polnischen kulturellen Eliten beseitigen wollten. Die verhafteten Menschen wurden im Gestapo-Gefängnis (ul. Anstadta  7) und in weiteren, provisorisch eingerichteten Lagern an der nördlichen Stadtgrenze von Lodz in Radogoszcz (vgl. S. 193) unter menschenunwürdigen Bedingungen wochen- und monatelang festgesetzt, verhört, schikaniert, teilweise geschlagen und gefoltert. Verhaftungen, Gewalt und Terror hatte es bereits seit Kriegsbeginn gegeben, aber die Terrorwelle im November 1939 war neu, denn sie war mit massenhaft entgrenzter Brutalität und tödlicher Gewalt verbunden: Am 10./11. November wurden auf dem Baluter Ring im Norden der Stadt auf einem Galgen drei Männer öffentlich zur Schau gestellt, die zuvor im Gefängnis ermordet worden waren. Seit dem 12. November 1939 wurden Häftlinge, die zuvor von einem Gestapo-Standgericht zur Exekution bestimmt worden waren, aus dem Polizeigefängnis und den Lagern in Sammeltransporten in die Lodz umgebenden Wälder gebracht, in den Gefängnissen oder dort vor Ort erschossen und in Massengräbern verscharrt. Die Forschung geht für die Monate November und Dezember 1939 von bis zu 500 Todesopfern aus Lodz und Umgebung aus, vor allem aus den Reihen der jüdischen und polnischen Eliten der Stadt.22 Zu den Opfern der ersten Massenexekution am 12. November zählte auch die Mehrheit des Vorstands der Jüdischen Gemeinde, die zuvor von den deutschen Behörden zu einem 31 Personen umfassenden „Ältestenrat“ umgebildet worden war; das Gremium wurde am 9. November mehrheitlich festgenommen, viele Mitglieder ermordet.23 Stellvertretend für die Opfer aus der jüdischen Gemeinde sei der Chirurg Dr. Jakub Schlosser genannt, 20 21 22 23

Lodzer Zeitung, Nr. 308 v. 12.11.1939, Artikel „Nicht verdienen, sondern dienen.“ Brief Hosenfelds an die Ehefrau, Pabianice, 10.11.1939, in: Hosenfeld, Ich versuche, S. 286. Antoni Galiński/Marek Budziarek (Hg.), Eksterminacja inteligencji Łodzi i okręgu łódzkiego, 1939– 1940. Łódź 1992. Verzeichnis der 31 Mitglieder des „Ältestenrats“: Sitarek, Otoczone drutem państwo, S.  50–51, dort 51–53 Verhaftung und Weg der Opfer.

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der in Wien und Berlin Medizin studiert hatte, sich bei den Zionisten engagierte und in der jiddischsprachigen Presse publizierte; nach seiner Verhaftung tauchte er niemals wieder auf.24 Bei den Ermordeten handelte es sich mehrheitlich um polnische Beamte und Politiker, Funktionäre und Akademiker, sowie als „deutschfeindlich“, „links“ und „kommunistisch“ wahrgenommene Aktivisten.25 Stellvertretend seien einige Persönlichkeiten genannt, die für die Lodzer Politik und Kultur des 20. Jahrhunderts herausragende Bedeutung besitzen. Aleksy Rżewski hatte in Lodz Weber gelernt, gehörte dann zu den frühen Aktivisten der sozialistischen PPS, war bereits 1905/06 an Überfällen auf russische Geldtransporte beteiligt und musste deshalb ins Deutsche Reich und nach Österreich fliehen. Er war einer der Mitbegründer der Zeitung der PPS, des „Łodzianin“ (Der Lodzer) und Organisator der Gewerkschaften, 1918/19 der erste polnische Regierungskommissar und anschließend der erste Stadtpräsident, später Leiter des Standesamtes und Landrat (poln. Starost). In den 1930er Jahren war er als Notar in Lodz tätig, zudem Mitglied in zahlreichen Verbänden und kulturellen Vereinigungen. Dass gerade Rżewski, ein Urgestein der Industriegeschichte und des Lodzer Widerstands, der auf eine Integration der Stadtgemeinschaft aus war, am 11. November verhaftet und am 20. Dezember hingerichtet wurde, beweist die völlige Ablehnung einer multinationalen Stadtgemeinschaft, die die neuen deutschen Herren prägte.26 Ebenfalls hingerichtet wurde der aus einem deutsch-polnischen Milieu stammende und zeitweise für das deutsche Gymnasium in Lodz tätige Grafiker Karol Hiller. Er schuf Wandbilder, Buchillustrationen und in den 1930er Jahren abstrakte Malerei, war zudem einer der treibenden Akteure der „Liga für Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte“ (poln. Liga Obrony Praw Człowieka i Obywatela) und des Lodzer Demokratischen Klubs. Mit Hiller wurde ein entschiedener Demokrat und einer der führenden modernen Künstler der Zwischenkriegszeit trotz Bittschriften aus der Familie ermordet.27 Zu den Opfern zählte auch Jeszaja U(n)ger, einer der bekanntesten mehrsprachigen Journalisten der Stadt. Uger hatte in Königsberg und in Berlin-Charlottenburg studiert und arbeitete journalistisch mit jiddisch-, deutsch- und russischsprachigen Zeitungen zusammen, etwa dem jiddischen „Lodzer Tageblat“, der „Neuen Lodzer Zeitung“, der zionistischen „Die Welt“ und der „Frankfurter Zeitung“. Jan Stypułkowski war in der Zwischenkriegszeit der bedeutendste polnische Zeitungsherausgeber und Journalist in der Stadt. Er erwarb 1919 den „Kurier Łódzki“ und gab ihn bis 1939 heraus; zudem baute er ab 1929 die stärker mit Bildmaterial ausgestattete populäre Zeitung „Echo“ in 24 25 26 27

Biogramm in Kempa/Szukalak, Żydzi dawnej Łodzi, Bd. 3, S. 112. Galiński/Budziarek, Eksterminacji, S. 75–123 Liste mit 793 verhafteten Personen, dort auch Haftgrund und wenn bekannt, weiteres Schicksal angegeben; S. 125–141 Liste mit 271 erschossenen Personen. Polski Słownik Biograficzny, Bd. 34, S. 228–232. Zu seinem künstlerischen Werk: Zenobia Karnicka, Janina Ładnowska, Karol Hiller, 1891–1939. Nowe widzenie. Łódź 2002; Paweł Spodenkiewicz, Pani Hiller pisze do Hitlera, in: Dziennik Łódzki, Ausgabe A, 279 (30.09.2002), S. 15; Berichte zur Familie bei Fornalska, Osiedle Montwiłła-Mireckiego, S. 94–95.

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unterschiedlichen regionalen Ausgaben in einer Auflagenhöhe von 25.000–45.000 Exemplaren, davon die Hälfte in Lodz, auf. Als Pionier eines erfolgreichen Boulevardjournalismus besitzt er deshalb auch einen Platz in der gesamtpolnischen Pressegeschichte.28 Stypułkowski und Uger können stellvertretend für viele Journalisten stehen, die ermordet wurden. Mit ihren Persönlichkeiten verschwand der mehrsprachige Lodzer Journalismus – von Seiten deutschsprachiger Kollegen Adolf Kargel war immerhin 1929–1933 Vorsitzender des Lodzer Journalistenverbandes gewesen – kam keine Unterstützung.29 Am 10. November wurde auch Alexander Margolis verhaftet, der Medizin in Heidelberg und Straßburg studiert hatte, einer der Pioniere der Bekämpfung der Tuberkulose in den Lodzer Armutsquartieren. Margolis war im jüdischen „Bund“ tätig und in diesem Rahmen langjähriger Stadtverordneter. Er kann für die große Zahl von Opfern unter den jüdischen Ärzten stehen, die erhebliche Leistungen in der Verbesserung des städtischen Gesundheitswesens erbracht hatten.30 Schließlich seien für die städtischen Unternehmer einige Persönlichkeiten hervorgehoben: Henryk Barciński, der aus einer jüdisch-polnischen Textilunternehmerfamilie stammte und in Heidelberg Wirtschaft studiert hatte,31 wurde am 8. November verhaftet, inhaftiert und im Januar 1940 hingerichtet. Aus der bekannten Unternehmerfamilie Hirszberg stammte der Ingenieur Emil Hirszberg,32 der in Dorpat und Riga studiert hatte. Er wurde verhaftet und ermordet, u.a. da er in seiner Textilfabrik im September 1939 von Arbeitern aufgehängte Hakenkreuzfahnen entfernen ließ. Mit Barciński, Hirszberg und anderen Unternehmern verschwand die kosmopolitische Welt des Lodzer Unternehmertums. Unter den Opfern deutschen Terrors waren auch deutschsprachige Lodzer, insbesondere Persönlichkeiten der Vereinigung der Deutschen in Polen, die als „Verräter“ angesehen und von deutschen Aktivisten denunziert wurden.33 Gleichfalls zweisprachige 28 29

30 31 32 33

Leszek Olejnik, Z dziejów prasy łódzkiej. „Kurier Łódzki“ i „Echo“, wydawnictwa Jana Stypułkowskiego (1919–1939), in: Acta Universitatis Lodziensis. Folia Historica 52 (1993), S. 143–163. Biogramm in Sztetl, szund, bunt i Palestyna, S.  155; A.  Kempa, M.  Szukałek (Hg.), Żydzi dawnej Łodzi. Słownik biograficzny Źydów łódzkich oraz z Łodzią związanych. Łódź 2001, S.  153–154; zum journalistischen Milieu: Leszek Olejnik, Środowisko dziennikarskie w Łodzi (1918–1939). Problemy koegzystencji trzech grup narodowościowych, In: Polacy, Niemcy, Żydzi w Łodzi, S. 386–401. Michał Trębacz, Aleksander Margolis (1888–1939). Lekarz, społecznik, polityk, in: Bohaterowie trudnych czasów. Zbiór VIII – Biblioteka „Kroniki Miasta Łodzi“. Łódź 2013, S. 29–37. Kempa/Szkalak, Żydzi dawnej Łodzi, Bd. 1, S. 32. Polski Słownik Biograficzny, Bd. 9, S. 530. „Es sind umfangreiche Vorbereitungen getroffen, um in den nächsten Tagen Aktionen gegen die polnischen Linksparteien […] durchzuführen. Ferner sind Ermittlungen im Gange gegen eine Splittergruppe von Volksdeutschen, die ihr Volkstum verleugneten, sich in Lodz zu einer Vereinigung zusammengeschlossen und eine eigene Zeitschrift – ‚Der Wegweiser‘ herausgegeben hatten. Da die Kartei dieser Renegatengruppe beschlagnahmt werden konnte, ist eine Erfassung aller Mitglieder möglich.“AP Łódź, 259/11, Bl. 1–2. Sicherheitspolizeit, der Führer der Einsatzgruppe III, i.V. Schlette.

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Lodzer, die des „Abfalls vom Deutschtum“ beschuldigt wurden. Zu letzteren zählten die Söhne des evangelischen Pfarrers Rudolf Gundlach, Dr. Ludwig Gundlach und der Ingenieur Stanisław Gundlach, bis 1939 Direktor der Städtischen Gaswerke – letzterer überlebte die Lager.34 Um die Jahreswende 1939/40 wurde der Journalist Carl Heinrich Schultz, der noch 1938/39 mit seinen satirischen Gedichten die deutschen Aktivisten zur Weißglut gebracht hatte, in Radogoszcz ermordet.35 Sein Kollege Karl Alexander Hoefig wurde in Lodz festgenommen, über Rawicz nach Dachau und Sachsenhausen deportiert und kam dort 1942 um.36 Damit waren die besonders exponierten Vertreter eines deutsch-polnischen Ausgleichs inhaftiert und vielfach ermordet. Gegen die Verhaftung und erniedrigende Behandlung so vieler herausragender Lodzer Persönlichkeiten regte sich in der Stadtgesellschaft ein Gefühl der Solidarität. Die Angehörigen konnten die Inhaftierten in Radogoszcz mit Lebensmitteln versorgen.37 Bereits am 12. November entstand ein „Hilfskomitee für die Gefangenen in Radogoszcz“, in dem sich vor allem die Frauen von inhaftierten Persönlichkeiten engagierten. Nach Berichten von Alfred Kaiserbrecht waren drei Frauen, Greta Biedermann, die Frau des inhaftierten Paweł Biedermann, Eugenia Kaiserbrecht und Helena Pawłowska, deren Ehemann Stanisław Pawłowski ebenfalls inhaftiert war, die ersten Organisatorinnen des Hilfskomitees, die persönlich bei der Gestapo vorsprachen und eine Genehmigung zur Organisation des Hilfskomitees erhielten. Dem Komitee gelang die Freilassung von Biedermann und Pawłowski, es unterhielt ein Büro in der Fabrik Ramisch (Piotrkowska 138– 140) und versorgte von der nahegelegenen Fabrik Kaiserbrecht (Zgierska 69) die Insassen in Radogoszcz mit Verpflegung, ja organisierte sogar die Errichtung einer Küche und von sanitären Anlagen.38 In dem Hilfskomitee engagierten sich bekannte Persönlichkeiten des Lodzer Wirtschaftslebens, Gustaw und Robert Geyer, Bischof Kazimierz Tomczak, Zygmunt Lorentz, Ryszard Kaiserbrecht, Zygmunt Rau und Karol Bajer.39 Die Tätigkeit war riskant, nach Auskunft Kaiserbrechts wurden Revisionen des Lokals durchgeführt und beinahe täglich Mitglieder bedroht oder verhaftet. Im Kern handelte es sich nach der Auflösung des Bürgerkomitees um die letzte Lodzer bürgergesellschaftliche Organisation, die bis zu ihrer von der Gestapo erzwungenen Auflösung in der zweiten Augusthälfte 1940 ausharrte und Hilfe leistete. 34 35 36 37 38

39

Ein „Stanislaw Grundlach, Lodz“, also wohl Stanisław Gundlach, findet sich auch im Sonderfahndungsbuch Polen, vgl. Rutowska/Ziółkowska, Specjalna księga, S. 95. Cygański, Z dziejów okupacji, S. 63; zu den Biographien Kucner, Literatura, S. 284, 293–294. Neues Biogramm mit einer Sammlung von Artikeln des Journalisten Hoefig: www.mittelpolen.de/ index.php/hoefig Damit sind ältere Angaben überholt. Schilderung in den Erinnerungen von Alina Margolis-Edelman, Als das Getto brannte, versus-online. de/als-das-ghetto-brannte/. Jerzy Jędrzejewski, Pomoc dla zatrzymanych w obozie Radogoszcz, in: Odgłosy, 28.02.1987, Nr. 9, S. 10. Der Beitrag stützt sich vor allem auf das Zeugnis von Alfred Kaiserbrecht in den Sammlungen des Muzeum Tradycji Niepodległościowych, sygn. A–8770 Z działalności Polskiego Komitetu Pomocy dla Zatrzymanych w Obozie w Radogoszczu. www.schondorf.pl/wyprawy/wiezienie-radogoszcz/.

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Auch die Beteiligung an einem humanitären Hilfskomitee war Ende 1939 in Lodz keinesfalls ungefährlich. Die Forschung vermutet, dass insbesondere die Beteiligung der Geyers am Hilfskomitee sowie die propolnische Einstellung der Familie mitverantwortlich für die niemals aufgeklärte Ermordung der Großindustriellen Robert Geyer und Guido John am 13. Dezember 1939 war; beide wurden nach Augenzeugenberichten in dem Stadtpalast der Geyers in der Piotrkowska 280 erschossen.40 Die Motive sind bis heute ungeklärt, nach 1945 wurde vielfach behauptet, damit hätten die deutschstämmigen Industriellen zur Unterzeichnung der Deutschen Volksliste gezwungen werden sollen. Dies erscheint wenig wahrscheinlich, eine Erfassung erfolgte erst 1940. Die Morde vergrößerten den Dissens zwischen nationalsozialistischer Politik und den Lodzer Unternehmern. Aber: Damit waren die verbliebenen deutsch-polnischen Industriellen endgültig gewarnt, die Familien Geyer und John waren mit den Scheiblers, Herbsts, Grohmans, Biedermanns und Kindermanns verschwägert. Demonstriert wurde, dass Widerstand, ja selbst Eigensinn lebensgefährlich waren. Erfassung und Segregation Der Terror, der vor allem Juden und Polen traf, wurde von einer Erfassung und Ethnisierung der Bevölkerung begleitet: Erklärtes Ziel war es, die bis dahin religiös, sprachlich und national gemischte Bevölkerung – den sprichwörtlichen Schmelztiegel Lodz – entlang ethnischer Grenzlinien aufzuspalten. Mit welchen Mechanismen gelang diese Aufspaltung der Bevölkerung, wo gab es dagegen Widerstände und wo verblieben Grauzonen? Die deutsche Politik setzte bereits ab November 1939 darauf, die Bevölkerung durch Registrierung zunächst zu erfassen und sie dann räumlich zu trennen. Zu diesem Zweck wurde die Stadtverwaltung funktionsfähig gehalten, die Mitarbeiter schrittweise durch „deutsches“ Personal ausgetauscht: Alle Abteilungen mussten in verschlossenen Briefumschlägen namentliche Listen von Polen erstellen, die „entbehrlich“ waren und entlassen werden konnten41 – auch hier wurde die Denunziation zum System erhoben. An deren Stelle wurden „Deutsche“ eingestellt, die Leitungspositionen allerdings durch abgeordnete reichsdeutsche Beamte und Polizeikräfte besetzt. Jedoch blieb die Politik auf eine umfangreiche städtische Bürokratie und auf eine Hilfe der ortskundigen Bevölkerung, vor allem durch Hinweise und Denunziationen, angewiesen. 40 41

Przemysław Waingertner, Ostatni Lodzermensch. Robert Geyer 1888–1939. Łódź 2014, S.  102–107; zu den Hintergründen auch Grohman, Piasek, S.  77; Berbelska/Michalska-Szałacka, Die Herbsts, S. 131–135. Bernard Sobiczewski, Otto Heike i Archiwum Miejskie w Łodzi w czasach II wojny światowej, in: Otto Heike. „Niemiecki dziennikarz z Łodzi“ jako historyk. Konferencja naukowa Komisji do Spraw Historii Niemców w Polsce i Instytutu Historii Uniwersytetu Łódzkiego, Łódź, 18 listopada 2002 r. Herne 2004, S. 67–80, hier 72.

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Dabei war die Ausgangssituation insofern günstig, als 1939 ein aktuelles gedrucktes Adressbuch mit einem Verzeichnis aller in Lodz gemeldeten Bewohner erschienen war.42 Man verfügte hierdurch über aktuelle Angaben. Im Statistikamt der Stadt existierte eine Abteilung, in der ein Wohnverzeichnis der städtischen Bevölkerung geführt wurde.43 Die polnischen Personalausweise, über die allerdings nur ein Teil der Bevölkerung verfügte, enthielten außerdem die Angabe der Religionszugehörigkeit, konnten also ebenfalls zur Segregation genutzt werden. Allerdings fehlte hier aus nationalsozialistischer Sicht ein „rassisches Kriterium“, auch gab es in der Stadt Personen ohne Religionszugehörigkeit. Die ersten, massiv auf Ausgrenzung und Terror ausgerichteten, Maßnahmen wurden in Lodz gegenüber der jüdischen Bevölkerung ergriffen. Bereits am 14. November 1939 ordnete Regierungspräsident Uebelhoer eine Kennzeichnungspflicht der Juden mit einer Armbinde „in judengelber Farbe“ zum 18. November an.44 Die deutschen Besatzungsbehörden bewiesen hier ihre Radikalität – zu diesem Zeitpunkt gab es außerhalb des Warthelandes noch nirgendwo im Großdeutschen Reich Kennzeichnungspflichten. Das Lodzer Beispiel bildete ein Vorbild in der Ausgrenzung für das gesamte deutsche Herrschaftsgebiet. Aus jüdischer Perspektive löste die Anordnung Ängste, aber auch die Wahrnehmung eines jüdischen Opfergangs aus: „In der Stadt eine niederdrückende Stimmung. Es fällt schwer, sich mit dem Gedanken des An-den-Pranger-Stellens vertraut zu machen. […] Die Armbinden bieten einen ausgezeichneten Anlass für Spott und Belästigung. Ich bin gespannt, wie die Polen sich verhalten werden. Werden sie sich dem deutschen Pöbel anschließen? Oder haben auch sie die Bedeutung der jüdischen Aufopferung begriffen […]? Vielleicht werden sie an ihre Priester denken, die gestern auf dem plac Wolności das Kościuszko-Denkmal mit Hämmern zerschlagen mussten?“45 Gerade in der Wahrnehmung, wer das Denkmal zerstören musste, war Lodz gespalten: Katholische Lodzer erinnerten sich an Juden, die das Denkmal zerstören (mussten), jüdische Lodzer an katholische Geistliche. Die Kennzeichnungspflicht war nur eine von vielen Maßnahmen. Zugleich wurde jüdischen Bewohnern verboten, die Piotrkowska zu betreten, was erhebliche Umwege in der Stadt bedeutete bzw. zu Schikanen und Erpressung Anlass gab, jüdische Bewohner der Straße mussten jeweils Passiergebühren entrichten. Parallel entstanden Pläne, ein Getto einzurichten. Regierungspräsident Uebelhoer verkündete in einem geheimen Schreiben 42 43 44 45

Księga adresowa Miasta Łodzi i województwa łódzkiego. Rocznik 1937–1939. Łódź 1939. Poln. Wydział Ewidencji Ludności Zarządu Miejskiego w Łodzi. Dokument abgedruckt in Faschismus – Getto – Massenmord, Dok. 31, S. 69–70; vgl. Lodzer Zeitung, Nr. 312 v. 16.11.1939. „Nastrój w mieście przygnębiający. Trudno się oswoić z tą myślą piętnowania. Obawiają się też zaczepek i awantur z Żydami ‚łaciastymi‘. Pole do drwin i zaczepek doskonałe. Ciekawe, jak się zachowają Polacy. Czy przyłączą się potakiwaniem do tłuszczy niemieckiej? A może i oni już przejrzeli, czym pachnie to ofiarowanie Żydów? Może wspomną swoich księży, którzy musieli wczoraj tłuć młotkami pomnik Kościuszki na Placu Wolności?“ Eintrag v. Freitag, 17.11.1939. Sierakowiak, Dziennik, S. 98.

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vom 10. Dezember 1939: „Die nördlich der Linie Listopada (Novemberstraße, Freiheitsplatz, Pomorska) Pommerschestraße wohnenden Juden sind in einem geschlossenen Getto unterzubringen, dass einmal der für die Bildung eines deutschen Kraftzentrums um den Freiheitsplatz benötigte Raum von Juden gesäubert wird […]. Die Erstellung des Ghettos ist selbstverständlich nur eine Übergangsmaßnahme. Zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Mitteln das Ghetto und damit die Stadt Lodsch von Juden gesäubert wird, behalte ich mir vor. Endziel muss jedenfalls sein, dass wir diese Pestbeule restlos ausbrennen.“46 In der Lodzer Presse lief parallel eine antisemitische Kampagne – den deutschen Lesern wurde eingehämmert, „jüdische Hamsterer, Taschendiebe und Schieber“ seien an Versorgungsengpässen Schuld, in der täglichen Rubrik „Die Polizei greift durch“ wurden Juden namentlich angeprangert. Im Januar 1940 bereitete man in der Stadtöffentlichkeit den nächsten Schritt der räumlichen Trennung vor, in einer Bekanntmachung des Stadtpräsidenten hieß es am 10. Januar: „Infolge übler Zustände in hygienischer Hinsicht stellt der Norden der Stadt Lodsch, insbesondere der fast ausschließlich von Juden bewohnte Teil, einen ständigen Infektionsherd […] dar […]. Jede unnötige Berührung mit diesem Stadtteil hat daher ab sofort zu unterbleiben. […] Darüber hinaus erwarte ich von der polnischen Bevölkerung, daß sie die Besuche der in dem bezeichneten Stadtviertel wohnenden Verwandten oder Bekannten auf unbedingt erforderliche Besuche einschränkt.“47 Die räumliche Trennung zwischen Christen und Juden schritt so an der Jahreswende 1939/40 voran, doch wie sah es mit der bürokratischen Registrierung und Erfassung aus? Problematisch war für die deutschen Behörden, dass es im Polen der Zwischenkriegszeit in den „nachrussischen“ Territorien keine staatlichen Standesämter gab, die Aufgabe der Führung der Geburts-, Heirats- und Sterberegister hatte bis dahin den Religionsgemeinschaften oblegen. Die deutschen Behörden hatten also zunächst keinen Zugriff auf Unterlagen, aus denen für alle eindeutig die Religionszugehörigkeit hervorging, vor allem gab es keine staatlichen Akten, aus denen evtl. Konversionen – für die rassistische NS-Politik besonders wichtig Übertritte aus dem Judentum heraus – nachvollziehbar gewesen wären. In Lodz selbst existierten in den großen Wohnhäusern jeweils Meldebücher, auf deren Basis vor Ort bei den Hausmeistern und -verwaltern überprüft werden konnte, welche Familien in welchen Wohnungen wohnten. Das Wissen der Hausmeister, die die Bewohner benennen und identifizieren konnten, wurde von Polizeibehörden, aber auch von Paramilitärs und dem Widerstand genutzt. Staatlicherseits erfolgte deshalb zunächst eine Registrierung in zum 1. Juli 1940 neu begründeten staatlichen Standesämtern, zum Teil mit übernommenen kirchlichen Kräften. In dem neu eingerichteten Gausippenamt Posen arbeiteten mehrere ehemalige 46 47

Abdruck: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 4, S. 171–174. Ebd., Bd. 4, S. 203.

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evangelische Pfarrer und werteten vor allem die evangelischen Kirchenbücher nach national unzuverlässigen Familien, sowie evangelische und katholische Kirchenbücher nach jüdischen Konvertiten aus.48 Ab dem 29. November  1939 waren in Lodz Eheschließungen nur noch im Einklang mit den Nürnberger Gesetzen möglich; Eheschließungen zwischen Deutschen und Polen sollten grundsätzlich unterbleiben. Staatliche Institutionen verlangten weiterhin gegen hinhaltenden Widerstand der Religionsgemeinschaften, die argumentierten, die Unterlagen selbst zu benötigen, die Herausgabe aller Kirchenbücher, der Oberbürgermeister von Lodz zuletzt mit einer mehrfach verlängerten Frist bis zum 6. Dezember 1941.49 Die Religionsgemeinschaften waren dabei in einer schwachen Position, denn Reichsstatthalter Greiser verfolgte im Wartheland eine dezidiert antikirchliche Politik, die Kirchen sollten sich als privatrechtliche juristische Personen neu konstituieren, polnische und jüdische Religionsgemeinschaften wurden nicht zugelassen. Da diese gesamte bürokratische Auswertung und Erfassung jedoch nur langsam verlief und sich mittlerweile die Wohnadressen auch durch die Zwangsumzüge veränderten, setzte die Stadtverwaltung mit dem Stichtag  16. Dezember eine Personenstandsaufnahme durch: Alle Hausbesitzer wurden angewiesen, aktuelle Wohnlisten einzureichen, die vom Hausbesitzer, deren Vertretern oder Verwaltern zu unterschreiben waren. Weiter hieß es: „Auch die jüdische Bevölkerung, soweit sie als Hauswirt, dessen Stellvertreter oder Verwalter in Frage kommt, ist zur Durchführung dieser Anordnung verpflichtet.“50 Hintergrund dieser ad hoc-Maßnahme waren die seit Dezember laufenden Zwangsaussiedlungen (vgl. S. 179), bei denen in einigen Fällen auch „deutsche“ Familien von der Aussiedlung bedroht oder betroffen waren. Im Januar in der Umgebung und am 11. Februar 1940 für die Stadt Lodz folgte eine erkennungsdienstliche polizeiliche Erfassung. In der Presse hieß es unter der Überschrift „Menschen werden ‚erfaßt‘“ in einer inszenierten Reportage aus der Meldestelle mit hämischem Unterton: „Die Meldepflichtigen überreichen am ersten Tisch ihre ausgefüllten Formulare, diese werden auf ihre sachliche Richtigkeit geprüft. […] Manche gibt es, die in der Rubrik ‚Volkszugehörigkeit‘ als Deutsche erscheinen möchten, obwohl sie knapp zwei Sätze deutsch sprechen können. Es mag also manchmal doch nützlich erscheinen, als Deutscher da zu sein.“51 Konkret standen vielfach ortskundige „Vertrauensleute“ des ehemaligen Deutschen Volksverbands bei der Erfassung und entschieden, wer Deutscher sein durfte oder wer zurückgewiesen wurde – auch hier wurden Rache und Denunziation Tür und Tor geöffnet.

48 49 50 51

Kneifel, Werden und Wachsen, S. 96, 104, 126 nennt namentlich Max Becker (1908–1949), Servatius Albert Fröhlich (1896–1971) sowie Karl Sterlak (1904–1947). Kneifel, Evangelische Kirche, S. 109. Lodzer Zeitung v. 14.12.1939. Verordnung unterzeichnet vom Kommissar der Stadt Lodz, Dr. Marder. Lodscher Zeitung 17 v. 17.01.1940.

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In Lodz wurde die „Einwohnererfassung“ durch einen „Sperrtag“ organisiert: Am Sonntag, dem 11. Februar, durften nur Reichsdeutsche oder Personen mit Sonderausweisen die Straßen betreten. Alle anderen Einwohner hatten in den Häusern und Wohnungen zu verbleiben, mussten einen Fragebogen ausfüllen und wurden von ausschließlich deutschen „Prüfern“ und „Zählern“ – jeweils eine Person aus dem Altreich und aus Lodz! – aufgesucht, die Fingerabdrücke nahmen. Ein Exemplar des Fragebogens wurde registriert, das zweite Exemplar (beide mit Fingerabdruck) verblieb bei den jeweiligen Personen und war in Zukunft als Ausweis dauernd mitzuführen – erfasst wurden nur „Deutsche“ (Buchstabe D) und „Polen“ (Buchstabe P).52 Dadurch waren zukünftig eine rasche Erfassung und Kontrolle der Personen etwa bei Straßenrazzien und Festnahmen sowie eine klare Zuordnung zu ethnischen Gruppen möglich. Insgesamt stellte die schiere Größe von Lodz ein Erfassungsproblem dar. Während anderswo im Reichsgau Wartheland für die deutschen Behörden bereits im Dezember 1939 klar war, wie viele als „Deutsche“, „Polen“ oder „Juden“ klassifizierte Menschen in welcher Stadt lebten, galt das für die Großstadt nicht. Noch Anfang 1940 operierten deutsche Behörden mit einer Zahl von 320.000 Juden in der Stadt, fast doppelt so viele jüdische Menschen wie damals noch tatsächlich dort lebten.53 Selbst wenn die Zahlen deutlich zu hoch gegriffen waren, ohne Frage lebten in der Metropole aus nationalsozialistischer Perspektive mit Abstand die meisten Menschen, die ein Hindernis für eine zügige Germanisierung darstellten. Zudem bedeutete die Erfassung der „Deutschen“ vor Ort eine besondere Herausforderung. Auf dem Lande waren deutsche Kolonisten durch Konfession, Name und Sprache deutlich zu erkennen, aber in Lodz? Ein erheblicher Teil der Bevölkerung, darunter auch viele, die sich selbst als Polen oder Juden auffassten, sprach deutsch, viele Polen kamen auch aus historisch deutschsprachigen Familien und trugen deutsche Familiennamen. Gerade im Bürgertum waren auch deutsch-jüdische Familien nicht selten. Mehrere Personen aus dem Fabrikantenmilieu hatten jüdische Elternteile oder Frauen (Geyer, Herbst, Kindermann, Wahlmann).54 Erste Befehle zur Einrichtung einer „Deutschen Volksliste“ (DVL) ergingen im Wartheland bereits seit dem 28. Oktober 1939, in Lodz wurden sie durch eine Verordnung des Regierungspräsidenten vom 27. November bekannt gemacht.55 Die Einführung und Durchsetzung der DVL, in der alle als „deutsch“ privilegierten Personen eingetragen wurden, war von den Vorgaben der Behörden des Reichsgau 52 53 54 55

Was geht am Sonntag in Lodsch vor sich? Lodscher Zeitung 39 v. 08.02.1939, Abdruck Fragebogen S. 4; „Von Haus zu Haus, treppauf, treppab“, Lodscher Zeitung Nr. 44 v. 13.02.1940. Klein, Gettoverwaltung Litzmannstadt, S. 31 Hinweis auf deutsche Quellen. Vgl. die Geschichte der Familie Wahlmann-Feinberg: Anita Halina Janowska, Krzyżówka. Warszawa ³2010. Die Autorin (geb. 1933) beschreibt die Geschichte ihrer Eltern, die in Lodz bis 1945 überlebten, der Vater verschwand dann in sowjetischer Haft. Lodzer Zeitung  324 v. 28.11.1939, Amtliche Bekanntmachungen; Gerhard Wolf, Ideologie und Herrschaftsrationalität. Nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Polen. Hamburg 2012, S. 167–176.

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Warthelandes abhängig, hatte in Lodz aber besondere Konsequenzen. Grundsätzlich war die Deutschtumspolitik im Wartheland besonders radikal, hier wurde zuerst das später auch auf andere eingegliederte Gebiete übertragene Instrument der DVL von Gauleiter Greiser am 28. Oktober 1939 beschlossen. In die DVL sollten auf Weisung von Greiser keine rassisch oder volkstumspolitisch „unzuverlässigen“ Personen aufgenommen werden. Daraufhin wurde in Lodz eine Bezirksstelle der DVL (Ogrodowa/Gartenstr. 15) und ab dem 6. Januar eine Kreisstelle (Targowa/Marktstr. 63) eingerichtet; die tatsächliche Einschreibungstätigkeit begann zunächst nur für die Mitglieder und Familien des Deutschen Volksverbandes oder der Jungdeutschen Partei, die durchweg im Februar 1940 in die Gruppen DVL A (später 1) und DVL B (später 2) eingruppiert wurden.56 Parallel wurde im Stadtarchiv unter den neuen Direktoren Alfred Buse und Otto Heike 1939/40 eine „Deutschtumskartei“ mit einer „Abteilung für Sippenforschung“ angelegt, die auf der Basis von Bevölkerungslisten, städtischen Melderegistern, Gemeindeakten und Kirchenakten alle „Deutschen“ detailliert auf der Basis von 17 Rubriken erfassen sollte. Als Kriterien galten protestantische Konfession, aber auch ein rein äußerliches Kriterium wie deutsche Vor- und Nachnamen. Es handelte sich dabei um eine aufwändige und in den Ergebnissen vielfach widersprüchliche Recherchetätigkeit. Die ersten Registereinträge wurden im April 1940 fertiggestellt, anschließend monatlich ca. 300–500 Karten produziert.57 Tatsächlich handelte es sich bei der Vergabe der DVL um eine komplizierte bürokratische Prozedur: Nach Aufruf zur Registrierung in den Tageszeitungen nach Alphabet – mitzubringen waren Ausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Schulzeugnisse, Soldbücher und Bescheinigungen von deutschen Verbänden – erfolgten individuelle Gespräche mit den jeweiligen Kandidaten. Falls die Prüfer sie als geeignet ansahen, händigten sie ihnen zwei Formulare aus, die diese ausfüllen mussten. Man bestellte die Menschen zu einem bestimmten Termin wieder ein und nach Überprüfung und Abgabe der Formulare erhielten sie eine offizielle Bescheinigung, dass sie sich um den Eintrag in die DVL bemüht hätten. Diese Bescheinigung bot Schutz vor Aussiedlungen als „Polen“, vor Beschlagnahmen, Zwangsarbeit und anderen Repressionen. Infolge des komplexen Charakters der bürokratischen Untersuchungen war die Kreisstelle in Lodz stark frequentiert. Sie wurde deshalb im April 1940 in die Trębacka / Trommelstraße 3 – bis 1939 ein Gebäude mit Lehrerwohnungen für die Schule des Lodzer Kaufleuteverbandes (poln. Szkoła Zgromadzenia Kupców m. Łodzi), heute Universitätsgebäude) – verlagert. Anträge waren zunächst bis zum 1. Oktober 1940, bis zur offiziellen Schließung der Volksliste, möglich.58 56 57 58

Lodscher Zeitung 31 v. 31.01.1940, Amtliche Bekanntmachungen. Sobiczewski, Otto Heike, S. 73–74. Paweł Dzieciński, Niemiecka lista narodowa w Łodzi, in: Rocznik Łódzki 38 (1988), S. 273–289; ders.: Die Politik der NS-Behörden gegenüber der deutschen Bevölkerung in Lodz (1939–1945), in: Polska Środkowa, S. 165–187.

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Nach unterschiedlichen Einteilungen setzte sich schließlich (Verordnung über die Deutsche Volksliste vom 4. März 1941) eine Vierteilung mit gestuften Rechten und Privilegien durch: Die Kategorie  1 (blauer Ausweis) umfasste die „Bekenntnisdeutschen“, die sich vor 1939 aktiv für die deutsche Kultur und Sprache eingesetzt hatten; diese Gruppe erhielt sofort die deutsche Staatsangehörigkeit und konnte der NSDAP beitreten. Kategorie  2 (blauer Ausweis) umfasste Menschen deutscher Abstammung, die an der deutschen Sprache und Kultur festgehalten hatten, sich aber nicht in Deutschtumsorganisationen betätigt hatten. Diese Gruppe erhielt ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit, konnte aber nur eine NSDAP-Anwartschaft beantragen. Für Gruppe  1 und 2 galten deutliche Vergünstigungen bei Sozialleistungen, Bezugsscheinen und Lebensmittelkarten. Kategorie 3 (grüner Ausweis) umfasste Menschen mit teilweiser oder gänzlicher deutscher Abstammung, die aber „ins Polentum abgeglitten“ waren bzw. aus gemischten Familien stammten. Sie erhielten lediglich die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf und erheblich niedrigere Sozialleistungen und Lebensmittelkarten, waren zudem in Lodz auch rassekundlichen Untersuchungen ausgesetzt. Kategorie 4 (roter Ausweis) umfasste „Renegaten“, die nach Auffassung der Verwaltung zwar deutscher Abstammung waren, sich aber als Polen betrachteten. Sie erhielten keine deutsche Staatsangehörigkeit, sondern nur eine Anwartschaft auf Widerruf, männliche Mitglieder blieben von der Wehrpflicht ausgenommen. Gegenüber dieser Gruppe wurden wiederholt Gestapo-Maßnahmen (Vorführung, Schutzhaft, Einweisung ins KZ) angedroht und 1943/44 in wachsendem Maße auch ausgeführt.59 Bei der Einführung und Durchsetzung der DVL in Lodz kam es zu erheblichen Problemen und Sonderentwicklungen: Zunächst konnte sich die Masse der deutschsprachigen Bevölkerung – im Unterschied zu Posen oder Westpreußen – nicht auf deutsche Papiere aus den Jahren vor 1918 berufen, sondern besaß vielfach, auch durch die russische oder polnische Personenstandspraxis, nur russifizierte oder polonisierte Personenstandsurkunden. Anträge auf Namensberichtigung überschwemmten deshalb die neugegründeten Standesämter, bis zum 13. November  1941 hatten in Litzmannstadt  8.181 Personen ihren Nachnamen geändert.60 Anträge auf germanisierende Namensänderungen wurden aufgrund tausender Anträge und damit verbundenen Problemen einer Personenevidenz ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bearbeitet.61 Es entstand zudem eine umfangreiche DVL-Bürokratie mit einer DVL-Zentralstelle, Bezirksstellen und Beschwerdeinstanzen sowie Außendienstmitarbeitern, die vor Ort den „deutschmäßigen“ Lebenswandel durch Befragungen des Umfelds erkunden und überprüfen sollten.

59 60 61

Dzieciński, Niemiecka lista narodowa, S. 273–289. AP Łódź, Regierungspräsident Litzmannstadt, 1939–1944, Nr.  384 Namensänderungssachen A-M, Bl. 387. Ebenda, Bl. 384, Namensänderungssachen; Beispiele für Berichtigungen: Gase auf Haase, Gede auf Jede, Haman in Hamann, Henes in Hönes, Keiser auf Kaiser.

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Personen, die die Eintragung in die DVL beantragt hatten, wurden als Deutsche angesehen und zum Tragen eines Hakenkreuzes aus Kunststoff mit einem Kranz von Eichenblättern in der Öffentlichkeit aufgefordert und „zwar gleichermaßen Männer, Frauen und Kinder.“62 Erkennbar wird hier, wie eine Segregation bis in die letzten Räume des Alltags, in die Straßen, Geschäfte und Schulen, getragen werden sollte. Allerdings lief die tatsächliche Vergabe der DVL zunächst nur schleppend an, in der Presse hieß es im Februar 1940, es sei „die Zahl der Volksgenossen jedoch immer noch sehr groß, die von dem Bestehen dieser Einrichtung keine Ahnung zu haben scheinen.“63 Dies legt die Vermutung nahe, dass es außerhalb der nationalistischen deutschen Verbände eine erhebliche Gruppe von Lodzer Deutschen gab, die eine Resistenz gegenüber eindeutigen nationalen Zuordnungen und staatlichen Zuweisungen besaß, möglicherweise auch nur gegenüber dem nationalsozialistischen Regime. Deshalb arbeitete man bereits 1940 auch mit Drohungen: „Es liegt im wohlverstandenen eigenen Interesse jedes Volksdeutschen, dem an ihn ergangenen Aufruf, seine Eintragung in die ‚Deutsche Volksliste‘ zu beantragen, zu der gegebenen Zeit Folge zu leisten. Das Versäumnis wird für den Schuldigen Folgen haben, deren Tragweite er gar nicht abzuschätzen vermag. Und zwar – was ja für manche Zeitgenossen leider ausschlaggebend ist – auch solche wirtschaftlicher [Hervorh. im Org., H.-J.B.] Natur.“64 Es ist deshalb fraglich, inwieweit die Eintragungen in die Volksliste 1940–1941 tatsächlich – wie von volkspolnischen Gerichten nach 1945 und oft in der Forschung bis heute behauptet – freiwillig waren.65 Teilen der deutschsprachigen Bevölkerung – insbesondere denen mit sozialistischer Vergangenheit oder mit Verbindungen zu polnischen Verbänden und Institutionen – wurde von Deutschtumsaktivisten das Recht auf die Aufnahme in die DVL abgesprochen, andere waren auf positive Zeugnisse von ehemaligen politischen Gegnern – es wurden in den DVL-Anträgen Bürgen verlangt – angewiesen. Ein Beispiel, das für viele Fälle steht: In Zgierz reichte Selma Schwarzschulz am 28. Juni 1940 Beschwerde ein, „da ich mich immer als gute Deutsche gefühlt und bekannt habe und es für mich niederdrückend ist, jetzt nicht als Deutsche anerkannt zu werden. Ich bin rein deutscher Abstammung und war bis zur Verheiratung deutsche Staatsangehörige. Ich habe einen Deutschen geheiratet, und mich ausschließlich in deutscher Gesellschaft bewegt. Daß ich mich auch immer als Deutsche bekannt habe, beweist der Umstand, daß ich mich jahrelang als Vorsitzende der Frauensektion des deutschen Gesangvereins ‚Concordia‘ betätigt habe. Außerdem habe ich viele Jahre aktiv in der Verwaltung des deutschen Waisenhauses in Zgierz gearbeitet und weder Kraft noch Zeit gescheut, für das Wohl der deutschen Kinder zu sorgen. Auch habe ich meinen Sohn im deutschen Geiste erzogen und war stolz darauf,

62 63 64 65

Adolf Kargel, Besitzen sie schon das volksdeutsche Abzeichen? Lodscher Zeitung 39 v. 08.02.1940. Ebd. Ebd. Dzieciński, Politik, S. 170.

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daß er als Kind viele Jahre den deutschen Pfadfindern und später dem deutschen Sportklub angehört hat.“66 Darauf antwortete der Vertrauensmann des Deutschen Volksverbandes Georg Kerber, der zunächst Frau Schwarzschulz den „Ruf einer deutschgesinnten Person“ zusprach. Sie sei jedoch politisch und völkisch unzuverlässig, denn sie habe bei Konflikten innerhalb der Zgierzer evangelischen Gemeinde stets die Positionen des dortigen evangelischen Pastors Falzmann vertreten: „Bei den sich im Laufe der Jahre zuspitzenden politischen Gegensätzen stellte sich Frau Selma Schwarzschulz ausnahmslos auf die Seite der polnischen Gesinnungsträger, bis sie schließlich selbst die Wortführung für diese Gruppe übernahm. Aus ihren Angriffen gegen die völkischen Verbände, die sie in öffentlichem Wortgefecht zur Schau trug, bekundete Frau Schwarzschulz eindeutig, daß sie sich des politischen Charakters ihrer Stellungnahme bewußt war. Diese Haltung hat Frau Schwarzschulz bis zuletzt beibehalten, sobald sie in völkischen Fragen Stellung nehmen zu müssen glaubte.“67 Pastor Alexander Falzmann war zu dieser Zeit bereits im Konzentrationslager gefangen, zunächst in Dachau, dann in Sachsenhausen, wo er medizinischen Experimenten ausgesetzt war und 1942 starb. Erkennbar wird hier, wie ältere konfessionelle und politische Konflikte im Rahmen der Einführung der DVL benutzt wurden, um ehemaligen Gegnern zu schaden. Frau Schwarzschulz erhielt nach ihrem Widerspruch die DVL. Das Ehepaar Ludwik und Stanisława Radke, eigentlich als evangelische Deutschsprachige Kandidaten für die Aufnahme in die DVL, gerieten als „Verräter“ in die Mühlen einer rachsüchtigen Nationalitätenpolitik. Das Ehepaar wurde im April 1940 zu einem Verhör durch die Gestapo vorgeladen, nach Nachkriegsaussagen geschlagen und zu einem DVL-Antrag genötigt. Dieser Antrag wurde zunächst abgelehnt, Radke äußerte in einer Beschwerde an NS-Stellen bitter: „Wenn ich auch unter dem Drucke der Verhältnisse alles tat, um mir meine Stellung zu erhalten, wurde ich dennoch von den Polen größtenteils mit Misstrauen als Deutscher behandelt. Nunmehr werde ich trotz meiner rein deutschen Abstammung wieder nicht einmal als deutschbürtig anerkannt und soll als Pole behandelt werden.“68 Als Gründe für eine Ablehnung wurde bei den Radkes die Mitgliedschaft von Ludwik im Polnischen Westmarkenverband und in der evangelischen polnischsprachigen Pfarrei, in den deutschen Akten als „Kotula-Gemeinde“ abqualifiziert, angeführt. Gute Kontakte zu den Familien Scheibler und Herbst, Radke hatte noch im Namen der Belegschaft der Scheibler & Grohman-Werke im Juni 1939 zum Tod der Firmenpatriarchin Mathilde von Herbst eine Totenrede gehalten, halfen nicht.69 66 67 68 69

Handschriftliches Gesuch Selma Schwarzschulz an die Deutsche Volksliste in Litzmannstadt, Zgierz, 28.08.1940, in: AP Łódź, Deutsche Volksliste, 103, Bl. 204–205. Abdruck; Bömelburg/Klatt, S. 280. Maschinenschriftliches Schreiben Georg Kerbers an die DVL Litzmannstadt, Zgierz, 22.09.1940, AP Łódź, Deutsche Volksliste, 103, Bl. 208–209. Abdruck: Bömelburg/Klatt, S. 280–281. AP Łódź, Niemiecka Lista Narodowa 342188, S.  11–14: Ludwig Radke an den Oberbürgermeister, 10.09.1940, Schreiben und Lebenslauf, hier 14. Berbelska/Michalska-Szałacka, Die Herbsts, S. 117 mit Teilabdruck der Rede.

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Die erhaltene Lohnsteuerkarte 1941 und polnische namentliche Lebensmittelkarten für beide belegen, dass die Radkes zunächst als „Polen“ behandelt wurden. Dagegen wehrte sich Radke und legte Beschwerde ein, die am 30. Juni 1942 zu einer Vorladung bei der Gestapo führte. Die deutsche DVL-Leitung wollte ein Exempel statuieren und führte aus: „in seiner Hauptbetätigung und Einstellung stellt Ludwig Radke den Typ des Renegaten schlechthin dar. Nachdem er anfangs als Deutscher fühlte, stellte er sich unter dem zunehmenden Druck der Polen [um] und zwar soweit, daß er […] dadurch den Deutschen erheblichen Schaden zufügte. Aufgrund dieser deutschfeindlichen Einstellung ist Radke in Abteilung 4 der ‚Deutschen Volksliste‘ eingegliedert worden.“70 Ähnlich lautete der Beurteilungsbogen vom 13. Juli 1942. In der Verhandlung am 28. Juli, an der Oberbürgermeister Ventzki, die SS-Obersturmführer Schweichel und Köde, Bankdirektor Pohlmann und Ratsherr Neurode teilnahmen, wurde dieser Beschluss aufrechterhalten. Auch eine weitere Beschwerde beim Reichsstatthalter in Posen änderte nichts – in einem hochrangig besetzten Verfahren, an dem am 5. Februar 1943 Regierungspräsident Riediger, Oberregierungsrat Schultheiss und als Vertreter der DVL-Bürokratie Rechtsanwalt Siegmund Puppe und Rudolf Wurm teilnahmen, blieb es bei der Einstufung (vgl. S. 306). In Lodz gab es trotz der verbreiteten Zweisprachigkeit nur sehr wenige Angehörige der DVL  3 (ca. 10% gegen über 60% in Westpreußen und Ostoberschlesien), da die Deutschtumsorganisationen die eigenen Privilegien eifersüchtig schützten und grundsätzlich keine „Polen“ aufnehmen wollten. Dagegen lebten in der Stadt relativ viele (bis 5%) Angehörige der DVL  4, die von deutschen Gegnern gezielt ausgegrenzt und verfolgt wurden. Persönliche Feindschaften und ältere politische Konflikte wurden hier ausgelebt. Für viele zweisprachige Lodzer, Personen aus gemischten Familien oder aus einem internationalistischen Arbeitermilieu bedeuteten die DVL-Anträge, die unter hohem administrativem Druck abgegeben werden mussten, ein unauflösliches Dilemma. Wurde kein DVL-Antrag eingereicht, drohten Deportation ins Generalgouvernement, Verlust des Zugangs zur Gesundheitsversorgung und von Bildungschancen (keine Schulbesuche von Kindern aus Familien ohne DVL-Ausweis ab 1940), letztendlich der schrittweise Entzug der Existenzgrundlage durch Enteignungen und Wohnungswegnahmen. Unter solchem Druck wurde vielfach wider die eigene Überzeugung doch die Aufnahme in die DVL beantragt. Neben der DVL entstanden in Lodz auch jeweils gesonderte Listen für andere „Volkszugehörige“, so eine russische, weißrussische, ukrainische und litauische Volksliste. Personen, die sich auf diese Listen eintragen ließen, erhielten häufig kleinere Vergünstigungen, insbesondere konnten eigene Schulklassen eingerichtet werden. Dies entsprach nationalsozialistischen Vorstellungen einer „völkischen Dekomposition“ der eingegliederten polnischen Territorien. Auch hier sorgte die unterschiedliche Behandlung 70

Ebd., S. 17–18: Zweigstelle Deutsche Volksliste an den Reichsstatthalter, 30.09.1941.

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für erhebliche Probleme bis in die Familien hinein. So zerstritt sich das Künstlerehepaar Strzemiński/Kobro über die Annahme der russischen Volksliste durch Katarzyna Kobro, nach dem Krieg äußerte sich Strzemiński in den bittersten Tönen über den „Verrat“ seiner Frau und reichte die Scheidung ein.71 In Lodz lebten 1940–1945 ca. 90.000–107.000 Angehörige der DVL ((davon im Oktober 1944 in der ersten Kategorie 9.812 Personen, in der zweiten 78.867, in der dritten 15.873 und in der vierten 3.072), je nach Zeitschnitt etwa 20–25% der Stadtbevölkerung. Sie unterlagen einem völlig anderen Recht als die polnische Mehrheitsbevölkerung. Grundsätzlich zerriss die Einführung und administrative Durchsetzung der DVL die städtische Gesellschaft. Sie ist deshalb in ihrer Segregationswirklung mit der parallelen Einrichtung des räumlich getrennten Gettos für jüdische Lodzer vergleichbar. Es entstanden mit Abstufungen privilegierte (die DVL-Angehörigen), diskriminierte (die zu rechts- und staatenlosen „Schutzangehörigen“ werdenden Polen) oder gänzlich ausgegrenzte Gruppen (die Lodzer Juden), zwischen denen die lebensweltlichen Barrieren wuchsen und Gräben sich vertieften. Nicht-DVL-Angehörige unterstanden abendlichen Ausgangssperren, konnten von Angehörigen aller NS-Organisationen kontrolliert werden, durften Kommunikationsmittel nicht benutzen, in den Betrieben nur in getrennten Kantinen essen, zahlreiche Kultur- und Freizeitveranstaltungen nicht besuchen, erhielten niedrigere Löhne, nur minimale Lebensmittelzuweisungen und durften schließlich nicht auf den traditionellen Friedhöfen der Lodzer Deutschen begraben werden. Die deutschen Behörden erzwangen parallel zur Einführung der DVL im Frühjahr 1940 die räumliche Separierung der jüdischen Bevölkerung in der nördlichen Altstadt: Am 8. Februar verkündeten sie per Anschlag die Einrichtung eines Gettos, am 11. Februar enthielt die Presse eine Karte, die die neuen Wohngebiete der Juden und Polen zeigte: Danach war für die jüdische Bevölkerung lediglich ein Bereich in Bałuty in der nördlichen Altstadt vorgesehen – das Getto wurde erst nach intensiven Verhandlungen mit dem jüdischen „Ältestenrat“ im März erheblich nach Norden und Osten erweitert, so dass es bis zum Jüdischen Friedhof reichte. Bemerkenswert ist, dass auf der in der Presse veröffentlichen Karte auch ein „polnisches Getto“ vorgesehen war, das den südlichen Teil der Stadt, vor allem die Vororte Chojny und Ruda Pabianicka umfasst hätte (vgl. Abbildung).72 Dieses „polnische Getto“ wurde in dieser Form niemals realisiert, der Abdruck des Planes deutet aber darauf hin, dass Anfang 1940 Überlegungen in diese Richtung liefen, die eine Aussiedlung von Hunderttausenden von Polen aus der Innenstadt von Lodz erforderlich gemacht hätten. Das jüdische Getto setzte die deutsche Verwaltung allerdings mit brachialer Gewalt um.73 Als die Umzüge nicht schnell genug vonstatten gingen und Juden einen Teil ihres Eigentums zu retten versuchten, führte die Polizei Anfang März Razzien mit 71 72 73

Małgorzata Czyńska, Kobro. Skok w przesztrzeń. Wołowiec 2015, S. 160–192. Lodscher Zeitung 42/43 v. 11./12.02.1940, S. 5. Zu Motiven und Etappen ausführlich Alberti, Verfolgung, S. 150–155.

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Abb. 7

Die Lodscher Zeitung vom 11./12. Februar 1940: Zukünftige Planungen, dargestellt wird das projektierte Getto, die germanisierte Innenstadt und im Süden ein projektiertes, nicht realisiertes Wohngebiet für die polnische Stadtbevölkerung.

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massenhaften Festnahmen durch. Am  5./6. März warfen Rollkommandos von Polizei, „Selbstschutz“ und NS-Gliederungen Juden aus ihren Wohnungen. Dabei kam es zu zahlreichen Plünderungen und Mordtaten gegen Personen, die Widerstand leisteten oder unfähig waren, die Wohnungen sofort zu verlassen (Ältere, Behinderte). Nach unterschiedlichen Angaben forderte das Pogrom mindestens 127 Todesopfer.74 Ein Ziel, das so realisiert werden konnte, war das Herauspressen allen jüdischen Vermögens: Uebelhoer hatte selbst davon gesprochen, „die von den Juden gehamsterten und versteckten Sachwerte restlos“ herauszuholen.75 Als Gettogebiet wurde das Elendsviertel Bałuty, der Randbezirk Marysin und das Gelände bis zum jüdischen Friedhof ausgewählt, in dem bisher ca. 62.000 Juden, aber auch ca. 60.000 Deutsche und Polen gelebt hatten. Letztere wurden ausgesiedelt und erhielten anderswo Wohnungen. Auf einem Gebiet von 4,13 Quadratkilometern sollten nun ca. 164.000 Menschen leben, wobei von der deutschen Verwaltung von Anfang an eine höhere Sterblichkeit eingeplant war. Außerhalb des Gettos durften nach dem 1. Mai 1940 lediglich einige hundert Altwarenhändler bleiben, diese Zahl wurde in Zukunft weiter eingeschränkt.76 Das Getto wurde komplett mit Stacheldraht eingezäunt, eine Maßnahme, die von jüdischer Seite zu bezahlen war. Zum 1. Mai geschlossen, konnten ab diesem Zeitpunkt Waren nur noch über den Baluter Ring, an dem sich auch der Sitz der Gestapo und des Judenrates befand, eingeführt werden. Polizei und städtische Gettoverwaltung bemühten sich, das Getto möglichst von der Außenwelt abzuschneiden. In der ul. Zgierska (Hohensteinerstraße) und der ul. Limanowska (Alexanderhofstraße), die das Getto in Nord-Südrichtung durchschnitten und auf denen Straßenbahnlinien entlangliefen, wurden zunächst Stacheldrahtzäune, später mannshohe Plankenzäune errichtet, um die jüdische Bevölkerung einzusperren, zugleich einen Sichtkontakt zwischen Deutschen und Polen einerseits sowie Juden andererseits auszuschließen. Insgesamt erwiesen sich die Verkehrsprobleme im Sommer 1940 als erheblich: Da der jüdischen Bevölkerung der Kontakt zwischen beiden Teilen des Gettos ermöglicht werden musste, wurden die Straßen zu bestimmten Stunden gesperrt, was wiederum die Kommunikation außerhalb des Gettos erschwerte. Deshalb wurden im Sommer 1940 drei abgeriegelte Holzbrücken errichtet, über die die jüdische Bevölkerung die Straßen überqueren konnte. Die Straßenbahnen, die das Getto durchquerten, hatten mit Decken verhängte oder weiß bemalte Scheiben, wodurch ebenfalls der Sichtkontakt verhindert werden sollte. Zentral untersagt wurde ein Kontakt an den Durchfahrtsstraßen: „Auf Anordnung der Behörden gebe ich bekannt, daß es strengstens untersagt ist, daß sich Leute, die innerhalb des Gettos wohnen, mit Personen, die sich außerhalb des Gettos befinden, über

74 75 76

In der jüdischen Überlieferung höhere Opferzahlen, ebd., S. 158. Rundschreiben Uebelhoer v. 10.12.1939, zit. nach ebd., S. 150. Ebd., S. 161–162.

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den Drahtzaun hinweg / insbesondere in den Durchfahrtsstraßen / unterhalten.“77 Auch Telefon- und Briefkontakte wurden bis auf zensierte Postkarten unterbunden. Zwischen Februar und August  1941 legte man zudem durch Abriss von ganzen Häuserzeilen in der nördlichen Altstadt eine Bannmeile um das Getto, offiziell als „Feuerschutzgürtel“ gerechtfertigt, vorrangig um Kontakte mit dem Getto zu verhindern. Insgesamt setzten die Besatzungsbehörden im multinationalen Lodz im Zeitraum eines Jahres, zwischen Oktober 1939 und Oktober 1940, gewaltsam eine weitgehende Segregation in „Deutsche“, „Polen“ und „Juden“ durch, die alle Ebenen des Berufs- und Privatlebens berührte. Gezeigt werden kann das am Beispiel der Verkehrsmittel, einem zentralen Kommunikationsmedium in einer Großstadt. Bereits im Januar 1940 befahl der Polizeipräsident: „Um zu verhindern, daß sich Deutsche mit Juden gemeinsam in den Straßenbahnwagen bzw. auf den Straßenbahnperrons aufhalten müssen, verbiete ich hiermit allen Juden, den Triebwagen der Straßenbahn zu benutzen.“78 Im Februar 1940 folgt eingenerelles Benutzungsverbot von Straßenbahnen für Juden, seit dem August 1940 durften Polen ausschließlich des zweiten Straßenbahnwagen nutzen. Die lebensweltliche Trennung betraf die Arbeitswelt (höhere Löhne und bessere Positionen nur für Deutsche, niedrigere Löhne für Polen, Zwangsarbeit für Juden), Verpflegung, Kantinen und Restaurants (bessere Verpflegung nur für Deutsche, für Polen nur Grundnahrungsmittel, die Juden hungerten), Geschäfte und Ämter (Vorrang für Deutsche) und den gesamten kulturellen Bereich, zu Museen, Theatern, Kinos, Sportanlagen und Stadtparks hatten vielfach nur Deutsche Zutritt. Schließlich wurde auch die Versorgung mit Informationen einbezogen – Radios nur für Deutsche, Zeitungen nur in deutscher Sprache, die zudem das Getto nicht erreichen sollten. Existentiell betroffen waren auch die Kirchen: Am 27./28. März 1940 tagte die erste deutsch-evangelische Pfarrerkonferenz, im Anschluss wurde die „Litzmannstädter evangelische Kirche deutscher Nationalität“ geschaffen, an deren Kirchen Tafeln und Aufschriften „Für Polen verboten“ prangten und deren Geistliche nur „deutsche Volksangehörige“ sein durften. Parallel gab es eine „Römisch-katholische Kirche deutscher Nationalität“, die in Lodz ebenfalls zur exklusiven Nutzung die Heiligkreuzkirche (poln. Kościół Podwyższenia Świętego Krzyża, ul. Sienkiewicza  38) sowie die Antoniuskirche erhielt. Gottesdienste dort verliefen nach vorheriger Prüfung der Nationalität, der deutsche Journalist Hans Preuschoff beschrieb eine Messe mit Pfarrer Roman Gradolewski: „Den Polen war der Besuch der Kirche verwehrt, und so bot sich uns während des Gottesdienstes das beschämende Bild, daß der Küster durch die Reihen ging und sich die Ausweise zeigen ließ. Wer keinen deutschen hatte, wurde aus der Kirche gewiesen, was natürlich allen kirchlichen Vorschriften widersprach.“79 Die polnische katholische Kirche besaß keinen Rechtsstatus und existierte nur im Untergrund; 77 78 79

Bekanntmachung Rumkowskis Nr. 78 v. 09.07.1940, zit. nach Unser einziger Weg ist Arbeit, S. 68. Lodsch, 13. Januar 1940, Der Polizeipräsident, Lodscher Zeitung 14 v. 14.01.1940. Hans Preuschoff, Journalist im Dritten Reich. Münster 1987, S. 56–57.

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besuchte ein Deutscher einen polnischen Gottesdienst, drohte ihm Schutzhaft oder die Einweisung in ein Konzentrationslager.80 Die harte Trennung schuf radikal andere Lebenswelten und verfeindete Bevölkerungsgruppen. Der österreichische Zeithistoriker Karl Stuhlpfarrer fasste das so zusammen: „In Lodz handelt es sich nicht nur um den einfachen Übergang von einer multikulturellen zu einer deutschen Stadt. Germanisierung als Nazifizierung heißt immer auch gleichzeitig Aussperrung des Fremden, des als böse, gefährlich und schädlich Benannten, seine ‚Ausmerzung‘, wie es hieß. Der Übergang von den ‚primitiven Daseinsbedingungen‘ zu ‚gesunden Wohnbedingungen für deutsche Menschen‘, wie die Litzmannstädter Zeitung vom 20. Oktober 1940 schrieb, trennte Deutsche von Nichtdeutschen. Den einen Kanal und Wasserleitung, Hygiene und schöneres Wohnen, den anderen ein vorläufiger Rest der Stadt: das Getto.“81 Aussiedlungen und Zwangsarbeit Lodz im Zweiten Weltkrieg war eine Stadt der erzwungenen Migration. Deutsche sollten ein-, Polen und Juden ausgesiedelt werden. Langfristig sollte aus einer Stadt, in der 1939 höchstens 10% deutschsprachige Menschen lebten, eine „rein deutsche Stadt“ gemacht werden. Das war auch infolge des Krieges nicht umsetzbar, wurde allerdings bis Kriegsende mit administrativen Mitteln und mit Gewalt verfolgt. Bereits mit Kriegsbeginn flohen viele Menschen vor den deutschen Armeen nach Osten, nur ein Teil kehrte zurück, zumal die Nachrichten die Diskriminierung aller Nichtdeutschen aufzeigten. Die Fluchtbewegung nahm infolge des deutschen Terrors ab November 1939 erneut zu, nun verließen vor allem Juden die Stadt auf der Suche nach einem erträglichen Überleben. Allein für die letzten Monate 1939 wurde eine Flucht und Vertreibung von 25.000 Juden glaubhaft gemacht, in den ersten Monaten des Jahres 1940, als die Nachricht von der Einrichtung eines Gettos bekannt wurde, verließen über 60.000 Juden die Stadt, sodass insgesamt mehr als 85.000 Juden – ein Drittel der jüdischen Vorkriegsbevölkerung – vor Terror und Gettoisierung floh oder zwangsausgesiedelt wurde.82 Auch die jüdischen Selbstzeugnisse dieser Zeit sind von täglichen Diskussionen über die Frage „Flucht oder Bleiben?“ geprägt,83 vielfach fehlten Alternativen, da sowohl aus

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Rundschreiben Greisers an alle Dienstellen der Partei und des Staates, 24.04.1941, Druck: Hansen, Schulpolitik als Volkstumspolitik, S. 40. Karl Stuhlpfarrer, Das Ghetto in Lodz – Geschichte und Erinnerung, in: Spiegel der Forschung. Wissenschaftsmagazin der JLU Gießen 1 (2008), S. 7–15. Janusz Wróbel, Straty demograficzne Łodzi w latach okupacji hitlerowskiej 1939–1945, in: Łódź w planach eksterminacyjnych okupanta hitlerowskiego 1939–1945. Łódź 1986, S. 83–97. Sierakowiak, Dziennik, S. 100–101, 106.

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Warschau wie aus den sowjetisch besetzten Territorien Nachrichten über Gewalt und Deportationen die Runde machten.84 Ab Dezember 1939 wurden unter Leitung des Höheren SS- und Polizeiführers Wilhelm Koppe durch den „Sonderstab für Aussiedlung von Polen und Juden“, der im März 1940 in „Umwandererzentralstelle“ umbenannt wurde und dessen Dienststelle in Lodz in der ul. Piotrkowska 133 saß, Zwangsaussiedlungen in das Generalgouvernement durchgeführt. In insgesamt drei „Nahplänen“ wurden im Dezember 1939, Januar/Februar 1940 und Mai/Juni 1941 bis zu 30.000 Menschen, mehrheitlich Juden und ca. 12.300 Polen, zwangsausgesiedelt.85 Besonders betroffen von den Zwangsaussiedlungen waren die Innenstadt sowie moderne, in der Zwischenkriegszeit errichtete Wohnviertel mit höherem Standard, die nun für Deutsche „freigemacht“ werden sollten. In Lodz galt das besonders für die Montwiłł-Mirecki-Siedlung, die über moderne Medien verfügte. Sie wurde in mehreren Etappen vom 11. Dezember 1939 bis zum 15. Januar 1940 durch Polizei und SS von den bisherigen Mietern zwangsgeräumt, in ihren Unterkünften verbleiben durften nur Eisenbahner und Straßenbahnpersonal, in die Wohnungen zogen neue deutsche Bewohner ein.86 Über den Ablauf der Zwangsaussiedlungen gibt es deutsche und polnische Berichte, die sich ergänzen. Polizei und SS umstellten Wohnungen und Häuser, warfen die Bewohner binnen einer kurzen Frist zwischen einer Viertelstunde und zwei Stunden mit max. 25 kg Gepäck und 200 zł. Geldvermögen im Winter aus den Wohnungen und inhaftierten sie in Umsiedlerlagern in Lodz. Von dort aus wurden sie mit Sonderzügen ins Generalgouvernement deportiert. Im Bericht des SS-Sturmbannführers Albert Richter, der die Umsiedlungen leitete, heißt es: „Für die freiwillige Stellung der Juden war zunächst eine Fabrik in der Kopernikus Str.  53 vom Oberinspektor Kloppmann angegeben worden. Diese Fabrik befand sich in Betrieb und der Betriebsinhaber hatte keine Ahnung von der Anordnung. Als sich nunmehr die Juden dort meldeten, wurden sie vom Betriebsinhaber hinausgeworfen. Wie ich feststellte, bestand dieser ‚Sammelraum‘ aus einem Hof und einem verwahrlosten offenen Kellerraum, in dem die listenmäßige Erfassung stattfinden sollte. Wo bei der erheblichen Kälte die körperliche Durchsuchung stattfinden sollte, war nicht erfindlich. […] Da die Transporte am 15.12. und auch am 14. nachts bei schneidender Kälte vor sich gegangen waren, fällt das Versagen der Stadtverwaltung […] um so schwerer ins Gewicht. Es wird infolge mangelnder Fürsorge an Stroh und Lebensmitteln damit gerechnet werden müssen, daß nicht alle transportierten Personen, insbesondere die Säuglinge den Zielbahnhof lebend erreichen.“87 Aus dem Bericht 84 85 86 87

Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 147–148. Zu den deutschen „Nahplänen“: Alberti, Verfolgung, S. 126–146; Wolf, Ideologie, S. 148–164, 204–217, 256–265. Fornalska, Osiedle Montwiłła-Mireckiego, S. 99–139 mit zahlreichen Erinnerungsberichten. Maschinenschriftlicher Bericht des SS-Sturmbannführers Albert Richter, 16.12.1939, in: AIPN Warszawa, GK 68/218, Bl. 28–29; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 78–83.

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werden deutlich die chaotischen Zustände bei der Zwangsaussiedlung erkennbar, den Umzusiedelnden wurden die Wertgegenstände abgenommen, die Aussiedlung fand in ungeheizten Güterzügen statt. Opfererinnerungen beschreiben das aus einer anderen Perspektive, aber im Kern ähnlich: „Am  11. Dezember 1939 nachts kamen die Deutschen und trieben uns brutal aus der Wohnung, verboten uns, irgendetwas mitzunehmen. […] Dann jagten sie uns weiter zum Sammelplatz in der Łakowa-Straße. Von dort brachte man uns auf Lastwagen in ein Durchgangslager in Radogoszcz bei Lodz. […] In Radogoszcz hielt man uns ungefähr zwei Tage fest, dann transportierte man uns nach Lodz, zum Kalischer Bahnhof.“88 Der Ingenieur und Chemiker Jakub Poznański wurde 1940 gezwungen, zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter in das entstehende Getto zu ziehen. Die Umstände seines Umzugs beschreibt er in seinem Tagebuch: „Am Freitag, dem 16. Februar 1940 tauchten bei uns zwei uniformierte Deutsche und ein Zivilist auf. Ohne Umstände befahlen sie allen Anwesenden, im Laufe von 10 Minuten die Wohnung zu verlassen. Wir durften nur soviel persönliche Gegenstände mitnehmen, wie wir tragen konnten. Als ich in der Mittagpause aus der Fabrik ins Haus kam, fand ich schon unsere Sachen im Hof: drei Rucksäcke, vor allem mit Wäsche und ein Koffer mit Kleinigkeiten.“89 Und weiter: „Schon am Sonntag darauf zog ein Baltendeutscher ein, dessen Sohn kein Wort deutsch konnte (sie sprachen untereinander lettisch), ein ehemaliger Kellner aus Libau mit Namen Sommerfeld, der noch dazu die Freundlichkeit hatte, zu mir mit dem Vorschlag zu kommen, dass er uns unsere Familienporträts herausgebe, wenn ich ihm ein paar Strümpfe gebe.“90 Eine andere Möglichkeit zur Verminderung der Zahl der Polen in Lodz lag in der verstärkten Anwerbung als Arbeiter im Deutschen Reich. Bereits am 13. September – fünf Tage nach dem deutschen Einmarsch – eröffnete ein deutsches Arbeitsamt (zunächst al. Kościuszki 15, dann Ecke ul. Zachodnia/Śródmiejska), das Arbeitslose registrierte und Polinnen und Polen zur Arbeit ins Altreich vermittelte. Da sich kaum Freiwillige dazu fanden, griffen deutsche Behörden seit 1940 verstärkt Passanten bei Wohnungsräumungen und Razzien auf und verschickten sie zur Zwangsarbeit. Personen, die beim Arbeitsamt nicht erschienen und sich „beharrlich und böswillig dem Arbeitseinsatz“ entzogen, wiesen sie in das Straflager für Polen in Ostrowo ein.91 Bis Ende 1940 geht man 88 89

90

91

Krystyna Chudy, in: Kinder des Holocaust sprechen, S. 31–39, hier 32f. „W piątek, 16 lutego 1940 roku, o godzinie 13 zjawiło się u nas dwóc umundurowanych Niemców i jakiś cywil. Bez długich ceregieli kazali wszystkim obecnym w ciągu 10 minut wynieść się z mieszkania. Wolno było ze sobą zabrać jedynie rzeczy osobiste. Gdy w porze obiadowej wróciłem z fabryki do domu, zastałem już nasze rzeczy na podworzu: trzy plecaki, głównie z bielizną i walizkę z drobiazgami.“ Poznański, Dziennik, S. 20. „Charakterystyczne jest, że już w niedzielę wprowadził się jakiś bałtycki Niemiec, którego syn nie umiał ani słowa po niemiecku (rozmawiali po łotewsku), były kelner w Libau, Sommerfeld nazwiskiem, który miał czelność przyjść do mnie z propozycją, że wyda familiyjne portrety nasze, o ile mu dam kilka par skarpetek […].“ Poznański, Dziennik, S. 47. Das Arbeitsamt Litzmannstadt v. 26.06.1942, Druck in: Łuczak, Położenie ludności, S. 48–49.

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von ca. 30.000 verschickten Personen aus,92 später wurde vor allem die Landbevölkerung aus dem Umland – deutschen Behörden bezeichneten das Vorgehen als „Auskämmung der polnischen Landarbeiter“,93 deportiert, da in den Fabriken zunehmend Arbeitskräfte fehlten. Ein Beispiel: Die Verschickung zur Zwangsarbeit erfolgte durch das Durchgangslager I in der ul. Łąkowa  4 im Gebäude der ehemaligen Textilfabrik von Baruch Gliksman – dasselbe Lager, in das auch 1940 die abzuschiebenden Polen eingeliefert worden waren. In dieses Lager lieferten deutsche Behörden im Frühjahr 1941 die 18-jährige Kazimiera Ch. ein. Kazimiera stammte aus einer Textilarbeiterfamilie aus der Umgebung von Lodz und wurde im August 1941, nach mehreren Monaten in dem Durchgangslager, zusammen mit ca. 300 anderen Frauen nach Köln deportiert. Dort wurden die Frauen untersucht und ihre Kleidung desinfiziert, wobei für Frau Kazimiera die Situation erniedrigend war: Sie beschreibt es als „Handel mit lebendiger Ware“ (poln. „handel żywym towarem“). Zusammen mit einer Gruppe von 77 Frauen und Mädchen kam Kazimiera nach Leverkusen zu den I. G. Farben-Werken (heute Bayer). Dort teilte die Werksverwaltung sie mit 16 weiteren Frauen dem Pharma-Lager zu, wo sie im Akkord in der Tagesschicht arbeiten musste. Nach der regulären Arbeit musste sie noch drei Stunden lang die Büroräume putzen und im Sommer sonntags bei Bauern arbeiten.94 Anstelle der ausgesiedelten Polen und der gettoisierten Juden sollten Deutsche nach Lodz geholt werden. Aus dem Deutschen Reich in den Grenzen von 1939 betraf dies vor allem reichsdeutsche Beamte, Militärs und Polizisten. Vor 1939 lebte nur eine kleine Gruppe von einigen hundert Auslandsdeutschen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen in Lodz. Es handelte sich dabei um Vertreter von Textilfirmen, Spezialisten und Familienangehörige von Lodzern. Diese Gruppe war um das Lodzer Deutsche Konsulat organisiert und unterhielt nach 1933 auch eine NSDAP-Auslandsgruppe. Mit dem deutschen Einmarsch und der Installierung einer deutschen Zivilverwaltung wuchs diese Gruppe rasch an. Im Herbst 1939 kamen mehrere tausend, bis 1941 mit Angehörigen mehrere zehntausend Reichsdeutsche nach Lodz, die kürzer oder länger blieben, in vielfach herausgehobenen Positionen zunehmend das Bild der Deutschen prägten und Entscheidungsprozesse dominierten. Diese Gruppe sprach im Unterschied zu den alteingesessenen Lodzer Deutschen, die durchweg zumindest ein umgangssprachliches Polnisch beherrschten und vielfach tatsächlich zweisprachig waren, überhaupt kein Polnisch. Sie war von Dienststellen aus 92 93 94

Wróbel, Straty demograficzne, S. 86. Maschinenschriftl. Bericht (Auszug) des Kreisleiters Herbert Mees, Litzmannstadt, 10.6.1941, in: AIPN Warszawa, GK 746/7, Berichte über die Bevölkerung in den Kreisen Lask, Leszno, Kreis Lodsch, Stadt Lodsch, Wielun 1941–44, Bl. 85–86, Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 272. Lebensgeschichtliches Interview mit Kazimiera  C., geführt 1997 durch Valentina Maria Stefanski. Privatarchiv Stefanski, vgl. auch: Valentina Maria Stefanski, Zwangsarbeit in Leverkusen. Polnische Jugendliche im I.G. Farbenwerk. Osnabrück 2000 (Einzelveröffentlichungen des DHI Warschau, 2), S. 85 (Abbildung), 576.

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dem Reich zu vielfach privilegierten Bedingungen abgeordnet worden, fühlte sich aber in dem polnisch geprägten Lodz häufig fremd. Reichsdeutsche besetzten 1939/40 fast alle Führungspositionen in der Stadtverwaltung, in der Verwaltung des Regierungsbezirks, in den SS- und Polizeibehörden und in den militärischen Instanzen vor Ort. Sie waren privilegiert und durch Sonderzulagen durchweg besser bezahlt. Unter ihnen befanden sich ehrgeizige junge Nationalsozialisten, auf Bereicherung ausgehende Karrieristen, Parvenüs und Betrüger. Die neuere Forschung geht davon aus, dass insbesondere in den ins Reich neu eingegliederten Ostgebieten Phänomene wie Korruption und Bereicherung ein besonderes Ausmaß erreichten.95 Die bei deutschen Verwaltungsangestellten ungeliebte „polnisch-jüdische Fabrikstadt Lodz“ bot mit ihren Industrieanlagen und Fabrikationsstätten, die sich im Besitz von zunehmend rechtlosen Polen und Juden befanden, eine ideale Brutstätte für jegliche Form von Korruption, Bereicherung und Karrierismus. In den Umsiedlungen deutschsprachiger Bevölkerungen unter der Parole „Heim ins Reich“ nahm Lodz seit November  1939 eine Schlüsselstellung ein, da hier Aufnahmeund Durchgangslager und eine städtische Infrastruktur bereitstanden. So kamen während der gesamten Kriegszeit Balten-, Wolhynien- und Bessarabiendeutsche sowie weitere kleinere Gruppen nach Lodz, von denen ein erheblicher Teil (ca. 30.000–35.000 Personen) in der Stadt blieb. Vor allem für die Gruppe der Baltendeutschen stellte die Stadt oft hochwertige Wohnungen bereit, aus denen jüdische und polnische Menschen ausgesiedelt wurden. Gerade die „Baltendeutschen“ – die von den Nachkommen dieser Gruppe heute bevorzugte und historisch zutreffendere Bezeichnung „Deutschbalten“ war seit den 1930er Jahren verpönt, da die Deutschen in den baltischen Staaten sich zunehmend als „Volksgruppe“ betrachteten – die infolge des Hitler-Stalin-Paktes aus Estland und Lettland ausgesiedelt wurden und im 1939 neu geschaffenen Reichsgau Wartheland eine neue Heimat finden sollten, bildeten eine distinkte Gruppe.96 Die im Spätherbst 1939 und im Winter 1939/40 eintreffenden Deutschen stellten eine eher städtische Bevölkerung mit den Hauptherkunftsorten Riga, Reval und Mitau dar. Sie standen einer Ansiedlung in dem als zu industriell, zu polnisch oder oft auch zu „hässlich“ wahrgenommenen Lodz ablehnend gegenüber. Eine junge Umsiedlerin schrieb in ihrem Tagebuch im Februar 1940: „So, jetzt sind wir in Lodsch gelandet. Als wir ankamen, sah man nur Fabriken. – Unten am Bahnhof standen Autobusse. Wir mußten ein gutes Stück fahren. Man sah Häuser, Fabriken, Häuser und wieder Fabriken. Im Lager mußten wir eine entsetzlich

95 96

Frank Bajohr, Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit. Frankfurt a.M. 2001, versucht auch empirisch diese These zu untermauern. Lars Bosse, Vom Baltikum in den Reichsgau Wartheland, in: Deutschbalten, Weimarer Republik und Drittes Reich, hg. v. Michael Garleff. Bd 1. Köln ²2008, S. 297–387.

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schmale Treppe hinaufkraxeln und wurden dann verteilt. Wir sind im Zimmer  9 einquartiert worden auf Stroh. Mutti ist Stubenälteste, und Pappi auf Zimmer 12 auch.“97 Bereits einen Monat später, Anfang März, hatte die Familie allerdings eine Wohnung: „Durch Zufall bekamen wir bald eine 5-Zimmerwohnung. Sie gehörte einem jüdischen Kaufmann. Die Juden müssen hier hinten und vorne einen Stern tragen. Sie müssen alle ins Getto und wenn es warm wird, werden sie nach Kongreß-Polen abgeschoben. Wenn sie bei den Straßenkreuzungen falsch über die Straße gehen oder hinter dem Rücken eines NSKK-Mannes herüber zu laufen versuchen und dabei festgekriegt werden, gibt es mächtig Schimpfe, auch Haue u. sie müssen wieder zurückgehen. […] Wir machten 2 Zimmer sauber und zogen ein. In der Küche ist eine Gasplatte mit 2 Feuerungen. Den Herd benutzen wir gar nicht. Die Speisezimmereinrichtung besteht aus einem großen und kleinen schwarzen eichenen Buffett, einer schwarzen Standuhr und einem runden polierten braunen Tisch mit 12 lederbezogenen Stühlen. Die Schlafzimmereinrichtung besteht aus 2 Betten, alles dunkelbraun, 2 Nachttischchen, einem großen dreiteiligen Schrank mit eingelassenem Spiegel, einem Toilettentisch mit dreiteiligem Spiegel und einem schönen Ruhebett. In Hans Zimmer war nichts drin. In Omamas Zimmer war nur ein Diwan, ein runder Tisch und Stühle. In meinem Zimmer war eine richtige ‚Mädeleinrichtung‘. Ein großer dreiteiliger Schrank mit eingelassenem Spiegel, 2 Betten, 2 Nachttischchen, ein Schreibtisch, der zugleich auch Toilettentisch war, ein runder Tisch und Stühle.“98 Erkennbar wird aus diesem Zeugnis, mit welcher Selbstverständlichkeit die Übernahme fremden Eigentums als angemessen wahrgenommen wurde. Auch die NS-Führung versuchte die „Volksgruppe“ möglichst geschlossen in Posen und der historischen Provinz Posen anzusiedeln, so dass die von der NS-Wohnungswirtschaft angestrebte Ansiedlung von 10.000 Baltendeutschen nur nach mehrfachen Aufforderungen und administrativem Druck erreicht wurde. Die frühe Ansiedlung der Baltendeutschen im Winter 1939/40 bedeutete für die NS-Wohnungspolitik eine Herausforderung und mündete in die überstürzte Zwangsräumung von Komfortwohnungen wie die Montwiłł-Mirecki-Siedlung mit bis dahin polnischen und jüdischen Mietern. Die Baltendeutschen durften bei ihrer Umsiedlung ihr gesamtes Umzugsgut mitnehmen, das aber über Schiffs- und Landtransport erst nach Monaten in Lodz eintraf. Sie fanden vielfach in der städtischen Verwaltung eine Beschäftigung oder erhielten bevorzugt als kommissarische Verwalter Geschäfte und Betriebe aus polnischem oder jüdischem Besitz. Zugleich waren sie durch ihre fehlenden polnischen Sprachkenntnisse und eine dezidierte Betonung ihrer deutschen Identität ein starker germanisierender Faktor in der Stadtbevölkerung. Eine etwa gleichgroße Gruppe bildeten die deutlich später, oft erst 1940/41 in Lodz eintreffenden Wolhynien- und Bessarabiendeutschen, die ebenfalls aufgrund der 97 98

Maschinenschriftl. Tagebucheintrag Erika Carlhoffs, Lodz, 14.2.1940, in: Tagebuch Erika SeidelCarlhoff, Erlebt in jenen Tagen, Bd. 1, S. 53–54. Ebd., S. 54–56.

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Bestimmungen des Hitler-Stalin-Pakts umgesiedelt wurden. Für diese meist bäuerlich geprägten Gruppen fehlte es in der Industriestadt Lodz an Beschäftigungsperspektiven. Die Behörden brachten sie dennoch häufig provisorisch in Fabrikhallen, Arbeiterwohnheimen, Kasernen und Sammel- und Barackenlagern in und um Lodz (Aleksandrów, Konstantynów) unter, da die Umsiedlungsbürokratie der Volksdeutschen Mittelstelle seit Oktober 1939 in Lodz saß. In diesen Lagern wurden durchweg Juden schikaniert und als Zwangsarbeiter eingesetzt.99 Gemeinsam ist den Lodzer Migrationen im Zweiten Weltkrieg ein gewisses Maß an Unfreiwilligkeit. Auch die Baltendeutschen verließen ihre Heimat nicht völlig freiwillig, sie standen unter dem Druck der zukünftigen Eingliederung in die Sowjetunion und dem Eindruck der NS-Propaganda, die die Deutschen „Heim ins Reich“ holen wollte. Allerdings waren die Bedingungen der Migration sehr unterschiedlich: Die Baltendeutschen konnten ihr gesamtes Vermögen und ihr Privatmobiliar mitnehmen, Polen und Juden hatten je nach Gnade der deutschen Polizisten eine Viertelstunde oder zwei Stunden Zeit, um allernötigste Gegenstände zu packen und diese auf ihrem Rücken aus der Wohnung zu tragen, sie wurden zudem bei Leibesvisitationen demütigend behandelt und ausgeplündert. Die Intensität der Migration in Lodz, die durch vielfach erzwungene Umzüge von Polen in der Stadt aus besseren in schlechtere Wohnungen in Randlage bis 1944 anhielt, hatte paradoxe Konsequenzen: Sie erschwerte die Registrierung und Erfassung der Bevölkerung erheblich und das Wohnregister deaktualisierte sich immer rascher. Im September  1942 befahl das Arbeitsamt deshalb in einem Runderlass, Polen dürften innerhalb des Stadtgebietes nur unter Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung des Arbeitsamtes umziehen – sie sollten dauerhaft und schnell für deutsche Ämter als Zwangsarbeiter verfügbar bleiben.100 Kulturelle und symbolische Germanisierung: „Im Garten der Vandalen“101 Wortungetüme wie „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ weisen auf die komplette Bürokratisierung des neuen „deutschen Lebens“ hin, die mit der kulturellen und symbolischen Germanisierung in der Stadt Einzug hielt, den Bewohnern aber als Fortschritt und Modernität verkauft wurde.102 Im Laufe eines Jahres versuchte die Verwaltung, alle 99

Zum Einsatzstab der Volksdeutschen Mittelstelle in Lodz Leniger, Nationalsozialistische „Volkstumsarbeit“, S. 94–101; jüdische Zwangsarbeit S. 96. 100 Arbeitsamt Litzmannstadt, Runderlass v. 22.06.1942, Rundschreiben v. 21.09.1942, gez. Dr. Fonck, in: Łuczak, Położenie ludności, S. 152–153. 101 Gero Lietz, „Im Garten der Wandalen“. Ortsnamenänderungen im Reichsgau Wartheland 1939–1945, in: Convivium. Germanistisches Jahrbuch Polen. Bonn 2001, S. 9–54. 102 Jörg Riecke, Germanisierung als Modernisierung? Bemerkungen zur sprachlichen Germanisierung in Lodz und in der Lodzer Presse, in: Ders./Krystyna Radziszewska, Germanizacja Łodzi w nazistowskiej

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Spuren der polnischen und jüdischen Vergangenheit von Stadt und Region zu tilgen, programmatisch verkündete der kommissarische Oberbürgermeister Schiffer im Januar 1940 in einem Pressegespräch: „Lodz ein neues, ein deutsches Antlitz zu geben, ist die dringendste Aufgabe der Stadtverwaltung. […] Es wird ein deutscher Stadtkern geschaffen werden, in den Volksdeutsche und Baltendeutsche eingesiedelt werden. […] Wie nicht anders denkbar, wird diese neue Stadt Lodsch ein Wohnungselend wie es heute besteht, nicht mehr kennen.“103 Nachdem die polnischsprachige Presse bereits am 9. November  1939 verboten worden war – die Tageszeitung „Gazeta Łodzka“ (=Lodzer Zeitung) erschien nur vom 22. September bis zum 9. November – und die „Beschriftung sämtlicher Firmenschilder und der Ladengeschäfte sowie die Kennzeichnung von Waren […] ausschließlich in deutscher Sprache zu erfolgen“104 hatte, begann man im Januar und Februar 1940 mit der durchgreifenden Erfassung des öffentlichen Raums und der Eliminierung historischer Stadtviertel-, Straßen- und Gemarkungsnamen. Verbunden war damit eine erhebliche Vergrößerung der Stadtfläche durch Eingemeindung (1.1.1940) von 58,4 auf 226,6 km². Durch die Stadterweiterung vergrößerte sich die Bevölkerung statistisch von ca. 672.000 Menschen (ca. 370.000 Polen, 233.000 Juden, 67.000 Deutsche) auf 778.000 Einwohner (452.000 Polen, 235.000 Juden, 89.000 Deutsche); allerdings lebten infolge von Flucht, Vertreibung und Mord bereits zu diesem Zeitpunkt 50.000–70.000 Einwohner weniger in der Stadt. Mit der Germanisierung und scheinbaren Modernisierung von Lodz stand alles zur Disposition. Das galt besonders für den Stadtnamen selbst, bis dahin für die Deutschen problemloser Alltag, aber von der neuen Verwaltung als unerwünschter Polonismus (poln. łódź = Boot) angesehen und daher wie alle slavischen Orts- und Gemarkungsnamen im Warthegau zur Germanisierung freigegeben. Die Stadtverwaltung und die ortsfremden Deutschen waren zunächst dazu übergegangen, den Ortsnamen „Lodsch“ zu schreiben, um die Aussprache zu erleichtern, Anfang Januar wurde der Name der Tageszeitung diskussionslos in „Lodscher Zeitung“ umgeändert. Zugleich rief die deutsche Presse zu einer öffentlichen Suche auf, um einen neuen Stadtnamen zu bestimmen: „Wie aber soll Lodsch heißen? Vielleicht Webern, Webstadt (Webstatt)? Das würde an die Vergangenheit der Stadt erinnern, die deutschen Weber, die Lodsch groß und reich gemacht haben. Ähnlich historisch bedingt wäre der verwandte Name Spinnstadt (Spinnstatt), den manche vielleicht vorziehen könnten.“105

prasie z lat 1939–1943. Die Germanisierung von Lodz im Spiegel der nazionalsozialistischen [sic!] Presse (1939–1945). Łódź 2004, S. 117–123. 103 Adolf Kargel, Das neue Lodsch wird geformt. LZ-Gespräch mit dem neuen Oberbürgermeister von Lodsch, Pg Schiffer, in: Lodscher Zeitung 14 v. 14.01.1940. 104 Polizeiverordnung, Druck in Deutsche Lodzer Zeitung v. 07.11.1939. 105 Adolf Kargel, Wie soll Lodsch heißen?, in: Lodscher Zeitung 14 v. 14.01.1940.

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Abb. 8

Kapitel 8

Schild zur Umbenennung von Lodz (1940) auf dem nun Deutschlandplatz genannten Plac Wolności, dort, wo 1939 (und heute erneut) das Kościuszko-Denkmal gestanden hatte, im Hintergrund rechts die evangelische Trinitatiskirche.

„Webstadt“ und „Spinnstadt“ – das entsprach zwar den ortsprägenden wirtschaftlichen Traditionen der Textilmetropole, aber kaum nationalsozialistischen Vorstellungen von Heldentum und Größe. Städte in der Region wurden in Löwenstadt (Brzeziny), Treustädt (Zduny) oder Eichenbrück (Wągrowiec) umbenannt. Über einen öffentlichen Wettbewerb zur Umbenennung von Lodz hören wir in den nächsten Monaten nichts, bis am 11. April Gauleiter Greiser die von langer Hand vorbereitete Umbenennung in „Litzmannstadt“ bekannt gibt. Bereits am 12. April erscheint die deutsche Tageszeitung nun als „Litzmannstädter Zeitung“, auf dem „Deutschlandplatz“ – dem ehemaligen polnischen „Freiheitsplatz“ wird wochenlang ein großes Plakat aufgestellt „Auf Befehl des Führers heißt diese Stadt Litzmannstadt“. In der Presse heißt es „Litzmannstadt, das ist unsere heilige Verpflichtung, dem Vorbild des großen Soldaten und Nationalsozialisten nachzueifern. Wie ein lebendiger Wall, wie ein Pfeiler von Granit wird das Deutschtum von Litzmannstadt diesen Boden verteidigen“106 Mit dieser Benennung erhielt Lodz den Namen des Generals Karl Litzmann, der 1914 an der Durchbruchschlacht bei Brzeziny beteiligt gewesen war, sich aber niemals länger in der Stadt aufgehalten hatte oder in irgendeiner Form mit der Region verbunden war. Litzmann war 1929 in die NSDAP eingetreten und hatte nach seiner Wahl in den Reichstag das deutsche Parlament 1932 als Alterspräsident eröffnet. Sein Sohn Karl-Siegmund 106 Litzmannstadt. Des Führers Befehl – unsere Verpflichtung, Litzmannstädter Zeitung 102 v. 12.04.1940.

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Abb. 9

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Die Industrieverteilung und die Anzahl der beschäftigten Arbeiter in Lodz: Erkennbar ist, dass die Masse der Arbeitsplätze in der Innenstadt lag.

war Reichstagsabgeordneter, SA-Gruppenführer und im Zweiten Weltkrieg Generalkommissar für Estland. Insgesamt ist dieser Vorgang der Umbenennung in seiner Nonchalance beispiellos. Die zu diesem Zeitpunkt siebtgrößte Stadt des Großdeutschen Reiches erhielt den Namen eines kaum bekannten Militärs und zweitklassigen NS-Aktivisten, wahrscheinlich auf

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Abb. 10

Kapitel 8

Die nicht realisierten Planungen für eine monumentale Umgestaltung des Stadtzentrums.

Vorschlag von Asta Uebelhoer, der Frau des Regierungspräsidenten.107 Über die Namenswahl gab es keinerlei öffentliche Diskussion, es sind auch bei den Lodzer Deutschen keine Abstimmungsdiskussionen oder Vermeidungsstrategien, etwa die weitere Verwendung des älteren Namens Lodz, bekannt. Ähnlich radikale Umbenennungen gab es neben den deutlich kleineren Städten des Warthegaus nur im Regierungsbezirk Zichenau mit „Zichenau“ (Ciechanów) oder etwa 1941 Płock in „Schröttersburg“. Parallel zur Einführung von „Litzmannstadt“ wurden seit dem Frühjahr 1940 auch alle Straßen- und Quartiersnamen germanisiert. Die zentralen Straßen wurden nach NS-Größen benannt, aus der ul. Piotrkowska wurde die Adolf Hitler-Straße, aus der al. Kościuszki die Hermann Göring-Straße, aus der ul. Narutowicza die Schlageter-, aus der ul. Zamenhofa die Horst Wessel-Straße. Dieses Modell hatte seine Tücken: Als Rudolf Heß 1941 nach Großbritannien floh, musste die Rudolf Heß-Straße im Stadtzentrum umbenannt werden und hieß fortan „Ostlandstraße“. Nur in wenigen Fällen wurden die historischen deutschen Straßen- und Ortsnamen verwandt, etwa „Buschlinie“ (Sienkiewicza), „Spinnlinie“ (Wółczańska) oder „Quellpark“ (Źródliska).

107 „Dieser neue Name stammt von Frau Uebelhoer“, Ingrid Greiser an ihren Verlobten, undatiert, Mitte April 1940, in: Barch Berlin, N 2313–09 Nachlass Uebelhoer, Bl. 2–4; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 89–95, hier 93.

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Wir finden unter den neuen Straßennamen eine ganze Schicht preußischer Herrscherund Heldenverewigungen, so die Fridericus- (Pomorska), Moltke- (Cegielniana), Scharnhorst- und Gneisenaustraße sowie eine Auswahl germanischer mythologischer Namen, etwa in der Krimhild-, Sigur-, Siegfried-, Nibelungen-, Walhalla-, Walküren-, Vandalen-, Burgunden-, Markomannen- und Ostgotenstraße oder im Asgard-, Gepidenund Nornenweg.108 Dieser „Germanenwahn“ fand sich auch in einer ganzen Reihe von Presseartikeln, in denen eine vermeintlich germanische Vergangenheit der Region beschworen wurde – Lodz sollte ja eine komplett germanisch-deutsche Tradition erhalten.109 Als Stadtwappen wählte man ein goldenes Hakenkreuz auf blauem Hintergrund, nach dem Vorbild einer Zeichnung auf einer Urne, die bei Zgierz gefunden worden war und angeblich germanische Überreste darstellte. Das Stadtwappen trage, so NS-Kreisleiter Ludwig Wolff bei der öffentlichen Vorstellung, „die Verpflichtung einer zweitausendjährigen deutschen Geschichte“ – selbst das Tausendjährige Reich konnte übertrumpft werden – sowie „die Verpflichtung des Einsatzes für eine ewige deutsche Zukunft in diesen Gebieten“ in sich.110 In der ehemaligen Montwiłł-Mirecki-Siedlung trugen die Straßen durchgängig deutschbaltische Namen: eine Balten-, Wolter von Plettenberg-, Libauer-, Rigaer- und Revaler-Straße. Bemerkenswerterweise fehlte in diesem gesamten Namensgut des neuen Litzmannstadt jegliche Anknüpfung an die Lodzer Pioniere der Textilindustrie, es existierte keine Geyer-, Scheibler- oder Grohmann-Straße, auch lokale Helden wurden nur dann berücksichtigt, wenn sie eng mit dem deutschen Nationalismus verbunden waren (Adolf Eichler-, Albert Breyer-Str.) oder die deutschen Opfer der Septembertage 1939 beschwören sollten (Erhard Patzer-Str.). Auch in Kultur, Architektur und Städteplanung suchte man trotz beschränkter Mittel in Kriegszeiten eine „Arbeit an der Verdeutschung“ durchzuführen.111 Etwa wurden auf dem evangelischen Friedhof die polnischen Grabinschriften der Großindustriellen verändert: So wurde an der Frontseite der Scheibler-Kapelle die ursprüngliche polnische Inschrift „Pamięci Karola Scheiblera“ (Zum Gedenken an Karl Scheibler) in „Ruhestätte der Familie Karl Scheibler“ verändert.112 Im Januar 1940 forderten Regierungspräsident und Stadtbehörden eine Aussiedlung der Juden und eines großen Teils der Polen sowie eine Einsiedlung von 400.000 Deutschen,

108 Angaben nach dem Plan von Litzmannstadt (1942) von Erwin Thiem. 109 Max Kasinski, Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung des Loscher Raums, in: Lodscher Zeitung 14 v. 14.01.1940: Äcker erzählen germanische Geschichte, in: Litzmannstädter Zeitung 339 v. 07.12.1940. 110 Oberbürgermeister Ventzki verkündet unser Stadtwappen, in: Litzmannstädter Zeitung  182 v. 03.07.1941. 111 Zentrale Publikation: Der Osten des Warthelandes. Herausgegeben anläßlich der Heimatschau in Litzmannstadt [Stuttgart 1941]. 112 Abbildungen bei Scheibler, Scheiblers auf dem Weg zum gelobten Land, S. 61.

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eine völlig irreale Größe.113 Radikale Pläne sahen eine Entkernung der gesamten Innenstadt vor, wurden aber nicht realisiert. Dabei griff man gerne die negativen Urteile über die Industriestadt Lodz auf, aus deren ungeregelter Blockbesiedlung sollten nun „deutsche Heime“ werden. Das städtische Bauamt plante eine Umwandlung der Flachdächer und Kubusformen, „die jeglichem deutschen Empfinden widersprachen“, in Ziegeldächer mit Dachstühlen.114 Am 21. Dezember 1941 berief sich die Stadt auf den Führerbefehl zur Neugestaltung deutscher Städte, in der Nähe des „Hauptbahnhofs“ (vormals Kalischer Bahnhof, poln. Dworzec Kaliski) plante man ein neues Verwaltungszentrum mit einer „großen Volkshalle“ neben dem Hitlerjugend-Park, einer „Straße des Geschäftsverkehrs und einem „Rathausplatz“ mit neuem Rathaus zu errichten (vgl. Abbildung 10).115 Zugleich sollte die zentrale Adolf-Hitler-Str. in der Bauhöhe vereinheitlicht werden, alle Bauten sollten heimelige deutsche Ziegeldächer erhalten. Das enge Gewirr der städtischen Mietskasernen und Innenhöfe mit Anbauten und Hinterhäusern sollte entkernt werden.116 Realisiert wurde allerdings nur ein „Probeblock“ in der unmittelbaren Innenstadt an der Ecke Adolf Hitler-Str./Schlageterstraße (begrenzt durch die heutigen Straßen Piotrkowska, Narutowicza, Sienkiewicza und Traugutta) – die so veränderte Stadtstruktur ist bis heute in dem „Probeblock“ erhalten, wird aber in der Stadt nicht erinnert. Eine Notiz vom Januar 1942 erklärte die damit verbundene enorme Aufgabe: „Die Industrie fordert, dass die Gesamteinwohneranzahl auch dann noch gehalten wird, wenn die Juden ausgezogen und die Polen allmählich durch Deutsche ersetzt sind. Da nur für Deutsche Wohnungen gebaut werden, wird der Gesamtbedarf […] von der Schnelligkeit der Eindeutschung abhängen. Rechnet man, dass […] einmal 500.000 Deutsche in Litzmannstadt wohnen, so sind hierfür 100.000 Wohnungen zu je 3–5 Zimmern nötig.“117 Darum plante man auch Gartenstädte für Rückwanderer, Ansiedler und reichsdeutsche Beamte und Angestellte, wie „Stockhof“ im Osten, um die Stadt herum anzulegen. Nördlich des Gettos errichtete man – unter Ausnutzung von Zwangsarbeitern und Materialien aus dem Getto – durch die „Heimstätte Reichsgau Wartheland“ 1940–1943 die Siedlung „Am Wiesenhang“ (ul. Kalinowska) für höhere Verwaltungsangestellte. In insgesamt 29 Gebäuden sollten 100 Wohnungen entstehen, die ersten Bewohner erhielten 1943 ihre Wohnungsschlüssel, jedoch war die Siedlung im Januar 1945 noch nicht völlig fertiggestellt.118 Die Siedlung wurde 1943/44 bezogen, die Bewohner mussten in Richtung 113 Niels Gutschow, Ordnungswahn. Architekten planen im „eingedeutschten Osten“ 1939–1945. Gütersloh 2001, S. 144–145. 114 Polnische „Kiste“ wird deutsches Heim, Litzmannstädter Zeitung 336 v. 04.12.1941; vgl. auch Bolanowski, Architektura, S. 46. 115 Faksimile bei Bolanowski, Architektura, S. 66, 72–75. 116 Aufbau durch die Tat – Die Neugestaltung von Litzmannstadt, in: Litzmannstädter Zeitung  291 v. 20.10.1940, S. 5; Bolanowski, Architektura, S. 85–91. 117 Litzmannstädter Zeitung 291 v. 20.10.1940, S. 5. 118 Bolanowski, Architektura, S. 101–111.

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Innenstadt täglich durch das Getto fahren. Während in der ul. Zgierska in einzelnen Gettogebäuden jeweils mehrere hundert Personen leben mussten, errichtete man 500 m entfernt in einem Grüngürtel eine moderne Wohnsiedlung für Deutsche. Das größte Projekt dieser Art entstand in Stockhof (poln. Stoki), wobei die Pläne an eine vor Ort bereits gebaute Siedlung der Gesellschaft für Arbeitersiedlungen (poln. Towarzystwo Osiedli Robotniczych) aus der Vorkriegszeit anknüpften. Die Gesellschaft „Neue Heimat“ baute dort die Siedlung Stockhof Süd, neu hinzu kamen ein Versammlungsund Aufmarschplatz – im Januar 1945 waren die 65 Gebäude allerdings noch nicht fertiggestellt.119 Auf Stadtplänen sollte auch das gesamte Gettogebiet neu überbaut werden, dazu ist eine Grobplanung erkennbar, die aber niemals in Angriff genommen wurde.120 Lagerstadt Lodz wies in der Innenstadt eine spezifische Struktur von dichter Wohnbebauung und Dutzenden großflächiger Textilfabriken auf. Diese Struktur wurde im Zweiten Weltkrieg beibehalten, in der Nutzung allerdings systematisch umgewidmet und in eine „Lagerstadt“ verwandelt. Auf einer Abbildung, die von der Stadtverwaltung 1940 erstellt wurde, sieht man die Verteilung der Fabriken in der Stadt, die Kreise bedeuten die Zahl der beschäftigten Arbeiter.121 Die meist aus roten Ziegeln errichteten Fabriken boten große Hallen, ursprünglich zur Aufstellung von Webstühlen und Webmaschinen und konnten schon bei nur geringen Umbauten zur Isolation und Inhaftierung von Gefangenen benutzt werden. Da zahlreiche Fabriken 1939 stillgelagen, jüdische oder polnische Eigentümer hatten und der Baumwollimport im Krieg einbrach sowie die Nachfrage nach Textilien nicht als „kriegswichtig“ galt, konnten deutsche Behörden über die von der Haupttreuhandstelle Ost enteigneten Fabriken nach eigenen Interessen verfügen. Und einen Bedarf gab es: In das Vakuum der „herrenlosen“, leerstehenden und kaum genutzten Fabrikhallen stieß die von der SS dominierte Bevölkerungspolitik. Die ersten größeren nichtstädtischen Verwaltungsbehörden, die sich ansiedelten, waren die Gestapo, der „Einsatzstab Lodsch der Volksdeutschen Mittelstelle“ (seit dem 4. November 1939 in der Stadt mit der Zentrale in der Piotrkowska 119) die „Einwandererzentralstelle“ und die „Umwandererzentralstelle“ der SS (Piotrkowska 133), die von dort aus die Einwanderung der „Volksdeutschen“ ins Reich und die Abschiebung und Deportation von Juden und Polen ins Generalgouvernement organisierten.122

119 Ebd., S. 115–138. 120 Harrie Teunissen, Lebensraum und Getto; Präsentation: www.siger.org/lebensraumundgetto/ Karte 34. 121 Industrieverteilung – Zahl der beschäftigten Arbeiter Stadt Lodsch, Karte abgedruckt bei Bolanowski, Architektura, S. 8. 122 Auswahlkriterien bei Leniger, Nationalsozialistische „Volkstumsarbeit“, S. 95–96.

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In Lodz und den umgebenden Städten entstand so ein ganzer Mikrokosmos an Lagern. Bereits im Dezember 1939 waren allein für die deutschen Umsiedler in Lodz, Zgierz und Pabianice  47 Lager für 30.000 Menschen bereit; allein in Lodz-Stadt  33 Lager für 25.000 Personen.123 Hinzu kamen Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager, Gefängnisse, Gettolager, Durchgangs- und Jugendverwahrlager (für polnische Kriegsgefangene, polnische „Schutzhäftlinge“, Juden, „einzusiedelnde Volksdeutsche“, zu deportierende Stadtbevölkerung usw.), in denen zeitweise weitere 10.000–20.000 Personen einsaßen. Auch das Getto mit seinen je nach Zeitschnitt 160.000 (1940) und 80.000 (1944) Gefangenen war ein abgeschlossenes Lager. Lodz wurde so zu einer „Lagerstadt“ mit mehreren hundert Lagern und Gefängnissen, in denen zeitweise ein Drittel der Bevölkerung festsaß – ein Charakteristikum, das die Stadt über das Kriegsende hinaus prägen sollte.124 Zwischen den Gefängnissen, Lagern und Zwangsarbeitsorten wurden Gefangene wiederholt hin- und herverlegt, so dass Gefangenenkonvois und -transporte (oft zu Fuß, in der Straßenbahn) ebenfalls den städtischen Alltag prägten. Es ist niemals versucht worden, alle diese Lager gemeinsam zu erfassen, zumal die polnische Forschung kategorial einen Unterschied zwischen den Lagern für polnische und jüdische Opfer und für deutsche Umsiedler macht. Typologisch kann man in Lodz sechs Lagerarten unterscheiden, die in unterschiedlicher Dichte und Zeitphasen in der Stadt präsent waren. Erstens Kriegsgefangenenlager: Sie wurden bereits im September  1939 eingerichtet, infolge einer fehlenden Dokumentation ist ihre Erforschung sehr mangelhaft. Im September/Oktober 1939 bestanden mindestens fünf Lager: In der Fabrik Rosenblatt (ul. Żwirki 36, einige Tausend Personen), im Franziskanerkloster in Łagiewniki (mehrere tausend Personen, auch unter freiem Himmel hinter Stacheldraht), in der Maria-Auferstehungskirche (ul. Kościelna  8/10, Durchgangslager, einige hundert Personen), in der Sporthalle im Poniatowski-Park und in den Kasernen am Haller-Platz. Um die Versorgung der Lager, in dem sich auch deutschsprachige Soldaten befanden, kümmerte sich im September und Oktober 1939 das Lodzer Bürgerkomitee. Wilm Hosenfeld, Kommandant eines Lagers mit Kriegsgefangenen in Pabianice, berichtete über Lager dort in der Stadt: „100 Schritte neben der Kirche ist eine große Fabrik, da sind die Gefangenen untergebracht. Jeden Tag kommen Tausende an. […] Die Deutschen werden sofort ausgeschieden, die Juden und Polen ebenso für sich gestellt. Die Deutschen entlässt man sofort in ihre Heimat. Die Juden haben nichts zu lachen. Mich empört die rohe Behandlung. Die Einheimischen sehen mit Behagen zu, denn die

123 Ebd., S. 94–101. 124 Sławomir Abramowicz, Niemieckie obozy w Łodzi, in: Toborek/Trębacz, Łodź pod okupacją, S. 77–119. Ältere umfangreiche Darstellung: Albin Głowacki, Sławomir Abramowicz, Obozy hitlerowskie w Łodzi. Łódź 1998.

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Juden haben sie, wie sie erzählen, in jeder Weise ausgenutzt und sich auf ihre Kosten bereichert.“125 Die Lager für polnische Kriegsgefangene wurden im Oktober 1939 weitgehend aufgelöst, durch den ganzen Krieg hindurch bestanden in Lodz jedoch Lager für britische (Widzew, zwischen Gundhild- und Isastraße, poln. ul. Niciarniana und ul. Szpitalna), französische (östlich der Strecke Lodz-Zgierz in Chełmy) und sowjetische (Stalag Luft 2, Ruda Pabianicka) Kriegsgefangene.126 Grundsätzlich mussten die Kriegsgefangenen Zwangsarbeit leisten, die britischen Kriegsgefangenen in der benachbarten ZellgarnFabrik, die Nähgarne für die Luftwaffe herstellte, die sowjetischen Gefangenen vor allem zusammen mit jüdischen Zwangsarbeitern beim Aufbau des Güterbahnhofs „Friedrichshagen“ (Lodz-Olechów). Zweitens: Die Polizei- und SS-Gefängnisse und –Lager sind deutlich besser bekannt und erforscht, da in ihnen Lodzer Bürger einsaßen, die Lager vielfach im Rahmen der Verfolgung der Intelligenz entstanden und spätere Ermittlungsverfahren und Gerichtsprozesse erheblich zur Aufklärung der Verhältnisse beitrugen. An der nördlichen Stadtgrenze von Lodz Richtung Zgierz entstand zunächst in der Textilfabrik Michał Glazer (ul. Krakowska, heute ul. Liściasta 17) Anfang November 1939 ein Durchgangslager für im Zuge der „Intelligenzaktion“ verhaftete Lodzer Bürger, von wo aus viele Opfer zu Erschießungsorten in den umliegenden Wäldern gebracht wurden. Das Lager, durch das ca. 2.000 Menschen „hindurchliefen“, funktionierte bis Ende Juni 1940, seit Anfang 1940 wurde ca. 400 m entfernt an der ul. Zgierska in der Fabrik von Samuel Abbe das Gefangenenlager, ab 1. Juli 1940 das „Erweiterte Polizeigefängnis Radegast“ eingerichtet, später in „Erweitertes Polizeigefängnis und Arbeitserziehungslager“ umbenannt. Das Lager lag verkehrstechnisch an der Straßenbahnlinie nach Zgierz deutlich günstiger, es erfüllte die Funktion eines Zwischenlagers, Gefangene aus den städtischen Polizeigefängnissen konnten teilweise in speziell angemieteten vergitterten Straßenbahnwagen in Lodz befördert werden.127 Drittens: „Durchgangslager“ (auch „Auffanglager“, „Sammellager“) wurden zur Aussiedlung der polnischen Bevölkerung wie zur Einsiedlung der deutschen Bevölkerung in Lodz und Umgebung 1939/40 eingerichtet. In Lodz befand sich das größte Lager, das „Durchgangslager  I der Umwandererzentralstelle“ in der ehemaligen Fabrik Baruch Gliksman (Flottwellstr. / ul. Łąkowa 4) – dieses Lager durchliefen Zehntausende von

125 Brief Hosenfeld an Ehefrau und Kinder, Pabianice, 23.09.1939, in: Wilm Hosenfeld, „Ich versuche jeden zu retten“. Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Hg. v. Thomas Vogel. München 2004, S. 249–250. 126 Abramowicz, Niemieckie obozy, S. 84–87. 127 Wojciech Źródłak, Obóz przejściowe na Radogoszczu, in: Obozy hitlerowskie w Łódzi, S. 59–100.

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ausgesiedelten Polen und Juden,128 mindestens sechs weitere Lager befanden sich in Lodz, ein großer Lagerkomplex in Konstantynów (ab 1943 Tuchingen) westlich von Lodz.129 Dagegen sind die Lager der Einwandererzentralstelle, die für die „Durchschleusung“ und „Eindeutschung der Volksdeutschen“ zuständig waren, vor Ort wesentlich schwächer erforscht, da sie nicht im Fokus der polnischen Forschung lagen, obwohl sie vielfach in unmittelbarem Kontext mit den Durchgangslagern der Umwandererzentrale entstanden und jeweils von SS-Personal betreut wurden.130 Auch die jeweiligen Insassen interagierten miteinander, wie Aussagen von Akteuren deutlich machen. Ein hoher baltendeutscher Akteur des Umsiedlungsapparats, Cecil Baron von Hahn, formulierte am 7. März 1940: „Hier läßt sich folgender Vorgang beobachten: Die Juden werden erstmal aus den Wohnungen geräumt, die für die Balten bestimmt sind. Das nächstemal werden sie erfaßt und ins Ghetto gebracht. Im Ghetto sitzen sie eng zusammengepfercht und der Ausbruch von Seuchen wird gefürchtet.“ Besonders fürchtete Hahn eine „Verrohung“: „Es stellt sich heraus, daß deutsche Menschen bei dieser Aktion Schaden nehmen. Wer brutal sein muß, verroht; wer Juden und Polen Wertsachen etc. abnehmen muß, verliert die Eigentumsbegriffe; wer es aus echtem Idealismus macht, verliert die Fähigkeit zu echtem Idealismus. Praktischer Vorschlag: Die Juden sollen durch Juden, die Polen durch Polen evakuiert werden. Oder die Polen sollen auch noch die Juden evakuieren. Alles unter deutscher Kontrolle.“131 Die hier aufscheinende Mischung von vorgeblicher Fürsorge und Zynismus lässt schaudern. Über körperliche Gewalt von Seiten Wolhyniendeutscher gegenüber Juden besitzen wir auch durch Selbstzeugnisse von Opfern Kenntnis. Jakub Poznański berichtet darüber in seinem Tagebuch einen Tag später am 8. März 1940: „Auf dem Rückweg nahm man uns fest und führte uns in einer ziemlich großen Gruppe in das Haus in der MickiewiczStr. 1, wo sich früher eine Volksschule befand. Jetzt ist es ein Sammellager für Wolhyniendeutsche. Man stellte uns in Zweierreihen auf und wählte einen nach dem anderen für die unterschiedlichsten ‚Arbeiten‘ aus. […] Der Weg führte durch ein Spalier von Volksdeutschen, die mit Stöcken bewaffnet waren und uns erbarmungslos prügelten.“132 Vor allem wolhyniendeutsche Familien übernahmen sodann von der Gendarmerie unter 128 Abramowicz, Niemieckie obozy, S. 98–106. 129 Marianna Grynia, Wypędzeni. Polskie ofiary niemieckiego obozu koncentracyjnego w Konstantynowie Łódzkim. Warszawa ²2018. 130 Andreas Strippel, NS-Volkstumspolitik und die Neuordnung Europas. Rassenpolitische Selektion der Einwandererzentralstelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD (1939–1945), Paderborn 2011; Maria Fiebrandt, Auslese für die Siedlergesellschaft: Die Einbeziehung Volksdeutscher in die NS-Erbgesundheitspolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939–1945. Göttingen 2014. 131 Dr. Cecil Baron von Hahn, Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle Lodz, an die Abteilung Einwandererberatung der Volksdeutschen Mittelstelle in Posen, Lodz, 7.3.1940, AP Poznań, Volksdeutsche Mittelstelle 800/61, Bl. 6–7; Abdruck: Bömelburg/Klatt, Der Zweite Weltkrieg in Lodz, S. 159–160. 132 [8. März 1940] Jakub Poznański, Tagebuch aus dem Ghetto Litzmannstadt, hg. v. Ingo Loose. Berlin 2011, S. 47–48.

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Zwang und meist überstürzt geräumte Bauernhöfe in der Umgebung von Lodz mit allem Besitz. Es ist davon auszugehen, dass es in den oft in unmittelbarer Nähe zueinander liegenden Lagern häufiger zu Kontakten, Interaktionen und Gewalt kam. Ein Beispiel aus den Lagern in Andreashof bei Lodz-Olechów im August 1944: „Vor etwa 6 Wochen wurde von der Baufirma Schöning beobachtet, daß die in den Baracken wohnhaften Schwarzmeerdeutschen sich an die russischen Kriegsgefangenen heran machten, mit ihnen unterhielten und Lebensmittel sowie Rauchwaren zusteckten. Die Bewachungsmannschaften der russischen Kgf. [Kriegsgefangenen] hatten dies den Schwarzmeerdeutschen wiederholt verboten. Sie nahmen dieses Verbot nicht ernsthaft, sondern versuchten immer wieder Verbindungen zu den russ. Kgf. Hierauf wurden die Schwarzmeerdeutschen von der Dulagleitstelle, der sie unterstehen, ernstlich gewarnt, daß jeglicher Verkehr mit russischen Kriegsgefangenen verboten und strafbar sei. Außerdem wurden von der Geheimen Staatspolizei in Litzmannstadt verschiedene Schwarzmeerdeutsche gewarnt und auch belehrt. Es ist somit jedem Schwarzmeerdeutschen in dem vorbezeichneten Lager einwandfrei bekannt, daß der Verkehr mit den Kriegsgefangenen verboten und strafbar ist. […] Ich […] beobachtete weiterhin, wie eine Frau in der Barackentür stand und eine Gelegenheit abwartete, mit den russ. Kriegsgefangenen in Verbindung zu treten. […] Diesen Moment nutzte die Frau aus, trat aus der Baracke und übergab einem russischen Kriegsgefangenen, der ihr entgegen kam, ein Päckchen. […] Ich habe das Empfinden, daß die Schwarzmeerdeutschen Sympathie für die russ. Kgf. haben. Wenn hier nicht einmal energisch durchgegriffen wird, werden die Schwarzmeerdeutschen immer wieder versuchen, mit den russ. Kgf. in Verbindung zu treten.“133 Sichtbar wird hier die menschliche Hilfe durch Schwarzmeerdeutsche und der Mechanismus von Denunziationen: Gegen die Frau wurde ein Verfahren vor dem Sondergericht Litzmannstadt eingeleitet. Einen weiteren Überlappungsbereich bildeten die „Wiedereindeutschungslager“, in denen „eindeutschungsfähige“ Personen, dabei sowohl „Volksdeutsche“ aus den Umsiedlungsaktionen wie auch ausgesiedelte Polen, rassisch untersucht wurden. In Lodz befand sich solch ein Germanisierungslager in der ul. Sporna/Landsknechtsstr.  73 mit einer Aufnahmekapazität von bis zu 1.000 Personen134. Von hier aus wurden als „rassisch geeignet“ angesehene Kinder aus Lodz an deutsche Pflegefamilien vermittelt, andere als nicht geeignet ausgeschieden, im schlimmsten Fall ermordet. Das Lager durchliefen auch Kinder aus dem tschechischen Lidiče, deren Väter in dem Massaker vom 10. Juni 1942 erschossen worden waren. Mehrheitlich wurden sie wahrscheinlich in Kulmhof ermordet.135 133 Maschinenschriftl. Aussageprotokoll des Oberpoliers Alfred Schneider, Litzmannstadt, 17.8.1944, in: Druck Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 172–174. 134 Abramowicz, Niemieckie obozy, S. 110–114. AP Łódź, Sondergericht Litzmannstadt, 8190, Bl. 11–11v. 135 Daniela Kraus /Robert Parzer, Die nationalsozialistische Rasse- und Volkstumspolitik des „Lebensborn e.V.“ im östlichen Europa, in: Burkhard Olschowsky/ Ingo Loose, Nationalsozialismus und Regionalbewusstsein im östlichen Europa. Oldenburg 2016, S. 291–304, hier 300.

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Viertens: Zwangsarbeitslager gab es über die gesamte Stadt verstreut: Im „Arbeitserziehungslager“ in Stockhof (Sikawa), das unter der Verwaltung der Stadt stand, wurden polnische Frauen und Männer festgesetzt, die dem nationalsozialistischen Arbeitszwang nicht genügten oder auffällig geworden waren. Von und nach hier gab es sowohl Überführungen aus den Polizeigefängnissen wie auch in andere Zwangsarbeiterlager etwa beim Güterbahnhof Olechów.136 Fünftens: Sonderformen der Zwangsarbeitslager bildeten die „Jugendverwahrlager“: Das „Polen-Jugendverwahrlager“ wurde auf einem Teil des Gettogeländes im Herbst 1942 errichtet, ca. 1.600 Kinder und Jugendliche, die bei kleineren Diebstählen erwischt oder bei Polizeiaktionen aufgegriffen wurden, sollen hier eingesperrt gewesen sein. Im Lager kamen mindestens 84 Jugendliche ums Leben.137 Um das Ausmaß und die Dimensionen des Lagers gab es nach 1945 erhebliche Diskussionen, da auf der Basis von Berichten von Insassen von einem Konzentrations- und Vernichtungslager mit bis zu 5.000 Toten gesprochen wurde (vgl. S. 407). Sechstens: Noch stärker als das Getto, das an anderer Stelle behandelt wird (vgl. S. 257) besaß das „Zigeunerlager“, ebenfalls auf dem Gelände des Gettos, ohne Zweifel den Charakter eines Vernichtungslagers. In den mit Stacheldraht abgesperrten Häuserblock deportierte die deutsche Polizei im Oktober und November 1941 über 5.000, vor allem burgenländische, Roma. Durch die katastrophalen Ernährungs- und Hygienebedingungen brachen bereits im November Epidemien aus. Der Leiter des Gesundheitsamtes von Lodz, Dr. Karl Nieberding, hielt es trotz der Epidemie nicht für erforderlich, den Insassen Medikamente zur Verfügung zu stellen, da die Bevölkerung demnächst „ausgesiedelt“ werde. Zwischen dem 5. und 12. Januar 1942 wurden alle Gefangenen im Vernichtungslager Kulmhof ermordet. Es gab keine Überlebenden.138 Die Deportation und Ermordung der Kinder aus Lidiče und der burgenländischen Roma – ebenso die Deportationen europäischer Juden ins Getto Litzmannstadt – zeigen, dass die Lagerstadt Litzmannstadt im Zweiten Weltkrieg zu einem Zentrum der deutschen Bevölkerungs- und Vernichtungspolitik in ganz Europa geworden war. Zugleich hatte das dauerhafte Bestehen von Dutzenden von Lagern in Lodz und Umgebung erhebliche Folgen für die Bevölkerung. Abgesperrte Fabriken, Häftlingstransporte und Zwangsarbeiterkolonnen waren im Stadtbild präsent und für die Bevölkerung nicht zu übersehen, wenn auch die Presse darüber nicht berichtete. Die Herren dieses Lagerarchipels setzten sich aus hunderten von Wachleuten und Polizisten zusammen, die sich zu einem erheblichen Teil aus den Reihen der Lodzer Deutschen rekrutierten. Ob und wenn ja, was darüber an Abendbrottischen und in Ehebetten gesprochen wurde, 136 Antoni Galiński, Obóz pracy na Sikawie, in: Obozy hitlerowskie w Łodzi. Łódź 1998, s. 171–212; Abramowicz, Niemieckie obozy, S. 114–116. 137 Zuverlässigste Darstellung: Artur Ossowski, Proces Eugenii Pol a historia Polen-Jugendverwahrlager, in: Toborek/Trębacz, Łódź pod okupacją, S. 341–375. 138 Umfassend Florian Freund, Bertrand Perz, Karl Stuhlpfarrer, Das Ghetto in Lodz. Wien 2013, S. 3–112.

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lässt sich nicht mehr rekonstruieren, in der Regel bestand ein Schweigegebot, durch das aber naturgemäß immer wieder Informationen durchsickerten. Drei Städte und die Deklassierung von Lodz Wie kann die Ethnisierung des Alltags in Lodz im Zweiten Weltkrieg angemessen beschrieben werden? Polnische Historiker sprechen hierbei von „drei Städten“, einem deutschen, polnischen und jüdischen Lodz.139 Dabei stützen sie sich auf die Beschreibungen von Zeitzeugen, so dem im Getto tätigen Arzt Arnold Mostowicz: „Lodz, das waren drei – was sage ich! – vier Städte oder vielleicht noch mehr. Bestimmt mehr. Es gab ein Lodz der Polen, ein Lodz der Juden und ein Lodz der Deutschen. Es gab LodzBałuty, Lodz-Chojny und Lodz-Stadtmitte.“140 Mostowicz sieht die Dreiteilung, er fügt noch regionale Unterschiede, hier insbesondere zwischen Stadtzentrum und den Wohngebieten am Rande, für die er als pars pro toto das Viertel Chojny im Süden der Stadt erwähnt, hinzu. Dass dieses Schema nicht nur in den Köpfen zeitgenössischer jüdischer und polnischer Opfer, sondern auch unter Deutschen existierte, belegen Wahrnehmungen von Ingrid Greiser: Die Tochter des Gauleiters, zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt, besuchte im April 1940 zum ersten Mal Lodz, nahm an den Vorbereitungen zur Schließung des Gettos und an der Umbenennungszeremonie zu „Litzmannstadt“ teil und beschrieb mit erschreckender und bloßstellender Naivität die scharfen und gegensätzlichen Perspektiven vor Ort: deutsche Herren, die drangsalierte polnische Mehrheit und die zur Weltgefahr dämonisierten Juden: „Um 20 Uhr war dann die große Kundgebung. Dieser Gegensatz, nachmittags Getto, abends eine Großkundgebung wie sie deutscher nirgends sein kann, in ein und derselben Stadt war ganz unwahrscheinlich. Ein Fahnenmeer und Feuer vor der Versammlungshalle, die Halle selbst war schön geschmückt, eine Wehrmachtskapelle, die Märsche spielte, ich kam mir etwas vor wie früher in Danzig während der Kampfzeit, denn irgendwie lauerte ja doch ein bißchen Gefahr in der Stadt mit 400000 Polen und den eingesperrten Juden.“141 Die lebensweltliche Dreiteilung der Stadt, die durch das deutsche Sonder- und Ausnahmerecht für Juden und Polen konstituiert wurde, ist plausibel und wird in den nächsten Kapiteln entwickelt. Vorab soll aber gefragt werden, wo die Grenzen des Modells der „drei Städte“ liegen: Wo gab es im Lodz zwischen April 1940 und Januar 1945 139 Adam Sitarek, Michał Trębacz: Drei Städte. Besatzungsalltag in Lodz, in: Jochen Böhler, Stephan Lehnstaedt (Hg.), Gewalt und Alltag im besetzten Polen 1939–1945. Osnabrück 2012, S. 299–321; bereits zuvor polnisch: dies., Trzy miasta. Dzień powszedni w Litzmannstadt – wybrane problemy, in: Tomasz Chinciński (Hg.), Przemoc i dzień powszedni w okupowanej Polsce. Gdańsk 2011, S. 457–478. 140 Arnold Mostowicz, Żólta gwiazda i czerwony krzyż. Warszawa 1988, S. 69. 141 Ingrid Greiser an ihren Verlobten, undatiert, Mitte April 1940, in: Barch Berlin, N 2313–09 Nachlass Uebelhoer, Bl. 2–4; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 89–95.

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gemeinsame Bereiche, die alle drei Zwangsgemeinschaften, Deutsche, Polen und Juden betrafen? Wo entstand eine Dynamik, in der die drei Städte und ihre Bewohner oft entgegen ihrem Willen miteinander interagierten? Alle drei Lodzer städtischen segregierten Gemeinschaften im Zweiten Weltkrieg verband die Perspektive der Deklassierung, die manchmal nur flüsternd erwähnt, manchmal offen ausgesprochen wurde: Die Industriemetropole Lodz wurde im Reichsgau Wartheland aus dem nur halb so großen Posen regiert, für das als „Gauhauptstadt“ Entwicklungspläne erstellt wurden. Lodz war zunächst nicht einmal der Sitz eines Regierungsbezirks, sondern nur nachgeordneter Verwaltungen. Vergleichbar war dies mit der Situation im Russländischen Reich vor dem Ersten Weltkieg. Dagegen setzte die deutsche Litzmannstädter Propaganda eine Megalomanie, die bereits 1941 zum Zeitpunkt ihres Erscheinens, überholt war: Die „die mit seinen 750.000 Einwohnern sechstgrößte Stadt des Großdeutschen Reiches“142 werde eine zentrale Rolle im zukünftigen Reich spielen, so die Propaganda. Spätestens mit der Flucht und Ermordung seiner jüdischen Einwohner und der Aussiedlung der polnischen Intelligenz und der Wirtschaftsbürger verlor „Litzmannstadt“ jegliche Ausstrahlungskraft, die Stadt verfügte weder über zentrale Verwaltungsbehörden, über wissenschaftliche Einrichtungen oder über ausstrahlungskräftiges Kulturleben. Bestimmt wurde die Stadt von einer Konkurrenz und einem Gegeneinander von ausschließlich lokalen Akteuren: Die Stadtverwaltung mit dem Oberbürgermeister, das in die Stadt implantierte, rein deutsche Regierungspräsidium und die Polizei- und SS-Verwaltung arbeiteten vielfach gegeneinander. Diese Rivalität setzte sich auf den unteren Ebenen fort: Bei der Raumzuweisung für die „volksdeutschen“ Zuwanderer aus dem Baltikum, Wolhynien und Bessarabien agierte die SS mit der von ihr kontrollierten Einwandererzentralstelle gegen die Stadtverwaltung, bei der Kontrolle über das Getto arbeiteten Stadtverwaltung, Gauleitung und Regierungspräsidium, SS und Militärbehörden gegeneinander.143 Die im Besatzungsalltag oft beschriebene Konkurrenz der Befehlswege und NS-Dienststellen mündete in der Realität in eine dichte Überwachung und Willkür, wobei das Verwaltungshandeln sich in der Regel aufgrund fehlender Ressourcen und der Ausgrenzung von Polen und Juden auf umfangreiche Planungen beschränkte. 100.000 Deutsche hatten erhebliche Probleme, die für 700.000–800.000 Menschen konzipierte Infrastruktur unter den Bedingungen des Krieges aufrechtzuerhalten und zu verwalten.

142 Der Osten des Warthelandes. Hg. anlässlich der Heimatschau in Litzmannstadt. [Stuttgart 1941], S. 264. 143 Dicht an der Verwaltungsrealität nachgezeichnet bei Klein, „Gettoverwaltung Litzmannstadt“, S. 325– 335, 572–590.

Lodz wird Litzmannstadt

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Techniken der Herrschaft: Denunziation und Terror Welche Kontrolltechniken funktionierten unter diesen Rahmenbedingungen besonders durchgreifend in allen drei Teilen von Lodz? Unter den Bedingungen einer Ausgrenzung von 90% der Stadtbevölkerung ermutigten die Behörden als Übrwachungsmittel vor allem Denunziationen als Herrschaftstechnik, mit dem die deutsche Zivilbevölkerung jegliche Formen eigensinnigen Verhaltens der polnischen und jüdischen Bevölkerung polizeilich meldete und so Terrorwellen auslöste. Bereits im November 1939 berichtete Wilm Hosenfeld aus Pabianice: „Eine Verhaftungswelle geht über das unglückliche Land, auf Grund von Angaben hiesiger deutscher Einwohner werden hunderte gegriffen und verschleppt.“144 Ein weiteres Beispiel: „Freche Polen“ spielten im „Für Polen verbotenen“ HJ-Park: Anwohner informierten die Polizei, die die Gruppen aufgriff.145 Jüdische Menschen im Getto wurden durch ein dichtes Netz an Gestapo-Zuträgern überwacht und immer wieder denunziert, oft mit tödlichen Folgen. Eine vom polnischen Widerstand herausgegebene Untergrundzeitung verurteilte in einem mit „Die Schande der Denunziation“ überschriebenen Artikel vom 20. September 1941 Polen, die Nachbarn bei deutschen Behörden aus Gründen von Rache oder Eifersucht denunzierten.146 Trotz solcher moralischen Appelle blieb das Denunziationswesen durch den ganzen Krieg verbreitet, unterstützt durch ältere soziale und nationale Konflikte, durch die sehr unterschiedlichen, einander argwöhnisch beobachtenden Bevölkerungsgruppen sowie durch krasse materielle Not. Diese verbreitete Denunziationspraxis traf auch diejenigen Gruppen unter den Deutschen, die von der NS-Ideologie weniger durchdrungen waren: Den evangelische Pastor Gustav Berndt, der durch Schriften und Predigten geistig in der Nähe der Bekennenden Kirche stand,147 zeigten deutsche Gemeindemitglieder als „Polonisator“ an. er saß zwei Wochen in Gestapohaft und wollte nach seiner Freilassung den Heiligabend 1939 mit einem Gottesdienst in der Matthäuskirche zelebrieren. Den Gottesdienst untersagten kirchliche Vorgesetzte jedoch. Berndt musste die Pfarrei verlassen und wurde nach Pabianice strafversetzt; andere als zu „polenfreundlich“ angesehene Pfarrer wurden nach Anzeigen in das Generalgouvernement abgeschoben.148 Reaktionen von Stadtverwaltung und Polizei mündeten vielfach in Terror: Der am Baluter Ring am 10./11.November 1939 aufgebaute Galgen, an dem zwei Tage Juden hingen, bildete ein handgreifliches Zeichen. Widerstand beantworteten die Besatzer vielfach mit schrankenlosem Terror: Die öffentlichen Anschläge, die im Stadtbild alltäglich waren, 144 145 146 147 148

Brief Hosenfeld an die Ehefrau, Pabianice, 10.11.1939, in: Hosenfeld, Ich versuche, S. 285. Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 230. Artikel „Hańba denuncjacji“, Biuletyn Kujawski 49 (30) v. 20.09.1941. Gustav Berndt, Der lebendige Christus. Bekenntnispredigten. Lodz 1938. Kossert, Nieprzejednane sprzeczności, S. 163.

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enthielten Listen mit zum Tode verurteilten Polen. Als im Frühjahr 1942 ein polnischer Widerstandskämpfer zwei Gestapobeamte erschoss, reagierten die deutschen Behörden am 20. März 1942 mit der öffentlichen Erschießung von 96 Polen und vier Polinnen in Zgierz. Dabei zwangen die Behörden tausende von Polen durch Razzien auf der Straße und nötigten sie zur Teilnahme an dem grausamen Verfahren (vgl. S. 225). Es liegt auf der Hand, dass der massenhafte Aufruf zu Denunziationen und die regelhafte Anwendung von Terror die Verfeindung unter den Bevölkerungsgruppen förderte. Hier wurde die Gewalt und Brutalität begründet, die 1945 auch Teile der verbliebenen deutschen Bevölkerung und Regimegegner traf.

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Deutsche in Litzmannstadt: Reichsdeutsche, Volksdeutsche, Deutsche? „Das Lodz des ersten Kriegswinters ist mir als die häßlichste Stadt in Erinnerung, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe. Wie viele ältere Fabrikstädte – es hat eine große Textilindustrie – wirkte es schmutzig. Selbst im Stadtzentrum wechselten verwahrloste Mietskasernen mit ebenerdigen Holzhäusern.“1  Melita Maschmann, Erinnerungen

Die deutsche Wahrnehmung zu und aus Litzmannstadt war bisher kein Thema syste­ matischer Arbeiten, obwohl die zunächst 60.000, dann 1941–1945 100.000–140.000 Deutschen in der Stadt sehr wohl eigene monographische Arbeiten verdient hätten. Personen aus der deutschen Erlebnisgeneration mieden den Gegenstand jedoch,2 auch neuere deutsche Arbeiten besitzen beschönigende, manche Bereiche aussparende und revisionistische Züge.3 In Polen widmeten sich nur Germanisten dem Thema,4 so dass aktuell über Quelleneditionen von Dokumenten vor 1945 ein angemessener Zugang zu dem Gegenstand gesucht wurde.5 Bereits in der Selbstwahrnehmung der Stadt und ihrer deutschen Bewohner war ein erheblicher Zwiespalt zu verzeichnen. Einerseits sah man sich als sechstgrößte Metropole des Großdeutschen Reiches noch vor Großstädten wie Leipzig, Hannover oder Stuttgart und beanspruchte einen Platz unter den herausragenden deutschen Industrie­ zentren. Die Presse legte Wert darauf, die Stadt als besonders modern darzustellen, sie besitze mit einem der größten Straßenbahnnetze Europas als erste Stadt Deutschlands Fahrkartenautomaten.6 Andererseits wurde sie immer wieder von deutschen Besuchern und dorthin abgeordneten Beamten als besonders hässliche Stadt wahrgenommen. Der Höhere SSund Polizeiführer Friedrich-Wilhelm Krüger, der am 25./26. September 1939 nach Lodz 1 Maschmann, Fazit, S. 80. 2 Heike, Leben, S.  121–151 liefert weitgehend eine Apologie sowie viel Anekdotisches; Nasarski spart in seinen zahlreichen Schriften die Jahre 1939–1945 aus, so Nasarski, Lodz – die Stadt der Völkerbegegnung; Nasarski, Das Lodzer deutsche Gymnasium. 3 Wilfried Gerke, Beiträge zur Geschichte der Deutschen in Polen während des Zweiten Weltkrieges 1939– 1945. Herne ²2008. 4 Radziszewska, Tonąca Łódź, S. 70–127, 198–236. 5 Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg. 6 Der Osten des Warthelandes. Hg. anlässlich der Heimatschau in Litzmannstadt. [Stuttgart 1941], S. 264. Diese Größenangabe wurde wohl aus Renommiersucht übertrieben und hatte nur für kurze Zeit Bestand, denn durch die Ausweisungen von Polen 1940/41, die Flucht, Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung 1940–1944 schrumpfte die Bevölkerung.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_010

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kam, notierte abwertend in seinem Tagebuch: „dann nahm ich in einer Judenvilla in der Swientokrzyskastraße  4 mit meinem Stab Quartier. […] Lodz […] dürfte wohl die unschönste und auch schmutzigste Stadt des ganzen europäischen Kontinents sein. Die Menschen scheinen den Dreck gepachtet zu haben.“7 Hans Biebow, der Leiter der deutschen Gettoverwaltung, berichtete in einem Brief an einen Freund: „Meine Frau und die Kinder sind jetzt auch in Litzmannstadt. Sie fühlen sich in dieser schmutzigen und unkultivierten Stadt nicht glücklich.“8 Friedrich Hielscher bei einem Besuch: „schreckliche Straßen“ und „aneinandergereihte Wohnkästen“.9 Solche Stimmen von Reichs- und Baltendeutschen zu Lodz gab es zuhauf, sie verweisen einer­ seits auf die traditionellen Imageprobleme der Stadt, die in der deutschen Öffentlichkeit auch mit rassistischen Urteilen unterlegt wurden, aber auch auf die gespaltenen Ein­ drücke, unter denen viele Deutsche die Stadt erlebten. Für Melita Maschmann, eine in den Reichsgau Wartheland abkommandierte Berliner BDM-Führerin, war Lodz 1940 die „häßlichste Stadt, die ich im Leben gesehen habe“. Die überzeugte Nationalsozialistin traf in Lodz wahrscheinlich Magdalene Schwarz, die letzte Direktorin des Mädchengymnasiums, die Maschmann darauf hinwies, dass die Behandlung der Lodzer Polen falsch sei, „sie seien Menschen wie wir auch und müßten als solche respektiert werden. Genauso gefährlich und unwürdig sei die Art, wie mit den Juden verfahren werde.“10 Bei der BDM-Führerin drang sie damit 1940 nicht durch, bei Maschmann setzte wie bei vielen Deutschen eine Besinnung erst viele Jahre nach dem Kriege ein. Interne Konflikte: Keine Volksgemeinschaft Die deutsche Bevölkerung von Litzmannstadt muss als extrem disparat, ja zerrissen bezeichnet werden: Neben den zunächst ca. 60.000, dann 80.000 Lodzer Deutschen, die die DVL in ihren verschiedenen Gruppen unterzeichnet hatten, lebten über 10.000 Balten­ deutsche, ca. 10.000–15.000 Deutsche aus Bessarabien, Galizien und Wolhynien sowie ca. 15.000 Reichsdeutsche, darunter auch manche Österreicher und Sudentendeutsche, in der Metropole. Die Leitungsfunktionen in der Stadt wurden mit wenigen Ausnahmen durchweg von Reichsdeutschen besetzt, die über anerkannte akademische Abschlüsse, 7

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Der Höhere SS- und Polizeiführer Krüger beschreibt am 25. und am 6. September 1939 die Eroberung westpolnischer Gebiete und sein Eintreffen in Lodz, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd.  4, S.  94–95. AP Łódź, Stadtverwaltung Litzmannstadt, Gettoverwaltung, L- 23390, Bl. 1.–2; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweite Weltkrieg, S. 183. Maschinenschriftlicher Brief Hans Biebows an Rolf Poterc, Litzmannstadt, 6.9.1941, zit. nach Alberti, Verfolgung und Vernichtung, S. 174. Hielscher, Fünfzig Jahre unter Deutschen, S. 357. H. verwendet auch 1954 ausschließlich den Stadt­ namen „Litzmannstadt“. Maschmann, Fazit, S. 81–82.

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Jahre der Zugehörigkeit zu NS-Organisationen und reichsdeutsche Netzwerke verfügten. Das betraf den Oberbürgermeister- und Bürgermeisterposten, die Leitungsfunktionen in der Stadtverwaltung und die Leitung fast aller Behörden. Ausnahmen bildeten nur die Positionen als NSDAP-Kreisleiter und Landräte, wo in Litzmannstadt-Stadt 1940–1942 Ludwig Wolff und in Litzmannstadt-Land 1941–1945 Herbert Mees amtierten. Die geringe Berücksichtigung der ortsansässigen Deutschen unter den Leitungs­ funktionen schuf Konfliktpotential und sorgte für erhebliche Missstimmung. „Reichs­ deutschen“ im Osten wurde vielfach Postenschacherei und Korruption vorgeworfen, wie Frank Bajohr gezeigt hat, oft nicht zu Unrecht.11 Der deutschnationale Aktivist Adolf Eichler, der auf seine alten Tage noch einmal im März/April 1940 seine Heimat­ stadt besucht hatte, berichtete am 16. Mai an eine alte Freundin: „Problematisch ist allerdings noch der Typ des neuen Lodzer Deutschen. Die bisherigen Lodzer Deutschen aller Schattierungen, Angehörige aller deutschen Stämme des Altreiches, die in ihren Erwartungen enttäuschten Baltendeutschen und die rückständigen Wolhyniendeutschen usw. werden wohl erst nach Jahrzehnten eine gewisse Geschlossenheit und Einheitlich­ keit aufweisen. Einstweilen tritt in dem Verhältnis dieser Volksgruppen untereinander manches Unerfreuliche hervor.“12 Auch die Baltendeutschen sahen das Zusammenleben als prekär an, etwa Cecil Baron von Hahn: „Die Volksdeutschen haben sehr große Verluste erlitten und zwar nicht nur ein­ malige, sondern ihr Mittelstand hat im Lebenshaltungsniveau eine sehr starke Senkung erfahren. Es wird sehr viel weniger verdient als zur polnischen Zeit. Alle Mißgriffe, die seitens der Verwaltung etc. seit der Besetzung der Stadt durch unsere Truppen vor­ genommen sind, werden von den Volksdeutschen naturgemäß ganz besonders scharf empfunden. […] Im letzten Grunde ist es eine Enttäuschung an Deutschland. Deutsch­ land war wenig gekannt, heiß und von weitem geliebt. Es war ein Traum. Der Traum ist ausgeträumt, der Wirklichkeit sind sie nicht gewachsen.“13 Hier vermischte sich Mit­ gefühl für die formal nach deutschen Maßstäben durch ihre russischen und polnischen Abschlüsse sowie begrenzte Sprachbeherrschung nicht hinreichend qualifizierten Lodzer Deutschen mit einem harten Überlegenheitsgefühl. Ein deutlich negativer Blick der Baltendeutschen auf die alteingesessenen Lodzer Deutschen findet sich in Selbstzeugnissen. Eine junge Umsiedlerin schrieb in ihr Tage­ buch: „Hier stellt kein Balte, der ein Geschäft hat, einen Volksdeutschen an, weil die dann mit den Polen gleich unter einer Decke stecken. Entweder stellt ein Balte seine eigenen Mitgekommenen an oder Polen. Von Herrn Mack verlangte ein Volksdeutscher im 11 12 13

Frank Bajohr, Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit. Frankfurt a.M. 2001, S. 84, 128. Brief (Durchschlag) Adolf Eichlers an Frl. von Eltz, Bad Wilsnack, 16.5.1940, in: MOB, Archiv der Deutschen aus Mittelpolen, A 1c IX, 6420; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 96–97. Maschinenschriftl. Mitteilung von Dr. Cecil Baron von Hahn an die Volksdeutsche Mittelstelle in Posen, Lodz, 7.3.1940, AP Poznań, Volksdeutsche Mittelstelle 800/61, Bl. 4f-5; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 157–159.

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Elektrizitätswerk, er solle die Rechnung vom Polen bezahlen. Da hat ihm Mack gehörig die Wahrheit gesagt. Die Volksdeutschen können uns nicht verknutschen, weil wir ihnen zu deutsch sind. Ein Reichsdeutscher sagte, 58000 Volksdeutsche sind ermordet worden. 158000 hätte man von diesen Schweinehunden umbringen sollen. Die 58000 Volksdeutschen sind die echten gewesen, aber was sozusagen nachblieb, sind fast alles polenfreundliche Volksdeutsche, wenn nicht gar halbe Polen. Sie tragen als Erkennungs­ zeichen ein Hakenkreuz im Ring. Bei uns Balten heissen sie die Deutschen mit dem Aus­ hängeschild […].“14 Unter Unkenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten – die Lodzer Deutschen wurden von den Behörden zu einem Tragen nationalsozialistischer Embleme in der Presse auf­ gefordert (vgl. S. 145) – wird hier das fortlebende Image der alteingesessenen Deutschen als „polenfreundliche Volksdeutsche“ und „halbe Polen“ sichtbar: Jedes polnische Wort in der Öffentlichkeit, jede Kenntnis polnischer Realia, jede Bitte, vielleicht mit Nachbarn oder bekannten Polen etwas anders umzugehen, setzte die Alteingesessenen dem Ruch der „Polenfreundlichkeit“ oder gar der „Judenfreundlichkeit“, des Kosmopolitismus und damit der Wahrnehmung aus, keine „guten Deutschen“ zu sein. Offizielle Versuche, durch Aufrufe, Sammelaktionen und städtische Ausstellungen ein Gemeinschaftsbewusstsein aller Lodzer Deutschen zu schaffen, müssen vor diesem Hintergrund als kaum erfolgreich eingeschätzt werden. Die im März 1941 gezeigte Aus­ stellung „Der Osten des Warthelandes“ exponierte die deutsche Rolle bei der Entwicklung von Lodz und stellte Pläne für eine zukünftige Entwicklung vor.15 Allerdings spalteten die Sonderrechte innerhalb der deutschen Bevölkerung und die fortgesetzten Konflikte nach wie vor auch die deutschsprachige Bevölkerung. Opfermythos und Durchdringung der Gesellschaft durch NS-Gliederungen Um dem zu entkommen, mussten die Lodzer Deutschen mit der Eingliederung in den Reichsgau Wartheland eine neue Identität entwickeln, insbesondere der Verweis auf das eigene Leiden sollte bei der Integration helfen. Hatte nicht Reichsstatthalter Greiser bei der Massenkundgebung im Poniatowski-Park, pardon, der Park hieß seit 1940 „Hitler­ jugend-Park“, auf diese Leiden besonders hingewiesen? „Es kamen jene Tage eines ent­ fesselten polnischen Deutschenhasses, in denen deutsche Menschen zu Hunderten und zu Tausenden leiden, bluten und sterben mussten, um ihres Deutschtums und um ihres Bekenntnisses zu diesem Deutschtum willen.“ Die ortsansässigen Deutschen seien damit 14 15

Maschinenschriftl. Tagebucheintrag, Erika Carlhoff, Lodz, 19.3.1940, Tagebuch Erika Seidel-Carlhoff, Erlebt in jenen Tagen, Bd. 1, S. 57–58; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 177–178. Deutscher Geist und deutsche Kultur formen den Ostraum, Litzmannstädter Zeitung v. 09.03.1941. Dazu erschien mit rassistischen und antisemitischen Tönen: Franz Böhm, Litzmannstadt. Geschichte und Entwicklung einer deutschen Industriestadt. Posen 1941 Leipzig ²1941.

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Abb. 11

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Propaganda für die deutsche Bevölkerung: Die Deutsche Lodzer Zeitung vom 09. November 1939.

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in die „Reihe der Blutzeugen“ – im Anschluss an die NS-Opfer des Putsches von 1923 – aufgenommen worden.16 In der Presse hatte es geheißen „Vorwärts über die Gräber … und ihr habt doch gesiegt“,17 in Darstellungen (vgl. beigefügte Abbildung 11 vom 09. November  1939 in der Lodzer Zeitung) wurde das eigene Märtyrertum und die Verheißung eines „Neuen Deutsch­ land“ dargestellt. Dieser Kanon des eigenen Leidens wurde in der Folge – vielfach wider besseres Wissen – in der Öffentlichkeit immer wieder ausgeführt und beschworen. „Wie unsere Brüder starben“ hieß es im Februar 1940,18 am Sonntag, dem 8. September 1940 brachte die „Litzmannstädter Zeitung“ ihre umfangreiche sechzehnseitige „BefreiungsBeilage“ unter dem Motto „Frei und deutsch“ heraus, in dem mit reichem Bildmaterial der Jahrestag des deutschen Einmarsches gefeiert wurde.19 Im September 1941 und erneut 1942 zog die Hitlerjugend „auf den Spuren der Verschleppten“ über die Landstraßen und „schmückte Gräber in dankbarem Gedenken“; laut Presse wurde „der Leidensweg zur Straße des großen Sieges“ projektiert, an der zukünftige „Mahnmale“ geplant wurden.20 Das fand auch Eingang in Schulen, in denen zur „Verschleppung der Deutschen“ eigene Unterrichtseinheiten abgehalten und Bilder gemalt wurden. Aus einem Tagebuch: „Hans muß in der Schule Modell stehen und zwar deshalb: an den Eingangswänden wurden Bilder gemalt: ‚Die Verschleppung der Deutschen nach Warschau, Einzug der Deutschen in Lodsch und Heimkehr der Wolhyniendeutschen‘. Beim ersten Bild mußte Hans ein Pole sein und eine polnische Uniform anziehen und eine Stellung einnehmen, als ob er jemanden schlagen wolle. Beim zweiten Bild war er ein Deutscher.“21 „Hans“ war in diesem Fall ein baltendeutscher Junge, solche Darstellungen wurden zu einem Initiationsritus eines Glaubens an die nun beendete Bedrückung der Deutschen, einer Legende, der bereitwillig geglaubt und die immer wieder kolportiert wurde. Diese Propagandalüge einer breiten Opfergeschichte hatte Folgen für die Einstellung zu den polnischen Nach­ barn, die nun als ehemalige Täter gesehen wurden. Litzmannstadt im Zweiten Weltkrieg gerierte sich weiterhin als Arbeiterstadt, wenn auch durch die Umschichtung der Beschäftigungsstrukturen immer mehr Deutsche 16 17 18

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Deutsche Lodzer Zeitung, Nr. 305 v. 09.11.1939. Deutsche Lodzer Zeitung, Nr. 305 v. 09.11.1939. In der Presse immer wieder aufgegriffen, etwa „Wie unsere Brüder starben“ (ganzseitig), Lodscher Zeitung 40 v. 09.02.1940; Entsetzen über die Massenmorde, in: Lodscher Zeitung 44 v. 13.02.1940; Auf den Spuren polnischer Massenmorde, in: Litzmannstädter Zeitung 107 v. 17.04.1940; Polengreuel an den Wolhyniendeutschen, in: Litzmannstädter Zeitung 108 v. 18.04.1940; Am Ziel unseres Opfergangs stand Deutschland, in LZ 333 v. 01.1.2.1940; Adolf Kargel, Durch Durst, Hunger und Elend zur Freiheit. Erinnerungen eines der 600 im September 1939 aus Litzmannstadt Verschleppten, in: Litzmannstädter Zeitung  334 v. 02.12.1940; Noch ein Opfer blutigen Polenterrors, in: Litzmannstädter Zeitung  303 v. 01.11.1941; Über die Gräber vorwärts, in: Litzmannstädter Zeitung 244 v. 04.09.1944. Litzmannstädter Zeitung 249 v. 08.09.1940. Ein monumentales Mahnmal entsteht bei Kutno, in: Litzmannstädter Zeitung 243 v. 02.09.1941. Maschinenschriftl. Tagebucheintrag, Erika Carlhoff, Lodz, 9.3.1940, Tagebuch Erika Seidel-Carlhoff, Erlebt in jenen Tagen, Bd. 1, S. 54–56; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 175–177.

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von Arbeitern in der Textilindustrie zu Angestellten der Stadtverwaltung, zu Beamten bei Polizei und Staatsverwaltung oder zu Beschäftigten in SS-Dienstellen wurden. Die deutsche Stadtbevölkerung erhielt vielfach großbürgerliche Wohnungen in der Innen­ stadt, aus der Polen und Juden vertrieben worden waren.22 Aufrufe wie „Stadt der Arbeit, aufgewacht …“ oder „Arbeiterstadt Lodsch – Sinnbild deutscher Tatkraft“23 fanden sich regelmäßig in der Presse, auch wenn die Wirtschaftsentwicklung insbesondere durch die Ausschaltung von jüdischen und polnischen Betrieben deutlich rückläufig war und die Zahl kleinerer Betriebe sich drastisch verminderte. In den Großbetrieben der Textilindustrie kam es – ähnlich wie in den 1930er Jahren – zu zeitweisen Stillständen in der Produktion, sei es, weil nicht genügend Bedarf vorlag oder Rohstoffe fehlten, sei es, weil zu wenig Arbeiterinnen und Arbeiter zugewiesen worden waren.24 Es gab keine klare nationalsozialistische Politik gegenüber den großen Textil­ fabriken. Hatte man im September 1939 noch überlegt, zugunsten der Fabriken Kapazi­ täten im Altreich stillzulegen, so wurden die Baumwollvorräte in Lodz im Oktober und November  1939 ins Reich abtransportiert.25 Reichsdeutsche Textilunternehmen waren keineswegs bereit, ihre Kapazitäten abzutreten. Im Resultat arbeiteten große Fabriken wie die Textilwerke Horak 1941 nur durchschnittlich an 3–4 Tagen in der Woche. Teile der Produktion in Pabianice und Widzew (Zellgarn AG) stellte man auf Kunstfasern um, in Filialen von Reichsfirmen wurde für Verkehrs- und Wehrmachtsbedarfe produziert. Erst mit der Wende im Kriegsverlauf 1942/43 lagerten mehrere Metall- und Rüstungs­ betriebe ihre Produktion in das durch Bombardements kaum gefährdete und über erhebliche Fabrikkapazitäten verfügende Litzmannstadt aus. In die Fabriken von All­ art, Rousseau & Compagnie zog nun BMW ein. Bei Scheibler & Grohman baute 1942 AEG Kapazitäten auf, in dem Betrieb wurden Radioempfänger, Abhöranlagen für U-Boote und Zeitzünder hergestellt. In die Textilfabrik Leonhardt, Woelker und Girbardt (ul. Rzgowska / Heerstraße) zog mit der Fa. Promotor ein Motorenwerk für Flugzeuge ein. Die Wollfabrik Bennich (Łąkowa- bzw. Flottwell-Str. 11) übernahm Telefunken und baute dort eine Röhren- und Lampenproduktion auf, zusammen mit einer Abteilung in den Kindermann-Werken (ul. Ṥw. Andrzeja 63) waren dort 1944 ca. 2.500 Personen, vor allem Frauen beschäftigt, die vielfach vom Arbeitsamt zwangszugewiesen worden waren.26 In der Maschinenbaufabrik Josef John wurde nun Militärbedarf hergestellt, 22

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In den deutschen Berichten in der Regel zwar erwähnt, aber als selbstverständlich beschrieben und nicht reflektiert, vgl. Tagebuch Erika Carlhoff in Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 75–77 (5-Zimmer-Wohnung); Armin Richard Hornberger, Aufgewachsen in Lodz. Kindheitserinnerungen. Berlin 2006, S. 62–63. Wolfgang Bergemann, in: Lodscher Zeitung 101 v. 11.04.1940. Tadeusz Bojanowski, Przemysł włókienniczy w Łodzi w latach okupacji hitlerowskiej (1939–1945), in: Rocznik Łódzki 21 (24) 1976, S. 9–14. Bericht „Tätigkeit des Treuhänders für Textilrohstoffe, Litzmannstadt“, Druck in: Łuczak, Położenie ludności, S. 230–234; Loose, Kredite, S. 88–89. Über die Arbeitsbedingungen bei Telefunken sind wir gut durch Aufzeichnungen von Zwangs­ arbeiterinnen und Zwangsarbeitern informiert: Paweł Chmielewski (Hg.), Ulm miasto naszej

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auch in der Fabrik Ludwig Geyer.27 Im Kern erfolgten diese Verlagerungen verspätet und improvisiert. Sie nutzten das umfangreiche Potential des Industriestandortes bei weitem nicht vollständig aus. In der deutschen Bevölkerung waren NS-Organisationen in sehr unterschiedlichem Maße präsent. Die NSDAP blieb in Lodz eine Kaderorganisation, die nur ca. 5.500 Mit­ glieder zu verzeichnen hatte, da der aus älteren Aktivisten bestehende Parteiapparat den Zustrom von „Karrieristen“ fürchtete und Inhaber der DVL 2 nur nach langwierigen Prüfungen, Inhaber der DVL  3 und 4 gar nicht beitreten konnten. Während im Reich ca. 11% der Bevölkerung (1943) NSDAP-Mitglieder waren, waren es in Litzmannstadt unter der deutschen Bevölkerung deutlich unter 5%. Dagegen besaßen in der Stadt die NS-Unterorganisationen in den Fabriken und Arbeitsstellen einen Massencharakter: Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) zählte Ende 1942 53.000 Mitglieder, die National­ sozialistische Volkswohlfahrt bereits Ende 1940 18.000 Mitglieder, auch Hitlerjugend und BDM waren unter den Jugendlichen stark vertreten. Eine effektive Sozialkontrolle erfolgte über Zellen- und Blockleiter, die sich vielfach aus den Reihen ehemaliger DVV-Funktionäre und nationalistischer Deutscher rekrutierten und im Wohnumfeld das Verhalten der als „deutsch“ eingestuften Bevölkerung gegenüber Polen und Juden kontrollierten. Deutlich unterstrichen werden muss die herausgehobene Rolle der SS in der Stadt: Durch die enge Verschmelzung von Polizei und SS und den Aufbau mehrerer SSDienststellen in der Stadt – vor allem der Umwandererzentralstelle / Dienststelle Litzmannstadt, der Einwandererzentralstelle Litzmannstadt und der Außenstelle Rasse- und Siedlungshauptamt Litzmannstadt – waren den ganzen Krieg hindurch viele Hundert, mit Familienangehörigen sogar deutlich über Tausend SS-Angehörige in der Stadt. Die Litzmannstädter SS-Dienststellen besaßen reichsweite Bedeutung, so wurde von Litzmannstadt aus durch die Umwandererzentrale die Umsiedlung der polnischen Bevölkerung in der Region Zamość und ihre Verschleppung zur Zwangsarbeit ins Alt­ reich koordiniert. In der Stadt saß auch die Zensurstelle, die die Briefwechsel zwischen den deportierten Zwangsarbeitern und ihren im Generalgouvernement verbliebenen Angehörigen überwachte.28 Zwei der Litzmannstädter Oberbürgermeister, Werner Ventzki und Otto Bradfisch, waren SS-Mitglieder, Bradfisch, zuvor Leiter eines SS-Ein­ satz- und Erschießungskommandos in Belarus‘, sogar in einer hochrangigen Position. Die Anwesenheit von größeren SS-Dienststellen einschließlich ihrer Familien hatte in

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młodości i cierpienia. Relacje byłych robotników przymusowych Zakładów Telefunken w Łodzi i Ulm n/Dunajem. Łódź 1999. Bojanowski, Łódź pod okupacją, S.  273–294; Rukowiecki, Łódź 1939–1945, S.  135. Über die Ver­ lagerungen war der polnische Untergrund gut orientiert, vgl. Bericht Nr. 8 v. 31.10.1943, in: Zbigniew Mazur (Hg.), Raporty z ziem wcielonych do III Rzeszy (1942–1944). Poznań 2004, S. 312–313. Katarzyna Woniak, Zwangswelten. Alltags- und Emotionsgeschichte polnischer „Zivilarbeiter“ in Berlin 1939–1945. Paderborn 2021 (Fokus, 2), S. 172–173.

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der Stadt die NS-Volkstumspolitik begünstigende und eine radikale Ausgrenzungspolitik befürwortende Auswirkungen. Medien und Unterhaltungsindustrie Informationen waren auch für die deutsche Stadtbevölkerung Mangelware: In der Stadt erschien im Zweiten Weltkrieg nur die „Lodzer“ bzw. „Litzmannstädter Zeitung“, während vor dem Kriege noch mehr als ein Dutzend Tageszeitungen in drei Sprachen täglich um ein Publikum gekämpft hatten. Die Litzmannstädter Zeitung führte ab 1943 den Beititel „Tageszeitung der NSDAP“ und war neben dem Ostdeutschen Beobachter in Posen die einzige Tageszeitung des Warthelandes. In den ersten Kriegsjahren erschien sie im Umfang von 8–12 Seiten, in der Sonntagsausgabe sogar mit 20 Seiten; ab Juni 1942 meist nur noch im Umfang von 4–8 Seiten; die letzte Ausgabe erschien am 17. Januar 1945. Die Zeitung unterlag einer sorgfältigen Pressekontrolle, „Hauptschriftleiter“ war der Reichsdeutsche Dr. Kurt Pfeiffer, Stellvertreter mit der Zuständigkeit für Lokales der lang­ jährige Redakteur der „Freien Presse“ Adolf Kargel. Die Berichte über die Vorgänge in der Stadt waren sehr begrenzt, zumeist informierte eine Seite unter der Überschrift „Der Tag in Lodz“ bzw. „in Litzmannstadt“ über Ereig­ nisse. Die Tageszeitung war seit September  1939 durchgängig antipolnisch und anti­ semitisch eingestellt; Schlagzeilen wie „Polen und Juden ins Gefängnis“,29 Berichte über angebliche polnische und jüdische Verbrechen und deren Aburteilung tauchten regel­ mäßig auf. Im Dezember 1940 wurde nach der Premiere von „Der ewige Jude“ in Berlin (29. November) in dem Beitrag „Mit der Kamera im Getto“ berichtet, dass ein Teil der Aufnahmen in Lodz gedreht worden war und „daß bei diesen Kameraaufnahmen das wirkliche Leben in den Judenvierteln z.B. von Krakau und Litzmannstadt eingefangen worden sei, „die Judenmischpoke, die da zu hunderten in den dreckigen Gassen herum­ steht und handelt und mauschelt“.30 In der bildenden Kunst wurde eine erdverbundene „deutsche Kunst“ propagiert, dagegen die erheblichen Errungenschaften der künstlerischen Moderne in Lodz ver­ unglimpft. Besonders traf das den Konstruktivismus, der offen als „entartete Kunst“ angegangen wurde. In einem ganzseitigen, mit Hitler-Zitaten eingerahmten Artikel „Internationale ‚Kunst‘ – Bildwerke, die Kunst sein sollten“ und illustriert mit Werken von Leon Chwistek, Stanisław Ignacy Witkiewicz, Fernand Léger, Katarzyna Kobro und Władysław Strzemiński griff Adolf Kargel die Gruppe a.r. und die Lodzer Kunst­ sammlungen insgesamt frontal an. Er sprach von „großspurig als neuzeitliche Kunst aus­ gegebenen Machwerke[n]“ von einem „Greuel“ aus der „Polenzeit“, das von den „hiesigen

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Deutschen im Augenblick ihres Entstehens und auch späterhin abgelehnt wurde“.31 Die aggressive Verurteilung unter Namensnennung war für Kobro und Strzemiński, die in der Stadt lebten, höchst gefährlich. Zentrales Medium der Kriegszeit war für die deutsche Bevölkerung ohne Zweifel das Kino. In den etwa 14 deutschsprachigen Kinos („Nur für Deutsche“) mit mehreren tausend Plätzen, in denen täglich meist drei Vorführungen liefen, hätte wöchentlich die gesamte deutschsprachige Bevölkerung Einlass gefunden.32 Aus Tagebüchern und Erinnerungen wissen wir, dass Kinobesuche zur wichtigsten Freizeitbeschäftigung zählten. In den Kinos lief durchweg die UFA-Unterhaltungsfilmproduktion, mit der ganz Deutschland überschwemmt wurde, eingerahmt von den Wochenschauen mit Kriegs­ erfolgen, deren Besuch obligatorisch war. Es hieß stets in den Ankündigungen „Mit Beginn der Wochenschau kein Einlaß mehr“; die Wochenschauen wurden angesichts der Informationsknappheit zu wichtigen Nachrichtenmedien, besaßen aber in ihrer Filmund Bildpropaganda einen Stereotype schürenden Charakter. Am erfolgreichsten und populärsten waren wie überall in Deutschland Unterhaltungsund Kriegsfilme, etwa der immer wieder laufende Heinz-Rühmann-Film „Quax, der Bruchpilot“. Einige Filme, die gezeigt wurden, besaßen einen besonderen Bezug zur Stadt und ihrer deutschen Bevölkerung. Ab Anfang Dezember 1941 lief in den Litzmannstädter Kinos über mehrere Monate der Spielfilm „Feinde“ (Bavaria 1940), in dem die Bedrückung und Verfolgung der deutschen Minderheit auf der polnischen Seite der Grenze 1939 dar­ gestellt wurde. In einer ganzseitigen Vorstellung in der Litzmannstädter Zeitung unter der Schlagzeile „Ein Film vom deutschen Volkstumskampf im Osten“33 wurde der Film in höchsten Tönen angepriesen; die Hauptdarsteller Brigitte Horney und Ivan Petrovich waren zur Premiere in der Stadt und wurden öffentlich vorgestellt und interviewt.34 Ein ähnliches Thema zeigte der Film „Heimkehr“, der die Wolhyniendeutschen 1939 zum Thema hatte und insbesondere die polnische Bevölkerung und Verwaltung als äußerst brutal darstellte. Er kam 1941/42 in die Litzmannstädter Kinos. Wiederholt lief „Friesennot. Ein deutsches Schicksal auf russischer Erde“ (1935), ab 1941 gezeigt unter dem Titel: „Dorf im roten Sturm“. Der Film zeigte die Bedrängung eines mennonitischen Dorfes in der Russischen Revolution und wurde 1941 von der Propaganda besonders ausgeschlachtet.

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Litzmannstädter Zeitung 82 v. 23.03.1941, S. 15. Bojanowski, Łódz pod okupacją niemiecką, S. 125–126; Rukowiecki, Łódź 1939–1945, S. 136 Abdruck mit Aufstellungen der Besucherzahlen der Kinos Casino und Rialto, März 1942–1943–1944, monatlich in beiden Kinos ca. 90.000–100.000 Besucher. Hinweise für einzelne Kinos bei Kulesza/Michalska/ Koliński, Łódzkie kina. Vgl. auch die Erinnerungen von Ursula Brehmer, Meine Heimatstadt der unbeschwerten Kindheit, in: Radziszewska, Gdzie są Niemcy, S. 171–178, hier 173. Litzmannstädter Zeitung 332 v. 30.11.1940, S. 7. „Das Schicksal unserer Heimat – Film geworden“. Weiterer Bericht Litzmannstädter Zeitung  334 v. 02.12.1940.

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Auch antisemitische Filme wurden regelmäßig ausgestrahlt: Insbesondere „Jud Süß“ lief im Dezember 1940 im Europa-Filmtheater, Schlageterstr.  20 mit „Rekordbesuch“. Parallel, im November und Dezember 1940, druckte die Litzmannstädter Zeitung das antisemitische Werk „Die Rothschilds – ein Tatsachenbericht – mit 16 Bildern aus dem gleichnamigen Ufafilm“ als Forsetzungsroman. Angemerkt wurde, dass nun auch für den Pseudo-Dokumentarfilm „Der ewige Jude“ „lebhaftes Interesse vorhanden sein“35 dürfte. Leider liegen über die Reaktionen auf „Der ewige Jude“, zu dem zuvor auch 1939/40 Auf­ nahmen in Lodz gedreht worden waren, keine belastbaren Aussagen vor. Das gilt ebenfalls für den antijüdischen und antipolnischen Progandafilm „Aus Lodz wird Litzmannstadt“ (Universum-Film AG, Laufzeit 25:40 min.),36 der 1941/42 gedreht und montiert, aber wohl nicht öffentlich gezeigt wurde. Erhalten ist das Filmdokument sowie das Drehbuch des Films,37 deutlich erkennbar ist eine harte Schwarz-Weiß-Stereotypie, immer wieder gegenübergestellt wird das als „dreckig“ und „heruntergekommen“ dar­ gestellte polnisch-jüdische Lodz der Zwischenkriegszeit gegenüber dem sich im Auf­ bau und auf dem Weg in die Moderne befindlichen neuen deutschen Litzmannstadt. Während die jüdische Bevölkerung als nicht arbeitend, faul und ausbeuterisch dargestellt wird, geben Drehbuch und Film immer wieder vor: „Der Deutsche arbeitet“.38 Möglicher­ weise waren es gerade diese antisemitischen und antipolnischen Passagen, die den Film 1943/44 eher zur Verschlusssache machten, zu diesem Zeitpunkt lebte die Mehrheit der Lodzer Juden bereits nicht mehr und zumindest die deutsche Industrie benötigte die im Film zu „faulen Arbeitern“ degradierten Polen für die Kriegsproduktion. Auffällig ist, dass 1943/44 in Presse und Film antisemitische und antipolnische Passagen zurücktreten. Wollte niemand mehr an die Gettoisierung und Ermordung der Juden erinnern? Sollte jede Erinnerung an die nebenan hungernden Juden vermieden werden? Oder sollte das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen nicht weiter belastet werden? Während das Litzmannstädter Stadttheater seine Aufführungen zum 31. August 1944 einstellte und zum Fronteinsatz mobilisiert wurde, liefen die Kinos mit einem Potpourri aus Nationalismus und Unterhaltung bis zum Ende: Noch am 17. Januar 1945, am Tage der Eroberung von Vororten der Stadt durch sowjetische Truppen, wurden in Litzmannstadt

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Litzmannstädter Zeitung 336 v. 04.12.1940. Adam Sitarek, Scenariusz filmu oświatowego „Aus Lodz wird Litzmannstadt“, in: Jacek Walicki, Rafał Stobiecki (Hg.), Należę do polskiej szkoły historycznej. Studia i materiały dedykowane prof. Jakubowi Goldbergowi z okazji odnowienia doktoratu na Uniwersytecie Łódzkim. Łódź 2010, S. 88–127. Die Ton­ spur ist leider nicht erhalten, die Texte sind aber überliefert und in dem obigen Beitrag in deutscher und polnischer Sprache ediert. Ausführliche Vorstellung bei Sitarek, Scenariusz, S.  88–128; S.  93–127 Drehbuch in der deutschen Originalfassung und polnischer Übersetzung. Sitarek, Scenariusz, S. 97–98, 103.

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unter anderen der antienglische Spielfilm „Ohm Krüger“, der Heimatfilm „Die Julika“ und das exotische Abenteuerepos „La Habanera“ gezeigt.39 Lebenswelten im Kriege und deutsch-polnisches Nebeneinander Die Lebenswelten der deutschen Bevölkerung in einer Stadt, in der diese stets nur eine Minderheit darstellte, stellen sich je nach gewählter Quellengattung sehr unterschiedlich dar. Aus Sicht der Presse, manchmal auch aus der Perspektive der deutschen Erinnerungen nach 1945, wirkt die Stadt als normale deutsche Stadt. In der Litzmannstädter Zeitung 1941–1943 tauchen Polen und Juden nur randständig, in der Regel in den Berichten über Vergehen, Kriminalität und Aburteilungen, auf. Deutlich anders stellt sich die Perspektive auf der Basis der zeitgenössischen umfang­ reichen administrativen Überlieferung und der deutschen Selbstzeugnisse vor 1945 dar. Im städtischen Raum lebten Deutsche und Polen nebeneinander, selbst wenn eine Trennung in den Kinos, Kantinen und Restaurants sowie den Straßenbahnen durchgesetzt wurden, gab es in den Straßen, Innenhöfen und Treppenhäusern zahlreiche Orte der Begegnung und möglicher Kontakte. Solche Kontakte mussten reguliert, reglementiert und sanktioniert werden, wir haben deshalb eine sehr große Regelungsdichte im Berufs­ leben, aber auch in der alltäglichen Lebenswelt, die auch für die deutsche Bevölkerung verordnet werden musste. Ein Beispiel: Im Warthegau war es Deutschen durch Erlass des Reichsstatthalters vom 25. September 1940 verboten, mit Polen private Kontakte zu pflegen. In dem Erlass hieß es: „Deutsche Volksangehörige, die über das dienstlich und wirtschaftlich not­ wendige Maß hinaus Umgang mit Polen pflegen, werden in Schutzhaft genommen. In schweren Fällen, besonders dann, wenn der deutsche Volkszugehörige durch Umgang mit Polen das deutsche Reichsinteresse erheblich gefährdet hat, kommt Überführung in ein Konzentrationslager in Betracht. Als Nichteinhaltung des Abstandes gilt unter allen Umständen die Aufrechterhaltung eines wiederholten freundschaftlichen Verkehrs mit Polen.“40 Dieser Passus war insbesondere in Lodz, wo Deutsche und Polen traditionell enge nachbarschaftliche Kontakte unterhielten, für Deutsche gefährlich, denn solche „Vergehen“ konnten leicht denunziert werden. Dies galt auch für die deutschen Privatwohnungen: Am 6. September 1944 wurde die Frau des Kaufmanns Arthur Freud nach einer Denunziation durch eine Hausangestellte zu zehn Tagen Haft verurteilt, hier ein Auszug aus dem Gnadengesuch von Arthur Freud: „Durch eine Verfügung der Staatspolizeistelle Litzmannstadt wurde meine Frau zu einer Schutzhaftstrafe von 10 Tagen verurteilt, weil ein uns seit vielen Jahren bekannter Pole, Jan 39 40

Rubrik „Filmtheater“, Litzmannstädter Zeitung v. 14 v. 17.01.1945. Verordnung v. 25.09.1940, Abdruck Czesław Łuczak, Położenie ludności polskiej w tzw. Kraju Warty w okresie hitlerowskiej okupacji. Poznań 1990, S. 180–182.

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Barainski, an einem Tisch bei uns gesessen hat. Wir haben es nicht bestritten. Barainski hat mir in schweren Zeiten vor dem Kriege viel geholfen und arbeitet auch noch heute bei mir.“41 Solche absurden Exekutionen von Strafen sollten wohl im August/September 1944 – die Front war nur noch 120 km entfernt – eine Fraternisierung verhindern. Allerdings: Solche Kontakte flogen nur im Falle von Denunziationen auf und waren während des ganzen Krieges an der Tagesordnung. Insbesondere Unternehmer und Betriebsführer mussten mit ihren polnischen Mitarbeitern sprechen – dafür wurde im Krieg deutscherseits die im Polnischen übliche Höflichkeitsformel „Herr“ (Pan) und „Sie“ untersagt, die Vorgesetzten sollten sich an ihre Arbeiter im Polnischen per „Du“ wenden. Wenige Tage vor der obigen Verurteilung hatte noch Gauleiter Greiser in einer öffentlichen Ansprache im Hitlerjugend-Park und an die polnische Bevölkerung gerichtet erklärt, „wer mit uns ist, für den wird gesorgt“42 – aber wie sollte dies möglich sein, wenn man noch nicht einmal miteinander am Tisch sitzen durfte? Sichtbar wird hier, wie die antipolnische Ideologie sich dauerhaft in den Köpfen der Verwaltung festgesetzt hatte und pragmatische Lösungen verhinderte. Es gibt wenige Informationen, wie deutsche Arbeiter mit polnischen Kollegen in den Fabriken umgingen – gab es weiter eine Solidarität am Arbeitsplatz oder herrschte auch hier strikte Trennung und war nur Unterordnung gefordert? Lucjan Kieszczyński kehrte im Oktober 1939 in die Stadt und an seinen Arbeitsplatz in der Firma Horak in Ruda Pabianicka, das nun in „Erzhausen“ umbenannt wurde, zurück. Hier bemerkte er Ver­ änderungen im Arbeitsklima: „In der Fabrik fand ich niedergeschlagene Polen und ein­ gebildete Deutsche vor. Sie sprachen laut auf Deutsch und schauten auf die Polen herab; manche sprachen überhaupt nicht mit Polen.“43 Allerdings sei dies keine allgemeine Ein­ stellung gewesen: „Ein Teil der Deutschen, und insbesondere die Baptisten, verhielten sich gegenüber den Polen wie zuvor […]. Sie nahmen die göttlichen Gebote ernst und ver­ hielten sich gegenüber den Polen normal. Dagegen waren die evangelischen Deutschen in hohem Maße Nationalsozialisten.“44 Das Zeugnis, dass gerade deutsche Angehörige kleiner evangelischer Kirchen, also Baptisten, Adventisten und Zeugen Jehovas, weiter­ hin zwischenmenschliche Kontakte unterhielten, findet man häufiger in polnischen Erinnerungen. 41 42 43 44

Maschinenschriftl. Gesuch Arthur Freunds an den Leiter der Gestapo Litzmannstadt, Dr. Bradfisch, Litzmannstadt, 6.9.1944, AP Łódź, Geheime Staatspolizei Litzmannstadt, 79, Bl.  23–23v; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 292–293. Litzmannstädter Zeitung 228 v. 15.08.1944. „W fabryce zastałem przygnębionych Polaków i zadufanych Niemców. Głośno rozmawiali po niemiecku i z góry spoglądali na Polaków, a część z nich w ogóle nie rozmawiała z Polakami.“ Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 137. „Niemniej jednak część Niemców, zwłaszcza spośród baptystów, odnosiła się do Polaków tak, jak poprzednio. […] baptyści brali przykazania boskie na serio. Odnosili się więc na ogół do Polaków normalnie. Natomiast Niemcy-protestanci – to w dużym stopniu hitlerowcy członkowie NSDAP.“ Ebd., S. 137–138.

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Für „Deutsche“ war es in Litzmannstadt viel einfacher, eine Anstellung bei städtischen Behörden zu erhalten, die von polnischen Angestellten gesäubert wurden. Kieszczyński beschreibt bei Horak, deren Leitung als besonders nationalsozialistisch galt, deutlich die Umschichtung der Beschäftigtenstrukturen in der Fabrik. Aus deutschen Textilarbeitern wurden Soldaten, Angestellte und Beamte: „Der ehemalige Delegierte des Zentralen Gewerkschaftsverbandes, der Deutsche Branzajs, ließ sich nicht mustern. Er begann als Straßenbahnschaffner zu arbeiten. Ich sah ihn auf den Linien der Vorortstraßen­ bahnen. Man sprach unterschiedlich über ihn. Anfänglich wollte er nicht die Volksliste annehmen. Später unter dem Druck der Gestapo nahm er sie an.“45 Auch die deutschen Arbeiter reagierten unterschiedlich, insbesondere als sie zum Militär einberufen wurden.46 Deutsche Aktivisten zogen, von der Propaganda beein­ flusst, begeistert ins Militär, viele deutsche Arbeiter fügten sich, einige reagierten aber insbesondere angesichts der deutschen Niederlagen im Sommer 1944 mit verdeckter Opposition und einem Versuch des Sich-Entziehens: Nach einem Bericht von Karl (Karol) Serwatka, einem ehemaligen DSAP-Mitglied, wurden am 16. August  1941 (tatsächlich 1944) mehr als ein Dutzend „Antifaschisten“ standrechtlich erschossen, die sich nach ihrer Einberufung durch fingierte medizinische Atteste geweigert hatten, an die Front zu ziehen.47 Das Ereignis lässt sich tatsächlich durch ein erhaltenes, in den 1960er Jahren angelegtes Sammelgrab auf dem Lodzer Doły-Friedhof mit Todesdatum 16. August 1944 nachweisen.48 Zu klären wären die individuellen Schicksale, die sich hinter diesen Hin­ richtungen verbergen. Die Ernennung zu „Antifaschisten“ in der polnischen Nachkriegs­ historiographie ist eine zumindest fragliche Zuschreibung,49 in der extrem angespannten Situation im August 1944, als 120 km östlich die Warschauer Aufständischen kämpften, ging in Lodz die deutsche Besatzungspolitik mit extremer Härte gegen Unterzeichner der Deutschen Volksliste vor, die versuchten, sich Einberufungen zu entziehen. 45 46 47

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„Nie stawił się też delegat ZZZ, Niemiec Branzajs. Zaczął pracować jako konduktor tramwajowy. Widziałem go na liniach podmiejskich tramwai. Różnie o nim mówiono. Początkowo nie chciał przyjąć Volkslisty. Później, pod presją gestapo przyjął ją.“ Ebd., S. 137. Ebd., S. 138. Genannt werden von Serwatka Maximilian Johann Reiner, Otto Pfeiffer, Kasimir Kobza, Egon Hau, die Brüder Kurt und Harry Bauer, Alexander Beck und Reimund Richter, vgl. Władysław Góra, Stanisław Okęcki, Walczyli o nowe Niemcy. Niemieccy antyfaszyści w ruchu oporu na ziemiach polskich. Warszawa 1972, S. 137; Marek Zybura, Im gemeinsamen Haus. Zur Geschichte der Deutschen in Polen. Berlin 2019, S. 117. In beiden Publikationen wird das Ereignis fälschlich auf den August 1941 datiert, die Namen sind zudem stark korrumpiert. Acht Personen „pochowano przy murze cmentarza ewangelickiego na Dołach“ ; 17 seien nach Posen gebracht worden, Zygadlewicz, Na cichym froncie, S. 379. Tatsächlich befindet sich das Grab mitten auf dem Doły-Friedhof und ist bis heute erhalten, die Grabplatten zeigen die Namen von Aleksander Bek, Otto Pfeifer, Kazimierz Kabza, Egon Han, Kurt Bauer, Harry Bauer, Richter (ohne Vorname) und Maksymilian Riemer. Ich danke Kajetan Stobiecki für die Recherche in den Friedhofsregistern und die Anfertigung eines Fotos. Góra, Okęcki, S. 137.

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Zugleich mündete die Einführung der Deutschen Volksliste in eine alltägliche und spür­ bare Ungleichbehandlung der deutschen und polnischen Arbeiter: Es wurden getrennte Kantinen eingerichtet und auch in der Arbeitswelt kam es zu einer weitgehenden Trennung. Allerdings wurden auch für die deutschen Arbeiter die Arbeitszeiten ver­ längert und die Verpflegung verschlechterte sich, worauf es 1940 sogar zu einem Warn­ streik der deutschen Beschäftigten bei Horak kam.50 Personen offensichtlich deutscher Abstammung, die die Volksliste nicht annahmen, wurden schikaniert, ab 1941/42 auch in Arbeits- und Konzentrationslager eingewiesen, wobei Lucjan Kieszczyński einige Fälle nennt.51 Lebensweltlich besonders enge Verbindungen gab es vielfach unter „einfachen Leuten“. Gerade unter den Lodzer Armen musste man sich arrangieren, wenn man um das tägliche Brot kämpfte. Da die Bevölkerung teilweise säkularisiert war, alle Kirchen aber gemischtkonfessionelle Ehen ungern sahen und Ehescheidungen bis 1939 das Einverständnis der Religionsgemeinschaften erforderten, ja mit Kirchen­ strafen belegt wurden, lebten vor 1939 viele Lodzer ohne Trauschein zusammen, auch in gemischtkonfessionellen deutsch-polnischen Beziehungen. In diese Beziehungen drang nun die DVL normierend ein – Deutsche sollten nicht mehr mit Polen zusammenleben. Der Arbeiter Oskar Ziebart wurde des Zusammenlebens mit einer Polin beschuldigt und von der Gestapo vorgeladen. Er gab daraufhin zu Protokoll: „Seit 1939 ist die Polin Pelagia Chojnacka bei mir als Haushälterin. Ich bewohne in der Friedrich Gossler Str. 33 eine einräumige Wohnung und die Ch. schläft ebenfalls dort. Ich gebe zu, daß ich mit dieser Polin geschlechtlich verkehre. Ich habe nicht die Absicht, diese Frau zu heiraten. Wie die Ch. den Deutschen gegenüber eingestellt ist, kann ich nicht sagen. Mir gegenüber hat sie sich nicht deutschfeindlich ausgelassen. […] Mir ist nicht bekannt, daß die Ch. gegenüber den deutschen Mitbewohnern eine deutschfeindliche Haltung eingenommen hat. Über Bodenschlüssel und Reinigungsangelegenheiten hat es in diesem Hause schon immer Streitigkeiten gegeben und das war auch zur poln. Zeit. Nach meiner Ansicht hat die Haushälterin immer auf Ordnung und Sauberkeit gehalten.“52 Offensichtlich war die deutsch-polnische Lebensgemeinschaft von Nachbarn denunziert worden und geriet nun unter Druck – der Deutsche Ziebart zeigte sich aber in seiner Stellungnahme auch unter dem Druck der Vernehmung nicht bereit, das Verhältnis aufzugeben. Gerade unter einfachen Leuten war „Nationalität“ eine abstrakte Größe, die wenig Bedeutung besaß: So berichtete der Bearbeiter der DVL über die Vorladung Peter Müllers aus Konstantynów, der erklärte: „Ich lebe mit der Polin Sophie Urbaniak seit 9 Jahren in wilder Ehe zusammen, aus diesem Verhältnis stammen 2 Kinder, zwei Jungen, einer 50 51 52

Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 154–155. Ebd., S. 160. Maschinenschriftl. Vernehmungsprotokoll Oskar Ziebarts, Litzmannstadt, 27.3.1941, in: AP Łódź, Geheime Staatspolizei Litzmannstadt, 30, Bl. 91; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 287.

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8 Jahre, der zweite zwei Monate. Als in Konstantynow die Volksliste tätig war, habe ich mich auch dort gemeldet und wollte zu gleicher Zeit auch Fragebogen für Sophie Urbaniak und das Kind haben, weil ich sie nicht herausbekam, verzichtete ich auch auf meine Fragebogen und seit dieser Zeit bemühte ich mich auch nicht mehr darum. […] Am 4. Juli bekam Sophie Urbaniak eine Vorladung vom Staatl. Gesundheitsamt, dort vor­ zusprechen. Dort wurde an sie die Frage gestellt, ob Peter Müller Pole sei, er müßte doch als Pole die Heiratsgenehmigung bekommen, darauf erwiderte Sophie Urbaniak, er sei Pole. Zusatz: Als ich ihm die Fragebogen ausgeben wollte, verweigerte Peter Müller die Annahme derselben mit der Begründung‚ wenn ich für die Frau und die Kinder keine Fragebogen bekomme, brauch ich auch keinen‘.“53 Familie und nicht Nation, so kann man diese Position zusammenfassen. Es gibt in den umfangreichen DVL- und Gestapo-Akten mehrere Hundert solcher Fälle, in denen lokale multinationale Lebenswelten unter den Druck der rassistischen deutschen Bevölkerungspolitik gerieten. Die soziale Struktur der Industriestadt Lodz ließ sich offensichtlich nicht mit den auf Bevölkerungstrennung und Rasse aus­ gerichteten Vorgaben der NS-Bevölkerungspolitik vereinbaren. In vielen Fällen besitzen wir nur Momentaufnahmen, wir wissen nicht, wie die Betroffenen in wechselnden All­ tagssituationen auf wiederholte Denunziation, Schikanen und Gestapo-Vorladungen reagiert haben. Auf jeden Fall kann man hier von einer lokalen Resistenz gegen NS-Vor­ gaben sprechen, viele deutschsprachige Lodzer hatten kein Interesse, den absurden, wirklichkeitsfremden und rassistischen NS-Vorgaben zu folgen. Biographien zwischen Resistenz und Karrierismus Angesichts der geschilderten Umstände waren die Karrieremöglichkeiten der Lodzer Deutschen prekär. Die Karriere des völkischen Lokalmatadors Ludwig Wolff hatte sich zunächst erfolgreich angelassen: Er war zum NSDAP-Kreisleiter ernannt und mit dem verhältnismäßig hohen Rang eines SS-Obersturmbannführers ausgestattet worden. Zugleich wuchsen allerdings bereits 1940/41 die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen in Litzmannstadt: Wolff galt als Vertreter der Lodzer Deutschen, er wurde im September 1941 von seinem Amt als Kreisleiter in Litzmannstadt-Stadt, wohl aufgrund von Konflikten mit Reichsdeutschen, entbunden und stieg im NS-System kaum noch auf (lediglich 1943 Ernennung zum SS-Standartenführer). Die Hintergründe für den Karriereknick sind unklar. Wolff nahm anschließend an Schulungen der SS und der Waffen-SS teil und war als „Weltanschauungslehrer“ an SS-Schulen eingesetzt. In der prekären Situation im August 1944 – sowjetische Truppen standen 120 km entfernt an der Weichsel – versuchte er mit seiner Familie aus Lodz zu fliehen, wurde aber aufgegriffen 53

Maschinenschriftl. Protokoll A. Fechts, Litzmannstadt, 24.7.1941, in: AP Łódź, Deutsche Volksliste, 103, Bl. 52; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 285.

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und konnte nur dank der Intervention des Oberbürgermeisters und SS-Kollegen Otto Bradfisch ein polizeiliches Ermittlungsverfahren verhindern.54 Insgesamt war das für eine Person, die sich im Alter von 30 Jahren 1938 als „Führer des Lodzer Deutschtums“, ja aller „Auslandsdeutschen“ geriert hatte, eine bescheidene Karriere. Der Journalist Kurt Seidel, vor 1939 bei der Zeitschrift „Zelte im Osten“ und bei der nationalistischen „Freien Presse“ tätig, machte im Zweiten Weltkrieg als Chefredakteur der auflagenstärksten polnischsprachigen Zeitung im Generalgouvernement, dem „Nowy Kurier Warszawski“, Karriere. Die Zeitung schrieb für eine kollaborierende polnische Öffentlichkeit und suchte die deutsche Politik zu legitimieren. Im Warschauer Milieu arbeitete eine ganze Gruppe von zweisprachigen Lodzer deutschen Publizisten und Journalisten, so Dr. Karl Grundmann und Karl Dietrich, tätig waren auch – wahrschein­ lich auf Vorkriegskontakten beruhend – polnische Lodzer Journalisten.55 Gerade die traditionelle Lodzer Unternehmerschicht wurde als polonophil und nicht hinreichend „deutschbewusst“ angesehen. Das galt auch für Teodor Finster, der seit 1901 eine Fabrik für Plüschstoffe und Teppiche (ul. Kilińskiego / Buschlinie) betrieb, die in der Zwischenkriegszeit ca. 350 Personen beschäftigte. Finster hatte 1940 erhebliche Probleme, seine Firma fortzuführen und erklärte an Eides statt: „Auf die durch Ver­ mittlung der Beamten des Außendienstes der ‚Deutschen Volksliste‘ erhobenen Vorwürfe erkläre ich folgendes: Polnisch-evangelische Gemeinde – ich bin oft gewarnt, ja sogar bedroht worden und es sind wiederholt seitens der polnischen politischen Polizei […] Erkundigungen über meine politische Zuverlässigkeit eingezogen worden. – Aus diesem Grunde hatte ich mich, als die Frage der evangelischen Religion mit dem Deutschtum identifiziert wurde, entschlossen, aus der St. Johannisgemeinde auszutreten und der Polnisch-Evangelischen Gemeinde anzugehören, als man dies von mir erwartete. […] Bekanntmachung gegen den Gebrauch der deutschen Sprache in meinem Werk – wie ich nach Umfrage in dieser Angelegenheit erfahre, war kurz vor Ausbruch des Krieges eine derartige Bekanntmachung ausgehangen worden. – Hierzu ist meine Genehmigung nicht eingeholt worden, und ist dies scheinbar seitens des damaligen polnischen Fabrik­ verwalters auf behördliche Anordnung erfolgt. – Aber selbst wenn ich es damals erfahren hätte, hätte ich bei der in der letzten Zeit im Betrieb herrschenden Stimmung nicht dagegen zu arbeiten gewagt, da man bei im Betrieb stattgefundenen Arbeiterversammlungen Drohungen gegen mich persönlich, als Deutschen, ausgestoßen hat. – Beeinflußung deutscher Gefolgschaftsmitglieder – jeder, der die Verhältnisse hier damals kannte und der gesehen und gehört hatte, wie in verschiedenen hiesigen Betrieben die Deutschen 54 55

AP Łódź, Stadtverwaltung Litzmannstadt – Büro des Oberbürgermeisters Bd. 4/II Schriftverkehr mit Parteidienststellen. Klaus-Peter Friedrich, Publizistische Kollaboration im sog. Generalgouvernement. Personen­ geschichtliche Aspekte der deutschen Okkupationsherrschaft in Polen, in: Zeitschrift für Ostmittel­ europaforschung  48 (1999), H.  1, S.  50–89. In der Erinnerung der Lodzer Deutschen war Seidel ein Opfer, auf der „Ehrentafel der Verluste des Lodzer Deutschen Gymnasiums im Zweiten Weltkrieg“ hieß es „ermordet auf der Flucht“, vgl. Penne, Pauker und Pennäler, S. 9.

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unter Johlen und Pfeifen von ihrer Arbeitsstätte entfernt worden sind, hat sich Rechen­ schaft darüber geben müssen, was die Aufforderung der damaligen Wojewodschaft um eine Aufstellung der Gefolgschaftsmitglieder mit Angabe der Nationalität bedeutete, und daß sie nur den Zweck hatte, die Deutschen ihrer Arbeit zu berauben. – Ich habe nach bestem Gewissen als Deutscher gehandelt, wenn ich diejenigen Gefolgschaftsmitglieder, die sich als Deutsche deklariert hatten, darauf aufmerksam gemacht habe, daß dies wirtschaftliche Folgen für sie ergeben könnte, da, wie die Situation damals stand, im Falle irgend welcher Repressalien behördlicherseits, ich persönlich keine Möglichkeit gehabt hätte, sie zu schützen. – Mir heute dafür politische Motive, oder gar Verfolgung deutscher Gefolgschaftsmitglieder unterschieben zu wollen, ist eine Wendung, die mich fassungs­ los macht, und die ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen muß. […]. Zusammen­ fassend erkläre ich: Vorkämpfer fürs Deutschtum war ich nicht, jedoch habe ich nie und unter keinen Umständen bewußt zum Schaden deutscher Volksgenossen gehandelt, die­ selben im Gegenteil direkt und indirekt nach besten Kräften unterstützt. – Daß ich damit recht getan habe, ist mir doppelt zum Bewußtsein gekommen beim Lehrgang der DAF in der Gauschulungsburg in Waldborn [Łagiewniki, H.-J.B.], an dem ich als Betriebsführer teilgenommen habe, wo ich erst den hehren Sinn der heutigen Nationalsozialistischen Deutschen Staatsführung erkannt habe.“56 Finster hatte mit seinem ausführlichen Rechtfertigungsschreiben, in dem er der NSPolitik geradezu devot Konzessionen machte, Erfolg. Ihm muss allerdings zugutege­ halten werden, dass er die möglichen Folgen von Widerstand – die Ermordung Robert Geyers und Guido Johns im Dezember 1939 – kannte. Der Betrieb Finsters expandierte im Zweiten Weltkrieg und produzierte mit ca. 900 Mitarbeitern vor allem für den Wehr­ machtsbedarf Decken und Stoffe. Ein anderer Angehöriger der Oberschicht, der Jurist Walter Kindermann57 bemühte sich im Frühjahr 1940 – das erhaltene Fragment des Antrags ist nicht datiert – eben­ falls aus beruflichen Gründen um die Aufnahme in die DVL: „Ich ersuche: um meine und meiner Familie Eintragung in die Volksliste und begründe die Dringlichkeit meines Antrages damit, daß ich vor solcher Eintragung nicht zur Ausübung meines Berufes am hiesigen Landgericht zugelassen werden kann. Am 11. Juni 1896, in Lodsch als Sohn des volksdeutschen Industriellen Eduard Kindermann und seiner Ehefrau Louise van den Hende, belgisch-flämischer Herkunft, – geboren, bin ich in deutscher Tradition auf­ gewachsen. Ich besuchte anfänglich das Staatsgymnasium in Lodsch und absolvierte im Jahre 1915 das Gymnasium in Moskau. […] Ich habe in diesen Jahren meine Rechts­ anwaltskanzlei ohne Socius geführt und mir eine für hiesige Verhältnisse bedeutende Praxis geschaffen. Meine Mandanten rekrutieren sich fast ausschließlich aus hiesigen 56 57

Maschinenschriftl. Schreiben (Durchschlag) Teodor Finsters an die Deutsche Volksliste in Litzmannstadt, Litzmannstadt, 1.8.1940, in: AP Łódź, Deutsche Volksliste, 88, Bl.  58–62; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 215–219. Ausführlich zur Biographie Kindermanns: Bömelburg, Made in Lodz, S. 322–328.

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deutschen Kreisen sowie aus dem Altreich und aus dem Ausland. Insbesondere war ich die letzten ca. 12 Jahre Vertrauensanwalt des Deutschen Konsulats in Lodsch und habe ich als solcher in sehr vielen Fällen bedürftigen Volksgenossen Rechtshilfe im Armenrecht geleistet. […] Politisch war [sic!] ich in keiner Weise tätig gewesen. Doch habe ich versucht, der hiesigen deutschen Bevölkerung als Mitglied des ‚Evangelischen Philantropischen Vereins‘ und Vorstandsmitglied des St. Johannis Krankenhauses von Nutzen zu sein.“58 Kindermann gehörte zur absoluten Wirtschaftselite von Lodz, seine Verwandten waren Fabrikanten und Mitglieder des Bürgerkomitees, unterzeichneten dann aber die Deutsche Volksliste. Aus dem „Evangelischen Philanthropischen Verein“ kannte Kindermann Kurt Pohlmann, den Direktor der Deutschen Genossenschaftsbank und Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP bis 1939, der seitdem in Litzmannstadt als Bevollmächtigter der übernommenen Banken agierte. Pohlmann hatte Einfluss unter den Besatzungsbehörden.59 Kindermann selbst war jedoch mit einer Frau aus einer russ­ ländischen Familie verheiratet, die erst im 19. Jahrhundert aus dem Judentum konvertiert war – und dies war mit der rassistischen NS-Bevölkerungspolitik nicht vereinbar. Jerzy Grohman, ein enger Freund, berichtete: „In der Besatzungszeit hatte er Probleme, denn seine Frau Nina war Jüdin. Er konnte keine Rechtsanwaltspraxis führen, arbeitete nur als Berater. Er löste die Wohnung in Lodz auf, mietete eine zweite in Wien, dort meldete er formal Frau und Tochter an und selbst wohnte er in der leeren Villa meines Onkels [Henryk Grohman, H.-J.B.] an der ul. Emilii, d.h. Tymienieckiego 24. Heimlich holte er seine Frau wieder zurück, sie saß zusammen mit ihm in der Villa und ging nirgend­ wohin.“60 Kindermann glückte es, seine Familie 1945 nach Wien zu retten. Er arbeitete dort als Wirtschaftsanwalt mit guten Verbindungen in Kultur und Politik; erstaunlich ist insbesondere seine spätere Tätigkeit als persönlicher Dolmetscher des österreichischen Bundeskanzlers Julius Raab, den er 1955 bei der Aushandlung des Österreichischen Neutralitätsvertrags nach Moskau begleitete.61 Anschließend war er als Wirtschafts­ attaché an der österreichischen Botschaft in Moskau tätig. Der Lodzer deutschsprachige Mittelstand, vielfach Geschäfts- und Hausbesitzer, profitierte zunächst von der Ausschaltung der jüdischen und polnischen Konkurrenz. 58 59 60

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Maschinenschriftl. Schreiben (Durchschlag) Walter Kindermanns an die Deutsche Volksliste, o.D. [Anfang 1940], in: AP Łódź, Akten von Lodzer Rechtsanwälten, Anwaltskanzlei Walter Kindermann, 458, Bl. 32; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 237–239. Spodenkiewicz, Piasek, S. 84; zu Pohlmann, Loose, Kredite für NS-Verbrechen, S. 134–135. „W czasie okupacji miał problemy, gdyż jego żona Nina była Żydówką. Nie mógł mieć praktyki prawnej, był tylko doradcą firmy. Zlikwidował mieszkanie w Łodzi, wynajął drugie w Wiedniu, tam formalnie przeniósł żonę i córkę, a sam zamieszkał w pustej willi stryja przy ulicy Emilii, czyli Tymienieckiego 24. Po cichu sprowadził z powrotem żonę, ona siedziała razem z nim w tej willi i nie wychodziła nigdzie.“ Spodenkiewicz, Piasek, S. 85–86. Vgl. Walter Kindermann, Flug nach Moskau. Der persönliche Dolmetscher des Bundeskanzlers berichtet über die entscheidenden Tage der österreichischen Staatsvertragsverhandlungen, 11.–15. April. Wien 1955.

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Ließen sich die Unternehmer auf die nationalsozialistischen Spielregeln ein, konnten sie zudem polnische oder jüdische Betriebe als „Treuhänder“ oder „Verwalter“ im Namen der Haupttreuhandstelle Ost in die Hand bekommen und daraus Einnahmen erzielen. Deutsche beanspruchten Wohnungen, Grundstücke und Betriebe, griffen dabei wieder­ holt auch auf persönliche Beziehungen und Bestechungszahlungen zurück, wodurch ein weitreichendes System von Nepotismus und Korruption in Behörden und Institutionen entstand. Im sog. Tabarin-Prozess vor dem Sondergericht Litzmannstadt, es ging um die Übernahme des größten Lodzer Vergnügungslokals, kamen umfangreiche Bestechungs­ zahlungen und Vergünstigungen ans Tageslicht.62 Die Treuhänderhonorare, die gezahlt wurden, galten vielfach als überhöht. In der Fachliteratur immer wieder genannt wird der Fall des Kaufmanns Kurt Lindener, der in Litzmannstadt und Dombrowa Unternehmen verwaltete und für eine einjährige Tätig­ keit ein extrem hohes Honorar von 23.950 RM erhielt.63 Da für Lodz Untersuchungen über die Rolle einzelner Treuhänder fehlen, ist es nicht möglich, zusätzliche Ein­ nahmen zu bestimmen und abzuschätzen, welchen „Nutzen“ die jeweiligen Personen und Familien aus ihrer Kollaboration mit dem nationalsozialistischen System zogen. Nachweisbar ist, dass einzelne Familien, die pro-nationalsozialistische Positionen ein­ nahmen, als „Treuhänder“ leicht und einträglich zum Zuge kamen. So konnte die Mutter des DVV-Kreisleiters und Führers des deutschen „Selbstschutzes“ Eugen Nippe, Wanda Nippe, mehrere jüdische und polnische Häuser von der Haupttreuhandstelle als Haus­ verwalterin übernehmen und so erhebliche Einkünfte erzielen.64 Schwer abzuschätzen sind informelle Karrierewege, die nur im Litzmannstädter Apartheidsystem möglich waren. Detailliert untersucht wurde der Fall des Schriftsetzers und Publizisten Otto Heike, der nach seiner Ablösung von der sozialistischen DSAP (1936) Verbindungen zu den nationalistischen deutschen Verbänden aufbaute und mit der „Freien Presse“ und der „Litzmannstädter Zeitung“ – teilweise unter Pseudonym – zusammenarbeitete. Der ehemalige (und nach 1945 erneute) Sozialist Heike publizierte dabei auch völkische und antisemitische Texte.65 Im Februar 1940 übernahm der Auto­ didakt, der kein Abitur besaß, die Leitung des Stadtarchivs bis Ende September  1941, bevor er zur Wehrmacht einberufen wurde. In dieser Zeit wurde das Stadtarchiv intensiv in die Erstellung der Deutschen Volksliste und in sippenkundliche rassische Arbeiten 62 63 64 65

Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, Dok. 32, 42, 54, 62, 87, 91, 92, 124, 125, 126. Bajohr, Parvenüs und Profiteure, S. 213. Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 129. Besonders drastisches Beispiel: Otto Heike, Juden-Getto schon vor hundert Jahren. Abwehrmaß­ nahmen gegen das Judentum im alten Lodsch, in: Litzmannstädter Zeitung  193 v 14.07.1940; dazu vor allem Thomas Fuchs, Die verlorene Welt und die anderen: Deutsche, Polen und Juden im Spiegel der deutschen Lodz-Historiographie. Eine Betrachtung am Beispiel der Arbeiten von [Eugen] Oskar Kossmann und Otto Heike, in: Hensel, Polen, Deutsche und Juden, S. 87–99; deutlich positivere Ein­ schätzung Heikes: Na pograniczu „Ostforschung“. Przyczynek do historycznego pisarstwa i biografii politycznej Ottona Heike, in: Otto Heike: Niemiecki dziennikarz, S. 23–41.

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integriert.66 Möglich wurde die Tätigkeit in dieser Leitungsposition, die auch die Dienst­ aufsicht über professionelle Historiker wie Dr. Roman Kaczmarek umfasste, nur durch den Grundsatz, dass ein Deutscher an der Spitze der städtischen Einrichtung zu stehen hatte. Es ist davon auszugehen, dass ein solcher beruflicher Aufstieg und solche Karrieren ohne tatsächliche Qualifikationen für zahlreiche Lodzer Deutsche möglich waren. Einen typologisch besonderen Fall bildeten Karrieren junger Frauen in den letzten Kriegsjahren. Durch die Einberufung und den Tod von Männern waren gehobene Positionen in der Verwaltung frei, in die Frauen vordringen konnten. Die junge Balten­ deutsche Erika Carlhoff kam mit knapp 17 Jahren nach Lodz und arbeitete ab 1943 als Stenotypistin, dann als Sekretärin bei der Litzmannstädter Ordnungspolizei. 1944 kam sie zur Kriminalpolizei, ab dem 1. Dezember 1944 wurde sie dort regulär als Kriminal­ angestellte eingestellt und nahm noch an der Jahreswende 1944/45 an umfangreichen Ermittlungen in Schiebungs- und Korruptionsfällen gegen Litzmannstädter Kaufleute und Polizeiangestellte teil.67 Da ab 1943 wehrfähige Männer vielfach aus Betrieben und Behörden „ausgekämmt“ wurden und in die Wehrmacht eintreten mussten, bot diese Situation Aufstiegschancen für Frauen.68 Opposition und Widerstand Gab es Situationen, Gruppen und Personen in der deutschen Bevölkerung Litzmannstadts, wo man von Opposition oder gar Widerstand gegen den Nationalsozialismus sprechen kann? Gut belegt ist die Unterstützung in nationalen Kreisen für den ehemaligen Direktor des Lodzer Deutschen Gymnasiums, Władysław Głuchowski. Dieser berichtete darüber selbst brieflich: „Als am 9. Januar 1940 alle polnischen Schulen in Lodz geschlossen wurden, war ich vorübergehend in der Buchhandlung Gebethner & Wolff tätig. Im März des gleichen Jahres wurde ich aus der Wohnung gewiesen und verhaftet. In diesen beiden Fällen hat sich die deutsche Lehrerschaft mit gutem Erfolg für mich bei der Besatzungs­ macht eingesetzt. Da ich in Lodz, das mittlerweile in Litzmannstadt umbenannt worden war, weiterhin ernsthaft gefährdet war, hat sich Herr Waldemar Schmidt, mein Nach­ folger am Gymnasium, an seinen Studienfreund Hans Fuhr, der seinerzeit als Referent für Schulwesen beim Gouverneur in Warschau arbeitete, mit der Bitte gewandt, mich mit einer Aufgabe im Warschauer Schulwesen zu betreuen.“ Głuchowski wurde darauf­ hin nach Warschau abgeordnet und kümmerte sich dort als „Inspektor der polnischen 66 67 68

Bernard Sobiczewski, Otto Heike i Archiwum Miejskie w Łodzi w czasach II wojny światowej, In: Otto Heike: Niemiecki dziennikarz, S. 67–80. Vgl. Maschinenschriftlicher Tagebucheinträge Erika Carlhoffs, Litzmannstadt, 01.–11.01.1945, in: Erika Seidel-Carlhoff, Erlebt in jenen Tagen. Bd. 2, S. 1–2, Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Welt­ krieg, S. 298–300. Ein weiteres verfremdetes Beispiel bei Weisse, Töchter der Weber, S.  236–237 (Arbeit im Polizeipräsidium).

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Berufsschulen“ vor allem um die ehemalige Warschauer Technische Hochschule, wo es einen breiten polnischen Untergrund gab.69 In einer Situation, in der die „polnische Intelligenz“ in Lodz systematisch verfolgt und ermordet wurde, wird man das Verhalten einer ganzen Gruppe deutscher, vielfach auch nationalsozialistischer Lehrer in diesem Einzelfall als deutlichen Protest gegen eine unterschiedslose Verfolgung auch von pro­ deutsch eingestellten Polen werten müssen. Weitgehend unklar sind die Einstellungen und Handlungsweisen des harten Kerns der Lodzer deutschen Sozialisten aus der DSAP im Zweiten Weltkrieg. Verbliebene Sozialisten wurden von ehemaligen nationalistischen Gegnern beobachtet und überwacht. In welchem Ausmaß waren sie gegen NS-Einflüsse resistent oder agierten sogar im Wider­ stand? Im Umkreis deutsch-polnischer DSAP- und PPS-Aktivisten wurde in den 1970er und 1980er Jahren wiederholt behauptet, mehrere Hundert ehemalige DSAP-Mitglieder hätten sich am Untergrund beteiligt und Widerstandsorganisationen aufgebaut.70 Für diese Behauptungen gibt es keinerlei Belege, sie wirken angesichts neuerer Forschungen über die Durchdringung des polnischen Widerstands in Lodz (vgl. S. 249) und angesichts der Dichte von alltäglichen Denunziationen durchweg als nicht haltbar. Gut belegbar ist in vielen Fällen ein menschlich anständiges, auf Ausgleich und Unterstützung bedachtes Verhältnis mit der polnischen Nachbarschaft. Doch kann man dabei keinesfalls von Widerstand sprechen, eher sollte man eine partielle Resistenz annehmen. Solches würde etwa auf die Weberfamilie Schönknecht in Zgierz zutreffen, eine alte DSAP-Familie, die auch im Kriege im Rahmen ihrer Möglichkeiten die polnische Umgebung unterstützte, Exzesse zu verhindern suchte und Nachrichten über eine bevorstehende Zwangsaus­ siedlung an die polnischen Nachbarn weitergab.71 In mindestens drei Fällen ist jedoch Resistenz und auch Widerstand biographisch belegbar. Das DSAP-Mitglied Wilhelm Zinser arbeitete als Unterabteilungsleiter bei der Sozialversicherungsanstalt in Litzmannstadt. Nach einer Denunziation wurde er am 09. September 1943 verhaftet und vor dem Volksgerichtshof Berlin angeklagt: Er habe ver­ sucht, „planmäßig den Glauben an den Endsieg Deutschlands zu untergraben“ und die „Zersetzung der Wehrkraft des deutschen Volkes“ betrieben. Als „eingefleischter Marxist“

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70 71

Georg Oberländer, Władysław Głuchowski – ein aufrechter Mentor und Mittler, in: Jahrbuch WeichselWarthe  38 (1992), S.  86–91; dort auch S.  90 Faksimile eines Briefes der deutschen Lehrerschaft an Głuchowski, 19.11.1939: „Wir werden stets in Dankbarkeit daran zurückdenken, wieviel Verständnis Sie für unsere Lage und unsere völkische Not hatten, und wir wollen es nie vergessen, daß Sie unser Deutsches Gymnasium bis zur Gefährdung Ihrer eigenen Existenz verteidigt und vor den ärgsten Maß­ nahmen der Behörden geschützt haben. In Dankbarkeit und Verehrung die Lehrerschaft am L.D.G.“ Blachetta-Madajcyzk, Klassenkampf, S.  259–261 mit deutlicher Skepsis; die letzte Äußerung Georg  W.  Strobels, dessen Vater DSAP-Mitglied war, in Strobel, Das multinationale Lodz, S.  214 ist deutlich optimistischer, wurde aber vom Autor nach Mitteilung des Sohnes nicht mehr autorisiert. Leo Schönknecht, Politik bestimmte mein Leben. Erinnerungen. o.O. 2010, S.  12–13, 17, 61–63, 79, 85–86, 89, 109.

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wurde er daraufhin zum Tode verurteilt und am 13. Dezember 1943 trotz familiärer Gnadengesuche hingerichtet.72 Emil Zerbe überlebte den Zweiten Weltkrieg trotz einer Sonderfahndung nach seiner Person im Versteck oder im Untergrund. Über nähere Details seines Überlebens hat er niemals berichtet. Auch die Familie hat – möglicherweise um im kommunistischen Polen Dritte zu schützen – dieses Schweigen auch nach seinem frühen Tod nicht gebrochen.73 Schließlich kann noch die Biographie Adolf Capfs, eines deutsch-polnischen Sozialisten, genannt werden. Er floh 1939 aus Lodz und arbeitete 1941–1944 in Buczacz in Galizien, half dort mit seiner Frau Halina der Familie Borejsza, Wita Kaswiner und Bronisława Palek beim Überleben. Capf kehrte nach 1945 nach Lodz zurück und wurde als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.74 Dabei handelt es sich jedoch um Einzelfälle. Es gibt keine darüber hinaus gehenden Belege, größeren Gruppen aus dem ehemaligen DSAP-Milieu einen Widerstand zuzu­ schreiben. Die bekannten Biographien anderer ehemaliger Lodzer Sozialisten – neben Heike etwa Gustav Ewald oder Ludwig Kuk – deuten in der Breite eher auf ein SichArrangieren mit dem NS-System, ja eine Übernahme nationalistischer Mentalitäten hin. Im bürgerlichen deutschen Milieu gab es besonders dort eine höhere Resistenz, wo die Familien engere Verbindungen mit der polnischen Kultur besaßen. Das galt etwa für die Familie Seipelt: Paul (Pawel) Emil Seipelt, Betriebsdirektor und Vorstandsmitglied der Karol Eisert AG, kaufte seiner Tochter Charlotte Seipelt (Szarlotta Seipeltówna, 1909– 1992) eine Buchhandlung an der ul. Piotrkowska 47, die sich in den 1930er Jahren auch zu einem auf regionale Publikationen spezialisierten Verlag mauserte (vgl. S. 91). Charlotte Seipelt wollte zunächst die DVL nicht unterzeichnen und deshalb entzog man ihr 1940 die Leitung des Unternehmens. Als Verwalter wurde zunächst der Verlagskaufmann, Journalist und Übersetzer aus dem Lettischen Willi Stöppler eingesetzt, der jedoch als Liberaler und Lettophiler in die Wehrmacht eingezogen wurde; die Verwaltung über­ nahm nun Harry Wunderlich. Die Seipelts nahmen schließlich die DVL doch noch an. Charlotte heiratete am 7. November 1942 den Kaufmann Richard Frankus. Die Familie soll nach mehreren übereinstimmenden Berichten während der gesamten Kriegszeit polnische Freunde unterstützt haben und floh 1944 nach Wien.75

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BA, ehem. BDC, Akte Wilhelm Zinser, Bericht einer „Vertrauensperson“ v. 02.09.1943; dazu Heike, Deutsche Arbeiterbewegung, S.  119–120, 127–128; Heike, Leben, S.  143–146; Blachetta-Madajczyk, Klassenkampf, S. 263. Ebd., S. 260–262. Jerzy W. Borejsza, Ostaniec, czyli ostatni świadek. Warszawa 2018, dort Skizze über Capf S. 492–495. Jan Rogoziński, Los książki polskiej i księgarstwa pod okupacją niemiecką w Łodzi, in: Przegląd Księgarski (1946), Nr 5, S. 91–94; Jacek Strzałkowski, Drukarnie i księgarnie w Łodzi do 1944 roku. Łódź 1999; Janina Krakowiak, Od Fiszera do »Pegaza«: 123 lata łódzkiej księgarni. Księgarnie łódzkie okresu międzywojennego. Łódź 2005.

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Terror: Wissen und Verdrängung In den Alltag aller Menschen in Litzmannstadt drangen ohne Frage die Nachrichten über Todesurteile und Hinrichtungen in Stadt und Umgebung ein, zumal sie in der Presse publiziert und durch Anschläge in den Straßen bekannt gemacht wurden. So hieß es etwa in einem in der Stadt plakatierten Anschlag vom 24. Januar 1942 „Bekanntmachung – Das Sondergericht Litzmannstadt hat zum Tode verurteilt“. Auf dem Plakat schlossen sich die Namen von sieben zum Tode verurteilten Polen an.76 Solche Plakate und Anschläge waren im Stadtbild an der Tagesordnung, mehrere Dutzend Gerichtsurteile und Hin­ richtungen aus den Jahren 1940–1944 wurden wiederholt plakatiert. Zumindest unter den Vertretern der deutschen lokalen Behörden war das Wissen über die summarischen Erschießungen 1939/40 allgemein verbreitet. So fragten etwa städtische Vertreter im Oktober 1940 an, ob es „aus politischen Gründen“ opportun sei, die Opfer von Massenerschießungen auf dem Militärschießplatz bei Brus durch „polnische Hilfskräfte“ exhumieren zu lassen.77 Auch anderswo war unklar, wie mit den Massengräbern der Terroropfer umzugehen sei. In den Wäldern westlich von Lućmierz wurden seit 1939 über 1.000 Terroropfer ver­ scharrt, darunter der Großteil der Opfer der Morde im Herbst 1939, jüdische Opfer aus dem Jahre 1940 und die Opfer einer Massenexekution in Zgierz im März 1942.78 Allerdings lag in ca. 2 km Entfernung dieser Massengräber die traditionsreiche Sommerfrische an der Linda79 und das deutsche Landschulheim Linda-Grotniki an dem gleichnamigen Flüsschen, weiterhin lagen auch deutsche Umsiedlerlager in der Nähe. Unweit der Massengräber wurde deshalb zunächst eine Reiter-SS-Einheit stationiert, 1944 wurden die Massengräber exhumiert und die Überreste der Lecihen verbrannt.80 Schaudern lässt angesichts dieser Tatsachen ein Bericht des letzten Direktors der General-von-BriesenSchule (bis 1940 Lodzer Deutsches Gymnasium), der 1942 von Lućmierz durch den Wald nach Grotniki spazierte und dort „erstes zartes Birkengrün“ und eine „anspruchslose Schönheit dieser Landschaft“ gesehen haben wollte.81 Erhebliches Aufsehen erregten öffentliche Hinrichtungen: Als Vergeltung für einen von der polnischen Dorfbevölkerung nach der Aufdeckung einer Schwarzschlachtung ermordeten Gendarmerie-Wachtmeister wurden am 11. Mai 1941 öffentlich 14 Polen 76 77 78 79 80 81

Faksimile bei Radziszewska, Tonąca Łódź, Abbildungsteil. Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 134. Erinnerungstafel an der Strecke Lućmierz-Grotniki (Droga krajowa 91), vgl. Anna Lewkowska, Wojciech Walczak, Zabytkowe cmentarze i mogiły w Polsce. Województwo łódzkie / na podstawie kart cmentarzy i wizji terenowych. Warszawa 1996. Vgl. Ein Sonntag an der Linda. A Lodza Gedicht, in: Kucner/Rieke, Literatura w cieniu, S. 139–141. Olgierd Ławrynowicz, Czas po egzekucji. Z badań nad lokalizacją pochówku ofiar zbrodni zgierskiej w lesie lućmierskim, in: Janusz Wróbel (Hg.), „Dziś za jednego Niemca śmierć poniesie 50 Polaków“. Łódź 2013, S. 111–134. Rudolf Bückmann, Erinnerungen an die General-von-Briesen-Schule, in: Weigelt, Penne, Pauker und Pennäler, S. 55–64, hier 57.

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in Wiskitno südwestlich von Lodz hingerichtet und 28 weitere Personen in Lager ein­ gewiesen. Der Kreisleiter Litzmannstadt-Land Herbert Mees berichtete einen Monat später an seine Vorgesetzten: „Die oben erwähnte Exekution der Polen in Wiskitno hat unter der deutschen Bevölkerung eine allgemeine Genugtuung ausgelöst und ins­ besondere auf dem flachen Lande außerordentlich wohltuend gewirkt. Das Gefühl der Unsicherheit für die in starker Streusiedlung lebenden Deutschen ist dadurch zweifel­ los gemindert.“82 Wie maß der Kreisleiter eine „allgemeine Genugtuung“? Und konnte tatsächlich eine öffentliche Exekution von Polen das Sicherheitsgefühl der deutschen Minderheitsbevölkerung auf dem Land verbessern? Noch erheblich größeres Aufsehen erregte die öffentliche Massenexekution von 100 Polen, darunter vier Frauen, am 20. März 1942 an einem zentralen Platz in Zgierz unweit des Stadtparks (heute Plac Stu Straconych – Platz der einhundert Hingerichteten). Im Bericht des Regierungspräsidenten Uebelhoer, der persönlich an der Hinrichtung teil­ nahm, hieß es: „2 Beamte der Gestapo bei der Entdeckung eines Waffenlagers von einem Polen erschossen und damit erneut bewiesen, daß der Volkstumskampf mit aller Härte und Entschlossenheit geführt werden muß. Die als Vergeltung durchgeführten Maßnahmen – Festnahme aller ehemaligen Offiziere und Unteroffiziere des ganzen Regierungsbezirks, Verbringung eines Teils hiervon ins Konzentrationslager und öffentliche Erschießung von 96 Polen und vier Polinnen haben ihre Wirkung nicht verfehlt.“83 Tatsächlich wurde die Hinrichtung als Vergeltung für die Erschießung von zwei Polizisten durch den Widerstandskämpfer Józef Mierzyński am 6. März inszeniert. Opfer waren vor allem in Gefängnissen einsitzende Mitglieder der polnischen Widerstands­ bewegung. Festgenommene, die familiäre Verbindungen zu deutschen Familien hatten, wurden bewusst ausgenommen. Für die Ausführung wurden am 20. März in Zgierz ca. 6.000 Polen durch Razzien zwangsweise herbeigeführt, die die bewusst in Etappen und langsam durchgeführte Exekution anschauen mussten.84 Diese größte öffentliche Hin­ richtung im Warthegau im Zweiten Weltkrieg vergiftete das Klima zwischen Polen und Deutschen weiter, von deutscher Seite wurde sie zumeist verdrängt. Als Beobachter der Erschießung nahmen auch Gruppen der Hitlerjugend, von polnischen Zeugen nach 1945 wurde behauptet, auch des BDM, teil.85 Nachdenklich macht, dass es zu der

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Maschinenschriftl. Bericht (Auszug) des Kreisleiters Herbert Mees, Litzmannstadt, 10.6.1941, in: AIPN Warszawa, GK 746/7, Berichte über die Bevölkerung in den Kreisen Lask, Leszno, Kreis Lodsch, Stadt Lodsch, Wielun 1941–44, Bl. 85–86, Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 272. Bericht Regierungspräsident v. 20.03.1942, Druck in: Łuczak, Położenie ludności, S. 39. Neueste polnische Darstellung mit Nennung der umfangreichen älteren, ausschließlich polnisch­ sprachigen Literatur: Janusz Wróbel (Hg.), „Dziś za jednego Niemca, śmierć poniesie 50 Polaków“. Materiały konferencji popularnonaukowej w Zgierzu, 20 III 2012. Łódź 2013. „Plac otaczali wieńcem również miejscowi hitlerowcy. […] Członkowie B.D.M. i Hitlerjugend przynieśli kwiaty …“. Ekspres Ilustrowany 63 (1946), S. 3.

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beispiellosen Hinrichtung keinerlei deutschsprachige Literatur gibt, ja das Thema in deutschen Erinnerungen geradezu übergangen und verschwiegen wird.86 Wahrnehmung des Gettos und jüdischer Menschen Insbesondere in den späteren Diskussionen im eigenen Familienkreis, mit nach­ geborenen Kindern und Enkeln wurde Lodzer Deutschen stets eine Frage gestellt: Was wusstest Du vom Getto und den Schicksalen der dort lebenden Menschen? Diese Frage stellt sich bis heute: Wie nahmen die Litzmannstädter das Getto wahr? Was wussten die deutschen Bewohner der Stadt über Hungertod, Terror und die Ermordung der Juden? Sehr gut in administrativen und gerichtlichen Quellen nachweisbar ist die „legale“ und illegale Bereicherung größerer Gruppen von Deutschen bei der Ausraubung der Juden.87 Deutsche wurden vielfach als Hausverwalter und Treuhänder eingesetzt, sie konnten in der Übergangszeit 1939/40 Zahlungen an jüdische Händler und Handwerker leisten oder aber solche unter Vorwänden oder aus nichtigen Gründen verweigern. Wanda Nippe, Mutter des Nationalsozialisten Eugen Nippe, war ab 1939/40 als Treuhänderin für die Verwaltung der von Juden oder Polen geraubten Häuser tätig. Sie führte im Juli 1940 in einem Schreiben an die Gettoverwaltung Folgendes aus: „betreffs die Schulden an den Juden Szaja Kuperberg teile ich mit, daß K. in den von mir verwalteten Häusern die Schlosserarbeiten ausgeführt hat. Da die geleistete Arbeit nicht zur vollsten Zufrieden­ heit erledigt war und außerdem zu teuer berechnet, zahlte ich ihm nicht wie gefordert RM 65.-, sondern RM. 45.- aus, womit ich die Rechnung als beglichen ansah. Ich betone ausdrücklich, daß die Arbeiten nicht in meinem persönlichen Eigentum, sondern in den von mir verwalteten Häusern, also Eigentum der Stadt, bzw. der Haupttreuhandstelle, ausgeführt wurden.“88 In Lodz war bis 1939 eine Kooperation zwischen deutschen und jüdischen Hand­ werkern wohl etabliert – Emanuel Ringelblum erwähnte in seinen Aufzeichnungen noch unter dem 9. Dezember 1939 unter dem Eintrag Lodz: „Symbiose der deutschen und jüdischen Handwerker: leihen sich Geld mit Zinsen.“89 Nach 1939 veränderten sich diese Geschäftsbeziehungen: In einer Reihe von Fällen zahlten deutsche Bürger ältere Schulden bei Juden nicht mehr zurück, beteiligten sich an deren Ausraubung90 oder 86 87 88 89 90

Erwähnung nur bei Schönknecht, Politik, S. 67–68. Zahlreiche Quellen bei Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 126–130, 133, 137–139, 191–193. Schreiben Wanda Nippes an die Gettoverwaltung Litzmannstadt, Litzmannstadt, 16.7.1940, AP Łódź, Stadtverwaltung Litzmannstadt, Gettoverwaltung, L-21552, Blatt  108; Druck: Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 129. „Symbioza niemieckich i żydowskich rzemieślników: pożyczają sobie pieniądze na procent.“ Archiwum Ringelbluma. Konspiracyjne Archiwum Getta Warszawy. Bd. 29: Pisma Emanuela Ringelbluma z getta. Bearb. v. Joanna Nalewajko-Kulikow. Warszawa 2018, S. 9 (8.12.1939). Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, Dok. 132, 133.

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verdienten später durch die Beteiligung an Warenlieferungen ins Getto oder durch Schmuggel.91 Im Juni und Juli 1941 versteigerte die Gettoverwaltung „Kristall, Teppiche, Fern- und Theatergläser, Uhren, Einzelmöbel“.92 Jedem Käufer musste klar sein, dass es sich hierbei um Gegenstände handelte, die zuvor jüdischen Menschen mit Gewalt abgenommen worden waren. Trotz aller behördlicher Bemühungen um Segregation führten auch nach der Ein­ richtung und Abschließung des Gettos im Mai 1940 die Straßenbahnlinien in die nördlichen Stadtteile mitten durch das Getto, wobei dessen Bewohner erst durch Stachel­ drahtzäune – die Eingesperrten sprachen von „Verdrahtung“ – dann durch Holzplanken, die die Sicht versperrten, von der restlichen Stadtbevölkerung abgegrenzt wurden. Zudem war, wenn wir die Zustände in der Straßenbahn, dem zentralen und beliebtesten Lodzer Verkehrsmittel, pars pro toto nehmen, ab Februar 1940 die Fahrt im ersten Waggon durch die Aufschrift „Nur für Deutsche“ nur „Deutschen“ gestattet, während der polnischen Mehrheitsbevölkerung nur der zweite Waggon (sofern es einen solchen gab) verblieb. Die Fahrt war für einen Teil der Deutschen, etwa für Arbeitnehmer oder Schüler, die nördlich des Gettos lebten und an ihre Arbeitsplätze und Schulen in der Innenstadt mussten, eine teilweise tägliche Notwendigkeit. Sie taucht auch in den Erinnerungen von vielen deutschen Lodzern auf: Ursula Brehmer, die aus der Familie Spieckermann stammte, musste in die Hohensteiner Straße (ul. Zgierska) umziehen, da das frühere Haus der Familie nun auf dem Gettogelände lag. Sie berichtete im Nachhinein: „Mit der Straßenbahn mußte ich täglich durchs Ghetto zur Schule fahren. Die Bilder, die sich mir einprägten, werden im Gedächtnis bleiben.“93 Ganz anders erlebte Ingrid Greiser, die zwanzigjährige Tochter des Gauleiters die Fahrt durch das entstehende Getto im April 1940: „Anschließend fuhren wir durch das Getto. Du, das ist wirklich toll. Ein ganzer Stadtteil völlig abgesperrt durch einen Stacheldraht­ zaun, da dürfen die Juden nicht heraus, nur ganz wenige, die einen Ausweis besitzen. Es ist meist nur Gesindel, was Du da siehst, alles lungert herum. […] Es herrschen dort Seuchen und eine scheußliche Luft ist da, durch die Abflußröhren, wo alles hinein­ gegossen wird. Wasser gibt es auch keins, das müssen die Juden kaufen, 10 Pfennig der Eimer, also waschen sie sich sicher noch weniger als gewöhnlich. Es kann einem schon mies werden, wenn man das sieht. […] Weißt Du, mit diesen Leuten kann man wirklich kein Mitleid haben, ich glaube, die fühlen auch ganz anders wie wir und fühlen des­ halb auch nicht diese Erniedrigung und alles.“94 Es kann nicht ausgeschlossen werden,

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Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, Dok. 77. Litzmannstädter Zeitung  180 v. 01.07.1941, Anzeige  S.  7 „Die letzten drei Tage! Fortsetzung der Ver­ steigerung“; 182 v. 03.07.1941, S. 8 Anzeige „Der letzte Tag!“ Jeweils großformatige Annoncen, Ort der Versteigerung: Spinnlinie 41. Ursula Brehmer, Josef Alexander Spickermann zum 50. Todestag, in Kulturwart 206 (1997), S. 1–6, hier 3; ähnlich Schönknecht, Politik, S. 55–56. Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 89–95.

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Kapitel 9

dass erhebliche Teile der nationalsozialistischen und reichsdeutschen Familien, die nach Litzmannstadt kamen, ähnlich menschenverachtend dachten. Besuche im Getto waren nur für Personen, die bei Stadt- und Gettoverwaltung oder Polizei beschäftigt waren sowie für die dort tätigen Angestellten oder Handwerker mög­ lich. Im Laufe der Jahre 1940–1944 handelte es sich dabei um viele hundert Menschen. So arbeiteten am 31. Dezember 1941 bei der deutschen Gettoverwaltung, die auch als Ausbildungsstation (!) der Stadtverwaltung diente, 188 Angestellte und 226 Arbeiter.95 Über die Eindrücke und Wahrnehmungen dieser Gruppe liegen keine Berichte vor, dieser Personenkreis zog es aus offensichtlichen Gründen vor, bereits zeitgenössisch über solche Aufenthalte zu schweigen. Grundsätzlich galt auch eine Schweigepflicht, Verletzungen konnten geahndet werden. Besuche waren allerdings für Personen mit guten Kontakten zu Polizei und SS sowie für „Prominente“ möglich, über einige solche Besuche sind wir unterrichtet. Die BDMFührerin Melita Maschmann schreibt in ihrem Bericht, sie sei wohl 1940 durch das Getto gefahren und habe zu ihrem Begleiter über die im Getto Inhaftierten gesagt „‚Sieh dir diese Leute an, sie gehen spazieren, als ob sie sich im tiefsten Frieden auf dem Kurfürsten­ damm befänden.‘ Zu meiner Überraschung gab es nicht wenig gepflegte Männer und Frauen unter den Eingesperrten. Ich sah kostbare Pelzmäntel und sorgfältig geschminkte Gesichter. Was mich aber nicht nur verblüffte, sondern ärgerte, war die Tatsache, daß offenbar keine Arbeitsleistung von den Häftlingen verlangt wurde. Unter den Deutschen in Lodz erzählte man sich, daß die Juden riesige Reichtümer an Gold, Juwelen, Pelzen und Stoffen versteckt hielten, und daß man sie nur zur Hergabe ihrer Schätze zwingen könnte, indem man ihnen mit Sperrung der Lebensmittellieferungen drohte.“96 Sichtbar wird hier eine harte Stereotypie einer Reichsdeutschen gegenüber „Ostjuden“, von denen gerade deutsche Antisemiten eine verzerrte Vorstellung besaßen. Erkennbar wird weiter­ hin, in welchem Umfang erhebliche Teile der Lodzer Deutschen der antisemitischen Propaganda aufsaßen. Maschmann schreibt weiterhin, eine Freundin – hierbei kann es sich um eine Schutz­ behauptung handeln – sei auf Einladung des Kreisleiters (zu diesem Zeitpunkt wohl Wolff) aus „reiner Neugier“ im Getto gewesen und habe dort ein Frauenbad und einen Rabbiner besucht. Gut dokumentiert sind zwei Besuche Friedrich Hielschers im Getto. Hielscher, Anhänger der konservativen Revolution mit exquisiten Verbindungen zu hohen National­ sozialisten, soll im September 1941 und im Mai 1942 in Lodz vergeblich versucht haben, ein jüdisches Ehepaar zu retten. Dabei führte er ein Gespräch mit Leon Rozenblat, über

95 96

Zahlen nach Klein, Die Gettoverwaltung Litzmannstadt, S. 508. Maschmann, Fazit, S. 88–89.

Deutsche in Litzmannstadt

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das er bereits während des Krieges an Ernst Jünger in Paris berichtete und das er in seiner Schrift „50 Jahre unter Deutschen“ ausführlich darstellte.97 Individuelle Fälle von Hilfe für Juden werden in vielfach Jahrzehnte später verfassten Erinnerungen häufiger erwähnt.98 Sie sind aber selten dokumentiert und deshalb kaum verifizierbar. In einem Fall hat eine jüdische Überlebende solche Hilfsversuche glaubwürdig bezeugt: Bei dem Mediziner Alexander Margolis zog im September  1939 dessen Heidelberger Studienkollege, der Hauptmann Hans Werner ein. Beide führten im Herbst 1939 intensive Gespräche, am 11. November wurde Margolis verhaftet. Werner versuchte nach den Erinnerungen von Margolis Tochter Alina zu helfen: „Am Nachmittag desselben Tages berichtete uns Hans Werner, dass er Vater zusammen mit anderen Geiseln in einer Fabrik in Radogoszcz, die in ein Lager umgewandelt worden war, gefunden habe. Von diesem Tag an war Werner rastlos tätig. Er ging zur Gestapo, schrieb Briefe nach Berlin, rief stundenlang die verschiedenen Stellen an, fuhr irgendwo hin, kam am folgenden Tag zurück, telefonierte wieder. Er war Mamas einzige Stütze und Hoffnung. Etwa zehn Tage später kam die Gestapo zu uns, um Hans Werner abzuholen, der sich gerade bei uns aufhielt. Wieder war ich ohne Eltern und Kindermädchen. Er zog die Uniformjacke und seinen Militärmantel an, wandte sich zu mir und sagte etwas, was ich nicht verstand. Er war ruhig. Er ging und kam nicht mehr zurück.“99 Insgesamt muss festgehalten werden: Es gab unter der deutschen (etwas geringer unter der stärkeren Restriktionen unterliegenden polnischen) Bevölkerung ein Wissen über die Zustände im Getto. Die Hungersnöte und die katastrophalen Lebensbedingungen im Getto waren in der Stadt bekannt. Sie finden aber sowohl in den zeitgenössischen, wie auch in späteren Selbstzeugnissen kaum einen Widerhall, zeitgenössisch wurde dieses Wissen totgeschwiegen, im Nachhinein in der Regel verdrängt und geleugnet.

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Friedrich Hielscher, Fünfzig Jahre unter Deutschen, Hamburg 1954, S. 356–369. Die Umstände (ein Auftrag des Ahnenerbes) und die Datierung der Besuche sind unklar. Georg Walter, Meinen Vater hat man den „weißen Juden“ genannt. In: Gdzie są Niemcy, S. 179–186. Erinnerungen von Alina Margolis-Edelman, Als das Ghetto brannte, versus-online.de/ als-das-ghetto-brannte/.

Kapitel 10

Polen im besetzten Lodz: Überlebensstrategien und Widerstand „Łódź nie jest Litzmannstadtem / tylko polskim światem“ Lodz ist nicht Litzmannstadt, sondern eine polnische Welt1  Aufkleber im Zweiten Weltkrieg

Im deutschen Lodz lebte während des gesamten Krieges eine deutliche Mehrheit katholischer Polen, in absoluten Zahlen 1941 etwa 379.000, 1944 noch 342.000 Polinnen und Polen.2 Die Bevölkerung war infolge einer höheren Sterblichkeit, weiteren Aussiedlungen und Deportationen zur Zwangsarbeit (insgesamt 1939–1944 ca. 40.000 Menschen)3 sowie dem deutschen Terror rückläufig. Im Mittelpunkt steht nun die Frage, wie die Polen mit der radikalen deutschen Politik umgingen, wie sie die massive Ausgrenzung in der Öffentlichkeit und im Alltag ertrugen, welche Auswege sie suchten und wo sie kulturellen und bewaffneten Widerstand leisteten. Grundsätzlich hat die polnische Forschung das Thema häufig behandelt, wobei traditionell ein Schwerpunkt auf der deutschen Ausgrenzungspolitik und dem polnischen Widerstand liegen, während sie dagegen das Alltagsleben, individuelle Lebenswege und Grauzonen bis hin zu Formen des Arrangierens mit der Besatzungsmacht selten beschrieb und diese daher weniger gut bekannt sind.4 Eine Alltagsgeschichte der Lodzer Polen wurde bisher nicht geschrieben – sie stößt auch auf Quellenprobleme, da polnische Medien aus der Kriegszeit fehlen und Tagebücher oder Briefe vielfach aus Selbstschutz gar nicht erst verfasst wurden, um kein belastendes Material zu produzieren oder im Kriege bzw. der Volksrepublik Polen aus Selbstschutz vernichtet wurden. Man kann sich so nur auf eine kritische Durchsicht nachträglich entstandener polnischer Aufzeichnungen und Erinnerungen stützen sowie mit gebührender Vorsicht die umfangreichen deutschsprachigen Materialien heranziehen.

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Anna Gronczewska, naszahistoria.pl/kiedy-lodz-byla-litzmannstadt/ar/10669984. Zahlen nach Wróbel, Przemiany demograficzne, S. 42, 51. Zahlen nach Bojanowski, Łódź pod okupacją, S. 159. Neuester Überblick: Łódź pod okupacją; grundlegend für die ältere Forschung: Cygański, Z dziejów okupacji; Bojanowski, Łódź pod okupacją.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_011

Polen im besetzten Lodz

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Ausgrenzung und Demütigung Die massive rechtliche Ausgrenzung setzte bereits im November 1939 Schlag auf Schlag ein: Am 5. November 1939 forderte der Polizeipräsident „Polen und Juden“ auf, ihre Radios binnen zehn Tagen abzuliefern.5 Da parallel die einzige polnischsprachige Zeitung verboten wurde, gab es ab diesem Zeitpunkt bis zur Befreiung im Januar 1945 für mehr als fünf Jahre vor Ort keinerlei legale polnischsprachige Informationsmedien mehr. Auch die Einfuhr polnischsprachiger Presseerzeugnisse aus dem Generalgouvernement war verboten und wurde erst 1944 wieder erlaubt, unregelmäßig erscheinende Untergrundausgaben waren die einzigen polnischen Zeitungen. Das führte zwingend dazu, dass Informationen die polnische Gesellschaft erst veerspätet erreichten, sie vielfach auch nur mündlich kolportiert wurden, wodurch Nachrichten vom Hörensagen und Gerüchte besonderes Gewicht erhielten. Die polnische Gesellschaft der Kriegszeit blieb deshalb von Nachrichten abgeschnitten, auf Nachbarschaften zurückgeworfen und auf Gerüchte angewiesen – ihr fehlten Medien aller Art. Diese kommunikative Situation hatte verschiedene Konsequenzen: Zunächst sind Gesamtaussagen über „die Polen“ kaum möglich. Die polnischen Lebenswelten waren fragmentiert, auf das Gehörte angewiesen und von jeweils besonderen deutschen Restriktionen betroffen. Eine fehlende polnische öffentliche Meinung begünstigte Falschinformationen, Gerüchte und Legendenbildungen, die auch nach 1945 in der Volksrepublik Polen weiter Verbreitung fanden, ja sich zu Lebensgewissheiten verfestigten. Seit November 1939 wiesen die deutschen Besatzer auch symbolisch Polen und Juden einen untergeordneten Platz in der städtischen Öffentlichkeit zu. Am 6. November 1939 hieß es: „Den Wehrmachtsangehörigen, Schutzpolizeibeamten und allen Deutschen, deren dienstliche Stellung durch ihre Uniformierung erkennbar ist, ist von den Polen und Juden auf den Gehsteigen und Fahrbahnen deutlich Platz zu machen.“6 Deutlich Platz machen? In den belebten Straßen und Plätzen einer Großstadt war solch ein Befehl nicht durchführbar, er blieb jedoch formal während des gesamten Krieges in Kraft. Zudem, was hieß „Uniformierung“? Einbezogen waren hierin auch die zahlreichen HJund BDM-Uniformen, der erwachsene polnische Stadtbürger hatte also vor deutschen Heranwachsenden und zukünftigen NS-Kadern respektvoll Platz zu machen… Polnische Passanten mussten Deutschen auf dem Bürgersteig in der Regel auf die Straße oder die Fahrbahn ausweichen und durch Ziehen der Mütze ihre Reverenz erweisen. Solche absurden Bestimmungen wurden in der Folge vielfach dazu genutzt, um polnische Bürger zu schikanieren und zu demütigen. Dazu besitzen wir zahlreiche Aussagen aus dem besetzten Lodz, Polizisten und deutsche Uniformträger kontrollierten polnische Passanten, ließen sie sich ausweisen, zogen sie zu Straßenreinigungsarbeiten 5 Kein Radio für Polen und Juden, in: Deutsche Lodzer Zeitung, 301 v. 05.11.1939. 6 Polizeiverordnung v. 06.11.1939, in: Deutsche Lodzer Zeitung, 303 v. 07.11.1939.

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Kapitel 10

heran, verhafteten sie willkürlich oder prügelten auf sie ein.7 Im städtischen Raum kaum vermeidbare Begegnungen mit „Deutschen“ konnten in der Apartheidgesellschaft immer eine unangenehme Wendung nehmen, sich zu einer Bedrohung auswachsen oder in einer öffentlichen Demütigung enden. All das steigerte den Groll unter den Polen. Parallel erfolgte ein Verbot aller polnischen Uniformen und Abzeichen bis hin zu Abzeichen auf den traditionellen Schüleruniformen. Für die junge Generation von Polen bot dies eine erste Gelegenheit, symbolischen Widerstand zu leisten: „[…] als [wir] von Gruppen von hochmütigen Schülern des deutschen Gymnasiums verfolgt wurden, die uns die Abzeichen von den Mützen reißen wollten. Ich erinnere mich, dass es ein Punkt der Ehre war, diese Abzeichen möglichst lange zu tragen.“8 Es sei daran erinnert, dass hier ältere Rituale der Auseinandersetzung zwischen Jugendgruppen unter nun umgekehrten Kräfteverhältnissen fortdauerten (vgl. S. 100). Den wachsenden Keil zwischen deutschen und polnischen Lodzern beschreiben auch andere polnische Erinnerungen für 1939/40, etwa aus dem Umfeld des ŻeromskiGymnasiums, das bis zum Herbst 1939 polnische und deutsche Schüler hatte. Ein polnischer Schüler berichtete über Kontakte: „Aber immer stärker wurden wir in den Alltagskontakten mit ihnen [den deutschen Schülern] misstrauisch und zurückhaltend, insbesondere in Gesprächen darüber, was passiert war, was gerade stattfand und vor allem, was weiter werden würde. Zwischen uns und ihnen war schon etwas getreten, was in Zukunft ihre und unsere Kriegsschicksale, aber auch die zukünftigen Schicksale völlig klar trennen sollte.“9 Parallel wurde alles Polnische systematisch aus den Straßen verdrängt. Der Gebrauch der polnischen Sprache in deutschen Geschäften und im öffentlichen Leben – mit der bezeichnenden Ausnahme der Bahn- und Postämter sowie der Polizei! – wurde am 8. Dezember 1939 untersagt. Als das Regierungspräsidium dieses Verbot des Polnischen im September 1940 auch auf die Polizei übertragen wollte, holte es sich allerdings eine Abfuhr. Der Polizeipräsident merkte an, „dass ich ein Verbot der polnischen Sprache in meinem Dienstbereich für völlig ausgeschlossen halte, weil eine Verständigung mit 300.000 Menschen dann unmöglich wird.“ Der Polizeipräsident müsse dies ablehnen, da er hier einen „Mangel der Undurchführbarkeit“ sehe.10 7 8

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10

Schönknecht, Politik, S.  52–54 beschreibt Beispiele aus deutscher Perspektive für Zgierz aus den Jahren 1940 bis 1943. „[…] byliśmy prześladowani przez grupki butnych uczniów z niemieckiego gimnazjum, ktorzy zrywali nam znaczki z czapek. […] Pamiętam, że punktem honoru było właśnie jak najdłużej ten znaczek nosić.“ in: W szkołach, których nie było. Wypiski z kamiennego zeszytu. Wspomnienia uczniów tajnego nauczania. Łódź 2004, S. 21; vgl. auch Malecki, Pod herbem Wandalów, S. 17. „Ale coraz bardziej stawaliśmy się w codziennych z nimi kontaktach w szkole nieufni i wstrzemiężliwi, zwłaszcza w rozmowach o tym co się stało, co się dzieje, a przede wszystkim, co będzie dalej. Między nami i nimi narastało już coś, co wkrótce rozdzieliło w sposób całkiem różny ich i nasze wojenne, a także późniejsze losy.“ Malecki, Pod herbem Wandalów, S. 16. Der Polizeipräsident an den Regierungspräsidenten, Litzmannstadt, 20.09.1940, Faksimile bei Radziszewska, Tonąca Łódz, Abbildungsteil; zur Lodzer Polizei im Zweiten Welkrieg vgl. auch die

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Tatsächlich war das genannte Verbot des Polnischen in vielen Alltags- und Berufsfeldern nicht durchsetzbar. Die jüngere Generation von Polen sprach 1939 oft kein Deutsch, da dies in der öffentlichen Kommunikation nach 1918 nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. In den Fabriken und auf den Straßen hatte das Polnische als Umgangsprache gegolten, nun sollte mit Befehlen von oben der Schalter umgelegt werden. Es ist leicht erkennbar, dass dieses Verfahren kaum funktionieren konnte: Wie sollte die Kommunikation mit den unter Arbeitspflicht stehenden, in Industrie und Gewerbe tätigen polnischen Arbeiterinnen und Arbeitern erfolgen, wenn diese – auch das ein Akt kulturellen Widerstands! – aus Selbstachtung ausschließliche Kommandos in deutscher Sprache übergingen, ignorierten oder ablehnten? In den Fabriken, aber auch im öffentlichen Raum blieb es deshalb durch die ganze Kriegszeit bei einem Nebeneinander des Deutschen und des – oft leise und heimlich geflüsterten – Polnischen. Um dennoch den „Herr im Haus“-Standpunkt deutlich zu machen, wurde allerdings befohlen, grundsätzlich im öffentlichen Raum und in Fabriken bei Ansprache im Polnischen auf die Höflichkeitsformel „Sie“ (im Polnischen „Pan“ und „Pani“) zu verzichten. Deutsche Vorgesetzte sollten ihre Untergebenen duzen, sie also mit „Arbeiter!“ (robotniku!) oder „Angestellter!“ (urzędniku!) im Befehlston ansprechen. Auch hier wird eine symbolische Deklassierung erkennbar, die erst recht Spott und Widerspruch auslöste. All diese Sprachbestimmungen boten jedoch für deutsche Uniformträger und die Polizei stets eine Handhabe für ein Eingreifen und öffneten nackter Willkür Tür und Tor. „Freche Polen“, die öffentlich provozierend Polnisch sprachen, konnten auch aus Abschreckungsgründen im deutschen Litzmannstadt jederzeit verhaftet oder Schikanen ausgesetzt werden, denn verfahren wurde nach der mehrfach bekräftigten Maxime des Gauleiters Arthur Greiser: „Wenn der Pole aufsässig und frech ist, muß ihm in sofortiger Reaktion gebührende Antwort erteilt werden.“11 Auf eine klare Ausgrenzung und Segregation zielte auch das ab August  1940 verkündete Verbot ab, in Straßenbahnen den ersten Wagen zu benutzen. Polen durften nur im zweiten Straßenbahnwagen fahren – gab es nur einen Wagen, wurde dieser in zwei Teile geteilt oder es war eine Straßenbahnbenutzung für Polen nicht möglich. Auf den Straßenbahnlinien, die durch das Getto fuhren, sahen auch jüdische Beobachter den Unterschied: „die Wagen, in denen die Polen fahren, [sind] übervoll […].“12 Mit den Buslinien, die im Krieg eingerichtet wurden, durften generell nur Deutsche fahren, Polen nur mit Sondergenehmigung. Angesichts der Größe der Stadt und der weiten Verbreitung des öffentlichen Nahverkehrs bedeuteten diese Bestimmungen

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Arbeiten von Winson Chu, so Winson Chu, „Something has destroyed my memory“. Stalingrad and Karl Dedecius’s Second World War, in: Yvonne Kleinmann (Hg.), Imaginations and Configurations of Polish Society: From the Middle Ages through the 20th Century. Göttingen 2017, S. 355–375. Geheimes Rundschreiben an die Kreisleiter von Reichstatthalter Arthur Greiser, 20.07.1943, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 185. Feuchert, Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, Bd. 2, S. 559 (17.11.1942).

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Kapitel 10

weitere Einschränkungen in der Mobilität, vor allem aber eine sinnlose Apartheid: Spätestens an den Haltestellen standen Deutsche und Polen wieder zusammen! Den Zweck einer Ausgrenzung und Segregation hatten auch die unterschiedlichen Festlegungen der Polizeistunde, die in Lodz während der gesamten Besatzungszeit durch Polizeiverordnungen galt: Die Polizeistunde für Polen lag in der Regel gleitend bei Sonnenaufgang und -untergang, eine Bewegung in der Stadt nach der Polizeistunde war nur mit Passierscheinen, später Sondergenehmigungen möglich. Übertretungen wurden mit Haft- und Geldstrafen, häufig auch mit Schlägen geahndet. Die Sperrstunde für Deutsche lag des Abends erheblich später, sie lag so, dass sie die Versammlungen der NS-Untergliederungen, aber auch Musikveranstaltungen, Theater und Kinos besuchen konnten. Für die deutsche Bevölkerung hatte dies die angenehme Seite, dass man des Abends in der Regel auf den Lodzer Straßen und in den Verkehrsmitteln „unter sich“ war. Hinzu traten für Polen weitere Reisebegrenzungen: Reisen mit der Bahn waren nur mit unter triftigen Gründen zu beantragenden Genehmigungsscheinen innerhalb des Reichsgaus Wartheland möglich – die Eisenbahn durfte ansonsten keine Fahrkarten verkaufen, Vergehen bestrafte das Sondergericht Litzmannstadt mit mehrmonatigen Haftstrafen, auch mit dem Zusatz: „Andererseits wog erschwerend, daß gerade zahlreiche Polen aus Litzmannstadt ohne polizeiliche Genehmigung Reisen unternehmen“.13 Sowohl das Generalgouvernement wie das Altreich waren durch Polizei- und Zollgrenzen und durchgängige Grenzkontrollen abgeriegelt; Reisen dorthin waren für Polen legal kaum durchführbar, was natürlich den Reiz illegaler Übertritte – zum Besuch von Verwandten, aber auch zum einträglichen Schmuggel – erhöhte. Selbst Fahrräder durften Polen nur mit Sondergenehmigung benutzen. Ein besonders bitteres Kapitel ist die Drangsalierung und Verfolgung polnischer Kinder und Jugendlicher. Jugendliche, die aufgrund von Hunger und Not oder ihrer Eltern beraubt auf den Straßen unterwegs waren, wurden aufgegriffen und in das „PolenJugendverwahrlager der Sicherheitspolizei Litzmannstadt“ eingeliefert, das 1942 am Rande des Gettogebiets in der ul. Przemysłowa (damals Gewerbegasse) eingerichtet worden war. In dem Lager, über das nur eine schmale Quellendokumentation existiert, waren 1942–1945 insgesamt ca. 1.600 Kinder und Jugendliche zeitweise eingesperrt, mit dem 16. Lebensjahr wurden diese als Zwangsarbeiter verschickt. Ein Teil der Jugendlichen musste in einem landwirtschaftlichen Betrieb in Dzierżązna bei Zgierz arbeiten. Die Kinder und Jugendlichen waren einer Lagerverwaltung aus Polizisten und Wachleuten, darunter auch vielen Frauen, deren Schikanen und Strafen ausgesetzt. Aufgrund der schlechten Unterbringungs- und Verpflegungssituation und grassierenden Krankheiten wie Typhus verstarben in dem Lager mindestens 136 Jugendliche. Die Geschichte

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Verurteilung von Władysława Kowalska zu vier Monaten Straflager; Urteil Sondergericht Litzmannstadt v. 13.06.1942, gez. Dr. Bohnacker, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 39–40.

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des Lagers wurde in den 1970er Jahren Gegenstand einer umfangreichen volkspolnischen Erinnerungskampagne (vgl. S. 407).14 Grundsätzlich war eine Mobilität polnischer Menschen unerwünscht. Sie sollten körperliche Arbeit in Gewerbebetrieben und Fabriken leisten und ansonsten möglichst unsichtbar – Litzmannstadt war eine deutsche Stadt – in ihren beengten Wohnungen sitzen.15 Dies widersprach natürlich zentralen Bedürfnissen der polnischen Bevölkerung: Um einigermaßen auskömmlich leben zu können, waren sie angesichts niedriger Lebensmittelrationen auf eine zusätzliche Lebensmittelversorgung – vielfach über Familienangehörige und Verwandte auf dem Land – angewiesen und mussten dazu die Umgebung besuchen und so Lebensmittel und Verbrauchsgüter beziehen. Unterstützt wurden diese Mobilitätseinschränkungen durch die kulturelle und symbolische Germanisierung des Stadtbildes, die ihre Heimatstadt für viele Polen fremd machte. Ryszard Malecki, der im März 1942 nach 1 ½ Jahren in deutschen Gefängnissen wieder in die Freiheit entlassen wurde, nahm die neue Realität so wahr: „Jedes Betreten des Zentrums von Lodz, das so sehr, wenn auch nur oberflächlich, sein Aussehen verändert hatte, konnte die Überzeugung hervorrufen, man sei in einer völlig fremden, fast unbekannten Stadt, obwohl an ihren Straßen weiterhin dieselben, aus der Kindheit bekannten Gebäude standen. Deutsche Schilder, Beschriftungen, die ringsherum ertönende deutsche lärmende Sprache, Gruppen verschieden uniformierter Deutscher schufen eine Atmosphäre, in der sich ein einheimischer Lodzer Pole verloren und bedroht fühlte.“16 Insgesamt trafen Ausgrenzung und Demütigung alle Polen und wurden durch ein gesondertes „Polenstrafrecht“ noch verschärft: Für Vergehen der polnischen Bevölkerung galten besondere Strafbestimmungen und vielfach höhere und empfindlichere Strafen als für Deutsche. Festgelegt zunächst durch Anweisungen, entstand in der allgemeinen „Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten“ vom 4. Dezember 1941 ein Sonderrecht, dem in der Praxis nur Polen unterworfen waren (Juden standen außerhalb des Rechtes). Aus deutscher Sicht beinhaltete das „Polenstraftrecht“ eine generelle „Gehorsamspflicht“. Insbesondere strafbare Handlungen, die unter Anwendung von Gewalt begangen worden waren, ahndete und

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Andrzej Czyżewski, Das Polen-Jugendverwahrlager der Sicherheitspolizei in Litzmannstadt, in: Bogusław Dybaś (Hg.), Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Neue Forschungsprojekte in Österreich und Polen. Wien [im Erscheinen]. Vgl. dazu die Dokumente in Łuczak, Położenie ludności, S. 301–303. „Każde wyjście do centrum Łodzi, która tak bardzo, jakkolwiek tylko powierzchownie, zmieniła swój wygląd, mogło wywołać przekonanie, że jest się w zupełnie obcym, prawie nieznanym mieście, choć przy jego ulicach stały nadal te same, znane od dzeiciństwa budynki. Niemieckie szyłdy, napisy, rozbrzmiewająca wokół niemiecka krzykliwa mowa, gromady róćnorodnie umundurowanych Niemców stwarzały atmosferę, w której rdzenny łodzianin Polak, czuł się zagubiony i zagrożony.“ Malecki, Pod herbem Wandałów, S. 37–38.

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Kapitel 10

bestrafte es besonders radikal – bis zur Todesstrafe für Polen bei körperlicher Gegenwehr.17 Allein das Sondergericht Litzmannstadt verhandelte zwischen Oktober 1939 und Januar 1945 deutlich mehr als 10.000 Einzelfälle, gegen Deutsche, aber in Mehrheit gegen Polen, die vielfach mit langjährigen Lager- und mindestens 281 Todesstrafen endeten.18 Todesurteile wurden sogar wegen wiederholten Taschendiebstahls ausgesprochen: Am 1. August 1944 wurde Helena Grzybowska „mit Rücksicht auf die Gemeingefährlichkeit und den Umfang ihres Treibens zum Tode“ verurteilt und hingerichtet.19 Insgesamt förderte die rechtliche Ausgrenzung eine strukturelle Verfeindung zwischen „Polen“ und „Deutschen“. Die vielfachen und dauerhaften Schikanen mussten sich in den Einstellungen und der Erinnerung der polnischen Stadtbevölkerung festsetzen, zumal sie häufig demütigende Züge (Beleidigungen, Körperstrafen, symbolische Zurücksetzungen) annahmen. Erinnerungen geben die feindliche Atmosphäre wieder: „Die Besuche in der Innenstadt, vor allem in der ul. Piotrkowska, waren für Polen gefährlich. Ein lauteres Gespräch auf Polnisch, oder im Allgemeinen die Anwesenheit eines Polen auf der Hauptstraße konnte durch einen uniformierten oder einen zivilen Deutschen als unerwünscht angesehen werden und Schläge oder die Übergabe an die Polizei unter dem Vorwand irgendeines Vergehens zur Folge haben.“20 Verboten war für die Lodzer Polen auch der Besuch der meisten städtischen Parks und Spielplätze sowie der Besuch von Ausstellungen und Museen. Kontrolliert wurden die Verbote vielfach durch eine wachsame deutsche Anwohnerschaft und Denunziationen. Ende August 1942 wurde so die Benutzung des innerstädtischen Hitlerjugend-Parks durch polnische Familien angezeigt: „Seit ungefähr zwei Wochen kommen Polen ganz frech in den H.J.Park. Besonders fällt es auf, daß ganze Familien / Mütter mit 3–4 Kindern / den Kinderspielplatz so in Beschlag nehmen, als ob sie in Polen und nicht Großdeutschland wären. Es wird ganz frech polnisch gesprochen.“21 Von Denunziationen waren auch eigentlich problemlose nachbarschaftliche Bezie­ hungen betroffen, denn öffentlich war es unmöglich, eine normale Nachbarschaft ohne Ausgrenzungen zu leben. Da für die Stadt flächendeckend deutsche nationalsozialistische 17 18 19 20

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Diemut Majer, „Fremdvölkische“ im Dritten Reich – ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements. Boppard am Rhein 1981. Holger Schlüter, „… für die Menschlichkeit im Strafmaß bekannt …“. Das Sondergericht Litzmannstadt und sein Vorsitzender Richter. Düsseldorf 2006. Taschendiebinnen unschädlich gemacht, Litzmannstädter Zeitung 214 v. 01.08.1944. „Poruszanie się po śródmieściu, zwłaszcza po ulicy Piotrkowskiej, bywało dla Polaków po prostu niebezpieczne. Głośniejsza rozmowa w języku polskim, czy w ogóle sama obecność Polaka na głównej ulicy, mogła zostać uznana przez jakiegokolwiek umundurowanego bądź cywilnego Niemca za niepożądaną i spowodować pobicie lub nawet oddanie w ręce policji pod pretekstem jakiegoś czynu ‚przestępczego‘.“ Malecki, Pod herbem Wandałów, S. 37–38. AP Łódź, Stadtverwaltung Litzmannstadt, Büro des Oberbürgermeisters, 28523, Bl. 46: Ein anonymer Denunziant berichtet am 31. August  1942, Druck bei Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 230.

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Zellen- und Blockleiter eingeführt worden waren, oblag ihnen die Kontrolle der polnischen Nachbarn; sie hatten unter anderem eine politische Überwachung auch der polnischen Nachbarn auszuführen, antideutsch eingestellte Polen oder „Judenfreunde“ zu melden und konnten im Alltag Besuche, Lebensmittelzuweisungen und Deputate (Brennmittel, Stoffe) kontrollieren. Polen wurden auf dieser Ebene in der Regel zurückgesetzt; die langjährige Deklassierung hinterließ dauerhafte Spuren und Narben in der Erinnerung. Wirtschaftliche Deklassierung und Zwangsarbeit Wirtschaftlich zielte die deutsche Politik darauf ab, jegliches polnisches und jüdisches Eigentum im Wartheland zu beschlagnahmen und zukünftig auszuschließen. Zu diesem Zweck wurde am 19. Oktober 1939 die Haupttreuhandstelle Ost (HTO) gegründet, die das gesamte Vermögen polnischer Behörden sowie polnischer und jüdischer Privatleute in den ins Großdeutsche Reich eingegliederten Gebieten beschlagnahmen, erfassen und verwerten sollte.22 An dieser Erfassung waren deutsche Banken, die das polnische Banksystem übernahmen und Vermögen abschöpften, sowie deutsche Industrieunternehmen breit beteiligt.23 In Lodz, der mit Abstand größten Stadt der eingegliederten Gebiete, besaß die HTO eine Nebenstelle (Treuhandnebenstelle Litzmannstadt), in der 50 Personen als Büromitarbeiter tätig waren. Die Treuhand arbeitete zudem mit 400 zeitweilig angeworbenen, in der Regel aus dem Kreise der Lodzer Deutschen rekrutierten deutschen Außendienstmitarbeitern in „Erfassungskolonnen“,24 die Unternehmen und Geschäfte aufsuchten, Sachstandsberichte verfassten und offene Fragen klärten. Systematisch wurden daraufhin bereits Ende 1939 und im Laufe des Jahres 1940 alle polnischen Geschäftsinhaber durch deutsche „Treuhänder“ und Neueigentümer verdrängt; polnische Alteigentümer konnten manchmal noch kleinere Betriebe selbstständig weiterführen oder verblieben in größeren Betrieben als Personal. Im Lohnsystem sah die Verordnung vom 11. Dezember 1939 grundsätzlich einen „Polenabzug zugunsten des Reiches“ in Höhe von 20% des Lohnes vor; polnische Beschäftigte waren zudem von weiteren Familien- und Ortszuschlägen ausgeschlossen. Zum 15. Juli 1940 wurde der „Polenabzug“ auf 15% ermäßigt, im Februar 1942 wieder auf 22 23 24

Bernhard Rosenkötter, Treuhandpolitik. Die „Haupttreuhandstelle Ost“ und der Raub polnischer Vermögen 1939–1945. Essen 2003. Zur besonderen Rolle der Banken mit Schwerpunkt Wartheland: Ingo Loose, Kredite für NS-Verbrechen. Die deutschen Kreditinstitute in Polen und die Ausraubung der polnischen und jüdischen Bevölkerung 1939–1945. München 2007 (= Studien zur Zeitgeschichte, 75). Bericht Leiter der Außenstelle Litzmannstadt, Wagner, Zahlen nach Protokoll v. 23./24.07.1940, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 200; Übersicht: Bogumił Rudawski, Grabież mienia w Kraju Warty 1939–1945. Działalność Urzędu Powierniczego w Poznaniu. Poznań 2018.

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20% erhöht. Nur bei „Arbeitsleistungen erheblich über dem Durchschnitt“ konnten 90% gezahlt werden.25 Im Durchschnitt verdienten polnische Arbeiterinnen und -arbeiter in Litzmannstadt so etwa 25% weniger als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen, hinzu kamen fehlende weitere Sachleistungen (schlechteres Kantinenessen, niedrigere Lebensmittelkarten).26 Für die Arbeit in den Betrieben bestand ein Arbeitszwang für alle Polen, die das 14. Lebensjahr vollendet hatten. Die Ausgabe von Lebensmittelkarten war an Arbeitsbescheinigungen gebunden. Personen, die dem Arbeitszwang nicht nachkamen, wurden zur Fahndung wegen „Arbeitsvertragsbruchs“ ausgeschrieben.27 „In arbeitseinsatzmäßiger Hinsicht erziehungsbedürftige Polen“ wurden in verschiedene Lager und Gefängnisse, ab August  1943 in das neu eingerichtete Arbeitserziehungslager Litzmannstadt (Stockhof/Sikawa) eingewiesen. Behördlich vorgegeben wurde allerdings, es sei zu berücksichtigen, „daß dringend benötigte Facharbeiter durch die Erziehungsmaßnahme nicht allzu lange der Kriegswirtschaft entzogen werden.“28 Gefordert war eine „Ausschöpfung der polnischen Arbeitskräfte“,29 vielfach mündete das in die Androhung oder Ausführung von Körperstrafen gegen angebliche oder tatsächliche „Bummelanten“.30 Sichtbar werden hier die wachsenden Zwänge der deutschen Kriegswirtschaft, die auf polnische Facharbeiter gerade in den nach Lodz verlagerten Rüstungsbetrieben zunehmend angewiesen war. Zur Leistungssteigerung und als Anreiz für qualifizierte polnische Arbeiter wurde Ende 1942 die Kategorie der „Leistungspolen“ geschaffen. Allein die Begriffsbildung sagt viel über die Dispositionen deutscher Eliten gegenüber polnischen Arbeitern aus – der durchschnittliche Pole erbrachte eben keine „Leistung“ und noch die unbedingt benötigten Arbeiter wurden aus dieser Perspektive mit einem stigmatisierenden Begriff belegt.31 Die Kategorie ging auf eine Rede Gauleiter Greisers vom 26. Oktober 1942 zurück; zwei Monate später wurde ein „Verband der Leistungspolen“ eingeführt und wichtige Arbeiter zum Beitritt genötigt. In der Presse wurde am 21. Dezember 1942 mit Bezug auf eine GreiserRede vom Vortag unter der Überschrift „Verbesserte Lebenshaltung für arbeitswillige

25 26 27 28 29 30 31

Der Reichsstatthalter im Reichsgau Wartheland, nach 15.02.1942, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 259–261. Typische Verdienste von Hilfsarbeitern und –arbeiterinnen in der Wartheländischen Textilindustrie, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 266. Meldung Richard Defins durch die Zellgarn AG an die Gestapo, gez. Kummert v. 07.06.1943, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 70. Rundschreiben Arbeitsamt Litzmannstadt, gez. Dr. Fonck, 06.08.1943, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 74. Litzmannstädter Zeitung 55 v. 24.02.1943. Pabin, Chłopak, S. 33–34. Hubert Orłowski, Zwischen Ausgrenzung und Toleranz. Zur Kategorie „Leistungspole“ im Dritten Reich, in: Alois Wierlacher, Georg Stötzel (Hg.), Blickwinkel. Kulturelle Optik und interkulturelle Gegenstandskonstitution. München 1996, S. 735–742.

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Polen“ auf die neuen Bestimmungen hingewiesen:32 „Leistungspolen“ sollten nun denselben Tariflohn wie die Deutschen (ohne Abzug der „Polenabgabe“), Zutritt zu bisher Deutschen vorbehaltenen Kantinen und ähnliche Lebensmittelrationen erhalten. Gleichzeitig hieß es aber, an dem bisherigen Umgang mit der polnischen Bevölkerung werde sich nichts ändern: „Die deutsche Führung und polnische Unterordnung bleibt trotzdem bestehen.“33 In den Betrieben fand die Einführung der Kategorie ein unterschiedliches Echo. Während bei Scheibler & Grohman immerhin 7,6% der 4.000 Beschäftigten in die Gruppe eingestuft wurden, waren es – nach Aussagen von Beschäftigen – in den PoznańskiBetrieben von 2.000 Beschäftigten gerade einmal 15 Personen.34 Das Ziel dieser Maßnahmen lag ohne Zweifel in der Spaltung der mehrheitlich polnischen Belegschaften und der stärkeren Motivierung von unentbehrlichen Spezialisten, etwa bei der Eisenbahn. Dies wurde jedoch nur teilweise erreicht, da die lebensweltliche Diskriminierung andauerte und die Maßnahme im Ruch einer Kollaboration polnischer Beschäftigter mit dem deutschen Regime stand. Dies zeigen Erinnerungen aus den Poznański-Betrieben: „Die Polen, die zu den Leistungspolen zählten, wurden vom Rest der Belegschaft geschnitten, sie wurden von allen als Vertraute der Deutschen angesehen.“35 Die polnische Bevölkerung war zudem insbesondere in der Innenstadt von Lodz durchweg von Wohnungsräumungen und Umsiedlungen bedroht; die größeren und besser ausgestatteten Wohnungen wurden schrittweise von reichsdeutschen Beamten und Zuwanderern belegt. Deutsche beantragten bei den Wohnungsämtern die Aussiedlung der polnischen Nachbarn. Statistisch führte dies dazu, dass 1939 in Lodz 121.000 Wohnungen von Polen belegt waren (durchschnittlich 2,61 Personen pro Wohnung), 1944 nur noch 97.000, zumeist Einzimmerwohnungen (durchschnittlich 3,54 Personen pro Wohnung).36 Die so verdrängten Polen fanden in der Regel bei Familienangehörigen oder in besonders schlecht ausgestatteten Häusern am Stadtrand Unterkunft. Erhebliche Probleme schuf für die polnische Bevölkerung die schwierige Versorgungslage: Bezugskarten für Polen enthielten deutlich niedrigere Zuweisungen (keine Butter, sondern nur Margarine; niedrigere Fleischrationen). Seit dem 22. April 1940 gab es besser ausgestattete spezielle Fleischgeschäfte „Nur für Deutsche“. In vielen Lebensmittelgeschäften durften Polen zudem erst ab 11 Uhr einkaufen, wenn viele Waren bereits nicht 32 33 34 35 36

Litzmannstädter Zeitung 354 v. 21.12.1942. Ebd. Loose, Kredite, S. 207–208; Cygański, Z dziejów okupacji, S. 152; Bojanowski, Łódź w latach okupacji, S. 164. In den Horak-Werken gab es ca. 60 „Leistungspolen“, vgl. Stawiszyska, Gospodarcza i społeczna działalność rodziny Horaków, S. 234. „Polacy należący do Leistungspolen byli przez załogę polską izolowani, wytkani przez wszystkich jako zaufani Niemców.“ Maksymilian Siedlanowski, Vorarbeiter bei den Poznański-Werken, vgl. Rukowiecki, Łódź, S. 138. Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 261–266 Abdruck von mehreren Anträgen deutscher Mietparteien zur Umsiedlung von Polen.

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mehr vorhanden waren. All diese Sanktionen und dirigistischen Maßnahmen erhöhten den Anreiz zum Schmuggel vom Lande in die Stadt oder aus dem nur 25 km entfernten Generalgouvernement, wo die Lebensmittelpreise deutlich niedriger lagen, in den Warthegau. Deutlich diskriminiert wurden Polen auch in Fragen der öffentlichen Gesundheit: Ab Ende 1939 waren nur noch einzelne Abteilungen der Krankenhäuser für sie geöffnet, eine Versorgung erfolgte nur noch in schlechter ausgestatteten Abteilungen, vielfach auch gar nicht mehr. Dies war eine der Ursachen, neben schlechterer Lebensmittelversorgung und schlechteren Wohnbedingungen, für eine stärkere Verbreitung von Krankheiten wie der Tuberkulose und eine erhöhte Sterblichkeit unter der polnischen Bevölkerung: Lag die Sterblichkeit vor 1939 noch bei ungefähr 370 Todesfällen monatlich (= ca. 4.440, unter 13 Promille), so stieg diese bereits 1940 unter Katholiken erheblich (6.823 Todesfälle, d.h. 17,8 Promille) und erreichte im Jahre 1944 mit 7.100 Todesfällen (21 Promille) ihren Gipfel.37 Grundsätzlich strebte die deutsche Politik einen Rückgang der Geburtenzahlen unter Polen an. Dem dienten administrative Heiratsverbote: Waren Ehen zwischen Deutschen und Polen grundsätzlich untersagt, so durften Polinnen und Polen seit dem Herbst 1941 (Erlass vom 10. September) auf den staatlichen Standesämtern erst ab einem Alter von 28 Jahren (Männer) und 25 Jahren (Frauen) heiraten. Dies führte zu einem drastischen Rückgang der Heiratszahlen von 2.239 Heiraten (1940) auf 1942–1944 lediglich ungefähr 500 Eheschließungen jährlich. Die Mehrzahl der Polinnen und Polen lehnte den Gang auf das staatliche deutsche Standesamt, der der traditionellen kirchlichen Trauung widersprach, ab und behalf sich mit einem Zusammenleben ohne Trauschein und informellen Ehegelöbnissen; unter der polnischen Bevölkerung wurden ca. 23–24% der Kinder unehelich geboren. Insgesamt kam es aber nur zu geringfügig niedrigeren Geburtenzahlen von Polen während des Krieges gegenüber der Vorkriegssituation. Dazu trugen auch die Rahmenbedingungen bei: Eine Schwangerschaft und eine Betreuung von Kleinkindern bildeten einen effektiven Schutz vor der Verschleppung zur Zwangsarbeit ins Reich.38 Durch den ganzen Krieg, besonders 1940/41, fanden in Lodz überdurchschnittlich hohe Aushebungen von Zwangsarbeitern statt. Insbesondere im Reichsgau Wartheland wurden besonders viele Zwangsarbeiter rekrutiert, auch um Region und Stadt möglichst rasch zu germanisieren. In Industriebetrieben im Altreich ist vielfach feststellbar, dass die ersten Zuweisungen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter meist Arbeiter aus dem Wartheland betrafen. So trafen bei den IG-Farbenwerken in Leverkusen im Juni

37 38

Statistische Auswertungen liegen nur nach Konfession vor, belegen aber die höhere Sterblichkeit unter Polen, vgl. Janusz Wróbel, Przemiany demograficzne w Łodzi w latach okupacji niemieckiej 1939–1945, in: Łódź pod okupają, S. 15–62, hier 51. Wróbel, Przemiany, S. 50, 59.

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1940 die ersten 112 Polen ein, sie kamen alle aus Lodz. Auch der erste Transport nach Leverkusen, 21 Frauen, kam aus Lodz.39 Die Betroffenen wurden auf mehreren Wegen rekrutiert: Vor allem 1940 wurden Textilbetriebe dazu aufgefordert, Arbeiter freizustellen, die dann kontingentweise zur Zwangsarbeit verschickt wurden. In anderen Fällen erhielten junge Menschen ab dem 14. Lebensjahr oder Arbeitslose eine Aufforderung, sich beim Arbeitsamt zu melden, dort wurde ihnen mitgeteilt, dass sie nach Deutschland zur Arbeit vermittelt würden. Kamen sie der Aufforderung nicht nach, wurde die Familie mit Repressionen (Verhaftung oder Verschickung der Eltern und Geschwister) bedroht. Schließlich wurden Personen auch willkürlich auf der Straße oder in Verkehrsmitteln in Razzien festgenommen, zum Arbeitsamt gebracht und im Falle der Entbehrlichkeit deportiert. Durch die Lodzer Lager wurde auch vielfach die polnische Landbevölkerung verschickt, die von ihren Höfen, oft zugunsten von Wolhynien- oder Bessarabiendeutschen, deportiert worden waren. Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangarbeiter wurden dann in den Durchgangslagern in der Kopernikusstraße und der ul. Łąkowa gesammelt, teilweise rassekundlich untersucht (ul. Sporna), was manchmal mit Angeboten zur Eindeutschung verbunden war und schließlich in größeren Transporten über den Kalischer Bahnhof ins Altreich verbracht.40 Hier ein kondensierter Erinnerungsbericht einer jungen Lodzer Polin: Als Janina L. 14 Jahre alt war, „musste sie sich beim Arbeitsamt melden. Während ihre Freundinnen in die Fabrik geschickt wurden, sollte Janina als Dienstmädchen in deutschen Familien arbeiten […], eine harte und ungewohnte Arbeit: vom Windelwaschen bis zum KohlenSchleppen, und das unter Beschimpfungen. […] Durch die harte und ungewohnte Arbeit überfordert, ging sie entweder nicht mehr hin, oder die Mutter erzählte, ihre Tochter hätte Tuberkulose, oder aber die deutschen Hausfrauen verzichteten von sich aus […]. Nachdem Janina die dritte Arbeitsstelle bei einer deutschen Familie verlassen hatte, wurde ihr vom Arbeitsamt wegen Arbeitsverweigerung KZ-Haft angedroht. Bei der vierten Familie (Russlanddeutsche) hielt sie es auch nicht aus und kam in ein Duchgangslager für Jugendliche. Dort verbrachte sie ca. 6 Tage unter schlimmsten Bedingungen. In einer leer stehenden Fabrikhalle in der Kopernikus-Straße mussten die jungen Menschen auf dem bloßen Fußboden schlafen. […] Im Dezember 1942 wurde Janina nach Leverkusen geschickt.“41 Im Sommer 1944, als die Rote Armee vor Warschau stand, wurden „kriegswichtige“ Betriebe samt ihren Belegschaften nach Westen verlegt. Betroffen war die Belegschaft der Telefunken-Röhrenwerke: Ca. 1400 Zwangsarbeiter, mehrheitlich Frauen, wurden im

39 40 41

Stefanski, Zwangsarbeit in Leverkusen, S. 73–77. Ebenda, S. 78–80 auf der Basis von Berichten der Betroffenen. Auf der Basis eines Interviews mit Janina L. nachgezeichnet ebenda, S. 84–85.

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August 1944 mit der Bahn nach Ulm in die Festung Wilhelmsburg und in andere Telefunken-Betriebe transportiert und kehrten erst 1945/46 zurück.42 Überlebensstrategien Unter den Bedingungen einer allgegenwärtigen Verfolgung sahen polnische Überlebensstrategien sehr unterschiedlich aus. Für die leicht identifizierbaren polnischen Wirtschaftseliten und Bildungsbürger, die von der Verfolgung und dem Terror in der „Intelligenzaktion“ besonders betroffen waren, war ein Überleben in Lodz schwer, ja kaum möglich. In den Ausführungsbestimmungen zu den Deportationen hatte es geheißen: „Objektive Merkmale wie akademische Bildung oder hohe Berufsstellung können bei der Festlegung des zu evakuierenden Personenkreises als Anhaltspunkte verwandt werden. […] So zählen Fabrikeigentümer und Großgrundbesitzer auf Grund ihrer wirtschaftlichen Machtstellung oder Lehrer auf Grund ihres geistigen Einflusses ohne Rücksicht auf die Vorbildung zur Intelligenz“.43 So wurden Lehrer als potentielle Vermittler polnischer Kultur besonders verfolgt, bereits Anfang 1940 waren zumindest 46 Lehrerinnen und Lehrer – die tatsächliche Zahl liegt deutlich höher – aus der Stadt deportiert oder ihrer Wohnung verwiesen worden.44 In die polnische Armee und vielfach in sowjetischen Internierungslagern festgehaltene Lodzer wurden das Opfer der sowjetischen Mordpolitik, für die der Name Katyn steht. Für polnische Akademiker oder Unternehmer gab es im deutschen Litzmannstadt keinerlei adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten. Vielfach blieb gerade polnischen Wirtschaftsbürgern, die zudem aufgrund ihrer Herkunft und deutscher Familiennamen vielfach als „Renegaten“ galten, nur die Flucht ins Generalgouvernement: Die Unternehmerfamilie Grohman ging nach Krosno, wo die Familie Anteile an einer Textilfabrik besaß und überlebte dort den Krieg.45 Maryla Biedermann und Alfred Kaiserbrecht, die beide die DVL nicht unterzeichnen wollten, gingen 1940 unter falschem Namen nach Radom und heirateten dort. Beide wurden im April 1942 nach dem Besuch von Lodzer Freunden in Radom von der Gestapo verhaftet, abgeschoben und erst nach der Unterzeichnung der DVL 1943 wieder freigelassen – sie waren weiterhin verdeckt im polnischen Widerstand tätig. Maryla Biedermann wurde erneut inhaftiert (vgl. S. 304).46 Der Pfarrer der evangelischen Kirche Karol Kotula, der in der Zwischenkriegszeit in Lodz eine polnischsprachige evangelische Gemeinde aufgebaut hatte, war besonders 42 43 44 45 46

Silvester Lechner (Hg.), Schönes, schreckliches Ulm. Ulm 1996; Chmielewski, Ulm (Berichte polnischer Zwangsarbeiter). Der Höhere SS- und Polizeiführer Posen, 16.11.1939, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 108–109. Angabe nach Krzysztof Lesiakowski, Tajne nauczanie w okupowanej Łodzi (1939–1945) – organizacja, ludzie, znaczenie, in: Toborek/Trębacz, Łódź pod okupacją, S. 291–310, hier 294. Spodenkiewicz, Piasek, S. 83–84. Wanda Kuźko, Biedermannowie. Dzieje rodziny i fortuny, 1730–1945. Łódź 2000, S. 160–167.

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bedroht. Die polnische evangelische Pfarrei wurde am 10. Dezember 1939 von der Gestapo aufgelöst, die Pastoren Alfred Hauptman, Adolf Gloc und Jerzy Sachs im gleichen Monat verhaftet und in deutsche Konzentrationslager eingeliefert. Pastor Alexander Falzmann aus Zgierz wurde in Dachau ermordet. Kotula floh zunächst nach Warschau und überlebte dann als landwirtschaftlicher Arbeiter im heimischen Teschener Land.47 Pfarrer Gloc wurde 1940 aus dem KZ entlassen und überlebte ebenfalls in einem landwirtschaftlichen Betrieb bei Tschenstochau. Eine andere Überlebensstrategie von Polen in gemischten Familien konnte darin bestehen, Unternehmen und Immobilien auf die deutschen Familienangehörigen (Ehepartner, Geschwister) zu überschreiben und auf diesem Wege den Krieg in Litzmannstadt zu überdauern. Dies konnte erfolgreich sein, allerdings wuchs auf deutschsprachige Polen während des Krieges der Druck, doch noch die Deutsche Volksliste anzunehmen. Nach dem Kriege standen solche gemischten Familien unter besonderer Beobachtung sowjetischer Soldaten und der polnischen Staatssicherheit und zahlten für Kompromisse vielfach mit Lager- und Gefängnishaft, Erpressung bis hin zur Ermordung.48 Insgesamt führten Flucht, Abwanderung und differenzierte Überlebensstrategien dazu, dass unter den Lodzer Polen im Kriege vor allem Arbeiter und von Strafmaßnahmen weniger bedrohte Frauen zurückblieben, während Gebildete, Akademiker und Wirtschaftsbürger die Stadt verlassen mussten. Das polnische Lodz war somit eine überdurchschnittlich proletarisierte und feminisierte Stadtgesellschaft, was sich auch über 1945 hinaus auswirkte. Alltagsgeschichte und Grauzonen Grundsätzlich muss der Situation völliger rechtlicher und lebensweltlicher Unsicherheit Rechnung getragen werden, die für die polnischen und noch stärker für die jüdischen Lodzer galt: Am Horizont standen weitere Aussiedlungen und eine Gettoisierung auch der polnischen Bevölkerung, die Kriegsdauer und eine eventuelle Befreiung waren völlig unabsehbar. Nachrichten und Gerüchte über die deutschen Verbrechen machten die Runde, die wirtschaftliche Situation hatte sich durch die Massenentlassungen polnischer Arbeiter Ende 1939 deutlich verschlechtert. Da eine eigene Presse und andere Medien fehlten, bildeten die deutschen Erzeugnisse wie die Litzmannstädter Zeitung auch für Polen die wichtigsten Informationsmittel und konnten nur fallweise durch Nachrichten von Radio London und eigene Untergrundpublikationen richtiggestellt oder ergänzt werden.

47 48

Erinnerungen: Karol Kotula, Od marzeń do ich spełnienia. Wspomnienia z lat 1884–1951. Bielsko-Biała 1998; in der Wertung einseitiges Biogramm zu Kotuła bei Kneifel, Pastoren, S. 113–115. Hornberger, Aufgewachsen in Lodz, S. 103–104, 127–128 schildert den Fall seines polnischen Großvaters.

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Polnisches Leben spielte sich nicht mehr auf den Straßen und Innenhöfen der Stadt ab, die von NS-Organisationen, deutscher Polizei und Zellen- und Blockleitern kontrolliert wurden, sondern vor allem im Schutze der zumeist kleinen Wohnungen. Oft in beengten Wohnküchen, in geheimen Beratungen und in meist aus Sicherheitsgründen nur in einem kleinen Personenkreis durchgeführten Gesprächen und Diskussionen. In seiner Autobiographie beschreibt Lucjan Kieszczyński die Verschlechterung der lebensweltlichen Beziehungen zwischen Deutschen und Polen zwischen Ende 1939 und 1944. Es habe in Lodz auch im Alltagsleben eine Trennung zwischen einer deutschen und einer polnischen Gesellschaft gegeben. Schikanen durch die Polizei, Beamte und Vorarbeiter hätten die Situation immer mehr verschärft.49 Polnische Arbeiter, die bewusster Verzögerungstaktiken verdächtigt wurden, etwa im Verdacht standen, den Aufrufen aus dem Untergrund, gestützt auf die polnische Kampagne des „Langsam arbeiten“ (poln. Pracuj powoli), Folge zu leisten, seien aus den Fabriken abgeschoben und zur Zwangsarbeit verschickt worden.50 Polnische Arbeiter hätten durch Krankschreibungen versucht, sich dem Arbeitszwang zu entziehen und seien dabei teilweise von deutschen Ärzten gegen die Firmenleitung unterstützt worden.51 Im Gegenzug seien im polnischen Milieu Listen von „Volksdeutschen“ entstanden, die Polen schikanierten und bei der Arbeit besonders eifrig waren, aber auch Listen von mutmaßlichen polnischen Denunzianten.52 Diese Wahrnehmung, man sei von zum Verrat geneigten Deutschen, Nationalsozialisten, Spitzeln und Denunzianten umgeben, war nicht falsch – das Netz der NS- Behörden und der Gestapo war in Lodz besonders dicht, jeder Hausmeister oder Blockwart war offiziell verpflichtet, Nachrichten zu sammeln und das geheime Spitzelnetz der deutschen Behörden war mit gekauften oder erpressten Spitzeln dicht besetzt. Geführt wurde es von der Litzmannstädter Polizei, in der auch ortskundige polnische und deutsche Kommissare der Vorkriegszeit arbeiteten, die die Verhältnisse genau kannten. Verhaftungen und Haftstrafen führte der Widerstand häufig auf Meldungen und Denunziationen der Lodzer Deutschen zurück.53 Das Gefühl der Unsicherheit verstärkte die vielfach unkontrollierte Ausstellung von Sonderausweisen und Erlaubniskarten auch an Polen wie das Versagen solcher Ausweise. Personen deutscher Abstammung, die die Volksliste nicht annahmen, lebten in ständiger Unsicherheit und wurden ab 1941 verstärkt vorgeladen und in Arbeitslager eingewiesen.54 Vorladungen vor das besonders verhasste deutsche Arbeitsamt konnten jederzeit mit einer Verpflichtung zur Zwangsarbeit vor Ort oder im Altreich enden, Begegnungen mit Polizisten auf den Straßen erschienen unkalkulierbar. 49 50 51 52 53 54

Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 180, 186 Bestechung eines Gendarms (jeweils wegen Fehlens gültiger Passierscheine). Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 166–167. Ebd., S. 166–168. Ebd., S. 141–143, 174 (Liste von Deutschen, die sich gegenüber Polen negativ verhalten hatten). Malecki, Pod znakiem Wandałów, S. 43. Kieszczyński, S. 160 (Mirek Buchner), 169 (Czerwinski), 175 (Hugo Neuman, geb. 12.2.1908).

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Stark eingeschränkt war zudem der Bewegungs- und Aktionsradius der polnischen Bevölkerung: Durch die langen Arbeitszeiten, die Sperrzeiten ab Einbruch der Dunkelheit und die eingeschränkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erschienen andere Stadtviertel kaum noch erreichbar – das Leben reduzierte sich auf das unmittelbare Umfeld und die eigene Wohnung. Auch Kinobesuche waren unkalkulierbar – viele Kinobesitzer suchten aus Einnahmegründen auch Filmvorführungen „Nur für Polen“ zu beantragen und zu organisieren. Dem wurde in den Vorstadtkinos für einzelne Filme wiederholt stattgegeben (etwa Kino Mimosa, Kilińskiego/Buschlinie). Diese Erlaubnis blieb allerdings willkürlich, wurde in der „Litzmannstädter Zeitung“ nicht angekündigt und konnte immer durch „Zutritt für Polen verboten“ aufgehoben oder durch Razzien sanktioniert werden.55 Generell berichten deshalb polnische Erinnerungen von einem „Schrumpfen der Welt“, bis dahin alltägliche Reisen und Besuche waren nicht mehr durchführbar, die Lebenswelt beschränkte sich auf den Straßenzug oder das Viertel.56 Generell zugelassen blieben dagegen Zirkusbesuche auch für polnische Lodzer, da die aufwändigen Besuche etwa des reichsdeutschen Zirkus Sarrasani oder des aus Wien kommenden Zirkus Medrano am Wodny Rynek/Wasserring sich nur dann für die Unternehmen rechneten, wenn auch von der polnischen Mehrheit der Stadtbevölkerung Eintrittserlöse und Einnahmen generiert werden konnten. Besuche der reichsdeutschen Zirkusunternehmen lagen zugleich im Interesse der deutschen Stadtverwaltung, die den deutschen Bewohnern eine großstädtische Normalität präsentieren wollte. Andererseits gab es verbreitete Zonen von heimlichen und privaten Kontakten, die trotz Verboten im Krieg fortgeführt wurden: Etwa existierten Romanzen und Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Arbeitern trotz aller Verbote: Aus der Horak’schen Fabrik berichtete Kieszczyński vom Selbstmord der jungen Polin Marysia, die, nach einer Romanze mit einem deutschen Arbeiter schwanger, von ihrer Familie verstoßen wurde.57 Bei Kontakten im Kollegenkreis und mit Bekannten erfolgten vielfach informelle Hinweise darauf, dass ein Angehöriger der Person, die man treffen werde, die Deutsche Volksliste unterzeichnet habe, was zu einer Frage der „Zuverlässigkeit“ werden konnte. Was konnte man noch sagen, was bereits nicht mehr? Die nationalen Aufspaltungen und Risse gingen vielfach mitten durch einzelne Familien, Kieszczyński schreibt über eine Freundin: „Ihr Vater, ein fanatischer Patriot, konnte, als ihre Mutter die Volksliste annahm und als sie dann den Sohn in die deutsche Armee einzogen, dieses nicht ertragen und beging Selbstmord, er hängte sich auf. Hierzu trug auch bei, daß er von einem Deutschen geohrfeigt wurde, was er als Verletzung der polnischen Ehre ansah. Er wollte nicht mit einer deutschen Frau und einem deutschen Soldaten als Sohn leben.“58 55 56 57 58

Jerzy Krzywik Kaźmierczak, Paskudne lata. Wspomnienia z okupowanej Łodzi. Łódź 2014, S.  24; Kieszczyński, Bd. 2, S. 179–180. Madejska, Aleja włókniarek, S. 151–152. Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 182–183. „Jej ojciec, Polak, fanatyczny patriota, gdy jej matka przyjęła Vokslistę i kiedy potem wzięli ich syna do wojska niemieckiego, nie mógł tego przeżyć i popełnił samobójstwo, wieszając się. Przyczynił się do

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Nicht immer musste es jedoch zu solch dramatischen Eskalationen kommen. Hinter einer Unterzeichnung der Volksliste durch ein Familienmitglied konnte auch eine familiäre Überlebensstrategie stecken, indem so die Verfügung über Eigentum, ein besserer Arbeitsplatz oder die Schulmöglichkeiten für die Kinder gesichert werden konnten. Mit der Dauer der deutschen Herrschaft in Lodz wurden auch traditionelle katholischpolnische Rückzugsbereiche zunehmend von der deutschen Kontrolle erfasst: Das galt insbesondere für die katholische Kirche – im Warthegau und in Lodz dominierte in der Kirchenpolitik ein Kirchenkampf gegenüber allen Kirchen, insbesondere aber gegen die polnisch-katholische Kirche. Der höhere Klerus wurde immer wieder interniert, im Mai 1941 kam es zu einer Verhaftungswelle gegenüber katholischen Geistlichen, die vielfach in das KZ Dachau eingewiesen wurden.59 Bischof Jasiński wurde in das Generalgouvernement ausgewiesen, die katholischen Kirchen weitgehend geschlossen und ausgeraubt, in der Kathedrale ein Wehrmachtslager errichtet, der Bischofspalast zum Sitz der NSDAP bestimmt. In der Stadt blieben – für 300.000 Katholiken! – nur drei polnischkatholische Kirchen geöffnet. Alle Vermittlungsversuche durch Roman Gradolewski, den katholischen Pfarrer an der Heiligkreuzkirche in Lodz, der die Deutsche Volksliste unterzeichnet hatte und im Krieg dort Seelsorge und Gottesdienste „Nur für Deutsche“ abhielt, scheiterten: Gradolewski sprach in Berlin mehrfach bei Nuntius Cesare Orsenigo vor, ohne Erfolg.60 Resistenz und kultureller Widerstand Die deutsche Schulpolitik sollte dazu dienen, die Entstehung eines polnischen Staates dauerhaft auszuschließen und neben der Verfolgung und Ermordung der Eliten dafür sorgen, dass keine Elite „nachwächst“. Sichtbar wird das in der bekannten Anweisung von Heinrich Himmler: „Eine grundsätzliche Frage bei der Lösung aller dieser Probleme ist die Schulfrage und damit die Frage der Sichtung und Siebung der Jugend. Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, den

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tego fakt spoliczkowania go przez Niemca, co uznał jako obrazę honoru Polaka. Nie chiał żyć z żoną Niemką i synem Niemcem-żołnierzem.“ Ebd., S. 185 über die Familie Dudziński. Antoni Galiński / Marek Budziarek (Hg.), Akcje okupanta hitlerowskiego wobec Kościoła katolickiego w Kraju Warty. Łódź 1997. Roman Ligarski, W kleszczach totalitaryzmów. Księdza Romana Gradolewskiego i ojca Jacka Hoszyckiego życiorysy niedopowiedziane. Warszawa 2017, S. 32–64, hier 47; Kieszczyński, Pamiętnik, S. 139. K. nennt in der ul. Rzgowska die Kirche Verklärung Christi, in der ul. Antoniego die dem Hl. Antonius von Padua geweihte Kirche und in der ul. Rokicińska die Kazimierz-Kirche; Malecki, Pod herbem Wandałów, S. 59.

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Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich.“61 Da in Litzmannstadt seit dem 20. Dezember 1939 keinerlei polnischsprachiger Schulunterricht erlaubt war und das deutsche Schulsystem ausschließlich Deutschen vorbehalten blieb, bemühten sich polnische Frauen und Männer von Anfang an, als Akt des kulturellen Widerstands ein polnischsprachiges geheimes Schulsystem aufzubauen. Eine erste „Polenschule“ mit deutscher Unterrichtssprache und begrenzt auf einen Grundunterricht in Rechnen und Schreiben – Polen sollten in der Regel als ungelernte Arbeiter eingesetzt werden – entstand in der Stadt erst im Februar 1943. Bis zur Befreiung von Lodz gab es nur drei solche Schulen, obwohl jährlich mehr als 5.000 katholische Schüler hätten eingeschult werden müssen.62 Nach Angaben des Städtischen Schulamtes aus dem Februar 1944 waren „ungefähr 30.000 polnische Kinder im Alter von 9–13 Jahren vorhanden“, von denen allerdings nur „rund 3.000“, die Schule besuchten.63 Unter diesen Umständen bot nur ein Untergrundunterricht eine Perspektive, war aber infolge der straffen Überwachung höchst schwierig zu organisieren: Den Schülern wurden im Dezember 1939 bei den Schulschließungen die Schulbücher vielfach mit nach Hause gegeben, mit der Perspektive, dass ein weiterer Unterricht allerdings nicht stattfinde. Auch die Lehrerinnen und Lehrer wurden einfach entlassen. Aus dieser Situation heraus und vor dem Hintergrund der Traditionen eines polnischen Untergrundschulwesens bereits in der Teilungszeit entstanden bald erste Initiativen zu einem Unterricht im Verborgenen. Im Unterschied zum Generalgouvernement, wo durch die Widerstandsbewegung ein entwickeltes Schulsystem aufgebaut wurde, waren infolge der Überwachungsdichte in Lodz nur multiple, aber kleinere private Initiativen möglich. Den Versuch, ein zentrales organisiertes Schulsystem im Untergrund aufzubauen, bezahlte der Gymnasiallehrer Zygmunt Lorentz mit dem Leben: Lorentz war ein in Lodz weithin bekannter Pädagoge und Organisator des wissenschaftlichen Lebens; als Mitarbeiter der Freien Hochschule, Herausgeber von Zeitschriften und Sekretär des Bürgerkomitees 1939 erfüllte er viele Aufgaben. 1940 ins Generalgouvernement deportiert, engagierte er sich dort für den Aufbau eines Untergrundschulwesens und übernahm als Leiter der Kommission für Bildung und Kultur für die Wojewodschaft Lodz im polnischen Untergrundstaat eine herausgehobene Funktion. Da es keine Nachrichten aus Lodz gab, reiste Lorentz selbst am 13. September 1943 in die Stadt, fand dort bei seinem Cousin, dem Elektroingenieur Zygmunt Rau, der ebenfalls im Widerstand aktiv war, Unterkunft, geriet dort aber bereits am 17./18. in eine Gestapo-Razzia. Maryla Kaiserbrecht versuchte Lorentz noch zu retten, 61 62 63

Heinrich Himmler, Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten (Mai 1940), zit. nach Hansen, Quellen zur Schulpolitik der Besatzer, S. 20. Lesiakowski, Tajne nauczanie, S. 295. Zum von oben vorgegebenen Schulprogramm in den deutschen „Polenschulen“ Łuczak, Położenie ludności, S. 329–333. Städtisches Schulamt Litzmannstadt an den Regierungspräsidenten, 23.02.1944, Druck in Łuczak, Położenie ludności, S. 336–337.

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wurde ebenfalls verhaftet und sah Lorentz noch im Polizeigefängnis Robert-Koch-Str. 16 (ul. Sterlinga 16). Er wurde nach mehrfachen Verhören und Folterungen ermordet.64 Das Schicksal von Lorentz zeigte, dass in der Stadt der Aufbau eines zentral organisierten Untergrundschulwesens nicht möglich war und brutal unterbunden wurde. Vor allem Lehrerinnen organisierten jedoch kleine Unterrichtsgruppen, die in wechselnden Räumen, oft bei den Eltern, stattfanden. Ohne Bezahlung erhielten sie manchmal Lebensmittel. Realistische Schätzungen gehen für die Besatzungszeit von insgesamt 800–1.000 Schülern und ca. 200 Lehrerinnen aus.65 Vermittelt wurden vor allem Mathematik, Fremdsprachen und polnische Kultur. Gelesen wurden polnische Klassiker, die in hohem Maße identitätsstiftend waren, etwa die Trilogie von Henryk Sienkiewicz. Der Unterricht gab den Schülern ein hohes Selbstwertgefühl und das Gefühl kultureller Selbstbehauptung. Eine Schülerin erinnerte sich: „Die Füße schmerzten mir in den durchgeweichten Schuhen nach dem ganztägigen Laufen in der Stadt mit den Nachrichten. Ich ziehe die Schublade auf und unter der Schicht der deutschen Texte komme ich an meine Hefte heran. Ich packe sie eilig in meine Tasche. Direkt von der Arbeit gehe ich zum Unterricht. Der Gedanke daran erfüllt mich mit Freude. Ich bin schon keine Botin mehr in einem großen deutschen Büro. Ich bin eine Schülerin, die zum Unterricht eilt. Ich bin frei. Ich bin ich.“66 Für die Lehrerinnen war die Erteilung von Unterricht extrem gefährlich. Aufgrund von Denunziationen erfolgten wiederholte Festnahmen, ca. ein Dutzend Personen wurden in Lager eingeliefert, mindestens fünf starben dort oder bei Vernehmungen,67 andere überlebten. Ein Beispiel unter vielen: Antonina Chrzczonowicz baute im Arbeiterviertel Widzew mit Helfern ein Schulsystem auf, in dem 1940–1944 ca. 60 Schüler unterrichtet wurden. Im Januar 1942 verhaftet, überlebte sie die Lager Auschwitz, Ravensbrück und Buchenwald und studierte nach dem Krieg noch Medizin in Lodz.68

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67 68

Marek Budziarek, Mistrz. Zygmunt Lorentz (1894–1943), in; ders., Łodzianie. Łódź 2000, S.  126–131; Bericht von Alfred Kaiserbrecht über die Festnahme von Lorentz in Muzeum Tradycji Niepodległości,  A. 9078. Darstellung auf der Grundlage von Lesiakowski, Tajne nauczanie, S. 295. Ältere Angaben sind vielfach überhöht. „Nogi bolą w przemokniętych butach, po całodziennym bieganiu po mieście z przesyłkami. Wysuwam szufladę i spod warstwy przekazów niemieckich wydobywam moje zeszyty. Pośpiesznie chowam je do torebki. Prosto z pracy pójdę na lekcję. Myśl ta przepełnia mnie radością. Nie jestem już gońcem w wielkim niemieckim biurze. Jestem uczennicą spieszącą na lekcje. Jestem swoboda, Jestem sobą.“ W szkołach, których nie było, S. 27. Biogramme von Frauen in Halina Michalska [u.a.], Słownik uczestniczek walki o niepodległość Polski 1939–1945. Poległe i zmarłe w okresie okupacji niemieckiej. Warszawa 1988. Anna Burdówna, Antonina Chrzczonowicz (Hg.), Ravensbrück. Wspomnienia dla pamięci pokoleń – 25 rocznica oswobodzenia obozu Ravensbrück 1945–1970. Lódź 1970.

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Polnischer Untergrundstaat und militärischer Widerstand Die polnische Untergrundgesellschaft besaß unter den genannten Rahmenbedingungen eine extrem schwierige Ausgangsposition, da die Überwachungsdichte in Stadt und Umland groß war. Es gab viel geringere Handlungsmöglichkeiten als in den großen polnischen Städten des Generalgouvernements, in denen es nur eine geringe deutsche Zivilbevölkerung gab und ein enges Überwachungsnetz im durchweg polnischen Milieu nur teilweise aufgebaut werden konnte. Dagegen bestand in Lodz eine dichte Überwachung durch ein enges Polizeinetz, ein System von Zellen- und Blockwarten sowie erhebliche pro-nationalsozialistische deutsche Bevölkerungsgruppen. Auch die städtische Struktur mit den durch Tore abgeriegelten Innenhöfen, die jeweils von Hausmeistern und Nachtwächtern überwacht wurden, die bei dem hohen polizeilichen Fahndungsdruck zu Denunziationen geneigt waren, erschwerte eine Untergrundtätigkeit. Dieser hohe Kontroll- und Verfolgungsdruck wurde von dem im Herbst 1939 sich organisierenden polnischen Widerstand bereits früh erkannt: In einer Sachstandsmeldung des Leiters des Widerstands im besetzten Polen, General Stefan Rowecki, an den zu diesem Zeitpunkt in Paris tätigen militärischen Leiter des Widerstandes, Kazimierz Sosnkowski hieß es am 21. November 1940 nach einer Übersicht über „249 Einheiten, 410 Offiziere, 2.489 Unteroffiziere, 19.665 vereidigte Soldaten“, die für einen potentiellen militärischen Widerstand in der Region Lodz zur Verfügung standen, „eine Bewaffnung fehlt, die Sicherheit unserer Tätigkeit ist erheblich niedriger als im Generalgouvernement“.69 Tatsächlich rekrutierten sich die ersten Kader einer Widerstandsbewegung auch in Lodz aus den Reihen des Militärs, insbesondere der flüchtigen Offiziere (die Mehrzahl der polnischen Armeeoffiziere saß im Zweiten Weltkrieg in deutschen Offizierslagern) und der Unteroffiziere, die erste Widerstandsgruppen aufbauten, potentielle Soldaten rekrutierten, vereidigten und schulten. Im Frühjahr 1940 herrschte auch in Lodz noch ein Optimismus, dass mit dem erhofften französischen Vormarsch auch die polnischen Truppen im Exil Polen befreien könnten – an den Lodzer Häuserwänden tauchte der Slogan „Je höher die Sonne – desto näher General Sikorski“ auf, ein Zeichen für den Optimismus gerade unter den jungen Aktivisten des Widerstands.70 Nach der Niederlage Frankreichs brach dieser Optimismus teilweise zusammen, ein baldiges Kriegsende war nun nicht mehr in Sicht, zumal die Sowjetunion kaum als Verbündeter erschien. Die zuvor genannten Zahlen der Aktivisten im Widerstand, die im Kriegsverlauf noch stiegen – Mitte 1944 sprach man von 35.000 vereidigten Mitgliedern – sind nicht verifizierbar. Sie erlauben nur näherungsweise Aussagen über die Breite von Opposition und Widerstand, der, wenn man diese Zahlen annimmt, immerhin 3–5% der Bevölkerung 69 70

„Łódź – stan ilościowy: 249 plutonów, 410 oficerów, 2489 podof. 19665 szer. Służby czynnej zaprzysiężonych […] uzbrojenia brak, bezpieczeństwo pracy znacznie gorsze niż na ter. GG“, Rukowiecki, Łódź 1939–1945, S. 74. „Im słonko wyżej – tym Sikorski bliżej“ , Malecki, Pod herbem Wandałów, S. 33.

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der Region erreicht hätte und binnen Jahresfrist zwischen Oktober 1939 und Herbst 1940 aufgebaut worden war. An der Spitze der Widerstandsorganisation stand mit dem aus Chojny stammenden Zygmunt Janke (Pseud. „Walter“) ein polnischer Offizier, der in den Jahren 1940–1943 als Stabschef der polnischen Heimatarmee für den Bezirk Lodz fungierte.71 Allerdings stand dahinter eine sehr unterschiedliche Durchsetzungsfähigkeit: Der Bezirk der Heimatarmee reichte bis Kalisz im Westen, Wielun im Süden und Konin und Kutno im Norden und entwickelte vor allem auf dem Lande eine erhebliche Organisationsdichte. In der Stadt Lodz und der Umgebung existierten infolge der starken Präsenz von Polizei und Gestapo und einer großen deutschen Bevölkerung sehr schwierige Tätigkeitsbedingungen: In den Berichten der polnischen Heimatarmee wird immer wieder die Polizeipräsenz hervorgehoben: „Der Polizeiapparat in Lodz ist zu riesigen Ausmaßen ausgebaut. Die Gestapo zählt hier 180 Personen. Sehr erheblich ist auch die Zahl der Spitzel; unter ihnen leider auch viele Polen. […] Die Kriminalpolizei zählt 210 Personen, darunter 32 Polen, ehemalige Mitarbeiter der polnischen Staatspolizei. Auch die Kriminalpolizei besitzt eine große Zahl verschiedenster Spitzel. Da man über solch einen großen Ermittlungsapparat verfügt, kann die deutsche Polizei die Kontrolle über die Gesellschaft von Lodz fast vollständig durchführen.“72 Dies hatte erhebliche Konsequenzen für die polnischen Untergrundorganisationen: Alle fünf Kommandanten und die jeweiligen Leitungsstrukturen des Bezirks Lodz der Heimatarmee wurden bis 1942 enttarnt, vier davon fielen in deutsche Hände, wurden verhört, gefoltert und ermordet. Von Mai 1942 bis Januar 1945 befand sich deshalb das Kommando des Bezirks Lodz der Heimatarmee in Warschau, was natürlich die Möglichkeiten einer effektiven Tätigkeit vor Ort erheblich beschränkte. Das galt in der Stadt ähnlich für andere Widerstandsgruppen des nationalen Lagers, die angesichts des Verfolgungsdrucks ihre zentralen Akteure ebenfalls nach Warschau abzogen.73 Ähnlich eingeschränkte Möglichkeiten besaßen auch andere polnische Widerstandsorganisationen, deren Kader sich aus den Vorkriegs-Pfadfindern oder sozialistischen Jugendverbänden rekrutierten. Die Erfolge der aus dem sozialistischen Umfeld entstandenen und später der Volksarmee (Armia Ludowa) beigetretenen „Strahlenden“ (poln. Promieniści),74 die 1941/42 12 Ausgaben einer Zeitschrift herausgaben und kleinere 71 72

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Erinnerungen: Zygmunt Janke, W Armii Krajowej w Łodzi i na Śląsku. Warszawa 1969. „Aparat policyjny w Łodzi rozbudowany jest do olbrzymich rozmiarów. Gestapo liczy tu 180 osób. Bardzo pokaźna jest również liczba konfidentów; wśród nich niestety sporo Polaków. […] Policja kryminalna liczy 210 osób, w tym 32 Polaków, byłych wywiadowców służby śledczej polskiej Policji Państwowej. Policja kryminalna posiada do swojej dyspozycji również sporą ilość najróżnorodniejszego rodzaju konfidentów. Dysponując tak rozbudowanym aparatem śledczym, policja niemiecka doprowadziła kontrolę nad społeczeństwem łódzkim do granic doskonałości.“ Zbigniew Mazur (Hg.), Raporty z ziem wcielonych do III Rzeszy (1942–1944). Poznań 2004, S. 388. Jacek Pietrzak, Polska konspiracja polityczna w Łodzi 1939–1945. Zarys problematyki, in: Łódź pod okupacją, S. 207–223, hier 209, 211. Die Organisation nannte sich nach einer Wilnaer Studentengruppe aus dem Jahre 1820.

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Aktionen unternahmen, blieben sehr überschaubar – deutlich begrenzter als ihr Nachruhm (vgl. S. 335). Der sozialistische Widerstand organisierte sich vor allem in den größeren Betrieben, besaß allerdings in Gegenwart der Betriebsleitung und der überall vertretenen deutschen Belegschaft keine Massenwirksamkeit, sondern baute auf gut konspirierten Widerstandsgruppen auf.75 Nur begrenzte Aktionsfelder besaß auch die Lodzer Untergrundpresse – zur Herstellung einzelner Druckausgaben und zu ihrer Kolportage war ein größerer Personenkreis erforderlich, der entdeckt werden konnte. Viele Untergrundzeitschriften – nachgewiesen werden können etwa 30 verschiedene Titel – erschienen nur in wenigen Nummern, bis der Autoren- und Verteilerkreis verhaftet wurde. Dutzende Personen, oft auch Frauen, landeten deshalb in Konzentrationslagern oder wurden sogar hingerichtet.76 Das in Lodz von der Heimatarmee zur Tarnung als „Kujawisches Bulletin“ (Biuletyn Kujawski) herausgegebene Untergrundblatt brachte es auf ca. 40 Ausgaben.77 Deutlich effektiver verliefen dagegen andere Widerstandsformen, die weniger auf Breitenwirksamkeit abzielten, stärker auf kleinere Zirkel beschränkt blieben oder sogar das weniger kontrollierte deutsch-polnische Milieu der „Lodzer Deutschen“ nutzen konnten. Zu nennen sind insbesondere durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder Aufkleber verbreitete Aufrufe, die zu einem langsamen Arbeiten oder gar zur Sabotage aufriefen. Angesichts der alltäglichen Diskriminierung der polnischen Arbeiter trafen solche Aufrufe die Stimmung der Beschäftigten und wurden breiter befolgt – trotz zahlreicher deutscher Sanktionen gegen „Arbeitsverweigerung“. Gegen angebliche Sabotage griff die deutsche Besatzung von Anfang an zu offenem Terror: Als sich 1942 in der Ausbesserungswerkstatt „Promotor“ in den Räumen der ehem. Textilfabrik Leonhardt, Woelker i Girbardt (ul. Rzgowska/ plac Niepodległosci 4) der Verdacht erhärtete, ließ die Gestapo am 20. Juni 1942 fünf Polen auf dem Hof der Fabrik vor der ganzen Belegschaft wegen Sabotage, konkret der Erstellung von Flugschriften, die zur Produktion von Motoren mit Schäden aufriefen, hinrichten. Die öffentliche Hinrichtung sollte einschüchtern und abschrecken, ein weiterer Beweis für die Brutalität des deutschen Polizeiapparats. Auf der Seite des Widerstands als besonders erfolgreich erwies sich die „Aktion N“, die auf eine Desorientierung und Untergrabung des deutschsprachigen Lodzer Milieus abzielte, das durch Informationen, Flugschriften und Briefe, die deutsche Grausamkeiten enthüllten und Hinweise auf die bevorstehende Niederlage enthielten. Deutsche sollten eine Distanz zum NS-System aufbauen. Unter Leitung von Jan Libsz, der die DVL annahm, in die NSDAP eintrat und in den Steinertschen Betrieben arbeitete, und in 75 76 77

Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 141–142, 158–160, 173–176 beschreibt das am Beispiel der Textilfabrik Horak. Michalska, Słownik uczestniczek, S. 595–596 ca. 40 Einträge Lodzer Frauen, davon zahlreiche Frauen, die wegen Kolportage von Untergrundzeitschriften in das NS-System gerieten und dort umkamen. Roman Macyra, Prasa konspiracyjna w Kraju Warty w latach 1939–1945. Poznań 2006, S. 93.

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Kooperation mit Maryla Biedermann und Alfred Kaiserbrecht wurden mehrfach unter in Lodz stationierten Soldaten und Arbeitern der Rüstungsindustrie solche Informationen in deutscher Sprache verschickt. Die Mehrsprachigkeit der Lodzer Polen und die Kooperation mit antinationalsozialistisch eingestellten Polendeutschen wurde hier zum Vorteil, in perfektem Deutsch verfasste Briefe und Broschüren sorgten tatsächlich unter den Lodzer Deutschen wiederholt für Verwirrung.78 Die deutsche Besatzung in Lodz dauerte fünf Jahre und vier Monate. Kaum eine andere europäische Großstadt war im Zweiten Weltkrieg so lange besetzt. Die lange Besatzungszeit, die radikale Segregation und die fortwährende Diskriminierung mündeten auch auf polnischer Seite in ein wachsendes Gefühl einer völligen Trennung zwischen polnischer und deutscher Gesellschaft. In der Kriegssituation eher symbolische Maßnahmen wie die Aufstellung von Listen von „Volksdeutschen“, die als „fünfte Kolonne“ gegen die polnische Gesellschaft und Bevölkerung agierten, verstärkten diese Trennung. Im Sommer 1944, als der polnische Untergrundstaat in der „Aktion Gewittersturm“ (poln. Akcja burza) den vorrückenden sowjetischen Armeen wie auch einer Weltöffentlichkeit zeigen wollte, dass der Widerstand auch militärisch relevant war, scheiterte in Lodz die Vorbereitung.79 Stattdessen wurden weitere Widerstandsgruppen verhaftet, ab dem 2. August 1944 – einen Tag nach dem Ausbruch des Warschauer Aufstandes – alle eines Widerstands verdächtige Fabrikarbeiter zum Ausbau von Befestigungsanlagen und zum Ausheben von Panzergräben nach Osten in Frontnähe deportiert. Der Abtransport der erwachsenen Männer erfolgte direkt aus den Fabrikhallen zunächst mit LKW, dann vielfach mit Zügen vom Kalischer Bahnhof. Die Zwangsverpflichteten erhielten im Dezember 1944 vielfach Weihnachtsurlaub,80 in Lodz war jedoch in dieser Zeit an einen organisierten Widerstand nicht mehr zu denken. Eine zusammenfassende Beurteilung des Lodzer Widerstands ist schwierig, zumal vielfach Dokumente, die die Tätigkeit beschrieben, nicht aufbewahrt werden konnten und eine polnische Gesamtdarstellung bis heute fehlt. Nach 1945 entspannen sich zudem erhebliche innerpolnische Kontroversen um die Reichweite des Widerstands. Während im Untergrund tätige Akteure und Aktivisten die Bedeutung der eigenen Tätigkeit unterstrichen,81 spielte der Lodzer Widerstand auf gesamtpolnischer Ebene keinerlei Rolle, der Stadtbevölkerung wurde im Gegenteil vielfach unterschwellig Passivität und ein Arrangement mit den deutschen Besatzern vorgeworfen (vgl. S. 335). Aus der Nähe betrachtet lassen sich solche Pauschalisierungen schwerlich halten: Angesichts der schnellen Deportation großer Teile der Lodzer Bürgergesellschaft 78 79 80 81

Anna Gronczewska, Byli żołnierzami Armii Krajowej, dziś część z nich jest zapomnianych, in: Dziennik Łódzki, 09.03.2017. Die umfangreichen Planungen werden in den Erinnerungen von Roman Zygadlewicz „Zawor“, Na cichim froncie. Relacja z działalności konspiracyjnej w Łodzi 1939–1945. Łódź, Warszawa 2018, S. 205– 209, 220–224, 250–260, 309–368, 388–393 beschrieben. Beschreibung aus polnischer Perspektive: Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 194–204. Zygadlewicz, Na cichym froncie.

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und aller eines Widerstands verdächtiger Akteure, der Dichte des deutschen Überwachungsapparats aus Polizei und SS und der Anwesenheit von mehr als 100.000 zivilen Deutschen in der Stadt war organisierter effektiver Widerstand ausgeschlossen. Neuere polnische Untersuchungen halten mit Jacek Pietrzak fest: „Die Geschichte der Lodzer politischen Gruppen im Untergrund war eine Folge kühner Initiativen, und zugleich von Tragödien – immer wieder neuer Enttarnungen und Festnahmen, die oft den Tod der mutigen und opferbereiten Verschwörer zur Folge hatten.“82 Der polnische Blick auf die jüdische Bevölkerung und das Getto Die polnischen Lodzer wurden von ihren jüdischen Nachbarn durch die deutsche Besatzungspolitik scharf getrennt. Zu fragen ist, wie sich unter diesen Bedingungen das wechselseitige Verhältnis entwickelte. Die Frage ist nur teilweise und mit erheblichem quellenkritischen Aufwand zu beantworten, bildet aber einen Schwerpunkt neuerer polnischer Forschungen.83 Nach zeitgenössischen Berichten gab es in Lodz zunächst in der polnischen Bevölkerung zwar einen Antisemitismus, angesichts des deutschen Terrors im November 1939 konstatierte man jedoch auch in Chroniken: „auf Seiten der polnischen christlichen Bevölkerung zeigt sich eher Mitleid“.84 Junge jüdische Männer beobachteten ihre polnischen Nachbarn genau, so formulierte Dawid Sierakowiak in einem Tagebucheintrag vom 17. November  1939 angesichts des sich zuspitzenden deutschen Terrors: „Interessant, wie sich die Polen verhalten werden. Schließen sie sich zustimmend an den deutschen Mob an? Oder haben sie vielleicht schon verstanden, worauf dieses Opfern der Juden hinausläuft? Vielleicht erinnern sie sich an ihre Geistlichen, die gestern mit Hämmern das Kościuszko-Denkmal am Freiheitsplatz zerschlagen mussten, bis es die Deutschen, die ihre Hilflosigkeit sahen, in die Luft sprengten?“85 Andere Zeugnisse und Fotos zeigen, dass auch polnische Juden gezwungen wurden, sich an der Zerstörung des Denkmals zu beteiligen, ja in polnischen Stimmen wurde die Zerstörung der Synagogen sogar als Strafe für die jüdische Beteiligung beim 82 83

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„Dzieje łódzkich podziemnych ugrupowań politycznych to ciąg śmiałych inicjatyw, a zarazem tragedii – kolejnych wpadek i aresztowń, często skutkujących śmiercią odważnych i ofiarnych konspiratorów.“ Pietrzak, Polska konspiracja polityczna, S. 223. Dorota Siepracka, Stosunki polsko-żydowskie w Łodzi podczas okupacji niemieckiej, in: Andrzej Żbikowski (Hg.), Polacy i Żydzi pod okupacją niemiecką 1939–1945. Warszawa 2006, S. 691–762; vergleichend: Dariusz Libionka, Der polnische Untergrundstaat und die Vernichtung der Juden in den eingegliederten Gebieten, in: Jacek Andrzej Młynarczyk, Jochen Böhler, Der Judenmord in den eingegliederten Gebieten 1939–1945. Osnabrück 2010, S. 369–388. Ludwik Landau, Kronika lat wojny i okupacji. Warszawa 1962, Bd. 1, S. 104, Notiz vom 28.11.1939. „Ciekawe, jak się zachowają Polacy. Czy przyłączą się potakiwaniem do tłuszczy niemieckiej? A może i oni już przejrzeli, czym pachnie to ofiarowanie Żydów? Może wspomną swych księży, którzy musieli wczoraj tłuc młotkami pomnik Kościuszki na Placu Wolności, aż go Niemcy, widząc ich niezaradność, wysadzili dynamitem?“ Sierakowiak, Dziennik, S. 98.

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Abbruch des Kościuszko-Denkmals interpretiert.86 Jede Gemeinschaft erinnerte in dieser Ausnahmesituation die Täterschaft der anderen Gruppe. Die polnische Bevölkerung wurde in Lodz so zunächst vor allem zu Zeugen, trotz der Zwischenkriegspropaganda und der existenten antisemitischen Strömungen gibt es für den Herbst 1939 keine Belege, dass sich Polen an dem deutschen Terror beteiligten. Deutlich kritischer berichteten jüdisch-polnische Aufzeichnungen allerdings über die christlichen Reaktionen anlässlich der Einrichtung des Gettos: Es habe „keinerlei Anzeichen von Mitleid“ bei der Deportation der Juden in das Getto gegeben,87 fasste Emanuel Ringelblum die Zeugnisse von Lodzer Juden zusammen. Insgesamt habe es eine Passivität der polnischen Bevölkerung im Angesicht des Hungers und der Toten im Getto gegeben.88 Wir kennen aber auch andere Stimmen. „Die Polen verhielten sich angesichts dieser Tragödie anständig. Sie erledigten für Juden verschiedene Dienste in den Pfandleihanstalten. Der Antisemitismus war noch nicht so zu spüren, währenddessen alle ‚ordentlichen‘ Deutschen zu Schakalen wurden. […] Jeder erinnerte sich an den kleinsten Groll, den er irgendwann gegenüber einem Juden hatte und zeigte ihn bei der Gestapo an.“89 Insgesamt lassen sich so im Einzelfall sehr unterschiedliche Reaktionen aufzeigen, anständiges Verhalten steht neben Bereicherung. Zugleich berichtete die deutsche Presse wiederholt von Festnahmen von Polen, die die isolierten Menschen im Getto unterstützten: So wurde am 26. Mai 1940 von der Festnahme einer Polin berichtet, die die „Litzmannstädter Zeitung“ in das Getto schmuggeln wollte.90 Am  27. Juli 1940 wurden 23 Polen festgenommen, die als Mitarbeiter der Elektrizitäts- und Gaswerke Lebensmittel und andere Dinge ins Getto geschmuggelt hatten.91 In der polnischen Öffentlichkeit sprach man zudem über die polnischen Straßenbahner, die Brot und Zwiebeln aus den Bahnen geworfen hätten.92 Nur kleine Gruppen engagierten sich allerdings in einem tatsächlichen Widerstand. Im August und September 1941 gelang es dem polnischen Widerstand bei Arbeiten am Telegrafenbauamt den Ingenieur Stanisław Matyskiewicz einzuschleusen, der über die Situation im Getto umfangreich berichtete. Nach diesen Schilderungen schlossen die Passivität der Juden im Getto und die enge Kontrolle durch die Gestapo allerdings eine Zusammenarbeit mit Oppositionsgruppen im Getto aus, der polnische Widerstand 86 87 88 89

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Sitarek, Tramwajem przez getto, S. 277. Emanuel Ringelblum, Kronika getta warszawskiego. Warszawa 1983, S. 145. Dorota Siepracka, Die Einstellung der christlichen Polen gegenüber der jüdischen Bevölkerung im Wartheland, in: Jacek Andrzej Młynarczyk, Jochen Böhler, Der Judenmord in den eingegliederten Gebieten 1939–1945. Osnabrück 2010, S. 345–368, hier 348–349. „Polacy zachowali się wobec tej tragedii przyzwoicie. Załatwiali Żydom różne sprawy w lombardach. Antysemitizm jeszcze nie dawał się tak odczuć, a tymczasem wszyscy ‚poczciwi‘ Niemcy stali sę szakalami. […] Każdy z nich przypominał sobie najmniejszą urazę, jaką miał kiedyś do Żyda, i ciągał go do Gestapo.“ Bericht Róża Dobreckas v. 25.11.1946, zit. bei Sitarek, Tramwajem przez getto, S. 276. Rukowiecki, Łódź 1939–1945, S. 58. Ebd., S. 67. Ebd., S. 64.

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versuchte jedoch, monatliche Meldungen aus dem Getto zusammenzustellen.93 Łucjan Kieszczyński berichtet, er habe 1942 aus dem sozialistischen Untergrund den Auftrag erhalten, die Gettogrenzen auszuforschen und lief 1942 auf der „arischen Seite“ entlang des eingezäunten Gettos, konnte jedoch kaum Einsicht in das Gettogelände nehmen.94 Aus solchen Aufzeichnungen tritt deutlich die Verengung des lebensweltlichen Horizonts der polnischen Bevölkerung in Lodz hervor – selbst aktivistische Akteure konnten kaum einen Überblick über die deutsche antisemitische Politik und die verschiedenen polizeilichen Maßnahmen erhalten. Auch im Angesicht des Völkermords änderte sich das kaum: Als im April 1943 der Aufstand im Warschauer Getto losbrach, wurde dies auch zum Gesprächsthema im Lodzer Untergrund. „Der Aufstand der Juden im Warschauer Getto machte großen Eindruck. Stasiek Sz., der oft nach Warschau fuhr, berichtete mir, daß die jüdische Bevölkerung zu den Waffen gegriffen habe, als die Deutschen das Getto auflösen wollten. […] Wir sprachen auch über das Lodzer Getto, wo nach dem Hörensagen immer mehr Juden verhungerten. Stasiek behauptete, es gebe keine Möglichkeit für eine materielle Hilfe der Juden im Getto. Es sei sehr streng bewacht. Lodz gehöre zum Reich, es gäbe hier eine starke Fünfte Kolonne, nämlich die ortsansässigen Deutschen. Die Untergrundorganisationen seien schwach, verfolgt, immer wieder zerschlagen, was ihre Tätigkeit erschwere. Umso weniger könnten sie im Getto tätig werden.“95 Diese Einschätzung der Handlungsmöglichkeiten war Allgemeingut: Bis zur Auflösung des Gettos im August 1944 gab es keine Versuche, den eingesperrten Menschen in einer größeren Aktion zu Hilfe zu kommen. Die Wahrnehmung der Lodzer Deutschen als Kollaborateure Aus den zeitgenössischen Berichten der polnischen Bevölkerung drängt sich immer wieder die Wahrnehmung der deutschen Lodzer Bevölkerung als bereitwillige Kollaborateure einer terroristischen Politik auf. Zwar kannten viele Polen einzelne Deutsche, die Unterstützung leisteten oder zumindest von Schikanen absahen, doch änderten diese lebensweltlichen Erfahrungen nichts an dem generellen Bild, die deutsche Bevölkerung sei mit fliegenden Fahnen auf die Seite des Besatzers übergegangen und ziehe daraus nun 93 94 95

Zygadlewicz, Na cichim froncie, S. 109–112, 260–272. Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 174–175. „Duże wrażenie wywołał bunt Żydów w warszawskim getcie. Stasiek Sz., który często jeździł do Warszawy, opowiadał mi, że ludność żydowska chwyciła za broń, gdy Niemcy chcieli zlikwidować getto. […] Rozmawialiśmy na temat łódzkiego getta, gdzie podobno coraz więcej Żydów umiera z głodu. Stasiek stwierdził, że nie istnieje możliwość pomocy materialnej Żydom w getcie. Jest ono specalnie silnie strzeżone. Łódź należy do Rzeszy, jest tu dużo V Kolumny, czyli miejscowych Niemców. Podziemne organizacje są słabe, prześladowane, ciągle rozbijane, co uniemożliwia często ich normalną działalność. Tym bardziej więc nie mogą zdziałać w sprawie getta.“ Ebd., S. 181.

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materiellen Nutzen. Dieses Bild entsprach ja auch über weite Strecken den Tatsachen, die negativen Urteile über die Lodzer Deutschen als Kriegsgewinnler nahmen so zu. Mehr noch: In der Regel wurde allen Lodzer Deutschen ein „Verrat“ an ihren polnischen Mitbürgern vorgeworfen. Auch dieses Bild hatte einen erheblichen realen Kern. Polnische Menschen trafen ihre ehemaligen deutschen Mitbürger als Hilfspolizisten und Soldaten, als Mitarbeiter einer immer wieder zu Terrormaßnahmen greifenden Verwaltung, als Übersetzer auf Ämtern und als harsche, maßregelnde und nur selten freundliche Vorarbeiter und Meister in den Betrieben. Allgegenwärtige Zurücksetzungen und Beleidigungen wurden dem Gesamtbild der verräterischen Deutschen zugeschrieben, das sich bereits durch die Wahrnehmungen in den ersten Kriegstagen verfestigt hatte. Der ehemalige deutsche Nachbar, mit dem man einst gute nachbarschaftliche Beziehungen gepflegt hatte, wurde so immer stärker zum Fremden, zum Gegner, zum Feind. Er sprach zwar vielfach auch Polnisch und besaß gute Ortskenntnisse, gerade diese Eigenschaften machten ihn aber unter den Bedingungen der Kriegsgesellschaft zu einer Gefahr, zwischenmenschliche Beziehungen waren zerbrochen.

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Juden im Getto Litzmannstadt: Ausgrenzung, Verfolgung, Ermordung „Wehe den Gebieten, die als deutsche Territorien ins ‚Reich‘ eingegliedert wurden, wehe ihnen und im Besonderen den jüdischen Einwohnern. Das reiche Lodz, das mit dem ganzen Land Handel treibt, verwandelte sich in eine Hölle für die Juden. […] Die Lodzer Zeitung hetzt, in einer schändlichen Art und Weise, gegen die Juden. Es gibt kein Verbrechen, das den unglücklichen Juden nicht zur Last gelegt wird.“1  Chaim Aron Kaplan, Warschau 14. November 1939

Die Geschichte der Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der Lodzer Juden und des Gettos Litzmannstadt ist der aktuell am besten erforschte Teilbereich der Lodzer Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts. Das war nicht immer so: Bis 1989 entstanden wissenschaftliche Arbeiten oft nur im Exil, zentrale Editionen wurden nach politischen Interventionen abgebrochen.2 Seitdem sind jedoch mehr als ein Dutzend Monographien3

1 „Biada terenom które stały się ziemią niemiecką i włączone zostały do ‚Reichu‘, biada im, a w szczególności biada ich żydowskim mieszkańcom. Bogata Łódź, handlująca z całym krajem, przeobraziła się w piekło dla Żydów. […] Lodzer Zeitung podżega, w ohydny sposób, przeciwko Żydom. Nie ma takiej zbrodni, którą nieszczęśni Żydzi nie zostaliby obarczeni.“ Chaim Aron Kapłan, Dziennik 1939. Megila życia. Warszawa 2019, S. 191 (14.11.1939). Die Aufzeichnungen Kaplans wurden in hebräischer Sprache niedergeschrieben und sind infolge der zahlreichen intertextuellen Verweise und wörtlichen Entlehnungen aus der jüdischen religiösen Überlieferung schwer übersetzbar. Die vorliegende deutsche Fassung entstand auf der Basis der amerikanischen Fassung und weist viele Ungenauigkeiten auf, Chaim A. Kaplan, Buch der Agonie. Das Warschauer Tagebuch des Chaim A. Kaplan, hg. v. Abraham I. Katsh. Frankfurt a.M. 1967. Im Folgenden wurde die neu erschienene polnische philologische Übersetzung verwandt, die erheblich näher am hebräischen Ausgangstext bleibt und auch die Entlehnungen verzeichnet. 2 Danuta Dąbrowska, Łucjan Dobroszycki (Hg.), Kronika getta łódzkiego. 2 Bde. Łódź 1965–1966 [bis Ende 1942; Edition abgebrochen]; auf der Basis von herausgeschmuggelten Aufzeichnungen gekürzte englische Fassung: Łucjan Dobroszycki (Hg.), The Chronicle of the Lodz Ghetto, 1941–1944. New Haven 1984. Erst im Exil publiziert werden konnte die bereits in den 1960er Jahren in Polen verfasste Studie von Icchak (Henryk) Rubin, Żydzi w Łodzi pod niemiecką okupacją 1939–1945. Londyn 1988. 3 Isaiah Trunk, Łódź Ghetto. A History. Bloomington, Indianapolis 2006 [Erstauflage in jiddischer Sprache 1962]; Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten. Göttingen 2006; Adam Sitarek, „Otoczone drutem państwo“. Struktura i funkcjonowanie administracji żydowskiej getta łódzkiego. Łódź 2015.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_012

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und Sammelbände,4 umfangreiche Editionen5 und zahlreiche jüdische Selbstzeugnisse6 in allen Weltsprachen erschienen, die sich auf die sehr gut überlieferten Archivbestände zur Geschichte der zweitgrößten polnischen Judenheit im Zweiten Weltkrieg stützen können.7 Das folgende Kapitel verdankt dieser Literatur viel, im Unterschied zu anderen Teilen der Darstellung wurde angesichts der hervorragenden Literaturlage weitgehend auf eine eigene Quellen- und Archivforschung zur Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der jüdischen Lodzer im Zweiten Weltkrieg verzichtet. Ziel ist es, im Rahmen einer übergreifenden Stadtgeschichte auch die Perspektive der im Zweiten Weltkrieg brutal verfolgten jüdischen Bevölkerung angemessen darzustellen. Dabei ist hervorzuheben, dass retrospektiv die systematische Ausgrenzung und schließliche Ermordung der jüdischen Lodzer, die 1939 ein Drittel der Stadtbevölkerung bildeten, ohne Frage die zentrale Zäsur in der Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts darstellt. Zahlreiche Monographien, insbesondere die Arbeiten von Andrea Löw, die vor allem jüdische Selbstzeugnisse auswertet und Adam Sitarek, der die Perspektive der jüdischen Verwaltungsbehörde ins Zentrum rückt, liefern dazu eindrückliche Darstellungen, auf

4 Begleitband zur Austellung: „Unser einziger Weg ist Arbeit“. Das Getto in Łódź 1940–1944. Eine Ausstellung des jüdischen Museums Frankfurt a.M. 30. März bis 10. Juni 1990. Red. Hanno Loewy u. Gerhard Schoenberner. Wien 1990; Paweł Samuś, Wiesław Puś (Hg.), Fenomen getta łódzkiego 1940–1944. Łódź 2006. 5 Sascha Feuchert, Erwin Leibfried, Jörg Riecke (Hg.), Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt.  5 Bde. Göttingen 2007; Dominika Bopp u.a. (Hg.), Die Enzyklopädie des Gettos Lodz / Litzmannstadt. Göttingen 2020; Adam Sitarek, Michał Trębacz (Hg.), „Słuchają słów Prezesa  …“. Księga przmówień Chaima Mordechaja Rumkowskiego. Łódź 2011; Adam Sitarek, Ewa Wiatr (Hg.), Rok za drutem kolczastym (na marginesie obwieszczeń Pana Prezesa Ch. Rumkowskiego). Obwieszczenia Przełożonego Starszeństwa Żydów z getta łódzkiego (1940–1944). Warszawa 2019; Niedopowiedziana historia. Karty pocztowe z getta łódzkiego. Untold history. Postcards from Łódź Ghetto. Łódź 2015; Angelika Brechelmacher, Bertrand Perz, Regina Wonisch (Hg.), Post41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt. Reports from Litzmannstadt Ghetto. Wien 2015; Überblick über Bilddokumente: Andrea Löw, Documenting as a „Passion and Obsession“. Photographs from the Lodz (Litzmannstadt) Ghetto, in: Central European History 48 (2015), S. 387–404. 6 Überblick: Andrea Löw, Tagebücher aus dem Ghetto Litzmannstadt: Autoren, Themen, Funktion. In: Frank Bajohr, Sybille Steinbacher (Hg.), „… Zeugnis ablegen bis zum letzten“: Tagebücher und persönliche Zeugnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust. Göttingen 2015 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, 15), S. 142–163. Wichtige Werke in Auswahl: Jakub Poznański, Dziennik z łódzkiego getta. Warszawa 2002 [ältere Ausgaben zensiert und gekürzt]; Józef Zelkowicz, Notatki z getta łódzkiego 1941–1944, Red. Michał Trębacz u.a. Łódź 2016; Oskar Rosenfeld, Wozu noch die Welt. Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz. Hg. v. Hanno Loewy. Frankfurt a.M. 1994; Szmul Rozensztajn, Notatnik. Hg. v. Monika Polit. Warszawa 2008; „Les Vrais Riches“. Notizen am Rand. Ein Tagebuch aus dem Ghetto Łódź (Mai bis August 1944). Hg. v. Hanno Loewy u. Andrzej Bodek. Leipzig 1997. 7 Die umfangreichen Aktenbestände des AP Łódź „Przełożony Starszeństwa Żydów w Getcie Łódzkim / Der Älteste der Juden in Litzmannstadt-Ghetto“ wie auch „Zarząd Getta (Gettoverwaltung)“, zusammen mehr als zwei Millionen Scans, sind digitalisiert, vgl. www.lodz.ap.gov.pl/p,1,akta-w-internecie.

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die weiterführend nur verwiesen werden kann. Ziel ist es, diese Darstellungen stärker in ein Gesamtbild der Stadtgeschichte einzuordnen. Ausgrenzung Die antisemitische Ausgrenzung begann unmittelbar mit der deutschen Besatzung im September 1939: Bereits in den Tagen nach dem Einmarsch durchsuchte deutsches Militär und Polizei, oft angeleitet und unterstützt von deutschen Lodzern, in erster Linie jüdische Wohnungen und nahm willkürlich Gegenstände weg. Dieser Antisemitismus wurde im November 1939 mit der Eingliederung in den Reichsgau Wartheland zur offiziellen Regierungspolitik erhoben. In der Begrüßungsansprache des neu ernannten Regierungspräsidenten Uebelhoer für Reichsstatthalter Greiser vom 7. November 1939, die am Tag darauf in der Presse veröffentlicht wurde, hieß es für alle Leser unverblümt und ohne Skrupel: „Die Aufbauarbeit, die beginnen muß, um aus dem schmutzigen Brutherd des Weltjudentums wieder eine gepflegte Stätte deutscher Arbeit zu machen, wird mit rücksichtsloser und entschlossener Härte durchgeführt werden.“8 Hellsichtige jüdische Beobachter bemerkten diese frühe, und für 1939 auch im nationalsozialistischen Deutschen Reich einzigartige, Radikalisierung bereits unmittelbar. Aus Warschau berichtete Chaim Aron Kaplan am 4. November 1939 in seinem Tagebuch: „Infolge der fehlenden Presse kaufe ich mir von Zeit zu Zeit das Lodzer Gossenblatt ‚Deutsche Lodzer Zeitung‘. Im Zuge der Lektüre verspüre ich körperliche Schmerzen. In Lodz – dieser ‚alten deutschen Stadt‘, wie sie der Besatzer nennt, […] wird die gesamte Kriminalität den Juden zugeschrieben. Jeden Tag liefert die Zeitung eine gegen die Juden gerichtete Propaganda. Das kleinste Vergehen, bei dem man einen Juden erwischt, hebt die Zeitung hervor und bauscht es zu wiederholten Schilderungen über die ‚schuldigen und unmoralischen Juden‘ auf, die sich der Polizei widersetzen und der christlichen Bevölkerung das Blut aus den Adern saugen. […] Man findet keinen Befehl, keine Verkündigung oder eine andere Publikation der Behörden, in der die Juden nicht verunglimpft werden und in der sie nicht als eine niedere Rasse erscheinen, die das Böse verkörpert.“9

8 Deutsche Lodzer Zeitung, Nr. 304, 08.11.1939. 9 „Z braku prasy kupuję od czasu do czasu szmatławiec łódzki ‚Deutsche Lodzer Zeitung‘. W trakcie czytania ciało przeszywa mi ból. W Łodzi – tym ‚starożytnym niemieckim mieście‘, jak nazywa je okupant […], całą przestępczość zrzucono na karb Żydów. Każdego dnia gazeta serwuje wymierzoną w Żydów propagandę. Najdrobniejsze przewinienie, na którym przełapano by Żyda, gazeta wyróżnia i podaje jako zbiór przypowieści na temat ‚grzesznych i niemoralnych Żydów‘, niedających posłuchu policji i wysysających krew populacji chrześcijańskiej. […] Nie znajdziesz rozkazu, obwieszczenia ani innej publikacji z ramienia władz, żeby Żydzi nie byli w niej szkalowani i w której nie pokazywano by ich jako rasy niższej, z pociągiem do złego.“ Kapłan, Dziennik 1939, S. 177.

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Diese beispiellosen Maßnahmen, die früh eine öffentliche Kennzeichnung und Stigmatisierung der jüdischen Bürger ins Werk setzten, wurden ebenfalls in ihrer ethischen Verwerflichkeit früh wahrgenommen. Seit dem 14. November galt eine Stigmatisierung der jüdischen Bevölkerung durch Tragen einer „Armbinde in judengelber Farbe“ in der Öffentlichkeit.10 Kaplan verzeichnete in Warschau unter dem 19. Dezember 1939 den Zivilisationsbruch in seinem Tagebuch: „Der raubgierige Nazi schlug seine Krallen in die Lodzer Juden und saugt sie unbarmherzig, geradezu tierisch aus und zermalmt ihre Knochen. Ich befinde mich weit vom Geschehen entfernt. […] Aber die Vertriebenen aus Lodz fliehen nach Warschau und man findet kein Haus, in denen es nicht Flüchtlinge aus Lodz mit ihren Familien gäbe. Man sieht sie in jeder Straße und in jedem Winkel. Wenn Du sie triffst, durchbohren ihre ungeheuerlichen Erzählungen Dein ganzes Sein mit Angst. Vor Dir selbst wirst Du zu einem Gefäß voller Scham, einem Wurm, und nicht mehr einem Menschen. Seit dem Tag, an dem Grausamkeit und Raub auf die Welt kamen, kannten die Menschen keine Brutalitäten und Raubtaten auf eine so zynische und grausame Art und Weise.“11 Ausplünderung und Flucht Tatsächlich führte die radikal antisemitische Politik in Lodz zu einer massenhaften Flucht jüdischer Bürger: Seit September 1939 litten Juden Tag und Nacht unter willkürlichen Schikanen, Überfällen und Plünderungen.12 Folgendes Beispiel ist durch mehrere Aussagen, ein Gerichtsverfahren und spätere Begnadigungsgesuche der Täter in den deutschen Akten gut dokumentiert – Dutzende solcher Fälle lassen sich 1939/40 in den Akten finden, Hunderte sind passiert: Wilde Plünderungen, körperliche Misshandlungen und Beschlagnahmen waren im Herbst 1939 an der Tagesordnung. Dabei kooperierten oft deutsche Soldaten und Beamte mit Lodzer Deutschen und Hausmeistern, die Ortskenntnis besaßen und zu wissen glaubten, wo „etwas zu holen“ sei. Der zu diesem Zeitpunkt 15jährige Dawid Sierakowiak vertraute im Oktober 1939 seinem Tagebuch Erfahrungen persönlicher Erniedrigung an: „Was für ein ekelhafter Tag. Man kann sich kaum unsere heutige Angst und Aufregung vorstellen. [… Mama erfuhr,] dass um unsere Wohnblöcke 10 11

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Verordnung des Regierungspräsidenten v. 14.11.1939, Abdruck: „Unser einziger Weg ist Arbeit“, S. 149. „Drapieżny nazista zatopił swoje szpony w Żydach Łodzi i bezlitośnie, po zwierzęcemu, wysuwa z nich krew i łamie im kości. Znajduję się z dala od wydarzeń. […] Ale wysiedleńcy z Łodzi uciekają do Warszawy i nie masz domu, w którym nie byłoby łódzkich uchodźców z rodzinami. Widzisz ich w każdej ulicy i w każdym kącie. Kiedy spotykasz się z nimi, potworne opowieści przeszywają trwogą całe twoje jestestwo. Sam przed sobą zdajesz się naczyniem pełnym wstydu, robakiem, a nie człowiekiem. Z dniem, gdy okrucieństwo i grabież przyszły na świat, ludzie nie dopuszczali się brutalności i grabieży w tak cyniczny i okrutny sposób.“ Kapłan, Dziennik 1939, S. 248. Aus unterschiedlichen Lodzer Perspektiven dokumentiert in den Berichten des Ringelblum-Archivs, vgl. Archiwum Ringelbluma, Bd.  10, insbesondere S.  28–50 (Bericht wahrscheinlich von Arnold Flejszer).

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Offiziere herumstreifen und Radios suchen. Dabei nehmen sie, was sie wollen. […] sie klopfen, laut und militärisch. Mama öffnet, Papa erblasst, es kommt ein großer Offizier mit einem Jungen in meinem Alter und dem Sohn des Hausmeisters herein. Sie schauen sich um und fragen nach einem Radio […] und sagen, dass sie mich mitnehmen. […] Wir gehen zu den reichen Juden am Reymont-Platz. […] Dort gehen wir durch zwei Häuser, es ‚findet sich‘ eine Schreibmaschine, beim Chef meines Vaters ein Radioempfänger und bei einem Arzt ein großer Korb mit verschiedenen Dingen. […] für mich beginnt ein Golgotha. Jeden Augenblick muss ich stehen bleiben, der Korb wird immer schwerer, meine Hände brennen, mein Arm fällt mir fast ab. Schweiß fließt in Strömen von mir. […] endlich lassen sie mich.”13 Unter dem Eindruck solcher Ereignisse vergrößerten sich Spannungen in jüdischen Familien: Dawids Vater Majlech wollte unter dem unmittelbaren Eindruck der Gewalt fliehen, konnte aber nicht genügend Geld für die Flucht aufbringen, zumal seine Kinder nicht aus Lodz wegwollten. Parallel traf die Terrorwelle im November 1939 jüdische Bürger im öffentlichen Raum mit besonderer Wucht: Am 1. November wurde eine größere Gruppe von 30 jüdischen Besuchern des Café Astoria (Piotrkowska/Ṥródmiejska) festgenommen und misshandelt um Lösegeld zu erpressen; davon wurden 15 Menschen am 2. November erschossen. Die Mehrheit des ersten, am 13. Oktober von deutscher Seite ernannten, Judenrates wurde bereits am 9. November festgenommen und ebenfalls mehrheitlich ermordet. Zugleich beschlagnahmte die Haupttreuhandstelle das jüdische Eigentum, die Menschen wurden auf den Straßen geschlagen und erniedrigt. Sierakowiak schrieb unter dem 3. Dezember: „In der Stadt schlagen sie die Juden fürchterlich. Sie gehen einfach auf den Straßen zu vorbeigehenden Juden, ohrfeigen sie, treten sie, spucken sie an usw.“14 Zentrale symbolische Bedeutung hatte die Inbrandsetzung und Zerstörung aller großen Lodzer Synagogen bereits zwischen dem 11. und dem 15. November  1939 (vgl. S. 158–159).15 Spätestens im November 1939 wurde allen Juden und der Stadtöffentlichkeit damit nachdrücklich bewusst gemacht, dass das gesamte autonome jüdische religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Leben beendet sei. Die „judengelben Armbinden“ 13

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„Co za paskudny dzień. Trudno sobie wyobrazić nasz dzisiejszy strach i zdenerwowanie. […] Po blokach do Żydów łażą oficerowie i szukają radia. Przy okazji biorą, co chcą. […] pukają, naturalnie po żółniersku. Mama otwiera, tata blednie, wychodzi wysoki (wzrostem) oficer z chłopcem w moim wieku i synem dozorcy. Rozgląda się i pyta o radio […] mówi że mnie bierze ze sobą. […] mamy pójść do bogatych Żydów na plac Reymonta. […] Obchodzimy na placu Reymonta dwa domy, ‚wyławia się‘ maszynę do pisania, u szefa mego ojca – odbiornik radiowy, u jednego lekarza olbrzymi kosz różnych rzeczy. […] zaczyna się golgota. Co chwili przystaję, kosz staje się coraz cięższy, ręka piecze, ramię się obrywa. Pot spływa ze mnie strumieniami. […] nareszcie puszczają.“ Sierakowiak, Dziennik, S. 86–87 (Tagebucheintrag v. 28.10.1939). Zur Käuflichkeit der deutschen Polizisten auch Einträge in Archiwum Ringelbluma, Bd. 10, Pisma Emanuela Ringelbluma, S. 24–25 (18.-19.12.1939). „Na mieście biją Żydów strasznie. Dochodzą zwykle na ulicy do przechodzących Żydów i policzkują, kopią, plują itd.“ Sierakowiak, Dziennik, S. 103 (Tagebucheintrag v. 03.12.1939). Jacek Walicki, Synagogi i domy motlitwy w Łodzi (do 1939 r.). Łódź 2000, S. 34, 57, 73; jüdische Berichte über die Zerstörung der Synagoge in Archiwum Ringelbluma, Bd. 10, S. 99–103.

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wurden am 11. Dezember durch einen gelben Davidsstern ersetzt, der auf der Brust und auf dem Rücken zu tragen war. Seit Dezember 1939 warf man Juden wie auch Polen aus den Wohnungen und verbrachte über 14.000 Menschen mit Deportationszügen und fast ohne Habseligkeiten und ohne Winterausrüstung in das Generalgouvernement, insbesondere in den Distrikt Krakau.16 In der Stadt machten sich – gestützt auf die Anordnung Himmlers vom 20. Oktober 1939, die über die Behörden durchsickerte – Gerüchte breit, alle Juden sollten unverzüglich ins Generalgouvernement deportiert werden. Ein Selbstzeugnis beschreibt im Herbst 1939 nachdrücklich „eine Welle von Gerüchten, die man oft nicht mehr kontrollieren konnte. Immer hartnäckiger sprach man von der Errichtung eines Gettos in Lodz und berichtet täglich, manchmal mehrmals an einem Tage über immer andere Grenzen der zukünftigen ‚autonomen jüdischen Einheit‘. Die einen sagten, das Getto werde ab der ul. Nawrot, andere ab der ul. Narutowicza, schließlich andere ab dem Plac Wolności beginnen, aber fast niemandem kamen die Grenzen in den Sinn, auf die die Deutschen später das Lodzer Getto reduzierten. Es entstanden auch noch pessimistischere Gerüchte, die hartnäckig davon sprachen, dass die jüdische Bevölkerung aus Lodz deportiert werde. […] endlich entstand daraus eine sprichwörtliche Psychose, die zu einer panischen, massenhaften Flucht aus Lodz führte.“17 Ein erheblicher Teil des jüdischen Wirtschaftsbürgerums und der Intelligenz, der seine Existenzbasis durch die Massenentlassungen im Herbst 1939 verlor und die alltäglichen Schikanen in der Stadt nicht ertrug, floh 1939/40 nach Warschau oder weiter nach Osten, insgesamt ca. 60.000 Menschen. Das deutsch besetzte Warschau schien aus der Lodzer Perspektive 1939/40 deutlich erträglicher als die eigenen brutalen Verhältnisse.18 In Warschau spielten Lodzer Flüchtlinge im wirtschaftlichen (etwa die Unternehmer Moryc Kohn und Zelig Heller) und kulturellen Leben eine erhebliche Rolle.19 Exemplarisch seien nur zwei Persönlichkeiten hervorgehoben: Szulamit Mokrska war bereits in Lodz in der Frauenbewegung tätig gewesen. Nach ihrer Flucht nach Warschau war sie dort zunächst in der Lodzer Landsmannschaft tätig, die sich insbesondere um 16 17

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Jüdischer Bericht über die Aussiedlung: Synagoge in Archiwum Ringelbluma, Bd. 10, S. 103–106. „fali płotek, których często nie sposób było kontrolować. Coraz uporczywiej była mowa o stworzeniu w Łodzi getta i podawano codziennie, a czasami kilka razy dziennie inne wersje co do granic przyszłej żydowskiej ‚autonomicznej jednostki terytorialnej‘. Jedni mówili, że getto będzie od ulicy Nawrot, inni od Narutowicza, inni znów – od placu Wolności, ale prawie nikomu na myśl nie wpadły te granice, do jakich następnie Niemcy getto łódzkie zredukowali. Powstały i bardziej pesymistyczne pogłoski, mówiono uporczywie o tym, że ludność żydowska zostanie z Łodzi wysłana. […] wreszcie powstała na tym tle istna psychoza, która zrodziła paniczną, masową ucieczkę Żydów z Łodzi.“ Arnold Flejszer in Archiwum Ringelbluma, Bd. 10, S. 47. Vgl. die Erinnerungen von Frederick Weinstein in Eberhardt, Als das Boot, S. 103–104. Vgl. dazu die Lebensläufe aus dem Warschauer Getto, die Emanuel Ringelblum in den letzten Monaten seines Lebens im Untergrund zusammentrug und in denen zahlreiche Persönlichkeiten genannt werden, die aus Lodz flohen: Archiwum Ringelbluma. Konspiracyjne archiwum getta Warszawy. Bd. 29 Pisma Emanuela Ringelbluma z getta. Warszawa 2018, S. 127–252.

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das Schicksal der aus ihrer Heimatstadt geflohenen und oft mittellosen Juden kümmerte. Mit der Zeit wurde sie zu einer unentbehrlichen und besonders aktiven Fürsorgerin im Warschauer Getto und gründete dort caritative Frauenorganisationen zur Selbsthilfe. Sie wurde 1942 nach Treblinka deportiert.20 Der Wirtschaftswissenschaftler Hersz Wasser war in Lodz als Sekretär der ökonomischstatistischen Abteilung der Zweigstelle des Wilnaer Jüdischen Wissenschaftlichen Instituts (YIVO) und als Aktivist linker zionistischer Verbände tätig gewesen. 1939 floh er nach Warschau und wurde dort zum Organisator der Zentralen Flüchtlingskommission der Jüdischen Sozialen Selbsthilfe (poln. Żydowska Samopomoc Społeczna) sowie zum gewissenhaften Sekretär des Warschauer Untergrundarchivs Oneg Szabat unter Leitung von Emanuel Ringelblum, für das er insbesondere Berichte von Flüchtlingen aus jüdischen Gemeinden zusammentrug. Seiner Tätigkeit verdanken wir insbesondere viele erhaltene Aufzeichnungen von Flüchtlingen aus Lodz im Untergrundarchiv. Seine Mutter Estera Wasser aber blieb in der Stadt, unterhielt eine Korrespondenz mit ihrem Sohn und berichtete aus dem Getto Litzmannstadt.21 Auch nach dem Warschauer Gettoaufstand sammelte Wasser weiter Zeugnisse – auch dank seiner perfekten jiddischpolnischen Zweisprachigkeit glückte ihm ein Überleben. Wasser war nach 1945 der einzige Zeuge für die Aufbewahrungsorte des Warschauer Untergrundarchivs, die er mühsam rekonstruierte; viele Lodzer Erinnerungen aus dem Archiv konnte er zudem einzelnen Personen zuordnen.22 Erhebliche Quellen zum Lodzer Judentum im Zweiten Weltkrieg verdanken wir so ihm. Litzmannstadt Getto: Institutionalisierung, Scheinselbstverwaltung und Isolierung Die Errichtung eines abgeschlossenen Gettos wurde von Seiten der deutschen Besatzungsbehörden spätestens ab dem Dezember 1939 geplant, als sich herausstellte, dass eine Deportation der gesamten Lodzer Juden in das Generalgouvernement aufgrund der logistischen Möglichkeiten und des Widerspruchs von Generalgouverneur Frank so schnell nicht möglich sein werde. In dem Rundschreiben Uebelhoers vom 10. Dezember hatte es geheißen, die Stadt müsse von den Juden „gesäubert“ werden und man müsse „diese Pestbeule restlos ausbrennen“. Die formale Umsetzung wurde durch die Polizeiverordnung vom 8. Februar 1940 der Bevölkerung bekanntgemacht. Am  11. Februar erhielt die Wochenendeausgabe der „Lodscher Zeitung“ eine Karte mit den Grenzen des geplanten Gettos, das anschließend nur noch begrenzt erweitert werden konnte (vgl. Abbildung 7). 20 21 22

Ebd., S. 452; dort auch das erstmals von Joanna Nalewajko-Kulikov erstellte Biogramm. www.yadvashem.org/de/docs/letter-wasser.html. Dort finden sich Faksimiles der – infolge der Zensur – in deutscher Sprache verfassten Briefe von Estera Wasser an ihren Sohn. Katarzyna Person, Hersz Wasser; Sekretarz Archiwum, in: Zaglada Żydów, 10/1 (2014), S. 297–303.

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Die jüdischen Lodzer wurden mit blankem Terror, so die Pogrome vom 20. Februar und insbesondere vom 6/7. März 1940 und nackter Gewalt in das Getto gezwungen. Dabei verloren sie durch Beschlagnahme, Wegnahme bei Durchsuchungen und Enteignungen ihr Vermögen. Die Nachrichten von der Einrichtung des Gettos wurden von den jüdischen Lodzern mit gemischten Gefühlen aufgenommen:23 Einerseits mussten die Menschen in das Armutsviertel Bałuty ziehen und sich in extrem beengten und vielfach primitiven Wohnungen einrichten. Die nördliche Innenstadt, das Viertel zwischen der ul. Północna und der ul. Narutowicza, in dem der jüdische Mittelstand vor 1939 gelebt hatte und wo es bessere Wohnbedingungen gab, war bewusst nicht dem Gettogebiet zugeschlagen worden und wurde von der deutschen Verwaltung beansprucht. Das historische Industriedorf Bałuty, erst im Ersten Weltkrieg eingemeindet, besaß in Lodz einen schlechten Ruf – etwa in der Struktur mit der Wahrnehmung von Rixdorf/Neukölln in Berlin vergleichbar. Bałuty war von der Stadtsanierung der 1920er und 1930er Jahre nicht erfasst worden, das Viertel bot hygienisch und sanitär schlechte Wohnverhältnisse, oft ohne fließendes Wasser. Eine Kanalisation fehlte. Andererseits konnte man auch in Bałuty zumindest in der Heimatstadt bleiben und erhoffte sich in einem Getto mehr Schutz vor deutscher Willkür und Gewalt, die das Leben im Herbst 1939 und im Winter 1940 vielfach kaum erträglich gemacht hatten.24 Während der Deportation in das Gettogebiet – in den Wintermonaten Februar/März 1940 und ohne Transportmittel – kam es zu weiteren Schikanen: Die Schlüssel für die bisherigen Wohnungen waren bei den Hausverwaltern abzugeben, das Mobiliar hatte zurückzubleiben, öffentliche Verkehrsmittel durften nicht benutzt werden. Das Getto wurde seit Februar 1940 von dem Amt des „Ältesten der Juden“, einer Organisation unter Leitung von Mordechaj Chaim Rumkowski, aufgebaut. Jüdische Arbeitskommandos richteten eine Wohnungsverwaltung ein, verteilten die Menschen auf die beengten Wohnungen, ja waren sogar für die Umsiedlung der polnischen Bevölkerung in Wohnungen jenseits der Gettogrenzen zuständig. Die vermeintliche jüdische Selbstverwaltung – formal unter der Leitung des „Ältesten der Juden im Getto Litzmannstadt“ – war jedoch eine scheinautonome Einrichtung, der zwar von deutscher Seite die „alleinige Verantwortlichkeit“ zugeschoben wurde, die aber in allen lebenswichtigen Belangen von der deutschen Gettoverwaltung Litzmannstadt abhängig war. Diese war ihrerseits als städtisches Amt ein Teil der Stadtverwaltung, in der der Bremer Kaufmann Hans Biebow als Leiter der „Ernährungs- und Wirtschaftsstelle Ghetto“ eine wichtige Rolle spielte. Herren über das Getto waren auch die Polizeibehörden und die SS, die im Getto am Baluter Ring eigene Schutz-, Kriminal- (Sonderkommissariat

23 24

Sitarek, „Otoczone drutem państwo“, S. 38, 81–82. Vgl. Zeugnisse im Archiwum Ringelbluma, Bd. 10, Nr. 24, S. 108–110.

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Getto) und Gestapo-Kommissariate unterhielten.25 Nur über die deutschen Behörden kamen Lebensmittellieferungen in das Getto, alle Entscheidungen wurden hier getroffen, mussten aber anschließend von Rumkowski und seiner Behörde verantwortet und umgesetzt werden. Die Persönlichkeit Rumkowskis war dabei bereits zeitgenössisch unter den Gettobewohnern umstritten. Einige sahen in ihm den tatkräftigen Organisator, der ihr Elend linderte, andere warfen ihm eine Anbiederungspolitik an die deutsche Verwaltung, Selbstherrlichkeit und eine Bevorzugung der Gettoeliten vor.26 In der späteren polnischen wie internationalen Publizistik und Fachliteratur entzündeten sich um die Persönlichkeit Rumkowskis zahlreiche Kontroversen, ja heftige Polemiken: Isaiah Trunk, der selbst in Lodz aufwuchs und in die Sowjetunion flüchtete, beschrieb in seinem Standardwerk zu Lodz, Rumkowski und seine Verwaltung hätten die jüdischen Insassen kujoniert, ja mit den Deutschen „kollaboriert“. Dagegen führte Icchak Rubin, ebenfalls Lodzer und Überlebender, aus, dass die Politik Rumkowskis alternativlos gewesen sei.27 Rumkowski war ohne Zweifel die beherrschende Persönlichkeit in der jüdischen Gesellschaft im Getto. Er prägte das Konzept des „Überlebens durch Arbeit“, das darauf basierte, sich durch eine Bereitstellung jüdischer Arbeitskraft bei den deutschen Stellen und in der deutschen Kriegsindustrie unentbehrlich zu machen und so den Kern der jüdischen Kultur zu retten.28 Für die deutsche Seite war wichtig, dass Rumkowski – wie allerdings viele Lodzer Juden – deutsch sprach. Rumkowski war tief in der jüdischen Lodzer Gesellschaft verwurzelt, als Einwanderer aus Litauen, jiddischsprachiger Zionist, Mitglied des jüdischen Gemeindevorstands der Zwischenkriegszeit und Philantrop verfügte er über vielfältige Kontaktnetze.29 In jüdischen Erinnerungen taucht er oft als „der Vorsitzende“ oder „der Alte“ auf, von dessen Unterstützung oder Hilfe Leben und Tod

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Klein, Die „Gettoverwaltung Litzmannstadt“, S.  73–122; zum Verhältnis zwischen deutscher Gettoverwaltung und Polizei ebd., S.  541–562; Antoni Galiński, Policja hitlerowska w getcie łódzkim, in: Fenomen getta, S. 143–154, Liste der bei der Kriminalpolizei beschäftigten Lodzer Deutschen, S. 148; nach Rubin, Żydzi, S. 221 waren dort auch sechs Polen beschäftigt. Dies bestätigt Poznański, Dziennik, S. 177. Trunk, Judenrat, S.  83–85, 540–5477; Rubin, Żydzi, S.  41–61 umfangreiche Auseinandersetzung mit Trunk. Neueste Darstellung, die die Verwurzeltheit Rumkowskis im jüdischen Leben Lodzs betont und in den Kontroversen Rumkowski verteidigt: Monika Polit, „Meine jüdische Seele fürchtet den Tag des Gerichts nicht“. Mordechaj Chaim Rumkowski – Wahrheit und Legende. Osnabrück 2018 (Klio in Polen, 18). Die Darstellung ist die überarbeitete und verbesserte Fassung der älteren Studie (2012). Die polnischsprachige Studie stieß auf breitere – Besprechungen und teilweise kritische Resonanz: Paweł Spodenkiewicz, Paul Glasser in: Dzieje Najnowsze 45 (2013), H. 1, S. 259–266 und die Diskussion in Zagłada Żydów. Studia i materiały 9 (2014), S. 551–568. Das Konzept wurde von Rumkowski bereits im Frühjahr 1940 entwickelt, vgl. Sitarek, Otoczone drutem państwo, S.  93–94 (Auszüge aus einer Ansprache Rumkowskis vom 30.04.1940), weiterhin ebd., S. 153–155; vgl. auch die Reden Rumkowskis in „Słuchają słów Prezesa“. Entwickelt bei Polit, Meine jüdische Seele, S. 41–84.

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abhängen konnten. Auch die Überlebenden waren gespalten, Rumkowski wurde dort als Held des Rückzugs positiv gesehen, aber auch als Autokrat scharf verurteilt. Zugleich entwickelten sich am Beispiel Rumkowskis grundsätzliche Kontroversen um die Bedeutung der „Judenräte“ – jüdischer Organisationen und Funktionshäftlinge – im Zweiten Weltkrieg und ihre mitunter postulierte „Kollaboration“. Die Überlebenden hatten genug von einer Strategie des Kompromisses und der Anpassung, sie standen für ein neues, wehrhaftes Judentum.30 Diese Kontroversen können an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden (vgl. S. 423), sie prägten jedoch für lange Zeit auch die Beschäftigung mit dem Getto.31 Eine moderne Darstellung sollte stärker die Vielgestaltigkeit und die einzelnen Persönlichkeiten in den jüdischen Führungsgruppen im Getto betonen: Neben Rumkowski standen der Jurist und Intellektuelle Henryk Neftalin, der Unternehmer Boruch Praszkier, der österreichisch-polnische Offizier und Leiter des jüdischen Ordnungsdienstes Leon Rozenblat, die zweisprachige, 1938 aus dem Deutschen Reich ausgewiesene Dora Fuchs und der aus der Textilwirtschaft kommende, mit der Gestapo kollaborierende geschäftstüchtige Dawid Gertler. In dem am 30. April 1940 von der Umwelt mit Stacheldraht- und Holzzäunen sowie durch deutsche Polizeibataillone und Schutzpolizisten mit Schießbefehl von der Umgebung abgeschlossenen Gettogelände lebten über 163.000 Menschen auf einer Fläche von 4,13 km², wobei das Getto sich in Ost-West-Ausrichtung auf vier, in Nord-Süd-Richtung nur auf einen Kilometer erstreckte. So lebten auf einem Quadratkilometer 40.000 Menschen, die auf die vielfach nur aus Holzhäusern bestehende Wohnbebauung verteilt werden mussten. Die Wohnungen im Getto – insgesamt waren 31.962 Wohnungen verzeichnet – bestanden zu zwei Dritteln aus Einzimmerwohnungen, etwa 95% der Wohnungen hatten keine Versorgung mit fließendem Wasser oder eine Kanalisation.32 Das Territorium wurde schrittweise immer weiter von der städtischen Umgebung isoliert. Die deutsche Polizei und die städtische Gettoverwaltung bemühten sich, das Getto möglichst vollständig von der Außenwelt abzuschneiden. In der ul. Zgierska (Hohensteinerstraße) und der ul. Limanowskiego (Alexanderhofstraße), die das Getto in Nord-Südrichtung durchschnitten und auf denen Straßenbahnlinien entlangliefen, wurden zunächst Stacheldrahtzäune, später mannshohe Plankenzäune errichtet, um die jüdische Bevölkerung einzusperren, zugleich einen Sichtkontakt zwischen Deutschen und Polen einerseits, Juden andererseits auszuschließen. Zugleich spalteten die Durchgangsstraßen die Gettofläche in verschiedene Teile auf, insgesamt erwiesen sich die 30 31

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Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938–1945. Der Weg zum Juderat. Frankfurt a.M. 2000. Ausgewogene Betrachtung: Dan Diner, Jenseits des Vorstellbaren – der „Judenrat“ als Situation, in: „Unser einziger Weg ist Arbeit“, S. 32–40; Literaturüberblick: Hans-Jürgen Bömelburg, Jürgen Hensel, Am Rande des Vorstellbaren – der Judenrat als Quadratur des Kreises, in: Polit, Meine jüdische Seele, S. 7–35. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 155.

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Abb. 12

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Straßenbahnlinie an der Hohensteinerstr. (ul. Zgierska), die aus dem Getto ausgegliedert war, die Gettoinsassen mussten die Straße auf einer Holzbrücke überqueren.

Verkehrsprobleme im Sommer 1940 als erheblich: Da der jüdischen Bevölkerung der Kontakt zwischen den verschiedenen Teilen des Gettos ermöglicht werden musste, wurden die Straßen zu bestimmten Stunden gesperrt, was wiederum die Kommunikation außerhalb des Gettos erschwerte. Deshalb wurden im Sommer 1940 drei abgeriegelte Holzbrücken errichtet, über die die jüdische Bevölkerung die Straßen überqueren konnte. Die Straßenbahnen, die das Getto durchquerten, hatten mit Decken verhängte oder weiß bemalte Scheiben, wodurch ebenfalls der Sichtkontakt erschwert wurde. Zentral untersagt wurde ein Kontakt an den Durchfahrtsstraßen: „Auf Anordnung der Behörden gebe ich bekannt, daß es strengstens untersagt ist, daß sich Leute, die innerhalb des Gettos wohnen, mit Personen, die sich außerhalb des Gettos befinden, über den Drahtzaun hinweg / insbesondere in den Durchfahrtsstraßen / unterhalten.“33 Auch Telefon- und Briefkontakte wurden bis auf zensierte Postkarten in deutscher Sprache, die jedoch in zunehmendem Maße nicht mehr zugestellt wurden, unterbunden. In den Sammlungen des Staatsarchivs Lodz befinden sich über 22.500 nicht zugestellte

33

Bekanntmachung Rumkowskis Nr. 78 v. 09.07.1940, zit. nach Unser einziger Weg ist Arbeit, S. 68.

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Postkarten, die bisher nur für die aus Wien deportierten Juden und für den Kreis Sieradz ausgewertet wurden.34 Zwischen Februar und August  1941 legten auf deutschen Befehl jüdische Arbeitskommandos durch Abriss von ganzen, bis dahin intakten Häuserzeilen zwischen der ul. Północna (Nordstraße) bzw. der ul. Ogrodowa (Gartenstraße) und dem Flüsschen Łódka in der nördlichen Altstadt eine nun unbebaute Bannmeile um das Getto. Der flächige Abriss wurde offiziell als „Feuerschutzgürtel“ gerechtfertigt, er diente jedoch vorrangig dazu, Blickverbindungen und Kontakte aus den Wohngebäuden der nördlichen Innenstadt mit dem Getto zu verhindern.35 Dies verschlechterte natürlich die Wohnungsressourcen weiterhin, zugleich ermöglichte es eine bessere Überwachung und Abschließung des Gettos. So verminderten sich die Kontaktmöglichkeiten der Gettoinsassen mit der Außenwelt schrittweise: Noch 1940 gelang es in großem Stil Lebensmittel und andere begehrte Güter über den Baluter Ring oder direkt über einen Austausch an den Stacheldrahtzäunen ins Getto zu schmuggeln, auch außerhalb des Gettos tätige Spezialisten oder Lumpensammler brachten Lebensmittel mit. Im Dezember 1940 wurden diese Tätigkeiten untersagt.36 Andererseits boten die Gettoabsperrungen keinen Schutz vor Plünderungen durch die deutschen Polizeieinheiten, die im Getto am Baluter Ring saßen. Insbesondere der Kriminalpolizei gelang es, sich Adressen und Informationen über das Melderegister zu beschaffen und in Wohnungen im Getto einzudringen, wo infolge von Denunziationen etwas zu holen war.37 Der Apparat des „Ältesten der Juden“ spielte in der Struktur des „Arbeitsgettos“ eine herausgehobene Rolle: Mitte 1940 waren dort 3.500 Menschen, im März 1942 über 12.000 Menschen beschäftigt. Die Verwaltungszentrale lag am Baluter Ring, wo auch die deutschen Polizeibehörden und ein Teil der deutschen Gettoverwaltung untergebracht waren – diese Machtzentrale wurde durch einen Zaun vom Getto abgetrennt, den deutsche Schutzpolizei und jüdischer Ordnungsdienst bewachten.38 Seit März 1940 wurde ein jüdischer Ordnungsdienst unter Leitung von Rozenblat aufgebaut, der mit blauen Kappen und Armbinden ausgestattet sowie mit Gummiknüppeln bewaffnet war und sämtliche Polizeiaufgaben im Getto übernahm. Der Ordnungsdienst war auch für die Preiskontrolle zuständig und arbeitete teilweise eng mit der deutschen 34 35 36 37 38

Angelika Brechelmacher, Bertrand Perz, Regina Wonisch (Hg.), Post41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt. Reports from Litzmannstadt Ghetto. Wien 2015; Niedopowiedziana historia. Karty pocztowe z getta łódzkiego. Untold History. Postcards from Łódź Ghetto. Łódź 2015. Abbildungen von den Abbrucharbeiten und der geräumten Fläche in „Unser einziger Weg ist Arbeit“, S. 64–67; Filmdokument: Zaginiony kwartał w Łodzi/In Search for the Lost Quarter in Lodz, www. youtube.com/watch?v=pFP5EkZqS7o. Beschreibung bei Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 172–174; Michał Mosze Chęciński, Die Uhr meines Vaters. Frankfurt a.M. 2000, S. 130. Chęciński, Die Uhr meines Vaters, S. 137–138. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 100–101.

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Polizei zusammen. Insbesondere die am 1. Juli 1940 auf Anordung der Gestapo eingerichtete und bis Juli 1943 von Dawid Gertler geleitete „Sonderabteilung“ besaß enge Verbindungen zu den deutschen Polizeibehörden und beteiligte sich unter deren Druck auch an der Ausraubung von Menschen mit noch etwas Vermögen.39 Moralisch zwiespältig ist insbesondere die bessere Versorgung von Mitgliedern des Ordnungsdienstes und deren Familien mit Lebensmitteln, der Schutz eigener Mitglieder vor Deportationen und die Beteiligung an den Selektionen während der „Sperre“ im Herbst 1942 und vor der Deportation nach Auschwitz im August 1944.40 Parallel wurde ab 1940 auch eine Justiz aufgebaut, die jüdische Delinquenten zu Haft- und Geldstrafen im Gettogefängnis sowie zu Zwangsarbeit, etwa beim Abtransport der Fäkalien, verurteilte.41 Grundsätzlich kann das eingerichtete Herrschaftssystem als oligarchisch und autoritär beschrieben werden. Die Gettoeliten, die vielfach auch verwandtschaftlich miteinander verbunden waren (etwa Mitglieder der Familien Rumkowski und Fuchs) verteilten Posten und Ressourcen vielfach untereinander. Widerstand etwa in Form von Streiks von durch lange Arbeitsschichten und Unterernährung empörten Arbeitern wurde unter Einsatz der Wachabteilung des Ordnungsdienstes niedergeschlagen. Nachgefragt werden kann, ob dies anders möglich war, standen doch die jüdischen Gettobehörden unter dem unbarmherzigen Druck von deutscher Verwaltung und Polizei, die versuchten, die Menschen im Getto wirtschaftlich auszupressen. Bildung und kulturelles Leben Die über mehrere Jahre im Getto zusammengepferchten Menschen versuchten im Angesicht von Bedrohung und Tod dennoch Bildung und ein kulturelles Leben aufrechtzuerhalten. Bildung für die junge Generation unterstützten auch Rumkowski und die jüdische Verwaltung, die junge Menschen für ein zukünftiges jüdisches Leben retten wollten. Ab dem Oktober 1940 entstand im Getto ein jüdisches Schulsystem, das jedes jüdische Kind ab dem siebten Lebensjahr besuchen sollte, 1940/41 besuchten 17.500 Schüler in 45 Schulen mit jiddischer Unterrichtssprache, in den Schulen wurde auch eine Verpflegung sichergestellt. Für dieses neue Schulsystem – polnisch-jiddische Schulen 39

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Gertler überlebte das Getto, wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und lebte nach 1945 in den alliierten Besatzungszonen und in München. Gegen ihn wurde ein deutsches staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, dass aber eingestellt wurde; später wurde Gertler mehrfach als Zeuge in deutschen Strafverfahren, etwa gegen Günter Fuchs und Otto Bradfisch, vernommen. Eine Monographie über den Ordnungsdienst ist ein Desiderat, Überblick: Andrea Löw, Ordnungsdienst im Getto Litzmannstadt, in: Fenomen getta, S.  155–167; Einblicke in die Tätigkeit in den Erinnerungen eines Ordnungsdienst-Mannes: Anatol Chari, Timothy Braatz, „Undermensch“. Mein Überleben durch Glück und Privilegen. München 2010, besonders S. 50–90. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 105–116; Svenja Bethke, Tanz auf Messers Schneide. Kriminalität und Recht in den Ghettos Warschau, Litzmannstadt und Wilna. Hamburg 2015.

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der Zwischenkriegszeit hatten in wachsendem Maße auf die polnische Unterrichtssprache gesetzt – mussten neue jiddische Lehrmaterialien ausgearbeitet wurden. Diese erstaunliche organisatorische Leistung zeigt das enorme Engagement von Pädagogen und Verwaltung.42 Es ist vergleichbar mit dem polnischen Untergrundschulwesen im Krieg und zeigt die Selbstbehauptungskraft der jüdischen wie auch der polnischen Kultur. Die Schulen mussten im Oktober 1941 geschlossen werden, da für die in das Getto deportierten österreichischen, böhmischen und deutschen Juden Wohnraum geschaffen werden musste. Parallel bauten jüdische Jugendorganisationen in zionistischer Tradition in Marysin Hachschara-Lager auf, die ähnlich wie ihre Vorbilder, in landwirtschaftlichen Kollektiven auf eine zukünftige Tätigkeit in Palästina vorbereiten sollten. Beteiligt waren Jugendorganisationen der Zionisten, insbesondere die Gordonia, die Tsukunft für den Bund, Skif für die Linkszionisten. Hier entstanden Diskussionszirkel verschiedener Parteien und politischer Orientierungen, die auch nach der Umwandlung des Gettos in ein Arbeitslager privat fortgeführt wurden: Kommunisten, Bundisten, linke Zionisten der Poale Zion und revisionistische Zionisten diskutierten über Ereignisse im Getto, die Kriegslage, ihre eigene Zukunft und ein jüdisches Leben nach dem Krieg.43 Arnold Mostowicz, selbst Beteiligter und Überlebender, formulierte dies rückblickend so: „Zu einem wirkungsvollen Gegenpol gegen das Bestreben der Deutschen, das Leben im Getto auf seine allerprimitivsten, rein vegetativen Formen zu reduzieren, wurden alle Arten geistiger und schöpferischer Tätigkeit sowie des ästhetischen Interesses.“44 Dies war in einem immer stärker durchgesetzten Arbeitsgetto, in dem fast jeder Insasse einen 10- oder 12stündigen Arbeitstag zu absolvieren hatte und vielfach unterernährt war, eine umso größere Leistung, die den Wunsch nach Selbstbehauptung deutlich machte. Der jugendliche Dichter Abram Cytryn formulierte: „Das Leben des Gettos ist ein hitziges Karussel von Arbeit, Verzweifelung und Hunger. Achtet aufeinander und verteilt untereinander die Rationen sorgfältig. Die Straßen des Gettos stöhnen unter der hitzigen Arbeit, lachen, weinen, schreien, vibrieren und schweigen manchmal wie ein Grab.“45 Bei Cytryn und vielen anderen entstand aus der Notlage der Impuls zu einer eigenen selbstbestimmten Tätigkeit, die sich in literarischer und kultureller Aktivität, aber auch in Opposition und Widerstand äußern konnte. 42 43 44 45

Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 194–196 wertet die Aufzeichnungen des für die Schulen verantwortlichen Elias Tabaksblat aus, der den Krieg überlebte und dessen Aufzeichnungen überliefert sind: AŻIH 301/2847. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 197–207. Arnold Mostowicz, Alltagsleben im Getto. Die Perspektive der Eingeschlosenen, in: Doron Kiesel (Hg.), „Wer zum Leben, wer zum Tod …“. Strategien jüdischen Überlebens im Ghetto. Frankfurt a.M., New York 1992, S. 37–50, hier 45. „Życie getto to gorączkowa karuzela pracy, rozpaczy i głodu. Panujcie nad sobą i wydzielajcie sobie dobrze racje. Ulice getta wrą gorączkową pracą, śmieją się, płaczą, krzyczą, wirują, a nieraz milczą jak grób.“ Abram Cytryn, Zeszyty. Olsztyn 1998, S. 161.

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Abb. 13

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Aufführung im „Kulturhaus“ des Gettos Litzmannstadt, in der ersten Reihe Personen aus dem Apparat des „Ältesten der Juden“, rechts Chaim Rumkowski.

Kulturelles Leben entstand deshalb im Getto in vielfältiger Form. Genannt werden muss die Theatergruppe Awantgarda unter Moshe Puławer, eine Fortsetzung des älteren Lodzer Theaters Ararat, das im Kulturhaus in der Krawiecka / Schneidergasse 3 bis zu den Deportationen im Herbst 1942 regelmäßige Theatervorstellungen, Konzerte und Revuen aufführte. Gespielt wurden vielfach das Programm des Ararat-Theaters sowie Lieder von Mordechai Gebirtig.46 Dort trat auch ein jüdisches Symphonieorchester unter Leitung von Dawid Bajgelmann und Teodor Ryder auf.47 Schließlich ist auf die Rolle der Musik im alltäglichen Leben des Gettos, in den Ressorts, den Küchen und den Straßen hinzuweisen. Auch hier traten – vielfach gegen Mahlzeiten und kleine Spenden – Gruppen oder Straßensänger auf. Unter den Gettoinsassen besonders bekannt war der Schneider und Straßensänger Jankel Herszkowicz, der nach dem Verlust seiner Arbeit sich mit Straßenmusik über Wasser hielt. In seinen jiddischsprachigen Liedern griff er Themen aus dem Getto in ironisch-persiflierter Form auf und

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Oskar Rosenfeld, Revue, in: Bopp, Enzyklopädie, S. 155–56. Allgemein zu den Rahmenbedingungen: Rebecca Rovit, Assessing Theatre Under Duress in National Socialism: Tracking Theatre Repertoire in the Jewish Kulturbund and in the Camps, in: Brigitte Dalinger, Veronika Zangl (Hg.), Theater unter NS-Herrschaft: Theatre under Pressure. Göttingen 2018, S. 17–32; Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 208–212. Zu Ryder: Helga Zeile, Klaus Krickeberg, Über Teodor Ryder, Dirigent, in Auschwitz ermordet, und Ida Ryder, geb. Voth, Sängerin, im Getto von Lodz verhungert, in: Musica Reanimata 57 (2005), S. 14–16; Biogramm: holocaustmusic.ort.org/places/ghettos/lodz/ryderteodor/.

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trat auch im Duett mit dem aus Wien deportierten Karol Rozencwajg auf.48 Oskar Rosenfeld hielt in der Getto-Enzyklopädie fest: „Als Straßensänger populär geworden, sah er seine Aufgabe darin, die Leiden, aktuellen Fragen, Sorgen und Beschwerden des Gettos in Verse zu bringen und der Menge vorzusingen.“49 „Unser einziger Weg ist Arbeit“ Für die im Getto eingesperrten und immer stärker hungernden 160.000 Menschen bemühte sich jüdische Verwaltung von Anfang an, eine Arbeitsorganisation aufzubauen, in der insbesondere die jüdischen Handwerker und Textilarbeiter tätig sein sollten. Durch viele Reden und Broschüren Rumkowskis zieht sich wie ein roter Faden, dass er eine Rettung jüdischen Lebens nur durch eine Unentbehrlichmachung bei den deutschen Herren sah, eine Strategie, die er hartnäckig und gegen alle Widerstände verfolgte.50 Bereits seit April 1940 begann man im Auftrag deutscher Firmen im Getto zu fertigen, die ersten „Ressorts“, nach Branchen organisierte Arbeitsbetriebe für Schneider, Schuhmacher, Färber und andere Berufe entstanden im Mai-Juli 1940. Schrittweise wurden weitere Betriebe organisiert, Ende 1941 waren allein dort über 20.000 Arbeiter beschäftigt. Jedoch fehlten vor allem durch die Konfiskationen 1939/1940 vielfach Maschinen und Werkzeuge, die Arbeit lief deshalb nur stockend und mit niedriger Produktivität an. Zugleich wurde die Arbeitszeit in den Ressorts verlängert und immer stärker kontrolliert. Widerstand oder Sabotage in diesem strikten Arbeitsregime wurde geahndet. Schließlich: Die Lebensmittelverteilung und die Ausgabe zusätzlicher Suppenrationen erfolgte ab 1940/41 über die Ressorts, das machte für viele die Arbeit in den Betrieben überlebenswichtig.51 Diese Vorgaben wandelten das Getto immer stärker in ein Zwangsarbeitslager um. Zugleich forderte die Stadtverwaltung aus dem Getto jüdische Arbeitskommandos für Arbeiten außerhalb des Gettos an, insbesondere wurden Arbeiter für den Bau der Reichsautobahn Frankfurt/Oder – Posen rekrutiert.52 Im Sommer 1941 arbeiteten dort über 3.000, im Sommer 1942 über 6.000 jüdische Zwangsarbeiter.53

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Übersetzung der jiddischen Lieder Herzskowiczs ins Polnische in Radziszewska/Wiatr, Oblicza getta, S. 408–417. Oskar Rosenfeld, Herszkowicz, Jankel, in: Bopp, Enzyklopädie des Gettos Lodz/Litzmannstadt, S. 90; vgl. Feuchert, Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, Bd. 1, S. 287–288; Bd. 2, S. 285. Zur Rolle der Musik auch Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 212–214. Zum Arbeitsgedanken bei Rumkowski: Polit, Meine jüdische Seele, S. 114–116. Detaillierte Darstellung bei Sitarek, Otoczone drutem państwo, S. 151–162. Anna Ziółkowska, Obozy pracy przymusowej dla Żydów w Wielkopolsce w latach okupacji hitlerowskiej (1941–1943). Poznań 2005, S. 35–40. Ebd., S. 74–76.

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Am 6. Juni 1941 besuchte der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler das Getto und hatte dort auch ein kurzes Zusammentreffen mit dem Ältesten Rumkowski. Nach Auskunft des Tagebuchs von Szmul Rozensztajn, einem Journalisten und dem Sekretär Rumkowskis im Getto, fragte Himmler aus dem Auto heraus „‚Wie geht es Ihnen hier?‘, Rumkowski antwortete ‚Wir arbeiten und bauen hier eine Stadt der Arbeit auf‘. Himmler daraufhin ‚Und wie geht die Arbeit hier voran?‘ ‚Nicht schlecht, glaube ich. Ich hoffe, dass es besser werden wird. Ich tue alles, um die Arbeit zu intensivieren und zu steigern. Meine Devise ist Arbeit, Ruhe und Ordnung.‘“ Himmler beendete das kurze Zusammentreffen mit „Dann machen Sie weiter zum Wohl ihrer Brüder im Getto. Es wird Ihnen gut tun.“54 Es schloss sich eine kurze Stippvisite Himmlers im größten Schneiderressort des Gettos an.55 Insbesamt zeigt dieses knappe, äußerst ambivalente Gespräch, das in Fotoaufnahmen und in dem jiddischsprachigen Tagebuch Rozensztajns überliefert ist,56 wie das Fortbestehen des Gettos mit seinen materiellen Leistungen gerechtfertigt wurde.57 Politik des Hungers und Deportationen in den Tod Dieses Konzept wurde durch die deutschen Versorgungspraktiken und die Lebensmittelversorgung des Gettos von Anfang an erheblich infragegestellt. Bereits seit dem Sommer 1940 herrschte ein quälender Hunger, der nur durch schwankende und zufällige Einfuhren kurzzeitig gelindert wurde. Auch die Ausgabe von Lebensmittelkarten konnte angesichts der geringen Belieferung nur minimal Verbesserungen herbeiführen. Im Jahre 1940 standen den Gettoinsassen noch ca. 1.800 Kalorien pro Person, Mitte 1942 kurz vor den großen Deportationen nur noch 600 Kalorien zur Verfügung. Dies löste eine wachsende Unterernährung, Mangelkrankheiten und wiederholt schwere Seuchen aus. Im Frühjahr 1941 führte eine Ruhr-Epidemie zu mindestens 9.424 Erkrankten und 1.117 Toten, Typhus- und schleichende Tuberkulose- und Pellagraerkrankungen konnten angesichts des Mangels an Medikamenten, fehlenden Heizmitteln und den hygienischen Bedingungen nur unzureichend behandelt werden, so dass nach Stichproben zwischen 20 und 60% der im Getto Eingeschlossenen solche Krankheiten durchmachten und oft auch daran starben. 54

55 56 57

„‚Jak sie tu miewacie?‘ pyta pan Himmler. ‚Pracujemy i budujemy tu miasto pracy.‘ ‚I jak idzie ta praca?‘ ‚Myślę, że nieźle. Mam nadzieję, że będzie lepiej. Robię wszystko, bo zintensifikować i ulepszyć pracę. Moja dewisa jest: praca, spokój i porządek.‘ ‚Niech pan pracuje dla dobra swoich braci w getcie, a wtedy będzie wam dobrze.‘“ Rozensztajn, Notatnik, S. 80. Peter Witte (Hg.), Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42. Hamburg 1999, S. 167. Farbabbildung in „Unser einziger Weg ist Arbeit“, S. 79. Bedeutung für die NS-Textilindustrie: Julia Schnaus, Mark Spoerer, Roman Smolorz, Die Rolle des Ghetto Litzmannstadt (Łódź) bei der Versorgung der Wehrmacht und der deutschen Privatwirtschaft mit Kleidung (1940 bis 1944), in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 62 (2017), S. 35–56.

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Weitere Deportationen jüdischer Menschen aus Wien, Prag, Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Frankfurt und Luxemburg, insgesamt knapp 20.000 Menschen, die im Oktober 1941 mit Zügen in das Getto „eingesiedelt“ wurden, erschwerten die Verpflegungssituation und die Lebensumstände zusätzlich. Bei den Deportierten handelte es sich mehrheitlich um deutschsprachige ältere Familien, vor allem um österreichische und böhmische Juden sowie Transporte aus deutschen Großstädten wie Berlin,58 Hamburg, Köln und Frankfurt.59 Gegenüber den jiddischsprachigen Lodzer Juden gab es erhebliche soziale, sprachliche und kulturelle Unterschiede, die auch von den Berichterstattern im Getto reflektiert wurden.60 Gerade diese Gruppe älterer deutschsprachiger Juden hatte angesichts von Hunger und Krankheiten nur begrenzte Arbeitsressourcen und auch Überlebenschancen. Hinzu kamen über 5.000 Sinti und Roma aus dem Burgenland, die am 5.-9. November 1941 nach Lodz verbracht wurden und in einem Randbereich des Gettos an der ul. Brzezińska (Sulzfelderstraße) in einem gesonderten, abgeschlossenen Lager untergebracht wurden. Über das Schicksal der Roma wissen wir nur sehr wenig, da aus dieser Gruppe niemand überlebte.61 Sichtbar wird die zunehmend katastrophale Situation auch in der Statistik der Verstorbenen: Grundsätzlich herrschte im Getto insbesondere in den Jahren 1940–1942 eine extrem hohe Sterblichkeit: 1940 und 1941 starben in jedem Jahr über 5% der Menschen, 1942 sogar 17,5%. Insgesamt starben im Getto über 50.000 Menschen, dabei mehrheitlich an Seuchen, Hunger und Mangelkrankheiten. Oskar Rosenfeld, selbst im Alter von 57 Jahren aus Prag nach Litzmannstadt deportiert, sprach in seinem Tagebuch vom Getto unverblümt als dem „Krepierwinkel Europas“62 und berichtete, von dem Frankfurter Transport seien in sechs Monaten 18% der Menschen gestorben. Man kann dieses Schicksal an einzelnen Familien zeigen. Am 19. Oktober 1941 wurde die Familie Schafranek aus Frankfurt am Main in das Getto verschleppt. Der Transport kam am 21. Oktober in Litzmannstadt an, dort war die Familie zunächst mit rund 100 anderen Menschen in einem Sammellager in einer Schule untergebracht – für die Neuankömmlinge mussten die Schulen im Getto geschlossen werden. Später erhielt die Familie ein zehn Quadratmeter großes Zimmer in der ul. Ciesielska 21 (Himmelsstraße) mit zwei Holzpritschen zugeteilt. Das Familienoberhaupt Heinrich Schafranek wollte im Getto als Händler tätig sein; er wurde jedoch von zwei Gestapo-Beamten schwer 58 59 60 61 62

Über die Transporte liegen in vielen Fällen Erinnerungsbücher vor, etwa Ingo Loose, Thomas Lutz (Hg.), Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941–1944. Ein Gedenkbuch. Berlin, Łódź 2009. Zu den Hintergründen Klein, Gettoverwaltung Litzmannstadt, S.  353–371, 419–436; das Schicksal dieser Gruppe lässt sich in der Edition Feuchert u.a. (Hg.), Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt detailliert nachverfolgen. Oskar Singer, Zum Problem Ost und West, in: ders., „Im Eilschritt durch den Gettotag …“. Reportagen und Essays aus dem Getto Lodz. Hg. v. Sascha Feuchert u.a. Berlin, Wien 2002, S. 177–206. Julian Baranowski, Obóz cygański w Łodzi 1941–1942. Łódź 2003; Auswertung deutscher Akten: Klein, Gettoverwaltung Litzmannstadt, S. 407–418. Rosenfeld, Wozu noch die Welt, S. 79–80.

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misshandelt und starb zwei Tage später am 16. Juni 1942 an inneren Blutungen. Die Ehefrau und die beiden Söhne fuhren den Leichnam auf einem Handkarren zum Gettofriedhof. Dort schaufelten sie eigenhändig das Grab für ihn. Mutter Olga und Sohn Herbert Schafranek mussten dann Arbeit in einer holzverarbeitenden Fabrik, Sohn Friedrich in einer Metall-Fabrik leisten. Der im eisigen Winter an Tuberkulose erkrankte Sohn Herbert starb in Lodz. Die Mutter und Friedrich bestatteten ihn in der gleichen Weise wie Heinrich Schafranek. Beide wurden am 25. August 1944 nach Auschwitz deportiert, wo Olga Schafranek selektiert und ermordet wurde. Friedrich Schafranek wurde von Auschwitz-Birkenau in die Konzentrationslager Dachau und Kaufering verschleppt, wo er während der Räumung des Lagers Ende April 1945 fliehen konnte – er war der einzige Überlebende der Familie – das Schicksal seiner Familie ist im Jüdischen Museum Frankfurt dokumentiert.63 Zurück zum Jahr 1941: Seit Sommer 1941 bestanden im Reichsgau Wartheland Pläne, die Juden entweder in einem „Dezimierungsgetto“ verhungern zu lassen oder „durch ein schnellwirkendes Mittel zu erledigen“, so SS-Sturmbannführer Rolf Höppner schriftlich am 16. Juli 1941. „Auf jeden Fall wäre dies angenehmer, als sie verhungern zu lassen“, schrieb Höppner nach Berlin. Überlegungen, Teile des Gettos als „Hungergetto“ abzutrennen, wurden jedoch von der Stadtverwaltung und Regierungspräsident Uebelhoer wegen der Gefahr einer unkontrollierten Ausbreitung von Seuchen und unerwünschten Reaktionen in der Stadt abgelehnt.64 Daraufhin wurde im Herbst 1941 die Errichtung des Vernichtungslagers Kulmhof vorbereitet, in dem Menschen in LKW mit Kohlenmonoxyd erstickt wurden.65 Erste Opfer kamen aus der Umgebung des Lagers. Zudem deportierten deutsche Polizeikommandos die Roma und Sinti aus Litzmannstadt, die zwischen dem 5. und 12. Januar ermordet wurden. Ab dem 16. Januar 1942 erfolgten erste Transporte von Juden aus dem Getto Litzmannstadt. Den Menschen wurde durchweg gesagt, sie würden in ein Lager mit besseren Lebensbedingungen und besserer Lebensmittelversorgung ausgesiedelt. Bereits bis Ende Mai 1942 hatte das Sonderkommando Lange mindestens 55.000 Juden aus dem Getto in Kulmhof ermordet, dabei auch viele der aus den kleineren Gettos der Region nach Litzmannstadt verbrachten Menschen und der deutschsprachigen Juden.66 Auch die kleineren Gettos in der Umgebung von Lodz wurden in der ersten Jahreshälfte 1942 63

64 65 66

https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine/ stolpersteine-im-westend/familien/schafranek-olga-herbert-heinrich-und-friedrich; Gerd Heuberger (Hg.), „Und keiner hat für uns Kaddisch gesagt …“. Deportationen aus Frankfurt am Main 1941 bis 1945. Frankfurt a.M., Basel 2005. Einordnung des Schreibens Höppners bei Klein, Gettoverwaltung Litzmannstadt, S. 336–352; „Unser einziger Weg ist Arbeit“, S. 26–27. Zu Kulmhof: Peter Klein, Kulmhof/Chelmno. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 8: Riga, Warschau, Vaivara, Kaunas, Płaszów, Kulmhof/Chełmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka. München 2008, S. 301–328. Alberti, Verfolgung und Vernichtung der Juden, S. 407–458.

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unter brutalen Umständen geräumt, nach Selektionen wurden arbeitsfähige Juden ins Getto gebracht, alle anderen in Kulmhof ermordet.67 Zugleich konnten alle diese Mordaktionen nicht völlig geheim gehalten werden. An den Deportationen in den Tod waren Eisenbahner und ca. 100 Polizisten der 1. und 2. Kompanie des Polizeibataillons Litzmannstadt maßgeblich beteiligt, die vor allem die Transportkommandos stellten. Sie kamen mehrheitlich aus den Reihen der Lodzer Deutschen und waren über den „Selbstschutz“ in die Polizeieinheiten übernommen worden. Es ist schwer abzuschätzen, inwieweit sich über die Täter das Wissen über die Deportationen und Mordtaten auch in der Stadt verbreitete. Im Getto selbst verfügte Rumkowski mit seinen engsten Mitarbeitern wahrscheinlich seit Anfang März über konkretes Wissen, er bemühte sich daraufhin, noch mehr Personen in den Arbeitsressorts unterzubringen.68 Seit dem Mai 1942 gelangten zuverlässigere Nachrichten in das Getto: Nach Litzmannstadt aus der Umgebung deportierte Männer und Frauen berichteten über die Ermordung von Kindern und Arbeitsunfähigen. In das Getto gelangte zudem zur Aufarbeitung die Wäsche der in Kulmhof ermordeten Menschen. In Aufzeichnungen und Tagebüchern im Sommer 1942 ist nun mehrfach von „Vergasungen“ und „Ausrottung“ die Rede.69 Ab der zweiten Jahreshälfte war das Wissen über den Holocaust im Getto Allgemeingut, auch der Ort des Massenmords Kulmhof war bekannt.70 Auch deshalb säte die Nachricht über neue Aussiedlungen, die Rumkowski Anfang September 1942 erhielt, Angst und Schrecken. In Posen war Ende August 1942 beschlossen worden, aus dem zu diesem Zeitpunkt bereits größten polnischen Getto (aus Warschau wurden Juden seit Juli 1942 in Treblinka ermordet) alle Gettobewohner unter 10 und über 65 Jahren und alle Beschäftigungslosen, Arbeitsunfähigen und Kranken „auszusiedeln“, also zu ermorden.71 Bereits am 1. und 2. September drangen deutsche Polizeieinheiten, auch hier wieder unter Beteiligung zahlreicher Lodzer Deutscher, in das Getto ein, räumten mit Unterstützung des jüdischen Ordnungsdienstes brutal unter zahlreichen Morden alle Krankenhäuser und setzen so den Judenältesten weiter unter Druck. Am  4. September hielten Vertreter der jüdischen Verwaltung und Rumkowski eine dramatische Rede an der ul. Lutomierska, die in der Erinnerung vieler Gettoinsassen eine besondere Bedeutung besitzt. Oskar Singer beschrieb, wie Rumkowski sprach: „Seine Stimme versagt, die Worte bleiben ihm im Halse stecken.“72 Rumkowski sagte in seiner jiddischsprachigen Rede unter anderem: „Das Getto ist von einem schweren Schmerz betroffen. Man verlangt von ihm das Beste, was es besitzt – Kinder und alte Menschen. 67 68 69 70 71 72

Darstellung bei Klein, Gettoveraltung Litzmannstadt, S. 454–470. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 289–290; Sitarek, Otoczone drutem państwo, S. 220–221. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 282–288. Les vrais riches, S. 47 (Gespräch unter Jugendlichen, 20.06.1944), 51–52, 75. Der ältere Forschungsstand, dies sei im Reichssicherheitshauptamt beschlossen worden, wird bei Klein, Die Gettoverwaltung Litzmannstadt, S. 470–478 widerlegt. Singer, Im Eilschritt, S. 134.

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[…] Brüder und Schwestern, gebt sie mir! Väter und Mütter, gebt mir eure Kinder! […] Ich muss diese schwere und blutige Operation durchführen, ich muss Glieder amputieren, um den Körper zu retten! […] Ich bin heute nicht gekommen, um euch zu trösten, ich bin nicht gekommen, um euch zu beruhigen, sondern um euer ganzes Leid und Weh aufzudecken. Wie ein Räuber bin ich gekommen, um euch das Beste aus euren Herzen herauszureißen. […] Ich strecke meine zerschlagenen, zitternden Hände zu euch und bettele: ‚Legt eure Opfer in meine Hände, damit ich weitere Opfer verhindern kann, damit ich eine Gruppe von 100.000 Juden retten kann.‘“73 Die dramatische Rede Rumkowskis stellte die Ausweglosigkeit der jüdischen Verwaltung drastisch vor Augen: Innerhalb der immer brutaleren deutschen Politik hatte auch Rumkowski keinerlei Möglichkeit, die Befehle zum Massenmord abzumildern. Die sich anschließende „Allgemeine Gehsperre“ vom 5. bis zum 12. September 1942, von den Überlebenden zumeist als „Sperre“ (poln. szpera) erinnert, bedeutete einen brutalen Einschnitt im Gettoalltag. Sie taucht in fast allen Selbstzeugnissen und Erinnerungen als traumatisches Erlebnis auf. Nachdem es dem Jüdischen Ordnungsdienst nicht schnell genug gelungen war, die Alten und Kinder zu den Deportationstransporten zusammenzustellen, drangen ab dem 7. September deutsche Polizeieinheiten in das Getto ein, zwangen die Menschen zu den Selektionen auf die Straßen und ermordeten und misshandelten Widerstrebende. Oskar Rosenfeld berichtete über die Selektion: „9. September  6 Uhr früh Ruf: Anziehen, hinunter! […] Hof antreten. Zwei Dutzend Menschen. Feldgrau mit Peitsche. Wo arbeiten Sie? – Wo Ihre Frau? Ihre Tochter. – Pause. Wie alt sind Sie? – Pause. Will mich mitnehmen. Jüdischer Kommandant flüstert etwas – Gerettet.“74 Siebzehn Widerstand leistende Juden wurden am pl. Bazarowy (heute pl. Piastowskiego) öffentlich aufgehängt, sichtbar wird hier der Sadismus des Vorgehens. Insgesamt wurden 15.681 Menschen, darunter 5.862 Kinder unter 10 Jahren, deportiert und ermordet. Die Ereignisse schwächten die Position Rumkowskis und der jüdischen Gettoverwaltung erheblich. Viele Gettobewohner warfen ihm vor, den Ordnungsdienst zu den gewaltsamen Deportationen eingesetzt zu haben. Die Befehle zur Herausgabe der Kinder und Alten, ja deren gewaltsame Wegnahme und Auslieferung an die Deutschen, waren nicht vermittelbar. Über die Ereignisse der „Sperre“ gibt es zahlreiche Beschreibungen in Tagebüchern und Erinnerungen Überlebender, die die Dramatik und Brutalität der Ereignisse beschreiben.75 Oskar Rosenfeld, österreichischer Journalist und Zionist, schrieb in seinem privaten Tagebuch in der Reflexion über die Ereignisse: „Es gibt wenig 73 74 75

Erstveröffentlichung in jiddischer Sprache: Trunk, Lodzer geto, S.  311–314; Auszüge in deutscher Sprache bei Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S.  296; zu Rumkowski als Redner: Polit, Meine jüdische Seele, S. 85–128. Rosenfeld, Wozu noch die Welt, S. 151. Zusammenstellung Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 292–308.

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noch zu erzählen: was nachher kommt ist bloß Nachklang, Echo, Zittern der Nerven. Nach diesem Erlebnis hat unser Dasein, immer am Rande des Todes, eine sehr einfache Form bekommen, sich auf das unbedingt Notwendige eingeschränkt. […] Man hat für uns bereit: Gewehr, Typhus, Galgen, Tod.“76 Nach den Deportationen im September  1942 lebten im Getto noch knapp 90.000 Menschen, darunter fast keine Kinder und älteren Menschen mehr. Das Getto war zu einem reinen Arbeitslager geworden, alle Schulen und Kulturereignisse waren eingestellt worden, die deutsche Wirtschaftsverwaltung mit Biebow an der Spitze und die Polizei und SS griffen immer wieder offen und gewalttätig in die Strukturen ein. Zugleich gelang es, durch Wehrmachtsaufträge und Ausnutzung aller Reserven die Wirtschaftsleistung deutlich zu steigern. Wissen und Zeugnisschaft Die neuere Forschung hat die ältere Vorstellung, das Getto Litzmannstadt sei völlig von der Außenwelt abgeschlossen gewesen, in vielen Aspekten nuanciert. Auf der Basis der umfangreichen Überlieferung kann man mehrere Informationswege erkennen. In den ersten Monaten nach der Abschließung des Gettos existierte noch ein lebhafter Schmuggel, über den natürlich auch Informationen ins Lager kamen. 1940 besaßen auch noch kleinere Gruppen Passierscheine, etwa Abfallverwertungskommandos und Altmetall- und Lumpensammler, die auch stets Wissen mitbrachten. Dies galt auch für die aus Wien, Prag und dem Altreich eingesiedelten Juden und für die Zwangsarbeiter, die ins Getto zurückkamen und natürlich auch neue Nachrichten mitbrachten.77 Im Getto arbeiteten auch durch die ganze Kriegszeit hindurch polnische Arbeiter, die Nachrichten, manchmal auch Lebensmittel und Unterstützung mitbrachten. Halina Elczewska, als junge Frau im Getto, erinnerte sich an solch eine Situation bei der Instandhaltung des gesamtstädtischen Telefonnetzes: „Und dann kam ein deutscher und zusammen mit ihm ein polnischer Monteur. Ich arbeitete in demselben Gebäude, in dem die Telefonzentrale lag, am plac Kościelny. Glücklicherweise war der deutsche Monteur sehr faul. Wenn er kam, saß er in der Zentrale, trank Bier und ließ sich überhaupt nicht sehen. Dagegen kam und kontrollierte der polnische Monteur die Telefone. […] Ein wunderbarer Mensch. Er hieß Rafał Warakomski. Ich freundete mich mit ihm sehr an, er half mir sehr. Beim ersten Mal, als er sah, dass ich verheulte Augen hatte, fragte er mich, was los sei. Ich sagte ihm, dass mein Vater krank sei. Mein Vater hatte blutige Ruhr. Am nächsten Tag brachte er mir so einen großen Beutel Stärke.”78 76 77 78

Rosenfeld, Wozu noch die Welt, S. 195–197. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 352–353. „No to przychodził monter Niemiec i razem z nim przychodził monter polski. Akurat tak się złożyło ze ja pracowałam w tym samym budynku, w którym była ta centralka telefoniczna, na placu Kościelnym,

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Während des gesamten Krieges wurden auch – von polnischen oder deutschen Arbeitern der Gettoverwaltung – Ausgaben der Litzmannstädter Zeitung ins Getto geschmuggelt, die zwar vielfach nur Propaganda boten, aber zur generellen Orientierung dienen konnten. Einzelne Personen hatten zudem Radios vor der Konfiskation gerettet oder sich selbst primitive Radiogeräte zusammengebaut. In der ersten Jahreshälfte 1944 gab es mehrere solche Gruppen, Informationen verbreiteten sich in Form von Mund-zuMund-Nachrichten und Gerüchten im Getto. Am bekanntesten wurde die Gruppe von Radiohörern um Chaim Widawski, die durch im Getto verbreitete Nachrichten über die Landung der Alliierten in der Normandie die Gestapo auf sich aufmerksam machte. Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, löste Freude und Hoffnung aus und machte die deutschen Behörden auf Nachrichtenwege aufmerksam. Die Gruppe wurde am 7. Juni 1944 aufgedeckt, weitere Verhaftungen vorgenommen, der polizeilich gesuchte Widawski beging Selbstmord.79 Den Vorfall hat in den 1960er Jahren der als Kind im Getto aufgewachsenen Jurek Becker in seinem Roman „Jakob der Lügner“ aufgegriffen (vgl. S. 429). Die Kommunikation und Wissenszirkulation im Getto kann am Beispiel zweier Tagebuchschreiber illustriert werden: Der Textilingenieur Jakub Poznański führte ab Oktober 1941 ein Tagebuch und verweist dabei immer wieder auf verschiedene Nachrichtenquellen: Als Vorarbeiter im Papierressort las er häufiger die „Litzmannstädter Zeitung“, im Januar und Februar 1943 erwähnt er die schweren Kämpfe um Stalingrad und Rostov sowie in Nordafrika. Im März hatte er sogar Einblick in eine Nummer der Zeitschrift „Das Reich“. Anhand der Tagebuchaufzeichnungen kann man die täglichen Zeitungsberichte rekonstruieren, Poznański verfügte 1943 und 1944 mindestens über das Wissen eines durchschnittlichen deutschen Zeitungslesers.80 Mehr noch: Am  4. März sprach Poznański mit einem von der Zwangsarbeit in der Region zurück ins Getto Gekommenen und erhielt von ihm Nachrichten über den Aufbau des Lagersystems im westlichen Warthegau.81 Im Oktober 1943 berichtet er über Postkarten aus Theresienstadt und versucht, die Strukturen des dortigen Gettos zu klären.82 Auffällig ist allerdings,

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pod czwórką. Szczęśliwie się składało ze ten monter niemiecki był bardzo leniwy. Jak przychodził, siadał w tej centralce, pił piwko i w ogóle nosa nie wysuwał. Natomiast chodził i kontrolował telefony ten monter Polak … Cudowny człowiek. Nazywał się Rafał Warakomski. I bardzo się z nim zaprzyjaźniłam, on bardzo mi pomógł. Za pierwszym razem, jak się zorientował że ja mam zapłakane oczy to zapytał co się dzieje. Ja mu powiedziałam że ojciec jest chory. Ojciec miał czerwonkę czyli krwawą dyzenterię. Następnego dnia on mi przyniósł wielka taka torbę krochmalu.“ Erinnerungen Halina Elczewska, http://web.archive.org/web/20131210220201/http://topografie.pl/art-rozmowcy/ art-elczewska_halina.html. Darstellung der Nachrichtensituation und der illegalen Radiohörer bei Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S.  448–453; Feuchert, Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, Bd.  4, S.  347–353 (06.–11.06.1944). Poznański, Dziennik, S. 37–40, 44–47, 51–52. Ebd., S. 56. Ebd., S. 121–122.

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dass auch das Wissen des gut informierten Poznański an Grenzen stößt: Er erfährt kaum etwas über die Situation in der Stadt, berichtet erst deutlich verspätet Ende 1943 über die Einrichtung des an das Getto angrenzenden Jugendverwahrlagers „für Polen“ und besitzt über das kurzzeitige „Zigeunerlager“ nur falsche Informationen.83 Als zweites Beispiel kann der junge Rabbinersohn Abraham Łaski84 dienen, von dem Aufzeichnungen in vier Sprachen zwischen dem 5. Mai und dem 3. August 1944 erhalten sind. Er gehörte zu den jungen Intellektuellen, die Rumkowski förderte und zu retten versuchte. Die Gruppe führte häufiger Gespräche mit Personen aus der jüdischen Verwaltung und war über die deutschen Massenmorde in Kulmhof hervorragend informiert, sogar der Name des Vernichtungsortes war bekannt.85 Gleichzeitig wusste Łaski, im Sommer 1944, dass in Auschwitz die ungarischen Juden ermordet werden,86 Ende Juli teilt der Autor aus einem Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht Nachrichten über Kämpfe in der Nähe von Warschau mit.87 Getto-Chronik und Getto-Enzyklopädie: Festhalten für die Nachwelt und verdeckte Reflexion Wir besitzen von den oft über vier Jahre im Getto inhaftierten Menschen eine große Zahl von Zeugnissen und Texten, die unter dem Eindruck einer wachsenden Ausgrenzung und Isolation entstanden. Dabei können von jüdischer Seite drei Textgruppen unterschieden werden: Erstens die offiziellen, von der Verwaltung des Ältesten der Juden produzierten Akten, Listen, Statistiken und Texte, die in deutscher Sprache geführt wurden und steter deutscher Einsichtnahme unterliegen konnten. Zweitens die im Auftrage Rumkowskis, aber ohne seine enge Kontrolle von einer Gruppe von Autoren in der Statistischen Abteilung und im Gettoarchiv verfasste offiziöse Getto-Chronik und drittens im geheimen angefertigte Tagebücher und faktische oder fiktionale Aufzeichnungen. Insbesondere die beiden letzten Quellengruppen ermöglichen eine dichte Beschreibung der eingesperrten Bevölkerung. Die Getto-Chronik wurde im Archiv des Gettos (Plac Kościelny 4) von einer Gruppe von Journalisten seit Anfang 1941 verfasst. Sie ging auf einen direkten Auftrag Rumkowskis zurück, wie einer der prägenden Autoren, Oskar Singer, in dem Eintrag „Archiwum“ – die polnische Bezeichnung für Archiv für die Getto-Enzyklopädie festhielt: „Nach dem Willen des Präses sollte diese Dienststelle in aller Stille das Material für eine künftige Schilderung (Geschichte) des Gettos sammeln und selbst entsprechende Aufzeichnungen machen. 83 84 85 86 87

Ebd., S. 140–141 (Eintrag 24.12.1943). Für die Hinweise zur Person und Familie Łaski danke ich Krystyna Radziszewska. Les vrais riches, S. 47 (20.06.1944), 73 (15.07.1944), 75. Zum Zeitpunkt der Publikation war die Autorschaft des Textes nicht geklärt, weshalb er als Text ohne geklärte Autorenschaft publiziert wurde. Ebd., S. 81 (21.7.1944). Ebd., 4 (29.07.1944).

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Der jiddische Schriftsteller Józef Zelkowicz wurde zum Archivar bestellt.“88 Die Texte der Getto-Chronik, die auf der Basis der statistischen Materialien und des Gettoarchivs entstanden, unterlagen einer Überprüfung durch eine „Zensurkommission“, auch teilweise abgemildert „Lektorenrat“ genannt. Auch Chaim Rumkowski erhielt Durchschläge der Getto-Chronik und besuchte das Archiv, inhaltliche Eingriffe von ihm sind aber nicht überliefert.89 Die Autoren waren zunächst polnisch- und jiddischsprachige Journalisten und Schriftsteller, nämlich Józef Klementynowski, der Ethnograf und Journalist Józef Zelkowicz und Julian Cukier, die bereits vor dem Krieg in Lodz tätig gewesen waren. 1941 kam der Ingenieur Bernard Ostrowski, im April  1942 der Theologe und Schulinspektor Abram Kamieniecki hinzu. Mit der Ankunft der deutschsprachigen Prager und Wiener Transporte, unter denen auch viele Autoren und Journalisten waren, kam es zu Veränderungen in der Zusammensetzung der Redaktion – neu hinzu kamen im Februar 1942 Oskar Singer und Oskar Rosenfeld sowie als Sekretärin Alice de Buton, die auch eigene Texte verfasste. Damit verbunden war auch der Übergang der Sprache der Chronik im Herbst 1942 vom Polnischen ins Deutsche, die wahrscheinlich auf die sprachlichen Kompetenzen von Singer und Rosenfeld zurückzuführen ist.90 Die Getto-Chronik, die in ihrer Ausgabe als Tageschronik ab 1942 immer stärkere Züge einer „Zeitung ohne Leser“ annahm, enthielt eine Chronik der alltäglichen Ereignisse (Tagesnachrichten und Ressortnachrichten), statistische Angaben zu Bevölkerungsbewegungen und Todesfällen, zur Lebensmittelversorgung des Gettos (Approvisation), Schwarzhandelspreisen, Reportagen und Berichte aus den Ressorts und Behörden des Gettos und sogar feuilletonistische Beiträge etwa im „Kleinen Getto-Spiegel“. Eine Kritik an der Gettoleitung oder an einzelnen Gettobehörden wird häufig in Euphemismen oder in Ironie verpackt, die deutschen Besatzer werden grundsätzlich ausgespart, Berichte über das Leben außerhalb des Gettos sind selten. Die Darstellung gibt einen einzigartigen Einblick in die Welt der Gettohäftlinge. Neben der Getto-Chronik entstand 1943/44 das unvollendete Projekt einer GettoEnzyklopädie, angelegt als ein Lexikon, in dem die wichtigsten Institutionen, Phäno­ mene, gettosprachlichen Ausdrücke und Persönlichkeiten des Gettos in deutscher, jiddischer oder polnischer Sprache vorgestellt werden sollten. Manche Einträge blieben ungeschrieben, die Getto-Enzyklopädie kann als Zeugnis jüdischen Lebens und Vermächtnis der Journalisten und Publizisten im Getto gelten.91 88 89 90 91

Bopp, Enzyklopädie, S. 22–25; Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 393. Sascha Feuchert, Die Getto-Chronik: Entstehung und Überlieferung. Eine Projektskizze, in: Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, Bd. 5, S. 167–190; Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 393–402. Feuchert, Die Getto-Chronik, S. 179–180. Es existieren eine deutsche und eine polnische kritische Edition, die sich von unterschiedlichen Editionsprinzipien leiten ließen und nebeneinander benutzt werden sollten: Krystyna Radziszewska (Hg.), Encyklopedia getta. Niedokończony projekt archiwistów z getta łódzkiego. Łódź 2014; Dominka Bopp u.a. (Hg.), Die Enzyklopädie des Gettos Lodz / Litzmannstadt. Göttingen 2020.

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Selbstzeugnisse: Lebenswelten eigenen Rechts Schließlich entstanden in dem über vier Jahre bestehenden Getto eine erhebliche Zahl an privaten Aufzeichnungen, literarischen Versuchen und Selbstzeugnissen, die nur zu einem Teil Deportation und Krieg überdauerten, aber in diesen Fällen vielfach wichtige Einblicke in die subjektive Wahrnehmung des Gettoalltags geben.92 Ein Teil dieser Aufzeichnungen stammte von den Journalisten um Archiv und Chronik, die jenseits der Zwänge einer Selbstzensur auch ihre subjektiven Eindrücke und Erfahrungen in privaten Aufzeichnungen festhielten.93 Andere Selbstzeugnisse stammen von einzelnen im Getto lebenden Jugendlichen, Frauen und Männern. Hohen Quellenwert besitzen schließlich die unmittelbar nach Kriegsende vor der Jüdischen Historischen Kommission abgelegten Berichte jüdischer Überlebender.94 Auffällig ist auch hier die sprachliche Vielfalt: Texte und Selbstzeugnisse entstanden in zumindest sechs Sprachen (Jiddisch, Polnisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Tschechisch) und umfassten beinahe alle Gattungen faktischer und fiktionaler Texte. Hier zeigt sich die kulturelle Diversität und Vielsprachigkeit der im Getto inhaftierten Menschen. Quellenkritisch einen besonders hohen Wert besitzen Tagebücher von teilweise sehr gut informierten Beteiligten.95 Eine besondere Perspektive in Lebenswelten fern der zentralen Akteure im Getto bieten solche Zeugnisse von Kindern und Jugendlichen.96 Dort finden sich sehr persönliche und intime Zeugnisse, aber auch Reflexionen über den Gettoalltag.97 Wir wissen daher aufgrund dieser zahlreichen Selbstzeugnisse über die jüdische Perspektive im Getto, die Situation in den Familien und die Wahrnehmung der Umwelt deutlich mehr als bei den scharf segregierten Lodzer Nachbarn, den Deutschen 92 93 94 95

96 97

Den besten Überblick bietet die polnische Antologie: Krystyna Radziszewska, Ewa Wiatr (Hg.), Oblicza getta. Antologia tekstów z getta łódzkiego. Łódź 2017. Dort Auszüge aus den deutschen Texten in Übersetzung, aber auch Auszüge aus zahlreichen jidischen und polnischen Texten. Rosenfeld, Wozu noch die Welt; Józef Zelkowicz, Notatki; ders., Piszący te słowa jest pracownikiem gettowej instytucji. „Z dziennika“ i inne pisma z łódzkiego getta. Hg. v. Monika Polit. Warszawa 2019. Heute in der Sammlung „Relacje“ im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts Warschau (AŻIH), Übersicht Chronik des Getto Lodz, Bd. 5, S. 272–277. Eine systematische Auswertung der Relationen mit einer Diskussion der Aufzeichnungspraxis in Lodz ist ein Desiderat. Poznański, Dziennik; Sierakowiak, Dziennik; Rozensztajn, Notatnik; Zelkowicz, Notatki z getta łodzkiego. Insbesondere die jiddischsprachigen Tagebücher sind unzureichend ausgewertet, Überblick: Robert Moses Shapiro, Diaries and Memoirs from the Lodz Ghetto in Yiddish and Hebrew. In: ders. (Hg.), Holocaust Chronicles. Individualizing the Holocaust through Diaries and Other Contemporaneous Personal Acconts. Hoboken 1999, S. 95–115. Krystyna Radziszewska, Dzieci i młodzież w Litzmannstadt Getto, in: Dariusz Leśnikowski (Hg.), Wżarł sie we mnie ból … Proby literackie Abrama Cytryna. Łódź 2009, S. 11–22; dies., Twórczość dzieci w zamkniętej dzielnicy żydowskiej, ebd., S. 23–30. Rywka Lipszyc, Dziennik z getta łódzkiego. Bearb. v. Ewa Wiatr. Kraków Budapest 2017; Heniek Fogel, Dziennik. Bearb. v. Adam Sitarek u. Ewa Wiatr. Warszawa 2019.

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oder Polen in der Stadt, die aber für die Kriegszeit erheblich weniger Selbstzeugnisse hinterließen. Aus dem Getto wurde die Aufspaltung der Gesellschaft in der Stadt besonders scharf wahrgenommen. Oskar Rosenfeld beschreibt in seinem Tagebuch seine Reflexionen angesichts des Verkehrs auf den das Getto durchschneidenden Straßen: „Oben von der Brücke sieht man die Lastautos der Aschkenes durch die Hohensteinerstraße fahren, zwischen dem Lattenzaun und Stacheldraht – man kann hineinblicken in die offenen Wagen: die schönsten Radieschen, Salate, Kohlrabi, Möhren, Rettiche, Obst … Das rast durch, verlockend wie im Märchen, während daneben die Gettobewohner, welche für die Aschkenas arbeiten, die alten verfaulten Brombeeren fressen“.98 Deutscher Luxus – Rosenfeld bezeichnet in seinem Tagebuch die Deutschen stets als „Aschkenes“ – steht neben jüdischem Hunger. Im Sommer 1944 stellen aufmerksame Beobachter auch im Verhalten deutscher und polnischer Passanten in den Straßenbahnen durch das Gettogebiet Veränderungen fest: Jakub Unger vertraut seinem Tagebuch an, die deutschen Passanten schauten nicht mehr so selbstsicher und triumphierend, sondern verunsichert und schlügen die Augen nieder.99 Die jüdischen Aufzeichnungen zeigen vor allem die existentielle Not der Menschen, die Hunger und Kälte, Willkür und Gewalt wehrlos ausgesetzt waren. Sichtbar werden die extrem begrenzten Handlungsspielräume, vielfach war ein (zeitweises) Überleben nur mit Hilfe von Protektion und Beziehungen (jidd. Plejzes von pol. plecy – Rücken), Diebstahl und Betrug möglich.100 Der Gettoüberlebende Anatol Chari, dessen 1939 ermordeter Vater Piotr Chary im Vorstand der jüdischen Gemeinde tätig war, beschreibt dies in seinen Erinnerungen eindrücklich.101 Gerade unter Paaren und Familien konnten der Hunger tragische Konflikte auslösen. Irene Hauser wurde zusammen mit ihrem Mann Leo und ihrem Sohn Erich aus Wien in das Getto eingesiedelt. Sie selbst fand keine Arbeit, besserte Kleidung aus, putzte Fußböden, strickte, die Entlohnung reichte jedoch nicht für hinreichendes Essen und sie hatte zudem stets ihren hungernden Sohn vor Augen. In ihrem Tagebuch schreibt sie an einem der ersten Einträge: „Von Ende Januar bis Juni schwere Hungertage und Kälte. In der Spanne Zeit Leo 20 und Irene 10 kg an Gewicht abgenommen. Gettokrankheiten, Ausschlag, […] Herzschwäche“.102 Über den Hunger und die Krankheiten zerbricht im 98 99

Rosenfeld, Wozu noch die Welt, S. 133. Nach Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 469–470. Das Tagebuch von Jakub Unger (AŻIH, 302/10) ist unveröffentlicht. 100 Andrea Löw, Das Getto in Lodz/Litzmannstadt und seine Enzyklopädie – eine historische Einführung, in: Bopp, Enzyklopädie, S. 338–348, hier 342. 101 Chari, „Undermensch“, S. 31–39, 41–44, 48–49, 57, 60–62. 102 Irene Hauser, Dziennik z getta łódzkiego. Das Tagebuch aus dem Lodzer Getto. Hg. v. Ewa Wiatr und Krystyna Radziszewska. Łódź 2019, S. 112 (Eintrag 01.06.1942).

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Sommer 1942 Ihre Familie, Irene vermerkt lakonisch: „Das Kind weint Hunger, der Vater Zigaretten, die Mutter will sterben, das Familienleben im Getto.“103 Irene Hauser wurde mit ihrem sechsjährigen Sohn während der „Sperre“ deportiert und im September 1942 in Kulmhof ermordet. Das Zerbrechen von Beziehungen und Familien kam häufiger vor, zugleich schlossen sich jedoch auch Paare und Familien in der Not enger zusammen.104 Diebstähle waren aber an der Tagesordnung. Auch Abraham Łaski bestahl seine kleine Schwester und machte sich anschließend Vorwürfe: „[…] ‚bei mir‘ lag die Hälfte des Brotlaibs meiner lieben, kleinen Schwester. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und aß ihn restlos auf. Als ich das getan hatte […] wurde ich von furchtbarer Reue und Gewissensbissen überfallen“.105 Sichtbar wird hier, wie die Not- und Zwangssituation impulsive Handlungen förderte, manchmal auch Familien und Freunde auseinanderbrechen ließ. Deportation nach Auschwitz und Wege des Überlebens Im Sommer 1944 lebten im Getto noch 68.561 Menschen, nirgendwo im deutsch besetzten Osteuropa gab es noch eine solche Zahl in einem Getto lebender Juden. Die Westalliierten waren in der Normandie gelandet, durch selbstgebaute Radios und Nachrichten aus der deutschen Presse war dies bekannt. Zugleich eroberte die Rote Armee in ihrer Sommeroffensive große Teile Polens und stand Ende Juli 1944 vor Warschau, nur noch 120 km von Litzmannstadt entfernt. Für einen Moment schien es so, als könne die Kalkulation von Chaim Rumkowski, durch den Arbeitseinsatz einen Kern der Lodzer Juden retten zu können, doch noch zum Tragen kommen. Tatsächlich hatte die SS-Verwaltung jedoch bereits im Frühjahr 1944 das Vernichtungslager in Kulmhof reaktiviert, im Juni und Juli 1942 wurden dort über 7.000 Juden ermordet; dann stockten die Deportationen und wurden erst Anfang August, nun mit Zielort Auschwitz, wieder aufgenommen. Durch brutale Einsätze der deutschen Schutzpolizei wurde das Getto im August 1944 Häuserzeile für Häuserzeile geräumt, Menschen, die Widerstand leisteten oder flohen, wurden direkt ermordet.106 Die Transporte endeten nach mehrtägiger Reise unter katastrophalen Bedingungen in Auschwitz-Birkenau, dort wurden die Menschen selektiert und ermordet, einige kamen in Arbeitskommandos, die überwiegende Mehrheit wurde in den Gaskammern ermordet.107 103 104 105 106 107

Hauser, Tagebuch, S. 118. Weitere Fälle bei Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 379–385. Les vrais riches, S. 35 (05.05.1944). Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 455–491 mit einer dichten Schulderung der Ereignisse. Andrzej Strzelecki, Deportacja Żydów z getta łódzkiego do KL Auschwitz i ich zagłada. Opracowanie i wybór źródeł. Oświęcim 2004.

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Die genaue Zahl der Überlebenden des Gettos ist unbekannt, Schätzungen reichen von 5.000 bis 7.000 bis hin zu 16.000 Menschen. Die Zahlen sind deshalb so unsicher, weil viele Menschen aus dem Getto über Auschwitz in andere Arbeitslager und Konzentrationslager deportiert wurden, oft dort umkamen, manche aber auch überlebten. Überlebende fanden sich nach 1945 in der Tschechoslowakei, in den alliierten Besatzungszonen Österreichs und Deutschlands und in Polen. Größere Transporte gingen in die Zwangsarbeitslager des HASAG-Rüstungskonzerns in Leipzig und Umgebung,108 in die Wehrmachtsarbeitslager in Skarżysko-Kamienna, über das Durchgangslager Auschwitz-Birkenau in die zahlreichen Unterlager des KZ Groß-Rosen und des KZ Auschwitz, nach Stutthof und nach Ravensbrück. Von dort aus wurden die Überlebenden auf weitere Betriebe in Deutschland verteilt. All dies erklärt, warum die Zahl der Überlebende niemals festgestellt werden konnte, glaubhaft sind Schätzungen von etwa 5.000–10.000 Menschen. Gut dokumentiert ist die Deportationsgeschichte einer Gruppe von etwa 120 Frauen aus dem Getto, die über Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen als Zwangsarbeiterinnen in das WMF-Werk in Geislingen/Steige deportiert wurden, wo sie Motorenteile für Flugzeugmotoren fertigen mussten. Nach einer weiteren Deportation nach Allach bei München wurden die Frauen am 30. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit.109 Im Getto blieben Ende August 1944 in zwei Lagern ca. 800 bis 850 Juden zurück, die täglich Material aus den leerstehenden Häusern abbauen und einsammeln mussten, das weiter verwertet wurde. Die Häftlinge im sog. Biebow-Lager (ul. Łagiewnica  36) wurden schließlich ebenfalls zur Zwangsarbeit nach Westen verschickt; zurück blieb nur das Lager in der ul. Jakuba 16 sowie kleinere Gruppen von Überlebenden, die sich auf dem Gettogelände versteckt hielten, aus Angst vor einer Entdeckung und aus Mangel an Lebensmitteln jedoch im Herbst 1944 mehrheitlich sich dem „Aufräumkommando“ anschlossen. Das Arbeitskommando hatte – auf Rechnung der Gettoverwaltung und der Stadt Litzmannstadt – weiterhin Gewinne aus den jüdischen Hinterlassenschaften zu erzielen. Die letzten Überlebenden versuchten sich nach Möglichkeit zu informieren; unter ihnen gingen Gerüchte um, dass das Kommando ebenfalls deportiert oder ermordet werden würde. Anfang Januar 1945 mussten die Zwangsarbeiter auf dem jüdischen Friedhof Gräber ausheben, in der Überlebendengemeinschaft verfestigte sich die Wahrnehmung, dass sie ebenfalls ermordet werden sollten. Das ist auch naheliegend, für wen hätten die Gräber auch sonst angelegt werden sollen? 108 Die Geschichte der Zwangsarbeit wird aktuell bearbeitet, vgl. https://www.zwangsarbeit-in-leipzig. de/zwangsarbeit-in-leipzig/. 109 Sybille Eberhardt, Als das „Boot“ zur Galeere wurde … Wie jüdische Frauen und Mädchen aus Lodz und Umgebung Ghettoisierung, Lagerhaft in Auschwitz-Birkenau, Bergen-Belsen, Zwangsarbeit in Geislingen/St. und Deportation nach Allach überlebten. Göppingen 2018.

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Kapitel 11

Dazu kam es jedoch nicht, da im Chaos des schnellen Zusammenbruchs der deutschen Front und der deutschen Flucht sich im Januar 1945 wohl keine Polizeieinheiten für ein Mordkommando mehr fanden. Als das Arbeitskommando am Morgen des 18. Januar zu einem vollständigen Appell zusammengerufen werden sollte, versteckten sich die überlebenden Juden auf dem Gettogelände, am 19. Januar drang die Rote Armee bis auf das Gettogelände vor. In der Stadt Lodz überlebten – von ca. 230.000 jüdischen Bürgern im Jahre 1939 – knapp 900 Menschen.110

110 Detaillierte Schilderung bei Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 485–491; Tagebuchaufzeichnungen aus der Perspektive eines Versteckten: Poznański, Pamiętnik, S. 208–264.

Kapitel 12

Lodz nach Kriegsende: Keine „Stunde null“ für Polen, Deutsche und Juden „Zu Lodz konnte ich keine Beziehung finden. Als ich das erste Mal die Piotrkowska herunterfuhr, stellte ich fast keine Veränderungen fest, aber der Aufenthalt dort wurde mit jedem Tag schwieriger, immer stärker nicht zu ertragen. Immer noch nicht kann ich verstehen, welche Macht die Juden dort festhält. Wieviel mussten die polnischen Juden durchstehen, dass sie in der Lage sind in dieser Stadt zu leben! Der Anblick des unzerstörten Lodz ist schrecklicher als die Ruinen von Warschau. Außer der Altstadt ist Lodz unzerstört. Häuser und Fabriken stehen, dieselben Straßen – aber die Gesichter sind fremd.“1  Mordechaj Canin (1947)

Mitte Januar 1945 wurde Litzmannstadt von der überlegenen Roten Armee in wenigen Tagen erobert. Am  12. Januar griffen sowjetische Truppen an der Weichsel an, am Freitag, dem 19. Januar standen sie bereits in der Stadt. Der völlige Zusammenbruch der deutschen Front und die rasche Eroberung bewirkten, dass die Stadt nur wenig verwüstet wurde2 und ihr lange zerstörerische Straßenkämpfe wie in Posen oder Breslau erspart blieben. Lodz wurde so am 19. Januar architektonisch weitgehend unzerstört befreit, die Stadtbebauung war weitgehend erhalten geblieben, nur wenige Verluste durch die zur Isolierung des Gettos niedergelegten Häuserzeilen und auf dem Gettogelände, sowie Bombenschäden beeinträchtigten das bauliche Stadtbild.3 Neben Krakau, das ähnlich rasch von der Roten Armee erobert wurde, war Lodz 1945 die am wenigsten zerstörte polnische Großstadt.

1 „Z Łodzią nie mogłem się oswoić. Kiedy po raz pierszy przejechałem Piotrowską, nie zauważyłem prawie żadnych zmian, ale pobyt tam był z każdym dniem trudniejszy, coraz bardziej nie do zniesienia. I wciąż nie potrafię zrozumieć, jaka siła trzyma tam Żydów. Ile musieli przejść polscy Żydzi, że są w stanie żyć w tym mieście! Widok niezniszczonej Łodzi jest straszliwszy niż ruiny Warszawy. Poza Starym Miastem Łódź jest nietknięta. Stoją domy, fabryki, te same ulice – ale twarze są obce.“ Mordechaj Canin, Przez ruiny i zgliszcza. Podróż po stu zgładzonych gminach żydowskich w Polsce. Warszawa 2019, S. 139. 2 Tagebuchaufzeichnungen aus der Sicht einer deutschen Augenzeugin: Bömelburg/Klatt, S. 300–302. 3 Hier soll nicht die These vertreten werden, Lodz habe keine materiellen Kriegsverluste erlitten, vgl. dazu die Berechnungen bei Julian Baranowski [u.a.], Raport z oszacowania strat i szkód poniesionych przez miasto Łódź wskutek wybuchu i trwania II wojny światowej oraz wynikłych z organizacji i funkcjonowania Litzmannstadt Getto. Łódź 2006. Jedoch waren die materiellen Schäden Lodzs gegenüber anderen polnischen Städten begrenzt.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_013

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Abb. 14

Kapitel 12

Begrüßung der sowjetischen Soldaten im Januar 1945 am Plac Wolności.

Ganz anders sah die Situation der Einwohner aus: Im Januar 1945 lebten nur noch ca. 300.000–380.000 Menschen4 in der Stadt, darunter ca. 340.000 als „Polen“ und 30.000– 40.000 als „Deutsche“ klassifizierte Einwohner. Ein Drittel der Stadtbevölkerung, darunter fast alle jüdischen Lodzer, waren ermordet worden, weitere 10% waren ausgesiedelt, deportiert oder geflohen. Alle noch lebenden Einwohner, Deutsche wie Polen, waren durch die deutsche Politik der Rassentrennung und Gewalt in Mitleidenschaft gezogen, gezeichnet und verwundet, vielfach verroht, ja miteinander verfeindet, die polnischen Einwohner ohne Frage bedroht. Die sowjetischen Truppen wurden deshalb von Teilen der polnischen Bevölkerung als Befreier mit Jubel begrüßt und mit Lebensmitteln und Alkohol bewirtet; Fotos vom 19. Januar zeigen Gruppen polnischer Einwohner, die dem sowjetischen Militär auf dem Plac Wolności zujubelten.5 Auch hier muss allerdings,

4 Die Zahlen schwanken, weil zahlreiche Polen zu Schanzarbeiten aus der Stadt heraustransportiert worden waren, die aber bereits Ende Januar 1945 zurückkehrten. Auch ist die Zahl der verbliebenen Deutschen nicht genau zu klären, ca. 30.000–40.000 Menschen. 5 Kazimierz Badziak, Włodzimierz Kozłowski, Wyzwolenie Ziemi Łódzkiej. Styczeń 1945. Łódź 1980.

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ähnlich wie im September 1939, gefragt werden, wie groß die Gruppen der Bevölkerung waren, die den einmarschierenden Sowjets diese freudige Begrüßung bereiteten. Weiteren Zündstoff lieferten in dieser unklaren Gemengelage die deutschen Verbrechen in der Endphase der Besatzung. Die moderne Forschung ist der Meinung, diese seien seit 1944 von SS- und Polizeieinheiten bewusst ausgelöst wurden, um keine Zeugen am Leben zu lassen,6 ähnlich wie in Majdanek, Lublin oder im MokotówGefängnis in Warschau. Auch die Lodzer Ereignisse deuten auf Vorbereitungen hin: Durch den raschen sowjetischen Vormarsch aufgestört, begann die Polizeibelegschaft des Erweiterten Polizeigefängnisses Radegast in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1945 Häftlinge im Gefängnis zu erschießen. Das Geschehen geriet außer Kontrolle, die Häftlinge leisteten passiven Widerstand, woraufhin das gesamte Polizeigefängnis von der Wachmannschaft angezündet wurde. Die große Mehrheit der Häftlinge verbrannte, nur ca. 30 Personen überlebten. Die ca. 1.500 Opfer, wovon über 1.200 namentlich bekannt sind, waren vielfach Lodzer, weiterhin ca. 300 inhaftierte sowjetische Soldaten. Als die sowjetischen Truppen die Stadt eroberten, rauchten die Ruinen noch. Tausende von Menschen strömten auf der Suche nach Angehörigen oder aus Neugier am 20./21. Januar am Tatort zusammen.7 Ohne jede Frage verstärkte dieser Massenmord die Stimmung nach Rache gegenüber der in Lodz verbliebenen deutschen Bevölkerung. Ein zufällig ergriffener Deutscher, der bei den Lodzer Straßenbahnen beschäftigte Elektromeister August Fuchs, wurde von der aufgebrachten Menge gelyncht und unter den Ruinen des Gefängnisses begraben.8 Mit Hilfe von persönlichen Gegenständen, teilweise Fotographien sowie später einer Analyse der Häftlingslisten konnten die Opfer teilweise identifiziert werden. Am 18. Februar 1945, einen Monat nach dem Verbrechen, erfolgte die offiziöse Beisetzung der Opfer in zwei Massengräbern auf dem Gelände des inzwischen zu einer nationalen Gedenkstätte erklärten ehemaligen Polizeigefängnisses Radegast. Dabei mussten die Reste der Ermordeten von in der Umgebung wohnenden älteren deutschen Lodzerinnen und Lodzern unter Beisein der polnischen Trauernden zum Begräbnisort getragen werden. Diese symbolische Inszenierung stigmatisierte alle Deutschen als Täter.9 Die sowjetischen Militärs, die Lodz eroberten, interessierten sich vor allem für das ökonomische Potential der Stadt. In der kollektiven russischen Erinnerung war die Bedeutung der Industriestadt eingeschrieben. Auf einer 1944 vom Generalstab der Roten Armee herausgegebenen Karte im Maßstab 1:50.000, die Lodz und Umgebung darstellt, sind vor allem die größeren Industriebetriebe vermerkt, die vorrangig besetzt werden

6 7 8 9

Ulrich Sander: Mörderisches Finale. NS-Verbrechen bei Kriegsende. Köln ²2020. Antoni Galiński, Likwidacja więzień niemieckich w Łodzi w styczniu 1945 r., in: Rok 1945 w Łodzi, S. 53–68. Wojciech Źródlak, Więzienny tramwaj, in: Odgłosy 2 v. 10.01.1987, S. 5. Interview Wojciech Źródlak, Łodzianie z radością witali rosyjskich wyzwolicieli, in: Dziennik Łódzki, 18.01.2012.

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sollten.10 Sowjetische Detachements quartierten sich in den Fabrikantenvillen ein, deren wertvolle Kunstgegenstände, Bibliotheken und das Mobiliar vielfach geplündert wurden.11 Überlieferte sowjetische Aussagen sahen vor allem das wirtschaftliche Potential der Stadt und waren vom guten Zustand der Infrastruktur überrascht: „Lodz. Fünfhundert Unternehmen und Fabriken. Direktoren und Eigentümer sind geflohen. Vorerst haben die Arbeiter die Verwaltung übernommen. Kraftwerk, Straßenbahn, Eisenbahn alles funktioniert normal.“12 Die Sowjets bemühten sich, die Maschinenparks der Industriebetriebe, soweit noch vorhanden, zu erhalten und eine Industrieproduktion rasch wieder in Gang zu bringen. Bereits im Februar 1945 trafen erste Baumwolllieferungen aus der Sowjetunion in den Lodzer Fabriken ein, die Textilindustrie sollte rasch wieder in Gang gebracht werden. Auch die polnische Administration wusste um die Bedeutung der Stadt. Bereits am 20. Januar kam Ignacy Loga-Sowiński, ein ehemaliger Lodzer Arbeiter und 1938 verhafteter Sekretär der kommunistischen Parteiorganisation in Lodz-Innenstadt, als Beauftragter der provisorischen Regierung in die Stadt. Loga-Sowiński stieg im Hotel Grand in der Luxussuite 242 ab, führte dort Gespräche und ernannte die obersten Stadt- und Wojewodschaftsbehörden mit Kazimierz Mijal an der Spitze. Mijal besaß eine orthodox kommunistische Prägung, er entwickelte sich zu einem stalinistischen Parteifunktionär. Überlegungen aus dem städtischen Bürgertum, wie 1914 und 1939 ein Bürgerkomitee einzuberufen, wurde dadurch der Boden entzogen. Die neu entstehende Stadt- und Regionalverwaltung besaß so von Anfang an eine zentralstaatliche Signatur. Fast zeitgleich kam im Januar 1945 ein weiterer Lodzer in die Stadt zurück: Der Nationalkommunist Mieczysław Moczar, Leiter der zukünftigen Lodzer und schließlich polnischen Sicherheitsorgane. Moczar hatte den Krieg im polnischen Untergrund vor allem in der Region Lublin überdauert und war durch die dortigen brutalen Kämpfe geprägt. Programmatisch oder pragmatisch nahm er zunächst Wohnung in der ehemaligen Gestapozentrale in der ul. Anstadta 7, dem zukünftigen Sitz der Sicherheitsorgane. Das Gebäude war nicht zerstört und mit Verhörräumen und Zellen für Untersuchungen und Festnahmen ausgestattet.13 Bereits diese Personalien machen deutlich, dass viele der Akteure des Jahres 1945 in der Stadt keine Unbekannten waren und eigene Rechnungen mit ehemaligen Gegnern oder Personen, die sie als solche ansahen, offen hatten.

10 11 12 13

Harrie Teunissen, Lebensraum und Getto; Präsentation http://www.siger.org/lebensraumundgetto/ Karte 37; Karte aus: Archiwum Map Wojskowego Instytutu Geograficznego 1919–1939. Spodenkiewicz, Piasek, S. 92–100. Antony Beevor, Ein Schriftsteller im Krieg. Wassili Grossman und die Rote Armee 1941–1945. München 2007, S. 389. Joanna Żelazko, Organizacja aparatu przymusu i pierwsza fala represji, in: Żelazko, Rok 1945 w Łodzi, S. 97–117, hier 98–99.

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Das neue polnische Lodz: Improvisation und Reorganisation Die Situation in Lodz 1945 hätte jede Stadtverwaltung vor fast unlösbare Aufgaben gestellt: Durch die kaum zerstörte Stadt wälzten sich sowjetische und polnische Militärkolonnen, in die Stadt strömten Zehntausende von Flüchtlingen und Vertriebenen, seit Februar 1945 kehrten die jüdischen Überlebenden der Lager und die polnischen Zwangsarbeiter aus dem Westen zurück. Es fehlte eine funktionierende Stadtverwaltung, die deutschen Mitarbeiter waren weitgehend geflohen, qualifizierte polnische Verwaltungskräfte waren ermordet oder deportiert worden. Eine staatliche und städtische Übernahme der Unternehmen und eine Überprüfung und Neuverteilung des Eigentums waren dabei zwingend. Schließlich hatte die deutsche Besatzungspolitik Polen und Juden enteignet und umgesiedelt, weiterhin die Wirtschaftsbetriebe bereits zentralisiert: Von den 1.900 im Jahre 1939 existierenden Betrieben waren 1945 infolge von Aufgabe und Zusammenlegung nur 700 Betriebe übriggeblieben. Man kann also sehr wohl argumentieren, dass die deutschen Enteignungen und Zwangsmaßnahmen im Krieg der Verstaatlichung nach 1945 bereits den Weg bereiteten.14 Bereits am 23. Januar 1945, vier Tage nach der Eroberung der Stadt, hielt der Beauftragte der Regierung Loga-Sowiński zusammen mit weiteren polnischen Vertretern und dem sowjetischen Generalmajor Porfirij Furt im Poniatowski-Park eine Ansprache vor ca. 30.000 Menschen – noch einige Monate zuvor hatte der Veranstaltungsort Gauleiter Greiser als Aufmarschort und Bühne gedient. In einem Bericht vom 24. Januar bedankte sich Loga-Sowiński für den freundlichen Empfang in der Stadt. Er lobte und schmeichelte in hohem Maße der Bevölkerung: „Einen solch allgemeinen, spontan entstandenen Enthusiasmus kann nur die Hauptstadt des polnischen Proletariats entwickeln – Lodz. Jedes Haus hängte weiß-rote und rote Fahnen heraus. Offiziere der Roten Armee berichteten mir, dass die Bevölkerung sie auf den Schultern trug und umarmte.“15 Neben der Frage, woher so schnell die genannten Fahnen kamen – waren sie nicht doch von der sowjetischen Armee und der polnischen Delegation mitgebracht worden? – ist offen, wem diese nach einem kurzen Moment des Zögerns16 auch in anderen Erinnerungen bezeugte allgemeine Euphorie galt. Jubelte tatsächlich das Proletariat der Sowjetmacht zu? Oder begeisterte sich nicht eher die vom Terror gequälte polnische 14 15

16

Zysiak, Wielki przemysł, S. 45. „Tak powszechny entuzjazm, spontanicznie zrodzony może wykrzesać tylko stolica polskiego proletariatu – Łódź. Każdy dom wywiesił flagi biało-czerwone i czerwone. Opowiadali mi oficerowie Armii Czerwonej, że ludność obnosiła ich i całowała.“. Genowefa Adamczewska (Hg.), Kształtowanie władzy ludowej w Łodzi i województwie łódzkim w 1945 r. Wybór źródeł. Warszawa, Łódź 1985, S. 26–28, hier 27. Der Moment des Zögerns wird anschaulich in dem Tagebuch Poznańskis unter dem Datum des 20.01.1945 beschrieben, in der Neustadt lebten zu diesem Zeitpunkt noch viele Deutsche, die polnische Bevölkerung blieb angesichts der unklaren Machtverhältnisse unsicher, vgl. Pozański, Dziennik, S. 265.

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Bevölkerung für die Perspektive einer Neubegründung des polnischen Staates und des nahen Endes des Krieges ganz unabhängig von der wenig demokratischen Legitimation der neuen sowjetisch-polnischen Herren? Der sowjetische Repräsentant auf der Veranstaltung am 23. Januar, der neue Stadtkommandant Generalmajor Porfirij Furt, gehörte bereits nicht mehr zu den sowjetischen militärischen Eroberern von Lodz, sondern stellte den Typus des sowjetischen Politoffiziers dar, der eng mit den sowjetischen Geheimdiensten verbunden war. Dazu passt, dass auch KGB-General Ivan Serov, als „Berater“ des polnischen Innenministeriums in der Zeit in Warschau, auf die roten Fahnen in Lodz hinwies und behauptete, die Arbeiter der Lodzer Fabriken kennten sogar die Verfassung der Sowjetunion und stimmten ihr zu.17 Sichtbar wird hier die alte Vorstellung des „roten Lodz“, die unter den Sowjets verbreitet war. Diese Welle der Euphorie unter den Lodzern dauerte an und erreichte mit den Nachrichten über die Eroberung Berlins und das Kriegsende einen Höhepunkt. Allerdings sorgten wachsende Kriminalität, Unsicherheit und die weit verbreiteten Plünderungen bereits seit Januar 1945 für Spannungen und Gerüchte: Allgemein nahm man eine Tätigkeit deutscher Werwolf-Kommandos an, die Brände gelegt hätten und für Überfälle verantwortlich gemacht wurden.18 Tatsächlich kam es in größerem Maße zu Plünderungen auch durch die polnische Bevölkerung19 und Requirierungen durch sowjetische Soldaten, die allgemein auch für die Belästigung von Frauen und Vergewaltigungen verantwortlich gemacht wurden. Lodz war die erste Großstadt des Großdeutschen Reiches, die von der Sowjetarmee erobert worden war. Im Januar 1945 wirkte die Stadt durch Ladenreklamen und Straßenschilder durchaus deutsch, in der Stadt waren deutsche Passanten vertreten, es ist deshalb davon auszugehen, dass viele sowjetische Soldaten den Eindruck hatten, eine deutsche Stadt zu erobern und sich an der „deutschen Bevölkerung“ – man denke an die Aufrufe Ilja Ehrenburgs – zu rächen. Insbesondere die Umgebungen sowjetischer Stationierungsorte und Spitäler galten 1945 als unsicher. Nach der Ermordung einer Studentin der neugegründeten Universität und der (bis heute unbewiesenen) Vermutung, es habe sich um die Tat eines sowjetischen Soldaten gehandelt, kam es am 18. Dezember 1945 zu einer großen universitären Demonstration, die von den Sicherheitsbehörden intensiv beobachtet und in dessen Gefolge zahlreiche Studierende verhaftet wurden.20 Insgesamt blieb die Lage in Lodz in der gesamten Nachkriegszeit gefährlich: Alltägliche Kriminalität mischte sich mit Gewalt gegen Deutsche und der Tätigkeit des polnischen nationalen Untergrunds, das schürte Ängste und allgemeine Unruhe. 17 18 19 20

Tadeusz Bogalecki, Generał Iwan Sierow o sytuacji w Łodzi, in: Kronika miasta Łodzi 2 (2002), S. 181. Poznański, Dziennik, S. 268; Śreniowska, Moje życie, S. 127. Poznański, Dziennik, S. 270 (Gettogelände). Łukasz Kamiński, Sprawa zabójstwa Marii Tyrankiewicz, in: Studia Rzeszowskie 5 (1998), S. 109–115; Paweł Spodenkiewicz, Sprawa Marii Tyrankiewiczówny, in: Joanna Żelazko (Hg.), Rok 1945 w Łodzi. Studia i szkice. Łódź 2008, S. 251–273.

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Lodz wurde in der Nachkriegszeit erneut zu einem Hotspot von Mobilität und Migration: Anfang 1945 lockten noch die leerstehenden, von Deutschen verlassenen Wohnungen. Flüchtlinge und Rückkehrer fanden in Warschau und anderen zerstörten Städten keine Wohnmöglichkeiten und quartierten sich in Lodz ein. Regierungsbehörden, für die in Warschau keine Räumlichkeiten zur Verfügung standen, wurden ebenfalls in der Stadt einquartiert, in der Innenstadt bestand eine Zuteilungsquote für jüdische Rückkehrer (vgl. S. 321). Zumindest in Gerüchten war im Frühjahr 1945 die Hauptstadtfrage noch ungeklärt. Warschau sollte wiederaufgebaut werden, aber war die alte Hauptstadt nicht zu „bürgerlich“? Gerüchte, Lodz solle aufgrund seiner zentralen Lage in der neuen Volksrepublik Polen zumindest die neue provisorische Hauptstadt werden, liefen um. Nach Aussage des ersten Ministerpräsidenten des neuen Polens, Edward Osóbka-Morawski soll Parteichef Bierut der Auffassung gewesen sein, dass Warschau in einem solchen Maße zerstört sei, dass man eine neue Hauptstadt brauche und Lodz ins Spiel gebracht haben. Tatsächlich wurden in Lodz nach 1945 vorübergehend einige polnische oberste Regierungsbehörden untergebracht: so quartierte sich das Oberste Gericht 1945–1950 in Lodz ein. Zahlreiche regierungsnahe Rückkehrer und Familien erhielten Wohnungen, da es im völlig zerstörten Warschau in den ersten Nachkriegsjahren keine gab: Der polnische Historiker Jerzy  W.  Borejsza beschrieb in seiner Autobiographie, wie er in den ersten Nachkriegsjahren mit seiner Mutter in Lodz lebte und von dort immer wieder seinen Vater besuchte, der in Warschau ein Verlagssystem aufbaute und in dessen Arbeitszimmer übernachtete. Lodz wurde so zum „Wartesaal“ bis zum Wiederaufbau Warschaus.21 Wohnungen mit hohem Wohnstandard, etwa ein Wohngebäude in der ul. Władysława Bandurskiego  8 (heute ul. Mickiewicza) wurden vom Literatenverband belegt; dort erhielten u.a Zofia Nałkowska, Stanisław Dygat, Zygmunt Kałużyński, Władysław Broniewski, Jan Brzechwa und Jan Kott Wohnungen – im neuen Polen die erste Liga geförderter Schriftsteller. Der Zuzug von zahlreichen Ortsfremden sorgte bald für Spannungen: Die ansässige Lodzer Bevölkerung sah sich an den Rand gedrängt, wiederholt umquartiert und durch Einquartierungen beengt. Vielfach waren die Eigentumsverhältnisse ungeklärt, da jüdische Alteigentümer nicht mehr lebten oder die Rechtssituation von Lodzer Deutschen ungeklärt war. Seit 1946 normalisierte sich die Situation, allerdings sorgte der Ausbau der städtischen Wohnungsverwaltung für eine Kontrolle aller Bewohner sowie für unerwünschte Einquartierungen und Wohnungsteilungen und löste Proteste aus.22 Das Lodz der Nachkriegszeit blieb zunächst eine multinationale Stadt. Nach einer Bevölkerungsstatistik vom 27. Mai 1945 lebten 379.131 Polen, 32.947 Deutsche, 6.336 Juden und 1.718 Russen in der Stadt. Am 1. Februar 1947 verzeichnete man bei 552.655 21 22

Tranzytem przez Łódź, S. 24–25. Ewa Kacprzyk, Warunki życia mieszkańców Łodzi 1945–1948. Łódź 2019, S. 113–146, besonders 128–130; Lesiakowski, Strajki, S. 25–26.

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Einwohnern  510.259 Polen, 25.385 Deutsche, 13.269 Juden und 1.952 Russen.23 Diese Zahlen basieren auf behördlichen Zuschreibungen und sind für Deutsche und Juden zu niedrig gegriffen; der unterschiedliche Rechtsstatus sorgte für eine Existenz unterhalb der behördlichen Statistiken, aber auch für Spannungen und Übergriffe. Die polnische Stadtverwaltung agierte dabei zunächst konservativ und beschloss am 22. Juli 1945 eine Rückkehr zu den städtischen Strukturen von vor 1940; die von Deutschen beschlossene Erweiterung der Stadtgrenzen sollte rückgängig gemacht werden. Damit beschnitt man sich aber Planungsmöglichkeiten, woraufhin am 20. Dezember 1945 die Rückkehr zu den Grenzen der Kriegszeit geschah. Es erfolgte keine systematische Rückerstattung der im Krieg beschlagnahmten Grundstücke; deutsches Eigentum wurde grundsätzlich eingezogen, jüdisches Eigentum nur bei persönlicher Intervention der Alteigentümer in Lodz teilweise zurückerstattet – unter diesen Bedingungen blieb die Masse der ehemals jüdischen Immobilien in den Händen staatlicher Behörden oder wurde von Fabrikkomitees und städtischen Ämtern (etwa dem Einquartierungsamt des Städtischen Nationalrats) verwaltet. Die städtischen Wiederaufbauplanungen stützten sich – wie auch in anderen polnischen Städten – auf die Pläne der Kriegszeit. Aufgegriffen wurden die Überlegungen zu einer Auflockerung der innerstädtischen Wohnverhältnisse. Zbigniew Wysznacki, einer der führenden Städteplaner, äußerte offen, man habe versucht, auch die neuen Ideen zu nutzen, die die Deutschen mitgebracht hätten.24 Ein zentraler Unterschied lag nur in der Planungsgröße: Waren die deutschen Planer zukünftig von 500.000 Einwohnern ausgegangen, sahen die polnischen Planungen nun eine Zielgröße von 800.000 Einwohnern vor. Geplant wurden deshalb weniger Grünstreifen und Sportobjekte – es blieb lediglich bei der Anlage des Altstädtischen Parks (Park staromiejski) im Bereich der von Deutschen abgebrochenen Bebauung an der südlichen Gettogrenze. Gegenüber den großspurigen deutschen Planungen verzichtete man auf Gartenstädte und sah eine stärker verdichtete Blockbebauung vor. Die im Kriege errichteten deutschen Siedlungen mit Wohnungsgrößen von 75–100 m² wurden in zwei oder drei Wohnungen aufgeteilt. Die deutschen Planungen zur Anlage eines gigantischen Verwaltungsviertels in WestOst-Ausdehnung im Süden der Neustadt wurden nach 1945 mehrfach überarbeitet. Im Stalinismus wurde die Anlage eines monumentalen Rathauses in sozrealistischem Stil geplant, jedoch infolge Geldmangels nicht umgesetzt.25 In den 1970er Jahren wurde in diesem Bereich die zweispurige ul. Mickiewicza ausgebaut, die solche Planungen beendete und die Verkehrsführung veränderte.

23 24 25

Leszek Olejnik, Łódź wielonarodowa w pierwszych latach po II wojnie narodowej, in: Rocznik Łódzki 45 (1998), S. 185–210. „Próbowaliśmy wykorzystać nowe myśli, które przynieśli ze sobą Niemcy.“ Bolanowski, Architektura, S. 174–175. Abbildung der Pläne in Łódź w walce i pracy. Łódź 1954.

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Die größten Planungsmöglichkeiten besaß die Stadtplanung auf dem ehemaligen Gettogelände, wo die zerstörte Bebauung des Altstädtischen Marktes (Stary Rynek), im Krieg Teil des Gettos, abgerissen wurde. Hier entstand bis zur Mitte der 1950er Jahre eine sozrealistische Bebauung mit Laubengängen, die Südseite blieb jedoch unbebaut. Bałuty bot für die neue zentralistische Stadtplanung die größten Freiräume: Die „nachjüdischen“ Flächen waren weitgehend herrenlos, auf ihnen konnten in völligem Bruch mit der Vergangenheit ein neues Straßennetz und Wohnblocks entstehen. Dabei wurde der altstädtische jüdische Friedhof (ul. Wesoła) entgegen gültigen Rechts beseitigt, das Gelände wurde mit Wohnblocks überbaut. Bałuty sollte zu einer sozialistischen Musterstadt werden, wie ein Gedicht aus dem Jahre 1950 deutlich macht: „Es steht auf und es wächst: Bałuty / Die Schwester Warschaus und Nowa Hutas“.26 Das Viertel sollte ähnlich wie die Arbeitersiedlung bei Krakau zu einem sozialistischen Vorzeigeort werden, tatsächlich blieb der Aufbau wegen fehlender Mittel stecken. Kulturelle Wiedergeburt Am beeindruckendsten im neuen Lodz erwies sich ohne Zweifel die rasche Wiederauferstehung polnischer Kultur, die durch den Zustrom von Künstlern und Intellektuellen, die aus Warschau deportiert worden waren und in der zerstörten Stadt keine Unterkunft fanden, beflügelt wurde. Da die Kinos vielfach unversehrt geblieben waren, liefen ab Frühjahr 1945 vor allem ausländische Filmproduktionen, eingeleitet von der Polnischen Filmchronik, die in Lodz produziert wurde (vgl. S. 347). Eine eigenständige polnische Produktion auf der Bühne ließ sich schneller als neue Filme umsetzen: In Theatern und auch in Kinos trat 1945 vor allem das Theater des Polnischen Heeres (Teatr Wojska Polskiego) auf, das in der Cegelniana  63 eine feste Bühne erhielt. Erster literarischer Leiter des Theaters war der polnische Dichter Adam Ważyk, der mit einer Inszenierung des symbolistisch-anspielungsreichen Dramas „Hochzeit“ (Wesele) von Stanisław Wyspiański die Spielzeit aufnahm. Zu fragen ist allerdings, inwieweit diese Theaterproduktionen auch die ansässige Lodzer Arbeiterbevölkerung erreichten, Erinnerungen verweisen darauf, dass vor allem Militärs und die zugezogene Intelligenz die neuen kulturellen Möglichkeiten nutzten. Erste Lodzer Zeitungen erschienen ab dem 24. Januar, hatten aber zunächst erhebliche Probleme infolge von Papiermangel und fehlenden Druckkapazitäten. Erst ab 1946 erschien täglich eine breite Boulevardpresse. Bereits vor Kriegsende suchte man zudem eine neue Festkultur zu etablieren: Am 1. Mai 1945 fanden improvisierte Aufmärsche und Vorbeizüge von Fabrikbelegschaften 26

„Wstają Bałuty, rosną Bałuty / Siostra Warszawy i Nowej Huty“. Dziennik Łódzki 273 v. 04.05.1950, zit. nach Marcin J. Szymański, Bałuty historyczne a współczesne, czyli historia pewnego nieporozumienia, in: Bałuty. Legenda i rzeczywistość. Łódź 2017, S. 71–95, hier 81.

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statt, am 9. Mai 1945 feierte eine den plac Wolności dicht gedrängt füllende Menschenmasse das Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein Jahr später waren die Aufmärsche bereits deutlich besser organisiert, am 1. Mai 1946 fanden sie unter dem Motto „Ruhm der Roten Armee, der Befreierin der Völker“ (Chwała Armii Czerwonej, wyzwolicielce narodów) mit angeblich 250.000 Menschen statt. Dagegen untersagte die Stadt Aufzüge am 3. Mai, die durch die Studentenverbindung „Brüderliche Hilfe“ (Bratnia Pomoc) beantragt worden waren, es kam zum Einschreiten von Sicherheitsfunktionären, die mindestens ein Menschenleben forderten. Erlaubt blieben lediglich offiziöse Veranstaltungen.27 An dem Aufmarsch soll eine Viertelmillion Menschen teilgenommen haben. Anwesend war der Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte, Marschall Michał Rola-Żymierski auf einer Tribüne vor der Lodzer Stadtverwaltung an der Piotrkowska. Die Zeitungen berichteten: „Vor ihm verneigten sich die Kampfstandarten. Ein Wald von Schildern trug die Namen der einzelnen Henkerstätten: Majdanek, Auschwitz, Mauthausen, Dachau und andere. Sie wurden von ehemaligen Häftlingen der Konzentrationslager in Häftlingskleidung getragen. Es wehte die Fahne des Veteranenverbandes für Freiheit und Demokratie. An der Spitze des Aufmarsches schritt die Belegschaft der Staatlichen Textilbetriebe, ehemals Eitingon, die im landesweiten Wettkampf der Arbeit in der Textilindustrie gesiegt hatte.“28 Erkennbar wird hier, dass sich der Wind gedreht hatte, es ging nun um die Leistungssteigerung in der Industrie und die Belebung eines „sozialistischen Wettbewerbs“. Streiks und soziale Unruhe Die Weiterführung und Wiederaufnahme der industriellen Produktion erfolgte in Lodz vielfach ohne große Arbeitsunterbrechungen und langen Stillstand, da die Betriebe intakt geblieben waren und weitergearbeitet werden konnte. Beschrieben wird das im Tagebuch von Jakub Poznański, der am Samstag, dem 20. Januar 1945 in seine alte Fabrik, die „Färberei und Textilveredlung Otto Haessler“ (Farbiarnia i Wykończalnia Otto Haesslera, ul. Siedlecka 3, ab 1948 Zakłady Przemysłu Wełnianego im. J. Niedzielskiego) zurückkehrte. Der Betrieb konnte bereits in der folgenden Woche wiederaufgenommen werden. Poznański wurde von den Arbeitern zum Werksleiter gewählt und zugleich gebeten, in die Fabrikantenvilla einzuziehen.29 27 28

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Przemysław Waingertner, Czwarta stolica. Kiedy Łódź rządziła Polskę (1945–1949). Łódź 2019, S. 34–37. „Chyliły się przed nim bojowe sztandary. Był las proporców z nazwami poszczególnych katowni: Majdanka, Oświęcimia, Mauthausen, Dachau i innych. Szli z nimi w pasiakach byli więźniowie obozów koncentracyjnych. Powiewał też sztandar Związku Weteranów walk o wolność i demokrację. Na czele pochodu szła załoga Państwowych Zakładów Włókienniczych, dawniej Eitingon, która zwyciężyła w ogólnokrajowym wyścigu pracy przemysłu włókienniczego.“ Dziennik Łódzki, 2 (1946), 02.05.1946, S. 1. Poznański, Dziennik, S. 265–266, 268–271, 277. Ähnlich die Wiederinbetriebnahme Betriebe Horak: Kieszczyński, Pamiętnik, T. 2, S. 213.

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Diese Episode zeigt deutlich die Mechanismen der Machtübernahme von unten: Viele Arbeiterinnen und Arbeiter hatten im Krieg gelernt, durch Selbstverteidigung und Verteilung von Gütern auch ohne staatliche Unterstützung zu überleben, sie führten 1945 die Fabriken selbstständig weiter. 1946 arbeitete ein Zwölftel aller polnischen Arbeiter in Lodzer Fabriken. Diese Akteure prägten die Selbstverwaltung und entwickelten daraus ein Selbstbewusstsein. Gewählt wurden in der Regel erfahrene Meister und Fachpersonal, das eng mit den Fabriken verbunden war, die Arbeitsprozesse kannte und ein hohes Arbeitsethos besaß. Aus dieser Perspektive erschien die Rolle der Fabrikanten kaum ersetzbar: Jakub Poznański sollte in die Fabrikantenvilla einziehen und so die Leerstelle füllen. Dieser betrieblich fokussierte proletarische Eigensinn schaute skeptisch auf ein Engagement staatlicher Organisationen und geriet rasch in Konflikt mit parteilicher Bevormundung.30 Im Zentrum standen dabei konkrete Forderungen, die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken forderten bessere Lebensmittel, bessere Versorgung bei Brennstoffen (Kohle – es gab den Vorwurf einer Kohleknappheit, ausgelöst durch Export in die Sowjetunion), Textilwaren und Schuhen, höhere Löhne, niedrigere Normen, nicht selten auch einen Wechsel in den Fabrikleitungen. Da die Versorgung mit allen Gütern in der Nachkriegszeit stockte und gegenüber den steigenden Preisen die Löhne niedrig blieben, kam es zu wiederholten Arbeitsniederlegungen, wilden Streiks und Fabrikbesetzungen sowie einer Beschaffungskriminalität und Diebstählen in den Fabriken.31 Die Streikenden konnten dabei auf Erfahrungen aus den 1920er und 1930er Jahren zurückgreifen, als Streiks in Lodz verbreitet waren. Auch die Auslöser des Protests – Arbeitsprozesse in den Fabriken, Arbeitszeiten und Zurücksetzungen bzw. Entlassungen von Aktivisten, zeigen, dass ältere Traditionen Vorbilder lieferten. Die häufigen Stillstände in den Fabriken wegen fehlender Rohstoffe, einer Überalterung des Maschinenstocks und schlechtem Baumwollmaterial aus der Sowjetunion beeinträchtigten die Einkommen der Arbeiter, die an Akkordvorgaben gebunden waren. Insbesondere diese Streiks stellten die Regierung vor erhebliche Probleme, denn wie wollte man jetzt, da die Arbeiter die Macht auch in Polen übernommen hatten, der Bevölkerung erklären, dass gerade in der Stadt des Proletariats Arbeiterinnen und Arbeiter streikten? Arbeiterproteste flammten auch auf, wenn die Abrechnung mit den deutschen Tätern und ihren Gehilfen nicht scharf genug ausfiel. So protestierten Arbeiter in Pabianice im August  1945 gegen die angeblich zu milde Behandlung des ehemals polnischen Richters und im Kriege deutschen Anwalts Eugen/Eugeniusz Delnitz, der in einem Prozess am 10.–15. August 1945 „nur“ zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war.32 30 31 32

Überzeugend dargestellt bei Padraic Kenney, Budowanie Polski Ludowej. Robotnicy a komuniści 1945–1950. Warszawa 2015, S. 54–92, 94, 98–99 (Wahlen). Ebd., S. 106–112. Die langjährige gerichtliche Auseinandersetzung, Delnitz legte mehrfach Berufung ein und wurde schließlich in Warschau 1949 zu vier Jahren Haft verurteilt und infolge Anrechnung der Untersuchungshaft freigelassen, wird jetzt bei Turski, Unter der Lupe, nachgezeichnet.

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Zum tragen kam hier wohl auch ein Arbeiterprotest gegen Akademiker und „Schreibtischtäter“ sowie ein scharf gefasster Verratsvorwurf.33 Diese Stoßrichtung betraf wiederholt „Deutsche“,34 aber auch gegen „polnische Kollaborateure“ wurde 1945/46 immer wieder agitiert, diese hätten in den Fabriken die Normen zu hoch gesetzt oder Nationalsozialisten zugearbeitet.35 Allerdings waren auch andere Konstellationen vorstellbar: Im September  1945 streikte die Belegschaft der Geyerschen Textilfabrik zugunsten ihres Direktors Gustaw Geyer, der zuvor wegen Unterzeichnung der Volksliste verhaftet worden war (vgl. S. 312).36 Solche Proteste konnten sich aber auch gegen andere „Fremde“ richten und waren an der Tagesordnung, wenn jüdische Alteigentümer Fabriken zurückerhalten sowie leitende Mitarbeiter oder Direktoren jüdischer Herkunft eingesetzt werden sollten. Diskutiert wurde, ob hier an den Vorkriegsantisemitismus gegen „jüdische Ausbeuter“ angeknüpft wurde oder ob sich die Folgen der deutschen antisemitischen Indoktrination zeigten.37 Ab dem Sommer 1946 (Pogrom in Kielce am 4. Juli) richtete sich der Protest auch gegen angeblich „jüdische Bolschewisten“ (żydokomuna), die angeblich zusammen mit dem Regierungsapparat die polnische Bevölkerung unterdrückten: In der Stadt befänden sich zwar 20.000 Juden, aber in den Fabriken sähe man kaum Juden und wenn doch, so arbeiteten sie in führenden Positionen. Weit verbreitet waren Vorwürfe, „Polen“ würden von besseren Positionen zugunsten von „Juden“ entfernt.38 Insgesamt entlud sich hier die Kritik an einer fremden Regierung auf jüdische Menschen, die leicht zu Opfern werden konnten. Eine erste Streikwelle erschütterte Lodz bereits vor Ostern 1945, als Arbeiter unter Parolen wie „Eine schöne Demokratie, wenn man nichts zu essen hat“ und „Die Parasiten fressen wie immer, der Arbeiter hungert“ Streiks ausriefen.39 Aufgrund der schlechten Versorgung wiederholten sich die Streiks im Juli 1945 in Lodz, im August in Pabianice und im September 1945 ebenfalls in Lodz. Im November/Dezember kam es zu zahlreichen Ausständen, da Kohle zum Heizen der Fabrikräume fehlte und auch die Deputate an Arbeiter nur unregelmäßig ausgeteilt wurden. In der ersten Jahreshälfte 1946 hielten die Streiks unvermindert an, zu einer besonders großen Streikwelle kam es vom 7.-13. Mai 1946, als zehntausende Arbeiter auch in den großen Textilfabriken die Arbeit niederlegten. Die Streiks konnten nur durch Bereitstellung von Lebensmitteln aus den Reserven beendet werden, was wiederum einen

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Lesiakowski, Strajki, S. 27. Ebd., S. 28–30, 55–56, 62–63, 69. Kenney, Budowanie Polski Ludowej, S. 129–130. Lesiakowski, Strajki, S. 64. Kenney, Budowanie Polski Ludowej, S. 131–139; Lesiakowski, Strajki, S. 63–64. Lesiakowski, Strajki, S. 30–32. „Ładna demokracja, kiedy nie ma co jeść“, „Pasożyty po staremu żrą, robotnik głoduje“, Zitate ebd., S. 53.

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Streik der Straßenbahner auslöste, die ähnliche Vergünstigungen forderten.40 Im Herbst kam es zu weiteren Streikwellen, insgesamt wurden für 1946 im Lodzer Textilrevier (mit Pabianice, Zgierz und Ozorków) 237 Streiks verzeichnet. Partei und Sicherheitsapparat gingen immer heftiger gegen die Streiks vor und reagierten im Herbst 1946 auch mit Aussperrungen, zeitweisen Werksschließungen, Entlassungen und Zwang zur Nachtarbeit.41 Der polnische Dreijahresplan 1947–1949 zum Aufbau der Wirtschaft sah eine Erhöhung der Normen vor, die in der Textilindustrie vor allem durch die Bedienung von deutlich mehr Webstühlen pro Arbeiter umgesetzt werden sollte. Lodz war in diesem Plan besonders wichtig, die einzige unzerstörte Industriestadt sollte dazu eingesetzt werden, die Produktivität erheblich zu steigern und so Reserven für den Wiederaufbau freizusetzen. Allerdings: Mit der Forderung nach Steigerung der Produktivität rührte die Arbeitermacht an ein sensibles Thema, das in den 1920er und 1930er Jahren wiederholt Streiks ausgelöst hatte und von erfahrenen Arbeiterinnen und Arbeitern als Frontalangriff auf erträgliche Arbeitsbedingungen angesehen wurde. Die neuen Vorgaben wurden vielfach durch jüngere Arbeiterinnen und Arbeiter durchgesetzt, die vom Parteiaktiv angeworben worden waren. Dagegen richtete sich der Arbeiterprotest: Polenweites Aufsehen erregte die stadtweite Streikwelle, die in Streiks in den Poznański-Betrieben seit dem 13. September 1947 ihren Ausgang nahm. Der Anlass war ernst und zeigte die durchaus gewalthafte Lage in den Fabriken: Arbeiterinnen beklagten Ausschreitungen bis hin zu Prügeln gegenüber schwangeren Frauen, als sie die Bedienung von mehr Webstühlen ablehnten; der Protest zeigte sich öffentlich in inszenierten (oder realen?) Schwächeanfällen,42 als Resonanz kam es in elf anderen Textilbetrieben zu Solidaritätsstreiks; am 20. September streikten insgesamt 26.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Die staatlichen Gewerkschafts- und Industriebehörden mit dem Partei- und Gewerkschaftsfunktionär Aleksander Burski an der Spitze standen dem vor allem weiblichen Protest ratlos gegenüber. Gegenüber den Massenstreiks flüchtete man in Analysen, die Streiks seien von „frömmlerischen Frauen“ ausgegangen.43 Noch schärfer reagierte der ZK-Sekretär Włodzimierz Sokorski im Oktober 1947, der der Lodzer Arbeiterschaft grundsätzlich reaktionäres Denken unterstellte: „Wir müssen uns bewusst machen, dass das Lodzer Proletariat sich bis zum heutigen Tag unter dem Druck einer reaktionären Ideologie befindet, die noch auf die Vorkriegszeit zurückgeht. Der pseudogesellschaftliche Radikalismus des Lodzer Arbeiters besitzt noch heute eine starke antisemitische und antisowjetische Tönung, die noch in Besatzungsjahren verschärft wurde […]. Dieser Hintergrund, der es erlaubt, von Phänomenen einer politischen und moralischen 40 41 42 43

Ebd., S. 83–105. Lesiakowski, Strajki, S. 115–118. Diese Technik des passiven weiblichen Widerstands wird schon für die 1930er Jahre beschrieben, vgl. Helena Boguszewska, Włókniarze [1934], Wiederabdruck: K.  Frejdlich (Hg.), Uśmiech Ariadny. Antologia reportażu łódzliego, od Oskara Flatta do Andrzeja Makowueckiego. Łódź 1973, S. 125–128. So in den Quellen „stare dewotki“, vgl. Kenney, Budowanie Polski ludowej, S. 123–124.

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Erkrankung des Lodzer Arbeiters zu sprechen, bildet einen bequemen Nährboden für alle Theorien über eine ‚Diktatur einer roten Bourgeoisie‘“.44 Erkennbar wird hier, wie unbequem die historische Streikerfahrung und der Eigensinn gerade der Lodzer Arbeiterinnen für die zentralstaatlichen kommunistischen Kader werden konnte – in der Theorie und in Parteischulen entstandene Vorstellungen eines „Proletariats“ brachen sich an der Realität. Die Behörden flüchteten sich deshalb in eine Beschwichtigungspolitik und nahmen die Maßnahmen einer Rationalisierung in den Betrieben zurück. Deutsche „Verräter“ und der Aufbau einer stalinistischen Ordnung Zahlreiche Lodzer waren im Herbst 1944 zwangsweise zu Schanzarbeiten außerhalb von Lodz eingesetzt worden. Am 20. Januar 1945 kehrte Lucjan Kieszczyński zurück und wurde auf dem Heimweg am zentralen Plac Wolności Zeuge von Ausschreitungen: „Es zeigte sich, daß eine Gruppe von Deutschen/Volksdeutschen dort Flugabwehrgräben zuschüttete. […] eine Schar Polen beschimpfte sie und spuckte auf die Deutschen und einige stießen sie sogar mit den Füßen. Ich sah zwei alte deutsche Frauen, die weinten, denn sie hatten wegen ihrem Alter Schwierigkeiten mit dem Zuschaufeln der Gräben. Das gefiel besonders einem Polen aus der Menge. Er mißhandelte sie, spuckte auf sie, stieß sie voran und schlug sie mit Fäusten, bis sie umfielen. Die sowjetischen Soldaten, die die Deutschen bewachten, schauten gleichgültig zu.“45 Bemerkenswert, wie sich Ereignisse duplizierten: An derselben Stelle hatten jüdische Männer über fünf Jahre zuvor am 09. September 1939 unter Misshandlungen deutscher Bewacher Gräben zuschaufeln müssen. Nun standen sowjetische Soldaten daneben, die symbolische Aussage des Vorgangs – eine öffentliche Erniedrigung einer willkürlich aufgegriffenen Zivilbevölkerung an einem zentralen städtischen Ort – blieb dieselbe. Diese Szene zeigte zugleich: Die verbliebenen Deutschen erhielten kaum Chancen für einen Neuanfang. Von den ca. 130.000 Deutschen des Herbsts 1944 in der Stadt war die große Masse, insbesondere die schwer belasteten nationalsozialistischen Akteure, 44

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„Musimy sobie zdawać sprawę z tego, że proletariat łódzki znajduje się po dzień dzisiejszy pod naciskiem ideologii reakcyjnej, datującej się jeszcze z okresu przedwojennego. Pseudospołeczny radykalizm robotnika łódzkiego posiada dziś jeszcze mocny nalot antysemityzmu, antysowieckości, pogłębiony jeszcze podczas lat okupacji [,,,]. To podłoże, które pozwala mówić o objawach schorzenia politycznego i moralnego łódzkiego robotnika, stanowi wygodną pożywkę dla wszelkich teoryjek o ‚dyktaturze czerwonej burżuazji‘“. Lesiakowski, Strajki, S. 48–49. Lodz, 20.1.1945 abends: „Okazało się, że grupa Niemców-Volksdeutschów zakopywała rowy przeciwlotnicze. […] gromada otaczających ich Polaków lżyła i pluła na Niemców, a niektórzy nawet kopali ich. Zobaczyłem dwie staruszki Niemki, który płakały, gdyż miały trudności, ze względu na wiek, z zakopywaniem rowów. Te jakby szczególnie upodobał sobie jakiś Polak z tłumu. Znęcał się nad nimi, pluł na nie, wrzeszczał, popychał i bił pięściami, aż się przewracały. Żołnierze sowieccy, którzy pilnowali Niemców, przyglądali się obojętnie.“ Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 210.

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in einer überstürzten Aktion am 18./19. Januar geflohen. Die Flucht erwies sich als ausgesprochen schwierig und für viele – angesichts des harten Winters und der vorrückenden Roten Armee – als Todesfalle. Sie konnte jedoch erst so spät erfolgen, denn noch im Oktober hatte Gauleiter Greiser jede Flucht verboten und in seiner charakteristischen Art in öffentlicher Rede prahlerisch getönt: „Dann sprach er noch u.a. von einer Fortführung aus der Stadt. Falls der Iwan, wie er sagte, doch durchbrechen sollte, wird er dafür Sorge tragen, daß soviel Waggons zur Verfügung stehen werden, daß die Alten und Kranken fortgebracht werden können, während die anderen im großen Treck die Stadt verlassen, einschl. der polnischen Bevölkerung. Er sieht nicht ein, warum man dem Iwan Arbeiter und Soldaten zurücklassen soll. Und wenn die Polen nicht wollen, dann werden sie eben gezwungen. Leeres Gebiet soll der Russe vorfinden.“46 Greiser erlaubte erst am 18. Januar die Evakuierung der Stadt. Infolgedessen erfroren viele zu Fuß überhastet aufgebrochene Lodzer im strengen Winter oder wurden von sowjetischen Panzereinheiten überrollt. Nur zum Vergleich: Greiser selbst verließ Posen beim Herannahen sowjetischer Truppen bereits am 20. Januar mit einer Autokolonne… Die verbliebenen ca. 30.000 Deutschen hatten entweder angesichts der verspäteten Evakuierung nicht mehr fliehen können oder persönlich keinen Anlass gesehen, dies zu tun. Unter ihnen fanden sich nur wenige Reichsdeutsche oder volksdeutsche Umsiedler, zumeist handelte es sich um seit mehreren Generationen in Lodz ansässige Einwohner, in der Regel Frauen und Kinder, zu denen erst schrittweise die aus Kriegsgefangenschaft entlassenen Männer zurückkehrten. Da die Unterlagen und Karteien der Lodzer Deutschen Volksliste nicht zerstört worden waren, war der Personenkreis ermittelbar und eine Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden und die polnische Verwaltung relativ einfach. Zugleich muss klar gesagt werden: Die Betroffenen sahen sich in der Regel nicht als verantwortlich für die deutschen Verbrechen an. Angesichts vorhandener Polnischkenntnisse und der älteren Koexistenz im polnischen Staat hielten sie ein zukünftiges Zusammenleben für möglich. Auch in den sozialistischen polnischen Untergrundzeitschriften gab es vor 1945 Stimmen, die eine Verständigung mit den deutschen Arbeitern nicht völlig ausschlossen: „der Lodzer oder Pabianicer Arbeiter – ein Volksdeutscher – beginnt den nationalsozialistischen Betrug zu verstehen und das Fehlen einer Rückkehr für sich“.47 Allerdings war dies wohl eine Minderheitsmeinung und frühe wie auch spätere Stimmen aus der freien Presse im Januar 1945 sahen dies anders. In der ersten Nummer einer Zeitung nach dem Krieg, im „Freien Lodz“ vom 24. Januar hieß es programmatisch: „Es wird im polnischen Lodz keine Deutschen mehr geben. Denn erinnern wir uns an Eines: 46 47

Erika Seidel-Carlhoff, Erlebt in jenen Tagen, Bd. 1, S. 352 (Tagebucheintrag v. 09.10.1944), Druck bei Bömelburg/Klatt, Lodz im Zweiten Weltkrieg, S. 295. „[…] robotnik łódzki czy pabianicki – Volksdeutsch – zaczyna rozumieć oszustwo hitlerowskie i brak drogi odwrotu dla siebie“. O nasz stosunek do Niemców, Okólnik 4 v. 16.12.1943, zit. nach Leszek Olejnik, Zdrajcy narodu? Losy volksdeutschów w Polsce po II wojnie światowej. Warszawa 2006, S. 66–67.

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Deutscher ist nicht nur der, der eine Uniform trug. Wir müssen wachsam und vorsichtig sein. Wir können nicht erlauben, dass in den polnischen Staatsapparat Renegaten aufgenommen werden. Es reicht nicht aus, wenn jemand in Lodz, Lask oder Pabianice die polnischen Soldaten mit ‚Salz und Brot‘ begrüßt hat. Wir müssen wachsam sein und Gewissheit haben, dass er in einem kritischen Moment seine Nation nicht verleugnet, sie nicht verrät und nicht mit Deutschen zusammenarbeitet.“48 Angesichts der Ereignisse in Radogoszcz – der erste Chefredakteur der Zeitung, Henryk Rudnicki, beklagte zahlreiche Opfer unter Journalistenkollegen, hatte in Sichtweite des Gefängnisses gelebt und versucht, Opfer des Brandes zu retten – sind solche Stimmen verständlich. Nach dem sowjetischen Einmarsch kam es so zu Hassausbrüchen und Lynchjustiz von Seiten Mancher bei einem Wegschauen der großen Masse der Bevölkerung. Paul Sanne wurde „im Januar 1945 von der aufgebrachten Menschenmenge erschlagen“,49 er wollte nicht aus Lodz fliehen und wurde als Deutscher erkannt, so erinnern sich Familienmitglieder. Der in der Vorkriegszeit bei der polnischen Polizei und im Zweiten Weltkrieg im deutschen Polizeidienst verbliebene Gustav Dedecius, der Vater des späteren Übersetzers, wurde 1945 von unbekannten Tätern umgebracht – vermutet wurde die Tat eines Kriminellen oder ein Racheakt.50 Erst nach Jahrzehnten konnte geklärt werden, dass ein plündernder Nachbar Dedecius erschlug.51

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Wolna Łódź, 24.01.1945: „Nie będzie w polskiej Łodzi Niemców. Bo pamiętajmy o jednym: Niemiec to nie tylko ten, co nosił mundur. Musimy być czujni, musimy być ostrożni. Nie możemy pozwolić na to, aby do polskiego aparatu państwowego dostali się renegaci. Nie wystarcza, że ktoś w Łodzi, Łasku czy Pabianicach wita polskich żółnierzy ‚chlebem i solą‘. My musimy czuwać, musimy mieć tę pewność, że on w krytycznej chwili nie wyparł się swego Narodu, że nie zdradził, nie współpracował z Niemcami.” Karl-Heinz Goeppert, „Sic transit gloria mundi“ – so vergeht der Ruhm der Welt, in: Radziszewska, Gdzie są Niemcy z tamtych lat, S. 152–160, hier 158. Dedecius, Ein Europäer aus Lodz, S. 176. Karl Dedecius hatte dies aus der Nachbarschaft erfahren und berichtete einem Gesprächspartner: „Aber jemand hat ihn 1945 erschlagen. Ich habe keine Nachrichten über die Umstände seines Todes gesucht. Darüber, wer ihn umbrachte, schrieb mir nach Jahren eine Nachbarin aus Stare Rokicie. Ich wollte daüber nicht in Interviews sprechen. Ich sagte, dass das irgendwelche unbekannten Banditen waren. Ich sage das jetzt, aber das ist jetzt nicht für die Öffentlichkeit. Vielleicht nach meinem Tod. Es war ein Nachbar aus unserer Straße. Er kam mit jemandem und mordete, er wollte etwas aus unserem Haus haben, sich bereichern. Wo mein Vater begraben wurde, weiß ich nicht, damals begrub man solche Leichen irgendwo, in Massengräbern und Graben.“ „Ale ktoś go zabił w tym 1945 roku. Nie szukałem informacji o okolicznościach jego śmierci. O tym kto go zabił, napisała mi po latach sąsiadka ze Starego Rokicia. Nigdy nie chciałem w żadnych wywiadach o tym mówić. Mówiłem, że to zrobili jacyś nieznani bandyci. Powiem teraz to coś, ale do upublicznienia nie teraz. Chyba, że po mojej śmierci. To był sąsiad z naszej ulicy. Przyszedł z kimś i zabił, bo chciał coś mieć z naszego domu, czymś się wzbogacić. Gdzie pochowano ojca nie wiem, wtedy takie trupy chowano gdziekolwiek, w zbiorowych grobach, w dołach.“ Gustaw Romanowski, Karl Dedecius (1921–2016) wspominał  …, in: Kronika Miasta Lodzi (2016), 1, S. 185–191, hier 187. Ich danke Markus Krzoska für den Hinweis.

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Die Ereignisse zu Kriegsende und der brutale Umgang mit Lodzer Deutschen trieben sensible Beobachter noch Jahrzehnte später um:52 Leszek Kołakowski berichtete, dass die spätere Philosophieprofessorin und international anerkannte Expertin für Ethik Ija Lazari-Pawłowska diese Ereignisse so kommentierte: „Ich erinnere mich, wie sie mir bei einem Empfang erzählte, dass man in den ersten Nachkriegstagen den Leiter des lokalen deutschen Arbeitsamtes gefasst hatte, also ein Schuft nicht viel besser als die Henker von der Gestapo, man sperrte ihn in einem Käfig ein und fuhr ihn in der Stadt umher, damit die Einwohner eine Freude hatten und man sich an dem noch kürzlichen Verfolger rächen konnte; für sie [Lazari-Pawłowska, H.-J.B.] war das ein Beispiel, wie man die eigenen guten und gut belegten Beweggründe dadurch, dass man sie in den Dienst von Rachsucht und Hass stellte, zerstören konnte.“53 Besonders betroffen von Gewaltausbrüchen waren Frauen und Kinder – die verbliebenen Deutschen setzten sich vor allem aus diesen Gruppen zusammen.54 Unter ihnen lösten die Ereignisse des Januar und Februar 1945 Bedrohungsgefühle, Angst und Verzweiflung aus, denn Wohnungen wurden systematisch und mehrfach von sowjetischen Soldaten und polnischen Milizionären ausgeraubt, dabei kam es zu massiver Gewalt und Vergewaltigungen. Deutsche erhielten keine Lebensmittelkarten und Lebensmittelzuteilungen, so dass der Hunger wuchs. Diese fatalen Verhältnisse lösten eine Welle von Selbstmorden aus, die auch aus anderen deutschen Städten bekannt ist,55 in Lodz jedoch bisher unbekannt blieb. Deutsche Aufzeichnungen56 und polnische Erinnerungen berichten von zahlreichen Selbstmorden Einzelner57 und mehreren Gruppenselbstmorden: In dem Teich an der ul. Przędzalniana, in einem Fabrikviertel im Süden Lodzs, das von vielen deutschen Textilarbeiterfamilien bewohnt war, hätte sich eine ganze Gruppe von Frauen Ende Januar 1945 umgebracht.58 52 53

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Zum europäischen Kontext: István Deák, Jan T. Gross, Tony Judt (Hg.), The Politics of retribution in Europe. World War II and its Aftermath. Princeton N.J. 2000. „Pamiętam, jak opowiadała mi z przejęciem, jak to w pierwszych dniach powojennych złapano lokalnego szefa niemieckiego Arbeitsamt, a więc łotra niewiele lepszego od oprawcy z gestapo, wsadzono go do klatki i obwożono po mieście, aby mieszkańcy mogli zaznać uciechy, mszcząc się na niedawnym prześladowcy; to był dla niej przykład, jak można racje własne, dobre racje i dobrze uzasadnione, zaprzęgać do służby mściwości i nienawiści i przez to same te racje niszczyć.“ Leszek Kołakowski über Ija Lazari-Pawłowska, in: Wspomnienie o profesor Iji Lazari-Pawłowskiej , in: Etyka 28 (1995), S. 12. Agnieszka Iwaszkiewicz, W mojej (nie)pamięci  … Opowieści o losach kobiet pochodzenia niemieckiego w Łodzi, in: Andrzej Lech, Krystyna Radziszewska, Andrzej Rykała (Hg.), Społeczność żydowska i niemiecka w Łodzi po 1945 roku. Łódź 2010, S. 102–125. Florian Huber, „Kind, versprich mir, dass du dich erschießt“. Der Untergang der kleinen Leute 1945. Berlin 2015. Eduard Ziegler, Die Heimatvertriebenen. Glenwood 1962, S. 135–136, 153. Poznański, Dziennik, S. 267. Pabin, Chłopak, S. 72–73, 78.

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Gut dokumentiert und in der Stadtgeschichte allgemein erinnert ist der Selbstmord der Familie Bruno Biedermann: Biedermann galt aufgrund seiner Ausbildung und zweier Doktortitel, seinem langjährigen Dienst in der zarischen Armee unter anderem im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 und der polnischen Armee im PolnischSowjetischen Krieg sowie seiner Leitungstätigkeit der Textilbetriebe Robert Biedermann (ul. Kilińskiego) als Doyen der Lodzer Textilindustrie. 1940 unterzeichnete er mit seiner Familie die DVL und erhielt nur die 3. Kategorie, das Unternehmen arbeitete im Zweiten Weltkrieg auch für die Rüstungsindustrie. In seinem Testament aus dem Jahre 1943 legte er für sich selbst ein bescheidenes Begräbnis fest, ohne Lieder und Musik: „Nur ein Pastor, aber nicht Pastor Schedler“. Letzterer galt als Vertreter des deutschnationalen Flügels.59 Biedermann setzte sich 1939/40 für die verhafteten und gefolterten Angehörigen der polnischen Intelligenz in Radogoszcz ein (vgl. S. 163), möglicherweise unter dem Einfluss seiner Tochter Maryla Biedermann-Kaiserbrecht. Maryla war eng verbunden mit Traditionen der polnischen Intelligenz aufgewachsen und engagierte sich ab 1940 im polnischen Untergrund, 1940 floh sie mit Alfred Kaiserbrecht unter falschem Namen ins Generalgouvernement nach Radom und wurde dort im April 1942 von der Gestapo entdeckt. 1942 und 1943–1945 in Gestapohaft, konnte sie erst am 17. Januar 1945 aus einem Gefangenentransport entkommen. Vermutet wird, infolge ihrer Inhaftierung und einer Erkrankung sei die Familie in Lodz geblieben.60 Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen erhielten die Biedermanns den Befehl, ihr Fabrikantenpalais zu räumen. Die Räumungsfrist von einer Stunde wurde aufgrund der Fürsprache polnischer Mitarbeiter auf 24 Stunden verlängert. Wohin mit der kranken Tochter? Die Deportationen in die Sowjetunion lagen in der Luft. Am 24. Januar erschoss Biedermann zunächst seine Frau und seine Tochter, dann sich selbst. Die Opfer wurden im Garten des Palais verscharrt und erst 1977 zufällig bei Bauarbeiten wiederentdeckt (vgl. S. 431). Bei der Exhumierung stieß man auf einen Knopf eines polnischen Uniformrockes, den Biedermann bei seinem Selbstmord wahrscheinlich getragen hatte. Ein letzter Versuch, bis zum Tode Loyalität zu demonstrieren? Das dramatische Schicksal der Selbstmordopfer, die keinen Ausweg sahen, lässt sich nur an konkreten Personen zeigen, eine Quantifizierung ist nicht möglich. Angesichts des Leids, vielfacher Deportationen arbeitsfähiger Männer in die Sowjetunion und des Arbeitseinsatzes von Frauen in Fabriken, in Privathaushalten oder ab Sommer 1945 in Trümmerkommandos für den Wiederaufbau Warschaus61 verbieten sich generalisierende Erklärungen. 59 60 61

Kuźko, Biedermannowie, S. 137–142. Ebd., S. 160–167. Herder-Institut Marburg, Sammlung Jandrike, Brief v. Gustav Martz an Karl Hein, 27.03.1947, abgedruckt in: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. In Verbindung mit Werner Conze [ab Bd. III], Adolf Diestelkamp [bis Bd. II], Rudolf Laun, Peter Rassow und Hans Rothfels, bearbeitet von Theodor Schieder. Hg. v. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Bonn 1953–1962, Neudruck München 1984, Bd. 2, S. 631.

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Die polnische Regierung erließ parallel Richtlinien und Bestimmungen, wie mit den „Volksdeutschen“ in ganz Polen umzugehen sei. Nach dem Dekret vom 28. Februar 1945 unter dem Titel „Über den Ausschluss feindlicher Elemente aus der polnischen Gesellschaft“ hatten alle Inhaber der DVL eine Erklärung abzulegen. Unterzeichner der DVL der Kategorien 3 und 4 konnten sich rehabilitieren, sofern sie unter Zwang oder gegen ihren Willen in die Deutsche Volksliste aufgenommen worden waren. Diese hatten eine Treueerklärung gegenüber dem polnischen Staat abzulegen. Allerdings eröffnete Art. 4 jedem Polen die Möglichkeit, gegenüber den Sicherheitsbehörden solche DVL-Inhaber zu denunzieren, wenn „das Verhalten dieser Personen in der Besatzungszeit nicht mit der polnischen nationalen Eigenart übereinstimmte“.62 Polnische Staatsbürger, die die DVL der Kategorie  2 erhalten hatten, konnten vor einem Gericht um Rehabilitation nachsuchen und mussten beweisen, dass sie unter Zwang aufgenommen worden waren und ihre polnische Eigenart erhalten hatten.63 Diese Bestimmungen hätten erheblichen Teilen der in Lodz verbliebenen Deutschen ermöglicht, sich durch eine Deklaration oder einen Gerichtsprozess um die polnische Staatsangehörigkeit zu bemühen. Allerdings regten sich gegen die Bestimmungen des Februar-Dekrets Widerstände in den ehemaligen Gebieten des Warthelands. In der Presse und in der Öffentlichkeit wurde behauptet, es habe in diesen Regionen keinen Zwang zur Unterzeichnung der Volksliste gegeben.64 Deshalb müsse sich in Posen oder Lodz jeder Unterzeichner der DVL vor einem Kreisgericht um Rehabilitierung bemühen und dabei individuell Zwang und eine dauerhafte Zugehörigkeit zur polnischen Nation nachweisen – diese Bestimmungen traten mit dem Gesatz vom 6. Mai 1945 in Kraft.65 Seit dem 7. Juli 1945 mussten auf Anweisung des Lodzer Stadtpräsidenten sich alle in die DVL eingetragenen Personen zum Zwecke einer „Deklaration“ melden. Seit dem 25. Juli fanden erste Rehabilitierungsprozesse vor regulären Gerichten statt (ein Berufsrichter und zwei Geschworene), begleitet von einem großen öffentlichen Interesse. Die Gerichte bemühten sich um ein faires Verfahren, wurden daraufhin allerdings gerade von der Arbeiterpresse als „reaktionär“ angeprangert. Öffentlich herrschte ein gesellschaftliches Unverständnis gegenüber DVL-Inhabern: „Ein ehrlicher Mensch guten Willens habe immer eine Möglichkeit gefunden, diese zu vermeiden und kein Henker, sondern

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„Kto wie o tym […] zachowanie się tej osoby w okresie okupacji nie dało się pogodzić z polską odrębnością narodową, powinien powiadomić o tym władzy bezpieczeństwa narodowego.“ Dekret z dnia 28 lutego 1945 r.o wylączeniu ze społeczeństwa polskiego wrogich elementów, http://isap.sejm. gov.pl/isap.nsf/download.xsp/WDU19450070030/O/D19450030.pdf. Überblick über Quellen und Diskussion im Umfeld des Dekrets: Włodzimierz Borodziej, Hans Lemberg (Hg.), „Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden …“. Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950. Dokumente aus polnischen Archiven. Bd. 2 Marburg 2003, S. 43–50. Bruno Kamiński, Fear Management. Foreign threats in the postwar Polish propaganda – the influence and the reception of the communist media (1944–1956). [Diss.] Florence 2016, S. 138–156. Olejnik, Zdrajcy, S. 93–100.

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ein Wohltäter zu sein“.66 In der Presse wurden alle Deutschen verurteilt, die These von der Kollektivschuld setzte sich durch: „Auch nicht nur ein Deutscher hat das Recht des Aufenthalts auf polnischem Boden, auf dem Boden, der über sechs lange Jahre hinweg der Ort deutschen Unrechts, deutscher Gewalt, deutschen Terrors gegenüber der polnischen Bevölkerung war.“67 All dies mündete in einen sehr langsamen Verlauf der Rehabilitierungsprozesse: Zahlreiche Verfahren wurden aufgrund von Formfehlern an die Antragsteller zurückgegeben, die sich in vielfach in Arbeitslagern befanden. Noch im August 1946 befanden sich in der Region Lodz  31.443 Deutsche, davon hatten 8.075 Personen einen Antrag auf Rehabilitierung gestellt. Auch persönlich Unbeteiligte wie der evangelische Pfarrer Karol Kotula beschrieben eine Strenge und Voreingenommenheit der Verfahren: „Die Rehabilitierungsprozesse verliefen sehr streng. Ich war mehrfach als Zeuge der Angeklagten vorgeladen, z.B. im Fall unserer geschätzten Nachbarn, der Familie Hadrian, für die meine Frau und ich eifrig sprachen. Sie wurden jedoch streng bestraft, was den Tod [Felix] Hadrians zur Folge hatte. Dieses Vorgehen hatte zur Folge, dass viele ehrwürdige Menschen, die sich zu ihren deutschen Wurzeln bekannt hatten, aber zugleich schon mit polnischer Kultur durchdrungen waren und gegenüber der polnischen Gesellschaft eine sehr herzliche Einstellung besaßen, ausreisten“.68 Dass die Verfahren tatsächlich mit erheblichen Härten und Ungerechtigkeiten verbunden waren, kann auf der Basis der Rehabilitierungsverfahren nachdrücklich belegt werden. Das Ehepaar Radke, das von deutscher Seite wiederholt schikaniert worden war und als „Renegaten“ nur die DVL 4 erhalten hatte, geriet nach 1945 erneut in die Mühlen nun der polnischen Verfahren. Stanisława Radke wurde zwar aufgrund von unterstützenden Aussagen von Polen, denen das Ehepaar geholfen hatte, 1945 rehabilitiert,69 ihr Ehemann Ludwik, zu diesem Zeitpunkt 68jährig, jedoch ab April  1945 bis Februar 1946 als Zwangsarbeiter im Lager bei den Scheibler-Werken eingesetzt. Neben der Demütigung, Radke hatte in den Werken in den 1920er und 1930er Jahren als Prokurist 66 67

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„Człowiek uczciwy, dobrej woli zawsze mógł znaleźć drogę dla ich ominięcia czy złagodzenia i potrafił stać się nie oprawcą, ale dobroczyńcą“. Olejnik, Zdrajcy, S. 106–120, 138–149. „Ani jeden Niemiec nie ma prawa pobytu na ziemi polskiej, na tej ziemi, która przez sześć dlugich lat była terenem niemieckiego bezprawia, niemieckiego gwałtu, niemieckiego terroru, popełnianych w stosunku do ludności polskiej.“ Express Ilustrowany, 17.06.1946. Überblick über das Deutschenbild in der Lodzer Presse: Monika Kucner, Prasa łódzka wobec kwestii niemieckiej w latach 1945–1947 i jej rola w kształtowaniu opinii społecznej, in: Lech, Społeczność żydowska i niemiecka, S. 230–244. „Procesy rehabilitacyjne były bardzo surowe. Kilkakrotnie byłem wzywany jako świadek strony oskarżonej, np. w sprawie naszych zacnych sąsiadów Hadrianów, ale nie udało mi się nikogo obronić, nawet Hadrianów, choć świadczyliśmy z żoną za nimi gorliwie. Karano zaś surowo, co spodowało śmierć [Feliksa, H.-J.B.] Hadriana. To postępowanie sprawiło, że wielu zacnych ludzi, którzy poczuwali się do niemieckich korzeni, ale byli już przesiąknięci kulturą polską i zajmowali wobec społeczeństwa polskiego bardzo życzliwe stanowisko, wyjechało“. Kotula, Od marzeń, S. 212. AP Łódź, Niemiecka Lista Narodowa, 342189 (Stanisława Radke).

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Abb. 15 Der Ausweis der Deutschen Volksliste von Ludwik Radke, von polnischer Seite mit dem Stempel „Cudzoziemiec“ (Ausländer) versehen.

gearbeitet, stand auch Zwangsarbeit: Er hatte nun dort laut Aussagen im Rehabilitationsverfahren „sehr schwere Arbeit“ zu leisten und führte 1947 laut Protokoll des Gerichtsverfahrens aus: „Polen arbeiteten nicht zu solchen Bedingungen wie ich“.70 Radke wurde zwar mehr als zweieinhalb Jahre nach Kriegsende ebenfalls rehabilitiert, erhielt Immobilieneigentum aber erst im Jahre 1955 zurück. Es ist heute nicht mehr möglich, zu be- oder zu widerlegen, ob es in der polnischen Gesellschaft in Lodz tatsächlich dauerhaft eine solch ablehnende Stimmung gegenüber allen verbliebenen Deutschen gegeben hat,71 veröffentlichte Leserbriefe können in Auftrag gegeben, die Pressekampagne dazu gesteuert worden sein. Viele Berichte in der gelenkten Presse, anlässlich von Jahrestagen oder von Rehabilitierungsprozessen, untermauerten jedoch eine antideutsche Stimmung, die in den Medien auch staatlicherseits aufrechterhalten wurde. Zugleich wurde in den zahlreichen Prozessen gegen deutsche Kriegsverbrecher, die infolge des Sitzes des höchsten Gerichts in Lodz stattfanden und über die in der polnischen Presse breit berichtet wurde, das Ausmaß der deutschen Brutalität und deutscher Verbrechen bekannt. Die Prozesse hatten eine doppelte Funktion: Zum einen sollten sie die Fähigkeit des neuen polnischen Staates beweisen, mit den abzuurteilenden Tätern auf der Höhe der Rechtsprechung der Epoche korrekt umzugehen. Zweitens sollten sie propagandistisch die deutsche Täterschaft aufzeigen. Bereits im Herbst 1945 70 71

Arbeit als „robotnik fizyczny“, „bardzo ciężka praca […] Polacy na takich warunkach jak ja nie pracowali.“ AIPN Łódź 92/865, S. Protokoł rozprawy głównej, 14.11.1947. Ich danke Michał Turski für die Zugänglichmachung des Materials. Nuanciert dazu Jerzy Kochanowski in: Borodziej/Lemberg, Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden …, Bd. 2, S. 50–54.

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fand der Prozess gegen die Lodzerin Isolde Beyer (Sydonia Bayer), eine Aufseherin im Polen-Jugendverwahrlager Litzmannstadt der Sicherheitspolizei (ul. Przemysłowa) statt; Beyer wurde sadistischer Verbrechen gegenüber Kindern und Jugendlichen angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Im Dezember 1945 wurde Rudolf Kramp, ein Beschäftiger der deutschen Gettoverwaltung, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Kramp hatte vor dem Krieg als Drucker beim Głos Poranny gearbeitet und war dann über den „Selbstschutz“ zur Polizei und Gettoverwaltung gekommen; er war als Wachmann an den Transporten nach und den Morden in Kulmhof beteiligt.72 Große öffentliche Resonanz fand der Prozess gegen zwei Polizisten aus dem Polizeigefängnis Radegast, Paul Bergmann und Johann Furchler zum ersten Jahrestag des Massenmordes.73 Im Prozess gegen Hans Biebow (23.-30. April 1947) – der von britischen Besatzungsbehörden an Polen ausgeliefert worden war – wurde vor Gericht der Völkermord im Getto Litzmannstadt verhandelt. Das Todesurteil wurde am Tag der Arbeit, am 1. Mai, verkündet.74 Besondere Emotionen weckte der Prozess gegen Walter Pelzhausen, den Kommandanten des Polizeigefängnisses Radegast, verantwortlich für den Massenmord im Januar 1945. Pelzhausen war 1947 aus der britischen Besatzungszone an Polen ausgeliefert worden, der Prozess fand im September 1947 statt und war von einer breiten Medienberichterstattung begleitet, in der wiederholt vom „Henker von Radogoszcz“ und der „Bestie“ gesprochen wurde.75 In der Lodzer Öffentlichkeit wurde eine öffentliche Hinrichtung Pelzhausens in Radegast gefordert, dies aber vom polnischen Justizministerium auch mit Blick auf die interne Kritik nach öffentlichen Hinrichtungen 1946 abgelehnt. Aus heutiger Sicht förderten die Kriegsverbrecherprozesse in Lodz wichtiges Material über die deutsche Besatzungspolitik zutage und trugen zu einer ersten juristischen und sachlichen Aufarbeitung bei.76 Vor Ort verstärkten sie allerdings durch die reißerische journalistische Berichterstattung und die These einer deutschen Kollektivschuld die Ausgrenzung alles Deutschen und aller Deutschen.77 Dies war von der politischen, immer stärker stalinistischen Führung durchaus so beabsichtigt.

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Kat ghetta łódzkiego przed sądem, Rzeczpospolita, Nr. 345, 19.12.1945. Die auf der Basis der Gerichtsaussagen wiederholte Behauptung, Kramp sei „Stellvertreter Biebows“ gewesen, ist unzutreffend. Dwaj żandarmi z Radogoszcza, in: Express Ilustrowany, 26.02.1946, S. 3. Jerzy Lewiński, Proces Hansa Biebowa. Zagłada getta łódzkiego. (Akta stenogramy sądowe). Warszawa 1987. ²1999. Kat więzienia w Radogoszczu sprowadzony został do Łodzi. Kto wie o zbrodniach Waltera Pelzhausena, in: Express Ilustrowany, 6.05.1947, 122, S. 5; Kat Radogoszcza przed sądem. Dziś rozpoczął się proces Waltera Pelzhausena – bestii w ludzkiej skórze, in: Express Ilustrowany, 8.09.1947, 246, S. 3; Zbir skazany na śmierć. Sprawiedliwości stało się zadość. Przed ogłoszeniem wyroku Pelzhausenowi wręczono list od jego żony, in: Express Ilustrowany, 13.09.1947, 251, S. 4. Die erste Publikation stammte von der Staatsanwältin im Prozess gegen Pelzhausen, die Ermittlungsprotokolle ausgewertet hatte, vgl. Maria Nowacka, Radogoszcz. Łódź 1949. Bereits sehr früh in der polnischen Forschung erkannt: Edmund Dmitrów, Niemcy i okupacja hitlerowska w oczach Polaków. Poglądy i opinie z lat 1945–1948. Warszawa 1987.

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Wo lagen die Vorteile einer solchen Medien- und Geschichtspolitik? Ohne Frage war es in Posen oder Lodz möglich, auf die noch in Polen befindlichen weniger als 5% der Bevölkerung, die als „Deutsche“ galten, weitgehend zu verzichten. Im historischen Westpreußen und in Oberschlesien, wo 80–90% der Bevölkerung die DVL unterzeichnet hatten, wäre dies nicht möglich gewesen, deshalb wurde hier eine deutlich andere Politik betrieben. Mehr noch: In Lodz hatten sich in den Händen dieser Personen erhebliche Teile der Immobilien und Grundstücke befunden. Eine Enteignung und Ausweisung dieses Personenkreises bot so erhebliche Möglichkeiten für eine Umgestaltung der Gesellschaft, ein Ziel der Polnischen Arbeiterpartei (Polska Partia Robotnicza, PPR), aber auch erheblicher Teile der Lodzer Sozialisten, die sich Ende 1948 zur Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR) nach kommunistischen Vorbildern einer Einheitspartei vereinigten. Das Lager einer radikalen Gesellschaftsreform mit einer Eigentums- und Enteignungspolitik und der Gründung von Staatsbetrieben erhielt durch die dauerhafte Enteignung der deutschen (und jüdischen!) Altbesitzer – vor 1939 deutlich mehr als 50% der Immobilieneigentümer – einen radikalen Impuls. Durch keine andere Maßnahme konnten so rasch die kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse in Bewegung gebracht werden, die Enteignung der in Lodz zahlenmäßig geringeren und weniger bedeutenden polnischen Unternehmer im Spätstalinismus bildete dann den nächsten Schritt. Hinzu trat ein Drittes: Die Entrechtung und Enteignung der verbliebenen Deutschen 1945–1950 bot für die entstehenden und schwach legitimierten kommunistischen Sicherheitsbehörden ein geeignetes Experimentierfeld: Hier konnten Spitzel durch Erpressung der Deutschen gewonnen werden, die auch später anderswo einsetzbar waren. Die polnische Bevölkerung, an die Deutsche als billige Arbeitskräfte gegen eine festgesetzte Gebühr auch für private Zwecke, etwa Arbeit auf Bauernhöfen oder in Haushalten, ausgeliehen wurden, konnte so für das neue System günstig gestimmt werden. Schließlich: Hier konnten Vermögen übernommen und gut bezahlte Posten für Mitglieder des Sicherheitsapparats geschaffen werden. Das Lodz der Nachkriegszeit bot so gute Aufstiegsbedingungen für die Karriere Mieczysław Moczars, die sich auf die Bekämpfung des polnischen „konterrevolutionären“ Widerstands, die Ausgrenzung aller Deutschen, aber auch aller anderen „kosmopolitischen Elemente“ wie der überlebenden Juden stützte. Dieser nationalkommunistische Ansatz fragte nicht nach Methoden und integrierte die eigenen Unterschichten, ja eigene Täter in den Sicherheitsapparat und das „fortschrittliche“ nationale Kollektiv. Die Staatssicherheit agierte 1945–1948 weitgehend unbegrenzt, verhaftete, bedrohte und folterte als Gegner angesehene Menschen. Von unabhängigen Personen liegen dazu Beobachtungen vor: Lucjan Kieszczyński, der den Aufbau des Lodzer Sicherheitsapparats aus einer PPS-Perspektive kritisch beobachtete, formulierte in seinen Erinnerungen zu 1945: „In diesen Tagen bestürzte mich besonders, dass ich an der ul. Rzgowska mir bekannte ‚Unterweltangehörige und

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Ganoven‘ sah, die nun als Milizianten mit der roten Binde der Bürgermiliz mit Karabinern unterwegs waren […]. Sie plünderten ganz legal Wohnungen aus.“78 Kieszczyński zeichnet auch die Ausgrenzung von als „deutsch“ wahrgenommenen Personen in den „Baumwollfabriken der Volksarmee“, („Zakłady Przemysłu Bawełnianego im. Armii Ludowej“, ehemals Textilfabrik Horak, später „Alba“) nach und weist auf die Steuerung dieser Maßnahmen von oben hin: Personen, die sich für Deutsche einsetzten, die sich anständig verhalten hatten und damit die Direktiven des Sicherheitsapparates unterliefen, erhielten Besuch durch Funktionäre des Sicherheitsamtes.79 Schließlich konnte drittens durch die Aufrechterhaltung des Verratsdiskurses die polnische Gemeinschaft unter Führung der Vereinigten Arbeiterpartei bei zahlreichen Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden konsolidiert werden. „Wir brauchen den Verräter zur Konsolidierung der Gemeinschaft, zur Ziehung der Grenze zwischen ‚uns‘ und ‚den Fremden‘“,80 so eine aktuelle These der modernen Loyalitätsforschung. Gegen Oppositionelle, etwa die ehemaligen Anhänger der „Heimatarmee“ oder gegen die Kirchen, natürlich auch gegen Juden, wurde dieser nationale Verratsdiskurs ebenfalls in Stellung gebracht. Das Vorgehen gegen die verbliebenen Deutschen besaß so eine inhaltliche Logik und wurde auch durch symbolische Akte demonstriert: Das Deutsche Gymnasium (al. Kościuszki 65) – für zwei Generationen das Zentrum deutscher Bildungstätigkeit – wurde zur Zentralen Parteischule der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei umgewidmet, die bereits 1945 dort einzog (vgl. S. 330). Bis 1952 wurden an der „Zentralen Parteischule Julian Marchlewski“ (Centralna Szkoła Partyjna im. Juliana Marchlewskiego) tausende Funktionäre in wöchentlichen und monatlichen Schnellkursen für ganz Polen ausgebildet, zur Schule zählten zudem mehrere Internate, in denen Kursteilnehmer unterkamen. Der Ort, an dem mehrere Generationen Deutsche nationalistische und faschistische Propaganda betrieben hätten, stände nun im Dienste einer fortschrittlichen Menschheitsentwicklung – so die Lesart kommunistischer Behörden.81 Als Internierungs- und Arbeitslager für Deutsche wurde ab April  1945 das seit 1943 als „Arbeitserziehungslager für Polen“ in Stockhof/Sikawa bestehende deutsche Lager bestimmt – die Bestimmung des Ortes also einfach umgekehrt. Das Lager wurde an die Sicherheitsbehörden übergeben, die Wachmannschaft bestand teilweise aus 78 79 80

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„W tych dniach zbulwersowało mnie, gdzie zobaczyłem na Rzgowskiej znajomych ‚lumpów i mętów‘ chodzących jako milicjanci z karabinami z czerwoną opaską MO […]. Legalnie obrabowywali oni mieszkania.“ Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 211. Kieszczyński, Pamiętnik, Bd. 2, S. 171 nennt er den Arbeiter Bitner, der inhaftiert und später aus dem Gefängnis entlassen, 1949 in die DDR ausreiste. „Zdrajca jest nam potrzebny do skonsolidowania wspólnoty, wyznaczenia granicy między „naszymi“ i „obcymi“, in: Gry w zdradę. Z Agnieszką Haską rozmawia Krzysztof Sztafa, https://kulturaliberalna. pl/2018/06/12/sztafa-wywiad-agnieszka-haska-zdrada-hanba/ Vgl. auch Agnieszka Haska, Hańba! Opowieści o polskiej zdradzie. Warszawa 2018. Bartosz Cichocki, Krzysztof Jóźwiak, Najważniejsze są kadry … Centralna Szkoła Partyjna PPR/PZPR. Warszawa 2006.

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ehemaligen polnischen Häftlingen, was Racheaktionen begünstigte. Das Lager Sikawa, bis zum Oktober 1948 als Lager für deutsche Zivilisten betrieben, besaß aufgrund fataler hygienischer Verhältnisse (fehlende Schlafplätze und Strohsäcke, keine Reinigungsmöglichkeiten, niedrigste medizinische Versorgung) einen äußerst schlechten Ruf. In der deutschen Erinnerungsliteratur wurde dem Lagerpersonal bewusster Mord vorgeworfen.82 Tatsächlich lag die Sterblichkeit hoch – vor allem infolge von Seuchen wie Typhus und Ruhr sowie Mangelernährung starben von ca. 30.000 Insassen mindestens 1.247 Personen (= 4%),83 deutsche Berichte nennen deutlich höhere, allerdings durchweg unzuverlässige Zahlen. Sikawa war, wie viele Lager in Krieg und Nachkriegszeit, vor allem ein Arbeitsstammlager, aus dem heraus mehrheitlich Arbeiterinnen und wenige ältere Arbeiter an polnische Betriebe und private Arbeitgeber gegen Gebühr vermietet wurden: Städtische Textil- und Maschinenbaubetriebe, Werkstätten, landwirtschaftliche Betriebe, Gemeindeverwaltungen, Bauern und andere Privatleute konnten Arbeitskräfte mieten, die gar keinen oder nur einen niedrigen Arbeitslohn erhielten. Für die so bereitgestellten Zwangsarbeiterinnen lag ein Vorteil in einer besseren Lebensmittelversorgung und Unterbringung, teilweise wurden auch Löhne gezahlt, eine Richtlinie sah max. 50% der polnischen Löhne vor. Eine detaillierte Aufstellung vom 12. Mai 1947 enthält in der Region Lodz über 400 Arbeitgeber.84 Insbesondere 1945/46 wurden die deutschen Arbeitskräfte hin- und hergeschoben. In einem Befehl der Lagerleitung Sikawa an die Kraftfahrzeugwerke MBP vom 3. Juli 1945 hieß es lakonisch: „Ich bitte um sofortige Rückgabe der Maria Strauch, wofür die Firma im Gegenzug die internierte Anna Schwalbe erhält.“85 Dieses Prozedere bewährte sich so lange, wie das zur Verfügung stehende Arbeitskräftepotential noch arbeitsfähig war. Als Antwort auf eine zentralstaatliche Anfrage wurde dies im Dezember 1947 im Verwaltungsapparat allerdings zunehmend kritisch gesehen: „Das deutsche Problem im Stadtgebiet Lodz hat einen recht hohen Stellenwert und erfordert eine entsprechende Lösung. […] Die dominierende Anzahl von Frauen, die große Anzahl von sich in Isolierungslagern aufhaltenden Personen und der geringe Anteil an Jugendlichen erlaubt es nicht, dieses Element als nützlich zu bezeichnen, sondern als belastend sowohl jetzt als auch in Zukunft. Daher muss man sich also grundsätzlich dieses Elements rücksichtslos 82

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In der deutschen Erinnerung einflussreich: Silvia Waade, Baracke 7. Frauenschicksale hinter Stacheldraht – Viele gingen den Weg nach Sikawa (1945/46). Berlin, Bonn 1985; Krystyna Radziszewska: Die Deutschen in Lodz nach dem Ende der Okkupation und das Lager Sikawa in den Jahren 1945–1950, in: Monika Kucner/Krystyna Radziszewska: Fremde im gelobten Land. Zur Geschichte der Deutschen in Lodz nach dem Zweiten Weltkrieg, Osnabrück 2013, S. 45–73. Sławomir Abramowicz, Obóz pracy Sikawa w roku 1945 i w latach późniejszych, in: Żelazko, Rok 1945 w Łodzi. Studia i szkice. Łódź 2008, S. 149–169, hier 165. Verzeichnis von Institutionen, die im Arbeitslager in Sikawa erfasste Deutsche beschäftigen, in: Borodziej/Lemberg, Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950, Bd. 2, S. 196–208. Franciszek Sadowski, Sikawa 03.07.1945, in: Borodziej/Lemberg, Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950, Bd. 2, S. 154.

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entledigen.“86 In der gesamten Wojewodschaft mündete dies in Anträge der Sicherheitsämter auf Entzug der polnischen Staatsangehörigkeit, wobei eine Widerspruchsmöglichkeit nur teilweise bestand. Ein erheblicher Teil der Lodzer Deutschen wurde in den Jahren 1948/1950 ausgebürgert und ausgesiedelt. Vier Einzelfälle zeigen die ganze Bandbreite (und Unberechenbarkeit) des Verfahrens polnischer Behörden gegen Deutsche nach 1945. Emil Zerbe überlebte den Krieg in Polen in Verstecken im Untergrund; über sein Leben und sein Überleben liegen keine gesicherten Informationen vor. Seine Familie zog aus Lodz in die dörfliche Umgebung, wurde dort immer wieder durch die nach Zerbe fahndende Gestapo belästigt und schikaniert. Nach Kriegsende kehrte Zerbe nach Lodz zurück, wurde dort als „Deutscher“ verhaftet und wochenlang interniert, schließlich jedoch ohne Rehabilitierungsprozeß entlassen. Er blieb in Lodz, war politisch nicht mehr aktiv, zumal die DSAP nicht reaktiviert werden durfte. Bis zu seinem Tode im Juli 1954 betrieb er eine Verkaufsstelle einer von ihm mitgegründeten Handwerker-Genossenschaft.87 Waleria Kaiser stammte aus einer deutschen Familie, hatte in Lublin studiert und arbeitete seit 1922 als Lehrerin. Im Krieg hatte ihr Vater die DVL unterzeichnet, sie selbst gab im Zweiten Weltkrieg im Untergrund Deutsch- und Lateinunterricht (vgl. S. 248). Sie wurde am 8. Juni 1944 verhaftet, ihr Vater nach Auschwitz deportiert, wo er umkam. Waleria Kaiser überlebte das KZ Ravensbrück und kehrte nach dem Krieg über Schweden nach Polen zurück. In der Volksrepublik Polen wurde sie von der III. Abteilung der Sicherheitsbehörden erpresst.88 Gustaw Geyer hatte nach der Ermordung seines Bruders Robert im Dezember 1939 1941 die Deutsche Volksliste unterzeichnet, erhielt allerdings nur die dritte Kategorie der DVL und arbeitete im Krieg bis 1942 im familiären Unternehmen, dann wurde ihm durch einen Treuhänder das Betreten der Firma verboten. Nach 1945 wurde er – im Zuge einer Wahl durch den Fabrikrat der Textilarbeiter – zum Geschäftsführer des Betriebs ernannt, allerdings von den Sicherheitsbehörden verhaftet, erhebliche Teile seines Familienvermögens konfisziert. Der Prozess wurde 1946 mit einer Rehabilitierung beendet.89 Geyer wurde allerdings 1950 zum zweiten Male verhaftet, seine Familie verfolgt, nach 1950 erhielt er ein Verbot, nach Lodz zurückzukehren.90 Bei den Geyers spielte eine Rolle, dass mit seiner Rehabilitierung auch die Rückgabe von Vermögenswerten und Immobilien verbunden war; andererseits war die Ermordung seines Bruders stadtbekannt und die Familie Geyer als eine der zentralen deutsch-polnischen Familien stadthistorisch herausragend. Für Geyer sprachen sich im Rehabilitationsverfahren sowohl zahlreiche Angehörige des Betriebs, Familienmitglieder von NS-Opfern, der Kanzler der 86 87 88 89 90

Bericht Artur Sadowski, Borodziej/Lemberg, Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950, Bd. 2, S. 238–241. Blachetta-Madajczyk, Klassenkampf oder Nation, S. 262. Lesiakowski, Tajne nauczanie, S. 306–307. AP Łódź, 181/205/60 Akta w sprawie rehabilitacyjnej Gustawa Wilhelma Geyera. Spodenkiewicz, Piasek, S. 78, 99–100.

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bischöflichen Kurie und Bischof Tomczak persönlich sowie Pfarrer Karol Kotula aus. Zugleich hielten jedoch anonyme Schreiben dagegen: Die Familie habe im Wohlstand gelebt, zur Finanzoligarchie gehört und verdanke eine evtl. Rehabilitierung nur ihren Beziehungen. Im Urteil wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass sich für Geyer auch zahlreiche Arbeiter der Fabrik eingesetzt hätten.91 Geyer ist einer der wenigen deutschpolnischen Fabrikanten, die die DVL unterzeichnet hatten und nach 1945 in Polen verbleiben durften – seine Biographie ist bis heute ungeschrieben. Aus dem Milieu der deutschen Textilarbeiter und Ladenbesitzer haben wir nur in wenigen Fällen verlässliche Informationen über die Lebens- und Überlebensumstände in Lodz nach 1945.92 Am besten dokumentiert sind die Lebensumstände der Familie Kroll, die von dem jüngsten Sohn Benno auf der Basis der Familienerinnerungen aufgezeichnet wurden.93 Die Familie Kroll lebte als Schuhmacher am östlichen Rande von Bałuty, das Gebiet lag direkt am Rande des Gettos und Benno Kroll (geb. 1937) erinnerte sich, wie er als Kind gelegentlich mit der Straßenbahn durch das Getto fuhr. Nach dem sowjetischen Einmarsch lebten in der Familie nur Frauen und Kinder, die männlichen Familienmitglieder wurden in Sikawa interniert und dann in die Sowjetunion in die Kohleminen des Donbas transportiert. Der Familienvater Jan Kroll kam erst 1950 aus einem polnischen Gefängnis zurück.94 Die weiblichen Familienmitglieder erlitten 1945 mehrfach Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten, Einquartierungen und wiederholte Gewalt durch polnische Zivilisten. Hinzu kamen Schläge und Gewalt durch einen jüdischen Überlebenden namens Sohn, die Internierung in Sikawa und Zwangsarbeit gegen Lebensmittel in der Fa. Biedermann (Fabrik PZPB Nr. 8).95 Zwei (von 17) Familienmitgliedern starben, die Familie reiste mehrheitlich in die sowjetische Besatzungszone bzw. in die DDR aus. Ein Teil wurde rehabilitiert, ihr Haus 1958 zugunsten eines Wohnblocks abgerissen, die verbliebene Familie erhielt zwei Einzimmerwohnungen.96 Im Kern handelt es sich hierbei um ein durchschnittliches Schicksal einer „volksdeutschen“ Familie, die in Lodz bleiben durfte – letztendlich erfolgte eine Integration in die volkspolnische Gesellschaft, zurück blieben aber vielfache Verletzungen.97 Abschließend sei noch ein Einzelschicksal vorgestellt, das die Zufälligkeit und Brutalität der Politik in Lodz zeigt: Katarzyna Kobro hatte im Zweiten Weltkrieg, auch um die künstlerischen Werke von Władysław Strzemiński und von sich selbst zu retten und ihrer Tochter Nika Strzemińska eine Schulbildung zu geben, mit ihrer Familie die Russische 91 92 93 94 95 96 97

AP Łódź, 181/205/60, S.  14–29; Bl.  44: anonymes Schreiben; Bl.  46–56 Protokoll; Begründung Urteil Bl. 58v „świadkowie przeważnie rekrutujący się z sfer pracowniczych“. Monika Kucner, Krystyna Radziszewska, Miasto w mojej pamięci. Powojenne wspomnienia Niemców z Łodzi. Łódź 2014. Benno Kroll, Anita Fritsche, Tak było. Wspomnienia łódzkiego Volksdeutscha. Łódź 2010. Kroll, Tak było, S. 42–48. Ebenda, S. 48–51, 52–55, 56–79. Ebenda, S. 102–134. Ebenda, S. 135–137 (Nachwort).

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Volksliste unterzeichnet, die eine etwas bessere Lebensmittelversorgung und eine Schulausbildung für Kinder versprach. Im Krieg zerstritt sich das Ehepaar über diese Entscheidung, Strzemiński warf seiner Frau „Verrat“ und Kollaboration mit den Deutschen vor und forderte vor Gericht den Entzug des Sorgerechts für die gemeinsame Tochter. Kobro wurde 1949 erstinstanzlich wegen „Abfalls von der polnischen Nationalität“ zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt, in zweiter Instanz wurde das Urteil – Kobro hatte sich zeit ihres Lebens als Russin bezeichnet – aufgehoben. Der Vorgang macht deutlich, wie sehr die Volkslistenpraxis aus dem Krieg auch innerfamiliäre Konflikte anheizte und dass die vielfach tendenziöse Justiz der Volksrepublik Polen nicht in der Lage war, hier eine Befriedung zu schaffen.98 Kommunistische Machtdurchsetzung, Terror und Widerstand Bereits sehr früh suchte die neue Regierung, eigene kommunistische Kader in administrative und parlamentarische Leitungspositionen einzusetzen. In Lodz war dies relativ einfach, besaß doch eine Reihe von herausragenden Vertretern der neuen Machteliten einen Lodzer Hintergrund (Loga-Sowiński, Moczar) und konnte die Ereignisse vor Ort beeinflussen. Zudem hatten sozialistische Parteien auch in Vorkriegszeiten Mehrheiten behaupten können, es erschien deshalb plausibel, hier anzuknüpfen. Bereits im März 1945 erhielten die sozialistischen Parteien klare Mehrheiten in den Gremien des Nationalrats, die in den Folgejahren ausgebaut wurden.99 Stützen konnten sie sich dabei auf eine relativ breite Machtbasis in der Stadt, die 1946/47 bis in Arrangements mit dem katholischen Bischof (vgl. S. 319) reichte. In den Betrieben sicherten die jeweiligen Parteiorganisationen trotz des Eigensinns der Arbeiter grundsätzlich die Macht ab. Nicht zu unterschätzen war die Rolle der Sicherheitsbehörden, die tatsächliche oder vermeintliche „Konterrevolutionäre“ und „Kapitalisten“ ausschalteten. Die bisherigen Unternehmerfamilien Geyer und Grohman, die sich während der deutschen Besatzung durch ihren Einsatz für polnische Belange eine erhebliche Reputation aufgebaut hatten, wurden wiederholt festgenommen, einer angeblichen „Kollaboration“ angeklagt und mussten Lodz verlassen. Hier entstand ein Machtvakuum, in das die neue Nomenklatura stoßen konnte. Nicht von ungefähr war der einzige Lodzer Kommunist, der tatsächlich in der VR Polen eine steile Karriere machte, der eng mit den Sicherheitsbehörden verbundene Mieczysław Moczar. Er war 1956–1981 Mitglied des ZK der Polnischen Arbeiterpartei und stieg nach 1956 gestützt auf alte Verbindungen zu Gomułka zum informellen und zum tatsächlichen Innenminister und damit 1964–1968/70 zum zweiten Mann im Staate 98 99

Czyńska, Kobro, S. 160–219; Nika Strzemińska, Sztuka, miłość i nienawiść. Warszawa 2001. Waingertner, Czwarta stolica, S. 46–47; Krzysztof Lesiakowski, Życie polityczne w Łodzi w 1945 r., in: Żelazko, Rok 1945 w Łodzi, S. 69–95.

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auf. Moczar war 1913 in Lodz geboren worden, besaß nur eine Volksschul- und Schlosserausbildung und hatte in den 1930er Jahren in Textilfabriken gearbeitet. 1938 wegen kommunistischer Agitation zu Gefängnishaft verurteilt, agierte er 1941–1944 im Untergrund und kam 1945 als Leiter der Sicherheitsabteilung der Woiwodschaft nach Lodz zurück. In den Jahren 1945–1948 gelang ihm die Unterordung des öffentlichen Lebens in der Region.100 Nach 1948 verlief seine Karriere allerdings gestützt auf nationalpolnische Partisanenführer und das polnische Militär außerhalb der Region. Gefragt werden kann allerdings, ob erhebliche Ingredienzen der Ideologie Moczars, insbesondere die Mischung aus Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und einem als „Antikosmopolitismus“ (später Antizionismus) verkleideten Antisemitismus, nicht auch seine Wurzeln in Lodzer Überlieferungen hatte: Leider sind keine autobiographischen Dokumente bekannt, die diese These erhärten könnten. Die Sicherheitsbehörden – allein in Lodz über 1.000 Personen – stützten sich auf eine parteiische Gerichtsbarkeit, die auch in Lodz mit der Heimatarmee und dem nach 1945 weiterbestehenden antikommunistischen Untergrund verbundene Akteure verfolgte, zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilte oder hinrichtete.101 Das Kommando der antikommunistischen Organisation „Freiheit und Unabhängigkeit“, wurde 1946 verhaftet und in einem eintägigen Verfahren durch ein Militärgericht abgeurteilt, Zbigniew Zakrzewski hingerichtet, mehrere Angeklagte erhielten langjährige Haftstrafen und starben im Gefängnis oder kurz nach ihrer Entlassung.102 Insgesamt verhängte das Militärgericht Lodz zwischen 1946 und 1955 186 Todesurteile mit politischem Hintergrund, davon wurden mindestens 65 auch ausgeführt, in der Regel wegen Beteiligung am antikommunistischen Untergrund, Kontakten ins Ausland und Überfällen. 28 Todesurteile betrafen eine Tätigkeit in Stadt oder Kreis Lodz.103 Lodz gehörte damit nicht zu den Zentren antikommunistischen Widerstands, die Rolle eines staatlichen Terrors war spürbar, allerdings geringer als in anderen Regionen (Kleinpolen, Lublin, Schlesien). An der Spitze des Militärgerichts stand 1946 mit Mikołaj Nippe ein Vorkriegsadvokat, der trotz seiner deutschsprachigen Herkunft die Unterzeichnung der Deutschen Volksliste 1940 abgelehnt hatte und als Angestellter den Krieg überdauert hatte. Intern galt Nippe als „unpolitisch“ und „zu weich“ und wurde Ende 1946 abgelöst.104 100 Joanna Żelazko (Hg.), Struktury i kadra kierownictwa urzędów bezpieczeństwa publicznego w województwie łódzkim w latach 1945–1956. Łódź, Warszawa 2019, S. 16–18, 110, 309–310. 101 Joanna Żelazko, „Ludowa“ sprawiedliwość. Skazani przez Wojskowy Sąd Rejonowy w Łodzi (1946– 1955). Łódź 2007; Janusz Wróbel, Joanna Żelazko (Hg.), Wojskowy Sąd Rejonowy w Łodzi. Warszawa 2004. 102 Joanna Żelazko, Proces kierownictwa Okręgu Łódzkiego Zrzeszenia „Wolność i Niezawisłość“ przed Wojskowym Sądem Rejonowym w Łodzi, in: Wróbel/Żelazko, Wojskowy Sąd, S. 39–51; Marek Michalik, Zbigniew Zakrzewski „Bryła“ (Szkic biograficzny), in: Zeszyty Historyczne. WiN-u 7 (1995), S. 41–57. 103 Żelazko, Ludowa sprawiedliwość, S. 220–257. 104 Ebd. S. 134–136.

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Als symbolische Handlung des polnischen antikommunistischen Widerstands ist insbesondere die Sprengung des „Denkmals der Dankbarkeit an die Rote Armee“ (Pomnik Wdzięczności Armii Czerwonej) zu nennen, das am 18. November 1945 im PoniatowskiPark enthüllt, allerdings am 11./12. Februar 1946 von einem Kommando unter Führung von Władysław Stanilewicz gesprengt wurde. Das Denkmal wurde sofort wiederaufgebaut und am 7. November 1946 erneut der Öffentlichkeit übergeben, in den folgenden Jahrzehnten allerdings intensiv von der Lodzer Polizei überwacht. 1992 abgebrochen, stellte man unter seinem Fundament die Gräber von acht sowjetischen Offizieren fest, die in eine benachbarte Grabanlage umgebettet wurden.105 Eigeninteresse und institutionelle Ohnmächtigkeit: die Rolle der Kirchen Die Lodzer Kirchen waren durch die deutsche Politik im Reichsgau Wartheland schwer getroffen worden. Zahlreiche Pfarrer und Priester saßen in Konzentrationslagern, ein Drittel der katholischen Geistlichen der Diözese kamen dort um. Zudem waren sie durch die deutsche rassistische Politik – Kirchen „Nur für Deutsche“ – erheblich geschwächt und ihrer Organisationskraft beraubt. Dies wurde nach 1945 von den neuen Machthabern systematisch ausgenutzt. Besonders betraf dies die Evangelisch-Augsburgische Kirche – die bis zum Krieg das Lodzer Stadtbild mit drei (St. Trinitatis, St. Johannis, St. Matthäus) der vier großen Sakralbauten und die stadtbürgerlichen Eliten erheblich geprägt hatte. In Lodz galt die Evangelisch-Augsburgische Kirche traditionell als „deutsche“ Kirche, obwohl ca. ein Viertel der Gläubigen polnischsprachig war. Sie geriet so 1945 in den Strudel des Untergangs der Lodzer Deutschen. Vom polnischen Sicherheitsapparat wurde die Evangelisch-Augsburgische Kirche nach 1945 vielfach als maskierte deutsche Einrichtung verstanden und überwacht sowie durch Provokationen an ihrer Tätigkeit gehindert. Karol Kotula, der als Landarbeiter die deutsche Besatzung überlebt hatte und im Mai 1945 nach Lodz zurückkehrte, beschrieb die Situation so: „Schlechter war die allgemeine Atmosphäre, bedrückend, ablehnend. In den staatlichen, regionalen und städtischen Ämtern nahmen fremde und unbekannte Leute führende Positionen ein. […] Das Pfarrgebäude am pl. Wolności besetzten die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden und der Miliz, die uns feindlich gegenübertraten und uns als Deutsche behandelten.“106 105 Ewelina Pietruszka, Pomnik wdzięczności Armii Czerwonej w Łodzi, in: Żelazko, Rok 1945 w Łodzi, S. 323–353. 106 „Gorsza była ogólna atmosfera, duszna, nieprzychylna. We władzach państwowych, wojewódzkich i miejskich czołowe miejsca zajmowali ludzie obcy, nieznani. […] Plebanię przy pl. Wolności zajmowali pracownicy Urzędu Bezpieczeństwa i Milicji, odnoszący się do nas wrogo i traktujący jako Niemców.“ Kotula, Od marzeń, S. 198.

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Ein Beispiel aus der Gemeinde Pabianice: Während eines Gottesdienstes durch Pfarrer Henryk Wendt, der 1940 als „Pole“ im Polizeigefängnis Radegast eingesperrt und ins Generalgouvernement deportiert worden war, kam es zu einem Zwischenfall: „In dem Moment, als die evangelischen Gottesdienstbesucher zu Füßen des Altars niederknien wollten, näherte sich ein Mann, gestikulierte und begann die vor dem Altar Versammelten, überwiegend Frauen, zu schlagen und treten, er stieß sogar Pfarrer Wendt zurück, obwohl dieser liturgische Gewänder trug. Eine Frau verhielt sich ähnlich. […] Bald erschienen die Bürgermiliz und Funktionäre des Sicherheitsamtes, sie legitimierten jedoch Pfarrer Wendt und nicht die Personen, die die Gebete profaniert hatten.“107 Ein Besucher, der die Eindringlinge zurückgehalten hatte, wurde von der Miliz festgenommen. Am 31. Juli erfolgte ein Verbot, Gottesdienste zu halten mit der Begründung, in Pabianice lebten viele deutsche Protestanten und ehemalige Mitglieder der Hitlerjugend.108 Die Lodzer evangelische Johanniskirche war bereits am 4. Februar von Jesuiten als „deutsche Kirche“ übernommen worden. Entgegen eines Beschlusses der Stadtverwaltung weigerten sich die Jesuiten, die Kirche zurückzugeben. Trotz der rechtlich eindeutigen Situation – das Gotteshaus war Eigentum der evangelisch-augsburgischen Kirche – verblieb die Kirche dauerhaft in katholischen Händen.109 Eine ähnliche Wegnahme erfolgte im März 1945 bei St. Trinitatis, der ältesten evangelischen Kirche gegenüber dem Rathaus am plac Wolności – die Kirche wurde zu einer katholischen Garnisonskirche des polnischen Militärs.110 Der evangelisch-augsburgischen Kirche verblieb so nur die Matthäus-Kirche als einzige repräsentative Stadtkirche.111 Versuche evangelischer Pfarrer, die Situation der Protestanten in Lodz zu verändern, hatten keinen Erfolg. Dies galt insbesondere für eine Denkschrift Karol Kotulas, Pfarrer an der Matthäus-Kirche, aus dem April 1946, in dem dieser eine Änderung der staatlichen Politik gegenüber DVL-Angehörigen einforderte, die sich nichts zuschulden kommen lassen hätten. Kotula rechtfertigte seine Interpellation mit zwei Ereignissen aus seinem Umfeld: „Zunächst den Tod meines nächsten Nachbarn aus der Vorkriegszeit, der mir und meiner Familie vor dem Krieg wie auch besonders während der deutschen Besatzung viel Gutes tat, der Polen als sein Vaterland ansah und seine Kinder polnisch erzog und 107 „W chwili, gdy ewangelicy mieli przyklęknąć na stopniach ołtarza, pewien osobnik zbliżył się do nich i gestykulując, zaczął bić i kopać zebranych przed ołtarzem, przeważnie kobiety, pchnął nawet ks. Wendta, mimo że ten był ubrany w szaty liturgiczne. Pewna niewiasta zachowała się w podobny sposób. […] Wkrótce zjawiła się milicja obywatelska i funkcjonariusze Wydziału Bezpieczeństwa, legitymując ks. Wendta, a nie osobników, którzy sprofanowali nabożeństwo.“ Zit. nach Olejnik, Zdrajcy narodu, S. 136–137. 108 Ebd., S. 137. 109 Andrzej Grzegorczyk, Stereotyp „Niemiec ewangelik“ a sytuacja łódzkich luteranów w latach 1945– 1952, in: Adam Dziurok, Piotr Madajczyk, Sebastian Rosenbaum (Hg.), Władze komunistyczne wobec ludności niemieckiej w Polsce w latach 1945–1989. Warszawa 2016, S. 105–116, hier 109–110. 110 Ebenda, S. 110. 111 Beschreibung der Situation rund um die Pfarrei aus der Außenperspektive: Kroll, Tak było, S. 80–84, 100–101, 113–114.

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der als Volksdeutscher im Lager starb, wobei ich weder ihm noch seiner Familie helfen konnte. Und zum zweiten die Bestellung eines Begräbnisplatzes auf dem Friedhof durch einen lebenden Menschen, den man als Volksdeutschen so quälte, insbesondere von Seiten von Personen, die die Situation ausnutzen wollten und sein Vermögen behalten wollten, dass er beschloss, sich das Leben zu nehmen“.112 Kotula forderte bereits 1946 eine Amnestie, sein Appell blieb aber ohne Ergebnis. Hohe Würdenträger der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, darunter der Landesbischof Jan Szeruda, setzten sich 1948 im Prozess gegen Pfarrer Alfred Kleindienst, den Leiter der Litzmannstädter evangelischen Kirche deutscher Nationalität, der aus der amerikanischen Besatzungszone nach Polen ausgeliefert worden war, für diesen ein und bewirkten seinen Freispruch. Bemerkenswert erscheint hier und in anderen Fällen die hohe moralische Integrität der Leitungsebene der polnischen evangelischen Kirche, die ungeachtet eigener Leidenswege und persönlicher Gefahren sich für Verfolgte einsetzte. Zugleich ist jedoch erkennbar, in welchem Maße die Evangelisch-Augsburgische Kirche, bis 1939 eine der führenden Institutionen in Lodz, durch Krieg und Nachkriegszeit dezimiert und marginalisiert wurde. Die Kirche besaß unter den Bedingungen des volkspolnischen Staates und des Stalinismus keine Möglichkeiten, sich für die Neugestaltung der städtischen Gemeinschaft einzusetzen. Sie stand unter Beobachtung der Staatssicherheit und wurde systematisch durch Informanten und Zuträger unterwandert. Auch im Inneren war sie zerstritten, etwa wenn es um die Verteilung von Hilfsgütern ging. Noch einmal Kotula: „Man bedachte vor allem die Pfarreimitglieder ohne Volkslistenausweis, als durch die Deutschen geschädigt, und erst in zweiter Reihe die Armen, die die Volksliste angenomen hatten. Daraus entstandenen verschiedene Bitterkeiten und Unzufriedenheiten“.113 Diese Situation innerer Zerstrittenheit galt weniger für die katholische Kirche, die 1945 von der Neuverteilung der Ressourcen profitierte und nun erstmals in der Lodzer Geschichte die Rolle der unangefochten ersten städtischen Kirchengemeinschaft einnahm. Sie konnte durch die Übernahme der repräsentativen Kirchengebäude in der Innenstadt und die Einrichtung zusätzlicher Pfarreien ihre Pfarreigröße reduzieren.

112 „Naprzód śmierć mojego najbliższego sąsiada z czasów przedwojennych, który mnie i mojej rodzinie wyświadczył bardzo dużo dobrego tak przed wojną, jak i w szczególności podczas niemieckiej okupacji, który uważał Polskę za swoją Ojczyznę i dzieci po polsku wychowywał, a który umarł jako volksdeutsch w obozie, tak że ani jemu, ani rodzinie nic pomóc nie mogłem. A następnie zamówienie miejsca na cmentarzu dla siebie przez człowieka żyjącego, któremu tak dokuczono jako volksdeutschowi, zwłaszcza ze strony ludzi pragnących wyzyskać sytuację i zatrzymać jego majątek, że sobie postanowił odebrać zycie“. Olejnik, Zdrajcy narodu?, S. 241–246. 113 „Obdarowywano przede wszystkim członków parafii bez volkslisty, jako poszkodowanych przez Niemców, w drugim dopiero rzędzie ubogich, mających volkslisty. Stąd powstały różne kwasy i niezadowolenia“. Kotula, Od marzeń, S. 211.

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Rückerstattet wurden auch weitere Gebäude, so etwa Ende 1947 das bis dahin von Sicherheitsbehörden genutzte Seminargebäude (ul. Skorupki 5). Gefragt werden kann, ob sich die Kirche nicht auch infolge dieser kompetitiven Vorteile zunächst mit den Staatsbehörden arrangierte. Bischof Włodzimierz Jasiński besaß persönlich gute Kontakte zum kommunistischen Staats- und Sicherheitsapparat, rief im für die Legitimation der Kommunisten 1946 wichtigen Referendum 1946 auf, mit „ja“ zu stimmen und stieß deshalb unter seinen katholischen Amtsbrüdern auf scharfe Kritik. Infolgedessen wurde er 1946 zum Titularerzbischof ernannt und zugleich seiner Lodzer Ämter entbunden.114 Stärkerer Gegenwind wehte der katholischen Kirche auch in Lodz spätestens mit der Durchsetzung des Stalinismus entgegen. In dem 1949 eskalierenden Kirchenkampf ging der stalinistische Staat gegen „kritisch gegenüber der sozialistischen Realität“ eingestellte Geistliche vor.115 Ins Visier der Propaganda gerieten die katholischen Priester, die aus biographischen Gründen angreifbar waren und durch die man glaubte, die katholische Kirche insgesamt diskreditieren zu können.116 Besonders angreifbar waren die Pfarrer, die im Zweiten Weltkrieg die Deutsche Volksliste unterzeichnet hatten. Dies betraf Roman Gradolewski, Pfarrer an der Heiligkreuzkirche in Lodz, der im Krieg dort Seelsorge und Gottesdienste „Nur für Deutsche“ abgehalten hatte und Jacek Alojzy Hoszycki, im Krieg Pfarrer in Pabianice. Gradolewski war bereits im Februar 1945 erstmals verhaftet worden und hatte mehr als drei Jahre im Lager Sikawa als Gefängnisinsasse und als Zwangsarbeiter verbracht. Bei seiner Entlassung am 2. Juni 1948 musste er eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit unterzeichnen. In einem Schauprozess vom 6.-13. September 1949, über den in der Presse breit und reißerisch berichtet wurde,117 wurden Gradolewski und Hoszycki als „Kollaborateure“ zum Tode verurteilt, das Urteil aber nicht vollstreckt. Gradolewski saß jedoch bis 1955 in Haft und arbeitete später, wohl im Gefängnis moralisch gebrochen, als Informant für die polnische Staatssicherheit.118

114 Milena Przybysz, Kościół rzymskokatolicki w Łodzi w latach 1945–1956. Łódź 2007, S. 111–114; Kazimierz Dąbrowski, Arcybiskup Włodzimierz Jasiński 1873–1965. Łódź 1990, S. 125–126. 115 Przybysz, Kościół, S. 126–160 und Dokumentenanhang. 116 Zum Hintergrund der Operation Ligarski, W kleszczach, S. 73–76. 117 Pressedokumentation bei Ligarski, W kleszczach, Anhang. Als Beleg können einzelne Artikelüberschriften dienen: „Gestapomänner in Sutanen“ (Gestapowcy w sutannach, Dziennik Łódzki, 07.09.1949); „Ein Gespenst von Verrat und Verbrechen“ (Upiór zdrady i zbrodni, Gazeta Robotnicza, 09.09.1949). 118 Ligarski, W kleszczach, S. 114–139.

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Das jüdische Lodz nach dem Völkermord Als die Rote Armee am 19. Januar 1945 Lodz befreite, waren dort nur noch ca. 900 Juden am Leben, weniger als 0,5% der jüdischen Bevölkerung im Jahre 1939. Die Vernichtung jüdischen Lebens schien total, noch im Januar 1945 wurde auch das baulich bis dahin erhaltene Gebiet des Gettos Litzmannstadt geplündert.119 Trotz dieser totalen Zerstörung wurde Lodz für eine kurze Zeit, zwischen Sommer 1945 und 1949/50 zu einem Ort prekären, aber vitalen jüdischen Lebens. Manche Überlebende bemühten sich bereits 1945, das städtische Leben wieder in Gang zu bringen. Als Beispiel kann der Elektroingenieur Julian Wajnberg genannt werden, der sich vor den Deportationen nach Auschwitz im Getto versteckt hatte und bereits im Frühjahr 1945 die städtische Stromversorgung wieder in Gang setzte. Im Sommer 1946 lebten über 30.000 Juden in der Stadt, jüdische Statistiken verzeichnen für 1946 sogar über 61.800 Juden, die sich in Lodz aufhielten.120 Wie ist das zu erklären? Funktionierte dieses Leben weitgehend von der polnischen Stadtbevölkerung getrennt oder wo gab es ein Neben-, vielleicht sogar ein Miteinander? War dieses Leben von Anfang an nur als Transitstation gedacht, wie das der Titel der umfangreichsten Monographie zu dem Thema suggeriert?121 Oder war der abrupte Abbruch dieses jüdischen Lebens das bittere Ergebnis eines polnischen Antisemitismus sowie der Nationalisierung und Stalinisierung der Gesellschaft? Lodz bot in den Jahren 1945/46 für jüdische Überlebende aus dem deutschen Lagersystem, die nach Angehörigen suchten oder für Rückkehrer, die nach 1939 in die Sowjetunion geflüchtet waren, einige Vorteile, die einen zeitweisen oder dauerhaften Aufenthalt begünstigten. Zunächst war die Stadt wenig zerstört, durch die hohen Menschenverluste und die Flucht und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Innenstadt war die Wohnraumsituation infolge der einströmenden polnischen Bevölkerung (etwa aus Warschau oder zurückkehrende Zwangsarbeiter) zwar schwierig, aber nicht so hoffnungslos wie im weitgehend zerstörten Warschau oder in vielen anderen Städten. Zweitens wies die Stadt einen deutlich höheren Anteil an jüdischen Überlebenden auf als viele andere polnische Städte. Die brutale antisemitische Politik 1939/40 und die frühe Schließung des Gettos hatten dazu geführt, dass über 20% der jüdischen Bevölkerung aus Lodz geflohen oder aus der Stadt deportiert worden waren; davon hatten viele Menschen in der Sowjetunion überlebt und wollten nun – zumindest kurzfristig auf der Suche nach Angehörigen – zurück in ihre Heimatstadt. Auch nach der Räumung des Gettos im August 1944 hatten ca. 7.000–10.000 Juden in deutschen Konzentrationslagern überlebt.

119 Pabin, Chłopak, S. 75–76. 120 Andrzej Rykała, W reakcji na powojenną przemoc antysemicką. Samoobrona Żydów w Łodzi – uwarunkowania społeczno-polityczne i przestrzenne. Łódź 2020, S. 75–76 gestützt auf den Wydział Ewidencji i Statystiki des Zentralkomitees der Juden in Polen. 121 Shimon Redlich, Life in Transit. Jews in Postwar Lodz, 1945–1950. Boston 2010.

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Eine erhebliche Rolle spielten auch jüdische Organisationen, die bereits im Frühjahr und Sommer 1945 in Lodz entstanden und als erste Anlaufstationen dienen konnten. Auf Initiative der Lubliner Regierung und des Zentralkomitees der Juden in Polen (Centralny Komitet Żydów w Polsce) folgten der Roten Armee Arbeitsgruppen, die vor Ort jüdisches Eigentum sicherstellen und ein Jüdisches Komitee einrichten sollten. Die Gruppe unter der Leitung des Lodzer Historikers Filip Friedman erreichte Lodz bereits Anfang Februar 1945 und organisierte am 11. Februar 1945 in einem Kinosaal (Styłowy, ul. Kilińskiego) die erste Versammlung jüdischer Überlebender. Dort wurde ein Provisorisches Jüdisches Komitee in Lodz gewählt, aus dem Tagebuch von Jakub Poznański haben wir darüber einen Bericht: Es berichtet von 3.000 Juden in Lodz, darunter eine große Zahl von Zugereisten, die allerdings – so Poznańskis Eindruck – in Lodz nicht bleiben würden.122 Die Wahl des Komitees erfolgte nach einem Parteischlüssel, an der Spitze stand mit dem kommunistischen Funktionär Michał Mirski (Hersz Tabacznik) ein Ortsfremder. Das Städtische Jüdische Komitee (Śródmiejska 32) besaß Vertreter im Städtischen Nationalrat und baute eine Verwaltungsorganisation auf, die sich mit der „Produktivisierung“ der jüdischen Bevölkerung in Genossenschaften, einem Bevölkerungsregister, Sozialfürsorge, Verpflegung und Gesundheit beschäftigen sollte.123 Es diente zugleich als erster Anlaufpunkt für die nach Lodz kommende jüdische Bevölkerung. Die Stadtverwaltung stellte auf Anweisung Mijals im Frühjahr 1945 eintausend Wohnungen bereit, die das Jüdische Komitee verwaltete. Dies erleichterte zunächst die Wohnungssuche, ab 1946 nahm infolge der wachsenden Zahl an Rückkehrern aus der Sowjetunion die Wohnungsnot jedoch zu.124 Die Mehrzahl der Wohnungen lag in der nördlichen Neustadt; durchweg handelte es sich um ehemals jüdische und deutsche Wohnungen. Dort wurden Unterkünfte zugewiesen, Arbeitsplätze vermittelt und eine Unterstützung bei den ersten Schritten in das neue Leben geleistet. Das Komitee organisierte und unterstützte auch Namensänderungen, die einerseits von zionistischen Institutionen, die ungeliebte deutsche Namen in hebräische Namen änderten und andererseits auf Anraten der Behörden und Arbeitgeber, die Juden beschäftigten und eine Stigmatisierung oder gar Antisemitismus gegenüber den neuen Mitarbeitern befürchteten, durchgeführt wurden.125 Im Juni 1945 kurz nach Kriegsende verzeichnet die zentrale Evidenz des Zentralkomitees der Juden in Polen in der Region Lodz  18.700 jüdische Menschen.126 Diese bildete eine erste Anlaufstelle. Sara Zyskind kehrte 1945 nach Lodz zurück, sie hatte als Jugendliche das Getto Litzmannstadt, Auschwitz und das Lager Mittelsteine, ein 122 Poznański, Dziennik, S. 273. 123 Leszek Olejnik, Struktury życia społeczno-politycznego łódzkich Żydów w latach 1945–1950, in: Lech, Społeczność żydowska i niemiecka, S. 139–162, hier 142–144. 124 Redlich, Life in transit, S. 63. 125 Redlich, Life in transit, S. 5. 126 Rykała, W reakcji, S. 40.

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Außenlager des KZ Ravensbrück und ein Lager in Grafenort (Grafschaft Glatz) überlebt. Sichtbar wird hier die Odyssee, die viele Überlebende hinter sich hatten.127 Ende 1945 lebten in Lodz und Umgebung mehr als 40.000 Juden, die Hälfte waren Überlebende der deutschen Konzentrationslager, ca. 10.000 Rückkehrer aus der Sowjetunion, ein weiteres Viertel hatte in Verstecken oder in Wäldern überdauert. 1946 verschoben sich die Proportionen durch eine wachsende Zahl von Neuankömmlingen aus der Sowjetunion. Insgesamt gab es unter der jüdischen Bevölkerung jedoch nur eine Minderheit ehemaliger Lodzer Juden, Schätzungen sprechen von mehr als 4.000 Rückkehrern.128 Neuankömmlinge wie Rückkehrer gründeten je nach religiöser und politischer Orientierung provisorische Zentren, Schulungshäuser, Kooperativen und Gebetsräume. Angesichts der begrenzten Wohnressourcen richteten jüdische Verbände wie die Stadtverwaltung vielfach Genossenschaften, Wohnheime, Kinderheime, Zeitungsredaktionen, Bäckereien und Kantinen ein. Die orthodoxen, sozialistischen oder zionistischen Verbände erhielten eigene Lokale. Das gesellschaftliche Leben entwickelte sich zudem in verschiedenen Landsmannschaften um Gemeinschaften aus Herkunftsorten. Im Juni 1947 entstand auch eine Lodzer Landsmannschaft, die mit der Initiative eines „Kulturzentrums der ermordeten Lodzer Juden“ hervortrat.129 Eine besondere Dichte solcher jüdischen Einrichtungen bestand 1945/46 in der nördlichen Neustadt zwischen der ul. Narutowicza und dem Gettogelände mit mehr als 30 Institutionen, auf dem ehemaligen Gettogelände gab es mit dem „Haus der arbeitenden Jugend“ (Dom Młodzieży Pracującej) und dem „Repatriantenhaus“ nur zwei Anlaufstellen.130 Zwei jüdische Volksschulen in jiddischer (ul. Jaracza 15, dann Kilińskiego 49) und hebräischer Sprache (ul. Południowa, heute ul. Rewolucji 1905 r. 18) sorgten für eine jüdische Schulbildung. Die hebräisch-zionistisch orientierte, nach dem Modell der Tarbut-Schulen aufgebaute Bildungseinrichtung, die von zionistischen Pionieren der Hechalutz-Bewegung organisiert und nach den Warschauer Gettokämpfern benannt wurde, bereitete die Schüler auf ein Leben im späteren Israel vor.131 Schließlich erschien Lodz – zumindest bis zum Pogrom von Kielce Anfang Juli 1946 – als ein relativ sicherer Ort, da der Antisemitismus vor 1939 in der Stadt schwächer ausgeprägt gewesen war und Morde an überlebenden und zurückkehrenden Juden, die Ostpolen bereits 1945 zu erschüttern begannen, in Lodz nicht zu verzeichnen waren. Zwar kam es auch in der Wojewodschaft zu Überfällen und Morden, doch waren in Lodz selbst 1945/46 nur Einzelfälle zu verzeichnen, deren Hintergrund zudem nicht geklärt

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Sara Zyskind, Stolen Years. Minneapolis 1981, S. 267–270. Redlich, Life in transit, S. 64–65. Olejnik, Struktury życia, S. 145–146. Rykała, W reakcji, S. 166 Karte der Innenstadt mit jüdischen Institutionen. Redlich, Life in transit, S. 3–5, 19–21, 75–76.

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werden konnte.132 Mehrheitlich blieb es in Lodz selbst bei Prügeleien zwischen Jugendlichen,133 verdeckter antisemitischer Agitation, Ritualmordbeschuldigungen134 und weiteren antijüdischen Gerüchten.135 Diese passten in den Rahmen der insgesamt von Gerüchten, Ängsten und antisemitischen Verschwörungstheorien geprägten polnischen Öffentlichkeit der Nachkriegsjahre.136 Bei allen Überlegungen über die jüdischen Rückkehrer und Zuwanderer muss berücksichtigt werden, dass die gesamte Gruppe durch Ausgrenzung, Verfolgung und Krieg besonders schwer gezeichnet war.137 Alle hatten entweder deutsche Gettos und Lager überlebt oder in der stalinistischen Sowjetunion Gewalt- und Kriegserfahrungen gemacht.138 Nach diesen Leidenswegen waren der Wunsch nach einem neuen Leben und der Hunger nach der verbotenen und verleumdeten jüdischen Kultur besonders groß. Trotz allem: Jüdisches kulturelles Leben Vor diesem Hintergrund entstand in Lodz 1945/46 ein äußerst intensives kulturelles jüdisches Leben, wobei manchmal die Grenzen zwischen jüdischer und polnischer Kultur verschwammen. Die jüngeren Überlebenden fanden in sozialistischen Gemeinschaftswohnungen oder Kibbuzzen Unterkunft, bei denen Textil-, Schuster- oder Schlosserwerkstätten funktionierten, die aber auch ein reges kulturelles Leben prägte. Hier traten Schriftsteller wie der Lodzer Dichter Jeszajahu Szpigiel (1906–1990) oder Artur Sandauer (1913–1989) auf. Jährlich wurde in Veranstaltungen an den Aufstand im Warschauer Getto und die Auflösung des Lodzer Gettos gedacht.139 Prägende Gruppen waren einerseits die zionistischen Verbände, die die Überlebenden auf ein Leben im Staat Israel, der 1947/48 entstand, vorbereiteten. Verbände wie Dror (ul. Południa 18/20), der Jugendverband der Linkszionisten, der die Kibbuz-Bewegung gestaltete, die Pfadfinder des Hashomer Hatzair (ul. Narutowicza, Zeitschrift „Mosty“) und die sich durch harte körperliche Arbeit auf den jüdischen Staat vorbereitende

132 Ebd., S. 80–81 mit einer Auflistung der Fälle, die aber nicht immer in der Wojewodschaft Lodz stattfanden; Julian Kwiek, Nie chcemy Żydów u siebie. Przejawy wrogości wobec Żydów w latach 1944–1947. Warszawa 2021, S. 37, 76, 130, 304–305, 353, 3963 verzeichnet Fälle, in dem Juden nach Lodz flohen. 133 Ebd., S. 2 (Bericht über jugendliche Erfahrungen), 61–62, 79. 134 Ebd., S. 47. 135 Pabin, Chłopak, S. 85. 136 Marcin Zaremba, Die große Angst. Polen 1944–1947. Paderborn 2016. 137 Redlich, Life in transit, S. 87–150. 138 Markus Nesselrodt, Dem Holocaust entkommen. Polnische Juden in der Sowjetunion 1939–1946. Berlin 2019 (Europäisch-Jüdische Studien, 44). 139 Ewa Wiatr, Życie kulturalne Żydów w Łodzi w latach 1945–1950, in: Lech, Społeczność żydowska i niemiecka, S. 163–194.

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„Gordonia“ (ul. Więckowskiego  3) prägten den öffentlichen Raum.140 Andererseits existierten die verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Verbände, die traditionell in Lodz stark waren, jedoch große Teile ihrer Mitglieder verloren hatten. Hier dominierte die Überlegung, ein neues sozialistisches Polen aufzubauen, in dem Juden gleichberechtigte Staatsbürger wären. Ein Teil der überlebenden jiddischsprachigen Publizisten versuchte 1945/46 in Polen ein neues jiddisches Kulturleben aufzubauen. Sie organisierten um den „Farajn fun Jidisze Literatn, Żurnalistn un Artistn in Pojln“ und die einzige jiddischsprachige Druckerei mit Sitz jeweils in der Narutowicza 32 eine jiddischsprachige Presse und ein Verlagswesen. Der erste jiddische Letternsatz zum Druck in jiddischer Sprache war noch in den Ruinen des Gettos gefunden worden und hatte im Krieg zum Druck der Gettozeitung gedient.141 Auf seiner Basis erschienen mit dem Presseorgan des Zentralkomitees der Juden in Polen, programmatisch „Dos naje Lebn“ genannt und der „Folks-Sztyme“ die zentralen Kulturzeitschriften der überlebenden Juden in Polen.142 Shimon Redlich hat versucht, für einen engen Zeitraum zwischen Mitte Mai und dem frühen Juli 1945, d.h. für ca. sechs Wochen nach Kriegsende, die Dichte jüdischen Lebens nachzuzeichnen und nennt folgende Veranstaltungen: 18. Mai, Rachel Auerbach las Auszüge aus ihren Kriegsaufzeichnungen im Jüdischen Verein (Narutowicza 32); am 19./20. Mai traten die Sängerinnen Diana Blumenfeld und Dido Epstein im Sängerhaus (Sala śpiewaków, ul. 11 listopada) auf; am 3. Juni fand ebendort eine Erinnerungsfeier an den jiddischen Dichter Sholem Alejchem statt; am 16. Juni wurde der populäre jiddische Vorkriegsfilm „Mayn Shtetele Belz“ im Kino Włókniarz (ehemals Capitol, Próchnika 16), dem größten städtischen Kinosaal, gezeigt; am 17. Juni sprach Adolf Berman, einer der führenden polnischen Zionisten, im Kino Bałtyk (ul. Narutowicza 20); am gleichen Tag sang Chayele Rozental (Rosenthal), eine Überlebende des Gettos Wilna; am 2. Juli fanden eine Gedenkveranstaltung zu Ehren von Theodor Herzl und Chaim Bialik im HechaluzHeim und am 8. Juli eine zionistische Veranstaltung mit Antek Cukierman, einem der Anführer des Warschauer Gettoaufstandes, statt.143 Insgesamt ein dichtes Programm mit herausragenden Persönlichkeiten, das sowohl Akzente im Bereich einer jüdischen Kulturautonomie (Rolle des Jiddischen, ostjüdische Traditionen) wie einer zionistischen Mobilisierung der Überlebenden setzte. Als besonders publikumswirksam erwies sich die Initiative, in Lodz ein jiddischsprachiges Theater wiederzubeleben. In der zweiten Jahreshälfte 1946 fanden im ehemaligen Kino Urania (Jaracza  2) bereits fast täglich Vorstellungen mit insgesamt über 28.000 Besuchern statt. Mit der Schauspielerin und Regisseurin Ida Kamińska 140 Redlich, Life in transit, S.  151–177; Aufnahmen zur Gordonia in dem hebräischen Kurzfilm Kadima Gordonia. 141 Ebd., S. 68. 142 Rykała, W reakcji, S. 171. 143 Redlich, Life in transit, S. 68–69.

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(1899–1980) kam zudem im Januar 1947 diejenige Persönlichkeit nach Lodz, die durch Familie und Tradition das jiddische Theater Osteuropas geprägt hatte. Kamińska baute mit Schwerpunkt Lodz 1947–1954 ein jiddischsprachiges Theater auf, das in ganz Polen unterwegs war und das traditionelle jiddische Repertoire auf hohem künstlerischem Niveau umsetzte. Das jüdische Theater war ohne Frage diejenige kulturelle Einrichtung, die besonders für das jüdische Lodz stand.144 Für Ansehen und Rückhalt des jüdischen Theaters sprach zudem, dass das Theater 1950 ein neues, eigenes Gebäude (Więckowskiego 15, ehemals Theater Scala) erhielt und zu einer staatlichen Einrichtung wurde. Allerdings war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät – durch die Abwanderung der Lodzer Juden verlor das Theater zunehmend seine treue Zuschauerbasis und wurde 1954 nach Warschau verlegt. Mit dem Theater verbunden waren Versuche, den jiddischen Film in Polen wiederzubeleben. Immerhin waren bis 1939 in Polen die Mehrzahl der Filmproduzenten und Regisseure jüdischer Herkunft und hatten auch ein jiddischsprachiges Kino betrieben. Nach Lodz kamen 1945 auch Isaak und Saul Goskind, die bereits in den 1930er Jahren in Warschau jiddische Filme produziert hatten. Zwar scheiterten Versuche, den alten künstlerischen Leiter Aleksander Ford zu einer Zusammenarbeit zu überzeugen, doch produzierten die Goskinds in Lodz in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre mehrere jiddische Filmchroniken und zwei Filme: „Mir lebngeblibene“ (1946–1948) zeigt das Leben der jüdischen Überlebenden und Originalaufnahmen der jüdischen Institutionen in Lodz. „Unzere Kinder“ (1948) spielt in dem jüdischen Kinderheim Helenówek und zeigt die letzte Generation der mit einer jiddischen Kultur heranwachsenden polnischen Juden.145 Die Filme fanden zwar zeitgenössisch ein geringes Echo und wurden nur in wenigen Kinos gezeigt, sie gelten aber heute als Schlüsseldokumente des jüdischen Films und als herausragende Zeitdokumente.146 Von jüdisch-polnischen Verflechtungen zur Auswanderung Eine erhebliche Zahl der polnischsprachigen jüdischen Intellektuellen schrieb allerdings nicht für eine jüdische Gemeinschaft, sondern wandte sich – gerade nach Krieg und Völkermord – an die fortschrittliche polnische oder eine globale Öffentlichkeit und wollte eine neue Gesellschaft ohne Rassismus und mit geringerer sozialer Ungleichheit aufbauen. Dieser Personenkreis arbeitete gemeinsam mit linken polnischen Intellektuellen in kulturellen Zeitschriften wie der in der Piotrkowska  96 redigierten 144 Wiatr, Życie kulturalne, S. 183–191; Redlich, Life in transit, S. 10–11 berichtet noch nach 50 Jahren über eine Aufführung. 145 Wiatr, Życie kulturalne, S. 192–194. 146 Natan Gross, Film żydowski w Polsce. Kraków 2002, S.  117–133. Gross war Zeitzeuge und Regisseur der Filme.

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„Kuźnica“ (Eisenhütte), einer literarischen linken Wochenschrift, in der zahlreiche junge polnische Schriftsteller, oft jüdischer Herkunft wie Kazimierz Brandys, Mieczysław Jastrun, Jan Kott oder Adam Ważyk schrieben. Kott bemerkte in seiner Autobiographie zu der herrschenden Atmosphäre: „Wir waren sicher, dass wir mit dem Schreiben die Geschichte verändern. Wir waren uns ihrer sicher, als würde sie uns gehören. Immer dieser ‚Hegelsche Biss‘. Aber damals kannten wir diesen Begriff noch nicht, und es waren eher wir, die die Geschichte ‚gebissen‘ haben. Wie wütend waren wir! Als Schöpfer der Nachkriegszeit. Bis zum Verrücktwerden. Es erschien uns, als könne man alles kneten wie Ton.“147 Auch eine Reihe der Veranstaltungen wandte sich an ein fortschrittliches jüdisches und polnisches Publikum. Der sowjetische Journalist und Schriftsteller Ilja Ehrenburg und der ehemalige Piłsudski-Anhänger und Sozialist Władysław Broniewski traten wiederholt auf. Jüdische sozialistische Kollektive nahmen an den Aufmärschen am 1. Mai 1946 teil.148 In Diskussionen zwischen jungen polnischen und jüdischen Intellektuellen bildete die Anerkennung des jeweiligen Leidens einen neuralgischen Punkt. Die polnische martyrologische Tradition und die generell sehr lebendige Wahrnehmung Polens als deutsches Opfer führten zu einer Opferkonkurrenz. Jakub Goldberg stammte aus einer Lodzer Händlerfamilie und berichtete über solche Diskussionen im Umfeld der Lodzer Universität: „We would argue about Polish and Jewish suffering and loss during the war and the occupation. My Polish colleagues tried to convince me that the Polish tragedy was worse than that of the Jews. I was astounded: my entire family had vanished.“149 Goldberg unterschied in seinen Überlegungen zwei Gruppen von überlebenden Juden. Eine Gruppe habe sich vorrangig der jüdischen Kultur zugewandt und sei nach Gründung des Staates Israel durchweg ausgewandert. Eine andere Gruppe sei eng mit der polnischen Kultur verschmolzen: „Howewer, most of the young Jews steeped in Polish culture, like myself, didn’t leave. […] I never concealed my roots. I didn’t change my name to Złotogórski or Złotoryjski. I’ve always remained Jakub Goldberg. Among my Jewish friends and colleagues who were steeped in Polish culture I was a Jew par excellence, since I was interested in Jewish matters.“150 In das sich wieder entwickelnde jüdische Leben in Lodz schlugen der wachsende Antisemitismus und die Nachricht über das Pogrom in Kielce (4. Juli 1946, über 40 Tote) wie eine Bombe ein. Unmittelbar nach dem Pogrom hatte noch Antek Cukierman mit den Kielcer Behörden den Plan diskutiert, alle dortigen Überlebenden nach Lodz zu bringen. Aber auch in Lodz war die Situation unsicher: Überfälle nahmen seit Herbst 1945 zu, nicht 147 „Byliśmy pewni, że pisaniem zmieniamy historię. Byliśmy jej pewni jakby do nas należała. Ciągle to ‚ukąszenie heglowskie‘, ale nie znaliśmy wtedy tego terminu, i to myśmy raczej kąsali historię. Jak wściekli! Jak demiurdzy powojennego czasu. Aż do zawrotu głowy. Wydawało się, że można wszystko lepić jak z gliny.“ Jan Kott, Przyczynek do biografii. Londyn 1990, S. 124. 148 Redlich, Life in Transit, Abbildung, S. 85. 149 Redlich, Life in transit, S. 196. 150 Redlich, Life in transit, S. 196.

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selten waren darin auch Milizionäre verwickelt.151 Jüdische Überlebende beschafften sich vielfach zur Verteidigung Waffen,152 im Sommer 1946 kam es zu Bedrohungen jüdischer Einwohner und zu Drohbriefen, in denen sie zum sofortigen Verlassen der Stadt aufgefordert wurden, bei Streikversammlungen wurde Juden vorgeworfen, sie wollten gut leben, aber nicht arbeiten.153 Wo lagen die Ursachen? Marek Edelman, ab 1945 Wahl-Lodzer, sah es rückblickend so: „Die Menschen fürchteten sich entsetzlich, dass diese Juden zurückkamen und sie aus ihren bezogenen Wohnungen werfen würden; dieser hat einen ehemals jüdischen Schrank und jene einen ehemals jüdischen Pelz. […] noch vor nicht langer Zeit, wenn hier, nach Lodz, irgendein Jude reiste und nur seine Vorkriegswohnung sehen wollte, folgte ein Türenschlagen und ‚Auf Wiedersehen‘. Denn die materiellen Ursachen sind wichtige Dinge.“154 Wenn man annimmt, dass in Lodz ca. 30–40% des erhaltenen Wohnungsbestandes ehemals jüdischen Eigentümern gehört hatten, dann war diese Angst durchaus berechtigt. Bereits am 24. Juni war Feliks (Fiszke) Neiman, ein Mitglied der bundistischen Jugendorganisation Tsukunft, in Lodz auf offener Straße ermordet worden.155 Gerüchte machten den Umlauf, für den 16./17. Juli sei ein antisemitischer Tumult geplant, der an verschiedenen Orten der Stadt losbrechen sollte. Am 19. Juli kam es auf dem ehemaligen Gettogelände zur Versammlung einer Menge vor dem dortigen „Haus des Repatrianten“, jedoch griff die Miliz schnell ein und zerstreute die Menge. Am 20. Juli kam es an der Kreuzung ul. Narutowicza / Armii Ludowej (heute ul. Polskiej Organizacji Wojskowej) zu einem gescheiterten Attentatsversuch auf Marek Edelman. Das Ausmaß der antisemitischen Mobilisierung in Lodz ist in der Forschung umstritten. Jan Gross argumentierte in seiner Studie „Angst“, in Lodz hätten im Juli 1946 die Streiks auch eine antisemitische Konnotation gehabt und hätten auch die staatliche Verurteilung der Täter aus Kielce abgelehnt.156 In ihrer Wortwahl seien Entlehnungen aus der Zwischenkriegszeit und Anklagen gegen Juden als ökonomische „Parasiten“ aufgetaucht. Dagegen sah Krzysztof Lesiakowski in den Streiks in erster Linie einen Protest gegen die zentralistische Regierungspolitik.157 151 152 153 154

Kwiek, S. Nie chcemy Żydów, S. 343, 354, 445. Witold Bereś, Krzysztof Burnetko, Edelman. Życie. Do końca. Warszawa ³2019, S. 403. Kwiek, Nie chcemy Żydów, S. 112–113, 123, 153–154 (Fabriken Geyer, Biedermann), 203. „Ludzie się strasznie bali, że ci Żydzi wrócą i wyrzucą ich z pozajmowanych mieszkań, on ma szafę pożydowską, a ona pożydowskie futro. […] jeszcze niedawno, gdy tu, do Łodzi, przyjechał jakiś Żyd i chciał tylko zobaczyć swoje przedwojenne mieszkanie, to trzask drzwiami i do widzenia. Bo te sprawy materialne to przecież ważne sprawy.“ Bereś/Burnetko, Edelman, S. 440. 155 Redlich, Life in Transit, S. 81. S. 201 Abbildung junge Bundisten, Hersz Mokotow, Szulim Rozenberg, Tesia Mokotow, Fiszke Neiman (Foto im Besitz von Szulim/Shulem Rozenberg, 1918–, Medem-Bibliothek). 156 Jan Gross, Fear. Anti-semitism in Poland after Auschwitz. An essay in historical interpretation. New York 2006; Mariusz Gądek (Hg.), Wokół Strachu. Dyskusja o książce Jana T. Grossa. Kraków 2008. 157 Lesiakowski, Strajki, S. 110.

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Aufgrund dieser konkreten Vorkommnisse und der gespannten Situation entstand in Lodz und der gesamten Wojewodschaft eine bewaffnete Jüdische Selbsthilfe, die weitere Vorfälle verhindern konnte.158 Jedoch war es zu spät, ein lebendiges jüdisches Lodz zu bewahren. Seit Juli 1946 wuchs die Ausreise aus Polen zu einer Lawine, auch Lodz war betroffen: Noch 1946 verließen die Lehrer und Studierenden der Lodzer Rabbinerschule (Necach Israel, 12 Rabbiner, ca. 100 Studierende), der einzigen Höheren Rabbinerschule in Polen, das Land. Allein im Spätsommer 1946 emigrierten 65.000 Menschen aus Polen, dem Exodus vor allem in die amerikanische Besatzungszone in Bayern und Hessen folgten zehntausende Menschen aus Lodz. Im Mai 1948 wurde die Ausrufung des Staates Israel auch in Lodz mit einer Feier begrüßt. Zugleich bildete diese Perspektive ein weiterer Ansporn, Polen Richtung Israel zu verlassen.159 Spätestens 1949 änderte sich zudem das Klima, Zionisten waren – auch im Gefolge des spätstalinistischen Antisemitismus in der Sowjetunion – immer weniger gern gesehen. Szymon Zachariasz, der Führer der Jüdischen Sektion der Polnischen Arbeiterpartei, notierte für eine Sitzung des Zentralkomitees der PZPR am 4. August, man solle „die Ausreise zionistischer und klerikaler Akteure und von Kleinunternehmern stimulieren. Dagegen die Ausreise der technischen Intelligenz und der Arbeiter bremsen. Parallel, schrittweise die zionistischen Organisationen liquidieren und die Tätigkeit der klerikalen Verbände ohne Ausnahme auf religiöse Angelegenheiten beschränken.“160 Es lag auf der Hand, dass unter solchen Bedingungen im immer stärker stalinistischen Polen keine autonome jüdische Gemeinschaft existieren konnte. Von noch etwa 17.000 Juden in Lodz verließen weitere größere Gruppen die Stadt bis zum Februar 1951 vor allem in Richtung Israel. Dann schloss die Volksrepublik Polen die Grenzen. Die Zurückbleibenden waren in der Regel nicht zionistisch oder religiös orientiert und sahen sich als jüdische Polen an. Unter ihnen dominierte eine linke und vielfach kommunistische Einstellung, auf diesem Wege erhoffte man den Aufbau einer gerechteren Welt. Insgesamt bedeuteten die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung 1948–1950 und die Flucht und Emigration der jüdischen Überlebenden 1946–1950 eine klare Zäsur in der Lodzer Stadtgeschichte. Damit verschwanden unwiderruflich Akteure einer multikulturellen Stadtgemeinschaft, zumal die Kontakte im entstehenden Kalten Krieg eingefroren waren. Lodz war nun eine ethnisch und kulturell ausschließlich polnische Industriestadt.

158 Alle Angaben nach Rykała, W reakcji, S. 129–130; Redlich, Life in Transit, S. 82–83. 159 Redlich, Life in transit, S. 201 (Foto der Feierstunde). 160 „stymulować wyjazd działaczy syjonistycznych, klerykalnych i elementy inicjatywy prywatnej. Natomiast hamować wyjazd inteligencji zawodowej i robotników. Równoległe, stopniowo likwidować ogranizacje syjonistyczne, a działalność organizacji klerykalnych sprowadzić wyłącznie do spraw religijnych.“ Zit. nach Leszek Olejnik, Łódź jako centrum społeczności żydowskiej w Polsce (1945– 1949), in: Paweł Samuś, Wiesław Puś (Hg.), Fenomen getta łodzkiego 1940–1944. Łódź 2006, S. 407– 420, hier 419.

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Das rote Lodz: Heimliche Hauptstadt Polens in Propaganda und Strukturwandel „Arbeiter und Aktivisten der Arbeit, Professoren und Mitarbeiter der Universität Lodz, Staatsbürger! Nicht zufällig verließen wir zu unserer Feier die Mauern der Universität, auf einen öffentlichen Platz. Wir tun damit kund, dass wir bewusst mit der Tradition der gesellschaftlichen Isolierung der Universität brechen, wir tun hierdurch kund, dass der schöpferische wissenschaftliche Geist sich mit der mächtigen Strömung der Umwälzungen unseres polnischen Lebens in allen seinen Bereichen verbindet. […] Erstmals in der Geschichte der polnischen Wissenschaft und in der Geschichte der polnischen Universitäten sind Arbeiter und Arbeitsaktivisten die Ehrengäste bei der Eröffnung unseres Akademischen Jahres […]. Ich begrüße sie in der tiefen Überzeugung, dass ihre Anwesenheit […] die engste Verbindung von Wissenschaft und Universität mit der grundlegenden Klasse der modernen Nation – mit der Arbeiterklasse bedeutet. […] Die Universität wird ein Ort der Arbeit, an dem dieselbe Disziplin und Verantwortung verpflichtet und verpflichten muss, wie in den Werkstätten der Arbeit.“1  Józef Chałasiński, Rektor der Universität Lodz, Oktober 1949

Die 1945 nach Polen zurückkehrenden Kommunisten, die ab 1947 die gesamte Macht im Lande übernahmen, hatten ein ernsthaftes Legitimationsproblem. Ihre Partei, die Kommunistische Partei Polens war 1938 von Stalin als „Agentur des polnischen SanacjaRegimes“ aufgelöst worden, die Mitglieder in der Sowjetunion endeten im Gulag. Sie hatte zudem im noch weitgehend agrarischen Polen der Zwischenkriegszeit nur eine schwache Verankerung in der Bevölkerung, Zentren lagen in dem vor allem von der belarusischen, ukrainischen und jüdischen Minderheit bewohnten Ostpolen, das ab 1939/1945 sowjetisch geworden war und – eben in der Arbeiterstadt Lodz.

1 „Robotnicy i Przodownicy pracy, Profesorowie i Pracownicy UŁ, Młodzieży, Obywatele […]! Nieprzypadkowo z naszą uroczystością wyszliśmy poza mury uniwersytetu, na otwarte miejsce publiczne. Zaznaczamy w ten sposób, że z całą świadomością zrywamy z tradycją społecznego izolacjonizmu uniwersytetu, zaznaczamy w ten sposób, że twórcza myśl naukowa włączy się w potężny nurt przeobrażeń naszego polskiego życia we wszystlich jego dziedzinach. […] Po raz pierwszy w historii nauki polskiej i w historii polskich uniwersytetów honorowymi gośćmi na otwarciu roku akademickiego są robotnicy, przodownicy pracy […]. Witam ich w głębokim przekonaniu, że ich obecność […] oznacza najściślejsze związanie nauki i Uniwersytetu z podstawową klasą nowoczesnego narodu – z klasą robotniczą […] Uniwersytet staje się środowiskiem pracy, w którym obowiązuje i obowiązywać musi podobna dyscyplina i odpowiedzialność, co w warsztacie pracy.“ Józef Chałasiński, Inauguracja  V roku akademickiego Uniwersytetu Łódzkiego 1950/51, in: Bohdan Baranowski, Krystyna Duda-Dziewierz (Hg.), Materiały do dziejów Uniwersytetu Łódzkiego (1945–1950). Łódź 1952, S. 239. Zit. nach Zysiak, Punkty, S. 76.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_014

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Das „rote Lodz“2 besaß in den Augen einer revolutionären Öffentlichkeit in Mittel- und Osteuropa einen geradezu mythischen Klang: Hier war 1892 im „Lodzer Aufstand“ (bunt łódzki) erstmals in der Großregion ein disziplinierter Streik ausgebrochen, hier waren die Arbeiterparteien PPS und SDKPiL entstanden, hier hatten internationalistisch eingestellte Arbeiter 1905 gegen zarische Soldaten auf den Barrikaden gekämpft und damit die Russische Revolution beflügelt, hier waren Julian Marchlewski (Denkmal auf dem Altstädtischen Markt 1964–1991), Feliks Dzierżyński und Rosa Luxemburg tätig gewesen, hier hatte das Proletariat in der Zwischenkriegszeit in Streiks einen aufopferungsvollen Kampf gegen das reaktionäre „Polen der Herren“ (pańska Polska) gekämpft. Schließlich: Nur in Lodz hatte es vor dem Zweiten Weltkrieg noch eine linke Mehrheit im Stadtrat gegeben. Diese Wahrnehmung existierte nicht nur in Polen: Unter den sowjetischen Genossen, die auf die Revolution in Polen warteten, verbreitete sich auf die Nachrichten von den Streiks und den sozialen Unruhen in Polen ebenfalls der Mythos des „Roten Lodz“. Im Jahre 1934 erschien in Moskau eine Darstellung der Kämpfe des Lodzer Proletariats unter dem Titel „Das Rote Lodz“, dargestellt waren die Streiks und Fabrikbesetzungen in der Weltwirtschaftskrise.3 Und unter den kommunistischen Eliten der DDR war mit Rudolf Herrnstadt, Chefredakteur des Neuen Deutschland und ZK-Mitglied, ebenfalls eine Persönlichkeit, die das proletarische Lodz gut kannte. Wie konnte man nun gestützt auf das „rote Lodz“ die polnische Gesellschaft mobilisieren und ihr die sozialistischen Errungenschaften nahebringen? Die Zentrale Parteischule und die Ausbildung sozialistischer Kader Als sinnvoll erschien eine stärkere Einbindung des „roten Lodz“ in die Ausbildung sozialistischer Kader. Die Zentrale Parteischule der Polnischen Arbeiterpartei, 1944 in der ersten eroberten Stadt westlich des Bugs, in Lublin, gegründet, wurde nach Abschluss des ersten Kurses Anfang 1945 nach Lodz verlegt. Für Lodz sprachen die Tradition der Arbeiterstadt und die erhaltenen Wohnungsressourcen. Bereits im Februar 1945 trafen die ersten Kader in Lodz ein, die Parteischule erhielt symbolträchtig ein zentrales Bildungszentrum des besiegten „faschistischen Gegners“, nämlich das Gebäude des ehemaligen deutschen Gymnasiums (al. Kościuszki 65), zugewiesen. Am 8. April 1945 begannen die Kurse der Parteischule, die von nun an bis 1948 in Lodz ca. 1.800 zukünftige Parteifunktionäre ausbildete. An dem ersten zweimonatigen Kurs in Lodz nahmen mehrere Dutzend junge Männer und Frauen mit deutlichem Schwerpunkt aus den Regionen Lodz und Warschau teil. Als Ziel wurde formuliert: „Wir wollen 2 Leider wenig Neues bei Tomasz Toborek (Hg.), Łódź czerwona – prawda czy mit? Studia i szkice. Łódź 2020. 3 Grigorij I. Lur’ie, Krasnaja Lodz‘. Moskva 1934.

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unsere Hörer umfassend zum Kampf mit der einheimischen Reaktion ausbilden, ihnen ihre historischen Quellen und deren schändlichen Traditionen vor Augen führen […]. Wir streben danach, dass die erworbenen Gewohnheiten organisatorischer Arbeit, der Beherrschung von Wissen und einer wissenschaftlichen Methode nicht mechanisch aufgefasst werden, sondern einen neuen Menschen in Polen erziehen.“4 Die in kasernierten Internaten untergebrachten Hörer, die vielfach nur eine rudimentäre Schulbildung besaßen, wurden in Schnellkursen zu Funktionären der Arbeiterpartei ausgebildet, auf dem Programm stand Unterricht in Marxismus-Leninismus, in Geschichte der Arbeiterbewegung, in Organisationslehre der Partei und eine rethorisch-agitatorische Schulung: Am Ende eines jeden Unterrichtstages standen Diskussionsveranstaltungen auf der Basis der Lektüre der Parteipresse. Der Lehrkörper bestand mehrheitlich aus Kommunisten der Zwischenkriegszeit, die allerdings in der Sowjetunion und im Krieg unterschiedliche Lebenswelten durchlaufen hatten, manche brachten die Erfahrung einer langjährigen Haft in deutschen und sowjetischen Gefängnissen und Lagern mit. Nicht wenige hatten einen jüdischen Hintergrund, so etwa der Leiter Tadeusz Daniszewski oder dessen Stellvertreterin Regina Kapłan-Kobryńska.5 Kapłan war in Lodz geboren, hatte aber seit 1915 mehrere Jahrzehnte in Russland und der Sowjetunion verbracht, sie wird von dem ebenfalls an der Parteischule tätigen Adam Schaff als unermüdliche Kommunistin dargestellt. Man habe sich in der Aufbauarbeit zerrissen, ja: „Stellen wir uns in dieser typischen Nachkriegsatmospäre eine Handvoll Begeisterter vor, in großer Mehrheit Kommunisten aus der Zeit der Illegalität, mit unterschiedlichen Zeiten im Gefängnis, die in einem Haus leben, monatelang ohne Möbel, sogar ohne Betten, in einer sonderbaren Gemeinschaft […] für sie bestand nur ein Lebensziel – die Schule.“6 Und: „Das war eindrucksvoll, obwohl es bald unerträglich wurde.“ Jedoch: „Die Lodzer Zeiten waren heroisch und in jedem Fall inspirierend.“7 Was diese spätere romantische Aufbaulegende überging oder nur andeutete: Viele Lehrende hatten jahrelange sowjetische Lagererfahrungen hinter sich, etwa Jadwiga Siekierska und Celina Budzyńska hatten sieben bzw. acht Jahre Straflager und die

4 „Chcemy wszechstronnie uzbroić naszych słuchaczy do walki z rodzimą reakcją, do zrozumienia jej źródeł historycznych i haniebnych tradycji […]. Dążymy do tego, aby zdobyte nawyki pracy organizacyjnej, opanowanie wiedzy i metody naukowej nie były mechanicznie ujęte, lecz wychowywały nowy typ człowieka w Polsce.“ Trybuna Wolności 86 (1946), zit. nach Bartosz Cichocki, Krzysztof Jóźwiak, Najważniejsze są kadry. Centralna Szkoła Partyjna PPR/PZPR. Warszawa 2006, S. 99. 5 Biogramm in Słownik Biograficzny Działaczy Polskiego Ruchu Robotniczego, Bd.  3. Warszawa 1992, S. 92–93. 6 „Wyobraźmy sobie w tej typowej powojennej atmosferze garstkę zapaleńców, w przytłaczającej większości komunistów z okresu nielegalności, z rozmaitym stażem więziennym, żyjących w jednym domu, miesiącami bez mebli, a nawet bez łóżek, w jakiejś dziwnej wspólnocie […]. I oto dla nich istniał jedyny problem życiowy – Szkoła.“ Adam Schaff, Łódzkie wspomnienia, S. 38–40. 7 „To było imponujące, chociaż wkrótce stało się nieznośne. […] Łódzkie czasy były heroiczne, a w każdym razie zapładniające.“ Ebd.

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jeweilige Ermordung ihrer Ehemänner in den stalinistischen Säuberungen im Gepäck.8 Budzyńska berichtete in ihren Lebenserinnerungen über die Zweifel und heftigen Diskussionen, die Situation in den Fabriken und die bürokratischen Schikanen sowie die schwierige Versorgungssituation ganz ohne Pathos.9 Die überzeugte Kommunistin Regina Kapłan-Kobryńska erlitt nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion 1950 einen psychischen Zusammenbruch und verbrachte die letzten Jahrzehnte ihres Lebens in psychiatrischen Sanatorien – so sah es in der Realität mit dem „sich entwickelnden und strahlenden ideologischen Zentrum“ aus.10 War in dieser kommunistischen Parteischule, dem ehemaligen national eingestellten deutschen Gymnasium, in dem 1945–1948 sowjetisch akkulturierte Polen jüdischer Herkunft, polnische Proletarier und deutsches zwangsverpflichtetes, aus dem Arbeitslager Sikawa abgestelltes Dienstpersonal11 zusammen tätig waren, etwas von dem alten kosmopolitischen Lodz übriggeblieben? Celina Budzyńska hielt in ihren Erinnerungen folgende, an Absurdität schwerlich zu überbietende Szene fest: Anlässlich des gefälschten Referendums vom 30. Juni 1946, in dem auch in der Wojewodschaft Lodz die Bevölkerung mehrheitlich gegen die kommunistische Regierung stimmte, wurden in der Aula der Schule die Abstimmungszettel manipuliert und die Nein-Zettel von Parteiaktivisten verbrannt: „Ich schämte mich, dass man die Macht mit Hilfe von Lug und Betrug verteidigen müsse. Schweren Herzens saß ich einsam im Direktorensaal im Erdgeschoss […]. Plötzlich kam ein alter deutscher Heizer herein und zwang mich mit Worten und Gesten mich umzudrehen und aus dem Fenster zu schauen: über dem Hof flatterten tausende schwarze, angekohlte Papierfetzen.“12 Sozialistische Heldinnen und Helden gesucht Über den ideologischen Hintergrund hinaus bot es sich an, gerade für Lodz einen sozialistischen Mythos zu entwickeln, der die Stadt zu einem Zentrum der polnischen Arbeiterkultur machen und so andere Traditionen der polnischen Kultur überdecken sollte. Lodz wurde deshalb propagandistisch nach 1945 zur Stadt der heldenhaften 8 9 10 11 12

Cichocki/Jóźwiak, Najważniejsze są kadry, S. 58–61. Celina Budzyńska, Strzępy rodzinnej sagi. Warszawa 1997, S.  292–452 Verfolgungs- und Lagererfahrungen, S. 460–469 Lodzer Erfahrungen. „rozwijającym się i promienującym środowiskiem ideologicznym“ bei Schaff, Łódzkie wspomnienia, S. 38. In der Zentralen Parteischule arbeiteten mehrere Dutzend deutsche Zwangsarbeiter, Cichocki/ Jóźwiak, S. 163–168. „Ale wstyd mi było, że trzeba jej [władzę, H.-J.B.] bronić przy pomocy szachrajstwa, oszukaństwa. Z cięźkim sercem siedziałam samotnie w gabinecie dyrektorskim na parterze […]. Nagle wszedł stary Niemiec palacz i trochę słowami, trochę gestami zmusił mnie do odwrócenia się i spojrzenia w okno: nad dziedzińcem wirowało tysiące sczerniałych, niedopalonych skrawków papieru.“ Budzyńska, Strzępy, S. 463.

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Arbeiter und Arbeiterinnen, die beispielhaft für die neue Gesellschaft gekämpft hatten. Geplant war seit 1947 auch die Errichtung eines „Arbeitermuseums“ (Muzeum Robotniczego), für das aber ein geeignetes Gebäude fehlte. Zentrale Themen dieser Legende waren die sozialistischen Helden von 1905 (die nationalistischen Aktivisten verschwieg man) und die sozialen Konflikte und Streiks der 1930er Jahre, in denen nun unbeugsame Kommunisten ins Zentrum der Tätigkeit gerückt wurden. Die Kulturrevolution brauchte Vorbildfiguren und Helden, zu denen man aufschauen und deren Tätigkeit und Entschlossenheit nachgeahmt werden konnte. In Lodz wurden solche Heldinnen und Helden aufgebaut. Władysława Bytomska hatte in der Textilfabrik Rosenblatt gearbeitet und war Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes und der KPP gewesen. Sie war als kommunistische Aktivistin, Agitatorin und Organisatorin von Streiks mehrfach zu Gefängnisstrafen verurteilt worden und hatte bis 1938 insgesamt sieben Jahre in Gefängnissen verbracht. Am 2. November 1938 kam sie unter ungeklärten Umständen im Umfeld des von gewalttätigen Ausschreitungen geprägten Wahlkampfs in Bałuty ums Leben. In der Presse wurde breit spekuliert, ob es sich um einen Selbstmord, eine Abrechnung unter Kommunisten, Abrechnungen in der Bałuter Unterwelt oder um einen politischen Mord gehandelt habe.13 Im kommunistischen Milieu verbreitete sich die Erzählung, die Polizei habe sie gefesselt und dann angezündet.14 Aus diesen heute nicht mehr zu klärenden Ereignissen konnte eine Legende geformt werden. Die Überreste von Władysława Bytomska wurden nach dem Krieg exhumiert, und 1949 erneut in der „Allee der verdienten Persönlichkeiten“ (Aleje Zasłużonych) des Zentralfriedhofs Doły bestattet, die Grabinschrift lautete „Die Spinnerin und Kämpferin der KPP kam […] durch die Hände der Henker der Sanacja im Kampf um den Sozialismus um. Ehre ihrem Andenken“ und war mit „Die Arbeiter von Lodz“ unterzeichnet. In einem monumentalen plastischen Relief auf dem Grabmal wurde Bytomska mit gereckter Faust als Kämpferin dargestellt.15 In Bałuty erhielt die Straße, in der sie gelebt hatte (ul. Dworska, heute ul. Organizacji WiN), ihren Namen, eine Fabrik und eine seit 1958 neu errichtete Arbeitersiedlung in Bałuty wurden nach ihr benannt. Die Presse inszenierte sie zudem als „Heldin der Arbeit“ – so wurde ihr der Ausspruch „Ich liebe meine Spinnmaschine“16 zugeschrieben. Eine parallele männliche Heldenfigur wurde aus Szymon Harnam (Szaja Charnam) kreiert: Harnam, jüdischer Herkunft und Arbeiter in einer Lodzer Strumpffabrik, war ein Mitglied der kommunistischen Partei, verteilte Presse und Flugblätter und trat als Agitationsredner auf den Lodzer Straßen und vor Fabriken auf. Eine solche Kundgebung 13 14 15 16

Piotr Lipiński, Michał Matyś, Podwójne życie Włady Bytomskiej, in: Piotr Lipiński, Michał Matyś, Absurdy PRL-u. Warszawa 2014, S. 95–113. Ebd., S. 105. „Przątka bojowniczka Komunistycznej Partii Polskiej zginęla […] z rąk oprawców sanacyjnych w walce o socjalizm. Część jej pamięci. Robotnicy Łodzi“. „Kocham swoją maszynę!“ Lipiński/Matyś, S. 102.

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wurde am 24. Oktober 1929 von der Polizei aufgelöst, Harnam nach einer Rangelei mit der Polizei vor der Biedermann-Fabrik (ul. Smugowa) erschossen.17 Die Genossen Liza Namiot und Izaak Traube widmeten dem jung umgekommenen Freund ein Kampfgedicht: „Die Faust ballt sich, es steigt hoch die Wut. / Wieder wurde vergossen Arbeiterblut. / Der Genosse Harnam starb uns auf der Wacht / Er fiel von einer faschistischen Kugel / unerschrocken / ein roter Soldat.“18 Nach 1945 wurde Harnam zu einem kommunistischen Kämpfer und Opfer von Polizeigewalt stilisiert. Der Polizist Edmund Wasiak, der ihn erschossen hatte, wurde 1953 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Harnams Überreste bettete man vom Jüdischen Friedhof ebenfalls in die Heldenallee des Friedhofs um, sein Grabmal trug die Aufschrift „Arbeitervolk, schau und erinnere Dich“. Er wurde ebenfalls Patron einer Straße (heute ul. Hermana Konstadta) und 1964 erschien von Wiktor Lemiesz, einem Publizisten mit KPP-Vergangenheit, ein „dokumentarischer Roman“ über Harnams Tätigkeit und frühen Tod.19 Vor allem aber wurden 1948 die ehemaligen Biedermann-Betriebe nach ihm als „Baumwollfabriken Szymon Harnam Rena-Kord“ (Zakłady Przemysłu Bawełnianego im. Sz. Harnama „Rena-Kord“) benannt. Die Arbeiterinnen arbeiteten „bei Harnam“, der Name war in der Stadt bekannt, eine international bekannte Lodzer Volkstanzgruppe trägt bis in die Gegenwart seinen Namen.20 In dieser Kreation gab es jedoch ein Problem: Die jüdische Herkunft ihres Helden wurde übergangen, aus – dem für Proletarier wohl „zu jüdisch“ klingenden „Szaja Charnam“ wurde „Szymon Harnam“, zudem die im Judentum dauerhaft geltende Totenruhe gebrochen. In den Publikationen zu Harnam wurde seine jüdische Herkunft durchweg verschwiegen. Warum gerade Bytomska und Harnam? Beide Biographien weisen eine Gemeinsamkeit auf, sie wurden angeblich von dem repressiven Sanacja-Regime der Zwischenkriegszeit unterdrückt und ermordet. Zahlreiche andere Genossen kamen in den Repressionen im Stalinismus um oder verschwanden in Lagern, eine breite Erinnerung an diese KPP-Mitglieder war aber bis 1989 unerwünscht. Bytomska und Harnam betraf dies nicht, sie starben jung und konnten deshalb als Vorbilder für die Generation junger Lodzer Aktivistinnen und Aktivisten gelten, die die Partei seit den späten 1940er Jahren ansprechen wollte. 17 18

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Jerzy Bednarek, „Nieustraszony żołnierz czerwony“. Przypadek Szymona Harnama, in: https:// przystanekhistoria.pl/pa2/teksty/65640,Nieustraszony-zolnierz-czerwony-Przypadek-SzymonaHarnama.html. „Pięść się zaciska, gromadzi się gniew. / Znów się polała robotnicza krew. / Towarzysz Harnam na straży zmarł nam. / Od faszystowskiej kuli padł / nieustraszony / żołnierz czerwony.“ Bednarek, „Nieustraszony żołnierz czerwony“. Die Aktivistin und Krankenschwester Liza Namiot kämpfte später in den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, heirate dort Hein Hollender, emigierte nach Mexiko und lebte nach 1947 in Deutschland. Wiktor Lemiesz, Strzał przed fabryką Biedermanna. Opowieść dokumentarna. Łódź 1964. Zur Geschichte der Betriebe: https://www.fabrykiprl.pl/fabryki/rena-kord/.

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Solche heldenhaften Vorbilder suchte man auch für den Widerstand gegen die deutsche Okkupation in Lodz, der zweitgrößten polnischen Stadt fehlte es – etwa im Vergleich mit Warschau als Stadt der Gettokämpfer und des Warschauer Aufstands – nach 1945 an aussagekräftigen Heldenfiguren und Widerstandstaten. Dies galt insbesondere für den kommunistischen Widerstand, die kommunistische Partei war schließlich erst im Januar 1942 wiederbegründet worden, aber was hatte sie bis 1945 im deutsch besetzten Lodz zum Widerstand beigetragen? In diesem Kontext entstand eine Erzählung über eine heldenhafte Jugendgruppe, die Lodzer „Strahlenden“ (Promieniści), die an ältere nationalromantische Erzählungen über jugendlichen Widerstand im polnischen Wilna nach 1820 anknüpfen konnte und gleichzeitig attraktive Vorbilder eines Kampfes der jungen Generation schuf. Nach der kanonisierten Erzählung21 stammte die Gruppe aus dem Lodzer Arbeitermilieu und hatte sich nach Kontakten mit dem kommunistischen Untergrund 1941/42 organisiert. Ihre jugendlichen Helden seien vollwertige Mitglieder der PPR geworden, hätten im Auftrage der Partei eine Partisanenabteilung gebildet, ja der deutschen Gendarmerie sogar eine Schlacht geliefert (Schlacht bei Głowno, 12. Mai 1943). Die Überlebenden hätten weiter gegen die deutsche Übermacht gekämpft, zahlreiche Mitglieder seien in deutschen Gefängnissen und Lagern umgekommen. Zwei Mitglieder der Gruppe, Stanisław Gajek und Mieczysław Wołos, hätten den Krieg überlebt und sich ab 1945 dem Aufbau eines neuen Polens angeschlossen.22 Nach den Forschungen von Andrzej Czyżewski enthält „die Erzählung über die ‚Promieniści‘ alle, aus der Perspektive eines Gründungsmythos der neuen Macht unentbehrlichen Elemente, das heißt die Jugend der Helden, ihr politischer Reifeprozess unter den Fittichen der Partei, schließlich ihr Tod im direkten Kampf mit dem Besatzer oder den Aufenthalt im Konzentrationslager und natürlich den Einsatz in der Parteiarbeit der Nachkriegszeit.“23 Der Kern der Erzählung wurde bereits 1947 von Gajek entwickelt und erschien in der ersten Publikation „Lodz kämpft um seine Freiheit“ im Jahre 1947 zusammen mit den Aufzeichnungen führender kommunistischer Akteure wie Ignacy Loga-Sowiński, Mieczysław Moczar und Tadeusz Głąbski.24 In der Einleitung hieß es: „Die Polnische Arbeiterpartei war auf dem Gebiet von Lodz die einzige Organisation, die bis zum Ende auf dem Posten aushielt. Allein die Polnische Arbeiterpartei zeigte dem 21 22 23

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Die Darstellung folgt der Dissertation von Andrzej Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź. Lokalne wymiary polityki pamięci historycznej w PRL. Warszawa 2021, die demnächst erscheint. Ich danke dem Autor für die Bereitstellung des gesetzten Textes der Arbeit. Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 94–102. „opowieść na temat „Promienistych“ zawierała wszystkie niezbędne z punktu widzenia mitu założycielskiego nowej władzy elementy – tj. młody wiek bohaterów, ich polityczne dojrzewanie pod skrzydłami partii, następnie śmierć w bezpośredniej walce z okupantem, względnie pobyt w obozie koncentracyjnym oraz rzecz jasna zaangażowanie w powojenną pracę partyjną“. Ebd., S. 95. Ebd., S. 95–96; Erstpublikation: Opowiada tow. „Leszek“ – Stanisław Gajek, in: Łódź w walce o wolność, red. I. Orłowska, Łódź 1947, S. 97–108.

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Volk konsequent den Weg in den Kampf, den schwierigen Weg in eine bessere Zukunft.“25 Am  19. September  1947 erfolgte nach einer Exhumierung von Opfern eine öffentliche und feierliche Beisetzung, der eine vom Militär umrahmte Abendveranstaltung im Kino Polonia, dem ersten Kino am Ort (Piotrkowska 67) vorangegangen war. An dem Trauermarsch, der zugleich alle Merkmale einer öffentlichen Demonstration trug, nahmen nach offiziellen Angaben über 50.000 Menschen teil.26 Danach verschwand das Thema zunächst – der Spätstalinismus hatte wenig Interesse an jugendlichen Helden, im Vordergrund stand die kanonisierte und ritualisierte Erinnerung an den großen Führer Stalin. Dies änderte sich schrittweise nach 1956, mit wachsendem Abstand zum Krieg gewann die Erzählung über die jugendlichen Helden an Interesse und wurde gezielt zur Aktivierung der Jugend eingesetzt. 1960 erschienen die Erinnerungen Gajeks nun als Buch, begleitet von einer belletristischen Fassung der Ereignisse unter dem Titel „Die Jungs aus der Stadt Lodz“.27 Die Erzählung wurde immer weiter in Pfadfinder- und Jugendkreisen popularisiert, die dritte Auflage der immer stärker erweiterten Erzählung Gajeks aus dem Jahre 1972 erschien schließlich in Höhe von 150.000 (+ Zudruck 20.000) Exemplaren und wurde breit zur Lektüre in Schulen und Jugendverbänden empfohlen.28 Parallel entstand im Lodzer Stadtbild auch eine räumliche Erinnerung an die jugendlichen Helden. Auf dem historischen Gettogelände begründete man 1961–1964 einen Park, der nach ihnen benannt wurde (Park im. Promienistych, heute Park im. Szarych Szeregów). Die feierliche Eröffnung im Mai 1963 war mit der Enthüllung eines Obelisks verbunden, der die Geschichte der Widerstandsgruppe ins Gedächtnis rief. Die Parkanlage bildete zusammen mit der in unmittelbarer Nähe gelegenen Bytomska-Siedlung ein Ensemble, das den leeren Raum auf dem ehemaligen Gettogelände okkupierte und vor Ort eine Erzählung an jugendliche revolutionäre Helden transportierte. Schulen wurden nach den Helden benannt, Pfadfinderverbände zogen von dort aus regelmäßig auf einer Route entlang der Erinnerungsorte der Helden („Szlak Promienistych“).29 Lodz wurde so in der kommunistischen Erinnerung zum Zentrum eines spezifischen Jugendwiderstands: Neben die Erinnerung an verschiedene Formen von Sabotage trat der Widerstand jugendlicher revolutionärer Helden aus der Arbeiterkultur, der Widerstand der „Menschen der Arbeit“ („ludzi pracy“).30 Damit fand man einen Anschluss 25 26 27 28 29 30

„Polska Partia Robotnicza była na terenie Łodzi jedyną organizacją, która wytrwała do końca na posterunku. Jedynie PPR wskazywała konsekwentnie narodowi drogę walki, trudną drogę do lepszej przyszłości.“ Vorwort, Łódź w walce, zit. nach Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 97. Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 118–121. Stanisław Gajek, Promieniści. Warszawa 1960; Monika Warneńska, Chłopcy z miasta Łodzi. Warszawa 1960 (drei Auflagen). Stanisław Gajek, Młodzi z Garnizonu Łódź (Promieniści), Warszawa ²1964; ders., Młodzi z Garnizonu Łódź (Promieniści). Warszawa 1972 (150.000 Auflage + 20.000 Zudruck); Zahlen nach Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 111. Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 123–129. Ebd., S. 108–109.

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an ältere Mythen der Lodzer Stadtgeschichte. Zugleich wurde damit eine empfindliche Lücke in der Stadterzählung geschlossen: Die Bewohner des „roten Lodz“ hatten gegen die Deutschen eine spezifische Form von Widerstand entwickelt, ihre jugendlichen Helden konnten als Vorbilder für die nächsten Generationen revolutionärer Jugendlicher gelten. In der polnischen Populärkultur besaßen Lieder eine mobilisierende Bedeutung – man denke etwa an das 1944 entstandene Soldatenlied „Roter Mohn am Monte Cassino“, das die heldenhafte Eroberung der Klosteranlage durch Einheiten der polnischen Exilarmee beschwor. Auch Lodzer Arbeiterlieder besaßen eine Tradition, bereits im 1920 herausgegebenen Liedbuch der Polnischen Sozialistischen Partei fand sich die „Lodzianka“ (1909), die die Ereignisse des Januar 1905 in einem kämpferischen Appell an die Arbeiter umsetzte. Das in seinem blutigen Pathos heute schwer erträgliche Lied setzt mit „Kühn erheben wir die blutigen Fahnen“ ein und ruft im Refrain zu Rache und Befreiung auf: „Vorwärts, Lodz, mit der blutigen Flut / Zerreißen wir die Fesseln der geknebelten Massen / Stehen wir zum Kampf, Alte und Junge / Es ist Zeit unsere gefallenen Brüder zu rächen, höchste Zeit!“31 An der Lodzer Staatlichen Musikhochschule (gegr. 1945) entstanden 1949 unter der Leitung von Tadeusz Paciorkiewicz drei mehrstimmige a cappella-Kompositionen der „Łodzianka“, die von gemischten Chören dargeboten wurden. In der Abteilung für Parteigeschichte (Wydział Historii Partii) des Zentralkomitees der polnischen Arbeiterpartei bemühte man sich zudem, neben Neubearbeitungen der Geschichte der kommunistischen Bewegung32 auch eine Sammlung polnischer revolutionärer Lieder herauszugeben. Darunter befand sich auch das Lied „Das rote Lodz“, dass nach Auskunft der Herausgeberin und Parteisekretärin Felicja Kalicka während eines Streiks der Textilarbeiter 1932 entstanden und während der Arbeiterdemonstrationen des Jahres nach einer sowjetischen Melodie gesungen worden sei. In der Eröffnungsstrophe heißt es in einem Appell an den Proletarierstolz: „Sie wollen uns, sie wollen uns auf die Knie werfen / Sie wollen, dass wir um die Gnade des Herrn flehen, / Sie wollen uns, sie wollen uns in Ketten legen / das wird nicht gelingen, das rote Lodz tritt nicht unter die Knute.“33 Auch in ideologisch weniger eindeutigem Liedgut fanden sich in der Volksrepublik Polen wiederholt Zitate und Anspielungen an das „rote Lodz“. In dem bis heute populären 31 32 33

„Śmiało podnieśmy krwawe sztandary […] Naprzód, o Łodzi, w krwawej powodzi, / Zerwijmy pęta z gnębionych mas / Stańmy do walki, starzy i młodzi; /Czas pomścić braci poległych, czas!“ Ṥpiewnik robotniczy PPS. Toruń 1920, Łodzianka S. 30. Tadeusz Rutkowski, Tworzenie zrębów mitu. Działalność Wydziału Historii Partii Komitetu Centralnego Polskiej Partii Robotniczej na polu propagandy dziejów ruchu robotniczego, in: Mariusz Krzysztofiński (Hg.), Polska Partia Robotnicza 1944–1948. Studia i szkice. Rzeszów 2014, S. 262–273. „Chcą nas, chcą nas rzucić na kolana, / Chcą, byśmy błagali łaski pana, / Chcą nas, chcą nas kajdanami skuć. / Nie pójdzie, nie pójdzie pod knut Czerwona Łódź.“ Felicja Kalicka, Polskie pieśni rewolucyjne z lat 1918–1939. Warszawa 1950, S. 90–91; vgl. auch die Erinnerungen der Herausgeberin Felicja Kalicka, Dwa czterdziestolecia mojego życia: wspomnienia 1904–1984. Warszawa 1989.

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Pfadfinder-Lied „Ein Lodzer Walzerchen“ (Walczyk o Łodzi, 1959) heißt es in der zweiten Strophe „Stadt der Fabriken und Tuwims / und der revolutionären Stürme / wenn Dich das rote Lodz festhält / lässt es Dich nicht mehr los!“34 Modellstadt: Aktivisten und Heldinnen der Arbeit Ein zentrales Motiv in der Beschreibung der Stadt stellte das Motiv der besonders intensiven Arbeit der Bevölkerung dar – in der deutsch- und polnischspachigen Tradition wurde Lodz vielfach als „Stadt der Arbeit“ beschrieben. Auch das „rote Lodz“ übernahm diese Konzepte, schließlich verstand sich die Volksrepublik Polen als Staat der Werktätigen, nach 1945 forderte man von den Arbeitern Spitzenleistungen. Im Rahmen eines Dreijahresplanes suchte man ab 1947 diese Leistungen durch den Einsatz von Stoßarbeiterinnen und Stoßarbeitern nach dem Modell der sowjetischen StachanovBewegung durchzusetzen. Am 15. Oktober 1947 hieß es in der Polnischen Filmchronik: „Mehr, schneller, besser. Unter dieser Losung traten die Weber zu einem gemeinsamen Wettkampf mit den Bergleuten an. In den Staatlichen Baumwollbetrieben Nr. 1 in Lodz läuft die Arbeit auf Hochtouren. Die Weberin Korzeniowska fordert nach dem Vorbild des Bergmanns Pstrowski die Weber zu einem Wettbewerb auf. Die PDSPD-Weberei Nr. 5: Gute Ergebnisse erreichen hier Zofia Palisiek und Maria Sieran.“35 Aus Erinnerungen von Textilarbeitern ist bekannt, dass die „Leistungen“ in den Betrieben auf Kreidetafeln festgehalten wurden.36 Die Polnische Filmchronik wurde in den Kinos seit 1945 vor den eigentlichen Filmen gezeigt, sie erreichte deshalb ein Massenpublikum und kann als zentrales Propagandamedium gelten. Mittels dieses Mediums suchte man auch die Textilarbeiterinnen und – arbeiter zu aktivieren, gezeigt wurden in den Chroniken in der Regel junge Arbeiterinnen, die Spitzenleistungen erbrachten und die Akkordnormen deutlich übertrafen. Hier ein Beispiel vom 09. März 1949: „Janina Leśniewska ist Weberin […]. Früher arbeitete sie an acht Webstühlen, heute bedient sie zweiunddreißig!“37 Im Film wurde eine junge Frau gezeigt, die ganz in ihre Arbeit vertieft arbeitete. In den Textilbetrieben führte dieser „Wettbewerb“ dazu, dass an gut sichtbaren Tafeln die wöchentlichen Arbeitsleistungen 34 35

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„Miasto fabryk i Tuwima i rewolucyjnych burz, gdy cię Łódź czerwona trzyma to nie puści już!“ http:// www.zwiedzajlodz.pl/walczyk-o-lodzi/. „Więcej, prędzej, lepiej. Pod tym hasłem przystąpili włókniarze do współzawodnictwa z górnikami. W Państwowych Zakładach Przemysłu Bawełnianego numer 1 w Łodzi wre praca. Tkaczka Korzeniowska za przykładem górnika Pstrowskiego wezwała włókniarzy do współzawodnictwa. Tkalnia PDSPD numer 5: dobre wyniki osiągają tu Zofia Palisiek i Maria Sieran.“ Wyścig pracy włókniarzy, http://www. repozytorium.fn.org.pl/?q=en/node/6491; Madejska, Aleja włókniarek, S. 171. Kroll, Tak było, S. 95. „Janina Leśniewska jest tkaczką […]. Niedawno jeszcze pracowała na ośmiu krosnach, dziś obsługuje trzydzieści dwa!“ 32 krosna Janiny Leśniewskiej, http://www.repozytorium.fn.org.pl/?q=pl/node/4994.

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verzeichnet wurden, weniger leistungsfähige Arbeiter hatten das Nachsehen, Ausfälle durch die schlechte Qualität der Baumwolle, fehlende Rohprodukte, veraltete und defekte Maschinen fielen unter den Tisch oder wurden fehlenden individuellen Leistungen oder gar Sabotage zugeordnet. Die bekannteste Arbeiteraktivistin wohl ganz Polens war die Weberin Wanda Gościmińska, die bereits in den 1930er Jahren und im Krieg bei den Horak-Werken in Ruda Pabianicka gearbeitet hatte. Die Horak-Werke, nach 1945 die „Staatlichen Baumwollwerke der Volksarmee“ verfügten seit den 1930er Jahren über einen relativ modernen Maschinenpark, die Betriebe eigneten sich deshalb – anders als die Scheibler-Grohmanoder die Poznański-Werke – gut für Produktivitätskampagnen. Um die dortigen Textilarbeiterinnen wurde 1947–1949 eine Kampagne zu Leistungs- und Produktivitätssteigerungen entwickelt, die in mehrere angebliche Rekordleistungen und die Publikation „Mein großer Tag“ mündete, in dem die idealtypische Biographie einer proletarischen Lodzer Textilarbeiterin vorgestellt wurde.38 Die Publikation erschien bereits 1951 auch in der DDR in der „Bibliothek der Aktivisten“.39 Dargestellt wird in der Broschüre aus der Ich-Perspektive der Aktivistin zunächst die Jugend Wandas in einer armen Arbeiterfamilie, die im Schatten des „unheilvollen Palasts“ der Fabrikantenfamilie Horak mit „Brot und Holzschuhen“ aufwächst. Geschildert werden die drückenden Umstände der Fabrikarbeit, aus der sich die Aktivistin Wanda befreit, indem sie mit anderen Genossen die Fabrik übernimmt: „Endlich, nach all den schrecklichen Jahren kam der Tag, von dem alle geträumt hatten. Wir bauten ein Polen der Arbeiter.“40 Über die Etappen „Die Ärmel aufkrempeln!“, „Stillstände müssen beseitigt werden“, „Arbeitswettbewerb“,, „Zusammen ist es doch leichter!“ und „Selbst lernen und andere unterrichten!“ wird die Saga der Aktivistin erzählt, die im Juli 1949 mit dem „Orden für die Erbauer Volkspolens“ ausgezeichnet wurde, das Lodzer Technikum absolvierte und 1952–1956 als – allerdings in keiner Form auffällige – proletarische Sejmabgeordnete fungierte.41 Durch die Propagandakampagne um den Arbeitswettbewerb wurden die Akkordnormen in der Textilindustrie um 30–50% erhöht, zugleich lagen die Verdienste in der Branche jedoch um ein Drittel bis über 40% unter denen anderer Branchen, etwa des Bergbaus in Polen. Hier entstand eine sozialistische „Leichtlohnbranche“, in der vor allem

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Wanda Gościmińska, Mój wielki dzień. Warszawa 1951 (Biblioteka przodoników pracy, 16). Wanda Gościmińska, Mein großer Tag. Berlin 1951 (Bibliothek der Aktivisten, 11). „Nareszcie, po tylu strasznych latach nadszedł dzień, o którym wszyscy marzyli. Budowaliśmy naszą robotniczą Polskę.“ Gościmińska, Mój wielki dzień. Darstellung bei Madejska, Aleja włókniarek, S.  176–183; 1976 entstand über Gościmińska der Dokumentarfilm „Wanda Gościmińska: Weberin“ (W.G. Włókniarka) von Wojciech Wiszniewski, vgl. Elżbieta Ostrowska, Vanishing women. Łódź women textile workers in Polish documentary cinema, in: Studies in Documentary Film, 11/2, S. 121–140.

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Frauen ausgebeutet wurden.42 Insgesamt widersprach die Kampagne um die Aktivisten den entwickelten Grundsätzen einer Arbeitersolidarität, die bereits im 19. Jahrhundert in den Fabriken geübt wurden: die stärkeren, geschickteren Arbeiter schützten so die Schwächeren. Nichtsdestotrotz: Parallel wurde 1949 in einer Erklärung des Politbüros der PZPR der Erhalt des proletarischen Charakters von Lodz festgeschrieben.43 Sozialistisches Bildungszentrum? Die Universität Lodz Lodz hatte zwischen 1920 und 1939 viele Jahre um eine Universität gekämpft, ohne Erfolg. Die Stadt galt in der Zweiten Polnischen Republik als zu „proletarisch“, eine Universität könne dort nicht eingerichtet werden (vgl. S. 87). Hier bot die Kulturrevolution nach 1945 eine einzigartige Chance: Für die neuen Machthaber erschien Lodz gerade wegen seines proletarischen Charakters als idealer Standort für das neu aufzubauende, revolutionärmoderne Bildungssystem, aus dem „neue Menschen“ hervorgehen sollten. Bereits seit Februar 1945 gab es Pläne und am 24. Mai 1945 wurden in Lodz – der Krieg war noch keinen Monat beendet – durch Staatsdekret zwei Universitäten errichtet, eine geistes- und staatswissenschaftliche Universität und die Technische Universität. Beide Unversitäten gehörten damit in ganz Europa zu den ersten Universitätsneugründungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Universität zählte bereits im Studienjahr 1946/47 über 1.200 Mitarbeiter, 132 Lehrstühle und über 7.000 Studierende und war damit in den späten 1940er Jahren nach der traditionsreichen Jagiellonenuniversität in Krakau die zweitgrößte polnische Universität.44 Möglich war diese rasche Inbetriebnahme aus dem Nichts nur durch mehrere Umstände: Das Personal kam zu einem erheblichen Teil aus den Warschauer Hochschulen, deren Gebäude im Krieg zerstört worden waren und die 1945 nicht so rasch wieder den Betrieb aufnehmen konnten. Weitere Lehrende kamen aus der bis 1939 in Lodz tätigen „Freien Hochschule“ (vgl. S. 88), aus aufgegebenen polnischen Hochschulen (Wilna, Lemberg), aus der Berufspraxis oder wurden aus der Pensionierung zurückgeholt. Viele Hochschullehrer hatten den Krieg in Verstecken und Lagern oder auf dem Land überlebt, viele kamen mit drückenden Erlebnissen und Traumata nach Lodz. Krystyna Śreniowska und ihr Ehemann Stanisław Śreniowski hatten den Krieg unter falscher Identität in Krakau und Warschau überlebt und im Untergrund unterrichtet, Śreniowski stammte aus einer jüdischen Familie. Beide kamen als Hochschulmitarbeiter 1945 nach Lodz. In ihren Erinnerungen beschreibt Śreniowska ihre psychische Situation: „In den 40er Jahren war der psychische Zustand von mir und Stanisław ziemlich angegriffen. Wir 42 43 44

Lesiakowski, Strajki, S. 178–179, weiter 180–187 zu den schlechten Arbeitsbedingungen. https://plus.dzienniklodzki.pl/czy-lodz-zasluzyla-na-to-zeby-przez-lata-mowic-o-niej-czerwona/ ar/11805019. Baranowski, Pierwsze lata Uniwersytetu Łódzkiego, S. 79.

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reagierten nicht immer ruhig, uns fehlte die Ausgeglichenheit. […] Über den schlimmen psychischen Zustand zeugten meine Alpträume. Ich floh in ihnen durch brennende Häuser, über irgendwelche Dachböden und Dächer, es verfolgten mich Deutsche in Uniform. […] Etwas später, als die Kinder auf die Welt kamen, achteten wir genau darauf, ihnen nicht die Last unseres Erbes aufzubürden. Zum Beispiel vermieden wir es, da wir in der Nähe des Gefängnisses in Radogoszcz wohnten, in diese Richtung mit den kleinen Kindern zu gehen, damit keine Fragen aufkamen, warum Draht, warum das verbrannte Haus […]. Ganz einfach, wer das nicht durchlebte, kann das nicht verstehen.“45 Unter den Hochschullehrern fanden sich relativ viele Persönlichkeiten, denen eine eher „fortschrittliche Einstellung“ zugeschrieben wurde. Dies hing mit der Berufungspolitik unter den ersten beiden Rektoren zusammen, dem Philosophen Tadeusz Kotarbiński, der sich wiederholt gegen Nationalismus und Antisemitismus ausgesprochen hatte, sowie dem Soziologen Józef Chałasiński, der sich mit gesellschaftlicher Modernisierung auf dem polnischen Dorf beschäftigt hatte. Beide Gelehrte standen – eine Seltenheit unter polnischen Akademikern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – dem Sozialismus nahe und förderten die Berufung eher fortschrittlicher Hochschullehrer. Auch die verbliebenen ehemaligen Lehrenden der „Freien Hochschule“ tendierten in diese Richtung. Dieser Umstand und die systematische Verfolgung der männlichen Akademiker im Zweiten Weltkrieg führten zu einer für die Zeit ungewöhnlichen sozialen Struktur der Hochschullehrer: Insgesamt befanden sich unter den frühen Professoren ca. 15% Frauen,46 nicht wenige Lehrende und Studierende stammten aus jüdischen Familien und waren 1945/46 nach Lodz gekommen. Unter den neu zugezogenen Hochschullehrern gab es 1945 deutliche Vorbehalte gegenüber alteingesessenen Lodzern. Krystyna Śreniowska beschrieb dies am Beispiel der Kontakte zu Roman Kaczmarek, der den Krieg als polnischer Mitarbeiter des deutschen Stadtarchivs Litzmannstadt überlebt hatte und dem sozialistischen Autodidakten Eugeniusz Ajnenkiel. „Mein Verhältnis zu ihnen war unfair. Ich interessierte mich überhaupt nicht für ihre Erlebnisse in der Besatzungszeit. Ich verstand überhaupt nicht die Tragödie der Jugendlichen, die zwangsweise ins Reich deportiert wurden. Ich wusste gar nicht, dass sie aus der Innenstadt vertrieben worden waren, zusammengepfercht in einem begrenzten Raum. Ich interessierte mich überhaupt nicht für ihre damalige materielle Situation (Lebensmittelkarten), für ihre Verdienstmöglichkeiten usw. Ich hatte einfach keinen Begriff davon, was die Leute hier 45

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„W latach 40. stan psychiki mojej i mego Staszka był nieco nadszarpnięty. Nie zawsze reagowaliśmy spokojnie, brakowało nam równowagi. […] O złym stanie psychicznym świadczyły np. moje koszmarne sny. Uciekałam w nich przez płonące domy, po jakichś strychach, dachach, gonili mnie Niemcy w mundurach. […] Nieco później, gdy przyszły na świat dzieci – strzegliśmy pilnie, by nie przekazywać im ciężaru dziedzictwa. Na przykład gdy mieszkaliśmy niedaleko więzienia w Radogoszczy, unikaliśmy chodzenia w tamtą stronę z małymi dziećmi, by nie padły pytania, czemu druty, czemu spalony dom […]. Po prostu, kto nie przeżył – ten nie zrozumie.“ Krystyna Śreniowska, Moje życie. Hg. v. Jolanta Kolbuszewska u. Rafał Stobiecki. Łódź 2018, S. 132. Zysiak, Punkty, Aufstellung S. 56 (7 von 46 Personen).

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durchgemacht hatten. Die Ruinen des Gettos schreckten durch ihre Leere, jenseits des pl. Wolności wehte der Schrecken aus den Straßen. Dieser Schrecken gelangte in mein Bewusstsein. Das Schicksal der sog. Lodzer Arier interessierte mich wenig.“47 Śreniowska führte weiter aus, dass sie nach dem Krieg diese Lodzer für akademische Karrieren als nicht geeignet angesehen hätte. Sie hätten – wie Kaczmarek oder Ajnenkiel – eher nur praktisches Wissen gehabt, eine Lodzer Intelligenz habe es nach ihrem damaligen Dafürhalten nicht gegeben: „Ich war unglaublich ungerecht in meinen Einschätzungen u.a. aus dem Grunde, dass ich einfach keine Bemühungen unternahm, um irgendetwas über die Geschichte dieser Stadt zu erfahren. […] Ich sah die Stadt als ‚schlechter‘ als die mir bekannten großen polnischen Städte an. So viel Hochmut war in mir im Bezug auf Lodz, in dem ich doch mein ganzes Erwachsenenleben verbracht habe und für das ich meine Kräfte hingab. Aber ich habe es nie akzeptiert, bis heute [ca. 2000, H.-J.B.] bin ich eine Emigrantin aus Lemberg geblieben.“48 Solch ein offenes Bekenntnis zu Fehleinschätzungen findet man selten, es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Mehrzahl der Hochschullehrer, für die Lodz 1945–1949 zur Durchgangsstation wurde, im Kern ähnlich dachten.49 Die Studentinnen und Studenten hatten vielfach bereits vor 1939 oder im Krieg an Untergrundschulen gelernt und dort ihr Abitur erworben. Sie kamen in der Regel aus der polnischen Intelligenz und dem Bürgertum – kaum andere junge Menschen konnte 1945 eine Hochschulzugangsberechtigung nachweisen. Der erste Vorsitzende der nach dem Muster der Zwischenkriegszeit gegründeten Studentischen Hilfsgemeinschaft (poln. Bratnia Pomoc) an der Universität war Kazimierz Kąkol, Absolvent eines Warschauer Gymnasiums und Kämpfer im Warschauer Aufstand. Kąkol traf in Lodz auf Zbigniew Moczar und wurde einer seiner treuesten Anhänger. In dem Maße, in dem sich das neue polnische Hochschulsystem allerdings auch jungen Menschen aus Arbeiter- und Bauernfamilien öffnete, die in Abend- und Brückenkursen die Hochschulzugangsberechtigung erwarben, änderte sich die Zusammensetzung der Studierendenschaft. Die neue Universität konnte nur auf der Basis der öffentlichen Gebäude und Wohnbestände der Industriestadt aufgebaut werden. Für die Universität wurden Schulgebäude 47

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„Mój stosunek do nich był krzywdzący. Wcale nie interesowałam się ich przeżyciami okupacyjnymi. Wcale nie rozumiałam tragedii młodieży wywożonej przymusowo do Rzeszy. Wcale nie wiedziałam, że ich wypędzono ze śródmieścia, zepchnięto na jakiś określony obszar. Wcale nie interesowałam się ich sytuacją materialną (kartki żywnościowe), możliwością zarobkową etc. Po prostu nie miałam pojęcia o tym, co tu ludzie przeszli. Ruiny getta straszyły pustką, poza placem Wolności groza wiała z tamtych ulic. Ta groza docierała do mojej świadomości. Los tzw. Aryjczyków-łodzian mało mnie interesował.“ Śreniowska, Moje życie, S. 152–153. „Byłam ogromnie niesprawiedliwa w moich ocenach m.in. z tego powodu, że po prostu nie czyniłam wysiłków, by się czegokolwiek dowiedzieć o dziejach tego miasta. […] Uważałam je (tj. owe miasto) za ‚gorsze‘ od znanych mi dużych miast polskich. Tyle pychy było we mnie w stosunku do Łodzi, w ktorej przecież spędziłam całe dorosłe życie i temu miastu oddałam swoje siły. Właściwie nigdy go nie zaakceptowałam, do dziś pozostałam emigrantem ze Lwowa.“ Śreniowska, Moje życie, S. 153–154. Vgl. den Sammelband „Tranzytem przez Łódź“.

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(ul. Narutowicza 59a, 68, Piramowicza 6), Gebäude der Jüdischen Gemeinde (Gdańska 75 bis 1939 Jüdisches Bad, Pomorska  18), Hotels (ul. Jaracza  34, Próchnika  7, teilweise das Grand Piotrkowska  72), Fabriken, die im Krieg als Durchgangslager für polnische Deportierte gedient hatten (Kopernika 55) und später – nachdem sie von der sowjetischen Militäradministration oder polnischen Regierungsbehörden geräumt worden waren – auch die Wohnpaläste der Fabrikanten genutzt. Ohne jede Frage war vieles improvisiert, der Unterricht erfolgte teilweise in Kinosälen, es fehlten Lehrmittel und eine Universitätsbibliothek, die erst allmählich aus privaten Sammlungen, beschlagnahmten ehemals deutschen Beständen und der anlaufenden polnischen Buchproduktion aufgebaut wurde.50 Die hier skizzierte Entstehung der Universität Lodz ist nur eine Gründung unter mehreren. Neben der Technischen Universität entstanden eine Staatliche Hochschule für bildende Künste (Państwowa Wyższa Szkoła Sztuk Plastycznych), ein Staatliches Musikkonservatorium (Państwowa Wyższa Szkoła Muzyczna), 1946 eine Staatliche Theaterhochschule, 1948 eine Filmhochschule (vgl. S. 348) und schließlich 1949 aus einer Abspaltung der Universität eine Medizinische Hochschule. Sieben Hochschulen an einem Ort im Laufe von vier Jahren, in ganz Europa gab es wohl kein zweites, ähnlich imponierendes Beispiel für den forcierten Ausbau einer Hochschulbildung.51 Dadurch veränderte sich mittelfristig die Sozialstruktur der Lodzer Bevölkerung: Neben die Beschäftigten in den Fabriken, im öffentlichen Sektor und in den freien Berufen trat ein breiter Bildungssektor. In die Stadt kamen Tausende von Akademikern aus den Hochschulen und dauerhaft eine große Zahl an Studierenden, von denen viele auch nach dem Studium in der Stadt blieben. Lodz erhielt so eine Akademikerschicht, die die Stadtentwicklung mit einer gewissen Zeitverzögerung spätestens seit den 1970er Jahren mit prägte. Freilich folgte das Lodzer Hochschulmodell teilweise sowjetischen Vorbildern: Errichtet wurde nicht eine Volluniversität, sondern mehrere rechtlich unabhängige Fachhochschulen, die bei Bedarf einfacher zu maßregeln, auch umzustrukturieren waren. Was das hieß, erfuhr die Universität Lodz in den 1950er Jahren: Nachdem in Warschau eine Universität neu aufgebaut worden war, verschoben sich im Stalinismus die Pläne für das höhere Bildungswesen. Polen sollte nun nur eine zentrale (Warschau), drei mittlere (Krakau, Posen, Breslau) und weitere „kleine Universitäten“, darunter Lodz, erhalten. Ganze Studiengänge wurden geschlossen, die Zahl der Studierenden sank von 9.000

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Die UB Lodz erhielt 1945 bevorzugten Zugang zu den zentralen Buchlagern, in denen beschlagnahmte Sammlungen magaziniert waren. Aus diesen Beständen, die vielfach aus deutschen (oder postjüdischen) Privatbibliotheken sowie aus ausgelagerten deutschen Bibliotheken (darunter auch Preußische Staatsbibliothek Berlin) stammten, entwickelte sich die Lodzer Bibliothek, vgl. Cora Dietl (Hg.), Unbekannte Schätze / Nieznane skarby. Germanica des 16. Jahrhunderts in der Universitätsbibliothek Łódź / Germanika XVI-wieczne w zbiorach Biblioteki Uniwersytetu Łódzkiego. Łódź 2018. Waingertner, Czwarta stolica, S. 145–150.

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(1949) auf etwas über 1.500 (1955). Erst in den 1960er und vor allem 1970er Jahren stiegen die Studierendenzahlen wieder erheblich. Der neugegründeten Universität hing im polnischen akademischen Milieu lange Zeit der Ruf an, sie seien besonders links eingestellt, ein U-Boot der neuen kommunistischen Bildungspolitik.52 Wie „rot“ waren Lehrende und Studierende tatsächlich? Dieser Ruf stützte sich auf einige grundlegende Reformen, so ermöglichten Vorbereitungskurse in den späten 1940er Jahren, Studierende aus dem Arbeitermilieu auch ohne Abitur zum Studium zuzulassen. Diese Absolventen kamen zu einem erheblichen Teil, nach sicher überhöhten Zahlen in Lodz nach 1945 über 40%, aus Arbeiterfamilien.53 In den frühen 1950er Jahren sollten über 30% der Studierenden aus Arbeiterfamilien kommen.54 Selbst wenn man falsche Einstufungen abzieht, kam doch ein erheblicher Teil der Lodzer Studierenden aus bisher bildungsfernen Schichten aus Arbeiter- und Bauernfamilien. Unter den Hochschullehrern treten einige Persönlichkeiten besonders hervor, die eng mit dem Aufbau eines polnischen Marxismus verbunden waren. Nach Lodz kam im Jahre 1945 aus Moskau der Philosoph Adam Schaff, der in den späten 1940er Jahren einen orthodoxen Marxismus vertrat, er organisierte – eine Novität für Polen – Veranstaltungen zur Geschichte des Marxismus und besaß durch seine Verbindungen nach Moskau und in die Spitze der kommunistischen Partei erheblichen Einfluss auf die Wissenschaftspolitik. Rückblickend sprach er romantisierend von einer „Begeisterung wie bei den ersten christlichen Gemeinden“ für den Marxismus.55 In Lodz entstand für kurze Zeit der erste Lehrstuhl für „Geschichte der Verfassung und des sowjetischen Rechts“, geleitet von Stanisław Ehrlich. Mit der Universität Lodz eng verbunden ist die späte Karriere der Historikerin der Arbeiterbewegung Natalia Gąsiorowska sowie das internationale Renommee des Wirtschaftshistorikers Witold Kula sowie des Philosophen Leszek Kołakowski, alle drei in ihrer Lodzer Zeit kämpferische Marxisten.56 Die Universität, die mit ihr verbundenen Wissenschaftler und Zeitschriften (Kuźnica, Myśl Współczesna) bildeten in den späten 1940er Jahren kämpferische Vertreter eines mit dem Gestus des Neuen auftretenden Marxismus, der damals in Polen unter den Gebildeten noch eine Minderheitsposition darstellte. Man verband den Kommunismus mit dem Ethos eines Aufbaus eines neuen Lebens und einer neuen polnischen Gesellschaft und konnte damit Teile der Studierenden- und Dozentenschaft begeistern.

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John Connelly, Captive University: The Sovietization of East German, Czech, and Polish Higher Education, 1945–1956. University of North Carolina Press 2000. Hörer der Kurse in Lodz: 1946/47 41,4%, 1947/48 45,8%, 1947/49 45,9% der Teilnehmer aus Arbeiterfamilien, Statistik bei Zysiak, Punkte za pochodzenie, S. 176. 1945/46 21%, 1948/49 22%, 1951/52 36%, 1954/55 33%, Zahlen bei Zysiak, Punkte za pochodzenie, S. 175. „zapałem pierwszych gmin chrześcijańskich“ Adam Schaff, Łódzkie wspomnienia, in: Tranzytem przez Łódź, S. 35–42, hier 37. Rafał Stobiecki, Z dziejów pewnego projektu „Socjalistyczny Uniwersytet w robotniczej Łodzi“, in: Rocznik Łódzki 61 (2014), S. 153–164.

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Agata Zysiak resümierte das so: „Als Ergebnis begann man, die Universität Lodz eine ‚rote Universität‘ zu nennen. Viele verbreiteten den Marxismus als neue wissenschaftliche Methode aufrichtig und mit Eifer, man organisierte […] Schulungen in marxistischer Methodik für die Hilfsmitarbeiter. Auf den Weg gebracht wurde ein sog. Einführungsjahr, das den Zugang zum Studium jungen Mensch aus den unteren Schichten erleichterte. Gerade die jungen Soziologen und Polonisten errichten mit Engagement das Gebäude der neuen Wissenschaft. Es lohnt sich daran zu erinnern, dass am Ende der 1940er Jahre viele von ihnen voller Hoffnungen waren und ein authentisches, idealistisches Engagement entwickelten.“57 Allerdings versandete dieses Projekt immer stärker in den bürokratischen Mühlen des stalinistischen Staates. Ab 1949 riefen die neuen Leitungsgremien der Universität mit Rektor Chałasiński an der Spitze eine „sozialistische Universität in der Arbeiterstadt Lodz“ aus und versuchten sich so zu profilieren. Der Auftritt des Rektors vor Studierenden und Arbeiterdelegierten auf einem öffentlichen Platz im Herbst 1949, in dem das Bündnis zwischen Arbeitern und Studierenden beschworen wurde (vgl. S. 329), stand für diese Politik, die aber bei den Warschauer Regierenden und bei dem Parteiaktiv wie auch bei der Lodzer Arbeiterschaft aus mehreren Gründen auf geringe Resonanz stieß.58 Erstens wechselte ein großer Teil der führenden Marxisten – so alle oben Angeführten – 1948 oder 1949 an die nun wieder voll aufgebaute Universität Warschau und suchte von dort aus in engem Kontakt mit den zentralen Parteigremien die gesamte polnische Wissenschaft in marxistischem Sinne umzubauen. Warschau war von nun ab die Schaltstelle, wo die Durchsetzung des Marxismus zu erfolgen hatte, Lodz wurde wieder zu einem provinziellen Nebenschauplatz. Zweitens war es 1945–1949 keinesfalls gelungen, die erheblichen lebensweltlichen, habituellen und ökonomischen Grenzen zwischen universitären Intellektuellen und Arbeitern ins Schwanken zu bringen. Das mit der Universität verbundene Kulturprogramm – gerade das Kino- und Theaterprogramm – war vielfach für Arbeiterinnen und Arbeiter zu teuer, die Vortragstermine kollidierten mit dem Schichtsystem und eine Verbindung von Industriearbeit und Studium war nicht zu leisten.59 Welcher Anreiz sollte für die Textilarbeiterinnen und -arbeiter bestehen, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag in den dröhnend lauten Maschinensälen an intellektuellen marxistischen 57

58 59

„W rezultacie Uniwersytet Łódzki zaczął być nazywany ‚czerwonym uniwersytetem‘. Marksizm szczerze i gorliwie upowszechniało wielu (jako nową metodologię nauki), organizowano […] szkolenia dla pracowników pomocniczych z metodologii badań (markistowskich). Uruchomiono tzw. Rok wstępny, ułatwiający dostęp do studiów młodzieży z niższych warstw społecznych. Zwłaszcza młodzi socjologowie i poloniści z zapałem budowali gmach nowej nauki. Warto pamiętać, że pod koniec lat 40. wielu z nich było pełnych nadziei i autentycznego, idealistycznego zapału.“ Agata Zysiak, Punkty za pochodzenie. Powojenna modernizacja i uniwersytet w robotniczym mieście. Kraków 2016, S. 55. Rafał Stobiecki, Z dziejów pewnego projektu. Zysiak, Punkty za pochodzenie, S. 135–137.

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Debatten zu beteiligen? Auch in Lodz blieben – wie überall – die Grenzen zwischen Arbeiterschaft und Universität nur in Einzelfällen überwindbar. Rektor Chałasiński sprach von der Universität als einem „Kind des arbeitenden Lodz“. Daraufhin tauchten im Herbst 1950 Anschläge mit einer Karikatur des Rektors auf, der in weiblicher Kleidung vor dem Gebäude der Stadtverwaltung stehend ein Kind mit der Aufschrift „Universität – das ungeliebte Kind des arbeitenden Lodz“ im Arm hielt. Aus dem Fenster der Stadtverwaltung rief ein städtischer Bediensteter: „Das ist nicht mein Kind. Ihr weist mir keine Vaterschaft nach.“60 Drittens verliefen die Konflikte an der Universität zwischen traditioneller Wissenschaft und dem aufsteigenden Marxismus in einer Atmosphäre der Ängste und Repression. Überall wurde ein Kampf gegen die „Rückständigkeit“ gefordert, Personen als „Bummelanten“ oder „Reaktionäre“ vom „Kollektiv“ ausgegrenzt. Schließlich bauten parallel die Sicherheitsdienste und die polnische Volksarmee ihre Machtbasis auf, unbequeme Konkurrenten konnten von der Universität zeitweise relegiert oder zum Ernteeinsatz abkommandiert werden, erhielten Veranstaltungsverbote (der Pädagoge Aleksander Kamiński, der Archäologe Konrad Jażdżewski) oder landeten in den Verhörzellen der Sicherheitsbehörden.61 Und schließlich mündete viertens die vom Rektor vollmundig verkündete Maxime, die Universität habe den „Werkstätten der Arbeit“ immer ähnlicher zu werden, in eine frühe Form der vorgeblichen Effektivitätssteigerung der Wissenschaft durch Parametrisierung. In den Zeitungen hieß es „Die Studierenden nehmen die Bewegung des massenhaften Aktivistentums auf“ und der Rektor führte 1953 aus: „Die Hauptursache unserer Erfolge ist zweifellos die systematische, rhythmische Arbeit im Laufe des zweiten Halbjahres. Jeden Monat fanden überprüfende Kolloquien statt. Wenn der Student ein solches Kolloquium nicht bestand, erhielt er sofort die individuelle Hilfe des Assistenten.“62 Wissenschaft als Stoßarbeit, der vorgegebene Fünfjahresplan musste eingehalten werden. „Kollektive“ sollten nun Höchstleistungen erbingen, wurden in Kommissionssitzungen bewertet und beim Ausbleiben von Ergebnissen zur Selbstkritik gezwungen. Die Revolution verschlang ihre Kinder. Nach 1956 folgte auf dem Fuße die Reaktion: Eine sich nun konservativ gebende, aber im Kern zutiefst verunsicherte Universität führte sogar in der Arbeiterstadt Lodz Talare und den überkommenen Pomp der traditionellen Universität ein. Krystyna Śreniowska, die in Lemberg studiert und an der traditionsreichen Jagiellonenuniversität Krakau gearbeitet hatte, bevor sie 1945 nach Lodz kam, verbarg in ihren Erinnerungen nicht ihr Unverständnis: „Die Tradition der mittelalterlichen Universitäten, wo die Professoren 60 61 62

Nach Stobiecki, Z dziejów pewnego projektu. Diskurse und Belege bei Zysiak, Punkty za pochodzenie, S. 152–157. „Główną przyczyną naszych osiągnięć jest niewątpliwie systematyczna, rytmiczna praca w ciągu drugiego półrocza. Co miesiąc odbywały się kolokwia sprawdzające. Jeśli student nie zdał takiego kolokwium, otrzymał natychmiast indywidualną pomoc asystenta.“ Zitate aus dem Dziennik Łódzki bei Zysiak, Punkte za pochodzenie, S. 132–133.

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Geistliche und Männer waren, wurden in die Realität einer Industriestadt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verpflanzt, ohne jahrhundertealte Genealogie, und verwandelte sich, in meiner Wahrnehmung, in ein wortwörtliches Theater, in ein eher komödiantisches Spektakel. Dieser Aufzug von Verkleideten beiderlei Geschlechts in ehemaligen Fabrikhallen und anderen Gebäuden, die in Nichts an mittelalterliche Gebäude mit Kreuzgängen erinnerten, grenzte ans Groteske. Und wenn man in späteren Jahren für die Eröffnung des Akademischen Jahres den Saal eines Operettentheaters mietete – dann war es schon eine Operette. Die Herren Professoren richteten sich vor dem Spiegel ihre Barette und richteten sie wie moderne Hüte aus. Die verkleidete Gesellschaft saß auf der Bühne, verschwitzt unter den schweren Togen.“63 Lodz als Zentrum der Filmindustrie und die Entstehung der Filmhochschule Unter den Hochschulen, die Lodz nach 1945 erhielt, besaß eine Hochschule für die Ausstrahlung und den Imagewandel der Stadt eine zentrale Bedeutung. Die 1948 eingerichtete Filmhochschule entstand schrittweise und ungeplant. Sie sollte aber die Stadtwahrnehmung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend prägen. Auch aus der Perspektive der neuen Herrschenden galt der Film als zukunftsträchtiges Medium für den Aufbau eines modernen und sozialistischen Polen. 1945 wählte die Filmequipe der auf sowjetischer Seite kämpfenden polnischen Volksarmee (Czołówka Filmowa Ludowego Wojska Polskiego), die bereits seit 1943/44 im sowjetischen Auftrag Filme über den Krieg und den nationalsozialistischen Terror gedreht hatte, eher aus pragmatischen Gründen Lodz als Arbeitsbasis: Die Stadt lag im neuen Polen zentral, hier gab es Wohnraum und in leerstehenden Fabriken Produktionsmöglichkeiten. In Lodz entstand so bereits im Frühjahr 1945 eine Filmproduktion, gedreht wurden vor allem der Wiederaufbau und die Wiederinbetriebnahme der Lodzer Fabriken. Bereits am 5. Dezember 1945 eröffnete der staatliche Konzern „Film Polski“ in Lodz offiziell seine Studios.64 63

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„Tradycja średniowiecznych uniwersytetów, gdzie profesorami byli duchowni-mężczyźni, przeniesiono w realia przemysłowego miasta drugiej połowy XX wieku, do miasta bez paruwiekowej genealogii, przerodziła się, w moim odczuciu, w istny teatr, w spektakl raczej komediowy. Ów pochód przebierańców różnej płci w pofabrycznych halach lub innych pomieszczeniach, nieprzypominających średniowiecznych budowli z krużgankami, zakrawał na groteskę. A gdy w późniejszych latach na inaugurację roku akademickiego wynajmowano salę teatru operetki – to doprawdy była już operetka. Panie profesor przymierzały przed lustrem birety, układały je na bakier jak modne kapelusze. Przebrane towarzystwo zasiadało na scenie, spocone pod ciężkimi togami.“ Śreniowska, Moje życie, S. 208. Anna Szczepańska, Od Lenino do Łodzi przez Berlin. Polska czołówka filmowa w cieniu kinematografii radzieckiej, in: Sebastian Jagielski / Magdalena Podsiadłó (Hg.), Kino polskie jako kino transnarodowe. Kraków 2017, S. 107–125.

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Zunächst wurde hier vor allem die im Dezember 1944 in Lublin entstandene, dann ebenfalls nach Lodz transferierte „Polnische Filmchronik“ (Polska kronika Filmowa) montiert, die in ca. zehnminütigen Filmen wöchentlich über die wichtigsten Ereignisse im Lande berichtete und ähnlich wie die deutsche Wochenschau in Kinos vor den eigentlichen, in der Epoche meist ausländischen, Filmen gezeigt wurde. Die Filmchronik enthielt offizielle Regierungsinformationen, berichtete aber auch propagandistisch über den Wiederaufbau des Landes und das neue Leben in der Volksrepublik Polen. In rasch eingerichteten Lodzer Studios in einer ehemaligen Sporthalle (ul. Łąkowa 29) entstand auch 1946 der erste polnische fiktionale Nachkriegsfilm „Verbotene Lieder“ (Zakazane piosenki), zahlreiche weitere Filme folgten.65 Historisch besaß Lodz erhebliche Kinotraditionen, war vor 1939 aber nur neben anderen Städten in Polen ein Zentrum der Filmindustrie. Das änderte sich aus pragmatischen Gründen nach 1945 – vor Ort fand sich mit den Akteuren und Redakteuren der Polnischen Filmchronik, den daraus hervorgehenden Filmstudios und nach Lodz kommenden Regisseuren (Jerzy Bossak, Aleksander Ford) und Filmproduzenten (Gebrüder Goskind) eine Gruppe zusammen, die fachliche und künstlerische Impulse für das Entstehen einer modernen Filmproduktion geben konnte. Viele Filmemacher wie Ford oder die Goskinds kannten bereits Lodz aus der Zwischenkriegszeit und verfügten über Kontakte zu den in der Stadt sich wieder ansiedelnden linken Kulturschaffenden. Als zentral erwiesen sich aber 1946 staatliche Vorgaben: Bereits 1945 im „bürgerlichen Krakau“ organisierte Kurse für Filmpraktiker wurden geschlossen und die Organisatoren wie Marian Wimmer nach Lodz geholt. In Warschau fiel die Entscheidung, näher bei der Zentralmacht, also im „roten Lodz“ eine für das Massen- und Propagandamedium Film zuverlässige neue Hochschule zu gründen. Gründungsdirektor wurde zunächst Wimmer, dann ab 1948 Jerzy Toeplitz, der für die sozrealistische Ausrichtung der neuen polnischen Kultur warb.66 Lodz bot sich an, denn es verfügte über geeignete Räumlichkeiten und Filmproduktionskapazitäten. Die neue Filmhochschule (Wyższa Szkoła Filmowa) erhielt 1948 den repräsentativen Palast Oskar Kons (ul. Targowa 61/63) als Sitz angewiesen, ehemalige Fabrikgebäude in der Umgebung konnten als Vortrags- und Praxisräume hergerichtet werden. Parallel entwickelten sich die Lodzer Filmstudios (1949 Gründung der Wytwórnia Filmowa w Łodzi) zu den größten polnischen Produktionsorten. In Lodz war es aufgrund der engen Verbindung von akademischer Praxis in der Filmhochschule und praktischer Anwendung in den Filmstudios nun möglich, eine Einheit von „fortschrittlicher“ Theorie und technischer Praxis zu entwickeln. Die Lodzer Studios spezialisierten sich in den 1950er Jahren – auch unter dem Einfluss von Aleksander Ford und jungen, in Lodz 65 66

Marek Cieśliński, Piękniej niż w życiu. Polska Kronika Filmowa 1944–1994, Warszawa 2006, S. 37. Die Gründungsgeschichte auf der Basis von Aktenmaterial dargestellt bei Konrad Klejsa, Waldemar Ludwisiak, Marian Wimmer i niedopowiedziane początki Szkoły Filmowej w Łodzi, in: Barbara Giza (Hg.), Archiwa w współczesnych badaniach filmoznawczych. Warszawa 2020, S. 177–234.

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ausgebildeten Regisseuren wie Janusz Nasfeter, Andrzej Munk, Juliusz Morgensztern oder Andrzej Wajda auf Spielfilme und begründeten durch einen reflektierten und technisch meisterhaften Umgang mit moderner Filmtechnik die „Polnische Filmschule“. Ab 1953 konnten auch Farbfilme entstehen, 1949 kam ein Studio für Bildungsfilme, 1956 eines für Zeichentrickfilme hinzu. Lodz als Ort der Handlung spielte dabei zunächst eine geringe Rolle, nur wenige der in den 1950er oder 1960er Jahren entstandenen Spielfilme waren dezidiert im Lodzer Milieu verankert. Im Jahre 1952/3 wurde aus dem sozrealistischen Filmprojekt „Drei Erzählungen“ das Filmprojekt von Wajda zu „Kasia aus der Weberei Nr. 3“ (Kasia z tkalni nr 3) von der Leitung der Filmschule gestrichen. In dem Film plante Wajda die Geschichte der Textilarbeiterin Kasia zu erzählen, die zur Arbeitsaktivistin ernannt werden soll; Kasia möchte jedoch viel lieber in Brückenkursen lernen, um eine bessere Ausbildung zu erhalten. Ihr Verlobter Michał, Vorarbeiter und Sekretär des Jugendverbandes, hält jedoch die Planerfüllung zunächst für wichtiger, kann aber unter anderem durch eine Amateurtheateraufführung dazu bewogen werden, zu erkennen, dass die menschliche Weiterentwicklung am wichtigsten ist. Ein Argument ist auch die weibliche Emanzipation, gerade Frauen müssten Bildungschancen erhalten. Er überzeugt das Kollektiv und: „In die erträumte Schule ging Kasia zusammen mit ihren Kollegen. Die Augen Kasias blitzen vor Freude beim Anblick der Schulsäle, Maschinen, Bibliotheken  …“. Der Film wurde wegen problematischer politischer Aussagen – private Verwirklichung gehe vor einer Planerfüllung – und inhaltlicher fehlender Konsistenz abgelehnt.67 Schade, so blieben die Dilemmata der Lodzer Textilarbeiterinnen im Film unerzählt… Weitere Filme zu spezifischen Lodzer Themen entstanden mehrfach als Abschlussfilme der Filmschule in den 1950er und 1960er Jahren, etwa 1968 Krzysztof Kieslowski’s Kurzfilm „Aus der Stadt Lodz“ (vgl. S. 358). Davon zu trennen ist Lodz als Kulisse für eine filmisch an anderen Orten angesiedelte Handlung. Tatsächlich wurde die weitgehend erhaltene Stadtbebauung für zahlreiche polnische Spielfilme der 1950er bis 1980er Jahre genutzt. Besonderer Beliebtheit erfreute sich die ul. Moniuszko mit der weitgehend erhaltenen Bebauung des späten 19. Jahrhunderts, zahlreiche Filme spielten auch in den Palästen der Fabrikanten oder den gründerzeitlichen Bankgebäuden. Warum wurde Lodz zum Zentrum der polnischen Filmausbildung und -produktion bis 1989? Hervorzuheben sind die zentrale Lage, existierende bauliche Ressourcen wie Hallen und Unterrichtsräume und die kulturpolitische Wahrnehmung der polnischen Regierenden, für den kommunikativ und propagandistisch wichtigen Sektor der Filmproduktion erfülle vor allem die Arbeiterstadt Lodz die nötigen Voraussetzungen in Form

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„Do wymarzonej szkoły Kasia wchodzi razem z kolegami. Oczy Kasi iskrzą się radością na widok sal szkolnych, maszyn, biblioteki …“. Tadeusz Lubelski, Niedoszła „Zemsta“ w tkalni, in: Kino, 11.10.2002, https://kultura.onet.pl/film/wiadomosci/niedoszla-zemsta-w-tkalni/h5e16ld.

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von politischer Zuverlässigkeit. Erst die kommunikativen Realia einer globalen Filmwirtschaft nach 1989 ließen diese Voraussetzungen an ein Ende kommen. Für Lodz selbst war die Filmhochschule ohne Zweifel ein Aushängeschild, das sich in die städtische Kultur und das Stadtbild einschrieb.68 In der Stadt entstanden Produktionsstudios für insgesamt mehrere hundert Filme mit einer globalen Ausstrahlung. Auf einer Weltkarte der Kultur erschien auf einmal in den 1960ern und wieder in den 1980ern Lodz als Sitz der wohl renommiertesten Filmindustrie im östlichen Europa „hinter dem Eisernen Vorhang“. Neue Chancen und neue Aufstiegsmöglichkeiten Die Entstehung einer neuen volkspolnischen Gesellschaft geschah ohne Zweifel durch wiederholte Interventionen von außen und war mit dem Bruch demokratischer Grundsätze und der Durchsetzung einer Parteiherrschaft durch Terror verbunden. Sie ermöglichte aber zugleich tausenden junger Menschen einen noch eine Generation zuvor nicht möglichen sozialen Aufstieg, machte in der proletarischen Industriestadt aus Kindern aus Arbeiterfamilien Techniker, ja in Einzelfällen aus Textilarbeitern Akademiker und trug Weberinnen in ungeahnte politische Höhen empor. Zwei biographische Skizzen mögen das verdeutlichen. Lucjan Kieszczyński stammte aus einer Arbeiterfamilie und war nach einer Frisörausbildung seit 1936 als Textilarbeiter in den Horak-Werken in Ruda im südlichen Lodz tätig. Seit seiner Jugend hatte er Kontakte mit der sozialistischen Arbeiterjugend und trat 1945 in die polnische Arbeiterpartei ein. Er absolvierte einen zweimonatigen Kurs an der Zentralen Parteischule, unterrichtete dort anschließend als Instruktor selbst und wechselte an die Parteischule der Wojewodschaft Lodz. 1947/8 schloss er einen Vorbereitungskurs für Studierende ohne Abitur erfolgreich ab, studierte anschließend an der Universität Lodz und war gleichzeitig Leiter der Parteischule der Wojewodschaft. Nach dem Studienabschluss 1952 wechselte er an das Historische Institut beim Zentralkomitee der PZPR. Er promovierte und habilitierte sich über die Arbeiterbewegung in Polen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kieszczyński ist ein Beispiel für die große Gruppe von Polen, denen in den frühen Jahren der Volksrepublik Polen ein akademischer Bildungserwerb und ein erheblicher sozialer Aufstieg gelang.69 Solch ein Aufstieg war – erstmals in der Geschichte Polens – auch für Arbeiterinnen möglich. Michalina Tatarkówna-Majkowska stammte aus einer Weberfamilie, wuchs im Widzewer Arbeitermilieu auf und arbeitete 1923–1939 als Spinnerin in der dortigen 68 69

Joanna Podolska, Jakub Wiewiórski, Spacerownik. Łódź filmowa. Łódź 2010. Biogramm: http://www.niklot.org.pl/slownik-biograficzny/27-k/94-kieszczynski-lucjan.html; Cichocki/Joźwiak, Najważniejsze są kadry, S. 109; seine Erinnerungen an die Zeit bis 1945: Kieszczyński, Pamiętnik.

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Textilfabrik. Bereits als junge Frau trat sie der kommunistischen Partei bei und beteiligte sich als Delegierte der Arbeiterinnen mehrfach an Streiks und Verhandlungen. Den Krieg überdauerte sie im Lodzer Arbeitermilieu, stieg nach dem Krieg in der Hierarchie der Kommunistischen Partei rasch auf und wurde 1953 Erste Sekretärin des Wojewodschaftskomitees und 1955–1964 Erste Sekretärin der Lodzer PZPR sowie ab 1956 Mitglied des Zentralkomitees der PZPR. Sie war damit 1959 eine von zwei Frauen unter 77 Mitgliedern in diesem exklusiven Gremium, das die Geschichte der Volksrepublik Polen bestimmte.70 Damit zählte sie zur engsten Elite der Arbeiterpartei und verfügte in der Region über eine herausragende Machtposition. Nach Konflikten mit Wiesław Gomółka, in denen Tatarkówna-Majkowska die Abschaffung der Nachtschicht für Frauen sowie eine bessere Ausstattung der Wohnungsneubauten für Arbeiter forderte, legte sie im Dezember 1964 ihre Ämter nieder. Ihre Karriere ist außergewöhnlich, denn sie ist eine der wenigen Frauen der polnischen Geschichte, die ohne formale Bildung aus einer Arbeiterfamilie bis in die Leitungsebene der Partei und des Staates aufstiegen. Dahinter standen sowohl ihre Erfahrung im Lodzer Arbeiterinnenmilieu wie auch die Unterstützung durch die weiblichen Aktivistinnen der Partei.71 Modernisierung und traditionelle Textilstadt Also erfolgte insgesamt eine fruchtbare Verbindung zwischen dem älteren proletarischen Lodz und der neuen Stadt des Fortschritts und der sozialistischen Wissenschaftspraxis? Hier sind zahlreiche Zweifel erlaubt, denn es gelang zwischen 1945 und den frühen 1950er Jahren, in einer Zeit, als durch staatliche Institutionen und eine Kulturund Wissenschaftsförderung erhebliche Mittel nach Lodz flossen, nicht, die ältere Industrie- und Arbeiterkultur mit den Studenten und Akademikern der Hochschulen oder den Künstlern und Journalisten der Stadt zu einer neuen dynamischen Stadtkultur zusammenzuführen. Arbeiter und Intelligenz lebten nebeneinander, nahmen sich aber wechselseitig vor allem in Stereotypen wahr. Die zeitgenössische Publizistik sah die Problematik sehr wohl und stellte Fragen. Im Januar 1946 hieß es in der Tageszeitung der damals noch unabhängigen PPS, die im Lodzer Arbeitermilieu verankert war: „Vor sechs Jahren hätte Lodz nicht einmal im Traum daran gedacht, dass in der Stadt so viele höhere Wissenschaftseinrichtungen entstehen würden, dass auf seinem Pflaster so viele nicht durchschnittliche Köpfe über die Schicksale polnischer Kultur brüten werden. Ob Lodz sich darüber freut oder sich nur anstandshalber in die ihm durch ein spezifisches Schicksal aufgezwungene Rolle fügt? Ich weiß nicht, ob heute jemand auf diese Frage aufrichtig antworten könnte. Denn 70 71

Madejska, Aleja włókniarek, S. 198. Biographie: Piotr Ossowski, Czerwona Michalina. Michalina Tatarkówna-Majkowska. Prządka – działaczka – łodzianka. Łódź 2017.

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etwas anderes ist guter Wille und etwas anderes ist das innere Selbstwertgefühl, wovon die Zufriedenheit und der natürliche persönliche Frieden abhängt“.72 Zwischen Textilarbeitern und Akademikern lagen erhebliche sprachliche, kulturelle und habituelle Unterschiede, die Mehrzahl der Akademiker, die es in die „Durchgangsstation Lodz“ verschlagen hatte, entwickelte nach dem glaubwürdigen Zeugnis von Krystyna Śreniowska wenig Wissen um und Verständnis für die Lodzer Industriearbeiter oder auch nur die spezifischen Verhältnisse der Stadt. In der Regel dominierte eine – auch aus der in der Intelligenz nicht seltenen Herkunft aus dem Adel oder einer „geistigen Elite“ herrührend – erhebliche Arroganz, auf Textilarbeiter im dröhnenden Mehrschichtenbetrieb, die nicht richtig schreiben konnten oder das Polnische nur unvollständig beherrschten. Die mit der Situation wenig vertrauten kommunistischen Funktionäre verschärften vielfach Konflikte und pflegten selbst Vorurteile gegen Akademiker. Unter den Arbeitern wiederum gab es eine deutliche Abneigung gerade gegenüber zugereisten linken „Arbeiterverstehern“, die die Lodzer Realia nicht kannten. Dies steigerte sich noch mit dem „Abzug“ der Intelligenz nach Warschau ab 1948, was durchaus als Verrat wahrgenommen wurde. Der Stalinismus zerstörte weitere Brücken: Im Auftrag der Nomenklatura schraubten Aktivisten und Stoßarbeiter die Planansätze hoch, ohne das Arbeitsklima in den vielfach baufälligen, lauten und unklimatisierten Fabrikhallen zu verbessern. Unter den Intellektuellen dominierten Anpassung und ein Durchlavieren, eine Basis für eine moderne Großstadt ließ sich so nur unter erheblichen Spannungen legen. Ohne Frage veränderte die Bildungsrevolution Lodz nachhaltig. In den 1960ern lebten in Lodz ca. zehntausend Absolventen der Lodzer Hochschulen. Die Stadt besaß nun eine intellektuelle Elite. Andererseits lag noch 1957 die Analphabetenrate bei ca. einem Drittel der Bevölkerung. Insgesamt kann man von einer sektoralen Modernisierung sprechen, die aber gleichzeitig eine explosive Mischung schuf.

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„Przed sześciu laty Łodzi nawet się nie śniło, że na jej gruncie powstanie tyle wyższych zakładów naukowych, że na jej bruku dumać bedą różne nieprzeciętne głowy o przyszłych losach polskiej kultury. Czy Łódź cieszy się z tego, czy tylko przez przyzwoitość poddaje się roli narzuconej jej przez osobliwy los? Nie wiem, czy mógłbym dziś ktoś na to pytanie szczerze odpowiedzieć. Bo co innego dobra wola, a co innego to samopoczucie wewnętrzne, od którego zawisło zadowolenie i naturalny osobisty spokój“ Kurier Popularny 6/1946, zit. nach Zysiak, Punkty za pochodzenie, S. 118–119.

Kapitel 14

Volkspolnische Provinz: Die Textilstadt Lodz 1956–1989 „Die Bergarbeiter und die Textilarbeiter sind mit uns!“1  Parole der polnischen Regierung, später der Opposition „Lodz unterschied sich damals grundlegend von Warschau. Erstens, fast jeder zweite Warschauer besitzt irgendwelche Verbindungen mit der Nomenklatur oder mit zentralen Einrichtungen. […] die Opposition in Lodz besitzt keine Verbindungen mit den Herrschenden. Dagegen gibt es in Warschau, neben diesen Verbindungen, auch mit der Stasi, erheblich mehr Informationsquellen, Bücher und Kommunikationskanäle mit dem Westen.“2  Józef Śreniowski, Soziologe und Dissident

Das Lodz der 1950er bis 1980er Jahre war ohne Frage die zweitgrößte Stadt Polens, die weiterhin expandierte – von 674.000 auf 854.000 Einwohner im Jahre 1988. Damit wurde in den 1980er Jahren beinahe die Bevölkerungsgröße erreicht, für die die städtebaulichen Planungen seit den späten 1940er Jahren ausgelegt worden waren. Allerdings wuchs Lodz zwischen 1955 und 1988 deutlich geringer als vergleichbare polnische Städte, die durch ein generelles Bevölkerungswachstum und eine rapide zunehmende Verstädterung ihre Einwohnerzahl zwischen 60 und 100% steigerten (Krakau, Posen, Białystok). Mehrere Ursachen lassen sich für das geringere Wachstum benennen: Einerseits fehlte es Lodz zumindest bis in die 1970er Jahre an großen industriepolitischen Investitionen, wie sie für alle anderen Städte in der Volksrepublik auf der Tagesordnung standen, nämlich staatliche Investitionen in Werften (Danzig, Stettin), Schwerindustrie (Kattowitz, Krakau) oder Verkehrstechnik (Breslau). In der Volksrepublik Polen war Lodz seit 1950/51 eine monoethnische Stadt ohne sprachliche oder kulturelle Minderheiten. Die deutsche Bevölkerung wurde spätestens 1950/51 ausgewiesen, verbliebene „rehabilitierte“ Deutsche wurden zu polnischen Stadtbürgern. Gerieten diese unter Verdacht oder kamen mit dem Strafrecht in Berührung, so wurden durchweg die Sicherheitsbehörden eingeschaltet, der postdeutschen Bevölkerung wurde behördlich schnell eine staatsfeindliche Einstellung unterstellt.3

1 „Górnicy i prządki są z nami!“ Madejska, Aleje, S. 10. 2 „Łódź tamtych lat różni się zasadniczo od Warszawy. Po pierwsze, prawie co drugi warszawiak posiada jakieś powiązanie z Nomenklaturą czy z centralną władzą. […] opozycja w Łodzi nie ma prawie żadnych powiązań z władzą. Natomiast w Warszawie, oprócz tych powiązań, z esbecją także, znacznie więcej jest źródeł informacji, książek, kanałów komunikacji z Zachodem.“ Józef Śreniowski, Zrobiliśmy to wspólnie, in: Niezależność kosztuje najwięcej, S. 185–206, hier 188. 3 Das Thema wird für die Region Lodz in der in Arbeit befindlichen Dissertation von Michał Turski auf der Basis polnischer Staatssicherheitsakten behandelt, Michał Turski, Lebensläufe unter der Lupe.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_015

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Kapitel 14

Ein letztes Mal sei auf den Lebenslauf Ludwik Radkes verwiesen: Er war zwar 1947 rehabilitiert worden, verblieb aber im Fokus der polnischen Sicherheitsdienste: Seine Post wurde kontrolliert, 1958 wurde er beschuldigt, einem Korrespondenzpartner in Hamburg Informationen über Versuche der ehemaligen Aktionäre von Grohman und Scheibler, Teile ihres Aktienbesitzes zurückzuerhalten, mitgeteilt zu haben sowie einen Plan des Unternehmens aus dem Jahre 1939 ins feindliche Ausland geliefert zu haben. Daraufhin wurde 1958–1960 eine operative Maßnahme gegen Radke unternommen, die mit einer Verwarnung endete. Radke blieb bis zu seinem Tode 1972 im Blick der polnischen Sicherheitsdienste, noch sein Tod wurde skrupulös in den Akten verzeichnet.4 Unter der polnischen Stadtbevölkerung verblieb vor allem ein Bewusstsein über die historischen deutschen Mitbewohner, eine deutsche Vergangenheit wurde jedoch nur unter der Perspektive der gewaltsamen Besatzungspolitik im Zweiten Weltkrieg thematisiert. Mit dem Abzug der jüdischen Institutionen nach Warschau und der Auswanderung jüdischer Bevölkerung bis 1951 existierte in Lodz offiziell keine jüdische Minderheit mehr. Die jüdische Gemeinde verband nur wenige hundert Personen. Die in der Stadt lebenden ca. 8.000–10.000 Menschen, die aus jüdischen Familien stammten, sahen sich als Polen und vermieden es, nach außen hin jüdische Traditionen offenzulegen (vgl. S. 360). Möglichkeiten eines Zuzugs in die Industriestadt blieben administrativ kontrolliert. Infolge der Infrastrukturprobleme (hohe Luftverschmutzung durch Fabriken, schlechte Wasserqualität), fehlendem Wohnraum und einem nachholenden Bedarf für alle städtischen Versorgungsnetze blieb der Zuzug eng begrenzt, die städtischen Meldeämter erteilten nur bei Unterstützung durch Betriebe dauerhafte Anmeldungen. Viele Zuziehende lebten so unter prekären Aufenthaltsbedingungen, oft in Mehrbettzimmern in Arbeiterwohnheimen oder halblegal ohne Anmeldung. Stadt der Textilarbeiterinnen Lodz war nach 1945 – insbesondere unter dem Eindruck einer fehlenden Grundversorgung im Textilbereich – erneut vor allem als Stadt der Textilindustrie reorganisiert worden. Die „Produktivisierungsinitiativen“ insbesondere im Spätstalinismus zielten auf eine möglichst hohe Heranziehung der gesamten Bevölkerung zur Industrie- und Fabrikarbeit ab. Im Jahre 1955 waren über 50% der gesamten Stadtbevölkerung (bei einem hohen Anteil von Kleinkindern) berufstätig, davon fast zwei Drittel in der Industrie (1950: 65,1%, 1955: 62,5%).5 Darunter waren auch viele Frauen und Männer, die bereits in den 1920er und 1930er Jahren gearbeitet hatten und aus dieser Zeit oder den Jahren nach 1945 über Protest- und Streikerfahrungen verfügten. 4 AIPN 5320-90/20 Zapisy kartoteczne dot. Ludwika Radke. 5 Zahlen nach Łódź w 20-leciu PRL. Łódź 1964, S. 13–14.

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Die Produktion der Lodzer Textilfabriken war für den polnischen Außenhandel von erheblicher Bedeutung: Alle osteuropäischen Volksrepubliken einschließlich der Sowjetunion mussten nach 1945 Lücken in der Konsumgüter- und Textilindustrie füllen, verfügten durch Kriegsverluste aber nur über begrenzte Produktionskapazitäten, die zudem durch die erzwungene Konzentration auf die Schwerindustrie nach sowjetischem Vorbild nur geringfügig ausgebaut werden konnten. Die Produkte der Textilindustrie wurden so in den 1950er Jahren zu begehrten Exportartikeln des polnischen Außenhandels. Aufgebaut wurde in Lodz auch eine Bekleidungsindustrie, deren Produkte in den Staaten des Ostblocks nachgefragt wurden.6 Die Textil- und Bekleidungsexporte gingen zu ca. 70% in die Sowjetunion, wodurch die ältere Konfiguration der Textilindustrie vor 1914 wiederhergestellt wurde. Dabei wurden die verstaatlichten Textilbetriebe im Rahmen staatlicher Branchenverbände (etwa für Baumwoll-, Woll- oder Leinenindustrie) und staatlichen Branchengewerkschaften reorganisiert, kleinere Textilbetriebe in die großen Textilproduktionsketten integriert, aus Sicht staatlicher Behörden „überflüssige“ Betriebe aufgegeben. Das betraf vor allem Nicht-Textilbetriebe, so dass die ausschließlich auf die Textilbranche konzentrierte Struktur der Stadt noch wuchs. Waren die Textilbetriebe zunächst einfach numeriert und mit klangvollen kommunistischen Namenspatronen oder Bezeichnungen versehen worden, etwa die „Baumwollfabrik Julian Marchlewski“ oder die „Baumwollfabrik der Verteidiger des Friedens“ (poln. Zakłady Przemysłu Bawełnianego im. Obrońców Pokoju), so erhielten die Textilfirmen auch zu Zwecken der internationalen Wiedererkennbarkeit und des Exports nach 1956 nun wenig originelle, aber international als Marken verwertbare Akronyme. Sie hießen nun Poltex (Poznański), Uniontex (Scheibler & Grohman) oder Rena-Kord (Julius Biedermann), weiterhin Alba (Horak), Bistona, Eskimo, Femina, Iwona, Lodex, Norbelan, Ortal, Polino oder Próchnik. So entstand aus den ehemals Eisert‘schen Textilbetrieben, die in der Volksrepublik nach einem in Auschwitz ermordeten PPS-Politiker zu den „Wollbetrieben Norbert Barlicki“ wurden, die „Norbelan-Werke“.7 In den Werken suchte man durch eine größtmögliche Rationalisierung den Produktionsausstoß zu steigern. Aktivisten- und Stoßarbeiterkampagnen erwiesen sich als dauerhaft kaum nützlich, für eine durchgreifende Modernisierung des Maschinenparks fehlten allerdings die Mittel. Deshalb griff man angesichts verfügbarer Arbeitskräfte zum einfachsten Mittel: Möglich erschien eine Produktionssteigerung vor allem durch die weitgehende Durchsetzung des Dreischichtensystems, in dem nun, auch das eine sozialistische Errungenschaft, gegenüber dem Polen der Zwischenkriegszeit 6 Zahlen für den internationalen Absatz der 1950er Jahre bei Wacław Fabierkiewicz, Problemy przymysłu łókienniczego, in: Włókniarzy łódzcy, S. 185–203, hier 199–202. 7 Zur Namensgebung auch Zysiak, Wielki przemysł, S.  59–60. Aktuell sammelt ein Projekt Arbeitererinnerungen aus den jeweiligen Fabriken, https://www.fabrykiprl.pl/o-projekcie/ Agata Zysiak [u.a.], Wielki przemysł, wielka cisza. Łódzkie zakłady przemysłowe 1945-200. Łódź 2020.

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auch Frauen in Nachtschichten arbeiteten. Die Nachtschichten waren unbeliebt, denn in vielen Arbeiterfamilien arbeiteten beide Partner in der Textilindustrie, die Nachtschichten führten zu einer hohen Belastung auch der innerfamiliären Routinen. Lodz war im Textilsektor eine Stadt der arbeitenden Frauen. Durch die hohen Bevölkerungsverluste durch Terror und Krieg lebten in Lodz weit überproportional Frauen. Noch 1955, nach der Rückkehr der Kriegsgefangenen und Deportierten, kamen auf 100 männliche Bewohner 120 Frauen. Insbesondere in den Geburtsjahrgängen 1915– 1925 lebten in Lodz mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer.8 Auch deshalb griff die volkspolnische Industriearbeit vor allem auf das Reservoir an weiblichen Arbeitskräften zurück: Nach Berechnungen in der städtischen Presse von 1963 waren in Lodz 51% der Beschäftigen Frauen, in der Textilindustrie sogar 68%.9 Genauere Zahlen liegen für die Poznański-Fabriken, in der Volksrepublik die „Marchlewski-Werke Poltex“ (Zakłady Przemysłu Bawełnianego im. Juliana Marchlewskiego „Poltex“), vor: Dort waren 1953 von 9.142 Arbeitern 5.417 (59%) Frauen. Um 1970 arbeiteten in Lodz 87% der Frauen im erwerbsfähigen Alter, der mit Abstand höchste weibliche Beschäftigungsgrad in allen polnischen Städten.10 Grundsätzlich waren auch Frauen in den Selbstverwaltungsgremien – vergleicht man das etwa mit der Bundesrepublik Deutschland der 1950er und 1960er Jahre – besser vertreten: 1961 besetzten sie 31% der Positionen in den Bezirksräten.11 Das galt aber nicht für die Facharbeiterpositionen im feminisierten Textilgewerbe: Noch 1974 äußerten Männer in den Betrieben die Auffassung, Frauen seien für Meisterpositionen nicht geeignet.12 Generell war die Lebenssituation dieser Industriearbeiterinnen und Industriearbeiter ausgesprochen schwierig. Sie arbeiteten in vielfach vor dem Ersten Weltkrieg errichteten Fabrikhallen bei nach wir vor schlechten elektrischen Anlagen und sanitären Verhältnissen, die Fabrikhallen waren laut, staubig (Lungenkrankheiten!), durch Kontakt mit chemischen Substanzen gefährlich, im Sommer oft drückend heiß, im Winter kalt. Noch 1970 stammten ca. 40% der Maschinen und Anlagen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, 20% sogar aus der Zeit vor 1914. Zahlreiche Fabriken arbeiteten im Dreischichtsystem, in der Regel mit der Vorgabe von hohen Akkordleistungen. Die monotone Arbeit im Stehen führte zu zahlreichen Berufskrankheiten, insbesondere zu Rückenbeschwerden und Kreislaufkrankheiten.13 8 9 10 11 12 13

Angaben nach Lesiakowski, Strajki, S. 40–52. Feliks Bąbol, Jak tu żyć, panie przewodniczący?, in: Odgłosy 6 (1963), Nr. 6, S. 1, 8; ders., Twarze łódzkich kobiet, in: Odgłosy 6 (1963), Nr. 10; Madejska, Aleja włókniarek, S. 205–206. Zahlreiche Materialien zur Fabrikgeschichte: https://www.fabrykiprl.pl/fabryki/poltex/. Ewa Niedźwiecka, Łódź w PRL-u. Opowieść o życiu miasta. Łódź 2011, S. 11. „Praca mistrza nie jest łatwa. Kobieta temu nie poradzi“. Beitrag des Leiters des Strickereibetriebs ZPP „Feniks“. Odgłosy 1976, 4, S. 5. Zit, nach Zysiak, Wielki przemysł, S. 45. Als Quellen können hierzu auch die Briefe an das Radio Freies Europa (RFE) in München und Berichte des RFE dienen, vgl. Janusz Wróbel, Łódź okresu stalinowskiego w raportach korespondentów terenowych Radia Wolna Europa, in: Toborek, „Łódź czerwona“, S. 99–118.

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Auch 1970 lebte noch die Mehrzahl der Arbeiterhaushalte in den Lodzer Mietskasernen des Russländischen Kaiserreichs. Bewohner berichten von einem „rücksichtslosen Kampf um Wohnungen“.14 Für die Fabrikarbeit, die An- und Abfahrt, Hausarbeit, Wäsche, Erledigung von Einkäufen unter den Bedingungen des Mangels und häufigem Schlangestehen berechneten Beobachter einen täglichen Bedarf von ca. 14 Stunden.15 Untersuchungen der renommierten Soziologin Antonina Kłoskowska wiesen bereits in den frühen 1960er Jahren darauf hin, dass solche Arbeits- und Lebensbedingungen Alkoholismus, den Zerfall von Familien und eine hohe Zahl alleinerziehender Frauen zur Folge hatten.16 Der Anteil geschiedener oder in Trennung lebender Familien stieg in Lodz auf 6,2% – einer der höchsten Anteile in ganz Polen.17 Ein versprochener sozialer Aufstieg blieb unter solchen Lebensbedingungen hart erkämpft und eng begrenzt. Zwar bemühte sich die erste Parteisekretärin Tatarkówna-Majkowska um 1960 Erholungsmöglichkeiten und Urlaubsheime für Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter zu errichten sowie innerbetriebliche Erholungspausen durchzusetzen, doch blieb es zunächst bei symbolischen Verbesserungen. Erholungspausen mit verordneter Gymnastik bei der erschöpfenden Dreischichtarbeit in den Betrieben, einwöchige Urlaube in Erholungsheimen oder bessere Schulen sollten die Situation verbessern. Um 1960 wurden in allen größeren Betrieben eigene Zeitschriften gegründet, die eine doppelte Aufgabe verfolgten: Einerseits sollte den Werktätigen eine proletarische Kultur nahegebracht werden, andererseits die Stimmung durch eine positive Propaganda aufgehellt werden.18 Die schwierige Wohnsituation dagegen blieb in den 1960er Jahren weitgehend unverändert, auch weil die Generation der nach 1945 Geborenen auf den Wohnungsmarkt drängte. Dagegen stand in der Propaganda die schöne neue Welt der kommunistischen Geschlechterrhetorik, die bei Aufmärschen anlässlich des 1. Mai oder des 22. Juli (Nationalfeiertag aus Anlass der Gründung des Lubliner Komitees 1944) eine Gleichberechtigung versprach, aber nicht einhielt.19 Funktionäre reagierten nervös, wenn die Lodzer Textilarbeiterinnen die ihnen zugedachte Rolle nicht annahmen, protestierten oder sogar zu Streiks aufriefen (vgl. S. 370). Industrieminister Hilary Minc sprach angesichts des Protests von „einer großen nervösen Erregbarkeit des Lodzer Lodzer

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„bezpardonowa walka o mieszkania“, Śreniowska, Moje życie, S. 202. Feliks Bąbol, Jak tu żyć, panie przewodniczący 6 (1963), 6; Madejska, Aleja włókniarek, S. 205–206. Antonina Kłoskowska, Rodzina włókniarzy łódzkich, in: Edward Rosset (Hg.), Włókniarze łódzcy. Monografia. Łódź 1966, S. 446–459, hier 458. Jarno, Gierkowska „prosperita“, S. 40. Fünf Betriebszeitschriten existierten 1978: Informator. Gazeta załogi ŁZPB im. „Obrońców Pokoju“; Głos Włókniarski, Organ Samorządu Robotniczego ZPB im. J. Marchlewski „Poltex“ und weitere, vgl. Lucjusz Włodkowski, Gazeta w fabryce, in: Odgłosy 21 (1978), 4, S. 11. Małgorzata Fidelis, Kobiety, komunizm i industrializacja w powojennej Polsce. Warszawa 2010, S. 37–75.

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Proletariats, das sich zum größten Teil aus Frauen zusammensetze“,20 andere Funktionäre sprachen abschätzig von „Weibern“ (poln. baby).21 Für den Protest machte man eine überkommene, in den feminisierten Belegschaften erhaltene Religiosität verantwortlich und sprach in den Betrieben von Poltex oder Rena-Kord abwertend von einer bigotten Frömmigkeit à la „Tschenstochau“.22 Bemerkenswert ist, wie hier auch in der Bewertung durch kommunistische Funktionäre traditionelle Rollenklischees durchschienen. Statistisch nachweisen lässt sich dagegen, dass in der stark feminisierten Fabrikarbeit in den Textilbetrieben die Einkommen in der Volksrepublik Polen um ca. 25% unter dem Durchschnitt der Fabrikarbeiter etwa in der durch maskuline Arbeit geprägten Metallindustrie oder gar im Bergbau lagen und diese Einkommensunterschiede in den 1950er und 1960er Jahren bis auf 50% anstiegen.23 Solch eine schlecht bezahlte Arbeit unter schwierigen Bedingungen war unattraktiv, angeworben wurden vor allem junge Arbeiterinnen und Arbeiter vom Lande, die in Arbeiterwohnheimen unter frugalen Wohnbedingungen mühsam ein Auskommen fanden. Die Differenz zwischen Realität und Propaganda im städtischen Alltag zeigen exemplarisch dokumentarische Filmdokumente, die in der Medienstadt Lodz entstanden. Der später international bekannt gewordene Regisseur Krzysztof Kieślowski drehte 1967/68 als Examensleistung den 17minütigen Schwarzweissfilm „Aus der Stadt Lodz“ (Z miasta Łodzi), der die Arbeitswelt und das Alltagsleben der 1960er Jahre darstellte. Nach einem Einstieg mit Close-ups der ohrenbetäubenden und rasenden Tätigkeit der Textilmaschinen wird die alltägliche Arbeitswelt der Fabrikarbeiterinnen gezeigt: Konzentriert in dunklen, unzureichend beleuchteten Fabrikhallen bedienen sie in der Nachtschicht die in langen Reihen aufgestellten Maschinen. Männer tauchen dagegen in weiteren Szenen eher als Redner und Funktionäre oder als Zuschauer und Flaneure auf den städtischen Straßen auf. Dargestellt werden auch die kleinen symbolischen Verbesserungen der Volksrepublik: Eine Aktivistin fordert alle Frauen zur Gymnastik am Arbeitsplatz auf, die Gesundheit der Proletarierinnen wurde durchaus diskutiert und sollte so symbolisch gefördert werden. Auf einer Werksversammlung in einem Unternehmen wird gegen die Einstellung der finanziellen Unterstützung für das Fabrikorchester protestiert: Polen sei doch ein Arbeiterland, aber alles Schöne und Neue gehe nach Warschau und Kattowitz, und – was tue denn das Vaterland für seine Lodzer Werktätigen? Schließlich bleibt das Orchester erhalten, der Eigensinn der Arbeiterinnen siegt.24

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„Wielka nerwowa pobudliwość proletariatu łódzkiego, który składa się w większości z kobiet“ Kenney, Budowanie Polski Ludowej, S. 104; nach Życie Warszawy, 22.11.1984. Kenney, Budowanie Polski Ludowej, S. 103–104. Kenney, Budowanie Polski Ludowej, S. 142–143. Lesiakowski, Strajki, S. 263. Z miasta Łodzi, https://filmpolski.pl/fp/index.php?film=423863; Film: https://www.youtube.com/ watch?v=LkhGR5uDSQM; http://www.youtube.com/watch?v=_P9944KOL8U; Interpretation bei

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Insgesamt zeigt das Filmdokument gerade in seinen Bildsequenzen die desolate Situation in der Industriestadt, die von weiblicher Arbeit, heruntergekommenen Fabrikenhallen und noch 1968 von verfallenden Straßenzügen aus dem späten 19. Jahrhundert geprägt ist. Damit kontrastiert die – sicher auch aus taktischen Überlegungen gewählte – positive Aussage des Tondokuments und der Handlung: Die Textilarbeiterinnen werden für ihre Tätigkeit ausgezeichnet und verabschiedet, ihr Fabrikorchester wird weiter finanziert. Realität und Propaganda, das Filmdokument von Kieślowski charakterisiert die Situation in den 1960er Jahren mit all ihren Widersprüchen. „Neue Menschen“ in der kapitalistischen Stadt – der Umgang mit der historischen Bausubstanz Die Filmaufnahmen aus den 1960er Jahren zeigen die Umbrüche und den Niedergang der immer stärker disfunktionalen historischen Architektur. Zwar wurde Lodz am 22. Juli 1960, dem Jahrestag der Gründung des Lubliner Komitees und damit der volkspolnischen Regierung, aus Anlass des 55. Jahrestages der Revolution von 1905, mit dem „Orden der Erbauer Volkspolens“ (Order Budowniczych Polski Ludowej) ausgezeichnet und an der ul. Piotrkowska eine Tafel angebracht, die die besonderen Verdienste der Stadt im Freiheitskampfe der Nation und im Aufbau des Sozialismus in Polen betonte.25 In der Realität sah der Umgang mit dem historischen Erbe und der städtischen Bausubstanz jedoch erheblich brutaler aus: Die vielfach funktionslos gewordene Architektur in ihrem Nebeneinander von Fabriken und Fabrikantenpalästen wie auch die Bürgerhäuser, deren größere Wohnungen vielfach unter mehreren Mietparteien aufgeteilt worden waren, zerfiel. Die Nutzung als provisorische Küchen, eingezogene Zwischenwände, individuell errichtete Fenster und Türen sowie fehlende Sanierungsmaßnahmen zerstörten die Gebäude. Baufällig gewordene Außendekorationen und Balkone wurden abgeschlagen, in den 1960er Jahren wurden Neubauten unmittelbar an die historische Bausubstanz angefügt, wie die Filmaufnahmen Kieślowskis in „Aus der Stadt Lodz“ zeigen. Noch in den frühen 1970ern fielen ganze Straßenzüge Flächensanierungen und Neubauten zum Opfer. Erst in dieser Zeit entstand, aufgebaut von dem Konservator Antoni Szram, ein Verzeichnis von Baudenkmälern, das auch die historistische und eklektizistische Architektur des 19. Jahrhunderts berücksichtigte.26 Nur ein Beispiel unter vielen: Die im Neorenaissancestil errichtete Villa des Fabrikanten Edward Herbst (ul. Przędzalniana 72), der in die Scheiblersche Familie eingeheiratet hatte, diente nach 1945 als Schulungszentrum für das Personal von Kinderkrippen, dann

25 26

Travis Currit, Promised Land, Red Łódź, or HollyŁódź: Shifting Identities in an Industrial City. 1820– 2010, Universty of Washington 2010, S. 34–35. Abbildung in Adam Idziński, Łódź. Łódź 1969, S. 4. Antoni Szram, Andrzej Wach, Architektura Łodzi przemysłowej. Łódź 1970.

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als Vorschule, als Invalidenheim und als Produktionsort von Weihnachtsschmuck. In der Orangerie lagerte die nach dem Krieg wiedergegründete „Meeresliga“ (Liga Morska) ihr Boots- und Segelmaterial – all das führte zur völligen Verwüstung des Gebäudes, das erst durch die Übernahme durch das Kunstmuseum Lodz (1976) und nach einer mehr als ein Jahrzehnt dauernden umfangreichen Renovierung gerettet werden konnte.27 Das Eigene und das Fremde: Jüdische Polonität und die antisemitische Kampagne 1968 Da es seit 1949/51 in der Volksrepublik Polen keine nationalen Minderheiten mehr gab, rückte symbolisch die verbliebene kleine jüdische Bevölkerung immer stärker in das Zentrum innenpolitischer Diskurse um eine eigene Identität. Jüdische Polen waren durch ihre Ausbildung in akademischen, journalistischen und medizinischen Berufen vertreten und prägten öffentliche Diskurse mit. In der Regel weitgehend assimiliert – dezidierte Vertreter einer jüdischen Kultur hatten Polen 1946–1951 oder spätestens 1956/57 verlassen – konnten sie dennoch zu einem Streit- und Reizthema in der Innenpolitik werden, insbesondere wenn ihre aus Ostblock-Sicht internationalen Kontakte thematisiert wurden oder ihnen in traditionell antisemitischer Manier ein „fremder“ Einfluss auf die volkspolnische Gesellschaft unterstellt wurde.28 Menschen jüdischer Abstammung, obwohl untereinander nur selten in der Soziokulturellen Gesellschaft der Juden in Polen (Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Żydów w Polsce) organisiert, wurden so zum Prüfstein, wie viel Abweichung ein nach 1956 immer stärker identitär argumentierender Nationalkommunismus duldete. Tatsächlich gab es noch im volkspolnischen Lodz chassidisch-orthodoxe Positionen im Umfeld der einzigen verbliebenen kleinen jüdischen Gemeinde (ul. Pomorska  18) einer über mehr als zwei Jahrzehnte immer weiter zusammenschrumpfenden Insel, die als Zentrum der einzigen religiösen und kulturellen Minderheit in der Stadt und damit als Bewahrerin einer reichen Tradition diente. Zew Wawa Morejno, der letzte im Polen der Zwischenkriegszeit ordinierte Rabbiner, stammte aus einer chassidischen Familie, die mit den einflussreichen Rebbes in Góra Kalwaria südlich von Warschau verbunden war. Er überlebte die Shoah in einem Konzentrationslager in Estland, kehrte 1945 nach Polen zurück und begründete in Lodz eine höhere Rabbinerschule. Morejno lehnte zionistische Strömungen und eine Auswanderung nach Israel ab, vertrat rabbinischorthodoxe Traditionen und verblieb nach der Auflösung der Schule 1946 als Rabbiner in Lodz.

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Danuta Berbelska, Księży Młyn. Łódź 1998, S. 103. In der polnischen Forschung intensiv aufgearbeitet, zuletzt Magdalena Ṥroda, Obcy, inny, wykluczony. Gdańsk 2020, S. 10–11, 157–173.

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Dabei scheute Morejno keine Konfrontationen mit dem volkspolnischen Staat: Als 1952 der jüdische Friedhof in Lodz durch die Veränderung der Straßenführung der ul. Bracka verkleinert wurde, legte er einen kategorischen Widerspruch gegen die Störung der Totenruhe ein und wurde seines Amtes enthoben.29 1956 in das Amt des obersten Rabbiners Polens gewählt, bemühte er sich um einen Erhalt der rechtlichen und religiösen Gebräuche der immer kleiner werdenden jüdischen Gemeinschaft in Polen, darunter der Sabbat- und Speisegebote, wurde aber daraufhin von der mehrheitlich assimilatorischfortschrittlich eingestellten polnischen Judenheit mit Lebensmittelpunkten in Warschau und Breslau seines Amtes enthoben. Morejno kämpfte in den 1960er Jahren von Lodz aus, nur von Teilen seiner Gemeinde unterstützt, gegen die Verwüstung und Beseitigung der jüdischen Friedhöfe in Polen30 und war ab 1966 der einzige in Polen verbleibende Rabbiner. Dauerhaft von den Sicherheitsbehörden beobachtet, wiederholt schikaniert und verfolgt, wandte er sich 1967/68 gegen die antisemitischen Maßnahmen der polnischen Behörden und verfasste am 3. Mai 1968 einen Brief mit einem Hilferuf an Primas Stefan Wyszyński mit einer Kopie an die Behörden – ohne Erfolg. Daraufhin wurde Morejno 1969 verhaftet und unter dem Vorwurf, er erhebe falsche Anschuldigungen gegen den polnischen Staat, in die psychiatrische Anstalt „Kochanówka“ im Süden von Lodz eingewiesen. Erst nach internationalen Protesten schließlich freigelassen, emigrierte Morejno 1973 in die Vereinigten Staaten.31 Morejnos Brief vom 3. Mai 1968 – der Rabbi wählte für die Absendung den polnischen Nationalfeiertag – dankte Wyszyński für eine Predigt. In dieser habe er „mit zurückhaltenden, aber standhaften Worten auch die antijüdischen Auftritte gebranntmarkt und die ‚Aufhetzung eines Teils der Gesellschaft zum Hass gegen Andere und die Überredung des Bruders, dass er die Hand erhebe und schändliche Drohungen gegen seinen Bruder ausstoße, als seien beide nicht Söhne der gleichen Erde – des Vaterlandes‘ verurteilt.“ Weiter hieß es bei Morejno: „Tief ist unsere Dankbarkeit für den würdigen polnischen Primas, der in einer für uns schwierigen Situation seine Stimme des Protests gegen die Verbreitung von Hass erhob und unermüdlich zu einer Liebe, Verständigung und Konsolidierung des gesamten Volkes aufruft. Man sollte sich aber noch wünschen, dass diese edlen Worte zur Verteidigung der Bedrückten in einer weniger verhüllten und klareren Form ausgedrückt würden, denn es ist unklar, ob alle Gruppen der polnischen Gesellschaft begreifen, dass die scharfe Verurteilung des Rassismus gerade die heute verleumdete und verfolgte wehrlose jüdische Bevölkerung unseres Landes betrifft.“32 Der 29 30 31 32

Zur Geschichte des Friedhofs Joanna Podolska, Spacerownik. Cmentarz Żydowski w Łodzi. Łódź 2010, S. 18. Krzysztof Bielawski, Zagłada cmentarzy żydowskich. Warszawa 2020, S. 80, 113–114 zu Lodz. August Grabski, Współczesne życie religijne Żydów w Polsce, in: Studia z dziejów i kultury Żydów w Polsce po 1945 roku. Warszawa 1997, S. 143–202, hier 153–154. „Powinniśmy też wyrazić serdeczne podziękowanie za wygłoszone […] kazanie, w którym łagodnymi, lecz stanowczymi słowami napiętnowane zostały chyba też wystąpienia antyżydowskie i głośno

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Brief blieb wohl ohne Antwort, er war aber in der Volksrepublik Polen der letzte Versuch eines qua Amt legitimierten jüdischen Vertreters, bei der katholischen Kirchenhierarchie einen Schutz vor antisemitischen Übergriffen durchzusetzen.33 Jüdische Betroffene berichteten, dass die Atmosphäre in Lodz schon vor dem März 1968 von vielfach verdeckten antisemitischen Angriffen geprägt gewesen sei. Der Lodzer Historiker Jakub Goldberg, der 1967 emigrierte, führte zur Situation in der Stadt aus: „Anti-Jewish moods in Lodz were more prominent than elsewhere. These moods were felt at the University as well. Some of my Warsaw friends accused me of panicking. I had been convinced that anti-Semitism was on the rise. I sensed that they would not allow me to be a Polish anymore. Thats’s why we left in 1967. Numerous Lodz University historians had been active in the 1968 events. […] Anti-Jewish incidents in Lodz, even before 1968, differed from those in other places. Whereas in other cities people were forced to go to anti-Zionist meetings and rallies and were rather passive, in Lodz they initiated those acts.“34 Wie zutreffend ist diese Diagnose? Dazu fehlen empirische Forschungen, auffällig ist jedoch, dass in der Gruppe der „Partisanen“ innerhalb der Polnischen Arbeiterpartei, die zur Stärkung eigener Machtpositionen antisemitische Argumente nutzten, Personen mit einem Lodzer Lebensabschnitt stark vertreten waren. Das betraf neben dem informellen Führer der Gruppe Mieczysław Moczar, ab 1956 stellvertretender und ab 1964 Außenminister vor allem auch Kazimierz Kąkol, in den späten 1940er Jahren Mitarbeiter der Universität Lodz, 1957–1974 Chefredakteur der Zeitschrift „Prawo i Życie“, die besonders heftig mit antisemitischen Untertönen hetzte.35 Als Auslöser einer polenweiten ersten antisemitischen Welle gilt der für Israel erfolgreiche Sechstagekrieg (05.-10. Juni 1967), woraufhin der Erste Sekretär der polnischen Kommunisten Wiesław Gomułka von sowjetischer Seite zu Maßnahmen gegen proisraelische Stimmen in Polen genötigt wurde. Gomułka griff daraufhin in einer Rede vor

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potępione zostało ‚podjudzanie jednej części społeczeństwa do nienawiści przeciwko drugiej i namawianie, aby brat podnosił rękę i używał nikczemnych gróźb przeciwko swojemu bratu, jakby obaj nie byli synami tej samej Ziemi – Ojczyzny‘. Głęboka jest nasza wdzięczność dla Dostojnego Prymasa Polski, który w ciężkiej dla nas chwili podniósł swój głos protestu przeciwko szerzeniu nienawiści i niestrudzenie nawołuje do miłości, do pojednania i konsolidacji całego narodu. Należałoby jeszcze życzyć sobie, aby te szlachetne słowa w obronie uciśnionych wypowiedziane zostały w niezawoalowanej i więcej wyrazistej formie, bo nie wiadomo, czy dociera to do wszystkich mas społeczeństwa polskiego, że ostre potępienie rasizmu dotyczy właśnie oczernianej w czambuł, prześladowanej obecnie i dyskryminowanej bezbronnej ludności żydowskiej naszego kraju.“ Publiziert http://poznan.jewish.org.pl/index.php/Koment.Opinie/Zew-Wawa-Morejno-ostatni-polski-chasyd. html. Ein Desiderat ist die Aufarbeitung der Korrespondenz von Morejno mit den städtischen und staatlichen Behörden. Größere Teile der Korrespondenz sind in der Jüdischen Gemeinde Lodz erhalten. Für diese Auskunft danke ich Dariusz Dekiert. Redlich, Life in transit, S. 209. Kąkol hatte nach 1945 in Lodz mit Marek Edelman kontakt, vgl. Bereś/Burnetko, Edelman, S.  401, 468–469.

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dem Parteikongress am 19. Juni 1967 polnische Akteure jüdischer Herkunft als „Zionisten“ und antikommunistische „Fünfte Kolonne“ an. Die Behörden sammelten spätestens seit dieser Zeit Material gegen alle Polen, denen eine jüdische Abstammung nachgesagt wurde und die Positionen in Politik, Bildung, Wissenschaft und Presse innehatten. Was geschah 1968 in Lodz? Die Situation verschärfte sich mit dem Ausbruch landesweiter Studentenproteste im März 1968, die auch durch die Wahrnehmung einer internationalen Studenten- und Protestbewegung stimuliert wurden. Lodz war neben Warschau eines der Zentren studentischer Proteste. In Warschau fand eine Demonstration am 8. März statt, die gewaltsam aufgelöst wurde. An Lodzer Universitäten tauchten am 9.-11. März erste Anschläge auf, zwischen dem 11. und dem 24. kam es in der Halle der Universitätsbibliothek und an mehreren Lodzer Plätzen zu Protestversammlungen, auf denen eine studentische Autonomie und Pressefreiheit gefordert wurden. Am 21. März besetzten Studierende mehrere Institute der Universität. An diesen Demonstrationen beteiligten sich jeweils mehrere Hundert, insgesamt sogar über zwei Wochen hinweg mehrere Tausend Studierende.36 Manche Professoren und Hochschulangestellte unterstützten die studentischen Proteste, was die Befürchtungen der Behörden vor einer politischen Bewegung noch verstärkte. Zur Beunruhigung der polnischen Behörden trug sicher auch bei, dass in der benachbarten Tschechoslowakei Alexander Dubček an die Macht gekommen war und eine Reform des Sozialismus umzusetzen suchte.37 Die studentische Bewegung wurde durch Behörden und Polizei schrittweise eingedämmt, ca. 500 Studierende zu Identitätsfeststellungen festgehalten, ca. ein Dutzend festgenommen, viele Aktivisten zum Militär eingezogen, einige von der Universität relegiert und zu Haftstrafen verurteilt.38 In der Presse wurde bereits ab dem 11. März eine Kampagne gegen die „unverantwortlichen Elemente“ und „schädlichen und nichtsnutzen Machenschaften“ der Studierenden aufgebaut und kommunistische Aktivistenkollektive gegen die Studierenden in den Fabriken aufgestellt.39 Allerdings benötigten Staatsapparat und Partei Erklärungen, wer und was hinter den Protesten steckte: Die schlechte Wohn- und Studiensituation, die zentralistische Steuerung der Universitäten, die fehlende Rechtsstaatlichkeit und die 1967/68 massiv eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit konnten nicht öffentlich benannt werden, damit hätten die Regierenden selbst auf die eigene Verantwortung verwiesen. In dieser 36 37 38 39

Darstellung aus der Perspektive eines ehemaligen studentischen Akteurs: Józef Śreniowski, Łódzkie przedwiośnie 1968, in: Dziennik Łódzki v. 23.03.1998. Überblick über die Proteste in ganz Polen: Jerzy Eisler, Polski rok 1968. Warszawa 2006; zu den Ereignbissen in Lodz: Lesiakowski, Gomułkowska rzeczywistość, S. 211–237. Adam Hohendorff, Przed karnewałem solidarnościowym, in: Wiesław Maciejowski, Adam Hohendorff, Janusz Mikosik (Hg.), W trybach systemu. Z dziejów łódzkiej opozycji studenckiej w latach 1968–1989. Warszawa 2016, S. 9–49, hier 10–12. „nieodpowiedzialne elementy“, „szkodliwe wybryki“, Belege für die Agitation in Presse und Fabriken finden sich in der umfangreichen Dokumentation: Sławomir M. Nowinowski (Hg.), Marzec 1968 w Łodzi. Łódź 2010, S. 85 (Dok. 17), 88 (Dok. 18) u.ö.

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Situation konnte das ältere, bereits seit den späten 1950er Jahren schrittweise aufgebaute antisemitische Dispositiv – kosmopolitische antipolnische „zionistische“ Akteure ständen hinter dem Protest – aktiviert werden. Die in Stadt lebenden etwa 7.000–8.000 Einwohner jüdischer Herkunft – ein erheblicher Teil von ihnen besaß keine klar umrissene jüdische Identität und pflegte auch keine jüdische Kultur – wurden durch eine – teilweise namentliche Kampagne in der Presse, in Betrieben, in Versammlungen, an der Universität und in Schulen systematisch ausgegrenzt, in ihrer Arbeit und Lebensleistung abgewertet, vielfach aus ihren Berufen entlassen und so zur Auswanderung gezwungen. Dieser sich über mehr als ein Jahr laufende Prozess vollzog sich in verschiedenen Milieus, zu nennen ist insbesondere eine publizistische, betriebliche und universitäre sowie eine lebensweltliche Ebene. Publizistisch entfesselte man in Dutzenden von Artikeln in allen Lodzer Tageszeitungen, in Broschüren und in Radio- und Fernsehsendungen eine Medienkampagne.40 In dieser wurden angebliche „zionistische Milieus“ für den „antipolnischen“ Protest verantwortlich gemacht und eine „Säuberung Lodzs von Zionisten“ gefordert.41 Dabei wurde einem konstruierten jüdischen Kollektiv in Lodz, eine angebliche „Passivität“ gegenüber dem deutschen Aggressor vorgeworfen, während „die Polen“ Widerstand geleistet hätten: „Es verließen dieses [jüdische, H.-J.B.] Volk, in jenen Tagen, diejenigen, die heute laut die Verantwortung für die Tragödie der Juden einfordern, es verließen dieses Volk die aus dem Volk Auserwählten, die hätten versuchen sollen, es zu retten. Verlassen haben es aber nicht, allen gegenwärtigen Verleumdungen zum Trotz, die Polen.“42 Eine weitere Argumentationslinie warf den jüdischen Überlebenden eine „Undankbarkeit“ gegenüber dem volkspolnischen Staat vor: In einer Lodzer kulturellen Wochenzeitung schrieb Wacław Biliński: „Volkspolen ist eine Mutter für die mehreren Zehntausend seiner Bürger jüdischer Herkunft, die den hitleristischen Völkermord 40

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Paweł Spodenkiewicz, Scripta manent, in: Tygiel Kultury 1996, nr 3, S. 48–53; Sławomir M. Nowinowski, „To błoto nas nie ubrudzi, lecz ich samych“. Przyczynek do dziejów prasy łódzkiej w Marcu ’68, in: „Należę do polskiej szkoły historycznej“. Studia i szkice ofiarowane prof. Jakubowi Goldbergowi z okazji odnowienia doktoratu na UŁ. Łódź 2010, S. 129–147; Andrzej Czyżewski, Paweł Spodenkiewicz, Zbigniew Faliński, Jerzy Kmitowski, Wiktor Malski i Henryk Maciejewski – autorzy broszur propagandowych z 1968 r., in: Tadeusz Wolsza, Przemysław Wójtowicz (Hg.), Nie tylko niezłomni i kolaboranci. Postawy dziennikarzy w kraju i na emigracji w latach 1945–1989. Warszawa 2014, S. 353–366. „Oczyścić Łódź ze syjonistów“, in dem Artikel: Robotnicza Łódź wierna partii, in: Głos Robotniczy, Abdruck: Nowinowski, Marzec 1968, S. 185–186. „Opuścili ten naród, w tamte dni ci, którzy dziś głośno krzyczą o odpowiedzialności za tragedię Żydów, opuścili go ci, którzy z tego narodu wybrani, powinni próbować go ratować, nie opuścili go, wbrew dzisiejszym kalumniom oszczerców, Polacy.“ Irena Śledzińska, Tym, którzy zapomnieli. Syjonizm – aktywność i bierność (1), Dziennik Łódzki, 09.05.1968; dies., Tym, którzy zapomnieli. Syjonizm – aktywność i bierność (2), in: Dziennik Łódzki, 11.05.1968 (ebenfalls erste Seite). Der Artikel erschien am Jahrestage des Sieges über den Faschismus, nach sowjetischer Datierung am 09. Mai 1968. Auf die Beiträge wies mich Andrzej Czyżewski hin, dem ich dafür danke, vgl. Czyżewski, Czerwono-białoczerwona Łódź, S. 245.

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überlebt haben. Die Talente, Qualifikationen und Wünsche der polnischen Juden fanden von den ersten Tagen der Freiheit an alle Möglichkeiten der Realisierung. […] daraufhin veränderte das zuvor klassenmäßig, materiell und Intellektuell unterschiedliche Milieu schon an der Schwelle zu den 1950er Jahren seine soziale Struktur. […] es wurde zu einem Milieu, das innerlich immer stärker mit den Konsequenzen der Machtausübung verbunden war. […] So etwa mit der Leitung des bekannten Ministeriums für öffentliche Sicherheit. […] Im Bereich der Kultur […] bestand damals tatsächlich eine Bedrohung der polnischen Traditionen, beginnend bei der Architektur und endend mit dem Theater und der Literatur.“43 Und damit machten sich polnische „jüdische Milieus“ – so die Pointe! – sogar zu Handlangern einer westdeutschen revisionistischen Politik: „Polnischer Antisemitismus – diese Parole griffen natürlich sofort die Bonner Politiker auf: Wenn eine solche Parole von den Juden ausgestreut wird, gewinnt Bonn unerwartet den besten, im politischen Sinne, Bündnispartner.“44 Letztendlich wurde hier in den Medien eine klassische Verschwörungstheorie entwickelt, die infolge älterer antisemitischer Klischees in der Bevölkerung eine erhebliche Reichweite besaß. Erwiderungen und eine die hier verwandten Verleumdungen und Verkürzungen aufgreifende Gegenargumentation waren in den gelenkten Medien Volkspolens ausgeschlossen – diese Argumente wirkten folglich bis in die 1980er Jahre weiter und prägten eine ganze Generation. Auf der Ebene der Betriebe wurden „Menschen jüdischer Herkunft“ vielfach ausgegrenzt, sahen sich tribunalähnlichen internen Betriebskomitees und Anschuldigungen am Arbeitsplatz ausgesetzt, verloren ihre Anstellung und damit vielfach ihre Lebensgrundlage. Ein Beispiel für viele aus der Lodzer Presselandschaft: Der Journalist Bolesław Lesman hatte deutsche Arbeitslager und die KZ’s Buchenwald und Theresienstadt überlebt und arbeitete vor 1968 in dem Boulevardblatt „Express Ilustrowany“. Er hatte zudem eine auf breite Resonanz stoßende Biographie des Fabrikanten Oskar Kon, des

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„Polska ludowa jest taką właśnie matką dla kilkudziesięciotysięcznej rzeszy swych obywateli pochodzenia żydowskiego, którzy ocaleli od hitlerowskiej zaglądy. Talenty, kwalifikacje, aspiracje Żydów polskich znajdowały od pierwszych dni wolności pełne możliwości realizacji. […] oto środowisko uprzednio klasowo, materialnie i intelektualnie zróżnicowane, już u progu lat pięćdzisiątych zmieniło swoją socjalną strukturę. […] stało się środowiskiem coraz mocniej wewnętrznie powiązanym konsekwencjami sprawowania władzy. […] Tak było z kierownictwem osławionego Ministerstwa Bezpieczeństwa Publicznego. […] W dziedzinie kultury […] zaistniało wówczas faktyczne zagrożenie polskich tradycji, poczynając od architektury, kończąc na teatrze i literaturze.“ Wacław Biliński, Przypadek – Stanisław Wygodzki, in: Odgłosy, 24.03.1968, zit. nach Nowinowski, Marzec 1968, S. 242– 247, hier 243. „Polski antysemityzm – to hasło oczywiście dostrzegli natychmiast i politycy bońscy: jeśli takie hasło rzucali Żydzi, Bonn zyskiwało niespodziewanie najlepszego, w sensie politycznym, sojusznika.“ Wacław Biliński, Przypadek – Stanisław Wygodzki, in: Odgłosy, 24.03.1968, zit. nach Nowinowski, Marzec 1968, S. 243.

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langjährigen Mehrheitseigentümers der Widzewer Manufaktur, publiziert, die von Jerzy Urban plagiiert worden war.45 Aus den Dokumenten der polnischen Sicherheitsbehörden geht hervor, dass Lesman auch Arbeitskollegen zusetzten. In einem Bericht vom 12. April  1968 kann man lesen: „Von vielen Lodzer Journalisten, unter anderem vom Redakteur U. […] aus dem „Express Ilustrowany“, der Redakteurin  T. […] vom „Dziennik Łódzki“, dem Redakteur  S. […] und anderen gingen kritische Bemerkungen zum Fehlen jedweder Unternehmungen gegenüber denjenigen Journalisten jüdischer Nationalität ein, deren fehlende Loyalität oder sogar deren antistaatliche Auftritte seit längerer Zeit bekannt sind. In diesem Kontext werden in erster Linie solche Namen wie die stellvertretende Redaktionschefin des „Karuzela“ Maria Lorberowa, der Redaktionschef des „Dziennik Łódzki“ Stanisław Januszewski und die Redakteure [Józef] Lebenbaum und Lesman genannt.“46 Diese vier Personen wurden bald jeglicher Arbeitsmöglichkeiten beraubt, wie auch einige andere Journalisten jüdischer Herkunft wie Alina Grabowska und Jerzy Flajszman. Pawel Spodenkiewicz beschreibt, wie mit Bolesław Lesman umgegangen wurde: „In der Angelegenheit Lesmans wurde eigens eine Parteiversammlung im ‚Express Ilustrowany‘ einberufen. Von  19 Mitgliedern der Parteiorganisation der PZPR, die abstimmungsberechtigt waren, stimmten 14 für seine Entlassung und vier Personen enthielten sich der Stimme. Alle stimmten für einen Ausschluss seiner Person aus der polnischen Journalistenvereinigung. Bald darauf bat der Chefredakteur des ‚Express‘, Wiktor Malski, den Lodzer Presseverlag RSW ‚Prasa‘, den Arbeitsvertrag Lesmans aufzulösen.“47 Die einkommenslose Familie Lesman emigrierte deshalb im November 1968 zunächst über Österreich nach Israel, der polnisch- und jiddischsprachige Journalist fand dort aber kein Auskommen. So entschied sich die Familie in die Bundesrepublik Deutschland zu gehen und kam über das Lager Friedland nach Hannover und Köln. Lesman musste zunächst als Taxifahrer arbeiten, bevor er in den 1970er Jahren eine Anstellung beim Deutschlandfunk fand (vgl. S. 429).48 Eine größere Welle von Säuberungen fand im Gesundheitsbereich statt, wo viele Mediziner mit jüdischem Hintergrund arbeiteten. Dem Mediziner Marek Edelman, der an seiner Habilitation arbeitete, wurde das Verfahren 1967/68 in Warschau gestoppt. Seiner Frau, der Kinderärztin Alina Margolis-Edelman, wurde die Habilitation 1968 verwehrt, sie emigrierte daraufhin mit den Kindern nach Frankreich, während Edelman in Lodz blieb. Edelman verfügte über Solidarität bis in die Regierungsmilieus der 45

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Zu Lesman jetzt Paweł Spodenkiewicz, Oskar Kon und Bolesław Lesman: Ein doppeltes Nachleben der multinationalen Metropole Lodz, in: Matthias Barelkowski, Christoph Schutte (Hg.), Neuer Staat, neue Identität? Deutsch-polnisch-jüdische Biografien nach der Wiedererrichtung Polens 1918. Osnabrück 2021, S. 289–312, dort auch zu dem Plagiat durch Jerzy Urban. Lesmans Werk über Kon erschien erst 2017 in einer zweiten Auflage: Bolesław Lesman, Recepta na miliony. [Warszawa 1967], Łódź ²2017. Zitiert nach Spodenkiewicz, Oskar Kon, hier 305–307. Ebd., 306–307. Ebd., S. 307–309.

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Volksrepublik bei Ministerpräsident Cyrankiewicz und dem Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Polityka“ Mieczysław Rakowski, aber auch er wurde gewarnt und mehrfach zur Ausreise aufgefordert.49 Erhebliche Ausmaße nahmen die Säuberungen an den Lodzer Universitäten an, die als Zentrum der Opposition galten. In den Geisteswissenschaften betraf dies besonders die philosophisch-historische Fakultät, an der polnische Intellektuelle jüdischer Herkunft arbeiteten. Entlassen wurde der bisherige Dekan, der Philosoph Stefan Amsterdamski, der Philosoph Aleksander Orłowski, der Kulturwissenschaftler Leon Błaszczyk und die Historiker Paweł Korzec, Henryk Katz und Adam Leśniewski.50 Die Historikerin Krystyna Śreniowska beschrieb in ihren Erinnerungen die Konsequenzen für die Opfer: „Für die Menschen, die die nationalsozialistische Besatzung überlebt hatten […] war es eine große Tragödie. Sie hatten Polen als ihr Vaterland gewählt. Sie waren doch polonisiert, seit langem dem winzigen Milieu der jüdischen Orthodoxie entfremdet. Nichts verband sie mit Palästina, mit dem Staat Israel. Auch ihre politische Vergangenheit spielte keine Rolle. Die Schikanen und Vertreibungen betrafen auch die ehemaligen kommunistischen Akteure (die Familie Dajcigerauch!). Man beraubte Polen und polnische Bürger ihres Vaterlandes und vertrieb sie ins Unbekannte.“51 Eine Konsequenz an der Universität war eine wachsende Angst, eine steigende Selbstzensur und ein enormer Vertrauensverlust. Śreniowska empfand dies persönlich: „An der Hochschule war der Boden rutschig. Es war unklar, wer wer war, wer ein Spitzel der Sicherheitsbehörden, wer nicht. Über viele Personen sprach man nur vertraulich.“52 Daraus resultierten eine wachsende Angst, ein Vertrauensverlust und eine Sterilität des wissenschaftlichen Arbeitens: „Die provinzionelle Universität Lodz funktionierte grundsätzlich wie eine Schule, die Wissensbegierige in den Grenzen des vorgebenen ministeriellen Programms und einer von oben vorgebenen Ideologie ausbildete.“53 Nach Aussagen von Betroffenen gab es auch lebensweltlich keine Solidarität mit Dissidenten und Oppositionellen: Józef Śreniowski, einem der Führer der Solidarność vor Ort, wurde 1985 der Prozess gemacht. Seine Mutter berichtete: „Ich erinnere mich an den 49 50 51

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Bereś/Burnetko, Edelman, S. 490–501. Zu Leśniewski vgl. ein in Schweden entstandenes Interview https://story.dn.se/witnessesof-the-holocaust/. „Dla ludzi, którzy przeżyli okupację hitlerowską […] była to wielką tragedią. Wybrali Polskę jako swą ojczyznę. Byli przecież spolonizowani, od dawna wyobcowani z nikłych środowisk żydowskich ortodoksów. Nic nie łączyło ich z Palestyną, z państwem Izrael. Nie liczyła się też ich przeszłość polityczna. Szykany i wypędzenia dotknęły również byłych działaczy komunistycznych (rodzina Dajcigerauchów!). Pozbawiono Polaków, obywateli polskich ich ojczyzny, wygnano w nieznane.“ Śreniowska, Moje życie, S. 214–215. „Na uczelni grunt był grząski. Nie wiadomo było, kto jest kim, kto ubek, kto nie. O wielu osobach mówiło się w zaufaniu.“ Wielki strach po łódzku – Rozmowa z Krystyną Śreniowską, in: Tygiel Kultury 3 (1996), S. 44–47; ähnlich: Śreniowska, Moje życie, S. 171, 215. „Prowincjonalny Uniwersytet Łódzki funkcjonował na zasadzie szkoły kształcącej adeptów wiedzy w granicach wyznaczonych przez ministerialny program oraz określoną z góry ideologię.“ Ebenda.

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Prozess von Józef im Februar 1985. Bei dem Prozess war ich allein. […] Im Warschauer Milieu wäre das nicht vorstellbar gewesen. In Lodz sehr wohl.“54 Die wissenschaftlichen Konsequenzen dieser Säuberungen und der folgenden repressiven Atmosphäre waren erheblich.55 Einerseits wurden innovative Editions- und Buchprojekte zur multikulturellen Geschichte von Lodz gestoppt. So verzichtete man unter dem Eindruck von rabiaten Urteilen in der Presse auf die weitere Publikation der Lodzer Getto-Chronik, von der 1965/6 die ersten beiden Bände erschienen waren.56 In der Tagespresse hieß es dazu: „Solche Bücher muss man jedoch ganz lesen. Man kann auf diese Weise diejenigen ehren, die betrogen starben und diejenigen, die man nach dem Tod noch einmal betrog. Man kann auf diese Weise Verachtung für die Verbesserer und Verifizierer der Geschichte unter dem Davidsstern entwickeln.“57 Daraufhin verkündete der neue, ebenfalls im Kontext der Säuberungen 1968 eingesetzte Leiter des Lodzer Verlags: „Die ‚Chronik des Gettos Lodz‘ als ein von dem Kontext der Besatzungsereignisse losgerissenes Dokument eignet sich nicht zu einer Publikation in Buchform.“58 Publikationen zur jüdischen Geschichte konnten daraufhin in den nächsten beiden Jahrzehnten in Lodz nicht mehr erscheinen, die jüdische Geschichte blieb ein weißer Fleck in der städtischen Erinnerung bis 1989 (vgl. S. 408). Mehr noch: Die gesamte multikulturelle Geschichte der Stadt besaß nach 1968 kaum mehr fähige Bearbeiter, da vielfach Sprach- und Kulturkenntnisse fehlten: „1968 erhielten Parteifunktionäre die Stellen. Sie arbeiteten nicht wissenschaftlich und bildeten auch kein Umfeld eines originellen Denkens aus. […] Sie kannten keine Fremdsprachen, sie flohen im Falle eines Besuchs auswärtiger Gelehrter“.59 Skizziert seien zwei Fälle für Karrieren im Gefolge der Ereignisse von 1968 – zunächst ein Beispiel aus dem von den Säuberungen 1968 besonders betroffenen Historischen Institut: Barbara Wachowska, aktiv an den Säuberungen 1968 beteiligt, stieg 1967/68 in den Vorstand der Lodzer Abteilung der Polnischen Historischen Gesellschaft auf, war 54 55 56 57

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„Pamiętam proces Józka w 1985 roku w lutym. Na procesie byłam sama. […] W środowisku warszawskim było to nie do pomyślenia. W Łodzi właśnie tak.“ Śreniowska, Moje życie, S. 170–172. Tadeusz Paweł Rutkowski, Nauki historyczne w Polsce 1944–1970. Zagadnienia polityczne i organizacyjne. Warszawa 2007, S.  468–505 beschreibt die Kampagne ausschließlich aus einer Warschauer Perspektive. Danuta Dąbrowska, Lucjan Dobroszycji (HG.), Kronika getta łódzkiego. 2 Bde. Łódź 1965–1966. „Książki takie trzeba jednak czytać w całości. Można w ten sposób oddać hołd tym, którzy ginęli oszukani i, których oszukano raz jeszcze po śmierci. Można w ten sposób nabrać pogardy do naprawiaczy i weryfikatorów historii spod gwiazdy Dawida“ Iwona Ṥledzińska, Tym, którzy zapomnieli. Syjonizm – aktywność i bierność (2), Dziennik Łódzki, 11.05.1968, zit. nach Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. Czyżewski, Historia, S. 246. „‚Kronika getta łódzkiego‘ jako dokument oderwany od kontekstu wydarzeń okupacyjnych nie nadaje się do wydania w formie książkowej“ Wiesław Jażdżyński, zit. nach Czyżewski, Czerwono-białoczerwona Łódź, S. 246. „Oni to otrzymali stanowska w 1968 roku, byli po prostu funkcjonariuszami partii. Nie pracowali naukowo, aliści nie wykształcili ośrodka myśli oryginalnej. […]. Nie znali języków obcych, uciekali w razie odwiedzin obcych uczonych“. Śreniowska, Moje życie, S. 176.

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dort langjährige Vizevorsitzende, repräsentierte die Lodzer Geschichtswissenschaften in Warschau und amtierte zudem mehrfach als Direktorin des Historischen Instituts.60 Wachowska arbeitete vor allem zur Geschichte der Lodzer Arbeiterbewegung und der Kommunisten; dabei traten – außer den Kontakten zur Sowjetunion wahrheitswidrig die Beziehungen zur internationalen Arbeiterbewegung zurück. Gerade diese nationalkommunistische, orthodoxe und gleichzeitig konformistische Ausrichtung um den „Fetisch Arbeiterbewegung“ prägte die Lodzer geisteswissenschaftliche Reflexion bis in die 1990er Jahre. Der zweite Fall ist ungleich delikater: Iwona Ṥledzińska-Katarasińska schrieb als junge Journalistin 1968 antisemitische Artikel, auch auf ihre Beiträge ging die Einstellung der Edition der Lodzer Getto-Chronik zurück. Sie war bis 1981 in der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei tätig, näherte sich dann der Opposition an und ist seit 1991 langjährige Sejmabgeordnete und Expertin im Bereich der Medienpolitik, unter anderem zeitweise Vorsitzende des Programmrates des polnischen Staatsfernsehens. Zu Beginn der 2020er Jahre ist sie die einzige polnische Abgeordnete, die 30 Jahre ununterbrochen in das polnische Parlament gewählt wurde. Bemerkenswert ist, dass sie die Anfänge ihrer Karriere, die sie immer wieder tief in die Medienpolitik führte, niemals umfangreicher reflektierte. Als 1997 eine Nominierung als Kulturministerin an ihrer publizistischen Vergangenheit scheiterte, lehnte sie jede Reflexion oder gar eine persönliche Schuld ab.61 Neben solchen persönlichen Verbindungen gibt es inhaltliche Kontinuitätslinien aus dem Jahr 1968 zumindest bis in die 1990er Jahre: Für mehr als zwei Jahrzehnte blieb eine Beschäftigung mit dem Holocaust durch die Zensur unterdrückt, stattdessen verstärkte sich in Lodz die Beschäftigung mit der polnisch-nationalen Martyrologie. Dies schuf nationale Geschichtsbilder und –mythen, die sich als schwer auflösbar erwiesen und bis heute Teile der Geschichtswissenschaft prägen.62 Zugleich bestärkte dies die Opfer von 1968 in ihren vielfach lebenslangen Verletzungen: Die lebensweltlichen Denunziationen und Anwürfe gegen ganze Familien, Kampagnen in der Schule und die Vergiftung des Verhältnisses unter Nachbarn beförderte solche Einstellungen. Viele Emigranten der Jahre 1968/69 erlebten die Anerkennung der Kampagne als Unrecht und als staatliches Verbrechen in den 1990er Jahren nicht mehr.

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Maria Nartonowicz-Kot, Barbara Wachowska (15 XI 1929–2 II 2005), in: Rocznik Łódzki, 52 (2005), S. 325; http://pthlodz.uni.lodz.pl/poziom2/bwach.html. „30 lat temu ukazywały się artykuły, przyznaję, podłe i głupie, sygnowane moim nazwiskiem. […] Ale zrezygnowałam nie dlatego, że czuję się winna.“ Rzeczpospolita, 01.03.2008, Śledzińska-Katarasińska: ekspert PO od mediów. Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 284–290.

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„Die Mädchen aus der Fabrik“ und die Streiks von 1971 In der Geschichte des Widerstands und des Protests in der Volksrepublik Polen sind innerpolnisch wie international die Lodzer Ereignisse 1971 kaum bekannt. Ursachen hierfür liegen in dem fehlenden medialen Fokus auf Lodz wie auch in der geringeren Symbolkraft der Ereignisse. Im Unterschied zu den Danziger Protestbewegungen 1970 und 1980/81 lösten die Lodzer Bewegungen 1971 und 1980/81 keine landesweiten Diskussionen und Konsequenzen aus, wurden nicht zum Kristallisationspunkt einer systemsprengenden Oppositionsbewegung und blieben international unbemerkt. Sie besitzen jedoch eine eigene Spezifik und bilden einen zentralen Strang der Tätigkeit der – zu Unrecht oft allein auf Danzig und Warschau reduzierten – polnischen Arbeiteropposition. Man kann sehr wohl argumentieren, dass die Streiks der Lodzer Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter 1970/71 für die polnische Regierung eine genau so große, vielleicht größere Herausforderung darstellten, als die gewaltsam mit 41 Todesopfern niedergeschlagene Werftarbeiterdemonstration an der Ostseeküste im Dezember 1970 in Danzig, Gdynia, Stettin und Elbing. Zumindest erwiesen sich die Folgen als handgreiflicher. Der Auslöser beider Protestwellen war identisch: Die Erhöhungen vor allem der Lebensmittelpreise vom 12. Dezember 1970 lösten auch in Lodz Proteste aus. Im Dezember konnte dieser Widerstand infolge der engen Überwachung der Betriebe durch die Staatssicherheit und Parteiaktive noch verhindert werden, ab dem 10. Februar 1971 brachen die Proteste jedoch mit voller Wucht los. Zwischen dem 10. und 15. Februar streikten in Lodz in ca. 40 Betrieben über 60.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Arbeitsniederlegungen setzten in den Fabriken von „Poltex“ ein, wo die gesamte Belegschaft von 8.200 Personen sich dem Streik anschloss und griffen schnell vor allem auf die Uniontex-Fabriken über, wo fast 12.000 Arbeiterinnen und Arbeiter streikten. In den nächsten Tagen schlossen sich weitere Betriebe vor allem aus der Textilbranche an, am 14. Februar kam Ministerpräsident Piotr Jaroszewicz mit den Zentralkomitee-Mitgliedern Jan Szydlak und Józef Tejchma aus Warschau nach Lodz, um die Streikbewegung beizulegen.63 Die Ursachen der Streikbewegung lagen auf der Hand: Die Textilarbeiter, darunter ca. zwei Drittel Frauen, arbeiteten in veralteten, schlecht geheizten, staubigen und gesundheitsgefährdenden Fabriken vielfach im Dreischichtbetrieb und erhielten dafür nur eine weit unter dem Landesdurchschnitt der Industriearbeiter liegende Entlohnung. Investitionen in die sog. Leichtindustrie waren in der Volksrepublik Polen bis dahin ausgeblieben.64 Die Akkordzulagen waren infolge des schlechten Zustands der Maschinen 63

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Dokumentenedition: Ewa Mianowska, Krzysztof Tylski, Strajki łódzkie w lutym 1971. Geneza, przebieg i reakcje władz. Warszawa, Łódź 2008, S. 24–30. Aufstellung der streikenden Betriebe aus den Quellen der Polizeibehörden. Darstellung: Lesiakowski, Strajki, S.  261–325; Madejska, Aleja włókniarek, S. 217–232. Łódzkie zakłady przemysłowe 1945–2000. Łódź 2020, S. 29–30.

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und der niedrigen Qualität der Rohstoffe vielfach nicht erreichbar. Die Preiserhöhungen für Lebensmittel belasteten die Familienbudgets erheblich, nach im Nachgang der Streiks angestellten Erhebungen gaben die Arbeiter 43,8% ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Vor allem die Frauen in den Belegschaften sahen ihre Existenzgrundlage bedroht und sprachen im Dezember 1970 sogar von drohendem Hunger. Bereits im Dezember kam es zu mehreren Warnstreiks, über 170 Personen wurden kurzzeitig verhaftet.65 Auslöser der Streiks waren die Gehaltszahlungen für den Februar, die kaum Erhöhungen mit sich brachten und die die Situation der Familien offenlegten. Eine weitere Verschärfung führte das ungeschickte Taktieren der kommunistischen Parteivertreter herbei. Der Erste Sekretär der Lodzer PZPR Józef Spychalski sprach nur mit den Parteimitgliedern, andere Funktionäre griffen zu offenen Drohungen, was die Stimmung weiter verschärfte. Als der Minister der Leichtindustrie Tadeusz Kunicki zusammen mit Gewerkschaftsführern wenig überzeugend argumentierte, einige Kinderstrumpfhosen seien doch billiger geworden, sollen Frauen am Fabriktor ihre Hosen heruntergelassen und so den Minister verabschiedet haben.66 Am 12. Februar streikten schon über 12.000 Personen, davon 80% Frauen, am 13. schlossen sich vor allem die Arbeiterinnen der Uniontex-Fabriken dem Streik an. Die Situation in Lodz erwies sich für die regierenden Eliten als ungewöhnlich schwierig: Die Streikenden versammelten sich gemäß älterer Traditionen in den Fabriken und versuchten nicht – die Dezemberereignisse in den Ostseestädten waren eine Warnung – den öffentlichen Raum zu besetzen. Es gab kein Streikkomitee, ein Vorgehen gegen die Anführerinnen war deshalb erschwert. Etwa zwei Drittel der Streikenden waren Frauen, die schwerlich als Gegenrevolutionäre, Regimegegnerinnen oder „Hooligans“ dargestellt werden konnten. Es fehlte eine Verbindung von den Arbeiterinnen zu den Lodzer Universitäten: Berichte der Sicherheitsbehörden gaben am 14. Februar an, die städtische Intelligenz und Hochschulmitarbeiter seien über die Situation informiert, man habe jedoch keine Solidaritätsbekundungen festgestellt.67 Als am 14. Februar die Regierungsdelegation eintraf, sah sie sich deshalb in den Fabriken in einer schwierigen Situation. Frauen fragten, ob man denn in den Fabriken so viele Direktoren und Nomenklatura brauche, während, wenn Maschinen repariert werden müssten, es niemanden gebe.68 Premierminister Jaroszewicz erinnerte sich rückblickend: „vor Ort fand ich mich unter Hunderten schrecklich aufgeregten und ermüdeten Frauen wieder, die damals unter Bedingungen arbeiteten, die den elementaren Anforderungen

65 66 67 68

Lesiakowski, Strajki, S. 262–278. Lesiakowski, Strajki, S. 296; Madejska, Aleja włókniarek, S. 221–222. „Ṥrodowisko akademickie jest zorientowane w istniejącej sytuacji, nie stwierdzono jednak akcentów solidarnościowych.“ Meldunek o sytuacji na terenie m. Łodzi, in: Mianowska/Tylski, Strajki Łódzkie w lutym 1971, S. 53–54. „Czy u nas musi być tyle kierowników i dyrektorów? Jak trzeba naprawić maszynę, to nie ma nikogo“, zit. nach Lesiakowski, Strajki, S. 303.

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von Hygiene und Arbeitssicherheit widersprachen. Und dabei verdienten sie so wenig!“69 Dass gezeigte Schwäche und offen ausgestellte Emotionen auch in Lodz zu erprobten älteren Streiktaktiken gehörten (vgl. S. 298), war den selbsternannten Arbeiterführern und –funktionären aus Warschau wohl nicht bewusst. Józef Tejchma, der in Ausbildung und Werdegang stärker kulturelle Ambitionen entwickelte, reflektierte über die streikenden Frauen in Emile Zolas „Germinal“ und die Lodzer Arbeiterinnentraditionen aus dem Jahre 1905 und erinnerte sich später: „Die Frauen hatten Argumente, Tatsachen, ihre Erlebnisse, und wir und der Premier hatten nur Versprechungen.“70 Nun, die Arbeitsbedingungen und Einkommen waren den Eliten im Prinzip bekannt, aber sicher war es etwas anderes, dies aus der Entfernung zu wissen und dies vor Ort aus den Mündern der betroffenen und aufgebrachten Frauen in den heruntergekommenen Fabrikhallen hören zu müssen… Tatsächlich nahm die Regierung mit Datum vom 15. Februar 1971 die zwei Monate zuvor angekündigten Preiserhöhungen zurück. Den Arbeiterinnen war etwas gelungen, woran die deutlich bekannteren Demonstrationen in den Ostseestädten unter hohem Blutzoll gescheitert waren und sie nahmen ihre Tätigkeit wieder auf. Zugleich wurden – erstmals in der Volksrepublik Polen – strukturelle Veränderungen für Lodz ins Auge gefasst (vgl. S. 374). Hinter der Rücknahme der Preiserhöhungen stand die Kalkulation, dass die Rücknahme für den Machterhalt der kommunistischen Nomenklatura weniger gefährlich war als erhebliche Lohnerhöhungen, die an anderen Orten weitere Streiks hätten auslösen können. Diese Kalkulation ging auf, sie brachte aber langfristig das gesamte Preissystem im kommunistischen Polen in eine noch erheblichere Schieflage: Lebensmittel und Konsumwaren wurden in den 1970er Jahren in wachsendem Ausmaß aus anderen Töpfen und Krediten subventioniert, als 1980 die ausländischen Kredite versiegten und man in eine finanzielle Krise geriet, lösten die dann angekündigten Preiserhöhungen eine noch mächtigere Welle des Arbeiterprotests aus. Volkskommunistische Mythologie: Andrzej Wajdas „Gelobtes Land“ (1974) Über die Streiks in den Lodzer Textilbetrieben wurde 1971 in der gelenkten polnischen Presse nicht berichtet, in der Stadt hatten sich allerdings die Nachrichten rasch verbreitet. Auch ein gesamtpolnisches Publikum verfügte allerdings über die Möglichkeit, bereits in den 1970er Jahren die Gebäude auf die Leinwand gebannt zu finden, in denen sich die Ereignisse des Februar 1971 abgespielt hatten: 1973/74 drehten zwei Filmequipen 69 70

„Z miejsca znalazłem się wśród setek straszliwie zdenerwowanych i zmęczonych kobiet, pracujących wówczas w warunkach urągających elementarnym wymogom higieny i bezpieczeństwa pracy. I przy tym one tak mało zarabiały.“ Zit. nach Madejska, Aleja włókniarek, S. 227. „Kobiety miały argumenty, fakty, swoje przeżycia, a my, premier, mieliśmy tylko obietnice.“ Ebenda, S.  225. Zum weiblichen Widerstand auch Padraic Kenney, The gender of resistance in communist Poland, in: American Historical Review 104, 2 (1999), S. 399–425.

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unter der Leitung des Regisseurs Andrzej Wajda in den Poltex-Werken und in Pfaffendorf die Szenen der Verfilmung des Lodz-Romans „Das gelobte Land“ von Władysław Reymont. Bemerkenswert war, dass das architektonische Ensemble der Stadt wie Fabrikhallen, Straßenzüge und Arbeitersiedlungen nur partiell verändert werden musste, um die Realitäten des späten 19. Jahrhunderts darzustellen. Wajda selbst erinnerte sich später: „In Lodz gab es (in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts) noch immer die alte Bebauung des 19. Jahrhunderts mit riesigen, in unverändertem Zustand seit dem Beginn unseres Jahrhunderts erhaltenen Fabriken, auf dessen Grundstücken sich Bahnhöfe, Paläste und Warenniederlagen befanden, die ganze Komplexe schufen, die mit Mauern vom Rest der Stadt abgegrenzt waren. Dieser Reichtum kostete nichts, er war auszunutzen, er wartete nur auf unseren Film.“71 Vorbereitungen für die Dreharbeiten liefen seit 1971, erst mit der kulturellen Öffnung der in der Epoche des neu ernannten Parteichefs Edward Gierek war es in der Volksrepublik möglich, den nationaldemokratischen und nationalkonservativen Schriftsteller durch Verfilmungen aufzugreifen, wobei zuerst 1972 Reymonts „Bauern“ verfilmt wurden. Gegenüber der literarischen Vorlage nahm Wajdas „Gelobtes Land“ deutliche Veränderungen vor: Während in dem Roman der Jude Moryc Welt tendenziell antisemitisch als rücksichtsloser Geschäftsmann darstellt wird, der wahrscheinlich auch die gemeinsame Fabrik anzündet, ist er im Film in der Darstellung des ausdrucksstarken Wojciech Pszoniak eine zwar ins Geld verliebte, aber der Freundschaft verpflichtete ironisch-kluge Persönlichkeit. Hinzugefügt wird eine letzte, im literarischen Werk nicht vorhandene Sequenz am Ende des Films: Nachdem die drei Freunde reich geworden sind und an der Spitze der Lodzer Fabrikantenwelt stehen, bricht eine Revolution aus und der polnische Fabrikant Borowiecki lässt auf Arbeiter mit roten Fahnen schießen – der Klassenkampf im „roten Lodz“ wird auf diese Weise in die Handlung eingeführt.72 Der Film erlebte in dieser Version (179 Minuten) im Jahre 1975 seine Premiere, zwei Vorführungen einer Vorpremiere wurden Anfang 1975 in Warschau und Lodz – letztere für die Beschäftigten der Lodzer Baumwollindustrie – gezeigt. Bereits im selben Jahr entstand eine erweiterte Fernsehfassung (200 Minuten), Wajda selbst erstellte 2000 eine Autorenversion „letzter Hand“ in der unter anderem die umstrittene Schlusszene getilgt wurde. Allerdings gab es zeitgenössisch wie aktuell auch kritische Stimmen. In den 1970er Jahren warf die nationalkommunistische Seite dem Film eine Geschichtsfälschung vor: 71

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„W Łodzi [w latach siedemdziesiątych XX wieku] istniała ciągle dawna dziewiętnastowieczna zabudowa, z ogromnymi, trwającymi w niezmienionym stanie od początku wieku fabrykami, na których terenie znajdowały się dworce kolejowe, pałace i składy, tworząc całe kompleksy odgrodzone murem od reszty miasta. To bogactwo nie kosztowało nic, było do wzięcia, czekało tylko na nasz film.“ Andrzej Wajda, Kino i reszta świata. Kraków 2013, S. 32. Bartosz Kwieciński, Ziemia obiecana Wajdy według Reymonta: film o niespełnionych obietnicach, in: Tadeusz Lubelski (Hg.), Od Mickiewicza do Masłowskiej: Adaptacje filmowe literatury polskiej. Kraków 2014, S. 96–113.

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Der Film unterstütze die Interessen von Dissidenten wie Seweryn Blumstajn und Adam Michnik, womit erneut die antisemische Karte gespielt wurde.73 International wurde in den USA der Vorwurf vorgebracht, der Film sei nach wie vor antisemitisch, Juden seien ausschließlich zu einem Stereotyp geronnen und Wajda berücksichtige nicht das spätere Schicksal der Lodzer Juden.74 Nichtsdestotrotz: Der Film wurde zu einem der meistgesehenen Werke der polnischen Filmgeschichte – allein die Kinofassung sahen bis zum Jahr 2000 7,3 Millionen Polen, die Fernsehfassung in verschiedenen Ausstrahlungen die gesamte polnische Bevölkerung. Innerpolnisch wie auch international prägt der Film das Image von Lodz bis auf den heutigen Tag: Erhalten blieb wie bei Reymont die Stadtkritik, allerdings wird die Multikulturalität von Lodz im Kern als die Wurzel seines Aufschwungs dargestellt, im Film prägen Polen, Juden und Deutsche (der russische Anteil tritt zurück) den Aufstieg der Stadt. Dazu trug eine ansatzweise Mehrsprachigkeit bei: Deutsche und Juden beten und zählen im Film auf Deutsch und Jiddisch, unterschiedliche kulturelle und religiöse Einflüsse werden vorgestellt. Erstmals entstand so in Polen eine passagenweise faszinierende Vision der multikulturellen und vielsprachigen Stadtgeschichte, deren Anziehungskraft bis heute anhält. Lodz und die Modernisierung der 1970er Man kann behaupten, dass die Dreharbeiten zu Wajdas Film bereits fünf bis zehn Jahre später so nicht mehr möglich gewesen wären, in den 1970er Jahren erlebte Lodz tatsächlich erstmals in der Volksrepublik Polen erhebliche städtebauliche und industrielle Reformen. Bereits im März 1971 errichtete man von administrativer Seite eine „Regierungskommission für die Erarbeitung eines Entwicklungs- und Modernisierungsplanes der Stadt Lodz“,75 die einen im Juli 1971 vom Zentralkomitee der PZPR verabschiedeten Entwicklungsplan erstellte, auf dessen Basis im folgenden Jahrzehnt tatsächlich umfangreiche Investitionen getätigt wurden. Diese Reformpläne gingen in unterschiedliche Richtungen: Zunächst einmal suchte man die teilweise katastrophale Wohnsituation zu verbessern, indem um das alte Stadtzentrum herum neue moderne Wohnviertel in Plattenbauweise errichtet wurden. Diese neuen Wohnviertel, im Westen von Bałuty das Viertel Teofilów (über 15.000 Wohnungen, 30.000 Einwohner), im Südosten Dąbrowa (über 50.000 Wohnungen), im Südwesten 1972–1985 Retkinia (ca. 60.000 Einwohner) und 1974–1991 Widzew-Wschód (ca. 39.000 Einwohner), schufen umfangreichen Wohnraum. Die neuen Trabantenstädte verfügten 73 74 75

Witold Bereś, Krzysztof Burnetko, Andrzej Wajda. Podejrzany. Warszawa 2013, S. 87. Omer Bartov, The „Jew“ in Cinema: From The Golem to Don’t Touch My Holocaust. Indianapolis 2005, S. 24–27. Witold Jarno, Gierkowska „prosperita“. Łódź w latach 1971–1980. Łódź 2019, S. 26–31.

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über weit mehr als 100.000 Wohnungen (zumeist Ein- bis Dreizimmerwohnungen unter 70 m² Wohnfläche), die allerdings mit modernen Medien ausgestattet waren und die Wohnsituation deutlich entspannten. Für die Neubauprojekte wurde intensiv Propaganda gemacht, Ende der 1980er Jahre lebte ein Viertel der Lodzer Bevölkerung in diesen neuen Stadtvierteln.76 Diese Planung ging vor allem auf Kosten der Innenstadt, an deren alten Wohnblocks fast keine Sanierungsarbeiten vorgenommen wurden, was in einen weiteren Verfall der innerstädtischen Wohnsubstanz und einen Rückgang der Wohnbevölkerung von 132.000 auf 105.000 Menschen in der Innenstadt mündete.77 Parallel wurde auch das Lodzer Straßennetz und Verkehrssystem grundlegend verändert. Durch die Verbreiterung und Fortführung einer Ost-West-Verkehrsachse im Süden von Lodz – in Anlehnung an die Warschauer Ost-West-Querung ebenfalls Lodzer „trasa W-Z“78 (heute ul. Mickiewicza, ul. Piłsudskiego) genannt, entstand eine 1978 freigegebene neue innerstädtische Verkehrsachse, die die Satellitenstädte Retkinia und Widzew erst für die weitere Städteplanung erschloss.79 Nördlich dieser Stadtautobahn in der Innenstadt entstand 1975–1982 auf einem älteren Fabrikgelände eine bis zu 24-geschossige modernistische Hochhaussiedlung, in Lodz bald ironisch „Manhattan“ genannt. Parallel suchte die planwirtschaftliche Modernisierung auch die Industriestruktur der Textilstadt zu verändern: In Lodz wurden die Fernseh- und Rundfunkwerke „Unitra-Fonica“ (Zjednoczenia Przemysłu Elektronicznego i Teletechnicznego Unitra) und die Lodzer Transformatorenwerke (Elta) ausgebaut, weiter entwickelt wurde das Filmprojektorenwerk „Prexer“.80 Die Textilbetriebe wurden modernisiert, neue Maschinen vielfach auf Basis westlicher Kredite gekauft und erste Maßnahmen umgesetzt, die die extrem gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen in den Fabriken durch den Einbau von Filtern und geräuschmindernden Anlagen verbesserten.81 Durch diese strukturellen Veränderungen entstanden neue Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung und wurde gleichzeitig die Industriestruktur diversifiziert. Eine stürmische Entwicklung machten in den 1970er Jahren auch die Lodzer Universitäten durch, die in diesem Zeitraum zu Massenuniversitäten wurden. Hatte Lodz noch 1965 ca. 18.000 Studierende gezählt, so wuchs die Zahl bis zur Mitte der 1970er Jahre auf über 32.000 Studierende (davon über 16.000 an der Universität und über 11.000 an 76 77 78 79 80 81

Propaganda: Mieszkania potrzebne jak powietrze, in: Odgłosy 30 (1977), 26, S. 1, 3; Kiedy mieszkanie buduje fabryka, in: Odgłosy 20 (1977), 32, S.  1, 6; Mieszkanie dla każdego, in: Odgłosy 20 (1977), 39, S. 1, 6. Zahlen nach Jarno, Gierkowska „prosperita“, S. 40–41. Hymnische Reportagen und modernistische Fotoreportagen in der Zeitschrift Odgłosy: Robinson z Trasy W-Z, in: Odgłosy 20 (1977), 30, S. 8; Odgłosy 20 (1977), 48, S. 10; Odgłosy 21 (1978), 18, S. 7; 21 (1978), 39, S. 14. Jarno, Gierkowska „prosperita“, S. 65–79. Weitere Betriebe bei Jarno Gierkowska „Prosperita“, S. 53–58; Krzysztof Lesiakowski, Polanil, Bistona, Kalina, czyli Gierkowska modernizacja łódzkiego przemysłu – ambitne zamierzenia i dyskusyjne efekty, in: Kronika miasta Łodzi (2020), 1(88), S. 137–148. Zysiak, Wielki przemysł, S. 36–38.

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der Technischen Hochschule).82 Dank den Einflüssen des Lodzer Universitätsrektors und späteren Bildungsministers Janusz Górski gelang tatsächlich erstmals in der Lodzer Universitätsgeschichte eine schrittweise Internationalisierung – die Hochschulen öffneten sich für Auslandskontakte nicht nur innerhalb Osteuropas. 1978 wurde über die Systemgrenzen hinweg eine Universitätspartnerschaft mit der westdeutschen Justus-LiebigUniversität Gießen besiegelt. Reisemöglichkeiten für Akademiker und Studierende entwickelten sich dynamisch, gegründet wurde das Reisebüro „Almatur“, das günstige Auslandsreisen anbot. Besondere Bedeutung besaß dabei die Stadt als Zentrum des Auslandsstudiums in Polen – nach 1958 mussten alle ausländischen Studierenden in Polen in Lodz ein Studienjahr zum Erlernen der polnischen Sprache absolvieren. Da die internationalen Kontakte Polens mit arabischen und afrikanischen Staaten in den 1960er und 1970er Jahren dynamisch zunahmen, kamen Tausende von ausländischen Studierenden für das Studienjahr nach Lodz. Viele blieben auch für das gesamte Studium, so dass sich in der Stadt seit den 1970er Jahren in wachsendem Maße ausländische Studierende aufhielten, mit erheblichen Folgen für das öffentliche Leben an den Hochschulen. Symbolisch zeigten das die nach dem ersten demokratischen Präsidenten Kongos benannte ul. Lumumby und die in unmittelbarer Nachbarschaft errichteten Wohnheimviertel in Plattenbauweise, in Lodz auch ironisch „Lumumbowo“ genannt.83 In Lodz mündete dies in eine Diversifizierung der öffentlichen Kultur. Neben den sozialistischen Massenveranstaltungen (1. Mai, 22. Juli) entstand auch eine Avantgarde um Künstergruppen wie „Łódź-Kaliska“ oder die Gruppe T (Zespół T). Direktor des „Neuen Theaters“ (Teatr Nowy) war 1975–1979 Kazimierz Dejmek, einer der mutigsten und auch international renommiertesten polnischen Regisseure. In den Lodzer Filmstudios arbeiteten in den 1970er Jahren ca. 1.000 Personen, in der Stadt entstand in der Epoche ca. 50% der gesamten polnischen Filmproduktion – jährlich fanden internationale Filmfestivals und Filmsymposien statt. Unter seinem polyglotten Leiter Ryszard Stanisławski wurde das Kunstmuseum mit seinen bedeutenden Avantgardesammlungen der Zwischenkriegszeit und vor allem des Konstruktivismus auch stärker international wahrgenommen. Das Museum sammelte internationale moderne Kunst u.a. aus der tschechoslowakischen Reformbewegung nach 1968 und der britischen Pop-Art. Lodz erschien nun auf der Karte der internationalen Moderne, in der Bundesrepublik wurden unabhängige Künstler wie Joseph Beuys auf die Stadt aufmerksam (vgl. S. 385). All dies verbesserte die innerpolnische und internationale Wahrnehmung der Stadt, die einen Schritt in Richtung einer internationalen Medienstadt machte.

82 83

Mikołaj Lisiecki, Kształcenie kadr w Łódzkim szkolnictwie wyższym, in: Acta Universitatis Lodziensis, Folia Oeconomica 130 (1993), S. 27–45, hier 34. Bogusław Rakowski, Studium Języka Polskiego dla Cudzoziemców Uniwersytetu Łódzkiego (1958– 2008), in: Kształcenie Polonistyczne Cudzoziemców 17 (2010), S. 9–17.

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Wie tief reichte die Modernisierung in den 1970er Jahren? Neben dem intensiv betriebenen Wohnungsbau, der allerdings in der Mitte der Stadt die historische Innenstadt weiter verfallen ließ, kann man wohl von einer teilweise durchgeführten, schließlich aber abgebrochenen und versandeten Modernisierung sprechen. Ein Kenner der Stadtgeschichte beurteilte die Ergebnisse nuanciert: „In Lodz vollzog sich in der ersten Hälfte der 1970er Jahre ein grundlegender zivilisatorischer Fortschritt. Aber das Ausmaß des Bedarfs war sehr groß. Nur die Aufrechterhaltung eines hohen Wachstumstempos in den Folgejahren hätte bewirken können, dass die die Einwohner betreffenden Probleme nach und nach hätten gelöst werden können. Dazu kam es aber nicht.“84 In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre gingen den Akteuren vielfach die finanziellen Mittel aus, Neubauvorhaben zogen sich über Jahre hin, wurden infolge fehlender Mittel nur in Billigversionen ausgeführt oder abgebrochen. Die Opposition und die Lodzer Solidarność Die Streiks vom Februar 1971 waren zu einem großen Teil eine Angelegenheit der Arbeiterinnen und Arbeiter geblieben, die Lodzer Intelligenz und die Studierenden, die 1968 allein auf sich gestellt protestiert hatten, hatten sich nur marginal beteiligt. Dies änderte sich erst schrittweise in den 1970er Jahren, als es unter Oppositionellen zu einer Verbindung zwischen Intelligenz und Arbeitern kam. Eine Vermittlungsrolle spielte in Lodz Józef Śreniowski aus einer Lodzer Hochschullehrerfamilie, der 1968 wegen der Auslösung von Studentenstreiks unter Soziologiestudenten von der Universität verwiesen worden war und seit den frühen 1970er Jahren Verbindungen zu Jacek Kuroń in Warschau besaß. Śreniowski zählte mit Stefan Kaczorowski 1976 zu den Lodzer Mitbegründern des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) und leistete im selben Jahr mit Rechtsanwalt Mieczysław Korczak und dem Hochschullehrer Włodzimierz Gromiec wegen Streikaufrufen entlassenen Arbeitern des Unternehmens „Bistona“ in Pabianice beratende und juristische Unterstützung.85 In Lodz traf sich die intellektuelle Opposition seit den 1970er Jahren in der Wohnung der Germanistin Sława Lisiecka und des Oppositionellen Zdzisław Jaskuła. Ein zweiter Treffpunkt der stärker nationalen Opposition entwickelte sich um die in dieser Zeit mit Lodz verbundenen Elżbieta und Benedykt Czuma. Zugleich bestand ein erheblicher 84

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„W Łodzi w pierwszej połowie dekady lat siedemdziesiątych XX wieku dokonał się istotny postęp cywilizacyjny. Jednak skala potrzeb była bardzo duża. Tylko utrzymanie wysokiego tempa rozwoju w następnych latach mogło spowodować, że problemy doskwierające mieszkańcom beda sukcesywnie rozwiązane. Tak się jednak nie stało.“ Lesiakowski, Strajki, S. 328. Józef Śreniowski, Zrobiliśmy to wspólnie, in: Próchniak, Niezależność kosztuje najwięcej, S. 185–206, hier 190–192; Marcin Wolniewicz, Komitet Obrony obotników w Łódzi (1976–1981), in: Lesiakowski, Opozycja, S. 73–91. Entwurf Stadtgeschichte für die 1980er: Leszek Olejnik, Dekada Solidarności. Łódź w latach 1980–1989. Łódź 2020.

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Verfolgungsdruck durch die Staatssicherheit, die systematisch Personen verfolgte, Einberufungen zum Militär und Denunziationen veranlasste sowie Entlassungen bewirkte, Oppositionelle aus Wohnungen warf, Spitzel einschleuste und Oppositionsmilieus gegeneinander aufbrachte.86 Den größten Rückhalt fanden die Proteste nach der Niederschlagung der Arbeiteropposition 1976 unter Lodzer Studierenden: Am  28. März 1977 unterzeichneten 176 Personen einen Protestbrief gegen Verletzungen der Menschenrechte.87 Auch die intellektuelle Opposition konnte man in zwei Strömungen unterteilen: Neben einer eher laizistisch-linken Strömung um das KOR stand eine eher nationalpolnische, von Studentenpfarrern wie Stefan Miecznikowski, unterstützte Opposition der „Bewegung zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte“ (Ruch obrony praw człowieka i obywatela) um die Gebrüder Andrzej und Benedykt Czuma und Marek und Stefan Niesiołowski.88 Weltanschauliche Meinungsunterschiede auch unter den Studierenden verhinderten, dass diese 1977–1979 enger zusammen arbeiteten.89 Jedoch entstand mit der literarischen Vierteljahrszeitschrift „Puls“ seit 1977 eine auch polenweit wahrgenommene Untergrundpresse, die Lodzer Autoren ohne Zensur druckte und Übersetzungen von in staatlichen Verlagen nicht angenommenen ausländischen Schriftstellern anfertigte.90 Insgesamt zählte die Lodzer Opposition in den späten 1970er Jahren einen Kern von einigen Dutzend Personen, der sich auf einen familiären und solidarischen Unterstützerkreis von vielleicht 200 Personen stützen konnte, allerdings infolge der auf Isolierung abzielenden Tätigkeit der Sicherheitsbehörden durch Bespitzelung und Erpressung kaum breiter in die Stadtgesellschaft hineinwirkte. Dazu trug vor allem der fehlende Zugang in das Arbeitermilieu bei. Der im studentischen Umfeld tätige Paweł Spodenkiewicz sah dies rückblickend so: „Zu den Lodzer Arbeitern hatten wir keinen natürlichen Zugang. Ehrlich gesagt, wir als Intelligenz kannten sie nicht. Im Unterschied zu den Werftarbeitern entwickelten sie auch in der damaligen Zeit keine authentischen Anführer.“91

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Nachgezeichnet bei Zofia Gromiec, W Łodzi w latach siedemdziesiątych nie było klimatu dla opozycji, in: Próchniak, Niezależność kosztuje najwięcej, S. 63–76; Śreniowski, Zrobiliśmy to wspólnie, S. 189– 190, 193–194. Jarno, Gierkowska „prosperita“, S. 245–246. Nachgezeichnet bei Benedykt Czuma, W PRL-u prawa człowieka były łamane na każdym kroku, in: Próchnik, Niezałeżność najwięcej kostuje, S. 33–45. Dazu rückblickend Jacek Bartyzel, W pełni u siebie poczułem się dopiero w Ruchu Młodej Polski, in: Próchniak, Niezależność kosztuje najwięcej, S. 21–32, hier 25–26; Paweł Spodenkiewicz, Byliśmy jednak w zdecydowanej mniejszości, ebenda, S. 157–172, hier 161–165. Tomasz Filipczak, A my w tango Milonga, in: Próchniak, Niezależność kosztuje najwięcej, S. 47–62, hier 51–60; Ewa Sułkowska-Bierezin, Po prostu lubiliśmy to robić, ebd., S. 173–183. „Do łódzkich robotników nie mieliśmy naturalnego dojścia. Prawdę mówiąc, jako inteligenci, wcale ich nie znaliśmy. W przeciwieństwie do stoczniowców nie wygenerowali oni zresztą w owym czasie swoich autentycznych przywódców.“ Paweł Spodenkiewicz, Byliśmy jednak w zdecydowanej mniejszości, in: Próchniak, Próchniak, Niezależność kosztuje najwięcej, S. 157–171, hier 164.

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Und Zofia Gromiec fügte noch hinzu, warum diese Verbindungen zwischen Intelligenz und Arbeitern so gering entwickelt waren: „man muss daran erinnern, dass Lodz keine besondere Stadt der Intelligenz war, sondern eher eine der Arbeiter, eine Stadt der körperlich schwer arbeitenden Bevölkerung, deren Ziele sich oft auf eine Wohnung ‚in den Wohnblocks‘ und einen Fernseher beschränkten. […] Die Herrschenden unterdückten jedes Auftreten unabhängigen Denkens, denn das widersprach in ihrer Auffassung dem Mythos eines ‚roten Lodz‘. Deshalb gab es hier in den 1970ern kein Klima für eine Opposition.“92 Vielleicht müsste man auch Überlegungen zur Gender-Perspektive hinzufügen: Die Lodzer intellektuelle Opposition war in ihren Sprechern – trotz der Beteiligung von vielen Paaren – männlich, in den Fabriken arbeiteten aber vor allem Textilarbeiterinnen. Frauen hatten es in der polnischen Opposition der 1970er und 1980er überall schwer, sich durchzusetzen und in Leitungspositionen zu gelangen.93 Um wieviel schwerer musste dies noch für eine vielfach im Schichtbetrieb arbeitende und durch lebensweltliche Probleme und Haushaltsfragen belastete Textilarbeiterin sein… Als im August  1980 nach Ankündigungen von Preiserhöhungen auf der Danziger Lenin-Werft ein gesamtpolnischer Protest ausbrach, war die Lodzer Opposition kaum organisiert und vorbereitet. Auch deshalb gelang es in der Stadt der Regierungsseite, die in den Textilfabriken ausbrechenden spontanen Streiks, über die in den Medien nicht berichtet wurde, durch partielle Zugeständnisse und selektive Lohnerhöhungen beizulegen. In Lodz standen deshalb die Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs an der Spitze der Streikbewegung, die am 26. August 1980 ausbrach. Auch dieser Streik konnte beigelegt werden, am 5. September 1980 kam es jedoch in der Wohnung von Grzegorz Pałka (Nawrot  43), einem Angestellten an der Technischen Universität Lodz, zur Gründung eines überbetrieblichen Solidarność-Komitees, an deren Spitze Andrzej Słowik, ein Beschäftigter der Lodzer Verkehrsbetriebe, stand.94 Parallel traf sich eine zweite Gruppe, die sich stärker aus KOR-Vertretern rekrutierte, am selben Tag an einem anderen Ort. Diese Verspätung um ca. einen Monat hatte zur Folge, dass auf gesamtpolnischer Ebene

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„należy pamiętać, że Łódź to nie było miasto szczególnie inteligenckie, raczej robotnocze, miasto ludzi ciężko zapracowanych, których aspiracje często ograniczały się do mieszkania ‚w blokach‘ i telewizora. […] Władze tępiły każdy przejaw niezależnej myśli, bo pewnie kłóciło im się to z mitem ‚czerwonej Łodzi‘. Dlatego tutaj w latach siedemdziesiątych nie było klimatu dla opozycji.“ Zofia Gromiec, W Łodzi w latach siedemdziesiątych nie było klimatu dla opozycji, in: Próchniak, Niezależność kosztuje najwięcej, S. 63–76, hier 76. Zahlreiche Beispiele (leider ohne Persönlichkeiten aus Lodz) bei Shana Penn, Solidarity’s secret: the women who defeated Communism in Poland. Ann Arbor 2005. Leszek Olejnik, NSZZ „Solidarność“ w Łodzi – powstanie i główne kierunki działalności, in: Krzysztof Lesiakowski (Hg.), Opozycja i opór społeczny w Łodzi 1956–1981. Warszawa 2003, S. 92–109, hier 93; Erinnerungen: Andrzej Słowik, Tworzenie struktur NSZZ „Solidarności“ w Łodzi. Sierpeń 1980 – grudzień 1981, in: Jan Chańko (Hg.), Z dziejów NSZZ „Solidarność“ w regionie ziemi łódzkiej. Materiały sesji popularnonaukowej, Łódź, 29 września 2000 r. Łódź 2001, S. 98–119.

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die Lodzer Vertreter kaum sichtbar waren – als Zentren der Solidarność-Bewegung erschienen Danzig, Stettin und die schlesischen Industriestädte, nicht aber Lodz. In der Stadt entwickelte sich deshalb von Anfang an eine gespaltene, von persönlichen, milieubedingten und politischen Rivalitäten durchzogene Oppositionsbewegung mit zwei Schwerpunkten: Auf der einen Seite das regionale Solidarność-Komitee, an dessen Spitze Andrzej Słowik, Grzegorz Pałka und Jerzy Kropiwnicki standen, die vor allem auf Berater aus dem Kreis der nationalpolnischen Opposition (Benedykt Czuma, Stefan Niesiołowski) zurückgriff. Auf der anderen Seite die Solidarność-Gewerkschaft in den Textilbetrieben, die landesweite Branchenverbände aufbaute, an deren Spitze Marek Czekalski und Jerzy Dłużniewski standen und die vor allem Berater aus dem KOR-Umfeld (Józef Śreniowski, Marek Edelman) zurückgriff. Erstere Gruppe besaß in Lodz ein Übergewicht, war aber nur schwach mit der Danzig-Warschauer Führung verbunden, letztere Gruppe verfügte über deutlich bessere Kontakte ins ganze Land und ins Ausland.95 Beide Milieus, in denen zudem jeweils auch Stasi-Mitarbeiter platziert wurden, die Konflikte forcierten, waren durch Lebenswelt und politische Ansichten voneinander getrennt.96 Nach der Legalisierung der Solidarność am 10. November  1980 ging es in den Konflikten in den notorisch schlecht zahlenden Textilfabriken um eine Verbesserung der Bezüge. Am  24. November reiste aus Warschau eine Regierungsdelegation an, die von Jerzy Dłużniewski zunächst durch die Textilbetriebe von Uniontex geführt wurde: „Als der Minister für Leichtindustrie [Władysław Jabłoński] in die Betriebe kam führte er ihn zunächst in die Färberei, dann in die Maschinenhalle. Der Typ bekam also zwei gewichtige Schläge: den Gestank in die Nase und den Lärm in die Ohren. Er sah danach wenig lebendig aus. Erst dann begannen die Gespräche, Forderungen, Argumente.“97 Gefordert wurde unter anderem ein Zuschlag bei Schwerhörigkeit oder Gehörverlust (eine häufige Berufskrankheit der Textilarbeiterinnen) und eine Lohnfortzahlung bei Krankheit von 100%. Im realsozialistischen Lodz hatten die Arbeiter bis dahin 70%, Angestellte 100% Fortzahlung erhalten! Die Verhandlungen wurden per Radio in weitere Säle übertragen, in denen Belegschaften und Delegationen aus anderen Textilbetrieben saßen. Am Ende gelang es, erhebliche Lohnerhöhungen durchzusetzen, die allerdings bald von der Inflation aufgefressen wurden und infolge der Versorgungsengpässe auf dem Papier blieben.98 95 96 97

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Leszek Próchniak, NSZZ „Solidarność“ Region Ziemia Łódzka 1980–1990, in: Łukasz Kamiński/ Grzegorz Waligóra, Solidarność 1980–1989. Bd. 4 Polska zachodnia. Warszawa 2010, S. 105–239. Diese Spaltung spitzte sich nachträglich weiter zu und führte zu divergierenden Aussagen und Erinnerungskonflikten, vgl. die jeweiligen Berichte in Leszek Próchniak (Hg.), Pospolite ruszenie. Relacje działaczy i współpracowników „Solidarności“ w Łodzi 1980–1981. Łódź 2011. „Kiedy przyjechał do zakładów minister przemysłu lekkiego, to najpierw długo oprowadzał go po fabiarni, a potem do hali maszyn. Facet dostał więc dwa potężne uderzenia: smrodem po nosie i hałasem po uszach. Wyglądał po nich jak nieżywy. Dopiero wtedy zaczęły się rozmowy, postulaty, argumenty.“ Tomasz Filipczak, „Solidarność“ była dla mnie spełnieniem pewnej wizji wolności, in: Próchniak, Pospolite ruszenie, S. 93–107, hier 104. Madejska, Aleja włókniarek, S. 235; Próchniak, NSZZ „Solidarność“, S. 129–130.

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An den katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Fabriken änderte sich wenig. Der Wirtschaftswissenschaftler Jerzy Drygalski schilderte 1980/81 seine Begegnungen mit Arbeiterinnen und Arbeitern in den Fabriken, denn dort „konnte ich die Produktionshallen anschauen. Nach Hause kam ich halb taub, entsetzt über die dort herrschenden Bedingungen. Die Kleidung war mit Staub und Resten von Fasern übersät. […] Hysterische, gesundheitlich ruinierte Frauen in billigen Schürzen, mit Resten von Baumwolle in den Haaren, in verstaubten Hallen, die den herrschenden Lärm zu übertönen versuchten. […] Ich fand nicht immer passende Worte. Damals begann ich mir die Skala der Ausbeutung der Arbeiter und ihre schweren Arbeitsbedingungen bewusst zu machen.“99 Der Hysterievorwurf gehörte zu den immer wiederkehrenden Vorwürfen gegenüber den Industriearbeiterinnen, sichtbar wird, wie schwer ein wechselseitiges Verständnis zwischen dem Ökonomen und den Arbeiterinnen herzustellen war. Neben diesen politischen und wirtschaftlichen Konflikten stand die massenhafte Aktivierung und Mobilisierung der Lodzer Bevölkerung, die 1980/81 erstmals Meinungsvielfalt erlebte und intensiv am öffentlichen Leben teilnehmen konnte. Es entstand eine Zivilgesellschaft, in der sich neue Aktionsformen entwickelten. Die traditionellen Nationalfeiertage am 11. November und 3. Mai konnten erstmals wieder begangen werden. Zugleich verschlechterten sich infolge des hinhaltenden Widerstands der kommunistischen Nomenklatura die Arbeitsbedingungen und die Versorgung der Bevölkerung drastisch – bereits im Winter 1980/81 kam es zu Engpässen bei der Lebensmittelversorgung. Daraus resultierten wachsende Spannungen – aus zwei Anlässen blickte auch die gesamtpolnische Öffentlichkeit auf Lodz. In der Stadt eskalierte Anfang 1981 der Streit um die Registrierung eines polnischen Unabhängigen Studierenden-Verbandes (Niezależne Zrzeszenie Studentów, NZS), die von zentralen Gerichten wiederholt abgelehnt wurde, da die Studierenden keine Beschäftigten seien. Dies löste seit November 1980 Proteste aus, die Studierenden forderten die Aufhebung der universitären Zensur, eine größere Selbständigkeit der Hochschule, die Erteilung von Pässen für Auslandsreisen und die Aufhebung der verpflichtenden Kurse im Marxismus-Leninismus und der Lektorate des Russischen, zunächst weitgehend ohne Erfolg. Daraufhin riefen die Studierenden zunächst einen Zeitraum des „solidarischen Wartens“ aus, besetzten dann seit dem 21. Januar 1981 die Gebäude der Hochschulen und riefen einen Streik aus, in dem 17 über die ganze Stadt verteilte Gebäude okkupiert wurden und der von zahlreichen Solidaritätserklärungen von Studierenden anderer Hochschulen und der regionalen Solidarność begleitet wurde. Die Studierenden wurden von Hochschullehrern und Intellektuellen beraten. Parallel entstanden zahlreiche 99

„Mogłem zobaczyć hale produkcyjne. Do domu wracałem ogłuszony, zaszokowany panującymi tam warunkami. Ubranie pokrywał kurz i resztki włókien. […] Rozhisteryzowane, wyniszczone kobiety w tandetnych fartuchach, z resztkami bawelny w włosach, w zapylonej hali, usiłujące przekrzyczyć panujący hałas. […] Nie zawsze znajdowałem odpowiednie słowa. Wtedy zacząłem sobie uświadamiać skalę wyzysku robtników i ich ciężkie warunki pracy.“ Jerzy Drygalski in Próchniak, Pospolite ruszenie, S. 82.

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Abb. 16

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Der Eingang zum Gebäude des philologischen Fachbereichs der Universität Lodz (ehemaliges deutsches Gymnasium) zuzeiten des studentischen Streiks im Januar/Februar 1981.

Wandzeitungen, illegale Drucke sowie Ton- und Filmaufnahmen,100 der Streik weckte so auch überregionale und sogar internationale Resonanz,101 auf die Nachrichten hin kamen internationale Journalisten und Reporterinnen wie Oriana Fallaci nach Lodz.

100 Dokumentiert in dem Film „Bunt na Łodzi“ (2008, Regie Jacek Talczewski; die Tonaufnahmen wurden verschriftlicht und ediert: Jacek Talczewski, Włodzimierz Domagalski, Radosław Peterman (Hg.), Stenogramy ‘81. Zapis negocjacji studentów z przedstawicielami rządu PRL w czasie strajku łódzkich uczelni w 1981 roku. Warszawa 2018; Dokumentation von Erinnerungen: Konrad Banaś, Marcin Gawryszczak, Krzysztof Lesiakowski (Hg.), Strajk studencki w Łodzi styczeń – luty 1981 r. Okruchy pamięci, zapisy źródłowe, ikonografia. Łódź, Warszawa 2016. 101 Konrad W. Tatarowski, Poligrafia strajkowa – tytuły, zawartość i recepcja treści prasy strajkowej, in: Krzysztof Lesiakowski (Hg.), Łodzki strajk studencki styczeń – luty 1981. Spojrzenie po latach. Łódź,

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Abb. 17

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Der „Hungermarsch“ der Lodzer Frauen auf der ul. Piotrkowska, 30. Juli 1981, Plakate mit Aufschriften „Wir lassen uns nicht mit verschiedenen Lebensmittelkarten aufspalten“ und „Wir haben nichts zu verlieren außer Hunger“.

Auch aus diesem Grunde kam es vom 29. Januar bis zum 18. Februar zu Verhandlungen zwischen Studierendenvertretern und einer Regierungskommission unter Leitung des Ökonomen und Bildungsministers Janusz Górski, der selbst 1972–1975 Rektor der Universität Lodz gewesen war. Górski, Ökonom und langjähriges Parteimitglied, sah die Situation nach ersten Verhandlungen durchaus als gefährlich an und zog Parallelen Warszawa 2014, S.  297–311; Piotr Ossowski, Przemysław Stępień, Prasa zagraniczna wobec strajku studenckiego (styczeń – luty 1981), in: ebd., S. 313–333.

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zu den Regierungsverhandlungen in Danzig im August 1980: „übrigens ist das ein Versuch […] ein kleines Danzig zu organisieren. […] Dieselben Spaliere von denjenigen mit Armbinden […] durch die sich die Regierungsdelegation […] unter dem Eindruck verschiedener Reaktionen der Demonstranten hindurchwinden muss“.102 Erst nach langwierigen Verhandlungen kam es – bereits unter der neuen Regierung Jaruzelski – am 18. Februar zur Unterzeichnung eines Abkommens in der Aula des Philologischen Instituts der Universität Lodz (al. Kościuszki 65). Die Unterzeichnung fand übrigens in demselben Raum statt, in dem im Juni 1946 Aktivisten der Arbeiterpartei die Ergebnisse des Referendums gefälscht hatten (vgl. S. 332). Festgelegt wurde eine Zulassung des Unabhängigen Studierenden-Verbandes, eine Aufhebung der universitätsinternen Zensur sowie weitere Zugeständnisse, die nun eine freie Entwicklung studentischer Autonomie und eines selbstbestimmten universitären Lebens ermöglichten – die Studierenden hatten hier als Erste Ergebnisse erzielt, die in der Folge an allen polnischen Universitäten umgesetzt wurden.103 Das zweite Ereignis, das den Blick einer polnischen und internationalen Öffentlichkeit auf Lodz richtete, war der „Hungermarsch“ vor allem Lodzer Frauen, der am Ende einer viertägigen Protestaktion der Solidarność stand. Die Versorgungssituation hatte sich im Frühjahr und Frühsommer 1981 weiter verschlechtert, im April  1981 war die Bewirtschaftung mit Lebensmittelkarten weiter ausgedehnt worden, aber in vielen Geschäften konnte man auch mit Lebensmittelkarten beinahe nichts mehr kaufen – insbesondere für die Industriearbeiterinnen und -arbeiter war dies eine erhebliche Belastung. Daraufhin organisierte die regionale Solidarność ab dem 27. Juli viertägige Proteste, an deren Ende der „Hungermarsch“ mit mehreren zehntausend Teilnehmern, beginnend am Gewerkschaftsgebäude (Piotrkowska  260) und endend am Freiheitsplatz, am 30. Juli stattfand. Unter Plakaten wie „Hungernde aller Länder vereinigt Euch“, „Sind hungrige Kinder das Ziel des Sozialismus?“ oder „Die Partei berät, die Regierung regiert und das Volk hungert“ und gefilmt von internationalen Nachrichtenteams zogen die Demonstrantinnen und Demonstranten durch die Stadt. Dies war gesamtpolnisch die größte Kundgebung seit den Protesten im August 1980, erstmals griff man auch zu öffentlichen Massendemonstrationen auf der Straße, die man bis dahin in Erinnerung des Schießbefehls von 1970 und aus Angst vor Zusammenstößen mit der Staatssicherheit

102 „to jest zresztą próba […] zrobienia małego Gdańska. […] Tak samo szpalery tych z opaskami […] przez które delegacja rządowa […] się przeciska w formie takich czy innych oddziaływań manifestacyjnych“. Górski, 02.02.1981 im Ministerrat, zit. nach Andrzej Czyżewski, „Niemniej jest to farsa, która może być groźna“ – reakcja aparatu partyjno-państwowego, władz uczelnianych oraz NSZZ „Solidarność“ na strajk łódzkich studentów, in: Krzysztof Lesiakowski (Hg.), Łodzki strajk studencki styczeń – luty 1981. Spojrzenie po latach. Łódź, Waszawa 2014, S.165–192, hier 176. 103 Witold Jarno, Porozumienie łódzkie – 18 lutego 1981 r., in: ebd., S. 235–247.

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und Milizen vermieden hatte.104 Spätestens dies zeigte: Die historische Tradition des revolutionären Lodz stand nun auf der Seite der Gewerkschaften. Die Entwicklung in Polen und in Lodz stieß auch international auf erhebliche Resonanz und Unterstützung. Im August  1981 reiste der Düsseldorfer Aktionskünstler Joseph Beuys, damals einer der weltweit führenden modernen Künstler, nach Polen und übergab dem Kunstmuseum Lodz unter dem Titel „Polentransport 1981“ in einer Holzkiste etwa eintausend Kunstwerke. Beuys hatte 1941/42 eine Funkerausbildung an der damals deutschen Reichsuniversität Posen erhalten, es ist ungeklärt, ob er auch Lodz besucht hatte, auf jeden Fall kannte er die Tätigkeit des Museums für moderne Kunst und die städtischen Traditionen des Konstruktivismus. 1981 kommentierte und signierte Beuys beim Auspacken seine Objekte, Zeichnungen und Graphiken und erklärte, er wolle mit dieser Aktion die polnische Gewerkschaftsbewegung durch seine Idee einer „sozialen Skulptur“ unterstützen. Die Schenkung trug zur Erweiterung der Sammlungen für moderne Kunst bei, durfte in Polen nicht gezeigt werden, erlebte aber nach 1989 in Sonderausstellungen europaweit eine Wahrnehmung.105 Die Ausrufung des Kriegszustandes und die Internierung der führenden SolidarnośćVertreter seit dem 12./13. Dezember 1981 traf auch die Lodzer demokratische Öffentlichkeit unvorbereitet. Deutlich über 100 Akteure wurden verhaftet und in Gefängnissen in Sieradz, Łęczyca und Warschau interniert, andere Oppositionelle wurden Verhören unterworfen und gezwungen, Loyalitätserklärungen zu unterzeichnen. Einsetzende Streiks und Demonstrationen schlug die Regierungsseite am 14./15. Dezember gewaltsam nieder, weitere Akteure wurden verhaftet, hunderte Aktivisten entlassen. In den folgenden Prozessen wurden die führenden Vertreter der Lodzer Solidarność 1981–1985 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.106 Andere Aktivisten nötigte man systematisch zur Ausreise, mindestens zwei Dutzend erfahrene Gewerkschafter und Oppositionelle verließen Polen.107 Gegenüber dieser koordinierten und systematischen Unterdrückung, die alle staatlichen, polizeilichen und militärischen Ressourcen in der Hand hatte, konnte die Zivilgesellschaft nur punktuell Widerstand leisten. Eine Möglichkeit war symbolischer Widerstand: Allein an den Lodzer Hochschulen gaben 1982/83 93 Personen ihre Parteiausweise ab.108 Regelmäßig fanden anlässlich zentraler Jahrestage (1. und 3. Mai, 31. August, 104 „Głodni wszystkich krajów łączcie się“, „Czy głodne dzieci to cel socjalizmu?“, „Partia obraduje, rząd rządzi, a naród głoduje“, Próchniak, NSZZ „Solidarność“ Region Ziemia Łódzka, S. 154–156; Kenney, Gender, S. 318; Madejska, Aleja włókniarek, S. 237–237–247. 105 Joseph Beuys, Polentransport 1981. Ausstellungskatalog. Budapest 1989. Die Ausstellung wurde anschließend an vielen Orten gezeigt, etwa in der Warschauer Zachęta-Galerie: Joseph Beuys. Polentransport 1981. Warszawa 1996; zum Kontext in der Biographie von Beuys: Frank Giesecke, Flieger, Filz und Vaterland. Eine erweiterte Beuys-Biographie. Berlin 1996. 106 Edition: Sebastian Pilarski (Hg.), Procesy polityczne działaczy NSZZ „Solidarność“ w Łodzi w okresie Stanu Wojennego. Łódź 2013. 107 Próchniak, NSZZ „Solidarność“, S. 202. 108 Ebd., S. 187.

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11. November) auf der Piotrkowska nicht genehmigte Demonstrationen statt, die von der Miliz gewaltsam aufgelöst und deren Teilnehmer verhaftet wurden.109 In dieser Situation fand die Bürgergesellschaft Unterstützung von Pfarrern und Pfarreien der katholischen Kirche: Im Auftrag Bischof Józef Rozwadowskis organisierte Stefan Miecznikowski in der Jesuitenkirche (Sienkiewicza 60, bis 1945 evangelische Johanniskirche) ein „Zentrum zur Hilfe für Häftlinge und Internierte“ (Ośrodek Pomocy Uwięzionym i Internowanym), das Hunderten von Verhafteten half, Lebensmittelspenden aus Polen und aus dem Ausland verteilte, Sanatorienaufenthalte unterstützte und in Kirchenräumen Vorträge von Oppositionellen organisierte, wo unter anderem Ija Lazari-Pawłowska, Jacek Bartyzel, Stefan Bratkowski und Andrzej Wajda auftraten.110 Seit 1984 entstand zudem im Untergrund eine neue Presse, vor allem die „Stimme Lodzs“ (Głos Łodzi) und die „Solidarność der Region Lodz“ (Solidarność Ziemi Łódzkiej), die regelmäßig nicht zensierte Informationen vermittelten. Allerdings: In diesen Medien setzte sich die ältere weltanschauliche und persönliche Spaltung des Lodzer Oppositionsmilieus fort: Während die erste Zeitschrift vor allem die mit der liberalen Opposition um Dłużniewski, Czekalski und Edelman für Wałęsa verbundenen Gruppen repräsentierte, stand die zweite Zeitung stärker für die regionale Solidarność-Gruppe um Słowik, Pałka und Kropiwnicki. Diese Spaltung zementierte sich in den 1980er Jahren durch die Gründung zweier Untergrundorganisationen und erwies sich als nicht aufhebbar – noch 1988/89 musste Pfarrer Miecznikowski, der um eine Vermittlung gebeten worden war, feststellen: „Appelle im Namen höherer Vernunft, mit Berufung auf persönliche Freundschaft, die mich seit Jahren mit Vertretern beider Gruppen verbindet, blieben ohne Erfolg.“111 Liest man die jeweiligen Berichte über die Ereignisse 1980–1989, so gewinnt man den Eindruck, dass Milieudifferenzen, als persönliche Kränkungen wahrgenommene Meinungsunterschiede, aber auch individuelle Ambitionen vielfach eine Schlüsselrolle spielten. Ein Stück weit nahmen die Lodzer oppositionellen Akteure den Zerfall der Solidarność bereits ein Jahrzehnt zuvor vorweg.112 Nicht ungefährlich blieb dies, da in den 1980er Jahren auch von staatlicher Seite Bemühungen um eine Gewinnung der Unterstützung der Lodzer Arbeiterinnen und Arbeiter stattfanden. Bereits im Mai 1982 lancierte der Militärrat zur Nationalen Rettung (Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego) aus Anlass des Muttertages und des Marienmonats eine Kampagne, in der insbesondere der Rolle der polnischen Mütter (matkiPolki) gedacht werden sollte. Am 8. März 1983 reiste Jaruzelski aus Anlass des Frauentages 109 Ebd., S. 188–189, 200–201. 110 Paweł Spodenkiewicz, Ksiądz Stefan Miecznikowski, jezuita i harcerz. Łódź 2010; Próchniak, NSZZ „Solidarność“, S. 196–198, 204–205. 111 „Apele w imię wyszych racji, z powoływaniem się na osobistą przyjaźń, jaka mnie łączy od lat z działaczami obu grup, pozostały bez skutku.“; Konflikte ohne Parteinahme nachgezeichnet bei Próchniak, NSZZ Solidarność, S. 206–239, hier 232; Wojciech Górecki, Bartosz Józefiak, Łódź. Miasto po przejściach. Wołowiec 2020, S. 272–280. 112 Próchniak, NSZZ Solidarność, S. 214–215, 223–224, 229–232.

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nach Lodz, besuchte dort Industriebetriebe, beglückwünschte Frauen und überreichte ihnen rote Rosen aus Anlass „ihres Feiertages“. Zugleich verkündete er, dass das geplante Denkmal in Form eines „Krankenhauses und Gesundheitszentrums der Polnischen Mutter“ (Szpital Centrum Zdrowia Matki-Polki) in Lodz entstehen solle – indirekt gestand damit das Regime auch die erheblichen Gesundheitsprobleme unter den schwer belasteten Textilarbeiterinnen vor Ort ein. Für das im Süden der Stadt errichtete und 1988 eingeweihte moderne Krankenhaus wurde in den letzten Jahren der Volksrepublik Polen mit Spendenaufrufen und Sondermarken propagandistisch breit geworben – viele Frauen trugen durch ihre Spenden zum Bau des Krankenhauses bei.113 Die Militärdiktatur beschritt hier einen Weg einer Amalgamierung, einerseits appellierte man an die internationale Frauenbewegung und die Emanzipation von Frauen im Sozialismus, andererseits griff man das katholische und nationale Narrativ einer besonderen Bedeutung polnischer Mutterschaft auf. Aber konnte man so die Unterstützung der Arbeiterinnen gewinnen? Dass es hier tatsächlich vor allem um die Gewinnung der polnischen Arbeiterschaft ging, demonstrierte auch die dritte Polenreise Papst Johannes Pauls II. im Juni 1987, die den polnischen Papst auch nach Lodz führte. Bereits im Vorfeld wurden Oppositionelle verhaftet und versucht, die Öffentlichkeit zu kontrollieren.114 Der polnische Papst besuchte auf dieser Reise erstmalig für acht Stunden die Industriestadt Lodz. Aus Tschenstochau kommend absolvierte er am 23. Juni neben einem Besuch der Kathedrale und einem Gespräch mit Kreisen der Intelligenz im Bischofspalast auch – auf eigenen Wunsch – einen Besuch in den Uniontex-Werken (ehemals Scheibler und Grohman), wo ihm ein Bericht über den fatalen Zustand des Lodzer Sozial- und Gesundheitswesens überreicht wurde und er in einer Ansprache in einer Fabrikhalle ausdrücklich die Textilarbeiterinnen ansprach: „Die kirchliche Soziallehre fordert vor allem, dass all das vollständig als Arbeit geschätzt wird, was die Frau im Haus leistet, die gesamte Tätigkeit als Mutter und Erzieherin. Das ist eine große Arbeit. Und diese große Arbeit kann nicht gesellschaftlich abgewertet werden, sie muss aufgewertet werden, wenn die Gesellschaft nicht zu ihrem eigenen Schaden handelt. Infolgedessen muss die Berufsarbeit der Frauen immer und überall mit Bezug auf das gestaltet werden, was aus der Berufung der Frau als Ehefrau und Mutter in der Familie resultiert.“115 113 Padraic Kenney, Pojęcie „Matki Polki“ w języku opozycji i władzy, in: Tomasz Szarota (Hg.), Komunizm: ideologia, system, ludzie. Warszawa 2001, S. 338–351. 114 Vgl. die Dokumente der Staatssicherheit: https://trzeciapielgrzymka.ipn.gov.pl/jp2/dokumenty/ etapy/642,Lodz-13-VI.html. 115 „Nauka społeczna Kościoła przede wszystkim wysuwa żądanie, aby było w pełni docenione jako praca, to wszystko, co kobieta czyni w domu, cała działalność matki i wychowawczyni. To jest wielka praca. I ta wielka praca nie może być społecznie deprecjonowana, musi być dowartościowywana, jeśli społeczeństwo nie ma działać na własną szkodę. Z kolei zaś praca zawodowa kobiet musi być traktowana wszędzie i zawsze z wyraźnym odniesieniem do tego, co wynika z powołania kobiety jako żony i matki w rodzinie.“ https://trzeciapielgrzymka.ipn.gov.pl/jp2/dokumenty/etapy/642,Lodz13-VI.html.

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Solch ein Bezug auf die traditionale katholische Soziallehre blieb für viele Textilarbeiterinnen Anno 1987 wenig konkret. Und er versprach keine Unterstützung in der Verbesserung der Arbeitsverhältnisse. Er bot aber angesichts der Schichtarbeit, der extremen Gesundheitsbelastung an veralteten Maschinen in dekapitalisierten Betrieben und der schwierigen Vereinbarkeit von Industriearbeit und Familie unter den Bedingungen der realsozialistischen Versorgungsengpässe eine eher utopische Perspektive, sicher deutlich mehr, als der mal repressive, mal paternalistische Staatsapparat anbieten konnte. Shana Penn argumentierte, dass ein aus den Mündern einer männlichen Nomenklatura kommendes deklaratives Gleichheitsversprechen wenig glaubwürdig war, denn dahinter standen zahlreiche negative weibliche Erfahrungen: „the widespread use of abortion as contraception, the humiliating hospital conditions in which women gave birth, the utter sham of legal equality, and the exhausting ‘double burden of domestic and workplace labor.”116 Dem polnischen Papst glaubte man dagegen ohne Zögern als Identifikationsfigur und Retterpersönlichkeit. Insgesamt stand Lodz – obwohl die städtische Bürgergesellschaft einen erheblichen Teil an der Solidarność-Bewegung hatte – 1989 im Moment der Wende ohne Führungspersönlichkeiten in der demokratischen Opposition da, die sich anschickte, den Staat zu übernehmen. Am Runden Tisch im Frühjahr 1989 waren zwar Lodzer Akteure beteiligt, aber auf Seiten der oppositionellen Delegation durchweg in untergeordneten Rollen.117 Als Lech Wałęsa, der die Lodzer Verhältnisse wenig kannte, im Februar 1989 vor Ort war, wurden die Konflikte sichtbar. Jerzy Kropiwnicki wollte bereits Anfang 1989 eine christliche Orientierung der Gewerkschaft durchsetzen. Erhebliche Teile der Lodzer Führung standen auf der Wałesa-kritischen Seite: „Man wollte uns einige Herren ohne Bedeutung vorsetzen. Als Wałęsa in den Saal kam, rief die Menge ‚Słowik, Słowik‘.“118 Die Spaltung der regionalen Gewerkschaft zeigten auch die nun freien Wahlen zum regionalen Vorsitzenden, in denen Andrzej Słowik sich mit 215 zu 210 Stimmen durchsetzen konnte.119 Strukturell setzte sich die Spaltung der ehemaligen Lodzer Opposition jedoch durch die Wahl Grzegorz Palkas und Marek Czekalskis zu den ersten beiden Lodzer Stadtpräsidenten (1990–1998) fort. Die Spaltung der demokratisch legitimierten Akteure verhinderte, dass Lodzer Akteure auf nationaler Ebene stärkeren Einfluss auf die polnischen Wirtschaftsreformen und die Transformationspolitik nehmen konnten. Die Industriestadt entwickelte insgesamt zwischen 1970 und 1990 eine lebendige Oppositionsbewegung und eigene demokratische Akteure, die vor Ort Rückhalt besaßen. Sie nahm in zentralen Momenten (Streik 1971, Studentenstreik Winter 1981, „Hungermarsch“ Juli 1981) erheblichen Einfluss auf die gesamtpolnische Oppositionsbewegung, 116 Penn, Solidarity’s secret, S. 24. 117 Olejnik, Dekada, S. 268 listet die Beteiligten auf. 118 „Chciano nas przedstawić jako kilku panów bez znaczenia. Gdy Wałęsa wchodził do Sali, tłum skandował ‚Słówik, Słowik‘.“ Marek Koprowski, Krótki zarys sporów w (nielegalnej) „Solidarności“, in: Odgłosy 32 (1989) 16, S. 1, 5. 119 Próchniak, NSZZ Solidarność, S. 238–239.

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vermochte jedoch nicht eigene Persönlichkeiten auf der gesamtpolnischen Ebene durchzusetzen. Polnische Solidarność-Führer kamen aus Danzig, Stettin, Breslau und Oberschlesien, ihre Berater aus Warschau und Krakau und brachten jeweils eigene, durchaus auch regionale Interessen in den Reformprozess ein. Lodz fehlten solche gesamtpolnischen Persönlichkeiten, im Rahmen des Transformationsprozesses fehlten gewichtige Fürsprecher.

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Lodz nach 1989: Zusammenbruch und Metamorphose einer Stadt „Kongresspolen. Zentralpolen. Siff. Hier ist es immer hässlich. Wenn ich von Danzig nach Süden fahre und mich nur Lodz nähere, dann fühle ich, wie mich die Depression erfasst. Schmutz und Unordnung. Erst in Krakau, in Breslau spüre ich, dass die Zivilisation zurückkehrt. In Posen, oh ja. Nach Lodz fahre ich nicht hinein, da schüttelt es mich. Irgendwie ist da alles so vulgär …“1  Ziemowit Szczerek im August 2021

Das Räsonnement, das der polnische Schriftsteller, der in Krakau und Warschau lebt, hier einem Danziger Geschäftsmann in den Mund legt, spiegelt teilweise die Einschätzung großer Teile der polnischen städtischen Eliten wider, für die Zentralpolen und dessen Metropole Lodz auch im Jahre 2021 vielfach auf einer kulturellen Landkarte nicht existieren. Dabei sollte alles besser werden: Visionen, die in den von Modernisierung und einer boomenden Bauindustrie geprägten 1970er Jahren entstanden waren, prophezeiten „Lodz 2000“ eine prosperierende Zukunft als einer Stadt des Konsums und der Kultur.2 Die Industriestadt des 21. Jahrhunderts sollte auf der Grundlage von modernen Kombinaten – demonstriert am Beispiel der Bekleidungsfirmen „Warta“ und „Próchnik“ – die führende polnische Position in der osteuropäischen Textilindustrie ausbauen. Eine moderne Wohnkultur sollte in den Neubauvierteln das Leben erleichtern, mit einem schnellen öffentlichen Verkehrssystem sollten die Einwohner aus den funktionalen Wohnungen der Vororte in die kulturellen Zentren in der Innenstadt gebracht werden. Die Stadt sollte ca. eine Million Einwohner erreichen, für die eine erweiterte Infrastruktur notwendig erschien: Für Lodz war eine Metro geplant, die von Nordwesten nach Südosten die Stadt erschließen sollte. Westlich der Stadt sollte ein neuer Flughafen entstehen, ein Autobahnnetz sollte die im Zentrum von Polen gelegene Stadt mit allen Großstädten verbinden.3 Tatsächlich wurde bis 2000 keines dieser Projekte realisiert, im Gegenteil versank die Stadt in den 1990er Jahren in einer Krise, deren Überwindung mindestens eine Generation benötigte. Die Stadt verlor seitdem fast 200.000 Menschen (1988: 854.000, 2020: 677.000 1 „Kongresówka. Środkowa Polska. Syf. Tu jest zawsze brzydko. Jak ja z Gdańka na południu jadę i się już tylko zbiżam do Łodzi, to czuję, jak mnie depresja ogarnia. Syf, burdel. Dopiero tak jakoś w Krakowie, we Wrocławiu, czuję, że znów jakaś cywilizacja. W Poznaniu, o. Do Łodzi to nawet nie wjeżdżam, bo mnie trzęsie. I jakieś to wszystko takie prostackie …“ Ziemowit Szczerek, Klątwa Piłsudskiego obwarzanka, in: Gazeta Wyborcza, 21.08.2021, Magazyn, S. 16. 2 Lucjusz Włódkowski, Łódź 2000. Warszawa 1977. 3 Karte mit dem geplanten Streckenverlauf ebd., S. 208.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_016

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Einwohner), die Arbeitslosigkeit zählte in den 1990er und 2000er Jahren mit zeitweise über 20%, dann deutlich über 10% zu der höchsten unter allen polnischen Großstädten. Wie konnte es zu diesem Zusammenbruch kommen? Mit welchen Konzepten sucht sich die Stadt aus dieser Krise zu befreien und welche Rolle spielen hier globalisierte Industrien und die multikulturelle Geschichte? Transformationsgesellschaft und Globalisierung Lodz im Jahre 1989 war nach wie vor eine traditionelle Textilstadt, die Stadt lebte weiterhin im Rhythmus des Dreischichtenbetriebs in den großen Fabriken. Des Morgens um sechs, um 14 Uhr und um 22 Uhr verließen Scharen abgekämpfter Arbeiterinnen und Arbeiter die Fabriken. Etwa  40% der Beschäftigten, ca. 170.000 Menschen, lebte von und mit der Textil- und Bekleidungsindustrie. Abgeschottet durch die Zollgrenzen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe konnte diese Industrie, die erhebliche Teile ihrer Produktion in die Sowjetunion und andere Ostblockstaaten exportierte, unberührt von globalen Märkten und den sich verändernden Handelsbedingungen überdauern. Weltweit hatten sich dagegen seit den 1960er Jahren drastische Verschiebungen in der Textilindustrie vollzogen. Durch sinkende Transportkosten, Abbau der Zollgrenzen, die Entwicklung eines weltumspannenden Handels und die steigenden Löhne in der westlichen Welt kehrten die Fertigungsstätten in den personalintensiven Bereichen der Textilindustrie immer stärker in die Billiglohnländer des globalen Südens zurück. Westeuropäische und US-amerikanische Textilbetriebe gaben vor Ort die Produktion auf oder verlagerten lohnsensible Teile ihrer Massenproduktion nach Asien, seit den 2010er Jahren auch nach Afrika. Ab nun wurde in den Gesellschaften und Fabriken Indiens, Bangladeschs und Pakistans für die Welt produziert, seit den 1980er Jahren kam die VR China mit einem großen Markt, Niedriglöhnen und riesigen Produktionskapazitäten hinzu, gegenwärtig Äthiopien und Kenia. Die Lodzer Unternehmen waren auf diesen harschen und preissensiblen Weltmarkt in keiner Form vorbereitet. Mit der Krise der Ostblockwirtschaft in den 1980er Jahren waren zudem Absatz- und Finanzstrukturen immer fragiler geworden. Die Lohnerhöhungen, die durch Streiks der Solidarność durchsetzt worden waren, verteuerten zudem die Produktionsbedingungen und führten bereits 1988/89 zu einer Überschuldung vieler Firmen innerhalb des volkspolnischen Banksystems. Zahlreiche Betriebe waren schließlich durch Investitionen bei Versorgungsbetrieben und sozialen Sicherungssystemen verschuldet. Bei ihrer Entstehung in den 1980er Jahren hatten die Akteure niemals daran gedacht, dass diese Schulden nun in hoch verzinste Bankkredite unter kapitalistischen Bedingungen umgewandelt werden könnten. Als in der zweiten Jahreshälfte 1989 durch Arbeitsgruppen um den ersten demokratisch gewählten Wirtschaftsminister Leszek Balcerowicz liberale Wirtschaftsreformen, eine Freigabe der Preise und die Konvertibilität des Złoty durchgesetzt wurden, verschärfte

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sich die Situation rasch. Gerade die Märkte der Sowjetunion, die in der Epoche eine scharfe Wirtschaftskrise durchlief, brachen rasch zusammen. Bestellungen in Lodz wurden storniert und Bezahlungen gingen bei galoppierender Inflation verspätet ein. 1991 hob die polnische Seite die Verrechnungsbasis des Transferrubels auf, was den Osthandel zum Erliegen brachte. Auch innerpolnisch sank die Nachfrage nach Textilien drastisch, die Bevölkerung benötigte für die erheblich steigenden Lebensmittelpreise große Teile ihres verfügbaren Einkommens. Die Zolltarife wurden einseitig zurückgenommen, zahlreiche Kleinunternehmer importierten nun billige Textilien vom Weltmarkt. Importe aus Indien, Thailand und der Türkei eroberten den polnischen Markt. Eine große Bedeutung gewannen Second-Hand-Geschäfte (poln. lumpexy), die massenhaft billige und gebrauchte Textilien aus dem Ausland importierten. Auch der reguläre innerpolnische Bekleidungsmarkt brach 1989/90 regelrecht zusammen. Bereits im Sommer 1989 zahlten die Lodzer Unternehmen ihren Beschäftigten Löhne vielfach nur verzögert aus. Lohnerhöhungen fanden trotz einer wachsenden Inflation erst verspätet statt, daraufhin kam es wiederholt zu Streiks. Im Herbst 1989 standen erste Betriebe vor dem Zusammenbruch. Am 26. November 1989 berichtete die Presse alarmierend: „Das Gespenst der Armut erscheint über Lodz“ und nur ein Hilfskomitee könne unmittelbare Armut bis hin zu Hunger verhindern.4 Aus der Perspektive der zentralen polnischen Wirtschaftspolitik gab es allerdings in dieser Situation kaum Hilfsangebote: Die neue, erstmals teilweise demokratisch legitimierte Regierung setzte auf eine Schocktherapie, die Fehlallokationen beseitigen und durch die moderne zukunftsfähige Strukturen entstehen sollten. Allerdings gab es auch Unterstützung für Industrien in der Transformation, aber nur für ausgewählte Wirtschaftsbereiche, die als rentabel und zukunftsträchtig angesehen wurden. Die Textilindustrie zählte nicht dazu. Zusammenbruch Die veralteten Betriebe der Lodzer Textilindustrie galten im Unterschied zur Energiewirtschaft, zu der Schwerindustrie und zum Bergbau nicht als systemrelevant. Auch verfügten die Betriebe nicht über solche politischen Fürsprecher in Warschau wie die prestigeträchtigen Werften in Stettin und Danzig, für die in den 1990er Jahren umfangreiche Hilfs- und Restrukturierungsprojekte aufgelegt wurden. Als Vergleichsfall kann die Geschichte der Danziger Werft genannt werden, in die Staatsunternehmen und die Agentur für die Entwicklung der Industrie (Agencja Rozwoju Przemysłu) zwischen 1989 und 2010 erhebliche zentralstaatliche Finanzmittel investierten, die zwar den 4 „Widmo nędzy wisi już nad Łodzią“; „powołać Komitet Pomocy ‚ludzie ludziom‘“. Odgłosy 32 (1989), 48, S. 7.

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letztendlichen Abbau der Werftkapazitäten und Entlassungen nicht verhindern konnten, aber den Abbau der Arbeitsplätze über zwei Jahrzehnte streckten und abfederten.5 Auch in die polnischen Bergwerke investierte die Agentur für die Entwicklung der Industrie über die Außenstelle Kattowitz erhebliche Summen, der Bergbau wurde nach 1990 dauerhaft mit erheblichen Summen subventioniert und soll nun in den 2040er und 2050er Jahren – 50–60 Jahre nach der Transformation! – schrittweise zurückgeführt werden. Nichts dergleichen geschah in Lodz: Die Textilbetriebe verschuldeten sich 1989/90 angesichts wegbrechender Umsätze und steigender Löhne weiter erheblich und gingen 1990/91 vielfach in Konkurs. Fabrikleitungen und Management verfügten durchweg nicht über betriebswirtschaftliche Kompetenzen, die eine rasche Umstellung auf die neue marktwirtschaftliche Wirtschaftsweise unterstützt hätten. Einige Betriebe mit einem besseren Maschinenstock wurden früh privatisiert, wobei die Käufer teilweise vor allem ein Interesse an den Immobilien oder an Zuschüssen durch polnische und internationale Hilfsprogramme hatten. So etwa das Unternehmen Bistona, das synthetische Fasern für den Industriemarkt produzierte und in den 1970er Jahren als ein Vorzeigeprojekt der Gierek-Ära moderne Fabrikationshallen erhalten hatte. Der Betrieb geriet 1989/90 ebenfalls infolge des Ausfalls von Lieferungen in die Sowjetunion in finanzielle Schwierigkeiten, ein Restrukturierungsprogramm wurde 1990 vom Ministerium für Industrie und Handel abgelehnt, die Betriebe in zwei getrennte Gesellschaften Bistona und Roltex aufgespalten. Bistona wurde bereits 1990, nach der Verkündung einer Zahlungsunfähigkeit, unter umstrittenen Umständen an einen italienisch-britischen Investor, die Firma Legler Polonia verkauft. Der Investor sollte 3.200 Mitarbeiter beschäftigen und 135 Millionen Dollar investieren. Tatsächlich erfolgten keine Investitionen, die Firma verkaufte Teile der Immobilien, entließ die Mitarbeiter, stieß die Firma schließlich wieder ab. In einem erst 2010 abgeschlossenen Prozess waren mehrere Mitarbeiter des Ministeriums angeklagt, der Prozess endete mit der Feststellung mehrerer schuldhafter Vergehen von Ministeriumsmitarbeitern, wurde aber infolge von Verjährung eingestellt. Verurteilt wurde ausschließlich der Konkursverwalter.6 Der Fall Bistona ist bezeichnend für eine Reihe von wilden Privatisierungen der frühen 1990er Jahre, in dem Betriebe an Investoren verkauft wurden, die die Belegschaften entließen, die Immobilien verwerteten und die Betriebe anschließend abstießen. Als extrem schwierig erwies es sich vor allem, die traditionsreichen großen Textilbetriebe mit deren vielen tausend Beschäftigten fortzuführen, da infolge der hohen Zahlungsverpflichtungen etwa an die staatliche Sozialversicherung (ZUS) im Monatsrhythmus erhebliche Schulden aufliefen, die bei wegbrechenden Märkten und im 5 Peter Wegenschimmel, Non-Profit-Industrie. Die lange Abwicklung ostmitteleuropäischer Werften. Diss. Regensburg 2019; ders., Andrew Hodges, The Embeddedness of ‚Public‘ Enterprises: the Case of the Gdynia (Poland) and Uljanik (Croatia) Shipyards, in: Business History 2020, DOI: https://doi.org/10.1080 /00076791.2020.1796975. 6 https://www.fabrykiprl.pl/fabryki/bistona/; Zysiak, Wielki przemysł, S. 79–81.

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Rahmen einer Umstrukturierung nicht aufzubringen waren. Beispielhaft sei hier das Schicksal der drei größten Lodzer Textilbetriebe nachgezeichnet, die ein Stück weit repräsentativ für die Industriegeschichte der Stadt stehen. Die Widzewer Manufaktur, eine Gründung Heinzels und Kunitzers im späten 19. Jahrhundert und in der Zwischenkriegszeit als internationale Aktiengesellschaft mehrheitlich im Besitz der Familie Kon, deren Industriegeschichte den Stadtteil Widzew erheblich geprägt hatte, besaß 1989 ca. 4.500 Beschäftigte, davon 80% Frauen. Das Unternehmen, das zu dem traditionellen Namen „Wi-Ma“ zurückkehrte, produzierte Industriefasern, für die es international Absatzmärkte gab. Es ging deshalb an den Nationalen Investitionsfond über, der die Arbeitsplätze schrittweise verringerte, die Produktion aber über ein Jahrzehnt weiterzuentwickeln suchte. 1998 besaß die Firma noch 1.100 Beschäftigte, anschließend erfolgte ein Zusammenbruch und die Liquidation der Firma, auf dem ehemaligen Betriebsgelände siedelten sich Start-ups an.7 Das Uniontex-Unternehmen (ehemals Scheibler & Grohman), galt als das älteste und traditionsreichste Lodzer Unternehmen. Es besaß um 1989 ca. 6.000 Beschäftigte auf einem Betriebsgelände von 19 ha und war damit das größte Textilunternehmen ganz Polens. Uniontex exportierte in den 1980er Jahren über 15% seiner Produkte in das Ausland, davon 6% in die Sowjetunion und 9% nach Westeuropa. Das Unternehmen war ein sozialistischer Großbetrieb, an den eine große betriebsmedizinische Abteilung (80 Personen, davon 20 Ärzte), eine umfangreiche Bibliothek, eine eigene Betriebszeitung und ein Sportklub angeschlossen waren. Aufgrund seiner Größe und seiner unspezifischen Produktionsstruktur galt Uniontex als in dieser Form nicht reformierbar. Der Betrieb wurde in den frühen 1990er Jahren in mehrere Gesellschaften aufgeteilt und existierte vor allem durch die Vermietung und den Verkauf von Immobilien weiter. Auf einem Teil des Betriebsgeländes wurde eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet. Im Jahre 2000 arbeiteten dort noch 1.200 Beschäftigte, 2010 erfolgte die Geschäftsaufgabe.8 Der letzte Eintrag in der Firmenchronik beleuchtet die Abwicklung mit einem Schuss Nostalgie: „Als letzter Kunde von ‚Uniontex‘ kaufte ich sämtliche Betriebsvorräte. Und so endete die Geschichte Scheiblers, Grohmans und der Uniontex! Schade. [im Org. in deutscher Sprache, H.-J.B.]. Jan Adam Topolski.“9 2012 brannte auf dem vernachlässigten Uniontex-Firmengelände die „päpstliche“ Weberei nieder, in der 1987 Johannes Paul II. zu den Textilarbeiterinnen gesprochen hatte.10 Die Poltex-Betriebe, die ehemaligen Poznański-Werke im nordwestlichen Stadtzentrum, exportierten in den 1980er Jahren 20–40% der Produktion nach Westeuropa, 7 8 9

10

https://www.fabrykiprl.pl/fabryki/wima/ Zysiak, Wielki przemysł, S. 215–219. Zysiak, Wielki przemysł, S. 199–203; https://www.fabrykiprl.pl/fabryki/uniontex/. „Jako ostatni klient ‚Uniontexu‘ wykupiłem cały zapas magazynowy. I tak zakończyła się historia Scheiblera, Grohmans i Uniontexu! Schade. Jan Adam Topolski“ Zit. nach Madejska, Aleja włókniarek, S.  310 (Archiwum Centralnego Muzeum Włókiennictwa, Kronika Łódzkich Zakładów Przemysłu Bawelnianego im. Obrońców Pokoju). Madejska, Aleja włókniarek, S. 300.

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vor allem aber in Ostblockstaaten. In Polen schneiderten die Bekleidungskonzerne Wólczanka und Telimena aus diesen Halbprodukten ihre Bekleidungsartikel, etwa durchaus nachgefragte Hemden und Mäntel. Der Betrieb war durch den Zusammenbruch des Exports in die osteuropäischen Staaten bereits Ende der 1980er Jahre hoch verschuldet, wurde 1991 zahlungsunfähig und früh zerschlagen, zumal das nahe der Innenstadt gelegene große Betriebsgelände besonders wertvoll erschien.11 Französisches Kapital erwarb eine größere Beteiligung und errichtete dort nach mehreren Anläufen bis 2006 teilweise in den historischen Spinnereien und Webereien das Einkaufszentrum Manufaktura. Auf dem Gelände entstand weiterhin in den historischen Gebäuden 2009 das Viersterne-Hotel „Vienna House Andel’s“ sowie eine Dependence des Kunstmuseums Lodz. Die Umgestaltung des Geländes, die sich über zwei Jahrzehnte hinzog, gilt heute als eine der architekturgeschichtlichen und städtebaulichen Erfolgsgeschichten in der Stadt. War der Untergang dieser und zahlreicher weiterer Textilunternehmen in Lodz in einer neuen, rasch installierten marktwirtschaftlichen Umgebung unvermeidbar? Dieses Thema war bereits zeitgenössich erheblich aufgeladen, zumal an den konkreten Umsetzungen jeweils zehntausende von menschlichen Existenzen hingen. Auch aktuell gibt es unterschiedliche wirtschaftshistorische Positionen, hervorgehoben werden muss jedoch, dass es staatlicherseits für die großen Textilbetriebe der Stadt keine mittelfristige und komplexe Umstrukturierungsstrategie sowie keine, noch nicht einmal degressiv angelegte, Hilfen gab. Mehrfach wurde 1992/93 die Einsetzung eines polnischen Bevollmächtigten für die Textilindustrie gefordert, der eine solche Zukunftsstrategie erarbeiten sollte. Das geschah jedoch nie, erhebliche Teile der Textilindustrie wurden einem in den sozialistischen Realia großgewordenen betrieblichen Management ausgeliefert, das nicht mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen vertraut war und vielfach Ziele der eigenen Bereicherung verfolgte. Was das hieß, sei beispielhaft an der Karriere des Managers und Politikers Andrzej Pęczak nachgezeichnet. Pęczak besaß einen Abschluss als Ingenieur der Technischen Hochschule Lodz, promovierte an der Moskauer Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPdSU mit einer Arbeit über „Die Steuerung der Modernisierung von großen Industriekomplexen“ und begann seine Karriere als Sekretär des Sozialistischen Jugendverbandes in den Maltex-Betrieben. Er wechselte ab 1985 als Sekretär des von der PZPR kontrollierten Betriebskomitees zu den Fonica-Werken – eine lupenreine Parteikarriere. 1989–1991 war er an dem Privatunternehmen Elpol beteiligt, das nun eine Gesellschaft mit der um ihr Überleben kämpfenden Fonica gründete, wechselte dann aber 1994 nach dem Wahlsieg der sozialistischen (postkommunistischen) Partei in das Amt des Wojewoden und war Mitglied des polnischen Parlaments 1997 bis 2004. In diesem Jahr wurden gegen ihn wegen Veruntreuung von Mitteln des Regionalen Umweltfonds und wegen Bestechlichkeit zwei Prozesse eröffnet, in denen er zweimal rechtskräftig zu 11

Zysiak, Wielki przemysł, S. 169–174; https://www.fabrykiprl.pl/fabryki/poltex/.

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Haftstrafen von drei Jahren und acht Monaten bzw. drei Jahren verurteilt wurde. Pęczak hatte wiederholt versucht, Mittel für die Umstrukturierung von Betrieben in die eigene Tasche umzuleiten und sich mit Luxuskarossen bezahlen zu lassen. Dieser Fall von nachgewiesener Veruntreuung und Korruption fand einen juristischen Abschluss. Zahlreiche weitere Verfahren gegen Beteiligte an der Umstrukturierung und Privatisierung der Lodzer Industriebetriebe wurden allerdings verschleppt, scheiterten wegen Verjährung oder endeten durch Verhandlungsunfähigkeit der Beteiligten. Seriöse ausländische Investoren engagierten sich nur in geringem Maße, zumal im Umfeld von 1989 europaweit in der Textilindustrie große Produktionskapazitäten auf Investitionen warteten. Die Südwolle, nach eigenen Angaben der weltgrößte Kammgarnspinnerei-Konzern mit globalen Interessen und Betriebsstrukturen, griff nach dem Kauf der Wollbetriebe Andrzej Strug (Zakłady Przemysłu Welnianego im. Andrzeja Struga) zu einer drastischen Reduzierung der Beschäftigten von 650 auf nurmehr 100 Beschäftigte. Ältere und kleinere Betriebe wurden geschlossen, eine moderne Kammgarnspinnerei in einer bis dahin unvollendeten Produktionshalle errichtet. Der Einstieg eines deutschen Konzerns löste in der Lodzer Öffentlichkeit ein unterschiedliches Echo aus.12 Aktuell arbeiten in den East West Spinning-Betrieben, einem Teil des Südwolle-Konzerns, ca. 370 Beschäftigte im Dreischichtbetrieb.13 Gerade Betriebe im Bereich der synthetischen und industriellen Textilienherstellung arbeiten bis heute vor Ort (Fa. Teofilów).14 Hier zeigte sich, dass doch ein Teil der Lodzer Textilunternehmen weltmarktfähig war. Allerdings sind dies wenige Beispiele, mehrheitlich scheiterte eine Umstellung ähnlich wie in der ehemaligen DDR an Kapitalmangel, einem nicht mittelfristig engagierten Management und einer fehlenden Strategie. Vielen Firmen, die ebenfalls in der durchaus rentablen Wollverarbeitung (Polmerino) oder in der weiterhin oft in Europa angesiedelten Erzeugung von Industrietextilien tätig waren, gelang ein solcher Umbau nicht. Eine erhebliche Rolle spielte dabei, dass insbesondere in der globalisierten Textilund Bekleidungsindustrie die Transformation in eine Marktwirtschaft und der parallele Aufbau globaler Produktionsketten kurzfristig kaum erfolgreich bestritten werden konnte, da hierzu das nötige Kapital und eine internationale Strategie fehlten. Auch von Seiten der polnischen Industriepolitik bestand – im Unterschied zu den Werften oder zu der Metall- und Rüstungsindustrie – keine Bereitschaft, solch einen langfristigen Umbau finanziell zu unterstützen oder durch staatliche Hilfen abzufedern. Polnische Politiker mieden in den 1990er Jahren den sozialen Brennpunkt Lodz, ein Strukturplan, der überlebensfähige Unternehmen identifiziert und entwickelt hätte, fehlte.15 Mit der 12 13 14 15

Wojciech Górecki, Niemcy w Łodzi, in: Wojciech Górecki, Bartosz Józefiak, Łódź. Miasto po przejściach. Wołowiec 2020, S. 27–32 (August 1991). https://www.suedwollegroup.com/ews/. Zysiak, Wielki przemysł, S. 195–198. Berichte eines betroffenen Insolvenzverwalters; Madejska, Aleja włókniarek, S. 279.

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Perspektive eines Beitritts in die EU seit den späten 1990er Jahren war zudem polenweit ein Abbau industriepolitischer Beteiligungen ordnungspolitisch vorgegeben – ein weiterer Grund, warum um 2000 auch die Reste des Lodzer Textilgewerbes weitgehend zusammenbrachen. Lodz befand sich dabei um 1990 in einer ähnlichen Situation wie andere globale Industriestädte mit einer monoindustriellen Struktur bereits Jahrzehnte zuvor. In der Textilbranche kann man vor allem an das britische Manchester denken, das zwischen 1961 und 1983 ca. 150.000 Arbeitskräfte in der Textilindustrie verlor. Für Lodz wird allein für die zwei Jahre zwischen 1989 und 1991 von einem Verlust von ca. 85.000 Arbeitsplätzen (von 171.000 Arbeitsplätzen in der Textilindustrie) ausgegangen, bis ca. 2005 erreichten die Verluste ebenfalls die Größenordnung von 150.000 Arbeitsplätzen.16 Branchenübergreifend könnte man auch rinrn Vergleich mit dem Niedergang von Autostädten wie Detroit ziehen.17 Armut Sozialgeschichtlich mündete der Zusammenbruch der Textilindustrie in eine ungebremste Massenarbeitslosigkeit, eine Armutswelle in der Region und eine Abwanderung insbesondere der jüngeren Arbeitskräfte, die sich in der nächsten Generation noch fortsetzte. Die Situation verschärfte die unzureichende Sozialgesetzgebung der neoliberal eingestellten polnischen Regierungen in den 1990er und 2000er Jahren, unabhängig von ihrem politischen Zuschnitt. Auch die Koalitionsregierungen unter Führung der postkommunistischen Sozialdemokratie (1993–1997, 2001–2005) setzten die neoliberale Wirtschaftspolitik fort.18 Sozialpolitische Maßnahmen und Rezepte existierten nur eingeschränkt: Genutzt wurden die Instrumente von niedrigen Übergangsgeldern und einer Frühverrentung, die Frauen nach 30, Männern nach 35–40 Arbeitsjahren zustand. Dies mündete in niedrige Renten, die kaum ein Existenzminimum sicherten. Abfindungen und Übergangsgelder wurden vielfach in Form von Mitarbeiterbeteiligungen und -aktien gezahlt, die bei der regelmäßigen Insolvenz der Unternehmen rasch wertlos wurden. In der Region Lodz gab es in den 1990er Jahren keinerlei Möglichkeit, die Massenentlassungen in der Textilindustrie durch den Aufbau anderer Gewerbezweige auszugleichen. Ein betroffener Arbeiter aus Pabianice berichtete rückblickend: „Einige, die ihre Jahre schon gearbeitet hatten, erhielten ‚Kuron-Gelder‘ [benannt nach dem polnischen 16 17 18

Vergleich ausgeführt bei: Comparative Study of Łódź and Manchester. Geographies of European Cities in Transition. Łódź 1997. Geplant ist von Agata Zysiak ein monographischer Vergleich Lodz – Detroit. Dazu übergreifend Philipp Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent: Eine Geschichte des neoliberalen Europa. Berlin 2014.

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Arbeitsminister der Epoche, Jacek Kuroń, H.-J.B.]. Diese betrugen 400 zł., und zuvor hatte man 1.600 zł. oder als Meister 3.000 zł. verdient. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass in den Textilbetrieben ganze Familien arbeiteten, Eltern, Kinder und deren Kinder. Wenn diese allesamt die Arbeit verloren, ging es ihnen wirklich dreckig. Es gab Werkswohnungen, und sie hatten nun für Nebenkosten, Strom und alles andere zu zahlen. Das war eine wirkliche Tragödie und niemand reichte den Textilarbeitern die Hand. Der Bergmann erhielt, wenn er ging, Abfindungen in Höhe von 40.000 zł., der Textilarbeiter bekam Aktien. Diese Aktien kaufte niemand. Sie waren nur eine Erinnerung daran, dass es einmal etwas gegeben hatte.“19 Besonders betroffen von den Massenentlassungen waren Frauen, die 1989 über zwei Drittel der Beschäftigten dargestellt hatten. Die Textilarbeiterinnen, Weberinnen und Schneiderinnen aus den Betrieben, vielfach seit Generationen dort tätig, hatten kaum Chancen, eine neue Beschäftigung zu finden, viele hielten sich nach ihrer Entlassung mit Heimarbeit an ausgedienten Web- und Nähmaschinen mühsam über Wasser.20 Im Jahre 1991 stellten Arbeiterinnen in einer Petition fest: „Bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Veränderungen ordnet man den Frauen eine schlechtere Position zu, ja gibt ihnen keine Chance. Die Gruppenentlassungen betreffen vor allem Frauen“.21 Tatsächlich muss konstatiert werden, dass die politischen Diskurse der Epoche die Arbeitsplätze der (durchweg männlichen) Werftarbeiter und Bergleute deutlich höher bewerteten als die Tätigkeiten der Textilarbeiterinnen. In Regierungskreisen und in den Medien existierten durchaus Vorstellungen, dass der Platz der Frauen übereinstimmend mit der christlichen Familienlehre und Konzepten „polnischer Mütter“ (vgl. S. 387) eher in der Familie sein sollte. Viele Frauen und Männer hatten aber nur im Textilgewerbe Arbeitserfahrungen, besaßen keine Netzwerke und kaum Unterstützung. Ethnologinnen stellten in Beobachtungen und lebensgeschichtlichen Interviews fest, dass Frauen sich in den häuslichen Bereich zurückzogen oder Heimarbeit im Niedriglohnsektor annahmen.22 19

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„Niektórzy, którzy mieli lata już wypracowane, przechodzili na „kuroniówki“. Pamiętam te „kuroniówki“ – 400 zł, a [wcześniej] zarabiał przykładowo 1,6 tys. czy 3 tys. mistrz zarabiał. Nie zapominajmy, że w zakładach włókienniczych pracowały całe rodziny – rodzice, dzieci i ich dzieci. Jak oni wszyscy stracili pracę, to naprawdę ciężko im było. Były bloki zakładowe, a tu komorne, prąd, wszystko trzeba zapłacić. Tak że to była tragedia i nikt ręki nie podał włókiennikom. Górnik odchodził, to dostawał odprawę 40 tys., a włókiennik akcje dostał. Tych akcji nikt nigdy nie kupił. Po prostu tylko pamiątka jest, że coś takiego było.“ Erinnerungen von Józef Kłosiński, Arbeiter der ZPB Pamotex, zit. nach Zysiak, Wielki przemysł, S. 319; vgl. auch Madejska, Aleja włókniarek, S, 282. Berichte von betroffenen Frauen: Madejska, Aleja włókniarek, S. 288–290, 301. „W obecnych przemianach gospodarczych kobieta postawiona zostala w pozycji gorszej, jeśli nie przegranej. Zwolnienia grupowe dotyczą przede wszystkim kobiet“ Petition Arbeiterinnen der Zakłady Jedwabnicze „Pierwsza“, 05.09.1991, zit. nach Madejska, Aleja włókniarek, S. 277. Francis Pine, From Production to Consumption in Post-Socialism?, in: Michał Buchowski (Hg.), Poland beyond Communism. „Transition“ in Critical Perspective. Freiburg/Schweiz 2001 (Studie Ethnografica Friburgensia, 25), 209–223.

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Armutsforscherinnen konstatierten in den 1990er und 200er Jahren in der Stadt eine Feminisierung und transgenerationelle Vererbung der großstädtischen Armut. Ganze Straßenzüge wurden zu sozialen Brennpunkten.23 Zwar versuchten die zerstrittenen Gewerkschaften der Epoche durch Protestaktionen wie Streiks, Demonstrationen in Warschau und symbolische Massenaktionen (Generalstreik in Lodz am 25. Februar 1993) auf sich aufmerksam zu machen, jedoch durchweg vergeblich. Die Lodzer Textilindustrie besaß in den polnischen Regierungen nach 1989 keine Fürsprecher. Die Ergebnisse dieses Abstiegsprozesses lassen sich in Statistiken fassen: Die Arbeitslosigkeit wuchs im Lodz der 1990er Jahre auf über 20% (1993: 21,3%, 1995: 15,6%).24 Soziale Deklassierung und wachsender Alkoholismus wirkten sich auch negativ auf die gesamtpolnische Wahrnehmung der Stadt aus, die in den 1990er Jahren immer stärker als abgestiegene Metropole der sozial Schwachen und Gescheiterten wahrgenommen wurde.25 Mit den Massenentlassungen lösten sich auch traditionale Milieus auf. Bis dahin hatten vielfach mehrere Generationen von Textilarbeitern in ein- und demselben Betrieb gearbeitet und in Werkssiedlungen gelebt. Noch in den 2000er Jahren berichtete die Textilarbeiterin Teresa Furmanczyk, die in den Poltex-Werkswohnungen gegenüber den alten Textilfabriken lebte, die dem Einkaufzentrum Manufaktura weichen mussten, bei einem Blick aus dem Fenster: „Dort war mein Arbeitsgebäude, dort arbeitete ich. Dort haben drei Generationen gearbeitet. […] Alles in diesem niedrigen Gebäude, die ganze Spulerei. […] Dort arbeiteten meine Großmutter und meine Mutter, in dem Betrieb.“26 Diese Milieus zerbrachen, die Fabrikgebäude wurden abgerissen oder saniert, die Werkswohnungen stehen leer und sollen ebenfalls zukünftig saniert werden. Damit verschwanden auch Erinnerungskulturen, die sich in einem abgeschlossenen Milieu über mehrere Generationen hatten. Die Tochter einer Uniontex-Arbeiterin erzählte: „Meine Mutter kam aus einer bäuerlichen Familie, sie stammte aus einem Dorf bei Petrikau. […] Auch meine Tante, die sich als Rentnerin um mich kümmerte, kam zu Beginn des Jahrhunderts nach Lodz […]. Ich liebte ihre Erzählungen, denn sie wohnte in dem Mietshaus seit 1905 oder 1907. Sie kam als ganz junges Mädchen nach Lodz. Da sie nicht lesen konnte, erzählte sie mir, wenn sie mich ins Bett brachte, sie konnte mir ja nichts vorlesen, verschiedene Geschichten. Am häufigsten Geschichten aus dem Leben 23 24 25 26

Wielisława Warzywoda-Kruszyńska, Jolanta Grotowska-Leder, Wielkomiejska bieda w okresie transformacji (zasiłkobiorcy pomocy społecznej). Łódź 1996; Zysiak, Wielki przemysł, S. 274–276. Liszewski, Łódź, S. 421. Wielisława Warzywoda-Kruszynska, Jolanta Grotowska-Leder, Concentration of Poverty in Polish Large Cities: the Example of Lodz, in: East Central Europe 20 (1993), S. 79–93; Igor Rakowski-Kłos, Miasto łumpów i złodzei. Dlaczego Polska nienawidzi Łodzi?, in: Gazeta Wyborcza, 14.04.2016. „To był mój budynek pracy, tutaj pracowałem. Tu pracowały trzy pokolenia właśnie. […] To się mieściło w tym niskim budyneczku, cała niciarnia. […] Tu pracowała moja babka i moja matka, na tym stanowisko.“ Madejska, Aleja włókniarek, S. 298; Zitat aus dem Dokumentarfilm Moja ulica, Regie Marcin Latałło (2008).

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des Mietshauses vor dem Krieg. Die deutsche Intelligenz hatte die besten Wohnungen in der ersten Etage. Die Juden meist im Erdgeschoss. Der Schuhmacher oder Schneider musste im Erdgeschoss wohnen, im Dachgeschoss wohnten die polnischen Arbeiter. Sie erzählte mir, wie die alltägliche Toleranz aussah. […] Sie konnten miteinander leben. Dann nach dem Zweiten Weltkrieg wohnte die Tante immer noch in demselben Haus. So kamen wir dahin. Als mein Großvater die Wohnung mit der Arbeit verlor, schrieb er ihr einen Brief, sie war seine entfernte Cousine. Irgendjemand las ihr den Brief vor und antwortete für sie: Kommt nach Lodz, hier gibt es nach den Juden, die aus dem Krieg nicht zurückgekommen sind, leere Wohnungen.“27 In dieser mündlich überlieferten Familiengeschichte, die dank den Bemühungen junger Gesellschaftswissenschaftlerinnen aufgezeichnet wurde, findet sich verknappt die ganze Geschichte der Lodzer Arbeiterinnen: Kettenmigration vom Land, generationenübergreifende Arbeit in der Textilindustrie, multikulturelle Nachbarschaften, Arbeit in den Fabriken der Volksrepublik, Deklassierung und Erinnerungsverlust nach 1989. Abwanderung Arbeitslosigkeit und sozialer Abstieg mündeten nach 1989 in neue Mobilität und eine saisonale oder dauerhafte Abwanderung. Arbeiterinnen und Arbeiter mussten sich neue Verdienstmöglichkeiten suchen, eine Zeitzeugin aus der Textilwirtschaft berichtete über ihre Kollegen und Kolleginnen: „Alles brach zusammen und die Menschen wussten keinen Rat. Am Ende verließen Lodz die meisten Menschen, als sie die Grenzen öffneten. […] Die stärksten Charaktere, wissen Sie, hielten noch etwas zusammen oder hatten Reserven, sie reisten weg, arbeiteten und überlebten irgendwie. Die Schwächeren, leider, Selbstmord. […] Es ist ein fürchterlicher Stress, die Arbeit zu verlieren. Und viele Menschen verloren damals ihre Arbeit. Ganze Massen, denn dort arbeiteten Tausende.28 27

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„Mama pochodziła z rodziny chłopskiej, bo wywodziła się ze wsi spod Piotrkowa […]. Nawet moj opiekunka, która się mną zajmowała na emeryturze, przejechała do Łodzi jakoś na początku wieku […]. Uwielbiałem jej opowieści, bo ona w tej kamienice miaszkała od 1905 lub 1907 roku. Przyjechała jako bardzo młoda dziewczyna, nastoletnia. Ponieważ nie umiała czytać, kiedy miała mnie usypiać, nie mogła mi nic przeczytać, więc opowiadała mi róźne historie. Najczęściej historie z życia tej kamienicy sprzed wojny. Inteligencja niemiecka miała najlepsze mieszkania na pierwszym piętrze, Żydzi najczęściej na parterach. Szewc czy krawiec musiał zajmować parter; na górze mieszkali polscy robotnicy. Opowiadała, jak ta toleracja wyglądała na co dzień. […] Oni potrafili ze sobą żyć. Potem po II wojnie światowej, ta ciocia wciąż mieszkała w tym samym domu. Stąd my się tam znaleźliśmy. Kiedy mój dziadek stracił mieszkanie razem z pracą, napisał do niej list – to była jego daleka kuzynka. Ktoś jej list przeczytał i za nią odpisał: przyjeżdżajcie do Łodzi, tu są puste mieszkania po Żydach, którzy nie wrócili z wojny.“ Madejska, Aleja włókniarek, S. 310–311. „Wszystko to padło i ludzie nie dawali sobie rady. W końcu z Łodzi najwięcej ludzi wyjechało, potem jak otworzyli granicę. […] Co silniejsze charaktery, to wie pani, przetrzymali jakoś albo mieli zapasy i wyjechali, zarabiali i jakoś przeżyli. A co słabsi, to niestety, samobójstwo. […] To jest stres straszny

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Unterschieden werden können mehrere Mobilitätsmuster und Migrationsrichtungen: Nach 1989 gingen manche Lodzer, die eine deutsche Herkunft belegen konnten (Eltern oder Großeltern als DVL-Mitglieder) nach Deutschland, wo sie aufgrund der Spätaussiedler-Bestimmungen aufgenommen wurden. Jüngere Hochschulabsolventen wanderten nach Studienabschluss nach Warschau ab oder pendelten bei einer täglich vierstündigen Fahrzeit zur Arbeit in die Hauptstadt. Mit der Aufnahme Polens in die europäische Union gingen aus der Umgebung von Lodz jüngere Menschen oft nach Großbritannien oder Irland, sei es für einige Jahre, sei es dauerhaft. Viele Frauen, die ihre Renten aufbessern mussten und müssen, verdienen sich aktuell in Deutschland etwas als Altenbetreuerinnen oder Reinigungskräfte hinzu. Dieser Abwanderungstrend hielt bis in die 2010er Jahre an. Noch 2002–2016 verließen 85.000 vor allem jüngere Menschen die Stadt, was zu einer wachsenden Überalterung der Stadtbevölkerung beiträgt.29 Erst seitdem ist dieser Trend gestoppt, eine sinkende Arbeitslosigkeit und der EU-Austritt Großbritanniens führen aktuell sogar zu einem schmalen Remigrationsgewinn unter den Einwohnern. Infolge der Überalterung der Bevölkerung ist jedoch eine weitere demographische Schrumpfung der Stadt unausweichlich. Vor diesem Hintergrund findet sich in den ehemaligen Arbeiterfamilien eine verbreitete Nostalgie nach den alten Zeiten, die in Deutschland auch in Ostdeutschland nach 1990 bekannt ist. Die Nostalgie muss dabei keine Sehnsucht nach alten kommunistischen Strukturen bedeuten, sie kann ebenfalls als Wertschätzung stabiler Arbeitsverhältnisse und gesicherter sozialer Strukturen eingeschätzt werden.30 Schwierige Transformation und postindustrielle Strukturen Die Region Lodz wies im polnischen Vergleich bis in das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts unter allen Großstädten die schlechteste Infrastruktur und eine völlig fehlende Anbindung an internationale Verkehrsnetze auf. Das unterentwickelte und ruinöse Eisenbahnnetz führte dazu, dass Lodz mit Bahnverbindungen kaum erreichbar war: Eine Zugverbindung Warschau-Lodz (120 km) benötigte bis zur Sanierung in den 2010er Jahren über zwei Stunden (heute 80 Minuten), Berlin-Lodz (450 km) sieben Stunden mit Umstieg, Prag-Lodz oder Wien-Lodz mehr als 12 Stunden. Dies ist noch gegenwärtig unverändert, erst mit Fertigstellung des innerstädtischen Bahntunnels und eines

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stracić pracę. A bardzo dużo ludzi straciło wtedy pracę. Całe chmary ludzi, bo tam pracowały tysiące.“ Grażyna Matuszewska, Składnica Importowa, zit. nach Zysiak, Wielki przemysł, S. 322. Jolanta Kamińska, W Łodzi wciąż ubywa mieszkańców. Jak powstrzymać ten trend? https:// wydarzenia.interia.pl/raporty/raport-wybory-samorzadowe-2018/wybieram-swiadomie/news-wlodzi-wciaz-ubywa-mieszkancow-jak-powstrzymac-ten-trend,nId,2643818#utm_source=paste&utm_ medium=paste&utm_campaign=firefox. Zysiak, Wielki przemysł, S. 323–325.

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Ausbaus der überregionalen Bahnverbindungen werden sich die Schienenverbindungen im Horizont von 2030 normalisiert haben. Der Flughafen Lodz (eröffnet 1925), der nach 1945 durchaus intensiv genutzt worden war, ist 1958 geschlossen worden. Volkspolnische Planungen hielten einen Flughafen für die nun wieder reine Industriestadt für entbehrlich. Lodz war damit um 1989 die größte mitteleuropäische Stadt ohne Flughafen. Dieser wurde erst 1999 wiedereröffnet, nach 2000 mit EU-Mitteln ausgebaut und bot seit 2005 auch internationale Flüge an. Er erwies sich aufgrund der Nähe zu Warschau jedoch als wenig konkurrenzfähig und bietet um 2020 internationale Flüge fast ausschließlich für polnische Migranten in die britischen und irischen Städte und für ukrainische Migranten in die Ukraine an. Eine deutliche Verbesserung für Transport und Verkehr entstand erst durch den Ausbau des polnischen Autobahnnetzes, das allerdings Lodz erst seit 2012 (Fertigstellung der A 2 Berlin – Warschau) erreichte. Aktuell entwickelt sich um Lodz herum das zentrale polnische Autobahnkreuz (Nord-Süd-Verbindung A 1 Danzig – Kattowitz/Krakau, Autoschnellstraße nach Breslau). Die Planung und Entwicklung des Autobahnnetzes führte dazu, dass sich seit der Aufnahme Polens in die Europäische Union 2004 in der Region Lodz größere global ausgerichtete Industrie- und Dienstleistungskonzerne (Ansiedlung von Dell in Lodz-Olechów seit 2006, des französische Konzerns Gilette, Bosch-Siemens auf dem Gelände der Strumpfwirkerei „Feniks“, die größte europäische Niederlassung des indischen Informatikkonzerns Infosys), Serviceeinrichtungen und Logistikkapazitäten für eine internationale mitteleuropäische Struktur ansiedelten. Die Stadtentwicklung setzte zur Überwindung der Transformationskrise seit den 2000er Jahren auf den Ausbau moderner Bildungsstrukturen, den Erhalt kultureller Zentren (Theater, Oper, Philharmonie, Museum für moderne Kunst, Filmmuseum) und den Ausbau von Dienstleistungsbetrieben (Infosys, Ansiedlung Manufaktura). Durch den Zufluss von EU-Mitteln nach 2000 gelang es, herausragende Baudenkmäler der eklektizistischen Kultur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu erhalten und punktuell zu sanieren, wenn auch eine umfangreiche Sanierung der einzigartigen, mehrheitlich vor 1914 errichteten Innenstadt außerhalb der finanziellen Möglichkeiten der gegenwärtigen Bewohner und der aktuellen Stadtfinanzen liegt. Verbunden wurde die Stadtentwicklung mit Konzepten zur Entwicklung eines Kulturund Stadttourismus. Dabei wurde in den 2010er Jahren versucht, ein Branding einer multikulturellen Stadt (vgl. S. 437) zu entwickeln und stärker deutschsprachige und internationale Gäste anzuziehen. 2009 entstand ein deutschsprachiger Film des Stadtmarketings, mit dem versucht wurde, auf Basis des bis heute in den deutschsprachigen Ländern bekannten Schlagers „Theo, wir fahrn nach Lodz“ (vgl. S. 416) Interesse im deutschsprachigen Raum (gezeigt und angesprochen wurden im Film die Städte Berlin, Wien und Zürich) für die Lodzer kulturelle Vielfalt zu wecken; der Film erhielt einen Preis auf der Internationalen Tourismusmesse in Berlin.31 Unklar blieb allerdings, wie 31

https://www.youtube.com/watch?v=k5BpmTnEXS0.

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denn Wiener oder Züricher Besucher zu einem Wochenendtrip nach Lodz reisen sollten. 2012 lud die Stadtpräsidentin sogar Vicky Leandros anlässlich von deren 60. Geburtstag nach Lodz ein.32 Allerdings scheiterte eine Bewerbung um den Titel einer europäischen Kulturhauptstadt für 2016 in der polnischen Vorauswahl – zum Zuge kam das international sichtbarere Breslau. Das genannte Konzept muss deshalb als gescheitert gelten. Die verkehrstechnische Randlage ermöglichte keine Anreise unter fünf Stunden, selbst für das anvisierte deutschsprachige Städtetouristikpublikum war Lodz einfach zu unbekannt, zu weit entfernt, zu peripher. Das gilt noch stärker für das entferntere westeuropäische Publikum, das mit Lodz nichts verbindet. In den letzten Jahren setzte Lodz auf ein stärker diversifiziertes Konzept: Weder in Polen noch im europäischen Ausland ist bekannt, das Lodz einzigartige Zeugnisse einer Industriekultur – der britische Regisseur David Lynch formulierte am 13. Dezember 2000: „What a great factory! Thank you“33 – und umfangreiche Sammlungen moderner Kunst verbindet. Die Stadt kann so als Geheimtipp für jüngere Besucher gelten. Lodz wird insbesondere in der städtebaulichen Literatur auch von auswärtigen Beobachtern die Rolle einer „Phönix-Stadt“34 zugeschrieben, die trotz mancher Handicaps (Nähe Warschau, fehlende regionalpolitische Kompetenzen im zentralstaatlichen Polen) das Zeug dazu habe, aus dem Niedergang heraus wieder aufzusteigen. Bei Industrie- und Stadthistorikern steht sie in der Reihe der „Comeback cities“,35 die aufgrund des Bildungspotentials ihrer Einwohner alle Chancen habe, den Wandel zu einer modernen Industrie- und Dienstleistungsstadt zu vollziehen, wobei sie jedoch auf Unterstützung aus der Hauptstadt Warschau angewiesen bleibt.36 Die historische Konfliktforschung wie die Ressourcen einer offenen Multikulturalität können diesen Weg unterstützen, schaffen sie doch Netzwerke und Anknüpfungspunkte für kulturelle Kompetenzen der Zukunft.

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„Vicky, komm doch mal nach Lodz!“Bild vom 23.08.2012 https://www.bild.de/unterhaltung/leute/ vicky-leandros/bekommt-einladung-nach-lodz-25809726.bild.html. Madejska, Aleja włókniarek, S. 310. Mit eindrucksvollen Fotographien: Ludwig Moos, Die Phönix-Stadt. Die Revitalisierung eines alten Industriestandorts, https://thelink.berlin/2017/03/lodz-polen-manufaktura-ludwig-moos/. Nienke van Boom, Comeback cities. Transformation strategies for former industrial cities. Rotterdam 2009 [Enschede, Manchester, Leeds, Huddersfield, Tampere, Forssa, Chemnitz, Lodz, Prato, Roubaix, Ghent, Tilburg]. Tamara Krawchenko, Jaromir Hainc, Aligning policy incentives and establishing governance for „shrinking“ cities: a profile of Łódz, Poland, in: Studia Miejskie, 26 (2017), S. 51–64.

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Lodz als Erinnerungsort: Die polnische, deutsche und jüdische Erinnerung an Lodz nach 1945 „Mehrsprachigkeit ist nicht nur ein Reichtum. In mancher Hinsicht ist sie ein Hemmnis, ein Manko, ein Fluch.“1  Karl Dedecius, Übersetzer

Ein Resultat der Segregation der Lodzer Stadtbevölkerung seit 1939, die sich in der Ausweisung der verbliebenen Deutschen nach 1945 und der Flucht und Emigration überlebender Juden ab 1946 fortsetzte, war die Entstehung von drei weitgehend voneinander separierten, räumlich an unterschiedlichen Orten entstehenden Erinnerungskulturen. Diese grenzten sich voneinander ab und nahmen voneinander nur wenig, und wenn in polemischer Form, Kenntnis. Die Spaltung der Erinnerungskulturen2 besaß klare Ursachen: Kommunikationsund Reisehindernisse im Kalten Krieg verhinderten einen Austausch. Zudem nahmen auch wechselseitige Sprachkenntnisse deutlich ab: Zahlreiche Träger einer deutschen Erinnerung an Lodz seit den 1970er Jahren beherrschten genausowenig Polnisch, wie die polnische Lodz-Forschung seit dieser Zeit Deutsch. Jiddischsprachige Arbeiten wurden traditionell nur minimal außerhalb der eigenen Erinnerungsgemeinschaft rezipiert. Schließlich spielten staatliche Vorgaben eine Rolle: Die Geschichtspolitik der Volksrepublik Polen forderte ein ausschließlich negatives Bild der deutschen Lodzer, während auch in der demokratischen Bundesrepublik die Lodz-Erinnerung in die nationalen Erzählkonventionen der Vertriebenenverbände eingepasst werden musste, in denen es für plurale Loyalitäten keinen Platz gab. Auch im Staat Israel gab es kaum einen Platz für die nichtzionistische Lodzer jüdische Erinnerung. Erst die kommunikative Durchsetzung der polnischen Opposition durch die Solidarność in den 1980er Jahren erlaubte eine Erinnerung an Multikulturalität. Diese traf nun auf deutsche und jüdische Gesprächspartner, die ähnliche Konzepte vertraten. Schließlich machte sich seit den 1990er Jahren die städtische Erinnerungspolitik, unterstützt von Überlegungen des Stadtmarketings, die Marke Multikulturalität zu eigen. Zu 1 Dedecius, Ein Europäer aus Lodz, S. 73. 2 Unter dem Titel „Der Wandel der Erinnerungskultur in Łódź nach 1945“ war eine Dissertation an der LMU München in Vorbereitung, die bisher nicht abgeschlossen wurde, vgl. https://www.gose.geschichte. uni-muenchen.de/forschung/promotionsprojekte/martin_schulze_wessel/ulrikelang/dissprojekt/index. html; Hans-Jürgen Bömelburg, Lodz. Gegen den Strich, in: Hans-Hennimg Hahn / Robert Traba, DeutschPolnischen Erinnerungsorte. Bd. 2 Geteilt/gemeinsam. Paderborn 2014, S. 93–109 behandelt die deutsche und polnische Erinnerung und geht auf die jüdische Perspektive nur begrenzt ein.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_017

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fragen ist allerdings, inwieweit dieses Konzept in einer einsprachigen polnischen Stadtöffentlichkeit umgesetzt werden kann. Polnische Erinnerung Das volkspolnische Lodz übernahm 1945 die älteren Erinnerungsspeicher wie das Stadtarchiv und baute diese durch Schaffung neuer wissenschaftlicher Einrichtungen nachhaltig aus. Die neugeschaffene Universität bildete erstmals Historiker vor Ort aus und das Stadtarchiv wurde mit regionalen Archivbeständen aus Petrikau in das 1950 gegründete Staatsarchiv Lodz überführt. Mit der Wojewodschafts- und der Universitätsbibliothek verfügte die Stadt nun zudem über zwei Wissensspeicher, die schrittweise ausgebaut wurden. Dies schuf erstmals in der Stadtgeschichte wissenschaftliche Zentren, die sich auch mit der Stadt- und Regionalgeschichte beschäftigten. Die historische Forschung an der Universität konzentrierte sich für Lodz vor allem auf die Geschichte der Arbeiterbewegung, auf die Revolution 1905 und die Wirtschaftsgeschichte der Region. Um den Lehrstuhl von Natalia Gąsiorowska und ihrer Nachfolgerin Gryzelda Missalowa, die beide enge Verbindungen in den kommunistischen Parteiapparat hatten, entstand mit Paweł Korzec, Ireniusz Ihnatowicz und Henryk Katz eine Gruppe von Sozial- und Wirtschaftshistorikern, die die ältere Industrialisierungsund Sozialgeschichte der Region Lodz aufarbeiteten.3 Die Gruppe war vielsprachig, insbesondere der Lebensweg von Korzec, der vor dem Zweiten Weltkrieg als Weber gearbeitet hatte, den Krieg im Getto Białystok und als Partisan überlebte, in Lodz eine wissenschaftliche Karriere aufbaute und 1968 ins Exil nach Frankreich gehen musste, ist bemerkenswert. Seit 1958 verfügte die Gruppe auch im Lodzer Jahrbuch (Rocznik Łódzki) über einen Publikationsort. Die Tätigkeit der Historiker wurde auch ab 1959/60 auch stadtöffentlich durch das „Museum für die Geschichte der Revolutionären Bewegung in Lodz“ (Muzeum Historii ruchu rewolucyjnego w Łodzi) unterstützt. Hier wurden ältere Pläne eines „Arbeitermuseums“ wieder aufgenommen und nun im ehemaligen zarischen, 1883– 1885 errichteten Gefängnis in der ul. Gdańska 13 in die Tat umgesetzt. Das Museum organisierte vor allem in den 1970er Jahren auch Ausstellungen in damals noch aktiven Textilfabriken, in denen die Leistungen der Lodzer Arbeiterbewegung und der Textilindustrie heroisierend vorgestellt wurden, konnte aber den Anspruch eines „Arbeitermuseums“ niemals erfüllen. Parallel entstand im ehemaligen Polizeigefängnis Radegast, dem Ort der Ermordung von ca. 1.500 Häftlingen (vgl. S. 289) ein Mausoleum als Teil des 3 Unter den mehreren Dutzend Publikationen der Gruppe seien zwei herausgehoben: Natalia Gąsiorowska (Hg.) Źródła do dziejów rewolucji 1905–1907 w okręgu łódzkim. 3 Bde. 1957–1964; Gryzelda Missalowa (Hg.), Studia nad powstaniem łódzkiego okręgu przemysłowego w l. 1815–1870. 3 Bde. Łódź 1964–1975.

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Museums, das aber erst seit dem Jahr 1976 eine museale Zweigstelle besitzt. Schließlich entwickelte sich mit dem bereits seit 1955/1959 schrittweise in der ehemaligen Geyerschen „Weißen Fabrik“ (Piotrkowska  282) aufgebauten Textilmuseum (Muzeum włókiennictwa), eine Einrichtung, die die Industrialisierungs- und Textilgeschichte der Stadt materiell darstellte. Parallel verliefen im Staatsarchiv Lodz seit den 1950er Jahren die Ordnungs- und Erschließungsarbeiten der Sammlungen, zu denen neben der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte auch die umfangreichen Bestände der nationalsozialistischen Stadtverwaltung Litzmannstadt und der weiteren deutschen Behörden zählten. Diese Bestände – insgesamt mehrere tausend laufende Meter Archivalien – wurden in den 1950er Jahren schrittweise geordnet und einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dadurch wurde es möglich, archivgestützt zur Geschichte der Region im Zweiten Weltkrieg zu arbeiten. Wie sahen angesichts dieser institutionellen Expansion die zentralen Tendenzen einer polnischen Geschichtskultur im Lodz der 1960er Jahre aus? Im öffentlichen Raum knüpfte man an die Stadtgeschichte im frühen 20. Jahrhundert an: So wurde das von deutscher Seite am 11. November 1939 zerstörte Kościuszko-Denkmal am Freiheitsplatz (Plac Wolności) 1960 nach öffentlichen Aufrufen und Spenden der Lodzer Bevölkerung wiedererrichtet, sein in Großbritannien lebender und mit der antikommunistischen Heimatarmee verbundener Schöpfer Mieczysław Lubelski zur Mitbeteiligung aufgefordert. Über die Entstehung der Kościuszko-Verehrung in Lodz und die Bedeutung des dortigen Bürgertums konnte man allerdings in der Volksrepublik Polen kaum etwas erfahren. Das diskursiv in der Stadt kultivierte Geschichtsbild stützte sich zunächst fast ausschließlich auf die Sozialgeschichte der bedrückten Lodzer Textilarbeiter, den Revolutionsmythos von 1905 (wobei die nationalistischen Kämpfer ausgeblendet blieben) und die Rolle der internationalistischen Sozialdemokratie Polens und Litauens (SDKPiL) mit den Führungsfiguren Dzierżyński und Marchlewski. Straßennamen wie die Straße der Revolution von 1905 (ul. Rewolucji 1905 r., zuvor ul. Południowa) und Fabriknamen wie die „Baumwollbetriebe Feliks Dzierżyński“ (Zakłady Przemysłu Bawełnianego im. Feliksa Dzierżyńskiego, ehemals Geyer), die „Marchlewski-Werke Poltex“ (ehemals Poznański) sicherten dieses Bild ab. Hinzu traten die Streiks und der Widerstand gegen das Sanacja-Regime in den 1920er und 1930er Jahren, die sich gegen die „herrschaftlichen“ und bourgeoisen Eliten Polens gerichtet hatten. Hier kann man im öffentlichen Raum auf die „Baumwollfabriken Szymon Harnam“ oder die nach Władysława Bykowska benannte Arbeitersiedlung in Bałuty verweisen. Die Lodzer Arbeiter- und Revolutionskultur galt dabei zunächst als ausgesprochen „internationalistisch“, ihre Helden reihten sich in die sozialistische Völkerfreundschaft ein. In den jährlichen Artikeln zum Jahrestag der Befreiung im Januar

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1945 spielten Erinnerungen an eine Arbeitersolidarität zwischen Textilarbeitern und sowjetischen Soldaten eine erhebliche Rolle.4 Allerdings wurden die polnischen Anteile dieser Erinnerungskonstruktion mit wachsendem zeitlichem Abstand deutlich dominanter. Insbesondere nach der antisemitischen Kampagne von 1968 trat jeglicher Bezug auf jüdische Traditionen deutlich zurück. Die aufgrund der Sprachbarriere niemals besonders bekannte ältere jüdische Geschichte blieb unbekannt, verdrängt wurde auch das Getto Litzmannstadt. Die polnische Forschung zeigte zuletzt, dass nach 1967/68 literarische Werke und Reportagen, die jüdische Geschichte behandelten oder polnisch-jüdische Nachbarschaften thematisierten, zensiert, nicht für den Druck empfohlen oder erst nach Tilgung von Elementen zum jüdischen Lodz erscheinen konnten.5 Parallel wurde eine polnische Widerstands- und Opfergeschichte entwickelt, die sich auf den Widerstand kommunistischer Jugendgruppen fokussierte (vgl. S. 335). Zwar war bekannt, dass sich der Lodzer Widerstand nicht mit anderen polnischen Regionen vergleichen ließ, im Vorwort zur Beschreibung des jugendlichen Widerstands hieß es: „Die Wahrheit ist, dass in der Frage der Zahl die Widerstandsbewegung in unserer Region nicht die Ausmaße wie bespielsweise in der Region Lublin erreichte, dass in der Lodz der Kampf mit dem Besatzer sich nicht in solch einer Dimension aufschaukelte wie in Warschau – nichtsdestotrotz war der polnische Untergrund auch in unserer Region tätig“.6 Diese Geschichtsvision war für die regionale kommunistische Erinnerung wichtig. Sie konnte auch öffentlich für die Generationen junger Polen in Jugendgruppen und Pfadfinderverbänden zum Vorbild werden, die in Reden auf diese Vorbilder eingeschworen wurden und auf den Spuren des Widerstands unterwegs waren. Erinnerungen an eigenen verdeckten Widerstand und weitere Sabotageaktionen konnten hier integriert werden.7 Andererseits rückte die volkspolnische Erinnerung die Opfer des Polen-Jugendverwahrlagers Litzmannstadt am Rande des Gettos in den Mittelpunkt öffentlicher Gedenkfeiern. Auf der Basis der sehr plastischen Erinnerungen der Jugendlichen, an Sensationen interessierten Journalisten und einer interessierten Öffentlichkeit entstand das Bild eines Jugend-Konzentrationslagers, in dem Tausende junge Polen gequält und ermordet worden seien – Erinnerungen und Reportagen sprachen von 4.000, ja 12.000 oder 16.000

4 Kazimierz Badziak, Rok 1945 – styczeń, in: Odgłosy 21 (1978), 4, S. 1, 3. 5 Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 247–249. 6 „Prawdą jest, że pod względem ilościowym ruch oporu w naszym regionie nie osiągnął takich rozmiarów jak np. w Lubelskiem, że w Łodzi walka z okupantem nie rozgrywała się w takiej skali jak w Warszawie – tym niemniej jednak podziemie polskie działało również i na naszym terenie […]“ Stanisław Gajek, Promieniści. Łódź 1960, S. 5–7. 7 Leon Majewski, Wspomnienia drukarza, in: Odgłosy 21 (1978), 2, S. 11; 21 (1978), 3, S. 15; 21 (1978), 4, S. 15.

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Opfern.8 Über das Lager entstanden in den 1970er Jahren ein Dokumentar- und ein Spielfilm, mehrere Radiosendungen und eine breite Publizistik.9 Am 9. Mai 1971 wurde in dem nach der kommunistischen Widerstandsgruppe der „Strahlenden“ benannten Park ein Denkmal für das Opfertum der Kinder (Pomnik Martyrologii Dzieci) enthüllt, das ein Kind vor einem großen gebrochenen Herzen darstellt und in Lodz als das „Gebrochene Herz“ bekannt ist. Parallel zu dieser öffentlichen Mobilisierung lief in Lodz das Strafverfahren gegen Eugenia/Genovefa Pohl, eine deutsche Lageraufseherin und Erzieherin, die zunächst fast 25 Jahre in Lodz unbehelligt leben konnte. Sie wurde seit 1969 in drei Prozessen wegen des Todes von zwei Mädchen im Lager auch unter politischem und öffentlichem Druck zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen sie bis 1989 19 Jahre absitzen musste. In der Forschung ist argumentiert worden, dass in der Kampagne zwei Erinnerungen aufeinandertrafen, die offizielle kommunistische Erinnerung und eine gesellschaftliche Erinnerung, in der sich seit den 1960er Jahren auch unter dem Eindruck nationalkommunistischer Kampagnen unter Innenminister Mieczysław Moczar immer stärker das Bild einer Martyrologie des gesamten polnischen Volkes verfestigt habe. Die Erinnerung an das unbezweifelbare Leiden polnischer Kinder und die populäre Kampagne hätten die Chance geboten, im Namen eines polnischen Kollektivs diese Erinnerungen aneinander anzunähern.10 Für eine Erinnerung an die Opfer des Gettos war da kaum mehr Platz. An die Auflösung des Gettos im August 1944 wurde nach 1968 in Lodz nicht mehr öffentlich erinnert, es gab in der Stadt auch keinen symbolischen Erinnerungsort, der als Ort einer Gettoerinnerung hätte dienen können. In den neuen Wohnblocksiedlungen, die auf dem Gelände des ehemaligen Gettos errichtet wurden, verwischte man die Spuren der Geschichte. Erst 1983 im Kontext offizieller Bemühungen der Regierung Jaruzelski, während des polnischen Kriegsrechtszustandes doch auf die polnischen Opfer und den polnisch-jüdischen gemeinsamen Kampf hinzuweisen, wurde am Baluter Ring eine Tafel enthüllt, die auf das Getto und die jüdischen Opfer hinwies. Noch 1984 musste eine erste wissenschaftliche Tagung, die aus Anlass des 40. Jahrestages der Gettoauflösung für den 29. August 1984 geplant worden war, auf Anfang August verlegt werden, damit sie nicht Ende August den rituellen polnischen Jahreskalender mit der Erinnerung an den Kriegsausbruch störte. Eine nur für einen engen wissenschaftlichen Kreis vorgesehene Publikation konnte erst 8

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Oft herangezogene Gesamtdarstellung: Józef Witkowski, Hitlerowski obóz koncentracyjny dla małoletnich w Łodzi. Wrocław 1975; W. wurde in der Folge zu einem gesuchten „Spezialisten“ für das Thema. Zeitgenössische populäre Broschüre: Obóz dla dzieci – Jugendverwahrlager w Łodzi, przy ul. Przemysłowej, Muzeum Historii Ruchu Robotniczego w Łodzi, Łódź 1971 (12.000 Opfer). Andrzej Czyżewski, Obóz dziecięcy w Łodzi jako element polityki historycznej PRL, in: Toborek/ Trębacz, Łódź pod okupacją, S. 377–413. Ewa Stańczyk, Commemorating Young Victims of World War II in Poland: The Forgotten Children’s Camp in Litzmannstadt/Łódź, in: East European Politics and Societies and Cultures 28 (2014), S. 614– 638; Czyżewski, Obóz dziecięcy, S. 412–413.

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1988 kurz vor dem Zusammenbruch der Volksrepublik Polen erscheinen.11 Diese Vorgänge machen deutlich, dass eine offene Diskussion über die jüdische Geschichte von Lodz vor der Demokratisierung in Polen nicht möglich war. Wie sahen vor diesem Hintergrund insgesamt die polnischen Erinnerungsrahmen zur Stadtgeschichte aus? Die ältere deutsche Geschichte, die manchmal noch in den informell weiterverwendeten Fabriknamen präsent war, war nur schemenhaft präsent. Deutschsprachige Fabrikanten wie die Geyers, Scheiblers, Biedermanns und Grohmans tauchten zwar in der mündlichen Erinnerung auf, dominant blieb aber die Figur des kapitalistischen, brutalen und dekadenten Ausbeuters, symbolisiert in den Figuren der Fabrikanten in der Wajdaschen Verfilmung des „Gelobten Landes“. Eine nuancierte Erinnerung an eine multikulturelle Stadt war vor 1989 nicht möglich. Deutsche Erinnerung Die deutsche Bevölkerung floh 1945 mit dem Vorrücken der Roten Armee nach Westen oder wurde aus Polen ausgewiesen. Sie ließ sich in allen Besatzungszonen und später in beiden deutschen Staaten sowie in Österreich nieder, kleinere Gruppen gingen auch nach Kanada und Südamerika, vor allem nach Brasilien. Wie sah unter diesen Bedingungen einer Zerstreuung der Erlebnisgeneration eine Rekonstruktion der Erinnerung aus?12 Wirtschaftlich lassen sich Zentren ehemals Lodzer Unternehmer vor allem in deutschen Textilstädten erkennen, wo einzelnen Unternehmern vor allem im westdeutschen Wirtschaftswunder erstaunliche Karrieren gelangen: In Wilhelmshaven, einer Stadt mit 90.000 Einwohnern, waren nach 1945 95% der Wirtschaft auf die Kriegsmarine und die Werft ausgerichtet; das Kriegsende entzog den Einwohnern die Existenzgrundlage. Deshalb wurde unter Rückgriff auf Lodzer geflohene Unternehmer im Eiltempo eine Textil-Industrie aufgebaut: Im früheren Marine-Bekleidungsamt und der MarineoffiziersKleiderkasse entstand der Textilhof mit neu angesiedelter Bekleidungsindustrie, die ehemalige Hafenkaserne und die Werkstätten wurden Lodzer Fabrikanten übergeben. Im September 1948 zählte man bereits elf Hand- und mechanische Webereien, sieben Wirk- und Strumpffabriken und eine Textilmaschinenfabrik. Wilhelmshaven wurde so zu einem Zentrum der neu aufgebauten Lodzer Textilindustrie.13 1959 sollen 22 von 11 12

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Jan Fijałek, Antoni Galiński (Hg.), Getto w Łodzi 1940–1944. Materiały z sesji naukowej. 9 VIII 1984 r. Łódź 1988; dazu Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 259–270. Wolfgang Kessler, Lodz nach Lodz. Beobachtungen zu Erinnerung und Gedächtnis der Deutschen aus Lodz nach 1945, in: Dyroff, Lodz jenseits von Fabriken, Wildwest und Provinz, S. 151–169. Kessler zeichnet die Milieus unter den Lodzer Deutschen der 1970er-2000er Jahre in der BRD aus eigener Erinnerung zutreffend nach. Arnold Lassotta, Die Textilindustrie: „… der nächst Nahrung und Wohnung wichtigste Verbrauchsgüterzweig“. https://www.lwl.org/aufbau-west/LWL/Kultur/Aufbau_West/wiederaufbau/textilindustrie/textil/index_html.html#neuordnung.

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31 Betrieben in Händen von Lodzer Unternehmern gewesen sein (u.a. Wilhelmshavener Kammgarnspinnerei, Familie Schweikert, Klempnerei Erwin Mees).14 Die Textilunternehmerfamilie Dietzel (Trikotwarenfabrik Gebrüder Dietzel, Fabrik Oskar Dietzel) – im Zweiten Weltkrieg in Lodz als Treuhänder jüdischen Eigentums im Getto erheblich belastet15 – baute in Augsburg (Osdilo – Oskar Dietzel) und in Düsseldorf (Adilo – Adolf Dietzel) größere Textilwerke auf. Andere Lodzer gingen in das Textilzentrum Gronau, in Ibbenbüren baute die Familie Kindermann neue Textilwerke auf.16 Das Wirtschaftsbürgertum pflegte allerdings keine eigene Erinnerungskultur. Sucht man nach den institutionellen und organisatorischen Zentren einer deutschen Lodzer Kultur, so geraten Kirchengemeinden und Pastoren sowie die Vertriebenenverbände in den Blick. Die stärkste Persönlichkeit unter den Lodzer Deutschen, die auch Spannungen und Gräben überbrücken konnte, der erste Pfarrer an der Johanniskirche und Superintendent Julius Dietrich, floh 1945 nach Thüringen und gründete an der Schlosskirche Weißenfels eine „große lutherische Umsiedlergemeinde, die vorwiegend aus Lodzern und Schlesiern besteht“ und nach zeitgenössischen Angaben zunächst 5.000, im März 1950 2.30017 und 1951 nach innerkirchlichen Konflikten noch 1.300 Personen zählte. Die Weißenfelser Gemeinde schloss sich an die altlutherische Kirche an und sah sich als „Lodzer lutherische Gemeinde in Weißenfels“.18 Sie organisierte in der Schlosskirche immer wieder gut besuchte Umsiedler- und Heimatgottesdienste19 und hielt bis in die 1980er Jahre die Lodzer Tradition in Thüringen und Sachsen aufrecht.20 Die Weißenfelser Gemeinde organisierte in den ersten Jahren ihrer Existenz auch Lesungen und Aufzeichnungen von Lodzer Erinnerungen. Als „Umsiedler“ verfügte die Gemeinde jedoch über keine Publikationsmöglichkeiten, so dass die Reichweite der Gemeinschaft unklar ist. In den westlichen Besatzungszonen Deutschlands organisierte Pastor Gerhard Richter eine evangelisch-kirchlich geprägte Lodzer Erinnerungsgemeinschaft.21 Richter war 1939 als Pastor in Lodz wegen seiner vermittelnden und nicht nationalsozialistischen Einstellung amtsenthoben worden und 1940–1944 als Pastor im Distrikt Lublin des Generalgouvernements tätig gewesen. Seit dem 28. Juni 1945 in der britischen Zone als 14 15 16 17 18 19 20 21

Adolf Kargel, Lodz und die Familie Steinert, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 5 (1959), S. 71–79. Gegen Oskar, Adolf und Hugo Dietzel als Hauptliquidatoren jüdischen Vermögens in Lodz ermittelte die Hauptkommission zu Nationalsozialistischen Verbrechen in Polen. https://kindermann.cordx.de/historie/. Ein Desiderat ist es, die Lastenausgleichsanträge insbesondere der Lodzer Wirtschaftsbürger im Bundesarchiv Bayreuth auszuwerten. Nachricht von Julius Dietrich, in: Heimatbote März 1950, S. 2. Heimatbote 5 (1952), 1, S. 5–6. Der Heimatbote 21 (1967), S. 4. Der Heimatbote  24 (1971), S.  10 (25 Jahre Gemeinde); Der Heimatbote  34 (1981), 12, S.  7 (35 Jahre Gemeinde). Zum 50jährigen Ordinationsjubiläum des Pastors i.R. Gerhard Richter, Der Heimatbote 40 (1987), 7, S. 11.

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„Vertrauensmann für die vertriebene volksdeutsche Kirche des Warthelandes“ aktiv, baute er in Kontakt mit Julius Dietrich eine Flüchtlingsseelsorge auf. Er arbeitete an der Erstellung einer Suchkartei,22 gründete den „Verein der Freunde der evangelisch-augsburgischen Kirche“ und gab seit 1948 mit dem „Heimatboten. Mitteilungsblatt für die Glieder der ev.-augsburgischen Kirche aus dem ehemaligen Polen“ eine eigene kirchliche Zeitschrift heraus.23 Am 7./8. August 1946 fand in Treysa eine erste Tagung mit 30 Pfarrern und 70 Laien statt, die das kirchliche Leben der Flüchtlingsgemeinden organisierte und das „Hilfskomitee der evangelisch-lutherischen Deutschen aus Polen“ gründete. Teil nahmen auch aus der „russischen Zone“ Julius Dietrich und aus Düsseldorf Dietrichs Sohn, Pfarrer Dr. Erich Dietrich, und als Laienvertreter Gustav Martz, bis 1945 Lehrer am Deutschen Gymnasium Lodz. Den Festvortrag „Unsere Kirche einst und jetzt“ hielt der national eingestellte Pfarrer Eduard Kneifel. Zentren der Flüchtlingskirche bildeten in Westdeutschland neben Kiel Oldenburg,24 Braunschweig, Alsfeld, Elze/Hann., Lübeck, Gronau und Wiesbaden. Der über 50 Jahre (1948–1989) von Richter redigierte und monatlich erscheinende „Heimatbote“ stellte eine kirchlich-evangelische und liberale Nachrichtenplattform für die evangelischen Flüchtlinge aus Zentralpolen mit Schwerpunkt Lodz dar. Die Zeitschrift distanzierte sich von Anfang an von der nationalsozialistischen Politik, brachte bereits 1949 Nachrichten über die polnische evangelisch-augsburgische Kirche und bemühte sich früh um eine Verständigung. Raum nahmen Nachrichten über Verstorbene in der Heimat ein, so hieß es etwa 1951 „Im Alter von 87 Jahren verstarb in Lodz am 8. Juni 1951 Friedrich Karl Hauptmann, der weitbekannte Kirchendiener an St. Trinitatis zu Lodz […] Beerdigt wurde er am 12. Juni auf dem alten evangelischen Friedhof zu Lodz, es hatte sich dazu eine große Schar Evangelischer eingefunden. P[astor] Kotula hielt die Grabrede.“25 Breiten Platz nahmen in Verbindung mit dem Suchdienst Anfragen ein, gesucht wurden Nachrichten über die Lager nach 1945, so etwa über das „Rosenblatt-Lager Lodz, Żwirki 36“ oder über „ehemalige Leidensgenossen“ im „Lager Zgierz-Boruta“.26 Die dritte, seit den 1950er Jahren publizistisch unter den Lodzer Deutschen einflussreichste, Erinnerungsgemeinschaft bildete sich um die 1949 gegründete Landsmannschaft Weichsel-Warthe mit mehreren Zeitschriften und selbständigen Publikationen aus. Das geographische Konstrukt „Weichsel-Warthe“ verband alle Deutschen, die im Polen der Zwischenkriegszeit gelebt hatten, unter nationalen Vorzeichen miteinander. 22 23 24 25 26

Heimatbote 24 (1971), 6, S. 3–4. Heimatbote 1 (1948) Dezember, S. 2. Hier erschien 1948 ein erstes, nicht über den Buchhandel vertriebenes Erinnerungsbuch: Die Stadt unserer Kindheit (Lodz). Ein Erinnerungsbuch: Zusammengestellt von Georg Geilke, Leo Hesse, Kurt Schmitter. Oldenburg 1948. Heimatbote 4 (1951) 9, S. 9. Der Sohn Hauptmanns, Jerzy Hauptmann, kämpfte auf polnischer Seite im Warschauer Aufstand und ging in die USA, wo er Historiker wurde. Heimatbote 5 (1952), 9, S. 10.

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Dabei gaben die Posener Eliten, unter denen es deutlich mehr Akademiker und Bürgertum mit deutschen Bildungsabschlüssen gab, in der Landsmannschaft den Ton an, obwohl zahlenmäßig die Deutschen aus der Region Lodz in der Mehrheit waren. Auffällig ist zudem, dass in der Landsmannschaft schwer belastete nationalsozialistische Akteure eine neue Heimat fanden. Im Vorstand der Landsmannschaft saßen zwischen den 1950er und 1970er Jahren für die Lodzer Deutschen Eugen Nippe, der zeitweise auch als LWW-Bundesgeschäftsführer tätig war, und der DVV- und NSDAPAktivist Ludwig Wolff, Kreisleiter Lodz 1940–1942, SS-Sonderführer und 1949–1973 für die Organisation Gehlen und den Bundesnachrichtendienst tätig. Es ist bemerkenswert, dass die Lodzer in der Landsmannschaft vor allem durch schwer belastete DVV-, NSDAP- und SS-Funktionäre vertreten waren, was sie angreifbar machte.27 Unter den Lodzer Deutschen war das natürlich bekannt, der „Heimatbote“ formulierte im Nachruf auf Nippe 1971 maliziös, dieser sei zuletzt von Verfolgungsängsten geprägt gewesen und habe gesagt: „‚Ich habe Angst. Ich werde verfolgt.‘ Er meinte, daß gewisse Polen ihm nachstellten, weil er im Kriege SS-Führer war. […] Es war nicht irgendein Mirosław Cygański aus Lodz, es war sein Herz […]. Mit ihm ging ein Idealist dahin.“28 Die Landsmannschaft Weichsel-Warthe war in der alten Bundesrepublik einflussreich, weil sie gestützt auf Bundeszuwendungen in Zeitschriften durch professionelle Journalisten eine erfolgreiche Publikationstätigkeit aufbauen konnte. Seit 1949 wurde die Zeitschrift „Weg und Ziel“ vom Hilfskomitee der evangelisch-lutherischen Deutschen aus Polen herausgegeben, das aber eng mit der Landsmannschaft verbunden war (Geschäftsführer bis 1970 Adolf Kargel). Sie stand für den deutschnationalen, postnationalsozialistischen Mainstream unter den evangelischen Deutschen und damit in deutlichem Gegensatz zum auf Verständigung eingestellten „Heimatboten“. In den Jahren 1952–1998 erschien monatlich der „Kulturwart“ (später mit dem Untertitel „Beiträge zur deutschpolnischen Nachbarschaft“). Schließlich ist seit 1955 das Jahrbuch Weichsel-Warthe zu nennen, dessen Redaktionsmitglied Peter E. Nasarski 1959–1989 war und in dem auch wissenschaftliche Beiträge erschienen. Die Presseerzeugnisse der Landsmannschaft wurden von professionellen Journalisten redigiert, die die Region Lodz gut kannten. Als langjähriger Redakteur und Autor agierte der Journalist der Lodzer „Freien Presse“ und der „Litzmannstädter Zeitung“ Adolf Kargel, der hier seine umfangreichen Kenntnisse der Lodzer Alltagsgeschichte vorstellen und ältere Presseerzeugnisse erneut abdrucken konnte. Zentraler Publizist der nächsten Generation war Peter Emil Nasarski, als Jugendlicher an der Herausgabe der „Zelte im Osten“ beteiligt und Exponent der deutschen Jugendbewegung, später Mitglied der Jungdeutschen Partei, Journalist bei der „Freien Presse“ und Kriegsberichterstatter 27 28

Mirosław Cygański, Mniejszość niemiecka w Polsce centralnej w latach 1919–1939. Łódź 1962; ders., Ziomkostwo Wisły-Warty w RFN (organizacja – działalność – przywódcy), in: Przegląd Zachodni  1 (1969), S. 72–112. Der Heimatbote 23 (1970), 11, S. 5.

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im Zweiten Weltkrieg. Ab 1949 war Nasarski einer der erfolgreichsten und auch konzeptionell neue Wege beschreitenden Publizisten der landsmannschaftlichen Presse in Berlin und Westdeutschland; er war Buchautor, Mitarbeiter bei mehreren Rundfunkanstalten, unter anderem dem Deutschlandfunk, Redakteur mehrerer Zeitschriften und einer Schriftenreihe.29 Die genannten Personen verbanden ein gemeinsamer Lebensweg und ein gemeinsames Set an Erzählungen und Überzeugungen, aber auch Aussparungen und Gegnerschaften. Sie waren biographisch mit dem Deutschen Gymnasium Lodz verbunden, Aktivisten der deutschen Jugendbewegung und des Deutschen Volksverbandes in den 1930er Jahren und schließlich überzeugte Nationalsozialisten in Litzmannstadt gewesen. Aufgrund ihrer Biographie waren sie mehrsprachig und konnten in der alten Bundesrepublik ihre Orts-, Sprach- und Geschichtskenntnisse zu einer spezifischen Erzählung zusammenbinden, die ältere nationalistische Elemente scheinbar schlüssig zusammenfasste. Lodz galt hier nicht als planmäßig angelegte polnische Industriestadt Rajmund Rembielińskis, sondern als Gründung „deutscher Pioniere“ und als „Stadt der (deutschen) Arbeit“. Zentral für diese Erzählung waren der Erste Weltkrieg und die deutschen Aktivisten um Eichler, die mit der „Volkstumsarbeit“ begonnen hätten; die Ausschreitungen des Palmsonntags 1933 und der Sommermonate 1939 wurden als Belege einer Verfolgung durch Polen herangezogen. 1945 sei man schließlich enteignet und brutal ausgewiesen worden. Selbst sah man sich ausschließlich als Opfer: „Dabei war unser Schild rein, als wir aus der alten Heimat an Weichsel und Warthe aufbrachen. Mir ist kein Fall eines Landsmannes bekannt, den ein ordentliches Gericht mit dem Tode oder langjähriger Zuchthausstrafe geahndet hat. […] Dabei haben wir Polendeutsche uns in jeder Zeit die denkbar größte Mühe gegeben, ein friedliches Zusammenleben mit den Polen zu realisieren. […] Wir sehen hier in Deutschland die alte Aufgabe vor uns: den Brückenschlag zu unserem Nachbarvolk.“30 Dabei wurde die Realität in Litzmannstadt weitgehend ausgespart oder bestenfalls sehr einseitig dargestellt: Ausschließlich Reichsdeutsche seien für Terror und Verbrechen in Litzmannstadt verantwortlich gewesen; die kirchenfeindliche Politik im Reichsgau Wartheland zeige die Verfolgung auch der Deutschen. Eigene Täter (Wolff, Nippe, Mees) überging man, die Prozesse gegen NS-Täter wie der Hannoveraner Schwurgerichtsprozess 1962/63 gegen den SS-Führer und Lodzer Oberbürgermeister Otto Bradfisch und 29

30

Karl Bauer, Brückenbauer zwischen Ost und West (Nachruf auf Peter Nasarski), in: Jahrbuch WeichselWarthe 2002, S. 9–11; Martin Sprungala, Peter Emil Nasarski, in: https://kulturportal-west-ost.eu/biographien/nasarski-peter-emil. N. war u.a. Redakteur der Zeitschriften „Westöstliche Begegnung“ und „Europäische Begegnung“, Chefredakteur des Pressedienstes „Aktuelle Ostwoche“, Hamburg; 1968– 1980 Chefredakteur der „Kulturpolitischen Korrespondenz“ und 1975–1984 der Vierteljahrsschrift „Der Gemeinsame Weg“. Der publizistische Nachlass von N. befindet sich in der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne. Fritz Weigelt, Gedanken zu Flucht und Vertreibung, Jahrbuch Weichsel-Warthe  9 (1963), S.  21–26, hier 21, 25.

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den Kriminalkommissar und Sachbearbeiter für Judenangelegenheiten bei der Gestapo Litzmannstadt Günter Fuchs beschwieg man. Fuchs war dabei seit 1953 im Niedersächsischen Ministerium für Vertriebene angestellt gewesen, angesichts des Prozesses mussten auch einige Lodzer Deutsche wie Werner Ventzki, 1941–1943 Oberbürgermeister von Lodz und 1962 Oberregierungsrat im Bundesvertriebenenministerium in Bonn, sowie Ludwig Wolff als Zeugen aussagen. Es ist unklar, ob ein Bewusstsein eines Umbruchs der deutschen Erinnerung, für die der parallel laufende Frankfurter Auschwitz-Prozess stehen konnte, auch bis zu den Lodzer Deutschen vordrang. Auf jeden Fall bemühte man sich seit den frühen 1960er Jahren ein „Archiv für die Deutschen Mittelpolen“ in Mönchengladbach aufzubauen, dessen Aufbau von Otto Heike vorangetrieben und immer wieder durch Aufrufe im „Heimatboten“ sowie in den landsmannschaftlichen Zeitschriften unterstützt wurde. Im Archiv wurde Publizistik und Nachlässe gesammelt, es bildet bis heute eine wichtige, aber von den Leihgebern stark gesäuberte Materialbasis.31 Die Leerstellen in dieser Erzählung der Vertriebenenverbände fallen rückblickend deutlich ins Auge: Die Geschichte des jüdischen Lodz, mit dem die Deutschen Konkurrenz, aber auch Kooperation verband, blieb tabuisiert. Der Zweite Weltkrieg und insbesondere Verfolgung und Ermordung der Juden durch nationalsozialistische Lodzer Deutsche wurde beschwiegen, wohl zwingend wegen der Gruppe von Tätern in den eigenen Reihen. Diese Erzählkonventionen mündeten in einen selektiven Umgang mit den eigenen Biographien: Als der ehemalige und nach 1945 neuerliche Sozialist Otto Heike in den 1980er Jahren seine Erinnerungen aufzeichnete, beschönigte er seine Tätigkeit im Litzmannstädter Stadtarchiv 1940/41 und verschwieg seine Rolle bei der Erstellung von Ariernachweisen und der Entlassung von polnischen Mitarbeitern.32 Allerdings kam es gegenüber diesem von den Vertriebenenverbänden gepflegten Diskurs seit den 1960er Jahren im evangelischen Heimatboten zu deutlich abweichenden Tönen. Der junge Historiker und spätere Kieler Hochschullehrer Kurt Georg Hausmann besuchte 1961/62 im Rahmen eines Wissenschaftlerstipendiums seine Heimatstadt und berichtete darüber in „Ein Wiedersehen mit Lodz“, wobei er deutlich die Differenz beschrieb: „fast unverändert die Stadt, und so fremd geworden“ sei er bei dem Versuch, alte Bekannte zu finden, weitgehend ins Leere gelaufen: „Sonst kannte ich niemanden. Wie isoliert hatten viele von uns Deutschen unter den Polen gelebt.“ Zwar gelingt ihm ein Besuch seines Elternhauses und eine Verständigung mit den dort lebenden Menschen, er resümiert jedoch: „Zwei Menschengruppen sind nicht mehr da, die zusammen mit den Polen das Wesen der Stadt bestimmt haben: die Deutschen und die Juden. Unser Lodz 31 32

Das Archiv befindet sich heute in der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne und enthält etwa die – allerdings gesäuberten – Nachlässe von Eichler, Heike und Nasarski. Heike, Leben, S.  137–142; dazu Bernard Sobiczewski, Otto Heike i Archiwum Miejskie w Łodzi w czasach II wojny światowej, in: Otto Heike, „Niemiecki dziennikarz z Łodzi“ jako historyk. Konferencja naukowa, 18 listopada 2002 r. Herne 2004, S. 67–80; in dem Band finden sich auch weitere Beiträge zur komplexen Biographie Heikes.

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ist 1939 untergegangen, dem ‚Litzmannstadt‘ kann ich nicht nachtrauern. […] Wir verschlossen die Augen, als unsere Nachbarn verfolgt, gequält, vernichtet wurden. 1945 war kein Zurück zum Alten mehr möglich.“33 Solche Töne finden sich in den Zeitschriften der Vertriebenenverbände nicht. Die frühen Berichte führten dazu, dass seit Mitte der 1960er Jahre von Richter im „Heimatboten“ erste Polenreisen angekündigt und unterstützt wurden. Die Persönlichkeit des Herausgebers konnte dabei für einen kritischen Blick auch auf die deutsche Politik in Polen als Unterstützung dienen: „Auch Pastor Richter wurde amtsenthoben und musste Lodz verlassen. Er ging ins Generalgouvernement.“34 Diskussionen der Bildungselite der Lodzer Deutschen fanden am Rande von gut besuchten mehrtägigen Treffen der Ehemaligen des Lodzer Deutschen Gymnasiums statt, die ab 1956 in regelmäßiger Folge von der Ehemaligengemeinschaft und der Landsmannschaft organisiert wurden. Zu den runden Jahrestagen der 1906 gegründeten Schule erschienen jeweils Jubiläumspublikationen. Während die Publikation aus dem Jahre 1956 noch ganz in der Tradition des landsmannschaftlichen nationalistischen Kanons stand, lassen sich bei der Dokumentation des Treffens 1966 in Kassel bemerkenswerte Untertöne entdecken. Waren bis dahin ehemalige jüdische Freunde und Mitschüler, ja jüdische Lodzer generell durch ein Erinnerungsverbot ausgespart worden, so formulierte Superintendent Erich Dietrich nun: „Vielleicht werden wir jetzt sagen: Wir haben Jesus Christus nicht gekreuzigt. Wirklich nicht? Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich diese Frage jetzt stellen soll. Ich muß es aber um der Wahrhaftigkeit willen tun. Wir haben gestern bei unserem Festakt von unseren hochgeschätzten deutschen, russischen und polnischen Lehrern gesprochen. Ich frage uns jetzt alle: Wo sind unsere jüdischen Lehrer geblieben? Wo sind unsere jüdischen Schulkameraden geblieben? Genügt die Entschuldigung, daß wir persönlich nicht helfen konnten?“ […] Bedrängt uns jetzt nicht die Frage: ‚Was sollen wir tun?‘ Wir sind heute nicht nur beieinander, um schöne Erinnerungen auszutauschen, sondern auch, um die Frage nach unserer Verantwortung für die Zukunft zu stellen.“35 Dietrich forderte im Folgenden Vergebung und Verständigung mit Polen und positionierte sich damit im Umfeld der Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche aus dem Jahre 1965.36 Möglich war dies im theologischen Bereich, erheblich schwieriger jedoch im konkreten Aufbau eines rückblickend multikulturellen Geschichtsbildes. Dazu kam es in den 1960er Jahren zu Konflikten, hier drei Beispiele: Ab 1966 wurde die nach wie vor nationalistische Vertriebenenzeitschrift Weichsel-Warthe nicht mehr mit dem „Heimatboten“ vertrieben. Im „Heimatboten“ wurden bei Spätaussiedlern bereits seit den frühen 33 34 35 36

Kurt Georg Hausmann, Ein Wiedersehen mit Lodz, in: Der Heimatbote 15 (1962), 5, S. 4–5. Robert Badke, 25jähriges Amtsjubiläum des Herausgebers, in: Der Heimatbote 15 (1962), 7, S. 3–4. Erich Dietrich, Pfingstpredigt am 29.051966 in Kassel, in: Penne, Pauker und Pennäler, S.  227–229; Nachlass Erich Dietrich im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, 7NL 044. https://www.ekd.de/hintergrundinformationen-zur-ostdenkschrift-von-1965-57523.htm.

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1960er Jahren auch „Jüdische Mitbürger“ namentlich aufgeführt, die über Friedland in die Bundesrepublik gelangten.37 Ein Erinnerungsbericht an das Lodzer Deutsche Gymnasium aus dem Jahre 1966 zeigt zwei Fotos mit Schülergruppen, bei einem Bild heißt es bei der Unterschrift „und natürlich unsere jüdischen Mitschüler: Bornstein, Grodzinski, Asch“,38 die so zumindest in die Erinnerung eingeholt werden. Dagegen werden in den landsmannschaftlichen Zeitschriften jüdische Nachbarn oder Mitschüler weitgehend übergangen. Eine Ausnahme bildet ein Beitrag Walter Günzels, der 1981 im dritten Erinnerungsband über das Gymnasium erschien.39 Günzel war ab 1934 als Führer der Jungdeutschen Partei in Lodz tätig, aus seinen an sich verdienstvollen Ausführungen – der einzige Text deutscher ehemaliger Schüler über ihre jüdischen Mitschüler, die in den 1920er Jahren ca. 20% der Klassen ausmachten! – schimmert allerdings eine deutlich antijüdische Stereotypie durch. Dabei hätte man zumindest in den 1970er Jahren, als breite Reisemöglichkeiten für polnische Staatsbürger nach Westdeutschland bestanden, sehr wohl für eine Reflexion über wechselseitige Toleranz bei einer polnischen ehemaligen Absolventin des Lodzer Gymnasiums anfragen können. Ija Lazari-Pawłowska, Absolventin des Deutschen Gymnasiums, hatte die Professur für Philosophie und Ethik an der Lodzer Universität inne und trat in den 1960er und 1970er Jahren mit Arbeiten für eine Verständigung und wechselseitige Anerkennung aufbauende Toleranzethik hervor. Am Anfang einer eigenartigen Wahrnehmung zumindest des Namens Lodz in der westdeutschen Popkultur stand dagegen ein Zufall: Anlässlich der Ausstrahlung einer 13-teiligen österreichischen Fernsehbearbeitung von Jaroslav Hašeks Roman „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ 1972/73 wurde auch das österreichische Soldatenlied „Rosa, wir fahr’n nach Lodz“ nun einem Millionenpublikum präsentiert. Auf diesem Weg lernte auch der Schlagerkomponist Leo Leandros Text und Melodie kennen, der für seine Tochter Vicky Leandros eine Adaptation erstellte, mit der diese über Monate die deutschen Hitparaden stürmte. Durch den Schlagertitel „Theo, wir fahr’n nach Lodz“ wurde zumindest der Name Lodz wieder bekannt, wobei die meisten deutschen Zuhörer in den 1970er Jahren mit der Stadt jenseits von Mauer und Oder und Neiße darüber hinaus nichts anfangen konnten. Von Leandros’ Interpretation wurde auch eine amerikanische Version produziert (unter dem Titel „Henry, Let’s Go to Town“), die Briten kennen das Lied als „Danny, Teach Me to Dance“. Die französische Version „Théo, on va au bal“ wurde in Kanada und Frankreich veröffentlicht. Sichtbar wird bei der Titelwahl, dass in allen anderen Sprachen der Lodz-Bezug wegen der völligen Unbekanntheit der Stadt gestrichen wurde. Das Lied war jedoch in der westdeutschen Öffentlichkeit so populär, dass der Komiker Otto Waalkes es in den 1970er Jahren als Ausgangspunkt für eine Parodie kirchlichen 37 38 39

Der Heimatbote 16 (1963), 1, S. 4; 17 (1964), 1, S. 8. Gerhard Richter, Erinnerungen an das LDG, in: Der Heimatbote 19 (1966), 5, S. 6. Walter Günzel, Unsere jüdischen Lehrer und Schüler, in: Das Lodzer Deutsche Gymnasium, S. 40–48.

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Predigtstils nehmen konnte, in der unter anderem „dieser Theo in uns allen“ beschworen wurde. Auch heute, fast 40 Jahre später, kann als gesichert gelten, dass Deutschen bei dem Namen „Lodz“ zunächst der Karnevalssong und Schlagertitel mit seiner eingängigen Melodie einfällt. Auch das moderne Stadtmarketing nutzt dies zu Werbeeinlagen: Im März 2009 eroberte der Werbefilm „Theo, wir fahr’n nach Łódź“ einen Preis bei der Internationalen Tourismusmesse ITB in Berlin, stieß aber in Polen, wo der Schlagertitel völlig unbekannt ist, auf Unverständnis. Auch in Deutschland trug der Schlager keinesfalls zu einer größeren Kenntnis von Lodz bei, die oft auch deutschen Poleninteressierten unbekannt ist.40 Es wäre noch im Detail zu klären, inwieweit solche Verschiebungen innerhalb der westdeutschen Erinnerung seit den 1960er Jahren auch dazu beitrugen, dass sich in der Vertriebenenpublizistik die Darstellung von Lodz graduell verschob. Das in Westdeutschland wachsende Interesse an einer deutsch-polnischen Verständigung brachte auch im Vertriebenenmilieu erste Momente einer konzeptionellen Öffnung hervor: Aus der Beschreibung von „Deutscher Leistung und deutschem Schicksal“ ging man seit den 1970er Jahren neben einer Darstellung der deutschen Leistungen auch zur teilweise emphatischen Hervorhebung der „Stadt der Völkerbegegnung“ und der „Mittler zwischen zwei Völkern“ in einer Stadt über, in der viele Nationalitäten zusammengelebt hätten; jeder Lodzer Deutsche habe auch fließend das Polnische und das Russische beherrscht. Abgesehen davon, dass dieses Klischee so auch nicht stimmte, ist jedoch zweifelhaft, wie weit diese von der Erlebnisgeneration für die Stadt geschaffenen Begriffe in der nächsten Generation noch ein Echo fanden.41 Wohl auch, weil sich hinter diesen Formeln eine sehr traditionalistische Sichtweise auf „deutsche Leistung“ und „deutsches Schicksal“ verbarg, während insbesondere den jüdischen Lodzern kaum Raum gewidmet wurde – unausgesprochenes Schuldbewusstsein oder ein Fortwirken des Antisemitismus? Ein realistisches Bild von Lodz entstand jedenfalls nicht, die tatsächlich faszinierende Stadtgeschichte wurde nicht erzählt.42 Wie weit reichte dieses Erinnerungsbild der publizistisch tätigen Erlebnisgeneration? Auffällig ist, dass in diesem Bild Beiträge der bis dahin prägenden Lodzer Wirtschaftsbürger durchweg fehlten. Nachkommen aus diesen Familien waren vielfach mit dem Aufbau eigener neuer Unternehmen beschäftigt und mussten nun plötzlich um ihre Existenzgrundlagen gebracht ein selbständiges Leben im Nachkriegsdeutschland und Nachkriegseuropa organisieren. Teilweise kam es dabei zu einem erstaunlichen „Vergessen“, wohl auch weil die Erlebnisgeneration die eigenen Verstrickungen in die NS-Eroberungs- und Vernichtungspolitik verschwieg. So bestand etwa in der Familie 40 41 42

Der Otto-Sketch ist im Netz bei youtube abrufbar: http://www.youtube.com/watch?v=E2rgifLrNTQ. Beispiele dafür gibt es allerdings: Bei Ina Weisse, Die Töchter der Weber. Geschichte einer glanzvollen Familie. München 2009 kommen Polen und Juden kaum vor. Peter E. Nasarski (Hg.): Wege zum Nachbarn. Deutsche aus Polen – Mittler zwischen zwei Völkern, Bielefeld 1974.

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von Scheibler, immerhin der bedeutendsten Textildynastie von Lodz, nach einer Auswanderung nach Brasilien in den 1950er Jahren eine Generation später in den 1990er Jahren nur ein geringes Wissen über die eigene Familiengeschichte.43 Es ist davon auszugehen, dass dieses Beispiel vervielfacht werden kann. Insgesamt ist zu konstatieren, dass in der Bundesrepublik Lodz nach 1945 weitgehend vergessen wurde. Außerhalb der deutschen Erlebnisgeneration ist in den 1950er und 1960er Jahren kaum ein Hinweis auf die Stadt zu finden. Im Unterschied zu anderen Flüchtlingen und Vertriebenen, etwa den Schlesiern oder Ostpreußen, gelang es den Lodzer Deutschen nicht, durch Belletristik oder Reportagen ein öffentlichkeitswirksames Bild der eigenen Geschichte und Kultur zu vermitteln. Solche Versuche unternahm zwar der Journalist Nasarski, doch erreichten seine Texte nur begrenzt ein Publikum. Eine Rolle spielte sicher, dass die Lodzer Flüchtlinge und Zwangsausgesiedelten in der bundesrepublikanischen Erinnerungspolitik keine größere Bedeutung besaßen: Es gibt in deutschen Städten zwar viele Danziger, Breslauer oder Posener, kaum jedoch eine Lodzer Straße. Einzige Ausnahme gegenüber Hunderten „Breslauer“ und „Stettiner Straßen“ in deutschen Städten ist die „Lodzer Straße“ in Stuttgart, mit der Lodz seit seit 1988 eine Städtepartnerschaft unterhält. Auch die deutsche Erinnerungspolitik griff nicht auf Lodz zurück, denn die Stadt war kein Gegenstand einer deutschen Geschichtspolitik. Jüdische Erinnerung Die jüdische Erinnerungskultur an Lodz weist starke Brüche auf – durch den Völkermord an den Lodzer Juden wurden zahlreiche Institutionen, Wissenspeicher und Sprachkenntnisse zerstört. So verschwand etwa das Jiddische, die gesprochene Sprache der Mehrheit der Lodzer Juden, unwiderruflich. Zudem wurden jüdische Akteure durch Flucht, Deportation und Auswanderung über mehrere Kontinente zerstreut, so dass gemeinsame Milieus geschwächt waren. Die jüdische Erinnerungskultur ist deshalb streckenweise eine Erinnerung von Einzelnen und kleinen Gruppen, die erst nach dem Fall der Blockgrenzen 1989/91 kommunikativ stärker zusammengeführt werden konnte. Zunächst schien es 1945 so, als könne eine jüdische Erinnerung in Lodz wieder etabliert werden – trotz der Ermordung von ca. 80% der ehemaligen jüdischen Stadtbevölkerung und der Zäsur vor Ort, wo im Januar 1945 nur ca. 900 Juden überlebt hatten. Durch die Rückkehrenden aus den Lagern und aus der Sowjetunion entstand jedoch bereits im Frühjahr 1945 eine jüdische Gemeinschaft wieder, bereits am 11. Februar wurde ein Provisorisches Jüdisches Komitee gegründet. Besonders große Bedeutung besaß die Zentrale Jüdische Historische Kommission (Centralna Żydowska Komisja Historyczna), die Ende 1945 von Philip Friedman in Lodz 43

Peter Christoph von Scheibler, Die Scheiblers auf dem Weg zum gelobten Land. Łódź 2014, S. 86–90, 99–101, 109–117.

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gegründet wurde. Friedman hatte in Wien promoviert, in der Zwischenkriegszeit trotz seiner Tätigkeit als Lehrer in Lodz intensiv wissenschaftlich zur Geschichte der dortigen Juden gearbeitet und den Krieg im Versteck in Lemberg überlebt. Er sollte nach dem Krieg zum prominentesten jüdischen Historiker und zu einem der ersten Spezialisten der internationalen Holocaustforschung werden.44 In Lodz richtete sich die Historische Kommission zunächst ihren Hauptsitz in Polen in der ul. Narutowicza 25 ein und sicherte bereits 1945 die umfangreichen Archivalien des Archivs der deutschen Gettoverwaltung sowie die Bestände des Ältesten der Juden. Von dort aus wurden die weiteren Arbeitsstellen in Warschau, Krakau, Białystok, Kattowitz, Gleiwitz, Beuthen, Będzin und Przemyśl koordiniert. Zentrale Aufgabe der Kommission im ersten Jahr ihrer Tätigkeit war die Sicherung der jüdischen Erinnerung: Auf der Basis von genauen Instruktionen fertigten Mitarbeiter allein 1945/46 mehr als 1.800 Zeitzeugenberichte in jiddischer und polnischer Sprache an, in denen die jüdischen Zeugen über Krieg und Völkermord berichteten.45 Der Schwerpunkt jüdischer Erinnerung lag so eindeutig auf der Bewahrung der Zeugnisse über den Völkermord, alle anderen Arbeitsfelder traten dahinter zurück. Das betraf zunächst etwa die Erinnerung an die jüdischen zionistischen Traditionen in Lodz und die jüdische Arbeiterbewegung. So erschien bereits 1946 in der Schriftenreihe der Kommission die erste wissenschaftliche Darstellung der Lodzer Gettogeschichte, bearbeitet von Artur Eisenbach.46 Geplant waren 1946 weitere Publikationen zur Lodzer Geschichte, die jedoch nicht mehr zustande kamen.47 Dabei spielte eine Rolle, dass mit der Entdeckung des Ringelblum-Archivs sich die Prioritäten der Kommissionsarbeit veränderten. Im September 1946 grub der HolocaustÜberlebende Hersz Wasser, die ersten Kisten des Untergrundarchivs in den Ruinen des Warschauer Gettos aus, die sowohl inhaltlich wie auch symbolisch große Bedeutung für die Erforschung des Holocausts besaßen, denn sie gaben den jüdischen Opfern teilweise ihre Stimme zurück.48 „Die Geschichte des Warschauer Gettos, beendet durch einen heldenhaften Aufstand, erschien in dieser Zeit als viel interessanteres, wie auch viel stärker mit den damaligen Thesen der Propaganda übereinstimmendes Thema […], Unter den damaligen politischen Bedingungen war das Warschauer Getto, in dem man die Tätigkeit von Kommunisten und der radikalen sozialistischen Linken zeigen konnte,

44 45 46 47 48

Roni Stauber, Laying the Foundations for Holocaust Research. The Impact of Philip Friedman. Jerusalem 2009. Noe Grüss, Rok pracy Centralnej Żydowskiej Komisji Historycznej, Łódź 1946, S. 16–17. Dokumenty i materiały do dziejów okupacji niemieckiej w Polsce, t. 3: Getto łódzkie, cz.1, bearb. v. Artur Eisenbach. Łódź 1946. Entgegen der Reihung erschien der Band als erste Publikation der Kommission. Hinweise auf weitere Projekte in Grüss, Rok pracy. Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 183–194.

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wie auch die Hilfe der Polnischen Arbeiterpartei für die Aufständischen ohne Frage ein aktuelles Thema.“49 Im Oktober 1947 verlagerte die Kommission mit der Gründung des Jüdischen Historischen Instituts im ehemaligen Gebäude des Rabbinerseminars neben der zerstörten Synagoge seinen Sitz nach Warschau, auch die umfangreichen Lodzer Sammlungen wurden dorthin überführt. Die dort beschäftigten Wissenschaftler gingen ebenfalls nach Warschau oder verließen Polen: Philip Friedman, als Zeuge und Gutachter beim Nürnberger Prozess zugegen, ging nach New York, Hersz Wasser 1950 nach Tel Aviv. In Lodz selbst blieben nach 1950 keine Historiker zurück, die sich intensiv mit jüdischer Geschichte beschäftigten, die Stadt war kein Zentrum jüdischer Forschung mehr. Auch in Warschau, wo rund um das Jüdische Historische Institut bis 1968 eine größere Forschergruppe aktiv war, erschien die Geschichte der Lodzer Juden als wenig reizvoll: Andere Städte besaßen deutlich ältere jüdische Denkmäler und kulturelle Traditionen, auch die Geschichte des Gettos erschien in den 1950er Jahren immer weniger bedeutsam. Die jüdisch-polnische Holocaustforschung beurteilte Rumkowskis Konzept einer „Rettung durch Arbeit“ äußerst kritisch, ja der Verwaltung des jüdischen Ältesten und Rumkowski selbst wurde teilweise eine Kollaboration mit den deutschen Behörden vorgeworfen.50 In Polen erschienen Rumkowski und dessen Überlebenskonzept immer stärker – auch im Kontext der internationalen Judenrats-Debatte (vgl. S.  423) – als gescheitert und folglich auch nicht relevant.51 Innerpolnisch konnten Versuche eines anderen Blicks auf die Geschichte des Gettos und der Persönlichkeit Rumkowskis jahrzehntelang nicht erscheinen, Henryk Rubin konnte zwar eine Dissertation an der Pädagogischen Hochschule Danzig einreichen und verteidigen, die Arbeit konnte aber in Polen nicht publiziert werden. An der Maßregelung Rubins, der schließlich 1971 einen Antrag auf Ausreise stellte, waren führende Historiker der polnischen Akademie der Wissenschaften wie Czesław Madajczyk beteiligt.52

49

50 51 52

„Dzieje stołecznego getta, zakończone bohaterskim powstaniem, wydawały się w tamtym czasie tematem zarówno ciekawszym, jak i najbardziej zgodnym z ówczesnymi tezami propagandowymi […]. W ówczesnych warunkach politycznych getto warszawskie, w którym można było wykazać rzeczywistą działalność komunistów i radykalnej lewicy socjalistycznej, a także pomoc ze strony PPR dla powstańców było niewątpliwie tematem »na czasie«.“ Jacek Walicki, Polityka historyczna a nauka. Dzieje badań materiałów archiwalnych getta łódzkiego i jego „Kroniki“ do roku 1968, in: Julian Baranowski (Hg.), Kronika getta łódzkiego/Litzmannstadt Getto 1941–1944. Bd. 5: Suplementy. Łódź 2009, S. 247–268, hier 253. Artur Eisenbach, Hitlerowska polityka eksterminacji Żydów w latach 1939–1945, Warszawa 1953, S. 171. Volf Yasni, Di geshikhte fun Yidn in Lodzh in di yorn fun der daytsher yidn-oysrotung. Tel Aviv 1960; Adolf Rudnicki, Kupiec łódzki. Warszawa 1963. Erst 1988 mit einer distanzierenden Einleitung des Exilverlages: Henryk Rubin, Żydzi w Łodzi pod niemiecką okupacją. 1939–1945, Londyn 1988; dazu Czyżewski, Czerwono-biało-czerwona Łódź, S. 210–215; zur wissenschaftlichen Biographie Rubins: Grzegorz Berendt, Henryk Rubin 1913–1995, in: Słownik historyczny historyków Uniwersytetu Gdańskiego, Gdańsk 2020, S. 428–444.

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Dies mündete in Polen in die Entstehung und Verbreitung eines negativen Bildes auf das Getto Litzmannstadt – die umfangreichen erhaltenen Materialien galten als wenig wertvoll, denn sie beschrieben und propagierten angeblich einen Irrweg. Die von Danuta Dąbrowska und Lucjan Dobroszycki vorbereitete Edition der Getto-Chronik konnte vor diesem Hintergrund nicht erscheinen, die ersten beiden Bände wurden konfisziert und die Herausgeber ins Exil gedrängt.53 Nach 1968 existierte in Polen eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Lodzer Juden und der tragischen Geschichte des Gettos nicht mehr, zumal auch an der Universität Mitarbeiter mit entsprechenen Sprachkenntnissen entlassen worden waren. Zwar kehrten die umfangreichen Archivalien zum Getto Litzmannstadt 1968 ins Staatsarchiv Lodz zurück, es gab nun aber vor Ort kaum noch jemand, der sich mit diesem Material wissenschaftlich beschäftigen konnte. Lodzer Juden fanden in Krieg und Nachkriegszeit an sehr vielen unterschiedlichen Orten Zuflucht, im Exil oder an den neuen Lebensorten entstand eine Erinnerungskultur an die Lodzer Juden. Diese konnte teilweise bereits auf älteren Lodzer Landsmanschaften und Stiftungen aufbauen, die im Kontext einer Zuwanderung im frühen 20. Jahrhundert entstanden waren. Die bedeutendsten Zentren gaben eigene Publikationen heraus und hatten an einer zwar verstreuten, aber globalen Erinnerungskultur Anteil. In den USA bildete New York ohne Frage das Zentrum einer solchen Erinnerungskultur, zumal etwa 10.000 Juden aus Lodz in der Metropolregion (auch in der Textilindustrie in Paterson, Newark und Jersey, die vielen jüdischen Immigranten Beschäftigung gab) lebten. In New York erschien bereits 1943, als erste Informationen über das Getto jenseits des Atlantiks ankamen, ein erstes Yizkor-Buch, das die Erinnerung an die jüdische und jiddischsprachige Kultur Lodzs bewahren sollte. Herausgegeben von Zalme(n) Zylbercweig, einem ehemaligen Redakteur des Lodzer Tageblats, Übersetzer und Autor von Theaterstücken, enthielt es einen Überblick über das jüdische Leben der Stadt.54 Nach 1945 verfügte New York durch die Bibliothek und die Mitarbeiter des YIVO über umfangreiche Archivalien und Literatur zur jüdischen Stadtgeschichte von Lodz. In der Stadt waren eminente Kenner der Lodzer Geschichte wie Philip Friedman und Isaiah Trunk tätig. Trunk, ab 1954 langjähriger Archivleiter des YIVO, legte 1962 in jiddischer Sprache eine Studie über das Getto vor.55 Viele Lodzer Juden waren in der Zwischenkriegszeit oder direkt nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien gegangen, wohin eine Ausreise leichter möglich als in die USA war.56 In Buenos Aires entstand so ein jiddisches kulturelles Zentrum, in dem 53 54 55 56

Adam Sitarek, Danuta Dąbrowska – pionierka badań nad łódzkim gettem, in: Zagłada Żydów. Studia i Materiały 16 (2929), S. 315–323. Lodzsher yizkher-bukh. Aroysgegebn fun Fareyniktn reṭungs-komitet far der shtot Lodzsh. Nyu York 1943; zugänglich unter digitalcollections.nypl.org/items/dd3c2020-6635-0133-c19f-00505686a51c. Yekhiel Yeshaye Trunk, Lodzher geto: a historishe un sotsyologishe shtudye. New York 1962; engl. Łódź Ghetto. A History. Bloomington Indianapolis 2006. Mariusz Kalczewiak, Polacos in Argentina. Polish Jews, Interwar Migration, and the Emergence of Transatlantic Jewish Culture. Alabamy University Press 2019.

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der „Tsentral Farband far poylishe yidn in Argentine“ zwischen 1946 und 1966 seine jiddischsprachige Publikationsserie: „Dos poylishe yidntum“ herausgab.57 In dieser Reihe erschienen auch mindestens sieben Publikationen zu Lodz,58 in denen die jüdische Kulturgeschichte der Stadt und die Geschichte des Gettos dargestellt wurden. Bemerkenswert ist, dass hier wie auch in der ganzen Reihe Literatur als gleichberechtigtes Medium der Erinnerung behandelt wird. In Australien wurde Melbourne zu einem Zentrum von Lodzer Auswanderern und Flüchtlingen. Zwischen 1953 und 1974 existierte hier eine Vereinigung, die ein Erinnerungsbuch herausgab.59 In Israel wurde bereits vor Gründung des Staates 1947 ein informeller Zusammenschluss von Lodzer Juden ins Leben gerufen. 1948 erschien in hebräischer Sprache ein Yizkor-Buch, das von Aaron Zeev Aescoly (poln. Arn-Volf Vayntroyb) seiner Heimatstadt zugeeignet wurde.60 Im Umfeld der informellen Gruppe erschienen in den 1960er und 1970er Jahren Erinnerungstexte und erhaltene Fotographien aus dem Getto Litzmannstadt.61 Seit den 1970er Jahren organisierte die Erinnerungsgemeinschaft jährliche Treffen und errichtete mehrere Erinnerungsstelen an die Lodzer Opfer, so etwa auf dem Friedhof von Holon, und erfasste die Namen der jüdischen Opfer. Seit 1996 organisierte sich die Gemeinschaft neu als „Association of Lodz Jews in Israel“.62 Weiterhin fanden in Israel auch Treffen anderer Lodzer Gemeinschaften statt, so etwa in Tel Aviv 1997 ein Treffen von ehemaligen Schülern der Lodzer Hebräischen Schule.63 Und die deutschen Staaten? Auch nach Westdeutschland, vor allem in die amerikanische Besatzungszone, waren Lodzer jüdische Überlebende 1946/47 geflohen. Nur wenige 57 58

59 60 61

62 63

Malena Chinski, Ilustrar la memoria: las imágenes de tapa de la colección Dos poylishe yidntum (El judaísmo polaco), Buenos Aires, 1946–1966, in: Estudios Interdisciplinarios de America Latina y el Caribe, 23 (2012), 1, S. 11–33. In chronologischer Reihenfolge: Yisroel Tabaksblat, Khurbn-Lodzsh.  6 yor natsi-gehenem. 1946; Cypora Katzenelson-Nachumov, Yitshak Katzenelson: Zayn lebn un shafn. 1948; Zusman Segalovitsh, Der letzter Lodzsher roman. 1951; Yekhiel Yeshaye Trunk, Di velt iz fol mit nisim: oder mayseh migimel ahim: folksṭimlicher roman loyṭ Ankl Lerer hamekhune Morgnsṭern fun der shṭoṭ Lodzsh 1955; Alexander Kappel, In Varshe un in Lodzsh: mayne bagegenishn. 2 Bde. 1955; Abraham TenenbaumArazi, Lodzsh un ire Yidn 1956; Shloyme Frank, Ṭogbuch fun Lodzsher geṭo 1958; Sheyne Miriam Broderson, Mayn laydns-veg miṭ Moyshe Broderzon: di milḥome hoṭ gedoyerṭ far undz zibetzn yor (zikhroyne) 1960. Yidish Lodzsh: yizkher bukh. Melburn, Oysṭralye: aroysgegebn fun Lodzsher tsenṭer in Melburn, 1974; über das Zentrum: The Lodzer Centre in Melbourne, 1953–1974. Melbourne 1974. Aaron Zeev Aescoly, Ḳehilat Lodz‘: tol’dot ‚ir ṿe-em be-Yiśra‘el [The community of Lodz; a Jewish mother city]. Yerushalayim: Sifriyat Ḳaṿ le-ḳaṿ [1948]. Geven iz a geto: bilder geseykhnt fun Volf Adler. Hg. v. M. Pulaver. Tel Aviv 1963; Darkam ha-aharonah shel yehudei lodz, hg. v. Aleksander Klugman u. Henryk Ross. Tel Aviv 1963 [engl. The Last Journey of the Jews of Lodz. 1967]; Chava Rosenfarb, Der boym fun lebn. Tel Aviv 1972 [engl.: The Tree of Life: A Novel about Life in the Lodz Ghetto. Melbourne 1985]. http://www.lodz-israel.co.il/text/org-eng.html. Redlich, Life in Transit, S. 3.

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davon blieben jedoch in der frühen Bundesrepublik, zu wenig einladend erschien die restaurative westdeutsche Gesellschaft, als dass hier eine jüdische Erinnerungskultur hätte entstehen können. So entstanden nur vereinzelte Publikationen: Joseph Wulf, der 1945–1947 in Polen für die Zentrale Jüdische Historische Kommission tätig gewesen war und seit 1952 in Westberlin lebte, erhielt von der Zentrale für Heimatdienst (der Vorläuferin der Bundeszentrale für politische Bildung) den Auftrag, eine Geschichte des Gettos in Lodz vorzulegen. Der 1962 erschienene Band wertete vor allem jiddische und polnische Publikationen aus, blieb aber bis in die 1980er Jahre und der Frankfurter Ausstellung 1990 die einzige deutschsprachige Darstellung zum Getto.64 Ansätze für eine jüdische Erinnerung gab es tatsächlich in erster Linie in Frankfurt am Main. Dort lebten einige gebürtige Lodzer und im Getto eingesperrte Menschen, die seit den 1970er Jahren erneut Kontakte nach Lodz unterhielten. Josef Buchmann wuchs in Bałuty auf, überlebte das Getto und baute in Frankfurt ein Vermögen auf – seit den 1980er Jahren besuchte er wiederholt Lodz und unterstützt die jüdische Gemeinde und weitere Lodzer Stiftungen. Der gebürtige Chemnitzer Adolf Diamant war selbst als Jugendlicher nach Lodz deportiert worden und überlebte das Getto. Später in Frankfurt ansässig, verfasste er in den frühen 1980er Jahren eine Gettogeschichte, die sich vor allem erstmals intensiver den aus Deutschland nach Litzmannstadt deportierten Juden widmete.65 Jedoch entstand in Frankfurt wahrscheinlich keine Lodzer Erinnerungsgemeinschaft, reguläre Treffen von Lodzern sind nicht bekannt. Was verband diese sehr unterschiedlichen Erinnerungsgemeinschaften von Lodzer überlebenden Juden, die über den ganzen Globus verstreut waren? Zunächst das langjährige Festhalten an der jiddischen Sprache, sichtbar wird hier die Verwurzelung des Jiddischen im Leben der Lodzer Juden. Ein Austausch erfolgte weltweit über Buchhandlungen mit jiddischer Literatur und den Buchversand. In der Kontroverse international verbunden waren die Lodzer Überlebenden auch in immer wieder aufbrechenden Diskussionen über die Rolle der Leitungsgremien des Gettos und die Persönlichkeit Rumkowskis. War das Vorgehen Rumkowskis alternativlos oder hatten die Eliten zu sehr der deutschen Verwaltung zugearbeitet? Die Gettoüberlebenden, die sich frei äußern konnten, verteidigten in New York, Buenos Aires oder Melbourne in den 1950er Jahren mehrheitlich Rumkowskis Strategie, der sie auch in vielen Fällen ihr Leben verdankten. Die Kontroverse gewann eine neue Schärfe, als Hannah Arendt in ihren Berichten über den Eichmann-Prozess 1961 eindeutig Partei ergriff. Die Reportagen erschienen zunächst im „New Yorker“, anschließend arbeitete sie diese zu ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ um. In der Darstellung sprach die Politologin, 64 65

Josef Wulf, Lodz. Das letzte Ghetto auf polnischem Boden. Bonn 1962 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, 59). Adolf Diamant, Ghetto Litzmannstadt: Bilanz eines nationalsozialistischen Verbrechens, mit Deportations- und Totenlisten der aus dem Altreich stammenden Juden. Frankfurt 1986.

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enttäuscht über den angeblich fehlenden Widerstand, den jüdischen Eliten eine Mitschuld am Völkermord zu: „Von Polen bis Holland und Frankreich, von Skandinavien bis zum Balkan gab es anerkannte jüdische Führer, und diese Führerschaft hat fast ohne Ausnahme auf die eine oder andere Weise, aus dem einen oder anderen Grund mit den Nazis zusammengearbeitet. Wäre das jüdische Volk wirklich unorganisiert und führerlos gewesen, so hätte die ‚Endlösung‘ ein furchtbares Chaos und unerhörtes Elend bedeutet, aber […] die Gesamtzahl der Opfer hätte schwerlich die Zahl von viereinhalb bis sechs Millionen Menschen erreicht.“66 Rumkowski taucht bei Arendt nur an einer Stelle auf. Aber sie nennt ihn als Ersten: „Wir kennen die Männer, die zur Zeit der ‚Endlösung‘ an der Spitze der jüdischen Gemeinden standen – die Skala reicht von Chaim Rumkowski, genannt Chaim I., dem Judenältesten von Lodz, der Geldscheine mit seiner Unterschrift und Briefmarken mit seinem Porträt drucken und sich in einer Art Karosse durch die Straßen kutschieren ließ, über den gelehrten, milden und hochkultivierten Leo Baeck […] bis zu den wenigen, die Selbstmord begingen – wie Adam Czerniaków […].“67 Diese Argumentation, die von dem Ansatz ausging, erst die Konzentration, Segregation und Gettoisierung der Juden habe ihre „Deportation“ ermöglicht, löste schärfste, bis ins Persönliche reichende Kontroversen und Konflikte aus, die auch unter den jüdischen Überlebenden in New York, Buenos Aires, Melbourne, Warschau und Lodz ausgetragen wurden. Isaiah Trunk in New York legte daraufhin nach zehn Jahren Arbeit sein Standardwerk „Judenrat. The Jewish Concil in Eastern Europe“ vor, in dem er die Strategien der „jüdischen Selbstverwaltungen“ nun deutlich ausgewogener beurteilte, aber an einer negativen Einschätzung Rumkowskis festhielt.68 Icchak Rubin stellte dagegen Rumkowskis Überlebensstrategie als alternativlos hin. Die Arbeit konnte erst nach der Emigration des Autors erst 1988 in einem polnischen Exilverlag mit einem deutlich distanzierenden Vorwort des Verlags erscheinen. Erhebliche Konsequenzen hatte die antisemitische Kampagne 1968 in Polen, die die wenigen Spezialisten außer Landes trieb. Danuta Dąbrowska ging nach Israel und fand in Yad Vashem eine neue Wirkungsstätte. Dobroszycki ging nach New York ans YIVO und gab dort eine ins Englische übersetzte verkürzte Edition der Getto-Chronik heraus.69 Der an der Universität Lodz entlassene Korzec ging ans CNRS in Paris und beschäftigte sich nun erstmals schwerpunktmäßig mit jüdisch-polnisch-deutscher Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erkennbar wird hier, dass auch die antisemitische Kampagne von 1968 einen Internationalisierungsschub auslöste, der auch die jüdische Historiographie zum Getto 66 67 68 69

Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München 2004, S. 162. Ebd., S. 155. Isaiah Trunk, Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe unter Nazi Occupation. New York 1972. Lucjan Dobroszycki (Hg.), The Chronicle of the Lodz Ghetto, 1941–1944. New York 1984.

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Litzmannstadt weiter globalisierte. Allerdings – eine quellenbasierte Geschichtsschreibung zu den Lodzer Juden konnte vor 1989 nicht entstehen, da die in Polen liegenden umfangreichen Archivbestände nicht beforscht werden konnten. Insgesamt blieb die Forschung zum jüdischen Lodz bis 1989 unterentwickelt. Das lag nicht an den überlebenden Juden, die an ihren neuen Lebensorten vielfach Aufzeichnungen verfassten, die allerdings in jiddischer Sprache auf einen kleinen Kreis beschränkt blieben. Ursächlich war trotz der umfangreichen Überlieferung die fehlende Forschung in Polen: Am Jüdischen Historischen Institut erschien Lodz nicht als relevanter Forschungsgegenstand, vor Ort in Lodz fand an der Universität keine Forschung zu dem Thema statt. Geschichtspolitische Kontroversen Ist das bisher gezeichnete Bild dreier, nebeneinander stehender, sprachlich und kulturell jeweils separat fixierter Geschichtskulturen nicht zu einseitig? Zu fragen ist, zu welchen Zeitpunkten und in welchen Feldern es wechselseitige Rezeptionen oder untergründige Verflechtungen gab. Sichtbar wird das vor allem auf dem Feld der geschichtspolitischen Kontroversen, die deutlich zeigten, dass wechselseitig die jeweilige Produktion selektiv durchaus zur Kenntnis genommen und manchmal polemisch aufgespießt und kommentiert wurde. Dies galt insbesondere für die Frontstellung zwischen polnischer und deutscher Historiographie. In der Volksrepublik Polen blieb die deutsche Bedrohung nach 1945 aktuell; mit dem Entstehen der Bundesrepublik Deutschland wuchsen die Befürchtungen vor einem deutschen Revisionismus und vor den Landmannschaften, die als publizistische Speerspitze einer solchen Bedrohung wahrgenommen wurden. Die Publikationen der Landsmannschaft Weichsel-Warthe, in deren Reihen zahlreiche Minderheitenfunktionäre und nationalsozialistische Aktivisten tätig waren, erschienen aus dieser Perspektive bedrohlich und wurden intensiv beobachtet und ausgewertet. Mirosław Cygański, 1952–1969 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Staatsarchiv Lodz, später Professor am Schlesischen Institut in Oppeln, spezialisierte sich auf diese Form von Gegnerforschung.70 Cygański hatte die deutschsprachigen Bestände am Staatsarchiv Lodz verzeichnet und sich in zwei Monographien mit der Geschichte der deutschen Minderheit vor 1939 und dem Nationalsozialismus in Lodz beschäftigt.71 Er besaß 70

71

Zur wissenschaftlichen Biographie: Tadeusz Dubicki, Krzysztof  A.  Kuczyński, W kręgi dziejów Niemiec XX wieku. Życie i działalność prof. dr hab. Mirosława Cygańskiego, in: Studia Niemcoznawcze  28 (2004), S.  109–128 (mit Werkverzeichnis); Nachruf: Michał Lis, Profesor doktor habilitowany Mirosław Cygański – wspomnienie, https://instytutslaski.pl/wspomnienie/profesordoktor-habilitowany-miroslaw-cyganski-wspomnienie/. Mirosław Cygański, Mniejszość niemiecka w Polsce Centralne, 1919–1939. Łódź 1962; ders. Z dziejów okupacji hitlerowskiej w Łodzi. Łódź 1965 (Dissertation UAM Poznań).

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deshalb eine außergewöhnliche Archivkenntnis und ein Wissen über die personellen Kontinuitäten zwischen Lodzer deutscher Minderheit, nationalsozialistischen Funktio­ nären im Zweiten Weltkrieg und Vertriebenenorganisationen ab 1950, die er in den 1960er Jahren neben den Monographien in zahlreichen Vorträgen u.a. für den Verband der Kämpfer für Freiheit und Demokratie (Związek Bojowników o Wolność i Demokrację) und die 1964 in Lodz gegründete Zweigstelle Hauptkommission für nationalsozialistische Verbrechen sowie in mindestens drei Dutzend von wissenschaftlichen und populären Artikeln nutzte.72 Cygański benannte in seinen Beiträgen namentlich die Kontinuitäten zwischen NS-Aktivisten und Landsmannschaften und griff höhere Beamte in der Bundesrepublik wegen ihrer Vergangenheit in Litzmannstadt an.73 Die Arbeiten von Cygański wurden in den Darstellungen der Landsmannschaft als „Tendenzwerke allerübelster Sorte“ abqualifiziert,74 die nicht unzutreffende Kontinuitätsthese dagegen ohne Kommentar übergangen. Cygańskis wissenschaftliche Qualifikation, tatsächlich kannte wohl kaum ein Historiker die Lodzer NS-Akten besser, fiel unter den Tisch. Zugleich löste die Aufdeckung von schweren NS-Verstrickungen in den Biographien führender Vertreter erhebliche Unruhe aus: Ludwig Wolff – gegen den im Bundesnachrichtendienst auch ein internes Ermittlungsverfahren wegen NSBelastungen lief – trat 1967 als zweiter Vorsitzender der Landsmannschaft WeichselWarthe zurück.75 Wissenschaftlich blieb die geschichtspolitische Kontroverse allerdings wenig fruchtbar. Auch nach 1970, als die Lodzer Archive potentiell auch westdeutschen Forschern offenstanden, fand eine Forschung dazu nicht statt. Cygańskis Arbeiten gelten trotz dessen Außenseiterstatus – er konnte im akademischen Lodz niemals Fuß fassen und baute seine wissenschaftliche Karriere ausschließlich auf Positionen in der polnischen Westforschung auf – bis heute als Standardwerke.

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74 75

Verzeichnis der wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Beiträge bei Dubicki/Kuczyński, W kręgi, dort auch summarischer Hinweis auf 24 nicht genannte weitere Artikel in der polnischen und Lodzer Presse. Zwei Beispiele von vielen: Mirosław Cygański, Ziomkostwo Wisły-Warty w NRF. Organizacja – działalność – przywódcy, in: Przegład Zachodni (1969), 1, S. 79–112 (Karrieren u.a. von Kargel, Nippe, Wolff); ders., Hans Trossmann, przywódca CSU i dyrektor Bundestagu, były wyższy funkcjonariusz regencji okupacyjnej w Łodzi, in: Biuletyn Niemcoznawczy Instytutu Ṥląskiego w Opolu  3 (1968), S. 71–74. Troßmann, langjähriger Direktor des Bundestages, hatte 1940–1945 die Preisüberwachungsstelle Litzmannstadt geleitet, vor polnischen Gerichten liefen Ermittlungsverfahren gegen ihn. August Müller, Tendenziöse Vergangenheitsbewältigung, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe  11 (1965), S. 28–37, hier 37; Peter Nasarski, Die deutsche Volksgruppe in Polen im Spiegel polnischer Legenden und Polizeiberichte, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 12 (1966), S. 32–41. Sabrina Nowack, Sicherheitsrisiko NS-Belastung: Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er-Jahren. Berlin 2016, S. 484.

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Literarische und filmische Übersetzungen Im Unterschied zu den durchweg auf Gesamtdarstellung drängenden historischen Arbeiten kann Literatur, Fotographie und Film deutlich stärker individuelle und fragmentarische Zugänge zu einer Erinnerungsgeschichte liefern. Dies gilt insbesondere für eine Erinnerungsgeschichte von Lodz, dessen verschiedene Facetten in literarischen Texten oder Bildern leichter exemplarisch beschrieben und Probleme und Dissonanzen aufgezeigt werden können. Der auf dem Żeromski-Gymnasium in Lodz polnisch akkultierte, dann aber in die deutsche Besatzungsgesellschaft hineingewachsene Karl Dedecius76 kam nach langer sowjetischer Kriegsgefangenschaft, in der er Russisch gelernt hatte, 1952 in die Bundesrepublik und publizierte 1959 seine erste Anthologie „Lektion der Stille“.77 Unter den Gedichten, die auf besonderes Interesse stießen, gebührt Jerzy Waleńczyks „An einen unbekannten Deutschen im Westen“ wohl die erste Stelle.78 Der Lodzer Waleńczyk wendet sich in der Übersetzung von Dedecius an einen „fernen Bruder, Freund“ und beschwört diesen: „Glaub ihnen nicht, wenn sie dir von mir sagen: / Er ist dein Feind, in den Boden mit ihm, / Damit das neue Europa keime. […] Der du mein ferner Bruder bist, Freund / Mit fremdem Namen, unbekannten Zügen“.79 Die Übersetzungsforschung hat herausgearbeitet, dass der Übersetzer Dedecius hier erhebliche Veränderungen vornahm: Er formulierte in der deutschen Fassung: „Es ist die Stunde der Reue für Gesten ohne Gefühl / für Kraft ohne Mitleid, für Jahre ohne Grün / Stunde der Reue, die lauert unter Verlorenen in endloser Aussicht.“80 Dabei ist im Original noch von der „Stunde der Vergeltung“ der „Schauenden“ die Rede. In der Forschung hat sich die These durchgesetzt, der Inhaber der Deutschen Volksliste und Wehrmachtssoldat Dedecius habe sich gerade durch dieses Gedicht von einem wenige Jahre jüngeren Lodzer persönlich angesprochen gefühlt und eine Verständigungsbotschaft platziert. Dabei war das Verhältnis komplex, Dedecius Vater war 1945 von einem plündernden Nachbarn ermordet worden. Dedecius zitierte Waleńczyks Gedicht noch in 76

77 78 79 80

Zu den Leerstellen einer Interpretation: Winson Chu, Germans into Lodzers? Reinterpreting Karl Dedecius’s Poland in the Twentieth Century, in: Andrew Demshuk, Tobias Weger (Hg.), Cultural Landscapes: Transatlantische Perspektiven auf Wirkungen und Auswirkungen deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Munich 2015, S. 169–186. Karl Dedecius (Hg.), Lektion der Stille. Neue polnische Lyrik. München 1959. Polnische Publikation als „Do nieznanego Niemca na Zachodzie“, erneuter Abdruck Jerzy Waleńczyk, Do nieznanego Niemca na Zachodzie, in: Poezja (1989) nr 9 S. 79–80. Dedecius, Lektion der Stille, S. 92. Original: „Oto godzina zpłaty dla gestów bez wzruszeń, / Dla siły bez litości, dla lat bez zieleni, / Oto godziny zapłaty wśród zapatrzonych bezkresu pół.“; Analyse Unterschiede: Przemysław Chojnowski, Zur Strategie und Poetik des Übersetzens. Eine Untersuchung der Anthologien zur polnischen Lyrik von Karl Dedecius. Berlin 2005, S. 93–95.

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seinen Erinnerungen vollständig, wahrscheinlich, weil er sich selbst durch das Gedicht noch nach Jahrzehnten angesprochen fühlte.81 Der zweisprachige Dedecius konnte mit diesen Botschaften als Übersetzer eine besondere Zeugenschaft beanspruchen. Grundsätzlich steht er dabei für zahlreiche Lodzer Polen, Juden und Deutsche, die sich – oft auch aus Gründen des Broterwerbs – mit Übersetzungen beschäftigten. In der polnischen und jüdischen Generation der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Mehrsprachigkeit noch ausgeprägter. Bekannt sind Dutzende von Personen, die zwischen den verschiedenen Umgangssprachen Sachtexte, technische Instruktionen oder literarische Texte hin- und herübersetzten. Genannt werden könnte Rudolf Richter, der unter dem Pseudonym „Walter Tiel“ die Werke Gombrowiczs und andere literarische Texte übersetzte.82 Mit der Gründung des Deutschen Polen-Instituts, dessen Gründungsdirektor Dedecius wurde und das sich zunächst vor allem auf eine literarische Übersetzungstätigkeit konzentrierte, wurde dieser Zugang mittels Übersetzungen zum Programm. Dedecius besaß zunächst wenig Kontakte in seine Heimatstadt: „Mit Lodzer Dichtern hatte ich keine besonderen Kontakte. In den 1960er und 1970er Jahren reiste ich kurz nach Polen, ein, zwei Tage. In Lodz begrüßte mich während meines ersten Aufenthalts Jan Koprowski, damals der Vorsitzende der dortigen Abteilung des Polnischen Schriftstellerverbandes. Ich bin ein Mensch, der leicht Bekanntschaften knüpft, aber vor ihm hatte ich etwas Furcht, denn er war der offizielle dienstliche Contactman und deshalb kam es nicht zu irgendeiner tieferen Freundschaft. Deshalb drang ich auch nicht zu anderen Dichtern in Lodz vor. Sie bemühten sich übrigens auch nicht.“83 Dedecius wurde erst in den 1980er und 1990er Jahren in Lodz breiter bekannt, er galt als derjenige, der in den Zeiten des Kriegszustands ab 1981 durch seine Übersetzungstätigkeit Wissen über Lodz verbreitet habe und so polnischsprachigen Schriftstellern den Weg zum Weltruhm geöffnet habe. Publizistische Karrieren über Grenzen hinweg gab es auch in die andere Richtung. Der Journalist und Holocaustüberlebende Bolesław Lesman hatte 1967 in Lodz seine erfolgreiche Unternehmensreportage veröffentlicht, in der er die Karriere des Texilfabrikanten 81 82

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Dedecius, Ein Europäer aus Lodz, S. 215–216. Marek Zybura, Dudeczku mój drogi … Droga Alice … Zu einer gewissen amitié amoureuse à trois in der Geschichte der deutschen Rezeption des Werks von Witold Gombrowicz, in: Włodzimierz Bialik, Czesław Karolak, Maria Wojtczak (Hg.), Ungeduld der Erkenntnis. Eine klischeewidrige Festschrift für Hubert Orłowski. Frankfurt a.M. 2014, S. 307–323. „Z łódzkimi poetami nie miałem specjalnych kontaktów. Przyjeżdżałem do Polski w latach 60. i 70. na krótko, jeden, dwa dni. W Łodzi podczas mojego pierwszego pobytu przyjmował mnie Jan Koprowski, wówczas prezes Oddziału Związku Literatów Polskich. Jestem człowiekiem łatwo nawiązującym znajomości, ale jego się trochę bałem, bo on był lewicowcem, takim oficjalnym służbowym contactmanem i dlatego nie doszło między nami do jakiejś głębszej przyjaźni. […] Dlatego też nie dotarłem do innych poetów w Łodzi. Oni zresztą też mnie nie szukali.“ Romanowski, Karl Dedecius, S. 189.

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Oskar Kon beschrieb, der mit Geschäftssinn und Finanzspekulationen ein Vermögen machte.84 Im Gefolge der antisemitischen Kampagne 1968 verlor Lesman seine Stelle und musste mit seiner Familie ausreisen. Über Österreich landete die Familie zunächst in Israel, wo Lesman aufgrund seiner fehlenden Hebräisch-Kenntnisse aber keine Berufschancen hatte. Lesman kam so nach Deutschland und fand, nachdem er ein Engagement bei der polnischen Ausgabe von Radio Freies Europa in München aus familiären Gründen abgelehnt hatte, beim Deutschlandfunk in Köln. Dort baute Peter Nasarski Anfang der 1970er Jahre eine Polen-Redaktion auf und er stieß auf den Lodzer Journalisten Lesman, dessen Roman er gelesen hatte. Nasarski verschaffte Lesman die Stelle beim Deutschlandfunk und dieser stieg in den 1970er Jahren zu einem Polenexperten in der Bundesrepublik in einer Epoche auf, in der Polenkenntnisse im Gefolge der neuen Ostpolitik auf einmal gefragt waren.85 Jurek Becker dagegen zweifelte jede persönliche Verbindung mit Lodz an, sein literarisches Werk ist dennoch mit der Stadt verbunden. In Lodz nach 1937 in einer jüdischen Familie geboren, überlebte er als einer der wenigen seiner Familie das Getto Litzmannstadt und das Lager Ravensbrück und wuchs in der DDR auf. Dort verfasste er bereits Mitte der 1960er Jahre das Drehbuch für den Film „Jakob der Lügner“. Das Projekt scheiterte 1966/67, weil die polnische Seite die Dreherlaubnis verweigerte, was auch vor dem Hintergrund des staatlichen Antisemitismus der 1960er zu sehen ist. Becker machte dann aus dem Drehbuch einen Roman, der sehr erfolgreich wurde. Geschildert wird das Leben des Juden Jakob Heym in den letzten Wochen vor der Räumung des Gettos. Jakob fingiert den Besitz eines Radios, um den Gettobewohnern Hoffnung auf Rettung einzuflößen. Da die Handlung in einer Großstadt spielt und das Getto in Lodz eine wichtige Rolle in Jurek Beckers Biographie spielte, wurde allgemein angenommen, dass das Getto des Buches dem in Lodz nachempfunden sei, auch wenn deutliche Hinweise wie Ortsbeschreibungen oder -bezeichnungen nicht mit denen in Lodz übereinstimmten. Der Roman wird bis heute in deutschen Schulen als Lektüre eingesetzt. Er wurde 1974 von Frank Beyer in Zusammenarbeit mit dem Fernsehen der DDR verfilmt und – als überhaupt einziger Film der DDR – für den Oscar in der Kategorie bester ausländischer Film nominiert. Dabei war erneut eine naheliegende Kooperation zwischen der DDR und Polen aufgrund einer polnischen Absage – das nicht gewollte jüdische Thema! – nicht möglich, beteiligt waren stattdessen tschechoslowakische und ungarische Schauspieler. Beyers Film entstand zeitgleich mit Andrzej Wajdas Reymont-Verfilmung „Das gelobte Land“ (1974).

84 85

Lesman, Recepta na miliony. Spodenkiewicz, Oskar Kon. Lesmans Tochter Agnieszka Lessmann hat sich mit der mehrfachen Flüchtlingsbiographie ihrer Familie mehrfach auseinandergesetzt, zuletzt in den Hörspielen „Mörder“ und „Einstiegskurs“, vgl. https://www.agnieszkalessmann.de/.

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Ein weiterer Filmkenner und -produzent war in Leben und beruflichem Schaffen eng mit Lodz verbunden: Artur Brauner stammte aus einer jüdischen Lodzer Familie, überlebte den Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion und baute in Westberlin ab 1946 die Filmproduktionsfirma CCC auf, die neben kommerziellen Produkten auch immer wieder deutsch-polnisch-jüdische Themen behandelte. Brauner produzierte unter anderem „Morituri“ (1948), einen Film über geflüchtete KZ-Überlebende und den ersten deutschen Film, der die NS-Politik thematisiert. Weiterhin 1974 „Sie sind frei, Dr. Korczak“ nach der Lebensgeschichte des Pädagogen Janusz Korczak unter Regie des Aleksander Fords, der Polen nach 1968 verlassen hatte. Mit der Lebensgeschichte Brauners mehrfach verbunden ist der 1990 nach langjährigen Vorbereitungen fertiggestellte „Hitlerjunge Salomon“ (außerhalb Deutschlands „Europa, Europa“) in der Regie Agnieszka Hollands, in der die authentische Lebensgeschichte Sally Perels nachgezeichnet wird: Sally wächst in Peine in Niedersachsen auf, wird mit seiner Familie 1938 ausgewiesen und geht nach Lodz; im Zweiten Weltkrieg flieht er mit seinem Bruder in die Sowjetunion und hält den Kontakt mit seiner zurückgebliebenen Familie nur brieflich. Von deutschen Truppen überrollt, gibt er sich als volksdeutscher Hitlerjunge aus und überlebt. Auf die nationalsozialistische Akademie für Jugendführung geschickt, besucht er im Krieg Lodz, fährt mit der Straßenbahn durch das Getto und sucht erfolglos seine Eltern. Der Film konnte nur dank der Beharrlichkeit Brauners realisiert werden und war ein internationaler Erfolg. Im Lodz der Wendezeit nahm man die Dreharbeiten zum Film wahr. Im April 1989 hieß es in der Presse: „In den Gassen um den Baluter Ring, wo sich Elemente der Bebauung erhielten […], die Litzmannstadt Getto erinnern, realisiert die Regisseurin Agnieszka Holland die Aufnahmen zu ‚Salomon‘ nach ihrem eigenen Drehbuch. Der Film wird von Produzenten aus Frankreich und der Bundesrepublik finanziert.“86 Was können uns diese vier Biographien mit ihren jeweils exemplarischen Werken zeigen? Biographien setzen sich häufig über die Vorgaben erinnerungskultureller Rahmen und einer Geschichtspolitik hinweg; sie verlaufen über Grenzen hinweg, können auch dadurch eine Ausstrahlungskraft und Ausstrahlung gewinnen. Literatur und Film gelingt es auf den hier angedeuteten Wegen, deren Zahl noch vermehrt werden könnte, die engen Grenzen jeweils nationaler Erinnerungskulturen zu überschreiten. Sie erinnern so seit den 1950er Jahren auf jeweils exemplarische Weise an das multikulturelle Lodz und gehen so der späteren diskursiven und historiographischen Entdeckung des Themas voran.

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„W zaułkach koło Rynku Bałuckiego, gdzie zachowały się fragmenty zabudowy pamiętającej […] ‚Litzmannstadte getto‘ [sic!] reż. Agnieszka Holland realizuje zdjęcia do ‚Salomona‘ wg. własnego scenariusza. Film finansowany jest przez producentów z Francji i RFN.“ Konrad Turowski, Łódzkie getto w filmie, in: Odgłosy 32 (1989), 18, S. 12.

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Renaissance von Multikulturalitätskonzepten Ab wann zeigten sich in den jeweiligen getrennten sprachlichen Sphären einer Erinnerung tatsächliche Verflechtungen der bis dahin weitgehend getrennten Erinnerungskulturen hin zu einer multikulturellen und verbindenden Erinnerung? Sucht man nach Antworten auf diese Frage, so kann man ganz verschiedene Antworten geben. In Lodz gelang es bereits in den späten 1970er Jahren im Kontext der kulturellen Öffnung und der wachsenden politischen Opposition nicht mehr, die dominante nationale Erzählung von deutschen kapitalistischen Tätern und polnischen Arbeitern und Opfern öffentlich aufrecht zu erhalten. Als im Frühjahr 1977 in der Nähe der Fabrikantenvilla der Familie Biedermann bei der Verlegung von Telefonkabeln zufällig menschliche Überreste gefunden wurden, verbreitete sich diese Nachricht in Windeseile. Man exhumierte die Funde und stellte schnell fest, dass es sich um die Überreste eines Mannes und zweier Frauen handelte, des Fabrikanten Bruno Biedermann, seiner Frau Luise und seiner Tochter Marysia (vgl. S. 304). Zudem fand man noch den Knopf einer polnischen Militäruniform, woraus der Schluss gezogen wurde, Biedermann habe Selbstmord seiner polnischen Offiziersuniform begangen. Die Überreste wurden im Familiengrab auf dem evangelischen Friedhof in der ul. Ogrodowa beigesetzt. Obwohl es in der Stadt keine öffentlichen Mitteilungen gab, nahmen an der Beisetzung fast 200 Menschen teil, darunter Arbeiterinnen und Arbeiter der Biedermann-Fabrik. Dies zeigte deutlich, dass in der privaten und familiären Erinnerung auch noch nach mehr als 30 Jahren und entgegen aller Publikationen über die ausbeuterischen Fabrikanten ein Bewusstsein über die unternehmerischen Wurzeln der Stadt und deren deutsche Traditionsträger bestand.87 In den 1980er Jahren verstärkte sich vor dem Hintergrund der gesamtpolnischen Diskussionen um polnisch-jüdische Verflechtungen auch die Wahrnehmung der jüdischen Traditionen von Lodz. In oppositionellen Publikationen im Zweiten Umlauf oder in kirchlichen Zeitschriften wurden die multikulturellen Traditionen neu belebt. Ein Beispiel ist der Artikel des jungen Journalisten Jacek Żakowski, der die zukünftigen Schicksale der Protagonisten von Reymonts „Gelobtem Land“ im 20. Jahrhundert ausfabulierte: „Die schöne und reiche Frau Zucker starb aus Hunger im Winter 43 […]. Mela Grunspan schaffte es in die Gaskammer. Der Sohn Moryc Welts, der zusammen mit der Familie die Besatzung im Haus eines deutschen Bekannten überdauerte, starb in Israel. Seine Enkelin reiste 68 in die USA aus. Baum ging Pleite und schoss sich 1916 in den Leib. Sein Enkel hängte 39 die Hakenkreuzflagge hinaus, verhielt sich aber anschließend menschlich. Vor allem fühlte er sich als Lodzermensch. Der jüngste Baum (ein eingezogener SS-Offizier) 87

Anna Gronczewska, Historia Łodzi: dlaczego zginęli Biedermannowie?, in: Dziennik Łódzki v. 31.01.2011; Małgorzata Kozerawska, Joanna Podolska, Zdarzyło się w Łodzi: historia rodziny Biedermannów, in: Gazeta Wyborcza, 05.02.2010.

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kam nie nach Lodz zurück. Irgendjemand sah ihn in Sao Paulo. Angeblich bildet er zusammen mit den Borowieckis, den Buchholc, Müllers, Großgliks und Grosmans den Kern der dortigen Kolonie. Nur der Enkel von Trawiński lebt heute in Lodz. Nach dem Krieg machten sie ihn zum Direktor in seiner verstaatlichten Fabrik, sie achteten seine Kenntnisse und sein Arbeitsethos. Das dauerte einige Wochen. Dann musste er an das andere Ende Polens verschwinden. Er kehrte am Ende seines Lebens zurück.88 Das Fragment zeigt, was man in der Lodzer oppositionellen Öffentlichkeit der 1980er Jahre trotz Zensur und Publikationsverboten über die Geschichte der multikulturellen Eliten wusste, ja diese Geschichten weiter ausfabulierte. Man kannte die Geschichte des Gettos mit seinen Zehntausend dort an Hunger und Krankheiten gestorbenen Mitbürgern, wusste, dass in Brasilien ehemalige deutschen und jüdische Lodzer lebten (Kon, Scheibler) und hatte wahrgenommen, dass namhafte Lodzer Unternehmer aus der Stadt in andere polnische Städte „ausgeladen“ worden waren (Gustaw Geyer, in Polen verbliebene Angehörige der Familie Biedermann). Auch deutsche Zeitzeugen besuchten in den 1970er und 1980er Jahren Lodz und frischten dort Kontakte auf. Die Pastoren Erich Dietrich und Gerhard Richter waren 1978 aus Anlass des 50. Kirchweihjubiläums von St. Matthäi in der Stadt. In einem Bericht von Richter wird das „Angebot neuer Gemeinschaft“ von Seiten polnischer Protestanten betont. Auf ihrer Reise nach Lodz stoppte man zwischendurch in Kulmhof und an der Gedenkstätte Radogoszcz, hatte also ein klares Bewusstsein für die deutsche Täterschaft.89 Kontakte gab es auch von Seiten der ehemaligen Sozialisten: Otto Heike war 1974 in Polen und besuchte dort Bekannte aus der Familie Zerbe, auch Eugenie Zerbe, die Frau des letzten DSAP-Vorsitzenden Emil Zerbe und dessen Bruder Helmut Zerbe, bei den Diskussionen war auch ein größerer Kreis anwesend.90 Der deutsche Politikwissenschaftler Georg W. Strobel, Sohn eines DSAP-Mitglieds und einer Polin, besuchte mehrfach Lodz und pflegte Kontakte zum ehemaligen sozialistischen Milieu. Allerdings war das offene Sprechen über das Schicksal der ehemaligen jüdischen Mitbürger verpönt, das Wissen auch gering. Einige Barrieren blieben, so etwa die Scheu, unter Zeitzeugen des Krieges über ehemalige jüdische Mitschüler und Bekannte zu sprechen. 88

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„Piękna i bogata Pani Zukerowa umarła z głodu zimą czterdziestego trzeciego […]. Mela Grunspan doczekała komory gazowej. Syn Moryca Welta, który wraz z rodziną przetrwał okupację w domu znajomego Niemca, umarł w Izraelu. Jego wnuczka wyjechała do Ameryki w sześćdziesiątym ósmym. Baum zrobił klapę i strzelił sobie w łeb w 1916. Jego wnuk w trzydziestym dziewiątym wywiesił swastykę, ale później zachował się przyzwoicie. Przede wszystkim czuł się lodzermenschem. Najmłodszy Baum (oficer SS z poboru) nigdy nie wrócił do Łodzi. Ktoś widział go w Sao Paulo. Podobno razem z Borowieckimi, Bucholzami, Mullerami, Grosglikami, Grosmanami stanowi tam trzon podmiejskiej kolonii. Tylko wnuk Trawińskiego mieszka dziś w Łodz. Po wojnie wybrali go dyrektorem w jego upaństwowionej fabryce – mieli szacunek dla kompetecji i pracowitości. Trwało to parę tygodni. Potem musiał wyjechać na drugi koniec Polski. Wrócił, żeby dokonać życia.“ Jacek Żakowski, Łódź czeka, in: Powściągliwość i Praca 5/430 (Mai 1987), S. 1. Der Heimatbote 32 (1979), 3, S. 5–6: Bericht von Richter. Heike, Leben, S. 153–154.

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Karl Dedecius berichtet von einem leider nicht datierten Treffen mit ehemaligen Lodzer Mitschülern des Żeromski-Gymnasiums in den frühen 1990er Jahren: „Die jüdischen Klassenkameraden traf ich in Lodz bei unseren Klassentreffen nicht. Ich schämte mich, nach ihnen zu fragen, und ich stand mit dieser Scham nicht allein da. Ich erfuhr nicht, was mit ihnen geschehen war, ob sie noch lebten, wo man sie finden könnte.“91 Erst direkt in den Wendejahren um 1989, als die Zensur nachließ, bemühten sich Zeitzeugen, Bilder des multikulturellen Lodz öffentlich ins Gedächtnis zu rufen. Der jüdisch-polnische Mediziner und Publizist Arnold Mostowicz gab 1988 erstmals seine Erinnerungen an das Getto Litzmannstadt, wo er als Arzt gearbeitet hatte, heraus.92 Adam Ochocki, ein jüdisch-polnischer Journalist und Satiriker, zeichnete 1989 in einer Artikelserie sein Bild der Stadt nach und leitete dies mit der Bemerkung ein, er habe vergeblich versucht, sich den Zustand von vor einem halben Jahrhundert zu vergegenwärtigen.93 Grundsätzlich ist 1989 – gefördert durch den 50. Jahrestag des Kriegsausbruchs –eine Rückkehr der Erinnerung an das Lodz der Zwischenkriegszeit und die Ereignisse des Jahre 1939 zu verzeichnen. Erstmals öffentlich gedruckt wurden zu diesem Zeitpunkt Auszüge aus bis dahin unbekannten Teilen des Tagebuchs von Dawid Sierakowiak aus Anlass des 45. Jahrestages der Auflösung des Gettos;94 weitere Artikel über die Geschichte der Lodzer Juden schlossen sich an.95 Sichtbar ist dabei allerdings, wie fragmentarisch die Erinnerung ausfiel. 40 Jahre Verschweigen und Zensur forderten ihren Tribut, noch lebende Traditionsträger wohnten vielfach nicht mehr vor Ort, Arnold Mostowicz etwa in Warschau, viele Lodzer im Ausland. Sprachkenntnisse waren vielfach nur noch bei der älteren Generation vorhanden. Fast parallel wurde im Jüdischen Museum Frankfurt die Ausstellung „Unser einziger Weg ist Arbeit“ Das Getto in Lodz 1940–1944“ vom 30. März bis 10. Juni 1990 gezeigt. Die Ausstellung zeigte inszenierte Farbdias des Finanzbuchhalters der deutschen Gettoverwaltung Walter Genewein, die im Krieg im Auftrag von Biebow möglicherweise für ein zukünftiges Gettomuseum angefertigt worden waren und im Handel aufgetaucht waren. Für die Ausstellung besuchte das Vorbereitungsteam auch im Juni 1989 Lodz und sprach dort mit dem Archivar Julian Baranowski und weiteren Offiziellen wie Kazimierz Kąkol. Sichtbar wird in dem Bericht Hanno Loewys, dass 1989 in Polen die Geschichte der Lodzer Juden zwar reich dokumentiert, aber kaum aufgearbeitet war.96 91 92 93

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Dedecius, Ein Europäer, S. 360. Arnold Mostowicz, Żółta gwiazda i czerwony krzyż, Warszawa 1988. „na próżno usiłowałem odtworzyć status quo przed pół wieku“, Adam Ochocki, Łódź: historia, wspomnienia, relacje. Po obu stronach dawnej Piotrkowskiej, in Odgłosy 32 (1989), 4, S.  1, 5; ders., Dawny handel na ulicy Nowomiejskiej, in: Odgłosy 32 (1989), 7, S. 5; ders., Euforia i rozczarowanie. Wrzesień 1939 w Łodzi, in:Odgłosy 32 (1989), S.  11; ders., Jacyś dwaj cywile. Wrzesień 1939 roku, in: Odgłosy 32 (1989), 39. S. 11. Dawid Sierakowiak, Nad gettem znów czarne chmury, in: Odgłosy 32 (1989), 37 (1989), S. 6–7. Paweł Samuś, Żydzi w Łodzi pod koniec XIX wieku (1), in: Odgłosy 32 (1989), 49, S. 4; 40, S. 4; 50, S. 10. Hanno Loewy, Spuren, in: „Unser einziger Weg ist Arbeit“, S. 59–63, hier 60–62.

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Der „kalte Blick“ der Kamera und die Farbdias lösten bei vielen Betrachtern einen Schock aus. In der Ausstellung und in einem solide erarbeiteten Katalog kontrastierten die Ausstellungsmacher die Farbdias mit Aufnahmen von jüdischen Fotographen im Getto und Zitaten aus der deutschen Verwaltungskorrespondenz.97 Zahlreiche Vortragsveranstaltungen und eine Tagung begleiteten die Ausstellung, die auch in Berlin, Wien und München, aber nicht in Polen oder in Lodz zu sehen war. Die Ausstellung war für viele Mitarbeiter ein Initiationserlebnis und zeitigte erhebliche wissenschaftliche Erträge: Hanno Loewy und seine Kollegen gaben in den folgenden Jahren zahlreiche jüdische Selbstzeugnisse heraus, die das Wissen über den Gettoalltag erheblich erweiterten.98 Erstmals wurde hier ein präzises Bild vom Getto Litzmannstadt entworfen, das aber zu diesem Zeitpunkt vor Ort kaum bekannt war. Die Rückkehr des Lodzermenschen Auf welchen Wegen kann eine verlorengegangene multikulturelle Tradition wieder aufgebaut werden? Wie kann dies geschehen, wenn das Wissen gering ist und inwieweit war dies von welchen Gruppen beabsichtigt? Diese Fragen stellten sich in den 1990er Jahren angesichts radikal veränderter politischer Rahmenbedingungen neu. Zunächst einmal ermöglichte die Durchsetzung einer umfangreichen Reisefreiheit in den 1990er Jahren nun beliebige Besuche in der Stadt und somit ehemaligen Lodzern die zeitweise Rückkehr in die Stadt. Die Stadt nutzte dies zur mehrfachen Organisation von „Welttreffen aller Lodzer“ (Ṥwiatowe Spotkanie Łodzian) in den Jahren 1992, 2000 und 2008. Am ersten Treffen nahmen 350 Personen aus dem Ausland teil, zuvor hatten Artur Brauner, Karl Dedecius, Stefan Miecznikowski und Erzbischof Władysław Ziołek die Ehrenbürgerwürde der Stadt erhalten. Zugleich sahen die 1990er Jahren mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft auch eine Krise der Stadtkultur. Kulturzeitschriften wie die „Odgłosy“ mussten eingestellt werden, es gab sogar – nicht realisierte – Pläne eines Umzugs der Lodzer Filmschule nach Warschau. Parallel wuchs in Lodz das Interesse an der multikulturellen Gründungs- und Aufstiegsgeschichte der Stadt in dem Maße, in dem das ältere Zwangskorsett einer nationalpolnischen Geschichtserzählung zerbrach. Wiederentdeckt wurden vor allem in den 1990er Jahren die deutschen und jüdischen Traditionen der Stadtgeschichte, zahlreiche russische Facetten sind weniger populär und harren bis heute einer Wiederentdeckung.99 97 98 99

Ausstellungskatalog: „Unser einziger Weg ist Arbeit“. Oskar Rosenfeld, Wozu noch die Welt: Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz, hg. v. Hanno Loewy. Frankfurt a.M. 1994; [Anonym], „Les vrais riches“ – Notizen am Rand. Ein Tagebuch aus dem Ghetto Lodz (Mai bis August 1944). Hg. v. Andrzej Bodek u. Hanno Loewy. Leipzig 1997. Andrzej de Lazari, Moja „rosyjskość“, in: Materiały z II Międzynarodowej Konferencji Popular­ nonaukowej „Rosyjska spuścizna kulturalno-naukowa w Polsce“, Łódź, 28–29 maja 2011. Warszawa 2011, S. 32–35.

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Zugleich gelang jedoch in der allgemeinen Krisenstimmung keine angemessene Repräsentation der Stadtgeschichte. So fand 1994 keine erfolgreiche breitere Erinnerung an den 50. Jahrestag der Auflösung des Gettos statt.100 Im November 1995 wurde dies mit der Errichtung des Dekalog-Denkmals am Rande des altstädtischen Parks auf ehemaligem Gettogelände in der Nähe des Standorts der 1939/40 zerstörten Alte Szul-Synagoge (ul. Wolborska 20) nachgeholt. Das Denkmal stellt eine überdimensionale Moses-Statue dar, der auf seinen Schultern gleich einem Herkules die Tafeln des Dekalogs hält; im unteren Bereich der Statur lodern Flammen empor, die den Völkermord symbolisieren sollten. In der Kritik hieß es, es sei „an obtuse and strange choice of a monument for this event which attracted condemnation from the international community.“101 Als deutlich zukunftsweisender erwies sich die Einrichtung einer Stiftung „Monumentum Iudaicum Lodzense“ aus der Initiative von Arnold Mostowicz, die sich zum Ziel setzte, die Denkmäler jüdischer Kultur in Lodz zu bewahren. Insbesondere bemühte man sich mit Unterstützung ausländischer Spender wie des Verbandes der Lodzer in Israel oder Josef Buchmann aus Frankfurt den jüdischen Friedhof an der ul. Bracka, den größten jüdischen Friedhof Europas, angemessen zu erhalten.102 In den 1990er Jahren löste die Wiederentdeckung der Multikulturalität intensive Diskussionen über den älteren Begriff des „Lodzermenschen“ aus.103 Der Begriff wurde erneut aufgegriffen und gegen den Strich der älteren negativen Begrifflichkeit (vgl. S.  52) nun positiv akzentuiert. Dazu trug auch die Umwertung traditioneller Stereotype in den 1990er Jahren erheblich bei: Das alte Negativklischee des „Lodzermenschen“ erschien nun in der kollektiven Erinnerung an fürsorgliche Fabrikanten in milderem, fast positiven Lichte.104 Zugleich versuchten Initiativen und die Stadtreklame ein positives Klischee eines urbanen Menschen zu schaffen, mit dem sich ein erheblicher Teil gerade der jüngeren Stadtbevölkerung identifizieren kann. Der Slogan mit dem Wortspiel „Lodzermensch – łódzka rzecz“ (der Lodzermensch – eine Lodzer Angelegenheit) verkörpert dies und traf das Lebensgefühl vieler junger Polen. Es ist jedoch fraglich, ob dese Umwertung erfolgreich war. Der „Lodzermensch“ konnte sich ausschließlich auf männliche Vorbilder berufen und sprach damit deutlich weniger als die Hälfte der Stadtbevölkerung an. Versuche, ihn im Ausland für Stadtmarketingzwecke einzusetzen, waren wenig erfolgreich, da der Begriff völlig unbekannt war. Lodz fand zwar im deutschen Feuilleton Resonanz als Prototyp einer multikulturellen Industriestadt, doch blieb das Echo begrenzt, zumal eine Vorstellung von der Stadt im 100 Kritisch dazu: Aleksander Klugman, Czy w Łodzi mieszkali kiedys Żydzi?, in: Tygiel Kultury (2002), 1–3, S. 30–38. 101 Currit, Promised land, S. 69. 102 http://www.lodzjews.org/. 103 Chu, The ‚lodzermensch‘, S. 244–252; Joanna B. Michlic, Łódź in the Post-communist Era: In Search of a New Identity. (Center for European Studies Program on Eastern and Central Europe Working Paper Series, 65), http://aei.pitt.edu/9153/1/Michlic.pdf. 104 Maria Łukowska: Mit Lodzermenscha, S. 127–129.

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deutschsprachigen Europa fehlte.105 Gegenwärtig bereitet Winson Chu von der University of Wisconsin in Milwaukee eine größere Arbeit über die die Stadtgeschichte von Lodz und den Begriff des „Lodzermenschen vor.106 Ein Seitenzweig der Diskussion ist die Galerie der „Großen Lodzer“, die von der Stadt Lodz seit 1999 auf der in eine Flaniermeile umgewandelten ul. Piotrkowska errichtet wurde: Dargestellt sind in lebensgroßen Figuren Julian Tuwim, Artur Rubinstein, Władysław Reymont, die Unternehmer Poznański, Scheibler und Grohman und der Schauspieler und Publizist Stefan Jaracz. Fünf Helden, zu einer Frau reichte es auch um 2000 noch nicht. Während das Schaufenster der Stadt so im frühen 21. Jahrhundert herausgeputzt wurde, blieben die Hinterhöfe schmuddelig und verunstaltet von vielfach antisemitischen Schmierereien, die in der Lodzer Geschichte, auch in der Rivalität zwischen den Hooligans der beiden Fußballvereine LKS und Widzew eine unrühmliche Tradition besitzen. Anfang 2000 schlug die Vereinigung der ehemaligen Lodzer in Israel Alarm, in den Straßen von Lodz wimmele es von Davidsternen mit antisemitischen Aufschriften und „Juden raus!“-Parolen. Unter der Führung der Lodzer Ausgabe der Gazeta Wyborcza und deren Journalistin Joanna Podolska riefen städtische Aktivisten daraufhin dazu auf, in einer gemeinschaftlichen Bemühung diese Aufschriften zu übermalen. Auch die Stadtpolitik nahm sich nun endlich dieses Problems an. Einen weiteren Anstoß lieferte die internationale Filmproduktion „Der Fotograph“ (Fotoamator) aus dem Jahre 1998: Der polnische Regisseur Dariusz Jabłoński verband die inszenierten Farbdias Walter Geneweins aus dem Frankfurter Jüdischen Museum mit den Aussagen Arnold Mostowiczs und der topographischen Situation der 1990er Jahre – so entstand ein beklemend realistisches Bild des Gettoalltags. Der Film errang mehrere Auszeichnungen polnische und imternationale Auszeichnungen, unter anderem den Adolf-Grimme-Dokumentarfilmpreis 2000. Die vielsprachige Überlieferung gerade der Materialien us dem Getto Litzmannstadt erforderten eine internationale Kooperation, die in der Zeit auch feste Formen annahm: Am 30. April 2000, dem 60. Jahrestag der Schließung des Gettos Litzmannstadt, unterzeichneten die Universitäten Gießen und Lodz einen Kooperationsvertrag zu einer gemeinsamen wissenschaftlichen Editon der Getto-Chronik, die in polnischer und deutscher Sprache im Getto (vgl. S. 280) verfasst worden war. Dieses umfangreiche Editionsprojekt beförderte eine internationale Forschungskooperation.107

105 Stadt ohne Grenzen. Eine Vedute von Karl Schlögel, in: Die Zeit Nr. 38 (1996); Bianca Pietrow-Ennker, Der „Lodzermensch“ verkörpert eine Lebensweise, die in Lodz wieder modern wird, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.01.2002. 106 Arbeitstitel: Germans, Poles, and Jews in the Making of the „Lodzermensch“: Competing Nationalisms in Łódź, 1880–2009. 107 Sascha Feuchert, Die Getto-Chronik: Entstehung und Überlieferung. Eine Projektskizze, in: Feuchert, Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, Bd. 5, S. 167–190, hier 189.

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Multikulturelle Vergangenheit als Bedrohung oder als Chance? Die „Stadt der vier Kulturen“ Sichtbar wird in solchen Konstellationen, in welcher Form die gemeinsame multikulturelle und vielsprachige Vergangenheit eine internationale Kooperation fördert und auch Chancen zur partiellen Belebung einer multikulturellen Gegenwart schafft. Die städtische Erinnerungspolitik versuchte seit den frühen 2000er Jahren intensiv, Lodz als internationales Zentrum mit einer multikulturellen Vergangenheit zu präsentieren. Diesem Ziel dient das seit 2002 regelmäßig im September jedes Jahres veranstaltete „Festival der vier Kulturen“ (Festiwal czterych kultur), bei dem abwechselnd die die Stadt prägenden polnischen, deutschen, jüdischen und russischen Einflüsse ins Zentrum gestellt werden.108 Wissenschaftlich ist das Konzept der „vier Kulturen“ voraussetzungsreich und fragwürdig. Gab es tatsächlich, und wenn ja, wann, vier ausdifferenzierte Nationalkulturen, die nebeneinander zur Entstehung und Entwicklung der Stadt beitrugen? Gab es nicht vielmehr von Anfang an komplexe Mischungsverhältnisse, Polendeutsche, polnische und litauische Juden, Deutschbalten oder Schlesier und Böhmen, aus denen die Stadt hervorging? Erkennbar ist zudem, dass das Konzept wissenschaftlich fragwürdig ethnisiert ist: So wird etwa der russländische Antteil der Stadtgeschichte vor 1914 – auch ein erheblicher Teil der Fabrikanten und der polnischen Verwaltung fühlte sich als russländische Staatsbürger – systematisch übergangen, auch weil er nicht in einen russischen Ethnos passt. Pragmatisch erfüllt jedoch das Festival seinen Zweck, jeweils die vielfältigen kulturellen Aspekte, die die Stadt prägten, öffentlichkeitswirksam neu auf die Tagesordnung zu setzen. Unter Wirtschafts- und Marketinggesichtspunkten spielt insbesondere der geschäftliche Erfolg des Einkaufzentrums „Manufaktura“, das 2006 in den Fabrikgebäuden des Textilfabrikanten Izrael Poznański eingerichtet wurde, eine erhebliche Rolle. Die gelungene Verbindung von Fabrikarchitektur und modernem Kommerz stärkt unter jungen Lodzern die Identifikation mit der eigenen Stadt. In dem Einkaufszentrum findet sich auch ein kleines Museum, das sich schwerpunktmäßig mit der Arbeitergeschichte in den Poznański-Werken beschäftigt und Erinnerungsstücke und Fotographien sammelt. Als besonders wichtig erwies sich in diesen Rekonstruktionen von Erinnerung die Integration der jüdischen Stadtgeschichte: Erinnert sei daran, dass noch um 1989 das Bewusstsein jüdischer kultureller Traditionen in der Stadt wenig bewusst war, dass noch 1994 eine angemessene Kommemoration des 50. Jahrestages der Auflösung des Gettos Litzmannstadt und der Deportationen nach Auschwitz gescheitert war. Seit 2002 bemühte sich der neue, aus der Solidarność-Opposition der 1980er Jahre kommende Stadtpräsident Jerzy Kropiwnicki um eine intensivere Verankerung jüdischer Traditionen 108 Vgl. die Homepage der Veranstalter (www.4kultury.pl/) und den umfangreichen polnischen Wikipediabeitrag.

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in der Stadtgeschichte. Kropiwnicki war dabei von einem deutlich geschichtspolitischen Impuls getragen und bemühte sich selbst um bessere Beziehungen zur Lodzer Gemeinschaft in Israel. Im Jahre 2004 wurde der 60. Jahrestag der Auflösung des Gettos mit zahlreichen ausländischen und polnischen Gästen begangen. Aus Anlass des Jahrestages wurde am 29. August ein neues Denkmal mit einem Gedenkkonzept und einer kleinen Ausstellung am Bahnhof Radegast, von wo aus die Transporte nach Kulmhof und Auschwitz abgegangen waren, der Öffentlichkeit übergeben.109 Das neue Denkmal, die kleine Ausstellung und ein 2009 fertiggestellter Erinnerungsweg zum Jüdischen Friedhof wurden lokal und international als angemessenes Erinnerungskonzept aufgenommen. Zugleich wurde 2004 auf dem ehemaligen Gettogelände mit der Errichtung eines „Parks der Geretteten“ (Park Ocalałych) – die Initiative kam in diesem Fall von Überlebenden – begonnen, der in den folgenden Jahren in die Realität umgesetzt wurde. Der Park besteht aus 418 von Gettoüberlebenden gespflanzten Bäumen. Auf dem Gelände befindet sich weiterhin eine Allee, die zwei Denkmale miteinander verbindet: einen etwa 10 m hohen Erinnerungshügel, auf dem ein Denkmal für den polnischen Kurier Jan Karski steht, der 1942 der Welt Kunde über den Völkermord in Osteuropa überbrachte. Jan Karski (eigentlich Jan Kozielewski, war in Lodz geboren und zur Schule gegangen, hatte die Stadt aber nach einem Exil in den USA bis 1996 fast 65 Jahre nicht mehr betreten. In späteren Besuchen betonte er mehrfach, dass die Erziehung im multikulturellen Lodz, wo im Hofe seines Wohnhauses ul. Kilińskiego 71 polnische und jüdische Kinder zusammenspielten und der Unterricht im Gymnasium, wo er in einer Klasse mit jüdischen und deutschen Schülern saß, ihn Toleranz gelehrt hätte. Zugleich vermerkte er jedoch auch immer wieder, dass er nicht wünsche, dass mit Denkmälern an sein Handeln erinnert werde.110 Auf der anderen Seite der Allee findet sich ein Denkmal für die Gerechten unter den Völkern der Welt, das aus einer Statue mit dem polnischen Weißen Adler und Tafeln in Form eines Davidsternes besteht, die die Namen der geehrten Polen enthalten. Darunter befindet sich mit Zofia Libich (gest. 1950) eine Einwohnerin aus Lodz, die ein ihr anvertrautes Mädchen rettete und erzog.111 Konzept und Anlage des Erinnerungsortes fanden insgesamt insbesondere als Ort der Einkehr für Lodz besuchende Nachkommen von Juden Anklang. Parallel verfolgte Stadtpräsident Kropiwnicki eine klar geschichtspolitische Agenda. Die Verantwortung der deutschen Gesellschaft für die Lodzer Ereignisse und vor allem den Völkermord an den Juden sollte auch begrifflich deutlicher herausgestellt werden. 109 http://www.centrumdialogu.com/en/memorial/radegast-station. 110 Biographie Karskis: Marta Kijowska, Kurier der Erinnerung. Das Leben des Jan Karski. München 2014, zu Lodz S. 13–30, 337–356. 111 Zofia Libich Sprawiedliwa Wśród Narodów Świata. Wspomnienia Hany Svirsky. Zofia Libich Righteous Among The Nations. Memoirs of Hana Svirsky. Łódź 2014.

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In städtischen Publikationen durfte ausschließlich von „Litzmannstadt Getto“ anstelle dem zuvor ebenfalls gebräuchlichen „Lodzer Getto“ gesprochen werden, auf Gedenktafeln wurde 2009 die zuvor seit den 1950er Jahren verwandte Bezeichnung der Täter als „Nazis“ („Hitlerowcy“) in „Deutsche“ („Niemcy“) umgeändert. Das stellte die positive Akzentuierung der Multikulturalität durchaus in Frage und auswärtige Historiker merkten an, dass es kaum eine wissenschaftliche Perspektive für zukünftige Forschung öffnete, ja nationale Verengungen begünstigte: „After all, praise for a multicultural past does little to explain how relations among Poles, Germans, and Jews in Łódź had already soured before the Second World War. Later, the willingness in Łódź to sacrifice the ‚Good german‘ for the ‚Bad German‘ narrative was ultimately about saving the ‚Good Pole‘. Yet deflecting attention from inter-ethnic tensions onto Polish etnic-German collaborators and foreign German invaders underplays the mechanics behind the Holocaust, which requires a search for answers locally as well as throughout Europe.“112 Deutlich offener blieben seit den frühen 2000er Jahren bürgergesellschaftliche Initiativen, die sich um eine angemessene europäische Erinnerung bemühten. Eine kontinuierliche öffentliche Debatte erlaubte die Zeitschrift „Tygiel kultury“, die 1996– 2013 zeitweise als Monatsschrift, dann als Vierteljahrsschrift erschien – in der Zeitschrift erschienen bis 2016 zahlreiche spannenden und kontroverse Beiträge zu hybriden Lodzer Identitäten. Durch zahlreiche, teilweise populärwissenschaftliche Arbeiten wurde zudem versucht, die jeweiligen Sprachkulturen in der Stadt deutlich zu machen: Zu Themen wie „Lodzer Juden“113 oder „Auf deutschen Spuren im ‚Gelobten Land‘“114 erschienen Alben, reich bebilderte Stadtführer oder biographische Nachschlagewerke, wobei nur die russische Erinnerungskomponente schwächer vertreten ist. Dargestellt wird auch das Zusammenleben „Unter einem Dach“, wobei ethnische Konflikte nicht ausgespart bleiben.115 Ziel dieser städtischen Geschichtspolitik ist es, die besondere 112 Winson Chu, From Łódź to Litzmannstadt: German Pasts and Holocaust Sites in Post-Communist Poland, in: Holocaust and Genocide Studies 31 (2017), 2, S. 240–267, hier 258. 113 Marek Budziarek (Hg.), Lodzer Judaica in Archiven und Museen. Aufsätze und Berichte aus Łódź, Jerusalem, Washington und Frankfurt a.M., Łódź u. Bonn 1996; Andrzej Kempa, Marek Szukałek (Hg.), Żydzi dawnej Łodzi. Słownik biograficzny Źydów łódzkich oraz z Łodzią związanych. 4 Bde. Łódź 2001–2005; Marek Szukałek, Słownik biograficzny Źydów łódzkich oraz z Łodzią związanych. Seria II, Bd. 1. Łódź 2007. 114 Krystyna Radziszewska (Hg.), Niemieckimi śladami po „Ziemi obiecanej“. Auf deutschen Spuren im ‚Gelobten Land‘, Łódź 1997; dies. (Hg.), Gdzie są Niemcy z tamtych lat? Wspomnienia łódzkich Niemców. Sag mir, wo die Deutschen sind. Erinnerung der Lodzer Deutschen. Łódź 1999; dies., Niemcy łódzcy. Die Lodzer Deutschen. Łódź 2005. 115 Krystyna Radziszewska, Krzysztof Woźniak (Hg.), Pod jednym dachem. Niemcy oraz ich polscy i żydowscy sąsiedzi w Łodzi w XIX i XX wieku. Unter einem Dach: die Deutschen und ihre polnischen und jüdischen Nachbarn in Lodz im 19. und 20. Jahrhundert, Łódź 2000; Krystyna Radziszewska (Hg.), Tonąca Łódź (lata 1939–1945). Das sinkende Boot (der Zeitraum 1939–1945), Łódź 2002; Marek Budziarek, Łódź Lodsch Litzmannstadt. Wycinki z życia mieszkańców okupowanego miasta. Łódź 2003.

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Kapitel 16

Geschichte der Stadt touristisch nutzbar und Lodz vor allem für Wochenend- und Einkaufstrips attraktiv zu machen. Auf einer bürgergesellschaftliche Initiative ruht auch das 2010/11 gegründete und nach Marek Edelman benannte „Zentrum des Dialogs“ (Centrum Dialogu im. Marka Edelmana). Edelman steht beispielhaft für die Traditionen einer Arbeiterbewegung und einer jüdischen Kultur, die Lodz prägten. Das Zentrum verfügt seit 2013 über ein eigenes Gebäude am Rande des „Parks der Geretteten“, und unterhält eine breite öffentliche und publizistische Tätigkeit mit einem Schwerpunkt auf den jüdisch-polnischen Traditionen Lodzs. Ähnlich agiert auch das Museum für moderne Kunst, das mit Persönlichkeiten wie Katarzyna Kobro oder Karol Hiller moderne Lodzer Lebensentwürfe präsentiert. Weiter, immer weiter Im Unterschied zu den Jahren um 2000 verfügt die Kulturmetropole Lodz im Horizont der 2020er Jahre über Institutionen im Rahmen des Programms einer offenen Multikulturalität, die die eigenen Ressourcen in der eklektizistischen Stadtarchitektur, die breite Sammeltätigkeit von Stiftern und Mäzenen und das entwickelte vielfältige Musikleben erforschen und popularisieren. Zusammen mit der Universität gilt das auch für die reichen Traditionen einer multidirektionalen Übersetzungstätigkeit, die allerdings noch stärker akzentuiert werden könnten. Wissenschaftspolitisch heißt das allerdings, die Kenntnis des Deutschen, Jiddischen und Russischen in den städtischen Bildungseinrichtungen und Universitäten prioritär zu vermitteln: Der aktuell geplante Aufbau einer Professur für jiddische Studien an der Universität Lodz bildet hier einen Baustein. Zwar gibt es keine Chancen, die historische Mehrsprachigkeit wieder zu beleben, doch sind Spezialkenntnisse und breite Übersetzungskompetenzen vonnöten. Es gibt einen gewissen Nachholbedarf, die russländischen (nicht gleichzusetzen mit den ethnisch russischen!) wirtschaftlichen und kulturellen Einflüsse in der Stadt zwischen den 1870er und den 1950er Jahren zu beforschen. Einige Chancen liegen in der aktuellen Renaissance einer kulturalistisch ange­ reicherten Wirtschaftsgeschichte: Im Vergleich wäre zu diskutieren, warum den Unternehmergenerationen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ein wirtschaftlicher Erfolg gelang und wie die aktuelle Lodzer Industrie in den verschiedenen Wellen einer Globalisierung davon lernen könnte. In Polen wie in Deutschland oder Israel stehen solch einer offenen Multikulturalität, die auch die historischen Konflikte in der Stadt klug reflektiert, die dominanten Linien der jeweiligen nationalen Erinnerungskulturen entgegen: Die Stadt, in der die Deutschen und Juden zugleich Polen waren, sich Polen und Juden deutsch akkulturierten und sich die Stadtbevölkerung gemeinsam mit russischen und jüdischen Fabrikanten oder

Lodz als Erinnerungsort

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Arbeitern eher sozial als national stratifizierte, passt nicht in die jeweiligen nationalen Erinnerungsrahmungen. Dabei liegen die Chancen einer solchen, sich wechselseitig befruchtenden deutschpolnisch-jüdisch-russischen, ja gesamteuropäischen Erinnerung an Lodz auf der Hand: Vor allem am Beispiel von Lodz kann eine symmetrische europäische Geschichte einer transnationalen und zugleich multikulturellen Industriekultur geschrieben werden, in der auch das „rote Lodz“ und die Traditionen einer internationalistischen Arbeiterbewegung eingebunden und damit starre nationale Frontlinien vermieden werden können. Wenn über eine vielfältige deutsch-polnisch-jüdisch-russische, d.h. eine europäische Alltagsund Industriegeschichte diskutiert wird, führen alle Wege nach Lodz.

Nachwort und Dank Mein Interesse an der Stadt Lodz reicht bis in die 1990er Jahre zurück, als ich die Stadt bei ersten Besuchen kennenlernte. Zu der Faszination trug mehrerlei bei: Erstens die Wahrnehmung der im Zusammenbruch befindlichen Textilindustrie und ihrer in Not lebenden letzten Arbeiterinnen und Arbeiter vor dem Hintergrund der Transformation, die Stoff zum Nachdenken gab. Zweitens regten mich Gespräche mit älteren Kollegen über die deutsch-polnisch-jüdisch-russische Geschichte an, mich neben Frühneuzeitstudien auch mit neuerer und neuester Geschichte zu beschäftigen. Besonders nennen möchte ich Jakub Goldberg (1924–2011), mit dem ich um 2000 in Obory bei Warschau mehrfach Gespräche über jüdische Geschichte in Polen führte, bei der Abfassung des Textes habe ich es bedauert, dass ich nicht mehr mit ihm über Lodz gesprochen habe. Feliks Tych (1929–2015) verdanke ich viele Einsichten in die Arbeiterbewegung in Polen im 20. Jahrhundert, auch bei ihm hätte ich gerne weiter nachgefragt. Schließlich hat mich immer wieder das Problem der Mehrsprachigkeit und multipler Loyalitäten beschäftigt, hier bot und bietet Lodz viele Ansatzpunkte. Meine erste wissenschaftliche Begegnung erfolgte im Oktober 1995 anlässlich der Tagung „Gruppenbeziehungen in einer multiethnischen Stadtgesellschaft: Polen, Deutsche und Juden in Lodz im 19. und 20. Jahrhundert (bis 1939)“, die vom Deutschen Historischen Institut (DHI) in Warschau und dem Historischen Institut der Universität Lodz vor Ort organisiert wurde. Daraus entstanden zwei deutlich abweichende, von Jürgen Hensel und Paweł Samuś herausgegebene Sammelbände in deutscher und polnischer Sprache. Mit dem Gründungsdirektor des DHI Rex Rexheuser und mit Jürgen Hensel diskutierten wir anschließend, das Projekt über 1939 fortzuführen. Selbst bin ich erst 2004–2007 am Nordost-Institut in Lüneburg, immer wieder angeregt von dessen damaligen Direktor Andreas Lawaty, dazu gekommen, konzeptionelle Überlegungen anzustellen. Diese konnte ich dann seit 2007 an der Justus-Liebig-Universität Gießen, die seit 1978 eine lebendige Partnerschaft mit der Universität Lodz unterhält, fortführen und teilweise umsetzen. Seit 2008 war ich häufig in Lodz und habe dort zahlreiche Freunde und Gesprächspartner gefunden. Ursprünglich hatte ich eine engere Darstellung nur der Konflikt- und Gewaltgeschichte der 1930er und 1940er Jahre Jahre im Blick, die sich aber unter der Hand zu einer Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts auswuchs. Dafür ist mein Freund und Kollege Rafał Stobiecki (Lodz) verantwortlich, der mehrfach anmahnte, dass eine integrierte und transnationale Stadtgeschichte der Stadt fehle. So entstand nach einer Quellenedition über Lodz im Zweiten Weltkrieg mit Marlene Klatt (2015) schrittweise dieses Buch, begünstigt durch ein Forschungssemester im Sommer 2019, das ich weitgehend in Warschau und Lodz verbrachte.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657793808_018

Nachwort und Dank

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Ein Buch entsteht immer in Diskussion und Austausch mit Kollegen, hier verdanke ich Freunden in Deutschland und Polen viel. Erhebliche Teile des Manuskripts wurden von Markus Krzoska (Gießen/Berlin), Andreas Lawaty (Lüneburg) und Markus Roth (Frankfurt) in einer ersten Fassung gelesen, zahlreiche Anregungen von beiden sind eingeflossen. Gemeinsame Workshops und zuletzt in der Corona-Krise Lehrveranstaltungen mit Krystyna Radziszewska führten dazu, dass ich über die Geschichte der Lodzer Juden und des Getto Litzmannstadt viel von ihr und von Studierenden gelernt habe. In die jiddische Literatur führte mich Dariusz Dekiert (Lodz) ein, der mich auch auf die Persönlichkeit Zew Wawa Morejnos aufmerksam machte. Die Mäander der deutschsprachigen Lodzer Literatur vermittelte mir Monika Kucner (Lodz), über polnischjüdisch-deutsche Verflechtungen lernte ich viel von Paweł Spodenkiewicz (Lodz). In historiographiegeschichtlichen und erinnerungskulturellen Fragen verdanke ich viel Andrzej Czyżewski (Lodz), der mir früh seine Dissertation zugänglich machte und immer ein lebhafter Diskussionspartner ist. Eine Stadtgeschichte aus der Außenperspektive steht in der Schuld der Detailforschung vor Ort, dies ist auch hier in hohem Maße der Fall. Ohne die Gespräche und Publikationen von Agata Zysiak und Marta Madejska wären die Kapitel zu den Lodzer Arbeiterinnen und ihrer Lebenswelt deutlich blasser ausgefallen, ohne die Studien Krzysztof Lesiakowskis die Abschnitte zur Lodzer Streikgeschichte. Viele Details zur Verfolgung der Lodzer Jüdinnen und Juden bauen auf den Arbeiten von Andrea Löw und Adam Sitarek auf. Informationen zur Deutschen Volksliste in Lodz und zu den von ihr betroffenen Biographien verdanke ich meinem Doktoranden Michał Turski. Einzelne Abschnitte wurden weiterhin mit Kajetan Stobiecki (Warschau), Norina Jakobi, Lukas Pohl und Filip Schuffert (alle Gießen) diskutiert. Überflüssig zu erwähnen, dass für alle verbliebenen Fehler ich allein verantwortlich bin. Ich wünsche der Darstellung interessierte, gerne auch kritische Leserinnen und Leser und hoffe, dass sie zu einer stärkeren Berücksichtigung der Lodzer Perspektive im Rahmen einer polnischen, deutschen und einer zu schreibenden europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts beiträgt.

Stadtplan von Lodz 1913

Abb. 18

Auszug aus einem dreisprachiger polnisch-russisch-deutschen Stadtplan von Lodz (1913).

Stadtplan von Lodz 1913

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Stadtplan von Litzmannstadt 1942

Abb. 19

Auszug aus dem deutschen Stadtplan von Litzmannstadt 1942.

Stadtplan von Litzmannstadt 1942

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Abkürzungen AIPN Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej AP Archiwum Państwowe BDM Bund deutscher Mädel DAF Deutsche Arbeitsfront DKuWB Deutscher Kultur- und Wirtschaftsbund DSAP Deutsche Sozialistische Arbeitspartei DVL Deutsche Volksliste DVV Deutscher Volksverband HJ Hitlerjugend KOR Komitet Obrony Robotników (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter) KPP Komunistyczna Partia Polski (Kommunistische Partei Polens) LWW Landsmannschaft Weichsel-Warthe NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps NZR Narodowy Związek Robotniczy (Nationaler Arbeiterbund) NZS Niezależne Zrzeszenie Studentów (Unabhängiger Studierenden-Verband) PPR Polska Partia Robotnicza (Polnische Arbeiterpartei) PPS Polska Partia Socjalistyczna (Polnische Sozialistische Partei) PZPR Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) SDKPiL Socjaldemokracja Królestwa Polskiego i Litwy (Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens) YIVO Yidisher Visnshaftlekher Institut (Jüdisches Wissenschaftliches Institut)

Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalien Archiwum Państwowe w Łodzi (Staatsarchiv Lodz), 8 Akta miasta Łodzi IV Zarząd miejski w Łodzi (Stadtverwaltung Litzmannstadt). 67 Komenda Milicji Obywatelskiej w Łodzi (6.9.-6.10.1939). 181/205/60 Akta w sprawie rehabilitacyjnej Gustawa Wilhelma Geyera. 221 Akta Miasta Łodzi. 239. Starostwo Powiatowe Łódzkie 1919–1939. 259 Szef zarządu Cywilnego Okręgu Wojskowego w Łodzi (Verwaltungschef beim AOK 8 / im Militärbezirk Lodz). 260 Prezes Rejencji Łódzkiej (Regierungspräsident Litzmannstadt) 1939–1944. 268 Niemiecka Lista Narodowa. 274 Geheime Staatspolizei / Gestapo – Staatspolizeistelle in Litzmannstadt. 374 Kanzlei Rechtsanwalt Walter Kindermann. 376 Kancelarie adwokatów łódzkich. 377 Sondergericht beim Landgericht Litzmannstadt. Archiwum Państwowe w Poznaniu, Volksdeutsche Mittelstelle 800/61, Bl. 6–7. Biblioteka Uniwersytecka, Zbiór Ludwika Radke, Łódź, Wodny Rynek 11. Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej [AIPN] , Łódź. Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej [AIPN], Warszawa. Herder-Institut Marburg, Sammlung Jandrike. Martin-Opitz-Bibliothek, Archiv der Deutschen aus Mittelpolen, A 1c IX, 6420. Muzeum Tradycji Niepodległościowych w Łodzi, A–8770 Z działalności Polskiego Komitetu Pomocy dla Zatrzymanych w Obozie w Radogoszczu. Universitätsarchiv Gießen, Nachlass Otto Behaghel, Briefe von und an Wagner. Universitätsarchiv Erlangen, Nachlass Paul Althaus. Tagebuch Erika Seidel-Carlhoff, Erlebt in jenen Tagen (2 Bde.).

Zeitungen und Zeitschriften Deutsche Post (1915–1918) Deutsche Lodzer (Lodscher) Zeitung (1939–1940) Der Deutsche Wegweiser (1938–1939) Deutscher Volksbote (1931–1936) Dziennik Łódzki (1945–) Dziennik Zarządu m. Łodzi (1919–) Express Ilustrowany (1946–)

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Plan Filip de Viebig, Plan sytuacyjny uregulowanych ogrodów sukienniczych [w] mieście Łodzi [1823], in: Maciej Janik [u.a.], Łódź na mapach 1793–1939. Łodź, Warszawa 2012, S. 36–37  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2 Ausschnitt Plan 1897, 1906–1908 Parzellenstruktur, in: Maciej Janik [u.a.], Łódź na mapach 1793–1939. Łodź, Warszawa 2012, S. 116–117  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 3 Abbildung Pfaffendorf, zeitgenössische Postkarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 4 Abbildung Scheiblersche Fabrik, zeitgenössische Postkarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 5 Einmarsch Wehrmacht Plac Wolnosci, Abbildung aus Heinrich Hoffmann, Der große deutsche Feldzug gegen Polen. Wien 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 6 Einmarsch Wehrmacht, Vorlage Andrzej Rukowiecki, Łódź 1939–1945. Kronika okupacji. Łódź 2012, S. 15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 7 Segregation Bevölkerung „Die Wohngebiete der Juden und Polen“, in: Lodscher Zeitung 42/43 v. 11./12.02.1940, S. 5  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 8 Umbenennung Litzmannstadt, Deutschlandplatz, in: Bömelburg/Klatt, Lodz . . . . . . Abb. 9 Industrieverteilung. Zahl der beschäftigten Arbeiter, Bolanowski, Architektura, S. 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 10 Planungen für die Umgestaltung des Stadtzentrums in: Bolanowski, Architektura, S. 73 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 11 „Vorwärts über die Gräber … und ihr habt doch gesiegt“ Deutsche Lodzer Zeitung, Nr. 305 v. 09.11.1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 12 Straßenbahnlinien durch Getto [Polen, Ghetto Litzmannstadt, Hohensteiner Straße, Brücke aus Bundesarchiv], (Bundesarchiv) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 13 Aufführung im Kulturhaus, Enzyklopedia getta, S. 176  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 14 Begrüßung sowjetische Soldaten Januar 1945, AP Łódz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 15 Karta DVL Ludwig/Ludwik Radke z pieczątką „Cudzoziemiec“ (AIPN Łódź 92/865) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 16 Eingang zum Gebäude des philologischen Fachbereichs der Universität Lodz (ehemaliges deutsches Gymnasium) zuzeiten des studentischen Streiks, Januar/ Februar 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 17 „Hungermarsch“ Lodzer Frauen, 30. Juli 1981, Fot. Marek Widerkiewicz/ Sammlungen Europejski Centrum Solidarności  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 18 Auszug dreisprachiger Plan von Lodz (1913) (Reprint) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 19 Auszug aus dem deutschen Stadtplan von Litzmannstadt 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 29 33 33 140 140 175 186 187 188 205 267 271 288 307

382 383 444 446

Orts- und Namensregister In das Orts- und Namensregister wurden auch Lodzer Quartiers-, Straßen, Fabrik- und Unternehmensnamen sowie Verbandsnamen aufgenommen. Der Haupteintrag erfolgt in der Regel bei den heutigen polnischen Namen, im Deutschen eingebürgerte Namen werden in dieser Form verwandt. Nationalsozialistische Namensgebungen werden mit „NS“ gekennzeichnet. „Lodz“ und „Polen“ wurden nicht aufgenommen. Aachen 11 Alba (Unternehmen, s. auch Horak) 355 Aleksandrów 10, 14, 36, 109, 131, 184 Alsfeld 411 Allach 285 Allart, Rousseau & Comp. (Unternehmen, auch Textilunion) 18, 207 Andrespol 8, 114 Andrzeja (Straße, Andrzeja Struga) 66, 103, 151 Anna-Krankenhaus (III Szpital Miejski im. dr. Karola Jonschera) 28 Anna-Maria-Krankenhaus 28 Anstadta (Straße) 160, 290 Antoniego (Straße) 246 Antoniew-Stoki 117 Argentinien 421 Arnold Baier (Unternehmen) 151 Astoria (Café) 261 Äthiopien 391 Augsburg 410 Auschwitz (KZ) 248, 269, 275, 280, 284, 296, 312, 321, 414, 438 Australien 422 Azov-Don-Bank 21 Bałuty (Stadtteil) 26, 30–31, 61, 101–103, 174, 176, 197, 264–286, 295, 333, 374, 423 Baluter Ring → Rynek Bałucki Banca Commerciale Italiana 17 Bandurskiego (Straße) → Mickiewicza Bangladesch 391 Barmen (heute Wuppertal) 35 Bayern 328 Bedoń 8 Będzin 419 Belarus‘ 66 Bełchatów 27 Belgien 11–13 Bereza Kartuska 128, 134

Bergen-Belsen (KZ) 285 Berlin 15, 22, 42, 58, 86, 161, 209, 274, 292, 401–402, 430, 434 Bessarabien 8, 182–183, 197, 202, 241 Beuthen (poln. Bytom) 419 Białystok 80, 92, 353, 405, 419 Bistona (Unternehmen) 355, 377, 393 B’nei Brith (Verband) 104 Böhmen 7, 8, 107, 108 Bosch-Siemens 402 Bracka (Straße) 361, 435 Brasilien 409, 418, 432 Braunschweig 411 Breslau 1, 5, 57–58, 287, 343, 353, 361, 389–390, 402–403, 418 Brest (Brest-Litewsk, poln. Brześć nad Bugiem)  75, 134 Brus 224 Brüssel 18 Brużyca 8 Brzeziny (NS Löwenstadt) 8, 57, 60, 186 Brzezińska (Straße, NS Sulzfelderstr.) 274 Buchenwald (KZ) 248, 365 Buczacz 223 Buenos Aires 421, 423–424 Bukowiec (dt. Königsbach) 8 Bund (Jüdische Arbeiterpartei) 38, 68, 79, 98, 105, 110, 120, 122, 162 Burgenland 196, 274 Cegelniana (Straße) 26, 189, 295 Centralna Szkoła Partyjna im. Juliana Marchewskiego (Zentrale Parteischule Julian Marchlewski) 310 Centrum Dialogu im. Marka Edelmana 440 Chełmy (Stadtteil) 193 China 391 Chojny (Stadtteil) 30, 61, 106, 150, 174, 197, 250 Ciechanów (NS Zichenau) 188

486 Cockerill (Unternehmen) 11 Cyganka (Stadtteil) 141 Czeladź 12

Orts- und Namensregister Evangelischer Friedhof 189, 431 Express Ilustrowany (Tageszeitung) 365

Dąbrowa (Stadtteil) 374 Dąbrowabecken 12, 62, 220 Dachau (KZ) 163, 172, 243, 246, 275, 296 Danzig 1, 87, 133, 197, 353, 370, 379–380, 389–390, 392, 402, 418 DDR 339, 396, 429 Dell (Unternehmen) 402 Detroit 397 Deutsche Jungenschaft in Polen 113 Deutsche Lodzer Zeitung → Litzmannstädter Zeitung Deutsche Sozialistische Arbeitspartei (DSAP) 119, 121–123, 131, 220, 312, 432 Der deutsche Weg (Wochenzeitung) 115 Deutscher Kultur- und Wirtschaftsbund (DKuWB)  109–110, 118–119, 123 Deutscher Volksbote (Wochenzeitung) 110 Deutscher Volksverband (DVV) 109, 115–116, 119, 133, 142, 152–153, 167, 169, 220, 413 Deutscher Wegweiser (Wochenzeitung) 123, 162 Deutsches Gymnasium → Lodzer Deutsches Gymnasium Deutsches Konsulat Piotrowska 118 Deutschland 12–13, 28, 56–75, 96, 99, 104, 113, 119, 365–366, 401, 404, 409–418, 423, 425, 430, 440 Doły (Friedhof) 214, 333–334 Dorpat 59, 162 Dos naje Leben (Zeitschrift) 324 Dror (jüd. Verband) 323 Durchgangslager Łąkowa 4 181–182, 194, 240 Düsseldorf22 87, 274, 410 Dworska (Straße) → Organizacji WiN Dziennik Łódzki (Tageszeitung) 366 Dzierżązna 234

Fabrik Baruch Glicksman, Łąkowa 4/Flottwellstr.  181, 193, 241 Fabrik Bennich Łąkowa 11 207 Fabrik Biedermann (Zakłady Przemysłu Bawelnianiego im. Sz. Harnama „Rena-Kord“)  42, 304, 313, 327, 334 Fabrik Emil Wicke Kopernika 36 134 Fabrik Josef John 207 Fabrik Julius Kindermann 131 Fabrik Kaiserbrecht, Zgierska 69 163 Fabrik Kindermann, Andrzeja 63 207 Fabrik Leonhardt, Woelker und Girbardt 207, 251 Fabrik Ludwig Geyer 26, 132, 208, 298, 327, 406 Fabrik Michał Glazer 193 Fabrik Fabiarnia i Wykończalnia Otto Haesslera (Zakłady Przemysłu Wełnianego im. J. Niedzielskiego), Siedlecka 3 296–297 Fabrik Israel Poznański 42, 132, 239, 299, 339 Fabrik Ramisch, Piotrkowska 138–140 163 Fabrik Robert Biedermann, Kilińskiego 147 Fabrik Rosenblatt, Żwirki 36 192, 333 Fabrik Samuel Abbe 193 Femina (Unternehmen) 355 Feniks (Unternehmen) 402 Filmhochschule → Wyższa Szkoła Filmowa Folks-Sztyme (Zeitschrift) 324 Fonica (Unternehmen) 395 Frankfurt a.M. 78, 274, 423, 433, 435 Frankfurt a.d.O. 272 Frankreich 11–13, 366, 405, 416, 430 Freie Polnische Hochschule → Wolna Wszechnica Polska Freie Presse (Tageszeitung) 104, 110, 122, 217, 220, 412 Friedland 366, 416

Eifel 11 Einwandererzentrale, Piotrkowska 119, 191, 208 Elbing 56, 370 Elta (Unternehmen) 375 Elze 411 Erlangen 69 Erweitertes Polizeigefängnis Radegast 193, 229, 289, 308, 317, 341, 405, 432 Eskimo (Unternehmen) 355 Essen 34 Estland 182, 187, 360

Gąbin 136 Gałkówek 114 Gdańska (Straße) 104, 405 Gebrüder Gerke (Unternehmen) 146 Geislingen/Stiege 285 Gdynia 81, 370 Gebethner & Wolff (Unternehmen) 221 Generalgouvernement 155, 240, 247, 249, 410 Gießen 376, 436 Gilette (Unternehmen) 402 Gleiwitz 419

Orts- und Namensregister Głowno 335 Góra Kalwaria 360 Gordonia (jüd. Verband) 270, 324 Gostynin 10 Grafenort 322 Greenwood (Orla 3, Unternehmen) 18 Grembach (Arbeitersiedlung) 34 Gronau 410–411 Großbritannien 11–13, 87, 401 Groß-Rosen (KZ) 285 Grotniki 224 Grüner Ring → Plac Barlickiego Haebler (Unternehmen) 109, 131, 133 Hamburg 274, 354 Hannover 366, 413 Hashomer Hatzair (jüd. Verband) 323 Heidelberg 13, 42, 162 Helenów (Park, dt. Helenenhof) 32, 55, 83 Helenówek (Stadtteil) 136, 325 Hermana Konstadta (Straße, zuvor Szymona Harnama) 334 Hessen 7, 328 Holon 422 Horak, Textilwerke, s. Zakłady Włókiennicze Adolfa Horaka Hotel Grand 18, 32, 36, 55, 127, 141, 290 Hotel Savoy 84 Ibbenbüren 410 Indien 12, 391, 392 Infosys (Unternehmen) 402 Irland 401 Italien 99 Israel 2, 323, 326, 328, 362, 366, 422, 424, 429, 435–440 Iwona (Unternehmen) 355 Java 7 Jakuba (Straße) 103, 285 Jersey 421 J.&P. Coats (Unternehmen) 17 Jüdischer Friedhof 174, 274, 285, 295, 334, 360–362, 435 Jungdeutsche Partei 142, 169 Kalisz 250 Kalischer Bahnhof → Lodz Kaliska Kalinowska (Straße) 190 Kalvarija 21

487 Kar(o)l Eisert AG (Unternehmen) 223 Kar(o)l Hoffrichter (Unternehmen) 132 Kassel 415 Kattowitz 56, 353, 358, 392, 402, 419 Kaufering 275 Kaukasus 12–14, 56 Kaunas 57 Kenia 391 Kiel 411 Kielce 82, 92, 298, 322, 326 Kiev 14 Kilińskiego (Straße, dt. Buschlinie) 438 Kino Bałtyk (Narutowicza 20) 211, 324 Kino Casino (Piotrkowska 67) 210 Kino Capitol (Włókniarz, Próchnika 16) 210 Kino Europa-Filmtheater, s. Kino Bałtyk Kino Mimosa (Kilińskiego 178) 245 Kino Mirage (Piotrkowska 72) 65 Kino Odeon (Tuwima 2) 65 Kino Oświatowy (pl. Zwycięstwa) 106 Kino Polonia (Piotrkowska 67) 336 Kino Rialto (Tuwia 1) 210 Kino Stylowy (Kilińskiego 123) 321 Kino Zachęta (Pabianice) 151 Kirche im. Stanisława Kostki (Kathedrale) 65, 75, 97, 103 Kirche Kościół Podwyższenia Ṥwiętego Krzyża (dt. Heiligkreuzkirche, Sienkiewicza 38) 177, 246, 319 Kirche St. Johannis 69, 316, 386, 410 Kirche St. Matthäus 148, 199, 316, 411 Kirche St. Trinitatis 7, 140, 186, 316, 411 Kochanówka (Psychiatrische Anstalt) 361 Köln 274, 366, 429 Königsberg 21, 161 Konin 250 Konstantynów 10, 36, 109, 184, 194, 215–216 Konstantynowska (Straße) 106 Kopernika (Straße, bis 1923 Milscha/Milsza) 133 Kościelna (Straße) 192 Kościuszki (Straße, bis 1917 Spacerowa) 66, 101, 147, 188 Kościuszko-Denkmal (pl. Wolności) 140, 143–144, 158, 165, 185, 253–254, 406 Kostopol 135 Krakau 1, 76, 92, 209, 287, 295, 347–348, 353, 389–390, 402, 419 Krawiecka (Straße, NS Schneiderstr.) 271 Krosno 242 Krusche und Ender (Unternehmen) 145

488 K.T.Buhle (Unternehmen) 132 Księży Młyn (Arbeitersiedlung, dt. Pfaffendorf)  12, 33–34, 373 Kulmhof (poln. Chełmno) 135, 196, 275–276, 280, 284, 308, 432, 438 Kujawien 152 Kunstmuseum Lodz → Muzeum Sztuki Kurier Łódzki (Zeitung) 89, 161 Kutno 250 Łagiewnicka (Straße) 105, 285 Łagiewniki (Stadtteil, NS Waldborn) 192, 218 Łąkowa (Straße) 180 Landsmannschaft Weichsel-Warthe 411–418, 425–426 Lask 302 Lausitz 11 Lawn Tennis Club 18 Łaznowska Wola (dt. Grömbach) 8 Ldzań 114 Łęczyca (dt, Lentschütz) 7, 385 Legionów (Straße) 139 Leipzig 18, 285 Lemberg 5, 76, 92, 93, 340, 342, 419 Lettland 182 Leverkusen 181, 240–241 Libau 180 Libertas (Verlag) 104, 134 Lidiče 195–196 Limanowskiego (Straße, jidd. Aleksander gas, NS Alexanderhofstraße) 103, 176, 186, 206, 266, 279 Lipiny 133 Liściasta (Straße) 193 Listopada (Straße) 166 Litauen 14, 21, 66, 265 Litzmannstädter Zeitung (Tageszeitung) 178, 209–212, 220, 243, 245, 254, 278, 412 Löbau 11 Lodex (Unternehmen) 355 Łódka (Industriesiedlung) 7, 30 Łódka (Fluss) 26, 268 Lodz Kaliska (dt. Kalischer Bahnhof) 180, 190, 241, 252 Lodz Fabryczna (Bahnhof) 12 Lodzer Deutsches Gymnasium (LDG) 73, 101, 104, 111–115, 141, 145, 151, 157–158, 221, 224, 310, 330–332, 384, 411, 413, 415–416 Lodzer Togblat (Zeitung) 161, 421 Lodzer Zeitung (Tageszeitung) 145, 156

Orts- und Namensregister London 34 Łowicz 57 Lübeck 411 Lublin 1, 87, 92, 288, 315, 330, 348, 407, 410 Lućmierz 224 Ludwigshafen 44 Ludwik Schmieder (Unternehmen, Sienkiewicza 77) 134 Lumumby (Straße) 376 Lutomiersk 27 Lutomierska 276 Luxemburg 274 Mahileau (Mohylev) 18 Majdanek (KZ) 288, 296 Manchester 87, 397 Manufaktura (Unternehmen) 395, 399, 402, 437 Markus Kohn (Unternehmen) 132 Marysin (Stadtviertel) 176, 270 Mauthausen (KZ) 296 Melbourne 422–424 Memelgebiet 142 Mexiko 334 Meyer-Passage → Moniuszko Mickiewicza (Straße, zuvor Bandurskiego) 194, 293 Minsk 85 Mitau 182 Modlica 8 Mönchengladbach 414 Moniuszki (Straße, zuvor Meyer-Passage) 21, 32, 249 Monjoie → Monschau Monschau (bis 1918 Monjoie) 11 Montwiłł-Mirecki (Quartier) 79, 179, 183, 189 Morawski, Weberei Pabianice 131 Moskau 12–14, 52, 56, 85, 100, 219 München 429, 434 Muzeum Historii Ruchu rewolucyjnego w Lodzi  333, 405 Muzeum Sztuki (Kunstmuseum) 359, 376, 385, 399, 402 Muzeum Włókiennictwa (Textilmuseum) 406 Nancy 87 Narodowy Związek Robotniczy (dt. Nationaler Arbeiterbund, NZR) 40, 45 Narutowicza (Straße) 96, 102, 188, 190, 262, 264, 322, 324, 419 Nawrot (Straße) 35, 262

Orts- und Namensregister Neue Lodzer Zeitung (Tageszeitung) 112, 115–116, 161 Neuer Markt (Nowy Rynek) → Plac Wolności Neugersdorf 11 Newark 421 New York 18, 22, 112, 420–424 Niciarnia (Unternehmen) 18, 34 Niciarniana (Straße) 193 Norbelan (Unternehmen) 355 Nowa Huta (Stadtteil Krakau) 295 Nowasolna (dt. Neu-Sulzfeld) 8, 133–134, 142 Nowomiejska 103 Odessa 2 Ogrodowa (Straße, NS Gartenstr.) 14, 169, 268, 431 Oldenburg 411 Olechów (Stadtviertel) 193, 195–196, 402 Oppeln (poln. Opole) 425 Orędownik (Tageszeitung) 96–97 Orła (Straße) 18 Ortal (Unternehmen) 355 Ostpreußen 56, 418 Österreich 11–12, 28, 58, 125, 142, 366, 418, 429 Ozorków 7, 10–11, 299 Pabianice 8, 10, 18, 36–37, 60, 70, 123, 131, 138, 159–160, 192, 297–299, 302, 317, 319 Pabianicka (Straße) 139 Pakistan 391 Paris 21, 22, 86, 87, 249, 424 Park Ocalałych (dt. Park der Geretteten) 438, 440 Park Poniatowskiego (Poniatowski-Park, NS HJ-Park) 106, 156–157, 192, 199, 204, 213, 236, 291, 316 Park Sienkiewicza (Sienkiewicz-Park) 106 Park im. Szarych Szeregów (zuvor Park Promienistych) 336 Paterson 421 Peine 107, 430 Petersburg 14–15, 38, 39, 56 Petrikau → Piotrków Pfeiferowa 105 Pieprzowa (Straße) 105 Piotrków (dt. Petrikau) 3, 15, 38, 399, 405 Piotrkowska (dt. Petrikauer Straße, NS Adolf-HitlerStr.) 7, 9, 11, 30, 32, 36, 42, 47, 65, 82, 90–91, 139, 141, 143, 165, 188, 190, 223, 236, 296, 359, 383–384, 436 Plac Barlickiego (Platz, zuvor Zielony Rynek, dt. Grüner Ring) 35, 36

489 Plac Dąbrowskiego (Platz, Targowy Rynek) 36 Plac Hallera (Platz) 106, 192 Plac Kościelny (Platz) 278, 280 Plac Niepodległości (Platz, Rynek Leonhardta) 36 Plac Piastowskiego, (Platz, Bazar Tanfaniego, Plac Bazarowy) 36, 277 Plac Reymonta (Platz Górny Rynek, dt. Oberer Markt) 36, 103, 261 Plac Teatralny (Platz, Rynek Szpitalny) 36 Plac Wolności (Platz, Nowy Rynek, dt. Neuer Markt) 7, 9, 35, 66, 103, 140–141, 143–144, 186, 253, 262, 288, 300, 316, 342, 384, 406 Plac Zwiecięstwa (Platz, Wodny Rynek, dt. Wassermarkt) 12, 36, 106, 245 Płock (NS Schröttersburg) 46, 188 Poale Zion (Partei) 101, 121, 270 Poddębice 136 Polen-Jugendverwahrlager 234, 308 Polino (Unternehmen) 355 Polmerino (Unternehmen) 396 Północna (Straße, NS Nordstr.) 102, 264, 268 Polska Partia Socjalistyczna (Polnische Sozialistische Partei, PPS) 37–40, 42, 44, 61, 79, 120, 132, 161, 222, 309, 330, 351 Polski Związek Zachodni (Polnischer Westverband) 132, 172 Poltex (Unternehmen, s. auch Poznański/ Unternehmen) 355–358, 370, 373, 394, 437 Południowa → Rewolucji 1905 r. Pomnik Martyrologii Dzieci (dt. Denkmal für die Martyrologie der Kinder) 408 Pomnik Wdzięczności Armii Czerwonej (Denkmal der Dankbarkeit an die Rote Armee, Poniatowski-Park) 316 Pomorska (Straße) 102, 166, 189 Posen 57, 76, 87, 96, 137, 143, 155, 166, 183, 197, 272, 276, 287, 305, 309, 343, 353, 385, 390, 412, 418 Poznański (Unternehmen) 17 Poznański (Krankenhaus) 28 Prag 142, 274, 278, 281, 401 Prexer (Unternehmen) 375 Próchnik (Unternehmen) 355, 390 Próchnika (Straße, zuvor Zawadzka) 102 Promieniści (Widerstandsgruppe „Die Strahlenden“) 250, 335–337 Prosna (Fluss) 57 Przejazd (Straße) 34 Przemyśl 419 Przemysłówa (Straße) 234, 308

490 Quellpark → Źródliska Radegast (Bahnhof, Gedenkstätte) 438 Radogoszcz (Stadtviertel, dt. Radegast) 61, 79, 160, 163, 180 Radom 82, 242, 304 Radwańska (Straße, NS Erhard-Patzer-Str.) 137 Ravensbrück (KZ) 248, 285, 312, 322, 429 Reicher-Synagoge → Synagoge Południowa Reichsgau Wartheland 128, 149, 155–165, 166, 168–169, 182, 197, 212, 234, 237, 240, 259, 275 Rena-Kord (Unternehmen, s. auch Julius Biedermann) 355, 358, 431 Retkinia (Stadtviertel) 374–375 Reval (estn. Tallin) 182 Rewolucji 1905 r. (Straße, zuvor Południowa) 406 Riga 59, 85, 162, 182 Robert-Koch-Str. → Sterlinga Rosenblatt (Fabrik, Żwirki 36) 411 Rostov am Don 14, 279 Roubaix 13 Ruda Pabianicka (Stadtviertel) 37, 129, 151, 174, 193, 213, 350 Rudolf Keller (Unternehmen) 34–35 Russland 11, 13–14, 28, 67 Rynek Bałucki (Platz, NS Baluter Ring) 160, 176, 199, 264, 268, 408, 430 Rzeszów 82 Rzgów 100 Rzgowska (Straße, NS Heerstraße) 139, 309 Sachsen 6–8, 11, 13, 69, 107, 411 Scheibler-Grohman-Werke → Zjednoczone Zakłady Scheiblera i Grohmana S.A. Schlesien 6–8, 69, 107, 315, 418 Schlesing (Webersiedlung, poln. Szlezyng) 7, 8, 30 Schwarzmeerregion 8 Sienkiewicza (Straße) 188, 190 Sieradz 152, 268, 385 Sikawa (Lager, dt. Stockhof) 196, 310–313, 332 Skif 270 Škloŭ (poln. Szklów) 18 Skorupki (Straße) 319 Smolensk 85 Smugowa 334 Sochaczew 135 Socjaldemokracja Królestwa Polski i Litwy (Partei, Sozialdemokratie Polens und Litauens, SDKPiL) 37–40, 42, 44, 61, 330

Orts- und Namensregister Sowjetunion 87, 265, 297, 322, 331–332, 355, 392, 394, 430 Sporna (NS Landsknechtsstraße) 195, 241 Śródmiejska (Straße) 321 Stalingrad 279 Stary Rynek 36, 295 Steinert (Unternehmen) 251 Sterlinga (Straße, NS Robert-Koch-Str.) 248 Stettin 353, 370, 380, 389, 392, 418 Stoki (Stadtviertel) 8 Stutthof (KZ) 285 Straßburg (franz. Strasbourg) 162 Stryków 8 Stuttgart 108, 118, 418 Südamerika 22, 429 Synagoge al. Kościuszki 158–159 Synagoge Wółborska 65, 158, 435 Synagoge Wółczańska 158 Synagoge, Południowa (Reicher-Synagoge) 159 Szklów → Škloŭ Szkoła Zgromadzenia Kupców (Schule des Kaufmannsverbands, Commerz-Schule) 19, 60, 169 Szlezyng → Schlesing Szpital Centrum Zdrowia Matki-Polki (Krankenhaus und Gesundheitszentrum der Polnischen Mutter) 387 Tabarin (Vergügungslokal) 220 Tambora 7 Targowa (Straße) 26, 169 Tel Aviv 420, 422 Telefunken (Unternehmen) 208, 240–241 Teofilów (Stadtviertel) 374 Teofilów (Unternehmen) 396 Teschen (poln. Cieszyn) 80, 91, 243 Textilwerke Adolf Horak → Zakłady Włókiennicze Adolfa Horaka Thailand 392 Theresienstadt (KZ) 279 Thüringen 91, 410 Tomaszów 28 Towarzystwo Żydowskich Szkół Ṥrednich (Gesellschaft für polnische Mittelschulen) 112 Traugutta (Straße, bis 1920 Krótka) 84, 190 Trębacka (Straße, NS Trommelstraße) 169 Treblinka 276 Treysa 411 Tschechoslowakei 285, 363

491

Orts- und Namensregister Tschenstochau (poln. Częstochowa) 92, 243, 358, 387 Tsukunft (jüd. Verband) 270, 327 Turek 10, 12 Türkei 392 Turkestan 12–13 Tuszyn 36 Tuwima (Straße, zuvor Przejazd) 34 Tylna (Straße) 18 Tymienieckiego (Straße, bis 1935 Emilia) 219 Ukraine 14, 75, 92, 402 Ulm 242 Umwandererzentralstelle Piotrkowska 133 179, 191, 208 Uniontex (Unternehmen, s. auch Zakłady Zjednoczony Scheiblera i Grohmana S.A.) 355, 387, 394 Unitra-Fonica (Unternehmen) 375 Universität Lodz 329, 340–347, 375–376, 381–384 Union Tekstylne (dt. Textilunion, Allart, Rousseau & Comp.) 370 USA 8, 12–13, 22, 27, 54, 80, 421, 438 Usbekistan13 Vereinigung der Deutschen in Polen (Partei) 109, 123 Verviers 11 Varnsdorf (dt. Warnsdorf) 12 Volksfreund (Wochenzeitung) 104 Volkszeitung (Tageszeitung) 121–122, 131–132 Wągrowiec (NS Eichenbrück) 186 Warnsdorf → Varnsdorf Warschau 1, 11, 19, 31, 35, 38, 45, 57, 81, 86–88, 92, 126, 135, 139, 153, 214, 243, 252, 255, 262–263, 276, 284, 287, 289, 293, 304, 340, 343, 335, 348, 351, 358. 361, 363, 370, 389, 392, 401, 419–420, 424 Wassermarkt → Plac Zwycięstwa Warta (Unternehmen) 390 Widzewska Manufaktura (Unternehmen, dt. Widzewer Manufaktur) 37, 132, 366, 394 Wilna 57, 87 Weißenfels 410 Wesoła (Straße) 295 Westpreußen 69, 170, 173 Wiączyn 8

Widzew (Stadtviertel) 34, 37, 61, 80, 106, 193, 374–375, 394 Wielun 250 Wien 18, 78, 112, 161, 219, 223, 268, 274, 278, 281, 401–403, 419, 434 Wiesbaden 411 Wilhelmshaven 409–410 Wiskitno 225 Wodny Rynek → Plac Zwycięstwa Wolborska (Straße) 65, 103, 105 Wółczanka (Unternehmen) 395 Wółczańska (Straße, dt. Spinnlinie) 123, 188 Wolhynien 182–183, 194, 197, 202–203, 210, 241 Wolna Wszechnica Polska (Freie Polnische Hochschule) 88, 112 Worpswede 107 Wschodnia (Straße) 102 Wspólna (Straße) 101 Württemberg 7 Wyższa Szkoła Filmowa (Filmhochschule), Targowa 61/63 347–350 Yad Vashem 424 Zellgarn (Unternehmen) 207, 238, 411 Zakłady Jedwabnicze „Pierwsza“ (Unternehmen)  398 Zakłady Przemysłu Welnianego im Andrzej Struga (Wollbetriebe Andrzej Strug, East-West-Spinning) 396 Zakłady Włókiennicze Adolfa Horaka (dt. Textilwerke Adolf Horak), später Zakłady Przemysłu Bawelnianego im. Armii Ludowej Alba) 207, 213–215, 239, 245, 296, 310, 339, 350 Zamenhofa (Straße) 188 Zamość 208 Zawiszy (Straße) 103, 105 Zdunska Wola 7, 10, 12 Zduny (NS Treustädt) 186 Zelte im Osten (Zweimonatsschrift) 114–115, 217 Żeromski-Gymnasium (zunächst ZimowskiGymnasium) 17–18, 101, 232, 427, 433 Zgierz 7, 10, 36, 69, 103, 113, 117, 123, 135, 159, 171, 189, 192–193, 200, 222, 224–226, 232, 299, 411 Zgierska (Straße, NS Hohensteinerstr.) 28, 82, 103, 151, 176, 191, 227, 266–267 Zielony Rynek → Plac Barlickiego Zimowski-Gymnasium → Żeromski-Gymnasium

492 Zirkus Medrano 245 Zirkus Sarrasani 245 Zjednoczone Zakłady Scheiblera i Grohmana S.A. (Vereinigte Textilwerke K. Scheibler und L.

Orts- und Namensregister Grohman AG) 16, 20, 87, 147, 172, 207, 239, 339, 354, 387, 394 Źródliska (dt. Quellpark) 188 Zürich 13, 51, 94, 402

Personenregister Personen werden, falls zeitgenössisch durchweg belegt, in ihrer deutschen Namensform angegeben. Bei Namenswechsel oder mehrsprachigen Namensformen werden Varianten angegeben. Adler, Jankiel (1895–1949) 22, 85, 87 Aescoly, Aaron Zeev (Arn-Volf Vayntroyb 1901–1948) 422 Ajnenkiel, Eugeniusz (1900–1981) 342 Alejchem, Sholem (1859–1916) 324 Alexander I. (1777–1825) 10 Allart, Léon (1837–1906) 13 Althaus, Paul (1888–1966) 68–72, 91, 111 Althaus, Dorothea, geb. Zielke 68–69 Amsterdamski, Stefan (1929–2005) 364 Andrzejak, Edward (1894–1967) 147–148 Angerstein, Wilhelm (1848–1928) 65 Anstadt, Familie 32 Arendt, Hannah (1906–1975) 423 Asch, Schüler LDG 416 Aszkenazy, Szymon (1866–1935) 19 Aszkenazy, Felicja, geb. Rosenblatt 19 Auerbach, Rachel (1903–1976) 324 Badke, Robert (1901–1977) 415 Balcerowicz, Leszek (*1947) 391 Banek, Sigismund (1896–1945) 114, 134 Baeck, Leo (1873–1956) 424 Baer, Max (1909–1959) 107 Bajgelman, Dawid (1887–1944) 271 Baraiński, Jan 213 Baranowski, Julian (1949–2009) 433 Barciński, Familie 18, 87 Barciński, Henryk (1876–1940) 19, 162 Barciński, Marceli (1881–1929) 19 Barciński, Stefan (1878–1939) 19, 59 Barlicki, Norbert (1880–1941) 355 Bartkiewicz, Zygmunt (1867–1944) 2, 88 Bartyzel, Jacek (*1956) 386 Bauer, Har(r)y (1918–1944) 214 Bauer, Kurt (1912–1944) 214 Bayer (Bajer), Karol (*1911) 146, 163 Be(c)k, Ale(ks)xander (1901–1944) 214 Becker, Jurek (1937–1997) 279, 429 Becker, Max (1908–1949) 167 Benke, Gustav (1906–1995) 134, 153 Bergmann, Berthold (1891–1970) 134 Berman, Adolf (1906–1978) 324

Berman, Izydor (1888–1942) 85 Bergman(n), Paul (Paweł) 308 Berndt, Gustav 199 Betz, Willy (1916–1941) 142 Beuys, Joseph (1921–1986) 376, 385 Beyer, Frank (1932–2006) 429 Beyer, Isolde (Sydonia Bayer, 1903–1945) 308 Bialik, Chaim (1873–1934) 324 Biebow, Hans (1902–1947) 202, 264, 278, 308, 433 Biedermann, Familie 12, 42, 164, 409, 430, 432 Biedermann, Alfred (1866–1936) 59, 63 Biedermann, Bruno (1878–1945) 13, 149, 304, 430 Biedermann, Greta 163 Biedermann, Maryla „Lil“ (1914–1945) 242, 247, 252, 304, 431 Biedermann, Paweł 163 Biliński, Wacław (1921–1999) 364 Blaskowitz, Johannes (1883–1948) 146, 148 Błaszczyk, Leon (1923–2016) 367 Bli(e)n, T. 134 Bierut, Bolesław (1892–1956) 293 Blumenfeld, Diana (1903–1961) 324 Blumstajn, Seweryn (*1946) 374 Boelcke, Helmut (*1904) 133 Boguszewska, Helena (1886–1976) 80, 299 Born, Arthur 134 Bornstein, Schüler LDG 416 Bossak, Jerzy (1910–1989) 348 Böttcher, H. 134 Böttig, Georg 133 Bolesław Chrobry (967–1025) 105 Borejsza, Familie 223 Borejsza, Jerzy (1905–1952) 223 Borejsza, Jerzy W. (1935–2019) 293 Bradfisch, Otto (1903–1994) 208, 217, 269, 413 Brandys, Kazimierz (1916–2000) 326 Branzajs, Textilarbeiter 214 Bratkowski, Stefan (1934–2021) 386 Braude, Markus (Mordechai Ze’ev Broide, 1869–1949) 68 Braun, Andrzej (1923–2008) 100 Brauner, Artur (1918–2019) 430, 434 Brauns, dt. Offizier 60

494 Brecht, Bertold (1898–1956) 1, 5 Brehmer, Ursula (1927–2011) 227 Breyer, Albert (1889–1939) 189 Broderson, Mosze (Mojsze) (1890–1956) 85–86 Broemsen, Alexander von (1824–1881) 13 Broniewski, Władysław (1897–1962) 293, 326 Brzechwa, Jan (1898–1968) 293 Buchmann, Josef (*1930) 423, 435 Buchner, Mirek 244 Budzyńska, Celina (1907–1993) 331–332 Bursche, Julius (1862–1942) 112, 123 Burski, Aleksander (1904–1991) 299 Buse, Alfred 169 Buton, Alice de (1901–1944) 281 Bytomska, Władysława (1904–1938) 223, 234, 336 Bückmann, Rudolf (1890–1968) 224 Canin, Mordechaj (1906–2009) 287 Capf, Adolf (1895–1987) 223 Capf, Halina 223 Carlhoff, Erika (*1923) 183, 204, 206, 221 Chagall, Marc (1887–1985) 85 Chałasiński, Józef (1904–1979) 329, 341, 345–346 Chari, Anatol (*1923) 283 Chary, Piotr (gest. 1939) 283 Chojnacka, Pelagia 215 Chrzczonowicz, Antonina (gest. 2001) 248 Chwistek, Leon (1884–1944) 209 Cleinow, Georg (1873–1936) 68 Craushaar, Harry von (1891–1970) 146–147 Cukier, Julian (1904–1943) 281 Cukierman, Icchak „Antek“ (1915–1981) 324, 326 Cygański, Mirosław (1925–2016) 21, 412, 425–426 Cyrankiewicz, Józef (1911–1989) 367 Cytryn, Abram (1927–1944) 270 Czarnecki, Familie 10 Czekalski, Marek (*1953) 380, 386, 388 Czerniaków, Adam (1880–1942) 424 Czuma, Andrzej (*1938) 378 Czuma, Benedykt (*1941) 377–378, 380 Czuma, Elżbieta (*1954) 377–378 Czerwinski, Textilarbeiter 244 Dąbrowska, Danuta (Jakoba Blidsztejn 1925–2015) 421 Dajcigerauch, Familie 367 Danielewski, Johann (1891–1932) 109–110 Daniszewski, Tadeusz (1904–1969) 331 Daszewski, Michał 65

Personenregister Dedecius, Gustav (1884–1945) 302 Dedecius, Karl (1921–2016) 404, 427–428, 433–434 Dejmek, Kazimierz (1924–2002) 376 Delnitz, Eugen(iusz) (1902–1968) 297 Diamant, Adolf (1924–2008) 423 Dietl, Józef (1804–1878) 108 Dietrich, Erich (1911–1991) 411, 415, 432 Dietrich, Julius (1875–1963) 72, 123, 410–411 Dietrich, Karl 217 Dietzel, Familie 410 Dietzel, Adolf 410 Dietzel, Oskar 410 Dinter, Artur (1876–1948) 91 Dłużniewski, Jerzy (1945–1995) 380, 386 Dłużniewski, Wiktor (1817/20–1873) 48 Dmowski, Roman (1864–1939) 67, 94 Doberstein, Adolf (1895–1981) 111, 113, 153 Dobroszycki, Lucjan (1925–1995) 421, 424 Dobrzyński, Konstanty (1908–1939) 97–98 Döblin, Alfred (1878–1957) 86, 90–91 Dowbór, Stanisław 149 Drewing, Alexis (1869–1924) 21 Druse, Familie 108 Drygalski, Jerzy (1948–2018) 381 Dubček, Alexander (1921–1992) 363 Dudziński, Familie 246 Düsterhöft, B. 134 Dygat, Stanisław (1914–1978) 293 Dzierżyński, Feliks (1877–1926) 45, 330, 406 Edelman, Marek (1919–2009) 327, 366, 380, 386, 440 Ehrenburg, Ilja (1891–1967) 292, 326 Ehrlich, Stanisław (1907–1997) 344 Eichler, Adolf (1877–1945) 70–72, 76, 189, 203 Eisenbach, Artur (1906–1992) 419 Eisert, Familie 17 Eisert, Emil (1872–1939) 35 Eisert, Kar(o)l Rajmund (1865–1938) 17, 63, 81, 87 Eisler, Maximilian 134 Eitingon, Familie 18, 22, 98, 104, 130, 296 Eitingon, Borys (gest. 1932) 98 Eitingon, Motty (1885–1956) 98 Eitingon, Na(h)um (1878–1959) 98 Eitingon, Naum I. (1899–1981) 98 Elczewska, Halina (1919–2013) 278 Ender, Stefan (1896–1986) 146 Epstein, Dido (Didye) 324 Ewald, Gustav 223

495

Personenregister Fallaci, Oriana (1929–2006) 382 Falzmann, Alexander (1887–1942) 113, 172, 243 Finster, Teodor (*1872) 217, 218 Fischer, Ludwig (Ludwik Fiszer, 1844–1900) 91 Flajszman, Jerzy (Juda Ber Flajszman, *1927) 366 Flejszer, Arnold 260–261 Flierl, Friedrich (*1888) 70 Follak, A. 260, 262 Fonck, Gunther (Günther) 184, 238 Ford, Aleksander (1908–1980) 87, 325, 348, 430 Forma, Marceli (*1908) 112 Frank, Hans (1900–1946) 154, 263 Frankus, Richard (1897–1965) 223 Freud, Arthur 212 Frick, Wilhelm (1877–1946) 154 Friedman(n), Filip (Philipp) (1901–1960) 21, 112, 321, 418, 420–421 Fröhlich, Servatius Albert (1896–1971) 167 Fuchs, August (gest. 1945) 289 Fuchs, Dora (*1914) 266, 269 Fuchs, Günter (*1902–nach 1980) 269, 414 Fuhr, Hans (*1907) 221 Furchler, Johann (Jan) 308 Furmanczyk, Teresa 399 Furt, Porfirij 291–292 Gajek, Stanisław 335–337 Gąsiorowska, Natalia (1881–1964) 344, 405 Gastpary, Woldemar (1908–1984) 112 Gebirtig, Mordechai (1877–1942) 271 Genewein, Walter (1901–1974) 433, 436 Gerhardt, August (1875–1947) 74–76 Gertler, Dawid (1911–1977) 266, 268 Geyer, jüd. Fabrikantenfamilie 151 Geyer, Familie 108, 164, 168, 314, 409 Geyer, Gustaw (1886–1968) 59, 63, 163, 298, 312–313, 432 Geyer, Louis Ferdinand (1805–1869) 11 Geyer, Robert (1888–1939) 163–164, 218 Gierek, Edward (1913–2001) 373, 393 Głąbski, Tadeusz (1908–1967) 335 Glicksman, Symcha Bunin (1907–1943) 72, 104 Glisczyński, Artur (1869–1910) 25 Gloc, Adolf (1907–1879) 243 Głuchowski, Władysław (1889–1990) 221–222 Goebbels, Joseph (1897–1945) 154 Goldberg, Jakub (1924–2011) 326, 362, 442 Golnik, E. 134 Goltz, D. 134 Gomułka, Wiesław (1905–1982) 314, 351, 362

Goren, Dan (Don) 106 Górski, Janusz (1929–1986) 376, 383–384 Górski, Stefan (1882–1941) 52 Gościmińska, Wanda (1914–2000) 339 Goskind, Isaak 325, 348 Goskind, Saul (1907–2003) 325, 348 Grabowska, Alina (1935–2006) 366 Gradmann, Wilhelm (1909–1982) 108 Gradolewski, Roman (1907–1995) 177, 246, 319 Graliński, Włodzimierz (1892–1954) 127, 141, 144, 149 Greiser, Arthur (1897–1946) 155–157, 169, 186, 204, 213, 233, 238, 259, 291, 300 Greiser, Ingrid 197, 227–228 Grodzinski, Schüler LDG 416 Grohman(n), Familie (poln. Grohman) 11, 14, 16, 42, 108, 164, 409 Grohman, Jerzy (1922–2017) 16, 18, 20, 219 Grohman(n), Alfred (1874–1934) 21 Grohman(n), Henryk (1862–1939) 67, 219 Grohman(n), Leon (1879–1937) 63 Grohmann, Ludwig (1826–1889) 59 Grohmann, Traugott (1785–1874) 436 Gromiec, Włodzimierz (1937–2007) 377 Gromiec, Zofia (*1939) 379 Großkopf, Max (1892–1945) 147–148 Grundmann, Kar(o)l (1909–1945) 217 Grynfeld, Eliezer (1923–2020) 105–106 Grzybowska, Helena (gest. 1944) 236 Gundlach, Rudolf (1850–1922) 21, 46, 59, 65, 72, 163 Gundlach, Ludwig (1882–1941) 163 Gundlach, Stanisław (1883–1950) 163 Günther, Oskar Eugen (1902–1993) 111–112 Günzel, Walter (gest. 1981) 112, 416 Gutknecht, Bruno (1903–1939) 136 Guttry, Alexander von (Aleksander, 1887–1955) 51 Hadrian, Familie 306 Hadrian, Felix 306 Haebler, Familie 18, 133 Haebler, Achim von (*1894) 133 Haebler, Armin (Armand) von (*1899) 133 Hahn, Cecil Baron von (1897–1967) 194, 203 Harnam, Szymon (Szaja Charnam, 1908–1929) 333–334 Hašek, Jaroslav (1883–1923) 416 Han (Hau), Egon (1920–1944) 214 Hauptman, Alfred (1909–1985) 243 Hauptmann, Friedrich Karl (gest. 1951) 411

496 Hauptmann, Jerzy (1920–2008) 411 Hauser, Familie 283 Hauser, Irene (1901–1942) 283–284 Hausmann, Albert (*1873) 35 Hausmann, Bruno 134 Hausmann, Kurt-Georg (1921–2004) 414–415 Hausmann, Leokadia 134 Hausmann, Olga 134 Heike, Otto (1901–1990) 8, 90, 121, 150–151, 169, 201, 220, 414, 432 Heinzel von Hohenfels, Familie 18, 22, 42 Heinzel von Hohenfels, Julius(z) (1834–1895) 34, 394 Helfferich, Karl (1872–1925) 63 Heller, Zelig 262 Herbst, Familie 28, 164, 168, 172 Herbst, Edward von (1844–1921) 359 Herbst, Mathilde von (1856–1939) 172 Herrnstadt, Rudolf (1903–1966) 330 Herszkowicz, Jankel (1910–1972) 271 Hertz, Mieczysław (1870–1943) 56, 59–64 Herzl, Theodor (1860–1904) 324 Hielscher, Friedrich (1902–1990) 202, 228–229 Hiller, Karol (1891–1939) 85, 161, 440 Himmel, Hans 134 Himmel, Hermann 134 Himmel, Reinhold 134 Himmler, Heinrich (1900–1945) 154, 273 Hirschfeld (Hirszfeld), Familie 45 Hirszberg, Familie 162 Hirszberg, Emil (1872–1939) 162 Hoefig, Alexander (1886–1942) 21, 123, 163 Holland, Agnieszka (*1948) 430 Hollender, Hain 334 Holtei, Karl von (1798–1880) 8 Höppner, Rolf (1910–1998) 275 Horak, Familie 129 Horak, Adolf (1880–1955) 129 Horak, Adolf Gustav (1906–2002) 129 Horak, (El)Frieda (1879–1956) 129 Horney, Brigitte (1911–1988) 210 Hosenfeld, Wilm (1895–1952) 138, 160, 192, 199 Hoszycki, Jacek Alojzy (1908–1959) 319 Ihnatowicz, Ireniusz (1928–2001) 405 Ingersleben, Felix von (1885–1929) 112 Iwaszkiewicz, Jarosław (1894–1980) 53 Jabłóński, Dariusz (*1961) 436 Jabłoński, Władysław (1932–2013) 380

Personenregister Janke, Zygmunt (1907–1990) 250 Januszewski, Stanisław (1916–1973) 366 Jaracz, Stefan (1883–1945) 436 Jaroszewicz, Piotr (1909–1992) 370–371 Jaruzelski, Wojciech (1923–2014) 384, 386, 408 Jasiński, Włodzimierz (1873–1965) 246, 319 Jaskuła, Zdzisław (1951–2015) 377 Jastrun, Mieczysław (1903–1983) 326 Jażdżewski, Konrad (1908–1985) 346 Jędras, Stefan 37 Jogiches, Leo (1867–1919) 45 Johannes Paul II. (1920–2005) 387, 394 John, Familie 164 John, Guido (1908–1939) 164, 218 John, Otto 146 Jünger, Ernst (1895–1998) 229 Kabza (auch Kobza), Kazimierz (Kasimir) (1913–1944) 214 Kacenelson, Jicchak (1886–1944) 86, 159 Kaczmarek, Roman (1913–1985) 221, 341–342 Kaczorowski, Stefan (1899–1989) 377 Kaiser, Waleria (gest. 1965) 312 Kaiserbrecht (Keiserbrecht), Alfred (1912–1998) 163, 242, 252, 304 Kaiserbrecht, Eugenia 163 Kalecki, Michał (1899–1970) 87 Kalicka, Felicja (1904–1999) 337 Kałużyński, Zygmunt (1918–2004) 293 Kamieniecki, Abram (1874–1943) 281 Kamińska, Ida (1899–1980) 324 Kamiński, Aleksander (1903–1978) 346 Kaplan, Chaim Aron (1880–1942) 257, 259–260 Kaplan-Kobryńska, Regina (1908–1978) 331–332 Kąkol, Kazimierz (1920–2016) 342, 362, 433 Kargel, Adolf (1891–1985) 100, 110, 116, 134, 162, 209, 412, 426 Karski, Jan (eigentlich Kozielewski, 1914–2000)  438 Karsten, Leiter Wirtschaftskammer Wartheland  157 Kaswiner, Wita 223 Katz, Henryk (1914–1998) 367, 405 Kautz, Waldemar 99 Keller, Rudolf 35 Kerber, Georg 172 Kern, Elga (Elga Gundela Hochstätter, 1888–1957) 110–111 Kersten, Hans (1886–1941) 150 Kieślowski, Krzysztof (1941–1996) 358–359

Personenregister Kieszczyński, Lucjan (1918–2002) 129, 130, 213–215, 244–245, 255, 300, 309–310, 350 Kindermann, Familie 17, 164, 168, 410 Kindermann, Arno (*1894) 144–145, 147, 149 Kindermann, Heinz (1894–1985) 120 Kindermann, Eduard (1867–1949) 218 Kindermann, Louise (geb. van den Hende, 1872–1917) 218 Kindermann, Nina (geb. Maków, 1900–1982) 219 Kindermann, Walter (1896–1978) 218–219 Kirchner, Włodzimierz (1874–1970) 32 Kleindienst, Alfred (1893–1978) 318 Klementynowski, Józef (1892–1944) 281 Klikar, Kurt Alexander (1896–1983) 99–100 Klikar, Oskar Ambroży (Ambrosius, 1874–1945)  100 Klikar, Emma, geb. Wegener 100 Kloppmann, Wilhelm 179 Kłoskowska, Antonina (1919–2001) 357 Klugman, Aleksander (*1925) 141 Klugman, Tosia (Teresa) 141 Kneifel, Edmund (1896–1993) 153, 411 Kobro, Katarzyna (1898–1951) 85, 174, 209–210, 313–314, 440 Kobza, s. Kabza Kohn, Familie 18 Kohn, Moryc 262 Kołakowski, Leszek (1927–2009) 303, 344 Kon, Familie 18, 22, 54, 80, 104, 394, 432 Kon, Oskar (1870–1961) 100, 104, 348, 365, 429 Konic, Józef (1859–1928) 61 Konstadt, Familie 77 Kopisch, Titus (1802–1847) 8 Köppchen, Elsa 134 Köppchen-Pawłówski, Otto 134 Koppe, Wilhelm (1896–1975) 179 Koprowski, Jan (1918–2004) 428 Korczak, Janusz (Henryk Goldszmit, 1878–1942)  430 Korczak, Mieczysław (1924–2013) 377 Korzec, Paweł (1919–2012) 21, 367, 405, 424 Korzeniowska, Weberin 338 Kościuszko, Tadeusz (1776–1817) 66–67 Kossmann, Oskar (1904–1998) 8, 12, 136–137 Kotarbiński, Tadeusz (1885–1981) 341 Kott, Jan (1914–2001) 293, 326 Kotula, Oskar (1884–1968) 91, 113, 172, 242, 306, 313, 316–318, 411 Kociołek, Familie 122 Kociołek, Charlotte 122

497 Kociołek, Dorothea 122 Kociołek, Israel (1888–1941?) 122 Kociołek, Józef 122 Kowalski, Kazimierz (1902–1942) 99 Kramp, Rudolf (1892–1946) 308 Kramsta, Familie 68 Kramsta, Emma Pauline von (geb. Scheibler, *1860)  68 Kramsta, Hans Georg von (1890–1944) 68 Krasuski, Eugeniusz (gest. 1944) 21, 59, 145–146 Kraszewski, Józef Ignacy (1812–1887) 48 Kroll, Familie 313 Kroll, Benno (*1937) 313 Kronig, Arthur (1896–1953) 121, 134 Kropiwnicki, Grzegorz (*1945) 380, 386, 388, 437–438 Krüger, Friedrich-Wilhelm (1894–1945) 149, 201 Krul, Chaim (1892–1946) 27 Kuk, Ludwig 121, 223 Kula, Witold (1916–1988) 344 Kunicki, Tadeusz (1927–1977) 371 Kunitzer, Familie 12, 42 Kunitzer, Julius (1843–1905) 37, 394 Kunkel, Leopold 133 Kuperberg, Szaja (*1900) 226 Kuroń, Jacek (1934–2004) 377, 398 Kutzner, Herbert 129, 130 Kwapiński, Jan (1885–1964) 125, 134 Kwast, R. 134 Lande, Dawid (1786–1856) 14 Lange, Herbert (1909–1945) 275 Lange, Maximilian 134 Łaski, Abraham (1917–1944) 280, 284 Lazari-Pawłowska, Ija (1921–1994) 303, 386, 416 Leandros, Leo (*1926) 416 Leandros, Vicky (*1952) 403, 416 Lebenbaum, Józef (*1930) 366 Léger, Fernand (1881–1955) 209 Leister, Albert (1890–1968) 147 Lemiesz, Wiktor (1915–2000) 334 Leonhardt, Ernst (1849–1917) 13–14, 63, 73 Lesman(n), Bolesław (1924–1981) 365–366, 428–429 Lessmann, Agnieszka (*1964) 429 Leśniewska, Janina 338 Leśniewski, Adam (*1923) 367 Libich, Zofia (gest. 1950) 438 Libsz, Jan (Johannes Libsch, 1912–1944) 251 Lichtenstein, Israel (1883–1933) 68

498 Lindener, Kurt 220 Lindner, Hauptkassierer 147 Lindley, William Heerlein (1853–1917) 31, 78 Liphardt, Fritz (1905–1947) 148 Lisiecka, Sława (*1947) 377 Litzmann, Karl (1850–1936) 57, 186 Litzmann, Karl-Siegmund (1893–1945) 187 Loewy, Hanno (*1961) 433–434 Loga-Sowiński, Ignacy (1914–1992) 290–291, 314, 335 Löhner-Beda, Fritz (1883–1942) 58 Löffler, Adolf (1881–1957) 113, 123, 153 Löffler, Bruno (1895–1957) 113, 123 Lorberowa (Lorber), Maria (gest. 2003) 366 Lorentz, Zygmunt (1894–1943) 146, 149, 247–248 Lubelski, Mieczysław (1887–1965) 158, 406 Luxemburg, Rosa (poln. Róża Luksemburg, 1871–1919) 13, 45, 51–52, 330 Lynch, David (*1946) 403 Mack, Baltendeutscher 203–204 Madajczyk, Czesław (1921–2008) 420 Malecki, Ryszard 235 Malski, Wiktor 366 Maltzahn, Julius 134 Mamroth, Ludwik (1800–1863) 14 Marchlewski, Julian (1866–1925) 330, 355, 406 Marder, Karl (1902–1945) 167 Margolis, Aleksander (1887–1939) 79, 162, 229 Margolis-Edelman, Alina (1922–2008) 229, 306 Markgraf, Horst (E., 1902–1960) 134 Martz, Gustav 304, 411 Maschmann, Melita (1918–2010) 201–202, 228 Matyszkiewicz, Stanisław 254 Mees, Erwin 410 Mees, Herbert (*1910) 181, 203, 225, 413 Mergel, Kurt (1911–1939) 134, 136 Meyer, Ludwig (1841–1911) 32 Mickiewicz, Adam (1798–1855) 73 Michnik, Adam (*1946) 374 Miecznikowski, Stefan (1921–2004) 378, 386, 434 Mierzyński, Józef (1906–1942) 225 Mieszkowski, Antoni (1865–1900) 25 Mijal, Kazimierz (1910–2010) 290, 321 Milker, Alexander (1867–1924) 21 Minc, Hilary (1905–1974) 357 Mirski, Michał (Hersz Tabacznik, 1902–1994) 321 Missalowa, Gryzelda (1901–1978) 405 Mix, Paul (Paweł Miks) 91 Moczar, Mieczysław (Mykola Demko, 1913–1986)  290, 309, 314–315, 335, 342, 362, 408

Personenregister Mokrska, Szulamit (um 1889–1942) 262–263 Montwiłł-Mirecki, Józef (1879–1908) 79 Morejno, Zew Wawa (1916–2011) 360–362 Morgensztern, Juliusz (1922–2011) 349 Mostowicz, Arnold (1914–2002) 197, 270, 433, 435–436 Müller, Leo (1898–1967) 111 Müller, Peter 215–216 Munk, Andrzej (1921–1961) 349 Narutowicz, Gabriel (1865–1922) 86, 94, 95 Narutowicz, Stanisław (Stanislovas Narutavičius, 1862–1932) 94 Nałkowska, Zofia (1884–1954) 293 Namiot, Liza (1906–1984) 334 Nasarski, Alfred 134 Nasarski, Peter Emil (1914–2001) 113–114, 201, 412–413, 418, 429 Nasfeter, Janusz (1920–1998) 349 Neftalin, Henryk (1908–1945) 266 Neiman, Feliks (Fiszke) (gest. 1946) 327 Neuman, Hugo (*1908) 244 Neurode, Bruno 134, 173 Nieberding, Karl (1888–1966) 196 Niesiołowski, Marek (*1945) 378 Niesiołowski, Stefan (*1944) 378, 380 Nikolaus II. (1868–1918) 67 Nippe, Eugen (1911–1970) 130, 134, 220, 226, 412–413, 426 Nippe, Mikołaj (*1897) 315 Nippe, Wanda 220, 226 Norwid, Cyprian Kamil (1821–1883) 73 Nowaczyński, Adolf (1876–1944) 98 Ochocki, Adam (1913–1991) 433 Oppen, Matthias von (1873–1924) 53 Opoczyński, Perec (1892–1943) 27, 41, 101 Orłówski, Aleksander (1928–2007) 361 Orsenigo, Cesare (1873–1946), Nuntius 246 Osóbka-Morawski, Edward (1909–1997) 293 Osser, Familie 18 Ostrowski, Bern(h)ard (*1908) 281 Paarmann, Friedrich Wilhelm (1873–1955) 70 Paciorkiewicz, Tadeusz (1916–1998) 337 Palek, Bronisława 223 Palisiek, Zofia, Weberin 338 Pałka, Grzegorz (1950–1996) 379–380, 386, 388 Pastor, Konrad Gustav (1796–1890) 11 Patzer, Erhard (1899–1939) 137 Pattberg, Helmut 133, 134

Personenregister Pawłowska, Helena 183 Pawłowski, Stanisław 163 Pęczak, Andrzej (*1951) 395–396 Pelzhausen, Walter (1891–1948) 308 Perel, Familie 107 Perel, Sally (Salomon, *1925) 107, 430 Petrovich, Ivan (1894–1962) 210 Pfeiffer, Kurt 209 Pfeif(f)er, Otto (1912–1944) 214 Piłsudski, Józef (1867–1935) 94, 96, 111 Pieńkowski, Władysław (1846–1919) 15, 32 Plotho, Wolfgang von (1879–1946) 148 Podolska, Joanna (*1964) 436 Pohlens (Pohlenz) Edmund (*1830) 13 Pohlmann, Kurt 173, 219 Pol, Eugenia (Pohl, Genovefa, 1923–2003) 408 Pol, Wincenty (1807–1872) 108 Poterc, Rolf 202 Poznański, Familie 19, 28, 34, 42, 54, 59, 77 Poznański, Israel (1833–1900) 14, 436, 437 Poznański, Jakub (1890–1959) 180, 194, 279–280, 291, 296–297, 321 Poznański, Maurycy (1868–1937) 67, 87 Praszkier, Boruch (1904–1989) 266 Preuschoff, Hans (1905–1989) 177 Prietz, Gertrud 134 Prietz, Herbert (1910–1999) 114 Prus, Bolesław (Alexander Głowacki, 1847–1912)  28 Pruszyński, Ksawery (1907–1950) 98 Przedborska, Maria (1888–1942?) 81, 125–126 Przeradzki, Jan 147, 148 Przeździecki, Henryk (1873–1939) 59 Pstrowski, Wincenty (1904–1948) 338 Pszoniak, Wojciech (1942–2020) 373 Pulawer, Moshe 271 Puppe, Sigismund (1903–1973) 173 Raab, Julius (1891–1964) 219 Radke, Familie 306 Radke, Ludwik (1877–1972) 20–21, 172, 306–307 Radke, Stanisława (*1873) 172, 306 Rakowski, Mieczysław (1926–2008) 367 Ranck, Christoph (1869–1951) 62 Rapalski, Stanisław (1891–1979) 88 Rapke, Kurt (1913–1998) 124 Rau, Zygmunt (1887–1945) 163, 247 Redlich, Shimon (*1935) 324 Reicher, Edward (1900–1975) 159 Reiner, Johann, s. Riemer, Makysmilian

499 Reiter, Erwin 130 Rembieliński, Rajmund (1774–1841) 7, 413 Remiszewski, Antoni (1883–1945) 146 Reymont, Władysław (1867–1925) 49–53, 84, 87, 373, 429, 431, 436 Rhode, Gotthold (1916–1990) 57, 143 Richter, Familie 107 Richter, Albert (1897–1945?) 179 Richter, Gerhard (1911–1991) 410, 415, 432 Richter, Harry (*1911) 153 Richter, Joseph (1860–1926) 107, 428 Richter, Paulina (geb. Biedermann, 1868–1921) 107 Richter, Rudolf (Walter Tiel, 1894–1974) 107 Richter (gest. 1944) 214 Riediger, Hermann (1898–1988) 173 Riemer, Hugo 134 Riemer, Maksymilian (1906–1944) 214 Rilke, Rainer Maria (1875–1926) 120 Ringelblum, Emanuel (1900–1944) 226, 254, 262–263 Rockefeller, John D. (1839–1937) 51 Rola-Żymierski, Michał (1890–1989) 296 Rómmel, Juliusz (1881–1967) 135 Rose, H. 134 Rosenblatt, Familie 18–19 Rosenblatt, Szaja (1841–1921) 19 Rosenfeld, Oskar (1884–1944) 272, 274, 277, 281, 283 Rosner, Eddie (Adi, 1910–1976) 107 Roszak, Kazimierz (1880–1940) 147–148 Roth, Josef (1894–1939) 84–85 Rotholc, Szapsel (1909–1959) 106 Rowecki, Stefan „Grot“ (1895–1944) 249 Rozenblat, Leon (1892–1944) 228, 266, 268 Rozencwajg, Karol 272 Rozensztajn, Szmul (1889–1944) 273 Rozental (Rosenthal), Chayele (1924–1979) 324 Rozwadowski, Józef (1909–1996) 386 Rubin, Icchak (Henryk, 1913–1995) 420, 424 Rubinstein, Artur (1887–1982) 436 Rudnicki, Henryk (1905–1980) 302 Rühmann, Heinz (1902–1994) 210 Rumkowski, Familie 269 Rumkowski, Mordechaj Chaim (1877–1944)  264–285, 420, 423–424 Ryder, Ida (geb. Voth, gest. 1943) 271 Ryder, Teodor (1881–1944) 271 Rymkiewicz (Szulc-Rymkiewicz), Władysław (1900–1984) 21 Rżewski, Aleksy (1885–1939) 44, 76, 109, 161

500 Sachs, Jerzy (1911–1977) 243 Sandauer, Artur (1913–1989) 323 Sanne, Paul 302 Schaff, Adam (1913–2006) 331, 344 Schafranek, Familie 274 Schafranek, Friedrich (1924–2013) 275 Schafranek, Heinrich (gest. 1942) 274 Schafranek, Herbert (gest. 1943) 275 Schafranek, Olga (gest. 1944) 275 Schedler, Gustav (1893–1970) 111, 123, 153, 304 Scheibler, Familie 11, 14, 17, 22, 42, 68, 75, 108, 164, 172, 189, 359, 409, 418, 432 Scheibler, Anna (geb. Werner, 1835–1921) 11, 28, 75 Scheibler, Karl (1820–1881) 11, 34, 189, 436 Schiffer, Franz (1896–1940) 185 Schlosser, Jakub (1897–1939) 160 Schlösser, Familie 10–11 Schlösser, Friedrich Matthias (1781–1848) 11 Schmidt, Arthur (1904–1999) 153 Schmidt, Waldemar 221 Schmitz, Willy 99 Schönknecht, Familie 222 Schönknecht, Leo (1927–2015) 222, 226, 232 Schultz, Carl Heinrich (1882–1940) 123–124, 163 Schulz (Szulc), Adolf 37 Schwalbe, Familie 108 Schwalbe, Anna 311 Schwalm, Berta 26 Schwarz, Magdalene 202 Schwarzschulz, Selma (1885–1968) 171–172 Schweichel 173 Schweikert, Familie 410 Segal, Josek Menachem (1875–1942) 159 Seidel, Artur 134 Seidel, Kurt (1910–1945) 114, 217 Seipelt, Familie 223 Seipelt, Charlotte (Szarlotta Seipeltówna, 1909–1992) 223 Seipelt, Paul (Paweł, *1883) 223 Serov, Ivan (1905–1990) 292 Serwatka, Kar(o)l 214 Seyß-Inquart, Arthur (1892–1946) 154 Siekierska, Jadwiga (1903–1984) 331 Sienkiewicz, Henryk (1846–1916) 73, 248 Sierakowiak, Dawid (1924–1943) 127, 141, 151, 253, 260–261, 433 Sierakowiak, Majlech 261 Sieran, Maria 338 Silberstein, Familie 19, 42 Silberstein, David 18

Personenregister Silberstein, Mieczysław (1876–1907) 42 Silberstein, Stanisław (1869–1942) 59, 61 Singer, Israel Joshua (1893–1944) 6, 21, 23–24, 54, 62 Singer, Oskar (1893–1944) 276, 280–281 Skulski, Leopold (1877–1940) 74, 76, 87 Śledzińska-Katarasińska, Iwona (*1941) 369 Słówik, Andrzej (*1949) 379–380, 386, 388 Sohn, jüd. Überlebender 313 Sokorski, Włodzimierz (1908–1999) 299 Sommerfeld, baltendeutsche Familie 180 Sosnkowski, Kazimierz (1885–1969) 249 Speidel, Adolf (1896–1989) 129 Spickermann, Josef Alexander (1870–1947) 109, 227 Spodenkiewicz, Paweł (*1956) 366, 378 Spychalski, Józef (1916–1996) 371 Śreniowska, Krystyna (1914–2013) 340–342, 346, 351, 367 Śreniowski, Józef (*1947) 353, 367–368, 377, 380 Śreniowski, Stanisław (1912–1957) 340 Stamirowski, Antoni (1863–1938) 59 Stanilewicz, Władysław (1922–2011) 316 Stanisławski, Ryszard (1921–2000) 376 Stażewski, Henryk (1894–1988) 85 Steinert, Familie 17, 42 Sterlak, Karl (1904–1947) 167 Sterling, Seweryn (1864–1932) 61 Sternberg, Ary (1905–1980) 87 Stöppler, Wilhelm (1906–1985) 223 Strauch, Maria 311 Strobel, Georg W. (1923–2010) 78, 432 Strzemiński, Władysław (1893–1952) 85, 174, 209, 210, 313–314 Strzemińska, Nika (1936–2001) 313 Stypułkowski, Jan (1884–1939) 161–162 Sygietyński, Antoni (1850–1923) 52 Szczerek, Ziemowit (*1978) 390 Szczypiorski, Andrzej (1924–2000) 46 Szeruda, Jan (1889–1962) 318 Szmajdler, Franciszek 99 Szpigiel, Jeszajahu (1906–1990) 323 Szram, Antoni (1941–2019) 359 Szulc, Adolf, s. Schulz Szulc-Rymkiewicz, s. Rymkiewicz Szwajcer, Abraham (Schweitzer, 1866–1927) 74 Szwarc, Marek (1892–1958) 22, 85, 87 Szydłak, Jan (1925–1997) 370 Szymanowski, Karol (1882–1937) 86 Szymanowska-Korwin, Stanisława (1884–1938) 87

501

Personenregister

Ventzki, Werner (1906–2004) 173, 189, 208, 414 Verhaeren, Émile (1855–1916) 51 Viebig, Filip de 9–10 Volkmann, Waldemar 133

Wajda, Andrzej (1926–2016) 349, 372–374, 386, 429 Wajnberg, Julian (1890–1950) 320 Waleńczyk, Jerzy (1927–1994) 427 Wałęsa, Lech (*1943) 386, 388 Wandurski, Witold (1891–1934) 88 Warakomski, Rafał 278 Wasiak, Edmund (*1894) 334 Wasser, Estera (*1885) 263 Wasser, Hersz (1910–1980) 263, 419, 420 Waszkiewicz, Ludwik 146 Ważyk, Adam (1905–1982) 295, 326 Weichs, Maximilian von (1881–1954) 142 Weigelt, Fritz (1905–1983) 411–413 Weingarten, Tanche (gest. 1914) 61 Weinstein, Frederick 263 Welk, Otto 153 Wendel, Bruno 153 Wendlandt, Edmund 117, 134 Wendt, Henryk (1886–1970) 317 Werau, Artur (1887–1931) 58 Werner, Familie 10 Werner, Hans 229 Weyer, Stanisław (1891–1950) 149 Widawski, Chaim (gest. 1944) 279 Wiernikówna, Fela 135, 143 Wierzbicki, Andrzej (1877–1961) 63 Wiesner, Artur 134 Will, Julian (1880–1941) 118 Wimmer, Marian (1897–1970) 348 Wiśniewska, Antoni 49 Wiszniewski, Wojciech (1946–1981) 339 Witkiewicz, Stanisław Ignacy (1885–1939) 209 Wittlin, Halina (1900–1994) 86 Wittlin, Józef (1896–1976) 85–87 Wolamowski, Protojerej 59 Wolff, Ludwig (d.Ä., 1859–1923) 71, 111 Wolff, Ludwig (1908–1988) 114–117, 124, 133–134, 157, 189, 203, 216–217, 228, 412–413, 426 Wołos, Mieczysław 335 Wulf, Joseph (1912–1974) 423 Wunderlich, Harry 223 Wurm, Rudolf 133, 173 Wyspiański, Stanisław (1869–1907) 295 Wysznacki, Zygmunt (1909–2001) 294 Wyszyński, Stefan (1901–1981) 361

Waalkes, Otto (*1948) 416 Wachowska, Barbara (1929–2005) 368–369 Wagner, Malte (1886–1962) 73 Wahlmann-Feinberg, Familie 168

Zachariasz, Szymon (1900–1970) 328 Żakowski, Jacek (*1957) 431 Zakrzewski, Zbigniew (1911–1947) 315 Zander, Johann 135

Tabaksblat, Elias 270 Tansman, Alexandré (1897–1987) 22, 87 Tatarkówna-Majkowska, Michalina (1908–1986) 81, 350–351, 357 Taubwurzel, Maurycy (*1830) 13 Tejchma, Józef (*1927) 370, 372 Tesche, Edmund 133 Ten(n)enbaum, Familie 45 Tenenbaum, Edda 45 Teubner, Armin 134 Thiele, Bruno 133 Toeplitz, Jerzy (1909–1995) 348 Tomczak, Kazimierz (1883–1967) 145, 148, 150, 163, 313 Tomm, O. 134 Topolski, Jan Adam 394 Träger, Franciszek (Franz) (1802–1880) 10 Traube, Izaak 334 Treistmann, Eliezer Leib (gest. 1929) 59, 67 Triebe, Ernst Julius (1865–1943) 73 Triebe, Otto 133 Troßmann, Hans (1906–1993) 426 Trunk, Isaiah (1905–1981) 265, 421, 424 Tuwim, Familie 21 Tuwim, Izydor (1858–1935) 21 Tuwim, Julian (1894–1953) 21–22, 26, 55, 83, 87, 95, 99, 338, 436 Tych, Feliks (1929–2015) 95, 442 Tymieniecki, Wincenty (1871–1934) 75 Tyrankiewicz, Maria (gest. 1945) 292 Uebelhoer, Friedrich (1893–1945) 155, 157–160, 165, 176, 225, 259, 263, 275 Uebelhoer, Asta 188 Unger, Jakob 283 U(n)ger, Jeszaja (1873–1939) 161–162 Urban, Jerzy (*1933) 366 Urbaniak, Sophie (Zofia) 215–216 Ut(t)a, Familie 108 Utta, August (1886–1940) 109, 134

502 Zelkowicz, Józef (1897–1944) 281 Zerbe, Familie 32, 108, 432 Zerbe, Emil (1897–1954) 34, 121, 123, 130, 134, 223, 312 Zerbe, Eugenie 432 Zerbe, Helmut 432 Zerbe, Roman 150 Ziebart, Oskar (*1893) 215

Personenregister Zinser, Wilhelm (1900–1943) 222 Ziołek, Władysław (*1935) 434 Zoller, Johann 134 Zoller, Martha 134 Zundel, Alfred 135, 153 Zygadlewicz, Roman 252 Zylbercweig, Zalme(n) (1894–1972) 421 Zyskind, Sara (1927–1995) 321