Mensch und Recht: Festschrift für Eibe Riedel zum 70. Geburtstag [1 ed.] 9783428539338, 9783428139330

Menschenrechte sind nach unserem heutigen Verständnis dem Wesen des Menschen immanent und doch zugleich eine Entdeckung

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Mensch und Recht: Festschrift für Eibe Riedel zum 70. Geburtstag [1 ed.]
 9783428539338, 9783428139330

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

Band 183

Mensch und Recht Festschrift für Eibe Riedel zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von

Dirk Hanschel, Sebastian Graf Kielmansegg, Uwe Kischel, Christian Koenig und Ralph Alexander Lorz

Duncker & Humblot · Berlin

D. HANSCHEL, S. GRAF KIELMANSEGG, U. KISCHEL, C. KOENIG und R. A. LORZ (Hrsg.)

Mensch und Recht

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel In der Nachfolge von Jost Delbrück herausgegeben von K e r s t i n O d e n d a h l und N e l e M a t z - L ü c k Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

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Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics

Eibe H. Riedel Universität Mannheim

James Crawford University of Cambridge

Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg

Lori F. Damrosch Columbia University, New York Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis

Bruno Simma International Court of Justice, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Mensch und Recht Festschrift für Eibe Riedel zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von

Dirk Hanschel, Sebastian Graf Kielmansegg, Uwe Kischel, Christian Koenig und Ralph Alexander Lorz

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: AZ Druck und Datentechnik, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-13933-0 (Print) ISBN 978-3-428-53933-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83933-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Am 26. Januar 2013 hat Eibe Riedel sein 70. Lebensjahr vollendet. Freilich: Man sieht und merkt es ihm nicht an. Der Jubilar hat sich ein staunenswertes Maß an Energie und beinahe jugendlichem Elan bewahrt, mit dem er seine Umgebung wie eh und je faszinieren kann. Geboren im böhmischen Zwittau, wurde die Basis für sein kosmopolitisches Wesen in England gelegt, wo er von 1959 an acht Jahre verbrachte und insbesondere von 1963 – 1967 am Londoner King’s College Rechtswissenschaft und Theologie studierte. In dieser Zeit hat er sich das Universum der englischen Sprache, den Pragmatismus englischen Rechtsdenkens und die unprätentiöse Offenheit des angelsächsischen akademischen Stils in Vollendung angeeignet. Seine deutsche akademische Ausbildung folgte in Kiel, wo er 1971 sein Erstes Juristisches Staatsexamen ablegte, dem 1975 in Hamburg das Assessorexamen folgte. Unterdessen wirkte er als Gastdozent an der University of Surrey und dem King’s College und wurde 1974 in Kiel bei Wilhelm Kewenig mit einer Arbeit zur „Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem“ promoviert. Als Assistent bei Jost Delbrück habilitierte er sich 1983 in Kiel mit seiner bis heute viel beachteten Schrift „Theorie der Menschenrechtsstandards. Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen“. Der erste Ruf führte Eibe Riedel sehr rasch nach Mainz, wo er von 1983 bis 1986 wirkte. 1986 folgte er einem Ruf nach Marburg und 1993 schließlich nach Mannheim, wo er bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Deutsches und Ausländisches Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht innehatte. In diese Phase fällt jenseits seiner eigentlichen Forschungs- und Lehrtätigkeit ein vielfältiges Engagement, das hier nur mit einigen exemplarischen Stichworten angedeutet werden kann. So war der Jubilar 1989/90 Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaften in Marburg und von 1997 bis 2001 Prorektor für Forschung und Internationales an der Universität Mannheim. Nach der Wiedervereinigung wirkte er entscheidend am Neuaufbau der Juristischen Fakultät an der Universität Jena mit. Von 1997 bis 2008 leitete er das Institut für Binnenschifffahrt der Universität Mannheim und gehört seit dem Jahr 1998 dem Direktorium des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim an. Von 1994 bis 2011 war er im Vorstand der Gesellschaft für Rechtsvergleichung und leitete über viele Jahre die öffentlich-rechtliche Fachgruppe dieser Gesellschaft. Mehrere Gastprofessuren und weit gespannte

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Vorwort

freundschaftliche Beziehungen verbanden und verbinden ihn mit ausländischen Universitäten und Institutionen. Besonders charakteristisch für den Jubilar ist jedoch, dass er stets den Bezug zur Praxis gesucht und gefunden hat. So war oder ist er Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission, des Völkerrechtlichen Beirates des Auswärtigen Amtes, des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte, des Ständigen Schiedshofes in Den Haag sowie des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Genf. Daneben wirkt er seit vielen Jahren in verschiedenen Ethik-Kommissionen mit, insbesondere bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Nach seiner Emeritierung am 31. Januar 2008 hat sich an diesem Bild kaum etwas geändert. Wer den Jubilar kennt, hätte ihm einen „Ruhestand“ auch nicht zugetraut. Von den zahlreichen Aufgaben, die ungebrochen seinen Terminkalender füllen, sei nur diejenige des Swiss Chair of Human Rights an der Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights genannt, die ihm einige weitere Jahre als akademischer Lehrer bescherte. Damit ist ein weiteres wichtiges Stichwort angesprochen. Eibe Riedel hatte als akademischer Lehrer die seltene Gabe, seine Mitarbeiter wie seine Studenten mitzureißen. Dabei vertrat er im besten Sinne die Universität alter Schule. „Universität kommt von universitas“ war das cetero censeo an seinem Lehrstuhl. Wichtig waren ihm Neugierde, Originalität und der Blick über den disziplinären Tellerrand. Seine Lehrveranstaltungen wollten nicht Wissen vorkauen, sondern zum Nachdenken anregen, womit er zugleich seine Studenten außerordentlich ernst nahm. Der Sherry für eine gute Frage in der Vorlesung war eine legendäre Institution. Mit seiner Begeisterungsfähigkeit und Liebenswürdigkeit konnte er Studenten nicht nur für sich, sondern auch für sein Fach einnehmen. Wie ertragreich dieses Bemühen sein kann, gehörte zu den vielen Dingen, die seine akademischen Schüler eindrucksvoll bei Eibe Riedel lernen konnten. Es ist bezeichnend, dass eine der außeruniversitären Aktivitäten, die ihm am meisten Freude bereitete, ebenfalls eine Aufgabe der Lehre war: Die völker- und europarechtliche Attachéausbildung im Auswärtigen Amt, die er 1989 übernahm und über viele Jahre hinweg geleitet hat. Und auch der Universität Mannheim hat er als besonderes Vermächtnis einen bemerkenswerten Studiengang hinterlassen – das gemeinsam mit der University of Adelaide durchgeführte Master of Comparative Law-Programm, das im Wesentlichen auf seiner Initiative und Aufbauarbeit fußt. Das wissenschaftliche Interesse und die Veröffentlichungen des Jubilars decken weite Teile des öffentlichen Rechts ab. Seine besondere Liebe galt aber der Rechtsvergleichung und dem Völkerrecht und dort wiederum vor allem den wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten, denen er schon seine Habilitationsschrift gewidmet hatte und für die er sich rasch den Ruf eines führenden Experten erwarb. Sichtbarer Ausdruck und Anerkennung dieser Lebensleistung ist seine langjährige Mitgliedschaft im WSK-Ausschuss der Vereinten Nationen. „Genf“ steht deshalb nicht nur für eine besonders lange und intensive Facette seines Wirkens, sondern

Vorwort

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auch für eine, die ihm stets besonders am Herzen lag. Im WSK-Ausschuss fand der Wissenschaftler, Diplomat und Menschenfreund in Eibe Riedel gleichermaßen seine Aufgabe. Durch das gesamte wissenschaftliche, didaktische und praktische Wirken des Jubilars zieht sich der direkte Bezug zum Menschen. Recht und Rechtswissenschaft waren für Eibe Riedel nie l’art pour l’art, nie Selbstzweck und theoretisches Konstrukt, sondern ein Mittel zur Wahrung der Würde und Sicherung der Bedürfnisse des Menschen. „Mensch und Recht“ als Leitfaden dieser Festschrift ist deshalb keine Leerformel, sondern bringt zum Ausdruck, worum es dem Jubilar stets gegangen ist: Den Menschen in den Mittelpunkt rechtlichen Denkens zu stellen und das Recht im Dienste des Menschen weiterzuentwickeln. Am Ende schulden die Herausgeber vielfachen Dank: Den Autoren, deren Beiträge die große Bandbreite, aber auch die Schwerpunkte des wissenschaftlichen Schaffens widerspiegeln, für das der Jubilar geehrt werden soll; Herrn Leonid Shmatenko, der die redaktionelle Arbeit erledigte; dem Verlag und Herrn Dr. Florian Simon für die entgegenkommende Aufnahme dieser Festschrift in die Schriftenreihe des Walther-Schücking-Instituts sowie dem Auswärtigen Amt, das die Veröffentlichung durch eine großzügige Druckkostenbeihilfe gefördert hat. Der wichtigste Dank aber gilt dem Jubilar selbst, dem die Herausgeber nicht nur in großem Respekt, sondern auch in Freundschaft verbunden sind. Möge er uns noch viele weitere produktive Jahre in Gesundheit und im Schoß seiner Familie erhalten bleiben. Mannheim, im Januar 2013

D. Hanschel, S. Graf von Kielmansegg, U. Kischel, C. Koenig und R. A. Lorz

Inhaltsverzeichnis

I. Der Schutz des Menschen im Völkerrecht Ulrich Fastenrath Vom Rechte, das mit uns geboren … Das Potential der Menschenrechte zur Revolution des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans-Joachim Cremer Fünf Thesen zur subjektiven Rechtsqualität völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bruno Simma and Diane A. Desierto Bridging the Public Interest Divide: Committee Assistance for Investor-Host State Compliance with the ICESCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jost Delbrück The Concept of “Standards” in International Law Revisited . . . . . . . . . . . . . . . .

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Andrew Clapham Beyond the Triad of Sources: Introducing the Zebra and the Hybrid . . . . . . . . .

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Stephan Hobe Die internationale Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) und die Maßnahmen des Sicherheitsrates gegenüber Libyen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rudolf Bernhardt Nationale Gestaltungsmöglichkeiten bei dem Schutz und der Einschränkung international geschützter Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stephen P. Marks On Human Nature and Human Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Eckart Klein Menschenrechtsinflation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Heiner Bielefeldt Religionsfreiheit – „unteilbarer“ Bestandteil der universalen Menschenrechte . . 131

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II. Der Schutz des Menschen in spezifischen internationalen Rechtsregimes Nico Schrijver Approaching Fifty: The Future of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Jakob Schneider Demystifying the International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families: Why are States Reluctant to Ratify? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Jochen von Bernstorff „Land-Grabbing“: Die UN-Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure als Menschenrechtsstandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Christian Starck Architektonisches und archäologisches Kulturerbe in europa- und völkerrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Michael Bothe Krieg und Frieden. Gedanken zu konkurrierenden Rechtsregimen im Völkerrecht, am Beispiel des Rechts bewaffneter Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Rüdiger Wolfrum The Prohibition of Discrimination in International Human Rights Treaties. The Development from an Accessory Norm to an Independent One? . . . . . . . . . . . . 209 III. Der Mensch und die rechtliche Ordnung seiner Umwelt Ariranga G. Pillay Economic, Social and Cultural Rights and Climate Change . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Adrian J. Bradbrook International Law and Renewable Energy: Filling the Void . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Dirk Hanschel Die Institutionalisierung internationaler Verhandlungslösungen im Umweltvölkerrecht – Rio plus 20 und die Zukunft des internationalen Klimaregimes . . . . 253 IV. Der Mensch im Recht der wirtschaftlichen Regulierung Christian Tietje Individualrechte im Menschenrechts- und Investitionsschutzbereich – Kohärenz von Staaten- und Unternehmensverantwortung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

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Ralph Alexander Lorz Internationaler Investitionsschutz und völkerrechtlicher Notstand . . . . . . . . . . . 289 Virginia Bras Gomes Discrimination, Mega Development and Conflict: The Insurmountable Triangle? 305 Willajeanne F. McLean In Search of Linkages: Use of Trademark Law in Human Rights Discourse . . . 317

V. Mensch und Recht im Verfahren Beate Rudolf Brighton Revisited – Zur Reform des Europäischen Menschenrechtsschutzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Michael Windfuhr Monitoring der Umsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Thomas Giegerich The Holy See, a Former Somalian Prime Minister and a Confiscated Pissarro Painting: Recent U.S. Case Law on Foreign Sovereign Immunity . . . . . . . . . . . 371 Karin Oellers-Frahm State Immunity vs. Human Rights: Observations Concerning the Judgment of the ICJ in the Jurisdictional Immunities of States Case (Germany v. Italy) . . . . 389 Andreas Zimmermann (Internationale) Strafverfolgung von Menschenrechtsverbrechen versus Friedenswahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Armin von Bogdandy Ein Demokratiebegriff für internationale Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Peter-Christian Müller-Graff „Nous ne coalisons pas des États, nous unissons des hommes“ – Variationen zu Jean Monnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Bernd Grzeszick Demokratie und Parlamentarismus im europäischen Staatenverbund. Bedingungen, Umfang und rechtliche Bedeutung der politischen Rückkoppelung zwischen den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments und dem Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441

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VI. Der Schutz des Menschen im nationalen Recht Friedhelm Hufen Menschenwürde: Vor die „Objektformel“ hat die Grundrechtsdogmatik die Bestimmung des Schutzbereichs gesetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Wolf-Rüdiger Schenke Der Schutzbereich des Art. 8 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Jochen Taupitz Menschenwürde von Embryonen: Das Patentrecht als Instrument der Fortentwicklung europäischen Primärrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Sebastian Graf von Kielmansegg Autonomie im Experiment. Einwilligung, Widerrufsrecht und Datenschutz bei klinischen Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Hans-Werner Laubinger Kinderlärm – kein Grund zur Klage? Die Privilegierung des Kinderlärms durch das Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Young Ho Kwon An Introduction to Korean Constitutional Law. The Legal System with a Special Reference to Constitutional Law in Korea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 Il Hwan Kim A Comparative Study on the Authority and Status of Personal Information Protection Agencies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 Seong-woo Ji South Korea’s Media Act in the Era of Multimedia. Overview and Prospects

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Wan-Hea Lee Twist the Cup and the Lip: A National Perspective on Human Rights and Development . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 Ángel R. Oquendo Von der Traufe zurück in den Regen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613

VII. Der Mensch als Gestalter des Rechts Uwe Kischel Der menschliche Faktor: Der Mythos der Jury im common law . . . . . . . . . . . . . 631

Inhaltsverzeichnis

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Christian Koenig „Standards“ wider die Verhexung von Recht und Regulierung mit den Mitteln der Sprache – Erfahrungssätze der Riedelianer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 Martin Will John Lockes Second Treatise of Government als Prolegomenon des internationalen Menschenrechtsschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 Greg Taylor Rudolf Leberecht Reimer – A Forgotten German/Australian Lawyer . . . . . . . . . 675 Mark Weston Janis and Philip Brereton Janis Sharing Legal Education Between Germany and America . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695

I. Der Schutz des Menschen im Völkerrecht

Vom Rechte, das mit uns geboren … Das Potential der Menschenrechte zur Revolution des Rechts Von Ulrich Fastenrath

A. Einstimmung in Fausts Studierzimmer: Die Ausgangslage zu Beginn des 19. Jahrhunderts Das Recht und dessen universitäre Lehre kommen – ebenso wie die anderen Buchwissenschaften – in der Schülerszene des Faust nicht gut weg: „Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ew’ge Krankheit fort; sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte und rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage: Weh Dir, dass du ein Enkel bist! Vom Rechte, das mit uns geboren ist, von dem ist leider! nie die Frage.“

Man spürt geradezu die Leiden des jungen Goethe an seinem Studienfach, vor dem er an der Leipziger Universität häufig genug zu Vorlesungen anderer Disziplinen und in Auerbachs Keller geflohen ist. Das war noch vor den von den Menschenrechten befeuerten revolutionären Umstürzen im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts und vor den großen Kodifikationen um die Wende zum 19. Jahrhundert. Weder das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 noch der französische Code Civil von 1804 waren aber dazu angetan, seinen „Abscheu“ (so der Schüler in der Schülerszene) zu mindern, dienten sie doch nicht der Modernisierung des Rechts, sondern in erster Linie seiner Systematisierung, Sichtbarmachung und Vereinheitlichung für das gesamte Staatsgebiet;1 sie waren mehr wissenschaftliche Kompilation als Rechtsetzung. Für solche geistige Durchdringung des rechtlichen Stoffs hatte Goethe durchaus etwas übrig. Vernunft und Wissenschaft seien des Menschen allerhöchste Kraft, lässt er Mephisto (ebenfalls in der Schülerszene) sagen. Man dürfe aber nicht bei den Worten stehen bleiben – ihrer sind genug gewechselt –, Goethe möchte Taten sehen (Vorspiel auf dem Theater). Recht und Rechtswissenschaft sind kein Glasperlenspiel; sie 1

Vgl. Coing, Epochen der Rechtsgeschichte in Deutschland, 1967, 80 ff.

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Ulrich Fastenrath

gestalten die Welt. Bei aller Ironie und satirischen Überspitzung hält Goethe hier – als Mephisto in der Rolle des Hofnarren2 und im Gewand des Faust – der akademischen Welt den Spiegel vor. Er hat aber nicht die Taten von amerikanischen Unabhängigkeitskämpfern und französischen Revolutionären gemeint, die sich von den Glücksverheißungen der – neuen – Menschenrechte leiten ließen. Denn ein Revolutionär war Goethe nicht; und er fühlte sich, obwohl als Bürger der freien Reichsstadt Frankfurt geboren, wohl in der Fürstenwelt. Als Mangel des Rechts und der universitären Rechtslehre jener Zeit wird die Vernachlässigung der mit uns geborenen Rechte diagnostiziert. Die germanistische Zunft deutet diesen Passus ohne Umschweife naturrechtlich und macht aus den „mit uns geborenen“ Rechten die „uns angeborenen“ Rechte,3 womit die Brücke geschlagen ist zu den „droits naturels, inaliénables et sacrés de l’homme“ der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 17894 oder den „inherent rights“ der Virginia Bill of Rights von 17765 – Texte, die der Vollendung des Faust im Jahr 1808 vorausgehen6 und die Goethe gut gekannt haben wird. Wenn aber die Menschenrechte gemeint sein sollten, dann müssten wir angesichts von Goethes Aversion gegen die revolutionären Auswüchse der Freiheits- und Gleichheitsidee auch diese Verse als Satire verstehen. Heißt es doch in „Hermann und Dorothea“ im sechsten Gesang (Klio. Das Zeitalter), nachdem zunächst „von der begeisternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit“ (Vers 10) „in jenen drängenden Tagen“ (Vers 14) die Rede ist und von uns, die „wir […] zuerst als Nachbarn lebhaft entzündet“ waren (Vers 20), an späterer Stelle (Verse 75 – 80): „Überall raste die Wut und die feige tückische Schwäche. Möcht ich den Menschen doch nie in dieser schnöden Verirrung Wiedersehen! Das wütende Tier ist ein besserer Anblick. Sprech er doch nie von Freiheit, als könn er sich selber regieren! Losgebunden erscheint, sobald die Schranken hinweg sind, alles Böse, das tief das Gesetz in die Winkel zurücktrieb.“ 2 Zur Hofnarrenfunktion Mephistos siehe Sudau, Faust I und Faust II: Interpretationen, 1993, 109 f. 3 So etwa Gaier, Kommentar zu Goethes Faust, 2002, 70; Schmidt, Goethes Faust, Erster und Zweiter Teil: Grundlagen – Werk – Wirkung, 1999, 142; Schöne, Faust Kommentar, 2003, 272; siehe aber auch den (anonym bleibenden und seine Profession nicht offenbarenden) Dr. H., Die angeborenen Menschenrechte, Monatsblätter für innere Zeitgeschichte, Studien der deutschen Gegenwart für den socialen und religiösen Frieden der Zukunft, Bd. 30, 1867; Haney, Aufklärung und juristische Zeitenwende – Jenas Beitrag zur Humanisierung des Rechts, in: Gröschner/Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, 42 (55); Härle, Menschsein in Beziehungen: Studien zur Rechtfertigungslehre und Anthropologie, 2005, 437. 4 Siehe unter ; in deutscher Übersetzung in: Heidelmeyer, Die Menschenrechte, 4. Aufl., 1997, 56. 5 Siehe unter: ; in deutscher Übersetzung . 6 Die Studierzimmerszene ist zwar schon im Urfaust von 1775 enthalten, jedoch noch ohne Bezug auf einzelne Wissenschaftsdisziplinen, dazu Schmidt (Fn. 3), 142.

Vom Rechte, das mit uns geboren …

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Die Menschenrechte waren bei Goethe also nur vordergründig positiv besetzt, letztlich sieht er in ihnen eine Ursache für die Auflösung von Recht und Ordnung; sie waren für ihn des Teufels! Das würde zu Mephisto gut passen, wäre aus den zwei Zeilen in Fausts Schülerszene aber kaum herauszulesen, mithin eine Überinterpretation. Man könnte auch beim besten Willen nicht behaupten, dass die Frage nach den Menschenrechten in jener Zeit nie gestellt worden wäre, ganz Europa sprach darüber (wenngleich das noch nicht viel sagt über den in juristischen Vorlesungen behandelten Stoff und über die Argumentationslinien richterlicher Urteile). Zudem wäre es doch seltsam, die in der Szene so diskreditierte Rechtswissenschaft und mit ihr das Recht ausgerechnet mit einem Kind der aufgeklärten, aber ebenfalls diskreditierten Philosophie retten zu wollen. Aus diesem Grunde verbietet es sich auch, bei anderen staatsphilosophischen Angeboten jener Zeit Zuflucht zu suchen, etwa bei Rousseaus Lehre7 von der „volonté générale“. Mit der ungebundenen, gesetzgeberischen Freiheit sicherte sie zwar die jederzeitige Erneuerbarkeit des Rechts, gründete aber doch wieder in theoretischen Annahmen, also in Worten, die stets zur rechten Zeit sich einstellen (Schülerszene). Goethe hätte dann auch auf die Willensfreiheit, aber nicht auf mit uns geborene Rechte abstellen müssen. Näher liegt da schon, in dem mit uns geborenen Recht einen Verweis auf die damals im Kommen begriffene Historische Rechtsschule zu sehen, die Savigny kurz nach dem Erscheinen des Faust zur Blüte bringen sollte, die aber lange zuvor schon von Montesquieu vorbereitet wurde. Dieses „geerdete“ und von Goethe deshalb möglicherweise als natürlich-unphilosophisch empfundene, die romantischen Züge seiner Zeit tragende Rechtsverständnis geht davon aus, dass Recht in Sitte und Volksglaube begründet sei, mit diesen einem steten Wandel unterliege und jedem Volk seine eigene Entwicklung erlaube.8 In die graue Theorie (Schülerszene) der Rechtsgelehrsamkeit und die Weltferne der Rechtspraxis muss also der gesunde Menschenverstand Einzug halten, die Urteils- und Tatkraft des sittlich gefestigten Menschen, der „sich des rechten Weges wohl bewusst“ ist (Prolog im Himmel). Das sind Anforderungen, die noch heute an die Mitglieder der verschiedenen Menschenrechtsgremien gestellt werden: Neben Sachkenntnis müssen sie über ein hohes sittliches Ansehen verfügen.9 7

Dazu Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl., 1963, 124 ff. Zur Historischen Rechtsschule und dem Verständnis von der Geschichtlichkeit des Rechts Verdross (Fn. 7), 151 ff. 9 Vgl. Art. 28 Abs. 2 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte; Art. 17 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; Art. 8 Abs. 1 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung; Art. 17 Abs. 1 Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau; Art. 42 Abs. 2 Übereinkommen über die Rechte des Kindes; Art. 34 Abs. 3 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen; Art. 26 Abs. 1 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen; Art. 25 Abs. 1 Europäische Sozialcharta; Art. 34 und Art. 52 Amerikanische Menschenrechtskonvention; Art. 31 Abs. 1 Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker. Nur die Arabische Charta der Menschenrechte (Art. 45 Abs. 2) und ausgerechnet Res 1985/17 des Wirtschafts8

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Wie dem auch sei, für die westliche Welt gibt es kein Zurück hinter die Aufklärung. Deren Menschenbild müssen die Rechtsordnungen aufnehmen und damit auch die Ideale der Freiheit und Gleichheit. Das wird Goethe nicht anders gesehen haben. Was ihn schreckte, waren die anarchische, das Recht paralysierende Freiheit und die ochlokratische Mehrheitsdiktatur im Namen einer sittlich nicht gebundenen Freiheit, wie sie die französische Revolution hervorgebracht hat. Dabei steht außer Frage, dass die Menschenrechte die Rechtsordnungen verändern sollen. Davon legen die Rechtsgeschichte und heutige Rechtspraxis beredtes Zeugnis ab, von den frühen – erkämpften – menschenrechtlichen Zusicherungen10 bis hin zu den Bemerkungen der internationalen Menschenrechtsgremien in Bezug auf einzelne Rechte oder die Situation in einzelnen Staaten.11 Welche Dynamik die Menschenrechte in den Rechtsordnungen entfalten können, hängt zum einen vom Verhältnis der menschenrechtlichen Gewährleistungen zum sonstigen Recht ab. Lange Zeit sind die Menschenrechte in das politische Vorfeld des Rechts abgedrängt oder von der Rechtsordnung so „domestiziert“ worden, dass sie das bestehende System – im wahrsten Sinne des Wortes – nur am Rande tangiert haben (dazu sogleich unter B.). Die Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes und die damit einhergehende Außenkontrolle der nationalen Rechtsordnungen durch internationale menschenrechtliche Institutionen, in noch stärkerem Maße aber die Ausdifferenzierung der menschenrechtlichen Verpflichtungsrichtungen haben jedoch Entwicklungen in Gang gesetzt, die das – völkerrechtliche wie nationalrechtliche – Rechtsdenken auf den Kopf stellen (unten C.). An diesem Blick auf das Recht „von unten“ hat Eibe Riedel durch seine Schriften und seine langjährige Arbeit im Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – bewusst oder unbewusst – einen erheblichen Anteil. Von diesem revolutionären Potential der Menschenrechte soll im Folgenden die Rede sein, nicht von dem schon öfter12 und Sozialrats zur Einsetzung des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (lit. b) verzichten auf diese besondere Qualifikation – bislang ohne erkennbare negative Folgen für die Zusammensetzung des Ausschusses. 10 Vor den Menschenrechtserklärungen verschiedener englischer Kolonien in Amerika und der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte etwa die Magna Carta Libertatum von 1215 und die Habeas Corpus Akte von 1679 (beide England betreffend). 11 Auf der Grundlage etwa von Art. 40 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder Art. 64 f. Verfahrensordnung des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in deutscher Übersetzung auszugsweise abgedruckt in: Simma/Fastenrath (Hrsg.), Menschenrechte – Ihr internationaler Schutz, 6. Aufl., 2010, 118. 12 Vgl. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl., 2004, Rdnr. 967; Fastenrath, Entwicklung und gegenwärtiger Stand des internationalen Menschenrechtsschutzes, in: ders. (Hrsg.), Internationaler Schutz der Menschenrechte: Entwicklung – Geltung – Durchsetzung – Aussöhnung der Opfer mit den Tätern, 2000, 9 (10 ff.); Humphrey, Human Rights and the United Nations: a great adventure, 1983, 11; Klein, Menschenrechte: Stille Revolution des Völkerrechts und Auswirkungen auf die innerstaatliche Rechtsanwendung, 1997, 23 ff.; Simma, International Human Rights and General International Law: A Comparative Analysis, in: Academy of European Law (Hrsg.), Collected Courses of the Academy of European Law, Vol. IV/2, 1995, 153 (167).

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als Revolution des Völkerrechts bezeichneten Aufstieg des Menschen zum Träger völkerrechtlicher Rechte.

B. Das Verhältnis von Menschenrechten zu Rechtsordnungen Im abendländischen Denken tief verwurzelt ist der Gedanke vom Recht als einer Ordnung des sozialen Lebens. Es begann in der frühen Antike mit der Mensch und Natur umfassenden Kosmos-Idee, der Vorstellung, dass wir in eine Weltgesetzlichkeit eingebettet sind, ging über Ciceros lex aeterna-Lehre und die christlichen Weltordnungsmodelle eines Augustinus oder Thomas von Aquin bis hin zur Staatsvergötterung durch Hegel.13 Auch wenn schon immer das Problem virulent war, dass sich nicht jeder Einzelne in diese Ordnung fügte und es dafür auch gute Gründe geben konnte, so änderte das doch nichts an der Perspektive: dem Blick „von oben“. Selbst auf der urtümlichen Freiheit der Menschen aufbauende Lehren binden ihn zur Gewährleistung seiner Sicherheit unter Verlust seiner Freiheit in die staatliche Ordnung ein. Dies muss nicht immer so weit gehen wie bei Hobbes, in dessen Leviathan die Freiheit ganz abhanden kommt.14 Aber selbst die Menschenrechtsaktivisten der ersten Stunde sahen im Recht ein Ordnungssystem, das sie von der Gesellschaft und vom Staat, aber nicht vom Individuum her konstruierten. Dies zeigt sich in besonderer Klarheit an der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Sie kommt zwar mit dem – oben schon zitierten – überkommenen naturrechtlichen und religiös überhöhten Vokabular daher, spricht von unveräußerlichen und heiligen Rechten. Die aufgeführten Rechte werden aber nicht als Gewährleistungen verstanden, die fortan Bestandteil der staatlichen Rechtsordnung seien. Die Erklärung ist kein Gesetz; sie ist vielmehr politisches Manifest, das den Maßstab bildet, an dem das legislative und exekutive Handeln politisch zu bewerten ist, mit dem das Volk sagt, was es vom Staat erwartet. Wenngleich die Erklärung in der Folgezeit durchaus in die Verfassung einbezogen wurde – in der Fünften Republik über einen Verweis in der Präambel15 –, so folgte daraus zunächst nur eine besondere Dignität, aber kein höherer Rang. Was rechtlich zählte, war bis vor kurzem das Gesetz als Ausdruck der volonté générale (Art. 6 der Erklärung der Menschenund Bürgerrechte), weshalb eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit – durch den Conseil Constitutionnel – noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erfolgen musste; danach war hierfür kein Raum mehr, dann galt das Gesetz.16 Erst mit der Verfassungs13

Näher dazu Verdross (Fn. 7), 7 ff., 46 ff., 62 ff., 157 ff. Ebda., 113 ff. 15 In deutscher Übersetzung abgedruckt in: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 6. Aufl., 2005, 169. 16 Dazu Kimmel, Gesetzgebung im politischen System Frankreichs, in: Ismayr (Hrsg.), Gesetzgebung in Westeuropa, 2008, 229 (233 f.); Vorländer, Die Verfassung: Idee und Geschichte, 3. Aufl., 2009, 54 ff. 14

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reform von 2008 ist eine nachträgliche Überprüfung geltender Gesetze und deren Aufhebung wegen Verstoßes gegen Menschenrechte eingeführt worden. Nach dem traditionellen republikanischen Verständnis17 Frankreichs lassen sich Menschenrechte jedoch nicht gegen die Rechtsordnung in Stellung bringen. Sie sollen die politischen Entscheidungsprozesse lenken und kommen durch das staatliche Recht zur Entfaltung und Geltung. Menschenrechte sind kein Instrument, die staatliche Macht im Zaum zu halten, sondern geben das Ideal gleicher Freiheit für alle als Ziel politischen Handelns vor. Im Fokus des Ideals steht die individuelle Freiheitssphäre, die jedem die Entfaltung ermöglicht. Es geht nicht um Freiheit vom Staat, sondern um Freiheitssicherung durch den Staat insbesondere auch in der Gesellschaft und zwischen den Privatpersonen. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wird deshalb – laut ihrer Präambel – auch als Erziehungsprogramm gesehen, das alle unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert („afin que cette déclaration, constamment presentée tout les membres du corps social, leur rappelle sans cesse leurs droits et leurs devoirs“). Durch die Prägung von Einstellungen und die Entwicklung moralischer Standards wird die Wirksamkeit der Menschenrechte gewiss erhöht, rechtlich durchsetzbar sind sie jedoch nur insoweit, als sie Eingang in Gesetze gefunden haben, die ihre Reichweite und den Ausgleich zwischen verschiedenen menschenrechtlichen Positionen festlegen. Die Menschenrechte haben damit ihren Platz im staatlichen und gesellschaftlichen System, aber nicht – zumindest nicht eigenständig und unmittelbar – im Recht. Dieses Menschenrechtsverständnis nimmt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte18 auf, wenn sie am Ende der Präambel als ihren Zweck bezeichnet „that every individual and every organ of society, keeping this Declaration constantly in mind, shall strive by teaching and education to promote respect for these rights and freedoms and by progressive measures, national and international, to secure their universal and effective recognition and observance […]“.

Das Gegenmodell dazu liefert die deutsche Traditionslinie. Menschenrechte sind danach zuallererst Abwehrrechte gegen den Staat.19 Die in Deutschland nicht erfolgreichen Revolutionsbewegungen haben die Fürsten allenfalls dazu gebracht, selbst durch den Erlass von Konstitutionen in die Begrenzung ihrer Macht einzuwilligen.20 Im Zentrum dieses Menschenrechtsverständnisses steht also das staatliche Handeln; der persönliche Freiraum zur eigenen Entfaltung ist sozusagen nur das Abfallprodukt 17

Dazu Fastenrath, Einheit der Menschenrechte: Universalität und Unteilbarkeit, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung, Festschrift für Christian Tomuschat, 2006, 153 (156 f.). 18 Resolution 217 (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948; in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Simma/Fastenrath (Fn. 11), 5. 19 Siehe dazu Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1: Allgemeine Lehren der Grundrechte, 1988, 193 ff. 20 Zur deutschen Verfassungsgeschichte siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Zweiter Band 1800 – 1914, 1992, 190 ff.

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der Beschränkung des Staates. Staatliche Schutzpflichten auf der Grundlage von Menschenrechten, um die Freiheiten gegen Beeinträchtigungen durch Privatpersonen zu sichern, sind in Deutschland erst spät in den Blick genommen worden; die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte wurden, wenn sie überhaupt den Weg in die Verfassungen fanden, in Staatszielbestimmungen abgedrängt.21 Dem deutschen Denken liegt also ein instrumentales Verständnis22 zugrunde. Die Menschenrechte hegen staatliches Handeln rechtsstaatlich ein; sie können in behördlichen und gerichtlichen Verfahren geltend gemacht und durchgesetzt werden, notfalls auch gegenüber Gesetzen (die Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze gibt es in Deutschland allerdings erst unter der Herrschaft des Grundgesetzes). Den Menschenrechten ist, soweit sie Abwehrrechte sind, eine klare Funktion innerhalb des Rechtssystems zugewiesen, die politischen Instanzen mitunter missfallen mag, aber das überkommene Recht als Ordnung von Staat und Gesellschaft nicht infrage stellt. Einen dritten Weg sind die Vereinigten Staaten von Amerika gegangen. Das Fanal der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung waren die Menschenrechte für alle (genauer: alle weißen Männer), die auf amerikanischem Territorium leben.23 Auf der Grundlage eines naturrechtlichen Verständnisses, aber durchaus auch vereinbar mit dem traditionellen Denken des englischen common law,24 ging man von einer vorstaatlichen Geltung der Menschenrechte aus, die vom Verfassungsrecht (der Union wie der Staaten) anerkannt wurden. Dem Recht waren damit von der Verfassung garantierte Grenzen gesetzt, die durch die Verfassung konstituierten Gewalten in ihrer Macht von vornherein beschränkt. Aus dieser Konzeption ergab sich zweierlei. Zum einen galten die Schranken für staatliches Handeln nur staatsintern, weil das nationale Recht nur die Rechte der auf dem eigenen Territorium befindlichen Personen zu achten hatte; die nach außen unbeschränkten Vollmachten des englischen Königs gingen hingegen auf den amerikanischen Präsidenten über. Noch in heutiger Zeit wird dementsprechend vertreten, dieser könne außerhalb des amerikanischen Territoriums Folter und andere Verstöße gegen Menschenrechte autorisieren.25 Zum anderen wurde es nicht als Aufgabe des Staates angesehen, den Genuss der Menschenrechte für jeden Einzelnen zu sichern; aus den menschenrechtlich geschützten Bereichen hatte sich der Staat herauszuhalten und es jedem selbst zu überlassen, sein Glück zu schmieden. Insbesondere der Bundesgewalt waren weitgehend die Hände gebunden, für den Schutz der Menschenrechte zu sorgen. So wurde der Civil Rights Act von 187526, der nach dem Bürger21

Vgl. Art. 7 bis 11 SächsVerf. Dazu Fastenrath (Fn. 17), 155 f. 23 Siehe die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, . 24 Vgl. Vorländer (Fn. 16), 58. 25 Working Group Report on Detainee Interrogations in the Global War on Terrorism: Assessment of Legal, Historical, Policy, and Operational Considerations, (6 March 2003), 21. 26 18 Stat. 336 (1875). 22

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krieg und der Abschaffung der Sklaverei die rassische Diskriminierung im öffentlichen und gesellschaftlichen Bereich beenden sollte, für verfassungswidrig erklärt.27 Diese Linie hat der U.S. Supreme Court auf verschiedenen Politikfeldern lange verfolgt, bis er 1954 im Fall Brown v. Board of Education selbst der Rassendiskriminierung ein Ende setzte.28 Diese Rechtsprechungsentwicklung ist instruktiv. In der ursprünglichen Konzeption setzten die Menschenrechte allein dem staatlichen Handeln Grenzen, sie waren als reine Abwehrrechte konstruiert, die eine liberale Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung von staatlichem Einfluss frei hielten. Sobald der Staat begann, sich um den Schutz der Menschenrechte von Minderheiten und der Schwächeren in der Gesellschaft zu kümmern, geriet nicht nur das Freiheitsverständnis in Gefahr, sondern auch die bundesstaatliche Kompetenzordnung. Beides wurde im Grundsatz nicht aufgegeben, aber von der Rechtsprechung kreativ unterlaufen durch eine extensive Auslegung der Bundeskompetenz für „interstate commerce“ und durch die „public functions doctrine“29, mit der auch Private unter bestimmten Voraussetzungen aus Menschenrechten verpflichtet wurden.30 Obwohl sich dieser Wandel in moderaten Schritten vollzog, zeigt sich darin doch die Sprengkraft, die Menschenrechte für die staatliche Rechtsordnung haben können.

C. Die „umstürzende“ Wirkung des internationalen Menschenrechtsschutzes I. Die Überwachungstätigkeit menschenrechtlicher Vertragsorgane Die Ergänzung des nationalen um den internationalen Menschenrechtsschutz scheint zunächst einmal nur dessen Verstärkung zu bewirken, indem Rechtsschutzmechanismen vermehrt und durch eine externe Kontrolle eine Absenkung der Gewährleistungen verhindert wird. Dass Staaten sich darauf einlassen, mag politisch spektakulär sein, aus rechtlicher Sicht bedeutet es wenig. Die Wirkungen des internationalen Menschenrechtsschutzes auf das Rechtsdenken liegen im Verborgenen. Die internationalen Überwachungsorgane haben als Beurteilungsmaßstab allein ihren jeweiligen menschenrechtlichen Vertrag; und sie haben es mit nationalen Rechtsordnungen zu tun, die sie im Detail nicht kennen und in denen sie nicht durch Studium und Berufstätigkeit sozialisiert sind. Das führt zwar nicht zwangsläufig dazu, legt es aber doch nahe, Recht von den Menschen27 109 U.S. 3, 17 (1883); siehe aber das abweichende Votum des Richters Harlan (a.a.O., 26 ff.). 28 347 U.S. 483 (1954). 29 Vgl. U.S. Supreme Court, Marsh v. Alabama, 326 U.S. 501 (506): „The more an owner for his advantage opens up his property to use by the public in general, the more do his rights become circumscribed by the statutory and constitutional rights of those who use it.“ 30 Dazu Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl., 2001, 95 ff.

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rechten, also von unten, vom Menschen her zu denken und es nicht so sehr von oben als staatliches und gesellschaftliches Ordnungsmodell zu betrachten. Auf den ersten Blick erscheint dieser Perspektivenwechsel unbedeutend. Sollte man doch meinen, dass es auf das gleiche hinausläuft, ob die Gesetze ihre Grenze in den Menschenrechten finden oder ob – was ja allgemein in einem gewissen Rahmen zulässig ist – in die Menschenrechte auf der Grundlage von Gesetzen eingegriffen wird. Dennoch gibt es einen Unterschied, wie an einzelnen Beispielen unten noch gezeigt wird: Es werden Strukturen und Begriffe des überkommenen Ordnungsmodells durch die Menschenrechte in Frage gestellt, weil sich die Rechtsfragen aus der Sicht „von unten“ anders stellen; und die Argumentationslasten verteilen sich im Regel-Ausnahme-Schema unterschiedlich je nachdem, ob man – ausgehend von der Abwehrfunktion der Menschenrechte – die Grenzen der Zulässigkeit von Eingriffen oder auf der Grundlage menschenrechtlicher Gewährleistungen die Rechtfertigung von Eingriffen prüft. Im ersten Fall ist Sicherheit und Ordnung die Regel, die individuelle Rechtsposition die Ausnahme; im zweiten Fall ist es umgekehrt. Dies ist die methodische Struktur der andauernden Debatte um die Alternative in dubio pro libertate oder in dubio pro securitate. II. Verpflichtungsrichtungen der Menschenrechte Es ist insbesondere dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte unter der maßgeblichen Mitwirkung von Eibe Riedel zu verdanken, dass die verschiedenen Verpflichtungsrichtungen der Menschenrechte differenziert herausgearbeitet wurden: Neben die Achtensverpflichtung (obligation to respect) treten die Schutzpflicht (obligation to protect) und die Erfüllungsverpflichtung (obligation to fulfil).31 Menschenrechte sind nicht nur – und nicht einmal in erster Linie32 – Abwehrrechte gegen den Staat; sie sind – was gerade bei den Rechten der zweiten Generation oder Dimension33 naheliegt – vom Staat zu achtende, zu schützende und zu ermöglichende individuelle Gewährleistungen.

31 Vgl. Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Allgemeine Bemerkung Nr. 12 (Right to Adequate Food), E/C.12/1999/5; Allgemeine Bemerkung Nr. 15 (Right to Water), E/C.12/2002/11; ausführlich dazu Riedel/Rothen (Hrsg.), The Human Right to Water, 2006. Vorbereitende Arbeiten zur Ausdifferenzierung der Verpflichtungsrichtungen insbesondere durch den Bericht der Unterkommission für die Verhinderung von Diskriminierung und für den Schutz von Minderheiten von Eide, The Right to Adequate Food as a Human Right, E/CN.4/Sub.2/1983/25; Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights, 1997, . 32 So aber für die bürgerlichen und politischen Rechte EGMR, von Hannover gegen Deutschland, Urteil vom 24. 6. 2004, 59320/00, § 57, ECHR 2004-VI, 41 = EuGRZ 2004, 404; Evans gegen Vereinigtes Königreich, Urteil (GK) vom 10. 4. 2007, 6339/05, § 75, ECHR 2007-I, 353 = NJW 2008, 2013. 33 Riedel, Menschenrechte der dritten Generation, EuGRZ 1989, 9 ff.

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Das ist ein Quantensprung im Menschenrechtsdenken. Es trägt das evolutiv-gestalterische Element des französisch-republikanischen Verständnisses aus dem politischen Raum in das Recht hinein. Zwar können die Menschenrechte nicht aus sich heraus die für ihre Gewährleistung notwendigen Einrichtungen und Schutzmechanismen schaffen. Da aber die gesamte nationale Rechtsordnung menschenrechtskonform auszulegen ist, sind die vorhandenen Gesetze so zu interpretieren und die bestehenden Institutionen so zu nutzen, dass die Menschenrechte möglichst weitreichend zur Geltung kommen. Die gesamte Rechtsordnung wird so von den Menschenrechten in ihren Dienst genommen. Es werden nicht mehr nur menschenrechtliche Defizite festgestellt und eventuell menschenrechtswidrige Rechtshandlungen aufgehoben, vielmehr wird das Recht insgesamt ausgerichtet auf die Menschenrechte.34 Das revolutioniert das Rechtsverständnis: Im Mittelpunkt steht der Mensch, nicht der Staat; Ausgangspunkt allen Rechts ist die Persönlichkeits- und Freiheitssphäre des Einzelnen, nicht die staatliche und gesellschaftliche Ordnung. Dieser Wandlungsprozess hat inzwischen seinen Weg in die Rechtsprechung und die rechtswissenschaftliche Diskussion gefunden. III. Auswirkungen des Perspektivenwechsels auf das bestehende Rechtssystem in Beispielen 1. Eingriffsbegriff, Gesetzesvorbehalt Der Rechtsschutz gegen staatliches Handeln setzt traditionell an Handlungsformen an. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit war zunächst auf Klagen gegen Verwaltungsakte beschränkt35, weitete sich mit der Zeit aber immer mehr aus, um den Interessen der Bürger besser gerecht zu werden. Geblieben ist jedoch die Ausrichtung des Rechtsschutzes am staatlichen Handeln. Dementsprechend nahm das Bundesverfassungsgericht nach dem sog. klassischen Eingriffsbegriff eine rechtlich relevante Verkürzung einer Freiheit nur dann an, wenn sie durch ein staatliches Ge- oder Verbot herbeigeführt wird, das unmittelbar und gezielt (final) auf die Beeinträchtigung des Rechts gerichtet ist und notfalls zwangsweise durchgesetzt werden kann.36 Rein tatsächliches Handeln, mittelbare und unbeabsichtigte Folgen der staatlichen Maßnahme blieben also außen vor. In der Osho-Entscheidung37 aus dem Jahr 2002 wendete das Bundesverfassungsgericht den Blick. Es ging in diesem Fall um negative Bewertungen, die in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine parlamentarische Anfrage zu Jugendsekten über die Osho-Bewegung enthalten waren, die Letztere als herabwürdigend und ihr 34 In diesem Sinne auch Ress, Supranationaler Menschenrechtsschutz und der Wandel der Staatlichkeit, ZaöRV 64 (2004), 621 (628). 35 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 8. Aufl., 2011, 28. 36 Pieroth/Schlink, Grundrechte/Staatsrecht II, 27. Aufl., 2011, Rdnr. 251. 37 BVerfGE 105, 279.

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Wirken schwer beeinträchtigend ansah. Die Antwort der Bundesregierung war aber weder rechtsförmlich noch auf die Eindämmung des Zulaufs zur Osho-Bewegung gerichtet. Eine Abweisung der Verfassungsbeschwerde vermied das Bundesverfassungsgericht durch einen neuen, den sog. modernen Eingriffsbegriff. Nach ihm kommt es auf die Qualität des Staatshandelns nicht mehr an, sondern nur auf die Beeinträchtigung der grundrechtlich gewährleisteten Position.38 Ausgangspunkt der Prüfung ist also der ungestörte Genuss eines Rechts, nicht mehr das staatliche Handeln im Anwendungsbereich eines Rechts. So sehr der Perspektivenwechsel im Hinblick auf einen unverkürzten Menschenrechtsschutz zu begrüßen ist, so hat er doch Nebenwirkungen, die bedacht werden müssen. Da potentiell nahezu alles staatliche Handeln in Grundrechte eingreift, bedarf es durchgehend einer gesetzlichen Grundlage. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Der Osho- und der gleichzeitig entschiedene Glykol-Fall39 zeigen aber, wie dieses Erfordernis inhaltlich ausgedünnt wird. Die Informationstätigkeit der Regierung wird als integraler Bestandteil der Staatsleitung angesehen und im Demokratieprinzip sowie den Erwartungen der Bürger verortet; diese müssten über die Fakten und Einschätzungen Bescheid wissen, um sich eine eigene Meinung bilden und eigenverantwortlich handeln zu können.40 Ausdrücklich wird festgestellt, dass diese – eher amorphe – verfassungsrechtliche Fundierung der Staatsaufgabe neben den ausdrücklichen Informationsverpflichtungen aus einzelnen Verwaltungsgesetzen steht.41 Gravierender sind die Folgen für den Gesetzesvorbehalt bei Eingriffen in Menschenrechte. Es liegt auf der Hand, dass der Gesetzgeber unbeabsichtigte Folgen des Staatshandelns nicht vorab bedenken und bei der Güterabwägung über die Zulässigkeit von Eingriffen berücksichtigen kann. Dasselbe gilt für mittelbare Wirkungen staatlichen Handelns. Die Vielfalt der möglichen Fallgestaltungen lässt detaillierte Festlegungen im Gesetz nicht zu. Der Gesetzesvorbehalt droht damit seine legitimierende und rechtssichernde Funktion zu verlieren. Es ist gewiss keine Lösung, die „neuen“ Eingriffe in Grundrechte wie zuvor mit dem klassischen Eingriffsbegriff einfach zu ignorieren; andererseits ist die Gefahr einer Aufweichung der Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt nicht zu übersehen. 2. Der Kreis der aus Menschenrechten Verpflichteten Verpflichtete aus Grund- und Menschenrechten sind grundsätzlich Hoheitsträger. Da diese aber nicht nur eine Achtens-, sondern auch eine Schutzverpflichtung haben und die Staaten durch ihre Gesetzgebung die Freiheitssphären der Privatpersonen untereinander abgrenzen, kommt es über die einengende oder ausweitende, jedenfalls 38

Ebda., 294. BVerfGE 105, 252. 40 Ebda., 269; gleichlautend BVerfGE 105, 279 (302). 41 Ebda., 271. 39

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aber richtunggebende menschenrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts42 zur mittelbaren Drittwirkung der Menschenrechte.43 Abhängig vom – durchweg sehr weitreichenden – Normierungsgrad des nationalen Rechts, verliert die Unterscheidung zwischen Hoheitsträgern und Privatpersonen für den Menschenrechtsschutz so zunehmend an Bedeutung.44 Dies lässt sich gut, wenngleich nur für einen eng begrenzten Bereich, an der von amerikanischen Gerichten entwickelten public forum-Doktrin als einer speziellen Ausformung der public function-Doktrin veranschaulichen. Danach ist der Zugang zu und der Meinungsaustausch an Orten, die traditionell zu diesem Zweck von der Allgemeinheit oder einem begrenzten Personenkreis genutzt werden, unabhängig davon zu gewährleisten, ob die betreffenden Grundstücke in öffentlichem oder privatem Eigentum stehen.45 Während auf einem non-public forum die Meinungskundgabe aus sachlichen Gründen verwehrt werden darf, werden bei public fora und limited public fora auch Privateigentümer mittels des „Schmid-Tests“ in die Pflicht genommen. Maßgeblich sind (1) Natur und vorrangige Nutzung des Grundstücks, (2) Art und Weise sowie der Umfang, in dem die Öffentlichkeit zur Nutzung aufgefordert wird, (3) das Verhältnis zwischen dem Zweck der Meinungsäußerung und der privaten oder öffentlichen Nutzung des Grundstücks.46 Diese – freilich nicht einheitliche47 – Rechtsprechung bezieht sich insbesondere auf Flughäfen, Universitäten und Einkaufszentren. Auch die kanadischen Gerichte folgen diesen Grundsätzen.48 42

Dazu BVerfGE, 111, 307 (317 ff., 324, 329) – Görgülü; 112, 1 (25 f.) – Enteignungen auf besatzungsrechtlicher Grundlage; Fastenrath, Menschenrechtliche Verträge im deutschen Recht – zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Vereinbarkeit von Studiengebühren mit dem Recht auf Bildung (Art. 13 Abs. 2 Buchst. c Sozialpakt), in: Wittinger/Wendt/Ress (Hrsg.), Verfassung – Völkerrecht – Kulturgüterschutz, Festschrift für Wilfried Fiedler, 2011, 53 (66 ff.); Payandeh, Völkerrechtsfreundlichkeit als Verfassungsprinzip – Ein Beitrag des Grundgesetzes zur Einheit von Völkerrecht und nationalem Recht, JöR n.F. 57 (2009), 464 ff.; Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur, ZaöRV 65 (2005), 25; Sommermann, Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung – die Menschenrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, AöR 114 (1989), 391 ff. 43 Dazu Fastenrath, in: Schmahl/Pabel (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention (Loseblatt, Stand: 14. Lief., 2012), Art. 1 Rdnr. 158 ff.; Krieger, Funktionen von Grund- und Menschenrechten, Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG: Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, 266 Rdnr. 50 ff. 44 Es bleibt freilich bei der strukturellen Unterscheidung, dass Hoheitsträger eine gesetzliche Grundlage für Eingriffe in Menschenrechte bedürfen, während Privatpersonen in ihrer Handlungsfreiheit nur durch Gesetz beschränkt werden können. 45 Vgl. State v. Schmid, 84 N.J. 535 (1980), 542 ff. 46 Siehe dazu bereits Fastenrath/Scharlau, BVerfG: Fraport, Anmerkung zum Urteil v. 22. 2. 2011, MenschenRechtsMagazin 2011, 197 (205 f.). 47 Vgl. die Nachweise in EGMR, Appleby u. a. gegen Vereinigtes Königreich, Urteil v. 6. 5. 2003, 44306/98, 25 ff. 48 Committee for the Commonwealth of Canada v Canada (1991) 1 S.C.R. 139.

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Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsfigur des öffentlichen Kommunikationsraums übernommen, freilich mit dem Ziel, die Demonstrationsfreiheit auf Flugplätzen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft auf die allgemein zugänglichen Bereiche zu begrenzen.49 Auf der anderen Seite hält es das Gericht für möglich, dass zum Schutz der Kommunikation auch Private im Wege der mittelbaren Grundrechtsbindung Demonstrationen auf ihren Grundstücken dulden müssen; im konkreten Fall konnte dies allerdings offen bleiben.50 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verallgemeinert diese Rechtsprechung, indem er generell davon ausgeht, dass Menschenrechte auch von Privatpersonen verletzt werden können.51 Da in einem horizontalen Rechtsverhältnis auf beiden Seiten menschenrechtliche Positionen zu schützen sind, nimmt der Gerichtshof eine Güterabwägung im konkreten Fall vor, um die Rechte der Betroffenen zum Ausgleich zu bringen. So stehen dann etwa die Pressefreiheit gegen den Schutz der Privatsphäre52 oder das Eigentumsrecht und damit verbundene Erwerbsinteressen des Inhabers einer allgemein zugänglichen Einrichtung gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit von Demonstranten, die den Zugang zu der Einrichtung erschweren oder mit ihren Botschaften Besucher abschrecken.53 Da alle Lebensverhältnisse von menschenrechtlichen Positionen durchzogen sind, haben die darin involvierten Menschen in ihnen nicht nur Rechte, sondern in horizontalen Rechtsverhältnissen zugleich auch (mittelbar) Achtensverpflichtungen, die häufig nur formal gesetzliche Befolgungspflichten sind. Denn inwieweit die Rechte eines anderen zu achten sind, ergibt sich keineswegs stets unmittelbar aus dem Gesetz(estext), etwa aus der in § 903 BGB geregelten Herrschaftsbefugnis des Eigentümers, sondern erst in Verbindung mit den einschlägigen Menschenrechten und deren Ausgleich untereinander. Damit wird nicht nur die Prärogative des Gesetzgebers beschnitten, die Freiräume der Einzelnen abzustecken; auch die Einzelnen gelangen – nicht nur in Grenzfällen – in eine Pflichtenstellung. Das widerspricht dem liberalen Menschenrechtsverständnis des Art. 29 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, freilich nicht notwendig den Vorstellungen, wie sie in den Menschenrechtsdokumenten anderer Regionen zum Ausdruck kommen (vgl. Art. 32 Abs. 2 Amerikanische Menschenrechtskonvention; Art. 27 Abs. 2, Art. 28 und 29 Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker).54 49

BVerfGE 128, 226 (254); dazu Fastenrath / Scharlau (Fn. 46), 210 f. Ebda., 249 f. 51 Vgl. EGMR, Solomou u. a. gegen die Türkei, Urteil v. 24. 6. 2008, 36832/97, § 46; so auch der Menschenrechtsausschuss, Allgemeine Bemerkung Nr. 31, § 8. 52 So EGMR, von Hannover gegen Deutschland (Fn. 32). 53 So EGMR, Appleby u. a. gegen Vereinigtes Königreich (Fn. 46). 54 Beide Verträge sind in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Simma/Fastenrath (Fn. 11), 637 ff., 659 ff.; vgl. zum Ganzen auch Kälin, Menschenrechtsverträge als Gewährleistung einer objektiven Ordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 33 (1994), 9 (32 ff., 37 ff.); kritisch dazu Engel, Diskussionsbeitrag, ebda., 138 f. 50

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3. Territoriale Entgrenzung Die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten bestehen in erster Linie gegenüber den Personen, die ihrer Hoheitsgewalt unterstehen55 (vgl. Art. 2 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Recht, Art. 1 Europäische Menschenrechtskonvention). Das gilt auch für die Menschenrechte der zweiten Generation. Zwar enthält Art. 2 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eine internationale Komponente, indem er die Staaten verpflichtet, bei der Gewährleistung der Rechte auch internationale Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es bleiben danach aber immer noch zuallererst die Staaten selbst für ihr Territorium verantwortlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 55 und 56 der UN-Charta.56 Zu Recht hält der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die Vertragsparteien allerdings für verantwortlich, die transnationalen Auswirkungen ihres Handelns zu berücksichtigen und die Rechte im Ausland lebender Menschen zu achten. Darüber hinaus wird eine Schutzpflicht angenommen, andere Staaten und Private im Rahmen ihrer rechtlichen und politischen Einflussmöglichkeiten daran hindern, die Rechte im Ausland lebender Menschen zu verletzen.57 Eine positive Gewährleistungspflicht gegenüber Menschen auf dem Territorium fremder Staaten besteht aber nicht; durch die Verwendung des Wortes „should“ zeigt der Ausschuss, dass es insoweit allenfalls um eine politisch-moralische Verpflichtung geht.58 Solche Unterstützung des Menschenrechtsschutzes von außen hat durchaus völkerrechtliche Tradition. So versprachen die auf dem Wiener Kongress versammelten Mächte in einer Erklärung über die Abschaffung des Handels mit Negersklaven (1815), dass sie alles ihnen Mögliche tun wollen, um den Handel – auf den Atlantikrouten zwischen Afrika und Amerika – zu unterbinden.59 Deutlich über diese, an den staatlichen Verantwortungsbereichen orientierten Maßstäbe gehen die Versuche hinaus, im Zusammenhang mit dem zum Teil menschenverachtenden Gebaren multinationaler Unternehmen auch deren Sitzstaaten in die Pflicht zu nehmen sowie weitere Staaten, die mit dem Unternehmen in Beziehung stehen.60 Das gilt in noch stärkerem Maße für die „Maastricht Principles on Extraterritorial Obligations of States in the area of Economic, Social and Cultural 55 Dieser Begriff wird freilich von den Kontrollinstitutionen zu den einzelnen Menschenrechtsverträgen nicht einheitlich verstanden, dazu Fastenrath (Fn. 43), Art. 1 Rdnrn. 13, 15, 74 ff. 56 Hierzu und zum Folgenden De Schutter, International Human Rights Law (2010), 163 ff., 172 ff. 57 Vgl. Allgemeine Bemerkung Nr. 14 (The Right of Highest Attainable Standard of Health), E/C.12/2000/4, § 39; Allgemeine Bemerkung Nr. 15 (The Right to Water), E/C.12/ 2002/11, § 31. 58 Vgl. Allgemeine Bemerkung Nr. 12 (The Right to Adequate Food), E/C.12/1999/5, § 38. 59 Dazu Verdross/Simma, Universelles Völkerrechts, 3. Aufl., 1984, § 1208. 60 Vgl. den Ruggie-Report „Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights” (UN-Doc. A/HRC/8/5 vom 7. 4. 2008); OECD Guidelines for Multinational Enterprises (2011), .

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Rights“ (2011)61, wonach die Staaten generell weltweit alle Möglichkeiten zum Schutz dieser Rechte zu nutzen haben. Damit werden die Forderungen der Erklärung über das Recht auf Entwicklung (1986)62 aufgenommen. Nach deren Art. 3 Abs. 3 sind alle Staaten zur Zusammenarbeit verpflichtet, um eine Entwicklung herbeizuführen, in der alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll verwirklicht werden können. Bislang ist diesen Bemühungen kein Erfolg beschieden; völkerrechtlich verbindliche Regeln sind daraus nicht geworden. Sie zeigen aber trotz der in allen Dokumenten betonten Schranken, die das geltende Völkerrecht solchen Schutzpflichten setze, dass die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung aufgeweicht wird. Die Staaten werden angehalten, Einfluss auf die Menschenrechtsstandards in anderen Staaten zu nehmen. Solange es um einen Kernbestand der Menschenrechte geht, der als ius cogens gilt und somit die Grenze der souveränen Handlungsfreiheit der Staaten markiert, ist dagegen nichts einzuwenden. Denn von außen wird nur die Gewährleistung von Rechten unterstützt, die der betreffende Gebietsstaat ohnehin und unausweichlich hätte sichern müssen.63 Anders ist die Lage in den Bereichen, in denen durch souveräne und selbstbestimmte Entscheidungen gesetzliche Beschränkungen der Menschenrechte festgelegt und die Rechte verschiedener Personen gegeneinander abgegrenzt werden dürfen. Hierauf haben fremde Staaten jenseits politischer Mittel keinen Einfluss zu nehmen. Wer unter Berufung auf den Menschenrechtsschutz hieran etwas zu ändern sucht, handelt aus der Sicht des Individuums und dessen Anspruch auf eine Sphäre gleicher Freiheit durchaus konsequent, legt aber die Axt an das Staatensystem des geltenden Völkerrechts.

D. Ausblick Bislang ist die Revolution des Rechts durch die Menschenrechte ausgeblieben, mithin auch das von Goethe befürchtete Chaos. Dieses ist aber kein notwendiges Attribut einer Revolution. Sie bedeutet Umkehr der Verhältnisse; und diese ist im Gange, wie die vorgestellten Beispiele zeigen. Die systemischen treffen freilich auf eine Reihe anderer Änderungen und verbinden sich mit diesen. Genannt seien etwa die zunehmende Informalisierung des Rechts, die Konstitutionalisierung des 61 Beschlossen von einer Reihe von Experten aus Wissenschaft und Menschenrechtsorganisationen, siehe . 62 Resolution 41/128 der Generalversammlung der Vereinten Nationen, in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Fastenrath/Simma (Fn. 11), 11; siehe auch dazu Riedel, Recht auf Entwicklung (und Drittgenerationsrechte), in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., 2006, 657 ff. 63 Dazu bereits Fastenrath, Die Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen und anderer Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte, in: von Schorlemer (Hrsg.), „Wir die Völker (…)“ – Strukturwandel in der Weltorganisation, Dresdner Schriften zu Recht und Politik der Vereinten Nationen, Bd. 1, 2006, 69 (87 f., 91 f.).

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Staatensystems und die schwindende Trennschärfe zwischen privatem und staatlichem Handeln angesichts von public-private-partnerships. Das Recht steht also so oder so unter einem erheblichen Änderungsdruck. Inwieweit sich dabei der Blick „von unten“ gegenüber der Perspektive der Ordnungsidee durchsetzen kann, ist noch nicht ausgemacht. Es wird sich an der Verschiebung von Argumentationsmustern zeigen; und sicher wird eine neue Dogmatik nötig sein, über die wir noch nicht verfügen.64 Der Geist der Menschenrechte muss also nicht in die Flasche zurück beordert werden; um ihn in geordnete Bahnen zu lenken, ist auch kein Hexenmeister nötig. Vielmehr ist es Aufgabe der Wissenschaft, die Strukturen des Rechts für die Menschenrechte dienstbar zu machen, ohne Erstere oder Letztere der einseitigen Sicht politisch Gutmeinender zu opfern.

64 Bezogen auf die Drittwirkung der Menschenrechte ebenso Kokott, Grund- und Menschenrechte als Inhalt eines internationalen ordre public, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 38 (1998), 71 (79 ff.).

Fünf Thesen zur subjektiven Rechtsqualität völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte Von Hans-Joachim Cremer Auf der ganzen Welt gibt es wohl nur wenige, welche, wie der Jubilar, die Entwicklung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes nicht nur wissenschaftlich beobachtet, sondern sie praktisch geprägt und sowohl rechtstheoretisch als auch rechtsphilosophisch durchdrungen haben. Umso schwerer fällt es, einen Beitrag für die Festschrift zu Eibe Riedels Ehren zu schreiben, von dem er nicht – freilich stets mit einem wohlwollenden Augenzwinkern – sagen müsste, es sei nichts Neues unter der Sonne des Völkerrechts. So, wie es sich aber vielfach lohnt, alte Geschichten neu zu erzählen, wage ich es, ein völkerrechtsdogmatisches Grundthema aufzunehmen: Inwiefern begründen die menschenrechtlichen Gewährleistungen des Völkerrechts subjektive Rechte,1 und inwiefern begünstigen sie einzelne Menschen nur in Form eines bloßen Rechtsreflexes? Ich möchte dies tun, indem ich fünf Thesen aufstelle und je kurz begründe. Sie sollen – was nicht nur praktisch relevant ist, sondern auch theoretischen oder philosophischen Rekonstruktionen des Völkerrechts eine andere Grundlage geben könnte2 – zeigen, dass in weiterem Umfang als vielfach angenommen insbesondere Menschenrechtsverträge schon auf der Ebene des Völkerrechts dem Einzelnen materielle subjektive Rechte verleihen. *

These 1 Der Wortlaut völker(vertrags)rechtlicher Normen ist ein zu dürftiger Anhalt, um zu begründen, dass diese auf völkerrechtlicher Ebene subjektive Rechte gewähren.

Betrachtet man ganz unbefangen internationale Dokumente, zumal die Texte völkerrechtlicher Verträge zum Schutz von Menschenrechten, so könnte man meinen, ihr Wortlaut sei doch insoweit klar, als darin jedermann oder jedem Einzelnen „Rechte“ zugesprochen werden.3 Tongue in cheek: Wo „rights“ drauf steht, da seien auch 1 s. dazu, aber auch zu einer „originären Völkerrechtspersönlichkeit des Menschen“: Peters, Das subjektive internationale Recht, JöR 59 (2011), 411 (411 ff., insbes. 440 ff.). 2 Um diese aber soll es hier nicht gehen, sondern um das geltende Völkerrecht. 3 Die Bedeutung des Wortlauts menschenrechtlicher Verträge betont Delbrück, Die Völkerrechtssubjektivität nichtstaatlicher natürlicher Wirkungseinheiten, in: Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 2. Aufl., 2002, 261.

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„subjektive Rechte“ drin.4 In diesem Verständnis bestärkt sein könnte man durch das Urteil des Internationalen Gerichtshofs im LaGrand-Fall.5 Umstritten war dort, ob Art. 36 Abs. 1 lit. b des Wiener Übereinkommens über das Recht der konsularischen Beziehungen (WÜK) jedem Staatsangehörigen eines Vertragsstaates, der in das Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates einreist, ein subjektives Recht verleiht, frei darüber zu entscheiden, ob die konsularische Vertretung seines Heimatstaates von einer Verhaftung oder Freiheitsentziehung anderer Art benachrichtigt werde. Nicht nur ob damit ein Grund- oder Menschenrecht, sondern ob damit überhaupt ein subjektives Recht des Einzelnen verliehen war, stand in Streit.6 Der Gerichtshof ließ zwar offen, ob Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK ein Menschenrecht verleihe.7 Er bejahte aber ein individuelles subjektives Recht. Zur Begründung setzt er bei der Sprachfassung der Konvention an.8 Bezeichnenderweise („significantly“), so der Gerichtshof, ende Art. 36 Abs. 1 UAbs. b WÜK mit den Worten: „The said authorities shall inform the person concerned without delay of his rights under this subparagraph“, und er setzt die Worte „his rights“ kursiv.9 Sodann führt er an, dass nach Art. 36 Abs. 1 lit. c WÜK der Entsendestaat konsularische Unterstützung nicht leisten dürfe, „if he [der in Gewahrsam Genommene] opposes such action“. Die Klarheit des Wortlauts dieser Vorschriften lässt den Gerichtshof nicht zweifeln, dass sie angewandt werden müssten wie sie stehen10 und daher aus ihrem Text zu schließen sei, dass Art. 36 Abs. 1 WÜK „creates individual rights, which, by virtue of Article 1 of the Optional Protocol, may be invoked in this Court by the national State of the detained person“.11 Dass Deutschland, das gegen die USA klagte, nicht nur eine Verletzung eigener Rechte, sondern subjektive Rechte seiner beiden Staatsangehörigen geltend machen konnte, verstärkte offenbar die deutsche Position in dem Verfahren.12 4 Fast im Kontrast dazu steht die Rspr. des EuGH, wenn danach Art. 12 EWGV, der den Mitgliedstaaten untersagte, untereinander neue Ein- oder Ausfuhrzölle oder Abgaben gleicher Wirkung einzuführen oder die bestehenden zu erhöhen, individuelle Rechte begründete (EuGH v. 05. 02. 1963, Rs. 26/62, – van Gend & Loos, Slg. 1963, 3 [24 – 27]); s. auch EuGH v. 08. 04. 1976, Rs. 43/75 – Defrenne, Slg. 1976, 455 Rn. 21/24 zur unmittelbaren Privatrechtswirksamkeit des Art. 119 EWGV (nunmehr Art. 157 AEUV). 5 International Court of Justice, LaGrand Case (Germany v. United States of America), judgment of 27 June 2001, I.C.J. Reports 2001, 466 ff.; s. hierzu: Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, Archiv des Völkerrechts 43 (2005), 312; Hillgruber, Anmerkung zu IGH, Urt. v. 27. 06. 2011 – Fall LaGrand, JZ 2002, 94; Oellers-Frahm, in: Marauhn (Hrsg.), Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, 21 ff.; Tams, Das LaGrand-Urteil, JuS 2002, 324. 6 s. zumVortrag der Parteien: ICJ (Fn. 5), §§ 75 f. 7 ICJ (Fn. 5), § 78; s. dazu Grzeszick (Fn. 5), insbes. 331 ff. 8 ICJ (Fn. 5), § 77. Ablehnend Grzeszick (Fn. 5), insbes. 318 ff. m.w.N. 9 ICJ (Fn. 5), § 77. 10 ICJ (Fn. 5), § 77 m.w.N. 11 ICJ (Fn. 5), § 77. 12 Zur Wirkung kommt hier ein Aspekt diplomatischen Schutzes, wie das Urteil zeigt (s. ICJ (Fn. 5), §§ 11 f., 38, 40, 42, 58, 65, 75 f.). Hailbronner/Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, 5. Aufl., 2010, 159, weisen

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Dies verdeutlicht der Tenor des Urteils, wenn der IGH feststellt, dass die USA, indem sie es versäumt hätten, Karl und Walter LaGrand unverzüglich nach ihrer Verhaftung über ihre Rechte nach Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK zu unterrichten, und dadurch die Bundesrepublik Deutschland der Möglichkeit beraubt hätten, zeitgerecht diesen Einzelpersonen die in der Konvention vorgesehene Unterstützung zu leisten, ihre Verpflichtungen aus Art. 36 Abs. 1 WÜK gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und gegenüber den LaGrand-Brüdern verletzt hätten.13 Im konkreten Rechtsstreit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA wurde damit die subjektive Rechtsstellung der Brüder LaGrand anerkannt. Dem Urteil kommt gewiss auch „persuasive authority“ zu, soweit es um die Auslegung von Art. 36 Abs. 1 WÜK geht.14 Doch darf nicht übersehen werden, dass die USA durchaus beachtliche Gründe dafür angeführt hatten, dass Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK dem Einzelnen unmittelbar keine Rechte verleihe. So beriefen sie sich darauf, dass die Benachrichtigungs- und Zugangsrechte des WÜK nicht den Einzelnen, sondern den Staaten zustünden. Dies gelte, obgleich diese Rechte Einzelpersonen letztlich dadurch begünstigen könnten, dass ihnen Staaten konsularische Hilfe leisteten. Welche Behandlung des Einzelnen geschuldet sei, bleibe aber untrennbar mit dem Recht des Staates verknüpft, mittels eines seiner Konsularbeamten mit seinem Staatsangehörigen zu verkehren, und leite sich von diesem, dem Staat zustehenden Recht ab. Die Art, wie die Konvention dies anspreche, lege nicht die Natur dieser Rechte und die Rechtsbehelfe bei Verletzung dieser „Rechte“ fest. Art. 36 WÜK selbst beginne mit den Worten „[w]ith a view to facilitating the exercise of consular functions relating to nationals of the sending State“ – womit die USA implizieren, dass die sodann folgenden Vorschriften die Rechtsstellung nicht des Einzelnen, sondern allein des Staates absicherten. Dieser Wortlaut stütze in keiner Weise die Vorstellung, dass die Staatsangehörigen eines Entsendestaates irgendwelche einzelnen Rechte oder Ansprüche im Rahmen der Strafverfolgung hätten. Die travaux préparatoires spiegelten einen Konsens, dass Art. 36 WÜK unabänderliche Individualrechte anspreche, die sich nicht von den Rechten der Staaten ableiteten, nicht wider.15 Ähnliche Argumente können auch gegen die unmittelbare Herleitung von Individualrechten aus Verträgen zum Schutz von Menschenrechten angeführt werden. Auch sie lassen sich so verstehen, dass die Staaten sich in Verträgen lediglich wechselseitig versprechen, die Menschenrechte zu achten, insbesondere sich bei der Gestaltung ihres internen Rechts von menschenrechtlichen Standards leiten zu lassen und auf diese – mittelbare – Weise den einzelnen Menschen zu begünstigen. Kürzer auf die Tendenz hin, dass ein Heimatstaat zum Schutze Einzelner nicht nur eigene, ihm als Staat zukommende Rechte, „sondern in Vertretung seiner Staatsangehörigen zu deren Gunsten Rechte geltend macht“. 13 ICJ (Fn. 5), Tenor zu (3), 515; s. zu der zugrunde liegenden Argumentation insbes. ebda., §§ 67, 74, 77, 89 ff.; s. zur Frage einer Verletzung der Pflicht zur Befolgung einer einstweiligen Anordnung ebda., §§ 98 ff., zur Pflicht, Wiederholungen zu unterlassen, ebda. §§ 123 ff. 14 Ablehnend aber wie erwähnt: Grzeszick (Fn. 5), insbes. 318 ff. m.w.N. 15 ICJ (Fn. 5), § 76.

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und wiederum salopper gesagt: Wo „Recht“ drauf steht, muss ein „subjektives Recht des Einzelnen“ nicht drin sein. Es kann eine gegenüber anderen Staaten übernommene Pflicht zum Schutz von Menschen darin stecken.16 Beachtlich erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis der USA im LaGrand-Fall, Art. 36 WÜK selbst enthalte keine Regeln über Rechtsbehelfe für den Fall einer Verletzung der genannten Rechte. Diese Argumentation weist auf eine – gerade in der deutschen Völkerrechtslehre vertretene – Ansicht, wonach die subjektive Rechtsqualität völkerrechtlicher Menschenrechtsgewährleistungen davon abhängt, dass dem Einzelnen auf der Ebene des Völkerrechts ermöglicht werde, seine Rechtsstellung durchzusetzen.17 *

These 2 Die Ansicht, die subjektive Rechtsqualität völkerrechtlicher Menschenrechtsgewährleistungen hänge davon ab, dass dem Einzelnen auf der Ebene des Völkerrechts eine Rechtsmacht zur Durchsetzung zugewiesen ist, erscheint bei genauerer Betrachtung nicht als schlüssig.

Diese Auffassung18 zieht den Kreis echter subjektiver Individualgewährleistungen eng. Die notwendige Verkoppelung eines materiellen subjektiven Rechts mit der Rechtsmacht zu seiner Durchsetzung19 erscheint nicht unverständlich aus der Warte des Völkerrechts unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und damit zu einer Zeit, in der der Einzelne weitestgehend als „mediatisiert“ galt, indem ihm völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit nicht zukam und seine Interessen,20 zumal soweit sie durch Völkerrechtsnormen geschützt waren, grundsätzlich durch seinen Heimatstaat wahrgenommen wurden, wofür diplomatischer Schutz das Mittel bot – mit dessen Ausübung freilich der Staat nicht etwa ein Recht des Einzelnen, sondern sein eigenes, ihm als Staat zustehendes Recht geltend machte.21 Dem Individuum subjektive Rechte zuzugestehen hätte ihm, soweit diese Rechte reichen, aus der Warte eines traditionellen Völkerrechtsverständnisses nicht nur eine eigene Rechtsstellung 16 s. Cassese, International Law, 2. Aufl., 2005, 142, 146; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl., 1997, Rdnrn. 936 ff. 17 Zur ideengeschichtlichen und völkerrechtsdogmatischen Entwicklung der Stellung des Einzelnen: Peters (Fn. 1), 413 ff. 18 s. etwa Epping, Völkerrechtssubjekte, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, 96 f.; s. auch Hailbronner/Kau (Fn. 12), 160; Seidel, Die Völkerrechtsordnung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, AVR 38 (2000), 23 (33); Seidl-Hohenveldern (Fn. 16), Rn. 938 ff.; Kelsen, Principles of International Law, 2. Aufl., 1967, 143 f.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, 256. 19 Präsent auch in allgemeinen rechtstheoretischen Schriften, so etwa bei Rüthers, Rechtstheorie, 4. Aufl., 2008, § 2 Rn. 63 („Klagbarkeit“); teils wird eine „weichere“ Voraussetzung aufgestellt, so von Koller, Theorie des Rechts, 2. Aufl., 1997, 95 („Machtbefugnis“, „gegen die Adressaten (oder deren Vertreter) nötigenfalls gewisse Schritte zu unternehmen, um sie zur Einhaltung jener Beschränkungen zu veranlassen“). 20 Vgl. zum Verständnis des subjektiven Rechts als eines rechtlich geschützten Interesses: von Jhering, Geist des römischen Rechts III, 9. Aufl., 1968, 327 ff. 21 BVerfGE 94, 315 (329 f.) – Zwangsarbeit m.w.N.; Hailbronner/Kau (Fn.12), 159.

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gleichsam „auf Augenhöhe“ mit den Staaten der Welt verliehen, sondern ihn dadurch quasi einem Staat gleichgestellt. Wenn in der Unvollkommenheit der Völkerrechtsordnung Staaten darauf angewiesen sind, ihre Rechte notfalls selbst – mit Hilfe von Retorsion oder Repressalie – durchzusetzen, erscheint, was als Position nicht durchsetzbar ist, in seiner Rechtsqualität als fragwürdig. In der augenscheinlichen Logik dieses Gedankengangs könnte daraus folgen, dass der Einzelne, um gegenüber einem Staat ein Recht beanspruchen zu können, ihm auch insoweit auf Augenhöhe begegnen und sein Recht auf der Ebene des Völkerrechts auch durchsetzen können muss – ansonsten wäre es kein „Recht“, nicht also ein Verhältnis der Willkür des einen auf die Willkür des anderen, sondern ein „Verhältnis der Willkür auf den Wunsch (folglich auch auf das bloße Bedürfnis) des anderen“.22 Betrachten wir aber die Anforderung an ein subjektives Recht, es müsse mit der Rechtsmacht zu seiner Durchsetzung verkoppelt sein, genauer. Wann hat denn ein Einzelmensch eine solche Rechtsmacht? Die Antwort muss davon ausgehen, dass es im Unterschied zu Staaten, bei denen die Effektivität ihrer Herrschaftsgewalt Voraussetzung ihrer Existenz ist, bei dem Einzelnen nicht darum gehen kann, ob er imstande ist, sein Recht selbständig – etwa im Wege der Selbsthilfe – durchzusetzen. Rechtsmacht zur Durchsetzung muss hier anders verstanden werden, nämlich als Befugnis, als rechtliche Ermächtigung zur Aktivierung eines rechtlichen Durchsetzungsmechanismus.23 Ist man großzügig, so zählen als Durchsetzungsmechanismen nicht nur die Möglichkeit, vor einem internationalen Gerichtshof Beschwerde oder Klage zu erheben,24 sondern auch der Zugang zu sonstigen internationalen Instanzen, die eine Individualbeschwerde entgegenzunehmen und zu beurteilen befugt sind, ohne die Kompetenz zu verbindlicher Entscheidung in der Sache zu haben.25 Es geht nicht um faktische Durchsetzungsmacht, sondern um eine Rechtsmacht zur Durchsetzung. Diese aber besteht nur auf Grund zumindest des „Zugangs“ zu einer internationalen Instanz, genauer auf Grund des Rechts auf Zugang zu einer solchen Instanz, vorzugsweise zu einem internationalen Gerichtshof. Recht besehen wird damit aber die Existenz eines materiellen subjektiven Rechts davon abhängig

22 Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten – Einleitung in die Rechtslehre (1797/98), in: Weischedel (Hrsg.), Bd. 8, 9. Aufl., 1991, 337 (s. auch Einleitung in die Metaphysik der Sitten, I., 317). 23 Epping (Fn. 18), 96 f., formuliert etwa: „Eine völkerrechtliche Individualberechtigung liegt […] in der Regel nur dann vor, wenn dem Individuum durch eine Völkerrechtsnorm unmittelbar die Befugnis eingeräumt wird, von einem Staat in einem völkerrechtlichen Verfahren ein bestimmtes Verhalten zu verlangen.“ Vgl. auch Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl., 2004, § 2 Rdnr. 246 f. („Klagebefugnis“); Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, 374 (notwendig sei eine „actio“). 24 s. z.B. die Beschwerdemöglichkeit nach Art. 34 EMRK. 25 Vgl. Epping (Fn. 18), Rdnrn. 9 ff.; s. zur ursprünglichen Lage unter der EMRK, wenn ein Staat sich der Gerichtsbarkeit des EGMR nicht unterworfen hatte: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 1985, Art. 31, 425.

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gemacht, dass der Rechtsinhaber ein prozessuales subjektives Recht26 hat: nämlich das Recht, sein materielles Recht gegenüber dem materiell-rechtlich Verpflichteten vor einer internationalen Instanz geltend zu machen, den Verpflichteten also vor diese Instanz zu ziehen und von ihr zu verlangen, dass sie prüft, ob der Verpflichtete das Recht verletzt hat, zumindest aber feststellt, was dem Verpflichteten obliegt. Die Zirkularität der Konstruktion liegt auf der Hand: Ein subjektives materielles Recht wird nur in Abhängigkeit von einem subjektiven prozessualen Recht anerkannt; dieses prozessuale Recht aber müsste selbst ein subjektives Recht des Einzelnen sein und darum konsequenterweise, um anerkannt werden zu können, wiederum mit der Rechtsmacht zu seiner Durchsetzung versehen sein.27 Dies muss zu einem regressus ad infinitum führen und erweist die Anforderung als nicht haltbar. Die subjektive Rechtsqualität kann folglich nicht davon abhängen, dass dem Einzelnen zugleich mit einer rechtlichen Begünstigung die Rechtsmacht zur Durchsetzung verliehen wird.28 Könnte dann aber alles ganz einfach sein? Könnte es sein, dass, wenn Völkerrechtsnormen Menschenrechte formulieren, schlicht ihr Sinn und Zweck zwingend verlangen, dass diese Menschenrechte dem einzelnen Menschen als subjektive Rechte zugeordnet werden? *

These 3 Das Telos des Menschenrechtsschutzes weist zwar die Richtung, völkerrechtliche Verträge so zu verstehen, dass sie unmittelbar selbst Menschenrechte als subjektive Rechte gewähren. Doch reicht dieses Telos – zumal isoliert und „objektiv“– für sich genommen nicht hin, um klare Schlüsse zu ziehen.

Der Schluss vom Telos auf die subjektive Rechtsqualität besticht – zunächst. Ein vollwertiges Recht scheint ja nur verliehen zu sein, wenn es dem Begünstigten tatsächlich zusteht, ihm zugeordnet ist und seine Geltendmachung nicht einem Dritten überantwortet ist, der sich paternalistisch fürsorglich der Sache des Begünstigten als seiner eigenen Angelegenheit annimmt. Um den Einzelnen in nicht-paternalistischer Weise zu begünstigen stehen aber im Völkerrecht grundsätzlich zwei Wege offen: Zum einen könnte dem Einzelnen unmittelbar kraft Völkerrechts ein subjektives Recht verliehen werden. Dies hätte zunächst den Vorteil, den Einzelnen auch gegenüber internationaler öffentlicher Gewalt zu schützen, soweit diese zur Achtung des subjektiven Individualrechts verpflichtet ist – eine Problematik, auf die durch gegen Einzelpersonen gerichtete „smart sanctions“ des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (einschließlich deren Umsetzung durch die Europäische Union) ein Schlaglicht 26 Vgl. auch Peters (Fn. 1), 426 sowie die Unterscheidung von substantive rights und procedural rights bei Cassese (Fn. 16), 146 ff. 27 Vgl. Art. 34 S. 2 EMRK. 28 Ähnlich Peters (Fn. 1), 425 ff. Vgl. auch Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, 579 ff.; Doehring (Fn.23), § 2 Rdnr. 247; Lauterpacht, International Law and Human Rights, 1950, 27, 48, 61, 159 f.

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gefallen ist.29 Solcher Schutz kann – wenn er nicht wie im Fall der EU über organisationsinternes Recht30 geleistet wird31 – nur (allgemein) völkerrechtlicher Natur sein. Das Recht völkerrechtlich garantierter Menschenrechte bleibt allerdings, solange und soweit es an individuellem Rechtsschutz – insbesondere Zugang zu einer rechtlich-gerichtsförmig, nicht politisch entscheidenden Beschwerdeinstanz – gegen diese internationale öffentliche Gewalt fehlt, in seiner prozessualen32 Dimension ein Verhältnis der Willkür auf den bloßen Wunsch,33 was gerade bei den Sanktionen der Vereinten Nationen ein Problem darstellt.34 Überdies sind internationale Organisationen, die auf internationaler Ebene eigene öffentliche Gewalt ausüben könnten, in der Regel nicht selbst unmittelbar an Menschenrechtsverträge gebun-

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Gerade dass die Vereinten Nationen an vertraglich garantierte Menschenrechte nicht gebunden sind, bereitet dabei besondere Probleme. So stellten noch EuG v. 21. 9. 2005, Rs. T306/01, T 315/01 – Yusuf u. a., Slg. 2005, II-3533 und 3649 auf eine inzidente Überprüfung des Sicherheitsratsbeschlusses auf Konformität mit ius cogens ab, dagegen gewährte jedoch EuGH v. 3. 9. 2008, Rs. C-402/05 P – Kadi, Slg. 2008, I-6351 umfassenden Rechtsschutz gegen EU-Maßnahmen in Befolgung eines UN-Sicherheitsratsbeschlusses. 30 Welches im Falle der EU jedenfalls vom EuGH nicht (mehr) als Teil des Völkerrechts angesehen wird; s. EuGH v. 15. 07. 1964, Rs. 6/64, – Costa v. E.N.E.L., Slg. 1964, 1253 (1269), („eine eigene Rechtsordnung“), s. auch Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 71; vgl. aber EuGH v. 05. 2. 1963, Rs. 26/62,– van Gend& Loos, Slg. 1963, 3 (25) („eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts“); s. auch Schweitzer, Staatsrecht III, 10. Aufl., 2010, Rdnrn. 323 ff.; Scholz, Die Antiterrorliste des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, NVwZ 2009, 287 (288) („Die EG als self-contained Regime“). 31 s. Art. 6 EUV, inbes. dessen Abs. 1 i.V. m. der Grundrechte-Charta sowie dessen Abs. 3 i.V. mit der Rspr. seit EuGH v. 12. 11. 1969, Rs. 29/69 – Stauder, Slg. 1969, 419, Rdnr. 7; v. 14. 05. 1974, Rs. 4/73 – Nold, Slg. 1974, 491, Rdnr. 13; v. 13. 12. 1979, Rs. 44/79 – Liselotte Hauer, Slg. 1979, 3727, Rdnr. 17 ff.; vgl. auch EuGH v. 28. 10. 1975, Rs. 36/75 – Rutili, Slg. 1975, 1219, § 32. 32 Also nicht in seiner materiell-rechtlichen Dimension. 33 Insofern hat der Gedanke, eine begünstigende Pflicht müsse mit der Rechtsmacht zur Durchsetzung von deren Erfüllung verkoppelt sein, durchaus seine – praktische, wie gesehen aber für die Begründung eines subjektiven Rechts nicht konstitutive – Berechtigung: Zu Recht würde der realistisch und pragmatisch denkende traditionelle Völkerrechtler fragen: Was nützt es denn dem Einzelnen, wenn man ihm sagte, er habe ein „subjektives Recht“, wenn er es – etwa als Fremder gegenüber seinem Aufenthaltsstaat – selbst nicht zur Geltung bringen und durchsetzen kann? Wenn er dazu auf das Wohlwollen eines Dritten, seines Heimatstaates, angewiesen ist? 34 So besteht die Möglichkeit, beim Büro des UN Ombudsmannes oder mit Hilfe des Heimatstaates einen Antrag auf Überprüfung der Auflistung in der smart sanctions Liste zu stellen, der vom Ombudsmann oder der nationalen Regierung im Sanktionsausschuss vorgetragen wird, s. Guidelines of the Committee for the Conduct of its Work, 30. 11. 2011, Abschnitt Nr. 6 („De-listing“), , jedoch findet keine gerichtliche Überprüfung statt, dazu: Haltern, Gemeinschaftsgrundrechte und Antiterrormaßnahmen der UNO, JZ 2007, 537 (542); Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Sicherheitsrats, Möglichkeiten und Grenzen, ZaöRV 2004, 343 (344).

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den.35 Diese binden in erster Linie die Staaten. Gerade die Staaten sind aber im Regelfall auch diejenigen, welche gegenüber Einzelnen (ihre, staatliche) Hoheitsgewalt ausüben. Den Einzelnen kommt dann die Existenz subjektiver Menschenrechte auf Völkerrechtsebene jedenfalls insoweit zugute, als sich staatliche Rechtsordnungen für Völkerrechtsnormen – der Lehre des Monismus folgend36 – unmittelbar öffnen. Für das Völkergewohnheitsrecht37 enthalten sogar die meisten Rechtssysteme eine Vorschrift, kraft derer dieses innerstaatlich ipso facto, also allein infolge seiner Entstehung im Völkerrechtsraum beachtlich wird.38 Soweit staatliches Recht Völkerrechtsnormen auf diese (monistische) Weise unmittelbar erschließt, werden diese Normen – anders als nach Theorien des Dualismus – nicht in nationales Recht „umgegossen“, behalten also ihre Rechtsqualität: Was schon das Völkerrecht als subjektives Recht gewährleistet, ist zugleich innerstaatlich subjektives Recht – was, zumal in Rechtsstaaten, grundsätzlich bedeutet, dass es auch rechtlich durchsetzbar ist.39 Insofern wird das Telos des Menschenrechtsschutzes dadurch befördert, dass schon auf völkerrechtlicher Ebene subjektive Menschenrechte existieren. Doch schreibt das Völkerrecht – und damit kommen wir zu dem zweiten Weg nicht-paternalistischer Begünstigung des Einzelnen – den Staaten nicht vor, ihre Rechtsordnungen monistisch zu konstruieren und alle Völkerrechtsnormen ohne weiteres als Bestandteil ihres internen Rechts anzusehen. Staatliche Hoheitsgewalt muss nur im sachlichen Einklang mit den Anforderungen des Völkerrechts ausgestaltet sein und ausgeübt werden. Ein Staat kann dies auch dualistisch leisten, indem er Völkerrecht in nationales Recht umwandelt – mit der Folge, dass der Einzelne sich dann auf ein unmittelbar im Völkerrecht geschaffenes subjektives Recht als solches nicht berufen kann. Hängt aber die Wirksamkeit völkerrechtlicher Menschenrechte 35 s. aber Art. 59 Abs. 2 EMRK, Art. 6 Abs. 2 EUV und die Bemühungen um einen Beitritt der EU zur EMRK (s. dazu: Steering Committee for Human Rights (CDDH) (Hrsg.), Report to the Committee of Ministers on the elaboration of legal instruments for the accession of the European Union to the European Convention on Human Rights, CDDH(2011)009, 14. 10. 2011, . 36 s. zu den Theorien von Dualismus und Monismus statt vieler: Magiera, Dualismus und Monismus, in: Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 2. Aufl., 1979, 49 ff. 37 Die menschenrechtlichen ius-cogens-Normen des Völkerrechts binden auch internationale Organistionen, einschließlich der Vereinten Nationen; s. EuG v. 12. 07. 2006, Rs. T-49/04 – Hassan, Slg. 2006, II-52, Rdnr. 116 („Ius Cogens – verstanden als internationales ordre public, der für alle Völkerrechtssubjekte einschließlich der Organe der UNO gilt“), EuG v. 30. 09. 2010, Rs. T-85/09 – Kadi, Slg. 2010, II-214, Rdnr. 39. 38 Cassese (Fn. 16), 224. 39 So rezipiert Art. 25 GG völkergewohnheitsrechtlich gewährleistete Menschenrechte unmittelbar für die deutsche Rechtsordnung, was bewirkt, dass auf Grund von Art. 19 Abs. 4 GG zu ihrer Durchsetzung innerstaatliche Rechtsschutzmechanismen aktiviert werden. Deren Existenz ist dabei nicht unmittelbar Voraussetzung für das Bestehen einer Position als eines subjektiven Rechts, was Art. 19 Abs. 4 GG selbst gerade zeigt, da er für jedes subjektive öffentliche Recht den Rechtsweg garantiert; die Existenz subjektiver öffentlicher Rechte liegt der Rechtsschutzgarantie also voraus.

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nicht unerheblich von der Möglichkeit ab, sie gegenüber dem Staat – also innerstaatlich, zumal vor nationalen Gerichten – geltend zu machen, dann wird das Telos des Menschenrechtsschutzes durchaus befördert, wenn Staaten völkerrechtlich verpflichtet werden, in ihrem internen Recht subjektive Rechte zu schaffen, die bestimmten völkerrechtlichen Menschenrechtsanforderungen entsprechen.40 Die bewusst über nationale Rechtsetzung vermittelte Wirkung völkerrechtlicher Menschenrechtsstandards kann der gute Sinn völkerrechtlicher Verträge sein,41 gerät doch gerade typischerweise Staatsgewalt42 in Konflikt mit Menschenrechten. Allein teleologische Überlegungen reichen folglich nicht aus, um Normen des Völker(vertrags) rechts als unmittelbare Gewährungen subjektiver Rechte zu verstehen. Dass (selbst wenn sie in der Formulierung eines „Rechts“ zum Ausdruck gebracht wird) mehr als eine Begünstigung des Einzelnen erforderlich ist, um ein subjektives Recht zu begründen, hat der Sache nach offenbar auch der Internationale Gerichtshof angenommen. Denn er hat nicht nur auf die Verwendung der Worte „his rights“ hingewiesen, sondern darüber hinaus hervorgehoben, dass nach Art. 36 Abs. 1 lit. c WÜK der Entsendestaat konsularische Unterstützung nicht leisten dürfe, „if he [der in Gewahrsam Genommene] opposes such action“.43 Dies führt hin zu meiner vierten These: *

These 4 Rechtstheoretisch lässt es sich als maßgeblich für ein subjektives Recht verstehen, dass demjenigen, der durch eine Pflichten begründende Norm begünstigt wird, die Befugnis eröffnet wird, die Erfüllung der Verpflichtung durch den In-die-PflichtGenommenen nach eigener Willkür etwa durch eine entsprechende Willensäußerung („Geltendmachung des Rechts“) auszulösen. Doch erscheint es nicht völlig unproblematisch, dies stets und zumal im Bereich des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes als konstitutives Merkmal eines subjektiven Rechts zu fordern.

Versucht man, die Struktur eines subjektiven Rechts rechtstheoretisch zu beschreiben, so wird die Grundlage des Rechts einer Person durch eine Pflicht gebildet, die einer dritten Person auferlegt ist. Diese Pflicht kann in einem Unterlassen, Dulden oder Tun bestehen. Um als Grundlage eines Rechts zu taugen, muss die Erfüllung der Pflicht durch die dritte Person zugleich die erste Person begünstigen.44 Das allein aber reicht nicht hin, um dieser ein Recht gegen den Dritten zu geben, könnte die

40 Dies lässt sich auch an dem Erfordernis der Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe als Voraussetzung für den Zugang zu internationalen Rechtsschutzinstanzen ablesen (s. etwa Art. 35 Abs. 1 EMRK; Art. 46 Abs. 1 lit. a AMRK; Art. 2 des 1. Fakultativprotokolls zum IPbürg). 41 Epping (Fn. 18), 98. 42 Und nicht die Gewalt internationaler Organisationen. 43 s.o. im Haupttext nach Fn. 9. 44 Wenn man so will, muss die Erfüllung der Pflicht also im Interesse der ersten Person liegen.

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Begünstigung doch schlicht als Reflex der Pflicht angesehen werden.45 Wer ein Recht innehat, das liegt auf der Hand, muss zumindest in der Lage sein, es in eigenem Namen geltend zu machen. Diese „Geltendmachung“ kann man dahin verstehen, dass demjenigen, der durch eine Pflichten begründende Norm begünstigt wird, die Befugnis eröffnet wird, die Erfüllung der Verpflichtung durch den normativ Indie-Pflicht-Genommenen nach eigener Willkür, etwa durch eine entsprechende Willensäußerung, auszulösen.46 Die Aktivierung der Pflicht steht in seiner Macht. Hierauf deutet es hin, wenn der IGH im LaGrand-Fall darlegt, dass gegen den Willen eines In-Gewahrsam-Genommenen konsularische Hilfe nicht geleistet werden darf: Der Betroffene selbst entscheidet darüber, ob er sie in Anspruch nehmen will. Er hat es auf Grund von Art. 36 WÜK in der Hand, die Pflicht des Aufenthaltsstaates auszulösen, die konsularische Unterstützung durch den Entsendestaat (und Heimatstaat des Betroffenen) zu ermöglichen (indem er pflichtgemäß die zuständigen Stellen des Entsendestaates benachrichtigt, Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK) und entsprechende Aktivitäten des Entsendestaates zu dulden (Art. 36 Abs. 1 lit. c WÜK). Die Benachrichtigung des Entsendestaats und dessen Unterstützung darf dem Betroffenen aber nicht aufgedrängt werden.47 Dafür, dass mit einer Pflicht mehr als ein bloßer begünstigender Reflex verbunden ist, erscheint folglich als maßgeblich, dass der Begünstigte über die Erfüllung der Pflicht durch den Dritten – demgegenüber der Begünstigte mithin ein Recht hat – zu disponieren befugt ist. Menschenrechtlich gesehen sind die Verpflichteten jeweils Träger von Hoheitsgewalt. Nach der Art der Pflichten48 prägen sich verschiedene korrespondierende Rechte aus: Mit einer Pflicht zu dulden (einem Ausschnitt von duties to respect) sind Freiheitsrechte im Sinne von Handlungsfreiheiten, mit der Pflicht zu einem positiven Tun schon traditionell etwa prozessuale Garantien (wie etwa das Recht auf rechtliches Gehör) oder inzwischen auch Schutzansprüche (Ansprüche auf Erfüllung von Schutzpflichten, von duties to protect), unter Umständen auch sonstige Pflichten (duties to fulfil) zu fördernder (duty to promote) oder ermöglichender Leistung (duty to facilitate) oder im Extremfall gar zu versorgender Gewährung (duty to provide)

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Vgl. auch Epping (Fn. 18), Rdnr. 5. Vgl. zur „Willenstheorie“ des subjektiven Rechts: Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 8. Aufl., 1900, 130 f. 47 s. auch Schomburg/Schuster, Unterlassene Informationen nach Art. 36 WÜK – Anmerkungen zur aktuellen Rechtsprechung, NStZ 2008, 593 mit Verweis auf BVerfG, NJW 2007, 499. 48 s. zum Folgenden: Eide, Realization of Social and Economic Rights and the Minimum Threshold Approach, HRLJ 10 (1989), 35 (41); Shue, Basic Rights, 1980, 52 f., 55 ff.; De Schutter, International Human Rights, 2010, 241 ff. m.w.N. – insbes. mit dem Hinweis auf Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comments No. 12 (§§ 14 ff.), No.13 (§§ 43 ff.). 46

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verkoppelt.49 Unterlassungspflichten (duties to respect) bilden die Grundlage von Abwehrrechten, insbesondere von Integritätsrechten wie z. B. dem Recht auf Leben oder dem Recht, nicht gefoltert zu werden (zumeist freilich nur von der Pflichtenseite als Folterverbot angesprochen). Gerade bei Menschenrechten, die ein Integritätsinteresse schützen (Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, [Fort-]Bewegungsfreiheit) oder vor Extremformen des Unrechts (Folter) bewahren sollen, erscheint es nicht als völlig unproblematisch, stets als konstitutives Merkmal subjektiver Rechte zu fordern, dass die korrespondierende Pflicht durch „Geltendmachen“ ausgelöst werde. Vom Schutzzweck der Integritätsrechte her muss die Unterlassungspflicht vielmehr grundsätzlich ständig aktiviert sein; der Verpflichtete hat von Rechts wegen davon auszugehen, dass jeder Beeinträchtigung der Integrität der Wille des Rechtsinhabers entgegensteht, ohne dass dieser einen solchen Willen bekunden müsste; allenfalls kann im Einzelfall eine Einwilligung des Inhabers eines Integritätsrechts die Pflicht zum Unterlassen einschränken und einen Eingriff in die Integrität zulassen.50 Die Dispositionsbefugnis kann – wie dies beim Folterverbot anzunehmen ist – sogar gänzlich ausgeschlossen sein. Dennoch entspricht dem sogar als ius cogens geltenden Folterverbot ein subjektives Recht, nicht gefoltert zu werden. Gewiss muss auch insoweit der Einzelne imstande sein, die Einhaltung des Rechts als seines eigenen Rechts einzufordern. Eine solche Geltendmachung aktiviert aber die – etwa mit dem Recht, nicht gefoltert zu werden – korrespondierende Pflicht nicht, sondern hat insoweit rein deklaratorischen, wohl genauer: assertorischen Charakter. Die Geltendmachung gewinnt jedoch einen besonderen Zug, wenn sie in ein Rechtsschutzverfahren eingebracht werden kann; dann hat sie Relevanz für ein etwa bestehendes prozessuales subjektives Recht darauf, einer Instanz die Behauptung, in einem (Menschen-)Recht verletzt zu sein, zu unterbreiten und den Verletzer in dieses Rechtsschutzverfahren zu zwingen, von ihm zu verlangen, sich wegen der angeblichen Verletzung zu verantworten. Insoweit wird mit der prozessualen Geltendmachung einerseits (deklaratorisch) auf die Geltung des materiellen Menschenrechts verwiesen und andererseits die mit dem prozessualen (Beschwerde-)Recht korrespondierende Pflicht der Instanz, sich mit dem Fall zu befassen, und die Pflicht des angeblichen Verletzers, Rede und Antwort zu stehen, konstitutiv ausgelöst, wovon aber die Geltung des materiellen Rechts nicht abhängt. Dies weist darauf hin, dass mit der Dispositionsbefugnis – verstanden als nicht nur deklaratorisches, pflichtenbehauptendes, sondern pflichtenauslösendes Geltendmachen – ein lediglich in der Regel gegebenes Merkmal eines materiellen subjektiven

49 Zur subjektiven Rechtsqualität sozialer Grundrechte: Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards: Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen, 1986, 360 ff. 50 Damit ist natürlich jedenfalls nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass die Unterlassungspflicht auch aus Gründen ihrer normativen Einschränkung – dogmatisch meist als Eingriffsrechtfertigungen oder Schranken des Rechts bezeichnet – überwunden werden kann.

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Menschenrechts gefunden ist, noch nicht jedoch das entscheidende, notwendige und hinreichende Kriterium. Hinzu kommt noch Folgendes: Auf die Möglichkeit zur Geltendmachung abzustellen, um ein subjektives Recht von einer reflexiven Begünstigung abzugrenzen, erscheint gerade im Völkerrecht insofern als gefährlich zirkulär, als die subjektive Rechtsfähigkeit (auf welcher die Handlungsfähigkeit erst aufsetzt) weniger als Potential verstanden denn davon abhängig gemacht wird, dass einer Person mindestens ein subjektives Recht tatsächlich zugewiesen ist: Wenn in die Definition der Rechtsfähigkeit über die Zuschreibung (mindestens) eines subjektiven Rechts aber die Fähigkeit zur selbständigen Geltendmachung der korrespondierenden normativen Verpflichtung einbezogen wird, wird ein Aspekt der Handlungsfähigkeit vorweggenommen. Und es scheint – ähnlich wie beim oben abgelehnten Erfordernis der Rechtsmacht zur Durchsetzung – die Existenz subjektiver Rechte des Individuums davon abzuhängen, inwieweit Staaten als Hauptakteure des Völkerrechts bereit sind, dem Einzelnen „auf Augenhöhe“ zu begegnen und als zumindest bedingt oder partiell „ebenbürtig“ anzuerkennen. Lehnen die Staaten dies ab, bricht auch die Konstruktion des subjektiven Rechts zusammen. Entscheidend muss daher etwas anderes sein. *

These 5 Wesentlich für die subjektive Rechtsqualität einer Pflichten begründenden Norm ist die Zuordnung der in der Norm aufgestellten Verpflichtung zu einem von der Erfüllung dieser Verpflichtung begünstigten Individuum in einer Weise, die deutlich macht, dass diesem Individuum eine über einen reinen Rechtsreflex hinausgehende Begünstigung zukommen soll.

Mit dieser fünften These sind wir offenbar zum Ausgangspunkt der vierten These zurückgekehrt – womit es so scheinen könnte, als seien wir auf der Stelle getreten. Doch haben wir immerhin gesehen, dass die Existenz eines subjektiven, dem Einzelnen unmittelbar51 zustehenden (Menschen-)Rechts weder von der Rechtsmacht zur Durchsetzung noch von der Dispositionsbefugnis (i.S. eines Erfordernisses pflichtenauslösender Geltendmachung) abhängen kann. Beide Aspekte sind aber hilfreich, wenn wir verstehen wollen, was – in Kontrast zu einer subjektivrechtlichen Gewährleistung – unter einem bloßen Rechtsreflex52 zu verstehen ist. Allgemein lässt sich zunächst sagen, eine rechtliche Pflicht begünstige eine Person bloß reflexiv, wenn diese „zufällig“ von der Einhaltung der Rechtspflicht profitiert; „zufällig“ meint dabei, dass ihre Begünstigung bei der Aufstellung der Pflicht nicht vorgesehen, nicht intendiert war (ihr also weder zur Disposition steht noch von ihr durchgesetzt werden kann) – etwa dass der zwischen zwei Staaten vertraglich vereinbarte Ausschluss militärischen Schiffsverkehrs in Grenzgewässern dazu führt, dass sich die 51

Also insbes. nicht durch innerstaatliche Rechtssetzung vermittelten. Vgl. Röhl/Röhl (Fn. 23), 374, die auf die klassische Formulierung der „Reflexwirkung“ durch von Ihering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Teil 3, 5. Aufl., 1906, 351, hinweisen. 52

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Fischbestände dort erholen und die Fischer reicheren Fang einfahren. Eine Begünstigung kann aber auch deshalb als rein reflexiv erscheinen, weil sie durch Faktoren vermittelt wird, die zu der Pflichterfüllung an sich hinzutreten – das soeben gegebene Beispiel des begrenzten Schiffsverkehrs gibt auch insoweit Anschauung; man kann sich aber etwa auch vorstellen, dass die Erfüllung der in einem Verwaltungsabkommen übernommenen Verpflichtung, auf einer Transitroute zwischen zwei Staaten die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung strenger zu überprüfen und zu sanktionieren, zu größerer Disziplin der Verkehrsteilnehmer, in der Folge zu weniger Unfällen und damit zu einem besseren Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit führt. Die Antwort auf die Frage, ob eine Begünstigung nur mittelbar bewirkt wird, hängt dabei vielfach von Wertungen ab: Soll die zwischen Staaten bindend vereinbarte Abschaffung von Zöllen auf Waren mit Ursprung in einem dieser Staaten lediglich die Vertragsparteien begünstigen und Rechte und Pflichten im Staatenverhältnis schaffen oder unmittelbar – und damit Rechte begründend – auch zugunsten der einzelnen am grenzüberschreitenden Handel interessierten privaten Marktsubjekte gelten?53 Und speziell auf Menschenrechte bezogen stellt sich wie gesehen häufig die Frage: Soll das Abkommen zum Schutz bestimmter Menschenrechte die angesprochenen Einzelnen unmittelbar begünstigen und ihnen schon im Völkerrecht Rechte verleihen, oder ist es dahin auszulegen, dass die Vertragsstaaten je in ihrer nationalen Rechtsordnung bestimmte Rechte schaffen? Diese Überlegungen zeigen zugleich: Um die Grenze zwischen bloßem Rechtsreflex und der Verleihung subjektiver individueller Rechte zu ziehen, bedarf es der Interpretation der einschlägigen völkerrechtlichen Normen, insbesondere auch des Vertragsrechts. Insoweit spielen die Intentionen der Vertragsparteien eine Rolle, die in Ziel und Zweck des Vertrags eingeflossen sind, wesentlich aber ihren Niederschlag im Vertragstext gefunden haben müssen (s. Art. 31 Abs. 1 WÜV).54 Die Erörterung bis hierher hat eine Reihe von Gesichtspunkten beleuchtet, die bei dieser Auslegung Bedeutung erlangen können – ohne je für sich zwingend für die Existenz eines subjektiven Rechts gefordert zu sein: a) Wird schon auf völkerrechtlicher Ebene eine Pflicht erst dadurch konstitutiv ausgelöst, dass, wie dies nach Art. 36 WÜK der Fall ist, der Begünstigte sein korrespondierendes Recht dem Verpflichteten gegenüber geltend macht, spricht dies für die Gewährung eines subjektiven Rechts. Eine solche konstitutive Dispositionsbefugnis ist ein wichtiges Indiz für ein subjektives Recht. b) Wo schon im Völkerrecht selbst dem Einzelnen ein Verfahren eröffnet wird, das ihm ermöglicht, im eigenen Namen eine internationale Instanz mit der Behauptung zu befassen, eine ihn begünstigende Pflicht sei nicht erfüllt worden, und das verpflichtete Rechtssubjekt vor diese Instanz zu ziehen, wird ein prozessuales subjektives Recht geschaffen, das an eine materielle Rechtslage anknüpft, von der sich dadurch erweist, dass sie dem beschwerdebefugten Einzelnen ein (materielles) subjek53 54

s. o. in Fn. 4. Art. 36 WÜV wird eingehend und sorgfältig untersucht von Grzeszick (Fn. 5), 318 ff.

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tives Recht verleiht. Ist diese Verkoppelung von materiellem und prozessualem Recht aber keine notwendige Bedingung, so spielt die konkrete Ausgestaltung des Rechtsschutzverfahrens eine eher untergeordnete Rolle: Insbesondere schadet es nicht, wenn der Einzelne die Individualbeschwerde nur vor einem aus Staatenvertretern zusammengesetzten Gremium erheben kann, das selbst erst das Recht hat, einen Fall einem internationalen Gericht zu unterbreiten.55 Der indiziellen Relevanz des Prozessrechts für das materielle Recht tut es auch keinen Abbruch, wenn am Ende des Verfahrens lediglich eine (gerichtliche) Feststellung einer materiellen Rechtsverletzung steht und ein aus Staatenvertretern zusammengesetztes politisches Gremium über die „Durchführung“ des Urteils wacht. Verständlich wird auch, dass die Einrichtung von „treaty bodies“, denen Einzelne „communications“ mit Beschwerden über „Rechts“-Verletzungen unterbreiten können, selbst dann einen wichtigen Hinweis auf die subjektive Rechtsqualität dieser „Rechte“ geben, wenn die Komitees in Form von „views“ oder „recommendations“ nicht mehr als unverbindliche Stellungnahmen abgeben können.56 c) Schließlich sollte der Blick frei bleiben, aus dem Völkerrechtskontext einer Norm andere Hinweise auf die Verleihung eines subjektiven Rechts – im Sinne einer Zuordnung einer Rechtsposition zu einem Individuum – aufzuspüren. Aufschlussreich sein können Normen, die Rechtsfolgen von Verletzungen regeln. Insbesondere spricht es für die Existenz eines subjektiven Rechts, wenn für den Fall seiner Verletzung Pflichten zur Wiedergutmachung oder Entschädigung bestehen. Deutlich wird dies an Art. 41 EMRK, wonach der Gerichtshof, wenn er feststellt, dass die Konvention oder ihre Protokolle verletzt worden sind, das innerstaatliche Recht des beklagten Staates aber nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung gestattet, eine gerechte Entschädigung zuspricht, wenn dies notwendig ist. Der Beweis der subjektiven Rechtsqualität der EMRK-Gewährleistungen muss nicht geführt werden. Hinzuweisen ist aber darauf, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Konventionsrechte auch dann für verletzt gehalten hat, wenn im Gefolge eines substantiellen Verstoßes der betroffene Einzelne in nicht zu rechtfertigender Weise gehindert wurde, nach innerstaatlichem Recht – insbesondere deliktsrechtlichen – Ersatz seines Schadens zu erlangen.57 Die Kompensation des Einzelnen für eine Verletzung – wenn auch im innerstaatlichen Recht – wird konventionsrechtlich für beachtlich gehalten. Dass sie dem Einzelnen als Verletztem zu leisten ist,58 zeigt, dass die verletzte (durch die EMRK begründete!) Position ihm per55

So die Rechtslage unter der EMRK vor Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls (s. Art. 24 ff., 44, 47, 48 lit. a EMRK a.F.) und ähnlich noch heute unter der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (s. insbes. deren Art. 44 ff., 48, Art. 61 Abs. 1 und 2). 56 s. Riedel, Universeller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, in: Koenig/Lorz (Hrsg.), Eibe Riedel – Die Universalität der Menschenrechte: philosophische Grundlagen, nationale Gewährleistungen, internationale Garantien, 2003, 104 ff., inbes. 121 f. 57 s. das Urteil in der Sache Storck/Deutschland, EGMR, NJW-RR 2006, 308 (312). 58 Anders wäre nach Völkerrecht die Lage bei einer Entschädigung, die ein Verletzerstaat auf die Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat des Verletzten hin leistet.

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sönlich, individuell und unmittelbar zugeordnet wird und keinen bloßen Rechtsreflex darstellt. Entsprechende Schlüsse dürften aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 der UN-Folterkonvention zu ziehen sein, wonach jeder Vertragsstaat in seiner Rechtsordnung sicherstellt, dass das Opfer einer Folterhandlung Wiedergutmachung erhält und ein einklagbares Recht auf gerechte und angemessene Entschädigung einschließlich der Mittel für eine möglichst vollständige Rehabilitation hat.59 Dieser dritte Punkt leitet weiter zur praktischen Relevanz der Anerkennung des Einzelnen als Völkerrechtssubjekt, dem schon völkerrechtlich Rechte verliehen sind.60 Innerstaatlich kann das (nationale) Deliktsrecht, insbesondere wenn sich die nationale Rechtsordnung monistisch für die unmittelbare Geltung des Völkerrechts öffnet, an die Verletzung eines völkerrechtlich verliehenen subjektiven Rechts anknüpfend einen Schadensersatzanspruch61 begründen.62 Monistisch konstruierte staatliche Rechtsordnungen müssten auch unproblematisch die mögliche Verletzung eines völkerrechtlichen Individualrechts als ausreichend anerkennen, um im nationalen Gerichtsverfahren die Klagebefugnis des Betroffenen oder sein „standing“ zu begründen. Auf völkerrechtlicher Ebene folgt daraus, dass eine menschenrechtliche Position dem Einzelnen als subjektives Recht zugeordnet ist, dass dessen Heimatstaat allein nicht dispositionsbefugt ist, d. h.: weder auf diese Position63 verzichten noch in eine Beeinträchtigung einwilligen kann, und dass das subjektive Individualrecht von allen Verpflichteten auch dann zu respektieren ist, wenn kein Staat es geltend macht.64 Der Schutz Staatenloser verbessert sich dadurch jedenfalls materiell-rechtlich, obgleich Völkerrechtlich wird diese Entschädigung – jedenfalls traditionell – nicht dem verletzten Individuum, sondern dem Staat zugeordnet, der über sie frei verfügen kann; s. Verdross/Simma (Fn. 18), 878. 59 Vgl. auch Art. 6 Abs. 2 der Erklärung über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen, Res. 53/144 der UN-Generalversammlung vom 9. 12. 1998; Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen, Res. 43/173 der UN-Generalversammlung vom 9. 12. 1988. 60 Vgl. aber die skeptische Position von Grzeszick (Fn. 5), 335 ff. 61 Im deutschen Recht ist in erster Linie an Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG zu denken, nur bei einer unmittelbaren Drittwirkung von Menschenrechten käme man zur Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB, sofern man das Menschenrecht als „sonstiges Recht“ verstünde. § 823 Abs. 1 BGB bietet aber das „Muster“ des deliktischen Schutzes, an den hier gedacht ist. 62 Die Gerichtsbarkeit der nationalen Gerichte ist unproblematisch gegeben, soweit sich der Anspruch gegen den Forumstaat richtet. Im Übrigen entstehen freilich Probleme der Staatenimmunität. 63 Soweit sie disponibel ist; s. dazu o. bei Fn. 46 ff. 64 Diese Überlegung gilt unabhängig davon, ob das Menschenrecht vertraglich oder gewohnheitsrechtlich begründet worden ist.

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natürlich der Einwand der mangelnden Durchsetzbarkeit nahe liegt. Aber selbst wenn im Fall einer Verletzung der Einzelne noch des diplomatischen Schutzes seines Heimatstaates bedarf, ist die Existenz eines dem Einzelnen zustehenden Rechts, wie der LaGrand-Fall zeigt, rechtlich relevant. Hat ein Staat nicht nur gegen Verpflichtungen gegenüber dem Heimatstaat, sondern auch unmittelbar gegenüber dem Einzelnen verstoßen, wiegt der Rechtsbruch umso schwerer.

Bridging the Public Interest Divide: Committee Assistance for Investor-Host State Compliance with the ICESCR By Bruno Simma and Diane A. Desierto

A. Introduction: The ICESCR and Investor-State Disputes International economic, social and cultural rights have only very recently begun to surface in contemporary international investment treaty design and arbitral reasoning.1 The first arbitral pronouncement referring to human rights in a more than cursory manner was that of the ICSID tribunal in the 2010 Suez and others v. Argentina award, which declared that Argentina was “subject to both international obligations, i. e. human rights and treaty obligations, and must respect both of them equally. Under the circumstances of these cases, Argentina’s human rights obligations and its investment treaty obligations are not inconsistent, contradictory, or mutually exclusive.”2

Leaving this pronouncement aside, however, there has not yet been an arbitral decision that fully and squarely adjudicates the issue of a State’s fulfillment of human rights obligations alongside investment treaty obligations. This is in part a consequence of the infrequent invocation of human rights obligations by litigants, the rare admission of amici curiae in arbitral proceedings, textual limitations within treaty provisions that cannot be redressed by resort to relevant external rules, or at times, a fundamental predisposition against so-called “unscientific” normative mergers

1 For some recent proposals to consider the ICESCR in international investment law interpretation, arbitration, and treaty design, see B. Simma, “Foreign Investment Arbitration: A Place for Human Rights?”, (July 2011) 60 International and Comparative Law Quarterly 573; D. A. Desierto, “Calibrating Human Rights and Investment in Economic Emergencies: Prospects of Treaty and Valuation Defenses”, Manchester Journal of International Economic Law (September 2012, forthcoming); D. A. Desierto, “ICESCR Minimum Core Obligations and Investment: Recasting the Non-Expropriation Compensation Model during Financial Crises”, George Washington International Law Review (forthcoming December 2012). 2 Suez and others v. Argentina, Decision on Liability, ICSID Case No. ARB/03/19, 30 July 2010, para. 262.

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across treaty regimes.3 The silence of arbitral awards on the subject could also be explained by the nascent nature of anything resembling a discourse on the paradigmatic importance of human rights and investment law compliance between the communities that speak to various understandings of the “public interest” in States – from academics focusing on investment law and public international law to practitioners, arbitrators, civil servants, foreign ministries and investment treaty negotiators, as well as to global and regional institutions for international development.4 As against this, certain recent State and institutional practice does demonstrate that policy inroads have been made towards achieving more calibration of investment protection and a host State government’s ability to regulate for the public interest within investment agreements. The recently released 2012 version of the United States Model Bilateral Investment Treaty (BIT)5 is among the few known international investment agreements that explicitly incorporate human rights as part of the law applicable to investment.6 The 2012 US Model BIT contains additional innovations that, in the words of the US Trade Representative and the US State Department, are intended “to enhance transparency and public participation; sharpen the disciplines that address preferential treatment to state-owned enterprises, including the distortions created by certain in-

3 See C. Schreuer/U. Kriebaum, “From Individual to Community Interest in International Investment Law”, 1079 at p. 1095, in U. Fastenrath, et al. (eds.), From Bilateralism to Community Interest: Essays in Honour of Judge Bruno Simma (2011); B. Simma/Kill, “Harmonizing Investment Protection and International Human Rights: First Steps towards a Methodology”, 678 in: C. Binder, et al. (eds.), International Investment Law for the 21st Century: Essays in Honour of Christoph Schreuer (2009). 4 See P.-M. Dupuy/F. Francioni/E.-U. Petersmann (eds.), Human Rights in International Investment Law and Arbitration (2009); L. E. Peterson/K. R. Gray, International Human Rights in Bilateral Investment Treaties and in Investment Treaty Arbitration, IISD Research Paper (2005), ; B. Kingsbury/S. W. Schill, “Public Law Concepts to Balance Investors’ Rights with State Regulatory Actions in the Public Interest – the Concept of Proportionality”, 75 in: S. W. Schill (ed.), International Investment Law and Comparative Public Law (2010); A. Roberts, “Clash of Paradigms: Actors and Analogies Shaping the Investment Treaty System”, 106 Am. J. Int’l L. (2012, forthcoming). 5 2012 United States Model Bilateral Investment Treaty, . 6 2004 Canadian Model Foreign Investment Protection Agreement (FIPA), Art. 11; 2004 Belgium-Luxembourg Economic Union/Serbia and Montenegro BIT, Articles 5 and 6; 2005 Belgian-Luxembourg Economic Union/Republic of Sudan BIT, Articles 5 and 6; 2006 Belgium-Luxembourg Economic Union/Federal Democratic Republic of Ethiopia BIT, Articles 5 and 6; 2005 Belgium-Luxembourg Economic Union/Guatemala BIT Articles 13 and 14; 2004 Belgium-Luxembourg Economic Union/Libya Arab Jamahiriya BIT, Articles 5 and 6; 2005 Belgium-Luxembourg Economic Union/Mauritius BIT, Articles 5 and 6; 2005 Belgium-Luxembourg Economic Union/Peru BIT, Articles 5 and 6; Agreement between the Republic of Austria and Malta on the Promotion and Mutual Protection of Investments, 29 May 2002, Article 18(2).

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digenous innovation policies; and strengthen protections relating to labor and the environment.”7

This revision of the 2012 US Model BIT comes after several recommendations on the design of international investment agreements had been released in December 2011 by UN specialized institutions such as the UN Conference on Trade and Development (UNCTAD) and the UN Human Rights Council. Thus, UNCTAD issued a new report on the design and formulation of fair and equitable treatment clauses, precisely to assist States drafting international investment agreements to retain sufficient policy flexibility for host States to be able to respond to emergencies and concerns in pursuit of public interest.8 The UN Human Rights Council, on its part, circulated a report of the Special Rapporteur on the right to food, Olivier De Schutter, entitled “Guiding Principles on Human Rights Impact Assessments of Trade and Investment Agreements”.9 The Guiding Principles recommend that States prepare human rights impact assessments before concluding trade and investment agreements; ensure that any such agreement will not impose obligations inconsistent with pre-existing international human rights obligations; and where incompatibilities are found, adopt remedial strategies such as treaty termination, amendment, insertion of safeguards in the agreement, provision of compensation by third-State parties, and mitigation measures.10 What we want to sketch out in this essay in honor of Eibe Riedel is the way in which, beyond the recent developments thus described, the policy dialogue between States, investors, and other public interest constituents could be advanced further through the use of a hitherto untapped international institutional source of expertise on social and economic rights. We refer to the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, the monitoring body created in 1985 and in operation since 1987, entrusted with overseeing the implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights of 19 December 1966 (the “ICESCR”) by its States parties. The first author of the present contribution was the German member of this Committee for the initial ten years of its existence; followed by the recipient of this Festschrift who, during the many years of his membership in the Committee, has made significant contributions towards the establishment of the present high reputation of this body. In the following, we will develop the thesis that the Committee 7 Joint Statement of the US Trade Representative and the US State Department, April 2012, . 8 United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), Interpretation of IIAs: What States Can Do, IIA Issues Note No. 3 (December 2011); United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), Fair and Equitable Treatment: A Sequel, UNCTAD Series on Issues in International Investment Agreements II, 2012, . 9 Report of the Special Rapporteur on the right to food, O. De Schutter, Addendum, “Guiding principles on human rights impact assessments of trade and investment agreements”, UN Human Rights Council A/HRC/19/59/Add.5, 19 December 2011. 10 Id. at pp. 3 – 8.

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could render substantial assistance to host States as well as investors towards the development of a transparent and cooperative understanding of ICESCR protection within and alongside investment treaty obligations. As the authoritative body of experts tasked with assisting the UN Economic and Social Council in monitoring States Parties’ ICESCR compliance,11 the Committee could thus help inform the content and design of international investment agreements towards better harmonization with State Party obligations under the ICESCR. Under the familiar typology of the obligations to “respect”, “protect”, and “fulfill” the rights enshrined in the Covenant,12 the Committee could extend advisory assistance to States to clarify the content of ICESCR obligations, in order to enable them to consider ex ante the consequences of international investment agreements and foreign investment contracts for a host State’s fulfillment of its ICESCR obligations. To this end, we anticipate five roles for the Committee in encouraging both host States of foreign investments and home States of investors to comply with ICESCR obligations under a jointly authored and transparent process that should help manage the policy predictability expectations of all parties. What we have in mind, and will set out in more detail, is as follows: first, the Committee could extend technical assistance to States negotiating or designing international investment agreements, model investment contracts, template prospectuses, terms of reference and other significant due diligence documentation in the process of contracting foreign investment. Secondly, the Committee could also assist host States with the design of an ICESCR impact assessment to be applied during the negotiation of foreign investment contracts. Through its General Comments and Concluding Observations, the Committee has developed a state-of-the-art resource for the interpretation and implementation of the ICESCR. This body of expertise can serve as an informed starting point for the review of foreign investment due diligence processes currently used by States. In the third place, we submit that the Committee could render significant contributions to the arbitral process. In a climate of economic emergencies that challenge States’ ICESCR observance, we expect that host States in future arbitrations will attempt to invoke their compliance with the ICESCR in order to defend or mitigate their non-compliance with investment treaty obligations, particularly the duty to pay compensation for both expropriation and non-expropriation breaches of international investment agreements. In these contexts, a possible role for the Committee would be to extend valuable amicus expertise to arbitral tribunals on the nature of implementation of ICESCR obligations. Arbitral tribunals have only recently started to permit amici participation as non-disputing parties to investment arbitrations and it is usually nongovernmental organizations or civil society advocacy groups that have submitted 11

See E.S.C. Res. 1985/17, 1985 U.N. ESCOR Supp. (No.1) at 15, U.N. Doc. E/1985/85 (1985). 12 See Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 12, Right to Adequate Food, U.N. Doc. E/C.12/1999/5 (1999), Twentieth Session, 1999, para. 15.

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amicus briefs.13 For complex public interest arbitrations involving fundamental economic and social rights such as the right to health or the right to water,14 however, the Committee’s interpretation of the ICESCR could be especially useful and persuasive. The Committee’s participation would complement the notion of international access to justice,15 enabling host States, investors and their home States, as well as arbitral tribunals to refer to an international body of experts, without need of mustering a political lobby traditionally associated with captive interests and strategic agendas under the NGO or interest group umbrellas. A fourth possible role for the Committee to aid the arbitral process could be seen in impartial factfinding insofar as the ICESCR-related conduct of both host States and investors are concerned. It may be recalled that in December 2008, the UN General Assembly unanimously passed a resolution adopting an Optional Protocol to the ICESCR, which enables the Committee to receive individual complaints alleging violations of Covenant rights.16 Once this Optional Protocol enters into force,17 it is expected that the Committee will assume some fact-finding functions in relation to determining a State Party’s ICESCR compliance. We submit that such factual findings of the Committee, as an expert body within the UN, could be admissible as third-party evidentiary sources in the fact-finding dimensions of international investment arbitration proceedings involving issues of ICESCR compliance by host States.18 13 See C. Knahr/A. Reinisch, “Transparency versus Confidentiality in International Investment Arbitration – the Biwater Gauff Compromise”, (2007) 6:1 The Law and Practice of International Courts and Tribunals, 97; E. Levine, “Amicus Curiae in International Investment Arbitration: The Implications of an Increase in Third-Party Participation”, (2011) 29:1 Berkeley J. Int’l L. (2011), 200; K. Fach Gomez, “Rethinking the Role of Amicus Curiae in International Investment Arbitration: How to Draw the Line Favorably for the Public Interest”, (2012) 35 Fordham J. Int’l L. J., 510. 14 See U. Kriebaum, “Privatizing Human Rights: The Interface between International Investment Protection and Human Rights”, 165 in: A. Reinisch/U. Kriebaum (eds.), The Law of International Relations – Liber Amicorum Hanspeter Neuhold (2007), . 15 See F. Francioni, “Access to Justice, Denial of Justice, and International Investment Law”, (2009) 20:3 Eur. J. Int’l L., 729. 16 Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, UN General Assembly Resolution A/RES/63/117, 10 December 2008, , Articles 1 – 2. 17 As of this writing, the Optional Protocol has 7 States Parties (Argentina, Bolivia, Bosnia and Herzegovina, Ecuador, El Salvador, Mongolia, Spain) and 39 signatory States. Three more ratifying or acceding States are necessary for the Optional Protocol to enter into force. See Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, UN General Assembly Resolution A/RES/63/117, 10 December 2008, Status of Ratifications of the Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights at . 18 The International Court of Justice has made considerable use of UN agency reports in cases laden with factual issues. See Case Concerning Application of the Convention on Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and

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Finally, it should be recalled that investment treaties are also forms of State economic law-making that generate distributional consequences over time.19 The political decision to conclude an investment treaty constitutes a social and economic commitment that binds the State and its resources to protect foreign investment through prescribed standards of treatment during the life of the investment. We submit that such a long-term allocation of State resources should also be read with dynamic consideration for the evolving and continuing allocation of resources required of States Parties to the ICESCR. In much the same way that investors are expected to forecast, estimate, and project the value of an investment and their anticipated returns on investment for the duration of a given contract, host States can be expected to contend that their evolving institutional capacities and resource constraints in the context of fulfilling ICESCR obligations require some adjustment and harmonization between ICESCR and investment treaty obligations.20 Verifying these claims can be expedited by referring to the Committee’s reporting process and periodic dialogue with States Parties. The Committee can thus serve as an indispensable repository of information regarding States Parties’ status of compliance and record of implementation of ICESCR obligations alongside their foreign direct investment practices.

B. Technical Assistance in the ICESCR-Sensitive Design of International Investment Agreements and Due Diligence Process There is considerable literature on particular interactions between substantive standards of protection within international investment agreements and specific human rights,21 but scarcely any that fully specifies the relationship between ICESCR Montenegro), I.C.J. Reports (2007), 91; Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of Congo v. Uganda), I.C.J. Reports (2005), 116. 19 On the lawmaking function of international investment treaties, see S. Schill, “SystemBuilding in Investment Treaty Arbitration and Lawmaking”, (2011) 12 German Law Journal 1083, . 20 For various methods of measuring State compliance with the ICESCR, see S. Kalantry/ J. E. Getgen/S. A. Koh, “Enhancing Enforcement of Economic Social and Cultural Rights Using Indicators: A Focus on the Right to Education in the ICESCR”, (2010) 32 Human Rights Quarterly, 253; R. E. Robertson, “Measuring State Compliance with the Obligation to Devote the ‘Maximum Available Resources’ to Realizing Economic, Social, and Cultural Rights”, (1994) 16 Hum. Rts. Q. 693; S. Kalantry/J. Getgen/S. A. Koh, Measuring State Compliance with the Right to Education Using Indicators: a Case Study of Colombia’s Obligations under the ICESCR (2009), Cornell Law Faculty Working Papers. Paper 52, . 21 Some of the significant recent works on this subject include K. Gordon/J. Pohl (2011), “Environmental Concerns in International Investment Agreements: a survey”, OECD Working Papers on International Investment, No. 2011/1, OECD Investment Division, ; H. Mann, International Investment Agreements, Business and Human Rights: Key Issues and Opportunities, February 2008 OECD Working

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obligations and investment treaty obligations. In this regard, the Committee could supply expertise to assist States in the drafting and formulation of investment agreements that would not be incompatible or inconsistent with ICESCR obligations. This could include, for example, redefining the “fair and equitable treatment” standard22 to include within its contemplation the concept of “investor obligations”23 to comply with (and prevent entering into contractual arrangements that violate) law of the host State such as the ICESCR (whether implemented by national legislation or domestically incorporated as such); providing justiciability constraints24 within the agreements that would subject investors and host States to a continuing obligation not to impede or prevent the latter’s observance of the ICESCR, before allowing treaty or contract parties access to the dispute settlement mechanisms of the investment treaty; or placing obligations on States of the nationality of the investor to require the latter to abide by the ICESCR as well as the environmental, social, and corporate governance and disclosure requirements under the 2006 UN Principles on Responsible Investment.25 Furthermore, the Committee could extend assistance to host States in formulating an ICESCR-sensitive design of the foreign investment due diligence process,26 taking into account the particular regulatory circumstances and resource constraints of these Parties to the ICESCR. The Committee receives information from a broad spectrum of actors (NGOs, governments, international governmental organizations, among others), which positions it well to assist States Parties to make the necessary ICESCR-impact assessment in relation to current or prospective investment agree-

Paper, ; United Nations Conference on Trade and Development, International Investment Agreements: Assessment, Challenges and Path to Continue. Collection of publications of the UNCTAD on topics related to investment international policies on development, New York and Geneva, UNCTAD, 2008, 16; L. E. Peterson, Human Rights and Bilateral Investment Treaties: Mapping the role of human rights law within investor-state arbitration, Rights & Democracy (International Centre for Human Rights and Democratic Development) (2009), . 22 See I. Knoll-Tudor, “The Fair and Equitable Treatment Standard and Human Rights”, Chapter 14 in: P.-M. Dupuy/E.-U. Petersmann/F. Francioni, Human Rights in International Investment Law and Arbitration (2009). 23 See V. Yu/F. Marshall, Investors’ Obligations and Host States’ Policy Space, IISD Working Paper 2008, . 24 For an example of a justiciability constraint built into an investment treaty, see Article 6.12 (4) of the 2005 India-Singapore CECA: “[…] any decision of the disputing Party taken on such security considerations shall be non-justiciable in that it shall not be open to any arbitral tribunal to review the merits of any such decision, even where the arbitral proceedings concern an assessment of any claim for damages and/or compensation, or an adjudication of any other issues referred to the tribunal.” 25 See UN Principles of Responsible Investment in . 26 For a proposal for a human rights audit or due diligence process, see Simma, supra fn. 1.

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ments.27 The periodic reports submitted to the Committee typically require a comprehensive review of existing legislation to determine ICESCR compliance. The Committee’s Concluding Observations after each review period also include suggested reforms to domestic legislation that would encourage compliance with economic and social rights.28 In our view, the Committee’s legislative audit should be expanded to include the international investment agreements concluded by a State Party to the ICESCR. Such agreements comprise forms of State law-making that should also be included within the coverage of the Committee’s assessment and review to more comprehensively determine a State’s performance (or non-performance) of its ICESCR obligations.

C. Assisting Host States with the Design of ICESCR Impact Assessments for Negotiating Foreign Investment Contracts Given the experience it has gained in the course of the monitoring process that it coordinates with States Parties, the Committee has acquired a distinct institutional expertise that would be valuable to host States seeking to design impact assessments of their investment agreements on ICESCR compliance.29 In this direction, the UN Special Representative to the Secretary-General on Business and Human Rights, Professor John Ruggie, noted various public sources of human rights information that States may draw upon in developing human rights impact assessments of private sector activities.30 The Committee may also assist States in the re-examination of the foreign investment contracting process to examine ICESCR-specific impacts. Special Representative Ruggie developed a general framework for human rights risk assessment and in27 See e. g. an international fact-finding mission report on the effect of Kenya’s trade and investment agreements on human rights protection, in: Economic Development or Human Rights? Assessing the Impact of Kenya’s Trade and Investment Policies and Agreements on Human Rights, International Fact-Finding Mission Working Paper No. 506a, October 2008, , 42 – 51. 28 See C. H. Heyns/F. Viljoen, The Impact of United Nations Human Rights Treaties on the Domestic Level, (2002). For an example of a domestic parliamentary report responding to the Committee’s suggested legislative reforms, see Democratic Audit, Economic and Social Rights in the UK, Inquiry into the UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights on the Fourth Periodic Report On Economic and Social Rights in the UK, . 29 See M. W. Gehring, “Impact Assessments of Investment Treaties”, 145, in: M.-C.Cordonier Segger/M. W. Gehring/A. Newcombe (eds.), Sustainable Development in International Investment Law (2011). 30 UN Special Representative to the Secretary-General on Business and Human Rights, Human Rights Impact Assessments, Discussion Paper 2006, para. 28, .

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tegration in the contract negotiation process under the December 2011 Principles for Responsible Contracts. As seen below, these Principles recommend human rights risk assessment built into different phases of the investment contracting process: “1. Project negotiations preparation and planning: The parties should be adequately prepared and have the capacity to address the human rights implications of projects during negotiations. 2.

Management of potential adverse human rights impacts: Responsibilities for the prevention and mitigation of human rights risks associated with the project and its activities should be clarified and agreed before the contract is finalized.

3.

Project operating standards: The laws, regulations and standards governing the execution of the project should facilitate the prevention, mitigation and remediation of any negative human rights impacts throughout the life cycle of the project.

4.

Stabilization clauses: Contractual stabilization clauses, if used, should be carefully drafted so that any protections for investors against future changes in law do not interfere with the State’s bona fide efforts to implement laws, regulations or policies in a non-discriminatory manner in order to meet its human rights obligations.

5.

‘Additional goods or service provision’: Where the contract envisages that investors will provide additional services beyond the scope of the project, this should be carried out in a manner compatible with the State’s human rights obligations and the investor’s human rights responsibilities.

6.

Physical security for the project: Physical security for the project’s facilities, installations or personnel should be provided in a manner consistent with human rights principles and standards.

7.

Community engagement: The project should have an effective community engagement plan through its life cycle, starting at the earliest stages.

8.

Project monitoring and compliance: The State should be able to monitor the project’s compliance with relevant standards to protect human rights while providing necessary assurances for business investors against arbitrary interference in the project.

9.

Grievance mechanisms for non-contractual harms to third parties: Individuals and communities that are impacted by project activities, but not party to the contract, should have access to an effective non-judicial grievance mechanism.

10. Transparency/Disclosure of contract terms: The contract’s terms should be disclosed, and the scope and duration of exceptions to such disclosure should be based on compelling justifications.”31

The Committee can assist host States to properly concretize the above Principles, by particularizing the application of the ICESCR to the foreign investment contract 31 Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, Addendum, Principles for responsible contracts: integrating the management of human rights risks into State-investor contract negotiations, guidance for negotiators, A/HRC/17/31/Add.3, 25 May 2011, .

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context. By situating the assessment, review, and reform of the investment contracting processes as part of the State Party’s functional areas for reporting to the ICESCR, the Committee could extend support to the global initiative spearheaded by the United Nations towards human rights-compliant investment practices.

D. Acting as Amicus Curiae in the Assertion of Economic and Social Rights by Host States and Investors As seen in the Methanex, UPS, Suez/Vivendi, Glamis Gold, and Piero Foresti cases, non-governmental organizations and civic groups have frequently attempted to participate in investment arbitrations.32 In some awards, arbitral tribunals have also referred to publications of the UN Conference on Trade and Development (UNCTAD) in their analysis of investment treaty standards, such as in the Suez/Vivendi case and the Total case against Argentina (on the scope of fair and equitable treatment);33 the Mytilineos Holdings case (on the definition of investment in relation to “every kind of asset”);34 and the Fraport case (on the scope of investment in accordance with the host country’s laws),35 to name a few. Arbitral tribunals could properly appreciate, verify, and weigh assertions of incompatibility between the ICESCR and investment treaty standards by soliciting the Committee’s opinion in these instances. In the Suez case, for example, the civic and non-governmental organizations that submitted the amicus curiae brief posited the theory that “[h]uman rights law could displace investment law in a conflict of norms situation […] [which] could arise if the Tribunal were to find, for example, that the backdrop of a severe economic crisis, the guarantees offered to foreign investors with respect to the concession’s

32 Methanex Corporation v. United States of America, In the matter of an arbitration under Chapter 11 of the North American Free Trade Agreement, UNCITRAL, Final Award of the Tribunal, 7 August 2005; Compania de Aguas del Aconquija S.A. and Vivendi Universal S.A. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/97/3, Award, 20 August 2007; UPS v. Canada, Decision on Authority to Accept Amicus Submissions, 17 October 2001; Glamis Gold v. United States, Decision on Application and Submission by Quechan Indian Nation of 16 September 2005; Piero Foresti et al. v. Republic of South Africa, ICSID Case No. ARB(AF)/ 07/1, Award of the Tribunal, August 4, 2010. See also NAFTA FTC 7 October 2003 Statement on Non-Disputing Party Participation. 33 Compania de Aguas del Aconquija S.A. and Vivendi Universal S.A. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/97/3, Award, 20 August 2007 at para. 7.4.9 (on the scope of fair and equitable treatment standards); Total SA v. Argentina, Decision on Liability, ICSID Case No. ARB/04/1, 21 December 2010, para. 112. 34 Mytilineos Holdings SA v. Serbia and Montenegro and Serbia, Partial Award on Jurisdiction and Dissenting Opinion, UNCITRAL, 8 September 2006, para. 106. 35 Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide v. Philippines, Award, ICSID Case No. ARB/03/25, 16 August 2007, para. 301.

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economic equilibrium were incompatible with the government’s duty to ensure access to water to the population.”36

The amici considered that resolving this conflict was “not necessary for the adjudication of the case […] as the contextual interpretation of investment law provides avenues for accommodation and normative dialogue. Still, in such situation of normative conflict, the primacy of human rights may need to be recognized and given effect.”37

While the Suez tribunal noted the applicability of both human rights and investment treaty obligations to Argentina, it made no finding on the amici’s broad theory of normative displacement of investment treaty obligations by human rights norms. The Committee could lend authoritative expertise to arbitral tribunals and assist in addressing this issue of alleged treaty hierarchy.

E. Contributing Factual Findings Under the Optional Protocol Complaints Mechanism to the Fact-Finding Dimensions of Future Investment Arbitrations Were a host State to invoke its ICESCR compliance as a defense to mitigate the consequences of non-compliance with international investment obligations, arbitral tribunals would encounter new factual burdens. In such a situation, the Committee could assist arbitral tribunals seeking to resolve these issues by contributing factual findings gained in the Optional Protocol complaints mechanism. Once the Optional Protocol has entered into force, the Committee can be expected to obtain more information about State compliance (or non-compliance) with the ICESCR under the Protocol’s individual complaints procedures. The Committee’s factual findings can then help to ensure that arbitral tribunals, faced with assertions of ICESCR compliance by respondent States, would be able to distinguish genuine efforts at fulfilling ICESCR obligations from manoeuvres to evade investment treaty compliance under the pretext of complying with Covenant obligations. Coordination between tribunals and the Committee on the issue of ICESCR compliance could expedite fact-finding stages in the arbitral proceedings, as well as lend the weight of the Committee’s expert determinations to the arbitral tribunal’s consideration in the case before it.

36

See full text of the Amicus Curiae Submission by Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS), Asociación Civil por la Igualdad y la Justicia (ACIJ), Consumidores Libres Cooperativa Ltda. de Provisión de Servicios de Acción Comunitaria Unión de Usuarios y Consumidores, Center for International Environmental Law, 4 April 2007, [hereafter, “Suez amicus curiae brief”] 26. 37 Id. at p. 26.

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F. Establishing Links Between Reporting by Host States on Their Implementation of ICESCR Obligations and these States’ Investment Practices ICESCR obligations share some similarity with investment treaty obligations insofar as the dynamism of their content is concerned. The nature of the general obligations to “respect”, “protect”, and “fulfill” ICESCR rights must be read as evolutive standards that take into account a State’s resource constraints and institutional efforts to further heighten ICESCR compliance.38 The Committee explains the obligation “to take steps” as one that should be “deliberate, concrete, and targeted as clearly as possible towards meeting the obligations recognized in the Covenant,”39 with the means to be used to fulfill the obligation to take steps being “all appropriate means, including particularly the adoption of legislative measures.”40 Other possible appropriate measures may include, and are not limited to, “administrative, financial, educational and social measures.”41 Most importantly, the Committee has maintained that the “principal obligation of result reflected in article 2(1) is to take steps ‘with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized’ in the Covenant.”42 The CESCR explained “progressive realization” in the following terms: “[…] The concept of progressive realization constitutes a recognition of the fact that full realization of all economic, social and cultural rights will generally not be able to be achieved in a short period of time. In this sense the obligation differs significantly from that contained in article 2 of the International Covenant on Civil and Political Rights which embodies an immediate obligation to respect and ensure all of the relevant rights. Nevertheless, the fact that realization over time, or in other words progressively, is foreseen under the Covenant should not be misinterpreted as depriving the obligation of all meaningful content. It is on the one hand a necessary flexibility device, reflecting the realities of the real world and the difficulties involved for any country in ensuring full realization of economic, social and cultural rights. On the other hand, the phrase must be read in the light of the overall objective, indeed the raison d’être, of the Covenant which is to establish clear obligations for States parties in respect of the full realization of the rights in question. It thus imposes an obligation to move as expeditiously and effectively as possible towards that goal. Moreover, any deliberately retrogressive measures in that regard would require the most careful consideration and would need to be fully justified by reference to the totality of

38 See P. Alston/G. Quinn, “The Nature and Scope of States Parties’ Obligations under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights”, 9:2 Human Rights Quarterly (May 1987), 156; S. Leckie, “Another Step towards Indivisibility: Identifying the Key Features of Violations of Economic, Social and Cultural Rights”, 20:1 Human Rights Quarterly (February 1998), 81. 39 CESCR General Comment 3 [The nature of States parties obligations (Art. 2, par. 1)], 14 December 1990, para. 2, . 40 Id. at para. 3. 41 Id. at para. 7. 42 Id. at para. 9.

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the rights provided for in the Covenant and in the context of the full use of the maximum available resources.”43

The reporting process administered by the Committee is designed precisely to acknowledge and accommodate the dynamic nature of ICESCR obligations and modes of compliance by States Parties to the ICESCR. As States Parties to the ICESCR assess the impact of the treaties they conclude and the contracts they enter into on their ability to fulfill ICESCR obligations within the dialogic and consultative processes of review and assessment by the Committee, the perceived gap between public policies on ICESCR and investment treaty compliance can be better monitored and reduced by host States and the Committee long before investor-State disputes arise.

G. Conclusion: The Committee and Public Interest in the Global Investment Regime Foreign investment affects the “inherent dignity of the human person”,44 by contributing to the material conditions of “the [human rights] ideal of free human beings enjoying freedom from fear and want […] whereby everyone may enjoy his economic, social, and cultural rights, as well as his civil and political rights.”45 The Committee’s work, as we have suggested here, bears significance to the challenges of ensuring ICESCR protection within the global investment law regime, in ways that appear consistent with the “welfarist and interventionist purposes of international law.”46 The Committee bridges the “public interest” divide between States Parties, investors and their home States, as well as arbitral communities, through the detection of potential conflicts between ICESCR obligations and investment treaty obligations, the dialogic process of assessing ICESCR impacts in foreign investment contracting and 43 44

seq. 45

Id. Underscoring in the original. See P. Capps, Human Dignity and the Foundations of International Law (2009), 106 et

International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Preamble, GA res. 2200 A (XXI), 21 UN GAOR Supp. (No. 16) at 49, UN Doc. A/6316 (1966); 993 UNTS 3; 6 ILM 368 (1967). [hereafter, “ICESCR”]. 46 E. Jouannet, The Liberal-Welfarist Law of Nations: A History of International Law (2012), 179: “[…] International law of the inter-war years was not aimed solely at the social protection of certain categories of individuals within states, but also at remedying the position of economic weakness of states themselves, and underlying that, the embryonic idea of a necessary correction in the excessive inequalities between states if these were detrimental to the whole. To this end, a Financial Committee was set up within the framework of the League of Nations, which intervened in a quite novel way and on many occasions at the time to correct the economic and financial situation of failing states. As an example, Austria benefited from sporadic but effective aid from the Financial Committee so as to cope with the collapse of its currency in 1920-1. The first moves were made, then, to go beyond the formal equality between states so as to take account of their actual economic and social situation and support the most vulnerable of them. […] this great co-operative movement was the re-emergence of a welfarist and interventionist purpose of international law.”

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due diligence review, and facilitated cooperation and communication on ICESCR protection between all public interest stakeholders across and beyond the global investment law regime. While the consideration of ICESCR protection is still a latent trend in international investment arbitrations, we submit that engaging the Committee at this juncture to help inform the content of both the investment treaty and contract design will help to avoid more visceral and unresolved clashes involving a host State’s public policy space to comply with both ICESCR and investment obligations. It is in this manner that we see some truth in neoliberal claims of international investment’s potential for improving human welfare.47 We recognize that foreign investment can either be welfare reducing or welfare increasing. When foreign investors operate with fewer transaction costs than their domestic counterparts, “foreign investment may decrease national welfare due to the transfer of profits to foreigners, even when the increase in the rate of growth has a positive effect on welfare. Foreign investment increases welfare only if the increase in productivity is great enough to compensate for the loss of profits…”48 On the other hand, when foreign investment is appropriate to a State’s comparative advantages, resource capabilities, and economic needs, the positive yields transcend generations: “[g]iven the appropriate host-country policies and a basic level of development, a preponderance of studies shows that FDI [foreign direct investment] triggers technology spillovers, assists human capital formation, contributes to international trade integration, helps create a more competitive business environment and enhances enterprise development. All of these contribute to higher economic growth, which is the most potent tool for alleviating poverty in developing countries. Moreover, beyond the strictly economic benefits, FDI may help improve environmental and social conditions in the host country by, for example, transferring ‘cleaner’ technologies leading to more socially responsible corporate policies.”49

Because foreign investment has the dual potential to yield positive benefits as well as negative consequences for national economies, local communities, and human capabilities, we submit that the regulatory environment – exemplified primarily by the investment treaty, the investment contract, and all fundamental laws of the host State to which the investment is subject – cannot omit the importance of compliance with the ICESCR to sustainable and responsible investment practices. States influence the relationship between foreign investment and human welfare within their respective jurisdictions. To the extent that States translate policy preferences into the ex ante design of their international investment agreements, they define the regulatory environment which, in their view, is best suited for attracting, manag47 See J. D. Sachs, “Foreign Investment and the Changing Global Economic Reality”, xliii in: J. E. Alvarez et al. (eds.), The Evolving International Investment Regime: Expectations, Realities, Options (2011). 48 Ana Balcão Reis, On the welfare effects of foreign investment, 54 Journal of International Economics 2 (August 2001), pp. 411 – 427, at p. 426 – 427. 49 Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD), Foreign Direct Investment for Development: Maximising Benefits, Minimising Costs, (2002 Report), .

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ing, and maintaining desirable, sustainable, and optimal levels of foreign investment.50 While the actual ability of international treaties to accomplish this objective (and the precise empirical contribution of such treaties to the realization of positive economic and social outcomes) remains a fertile subject of academic dispute,51 it is clear that, at the threshold of concluding these agreements (and long before admitting the entry of foreign investment into one’s jurisdiction pursuant to said agreements), host States possess a monopoly of police power and regulatory authority. When it concludes the investment treaty, the host State voluntarily commits itself to constrain its regulatory authority over time, while investors are bound to observe all fundamental regulations and laws timely and properly notified by the host State to them. Since ICESCR protection belongs to the corpus of those fundamental host State laws, it cannot be overemphasized that the ultimate quality (and not just the empirical quantity) of foreign investment thus depends, for the most part, on the host State’s authoritative decision-makers, and how judiciously they exercise the State’s treaty-making powers to create positive welfare effects for their citizens while retaining sufficient policy flexibility to respond to the dynamism of ICESCR obligations. It is urgent and imperative for the Committee to recognize this reality within its mandate of safeguarding ICESCR compliance. We consider that the Committee has the distinct ability to help host States, investors and their home States, as well as arbitrators, to bridge the public interest gap in a constructive manner.

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See United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), The Role of International Investment Agreements in Attracting Foreign Direct Investment to Developing Countries (2009), 14 – 26 (showing that IIAs contribute to the “coherence, transparency, predictability, and stability of investment frameworks of host countries”, at p. 25). 51 See T. Büthe/H. V. Milner, “Bilateral Investment Treaties and Foreign Direct Investment: A Political Analysis”; E. Neumayer/L. Spess, “Do Bilateral Investment Treaties Increase Foreign Direct Investment to Developing Countries?”; P. Egger/M. Pfaffermayr, “The Impact of Bilateral Investment Treaties on Foreign Direct Investment”; S. Rose-Ackerman, “The Global BITs Regime and the Domestic Environment for Investment”, all in: K. P. Sauvant/ L. E. Sachs, The Effect of Treaties on Foreign Direct Investment: Bilateral Investment Treaties, Double Taxation Treaties, and Investment Flows (2009).

The Concept of “Standards” in International Law Revisited Von Jost Delbrück

Introduction The meanings of the concept of standards are manifold, depending on the contexts in which the concept is used. Thus, standards are used in the manufacturing industry to secure that their products always meet the quality as defined by the respective standards set by the individual manufacturer or by a specific branch of the manufacturing industry. Standards could also be set to define the working conditions for employees, i. e. in terms of the number of working hours per day or week, and health protection measures. In other contexts the concept of standard is used to evaluate particular social environments by the standard of living of the people concerned. In all of the very different scenarios described – and many others could be added – the “standard concept” turns out to serve as a measure of what is exemplary and ethical. It is no surprise that the concept of standards has found its way into some major fields of international law, such as international environmental law1, international human rights law, international economic and labor law and – not to forget – the role of standards in securing peace and stability in the international system. It is Eibe Riedel who contributed a major scholarly analysis of the concept of standards and their place in and their impact on international law.2 In the following sections the place and the functions of standards in the development of international law will be discussed – pars pro toto – in international human rights law and in the field of the preservation of peace and stability in the international system.

1 The importance of standards for international environmental law has been rightly emphasized by A. Proelß, “Raum und Umwelt im Völkerrecht”, in: W. Graf Vitzthum, (ed.), Völkerrecht, (5th ed. 2010), 452. 2 See E. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards: Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen (1986) – his habilitation treatise.

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A. The Traditional Sources of International Law and the Concept of Standards According to Art. 38 of the Statute of the International Court of Justice the Court shall “apply a. international conventions, whether general or particular, establishing rules expressly recognized by the contesting states” and “b. international custom, as evidence of a general practice accepted as law, and “c. the general principles of law recognized by civilized nations” and “subject to the provisions of Art. 59, judicial decisions and the teachings of the most highly qualified publicists of the various nations, as subsidiary means for the determination of rules of law”. Evidently, standards are not explicitly listed as a source of international law. However, Art. 38 para. 2 of the Statute “shall not prejudice the power of the Court to decide a case ex aequo et bono, if the parties agree thereto”, which opened the way to apply standards in terms of the numerous maxims of the equity law.3 Furthermore, in the second half of the 20th century the spectrum of binding and non-binding standards has considerably widened on the international plain. Given the increasing relevance of standards in several fields of international law – as indicated before – it appears to be appropriate, to limit the present essay to the discussion of three prominent fields of international law and international relations in which “standards” play a significant role, namely in international human rights law, in international labor law, and in the field of the preservation of peace and stability in the international system.

B. The Role of Standards in International Human Rights Law Human rights standards, like standards in general, have to be distinguished from general principles of international law, although they show – in some instances – similarities with the general principles of international law. However, the general principles are binding law while standards – as a rule – are not so. Yet this apparent deficiency of standards actually does not detract from their positive contribution to the development of international human rights law. On the contrary, the human rights standards play an important role in the development of the international human rights law not despite of their lack of binding force, but because of their lack of binding force. The explanation of this puzzling conclusion is that since the beginning of the human rights movement after World War II it became clear that the ideals of the movement were shared by the majority of the member states of the United Nations Organization, in principle, but it became also clear that there still existed no consensus with regard to such basic issues as the ethical and /or religious roots of human rights and their universality.4 Given these controversies, it was a wise approach by 3

Id., at p. 269. See the Report of the Third Session of the Commission on Human Rights, UN Doc.E/800 of 28 June 1948; for an in depth analysis of the discussions with regard to the question of whether the Declaration of Human Rights under consideration should be named the “Inter4

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the majority of the United Nations member states not to push the project of a binding human rights covenant, but rather to start out with non-binding declarations that set out standards of human rights protection. The most prominent example is that of the Universal Declaration of Human Rights, adopted by the UN General Assembly on 10 December 1948.5 In the preamble the General Assembly proclaimed the Declaration as a “common standard of achievement for all peoples and all nations, to the end that every individual and every organ of society, keeping this Declaration constantly in mind, shall strive by teaching and education to promote respect for these rights and freedoms and by progressive measures, national and international, to secure their universal and effective recognition and observance, both among the peoples of Member States themselves and among the peoples of territories under their jurisdiction”. (emphasis in the original)

It took almost twenty years that the U.N. General Assembly adopted the International Covenant on Civil and Political Rights and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights on 16 December 1966.6 In the meantime, the Universal Declaration Human Rights of 1948 as the “common standard of achievement” inspired, inter alia, the adoption of the European Convention of Human Rights and Fundamental Freedoms of 19507, and the International Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination of 7 March 19668. Prior to the adoption of this Convention the UN General Assembly had adopted the Declaration on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination of 20 November 1963.9 The Declaration on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination served the same purpose as the Universal Declaration of Human Rights did for the Human Rights Covenants: it set the standard that a future Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination was to meet, particularly with regard to the controversial definition of the concept of race. The prime example of standard-setting as a means to promote the adoption of binding international agreements is that of the International Labor Organization (ILO). As one of the oldest international organizations, ILO has national Declaration of Human Rights” or should be named the “Universal Declaration of Human Rights”. The latter title was ultimately accepted as preferable, because it underlines that the Declaration was not meant to be an interstate document, but as a declaration concerning all peoples; see R. Huhle, “Wie universell ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte?”, Vereinte Nationen (2011), 195 et seq. 5 U.N.G.A. Res. 217 (III) 1948, the declaration was adopted by the U.N. General Assembly with 48 states in favor, none against and eight abstentions. However, it has to be remembered that a day before the adoption of the Universal Declaration the UN General Assembly adopted the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide on 9 December 1948 unanimously; in view of the consensus there was no need to start out with a non-binding declaration. 6 International Covenant on Civil and Political Rights in: 999 UNTS, 171 and International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: 993 UNTS, 3. 7 312 UNTS 221/ ETS 5 as amended. 8 660 UNTS 195. 9 For the text of the Declaration see United Nations Yearbook (UNYB) 1963, 344.

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developed a law-making strategy by which the Organization could successfully overcome the lack of consensus with regard to a particular legislative project. If the project is found to be apt to serve the goal of harmonization and standardization of labor laws, ILO adopts non-binding recommendations expressing the desired standards. The expectation is – and the ILO practice has fulfilled this expectation – that in a large number of cases the recommendations will be cast into binding agreements later on.10 Following this strategy ILO succeeded in adopting a great number of binding conventions, among which the Convention on the Elimination of Discrimination in Employment and Occupation (1958) is a landmark achievement.11 Closely related to the elimination of discrimination in employment and occupation is the elimination of discrimination in the field of education. Already in 1952 the Subcommittee of the UN Human Rights Commission had approached the United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organization (UNESCO) with the proposal to draft a Convention on the Elimination of Discrimination in the field of Education. The UNESCO General Conference adopted the Convention in 1960, together with a Recommendation with the same text as the Convention. The adoption of the two identical texts was deemed necessary, because some states with a federal structure held that they lacked the constitutional competence to join the Convention. Since the decision of some states not to join the Convention rested on internal constitutional grounds, it can be assumed that there was consensus on the substance of the Convention and the Recommendation, i. e. the standard set by both, the Recommendation and the Convention remained unimpaired. The pervasive theme of the human rights conventions and standards is the elimination of discrimination. However, it must not be forgotten that the respective conventions and standards setting declarations are also concerned with the social dimension of the protection of human rights. Already the Universal Declaration of Human Rights in Art. 26 emphasized the right to education which was to be “directed to the full development of the human personality” and added in Art. 27 that “everyone has the right freely to participate in the cultural life of the community”, and Art. 13 para. 1 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights “recognizes the right of everyone to education” that shall be directed to the full development of the human personality and the sense of its dignity” and that “education shall enable all persons to participate effectively in a free society, promote understanding, tolerance and friendship among all nations and all racial, ethnic or religious groups […]”. Both, the Universal Declaration of Human Rights and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights as well as the ILO and UNESCO conventions and recommendations mentioned before have set a standard of the protection of the human person that reaches beyond the elimination of mere discrimination. As Riedel has suggested, this cumulated standard could be called a “combination 10

For further details see Riedel, supra fn. 2, at p. 294. Discrimination (Employment and Occupation) Convention No. 111(1958); up to now ILO adopted 355 recommendations and conventions. 11

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standard” which is suitable to serve as a guiding measure and to contribute to the progressive development of international law.12

C. The Role of Standards in the Field of the Preservation of Peace and Stability in the International System 1. Standards and codes of conduct have played an important role in international relations for a long time, and they still do so. The international system, i. e. configuration of sovereign states as it has emerged after the decline of the medieval feudal order, has been characterized as anarchic and therefore prone to violent conflicts, in other words, it fits the Hobbesian state of nature – the bellum omnium contra omnes. In line with this characterization, it has been maintained that peace and order in the international system could only be achieved through the formation of an international central authority as it exists within the territorial states that enables the states not only to promulgate binding laws, but also to enforce these laws. However, this description of the international system is only partly correct. True, even in the present international system there is still no international authority that is vested with binding legislative powers – some binding decisions of a legislative nature by the UN Security Council notwithstanding.13 However, the history of the international system after the Westphalian Peace of 1648 shows that international relations even in the heyday of state sovereignty in the 18th and 19th centuries were marked by a number of principles and standards of state conduct which clearly elevated the configuration of state actors beyond the level of the Hobbesian state of nature. Thus the standard of the balance of power of the European powers was perceived not only as a pragmatic approach but also as a normative principle that even found recognition, for example, in the Treaty of Utrecht (1713).14 Another standard of state conduct developed in the 19th century aimed at obliging states to respect so-called spheres of influence. The Monroe Doctrine for the American Hemisphere is an important example of these kinds of standards. In 19th century the most promising step towards peace and stability in Europe was the formation of the Concert of European Powers at the Vienna Congress of 1815. The Concert of European Powers was an indication of the systemic character of the configuration of the international actors. The European Concert was 12

Riedel, supra fn. 2, at p. 306. An important example is the binding decision of the UN Security Council of 9 August 1990 by which the Council declared the annexation of Kuwait by Iraq null and void and ordered the restoration of the Kuwait Government. Also, the Security Council determined the conditions of the truce to be concluded after the military defeat of the Iraqi forces, thereby implicitly determining the borderline between Iraq and Kuwait with binding force for third states; for a detailed analysis of the Case of the Iraqi Invasion of Kuwait see U. Heinz/ C. Philipp/R. Wolfrum, “Zweiter Golfkrieg: Anwendungsfall von Kapitel VII der UN-Charta”, Vereinte Nationen (1991), 121 et seq. 14 For more details see D. Vagts, “Balance of Power”, in: R. Wolfrum (ed.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition, . 13

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rightly seen as a forerunner of the modern endeavors to establish a normative and political international order for the preservation of peace and stability in international relations.15 However, the political and social environment of the outgoing 19th and the beginning 20th centuries was marked by far-reaching changes. There were the growing tensions among the European Great Powers and the corresponding decline of the European Security System, set up by the Vienna Congress in 1815, but now losing its peace-keeping capabilities, due to the wave of nationalism and the social unrest, caused by the growing power of the working class. In this poisoned political climate moderating standards of state conduct had no chance. With the outbreak of World War I the old order collapsed. Great hopes were raised again by the renewed plans for a universal – and not only European – peace order, i. e. the founding of the League of Nations. However these hopes did not come true. From the beginning the League suffered from several defects. First, there was the unfortunate integration of the League Covenant into the Versailles Peace Treaty. For one, Germany and the other enemy states were not admitted as members of the League. Thus, these states considered the Covenant not as part of a Peace Treaty, but rather as a treaty tainted as a dictate. Furthermore, the United States – as one of the major founding states – did not join the League, because they did not approve of the Versailles Peace Treaty. Granted, there were early successful settlements of disputes between Finland and Sweden in the Aaland Island case (1920), between Lithuania and Poland in relation to Vilna (1923), Memel (1924) and the Corfu Affair (1923) “in which, however, the Conference of Ambassadors rather than the League achieved such settlement”.16 The following years were increasingly marked by acts of blatant disregard for the goals of the League, such as the use of force. Thus, in 1931 Japan asserted an absolute right of war when it attacked China. A Council resolution calling for cease-fire was defeated by an adverse vote of Japan in the Council, which did not take any action beyond sending a Commission of enquire.17 The decline of the League became even more evident when in 1935 Japan and Germany withdrew from the League. The de facto end of the League came with the outbreak of World War II. In retrospect the period from the 1920 s until the end of the League was not conducive for the development of standards of state conduct supporting peace and stability. 2. In view of the fundamental changes in the international system due to the emerging Cold War between the Western and the so-called Socialist camps, namely between the leading Nuclear Powers, the United States and the Soviet Union, the relevance of standards greatly increased. Given the fundamental antagonisms between 15 See J. Delbrück, “Die Entwicklung ausserrechtlicher internationaler Verhaltensnormen unter den Bedingungen nuklearer Abschreckung”, in: U. Nerlich/T. Rendtorff (eds.), Nukleare Abschreckung. Politische und ethische Interpretationen einer neuen Realität (1989), 353, at p. 359. 16 See C. Parry, “The League of Nations”, in: R. Bernhardt, Encyclopedia of Public International Law, vol. III (1997), 177 et seq. 17 Id.

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these Great Powers the chances for concluding agreements that are binding under international law were next to impossible. On the other hand, the serious or rather disastrous consequences of the use of nuclear weapons called for new approaches to avoid nuclear war. It has been argued that the mere existence of the large arsenals of nuclear weapons on both sides has led to stability of the mutual relations of the two main antagonist Powers. However, a closer analysis shows that indeed a number of standards and rules of political and military conduct were the stabilizing elements of the post-World War II political environment.18 First, the two Super Powers had accepted the newness of nuclear weapons, i. e. that these were new not in a technological sense, but new in a political and moral sense. The observation that nuclear weapons are new as such has only a descriptive character. But it has a normative element in so far as it is the newness of these weapons that led the nuclear powers not to use them first. Thus, the United States withstood the temptation to use nuclear weapons in the Korean War, in the Taiwan/China conflict, and in the Vietnam War exactly because these weapons were new, i. e. they differed fundamentally from conventional weapons. A second standard or “non-legal” norm said that the Super Powers – the United States and the Soviet Union – and later on Great Britain and France as well – have to avoid direct confrontations of their military forces. For example, when American and Soviet forces confronted each other “eye to eye” during the several Berlin crises political self-restraint prevailed. The list of the exercise of self-restraint is long. To name but a few: self-restraint was exercised by the United States when they took no military action with regard to the up-rising of workers in East-Berlin (1953), the up-rising in Hungary in 1956 and in the CSSR 1968, and with regard to the so-called U-2 incident (1960). A significant case of political/military self-restraint on the part of the Soviet Union was the withdrawal of its rockets from Cuba in 1962, thus avoiding a major military encounter with unpredictable consequences. As little as the individual standards or rules of conduct may appear to have achieved, one has to recognize that these non-legal standards or rules had an important impact on the individual states. Abiding by these standards or rules of conduct states went through a learning process that step by step improved the political environment in the sense of a process of peaceful change.19 The culmination of the endeavors to strengthen peace and stability in Europe was reached when – at the end of the 1975 Helsinki Conference on Security and Co-Operation in Europe – 32 European States and the United States, Canada and the Holy See adopted the Final Act on 1 August 1975.20 The Act – coached in terms of an international treaty – was not meant to be a binding, but rather a political instrument. The reason for this approach was that the Final Act as a binding treaty would not have been accepted by all participating states. Once accepted by all participating states the Act served as a collection of political standards of state conduct. The disadvantage was that violations of the Act could not be sanc18 19

seq. 20

For further details see Delbrück, supra fn. 15, at p. 354. For a more detailed appraisal of the foregoing see Delbrück, supra fn. 15, at p. 372 et Text of the Final Act in I.L.M. vol. XIV, no. 5, 1293 et seq.

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tioned like breaches of a binding instrument. Yet, the standards of state conduct served as a guide conducive to a growing rapprochement of the participating states in the Helsinki process. History has borne out these aspirations. With the end of the Cold War and the ensuing détente the role of standards in international relations has widely diminished. However, in view of the increasing tensions because of Iran’s nuclear aspirations, and the development of nuclear weapons by North Korea and the earlier acquisition of nuclear weapons by India and Pakistan and possibly Israel the standard of political and military self-restraint as it was exercised by the United States and the former Soviet Union has become most topical again.

Beyond the Triad of Sources: Introducing the Zebra and the Hybrid By Andrew Clapham The short contribution takes up Eibe Riedel’s challenge that we look beyond the traditional triad of sources of international law: treaties, custom, and principles of law recognized by civilized nations.1 It introduces his zebra metaphor and explains the concept of a hybrid source. What follows is adapted from a text book I have been working on and which I was lucky enough to be able to discuss with Eibe Riedel during his tenure as Swiss Chair of Human Rights at the Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights.2 Eibe Riedel’s comments and guidance for this project have been invaluable. I would also like to say here how very much he is appreciated at the Academy for everything he has brought to the teaching and research agenda. He has been a real inspiration for so many and I am very pleased to be able to recognize the influence of his ideas in the following passages.

A. International Standards and the Debate over ‘Soft Law’ In recent years scholars have become dissatisfied with an approach which limits an examination of sources to those listed in Article 38(1)(a)(b)(c) of the Statute of the International Court of Justice. Even if the Statute of the International Court of Justice apparently restricts the primary sources of law which that Court is bound to apply, any description of international law as it applies in contemporary international relations has to admit the influence of international standards, either as a source of law or as a set of normative developments. One of the most developed arguments for such standards as a source of law has come from Eibe Riedel who starts by admitting that: “Traditional international lawyers of the positivist school tried to reduce legal discourse to the pure discussion of relations between norms and questions of legal validity, to a pure exercise in systematization of ought-propositions by means of syllogistic analysis. By contrast a wider conception of law will embrace relevant factual bases of norms as an empirical basis of a social and political nature, thereby taking into purview the reality of the international community. Factual parameters will thus also be assessed in a normative context, so that state practice can be analyzed by international law categories, even if the practice does 1 E. Riedel, “Standards and Sources: Farewell to the Exclusivity of the Sources Triad in International Law?”, (1991) 2 EJIL 58. 2 See Brierly’s Law of Nations (7th ed 2012), Ch. II.

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Andrew Clapham not amount to legal but rather to political or ethical norms of action. This broader conception of the reach of international law, transcending pure ‘ought-analysis’, has much to recommend itself, for when one looks at the international legal process one finds that the stage of final decisions binding upon the parties is reached only in a very few isolated instances. Usually the application of the law stops far short of that and remains at the stage of more or less divergent individual self-assessments of rights and duties under international law.”3

This wider conception of law represents a more realistic picture of the norms that are taken into consideration by states, organizations and individuals on a day-to-day basis. In most situations international relations unfold in accordance with the international standards developed through the United Nations and other fora without too much reference as to whether such norms are “sources of law” or even “strictly legally binding”. This distinction between “hard law” and “soft law” remains critical when a tribunal is asked to settle a dispute between two entities based on the applicable law and according to a limited set of sources of law. But, as Riedel suggests, international law is often invoked outside the courtroom, and international soft law standards may be particularly influential in this general realm of international relations. Some international relations scholars have sought to explain how this soft law takes effect and the dynamics of its increasing impact. According to Kenneth Abbott and Duncan Snidal, rather than concentrating on the binary distinction between hard law and soft law, it makes more sense to break down the norm into three dimensions or variables and consider the different levels of Obligation, Precision, and Delegation developed by states in the specific context.4 Under this hypothesis states not only choose varying degrees of Obligation (for example between a treaty and a declaration), but in addition they negotiate various levels of Precision and Delegation according to the context. Therefore the normative framework is much more complex and malleable than the simple hard-soft dichotomy suggests. For example, states may choose to develop very precise obligations but subject them to monitoring mechanisms with relatively little delegated authority - this may suit states that are worried about erosions of sovereignty and yet tie in a large number of heterogeneous states to a particular regime with detailed norms. The level of any one dimension can be adjusted over time, so for instance states may delegate more and more authority to the monitoring/adjudicatory bodies, and in turn the obligations could become more and more precise through adjudication of disputes by the delegated authority. One can add to the complexity of the picture by admitting that any one international instrument might contain both hard and soft elements. Some treaties address certain obligations through provisions with low levels of precision, while tackling other obligations through provisions with a high degree of precision or “hardness”. Some commentators have chosen to describe certain instruments as containing “com3

E. Riedel, supra fn. 1, at pp. 64 et seq. (footnotes omitted). K. W. Abbott/D. Snidal, “Hard and Soft Law in International Governance”, (2000) 54 International Organization 3, 421. 4

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bination standards” with hard and soft law components, a black and white combination, sometimes even known as “zebra codes”. The composite norm is in turn developed through the influence of the soft provisions on the harder ones. In the words of Riedel: “The 70-year experience of standard-setting at the ILO, but also similar experiences at the UNESCO and WHO, to name but two further examples, have gradually built up new types of legal norms; the ‘zebra norms’ which aggregate binding and non-binding norms in one single combination standard. In applying the ‘zebra code’, decision-makers will have to bear in mind the different degrees of normative density of the component parts of it, and the ultimate decision will usually be based on the hard law component of the combination standard. The other components serve as interpretative tools for the binding, yet highly open-ended and abstract hard law elements of the standard.”5

This image of the two types of law interacting to influence the outcome helps us to see that non-binding “soft-law” instruments adopted in intergovernmental organizations are certainly worth more than the paper they are written on. They will affect how treaty law is interpreted and applied, they will contribute to the formation of customary international law, and they will form the normative framework for all sorts of regimes.6 Increased opportunities for drafting soft law in international fora mean that soft law will remain central to the role of international law in international relations. The doctrinal debate over the wisdom of referring to “soft law” as international law will continue to engage academics. Some scholars have sought to highlight the dangers of including soft law in the study of international law, but it must be admitted that any attempt to understand the normative influences that drive international relations should take into account the influence of soft law and the normative pull of such international standards.7 Eibe Riedel’s zebra metaphor has captured the imagination of a number of human rights commentators who have developed the idea as a way of understanding the impact and negotiations in bodies such as the Food and Agriculture Organization in contexts such as the right to food. Andreas von Brandt from the German Federal Foreign Office entitled one such article “The Birth of a Zebra: The complex negotiations on the human rights to food”. Referring explicitly to one of Eibe Riedel’s workshop interventions he goes on to explain how Riedel’s image “describes the complicated process by which the norms of international law come into being.”8 One can refer to the treaty obligations (under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ESC), 1966), the Universal Declaration of Human Rights 5

Riedel, supra fn. 1, at p. 82. For a useful overview of the significance and varieties of soft law see A. Boyle/C. Chinkin, The Making of International Law (2007), at pp. 211 – 229. 7 J. d’Asprement, “Softness in International Law: A Self-Serving Quest for New Legal Materials”, (2008) 19 EJIL 5, 1075; A. D’Amato, “Softness in International Law: A SelfServing Quest for New Legal Materials: A Reply to Jean d’Asprement”, (2009) 20 EJIL 3, 897. 8 (2006) 2 Agriculture & Rural Development, 8 at p. 8. 6

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(1948), and customary international law. But to understand what happened when the Guidelines on the Right to Food were adopted one needs to resort to the zebra. Von Brandt continues: “there was a clash between black and white, and depending on the given standpoint in the debate, it was either the white or the black stripes that could be seen. Some delegations, for example, wanted to distinguish in the introduction – for good reason – between those states that were signatories to the ESC Covenant and those that had not ratified the Covenant, while others hoped that non-signatories to the Covenant might yet be drawn into a legal commitment by more open forms of wording.”9

The result, in this telling, was the birth of a zebra, with states parties and non-states parties agreeing to variegated obligations in the same instrument. Inspired by the usefulness of such a metaphor, and building Eibe Riedel’s evocation of biology in his appeal to think of “varieties” of international law, I have tried to identify some other “hybrid” situations.

B. Hybrid Sources of International Law A number of human rights treaties contain within them references to other sources of international law. For example, several key human rights treaties include the rule that one cannot be prosecuted for a crime which was not a crime at the time it was committed. But this rule includes in the definition of triable crimes offences under international law, or in the European Convention on Human Rights “any act or omission which, at the time it was committed, was criminal according to the general principles of law recognised by civilised nations”.10 Evolving rules on international criminal law will change the scope of the protection under these human rights treaties.11 A second example would be the provisions on derogation under human rights treaties. In several treaties derogations may not involve measures that are inconsistent with a State’s other obligations under international law. These will include customary international obligations including the customary laws of war. Where states find themselves in a state of emergency, or armed conflict situation, the treaty body which supervises compliance with the treaty will consider these other obligations and may have to determine whether there has been a violation of the other obligation in order to see if there has been a violation of the human rights Convention at issue.12 9

Id. at p. 9. Art. 7(2). 11 See Kononov v Latvia, (Application No 36376/04), [2010] ECHR 667, . 12 The American Convention includes a number of references to other treaties and obligations and the Commission and Court may even control the extent to which remedies are provided in national law for violations of these obligations where they have been incorporated into national law. See Articles 25, 27 and 29 of the American Convention on Human Rights 10

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A third hybrid can be found in the African and American regional treaties that go even further and graft on obligations under Declarations. In this way respect for the treaty may involve hybrid rights created from a combination of treaty rights and declaration rights (soft law standards). The African Charter on Human and Peoples’ Rights (1981) includes the following provision: “Article 18(3): The State shall ensure the elimination of every discrimination against women and also ensure the protection of the rights of the women and the child as stipulated in international declarations and conventions.” Of course the binding nature of the human rights in all these cases stems from the treaty itself and the treaty monitoring body or international Court only has jurisdiction over the obligations contained in the treaty as such, but the hybrid nature of the instruments means that other sources such as custom or Declarations adopted by relevant international organizations are grafted onto the treaty source.

C. Law-Making by International Organizations There is now nothing new about the idea that resolutions adopted in international organizations can contribute to the formation of customary international law. What is perhaps more challenging is to consider whether votes and texts adopted by international organizations can generate international obligations as a separate source of law. When the fifteen member Security Council “decides” that member states must act or refrain from acting in a certain way, this creates a binding obligation on the member states of the organization.13 Strictly speaking one could say that the member states are simply bound by the treaty obligations that they undertook by becoming parties to the UN Charter, and one obligation they undertook was to accept to follow the decisions of the Security Council.14 But to explain the situation in this way would be to miss an opportunity to understand the dynamics of the ways that international organizations create obligations for their members and indeed for themselves.15

(1969) for the complex interaction of Declarations, treaties, customary obligations and national law. 13 Article 25 of the UN Charter. 14 See Ch. III of Brierly’s Law of Nations, supra fn. 3. 15 See further J. E. Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005) and also B. D. Lepard, Customary International Law: A New Theory with Practical Applications (2010), Ch. 20. For a thoughtful study which examines the normative effects of the acts of international organizations not only for their members but also on individuals and corporations see M. Goldmann, “Inside Relative Normativity: From Sources to Standard Instruments for the Exercise of International Public Authority”, in: A. von Bogdandy et al. (eds.), The Exercise of Public Authority by International Institutions: Advancing International Institutional Law (2010), 661.

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Consider the work of the International Civil Aviation Organization (ICAO); as new navigation and safety issues arise (for example in the wake of the use of civil aeroplanes to attack the World Trade Centre in New York on 11 September 2001) the ICAO Council (made up of 36 representatives from its 180 member states) can adopt a new Standard by a two-thirds majority. Unless a majority of the member states “register their disapproval” in the following three months, this new Standard takes effect as an annex to the treaty for all member states.16 In this way the Council, like the Security Council, can be seen to create new obligations. Another example is the International Whaling Commission. Here the capacity to regulate for the members is more limited. A 75 % majority of those voting is needed to amend the regulations concerning: “the conservation and utilization of whale resources, fixing (a) protected and unprotected species; (b) open and closed seasons; (c) open and closed waters, including the designation of sanctuary areas; (d) size limits for each species; (e) time, methods, and intensity of whaling (including the maximum catch of whales to be taken in any one season); (f) types and specifications of gear and apparatus and appliances which may be used; (g) methods of measurement; and (h) catch returns and other statistical and biological records.”17

States have 90 days to object, and should one party object, other states have a further period in which to object. Thereafter the amendment becomes binding on those states that have not objected. Although the potential here for law-making over and above the wishes of a state are reduced, the Commission’s decisions do nevertheless create new obligations. Waldock suggested already in 1963 that the acceptance of organizations such as the UN “as independent international persons may now justify us in considering their acts as original sources of international law under Article 38 of the Statute, instead of a secondary source derived from their constituent treaties.” He accepted the argument that the capacity of international organizations to act on the international plane “derives from a constituent treaty concluded between States and the treaty is therefore the origin of the legal force of their acts.” But he continued by suggesting “once the treaty is concluded, an organization which possesses autonomous organs detached from its Member States begins a life of its own and becomes a new decision-making unit of the international community.”18

D. Unilateral Declarations of States The International Law Commission (ILC) has recently adopted Guiding Principles which clarify how declarations publicly made by government authorities can 16

Article 90(a) of the Convention on International Civil Aviation (1944). Article V(1) of the International Convention for the Regulation of Whaling (1946). 18 General Course on Public International Law, (1963) 106 RCADI II, 1, at p. 103.

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Beyond the Triad of Sources: Introducing the Zebra and the Hybrid

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create international legal obligations. The declarations must demonstrate a “will to be bound” and the authority must be vested with the power to bind the state in this way. According to the ILC’s Principles: “By virtue of their functions, heads of State, heads of Government and ministers for foreign affairs are competent to formulate such declarations. Other persons representing the State in specified areas may be authorized to bind it, through their declarations, in areas falling within their competence”.19

One could therefore imagine, for example, a minister for transport or trade acting within their areas of competence, creating obligations for their state. The declaration can be oral or written, but it must be addressed to “the international community as a whole or to one or several States or to other entities”.20 In a well-known case from 1974 the International Court of Justice found that France had assumed a unilateral obligation to refrain from atmospheric nuclear testing. Interestingly the Court did not rely on any one declaration in isolation but rather a series of statements by the President, members of the French Government and the Minister of Defence, which they held “to constitute an engagement of the State, having regard to their intention and to the circumstances in which they were made.”21 The ILC has been careful to offer a guideline limiting the possibilities for states to revoke their declarations. In short, the ILC suggests that arbitrary revocations should not be permitted, and that one factor to assess arbitrariness would be the extent to which others, to whom the obligations were owed, had relied on the declaration as a source of obligation.22

E. Concluding Remarks Eibe Riedel’s seminal article asked us to bid farewell to the exclusivity of the triad of sources. In homage I have tried to illustrate how we might look beyond the triad by imagining some instruments as Riedel’s zebras with their careful mixture of hard and soft law. The zebra is such an arresting image that I find it difficult now to dissociate them from new ways of thinking about international texts. In fact it is only a slight exaggeration to say that every time I use striped pedestrian crossing (known in England as Zebra crossings) I find myself trying to alternate between the black stripes and the white stripes saying to myself Eibe soft law – Eibe hard law – Eibe soft law – Eibe hard law … 19 Guiding Principles applicable to unilateral declarations of States capable of creating legal obligations (2006), Principle 4. 20 Id. Principle 6. 21 Nuclear Tests Case (1974) at para. 51. Cf V. Lowe International Law (2007), at pp. 88 et seq. See also the PCIJ Judgment in: Legal Status of Eastern Greenland, Denmark v Norway,1933, Series A/B 22 at 71 et seq. 22 Principle 10 (ii).

Die internationale Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) und die Maßnahmen des Sicherheitsrates gegenüber Libyen* Von Stephan Hobe**

A. Einleitung Auch längere Zeit nach dem Tod Oberst Gaddafis ist Libyen noch nicht zur Ruhe gekommen. Dies ist auch angesichts der großen Verwerfungen nach 42-jähriger Herrschaft des Diktators kaum verwunderlich. UN-Sanktionen haben maßgeblich zu dessen Sturz beigetragen. Aus rechtlicher Sicht ist dabei die Errichtung der Flugverbotszone über Libyens Luftraum von großer Bedeutung.1 Insofern kann etwa die Sicherheitsratsresolution 1973 (2011) als eine Art Blaupause weiterer möglicher Sanktionen nach Artikel 41 der UN-Charta gelten. Aber nicht nur diese Sanktion hat der Resolution ihr Gepräge gegeben. Vielmehr kommt hierin, wie auch später in der Resolution 1975 (2011), die sich auf die Situation in der Elfenbeinküste bezieht, hier aber nicht näher erörtert werden soll, etwas zum Ausdruck, was bislang nur in eher theoretischem Kontext gesehen wurde. Das völkerrechtliche Konzept der Schutzverantwortung (responsibility to protect) wird hier erstmals konkretisiert. Der Sicherheitsrat hatte sich zwar in der Vergangenheit bereits häufiger zum Konzept der Schutzverantwortung geäußert,2 aber niemals ist diese Schutzverantwortung auch konkreter Gegenstand seiner Maßnahmen und damit der gelebten Praxis gewesen. Schon insofern nimmt es kaum Wunder, dass die Anhänger des Konzepts dessen Anwendung durch die Vereinten Nationen und vor allem durch den Sicherheitsrat geradezu enthusiastisch feierten. In den Worten von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, der den Sicherheitsrat bereits zuvor an die subsidiäre Verantwortung der internationalen Gemeinschaft erinnert hatte:3 „Resolution 1973 affirms, clearly and unequivocally, the international community’s deter* Dieser Aufsatz geht zurück auf einen Vortrag, den der Verfasser im November 2011 vor der Indian Society of International Law in New Delhi gehalten hat. ** Der Autor bedankt sich bei Thomas Liefländer, z. Zt. Oxford, für die unterstützende Recherche für diese Ausarbeitung. 1 Dazu etwa Hobe/Fremuth, Establishment of a No Fly Zone over Libya, Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht (ZLW) 2011, S. 389 ff. 2 Siehe z. B. die Sicherheitsratsresolutionen 1674 und 1706. 3 Security Council, 6490th meeting, 25 February 2011, UN Doc. S/PV.6490, S. 3.

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mination to fulfill its responsibility to protect civilians from violence perpetrated upon them by their own government.“4 In diesem Zusammenhang wurde sogar die Tatsache, dass der Sicherheitsrat sich nicht auf die Unterstützung des Konzeptes beschränkt, sondern es direkt in einen konkreten Kontext eingebettet hatte, von einem der Promotoren des Konzepts als ein Indiz dafür angesehen, dass die Schutzverantwortung „is coming closer to being solidified as an actionable norm.“5 Alain Pellet hatte die Resolutionen 1970 und 1973 lautstark begrüßt, denn sie würden „moving far beyond the [General Assembly’s] timid conception of the responsibility to protect“, zudem stellten sie den Zeitpunkt dar, der „makes [the collective obligation of states to help and repair in situations of urgency] real“.6 Trotz dieses klaren Bekenntnisses des Sicherheitsrats und des großen Enthusiasmus ob seiner Entscheidung bleibt aber weiterhin unklar, was darin eigentlich zum Ausdruck kommen soll. In der Perspektive des Völkerrechts hatte das Konzept der Schutzverantwortung, seitdem es aus der Taufe gehoben worden war, immer mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Es war als konzeptionell vage angesehen worden, was sich etwa darin niederschlug, dass es mindestens vier verschiedene Formulierungen des Konzepts gegeben hat.7 Die brennendsten Fragen beinhalteten allerdings die Problematik, ob das Konzept einen konkreten rechtlichen Gehalt hat, und hier insbesondere die Frage, ob von einer Verpflichtung des Sicherheitsrates zu militärischem Vorgehen gesprochen werden kann. Zudem ist besonders streitig, zu welchem Zeitpunkt man von einem Umschlagen der innerstaatlichen Verantwortlichkeit des Staates in die Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft zum Handeln auszugehen hat und was die Parameter sind, unter welchen die internationale Gemeinschaft eine solche Schutzverantwortung wahrnehmen soll. Im nachfolgenden Beitrag soll deshalb der Einfluss der Libyenresolutionen auf die konkrete Ausformung des Konzepts der Schutzverantwortung näher untersucht werden. Es soll die Frage gestellt werden, ob diese Resolutionen jedenfalls einige 4

Stellungnahme vom 17. März 2011. Thakur, UN Breathes Life into „Responsibility to Protect“, TheStar.com, 21 March 2011, . 6 Pellet, zitiert in: Peters, The Security Council’s Responsibility to Protect, 2011, 2 . 7 International Commission on Intervention and State Sovereignty, The Responsibility to Protect, 2001; Report of the High-level Panel on Threats, Challenges and Change, A more secure world: our shared responsibility, 2 December 2004, UN Doc. A/59/565; Bericht von UN Generalsekretär Kofi Annan, In Larger Freedom: Towards Development, Security and Human Rights for All, 21 March 2005, UN Doc. A/59/2005; General Assembly Resolution 60/1, 2005 World Summit Outcome, 24 October 2005, UN Doc. A/RES/60/1; vgl. Stahn, Responsibility to Protect: Political Rethoric or Emerging Legal Norm?, American Journal of International Law 101 (2007), 99. 5

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der soeben gestellten Fragen zu erhellen vermocht haben. Haben sie etwa das Konzept weiterentwickelt und ihm einen festen Gehalt gegeben? Sind die zu untersuchenden Resolutionen vielleicht doch eher als eine Bedrohung denn als eine Festigung des Konzeptes anzusehen? Diese Fragestellungen sollen anhand von zwei konkreten Problembereichen angegangen werden. So soll zum einen zunächst einmal genauer gefragt werden, ab welchem Zeitpunkt von dem Bestehen einer subsidiären Verantwortung der internationalen Gemeinschaft auszugehen ist. Insofern soll genauer untersucht werden, ob und wann von einer Handlungsverpflichtung des Sicherheitsrats auszugehen ist, was auch die Frage eröffnet, ob die Mandatierung militärischer Handlungen dann angezeigt ist, wenn hier eine bestimmte Schwelle der Intensität überschritten ist. Schließlich soll der Bedeutung der Libyenresolution für eine materielle Ausformung der Schutzverantwortung nachgegangen werden. Dies alles geschieht in der Erkenntnis, dass sich Eibe Riedel spätestens seit seiner bahnbrechenden Habilitationsschrift zu den verschiedenen Dimensionen der Menschenrechte8 mit allen Facetten der Menschenrechtsproblematik und der Menschenrechtsdoktrin auseinandergesetzt hat.9 So hat sein Interesse selbstverständlich auch der Frage der humanitären Intervention und natürlich der spezifischen Verantwortung des Staates zum Schutz des Menschen gegolten. Die darüber hinaus in diesem Beitrag zu untersuchende Frage eines Umschlagens innerstaatlicher Verantwortlichkeit in (subsidiäres) Handeln der internationalen Gemeinschaft, aktualisiert im Konzept der internationalen Schutzverantwortung, erscheint insofern als ein passendes Betätigungsfeld, um das Wirken Eibe Riedels angemessen zu würdigen.

B. Die Grundüberlegung: Ab wann kann von einer internationalen Schutzverantwortung gesprochen werden? Bekanntlich ist die Schutzverantwortung als geteilte Verantwortung in dem Sinne zu verstehen, dass sie sowohl an den individuellen Staat als auch an die internationale Gemeinschaft gerichtet ist. Allerdings stimmen die Verantwortlichkeiten von Staat und internationaler Gemeinschaft nicht genau überein. Es ist vielmehr so, dass zunächst einmal jeder Staat die primäre Verantwortlichkeit zum Schutze seiner eigenen Bevölkerung trägt. Die internationale Gemeinschaft, die entweder durch die Vereinten Nationen kollektiv oder durch jeden Staat individuell handelt, trägt eine Art sekundärer, subsidiärer Verantwortung, die nur bei der Überschreitung einer dann näher zu bestimmenden Grenze zum Zuge kommt. Diese zu überschreitende Grenze für das Hervorrufen der Verantwortlichkeit der internationalen Gemeinschaft ist nun 8

Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986. Sein Schriftenverzeichnis weist insofern Arbeiten zur Menschenrechtsdogmatik wie auch zur Wirkung der Menschenrechte und dem regionalen Menschenrechtsschutz in beeindruckender Vielfalt auf. Siehe , sowie das Verzeichnis am Ende dieses Bandes. 9

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in den verschiedenen Formulierungen der Schutzverantwortung auch immer unterschiedlich definiert worden. Der Bericht der internationalen Kommission zur Intervention und staatlichen Souveränität (International Commission on Intervention and State Sovereignty) hatte in auffallender Parallele zur Komplementaritäts-Regel des Römischen Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof10 formuliert, dass die Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft dann ins Spiel komme, wenn sich eine hinreichend gravierende Situation entwickelt habe11 und sich der Territorialstaat, der die primäre Schutzverantwortung trage, als unfähig oder unwillig gezeigt habe, diese Verantwortung auszuüben.12 Wir können also insofern von einer zweifachen Grenze sprechen, in einem Fall bezogen auf die materiellen Anforderungen an die Situation und zum anderen mehr prozedural, auf den Augenblick bezogen, wenn die Schutzverantwortung von innen nach außen wechselt. Der Bericht der Hohen Regierungsvertreter über die Bedrohungen hatte im Wesentlichen diesen Ansatz bestätigt, indem er zum Ausdruck gebracht hatte, dass „während die souveränen Regierungen die primäre Schutzverantwortung gegenüber ihren Bürgern tragen […], diese Verantwortung dann, wenn die Regierung sich als unwillig oder unfähig zur Ausübung dieser Verantwortung gezeigt habe, umschlagen solle auf die internationale Gemeinschaft als solche“.13

Indes findet sich die am stärksten autorisierte Formulierung der Schutzverantwortung im Enddokument des Weltgipfels von 2005. Hier ist allerdings festzustellen, dass diese Formulierung ein wenig von den oben gegebenen abweicht. Erstens wird die Tragweite des Konzepts der Schutzverantwortung auf die Hauptverbrechen im Sinne des internationalen Strafrechts begrenzt, indem festgestellt wird, dass jeder individuelle Staat die Schutzverantwortung gegenüber seiner Bevölkerung trage und zwar bezogen auf Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.14 Zweitens wird damit der Ansatz ausgeschieden, welcher auf die Fähigkeit oder den Willen des individuellen Staates zur Ausübung der Schutzverantwortung gegenüber seiner eigenen Bevölkerung rekurriert. Vielmehr werden andere Bedingungen wie folgt gestellt: Zum einen müssen friedliche Maßnahmen sich als nicht mehr angemessen erwiesen haben und zum anderen müssen die entsprechenden nationalen Behörden sich in manifester Weise als unfähig gezeigt haben, ihre Bevölkerung zu schützen.15 Während das erste Erfordernis von nicht ausreichenden friedlichen Maßnahmen im Grunde genommen die Architektur der gesamten UN Charta und insbesondere die Artikel 41 und 42 reflektiert, zeigt das 10 Siehe Strauss, A Bird in the Hand is Worth Two in the Bush – on the Assumed Legal Nature of the Responsibility to Protect, 1 Global Responsibility to Protect (2009), 291 (298). 11 Bezüglich militärischer Interventionen fordert die ICISS weitreichende Verluste von Menschenleben, oder ethnische Säuberungen – siehe dazu ICISS Report, S. XII. 12 ICISS, Abs. 2.29 – 3.31. 13 High Level Panel (Fn. 7), Abs. 201. 14 World Summit Outcome (Fn. 7), Abs. 138. 15 World Summit Outcome (Fn. 7), Abs. 139.

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Erfordernis eines „offensichtlichen“ Fehlers ein neues Kriterium auf, wobei, was dessen Interpretation betrifft, wenig Hilfestellung besteht.16 Was also ein manifestes Versagen ist, ist vollkommen unklar. Diese Undeutlichkeit ist insofern als eine Falle kritisiert worden, als sie jedem Gegner einer internationalen Schutzaktion regelmäßig das Argument eröffne, die Grenze zum Einschreiten der internationalen Gemeinschaft sei noch nicht erreicht.17 Was im Übrigen Handlungen des Sicherheitsrats angeht, ist festzuhalten, dass die Einschätzung, ob die Bedingungen für sein Eingreifen erfüllt sind, sich als politische Frage erweist, was auch darauf hinauslaufen kann, dass eine Uneinigkeit über das Ausmaß des erforderlichen staatlichen Versagens bei der Wahrnehmung der Schutzverantwortung den gesamten Interventionsprozess zum Stillstand bringen kann. Insofern zeigt sich, dass die verschiedenen Formulierungen des Grenzkriteriums zu gewissen Unsicherheiten führen.

C. Welchen Beitrag leistet nun die konkrete Praxis des Sicherheitsrats im Libyen-Fall und wie geht er diese konkrete Frage an? Hier sticht zunächst die Feststellung des Sicherheitsrats ins Auge, dass „weitreichende und systematische Angriffe, die sich derzeit in Libyen gegenüber der Zivilbevölkerung zeigten, insgesamt die Schwere von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erreichen können“. Dieser Satz hat eine gewisse Nähe zur Überweisung der Situation in Libyen an den internationalen Strafgerichtshof, er hat aber natürlich auch Relevanz in Verbindung mit der internationalen Schutzverantwortung. Denn die ausdrückliche Stellungnahme, dass die Angriffe die Qualität von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erreichen könnten, zeugt von einer Einschätzung des Sicherheitsrats dahingehend, dass das erste substantielle Grenzkriterium erfüllt sein muss. Allerdings entsteht in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem: Im sogenannten „Outcome Document“ fanden sich Formulierungen in absolutem Wortlaut, wonach gefordert war, dass der entsprechende Staat objektiv in schwerwiegender Weise seine Schutzverantwortung gegenüber seiner Bevölkerung in Bezug auf Menschenrechtsbeeinträchtigungen verletzt haben müsse, während es sich in der Formulierung des Sicherheitsrats um eine Einschätzung in relativen Formulierungen handelte, wonach es ausreichend sein sollte, dass die Angriffe die Erheblichkeitsschwelle solcher Verbrechen erreichen könnten. Die Zurückhaltung des Sicherheitsrats ist zwar zunächst einmal lobenswert, weil letztlich jede Bestimmung, ob ein Angriff wirklich die Qualifikation eines internationalen Verbrechens erreicht, den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs vorbehalten bleiben sollte. Indes könnte diese Zurückhaltung auch als ein Zweifeln am Konzept der Schutzverantwortung selbst angesehen werden: Denn wenn der Internationale Strafgerichtshof entscheiden würde, dass im Er16 17

Siehe Stahn (Fn. 7), 117. Ebda., 116 f.

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gebnis keine Menschenrechtsverbrechen begangen wurden, stellt sich natürlich die Frage, ob die Einschätzung des Sicherheitsrats bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen der Verantwortlichkeit in der Perspektive des „Outcome Document“ nach wie vor akzeptabel ist. Man wird die Auffassung vertreten müssen, dass die besseren Argumente im Lichte dieser Praxis des Sicherheitsrats dafür sprechen, das substantielle Grenzkriterium immer dergestalt zu interpretieren, dass es nicht absolute rechtliche Sicherheit, sondern nur die ausreichend vernünftige Vermutung zum Inhalt haben muss. In diesem Sinne würde die vorsichtige Stellungnahme des Sicherheitsrats als ausreichend anzusehen sein, um seine Handlungen unter den Schutzschirm der internationalen Schutzverantwortung zu bringen. Der zweite interessante Aspekt ist sodann die Abfolge der Handlungen des Sicherheitsrats. In seiner Resolution 1970 aus dem Jahre 2011, die bloß auf Artikel 41Maßnahmen hingewiesen hatte, hatte der Sicherheitsrat an die libyschen Behörden appelliert, die Verantwortung zum Schutze der Bevölkerung wahrzunehmen, womit er auf Libyens primäre Verantwortlichkeit in dieser Beziehung rekurriert hatte. Die Weigerung, bereits militärische Maßnahmen anzuwenden und das Fehlen einer Stellungnahme zum Bestehen einer Verantwortlichkeit der internationalen Gemeinschaft muss als Anzeichen dafür angesehen werden, dass das zweite Grenzkriterium in den Augen des Sicherheitsrats noch nicht erreicht war. Dies änderte sich hingegen mit Resolution 1973 aus dem Jahre 2011. Nachdem der Sicherheitsrat hier wiederum die libysche Schutzverantwortung zum Ausdruck gebracht hatte, fuhr er sodann mit der Betonung fort, er sei fest entschlossen, den Schutz der Zivilbevölkerung und der von Zivilisten bewohnten Gebiete zu sichern. Betrachtet man diese Stellungnahme im Lichte der Konzeption der Schutzverantwortung, hat es den Anschein, diese Stellungnahme sei Ausdruck der Überzeugung des Sicherheitsrats, es sei nunmehr Sache der internationalen Gemeinschaft, die Interessen der libyschen Bevölkerung zu schützen. Insofern kann man diese Stellungnahme durchaus als Einschätzung dahingehend verstehen, dass das zweite Grenzkriterium auch bereits überschritten war. Dies würde umgekehrt bedeuten, dass der Sicherheitsrat implizit Libyens Verhalten als das erforderliche „substantielle Versagen“ Libyens angesehen hatte, seiner eigenen Verantwortlichkeit gerecht zu werden.18

18 Diese Überlegungen scheinen der Stellungnahme des Hilfsberaters des U.S. State Department, Harold Koh, zugrunde zu legen, die er machte, kurz nachdem Resolution 1973 (2011) verabschiedet worden war: „Qaddafi has forfeited his responsibility to protect his own citizens and created a serious need for immediate humanitarian assistance and protection, with any further delay only putting more civilians at risk“ (H. Koh, Statement Regarding Use of Force in Libya, American Society of International Law Annual Meeting, 26 March 2011).

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D. Was kann man nun aus diesen Ansätzen des Sicherheitsrats bezüglich der zweiten Hälfte des Grenzkriteriums schließen? Eine mögliche Schlussfolgerung könnte sein, jede Anordnung militärischer Maßnahmen setze jeweils zunächst einmal eine Resolution des Sicherheitsrats dahingehend voraus, dass der Staat seiner eigenen Schutzverantwortung gerecht werden muss. Die Mitglieder des Sicherheitsrats selbst hatten Resolution 1970 (2011) immer als eine Warnung an das libysche System verstanden.19 Solch ein Warnschuss hätte nämlich den deutlichen Vorteil gehabt, dass er für jedermann sicht- und hörbar die Einschätzung des Vorliegens eines substantiellen Versagens sehr viel erleichtern würde. Wenn diese dringende Warnung überhört wird, ist schwer zu argumentieren, dass die Unterlassung des Ausübens von Schutz etwas anderes als ein manifestes Versagen war. In diesem Zusammenhang ist besonders relevant, dass viele Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats sich in der Tat auf Libyens fehlende Befolgung der Resolution 1970 aus 2011 berufen haben, um die Autorisierung von militärischen Maßnahmen zu rechtfertigen.20 Allerdings kann dieser Ansatz kaum als ein Modell für solche Situationen betrachtet werden, in denen das Leben einer großen Anzahl von Zivilisten unmittelbar gefährdet ist. Immer dann, wenn ein Handeln dringend erforderlich ist, ist kaum zu rechtfertigen, dass dem verantwortlichen Staat noch eine letzte Chance vor dem Tätigwerden des Sicherheitsrats gegeben werden soll. Während der also nunmehr angewendete Ansatz einige Vorteile mit sich bringt, kann er vielleicht nicht in jedem Fall als eine Art „Drehbuch“ für die mögliche Wahrnehmung einer Schutzverantwortung durch die internationale Gemeinschaft verstanden werden.

E. Gibt es eine Rechtsverpflichtung der internationalen Gemeinschaft zum Handeln? Bereits seit ihrer Entstehung war eine der meist diskutierten Fragen zum Konzept der Schutzverantwortung, ob dieses Konzept als Rechtsnorm bzw. als Rechtsnorm in statu nascendi, oder auch nur als eine politische Form von Verantwortung anzusehen sei. Die die Verpflichtung konstituierenden Dokumente nehmen auch hierzu unter19

Siehe Security Council, 6491st meeting, 26 February 2011, UN Doc. S/PV.6491, S. 3, Stellungnahme von Ms. Rice (United States of America): „This is a clear warning to the Libyan Government that it must stop the killing“; S. 5, Stellungnahme von Mr. Araud (France): „The text, unanimously adopted today, recalls the responsibility of each State to protect its own population and of the international community to intervene when States fail in their duty“. 20 Siehe Security Council, 6498th meeting, 17 March 2011, UN Doc. S/PV.6498, S. 2, Stellungnahme von Mr. Juppé (France); S. 4, Stellungnahme von Sir Mark Lyall Grant (United Kingdom); S. 5, Stellungnahme von Ms. Rice (United States of America); S. 7, Stellungnahme von Mr. Osorio (Colombia); S. 8, Stellungnahme von Mr. Moaraes Cabral (Portugal); S. 10, Stellungnahme von Mr. Sangqu (South Africa).

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schiedliche Standpunkte ein. Im Bericht des High Level Panel wird das Konzept als eine in der Entstehung begriffene Norm bezeichnet.21 Indes ist der Bericht von Generalsekretär Kofi Annan, der ansonsten die Ergebnisse des Panels durchaus begrüßt, deutlich vorsichtiger in der Formulierung.22 Zu einer gewissen Vorentscheidung kam es in dem Moment, als es in Bezug auf den Weltgipfel für die Staaten darum ging, das Konzept zu unterstützen. Frühere Entwürfe hatten vorgesehen, dass das Ergebnisdokument (Outcome Document) von einer „Verpflichtung“ der internationalen Gemeinschaft sprechen sollte, was dem Konzept eine deutlich stärker juristische Perspektive dergestalt gegeben hätte, darin jeweils eine Rechtsverpflichtung zum Handeln bei Vorliegen der entsprechenden Verantwortlichkeit zu sehen.23 Dieser Entwurf fand jedoch nicht die Zustimmung der Vereinigten Staaten, die sich vielmehr prononciert dafür aussprachen, nur von einer sogenannten „politischen Verantwortlichkeit“ zu sprechen.24 Am Ende sprach auch das Outcome Document nur von der bloßen „Verantwortung“ und mied somit ein klares Bekenntnis dazu, ob das Konzept der internationalen Schutzverantwortung rein rechtlich oder eher politisch zu verstehen ist.25 In der akademischen Diskussion gibt es eine gewisse Tendenz, jegliche rechtlich verpflichtende Natur der internationalen Schutzverantwortung zu verneinen.26 Die diesbezüglichen Argumente reichen von der Behauptung, dass das Konzept spezifisch normativen Gehalt vermissen lasse,27 bis hin zu dem Argument, dass der Kristallisierungsprozess einer neuen Norm des internationalen Gewohnheitsrechts noch nicht abgeschlossen sei.28 Auf der anderen Seite ist weitgehend unstreitig, dass bestimmte Elemente der Schutzverantwortung anderen wichtigen Rechtsnormen entsprechen. Für unsere Zwecke ist zum Beispiel klar, dass der Sicherheitsrat immer das Recht zur Intervention in solchen Situationen wahrnehmen kann, in denen er der Auffassung ist, sie bedeuteten eine Bedrohung des Weltfriedens, egal, ob man diesbezüglich das Konzept der internationalen Schutzverantwortung akzeptiert oder nicht. So gesehen würde die Schutzverantwortung also dem Handeln des Sicherheitsrats einfach nur zusätzliche Legitimität verleihen, sich aber nicht als für die Legalität entscheidendes Kriterium erweisen. Während also im Grundsatz Übereinstimmung darüber herrscht, dass der Sicherheitsrat ein Interventionsrecht hat, hat 21

High Panel Report (Fn. 7), Abs. 202. Annan Report (Fn. 7), Abs. 135. 23 Siehe Rausch, Responsibility to Protect, 2011, 215 ff. 24 Die amerikanische Position bis zum Weltgipfel wird zusammengefasst von Bellamy/ Reike, The Responsibility to Protect and International Law, 2 Global Responsibility to Protect (2010), 267 (274 f.). Siehe auch Strauss (Fn. 10), 296 f.; Rausch (Fn. 23), 215 ff. 25 Outcome Document (Fn. 7), Abs. 139. 26 Siehe Bellamy/Reike (Fn. 24), 268; Stahn (Fn. 7), 120. 27 Siehe Payandeh, With Great Power Comes Great Responsibility? The Concept of the Responsibility to Protect With the Process of International Lawmaking, 35 Yale Journal of International Law (2010), 469 (471). 28 Peters (Fn. 6), 7. 22

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sich eine entsprechende Verpflichtung zur Intervention bisher nicht als Rechtsnorm durchsetzen können.29 Solch eine Verpflichtung kann sich natürlich als Norm des Völkergewohnheitsrechts entwickeln.30 Man müsste dann eine entsprechende Staatenpraxis nachweisen können, und zwar insbesondere solcher Staaten, deren Interessen am ehesten berührt sind.31 In solchen Situationen, die potentiell in den Bereich der Schutzverantwortung fallen und in denen der Sicherheitsrat gehandelt hat, wäre die entsprechend ebenfalls erforderliche opinio juris für die Unterscheidung wichtig, ob der Sicherheitsrat bloß ein Recht ausübt, oder ob er diesbezüglich zum Handeln verpflichtet war. Vor allem für Situationen, in denen der Sicherheitsrat nicht handelt, wäre es besonders wichtig, feststellen zu können, ob dieses Handeln wegen des Fehlens einer möglichen Verpflichtung geschah oder weil er das Bestehen der Verpflichtung als solche verneint hat. Nachfolgend soll insofern auch die Frage gestellt werden, was das Handeln des Sicherheitsrats in Bezug auf Libyen hinsichtlich des Vorliegens einer solchen Rechtsverpflichtung aussagt. Dabei spielt natürlich auch das bis heute ausgebliebene Handeln des Sicherheitsrats in Bezug auf die Situation in Syrien eine wichtige Rolle. Zunächst einmal verdient festgehalten zu werden, dass Resolution 1973 aus dem Jahre 2011 selbst keinen Hinweis darauf enthält, der Sicherheitsrat habe sich selbst als einer Rechtsverpflichtung entsprechend handelnd betrachtet, noch dass dieses seine Mitglieder getan hätten. Mehrdad Payandeh’s Stellungnahme, die sich ursprünglich auf die Resolutionen des Sicherheitsrats 1974 und 1706 bezogen hat, dass „[t]here is no indication that the Security Council acted in the belief that it was obliged to take a specific action due to its previous endorsement of the responsibility to protect“32 ist insofern auf die Libyen-Sanktionen genauso anwendbar. Man tut gut daran, sich insofern die Stellungnahmen anzuschauen, die die Staaten selbst abgegeben haben, nachdem sie über die Libyenresolution abgestimmt hatten. Hier finden wir zwar einige Erklärungen, die in die Richtung des Bestehens einer Verpflichtung gehen. So sagte etwa der Vertreter Südafrikas, dass „the United Nations and the Security Council could not be silent, nor be seen to be doing nothing in the face of such grave acts of violence committed against innocent civilians.“33 Im selben Atemzug vertrat auch der nigerianische Vertreter die Auffassung, dass „[i]t is important that when civilians in grave danger cry out, the international community, undaunted, is ready to respond.“34 Diese Stellungnahmen scheinen in der Tat die Auffassung zu erhärten, dass der Sicherheitsrat nicht vollständig frei bei seinen Entschei29 Bellamy/Reike (Fn. 24), 269; siehe auch Payandeh (Fn. 27), 481, m.w.N. Siehe auch Rausch (Fn. 23), 214. 30 Siehe Strauss (Fn. 10), 323; siehe auch Evans, From Humanitarian Intervention to the Responsibility to Protect, 24 Wisconsin International Law Journal (2006 – 2007), 703 (704). 31 So der IGH am 20. 2. 1969, im Nordseekontinentalsockel-Fall, in: ICJ Reports 1969, 4 ff. (Abs. 73). 32 Payandeh (Fn. 27), 485. 33 Security Council, 6498th meeting, 17 March 2011, UN Doc. S/PV.6498, S. 10. 34 Security Council, 6498th meeting, 17 March 2011, UN Doc. S/PV.6498, S. 9.

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dungen war. Indes hat es auch den Anschein, dass dies Handeln trotzdem nicht aufgrund einer angenommenen Rechtsverpflichtung entstanden ist. Man kann deshalb diese Stellungnahmen nicht bereits als Ausdruck einer entsprechenden opinio juris betrachten. Bei der Annahme von Resolution 1970 aus dem Jahre 2011 hatte UN Generalsekretär Ban eine recht deutliche Stellungnahme abgegeben, indem er betont hatte: „I strongly believe that the first obligation of the international community is to do everything possible to ensure the immediate protection of civilians at demonstrable risk.“35 Diesem klaren Appell sind die Staaten des Sicherheitsrats indes nicht nachgekommen. Zusätzlich sahen sich auch die Staaten, die sich dafür entschieden hatten, die Resolution nicht zu unterstützen, sondern sich zu enthalten, wie etwa Russland, China, Indien und Deutschland, interessanterweise nicht Vorwürfen ausgesetzt, ihr Verhalten sei illegal gewesen, in dem Sinne, dass damit eine Handlungsverpflichtung gebrochen worden sei. Dies mag als weitere Versicherung dafür betrachtet werden, dass es in der Tat bislang keine verfestigte Handlungsverpflichtung zum Schutze der Zivilbevölkerung durch die internationale Gemeinschaft oder durch bestimmte Mitgliedstaaten gibt. Dieselbe Schlussfolgerung kann auch aus einer kursorischen Analyse des Handelns des Sicherheitsrats in Bezug auf die Situation in Syrien angenommen werden. Jedenfalls lange Zeit nach Beginn der dortigen humanitären Probleme wurden alle Versuche, die Situation in Syrien vor den Sicherheitsrat zu bringen, schlicht blockiert, was das Verabschieden jedweder Resolution unmöglich gemacht hatte. Schließlich hatte der Sicherheitsrat eine Stellungnahme im Sinne der Verurteilung der Gewalt abgegeben, die interessanterweise keinerlei Bezugnahme zum Konzept der Schutzverantwortung vornimmt. Was hier als wesentlich erscheint, ist die Tatsache, dass weder der Sicherheitsrat als Gesamtheit noch die einzelnen Mitgliedstaaten, die seine Handlungen gegenüber Syrien blockiert hatten, sich bisher Vorwürfen ausgesetzt gesehen haben, dass sie damit völkerrechtliche Verpflichtungen gebrochen hätten. Zudem sah sich etwa Russland, als neben China wichtigster jegliches Vorgehen gegen Syrien blockierender Staat, weitgehend von der Notwendigkeit dispensiert, seinen Widerstand rechtlich zu begründen und zu rechtfertigen. Auch das spricht dafür, dass sowohl das bisherige Nichthandeln des Sicherheitsrats als auch die Blockadehaltung bestimmter Staaten als rechtlich irrelevant und insofern nicht als Völkerrechtsverletzung betrachtet wurden.36

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Security Council, 6490th meeting, 25 February 2011, UN Doc. S/PV.6490, S. 3 (Hervorhebung des Verfassers). 36 Ähnlich Peters (Fn. 6), 22 f., die bei der Analyse der Resolutionen 1970 und 1973 schreibt: „So the principle of R2P has so far not created a substantial obligation of the United Nations (acting through the Council) to intervene, and of the Security Council members to vote positively.“

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F. Gerechter Krieg und Machtmissbrauch Als die „Internationale Kommission zur Intervention und staatlichen Souveränität“ zum ersten Mal die Voraussetzungen der internationalen Schutzverantwortung ausformulierte, hatte sie einen Katalog von Bedingungen bezeichnet, der erfüllt sein müsse, um eine militärische Intervention zu legitimieren. Diese Kriterien beinhalteten unter anderem, dass die Intervention einen „gerechten Grund“ und eine „richtige Absicht“ haben müsste.37 Ersteres war direkt verbunden mit dem, was oben als das substantielle Grenzwertkriterium angesehen wurde, nämlich dass eine genügend schwerwiegende Völkerrechtsverletzung vorliegen müsse, um eine Intervention zu rechtfertigen. Das letztere Kriterium der „richtige[n] Absicht“ signalisiert darüber hinausgehend, dass eine Intervention nur dann legitimiert sein soll, wenn sie mit der Absicht eingegangen wurde, menschliches Leiden zu verringern.38 Die hauptsächliche, vielleicht sogar einzige Motivation kann deshalb ausschließlich humanitärer Natur sein. Spätere Formulierungen vor allem aus dem Outcome Document haben diesen Kriterienkatalog zwar fallengelassen – er bleibt indes einflussreich. Trotzdem spricht das Outcome Document davon, dass militärische Maßnahmen immer nur auf einer Fall-zu-Fall-Basis entschieden werden dürfen.39 Indes ist es nicht allzu gewagt anzunehmen, dass die Kriterien der International Commission on Intervention and State Sovereignty sich als Schlüssel für den Erfolg der Schutzverantwortung erweisen dürften. Vor allem das Element der richtigen Absicht bedarf besonderer Aufmerksamkeit, weil nur dessen strikte Anwendung Grundvoraussetzung dafür ist, alte Befürchtungen eines Missbrauchs des Interventionstitels zu beseitigen. Diese Missbrauchsfurcht hatte ja das Konzept der sogenannten humanitären Intervention durchgehend begleitet. Gegner dieses Konzepts hatten immer versucht, deutlich zu machen, dass es sehr schwer sei, die humanitäre Intervention in geordneten Bahnen zu halten. Ähnliche Befürchtungen treffen nun auch das Konzept der Schutzverantwortung. Es scheint dem Konzept inhärent zu sein, dass die Schutzverantwortung nur dann überhaupt zu einer Intervention Anlass geben kann, wenn allererster und ausschließlicher Zweck einer solchen Intervention ist, auch wirklich menschliches Leben und sonstige hochstehende Rechtsgüter zu schützen. Dies soll nicht bedeuten, dass dann, wenn der Sicherheitsrat Interventionen autorisiert, die über dieses Ziel hinausgehen, dies notwendigerweise illegitim wäre. Ein solches Vorgehen kann dann aber seine Legitimation nicht aus dem Konzept der Schutzverantwortung ziehen. Bei seiner ersten Bezugnahme auf die Schutzverantwortung im Libyenkontext hatte der Sicherheitsrat ausdrücklich das militärische Mandat auf den Schutz der Zivilbevölkerung und des Gebietes, das von der Zivilbevölkerung bewohnt wurde, beschränkt.40 Die akademische Diskussion hatte sich an der Frage entsponnen, wie die 37

ICISS Report, S. XII. Siehe Evans (Fn. 30), 710. 39 Siehe Outcome Document (Fn. 7), Abs. 139. 40 Siehe Resolution 1973 (2011), Abs. 4, 6. 38

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effektive Reichweite dieses Mandats nun zu verstehen sei. Das war auf die Entscheidung der Frage hinausgelaufen, wie unmittelbar eine konkrete militärische Handlungsmaßnahme dem Schutz der Zivilbevölkerung zu dienen bestimmt sein muss.41 So interessant diese Diskussion auch sein mag, ist es doch im konkreten Fall wichtiger festzuhalten, dass eine Reihe von Schlüsselstaaten wie etwa Russland und Südafrika die Haltung eingenommen hatten, die Militärkampagne der NATO in Libyen habe sich außerhalb der konkreten Mandatierung der UN Resolution bewegt. Man kann natürlich trefflich darüber streiten, ob diese Einschätzung rechtlich korrekt ist. Wichtiger scheint indes in der Diskussion über die Schutzverantwortung zu sein, dass bestimmte Staaten das Handeln der NATO als über das Konzept der Schutzverantwortung hinaus gehend und damit als ultra vires-Handlung angesehen hatten.42 Insofern bleibt festzuhalten, dass die deutlich extensive Auslegung des Mandats der NATO dazu beigetragen hat, Befürchtungen zu verstärken, das Konzept der Schutzverantwortung könnte als Trojanisches Pferd missbraucht werden, um eigentlich ganz andere Zwecke zu verfolgen. Im Falle von Libyen hatten nämlich etliche Beobachter den Eindruck, dass das, was eigentlich zunächst einmal als Mission zum Schutze der Zivilbevölkerung begonnen hatte, sich sehr schnell in eine Mission zum Regimewechsel verwandelt hatte. Man geht deshalb vielleicht nicht fehl zu argumentieren, dass dies einer der wesentlichen Gründe dafür war, weshalb Russland später jedenfalls für eine geraume Zeit jede Resolution bezüglich Syriens verweigert hatte, indem es die Drohung des Gebrauch Machens von seinem Vetorecht als Antwort auf den von Russland wahrgenommenen westlichen Missbrauch der Libyenresolution nutzte.43 So findet sich auch später etwa der Hinweis, dass einige Sicherheitsratsmitglieder unter sogenanntem „Libya Hangover“ gelitten hätten, verursacht durch eine tiefe Frustration über die Entwicklung der Libyenmission.44 Insgesamt überwog 41 Siehe Akande, What Does UN Security Council Resolution 1973 Permit?, EJIL:Talk, 23 March 2011; Keitner, More Thoughts on the Scope of UNSCR 1973 EJIL:Talk, 28 March 2011; Tzanakopoulos, The UN/French Use of Force in Abidian: Uncertainties Regarding the Scope of UN Authorizations, EJIL:Talk, 9 April 2011; Akande, France Admits to Arming Libyan Rebels – Was this Lawful?, EJIL:Talk, 1 July 2011; hinsichtlich einiger möglicher rechtlicher Konsequenzen für die Überschreitung der Bevollmächtigung durch den Sicherheitsrat siehe Hernández/Liefländer, Can Gaddafi Invoke Self-Defence Against NATO; Have NATO Leaders Committed the Crime of Aggression?, EJIL:Talk, 6 July 2011. 42 Siehe Gärtner, The Responsibility to Protect and Libya, Austrian Institute for International Affairs, Kurzanalyse, July 2011, 5: „The political goal – explicit or not – was regime change! In itself regime change does not meet the R2P criterion of the right intention unless the just cause cannot be achieved otherwise.“ 43 Siehe Ross, Let’s Call Russia’s Bluff on Syria, The Guardian, 23 May 2011, ; siehe auch die frühe negative Stellungnahme zum Konzept der Schutzverantwortung durch den russischen Vertreter bei den Vereinten Nationen Vitaly Churkin auf der Sitzung des Sicherheitsrats vom 20. November 2007, ähnliche Einschätzung auch bei der stellvertretenden US-Vertreterin bei den Vereinten Nationen, Rosemary DiCarlo, in ihrer Stellungnahme am 13. 02. 2012, . 44 Siehe Ross (Fn. 43).

Internationale Schutzverantwortung und Maßnahmen des Sicherheitsrates

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gegen Ende der Mission eher das Gefühl, dass etwas schief gegangen war.45 Dieser Auffassung waren sogar einige der Staaten, die sich ursprünglich als besondere Unterstützer des Konzepts der Schutzverantwortung erwiesen hatten.46 Während nämlich die meisten Staaten sich anfangs enthusiastisch über die Libyenresolutionen gezeigt hatten, wandelte sich dieser Enthusiasmus später in besorgte Mahnungen, die NATO möge sich bei weiterem Vorgehen strikt an das Konzept der Schutzverantwortung halten.47 Man kann deshalb durchaus der Auffassung sein, dass das, was sich einmal ausnahm als ein Triumph für das neue Konzept der Schutzverantwortung, sich jetzt als dessen Schwanengesang erweisen könnte. Jedenfalls ist festzustellen, dass die allgemeine Wahrnehmung eines gewissen Missbrauchs des Konzeptes auch dazu beigetragen haben mag, westlichen Anstrengungen, die Gewalt in Syrien zu verurteilen, bis heute deutliche Grenzen zu ziehen. Zwar mag es immer noch zu früh sein, hier schon klare Schlussfolgerungen zu ziehen, aber es hat nach wie vor den Anschein, dass das Vorgehen im Libyen-Fall die Konzeption der Schutzverantwortung nicht gerade befördert hat.48 Insofern wird wohl noch einige Zeit erforderlich sein, um das Misstrauen, was durch dieses Vorgehen gesät wurde, wieder zu zerstreuen.

G. Zusammenfassung Die Libyenresolutionen sind als erste wesentliche Praxis des Sicherheitsrats bezüglich der neuen Konzeption der Schutzverantwortung anzusehen. Während der Sicherheitsrat das Konzept schon seit längerem theoretisch befürwortet hatte, brachten seine hier besprochenen Resolutionen im Libyenkontext das Konzept erstmals in einen operationellen Kontext ein. Die Konzeption der Schutzverantwortung hatte anfänglich sehr starke Unterstützung gefunden, wobei die Auffassungen sogar dahin gingen, dass sich hierin erstmals nicht nur ein bloßes Konzept gezeigt hatte, sondern sogar eine neue Norm des Völkerrechts vorliege.

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Siehe The Economist, The Lessons of Libya, 19 May 2011, , der David Rieff mit den Worten zitiert: „For those of us who feared that R2P was just a warrant for war, our fears have been vindicated“. 46 Siehe z. B. die Position, die Evans, der frühere Vorsitzende des ICISS, eingenommen hatte, in: The Economist (Fn. 45). 47 Siehe Evans, When Intervening in a Conflict, Stick to UN Script, Sydney Morning Herald, 24 March 2011, . 48 Siehe Davis, Libya: NATO must stick to the R2P script, NATO Watch, Comment, 31 March 2011, : „The heavy-handed application of unilateral US, French and British muscle and talk of regime change, arming the rebels and even assassinating Gaddafi risks breaking the fragile international consensus and many of the political gains secured through UNSC resolution 1973 – including the historic embrace of the R2P principle agreed in 2005.“

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Indes ist nach den hier angestellten Überlegungen Vorsicht geboten. Im Hinblick auf das wichtige Grenzwertkriterium ist festzuhalten, dass die Resolutionen einige Hinweise darauf enthalten, wann die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft einsetzt. Indes bleiben Zweifel, welche konkreten Schlussfolgerungen hieraus zu ziehen sind. Es mag nämlich möglicherweise durchaus so sein, dass, wie im Outcome Document angedeutet, es bei einem fallbezogenen Ansatz bleibt und verallgemeinerungsfähige Aussagen nur schwer zu treffen sind. Zurückhaltung ist zudem geboten in der Annahme einer rechtlichen Verpflichtung zum Handeln. Weder der Sicherheitsrat als Gesamtheit noch seine Mitgliedstaaten scheinen sich im Libyen-Fall unter einer entsprechenden Rechtsverpflichtung geglaubt zu haben. Zudem hat das amerikanische Insistieren, schon den Anschein des Vorliegens einer Rechtsverpflichtung im Outcome Document zu verhindern, bereits deutlich die Zurückhaltung zum Ausdruck gebracht. Insofern bleibt hier nur die Schlussfolgerung, dass jedweder akademische Versuch, die Schutzverantwortung in Richtung einer internationalen Verpflichtung zu verstehen, sich von der aktuellen Staatenpraxis nicht stützen lässt. Zudem ist aufgezeigt worden, dass die Auslegung der NATO im Hinblick einer Legitimierung bestimmter Vorgehensweisen in Libyen im Ergebnis das Konzept eher in einem kritischen Licht erscheinen lässt, als ihm zusätzliche Schlagkraft zu verleihen. Denn es hat letztlich dazu geführt, dass alte Befürchtungen eines Missbrauchs der Interventionsbefugnis des Sicherheitsrats wieder aufkamen, wie sie bereits dem Konzept der humanitären Intervention von vielen entgegengehalten wurden. Vor der Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution 1973 (2011) war die Situation in Libyen dahingehend beschrieben worden, dass hier ein Testfall für den Sicherheitsrat und seine Umsetzung der Doktrin der Schutzverantwortung vorliege.49 Darüber hinaus war auch festgehalten worden, dass dann, wenn die internationale Gemeinschaft diese Verantwortlichkeit gebrauchen würde, der Libyen-Fall sich als der Totengräber für die Schutzverantwortung erweisen könnte.50 Im Vorangegangenen wurde versucht aufzuzeigen, dass Libyen in der Tat ein Testfall in mehr als einer Beziehung war. Zum einen ist der Beitrag der Libyenresolution zur Formulierung von Völkergewohnheitsrecht doch als eher begrenzt anzusehen. Zum anderen ist die politische Signalwirkung schon signifikant. Die Bezugnahme des Sicherheitsrats auf die Schutzverantwortung ist historisch und die Langzeiteffekte beginnen sich gerade erst zu entwickeln. Insofern wird man wohl nicht so weit gehen können, zum jetzigen Zeitpunkt das Vorgehen in Libyen bereits als vorzeitiges Begräbnis der Konzeption der Schutzverantwortung zu betrachten. Aber man wird vielleicht eine gewisse Gefahr konstatieren müssen, dergestalt, dass die sehr breite Interpretation der Interventionsbefugnis durch das Konzept der Schutzverantwortung durch die NATO diesem Konzept mehr Schaden als Nutzen zugefügt hat. 49 The New York Times, Libya and the Responsibility to Protect, 28 February 2011, . 50 Thakur (Fn. 5).

Nationale Gestaltungsmöglichkeiten bei dem Schutz und der Einschränkung international geschützter Menschenrechte Von Rudolf Bernhardt

A. Einführung Zu unserem Thema ist schon viel geschrieben und diskutiert worden. Trotzdem erscheint eine erneute Betrachtung sinnvoll, denn es geht um Fragen, die sich bei dem internationalen Schutz von Grund- und Menschenrechten immer wieder neu stellen und nach neuen Antworten verlangen. Eibe Riedel, dem intimen Kenner des internationalen Menschenrechtsschutzes, seien daher einige einschlägige Überlegungen gewidmet. Zu den Grundrechtskatalogen in staatlichen Verfassungen und Gesetzen ist mittlerweile ein dichtes Netz internationaler Garantien in universellen und regionalen Pakten und Deklarationen hinzugekommen. Wenn sich die Praxis durchweg an die Texte hielte und diese auch noch einheitlich interpretiert und angewandt würden, hätten wir im Bereich der Grundrechte einen Idealzustand erreicht. Doch dem ist offensichtlich nicht so. Die Diskrepanz zwischen Texten und Realitäten hat mehrere Ursachen, vor allem sind es die materiellen, kulturellen und politischen Unterschiede zwischen den Staaten und Regionen, die zu unterschiedlichen Lösungen führen. Auch dort, wo die staatlichen Organe sich konventionstreu verhalten wollen – was keineswegs immer der Fall ist – und internationale Kontrollinstanzen existieren, bleiben Unterschiede und Diskrepanzen bestehen und üblich. Wir wollen uns hier auf die Europäische Menschenrechtskonvention beschränken. Sie ist inzwischen von 47 Staaten (von allen Mitgliedstaaten des Europarates) ratifiziert worden, sie hat verbindlich entscheidende Kontrollinstanzen, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Figur der „margin of appreciation“, „marge d’appréciation“ entwickelt und in vielen Urteilen angewandt. Es sind die staatlichen Organe, es sind Behörden und Gerichte, die Leistungen gewähren oder versagen, die die Grundrechte der Bürger und der sich im Staatsgebiet aufhaltenden Ausländer ausgestalten und begrenzen. Etwa 800 Millionen Bürger in 47 Staaten haben inzwischen das Recht, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen, wenn sie mit staatlichen Maßnahmen – Handlungen oder Unterlassungen – nicht einverstanden sind und diese für unvereinbar mit der Europäi-

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schen Menschenrechtskonvention halten. Bevor sie den Weg nach Straßburg beschreiten, müssen sie die innerstaatlich vorhandenen Rechtsmittel einlegen und verfolgen. Im Ergebnis sind es mittlerweile etwa 50.000 Personen, die jährlich mit ihren Beschwerden den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen, und dieser steht in vielen Fällen vor der Frage, in welchem Umfang er die Maßnahmen staatlicher Institutionen überprüfen kann und muss. Kann und darf es überhaupt regionale Unterschiede bei dem internationalen Menschenrechtsschutz, bei der Interpretation und Anwendung der Texte geben? Manche Menschenrechts-Aktivisten haben einfache Antworten parat: Da Menschenrechte ihrer Natur nach universelle Geltung haben, können sie auch nur einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Internationale Kontrollinstanzen wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte müssen unabhängig von Zeit und Ort der kritisierten staatlichen Maßnahmen einheitlich prüfen und entscheiden, ob ein Grundrecht verletzt ist. Wäre das richtig, müsste der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte immer dann, wenn eine eingelegte Beschwerde zulässig ist, durch Beweisaufnahme in weiten Teilen Europas und darüber hinaus (etwa in außereuropäischen Regionen Russlands und der Türkei) minutiös prüfen, ob tatsächlich und rechtlich ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vorliegt. Weitergehend als ein staatliches Revisionsgericht hätte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte alle Aspekte eines Falles aufzuklären, um zu einem klaren Ergebnis zu kommen, einem Ergebnis, das überall dort anwendbar ist, wo die Europäische Konvention gilt. Die Realität sieht anders aus, diesmal zu Recht. Das ganze System der Europäischen Menschenrechtskonvention kann nur dann dauerhaft Erfolg haben, wenn die nationalen, die staatlichen Institutionen Menschenrechtsverstöße vermeiden oder korrigieren und die internationale Kontrolle nur in Ausnahmefällen und beispielgebend eingreift. Die internationale Kontrolle muss sich in vielen Fällen darauf beschränken zu prüfen, ob die staatlichen Instanzen sorgfältig untersucht und entschieden haben. Damit sind wir bei unseren Thema. Die Doktrin der „margin of appreciation“ besagt, dass den nationalen Instanzen ein gewisser Bewertungs- und Entscheidungsspielraum bei der Ausgestaltung von Konventionsrechten zusteht, dessen Grenzen zwar vom Gerichtshof bestimmt werden, der aber seinerseits diesen Spielraum respektiert. Es sind drei Bereiche, in denen die „margin of appreciation“ bisher eine größere Rolle gespielt hat: Bei der Inanspruchnahme von Notstandsbefugnissen, bei der zulässigen Beschränkung einzelner Grundrechte, und bei der Erfüllung positiver Pflichten des Staates. Diese drei Konstellationen wollen wir etwas näher betrachten.

B. Notstandsbefugnisse Art. 15 der Europäischen Menschenrechts-Konvention gibt den Staaten die Möglichkeit, im Notstand unter bestimmten Bedingungen Maßnahmen zu treffen, die an

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sich nicht mit der Konvention vereinbar sind. Die Vorschrift lautet, soweit in unserem Zusammenhang relevant (in der deutschen Übersetzung): „Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Maßnahmen treffen, die von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert […].“

Diese Vorschrift wurde im ersten Fall, den der Gerichtshof zu entscheiden hatte, relevant; die irische Regierung hatte im Hinblick auf die Auseinandersetzungen in Nordirland, die Auswirkungen auch für die Republik Irland hatten, Notstandsvorschriften erlassen und den späteren Beschwerdeführer inhaftiert. Das Lawless-Urteil vom 1. Juli 19611 enthält zwar keine ausdrückliche Aussage zur „margin of appreciation“, es erklärt jedoch, das Bestehen einer Notstandssituation „was reasonably deduced by the Irish Government from a combination of several factors […].“2. Mit Recht wird das Lawless-Urteil von manchen Kommentatoren als Beginn der Rechtsprechung zum nationalen Beurteilungsspielraum gesehen.3 Bei näherem Hinsehen sind es zwei Fragen, die bei der Inanspruchnahme von Notstandsbefugnissen durch eine Regierung beantwortet werden müssen: Ob „das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht“ ist und, zweitens, ob die tatsächliche Lage die zu treffenden oder schon getroffenen Maßnahmen „unbedingt erfordert“. Sowohl die Voraussetzungen als auch die Erforderlichkeit und Angemessenheit der getroffenen Maßnahmen bedürfen also der Prüfung. Bei beiden Fragen ist eine Grenzziehung zwischen den Befugnissen der Regierung und der Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erforderlich. Im Lawless-Urteil hat der Gerichtshof die getroffenen Maßnahmen letztlich gebilligt, und das mit der Begründung, die Regierung habe vernünftigerweise so urteilen und handeln können. Es ist nicht anzunehmen, dass das Urteil ebenso ausgefallen wäre, wenn entweder eine Notstandssituation offensichtlich zu Unrecht bejaht worden wäre oder die getroffenen Maßnahmen in krasser Weise unangemessen gewesen wären. Es entspricht jedenfalls der ständigen Rechtsprechung, dass die Grenzen der „margin of appreciation“ vom Gerichtshof selbst gezogen werden.

C. Die Einschränkung von Grundrechten nach den Art. 8 bis 11 der Konvention Der jeweils zweite Absatz der Art. 8, 9, 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention lässt Grundrechtsbeschränkungen zu, bindet diese jedoch, mit Un1

EGMR v. 01. 07. 1961, 332/57 – Lawless v. Ireland („Lawless Case“). Lawless Case (Fn. 1), S. 56. 3 Vgl. insgesamt zu Art. 15 Frowein, in: Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention: EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, 422 ff. 2

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terschieden im Detail, an bestimmte Voraussetzungen und erlaubt sie nur insoweit, wie sie „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sind. Und hier kommt wieder die „margin of appreciation“ ins Spiel. In zahlreichen Urteilen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt, die zuständigen Staatsorgane seien in der Regel näher an den nationalen und tatsächlichen Gegebenheiten und Erfordernissen als eine internationale Institution, und sie hätten deshalb einen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum bei der Einschränkung von Grundrechten. Zugleich hat der Gerichtshof wiederholt betont, dass er darüber wacht, dass die Grenzen der „margin of appreciation“ eingehalten werden. Nationaler Spielraum und Kontrolle durch den Gerichtshof gehen also Hand in Hand. Dass die Anwendung dieser Doktrin nicht immer und in allen Einzelfällen überzeugt, ist eine andere Frage und hier nicht zu prüfen. Ihre prinzipielle Geltung und Richtigkeit ist jedoch zu bejahen, und sie ist durchaus übertragbar auf andere internationale Organe, die für den Schutz der Menschenrechte geschaffen worden sind.

D. Positive Verpflichtungen oder Schutzpflichten des Staates Dass der heutige Staat nicht nur verpflichtet ist, selbst die Grundrechte der Bürger zu respektieren, sondern ihn auch positive Pflichten, Schutzpflichten, treffen,4 etwa gegenüber Gefahren, die von Dritten oder von der Umwelt ausgehen, ist inzwischen weitgehend anerkannt. Auch im allgemeinen Völkerrecht wird diese Verpflichtung in letzter Zeit mehr und mehr anerkannt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in zahlreichen Entscheidungen positive Verpflichtungen der Staaten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention bejaht. Zuweilen wurde ein Unterschied zwischen negativen Beschränkungen und positiven Verpflichtungen des Staates ganz verneint.5 Richtig dürfte sein, dass manche positiven Verpflichtungen durchaus eigenständig und unterscheidbar sind, andere Verpflichtungen weniger. Gesetzlich vorgesehene Diskriminierungen, etwa von nicht verheirateten Müttern, können sowohl als Eingriff als auch als Verletzung von Schutzpflichten angesehen werden. Aber grundsätzlich ist die Anerkennung besonderer positiver Verpflichtungen im Grundrechtsbereich durchaus zu bejahen, und auch hier spielt die „margin of appreciation“ eine Rolle. Positive Verpflichtungen, Schutzpflichten des Staates erfordern in der Regel ein Tätigwerden staatlicher Organe. Der Gesetzgeber muss bestimmte Gesetze erlassen oder bestehende Gesetze korrigieren, etwa weil der Gleichheitssatz verletzt wurde. Staatliche Behörden haben auf Umweltgefahren hinzuweisen und Vorsorge zur Vermeidung drohender Unfälle zu treffen. Behörden und Gerichte müssen im Rahmen 4 s. zuletzt Klatt, Positive Obligations under the European Convention on Human Rights, ZaöRV 71 (2011), 691. 5 Vgl. z. B. EGMR v. 14. 06. 2011, 38052/09 – Osman v. Denmark.

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ihrer Möglichkeiten vor erkennbar gefährlichen Mitbürgern und vor Terroristen schützen. Auch Untersuchungspflichten sind hier zu erwähnen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist der Staat verpflichtet, bei schweren Verletzungen und bei dem Verschwinden von Bürgern die Vorgänge angemessen zu untersuchen,6 vor allem dann, wenn der Staat die Beteiligung von Staatsorganen bestreitet. In diesem und in vielen anderen Fällen sind die einzelnen Maßnahmen, die der Staat zu ergreifen hat, nicht abstrakt zu bestimmen, sondern die konkreten Umstände wie auch die möglichen Gegenmaßnahmen können vielgestaltig sein. Der Staat und seine Organe haben sowohl bei der Beurteilung der Situation als auch bei der Auswahl der möglichen Schutzmaßnahmen oft einen gewissen Spielraum, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte respektiert. Es kann auch sein, dass Schutzmaßnahmen ganz unterbleiben können, wenn etwa die Gefahr nicht klar erkennbar oder der Schadenseintritt unwahrscheinlich ist.

E. Abschließende Betrachtungen Die „High Level Conference on the Future of the European Court of Human Rights – Brighton Declaration“ vom April 2012 nennt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die Überlastung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte reduzieren sollen. Dabei wird auch mehrfach die „margin of appreciation“ genannt und ihre verstärkte Berücksichtigung gefordert. Die Doktrin soll sogar in die Präambel der Konvention aufgenommen werden. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob es sich bei der „margin of appreciation“ um eine allgemeine und kodifizierbare Maxime handelt. Wir haben oben drei Bereiche ausgemacht, in denen die Doktrin bisher vor allem eine Rolle gespielt hat. Lässt sich das verallgemeinern, lässt sich die „margin of appreciation“ zu einer generellen Auslegungsmaxime für die Europäische Menschenrechtskonvention machen? Zweifel sind angebracht. Die einzelnen Vorschriften der Konvention sind durchaus unterschiedlich. Bei den notstandsfesten Menschenrechten ist ein staatlicher Spielraum schwer zu erkennen, auch bei anderen Garantien ist ein solcher Spielraum problematisch. Eine weitere Betrachtung kommt hinzu. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bisher die Kompetenz in Anspruch genommen, die Grenzen der „margin of appreciation“ in jedem Fall selbst zu bestimmen. Dabei muss es meines Erachtens bleiben. Damit ist aber auch eine spürbare Entlastung des Gerichtshofs zweifelhaft, er muss selbst prüfen, wie weit der staatliche Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum im Einzelfall reicht. Könnte dies verbindlich auf nationaler Ebene entschieden werden, wäre der internationale Schutz der Menschenrechte drastisch geschwächt.

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So u. a. kürzlich EGMR v. 03. 05. 2012, 40657/04 – Kleyn and Aleksandrovich v. Russia.

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Eine weitere und grundlegende Überlegung kommt hinzu. Bisher besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Europäische Menschenrechts-Konvention in allen Mitgliedstaaten und für alle Mitgliedstaaten gleich ausgelegt und angewandt werden soll. Die „margin of appreciation“ durchbricht dieses Prinzip in gewisser Weise. Aber es handelt sich um eine Doktrin, die dort und nur dort den Staaten einen Spielraum belässt, wo die tatsächlichen Gegebenheiten eine herausragende Rolle spielen und auch die rechtlichen Möglichkeiten der staatlichen Organe unterschiedlich sein können. Bei der Inanspruchnahme von Notstandsbefugnissen, bei der Einschränkung von Grundrechten zur Abwehr konkreter Gefahren und bei der Erfüllung von Schutzpflichten sind die jeweiligen Umstände von besonderer Bedeutung, und hier sind die staatlichen Organe nicht selten besser geeignet, die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Eine Erstreckung der Doktrin auf die Konvention insgesamt ist dagegen höchst problematisch.

On Human Nature and Human Rights By Stephen P. Marks1 Are people innately good, but corruptible by the forces of evil? Or, are they instead innately wicked, and redeemable only by the forces of good? People are both. Edward O. Wilson2

A. Introduction: Ways of Understanding Human Nature and its Relations to Human Rights This essay takes as its starting point the concept of Der Mensch, which refers to the biological classification of the human sub-species (homo sapiens sapiens) among higher primates and specifically the family of the anthropoids, in addition to its more general meaning of a “person.” That biological understanding is broadened by the concept of Menschlichkeit or humanity, from the Latin humanitas, which covers three meanings: the biological existence of the species, the broader sense of the various moral concepts of Enlightenment humanism, and the idea of humans’ inherent ability to have compassion for other humans. Our inquiry builds on the juxtaposition of Mensch und Recht, implying that human beings function under the law and have rights as humans, hence the wordplay with Menschenrechte or human rights. This juxtaposition invites a reflection on how a progressively expanding set of subjective rights deemed inherent in all humans (human rights) relate to what we know about our nature as a species (human nature). Or, how does our scientific understanding of human nature relate to the legal and moral framework of human rights as it has evolved, particularly over the last seventy years? This inquiry is not the result of an exhaustive study of such wide-ranging, challenging and cross-disciplinary issues. It has no greater claim than to suggest the potential value of a more sustained reflection. Such an invitation to further research bridging the legal and natural sciences seems a fitting tribute to Professor Eibe Riedel, who has ventured into these territories on more than one occasion.3 His inquiring 1 The excellent research assistance of Sarah Raiffman, Rachel Sandlow-Ash and Vera Sistenich is gratefully acknowledged. 2 E. O. Wilson, The Social Conquest of Earth, 2012, 241. 3 See e. g. E. Riedel, “The Constitution and Scientific and Technical Progress,” in: C. Starck (ed.): New Challenges to the German Basic Law, Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit, 1991, 61; “On the Beginning of Life from a Constitutional Law Per-

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mind and astute legal analysis should inspire others to take up the challenge to rethink human rights in light of advances in scientific approaches to understanding human nature. It is rare to see this question posed in the human rights literature, which tends to explain human rights as deriving from natural law or positive law or both. Writings on the foundations of human rights tend not to inquire into whether and how scientific studies on the essence of human-ness (through biology and psychology) explain, if at all, the emergence of moral codes such as human rights. Human rights studies tend to draw upon findings of law, political science, public policy and philosophy. Jack Donnelly notes: “few issues in moral or political philosophy are more contentious or intractable than theories of human nature.”4 He distinguishes “the scientist’s human nature” (which “sets the ‘natural’ outer limits of human possibility”) from “a moral vision of human nature” (according to which “human rights set the limits and requirements of social (especially state) action.”5 He describes human nature as “a social project more than a presocial given” and thus is a “work of self-creation.”6 This essay focuses on “the scientist’s human nature” and seeks to reopen the question of the scientific basis for understanding the relationship between human nature and human rights. Rather than separating experimental from speculative sciences, or biological sciences from moral philosophy, I propose a more integrated effort to understand what scientific investigation is defining as the “human” in need of protection through a regime of rights. This reluctance to link science and human nature to the study of human rights was not always the case. In the 17th and 18th centuries, the study of natural philosophy or “the workings of nature” was considered to include the concept of science as used in the 16th century and earlier as a synonym for knowledge or study. It was also closely linked with moral philosophy. In the 19th century the term “natural science” acquired its current meaning of knowledge acquired through experiments and empirical evidence and testing of hypotheses. This commingling and eventual separation of natural and moral philosophy will be discussed in section B. In section C, I will explore the idea that recent scientific investigation of human nature through evolutionary biology and neuroscience clarifies the theoretical foundation of human rights and provides a response to the challenge of the early 19th censpective. From the Procreation to the Creation of a Human Being” (original title: Zum Lebensbeginn in verfassungsrechtlicher Sicht. Von der Zeugung zur Erzeugung des Menschen), in: Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin – Chancen und Risiken, rechtliche und rechtspolitische Fragen, 1989; “Gene Technology in the Area of Conflict between Law and Ethics” (original title: Gentechnik im Spannungsfeld von Recht und Ethik), in: Alma Mater Philippina, 1991, 12; “Gene Technology and Embryo Protection as Constitutional Law and Regulatory Problems” (original title: Gentechnologie und Embryonenschutz als Verfassungsund Regelungsprobleme), in: EuGRZ 1986, 469. 4 J. Donnelly, International Human Rights in Theory and Practice (2nd ed., 2003), 16. 5 Donnelly, supra fn. 4, at p. 14. 6 Id. at p. 15.

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tury English legal theorist and founder of utilitarianism Jeremy Bentham that, when confronted with the real word, human rights understood as “natural rights” are “nonsense upon stilts.” This section will rely heavily on a recent book, quoted in the epigraph above, by Edward O. Wilson. Although many other biologists, psychologists, anthropologists, neuroscientists and philosophers have written on the origin of moral reasoning in ways that relate human nature to the assumptions of contemporary human rights, the breadth and clarity of Wilson’s work amply justify drawing on The Social Conquest of Earth to open the dialogue on human nature and human rights. The conclusion in section D will evoke the concept of a “new Enlightenment” and the potential for synthesizing knowledge from biological and social sciences better to understand the relationship between human nature and human rights.

B. The Enlightenment Assumption that Human Rights Derive from Human Nature I. Merging of Science and Human Rights in the Enlightenment In the West, the theories of human rights that emerged in the 16th and 17th centuries formed the intellectual basis of revolutionary movements that generated declarations of rights, and at the same time were inseparable from the scientific revolution. The concept of “natural philosophy” applied to the scientific study of the physical and natural world. We are astounded today by the intellectual breadth of Diderot and Voltaire or Franklin and Jefferson, but their concern with astronomy, mathematics, chemistry, mechanics, and the diversity of human experience across the globe was integrated into their arguments for the Rights of Man. Thomas Paine exemplified the spirit of that time when he argued that human rights derive from human nature and that “[n]atural rights are those which appertain to man in the right of his existence.”7 The great achievements of Bacon and Descartes in the 17th and 18th centuries opened the way for innovation in mathematics and experimental methods, which were well known to the political philosophers of the day. Through natural philosophy and natural rights, science and human rights were born of the same spirit of empiricism and progress that characterized the Enlightenment. In post-Enlightenment intellectual history, human rights developed through moral reasoning, philosophical and political thought, and legal theory and practice, with applications in the laws and institutions of human governance, administration of justice, and theories of the state. Natural philosophy advanced through evolutionary biology, brain research, neuroscience, behavioural psychology, and related sciences.

7

T. Paine, The Rights of Man, 1983, 68.

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The Enlightenment was indeed the critical period for science, medicine, and human rights. Referring to the scientific and democratic revolutions, Timothy Ferris in The Science of Liberty begins his study of this convergence by affirming: “These two transformations were linked, and remain so today: Every scientific nation in the world at the close of the twentieth century was a liberal, or at least partly liberal, democracy (meaning a state which guarantees human rights to its citizens, who elect their leaders)”.8

He argues that these revolutions were not a coincidence, but rather that science sparked the democratic revolution and “that science continues to foster political freedom today.”9 Aside from the possible fostering of political freedom by scientific advancement, the Enlightenment represents both the affirmation of the scientific method and the formulation of the human rights. The former reflected faith in human progress while the latter defined standards of freedom and equality on which the legitimacy of modern governments would henceforth be judged. II. Development of Empirical Science in the 19th and 20th Century and Implications for Human Rights The application of empirical methods to both natural sciences (including biology) and social sciences expanded significantly in the 19th century with the emergence of thermodynamics, electromagnetic theory, atomic theory (developed by John Dalton), evolutionary biology (based on the theory of natural selection in Darwin’s The Origin of Species), experimental psychology (such as Wilhelm Wundt’s Principles of Physiological Psychology and the work of people like James, Pavlov and Dewey) and sociology (especially Emile Durkheim’s Rules of Sociological Method, as well as the work of Marx, Weber and many others). The 19th century was also a period in which science was applied to industry, revolutionized the global economy and generated immense wealth. World per capita income increased more than nine times form 1820 to 2001.10 These extraordinary scientific developments were no longer conceived as part of a common project of modernity, in which human progress would advance with the simultaneous growth of science and industry, on the one hand, and the establishment of human rights as the end of government, on the other. Unlike the scientific developments of the 17th and 18th centuries, those of the 19th century were deeply rooted in experimental methods and applications of advanced mathematics, without the need to sustain the linkage between the “two transformations.” Indeed, the great economic 8

T. Ferris, The Science of Liberty, Democracy, Reason, and the Law of Nature, 2010, 1. Ferris, supra fn. 10, at p. 2. 10 A. Maddison, Growth and Interaction in the World Economy: The Roots of Modernity, The American Enterprise Institute, 2005, 5. See also A. Maddison, Contours of the World Economy 1-2030 AD, 2007. 9

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strides of industrialized Europe and North America, made possible through advances in science and technology, were often achieved at the expense of colonized peoples and oppressed workers, and thus at the expense of human rights. Today globalization and the economic crises that accompany it continue to challenge the human rights of formerly colonized peoples, as well as workers in the global North and South. The movements against slavery and the slave trade and for workers’ rights in the 19th and early 20th centuries, against colonialism in the mid-20th century and against the harmful impacts of globalization and environmental degradation in the early 21st century were successful to the extent that they were able to challenge the economic interests that relied so much on scientific progress. The technology that created and sustained the Industrial Revolution seems to have reversed the Enlightenment approach to human rights and advances in science and technology as two mutually reinforcing dimensions of human progress. This is not to say that scientific progress is necessarily detrimental to human rights. On the contrary, the right to benefit from scientific progress was proposed as a human right by the Committee on the Theoretical Bases of Human Rights in 1947,11 and incorporated in Article 27 of the Universal Declaration of Human Rights in 1948 and Article 15 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights in 1966. Of course, scientists have been active in human rights in a variety of ways12 but the issue I wish to raise is that they rarely address explicitly the human rights implications of their work. This is due in large part to the fact that the connections are not always evident and that most empirical scientists hesitate to take a position on matters outside of their specialized fields. The next session explores the human rights implications of 20th century scientific advances in understanding human nature, beginning with biology.

11 Such was the position taken in 1947 by the UNESCO-convened Committee on the Theoretical Bases of Human Rights, which sought to clarify the underlying concepts of the draft Universal Declaration. Its statement on the “Grounds of an International Declaration of Human Rights” of July 1947, included a “Right to Share in Progress” according to which “Every man has the right to full access the enjoyment of the technical and cultural achievements of civilization.” Unesco, Human Rights: Comments and Interpretations. A Symposium Edited by Unesco, UNESCO/PHS/3(rev.), 25 July 1948, Appendix II, p. 14. The right was subsequently recognized in Article 25 of the UDHR and Article 25 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. 12 R. P. Claude, Science in the Service of Human Rights, 2003; C. Corillon, “The Role of Science and Scientists in Human Rights”, (November 1989) 506 The ANNALS of the American Academy of Political and Social Science, 129. The American Association for the Advancement of Science (AAAS) currently hosts a Science of Human Rights Coalition, consisting of scientific and engineering membership organizations, which facilitates “communication and partnerships on human rights within and across the scientific community, and between the scientific and human rights communities.” .

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C. Human Rights Implications of Scientific Knowledge about Human Nature Although a contested concept, “human nature” has been understood as a combination of genetic and cultural factors determining human behaviour. Wilson describes human nature as the “monster in the fever swamp of public discourse,”13 but finds “that ample evidence, arising from multiple branches of learning in the sciences and humanities, allows a clear definition of human nature.” His definition – which is an excellent starting point for reflecting on the implications for human rights – is “the inherited regularities of mental development common to our species,” and the result of “the interaction of genetic and cultural evolution that occurred over a long period in deep prehistory.”14 These interactions generate “epigenetic rules” of psychological development, which, he is quick to point out “are not genetically hardwired.”15 Paul Ehrlich explains in Human Natures: “[h]uman natures are clearly the result of biological and cultural evolution, and in some sense the ethical feelings and behaviors that are part of our natures must have arisen through these same processes.”16 He cautions, however, that only the capacity to develop ethics, that is, to anticipate consequences, feel empathy, internalize societal standards, and make moral choices, derives from human biology; “the actual ethics, morals, and norms of a society – the products of that ethical capacity – are overwhelmingly a result of cultural evolution within that society.”17 Scientific discussion of the tension in human nature between genetic vs. cultural factors and between individual egoism and group identity has rarely been linked to human rights. One of the papers presented to the Committee on the Theoretical Bases of Human Rights in 1947 dealt with human rights protection of individuals in tension with that of groups from the biological perspective. R. W. Gerard, professor of physiology at the University of Chicago, wrote that “[t]he central problem of man in society is that of outlining the territory of the individual within the larger territory of the group. […] This is the inescapable dichotomy: each man (and his neighbour) is a complete whole, dedicated to self-survival and in basic competition with other men; but each man (and his neighbour) is a component unit of a larger whole, the society, and dedicated to group survival by basic cooperation with other men in that group.”18

13

Wilson, supra fn. 2, at p. 191. Id., at p. 192. 15 Id., at p. 194. 16 P. R. Ehrlich, Human Natures: Genes, Cultures, and the Human Prospect, 2000, 308. 17 Id., at pp. 308 et seq. 18 R. W. Gerard, “The Rights of Man: A Biological Approach,” in J. Maritain (ed.), Human Rights: Comments and Interpretations, [Originally issued as UNESCO Doc. PHS/3 (rev.)], 205 et seq. 14

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This simple fact has implications for human rights. According to Gerard: “Man’s rights and duties, then, cannot be absolute but remain always relative to his milieu […] The ‘rights of man’ are attempts to define the territory of the individual (or the small group) vis-à-vis his neighbours and larger groups.”19

Affirming that “social evolution cannot violate general laws of biological evolution,” he acknowledges that “the biologist cannot supply details of what present human rights should be.”20 Nevertheless, he assesses human rights from a biological perspective by reiterating several general laws of biological evolution, including: “Greater dependence of the individual on the group is in the line with evolution. Altruism is growing relative to selfishness […] Any doctrine which regards man only as an individual or only as a unit in a group is necessarily false. The duality of man, as an individual whole and as a social unit, is inescapable. The extremes of eudemonism and utilitarianism, individualism and collectivism, anarchism and totalitarianism, laissez-faire and absolute economic socialism are untenable. The rights of man involve rights of the individual (or small group) as against other individuals (or groups) or the whole society – which implies duties of them to him – and rights of the whole (or small group) as against the individual (or group) – which implies duties of him to it.”21

In that same symposium, international lawyer Quincy Wright began his reflections by noting that “biologists tell us that all men share with the higher animals desires of varying intensity for life, for food, for sex, and for dominance. The psychologists add the desire for home territory, for personal freedom, for movement and for society.”22 He concluded: “[h]uman rights can only be defined if due consideration is given both to the original nature of man and to the contemporary standards of world civilization.”23 Since then, enormous progress has been made in evolutionary biology and neuroscience but little attention has been devoted to the question of whether these scientific fields clarify the relation between the scientific understanding of human nature and the impact of that understanding on theories of human rights. Evolutionary biology and neuroscience accomplished major breakthroughs in the 20th century but, unlike in 1947, the training and institutional settings of the scientists involved rarely offered the occasion to engage with moral philosophers, international and constitutional lawyers, and political scientists. Evolutionary biology is a particularly rich field from the human rights perspective insofar as it explores the extent to which behaviour assumed to be essential to human rights (such as avoiding harm to others, treating others as equals) is explained by in19

Id., at pp. 206 et seq. Id., at p. 208. 21 Id., at pp. 208 et seq. 22 Q. Wright, “Relationship between Different Categories of Human Rights”, in: Maritain, supra fn. 20, at p. 143. 23 Id., at p. 151. 20

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herited genes or by socialisation. It also examines whether human morality serves a purpose in natural selection. Echoing Gerard’s “inescapable dichotomy,” Wilson finds the following “iron rule in genetic social evolution”: “Selfish individuals beat altruistic individuals, while groups of altruists beat groups of selfish individuals.”24 It is “natural” for humans to take from others and to kill other humans whenever there is an advantage, including on a mass scale. Like all social species, humans function in hierarchical relations with other humans. The propensity to accept hierarchical social structures is innate in humans. What does this dimension of “human nature” tell us about the problems of equality and violence in human rights terms? I. The Problem of Equality and Non-discrimination This combination of a genetically inherited propensity and a socially-determined behaviour challenges the claim of most human rights documents that “all human beings are born equal.” This concept was addressed in the canonical texts of the 18th century revolutions, beginning with the American Declaration of Independence (“all men are created equal”) and in Article 1 of the French Declaration of 1789, identical to that of 1791: “Men are born and remain free and equal in rights. Social distinctions may be founded only upon the general good.” In Anarchical Fallacies, Jeremy Bentham’s scathing critique of the 1791 Declaration, he said regarding this article: “All men are born free? All men remain free? No, not a single man: not a single man that ever was, or is, or will be. All men, on the contrary, are born in subjection, and the most absolute subjection – the subjection of a helpless child to the parents on whom he depends every moment for his existence. […] All men born free? Absurd and miserable nonsense! … All men are born equal in rights. The rights of the heir of the most indigent family equal to the rights of the heir of the most wealthy? […] All men (i. e. all human creatures of both sexes) remain equal in rights. […] The apprentice, then, is equal in rights to his master; […] So again as between wife and husband. The madman has as good a right to confine anybody else, as anybody else has to confine him.”25

This diatribe goes on at length (and Bentham’s Anarchical Fallacies contains much more in this vein on this and each of the articles of the French Declaration) and includes his famous assessment of “natural rights” as “simple nonsense” and “natural and imprescriptible rights” as “rhetorical nonsense–nonsense upon stilts.”26 From the “laws of nature,” he explained, “come imaginary rights, a bastard brood of monsters.”27 24

Wilson, supra fn. 2, at p. 243. J. Bentham, “Anarchical Fallacies; Being an Examination of the Declarations of Rights Issued During the French Revolution”, in: The Works of Jeremy Bentham, published under the superintendence of his Executor, J. Browning, vol. 2, 1962, [originally published in 1843], 498 et seq. 26 Id., at p. 501. 27 Id., at p. 523. 25

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Was Bentham’s critique a reflection of a finding of evolutionary biology that humans are hierarchical? Clearly humans are born unequal in status, property, genetic endowments, access to the social determinants of good health and in numerous other aspects. And yet the Universal Declaration’s opening article reads: “All human beings are born free and equal in dignity and rights. They are endowed with reason and conscience and should act towards one another in a spirit of brotherhood.” The claim that equality derives from human nature constitutes what Bentham called an anarchical fallacy. He argued: “[t]here are no such things as natural rights – no such things as rights anterior to the establishment of government – no such things as natural rights opposed to, in contra-distinction to, legal rights.”28 Bentham criticizes natural law because it confuses what ought to be with what is and thus commits the “naturalistic fallacy” in the common sense of the expression.29 The critique holds insofar as it rejects the assertion that a behaviour (e. g., treating people equally) is a human right because it corresponds to a theoretical state of nature (e. g., all humans are born equal). It is both factually wrong that humans are born equal and morally dangerous to want to make a right out of what occurs naturally. Slavery, genocide, patriarchy, and discrimination based on class, sex, caste, social origin, ethnicity, language or religion occur “naturally” in human societies. It is clear therefore that the current corpus of human rights has not relied on the idea that what humans are known to do with sufficient regularity as to be their “natural” behaviour merits being enshrined as a “natural” right. Part of the confusion stems from the concept of the “state of nature,” as defined by Locke, Hobbes, Rousseau, and Hume, that is, the condition of early man before the state, laws and other constraints under the social contract. Although this state of nature is pure speculation of Enlightenment philosophers, it is extraordinary the extent to which their descriptions resemble that of more recent paleontology. Consider how Rousseau described the “savage”: “Accustomed from their infancy to the inclemencies of the weather and the rigour of the seasons, inured to fatigue, and forced, naked and unarmed, to defend themselves and their prey from other ferocious animals or to escape them by flight, men would acquire a robust and almost unalterable constitution.”30 Under the state of nature, man has “natural liberty and an unlimited right to everything he tries to get and succeeds in getting,” which he gives up in the social contract in exchange for “civil liberty and the proprietorship of all he possesses.”31 28

Id., at p. 500. The naturalistic fallacy also understood in philosophy as the error of assuming, because some thing or act has a property, such as being pleasant, and pleasantness is good, that therefore the thing or act in question is always good. Such was the position of the philosopher G. E. Moore in his 1903 book Principia Ethica. 30 J. J. Rousseau, Discourse on the Origin of Inequality, originally published 1755, quoted from: The Social Contract and Discourses, G. D. H. Cole (transl.), P. D. Jimack (ed.), 1993, 53. 31 Id., at p. 196. 29

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Human rights have been based on the assumption of the perfectibility of human society and that altering behaviour based on moral precepts is possible through law and education, what Donnelly calls “a self-fulfilling moral prophecy.”32 Thus it is not the observed nature of humans (unequal at birth, in competition with other individuals, prone to violence) but the morally preferable nature that matters (equality, respecting other individuals). At the level of the group, altruism is “natural” in some circumstances but does not ipso facto provide a basis for human rights norms. According to Wilson: “A basic element of human nature is that people feel compelled to join groups and, having joined, consider them superior to competing groups.”33 This feature of human nature is acknowledged in “the right to freedom of peaceful assembly and association,”34 which is reaffirmed in all general human rights texts. In order to reduce the consequences of the propensity of members of the group to consider their group superior to others and to compete, there is a concomitant human right that no human right, including freedom of association, “may be interpreted as implying for any State, group or person any right to engage in any activity or to perform any act aimed at the destruction of any other right.”35 The juxtaposition of these two principles of human rights (freedom of association and non-use of a right to destroy other rights) is in the logic of human rights. It respects the need of humans to associate with other humans, while protecting the weaker groups from potential harm from competing groups that would deny the very right to exist of the weaker group. The problem of equality and non-discrimination thus brings into focus the importance of constantly distinguishing what is considered morally good from what is observable in nature. Human rights set a high standard of equality, which assumes that humans can overcome traits of domination that have served individuals in natural selection but which are, in the logic of human rights, contrary to the longer-term interests of groups. II. Cooperation and Competition Among Human Groups To understand the extent to which it is “natural” for humans to aspire toward cooperation and mutual respect (or to “act towards one another in a spirit of brotherhood” in the language of the UDHR), we need to inquire into the concepts of altruism and empathy. These behaviours can be explained in evolutionary terms as a result of the advantage derived by the group where certain individuals sacrifice reproductive potential in the interest of the group, in contrast to populations in which all individuals pursue selfish interests. While selfishness is truly a feature of inherited individual behaviour, altruism is also deeply embedded in human nature. Evolutionary bi32

Donnelly, supra fn. 4, at p. 15. Wilson, supra fn. 2, at p. 290. 34 Universal Declaration of Human Rights (UDHR), Article 20. 35 UDHR, Article 30. 33

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ology teaches us that altruism emerged as cooperation within the in-group and as hostility toward the out-group. Altruism had been explained by the “inclusive fitness theory,” developed by William Hamilton and others in a 1964 article in the Journal of Theoretical Biology. The theory holds that the genes for altruism could evolve if relatedness or kinship (r) makes the benefit of an action to the individual (B) exceed the cost (C) to the individual, expressed in the formula rB > C. This inclusive fitness theory prevailed for three decades until several scientists, including Wilson, reconsidered it in the 1990 s because the mathematics did not work out and empirical evidence could not be produced to support it.36 Wilson replaces it with standard models of population genetics. In The Social Conquest of Earth, Wilson explains the concept of eusociality (the highest level of social organisation), that is, the complex social system of a limited number of species, like ants, termites, wasps and humans, that “divide labor in what outwardly at least appears to be an altruistic manner,”37 creating superorganisms having a comparative advantage over other organisms. His explanation of altruism and thus of moral behaviour is that “[h]uman beings are prone to be moral – do the right thing, hold back, give aid to others, sometimes even at personal risk – because natural selection has favored those interactions of group members benefitting the group as a whole.”38

Cooperation is even more important for him in that it favours groups with a higher proportion of co-operators over other groups. His conclusion on this point holds considerable potential for clarifying the relationship between human nature and human rights: “we [humans] are unique among animals in the degree that we attend to the sick and injured, help the poor, comfort the bereaved, and even willingly risk our own lives to save strangers.”39 In sum, “authentic altruism is based on a biological instinct for the common good of the tribe, put in place by group selection, wherein groups of altruists in prehistoric times prevailed over groups of individuals in selfish disarray.”40 From this perspective, it is not difficult to see the motivation behind such human rights standards as the right of everyone “to a standard of living adequate for the health and well-being of himself and of his family, including food, clothing, housing and medical care and necessary social services, and the right to security in the event of unemployment, sickness, disability, widowhood, old age or other lack of liveli36 Wilson, supra fn. 2, at pp. 167 – 182. The story of the controversy surrounding Wilson recantation of inclusive fitness is told in Jonah Lehrer, “Kin and Kind: A fight about the genetics of altruism”, The New Yorker, 5 March 2012, 40 et seq., . 37 Id., at p. 109. 38 Id., at p. 247. 39 Id., at p. 250. 40 Id., at p. 251.

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hood in circumstances beyond his control” (UDHR, Article 25). This norm, and the more detailed enumeration of economic, social and cultural rights in human rights treaties, was not drafted with natural selection in mind but in effect favours the “authentic altruism” to which Wilson refers. III. The Problem of Violence On the subject of violent behaviour in human evolution, Sam Harris explains in The Moral Landscape: “Human evil is a natural phenomenon, and some level of predatory violence is innate in us.”41 In The Better Angels of Our Nature, Steven Pinker discusses the “dark side of Human Nature.”42 He identifies raw exploitation, dominance, revenge, and ideology as dimensions of human nature that militate toward violence. Pinker thinks ideology might be the biggest contributor to violence, especially on a large scale. Rape, plunder, conquest, and the elimination of rivals have been part of a natural drive toward dominance. His book has its detractors but clearly poses the core problem of human nature and human rights by documenting the dramatic decline of violence over the centuries in all parts of the world, as measured by deaths through genocide, war, human sacrifice, and homicide and by behavior such as torture, slavery, and the treatment of racial minorities, women, children, and animals. Other behaviours reflect a thirst for revenge that can take the form of vendettas, rough justice, and cruel punishments. Pinker further finds countervailing traits of human nature in self-control, empathy, the moral sense, and reason. Among the trends that he considers as having moderated these forms of violence is what he calls the “Rights Revolution” and the “Humanitarian Revolution.” These events as described by Pinker are related to but not coterminous with contemporary human rights and humanitarian law. The point is worth pondering from the human rights perspective: Human societies have made considerable progress in creating and enforcing human rights and humanitarian norms, which perhaps exemplify the potential embedded in human nature to restrain ourselves from violence and other behaviours harmful to what we value in human existence. Wilson explains that “our bloody nature […] is ingrained because group-versusgroups was a principal driving force that made us what we are”43 and “war and genocide have been universal and eternal, respecting no particular time or culture.”44 For Wilson, a lesson from the study of the biological origins of moral reasoning is that all agree that genocide, slavery, and child abuse “should be opposed everywhere without 41

100. 42

S. Harris, The Moral Landscape. How Science Can Determine Human Values, 2010,

S. Pinker, The Better Angels Of Our Nature: How Violence Has Declined, 2011. Wilson, supra fn. 2, at p. 62. 44 Wilson, supra fn. 2, at p. 65. 43

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exception”.45 Of course all of these are clearly banned without exception in human rights texts and implementation mechanisms. Pinker, Harris and Wilson share the view that our species is capable of rising above our violent nature, our dark side, through moral codes and enforcement of law. From this perspective, we can consider whether the human rights norms governing violent acts are legitimate and reasonable instruments to fulfil moral preferences emerging collectively in our species. Consider the rights to life and security of person (Article 3 of the UDHR), or the prohibition of slavery or servitude (Article 4), or the ban on torture or to cruel, inhuman or degrading treatment or punishment (Article 5), or the 1948 Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide Convention, or the 1993 Declaration on the Elimination of Violence against Women. These provisions refer to behaviours that are “natural” in human history but that all governments participating in the United Nations agree to eliminate. In other words, the promotion and protection of human rights reflect efforts to change behaviours deeply embedded in human nature. Hauser seems to acknowledge the value of such developments when he refers to “the positive effects of organizations such as the United Nations [where] we see the spread of particularly virtuous moral attitudes.”46 He concludes: “It is thus possible for some groups to facilitate the spread of what many consider universal rights.”47

D. Conclusion: A New Enlightenment for Understanding the Relations Between Human Nature and Human Rights The relationship between human nature and human rights was essential to the emergence of modernity during the Enlightenment insofar as human rights were deemed to derive from human nature. That relationship has evolved radically in the sense that most human rights seek to limit behaviours that are regarded constant features of human nature. A more nuanced interpretation of this relationship might consider individual autonomy and freedom as aspirations deriving from the egoist in human nature, the selfish individual seeking procreative advantage. These traits reflect underlying concerns of many civil and political rights. Those traits that translate into behaviours of cooperation and concern for others derive from altruism and empathy in human nature, and find expression in economic, social and cultural rights. While this cate-

45

Id., at p. 254. M. Hauser, Moral Minds. The Nature of Right and Wrong, 2006, 311. 47 Id.

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gorization of rights has its limitations,48 there is a common recognition in the legal formulation of human rights and in the biological understanding of human nature that humans are self-centred and aspire to enjoy freedom, on the one hand, and compassionate and willing to accept duties toward others, on the other. Developments in biology, psychology and neuroscience are shedding light on the biological origins of moral reasoning such that we can now consider that it is consistent with human nature for societies to formulate and protect human rights aimed at altering human behaviour. In discussing violence above, we noted that Wilson listed condemnation of slavery, child abuse, and genocide as the “clearest ethical precepts” on which all agree and that this list could be expanded “with deepened self-awareness” to “precepts shared by most societies” which “will stand the test of biology-based realism.”49 But he added that outside of these “there is a grey domain inherently difficult to navigate” and about which inquiry into the biological history “has not been done. In fact, it is seldom even imagined.”50 He anticipates that such issues as gay rights, contraception and forced marriage will not “stand the test of biological realism.”51 The record of human rights bodies dealing with these and many other issues in the “grey domain” turns out to be more promising than Wilson anticipates, whether we consider the Convention on Consent to Marriage, Minimum Age for Marriage and Registration of Marriages, which entered into force in 1964, the Yogyakarta Principles on the Application of International Human Rights Law in relation to Sexual Orientation and Gender Identity drafted in 2006,52 or the UN Declaration on Sexual Orientation and Gender Identity, or progress in reproductive and sexual rights since the Cairo International Conference on Population and Development in 1994.53 No one claims that these matters are settled, as is evident from the deliberations of the Human Rights Council. Nevertheless, civil society and international bodies have produced considerable normative clarity beyond Wilson’s “clearest ethical precepts.” The work of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, where Eibe Reidel has played an outstanding role since 2003, has dealt with many matters in the “grey domain,” although without submitting to the “test of biological realism.” To the extent that emerging human rights norms challenge behaviours that have been common to human societies for millennia (such as gender stereotyping, dis48 I have argued elsewhere that this categorization has outlived its usefulness and that a more holistic and integrated understanding of human rights is preferable. S. P. Marks, “The Past and Future of the Separation of Human Rights into Categories,” (2009) 24 Maryland Journal of International Law, 208. 49 Wilson, supra fn. 2, at p. 254. 50 Id. 51 Id. 52 See . 53 A/CONF.171/13/Rev.1 – Report of the International Conference on Population and Development, U.N. Doc. A/CONF.171/13/Rev.1 (1994).

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crimination, inequality in access to basic goods, violence), it is not an exaggeration to consider that they seek to reverse the course of human nature. Several natural scientists have addressed the deep origins of moral reasoning and, by implication, of human rights. Alex Walter writes in “The Anti-Naturalistic Fallacy” that an evolutionary study of morality would enable us to investigate “how people came to acquire ethical concepts […] how they make ethical judgments […] and how they construct ethical systems,” as well as to “derive new ethical principles from a combination of newly discovered facts and already accepted normative principles”; an evolutionary study of ethics could “explain meta-ethics, i. e. provide the foundation that underlies our ethical beliefs and behavior,” and possibly “justify new and different ethical norms.”54 Marc Hauser found that “[o]ur moral faculty is equipped with a universal moral grammar, a toolkit for building specific moral systems.”55 He further explains that “an unconscious and universal moral grammar underlies our judgments of right and wrong.”56 He considers that many failed policies in law, politics, business and education result from “our ignorance about the nature of our moral instincts.”57 Natural selection does not provide the answer to moral behaviour as “there aren’t enough genes to code the various required behaviors” but rather “cultural evolution is the source of ethics”58 and, therefore, of human rights. In what is perhaps the only work by a neuroscientist that places his scientific field squarely in the context of human rights, Jean-Pierre Changeux in The Physiology of Truth explicitly draws on the Universal Declaration of Human Rights and other human rights texts to claim that “[t]he development of science has led, indirectly, to a gradual recognition of human rights.”59 At the conclusion of his study, he proposes an ambitious intercultural dialogue on ethical questions, the purpose of which would be “to discover and explain the aspirations and beliefs of human beings – in short, their mental states and expectations of reward – [and bring] about the good life that all human beings desire […] [and to achieve] a more harmonious balance between the rights of the individual and the needs of human society.”60 Essentially, Changeux proposes an advisory committee, under UN auspices, to draw on the sciences, particularly the biological and medical sciences, to address ethical issues and make recommendations regarding “actual causes of human suffering in a detailed and practical way.”61 54 A. Walter, “The Anti-naturalistic Fallacy: Evolutionary Moral Psychology and the Insistence of Brute Facts”, (2006) 4 Evolutionary Psychology, 33. 55 Hauser, supra fn. 45, xviii. (Emphasis in the original.) 56 Id. 57 Id., at p. xx. 58 Ehrlich, supra fn. 16, at p. 317. 59 J.-P. Changeux, The Physiology of Truth. Neuroscience and Human Knowledge, 2002, 236. 60 Id., at pp. 261 et seq. 61 Id., at p. 263.

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It is accepted in the biological study of human nature, as Ehrlich put it, that “[h]uman beings are the only animals that have developed religions, ethics, moral codes, and mutually agreed-on norms of conduct. These are human universals, but micro- and macroevolution have combined to produce a multitude of forms in different societies.”62

Thus, those who study human nature might benefit from introducing explicit knowledge of human rights norms into their reflections on moral codes as products of human self-reflection. As Hauser suggested: “Inquiry into our moral nature will no longer be the proprietary province of the humanities and social sciences, but a shared journal with the natural sciences.”63 The principal claim of this essay is that such research will enhance our understanding of human rights and human nature if pursued rigorously. Without there being a need for the body Changeux proposes (which seems to be a mix of the current International Bioethics Committee of UNESCO and the Human Rights Council Advisory Committee), there is ample room for more research drawing on emerging knowledge in the life sciences, social sciences, neuroscience, humanities and psychology about human nature with explicit reference to the implications so for human rights. This is the first argument Wilson makes for a “new Enlightenment.”64 His second argument is equally compelling: “The planet we have conquered is not just a stop along the way to a better world out there in some other dimensions. Surely one moral precept we can agree on is to stop destroying our birthplace, the only home humanity will ever have.”65 The genius of the Enlightenment was the synthesis of knowledge in ways that had major impacts on human affairs, principal among which were scientific progress and defining and enforcing human rights. A new Enlightenment would mean an intellectual reconnecting of moral philosophy regarding human rights and extraordinary advances in scientific understanding of human nature. The challenges of climate change, genomics, nanotechnology, green energy, robotics, neuroscience, to name but a few areas of extraordinary developments of this century, call for such a new Enlightenment. The 18th century Enlightenment was the launching pad of modern scientific method and of modern government respectful of human rights. Three hundred years later, there is much to be gained by restoring the willingness to cross disciplinary boundaries and seek new insights regarding the human condition.

62

Ehrlich, supra fn. 16, at p. 256. Hauser, supra fn. 45, at p. 425. 64 Wilson, supra fn. 2, at pp. 289 et seq. 65 Id., at p. 294. 63

Menschenrechtsinflation? Von Eckart Klein

A. Einführung Zu allen Zeiten gab es plötzliche Schübe der Rechtsvermehrung und der Rechtskonsolidierung. Gesellschaftliche Umbrüche, neu freigesetztes Denken, Veränderungen der staatlichen Strukturen, Staatsneugründungen, Integrationsprozesse, wirtschaftliche Herausforderungen auf nationaler und globaler Ebene sind die wohl wichtigsten Auslöser solcher Phänomene gewesen. Diese Beobachtung lässt sich nicht auf die nationale Rechtsebene beschränken. Das (neuere) Völkerrecht hat ganz ähnliche Entwicklungen durchlaufen, die ihren Ausgang von der Überzeugung von der Existenz der sittlichen Norm des gerechten Zusammenlebens der Menschen und Völker nahmen.1 Mit dieser naturrechtlichen Fundierung wurde schon bald die empirische Beobachtung des Verhaltens der Staaten (Fürsten) verbunden, das in ein more geometrico gestaltetes System eingeordnet wurde und so zur Festigung der normativen (weitgehend noch gewohnheitsrechtlichen) Grundlagen des Völkerrechts erheblich beitrug.2 Die wachsende wirtschaftliche Verflechtung der Staaten ebenso wie die der Ordnung zu gemeinsamem Nutzen bedürftigen technischen Erfindungen (z. B. Telegraphie) führten im 19. Jahrhundert zu einer starken Vermehrung vertragsrechtlicher Regeln, die durch die zunehmende Tätigkeit internationaler Schiedsgerichte weiter gefestigt wurden.3 Allerdings hat erst das 20. Jahrhundert zunächst unter der Ägide des Völkerbundes, vor allem aber dann der Vereinten Nationen eine geradezu lawinenartige Vermehrung und Konsolidierung des Völkerrechts herbeigeführt und damit einen Zustand, der bereits von vielen mit dem Begriff der Konstitutionalisierung versehen wird.4 Die stets zuneh1

Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1984, 225 unter Hinweis auf Francisco de Vitoria. Dazu auch Grawert, Francisco de Vitoria. Naturrecht – Herrschaftsordnung – Völkerrecht, Der Staat 39 (2000), 110 ff. 2 Vgl. Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, 1615; darauf aufbauend Pufendorf, De iure naturae et gentium libri octo,1672. Dazu Schiedermair, Hugo Grotius und die Naturrechtsschule, in: Börner u. a. (Hrsg.), Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens, Bd. 1, 1984, 477 ff. 3 Näher von Mangoldt, Die Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel internationaler Streitschlichtung, 1974. 4 Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: BerDGVR 39 (2000), 427 ff.; Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungs-

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mende Nähe, in welche die Staaten aufgrund der Globalisierung zueinander gerückt werden und aus der es kein Entrinnen gibt, macht in der Tat Regeln des Zusammenlebens erforderlich, an die früher nicht zu denken war und nicht gedacht werden musste. Auch wenn die Vereinten Nationen kein Weltgesetzgeber sind, haben sie doch zahlreiche Anstöße und Gelegenheiten gegeben, eine Fülle von durchaus auch progressiven Rechtsregeln zu schaffen, mit denen auf die neuen Herausforderungen geantwortet werden soll und die das heutige Völkerrecht entscheidend prägen.5 Dabei kommt es in unserem Zusammenhang nicht darauf an, ob diese Regelungswerke von Anfang an eher von den Staaten oder zunächst von Hilfsorganen wie der mit unabhängigen Experten besetzten International Law Commission erarbeitet wurden. Gerade für die internationalen Menschenrechte gilt, dass sie eng mit der Gründung der Vereinten Nationen verbunden sind. Natürlich wäre es ganz unhistorisch zu meinen, sie seien plötzlich vom Himmel gefallen. Die Idee der Menschenrechte hat vielfältige, weit zurückreichende Wurzeln, denen hier nicht nachgespürt werden kann.6 Dies gilt auch für die internationale Schutzdimension. Zu verweisen ist dabei vor allem auf die internationalen Konventionen gegen Sklavenhandel im 19. Jahrhundert und das Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes. Allerdings zeigen die erwähnten Beispiele auch, wie selektiv und inhaltlich beschränkt diese normativen Instrumente angelegt waren. Sie änderten nichts an der grundsätzlichen Überzeugung, dass es ausschließlich das eigene Recht eines Staates sei, das den Umgang mit den seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Individuen zu regeln habe. Nur für ausländische Staatsangehörige hatte sich durch das völkerrechtliche Fremdenrecht in der Form der diplomatischen Protektion ein gewisser rechtlicher Schutzschild herausgebildet, auf dessen Einsatz aber von Völkerrechts wegen auch heute noch kein Rechtsanspruch des Einzelnen besteht.7 Jedenfalls eigene Angehörige und Staatenlose waren dem Zugriff des Staates ausgeliefert. Ihr menschen- oder grundrechtlicher Schutz war allein in die nationale Verantwortung gelegt.

rechts, Der Staat 42 (2003), 61 ff.; Klabbers/Peters/Ulfstein, The Constitutionalization of International Law, 2009; zurückhaltend-skeptisch Zemanek, Für mehr Offenheit und Realismus in der Völkerrechtslehre, in: Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht. Liber amicorum Jost Delbrück, 2005, 895 (906 f.); Bernhardt, Konstitutionalisierung – Was heißt das eigentlich?, in: Hestermeyer u. a. (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity. Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, 2012, 1369 ff. 5 Dazu Klein, Die Vereinten Nationen und die Entwicklung des Völkerrechts, in: Volger (Hrsg.), Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen, 2007, 21 ff. 6 Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978; Stern, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, 2004, § 1 Rn. 4 ff.; Haratsch, Die Geschichte der Menschenrechte, 4. Aufl. 2010. 7 Auch der von John R. Dugard als Special Rapporteur der ILC, First Report on Diplomatic Protection, UN Doc. A/CN.4/506 (7. 3. 2000), Ziff. 75 ff. gemachte Vorschlag, eine Rechtspflicht auf Ausübung des diplomatischen Schutzes bei schwerer Verletzung von ius cogens anzunehmen, hat keine Zustimmung gefunden.

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Eben dies änderte sich mit der Satzung der Vereinten Nationen.8 Ihre Präambel bezeichnet das Motiv, das für das damit begründete internationale Engagement für die Menschenrechte ausschlaggebend war: das unsägliche Leid, das zwei Weltkriege über die Menschheit gebracht hatten. Deutlicher noch ist die Motivation in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte drei Jahre später benannt worden, wenn dort von den „barbarischen Akten“ gesprochen wird, in welche die Missachtung und Verachtung der Menschenrechte geführt hatten.9 Wir wissen, dass damit primär der Holocaust gemeint war. Diese Situation ließ es als nicht mehr hinnehmbar erscheinen, den Schutz der Menschenrechte hinfort allein den Staaten zu überlassen. So wurde – zunächst als generelles Postulat – dieser Schutz auch auf der völkerrechtlichen Ebene verankert und damit zu einem internationalen Anliegen (international concern) gemacht. So gewiss der Grund für diese Entscheidung der Gründerstaaten der Vereinten Nationen war, so wenig sicher war, was daraus im Einzelnen folgen würde. Der internationale Anspruch ließ sich nicht rasch verwirklichen. Immerhin gelang es, mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 das normative Konzept vorzulegen, nach dem sich die weitere Entwicklung vollziehen sollte. Am Tag zuvor hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen bereits die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords angenommen. Sie war das erste konkrete, zu rechtlicher Verbindlichkeit fähige Instrument, mit welchem dem geschilderten Motiv zum internationalen Schutz der Menschenrechte Rechnung getragen wurde. Im Übrigen verzögerte sich die Einlösung des mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gemachten Versprechens.10 Erst 1966 erblickten die beiden Menschenrechtspakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie über bürgerliche und politische Rechte das Licht der Welt, und bis zu ihrem Inkrafttreten verging ein weiteres Jahrzehnt. Dann aber verebbte die Welle neuer Konventionen und sonstiger Versuche, neue Menschenrechte zu kreieren, kaum noch. Die normative Dichte der Menschenrechtsgewährleistungen auf der internationalen Ebene hat trotz der Fülle erklärter Vorbehalte heute ein so erhebliches Ausmaß erreicht, dass man geneigt sein könnte, geradezu von einer Menschenrechtsinflation zu sprechen, deren bedenklichste Folge, wenn dies zutreffen sollte, die Gefahr der zumindest praktischen Abwertung der garantierten Rechte wäre. Im Folgenden soll geprüft werden, ob es gerechtfertigt ist, von einer Inflation menschenrechtlicher Verbürgungen zu sprechen. Obgleich es zur Erstellung eines Gesamtbildes eigentlich nötig ist, alle Ebenen des Menschenrechtsschutzes – die nationale, regionale und universelle Ebene – in den Blick zu nehmen, konzentrieren sich meine Ausführungen auf den universellen Bereich. Dies ist nicht zuletzt dem 8 Tomuschat, Human Rights. Between Idealism and Realism, 2. Aufl., 2008, 22: „The great leap forward: 1945“. 9 Koskenniemi, The Preamble of the Universal Declaration of Human Rights, in: Alfredsson/Eide (Hrsg.), The Universal Declaration of Human Rights, 1999, 27 (30 ff.). 10 Zu den Gründen siehe Joseph/Schultz/Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights. Cases, Materials, and Commentary, 2. Aufl., 2004, 7 f.

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Umstand geschuldet, dass Eibe Riedel wie kaum ein anderer sich gleichermaßen wissenschaftlich wie in langjähriger praktischer Tätigkeit gerade diesem Gebiet mit großem Erfolg gewidmet hat. Ihm, dem früheren Mainzer Fakultätskollegen und Freund, ist dieser Beitrag gewidmet.

B. Der Ausbau der normativen Ebene Schon vor den beiden Menschenrechtspakten wurde die Konvention über die Eliminierung aller Formen der Rassendiskriminierung (CERD) angenommen (1965); sie ist vier Jahre später in Kraft getreten. Sie profitierte von dem immer stärker werdenden Druck, den die Vereinten Nationen gegen die Apartheidpolitik in diesen Jahren entfalteten.11 Es folgten die Konvention zur Eliminierung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (CEDAW, 1979/1981), die Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT, 1984/1987), die Konvention über die Rechte des Kindes (CRC, 1989/1990), die Konvention über den Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienmitglieder (CPRMW, 1990/2003), die Konvention über die Rechte behinderter Personen (CRPD, 2006/2008) und die Konvention zum Schutz aller Personen vor erzwungenem Verschwinden (CPED, 2006/2010). Hinzu kommen Protokolle über materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche Ergänzungen zu einigen dieser Verträge. Der normative Bestand wird aber nicht nur durch den Abschluss von Konventionen erweitert. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Kontext die Rechtsfortbildung durch die Auslegung und Anwendung der menschenrechtlichen Garantien durch die in den genannten Konventionen geschaffenen Gremien (Vertragsausschüsse).12 Sie alle, wie nicht anders etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte,13 verstehen die Gewährleistungen als „living instruments“, die auch neuartigen Gefährdungen standhalten müssen.14 Die sogenannten Allgemeinen Bemerkungen (General Comments) fassen nicht nur bisherige Ergebnisse der Tätigkeit der Ausschüsse zusammen, sondern bereiten zumindest gelegentlich den Boden, von dem aus weitere Anforderungen geltend gemacht,15 „sleeping beauties“ aus ihrem Schlaf ge11 Siehe auch die Konventionen über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid (1973) und gegen Apartheid im Sport (1985). 12 Ausnahme: Anti-Genozidkonvention von 1948. Für die Auslegung ist bei Streitfällen nach Art. IX der Internationale Gerichtshof zuständig, doch sind gegen diese Vorschrift zahlreiche Vorbehalte erklärt worden. 13 Zuletzt EGMR, Urt. vom 23. 2. 2012, Appl. No. 27765/09, Hirsi Jaama u. a. v. Italien, Ziff. 175. 14 Aus der Sicht des Menschenrechtsausschusses siehe etwa Communication No. 829/ 1998, Roger Judge v. Canada, UN Doc. CCPR/C778/D829/1998 (2003), Ziff. 10.3. 15 Ein Beispiel für eine solche Ausfaltung bietet die von Eibe Riedel maßgeblich beeinflusste Allgemeine Bemerkung Nr. 15 (2002) des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte über das Recht auf Wasser; dazu Riedel/Rothen (Hrsg.), The Human Right to Water, 2006.

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weckt werden können.16 Der Wandel gesellschaftlicher Normen und des – jedenfalls zum Teil – auch davon abhängigen Rechtsbewusstseins beeinflusst die Rechtsanwender gleichfalls und verändert den Inhalt einer Rechtsnorm. Ob der Norminterpret hierbei eine eher führende oder nachzeichnende Rolle spielen sollte, ist eine sicher nicht von allen Interpreten in derselben Weise beantwortete Frage; „strict constructionists“ und progressive Ausleger finden sich auf allen Rechtsebenen. Zumindest auf der universellen Ebene dürfte indes Zurückhaltung angebracht sein. Normkreation geschieht auch durch die erfolgreiche Verortung von Verhaltensregeln im ungeschriebenen Völkerrecht, dem Gewohnheitsrecht17 oder in den allgemeinen Rechtsprinzipien. Dies hat den Vorteil, dass solche Regeln das Vertragsabschlussverfahren nicht durchlaufen müssen und damit auch Vorbehalten der Staaten nicht unterliegen. Da die Entstehung von Gewohnheitsrecht an relativ strenge Voraussetzungen geknüpft ist, nimmt es nicht wunder, dass verschiedentlich der scheinbar leichtere Weg über die Annahme allgemeiner Rechtsgrundsätze propagiert wird.18 Dies wird dadurch erleichtert, dass in der allgemeinen Diskussion oft sehr allgemein von Menschenrechten und deren Verletzung gesprochen wird,19 ohne dass die Behauptung an Hand der jeweiligen Kriterien für die Rechtsentstehung geprüft oder gefragt wurde, ob ein Staat an eine konkrete Norm überhaupt rechtlich gebunden ist; zu denken ist vor allem an die Erklärung eines (zulässigen) Vorbehalts.20 Gleichwohl sollte man solche, zum Teil recht undifferenzierten Rechtsbehauptungen nicht unterschätzen. Ihre ständigen Wiederholungen, ihr Aufgreifen durch (Unter-)Organe der Vereinten Nationen und die Literatur sollen – jedenfalls ist das oft das Ziel – unter Umgehung der strikten Entstehungsbedingungen solchen Behauptungen Rechtscharakter verleihen. Prinzipiell kann das durchaus gelingen. Als Beispiel für eine solche Vorgehensweise können die Menschenrechte der dritten Generation dienen. Seit langem spricht man von den drei Menschenrechtsgenerationen. Auch wenn nach wie vor die Unterschiede zwischen den Rechten der ersten (Freiheitsrechte) und der zweiten Generation (soziale, kulturelle Rechte) nicht geleugnet werden können, sind sie heute als Ausdruck einer staatlichen Gesamtverantwortung für die Individuen allgemein anerkannt – ungeachtet der in concreto nachzuweisenden Verbindlichkeit bestimmter Garantien für einen Staat. Schwieriger ver16

Dazu Riedel, Sleeping Beauty or Let Sleeping Dogs Lie? The Right of Everyone to Enjoy the Benefits of Scientific Progress and Its Applications (REBSPA), in: Hestermeyer u.a. (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity. Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum Vol. I, 2012, 503 ff. 17 Vgl. Klein (Hrsg.), Menschenrechtsschutz durch Gewohnheitsrecht, 2003. 18 So Alston/ Simma, The Sources of Human Rights Law: Custom, Jus Cogens, General Principles, Australian Yearbook of International Law 12 (1992), 82 ff. 19 Hierzu Doehring, Die undifferenzierte Berufung auf Menschenrechte, in: Beyerlin u.a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung. Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, 355 ff. 20 Zur Problematik speziell bei Menschenrechtsverträgen vgl. Ziemele (Hrsg.), Reservations to Human Rights Treaties and the Vienna Regime, 2004.

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hält es sich mit den oft generell als Solidaritätsrechten bezeichneten Menschenrechten der dritten Generation, zu denen vorrangig das Recht auf Entwicklung, das Recht auf gesunde Umwelt und das auf Frieden gezählt werden.21 Seit einiger Zeit wird gerade das letztgenannte Recht wieder diskutiert.22 Initiiert von der kubanischen Regierung im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (Human Rights Council) als „Recht der Völker auf Frieden“ (Right of peoples to peace), in Parallele zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, wird in den noch laufenden Arbeiten des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats (HRCAC) das kollektive Recht der Völker (auch) auf Individualberechtigungen (wie Kriegsdienstverweigerung, Recht auf Meinungs- und Gewissensfreiheit, Rechte von Opfern etc.) heruntergebrochen. Die Initiative wird, wie kaum anders zu erwarten, sehr unterschiedlich beurteilt; die maßgebliche Resolution des Menschenrechtsrates 14/3 zur weiteren Verfolgung des Projekts wurde im Juni 2010 mit 31 zu 14 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen.23 Die mit der Schaffung eines solchen Rechts verbundene Problematik soll hier nicht vertieft werden.24 Es sollte nur gezeigt werden, auf welche Weise die Vermehrung von Menschenrechtsnormen erfolgen kann. Hilfreich ist dabei die keineswegs nur im Völkerrecht bekannte Methode, aus einzelnen Elementen einen Grundsatz zu entwickeln, aus dem heraus dann wieder diese Elemente fundiert und zusätzliche Elemente entwickelt werden können. Eine wahre Fundgrube für diese Erkenntnis bietet die seit Jahren mit großer Energie geführte und sich ständig verstärkende Debatte über das Solidaritätsprinzip im Völkerrecht, das sich überdies in hervorragender Weise als Baustein in die Vorstellung von der Konstitutionalisierung des Völkerrechts einfügt.25

C. Gründe Worin liegen die Gründe für die starke Zunahme menschenrechtlicher Gewährleistungen in den vergangenen Jahrzehnten? Dabei ist zunächst auf eine intrinsische, historisch belegte Eigenschaft der Menschenrechte aufmerksam zu machen. Alle Menschenrechte haben die Tendenz zu Erweiterung und Vertiefung. Zunächst weitet sich der Kreis der Berechtigten. War es für die Schöpfer der großen Freiheitsdeklarationen wie der Virginia Bill of Rights von 1776 und der Französischen Erklärung 21

Hierzu Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, 210 ff., 239 ff. Vgl. dazu vor allem A/RES/39/11 (12. 11. 1984): Declaration on the Right of Peoples to Peace. 23 Zum Ganzen Heinz, Ein Menschenrecht auf Frieden? Auf dem Weg zu einer neuen Erklärung der Vereinten Nationen zu einem Menschenrecht auf Friede, Vereinte Nationen 2011, 221 ff. Heinz ist Mitglied des HRCAC und Rapporteur der entsprechenden Drafting Group. 24 Tomuschat (Fn. 8), 54 ff. 25 Wellens, Solidarity as a Constitutional Principle: Its Expanding Role and Inherent Limitations, in: Macdonald/Johnston (Hrsg.), Towards World Constitutionalism: Issues in the Legal Ordering of the World Community, 2005, 775 ff.; Wolfrum/Kojima (Hrsg.), Solidarity: a Structural Principle of International Law, 2010. 22

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der Bürger- und Menschenrechte von 1789 weitgehend selbstverständlich, dass die Rechtsträger männlich und weiß seien, hat sich erst im Verlauf der folgenden beiden Jahrhunderte die Vorstellung von der Rechtsträgerschaft tatsächlich aller Menschen etabliert; niemand darf aus der Menschenrechtsgemeinschaft ausgeschlossen werden.26 Umgekehrt tendieren die Menschenrechte auch zu einer Erweiterung des Kreises der Verpflichteten über die staatlichen Adressaten hinaus. Immer wieder wird erwogen, auch Private aus den menschenrechtlichen Normen direkt zu verpflichten, wie es innerstaatlich unter dem Stichwort der (unmittelbaren) Drittwirkung diskutiert wird. Die einschlägige Debatte kulminiert derzeit in der Erörterung darüber, wie transnationale Unternehmen „an die Leine“ der Menschenrechte gelegt werden können. Einen Durchbruch im Sinn einer direkten völkerrechtlichen Inpflichtnahme solcher Unternehmen hat auch der im Auftrag des Menschenrechtsrates erarbeitete Bericht von John Ruggie nicht gebracht, was freilich nur zu verständlich ist.27 Das ändert aber nichts daran, dass nichtstaatliche Akteure zunehmend als potentielle Adressaten menschenrechtlicher Verpflichtungen diskutiert werden.28 Menschenrechte haben ferner die Tendenz zu inhaltlicher Ausweitung und Vertiefung. Dies ergibt sich bereits nahezu zwangsläufig durch ihre Anwendung auf konkrete Fallkonstellationen, die nicht zuletzt im Lichte des bereits erwähnten Verständnisses der Menschenrechte als living instruments zu Rechtsfortbildungen führen. Man mag darüber streiten, ob das vom Bundesverfassungsgericht entdeckte Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ ein „neues“ Grundrecht war oder die nur zeitgemäße Ableitung aus dem in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Recht auf Achtung der individuellen Privatsphäre.29 Entsprechendes lässt sich im Hinblick auf das „Menschenrecht auf Wasser“ fragen, dem sich der Jubilar so intensiv gewidmet hat. Obwohl ein solches Recht weder in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte noch in einem der Pakte formuliert ist, ging der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bei der Prüfung zahlreicher Berichte und in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 15 (2002) nicht davon aus, ein völlig neues Recht zu kreieren, band seine Rechtsfindung vielmehr an Art. 12 IPWSKR (Recht auf das für jeden erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit) und 26

Das ist der Sinn des Art. 6 Allgemeine Erklärung und Art. 16 IPBPR; dazu Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson. Grundlage der Freiheit, 2011. 27 Ruggie, Final Report on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises, UN Doc. A/HRC/17/31 (21 March 2011). Dazu McCorquodale, International Human Rights Law and Transnational Corporations: Responsibilities and Cooperation, in: Hestermeyer u. a. (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity. Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, Vol. I, 2012, 453 ff., wo zutreffend darauf hingewiesen wird, dass die von Ruggie neben der staatlichen Schutzpflicht hervorgehobene „corporate responsibility“ als „social expectation“, nicht als Rechtspflicht definiert ist. 28 Vgl. auch den Versuch von Elder Statesmen, der Erklärung der Menschenrechte eine Pflichtendeklaration zur Seite zu stellen; Helmut Schmidt, Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten. Ein Vorschlag, 1998. 29 BVerfGE 65, 1 (41 ff.); dazu Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, 1987, 127 ff.

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konnte so das Recht auf Wasser als eine sinnfällige Variante des Inhalts dieser Norm statuieren.30 Die Koppelung mit einer Vorschrift des Sozialpakts war natürlich schon darum unerlässlich, weil nur auf dieser Basis der Ausschuss dieses Problem aufgreifen durfte. Angesichts der Schwierigkeiten, die mit der Ergänzung bestehender Verträge verbunden ist, ist die Fortentwicklung der menschenrechtlichen Garantien weitgehend der Auslegungspraxis der hierzu primär vom Vertrag berufenen Gremien anvertraut. Überblickt man die oben aufgeführten Konventionen, erkennt man schnell einen weiteren Grund für die Rechtsvermehrung. Fast alle dort aufgegriffenen Regelungsgegenstände sind prinzipiell bereits in zumindest einem der beiden internationalen Pakte behandelt. Das gilt für das Verbot der Folter (Art. 7 IPBPR) ebenso wie das des erzwungenen Verschwindens oder Verschwindenlassens (Art. 6 und 9 IPBPR) und gilt durchweg für das Verbot der Diskriminierung von Frauen, von Kindern, von Wanderarbeitnehmern, von Behinderten und aus rassischen Gründen. Beide Pakte enthalten sehr klare, wenn auch allgemein gehaltene Bestimmungen bezüglich eines weitgespannten Diskriminierungsverbots (Art. 2 Abs. 2 und 3 IPWSKR; Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und 26 IPBPR). Doch ging und geht man offenkundig davon aus, dass es notwendig ist, der Abwehr besonderer Missstände und dem Schutz besonders verletzlicher Personen mehr als eine Grundsatznorm zu widmen. Offenbar erweist sich gerade der Bereich der Diskriminierung als besonders offen für differenzierte und detaillierte Schutzüberlegungen.31 So wird etwa aus dem schlichten Verbot der Diskriminierung der Frau (Art. 3 und 26 IPBPR) eine eigene, sehr ins Einzelne gehende Konvention (CEDAW) mit einem spezifischen Überwachungssystem, was den UNMenschenrechtsausschuss aber nicht etwa zur Lockerung seiner Prüfung der entsprechenden generellen Paktgewährleistung veranlasst, sondern eher noch genauer und systematischer auf Diskriminierungen durch die Vertragsparteien blicken lässt.32 Zweifellos ist es ja auch eine allgemeine Erfahrung, dass das Augenmerk der Öffentlichkeit stärker auf ein Problem gerichtet wird, wenn es das zentrale Anliegen eines speziellen Schutzmechanismus ist und nicht nur eines unter vielen. Dem jeweiligen Phänomen der Diskriminierung kann genauer nachgespürt werden, wenn ein eigens hierfür etablierter Apparat samt Schutznormen zur Verfügung steht. Darüber hinaus können in der speziellen Konvention dann auch über das reine Diskriminierungsverbot hinausreichende positive Fördermaßnahmen gefordert und so eine Intensivierung des Schutzes erreicht werden. So kann man durchaus sagen, dass es gute Gründe für die Erweiterung und Vertiefung des Menschenrechtsschutzes gibt.

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Dazu Riedel, The Human Right to Water and General Comment No. 15 of the CESCR, in: ders./Rothen (Fn. 16), 19 (27 f.). 31 Zu den Gründen Ladwig, Das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot und seine Grenzen, MenschenRechtsMagazin 2011/2, 108 ff. 32 Vgl. dazu nur Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 28 (2000).

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D. Folgen und Probleme Als eine wichtige Konsequenz aus der zu konstatierenden steten Proliferation menschenrechtlicher Gewährleistungen zu benennen ist die in ganz parallelem Maß verlaufende Versubjektivierung von Sachverhalten, die früher Angelegenheit des einzelnen Staates oder der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit waren. In dem Augenblick, in dem eine Angelegenheit menschenrechtlich definiert wird, ist es folgerichtig, den Einzelnen nicht nur als objektiv Rechtsbegünstigten, sondern als unmittelbaren Rechtsinhaber zu verstehen, der sein (subjektives) Recht nicht nur materiell in Anspruch nehmen kann, sondern auch die Gelegenheit haben muss, sein Recht in einem geordneten Verfahren geltend zu machen.33 Das sich immer stärker verdichtende Netz menschenrechtlicher Garantien ist grundsätzlich zu begrüßen, lenkt es den Blick doch darauf, dass Staat und Recht eine dem Menschen dienende Funktion haben. Man sollte allerdings auch die Augen vor Folgeproblemen der ständigen Schaffung neuer Menschenrechtsnormen nicht verschließen. Noch am wenigsten ins Gewicht fallen dürfte, dass die Vertragsparteien der einschlägigen Konventionen auf der Grundlage des dort etablierten Überwachungssystems regelmäßig neue Berichtspflichten gegenüber den zuständigen Ausschüssen zu erfüllen haben werden, was eine nicht einfache Aufgabe ist, wenn die Staaten sie ernst nehmen. Schon heute hängen zahlreiche Staaten diesen Verpflichtungen hinterher, sei es dass sie überhaupt keine Berichte abgeben, sei es dass sie die Berichte nur mit großer Verspätung einreichen.34 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass verschiedene Staaten unter diesen Umständen noch stärker als bereits jetzt ihre Berichtspflichten vernachlässigen werden. Mit der Vermehrung der häufig zu Überlappungen führenden Schutzvorschriften und der wachsenden Zahl von Überwachungsgremien kann es zu Auslegungsdivergenzen bei der Beurteilung von Sachverhalten kommen.35 Sie werden bei der Erstellung von „Abschließenden Bemerkungen“ (concluding observations) weniger zu Tage treten als im Bereich von Individualbeschwerden, auch wenn weitgehend Vorsorge darüber getroffen ist, dass nicht zwei Überwachungsausschüsse über denselben Fall entscheiden.36 Langfristig könnten sich Rechtsprechungslinien gleichwohl unterschiedlich entwickeln. Vorsorge hiergegen kann nur dadurch getroffen werden, dass die Überwachungsgremien von ihrer Tätigkeit gegenseitig genau Notiz nehmen und Divergenzen so weit wie möglich zu vermeiden suchen. 33 Klein, Menschenrechte zwischen Universalität und Universalisierung, in: Böttigheimer u. a. (Hrsg.), Sein und Sollen des Menschen, 2009, 207 (210). Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 IPBPR und Art. 13 EMRK. 34 Siehe die Aufstellung in Report 2010-11 of the Human Rights Committee Vol. I, 14 ff., UN Doc. A/66/40 (Vol. I). 35 Zum Problem Stender, Überschneidungen im internationalen Menschenrechtsschutz, 2004. 36 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 2 (a) Fakultativprotokoll zum IPBPR.

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Mögen diese Schwierigkeiten mit dem guten Willen aller Beteiligten noch relativ leicht zu überwinden sein, sind drei weitere Probleme, die sich aus der Vermehrung der Zahl der Menschenrechte ergeben, durchaus ernst zu nehmen. Das erste anzusprechende Problem besteht darin, dass das gesellschaftliche Bewusstsein mit der Entwicklung Schritt halten muss, um dieser eine verlässliche Basis zu sein. Neue oder auch neu interpretierte Rechte müssen an Verständnisse und Erfahrungen anschlussfähig, das heißt letztlich auf allgemeine Menschheitserfahrung gegründet sein, um aufgenommen zu werden. Das Wechselspiel von Moral und Recht ist kompliziert.37 Beiden ist am meisten gedient, wenn moralische Norm und Rechtsnorm übereinstimmen. Rechtsnormen werden um so eher respektiert, wenn sie sich auf eine bestehende moralische Norm stützen können. Andererseits darf man aber auch die edukatorische Kraft des Rechts nicht unterschätzen. Nicht nur kann Moral Recht, auch Recht kann Moral schaffen und damit eine tiefer liegende Schicht der Bereitschaft zur Rechtsbefolgung aktivieren. Es gilt, den richtigen Augenblick zu finden, in dem der Schritt der Rechtsetzung (auch im Sinn der Neuinterpretation) vollzogen wird. Als Beispiel ist hier nur auf die von vielen Seiten geforderte Neudefinition des Ehebegriffs aufmerksam zu machen. Ziel der Debatte ist es, die Ehe (nicht eine sonstige Partnerschaft) homosexueller Paare zu ermöglichen. Sowohl der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben die Zeit für eine derartige Neuinterpretation offenbar noch nicht als reif angesehen.38 Ein weiteres wichtiges Problem in diesem Zusammenhang ist, dass sich die ohnehin schon bestehende Kluft zwischen der Norm und ihrer Respektierung, zwischen Rechtsbefehl und Durchsetzung weiter vertieft. Die dem Völkerrecht generell anhaftende Vollzugsschwäche ist im internationalen Menschenrechtsschutz besonders intensiv fühlbar, vor allem, aber nicht allein auf der universellen Ebene. Schon institutionell sind die meisten Überwachungsgremien schwach. Ihre Stärke liegt weitgehend allein in ihrer Überzeugungskraft, die sie aber wieder nur entwickeln können, wenn sie nicht nur die richtigen Probleme erkennen, sondern diese selbst wie auch die vorgeschlagene Remedur in einem aufnahmefähigen und aufnahmebereiten Untergrund verankern können. Anders wird sich der gewünschte Übergang vom inhärenten Universalisierungsanspruch der Menschenrechte zu ihrer tatsächlichen Universalität nicht einstellen können. Wer zu viel will, ohne dass der Plafond bereitet ist, kann auch schon scheinbar Gesichertes aufs Spiel setzen. Eine dritte in unserem Zusammenhang bestehende Gefahr liegt in dem Abgleiten der Diskussion in das Unjuristische. Das soll nicht bedeuten, dass Menschenrechte nur eine Angelegenheit für Juristen wären. Vom notwendigen moralisch-ethischen und philosophischen Hintergrund war bereits die Rede, und auch des politischen Im37 Aufschlussreich hierzu Fagan, Human Rights. Confronting Myths and Misunderstandings, 2009, 26 ff., 49 ff. 38 Menschenrechtsausschuss, Communication No. 902/1999, Joslin v. New Zealand, UN Doc. CCPR/C75/D/902/1999 (2002); EGMR, Urt. vom 12. 5. 2009 Korek v. Slowenien, Appl. No. 28456/03, Ziff. 89 ff.

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petus können die Menschenrechte nicht entraten. Rechtspolitik und Recht müssen aber gleichwohl unterschieden werden. Es ist sinnvoll, wenn immer wieder nachgedacht wird, wo das Recht zu verbessern, zu verdeutlichen, zu konkretisieren ist. Es diskreditiert jedoch Rechtsmaßstäbe, wenn diese mit Forderungen aufgeladen werden, die sich eben noch nicht selbst rechtlich verfestigt haben. Mehr noch als im nationalen Recht ist im internationalen Bereich Vorsicht geboten, wenn bei allem guten Willen nur zu verständliche Rechtsbehauptungen für Recht genommen und den zuwiderhandelnden Staaten Rechtsverletzungen vorgeworfen werden. Im Übrigen kann eine Überfülle von Normen selbst dann, wenn sie als Rechtsnormen wirklich entstanden sind, eher zu pauschalen Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen verleiten. Es wird nicht mehr ausreichend zwischen den einzelnen Menschenrechten und ihrer jeweiligen Bindungskraft gegenüber dem jeweiligen (behaupteten) Adressaten differenziert. Der Vorwurf, ganz generell menschenrechtsfeindlich zu sein, ersetzt in der allgemeinen Debatte den Vorwurf und Nachweis der Verletzung konkreter Menschenrechte. Ein Beispiel ganz eigener Art bietet die Diskussion um die menschenrechtliche Bindung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, ein wegen der vom Rat gegen nicht staatliche Akteure, die terroristischer Akte verdächtig sind, verhängten Sanktionen zu Recht viel behandeltes Thema des letzten Jahrzehnts.39 Bei diesen Untersuchungen wird häufig recht pauschal die umfassende Bindung des Sicherheitsrates angenommen, auch soweit er im Bereich von Kapitel VII der Charta tätig wird. Aus Art. 24 Abs. 2 (insbesondere dem Satz 2) UN Charta ist eine so weitgehende Auffassung nicht zu entnehmen. Die Bindung an gewohnheitsrechtlich verfestigte Schutznormen wird man tel quel auch für internationale Organisationen akzeptieren können, aber es fällt schwer, die Fülle der vertraglich fundierten Menschenrechtsnormen, soweit sie nicht ihrerseits gewohnheitsrechtlichen Charakter erlangt haben,40 für internationale Organisationen, z. B. die Vereinten Nationen, schlichtweg für verbindlich zu erklären. Diese sind ja nicht nur keine Vertragsparteien, auch die Konstruktion ihrer Bindung über die Bindung der Mitgliedstaaten wird regelmäßig nicht funktionieren, wenn man den Ratifikationsstand der Mitglieder und die Vielzahl der von ihnen erklärten Vorbehalte berücksichtigt. Dass diese Situation unbefriedigend ist, ist klar – ebenso wie die Konstruktion des Sicherheitsrates heute als unzeitgemäß zu betrachten ist. Aber Abhilfe kann nicht durch die Leugnung dieser Tatsachen, sollte nicht durch die Unterminierung der einzigen derzeit bestehenden internationalen Instanz erfolgen, die jedenfalls grundsätzlich in der Lage ist, Maßnahmen zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit zu ergreifen und anzuordnen. Erfolgversprechender ist der Weg, den Sicherheitsrat zur Selbstkorrektur anzuhalten, also Kräfte zu wecken, die organisationsintern bessere Lösungen hervorbringen. 39 Dazu mit vielen Nachweisen Klein/Schmahl, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. 2010, 4. Abschnitt Rdnrn. 152 und 197 ff. 40 Art. 38 Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969.

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E. Abschließende Bemerkungen Die Menschenrechtsentwicklung befindet sich in gewisser Weise zwischen Skylla und Charybdis, zwischen den Gefahren eines einerseits zu langsamen und andererseits zu schnellen Voranschreitens. Es wird immer wieder Situationen geben, die neue, auch neuartige menschenrechtliche Antworten verlangen. Dabei muss aber mit Augenmaß, Schritt für Schritt und kontinuierlich, was nicht unablässig heißt, vorgegangen werden. Menschenrechtsschutz ist keine olympische Disziplin, in welcher der Forderung „altius, citius, fortius“ Rechnung zu tragen wäre. Nicht weil der Menschenrechtsschutz nicht alle Aufmerksamkeit und Anstrengung verdiente, sondern weil es besser ist, den Grund, auf dem dieser Schutz aufbaut, sorgfältig zu bereiten und zu pflegen. Es ist nicht die schiere Zahl menschenrechtlicher Normen, welche die Effektivität des Schutzes ausmacht. Ohne Verwirklichung stehen sie auf hohlem Grund. Die Verwirklichung der menschenrechtlichen Gewährleistungen aber ist ohne die Staaten nicht zu denken. Sie müssen für dieses wichtige Unterfangen gewonnen werden.41 Das maßgebliche Anliegen des internationalen Menschenrechtsschutzes muss daher heute, nachdem ein solider Grundstock, ja sogar ein schon weit verästelter Bestand an Gewährleistungen vorhanden ist, auf die Verankerung der Menschenrechte im Sinne ihrer Geltung und Anwendbarkeit im innerstaatlichen Recht gerichtet sein, weil dies es den am nationalen Recht geschulten Rechtsanwendungsorganen erleichtert, den internationalen Verpflichtungen Rechnung zu tragen. Auch Rechtskataloge bleiben jedoch, wie wir aus vielen Beispielen wissen, weithin ohne rechtliche Wirkung, wenn die Organisation des Staates nicht so konstruiert ist, dass Rechtsverletzungen auch gegen die Intention der die politische Macht Ausübenden gerügt und festgestellt werden können. Dies erfordert in allererster Linie die Unabhängigkeit der Justiz von Legislative und Exekutive; sie ist der Dreh- und Angelpunkt des menschenrechtlichen Schutzes. „Deshalb kommt es für effektiven Freiheitsschutz stärker auf eine gewaltenteilige Staatsorganisation an als auf ausgeklügelte und prunkvoll formulierte Grundrechtskataloge.“42 Die menschenrechtliche Debatte gerade auch auf der internationalen Ebene sollte sich daher verstärkt, wenn nicht gar vorrangig, den staatsorganisatorischen Grundlagen des höchst notwendigen Schutzes der Menschenrechte widmen. Damit wird der zur internationalen Angelegenheit (international concern) gewordene Menschenrechtsschutz nicht etwa wieder zu einer exklusiven innerstaatlichen Angelegenheit (domestic jurisdiction) gemacht, sondern die spezifische Verantwortung der Staaten im Sinne ihrer Verantwortlichkeit (accountability) sowohl gegenüber den eigenen Bürgern als auch gegenüber der Völkerrechtsgemeinschaft hervorgehoben. Konsolidierung des Erreichten ist nach meiner Auffassung im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes

41

Dazu auch Fagan (Fn. 37), 90 ff. Starck, Errungenschaften der Rechtskultur. Menschenrechte und Gewaltenteilung, 2011, 17; dazu auch die Beiträge in: Klein (Hrsg.), Gewaltenteilung und Menschenrechte, 2. Aufl., 2010. 42

Menschenrechtsinflation?

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das Gebot der Stunde. Eine weitere Normvermehrung sollte hingegen nur höchst zurückhaltend erfolgen. In einem ähnlichen Zusammenhang hat Eibe Riedel kürzlich für eine vorsichtige Herangehensweise plädiert.43 Ich kann mich dem nur aus voller Überzeugung anschließen.

43

Riedel (Fn 16), 516: „Advocating a Cautious Approach“.

Religionsfreiheit – „unteilbarer“ Bestandteil der universalen Menschenrechte Von Heiner Bielefeldt

A. Unteilbarkeit der Menschenrechte „All human rights are universal, indivisible, interrelated and interdependent“ – so lautet eine nicht ganz leicht übersetzbare Kernaussage aus dem Abschlussdokument der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz von 1993.1 Die „Unteilbarkeit“ der Menschenrechte (um den Satz auf eine Formel zu bringen) stand damals insbesondere für die Einsicht in die innere Zusammengehörigkeit von bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Rechten. Sie richtete sich gegen eine – sich bis heute gelegentlich hartnäckig haltende Vorstellung –, dass die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von geringerem Rang seien als die bürgerlichen und politischen Rechte, denen oft unreflektiert und exklusiv das Prädikat der „klassischen“ Menschenrechte zugesprochen wird. Als Hochschullehrer und als Mitglied des UN-Ausschusses für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte hat Eibe Riedel jahrzehntelang gegen dieses Missverständnis gekämpft.2 Er hat nicht nur generell darauf hingewiesen, dass die WSK-Rechte – entgegen manch skeptischen Einwänden – durchaus justiziabel sind, sondern durch seine Mitwirkungen an wichtigen „General Comments“ des UN-Ausschusses dafür gesorgt, diese Justiziabilität auf einzelne WSK-Rechte hin durchzuspielen und ihrer praktischen Umsetzung damit den Weg zu ebnen. Für die Menschenrechtsarbeit hat sich dies als großer Gewinn erwiesen. Zugleich ist dabei ersichtlich geworden, dass sich alle Menschenrechte – bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle – an der Würde des Menschen als eines Verantwortungssubjekts orientieren und zuletzt gerade eben deshalb unteilbar sind. Der Begriff der Unteilbarkeit steht generell für ein ganzheitliches Menschenrechtsverständnis, in dem die verschiedenen Rechte – bei Wahrung ihres je eigenen 1 World Conference on Human Rights (1993). Vienna Declaration and Programme of Action, Nr. 5, erster Satz. 2 Vgl. hier nur exemplarisch: Riedel, Zur Durchsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte im Völkerrecht, in: Giegerich/Zimmermann (Hrsg.), Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im globalen Zeitalter, 2008, 71; ders., Economic, Social and Cultural Rights, in: Krause/Scheinin (Hrsg.), International Protection of Human Rights: A Textbook, 2009, 129.

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Schutzbereiches – einander wechselseitig voraussetzen und ergänzen. Natürlich meint die Unteilbarkeit der Menschenrechte keine prästabilisierte Harmonie, und es wäre überaus naiv anzunehmen, wir könnten durchgängig „win-win-Situationen“ zwischen verschiedenen menschenrechtlichen Anliegen schaffen. Dass menschenrechtliche Interessen konkret miteinander in Konflikt geraten können, ist vielmehr eine regelmäßige Erfahrung; sie gehört zur alltäglichen Praxis all derjenigen, die mit Menschenrechten zu tun haben. In Fällen kollidierender menschenrechtlicher Ansprüche gilt es, nach Maßgabe des Möglichen – und unter Wahrung vorgegebener Kriterien – allen im Streit stehenden Menschenrechten gerecht zu werden. Abwägungen und Entscheidungen, bei denen ein bestimmtes menschenrechtliches Interesse konkret Vorrang gegenüber konkurrierenden Interessen erhält, können dabei unvermeidlich sein. Es wäre allerdings illegitim, Menschenrechte in eine abstrakte Hierarchie zu bringen – mit der Folge, dass bestimmte menschenrechtliche Anliegen von vornherein marginalisiert werden und gar nicht mehr angemessen zum Zuge kommen können. Genau gegen diese Gefahr steht die Einsicht in die Unteilbarkeit der Menschenrechte. Gerade auch in konkreten Konflikten ist sie wichtig, weil sie dafür sorgen kann, dass bei der Suche nach praktischen Lösungen ein ganzheitliches menschenrechtliches Anspruchsniveau gewahrt bleibt. Im vorliegenden Beitrag möchte ich den Gedanken der Unteilbarkeit aus der Perspektive der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Erinnerung bringen. Dahinter steht nicht so sehr ein akademisches als vielmehr ein praktisches Interesse. Mit Besorgnis beobachte ich eine zunehmende Tendenz, aus konkreten Konflikterfahrungen im Spannungsfeld von Religionsfreiheit3 und anderen Menschenrechten in der politischen Debatte falsche, nämlich abstrakte Konsequenzen zu ziehen. Dies betrifft etwa das Verhältnis von Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Religionsfreiheit und der Freiheit, das Leben gemäß der eigenen sexuellen Orientierung zu gestalten. Seit dem Urteil des Landgerichts Köln zur Beschneidung von Knaben4 ist außerdem das Verhältnis von Religionsfreiheit und der körperlichen Unversehrtheit von Kindern zum öffentlichen Thema geworden. Dass es in all diesen und anderen Feldern immer wieder zu schwer lösbaren Konflikten kommen kann, wird niemand bestreiten. Was mich beunruhigt, sind aber vor allem solche Interpretationen der Konflikte, die darauf hinauslaufen, einen wesenhaften Antagonismus zu unterstellen: so als stünde die Religionsfreiheit gleichsam von Haus aus in Widerspruch zur Meinungsfreiheit, zur Gleichberechtigung der Geschlechter, zur Freiheit sexueller Orientierung und anderen Rechten. Nicht nur wird damit die Suche nach möglichen Synergien vorschnell aufgegeben. Schlimmer noch: Es besteht die Gefahr, dass sich Lesarten immer mehr 3

Aus Gründen der Lesbarkeit werde ich meist diese Kurzformel verwenden. Das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist breit auszulegen und schützt, wie der UN-Menschenrechtsausschuss in seinem General Comment Nr. 22 (1993) festgestellt hat, „theistische, nicht-theistische und atheistische Anschauungen sowie das Recht, sich zu keiner Religion oder Weltanschauung zu bekennen“. 4 Vgl. LG Köln, Urteil v. 7. 5. 2012, Wa. 151 Ns 169/11.

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durchsetzen, wonach die Religionsfreiheit ein „weniger liberales“ Menschenrecht sei, das genuin emanzipatorischen Anliegen, wie sie im Namen von Meinungsfreiheit, Frauenemanzipation, LGBTI-Rechten5 usw. vorgebracht werden, womöglich nur im Wege stehe. Solche Wahrnehmungen, so scheint mir, setzen sich auch im Bereich der menschenrechtlich engagierten Zivilgesellschaft fest.6 Für Fragen der Religionsfreiheit interessieren sich insbesondere religiös orientierte zivilgesellschaftliche Organisationen, von denen viele aus dem im weitesten Wortsinne evangelikalen Lager stammen. Einige von ihnen stellen die Religionsfreiheit in den Kontext auch sonstiger Menschenrechte, andere konzentrieren sich aber mehr oder weniger exklusiv auf dieses eine Menschenrecht. Gegen solche Spezialisierungen ist an sich natürlich nichts einzuwenden, und wenn Menschen sich – und sei es auch mit einem spezifischen Blickwinkel – für Menschenrechte einsetzen, ist dies immer zu begrüßen und zu unterstützen. Es wäre aber wichtig, dass sich auch die breiter aufgestellten und die eher säkular orientierten Menschenrechtsorganisationen, darunter auch Antidiskriminierungsverbände, systematisch der Religionsfreiheit annehmen. Mein Eindruck ist, dass dies zu wenig geschieht. Darüber hinaus erlebe ich zunehmende Unsicherheit, manchmal sogar Unbehagen, wenn es um Anliegen der Religionsfreiheit geht. Vor allem Organisationen mit einer prononcierten Anti-Diskriminierungsagenda scheinen sich gelegentlich damit schwer zu tun, diesem Menschenrecht überhaupt einen produktiven Stellenwert für ihre Arbeit zuzumessen.

B. Religionsfreiheit versus Meinungsfreiheit? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte mehrfach über Eingriffe in die Meinungsfreiheit zu entscheiden, die von den jeweiligen Staaten als Maßnahmen zum Schutz religiöser Gefühle und des religiösen Friedens für nötig befunden waren. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall Otto-Preminger-Institut gegen Österreich. Dabei ging es um den Film „Das Liebeskonzil“, den die österreichischen Behörden aus dem Verkehr gezogen hatten, weil sie darin einen Angriff auf die Gefühle der christlichen Bevölkerung sahen. Dagegen klagte das Otto-Preminger-Institut für audiovisuelle Mediengestaltung, das den Film vertrieben hatte. In seinem Urteil vom 20. September 1994 absolviert der Straßburger Gerichtshof Österreich vom Vorwurf der Verletzung der Meinungsfreiheit, weil es im Schutz religiöser Gefühle einen legitimen Grund für die Einschränkung der Meinungsfreiheit sieht. In der Begründung heißt es: 5 Das Kürzel steht für „Lesbians, Gays, Bisexuals, Transsexuals, Intersexuals“. Es hat sich international durchgesetzt. 6 Die hier formulierten Eindrücke habe ich aus meiner Funktion als UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit gewonnen. Dass sie subjektiv gefärbt sind, lässt sich nicht bestreiten. Verlässliche empirische Daten liegen mir leider nicht vor.

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„The issue before the Court involves weighing up the conflicting interests of the exercise of two fundamental freedoms guaranteed under the Convention, namely the right of the applicant association to impart to the public controversial views and, by implication, the right of interested persons to take cognisance of such view, on the one hand, and the right of other persons to proper respect for their freedom of thought, conscience and religion, on the other hand.“7

Die Abwägungslogik unterstellt in diesem Fall also einen Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, wobei letztere auch den Schutz religiöser Gefühle beinhalte. Die Religionsfreiheit erhält auf diese Weise eine partiell anti-liberale Wendung. Genau dies wird von den Richtern Palm, Pekkanen und Makarczyk scharf kritisiert. In ihrem Minderheitenvotum betonen sie, dass es ein Recht auf Schutz religiöser Gefühle in der Europäischen Menschenrechtskonvention gar nicht gebe und zumal aus der Religionsfreiheit nicht hergeleitet werden könne: „The Convention does not, in terms, guarantee a right to protection of religious feelings. More particularly, such a right cannot be derived from the right to freedom of religion, which in effect includes a right to express views critical of the religious opinions of others.“8

Weitaus heftiger zeigte sich eine ähnliche Konfliktkonstellation in den Debatten über die „Bekämpfung von Religionsdiffamierungen“, die in verschiedenen Gremien der UNO (der Menschenrechtskommission, seit 2006 dem Menschenrechtsrat als Nachfolger der Kommission, aber auch in der Generalversammlung) stattfanden. Resolutionen, die von der Organisation der Islamischen Kooperation, einer Staatenorganisation mit derzeit 57 Mitgliedstaaten, zwischen 1999 und 2010 zu diesem Thema regelmäßig vorgebracht wurden, fanden immer wieder eine Mehrheit.9 Gleichzeitig stießen sie auch auf starke Kritik und wurden zumal von den westlichen Staaten meist durchgängig abgelehnt. Höhepunkt der Auseinandersetzung war der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen im Jahre 2006, auf die viele Muslime weltweit empfindlich reagierten. Die Empörung ist angesichts des provokativen, verletzenden Charakters der Karikaturen durchaus nachvollziehbar. Gleichwohl erweisen sich die Resolutionen zu „combating defamation of religions“ bei näherem Hinsehen als hoch problematisch. Denn sie erwecken den Eindruck, Religionen als solche könnten Rechtsschutz gegen etwaige Verletzungen ihrer Reputation beanspruchen – eine Vorstellung, die die Systematik der Menschenrechte völlig sprengt, gleichwohl aber immer wieder fälschlich mit der Religionsfreiheit in Verbindung gebracht wurde. 7

EGMR, Otto-Preminger-Institut v. Austria (appl. 13470/87) vom 20. September 1994, Abschnitt 55. 8 EGMR, Otto-Preminger-Institut v. Austia, Joint Dissenting Opinion of the Judges Palm, Pekkanen and Makardzyk, Abschnitt 6. 9 Vgl. Commission on Human Rights resolutions 1999/82, 2000/84, 2001/4, 2002/9, 2003/ 4, 2004/6, 2005/3; General Assembly resolutions 60/150, 61/164, 62/154, 63/171, 64/156, 65/ 224; Human Rights Council resolutions 4/9, 7/19, 10/22, 13/16. Vgl. dazu kritisch: Blitt, The Bottom Up Journey of „Defamation of Religion“ from Muslim States to the United Nations: A Case Study of the Migration of Anti-Constitutional Ideas, Studies in Law, Politics and Society, Bd. 56 (2011), 121.

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Außerdem legen die Resolutionen mit ihrem Ruf nach staatlichen Verbotsmaßnahmen autoritäre Lesarten nahe. Die Gegner fürchteten zu Recht, dass dadurch in letzter Konsequenz eine Blasphemie-Gesetzgebung pakistanischen Typus, in der vage definierte Delikte sogar die Todesstrafe nach sich ziehen können,10 eine menschenrechtssemantische Deckung erhalten könnte, was gleichermaßen absurd wie fatal wäre. Der Sache nach tritt in den Resolutionen zur Bekämpfung von Religionsdiffamierung eine Art „Ehrschutz“ für Religionen – genauer gesagt: für bestimmte Religionen, insbesondere den Islam – an die Stelle eines Freiheitsrechts der Menschen. Menschenrechtlich ist dies ein Irrweg.11 Die Religionsfreiheit für das Anliegen der autoritären Bekämpfung von sogenannten Religionsdiffamierungen in Anspruch zu nehmen, bedeutet, sie generell in einen Gegensatz zur Meinungsfreiheit zu stellen. Der Meinungsfreiheit als einem urliberalen Menschenrecht wird die (missverstandene!) Religionsfreiheit derart entgegengestellt, dass sie gleichsam als eine Bremse gegen zuviel Liberalität erscheint. Das heißt, der Religionsfreiheit wird ihr – schon im Titel des Rechts herausgestellter – freiheitsrechtlicher Kern genommen oder wenigstens abgeschliffen.12 Auf dem Höhepunkt des Streits um die dänischen Mohammed-Karikaturen wies Asma Jahangir, UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und Weltanschauungsfreiheit von 2004 bis 2010, demgegenüber darauf hin, dass es kein Recht gibt, von Religionskritik generell verschont zu werden. Ein solches Recht wäre das Ende der freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft. Am allerwenigsten könne die Religionsfreiheit als ein solcher Titel fungieren; sie würde sonst ihren Charakter als Frei10 Vgl. Freedom House, Policing Belief: The Impact of Blasphemy Laws on Human Rights, 2010, 69 (zu Pakistan). 11 Vgl. Temperman, Blasphemy, Defamation of Religions and Human Rights Law, Netherlands Quarterly of Human Rights, Bd. 26/4 (2008), 485. 12 Nach mehr als zehn Jahren verzichtete die OIC im Jahre 2011 erstmals darauf, Resolutionsentwürfe zum Thema „combating defamation of religions“ vorzulegen. Mehrere Akteure – darunter die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Navi Pillay, der Generalsekretär der OIC Ekmeleddin Ihsanoglu sowie das US-Außenministerium unter Hillary Clinton – hatten sich im Vorfeld darum bemüht, die zum leeren Ritual erstarrte Konfrontation vor allem zwischen westlichen und islamischen Staaten zu diesem Komplex zu überwinden und wieder Bewegung in die Debatte zu bringen. Zu diesem Zweck wurde ein neues, eher konsensfähiges und in der Tat produktiveres Themenfeld eröffnet, nämlich die Bekämpfung religiösen Hasses und seiner Ursachen, die vor allem in negativen Stereotypen bestehen. Eine von der OIC im März 2011 im Menschenrechtsrat vorgelegte Resolution zur notwendigen Überwindung religiöser Stereotypen und damit einhergehender Diskriminierungen wurde denn auch im Konsens verabschiedet – was zweifellos eine positive Entwicklung darstellt. Ob die Konfrontation zum Thema „Religionsdiffamierung“ damit tatsächlich ausgeräumt ist, wird aber erst die Zukunft zeigen. Sicherlich wäre es naiv anzunehmen, dass die politischen und ideologischen Differenzen in der Sachfrage verschwunden oder gelöst wären. Deshalb bleibt Wachsamkeit weiterhin geboten. Vgl. Human Rights Council resolution 16/18 vom 24. März 2011. Die Resolution trägt den Titel: „Combating intolerance, negative stereotyping and stigmatization of, and discrimination, incitement to violence and violence against persons based on religion or belief“.

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heitsrecht einbüßen. Vielmehr bewegen sich Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit, wie Jahangir betonte, als geistig-kommunikative Freiheitsrechte bei aller Eigenständigkeit ihres jeweiligen Schutzauftrags grundsätzlich in derselben Richtung.13 Mit dieser wichtigen Klarstellung (die dem Duktus des Minderheitenvotums zum Fall Otto-Preminger-Institut entspricht) sind konkrete Konflikte im Bannkreis dieser beiden Rechte gewiss nicht bestritten.14 Wenn im Namen der Meinungsfreiheit vorgebrachte polemische Attacken gegen bestimmte Religionen und ihre Anhängerschaft eine solche Schärfe erreichen, dass sie darauf hinauslaufen, die gesellschaftlichen Beziehungen zu vergiften oder gar ein Klima der Einschüchterung zu schaffen, in dem manche Menschen sich nicht mehr trauen, sich öffentlich zu ihren Überzeugungen zu bekennen oder ihren Glauben sichtbar zu praktizieren, kann dies zu Verletzungen der Religionsfreiheit führen. Dagegen vorzugehen und Abhilfe zu schaffen ist dann ein menschenrechtliches Gebot. Deshalb hat das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in den letzten Jahren eine Debatte dazu geführt, welche Maßnahmen gegen Aufstachelung zu ethnischem und religiösem Hass ergriffen werden sollen. Das zentrale Ergebnis mehrerer Workshops, die zu diesem Thema 2011 in allen Kontinenten stattfanden, besteht in der Einsicht, dass religionsbezogenen Formen von „hate speech“ am besten mit „more speech“ zu begegnet ist.15 Gefordert sind mediale und zivilgesellschaftliche Gegeninitiativen, Richtigstellungen und breit angelegte öffentliche Solidaritätsaktionen, während strafrechtliche Sanktionen oder andere restriktive Maßnahmen nur in extremen Fällen gerechtfertigt werden können und stets an hohe rechtsstaatliche Hürden gebunden bleiben müssen. Selbst in akuten Kollisionsfällen zwischen Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit besteht die wichtigste Form der Abhilfe also wiederum in einem gezielten Gebrauch der Meinungsfreiheit und anderer kommunikativer Freiheitsrechte. Schon deshalb wäre es unsinnig, einen Gegensatz zwischen Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit aufzubauen. Ohne Meinungsfreiheit, zu der das Bundesverfassungsgericht einst feststellte, dass sie „in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit“16 darstellt, kann es letztlich auch keine Religionsfreiheit geben. Nur wenn die Menschen die Möglichkeiten haben, in einem öffentlichen Diskurs ihre Gravamina zu artikulieren, können ihre Freiheitsrechte wirksam werden. Im Gegenzug ließe sich übrigens genauso sagen, dass ohne menschenrechtlich geschützten Respekt vor der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Menschen dem öffentlichen Diskurs die 13 Vgl. Report of the Special Rapporteur on freedom of religion or belief, Asma Jahangir, and the Special Rapporteur on contemporary forms of racism, racial discrimination, xenophobia and related intolerance, Diène, Implementation of General Assembly Resolution 60/ 251 of 15 March 2006 entitled „Human Rights Council“, A/HRC/2/1, 10. 14 Evans, The Freedom of Religion or Belief and the Freedom of Expression, in: Religion and Human Rights, Bd. 4 (2009), 197. 15 Vgl. Joint submissions by three Special Rapporteurs to the 2011 OHCHR expert workshops on the prohibition of incitement to national, racial or religious hatred,. 16 BVerfGE 7, 198 (Hervorhebung im Original).

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Grundlage fehlen würde. Auch die Meinungsfreiheit lebt also gewissermaßen von der Religionsfreiheit. Genau diese Verweisstruktur, in der die verschiedenen Menschenrechte einander nicht nur ergänzen, sondern einander wechselseitig voraussetzen, ist mit dem Begriff der Unteilbarkeit der Menschenrechte gemeint.

C. Religionsfreiheit versus Gleichberechtigung der Geschlechter? Ein Thema, das in den letzten Jahren immer wieder zu teils heftigen Kontroversen geführt hat, betrifft das Verhältnis zwischen Religionsfreiheit und der Gleichberechtigung der Geschlechter. Dies kann nicht verwundern, ist doch allgemein bekannt, dass Frauen in vielen religiösen Traditionen oft bis heute marginalisiert werden. Herausgehobene Autoritätspositionen bleiben vielfach Männern vorbehalten. Hinzu kommt, dass patriarchalische Familienwerte und die ihnen zugrunde liegenden Geschlechterrollen lebensweltlich oft durch religiöse oder kulturelle Praktiken gestützt werden. Dies kann weit reichende Auswirkungen auf die Lebens- und Freiheitschancen für Frauen in der gesamten Gesellschaft haben – bis dahin, dass Mädchen und jungen Frauen angemessene Bildungsmöglichkeiten versperrt werden. Die Konvention zur Abschaffung aller Formen der Diskriminierung der Frau (nach dem englischen Titel zumeist als „CEDAW“ abgekürzt) verpflichtet die Staaten deshalb dazu, alle angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, „to modify the social and cultural patterns of conduct of men and women, with a view to achieving the elimination of prejudices and customary and all other practices which are based on the idea of the inferiority or the superiority of either of the sexes or on stereotyped roles for men and women“17.

Diese CEDAW-Anforderung kann mit bestimmten religiösen Interessen kollidieren, die unter Umständen aber auch ihrerseits unter Berufung auf ein Menschenrecht – nämlich die Religionsfreiheit – vorgebracht werden. So kommt es beispielsweise vor, dass Religionsgemeinschaften staatliche Anti-Diskriminierungsauflagen als illegitime Eingriffe in ihre kommunitäre Religionsfreiheit zurückweisen oder dass sich Eltern gegen schulische Sexualaufklärung zur Wehr setzen, weil sie darin eine Verletzung ihres Elternrechts auf Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit den familiären religiösen und moralischen Überzeugungen sehen.18

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Artikel 5, lit. a CEDAW. Geschlechterstereotype Vorstellungen existieren bekanntermaßen gleichermaßen außerhalb wie innerhalb religiöser Traditionen, und auch die Argumente und Motive, die zur Überwindung solcher Vorstellungen dienen können, lassen sich sowohl außerhalb als auch innerhalb religiöser Denkrichtungen finden. Die CEDAW-Verpflichtung primär als Aufruf zur staatlich betriebenen oder staatlich geförderten öffentlichen Religionskritik zu verstehen wäre also eine sehr einseitige Lesart. 18

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Aus solchen konkreten Konflikterfahrungen heraus wird gelegentlich der Schluss gezogen, Religionsfreiheit und Geschlechtergleichberechtigung stünden gleichsam wesenhaft in einem Gegensatz zueinander. Dabei wird die Religionsfreiheit allerdings fälschlich mit dem Schutz religiöser Traditionen, Identitäten oder Wertvorstellungen als solche assoziiert – ein Fehlschluss, der nicht weniger abwegig ist als die Amalgamierung der Religionsfreiheit mit dem Anliegen der Bekämpfung von Religionsdiffamierungen. Denn die Religionsfreiheit ist ein Freiheitsrecht der Menschen, sich im weiten Feld von Religion und Weltanschauung selbstbestimmt zu orientieren: Um ihrer Würde willen haben die Menschen das Recht, ihre grundlegenden religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen zu bekennen, sie zu entwickeln, für sich zu behalten oder auch öffentlich zu manifestieren, ihre Glaubensüberzeugungen zu wahren oder auch zu wechseln, sich zu gemeinschaftlicher Glaubenspraxis zusammenzuschließen, das eigene Leben allein oder zusammen mit anderen sowie privat oder öffentlich nach den eigenen Überzeugungen zu gestalten, ihre Kinder entsprechend zu erziehen usw. Die Religionsfreiheit schließt also auch die Freiheit zur Pflege von Traditionen wie zur Traditionskritik, zur Religionskritik und Gegenkritik, zur Abkehr oder auch Rückkehr mit ein. Als Rechtstitel dafür, dass Menschen in Fragen von Religion und Weltanschauung gleichsam ihre eigene Stimme haben, damit die Vielfalt der Stimmen zur Geltung kommen kann, erweist sich die Religionsfreiheit den emanzipatorischen Anliegen im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit als förderlich – und zwar ohne dass sie dafür einseitig funktionalisiert werden dürfte. Denn klar ist, dass die Religionsfreiheit prima facie die gesamte Vielfalt von religiös verstandenen Positionierungen hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses schützt, die sowohl konservativ und traditionalistisch als auch liberal oder feministisch usw. ausfallen können. Gleichwohl trägt die Religionsfreiheit – als Referenznorm religiös-weltanschaulicher Pluralisierung – oftmals de facto dazu bei, dass gesellschaftlich marginalisierte religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen größere Chancen der öffentlichen Artikulation als zuvor erhalten. Insbesondere in traditionalistischen Kontexten kann sie eine Eröffnung religiöser Diskurse ermutigen, in denen bis dato marginalisierte Vorstellungen – etwa innerreligiöse Reformbewegungen, feministische Theologien, gender-sensible Neu-Erschließungen religiöser Quellen oder auch generelle Religionskritik – erstmals überhaupt zu Wort kommen können. Damit sind, je nach spezifischem Kontext, zugleich Synergien zwischen Religionsfreiheit und dem Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit möglich, ja sogar wahrscheinlich. Abstrakt-antagonistische Lesarten des Verhältnisses von Religionsfreiheit und Geschlechtergleichberechtigung würden die Chancen von Frauen auf ein Leben frei von Diskriminierungen jedenfalls weiter verringern. Denn zahlreiche Frauen leiden nicht nur unter geschlechtsspezifischen Diskriminierungen, sondern zugleich auch unter Diskriminierungen aufgrund von Religion oder Weltanschauungen (oder auch weiteren Varianten von Diskriminierung). Die komplexen Facetten multipler und intersektioneller Diskriminierung, die sich daraus ergeben können, sind in unseren Breiten in den vergangenen Jahren insbesondere im Blick auf Kopftuch tra-

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gende muslimische Frauen intensiv debattiert worden.19 Das Kopftuch fungierte dabei oft als Projektionsfläche grundsätzlich kontroverser Einschätzungen des Verhältnisses von Frauenemanzipation und Religion überhaupt. In der öffentlichen Diskussion zu diesem Themenfeld sind gelegentlich Vorstellungen vorgebracht worden, wonach sich Frauen – konkret geht es hierzulande fast ausschließlich um muslimische Frauen – letztendlich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden müssten: einem Leben in Freiheit um den Preis eines Bruchs mit ihrer religiösen Tradition oder einem Leben innerhalb der Religion um dem Preis persönlicher Unfreiheit. Eine solche schlichte Entgegensetzung, mit großem publizistischem Erfolg etwa von Necla Kelek formuliert,20 zerschneidet die Lebenswirklichkeit vieler Frauen. Schlimmer noch: Die perzeptive Verengung der Optionen auf ein radikales Entweder-Oder läuft darauf hinaus, all denjenigen Frauen, die sich um eine Verbindung von persönlicher Freiheit mit religiöser Lebensführung bemühen, jedwede öffentliche Anteilnahme zu verweigern. Hinsichtlich der in den vergangenen Jahren vielfach diskutierten Emanzipation von Frauen (bzw. Männern) mit muslimischem Familienhintergrund aus patriarchalischen Strukturen bleibt deshalb festzuhalten, dass sie auf unterschiedlichen Wegen stattfinden kann: Sie kann aus dem islamischen Kontext herausführen und in manchen Fällen einen partiellen oder völligen Bruch mit der Religion zur Folge haben. Sie kann aber auch innerhalb eines islamischen Referenzsystems stattfinden. Muslimische Frauenrechtlerinnen kämpfen international – oft gegen erhebliche Widerstände – darum, durch alternative Lektüre der religiösen Quellen hier neue Freiräume zu erschließen.21 Außerdem ist es natürlich denkbar, dass Frauen ihren eigenen Weg finden, ohne sich überhaupt kritisch oder affirmativ mit religiösen Fragen zu beschäftigen; vielleicht trifft Letzteres für die große Mehrzahl der betroffenen Frauen zu. Um es generell zu formulieren: Es gibt Möglichkeiten der Befreiung von der Religion, innerhalb der Religion oder auch in Indifferenz zur Religion. Die (mit dieser idealtypischen Zuspitzung nur angedeutete) Vielzahl möglicher Wege zu gleichberechtigter Selbstbestimmung gilt es auch politisch – und zwar sowohl innerhalb der allgemeinen politischen Debatte als auch bei der Ausgestaltung konkreter Bildungsund Beratungsangebote – zu berücksichtigen. Die in den Menschenrechten anerkannte Freiheit bezieht sich nicht nur auf das Ziel emanzipierter Lebensführung, sondern schließt auch die Vielfalt möglicher Wege hin zu diesem Ziel ein. Auch hier eröffnen die Menschenrechte einen Raum 19 Vgl. Razack, Imperilled Muslim women, dangerous Muslim men and civilised Europeans: Legal and social responses to forced marriages, 12 Feminist Legal Studies (2004), 129. 20 Vgl. z. B. Kelek, Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland, 2005; dies., Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkischmuslimischen Mannes, 2006. 21 Vgl. z. B. Mir-Hosseini, Classical fiqh, contemporary ethics and gender justice, in: Vogt/ Larsen/Moe (Hrsg.), New Directions in Islamic Thought. Exploring Reform and Muslim Tradition, 2009, 77; Anwar (Hrsg.), WANTED. Equality and Justice in the Muslim Family, SIS Forum Malaysia 2009.

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von „diversity“. Den je angemessenen Weg zur Freiheit zu finden – in der Religion, aus der Religion heraus oder in Gleichgültigkeit zur Religion –, ist aber zuletzt Sache der Betroffenen, deren freie Entscheidung Sympathie, Respekt und ggf. Unterstützung verdient. Auf der normativen Ebene heißt dies, dass an der Unteilbarkeit der Menschenrechte auch im Verhältnis zwischen Religionsfreiheit und Geschlechtergerechtigkeit unbedingt festzuhalten ist. Wer meint, dem Anliegen von Frauenrechten und Geschlechtergerechtigkeit sei am besten dadurch gedient, dass man das Recht auf Religionsfreiheit hinanstellt, begeht einen schweren Fehler. Denn ohne Respekt vor der Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Menschen kann sogar eine Antidiskriminierungspolitik in eine menschenrechtlich problematische Schieflage geraten. Bekanntlich haben mittlerweile sogar rechtspopulistische Bewegungen gelernt, selektive und meist recht vordergründige Anleihen bei moderner Emanzipationsrhetorik zu machen, um daraus einen Stolperdraht für Migrantinnen und Migranten insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern zu drehen. Dieses von Pim Fortuyn in den Niederlanden dereinst entwickelte Ausgrenzungsmuster hat sich mittlerweile in ganz Westeuropa als Erfolgsrezept anti-muslimischer Bewegungen etabliert.22 Eine den Menschenrechten verpflichtete Antidiskriminierungsarbeit muss darauf achten, dass sie gegenüber solchen Instrumentalisierungen klar auf Abstand hält. Die Beachtung der Religionsfreiheit trägt dazu bei, dass Antidiskriminierungsagenden nicht in kulturkämpferische Polarisierungen abgleiten, in denen erfahrungsgemäß lediglich alte und neue Stereotype produziert werden. Insbesondere für Menschen, die sich im Spannungsfeld sowohl geschlechtsbezogener als auch religiöser Diskriminierung befinden, erweisen sich kulturkämpferische Zuspitzungen immer wieder als buchstäblich fatal. Dies zu vermeiden bzw. zu überwinden ist ein menschenrechtliches Anliegen, in dem Gesichtspunkte von Gender-Gleichberechtigung mit Anliegen der Religionsfreiheit auch in konkreten Konfliktkonstellationen zusammen finden sollten, was sicher nicht immer leicht ist.

D. Religionsfreiheit versus LGBTI-Rechte? Abstrakt-antagonistische Konstruktionen begegnen neuerdings verstärkt auch bei der Verhältnisbestimmung zwischen der Religionsfreiheit und Projekten der Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Gender-Identität.23 In diesem Feld kommt es zunehmend zu schwer lösbaren Konflikten, etwa wenn sich Standesbeamte aus religiösen Gewissensgründen weigern, an der Verheiratung homosexueller Paare mitzuwirken. Es gibt auch Berichte darüber, dass manche Vermieter oder Hoteliers sich weigern, Unterkunft für schwule oder lesbische 22

Vgl. Bielefeldt, Entgleisende Islamkritik. Differenzierung als Fairnessgebot, in: Meyer/ Schubert (Hrsg.), Politik und Islam, 2011, 135. 23 Teils scharf artikuliert wurde ein solcher Gegensatz beispielsweise auf einer OSZEKonferenz in Wien, 1./2. Dezember 2010.

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Paare zur Verfügung zu stellen.24 Sie geraten auf diese Weise in Konflikt mit Antidiskriminierungsgesetzen, die ihrerseits eine menschenrechtliche Grundlage aufweisen.25 Was aber ist, wenn sie sich dabei auf Gewissensgründe berufen und die Religionsfreiheit für sich in Anspruch nehmen? Zu solchen Konfliktfällen gibt es bislang noch wenig gerichtliche Entscheidungen.26 Man kann aber davon ausgehen, dass uns hier noch schwierige Entscheidungen und Debatten bevorstehen. Wiederum ist hier nicht der Ort, konkrete Beispielfälle durchzugehen und im Einzelnen angemessene Lösungen für Konflikte zu skizzieren. Wichtig ist jedenfalls, dass aus solcher Konflikterfahrung wiederum nicht falsche, ideologische Konsequenzen gezogen werden, wie dies seit einiger Zeit verstärkt zu beobachten ist. So behaupten Protagonisten ultra-konservativer religiöser Organisationen gelegentlich, ihre eigene Religionsfreiheit sei bereits dadurch verletzt, dass Lesben und Schwule neuerdings mehr gesellschaftlichen Respekt genießen als in früheren Zeiten und heutzutage auch öffentliche Ämter bekleiden können. Dies ist offensichtlich ein grotesker Fehlschluss. Die Religionsfreiheit wird dabei schlicht mit bestimmten religiösen Wertvorstellungen, etwa traditionellen, religiös konnotierten „family values“ gleichgesetzt, womit die Logik menschenrechtlicher Freiheit völlig verlassen wird. Natürlich haben Menschen das Recht, für derartige konservative Vorstellungen öffentlich einzutreten. Sie können den gesellschaftlichen Wandel in Richtung von mehr Anerkennung sexueller Minderheiten für einen Irrweg halten oder als Niedergang öffentlicher Moral beklagen. Mit einer Verletzung der Religionsfreiheit hat diese gesellschaftliche Entwicklung hingegen nichts zu tun. Denn einen Rechtstitel auf hegemoniale gesellschaftliche Stellung der eigenen religiös-moralischen Überzeugungen kann es im menschenrechtlichen Kontext nicht geben; dies wäre das genaue Gegenteil menschenrechtlicher Freiheit und Gleichberechtigung. Die Religionsfreiheit ist kein Instrument des öffentlichen Kulturkampfes gegen die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen, die ja – dies wird manchmal ausgeblendet – auch ihrerseits einen Anspruch auf Respekt ihrer Religions- und Weltanschauungsfreiheit haben. Diese Klarstellung ist außerdem erforderlich, um das gegenteilige Missverständnis auszuräumen, wonach die Religionsfreiheit ein bloßes Hindernis auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft darstelle, auf das man deshalb, wenn es hart auf hart kommt, nicht allzu viel Rücksicht nehmen könne. In der Diskussion mit zivilgesellschaftlichen Organisationen mit prononcierter Antidiskriminierungsagenda stößt man tatsächlich nicht selten auf eine gegenüber der Religionsfreiheit bestehende grundlegende Skepsis, in der sich deren falsche 24 Holzleithner, Intersektionen von Gender und Religion im Menschenrechtsdiskurs: Der Fall sexueller Orientierung, Zeitschrift für Menschenrechte, Jahrgang 5 (2011), Nr. 1, 22 (34 f.). 25 Vgl. Discriminatory laws and practices and acts of violence against individuals based on their sexual orientation and gender identity. Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights. UN Doc. a/HRH/19/41 of 17 November 2011. 26 Einige solcher Entscheidungen diskutiert Holzleithner (Fn. 24), 34 ff.

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Gleichsetzung mit bestimmten autoritären religiösen Wertvorstellungen gleichsam unter umgekehrten Vorzeichen widerspiegelt. Menschenrechte – darunter die Religionsfreiheit – bieten eine Voraussetzung dafür, bestehende gesellschaftliche Konflikte so offen zu artikulieren und zu bearbeiten, dass alle Betroffenen eine faire Chance haben, ihre Sichtweise vorzubringen und dabei ernst genommen zu werden. Dies ist wichtig für den angemessenen Umgang mit Widersprüchen, die zwischen konservativen religiösen Vorstellungen und dem Anspruch auf umfassende Gleichberechtigung in den Bereichen sexueller Orientierung und Gender-Identität bestehen. Die Spannungen dürfen weder unterdrückt noch bagatellisiert werden. Ein offener Umgang mit solchen Konflikten ist aber etwas anderes als eine kulturkämpferische Polarisierung, durch die manche Menschen buchstäblich zerrieben zu werden drohen und sich infolgedessen nicht mehr trauen, ihren eigenen Weg zu beschreiten und sich öffentlich dazu zu bekennen. Das Postulat der Unteilbarkeit der Menschenrechte steht, so gesehen, für die immer wieder neu zu leistende Aufgabe, gerade auch in konkreten Konfliktfällen menschenrechtliche Ansprüche aufeinander zuzuführen.27 Dies ist oft schwer genug. Abstrakt-antagonistische Konstruktionen verbauen diesen Weg aber von vornherein und sind deshalb weder hilfreich noch sachlich angemessen.

E. Fazit Bei aller Differenz ihrer jeweils konkreten Schutzinhalte stehen die verschiedenen Menschenrechte nicht nur einfach nebeneinander oder gar gegeneinander, sondern bilden einen systematischen Gesamtzusammenhang. Sie ergänzen einander wechselseitig hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden allgemeinen Zielsetzung, nämlich der Schaffung menschenwürdiger, freiheitlicher Sozialverhältnisse auf der Basis allgemeiner Gleichberechtigung. Für diese inhaltliche Zusammengehörigkeit der Menschenrechte hat sich spätestens seit der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz von 1993 der Begriff der „Unteilbarkeit“ durchgesetzt. Das Konzept der „Unteilbarkeit“ fungiert nicht nur als theoretisches Interpretament, sondern steht mehr noch für einen praktischen Auftrag, die innere Zusammengehörigkeit der Menschenrechte immer wieder neu zu erarbeiten. Was Eibe Riedel über Jahrzehnte hinweg hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte klargestellt hat, dass sie nämlich unverzichtbar in den Kanon der Menschenrechte gehören, muss neuerdings auch für die Religionsfreiheit wieder neu geleistet werden. Dies mag überraschen, hängt der Religionsfreiheit in unseren Breiten doch seit langem die Aura eines „klassischen“ Menschenrechts an.28 Gleichwohl scheint sie immer mehr in den Ruf eines „weniger liberalen“ Rechts zu geraten, das in einer 27

Vgl. in diesem Sinne auch Holzleithner (Fn. 24), 38. Vgl. neuerdings dazu: Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte, 2011, 40 ff. 28

Religionsfreiheit

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emanzipatorischen Menschenrechtsagenda nicht mehr unbedingt erforderlich sei, ja geradezu als Bremse wirken könne. Dies wäre ein gefährliches Missverständnis – zum Schaden nicht nur der Religionsfreiheit, sondern der Menschenrechte insgesamt. Gegen autoritäre Lesarten, in denen die Religionsfreiheit fälschlich mit einem Schutzrecht für religiöse Ehrkonzepte verwechselt oder schlicht mit konkreten religiösen Wertvorstellungen gleichgesetzt wird, gilt es, ihren universalistischen und freiheitsrechtlichen Anspruch zu verteidigen, der zuletzt auf die Würde des Menschen als Verantwortungssubjekt – Leitidee der Menschenrechtsdenkens überhaupt – verweist.29

29 Vgl. Bielefeldt, Freedom of Religion or Belief – A Human Right under Pressure, Oxford Journal of Law and Religion Vol. 1 (2012), 1.

II. Der Schutz des Menschen in spezifischen internationalen Rechtsregimes

Approaching Fifty: The Future of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights By Nico Schrijver

A. Introduction Boyish, charming, smart, always constructive, energetic and enthusiastic in an engaging way. These are the adjectives which spring to my mind when thinking of our distinguished colleague professor Eibe Riedel in whose honour this contribution has been written. Eibe Riedel has made tireless efforts to promote the cause of the rule of law in international affairs and in particular for the achievement of human dignity for all. His long working life spans the entire period of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, which is the subject of this contribution and which was adopted in 1966 and entered into force in 1976. This chapter recalls first briefly its background (section B.) and the general UN framework for the protection of human rights (section C.). Next, it discusses the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights by discussing the rights contained in this Covenant, their legal status and their supervisory mechanisms (section D.). The final section contains an outlook to the future and makes some recommendations for reform.

B. Background When the Universal Declaration of Human Rights was adopted in 1948,1 the original intention was to establish a Bill of Rights in the form of a trinity: a Declaration, a Covenant and a monitoring body. However, shortly after the adoption of the Universal Declaration, the Cold War became heated. The Iron Curtain came down in Europe, a communist revolution was about to succeed in China and the UN Commission for Human Rights which, under the leadership of Eleanor Roosevelt and René Cassin, had so successfully designed the Universal Declaration, became increasingly ideologically divided. A draft human rights covenant had been formulated2 but quickly disappeared to the back burner. Western countries, under the leadership of the US, 1 2

See GA Res. 217 A (III), 10 December 1948. See GA Res. 421 (V), 4 December 1950.

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Nico Schrijver

increasingly focused exclusively on the civil and political rights and neglected international social, economic and cultural human rights. The Soviet bloc adopted the opposite position: rights to political freedom were regarded as bourgeois rights of the capitalist West. In 1952, it was decided to draft not one but two treaties: a separate treaty for each category.3 However, due to the adversarial positions of East and West it was not possible to complete the negotiations for many years. In the meantime, the decolonisation process unfolded and the developing countries began to influence the international human rights debate. According to them (as a result of their experience) individual rights to freedom were an empty shell unless peoples could freely determine their own fate. Consequently, against the wishes of the Western countries, a majority decided to adopt the right to self-determination in both human rights treaties.4 This right was to encompass both political and economic self-determination: a people should be able to dispose freely of its natural resources and in no case should a people have its livelihood taken from it. It is striking that the right to self-determination was adopted in identical terms as Article 1 in both treaties. Subsequently, however, the paths of the civil and political rights and of the economic, social and cultural rights diverged. And so it happened that in 1966, in the heart of the Cold War, the two important international human rights covenants were at last agreed to: one on civil and political human rights (the ICCPR) and one on economic, social and cultural human rights (the ICESCR).5 The first includes the right to life and protection against physical violence, the right to equal treatment and a fair trial as well as freedom of expression, religion and assembly. The second covenant covers the right to work and to form free trade unions as well as the right to social security, education, health and family life. Each treaty stands independently of the other, had to be separately signed, ratified and passed into force, and was accorded separate international monitoring mechanisms. In order for the treaties to pass into force, for each 35 ratifications were needed and that number was achieved for both in 1976. This is not to say that the group of countries ratifying each covenant was exactly the same; until today, for example, the US is a party to the ICCPR but (still) not to the ICESCR while in the case of the People’s Republic of China and South Africa, the opposite position holds. Nevertheless, it is remarkable how the lists of parties to the covenants have become increasingly similar in recent years. The ICESCR now has 160 states, the ICCPR 167.

3

See GA Res. 543 (VI), 4 February 1952. See GA Res. 545 (VI), 5 February 1952. 5 See GA Res. 2200 A (XXI), 16 December 1966. 4

Future of International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights

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C. The General UN Framework for the Protection of Human Rights In the meantime, a large number of new global human rights treaties has come into being, mostly on specific subjects (such as racial discrimination or torture) or for special groups (such as women, children and migrant workers). Virtually every treaty has its own monitoring committee, at the moment ten in total. Each treaty committee examines the reports of the states that are party to the treaty in which these states report on their compliance with the human rights laid down in the treaty. In principle, this should take place every five years but many states often submit reports too late. In addition to these reports by the states themselves, known as “self-reporting”, the custom has developed that the United Nations itself, national human rights institutes and non-governmental organisations report on the human rights situation in the country in question, known as “shadow reporting”. It is not uncommon to see a colourful procession of NGOs parade past the monitoring committees to argue that the actual human rights situation is less positive than the government of the country itself claims. As the reports for the various committees overlap and their preparation requires considerable time, the practice has developed in recent years that states can prepare one core document for all human rights reports which is then supplemented by a further report that specifically addresses the observance of human rights covered by the relevant treaty, to which we will return at the end of this contribution.

D. The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights The ICESCR itself is a rather concise document, which consists of a preamble and five parts with a total of 31 articles. The preamble introduces in an appealing way the relationship between freedom, justice and freedom in the world and echoes two of Roosevelt’s freedoms, namely the freedom from fear and the freedom from want. It is nearly identical to the preamble of the ICCPR. Notably identical is also Part I, which includes the right of self-determination. It is provided that by virtue of this right peoples do not only freely determine their political self-determination but also freely pursue their economic, social and cultural development. As regards the latter, Article 1 adds that this includes the right of all peoples to freely dispose of the natural resources, while in no case a people may be deprived of its own means of subsistence. Part II, which includes the articles 2 – 5, formulates some core principles of the Covenant: progressive realization, equal treatment, certain limitations within the compounds of law and prevention of misuse and abuse. Part III is the core of the Covenant as it highlights its substantive human rights catalogue in Articles 6 – 15, including the right to work, the right to fair labour standards, freedom of association in trade unions, the right to social security, the right to family life and women’s and children’s rights, the right to an adequate living standard, the right to

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health, the right to education and the right to culture and cultural identity. In rather hesitant terms Part IV seeks to establish a supervisory system, which in essence includes only a reporting, monitoring and consultation system (Articles 16 – 25). Part V, the final one, regulates signature, ratification, entry into force, accession, amendments and the authentic language versions of the Covenant (Articles 26 – 31). It is a widespread misunderstanding that the rights contained in this Covenant are merely programmatory and hence not capable of direct application and non-justiciable, as opposed to those contained in the ICCPR. As a matter of fact, many of the rights in the Covenant on ESC rights lend themselves to be invoked directly by citizens, including the right to fair and just working conditions, the right to adequate housing and the right to education. Moreover, some clearly overlap with those contained in the ICCPR, such as the right to equal treatment and the right to form and associate in trade unions. Therefore, it is important that the World Conference on Human Rights in 1993 has reaffirmed in an authoritative manner that all human rights are universal, indivisible, interrelated and interdependent.6 Initially, the ICESCR did not have its own specialized treaty body since this had not been provided for by the treaty itself, in contrast to the Human Rights Committee which derives its establishment and authority from the ICCPR itself. In order to remedy this lacuna, ECOSOC decided in 1985 to establish the Committee on Economic, Social and Cultural Rights,7 which became operational in 1987. The functions of the CESCR include: (1) the examination of reports submitted by States parties to the Covenant; (2) the drafting of General Comments in an effort to clarify and interpret the Covenant in an authoritative way; and (3) participating in the general framework for the protection of human rights, through co-operation with other treaty bodies, special rapporteurs, international organizations and with NGOs. Soon a major fourth function will be added, namely serving as a quasi-judicial body in receiving and pronouncing on communications by individuals and groups of individuals, often referred to as a complaints or petition procedure.8

E. Outlook to the Future: Bridging the Gap Between the ICESCR and the ICCPR Various treaty committees have an individual complaints procedure. Sometimes these are provided for in the human rights treaties themselves, for example in the area 6 See the Vienna Declaration, adopted by the World Conference on Human Rights in June 1993, UN Doc. A/CONF/157/23, 12 July 1993, preamble and par. 5: “We reaffirm that all human rights are universal, indivisible, interrelated, interdependent and mutually reinforcing and that all human rights must be treated in a fair and equal manner, on the same footing and with the same emphasis.” 7 ECOSOC Resolution 1985/17, 28 May 1985. 8 Sec A/RES/63/117, 10 December 2008, by which the General Assembly adopted the Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights.

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of racial discrimination (Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination), civil and political rights (ICCPR), migrant workers (International Convention for the Protection of the Rights of all Migrant Workers and Members of Their Families) and persons with disabilities (Convention on the Rights of Persons with Disabilities). Other times such individual complaints procedures have been added through optional protocols which need separate ratification, for example with respect to discrimination against women (Optional Protocol to the Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women), torture (Optional Protocol to the Convention Against Torture), and now also for economic, social and cultural rights (Optional Protocol to the ICESCR). It is gratifying that, certainly since the end of the Cold War, the number of parties to human rights treaties has risen considerably; for example, in recent years Indonesia, Pakistan and Turkey have acceded to both the ICESCR and the ICCPR. Furthermore, new human rights treaties occasionally still come into force, for example one on forced disappearances. Furthermore, within the framework of the new UN Human Rights Council, there is now the Universal Periodic Review (UPR), a procedure in which all member states of the UN – regardless of whether they are party to human rights treaties or not – are subjected to a public human rights review in which they are required to cooperate. At the same time, a certain degree of “treaty congestion” and “reporting fatigue” is becoming evident. Within the Office of the High Commissioner for Human Rights, currently occupied by the former South African judge Navanethem Pillay, and in the treaty committees, for example in their annual “inter-committee meetings”, discussions are being held on how to achieve more cooperation and synergy and how to further streamline the reports.9 Until now, mostly only minor adjustments have been achieved although they can be important on the work floor, particularly if a number of adjustments can be applied in combination. Nevertheless, it is clear that more bold steps will be necessary if the current system is not to degenerate into a confusion of different and partially overlapping procedures that will render it unworkable. As so often advocated by Eibe Riedel,10 it is important to treat the civil and political rights and the economic, social and cultural rights more as one group of rights, consonant with the original idea behind the Universal Declaration in which both categories of human rights were adopted fraternally next to each other. This is even more important now, after the Cold War, when the conviction is gaining ground that all human rights are universal, indivisible and interrelated. This new policy position was powerfully expressed in the above-mentioned Vienna Declaration of the World Human Rights Conference, which was adopted by consensus in 1993, and has been repeatedly confirmed since then. In a large number of states, citizens are resorting to the courts to 9

See for the most recent report N. Pillay, Strengthening the United Nations Human Rights Treaty Body System. A report by the United Nations High Commissioner for Human Rights, June 2012. Available at . 10 Most recently in E. Riedel’s two entries on the ICESCR and CESCR in the Max Planck Encyclopedia of Public International Law, published in 2012 (Oxford: Oxford University Press) and also available at .

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stand up for their right to education, decent housing or equal treatment. Any idea that civil and political rights but not economic, social and cultural rights can be invoked in court is incorrect, in a general sense. Both treaties have approximately the same number of parties although they do not overlap completely. The ICCPR has an Optional Protocol that provides for an individual right of complaint which came into being after a joint initiative of the Netherlands and Nigeria in 1966. This Protocol now has at least 114 parties, many of which have come on board since the early 1990s. On the occasion of the 60th anniversary of the Universal Declaration of Human Rights on 10 December 2008, a similar protocol was adopted for the ICESCR that was opened for signature from September 2009.11 This Optional Protocol has until now been signed by 34 states including Germany and the Netherlands. To enter into force, ten ratifications are necessary which are expected to be achieved by 2013 (to date eight state parties have submitted their ratifications). Both treaty committees will then have similar complaint procedures both for individuals and states. Both committees have 18 independent members. Despite all the differences, their mandates partially coincide, for example, on the rights to equal treatment and to form free trade unions. The secretariat of both committees is provided by the Office of the High Commissioner for Human Rights. Of course, there are a great number of practical objections and legal obstacles to fusing both treaty committees and their treaties. One single body is hence, at best, something for the distant future.12 However, in terms of substance, the necessity of enforcing indivisibility and universality and the growing practical unworkability of the greatly fragmented system of international monitoring of human rights demand creativity and a visionary approach. Perhaps a start should be made with a strategy of smaller and incremental steps: a cautious cooperation between both treaty committees could be facilitated by streamlining their procedures, assessing partially integrated reports in a mutually consistent manner and perhaps (partial) joint conclusions and recommendations. In the future, such cooperation can hopefully result in a coordinated protocol that establishes a joint monitoring mechanism and joint complaint procedures. If all of this comes about, we can perhaps hopefully look forward, in a not too distant future (for example, on the 50th anniversary of the ICCPR and the ICESCR in 2016) to that one strong monitoring mechanism and supervisory body that was intended in 1948 as part and parcel of the envisaged International Bill of Rights!

11 The text of the Optional Protocol to the ICESCR ist annexed to A/RES/63/117, adopted on 10 December 2008. 12 See Netherlands Advisory Council on International Affairs, The UN Human Rights Treaty System: Strengthening the system step by step in a politically charged context, advice no. 57, The Hague, 2007.

Demystifying the International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families: Why are States Reluctant to Ratify? By Jakob Schneider*

A. Introduction As at May 2012, the International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families1 (ICRMW) counts 46 States parties. Another 16 States have signed the Convention without yet having ratified it. Almost all of them are “States of origin” within the meaning of Art. 6 lit. a ICRMW2 ; only a few can at the same time be considered “States of employment”3. None of the Western industrialized States, including the 27 EU Member States, have so far opted to become party to the Convention. The present article attempts to shed light on the legal and political barriers preventing States from ratifying the Convention. It looks at States’ responses to irregular migratory flows and analyses whether the rights under the Convention of all migrant workers and members of their families, including those in an irregular situation, exceed the scope of protection of migrants’ rights under other international human rights treaties. In recognition of Eibe Riedel’s important contribution to the interpretation and progressive development of international human rights law in the area of economic, social and cultural rights, this article will to some extent focus on the protection of migrants’ economic, social and cultural rights and make specific reference to the jurisprudence of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, of which *

Secretary, United Nations Committee on Migrant Workers. Any views expressed in the present article are those of the author and cannot be attributed to the United Nations Organization. 1 Adopted by General Assembly resolution 45/158 of 18 December 1990. 2 “The term ‘State of origin’ means the State of which the person concerned is a national.” 3 See Art. 6 lit. b ICRMW: “The term ‘State of employment’ means a State where the migrant worker is to be engaged, is engaged or has been engaged in a remunerated activity, as the case may be.” Argentina, Chile and, increasingly, Turkey and Azerbaijan are examples of States of employment, in addition to being States of origin.

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Eibe Riedel has been a restless member, engine and promoter since his first election to the Committee in 2002. I. Dimensions of International Migration Around 3 % of the world’s population, i. e. 214 million persons, are international migrants, whereas the number of internal migrants is estimated at 740 million.4 Between 10 and 20 % of the 214 million international migrants are in an irregular situation,5 and millions more migrate on a seasonal or short term basis. Migrant workers contribute to economic growth and human development in both States of origin6 and employment. The globalization of economies has increased the demand for labour migration. However, this demand has not been met by a corresponding increase in regular migration channels, with the result that gaps are often filled with migrant workers in an irregular situation.7 The reasons for people to move from one country to another are varied. In addition to economic factors, many are compelled to flee armed conflict.8 Others are lured into forced labour and prostitution by trafficking networks. While climate change and environmental factors, such as sea level rise and desertification, as well as natural disasters tend to result in short-term internal displacements, such displacements may contribute to long-term international movements.9 This variety of factors often results in “mixed flows” comprising persons with different motivations for moving, including refugees and asylum seekers, unaccompanied and separated children, victims of trafficking, irregular migrants and smuggled migrants. II. States’ Responses to Irregular Migratory Flows States’ responses to irregular migratory flows are often repressive rather than rights-based. Efforts to control the movement of irregular migrants have led to in4 See address by Ms. Navi Pillay, United Nations High Commissioner for Human Rights, at the 99th Session of the Council of the International Organization for Migration, Geneva, 1 December 2010, in her then capacity as Chair of the Global Migration Group composed of 14 UN agencies, IOM and the World Bank. 5 See ILO, International Labour Migration: A Rights-Based Approach (2010), 32. 6 Officially recorded remittance flows to developing countries were estimated to reach 325 billion USD in 2010. See World Bank, Migration and Remittances Factbook (2011), 17. 7 Migrant Rights International, Contribution to Draft General Comment No. 2 of the Committee on Migrant Workers on the rights of migrant workers in an irregular situation and members of their families, 2012. 8 For example, around 846,000 people were forced to leave Libya following the outbreak of the armed conflict in February 2011. See UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, Crisis situation report No. 52, 7 August 2011. 9 Statement of the Global Migration Group on the Impact of Climate Change on Migration, 15 November 2011.

Demystifying the International Convention on the Rights of Migrant Workers

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creased visa restrictions and border protection and surveillance. At the external borders of Europe and North America, increasingly strict border controls have caused migrants to take extreme risks to obtain entry by using dangerous routes and modes of travel.10 The lack of legal channels for obtaining work and residence permits in destination countries frequently results in migrants relying on the services of smugglers to facilitate their journey. This, in turn, increases their risk of falling prey to organized crime groups that channel them into forced labour or prostitution.11 In addition, concerns about transnational crime and terrorism have led an increasing number of States to place border control within their national security framework, enabling them to impose severe restrictions on migrants’ rights while at the same time reducing oversight mechanisms. Many States also resort to administrative detention of irregular migrants to ensure the execution of expulsion decisions against migrants who have violated immigration laws or regulations by irregularly crossing borders, using false travel documents, overstaying visas or residence permits, or breaching other conditions of stay.12 When such violations are criminalized, migrants in an irregular situation are often subjected to criminal detention which is punitive in nature, with a view to discouraging irregular migration.13 Immigration control measures, such as apprehending migrants in an irregular situation from or near schools, medical facilities or other essential services, limit their access to economic, social and cultural rights. Equally limitative on migrants’ access to basic services such as emergency medical care and education are the imposition of reporting obligations on service providers requiring them to report the legal status of migrants to immigration enforcement authorities. Similarly, linking labour inspections with checks on immigration status discourages irregular migrants from reporting exploitation or abuse by employers. As the European Union Agency for Fundamental Rights has stated, “it is often the atmosphere of fear generated by these enforcement measures that prevents migrants in an irregular situation from claiming their fundamental rights or seeking redress when they are violated”.14

10 OHCHR/Global Alliance Against Trafficking in Women, Expert consultation on human rights at international borders: Exploring gaps in policy and practice (22 – 23 March 2012), Background paper. 11 Id. 12 OHCHR discussion paper: Administrative detention of migrants. 13 A Global Roundtable on Alternatives to Detention of Asylum Seekers, Refugees, Migrants and Stateless Persons organized by UNHCR and OHCHR on 11 and 12 May 2011 in Geneva concluded that there is no empirical evidence that detention deters irregular migration. See Summary Conclusions of the Global Roundtable. 14 European Union Agency for Fundamental Rights (FRA), Fundamental rights of migrants in an irregular situation in the European Union – Comparative report (2011), 7.

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B. Analysis of the Rights of all Migrant Workers and Members of Their Families, Including Those in an Irregular Situation (Part III of the Convention) What prevents States from adopting a human rights-based approach to migration, including by ratifying the Convention? An analysis of the scope of protection of the Convention rights could help to answer this question. I. Travaux Préparatoires of Part III of the Convention The drafting of the Convention took from 1980 to 1990. One of the most controversial issues within the Working Group of the General Assembly’s Third Committee was the codification of rights for all migrant workers and members of their families, including those in an irregular situation, in Part III of the Convention. Some States such as the Federal Republic of Germany and the USA opposed the inclusion of such rights in the Convention, either because they considered that the protection afforded by existing international human rights treaties was sufficient15 or because they feared that such inclusion would undermine the sovereign right of States to control their borders16. While the adoption of the draft articles of Part III on civil and political rights did not give rise to much controversy, with a few exceptions,17 the inclusion of economic, social and cultural rights was strongly opposed by certain States which advocated for moving the rights to equal conditions of work (Art. 25)18, to join trade unions (Art. 26)19, and to social security (Art. 28)20 to Part IV of the Convention which applies only to migrant workers and members of their families in a regular situation. In addition, the USA was opposed to including the right to emergency medical care (Art. 28), the right of all migrant children to education (Art. 30), the right to respect for migrant workers’ cultural identity (Art. 31), and the right to information (Art. 33) in Part III of the Convention.21

15

See A/C.3/40/1, at para. 20 (Federal Republic of Germany). See id., at para. 61 (USA). 17 See e. g. A/C.3/41/3, at paras. 222 et seq. (Art. 16 para. 9 on compensation for victims of unlawful detention); A/C.3/42/1, at para. 26 (Art. 17 para. 3 on the separation of detained migrant workers from common criminals); and id., at paras. 20, 150 and 167 (Art. 22 para. 8 on the costs of expulsion). 18 See A/C.3/42/1, at para. 196 (Federal Republic of Germany). 19 See id., at para. 211 (Federal Republic of Germany). 20 See id., at paras. 258, 261 and 268 (Austria, Federal Republic of Germany, India and Italy). 21 See A/C.3/37/1, at paras. 32, 36, 42 and 52. 16

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II. The Scope of Protection of the Rights of Migrant Workers in an Irregular Situation Under the ICRMW The Convention protects the rights of migrant workers and members of their families. The term “migrant worker” refers to a person who is to be engaged, is engaged or has been engaged in a remunerated activity in a State of which he or she is not a national.22 It does not apply to refugees and stateless persons, unless specifically provided for in relevant national legislation or international instruments.23 Migrant workers and members of their families are considered as documented or in a regular situation if they are authorized to enter, to stay and to engage in a remunerated activity in the State of employment pursuant to the law of that State and to international agreements to which that State is a party.24 They are considered as non-documented or in an irregular situation if they do not comply with those conditions.25 Part III of the Convention (Art. 8 to 35) protects the rights of all migrant workers and members of their families, including those in an irregular situation. 1. Comparison with Other International Human Rights Treaties The international human rights Covenants are less restrictive in scope than the Convention, as they protect the rights of everyone, including non-nationals such as migrants, without discrimination of any kind as to race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status.26 The only rights that are explicitly reserved to the citizens of a State are the right to enter that State27 and the rights to vote and to be elected at elections and to have equal access to public service in that State28,29 Migrants are thus entitled to all other rights set out in the Covenants.30 However, differential treatment based on nationality or immigration status does not constitute discrimination if it is based on reasonable and objective criteria and proportionate to the legitimate aim pursued.31 22

Art. 2 para. 1 ICRMW. Art. 3 lit. d ICRMW. 24 Art. 5 lit. a ICRMW. 25 Art. 5 lit. b ICRMW. 26 Art. 2 para. 2 ICESCR; Art. 2 para. 1 and 26 ICCPR. 27 Art. 12 para. 4 ICCPR. See CCPR, General Comment No. 15 (1986): The position of aliens under the Covenant, at para. 5. 28 Art. 25 ICCPR. See CCPR, supra fn. 27, at para. 2. 29 See statement by Mr. François Crépeau, Special Rapporteur on the human rights of migrants, to the 66th session of the General Assembly, Third Committee – Item 69 (b) and (c), 21 October 2011, New York. 30 CCPR, supra fn. 27, at paras. 1 and 6; CESCR, General Comment No. 20 (2009): Nondiscrimination in economic, social and cultural rights, para. 30. For lack of space, the present article does not refer to relevant provisions in other human rights treaties. 31 See CESCR, supra fn. 30, at para. 13; CCPR, General Comment No. 18 (1989): Nondiscrimination, para. 13. 23

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Accordingly, the majority of the rights in the Convention that apply to all migrant workers and members of their families, including those in an irregular situation, are already granted to migrants in other international human rights treaties, often to a larger extent. For example, while Art. 28 ICRMW protects the right of migrants to emergency medical care, the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, in its General Comment No. 19, has extended this right to primary health care.32 Moreover, in its General Comment No. 14, it has interpreted Art. 12 ICESCR as protecting equal access by irregular migrants to preventive, curative and palliative health services.33 Eibe Riedel, who was the rapporteur for General Comment No. 14, later admitted that this wide interpretation had slipped into the document at the initiative of some NGOs. However, this does not change the fact that in practice, General Comment No. 14 is often invoked by migrants’ rights advocates. Similarly, CESCR has considered that the non-discrimination principle in Art. 2 para. 2 ICESCR and in Art. 7 ICRMW should apply in relation to employment opportunities for migrant workers and members of their families, although the right to equal employment opportunities is nowhere to be found in the Convention,34 and the Committee on Migrant Workers has not so far adopted a similarly wide position. Furthermore, Art. 30 ICRMW limits the right to education to migrant children, thereby excluding adult education which is covered by Art. 13 ICESCR.35 Another example of diverging protection standards is the right to social security: Art. 27 para. 1 ICRMW grants an opaque right to equal treatment with nationals of the State of employment to migrant workers who “fulfill the requirements provided for by the applicable legislation of that State and the applicable bilateral and multilateral treaties” and leaves it to the authorities of the State of origin and the State of employment to negotiate the modalities of application of this right. Subjecting migrant workers’ access to social security to national legislation and reciprocity, and thus, to the discretion of States parties, means putting the cart in front of the horse. Art. 27 para. 2 ICRMW provides that where national legislation does not allow a social security benefit to migrant workers and members of their families, States parties shall examine the possibility of reimbursing them the amount of contributions made by them with respect to that benefit on the basis of equality of treatment with nationals. The undertaking of States parties to “examine the possibility” is soft as wax and reflects the struggle to reach consensus during the codification of this 32

CESCR, General Comment No. 19 (2007): The right to social security (Art. 9), para. 37. CESCR, General Comment No. 14 (2000): The right to the highest attainable standard of health (Art. 12), para. 34. 34 Art. 25 ICRMW protects the right of all migrant workers to enjoy treatment not less favourable than that which applies to nationals of the State of employment in respect of remuneration and other conditions of work, but not in respect of employment opportunities. 35 See CESCR, General Comment No. 13 (1999): The right to education (Art. 13), para. 24 (fundamental education); CESCR, General Comment No. 6 (1995): The economic, social and cultural rights of older persons, para. 37 (literacy training, life-long education and access to universities). 33

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article. Moreover, the reference to “contributions” indicates that Art. 27 ICRMW is concerned with migrant workers’ access to contributory social security schemes. Art. 9 ICESCR, on the other hand, recognizes the right of everyone to social security, including social insurance. The wording of Art. 9 indicates that States parties’ obligations under this article are not limited to contributory or insurance-based social protection schemes but also include the provision of “(b) Non-contributory schemes such as universal schemes […] or targeted social assistance schemes […]. In almost all States parties, non-contributory schemes will be required since it is unlikely that every person can be adequately covered through an insurance-based system.”36 General Comment No. 19 further states that non-nationals, including migrant workers, “should be able to access non-contributory schemes for income support, affordable access to health care and family support”37, thereby extending a right to social assistance to migrant workers which is not as such protected in Art. 27 ICRMW, although it may well be agreed on bilaterally. A number of economic, social and cultural rights are either not protected in the Convention at all or only with respect to migrant workers and members of their families in a regular situation. For example, the right to an adequate standard of living, including adequate food and clothing,38 has been omitted in the Convention, while the rights to form trade unions,39 to equal access to housing,40 to participate in cultural life,41 and the right to the protection of the family42 are protected in Part IV of the Convention. In the area of civil and political rights, Part III fails to protect a number of rights that are enshrined in the International Covenant on Civil and Political Rights,43 such as the right to freedom of movement and to free choice of residence44, the right to the

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CESCR, General Comment No. 19 (2007): The right to social security (Art. 9), para. 4. Id., at para. 37. 38 See Art. 11 ICESCR. 39 See Art. 40 ICRMW; Art. 8 ICESCR. Art. 26 ICRMW applicable to all migrant workers and members of their families, including those in an irregular situation, only protects the right to join trade unions. 40 See Art. 11 para. 1 ICESCR; Art. 43 para. 1 lit. d ICRMW. 41 See Art. 43 para. 1 lit. g, 45 para. 1 lit. d ICRMW; Art. 15 para. 1 lit. a ICESCR. Art. 31 ICRMW applicable to all migrant workers and members of their families protects the right to respect for their cultural identity. 42 See Art. 44 ICRMW; Art. 10 para. 1 ICESCR. Art. 14 ICRMW applicable to all migrant workers and members of their families protects them against arbitrary or unlawful interference with their family. 43 It should be noted, however, that some of those rights are protected in Part IV of the Convention. 44 See Art. 12 ICCPR. The right to freedom of movement is contained in Art. 39 (Part IV) of the Convention in relation to regular migrant workers, while Art. 8 ICRMW protects the right of all migrant workers to leave any State, including their State of origin, and the right to enter their State of origin. 37

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protection of the family and to freely enter into marriage45, the special protection of children46, the right to form trade unions47, the right of peaceful assembly48, the political rights of Art. 25 ICCPR49, the right to equality before the law and equal protection of the law50, and minority rights51. However, in relation to those civil and political rights that are protected under both the Convention and the Covenant, the level of convergence seems to be higher than in the case of ESC rights.52 A more thorough comparison will be possible once the Committee on Migrant Workers has adopted its draft General Comment No. 2 on the rights of migrant workers in an irregular situation and members of their families which is currently under preparation. 2. Specific Rights Under the Convention What is the added value of the Convention? To answer this question, one needs to look at the specific provisions of the Convention which either contextualize common human rights provisions contained in other international or regional human rights treaties or provide unique protection standards not included in those treaties. The right to liberty and security of migrant workers (Art. 16 ICRMW) and the right of migrant workers and members of their families who are deprived of their liberty to be treated with humanity and in accordance with their specific status (Art. 17

45 See Art. 23 ICCPR. Art. 44 ICRMW (Part IV) protects the right of migrant workers in a regular situation to family unity and to the facilitation of family reunification, while Art. 14 ICRMW (Part III) protects all migrant workers against arbitrary and unlawful interference with their family. 46 See Art. 24 para. 1 ICCPR. Surprisingly, no similar provision can be found in the Convention in relation to migrant children. However, Art. 29 ICRMW protects the right of each child of a migrant worker to a name, birth registration and a nationality. 47 See Art. 22 ICCPR. See also supra fn. 39. 48 See Art. 21 ICCPR. 49 See supra fn. 28. Under Part IV of the Convention (Art. 41), migrant workers and members of their families in a regular situation have the right to vote and to be elected at elections of their State of origin. 50 See Art. 26 ICCPR. While the Human Rights Committee considers Art. 26 ICCPR as an autonomous right against discrimination in any field regulated by public authorities (see CCPR, General Comment No. 18 (1989): Non-discrimination, para. 12), Art. 7 ICRMW limits the scope of the rights to be protected against discrimination to those provided for in the Convention. 51 See Art. 27 ICCPR. The Human Rights Committee considers that the rights in Art. 27 also apply to migrant workers. See CCPR, General Comment No. 23 (1994): Art. 27 (Rights of minorities), para. 5.2. 52 See Art. 9 ICRMW/6 para. 1 ICCPR; Art. 10 ICRMW/7 ICCPR; Art. 11 ICRMW/8 ICCPR; Art. 12 ICRMW/18 ICCPR; Art. 13 ICRMW/19 ICCPR; Art. 14 ICRMW/17 ICCPR; Art. 18 ICRMW/14 ICCPR; Art. 19 ICRMW/15 ICCPR; Art. 20 ICRMW/11 ICCPR; and Art. 24 ICRMW/16 ICCPR.

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ICRMW) fall into the first category. These rights are partly copied from the ICCPR but take into account the specific situation of migrant workers.53 Art. 16 para. 2 ICRMW imposes a duty on States parties to protect migrant workers and their family members against violence, physical injury, threats and intimidation by public officials or by private individuals, groups or institutions, thus recognizing the particular vulnerability of migrant workers to violence and abuse, especially in times of rising xenophobia and racism. Art. 16 para. 3 provides that identity controls of migrant workers must comply with the procedure established by law. Art. 16 para. 4 is based on Art. 9 para. 1 ICCPR but specifies that migrant workers and members of their families must not be subjected individually or collectively to arbitrary arrest or detention. Art. 16 para. 5 repeats the language of Art. 9 para. 2 ICCPR, while adding that migrant workers must be informed in a language they understand of the reasons for their arrest and of any charges against them. Art. 16 para. 7 provides detained migrant workers and members of their families with a right to communicate with the consular authorities of their State of origin and requires the detaining State to inform them of that right. The right to judicial review of the lawfulness of detention in Art. 16 para. 8 is copied from Art. 9 para. 4 ICCPR, supplemented by the right to an interpreter, if necessary free of charge, if a migrant worker cannot understand or speak the language used in such proceedings. Art. 16 paras. 1, 6 and 9 repeat standard language. Art. 17 para. 1 ICRMW obliges States parties to respect not only the inherent dignity of detained or imprisoned migrant workers but also their cultural identity. While Art. 17 paras. 2 and 4 ICRMW restate the principles of separation of accused from convicted persons and of juveniles from adults, Art. 17 para. 3 ICRMW specifically provides that migrant workers or members of their families who are detained for violations of immigration law shall be held, “insofar as practicable”, separately from common criminals. With regard to convicted migrant workers, Art. 17 para. 4 ICRMW restates the essential aims of reformation and social rehabilitation that can be found in Art. 10 para. 3 ICCPR. Art. 17 para. 5 ICRMW ensures detained and imprisoned migrant workers and members of their families the same rights as nationals to visits by family members. Art. 17 para. 6 ICRMW is of special importance, as it requires the detaining State to pay attention to the problems that the deprivation of liberty of a migrant worker may pose for his or her family, in particular for spouses and children. This provision could be read to require States parties to enable “family detention” in living quarters that are suitable for migrant children and with adequate access to education and recreational activities.54 In situations of irregular 53 See Report on the day of general discussion on the rights of migrant workers in an irregular situation and members of their families, held by the Committee on Migrant Workers on 19 September 2011 during its fifteenth session in Geneva. The report has been published as an annex to the Committee’s annual report to the General Assembly covering its fifteenth and sixteenth sessions. 54 Cf. Council of Europe, European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), CPT Standards (2010), 56 and 65. Cf. also

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migration, States authorities could be required to uphold the principle of family unity in ways that do not contemplate the detention of migrant children, including through the application of non-custodial measures.55 Art. 17 para. 7 ICRMW contains a specific non-discrimination clause providing that detained or imprisoned migrant workers and members of their families shall enjoy the same rights as nationals of the State of employment who are in the same situation. Art. 17 para. 8 ICRMW states that migrant workers who are detained for the purpose of verifying infractions of immigration laws shall not bear any costs arising therefrom. Unique protection standards can be found in Art. 22 ICRMW providing for procedural safeguards in expulsion proceedings applicable to all migrant workers and members of their families, including those in an irregular situation, while the guarantees in other human rights treaties only apply to regular migrants.56 The procedural guarantees in Art. 22 are more extensive than those contained in Art. 13 ICCPR.57 It should be recalled that neither Art. 22 ICRMW nor Art. 13 ICCPR protect from expulsion as such, but help to ensure that substantive protection against expulsion is provided and that no arbitrary expulsion decisions are taken.58 A common feature of both articles is that the fair trial guarantees of Art. 18 ICRMW and Art. 14 ICCPR do not apply, respectively, as expulsion proceedings do not concern the determination of a person’s rights and obligations in a suit at law or of a criminal charge against him or her.59 Unlike the Covenant,60 Art. 22 para. 1 explicitly prohibits colArt. 17 of Directive 2008/115/EC of the European Parliament and of the Council of 16 December 2008 on common standards and procedures in Member States for returning illegally staying third-country nationals. 55 See Human Rights Council (15th session), OHCHR study on challenges and best practices in the implementation of the international framework for the protection of the rights of the child in the context of migration, A/HRC/15/29, 5 July 2010, para. 54. 56 Art. 13 ICCPR, Art. 1 of Protocol No. 7 to the European Convention on Human Rights, Art. 22 para. 6 of the American Convention on Human Rights and Art. 12 para. 4 of the African Charter on Human and Peoples’ Rights apply only to aliens who are lawfully in the territory of a State party. 57 Art. 56 ICRMW, which applies only to migrant workers and members of their families in a regular situation, contains additional procedural safeguards by limiting the permissible reasons for expulsion and by requiring the expelling State to take into account humanitarian considerations and the length of stay of the person concerned when considering whether to expel a migrant worker or a member of his or her family. 58 OHCHR discussion paper: Expulsions of aliens in international human rights law, September 2006, 10. 59 See generally European Court of Human Rights, Maaouia v. France, Application No. 39652/98, Judgement of 5 October 2000, para. 40. See also Human Rights Committee, Mansour Ahani v. Canada, Communication No. 1051/2002, Views adopted on 29 March 2004, para. 10.9. 60 However, the Human Rights Committee considers that the rights of each foreigner to a decision in his or her own case and to submit reasons against expulsion make collective or mass expulsions incompatible with Art. 13 ICCPR. See CCPR, General Comment No. 15 (1986): The position of aliens under the Covenant, para. 10.

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lective expulsions.61 Art. 22 paras. 2 and 3 add to the formal requirements in Art. 13 ICCPR by requiring that expulsion decisions be taken by the competent authority and be communicated in a language that the migrant worker concerned understands and, if requested, in writing and reasoned. Art. 22 para. 4 goes beyond Art. 13 ICCPR in that it provides that the right to submit the reasons against one’s expulsion and the right to have one’s case reviewed by the competent authority includes a right to seek a stay of the decision of expulsion pending the review of that decision. Art. 22 paras. 5 to 9 provide for additional procedural guarantees in cases of expulsion that cannot be found in Art. 13 ICCPR or in any other human rights treaty, i. e. the right to compensation and non-prejudice to re-entry in case an expulsion decision that has already been executed is subsequently annulled, the right to a reasonable opportunity before or after departure to settle any claims for wages and other entitlements due to the migrant worker concerned, the right of migrant workers and members of their families subject to a decision of expulsion to seek entry into a State other than their State of origin, their exemption from any costs of expulsion other than their own travel costs, and non-prejudice to any rights acquired in the expelling State. Art. 23 ICRMW contains an accessory right providing that in cases of expulsion, migrant workers and members of their families shall be informed without delay of their right under the same article to have recourse to the protection and assistance of the consular or diplomatic authorities of their State of origin, and that the authorities of the expelling State shall facilitate the exercise of that right. Other specific rights of all migrant workers and their family members under the Convention include the protection against unlawful destruction or confiscation of documents (Art. 21), the right to transfer their earnings and savings upon termination of their stay in the State of employment (Art. 32) and the right to be informed about the Convention rights (Art. 33).

C. Conclusion As the above analysis has shown, the Convention merely provides for minimum standards of protection which in many cases lag behind the protection of migrants’ rights afforded in other human rights treaties. The fact that it provides for robust procedural safeguards and some costs for States in cases of expulsion of migrant workers and members of their families in an irregular situation cannot be the reason for States’ reluctance to ratify the Convention. Contrary to some claims, the Convention also does not open the floodgates for influxes of irregular migrants. On the contrary, it unequivocally reaffirms the sovereign prerogative of States to control the entry and stay of migrant workers and members of their families in their territory (Art. 79 ICRMW). While recognizing that once they have entered the territory of 61 Similar prohibitions can be found in Art. 4 of Protocol No. 4 to the European Convention on Human Rights, Art. 22 para. 9 American Convention on Human Rights and Art. 12 para. 5 African Charter on Human and Peoples’ Rights.

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a State party, all migrant workers and members of their families are entitled to the rights set out in Part III of the Convention, irrespective of their legal status, the Convention firmly states that they must comply with the laws of the State of employment (Art. 34 ICRMW) and that “nothing [in Part III] shall be interpreted as implying the regularization of the situation of migrant workers or members of their families who are undocumented or in an irregular situation or any right to such regularization of their situation” (Art. 35 ICRMW). The fact that the Convention strikes a careful balance between the sovereign rights of States and the human rights of migrants, including those in an irregular situation, should in principle suffice to dispel the myths underlying many States’ opposition to the Convention. However, some of these myths are deeply entrenched in political discourse and have an impact on public perceptions of migrants as unfair competitors in the job market, threats to public order and national security, or as diluting the cultural identity in States of employment. This suggests that the actual barriers to ratification of the Convention are of a political rather than a legal nature.62 Indeed, as recent election campaigns in Europe have shown, migrants are easy to blame in times of economic crisis. Unlike other groups of rights holders under international human rights treaties, migrants neither have a strong political lobby nor do they form a constituency of voters, in the absence of a right to participate in the elections of States of employment. Moreover, while trade unions have an interest to prevent social dumping, and employers in predictable and equal conditions for all competitors, both of which could be furthered by channelling irregular migration into legal avenues for labour migration, neither of them seem to be lobbying for expanding such legal avenues, according to an expert.63 In sum, the reasons for the reluctance of many States to ratify the Convention are complex and difficult to overcome. The least that can be done is to demystify the Convention by showing that most States already guarantee the rights enshrined in Part III, both in their national legislation and under international human rights treaties they have ratified. The Committee on Migrant Workers has started to embark on this endeavour.

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See closing remarks of the Chairperson of the Committee on Migrant Workers, Mr. Abdelhamid El Jamri, at the day of general discussion on the rights of migrant workers in an irregular situation and members of their families, supra fn. 53. 63 This view was expressed during a meeting of the Steering Committee of the Global Campaign for Ratification of the Migrant Workers Convention with the Special Rapporteur on the human rights of migrants, Mr. François Crépeau, held on 21 March 2012 in Geneva.

„Land-Grabbing“: Die UN-Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure als Menschenrechtsstandard* Von Jochen von Bernstorff

A. Einleitung Eibe Riedel hat in den achtziger und neunziger Jahren, inspiriert durch die rechtstheoretische Debatte um Dworkins interpretative turn und die Resolutionspraxis der Vereinten Nationen, den Begriff des Menschenrechtsstandards geprägt.1 Wie kein zweiter deutscher Völkerrechtler seiner Generation hat er den komplexen und prozesshaften Rückkopplungen zwischen institutionalisierter Menschenrechtspolitik und völkerrechtlicher Normsetzung nachgespürt und diese theoretisch aufgearbeitet.2 Ihm ist hierdurch nichts weniger gelungen als die Erweiterung der völkerrechtswissenschaftlichen Perspektive auf die Wirkung der unverbindlichen internationalen Menschenrechtsnormen und deren rekursives Zusammenspiel mit verbindlichem Völkerrecht. Bekanntlich hat er im Auftrage der Vereinten Nationen dann selbst aktiv an vielen neuen Menschenrechtsstandards im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte mitgewirkt und damit wichtige und weltweit beachtete Debatten, wie z. B. diejenige um das Menschenrecht auf Wasser3, ausgelöst. Als langjähriges Mitglied des UN-Sozialpaktausschusses ist er einer der Väter der zunächst unerwarteten und dann umso wirkungsmächtigeren Renaissance der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte in den letzten 15 Jahren, die sich bekanntlich ganz überwiegend auf unverbindliche Normsetzungsprozesse zurückführen lässt. Seit der wissenschaftlichen Pionierleistung zu den Menschenrechtsstandards hat die unverbindliche Normsetzung ihren Siegeszug durch alle Bereiche der institutio* Dieser Text geht aus einer umfassenderen Forschungsstudie zu Land-Grabbing und Menschenrechten hervor, die in der INEF-Forschungsreihe Menschenrechte, Unternehmensverantwortung und Nachhaltige Entwicklung 2012 erscheint. 1 Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986. 2 Riedel, Standards and Sources. Farewell to the Exclusivity of the Sources Triad in International Law?, 2 EJIL 1991, 58 – 84. 3 Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 15, The Right to Water (Arts. 11 and 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), UN Doc. E/C.12/2002/11 vom 20. 01. 2003.

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nalisierten internationalen Beziehungen hindurch fortgesetzt, so dass sich heute fast schon die Frage stellt, ob das Völkervertragsrecht neben der unverbindlichen Normierung auf lange Sicht überhaupt noch seine angestammte Rolle in den institutionalisierten internationalen Beziehungen wird ausüben können. Es liegt in einer Festschrift für Eibe Riedel nahe, sich mit einem unverbindlichen Normengebilde aus der UN-Menschenrechtspolitik zu befassen, und zwar um genau zu sein mit den UN-Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security (im Folgenden Leitlinien).4 Diese sind die jüngste rechtspolitische Reaktion der Vereinten Nationen auf das universale Problem des Land-Grabbing, d. h. auf die sprunghaft angestiegenen ausländischen Investitionen in riesige Bodenflächen in Entwicklungsländern und die damit zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen.5

B. Das Problem des sog. Land-Grabbing und die Entstehung der Leitlinien Ausländische Investitionen in landwirtschaftliche Nutzflächen vor allem in Ländern des Südens und in Osteuropa haben in den letzten zehn Jahren dramatisch zugenommen. Dieser empirisch belegte globale Trend zur Landnahme ist ein komplexes und vielgestaltiges Phänomen. Als Pächter oder Käufer treten sowohl Staaten als auch private Investoren auf. Auf Investorseite sind eine größere Anzahl von Staaten aus allen fünf Kontinenten beteiligt, darunter insbesondere Indien, Südkorea, China, Saudi-Arabien und andere Staaten aus der Golfregion sowie europäische und amerikanische Investmentfonds. Die Investoren schließen Pacht- oder seltener auch Kaufverträge über große Parzellen von Ackerland vor allem in ärmeren afrikanischen, lateinamerikanischen, asiatischen und osteuropäischen Staaten ab und nutzen diese Böden für verschiedene Zwecke: zum Teil sollen die Investitionen die Nahrungsmittelversorgung im Herkunftsland sichern helfen, häufig geht es aber auch nur um die profitable Herstellung von Nahrungsmitteln oder anderen Agrargütern für den Verkauf auf dem Weltmarkt oder um Bodenspekulation. Zwei unterschiedliche allgemeine Lesarten der sprunghaft angestiegenen Investitionen in Land lassen sich unterscheiden.6 Eine vor allem von der internationalen Zivilgesellschaft favorisierte Lesart sieht in dieser Entwicklung eine Gefahr für die

4 Abrufbar unter http://www.fao.org/fileadmin/user_upload/nr/land_tenure/pdf/VG_Final_May_2012.pdf. 5 Beispielsweise die gewaltsame Vertreibung von Kleinbauern und die Zerstörung bestehender Nahrungsmittelquellen für die Landbevölkerung in den betroffenen Gebieten, siehe hierzu unter D.I. ausführlich. 6 Hoering, Peripherie, Land – Konflikt, Politik, Profit, Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt 124 (2011), 497.

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betroffenen Länder des Südens.7 Das Land-Grabbing führe in vielen Staaten zu einer Vertreibung von Kleinbauern, deren Erträge essentiell für die (Selbst-)Versorgung von weltweit mehreren hundert Millionen Menschen seien. Es komme dadurch zu einer weiteren Verarmung dieser Bevölkerungsgruppen und zu einem weiteren Anschwellen informeller Slumsiedlungen in den Megacities des Südens.8 Zudem kämen die wirtschaftlichen Erträge aus den Investitionen den bedürftigen lokalen Bewohnern der Gaststaaten und der lokalen Infrastruktur in den meisten Fällen nicht zu Gute. Überhaupt wird es von vielen Kritikern dieses Trends als unerträglich empfunden, dass die einheimische bzw. lokale Dispositionsbefugnis über große Teile der Landwirtschaft und ihrer Erträge verloren gehe; insbesondere dann wenn das betreffende Land gleichzeitig von Nahrungsmittelimporten und deren volatilen Preisstrukturen am Weltmarkt bzw. von Nahrungsmittelhilfe durch UN-Hilfsorganisationen abhängig sei. Die zweite von der Weltbank und frühen FAO-Studien eingeführte Lesart fokussiert stärker auf die Chancen von ausländischen Investitionen in Land. Unter den Vertretern der beiden konfligierenden Perspektiven ist weitgehend unbestritten, dass in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Staaten des globalen Südens zu wenig in die Agrarwirtschaft investiert wurde. Diesen Aspekt nimmt die optimistische Lesart des gegenwärtigen Trends zum Ausgangspunkt. Mehr Investitionen in den in vielen Staaten notleidenden Agrarsektor seien eine Chance auf Wohlstandsgewinne für die heimische Bevölkerung und für den Ausbau der Infrastruktur im Agrarsektor. Der empirische Trend zu mehr ausländischen Investitionen in Land sei insgesamt als eine Chance für „Entwicklung“ in den Gaststaaten zu bewerten. Die vorhandenen Risiken seien begrenzbar u. a. durch verantwortungsvolle Investitionen.9 Nachdem das Thema in der internationalen Öffentlichkeit durch zivilgesellschaftliche Akteure politisiert wurde, hatten verschiedene internationale Organisationen versucht, sowohl analytisch als auch normbildend und regulierend auf das sozio-ökonomische Phänomen des Land-Grabbing zu reagieren. Die Weltbank und die UN-Ernährungsorganisationen (FAO, IFAD, UNCTAD) reagierten im Auftrag der G 20 zu7

So die Studie „Seized“ der NGO GRAIN aus dem Jahr 2008, mit der der Begriff des Land-Grabbing mit hoher internationaler Öffentlichkeitswirkung geprägt wurde, . 8 Auf den Zusammenhang von kleinbäuerlichem Zugang zu Land und Landflucht hatte bereits mehrfach der UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Wohnen Miloon Kothari hingewiesen. Das massenhafte Abwandern in städtische Gebiete sei nicht das Ergebnis der industriellen Entwicklung in den Städten, sondern die Folge ländlicher Armut, die auf das Problem der Landlosigkeit, unsicheren Landbesitz und neue Formen der Landnutzung zurückzuführen sei. (Report of the Special Rapporteur on Adequate Housing as a Component of the Right to an Adequate Standard of Living, Kothari, Miloon, UN Doc. E/CN.4/2005/48 vom 03. 03. 2005, Paragraphen 43 – 44). 9 World Bank/FAO/UNCTAD/IFAD, Principles for Responsible Agricultural Investment (RAI) that Respects Rights, Livelihoods and Resources, Knowledge Exchange Platform for Responsible Agro-Investment (RAI), 2009,.

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erst mit den 2010 verabschiedeten allgemein gefassten Principles for Responsible Agricultural Investment (RAI-Prinzipien), die ihrerseits seit ihrer Veröffentlichung in der öffentlichen Debatte kontrovers diskutiert worden sind.10 Im Zentrum der folgenden Studie steht jedoch das von den Vereinten Nationen am 11. Mai 2012 angenommene und bislang umfassendste Normierungswerk zu dieser Problematik, die UN Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security (die Leitlinien). Dieses 34seitige im Rahmen der UN-Welternährungsorganisation (FAO) erarbeitete Regulierungswerk wurde in Konsultation mit der global organisierten Zivilgesellschaft von den UN-Mitgliedstaaten über drei einwöchige Verhandlungsrunden erarbeitet und vom UN Committee on World Food Security (CFS) einstimmig angenommen. Der Prozess wurde damit vom Sekretariat der FAO in bewusster Konkurrenz zu den in die Kritik geratenen RAI-Prinzipien der Weltbank durchgeführt und ist im Gegensatz zu den RAI-Prinzipien in einem breiten Konsultations- und Verhandlungsprozess entstanden, der allen UN-Staaten und der beteiligten Zivilgesellschaft offenstand. Trotz des aufwendigen dreijährigen zwischenstaatlichen Verhandlungsprozesses war es von vorneherein Konsens unter den beteiligten staatlichen Akteuren, dass die Leitlinien keinen rechtsverbindlichen Charakter aufweisen sollten. Als Vorbild für den hier untersuchten Leitlinienprozess dienten die FAO Voluntary Guidelines to support the progressive realization of the right to Adequate Food, die 2005 von der FAO angenommen wurden und zum Ziel hatten, den Menschenrechtsansatz im Bereich der Ernährungssicherheit einzuführen.11 Ein wesentlicher Unterschied zu einem verbindlichen Dokument ist, dass unverbindliche Dokumente nach der konsensualen Annahme durch die Mitgliedstaaten der Internationalen Organisation nicht mehr separat von den einzelnen Staaten ratifiziert werden müssen. Dies gilt insofern auch für die Leitlinien, die – zwar unverbindlich – aber ohne weiteren Zustimmungsakt durch einzelne Staaten seit ihrer Annahme durch das CFS am 11. Mai 2012 als global konsentierte Handlungsrichtlinie für Staaten und Investoren politisch wirksam sind. Die nationale Implementierung soll durch konkrete Projekte von Internationalen Organisationen gefördert werden. Der Generaldirektor der FAO hatte z. B. bereits während der Verhandlungen deutlich gemacht, dass die Implementierung der Leitlinien in Zukunft eine Grundlage für Kooperationsprojekte der FAO mit staatlichen und privaten Akteuren im Landbereich sein wird. Außerdem kündigte er die Erstellung von kon10

Ebda. Zur Kritik: De Schutter, The Green Rush: The Global Race for Farmland and the Rights of Lands Users, 52 Harvard ILJ 2011, 503 – 559; The Global Campaign For Agrarian Reform Land Research Action Network, Why We Oppose the Principles for Responsible Agricultural Investment (RAI), 2010, ; Daniel/Mittal, (Mis)investment in Agriculture: The Role of the International Finance Corporation in Global Land Grabs, 2010, . 11 Food and Agriculture Organization of the United Nations, Voluntary Guidelines to Support the Progressive Realization of the Right to Adequate Food in the Context of National Food Security, November 2004, .

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kreteren FAO Manuals für nationale Verwaltungen für die Implementierung der Leitlinien an.

C. Die Leitlinien Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Debatte um das Land-Grabbing wurden verschiedene Erwartungen an den FAO-Leitlinienprozess herangetragen. Während die Zivilgesellschaft und eine Reihe von Staaten die Leitlinien als eine Gelegenheit ansahen, normative Aspekte in den Standardsetzungsprozess einzuführen, die in den RAI-Prinzipien aus ihrer Perspektive nur unzureichend berücksichtigt worden waren, verfolgte das FAO-Sekretariat mit dem Zero Draft zunächst eher einen technischen Ansatz. Danach sollten die Leitlinien technische Hilfestellungen für die nationale Landwirtschaftsverwaltung und andere staatliche Institutionen geben, die mit der Planung und Verwaltung von ausländischen Investitionen in Land befasst sind. Dies erklärt auch den Titel der Leitlinien, der auf Responsible Governance of Tenure abstellt. Auch die meisten Staaten befürworteten zunächst konzeptionell einen technischen Ansatz. Nur die EU vertrat von vorneherein einen menschenrechtsorientierten Zugang zur Materie. Dieser wurde im Verhandlungsverlauf jedoch vor allem von den südamerikanischen und von vielen afrikanischen Staaten mitgetragen. Die USA und Kanada sowie China und Russland blieben bis zum Schluss der Verhandlungen skeptisch gegenüber dem Menschenrechtsansatz, akzeptierten letztlich aber die Aufnahme von Menschenrechtsbezügen in vielen Teilen des Dokuments. Im Folgenden soll auf die allgemeinen Bestimmungen der Leitlinien eingegangen werden, da diese am Anfang des Dokuments den konzeptionellen Ansatz für die Leitlinien deutlich machen. Das allgemeine Ziel der Leitlinien charakterisiert Teil 1 des Dokuments in seinem ersten Absatz wie folgt: „These Voluntary Guidelines seek to improve governance of tenure of land, fisheries and forests. They seek to do so for the benefit of all, with an emphasis on vulnerable and marginalized people, with the goals of food security and progressive realization of the right to adequate food, poverty eradication, sustainable livelihoods, social stability, housing security, rural development, environmental protection and sustainable social and economic development.“

Die gewählten Formulierungen machen deutlich, dass die mit den Leitlinien angestrebte Verbesserung der staatlichen Verwaltung von Landinvestitionen der Armutsbekämpfung, der Ernährungssicherheit, der Realisierung des Menschenrechts auf Nahrung und der nachhaltigen Entwicklung dienen soll. Der Menschenrechtsansatz wird in den allgemeinen Prinzipien der Leitlinien weiter spezifiziert. Das Dokument unterscheidet hier zwischen Leitprinzipien und Implementierungsprinzipien. Unter den Leitprinzipien fokussiert das Dokument den staatlichen Schutz von legitimen Landrechten bei Investitionen in Land. Damit ist der Dreh- und Angelpunkt der Leitlinien benannt. Sie wollen die staatliche Verwaltung in die Lage versetzen, die legitimen Rechte der Personengruppen, die zum Zeit-

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punkt der Investition auf dem betroffenen Land leben oder dieses nutzen, umfassend zu schützen. Dazu gehört die Registrierung und Anerkennung dieser bereits bestehenden Besitz- und Nutzungsrechte (3.A.1.1), Schutz vor Entzug dieser Rechte und vor Vertreibung (3.A.1.2 und 3.A.1.3) sowie der Zugang zu Rechtsschutz und angemessener Entschädigung im Falle von Beeinträchtigungen (3.A.1.4). Um weiter zu konkretisieren, welche normativen Prinzipien bei der Implementierung dieses Schutzauftrags zu berücksichtigen sind, führen die Leitlinien in ihrem allgemeinen Teil dann verschiedene übergreifende Menschenrechtsprinzipien ein. Dazu gehören die Menschenwürde,12 Nichtdiskriminierung,13 Billigkeit und Gerechtigkeit14 und Gleichheit der Geschlechter.15 Hinzu kommen weitere Implementierungsprinzipien wie Nachhaltigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Verantwortlichkeit. Mit dem hier ebenfalls genannten Konsultations- und Partizipationsprinzip wird zudem eine zentrale Forderung des sog. Food-Sovereignty-Ansatzes aufgegriffen.16 Gemäß diesem Implementierungsprinzip sollen die Inhaber von Land- und Nutzungsrechten, die von einer Investition betroffen werden, in den Entscheidungsprozess eingebunden werden. Die Staaten werden in diesem Kontext angehalten sicherzustellen, dass diese Personengruppe aktiv an den Entscheidungen teilnimmt (active, free, effective, meaningful and informed participation).17 Mit dieser Formulierung bleiben die Richtlinien jedoch hinter den konkreten Forderungen der Zivilgesellschaft zurück, die statt participation ein Einwilligungserfordernis (free, prior, informed consent) der betroffenen Landrechteinhaber vorgeschlagen hatte, sich damit aber nicht durchsetzen konnte.18 Insgesamt ist das letztlich angenommene Dokument daher stark von einem menschenrechtsorientierten Ansatz zum Land-Grabbing geprägt und steht insofern in der Tradition der 2005 angenommenen FAO-Leitlinien zum Recht auf angemessene Nahrung. Aber auch der von großen Teilen der Zivilgesellschaft verfolgte FoodSovereignty-Ansatz hat nicht nur durch seine menschenrechtliche Komponente deutliche Spuren in dem Dokument hinterlassen; hinzu kommt der in einer Reihe von Einzelbestimmungen aufgenommene Partizipationsgedanke und die Betonung der Rechte lokaler Gemeinschaften.19 Dessen ungeachtet weisen große Teile des Dokuments einen technokratischen Zugang auf, der konkrete Verwaltungsfragen wie z. B.

12

Prinzip 3.B.1 der Leitlinien. Prinzip 3.B.2 der Leitlinien. 14 Prinzip 3.B.3 der Leitlinien. 15 Prinzip 3.B.4 der Leitlinien. 16 Hierzu ausführlich Windfuhr/Jonsén, Food-Sovereignty, Towards Democracy in Localized Food Systems, The Schumacher Centre for Technology and Development, 2005. 17 Prinzip 3.B.6 der Leitlinien. 18 Auf die kontroversen Beteiligungs- und Zustimmungsfragen wird unten noch detaillierter eingegangen. 19 Zu diesen Aspekten ausführlich weiter unten. 13

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die Grundbuchverwaltung oder die Besteuerung von Investitionen etc. betrifft, die als solche nur mittelbar eine menschenrechtliche Relevanz haben.

D. Die Positionierung der Leitlinien zu kontroversen Fragen der Land-Grabbing-Debatte I. Menschenrechtliche Grenzen von ausländischen Investitionen in Landrechte Landrechte (tenure rights) als solche sind nicht mit Menschenrechten gleichzusetzen. Menschenrechte flankieren jedoch völkerrechtlich den Schutz von lokal oder national gewährten Landrechten. Mit anderen Worten: wenn bestehende formale oder informelle Landrechte durch ausländische Investitionen verletzt werden, kann dies eine Menschenrechtsverletzung darstellen. Beim Aufeinandertreffen von hochformalisierten und völkerrechtlich abgesicherten internationalen Investitionsverträgen mit nicht formalisierten Nutzungs- und Aufenthaltsrechten der lokalen Bevölkerung lassen sich Letztere in der Praxis aber häufig nicht gegen den Investor durchsetzen. Die Leitlinien verlangen daher bei der Realisierung von Investitionsprojekten explizit die Achtung von Menschenrechten und die Förderung sozialer Ziele: „Responsible investments should do no harm, safeguard against dispossession of legitimate tenure right holders and environmental damage, and should respect human rights. Such investments should be made working in partnership with relevant levels of government and local holders of tenure rights to land, fisheries and forests, respecting their legitimate tenure rights. They should strive to further contribute to policy objectives, such as poverty eradication; food security and sustainable use of land, fisheries and forests; support local communities; contribute to rural development; promote and secure local food production systems; enhance social and economic sustainable development; create employment; diversify livelihoods; provide benefits to the country and its people, including the poor and most vulnerable.“20

Welche Menschenrechtsverletzungen kommen hier in Betracht? Im Kontext großer Investitionen in Land kommt es potenziell zu Eingriffen in menschenrechtlich geschützte Eigentumsrechte (Art. 21 American Convention on Human Rights), das Recht auf angemessenen Lebensstandard (Art. 11 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), einschließlich des Rechts auf angemessene Nahrung, Verstöße gegen menschenrechtliche Sozialstandards von Arbeitnehmern (u. a. ILO-Conventions) sowie Verstöße gegen Diskriminierungsverbote (u. a. Art. 5 (d)(v) International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination). Bei gewaltsamen Vertreibungen werden in Einzelfällen auch das Recht auf Wohnung (Art. 11 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), auf körperliche Unversehrtheit oder Leben (u. a. Art. 6 International Covenant on Civil and Political Rights) verletzt. Es geht hier um Verstöße gegen univer20

Prinzip 12.4 der Leitlinien.

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sale, regionale oder auch nationale Menschenrechtsnormen, zu denen sich die Staaten auf der jeweiligen Normsetzungsebene gegebenenfalls verpflichtet haben. Eine genaue Analyse von Einzelfällen müsste daher zuerst feststellen, welche völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bindungen für den jeweils agierenden Staat bestehen. Aus allgemeiner Perspektive soll auf drei Verletzungskonstellationen, die von den Leitlinien behandelt werden, im Folgenden genauer eingegangen werden: der Entzug von Eigentumsrechten in Folge eines Investitionsprojektes, der Wegfall von Ernährungs- und Erwerbsquellen und der Verlust des Wohnortes durch Umsiedlung oder Vertreibung. Der Verlust von Eigentumsrechten wird in den Leitlinien an verschiedenen Stellen angesprochen. Generell stellen die Leitlinien fest, dass kein Landrecht (tenure rights), auch wenn es Eigentumsrechte umfasst, absolut gilt.21 Bereits bestehende Landrechte werden, auch wenn sie einen menschenrechtlichen Gehalt aufweisen, durch die Rechte Anderer und durch solche staatlichen Maßnahmen begrenzt, die zur Erfüllung öffentlicher Zwecke notwendig sind. Somit hat der Gesetzgeber, dies entspricht der gängigen menschenrechtlichen Doktrin, einen gewissen Ermessensspielraum, welche Eingriffe in Landrechte noch als rechtmäßig angesehen werden können. Allerdings ist damit auch sogleich eine zwingende rechtliche Voraussetzung für die Einschränkung benannt. Es bedarf zwingend einer gesetzlichen Grundlage für die Einschränkung.22 Im Umkehrschluss können z. B. Landreformen in bestehende Landrechte eingreifen, wenn sie diese legitimatorische Voraussetzung (Parlamentsgesetz) erfüllen und von der Verwaltung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchgeführt werden. Wenn ein Eingriff in Landrechte zugleich einen vollständigen Eigentumsentzug (expropriation) darstellt, müssen nach den Leitlinien zudem weitere Voraussetzungen erfüllt sein.23 Zum Einen dürfen Enteignungen ausschließlich zu öffentlichen Zwecken durchgeführt werden,24 eine Voraussetzung, die bei einer normalen kommerziellen Investition in der Regel nicht der Fall sein wird. Nur wenn die Investition einem wichtigen öffentlichen Zweck dient, wie z. B. dem Bau eines Deiches um lebensgefährliche Überflutungen zu verhindern, könnte sie also nach den Leitlinien im Wege einer Enteignung von lokalen Eigentümern durchgeführt werden. Nach den Leitlinien müssen die betroffenen früheren Rechteinhaber zudem prompt und angemessen entschädigt werden.25 Aus rechtlicher Perspektive befinden sich die Leitlinien hier im Einklang mit vielen nationalen Verfassungsordnungen sowie regionalen Menschenrechtsinstrumenten.26 21

Prinzip 4.3 der Leitlinien. Art. 1 ZP I Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention. 23 Prinzip 16.1 bis 16.9 der Leitlinien. 24 Prinzip 16.1 der Leitlinien. 25 Prinzip 16.1 der Leitlinien. 26 Art. 1 ZP I der Europäischen Menschenrechtskonvention, Art. 21 der American Convention on Human Rights, Art. 14 der African Charter on Human and People’s Rights. Was die 22

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Die bei einem Entzug von Landrechten wohl am häufigsten verletzte Menschenrechtsnorm ist Art. 11 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, der das Menschenrecht auf einen angemessenen Lebensstandard enthält. Dieses umfasst u. a. das Recht auf angemessene Nahrung und das Recht auf angemessene Unterkunft. Den International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights haben zur Zeit 160 Staaten ratifiziert.27 Wenn Kleinbauern das Recht genommen wird, auf einem bestimmten Land Vieh weiden zu lassen oder Nahrungsmittel für die Versorgung der eigenen Familie anzubauen, kann dies zu einer Menschenrechtsverletzung führen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn keine alternative Erwerbs- und Ernährungsquelle zur Verfügung gestellt wird.28 Wenn der Staat also einen Zustand mitverursacht oder duldet, bei dem einzelne Rechteinhaber sich durch die Investition nicht mehr ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen können, begeht er bei bestehenden Bindungen an den International Covenant on Economic, Cultural and Social Rights selbst eine Menschenrechtsverletzung. Paragraph 1 der 2005 verabschiedeten FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung hatte die Verbindung zwischen Zugang zu Land und dem Recht auf Nahrung auf folgende Formel gebracht: „Die vorliegenden Freiwilligen Leitlinien zielen darauf ab, die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in einer Menge und Qualität zu garantieren, die ausreicht, um die Ernährungsbedürfnisse des Einzelnen zu befriedigen, sowie physischen und wirtschaftlichen Zugang für jeden, einschließlich der gefährdeten Gruppen der Bevölkerung, zu angemessener Ernährung ohne gesundheitsbedenkliche Stoffe und für die jeweilige Kultur akzeptabel oder die Mittel für ihren Erwerb zu garantieren.“29

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hatte zuvor in seinem General Comment Nr. 12 zur Umschreibung des Wesensgehaltes des Rechts auf angemessene Nahrung auf den Begriff der „Verfügbarkeit“ von Nahrungsmitteln abgestellt und in diesem Zusammenhang auch den bestehenden Zugang zu Land in den elementaren Schutzgehalt von Art. 11 des International Covenant on Economic, Cultural and Social Rights mit aufgenommen:

Übereinstimmung mit universalen Menschenrechtsstandards anbetrifft, so erscheint die Beurteilung insofern weniger eindeutig zu sein, als der UN-Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte von 1966 kein Menschenrecht auf Eigentum enthält. Die universale Geltung des Menschenrechts auf Eigentum ist umstritten, siehe hierzu Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, 2009, Kap. 14 III. 27 Vgl. zum Stand der Ratifizierung: http://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src= TREATY&mtdsg_no=IV-3&chapter=4&lang=en. 28 Economic and Social Council, The Right to Adequate Food, Substantive Issues Arising in the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights: General Comment No. 12, The Right to Adequate Food (Art. 11), UN Doc. E/C.12/1999/5 vom 12. 05. 1999, Paragraph 12. 29 www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Europa-Internationales/Leitlinien-RechtaufNah rung.pdf?_blob=publicationFile.

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„Verfügbarkeit bezieht sich entweder darauf, dass sich Menschen dank ertragreicher Böden oder sonstiger natürlicher Ressourcen unmittelbar selbst ernähren können, oder auf das Bestehen gut funktionierender Verteilungs-,Verarbeitungs- und Marktsysteme, durch die Nahrungsmittel entsprechend der Nachfrage vom Produktionsort an den Ort gebracht werden können, an dem sie benötigt werden.“30

Der Zugang zu Nahrungsmitteln kann nach der Interpretation des UN-Ausschusses also „wirtschaftlich“ durch Kauf von Nahrungsmitteln oder „physisch“ durch eigenen Anbau und Verzehr erfolgen. Wirtschaftlicher Zugang setzt voraus, dass die Rechteinhaber eine eigene Einkommensquelle haben. Das ist in ländlichen Gebieten häufig gerade der Anbau und Verkauf von Agrargütern. Der Zugang zu Land zum Kultivieren oder Sammeln von Nahrungsmitteln ist also in doppelter Hinsicht menschenrechtlich geschützt: sowohl als lebensnotwendige Einkommensquelle als auch als eigene direkte Ernährungsgrundlage der Kleinbauern. Die dritte und in den Leitlinien ausführlicher thematisierte menschenrechtliche Problematik im Zusammenhang mit ausländischen Investitionen in Land sind Räumungen und Umsiedlungen. Schon zu Beginn der Leitlinien in den allgemeinen Prinzipien wird dem Staat die Pflicht auferlegt, seine Bevölkerung vor willkürlichem Entzug von Landrechten und gewaltsamen und menschenrechtswidrigen Räumungen zu schützen.31 Menschenrechtswidrig, d. h. ein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 des UN-Sozialpaktes, sind erzwungene Räumungen immer dann, wenn sie ohne gesetzliche Grundlage, unverhältnismäßig, ohne vorherige Anhörung und Rechtsschutz oder unter menschenunwürdigen Bedingungen durchgeführt werden (sog. forced evictions).32 Hinzu kommt nach einer Räumung das Erfordernis der staatlichen Zurverfügungstellung von alternativem und angemessenem Wohnraum und ggf. die Zahlung von angemessenen Entschädigungszahlungen.33 Erzwungene Räumungen, die eine große Anzahl von Haushalten betreffen, dürfen nur als ultima ratio und unter den oben genannten Bedingungen durchgeführt werden. Die Leitlinien verweisen an einer Reihe von Stellen auf diese menschenrechtlichen Grenzen für erzwungene Räumungen.34 Bei der Frage, wie der Gaststaat der Investition sicherstellen soll, dass groß angelegte Investitionsprojekte (large-scale transactions) nicht gegen die genannten Men30

Ebda. Prinzip 3 A 1.2 der Leitlinien.: „They should protect tenure right holders against the arbitrary loss of their tenure rights, including forced evictions that are inconsistent with their existing obligations under national and international law.“ 32 United Nations, Economic and Social Council (EcoSoc), 1997: General Comment No. 7 – The right to adequate housing (art. 11.1), UN Doc. E/1998/22, annex IV vom 20. 05. 1997, Paragraph 8 – 13. 33 Der einschlägige Menschenrechtsstandard zu Zwangsräumungen wird konkretisiert in: Implementation of General Assembly Resolution 60/251 of 15 March 2006, Report of the Special Rapporteur on Adequate Housing as a Component of the Right to an Adequate Standard of Living, Miloon Kothari, UN Doc. A/HRC/4/18 vom 05. 02. 2007. 34 Prinzipien 4.4, 7.6, 10.6, 16.7, 16.8, 16.9 der Leitlinien. 31

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schenrechte verstoßen, verlangen die Leitlinien die Beauftragung von unabhängigen Menschenrechts- und Umweltverträglichkeitsprüfungen durch die staatlichen Behörden.35 In Betracht kommen hier verschiedene frühzeitige Stellungnahmen zum Projektvorhaben von wissenschaftlicher oder zivilgesellschaftlicher Seite. Ob die staatlichen Behörden selbst als „unabhängig“ im Sinne der Leitlinie anzusehen sind, bleibt als Verhandlungskompromiss an dieser Stelle bewusst unklar. Auf die Aufnahme dieses Passus hatten in der letzten Verhandlungsrunde die Vertreter der Zivilgesellschaft gedrungen. Unter dem Blickwinkel des Problems des Staatsversagens und der Korruption erscheint es sinnvoll, in der Planungsphase für Großvorhaben auch externe Expertise einzubinden, die an dem Investitionsvorhaben selbst ökonomisch nicht beteiligt ist. II. Menschenrechtliche Pflichten von Unternehmen und ihren Heimatstaaten Die Leitlinien wenden sich auch direkt an private Investoren. Unter den allgemeinen Prinzipien der Konvention werden die Verantwortlichkeiten von nicht-staatlichen Akteuren und Unternehmen angesprochen: „Non-state actors including business enterprises have a responsibility to respect human rights and legitimate tenure rights. Business enterprises should act with due diligence to avoid infringing on the human rights and legitimate tenure rights of others. They should include appropriate risk management systems to prevent and address adverse impacts on human rights and legitimate tenure rights. Business enterprises should provide for and cooperate in non-judicial mechanisms to provide remedy, including effective operational-level grievance mechanisms, where appropriate, where they have caused or contributed to adverse impacts on human rights and legitimate tenure rights […]“36

Mit dieser Bestimmung zu den nicht-staatlichen Akteuren übernehmen die Leitlinien nicht zufällig bis in den Wortlaut hinein die vom UN-Menschenrechtsrat angenommenen Guiding Principles on Business and Human Rights des UN Special Representative John Ruggie zu diesem Thema.37 Dort hatte der Special Representative klargestellt, dass aus seiner Sicht Unternehmen nicht direkt völkerrechtlich an menschenrechtliche Verpflichtungen gebunden seien, ihnen aber die Verantwortung (responsibility) zukäme, Menschenrechte zu achten. Eine solche Verantwortung schließt nach den Leitlinien eine Sorgfaltspflicht (due diligence) der Unternehmen zur Vermeidung von möglichen Beeinträchtigungen von Menschen- und Landrechten mit ein. Wenn es trotzdem zu Menschen- oder Landrechtsverletzungen kommt, an denen Unternehmen beteiligt sind, sollen die Unternehmen Beschwerde und Ab35

Prinzip 12.10 der Leitlinien. Prinzip 3.2 der Leitlinien. 37 Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and other Business Enterprises, John Ruggie, Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the UN „Protect, Respect and Remedy“ Framework, UN Doc. A/HRC/17/31 vom 21. 03. 2011, Annex, II. A. 11 – 13. 36

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hilfemechanismen bereitstellen bzw. mit solchen Mechanismen kooperieren. In der expliziten Einbeziehung von Landrechten (tenure rights) in diese Verantwortlichkeiten von Unternehmen gehen die Leitlinien über die Ruggie-Principles insofern hinaus, als letztere sich ausschließlich auf Menschenrechte beziehen. Abgesehen von dieser Erweiterung stimmen die Leitlinien aber im Blick auf die Pflichten von Unternehmen mit dem derzeitigen Standard des UN-Menschenrechtsrates überein. Wo die Leitlinien allerdings über die Ruggie-Principles des Menschenrechtsrates hinausgehen, ist der Bereich der menschenrechtlichen Verpflichtungen des Heimatstaates der Investition. Die Frage, ob und in welchem Ausmaß Heimatstaaten von multinationalen Konzernen aus Menschenrechtsverträgen verpflichtet sind, Schutzmaßnahmen gegenüber der ausländischen Bevölkerung zu ergreifen, deren Menschenrechte von den eigenen Unternehmen bedroht werden, ist völkerrechtlich umstritten.38 Als weitgehend anerkannt dürfte in diesem Zusammenhang gelten, dass der Heimatstaat keinen aktiven Beitrag zu einer Menschenrechtsverletzung des Gaststaates leisten darf. Es ist schließlich zunächst der Gaststaat, der eine Menschenrechtsverletzung begeht, wenn er der Beeinträchtigung von Menschenrechten der eigenen Bevölkerung durch ausländische Unternehmen auf dem eigenen Territorium keinen Einhalt gebietet oder diese sogar mit fördert. Für den Heimatstaat des Unternehmens besteht in einem solchen Fall aus dem völkerrechtlichen Beihilfeverbot eine (indirekte) menschenrechtliche Verpflichtung, diese Menschenrechtsverletzung nicht durch die Unterstützung des Unternehmens zu fördern (z. B. durch staatliche Exportsicherungsgarantien oder ähnliche Instrumente der Außenwirtschaftsförderung). Teilweise wird zudem in der Literatur und von der Zivilgesellschaft vertreten, dass der Gaststaat eine eigene direkte Verpflichtung aus den Menschenrechtsverträgen hat, ausländische Staatsbürger vor Übergriffen seiner Unternehmen zu schützen (sog. extraterritoriale Schutzpflicht).39 John Ruggie hatte sich in dieser Frage in den Guiding Principles nur sehr zurückhaltend geäußert und bewusst keine Rechtspflichten des Heimatstaates im Blick auf 38

Zum Problem der extraterritorialen Schutzpflicht: von Bernstorff, Die Völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, Unternehmensbezogene menschenrechtliche Schutzpflichten in der völkerrechtlichen Spruchpraxis, INEF Forschungsreihe Menschenrechte, Unternehmensverantwortung und Nachhaltige Entwicklung 05/2010, . 39 Für einen solchen Ansatz: Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights vom 22. – 26. 01. 1997, ; Sornarajah, The International Law on Foreign Investment, 2004, 169; Coomans, Some Remarks on the Extraterritorial Application of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 9 HRQ 2004, 156 (193); Künnemann, Extraterritorial Application of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Coomans/Kaminga (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004, 83 (219 f.); Sepúlveda, The Obligation of ,International Assistance and Cooperation‘ under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights – a Possible Entry Point to a Human Rights Based Approach to Millenium Development Goal 8, 13 IJHR 2009, 86 (91).

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auswärtiges Handeln einheimischer Konzerne angenommen, wie das folgende Zitat aus den Guiding Principles deutlich macht: „States should set out clearly the expectation that all business enterprises domiciled in their territory and/or jurisdiction respect human rights throughout their operations.“40

Es ist hier von staatlichen Erwartungen (expectations) gegenüber den im Ausland operierenden Unternehmen die Rede und eben nicht von einer rechtlichen Regulierungspflicht des Heimatstaates. John Ruggie hat in seinem Kommentar zu den Guiding Principles deutlich gemacht, dass er nicht von einer menschenrechtlich begründeten Rechtspflicht des Heimatstaates ausgeht, das Verhalten der eigenen Konzerne im Ausland zu regulieren.41 Gleichzeitig spricht Ruggie den Heimatstaaten aber eine politische Rolle in der Prävention von Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch unternehmerische Aktivitäten im Ausland zu, und zwar insbesondere dann, wenn es sich wie häufig im Kontext des Land-Grabbing um staatliche Unternehmen handelt. Die von John Ruggie in den Guiding Principles in diesem Zusammenhang verwendeten vorsichtigen Formulierungen werden in den Leitlinien wieder aufgegriffen: „Where transnational corporations are involved, their home States have roles to play in assisting both those corporations and host States to ensure that businesses are not involved in abuse of human rights and legitimate tenure rights. States should take additional steps to protect against abuses of human rights and legitimate tenure rights by business enterprises that are owned or controlled by the State, or that receive substantial support and service from State agencies.“42

Das Investitionskapitel geht in der Leitlinie 12.15. sogar noch einen Schritt weiter. Hier wird die Existenz von Rechtspflichten der Heimatstaaten im Blick auf unternehmerisches Handeln im Ausland zum ersten Mal in einem von Staaten ausgehandelten UN-Dokument explizit anerkannt: „When States invest or promote investments abroad, they should ensure that their conduct is consistent with the protection of legitimate tenure rights, the promotion of food security and their existing obligations under national and international law, and with due regard to voluntary commitments under applicable regional and international instruments.“43

Auch wenn die dogmatische Grundlegung solcher Verpflichtungen offen gelassen wird (Herleitung nur über Beihilfeverbot oder zusätzlich auch über extraterritoriale Schutzpflichten?), erkennen die Leitlinien an dieser Stelle grundsätzlich an, dass Verpflichtungen der Heimatstaaten aus Menschenrechtsverträgen im Blick auf das 40

Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the UN „Protect, Respect and Remedy“ Framework, UN Doc. A/HRC/17/31 vom 21. 03. 2011, Annex, I. A. 2. 41 „At present States are not generally required under international human rights law to regulate the extraterritorial activities of businesses domiciled in their territory and/or jurisdiction. Nor are they generally prohibited from doing so, provided there is a recognized jurisdictional basis“, zitiert aus: Guiding Principles (Fn. 39), Annex, I. A. 2., Commentary. 42 Prinzip 3.2 der Leitlinien; die Fundstellen für die vergleichbare Sprache bei den Guiding Principles sind: Guiding Principles (Fn. 39), Annex, B.4. und B.7.d., Commentary. 43 Prinzip 12.15 der Leitlinien.

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Verhalten von staatlichen und privaten Unternehmen im Ausland bestehen. Dies gilt nach der Formulierung nicht nur für den Staat als Unternehmer, sondern eben gerade auch dann, wenn der Staat die Auslandsaktivitäten privater Unternehmen unterstützt. Diese von der Afrikanischen Gruppe in die Verhandlungen eingebrachte Formulierung wird sicherlich in Zukunft von den Autoren aufgegriffen werden, die für die Anerkennung von bestehenden menschenrechtlichen Verpflichtungen der Heimatstaaten bei der Exportförderung gestritten haben. Die Leitlinien haben hier mit der Legitimität eines zwischenstaatlich ausgehandelten Konsensdokumentes menschenrechtliches Neuland betreten. Für den Kontext des Land-Grabbing bedeutet diese Leitlinie, dass die Heimatstaaten einer Investition sicherstellen müssen, dass ein staatlich geförderter Kauf- oder Pachtvertrag im Ausland nicht gegen Menschen- oder Landrechte der ausländischen Landbevölkerung verstößt. Es bedarf damit einer staatlich veranlassten Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung, die die Frage der bestehenden informellen und formellen Landrechte Dritter miteinschließt. Dies ist die ex-ante Perspektive. Aber auch wenn die Investition bereits getätigt wurde und es in der Umsetzung zu Konflikten zwischen den Interessen des Investors und menschenrechtlich gebotenen Regulierungsmaßnahmen des Gaststaates kommt, müssen die menschenrechtlichen Verpflichtungen in völkerrechtlichen Streitbeilegungsverfahren beachtet werden. Sie treten nicht hinter den völkerrechtlich oder privatrechtlich abgesicherten ökonomischen Interessen des Investors zurück.44

E. Die Leitlinien als Menschenrechtsstandard zum Land-Grabbing? Um nach Eibe Riedel von einem Menschenrechtsstandard sprechen zu können, müßte es sich bei der zumindest teilweise unverbindlichen Normsetzung um „einen Maßstab für faktisches Verhalten“ handeln.45 Das Leitlinienprojekt hebt die Regulierungsverantwortung der staatlichen Verwaltung im Bereich des Land-Grabbing nicht nur unmissverständlich hervor, sondern formuliert hierzu auch konkrete Handlungsmaximen und praktische Hilfestellungen. Gleichzeitig machen die Leitlinien die unterschiedlichen menschenrechtlichen Verpflichtungen, die die meisten Staaten im Blick auf ausländische Investitionen in Land durch das Völkervertragsrecht übernommen haben, gebündelt deutlich. Dabei beziehen sie sich auf eine größere Anzahl von anderen nichtverbindlichen UN-Dokumenten, die ihrerseits aber für sich in Anspruch nehmen Konkretisierungen von bestehenden vertraglichen Menschenrechtsverpflichtungen zu sein (Riedelscher Kombinationsstandard). In einem 44

Vgl. Simma/Kill, Harmonizing Investment Protection and Human Rights: First Steps Towards a Methodology, in: Binder/Kriebaum/Reinisch (Hrsg.), International Investment Law for the 21st Century: Essays in Honour of Christoph Schreuer, 2009, S. 678 – 707. 45 Riedel (Fn. 1), 312.

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rekursiven Prozess reiht sich damit in UN-Dokumenten Interpretation an Interpretation, denn jeder Bezug auf alten Text in einem neuen lebensweltlichen Zusammenhang ist ein neuer Interpretationsakt, der mit einer kontextuell bedingten Bedeutungserweiterung der Norm einhergeht. Die hohen Regulierungsanforderungen, die die UN-Leitlinien aufstellen, sind also zu einem großen Teil neu konkretisierte menschenrechtliche Verpflichtungen der Staaten und dienen dem Schutz der einheimischen Bevölkerung. Wie Eibe Riedel durch den Standardbegriff verdeutlicht hat, relativiert sich hierdurch auch der nichtbindende Charakter der Leitlinien erheblich. Denn „hinter“ den unverbindlichen Handlungsanforderungen stehen vielfach bindende Verpflichtungen des jeweiligen Staates, die in dem Normierungsprojekt „inkorporiert“ werden.46 Der gewählte Menschenrechtsansatz „härtet“ aber nicht nur bestimmte Normen der Leitlinien, sondern erhöht zugleich seine Anschlussfähigkeit im zivilgesellschaftlichen Diskurs, der in der internationalen Politik in den letzten 30 Jahren zu einem Menschenrechtsdiskurs geworden ist. Was der Menschenrechtsansatz dagegen nur begrenzt leisten kann, ist die Einforderung von strukturellen makroökonomischen Änderungen, die den errichteten globalen Markt für Agrarland als solchen in Frage stellen. Markt und Menschenrechte sind konzeptionell grundsätzlich kompatibel. Die kollektive Bewirtschaftung der sog. commons als mögliche Alternative zu individualisierten Eigentums- und Pachtformen spielt daher auch nur eine untergeordnete Rolle in den Leitlinien, auch wenn dieses alternative Ordnungsmodell von ihnen nicht ausgeschlossen wird.47 Ebenso wenig adressieren die Leitlinien die strukturellen politischen Entscheidungen, die einen unregulierten globalisierten Markt für Agrarflächen in den Entwicklungsländern erst hervorgebracht haben. Deswegen greifen viele Vertreter der Zivilgesellschaft neben den Menschenrechten auch auf das Food-Sovereignty-Konzept zurück. Es ist wohl ebenfalls dem Konsenscharakter des Dokuments geschuldet, dass keine klaren Hektar-Obergrenzen oder Laufzeitgrenzen (z. B. max. Pacht für 30 Jahre) für ausländische Investitionen in Land in die Leitlinien aufgenommen wurden. Anforderungen in diesem Bereich bleiben vage und werden im Blick auf die umstrittenen Großprojekte in der Regel prozeduralisiert.48 Ein Menschenrechtsstandard zeichnet sich zudem dadurch aus, dass er zu progressive development des Völkerrechts beitragen kann und sich gegebenenfalls als Interpretationshilfe bei der Auslegung von Völkerrechtsnormen eignet.49 Insbesondere für die sich überschneidenden Normbereiche des internationalen Wirtschaftsrechts und des Menschenrechtsschutzes bei Investitionen in Land bieten die Leitli46

Riedel (Fn. 2), 81 – 84. Siehe Prinzipien 8.3, 8.4 der Leitlinien. 48 Der Wert der prozeduralen Ausgestaltung von Genehmigungserfordernissen, einschließlich der Beteiligung von Parlamenten, unabhängigen Stellen und vor allem der betroffenen Bevölkerung in der Planungsphase sollte allerdings nicht unterschätzt werden. 49 Riedel (Fn. 2), 81 – 84. 47

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nien wie oben aufgezeigt neue Ansätze für die Weiterentwicklung und Interpretation bestehender völkerrechtlicher Standards. Ob den dynamischen – und für die betroffenen lokalen Bevölkerungen nicht selten verheerenden – globalen Marktkräften mit dem neuen Standard ein in der Praxis wirksames menschenrechtliches Regulativ zur Seite gestellt wurde, bleibt allerdings abzuwarten.

Architektonisches und archäologisches Kulturerbe in europa- und völkerrechtlicher Sicht Von Christian Starck

A. Kulturgüter und Geschichte Die Menschen der Gegenwart erleben die Geschichte ihrer Nation zugleich in großen supranationalen Zusammenhängen sichtbar in Kulturgütern aller Art. Vor allem Werke der Baukunst (z. B. das Aquädukt von Segovia, der Petersdom in Rom, das Bremer Rathaus) machen jedermann, der mit offenen Augen durch die Städte geht, historische Etappen der Nationen sichtbar. Hinzu kommen Werke der Skulptur, der Malerei, der Literatur und der Musik. Nicht nur einzelne Werke der Kultur, sondern auch Gruppen verschiedener Gebäude und ganze Innenstädte als solche sind Kulturgüter. Kulturgüter werden seit der Barockzeit in Museen gesammelt und ausgestellt. Theater und Konzertsäle stehen zur Verfügung, um Werke der Dichtkunst und der Musik aufzuführen. Gebäude werden gepflegt und restauriert. Die Staaten haben aus der monarchischen Zeit bedeutende Kunstsammlungen übernommen, ausgebaut, inhaltlich erweitert und gepflegt (Britisches Museum, Berliner Museumsinsel, Louvre, Prado).1 Die Staaten und Städte haben dafür Finanzmittel in ihren Budgets vorgesehen. Pflege und Schutz der Kulturgüter ist primär Aufgabe der Nationalstaaten (vgl. z. B. Art. 9 Abs. 2 Ital. Verf., Art. 9 lit. e Portug. Verf., Art. 46, 132 Abs. 3 Span. Verf., Art. 5 Abs. 1 Slowen. Verf.). In Bundesstaaten besteht für den Kulturgüterschutz zumeist die Zuständigkeit der Gliedstaaten (z. B. Art. 3, 141 Abs. 2 Bayer. Verf., Art. 62 Hess. Verf., Art. 6 Nieders. Verf., Art. 36 Sachs.-Anh. Verf.)2 mit gewissen finanziellen Einflussmöglichkeiten des Bundes. Die Staaten schützen ihr Kulturgut gegen Abwanderung (Gesetzgebungskompetenz des Bundes Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 a GG).3 Daran wird die primäre Zuständigkeit der Nationalstaaten oder ihrer 1 Vgl. Hammer, Zur Geschichte des rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzes, in: Fechner/Oppermann/Prott (Hrsg.), Prinzipien des Kulturgüterschutzes, 1996, 47 ff.; Odendahl, Kulturgüterschutz, 2005, 7 – 54. 2 Häberle, Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat, 1980. 3 Gesetz zum Schutze deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 06. 08. 1955 (BGBl. I, 501) i. d. F. vom 08. 07. 1999 (BGBl. I, 2754), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. 05. 2007 (BGBl. I, 575). Vgl. Heintzen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rdnrn. 55 f. m.w.N.

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Untergliederungen sichtbar. Die großen Museen vor allem in Europa zeigen, dass im 19. Jahrhundert in Griechenland und im Nahen Osten europäische Ausgräber tätig waren, die archäologische Kulturgüter in großer Menge nach Europa brachten, die in den prestigereichen Museen aufgestellt wurden und die Herkunft der europäischen Kultur sichtbar machten und uns Heutigen sichtbar machen. Intensiviert wurde der Kulturgüterschutz in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, in dem eine Unzahl von Kulturgütern, nicht nur baulicher Art, vernichtet worden sind. Der Schutz begann durch den Europarat im Jahre 1954, als das Europäische Kulturabkommen verabschiedet worden ist. Seit den 1970er Jahren tritt erneut und verstärkt Kulturgüterschutz im Europa- und Völkerrecht in Erscheinung. Dies machte sich besonders durch die von dem Europarat im Jahre 1975 erlassene Europäische Denkmalschutz-Charta bemerkbar. Diese war Auslöser für verschiedene Denkmalschutzgesetze der deutschen Länder.4 Im Recht der Europäischen Gemeinschaft/Union geht es um verschiedenartige Hilfen, auch finanzieller Art, für die Nationalstaaten anknüpfend an die europäische Bedeutung vieler Kulturgüter. Der völkerrechtliche Schutz außerhalb des Kriegsrechts, das hier nicht behandelt werden kann, ist ein Schutz durch Aufmerksamkeit, die in förmlichen Verfahren geschaffen und gewissermaßen „verliehen“ wird, um staatliche und unionale Finanzen auf die Erhaltung des entsprechenden Kulturgutes zu lenken.

B. Kulturgüterschutz durch regionales Völkerrecht und Unionsrecht I. Europarat Das schon erwähnte Europäische Kulturabkommen vom 19. Dezember 19545 verpflichtet die Mitgliedstaaten des Europarates, das gemeinsame kulturelle Erbe, soweit es architektonisches Erbe ist, zu schützen und seine Weiterentwicklung zu fördern. Das Londoner Übereinkommen von 1969 zum Schutze archäologischen Kulturgutes6 nimmt sich einer besonders gefährdeten Art von Kulturgütern an: Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich zu im einzelnen aufgezählten Schutzmaßnahmen; angesprochen wird aber auch – freilich noch mittelbar – die Gemeinschaft der Staaten. So heißt es schon in Art. 5 des zitierten Abkommens von 1954: „Jede Vertragspartei betrachtet die europäischen Kulturgüter, die sich unter ihrer Kontrolle befinden, als Bestandteile des gemeinsamen europäischen kulturellen Erbes.“ Die Europäische Denkmalschutz-Charta vom 26. September 1975 definiert das architektonische Erbe über die Baudenkmäler hinausgehend. Es erstreckt sich 4 Vgl. z. B. das inzwischen mehrfach geänderte Nieders. Denkmalschutzgesetz vom 30. 05. 1978 (GVBl., 517). 5 BGBl. II 1955, 1128. 6 Vom 06. 05. 1969 (BGBl. II 1974, 1286).

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auch auf die Ensembles von Städten und Dörfern mit ihrer natürlich gewachsenen oder gebauten Umgebung. Der Schutz wird damit begründet, dass das architektonische Erbe ein geistiges, kulturelles, wirtschaftliches und soziales Kapital von unersetzlichem Wert sei, dem ein hoher Bildungswert zukomme, weil es in seinem Formenreichtum hervorragendes Anschauungs- und Vergleichsmaterial sei. Die Gefahren für das architektonische Erbe werden gesehen in der natürlichen Alterung, in Unwissenheit und Vernachlässigung. Gefordert wird „erhaltende Erneuerung“ unter Einsatz im einzelnen beschriebener rechtlicher, administrativer, finanzieller und technischer Mittel. Was die finanziellen Mittel anbelangt, sind damit Zuschüsse und steuerliche Vergünstigungen gemeint, die die Mitgliedstaaten zu gewähren haben. Ähnliche Passagen findet man in den Konventionen zum Schutze des architektonischen Erbes (Granada 1985)7, zum Schutze des archäologischen Erbes (La Valetta 1992), zum Schutze der Landschaft (Florenz 2000)8 und in weiteren Konventionen und Entschließungen. II. Europäische Union Über die Nationalstaaten hinaus gibt es im Rahmen der Europäischen Union Bemühungen zur Verhinderung illegalen Handels mit Kulturgütern und zum Schutz des architektonischen und archäologischen Erbes Europas,9 was hier nicht näher erörtert werden kann. Gemäß Art. 167 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wird diese unter anderem tätig auf den Gebieten der Verbesserung der Kenntnis und der Verbreitung der Kultur und der Geschichte der europäischen Völker und vor allem der Erhaltung und des Schutzes des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung. Abs. 5 des zitierten Artikels sieht Fördermaßnahmen für die genannten Ziele vor. Art. 167 AEUV hat eine Vorgeschichte. Auf Grund von Entschließungen des Europäischen Parlaments zum Schutze des europäischen Kulturgutes in den Jahren 1974 und 197610 setzten kulturpolitische Tätigkeiten der Kommission ein, wozu auch die Erhaltung von Kulturdenkmälern gehörte. Diese Aktivitäten, die einer ordentlichen Kompetenzgrundlage entbehrten und auf eine zweifelhafte „Fondskompetenz“ gestützt wurden, wurden in den 80er Jahren auf Initiative des Europäischen Parlaments verstärkt.11 Zu nennen sind Entschließungen zur Erhaltung des architektonischen und archäologischen Erbes vom 14. 9. 198212 und vom 15. 12. 1988,13 auf 7

Vom 03. 10. 1985 (BGBl. I 1987, 624). Vom 20. 10. 2000, nicht im BGBl. veröffentlicht. 9 Art. 36 AEUV, Verordnung über die Ausfuhr von Kulturgütern vom 09. 12. 1992 Nr. 3911/92 (ABl. 1992 L 395); vgl. dazu Schwarze, Der Schutz nationalen Kulturgutes im europäischen Binnenmarkt, JZ 1994, 111 (115). 10 Vom 13. 05. 1974, ABl. 1974 C 62, 5; ABl. 1976 C 79, 6. 11 Vgl. die Angaben bei Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, in: Benda/ Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1995, 1275. 12 ABl. 1982 C 267. 8

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deren Grundlage Pilotprojekte gefördert wurden. Es handelte sich im Jahre 1992 um 44 Restaurationsprojekte, u. a. der Akropolis in Athen, der Klöster auf dem Berg Athos, der Universität in Coimbra. Im Laufe der Zeit schuf die Kommission ein Kulturkonzept, das der Rat 1992 als Leitlinie für ein Kulturkonzept der Gemeinschaft annahm.14 Soweit die Finanzmittel dazu beitrugen, den Verfall von architektonischem und archäologischem Kulturerbe aufzuhalten, kann man keinen unzulässigen politischen Einfluss der Union auf das Kulturgeschehen in den geförderten Mitgliedstaaten konstatieren. Das wird in anderen Bereichen der Kulturförderung anders zu beurteilen gewesen sein. Der Kompetenzmangel der damaligen Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Kultur wurde beseitigt durch den in den Vertrag von Maastricht eingeführten Art. 128, der im Vertrag von Amsterdam zu Art. 151 wurde, dem unmittelbaren Vorgänger des jetzt geltenden Art. 167 AEUV. Art. 167 AEUV enthält mehrere auseinander liegende kulturpolitische Ziele, die unter dem Vorbehalt stehen, dass der Beitrag der Union zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten die nationale und regionale Vielfalt bei gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes wahren soll. Diesem Passus liegt eine Realität zugrunde, die Voraussetzung der europäischen Einigung ist. So wie wir auf dem Gebiete des Rechts Rechtsgrundsätze gemeinsam haben, die die nationalen Rechtsordnungen prägen und so etwas wie die Europäische Union überhaupt erst ermöglichen,15 so beobachten wir Entsprechendes auf dem Gebiete der Baukunst, der Malerei, der Dichtung und anderen Gebieten der Kultur, wozu auch das Recht gehört. Schon bezüglich der Vorgänger des Art. 167 AEUV ist deutlich gemacht worden, dass keine allgemeine Kulturkompetenz der Union begründet worden ist.16 Zuständig für die Maßnahmen der Erhaltung der Kulturgüter, ihrer Aufbewahrung und Ausstellung in Museen usf. sind primär die Mitgliedstaaten; die ergänzende Zuständigkeit der Union soll helfen und anregen, dass sich die Mitgliedstaaten um ihr kulturelles Erbe kümmern, aber nicht harmonisieren.17 Die Kulturpolitik der Union soll unterstützen, koordinieren und ergänzen, wie es in Art. 6 AEUV heißt, und muss die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten achten (Art. 4 Abs. 2 EUV). Die hier interessierenden Förderziele sind die Verbesserung der Kenntnis und Verbreitung der Kultur und Geschichte der europäischen Völker sowie Erhaltung und Schutz des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung, worauf es in den folgenden Zeilen besonders ankommt. Trotz der europäischen Bedeutung handelt es sich 13

ABl. 1988 C 309. Vom 12. 11. 1992, ABl. 1992 C 336, 1 f. 15 Starck, Die europäischen Institutionen und die Nationalstaaten – Die Rechtskultur im Bau Europas, in: Pitschas/Uhle/Aulehner (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik: Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, 2007, 179 ff. 16 Dazu und zum Folgenden vgl. Fechner, in: Bardenhewer-Rating/Grill/Jakob/Wölker (Schriftleitung): Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2004, 1097 ff. mit ausführlichen weiteren Hinweisen. 17 Blanke, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV Kommentar, 3. Aufl. 2007, Art. 151 Rdnr. 1; Kotzur, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Aufl. 2010, 2031 f. 14

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immer noch um nationale Kultur, weshalb Fördermaßnahmen die nationale Kultur nicht überlagern oder gar verfremden dürfen.18 Art. 167 Abs. 5 AEUV sieht vor, dass das Europäische Parlament und der Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Ausschusses der Regionen Fördermaßnahmen unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erlassen. Unter den zahlreichen Beschlüssen sticht das Programm „Kultur 2000“ hervor,19 das für den Zeitraum bis 2004 aufgelegt und mit EUR 167 Mio. finanziert worden war.20 In der Präambel wird, wie nicht anders zu erwarten, in Nr. 6 die Wahrung der nationalen und regionalen Vielfalt bei gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes betont. Gemeint ist das kulturelle Erbe von europäischer Dimension (Nr. 8). In der Beschreibung der vielfältigen Maßnahmen und Durchführungsmodalitäten des Programms sind – auf unsere Fragestellung der Bewahrung des kulturellen Erbes bezogen – Veranstaltungen erwähnt,21 durch die Projekte zur Erhaltung und zum Schutz des kulturellen Erbes von herausragender Bedeutung unterstützt werden, die zur Entwicklung und Verbreitung innovativer Konzepte, Methoden und Techniken auf europäischer Ebene beitragen und die die Bezeichnung europäischer Laboratorien verdienen, wobei diese Projekte von den zuständigen Behörden der Teilnehmerstaaten22 zugelassen sein müssen. Die Europäische Union finanziert demnach insoweit nicht unmittelbar die Erhaltung des kulturellen Erbes, sondern die Gewinnung und den Austausch von Wissen und Praxis über den Erhalt und die Restaurierung von Gegenständen des kulturellen Erbes. Was das europäische Erbe von europäischer Bedeutung betrifft, fallen darunter bewegliche und unbewegliche Sachen. Das sind Museen, Sammlungen, Bibliotheken, Archive, das archäologische Erbe, alle Kulturstätten und Landschaften.23 Das Programm ist ausgelaufen. Das Programm „Kultur“ (2007 – 2013) stellt eine Fortsetzung dar24. Der finanzielle Rahmen beträgt EUR 400 Mio. für die Laufzeit des Programms. In der Präambel Nr. 7 ist das neue Programm als Fortsetzung des alten ausgewiesen, das auf Grund der Evaluation gestrafft wird. Gleichwohl sind die Ziele ziemlich weitschweifig umschrieben. Die Zusammenarbeit in Fragen der Erhaltung und des Schutzes des kulturellen Erbes von herausragender Bedeutung taucht nicht mehr ausdrücklich auf. Da aber kulturelle Zusammenarbeit (Art. 3) und sowohl mehrjährige Kooperationsprojekte als auch Kooperationsmaßnahmen (Art. 4) ge18

Fechner (Fn. 16), 1097. Beschluss Nr. 508/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 02. 2000, ABl. EG L 63/1 vom 10. 3. 2000. 20 Vorgänger war das Programm Raphael für das Kulturerbe (1997 und 1999). 21 Beschluss (Fn. 19), Anhang I Nr. I.3.V. 22 Mindestens 3 Mitgliedstaaten gemäß Anhang I Nr. I.1. 23 Beschluss (Fn. 19), Anhang II Nr. 1.c. 24 Beschluss Nr. 1855/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006, ABl. 2006, L 372/1. 19

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nannt werden, dürfte die Fortsetzung der Projekte zur Erhaltung und zum Schutze des kulturellen Erbes, soweit es um innovative Konzepte geht, weiter finanziert werden. Die Initiative „Europäische Kulturhauptstädte“, die seit 1985 besteht, stellt ein Förderprojekt dar, das den ausgewählten Städten Finanzmittel zur Verfügung stellt, mit denen u. a. auch architektonische Kulturgüter restauriert werden können. Den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ verleiht auf Grund eines langwierigen Verfahrens der Ministerrat der Europäischen Union. Die Dotierung beträgt EUR 200.000 bis EUR 1 Mio., aber maximal 60 % der Kosten des Projekts. In dem Programm „Kultur“ werden Preise verliehen, durch die u. a. die Restauration des architektonischen Erbes unterstützt werden kann. Das Europäische Parlament hat sogar gefordert, den Schutz des europäischen Kulturerbes stärker zu berücksichtigen. Eine vollständige Übersicht über die von der Europäischen Gemeinschaft/ Union verausgabten Mittel für den Schutz architektonischer und archäologischer Kulturgüter war nicht zugänglich. 2010 hat die Kommission ein Europäisches Kulturerbe-Siegel kreiert25, das entsprechende mitgliedstaatliche Initiativen aufgreift und die europäische Integration deutlich machen soll. Dieser Plan liegt dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament zur endgültigen Entscheidung vor.26 Die jährlichen Mittel für das KulturerbeSiegel sollen die Kosten der europäischen Expertenjury, der europäischen Öffentlichkeitsarbeit usw. abdecken. Von Beihilfen für die Erhaltung des gesiegelten Kulturerbes ist nicht die Rede.

C. Kulturgüterschutz der UNESCO I. Das Welterbe Im Hinblick darauf, dass Teile des Kulturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteile des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen, und im Hinblick auf die Gefahren, die vielen Kulturgütern durch Zerstörung und Vernachlässigung drohen, hat die Generalkonferenz der UNESCO am 16./23. November 1972 das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes abgeschlossen27. Aus der Gesamtheit der Kulturgüter schützt die Konvention hauptsächlich die im Freien stehenden, weil sie besonders bedroht sind. Die Konvention definiert in Art. 1 drei verschiedene Kategorien von Kulturgütern: (1) Werke der Architektur, der Großplastik und Monumentalmalerei, Objekte oder Überreste archäologischer Art, Inschriften, Höhlen und Verbindungen solcher Erscheinungsformen, die aus geschichtlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Gründen von außergewöhnlichem universellem Wert sind, (2) Gruppen einzelner oder mit einander ver25

Entscheidung vom 09. 03. 2010 – 1P/10/250. Siehe KOM(2010) 76 endg. 27 BGBl. II 1977, Nr. 10. 26

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bundener Gebäude, die wegen ihrer Architektur, ihrer Geschlossenheit oder ihrer Stellung in der Landschaft aus geschichtlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Gründen von außergewöhnlichem Wert sind, (3) Werke von Menschenhand oder gemeinsame Werke von Natur und Mensch sowie Gebiete einschließlich archäologischer Stätten, die aus geschichtlichen, ästhetischen, ethnologischen oder anthropologischen Gründen von außergewöhnlichem universellem Interesse sind. Diese allgemeinen Definitionen sollen nach Art. 11 Abs. 2 und 5 des Übereinkommens genauer spezifiziert werden, und zwar durch das Komitee für das Erbe der Welt (Art. 8 Abs. 1). Dies ist geschehen durch im Internet veröffentlichte Operational Guidelines.28 Diese unterscheiden genauer die verschiedenen Arten des Kulturerbes und ergänzen die Konvention. Außerdem enthalten die Operational Guidelines in Nr. 49 und 77 Konkretisierungen des Begriffs „außergewöhnlicher universeller Wert“, indem sechs Kriterien aufgestellt werden, von denen zumindest eines erfüllt sein muss, um von einem kulturellen Welterbe sprechen zu können. Beispiele solcher Kategorien sind: Objekte, die eine einzigartige künstlerische Leistung darstellen, die während eines Zeitraumes oder in einem Kulturgebiet beträchtlichen Einfluss z. B. auf die Architektur hatten, die einzigartige Zeugnisse einer untergegangenen Kultur sind usf. Das in der Konvention zugleich geschützte Naturerbe hat mehrfach Relevanz für den Kulturgüterschutz, wenn es um den Schutz von Gebäuden in der sie umgebenden Landschaft oder um gemeinsame Werke von Natur und Mensch geht. II. Verfahren des Kulturgüterschutzes Das Verfahren für die Aufnahme eines Kulturgutes im oben definierten Sinne in die Liste des Weltkulturerbes beginnt innerstaatlich damit, dass die definierten Güter in einer Vorschlagliste erfasst und bestimmt werden (Art. 3, 11 Abs. 2), die nicht vollständig sein muss und im Laufe der Zeit ergänzt werden kann. Die Objekte müssen vorgestellt werden. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf ihrem außergewöhnlichen universellen Wert und ihrem Erhaltungszustand sowie die Angaben über den rechtlichen Schutz sowie über die Finanzierung der Denkmalpflege. Das Komitee für das Erbe der Welt (Art. 8 Abs. 1) wird unterstützt durch ein Sekretariat, das der Generaldirektor der UNESCO ernennt, das sich der Hilfe internationaler Denkmalschutzorganisationen bedient (Art. 13 Abs. 7, Art. 14 Abs. 2), die begründete Gutachten und ein Votum abgeben, ob nach dem Kriterienkatalog ein Weltkulturerbe vorliegt. Hierauf erfolgt die Entscheidung des Komitees für das Erbe der Welt über die Aufnahme in die Liste. Eine positive Entscheidung verlangt eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden und mitstimmenden Mitglieder. Das Quorum ist die Mehrheit der Mitglieder des Komitees. Des Weiteren führt das Komitee eine Liste des Welterbes, das sich in Gefahr befindet. Die Voraussetzungen für die Aufnahme in diese Liste finden sich in Art. 11 28

Siehe dazu: .

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Abs. 4 der Konvention. Als Gefahren werden Verfall, Großvorhaben oder rasch vorangetriebene städtebauliche und touristische Entwicklungsvorhaben, Ausbruch bewaffneter Konflikte und Naturkatastrophen genannt. Die Operational Guidelines sehen vor, dass ein Objekt aus der Liste des Weltkulturerbes gestrichen werden kann, wenn seine für die Aufnahme in die Liste wesentlichen Merkmale verloren gehen. Ein Fonds für das Kultur- und Naturerbe der Welt, gespeist aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden (Art. 15), ist nicht sehr leistungsfähig. Die Mittel werden zumeist zur Unterstützung der Pflege von Objekten in Entwicklungsländern ausgegeben. III. Verpflichtungen der Staaten Die Konvention legt fünf Pflichten der Vertragsstaaten zum Schutze ihrer Kulturgüter fest (Art. 5). Ihre Politik müsse (1) darauf gerichtet sein, dem Kulturerbe eine Funktion im öffentlichen Leben zu geben und den Schutz dieses Erbes in erschöpfende Planungen einzubeziehen, (2) in seinem Hoheitsgebiet, sofern Dienststellen für den Schutz und die Erhaltung des Kulturerbes nicht vorhanden sind, müsse der betreffende Staat eine oder mehrere derartige Dienststellen einrichten, die über geeignetes Personal und die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel verfügen, (3) wissenschaftliche und technische Untersuchungen und Forschungen durchführen und Arbeitsmethoden entwickeln, die es ihm ermöglichen, die seinem Kulturerbe drohenden Gefahren zu bekämpfen, (4) geeignete rechtliche, wissenschaftliche, technische, Verwaltungs- und Finanzmaßnahmen treffen, die für Erfassung, Schutz, Erhaltung in Bestand und Wertigkeit sowie Revitalisierung dieses Erbes erforderlich sind und (5) die Errichtung oder den Ausbau nationaler oder regionaler Zentren zur Ausbildung auf dem Gebiete des Schutzes und der Erhaltung des Kulturerbes in Bestand und Wertigkeit fördern und die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich unterstützen. Die hier zitierten Pflichten sind abhängig von den Möglichkeiten und Gegebenheiten des betreffenden Staates (Art. 5). Es handelt sich aber nicht um bloße völkerrechtliche Zielbestimmungen rein politischer Natur. Der für solche Verpflichtungen in Anspruch genommene „effet utile“ bedeutet immerhin, dass Staaten keine Maßnahmen ergreifen dürfen, die den genannten Zielen zuwiderlaufen. Da die Aufnahme eines Kulturgutes in die Liste der Zustimmung des betreffenden Staates bedarf und da die Überreichung der Urkunde über die Aufnahme des Kulturgutes in die Liste mit einer öffentlichen Zeremonie zumeist in Gegenwart hoher Staatsvertreter verbunden ist, ist darin eine Anerkennung der Verpflichtung zu sehen. In den Industriestaaten setzt die Aufnahme in die Liste voraus, dass das Objekt bereits geschützt ist. Zu den Vorteilen, die sich aus der Aufnahme in die Liste ergeben, was gehörig bekannt gemacht wird, gehört das Interesse von Touristen, allgemein auch die Aufmerksamkeit der Bevölkerung und deren Identifikation mit der Geschichte des Landes.

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D. Wirkungen im nationalen Recht Die europa- und völkerrechtlichen Regelungen werden im nationalen Recht beachtet, wenn nicht sogar direkt umgesetzt. Das gilt insbesondere für das Bau- und Planungsrecht, das Recht des Denkmalschutzes und das Steuerrecht. Ist die Konvention zum Schutze des Kulturerbes der Welt über ein Vertragsgesetz oder eine Rechtsverordnung in den Rang von nationalem Recht erhoben worden, ist sie in dem gekennzeichneten Rahmen innerstaatlich verpflichtend. Fehlt es an der Übernahme der Konvention in nationales Recht, verpflichtet doch die Ratifizierung des völkerrechtlichen Vertrages den Vertragsstaat. Die in der Europäischen Union zusammengeschlossenen Staaten sind gekennzeichnet durch eine „offene Staatlichkeit“29, in der staatliche Herrschaft in einem Geflecht von supra- und internationalem Recht steht. Zumeist sind die Ziele der Konvention ohne Schwierigkeiten in Harmonie mit der nationalen Gesetzgebung über Kulturgüterschutz zu bringen. So verlangen z. B. in Deutschland die allgemeinen Bestimmungen über die Bauleitplanung, dass „die Belange der Baukultur, des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege, die erhaltenswerten Ortsteile, Straßen und Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung“ berücksichtigt werden (§ 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB). Die Denkmalschutzgesetze nehmen zumeist ausdrücklich Bezug auf das hier behandelte UNESCO-Übereinkommen. So verlangt § 2 Abs. 3 NdsDenkmSchG, dass in öffentlichen Planungen und bei öffentlichen Baumaßnahmen die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege sowie die Anforderungen des UNESCO-Übereinkommens rechtzeitig und so zu berücksichtigen sind, dass die Kulturdenkmale und das Kulturerbe im Sinne des Übereinkommens erhalten werden und ihre Umgebung angemessen gestaltet wird, soweit nicht andere öffentliche Belange überwiegen. Auch das Bauordnungsrecht nimmt Rücksicht auf Baudenkmale durch ausdrücklich erlaubte Abweichungen von den Abstandsvorschriften (z. B. § 13 Abs. 1 Nr. 2 NdsBauO). Für Eingriffe in die Bürgersphäre im Zusammenhang mit dem Kulturgüterschutz bedarf es jedoch immer einer gesetzlichen Grundlage. Sieht man sich die geltenden Gesetze an, so lassen sich die Ziele der Konvention immer auch dann gegenüber Dritten verwirklichen, wenn sie in den Rahmen der bestehenden Gesetze passen, insbesondere wenn das Gesetz offene Begriffe verwendet. Maßgebend sind insoweit die Baugesetze, die Gesetze über Landesplanung und Raumordnung, die Straßengesetze und die Gesetze über Denkmalschutz. Erwähnung verdient auch das Steuerrecht. So wird in § 32 GrStG die Grundsteuer erlassen für Grundbesitz, dessen Erhaltung wegen seiner Bedeutung für Kunst, Geschichte, Wissenschaft oder Naturschutz im öffentlichen Interesse liegt, wenn die er29 Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964; Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 1992, § 172 Rdnrn. 1 – 7.

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zielten Einnahmen und die sonstigen Vorteile in der Regel unter den jährlichen Kosten liegen. § 10 g Abs. 1 EStG sieht eine Steuervergünstigung für schutzwürdige Kulturgüter vor, die weder zur Einkunftserzielung noch zu eigenen Wohnzwecken genutzt werden. Danach kann der Steuerpflichtige Aufwendungen für Herstellungsund Erhaltungsmaßnahmen an eigenen schutzwürdigen Kulturgütern im Inland, soweit sie öffentliche oder private Zuwendungen oder etwaige aus den Kulturgütern erzielte Einnahmen übersteigen, im Kalenderjahr des Abschlusses dieser Maßnahmen und in den neun folgenden Kalenderjahren jeweils bis zu 9 % als Sonderausgaben abziehen. Steuervergünstigungen sind im Prinzip immer Beihilfen, die als wettbewerbsverfälschend in Art. 107 Abs. 1 AEUV geächtet werden; sie sind ausnahmsweise mit dem Binnenmarkt vereinbar, wenn sie der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes dienen, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft (Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV). Die zitierten deutschen steuerrechtlichen Vorschriften sind so abgefasst, dass sie dem Art. 107 AEUV gerecht werden.

Krieg und Frieden Gedanken zu konkurrierenden Rechtsregimen im Völkerrecht, am Beispiel des Rechts bewaffneter Konflikte Von Michael Bothe Die Interessen des Jubilars sind weit gespannt. Deshalb seien ihm zu seinem 70. Geburtstag Überlegungen gewidmet, wie sich denn verschiedene Rechtsbereiche in der internationalen Ordnung zusammenfügen. Betrachtet man das wissenschaftliche Wirken des Jubilars, so zeigt sich schon auf einen ersten Blick, dass die rechtliche Regelung ganz unterschiedlicher Lebensbereiche unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte ein einheitliches geistiges Band erhält. Von daher widmet er seine Aufmerksamkeit vielen Rechtsbereichen, so auch dem Umweltrecht und dem Recht bewaffneter Konflikte.1 Dies ist ein eindrucksvolles wissenschaftliches Oeuvre, das in seiner Vielschichtigkeit die Frage nach der Einheit in der Vielheit aufwirft. Dazu seien im Folgenden einige grundsätzliche Überlegungen versucht.

A. Ius belli ac pacis – eine historische Dichotomie Der Titel des opus magnum von Grotius „De iure belli ac pacis“2 scheint die Botschaft zu vermitteln, die rechtliche Regelung der internationalen Beziehungen im Krieg und im Frieden seien voneinander deutlich getrennte Rechtsbereiche. Grotius selbst hat diese Teilung nicht als radikal verstanden, argumentierte er doch für eine rechtliche Bindung der Kriegsparteien untereinander.3 Jedenfalls führte nach dem Völkerrecht des 18. und 19. Jahrhunderts der Krieg zu erheblichen Änderungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Kriegsgegnern. Damit verbunden war eine Diskussion um den Kriegsbegriff und den „Kriegszustand“.4 Diese Diskussion wurde als unbefriedigend empfunden, sowohl im Hinblick auf das ius ad bellum (Lehre vom bellum iustum, Kriegsverbot) als auch in Bezug auf das ius in bello. Vertragsrechtlich wurde darum der Kriegsbegriff jedenfalls 1945 verab1

Belegt etwa durch zahlreiche Rezensionen und Artikel in der Encyclopedia of Public International Law. 2 Hugonis Grotii De Iure Belli ac Pacis libri tres, 1. Aufl., 1625. 3 Prolegomena § 25 – 28. 4 Neff, War and the Law of Nations. A General History, 2005, 178 ff.; Kunz, Kriegsbegriff, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 1961, Bd. 2, 329 – 332.

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schiedet, sowohl durch die Satzung der Vereinten Nationen, was das ius ad bellum angeht, als auch durch die Revision der Genfer Konventionen, was das ius in bello angeht. In der Satzung der Vereinten Nationen tritt das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 an die Stelle der Kriegsverbote der Satzung des Völkerbundes und des Briand-Kellogg-Paktes.5 Während die Bestimmungen der Genfer Konventionen von 1929 über ihren Anwendungsbereich auf den „Krieg“ Bezug nehmen, teilweise über einen Verweis auf die Haager Landkriegsordnung,6 sind die Genfer Konventionen von 1949 anwendbar „im Falle eines bewaffneten Konflikts“. Sinn dieser neuen Formulierungen war, den Streit um den Kriegsbegriff irrelevant zu machen. Damit wurde allerdings eine Definitionsproblematik gegen eine andere eingetauscht. Mit dem Verlassen des „klassischen“ Kriegsbegriffs wurde jedenfalls eine strikte Dichotomie zweier unterschiedlicher Rechtsregime ius belli/ius pacis in wesentlichen Punkten verlassen. Grob sprach schon alsbald nach dem 2. Weltkrieg zutreffend von der „Relativity of War and Peace“.7

B. Krieg und Frieden in der Fragmentierung des Völkerrechts Wenn es also keine strikte Dichotomie zwischen Krieg und Frieden gibt, dann ist es konsequent, dass die Existenz eines bewaffneten Konflikts nicht per se zu einer Suspendierung oder gar Aufhebung vertraglicher Pflichten führt.8 Dies hat nunmehr die International Law Commission (ILC) in ihrem Entwurf von Regeln über die Wirkung bewaffneter Konflikte auf völkerrechtliche Verträge klargestellt.9 Das führt dazu, dass die vertraglichen Regeln des humanitären Völkerrechts und die der jeweils fortgeltenden Verträge parallel anwendbar sind. Dieses Nebeneinander verschiedener Rechtsregime ist ein Beispielsfall für die Probleme der Fragmentierung des Völkerrechts. Mit Fragmentierung, der die ILC gleichfalls einen großen Bericht gewidmet hat,10 werden allerdings unterschiedliche Phänomene bezeichnet. Die ILC setzt sich in ihrem Bericht sehr stark mit der Frage „lex generalis/lex specialis“ auseinander.11 Andere wesentliche Erklärungsansätze kommen aus der Regime-Theorie, die feststellt, dass es Systeme der Zusammenarbeit und Rechtsentwicklung gibt, die sich 5 Dörr, Use of Force, Prohibition of, Rdnrn. 7 und 8, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, . 6 Art. 1 der Konvention über Kriegsgefangene von 1929. 7 Grob, The Relativity of War and Peace, 1949. 8 So schon nuancierend Klein, Krieg und völkerrechtliche Verträge, in Strupp/Schlochauer (Fn. 4), 320 (32 f.). 9 Näher siehe unten Anm. 43 und begleitender Text. 10 Fragmentation of International Law: Difficulties arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the International Law Commission, Finalized by Martti Koskenniemi, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. 04. 2006. 11 §§ 46 – 222 des Berichts.

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um bestimmte Probleme und Lebensbereiche bilden.12 Sie erzeugen und sind in den Händen von Fachbruderschaften, „epistemic communities“. Die Fragmentierung des Völkerrechts in diesem Sinne nimmt nur einen Teil der Betrachtungen der ILC ein.13 Die Fragmentierung von Rechtsordnungen ist ein rechtssoziologisches Faktum. Sie ist auch im nationalen Recht zu beobachten, nur gibt es da einen Gesetzgeber, der Widersprüche, die sich aus der Fragmentierung ergeben, überbrücken kann, nicht immer ohne Schwierigkeiten. Das entscheidende Problem ist, inwieweit die genannten epistemic communities selbst-referentiell oder autopoietisch sind. Es gibt sich selbst regulierende Lebensbereiche, die eigene Rechtsordnungen entwickeln und anwenden, und dies relativ unbehelligt vom staatlichen Recht und vom Völkerrecht.14 Selbstreferentielle Gemeinschaften sind Signalen von außen gegenüber verschlossen. Dies ist ein Phänomen, das auch im Völkerrecht zu beobachten ist. Ein Beispiel ist die Schwierigkeit des Kontakts zwischen der epistemic community des humanitären Völkerrechts und der des internationalen Umweltrechts, auf die sogleich zurückzukommen ist. Die Fragmentierung führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen der Vielfalt der Regime und der Forderung nach Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Denn in der Realität gibt es immer Situationen, auf die an sich unterschiedliche Rechtsregime zugleich anwendbar sind. Es muss also Regeln darüber geben, welches Rechtsregime mit welchem Ergebnis in einer Situation anzuwenden ist, in der unterschiedliche Rechtsregime Anwendung finden können, da sich ihre Anwendungsbereiche überlappen. Die Annahme, es könne immer nur ein Rechtsregime in einem bestimmten Fall Anwendung finden, führt zu den klassischen Konfliktregeln von lex specialis und lex posterior. Es ist jedoch überzeugend gezeigt worden, dass dies zu unbefriedigenden Ergebnissen führt.15 Im deutschen Verfassungsrecht werden Fälle, in denen der Schutz unterschiedlicher, widerstreitender Rechtsgüter in einer gegebenen Situation sicher zu stellen wäre, eben nicht nach dem Prinzip des „entweder-oder“ entschieden, wie es sich aus dem Vorrang der lex specialis gegenüber der lex generalis ergeben würde. Es gilt vielmehr das Prinzip der praktischen Konkordanz, wonach möglichst allen betroffenen Rechtsgütern zur Geltung verholfen werden soll. In diesem Sinne haben sich auch im Völkerrecht Bestrebungen entwickelt, Konstruktionen zu finden, die bei einer Überlappung des Anwendungsbereichs unterschiedlicher Rechtsregime nicht allein das Ausschlussprinzip zur Wirkung kommen lassen wollen, sondern nach einer sinnvollen Anwendung aller in Frage kommenden Rechtsregime suchen. Das ist der Sache nach ähnlich wie der Gedanke der praktischen Konkordanz. In völkerrechtlichen Diskursen wird hierfür ver12

Bradford, Regime theory, in: Max Planck Encyclopedia (Fn. 5). Über sog. self-contained regimes §§ 123 – 190 des Berichts; zum Prinzip der „systemic integration“ §§ 410 – 480. 14 Teubner/Fischer-Lescano, Regime Collisions: The Vain Search for Legal Unity in the Fragmentation of Global Law, Michigan Journal of International Law 25 (2004), 999. 15 Matz, Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge, 2005, 3, 333 ff. 13

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mehrt der Begriff „mutual supportiveness“ verwandt.16 Andere Begriffe sind „harmonization“, „presumption against conflicts“, „systemic integration“.17 Das Recht bewaffneter Konflikte, vertraglich schwerpunktmäßig geregelt in den Genfer Konventionen und ihren Zusatzprotokollen, ist ein Regime in dem genannten Sinn. Es hat eine eigene epistemic community. Im Folgenden sollen vier Fragenkomplexe des Verhältnisses zwischen dem Recht bewaffneter Konflikte und anderen Rechtsbereichen behandelt werden, die teilweise wieder in besondere Rechtsregime unterteilt sind, die sich um Verträge oder bestimmte Organisationen kristallisiert haben: *

Menschenrechte,

*

Umweltschutz,

*

Internationaler Handel,

*

Internationale Organisationen.

C. Recht bewaffneter Konflikte und Menschenrechte Dass sich die Anwendungsbereiche der Vertragsregime des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes und des Rechts bewaffneter Konflikte überschneiden können, ist eigentlich nicht mehr zu bestreiten, insbesondere nach der einschlägigen Rechtsprechung des IGH.18 Dennoch steht die parallele Anwendung beider Rechtsregime immer noch nicht völlig außer Streit. Die Lösung in konkreten Fällen bereitet nach wie vor Probleme. Angesichts dessen lohnt es sich, einen Blick auf die historische Entwicklung des Problems zu werfen. Das moderne Völkerrecht der bewaffneten Konflikte hat im Grunde eine doppelte ratio: Sicherung der Interessen der Konfliktparteien durch militärisch vertretbare Schadensminderung und Wahrung der Menschlichkeit. Der zentrale Grundsatz dieses Rechtsbereichs, das Prinzip der Unterscheidung zwischen einem militärischen Bereich (der kämpfen und bekämpft werden darf) und einem zivilen (der nicht kämpfen und nicht bekämpft werden darf) hat seine Wurzeln im Gedankengut der Aufklärung. Er ist in immer noch lesenswerter Weise formuliert im „Contrat social“ von Jean-Jacques Rousseau:19 16

Pavoni, Mutual Supportiveness as a Principle of Interpretation and Law-Making: A Watershed for the WTO and Competing Regimes’ Debate?, EJIL 21 (2010), 649. 17 Fragmentation of International Law (Fn. 10), §§ 37 ff., 410 ff. 18 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Gutachten vom 08. 07. 1996, §§ 24 ff.; Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Gutachten vom 09. 07. 2004, §§ 104 ff. 19 Rousseau, Du contrat social ou Principes du droit politique, 1762, elektronische Version unter ; Livre premier, Ch. 1.4.

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„La guerre n’est donc point une relation d’homme à homme, mais une relation d’Etat à Etat, dans laquelle les particuliers ne sont ennemis qu’accidentellement, non point comme hommes, ni même comme citoyen, mais comme soldats […] Même en pleine guerre, un prince juste s’empare bien en pays ennemi, de tout ce qui appartient au public; mais il respecte la personne et les biens des particuliers […] La fin de la guerre étant la destruction de l’Etat ennemi, on a droit d’en tuer les défenseurs tant qu’ils ont les armes à la main ; mais sitôt ils les posent et se rendent, cessant d’être ennemis ou instruments de l’ennemi, ils redeviennent simplement hommes, et on n’a plus de droit sur sa vie. […] [L]a guerre ne donne aucun droit qui ne soit nécessaire à sa fin. Ces principes ne sont pas ceux de Grotius ; ils ne sont pas fondés sur des autorités de poètes ; mais ils dérivent de la nature des choses, et sont fondés sur la raison.“

Das war zu Rousseaus Zeiten allerdings keine reine Theorie, es spiegelte die Praxis der sogenannten Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts. Bemerkenswert ist, dass die praktische Rechtsentwicklung der beiden folgenden Jahrhunderte trotz erheblicher Änderungen der Kriegswirklichkeit an den Prinzipien Rousseaus festgehalten hat. Im 19. und 20. Jahrhundert spiegelt die Entwicklung dieses Rechtsbereichs die Erfahrungen bewaffneter Konflikte, die erste Genfer Konvention 1864 als Reaktion auf Solferino, dann die Konventionen von 1929 und 1949 sowie die Zusatzprotokolle von 1977 als Reaktion auf die Weltkriege und die bewaffneten Konflikte der Nachkriegszeit. Die Entwicklung, die zu den Genfer Konventionen von 1949 führte, hat auch das internationale Strafrecht in den Statuten der Internationalen Militärtribunale von Nürnberg und Tokio hervorgebracht. Wesentliche Triebkraft dieser Entwicklung ist die Skandalisierung wirkmächtiger Akteure der Meinungsbildung angesichts der Leiden von Konfliktopfern. Es ist zwar richtig, dass das Recht der bewaffneten Konflikte dem Interessenausgleich zwischen Staaten dient, insbesondere dem staatlichen Interesse an Schadensminimierung bei Berücksichtigung militärischer Notwendigkeit. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit: Schon die Argumentation von Rousseau war am Schicksal der von einem Konflikt betroffenen Personen ausgerichtet. Die Skandalisierung, die Henri Dunant bewegte, war das Leiden der Opfer, der verwundeten Soldaten auf dem Schlachtfeld. Die politische Entwicklung, die schließlich zu den Protokollen von 1977 führte, stand unter der Überschrift „Human Rights in Armed Conflict“.20 Der Schutz der menschlichen Person ist also seit der Zeit der Aufklärung bis heute ein Leitmotiv der rechtlichen Regelung bewaffneter Konflikte. Auch der Schutz der Menschenrechte stammt aus dem Geist der Aufklärung. Die Quelle der Garantie von Menschenrechten in nationalen Verfassungsrechten, zunächst in Frankreich und den Vereinigten Staaten, war auch eine Skandalisierung: das Aufbegehren gegen fürstliche Entmündigung des Untertanen. Der Schutz der Menschenrechte wurde zunächst als Problem der Beziehung zwischen dem Staat und seinem Bürger gesehen. Seine internationale Dimension geriet erst nach dem 20 Human Rights in Armed Conflicts, Res. XXIII, 12. 05. 1968, International Conference on Human Rights, Teheran; Respect of Human Rights in Armed Conflicts, GA Res. 2444 (XXIII), 19. 12. 1968.

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Ersten Weltkrieg in den Blick. Den Durchbruch des Gedankens eines internationalen Schutzes der Menschenrechte brachten die Reaktionen auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen der diktatorischen Regime der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt die Reaktion auf das nationalsozialistische Deutschland. Dies machte den völkerrechtlichen Schutz der Menschenreche zu einem Kriegsziel der Alliierten21 und führte zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte22 und zu den menschenrechtlichen Verträgen der Nachkriegszeit.23 Diese Verträge verdanken somit ihre Entstehung letztlich der gleichen Skandalisierung, die auch zu den Genfer Konventionen von 1949 führte. Diese Entwicklung legt es nahe, den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz und das Recht bewaffneter Konflikte, für das sich der Begriff „humanitäres Völkerrecht“ durchgesetzt hat, als Geschwister zu sehen. Ihr Verhältnis zueinander als „mutual supportiveness“ zu bestimmen, liegt deshalb nahe. Diese historische Sicht löst allerdings nicht die Frage, wie denn das Verhältnis beider Rechtsbereiche im konkreten Fall zu bestimmen ist.24 Denn beide Rechtsbereiche haben eine durchaus autonome Entwicklung genommen, die durch besondere Verhandlungsgremien, eigene Vertragswerke und besondere Institutionen der Durchsetzung bestimmt ist. Die Lösung ist in zwei Argumentationsschritten zu erreichen: Zum ersten ist in einem konkreten Fall zu fragen, ob sich die Anwendungsbereiche überschneiden. Für die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts ist das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts erforderlich. Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz ist anwendbar, wenn sich die zu schützende Person unter der Hoheitsgewalt (jurisdiction) eines völkerrechtlich verpflichteten Hoheitsträgers befindet. Damit kommen vor allem drei Situationen für die Überlappung der Anwendungsbereiche beider Rechtsgebiete in Betracht: die Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt, die kriegerische Besetzung und das Verhältnis von Staatsmacht und den auf dem Staatsgebiet befindlichen Personen im Falle eines nicht-internationalen Konflikts. In diesen Situationen, das ist der zweite Argumentationsschritt, ist zu fragen, welche Rechtsfolgen sich aus dem einen oder dem anderen Rechtsbereich ergeben und wie sich diese zueinander verhalten. Häufig wird die Lösung in der lex specialis-Regel gesehen, wobei das humanitäre Völkerrecht die besondere Regel sein soll. So klingt auch der IGH.25 Dies ist aber eigentlich eine Verneinung der parallelen Anwendung, die der IGH gerade postuliert. Gemeint ist wohl eher eine Auslegung der menschenrechtlichen Vorschriften im 21 Formuliert zunächst von Großbritannien und den USA in der „Atlantic Charter“ vom August 1941. In der „Declaration by the United Nations“ vom 01. 01. 1942 erkennen alle Alliierten die Grundsätze der Charter an. 22 UNGA Res. 217 A (III), 10. 12. 1948. 23 Beginnend mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 04. 11. 1950. 24 Heintze, Theorien zum Verhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht, HuVI 24 (2011), 4 – 11. 25 Legal Consequences of the Threat or Use of Nuclear Weapons (Fn. 18), § 25.

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Lichte des humanitären Völkerrechts oder auch ein Verweis menschenrechtlicher Normen auf humanitäres Völkerrecht, das die Schranken des menschenrechtlichen Schutzes näher bestimmt.26 Das ist besonders von Bedeutung, wenn es um die Bestimmung der Grenzen der Menschenrechte geht. Denn kein Menschenrecht ist unbegrenzt. Eine weitere Variante der parallelen Anwendung ist das Prinzip des günstigsten Rechts. Ein wesentlicher Effekt der parallelen Anwendung ist, dass dem Opfer der Rechtsverletzung ein Rechtsbehelf zusteht, den es im Rahmen des humanitären Völkerrechts nicht gibt. Die praktische Wirkung und Methodik der parallelen Anwendung beider Rechtsbereiche zeigt sich anschaulich in den Tschetschenien-Fällen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Gerichtshof hat Russland in einer Reihe von Fällen verurteilt. Bei einer Reihe von Fällen ging es um Verletzungen der Konvention, die nicht typisch für bewaffnete Konflikte sind, d. h. innerhalb und außerhalb bewaffneter Konflikte vorkommen (Verschwinden lassen, Folter). Einige Fallkomplexe betrafen jedoch Sachverhalte, die typisch für einen bewaffneten Konflikt sind, nämlich Luftangriffe27 und Erschießungen.28 In diesen Fällen sah das Gericht das Recht auf Leben, garantiert in Art. 2 der Konvention, als verletzt an. Dabei musste es prüfen, welches die Schranken des Rechts auf Leben sind und unter welchen Umständen demgemäß tödlich wirkende Gewalt eben keine Verletzung dieses Rechts darstellt. Solche Gewalt ist zulässig, wenn sie „unbedingt erforderlich“ ist, um „einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen“ (Art. 2 (2)(c)). Bei der Prüfung dieser Frage wendet das Gericht das Verhältnismäßigkeitsprinzip an. In diesem Zusammenhang verlangt das Gericht vom Angreifer „eine Einschätzung und Verhütung von möglichen Schäden für Zivilisten“.29 Offenbar geht das Gericht also davon aus, dass zur Rechtmäßigkeit der Maßnahme die Vermeidung solcher Schäden erforderlich ist. Der Begriff des „Zivilisten“ kommt in der Konvention nicht vor. Der vom Gerichtshof angewandte Maßstab ist genau der, den das humanitäre Völkerrecht vorgibt, was das Gericht aber nicht explizit zitiert. Wenn das Gericht auf diese Weise die Konkretisierung der Schranken des Art. 2 jedenfalls der Sache nach aus dem humanitären Völkerrecht gewinnt, so wird dadurch zugleich ein Rechtsbehelf, nämlich der menschenrechtliche, für die Opfer von Verletzungen des humanitären Völkerrechts eröffnet.

26 Dazu Bothe, Humanitäres Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte, in: Dupuy u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung. Festschrift für Christian Tomuschat, 2006, 63 (78 ff.). 27 Medka Isayeva u. a. gegen Russische Föderation, Urteil vom 24. 02. 2005, Beschwerden Nr. 57947/00, 57948/00, 75949/00 (deutsche Übersetzung EuGRZ 33 (2006, 32); Zara Adamovna Isayeva gegen Russische Föderation, Urteil vom 24. 02. 2005, Beschwerde Nr. 57950/00 (EuGRZ 2006, 33 (41)). 28 Roza Aribovna Asayeva gegen Russische Föderation, Urteil vom 24. 02. 2005, Beschwerde Nr. 57945/00 (EuGRZ 2006, 33 (47)). 29 Medka Isayeva gegen Russische Föderation, § 175; ähnlich Zara AdamoUNa Isayeva gegen Russsische Föderation, §§ 176, 189.

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In all dem zeigt sich die „mutual supportiveness“ zwischen humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten.

D. Recht bewaffneter Konflikte und Umweltschutz Auch die Entwicklung des Verhältnisses von Umweltrecht und Recht bewaffneter Konflikte lässt sich als die historische Begegnung zweier Rechtsbereiche beschreiben. Das völkerrechtliche Umweltrecht hat zwar einige Vorläufer in besonderen Bereichen (grenzüberschreitende Gewässernutzung, grenzüberschreitende Immissionen). Seine Entwicklung als ein Rechtsbereich, der ein ökologisches Gesamtproblem im Blick hat, begann erst um 1970, also zu dem Zeitpunkt, als auch die Verhandlungen zu einer Ergänzung der Genfer Konventionen anliefen. Beide Entwicklungen hatten unterschiedliche Wurzeln, aber es waren grundlegende Entwicklungen der internationalen Ordnung, die einander berühren mussten. In der realen Welt berührten sie sich schon durch den amerikanischen Einsatz von Entlaubungsmitteln im Vietnam-Konflikt. Jedoch nahmen die Institutionen und epistemic communities, die sich mit der Fortentwicklung des einen oder des anderen Rechtsbereichs beschäftigten, zunächst voneinander keine Kenntnis.30 In den Vorschlägen des IKRK zur Genfer diplomatischen Konferenz ab 1974 war vom Schutz der Umwelt nicht die Rede. Die Stockholmer Umwelterklärung von 1972 schweigt sich zu der Frage aus. Gerade der Hintergrund des Vietnam-Krieges führte aber dazu, dass Staaten sie auf die Tagesordnung der Genfer Konferenz setzten. Mit diesem Hintergrund war allerdings der Streit vorprogrammiert. Der Widerstand militärischer Interessen gegen den Gedanken, dass der Schutz der Umwelt militärischer Gewalt rechtliche Grenzen setzen könnte, war beträchtlich. Das Ergebnis der Verhandlungen waren zwei Bestimmungen des ZP I über den Schutz der Umwelt in bewaffneten Konflikten, deren Unbrauchbarkeit mittlerweile ziemlich unbestritten ist. Unzulässig ist danach die Verursachung von Schäden für die Umwelt, die „ausgedehnt, anhaltend und schwer“ sind. Diese Kriterien für eine Umweltschädigung, die eine Verletzung des Protokolls darstellt, sind unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes viel zu eng und außerdem unklar.31 Sie bedeuten nicht mehr als dass das Umweltrecht sozusagen den Fuß in die Tür des Rechts der bewaffneten Konflikte bekommen hat. In der Folge lernten die jeweiligen epistemic communities beider Rechtsbereiche miteinander zu reden. Die Entwicklung ging weiter. Neuere Formulierungen des Problems (San Remo Manual on Naval Warfare 1994,32 Manual on Air and Missile Warfare 2009,33 Gewohnheitsrechtsstudie des 30 Bothe, Military Activities and the Protection of the Environment, Environmental Policy and Law 37 (2007), 232 (233). 31 Bothe/Bruch/Diamond/Jensen, International law protecting the environment during armed conflict: gaps and opportunities, IRRC 92 (2010) no. 879, 569 (575 f.). 32 International Institute of Humanitarian Law (Hrsg.), San Remo Manual on International Humanitarian Law Applicable to Armed conflict at Sea, 1994.

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IKRK 200534) wählen einen etwas anderen Ansatz: Bei der Entscheidung über einen Angriff ist auf Belange des Umweltschutzes die gebotene Rücksicht („due regard“) zu nehmen.35 Dies ist zwar ein offener, unterschiedlichen Auslegungen zugänglicher Begriff, der manchen Umweltschützern nicht streng genug sein mag. Aber er bietet durchaus den Ansatz für das Einfließen grundlegender umweltrechtlicher Maßstäbe in militärische Entscheidungen. Er öffnet das Recht bewaffneter Konflikte für die Anwendung eines grundlegenden Prinzips des Umweltrechts, nämlich das der Generationengerechtigkeit, der Rücksichtnahme auf die Belange zukünftiger Generationen. Damit findet der Gedanke des Ausgleichs zwischen den Bedürfnissen der gegenwärtigen und denen zukünftiger Generationen, der das Prinzip des sustainable development prägt,36 auch auf bewaffnete Konflikte Anwendung. Er kann hier formuliert werden als Ausgleich zwischen den militärischen Interessen einer Konfliktpartei und der Rücksicht auf die Lebensbedürfnisse zukünftiger Generationen. Da sich solche Rücksichtnahme natürlich auch auf den Schutz der gegenwärtigen Generation, auf heutige Konfliktopfer auswirkt, entspricht dieser Ansatz dem Grundgedanken der mutual supportiveness der beiden Rechtsbereiche. Eine Variante der mutual supportiveness zwischen Umweltschutz und Recht bewaffneter Konflikte ist der Umstand, dass Elemente der Umwelt häufig im Sinne des humanitären Völkerrecht zivile Objekte sein werden. Dann genießen sie den Schutz vor Angriffen, der sich aus dieser Eigenschaft ergibt. Sind Schäden an zivilen Umweltgütern Kollateralschäden von Angriffen auf militärische Ziele, dann gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip.37 Ein Angriff ist unzulässig, wenn der von ihm zu erwartende zivile Schaden außer Verhältnis zum dem erwarteten militärischen Vorteil steht. Bei der in diesem Sinne vorzunehmenden Abwägung („proportionality equation“) kommt das besondere Gewicht von Umweltbelangen auf der Seite des zivilen Schadens zum Tragen.38 Eine Schwäche dieses Ansatzes besteht freilich darin, dass Umweltelemente leicht zu militärischen Zielen werden können. Die Anwesenheit militärischer Einheiten in einem ökologischen Schutzgebiet macht dieses zu einem militärischen Ziel. Denn die „Neutralisierung“ dieses Bereichs bedeutet dann einen militärischen Vorteil.39 Dem ist freilich dadurch entgegenzuwirken, dass die Vorschriften über unverteidigte Orte bzw. entmilitarisierte Zonen40 sinngemäß auf ökologische Schutzgebiete angewandt werden. 33

HPCR (Program on Humanitarian Policy and Conflict Research at Harvard University) (Hrsg.), Manual on Air and Missile Warfare, 2009. 34 ICRC/Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Humanitarian Law, 2005. 35 San Remo Manual Art. 44; Air and Missile Warfare, Rule 89; Customary Law Study, Rule 44. 36 Bothe, Environment, Development, Resources, RdC 318 (2005), 333 (479 ff.). 37 Art. 51, 57 ZP I. 38 Bothe/Bruch/Diamond/Jensen (Fn. 31), 577 f. 39 Art. 52 ZP I. 40 Art. 59 und 60 ZP I.

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Ein weiterer, eher rechtstechnischer Fragenkomplex ist die Weiteranwendung von Umweltverträgen in bewaffneten Konflikten. Wenn nicht alle Vertragsparteien eines multilateralen Umweltabkommens Konfliktparteien sind, ist aus allgemeinen neutralitätsrechtlichen Gründen jedenfalls die Weiteranwendung zwischen den Konfliktparteien und Drittstaaten geboten. Zwischen diesen Staaten gilt das im Frieden anwendbare Recht, das Umweltrecht nicht ausgenommen.41 Deshalb hat der IGH in seinem Nuklearwaffen-Gutachten die Zulässigkeit des Einsatzes von Atomwaffen auch unter neutralitätsrechtlichen Gesichtspunkten untersucht.42 Nach den Grundsätzen, die die ILC für die Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge zwischen den Parteien eines bewaffneten Konflikts entwickelt hat,43 wird man für die meisten Umweltabkommen eine Weiteranwendung annehmen müssen. Art. 3 des Entwurfs stellt als allgemeines Prinzip auf: The existence of an armed conflict does not ipso facto terminate or suspend the operation of treaties: *

as between States parties to the conflict;

*

as between a State party to the conflict and a State that is not.

Bemerkenswert ist, dass damit die grundsätzliche Fortgeltung nicht nur für das Verhältnis zwischen Konfliktparteien und Drittstaaten angenommen wird (wo sie selbstverständlich ist), sondern auch für das Verhältnis zwischen Konfliktparteien. Als zusätzliche Konkretisierung ist dem Entwurf eine „indicative list“ von Vertragstypen beigefügt, deren Fortgeltung regelmäßig anzunehmen ist. Dazu gehören: Multilateral law-making treaties, […] (g) Treaties relating to the international protection of the environment; […]

Multilaterale Umweltverträge gelten also grundsätzlich auch im bewaffneten Konflikt zwischen den Konfliktparteien fort. Es fragt sich dann allerdings, ob und inwieweit solche Umweltabkommen Schutz gegen die spezifischen Gefahren der kriegerischen Zerstörung gewährleisten. Bei Vorschriften über den Objektschutz wie denen der Heritage Convention44 kann dies durchaus der Fall sein. Dieser Grundsatz der Weitergeltung völkerrechtlicher Verträge im bewaffneten Konflikt kann auch nicht ohne weiteres durch die Berufung auf Notstand als Rechtfertigungsgrund45 beiseite geschoben werden. Denn die Berufung auf Notstand ist

41 Bothe, Neutrality, Concept and General Rules, Rdnr. 2, in: Max Planck Encyclopedia (Fn. 5). 42 §§ 88 ff. des Gutachtens (Fn. 18). 43 Draft articles on the effects of armed conflicts on treaties, 2011, UN Doc. A/66/10. 44 Bothe/Bruch/Diamond/Jensen (Fn. 38), 582, 591. 45 Art. 25 der ILC Draft Articles on State Responsibility.

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nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig.46 Der ansonsten rechtswidrige Akt muss das einzige Mittel sein, um wesentliche staatliche Interessen gegen eine schwere und unmittelbar drohende Gefahr zu schützen. Er darf auch wesentliche Interessen der internationalen Gemeinschaft nicht verletzen, was bei Verletzung umweltschützender Normen besonders ins Gewicht fällt. Ultra posse nemo obligatur: wenn ein Teil des Staatsgebiets von feindlichen Streitkräften besetzt ist, kann von einem Staat nicht verlangt werden, dass er territorial bezogene Umweltpflichten in Bezug auf dieses Gebiet erfüllt. Dann stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Besatzungsmacht umweltrechtliche Verpflichtungen in Bezug auf das besetzte Gebiet erfüllen muss. Wenn ja, sind dies die eigenen Pflichten der Besatzungsmacht, etwa Pflichten aus Verträgen, deren Vertragspartei die Besatzungsmacht ist, oder muss die Besatzungsmacht umweltrechtliche Pflichten des besetzten Staates in Bezug auf das besetzte Gebiet erfüllen? Zwei verschiedene Herangehensweisen sind insofern möglich. Soweit man die Erfüllung eigener Pflichten der Besatzungsmacht in Bezug auf das besetzte Gebiet befürwortet, ist dies eine Variante der exterritorialen Anwendung von Menschenrechten, die bereits oben diskutiert wurde.47 Wenn man von der Erfüllung der Pflichten des besetzten Staates durch die Besatzungsmacht ausgeht, dann ist dies ein Fall der Respektierung des im besetzten Gebiet geltenden Rechts durch die Besatzungsmacht, wozu diese grundsätzlich verpflichtet ist.48 Auch im Verhältnis zwischen dem Recht bewaffneter Konflikte und dem Umweltvölkerrecht kommt also bei vernünftiger Auslegung das Prinzip der mutual supportiveness zum Tragen.

E. Recht bewaffneter Konflikte und internationaler Handel Friedlicher Handel und kriegerische Auseinandersetzung erscheinen miteinander unvereinbar. Deshalb können Verträge, die Handelsfreiheit bilateral regeln, im bewaffneten Konflikt eigentlich nicht anwendbar sein. Im Krieg wird auch der Handel zwischen Konfliktparteien und neutralen Staaten vielfältig beschränkt. Das multilaterale Regime der Handelsfreiheit im GATT nimmt sich gegenüber handelsbeschränkenden Interessen, die sich aus bewaffneten Konflikten ergeben, ebenfalls zurück.

46 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with commentaries, International Law Commission, Report on the 53rd session, UN Doc. A/56/10, 83. 47 Zur Anwendbarkeit von Abkommen der ILO in den besetzten palästinensischen Gebieten vgl. Meron, Applicability of Multilateral Conventions to Occupied Territories, AJIL 72 (1978), 542 ff. 48 Art. 43 HLKO a.E.

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Alle drei Aspekte bedürfen freilich einer näheren Betrachtung. Die bereits erwähnte Indicative list des ILC-Entwurfs49 führt unter den grundsätzlich fortgeltenden Vertragstypen auch (e) Treaties of friendship, commerce and navigation and agreements concerning private rights;

an. Die Präzedenzfälle, die die ILC in ihrem Kommentar anführt, betrafen allerdings überwiegend den besonderen Aspekt privater Rechte.50 Die Frage der Anwendung eines bilateralen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages bei Auseinandersetzungen, die jedenfalls Züge eines bewaffneten Konflikts trugen, ist zweimal zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem IGH geworden, das Vertragspartner der USA, nämlich Nicaragua51 und Iran,52 gegen diese angestrengt haben. In beiden Fällen ging es um schadensstiftende militärische Maßnahmen der USA gegen die betreffenden Staaten: Verminung der Häfen Nicaraguas, Zerstörung iranischer Ölbohrplattformen. Beide im Wesentlichen wortgleiche Verträge garantierten die Freiheit von Handel und Schifffahrt zwischen diesen Staaten und den Vereinigten Staaten. In beiden Fällen behaupteten die klagenden Staaten, dass die ihnen durch die Vereinigten Staaten zugefügten Zerstörungen (Verminung von Häfen, Zerstörung von Ölbohrplattformen, die für den internationalen Handel produzierten) eben diesen Handel und diese Schifffahrt einschränkten und damit eine Vertragsverletzung seien. Im Prinzip wurde dieser Ansatz vom IGH akzeptiert. Es stellte sich allerdings die Frage, ob denn der Vertrag bei einer Auseinandersetzung mit Waffengewalt überhaupt anwendbar war. Art. XXI des Vertrages nahm aus seinen Gewährleistungen aus „measures necessary to protect essential security interests“ einer Partei. Im Nicaragua-Urteil53 gab der IGH dieser Klausel einen rein objektiven Gehalt und hielt die Maßnahmen der USA unter den gegebenen Umständen für nicht wirklich notwendig, bejahte also eine Vertragsverletzung. Dieser Auslegung haben die Richter Schwebel54 und Sir Robert Jennings55 in ihren abweichenden Meinungen heftig widersprochen. In dem Ölplattform-Fall hat der IGH freilich seinen Ansatz bei der Auslegung des wortgleichen Artikels aufrecht erhalten und ausgesprochen, dass solche Maßnahmen nicht durch die Vorschrift gedeckt seien, die die Grenzen zulässiger Selbstverteidigung (Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit) verletzten.56 49

Oben Text zu Fn. 43. UN Doc. A/66/10, S. 210. 51 Military and Paramilitary Activities in and around Nicaragua, Nicaragua v. U.S., Urteil vom 27. 06. 1986. 52 Oil Platforms, Iran v. U.S., Urteil vom 06. 11. 2003. 53 § 282. 54 ICJ Rep. 1986, 386 ff. 55 ICJ Rep. 1986, 541 f. 56 §§ 41 ff. des Urteils. 50

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Es geht bei diesen beiden Entscheidungen zwar nicht um das Verhältnis von Handelsfreiheit und humanitärem Völkerrecht, sondern um die Beachtung des Gewaltverbots. Als Grundgedanke ist jedoch festzuhalten, dass eine Garantie der Handelsfreiheit nicht ohne weiteres durch das Vorliegen einer bewaffneten Auseinandersetzung außer Kraft gesetzt wird. Eine lange Tradition haben die neutralitätsrechtlichen Beschränkungen der Handelsfreiheit. Sie haben sich auch in den Konflikten der jüngsten Zeit erhalten: Eine Konfliktpartei hat nach dem Recht bewaffneter Konflikte (ius in bello57) das Recht, die Häfen bzw. Küsten eines Gegners zu blockieren, d. h. jeden Handelsverkehr zu unterbinden.58 Sie hat ferner das Recht, die Belieferung eines gegnerischen Staates mit kriegswichtigem Material (Kontrabande) zu unterbinden, zu diesem Zweck die neutrale Schifffahrt auf hoher See zu kontrollieren und Kontrabande, u. U. auch das Kontrabande befördernde Schiff zu beschlagnahmen.59 Im Übrigen bleibt der Handel zwischen neutralen und kriegführenden Staaten zulässig, ein neutraler Staat darf lediglich das Handelsvolumen nicht zugunsten oder zulasten einer Konfliktpartei verändern (Prinzip des Courant normal).60 Die Lieferung von Rüstungsgütern an Konfliktparteien, auch wenn sie durch Privatunternehmen erfolgt, ist nach heutiger Auffassung als rechtswidrige Unterstützungshandlung generell unzulässig.61 Das Rechtsregime der bewaffneten Konflikte schränkt also Handelsfreiheit ein. Ein rechtliches Spannungsverhältnis besteht insofern nur, soweit Handelsfreiheit im Übrigen rechtlich abgesichert wäre. Das ist insbesondere das Problem der multilateralen Sicherung der Handelsfreiheit im GATT. Wie verhält sich das multilaterale System der Sicherung der Handelsfreiheit zu den Beschränkungen, die sich aus dem Recht bewaffneter Konflikte ergeben? Maßnahmen, die aus Gründen eines bewaffneten Konflikts Handel beschränken oder verbieten, können gegen das Meistbegünstigungsgebot (Art. I GATT), das Gebot der Inländerbehandlung (Art. III GATT) sowie gegen das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen (Art. XI GATT) versstoßen. Hinsichtlich Handelsbeschränkungen in Kriegszeiten nimmt sich das GATT in der Ausnahmevorschrift des Art. XXI allerdings weitgehend zurück. Handelsbeschränkungen „in Kriegszeiten und bei sonstigen ernsten Krisen in den internationalen Beziehungen“ sind nicht verboten (Art. XXI (b)(iii)). Anders als bei den allgemeinen Ausnahmen nach Art. XX enthält der Einführungsabsatz („chapeau“) keinen Vorbehalt zum Schutz vor Diskriminierung. Maßnahmen gegen bestimmte Staaten sind gerade erlaubt.62 Er ist, anders als die 57 Die Frage, ob eine Blockade das völkerrechtliche Gewaltverbot verletzt, liegt auf einer anderen Ebene. 58 San Remo Manual Art. 93 ff. 59 San Remo Manual Art. 118 ff. 60 Bothe, Neutrality (Fn. 41), Rdnr. 4. 61 Oeter, Neutralität und Waffenhandel, 1992, 216 ff. 62 Zur Praxis vgl. Hestermeyer, Article XXI, Rdnr. 5, in: Wolfrum/Hestermeyer (Hrsg.), WTO. Trade in Goods, 2011.

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oben zitierte Vorschrift der amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträge, subjektiv formuliert („nach ihrer Auffassung […] notwendig sind“).63 Es ist eine „self-judging clause“, die den Staaten, die sich auf sie berufen, ein weitgehendes Ermessen in der Einschätzung der Situation und der Auswahl der Maßnahmen einräumen.64 Versuche Nicaraguas und Kubas, in Verhandlungen die Bestimmung zu objektivieren, sind erfolglos geblieben65 Die multilateralen Regeln zum Schutz der Handelsfreiheit entfalten also keine Wirkung im bewaffneten Konflikt, merkwürdigerweise anders als bilaterale vertragliche Regeln. Schutz des zwischenstaatlichen Handelsverkehrs wird eher durch neutralitätsrechtliche Schranken für handelsbeschränkende Maßnahmen (z. B. Grenzen des Blockaderechts) oder durch humanitäre Zugangsrechte geleistet. Denn das Recht bewaffneter Konflikte gewährt besondere Zugangsrechte für Lieferungen in das Gebiet von Konfliktparteien oder besetzte Gebiete, nämlich für Hilfsgüter. Einschlägig sind Art. 23, 59 – 62 der IV. Genfer Konvention und Art. 71 ZP I. Das geschützte Interesse ist hier allerdings nicht die Handelsfreiheit, sondern die Versorgung der leidenden Bevölkerung mit den zum Überleben notwendigen Gütern. „Mutual supportiveness“ zwischen dem Recht des internationalen Handels und dem Recht bewaffneter Konflikte geht auch in eine andere, eher umgekehrte Richtung. Immer mehr wird Kontrolle des Handels als ein Mittel der Hegung bewaffneter Konflikte gesehen. Handel mit Waffen kann konfliktfördernde Wirkung haben. Beschränkung des Zugangs von Konfliktparteien zum Waffenhandel (Waffenembargo) ist darum ein praktisch wesentliches Mittel der Hegung von Konflikten geworden, das der Sicherheitsrat mehrfach eingesetzt hat.66 Seit längerem wird in diesem Sinne der Abschluss eines allgemeinen Vertrages zur Beschränkung des Waffenhandels gefordert. Die Generalversammlung hat mehrfach Verhandlungen über einen solchen Vertrag gefordert.67 Zu diesem Zweck wurde im Juli 2012 eine United Nations Conference on the Arms Trade Treaty einberufen. Geplant ist die Einführung einer obligatorischen Exportkontrolle für Waffenexporte. Eine Einigung scheint aber in weiter Ferne. Als konkrete Vorlage für die Konferenz dient nur ein „Non-paper“

63

Hestermeyer (Fn. 62), Rdnrn. 8 f., 17 ff. So sind auch andere multilaterale Freihandelsabkommen formuliert, Art. 2102 NAFTA, Art. 9 ASEAN Trade in Goods Agreement, 26. 02. 2009. 64 Dazu Schill/Briese, „If the State Considers“: Self-Judging Clauses in International Dispute Settlement, Max Planck YbUNL 13 (2009), 61, zu Art. XXI GATT insbesondere 97 ff. 65 Hestermeyer (Fn. 62), Rdnrn. 42 f. 66 Vgl. z. B. die Resolutionen des Sicherheitsrates 713, 25. 09. 1991 (Jugoslawien); 918, 19. 05. 1994 (Ruanda); 1132, 08. 10. 1997 (Sierra Leone); 1484, 30. 05. 2003 (Rebellen in der DRC); 1572, 15. 11. 2004 (Elfenbeinküste); 1747, 24. 03. 2007 (Iran); 1807, 31. 03. 2008 (DRC); 1874, 12. 06. 2009 (Nordkorea); 1907, 23. 12. 2009 (Eritrea); 1970, 26. 02. 2011 und 1973, 17. 03. 2011 (Libyen). 67 A/63/240, 24. 12. 2008; A/64/48, 02. 12. 2009; vgl. auch S/RES/1209, 19. 11. 1998.

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des Vorsitzenden des Vorbereitungsausschusses,68 das sich aber über die entscheidenden Kriterien für Genehmigung oder Versagung von Exporten ausschweigt. Denn Widerstände gegen einen solchen Vertrag erwachsen insbesondere aus den wirtschaftlichen und militärischen Interessen wichtiger Waffenexportländer, allen voran Russland, China und die USA. Diese Staaten blockieren bislang eine Einigung.69 Die Gewinne, die Produktion von oder Handel mit Rohstoffen abwerfen, sind in sog. conflict-affected and high-risk areas70 Anreize für die Verletzung von Menschenrechten und im bewaffneten Konflikt auch für die Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Das wird insbesondere deutlich in dem Phänomen der sog. BlutDiamanten. Es gibt unterschiedliche Ansätze, wie diesem Problem zu begegnen ist. In bestimmten Fällen hat der Sicherheitsrat den weltweiten Vertrieb von illegal gehandelten Diamanten verboten.71 Die besonders betroffenen afrikanischen Staaten versuchen, dem Problem im sog. Kimberley-Prozess regulativ beizukommen.72 Andere Ansätze betonen die Rolle der betroffenen Industrien. Die Organisationen der Diamantenhändler suchen dem Problem durch Selbstregulierung beizukommen. Die OECD versucht, durch soft law-Instrumente (guidelines, codes) Unternehmen anzuleiten, das Problem durch Überprüfung ihrer Lieferketten und entsprechenden Ausschluss von Lieferanten mit blutigen Händen zu steuern. Damit werden solche international angeleiteten, aber letztlich freiwilligen Maßnahmen der Wirtschaft zu einem Mittel der besseren Durchsetzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts.73

68 Report of the Preparatory Committee for the United Nations Conference on the Arms Trade Treaty, UN Doc. A/CONF.271/1, 07. 03. 2012, Annex. 69 Mutschler, Russland, China und USA bocken beim Waffenhandelsvertrag, Zeit online, 11. 07. 2012, . 70 OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict Affected and High Risk Areas, 2011. Vgl. zur Bekämpfung der illegalen Ausbeutung natürlicher Ressourcen in der DRC S/RES/1304, 16. 06. 2000 sowie 1457, 24. 01. 2003. 71 Resolutionen 1173, 12. 06. 1998 sowie 1295, 18. 04. 2000 (Angola); 1306, 05. 07. 2000 (Sierra Leone). Auch die Generalversammlung fordert die Einhaltung der Maßnahmen des Sicherheitsrats, vgl. A/RES/55/56, 29. 01. 2001. 72 Siehe . Im Mai 2000 beschlossen Diamanten produzierende Staaten Afrikas in Kimberley Exportkontrollen mittels einer Zertifizierung. Dies wird unterstützt vom Sicherheitsrat in S/RES/1459, 20. 01. 2003. In der EU erfolgt die Umsetzung durch VO (EG) 2368/2002 des Rates vom 20. 12. 2002, Amtsblatt L 358/28. 73 OECD (Fn. 70), 15.

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F. Recht bewaffneter Konflikte und internationale Organisationen Nach der erwähnten Indicative list der ILC74 bleiben auch die Gründungsverträge internationaler Organisationen beim Ausbruch eines bewaffneten Konflikts zwischen Mitgliedern anwendbar. Problematisch wird die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, wo bewaffnete Auseinandersetzungen den Bestand eines Staates als Völkerrechtssubjekt in Frage stellen, also bei Phänomenen des Staatszerfalls. So wurde Jugoslawien im Zuge des Staatszerfalls nach 1992 nicht mehr als Mitglied der Vereinten Nationen angesehen und musste 2000 seine Neuaufnahme beantragen.75 Ein Verstoß gegen das ius ad bellum kann auch zur Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte eines Staates oder gar zu seinem Ausschluss aus der Organisation führen. Das humanitäre Völkerrecht kann Maßnahmen der Vereinten Nationen rechtliche Grenzen setzen. Bei ihren friedenserhaltenden Maßnahmen sind die Vereinten Nationen an das humanitäre Völkerrecht gebunden, soweit sie in Kampfhandlungen verwickelt werden, die als bewaffneter Konflikt zu charakterisieren sind.76 Das Prinzip der mutual supportiveness wirkt vor allem in die Richtung, dass internationale Organisationen Akteure der Durchführung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts werden. Dies geschieht in unterschiedlicher Weise. Die Vereinten Nationen (UNHCR; OCHA, peacekeeping operations) und von den Sonderorganisationen vor allem die WHO organisieren Hilfeleistungen für die Opfer bewaffneter Konflikte. Organe der Vereinten Nationen sind auch zur Durchsetzung des humanitären Völkerrechts tätig. Dies ist einerseits der Menschenrechtsrat, der zugleich mit der Untersuchung von Menschenrechtsverstößen Verletzungen des humanitären Völkerrechts untersucht. Diese Untersuchungen sind als Mittel des politischen Drucks konzipiert, um für eine Beachtung des humanitären Völkerrechts zu sorgen. Beispielsfälle sind die Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten,77 der Konflikt zwischen Israel und Libanon 2006,78 der Gaza-Konflikt 2009,79 der Mavi Marmara-Zwischenfall 2010,80 Elfenbeinküste 201181 und zuletzt Libyen 2011.82 74 Oben Text zu Fn. 43: „(j) Treaties which are constituent instruments of international organizations“. 75 Neuaufnahme Jugoslawiens durch A/RES/55/12, 01. 11. 2000 und S/RES/1326, 31. 10. 2000. 76 Bulletin des Generalsekretärs, Observance by United Nations forces of International Humanitarian law, UN Doc. ST/SGB/1999/13, 06. 08. 1999. 77 HRC Resolution S-1/1, 06. 07. 2006. 78 HRC Resolution S-2/1, 11. 08. 2006. Die vom Menschenrechtsrat eingesetzte Untersuchungskommission legte am 23. 11. 2006 ihren Bericht vor: UN Doc. A/HRC/3/2. 79 Resolution S-9/1, 12. 01. 2009. Die vom Menschenrechtsrat eingesetzte Untersuchungskommission legte am 15. 09. 2009 ihren Bericht vor (Goldstone Report), UN Doc. A/HRC/12/ 48.

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Auch der Sicherheitsrat wird in diesem Sinne tätig, seit er systematische Verletzungen des humanitären Völkerrechts als Friedensbedrohung ansieht83 und sie damit zum Gegenstand von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Satzung machen kann. Hervorstechendes Beispiel ist die Errichtung der Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien84 und Ruanda.85

G. Schlussfolgerungen Ein angemessener Ausgleich zwischen dem Rechtsregime bewaffneter Konflikte und anderen völkerrechtlichen Regimen ist möglich und entwickelt sich. Am weitesten ist der völkerrechtliche Diskurs in dem Fragenkreis humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte vorangeschritten. Hier kommt das Prinzip der mutual supportiveness vor allem zum Tragen. In der Frage des Schutzes der Umwelt in bewaffneten Konflikten ist jedenfalls das Erfordernis der Generationengerechtigkeit anerkannt. Militärische Operationen sind eine Tätigkeit wie andere auch, die die Ressourcen der Erde gefährden und sich deshalb im Interesse zukünftiger Generationen Beschränkungen unterwerfen müssen. Dieser Grundsatz schlägt sich in unterschiedlichen Regelungsansätzen nieder. Das Verhältnis zwischen internationalem Handel und dem Recht bewaffneter Konflikte ist ambivalent. Bewaffnete Konflikte schränken den freien Handel auch rechtlich ein. Auf der anderen Seite dient die Einschränkung von Handel als Sanktion auch der Durchsetzung des Rechts bewaffneter Konflikte und der Menschenrechte. Verträge zur Gründung internationaler Organisationen werden durch das Entstehen eines bewaffneten Konflikts nicht in Frage gestellt. Die UN besitzen erhebliche Kompetenzen in Bezug auf bewaffnete Konflikte. Sie wirken im Sinne einer Stärkung des Rechts bewaffneter Konflikte. Dies ist der Grund dafür, dass die Vereinten Nationen grundsätzlich an das Recht bewaffneter Konflikte gebunden sind.

80 HRC Resolution 14/1, 02. 06. 2010; 15/1, 29. 09. 2010; 16/20, 25. 03. 2011. Berichte UN Doc. A/HRC/15/21, 27. 09. 2010, A/HRC/16/73, 15. 12. 2010. 81 Côte d’Ivoire, HRC Resolution 16/25, 25. 03. 2011; Bericht der Untersuchungskommission UN Doc. A/HRC/17/48, Bericht der Hohen Kommissarin für Menschenrechte, UN Doc. A/HRC/17/49, beide vom 14. 06. 2001. 82 HRC Resolution S-15/2, 25. 02. 2011; Bericht UN Doc. A/HRC/17/44, 01. 06. 2011, Abschlussbericht UN Doc. A/HRC/19/68, 08. 03. 2012. 83 Vgl. aus der Praxis des Sicherheitsrats die Resolutionen 688, 05. 04. 1991 (Unterdrückung der Kurden im Irak); 794, 03. 12. 1992 (Somalia); 929, 22. 06. 1994 (Rwanda); 940, 31. 07. 1994 (Haiti); 1264, 15. 09. 1999 (Ost-Timor); 1556, 2004 (Darfur). 84 S/RES/827, 25. 05. 1993. 85 S/RES/955, 08. 11. 1994.

The Prohibition of Discrimination in International Human Rights Treaties The Development from an Accessory Norm to an Independent One? By Rüdiger Wolfrum*

A. Introduction It is quite a challenge to deal with the meaning and scope of the prohibition to discriminate in a Festschrift honouring Eibe Riedel. He has worked on this issue, too, in academic writings as well as a member of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights. Already the United Nations Charter refers amongst its purposes to the prohibition of discrimination on the grounds of race, sex, language, or religion. This prohibition was included in all human rights instruments whether universal or regional. Two issues are to be stated at the outset. No reasonable based excuse exists to justify a distinction on the basis of prohibited grounds1 and the prohibition of discrimination is to be honoured even in cases of public emergency.2,3 Although enshrined in international instruments the prohibition of discrimination did not remain static but was further developed in practice and, in particular, the Human Rights Treaty Bodies. The Human Rights Treaty Bodies have on various occasions dealt with the notion of discrimination. In this respect one should mention the General Comment No. 18 of the Human Rights Committee of 10 November 1989 on Non-discrimination, the General Recommendation No. 29: Art. 1, para. 1 of the Convention (Descent) of 1 November 2002 of the Committee on the Elimination of Racial Discrimination * I wish to thank Ms Barbara Schwaiger for her valuable assistance in finalising the text. 1 M. Bossuyt, L’interdiction de la discrimination dans le droit international des droits de l’homme (1976), 227. 2 See, for example, Art. 4 International Covenant on Civil and Political Rights. 3 As to a moral justification of the prohibition of discrimination see R. Dworkin, Sovereign Virtue. The Theory and Practice of Equality (2002), 6. To him the prohibition of discrimination is the consequence of a State (a political community) to exercise dominion over its citizens. This qualifies the prohibition of discrimination as an element to achieve legitimacy. Against this rather formalistic view it is to be pointed out that the prohibition of discrimination finds its ultimate basis in the dignity of the human being.

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(CERD) as well as the General Recommendation No. 32, “[t]he Meaning and Scope of Special Measures in the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination” of the same Committee and finally the General Comment No. 20 of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR) of 2 July 2009 on Non-discrimination in Economic, Social and Cultural Rights (Art. 2, para. 2 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights). One might further mention various general recommendations by the Committee on the Elimination of Discrimination against Women focusing on particular aspects of the prohibition of discrimination. Evidently these general comments or general recommendations strive for different objectives. The General Comment No. 18 of the Human Rights Committee tries to give an interpretation of the notion of non-discrimination and the same is true for the General Comment No. 20 of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights. Nevertheless, the two general comments differ significantly, marking not only the different focus of the two Covenants but also the legal evolution the prohibition of discrimination has undergone in the ten years between the adoption of the two comments. Contrary thereto the two general recommendations of the Committee on the Elimination of Racial Discrimination have a more narrow focus and so have the various general recommendations of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women.4 Whereas the general recommendations of the Committee on the Elimination of Racial Discrimination try to provide an interpretation of some of the particularities of the Convention dealing with racial discrimination, the general recommendations of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women are more practice oriented. They endeavour to improve the situation of women in respect of certain situations where these are traditionally discriminated. This contribution attempts to deal with the following aspects: it will try to further illuminate the meaning of the principle of non-discrimination by, amongst others, comparing the various norms in international human rights instruments and by establishing the relationship between the prohibition of discrimination and the obligation to provide for equal treatment. Apart from that it is the purpose of this contribution to assess the legal development the principle of non-discrimination has undergone in the practice of the international human rights treaty bodies by comparing the various general comments and general recommendations thereon.

B. The Principles of Equality and of Non-Discrimination To understand the meaning of the principle of non-discrimination and its relevance in practice one has to proceed from the principle of equality, a notion 4 General Recommendation No. 21 (1994) (Equality in marriage and family relations) and General Recommendation No. 23 (1997) (Equality in political and public life).

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which is deeply rooted in legal philosophy since ancient times.5, 6 It is a fundamental principle of national public law7 as well as of international public law.8 According to a traditional formula the principle of equality requires that persons, entities or facts which are, in principle, equal are treated equally and persons, entities or facts which are unequal are, in principle, treated differently.9 The salient feature is what is equal and what is unequal or to put it differently with the view to the prohibition of discrimination what may be considered as unequal and what distinction is prohibited by law? Nobody will question that, for example, men and women are biologically different. Nevertheless, Art. 2 of the Universal Declaration of Human Rights, 194810 prohibits as far as the enjoyment of the rights and freedoms set forth in the Declaration is concerned a distinction of any kind based upon sex, for example. As a working hypothesis one may say that the prohibition of discrimination supplements the principle of equality by making it impossible to have recourse to certain distinctions with the view to justify a differentiated treatment of persons, entities or situations. The norms providing for a prohibition of discrimination have common features but also display some differencies. As will be demonstrated the prohibition of discrimination is moving from this supplementary function to a more independent one. Already the Universal Declaration on Human Rights,11 the International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR),12 the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR),13 the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (ICERD),14 the Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW)15 and the

5 For a brief but also instructive overview on the evolution of that notion see W. Heun, in: H. Dreier (ed.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. I, (2nd ed., 2004), Art. 3 margin no. 2 et seq. 6 See in particular Art. 1 of La Déclaration des droits de l’homme et du citoyen, of 1789: “Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits”; La Déclaration des droits de l’homme et du citoyen, of 1793, Art. 3: “Tous les hommes sont égaux par nature et devant la loi”; and the 14th Amendment of the US Constitution, of 1868, Sec. 1: “No State shall […] deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws”. 7 On that see P. Kirchhof, “Allgemeiner Gleichheitssatz”, in: J. Isensee/P. Kirchhof (eds.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, (3rd ed., 2010), 697, at p. 698. 8 With further references see M. Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, CCPR Commentary, (2nd ed., 2005), Art. 26 margin no. 1. 9 W. Heun, supra fn. 5, at margin no. 19. 10 GA/Res. 217 (III) A of 10 December 1948. 11 See supra fn. 10. 12 UNTS, vol. 999, 171. 13 UNTS, vol. 993, 3. 14 UNTS, vol. 660, 195. 15 UNTS, vol. 1249, 13.

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Convention on the Rights of the Child (CRC)16, all contain norms prohibiting discrimination on particular grounds. According to Art. 2 of the Universal Declaration on Human Rights “[E]veryone is entitled to all the rights and freedoms set forth in this Declaration, without distinction of any kind, such as […]”. Art. 2 para. 1 of the International Covenant on Civil and Political Rights in substance repeats the same wording. The same is true for Art. 2 para. 2 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights as well as Art. 2 para. 1 of the Convention on the Rights of the Child. Also regional international instruments provide for a prohibition of discrimination in similar terms. For example, Art. 14 of the European Convention on the Protection of Human Rights reads: “The enjoyment of the rights and freedoms set forth in this Convention shall be secured without discrimination of any ground such as sex, race, colour, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status.”

The American Convention on Human Rights of 196917 (Art. 1) follows the same approach as Art. 2 of the African Charter on Human and Peoples’ Rights (Banjul Charter) of 1981.18 As can be seen from comparing the provisions set out briefly, they all follow the structure in prohibiting discrimination. One can easily speak of a common Art. 2 of international human rights instruments on the prohibition of discrimination. It is evident that Art. 2 of the Universal Declaration of Human Rights has worked as a blueprint, not only for the international instruments but also for the regional ones such as the European Convention on Human Rights.19 Apart from that, international human rights instruments contain built-in discrimination clauses which means human rights guarantees which also contain a non-discrimination clause such as Art. 13 CESCR and Art. 28 CRC. Another feature applying to several but not all of the universal as well as regional instruments referred to so far is that they do not contain an explicit definition of the notion of discrimination. The two exceptions are the ICERD with regard to racial discrimination and the CEDAW relating to discrimination against women. Art. 1 of ICERD as well as Art. 1 of CEDAW contain explicit provisions defining discrimination. Art. 1 of ICERD reads: “[…] racial discrimination shall mean any distinction, exclusion, restriction or preference based on race, colour, descent, or national or ethnic origin which has the purpose or effect 16

UNTS, vol. 1577, 3. UNTS, vol. 1144, I-17955, 143. 18 UNTS, vol. 1520, I-26363, 217. 19 R. Grote, “Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der EMRK”, in: R. Grote/T. Marauhn (eds.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz (2006), 9 at 22 et seq. 17

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of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise, on an equal footing, of human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural or any other field of public life.”20

In Art. 1 of CEDAW the word “preference” is missing. In this respect ICERD is unique. It not only sees the possible negative purpose of discrimination but realises that discrimination may be instrumental in rendering benefits to one group and not to another. It would be worth discussing whether not favouring one group among several21 is not always discrimination in the meaning of prejudice against the others. In fact, this part of the definition has not played a substantial role in the practice of CERD. Frequently in the interpretation of the notion of “discrimination” references have been made to Art. 1 of ICERD. The Human Rights Committee stated in this respect that the definition as provided for in ICERD as well as in CEDAW only deals with cases of discrimination on specific grounds.22 Nevertheless, on the basis of these norms the Human Rights Committee stated that discrimination as used in the Covenant should be understood to imply “any distinction, exclusion, restriction or preference which is based on any ground such as race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status, and which has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise by all persons on an equal footing, of all rights and freedoms.”

CERD distinguishes between direct and indirect discrimination and the Committee on Economic, Social and Cultural Rights distinguishes between formal discrimination, substantive discrimination, direct discrimination and indirect discrimination. To assess these differentiations and to trace their evolution would be worth an extra contribution. Apart from these differences one may conclude that the interpretation of the notion of discrimination as enshrined in the universal as well as the regional instruments follows basically the same approach. The obligation not to discriminate contains two elements, namely the prohibition to treat the holder of a particular right enshrined in the given instrument differently on the basis of a prohibited ground and the consequential impairment of the holder of the right in the enjoyment of the given right. As can be seen from the foregoing all the international human rights instruments referred to have in common that discrimination is formulated as an accessory right.23 Only Art. 1 of CEDAW is somewhat differently worded which is due to the fact that 20

Emphasis added. General Comment No. 18, Human Rights Committee, para. 6. 22 General Comment No. 18, Human Rights Committee, para. 7. 23 C. Grabenwarter/K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, (5th ed., 2012), 520; K. Odendahl, “Diskriminierungsverbote im Spannungsfeld zu Freiheitsrechten – Kommentar”, in: E. Klein/C. Menke (eds.), Universalität – Schutzmechanismen – Diskriminierungsverbote, Bd. 30 (2008), 357 at p. 363. 21

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this Convention is meant to protect a particular group. But even in respect of Art. 1 CEDAW the accessory nature of the relevant norm is clear. Accessory means that the norms in question do not protect against discrimination as such but only against discrimination in the enjoyment of particular rights enshrined or referred to in the same instrument. This shall be exemplified in respect of Art. 14 ECHR with the view to subsequent developments. The wording of Art. 14 of ECHR as well as the jurisprudence of the European Court of Human Rights is quite explicit in this respect by confirming the accessory nature of the prohibition of discrimination.24 However, this limitation of the prohibition of discrimination is meant to be changed by the Additional Protocol No. 12 which entered into force on 1 April 2005. The relevant provision (Art. 1) reads: “The enjoyment of any right set forth by law shall be secured without any discrimination on any ground such as sex, race, colour, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth, or other status.”

This does not alter the characteristic of the prohibition of discrimination under the European human rights system as an accessory right. But instead of tying it to a list of rights specifically enumerated in the European Convention on Human Rights it refers to the national legislator. Whatever right will be created by the national legislator in the future it must be guaranteed without discrimination as to sex, race etc. This means the scope of the prohibition of discrimination has been broadened and the scope of the prohibition of discrimination is now also being governed by national law rather than by international law alone.25 The latter means that the standards in respect of the prohibition of discrimination may differ in future from State to State. Finally, and perhaps most importantly such modification will alter the functions of the European Court on Human Rights. So far it is its function to decide whether a national act, be it of a legislative, judicial or administrative natures is in conformity with the European Convention on Human Rights. Under the Additional Protocol No. 12 it will also have to decide whether a judicial or administrative act does not conform to a national law seen through the lens of the prohibition of discrimination as enshrined in the twelfth Additional Protocol. The reference to the European human rights system, in concreto the comparison of the original Art. 14 of the European Convention on Human Rights with its twelfth Additional Protocol was meant to sharpen the view on the prohibition of discrimination in the above mentioned international human rights instruments. These prohibitions all are, as has been demonstrated, formulated as being accessory namely with the view to protect against the discrimination in the enjoyment of explicitly enum24 R. Bernhardt, “Diskriminierungsverbote und Minderheitenschutz”, in: D. Merten/ H.–J. Papier (eds.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. VI/1, Europäische Grundrechte I (2010), 279 at p. 280. 25 According to Grabenwarter Art. 1 of the 12th Additional Protocol formulates a general principle of equal treatment. This interpretation is doubtful; broadening the scope of the prohibition of discrimination is not necessarily tantamount to equal treatment; see Grabenwarter/Pabel, supra fn. 23, at p. 539.

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erated human rights. It will be the objective of part III of this contribution to assess how the treaty bodies have dealt with the prohibition of discrimination in their general recommendations or general comments and whether there are similar or different attempts to broaden the scope of the prohibition of discrimination. An essential feature of the norms prohibiting discrimination is that they spell out which criteria must not be used to justify unequal treatment. The catalogues of criteria are similar but not fully identical.26 They all list (apart from CEDAW which follows a different pattern) race, colour and language. The catalogues of the Universal Declaration on Human Rights and of the two Covenants are identical. ICERD adds, which is in line with its general object and purpose, descent and national or ethnic origin. Different from the Universal Declaration on Human Rights and the two Covenants it does not list religion. The reason for that is explained by the legislative history of ICERD. The drafters did not want to burden the working on the Convention with the Israeli/Palestinian problems. Nevertheless, after some considerable discussion in CERD it accepted that religion could be a constituent element in forming a group which could be covered by ICERD. This became in particular relevant in respect of Bosnia-Herzegovina and the treatment of minorities in Greece falling under the Treaty of Lausanne. ICERD further lists descent which is broader and above that more appropriate for human beings than race since there is only one human race. The Convention on the Rights of the Child refers to ‘disability’ reflecting the growing concern for disabled people.27 Finally, the ECHR adds ‘association with an ethnic or national minority’ which is covered in ICCPR by Art. 27 and under ICERD by the reference to ethnic origin. The origin of the criteria on all these lists is the experience that most horrendous discriminations have occurred on these grounds. Apart from that any distinction on such grounds can be assumed to be arbitrary since there can be no legitimate connection between such a ground as race and a different treatment prescribed or envisaged. Since the criteria which must not be used to justify an unequal treatment are broadly phrased, the treaty bodies mostly found a way to overcome the lack of the one or other criterion. However, this was not always the case. In the practice of CERD, for example, the lack of referring to language as one of the prohibited distinguishing criteria hindered the Committee to deal with an individual complaint against the discrimination of the Bretonic language in France. In assessing the meaning of the prohibition of discrimination account is to be taken of the fact that the international human rights instruments do not provide for a general right to equal treatment as, for example, Art. 3 of the German Constitution. Certainly, Art. 1 of the Universal Declaration on Human Rights refers to the principle of equality as a leading principle but this norm is not construed as a right to 26 See on that the still relevant study of the UN Secretary-General, The Main Types and Causes of Discrimination, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/40/Rev. 1, 1949. 27 See Art. 2 of the Convention on the Rights of the Child.

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equal treatment. Compared to the protection of the right to equal treatment as contained in many national constitutions the protection of equality under international human rights instruments is either accessory as in common Art. 3 of the Covenants or limited in scope. The ICCPR as well as ICESCR provide for the equal enjoyment of civil and political rights (Art. 3 both Covenants), equality before courts and tribunals, entitlement, in full equality, to the minimum guarantees enumerated in subparagraphs (a) to (g) of paragraph 3 (Art. 14 paras. 1 and 3 ICCPR) and equality before the law as well as equal protection of the law (Art. 26 ICCPR). In particular, equality before the law only addresses the judicial and the executive powers of a State but not its legislature. Accordingly international human rights treaties lack the powerful mechanism provided for in national constitutions to reshape societies through the means of the obligation to provide for equal treatment. Having stated at the beginning that the prohibition of discrimination is supplementing the obligation for equal treatment, this is of significance for assessing the relevance of the prohibition of discrimination. As a hypothesis one may say the less the norm in question enshrines an obligation to provide for equal treatment the more there is the temptation that this alleged lacuna is to be filled by broadening the scope of the prohibition to discriminate. The twelfth Additional Protocol to the ECHR as well as the General Recommendation No. 20 of the Committee of ICESCR mentioned in the Introduction may have been guided by this consideration.

C. General Comments/General Recommendations of Human Rights Treaty Bodies General Comment No. 18 of the Human Rights Committee provides, as already indicated, a definition of the term “discrimination” having recourse to ICERD and CEDAW. But what is remarkable in this General Comment is that it treats the obligation to prohibit discrimination as more or less synonymous with the obligation to provide for equal treatment.28 The General Comment, when specifying the obligations of States Parties, rightly points out that the Covenant requires States Parties to take measures to guarantee the equality of rights of the persons concerned. But it does not seem to realise that the implementation of the prohibition of discrimination may also require legislative action (although ICERD is quite clear in this respect). But what is altogether missing in General Comment No. 18 is that the obligations to eliminate discrimination require repressive actions to be taken whereas equality before the law or equal protection of the law can only be implemented by affirmative action. What is essential to note is that – different from the General Comment No. 20 of the Committee of Economic, Social and Cultural Rights adopted ten years later – the 28

See General Comment No. 18 of the Human Rights Committee, para. 1.

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General Comment No. 18 of the Human Rights Committee contains no allusion to a wider scope for the prohibition of discrimination. General Recommendation No. 29 of CERD attempts to interpret the term “descent” as one of the criteria which must not be used to justify a different treatment. The background for this general recommendation was that when dealing with the State report of India the rapporteur of CERD on that report had criticised the caste system as a violation of Art. 1 ICERD. The representative of India responded that the caste system had a social and religious background and did not reflect racial differences. CERD, however, disagreed. While accepting that castes did not identify different races it insisted that, since one is born into a caste, castes are based on descent.29 Although one cannot agree with CERD it should have made clear that the most inferior group is the one without a caste. How CERD sees the obligation under the Convention becomes quite evident if one scrutinises the measures CERD considers to be necessary for fully implementing them. Firstly, CERD requires States to take stock of the situation different castes face in public – which is to be expected – but also in private life. The general recommendation mentions in particular “socially enforced restrictions on marriage outside the community, private and public segregation […], access to public sources of food and water […] and generalized lack of respect for their human dignity and equality.” Apart from monitoring the situation CERD requires the States concerned to take positive action to remedy the situation. The general recommendation is quite detailed in this respect and gives witness to the fact that CERD has had a clear picture of the situation in the States concerned. General Recommendation No. 32 of CERD has the objective to shed some light on the meaning and scope of special measures referred to in ICERD. However before doing so the general recommendation makes a couple of interesting statements. So it is stated in para. 5 that the Convention is “a living instrument that must be interpreted and applied taking into account the circumstances of contemporary society.” This means two things. First of all, it means that all the provisions of the Convention are not static but should be interpreted in an evolutionary way responding to the needs of the society. In this case it is particularly relevant to consider the views on the needs of the groups which mostly are meant to benefit from that Convention. The second element of that statement is that obviously the Committee considered itself to be the main promoter of the Convention and therefore assumes the responsibility 29 See General Recommendation No. 29 of CERD: “Confirming the consistent view of the Committee that the term ‘descent’ in Art. 1, paragraph 1, the Convention does not solely refer to ‘race’ and has a meaning and application which complement the other prohibited grounds of discrimination. Strongly reaffirming that discrimination based on ‘descent’ includes discrimination against members of communities based on forms of social stratification such as caste and analogous systems of inherited status which nullify or impair their equal enjoyment of human rights” (emphasis added).

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not only to oversee the implementation of the Convention but also to progressively develop it. This recommendation strengthens and reemphasises the connection between the protection of human rights and the prohibition of discrimination. In this respect it is said that the list of human rights referred to is not exhaustive.30 But CERD does not further elaborate on this; in particular, no attempt is being made to broaden the scope of the prohibition to discriminate under ICERD. As far as special measures are concerned the general recommendation does not add much. It emphasises the limitations on special measures, namely that they shall not be continued after the objective for which they have been taken has been achieved, and that such measures do not lead to the maintenance of separate rights for different racial groups. The General Comment No. 20 of the Committee of Economic, Social and Cultural Rights broadens the scope of the prohibition of discrimination by prescribing under the notion of “other status” certain criteria which must not be used for distinctions. The criteria added are disability, age, nationality, marital and family status, sexual orientation and gender identity, health status, place of residence and economic and social situation. By broadening the list of prohibited criteria the prohibition of discrimination is moved to a more general principle of equal treatment. The Committee was obviously aware of it and attempted to balance its broadening of the scope of the prohibition to discriminate. The only threshold which is remaining is that a different treatment based on prohibited grounds will be assumed to be discriminatory unless the justification for a different treatment is reasonable and objective. This will include an assessment as to whether the aims and effects of the measures are legitimate, compatible with the nature of the Covenant’s rights and solely for the purpose of promoting the general welfare in a democratic society. In addition, there must be a clear and reasonable relationship of proportionality between the aims sorted to be realised and the measures on missions and their effects. These two statements should be seen as to balance each other. One can easily argue that broadening the scope is increasing the protection the individuals may receive under the prohibition of discrimination. On the other hand, one must also argue that including a reasonableness test in the prohibition of discrimination weakens the formerly rigid prohibition of discrimination on the traditionally prohibited ground. It is hardly defensible to say that any distinction on the basis of race is permissible even if it is alleged to serve the public welfare.

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See General Recommendation No. 32 of CERD, para. 9.

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D. Concluding Remarks As has been demonstrated the prohibition of discrimination has undergone some evolution which has resulted in a broadened scope of the latter. Two different approaches may be identified, namely by referring to the establishment of rights under national law or by enlarging the list of prohibited grounds. Technically in both cases the prohibition of discrimination remains accessory, and this accessory nature is rather theoretical. In both cases the prohibition mutates de facto into a principle close to the general obligation to provide for equal treatment. However, even if this gain on the side of the individuals is now protected, as far as the approach pursued by the Committee of the Covenant on the Protection of Economic, Social and Cultural Rights is concerned, it results in a drawback of the meaning and relevance of the prohibition of discrimination as such. Balancing the extended scope of the prohibition by introducing a reasonableness test is not adequate in dealing with discrimination on the grounds of race, sex, ethnic origin etc. Sure one may argue a distinction on the basis of such grounds may never meet the reasonableness test, but one should not be too sure about it. Anyhow the introduction of the reasonableness test already provides States with new excuses for not implementing the prohibition of discrimination as formulated in the Universal Declaration and in ICERD. Even that is a high price.

III. Der Mensch und die rechtliche Ordnung seiner Umwelt

Economic, Social and Cultural Rights and Climate Change By Ariranga G. Pillay

A. Introduction This paper will deal with four core issues: 1. the links between climate change and economic, social and cultural rights; 2. the negative effects of climate change and of some response measures (mitigation or adaptation policies) to address climate change, on the enjoyment of economic, social and cultural rights; 3. international human rights standards, especially the International Covenant of Economic, Social and Cultural Rights (the Covenant), which provide important safeguards for individuals and groups whose rights are affected by climate change, particularly vulnerable individuals and groups; and 4. climate change in the work of the UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (the Committee), highlighting in this regard the legal obligations, national and international, of States and other actors. First, what is climate change? Today, the term “climate change” is most often used as shorthand for anthropogenic climate change – in other words, climate change caused by humans. The principal way in which humans are understood to be affecting the climate is through the release of heat-trapping greenhouse gases into the air. Climate change is used interchangeably with another phrase, “global warming”, which reflects the strong warming trend that scientists have observed over the past century or so. Strictly speaking, however, climate change is a more accurate phrase than global warming, not least because rising temperatures can cause a host of other climatic impacts, such as changes in rainfall patterns.

B. Links Between Climate Change and Economic, Social and Cultural Rights Principle 1 of the 1972 Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment (the Stockholm Declaration) states that there is “a fundamental

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Ariranga G. Pillay

right to freedom, equality and adequate conditions of life, in an environment of a quality that permits a life of dignity and well-being”1. The Stockholm Declaration, therefore, reflects a general recognition of the interdependence and interrelatedness of human rights and the environment. The Covenant, however, does not refer to a specific right to a safe and healthy environment but recognizes the intrinsic link between the environment and the realization of a range of human rights, such as the right to life, to health, to food, to water, and to housing. The Committee has clarified that the right to adequate food requires the adoption of “appropriate economic, environmental and social policies” and that the right to health “embraces a wide range of socio-economic factors that promote conditions in which people can lead a healthy life, and extends to the underlying determinants of health, such as food and nutrition, housing, access to safe and potable water and adequate sanitation, safe and healthy working conditions, and a healthy environment.”2

The Committee has also defined the right to water as the right of everyone to sufficient, safe, acceptable, physically accessible and affordable water for personal and domestic uses, such as drinking, food preparation and personal and household hygiene.3 It is to be noted that climate change, just like other causes of water stress, such as population growth, environmental degradation, poor water management, poverty and inequality, will thus exacerbate existing stresses on water resources and compound the problem of access to safe drinking water presently denied to an estimated 1.1 bn people globally and a major cause of morbidity and disease. The right to adequate housing has been defined by the Committee as “the right to live somewhere in security, peace and dignity” and the core elements of this right include security of tenure, protection against forced evictions, availability of services, materials, facilities and infrastructure, affordability, habitability, accessibility, location and cultural adequacy.4 1

Emphasis added. See Right to adequate food (Twentieth session, 1999), U.N. Doc. E/C.12/1999/5 (1999), General Comment No. 12, and The right to the highest attainable standard of health (Twenty-second session, 2000), U.N. Doc. E/C.12/2000/4 (2000), (E/C.12/2000/4.), General Comment No. 14, . 3 The right to water (Twenty-ninth session, 2003), U.N. Doc. E/C.12/2002/11 (2003), General Comment No. 15, . 4 See Plans of action for primary education (Twentieth session, 1999), U.N. Doc. E/C.12/ 1999/4 (1999), General Comment No. 11, and Forced evictions, and the right to adequate housing (Sixteenth session, 1997), U.N. Doc. E/1998/22, annex IV at 113 (1998), General Comment No. 7, . 2

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It is significant that until now only the African Commission on Human and Peoples’ Rights (the African Commission) has protected “a right to a satisfactory environment” as specified in the African Charter of Human and Peoples’ Rights. In the Ogoni case, the applicants had claimed that certain oil companies had, through their extraction operations, caused environmental degradation and health problems to the people of Ogoniland in Nigeria in that toxic wastes had been disposed of and numerous avoidable oil spills had occurred near villages so that the region’s soil and water had been contaminated and poisoned. The African Commission held that the right to a general satisfactory environment imposes clear obligations on the State party “to take reasonable and other measures to prevent pollution and ecological degradation, to promote conservation, and to secure an ecologically sustainable development and use of natural resources.”

C. Negative Effects of Climate Change on the Enjoyment of Economic, Social and Cultural Rights Climate change-related impacts on human rights can be of a direct nature, such as the threat extreme weather events, such as heat waves, floods, storms and droughts may cause to the right to life, but will often have an indirect and gradual effect on human rights, such as increasing stress on health systems. The rights to food and water, for example, will also be affected as climate change reduces the supply and security of both while raising their costs. The right to adequate housing is affected as sea levels rise and storm surges flood coastal and hazardous areas, affecting habitability as well as causing important internal relocation and displacement. This increases shelter needs as well as the need to ensure protection from forced evictions, without appropriate forms of legal or other protection, including adequate consultation with affected persons. Climate change also impacts negatively on the right to culture of indigenous peoples since their climate-sensitive ways of life are affected by global warming such as the loss of hunting opportunities for some or of traditional territories for the pastoral, forest or coastal communities. Climate change, as indicated already, poses a threat to the fulfilment of human rights but finding solutions to climate change may also threaten human rights. Response strategies to address climate change are of two types: 1. mitigation aimed at minimizing the extent of global warming by reducing emission levels and stabilizing greenhouse gas concentrations in the atmosphere, such as building a dam for hydropower, reforestation or other land-use changes; and

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2. adaptation aimed at strengthening the capacity of societies and ecosystems to cope with, and adapt to, climate change risks and impacts, such as switching to biofuels and shifting agricultural land use from food to fuel. State-managed relocation or displacement of local communities from the lands they occupy for the purpose of building a dam, for example, may impact adversely on those communities and call for their effective participation in the decision-making process e. g. access to information, prior consultation, free and informed consent, compensation or suitable alternative accommodation and access to justice. Moreover, reforestation may involve interfering with the rights of indigenous peoples and forest dwellers and ensuring that land is not used for food production. Switching to biofuels and shifting agricultural land use from food to fuel are likely to increase food prices, as has happened already, and further worsen globally the plight of the hungry. Since climate change places an additional burden on the resources available to States, economic, social and cultural rights are likely to suffer, with States parties often citing climate-change related environmental degradations as causes for noncompliance with their legal obligations under the Covenant. Those who bear the brunt of the adverse effects of climate change are undoubtedly those sections of the population which are already in a vulnerable position, namely women, children, older persons, persons with disabilities, indigenous peoples and internally displaced people (IDPs). For instance, it is estimated that 85 % of people displaced by the devastating floods in Pakistan are women and children. According to UN figures, over 500,000 pregnant women have been affected by the floods which have dramatically worsened health conditions in a country that has already one of the highest mortality rates in the world. Moreover, a 2007 study of weather-related disasters in 141 countries provided conclusive evidence that gender differences in deaths from natural disasters are directly connected to women’s economic and social rights.5 Indeed women and children are 14 times more likely to die than men in a disaster. I shall now quote, for the sake of illustration, from the periodic report of one State party, Australia, the following concern the Committee had expressed and the recommendation it had made in 2009 in relation to the negative effects of climate change: “The Committee is concerned at the negative impact of climate change on the right to an adequate standard of living, including on the right to food and the right to water, affecting

5 E. Neumayer/T. Plümper, “The Gendered Nature of Natural Disasters: The Impact of Catastrophic Events on the Gender Gap in Life Expectancy”, (2007) 97:3 Annals of the Association of American Geographers 551.

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in particular indigenous peoples, in spite of the State party’s recognition of the challenges imposed by climate change.6 The Committee recommends that the State party take all the necessary and adequate measures to ensure the enjoyment of the right to food and of the right to affordable drinking water and sanitation, in particular by indigenous peoples, using a human-rights based approach, in line with the Committee’s general comments No. 15 (2002) on the right to water, No. 14 (2000) on the right to the highest attainable standard of health and No. 12 (1999) on the right to food. It also recommends that the State party intensify its efforts to address issues of climate change, including through carbon reduction schemes. The State party is encouraged to reduce its greenhouse gas emissions and to take all the necessary and adequate measures to mitigate the adverse consequences of climate change, impacting the right to food and the right to water for indigenous peoples, and put in place effective mechanisms to guarantee consultation of affected Aboriginal and Torres Strait-Islander peoples, so to enable them to exercise their rights to an informed decision as well as to harness the potential of their traditional knowledge and culture in land management and conservation”.

D. A Human Rights Approach to Climate Change Although climate change is an ecological, economic and a political challenge, it is necessary to bring the human rights perspective of climate change to the centre of the climate change discussion, thus underscoring the fact that climate-change related effects are felt not only by States and economies but, more importantly, by individuals and groups whose life and dignity are at stake. Moreover, such individuals and groups are affected differently so that policy responses need to reflect such differences and target those who are most affected. The adoption of a human rights approach in preventing, and responding to, the adverse effects of climate change serves to empower individuals and groups, who are to be perceived as active agents of change and not as passive victims. This underlines the importance of ensuring that human rights standards and principles inform and strengthen policy measures in the area of climate change. A rights-based approach to climate change integrates, in essence, the norms, standards and principles of international human rights treaties and declarations into climate change strategies. These norms, standards and principles consist of “the entire range of civil, cultural, economic, political and social rights and the right to development”7, and inform and shape policies and institutions aimed at ad6

Concluding Observations of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights of 22 May 2009, para. 27, . 7 “Substantive Issues Arising in the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights: Poverty and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights”, Statement adopted by the Committee on Economic, Social and

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dressing climate change and empower those affected by climate change by granting them entitlements or rights. It is to be noted that what the Committee has stated in connection with poverty applies equally to climate change, with such modifications and adaptations as are necessary in the circumstances. Consequently, freedom from the effects of climate change is a legal entitlement or right, rather than a commodity or service provided on a charitable basis, and combatting climate change becomes more than charity or welfare but a legal obligation. These entitlements or rights give rise to legal obligations on States, as primary duty-holders, which have ratified such treaties or subscribed to those declarations, to take concrete measures to respect, protect and fulfil those entitlements and to ensure that all those operating within their jurisdiction, including individuals, communities, civil society organizations and the private sector, do the same. The Committee has stressed, in this connection, that “rights and obligations demand accountability” and that international human rights law requires that “mechanisms of accountability must be accessible, transparent and effective”8. Accountability requires that all duty-bearers, including States and non-state actors, such as international organizations, national human rights institutions, civil society organizations and the private sector, “are held to account for their conduct in relation to international human rights law”9 For instance, in the context of climate change, the Committee examines, in monitoring the progress achieved by States parties, whether adequate laws, policies, institutions, administrative procedures and practices and mechanisms of redress, which conform to the provisions of the Covenant and prevent third parties from abusing Covenant rights, have been adopted at the national level. Moreover, appropriate indicators, disaggregated to reflect the condition of specially disadvantaged and marginalized individuals or groups among them, which have been identified by States parties, in terms of which they have set targets or benchmarks and time frames, will also enable the Committee to monitor the progress achieved by the State parties in addressing climate change and to recommend any remedial measures required. In this regard, the Optional Protocol to the Covenant (the Optional Protocol), adopted by the UN General Assembly, which will come into force after ten States parties have ratified the Covenant (so far only eight have done so) provides for individual and group complaints at the international level in relation to any alleged viCultural Rights on 4 May 2001, para. 10, . 8 Id., at para. 14. 9 Id.

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olation of the Covenant rights. The Optional Protocol will, inter alia, enhance the international accountability of States parties by obliging them to live up fully to their international obligations and provide effective mechanisms of redress at the national level while giving to the Committee an opportunity of re-affirming not only the universality, indivisibility, interdependence and interrelatedness of all human rights but also the justiciability of economic, social and cultural rights and developing its own case-law in the area of all Covenant rights and climate change. A human rights perspective to climate change is also grounded in the principles of equality and non-discrimination which are essential elements of international human rights law, including the Covenant. States must, irrespective of resource constraints, guarantee the principles of equality and non-discrimination in access to all economic, social and cultural rights. Such principles call for abstentions from inequalities and discrimination which may take various forms, including explicit legal inequalities in status and entitlements, policies of indirect discrimination and deeply rooted exclusions and distinctions and also impose a duty on States to take positive steps to combat inequalities and discrimination by 1. reducing, for example, the structural disadvantages suffered by disadvantaged, marginalized or socially excluded individuals and groups e. g. women and girls, children, older persons, people with disabilities, indigenous peoples and IDPs; and 2. giving appropriate preferential treatment in strategies to combat climate change to such individuals or groups that are unable, on grounds reasonably considered to be beyond their control, to realize, for example, the right to an adequate standard of living. A human rights approach to climate change also requires that all those whose rights are affected by climate change or by measures taken to respond to climate change, including vulnerable individuals and groups, “participate in the relevant decision-making processes” i. e. the formulation, implementation and monitoring of policy measures to address climate change. For example, adequate and meaningful consultation with affected people should precede decisions to relocate them away from hazardous zones. If those right-holders are to participate effectively in those measures, they must, apart from being able to take part periodically in free and fair elections, have the right of association, the right of assembly, freedom of speech, the right to information and the right to enjoy at least basic levels of economic, social and cultural rights, such as access to basic medical care, essential drugs, basic shelter and housing and to compulsory primary education free of charge. The interdependence and indivisibility of economic, social and cultural rights, on the one hand, and civil and political rights, on the other, as already mentioned, is thus recognised in a rights-based approach to climate change which, in essence, addresses

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climate change in such a way as to fulfil and further human rights and not to impair them.

E. Climate Change in the Work of the Committee Reference has already been made to the Committee’s General Comments No. 7, 11, 12, 14 and 15, to its Statement on Poverty and to its concluding observations made in 2009 in respect of the periodic report of Australia. Moreover, with regard to the displacement of people, as a result of climate change, the States parties to the Covenant must provide adequate safeguards and take appropriate measures, legislative or otherwise,, to avoid forced evictions, the more so as “women, children, youth, older persons, indigenous peoples, ethnic and other minorities, and other vulnerable individuals and groups all suffer disproportionately from the practice of forced eviction”10. Moreover, in its Statement on the World Food Crisis adopted in May 2008, the Committee “urges States parties to address the structural causes [of the food crisis] at the national and international levels, including by: implementing strategies to combat global climate change that do not negatively affect the right to adequate food and freedom from hunger, but rather promote sustainable agriculture, as required by article 2 of the United Nations Framework Convention on Climate Change”11.

The Committee, in its General Comment No. 14 on the right to the highest attainable standard of health, cited the preamble and Art. 3 of the United Nations Framework Convention on Climate Change as emerging international law and practice in relation to protective measures taken in relation to indigenous peoples, namely that “development-related activities that lead to the displacement of indigenous peoples against their will from their traditional territories and environment, denying them their sources of nutrition and breaking their symbiotic relationship with their lands, has a deleterious effect on their health”12. Finally, in its General Comment No. 15 on the right to water, the Committee spoke of certain obligations of States parties in relation to the right to water: “States parties should adopt comprehensive and integrated strategies and programmes to ensure that there is sufficient and safe water for present and future generations. Such strategies and programmes may include: (a) reducing depletion of water resources through unsustainable extraction, diversion and damming; (b) reducing and eliminating contamination of watersheds and water-related eco-systems by substances such as radiation, harmful chemicals and human excreta; (c) monitoring water reserves; (d) ensuring that proposed developments 10

General Comment No. 7, supra fn. 4, at para. 10. UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights Adopts Statement on Food Crisis (E/C.12/2008/1), Statement of 19 May 2008, para. 13, . 12 General Comment No. 15, supra fn. 3, at para. 27. 11

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do not interfere with access to adequate water; (e) assessing the impacts of actions that may impinge upon water availability and natural-ecosystems watersheds, such as climate change, desertification and increased soil salinity, deforestation and loss of biodiversity”13.

F. Legal Obligations of States and Other Actors The legal obligations of States parties under the Covenant can provide effective protection to the vulnerable individuals or groups whose rights are particularly affected by climate change or by measures taken to respond to climate change, namely women, children, older persons, persons with disabilities, indigenous peoples and IDPs. These obligations of States parties include taking measures towards the full realization of economic, social and cultural rights to the maximum extent of their available resources. While the Covenant recognizes that some aspects of economic, social and cultural rights may only be realized progressively over time and allows for the setting of priorities among Covenant rights, in the course of progressive realization or making trade-offs among those rights, in the light of social priorities and resource constraints, it also imposes obligations which require immediate implementation and do not admit of any trade-off. First, States parties must take deliberate, concrete and targeted measures, making the most efficient use of available resources, to move as expeditiously and effectively as possible towards the full realization of Covenant rights. Second, irrespective of resource constraints, States must guarantee the principles of equality and non-discrimination in access to economic, social and cultural rights, as mentioned already. Third, States parties have a minimum core obligation to ensure, with immediate effect, the satisfaction of, at the very least, minimum essential levels of each of the rights set out in the Covenant, even in situations of conflict, emergency and natural disaster, which they are then required to improve over time. Core obligations do not permit any trade-off since they must be met as a priority and have a first call on the resources of those States. For example, the core content of the right to social security includes “an obligation on the state party to ensure access to a social security scheme that provides a minimum essential level of benefits to all individuals and families that will enable them to acquire at least essential health care, basic shelter and housing, water and sanitation, foodstuffs, and the most basic forms of education”.14

13

Id., at para. 28. The right to social security (art. 9) (Thirty-ninth session, 2007), U.N. Doc. E/C.12/GC/ 19 (2008), General Comment No. 19, para. 59, . 14

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The Committee underlines the fact that it is particularly incumbent on all those in a position to assist, including developed states and international organizations, to provide international assistance and cooperation, especially economic and technical, to enable developing countries to fulfill their core obligations, guaranteeing to the people of those countries no more than the minimum subsistence level necessary for survival and for living a life of dignity. If core obligations give rise to national responsibilities for all States parties to the Covenant, they engender international responsibilities for developed states and international organizations. Consequently, the core obligations corresponding to all the Covenant rights establish an international minimum threshold that all national and international developmental strategies, including strategies to address climate change, must respect. Developed states and international organizations must assist developing countries to comply with all their core obligations and meet this international minimum threshold. Moreover, in this regard, developed States must, for example, support human rights-related development projects and ensure that their Official Development Assistance (ODA) contributions to developing countries are no less than the U.N. target of 0.7 per cent of GNI.

G. Conclusions The following conclusions may be drawn: First, we are failing to address properly economic, social and cultural rights and climate change. For instance, the report on the Millennium Development Goals stated that 1.4 billion people are still living in extreme poverty while the number of people suffering from hunger reached one billion in 2009. In 2009 global greenhouse gas emissions were 25 % higher than they were in 2000 and 40 % higher than they were in 1990 and yet the Kyoto Protocol aimed to reduce those emissions by 5 % from 1990 levels by 2012! Second, the non-fulfillment of economic, social and cultural rights will be made worse by climate change and the vulnerable individuals and groups who already have weak human rights protection are also most prone to climate change harms. The UN Special Rapporteur on the Right to Food forecasts, for instance, that 600 million more people will be at risk of starving by 2080 while the World Food Program (WFP) claims that global hunger levels rose in 2009 in spite of food being available. Moreover, many people were unable to feed themselves not because they could not find food but because, according to WFP, they could not afford it and that “we are now living in a world where risk is the new normal”.

Economic, Social and Cultural Rights and Climate Change

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Third, people living in the least developed countries and Small Island States which have contributed least to global warming will be the worst affected. Last but not least, fulfilling human rights and addressing climate change are two mutually reinforcing goals. In order to be able to do either, States need to do both. This is precisely where the Committee comes in since it has the expertise and the necessary material at its disposal to monitor, in examining their periodic reports, whether States parties to the Covenant are fulfilling the economic, social and cultural rights of the people under their jurisdiction and whether effective protection is provided in this regard to the vulnerable individuals or groups whose rights are particularly affected by climate change or by measures taken to respond to climate change, including women, children, older persons, persons with disabilities, indigenous peoples and internally displaced people.

International Law and Renewable Energy: Filling the Void By Adrian J. Bradbrook

A. Introduction In the fields of international environmental law and human rights, international law has been in rapid expansion during the last 40 years. These areas have expanded dramatically since their earliest origins in the Stockholm Declaration on the Human Environment1 and the Universal Declaration of Human Rights,2 respectively. Both these areas have been of particular interest to Professor Riedel during his distinguished career as an international lawyer. One area that has seen no such expansion has been that of renewable energy. This is surprising, both in light of its global importance and the fact that other sources of energy, such as oil and gas and nuclear, have long been subject to management by various comprehensive international instruments. This topic is pertinent to this volume as at the domestic level both Germany and Australia have introduced comprehensive legislation designed to promote sustainable energy in general, and renewable energy in particular. Some other developed nations, particularly the United States and member states of the European Union, have also been active in this domestic field. As is generally recognised, however, the environmental and developmental aspects of energy production and consumption do not recognise international boundaries, and for this reason the rapid deployment of renewable energy worldwide requires a response from international law. The purpose of this paper is to examine the development of international law in this field and to discuss possible ways forward for the future expansion of international law on renewable energy.

1 2

UN Doc. A/CONF/48/14/REV 1 (1972). G.A. Res. 217 A (111); UN Doc. A/810 (1948).

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B. Why is Renewable Energy Important? In order to justify a major shift away from the existing fossil fuel supplies for generating electricity, it is important to explain the reasons for so doing. The following issues are of pressing concern in the modern era: I. Climate Change Climate change is indisputably the major current international environmental problem facing the world. The nature of the problem has been exhaustively documented by the reports of the International Panel on Climate Change,3 and the scientific evidence for the effect of climate change appears now to be regarded as beyond reasonable argument. While there are many elements contributing to climate change, by far the greatest problem is the increasing release of carbon into the atmosphere, the bulk of which results from coal-fired power stations, although the use of oil and gas also makes a significant contribution. Energy makes the major impact of all sectors of the economy. While figures differ slightly between each state depending on its energy mix, in developed countries energy production and consumption is responsible on average for 83 % of all carbon emissions.4 Climate change cannot thus be effectively addressed unless radical change is made to the energy mix in society so as to increase the contribution of non-carbon polluting sources. Renewable energy technologies are the most obvious candidates. II. Access to Modern Energy Services In many developing countries, the most pressing issue affecting energy use and production is the lack of access to electricity for a substantial proportion of the population. This issue relates closely by analogy to the lack of access to clean water in developing countries, an area in which Professor Riedel has made significant and groundbreaking contributions in his role as a long-standing member of the United Nations Committee for Economic, Social and Cultural Rights. The problem of lack of access to energy services is particularly acute in Africa and south Asia, where in some countries less than 10 % of the population has electricity. In its ground-breaking report, World Energy Assessment, the United Nations reported in 2000 that around two billion people worldwide are denied access to modern energy services and are forced to rely, instead, on traditional energy sources such as burning firewood and dung.5 This reliance deprives children of educational opportunities be3

See IPCC Fourth Assessment Report, Climate Change 2007, . International Energy Agency, CO2 Emissions from Fuel Combustion – Highlights (2009 ed), at 8; Green Paper on Sustainable Energy Policy for Australia, at 20. 5 United Nations Development Programme, World Energy Assessment: Energy and the Challenge of Sustainability (2000), . See also UN-Energy, Energy Access, ; United 4

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cause no light is available for studying after nightfall.6 It also prevents women from engaging in economic activities because they must spend a significant proportion of their day searching for firewood.7 The negative health effects associated with using traditional energy sources are also significant. Burning solid fuels in traditional stoves in poorly ventilated kitchens causes high levels of internal air pollution in homes, affecting the health of all occupants, but primarily women and children.8 Additionally, the lack of available energy to extract clean subsurface water or to boil water increases the risk of drinking contaminated water.9 The UNDP advises that renewable energy resources and energy efficiency measures will play a key role in reducing poverty.10 Solar and wind energy are seen as particularly important because they are capable of fueling stand-alone energy systems, which will continue to be indispensable in rural areas of less developed nations, where electrification programs are unlikely to extend beyond major cities and towns.11 III. Energy Security This issue relates not only to the need to ensure continued availability of oil and gas supplies, but also to ensure that the prices for the resources are relatively stable and equitable. This is a major concern for all nations, particularly developed countries that rely on steady oil supplies to maintain their affluent living standards.12 Nations Development Programme, World Energy Assessment: Overview 2004 Update (2004). The issue is also discussed in: A. J. Bradbrook/J. G. Gardam, “Placing Access to Energy Services within a Human Rights Framework” (2006) 28 Human Rights Quarterly 389; A. J. Bradbrook/J. G. Gardam, “Energy and Poverty: A Proposal to harness International Law to Advance Universal Access to Modern Energy Services” (2010) 57 Netherlands International Law Review 1; R. Centurelli, “Energy Poverty: Can We Make Modern Energy Access Universal? Focus On Financing Appropriate Sustainable Energy Technologies” (2011) 22 Colorado Journal of International Environmental Law and Policy 219; S. R. Tully, “The Contribution of Human Rights to Universal Energy Access” (2006) 4 Northwestern University Journal of International Human Rights 518; A. Gaye, Human Development Report 2007 – 2008 (New York, UNDP). 6 World Energy Assessment, supra fn. 5. 7 Id. 8 Id. at 11. 9 See id. at 9, tbl. 2. 10 Id. at 7. 11 See Y. Omorogbe, “Promoting Sustainable Energy through the Use of Renewable Energy: The Role of the Law”, in D. Zillman et al. (eds.), Beyond the Carbon Economy, 2008, 39; United Nations Development Programme, World Energy Assessment: 2004 Update 35 – 36 (2004). 12 See C. Park, Acid Rain: Rhetoric and Reality (1987), 3, 91; J. Regens/R. Rycroft, “Options for Financing Acid Rain Controls”, (1986) 26 Nat Resources J. 519. This problem is now controlled in some states by the United Nations Convention on Long-Range Transboundary Air Pollution, Nov. 16, 1979, 18 I.L.M. 1442.

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Threats to energy security are increasingly seen as an issue of international peace and security.13 Even though oil supplies in recent years have been relatively secure, there have been very significant fluctuations in the world price. This has caused disruption to world trade and economic growth in many countries. It is axiomatic that the more use that is made of renewable energy technologies for generating power, the lower will be the price of fossil fuels as a result of the supply-demand balance. Thus renewable energy is a key factor in the energy security debate. IV. Conservation of Existing Fossil Fuels Even though, adopting an optimistic approach, renewable energy resources play the leading role in our energy mix in the long term, there will always be a need and use for fossil fuels in society. For this reason, following basic principles of international environmental law, we need to conserve as far as practicable our remaining supplies under the principle of intergenerational equity.14

C. Legal and Policy Issues Regarding the Development of Renewable Energy It is important for the future development of renewable energy that we identify the reasons behind the lack of its development and market penetration. Several disparate reasons can be identified, which collectively ensure that the development of renewable energy is retarded. In the opinion of the author of this article, the following reasons are the most acute and most in need of rectification: I. Solar and Wind Energy Divide the Environmental Movement From an environmental perspective, there is much about solar and wind energy that is to be commended and supported. The environmental attributes of these resources are mostly self-evident: • They are free from atmospheric carbon emissions (except for the manufacture of the solar and wind installations); • They reduce the need for the burning of fossil fuels and so aid in clean air initiatives for major cities;

13 See e. g., A. Steiner, Foreword to Climate Change and Energy Security xxii, xxiii (F. Dodds et al. (eds.), 2009). 14 A. Kiss/D. Shelton, International Environmental Law, (3rd ed. 2004), ch 1.

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• Their manufacture requires no mining activities and disruption to existing land management regimes; • They involve no groundwater pollution and contaminated land. Unfortunately, solar and wind energy can run counter to environmental goals other than clean energy. In the solar context, the promotion and advancement of this energy source often runs counter to environmental policies supporting heritage buildings and a treed environment. This is particularly so for heritage issues in historic inner suburban areas of the major cities and for treed environments in the outer suburban areas of many cities. Thus, the support amongst environmentalists for solar energy is patchy and qualified. The problem is more acute in respect of wind energy. Because the windiest sites are normally in exposed areas and areas close to the coastline, there are regularly environmental objections to the siting of wind farms based on visual pollution. In addition, there are problems of bird kills as a result of birds flying into rotating blades, noise pollution allegedly causing health problems to local residents, and allegations of interference with television and radio reception.15 For these reasons many environmental groups oppose on-shore wind energy development. The long term solution to this conflict may lie in off-shore wind energy installations. This is rapidly developing in northern Europe, but has not yet significantly progressed elsewhere. II. The Lack of Focus on Energy as Part of the Climate Change Debate In light of the large contribution of energy use and production for global atmospheric carbon emissions, it is surprising that environmental movements have been so slow in focussing on the need for fundamental reform of the energy industry. While the major organisations, such as IUCN and WWF, recognise climate change as a major issue, the major significance of the energy part of the equation appears to date to have been overlooked or downgraded. The reason for this is not immediately obvious. Perhaps it is because energy has not been seen historically as an environmental issue. The emphasis in environmental law has been on physical issues such as biodiversity and air and water pollution, and energy being an “intangible” has not been seen as part of the equation. If that is true, it is time for a radical rethink. It is axiomatic that the climate change issue cannot be resolved unless the role and availability of energy in modern society is reconsidered and reformed.

15 A. J. Bradbrook, “Liability in Nuisance for the Operation of Wind Generators” (1984) 1 Environmental and Planning Law Journal 128.

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III. Lack of Externalities Costings The major justification for the relatively low level of market penetration of renewable energy technologies is that they are not cost effective compared with traditional fossil fuels, such as coal and gas. The traditional argument by economists is that renewable energy technologies will only develop in significant quantities if and when they can compete without subsidies in an open market with the traditional fuels. This, of course, overlooks the significant incentives given to the fossil fuel industries. More importantly, however, it fails to account for the environmental costs associated with the operation of the fossil fuel industries. When costing coal and oil-fired electricity, no financial account is taken of the various forms of pollution associated with the fossil fuel industries, such as air, soil and water pollution, health issues, aggravation of climate change and pollution of the oceans. When these are factored in, a different picture emerges that shows that many renewable energy technologies are already cost effective. This energy analysis was first undertaken in the United States at the Pace Center for Environmental Law in 1990,16 but little change has occurred in that country or elsewhere since that time to recognise environmental externalities. Such recognition is vital for the future of renewable energy technologies. IV. Perceived Unreliability of Renewable Energy The perceived unreliability of some renewable energy technologies, particularly solar and wind energy, stems from the fact that the sun and wind are intermittent and variable resources, their availability being determined by the weather patterns and the seasons. Wind energy is also argued to be unreliable in terms of its allegedly heavy maintenance requirements, with wind generators being out of action for lengthy periods. For this reason it is said that solar and wind energy are useless as a base load electricity-generating source.17 The problem with excessive downtime for wind-generators appears to have been a problem with a fledgling industry and new technology. In recent years the down time has been reduced considerably, and there is no evidence that wind generators are more unreliable than other sources of power generation.18 In respect of the intermittent and variable nature of solar and wind energy, it is of course true that the strength of the wind and the weather patterns will determine the electricity output at any given time. It is submitted, however, that this is not as serious a problem as might appear at first glance. Solar and wind generators are most useful, not as base load power, but as peak load power. The major goal in electricity generation is to avoid expensive new power plants that may be required for only a small fraction of the year at times of peak 16

Pace University Center for Environmental Legal Studies, Environmental Costs of Electricity (1990). 17 See the discussion on this issue in . 18 See .

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consumption, either during heatwaves in summer or cold periods in winter. Solar and wind energy are ideally suited to this role as heatwaves likely coincide with times of peak solar radiation and cold periods are often associated with storms and high wind velocity. In addition, the variability of solar and wind power plants is often reduced by using them in tandem. Heatwaves are often associated with high solar insolation and low wind velocity, while cold periods often involve the reverse. V. No Centralised Control over Resources In light of the obvious advantages in rapidly increasing the market penetration of renewable energy technologies in developed countries, it is interesting to speculate why governments and energy industry leaders have been so reluctant to embrace these technologies wholeheartedly. Amory Lovins believes that the reason lies in the fact that compared with fossil fuel technology, renewable energy is very decentralised and can be utilised at both the individual and local levels.19 This control over the resources gives individuals increased power over decision making but gives correspondingly reduced power to governments and the fossil fuel industries. The switch to renewable energy also reduces the influence and power of the fossil fuel industries with governments. It is, of course, impossible to prove the real reasons. Another powerful factor is the threat of a significant change to the status quo in the energy field, and (in mineral-rich countries, such as Australia and Canada) a reluctance to abandon an industry which has served so well in amassing wealth for the country and providing the bulk of the country’s exports for a long time. VI. Inadequate United Nations Involvement and Lack of Public International Law While the United Nations has been supportive of renewable energy technologies in recent years, arguably its role in this field has been too limited. While the UN has established UN-Energy, a mechanism to increase sharing of information amongst the other UN agencies and to encourage joint programming and coordinated activities, there is no agency dedicated to sustainable energy within the United Nations.20 This can be contrasted with nuclear energy, which has received substantial ongoing support since its inception from the International Atomic Energy Agency, which the United Nations established in 1957 in order to promote the resource.21 Within the UN system, the Regional Economic Commissions play an important capacity building role in this field. UNEP and UNDP have also been important actors 19

A. Lovins, Soft Energy Paths (1977). See . 21 Established in 1957 by the Statute of the International Atomic Energy Agency: 8 UST 1092; TIAS 3873. Discussed in: A. Boyle, “Nuclear Energy and International Law: An Environmental Perspective” (1989) 60 British Yb Int L 257. 20

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to date. Some other specialised UN agencies have addressed renewable energy and energy efficiency within their portfolios in recent years, and the WHO and FAO also have included these technologies within their work plan for the near future. None of the intergovernmental organisations, such as the IEA and the Organization Latinoamericana de Energia (OLADE), have renewable energy and energy efficiency as their focus. As for financing, the World Bank and the regional development banks have financed a significant number of renewable energy projects throughout the world, sometimes in cooperation with private enterprise, but their role has been criticised as limited to large-scale projects, sometimes with questionable environmental results. The Global Environment Facility (GEF) operates over 100 programmes for the promotion of energy production and consumption from renewable energy, primarily within a domestic scope, although their projects do not address important issues such as taxation, subsidies and trade law on a global scale.22 In comparison with fossil fuels, where there is a plethora of international conventions and declarations supporting and managing the resource, there is little public international law directly applicable to renewable energy. Most of the relevant references are tangential. For example, the Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on Climate Change23 specifically refers to renewable energy only once. Article 2 specifies that each party should implement, inter alia, “research on renewable energy and environmentally sound technologies”. No further explanation or guidance is given. A similar cursory reference appears in the Energy Charter Treaty,24 where Article 19(d) requires each state “to have particular regard to improving energy efficiency, to developing and using renewable energy sources, to promoting the use of cleaner fuels and to employing technologies and technological means that reduce pollution”. Both these articles are drafted in a non-binding and loose form. There is clearly no possibility of international enforcement of any of these obligations in light of the tentative wording of the provision. There is also a number of non-binding declarations. Agenda 21, which arose from the 1992 United Nations Conference on Environment and Development (UNCED),25 provides that governments should “develop economically and environmentally sound energy sources, including renewable energy systems”,26 and “review current energy supply mixes to determine how new and renewable energy systems could be increased”.27

22 See A. Steiner/T. Waelde/A. Bradbrook/F. Schutyser, “International Institutional Arrangements in Support of Renewable Energy”, in: D. Assmann/U. Laumanns/D. Uh (eds.), Renewable Energy (2006), 152, at pp. 154 et seqq. 23 (1998) 37 ILM 22, available at . 24 (1995) 34 ILM 360. 25 Available at . 26 Chapter 9.12(a), (d). 27 Chapter 9.12(f).

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Somewhat more detail and direction is provided by the Johannesburg Plan of Implementation,28 which emanated from the 2002 World Summit on Sustainable Development. Paragraph 20 of the Plan of Implementation deals specifically with energy, calling upon governments, as well as relevant regional and international organisations and other relevant stakeholders, to take action at all levels to, inter alia: • Develop and disseminate alternative energy technologies with the aim of giving a greater share of the energy mix to renewable energies, • Combine the increased use of renewable energy resources, more efficient use of energy, greater reliance on advanced energy technologies, including advanced and cleaner fossil fuel technologies, and the sustainable use of traditional energy resources, • Diversify energy supply by developing advanced, cleaner, more efficient, affordable and cost-effective energy technologies, including fossil fuel technologies and renewable energy technologies, hydro included, and their transfer to developing countries on concessional terms as mutually agreed. The Plan of Implementation also calls on nations, with a sense of urgency, to substantially increase the global share of renewable energy sources with the objective of increasing its contribution to total energy supply, but it does not set any targets,29 and • Develop and utilise indigenous energy sources and infrastructures for various local uses and promote rural community participation in developing and utilising renewable energy technologies to meet their daily energy needs to find simple and local solutions. In the G8 Gleneagles 2005 Plan of Action, Climate Change, Clean Energy and Sustainable Development,30 the G8 undertook to take action in the key areas of transforming the way we use energy, powering a cleaner future, promoting energy research and development and financing the transition to cleaner energy.31 In relation to powering a cleaner future, the Plan of Action states in paragraph 11 that “to respond to the scale of the challenges we face, we need to diversify our energy supply mix, including increased use of renewables”.

28

A/CONF/L/6/Rev.2 (1992), available at . This clause was greeted with disappointment by a number of organisations as the Draft Plan of Implementation required industrialised countries to increase the share of renewable energy sources of total primary energy supply by at least 2 % of total energy supply by 2010 relative to 2000. During the plenary session on energy many stakeholders made representations calling for a global renewable energy target by 2010. 30 Available at . 31 Paragraph 1. 29

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The G8 proposes to promote the continued development and commercialization of renewable energy by, inter alia, working with developing countries to provide capacity-building assistance, develop policy frameworks, undertake research and development, and assess the potential for renewable energy.32 A range of measures are proposed in paragraphs 21 – 29 to finance the transition to cleaner energy. The parties acknowledge in paragraph 21 that positive investment climates and effective market models are critical to the uptake of new technologies and increased access to energy for economic growth. The G8 recognises that there are a range of tools to support a market-led approach to cleaner technology and energy resources and that each country will select those appropriate to its national circumstances.33 The parties agree to support a market-led approach to accelerating investment and the deployment of cleaner technologies that will help transition to a lowemission future, to promote dialogue on the role, suitability, potential synergies and timing of various policy approaches within the context of each country’s national circumstances, to invite the World Bank and other multinational development banks to increase dialogue with borrowers on energy issues, and to continue to work through their own bilateral development programmes, in line with their own national priorities, to promote more sustainable energy policies worldwide. The G8 will also work through multi-stakeholder partnerships to develop the policy, regulatory and financing frameworks needed in the major developing countries to provide a commercially attractive balance of risk and reward to private investors. The Beijing Declaration on Renewable Energy for Sustainable Development34 represents the most recent major non-binding international law declaration relevant to renewable energy and energy efficiency. The Declaration emphasises the multiple benefits of increasing the use of renewable sources of energy for improving access to energy services,35 states that the international community should stress its commitment to the scaling up of renewable energy development and use especially in developing countries, states that the parties agree to take further action at the national, regional and international levels to accelerate the market uptake of renewable energy technologies,36 commits parties to creating a positive investment climate to attract private capital for renewable energy,37 and recognises the need for making technical assistance for renewable energy accessible to developing countries.38 The Declaration notes that necessary actions for scaling up the use of renewable energy will include the creation of supporting legal, policy and institutional frameworks.39 32

Paragraph 16. Paragraph 21. 34 Available at . 35 Paragraph 3. 36 Paragraph 7. 37 Paragraph 9. 38 Paragraph 11. 39 Paragraph 8. 33

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These various references in support of renewable energy in international conventions and declarations are helpful in advancing international recognition, but fail to provide a base for encouraging the enactment of national legislation to support these technologies. International law is capable of providing stronger and more binding international instruments requiring national action plans and legislation in support of renewable energy. Such legislation is vital for the future as it is national legal instruments that will determine the future of renewable energy. Reference was made earlier to the lack of a UN agency dedicated to renewable energy. One recent exciting development has been the founding in 2009 of the International Renewable Energy Agency (IRENA).40 This is an intergovernmental agency designed to promote the worldwide adoption of renewable energy. It is the brainchild of the German government and reflects the frustration felt by many nations as to the lack of such a body at the United Nations. The Statute of IRENA came into force in mid-2010. There are currently 157 parties to the Statute. Based on its Statute, the mission of IRENA is as follows: • Collect renewable energy related information and knowledge, and analyse and disseminate current renewable energy practices, including policies and incentives, available technologies, and examples of best operational practice. • Foster international exchanges about renewable energy policy and its framework conditions. • Provide relevant policy advice and assistance. • Improve renewable energy knowledge that facilitates technology transfer and promotes the development of local capacity and competence. • Promote capacity building services such as training and education. • Provide information and advice on the financing mechanisms available for renewable energy projects. • Stimulate and encourage research (including on socio-economic issues), by fostering research networks to undertake joint research, development and deployment of technologies. • Provide information about the development and deployment of national and international technical standards in relation to renewable energy, based on a sound understanding through an active presence in the relevant fora, and • Disseminate knowledge and information and increase public awareness on the benefits and potential offered by renewable energy. The work of IRENA has only just commenced. It is to be hoped that IRENA will lead to the development of new recommended policies and legislation designed to lift renewable energy technologies from their current lowly status and application worldwide. 40

See .

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VII. Inadequate Legal Safeguards for Investors It is unrealistic to expect private investment in the energy industry unless adequate legal safeguards are put in place to protect the legitimate interests of investors. This is the history of the energy industry. All countries with exploitable reserves of fossil fuels have in place a comprehensive legal management regime that attempts to fairly balance the interests of all relevant stakeholders. Thus, for example, in Australia there is national and State legislation regulating the petroleum industry41 and geothermal energy legislation for those States where the resource exists.42 Currently there is no similar legal management regime in respect of renewable energy technologies (except geothermal energy). While these technologies do not require the same level of investment as the fossil fuel industries, nevertheless substantial sums of money are involved. For example, why would investors risk capital in planning and developing a wind farm if there are no clear laws determining the right to develop such sites and everything has to be left to the vagaries of the planning system based on vague legal rights and duties? Why would companies or individuals invest in solar equipment if there is no legal right of access to the sun and such development could be held hostage to the activities of the owners of neighbouring land? VIII. Failure to Recognise Job Creation Possibilities In the past many advantageous social aspects associated with the increase use of renewable energy resources have been overlooked or ignored. One major illustration is that of job creation. The increased labour associated with these industries, in comparison with the fossil fuel and nuclear industries, was first noted by John Andrews in Australia in 1977,43 but has received little attention until relatively recently. The issue has been recently noted in reports of the United Nations Environment Programme (UNEP)44 and the Renewable and Appropriate Energy Laboratory (RAEL), University of California at Berkeley,45 but the only legal document that has recognised this factor is the new Statute of IRENA. The Preamble to this instrument refers to the need 41 Petroleum Onshore Act 1991 (New South Wales); Petroleum Act 1998 (Victoria); Petroleum Act 1923 (Queensland); Petroleum and Geothermal Energy Act 2000 (South Australia); Petroleum and Geothermal Resources Act 1967 (Western Australia); Mineral Resources Development Act 1995 (Tasmania); Petroleum Act (Northern Territory). 42 Geothermal Energy Resources Act 2005 (Victoria); Geothermal Exploration Act 2004 (Queensland); Petroleum and Geothermal Resources Act 1967 (Western Australia); Petroleum and Geothermal Energy Act 2000 (South Australia). 43 J. Andrews, Solar Jobs (1977). 44 UNEP, Green Jobs: Towards Decent Work in a Sustainable, Low Carbon World (2008), . 45 D. Kammen/K. Kapadia/M. Fritt, Putting Renewables to Work: How many Jobs Can the Clean Energy Initiative Generate?, RAEL Report, U. California, Berkeley (2004), .

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“to foster the positive impact that renewable energy technologies can have on …. creating employment”. In light of high unemployment levels worldwide in developed countries, this is potentially a powerful factor in supporting the advancement of renewable energy technologies. IX. Resources often not Located Close to Population Centres It is unfortunately the case that the most favourable renewable energy resources are commonly situated in remote locations far from the major centres of population. In the case of small-scale energy installations designed for use at the local level, this is not a concern. However, as the major use of renewable energy in the future will be for powering the electricity grid this will mean that the power generated in remote areas will need to be transported long distances. This renders the costs of renewable energy-powered electricity more expensive as a result of the infrastructure costs associated with the exploitation of these resources and leads to significant line losses in the electricity grid. X. Seen as “Second Rate Energy” or Effeminate This surprising finding comes from a Parliamentarian Forum on Energy Sustainable Development held in Cape Town, South Africa in October 2005. In a fascinating paper, the Nigerian delegate explained the national situation in Nigeria whereby the energy grid is limited to small areas of the country and that in light of the high costs of extending the electricity grid it is unrealistic to expect the grid to extend to country districts or outlying areas of the major cities.46 While the need for universal access to electricity is generally recognised, the most realistic scenario for achieving this is for the use of stand-alone solar energy systems. Apparently some communities have indicated that they would be reluctant to accept solar energy and prefer to lobby for extensions to the electricity grid as they regard solar energy as unreliable and “second rate”.47 There is even evidence that a substantial part of society views solar and wind energy as “effeminate”. This appears to be particularly true amongst right-wing supporters48 and is a charge that some environmentalists even mount against themselves.49 Educational reforms are clearly required here.

46

Presentation by Professor Y. Omorogbe, 5 October 2005. Id. 48 See . 49 See e. g. . 47

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XI. Inconsistent Government Incentives This issue has bedevilled the renewable energy industry in Australia and many other nations. Initiatives designed to encourage individuals and companies to use renewable energy for generating electricity have suddenly been withdrawn by the government with little or no warning. Not only has this provided an inconsistent message to the public about the level of the government’s commitment to these resources, it has played havoc with fledgling companies developing and/or selling renewable energy equipment. Such industries have been unable to plan for future development or expansion in light of the wavering public interest, which depends significantly on the level of governmental support. Renewable energy industries have developed more rapidly in countries that have given consistent incentives, such as Denmark and Germany, and has resulted in other developed countries, such as Australia, being obliged to import many products rather than rely on local manufacturing. XII. Consumer Fraud and Misleading Conduct There has been an unfortunate history of consumer fraud and malpractice and misleading conduct in the renewable energy, particularly solar, industry that has lessened confidence in a fledgling industry that needs the full confidence of consumers to flourish. Research in the United States has shown that many claims made by solar manufacturers as to the performance of their producers have proved to be exaggerated and that much equipment has been improperly installed by tradespersons.50 While many of those responsible for this situation have been exposed and have left the industry, in some countries the industry still suffers from a bad name. The consequence is that consumers are deterred from investing in renewable energy.

D. Possible Law Reform The role of law in promoting renewable energy technologies is relatively minor. The majority of the changes are required in the fields of education, technology and engineering. Nevertheless, law and legal change are important for accommodating and supporting renewable energy technologies. The legal change that is required is, of course, a reflection of policy issues, and many policy issues can be resolved without recourse to the law. A good illustration of this is the need to educate the public as to the importance of promoting renewable energy and energy efficiency. This can be achieved in many ways – by government advertising, information bureaux, consumer organisations and changes to school curricula. None of these approaches requires legislation or legal invention. We need to focus on those key areas where policy changes can only be promoted by law reform. 50 See .

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What needs to be done? I suggest the following: I. Coupling Renewable Energy with Energy Efficiency in International and Domestic Legal Instruments It is generally accepted that reforms promoting renewable energy and energy efficiency go hand in hand. As argued by Amory Lovins, energy efficiency is a form of energy in the sense that a unit of electricity saved is the equivalent of a new unit generated.51 Both renewable energy and energy efficiency are key elements in resolving the major energy issues of our time identified above – climate change, access to modern energy services, energy security and conservation of existing fossil fuels. Until now, domestic legislation and international law have treated renewable energy and energy efficiency separately. At national level, more countries have been successful in introducing legislation supporting energy efficiency than renewable energy. For example, most developed countries now have laws requiring specified measures in respect of improving energy efficiency in the transport, buildings, industry and consumer goods sectors of the economy.52 Legislation promoting renewable energy is much more patchy. It is suggested that governments look at linking energy efficiency and renewable energy measures in new legislation rather than create a patchwork of narrow laws promoting different technologies. Thus, for example, support for biofuels and energy efficiency in the transport sector could be linked. Incentives for renewable energy technologies could be linked with energy efficiency measures in buildings. This would not only simplify the reform process, it would save parliamentary time and should hopefully render the task of legislating for renewable energy technologies less contentious. At international level, there are encouraging signs of change. While the renewable energy and energy efficiency were separated in the past, the new Statute of the IRENA53 combines the two issues in several of its clauses. II. The Need for an Increased United Nations Response While the United Nations is not the sole actor in the field of developing public international law, it is the major driving force. As discussed earlier,54 it is submitted that the United Nations is poorly organised at present in respect of renewable energy. There is no separate United Nations agency supporting renewable energy; instead, within the UN framework, there are many separate programmes and departments 51

Lovins, supra fn. 19. See R. Ottinger/N. Robinson/V. Tafur (eds.), Compendium of Sustainable Energy Legislation (2005); United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific, Energy Efficiency: Compendium of Energy Efficiency Legislation in Countries of the Asia and Pacific Region (1999). 53 IRENA/FC/Statute. Signed 26 January 2009. 54 See notes 20 – 22 above and accompanying text. 52

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with an interest in renewable energy. The issue is relevant to the work of the United Nations Development Programme (UNDP), the United Nations Environment Programme (UNEP), the United Nations Department of Economic and Social Affairs (UN-DESA) and the various regional commissions. However, despite the work of UN-Energy,55 coordination in respect of research, development, demonstration and implementation is often lacking. It appears that, unlike in the case of atomic energy with its own dedicated UN agency, there is no recognition within the hierarchy of the UN of the global importance and potential of renewable energy. The frustrations caused by the UN approach have led to the introduction outside the UN system of IRENA. A reorganisation of the UN in respect of renewable energy is required, and possibly the creation of a new agency or the reorganisation of UN-Energy to perform this role. III. The Need for New International Instrument(s) Also required at international level is a new instrument focused specifically on renewable energy. The existing instruments, discussed earlier, are too weak and non-specific to amount to more than simply vague aspirational goals. At the very least a new international declaration listing specific measures and reforms for countries to pursue is required. In the long-term, a new convention or protocol to an existing convention would be preferable. A useful precedent for this, in the context of energy efficiency, is the Protocol on Energy Efficiency to the Energy Charter Treaty.56 A new international instrument could include provisions relating to the promotion of renewable energy, requiring action from all contracting parties along the following lines: • the development and implementation of programs supporting renewable energy technologies best suited to each country’s circumstances. Such programs could include the development and encouragement of private initiative and industrial cooperation, including joint ventures; and the encouragement of innovative approaches for investments in renewable energy projects, such as Third Party Financing and co-financing; • the encouragement of commercial trade and co-operation in renewable energy technologies, energy-related services and management practices; • the development of economic, legislative and regulatory measures; • technology transfer, technical assistance and industrial joint ventures subject to international property rights regimes and other applicable international agreements; • research and development; 55 56

See note 20 above and accompanying text. (1995) 34 ILM 446.

International Law and Renewable Energy: Filling the Void

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• education, training, information and statistics; • identification and assessment of measures such as fiscal or other market-based instruments, including tradeable permits to take account of external, notably environmental, costs and benefits. • energy analysis and policy formulation relating to the assessment of renewable energy potentials; energy demand analysis and statistics; the development of legislative and regulatory measures; and environmental impact assessment of major energy projects. • the evaluation of economic instruments for increasing the use of renewable energy. • training and education programs relating to exchanges of energy managers, officials, engineers and students; and the organisation of international training courses. • ensuring that adequate institutional and legal infrastructures exist.

IV. International Recognition of a Right of Access to Modern Energy Services As discussed earlier, the lack of universal access to modern energy services constrains the ability of the population of developing states to benefit from opportunities for economic development and increased living standards. While there may be some scope to develop new and extend existing electricity grid systems in developing states, it is anticipated that in most cases access to electricity would be provided by stand-alone systems based on renewable energy resources.57 From a legal perspective, there appear to be two alternative ways forward. In countries with domestic human rights legislation, the legislation could declare that the right to a basic supply of electricity is a human right.58 The alternative option is for the electricity legislation to impose an obligation on private utility companies to expand their networks or to provide stand-alone remote area electricity supply systems in all areas currently not connected to an electricity grid. A useful illustration is South Africa, where the Electricity Act 1987, s 10(1) requires that electricity service providers make electricity available to every applicant who is in a position to make satisfactory arrangements for payment. This obligation on electricity service providers has been interpreted by the South African High Court as a right of applicants to access electricity supplies if they have satisfied the payment requirements.59 Of 57 For a discussion of this issue, see Omorogbe, supra fn. 11, at p. 39; J. Ocampo, “The Path to Sustainability: Improving Access to Energy” (2005) 16 Energy and Environment 737; A. J. Bradbrook/J. Gardam/M. Cormier, “A Human Dimension to the Energy Debate: Access to Modern Energy Services” (2008) 26 J Energy & Nat Res L 526. 58 See Bradbrook/Gardam, supra fn. 5, at p. 389. 59 Meyer v Moqhaka Local Municipality, Case No 4008/2003 (June 24, 2004).

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course, neither option may be practicable unless sufficient funds are made available to ensure that electricity supplies are made universal. The funding required for this purpose would be substantial and would be beyond the means of developing states to provide without substantial funds from international sources, such as the Global Environment Fund, the World Bank or the Asian Development Bank.

E. Conclusion For real change in this area to occur, we need a fundamental change in the attitude of all stakeholders – individuals, industry and governments. At present the evidence suggests that the majority of society is still wedded to the continued use of fossil fuels, and only reluctantly supports the development of renewable energy alternatives. Change will only occur when society starts to regard renewable energy as equal to fossil fuel-generated energy rather than as a second best alternative to be pursued in times of environmental crisis. The role of law in achieving this goal is secondary to education and technological development, but nevertheless vital. It is time for lawyers to embrace this challenge wholeheartedly and in a comprehensive manner. While much of the change required relates to domestic law, international law has a significant role to play. The current dearth of international law relating to the promotion and management of renewable energy is a weakness in the management regimes respecting environmental law and human rights and needs urgent reconsideration. Legal change in this area would be a very appropriate development in 2012, which has been declared by the United Nations as the International Year of Sustainable Energy for All.

Die Institutionalisierung internationaler Verhandlungslösungen im Umweltvölkerrecht – Rio plus 20 und die Zukunft des internationalen Klimaregimes1 Von Dirk Hanschel

A. Einleitung Neben seinem umfangreichen akademischen wie praktischen Wirken im Bereich des Menschenrechtsschutzes hat Eibe Riedel sich auch intensiv mit Kernfragen des internationalen Umweltrechts beschäftigt.2 Im Zentrum stehen dabei zum einen der Gedanke eines Paradigmenwechsels3 sowie die Bedeutung sog. „public interest norms“, welche die Stoßrichtung der internationalen Schutzbemühungen vorgeben und dabei den Menschen in den Vordergrund stellen.4 Zum anderen widmete er sich, etwa als Mitglied der Mannheimer DFG-Forschergruppe zum Thema „Institutionalisierung internationaler Verhandlungssysteme“, intensiv dem Zusammenspiel zwischen internationalen Umweltinstitutionen und den darin stattfindenden Verhandlungsprozessen.5 1

Der Autor dankt Frau Dr. Katja Gehne für ihre hilfreichen inhaltlichen Anregungen sowie Herrn Julian Lindner und Herrn Leonid Shmatenko für die formale Durchsicht des Texts. 2 Siehe etwa Riedel, Grundlagen und Hauptprobleme des internationalen Umweltrechts, in: Eichhorn (Hrsg.): Ökologie und Marktwirtschaft, 1996, 145 ff.; ferner Riedel, Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts. Zum Stand des Umweltvölkerrechts zwischen Umweltnutzung und Umweltschutz, GYIL 1994, 542 ff. 3 Siehe Riedel, Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: Stober (Hrsg.): Recht und Recht, 1997, 245 ff. 4 Siehe Riedel, International Environmental Law – A Law to Serve the Public Interest? – An Analysis of the Scope of the Binding Effect of Basic Principles, in: Delbrück (Hrsg.), New Trends in International Lawmaking – International „Legislation“ in the Public Interest – Proceeding of an International Symposium of the Kiel Walther-Schücking-Institut of International Law, March 6 to 8, 1996, 1997, 61 ff.; siehe ferner Riedel (Fn. 3); allgemein zur Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Umweltvölkerrecht siehe Dupuy, in: Bodansky/Brunnée/Hey (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Environmental Law, Kapitel 19, 449 ff. 5 Siehe Riedel/Hanschel (Hrsg.), Institutionalization of International Negotiation Systems. Theoretical Concepts and Practical Insights, MZES publications, 2005; zum sog. „Rio-Prozess“ sowie zum Rahmen-Protokoll-Ansatz siehe Riedel 1996 (Fn. 2), 158 ff.; zu letzterem vgl. auch Hanschel, Verhandlungslösungen im Umweltvölkerrecht, 2003, 260 ff.

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Der vorliegende Beitrag greift diese Forschungsthemen auf und geht der Frage nach, inwieweit der aktuelle institutionelle Rahmen der internationalen Umweltdiplomatie und die darin generierten Prinzipien geeignet sind, den internationalen Umweltschutz effektiv voranzutreiben.6 Dabei sollen zwei unterschiedliche, wenngleich vielfältig miteinander verknüpfte Regelungsansätze gegenübergestellt und in ihren (Wechsel-)Wirkungen analysiert werden: (a) der themenspezifische Regelungsansatz, bei dem einzelne Umweltprobleme einer völkervertraglichen Regelung durch mehrere, aufeinander bezogene völkerrechtliche Verträge (sog. Regime) unterzogen werden, und (b) die themenübergreifende UN-Konferenzdiplomatie, von der Stockholmer Konferenz über die Umwelt des Menschen (1972) zur Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992), dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (2002) sowie zuletzt der als „Rio plus 20“ titulierten UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung (2012).7 Diese weite Themenstellung bedarf der Konkretisierung. Als Lackmustest soll daher der internationale Klimawandel als eines der drängendsten und schwierigsten gegenwärtigen Umweltprobleme herangezogen werden. Zugespitzt soll die Frage untersucht werden, wie die Klimaverhandlungen rechtlich befördert werden können, sei es durch Weiterverhandlungen innerhalb des bestehenden Regimes, sei es durch neue Impulse mittels der Rio-plus 20-Konferenz oder durch andere globale, regionale, nationale oder subnationale Ansätze.

B. Der themenspezifische Verhandlungsansatz am Beispiel des internationalen Klimaregimes Das Klimaregime befindet sich seit einigen Jahren an einem kritischen Punkt.8 Die Reduktionsziele des Kyoto-Protokolls erstrecken sich nur auf die erste Verpflichtungsperiode (2008 – 2012), ein Nachfolgevertrag ist immer noch nicht ausgehandelt worden. Zwar verfügt das Protokoll fast über eine globale Mitgliedschaft; die in ihm festgelegten Reduktionsverpflichtungen sind jedoch gering und betreffen lediglich eine kleine Minderheit industrialisierter Staaten, deren gemeinsame Emissionen 6 Zur damit verbundenen Perspektive des „Umweltadvokaten“ siehe auch bereits Hanschel (Fn. 5), 41 ff.; grundsätzlich zur Rolle von Prinzipien im Umweltrecht siehe auch Proelß, 5. Abschnitt: Raum und Umwelt im Völkerrecht, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 109 ff.; zu den vorhandenen Herausforderungen siehe Sands et al., Principles of International Environmental Law, 3. Aufl., 15 f., 896 f.; Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, 441 ff. 7 Für einen Überblick siehe etwa Sands et al. (Fn. 6), 26 ff., 238 ff.; Beyerlin/Marauhn (Fn. 6), 2011, 7 ff., 159 ff.; Proelß (Fn. 6), Rn. 102 ff. 8 Siehe Biermann/Pattberg/Zelli, Global Climate Governance Beyond 2012, 2010, 1 („a crucial moment for human societies“); siehe auch zum Ganzen Hanschel, Institutional Options for the Climate Negotiations in Times of Crisis – An Assessment of the Current Legal Framework, in: Rodi (Hrsg.), Opportunities and Drivers on the Way to a Low-Carbon Society, im Erscheinen.

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weit unter 50 % des weltweiten Volumens liegen.9 Die mit hohen Erwartungen belegte Konferenz der Vertragsstaaten von Kopenhagen (2009) scheiterte im Wesentlichen; man vereinbarte lediglich eine unverbindliche Niederlegung und Überwachung freiwilliger einzelstaatlicher Reduktionsziele (sog. „pledge and review“).10 Auf den Nachfolgekonferenzen von Cancún (2010) und Durban (2011) gelang es immerhin, den Verhandlungsprozess am Leben zu erhalten und zum Teil sogar mit neuer Energie aufzuladen.11 In Cancún wurde die Begrenzung des akzeptablen Temperaturanstiegs auf 2 Grad Celsius festgelegt; ferner wurden freiwillige Reduktionsziele der Staaten im Rahmen des sog. Copenhagen Accord festgehalten.12 Schließlich beschloss man die Einrichtung eines Grünen Klimafonds sowie eines Technologiemechanismus.13 In Durban einigte man sich politisch, auf der im Dezember 2012 stattfindenden Konferenz von Katar dem Kyoto-Protokoll eine zweite Verpflichtungsperiode ab 2013 (bis 2017 oder 2020) hinzuzufügen; daneben streben die Parteien auf der Grundlage der sog. Durban Platform die Aushandlung eines neuen völkerrechtlichen Vertrags bis 2015 an, der 2020 in Kraft treten soll.14 Nur wenige Tage nach Vereinbarung dieser Ziele gab indes Kanada seinen Ausstieg aus dem KyotoProtokoll bekannt; Russland und Japan erklärten, keine neuen Verpflichtungen im Rahmen des Kyoto-Protokolls mehr zu übernehmen.15 Schwierigkeiten resultieren 9 Für eine kritische Einschätzung des Kyoto-Protokolls siehe bereits Gardiner, Ethics & International Affairs 2004, 23 (39). 10 Zu den Ergebnissen des Kopenhagener Gipfels siehe ; zum Vorlauf im Rahmen der post-2012-Verhandlungen und zu den mageren Ergebnissen siehe auch Beyerlin/Marauhn (Fn. 6), 164 ff., für eine kritische Einschätzung siehe ebenfalls ; zum „Pledge-and-Review“-System siehe sowie

(Stand jeweils: 18. 09. 2012); dagegen zu den Vorteilen eines robusteren benchmarking-Verfahrens im Menschenrechtsbereich Riedel, The Examination of State Reports, in: Klein (Hrsg.), The Monitoring System of Human Rights Treaty Obligations, 95 ff., 1998, sowie Riedel, Measuring Human Rights Compliance. The IBSA Procedure as a Tool of Monitoring, in: Auer/Flückiger/Hottelier (Hrsg.), Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, Les droits de l’homme et la constitution, 2007, 251 ff. 11 Für einen Überblick der Resultate des COP 16 siehe die Analyse des Earth Negotiations Bulletin, ; siehe auch Mehling, From „Brokenhagen“ to „Cancún Can!“ – The Cancún Climate Summit and its Significance for Transatlantic Relations, 2010, ; zur 17. Vertragsstaatenkonferenz in Durban siehe etwa Rajamani, The Durban Platform for Enhanced Action and the Future of the Climate Regime, 61 International and Comparative Law Quarterly 2, 501 ff. 12 Zu den Cancun Agreements siehe Earth Negotiations Bulletin, ; siehe auch Morgan, Reflections on the Cancún Agreements, 2010, , 3. 13 Siehe Morgan (Fn. 12), 5. 14 Rajamani (Fn. 11); siehe auch Earth Negotiations Bulletin (Fn. 12), 29 f. 15 Siehe: ; (Stand jeweils 21. 09. 2012).

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ferner daraus, dass die zweite Verpflichtungsperiode ggf. nicht nahtlos an die erste anschließen kann, soweit es hierfür einer Vertragsänderung mit Ratifikation der Mitgliedstaaten bedarf – vorausgesetzt, die Einigung in Katar gelingt überhaupt.16 Hier bietet sich ggf. die Anwendung von Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention (bzw. parallelen Völkergewohnheitsrechts) an, was jedoch verfassungsrechtliche Probleme in einzelnen Mitgliedstaaten nach sich zieht.17 Die Gründe für die Schwierigkeit des Verhandlungsprozesses liegen auf der Hand: Ebenso wie bei einigen anderen Umweltproblemen (etwa dem Ozonloch) wirken sich Emissionsverringerungen erst nach Jahrzehnten positiv aus. Anders als im Ozonregime betrifft das Klimaproblem aber Kernbereiche der wirtschaftlichen Betätigung; die hierbei entstehenden Schadstoffe lassen sich nicht ohne weiteres ersetzen bzw. verhindern. Zu einem fortbestehenden wissenschaftlichen Dissens über die genauen Folgen des Klimawandels und die erforderlichen Gegenmaßnahmen tritt die Tatsache, dass die Industrieländer historisch für die mit Abstand größten Emissionen verantwortlich sind, während die Entwicklungsländer auf ein Recht auf Entwicklung pochen und Anstrengungen zugunsten des Klimaschutzes im Wesentlichen von einem Finanz- und Technologietransfer der Industrieländer abhängig machen. Zugleich kämpfen viele Staaten zunehmend mit den Folgen des bereits einsetzenden Klimawandels, so dass die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen (und zum Teil zulasten möglicher Reduktionsziele) an Bedeutung gewinnen.18 Im Ergebnis geht es um die Bereitschaft, zumindest kurzfristig kostenträchtige Maßnahmen zu ergreifen; zudem besteht ein Verteilungskonflikt um Geld und Technologie.19 Eine solche Problematik lässt sich kaum allein durch geschickte institutio16 Zu der gemischten Bewertung der jüngsten Vorbereitungskonferenz in Bangkok siehe Earth Negotiations Bulletin, Vol. 12, No. 555, . 17 Siehe hierzu und zu weiteren Überlegungen im Hinblick auf eine Überwindung einer möglichen Lücke zwischen der ersten und zweiten Verpflichtungsperiode FCCC/KP/AWG/ 2010/10. 18 Siehe zum Ganzen Hanschel, The Future of the Climate Regime – How does the Institutional Design Matter?, in: Rodi (Hrsg.), Implementing the Kyoto Protocol – Chances and Challenges for Transition Countries, 2007, 23 ff; zur vergleichsweisen Komplexität des Klimaproblems siehe Thoms, A Comparative Analysis of International Regimes on Ozone and Climate Change with Implications for Regime Design, in: Columbia Journal of Transnational Law 2003, 795 (823 ff.); Pierrehumbert, Climate Change: A Catastrophe in Slow Motion, in: Chicago Journal of International Law 2006, 573 (574 ff.); Wettestad, Designing Effective Environmental Regimes: The Key Conditions, 1999, 18; zur Frage der Fairness im internationalen Klimaregime siehe Soltau, Fairness in International Climate Change Law and Policy, 2009; zur zunehmenden Bedeutung der Anpassungsmaßnahmen siehe etwa Biermann/Boas, Global Adaptation Governance, Setting the Stage, in: Biermann/Pattberg/Zelli (Fn. 8), 2010, 223 ff.; zum Recht auf Entwicklung siehe auch Riedel, Recht auf Entwicklung (und Drittgenerationsrechte), in: Wolfrum/Philipp (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 1991, 657 – 662. 19 Langfristig ist ein Untätigbleiben indes wesentlich kostspieliger, siehe den sog. SternReport, .

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nelle Gestaltungsformen oder übergreifende Prinzipienerklärungen einhegen. Die Erfahrung in anderen Regimen zeigt jedoch, dass sich die Bereitstellung eines solchen Rahmens langfristig durchaus positiv auf die Weiterverhandlungen auswirken kann, weil sie Wissen hinsichtlich des Problems generiert und Argumenten gegenüber rein strategischem Verhalten mehr Gewicht verschafft.20 Das Klimaregime folgt insoweit dem bewährten Rahmen-Protokoll-Ansatz:21 Dabei wird der Rahmen in Form eines verbindlichen völkerrechtlichen Vertrages gesetzt. Dieser enthält lediglich sehr vage materielle Verpflichtungen, wird jedoch mit der Einrichtung von Institutionen und Verfahren gekoppelt, die den weiteren Verhandlungsprozess einrahmen und vorantreiben.22 Der Rahmen wird durch nachvertragliche Verhandlungen innerhalb dieser Organe (sog. post agreement negotiations) ausgefüllt, die typischerweise zur Verabschiedung eines oder mehrerer Protokolle führen.23 Die Protokolle enthalten dann die konkreten Verpflichtungen, insbesondere Reduktionsziele, auf die man sich anfangs noch nicht verständigen konnte.24 Oder wie Eibe Riedel es sehr plastisch ausgedrückt hat: „[…] auf leisen, unverbindlichen Sohlen schleicht sich eine Rechtsverpflichtung mit zunächst geringen Kostenfolgen heran. Die schmerzlichen, weil kostenträchtigeren Konkretisierungen werden erst später, nach eingehenden Spezialberatungen per Protokoll verabschiedet und separat angenommen“.25 Während diese Methode der schrittweisen, institutionell vermittelten 20 Siehe Hanschel, Negotiating within Legal Frameworks, in: Dupont, Christophe (Hrsg.), Négociation et Transformations du Monde, 2007, 229 ff. 21 Siehe Hey, International Institutions, in: Bodansky/Brunnée/Hey (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Environmental Law, 2007, 749 ff.; Susskind/Ozawa, Negotiating More Effective Environmental Agreements, in: Hurrell/Kingsbury (Hrsg.), The International Politics of the Environment – Actors, Interests and Institution, 1992, 142 (144 ff.); Malanczuk, Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) und das internationale Umweltrecht, in: Frowein/Steinberger/Wolfrum (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung: Völkerrecht, Europarecht, Staatsrecht, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, 985 (992); ähnlich bereits Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, 164 f., mit dem Begriff der „Normkaskade“, d. h. der stufenweisen Entfaltung von Menschenrechtsnormen. 22 Aman, Administrative Law, 1993, 3; Poitras, Reforming the Convention Amendment Process to Facilitate the Strengthening of Commitments, in: Susskind/Moomaw (Hrsg.), New Directions in International Environmental Negotiation, 1999, 104 ff. 23 Aman (Fn. 22), 3; Poitras (Fn. 22), 105. 24 Zur Bedeutung von Verhandlungen nach Vertragsschluss siehe Spector/Zartman, Regimes in Motion: Analyses and Lessons Learned, in: Spector/Zartman (Hrsg.), Getting it Done – Postagreement Negotiation and International Regimes, 2003, 271 ff.; Riedel, Law and State 1998, 22 (28). 25 Riedel (Fn. 3), 261 f.; vgl. insoweit auch Beyerlin/Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992, 1997, 154; Susskind/ Ozawa (Fn. 21), 1992, 146; Tolba, The Story of The Ozone Layer, in: Lang (Hrsg.), The Ozone Treaties and their Influence on the Building of International Environmental Regimes, 1996, 9 (13); Dolzer, Die internationale Konvention zum Schutz des Klimas und das allgemeine Völkerrecht, in: Beyerlin (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung: Völkerrecht, Europarecht, Staatsrecht, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, 957 ff.; Handl, Envi-

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Konsensförderung bei zahlreichen Umweltverhandlungsprozessen gut funktioniert hat, haben sich im Klimaregime die Grenzen dieses Ansatzes gezeigt.26 Es stellt sich somit die Frage, welche neuen Impulse helfen können.

C. Der themenübergreifende Ansatz – Von Stockholm bis Rio plus 20 I. Von Stockholm bis Johannesburg Während der Regimeansatz sich auf einzelne Umweltprobleme konzentriert, verfolgen die UN-Konferenzen einen themenübergreifenden Ansatz. Die von der UNGeneralversammlung einberufene Stockholmer Konferenz von 1972 bildete insoweit einen fulminanten Auftakt, indem sie neben einem Aktionsplan die sog. Stockholm Declaration verabschiedete, die eine Reihe bedeutsamer, zum Teil bereits völkergewohnheitsrechtlich anerkannter, zum Teil aber auch eine solche Anerkennung lediglich erheischender Prinzipien festlegte. Ferner bildete sie die Grundlage für den Aufbau des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), das seither als Querschnittsorgan die weiteren Schritte der internationalen Umweltdiplomatie vorantreibt.27 Infolge des 1986 verabschiedeten Brundtland-Berichts „Our Common Future“ kam es zu einem Paradigmenwechsel, weg von einem reinen Umweltschutz hin zu einer Berücksichtigung auch der besonderen Interessen der Entwicklungsländer.28 Im Lichte dieser Verklammerung wurde auf der Rio-Konferenz von 1992 der Begriff der nachhaltigen Entwicklung verankert. Diese Konferenz zeichnete sich durch gloronmental Security and Global Change: the Challenge to International Law, in: Lang (Hrsg.), Environmental Protection and International Law, 1993, 59 (61). 26 Zu einer ähnlichen Untersuchung siehe Biermann/Pattberg/Zelli (Hrsg.), Global Climate Governance Beyond 2012, 2010. Mehling (Fn. 11), 1, führt mit Blick auf den Moment nach dem Kopenhagener Gipfel aus: „the United Nations and their tradition of classic multilateralism had reached a low-point in their regularly proclaimed legitimacy crisis“. Für eine kritische Beurteilung von „fragmented versus universal regimes“ siehe Hof/den Elzen/van Vuuren, Environmental Effectiveness and Economic Consequences of Fragmented Versus Universal Regimes: What Can We Learn From Model Studies?, in: Biermann/Pattberg/Zelli (Hrsg.), Global Climate Governance Beyond 2012 – Architecture, Agency and Adaptation, 2010, 35 ff. Zu den post-2012-Optionen siehe etwa Morgenstern, Carbon & Climate Law Review, 2009, 235. Für einen Überblick über „[b]ereichsspezifische Instrumente des Umweltvölkerrechts“ siehe Proelß (Fn. 6), Rn. 117 ff., wobei er zwischen dem „piecemeal“ und dem RahmenProtokoll-Ansatz unterscheidet. Anders als bei Proelß werden beide vorliegend indes nicht als Gegensatz begriffen, weil der Rahmen-Protokoll-Ansatz typischerweise themenspezifisch ausgestaltet ist. Speziell zum „Schutz von Luft und Klima“ siehe Proelß (Fn. 6), Rn. 139 ff. 27 Siehe zum Ganzen Proelß (Fn. 6), Rn. 102 ff.; zu UNEP vgl. etwa Sand, Kapitel 2, in: Bodansky/Brunnée/Hey (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Environmental Law, 2007, 34; Sands et al. (Fn. 6), 60 ff.; siehe auch UN GA Res. 2997 sowie 3004 (XXVII), 1972. 28 Siehe etwa Proelß (Fn. 6), Rn. 111.

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bale Beteiligung sowohl von staatlicher als auch nicht-staatlicher Seite aus und verabschiedete eine Reihe wesentlicher Abschlussdokumente.29 So wurden neben dem Klimarahmenübereinkommen und der Biodiversitäts-Konvention auch die Waldgrundsätze, die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung und die Agenda 21 beschlossen.30 Zudem richtete man im Gefolge die Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) ein.31 Leider gelang es nachfolgend nur sehr unzureichend, die Agenda 21 und damit das Leitprinzip der nachhaltigen Entwicklung zu konkretisieren. Dies zeigte der Gipfel zehn Jahre später in Johannesburg.32 Insbesondere die Effektivität der Arbeit der CSD lässt offenbar deutlich zu wünschen übrig.33 II. Der Rio-plus-20-Gipfel 1. Die Abschlusserklärung im Überblick Auf dem Rio plus 20-Gipfel versuchte man daher, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zu einer vollwertigen internationalen Organisation aufzuwerten; zugleich wurde das von UNEP vorformulierte Leitmotiv der „green economy“ aufgegriffen und konkretisiert.34 Ergebnis des Gipfels ist indes lediglich ein 49-seitiges, nicht-bindendes Arbeitspapier („The Future We Want“), das bereits im Vorfeld als Resolutionsentwurf des Präsidenten der Generalversammlung kursierte und am Ende durch Beschluss der Staats- und Regierungschefs übernommen wurde.35 2. Zum Leitbegriff der „green economy“ Der Begriff der „green economy“ als ein mögliches Werkzeug zur Bewirkung einer nachhaltigen Entwicklung wird in der Erklärung erläutert, sein genaues Ver29

Siehe hierzu etwa Riedel (Fn. 2), 158 ff.; Proelß (Fn. 6), Rn. 104 ff. Siehe etwa Sands et al. (Fn. 6), 40 ff. 31 A/RES/47/191, (Stand 21. 09. 2012). 32 Zum World Summit on Sustainable Development (WSSD) in Johannesburg siehe Sands et al. (Fn. 6), 47 ff., die nüchtern feststellen: „The WSSD Plan of Implementation is long on general commitments and aspiration, but short on specific actions to be taken“ (48). 33 Siehe z. B. ENB Summary of the 17th Session of the Commission on Sustainable Development, Lessons Learned, ; siehe auch Proelß (Fn. 6), Rn. 107 f.; Martens, Rio + 20 – Die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung 2012, 27. 34 Siehe zu diesen zwei Themen UN GA, A/66/L.56, Nr. 12: „We express our determination to address the themes of the United Nations Conference on Sustainable Development, namely a green economy in the context of sustainable development and poverty eradication, and the institutional framework for sustainable development“; zum Rio plus 20-Gipfel siehe auch Martens (Fn. 33). 35 Vgl. etwa Beisheim et al., Rio plus 20 Realpolitik und die Folgen für „Die Zukunft, die wir wollen“, 2012, siehe . 30

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hältnis zum Begriff der nachhaltigen Entwicklung indes nicht vollständig klar.36 Bereits im Vorfeld löste der neue Begriff Debatten aus.37 Der ihn einführende UNEPBericht dient dem Ziel der verbesserten Umsetzung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung und definiert ihn unter Rückgriff auf Vorgängerberichte vom Ergebnis her als „improved human well-being and social equity, while significantly reducing environmental risks and ecological scarcities“.38 Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung solle nicht ersetzt werden, aber es gebe eine zunehmende Erkenntnis, dass die Verwirklichung dieses Prinzips vor allem von der Wirtschaft abhänge.39 Doch stellt sich die Frage, inwieweit diese Erkenntnis nicht bereits in der Leitidee der nachhaltigen Entwicklung gut aufgehoben ist, die zudem die beiden anderen Pfeiler der nachhaltigen Entwicklung gleichermaßen betont.40 Die Abschlusserklärung selbst wurde nicht nur von Nichtregierungsorganisationen angegriffen.41 Erste Kritik setzte bereits im Vorfeld, nämlich in Bezug auf den ersten Entwurf (sog. zero draft) ein.42 Hierzu nahm auch der UN-Ausschuss für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, offenbar unter maßgeblicher Mitwirkung von Eibe Riedel, im Juni 2012 Stellung, indem er das Konzept der „green economy“ einer kritischen Würdigung unterzog. So heißt es im betreffenden Statement des Ausschusses: „[…] the Committee emphazises the need to integrate the green economy into the broader concept of sustainable development, which encompasses social development, together with economic growth and environmental protection, and thus has close linkages with economic, social and cultural rights. The Committee stresses the importance to uphold the balanced Rio Declaration approach“.43

Der Ausschuss verweist sodann auf die zahlreichen Querverbindungen zwischen dem UN-Sozialpakt und dem Umweltschutz sowie dem Grundsatz der nachhaltigen 36 UN GA, A/66/L.56, Nr. 12, Nr. 56 ff. Die Grundlage des Leitbegriffs der „green economy“ findet sich im UNEP Report, Towards a Green Economy: Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication, 2011, (Stand 21. 9. 2012); siehe zur Konzeption auch Brockington, A Radically Conservative Vision? The Challenge of UNEP’s Towards a Green Economy, in: Development and Change 43 (1), 409 ff. 37 Siehe bereits zur Diskussion im Vorfeld die Erklärungen der Teilnehmer, . 38 Siehe UNEP (Fn. 36), 16; siehe auch Brockington (Fn. 36), 410. 39 Siehe UNEP (Fn. 36), 16. 40 Vgl. etwa Gehne, Nachhaltige Entwicklung als Rechtsprinzip, 2011, 327, die betont, dass bereits der Nachhaltigkeitsgrundsatz „öffentliche wie private Entscheidungsträger dazu auf[rufe], in einer Steuerungssituation ökonomische, soziale, ökologische und zukunftsbezogene Gesichtspunkte einzubeziehen und in einer Weise zum Ausgleich zu bringen, dass Synergien erzeugt und trade-offs vermieden werden“. 41 Siehe etwa ; . 42 Siehe (Stand: 18. 09. 2012). 43 E/C.12/2012/1, S. 1.

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Entwicklung. Abschließend stellt er fest, „that a green economy without strong human rights linkages would not yield lasting benefits, and consequently calls upon the Rio+20 Conference to make the necessary changes to the zero draft“.44 Die Intervention des Ausschusses ist deshalb so bedeutsam, weil die themenübergreifende Konferenzdiplomatie auf übergreifende Normen angewiesen ist, die eine Klammerwirkung entfalten. Als solche hat sich im Gefolge des Brundtland-Berichts eben der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung herausgebildet.45 Er vereint Entwicklungs- und Schwellenländer, die ein Recht auf Entwicklung fordern und auf die historische Umweltverantwortung der Industrieländer verweisen, mit denjenigen Industrieländern, die einen globalen Umweltschutz einfordern.46 Die Endfassung der Rio+20-Erklärung enthält durchaus mehrfache Bezüge zu den Menschenrechten.47 Dennoch ist das genaue Verhältnis zwischen nachhaltiger Entwicklung und „green economy“ weiterhin nicht vollständig geklärt. Bereits rein begrifflich legt letzterer jedenfalls den wichtigen Menschenrechtsbezug weniger nahe als der erstere. 3. Die Umsetzung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung mit Blick auf den Klimawandel Die Abschlusserklärung betont die Querverbindung zu der aus dem Rio-Prozess hervorgegangenen Klimarahmenkonvention; die Staaten werden aufgefordert, „to fully implement their commitments […] as well as to take effective and concrete actions and measures at all levels and to enhance international cooperation.“48 Der Klimawandel wird als „cross-cutting and persistent crisis“49 sowie als „one of the greatest challenges of our time“50 begriffen. Die Staaten beklagen die Kluft zwischen der erforderlichen Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 bis max. 2 Grad Celsius und den Selbstverpflichtungen der Staaten im Rahmen des Kopenhagener pledgeand-review-Systems.51 Die Mobilisierung finanzieller und technologischer Unter44

E/C.12/2012/1, S. 3. Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future, Annex to Doc. A/42/427, ; zur Genese des Begriffs des Nachhaltigkeit siehe grundlegend Gehne (Fn. 40), 11 ff.; zum BrundtlandBericht siehe ebd., Nr. 29 ff. 46 Zur „Verknüpfung von Umwelt und Entwicklung“ und dem Begriff der nachhaltigen Entwicklung als „Synthese“ siehe Gehne (Fn. 40), 27 ff.; zum Recht auf Entwicklung siehe Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, 210 ff., sowie Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9 ff.; zur Berücksichtigung der historischen Umweltverantwortung der Industrieländer vgl. auch den Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeit („common, but differentiated responsibilities“) im Klimaregime, siehe hierzu jüngst Rajamani (Fn. 11), 507 ff. 47 Siehe zum Beispiel UN GA, A/66/L.56, Nr. 8 ff., 108 ff., 121, 152. 48 Ebd., Nr. 17. 49 Ebd., Nr. 25. 50 Ebd., Nr. 190. 51 Ebd., Nr. 191. 45

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stützung der Entwicklungsländer wird angemahnt, wobei auf den bestehenden Green Climate Fund hingewiesen wird.52 Konkrete Schritte zu seiner Ausstattung finden sich indes nicht. Schließlich richtet sich der Blick auf die Umsetzung des Kyoto-Protokolls und des in Durban erreichten Fahrplans für Reduktionsziele nach 2012.53 Insgesamt beschränken sich die Ausführungen zum Klimawandel auf wenige Zeilen und beinhalten gegenüber dem im Klimaregime Erreichten nichts Neues. Die Dürre dieses Abschnitts wird insbesondere im Verhältnis zu den übrigen Kapiteln deutlich, die zum Teil deutlich ausführlicher ausfallen und insofern ggf. eine positivere Gesamtbewertung des Gipfels erlauben.54 Sorgsam wird zwischen Vertrags- und Nichtvertragsparteien des Protokolls von Kyoto unterschieden; eine Perspektive zur Überwindung der vorhandenen Spaltung ist nicht erkennbar, ebensowenig wie wesentliche neue Impulse im Hinblick auf eine mögliche Form der Fortschreibung des Verhandlungsprozesses. Die tief sitzende Kontroverse im Hinblick auf die Klimaverhandlungen spiegelt sich also auch hier wider. In Anlehnung an das pledge-and-review-System des Kopenhagener Klimagipfels enthält Abschnitt VI, E die Möglichkeit zur Registrierung von „concrete policies, plans, programmes, projects and actions to promote sustainable development and poverty eradication“.55 Dieser à-la-carte-Mechanismus verschleiert nur notdürftig die Schwäche des erzielten Ergebnisses und lädt zugleich zu einer Fragmentierung der Staatenziele ein, die sich später – wie die aktuellen Verhandlungen im Klimaregime zeigen – nur schwer wieder zusammenführen lassen. Insofern sind die inzwischen mehr als 700 freiwilligen Selbstverpflichtungen mit einem Volumen von insgesamt über 500 Mrd. USD zwar für sich genommen positiv zu bewerten, jedoch kein Grund zu Optimismus.56 4. Zu den Bemühungen um eine Aufwertung von UNEP Daneben bemüht sich die Erklärung um eine Stärkung des institutionellen Rahmens der nachhaltigen Entwicklung (im Umweltjargon als IFSD – institutional framework for sustainable development – bezeichnet).57 Zum einen soll ein High Level Political Forum geschaffen werden, welches auf den „strengths, experiences, 52

Ebd., Nr. 191. Ebd., Nr. 192. 54 Zu diesen außerhalb der hier vorgenommenen Untersuchung liegenden Themenfeldern siehe ebd., Nr. 105 ff. 55 Ebd., Nr. 283; zum pledge-and-review-System siehe bereits oben B. 56 Siehe . 57 UN GA, A/66/L.56, IV; siehe zu dieser Thematik auch Martens (Fn. 33), 24 ff.; siehe zum Nachfolgenden auch insgesamt Hanschel, UNEP plus X? – A Critical Assessment of Reform Proposals and Implications for the International Climate Regime, in: Ruppel et al. (Hrsg.), Climate Change and Global Governance – International Regimes in a Changing Environment, im Erscheinen. 53

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recources and inclusive participation modalities“ der CSD aufbauen und sie schließlich ersetzen soll.58 Dieses Forum soll die weitere Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung vorantreiben und zugleich eine Überschneidung mit bestehenden Institutionen auf kosteneffektive Weise vermeiden.59 Hauptziel ist jedoch eine Verstärkung von UNEP, was sich im nachfolgenden Buchstaben „D: Environmental Pillar in the Context of Sustainable Development“ niederschlägt. Die Generalversammlung wird aufgefordert, eine Resolution zur Stärkung von UNEP zu verabschieden; als wichtige Kriterien werden dabei unter anderem universelle Mitgliedschaft, stabile Ressourcen (nicht zuletzt aus dem regulären UN-Budget), eine Aufwertung und bessere Verzahnung mit anderen Institutionen, eine Stärkung der Kompetenz zur Gewährung von Technologietransfer und zum Kapazitätsaufbau, eine verbesserte Transparenz und weitreichende Beteiligung der Zivilgesellschaft genannt.60 Damit bleibt man indes hinter Textentwürfen, die die Einrichtung einer UN-Sonderorganisation empfahlen, deutlich zurück.61 Einige EU-Staaten hatten im Vorfeld die Einrichtung einer „United Nations Environmental Organization (UNEO)“ befüwortet.62 Angestrebt wird nun wohl eher die Verankerung als Unterorgan der Generalversammlung, so dass kein völkerrechtlicher Gründungsvertrag erforderlich ist und im Ergebnis auch keine vollwertige internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit entsteht. Der Vorteil der letzteren Konstruktion wäre, dass UNEP weiter aus dem regulären Budget der Vereinten Nationen finanziert würde – doch auch dieses Minimalziel dürfte nicht leicht zu erreichen sein.63 Eine Aufwertung von UNEP könnte es dieser Institution ermöglichen, anderen internationalen Organisationen wie der WTO oder der ILO auf gleicher Höhe zu begegnen. Dies könnte auch den Klimaverhandlungen neue Impulse verleihen. Zudem wurden innerhalb der EU interessante Modelle zu einer Weiterentwicklung von UNEP entwickelt, etwa in Anlehnung an den Tripartismus der Internationalen Arbeitsorganisation, bei der Staaten, Umweltorganisationen und Wirtschaftslobbies zu58

Ebd., Nr. 84. Ebd., Nr. 84. 60 Ebd., Nr. 88. 61 Siehe zu einer solchen Idee etwa UNEP, Issues Brief # 4, The Environmental Dimension of IFSD, siehe ; für einen Überblick vgl. auch Ivanova, Institutional Design and UNEP Reform: Historical Insights on Form, Function and Financing, 88 International Affairs 3 (2012), 565 ff. (567 ff.); zu der Diskussion, ob man eine UN-Sonderorganisation „UNEO“ benötige oder lediglich eine Aufwertung von UNEP innerhalb des bestehenden Rahmens (UNEP+), siehe Martens (Fn. 33), 26 f. 62 Siehe ; ; zur deutschen Perspektive siehe auch Umweltbundesamt, Arbeitspapier United Nations Environmental Organization, UBA-Projektgruppe International Environmental Governance, März 2011, wonach eine Beteiligung der Zivilgesellschaft sowie der Wirtschaft in Anlehnung an das Tripartismus-Modell der ILO vorgeschlagen wird. 63 Siehe zum Ganzen auch UNEP (Fn. 61). 59

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sammenarbeiten.64 Der Vorteil der Fokussierung auf institutionelle Fragen liegt darin, dass der Konsens für Veränderungen häufig leichter zu erlangen ist als für eine Einigung in der Sache, also mit Blick auf die umzusetzende Agenda 21. Dies hat sich auch im Hinblick auf den regimespezifischen Rahmen-Protokoll-Ansatz bestätigt. Die Kehrseite liegt indes darin, dass der substantielle Einigungsprozess verzögert werden kann. Sobald klar ist, welche materiellen Normen anzustreben bzw. umzusetzen sind, kann die Weiterverhandlung mit Blick auf den institutionellen Rahmen von den eigentlichen Verteilungskonflikten ablenken.65 Zudem stellt sich die Frage, inwieweit sich die Entwicklungsländer von der starken Fokussierung auf UNEP überzeugen lassen. Denn selbst wenn die CSD bislang nicht die erhoffte Effektivität und Strahlkraft entwickelt hat, bringt die ihr inne wohnende Verknüpfung von Umwelt- und Entwicklungsthemen doch die Interessen der ärmeren Länder zur Geltung.66 Zwar ging es im Rahmen des vorgeschlagenen Tripartismus-Modells darum, auch die Interessen der Entwicklungsländer zu berücksichtigen und zudem die Zivilgesellschaft stärker einzubinden. Das erreicht man aber vielleicht besser durch eine Kombinationslösung, die die CSD als existierende Institution einplant (statt ihre Ablösung fordert), die wechselseitigen Kompetenzen klärt und stärkt sowie die Koordination und Kooperation beider Organe sowie ihre finanzielle Ausstattung verbessert.67 Zudem liefert die Gegenüberstellung von UNEP und CSD Zündstoff für eine Debatte über den Sitz der künftig verbleibenden globalen Umweltinstitution (Nairobi oder New York), die man sich vielleicht besser ersparen sollte. Schließlich würde eine UNEO nicht notwendig schlagkräftiger agieren; trotz der einzuräumenden Defizite68 hat die jetzige informelle Struktur ebenfalls Vorteile, da sie 64

Siehe Umweltbundesamt (Fn. 62), 6 ff. Ähnlich für den insoweit verwandten Rahmen-Protokoll-Ansatz Susskind, Environmental Diplomacy: Negotiating More Effective Global Agreements, 1994, 32; Kelly, Overcoming Obstacles to the Effective Implementation of International Environmental Agreements, in: The Georgetown International Environmental Law Review 1997, 447 (481 ff.); Brown Weiss, New Directions in International Environmental Law, in: United Nations, International Law as a Language for International Relations, 1996, 276; Gollnisch, Entwicklungstendenzen im internationalen Umweltrecht, 1995, 89 ff.; vgl. auch oben B.; zur gesamten Diskussion siehe auch Hanschel (Fn. 5), 260 ff. 66 Folglich haben die G 77 + China die Bedeutung des CSD in ihrer Erklärung zu einer Reform der Institutionen 2012 betont: „We need to keep in mind that nowadays the Commission is currently the only forum that addresses the three pillars of sustainable development and for that reason we believe that we need to review the CSD in order to strengthen it and to make it more efficient“. Ferner wird die Arbeit von UNEP zur Kenntnis genommen und eine bessere Koordinierung mit anderen UN-Institutionen angemahnt, (Stand: 18. 09. 2012). Auch Martens (Fn. 33), 26 betonte die zurückhaltende Reaktion der Entwicklungsländer. 67 Zum Teil finden sich diese Elemente auch im deutschen Vorschlag, . 68 Siehe UNEP (Fn. 61), 3 f., wobei auf die relative Schwäche des Umweltpfeilers des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Vergleich zu den Pfeilern Wirtschaft und Soziales hingewiesen wird; zu den „normativen Inhalte[n] der zu integrierenden Nachhaltigkeitsbereiche“ siehe Gehne (Fn. 40), 107 ff., die neben einem „sozialen“, einem „ökologischen“ und 65

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eine weniger geräuschvolle, aber deshalb nicht minder effektive Koordination der Interessen und Setzung neuer Themen ermöglicht, die auf geschickte Weise mit dem vertragsbasierten Regimeansatz verwoben ist – selbst wenn dieser im Bereich des Klimaregimes Grenzen erfahren hat.69

D. Fazit Der nur begrenzte Erfolg des Rio-plus 20-Gipfels zeigt, dass es, nicht zuletzt im Lichte der Finanzkrise der letzten Jahre, schwieriger geworden ist, im Bereich des internationalen Umweltschutzes auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Dies gilt sowohl für die materiellen Regeln, die zum Teil verwässert und deren menschenrechtliche Bezüge eher geschwächt wurden, als auch für die Ausgestaltung der Institutionen. An die eigentlichen Verteilungskonflikte traute man sich in Rio nur zum Teil heran. Ähnlich verhält es sich im internationalen Klimaregime. Dennoch hat die internationale Konferenzdiplomatie im Bereich des Umweltschutzes nicht ausgedient. Ohne den Regimeansatz hätten Probleme wie das Ozonloch oder die weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzung kaum mit der gleichen Effektivität gelöst werden können. Ohne die themenübergreifenden Verhandlungsprozesse seit der Stockholmer Konferenz von 1972 wären die Vernetztheit der verschiedenen Umweltprobleme und ihre engen Verflechtungen mit Entwicklungsthemen nicht derart in das öffentliche Bewusstsein gerückt und rechtlich eingefasst worden. Die hier entwickelten Normen dienten, selbst soweit sie zunächst nicht rechtlich verbindlich waren, als Argumente in nachfolgenden Verhandlungsprozessen und erfuhren auf vielfältige Weise rechtliche Anerkennung, sei es durch Aufnahme in Vertragsnormen, durch Erstarkung zu Völkergewohnheitsrecht oder als Auslegungshilfe für internationale Gremien und nationale Gerichte. Zum Teil handelt es sich um Kombinationsstandards, welche Maßstäbe setzen, „die man anlegen kann, aber nicht muß“.70 Diese Entwicklung, auf die Eibe Riedel bereits frühzeitig aufmerksam gemacht hat, hat sich fortgesetzt. Der sektorale Ansatz hat den Vorteil, dass er regelmäßig rechtsverbindliche, wenngleich oft wenig einschneidende Regeln hervorbringt; er neigt aber gelegentlich dazu, die Querverbindungen zu anderen Regelungsbereichen zu vernachlässigen. Hier wird er durch den themenübergreifenden Ansatz sinnvoll ergänzt, der insoweit überwölbende Prinzipien formuliert, an denen sich die Regime orientieren können, und der durch Institutionen wie UNEP eine Verklammerungswirkung ereinem „ökonomischen Faktor“ auch den „Zukunftsfaktor“, bestehend aus „Zukunftsvorsorge“ und „Zukunftsverantwortung“, herausarbeitet. 69 Siehe zum Ganzen auch die Analyse von Ivanova (Fn. 61), 583 ff. (584): „The need for a strong, legitimate and credible authority for the environment is undeniable, but the causal link between specialized agency status and the possession of such authority is unclear at best“; zu den Erfolgen UNEPs in seiner gegenwärtigen Form siehe auch Sands et al. (Fn. 6). 70 Riedel (Fn. 3), 261.

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zielt. Die bestehende Fragmentierung könnte zwar ggf. durch eine UNEO verringert werden, in der die Sekretariate oder gar die Vertragsstaatenkonferenzen zusammengeführt werden. Aber dadurch wäre womöglich auch der Vorteil der relativen Schlankheit der Verhandlungsprozesse sowie der Fachkompetenz, die sich innerhalb der jeweiligen Regimeprozesse mit ihrer je eigenen Dynamik findet, gefährdet; außerdem zeigt die Rio-plus 20-Konferenz, dass eine solche Änderung nur mit Mühe zu erreichen wäre.71 Zwar sind die verschiedenen Umweltregime auf Koordinierung angewiesen, diese kann UNEP in seiner aktuellen Form aber leisten, sofern diese Institution vernünftig finanziert wird.72 Im Übrigen lassen sich auch außerhalb dieses Rahmens völkerrechtliche Grundsätze der Konfliktlösung zwischen den Regimen formulieren.73 Insoweit ergänzen sich diese Regime gegenseitig, bedürfen aber der Ergänzung durch andere globale Institutionen (etwa den UN-Sicherheitsrat oder die G 20) sowie durch regionale, nationale und subnationale Ansätze, die insoweit eine Vorbildfunktion entfalten.74 Daneben bleibt die wichtige Aufgabe der Vorbereitung und Ausrichtung bzw. Begleitung künftiger globaler Nachhaltigkeitskonferenzen, die UNEP im Zusammenspiel mit der CSD bewältigen muss. Letztlich untermauern die Ergebnisse der Analyse, dass es – wie Eibe Riedel es vielleicht formulieren würde – auch bei der Bekämpfung des Klimawandels darauf ankommt, nicht einen einzigen Ansatz zu verfolgen, sondern viele „Tunnel zu graben“, was ein Forum-Shopping ebenso wie eine gegenseitige Befruchtung der Verhandlungsprozesse ermöglicht. Im Zentrum der internationalen Bemühungen dürften aber weiterhin zu Recht die beiden hier analysierten Verhandlungsformate stehen.75 Sie entsprechen der grenzüberschreitenden und wechselbezüglichen Natur 71 72

583 f. 73

Differenzierend UNEP (Fn. 61). Zum zentralen Thema der finanziellen Ausstattung UNEPs siehe auch Ivanova (Fn. 61),

Zur Lösung von Regimekonflikten siehe etwa Wolfrum/Matz, Conflicts in International Environmental Law, 2003; Fischer-Lescano/Teubner, Regimekollisionen – Zur Fragmentierung des globalen Rechts, 2006. 74 Insoweit sei exemplarisch auf das Europäische Emissionshandelssystem hingewiesen, mit dem die Europäische Union eine Vorreiterstellung im Rahmen der marktbasierten Verringerung von Treibhausgasen einnimmt; siehe hierzu etwa Hanschel, A Legal Analysis of the EU Emissions Trading Scheme – Problems and Prospects, in: Rodi (Hrsg.), Emissions Trading in Europe – Review and Preview – Third International Summer Academy „Energy and the Environment“, 2008, 69 ff. Biermann et al., The Architecture of Global Climate Governance: Settting the Stage, 2010, in: Biermann/Pattberg/Zelli (Fn. 8), 22, beschreiben die „global climate governance architecture“ als einen Fall von „cooperative fragmentation: apart from one institution, which does not comprise all relevant countries, an increasing number of other organizations, regimes and arenas are addressing climate change, while the relationship among these different institutions remains often ambiguous, but by and large cooperative“; zur Fragmentierung in der Architektur der Klimaregimes siehe auch Biermann/Pattberg/Zelli, Conclusions: Options for Effective Climate Governance Beyond 2012, 2010, in: Biermann/ Pattberg/Zelli (Fn. 8), 306 ff. 75 Zur Notwendigkeit, fragmentierte Prozesse in den übergreifenden Rahmen zu integrieren, siehe Zelli et al., The Consequences of a Fragmented Climate Governance Architecture, in: Biermann/Pattberg/Zelli (Fn. 8), 2010, 32.

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der Umweltprobleme. Zugleich kommt es auf die Vorbildrolle einzelner Akteure an. Im Lichte der Finanzkrise leidet gegenwärtig die Aufmerksamkeit für den internationalen Umweltschutz. Man kann nur hoffen, dass sie nicht erst wieder steigt, wenn es zu Umweltkatastrophen in einem solchen Ausmaß kommt, dass die entsprechenden Reaktionen zu spät kommen. Schon jetzt gibt es manche Zeitgenossen, die auf geradezu verblüffende Weise unmittelbar von der Leugnung der Klimaproblematik zur Resignation überzugehen scheinen. Um diese Mischung aus Erstarrung und Fatalismus zu kritisieren, bedarf es keiner ökozentristischen Sichtweise. Es genügt, den Menschen in den Mittelpunkt des Umweltschutzes zu rücken, so wie Eibe Riedel dies stets getan hat.

IV. Der Mensch im Recht der wirtschaftlichen Regulierung

Individualrechte im Menschenrechts- und Investitionsschutzbereich – Kohärenz von Staatenund Unternehmensverantwortung? Von Christian Tietje

A. Einleitung Die rechtstheoretische Konstruktion, die dogmatische Durchdringung und die praktische Durchsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte können als zentrale, vielleicht sogar als die zentrale Thematik im breit gefächerten wissenschaftlichen Oeuvre und von der Praxis geprägten Lebenswerk von Eibe Riedel bezeichnet werden. Diesbezüglich hat insbesondere seine Habilitationsschrift zur „Theorie der Menschenrechtsstandards” (Berlin 1986) in der Wissenschaft, aber auch für ihn ganz persönlich „Standards“1 gesetzt. In dem vorliegenden Beitrag zu Ehren von Eibe Riedel soll die rechtstheoretische Frage über die Dimensionen und Richtungen von Menschenrechten, insbesondere von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten aufgenommen und auf einen seit einigen Jahren in der Wissenschaft und der Rechtspraxis besonders intensiv diskutierten sowie relevanten Bereich des Völkerrechts übertragen werden. Konkret geht es um das internationale Investitionsschutzrecht. Das internationale Investitionsschutzrecht ist gegenwärtig durch eine kaum noch zu überschauende schiedsgerichtliche Praxis gekennzeichnet. Es gibt gegenwärtig weit mehr als 300 bekannte und eine ebenso substantielle Anzahl vertrauliche, der Öffentlichkeit im Einzelnen nicht bekannte Verfahren. Hinzu kommt eine auf diese Praxis in weiten Bereichen reagierende, weitreichende publizistische Diskussion. Betrachtet man die insofern vorliegende Masse an Material, zeigen sich die folgenden Besonderheiten: die Praxis des internationalen Investitionsschutzrechts ist durch schiedsgerichtliche Entscheidungen geprägt. Dabei handelt es sich sowohl um ad hoc wie auch um institutionalisierte Schiedsgerichtsbarkeit.2 Trotz gewisser Unterschiede dieser beiden Arten der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit steht die einzelfallbezogene, immer nur die Lösung eines ganz konkreten Falles fokussie1

Zu „Standards“ als Normkategorie im Völkerrecht siehe Riedel, Standards and Sources. Farewell to the Exclusivity of the Sources Triad in International Law, EJIL 2 (1991), 58 ff. 2 Zur Differenzierung Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.) Rechtsschutz im öffentlichen Recht, Berlin 2009, § 4 Rn. 12 sowie 23 ff.

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rende Zielrichtung dieses Konfliktlösungsmechanismus im Vordergrund. In der Folge sind Schiedsgerichte nur sehr zaghaft bereit, ihre Entscheidungen bzw. rechtlichen Überlegungen in ein System bereits vorliegender Schiedssprüche einzupassen.3 Diese sehr auf den Einzelfall konzentrierte schiedsgerichtliche Praxis korrespondiert mit zahlreichen, vielleicht sogar der Mehrzahl von thematisch einschlägigen Publikationen, die sich im Schwerpunkt mit einzelnen Schiedssprüchen auseinandersetzen. Die insofern weitreichende Einzelfallbezogenheit im internationalen Investitionsschutzrecht führt dazu, dass übergreifende, auf eine Systemdurchdringung ausgerichtete wissenschaftliche Analysen zum internationalen Investitionsschutzrechts eher die Ausnahme sind.4 Die fehlende systematische Durchdringung des internationalen Investitionsschutzrechts ist für sich schon ein Problem, was sich nochmals intensiviert, wenn man die Perspektive des allgemeinen Völkerrechts einnimmt. Internationales Investitionsschutzrecht ist weiterhin jedenfalls auch von Grundzügen und einem Vorverständnis geprägt, die ihre Ursprünge in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit haben. Erst in jüngerer Zeit sind wissenschaftliche Ansätze dahingehend erkennbar, das internationale Investitionsschutzrecht in einen größeren völkerrechtlichen Kontext einzufügen.5 Die lange Zeit isolierte Stellung des internationalen Investitionsschutzrechts hat dazu geführt, dass diese Rechtsmaterie vielfach in einer tendenziell konfliktorientierten Perspektive gesehen wird und zum Teil auch operiert. In deutlicher Verkürzung der Problematik und letztlich ohne wissenschaftliche Substanz haben so zum Beispiel vor einiger Zeit u. a. einige Hochschuldozenten eine Erklärung veröffentlicht, die sich dezidiert und einseitig gegen das internationale Investitionsschutzrecht wendet.6 Ganz in diesem Sinne ist das internationale Investitionsschutzrecht regelmäßiger Kritik von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Hinblick auf dessen behauptete Gefahr für den Menschenrechtsschutz ausgesetzt. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es durchaus auch schiedsgerichtliche Urteile, die es explizit abgelehnt haben u. a. menschenrechtliche Rechtsinstitute anzuwenden.7 In einem übergreifenden Sinne werden insofern auch die rechtlichen Herausforderungen, die sich 3

Zu „Zitierpraxis“ und der zugrundeliegenden Dogmatik in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit siehe Kaufmann-Kohler, Arbitral Precedent: Dream, Necessity or Excuse?, Arbitration International 23:3 (2007), 357 (368 ff.); dies., Is Consistency a Myth?, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Precedent in international arbitration, 2008, 137 (138 ff.). 4 Siehe zu dieser Feststellung bereits Schill, Internationales Investitionsschutzrecht und Vergleichendes Öffentliches Recht: Grundlagen und Methode eines öffentlich-rechtlichen Leitbildes für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, ZaöRV 2011, 247 (248). 5 Ausführlich bereits Bering/Braun/Lorz/Schill/Tams/Tietje, General Public International Law and International Investment Law – A Research Sketch on Selected Issues, Halle 2011; siehe jüngst auch Alvarez, The Public International Law Regime Governing International Investment, Leiden 2011, 406 ff. 6 Public Statement on the International Investment Regime, vom 31. August 2010, . 7 Siehe z. B. Siemens A.G. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/08, Award v. 6. Februar 2007, Abs. 354.

Individualrechte im Menschenrechts- und Investitionsschutzbereich

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in Situationen ergeben, in denen internationales Investitionsschutzrecht in seiner konkreten Anwendung auf eine rechtliche Wertung oder sogar konkrete Rechtsregeln stößt, die einem anderen Gebiet des Völkerrechts entstammen, regelmäßig nur im kollisionsrechtlichen Sinne konfligierender Rechtsnormen analysiert.8 Insofern setzt sich auch im Investitionsschutzrecht die Debatte fort, die aus dem Welthandelsrecht unter den Stichworten „trade and […]“ bekannt ist.9 So sinnvoll es auf der einen Seite sicherlich ist, auch im internationalen Investitionsschutzrecht rechtsdogmatisch Antworten auf Situationen einer Kollision von rechtlichen Wertungen des Investitionsschutzrechts und anderer Rechtsbereiche des Völkerrechts zu finden, so problematisch ist auf der anderen Seite, dass durch diese letztlich einseitige Perspektive der Blick auf übergeordnete, systemische Erklärungsansätze versperrt wird. Im nachfolgenden soll eine Skizze zu einer systemischen Gesamtbetrachtung menschenrechtlicher und investitionsschutzrechtlicher Wertungen im internationalen Recht entwickelt werden. Zentraler Ausgangspunkt der Untersuchung sind die Schutz- und Verpflichtungsdimensionen im Hinblick auf Individualrechte im Völkerrecht, konkret im Bereich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte. Die Untersuchung wird dabei die jüngeren Rechtsentwicklungen im Bereich der so genannten Corporate Social Responsibility (CSR) im Hinblick auf Menschenrechte mit einbeziehen. Insofern soll eine Perspektive eingenommen werden, die im Ergebnis die maßgeblichen Akteure berücksichtigt: den Staat, das Individuum und Unternehmen. In dieser dreidimensionalen Akteursperspektive gilt es zu untersuchen, inwieweit sich u. a. die klassische Pflichtentrias des „respect, protect, fulfil“ eignet, nicht nur im engeren bipolaren Verhältnis von Staat und Individuum mit Blick auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, sondern darüber hinausgehend insgesamt als Erklärungsansatz für eine konzeptionelle Durchdringung der rechtsstaatlichen Orientierung des internationalen Investitionsschutzrechts zu dienen. Es geht weniger um die Lösung konkreter dogmatischer Probleme namentlich in Rechtskollisionssituationen, sondern vielmehr um den Versuch einer übergeordneten Systembildung. Dazu wird in einem ersten Schritt kurz auf die bekannte Pflichtentrias des „respect, protect, fulfil“ eingegangen (B.). Anschließend sind die aktuellen Entwicklungen im Bereich der CSR darzustellen, die einen unmittelbaren Bezug zur genannten Pflichtentrias aufweisen (C.). Hierauf aufbauend ist dann jedenfalls im Überblick darzustellen, wie sich das gegenwärtige rechtspositive Verhältnis von internationalem Investitionsschutzrecht zu menschenrechtlichen Rechtsgarantien und Rechtsinstituten in der Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit darstellt (D.). Im Ergebnis können dann Ansätze der bereits angedeuteten übergreifenden Systembildung herausgearbeitet werden (E.).

8 Tietje, The Future of International Investment Protection: Stress in the System?, ICSID Review Foreign Investment Law Journal 24:2 (2009), 457 (460). 9 United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/AB/R, Appellate Body Report v. 29. April 1996, 17: „[T]he General Agreement is not to be read in clinical isolation from public international law“.

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B. Allgemeiner Menschenrechtsschutz: Die Pflichtentrias des „respect, protect, fulfil“ Die Entwicklung des innerstaatlichen, insbesondere aber auch des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes wurde lange Zeit und zum Teil bis heute verbunden mit der Lehre von den drei Dimensionen der Menschenrechte. Eibe Riedel hat dies in einem wegweisenden Aufsatz aus dem Jahre 1989 im Einzelnen nachgezeichnet und analysiert.10 Im Kern geht es bei der Klassifizierung der drei Dimensionen der Menschenrechte um den Versuch, die historische Entwicklung des Menschenrechtsschutzes in Verbindung zu bringen mit sozio-ökonomischen Realitäten der Gegenwart. Insofern ist die Lehre von den drei Dimensionen der Menschenrechte auch klar zeitgeschichtlich geprägt. Maßgeblich waren die politischen Entwicklungen insbesondere in den 1970er Jahren. Die Diskussion über eine „Neue Weltwirtschaftsordnung“ war auch für die politische und rechtliche Entwicklung sowie wissenschaftliche Durchdringung des internationalen Menschenrechtsschutzes prägend.11 Im Einzelnen wurden und werden die Menschenrechte der ersten Dimension mit dem klassischen Ausgangspunkt der historischen Entwicklung des Individualrechtsschutzes beginnend mit der Magna Carta Libertatum aus dem Jahre 1215 verbunden. Menschenrechte der ersten Dimension können insofern verkürzt als Abwehrrechte des Bürgers gegenüber staatlicher Hoheitsgewalt charakterisiert werden.12 Zweitdimensionsrechte finden ihre historische Wurzel im Zeitalter der Industrialisierung. Sie weisen damit schon aus historischer Perspektive einen deutlichen Bezug zu heute wieder aktuellen Diskussionen zu Menschenrechten und Einzelphänomenen dessen, was als ökonomische Globalisierung bezeichnet wird, auf. Die Rechte der zweiten Dimension können in diesem Sinne als soziale Rechte, wie das Recht auf Arbeit und die Koalitionsfreiheit, bezeichnet werden.13 Die Menschenrechte der dritten Dimension sind schließlich im unmittelbaren Zusammenhang mit der bereits genannten Diskussion zu einer Neuen Weltwirtschaftsordnung insbesondere der 1970er Jahre zu sehen. Viele Einzelheiten der Drittdimensionsrechte sind bis heute unklar. Aber es kann zumindest konstatiert werden, dass sich die Diskussion hierzu von einer zunächst ausschließlichen politischen Forderung nach einem egalitären internationalen Wirtschafts- und Sozialsystem mit in der Konsequenz intensiven Umverteilungen aus dem „reichen“ Norden in den „armen“ Süden im Laufe der Zeit zunehmend hin zu einem Konsens im Hinblick auf die Notwendigkeit einer weltweiten Befriedigung von materiellen und immateriellen Grundbedürfnissen verschob.14 Im Kern resultier-

10

Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9 ff. Ebda., 13. 12 Ebda., 11. 13 Ebda., 12. 14 Ebda., 12 f.; ausführlich zu den Diskussionen im Rahmen der Neuen Weltwirtschaftsordnung Tietje, Begriff, Geschichte und Grundlagen des Internationalen Wirtschaftssystems und Wirtschaftsrechts, in: ders. (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2009, § 1 Rn. 52 ff.; 11

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te hieraus u. a. die Diskussion über das Recht auf Entwicklung, dessen „Geburt“ sich im Jahre 2011 zum 25. Mal jährte.15 Gerade die Diskussion zu einem „Recht auf Entwicklung“ zeigt, wie im internationalen menschenrechtlichen Diskurs ein zunächst sehr deutlich kollektivistisch konstruiertes Rechtsinstitut im Laufe der Zeit eine klare individualrechtliche und damit im positiven rechtsstaatlichen Sinne operable Ausrichtung erfahren kann. Das ändert freilich nichts an der Frage, ob die politischen und wissenschaftlichen Anstrengungen zur Etablierung eines Rechts auf Entwicklung insgesamt Gewinn bringend sind.16 Die Diskussion über die drei Dimensionen der Menschenrechte hat zwischenzeitlich weit gehend ihre Relevanz verloren. Das liegt unter anderem daran, dass sich der menschenrechtliche Diskurs sowohl in der Wissenschaft wie auch in der internationalen Praxis zunehmend und heute letztlich ausschließlich im Rahmen der Pflichtentrias des „respect, protect, fulfil“ bewegt. Diese Systematisierung geht im Kern auf Ausführungen von Henry Shue aus dem Jahr 1980 zurück,17 die später von Asbjørn Eide im heutigen Sinne der Formel „respect, protect, fulfil“18 geprägt wurden. Im Wesentlichen ging es darum, zunächst die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen, später die Menschenrechte allgemein als – in deutscher Terminologie – Abwehr-, Leistungs- und Schutzrechte zu konstruieren. Die Verpflichtung „to respect“ weist insofern darauf hin, dass der Staat nicht in die Sphäre individueller Freiheitsverwirklichung des Individuums intervenieren soll. Dabei wird bewusst davon ausgegangen, dass Ausgangspunkt menschenrechtlicher Überlegungen immer individuelle Freiheit als solche ist.19 Der Hinweis auf „to protect“ ist im Sinne einer staatlichen Schutzpflicht dahingehend zu verstehen, Maßnahmen zu ergreifen, damit andere Individuen nicht Freiheitsrechte des Individuums verletzen. Mit der Verpflichtung „to Weiß, Shift in Paradigm – From the New International Economic Order to the World Trade Organization, German Yearbook of International Law 46 (2003), 171 (173 ff.). 15 UN Doc. A/RES/41/128 v. 4. Dezember 1986: UN Declaration on the Right to Development; Riedel, Right to Development, in: Wolfrum/Philipp (Hrsg.), United Nations: law, policies and practice, Vol. 2, 1995, 1103 – 1109 (Rdnr. 3). 16 Ausführlich hierzu Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung als Elemente einer konstitutionalisierten globalen Friedensordnung, in: Dicke/Hobe/Meyn/ Peters/Riedel/Schütz/Tietje (Hrsg.), Weltinnenrecht – Liber amicorum Jost Delbrück, 2005, 783 (800 ff.). 17 Shue, Basic Rights, Subsistence, Affluence and U.S. Foreign Policy, 1980, 52 f.; hierzu und insgesamt zur Thematik Klee, Die progressive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2000, 101. 18 Eide, Report on the Right to Adequate Food as a Human Right, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/ 1987/23, §§ 66 ff.; ders., Realization of Social and Economic Right and the Minimum Threshold Approach, HRLJ 10 (1989), 35 (37); Klee (Fn. 17), 101. 19 Siehe hierzu statt vieler die eindringlichen Formulierungen aus dem jeweils 3. Absatz der Präambel des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie der Präambel des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, wo es heißt: „[…], daß nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Ideal vom freien Menschen, der [bürgerliche und politische Freiheiten genießt und] frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn […]“.

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fulfil“ ist schließlich die Notwendigkeit angesprochen, dass der Staat positive Maßnahmen ergreift, damit die Voraussetzungen der individuellen Freiheitsausübung überhaupt gegeben sind.20 Obwohl diese Kategorisierung menschenrechtlicher Verpflichtungen ursprünglich, wie bereits angedeutet, auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte und damit den nicht einfach zu erfassenden Art. 2 Abs. 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) bezogen war, bestimmt sie heute den menschenrechtlichen Diskurs insgesamt. Auf den IPWSKR bezogen hat sich die Anwendung der Pflichtentrias umfassend in der Praxis insbesondere des Ausschlusses des Paktes etabliert und ist von einem Konsens in der Staatenpraxis getragen.21 Die Klassifizierung staatlicher Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich im oben genannten Sinne darf nicht dahingehend verstanden werden, dass die drei Pflichtenkategorien einheitliche, nur in ihrer Schutzrichtung zu unterscheidende rechtsnormative Sollensvorgaben enthalten. Vielmehr ist die Pflichtentrias des „respect, protect, fulfil“ im Zusammenhang mit zwei zentralen menschenrechtlichen Rechtsinstituten zu sehen: der Ressourcenabhängigkeit von Verhaltens- und Erfüllungspflichten gemäß Art. 2 Abs. 1 IPWSKR22 sowie der Lehre vom staatlichen Beurteilungsspielraum (margin of appreciation).23 Ungeachtet aller dogmatischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit den beiden genannten Rechtsinstituten stellen, bringen sie zumindest zum Ausdruck, dass es eine differenzierte Verpflichtungsintensität im Regelungsgefüge des „respect, protect, fulfil“ gibt. Wie menschenrechtliche Verpflichtungen zu erfüllen sind, ist insofern immer abhängig von der Art der Verpflichtung im Sinne der Differenzierung zwischen Abwehr-, Schutz- und Leistungspflichten im Kontext des konkreten Sachverhaltes zu ermitteln. Unabhängig von Einzelheiten können damit übergreifende wie auch konkrete Aussagen zu menschenrechtlichen Pflichten von Staaten gerade im Bereich des internationalen Wirtschaftsrechts getroffen werden. Das betrifft u. a. Einzelfragen wirtschaftspolitischer Infrastrukturgestaltung, z. B. im Bereich der Wasserversorgung,24 und die gerade für das Investitionsschutzrecht wichtige Frage nach einer extraterritorialen Menschenrechtsverantwortung im Hinblick auf das Handeln von Unternehmen in Drittstaaten;25 hierauf ist zurückzukommen. 20

Klee (Fn. 17), 101. Klee (Fn. 17), 102 ff.; Riedel, Zur Durchsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte im Völkerrecht, in: Giegerich/Zimmermann (Hrsg.), Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im globalen Zeitalter, 2008, 71 (77 f.). 22 Ausführlich Klee (Fn. 17). 23 Hierzu z. B. Shany, Toward a General Margin of Appreciation Doctrine in International Law?, EJIL 16 (2006), 907 ff. 24 Hierzu die Beiträge in: Brown Weiss/Bernasconi-Osterwalder/Boisson De Chazournes (Hrsg.), Fresh Water and International Economic Law, 2005. 25 Siehe hierzu z. B. Ssenyonjo, Economic, social and cultural rights: an examination of state obligations, in: Joseph/McBeth (Hrsg.), Research Handbook on International Human Rights Law, 2010, 36 (56 ff.); Bernstorff, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility, AVR 49 (2011), 34 – 64. 21

Individualrechte im Menschenrechts- und Investitionsschutzbereich

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C. Menschenrechte und Unternehmen: Protect, Respect and Remedy Framework Zunächst scheinbar aus einer ganz anderen Perspektive heraus wurde der so genannte „Protect, Respect and Remedy Framework“26 entwickelt. Dieser seit ca. fünf Jahren die Diskussion zur CSR bestimmende Ansatz ist untrennbar mit dem Namen John Ruggie verbunden. Als Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für Menschenrechte und transnationale Unternehmen hat Ruggie zunächst mit seinem Report „Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights“ aus dem Jahre 200827 und dann den darauf aufbauenden „Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations ,Protect, Respect and Remedy‘ Framework“ aus dem Jahre 201128 wegweisende konzeptionelle Überlegungen zum Verhältnis von Menschenrechten und der Wirtschaftstätigkeit transnationaler Unternehmen vorgelegt. Der Erfolg seiner Bemühungen, der u. a. daran abzulesen ist, dass sich die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in ihrer überarbeiteten Fassung aus dem Jahre 2011 explizit auf die beiden genannten Dokumente der UN stützen,29 ist u. a. darauf zurückzuführen, dass Ruggie bewusst einen prinzipienorientierten Ansatz gewählt hat. Hierdurch gelingt es, den politischen und auch rechtlichen Streit über einzelne menschenrechtliche Pflichten im Lichte konkreter unternehmerischer Aktivitäten zu überwinden und eine konsensfähige Basis von Leitvorstellungen für die menschenrechtliche Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen zu formulieren.30 Inhaltlich wird mit dem Protect, Respect and Remedy Ansatz bewusst keine einseitige Pflichtenbegründung von Unternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte verfolgt. Vielmehr wird ein kombinierter Ansatz von auf den Staat und die Rechtsordnung bezogenen Rechtspflichten auf der einen und unternehmerischer Verantwortung auf der anderen Seite entwickelt. Damit wird die einseitige, bewusst im Sinne einer „Pflichten“-Rhetorik konzipierte Ausrichtung des Entwurfes der „Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business 26

UN Doc. A/HRC/8/5 v. 7. April 2008 sowie UN Doc. A/HRC/17/31 v. 21. März 2011. Ebda. 28 Ebda. 29 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Ausgabe 2011, Erläuterungen para. 36; ausführlich zu den 2011 OECD-Leitsätzen Huarte Melgar/Nowrot/Wang, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, 2011. 30 Ausführlich zu den beiden Dokumenten Backer, On the Evolution of the United Nations’ „Protect-Respect-Remedy“ Project: The State, the Corporation and Human Rights in a Global Governance Context, Santa Clara Journal of International Law 2 (2010), 101ff., ; ders., From Institutional Misalignments to Socially Sustainable Governance: The Guiding Principles for the Implementation of the United Nations’ „Protect, Respect and Remedy“ and the Construction of Inter-Systemic Global Governance, Pacific McGeorge Business & Development Law Journal 2011, 101 ff., . 27

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Enterprises with Regard to Human Rights“31 (UN Norms) vermieden. Das war angesichts der bestehenden rechtlichen Unsicherheiten im Hinblick auf die Völkerrechtssubjektivität transnationaler Unternehmen als – jedenfalls nach herkömmlicher Auffassung – Voraussetzung für eine völkerrechtliche Pflichtenstellung rechtlich zwingend und politisch klug. Die UN Norms hatten insofern noch in einem Atemzug mit der staatlichen Verpflichtung „to promote, secure the fulfilment of, respect, ensure respect of and protect human rights“ darauf abgestellt, dass „transnational corporations and other business enterprises, as organs of society, are also responsible for promoting and securing the human rights set forth in the Universal Declaration of Human Rights“ (Abs. 3 Präambel UN Norms). Ausgangspunkt des „Protect, Respect and Remedy Framework“ ist die Dreiteilung individualrechtlicher Vorgaben im Sinne von (1) staatlichen Rechtspflichten auf „respect, protect and fulfil“ von Menschenrechten und „fundamental freedoms“ bezogen, (2) der Verpflichtung („to comply“) von Unternehmen als „specialized organs of society“32 auf bestehende Rechtsregeln und ihrer Verantwortung („to respect“) für Menschenrechte sowie (3) der Existenz effektiver Rechtsschutz- und Wiedergutmachungsmechanismen im Falle von Menschenrechtsverletzungen.33 Damit wird nochmals deutlich, dass es dem Ansatz des „protect, respect and remedy“ nicht um eine einseitige Inpflichtnahme von Unternehmen geht, sondern vielmehr eine Erweiterung menschenrechtlicher Konzepte dahingehend verfolgt wird, dass zusätzlich zu den Rechtspflichten des „respect, protect and fulfil“ eine Verantwortungsperspektive als zunächst außerrechtliche (soziale) Normkategorie mit aufgenommen wird. Insofern stellt sich der Ansatz des „protect, respect and remedy“ als rechtliche und außerrechtliche Dimensionen erfassendes Governance-Konzept in einem horizontalen und vertikalen Mehrebenensystem unterschiedlicher Steuerungsakteure und -mechanismen dar.34 Im Sinne der drei Kategorien des „protect, respect and remedy“ geht es zunächst um die staatliche Verpflichtung zum Schutz (protect) von Menschenrechten. Die Guiding Principles wiederholen dabei nicht den allgemeinen menschenrechtlichen Pflichtenstandard des „respect, protect and fulfil“, sondern bauen hierauf auf. Im Vordergrund steht insofern zunächst die staatliche Pflicht, effektive präventive und re31 UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/12/Rev.2 (2003); hierzu z. B. Nowrot, Die UN-Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights – Gelungener Beitrag zu transnationaler Rechtsverwirklichung oder das Ende des Global Compact?, 2003. 32 Siehe hierzu die Präambel der Allgemeinen Menschenrechtserklärung Absatz 8, wo von „Organen der Gesellschaft“ gesprochen wird; hierzu Nowrot (Fn. 31), 11 m.w.N. 33 Guiding Principles (Fn. 28), Absatz 1 General Principles. 34 Zu einem solchen Ansatz im internationalen Wirtschaftssystem und –recht insgesamt siehe Nowrot, Steuerungssubjekte und -mechanismen im Internationalen Wirtschaftsrecht, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2009, § 2; ähnlich auf die Guiding Principles bezogen auch Backer (Fn. 30), Pacific McGeorge Business & Development Law Journal 2011, 101 (108).

Individualrechte im Menschenrechts- und Investitionsschutzbereich

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pressive Maßnahmen zu ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen von Dritten, namentlich Unternehmen, zu verhindern. Dabei handelt es sich um eine Verhaltenspflicht im Sinne des Rechts der Staatenverantwortlichkeit,35 bei deren Erfüllung dem Staat ein Ermessensspielraum eingeräumt wird.36 Im Zusammenhang hiermit steht die Aufforderung, dass Staaten soweit möglich auch bei Aktivitäten von staatszugehörigen Unternehmen außerhalb des eigenen Territoriums auf die Achtung von Menschenrechten durch die Unternehmen achten; konkret geht es insofern um die nicht unproblematische Frage nach extraterritorialen Menschenrechtspflichten im Hinblick auf unternehmerisches Handeln.37 Ebenfalls in diesem Zusammenhang steht die Erstreckung staatlicher Menschenrechtspflichten auf das Handeln von Staatshandelsunternehmen bzw. Unternehmen, die in einer sonstigen Nähebeziehung zum Staat stehen, und die Verpflichtung zur Achtung von Menschenrechten im Zusammenhang mit der öffentlichen Auftragsvergabe (Guiding Principles 5 – 7). Neben verschiedenen Transparenz- und Informationsgeboten, die von den Staaten beachtet werden sollen (Guiding Principle 8), finden sich dann noch Hinweise in den Guidelines darauf, dass Staaten auch bei ihrem völkerrechtlichen Handeln (Abschluss völkerrechtlicher Verträge; Mitarbeit in internationalen Organisationen) ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen beachten sollen. Dazu gehört die Sicherstellung eines hinreichenden „domestic policy space“ beim Abschluss von wirtschaftsrelevanten Verträgen, z. B. bilateralen Investitionsschutzverträgen und Investitionsverträgen mit ausländischen Investoren (state contracts), sowie die Ausübung staatlicher Einflussnahme in internationalen Organisationen, in denen der entsprechende Staat mitwirkt (Guiding Principles 9 und 10). Insgesamt zeigt sich damit, dass die Einzelheiten der Verpflichtungsdimension „to protect“ der Guiding Principles on Business and Human Rights im Kern die gesamte Bandbreite menschenrechtlicher Verpflichtungen der Staaten im Sinne der Pflichtentrias des „respect, protect, fulfil“ erfassen. Dabei erfolgt zwar eine Konzentration auf Sachbereiche, die einen unmittelbaren Bezug zum Menschenrechtsschutz im Hinblick auf unternehmerisches Handeln aufweisen. Die dogmatischen Grundzüge insbesondere dessen, was im allgemeinen menschenrechtlichen Diskurs als „respect“ und „protect“ verstanden wird, finden sich aber in den Guiding Principles unproblematisch wieder, wenngleich auch terminologisch auf das „protect“ beschränkt. Die eigentliche Neuerung der Guiding Principles ist im zweiten Teil zur „corporate responsibility to respect human rights“ zu sehen. Hier ist detailliert aufgeführt, welche sozialen Erwartungen an Unternehmen im Hinblick auf die Achtung von Menschenrechten gerichtet sind. Insofern geht es nicht primär um eine Rechtsbefolgung durch Unternehmen, sondern in Ergänzung hierzu („over and above“) um „re35 Hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd.I/3, 2. Aufl. 2002, 873, 876 ff.; Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility – Introduction, Text and Commentaries, Cambridge 2002, 129 f. 36 Guiding Principles (Fn. 28), 7. 37 Ausführlich hierzu Bernstorff, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility, AVR 49 (2011), 34 – 64.

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sponsibility“, also Verantwortung. Die einzelnen Verantwortungsdimensionen auf Menschenrechte bezogen, die in den Guiding Principles für Unternehmen aufgeführt sind, umfassen Verhaltens- und Erfolgs„pflichten“ auf allen Ebenen und Stufen unternehmerischen Handelns. Überdies ist Unternehmensverantwortung im Sinne der Guiding Principles untrennbar mit der staatlichen Rechtsverpflichtung auf Menschenrechte im dargestellten Sinne dahingehend verflochten, dass hierzu u. a. die Achtung staatlicher und überstaatlicher Rechtspflichten sowie Respekt vor einer staatlichen Menschenrechtspolitik gehört.38 Die dritte Säule der Guiding Principles umfasst den Bereich der effektiven prozeduralen Durchsetzung von Menschenrechten und ggf. Wiedergutmachung im Falle von Menschenrechtsverletzungen. Es handelt sich hierbei wiederum um eine Pflichtendimension, die auf den Staat rekurriert, allerdings in abgestufter Intensität von Rechtspflicht bis sozialadäquater Erwartung. Im Wesentlichen geht es aber um prozedurale Aspekte dessen, was in der allgemeinen Menschenrechtsdogmatik in die Kategorie des „fulfil“ eingeordnet wird.39

D. Zwischenfazit Jedenfalls auf rechtsdogmatische und rechtstheoretische Grundzüge bezogen hat sich der internationale Menschenrechtsschutz von den ideologisch aufgeladenen Debatten der 1970er und auch noch 1980er Jahre emanzipiert. Die heute weitgehend anerkannte, für alle Menschenrechte geltende Pflichtentrias des „respect, protect, fulfil“ hat es möglich gemacht, über die kaum operable Lehre von den drei Dimensionen der Menschenrechte hinausgehend Kriterien vorzuhalten, anhand derer im Einzelfall die Achtung von Menschenrechten oder ihre Verletzung bewertet werden können. Die internationale Menschenrechtspraxis ist hiervon seit vielen Jahren geprägt. Vergleicht man nunmehr die bereits klassische Pflichtentrias des allgemeinen Menschenrechtsschutzes mit den Guiding Principles on Business and Human Rights bzw. dem „Protect, Respect and Remedy Framework“, zeigen sich auffällige und letztlich auch nicht verwunderliche Kohärenzen. Der Framework baut auf der Pflichtentrias auf und übernimmt diese, ungeachtet einer gewissen terminologischen Verkürzung im Bereich von „respect“. Letztlich stellt der Framework insofern eine auf unternehmerisches Handeln fokussierte, prinzipienorientierte Version der allgemeinen menschenrechtlichen Pflichtentrias dar, die um die spezifische Verantwortungsperspektive als außerrechtliche Normkategorie erweitert wurde.

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Siehe insbesondere Guiding Principles 11 und 23. Zur Kategorie „fulfil“ siehe z. B. Riedel (Fn. 21), 77; siehe ausführlich auch Punkt V (Remedies and other Responses to Violations) der Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights, Human Rights Quarterly 20 (1998), 691 (699 f.). 39

Individualrechte im Menschenrechts- und Investitionsschutzbereich

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E. Individualrechte im Investitionsschutzrecht Wie bereits einleitend hervorgehoben, gehört die Frage nach dem Verhältnis von Individualrechtsschutz und Investitionsschutzrecht zur einer der zentralen Diskussionen, die gegenwärtig im internationalen Wirtschaftsrecht vorherrschen. Auch die Ausarbeitung der von der Menschenrechtspraxis angenommenen Guiding Principles ist jedenfalls zum Teil unter dem Eindruck der rasanten Bedeutungszunahme des internationalen Investitionsschutzrechts im letzten Jahrzehnt erfolgt. Das macht unter anderem das folgende Zitat von John Ruggie aus seinem Bericht aus dem Jahre 2008 deutlich: Take the case of transnational corporations. Their legal rights have been expanded significantly over the past generation. This has encouraged investment and trade flows, but it has also created instances of imbalances between firms and States that may be detrimental to human rights. The more than 2,500 bilateral investment treaties currently in effect are a case in point. While providing legitimate protection to foreign investors, these treaties also permit those investors to take host States to binding international arbitration, including for alleged damages resulting from implementation of legislation to improve domestic social and environmental standards […] At the same time, the legal framework regulating transnational corporations operates much as it did long before the recent wave of globalization.40

In diesen Ausführungen von John Ruggie, die als repräsentativ für die gesamte Debatte gelten können, kommt das zentrale Problem, das mit dem internationalen Investitionsschutzrecht im Hinblick auf den Menschenrechtsschutz verbunden wird, deutlich zum Ausdruck: das Investitionsschutzrecht wird als einseitig wirtschaftliche Investorenrechte schützende Rechtsmaterie angesehen, die es im Ergebnis verhindert oder zumindest den Staaten deutlich erschwert, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Belange durchzusetzen. Aus dieser Perspektive muss sich das internationale Investitionsschutzrecht als Rechtsmaterie darstellen, die in Konflikt zum Menschenrechtsschutz in den Kategorien des „respect, protect, fulfil“ steht. Überdies ergibt sich hieraus zwangsläufig, dass es einer unmittelbaren oder jedenfalls mittelbaren Einbindung transnationaler Unternehmen als internationale Investoren in die Bemühungen um einen effektiven internationalen Menschenrechtsschutz bedarf. Das ist das zentrale Anliegen der UN Guiding Principles. Insgesamt herrscht so eine konfliktorientierte Perspektive zum Verhältnis von Investitionsschutzrecht und Menschenrechtsschutz vor. Diese Perspektive zeichnet sich überdies dadurch aus, dass sie jeweils nur in einer bipolaren Konstellation operiert: das betrifft auf der einen Seite das Verhältnis der staatlichen Verpflichtung zum Menschenrechtsschutz im Sinne der dargestellten Pflichtentrias im Spannungsverhältnis zu ebenfalls völkerrechtlich begründeten, d. h. zwischenstaatlich wirkenden Rechtspflichten aus dem internationalen Investitionsschutzrecht. Auf der anderen Seite und hiervon dog40 Human Rights Council, Protect, Respect and Remedy: A Framework for Business and Human Rights, UN Doc. A/HRC/8/5 v. 7. April 2008, Abs. 12 – 13; hierzu auch Nowrot, Obligations of Investors, in: Bungenberg/Griebel/Hobe/Reinisch (Hrsg.), International Investment Law, Chapter 10, im Erscheinen.

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matisch letztlich losgelöst wird im Sinne des oben angeführten Zitats von John Ruggie die Corporate Social Responsibility Perspektive gewählt, um Menschenrechtsverantwortung von transnationalen Unternehmen unter anderem mit Blick auf internationale Investitionstätigkeit zu diskutieren. Was damit fehlt, ist eine übergreifende Betrachtung, die auf alle maßgeblichen Akteure in einem ganzheitlichen Sinne abstellt. Auf den Menschenrechtsschutz bezogen sind es insofern Individuen als Rechtsträger und Freiheitssubjekte, der Staat in seiner Achtungs- und Schutzfunktion sowie Unternehmen als wirkungsmächtige Akteure („Organe der Gesellschaft“ im Sinne der UN-Menschenrechtserklärung41), die das Bild bestimmen und damit in einem kohärenten Rechtskonzept zu erfassen sind. Um eine Gesamtbetrachtung anzustellen, ist es damit notwendig, internationalrechtliche Standards auszumachen, die sich insgesamt auf das Handeln der drei genannten Akteure beziehen und den Individualrechtsschutz zum Gegenstand haben.

F. Ausgangspunkt: individuelle Freiheitsverwirklichung Individual- und Menschenrechtsschutz ist im Ausgangspunkt immer, gleich wie im Einzelnen zu begründende, (staatlichen Rechtsgarantien vorgelagerte) individuelle Freiheitsverwirklichung. Im Völkerrecht lässt sich das unter anderem aus dem Bekenntnis zur „angeborenen Würde“ sowie den „gleichen und unveräußerlichen Rechten aller Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft“ ableiten, welches sich u. a. in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie der Menschenrechtspakte findet.42 Individuelle Freiheit, die vom Staat zu schützen sowie zu achten ist, ist dabei nicht nur als menschliche Freiheit im engeren Sinne der Freiheit natürlicher Personen zu verstehen. Vielmehr gilt die Grundidee individueller Freiheitverwirklichung auch für Personenvereinigungen bzw. juristische Personen. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist das zwar in dieser Form nicht explizit niedergelegt, jedenfalls nicht in der Deutlichkeit, die von Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz bekannt ist; zumindest Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK garantiert jedoch jeder natürlichen und juristischen Person ein Recht auf Achtung ihres Eigentums.43 Überhaupt ist jedenfalls im Rahmen der EMRK weitgehend anerkannt, dass die dort garantierten Individualrechte auch für juristische Personen gelten, soweit sie auf sie inhaltlich anwendbar sind.44 Das kann insgesamt auf die Völkerrechtsordnung allgemein übertragen werden.45 41

Absatz 8 Präambel der Allgemeinen Menschenrechtserklärung. Statt vieler Bielefeldt, Freiheit und Sicherheit im demokratischen Rechtsstaat, Deutsches Institut für Menschenrechte, Essay No. 1, 2004, 9 f. 43 Allgemein hierzu Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 1985, 94 ff., 131 ff. 44 Statt vieler Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 3, Rdnr. 12; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012, § 17 Rdnr. 5. 42

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Neben der Garantie individueller Freiheit als Menschenrecht und dem allgemeinen Einbezug juristischer Personen in die rechtlichen Grundlagen der Freiheitsverwirklichung im allgemeinen Völkerrecht wird die Individualrechtsstellung von Unternehmen gerade im Bereich des internationalen Investitionsschutzrechts deutlich. Obwohl bilaterale Investitionsschutzverträge als weiterhin jedenfalls quantitativ gesehen dominierende Rechtsquelle in diesem Bereich zunächst einen rein zwischenstaatlichen Rechtscharakter aufweisen, finden sich gerade in der schiedsgerichtlichen Praxis zunehmend Hinweise darauf, dass Investoren im Bereich des Investitionsschutzrechts mit eigenen Rechten ausgestattet sind.46 Man kann dabei sicherlich darüber streiten, ob die Einräumung unmittelbarer Individualrechte an Investoren durch das internationale Investitionsschutzrecht bereits dazu geführt hat oder, eher rechtspolitisch betrachtet, dazu führen sollte, dass Unternehmen als partielle Völkerrechtssubjekte anzusehen sind.47 Dieser Frage muss hier nicht weiter nachgegangen werden. Entscheidend ist nur, dass Unternehmen im heutigen internationalen Wirtschaftsrecht individuelle Freiheitsgarantien im Hinblick auf ihre grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit zustehen. Schon diese Feststellung reicht aus, um nicht nur eine konzeptionelle Nähe zum internationalen Menschenrechtsschutz aufzuzeigen, sondern um darüber hinaus gehend kohärente Rechtsansätze im gesamten Bereich individueller Freiheitssicherung im internationalen Recht zu begründen. Dass diese Einschätzung im Einzelfall auch dazu führen kann, dass menschenrechtliche Konzepte Rechtsgarantien von Investoren stärken und dies rechtspolitisch nicht wünschenswert sei, so wie es José E. Alvarez vorträgt,48 kann nicht als Gegenargument gewertet werden. Vielmehr besteht gerade die Herausforderung darin, normhierarchisch gleichrangige, inhaltlich umfassend von einem Freiheitsgedanken getragene Rechtsgarantien des Menschenrechtsschutzes und des Investitionsschutzrechts als Individualrechtsschutz in Einklang zu bringen. Anders formuliert ist zu konstatieren, 45 Allgemein hierzu Peters, Das subjektive internationale Recht, Jahrbuch des öffentlichen Rechts 59 (2011), 411 ff. 46 Siehe z. B. Corn Products International, Inc. v. The United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/04/01, Decision on Responsibility v. 15. Januar 2008, Abs. 168 f.: „It is now clear that States are not the only entities which can hold rights under international law; individuals and corporations may also possess rights under international law. In the case of rights said to be derived from a treaty, the question will be whether the text of the treaty reveals an intention to confer rights not only upon the Parties thereto but also upon individuals and/or corporations. In the case of Chapter XI of the NAFTA, the Tribunal considers that the intention of the Parties was to confer substantive rights directly upon investors. That follows from the language used and is confirmed by the fact that Chapter XI confers procedural rights upon them. The notion that Chapter XI conferred upon investors a right, in their own name and for their own benefit, to institute proceedings to enforce rights which were not theirs but were solely the property of the State of their nationality is counterintuitive.“; ausführlich zur Diskussion und heute h.M. Douglas, The International Law of Investment Claims, 2009, 10 – 38 m.w.N. 47 Siehe hierzu z. B. mit deutlich ablehnender Auffassung, allerdings nicht dogmatischer, sondern rein rechtspolitischer Argumentation, Alvarez, Are Corporations „Subjects“ of International Law?, Santa Clara Journal of International Law 9 (2011), 1 ff. m.w.N. 48 Alvarez (Fn. 47), 27 ff.

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dass die Gefahr von Prinzipienkollisionen nicht dazu führen kann, dass man einer der kollidierenden Rechtspositionen den Prinzipiencharakter abspricht. I. Schutz und effektive Verwirklichung von Investorenrechten Die Individualrechtsgarantien des internationalen Investitionsschutzrechts betreffen nicht nur klassische Abwehrkonstellationen in dem Sinne, dass Staaten nicht bzw. nur, wenn eine entsprechende Rechtfertigung gegeben ist, in geschützte Rechtspositionen von Unternehmen im Rahmen einer Investitionstätigkeit eingreifen dürfen, im menschenrechtlichen Sinne also die „respect“-Kategorie; hierzu gehören z. B. die Verpflichtung zur fairen und gerechten Behandlung sowie der Schutz vor entschädigungsloser Enteignung.49 Vielmehr enthält das moderne internationale Investitionsschutzrecht auch staatliche Schutzpflichten im Sinne des „protect“, insbesondere in der Form der Standardverpflichtung zur Gewährung von vollem Schutz und Sicherheit (full protection and security). Diese ist in ihrer klassischen Konzeption zunächst darauf ausgerichtet, dass der Staat angemessene Maßnahmen zum Schutz des ausländischen Investors bzw. der Auslandsinvestitionen vor negativen Beeinträchtigungen durch private Maßnahmen ergreift. In der jüngeren schiedsgerichtlichen Praxis finden sich allerdings auch Ansätze dafür, diese Schutzverpflichtung dahingehend auszudehnen, dass der Gaststaat auch verpflichtet ist, effektive Rechtsschutzmechanismen zu Gunsten des ausländischen Investors vorzuhalten sowie insgesamt Rechtssicherheit zu garantieren.50 Damit ist über die Kategorie des „protect“ hinausgehend auch das erfasst, was als „fulfil“-Verpflichtung der Staaten bezeichnet wird. Auf effektiven Rechtsschutz bezogen ist insofern insbesondere der Rechtsvorwurf des denial of justice von Bedeutung,51 wobei es sich hierbei im investitionsschutzrechtlichen Kontext nicht zwingend um den völkergewohnheitsrechtlichen Standard des denial of justice handeln muss, sondern vielmehr der eher allgemeine Anspruch auf access to justice zur Debatte steht. Hier zeigen sich in der investitionsschutzrechtlichen Praxis52 beachtliche Konvergenzentwicklungen zwischen Investitionsschutzrecht und allgemeinem Menschenrechtsschutz im Hinblick auf den fun49

Hierzu statt vieler Dolzer/Schreuer, Principles of International Investment Law, 2008, 89 ff. und 119 ff. 50 Ausführlich statt vieler Schreuer, Full Protection and Security, Journal of International Dispute Settlement 1 (2010), 353 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 51 Ausführlich hierzu Paulsson, Denial of Justice in International Law, 2005; Focarelli, Denial of Justice, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, . 52 Siehe z. B. Loewen Group Inc. And Raymond Loewen v. United States of America, ICSID Case No.ARB (AF)/98/3 v. 26. Juni 2003, Abs. 119 ff.; Mondev International Ltd. v. United States of America, ICSID (Additional Facility) Case No. ARB(AF)/99/2, Award v. 11. Oktober 2002, Abs. 126 ff.; Saipem Spa v. the People’s Republic of Bangladesh, ICSID Case No. ARB/05/07, Award v. 20. Juni 2009, Abs. 176 ff.; White Industries Australia Limited v. The Republic of India, UNCITRAL Arbitration, Final Award v. 30. November 2011, Abs. 10.4.1. ff.

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damentalen rechtsstaatlichen Anspruch auf effektiven (gerichtlichen) Rechtsschutz.53 In einem übergeordneten Sinne lassen sich dann auch die zunehmend von Schiedsgerichten sowie den einschlägigen Verfahrensordnungen eingeräumten Möglichkeiten für amicus curiae Eingaben sowie insgesamt die fortschreitende Transparenz investitionsschutzrechtlicher Schiedsverfahren dem rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen access to justice Grundsatz zuordnen, wobei es hier zu einer Erweiterung der zunächst rein bilateralen Rechtsbeziehung Staat-Investor auf andere gesellschaftliche Akteure und damit zu einer zumindest dreipoligen Rechtskonstellation kommt.54 II. Menschenrechte und Investitionsschutzrecht im Rechtsdialog Schiedsgerichte haben sich immer wieder mit der Frage auseinander gesetzt, inwieweit insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte herangezogen werden kann und sollte, um investitionsschutzrechtliche Rechtsfragen zu klären. So zum Beispiel hat das Schiedsgericht in Azurix v. Argentina Urteile des EGMR herangezogen als „useful guidance for purposes of determining whether regulatory actions would be expropriatory and give rise to compensation“.55 Auch in anderen Verfahren, unter anderem in Tecmed v. Mexico, Fireman’s Fund v. Mexico und ADC v. Hungary, haben Schiedsgerichte in unterschiedlicher Intensität auf den EGMR verwiesen und sich mit seiner Rechtsprechung insbesondere zu Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe auseinandergesetzt.56 Immerhin ein Schiedsgericht lehnte es allerdings explizit ab, ein vom EGMR entwickeltes Rechtsinstitut, die margin of appreciation Doktrin, im investitionsschutzrechtlichen Kontext anzuwenden.57 Über die Rechtsprechung des EGMR und andere Quellen des allgemeinen Menschenrechtsschutzes insbesondere mit Blick auf den Enteignungsschutz und Entschädigungsfragen58 sowie die allgemeine Lehre der margin of appreciation bezogen hinausgehend, haben Schiedsgerichte in unterschiedlicher Intensität menschenrecht53 Ausführlich Francioni, Access to Justice, Denial of Justice and International Investment Law, EJIL 20 (2009), 729 ff. 54 Ähnlich Francioni (Fn. 53), EJIL 20 (2009), 729 (738 ff.). 55 Azurix Corp. V. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/12, Award v. 14. Juli 2006, Abs. 311 f. 56 Ausführlich hierzu UNCTAD, Selected Recent Developments in IIA Arbitration and Human Rights, IIA Monitor No. 2 (2009), 5 f.; Kriebaum, Privatizing Human Rights: The Interface between International Investment Protection and Human Rights, in: Reinisch/Kriebaum (Hrsg.), The Law of International Relations – Liber Amicorum Hanspeter Neuhold, 2007, 165 ff. 57 Siemens A.G. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/08, Award v. 6. Februar 2007, Abs. 354. 58 Ausführlich hierzu mit Blick auf menschenrechtliche Gesichtspunkte Nelson, Human Rights Law and BIT Protection: Areas of Convergence, The Journal of World Investment & Trade 2011, 27 (32 ff.) mit zahlreichen Nachweisen.

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liche Erwägungen bei ihrer jeweiligen Entscheidungsfindung berücksichtigt. Besondere Bedeutung nehmen dabei Fallkonstellationen ein, in denen sich Gaststaaten auf menschenrechtliche Gesichtspunkte berufen, um Beeinträchtigungen von Investorengarantien zu rechtfertigen. Entsprechende Argumente wurden in zahlreichen Verfahren von Argentinien vorgetragen, um verschiedene Maßnahmen zu rechtfertigen, die im Zusammenhang mit der dortigen Finanz- und Wirtschaftskrise 2001/2002 ergriffen wurden. Argentinien konnte mit vielen dieser Argumente zwar nicht durchdringen, die Schiedsgerichte haben die menschenrechtliche Argumentation Argentiniens indes in der Regel zur Kenntnis genommen.59 Insofern kann die Aussage eines Schiedsgerichts in einem der Argentinien-Verfahren, dass „human rights obligations and its investment treaty obligations are not inconsistent, contradictory, or mutually exclusive“60 als durchaus repräsentativ für den Stand der Diskussion gewertet werden. Inwieweit menschenrechtliche Wertungen dabei die Beurteilung einer konkreten rechtlichen Situation bestimmen, zeigt beispielhaft der Tecmed-Schiedsspruch. Hier ging es u. a. um die mögliche Verletzung von Investorenrechten dadurch, dass der Gaststaat keine effektiven Maßnahmen gegen Demonstranten ergriffen hatte. Das Schiedsgericht konstatiert indes, dass nicht ersichtlich sei, dass der Gaststaat „ha[s] not reacted reasonably, in accordance with the parameters inherent in a democratic state, to the direct action movements conducted by those who were against the Landfill“.61 In dieser Feststellung kann durchaus ein Hinweis darauf gesehen werden, dass bei der Prüfung der Achtung von Investorenrechten (hier: full protection and security) durch den Gaststaat auch dessen menschenrechtliche Pflichten (hier: Demonstrationsrecht) zu beachten sind.62 Die dogmatische Konstruktion im zitierten Fall ist damit nahezu identisch zur Entscheidung des EuGH im Brenner Autobahnfall, wo es ebenfalls um die rechtmäßige Einschränkung wirtschaftlicher Freiheitsrechte durch das Demonstrationsrecht ging.63 III. Investorenrechte unter menschenrechtlichem Vorbehalt Die bisherigen Kategorien, in denen menschenrechtliche Fragen im investitionsschutzrechtlichen Kontext relevant wurden, waren auf staatliches Handeln bzw. eine staatliche Pflicht zur Achtung sowohl von Menschenrechten wie auch von Individualrechten von Investoren bezogen. In Ergänzung hierzu ist indes auch noch auf eine 59

Ausführlich UNCTAD, Selected Recent Developments in IIA Arbitration and Human Rights, IIA Monitor No. 2 (2009), 8 ff. m.w.N. 60 Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A., and InterAguas Servicios Integrales del Agua S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/17, Decision on Liability v. 30. Juli 2010, Abs. 240. 61 Técnicas Medioambientales Tecmed, S.A. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award v. 29. Mai 2003, Abs. 177. 62 Nelson (Fn. 58), 43. 63 EuGH, Rs. C-112/00, Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge ./. Republik Österreich, EuZW 2003, 592 ff. mit Fn. Koch.

Individualrechte im Menschenrechts- und Investitionsschutzbereich

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schiedsgerichtliche Praxis zu verweisen, die unmittelbar an unternehmerische Verantwortung anknüpft. Ausgangspunkt sind hierbei schiedsgerichtliche Entscheidungen, die in unterschiedlichem Zusammenhang die Ausübung von Investorenrechten im internationalen Investitionsschutzrecht unter den Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs stellen.64 Daraus folgt konkret, dass z. B. Investitionen, die nur aufgrund von Bestechung oder Betrug möglich wurden, nicht vom internationalen Investitionsschutzrecht geschützt sind.65 In einem übergeordneten Sinne zeigt diese Entscheidungspraxis, dass, wie es das Schiedsgericht im Verfahren Phoenix Action formulierte, „protection should [not] be granted to investments made in violation of the most fundamental rules of protection of human rights, like investments made in pursuance of torture or genocide or in support of slavery or trafficking of human organs“.66

G. Zusammenfassung: Kohärenz von Menschenrechtsschutz und Unternehmensverantwortung Bei einer Zusammenfassung und Auswertung der bisherigen Überlegungen fällt zunächst auf, dass das Verhältnis von Menschenrechtsschutz und Investitionsschutz keineswegs so konfliktgeladen ist, wie es zum Teil in der politischen, aber auch wissenschaftlichen Diskussion vermittelt wird. Über diese rechtspolitische Aussage hinausgehend ist aber auch deutlich geworden, dass zumindest aus rechtstheoretischer Perspektive internationaler Menschenrechtsschutz und internationales Investitionsschutzrecht kohärente Strukturen aufweisen. Im Ergebnis lassen sich diese unter einer einheitlichen Pflichten- und Verantwortungsstruktur eines „respect, protect, fulfil and remedy“ erfassen. Dem liegt zunächst die Erkenntnis zu Grunde, dass Rechte und Pflichten in einer rechtsstaatlichen Ordnung regelmäßig korrespondieren. 64

Ausführlich zur schiedsgerichtlichen Praxis Schön, Rechtliche Strukturierung von Auslandsinvestitionen zwischen Gestaltungsfreiheit und Missbrauch – Untersuchung investitionsschutzrechtlicher Fragen unter Berücksichtigung des Rechts der Doppelbesteuerungsabkommen, Halle 2012 (im Erscheinen), 4. Teil, C.II. 65 Siehe z. B. World Duty Free Company Limited v. Republic of Kenya, ICSID Case No. ARB/00/7, Award v. 4. Oktober 2006, Abs. 157: „In light of domestic laws and international conventions relating to corruption, and in light of the decisions taken in this matter by courts and arbitral tribunals, this Tribunal is convinced that bribery is contrary to the international public policy of most, if not all, States or, to use another formula, to transnational public policy. Thus, claims based on contracts of corruption or on contracts obtained by corruption cannot be upheld by this Arbitral Tribunal“; Gustav F W Hamester GmbH & Co KG v. Republic of Ghana, ICSID Case No. ARB/07/24, Award v. 18. Juni 2010, Abs. 123 f.: „An investment will not be protected if it has been created in violation of national or international principles of good faith; by way of corruption, fraud, or deceitful conduct; or if its creation itself constitutes a misuse of the system of international investment protection under the ICSID Convention. It will also not be protected if it is made in violation of the host State’s law […] These are general principles that exist independently of specific language to this effect in the Treaty“. 66 Phoenix Action v. Czech Republic, ICSID Case No. ARB/06/5, Award v. 15. April 2009, Abs. 78.

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Damit ist nicht gemeint, dass individuelle Freiheitsrechte immer inhärent ihre Grenze in einer Pflichten- bzw. Verantwortungsdimension des Rechtsinhabers finden. Eine solche Perspektive würde dem unter Freiheitsgesichtspunkten notwendigen Regel-/Ausnahmeverhältnis von Rechten und Schranken dieser Rechte widersprechen; sie wäre freiheitsfeindlich. Es geht vielmehr um die eher gesellschaftstheoretische Erkenntnis, dass eine gänzliche Verantwortungslosigkeit das Ende auch von individueller Freiheit zur Folge hätte. Schon vor dem Hintergrund dieser Überlegung zeigt sich damit nochmals, dass die bereits oben hervorgehobene Feststellung korrespondierender Strukturen des internationalen Menschenrechtsschutzes und der Corporate Social Responsiblity nicht überraschend ist. Sicherlich gibt es (und wird es immer geben) Unterschiede im Hinblick auf den Rechtsverpflichtungsgrad bzw. eine gerade nicht vorhandene Rechtspflicht im engeren Sinne im Rahmen der CSR. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, auch die zunächst als außerrechtlich zu wertenden Standards der CSR mit in ein übergeordnetes gesellschaftstheoretisches Rechtsstaatsmodell einzubinden. Im Übrigen zeigt sich, dass auch in den Bereichen, die im engeren Sinne von Rechtsstrukturen geprägt sind, Ansätze zu einer fortschreitenden Kohärenz von Menschenrechtsschutz und internationalem Investitionsschutzrecht ersichtlich werden. Zentraler positiver Ansatzpunkt dieser Betrachtung ist dabei die Feststellung, dass es bei Menschenrechten und bei Investitionsschutzrechten immer um Individualrechtsgarantien geht. Das Schiedsgericht in Sempra Energy hat insofern prägnant von „human rights of both citizens and property owners“67 gesprochen. Es kann dabei letztlich offen bleiben, ob man die Individualrechtsgarantien des internationalen Investitionsschutzrechts unmittelbar der Kategorie der Menschenrechte zuordnet. Diese Frage mag rechtsdogmatisch relevant werden, wenn es um höchstpersönliche Rechte, die einen engen Bezug zur Menschenwürde aufweisen, geht. Das Problem ist aus dem innerstaatlichen Recht bekannt.68 Ebenso wie dort (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG) ist indes auch im internationalen Recht anerkannt, dass jedenfalls dem Grunde nach Individualrechtsgarantien auch für juristische Personen gelten. Daraus folgt auf das Völkerrecht bezogen zwangsläufig, dass zumindest auf der rechtsprinzipiellen Ebene versucht werden sollte, Individualrechtsgarantien, gleich ob als Menschenrechte auf das Individuum oder als wirtschaftliche Freiheitsrechte auf juristische Personen bezogen, in ein kohärentes Gesamtsystem des Individualrechtsschutzes einzufügen. Dass es hierzu viel versprechende Ansatzpunkte gibt, wurde versucht aufzuzeigen. Viele rechtsdogmatische Fragen sind damit weiterhin offen. Ihre Lösung bringt noch viele rechtswissenschaftliche Herausforderungen mit sich. Diesen wird man jedoch überzeugender begegnen können, wenn die aufgezeigte übergreifende Perspektive eingenommen wird. 67

Sempra Energy International v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/16, Award v. 28. September 2007, Abs. 332. 68 BVerfGE 95, 220 (242); statt vieler hierzu Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 3, Rdnr. 35.

Internationaler Investitionsschutz und völkerrechtlicher Notstand Von Ralph Alexander Lorz*

A. Ausgangslage Über den „Hype“1, der sich seit einigen Jahren um das internationale Investitionsschutzrecht rankt, ist mittlerweile viel geschrieben worden, zuletzt manchmal auch mit dem boshaften Unterton, dass es deutlich mehr engagierte Autoren als zu besprechende Fälle gebe.2 Und in der Tat läßt sich ein Teil der Begeisterung für dieses Rechtsgebiet wohl nur mit den ungeheuren Geldsummen erklären3, die in den einzelnen Fällen jeweils im Spiel sind – eine Begeisterung übrigens, die der Jubilar niemals teilte, weil für ihn diese Motivation während seiner langen akademischen Karriere ungeachtet seines vielfältigen Engagements in internationalen Gremien und Organisationen allenfalls eine marginale Rolle spielte. Bei Investitionen, die den Weg vor ein internationales Schiedsgericht finden, geht es eben immer gleich um frustrierte Aufwendungen oder Schäden in Millionenhöhe – denn andernfalls würde sich der Aufwand gar nicht lohnen. Doch auch wenn man das Investitionsschutzrecht gedanklich seiner ökonomischen Potenz zu entkleiden und auf sein völkerrechtliches Grundgerüst herunterzubrechen sucht, bleiben hinreichend viele Besonderheiten, die die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm lohnend erscheinen lassen. Das beginnt bei den nackten Zahlen: Mehr als 3.000 bilaterale Investitionsschutzverträge (Bilateral Investment Treaties – BITs)4, zu denen noch einige multilaterale Vertragswerke und diverse Freihan* Mein besonderer Dank gilt Herrn Leonid Shmatenko für seine wertvolle Recherche zur Vorbereitung dieses Beitrags. 1 So spricht auch Griebel von einem „,Boom‘ des Investitionsschutzrechts“. Siehe hierzu: Griebel/Kim, Zwischen Aufbruch, Stillstand und Rückschritt – Überlegungen zur Zukunft des internationalen Investitionsrechts, SchiedsVZ 2007, 186 (188). 2 In diesem Sinne auch: Schill, Internationales Investitionsschutzrecht und Vergleichendes Öffentliches Recht: Grundlagen und Methode eines öffentlich-rechtlichen Leitbildes für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, ZaöRV 2011, 247 (248). 3 Eine umfangreiche und übersichtliche Aufstellung bietet: The American Lawyer, Arbitration Scorecard 2011: Mapping the Biggest Cases You’ve Never Heard Of. Verfügbar auf: http://www.americanlawyer.com/PubArticleTAL.jsp?id=1202503347678. 4 Eine Übersicht aller BITs ist verfügbar auf der Website der UNCTAD: http://www.un ctadxi.org/templates/DocSearch____779.aspx.

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delsabkommen hinzuzuzählen sind, und inzwischen deutlich über 300 Fälle5 allein bei dem zur Weltbankgruppe gehörenden International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) sprechen eine eindeutige Sprache. Kaum ein anderes Gebiet des Völkerrechts vermag auf eine solche Dichte an Rechtsetzungsinstrumenten und Rechtsprechung zu verweisen. Insbesondere die für völkerrechtliche Verhältnisse beeindruckend hohe Zahl von internationalen Schiedsgerichtsverfahren beruht darüber hinaus auf einer einzigartigen Eigenschaft der meisten modernen Investitionsschutzverträge: Obwohl sie als gewöhnliche zwischenstaatliche Verträge abgeschlossen werden, enthalten sie Schiedsklauseln, die die Investoren des jeweiligen Vertragspartners individuell dazu ermächtigen, solche Schiedsgerichtsverfahren – sei es nach den Regeln von ICSID oder einer anderen Schiedsinstitution wie der SCC oder der ICC6 – unmittelbar und ohne weitere Unterstützung ihres Heimatstaates gegen ihren Gaststaat als Partner des zugrunde liegenden BIT anzustrengen. Eine derartige Fülle zwischenstaatlich zugestandener individueller Rechtspositionen nicht nur in materiellrechtlicher, sondern auch in prozeduraler Hinsicht findet man im Völkerrecht, das ansonsten seinen herkömmlichen Charakter als Schlichtungsmechanismus zwischen Völkerrechtssubjekten kaum zu verleugnen vermag, äußerst selten. Eine vergleichbare Privilegierung des Individuums existiert, wenn überhaupt, nur im Bereich der internationalen Menschenrechtskodifikationen7 – womit die Brücke zu demjenigen Rechtsgebiet geschlagen wäre, dem der Jubilar den Großteil seines wissenschaftlichen Wirkens verschrieben hat. Aber in diesem Vergleich erschöpfen sich die Bezüge zwischen internationalem Menschenrechtsschutz und Investitionsschutzrecht längst nicht mehr. Denn mit der zunehmenden Zahl von Investitionsrechtsstreitigkeiten und der wachsenden Breite des Spektrums an Fragestellungen, deren Behandlung aus investitionsschutzrechtlicher Perspektive durch entsprechende Klagen erfordert wird, nimmt auch die Zahl der potentiellen Kollisionen von Investitionsschutzbestimmungen und menschenrechtlichen Anforderungen zu. Immer öfter berufen sich Staaten auf menschenrechtlich schützenswerte Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger, um bestimmte Maßnahmen zu rechtfertigen, die von betroffenen Investoren als unbillige Einschränkungen ihrer Investition, ja vielleicht sogar als partielle Enteignung gesehen werden.8 Und die Menschenrechte stehen in dieser Hinsicht keineswegs allein: Die Zeiten, in denen das Investitionsschutzrecht als weitgehend abgegrenztes Rechtsgebiet mit dem exklusiven Ziel der Verteidigung von Eigentumspositionen fremder Inves5

Alle entschiedenen Fälle können auf der Website des ICSID eingesehen werden: . Ebenso ist eine Aufstellung über die zur Zeit noch anhängigen Fälle der Seite zu entnehmen: . 6 So z. B. die durch die Russische Föderation geschlossenen BITs. 7 Siehe dazu auch: Fry, International Human Rights Law in Investment Arbitration: Evidence of International Law’s Unity, 18 Duke J. Comp. & Int’l L. (2007 – 2008), 77. 8 Ebda., 103.

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toren gegen willkürliche Eingriffe des Gaststaates gesehen wurde, sind schon lange vorbei. Heute präsentiert sich das Investitionsschutzrecht in vielfältiger Interaktion mit praktisch allen anderen Gebieten des Völkerrechts, von denen das internationale Umweltrecht9 und das vom Prinzip der Nachhaltigkeit geprägte Entwicklungsvölkerrecht nur beispielhaft genannt sein sollen. Der vorliegende Beitrag greift sich vor diesem Hintergrund ein besonderes Problem heraus, das sich zwar auf relativ extreme Fallkonstellationen konzentriert, die dafür aber über die gesamte Breite des beschriebenen Interaktionsspektrums hinweg auftreten können. Es geht um die Frage, inwieweit sich ein Staat gegenüber einem fremden Investor auf die völkergewohnheitsrechtlich seit Urzeiten anerkannte Rechtsfigur des rechtfertigenden Notstands10 berufen kann, um seinen Verpflichtungen aus einem Investitionsschutzvertrag zu entgehen bzw. diese zumindest deutlich zu modifizieren. Dabei spielt es für die grundsätzliche Anwendbarkeit und die Voraussetzungen dieses Rechtsinstituts keine Rolle, ob es im konkreten Fall aufgrund menschenrechtlicher, umweltrechtlicher, entwicklungsrechtlicher oder sonstiger Erwägungen – oder einer Kombination aus mehreren davon – als Einwendung herangezogen wird.

B. Die Argentinien-Fälle Vor allem ein Land hat dafür gesorgt, dass wir mittlerweile bereits über ein bemerkenswertes Portfolio von Schiedsgerichtsentscheidungen zur Notstandsproblematik im internationalen Investitionsschutzrecht verfügen: Argentinien.11 Bei einem Blick auf die geographische Verteilung der ICSID-Fälle fällt unmittelbar ihre verhältnismäßig hohe Fokussierung auf Lateinamerika ins Auge – rund 40 % der bei ICSID eingereichten Klagen richten sich gegen Länder aus dieser Region.12 Unter diesen Ländern nimmt Argentinien jedoch noch einmal eine Sonderstellung ein. Es beansprucht mehr als ein Fünftel der derzeit bei ICSID anhängigen Verfahren für sich.13 Der Hintergrund für die meisten dieser Verfahren – jedenfalls soweit sie sich mit einer Notstandsargumentation von seiten Argentiniens auseinandersetzen mussten 9 Vgl. hierzu auch Tams, Internationales Wirtschaftsrecht als Grenze deutscher Umweltpolitik?, NordÖR 2010, 239. 10 Die deutsche Terminologie ist hierbei uneinheitlich. Siehe hierzu Czarnecki/Lenski, Fallrepetitorium Völkerrecht, 2. Aufl. 2007, 10 m.w.N. 11 So auch: Di Rosa, The Recent Wave or Arbitrations Against Argentina Under Bilateral Investment Treaties: Background and Principal Legal Issues, 36 The University of Miami Inter-American Law Review (2004), 41. 12 Vor allem sind Argentinien, Bolivien und Venezuela betroffen. Von 148 anhängigen Fällen richten sich 59 gegen Staaten auf dem südamerikanischen Kontinent. Das macht ca. 39,9 % aller anhängigen Fälle aus. Siehe hierzu die Aufstellung des ICSID: . 13 Ebda. Von den 148 anhängigen Fällen bei ICSID sind 26 gegen Argentinien gerichtet. Dies macht ca. 17,6 % aus.

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bzw. müssen – liegt in der tiefgehenden Wirtschaftskrise vom Anfang des letzten Jahrzehnts.14 Die Schwere dieser Krise mag man beispielhaft daran ermessen, dass zur Jahreswende 2001/02 innerhalb von zehn Tagen nicht weniger als fünf Präsidenten ihr Amt aufgaben15 und die UN-Generalversammlung zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen entschied, die argentinischen Beitragszahlungen auszusetzen. Gewaltsame Unruhen mit Toten erschütterten das ins Chaos abgeglittene Land. Am Ende standen in monetärer Hinsicht der offizielle Staatsbankrott und – nicht unüblich in solchen Fällen – eine rigorose zwangsweise Devisenbewirtschaftung. Die spezifisch investitionsschutzrechtliche Problematik dieser Krise resultierte im wesentlichen aus der schon zehn Jahre zuvor erfolgten Privatisierung des argentinischen Gas- und Elektrizitätssektors.16 Ausländische Investoren, insbesondere aus den USA und Großbritannien, waren massiv in die entsprechenden Wirtschaftszweige eingestiegen, hatten sich jedoch in scheinbar weiser Voraussicht zahlreiche Stabilitätsgarantien zusichern lassen. Dabei ging es in erster Linie um die langfristige Festschreibung und garantierte Anpassung der Gas- und Stromgebühren – typischerweise an den amerikanischen Erzeugerpreisindex – sowie um die freie Konvertierbarkeit dieser Gebühren aus argentinischen Pesos in US-Dollars zu einer ebenfalls vorher festgelegten Umtauschrate.17 Im Angesicht der Krise und der Notwendigkeit, die Bevölkerung mit Strom und Gas versorgen zu müssen, hob der argentinische Gesetzgeber diese Garantien auf. Die Dollarbindung des Peso wurde aufgegeben, was naturgemäß zum Verfall der argentinischen Währung führte. Gleichzeitig wurden die automatischen Gebührenanpassungen ausgesetzt und die Gebühren nur noch in Peso berechnet („Pesifikation“)18. Das hatte unvermeidlich erhebliche Verluste auf seiten der ausländischen Investoren zur Folge.

14 Siehe hierzu insbesondere auch: Schill, Auf zu Kalypso?, Staatsnotstand und Internationales Investitionsschutzrecht, SchiedsVZ 2007, 178; Reinisch, Necessity in International Investment Arbitration – An Unnecessary Split of Opinions in Recent ICSID Cases? Comments on CMS v. Argentina and LG&E v. Argentina, TDM III, Issue 5, Dezember 2006. 15 Zu dem genauen Verlauf der Krise siehe Veigel, Dictatorship, Democracy, and Globalization: Argentina and the Cost of Paralysis 1973 – 2001, 2009, 183 ff. 16 Zu den geschichtlichen Details siehe: Maluenda Muñoz, Liberalisierung der Strommärkte in Südamerika (Chile, Argentinien), 2011, 15 ff. 17 Vgl. Mussa, Argentina and the Fund: From Triumph to Tragedy, 2002, 20. 18 Zur Pesifikation siehe: Calvo, State and predominant socioeconomic actors. The asymmetric „pesification“ in Argentina 2001 – 2002, Stockholm Papers in Latin American Studies, No. 4, .

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Gegenüber den nachfolgenden schiedsgerichtlichen Klagen der Investoren berief sich Argentinien maßgeblich auf Notstandserwägungen. Die Flut der einschlägigen Fälle ist kaum noch überschaubar: üblicherweise hervorgehoben werden CMS19, LG&E20, Enron21, Sempra22 und Continental Casualty23 (die allerdings in einer anderen Branche investiert hatten). Aber auch Suez24, Impregilo25, Total26 und Metalpar27 sowie die unter UNCITRAL-Regeln ergangenen Entscheidungen BG Group28 und National Grid29 gehören im weiteren Sinne zu diesem Rechtsprechungskomplex. Wie nicht anders zu erwarten, divergieren die Schiedsgerichte hinsichtlich der Frage, inwieweit und mit welchen Rechtsfolgen Argentinien sich zur Rechtfertigung seiner Maßnahmen auf Notstand berufen konnte. LG&E und Continental Casualty ließen sich von der argentinischen Argumentation im Prinzip überzeugen. Die anderen Schiedsgerichte – und damit die deutliche Mehrheit – wiesen sie dagegen zurück. Angesichts der Vielzahl noch anhängiger Fälle30 (und vor dem Hintergrund bereits erfolgter Annullierungsentscheidungen in CMS31, Sempra32 und Enron33) darf die Frage jedoch weiterhin als ungeklärt gelten. 19 CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Award v. 12. 5. 2005. Für weitere Details der CMS-Entscheidung siehe auch: Schill, From Calvo to CMS: Burying an International Law Legacy-Argentina’s Currency Reform in the Face of Investment Protection, SchiedsVZ 2005, 285. 20 LG&E Energy Corp., LG&E Capital Corp., LG&E International Inc. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision On Liability v. 3. 10. 2006. 21 Enron Corporation and Ponderosa Assets, L.P. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/3, Award v. 22. 5. 2007. 22 Sempra Energy International v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/16, Award v. 28. 9. 2007. 23 Continental Casualty Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/9, Award v. 5. 9. 2008. 24 Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A., and Vivendi Universal v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/19, Award v. 20. 7. 2010. 25 Impregilo S.p.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No ARB/07/17, Award. v. 21. 6. 2011. 26 Total S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/04/01, Award v. 27. 12. 2010. 27 Metalpar S.A. and Buen Aire S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/5, Award v. 6. 6. 2008. 28 BG Group Plc v. The Argentine Republic, UNCITRAL, Award v. 24. 12. 2007. 29 National Grid Plc v. The Argentine Republic, UNCITRAL, Award v. 3. 11. 2008. 30 Siehe hierzu Fn. 13. 31 CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, Annulment Decision v. 25. 9. 2007. 32 Sempra Energy International v. The Argentine Republic, Decision on the Argentine Republic’s Application for Annulment of the Award v. 29. 7. 2010. 33 Enron Corporation and Ponderosa Assets, L.P. v. The Argentine Republic, Decision on the Application for Annulment of the Argentine Republic v. 30. 7. 2010.

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C. Einschlägige Schutzstandards Es wäre allerdings ein grober Irrtum, wollte man die Notstandsproblematik im internationalen Investitionsschutzrecht als spezifisch argentinische Erscheinung abtun. Ein Blick auf die möglichen Folgen der Weltfinanzkrise und der nachfolgenden Euro-Schuldenkrise genügt, um erahnen zu lassen, welche Bedeutung diese Fragestellung in unserem unmittelbaren Umfeld zu erlangen vermag. Schon die erste Umschuldung Griechenlands34 im Zuge der Rettungsaktionen zugunsten des Euro hat ungeachtet ihrer erzwungenen Freiwilligkeit die ersten Verteidiger von Investoreninteressen auf den Plan gerufen. Interessanterweise sind es gerade deutsche Anleihegläubiger, die hier an vorderster Front eine Verletzung von Investitionsschutzgarantien im Zuge der griechischen Staatsschuldenkrise reklamieren.35 Sollten noch weitere Notmaßnahmen zur Rettung der europäischen Gemeinschaftswährung erforderlich werden – wofür nach heutigem Stand einiges spricht –, dann liegt auch für die Länder der Eurozone die Berufung auf einen (wirtschaftlichen bzw. monetären) Notstand nicht mehr fern. Die argentinische Situation wird allein schon deswegen in der einen oder anderen Form immer wiederkehren, weil sich die materiellen Schutzstandards der einschlägigen BITs im Grundgehalt durchweg ähneln bzw. sogar identisch sind. Neben Meistbegünstigungs- und Gleichbehandlungsklauseln spielen hier vor allem die folgenden gängigen Garantien eine Rolle: – der Schutz vor Enteignung, der als Keimzelle aller modernen Investitionsschutzverträge angesehen werden kann und nach den meisten BITs heute auch indirekte Enteignungen bzw. enteignungsgleiche Eingriffe umfaßt, was erhebliche Wertverluste einer Investition aufgrund von politischen Maßnahmen bzw. Rechtsänderungen einschließt36 ; – die Garantie einer fairen und gerechten Behandlung („fair and equitable treatment“), die nach ihrer wohl am meisten verbreiteten Interpretation die legitimen Erwartungen von Investoren gerade auch hinsichtlich der Politik des Gaststaates schützt37; 34

Zur Umschuldung von Griechenland siehe auch: Frühauf u. a., Die größte Umschuldung der Nachkriegszeit, in: faz.net v. 12. 3. 2012, . 35 Siehe hierzu z. B.: De la Motte/Rezmer, Deutsche Anleger verklagen Griechenland, in: Handelsblatt (online) v. 10. 5. 2012, . 36 Zu „(Indirect) Expropriation“ siehe: Gibson, A Look at the Compulsory License in Investment Arbitration: The Case of Indirect Expropriation, 25 Am. U. Int’l L. Rev. (2010), 357; Hober, Investment Arbitration in Eastern Europe: Recent Cases on Expropriation, 14 Am. Rev. Int’l Arb. (2003), 377; Wagner, International Investment, Expropriation and Environmental Protection, 29 Golden Gate U.L. Rev. (1999), 465. 37 Siehe dazu: Schreuer, Fair and Equitable Treatment in Arbitral Practice, 6 Journal of World Investment & Trade (2005), 357; Dolzer, Fair and Equitable Treatment: A Key Standard in Investment Treaties, 39 The International Lawyer (2005), 87.

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– die Gewährleistung von Schutz und Sicherheit („full protection and security“), die sich zumindest nach Ansicht mancher Tribunale auf den Schutz vor rechtlichen Beeinträchtigungen der Investition erstrecken soll38 ; – und schließlich vor allem die häufig verwendeten Schirmklauseln („umbrella clauses“), die weithin so gelesen werden, dass sie alle vertraglichen Verpflichtungen des Gaststaates gegenüber einem geschützten Investor auf die völkerrechtliche Ebene heben und ihre Verletzungen damit als BIT-Verstöße schiedsfähig machen. Das erfaßt Garantien wie etwa die Anpassungs- oder Konvertierungsklauseln in den Argentinien-Fällen39. Das Netz, das insbesondere BITs zugunsten der Investoren aufspannen, ist also in materiellrechtlicher Hinsicht dicht gewebt. Um so wichtiger wird in den unterschiedlichsten Konstellationen die Frage, ob ein Gaststaat beispielsweise die Notstandsargumentation dazu nutzen kann, ein Loch zu seinen Gunsten hineinzuschneiden.

D. Mögliche Rechtfertigungsgrundlagen Rechtliche Ansatzpunkte für eine solche Argumentation gibt es gleich mehrere. Wie immer, wenn ein Anspruch aufgrund eines konkreten völkerrechtlichen Vertrages geltend gemacht wird, ist natürlich zunächst zu prüfen, ob der Vertrag selbst eine entsprechende Klausel enthält. Im Bereich des Völkergewohnheitsrechts sind die Arbeiten der International Law Commission (ILC) zur Staatenverantwortlichkeit zu berücksichtigen.40 Schließlich bleibt die Frage zu klären, ob der tradierte völkergewohnheitsrechtliche Notstandsbegriff, wie er sich in diesen Arbeiten wiederfindet, überhaupt anwendbar ist. Notstand ist außerdem von höherer Gewalt im Sinne von Art. 23 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit abzugrenzen. Höhere Gewalt41 meint danach ein unvorhergesehenes Ereignis jenseits der Kontrolle des betroffenen Staates, das die Er38 Siehe dazu: Schreuer, Full Protection and Security, 1 J Int. Disp. Settlement (2010), 353; Zeitler, The Guarantee of ”Full Protection and Security“, in: Investment Treaties Regarding Harm Caused by Private Actors, Stockholm International Arbitration Review 2005, 3. 39 Zu „Umbrella Clauses“ siehe auch: Schill, Enabling Private Ordering: Function, Scope and Effect of Umbrella Clauses in International Investment Treaties, 18 Minn J. Int’l L. (2009), 1; Wong, Umbrella Clauses in Bilateral Investment Treaties: Of Breaches of Contract, Treaty Violations, and the Divide between Developing and Developed Countries in Foreign Investment, 14 George Mason Law Review (2006), 137. 40 So auch Tietje, Die Argentinien-Krise aus rechtlicher Sicht: Staatsanleihen und Staateninsolvenz, in: Tietje/Kraft/Sethe (Hrsg.), Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 37, 2005, 17 m.w.N. 41 Auch als „force majeure“ bezeichnet, wird in Black’s Law Dictionary, 9. Aufl. 2009, definiert als „An event or effect that can be neither anticipated nor controlled. The term includes both acts of nature (e. g., floods and hurricanes) and acts of people (e. g., riots, strikes, and wars).“

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füllung bestimmter Verpflichtungen unmöglich macht. Unter diese Rechtsfigur fallen neben allen Arten von Naturkatastrophen vor allem Kriegs- und kriegsähnliche Zustände. Wirtschaftliche und monetäre Zusammenbrüche sind jedoch in aller Regel nicht das Ergebnis solcher Gewaltformen. Daher bleibt für die Bewältigung solcher Situationen nur das Notstandsregime. I. BIT-Notstandsklauseln Nicht jeder BIT enthält eine Notstandsklausel; solche Klauseln sind im Gegenteil eher unüblich. Gerade in den Argentinien-Fällen spielten sie jedoch eine herausragende Rolle. Das liegt vor allem an dem zwischen den USA und Argentinien abgeschlossenen Investitionsschutzvertrag42, der wegen der besonderen Involvierung amerikanischer Investoren für die meisten einschlägigen Fälle maßgeblich war und ist. Sein Art. XI bestimmt: „This Treaty shall not preclude the application by either Party of measures necessary for the maintenance of public order, the fulfillment of its obligations with respect to the maintenance and restoration of international peace and security, or the protection of its own essential security interests.“

Das ad hoc-Annulment Committee im CMS-Fall43 interpretierte diese Klausel als ein „threshold requirement“ mit der Folge, dass im Falle ihrer Anwendbarkeit die materiellrechtlichen Schutzstandards des BIT ihrerseits gar nicht zur Anwendung kämen.44 In den Termini der deutschen Dogmatik schließt eine Klausel wie Art. XI also schon den Tatbestand der entsprechenden vertraglichen Schutzvorschriften aus. Eine Notstandsklausel dieser Machart ist danach gleich aus zwei Gründen vorrangig zu prüfen: Zum einen geht sie als spezifisch völkervertragliche Regelung zwischen den (staatlichen) Ausgangsparteien den allgemeinen Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts vor. Zum anderen rangiert sie aber auch als tatbestandsausschließendes Kriterium in der Prüfungsreihenfolge vor den Rechtfertigungsgründen, unter die der völkergewohnheitsrechtliche Notstand normalerweise eingeordnet wird.45 Freilich stößt man bei der näheren Prüfung dieser und vergleichbarer Vorschriften rasch auf die gleichen Probleme, denen sich die Notstandsargumentation generell ausgesetzt sieht. Das erste wesentliche Problem betrifft die Frage, ob dem Gaststaat der Investition ein letztlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der verfolgten Zwecke einzuräumen ist. Mit anderen Worten: Gibt es einen objekti42 U.S.-Argentina Bilateral Investment Treaty, signed November 14, 1991; entered into force October 20, 1994, . 43 CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, Annulment Decision v. 25. 9. 2007. 44 CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, Annulment Decision v. 25. 9. 2007, S. 34 Rdnr. 129. 45 In diesem Sinne auch: Schill (Fn. 14), 184 f.

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ven Maßstab für die Bestimmung von „maintenance of public order“, „maintenance and restoration of international peace and security“ und vor allem „protection of its own essential security interests“, oder muss dies der Einschätzung („self-judging“) des jeweiligen Staates überlassen bleiben? Die Tribunale scheinen sich hier zumindest dahingehend einig zu sein, dass eine völlige Entscheidungsfreiheit der Staaten hinsichtlich der erlaubten Zweckverfolgung zu einem Blankoscheck für die Gastregierungen führen würde, und kontrollieren aus diesem Grund jedenfalls die Plausibilität der Berufung auf die entsprechenden hehren Gemeinwohlziele in gewissen Grenzen nach. Vielleicht noch entscheidender ist jedoch die Frage, wie der Begriff „necessary“46 in diesem Zusammenhang näher zu bestimmen ist. Das Tribunal im Continental Casualty-Fall47 versuchte es hier mit einem ungewöhnlichen Ausweg und zog Parallelen zu der nach seiner Ansicht von den früheren FCN-Treaties angeregten Vorschrift von Art. XX GATT.48 Ob diese Parallele tragfähig ist, darf allerdings angesichts der strukturellen Unterschiede von WTO-Recht und BIT-Regimes füglich bezweifelt werden.49 Die überwältigende Mehrheit der schiedsgerichtlichen Entscheidungen geht daher einen anderen Weg und bestimmt die Notwendigkeit der streitigen Handlungen des Gaststaates parallel zu den aus dem völkergewohnheitsrechtlichen Notstand bekannten Maßstäben.50 Damit fließen Notstandsklauseln wie Art. XI des US-argentinischen BIT und der Notstandsbegriff des Völkergewohnheitsrechts freilich ungeachtet ihrer unterschiedlichen funktionalen Stellung im Ergebnis doch wieder ineinander. Es verwundert daher nicht, dass sich die meisten Tribunale gar nicht weiter um eine saubere Differenzierung zwischen diesen beiden Rechtsgrundlagen bekümmern.51 46

Zu der umstrittenen Auslegung des Begriffes „necessary“ und der damit verbundenen „necessity“ siehe u. a. Reinisch, Necessity in International Investment Arbitration – An Unnecessary Split of Opinions in Recent ICSID Cases? Comments on CMS v. Argentina and LG&E v. Argentina, TDM 5 (2006), ; ders., Necessity in Investment Arbitration, 41:1 Netherlands Yearbook of International Law (2010), 137; Singh, Necessity in Investor-State Arbitration: The Sempra Annulment Decision (July 20, 2010). EJIL: Talk!, 16 August 2010, . 47 Continental Casualty Company v. The Argentine Republic, Decision on the Application for Partial Annulment of Continental Casualty Company and the Application for Partial Annulment of the Argentine Republic v. 16. 9. 2011. 48 Ebda., Rdnr. 89. 49 Im Ergebnis wohl auch: Alvarez/Khamsi, The Argentine Crisis and Foreign Investors – A Glimpse into the Heart of the Investment Regime, in: The Yearbook on International Investment Law and Policy 2008/2009, 440. 50 Als besonderes Gegenbeispiel kann hier wohl Continental Casualty Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/9, Award v. 5.9.2008 mit der Decision on the Application for Partial Annulment of Continental Casualty Company and the Application for Partial Annulment of the Argentine Republic v. 16. 9. 2011 genannt werden. 51 Siehe hierzu: Sempra Energy International v. The Argentine Republic, Decision on the Argentine Republic’s Application for Annulment of the Award v. 29. 7. 2010; Enron Corpo-

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II. Der völkergewohnheitsrechtliche Notstandsbegriff Der völkergewohnheitsrechtliche Notstandsbegriff hat seine Quasi-Kodifizierung in Art. 25 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit gefunden.52 Diese Artikel sind zwar – ähnlich den „Restatements“ im US-amerikanischen Recht – eigentlich nur wissenschaftlich fundierte Formulierungsvorschläge dafür, wie eine potentielle Kodifikation völkergewohnheitsrechtlicher Tatbestände aussehen könnte. Da sie zum überwiegenden Teil lediglich deklaratorischen Charakter beanspruchen und insoweit von einem breiten Konsens der Völkerrechtssubjekte getragen werden, bestehen jedoch in aller Regel keine inhaltlichen Einwände dagegen, sie als Leitlinien für die Konkretisierung des entsprechenden Völkergewohnheitsrechts heranzuziehen. 1. Tatbestandsmerkmale Art. 25 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit bestimmt in Abs. 1 im einzelnen: „Necessity may not be invoked by a State as a ground for precluding the wrongfulness of an act not in conformity with an international obligation of that State unless the act: (a) Is the only way for the State to safeguard an essential interest against a grave and imminent peril; and (b) Does not seriously impair an essential interest of the State or States towards which the obligation exists, or of the international community as a whole.”

Hieraus lassen sich im Grundsatz vier Tatbestandsmerkmale destillieren: – Der Staat muss in Verfolgung eines wesentlichen Gemeinwohlinteresses handeln („to safeguard an essential interest“). Das umfaßt nicht nur die nackte Existenz und Unabhängigkeit des betreffenden Staates, sondern nach Ansicht der ILC selbst auch seine soziale, ökonomische und ökologische Stabilität sowie seine grundsätzliche Fähigkeit zur Daseinsvorsorge.53 – Dieses Gemeinwohlinteresse muss ernsthaft bedroht sein („against a grave and imminent peril“). Der IGH hat hierzu in seinem Urteil zum Gabcˇíkovo-NagymarosKraftwerk darauf hingewiesen, dass es keines aktuell bereits eingetretenen Schadens bedarf, sondern dass dem Begriff „peril“ notgedrungen ein Element der Riration and Ponderosa Assets, L.P. v. The Argentine Republic, Decision on the Application for Annulment of the Argentine Republic v. 30. 7. 2010. 52 So auch Sloane, On the Use and Abuse of Necessity in the Law of State Responsibility, Boston University School of Law Working Paper No. 11 – 16 (March 28, 2011), S. 8; Case Concerning The Gabcˇíkovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), ICJ, Judgement v. 25. 9. 1997. 53 Vgl. auch Hoelck Thjoernelund, State of Necessity as an Exemption from State Responsibility for Investments, 13 Max Planck Yearbook of United Nations Law (2009), 423; CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, Annulment Decision v. 25. 9. 2007, S. 34 Rdnr. 93.

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sikoabschätzung innewohnt.54 Im Kontext der Argentinien-Krise haben die Tribunale an dieser Stelle durchweg auf die Intensität der Krise abgestellt, sind dabei freilich zu sehr unterschiedlichen Schlußfolgerungen gekommen. In CMS, Enron und Sempra wurde auf unterschiedliche Beurteilungen der Krise in Expertenkreisen verwiesen und daraus der Schluß gezogen, dass die Krise jedenfalls keine unstreitig katastrophalen Ausmaße angenommen habe und somit kein „essential interest“ betroffen sei (in dieser Interpretation fließen die beiden Tatbestandsmerkmale „ernsthafte Bedrohung eines wesentlichen Gemeinwohlinteresses“ erneut ineinander).55 Das Tribunal in Continental Casualty widersprach dem mit den einschlägigen Worten: „here is no point in having such protection if there is nothing left to protect.“56 Bezeichnend für die Grundeinstellung, mit der die verschiedenen Tribunale sich der Notstandsargumentation nähern, ist außerdem die Beobachtung, dass CMS und Enron den Vortrag der argentinischen Regierung insoweit relativ kurz abbügelten57, während etwa das Tribunal in LG&E in eine detaillierte Analyse der Krise eintrat.58 – Die vom Staat gewählte Vorgehensweise muss die einzig mögliche Option zur Sicherung des fraglichen Gemeinwohlinteresses gewesen sein („the only way“). Die Erläuterungen der ILC zu diesem Tatbestandsmerkmal besagen, dass der Staat sich nicht auf Notstand berufen kann, solange er andere rechtmäßige Mittel zu diesem Zweck zur Verfügung hat, selbst wenn diese kostspieliger oder weniger bequem einzusetzen sind.59 Daraus haben die Tribunale in CMS, Enron und Sempra gefolgert, dass die Berufung auf Notstand fehlgehe, solange überhaupt irgendeine Alternative zu der gewählten Vorgehensweise denkbar sei – was im ökonomischen Bereich nahezu immer zutreffen dürfte.60 Umgekehrt hat das Tribunal in LG&E seine Überprüfung des staatlichen Handelns großzügigerweise darauf beschränkt, abstrakt zu fragen, ob es eine Alternative zum Eingreifen des Staates als solchem

54

Case Concerning The Gabcˇíkovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), ICJ, Judgement v. 25. 9. 1997, S. 40 f. 55 Continental Casualty Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/9, Award v. 5. 9. 2008, Rdnr. 180. 56 Ebda. 57 CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Award v. 12. 5. 2005, Rdnr. 217; Enron Corporation and Ponderosa Assets, L.P. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/3, Award v. 22. 5. 2007, Rdnr. 303 – 313. 58 LG&E Energy Corp., LG&E Capital Corp., LG&E International Inc. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision On Liability v. 3. 10. 2006, Rdnr. 231 – 237. 59 Report of the International Law Commission, Fifty-third session, Supplement No. 10 (A/ 56/10), S. 203. 60 Kubisch, Sechs Jahre nach CMS Gas Transmission Company v. Argentine Republic: Überlegungen zur Anwendbarkeit des völkergewohnheitsrechtlichen Notstandes gegenüber Investoren, ZVglRWiss 2011, 197 (207); Enron Corporation and Ponderosa Assets, L.P. v. The Argentine Republic, Decision on the Application for Annulment of the Argentine Republic v. 30. 7. 2010, Rdnr. 308.

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gegeben habe.61 Hier könnte eine Anleihe bei der deutschen Dogmatik auch für die internationale (Schieds-)Rechtsprechung hilfreich sein: denn die hier maßgebliche Bezugnahme auf ein einzig mögliches Mittel kennen wir nur zu gut – als Bestandteil einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit des staatlichen Handelns. – Schließlich darf das Handeln des Staates nicht umgekehrt ein wesentliches Gemeinwohlinteresse seiner (Vertrags-)Partner oder gar der internationalen Gemeinschaft als Ganzes tangieren.62 2. Anwendbarkeit Art. 25 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit enthält jedoch noch einen weiteren Absatz. Dieser legt fest: „In any case, necessity may not be invoked by a State as a ground for precluding wrongfulness if: (a) The international obligation in question excludes the possibility of invoking necessity; or (b) The State has contributed to the situation of necessity“.

Diese Ausnahmeklausel wirft gleich zwei spannende Probleme auf: Zum ersten stellt sich die Frage, ob die besondere Struktur der BIT-Regimes im internationalen Investitionsschutzrecht möglicherweise die Berufung auf das völkergewohnheitsrechtliche Institut des Notstands gegenüber Investoren grundsätzlich ausschließt.63 Denn dieses Institut – und seine kodifikatorische Formulierung in Art. 25 der ILC-Artikel macht keine Ausnahme hiervon – bezieht sich eigentlich ausschließlich auf zwischenstaatliche Beziehungen.64 Ein Staat soll in einer Notstandssituation unter den genannten Voraussetzungen von der Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber einem anderen Staat freigestellt werden. Im Gegensatz hierzu bestehen die Verpflichtungen, denen sich der Staat in Streitigkeiten mit fremden Investoren zu entziehen versucht, gegenüber diesen Investoren. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn man mit der wohl überwiegenden Mehrheit der Schiedsgerichte und des Schrifttums davon ausgeht, dass die durch BITs begründeten Investorenrechte eigenständige Rechtspositionen des Investors darstellen und nicht lediglich als akzessorische Spiegelungen von Rechtspositionen seines Heimatstaates erscheinen.65

61

LG&E Energy Corp., LG&E Capital Corp., LG&E International Inc. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision On Liability v. 3. 10. 2006, Rdnr. 257. 62 Ago, Addendum – Eighth report on State responsibility by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur – the internationally wrongful act of the State, source of international responsibility (part 1), Document A/CN.4/318/Add.5 – 7, S. 19 m.w.N. 63 So auch Alvarez/Khamsi, The Argentine Crisis and Foreign Investors – A Glimpse into the Heart of the Investment Regime, in: The Yearbook on International Investment Law and Policy 2008/2009, 427. 64 Ebda. 65 Kubisch (Fn. 60), 212 m.w.N.

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Dennoch kann man den völkerrechtlichen Ursprung dieser Rechtspositionen nicht vollkommen beiseite lassen. Die fraglichen Rechtspositionen der Investoren sind durch Verträge zwischen ihrem jeweiligen Heimat- und Gaststaat geschaffen worden und stehen auch weiterhin zu deren Disposition – sie existieren nur so lange, wie die beiden Vertragsstaaten an ihrem völkerrechtlichen Vertrag miteinander festhalten. Es erschiene daher gewagt, wollte man den Vertragsparteien von BITs grundsätzlich unterstellen, dass sie mit ihren Verträgen auf jede im allgemeinen Völkerrecht begründete Einwendung, die sie dem Vertragspartner gegenüber jederzeit geltend machen könnten, gegenüber dessen Investoren verzichten wollten. Das gilt um so mehr, wenn es sich wie beim völkergewohnheitsrechtlichen Notstand um eine Fallkonstellation handelt, in der das Handeln des Gaststaates durch äußere Umstände motiviert ist, die nicht im Verhalten seines Vertragspartners begründet liegen – anders als etwa bei völkerrechtlichen Gegenmaßnahmen, wo man berechtigterweise fragen kann, warum ein Gaststaat als Reaktion auf ein völkerrechtswidriges Handeln seines Vertragspartners gegen dessen unschuldige Investoren vorgehen können soll.66 Ähnliche Erwägungen scheinen die Tribunale in praktisch allen Argentinien-Fällen geleitet zu haben: denn selbst die vielen, die die Notstandsargumentation der argentinischen Regierung in der Sache zurückweisen, haben doch nie die grundsätzliche Möglichkeit des Gaststaates, sich auf Notstand zu berufen, in Frage gestellt. Ein erneuter Blick auf Art. 25 (2) der ILC-Artikel vermag aber vielleicht zu erklären, warum zwar alle Tribunale die theoretische Möglichkeit einer solchen Notstandsargumentation akzeptieren, die wenigsten jedoch bereit sind, ihr in der Sache nachzugeben. Denn nach Art. 25 (2) (b) soll die Berufung auf Notstand auch dann erfolglos bleiben, wenn der Staat zur Entstehung der Notstandssituation beigetragen hat. Das wird freilich in den meisten wirtschaftlichen und finanziellen Krisen der Fall sein: In Abwesenheit von Naturkatastrophen und kriegsähnlichen Auseinandersetzungen gerät ein Staat fast immer selbstverschuldet in eine ökonomische und monetäre Bredouille – das aktuelle griechische Beispiel mag den Europäern hier wesentlich deutlicher vor Augen stehen als das fast schon historisch zu nennende argentinische. Dann ist aber eigentlich ein Balanceakt gefordert: Auf der einen Seite ist natürlich nicht einzusehen, warum Investoren, die – das sei unterstellt – selbst nichts zu der Krise beigetragen haben, für das Fehlverhalten ihres Gaststaates mit einer Einschränkung ihrer Rechte bestraft werden sollen. Auf der anderen Seite jedoch kann die Bedrohung des gesamten gesellschaftlichen Gefüges durch eine solche Krise so elementare Ausmaße annehmen, dass unabhängig von Schuldzuweisungen alle Beteiligten Opfer bringen müssen, um – bildlich gesprochen – den Karren überhaupt wieder flott zu bekommen.

66

So auch Kubisch (Fn. 60), 215.

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E. Rechtsfolgen Das geltende Notstandsrecht mit seiner tendenziellen Schwarz-Weiß-Einteilung des staatlichen Vorgehens in rechtmäßiges und rechtswidriges Handeln vermag diesen Balanceakt, wie die divergierenden Entscheidungen der Schiedsgerichte in den Argentinien-Fällen zeigen, ersichtlich nur eingeschränkt zu bewältigen. Das gilt jedenfalls für seine tatbestandliche Ebene. Ein Blick auf die Rechtsfolgenseite könnte dieses Ergebnis allerdings relativieren – vorausgesetzt man liest Art. 25 (2) der ILCArtikel nicht strikt wörtlich dahingehend, dass jeder Beitrag (jedes Mitverschulden) eines Staates zu einer Notstandssituation seine Berufung auf dieselbe ausschließen soll.67 Interpretiert man diesen Artikel jedoch von seinem Sinn und Zweck her, dann ist damit gemeint, dass ein Staat nicht davon profitieren soll, selbst eine Situation geschaffen zu haben, die ihm nunmehr die Vermeidung seiner eigentlichen Verpflichtungen ermöglicht. Diese offenere Interpretation ließe Raum dafür, der unterschiedlichen Schwere von Notstandssituationen ebenso wie dem unterschiedlichen Gewicht des staatlichen Beitrags zu ihnen Rechnung zu tragen. Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer (erfolgreichen) Berufung auf Notstand bestimmt Art. 27 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit: „The invocation of a circumstance precluding wrongfulness in accordance with this chapter is without prejudice to: […] (b) The question of compensation for any material loss caused by the act in question.“

Es ist damit durchaus vorstellbar, dass ein Staat in seinem Handeln durch Notstand gerechtfertigt ist, aber dennoch Entschädigung an die durch sein Notstandshandeln Geschädigten zu leisten hat – wenngleich Art. 27 diese Rechtsfolge selbst nur als Möglichkeit und keineswegs als zwingende Konsequenz statuiert.68 Da es in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aber von vornherein immer nur um eine Entschädigung des Investors für BIT-widriges Handeln des Gaststaates geht, besteht an dieser Stelle zumindest potentiell die notwendige Flexibilität, um den konfligierenden Interessen von Gaststaat und Investor Rechnung zu tragen. Denn „compensation“ im Sinne von Art. 27 (b) bedeutet auch nicht Schadensersatz wie im Falle rechtswidrigen Handelns. Crawford schreibt dazu in seinem Kommentar zu den ILC-Artikeln:

67

So auch Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes „Staatsnotstand“, ZaöRV 2008, 3 (18 f.). 68 Alvarez/Khamsi, The Argentine Crisis and Foreign Investors – A Glimpse into the Heart of the Investment Regime, in: The Yearbook on International Investment Law and Policy 2008/2009, 401 f; Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes „Staatsnotstand“, ZaöRV 2008, 3 (20); Enron Corporation and Ponderosa Assets, L.P. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/3, Award v. 22. 5. 2007, Rdnr. 345; Sempra Energy International v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/16, Award v. 28. 9. 2007, Rdnr. 394.

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„Rather [article 27(b)] is concerned with the question whether a State relying on a circumstance precluding wrongfulness should nonetheless be expected to make good any material loss suffered […]“.69

Es geht damit an dieser Stelle nicht mehr um „alles oder nichts“ – entweder der Staat ist gerechtfertigt und muss nichts zahlen, oder das Notstandsargument wird nicht akzeptiert und der Investor muss voll entschädigt werden –, sondern um die Entwicklung einer differenzierten Lösung, die den Interessen beider Seiten Rechnung tragen kann: Der Staat erhält in einer echten Notstandslage die notwendigen Handlungsoptionen, um darauf in gerechtfertigter Weise reagieren zu können; der Investor umgekehrt bleibt jedoch nicht schutzlos, sondern kann eine Entschädigung für die notstandsbedingte Einschränkung seiner Rechte verlangen.70 Bei der Bemessung dieser Entschädigung könnten dann neben dem Eigentumsinteresse des Investors weitere Faktoren wie etwa die Schwere der Notstandssituation, das Verschulden des Staates bei ihrer Herbeiführung oder die Angemessenheit der staatlichen Reaktionsmaßnahmen Berücksichtigung finden.

F. Alternativen Freilich ist diese Lösung noch weit entfernt davon, in der schiedsgerichtlichen Praxis bei Notstandsfällen gängig zu sein. Sowohl Investoren als auch Staaten sollten sich daher im Vorfeld einer Investition darüber Gedanken machen, wie sie sich für einen entsprechenden Fall besser absichern können. Aus der Sicht von Investoren bieten sich hier auf der ökonomischen Seite politische Risikoversicherungen und aus rechtlicher Perspektive sogenannte „Stabilisierungsklauseln“ an, in denen sich der Gaststaat verpflichtet, seine regulatorischen Rahmenbedingungen nicht in einer Weise zu verändern, die die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Investition in Frage stellen würde. Staaten könnten umgekehrt versuchen, Notstandsklauseln nach dem Vorbild von Art. XI des US-argentinischen BIT in ihre Verträge aufzunehmen und möglicherweise noch präziser zu fassen. Ist der Notstandsfall erst einmal eingetreten, so kann der Staat versuchen, nichtsdestotrotz eine konsensuale Lösung mit den Investoren herbeizuführen, in der diese vielleicht in Erkenntnis der Situation in temporäre Einschränkungen ihrer Rechte einwilligen – solange sie das Vertrauen haben, dass es nach Überwindung der Notstandslage zu einer Wiederherstellung ihrer alten Positionen kommt. Im Sinne einer Schadensminderungspflicht kann man von dem jeweiligen Staat außerdem verlangen, dass er bei Verfügbarkeit mehrerer Reaktionsmöglichkeiten die für die auslän69

Report of the International Law Commission, Fifty-third session, Supplement No. 10 (A/ 56/10), S. 210. 70 So Kubisch (Fn. 60), 217. Im Ergebnis auch: Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes „Staatsnotstand“, ZaöRV 2008, 3 (21); CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Award v. 12. 5. 2005, Rdnr. 384 ff.

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dischen Investoren am wenigsten belastende wählt. Zeitweilige Kapitalverkehrskontrollen zur Verhinderung einer unkontrollierten Kapitalflucht sind beispielsweise sicherlich vorzugswürdig gegenüber partiellen Enteignungsmaßnahmen.

G. Schlussbemerkung Auch wenn das internationale Investitionsschutzrecht allein schon aufgrund der darin ermöglichten Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten einen gewissen Sonderstatus innerhalb des Völkerrechts einnimmt, bleiben seine maßgeblichen Rechte und Pflichten doch völkerrechtlichen Ursprungs und Charakters und müssen sich daher in das Gebäude der Völkerrechtsordnung insgesamt einfügen. Die besondere Zielrichtung des Investitionsschutzrechts darf nicht den Blick dafür verstellen, dass – wie in allen Bereichen des Völkerrechts – die Normen dieses Rechtsgebiets in ihren vielfältigen Beziehungen zu anderen Rechten und Verbindlichkeiten nach dem Völkerrecht ausgelegt und bestimmt werden müssen. Aus diesem Grund bleiben auch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts auf BIT-Verpflichtungen anwendbar. Der völkergewohnheitsrechtliche Notstandsbegriff gehört zu diesen allgemeinen Grundsätzen und kann daher grundsätzlich auf staatliches Handeln Anwendung finden, das ansonsten gegen die Regelungen eines internationalen Investitionsschutzvertrags verstieße. Die Interpretation dieses Rechtsinstituts und die Festlegung seiner Voraussetzungen im Detail müssen freilich den Besonderheiten dieses Gebiets angepaßt werden. Es ist jedoch möglich – insbesondere wenn man die aus einer Notstandslage fließenden Rechtsfolgen flexibel handhabt –, auf diesem Weg zu Lösungen zu kommen, die den Interessen des in einem Notstand befindlichen Staates und seiner ausländischen Investoren gleichermaßen Rechnung tragen und eine vernünftige Balance zwischen ihnen herstellen.

Discrimination, Mega Development and Conflict: The Insurmountable Triangle? By Virginia Bras Gomes The main elements in this article stem from my work as a member of the UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR) and participation in a number of debates on the implementation of economic, social and cultural rights, or rather on the recognition of their non-implementation particularly for the most disadvantaged and marginalised individuals and groups. It is my intention to provide illustrations for the triangle that has discrimination and mega-development, or developmentinduced displacement, as it is sometimes called in a more euphemistic manner, at two of its corners. The third corner, of social unrest and potential conflict, is the result of the other two.

A. Non-Discrimination in UN Human Rights Treaties The Universal Declaration of Human Rights sets forth a broad list of grounds for discrimination – race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status.1 This list, that is also included in the two International Covenants, of Civil and Political Rights and of Economic, Social and Cultural Rights, does not attempt at being exhaustive since it includes the reference to “other status” to leave open the possibility for the inclusion of other grounds for discrimination that may eventually become necessary. Later human rights treaties took on board new grounds for discrimination, or identified particular groups as being victims of discrimination, or even provided guidance on how to overcome problems caused by discrimination. For example, Article 2 of the Convention on the Rights of the Child includes ethnic origin and disability, while Article 1 of the International Convention for the Protection of the Rights of all Migrant Workers and Members of their Families refers age for the first time as a ground for discrimination. In turn, Article 6 of the Convention on the Protection of Persons with Disabilities expresses the recognition by States parties that “women and girls with disabilities are subject to multiple discrimination” and indicates that “in this regard (States parties) shall take measures to ensure the full and equal enjoyment by them of all human rights and fundamental freedoms” 1

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while Article 5.3. states that “in order to promote equality and eliminate discrimination, States Parties shall take all appropriate measures to ensure that reasonable accommodation is provided”. Even more important than these treaties in which non-discrimination is a crosscutting principle for the respect, protection and fulfilment of all the rights enshrined in them, the Convention for the Elimination of All Forms of Racial Discrimination and the Convention for the Elimination of All Forms of Discrimination against Women are international instruments entirely devoted to the fight against discrimination. Using the possibility of interpretation of the “other status” provision and the experience gathered from the dialogue with States parties, in its General Comment No. 20, on non-discrimination in economic, social and cultural rights, CESCR added sexual orientation and gender identity, and economic and social situation, as grounds for discrimination2. Discrimination has been defined as “any distinction, exclusion, restriction or preference which is based on any ground such as race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status, and which has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise, by all persons, on an equal footing, of all rights and freedoms”3. While direct discrimination is easy to identify, indirect discrimination is rather more complex, especially when legal provisions appear to be neutral but in effect lead to discrimination when implemented. Of particular concern are multiple discrimination and culturally ingrained discrimination. The former is derived from the cumulative and interdependent effects of discrimination on several grounds, for example, in the case of a woman, belonging to a minority religious or linguistic group who also has a disability. Since the cumulative effect gives rise to the violation of a number of rights, the elimination of multiple discrimination calls for integrated measures in the various areas of economic, social and cultural development. The latter (culturally ingrained discrimination) is the most difficult to tackle but nonetheless very important because it results from the explicit or implicit imposition of dominant societal values on those who do not share them.

2 The nature of discrimination varies according to context and evolves over time. A flexible approach to the ground of “other status” is thus needed in order to capture other forms of differential treatment that cannot be reasonably and objectively justified and are of a comparable nature to the expressly recognized grounds in Article 2, paragraph 2 (of the Covenant). These additional grounds are commonly recognized when they reflect the experience of social groups that are vulnerable and have suffered and continue to suffer marginalization (Para 27 of CESCR General Comment No. 20). 3 Human Rights Committee (1989).

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B. Discrimination at Home The ratification of the core international human rights instruments requires that States parties must immediately eliminate formal or de iure discrimination established by law by amending such discriminatory legislation and adopt measures for the elimination of de facto discrimination or discrimination in practice as soon as possible. How have States parties translated the comprehensive international legal framework into national legislation and regulations? And, more importantly, how far have they made it real in policy formulation and implementation? Very seldom have they taken the option to enact a framework law against discrimination that would provide the overarching legal architecture for a coherent non-discrimination environment and integrated policies to combat the root causes of discrimination. There are, in a number of countries, ample regulations against discrimination in the field of education, work and employment, and social security, with legal avenues for complaints and redress, but the absence of a framework law that tackles the problem across the board allows for huge implementation gaps. To take the European example, the two EU anti-discrimination Directives in place4 do not follow the overall non-discrimination blanket provision of Article 14 of the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms. The Directives have been transposed to the national legislative frameworks of the EU Member States, reproducing the existing loopholes by mostly covering unequal treatment on grounds of race and gender, and for employment and occupation issues. The draft horizontal EU anti-discrimination Directive that would forbid discrimination based on religion or belief, disability, age or sexual orientation in access to goods and services, education, and access to social benefits, still requires approval from all 27 EU Member States, though it has been under discussion since 2008.5

C. Discrimination Against the Roma Populations Discrimination and conflict have never been so close and yet so far. So close, because all States have recognized the undeniable links between them and yet so far, because this recognition has not been matched by the political will and the closing of the non-discrimination policy implementation gaps. 4 Racial Equality Directive 2000/43/EC, implementing the principle of equal treatment between persons irrespective of racial or ethnic origin, and Council Directive 2000/78/EC, establishing a general framework for equal treatment in employment and occupation. 5 The European Parliament continues to call for the bill to be taken out of the deep freeze. It made two statements to that effect in October and November 2011. One of the last initiatives was a Public Hearing on Unblocking the Anti-Discrimination Directive, in Brussels, on 19 March 2012.

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Discrimination against the Roma communities provides good examples of contradictory trends, lack of political will and inability to combat deep-rooted societal patterns and misconceptions. The Decade for Roma Inclusion (2005 – 2015)6 represents an action framework for governments to promote, with the effective participation of the Roma people themselves, strategies, programmes, action plans and affirmative action, on one hand, and to closely monitor progress in accelerating social inclusion and improving the economic and social status of Roma across the region, on the other. But the political commitment to break the cycle of poverty and exclusion and to close the gap in welfare and living conditions between the Roma and the non-Roma has not materialised. Roma communities still face widespread discrimination by private and public employers and national, regional and local authorities responsible for social benefits and social services. A great majority of Roma families are frequently denied access to social housing leading them to live in slum settlements, without access to running water and adequate sewerage and with no security of tenure. In spite of the fact that their life expectancy remains considerably lower than that of the non-Roma population, they are discriminated in access to health care services. There still is in many States a persistent pattern to segregate Roma children in separate schools such as special remedial schools for children with mental disabilities, or in separate substandard “catch-up” classes within schools. Of even greater concern are incidents like the plan by the Italian authorities to fingerprint Roma.7

D. Territorial Discrimination Other forms of discrimination that breed social tensions leading those who feel discriminated to resort to self-destruction or declared conflict, to overcome their feelings of disempowerment and alienation, are territorial discrimination and castebased discrimination. We all remember the series of riots and violent encounters among urban youth, the majority of whom were Muslims of African or North African origin, and the police forces, in France, a couple of years ago.

6 Initiative adopted by eight countries in Central and Southeast Europe (Bulgaria, Croatia, Czech Republic, Hungary, Macedonia, Romania, Serbia and Montenegro, and Slovakia) and supported by the international community. See for a comparative study of the National Roma Integration Strategies done by the European Roma Policy Coalition and made public on 22 March 2012 that concludes that the strategies lack targeted measures to combat anti-Gypsism as well as provisions for meaningful participation of Roma and civil society. See also for violence against Roma on the rise. 7 According to the NGO Opera Nomadi, some 160,000 Roma are estimated to live in Italy. 70,000 are Italian nationals and the rest are immigrants from Eastern Europe, mainly from Romania (roughly 60,000).

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The French Government recognized “the relative failure of the urban policy” launched in the late 1970’s, after the cités radieuses (large-scale social housing complexes) were first built.8 This failure is reflected in the disproportionate concentration of persons belonging to racial, ethnic and national minorities, especially migrant workers and persons of immigrant origin, in residential areas characterised by low-quality, poorly maintained large housing complexes, limited employment opportunities, inadequate access to health care facilities and public transport, under-resourced schools and high exposure to crime and violence.9 Hopefully, lessons learned from periods of territorial strife and tension will be put to good use in the context of renewed urban policies that recognize the importance of re-qualifying discriminatory urban environment and emphasizing the potential for economic and social development in unstable or ghettoized urban areas.

E. Caste-Based Discrimination10 Over 2,000 years old, the caste system is perhaps the oldest surviving social hierarchy in the world legitimised by religion and tradition, in countries such as India and Nepal. In the Indian legal system, discrimination of scheduled castes and scheduled tribes is prohibited, beginning with Article 17 of the Indian Constitution that abolishes untouchability, greatly due to the efforts of Dr. B. R. Ambedkar, himself a Dalit11 who consistently used the designation “Depressed Classes” to refer to the Dalit communities. A host of other legal prohibitions are in place, most notably the 1989 Scheduled Castes and Scheduled Tribes (Prevention of Atrocities) Act to prevent discrimination and crimes against dalits and adivasis12 and to provide for relief and rehabilitation for 8 See . Third periodic report of France to CESCR. E/C.12/FRA/3, paras 231 and 232. 9 See . Concern expressed by CESCR in its Concluding Observations to France E/C.12/FRA/CO/3. 10 Also referred to as discrimination on the basis of work and descent. 11 Dalit is the term used for people of the lowest castes. They are among the most marginalized and deprived groups of society. With respect to the legal terminology, the National Commission for Scheduled Castes and Scheduled Tribes has held the term Scheduled Castes to be the proper constitutional usage for the castes identified as Dalits. A Dalit is hence a person who belongs to one of the castes identified as Scheduled Caste. Numbering 160 million, they represent 16 percent of India’s population of 1 billion. Dalits are also found in Nepal, Pakistan and Bangladesh. 12 Adivasis literally mean indigenous people or original inhabitants, though the term Scheduled Tribes is not coterminous with the term Adivasis. Scheduled Tribes is an administrative term used for purposes of ‘administering’ certain specific constitutional privileges, protection and benefits for specific sections of peoples considered historically disadvantaged

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victims of the extensive listing of offences under the Act that covers violations of civil, cultural, economic, political and social rights. Affirmative action has been implemented in India by way of a reservation policy that though subject to contestation by some sectors of society and even challenged in court, enables members of the lower castes to access public education and employment on a priority basis. But qualitative representation is still short of the prescribed quota and no substantial efforts have been made by the Government to take up the recommendation of the National Commission for Scheduled Castes and Scheduled Tribes to introduce reservation in the private sector, entirely justified by the increasingly restricted access to public sector jobs in these times of globalisation and privatisation. The Interim Constitution of Nepal, adopted in December 2006, also prohibits caste-based discrimination recognizing that economic, social and cultural discrimination of Dalits and other minorities was one of the legitimating factors of the People’s War. But neither in India nor in Nepal has the prohibition against caste-based discrimination been consistently implemented or enforced, certainly not with the political will and institutional capacity that a problem of this magnitude deserves, if we consider the number of affected persons and families, the nature and extent of human rights violations they face and the depth of economic, social and cultural exclusion in which they live. In addition to non-discrimination and substantive equality policy failures, the obstacles faced by the victims in accessing justice, including the high costs of litigation, the long-delays in court proceedings and the non-implementation of court decisions by government authorities, certainly all lead to violations of their rights. Of particular concern are the low rate of prosecution of crimes against persons belonging to discriminated groups and the fact that discriminatory attitudes and prejudices in the enforcement of the law, especially by the police, is a serious obstacle to the victims’ access to justice. Two recurrent dimensions of the struggle of any discriminated community are the lack of representation of members of such communities in decision-making bodies and the multiple discrimination faced by women who suffer the most and are certainly at the bottom of society, impoverished and invisible as citizens. In spite of some development and rehabilitation programmes and temporary special measures13 with and ‘backward’. Tribal peoples are over 84 million constituting 8.3 % of the nation’s total population. See . 13 The adoption of temporary special measures with the objective of achieving de facto equality between men and women and for disadvantaged groups does not constitute a violation of the principle of non-discrimination, as long as such measures do not lead to the maintenance of unequal treatment for different groups and provided they are not continued after the objectives for which they were taken have been achieved (CESCR General Comment No. 13/ 1999).

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the objective of reducing and/or eliminating the causes and circumstances that give rise or contribute to situations of discrimination in everyday life, in practice, women from these communities continue to be subject to the denial of their rights to education, training, work, social security, land and other livelihood resources.

F. Needs-Based Development vs Greed-Based Development This is probably the most important and far-reaching option Governments need to take to address the increasingly complex relationship between development, globalisation, free trade agreements, and respect, protection and fulfilment of human rights for all, in particular for vulnerable and deprived communities. Globalization presents opportunities and challenges for the development process as well as risks and uncertainties. As recognised by developing and developed countries, the benefits of globalization have not been equitably shared among regions, nations and peoples. On the contrary, the gap between and within countries has widened, basically because making use of the opportunities provided by globalization requires material, technological and organisational capacities that are unevenly distributed. Furthermore, social development policies have been mistakenly considered as being contrary to economic growth and international competitiveness and the establishment of social safety nets absolutely necessary to cushion the unwanted or unexpected effects of globalization on poor persons, families and communities, has not been considered a national and international political priority. Against this backdrop, all over the world, mega development projects entail economic liberalisation, real state speculation and vested investment interests. In my opinion, it is true to say that such development has not led to a favourable environment for the realisation of economic, social and cultural rights particularly for those directly affected. On the contrary, it has deepened the divide between the rich and the poor because it has not integrated human rights principles. The promises of inclusive growth, increased opportunities for employment and education, and improved living conditions for affected groups, have not materialised. People feel increasingly left out as their hopes for a better life are shattered. In Special Economic Zones (SEZ) in developing countries, significant tax-relief is being provided to invite private investment. The location of such SEZ on agricultural land often with already existing infrastructure built from public funding enables private corporate business to reduce investment that would be necessary to develop areas without such infrastructure. Land acquisition at throw away prices and the fact that in many cases only part of this land has been assigned for industrial purposes have frequently led to real estate speculation. In many countries, displacement has come as a result of urban renewal and beautification projects, sporting events and tourism ventures, as well as of the construction

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of dams and highways, mining in forest areas, and slum and informal settlement demolition. Some of the end results of these so-called “development” measures are the displacement and forced eviction of millions of families of farmers, fisher folk, and tribals who are cut off from their traditional lands and dignified and sustainable livelihoods through access to natural resources whether agricultural land, forests or water; food shortage due to loss of fertile agricultural land; and environmental degradation caused by deforestation and contamination from mining and industrial projects. Without the adequate long-term planning for the economic and social integration of the displaced dwellers, most of whom have not received adequate compensation and rehabilitation, their living conditions are indeed very precarious. Three main duties arise for States parties in regard to the successive waves of such development, each wave carrying slight differences in its modalities, but all of them containing potential elements for unrest and conflict. The first duty is for governments to take immediate measures to effectively enforce laws and regulations prohibiting displacement and forced evictions, and ensure that persons evicted from their homes and lands, including those living and working on those lands and not only the land owners, are provided with adequate compensation and/or offered alternative accommodation. Ensuring alternative accommodation involves a number of considerations. Shifting a coastal community to the hinterland or to the suburbs of industrial cities, hoping its members will find work as unqualified or less qualified workers in the services or industrial sectors is a choice that hardly bears fruits. Members of coastal communities live from water-related activities, either fishing or making and mending nets, or preparing and drying fish for commercial or export purposes, or selling fish at local markets. The sea or the river is their source of sustainable livelihood. They have no skills for jobs on land. Identical difficulties in adjusting to new living and working environments apply to tribal and other communities displaced from hills and forests to release huge tracts of agricultural land for extractive industries. Not only do they lose their sources of livelihood, but also the identity ties to their ancestral lands, culture and religion. With social inequalities growing in urban and suburban deprived neighbourhoods, displaced populations face new hardships in their new habitats. They have little access to resources and their needs cut across sectors. In terms of work, persisting trends of long-term unemployment, youth unemployment, and low rates of participation in the labour market do not allow for a conducive environment for the integration of workers in the urban formal labour market, adding to the numbers already working in the informal economy without adequate labour regulations and social security coverage.

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Resettlement in new environments implies more than alternative accommodation and decent work opportunities. Physical and economic access to schools and other educational facilities, to childcare, social and health care services as well as to local community integration centres, are indispensable for a successful rehabilitation process. As we all know, in the last three decades, the crumbling of the Welfare State has been at the heart of efforts to rethink and reorganise the social role of the government. In most cases, these efforts are far from being successful and States are still grappling with the need to balance long-term financial sustainability concerns with the fulfilment of their overall function of ensuring an acceptable level of social protection to all their citizens, especially the most vulnerable. More often than not, particularly in the last three years, with the deepening of the economic and financial crises, funding for public goods and services has been reduced with a highly negative impact on access by those most in need, including the resettled communities. The second duty of governments is to ensure that the communities to be displaced or otherwise affected enjoy a proportionate share of the development benefits. We are often reminded that the trickle down effect promised by the public authorities has not materialised. On the contrary, in reality, all that is left for the local communities are temporary or less skilled and low paid jobs due to the lack of effective planning and of job enhancement programmes to avoid a mismatch between the available skills and the proposed jobs. The third duty is to fulfil two pre-requisites prior to the implementation of development projects. The first is to entrust independent bodies, totally free from vested interests, with the responsibility of undertaking in depth transparent assessments of the social and environmental costs of the envisaged projects before irreversible decisions are taken. The second relates to open, participatory and meaningful dialogue with affected residents and communities, not only as a means to ensure their voices are heard and their rights respected, but also as an important policy tool that can offer a range of practical means to prevent conflict and build more cohesive societies. In general, the concepts, language and values framed by experts and/or politicians are not familiar to the local communities and therefore hard for them to understand, inhibiting meaningful communication. At times, misinformation or incomplete information also affect their better judgement. Problems of miscommunication affect relations both within the communities and between the communities and non-indigenous people from outside, creating an environment of mistrust and confusion. In trying to overcome mistrust and powerlessness, national and international NGO’s, people’s movements, grassroots organisations and human rights activists have brought in a wealth of information and innovative consultation and participation models. They play an indispensable role that needs to be recognized and supported. Adequate responses through inclusive democratic processes, substantive participation and empowerment have reduced the feelings of powerlessness of those who

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feel sidetracked by the development impetus, enabling them to understand the differences between non-participation, token participation and real citizen power. In fact, there are myriad examples of how this understanding has brought like-minded people together, joining their voices under common banners, to demand their rights.

G. Core Obligations and Progressive Realisation Bringing back into the picture my initial question on the insurmountable triangle, I would like to conclude by referring to the core obligations of States parties to address as a matter of absolute priority the needs of target groups traditionally subject to discrimination and displacement such as ethnic and national minorities, indigenous and tribal communities, and internally displaced persons. For them the legal framework is often incomplete and the implementation gaps always considerable. Access to justice is complicated, delayed and generally too expensive. States parties have an immediate obligation to ensure the satisfaction of, at the very least, minimum essential levels14 of each of the Covenant rights for these target groups with time-bound measurable benchmarks that set the targets to be achieved and the economic and social measures to achieve them. Compliance with such obligations must also enable an on-going assessment that allows for corrections if the impact of the measures is not as expected. Of course, this can only be achieved through the meaningful participation of the affected groups in the process. In order for a State party to be able to attribute its failure to meet at least its minimum core obligations to a lack of available resources it must demonstrate that every effort has been made to use all resources that are at its disposition in an effort to satisfy, as a matter of priority, those minimum obligations, because without such obligations the Covenant would be deprived of all meaningful content. In relation to progressive realisation, where several policy options are available, States parties should adopt the option that least restricts Covenant rights and all steps should take into account the precarious situation of individuals and families living in deprivation with the utmost priority to be given to grave situations. Lack of resources can certainly affect the full enjoyment of economic, social and cultural rights, but Article 2.1. of the Covenant15 obliges each State party to take the necessary steps “to the maximum of its available resources” which means that overall priorities 14

CESCR General Comment No. 3 (1990) on the nature of States parties obligations. CESCR, in its General Comments on the interpretation of the Covenant, has so far identified core obligations arising from minimum essential levels of the rights to food, education, health, work, social security and to participate in cultural life. 15 Article 2.1. Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps, individually and through international assistance and cooperation, especially economic and technical, to the maximum of its available resources, with a view to achieving progressively the full realisation of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means, including particularly the adoption of legislative measures.

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should ensure that resource allocation is in conformity with the State party’s obligations under the Covenant16. In the context of accountability regarding the fulfilment of core obligations and obligations of progressive realisation, public duty bearers may choose whatever mechanisms they consider appropriate, provided they are accessible, transparent and effective. However, the assessment of the impact of economic and social policies on the enjoyment of human rights is not possible without the establishment of indicators and benchmarks that are disaggregated on the basis of the prohibited grounds of discrimination, comparable over time, and understood and recognized by all the stakeholders17. In many States parties such indicators are still not available; on the positive side, examples of indicators and benchmarks established at the grass roots level by the affected groups themselves as being relevant to their impact assessment have opened a window of opportunity for a bottom-up process that can be greatly useful to the other levels of planning and assessment. This is indeed what meaningful participation can bring to policy formulation and effective implementation. By way of conclusion, a strong appeal to all those who continue to believe in the potential of human rights to help the powerless overcome their feeling of having been left out of the development impetus. May we all honour their expectations and find creative ways to support the new initiatives born out of citizen participation that are showing their strength all over the world.

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CESCR Statement on an evaluation of the obligation to take steps to the “maximum of available resources” under an optional protocol to the Covenant/2007. 17 See . Report on the use of indicators in realizing economic, social and cultural rights. E/2011/90.

In Search of Linkages: Use of Trademark Law in Human Rights Discourse By Willajeanne F. McLean

A. Introduction The Committee considers of fundamental importance the integration ofinternational human rights norms into the enactment and interpretation of intellectual property law.1

In 2005, Eibe Riedel was the committee chair and rapporteur for the United Nations Committee on Economic, Social, and Cultural Rights. The primary focus for Professor Riedel’s committee was the drafting of a comment to Article 15 (1) (c) of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR).2 The committee adopted a document, known as General Comment No. 17,3 which analyzes and delineates the scope of creators’ human rights. The commentary, termed “authoritative”,4 sets forth the committee’s working definitions of the terms mentioned in the article,5 and explains its basic premises.6 The committee report explains the differences between intellectual property rights (“IPR”) and human rights, noting: Human rights are fundamental as they are inherent to the human person as such, whereas intellectual property rights are first and foremost means by which States seek to provide incentives for inventiveness and creativity, encourage the dissemination of creative and inno1

Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Human Rights and Intellectual Property: Statement of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, U.N. Doc. E/C.12/2001/15 (2001), . 2 This portion of the article provides for the right of everyone “to benefit from the protection of the moral and material interests resulting from any scientific, literary or artistic production of which he is the author.” See International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Dec. 16, 1966, 993 U.N.T.S. 3. Article 15 (1) (c). 3 See Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 17: The Right of Everyone to Benefit from the Protection of the Moral and Material Interests Resulting from Any Scientific, Literary or Artistic Production of Which He is the Author, Art. 15 (1) (c), U.N. Doc. E/C. 12/2005 (Jan. 12, 2006) (herein after General Comment No. 17). 4 See P .K. Yu, “Challenges to the Development of a Human Rights Framework for Intellectual Property“, in: P. L. C. Torremans (ed.), Intellectual Property and Human Rights (2008), 77, (abridged and adapted from 40 U.C. Davis L. Rev. 1039). 5 See General Comment, No. 17, supra fn. 3. 6 Id.

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vative productions, as well as the development of cultural identities, and preserve the integrity of scientific, literary and artistic productions for the benefit of society as a whole.7

It is clear from the document,8 and in commentary of the commentary,9 that the general recommendations contained in the Comment do not pertain to trademarks. It is equally clear that the classification of trademarks as a human right is contested.10 Yet a reading of the academic literature suggests that there is a way in which trademark law and human rights can be linked.11 The following sections review some of the existing literature on the subject,12 and offer some brief comments on a possible greater role for trademark law in the human rights discourse.

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Id. at para. 1. Id. at para. 9, which states, in pertinent part: “any scientific, literary or artistic production within the meaning of article 15, paragraph 1 (c), refers to […]‘scientific productions’, such as scientific publications and innovations, including knowledge, innovations and practices of indigenous and local communities, and ‘literary and artistic productions’, such as, inter alia, poems, novels, paintings, sculptures, musical compositions, theatrical and cinematographic works, performances and oral traditions.” 9 A. Rahmatian, “Trade Marks and Human Rights”, in: Intellectual Property and Human rights, supra fn. 4, 344 (noting “[Article 15 (1)] alludes mainly to patents and copyright, but it does not grant or define any specific rights or clear right limitations.”); but see P. Cullet, “Human Rights and Intellectual Property Protection in the TRIPS Era“, 29 Human Rights Quarterly 403, at p. 409 fn. 22 (noting that a member of the ICESCR Committee stated that “Article 15(1)(c) is ‘clearly intended to protect the creators of objects such as patents and trademarks.’) (citation omitted). 10 See generally M. M. Carpenter, “Trademarks and Human Rights: Oil and Water? or Chocolate and Peanut Butter?”, 99 TMR 892 (2009) (discussing whether there is a role for trademarks within the human rights framework). In fact, the question of whether any intellectual property rights (IPR) can be classified as human rights has been widely debated. See generally M. Sinjela (ed.), Human Rights and Intellectual Property Rights: Tensions and Convergences vii, 2007 (noting the general debate as to whether intellectual property rights are human rights, the question of the effect of IPR on states’ compliance with international human rights treaties, and the complexity of the relationship between human rights and IPR); F. Macmillan, “Human Rights, Cultural Rights; Three Concepts In Search of A Relationship”, in: M. Burri-Nenova/C. Beat Graber (eds.), Intellectual Property And Traditional Cultural Expressions In A Digital Environment (2008), 77 (noting Article 15(1)(c) created much discussion because it appeared to “support the characterisation [sic] of intellectual property rights as human rights.”); W. Grosheide, “Intellectual Property Rights and Human Rights: Related Origin and Development”, in: W. Grosheide (ed.), Intellectual Property and Human rights: A paradox, 2010 (commenting that there is “ real debate on the relationship between intellectual property law and human rights law […]”); L. Shaver/C. Sganga, “The Right to Take Part in Cultural Life: On Copyright and Human Rights”, (2010) 27 Wis. Int’l L.J. 637, at p. 650 (remarking that “I[i]t is well established in human rights law that intellectual property rights are not themselves human rights.”). 11 See generally E. Derclaye, Intellectual Property Rights and Human Rights: Coinciding and Cooperating, in: Intellectual Property and Human Rights supra fn. 4, at p. 135 (discussing “the link between and even inclusion of IPR within human rights”). 12 It is beyond the scope of this essay to examine any of the issues noted here in any great depth. 8

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B. Trademarks are Different13 A trademark is not a copyright or a patent.14

In the United States, the differences between a trademark and a patent or copyright begin ab initio: the foundational underpinnings for the protection of patents and copyrights emanate from the United States Constitution,15 whereas the source for the Lanham Act, the federal statute covering the federal registration of trademarks,16 derives from the Commerce Clause.17 For example, the Constitution grants to the owners of copyrights and patents a monopoly; however, a trademark does not confer a monopoly upon a product.18 This explanation for the differences may be an oversimplification; yet, it is certainly the case that, traditionally, trademarks receive dissimilar treatment than patents and copyrights.19 Even the types of protection granted are different. For example, a trademark “protects the public by making consumers confident that they can identify brands they prefer and can purchase those brands without being confused or misled […]”,20 while a copyright protects the expression of an idea – be it via the medium of literature or art, sound recordings or architectural works.21 Patents, on the other hand, 13 See R. P. Merges, Justifying Intellectual Property, 2011, 213 et seq. (explaining that there is an idea in the world “ that trademark law is somehow basically different from other IP rights”, but noting that while “the policy rationale for trademarks may be more multidimensional […] it need not be completely divorced from … the underpinnings of copyright and patent”); J. Reiss, “Commercializing Human Rights: Trademarks in Europe after AnheuserBusch v Portugal”, (2011) 14 J. World Intellectual Property 176, at p. 180 (noting that “[t]rademarks […] are a completely different animal”); Carpenter, supra fn. 10, at p. 903 (“Trademark rights, however, are materially different.”). 14 See W. M. Borchard, A Trademark is not a Copyright or a Patent (2009), . 15 See U.S. Const., art. I, § 8, cl. 8 (“The Congress shall have power … to promote the Progress of Science and useful Arts, by securing for limited Times to Authors and Inventors the exclusive Right to their respective Writings and Discoveries”). 16 Act of July 5, 1946, ch. 540, 60 Stat. 427 (1946) (codified as amended at 15 U.S.C. §§ 1051-1127 (2006)). Note that trademarks may exist at common law, without federal registration, simply by virtue of use in commerce. 17 Trade-Mark Cases, 100 U.S. at 94 – 95 (where the Supreme Court declared the first trademark statute unconstitutional because it was erroneously based on the same clause as used for the patent and copyright statutes, and suggested that the only potential vehicle for a trademark statute was the commerce clause). 18 See generally Car-Freshner Corp. v. Auto Aid Mfg. Corp., 438 F. Supp. 82, (S.D.N.Y, 1977). (“Unlike a patent or copyright, a trademark does not in any way represent a monopoly conferred upon a particular product”) (citations omitted). 19 See generally J .C. Fromer, “The Role of Creativity in Trademark Law”, (2011) 86 Notre Dame L. Rev. 1885, at pp. 1894 et seq. (discussing the way in which trademarks differ from patents or copyrights). 20 Two Pesos v. Taco Cabana, 505 U.S. 763, 784, fn. 19 (1992). 21 See generally 17 U.S.C. § 102 (2010) (defining subject matter of copyright).

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protect inventions that are novel, non-obvious and useful.22 Indeed, even the traditional goals of trademark law – to identify the source of goods and to distinguish those goods from those of another23 – are unlike those of patent or copyright.24 Therefore, when commentators write about the intersection of intellectual property and human rights, more than likely they are discussing the ways in which the monopoly over pharmaceuticals granted by patent law constrains the provision of medicines in developing countries.25 They may be decrying the way in which the ownership of copyright prevents free speech.26 Rarely do they write about trademarks, and even fewer commentators suggest ways in which trademark law may help shape human rights discourse or vice versa.27 It is recent to have trademarks in relation to human rights be the subject of academic discourse.28 In general, the discussion centers on one of the following themes: whether or not there is a proper place for trademarks, and if so, how it might be constructed;29 or analysis of various court decisions in which the issue of trademarks as fundamental rights arose.30

22 See generally 35 U.S.C. § 101 (2010) (defining subject matter eligible for utility patent protection). There are, however, limitations placed on patentability. See 35 U.S.C. § 102 (discussing conditions for patentability). 23 See generally 15 U.S.C. § 1127 (2010) (defining the term ‘trademark’ as “any word, name, symbol, or device, or any combination thereof – […] used […] to identify and distinguish [a party’s] goods …, including a unique product, from those manufactured or sold by others and to indicate the source of the goods, even if that source is unknown.”). See Automotive Gold, Inc. v. Volkswagen of Am., Inc., 457 F. 3d 1062, (9th Cir. 2006) (where the court stated “[t]he principal role of trademark law is to ensure that consumers are able to identify the source of goods”). 24 One of the goals of copyright law is to provide incentives for authors to create, while a goal of patent law is to promote innovation. See generally L. R. Helfer/G. W. Austin, Human Rights and Intellectual Property: Mapping the Global Interface (2011), at pp. 20 – 24 (discussing the rationale for IP protection). 25 See generally Bebe Loff/Mark Heywood, Patents on Drugs: Manufacturing Scarcity or Advancing Health?, 30 J. L. Med. & Ethics 621 (2002) (stating “the purpose of this article is to address the consequences of patents and the commercialization of intellectual property related to human health.”). 26 See generally C. B. Graber, “Copyright and Access – a Human Rights Perspective”, in: C. B. Graber et al. (eds.), Digital Rights Management – The End of Collecting Societies? (2005), 71. 27 See Rahmatian, supra fn. 9, infra note 40 et seq., and accompanying text (remarking that most of the discourse centers on intellectual property lawyers trying to fit human rights paradigms into their regime, and not the other way around.). 28 See generally Derclaye, supra fn. 11, at p. 133. 29 See Carpenter, supra fn. 10, at p. 892 (discussing the premise of the article as being one which will “consider directly whether there is a proper place for trademarks within the human rights framework”). 30 See generally Reiss, supra fn. 13.

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For example, Professor Carpenter argues in her article that “trademark rights are not human rights per se”,31 but are akin to property interests instead.32 This is because a trademark owner has a right to use the mark, transfer the mark, license the mark, and exclude others from using the mark, much in the same way as property.33 Patent and copyright, on the other hand, she contends, “implicate the moral and material interests of the creators” that are protected by the ICESCR, and interpreted by General Comment No. 17.34 In fact, Professor Carpenter posits that trademarks are irrelevant to Article 15 because they are so different from patents and copyrights.35 Furthermore, as proof of her assertions, she notes that in the country reports regarding compliance with Article 15, very few mention trademarks.36 For Professor Carpenter, the importance of trademarks to human rights lies in the fact that trademarks are implicated in the rights of persons to freedom of expression, to participate in culture, and to self-determination.37 She acknowledges that there might be difficulties in balancing the fundamental human rights with an owner’s rights in her property, and emphasizes the need to begin thinking more concretely about the intersection of trademarks with human rights, and the consequences that follow.38 Andreas Rahmatian also tackles the subject of trademarks as property rights in his article Trade Marks and Human Rights.39 Part of his critique is that the “human rights dimension has been discussed practically only from the perspective of intellectual property law”,40 with the result that intellectual property claims take precedence over those of human rights.41 Accordingly, there has been no “purposive interpretation of intellectual property law in the light of the human right in question”,42 and 31 Carpenter, supra fn. 10, at p. 927. In even stronger terms, Professor Carpenter later asserts: “there is no fundamental right to own a trademark that one gets simply by being born.” Id. at p. 930. 32 Defining trademarks or any other form of intellectual property rights as property is also controversial, and there has been much discussion about the “propertization” of intellectual property. See generally R. A. Posner, “Do We Have Too Many Intellectual Property Rights?”, (2005) 9 Intellectual Property L. Rev. 173. 33 See Carpenter supra fn. 10, at p. 925. 34 Id. at p. 927. 35 Id. at p. 903. 36 Id. at p. 904 (citations omitted). 37 Id. at pp. 929 et seq. 38 Id. at p. 930. 39 Rahmatian, supra fn. 9. Unlike most commentators, Rahmatian also suggests ways in which “human rights would act through commercial law” such as denying trademark protection when the products are allegedly made under sweatshop conditions, thereby infringing a right to a fair working condition. Id. at pp. 354 et seq. 40 Id. at pp. 335 et seq. (noting “the writer of this contribution is no exception”). I second that observation. 41 Id. at pp. 336 et seq. 42 Id.

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trademark law is even more likely to pose problems due to the well established harmonization efforts in Europe and the rules by which trademarks are governed.43 Nonetheless, Rahmatian thinks that trademark law and human rights can coexist, albeit uneasily.44 One way is under the realm of protection of property,45 and he points to the decision of the European Court of Human Rights (ECHR) in Anheuser-Busch as evidence of that right.46 In Commercializing Human Rights,47 Jennifer Reiss also uses the case AnheuserBusch v Portugal as a jumping off point for an exploration of the intersection of trademark law and human rights.48 In the case, an American company, Anheuser-Busch, filed a trademark application in Portugal to register the term “Budweiser” for beer. Registration was denied because a Czech company, Budejovicky Budvar, had already applied for, and received a registration for the mark “Budweiser Bier.” After many appeals and counter-appeals, the case came before the ECHR, where the American company relied on a provision within the Protocol to protect its rights to the trademark.49 Although the court ultimately held against Anheuser-Busch on other grounds,50 it determined that a trademark amounted to a “possession” within the meaning of Article 1 of Protocol No. 1.51 Reiss argues that this holding – that trademarks owned by legal persons are as deserving of protection as an individual’s right to water, for example – is unwise, and claims that the court “has opened a Pandora’s Box”, with unintentional consequences.52 She believes that the Anheuser-Busch decision will allow corporations with intellectual property interests to undermine the integrity of human rights discourse by 43

Id. at p. 337. Id. at p. 356. 45 Id. at p. 345 (where Rahmatian admits that the protection of property is “not a typical feature of international human rights protection”, and that such protection is not mentioned in the ICESCR.). 46 Id. at 347. For a discussion of the case, see Reiss, supra fn. 13, infra notes 48 – 51 and accompanying text. 47 Reiss, supra fn. 13. 48 For another viewpoint on the case, see B. Goebel, “Trademarks as Fundamental Rights – Europe”, (2009) 99 TMR 931. Goebel represented Anheuser-Busch in the ECHR proceedings. 49 Anheuser-Busch relied on Article 1 of Protocol 1, which provides in pertinent part: “Every natural or legal person is entitled to the peaceful enjoyment of his possessions. No one shall be deprived of his possessions except in the public interest and subject to the conditions provided for by law and by the general principles of international law …” See Protocol to the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms Art. 1, 20 March 1952, 213 U.N.T.S. 262. 50 The Court found that there was no interference to Anheuser-Busch’s right to peaceful enjoyment of its property. See Anheuser-Busch v Portugal, 44 Eur. H.R. Rep. 42 (2007), . 51 See Anheuser-Busch v Portugal, supra fn. 50 at para. 78. 52 Reiss, supra fn. 13, at p. 189. 44

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diluting the fundamental nature of human rights,53 and that the decision calls into question the inviolable nature of those rights.54 Reiss concludes that trademarks are unsuitable for inclusion under the rubric of human rights because “the utility of human rights protection for property is really premised on the instrumental use of property to further human dignity”,55 and trademarks, as commercial property, are far removed from those purposes.56 On the opposite side of the “trademarks are not human rights” divide, Burkhart Goebel argues that trademarks are entitled to protection because they fall within the ambit of the fundamental right to possession.57 As Goebel explains it, courts and administrative agencies recognize the importance of possessions as a property right, and do not limit the definition of the term “possession” to include only the ownership of physical goods.58 Thus, due to “the priority, exploitation and transfer rights that international, regional and national laws grant to trademark applications”,59 one can justify the protection because “the law allows the beneficiary the exclusive use and disposition of this right, thereby creating a situation comparable to traditional physical property”.60 For Goebel, the Anheuser-Busch decision is confirmation that intellectual property (read trademark) rights are correctly characterized as property, and can be properly protected as human rights.61

53

Id. Id. at p. 190 (warning that expanding rights to be protected under the label of human rights, which could be protected otherwise, calls into question the integrity of the human rights agenda). 55 Id. at p. 189. 56 Id. at p. 177 (noting that “trademarks are distinctly commercial in nature and thus perhaps the most difficult to reconcile with the distinctly un-commercial field of human rights.”). 57 Goebel, supra fn. 48, at p. 933 (noting “under certain circumstances trademarks may fall within the scope of the fundamental right to freedom of expression, the fundamental right with the closest link to trademarks … is the right to possession”). Although Goebel noted that trademarks might also fall with the purview of the right of expression, it appears that he chose to focus more extensively on the right to possession due to frequent and successful outcomes in national and international arenas. Id. 58 Id. at pp. 936 et seq. (discussing the concept of ‘possessions’ under the jurisprudence of the ECHR and the Commission). 59 Id. at p. 947. 60 Id. at p. 944 (discussing German Constitutional court jurisprudence holding that trademarks are included in the scope of possessions, which are protected under the fundamental right to property) (citations omitted). 61 Id. at p. 941. For illustrative purposes he, too, uses the Anheuser-Busch case, as well as the jurisprudence in the European Court of Justice and national European courts. 54

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C. Trademark Law in Human Rights Discourse: Two Modest Proposals Tactics of branding, adding symbolic value, and building recognizable distinctions of origin can be extended to new beneficiaries and seized upon by new agents.62

Although there are few who comment on the status of trademark law vis-à-vis human rights and offer suggestions as to how the law might be used to advance human rights initiatives, the above quote suggests that there are methods available to those who engage in human rights struggles against the commercialization of culture.63 In this section, I explore two modest proposals, which have not been widely discussed, in which trademark law might advance human rights principles. I. Modest Proposal One If you can’t beat them, join them!64 The allocation of rights over intellectual property has significant economic, social and cultural consequences that can affect the enjoyment of human rights.65

Trademark law can help advance the goals of human rights, particularly in minority and indigenous communities, when the community itself takes control of its image,66 by using the law to protect its cultural heritage.67 For example, Native 62 R. J. Coombe/S. Schnoor/A. Mohsen, “Bearing Cultural Distinction: Informational Capitalism and New Expectations for Intellectual Property”, (2007) 40 U.C. Davis L. Rev. 891, at p. 896. 63 For example, Rahmatian cited the New Zealand Trade Marks Act 2002, which protects indigenous signs of the Maori community. See Rahmatian, supra fn. 9, at p. 355; but see P. J. Chalk/A. Dunlop, “Indigenous Trade Marks and Human Rights: An Australian and New Zealand Perspective”, (2009) 99 TMR 956 (discussing the approaches of Australia and New Zealand in protecting indigenous words and images without encroaching on the fundamental human right to own property, and the inherent challenges of doing so). 64 This American expression or idiom means that if you cannot win against the opposing side, then it is better to join them on the same team. 65 Statement by the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Substantive Issues Arising in the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural rights, Follow-up to the day of general discussion on article 15 (1)(c), Monday 26 November 2001 Human Rights and Intellectual Property. United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights E/C 12/2001/15, 14 December 2001, para. 1, . 66 This was the subject of much discussion at a 1994 workshop at American University College of Law, entitled “Commercial Appropriations of Tradition: Legal Strategies for Indigenous Peoples.” Intellectual Property Law scholars, Native American Law scholars, and indigenous activists discussed strategies for protection of native cultures. Notes are on file with the author, who also participated in the workshop. 67 See generally R. Heimes, “Trademarks, Identity, and Justice”, (2011) 11 J. Marshall Rev. Intell. Prop. L. 133 (arguing that trademark law may have a role to play in social justice); L. Graham/S. McJohn, “Contemporary and Comparative Perspectives on the Rights of In-

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Americans have used trademark law in their efforts to regain control, either by attempting to cancel a trademark registration68 or by seeking trademark protection.69 Recently, the Navajo Nation filed suit again Urban Outfitters, an international retail company70, alleging, inter alia, trademark infringement, and violation of the Indian Arts and Crafts Act (“IACA”)71 The Navajo Nation claims that Urban Outfitters used the terms “Navajo” and “Navaho”, without permission, on items such as clothing, jewelry and other items,72 thus infringing on the Navajo Nation’s federally registered marks.73 According to the complaint, Urban Outfitters also used “geometric prints and designs fashioned to mimic and resemble Navajo Indian and Tribal patterns, prints, and designs”.74 Under the IACA, the Navajo Nation, if successful in its claims, can receive injunctive relief, barring Urban Outfitters from any further sales of the products, and obtain monetary relief, which includes the greater of treble damages or not less than USD 1,000 per day that the violation continues.75 The court may also award punitive damages, the costs of the civil action and a reasonable attorney’s fee.76 Admittedly, the wholesale registration of symbols that have significance to a minority group will not solve the problems of (mis)appropriation of cultural heritage. digenous Peoples: Indigenous Peoples and Intellectual Property”, (2005) 19 Wash. U. J. L. & Pol’y 313, at pp. 329 et seq. (discussing trademark law’s role in serving groups and “protecting group rights with respect to indigenous peoples”); but see M. F. Browne, “Can Culture be Copyrighted?”, (1998) 39 Current Anthropology 193 (arguing that using intellectual property to protect indigenous culture has its pitfalls). 68 See Pro Football, Inc. v. Harjo, 565 F. 3d 880, 882 (Fed. Cir. 2009), cert. denied, 130 S. Ct. 631 (2009) (in which Native Americans sought to cancel a Pro (American) Football trademark, REDSKINS, which they found offensive and disparaging). For a brief discussion of the case, see generally Heimes, supra fn. 67, at pp. 164 et seq. 69 For example, the Navajo Nation owns well over 80 federally registered trademarks. See B. I. Green/R. B. Burlingame/J. Jacobi, Caution: Tribal Names Not a Free-For-All (2012), . 70 See Navajo Nation v. Urban Outfitters, Inc., et al., U.S. Court for Dist. of New Mexico, Case No. 12-cv-00195 (filed Feb. 28, 2012), . 71 The Indian Arts and Crafts Act of 1990 (“IACA”) is a truth in advertising law which prohibits non-Indian businesses and individuals from misrepresenting that their goods are the product of an Indian tribe, or American Indian or Native American person. See generally 25 U.S.C. § 305 et seq. 72 See Navajo Nation, supra fn. 70, at para. 34. 73 In the complaint, the plaintiffs cited 10 of its registrations of the mark “Navajo” for clothing, footwear, luggage, online retail sales, and other items, and for which the defendant sold the same or similar items. See Navajo Nation, supra fn. 70, at para. 48. 74 Id. 75 See 25 U.S.C. § 305 (e) (b). Similarly, under the Lanham Act, a successful plaintiff may be awarded injunctions. See 15 U.S.C § 1116 (a). Monetary relief may also be granted. See 15 U.S.C § 1117 (a). 76 See 25 U.S.C. § 305 (e) (c).

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There are fears that overuse of intellectual property regimes only exacerbates rather than ameliorates the problem of the shrinking public domain.77 Another concern is that protection of indigenous culture will affect the culture itself.78 Yet, there is the argument that the challenge of the public domain should be viewed differently when dealing with those who have purely commercial interests than with those who are simply trying to protect traditional knowledge, for example.79 It would seem that under these types of circumstances, where the decision is whether to protect indigenous cultures from (mis)appropriation or against a shrinking public domain, the equities weigh in favor of protecting the human right to participate in cultural life. II. Modest Proposal Two Trademarks serve as the main communication tool between a manufacturer and the consumer […].80

In his book The TRIPS Regime of Trademarks and Designs,81 Nuno Pires de Carvalho noted that the Doha Declaration,82 which provides that “the TRIPS Agreement does not and should not prevent Members from taking measures to protect public health”,83 overlooked the possibility of a role for trademarks.84 One of his arguments for the inclusion of trademarks in the Doha Declaration is that trademarks are important in facilitating access to medicine because “[m]edicines are identified by brands”.85 The free use of the original trademarks to identify the medicines would be beneficial to the consumer because a function of a trademark

77 See Browne, supra fn. 67, at p. 205 (“Every legitimate demand for special consideration, including the claim that native peoples deserve regimes of intellectual property unique to them, must be weighed against the injurious effect that special rights have on prevailing notions of fairness”). 78 See generally Macmillan, supra fn. 10, at p. 94 (arguing that fitting cultural properties within the structure of Western IP regimes may change the cultural property). 79 See Graham et al., supra fn. 67, at p. 325 (citations omitted). 80 B. Goebel, “Geographical Indications and Trademarks – The Road From Doha”, (2003) 93 TMR 964, at p. 969 (citation omitted). 81 N. Pires de Carvalho, The TRIPS Regime of Trademarks and Designs (2nd ed., 2011). 82 The “Doha Declaration”, as it is called, is more formally known as the “Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health”, and was adopted by the World Trade Organization (WTO) in November 2001. See World Trade Organization, Ministerial Declaration of 14 November 2001, WT/MIN (01)/DEC/1, 41 I.L.M. 746 (2002) [hereinafter Doha Declaration], . Its promulgation was a response to the concerns of developed and developing countries regarding access to patented medicines. Id. 83 Id. 84 Pires de Carvalho, supra fn. 81, at p. 262. Many thanks go to my colleague, Professor Steven Wilf, for suggesting this avenue of inquiry. 85 Id.

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is to inform consumers about the quality of the goods.86 Combined with trademark’s communication function, this permits a consumer to express a preference, if any, for a certain medication.87 Although it is more than likely that pharmaceutical companies would view this use of their marks as infringement, the trademark owners could ensure the proper use of their marks by requiring the third party to follow restrictions on repackaging, similar to those set by the European Court of Justice.88 Thus, third party manufacturers would be free to repackage only when: 1) the repackaging is necessary in order to market the product in the country of importation; 2) the repackaging does not affect the original condition of the product; 3) the new packaging clearly states who repackaged the product; 4) the presentation of the new packaging will not damage the reputation of the original trademark or its proprietor; and, 5) notice is given to the trademark proprietor before the product is sold and if asked, samples of the repackaged products are provided.89 By following the suggestion of Pires de Carvalho of affixing the original trademark to a pharmaceutical product, in the event of a compulsory license,90 one might ensure the continued essential functions of a trademark to indicate origin and quality. Additionally, use of the original mark might lessen the possibilities that a new name for the licensed product would be confusingly similar to another, different pharmaceutical product.91 Finally, this could help strike a balance between the goals of private interests and the public interest in the right to health. D. Conclusion “Ultimately, intellectual property is a social product and has a social function.”92

86 Goebel, supra fn. 80, at p. 969 (“Trademarks inform consumers about the quality of a product.”) (citation omitted). 87 Pires de Carvalho, supra fn. 81, at p. 264. 88 See Joined Cases C-427, C-429 & C-436/93, Bristol-Myers Squibb v. Paranova A/S, 1996 E.C.R. I-3457. This case concerned the repackaging of pharmaceutical goods by third parties. 89 Id. at para. 79. It should be noted that these factors have received lots of scrutiny. See generally R. C. Bird/P. E. Chaudhry, “Pharmaceuticals and the European Union: Managing Gray Markets in an Uncertain Legal Environment”, (2010) 50 Va. J. Int’l L. 719 (discussing the jurisprudence of the European Court of Justice on trademark usage in parallel (gray) markets). 90 Pires de Carvalho, supra fn. 81, at p. 266. 91 M. M. Rumore, “The Role of Pharmacists in the Pharmaceutical Trademark Evaluation Process”, (1996) 6 J. Pharmacy & Law 83, at p. 90 (discussing medication errors caused by the usage of the same trademark for two different products marketed in different countries.). 92 U.N. Econ. & Soc. Council [ECOSOC], Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 17, at 9, U.N. Doc. E/C.12/GC/17 (Jan. 12, 2006) (“The right of everyone to benefit from the protection of the moral and material interests resulting from

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The above phrase seems to implicate a role for trademarks in human rights discourse because, arguably, the trademark is the most “social” of all the intellectual property regimes. That is, a trademark communicates cultural meanings and social themes, when successful, as well as signals source and quality.93 For example, a trademark can be (legally) adapted to serve a group’s social or political agenda, and in so doing critique the trademark owner or its social policies. Trademarks may also help shape a group’s identity, thus providing the group a modicum of self-determination. Use of trademark law might help advance socially desirable policies or inform the creation of strategies for advancing those policies. In these ways, trademark law can help advance the dialogue, and create a linkage, between human rights law and intellectual property law.

any scientific, literary or artistic production of which he or she is the author (article 15, paragraph 1 (c), of the Covenant).”) (citation omitted). 93 See W. Sakulin, Trademark Protection and Freedom of Expression: An Inquiry Into the Conflict Between Trademark Rights and Freedom of Expression Under European Law (2011), 14.

V. Mensch und Recht im Verfahren

Brighton Revisited – Zur Reform des Europäischen Menschenrechtsschutzsystems Von Beate Rudolf

A. Einführung Eibe Riedel setzt sich als Wissenschaftler und als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche. soziale und kulturelle Rechte schon lange für ein Individualbeschwerdeverfahren zum Wirtschafts- und Sozialpakt der Vereinten Nationen ein. Dabei betont er zu Recht die Wichtigkeit unabhängiger internationaler Überwachung von Menschenrechten im Einzelfall. Aus dem Charakter von Menschenrechten als Individualrechten folgt nämlich, dass sie gerichtlich einklagbar sein müssen. Bei international garantierten Menschenrechten bedeutet dies zusätzlich eine unabhängige überstaatliche Kontrolle im Einzelfall nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs, um den Rechtsschutz gerade dann zu sichern, wenn die einzelstaatlichen Gerichte Inhalt und Bedeutung der international verankerten Menschenrechte verkennen. Dieses Anliegen steht auch im Mittelpunkt der Debatte über eine Reform des Menschenrechtsschutzsystems des Europarates, in dessen Zentrum der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) steht. Der vorliegende Beitrag behandelt dabei auch die Rolle unabhängiger Nationaler Menschenrechtsinstitutionen (National Human Rights Institutions, NHRIs) im Gefüge des europäischen Menschenrechtsschutzsystems Als langjähriger Kuratoriumsvorsitzender des Deutschen Instituts für Menschenrechte, der deutschen Nationalen Menschenrechtsinstitution, hat Eibe Riedel stets auch dieser Brückenfunktion von NHRIs große Bedeutung beigemessen. Die seit 2009 andauernde Debatte um eine Reform des EGMR ist mit der Erklärung von Brighton vom April 2012 zu einem (vorübergehenden) Halt gekommen. Bis Ende 2013 soll das Ministerkomitee Protokolle für die vereinbarten Änderungen der EMRK (Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips und der Doktrin vom Beurteilungsspielraum, Verkürzung der Beschwerdefrist sowie optional die Möglichkeit für Gutachtenanträge beim Gerichtshof durch innerstaatliche Gerichte) ausarbeiten. Für Ende 2015 ist eine Evaluierung der unter dem Aktionsplan von Interlaken ergriffenen Maßnahmen vorgesehen. Ebenso soll das Ministerkomitee bis dahin eine vorläufige Position zu der Frage erarbeiten, ob eine grundlegende Änderung des Konventionssystems erforderlich ist. Hierüber soll bis 2019 entschieden werden. Der vorliegende Beitrag zeichnet diese Entwicklung nach (B.) und bewertet die bislang erzielten Er-

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gebnisse in den zentralen Reformbereichen (C.). In einem Ausblick wird danach gefragt, welche Richtung die Debatte jenseits der Umsetzungsschritte von Brighton nehmen sollte (D.).

B. Die Entwicklung der Debatte Die Debatte um eine Reform des europäischen Menschenrechtsschutzsystems reicht bis zum Anfang der 1990er Jahre zurück. Dies hat zwei strukturelle Gründe. Zum einen hat die Anzahl der Vertragsstaaten schrittweise zugenommen und damit auch die Anzahl der möglichen Beschwerdeführenden. Zum anderen erfährt der EGMR den Fluch des Erfolges: Je häufiger er Menschenrechtsverletzungen durch einen Vertragsstaat feststellt, desto mehr wird er in der öffentlichen Wahrnehmung zur letzten Hoffnung für Betroffene. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner jetzigen Gestalt ist daher – nicht überraschend - bereits das Ergebnis von Reformdebatten. Die Schaffung eines ständigen Gerichtshofs durch das 11. Zusatzprotokoll war die Antwort auf die angewachsene Belastung des Gerichts und die zu erwartende Zunahme von Individualbeschwerden im Zuge des Beitritts der mittelund osteuropäischen Staaten nach dem Zerfall des Ostblocks und der Sowjetunion. Auch in der Folgezeit wurden Reformdebatten immer wieder durch die Überlastung des Gerichts ausgelöst. Die aktuelle Reformdebatte begann im Jahr 2009, als absehbar wurde, dass die Verbesserungen durch das 14. Zusatzprotokoll dem System nur eine vorübergehende Entlastung verschaffen würden (hierzu unter 1.). Mit den Erklärungen von Interlaken (2010), Izmir (2011) und Brighton (2012) vereinbarten die Staaten des Europarates weitere Reformschritte (hierzu unter II.). I. Vorgeschichte: Reformen durch das 11. und das 14. Zusatzprotokoll Die Belastung der Kontrollorgane im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – bis 1995 der Europäischen Kommission für Menschenrechte und des EGMR – löste bereits Anfang der 1980er Jahre eine Debatte über die Reform des Kontrollmechanismus aus.1 In deren Verlauf verlor die Einschätzung an Unterstützung, wonach der stärker politische Charakter des bisherigen Systems, insbesondere durch Beteiligung der Kommission und deren Streben nach einer gütlichen Einigung sowie die quasi-gerichtlichen Funktionen des Ministerkomitees,2 eine Stärke

1

Zahlen zur Belastung der Konventionsorgane bei Peukert, Vorschläge zur Reform des Europäischen Menschenrechtsschutzsystems, EuGRZ 1993, 173 (181). 2 Nach Art. 32 EMRK (in der Fassung bis zum 11. ZP) entschied das Ministerkomitee in Individualbeschwerden über das Vorliegen einer Verletzung, wenn der Fall nicht vor den Gerichtshof gebracht wurde. In der Praxis nahm das Ministerkomitee dabei den Bericht der Kommission an.

Zur Reform des Europäischen Menschenrechtsschutzsystems

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des bisherigen Systems sei.3 Ein wichtiger Faktor war das 1990 angenommene 9. Zusatzprotokoll.4 Es hatte den Charakter des Verfahrens fundamental geändert, indem es dem Beschwerdeführer das Recht einräumte, den Gerichtshof anzurufen, und damit seine Rechtsdurchsetzung unabhängig von der Entscheidung der Kommission über die Befassung des Gerichtshofs gemacht. Stieß das 9. Zusatzprotokoll anfangs noch auf Skepsis bei einzelnen Staaten,5 so wurde es doch schnell zur Messlatte für die Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses zu den Grundwerten des Europarates und damit zum Kriterium für den Beitritt eines Staates zu der Organisation.6 Die im 11. Zusatzprotokoll7 niedergelegte Entscheidung, die Kommission abzuschaffen und der Gerichtshof zu einem ständig tagenden Organ zu machen, war insofern nur ein konsequenter Schritt. Ermöglicht wurde sie durch die in den Verhandlungen erreichte, dogmatisch schwierig einzuordnende Lösung, nicht nur während des Verfahrens vor einer Kammer die Abgabe des Falles an die Große Kammer zu erlauben (Art. 30 EMRK), sondern auch nach Abschluss des Kammerverfahrens die Große Kammer anrufen zu können (Art. 43 EMRK).8 Dies soll die Kohärenz der Rechtsprechung sichern und gewährleisten, dass nur die Große Kammer über schwerwiegende Fragen der Auslegung oder Anwendung der Konvention und ihrer Protokolle bzw. schwerwiegende Fragen von allgemeiner Bedeutung entscheidet. Die Absicht, den Gerichtshof zu entlasten, wird also durch das 11. Zusatzprotokoll aus rechtsstaatlichen Gründen nicht absolut gesetzt. Vielmehr sieht Art. 43 Abs. 1 EMRK eine Doppelbefassung des Gerichtshofs vor, um dem Allgemeininteresse an einer einheitlichen Rechtsprechung Rechnung zu tragen. Es ist bezeichnend für das Gewicht dieses rechtsstaatlichen Arguments, dass es auch in den folgenden Reformdebatten nicht in Frage gestellt wurde. Mit dem 14. Zusatzprotokoll9 reagierten die Vertragsstaaten nicht nur auf die gestiegenen Fallzahlen,10 sondern auch auf die Erkenntnis, dass 90 % dieser Beschwer3 Hierzu genauer: Rudolf, Das Projekt eines ZP über die Reform der Kontrollmechanismen der EMRK, EuGRZ 1994, 53 (54). 4 Vom 6. 11. 1990, ETS Nr. 140. Es trat allerdings erst am 1. 10. 1994, und damit nach der Verabschiedung des 11. ZP, in Kraft. 5 Frankreich, Griechenland und die Türkei ratifizierten es nicht, ; durch das In-Kraft-Treten des 11. ZP erübrigte sich die Ratifikation schließlich. 6 Wiener Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarats, vom 9. 10. 1993, § 6, . 7 Vom 11. 5. 1994, ETS Nr. 155. 8 Zu den Hintergründen Rudolf (Fn. 3), 54 f. und 57. 9 Vom 12. 5. 2009, CETS Nr. 194. Eingehende Analyse bei Egli, Protocol No. 14 to the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms: Towards a More Effective Control Mechanism?, J. of Transnat’l L. & Policy 17 (2007), 1. 10 Der Gerichtshof hatte in 44 Jahren (bis zur Arbeitsaufnahme des ständigen Gerichtshofs) 38.389 Entscheidungen und Urteile gefällt; in den folgenden fünf Jahren entschied der Gerichtshof in 61.633 Fällen. Im Jahr 2003 konnte der Gerichtshof monatlich 1.500 Fälle erle-

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den unzulässig und von den übrigen 10 % der Beschwerden 60 % Wiederholungsfälle waren, d. h. eine vom Gerichtshof bereits entschiedene Rechtsfrage betrafen.11 Die Antwort bestand darin, dass ein/e einzelne/r Richter/in nunmehr darüber entscheidet, eine Beschwerde gemäß Art. 32 EMRK als unzulässig abzuweisen bzw. gemäß Art. 37 EMRK im Register zu streichen, wenn diese Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann. Der/die Einzelrichter/in darf dabei nicht in Fällen tätig werden, die den Staat betreffen, für den er/sie gewählt wurde (Art. 26 Abs. 3 EMRK). Ausschüsse, die aus drei Richter/innen zusammengesetzt sind, können einstimmig über die Zulässigkeit einer Beschwerde entscheiden und über ihre Begründetheit entscheiden, wenn eine gefestigte Rechtsprechung zu der entscheidungserheblichen Rechtsfrage besteht (Art. 28 EMRK). Darüber hinaus wurde ein neues Zulässigkeitskriterium eingeführt: eine de minimis-Regel, die jedoch nicht greift, wenn die Achtung der Konventionsrechte eine materielle Prüfung erfordert oder innerstaatlich keine hinreichende gerichtliche Überprüfung erfolgt ist (Art. 35 Abs. 3 b) EMRK). Zudem wurde die Umsetzungskontrolle gestärkt: Das Ministerkomitee erhielt die Befugnis, einen Staat wegen Nichterfüllung eines Urteils erneut vor den Gerichtshof zu bringen. Stellt der Gerichtshof die Nichtbefolgung fest, so beschließt das Ministerkomitee über die zu ergreifenden Maßnahmen (Art. 46 Abs. 4 und 5 EMRK). Das 14. Zusatzprotokoll konnte wegen des Widerstands Russlands zunächst nur zwischen den übrigen Europaratsstaaten vorläufig in Kraft gesetzt werden.12 Die – lange Zeit unsichere – Ratifikation durch Russland erfolgte erst zu Beginn der Konferenz von Interlaken, also als die Reformdebatte bereits einen Schritt weitergekommen war. Festzuhalten ist das zentrale Anliegen, den Gerichtshof effektiver zu machen, ohne auf richterliche Entscheidung in allen wichtigen Entscheidungsphasen zu verzichten: bei der Entscheidung über die offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit ebenso wie auch in Wiederholungsfällen bei der Entscheidung über die Zulässigkeit und Begründetheit. Hervorzuheben ist außerdem die Stärkung der Umsetzungskontrolle durch die Schaffung eines Vertragsverletzungsverfahrens, das freilich bislang ungenutzt geblieben ist. II. Interlaken – Izmir – Brighton: Die Etappen der Reformdebatte Drei hochrangige Staatenkonferenzen, organisiert von der jeweiligen Präsidentschaft des Europarates, bilden die sichtbaren Etappen der Reformdebatte. Weitere digen; dem stand ein monatlicher Eingang von 2.300 Fällen gegenüber, siehe Erläuternder Bericht zum 14. Zusatzprotokoll, § 5. . 11 Erläuternder Bericht zum 14. Zusatzprotokoll (Fn. 10), § 7. 12 Durch Protokoll 14bis, vom 27. 5. 2009, CETS Nr. 204. Zum Hintergrund Bowring, The Russian Federation, Protocol No. 14 (and 14bis), and the Battle for the Soul of the ECHR, GoJIL 2 (2010), 589.

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Konferenzen sind nach der jüngsten Konferenz in Brighton nicht geplant. Ausstehende Entscheidungen sollen im Ministerkomitee getroffen werden und von dessen Lenkungsausschuss für Menschenrechte (CDDH) vorbereitet werden. Die Beteiligung von Zivilgesellschaft und Nationalen Menschenrechtsinstitutionen stellte sich als schwierig dar. NGOs sind über die Konferenz der Internationalen NGOs des Europarates beteiligt und hatten über diese Rederecht auf den Konferenzen; an den Verhandlungen im CDDH beteiligen sich indes nur einige große NGOs (insbesondere amnesty international, Interrights, The AIRE Centre). Nationale Menschenrechtsinstitutionen haben seit 2001 Beobachterstatus im CDDH und nehmen kontinuierlich über eine/n Vertreter/in der Europäischen Gruppe der NRHIs an dessen Sitzungen zur Reform des EGMR teil. Bei den Verhandlungen über Textentwürfe waren Zivilgesellschaft und Nationale Menschenrechtsinstitutionen aber nicht systematisch eingebunden.13 Umfang und Zeitpunkt ihrer Einbeziehung hing stark vom jeweiligen Vorsitz des Europarates ab; das Rederecht für Nationale Menschenrechtsinstitutionen musste jedes Mal erneut erkämpft werden. Zu Beginn der Verhandlungen über das erste Reformdokument, die Erklärung von Interlaken, stellte sich die Lage für den Gerichtshof wie folgt dar:14 119.289 Fälle waren vor einer gerichtlichen Formation (Einzelrichter, Ausschuss oder Kammer) anhängig, davon wurden 57.100 im Jahr 2009 neu zugeteilt. Rund 20.000 Fälle waren noch im Vorstadium, gut 11.650 Fälle wurden von den Beschwerdeführenden nicht weiter verfolgt und daher administrativ beendet. Gut 33.000 Beschwerden wurden für unzulässig erklärt oder im Register gestrichen. Der Gerichtshof traf 2.141 Zulässigkeitsentscheidungen und fällte 1.625 Urteile. 1. Die Erklärung von Interlaken (2010) Die Erklärung von Interlaken15 ist ein mit einem Zeitplan verbundener Aktionsplan. Dieser beginnt mit einem Bekenntnis zum Recht auf Individualbeschwerde (Teil A) und betont, dass die Reformmaßnahmen es dem Gerichtshof ermöglichen sollen, seine Kernaufgabe als Garant der Menschenrechte zu erfüllen. Sodann hebt die Erklärung die Verantwortlichkeit der Staaten für das Funktionieren des europäischen Menschenrechtsschutzsystems durch systematische innerstaatliche Anwendung und Umsetzung der EMRK hervor (Teil B). Hierfür muss das Wissen um die Konvention verbreitet werden; auch müssen die gegen den Staat ergangenen Urteile befolgt und aus Urteilen gegen andere Staaten die notwendigen Schlussfol13 Siehe die Kritik im offenen Brief von 7 NGOs, vom 8. 3. 2012, . 14 Annual Report 2009 of the European Court of Human Rights, Council of Europe, 2010, S. 139 und 143, . 15 Vom 19. 2.2010, .

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gerungen gezogen sowie geeignete innerstaatliche Rechtsmittel bei behaupteter Menschenrechtsverletzung geschaffen werden. Sodann blickt die Erklärung auf das Funktionieren des Gerichtshofs. Sie fordert eine Verbesserung des Filtermechanismus kurzfristig durch organisatorische Maßnahmen innerhalb des Gerichtshofs sowie die Entwicklung weiterer Schritte durch das Ministerkomitee (Teil C). In Bezug auf Wiederholungsfälle (Teil D) sind die Staaten zur gütlichen Einigung und zusammen mit dem Ministerkomitee zur besseren Zusammenarbeit bei der Umsetzung von Piloturteilen aufgerufen. Zusätzlich soll das Ministerkomitee prüfen, ob die Entscheidung über Wiederholungsfälle auf die für das Filtern von Fällen zuständigen Richter/innen übertragen werden soll. Der Gerichtshof wird in Teil E ermahnt, nicht erneut eine tatsächliche Prüfung vorzunehmen, die bereits auf nationaler Ebene erfolgt ist, und die Zulässigkeitskriterien, einschließlich der durch das 14. Zusatzprotokoll eingeführten, rigoros und gemäß dem Grundsatz der Subsidiarität anzuwenden. Bei der Umsetzung von Urteilen soll das Ministerkomitee Fälle, die dringender Maßnahmen bedürfen, sowie Urteile, bei denen größere strukturelle Probleme festgestellt wurden, vorrangig und mit größerer Sichtbarkeit behandeln (Teil F). Schließlich soll das Ministerkomitee die Möglichkeit eines Zusatzprotokolls ausloten, durch das Änderungen der Konvention bei organisatorischen Fragen vereinfacht werden können, etwa durch ein Statut des Gerichtshofs (Teil G). Dieser Aktionsplan ist mit einem Zeitplan für seine Umsetzung verbunden: Bis Juni 2011 soll das Ministerkomitee die Maßnahmen umsetzen, die keiner Konventionsänderung bedürfen. Bis Ende 2011 haben die Vertragsstaaten dem Ministerkomitee über die von ihnen ergriffenen Umsetzungsmaßnahmen zu berichten. Bis Juni 2012 soll das Ministerkomitee konkrete Vorschläge für Maßnahmen unterbreiten, die einer Konventionsänderung bedürfen, insbesondere bzgl. des Filtermechanismus und der Verfahren zur vereinfachten Konventionsänderung. Bis Ende 2015 soll das Ministerkomitee die Umsetzung des 14. Zusatzprotokolls und des Aktionsplans von Interlaken evaluieren und über das Erfordernis weiterer Maßnahmen entscheiden. Vor Ende 2019 soll es dann im Lichte aller ergriffenen Maßnahmen entscheiden, ob hierdurch die Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs nachhaltig gesichert ist oder grundlegendere Änderungen notwendig sind. Die Erklärung von Interlaken gab der andauernden Debatte um eine Reform des EGMR positive Impulse: Durch ihren straffen Zeitplan fokussierte sie die Reformdebatte und schob zugleich die Diskussion über eine grundlegende Änderung des Konventionssystems, d. h. über eine Abschaffung des Rechts auf Individualbeschwerde, auf das Jahr 2019 auf. Sie stellt sicher, dass für die Entscheidung über einige der zentralen Fragen, etwa der nach einem Statut des Gerichtshofs oder nach zusätzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen, hinreichendes Wissen generiert und Optionen entwickelt werden. Zu begrüßen ist auch, dass die Entscheidungen auf Evaluierungen beruhen sollen. Allerdings bleibt die Erklärung hinsichtlich der Frage, wie diese durchzuführen sind, vage. Insbesondere fällt auf, dass im Hinblick auf die Evaluierung der von den Staaten ergriffenen Maßnahmen eine Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Ohne eine solche Beteiligung

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kann aber das Ministerkomitee kein ausgewogenes Bild von der Wirksamkeit innerstaatlicher Maßnahmen gewinnen. 2. Die Erklärung von Izmir (2011) Die Subsidiarität der Beschwerde zum EGMR dominierte die Verhandlungen über die Erklärung von Izmir und die Konferenz in Izmir. Zahlreiche Staaten vertraten die Ansicht, dass der Gerichtshof aus Gründen der Subsidiarität die Entscheidungen innerstaatlicher Gerichte und Parlamente zu achten habe. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Margin-of-Appreciation Doktrin verwiesen und die Achtung der kulturellen Vielfalt der Konventionsstaaten eingefordert. Damit verbunden waren die Kritik, dass der Gerichtshof sich, gerade in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, als „Superberufungsinstanz“ betätige, und die Ermahnung, er solle sich bei der erneuten Überprüfung von Tatsachen- und Rechtsfragen zurückhalten. Vor diesem Hintergrund ist die im April 2011 verabschiedete Erklärung von Izmir16 ein geradezu zahmes Dokument, das sich nur wenig dieser Fundamentalkritik zu eigen macht. Die Erklärung versteht sich als Umsetzungsplan („Follow-up Plan“) zum Aktionsplan von Interlaken. Dementsprechend folgt ihr Aufbau im Wesentlichen dem der Erklärung von Interlaken, ergänzt um einen neuen Teil D zur Möglichkeit für das oberste innerstaatliche Gericht, in einem laufenden Verfahren beim EGMR ein Gutachten einzuholen, und um einen Teil I zum Beitritt der EU zur EMRK. Inhaltlich hingegen schlägt die Erklärung von Izmir einen deutlich kritischeren Ton gegenüber dem Gerichtshof an, der auch in Stellungnahmen von Regierungsvertretern auf der Konferenz laut wurde. Wie die Diskussionen im Vorfeld und auf der Konferenz konzentriert sich die Erklärung auf Maßnahmen, die beim Gerichtshof zu ergreifen sind, um mit der Menge an Beschwerden umzugehen. Die Verantwortlichkeit der Staaten für die innerstaatliche Anwendung und Durchsetzbarkeit der EMRK wird hingegen nur in einem knappen Abschnitt behandelt. Dabei werden die Umsetzungsberichte, die die Staaten bis Ende 2011 vorlegen sollten, lediglich dahingehend konkretisiert, dass sie die geplanten Schritte zum Umgang mit festgestellten Mängeln benennen sollen. Weitere inhaltliche Vorgaben oder Festlegungen des weiteren Verfahrens im Ministerkomitee, einschließlich einer begleitenden Kontrolle der innerstaatlichen Umsetzungsschritte, fehlen. 3. Die Erklärung von Brighton Der Erklärung von Brighton,17 die die Staaten des Europarats am 20. April 2012 verabschiedeten, ist nicht anzusehen, welche dramatischen Verhandlungen ihr vor16 Vom 27.4.2011, . 17 Vom 20.4.2012, .

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ausgingen. Die britische Regierung hatte im Vorfeld Vorschläge ventiliert, die insbesondere unter dem Stichwort „Subsidiarität“ den Handlungsspielraum des Gerichtshofs erheblich beschränken sollten. Hierzu gehörten etwa Überlegungen, dass Entscheidungen des Gerichtshofs bei einer erneuten, die festgestellte Rechtsverletzung bestätigenden Entscheidung eines nationalen Parlaments keinen Bestand haben sollten, oder die Beschränkung seiner Entscheidungsbefugnis auf evident konventionswidrige nationale Urteile.18 Auch hatte die britische Regierung im März 2011 eine Kommission zur Frage der Schaffung einer British Bill of Rights eingesetzt,19 die von ihren Befürwortern als Ersatz für die EMRK betrachtet wird.20 Auslöser dieser Entwicklungen waren einige, in der britischen Medienöffentlichkeit mit Unverständnis aufgenommene Urteile gegen das Vereinigte Königreich, so zum Wahlrecht für Strafgefangene und zum Verbot der Ausweisung von Hasspredigern, denen im Heimatland Folter drohte. Für die Zeit ihrer Präsidentschaft im Europarat stand die britische Regierung daher unter erheblichem Druck. Dennoch – oder gerade deshalb? – führte sie eine sehr intensive, auch die Zivilgesellschaft und die Europäische Gruppe der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen einbeziehende Diskussion, in denen sie nach konstruktiven Lösungen suchte.21 Einige Staaten, darunter Deutschland, setzten sich mit allem Nachdruck und erfolgreich dafür ein, dass sich die problematischen Vorschläge weitgehend nicht in der Erklärung wiederfanden. Die Verhandlungsdynamik veränderte sich nicht zuletzt dadurch grundlegend, dass der Gerichtshof gewaltige Fortschritte beim Abarbeiten des Rückstaus an Beschwerden melden konnte, der nach seiner Einschätzung bis 2015 abgebaut sein wird. Die Erklärung von Brighton beginnt mit einem Bekenntnis zur EMRK und dem Recht auf Individualbeschwerde. Sie hebt die gemeinsame Verantwortung von Mitgliedstaaten und Gerichtshof auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips hervor. Dieses wird sodann aber dahingehend erläutert, dass der EGMR Schutz bei Verletzungen gewährleisten soll, denen auf einzelstaatlicher Ebene nicht abgeholfen wurde, und dass die Staaten zur Befolgung der Urteile verpflichtet sind. Damit wird die bisherige Stellung und Funktion des Gerichtshofs bekräftigt. Es schließen sich sechs Teile zu den einzelnen Reformbereichen an. Der erste Teil (A) betrifft die Umsetzung der Konvention auf nationaler Ebene. Hierzu gehören die Anpassung von Recht und Rechtsprechung an die EMRK, die Bereitstellung von Rechtsbehelfen bei Verstößen sowie die Schaffung Nationaler Menschenrechtsinstitutionen, Teil B betrifft das Zusammenspiel von Gerichtshof und Organen der Konventionsstaaten. Er 18

The Guardian, 17.4.2012, . 19 Siehe . 20 The Guardian, 18.3.2011, http://www.guardian.co.uk/law/2011/mar/18/deadlock-bill-ofrights-commission. Siehe auch Geoffrey Robertson, The Mail on Sunday (17.4.2011), http:// www.dailymail.co.uk/debate/article-1377729/David-Cameron-right-We-need-Bill-Rights.html. 21 Zentral war dabei eine Konferenz in Wilton Park („A 2020 Vision for the European Court of Human Rights“) im November 2011, auf die die Erklärung von Brighton auch Bezug nimmt.

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betont den Einschätzungsspielraum der Staaten (margin of appreciation) und die damit verbundene Kontrolle durch den EGMR. Die Präambel der Konvention soll um die Prinzipien der margin of appreciation und der Subsidiarität ergänzt und die Möglichkeit für einzelstaatliche Gerichte geschaffen werden, in einem laufenden Verfahren ein Gutachten zu einer konkreten Rechtsfrage zu beantragen. Teil C behandelt die Zulässigkeitskriterien mit dem erklärten Ziel, dem Gerichtshof zu ermöglichen, sich auf die Fälle zu konzentrieren, in denen die behauptete Verletzung im Prinzip oder wegen ihrer Bedeutung seiner Befassung bedarf. Hierzu werden insbesondere die Verkürzung der Beschwerdefrist von sechs auf vier Monate, eine striktere Handhabung der Befristungsregelung durch den EGMR und eine bessere und einheitlichere Anwendung der Zulässigkeitsvoraussetzungen genannt. Außerdem soll der Gerichtshof auf Wunsch eines Staates generell über die Effektivität eines innerstaatlichen Rechtsmittels entscheiden können. In Teil D werden die organisatorischen Möglichkeiten, um der unzulässigen Beschwerden Herr zu werden, behandelt. Hierbei wird vorrangig der Ausbau der Pilotverfahren vorgeschlagen, aber auch die Ernennung zusätzlicher Richter mit anderen Aufgaben und anderer Amtszeit und die Möglichkeit von Verfahren vor einem Dreierausschuss nach Art. 28 Abs. 1 EMRK auch dann, wenn die gefestigte Rechtsprechung gegenüber einem anderen Mitgliedstaat entwickelt wurde. Der Vorschlag, ein Statut für den Gerichtshof auszuarbeiten, wird hingegen nur noch am Rande erwähnt. In Teil E klingt zunächst deutliche Kritik am Gerichtshof an, sowohl hinsichtlich der Qualifikation der Richter/innen als auch in Bezug auf die Klarheit und Konsistenz der Rechtsprechung. Die Empfehlungen sind dann aber eher harmlos – Lob für das neue Verfahren der Richterauswahl, insbesondere die Beteiligung des beratenden Sachverständigengremiums, Möglichkeit der Abgabe des Falles an die Große Kammer unabhängig vom Einspruch einer der Parteien und Abschaffung der Altersgrenzen für die Richter/innen. Konfliktträchtiger ist Teil F zur Urteilsvollstreckung. Darin werden die stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente, größere Transparenz über die Aktionspläne zur Umsetzung eines Urteils sowie über die Sitzungen des Ministerkomitees, eine stärkere Befassung der Parlamentarischen Versammlung mit der Umsetzung und zusätzliche, noch zu entwickelnde Maßnahmen des Ministerkomitees gegen säumige Staaten empfohlen. Teil G greift das in der Erklärung von Interlaken für 2019 vorgesehene Nachdenken über etwa gebotene grundlegende Änderungen des europäischen Menschenrechtsschutzsystems auf. Hierzu soll das Ministerkomitee bis Ende 2012 ein Verfahren beschließen und bereits bis 2015 eine vorläufige Position erarbeiten. Schon jetzt wird deutlich, dass die Rolle des Gerichtshofs in der Behandlung systemischer, weit verbreiteter oder schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen gesehen wird. Die Erklärung von Brighton markiert den vorläufigen Endpunkt der hochrangigen Konferenzen, durch die die Reform vorangebracht werden soll. Die in den früheren Erklärungen und in ihr vorgesehenen weiteren Reformschritte liegen nunmehr wieder in den Händen des Ministerkomitees. Angesichts der anstehenden wichtigen Ent-

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scheidungen dieses Gremiums ist es unerlässlich, dass dessen Verhandlungen und Überlegungen in die (Fach-)Öffentlichkeit getragen werden und sich die nationalen Parlamente, einzeln und über die Parlamentarische Versammlung, sowie die Nationalen Menschenrechtsinstitutionen und zivilgesellschaftliche Akteure kritisch beteiligen.

C. Bewertung der zentralen Reformschritte Aus menschenrechtlicher Perspektive bemisst sich der Erfolg der Reformmaßnahmen, die im Interlaken-Prozess vereinbart wurden, danach, ob sie zu einer Verbesserung des Menschenrechtsschutzes in den Staaten des Europarates beitragen. Die Entlastung des Gerichtshofs ist daher nur ein – wenn auch wesentlicher – Schritt; dies jedoch nur, wen er nicht mit Verkürzungen des Rechtsschutzes erkauft wird. Deshalb müssen, wie die Erklärung von Brighton bekräftigt, Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene ergriffen werden, die dort die Beachtung der EMRK sichern (hierzu unter I.). Die auf der Ebene des Gerichtshofs ergriffenen Maßnahmen müssen sich daran messen lassen, ob sie die zentrale europäische Errungenschaft – die Individualbeschwerde – als wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf bei möglichen Menschenrechtsverletzungen erhalten (hierzu unter II.). Da die Vollstreckung von Gerichtsurteilen elementarer Bestandteil eines fairen Verfahrens ist,22 sind die vorgesehenen Schritte zur Stärkung der Umsetzungskontrolle positiv zu bewerten, wenn sie erwarten lassen, dass sie die Befolgung von Urteilen deutlich befördern (hierzu unter III.). I. Beachtung der EMRK auf innerstaatlicher Ebene Es bestehen zwei Wege, um auf der Ebene der Konventionsstaaten die Beachtung der EMRK zu stärken, einerseits – nachträglich – die Stärkung der innerstaatlichen Anwendung der Konventionsrechte in Gerichtsverfahren und andererseits – präventiv – die Anpassung des innerstaatlichen Rechts an die Anforderungen der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle. In beiden Fällen kommt es darauf an, das in der Rechtsprechung des EGMR entwickelte Verständnis der Konventionsrechte zum Tragen zu bringen. Es genügt daher nicht, die Garantien der EMRK innerstaatlich anwendbar zu machen, sei es durch Inkorporation oder durch Transformation, sondern es muss auch sichergestellt werden, dass den Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsorganen die Auslegung des EGMR bekannt ist und sie diese anwenden – oder sich zumindest kritisch mit dieser auseinandersetzen.

22 St. Rspr. seit EGMR, Hornsby ./. Griechenland, Beschw.-Nr. 18357/91, Urt. vom 19. 3. 1997, § 40.

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1. Beachtung der EMRK in gerichtlichen Verfahren Für den nachträglichen Menschenrechtsschutz in gerichtlichen Verfahren bedarf es dreierlei: erstens eines Gerichtssystems, das rechtsstaatliche Anforderungen erfüllt, zweitens der innerstaatlichen Verfahren, in denen die Verletzung der EMRK geltend gemacht werden kann, und drittens der Kenntnis der Rechtsprechung des EGMR in der Richterschaft. Die Erklärungen von Interlaken bis Brighton gehen nur auf die beiden letztgenannten Aspekte ein. Da die Anwendbarkeit der Garantien der EMRK in innerstaatlichen Verfahren von der jeweiligen Verfassungsordnung abhängt, beschränken sich die Erklärungen auf die allgemeine Empfehlung, innerstaatliche Gerichte in die Lage zu versetzen und dazu zu ermutigen, die EMRK in Verfahren und Entscheidungen zu berücksichtigen.23 Außerdem sollen sie verfahrensrechtlich sicherstellen, dass die Verletzung der EMRK vor Gericht gerügt werden kann. Dies kann durch die Einführung neuer Rechtsbehelfe „spezifischer oder genereller Art“ erreicht werden.24 Allerdings ist die Formulierung der Erklärungen von Izmir und Brighton gegenüber der Erklärung von Interlaken schwächer, indem sie nicht mehr ausdrücklich diese Rechtsbehelfe als individuelle bezeichnen, also für Personen, die in vertretbarer Weise eine Rechtsverletzung behaupten („arguable claim“). Dies ist angesichts des Charakters von Menschenrechten als Individualrechte unbefriedigend. Auch die von der Erklärung von Brighton vorgesehene Möglichkeit für innerstaatliche Gerichte, in einem laufenden Verfahren beim Gerichtshof ein Gutachten zu einer Frage der Auslegung der Konvention zu beantragen,25 ist kein hinreichender Ausgleich. Es ist nämlich nicht vorgesehen, dass Staaten diese Option anerkennen müssen, wenn sie keine innerstaatlichen Rechtsbehelfe bereit stellen, in denen eine EMRK-Verletzung gerügt werden kann, Ebenso wenig ist vorgesehen, dass die von der behaupteten Rechtsverletzung betroffene Person den Antrag auf einen solchen Gutachtenantrag durch das innerstaatliche Gericht stellen kann. Wenn das Ministerkomitee bis Ende 2015 die Umsetzung des Aktionsplans von Interlaken ernsthaft evaluieren soll, dann muss es sich mit den Maßnahmen, die die Konventionsstaaten nach ihrem Selbstbericht ergriffen haben, kritisch auseinandersetzt. Hierfür muss es sich genaue Kenntnisse über die im einzelstaatlichen Recht bestehenden Möglichkeiten für Betroffene, eine Konventionsverletzung gerichtlich geltend zu machen, und über deren tatsächliche Wirksamkeit verschaffen. Soweit solche Rechtsbehelfe nicht bestehen oder unwirksam sind, sollte das Ministerkomitee dem jeweiligen Staat empfehlen, eine der beiden genannten Optionen zu wählen. Dies sollte so frühzeitig erfolgen, dass die Auswirkung dieser Entscheidung in die Evaluierung und damit auch in die Entscheidung über weitergehende Reformen 23

Erklärung von Brighton (Fn. 16), A. 9. c) (iv). Erklärung von Interlaken (Fn. 14), B. 4. d) und Erklärung von Brighton (Fn. 16), A. 9. c) (iii). 25 Erklärung von Brighton (Fn. 16), B. 12. d). 24

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des EGMR einfließen kann. Andernfalls besteht die Gefahr einer grundlegenden Änderung des europäischen Menschenrechtsschutzsystems, weil einzelne Staaten ihrer vorrangigen Verantwortung für den Schutz der Konventionsrechte nicht gerecht werden. Die Erklärungen von Izmir und Brighton konkretisieren außerdem die in der Erklärung von Interlaken nur sehr allgemein gehaltene Empfehlung, das Bewusstsein der Staatsorgane für die EMRK zu stärken, dahingehend, dass das Recht der EMRK in die Aus- und Fortbildung von Richter/innen, Staatsanwält/innen und Rechtsanwält/innen integriert werden soll.26 Nationale Menschenrechtsinstitutionen können hierbei eine wichtige Rolle spielen, sowohl durch Förderung und Monitoring der Umsetzung dieser Empfehlungen als auch durch die Ausarbeitung und Erprobung von Aus- und Fortbildungsmodulen, ggf. in Kooperation mit Aus- und Fortbildungsstätten für diese Berufsgruppen.27 Deshalb empfiehlt die Erklärung von Brighton den Staaten auch die Schaffung Nationaler Menschenrechtsinstitutionen28 und geht damit über die Erklärung von Interlaken hinaus, die lediglich die Zusammenarbeit des Staates mit NHRIs in diesem Bereich „wo angezeigt“ empfahl.29 Die rechtsstaatlichen Anforderungen an Gerichtsbarkeit bleiben hingegen in den Erklärungen von Interlaken bis Brighton weitgehend ausgeblendet. Lediglich die Erklärung von Brighton enthält Verweise auf die technische Hilfe, die der Europarat leistet,30 nicht aber Regelungen darüber, dass das Ministerkomitee einzelnen Staaten solche Hilfe empfehlen oder gar anordnen kann. Ohne hinreichende finanzielle Ausstattung innerstaatlicher Gerichte, Absicherung der Unabhängigkeit der Richterschaft und wirksame Bekämpfung von Korruption kann kein Gerichtssystem das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen und erhalten. Mangelndes Vertrauen führt dazu, dass Beschwerden direkt an den EGMR gerichtet werden, der als überstaatliches Gericht die letzte Hoffnung für Betroffene ist. Das bewirkt nicht nur die weitere Überlastung des EGMR (unabhängig davon, ob die Beschwerde letztlich für unzulässig oder wegen fehlender effektiver innerstaatlicher Rechtsbehelfe für zulässig erklärt wird), sondern verkehrt bei zulässigen Beschwerden auch den Grundgedanken des europäischen Menschenrechtsschutzsystems in sein Gegenteil: die vorrangige Verantwortung der Vertragsstaaten für den Schutz der Konventionsrechte, die alle drei Erklärungen betonen. Auch insoweit muss also in dem Verfahren der Evaluierung des Aktionsplans von Interlaken durch das Ministerkomitee sichergestellt werden, dass die Staaten wirksame Maßnahmen zur Wahrung der rechtsstaatlichen Anforderungen an Gerichtsbarkeit ergreifen. Andernfalls besteht auch insoweit 26

Erklärung von Izmir (Fn. 16), B.1.c); Erklärung von Brighton (Fn. 17), A. 9. c) (vi). Siehe etwa das Projekt „Anwaltschaft für Menschenrechte und Vielfalt“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte, . 28 Erklärung von Brighton (Fn. 16), A. 9. c) (i). 29 Erklärung von Interlaken (Fn. 15), B. 4. a). 30 Erklärung von Brighton (Fn. 16), A. 9. e) und f) (i) sowie (g) (i) – (iii). 27

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die Gefahr grundlegender Änderungen des europäischen Menschenrechtsschutzsystems lediglich deshalb, weil einige Staaten ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, die sie mit dem Beitritt zum Europarat und der Ratifikation der EMRK freiwillig akzeptiert haben. 2. Beachtung der EMRK bei der Rechtsetzung Während Gerichtsverfahren die Beachtung der Konventionsrechte nur nachträglich und im Einzelfall sichern, gewährleistet die systematische Beachtung der EMRK in der Rechtsetzung die generelle Sicherung der garantierten Rechte und verhindert so Verletzungen. Deshalb rief bereits die Erklärung von Interlaken die Staaten auf, sich dazu zu verpflichten, die Rechtsprechung des EGMR sowohl in Urteilen, die gegen sie selbst ergangen sind, als auch die Entscheidungen gegen andere Konventionsstaaten zu berücksichtigen.31 In der Erklärung von Brighton wird dies dahingehend konkretisiert, dass die Regierungen die Parlamente über die Vereinbarkeit von Gesetzentwürfen mit der EMRK informieren sollen.32 Auch die stärkere Rolle der nationalen Parlamente bei der Überwachung der Umsetzung von Urteilen des EGMR33 gehört hierzu (dazu unter III.). Dies entspricht der Einschätzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.34 Sie hat Beispiele guter Praxis nationaler Parlamente zusammengestellt35 und das Ministerkomitee hat ebenfalls Empfehlungen formuliert.36 Selbst in Deutschland erfolgt jedoch kein systematischer Abgleich von Gesetzentwürfen mit den Anforderungen der EMRK, weder auf Ministeriumsebene noch in Bundestag und Bundesrat. Deshalb empfehlen die Erklärungen von Interlaken und Brighton die Fortbildung für Staatsorgane – gemeint sind also Regierung, Abgeordnete und ihre Mitarbeitenden sowie die Verwaltung – über die staatlichen Verpflichtungen aus der EMRK.37 Das Ministerkomitee hat hierzu schon früher Empfehlungen entwickelt.38 31

Erklärung von Interlaken (Fn. 14), B. 4. c). Erklärung von Brighton (Fn. 16), A. 9. c) (ii). Die Erklärung von Izmir griff das Thema nicht auf. 33 Erklärung von Brighton (Fn. 16), F. 29. a) (iii). 34 Res. 1726 (2010) on the Effective Implementation of the ECHR Rights: the Interlaken process, § 5, vom 29. 4. 2010, § 5, . Siehe auch Res. 1823 (2011) „National Parliaments: Guarantors of Human Rights in Europe“, § 2, vom 23. 6. 2011, . 35 Bericht an die Parlamentarische Versammlung „National Parliaments: Guarantors of Human Rights in Europe“ (Berichterstatter: Christos Pourgourides), Dok. 12636 vom 6. 6. 2011, §§ 61 – 89, . 36 Committee of Ministers, Recommendation Rec (2004) 5 on the Verification of the Compatibility of Draft Laws, Existing Laws and Administrative Practice with the Standards Laid Down in the European Convention on Human Rights (May 12, 2004), . 37 Erklärung von Interlaken (Fn. 14), B. 4. a) und Erklärung von Brighton (Fn. 16), A. 9. c) (v). 32

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Nationale Menschenrechtsinstitutionen können in beiderlei Hinsicht eine wichtige Rolle spielen. Ihre Errichtung wird deshalb zu Recht von der Erklärung von Brighton als erste Maßnahme unter den innerstaatlichen Maßnahmen genannt.39 Nationale Menschenrechtsinstitutionen beobachten die Rechtsprechung des EGMR zum eigenen Staat wie zu den anderen Staaten und ziehen hieraus Schlussfolgerungen für die eigene Rechtsordnung, die sie in ihre Politikberatung einfließen lassen. Zugleich können sie einen Beitrag zur Fortbildung der Politikakteure leisten – entweder direkt oder durch die Schulung von Multiplikatoren, durch die Entwicklung von Fortbildungsmodulen und durch Einsatz für die Verankerung solcher Module in den Fortbildungsplänen und den Fortbildungsinstitutionen. Die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Erklärung von Interlaken ergreifen, sollten ebenfalls diesen wichtigen Bereich der innerstaatlichen Beachtung der EMRK erfassen und mit einem konkreten Zeitplan versehen sein. Das Ministerkomitee sollte auch hier sicherstellen, dass Umsetzungsschritte bis 2015 ergriffen worden sind, und deren Wirksamkeit bewerten, um eine sinnvolle Evaluierung der Umsetzung des Aktionsplans von Interlaken vornehmen zu können. II. Reformmaßnahmen auf der Ebene des EGMR Großen Raum in der gesamten Reformdebatte nahmen Überlegungen zu Reformmaßnahmen auf der Ebene des Gerichtshofs selbst ein. Insbesondere wurden neue Zulässigkeitsvoraussetzungen über das 14. Zusatzprotokoll hinaus gefordert, letztlich aber keine erfolgversprechenden Kriterien gefunden, die mit dem Recht auf Individualrechtsschutz vereinbar gewesen wären. Angesichts der geringen Zeit, in der die neuen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach dem 14. Zusatzprotokoll angewendet werden konnten, waren auch deren Auswirkungen noch nicht abzuschätzen. Die Erklärung von Brighton enthält daher mehrere Empfehlungen an den Gerichtshof zur einheitlichen und restriktiven Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen. Sie sind jedoch unverbindlich und schränken daher den Gerichtshof nicht derartig ein, dass er an einer dem wirksamen Menschenrechtsschutz verpflichteten Auslegung gehindert wäre. In Brighton wurde die Verkürzung der Beschwerdefrist auf vier Monate vereinbart und soll bis Ende 2013 textlich umgesetzt werden.40 Damit bleibt – was aus menschenrechtlicher Perspektive entscheidend ist – das Recht auf Individualbeschwerde noch effektiv, was auch den Gerichtshof dazu bewegte, eine signifikante Verkürzung

38 Committee of Ministers, Recommendation Rec (2004) 4 on the European Convention on Human Rights in University Education and Professional Training (May 12, 2004), . 39 Oben Fn. 28. 40 Erklärung von Brighton (Fn. 17), C. 15. a).

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für akzeptabel zu halten.41 Ob dies freilich die Anzahl an Beschwerden senken wird, bleibt abzuwarten; ebenso ist möglich, dass der Zeitdruck zu schlechter begründeten Beschwerden führt. Es wäre wünschenswert, dass der Gerichtshof die Auswirkungen der Verkürzung sorgfältig beobachtet. Die Erklärung von Brighton sieht außerdem an einer entscheidenden Stelle des Kompromisses zum 11. Zusatzprotokoll eine Änderung vor: Die Abgabe eines Falles an die Große Kammer im laufenden Verfahren soll nicht mehr durch den Widerspruch einer Partei verhindert werden können.42 Dies erscheint als sinnvoller Weg, um die Konsistenz der Rechtsprechung des EGMR zu sichern. Der Vorschlag, durch die Erhebung von Prozessgebühren den Zugang auf ernsthafte Beschwerden zu begrenzen, hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. Die abschreckende Wirkung auf mittellose Beschwerdeführende hätte durch die Einführung von Prozesskostenhilfe zumindest teilweise ausgeglichen werden müssen, und dem Gerichtshof wäre entsprechender administrativer Aufwand auferlegt worden. Zusammengenommen mit dem Verwaltungsaufwand für das Eintreiben von Prozesskosten hätte dies die erwünschte Entlastung des Gerichtshofs konterkariert. Auch die Einführung eines Anwaltszwangs von Anfang an wurde verworfen; er hätte wohl auch zu keiner Verbesserung geführt, weil schon jetzt anwaltliche Vertretung nach Zustellung der Beschwerdeschrift an den Staat vorgeschrieben ist43 und auf diesem Wege nicht notwendigerweise die Qualität der Beschwerdeschrift steigt, solange die Kenntnis der Rechtsprechung des EGMR nicht Bestandteil anwaltlicher Ausbildung ist. Auch hinsichtlich der internen Verfahrensweisen des Gerichtshofs zeichnet die Erklärung von Brighton keine Neuregelung durch das Ministerkomitee vor. Dies dürfte auch erklären, warum die Idee eines gesonderten Statuts für den Gerichtshof (einstweilen?) aufgegeben wurde. Für die Pilotverfahren sieht die Erklärung eine Fortentwicklung durch das Ministerkomitee vor,44 auch für eine kleinere Anzahl von gleichartigen Beschwerden.45 An diesen Überlegungen sollten Zivilgesellschaft, insbesondere NGOs mit Erfahrung in der Vertretung von Beschwerdeführenden, sowie NHRIs beteiligt werden, um sicherzustellen, dass das Pilotverfahren allen erfassten Beschwerdeführenden gerecht wird. Sinnvoll erscheint die Empfehlung der Erklärung von Brighton, das Verfahren vor einem Dreierausschuss nach Art. 28 Abs. 1 EMRK auch dann zu ermöglichen, wenn der EGMR seine gefestigte Recht-

41 Preliminary Opinion of the Court in preparation for the Brighton conference, vom 20. 2. 2012, § 37, . 42 Erklärung von Brighton (Fn. 17), E. 25. d). 43 § 36 Abs. 2 VerfO EGMR. 44 Erklärung von Brighton (Fn. 17), D. 20 c). Analyse der Praxis des EGMR bei Breuer, Zur Fortentwicklungen der Piloturteilstechnik durch den EGMR, EuGRZ 2012, 1. 45 Erklärung von Brighton (Fn. 17), D. 20. d).

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sprechung anhand von Fällen gegenüber einem anderen Mitgliedstaat entwickelt hat.46 Wohl die größte Entlastung des Gerichtshofs ist durch die in Brighton vorgesehene Möglichkeit, auf Anforderung des Gerichtshofs zusätzliche Richter/innen zu ernennen, zu erwarten.47 Damit ist der Vorschlag, die Zulässigkeitsentscheidung von den Richter/innen auf die Kanzlei zu übertragen, wohl endgültig abgelehnt. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist dies zu begrüßen: Die richterliche Entscheidung über eine Beschwerde, sowohl im Zulässigkeits- wie im Begründetheitsstadium, stellt die zentrale Errungenschaft des 11. Zusatzprotokolls dar und macht das Verfahren nunmehr zu einem vollumfänglich gerichtlichen, was dem Charakter der Konventionsrechte als Rechte des/der Einzelnen gerecht wird. Es ist in den anstehenden Verhandlungen noch zu klären, ob die zusätzlichen Richter/innen eine andere Amtszeit oder andere Funktionen haben sollen. Denkbar wäre etwa, entsprechend dem Vorschlag der deutschen Regierung, „Juniorrichter/innen“ einzusetzen, die lediglich über die Zulässigkeit entscheiden, im übrigen aber die volle richterliche Unabhängigkeit genießen. Dies würde die zügige Behandlung der großen Anzahl an unzulässigen Beschwerden ermöglichen. Weniger sinnvoll ist die Ernennung zusätzlicher Richter/innen nur für diejenigen Staaten, aus denen eine besonders hohe Anzahl an Beschwerden stammt, da Einzelrichter/innen gemäß Art. 26 Abs. 3 EMRK nicht über Fälle entscheiden, die ihren Staat betreffen – ganz davon abgesehen, dass Staaten, aus denen eine Vielzahl von Beschwerden eingereicht wird, sich einer solchen Regelung wohl widersetzen werden.

III. Umsetzung von Urteilen des EGMR Die Entlastung des EGMR wird letztlich nur gelingen, wenn seine Urteile innerstaatlich zeitnah und umfassend umgesetzt werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, die systemische oder strukturelle Probleme betreffen. Hierfür sieht die Konvention die Überwachung durch das Ministerkomitee vor. Diese ist jedoch zu wenig transparent; ihr diplomatischer Charakter führt dazu, dass nur in Ausnahmefällen öffentlichkeitswirksame Rügen ausgesprochen werden. Bezeichnend ist insoweit, dass das Ministerkomitee bislang kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 46 Abs. 4 EMRK eingeleitet hat. Auch für nationale Parlamente, Zivilgesellschaft und Nationale Menschenrechtsinstitutionen ist es mühsam, Informationen über den Umsetzungsplan zu erhalten, den die Regierung dem Ministerkomitee vorzulegen hat, und damit unabhängig vom Ministerkomitee die Befolgung von Urteilen zu überwachen. Angesichts des Charakters des Ministerkomitees als zwischenstaatliches und aus Regierungsvertretern zusammengesetztes Organ wird nur eine zusätzliche kritische Begleitung der Umsetzung durch die Parlamentarische Versammlung, einzelstaatliche Parlamente, NHRIs und Zivilgesellschaft zu einer höheren Urteilsbefolgung führen. 46 47

Erklärung von Brighton (Fn. 17), D. 20. d). Erklärung von Brighton (Fn. 17), D. 20. e).

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Immerhin konnte in Brighton der Vorschlag abgewehrt werden, bei Wiederholungsfällen das Ministerkomitee nicht mehr zu befassen. Richtigerweise muss gerade dort das Ministerkomitee aktiv werden, weil es hier um wiederholte Verletzungen der Verpflichtungen aus der EMRK geht, die – anders als bei einem einmaligen Urteil – darauf hindeuten, dass der betreffende Staat nicht die Fähigkeit oder den Willen zur vollen Erfüllung seiner Verpflichtungen aus der EMRK hat. Zudem sind Wiederholungsfälle gerade eine besondere Belastung des EGMR, die ihn von seiner Kernaufgabe abhalten, in ungeklärten Fragen des Menschenrechtsschutzes zu entscheiden.

IV. Gesamtbewertung Der Verlauf der Reformdebatte ist nur insofern als positiv zu bewerten, als es gelungen ist, die Individualbeschwerde zu bekräftigen und ein menschenrechtlich problematisches Verständnis von Subsidiarität abzuwehren. Der Versuch einiger Staaten, unter dem Deckmantel der Subsidiarität die Zuständigkeit des Gerichtshofs zurückzudrängen, ist gescheitert. Dies wird besonders deutlich in den Ausführungen der Erklärung von Brighton zur primären Verantwortung der Staaten und ihrem Verhältnis zum Gerichtshof. Dennoch bleibt es ein beunruhigender Befund, dass diese Position von nicht nur wenigen Konventionsstaaten, darunter auch Gründungsmitgliedern des Europarates, vertreten wurde. Die zentrale Funktion von Menschenrechten ist die Begrenzung staatlicher Macht und damit auch der Macht des demokratischen Gesetzgebers. Gerade in ihrer minderheitenschützenden Form bilden sie ein notwendiges Gegengewicht zu einem rein formalen Demokratieverständnis. Dies gilt umso mehr, als immer noch eine nennenswerte Anzahl von Konventionsstaaten erhebliche demokratische Defizite aufweisen. Die Veränderungen bei den Zulassungskriterien sind hinnehmbar, auch wenn abzuwarten bleibt, ob sie zu weniger Beschwerden führen. Immerhin bleibt dem Gerichtshof der Auslegungsspielraum, um menschenrechtliche Erwägungen des wirksamen Rechtsschutzes zum Tragen zu bringen. Die Anerkennung der Rolle der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen ist eine erfreuliche Entwicklung. Sie verdeutlicht einmal mehr, dass die Entlastung des Gerichtshofs auf der innerstaatlichen Ebene erfolgen muss, und dass hierfür unabhängige kritische Begleitung der Rechtsetzung und Politikgestaltung erforderlich ist. Wegen der zentralen Bedeutung der innerstaatlichen Ebene für die Entlastung des EGMR muss bei der Evaluierung der Umsetzung des Aktionsplans von Interlaken den staatlichen Maßnahmen besonderes Augenmerk geschenkt werden. Hier besteht das Problem, dass das Ministerkomitee schon 2015 vorläufige Überlegungen zur grundlegenden Änderung des Systems des europäischen Menschenrechtsschutzes verabschieden soll, aber erst bis Ende 2015 die Evaluierung der Umsetzung des Aktionsplans von Interlaken einschließlich der staatlichen Maßnahmen erfolgen soll. Daher ist es umso wichtiger, dass die Debatte nicht nur im Ministerkomitee geführt wird, sondern dass die Parlamentarische Versammlung, die nationalen Parlamente,

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NHRIs und Zivilgesellschaft frühzeitig eingebunden werden. Das Ministerkomitee sollte daher die Staaten auffordern, mit diesen Akteuren auf innerstaatlicher Ebene die nationalen Umsetzungsschritte zu evaluieren. Auf diese Weise und in den Debatten im Ministerkomitee muss eine transparente Überprüfung erfolgen, ob Staaten ernsthafte Umsetzungsschritte ergriffen haben, bevor grundsätzlichere Änderungen erwogen werden. Die Parlamentarische Versammlung steht hier in der besonderen Verantwortung, das Ministerkomitee kritisch zu begleiten.

D. Ausblick: Jenseits von Brighton Die Entwicklung der Reformdebatte seit dem 11. Zusatzprotokoll bis hin zur Erklärung von Brighton bestätigt die Fußballweisheit „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ – nach der Reform ist vor der Reform. Es stellt sich schon jetzt die Frage, was geschehen soll, wenn der Gerichtshof den bestehenden Rückstand abbaut und die Eingangszahlen den Ausgangszahlen entsprechen, aber dennoch mehr Beschwerden bei ihm eingehen als gegenwärtig. Auch wenn dies erst 2015 auf der Agenda des Ministerkomitees steht, sollten die Überlegungen hierzu in menschenrechtlichen Kreisen schon jetzt intensiv geführt werden. Aufgrund des Verlaufs der jüngsten Reformdebatte sollte es Ziel sein, die Verhandlungsdynamik umzukehren und in den Verhandlungen die Richtung der Debatte vorzugeben, anstatt vorrangig auf die – oft problematischen – Vorschläge anderer zu reagieren. Kernpunkt sollte sein, dass die Staaten ihrer Verantwortung nachkommen müssen, die sie mit dem Beitritt zum Europarat und der EMRK freiwillig und rechtsverbindlich übernommen haben. Die EMRK bildet das Herzstück des demokratischen und rechtsstaatlichen Europa; die menschenrechtliche Bindung ist für Demokratie konstitutiv und Rechtsstaatlichkeit eine unverzichtbare Vorbedingung für wirksamen Menschenrechtsschutz. Es bedarf insoweit eines gemeineuropäischen Verantwortungsbewusstseins aller beteiligten Regierungen für den Erhalt des europäischen Menschenrechtsschutzsystems als System des Individualrechtsschutzes. Es sollte auch offen darüber diskutiert werden, welche institutionellen Auswirkungen es hat, dass der Gerichtshof für 800 Millionen Menschen in 47 Staaten zuständig ist: fünf- oder sechsstellige Zahl von Beschwerden ist daher auch normal, wenn in allen Konventionsstaaten rechtsstaatliche Bedingungen herrschen.48 Damit stellt sich die Frage nach einer personellen Erweiterung des Gerichtshofs. Geht man etwa davon aus, dass in Deutschland 16 Richter/innen für potentiell 80 Millionen Beschwerdeführende zuständig sind, diese aber noch für andere Verfahrensarten zuständig sind, so erscheint ein europäischer Gerichtshof von 80 Richter/innen für 800 Millionen Menschen nicht mehr fernliegend. Sicherlich stellt eine Erweiterung große Anforderungen an die Sicherung der Einheitlichkeit der Recht48 Klein, in: Mertens/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. VI/1, 2010, 593 (635 Rdnr. 86).

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sprechung, für die Lösungen gefunden werden müssen. Aber der Vergleich macht auch deutlich, dass es in jedem Fall einer deutlichen Erhöhung des Haushalts des EGMR bedarf. Gegenwärtig beläuft sich dieser auf rund 66 Millionen E. Die größten Mitgliedstaaten zahlen jeweils zwischen 10 und 12,5 % des Gesamthaushalts des Europarates. Es geht also beispielsweise für Deutschland um eine Erhöhung der Zahlungen um 6 Millionen – ein geringer Preis für europaweiten wirksamen Menschenrechtsschutz. Die Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses zum Menschenrechtsschutz zeigt sich auch und gerade in der Bereitschaft, diesen zu finanzieren. Weiteres Thema für die Fortentwicklung sollte die Schaffung eines wirksamen Sanktionsmechanismus bei Nichtbefolgung von Urteilen des EGMR sein. Hierzu gehört eine starke Rolle der Parlamentarischen Versammlung ebenso wie die Einführung von Strafzahlungen vergleichbar denen beim Gerichtshof der Europäischen Union. Zunehmend wichtig wird auch die Stärkung von Nationalen Menschenrechtsinstitutionen, insbesondere in Staaten mit schwacher Verwaltungsgerichtsbarkeit oder ineffektivem Rechtsschutz in eilbedürftigen Verfahren, etwa im Sozialrecht. Aus diesen Bereichen stammen zahlreiche unzulässige Beschwerden. Wirksame außergerichtliche Einzelfallbehandlung, etwa durch NHRIs mit Ombudsfunktion, könnte hier Abhilfe leisten. Zentraler Gedanke in den künftigen Reformdebatten sollte sein: Menschenrechtsschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat systemrelevant. Dies umfasst den überstaatlichen Menschenrechtsschutz als acquis européen. Wissenschaft, Nationale Menschenrechtsinstitutionen und Zivilgesellschaft sind aufgerufen, hierfür innerstaatlich zu werben. Eibe Riedel wird sicherlich auch hierzu weiterhin in seinen unterschiedlichen Funktionen seinen Beitrag leisten.

Monitoring der Umsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten Von Michael Windfuhr Das Monitoring der Umsetzung von Menschenrechten hat in den letzten Jahren insgesamt eine stark steigende Aufmerksamkeit erfahren. Dies gilt insbesondere für den Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK-Rechte). Mit der wachsenden Anerkennung und Kenntnis über diese Rechte entstand auch die Notwendigkeit, die Überwachung dieser Rechte methodisch angemessen durchzuführen. Selbstverständlich können bei WSK-Rechten auch konkrete Verletzungen dokumentiert werden, wie dies bei bürgerlichen und politischen Menschenrechten lange Zeit ein zentraler Standard des Monitorings war und ist. Solche sogenannten „Events based data systems“ dokumentieren Einzelfälle von Verletzungen der Menschenrechte. Bei konkreten Verletzungen der Achtungsund Schutzpflichten von WSK-Rechten ist dies genauso möglich und in den letzten Jahren vor allem auch durch zivilgesellschaftliche Organisationen gemacht worden.1 Da bei der Umsetzung von WSK-Rechten der progressiven Umsetzung eine besondere Rolle zukommt, wird Monitoring zu einer komplexen und anspruchsvollen Aufgabe. Die Kontrolle der Auswirkungen von Politikmaßnahmen auf eines der WSK-Rechte erfordert, dass teilweise komplexe Wirkungsketten analysiert werden, um Kausalitäten zwischen der Zielsetzung einer ergriffenen Politikmaßnahme und der Auswirkung beschreiben zu können. Das Hochkommissariat hat zur Förderung von Monitoringmethoden bereits 2001 ein umfängliches Methodenhandbuch veröffentlicht.2 Dieses wendete sich an alle Akteure, die menschenrechtsbasiertes Monitoring machen wollen, Regierungen, Parlamente, Nichtregierungsorganisationen, Nationale Menschenrechtsinstitutionen und die Wissenschaft. Im Hinblick auf das 1 Seit Mitte der 80er Jahre sind auf WSK-Rechte spezialisierte Menschenrechtsorganisationen entstanden, wie beispielsweise Habitat International Coalition zum Recht auf Wohnen oder Food First Information and Action Network (FIAN) zum Recht auf Nahrung. Insbesondere FIAN hat über Jahre vor allem zu Einzelfällen der Verletzung des Rechts auf Nahrung gearbeitet. Windfuhr hat in einem Beitrag die Fallarbeit der Menschenrechtsorganisation FIAN aus den ersten 15 Jahren ausgewertet in: Wenche Barth Eide/Uwe Kracht (Eds.), Food and Human Rights in Development, Oxford 2007. 2 United Nations High Commissioner for Human Rights (2001): Training Manual on Human Rights Monitoring. Professional Training Series No. 7. Zugriff unter: http://www. ohchr.org/Documents/Publications/training7Introen.pdf.

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Recht auf angemessene Nahrung hat die Welternährungsorganisation zwei Monitoringhandbücher 2008 veröffentlicht.3 In der letzten Zeit sind zudem zahlreiche Forschungsarbeiten und Artikel entstanden, in denen einzelne methodische Herausforderungen thematisiert werden: Themen wie die Analyse öffentlicher Haushaltsprioritäten, Analysen zur Menschenrechtlichen Folgenabschätzung etc.4 Das Hochkommissariat hat zusammen mit externen Forschungsprojekten an der Bearbeitung der Frage gearbeitet, mit welchen Indikatoren sich Fortschritte bei der Umsetzung von Menschenrechten messen lassen.5 Neben UN-Organen und Sonderorganisationen haben zuletzt NRO zum Teil Methodenhandbücher entwickelt und publiziert.6 Im Rahmen des folgenden Beitrags soll ein knapper Überblick gegeben werden, welche Herausforderungen sich für das Monitoring von WSK-Rechten ergeben und welche Fortschritte in der Beschreibung der Methoden entstanden sind. Dazu soll in einem ersten Schritt die Frage beantwortet werden, was menschenrechtsbasiertes Monitoring bedeutet, wie dies definiert und beschrieben werden kann und welche Akteure dabei welche Aufgaben und Chancen haben. In einem zweiten Schritt soll diskutiert werden, welche besonderen Herausforderungen für das Monitoring von WSK-Rechten bestehen. In einem dritten Schritt soll vorgestellt werden, welche Kriterien und Methoden beim Monitoring der WSK-Rechte angewendet werden können, bevor der Beitrag schließt mit Überlegungen zur Bedeutung und der Relevanz von menschenrechtsbasiertem Monitoring.

A. Menschenrechtsbasiertes Monitoring – Funktionen, Ansatzpunkte, Akteure Monitoring ist zunächst eine Aktivität, die für jede Strategie zur Umsetzung von Menschenrechten essentiell ist, da sie erlaubt, die Ergebnisse von ergriffenen Umsetzungsmaßnahmen Schritt für Schritt zu verbessern. Monitoring wird in vielen politischen Kontexten ohnehin regelmäßig durchgeführt. Lebenslagenmonitoring, Armuts- und Reichtumsbericht etc. sind beispielsweise allgemeine Studien, die mithilfe sozial-wissenschaftlicher Methoden Aussagen zur sozialen oder wirtschaftlichen oder politischen Realität eines Landes treffen. Diese können eine wichtige 3 Food and Agriculture Organisation (FAO) (2008): Methods to Monitor the Human Rights to Adequate Food, Rome, Vol. I+II. 4 Die verschiedenen Methoden, die derzeit in der Debatte sind, werden im Teil C. des Beitrages vorgestellt. 5 Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights, delivered to the Economic and Social Council (16. April 2011), UN Doc. E/2011/90. 6 Einen guten Literaturüberblick gibt es auf der Internetseite zu „Human Rights Budgeting“. Methodisch wurde dabei viel analysiert von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Wissenschaftlern zum Thema Budgetanalyse und den Auswirkungen auf Genderdiskriminierung. Es gibt inzwischen zahlreiche Literatur zum Thema Gender Budgeting [http://www. humanrightsbudgetwork.org/]. Fn. 32 verweist auf Methodenhandbücher für menschenrechtsbasiertes Monitoring von Zivilgesellschaftlichen Organisationen.

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Ausgangsbasis für ein menschenrechtsbasiertes Monitoring sein, was sich von allgemeinen Statistiken aber dadurch unterscheidet, dass es sich als Referenz und Messlatte an der Umsetzung von Staatenpflichten orientiert: Die Einhaltung und Beachtung von Staatenpflichten soll überwacht werden und keine allgemeinen Entwicklungstrends. Menschenrechtsbasiertes Monitoring muss aufbauen auf vorhandenen statistischen Systemen und Erhebungsverfahren und diese so qualifizieren bzw. ergänzen, dass es möglich wird zu prüfen und zu überwachen, ob die Staatenpflichten umgesetzt werden und ob sich die Menschenrechtslage besonders betroffener Personen oder Gruppen innerhalb einer Gesellschaft tatsächlich verbessert. Im folgenden ersten Abschnitt des Beitrags werden zunächst die Funktionen eines menschenrechtsbasierten Monitorings beschrieben. Sie werden anschließend in Verbindung mit den Staatenpflichten zur Umsetzung der Menschenrechte gesetzt. Am Ende wird der Frage nachgegangen, welche Akteure mit dem Monitoring der Umsetzung von Menschenrechten befasst sind und welche Arenen für ein Monitoring international und national zur Verfügung stehen. I. Funktionen eines menschenrechtsbasierten Monitorings Die Umsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten erfordert von Regierungen Aktivitäten zur Achtung, zum Schutz und zur progressiven Umsetzung der Rechte. Monitoring von Regierungsaktivitäten ist eine zentrale Aufgabe, die von Regierungen selbst erwartet wird, parallel aber auch von anderen Akteuren übernommen werden kann. Menschenrechtsbasiertes Monitoring ist ein wichtiges Werkzeug um zu überprüfen, ob der menschenrechtliche Pflichtenträger (duty bearer) seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommt und sie umsetzt. Es kann dabei helfen die Umsetzungsbemühungen schrittweise zu verbessern. Monitoring ist eine eigenständige Umsetzungsverpflichtung der Menschenrechtsverträge, denn Regierungen müssen eine genaue Übersicht bzw. einen genauen Kenntnisstand darüber haben, wer zu den besonders benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft gehört, in welchen Landesteilen sie leben, und welche Gründe/Hintergründe die Situation mitprägen. Leitfrage ist dabei, wo und an welchen Stellen Regierungshandeln oder das Unterlassen von Handeln ursächlich für eine gegebene Situation von Vulnerabilität ist. Eine gute Beschreibung dieser Verpflichtung findet sich in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 12 des WSK-Ausschusses zum Recht auf angemessene Nahrung (Para 31): „Die Vertragsstaaten müssen Mechanismen ausarbeiten und unterhalten, die es ermöglichen, die Fortschritte bei der Verwirklichung des Rechts auf angemessene Nahrung für alle zu überwachen, die Faktoren und Schwierigkeiten, die den Grad der Erfüllung ihrer Verpflichtungen beeinträchtigen, aufzuzeigen und die Verabschiedung Abhilfe schaffender Rechtsvorschriften und

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Verwaltungsmaßnahmen zu erleichtern, namentlich Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach den Artikeln 2 Abs. 1 und 23 des Paktes.“7 Hier wird Monitoring als staatliche Aufgabe gesehen, die notwendigerweise regelmäßig und systematisch durchgeführt werden muss, da ansonsten der Staat keine wirkungsvolle Umsetzung des Rechts auf Nahrung steuern kann. Vergleichbare Empfehlungen zum Monitoring hat der WSK-Ausschuss auch in den zeitlich folgenden Allgemeinen Bemerkungen zu anderen WSK-Rechten aufgenommen. Bestätigung erhielt diese Aufgabenbeschreibung zudem 2004 in einem zwischenstaatlich verhandelten völkerrechtlichen Dokument, dass einstimmig im Rahmen des Rates der FAO angenommen wurde: In den freiwilligen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf angemessene Nahrung gibt es eine eigene Leitlinie (Nr. 17) für die Themen „Monitoring, Indikatoren und Benchmarks“. In der Leitlinie wird Monitoring für die folgenden Aufgaben und Funktionen bei der Umsetzung des Rechts auf Nahrung beschrieben:8 Abs. 17.2: „Die Staaten werden ermutigt Recht auf Nahrungs-Folgenabschätzungen zu machen, um die Auswirkungen nationaler Politiken, Programme und Projekte auf die progressive Umsetzung des Rechts auf angemessene Nahrung zu identifizieren“. Abs. 17.3: Die Staaten werden zudem ermutigt. ein Set von Prozess-, Ergebnisund Wirkungsindikatoren zu entwickeln, um den Fortschritt bei der progressiven Umsetzung des Rechts auf angemessene Nahrung abschätzen zu können. In diesem Sinne sollten sie angemessene Benchmarks formulieren, um kurz-, mittel- und langfristige Fortschritte bei der Umsetzung messen zu können. In Absatz 17.4 werden die Staaten ermutigt, in ihrem Evaluierungsprozess Indikatoren zu nutzen, die die Wirkung spezifischer Politikinstrumente und -interventionen messbar machen können. In Abs. 17.5 werden die Staaten aufgefordert besonders die Ernährungssituation von vulnerablen Gruppen in den Blick zu nehmen. Leitlinie 17 formuliert insgesamt die Erwartung, dass Regierungen angemessene Mechanismen für das Monitoring entwickelt haben sollen (17.1), in deren Rahmen gute Partizipation aller Beteiligten sichergestellt sein sollte und die eine effektive Evaluierung der Fortschritte in der Umsetzung überwachen können und dadurch eine regelmäßige Verbesserung der gewählten Politik- und Umsetzungsinstrumente im Sinne einer progressiven Umsetzung gewährleisten. 7 Die Allgemeine Bemerkung Nr. 12 (UN Doc. E/C.12/1999/5) zum Recht auf angemessene Nahrung wird hier verwendet, da sie die erste Allgemeine Bemerkung des WSK-Ausschusses ist, die ein spezifisches Recht des Paktes zum Thema hatte und sowohl die inhaltliche Norm wie auch die Staatenpflichten umfassend beschrieben hat. Die deutsche Übersetzung entstammt einer Zusammenstellung von Übersetzungen Allgemeiner Bemerkungen verschiedener Treaty Bodies, die 2004 vom Deutschen Institut für Menschenrechte herausgegeben wurde (DIMR 2004). 8 Die „Voluntary Guidelines for the progressive implementation of the right to adeqaute food in the context of national food security“ wurde im November 2004 vom FAO-Rat einstimmig angenommen (187 Staaten). Sie basieren in den Details auf der Allgemeinen Bemerkung Nr. 12 des WSK-Ausschusses. Die dort entwickelten Standards der Interpretation für WSK-Rechte wurden in diesem zwischenstaatlich abgestimmten Dokument bestätigt.

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Die Allgemeinen Bemerkungen und die freiwilligen Leitlinien heben die zentrale Funktion hervor, die Monitoring in Umsetzungsprozessen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte zukommt. Um die vorhandenen, begrenzten Ressourcen zur Umsetzung dieser Rechte zielgerichtet einsetzen zu können, ist Monitoring der besonderen Problemlagen nötig. Ein gut etablierter Monitoring-Mechanismus erlaubt es dann, Umsetzungsprobleme frühzeitig zu identifizieren und die gewählten Umsetzungsmaßnahmen regelmäßig auf den Prüfstand zu legen und zu verbessern. Zusammenfassend lassen sich deshalb vier zentrale Funktionen von Monitoring bei WSK-Rechten identifizieren und beschreiben: (1) Identifizierung von marginalisierten und benachteiligten Gruppen und der Gründe für deren Situation: Regierungen haben die Verantwortung zu erkennen/zu monitoren, welche Individuen oder Gruppen von Menschenrechtsverletzungen oder der Nicht-Umsetzung von Menschenrechten betroffen sind. Durch das Monitoring sollen die Gründe für die Situation erkennbar werden. Ohne ein klares Verständnis für Vulnerabilität und für Personen und Gruppen, die besonders benachteiligt sind, ist es unmöglich wirkungsvolle Strategien für die Überwindung der Situation zu entwickeln. (2) Messung der Wirkung von ergriffenen Maßnahmen: Monitoring ist nötig, um zu überprüfen, ob die ergriffenen Politikmaßnahmen den angestrebten Effekt haben oder nicht. Eine solche Überwachung des Umsetzungsprozesses muss von Regierungen selbst angestellt werden. Wo die Wirkung ausbleibt, bzw. die Situation sich sogar verschlechtert, muss die Regierung eingreifen und neue korrigierende Maßnahmen planen und umsetzen. (3) Prozessmonitoring: Eine Evaluierung/Auswertung des Umsetzungsprozesses selber hilft zu prüfen, ob der Umsetzungsprozess selbst menschenrechtsbasiert aufgestellt ist, d. h. transparent ist und die Partizipation aller Betroffenen ermöglicht. (4) Monitoring ist gleichzeitig eine Vorbedingung für menschenrechtliche Rechenschaft (accountability): Andere Akteure als der Staat können mit einem guten Monitoring der Probleme und der Fortschritte bei der Umsetzung eines Menschenrechtes dokumentieren, wo Verbesserungen im Umsetzungsprozess nötig sind. Zu diesen Akteuren gehören auch Nationale Menschenrechtsorganisationen (NHRIs) wie auch Zivilgesellschaftliche Akteure.

II. Differenz zu allgemeinem Monitoring/Politikfolgenabschätzung Berechtigt ist nun die Frage, inwieweit sich ein menschenrechtsbasiertes Monitoring von den allgemeinen Monitoringaktivitäten von Regierungen unterscheidet, die normalerweise von statistischen Abteilungen in Ministerien durchgeführt werden? Als grundsätzliche Definition von allgemeinen Monitorings kann die folgende Definition der Weltbank verwendet werden: „Monitoring is a continuous activity that

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systematically uses information. It measures achievements of defined targets and objectives in an agreed timeframe and it provides feedback on implementation processes and problems. It allows to analyse resources acquisition, allocation and expenditures and the production and delivery of services.“9 Menschenrechtsbasiertes Monitoring hat darüber hinaus einen speziellen Auftrag: die Anleitung und die Kontrolle der Umsetzung von Menschenrechten. Maßstab eines menschenrechtsbasierten Monitorings sind die Staatenpflichten und deren Umsetzung.10 Rechtebasiertes Monitoring versucht, die Wirkungen von einzelnen Politikinterventionen zu messen und die Ergebnisse von Regierungshandeln in Relation zu stellen zu den Verpflichtungen, die aus den Menschenrechtsverträgen erwachsen. Leitfragen dabei sind die Folgenden: Ist die Regierung ihren Achtungs- und Schutzverpflichtungen nachgekommen? Hat sie für die Umsetzung der Gewährleistungsverpflichtung wirklich das „Höchstmaß der verfügbaren Ressourcen“ eingesetzt und dies bevorzugt für die besonders benachteiligten Personen und Gruppen? Menschenrechte enthalten gleichzeitig eine Reihe prozeduraler Erfordernisse. Umsetzungsprozesse von Regierungspolitiken sollten – ebenso wie das Monitoring selbst – rechtebasiert umgesetzt werden, d. h. der Umsetzungsprozess sollte die Menschenrechtsprinzipien der Partizipation, Nicht-Diskriminierung und Transparenz berücksichtigen. Um diese beiden Aspekte, die Umsetzung der Staatenpflichten und die prozeduralen Erfordernisse, zu unterscheiden hatten die Maastricht Leitlinien zu Verletzungen von WSK-Rechten die Unterscheidung einer Pflicht Ergebnisse zu erzielen (obligation to result) und einer Pflicht rechtebasierte Verfahren anzuwenden (obligation to conduct) vorgeschlagen.11 Die Ergebnisverpflichtung umfasst die Aufgabe des Staates bei der Umsetzung einzelner Rechte messbare Fortschritte zu erreichen. Die Verfahrensverpflichtung erfordert, dass der Staat sicherstellt, dass bei der Umsetzung die o.g. Menschenrechtsprinzipien angewendet werden und die notwendigen Schritte für eine nationale Umsetzungsstrategie unternommen wurden und dabei das „Höchstmaß der verfügbaren Ressourcen“ eingesetzt wird.12 Diese Diffe9 Valadez, Joseph/Bamberger, Michael (Eds.), Monitoring and Evaluating Social Programs in Developing Countries. A Handbook for Policymakers, Managers and Researchers. EDI Development Studies, Washington D.C., 1994, zitiert aus FAO (2008), S. 12 (s. Fn. 3). 10 The term „Human Rights Based Monitoring“ is used here equivalent to the term „rights based monitoring“. In recent articles the term rights based monitoring is becoming a standard one. Herewith we will use the abbreviation RBM. Siehe Immick, M. (2004), Background paper to the FAO Intergovernmental Working Group/IGWG RTFG Information Paper No. 4, Rome, June 2004. 11 Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights, 2 October 2000, UN Doc. E/C.12/2000/13. Para 7: „The obligation of conduct requires action reasonably calculated to realize the enjoyment of a particular right … The obligation to result requires States to achieve specific targets to satisfy detailed substantive standards …“. 12 Die Formulierung „Höchstmaß an verfügbaren Ressourcen“ („maximum of available resources“) ist dem Art. 2 des WSK-Paktes entnommen, der die allgemeinen Umsetzungsverpflichtungen des Paktes beschreibt. Zur Natur der Staatenpflichten s. grundsätzlich: Committee on Economic, Social and Cultural Rights [CESCR], General Comment No. 3 The nature of States parties obligations (14 December 1990), UN Doc. E/1991/23.

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renzierung der Perspektiven ist hilfreich für ein menschenrechtsbasiertes Monitoring, da beide Ebenen überprüft werden müssen: Fortschritte bei der Umsetzung einzelner Rechte über die Zeit und die Qualität der innerstaatlichen Umsetzungsverfahren selbst. Für beide Perspektiven sind unterschiedliche Messmethoden und Indikatoren nötig und beide müssen in einer Art gemessen werden, die prüft, ob der Staat seinen Staatenpflichten nachgekommen ist. Basierend auf diesen Ergebnissen soll hier die folgende Definition von menschenrechtsbasiertem Monitoring gegeben werden: Menschenrechtsbasiertes Monitoring ist ein Prozess, in dem die Reaktion der Regierung auf eine aktuell festgestellte Situation der Umsetzung eines Menschenrechts analysiert wird. Mithilfe von Indikatoren soll dabei überprüft werden, ob die Reaktion angemessen ist, um die Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungsverpflichtung umzusetzen. Dabei muss sowohl der Prozess der Umsetzung durch die Regierung menschenrechtsbasiert sein und die Menschenrechtsprinzipien berücksichtigen, als auch die Ergebnisse der Umsetzung, d. h. der Ressourceneinsatz und die Politikformulierung, müssen fortschreitend kontrolliert und überprüft werden, um sicherzustellen, dass die Umsetzung progressiv ist und die vorhandenen Ressourcen sinnvoll und effektiv nutzt. In der Entwicklungsliteratur wird häufig zwischen Monitoring and Evaluation unterschieden. Monitoring wird dabei als Überprüfung der Aktivitäten während einer Berichtsperiode dargestellt, während eine Evaluierung am Ende eines Prozesses, eines Projektes durchgeführt wird um die Ergebnisse zu überprüfen. Da menschenrechtsbasiertes Monitoring ein kontinuierlicher Prozess sein soll, ist eine weitergehende Differenzierung hier nicht notwendig. 1. Monitoring der Umsetzung von Staatenpflichten Menschenrechtsbasiertes Monitoring ist auf die Umsetzung von Staatenpflichten hin orientiert. Klar beschrieben ist diese Monitoringverpflichtung in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 15 des WSK-Ausschusses zum Recht auf Wasser: „Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Verwirklichung des Rechts auf Wasser wirksam zu überwachen. In diesem Monitoringverfahren zur Verwirklichung des Rechts auf Wasser sollten die Vertragsstaaten jene Faktoren und Schwierigkeiten identifizieren, die die Umsetzung ihrer Verpflichtungen betreffen.“13 Diese Aufgabe ist leichter geworden, seit es ein verbessertes Verständnis über die Inhalte und die Natur der Staatenpflichten zu WSK-Rechten gibt. Hierbei hat es seit der Wiener Menschenrechtskonferenz erhebliche Fortschritte gegeben. Der zuständige Vertragsausschuss, das Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Komitee), hat seit 1999, beginnend mit dem Recht auf Nahrung, für einzelne Rechte des Sozialpaktes Allgemeine Bemerkungen erarbeitet, in denen sowohl der Inhalt der Rechte als auch die Staaten-

13 Zitiert aus: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.) (2005), „Die ,General Comments‘ zu den Menschenrechtsverträgen“, Baden-Baden, S. 333.

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pflichten detailliert beschrieben werden.14 In den Folgejahren hat das WSK-Komitee für viele weitere Paktrechte Allgemeine Bemerkungen formuliert. Die Klärung der Normen und der Umsetzungsverpflichtungen von WSK-Rechten ist dadurch erheblich vorangetrieben worden. Neben dem Ausschuss hat die Arbeit von thematischen Mandaten zu WSK-Rechten wie den Sonderberichterstattern erheblich zur Erweiterung des Verständnisses beigetragen. Der zwischenstaatliche Aushandlungsprozess der freiwilligen Leitlinie zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung hat viele der vorher im Ausschuss oder bei Sonderberichterstattern erreichten Klärungen aufgenommen und bestätigt. Erster Adressat für den Schutz und die Durchsetzung der Menschenrechte ist der Staat. Der Staat hat die völkerrechtliche Verpflichtung übernommen, die Menschenrechte zu respektieren, zu schützen und zu gewährleisten. Diese Unterscheidung in drei Verpflichtungsebenen (Pflichtentrias) hat sich inzwischen durchgesetzt und hilft zu verstehen, wozu die Menschenrechte in der Umsetzung den Staat verpflichten: (1) Menschenrechte gebieten die Achtung der Rechte von Einzelnen und verbieten ungerechtfertigte staatliche Freiheitsbeschränkungen oder aktive Verletzungen durch den Staat (Achtungspflicht). Ein Staat darf beispielsweise das Recht auf Nahrung von Menschen nicht durch die Zwangsumsiedlung von Personen ohne Entschädigung verletzen, oder jemandem den Zugang zum Arbeitsmarkt verbieten. (2) Des Weiteren verpflichten die Menschenrechte den Staat zum Schutz der Freiheitsbereiche vor Beeinträchtigungen durch Dritte (Schutzpflicht), also etwa vor willkürlichen Entlassungen, oder durch die Sicherung der Wasser- und Lebensmittelqualität. (3) Schließlich muss der Staat die Menschen, die auf seinem Territorium leben, in die Lage versetzen, die Rechte selbst zu verwirklichen, bzw. Freiheitsräume zur tatsächlichen Wahrnehmung der Rechte gewährleisten, beispielsweise durch Bereitstellen einer Arbeitsgerichtsbarkeit oder durch die Unterstützung beim Zugang zum Recht auf Gesundheit (Gewährleistungspflicht). Dabei wird vom Staat nichts Unmögliches verlangt, sondern er muss sicherstellen, dass bei der Umsetzung das Höchstmaß der verfügbaren Ressourcen genutzt wird, um einen effektiven Schutz für die Menschen im Staatsgebiet vor Menschenrechtsverletzungen zu gewährleisten. Bei der Umsetzung hat der Staat dabei auf die Bedürfnisse von vulnerablen Personen und Gruppen besonders Bedacht zu nehmen, so dass ein diskriminierungsfreier Zugang zu Rechten gesichert wird. Nach der Klärung von Inhalten und Staatenpflichten ist die Frage der Überwachung von Menschenrechten wichtiger geworden. Eine wichtige Orientierung für die Umsetzung der einzelnen Menschenrechte hat der WSK-Ausschuss in den Allgemeinen Bemerkungen gegeben. Er fordert in den meisten der auf einzelne Rechte bezogenen Allgemeinen Bemerkungen die Erarbeitung einer nationalen Umset14

Ein wichtiger Impuls für die Erarbeitung der Allgemeinen Bemerkungen zu einzelnen Rechten kam vom Welternährungsgipfel 1996, auf dem die Staaten in der Abschlusserklärung das Recht auf angemessene Nahrung bekräftigt hatten, im Aktionsplan dann dringend eine Klärung von Inhalt und Staatenpflichten angemahnt hatten. Dort wurde das WSK-Komitee aufgefordert eine allgemeine Bemerkung zum Recht auf angemessene Nahrung zu verfassen.

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zungsstrategie oder vergleichbarer Aktionspläne.15 Nationale Umsetzungsstrategien bzw. Aktionspläne bieten eine hervorragende Möglichkeit der Überwachung und des Monitorings, da die Regierung sich im Rahmen solcher Strategien auf Zielsetzungen festlegt, die in der Folge überprüft werden. Die Nationalen Umsetzungsstrategien umfassen in den Allgemeinen Bemerkungen des WSK-Ausschusses in der Regel fünf Schritte, die jeder für sich im Rahmen eines menschenrechtsbasierten Monitorings überprüft werden können. Darin werden Regierungen (1) aufgefordert, zuerst die besonders betroffenen Personen und Gruppen zu identifizieren. Sie sollen (2) sicherstellen, dass relevante gesetzliche Regelungen zum Schutz und zur Förderung dieser besonders betroffenen Personen und Gruppen überprüft und, wo nötig, ergänzt werden. Die Regierungen sollen (3) für jede dieser Personen und Gruppen eigenständige Politik- und Fördermaßnahmen ergreifen. Die Regierungen werden (4) aufgefordert, eine aussagekräftige Überprüfung der Ergebnisse ihrer Politikmaßnahmen durchzuführen (Verpflichtung zum Monitoring). (5) Wird beschrieben, in welcher Weise geeignete Überwachungs- und Beschwerdemöglichkeiten geschaffen oder verbessert werden können. Die Idee der Nationalen Umsetzungsstrategien wurde ebenfalls in den freiwilligen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf angemessene Nahrung aufgegriffen und in Leitlinie 3 „Strategie“ ausgeführt. Dort werden dieselben Schritte einer Umsetzungsstrategie benannt wie in den Allgemeinen Bemerkungen. Zusätzlich werden die Staaten aufgefordert darauf aufbauend einen MonitoringMechanismus zu etablieren: „These strategies could include objectives, targets, benchmarks and time frames; and actions to formulate policies, identify and mobilize resources, define institutional mechanisms, allocate responsibilities, coordinate the activities of different actors, and provide for monitoring mechanism …“16 Mit der Klärung der Staatenpflichten und der möglichen Schritte von Umsetzungsstrategien bzw. Aktionsplänen ist ausreichende Klarheit geschaffen, was im Rahmen eines menschenrechtsbasierten Monitorings überprüft werden kann. 2. Akteure des Monitorings Monitoring ist eine Aktivität, die im Bereich der Menschenrechte verschiedene Akteure durchführen können. Zunächst ist es – wie beschrieben – eine Verpflichtung für die Staaten bei der Umsetzung aller Menschenrechte. Der Staat kann ohne ein exaktes Monitoring keine zielgerichteten Politikinterventionen planen, um die Menschenrechte umzusetzen.17 Sinnvoll ist das Monitoring vor der Planung von Maßnah15 Exemplarisch hier: Para 24 – 26 in der Allgemeinen Bemerkung (AB) Nr. 12 zum Recht auf angemessene Nahrung, Para 54 und 55 in der AB Nr. 14 zum Recht auf ein Höchstmaß an Gesundheit und Para 47 in der AB Nr. 15 zum Recht auf Wasser. 16 Zitat stammt aus Para 3.3 der Leitlinie 3 „Strategies“. Voluntary Guidelines Right to Food, FAO, Rome, 2005, p. 11. 17 Beginnend mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 12 hat der WSK-Ausschuss Vertragsstaaten immer wieder in den Allgemeinen Bemerkungen aufgefordert, ein regelmäßiges menschenrechtliches Monitoring durchzuführen, beispielsweise in Para 31 in der Allgemeinen

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men, aber auch bei der Beobachtung der Wirkungen bereits ergriffener. Regelmäßiges Monitoring ist gleichzeitig auch Teil der menschenrechtlichen Berichtspflichten auf internationaler Ebene. Die Staaten müssen bei den Menschenrechtspakten, die sie unterzeichnet und ratifiziert haben, regelmäßige Staatenberichte vorlegen, in denen sie über den Stand der Umsetzung berichten und Fragen der jeweiligen Vertragsorgane beantworten. Im Verfahren der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung im Menschenrechtsrat (UPR – Universal Periodic Review) müssen Staaten seit seiner Einführung alle vier Jahre einen Bericht zum Stand der Umsetzung der Menschenrechte vorlegen. Berichtspflichten gibt es auch im Bereich des Regionalen Menschenrechtsschutzes. Regierungen berichten in der Regel zudem regelmäßig über Entwicklungen in einzelnen Politikfeldern auf nationaler Ebene beispielweise gegenüber dem jeweiligen Parlament. Solche Berichte sind in der Regel nicht menschenrechtsbasiert. Die Einführung einer menschenrechtsbasierten Methodik könnte helfen, besondere Umsetzungsprobleme zu identifizieren und die Rechtspositionen von Betroffenen zu stärken. Monitoring ist eine Aktivität, die auch von anderen Akteuren im Menschenrechtsschutzsystem durchgeführt wird. Die Vertragsausschüsse überprüfen regelmäßig die eingehenden Staatenberichte. Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrates mit Ländermandaten werden eingesetzt um die Menschenrechtslage in einzelnen Ländern systematisch zu bewerten. Aber auch thematische Sonderberichterstatter machen pro Jahr einige Ländermissionen, im Rahmen derer sie den Umsetzungsstand einzelner Menschenrechte überprüfen. Auf nationaler Ebene kommt Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (NHRI – National Human Rights Institutions) die Funktion zu, die Umsetzung von Menschenrechten durch die jeweilige Regierung zu überwachen. Exemplarisch ist diese Funktion der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen in den freiwilligen Leitlinien zum Recht auf angemessene Nahrung beschrieben.18 Die Behindertenrechtskonvention sieht im Vertragstext selbst die Einrichtung unabhängiger nationaler Monitoringstellen vor. Monitoring der Umsetzung von Menschenrechten ist darüber hinaus ein zentraler Aufgabenbereich für zivilgesellschaftliche Organisationen. Diese Aufgabe kann dabei von spezifischen Menschenrechtsorganisationen wahrgenommen werden, die die Umsetzung der Menschenrechte in einem Land überwachen und Erfahrungen im menschenrechtsbasierten Monitoring haben. Eine wichtige Rolle beim Monitoring können aber auch sektorspezifische zivilgesellschaftliche Organisationen spielen, die ein hohes Detailwissen und -kompetenz für ein Politikfeld haben, dieses aber Bemerkung Nr. 12 zum Recht auf Nahrung, Para 57/58 in der AB Nr. 14 zum Recht auf ein Höchstmaß an Gesundheit, Para 52 – 54 in der AB Nr. 15 zum Recht auf Wasser. 18 Leitlinie Nr. 18 hat National Human Rights Institutions zum Thema: 18.1. „States that have as a matter of national law or policy adopted a rights-based approach, and national human rights institutions or ombudspersons, may wish to include the progressive realization of the right to adequate food in the context of national food security in their mandates. States that do not have national human rights institutions or ombudspersons are encouraged to establish them …“ (FAO, Rom 2005 p. 31).

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noch nicht menschenrechtsbasiert überprüft haben. Für ein menschenrechtsbasiertes Monitoring ist es gut, wenn beides zusammenkommt, hohe Kenntnisse der Menschenrechtsmethodik und der zu beobachtenden Politikfelder. Zentrale Aufgabe zivilgesellschaftlicher Akteure ist zunächst die Dokumentation von Verletzungen von WSK-Rechten. NROs können dabei sowohl Einzelfälle dokumentieren wie auch systematische Verletzungen, wie die Diskriminierung von größeren gesellschaftlichen Gruppen oder strukturelle Benachteiligungen. Systematisches Monitoring kann mit einem fall- und verletzungsbezogenen Ansatz beginnen, muss aber auch die quantitative und qualitative Überprüfung staatlicher Maßnahmen zur Umsetzung eines einzelnen Menschenrechts umfassen. Hierbei muss auch die Verwendung von Haushaltsmitteln überprüft werden. Das afrikanische Netzwerk zum Recht auf Nahrung hat beispielsweise in verschiedenen afrikanischen Ländern begonnen zu überwachen, in welchen Bereichen staatliche Politik zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung Fortschritt macht, und wo nicht. Dabei soll sowohl die quantitative Prioritätensetzung in der nationalen Politik überprüft werden, wie auch eine qualitative Analyse der Qualität, Angemessenheit und Effizienz ergriffener Politikmaßnahmen stattfinden.19 Zivilgesellschaftliche Organisationen können Monitoringergebnisse dabei sowohl in nationale politische Prozesse einspeisen (Informationen an das Parlament, an die nationalen Medien) wie auch in die oben genannten regionalen und internationalen Prozesse.20 Zivilgesellschaftliche Organisationen können solche Monitoringergebnisse auch zur Anfertigung von Staaten- bzw. Parallelberichten nutzen. Im Bereich des Monitoring kommt die Zivilgesellschaft ihrer eigentlichen Überwachungs-/Watch-dog-Funktion nach. Methodisch sind allerdings zivilgesellschaftliche Organisationen in vielen Ländern erst ganz am Anfang bei der Erstellung qualitativ guter Monitoringberichte.21 Dies liegt auch daran, dass Monitoring methodisch eine große Herausforderung darstellt und weltweit das Monitoring der Umsetzung von WSK-bezogenen Staatenpflichten ganz am Anfang steht.

B. Besondere Herausforderungen beim Monitoring von WSK-Rechten Monitoring der Umsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten ist durch die beschriebenen Fortschritte im Verständnis der Inhalte und des Charakters der Staatenpflichten möglich und leichter geworden. Seit Ende der 80er Jahre gibt es Parallelberichte von zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Umset19

Vgl. die Arbeit des Afrikanischen Netzes zum Recht auf Nahrung unter www.rapda.org. Im Rahmen aller regionalen Menschenrechtsschutzmechanismen gibt es regelmäßige Berichtspflichten und Verfahren, die von zivilgesellschaftlichen Akteuren für die Erstellung von Monitoringberichten genutzt werden können; in Afrika gibt es beispielsweise regelmäßig nationale Berichte an die afrikanische Menschenrechtskommission. 21 Fußnote 32 verweist auf einige Methodenhandbücher von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu menschenrechtsbasiertem Monitoring. 20

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zung einzelner Rechte an den WSK-Ausschuss, die eine Menge an Erfahrungen und methodischen Versuchen eines menschenrechtsbasierten Monitorings enthalten. Mit der Zunahme der Zahl der Berichte und den neuen Möglichkeiten, die das UPR-Verfahren bietet, sind Handbücher und Anleitungen entstanden, wie ein menschenrechtsbasiertes Monitoring aussehen könnte.22 Dennoch liegen verhältnismäßig wenige Erfahrungen im Bereich des systematischen und regelmäßigen Monitorings von WSK-Rechten vor. Die Arbeit an Methoden eines menschenrechtsbasierten Monitorings steht immer noch am Anfang, da wenige umfassende Berichte zur Situation eines Rechts in einem Land oder umfassendere Berichte zu Auswirkungen von Politikmaßnahmen auf die Inanspruchnahme eines Rechts vorliegen. Relativ viele Erfahrungen gibt es im Bereich des Monitorings zu Frauenrechten. In diesem Kontext sind weitergehende Studien zur Analyse von öffentlichen Haushalten auf die Reduktion von Diskriminierung erstellt worden.23 Methodisch interessant sind derzeit beispielsweise die Arbeiten verschiedener Akteure zur Bewertung von ökonomischen Austeritätspolitiken im Umfeld der Eurokrise.24 Die Besonderheiten beim Monitoring von WSK-Rechten sind vielfältig. Hier sollen wichtige Herausforderungen knapp beleuchtet werden: (1) Messbarkeit der Wirkung staatlicher Umsetzungsmaßnahmen Ein zentrales Problem beim Monitoring sozialer Menschenrechte ist, dass die meisten öffentlichen Statistiken zu Lebenslagen und sozialen Kenndaten zwar einen Überblick geben, wie viele Personen unterernährt sind, welche Gruppen besonderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind, welche Personen Schwierigkeiten im Zugang zu Bildungseinrichtungen haben etc., diese Daten aber nicht ohne weiteres erkennen lassen, ob es sich bei diesen Personen um Personen handelt, die in dieser Situation sind, weil der Staat gehandelt hat oder mögliche Handlungen unterlassen hat. Menschenrechtsbasiertes Monitoring macht eine Zuordenbarkeit der Ergebnisse zu staatlichem Handeln nötig, die im Einzelfall nicht immer einfach ist. Ein Beispiel soll dies illustrieren: In einem Land können immer noch Kinder unterernährt sein, obwohl der Staat eine hervorragende Politik zur Bekämpfung von Unterernährung von Kindern ergriffen hat. Dennoch kann die Wirkung dieser Politik Zeit benötigen und die Umsetzung wird einige Monate oder Jahre dauern, oder dem Staat fehlen möglicherweise die Ressourcen sie in allen Landesteilen zeitgleich umzusetzen. Liegt in einem solchen Fall eine Verletzung des Rechts auf Nahrung vor oder nicht? Aufgabe eines menschenrechtsbasierten Monitorings muss es in dem geschil22

s. Fn. 32. Vgl. UN Women Website, „Gender Responsive Budgeting“, unter: http://www.genderbudgets.org. 24 Vgl. den Parallelbericht zur Situation in Spanien, den das Center for Economic and Social Rights 2011 beim WSK-Ausschuss eingereicht hat: Zugriff unter: http://www.cesr.org/ article.php?id=1261 oder die Warnung des Independent Expert on External Debt, Dr. Cephas Luminas zu den Auswirkungen von Austrittsmaßnahmen auf Griechenland: Zugriff über: http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=38901&Cr=austerity&Cr1. 23

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derten Fall also sein, zu prüfen, (a) ob die ergriffene Maßnahme in der Tat geeignet ist Unterernährung von Kindern wirksam zu mindern, (b) ob der Staat die vorhandenen Ressourcen auch zielgerichtet für die besonders betroffenen Personen/Kinder einsetzt oder nicht. Erst mit Antworten auf diese Fragen wird ein Monitoring menschenrechtsbasiert. Die reine Statistik weist nur auf die Größe des Problems hin, die Veränderungen über die Zeit müssen in das Verhältnis zum Potential staatlichen Handelns gesetzt werden, um verlässlich Aussagen darüber treffen zu können, ob ein Staat seine Menschenrechtsverpflichtungen umsetzt. Eine solche menschenrechtsbasierte Beurteilung (Assessment) kann in der Regel aber nur in Bezug auf konkrete Situationen durchgeführt werden. (2) Variabilität nationaler Gegebenheiten Methodisch erscheinen solche Beurteilungen gerade bei der Umsetzung der Gewährleistungspflicht nicht einfach und stark von nationalen Gegebenheiten abhängig. Wie viele Ressourcen ein Staat potentiell haben kann, ist schwer als internationaler Standard festzulegen, denn die politischen Kulturen – beispielweise in der Akzeptanz von Steuern, in dem Ausmaß politischer Regulierung, die Gesellschaften politisch zulassen – variieren stark selbst zwischen verschiedenen Modellen von Wohlfahrtsstaaten. Es wird beim menschenrechtsbasierten Monitoring deshalb vor allem darauf ankommen, gravierende Knappheiten, substantielle Diskriminierungen und Exklusionsphänomene, d. h. gravierende Menschenrechtsverletzungen zu identifizieren. Politische Gestaltungsspielräume in der Umsetzung sollten erhalten bleiben. Neben der Frage, wie viele Ressourcen zur Umsetzung zur Verfügung stehen, ist die Frage wichtig, wie hoch der Ressourceneinsatz für bestimmte Problembereiche sein sollte. Soll eine Regierung vorhandene Ressourcen erst im Bildungsbereich oder im Gesundheitsbereich einsetzen? Wie können solche Abwägungen menschenrechtlich angeleitet werden? Hilfreich ist es deshalb, wenn Regierungen nationale Aktionspläne für die Umsetzung einzelner Rechte aufstellen, weil dann der geplante Ressourceneinsatz zur Lösung bestimmter Probleme transparent gemacht wird und vor allem mögliche Veränderungen über die Zeit geplant und festgelegt werden und damit offen sind für gesellschaftspolitische Debatten. Für die menschenrechtliche Beurteilung ist es gleichzeitig zentral zu beachten, dass es der Staat ist, der unter der Gewährleistungspflicht eine Pflicht zur unmittelbaren Gewährleistung hat, „wenn eine Einzelperson oder eine Gruppe aus Gründen, auf die sie keinen Einfluss hat, nicht in der Lage ist, das Recht auf angemessene Nahrung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln wahrzunehmen“. Verstöße gegen den Pakt liegen laut AB Nr. 12 Para 15 dann vor, wenn ein Staat „nicht den unverzichtbaren Mindestbedarf an Nahrung sicherstellt“. Die Nachweispflicht, dass der Staat selbst keine ausreichenden Ressourcen hat, liegt bei ihm selbst; dies gilt selbst auch für Katastrophensituationen.25 25 Diese Nachweispflicht ist in der Allgemeinen Bemerkung in Para 17 wie folgt formuliert: „Um festzustellen, welche Handlungen oder Unterlassungen eine Verletzung des Rechts

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(3) Politikfolgenabschätzung als Profil Eine weitere Schlüsselfrage für eine menschenrechtliche Überprüfung ist die nach der Qualität der ergriffenen Politikmaßnahmen. Hat der Staat Maßnahmen ergriffen, die auf eine Verbesserung der Lage besonders benachteiligter Personen oder Gruppen abzielen, oder gibt es Personengruppen, die ganz übersehen wurden? Sind die ergriffenen Maßnahmen eigentlich geeignet, mögliche Verletzungstatbestände zu beenden und den Opfern wirksam zu helfen? Zentral für eine Bewertung ist oft die Frage nach anderen Politikoptionen. Hätte es andere Möglichkeiten der Reaktion gegeben, bei denen mit gleichem oder reduziertem Ressourceneinsatz viel mehr – im Sinne der Situationsverbesserung – hätte erreicht werden können? Wie ist es möglich, die verschiedenen Effekte von Politikmaßnahmen zu vergleichen? Methodisch führt das Monitoring von ergriffenen Maßnahmen oder möglichen Politikoptionen in den Bereich der sozialwissenschaftlichen Politikfolgenabschätzung. Human Rights Impact Assessment ist deshalb eine entsprechende Methodik, um Erfahrungen mit menschenrechtsbasierten Politikfolgenabschätzungen zu gewinnen. Hilfreich wäre es insgesamt, wenn es zur Beantwortung der unter (1) bis (3) aufgeworfenen Fragen mehr Fallerfahrungen gäbe, die als Maßstab für die Bewertungen beim Monitoring genutzt werden könnten, beispielsweise Gerichtsentscheidungen auf nationaler Ebene (Jurisdiktion) oder vergleichbare Einzelfallentscheidungen unter dem neuen Individualbeschwerdemechanismus für den Sozialpakt. (4) Komplexe Politikfelder – komplexe Wirkungsketten Für die Umsetzung mancher WSK-Rechte sind Politikinterventionen in einer großen Zahl von Politikfeldern nötig. Am Beispiel des Rechts auf Nahrung kann man deutlich machen, dass es angemessene politische Regulierungen und Maßnahmen in einer Reihe von Politikfeldern geben muss, soll das Recht umgesetzt werden. Die Freiwilligen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung verdeutlichen dies in ihrer Struktur. Viele Leitlinien beschäftigen sich mit einzelnen Politikfeldern wie der Handelspolitik, dem Verbraucherschutz (Lebensmittelsicherheit), dem Zugang zu produktiven Ressourcen etc. Eine Umsetzung des Rechts auf Nahrung bedarf der Fortschritte in verschiedenen Politikfeldern. Gleichzeitig sind die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Politikfeldern komplex. Kleinbauernfamilien könnten staatlicherseits von der Regierung optimal gefördert werden, ohne dass ihnen dies für die Steigerung von Einkommen etwas nutzt, wenn die handelspolitischen Rahmenbedingungen eine Nutzung der sehr guten Förderpolitik verhindern. Die Komplexität steigt noch einmal dadurch, dass manche Wirkungsketten lang sind. So kann der auf Nahrung darstellen, ist es wichtig, zwischen der Unfähigkeit und der mangelnden Bereitschaft eines Vertragsstaates zu Einhaltung seiner Verpflichtungen zu unterscheiden. Sofern ein Vertragsstaat geltend macht, dass es ihm aufgrund unzureichender Mittel unmöglich ist, Menschen Zugang zu Nahrungsmitteln zu verschaffen, die selbst dazu nicht in der Lage sind, muss der Staat nachweisen, dass alle Anstrengungen zum Einsatz aller ihm zu Gebote stehender Mittel unternommen wurden, um diesen Mindestverpflichtungen mit Vorrang nachzukommen …“ (DIMR, 2005, S. 255 f.).

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Nachweis schwerfallen, welche Ergebnisse im Detail spezifische Politikmaßnahmen haben. Dies alles sind grundsätzliche methodische Probleme für die Zurechenbarkeit von Wirkungen. Sie müssen langfristig befriedigend gelöst werden, um eine menschenrechtsbasierte Beurteilung staatlichen Handelns vornehmen zu können. Wirkungskontrollen müssen die Politikfeld übergreifenden Zusammenhänge mit erfassen können. Viele der hier beschriebenen Herausforderungen haben eine besondere Relevanz für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte, da bei der Umsetzung dieser die Gewährleistungsverpflichtung eine besondere Bedeutung hat und hier Fragen der Ressourcenverfügbarkeit und der Politikoptionen eine herausgehobene Rolle spielen. Sie sind allerdings methodisch genauso relevant für Fragen der Wirkungsmessung und Zurechenbarkeit bei Achtungs- und Schutzpflichten. Bei Themen wie der Beendigung von Diskriminierung im Regierungshandeln (Achtungspflichten) oder der Frage, inwieweit private Akteure bei Investitionsprojekten alle möglichen Auswirkungen auf betroffene Personen beachtet haben (Schutzpflicht) und welche Standards des Human Rights Impact Assessments von diesen erwartet werden, wird schnell deutlich, dass vergleichbare Abschätzungsfragen der Wirkungsmessung und Zurechenbarkeiten auch im Bereich der Umsetzung der Achtungs- und Schutzpflichten auftreten.

C. Methoden des Monitorings Die systematische Arbeit zur Frage, wie ein menschenrechtsbasiertes Monitoring aussehen könnte, ist insgesamt relativ neu. Auf internationaler Ebene waren Entwicklungsstatistiken wie der Weltentwicklungsbericht und auch der Bericht über menschliche Entwicklung lange Zeit von sozioökonomischen Daten geprägt. Menschenrechtlich relevant wurde bereits beim Human Development Report (HDR) in den 90er Jahren eine Differenzierung der Daten im Blick auf Geschlechterdiskriminierung eingeführt. Der HDR 2000 argumentierte zum ersten Mal dafür, menschenrechtsbasiertes Monitoring einzuführen: „information and statistics are a powerful tool for creating a culture of accountability and for the realization of human rights“.26 Basierend auf dieser Anforderung ist das Interesse an quantitativen Messmethoden für Menschenrechte gestiegen. Im Menschenrechtsbereich gab es die Idee, dass Indikatoren eine besondere Bedeutung im Monitoring-Prozess von Staaten spielen sollten, bereits in einigen Allgemeinen Bemerkungen und Vertragstexten.27 Auf Bitte der Vorsitzenden der Vertragsausschüsse hatte das Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) 2006 ein Hintergrundpapier veröffentlicht, in dem diskutiert 26

UNDP (2000), Human Development Report 2000: human development and human rights, Oxford University Press, Zitat, S. 10 und 89. 27 Im neuen Indikatoren-Report des Hochkommissariats für Menschenrechte sind die Fundstellen zusammengestellt: Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights, delivered to the Economic and Social Council (16 April 2011), UN Doc. E/2011/90, paras. 5 – 7.

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wurde, wie quantitative Daten genutzt werden könnten, um die Umsetzungsarbeit von Staaten messbarer und vergleichbarer zu machen.28 In dem Papier wird die Nutzung von Indikatoren für die Messung der Umsetzung von Menschenrechten vorgeschlagen und festgehalten, dass für ein menschenrechtliches Monitoring die Indikatoren in Bezug zur Umsetzung von Staatenpflichten gesetzt werden müssen. Das OHCHR verwendet dabei drei Indikatorentypen: Struktur, Prozess und Outcome Indikatoren.29 Seit 2006 hat das OHCHR seine Arbeit zu Indikatoren in Länderarbeitsgruppen diskutiert und 2008 dann für ausgewählte Menschenrechte jeweils ein Set von illustrativen Indikatoren vorgestellt.30 Die Indikatorensets beinhalten für jedes Recht über 30 verschiedene Indikatoren. Eine große Leistung der Arbeit besteht darin, dass vorhandene sozioökonomische Indikatoren nutzbar gemacht werden als Ergebnis-Indikatoren (Outcome) und in Bezug gesetzt werden zur Umsetzung von Staatenpflichten. Sie werden in ein Gesamtwerk für die Messung von Veränderungen über die Zeit integriert und genutzt. Der Bericht weist aber auch darauf hin, dass die Indikatorenarbeit am Anfang steht und vor allem zur Beurteilung der Wirkung von verschiedenen Politikalternativen weitere Analysearbeit geleistet werden muss, da die vorhandenen sozioökonomischen Entwicklungsindikatoren hier nicht weit genug gehen. Das Grundkonzept der Struktur, Prozess und Outcome Indikatoren wurde inzwischen auch auf der regionalen Ebene von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission verwendet, bei der Entwicklung von Leitlinien für die Berichterstattung zu Art. 19 des Protokolls von San Salvador.31 Mit diesen Arbeiten und weiteren Detailstudien, die beispielsweise Zivilgesellschaftliche Organisationen zu einzelnen Rechten präsentiert haben32, sind erhebliche methodische Fortschritte 28

OHCHR, Report on Indicators for Monitoring Compliance with International Human Rights Instruments, delivered to the Eighteenth Meeting of Chairpersons of the human rights treaty bodies (22 June 2006), UN Doc. HRI/MC/2006/7. 29 Die Gliederung in Struktur, Prozess und Outcome Indikatoren wurde vorher mit vom UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Gesundheit, Paul Hunt, entwickelt und vorgeschlagen. Interim report of the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on the right of everyone to enjoy the highest attainable standard of physical and mental health, Mr. Paul Hunt, delivered to the General Assembly (10 October 2003), UN Doc. A/58/427, paras. 18 – 29. 30 OHCHR, Report on Indicators for Promoting and Monitoring the Implementation of Human Rights, delivered to the Twentieth Meeting of Chairpersons of the human rights treaty bodies (6 June 2008), UN Doc. HRI/MC/2008/3. 31 IACHR (2008): Guidelines for Preparation of Progress Indicators in the Area of Economic, Social and Cultural Rights (19. July 2008), IACHR Doc. OEA/Ser.L/V/II.132, Doc. 14 rev. 1, Zugriff unter: http://www.cidh.org/countryrep/IndicadoresDESC08eng/Indicadoresin dice.eng.htm. 32 Beispielhaft sei hier auf die folgenden Arbeiten verwiesen: FAO (2008): Methods to Monitor the Human Rights to Adequate Food; FIAN International (2007): Screen StateAction against Hunger: How to Use the Voluntary Guidelines on the Right to Food to Monitor Public Policies; UN-HABITAT (2003): ,Monitoring housing rights: Developing a set of indicators to monitor the full and progressive realisation of the human right to adequate housing‘, Background paper for the 2003 expert group meeting on housing rights monitoring; COHRE

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bei der Nutzung von Indikatoren erkennbar. Wünschenswert ist jetzt eine konsequente Nutzung von Indikatoren durch Staaten, Nationale Menschenrechtsinstitutionen und Zivilgesellschaft, um die vorhandenen Überlegungen weiterzuentwickeln und methodisch zu schärfen. Wünschenswert wäre es, wenn diese Überlegungen Niederschlag fänden bei der Weiterentwicklung der Millennium Development Goals nach 2015. Für die Überprüfung der MDGs wurden Indikatoren als Zielgrößen (Benchmarks) verwendet, das Indikatorenset war allerdings nicht bezogen auf die Umsetzung von Menschenrechtsverpflichtungen. Benchmarks wären eine gute Ergänzung für das Monitoring der Umsetzung von Menschenrechten, da Indikatoren ihre Wirkung vor allem entwickeln können, wenn eine Referenzgröße vorhanden ist. Der WSK-Ausschuss hat Staaten häufig aufgefordert eigene Zielgrößen für die Umsetzung der WSK-Rechte in der kommenden Periode der Berichtsprüfung zu formulieren. Eibe Riedel hat als Mitglied des WSKAusschusses ein eigenes vierstufiges System vorgeschlagen: IBSA (Indicators, Benchmarks, Scoping und Assessment), in dem für das regelmäßige Staatenberichtsverfahren Staaten sich selbst Zielmarken (Benchmarks) setzen sollen, was sie in einem gegeben Zeitraum an Umsetzungsschritten erreichen wollen. Die Zielmarken sollen im Vorfeld überprüft werden (scoping), damit Staaten die Ziele nicht zu niedrig fixieren. Anschließend sollen die Umsetzung der Benchmarks mit Indikatoren überwacht werden. Dieses System hat er mit der Menschenrechtsorganisation FIAN im Rahmen eines Forschungsprojektes für das Recht auf Nahrung exemplarisch erarbeitet und in Länderstudien überprüft. Es greift die Unterscheidung in Struktur, Prozess und Outcome Indikatoren auf, die vom OHCHR entwickelt worden war.33 Sakiko Fukuda-Parr, Terra Lawson-Remer und Susan Randolph haben sich ebenfalls für den Einsatz von Benchmarks ausgesprochen. In einem Forschungspapier plädieren sie allerdings dafür, Staaten die Benchmarks nicht selbst festlegen zu lassen, sondern Zielgrößen für die progressive Umsetzung von WSK-Rechten abhängig vom ökonomischen Entwicklungsstand eines Landes zu formulieren. Passend dazu haben sie auch eine technische Methode mit entwickelt.34 Beide Ansätze sind innovative Ideen zur praktischen Operationalisierung der Bestimmung einer „progressiven“ Umsetzung, wie sie Art. 2 des Sozialpaktes verlangt. Zum methodischen Umgang mit der Frage, wie viele Ressourcen vorhanden sind und wofür sie ausgegeben werden, haben verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen Methoden entwickelt, um die Haushaltsausgaben von Staaten einer men(2005): ,Monitoring Implementation of the Right to Water: A Framework for Developing Indicators‘, Global Issue Paper No. 14. 33 Riedel, E./Arend, J./Suárez Franco, A. (2010), ,Indicators – Benchmarks – Scoping – Assessment‘, Friedrich Ebert Stiftung Background Paper, Zugriff unter: http://www.fesglob alization.org/geneva/documents/HumanRights /6July10_BackgroundPaper_IBSA.pdf. 34 Fukuda-Parr, S./Lawson-Remer, T./Randolph, S. (2008), ,Measuring the Progressive Realization of Human Rights Obligations: An Index of Economic and Social Rights Fulfillment‘, Economic Rights Working Paper Series, Working Paper 8, The Human Rights Institute of the University of Connecticut.

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schenrechtlichen Analyse zu unterziehen. Diese Arbeit hat im Bereich der GenderAnalysen begonnen.35 Inzwischen gibt es umfangreiche Handbücher dafür, wie Budget-Analysen menschenrechtsbasiert durchgeführt werden können. Vorangetrieben wurde die Budget-Arbeit besonders vom International Budget Project und der mexikanischen Nichtregierungsorganisation Fundar.36 Neben der Analyse der staatlicherseits eingesetzten Budgets wurden in der letzten Zeit auch methodische Überlegungen angestellt, ob es nicht sinnvoll sein könnte, die Kosten für eine Umsetzung einzelner Menschenrechte zu berechnen und auf diese Weise zu identifizieren, welche Budgetansätze ein Staat dafür reservieren müsste. Die Überlegungen wurden von den protestantischen Entwicklungsorganisationen in Europa angestellt, um eine Größenordnung zu identifizieren, mit Hilfe derer festgelegt werden könnte, welche Haushaltsmittel bei Schuldenneuverhandlungen auf keinen Fall gekürzt werden dürften, d. h. sicherzustellen, dass der betroffene Staat seinen Menschenrechtsverpflichtungen nachkommen kann.37 Fortschritte wurden in der letzten Zeit auch im Hinblick auf eine menschenrechtsbasierte Wirkungsmessung erreicht. Human Rights Impact Assessment ist ein Feld, das bislang vor allem in zwei Kontexten entwickelt und operationalisiert wurde, (a) im Hinblick auf das Monitoring von Wirtschaftsaktivitäten38 und (b) im Hinblick auf die potentiellen Effekte von Handels- und Investitionsabkommen. Das Monitoring von Wirtschaftsaktivitäten wird derzeit intensiv weiterentwickelt, da dies als wichtige Aufgabe Wirtschaftsunternehmen durch den UN-Sonderbeauftragten zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, in seinen Leitprinzipien von 2011 eingefordert worden ist.39 Dadurch wird es methodisch hier schnell zu Weiterentwicklungen kommen. Ein „Human Rights Impact Assessment“ (HRIA) für Handels- und Investitionsabkommen wird vom UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, gefordert. Er hat 2011 einen Entwurf für Leitlinien

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s. Fn. 23. Beispielhaft aus der inzwischen umfangreichen Literatur zu Budget-Analysen: Fundar, IBP & IHRIP (2004), Dignity Counts: A guide to using budget analysis to advance human rights, Zugriff unter: http://internationalbudget.org/publications/dignity-counts-a-guide-tousing-budget-analysis-toadvance-human-rights. 37 Vgl. Aprodev (Association of protestant development organisations) (Hrsg.) (2010); Budgeting Human Rights, Brüssel und Equal in Rights (2011); A Guide to Costing Human Rights; Equal in Rights (2011); Frontloading Human Rights: a conceptual framework for building budgets and realizing rights. 38 Rights & Democracy (2011), Getting it Right: Human Rights Impact Assessment Guide; Human Rights Impact Resource Center Website, Zugriff unter: http://www.humanrightsimpa ct.org/home. 39 Ein umfangreiches Assessment für Unternehmen bietet das Dänische Institut für Menschenrechte auf seiner Webseite an: Zugriff unter: https://hrca2.humanrightsbusiness.org/. Die „Guiding Principles for Business and Human Rights“ von John Ruggie wurden am 16. Juni 2011 im Menschenrechtsrat angenommen. UN-Doc. A/HRC/17/31. 36

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für die Durchführung solcher HRIAs vorgelegt.40 Methodisch muss an der praktischen Durchführbarkeit von HRIAs für den Bereich Handels- und Investitionsabkommen gearbeitet werden. Human Rights Impact Assessments könnten sehr hilfreiche Instrumente sein, die Wirkungen einzelner Politikinstrumente sowohl ex ante als auch ex post zu erheben und dadurch eine Methodik zu entwickeln bzw. zu verfeinern, die es erlauben würde über die Auswirkungen unterschiedlicher Politikmaßnahmen zur Erreichung von Zielen nachzudenken. In diesem Bereich lassen sich viele methodische Empfehlungen aus den Erfahrungen der sozialwissenschaftlichen Politikfolgenabschätzung übernehmen. In mehreren Ländern gibt es derzeit Büros für Politik- und Technikfolgenabschätzungen, in Deutschland angesiedelt beim Bundestag. Den Versuch eines umfassenden Ansatzes zur Überprüfung der Umsetzung von Staatenpflichten im Blick auf WSK-Rechte hat kürzlich das Centre for Economic and Social Rights (CESR) vorgelegt. Unter dem Stichwort „OPERA-Framework“ untersucht das CESR die „Outcomes“ eines Landes, die politischen Bemühungen (Policy Efforts), den Ressourceneinsatz eines Landes (Resources) und macht anschließend eine Auswertung (Assessment).41 Das CESR legt damit einen umfassenden und durchdachten Ansatz vor, der eine Erweiterung der Indikatoren-Debatte (Struktur, Prozess und Outcome) darstellt, aber einen klaren Bezug zu den inhaltlichen Normen und Staatenpflichten aus den Allgemeinen Bemerkungen des WSKAusschusses herstellt. Er lebt allerdings wie alle anderen methodischen Ansätze vor allem vom abschließenden „Assessment“, d. h. der menschenrechtlichen Bewertung der gesammelten Daten. Die abschließende Bewertung wird immer einen konkreten Fall, die Situation bestimmter Personen oder Gruppen in den Blick nehmen müssen, um zu entscheiden, ob eine Regierung mehr Ressourcen hätte einsetzen können oder ob sie besser mit anderen Instrumenten auf die gegebene Situation hätte reagieren können.

D. Resümee: Relevanz und Bedeutung von menschenrechtsbasiertem Monitoring Teil drei des Beitrages hat einen Überblick gegeben über die methodischen Überlegungen für ein menschenrechtsbasiertes Monitoring, die in den letzten Jahren international vorangetrieben wurden. Viele der Entwicklungen stehen zwar noch am Anfang, dennoch wurden wichtige Detailfortschritte erreicht. Bei allen quantitativen Ansätzen und neuen methodischen Ansätzen wird am Ende die Bedeutung einer menschenrechtlichen Bewertung der unternommenen staatlichen Anstrengungen 40

de Schutter, O. (2011), ,Draft Guiding Principles on human rights impact assessments of trade and investment agreements‘. Zugriff unter: http://www.srfood.org/images/stories/pdf/ otherdocuments/20110701_draftguiding-principles-on-hria.pdf. 41 CESR (2011): The Opera Framework. Assessing compliance with the obligation to fulfill economic, social and cultural rights. Zugriff unter: http://www.cesr.org/downloads/Draft CESR paper: The OPERA framework.

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zur Umsetzung der Menschenrechte deutlich. Die Kriterien für solche menschenrechtlichen Bewertungen werden vor allem durch Erfahrungen aus der Praxis von Einzelstudien, von Individualbeschwerden und Gerichtsurteilen entstehen. In diesem Sinne ist vor allem mehr Praxis nötig, um befriedigende Antworten auf die im zweiten Teil benannten besonderen Herausforderungen zu geben. Zentrale Schlussfolgerung des Beitrags ist die Erkenntnis, dass ein menschenrechtsbasiertes Monitoring eine besondere Relevanz für die Überprüfung der Umsetzung von Menschenrechten hat und die staatliche Rechenschaft (Accountability) erhöhen kann. Menschenrechtsbasiertes Monitoring ist eine neue Aufgabe für alle oben genannten Akteure. Es kann Aussagen über die Umsetzung von Menschenrechtsnormen durch staatliches Handeln treffen und muss sich dabei an den Staatenpflichten orientieren. Dabei kann auf vorhandene quantitative statistische Daten zurückgegriffen werden, diese müssen aber methodisch besonders ausgewertet werden. In den letzten zehn Jahren hat es substantielle Überlegungen zur Weiterentwicklung der Methodik menschenrechtlichen Monitorings gegeben und vielversprechende Fortschritte in der Operationalisierung von Indikatoren und Benchmarks zu diesem Zwecke. Methodische Fortschritte gibt es auch im Hinblick auf menschenrechtsbasierte Wirkungsmessung. Während es bereits viele Erfahrungen und zahlreiche fallbezogene Analysen bei der Darstellung von Verletzungen von Menschenrechten gibt und dafür methodisches Rüstzeug vorhanden ist, steht die systematische Analyse staatlichen Handelns und Unterlassens immer noch am Anfang. Der Beitrag hat deutlich gemacht, dass die Fortschritte der letzten Jahre groß sind und es jetzt vor allem auf die Anwendung und Weiterentwicklung der neuen methodischen Erkenntnisse in konkreten Fällen ankommen wird. Die Methoden menschenrechtsbezogener Wirkungsmessung müssen dabei ebenso weiterentwickelt werden wie die Kriterien für eine menschenrechtsbasierte Bewertung staatlichen Handelns.

The Holy See, a Former Somalian Prime Minister and a Confiscated Pissarro Painting: Recent U.S. Case Law on Foreign Sovereign Immunity By Thomas Giegerich

A. Introduction: Foreign Sovereign Immunity as an Issue of U.S. Law State immunity or sovereign immunity has been one of the most debated topics of general international law of the last decades. On the initiative of the UN General Assembly (GA),1 the International Law Commission (ILC) took up the study of the law of jurisdictional immunities of states and their property in 1978. It submitted a final set of articles with commentaries to the GA in 1991.2 After years of further discussions, the GA finally adopted the United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property (UNCImm) on 2 December 2004.3 It has not yet entered into force.4 Although the European Convention on State Immunity (ECSI) of 16 May 19725 is in force, only eight of the 47 member states of the Council of Europe have ratified it. States are obviously reluctant to assume treaty commitments in this respect. In a recent judgment,6 the International Court of Justice (ICJ) elucidated certain aspects of state immunity under customary international law such as the alleged exception for ius cogens violations7 and the territorial tort exception.8

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GA Resolution 32/151 of 19 December 1977. See . 3 GA Resolution 59/38 of 2 December 2004, . 4 On 25 January 2012, the Convention had 13 parties, 17 short of the number necessary under its Art. 30 (1); 18 more states had signed it. 5 CETS No. 074, . 6 Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy; Greece Intervening), Judgment of 3 February 2012. 7 See T. Giegerich, “Do Damages Claims Arising from Jus Cogens Violations Override State Immunity from the Jurisdiction of Foreign Courts?”, in: C. Tomuschat/J. M. Thouvenin (eds.), The Fundamental Rules of the International Legal Order (2006), 203 et seq. 8 See Art. 12UNCImm, supra fn. 3. 2

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The United States has been the mainspring of progress in state immunity law since the Tate letter of 1952 in which the State Department announced that it would henceforth apply the restrictive theory according to which state immunity extends only to public acts (acta iure imperii) but not commercial activity (acta iure gestionis).9 That move came in reaction to the appearance of state enterprises from non-market economies. At that time, courts in the US consistently deferred to the State Department’s suggestion as to whether claimed immunity should be granted in a particular case.10 The granting of immunity was depoliticized and the pertinent rules were clarified when Congress adopted the Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA) of 197611, the first national statute of its kind. That act transferred the decision on claims of foreign states to immunity to the courts, subject to the rules embodied in the FSIA.12 This statutory regime was intended to incorporate “standards recognized under international law.”13 At the same time, the US district courts were given original jurisdiction for civil actions against foreign states not entitled to immunity.14 It is not yet clear whether the courts are required to grant deference to the views of the State Department on the foreign policy implications any exercise of jurisdiction under the FSIA might have.15 Since 1976, the FSIA, which codifies the restrictive theory of state immunity, has provided the sole basis for obtaining jurisdiction over a foreign state, including its political subdivisions, agencies and instrumentalities,16 in courts in the US.17 In the last 35 years, many cases have been decided by the federal courts on the basis of the FSIA. 28 USC § 1604, the FSIA’s central provision, as a rule grants immunity from the jurisdiction of the federal and state courts to a foreign state “except as provided in sections 1605 to 1607”, subject to international agreements. Apart from those agreements,18 the presumption of § 1604 can thus only be rebutted by the exceptions exhaustively enumerated in the FSIA; unless one of them applies, the courts 9

Reprinted in 47 AJIL 93-4 (1953). R. G. Steinhardt, “United States Foreign Sovereign Immunities Act (1976)”, in: R. Wolfrum (ed.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), margin nos. 2 et seq. 11 90 Stat. 2891, 15 ILM 1388 (1976), codified as 28 USC §§ 1330, 1602 – 1611 (with later amendments). 12 28 USC § 1602. 13 Report of the Committee on Judiciary of the House of Representatives, H.R. Rep. No. 94-1487 (1976), reprinted in 15 ILM 1398, 1405 (1976). 14 28 USC § 1330. 15 This was expressly left open by the US Supreme Court in Republic of Austria v. Altmann, 541 U.S. 677, 701-2 (2004). 16 28 USC § 1603 (a), (b). 17 Argentine Republic v. Amerada Hess Shipping Corporation, 488 U.S. 428, 439 (1989). 18 The proviso was intended to ensure that the enactment would not affect the provisions of the NATO Status of Forces Agreement or similar agreements nor commercial agreements (Report [note 13], 1407). 10

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will not have subject matter jurisdiction.19 Otherwise the foreign state will be liable as a private individual defendant under like circumstances,20 i. e. subject to substantive federal or state law rules of liability outside the FSIA which is a jurisdictional statute only. The FSIA applies retroactively to conduct preceding its enactment, on the theory that jurisdictional issues are governed by the law of the time when the jurisdiction is to be exercised.21 While the FSIA cursorily mentions international law,22 not least because Congress enacted it for the purpose of bringing US law into conformity with international legal standards,23 it does not meticulously codify those standards. Rather, Congress assumed that “[a]lthough the general concept of sovereign immunity appears to be recognized in international law, its specific content and application have generally been left to the courts of individual nations.”24 When formulating the detailed rules on the exceptions to state immunity for the courts in the US, Congress therefore enacted whatever it considered politically and legally appropriate without giving much thought to international law. Since then, the statute has developed an independent existence, becoming ever more detached from its international law roots. This holds true for both legislative amendments and judicial applications. Thus, when Congress added the “terrorism exception” to the jurisdictional immunity of a foreign state in 1996,25 it obviously went beyond the exceptions recognized by current international law,26 using its power to override customary international law within the domestic legal order of the US.27 Courts in the US rarely refer to international law when interpreting the FSIA, despite the early decision of the US Supreme Court that federal statutes are to be interpreted in conformity with international law where possible28 – an approach suggesting itself with regard to a statute trying to codify the international law pre-

19 Republic of Austria v. Altmann, supra fn. 15, at p. 691; Permanent Mission of India to United Nations v. City of New York, 551 U.S. 193, 197 (2007). See also Steinhardt, supra fn. 10, at margin no. 7. 20 28 USC § 1606. 21 Republic of Austria v. Altmann, supra fn. 15. See also ICJ, supra fn. 6, at para. 58. 22 28 USC § 1602 (“international law”), § 1604 and § 1609 (“international agreements”). 23 Steinhardt, supra fn. 10, at margin no. 13. See also supra fn. 13. 24 Report, supra fn. 13, at p. 1405. 25 28 USC § 1605 A. 26 See Arts 10 – 17 UNCImm. See also R. J. Bettauer, Germany Sues Italy at the International Court of Justice on Foreign Sovereign Immunity, ASIL Insight, Vol. 13, Issue 22 (19 November 2009). 27 See American Law Institute (ed.), Restatement of the Law (Third): The Foreign Relations Law of the United States, Vol. 1 (1987), § 115. 28 Murray v. Schooner Charming Betsy, 6 U.S. (2 Cranch) 64, 118 (1804).

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cepts on state immunity.29 One of the reasons may be a mistakable passage in the first US Supreme Court decision dealing with sovereign immunity which stated that the territorial jurisdiction of a state was absolute and susceptible to no limitation not imposed by itself, for instance by implicitly consenting not to exercise its jurisdiction over a foreign sovereign.30 This has led some scholars to conclude that the granting of state immunity was only a matter of political courtesy (comity) and not of legal obligation.31 The codification efforts of the ILC and the recent ICJ decision have proved them wrong: the rules on state immunity are part of customary international law, even though their exact scope is often controversial.32 Referring to Art. 2 para. 1 UN Charter, the ICJ explained that state immunity “occupies an important place in international law […] It derives from the principle of sovereign equality of States, which […] is one of the fundamental principles of the international legal order.”33 The practical operation of the FSIA will be analysed below on the basis of three recent cases of considerable political importance that will likely generate further litigation. The first one concerns the question whether the Holy See enjoys immunity from actions in connection with sexual abuses of juveniles committed by Catholic priests.34 The second case deals with the immunity of former high foreign government officials who are sued for damages on account of human rights violations they allegedly committed while in office.35 The third case expounds the FSIA’s expropriation exception to state immunity in the context of a suit to recover a painting confiscated by the Nazi government of Germany from a Jewish persecutee.36 All three proceedings were initiated by victims of outrageous and inhuman treatment which partly explains their outcome.

29 See e. g. Permanent Mission of India, supra fn. 19, at pp. 201 et seq. which cites the Vienna Convention on Diplomatic Relations of 1961 (500 UNTS 95) but does not mention the customary rules on state immunity. 30 The Schooner Exchange v. McFaddon, 11 U.S. (7 Cranch) 116, 136 et seq. (1812). See also Verlinden B.V. v. Central Bank of Nigeria, 461 U.S. 480, 486 (1983): “foreign sovereign immunity is a matter of grace and comity on the part of the United States, and not a restriction imposed by the Constitution.” 31 See L. M. Caplan, “State Immunity, Human Rights, and Jus Cogens”, (2003) 97 AJIL 741, at pp. 763 et seq. But see J. Finke, “Sovereign Immunity: Rule, Comity or Something Else?”, (2010) 21 EJIL 853, at pp. 870 et seq. 32 P. T. Stoll, State Immunity, in: Wolfrum, supra fn. 10, at margin no. 2. 33 ICJ, supra fn. 6, at para. 57. 34 Doe v. Holy See, 557 F.3d 1066 (9th Cir. 2009), . See infra B. 35 Samantar v. Yousuf, 560 U.S. __ (2010), 130 S. Ct. 2278 (2010), . See infra C. 36 Cassirer v. Kingdom of Spain, 616 F.3d 1019 (9th Cir. 2010 – en banc), , cert. denied on 27 June 2011, No. 10-786, < http://www.supremecourt.gov/orders/journal/jnl10.pdf, 1014>. See infra D.

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B. Denial of Immunity to Holy See Under Tort Exception in Sexual Abuse Cases Doe v. Holy See37 concerns one important aspect of the extensive litigation in the US against the Catholic Church regarding allegations of widespread sexual abuse of youths by members of the clergy.38 Doe (a pseudonym) sued the Holy See for damages, alleging that while a juvenile he had been sexually abused by a Catholic priest in Oregon. That priest had been involved in similar incidents in other places before being transferred to Oregon. The plaintiff based his claims under Oregon law on the Holy See’s vicarious respondeat superior liability for its employee and also alleged direct liability for defendant’s negligent retention and supervision of the priest and its negligent failure to warn Doe of the priest’s dangerousness. The Holy See claimed immunity as a foreign sovereign. Assuming plaintiff’s factual allegations to be true, the District Court refused to apply the FSIA’s commercial activity exception,39 but it denied the defendant’s immunity on the basis of the tort exception.40 The Court of Appeals for the 9th Circuit in a per curiam opinion41 agreed with the District Court that Doe’s respondeat superior claim (but not his direct liability claims) came within the FSIA’s tort exception. To that extent the Holy See was not immune from suit. While the per curiam opinion did not consider the commercial activity exception for jurisdictional reasons, refusing to inquire into “the arcane question of whether church functions are commercial activity because churches receive financial support from their parishioners, or otherwise”, both the partially dissenting opinion and the concurring opinion addressed that question. Without referring to international law, the per curiam opinion implicitly assumed that the Holy See qualified as a “foreign state” in the sense of 28 USC § 1604 and immediately proceeded to the tort exception. It held that the priest’s actions which could give rise to defendant’s respondeat superior liability under Oregon law were within the scope of his employment by the Holy See, as required by the tort 37

Supra fn. 34. J. Fantau, “Rethinking the Sovereign Status of the Holy See”, (2011) 19 Cardozo J. Int’l & Comp. L. 487, at pp. 488 et seq. 39 28 USC § 1605 (a) (2): “A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case – […] (2) in which the action is based upon a commercial activity carried on in the United States by the foreign state […]”. 40 28 USC § 1605 (a) (5): “A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case – […] (5) not otherwise encompassed in paragraph (2) above, in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death, or damage to or loss of property, occurring in the United States and caused by the tortious act or omission of that foreign state or of any official or employee of that foreign state while acting within the scope of his office or employment; except this paragraph shall not apply to – (A) any claim based upon the exercise or performance or the failure to exercise or perform a discretionary function regardless of whether the discretion be abused […]”. 41 This is an opinion by an appellate court which does not identify the individual judge who wrote it (Black’s Law Dictionary, 9th ed. 2009, 1201). 38

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exception.42 Accordingly, the Holy See was not immune from Doe’s respondeat superior claim. With regard to the plaintiff’s negligent retention, supervision and failure to warn claims, however, the court granted immunity to defendant on the basis of the discretionary function counter-exception which made the tort exception inapplicable. The Holy See’s decisions whether to retain the priest, how to supervise him and whether to warn his parishioners were of a kind that typically involved policy judgments the counter-exception was designed to protect. Having partially affirmed and partially reversed the district court decision, the Court of Appeals remanded the case for further proceedings not inconsistent with its own opinion. In her partly dissenting opinion, Judge Berzon explained that she would have denied immunity to the Holy See also with regard to Doe’s negligent retention, supervision and failure to warn claims because these came within the commercial activity exception. In difference to the majority she thought that the Court of Appeals had jurisdiction to apply that exception which she interpreted broadly, relying on a US Supreme Court decision that had classified the issuance of bonds by Argentina to refinance its debt as commercial.43 She would consider as “commercial” all activities in which a foreign state engaged by exercising only those powers that could also be exercised by private citizens rather than powers peculiar to sovereigns.44 Every activity that was not sovereign in nature was commercial, regardless of its purpose or motive45 or profitability. On this basis employment relationships between foreign states and their employees were generally to be treated as commercial unless the employee was a civil service, diplomatic, or military employee. The priest did not belong into any of these categories. Rather, he was hired for ecclesiastical and parochial services which could be performed by non-governmental entities and indeed were, for example by the Mormon Church and the Greek Orthodox Church which also operated international religious institutions. While acknowledging the unique character of the Holy See as a sovereign, Judge Berzon insisted on applying the FSIA to it in the same way as to states. The FSIA was intended to protect only governmental activities and not religious activities. Having explained that Doe’s negligence claims were “based upon” the Holy See’s commercial activity (i. e. the employment relationship), the dissenter did not consider the fact as decisive that they were tortious in nature. That did not make the tort exception exclusively applicable and the commercial activity exception inapplicable; rather, both could be applied to the same conduct.46 42 The different conclusion of the U.S. Court of Appeals for the 6th Circuit in O’Bryan v. Holy See, 556 F.3d 361 (2009), cert. denied, 130 S. Ct. 361 (2009) was due to differences in the relevant state law. 43 Republic of Argentina v. Weltover, 504 U.S. 607 (1992). 44 See H. Fox, The Law of State Immunity (2nd ed. 2008), 342 et seq. on the commercial activity exception in general. 45 See 28 USC § 1603 (e). 46 But see O’Bryan v. Holy See, supra fn. 42.

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Judge Fernandez added a concurring opinion specifically for the purpose to refute the dissenter’s position on the commercial activity exception. He was obviously upset by the idea that holy activities like celebrating masses, hearing confessions or giving religious advice were market operations. Reading the US Supreme Court’s Weltover decision47 differently than his colleague, he pointed out that not every possible private activity was commercial in the sense of the FSIA. Sovereigns only pursued a commercial activity when they performed the type of actions by which a private party engaged in trade and traffic or commerce. Priestly counselling to a faithful – the very service that the Holy See with its unique kind of sovereignty was designed for – was no market activity, nor could it be performed by any private individual. The Holy See filed a petition for a writ of certiorari. In an amicus curiae brief submitted upon the invitation of the US Supreme Court, the United States recommended that the petition be granted, the decision vacated and the case remanded.48 The US argued that the Court of Appeals had misapplied the tort exception but only for reasons of domestic law. The brief did not make any argument based on international law. It only included a general statement that the US had an interest in ensuring that courts in the US carefully applied the FSIA “[b]ecause improperly subjecting a foreign state to suit can in some circumstances raise foreign-relations and reciprocity concerns”.49 The US Supreme Court denied the petition in an unreasoned order,50 presumably because the per curiam opinion did not conflict with any other court decision so that there was no need to intervene for the sake of legal certainty.51 It is well established that the purely discretionary denial of certiorari cannot be interpreted as an endorsement of the decision below.52 The District Court has meanwhile made a jurisdictional discovery order53 upon which the Holy See released all the relevant documents in its archives.54 Had it refused, it would have become subject to the imposition (though probably not the enforcement) of civil sanctions for contempt of court which are not precluded by the FSIA.55

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Supra fn. 43. See . 49 Id., at 20. 50 28 June 2010, No. 09-1, . Currently six of the nine Justices are Catholic. 51 See Rule 10 of the Rules of the U.S. Supreme Court of 12 January 2010, . 52 See, e. g., Ohio ex rel. Eaton v. Price 360 U.S. 246 note 1 (1959) (per curiam); Maryland v. Baltimore Radio Show, 338 U.S. 912, 917 – 19 (1950) (Frankfurter, J.). 53 Doe v. Holy See, U.S. District Court, District of Oregon, Opinion and Order of 20 April 2011, . 54 See . 55 FG Hemisphere Associates, LLC v. Democratic Republic of Congo, 637 F.3d 373 (D.C. Cir. 2011). See 105 AJIL 578 (2011). 48

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This case which is likely to elicit further suits against the Holy See calls for a brief evaluation. Most states have recognized the Holy See, consisting of the Pope and the Roman Curia that form the universal government of the Catholic Church, as a unique (sui generis) sovereign or subject of international law which is distinct from the State of the Vatican City that has constituted its territorial basis since the 1929 Lateran Treaties.56 Of the two, the Holy See plays the principal role internationally while the Vatican City’s role is subsidiary.57 Over 170 states maintain diplomatic relations with the Holy See; the US has done so since 1984.58 The Holy See is a full member of several international organizations (e. g. the WIPO and the IAEA) and has observer status with several others, including the United Nations and the Council of Europe. It has signed and ratified a large number of important multilateral treaties such as the four Geneva Conventions of 1949. In view of the Holy See’s international legal personality, its close nexus with the State of the Vatican City whose international relations the Holy See administers, and its recognition as an equal by most states there can be no doubt that at least those states which maintain diplomatic relations with the Holy See are obliged to grant it the same immunity mutatis mutandis as they grant states. Accordingly, the US courts have as a matter of course applied the FSIA to the Holy See as if it were a state. It is another matter if any of the internationally recognized exceptions to state immunity permitted the US courts to exercise jurisdiction in the instant case. While it can safely be assumed that the commercial activity exception of the FSIA is part of customary international law,59 it is questionable whether priestly activities may be qualified as acta iure gestionis. The fact that those activities could also be undertaken by private (or public but non-sovereign) entities does not distract from the fact that the Holy See’s sovereignty has long been recognized precisely to enable it to conduct them on a par with the normal sovereign activities of states.60 Priestly activities are the quintessential acta iure imperii of the Holy See. Moreover, international law seems to recognize only a commercial transaction exception and not a general non-sovereign or private act exception to State immunity.61 Even if one does not categorize priestly activities as mutatis mutandis sovereign, they are certainly not com56 G. Westdickenberg, Holy See, in: Wolfrum, supra fn. 10; R. J. Araujo, “The International Personality of the Holy See”, (2001) 50 Cath. U.L. Rev. 291, at pp. 323 et seq. The Pope functions as the Head of State of both these subjects of international law and thus enjoys personal immunity. 57 It is therefore impossible to consider the Holy See as an instrumentality of the State of the Vatican City (but see Fantau, supra fn. 38). Rather, the latter is an instrumentality of the former. 58 See the Background Note “Holy See” by the US Department of State, . 59 Stoll, supra fn. 32, margin nos. 26 et seq. 60 See fn. 2 in the concurring opinion of Judge Fernandez, supra fn. 34. 61 Art. 10 UNCImm. See also A. J. Bullier, “La cour suprême des États-unis refuse d’entendre un appel déniant au Saint Siège la pleine immunité de souveraineté”, Revue de droit international et de droit comparé 2010, 398, at p. 401.

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mercial, neither regarding their nature nor their purpose.62 The fact that the actor (the priest in the instant case) may have exercised the ‘sovereignty’ of the Holy See on the basis of an employment contract does not turn his ‘sovereign’ acts into commercial acts. In making the contrary argument, Judge Berzon implicitly refers to but apparently misunderstands the employment contract exception to state immunity which covers only disputes between the state and its employee.63 This leaves only the tort exception which has been included in Art. 12 UNCImm in rather sweeping terms.64 The ILC’s pertinent commentary explains that the exception is mainly concerned with insurable risks of accidents but formulated broad enough to cover even assassinations.65 The commentary also indicates that it is questionable whether the provision codifies customary international law and that some ILC members had serious reservations in this regard.66 These reservations were shared by the European Court of Human Rights.67 When commenting on the draft UNCImm in 2004, even the US stated that Art. 12 “must be read in the light of established State practice to concern tortious acts or omissions of a private nature […], while preserving immunity for those acts of a strictly sovereign or governmental nature.”68 The ICJ has now made clear that there was no tort exception to state immunity in customary international law which would encompass torts allegedly committed by the armed forces or other organs of a state on the territory of another state in the course of conducting an armed conflict. While it left open the question whether other acts iure imperii on foreign territory might fall under such an exception,69 the ICJ judgment aggravates existing doubts. The only relatively safe assumption is that customary international law today excepts torts committed in the forum state from immunity to the extent that they constitute insurable risks. The crime of sexual abuse is not among those risks.

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See the definition in Art. 2 (1) (c), (2) UNCImm. Art. 11 UNCImm. The ILC’s pertinent commentary states that this exception had only recently emerged, supra fn. 2, at p. 41. 64 See also Arts 11, 31 ECSI. See Fox, supra fn. 44, at pp. 569 et seq. 65 By way of an example, the ILC referred to Letelier v. Republic of Chile, 488 F.Supp. 665 (D.D.C. 1980) which had been based on the FSIA’s tort exception, supra fn. 2, at p. 45 fn. 149. 66 Supra fn. 2, at pp. 44 et seq. 67 Judgment of 21 November 2001 (Mc Elhinney v. Ireland [No. 31253/96]), § 38. 68 A/C.6/59/SR.13 of 22 March 2005, 10 (para. 63) (intervention by Mr. Rosand, USA). 69 ICJ, supra fn. 6, at paras 62 et seq. 63

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C. Former Somalian Prime Minister’s Immunity not Governed by FSIA Samantar v. Yousuf70 is about the immunity which foreign officials enjoy under international law. Before the collapse of the Somalian military regime in 1991, petitioner Samantar was the Prime Minister and at other times the Minister of Defense and the First Vice President of Somalia. Respondents claim that they, or members of their families, were victims of torture, extrajudicial killings and arbitrary detentions committed by military forces under the control of petitioner. Respondents sued petitioner, who now resides in the US, for damages under the Torture Victim Protection Act of 1991 (TVPA)71 and the Alien Tort Statute (ATS).72 Petitioner claimed immunity under the FSIA which the District Court affirmed after having long waited in vain for a statement from the US State Department. The Court of Appeals for the 4th Circuit rejected the view held by the District Court and other Circuits that the FSIA applied also to individual officials of a foreign state. It remanded the case to the District Court for a determination whether petitioner enjoyed immunity under the common law. In view of the split among the Circuits, the US Supreme Court granted certiorari73 and unanimously affirmed the position of the 4th Circuit.74 The US Supreme Court held that the statutory text and history clearly showed that the FSIA only applied to foreign states, their subdivisions, agencies and instrumentalities (i. e. entities) and did not cover individual officials. Congress did apparently not want to eliminate the traditional role of the State Department with regard to individual official immunity. Petitioner expressly invoked “the canon that a statute should be interpreted in compliance with international law”75 but the Court noted that its opinion did not deprive Samantar of any immunity to which he might be entitled under international law. It only meant that petitioner was not protected by the FSIA and had to seek protection under the common law, a matter to be decided by the District Court on remand. That court would also need to determine whether the action against the official had to be treated as an action against the state, in which case it would have to be dismissed if the state enjoyed immunity under the FSIA, irrespective of the common law immunity of the official.76 The US Supreme Court left undecided “whether declining to afford immunity to petitioner would be inconsistent with international law.”

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Supra fn. 35. 106 Stat. 73, 28 USC § 1350 note. 72 28 USC § 1350. 73 557 U.S. __ (2009). 74 Supra fn. 35. 75 Id., at fn. 14, citing the Charming Betsy case (supra fn. 28). 76 See C. Wickremasinghe, “Immunities Enjoyed by Officials of States and International Organizations”, in: M. Evans (ed.), International Law (3rd ed. 2010), 380, at pp. 396 et seq. 71

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On remand, the District Court will now have to determine whether Samantar enjoys immunity pursuant to the federal common law which in this respect is informed by customary international law. Among the questions to be answered in this context are these:77 Does Samantar enjoy (former) Head of State or Head of Government immunity ratione personae?78 Were the egregious human rights violations he is charged with committed in his official capacity so that he may enjoy immunity ratione materiae? Are there other reasons under international or national law to deny Samantar’s claim to immunity because of the gravity of the alleged human rights violations?79 Does it matter that Somalia has become a failed state with no government recognized by the US? Does the assertion of immunity of a foreign official by the State Department bind the courts? Did Congress override any common law immunity by enacting the TVPA which has established claims for damages in favor of torture victims? If the State Department chooses not to intervene in the case,80 the courts will have to decide the immunity issue on their own.81 Presumably, they will follow the Pinochet case82 of the UK House of Lords and point out that as a former official Samantar at best enjoys immunity ratione materiae which is intended to protect Somalia from interferences in its sovereignty by foreign courts. Somalia is under an international legal obligation to prosecute Samantar for his crimes and ensure that he compensates his victims. Being a failed state and thus unable to fulfil this obligation, it cannot invoke immunity to prevent the US courts from stepping in.83 On the other hand, Art. 2 para 1 lit. b (iv) UNCImm equates representatives of a state acting in that capacity with the state for purposes of immunity without recognizing any exception for international crimes.84 With regard to the substantive claims under the TVPA and the ATS, further questions remain to be answered, including the statute of limitations.85 77 See D. P. Stewart, “Samantar v. Yousuf: Foreign Official Immunity Under Common Law”, ASIL Insight, Vol. 14, Issue 15 (June 14, 2010). 78 See A. Watts, Heads of State, in: Wolfrum, supra fn. 10, margin nos. 12 et seq.; id., Heads of Governments and other Senior Officials, margin nos. 11 et seq. 79 See Regina v. Bartle, ex parte Pinochet, . See generally R. van Alebeek, The Immunity of States and Their Officials in International Criminal Law and International Human Rights Law (2008). 80 See H. H. Koh, “Foreign Official Immunity After Samantar: A United States Government Perspective”, (2011) 44 Vand. J. Transnat’l L. 1141, at pp. 1159 et seq. 81 On possible criteria see C. I. Keitner, “Foreign Official Immunity after Samantar”, (2011) 44 Vand. J. Transnat’l L. 837, at pp. 849 et seq. 82 Supra fn. 79. 83 See also S. Andrews, “U.S. Courts Rule on Absolute Immunity and Inviolability of Foreign Heads of State”, ASIL Insight (November 2004); B. Stephens, “The Modern Common Law of Foreign Official Immunity”, (2011) 79 Fordham L. Rev. 2669. 84 D. P. Stewart, The Immunity of State Officials Under the UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property, (2011) 44 Vand. J. Transnat’l L. 1047. 85 See E. J. Sanchez, “Samantar v. Yousuf”, (2011) 105 AJIL 319, at pp. 324 et seq.

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D. Nazi Confiscation of Pissarro Painting Deprives Spain of Immunity The plaintiff in Cassirer v. Kingdom of Spain86 was the heir of a German Jew whose Pissarro painting had been confiscated in 1939 by the Nazis as an act of racist persecution. It was later successively bought by several art dealers before it ended up in the collection of Baron Thyssen-Bornemisza. The Baron ultimately sold his entire collection to the Kingdom of Spain which established the Thyssen-Bornemisza Collection Foundation as an instrumentality running a museum in Madrid where the collection is on display. The Spanish Minister for Culture having refused to return the painting, the plaintiff filed suit in the US seeking either its return or recovery of damages for conversion. Defendants moved to dismiss on grounds of state immunity pursuant to the FSIA. After a panel of the Court of Appeals for the 9th Circuit had denied defendants’ state immunity claim, the Court decided to rehear the case before the full bench (en banc). In a 9:2 decision, the 9th Circuit concluded that defendants did not enjoy immunity under the FSIA.87 The majority relied on the expropriation exception in 28 USC § 1605 (a) (3) according to which a foreign state is not immune in any case “in which rights in property taken in violation of international law are in issue and that property […] is owned or operated by an agency or instrumentality of the foreign state and that agency or instrumentality is engaged in a commercial activity in the United States”. Plaintiff’s claim as to the illegality of the expropriation was considered as plausible which was sufficient at the jurisdictional stage. In all this, the majority assumed that the original owner had been stripped of her German citizenship before the confiscation took place; the District Court’s determination to this effect was not challenged on appeal. That assumption was legally decisive because the 9th Circuit had previously held that the expropriation exception did not apply where the plaintiff was a citizen of the state that took her property since such taking was of no international concern.88 The case raised three important issues: whether the expropriation exception extended to the instrumentalities of a state which had not taken the painting in violation of international law; whether the Foundation engaged in sufficient commercial activity in the U.S.; and whether the exercise of jurisdiction was conditional on the prior exhaustion of remedies in Spain and Germany. The majority gave affirmative answers to the first two questions and a negative answer to the third question without even mentioning international law. With regard to the first, the majority referred to the plain meaning of the statutory text which was written in the passive voice and thus required only that the property had been taken by any foreign state in violation of international law, not necessarily the state being sued. The text of the expropriation exception did not include an exhaustion requirement either. The defendants might 86

Cassirer v. Kingdom of Spain, 461 F. Supp. 2d. 1157 (C.D. Cal. 2006). Supra fn. 36. 88 Chuidian v. Philippine National Bank, 912 F.2d 1095, 1105 (9th Cir. 1990).

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later raise non-exhaustion at the merits stage as a reason to deny the existence of a taking in violation of international law, but it played no role at the jurisdictional stage. The two dissenting judges, in spite of their sympathy for the victims of Nazi persecution, would not apply the expropriation exception to a state like Spain that had not taken the property in violation of international law. They found that the wording of the provision was ambiguous in this respect and should be read more narrowly.89 In support they cited the Hickenlooper Amendment of 1964 which provided that claims arising out of foreign expropriations in violation of international law were justiciable in courts in the US despite the act of state doctrine.90 In this context the amendment expressly stated that the defendant state must be the one which had taken the property.91 The majority countered that argument by pointing out that the act of state doctrine was a substantive defense on the merits whereas the immunity defense pertained to jurisdiction. Moreover, the Hickenlooper Amendment showed that Congress knew how to write “that state” when it wanted to. In its most interesting part, the dissent referred to the Congressional intention of keeping the FSIA consistent with international law. Specifically, the expropriation exception was “based upon the general presumption that states abide by international law and, hence, violations of international law are not ‘sovereign’ acts.”92 On the basis of this obviously incorrect premise93 the dissent argued that since customary international law concluded that the taking of property which violated international law was no longer a sovereign act, the expropriating state was not entitled to sovereign immunity.94 But this did not support the exercise of jurisdiction over a state that had legitimately acquired property which had previously been taken in violation of international law by some other state. Penalizing the innocent purchaser for a breach of international law committed by another state was not in conformity with international law either. The FSIA should not be interpreted in this way.95 The conclusion which the dissent drew from its incorrect premise seems quite plausible. In evaluating the decision, one cannot but question the assumption that the original owner had been deprived of her German citizenship before the painting was confiscated and she left Germany in 1939. As a Jewish German, the owner had definitely been relegated to second class citizenship by the racist Reichsbürgergesetz of 193596 89

For this they cited the Restatement, supra fn. 28, § 455 comment c (1987). On the act of state doctrine see Restatement, supra fn. 27, §§ 443 et seq. 91 22 USC § 2370 (e) (2). 92 The dissent here quotes West v. Multibanco Comermex, S.A., 807 F.3d 820, at pp. 826 (9th Cir. 1987). 93 ICJ (note 6), para. 60. D. Akande/S. Shah, “Immunities of State Officials, International Crimes, and Foreign Domestic Courts”, (2011) 21 EJIL 815, at pp. 828 et seq. 94 See infra on the question whether the expropriation exception could by justified as countermeasures (‘reprisals’). 95 The dissent here invoked the Charming Betsy case, supra fn. 28. 96 Reichsgesetzblatt 1935 I, 1146. 90

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which deprived Jews of their political rights but not their German citizenship as such. While there were also outright denationalizations of Jewish Germans on the basis of other statutory provisions,97 it would have to be proven that the owner was subjected to such an individual act of persecution. It is also problematic to assume that the confiscation violated international law as it existed in 1939, an assumption that was not challenged on appeal either. Before the human rights revolution of 1945 the treatment by a state of its own citizens, including racial discrimination, was considered as an internal affair in almost all cases, and certainly with regard to expropriations without compensation. Even today, customary international law does not prevent a state from confiscating the property of its own citizens, nor is there any universal human rights treaty to this effect;98 at best, the prohibition of confiscations is among the minimum standards for the treatment of foreigners.99 If the original owner still had German citizenship when the painting was taken, the confiscation did not violate international law. If she had already been denationalized and thus in all likelihood become stateless, international law did not protect her from expropriations either. Even if the confiscation had been carried out in violation of international law, it is questionable whether that justifies the denial of immunity to the confiscating state, let alone an innocent third state. By enacting 28 USC § 1605 (a) (3) in 1976, which has remained unique, Congress apparently wanted to send a clear political message to the Communist states and other despisers of private property that their victims would be given a forum in the U.S. as soon as the beneficiaries of the expropriations engaged in commercial activities in the U.S. The expropriation exception was intended to cover arbitrary or discriminatory expropriations and those made without payment of prompt, adequate and effective compensation which Congress believed was required by international law.100 But present customary international law does not recognize any general illegal expropriation exception along the lines of 28 USC § 1605 (a) (3); none is included in either the ECSI or the UNCImm nor is one discernible from the practice of other States.101 Moreover, customary international law does not make the recognition of state immunity for internationally wrongful acts “dependent upon the existence of effective alternative means of securing redress.”102 Expropriations are obviously acta iure imperii; they do not become subject to foreign court jurisdiction 97

See T. Giegerich, in: Maunz/Dürig (eds.), Grundgesetz, Art. 116, margin nos. 97 et seq. The International Covenants on Civil and Political Rights and on Economic, Social and Cultural Rights of 1966 (999 UNTS 3, 171) do not include any provision on the protection of property, in contrast to the three regional human rights treaties in Europe, Africa and the Americas. 99 See U. Kriebaum/A. Reinisch, “Property, Right to, International Protection”, in: Wolfrum, supra fn. 10. 100 A. Dickinson/R. Lindsay/J. P. Loonam, State Immunity (2004), 258. 101 Fox, supra fn. 44, at p. 350. But see Art. III (G) of the Revised Draft Articles for a Convention on State Immunity, in: International Law Association, Report of the 66th Conference (1994), 22 et seq. 102 ICJ, supra fn. 6, para. 101. But see also the dissenting opinion by Judge Yusuf. 98

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simply because of a later commercial activity somehow related to the expropriated property. The Congressional enactment could therefore at most be justified as an instance of countermeasures in the sense of Arts 49 et seq. of the ILC Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts of 2001.103 However, 28 USC § 1605 (a) (3) is much too broad and categorical to be qualified as legitimate countermeasures: the US is not an “injured State” in the sense of Art. 42 of the ILC Articles with regard to all expropriations that are carried out in violation of international law anywhere in the world and do not affect US citizens. Nor can the US resort to countermeasures in favor of one of its nationals before the latter has exhausted all available and effective local remedies (Art. 44 (b) of the ILC Articles). Nor does the application of the expropriation exception have a temporary character, as required by Art. 49 (2) of the ILC Articles. Rather, it tries to carry out a kind of execution by substitution for the benefit of the victim of the illegal expropriation. With the assignment of the decision-making power over the expropriation exception to the judiciary, the US is also no longer capable of adhering to the procedural requirements which have to be fulfilled before the use of countermeasures, such as prior notification and an offer to negotiate (Art. 52 of the ILC Articles). Finally, countermeasures are only permissible vis-à-vis the state responsible for the violation of international law that they are intended to bring to an end (Art. 49 (1) of the ILC Articles). Thus, in the instant case Spain could never be legitimately targeted. When the 9th Circuit denied Spain immunity, it therefore violated international law, a result that could have been avoided by interpreting the expropriation exception of the FSIA more narrowly, as suggested by the dissent.

E. Conclusion: International Precedential Value of National Court Decisions Ignoring International Law From an international law perspective, of the three decisions above only Samantar v. Yousuf is unproblematic. For this case, the test will come when the lower courts decide on remand about Samantar’s immunity under common law, hopefully taking the international legal rules on the immunity of foreign officials adequately into account. The denial of immunity to Spain in Cassirer v. Kingdom of Spain is incompatible with international law, an unfortunate result which is to be blamed on both the legislature and the judiciary in the US: Congress enacted an expropriation exception to state immunity in disregard of international law which the majority of the 9th Circuit then interpreted more broadly than necessary, consummating the breach in the instant case. The result of Doe v. Holy See is less clearly incompatible with international law. But there again Congress formulated a tort exception to state immunity 103 UN General Assembly Resolution 56/83 of 12 December 2001, Annex. See H. Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang (1985), 108 et seq.; but also J. Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights (1997), 69 et seq.

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which the 9th Circuit unhesitatingly applied even though its permissibility under international law is controversial. Neither Congress nor the Court made any effort to fathom the permissible extent of the tort exception and formulate or interpret the provision accordingly. Admittedly, the result in both cases promoted the human rights of victims of persecution and abuse to whom justice had not yet been brought, but at the price of violating international law: two wrongs do not make a right.104 The US would certainly object, if in cases in which it was entitled to immunity under the rules of international law, the courts of other states exercised jurisdiction for the sake of bringing justice to the victims of alleged human rights violations by the US. How then should the international community react to national court decisions which demonstrate such utter disinterest in or even disregard for international law? National court decisions play an ambiguous role in the international law doctrine of sources.105 On the one hand, they qualify as subsidiary means for the determination of rules of international law pursuant to Art. 38 (1) (d) ICJ Statute.106 On the other hand, they represent instances of state practice in the sense of Art. 38 (1) (b) ICJ Statute. As the reference to Art. 59 ICJ Statute indicates, Art. 38 (1) (d) ICJ Statute accords persuasive authority and not binding authority to ICJ decisions and a fortiori national court decisions.107 If the latter do not even mention international law, however, they are entirely unpersuasive in this regard and thus disqualify themselves as subsidiary means for the determination of rules of international law. With regard to Art. 38 (1) (b) ICJ Statute, national court decisions can only serve as evidence of a general practice accepted as law if they are based on the conviction that their holding is not only compatible with but positively required by international law.108 This conviction, although it may be based on state practice which is still fragmentary and at a formative stage,109 must somehow be expressed. If national judicial decisions do not demonstrate any effort at making at least a plausible argument on the basis of international law but completely ignore it, they are at best irrelevant for purposes of Art. 38 (1) (b) ICJ Statute, at worst internationally wrongful acts. The latter of course applies a fortiori to judicial decisions that wilfully disregard international law. It is unimportant whether courts ignore or disregard international law on their own accord (perhaps because neither the parties nor the State Department presented pertinent arguments and the courts did not explore the international law context of the case ex officio) or driven by legislation which overrides the state’s international com104

See the dissenting opinion in Cassirer v. Kingdom of Spain, supra fn. 36. A. Roberts, “Comparative International Law?”, (2011) 60 ICLQ 57. 106 Statute of the International Court of Justice of 26 June 1945, 15 UNCIO 355. 107 It is controversial whether decisions of national courts are at all covered by Art. 38 (1) (d) ICJ Statute – see A. Pellet, in: A. Zimmermann et al. (eds.), The Statute of the International Court of Justice – A Commentary (2006), Art. 38 margin no. 312. 108 Id., margin nos. 217 et seq. 109 B. Conforti, Provisional Report on “The activities of national judges and the international relations of their State”, in: Institute of International Law, Yearbook Vol. 65, Part I (1993), 327, at p. 386 (quoted approvingly by Judge Yusuf [supra fn. 102], para. 49). 105

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mitments for purposes of domestic law. From the perspective of international law, all these cases constitute failures of the national legal or judicial system. The proper reaction of the international community to such instances of ignorance or disregard of international law is to ignore or disregard them when it comes to gathering evidence of the development of international law. If national courts want to be taken seriously by international law, they need to take international law seriously and show it.

State Immunity vs. Human Rights: Observations Concerning the Judgment of the ICJ in the Jurisdictional Immunities of States Case (Germany v. Italy) By Karin Oellers-Frahm

A. Introduction Nearly no other field of national and international law has seen such an impressive development as that of human rights protection and implementation. While traditionally the position of the individual in international law was “mediated” through its State, the individual has meanwhile gained more acceptance as a subject of the international legal order and achieved an increasingly strong status of its own. National and international instruments of human rights protection and in particular the impressive activity of bodies like the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, which has been positively shaped – among others – by Eibe Riedel, have significantly improved the situation of the individual. However, meanwhile a point has been reached where it has to be asked whether a legal order – in the present context the international legal order – can cope with the fact that the individual becomes or should become the lynchpin of any legal regulation ousting the State to play only a secondary role. Developments like human rights instruments providing for enforcement mechanisms against the state, international criminal prosecution of state officials for grave human rights violations, state responsibility in case of such violations also with regard to individuals are clearly welcome. If, however, basic principles of international law such as the jurisdictional immunity of states – although only in case of grave human rights violations – are overturned, the question arises whether the legal order can cope with such development or whether we have reached a point where the position of the individual within the legal order has turned to a position above the legal order implying unpredictable and probably unpleasant consequences, in particular with a view to the security of the law. In this context the Jurisdictional Immunities of States case, brought before the ICJ by Germany in 2008 and decided by the Court on February 3, 20121, marks a decisive point in the relation between state sovereignty and human rights. In an admirably 1 Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy), Judgment of 3 February 2012, .

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clear and well reasoned judgment including a thorough discussion of State practice as well as national and international case-law the Court restated that international customary law reflects state practice based on opinio iuris and that in relation to state immunity it has so far not developed to a point to exclude jurisdictional immunity in cases of grave human rights violations, at least in armed conflict. Without a change of state practice or without exceptions under treaty law states have (still) to be granted immunity before other states’ jurisdiction even if grave human rights violations are at stake. Not surprisingly this finding has met harsh criticism by human rights partisans who expected the Court to give more weight to some, however far from general, state practice because each and every grave violation of human rights and also each grave violation of international humanitarian law (IHL) should lead to a right for individual redress, also before national courts against a foreign state where no other means of redress are available. The Court, although conscious of the gravity of human rights suffering and the understandable aim to grant redress for such suffering, strictly abided by its role to apply the existing law and not to act as a law-maker. By a large majority of twelve to three votes the Court found that the customary law as it stands today does not contain an exception to the rule of jurisdictional state immunity neither with regard to the jurisdiction of foreign states, nor to measures of constraint against German property in Italy or decisions declaring enforceable in Italy relevant decisions of Greek courts. The following considerations will only address the question of jurisdictional state immunity and give a necessarily summary overview and comment on the decision of the Court before finally addressing the question whether this judgment inflicts a regrettable defeat to human rights or whether it constitutes a welcome confirmation of basic international law principles.

B. The Background of the Case In several civil proceedings and one criminal proceeding2 beginning with the Ferrini case in 2004 Italian courts, including the Corte di Cassazione, the supreme civil and criminal court, found in favor of their competence to adjudicate on individual complaints against Germany in disregard of the principle of jurisdictional immunity 2 Cf. in particular Corte di Cassazione Ferrini v. Repubblica Federale di Germania, reprinted in 87 (2004) Rivista di Diritto Internazionale, 539; 13 Orders of 29 May 2008 confirming the Ferrini judgment, Corte di Cassazione, ; Corte di Cassazione, 28 May 2008, giving exequatur to the decision of the Greek Supreme Court in the case Federal Republic of Germany v Regional Administration of Vojotia, reprinted in 92 (2009) Rivista di Diritto Internazionale, 594 and the Milde case, the only criminal proceedings before the military courts, Corte di Cassazione, 13 January 2009, reprinted in 92 (2009) Rivista di Diritto Internazionale, 618. For commentaries cf. K. Oellers-Frahm, “Judicial Redress of War-Related Claims by Individuals: The Example of the Italian Courts”, in U. Fastenrath et al. (eds.), From Bilateralism to Community Interest, Essays in Honour of Judge Bruno Simma, 2011, pp. 1055 – 1078, fn. 3 on p. 1056 with bibliographical indications.

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of states. The reason given for these decisions was in particular that ius cogens human rights are at the top of the hierarchy of the applicable law and thus set aside any contrasting rule. The underlying cases concerned grave human rights violations committed 60 years ago during the Second World War and are thus one aspect of the more specific question of the enforcement – and reparation for violations – of not only international human rights law but in particular international humanitarian law. The fact that Italian courts did not only deny Germany jurisdictional immunity, but also granted exequatur of a Greek decision against Germany and measures of constraint against German property in Italy induced Germany to bring the disputed question before the ICJ. The ICJ was, however, not asked to decide on questions of reparation for damages caused by grave human rights violations or violations of IHL (a question for which the Court lacked jurisdiction), but only whether the principle of state immunity under customary international law is still applicable also in cases of grave violations of human rights in armed conflict.

C. Customary Law and Jurisdictional Immunity of States State immunity derives from the principle of state sovereignty/sovereign equality which is one of the basic principles of the whole construct of international law and finds expression in Article 2(1) of the UN Charter as well as in the old idiom par in parem non habet imperium.3 Therefore any exception to the principle of state immunity constitutes a departure from sovereign equality and must be provided for or in an international agreement or in customary international law. Today, state immunity is not considered as being unlimited; it has experienced quite a series of important exceptions, such as the lack of immunity for acts iure gestionis or the lack of functional immunity, which is a corollary to state immunity, in cases of grave violations of human rights and IHL where individual criminal responsibility is meanwhile generally recognized also for state officials.4 The question whether exceptions to state immunity exist under customary international law also for acts iure imperii – and both parties agreed that the relevant acts had to be characterized as acta iure imperii – was, however, highly controversial, although there have been developments in this direction, which are reflected in particular in two international conventions5 which were, 3

Cf. H. Fox, The Law of State Immunity (2nd ed. 2008), p. 13. The first examples in this context were Art. 7 ICTY Statute (followed by Art. 6 ICTR Statute) which was based on SC Res. 808 (1993); Art. 27 of the ICC Statute confirmed this exception to functional immunity which can today be regarded as being part of customary international law; cf. P. Gaeta, “Does President Al Bashir enjoy immunity from arrest?”, (2009) 7 Journal of Int’l Criminal Justice, 315, pp. 322 et seq. 5 Cf. the UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property, GA Res. 59/38, Annex; UN Doc.A/RES/59/38, of 2 December 2004 which is not ratified neither by Italy nor by Germany and which moreover is not yet in force; the Convention was signed by 28 states and ratified by only thirteen states while 30 ratifications are required for the entry into force of the Convention; The European Convention on State Immunity of 1972, ETS 4

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however, not applicable in the present dispute as such, but only in case that the relevant rules were codifying customary international law. I. The Aspect of Intertemporal Law At the outset, the Court had to clarify a question raised by Germany concerning the applicable law, namely whether the law in force at the time when the relevant acts occurred6 was applicable in the present case or the law in force today. With a view to the fact that the relevant acts at stake before the Court were not the breaches of human rights law or IHL, but the decisions of the Italian courts denying state immunity and due to the fact that the law of state immunity is essentially procedural in nature, the Court found that the law in force at the time of the Italian proceedings was the applicable law.7 From this finding it follows that whenever the merits of the claims would have to be adjudged the law in force at the time of the commission of the acts, namely the law in force in the 1940ies, would apply. II. The Territorial Tort Principle On the basis of this finding the Court had to define the content of present day customary law on state immunity. Italy was of the opinion that the so called “territorial tort principle” is part of customary law. The territorial tort principle is defined in the conventions referred to above8 which are, as already mentioned, not applicable as such in the case. According to that principle a state is not entitled to state immunity in respect of acts causing death, personal injury or damage to property on the territory of the forum state, even if the relevant act was performed iure imperii. Italy was of the opinion that this exception reflects present day customary law justifying the denial of state immunity although only with regard to those claims which concern acts that occurred on Italian territory. The Court did not share that argument9 because there was neither sufficient state practice, namely national law or case-law, nor opinio iuris supporting the customary law character of the principle, a finding that according to the Court is confirmed also by international case-law, in particular that of the European Court of Human rights. This finding of the Court does, however, only concern acts having occurred in the context of an armed conflict; it does not contain any statement relating to other No. 74, which is ratified by only eight states including Germany, but not Italy; furthermore, the Convention is not applicable “in respect of anything done or omitted to be done by, or in relation to, its armed forces when on the territory of another Contracting State” (Art. 31); cf. infra C.II. 6 Cf. Art. 13 Draft Articles on State Responsibility; para. 58 of the Judgment. 7 Para. 58 of the Judgment. 8 Cf. supra fn. 5. 9 Para. 62 et seq. of the Judgment.

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acts iure imperii causing such damages. The assessment of the customary law status of the territorial tort principle limited only to acts having occurred in armed conflict was not only required by the case at hand, but also made it possible to come to a clear and indisputable result, because already the “model” provisions in the two Conventions support this finding. In fact, Art. 11 of the European Convention on State Immunity providing for the principle must be read in context with Art. 31 which explicitly excludes the applicability of that principle to acts of foreign armed forces. The UN Convention, in contrast, is silent as to the application of Art. 12 to armed conflict situations, but the travaux préparatoires are at least ambiguous what makes the value of Art. 12 as a codification of customary law rather questionable. As also the very modest amount of relevant national legislation on state immunity is not unanimous on this item, the Court could not reach any other decision. The task of the Court would, however, have been much more difficult if the customary law character of this principle outside the context of armed conflict would have been at stake due to the fact that here the development in the direction of new customary law is evidently more advanced.

D. The Particularity of the Italian Claims Italy’s second argument was based on the particularity of its claims which resulted from the gravity of the violations, the status of the rules violated and the absence of alternative means of redress. These three aspects were not only to be assessed separately but also in combination because the cumulative effect of these issues required in the view of Italy the denial of state immunity. I. The Gravity of the Violations The argument concerning the justification of the denial of immunity on the basis of the particular nature and gravity of the relevant acts differs from the territorial tort principle insofar as it concerns only extremely grave violations of human rights and IHL and thus is more restricted than the acts comprised under that principle and furthermore in that it refers also to acts not committed on the territory of the forum state. The Court dismissed this argument on the one hand because national courts would have to first enquire into the merits of a claim in order to determine whether immunity had to be granted or otherwise the mere allegation that a State had committed serious breaches of human rights law or IHL would lead to a denial of immunity. Besides this “logical problem”10 the Court based its decision also on the fact that the denial of immunity because of the gravity of the violations committed was evidently not part of customary law. With the exception of the Italian and one Greek court decisions the ICJ did not find any state practice or international practice supporting the Italian 10

Para. 82 of the Judgment.

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allegation, but quite a series of national decisions contesting it. This decision is clearly in line with the principle of security of law, because otherwise it would be left to national courts to define whether an act of state was of such gravity as to allow the denial of state immunity, an assessment that may not only widely vary and lead to inconsistent decisions but also affects the character of the right of immunity which prevents states from being subjected to a trial process, and not only to a judgment as is reflected in the idiom par in parem non habet imperium. II. Ius Cogens and Jurisdictional State Immunity The second and most controversial argument of Italy related to the ius cogens character of the obligations breached by the incriminated German acts during the Second World War. The Italian courts had argued that the acts of Germany had violated ius cogens rules which prevail over any inconsistent rule of international law. On the basis of this statement the courts had denied state immunity because it does not have the status of ius cogens and thus is trumped by the human rights’ ius cogens quality. While the parties to the case and also legal writers11 had spent much effort in discussing the ius cogens character of the violated rules, in particular with a view to the intertemporal law aspect, the Court did not go into this question, because in any case the argument of Italy had to be dismissed. The reason therefore lies in the fact that there is no conflict between the rules of armed conflict prohibiting murder of civilians in occupied territory, deportation or slave labor and the rules on state immunity, because the former address different matters than do the rules on state immunity.12 Rules on state immunity are procedural in character and do not affect the question whether the relevant acts at stake in the proceedings were lawful or not. The merely procedural character of rules on state immunity which does not interfere with the substantial rules applying to the assessment of the incriminated acts is also the reason for which the contemporary law of state immunity had to be applied. If this procedural rule would have been trumped by the alleged ius cogens rule the principle of intertemporal law would have required applying the law in force at the time when the acts had occurred, namely 1943 – 1945 – unless the present day ius cogens character of the rules violated by Germany would also trump the rule of intertemporal 11 Cf. Memorial of Germany, para. 83 et seq.; Counter-memorial of Italy, para. 4.56 et seq.; cf. also Report of the ILA Committee on “Reparation for Victims of Armed Conflict”, Report of the Seventy-Fourth Conference, 2010, p. 292 which excluded this question from its considerations because it expected clarification on this point from the ICJ judgment; for the doctrinal discussion cf. T. Giegerich, “Do Damages Claims Arising from Jus Cogens Violations Override State Immunity from the Jurisdiction of Foreign Courts?”, in C. Tomuschat/J. M. Thouvenin (eds.), The Fundamental Rules of the International Legal Order, Jus Cogens and Obligations Erga Omnes, 2006, 203 et seq., 223 et seq.; F. Marongiu Buonaiuti, “Azioni risarcitorie per la commissione di crimini internazionali et immunità degli Stati dalla giurisdizione: la controversia tra la Germania e l’Italia innanzi alla Corte internazionale di giustizia”, Diritti umani e diritto internazionale 5, 2011, 232 et seq., 236. 12 Para. 93 of the Judgment.

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law. And, in fact, a close reading of the Italian court decisions would manifestly support this result due to the trumping effect attributed by the Italian Corte di Cassazione to any ius cogens rule. The finding of the Court that state immunity as a procedural rule cannot conflict with a substantial ius cogens rule does not have any implications on the lawfulness of the acts concerned or the responsibility of the state and its duty to make reparation because they exist independently from the rules concerning the means of implementation. This finding is also supported by the case-law of the Court itself and national jurisprudence.13 The clear distinction made by the Court between substantive “primary” and procedural “secondary” norms is not only welcome under systemic legal aspects, which have been criticized as being too formalistic,14 but much more with regard to questions of security of law. The denial of state immunity would not only open the door for individual claims for redress with regard to violations of human rights and IHL during the Second World War, but also all past and future armed conflicts and situations. The consequences would evidently not only be chaotic – what in fact is not a strict legal argument –, but would set aside peace treaties which as a rule do not provide for individual redress, but reparation or lump-sum agreements on the inter-state level. And even if it would be accepted that international law today provides for an “individual right” to reparation for victims of armed conflict15 this does not mean that collective reparation is excluded and even less that this “right” implies any means of individual implementation. Under international law it is still agreed that the existence of an individual right is not dependent on, and even less implies, the international procedural capacity to assert it.16 The priority of ius cogens rules over all other international rules, even secondary ones which do not conflict with the subject-matter of the ius cogens rule but only concern its implementation, would overturn the whole system of international law. The most problematic consequence of giving priority to rules of ius cogens by setting aside state immunity would be the fact that the means of implementing state responsibility and the obligation of reparation for breaches of ius cogens rules would be shifted from the inter-state level to the individual level; the individual and with it national courts would become the guardian of states’ law abiding conduct, because each ius cogens rule would imply an individual right of enforcement against a foreign state before its national courts. The inconsistency of this consequence with basic principles of international law is particularly manifest in the context of claims resulting 13

Cf. examples in para. 94 of the Judgment. M. Bothe, “The question of State immunity before national courts in cases of massive violations of human rights and of international humanitarian law”, Legal Expert Opinion submitted for Amnesty International, 2011, p. 16, point 4.2. 15 ILA Report 2010 on “Reparation for Victims of Armed Conflict”, p. 193 and Draft Declaration, Article 6, p. 310, supra fn. 11. 16 Cf. ILA Report, supra fn. 11, p. 310 with rich bibliographical indications. 14

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from armed conflict. Would it really be helpful to leave it to national courts to decide on questions arising from armed conflicts, in particular with a view to the requirement of properly ascertaining the factual and legal situation? And what about the execution of such judgments? Would this not lead to only supporting the interests of powerful states? There are in fact convincing reasons for the practice that peace-treaties and post-conflict settlements do not provide for full compensation to be granted on an individual basis by individual claims, but rather provide for the payment of reparations or lump sum settlements because otherwise peace-making would become a never ending story.17 Under present day international law the consequences of state activities must be determined at the international level through the process of international dispute settlement.18 This does not mean that individual action against states or state officials is excluded, as is demonstrated i. e. by international human rights instruments or international criminal law. However, all means empowering individuals to enforce international law obligations against states are based on state agreement, namely customary international law or treaty law which both require state consent. The increased role of individual actors in international law and also in its enforcement is based on the increasing willingness of states to render international law effective, in particular those rules that are aimed at the protection of individuals. But this development cannot result in an automatism in the sense that where there is an international ius cogens rule protecting individual rights there is as a logical consequence also a right of individual enforcement. International law is state-centered and will remain so due to the lack of a better alternative and for the sake of maintaining security of law. III. The “Last Resort” Argument By its third argument Italy tried to justify the denial of state immunity by the fact that all other attempts to secure compensation for the different groups of victims had failed and that a large number of Italian victims had thus been left without any compensation despite of all reparations made by Germany. The Court reiterated its former statement that jurisdictional immunity of States is a question entirely separate from whether the international responsibility of that State is engaged and whether it has an obligation to make reparation.19 The Court did also not find a rule of customary law providing that the entitlement to state immunity is dependent upon the existence of effective alternative means of securing redress. The Court even expressed its concern with the practicability of any such rule because its applicability would depend on the outcome of intergovernmental discussions and would require the national court to investigate in any possible agreement reached as well as the manner of distribution of funds actually received in the context of a comprehensive settlement after an armed conflict. The Court also admitted that the immunity from jurisdiction may pre17 C. Tomuschat, “The International Law of State Immunity and its Development by National Institutions”, 44 Vanderbilt Journal of Transnational Law, 2011, 1105 et seq, p. 1135. 18 T. Giegerich, supra fn. 11, p. 206. 19 Para. 100 of the Judgment.

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clude judicial redress for some Italian victims mentioning at the same time that negotiations in this context might resolve the issue. The “last resort” argument is particularly delicate. The underlying reason is the concern that the exclusive reliance on international processes, peace agreements, lump-sum reparation etc. may not lead to just results, namely granting satisfaction to all the victims. This concern is, in fact, justified and the Italian cases show that there are groups of victims which did not receive any compensation. However, this was not due to the fact that these victims had no remedy at hand: they had access to court and could, and did in fact, bring claims before not only German, but also Italian courts,20 which, however, all dismissed the cases on the basis of the waiver clause contained in the Peace Treaty and the later agreements between both states. But this situation, regrettable as it may be, cannot justify the denial of immunity before Italian courts. In the first place the right to access to court does not include the right to win its case what depends on the applicable law. And secondly, the applicable law, namely the Peace Treaty (which was not even elaborated with the cooperation of Germany) and the later agreements of 1961 between Italy and Germany providing for large financial means as reparation, did not address the victims who had brought the relevant cases before the Italian courts. This situation was the outcome of the intergovernmental agreements and with regard to post-conflict agreements the national state of the victims is clearly the one to take care of the concern of its nationals.21 Thus, the injustice created through the waiver clauses in the Peace Treaty and the 1961 agreements is in the first place attributable to Italy which was the state to address the interests of the Italian victims during the negotiations. The “last resort argument” would thus rather lead to the right to primarily claim redress before Italian courts against the Italian state for having neglected the victims’ right to compensation by not negotiating in their interest. Furthermore, after becoming aware of the fact that certain groups of victims were not included in the post conflict settlement Italy could – and should have – tried to re-negotiate on their behalf. In any case the fact that Italy voluntarily22 accepted the waiver clause cannot lead to the unilateral liability of Germany vis-à-vis the individuals concerned or set aside the rules on state immunity because there is a co-responsibility of Italy and because there are other – diplomatic – means to remedy the injustice that resulted from the post-conflict settlements.

E. Concluding Remarks Is the judgment of the ICJ of 3 February 2012 a dark day for individual rights and a success for state impunity under the cover of state immunity? Has the Court by ad20

Cf. Reply of Germany, para. 25, referring to decisions of the German Bundesgerichtshof and the Italian Corte di Cassazione. 21 R. O’Keefe, “State Immunity and Human Rights: Heads and Walls, Hearts and Minds”, 44 Vanderbilt Jl of Int’l Law, 2011, 1005. 22 Cf. Art. 51 Vienna Convention on the Law of Treaties.

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hering to traditional international law blocked necessary new developments?23 In the eyes of this author that is not the case; the Court rather clarified some of the basic principles of international law which form the indispensable framework of the international legal order. As already mentioned the question of maintaining or denying state immunity even in cases of grave violations of human rights in armed conflict concerns basically the fundamental question of the sources and authors of international law, namely whether the state-centered concept of international law should be replaced by an individual-centered concept. In this context it has first to be recalled that the place of the individual in international law has developed significantly. States have consented to human rights obligations which may be enforced by the individual before national and international courts against states. Furthermore states have agreed to individual criminal responsibility by waiving functional immunity in cases of grave human rights violations.24 Does it follow from this development that also individual claims before national courts against foreign states for such violations are admissible or are there good reasons why such claims which may be considered as a substitute for the fact that states are not criminally responsible25 should not be admitted? In the first place it has to be stressed that the judgment of the ICJ concerns only a particular situation of human rights violations, namely armed conflict. The armed conflict at stake, the Second World War, was a classical conflict between states representing thus a genuine act iure imperii. The Italian Corte di Cassazione itself had stated that “the participation in an armed conflict is an ‘act of government’, and acts of government constitute a manifestation of a political function which cannot imply a situation of a protected interest of the individual. With regard to such acts neither the ordinary judge nor any other judge is competent to review the way in which the state has exercised its political function.”26 Consequently, also the termination of the conflict and the settlement of mutual claims are “acts of government”, political acts, which have to be settled by the states concerned. In such situations inter-state settlement of reparation claims seems the only viable means to ensure that peaceful relations can be established. Granting individuals a claim for compensation by denying state immunity would not only overturn peace settlements, but also prevent states from concluding peace treaties providing for reparation because of the unpredictable future claims.27 This has nothing to do with waiving state responsibility. States have 23

L. Fisler Damrosch, “Changing the International Law of Sovereign Immunity through National Decisions”, 44 Vanderbilt Jl Int’l Law, 2011, 1185 et seq., p. 1200. 24 E. Sciso, “Italian Judges’ Point of View on Foreign States’ Immunity”, 44 Vanderbilt Jl of Int’l Law, 2011, 1201 et seq., p. 1228. 25 For a discussion on criminal responsibility of states cf. E. Lambert Abdelgewad, La spécificité des reparations pour crimes internationaux, in: Tomuschat/Thouvenin, supra fn. 11, 167 et seq., p. 181. 26 Presidenza del Consiglio dei Ministri v. Markovic, Corte di Cassazione, Sezioni Unite Civili, Order of 5 June 2001, nr. 8157; cf. also K. Oellers-Frahm, supra fn. 2, pp. 1063 et seq. 27 Giegerich, supra fn. 11, p. 209.

State Immunity vs. Human Rights

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to pay compensation for violations of international obligations (Draft Articles on State Responsibility Art. 28 et seq.) and Art. 40 of the Draft explicitly confirms the applicability of the consequences of an international wrongful act in case of serious breaches of peremptory norms of international law. Also IHL provides for the responsibility for violations of the law of armed conflict and the obligation to pay compensation.28 However, the means to fulfill or enforce these obligations lies with the states, and here the plural is decisive. Whether there is a process of development in this context to set aside state immunity may be debatable with regard to human rights violations in peace-times concerning the territorial tort rule; with regard to armed conflict there are no conclusive indicia supporting a change in the applicable law. The decision of the Court cannot be understood as blocking the development of international law by missing the opportunity of declaring a trend of change in state immunity to have become new law. The Court has always contributed to the development of international law and reacted to the evolutionary change of legal reality,29 preventing thus the cementation of the international legal order. But this decision marks a decisive point in restating that basic structures of the international legal system must be maintained for the sake of security of law. Be it only faute de mieux: one of the basic pillars of the international legal order is still the state and the sovereign equality of states,30 from which state immunity is derived. Exceptions from this principle are the manifestation of such sovereignty: they have to be accepted in international treaties or by general state practice based on opinio juris, even if human rights are at stake. The Court has convincingly motivated its finding that at least today and at least with regard to human rights violations in armed conflict international law has not reached a point of change. This finding reflects, however, only the actual situation which may change so that not only the ICJ but also other international courts may be faced with re-examining the status of the relevant customary law. However, with a view to the limited aspect of grave human rights violations in armed conflict it seems for obvious reasons rather illusory that state practice will develop in the sense of an individual claim for redress before national courts against a foreign state. Even where the international system of remedies proves structurally incapable of determining and enforcing the consequences of an egregious breach of fundamental rules, recourse to domestic systems cannot be considered a viable means for balancing the deficiencies of the international legal system,31 because also human rights law is governed by the international legal system and not vice-versa is the international legal system governed by human rights, not even those of ius cogens quality. 28 Art. 3 of the Hague Convention No. IV of 1907, restated in Art. 91 of the 1977 Protocol I Additional to the Geneva Conventions of 1949. 29 M. Kotzur, „Zeitlichkeit und Ungleichzeitigkeiten im Völkerrecht“, in U. Hösch (ed.), Zeit und Ungewissheit im Recht, Liber amicorum Prof. W. Berg, 2011, 199 et seq, p. 210. 30 Cf. also Giegerich, supra fn. 11, p. 205. 31 But see in this context E. Cannizzaro/B. I. Bonafé, “Of Rights and Remedies: Sovereign Immunity and fundamental Human Rights”, in: FS Simma, supra fn. 2, 825 et seq, p. 836.

(Internationale) Strafverfolgung von Menschenrechtsverbrechen versus Friedenswahrung Von Andreas Zimmermann

A. Problemstellung Einige Ereignisse der letzten Jahre – so etwa die Beantragung eines Haftbefehles gegen den Präsidenten des Sudan durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)1, die mögliche Gewährung einer Amnestie an die Rebellenführer der sogenannten Lord Resistance Army im nördlichen Uganda als mögliche Voraussetzung der Fortführung des dortigen Friedensprozesses2, aber auch zuletzt die Überweisung der Situation in Libyen an den IStGH3 und zeitweise Überlegungen die Strafverfolgung zu Lasten von Muammar al-Gaddafi einzustellen, wenn er zurücktritt4 – belegen immer wieder, dass die Verfolgung schwerster Völkerrechtsverbrechen einerseits und die Aufrechterhaltung beziehungsweise die Schaffung des Friedens in Konfliktsituationen mitunter in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen können.5 1

Allgemein zu den Fragen der Sicherheitsratsresolution 1593 (2006) und der Überweisung der Situation durch den Sicherheitsrat Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? – Security Resolution 1593 (2005) and the Council’s Power to Refer Situations to the International Criminal Court”, in: Dupuy u. a. (Hrsg.), Festschrift für Christian Tomuschat, 2006, 681 ff.; der Wortlaut des Haftbefehls ist abrufbar unter: ; Pressemitteilung „ICC issues a warrant of arrest for Omar Al Bashir, President of Sudan“ (ICC-CPI-20090304-PR394), . 2 Pressebericht, New Vision, 4. Juli 2006, „Museveni gives Kony Amnesty“, . 3 Dazu näher Frau, Die Überweisung der Situation in Libyen an den Internationalen Strafgerichtshof, Archiv des Völkerrechts 2011, S. 276 ff. 4 Vgl. etwa Le Figaro, Kadhafi pourrait rester en Libye (Juppé), . 5 Teitel, Transitional Justice, 2000, 51 f.; Oette, Peace and Justice, or Neither? – The Repercussions of the al-Bashir Case for International Criminal Justice in Africa and Beyond, JICJ 8 (2010), 345 (348 f.); Akhavan, Are International Criminal Tribunals a Disincentive to Peace? – Reconciling Judicial Romanticism with Political Realism, Human Rights Quarterly 31 (2009), 624 (627); Snyder/Vinjamuri, Trials and Errors – Principle and Pragmatism in Strategies of International Justice, International Security (Winter 2003/04), 5 (12 ff.); Robin-

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Aus diesem Grund soll vorliegend versucht werden aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen sich eine solche Spannung überhaupt ergibt, und andererseits, wie sich eine solche Spannung auflösen lässt, wobei der Fokus auf der Strafverfolgung durch internationale oder internationalisierte Gerichte liegt. Für die Problemstellung sind im Grundsatz drei Szenarien zu unterscheiden: Erstens ist es denkbar, dass eine Strafverfolgung erst nach einem bereits erfolgten Regimewechsel durchgeführt wird und die Strafverfolgung mit Billigung einer neuen, legitimierten Regierung erfolgt. Ganz ähnlich ist dabei auch eine Situation, in der noch keine neue Regierung besteht, sondern das Gebiet durch Drittstaaten oder die internationale Gemeinschaft kontrolliert wird. Es lässt sich insoweit vertreten, dass sich in diesen beiden Fällen von vorne herein kein Spannungsverhältnis zwischen Friedenswahrung und Strafverfolgung ergibt. Vielmehr dient die Strafverfolgung gerade der politischen, moralischen und juristischen Delegitimation des früheren Regimes und damit der Stabilisierung des Friedensprozesses.6 Hinzu kommt, dass es den fraglichen Personen dauerhaft unmöglich gemacht wird, auf den politischen Prozess Einfluss zu nehmen, jedenfalls wenn es zu einer Verurteilung kommt. Ein Beispiel aus der Vergangenheit hierfür wären die Nürnberger Verfahren, welche ja gerade auch dazu dienen sollten, der deutschen Öffentlichkeit den verbrecherischen Charakter des Nazi-Regimes vor Augen zu führen.7 Dazu gehört aus neuerer Zeit aber auch das Verfahren gegen Saddam Hussein vor dem irakischen Sondergericht,8 welches wohl eine ähnliche Funktion übernehmen und daneben auch eine Genugtuungsfunktion gegenüber bestimmten Minderheiten im Irak erfüllen sollte. Allerdings ist in diesem Fall eine gewisse Gefahr nicht zu verkennen, dass das Verfahren teilweise als gegen die sunnitische Minderheit gerichtet wahrgenommen wurde. Ebenso erfüllt das Ruanda-Tribunal,9 jedenfalls zum Teil, auch eine solche Stabilisierungsfunktion. Darüber hinaus wird dort aber auch – sozusagen positiv – die neue Regierung legitimiert, weil sie sich darauf berufen kann, erst sie habe die Strafverfolgung der Täter ermöglicht. Dies gilt umso mehr dann, wenn, wie in diesem Fall, son, Serving the Interests of Justice: Amnesties, Truth Commissions and the International Criminal Court, EJIL 14 (2003), 481 (495 f.). 6 Akhavan (Fn. 5), 652; ders., Beyond Impunity: Can International Criminal Justice Prevent Future Atrocities, AJIL 95 (2001), 7; Schabas, The UN International Criminal Tribunals – The former Yugoslavia, Rwanda and Sierra Leone, 2006, 68 f.; Teitel (Fn. 5), 30. 7 Heller, The Nuremberg Military Tribunals and the Origins of International Criminal Law, 2011, 372. 8 Sissons/Bassin, Was the Dujail Trial Fair?, J. Int’l Crim. Just. 5 (2007), 272; International Centre of Transitional Justice, Dujail: Trial and Error?, insbes. S. 5, ; Human Rights Watch, Judging Dujail: the First Trial before the Iraqui High Tribunal, . 9 UN Doc. S/RES/955 (1994). Weitere Hinweise dazu in: Pascal, Der UNO Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, 125 ff.; Schabas (Fn. 6); Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda, 1998; Lee, The Rwanda Tribunal, LIJL 9 (1996), 37.

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Strafverfahren nur gegen die ,Verlierer‘ des Konflikts durchgeführt werden, obwohl man zweifeln mag, ob nicht auch Verfahren gegen Vertreter des jetzigen Regimes angezeigt wären; so wurde schließlich die Beraterin des ruandischen Präsidenten in Frankfurt verhaftet.10 Weiterhin wird man zu dieser ersten Fallgruppe aber auch – obwohl in einem geringeren Umfang – die von den Vereinten Nationen im Rahmen ihrer Übergangsverwaltung in Ost-Timor initiierten Verfahren vor den Special Panels in Dili zu zählen haben,11 wo die Gerichte zwar nicht die indonesischen Täter verfolgen konnten, wohl aber zumindest die timoresischen Mittäter belangt wurden und damit ebenfalls erneut die neue Regierung in Dili stabilisiert wurde. Zweitens sind aber auch Situationen denkbar, in denen ein bloß erwünschter zukünftiger Regimewechsel durch Strafverfolgungsmaßnahmen unterstützt werden soll, welcher darauf zielt, dann einen Friedensschluss zu erleichtern. So ließe sich argumentieren, dass dies zumindest teilweise im Zusammenhang mit der Errichtung des Jugoslawien-Tribunals verfolgt wurde, sollte damit doch jedenfalls auch Druck auf die in Verbrechen verstrickte Führung der bosnischen Serben ausgeübt werden, sich aus dem politischen Prozess zurückzuziehen.12 So sollte letztlich ein Regimewechsel und somit der Friedensschluss erleichtert werden. Auch bezüglich solcher Situationen ergibt sich in aller Regel kein Spannungsverhältnis zwischen Friedenswahrung und Strafverfolgung. Dies gilt jedenfalls für die Fälle, in denen eine relativ deutliche Feststellung möglich ist, wo der Schwerpunkt der Strafverfolgung zu liegen hat. Damit verbleibt das eigentlich problematische dritte Szenario, in dem diejenigen Personen, die verdächtigt werden, völkerrechtliche Kernverbrechen begangen zu haben oder noch zu begehen, Partei eines noch andauernden Konflikts sind, und in dem deren Mitwirkung an einem Friedensprozess conditio sine qua non ist oder zumindest zu sein scheint, um eine friedliche Konfliktlösung überhaupt erst zu ermöglichen oder um eine bereits erreichte Lösung nicht nachträglich zu gefährden. Die Überweisungen der Situationen im Falle des Sudan und Libyens bilden hier exemplarische Beispiele. Im Hinblick auf diese dritte Fallgruppe ist dabei zwischen 10 Pressebericht Raupp, Festnahme provoziert Ruanda, . 11 UNTAET Regulation No. 200/11 on the Organization of Courts in East Timor. Weitere Hinweise in Linton, Cambodia, East Timor and Sierra Leone – Experiments in International Justice, Criminal Law Forum 12 (2001), 185; Katzenstein, Hybrid Tribunals: Searching for Justice in East Timor, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), 245; Bertodano, East Timor: Trials and Tribulations, in: Romano/Nollkaemper/Kleffner (Hrsg.), Internationalized Criminal Courts, 2004, 79 ff.; von Braun, Internationalisierte Strafgerichte, 2008, 107 ff. 12 UN Doc. S/RES/827 (1993); Pascal (Fn. 9), 59 ff.; Greenwood, The International Tribunal for former Yugoslavia, International Affairs 69 (1993), 641; O’Brien, The International Tribunal for Violations of Internatioal Humanitarian Law in former Yugoslavia, AJIL 87 (1993), 639; Shraga/Zacklin, The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, EJIL 5 (1994), 360.

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materiellen und bloßen ,Verfahrensfragen‘ zu unterscheiden. Ersterer Aspekt zielt auf das Problem, ob Strafverfolgung oder Friedenswahrung vorgeht, während bezüglich letzterem zu klären ist, wer über diese Frage im Einzelfall entscheiden darf. Diese zweite Frage muss dabei zunächst geklärt werden, weil sie den zugrundeliegenden materiellen Aspekt präjudiziert.

B. Kompetenz zur Abwägung zwischen Strafverfolgung und Friedenswahrung I. Entscheidung durch den Sicherheitsrat Primärer Akteur, der dazu berufen ist, das Spannungsverhältnis zwischen Friedenswahrung und Strafverfolgung zu beurteilen, ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.13 Für diesen ergibt sich in drei Konstellationen die Notwendigkeit einer Ausbalancierung zwischen Strafverfolgung einerseits und Friedenswahrung andererseits: bei der Schaffung von internationalen oder internationalisierten ad hoc-Tribunalen, bei der Überweisung einer Situation an den Internationalen Strafgerichtshof, und schließlich bei der Beschränkung der Strafverfolgung durch den IStGH oder nationale Gerichte. Alle drei Fallgruppen werfen indes ähnliche Fragen auf. In jedem Fall ist nämlich Kernelement, dass die Errichtung eines ad hoc-Tribunals14, die Erstreckung der Zuständigkeit des IStGH auf das Gebiet einer Nichtvertragspartei15, oder aber die Beschränkung der Ausübung von Zuständigkeiten zur Strafverfolgung durch den Sicherheitsrat16 gerade jeweils als Maßnahme zur Friedenswahrung auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen erfolgt. Mit anderen Worten: der Sicherheitsrat sieht entweder gerade die Strafverfolgung als ein mögliches Mittel an, eine Bedrohung des Weltfriedens zu bekämpfen – das sind die ersten beiden Fallgruppen – oder aber umgekehrt erkennt er – wie in letzterer Fallgruppe – darin gerade eine Gefahr für den Weltfrieden. Mithin ist die Strafverfolgung in den beiden ersten Fällen gerade ein Mittel zum Zweck der Friedenserhaltung. Nun mag man zwar fragen, ob internationale Strafverfolgung wirklich in jedem Fall ein taugliches Mittel zur Wahrung oder zur Wiederherstellung des Friedens darstellt oder ob es nicht womöglich gar kontraproduktiv ist. Dies betrifft aber den materiellen Aspekt, der, wie 13

Art. 24 Charta der Vereinten Nationen, Delbrück zu Artikel 24, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations. 14 Ad hoc-Tribunale sind der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda und das Sondertribunal für den Libanon (UN Docs. ICTY S/RES/827 (1993); ICTR S/RES/955 (1994); STL S/RES/1757 (2007)). 15 Wie in Darfur im Sudan – UN Doc. S/RES/1593 (2005); Pressemitteilung des Sicherheitsrates SC/8351. 16 Bergsmo/Pejic´ zu Artikel 16, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, 595 ff.

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erwähnt, später behandelt werden soll. Entscheidend an dieser Stelle aber ist vielmehr, dass der Sicherheitsrat nach der Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung des internationalen Friedens trägt und ihm damit von der Staatengemeinschaft in solchen Konstellationen auch die Entscheidung der materiellen Frage übertragen wurde, wie das Spannungsverhältnis zwischen Friedenswahrung und Strafverfolgung, falls möglich, aufzulösen ist. Mit der Entscheidung zugunsten des ,ob‘ einer Strafverfolgung überträgt der Sicherheitsrat zugleich aber auch die weiteren Entscheidungen über die Frage des ,wie‘ der konkreten Strafverfolgung – vorbehaltlich einer Rücknahme oder Beschränkung der Zuständigkeit – auf autonom handelnde Organe und dabei namentlich auf den jeweiligen Ankläger des zuständigen internationalen Gerichts. Damit nimmt er auch antizipiert in seinen Willen und in seine Güterabwägung zwischen Frieden und Strafverfolgung auf, dass es zu Maßnahmen wie etwa der Beantragung des Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten Al-Bashir oder den ehemaligen libyschen Präsidenten Gaddafi kommt. Aus diesem Grund war es durchaus eher überraschend, dass man sich im Sicherheitsrat und darüber hinaus über den Antrag der Anklagebehörde des IStGH in Sachen sudanesischer Staatspräsident überrascht zeigte.17 Angesichts solcher Bestimmungen wie jener über die Unbeachtlichkeit jedweder amtlicher Eigenschaft und über die strafrechtliche Verantwortlichkeit militärischer und ziviler Vorgesetzter18 im Rom-Statut muss doch stets klar gewesen sein, dass es dem Statut gerade auch um die Verfolgung von Regierungskriminalität geht. Zudem hatte der damalige IStGH-Chefankläger Luis Moreno Ocampo bereits in einem Policy Paper aus dem Jahr 2003 klar gemacht, dass er sich anders als etwa das ICTY auf die strafrechtliche Verfolgung von Führungseliten konzentrieren werde.19 Aufgrund seiner Zuständigkeit nach Kapitel VII der UN-Charta kann der Sicherheitsrat dann bekanntlich auch nachträglich, wenn auch nur nach Maßgabe der in der Charta angelegten Abstimmungsmodalitäten, seine Einschätzung des Spannungsverhältnisses zwischen Friedenswahrung und Strafverfolgung revidieren oder präzisieren. So ist es ihm möglich, im Fall der ad hoc-Tribunale deren Zuständigkeit zu beenden oder zu modifizieren. Bezüglich des IStGH kann er ebenfalls dessen Zustän-

17 Die Russische Föderation, China, Libyen und Burkina Faso, UN Doc. S/PV. 5947, 31. Juli 2008, Pressemitteilung des Sicherheitsrates SC/9412; Libyen, China, die Russische Föderation und Südafrika, UN Doc. S/PV. 6028, 3. Dezember 2008, Pressemitteilung des Sicherheitsrates SC/9516. 18 Sog. command responsibility – Artikel 28 Rom Statut. Hinweise dazu in: Arnold/Triffterer zu Artikel 28, in: Triffterer (Hrsg.), (Fn. 16); Levine, The Doctrine of Command Responsibility and Its Application to Superior Civilian Leadership: Does the International Criminal Court Have the Correct Standard?, Military Law Review 193 (2007), 52; Bonafé, Finding a Proper Role for Command Responsibility, IJCJ 5 (2007), 599. Zur amtlichen Eigenschaft: Artikel 27 Rom Statut. Hinweise in: Triffterer zu Artikel 27 in: Triffterer (Hrsg.), (Fn. 16). 19 Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor, S. 7, .

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digkeit durch actus contrarius komplett entfallen lassen20 oder eine konkrete Strafverfolgungsmaßnahme nach Art. 16 des IStGH-Statuts für zwölf Monate aussetzen.21 Die Diskussion im Vorfeld von Sicherheitsrats-Resolution 1828 zu Darfur,22 die Bezugnahme auf die entsprechenden Vorstöße der Afrikanischen Union in der fraglichen Resolution23 sowie zuletzt die konkrete Erwähnung von Art. 16 des Römischen Statuts in der Sicherheitsratsresolution 1970 (2011), mit der die Situation in Libyen an den IStGH überwiesen wurde24, sind hinreichende Belege für solche Überlegungen. Der Sicherheitsrat kann aber auch zu der Überzeugung gelangen, dass eine Strafverfolgung durch den IStGH selbst in den Fällen, in denen sie allein auf vertraglicher Grundlage und nicht auf einer Sicherheitsratsüberweisung beruht oder aber gar eine Strafverfolgung durch Einzelstaaten für die Bewahrung des Friedens per se kontraproduktiv ist, dieses von ihm wahrgenommene Spannungsverhältnis auf der Grundlage seiner Befugnisse nach Kapitel VII zu Lasten der Strafverfolgung auflösen. Dass der Sicherheitsrat sich dieser Möglichkeit bewusst ist und von ihr auch bereits Gebrauch macht, belegen zum einen die Resolutionen 1422 (2002) und 1487 (2003), mit denen er auf der Grundlage von Kapitel VII in Verbindung mit Artikel 16 des Rom-Statuts die Erstreckung der Zuständigkeit des IStGH auf Angehörige von UN-mandatierten Operationen jeweils für ein Jahr ausgesetzt hatte, weil er davon ausging, dass ansonsten die Gefahr bestünde, dass sich nicht mehr in genügendem Maße truppenstellende Staaten finden würden.25 In ähnlicher Weise hat er dann 20 Diese Frage ist, soweit ersichtlich, noch nicht näher untersucht worden und bedarf hinsichtlich der Grenzen der Handlungsbefugnisse des Sicherheitsrates (etwa im Hinblick auf die Problematik, bis zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang eine Rücknahme erfolgen kann) noch näherer Diskussion. 21 Bergsmo/Pejic´, Artikel 16, in: Triffterer (Hrsg.), (Fn. 16); El Zeidy, The United States Dropped the Atomic Bomb of Article 16 of the ICC Statute: Security Council Power of Deferrals and Resolution 1422, Vanderbilt Journal of Transnational Law 35 (2002), 1503; Gallavin, The Security Council and the ICC: Delineating the Scope of Security Council Referrals and Deferrals, New Zealand Armed Forces Law Review 5 (2005), 19 (28 ff.). 22 UN Doc. S/RES/1828 (2008); Diskussionen in UN Doc. S/PV. 5947. 23 So heißt es in der Präambel zu Resolution 1828 immerhin: „Taking note of the African Union (AU) communiqué of the 142nd Peace and Security Council (PSC) Meeting dated 21 July (S/2008/481, annex), having in mind concerns raised by members of the Council regarding potential developments subsequent to the application by the Prosecutor of the International Criminal Court of 14 July 2008, and taking note of their intention to consider these matters further, […]“. 24 Dort hieß es ausdrücklich: „Recalling article 16 of the Rome Statute under which no investigation or prosecution may be commenced or proceeded with by the International Criminal Court for a period of 12 months after a Security Council request to that effect […]“. 25 Heselhaus, Resolution 1422 (2002) des Sicherheitsrates zur Begrenzung der Ta¨ tigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, ZaöRV 62 (2002), 907; Herbst, Immunita¨ t von Angeho¨ rigen der U.S. Streitkra¨ fte vor der Strafverfolgung durch den IStGH?: Zu Resolution 1422 (2002) des UN-Sicherheitsrates vom 12. Juli 2002, EuGRZ 29 (2002), 581; Zimmermann,

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im Zusammenhang mit der Autorisierung einer multilateralen Operation in Liberia durch Resolution 1497 (2003) diese Truppen auf der Grundlage von Kapitel VII ausdrücklich nicht nur von der Zuständigkeit des IStGH, sondern auch von der einzelstaatlichen Strafverfolgung durch Drittstaaten ausgenommen.26 Allerdings ist insoweit die Gefahr zu erkennen, dass der Sicherheitsrat aufgrund seiner Zusammensetzung und des Veto-Systems einerseits eine selektive Straffreistellung nur für bestimmte Situationen vorsieht, oder sogar wie im Fall Darfur zwar die Zuständigkeit des IStGH begründet, zugleich aber bestimmte Personengruppen hiervon ausnimmt, wie zum Beispiel Angehörige von UN-Operationen. Das verringert zugleich die Legitimation friedenswahrender Operationen. II. Entscheidung durch Einzelstaaten Jenseits der Situationen, in denen ein Kapitel VII-Bezug vorliegt, sind aber ansonsten Einzelstaaten berufen, eine Abwägung zwischen Strafverfolgung und Friedenswahrung vorzunehmen. Zunächst erscheint es dabei unproblematisch, dass ein Territorialstaat stets legitimiert ist, sich positiv dafür zu entscheiden, schwerste Verbrechen zu verfolgen, die auf seinem Gebiet oder durch seine Staatsangehörige begangen wurden, zumal in vielen Fällen sogar eine Pflicht zur Strafverfolgung besteht.27 Es ist aber wohl auch davon auszugehen, dass ein Verzicht auf Strafverfolgung jedenfalls dann als legitim angesehen wird, wenn er durch eine demokratisch legitimierte Regierung erfolgt und durch alternative Formen der Wahrheitsfindung begleitet wird. Das Beispiel Südafrika mag dies belegen.28 Eine solche Vorgehensweise dürfte „Acting under Chapter VII (…)“ – Resolution 1422 and Possible Limits of the Powers of the Security Council, in: Frowein/Scharioth/Winkelmann/Wolfrum (Hrsg.), Verhandeln fu¨ r den Frieden: liber amicorum Tono Eitel, 253; Zappalà, Are Some Peacekeepers Better than Others?: UN Security Council Resolution 1497 (2003) and the ICC, JICJ 1 (2003), 671. 26 Resolutionstext, UN Doc. S/RES/1497, Abs. 7. 27 Ein Beispiel für eine solche Staatenpraxis sind die Rücknahme der Amnestie aus dem Lomé-Abkommen (Fn. 38) begleitet von Erklärungen, die diese Praxis bestätigen, wie zum Beispiel die Resolution on Impunity der UN-Menschenrechtskommission (UN Doc. E/CN.4/ RES/2001/70); Robinson (Fn. 5), 490 ff. Weitere Hinweise bei Orentlicher, Settling Accounts: The Duty To Prosecute Human Rights Violations of a Prior Regime, Yale Law Journal 100 (1991), 2537 (2551 ff.); Edelenbos, Human Rights Violations: A Duty To Prosecute?, LJIL 7 (1994), 5 (13 ff.); Mendez, Accountability for Past Abuses, Human Rights Quarterly 19 (1997), 255 (261). 28 Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika (Truth and Reconciliation Commission – TRC), errichtet durch das südafrikanische Parlament auf Grundlage des folgenden Gesetzes: The Promotion of National Unity and Reconciliation Act No. 34 of 1995, . Weitere Hinweise, siehe Abschlussbericht der TRC, ; Barkoukis/Villa-Vicencio, Truth Commissions – A Comparative Study, 2011, ; Chapman/van der Merwe, Truth and Reconciliation in South Africa: Did the TRC deliver?, 2008.

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auch im Rahmen des Komplementaritätsprinzips des Rom-Statuts29 die Billigung des IStGH finden und dazu führen, dass dieser dann an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit gehindert ist. Daneben ist eine Entscheidung durch einen Einzelstaat zugunsten der Strafverfolgung auch darin zu sehen, dass er selbst die Gerichtsbarkeit des IStGH akzeptiert und womöglich gar die Situation im eigenen Land an den IStGH überweist. Letzteres ist in den Fällen Uganda30, Kongo31 und Zentralafrikanische Republik32 geschehen. Durch einen solchen Akt kommt zugleich implizit zum Ausdruck, dass der betroffene Staat selbst der Strafverfolgung den Vorrang vor der Friedenswahrung gibt. Allenfalls wäre zu bedenken, dass die in aller Regel zeitlich weit vorgelagert erfolgte Ratifikation des Rom-Statuts, die ja erst die Zuständigkeit des IStGH begründet, so generell und so abstrakt ist, dass sie dann eigentlich nicht mehr als rationale Abwägungsentscheidung zwischen Friedenswahrung und Strafverfolgung bezogen auf die später eintretende konkrete Situation angesehen werden kann. Dieser Einwand gilt aber dann nicht, wenn sie, wie in den genannten afrikanischen Fällen, durch eine Überweisung einer spezifischen Situation sozusagen ,bestätigt‘ wird. Ferner erscheint diese Prämisse einer rationalen Abwägung zwischen den beiden Gütern Strafverfolgung und Friedenswahrung auch dann als problematisch, wenn die entsprechende Strafverfolgung nicht mehr von einem breiten innenpolitischen Konsens innerhalb des betroffenen Staates getragen wird, weil die Entscheidung für die Strafverfolgung dann selbst ihrerseits den entsprechenden Konflikt verschärft. Ein konkretes Beispiel hierfür wäre die Situation im Libanon, wo ja das ursprünglich geplante, nicht auf Kapitel VII gestützte Tribunal wegen des Widerstands weiter Teile des Parlaments nicht zustande kam und stattdessen der Sicherheitsrat das Tribunal auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta errichten musste.33 29 Werle, Völkerstrafrecht, 2. Aufl., 2007, Rdnrn. 226 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., 2008, 288 ff.; Hoffmeister/Knoke, Das Vorermittlungsverfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof – Prüfstein für die Effektivität der neuen Gerichtsbarkeit im Völkerstrafrecht, ZaöRV 59 (1999), 785 (797 ff.); Williams/Schabas zu Artikel 17, in: Triffterer (Hrsg.), (Fn. 16). 30 Apuuli, The International Criminal Court (ICC) and the Lord’s Resistance Army (LRA) Insurgency in Northern Uganda, Criminal Law Forum 15 (2004), 391; ders., The ICC Arrest Warrants for the Lord’s Resistance Army Leaders and Peace Prospects for Northern Uganda, JICJ 4 (2006), 179; ders., The ICC’s Possible Deferral of the LRA Case to Uganda, JICJ 6 (2008), 801; Akhavan, The Lord’s Resistance Army Case: Uganda’s Submission of the First State Referral to the International Criminal Court, AJIL 99 (2005), 403. 31 Schabas, An Introduction to the International Criminal Court, 2001, 44 ff. Zum Fall Lubanga: Smith, Inventing the Law of Gravity: The ICC’s Initial Lubanga Decision and Its Regressive Consequences, International Criminal Law Review 8 (2008), 331; Miraglia, Admissibility of Evidence, Standard of Proof and Nature of the Decision in the ICC Confirmation of Charges in Lubanga, 6 (3) J Int Criminal Justice (2008), 489. 32 Schabas (Fn. 31), 55. Diesbezüglich zum Fall Bemba: Karsten, Distinguishing Military and Non-Military Superiors: Reflections on the Bemba Case at the ICC, JICJ 7 (2009), 983. 33 UN Docs. S/2006/176, Para. 6; S/2006/893, Paras. 6 ff.; Mégret, A Special Tribunal for Lebanon: The UN Security Council and the Emancipation of International Criminal Justice, LJIL 21(2008), 485 (488 ff.).

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III. Anklagebehörden internationaler Gerichte Schließlich ist die Rolle einer letzten Gruppe von Akteuren zu klären. Dies sind die jeweiligen Anklagebehörden internationaler Tribunale. Diese kommen selbstverständlich immer erst dann zum Zug, wenn die grundsätzliche Entscheidung über das ,ob‘ der Strafverfolgung bereits gefallen ist, sei es weil der Sicherheitsrat ein entsprechendes Tribunal eingerichtet oder eine Situation an den IStGH überwiesen hat, sei es weil die relevanten Staaten das Statut des IStGH ratifiziert haben oder dessen Zuständigkeit nach Art. 12 Abs. 3 des Römischen Statuts ad hoc anerkannt haben. Vor diesem Hintergrund überrascht es denn auch nicht, dass dem jeweiligen Ankläger dann kaum mehr ein Ermessen eingeräumt ist, ob er eine Strafverfolgung durchführt oder nicht.34 Vielmehr erscheint es sachgerecht, dass diese eminent politischen Fragen entweder Staaten oder aber dem Sicherheitsrat zugewiesen sind. Entsprechend ist auch die Beantragung des Haftbefehls durch die Anklagebehörde des IStGH zu Lasten des sudanesischen Präsidenten als richtig einzuordnen – unterstellt, es lagen hinreichende Beweise vor,35 denn eine solche Handlung entspricht gerade dem Mandat der Anklagebehörde dieses Gerichts.

C. Materielle Kriterien der Abwägung zwischen Friedenswahrung und Strafverfolgung Schließlich sollen noch die materiellen Aspekte der Abwägung zwischen Friedenswahrung und Strafverfolgung zur Sprache kommen. Zunächst wäre zu erörtern, ob nicht aus übergeordneten Gründen jedenfalls in bestimmten Fällen ein Verzicht auf Strafverfolgung von vorne herein nicht in Betracht kommt.36 Dazu müssten Situationen denkbar sein, in denen im Sinne von Max Weber aus gesinnungsethischen Gründen37 ein Verzicht auf Strafverfolgung gänzlich ausgeschlossen ist, weil man sich ansonsten mit dem Bösen gemein machen würde. Dies kann in Bezug auf Extremfälle durchaus erwogen werden. Für die ,Normalfälle‘ völkerrechtlicher Verbrechen, selbst solche massiven Ausmaßes, erscheint es aber im Sinne einer Verantwor34

Ntanda Nsereko, Artikel 18, in: Triffterer (Hrsg.), (Fn. 16), Rdnr. 4; dazu auch: Bergsmo/Kruger, Art. 53, in: Triffterer (Hrsg.), (Fn. 16), Rdnrn. 4, 7. 35 Buzzard, Holding an Arsonist’s Feet to the Fire? – The Legality and Enforceability of the ICC’s Arrest Warrant for Sudanese President Omar Al-Bashir, American University International Law Review 24 (2009), 897; Burghardt/Geneuss, Der president und sein Gericht – Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs über den Erlass eines Haftbefehls gegen Al Bashir, ZIS 4 (2009), 126; Ssenyonjo, International Criminal Court Arrest Warrant Decision for President Al Bashir of Sudan, International Comparative Law Quarterly 59 (2010), 205. 36 Akhavan (Fn. 5), 652 f.; Robinson (Fn. 5), 488 ff.; Bassiouni, Searching for Peace and Achieving Justice: The Need for Accountability, Law and Contemporary Problems 59 (1996), 9 (13, 27); Scharf, The Amnesty Exception to the Jurisdiction of the International Criminal Court, Cornell International Law Journal 32 (1999), 507 (512 ff.). 37 Max Weber, Politik als Beruf, 1919, 57 ff.

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tungsethik38 noch hinnehmbar, auch bezüglich der Hauptverantwortlichen auf eine Strafverfolgung zu verzichten, wenn nur so eine Wiederherstellung des Friedens sichergestellt wäre.39 Allerdings liegt ein wesentliches Problem, vielleicht gar das eigentliche Grundproblem, bei der Abwägung zwischen Frieden und Strafverfolgung in der Abwägung auf der ,Zeitschiene‘, da sich nie mit Sicherheit sagen lässt, ob ein Verzicht auf Strafverfolgung wirklich zu einer ,echten‘ Befriedung führt, ob sich also ein solcher Verzicht ,lohnt‘ oder ob er nicht vielmehr gar kontraproduktiv sein könnte.40 So erscheint nicht ausgeschlossen, dass ein absoluter und dauerhafter Verzicht auf Strafverfolgung fast zwangsläufig dazu führt, dass bestehende Konflikte dauerhaft ,zementiert‘ werden. Vielversprechender erscheint es demgegenüber, dass man – wenn überhaupt – nur bedingt und befristet auf eine Strafverfolgung verzichtet, um so ständige Anreize zu schaffen, keine erneuten Verbrechen zu begehen und den Konflikt nicht weiter zu verschärfen. In dieser Überlegung liegt demgemäß auch der besondere Vorteil der Regelung des Artikel 16 des Rom-Statuts, wonach der Sicherheitsrat immer wieder aufs Neue die Strafverfolgung für ein Jahr aussetzen kann, zumal damit auch die Blockademöglichkeit einzelner ständiger Mitglieder des Sicherheitsrates überspielt wird.41 Ein weiterer Aspekt des Abwägens zwischen kurz- und langfristigen Vorteilen beim Verzicht auf Strafverfolgung ist darin zu sehen, dass die Gewährung von Straffreiheit entsprechende Täter motiviert, möglichst lange und möglichst effektiv an der Macht zu bleiben, und zwar auch unter Inkaufnahme weiterer Verbrechen. Denn dadurch steigen die politischen Kosten für die Durchführung einer Strafverfolgung und einen damit einhergehenden Verzicht auf einen Friedensschluss. Umgekehrt führt die konsequente Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen in solchen Konstellationen auch etwa gegenüber Regierungsmitgliedern jedenfalls dann zu einem Rückgang von Gewalt, wenn man eine generalpräventive Wirkung auch im Bereich einer solchen Makrokriminalität annimmt. Allerdings besteht zu befürchten, dass es eine solche Wirkung gerade nicht gibt. Dies belegt etwa das Beispiel des ehemaligen Jugoslawien, wo bekanntlich die schlimmsten Verbrechen wie der Völkermord in Srebrenica42 deutlich nach der Errichtung des ICTY begangen wurden und wo die Täter 38

Ebda. Snyder/Vinjamuri (Fn. 5), 15; Robinson (Fn. 5), 495; Arsanjani, The International Criminal Court and National Amnesty Laws, ASIL Proceedings (1999), S. 65 – 68, 65 f.; Scharf, The Amnesty Exception, S. 508 ff. 40 Akhavan (Fn. 5), S. 630 ff.; Snyder/Vinjamuri (Fn. 5), 14. 41 Zur Einbettung von Art. 16 des Römischen Statuts in das System der Charta und zum Versuch jedenfalls insoweit das Vetorecht der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder zu ,überspielen‘ näher Zimmermann, Art. 27, Rdnrn. 281 ff., in: Simma u. a. (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 3. Aufl., 2012, im Erscheinen. 42 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, Judgment, I.C.J. Reports 2007, 43, Rdnrn. 278 – 297. 39

(Internationale) Strafverfolgung von Menschenrechtsverbrechen

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demnach wussten, dass sie sich gegebenenfalls vor dem ICTY verantworten müssen.43 Problematisch erscheint es schließlich insbesondere, wenn nach dem Leitsatz „Frieden jetzt, Gerechtigkeit später“ zunächst ein Verzicht auf Strafverfolgung in Aussicht gestellt wird, dann aber dieser Strafverzicht in der Sache später zurückgenommen wird, wie im Fall Charles Taylor geschehen.44 Denn es besteht die deutliche Gefahr, dass in der Zukunft betroffene Täter, ein rationales Verhalten ihrerseits unterstellt, noch sehr viel stärker an ihrer Machtposition festhalten werden und die Trumpfkarte ,Verzicht auf Strafverfolgung‘ dann nicht mehr sticht, weil sie entsprechenden Zusagen der internationalen Gemeinschaft von vorne herein kein Vertrauen mehr entgegen bringen werden. Insgesamt erscheint nach dem oben Erörterten ein Verzicht auf Strafverfolgung nur dann als legitim, wenn dadurch eine dauerhafte Befriedung wenn nicht sichergestellt, so doch zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erleichtert wird. Dabei obliegt es dann aber den primär dazu berufenen Akteuren – nämlich Sicherheitsrat und betroffenen Staaten – diese Güterabwägung vorzunehmen, weil nur sie einerseits dazu legitimiert sind, und andererseits aufgrund der Tatsache, dass nur sie über die entsprechenden Mechanismen verfügen, gegebenenfalls eine Strafverfolgung auch wieder zu reaktivieren.

43 Prosecutor v. Krstic´ (Judgement) ICTY-98 – 33-T (2. August 2001); Prosecutor v. Obrenovic´ (Judgement) ICTY-02 – 60/2-S (10. Dezember 2003); Prosecutor v. Blagojevic´ and Jokic´ (Judgement) ICTY-02 – 60-T (17. Januar 2005). 44 Strafverzicht in Artikel IX des Peace Agreement Between the Government of Sierra Leone and the Revolutionary United Front of Sierra Leone (Lomé Peace Agreement), 7. Juli 1999, UN Doc. S/1999/777 (Annex). Pressemitteilung zur Anklage: Statement of David M. Crane, Chief Prosecutor, Special Court for Sierra Leone, . Weitere Hinweise bei Klingenberg, Charles Taylor Before the Special Court for Sierra Leone, GYIJ 46 (2003), 537 (559 ff.). Allgemein zum Fall Taylor: Meisenberg, Die Anklage und der Haftbefehl gegen Charles Ghankay Taylor durch den Sondergerichtshof fu¨ r Sierra Leone, Humanitäres Völkerrecht 17 (2004), 30.

Ein Demokratiebegriff für internationale Gerichte Von Armin von Bogdandy

A. Einleitung Eibe Riedel hat sich stets dem Gedanken einer progressiven Entwicklung des Völkerrechts verpflichtet gezeigt, gerade im Lichte der Rechte des Individuums.1 In diesem Licht überlegen die folgenden Seiten, wie der demokratische Gedanke mit Blick auf internationale Gerichte entfaltet werden kann. Dass der demokratische Gedanke für die über die letzten 20 Jahre bemerkenswert erstarkte internationale Gerichtsbarkeit Relevanz hat, ist bereits Gegenstand eines früheren Beitrags.2 Der Aufsatz will nun zeigen, wie das demokratische Prinzip für internationale Gerichte entfaltet werden kann. Diese Entfaltung erfolgt mit einer rechtsvergleichenden Methode,3 die bereits für internationale Bürokratie genutzt wurde.4 Hier sei der Gedanke mit Blick auf internationale Gerichte fortentwickelt. Den Ausgangspunkt dieser Entfaltung des demokratischen Prinzips für internationale Gerichte bildet keine abstrakte politische Theorie, sondern positives Recht: die vier Artikel des EU-Vertrags im Titel II „Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze“.5 Sie bieten die historisch wohl erste positivrechtliche Konkretisierung 1 Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards. Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und auf Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen, 1986, 205 – 209 und 349 – 353; ders., Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem, 1976, 278. 2 von Bogdandy/Venzke, Zur Herrschaft internationaler Gerichte: Eine Untersuchung internationaler öffentlicher Gewalt und ihrer demokratischen Rechtfertigung, ZaöRV 70 (2010), 1. 3 Zur Rechtsvergleichung siehe den Bericht von Riedel, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln?, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 180 (187 – 209) und ders. (Fn. 1). 4 von Bogdandy, Thoughts on International Democracy, in: Hestermeyer/König/MatzLück, u. a. (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity. Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, Bd. 2, 2012, 1377. 5 Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze in Titel II des EUV: Artikel 9 Die Union achtet in ihrem gesamten Handeln den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, denen ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit seitens der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zuteil wird. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.

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des demokratischen Prinzips für Hoheitsträger jenseits des Staates. Gewiss: Die Europäische Union, wie sie heute operiert, bietet kein Exempel demokratischer Herr-

Artikel 10 (1) Die Arbeitsweise der Union beruht auf der repräsentativen Demokratie. (2) Die Bürgerinnen und Bürger sind auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten. Die Mitgliedstaaten werden im Europäischen Rat von ihrem jeweiligen Staats- oder Regierungschef und im Rat von ihrer jeweiligen Regierung vertreten, die ihrerseits in demokratischer Weise gegenüber ihrem nationalen Parlament oder gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft ablegen müssen. (3) Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Die Entscheidungen werden so offen und bürgernah wie möglich getroffen. (4) Politische Parteien auf europäischer Ebene tragen zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union bei. Artikel 11 (1) Die Organe geben den Bürgerinnen und Bürgern und den repräsentativen Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit, ihre Ansichten in allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen. (2) Die Organe pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft. (3) Um die Kohärenz und die Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten, führt die Europäische Kommission umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durch. (4) Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen. Die Verfahren und Bedingungen, die für eine solche Bürgerinitiative gelten, werden nach Artikel 24 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegt. Artikel 12 Die nationalen Parlamente tragen aktiv zur guten Arbeitsweise der Union bei, indem sie a) von der Organen der Union unterrichtet werden und ihnen die Entwürfe von Gesetzgebungsakten der Union gemäß dem Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union zugeleitet werden; b) dafür sorgen, dass der Grundsatz der Subsidiarität gemäß den in dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorgesehenen Verfahren beachtet wird; c) sich im Rahmen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts an den Mechanismen zur Bewertung der Durchführung der Unionspolitiken in diesem Bereich nach Artikel 70 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union beteiligen und in die politische Kontrolle von Europol und die Bewertung der Tätigkeit von Eurojust nach den Artikeln 88 und 85 des genannten Vertrags einbezogen werden; d) sich an den Verfahren zur Änderung der Verträge nach Artikel 48 dieses Vertrags beteiligen; e) über Anträge auf Beitritt zur Union nach Artikel 49 dieses Vertrags unterrichtet werden; f) sich an der interparlamentarischen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und mit dem Europäischen Parlament gemäß dem Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union beteiligen.

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schaft.6 Man findet in diesen Artikeln aber eine plausible, da weder utopische noch apologetische,7 Demokratiekonzeption für internationale Institutionen, gebaut mit den Begriffen Bürgerschaft, Repräsentation, Deliberation, Partizipation, Responsivität und Kontrolle. Diese Konzeption des EU-Vertrags ist von ebenso innovativem Gehalt und erlaubt in einem vergleichenden Zugriff, das demokratische Prinzip auf internationale Gerichte anzuwenden.

B. Das demokratische Subjekt Der Begriff der Demokratie ist schwierig, insbesondere in Anwendung auf überstaatliche Institutionen. Es besteht etwa die Frage nach dem demokratischen Subjekt. Da die Annahme eines europäischen Volkes oder einer europäischen Nation kaum überzeugt, macht der europäische Vertragsgeber im reformierten EU-Vertrag einen großen Schritt und konzipiert Demokratie, entgegen vielen traditionellen Vorstellungen, ohne ein tragendes Volk. Der EU-Vertrag optiert mit Art. 9 EUV für einen bürgerschaftlichen Ansatz, der theoriegeschichtlich am besten unter dem individualistischen Paradigma zu verorten ist.8 Dies bestätigt die individuumszentrierte Grundrechtecharta, welche die einschlägigen Rechte als Bürgerrechte niederlegt. Der Demokratiebegriff des Art. 9 EUV, dessen Fluchtpunkt die Unionsbürgerschaft ist, bestärkt entsprechende Konzeptionen für die internationale Ebene, welche einen Begriff der Demokratie ohne ein neues Volk oder eine neue Nation unterbreiten. Er legt nahe, die Herrschaftsausübung auch internationaler Einrichtungen in einer kosmopolitischen oder, bescheidener formuliert, transnationalen Bürgerschaft zu verankern.9 Der juristische Leser wird vor allem die Frage stellen, ob eine kosmopolitische oder transnationale Bürgerschaft als rechtswissenschaftlicher Begriff taugt. In der Tat mag er auf den ersten Blick mehr als Entwurf für die Zukunft denn als Instrument zur rechtswissenschaftlichen Begleitung von aktueller Rechtsinterpretation, Rechtsschöpfung, Rechtssystematisierung oder Rechtskritik dienen. Unzweifelhaft gibt es keine solche Bürgerschaft als positives Rechtsinstitut. Es wäre jedoch allzu positivistisch, allein deshalb den Begriff einer trans- oder gar kosmopolitischen Bürgerschaft aus dem Bereich rechtlichen Denkens zu verbannen und ganz der politischen Theorie zu überlassen. So haben etwa Hans Peter Ipsen und Gert Nicolaysen bereits in den sechziger Jahren mit dem Begriff der Marktbürgerschaft einen einflussreichen juris6 Mény, Can Europe be Democratic? Is it Feasible? Is it Necessary? Is the Present Situation Sustainable?, 34 Fordham Int’l. L. J. (2011), 1287 (1301 ff.). 7 Zu diesem Anforderungsprofil an die Theoriebildung klassisch Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970. 8 Vgl. Bobbio, Das Zeitalter der Menschenrechte. Ist Toleranz durchsetzbar?, 1998, 50 – 55. 9 Ebenso Peters, Dual Democracy, in: Klabbers/Peters/Ulfstein (Hrsg.), The Constitutionalization of International Law, 2009, 263 (297 – 302).

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tischen Begriff geprägt.10 Diese Bürgerschaft knüpft an individuelle Rechte aus überstaatlichen Rechtsquellen an, die gegen staatliche oder überstaatliche Hoheitsträger durchgesetzt werden können. Unter diesem Blickwinkel gibt es durchaus rechtliche Anhaltspunkte für transoder gar kosmopolitische Konzeptionen, zumindest für einige internationale Gerichte. Zu denken ist insbesondere an den EGMR und den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, die über die Einhaltung internationaler Menschenrechte auf Beschwerde Einzelner wachen. Weiter kommen internationale Schiedsgerichte in den Blick, die auf Beschwerde Einzelner Rechte aus Investitionsschutzverträgen durchsetzen. Aber auch zwischenstaatliche Streitigkeiten lassen sich in der Perspektive betroffener Bürger deuten. Dies ist etwa für die WTO-Streitbeilegung festgestellt worden.11 Und selbst für Gerichte wie den IGH, in gewisser Weise Gralshüter des Ancien Régime,12 ist zumindest in einigen Tätigkeitsbereichen eine menschenrechtliche Deutung möglich.13 Viele rechtswissenschaftliche Ansätze arbeiten seit langem de lege lata an Konzeptionen des Völkerrechts, welche die Menschenrechte sogar in den Mittelpunkt stellen.14 Insgesamt sollten selbst Vertreter eines staatszentrierten Völkerrechts nicht bestreiten, dass das heutige Völkerrecht zahlreiche Normen kennt, die die Kriterien von Kants Ius cosmopoliticum15 nicht nur erfüllen, sondern weit übertreffen. Viele führende Völkerrechtler gehen noch wesentlich weiter. Schon Hersch Lauterpacht etwa sah die internationale Gerichtsbarkeit als Instanz, vor der nicht nur Staaten, sondern ebenso ihren Individuen das Recht eingeräumt werden sollte, Verfahren gegen andere Staaten anzustrengen.16 Christian Tomuschat deutet gar den Staat insgesamt als Agent der Menschenrechte.17 Eibe Riedel qualifiziert Menschenrechtsstandards als offene und flexible Programmsätze, deren „Wert in ihrer programmatischen Zielorientierung [liegt], die das Verhalten des Gesetzgebers, der Ver10 Ipsen/Nicolaysen, Haager Konferenz für Europarecht und Bericht über die aktuelle Entwicklung des Gemeinschaftsrechts, NJW 1964, 339 (340 f.). 11 Zur Frage der Individualrechte, siehe WTO Panel, US – Section 301 – 310 of the Trade Act of 1974, WT/DS152/R, Report of 22 December 1999, Rn. 7.72. 12 Simma, Universality of International Law from the Perspective of a Practitioner, 20 European Journal of International Law (2009), 265 (289). 13 Ders., Human Rights before the International Court of Justice: Community Interest coming to Life?, in: Hestermeyer u. a. (Hrsg.) (Fn. 4), 577 (590 – 598). 14 Cançado Trindade, International Law for Humankind. Towards a New Jus Gentium, 2010, 213; Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, 86 American Journal of International Law (1992), 46. 15 Kant, Zum ewigen Frieden. Ein Philosophischer Entwurf, in: Vorländer (Hrsg.), Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie. Ethik und Politik, Hamburg 1964, 125. 16 Nach Lauterpacht sollte dies auch vor dem IGH möglich sein, International Law and Human Rights, 1950, 56. 17 Tomuschat, International Law: Ensuring the Survival of Mankind on the Eve of a New Century. General Course on Public International Law, Recueil des cours 281 (1999), 9 (161 f.).

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waltung und der Richter leiten.“18 Der Gedanke einer trans- oder gar kosmopolitischen Bürgerschaft ist, betrachtet man die Entwicklung der Unionsbürgerschaft, kein Hirngespinst, sondern im Rechtsmaterial auf vielfache Weise angelegt. Ist aber jeder menschenrechtliche Ansatz zugleich ein trans- oder gar kosmopolitischer? Es macht guten Sinn, zwischen ihnen zu unterscheiden.19 Menschenrechtliche Konzeptionen sind in der Regel primär schutzorientiert: Sie gehen von einem mehr oder weniger feststehenden Bestand von Rechten aus, die es gegen Hoheitsmacht zu verteidigen gilt. Die Dimension zu schützender Rechte ist auch für den trans- oder gar kosmopolitischen Ansatz fundamental, dies bezeugt bereits der Kantische Ursprung.20 Man kann jedoch, Habermas’ Kritik an Ipsens Marktbürger folgend, die politische Dimension als dem Bürgerbegriff wesentlich ansehen.21 Ein solches Verständnis liegt auch dem einschlägigen Kapitel V der EU-Grundrechtecharta zugrunde. Der trans- oder gar kosmopolitische Ansatz weist danach einen über den menschenrechtlichen Ansatz hinaus gehenden Gehalt auf, da er den einzelnen Rechtsträger gerade auch als politisches Subjekt im transnationalen Raum begreift. Diese Qualifizierung des trans- oder gar kosmopolitischen Ansatzes erscheint zur Klärung der Debatte zweckmäßig, so dass für einen solchen Ansatz konstitutiv ist, dass er dem Einzelnen bei der Politisierung des internationalen Raums eine wesentliche Rolle zumisst. Selbst für die politische Dimension gibt es positivrechtliche Ansätze: Zahlreiche Menschenrechte haben politischen Gehalt, etwa die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Wahlfreiheit (Art. 19, 21, 25 IPBPR)22, und es gibt eine Fülle guter Gründe, dass jede Hoheitsgewalt, auch internationale Institutionen, an diese Menschenrechte gebunden ist.23 Es sollte zudem außer Frage stehen, dass die Meinungsund Versammlungsfreiheit die Kritik von Entscheidungen internationaler Gerichte schützen. Nun mag man argumentieren, dass Bürgerschaft ohne rechtlich definierte Gruppe und direktes Wahlrecht nicht denkbar ist. Gewiss: Dies sind relevante Nachfragen. Aber föderale Konzepte von Bürgerschaft24 sind eben von transnationalen oder gar 18

Riedel (Fn. 1), 372, 376 f. Haller, Einführung, in: dies./Günther/Neumann (Hrsg.), Menschenrechte und Volkssouveränität in Europa. Gerichte als Vormund der Demokratie?, 2011, 11, 23. 20 Kant (Fn. 15), 135 – 139. 21 Habermas, Die postnationale Konstellation. Politische Essays, 1998, 91, 142. 22 Eibe Riedel hat wiederholt gezeigt, dass den Menschenrechten in dieser Hinsicht eine zunehmende Rolle zukommt: Die Menschenrechte der Dritten Dimension als Strategie zur Verwirklichung der politischen und sozialen Menschenrechte, in: Perez Esquivel (Hrsg.), Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht. Von der Nord-Süd-Konfrontation zur Weltsozialpolitik, 1989, 49. 23 von Bogdandy/Steinbrück Platise, DARIO and Human Rights Protection: Leaving the Individual in the Cold, 9 International Organizations Law Review (2012) (im Erscheinen). 24 Schönberger, European Citizenship as Federal Citizenship, Revue européenne de droit public 19 (2007), 61. 19

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kosmopolitischen Konzepten zu unterscheiden. Es sollte zudem mit Blick auf globale Formen demokratischer Politisierung experimentell und offen vorgegangen werden. Daher erscheint es wenig überzeugend, Bürgerschaft als rechtliche Kategorie von der positivrechtlichen Begründung einer Gemeinschaft und einem direkten Wahlrecht zu einem internationalen Parlament abhängig zu machen.25 Es ist für die internationale Ebene offener nach Mechanismen wirksamer politischer Inklusion zu suchen. Kurzum: Es gibt derzeit zwar keine trans- oder gar kosmopolitische Bürgerschaft als Institut des internationalen Rechts, aber das Völkerrecht weist eine Reihe von Momenten auf, die es erlauben, völkerrechtliche Bestimmungen, dem Hinweis in Art. 9 EUV folgend, in einer trans- oder gar kosmopolitischen Lesart zu deuten. Der notwendige reality check findet sich in einem wegweisenden Aufsatz von Michael Zürn.26 Insgesamt erscheint es weiterführend, dem Art. 9 EUV zugrundeliegenden Ansatz zu folgen und die Entscheidungsmacht internationaler Gerichte aus der Perspektive des Bürgers zu thematisieren, also des mit Rechten, gerade auch politischen Rechten ausgestatteten Individuums. Diese Idee der Bürgerschaft kann gerichtliche Rechtserzeugungsprozesse inspirieren, aber auch, insbesondere mittels ihrer menschenrechtlichen Gehalte, als Fluchtpunkt dogmatischer Rekonstruktion dienen.27 Für Rechtfertigungsdiskurse betreffend internationale Entscheidungen ist festzuhalten, dass sie nicht allein, vielleicht nicht einmal in erster Linie mit Blick auf das abstrakte Völkerrechtssubjekt Staat erfolgen sollten, sondern mit Blick auf den letztlich betroffenen Einzelnen, der dabei nicht nur menschenrechtlich als Inhaber von Abwehrpositionen zu begreifen ist, sondern auch als politisches Subjekt und damit: Bürger.28

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Wegweisend Sen, The Idea of Justice, 2009, 321 – 337. Zürn, Vier Modelle einer globalen Ordnung in kosmopolitischer Absicht, Politische Vierteljahresschrift 52 (2011), 78. 27 Wohlgemerkt: Der Übergang von der theoretischen Überlegung zur dogmatischen Konstruktion ist voraussetzungsvoll und kann nur spezifisch für jedes Rechtsregime unter Berücksichtigung der jeweiligen Bestimmungen der Klagebefugnis, der gerichtlichen Kompetenzen und des materiellen Prüfprogramms erfolgen. 28 Die Kritiker dieses Ansatzes mögen bedenken, dass sie mit der Weigerung, diesen Schritt vom Rechtssubjekt zum Bürger zu tun, genau in der Position weiter Teile der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs verharren, welche die demokratischen Kräfte zu ihrem eigenen Schaden verkannten, dazu Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts. Europäische Impulse für eine Revision der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht, 1997, 66 f. 26

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C. Duale demokratische Legitimation Dieses Ergebnis negiert keineswegs die Rolle der Staaten als den wichtigsten gestaltenden Subjekten des Völkerrechts. Eine solche Folgerung widerspräche nicht nur dem geltenden Recht,29 sondern auch einer recht verstandenen transnationalen oder kosmopolitischen Bürgerschaft, die auf duale Legitimation abzielt. Genau dies ist eine weitere Kernaussage des II. Titels des EU-Vertrags. Laut einem dualen oder kombinatorischen Ansatz beruht die Union auf einer dualen Struktur demokratischer Legitimation:30 den Unionsbürgern und den mitgliedstaatlich verfassten Völkern. Dies zeigt sich bereits im Bürgerschaftsbegriff des Art. 9 EUV. Der EU-Vertrag begründet eine eigenständige Unionsbürgerschaft, die jedoch nicht originär ist, sondern zur Staatsbürgerschaft hinzu tritt. Art. 10 EUV führt diesen dualen Ansatz aus, indem er zwei Stränge demokratischer Repräsentation niederlegt. Die demokratische Legitimation der EU ist also nicht isoliert auf der überstaatlichen Ebene zu erschließen, sondern nur im Kontext der verbundenen Institutionen, in einem Gesamtzusammenhang, der oft als Mehrebenensystem oder Verbund bezeichnet wird. Diese duale Struktur erschließt einen weiteren wichtigen Verzicht gegenüber gängigen Demokratiebegriffen aus staatlichem Kontext. Viele Demokratieverständnisse stellen die Idee der Herrschaft der (einfachen) Mehrheit in den Mittelpunkt und begreifen Demokratie als Kampf alternativer Parteien um diese Macht.31 Eine duale Legitimationsstruktur lässt eine solche Mehrheitsherrschaft nicht zu, so dass die Idee der Mehrheitsherrschaft nicht das Schlüsselmerkmal sein kann. Demokratie auf supra- und internationaler Ebene ist daher eher als Konkordanz- denn als Konkurrenzdemokratie zu denken.32 Diese konsensuale Orientierung begründet sich demokratietheoretisch weiter daraus, dass Demokratie jenseits des Staates großer sozialer, politischer und kultureller Vielfalt gerecht werden muss. Extrapoliert man dieses Verständnis auf die internationale Ebene, so ist die demokratische Legitimation internationaler Institutionen auf den entsprechenden staatlichen Mechanismen der Mitglieder aufzubauen.33 Demokratische Verfahren auf der internationalen Ebene sind aussichtsreicher, wenn sie die in staatlichen Verfahren generierte Legitimation ergänzen, so wie eine trans- oder kosmopolitische Bürgerschaft auf der Bürgerschaft in kleineren politischen Einheiten aufbaut. Die Legitimation 29 Parlett, The Individual in the International Legal System: Continuity and Change in International Law, 2011, 372. 30 Zum Modell dualer Legitimation, siehe die Beiträge von Oeter, Föderalismus und Demokratie, in: von Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2009, 73 (92 ff.) und Dann, Die politischen Organe, in: ebda., 335. 31 Eindrucksvoll Schönberger, Die Europäische Union zwischen „Demokratiedefizit“ und Bundesstaatsverbot. Anmerkungen zum Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Der Staat 48 (2009), 535 (544 ff.). 32 Zu diesen Typen Schmidt, Demokratietheorien. Eine Einführung, 4. Aufl., 2008, 306 – 318. 33 Peters, in: Klabbers u. a. (Fn. 9), 271.

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neuer Formen von Hoheitsgewalt jenseits des Staates sollte an bestehende Legitimationswege des demokratischen Rechtsstaats anknüpfen und diese durch eigenständige Legitimationsgründe ergänzen.34 Dies begegnet der Sorge Kants einer potenziell despotischen globalen Zentralmacht, die der Vielfalt keinen Raum lässt.35 Für internationale Gerichte bedeutet dies eine intrinsische Abhängigkeit von staatlich generierter Legitimation, was deren Interpretation durchaus anleiten kann, etwa mit Rechtsinstituten wie dem margin of appreciation, der Subsidiarität oder der Komplementarität.

D. Das wesentliche Anliegen Art. 9 EUV enthält nicht nur eine wegweisende Aussage über das demokratische Subjekt, sondern zudem über das Anliegen des demokratischen Prinzips. Es ist von herausragender Bedeutung, dass Art. 9 EUV den Begriff der Demokratie nicht mit der Idee der Selbstbestimmung konkretisiert, sondern mit derjenigen bürgerschaftlicher Gleichheit. Art. 9 EUV verlangt, dass den Bürgern „ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit seitens der Organe […] zuteil wird“. Ungeachtet paternalistischer Obertöne steht dies erkennbar in der individualistischen Tradition, nach der Demokratie sich stützt „auf das Prinzip der grundlegenden moralischen Gleichheit und der gleichen moralischen Berücksichtigung oder Achtung.“36 Der Verzicht in Art. 9 EUV auf den Selbstbestimmungsgedanken ist für supraund internationale Institutionen weiterführend, da der Selbstbestimmungsgedanke, recht betrachtet, nur zur Konstatierung von Demokratieunfähigkeit führen kann. Will man den Begriff der Demokratie für Konstellationen jenseits des Staates entfalten, so bedarf es eines weniger emphatischen Verständnisses. Wiederum weisen die Art. 9 bis 12 EUVeinen plausiblen Weg. Als wesentliche Elemente zeichnen sich ab: Die Idee der Bürgerschaft unter dem Prinzip der Gleichheit, Repräsentation, ergänzt durch Partizipation, Deliberation und Responsivität, wodurch die hoheitlichen Entscheidungen mit den Werten, Interessen und Meinungen der Bürger verbunden werden.37 Für einen Demokratiebegriff internationaler Gerichtsbarkeit ist ein solches Verständnis weiterführend.38 Gerichte können in ein solches Demokratiemodell weit konstruktiver eingebaut werden als in Modelle, die ganz im Lichte der Idee politischer Selbstbestimmung stehen. So zeichnet sich ein Demokratiebegriff ab, der 34 Habermas, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und die Legitimationsprobleme einer verfassten Weltgesellschaft, in: Brugger/Neumann/Kirste (Hrsg.), Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, 2008, 360 (362). 35 Kant (Fn. 15), 128 f. 36 Besson, Das Menschenrecht auf Demokratie – Eine moralische Verteidigung mit einer rechtlichen Nuance, in: Haller u. a. (Hrsg.) (Fn. 19), 61 (72). 37 Für entsprechende Konzeptionalisierungen in der Demokratietheorie Schmidt (Fn. 32), 418 ff. 38 Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2008, 28 f.

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eine rechtswissenschaftliche Perspektive auf die Tätigkeit internationaler Gerichte eröffnet.

E. Die Rolle repräsentativer Institutionen für internationale Gerichte James Madison wie Ernst-Wolfgang Böckenförde haben die repräsentative Form der Demokratie als die eigentliche Form der Demokratie beschrieben.39 Dies gilt auch jenseits des Staates. Das demokratische Prinzip findet hier ebenfalls seinen bedeutendsten organisatorischen Ausdruck in repräsentativen Institutionen; dies ist nach zwanzig Jahren Diskussion die Schlüsselaussage von Art. 10 Abs. 1 EUV. Was bedeutet das für die demokratische Legitimation internationaler Gerichte? So schwierig der Begriff der Repräsentation im Einzelnen ist,40 als gesichert kann gelten, dass Gerichte nicht als repräsentative Institutionen verstanden werden sollten. Selbst wenn Richter oft durch Wahlen in ihr Amt gelangen, bei politischem Vertrauensverlust bisweilen nicht wiedergewählt werden, ihre Entscheidungen politische Dimensionen aufweisen und sie auf gesellschaftliche Überzeugungen und Interessen gerade in ihrer rechtsschöpferischen Tätigkeit Rücksicht nehmen sollten: Nach allgemeinem Verständnis gelten sie nicht als repräsentative Institutionen.41 Dies folgt aus den für Funktionalität wie Legitimation eines Gerichts unerlässlichen Erfordernissen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, was gerade politische Verantwortlichkeit, Kernmoment demokratischer Repräsentation, ausschließt. Selbst wenn Gerichte keine Institutionen der demokratischen Repräsentation darstellen, muss sich diese Studie mit den Fragen der Repräsentation befassen. Das legt die zentrale Rolle nahe, die im staatlichen Kontext repräsentative Institutionen für die demokratische Legitimation von Gerichten haben, indem sie sie einrichten, finanzieren, besetzen und das anzuwendende Recht erlassen.42 Dies lässt vermuten, dass auch internationale Gerichte demokratischer Legitimation durch repräsentative Institutionen bedürfen. Das bestätigt Art. 10 EUV, wonach die Arbeitsweise der Union insgesamt, also auch diejenige des EuGH, auf dem Gedanken der demokratischen Repräsentation beruht. Eine Entfaltung des demokratischen Prinzips für internationale Gerichte verlangt also, den Begriff der repräsentativen Institution für Konstellationen jenseits des Staates zu erörtern. Dies ist nicht nur von theoretischem Interesse, son39 In neuem Zugriff Brunhöber, Die Erfindung „demokratischer Repräsentation“ in den Federalist Papers, 2010, 114 – 188. 40 Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 4. Aufl., 2003, 1. 41 Jouannet, Actualité des questions d’indépendance et d’impartialité des juridictions internationales: la consolidation d’un tiers pouvoir international?, in: Ruiz Fabri/Sorel (Hrsg.), Indépendance et impartialité des juges internationaux, 2010, 271 (283 – 290). 42 Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter. Zur Integration der Dritten Gewalt in das verfassungsrechtliche Kontrollsystem vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG, 1993, 47 ff., 63 f.

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dern von erheblicher praktischer Bedeutung, etwa zur Klärung der Rolle, welche Entschließungen politischer Gremien internationaler Organisationen in gerichtlichen Begründungen spielen können.43 Art. 10 EUVenthält innovative Aussagen zur demokratischen Repräsentation. So ergeben sich, entsprechend dem Grundgedanken der dualen Legitimation, aus Wahlen zwei Legitimationsstränge zu strukturell unterschiedlichen Repräsentationsorganen: Zum einen das direkt auf den Unionsbürgern fußende Europäische Parlament, zum anderen Rat und Europäischer Rat, deren Legitimation auf den demokratisch verfassten mitgliedstaatlichen Völkern aufruht, so Art. 10 Abs. 2 EUV. Überträgt man diese Überlegungen auf die internationale Ebene, so bestätigen sie zunächst traditionelle Auffassungen zur demokratischen Legitimation internationaler Gerichte. Die Einrichtung der Gerichte und ihre inhaltliche Steuerung legitimieren sich in aller Regel direkt aus einem völkerrechtlichen Vertrag, der seine demokratische Legitimation aus dem innerstaatlichen, regelmäßig parlamentarischen Ratifikationsverfahren schöpft.44 Ich stelle die demokratische Bedeutung dieser parlamentarischen Zustimmung seitens des staatlichen Parlaments nicht in Frage, zeige jedoch, dass ihre Legitimationskraft Grenzen kennt, die bei dem heutigen Entwicklungsstand vieler internationaler Gerichte angeraten erscheinen lässt, neue Legitimationsquellen zu erschließen.45 Nun gibt es parlamentarische Institutionen nicht nur auf der staatlichen, sondern auch auf der überstaatlichen Ebene. Es fragt sich, ob solche Institutionen analog der Logik von Art. 10 EUV als Organe demokratischer Repräsentation verstanden werden können, welche die internationalen Gerichte zu stützen vermögen. Solche Organe könnten vor allem auf zwei Wegen demokratische Legitimation vermitteln: Über eine Rolle bei der Richterwahl sowie durch rechtserzeugende Akte, seien sie bindend oder in anderen Formen, die oft als soft law bezeichnet werden, insbesondere Entschließungen und Erklärungen (resolutions und declarations). Solche Akte sind ungeachtet ihrer fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit in der Interpretationspraxis zahlreicher Gerichte von erheblicher Bedeutung.46 43 Ausdrücklich die Bezugnahme des EGMR auf die Resolution des Ministerrates im ersten Piloturteilverfahren, EGMR, Broniowski v. Poland, App. No. 31443/96, Judgment of 22 June 2004, Reports of Judgments and Decisions 2005-IX, Rn. 190; vgl. dazu Fyrnys, Expanding Competences by Judicial Law-Making – The Pilote Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 12 German Law Journal (2011), 1231. 44 Eine Ausnahme hierzu bilden die per Sicherheitsratsresolution errichteten UN-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, siehe S/RES/827 (1993) und S/RES/ 955 (1994), und . 45 Ausführlich von Bogdandy/Venzke (Fn. 2). 46 So in EGMR, Broniowski v. Poland (Fn. 43); vgl. auch die Bezugnahmen des EGMR auf den Europarat, mit Blick auf den Ministerrat Greens and M. T. v. The United Kingdom, App. No. 60041/08 and 60054/08, Judgment of 23 November 2010, Rdnrn. 44 – 45; mit Blick auf Ministerrat, Venedigkommission und Parlamentarische Versammlung EGMR, Case of Parti Nationaliste Basque – Organisation Régionale d’Iparralde v. France, App. No. 71251/01,

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Vor dem Hintergrund von Art. 10 EUV zeichnen sich eine ganze Reihe potenziell repräsentativer Institutionen in internationalen Organisationen ab. Bereits dieses Faktum sowie die Bestrebungen ihres Ausbaus zeigen, dass der Gedanke internationaler demokratischer Repräsentation durchaus lebendig ist. Dieses Anliegen einer Parlamentarisierung des internationalen Raums hat eine altehrwürdige Tradition.47 Die bislang eindrücklichste Form überstaatlicher Parlamentarisierung findet sich im Europäischen Parlament, das Art. 10 Abs. 2 EUV explizit als Bürgervertretung konzipiert. Vorschläge, ähnliche Institutionen auf internationaler Ebene zu verwirklichen, werden durchaus formuliert.48 Daneben gibt es parlamentarische Institutionen, die sich aus Repräsentanten der mitgliedstaatlichen Parlamente zusammensetzen. Die interparlamentarische Union (IPU) wird häufig als Vorläufer hierfür gesehen – ein universelles Parlament der Parlamente. Sektorale Beispiele finden sich in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, im Parlament des MERCOSUR, im Panafrikanischen Parlament der Afrikanischen Union, in der interparlamentarischen Versammlung der ASEAN oder in den parlamentarischen Versammlungen der NATO und der OSZE.49 Wie ist der demokratische Gehalt solcher Institutionen einzuschätzen, die nicht direkt gewählt sind, den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nicht respektieren, oft nur über überaus schmale Kompetenzen verfügen und dem breiten Publikum unbekannt sind? Derartige Fragen führen in ein offenes normatives Feld. Einleitend kann man festhalten, dass die direkte Wahl nicht als notwendiges Kriterium formuliert werden sollte. Dies ergibt sich aus der Geschichte der demokratischen Repräsentation50 und aus der gegenwärtigen Struktur transnationaler Öffentlichkeiten. Die in staatlichen Verfassungsordnungen organisierten demokratischen Prozesse sind auf internationaler Ebene nur schwer zu reproduzieren.51 Positivrechtlich bestätigt Art. 10 Abs. 2 Judgment of 07 June 2007, Rn. 16 – 18, 29 – 32, 45; mit Blick auf die Venedigkommission, EGMR, Sejdic´ and Finci v. Bosnia and Herzegovina, App. No. 27996/06 and 34836/06, Judgment of 22 December 2009, Rdnrn. 17, 21 f., 48 f., . 47 Wehberg, Grundprobleme des Völkerbundes, 1926, 83 f.; Scelle, Une crise de la Société des Nations. La réforme du Conseil et l’entrée de l’Allemagne à Genève, 1926, 137; Kissling, Repräsentativ-parlamentarische Entwürfe globaler Demokratiegestaltung im Laufe der Zeit. Eine rechtspolitische Ideengeschichte, in: Forum Historiae Iuris (2005), ; zur historischen Entwicklung internationaler parlamentarischer Versammlungen vgl. Arndt, International Parliamentary Assemblies, in: Wolfrum, Max Planck Encyclopedia of Public International Law, , Rdnrn. 5 – 10. 48 Falk/Strauss, On the Creation of a Global Peoples Assembly: Legitimacy and the Power of Popular Sovereignty, in: 36 Stanford Journal of International Law (2000), 191. 49 Zu einer Analyse über die Debatte bezüglich einer Einführung sektoraler Parlamente bei der WTO und der Weltbank vgl. Krajewski, Legitimizing Global Economic Governance through Transnational Parlamentarization: The Parliamentary Dimensions of the WTO and the World Bank, TranState Working Papers 136, 2010, . 50 Vgl. dazu Hofmann (Fn. 40). 51 Habermas, Der gespaltene Westen, 2004, 137.

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EUVein Verständnis, das die demokratische Legitimation nicht an der fehlenden Unmittelbarkeit der Wahl scheitern lässt, da danach sogar die gubernativ strukturierten Organe Europäischer Rat und Rat als Institutionen demokratischer Repräsentation gelten. Wenn die europäischen Völker gubernativ besetzte Gremien als Institutionen demokratischer Repräsentation ansehen, so kann man kaum argumentieren, dass parlamentarisch ausgerichtete Institutionen nicht als solche gelten können. An dieser Stelle erscheinen jedoch Qualifikationen dringend nötig, da die Überlegungen apologetischen Charakter anzunehmen drohen. Denn nach den obigen Ausführungen könnten weite Teile der gubernativ verfassten global governance als dem demokratischen Prinzip genügend dargestellt werden; die Sorgen vieler um das Schicksal der Demokratie in der Globalisierung wären Hirngespinste.52 Es wäre ein Demokratieverständnis, das kaum noch eine normative Spannung zur vermachteten Wirklichkeit aufwiese. Kurzum: Es wäre ein Demokratieverständnis, das das wesentliche Anliegen des Prinzips verraten würde. Konzeptionell kann man hier einen Weg zwischen Utopie und Anpassung gehen, indem man den weiten Repräsentationsbegriff, wie ihn Art. 10 Abs. 2 EUV nahelegt, mit partizipatorischen und deliberativen Momenten anreichert.53 Die Einsicht in die Bedeutung solcher Momente für einen angemessenen Demokratiebegriff hat sich in den letzten Jahrzehnten weitgehend durchgesetzt, nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu den formalen und repräsentativen Momenten.54 Dies zeigt sich wiederum in dem einschlägigen Titel II des EU-Vertrags. Art. 11 EUV setzt unter anderem auf die Förderung öffentlicher Debatten, offene, transparente und regelmäßige Dialoge zwischen Hoheitsträgern und Bürgern sowie Anhörungen. Diese Kriterien können so verstanden werden, dass Institutionen, die nur mittelbar durch Wahlen legitimiert sind, sich eigene demokratische Legitimation erarbeiten können, wenn sie ihre Entscheidungen in partizipatorisch und dialogisch ausgerichteten Verfahren erarbeiten. Dies kann relevant werden für die Einrichtung von Gerichten, die Richterwahl oder den Erlass von Sekundärrecht und soft law, auf das Gerichte Bezug nehmen.55 Für die eigene Tätigkeit von Gerichten ist insbesondere der letzte Punkt von Bedeutung. Ein internationales Gericht, das seine Entscheidung durch die Bezugnahme auf einen solchen Akt begründen und rechtfertigen will, muss die entsprechende Qualität des maßgeblichen Willensbildungsprozesses prüfen. Ein wichtiger Indikator für die demokratische Qualität entsprechender Organarbeit ist Partizipation von Nichtregierungsorganisationen, welche eine Mittlerfunktion zwischen transnationaler Verhandlung und Bürgern mittels zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeiten einnehmen können.56 Die demokratische Repräsentationsfunktion ist also nicht bereits mit 52

Guéhenno, Das Ende der Demokratie, 1996. Schmidt, (Fn. 32), 236 – 253; Peters, in: Klabbers u. a. (Fn. 9), 268 ff. 54 Schmidt (Fn. 32), 237 ff.; Sen (Fn. 25), 326. 55 Kuhli/Günther, Judicial Lawmaking, Discourse Theory, and the ICTY on Belligerent Reprisals, 5 German Law Journal (2011) 1261 (1267 – 1274). 56 Peters, in: Klabbers u. a. (Fn. 9), 315 ff. 53

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der Einrichtung des parlamentarischen Organs gegeben, sondern hängt an der Qualität seiner Arbeit; sie ist von ihm zu erarbeiten.

F. Wie Gerichte eigene demokratische Legitimation erarbeiten können Obwohl politische Repräsentation unerlässlich ist, sollte sich Demokratie nicht darauf beschränken. Entsprechend enthält Art. 11 EUV eine ganze Reihe von Vorgaben, die den traditionellen Gesichtskreis positivrechtlicher Umschreibungen des demokratischen Prinzips überschreiten und am ehesten im Lichte einer deliberativen und partizipatorischen Erweiterung verstanden werden können. Transparenz, Betroffenenbeteiligung und Dialog, die Eckpunkte des Art. 11 EUV, sind für die internationale Gerichtsbarkeit von besonderer Wichtigkeit, weil sie Strategien benennen, mit denen sie sich eigene demokratische Legitimation erarbeiten kann. Einen ersten Komplex bildet die Transparenz hoheitlichen Handelns, seine Verständlichkeit und die Zuordnung von Verantwortung. Das Europäische Verfassungsrecht gebietet bereits in Art. 1 Abs. 2 EUV, dass Entscheidungen „möglichst offen“, also transparent, zu treffen sind. Die demokratische Bedeutung der Transparenz unterstreicht Art. 11 Abs. 1 und 2 EUV.57 Die Formulierung ist, wie in Art. 9 und Art. 10 Abs. 1 EUV, nicht institutionenspezifisch und umfasst daher gerichtliches Handeln. Dies lässt es angeraten erscheinen, etwa das richterliche Verfahren und die Begründung im Lichte des demokratischen Prinzips zu deuten. Für das Verfahren ist dies evident. Aber auch die Begründung bietet eine Strategie, mit der sich ein Gericht eigene demokratische Legitimation erarbeiten kann. Eine transparente Begründung ermöglicht, dass sich wissenschaftliche und allgemeine Öffentlichkeiten besser zu einer gerichtlichen Entscheidung verhalten können.58 Unter Art. 11 EUV ist eine deliberierende Öffentlichkeit, die sich mit hoheitlichen Entscheidungen auseinandersetzt, Ziel des europäischen Demokratiekonzepts; dies ist auf internationale Gerichte übertragbar. Gerichtliche Entscheidungen können solche Öffentlichkeiten je nach Modus der Begründung mehr oder weniger stärken. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Darlegung der einschlägigen prinzipiellen Argumente, die tatsächlichen Annahmen und die erstrebten Zielzustände. Dies schließt eine gewisse Offenheit hinsichtlich der genauen dogmatischen Begründung und der Anwendung in künftigen Konstellationen nicht aus. Vielmehr erlaubt solche Offenheit, dass der Anwendungsbereich der Innovation und ihre entsprechende dogmatische Begründung in Reaktion auf den entsprechenden Diskurs entwickelt werden, also in demokratisch relevanter responsiver Weise.

57 Vgl. zur Bedeutung der Transparenz EuGH, Sweden v. Commission, Rs. C-64/05 P, Judgment of 10 February 2005, Slg. I-11389, Rdnrn. 54, 64. 58 Kuhli/Günther (Fn. 55).

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Einen zweiten Komplex bilden Formen politischer Beteiligung jenseits von Wahlen. Dabei sind Bürgerinitiativen, -befragungen und -entscheide für die Gerichte kaum einschlägig. Wichtiger ist die Beteiligung Betroffener und Interessierter in Entscheidungsverfahren. Die Forschung zeigt, dass dies, insbesondere wenn mit deliberativen Momenten angereichert, dem demokratischen Prinzip dienen kann.59 Art. 11 Abs. 2 EUV beruht auf diesem Verständnis. In gerichtlichen Verfahren kommen insbesondere ein entsprechender Dialog des Gerichts mit den Parteien, die Beteiligung Dritter sowie die Zulassung von Amicus curiae Eingaben als Strategien in Betracht, die eigene demokratische Legitimation zu stärken.60 Wie aber kann man das gerichtliche Verfahren demokratisch deuten, ohne auf der einen Seite das Entscheidungsmonopol der Richter, auf der anderen einen qualifizierten Begriff von Demokratie, der Mitentscheidung verlangt, in Frage zu stellen? Einen ersten Weg bildet die Partizipation der Streitparteien an der diskursiven Bearbeitung eines Falls. Diese kooperative Bearbeitung der Streitfrage beschränkt sich nicht auf Sachfragen oder Beweismittel, sondern erstreckt sich – gegen ein verbreitetes Verständnis des Prinzips iura novit curia – auf Rechtsfragen. Entsprechend ist das Gericht in seiner Begründung angehalten, sich mit den eingebrachten Argumenten auseinanderzusetzen. Einen weiteren Weg bildet die Einbettung einer richterlichen Entscheidung in den allgemeinen Rechtfertigungskontext öffentlicher Gewalt. Die offene Diskussion von Interessen und Positionen ist ein Moment der Demokratie, da sie die demokratische Öffentlichkeit und die soziale Integration speist. Daran kann eine gerichtliche Entscheidung rechtfertigungstheoretisch partizipieren und eigene demokratische Gehalte erarbeiten, soweit sie in einen normativen Diskurs eingebunden ist. Dies verlangt allerdings, dass die Gerichte solche Diskurse als relevant erachten und in ihre Tätigkeit einfließen lassen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an Bedeutung, soweit diese als zivilgesellschaftliche Akteure begriffen werden können. Sie können die Partizipation von Bürgern an überstaatlichen Prozessen vermitteln.61 Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies nicht auch für gerichtliche Verfahren gelten soll, natürlich unter Berücksichtigung von deren Spezifika. Dies führt zum abschließenden Gedanken: Die vorstehenden Ausführungen befinden sich auf einem hohen Abstraktionsgrad. Es bedarf vieler konkretisierender Schritte, um sie in der Interpretation, Systematisierung und Fortentwicklung des Rechts einzelner Gerichte überzeugend zur Anwendung zu bringen. Natürlich werfen nicht alle Spruchkörper dieselben Probleme im Hinblick auf das demokratische 59 Kohler-Koch, The Organization of Interests and Democracy, in: dies./Rittberger (Hrsg.), Debating the Democratic Legitimacy of the European Union, 2007, 255. 60 Näher von Bogdandy/Venzke (Fn. 2), 26. 61 Mavroidis, Amicus Curiae Briefs before the WTO: Much Ado about Nothing, in: von Bogdandy/Mavroidis/Mény (Hrsg.), European Integration and International Co-ordination. Studies in Transnational Economic Law in Honour of Claus-Dieter Ehlermann, 2002, 317.

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Prinzip auf. Es ist offensichtlich, dass die demokratische Problematik des Jugoslawienstrafgerichtshofs, eingesetzt durch den UN-Sicherheitsrat, nicht identisch sein kann mit derjenigen des internationalen Strafgerichtshofs, und dass es Unterschiede zwischen der internationalen Strafgerichtsbarkeit und dem IGH gibt. Ähnliche Spezifika sind bei ICSID-Schiedsgerichten, sonstigen völkerrechtlichen Schiedsgerichten, dem WTO Appellate Body oder dem EGMR zu erwarten. Eine dauerhafte Zuständigkeit wirft etwa stärkere Probleme auf als die einmalige Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH oder eines Schiedsgerichts. Die Unterschiede sind nicht nur institutioneller, sondern auch materiellrechtlicher Art: Die Verhängung einer Haftstrafe, die Festlegung einer Seegrenze, die Entwicklung von Menschenrechten oder die Konkretisierung des Diskriminierungsverbots im Wirtschaftsrecht werfen unterschiedliche Probleme auf. Dies alles deutet darauf hin, dass kein einheitliches Anforderungsprofil hinsichtlich der demokratischen Legitimation entfaltet werden kann, sondern es einer mehrdimensionalen Matrix bedarf, in der das demokratische Prinzip in unterschiedlicher Weise zum Tragen kommt. Doch eine solche Matrix bedarf eines Fluchtpunkts, um ihn geht es in diesem Beitrag, und zwar mit dem Ziel einer „besseren Völkerrechtsordnung“.62

62 Riedel, Wir, die Völker der Vereinten Nationen, in: Hobe (Hrsg.), Die Präambel der UNCharta im Lichte der aktuellen Völkerrechtsentwicklung, 1997, 34 (45).

„Nous ne coalisons pas des États, nous unissons des hommes“ – Variationen zu Jean Monnet Von Peter-Christian Müller-Graff „Nous ne coalisons pas des États, nous unissons des hommes“ – diesem Satz, der den Erinnerungen von Jean Omer Marie Gabriel Monnet vorangestellt ist,1 in einem Beitrag zu der unter das Thema „Mensch und Recht“ gestellten Festgabe für Eibe Riedel, den fachlich und persönlich verbundenen Kollegen2, nachzugehen, gibt die Wiederkehr des 60. Gründungstages der (2002 in der EG aufgegangenen) Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)3 als der integrationsrechtlichen Vorläuferin der heutigen Europäischen Union stimmigen Anlass. Das Ereignis regt an, aus der Sicht des Jahres 2012 den Blick auf den Inhalt und die Verwirklichung dieser Vision durch den seinerzeitigen EGKSV zu werfen (A.), sodann unter diesem Gesichtspunkt die Entwicklung durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft/Europäische Gemeinschaft (EWG/EG) zu beleuchten (B.) und schließlich in der Gegenwart die neue Europäische Union nach Lissabon4 mit Blick auf den Centenniumshorizont 2052 der europäischen Integration zu betrachten (C.).

A. Die „Vereinigung von Menschen“ in den Anfängen des Gemeinschaftsrechts Entgegen dem Leitwort der Erinnerungen Jean Monnets stand bei der Gründung der EGKS jedenfalls für den ersten Blick nicht die „Vereinigung von Menschen“, sondern die Schaffung eines gemeinschaftlichen Kontrollsystems über die Kohleund Stahlressourcen in den Mitgliedstaaten im Vordergrund (I.), beinhaltete bei genauerer Betrachtung der primärrechtlichen Bestimmungen aber doch zugleich eine 1

Monnet, Mémoires, 1976, 7. Zur fachlichen Verbindung vgl. namentlich Müller-Graff/Riedel (Hrsg.), Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, 1998. 3 Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951; in Kraft getreten am 24. Juli 1952 (BGBl. II, S. 447 ff.); vertragsgemäß nach fünfzig Jahren außer Kraft getreten. 4 Vgl. dazu Müller-Graff, Der Vertrag von Lissabon auf der Systemspur des Europäischen Primärrechts, integration 2008, 123 ff.; Schwarze/Hatje (Hrsg.), Der Reformvertrag von Lissabon, Europarecht, Beiheft 1/2009. 2

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nähere Verbindung der sektorspezifisch Betroffenen (II.) und enthielt die gewollte, weiter reichende Perspektive der Gemeinschaftsbildung (III.). I. Beschränkung der mitgliedstaatlichen Verfügungssouveränität Die auf den Vorüberlegungen von Jean Monnet, Paul Reuter, Pierre Uri und Etienne Hirsch5 und dem (daraus hervorgegangenen) Schuman-Plan beruhende6 Gründung der EGKS mit der darin vereinbarten Zusammenfügung des Kohle- und Stahlsektors zielte im Kern auf eine Souveränitätsbeschränkung von Frankreich und Deutschland (und der anderen sich beteiligenden Staaten) in ihren sektoralen Verfügungsmöglichkeiten7 durch die Schaffung von „Eingriffs“-Befugnissen der Gemeinschaft.8 Sie gipfelte in der Schaffung einer Hohen Behörde9, die die grundlegende Innovation jener Zeit10 für die Gestaltung zwischenstaatlicher Beziehungen darstellte.11 Die vereinbarten Begrenzungen der nationalen Verfügungsmöglichkeiten materialisierten sich insbesondere in Befugnissen der Hohen Behörde zur Steue5

Monnet (Fn. 1), 349. Vgl. dazu Schuman, Origines et élaborations du „Plan Schuman“, Cahiers de Bruges, 1953, 266 ff.; Hahn, Der Schuman-Plan, 1953; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 142 ff. 7 Monnet (Fn. 1), 347: „Mais si l’on abordait le problème de la souveraineté sans esprit de revanche ni de domination, si au contraire vainqueurs et vaincus tombaient d’accord pour l’exercer en commun sur une part de leur richesse conjointe, quel lien solide serait alors créé entre eux, quelle voie serait largement ouverte à des nouvelles fusions, et quel exemple serait offert aux autres peoples européens!“; 350: „Le gouvernement français propose de placer l’ensemble de la production franco-allemande d’acier et de charbon sous une Autorité internationale ouverte à la participation des autres pays d’Europe.“ 8 So ausdrücklich Art. 5 EGKSV: „Die Gemeinschaft erfüllt ihre Aufgabe unter den in diesem Vertrag vorgesehenen Bedingungen durch begrenzte Eingriffe.“ 9 Art. 8 EGKSV; vgl. dazu Monnet (Fn. 1), 352: „l’Autorité internationale devint la Haute Autorité commune. Elle est qualifiée … supranationale dans la quatrième version, mais ce mot ne me plaisait pas et ne m’a jamais plu. L’important était la fonction qu’il impliquait et qui se trouvait bien mieux exprimée dans la version suivante par cette phrase: ,Les decisions de la Haute Autorité sont exécutoires en France et en Allemagne, et dans les autre pays adherents.‘“; s. auch S. 371 in seinem Brief an Macmillan: „Les propositions Schuman, disais-je, sont révolutionnaires ou elles ne sont rien. Leur principe fondamental est la délégation de souveraineté dans un domaine limité, mais décisif […]“. 10 Monnet (Fn. 1), 365: „Nous voulons établir les relations de la France et de l’Allemagne sur une base entièrement nouvelle.“ 11 Vgl. zur Entstehung Monnet (Fn. 1), 348 ff., 351: zum Entwurf des institutionellen Mechanismus von Reuter: „L’Autorité chargée du fonctionnement de tout le régime sera composée sur la base d’une représentation paritaire franco-allemande […] Cette proposition a une portée politique essentielle: ouvrir dans le rempart des souverainetés nationales une brèche suffisamment limitée pour rallier les consentements, suffisamment profonde pour entraîner les États vers l’unité nécessaire à la paix.“; zur Entstehung s. auch Mosler, Der Vertrag über die EGKS. Entstehung und Qualifizierung, ZaöRV 14 (1951/52), 1; ders., Die Entstehung des Modells supranationaler und gewaltenteilender Staatenverbindungen in den Verhandlungen über den Schuman-Plan, in: Festschrift für Walter Hallstein, 1966, 355 ff. 6

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rung der Investitionen12, zur Regulierung der Erzeugung (so namentlich die Festlegung eines Systems von Erzeugungsquoten bei Nachfragerückgang13 ; die Festsetzung eines Verteilungssystems in einer Mangellage14 ; der Einsatz indirekter Maßnahmen15), zur Einflussnahme auf die Preisstellung (so namentlich die Festsetzung von Höchst- und Mindestpreisen16) sowie zur Aufsicht über marktrelevante Maßnahmen verschiedenster Art der Mitgliedstaaten17 und über Kartelle und Unternehmenszusammenschlüsse.18 II. Das Leitbild eines „gemeinsamen Marktes“ So sehr damit auch der hoheitlich-regulative Ansatz der sektoralen Verbindung der sechs Gründerstaaten durch Schaffung eines supranationalen Hoheitsträgers im Vordergrund stand, wurde die darin liegende Beschränkung der jeweiligen einzelstaatlichen Verfügungssouveränität doch zugleich mit der Ermöglichung einer transnationalen Querverbindung der betroffenen Marktteilnehmer verknüpft. 1. Der Urgedanke „eines gemeinsamen Marktes“ Der Perspektivwechsel von der Fokussierung auf die einzelnen nationalen Produktions- und Vertriebsräume zu einem gemeinsamen sektoralen Interventionsraum ging mit dem – laut Monnet von Pierre Uri projektierten19 – Gedanken einher, dieser bilde einen „gemeinsamen Markt“. So beschrieb der Eingangsartikel des EGKSVals Gründungs- und Zielartikel der gesellschaftsartigen EGKS diese mit den Worten: „Durch diesen Vertrag begründen die Hohen Vertragsschließenden Teile unter sich eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl; sie beruht auf einem gemeinsamen Markt, verfolgt gemeinsame Ziele und hat gemeinsame Organe.“ Der im Dreigestirn der Grundlagen erstgereihte „gemeinsame Markt“ wurde durch den EGKSV nicht einem beliebigen inhaltlichen Verständnis überlassen, sondern zugleich durch 12

Namentlich Art. 54 EGKSV. Art. 58 § 1 EGKSV. 14 Art. 59 § 1 und § 2 EGKSV mit der Befugnis zur Festlegung von „Verwendungsprioritäten“ und der Entscheidung „über die Verteilung des Aufkommens der Gemeinschaft für Kohle und Stahl auf die ihrer Zuständigkeit unterstehenden Industrien, den Export und den sonstigen Verbrauch.“ 15 Art. 57 EGKSV. 16 Art. 61 EGKSV. 17 Z.B. Art. 67 EGKSV zu wettbewerbsrelevanten Maßnahmen eines Mitgliedstaats; Art. 68 § 2 S. 2 EGKSV zu „ungewöhnlich niedrigen Löhnen“ als Folge einer Regierungsentscheidung. 18 Artt. 65 ff. EGKSV. 19 Monnet (Fn. 1), 352 f.: „De son côté, Uri donnait de la cohérence au projet économique et par approches successives créait la notion de Marché commun, espace sans entraves douanières, sans discrimination, mais réglementé dans l’intérêt général.“ 13

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zwei nachfolgende Bestimmungen substantiiert. Zum einen beauftragte Art. 2 Abs. 2 EGKSV die Gemeinschaft, „die Voraussetzungen zu schaffen, die von sich aus die rationellste Verteilung der Erzeugung auf dem höchsten Leistungsstande sichern.“ Mit der Wendung „von sich aus“ wird – ungeachtet der vom EGKSV vorgesehenen Interventionsbefugnisse – eine Selbststeuerung der Wirtschaftsvorgänge imaginiert, die der freien Koordinierung freier Angebote und freier Nachfragen, mithin dem Gedanken des marktgemäßen Selbstlaufs im Sinne der Idee der „unsichtbaren Hand“ (Adam Smith)20 entspricht.21 Zum anderen konkretisierte Art. 4 EGKSV diesen als gemeinschaftsweit konzipierten Orientierungspunkt mit vier Grundlinien, die als Verbote ausgestaltet wurden: dem Verbot von Einfuhr- und Ausfuhrzöllen oder Abgaben gleicher Wirkung sowie mengenmäßiger Beschränkungen des Warenverkehrs; dem Verbot von Maßnahmen und Praktiken, die eine Diskriminierung zwischen Erzeugern oder Käufern oder Verbrauchern herbeiführen22 oder den Käufer an der freien Wahl seines Lieferanten hindern; dem Verbot der von den Staaten bewilligten Subventionen oder Beihilfen oder von ihnen auferlegten Sonderlasten; sowie dem Verbot einschränkender Praktiken, die auf eine Aufteilung oder Ausbeutung der Märkte abzielen – in seinem konzeptionellen Ursprung wohl auch zur Vermeidung eines möglichen Missverständnisses des Schuman-Plans als eines großen Kohle- und Stahlkartells.23 In komprimierter Form begegnet hierin erstmals die Grundstruktur eines transnationalen Marktes, in dem nicht nur staatliche Behinderungen des Wirtschaftsverkehrs, sondern zugleich staatliche Wettbewerbsverfälschungen und private Wettbewerbsbeschränkungen untersagt werden. Folgerichtig entfaltete der EGKSV diesen Ansatz in zahlreiche Einzelvorgaben: so insbesondere erstens in das Verbot von „Praktiken unlauteren Wettbewerbs, vor allem (der) nur vorübergehenden oder nur örtlichen Preissenkungen, die auf Erlangung einer Monopolstellung innerhalb des gemeinsamen Marktes gerichtet sind“24; zweitens in das Verbot „diskriminierende(r) Praktiken, die auf dem gemeinsamen Markt die Anwendung von ungleichen Bedingungen auf vergleichbare Geschäfte durch ein und denselben Käufer mit sich bringen, insbesondere wenn die Käufer wegen ihrer Nationalität unterschiedlich behandelt werden“25 ; drittens in das Verbot „alle(r) Vereinbarungen zwischen Unter20

423.

Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Ausgabe 1937,

21 So resümiert Monnet (Fn. 1), 353 seinen Eindruck des Konzepts von Pierre Uri: „L’ensemble offrait une impression de forte organisation et de finalité libérale à la fois. Il n’y avait pas là de contradiction: „Progressivement, se dégageront les conditions assurant spontanément la repartition la plus rationnelle de la production au niveau de productivité le plus élevé.“ 22 Dies weiter gehend spezifiziert: „insbesondere hinsichtlich der Preis- und Lieferbedingungen und der Beförderungstarife“. 23 Monnet (Fn. 1), 356 f., der sich auf ein „bref malentendu“ von Dean Acheson bezieht, den Schuman-Plan als ein „grand cartel du charbon et de l’acier“ aufzufassen. 24 Art. 60 § 1 erster Spiegelstrich EGKSV. 25 Art. 60 § 1 zweiter Spiegelstrich EGKSV.

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nehmen, alle(r) Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen und alle(r) verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf dem gemeinsamen Markt unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen“26; viertens in die Genehmigungspflichtigkeit des Zusammenschlusses von Unternehmen27; fünftens in die Verbietbarkeit der Durchführung des Investitionsprogramms eines Unternehmens mit anderen als seinen eigenen Mitteln28; sechstens in die Pflicht der Mitgliedstaaten, jede Maßnahme, „die eine fühlbare Auswirkung auf die Wettbewerbsbedingungen in der Kohle- und Stahlindustrie haben kann“, der Kommission zur Kenntnis zu bringen29; und siebtens in die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, „jede auf Staatsangehörigkeit gegründete Beschränkung hinsichtlich der Beschäftigung anerkannter Kohle- und Stahlfacharbeiter, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, in der Kohle- und Stahlindustrie zu beseitigen“30 sowie „jede Diskriminierung bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen zwischen inländischen und eingewanderten Arbeitern zu verbieten.“31 2. Die transnationale Interaktion der Marktteilnehmer Der Gedanke eines gemeinsamen Marktes beinhaltet unlöslich die Möglichkeiten zum wechselseitigen grenzüberschreitenden Marktzugang der Marktteilnehmer, also von Anbietern, Nachfragern und Wettbewerbern. Er umfasst die potentielle Transnationalität wirtschaftlicher Interaktionen. Diese schaffen geschäftliche Kontakte und Nähe, Lieferbeziehungen und Wettbewerbsverhältnisse. Die Teilnehmer bringen sich selbst grenzüberschreitend zueinander und „vereinigen sich“ in diesem Sinne, wenn auch überwiegend nicht in Form der Gleichrichtung ihrer jeweiligen Interessen oder eines gemeinsamen politischen Willens. III. Die Perspektive der Gemeinschaftsbildung Transnationale Interaktivität von Unternehmen und anderer Privater ist ein sozialer Zustand, begründet aber noch keine sich selbst definierende und steuernde politische Gemeinschaft. Hierzu bedarf es eines kollektiven Willensaktes. Dieser erfolgte in der spezifischen Form des Willens zur punktuellen politischen Gemeinschaftlichkeit der Gründerstaaten. Insbesondere die – eine frühe Formulierung aus Monnets 26 Art. 65 § 1 EGKSV, der zusätzlich drei Beispielgruppen verbotenen konzertierten Verhaltens enthielt: Festsetzung oder Bestimmung von Preisen; Einschränkung oder Kontrolle von Erzeugung, technischer Entwicklung oder Investitionen; Aufteilung von Märkten, Erzeugnissen, Abnehmern oder Versorgungsquellen. 27 Art. 66 EGKSV. 28 Art. 54 Abs. 5 und 6 EGKSV mit Bußgeldsanktion gegen Unternehmen, die das Verbot nicht beachten. 29 Art. 67 § 1 EGKSV. 30 Art. 69 § 1 EGKSV. 31 Art. 69 § 4 EGKSV.

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Kreis intonierende32 – fünfte Präambelerwägung des EGKSV hob die politische Grundierung der EGKS mit den historisch markanten Worten hervor: „ENTSCHLOSSEN, an die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten einen Zusammenschluß ihrer wesentlichen Interessen zu setzen, durch die Errichtung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft den ersten Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter Völkern zu legen, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren, und die institutionellen Grundlagen zu schaffen, die einem nunmehr allen gemeinsamen Schicksal die Richtung weisen können.“

Jean Monnet selbst betont: „Rien n’est possible sans les hommes, rien n’est durable sans les institutions.“33

B. Die Menschen als Träger der Integration im Konzept von Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft und Europäischer Gemeinschaft Nachdem der bald nach der Errichtung der EGKS verfolgte, auf dieser aufbauende, weiter greifende Vergemeinschaftungswille der Gründerstaaten in Gestalt von Europäischer Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und damit verbundener Europäischer Politischer Gemeinschaft (EPG) im Jahre 1954 in der französischen Nationalversammlung gescheitert war,34 wurde der Fortgang der europäischen Integration unter dem Gesichtspunkt der „Vereinigung der Menschen“ um so mehr mit dem transnationalen Marktgedanken mit seiner wirtschaftlich-sozialen Selbststeuerung verbunden. I. Die Gewährleistung des grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Freiverkehrs Dies erfolgte in institutionalisierender Weise durch die Entscheidung der Gründerstaaten der EGKSV, die Idee des gemeinsamen Marktes auf die gesamte Wirtschaft auszudehnen und zu diesem Zweck eine weitere Gemeinschaft in Gestalt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu gründen. Die darin projektierte grundsätzliche Ermöglichung des Freiverkehrs aller Produktionsfaktoren (Personen, Kapital) und Produkte (Waren, Dienstleistungen)35 öffnete unter dem Gesichtspunkt des Ziels, „die Menschen zu vereinigen“, konzeptionell die wechselseitigen 32 Monnet (Fn. 1), 353: „Par la mise en commun de productions de base et l’institution d’une Haute Autorité nouvelle, dont les décisions lieront la France, l’Allemagne et les pays qui y adhéreront, cette proposition réalisera les premières assises concrètes d’une fédération européenne indispensable à la preservation de la paix.“ 33 Monnet (Fn. 1), 360. 34 Text der EVG: BGBl. 1954 II, 343 ff.; Text der EPG: Lipgens (Hrsg.), 45 Jahre Ringen um die Europäische Verfassung, 335 ff.; zum Scheitern Oppermann, Europarecht, 1990, 758. 35 Heute niedergelegt als Definition des Binnenmarktes in Art. 26 Abs. 2 AEUV.

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transnationalen Marktzugänge aller (berechtigten) Marktteilnehmer aus allen Mitgliedstaaten: so namentlich für Hersteller, Händler und Endabnehmer, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Selbständige und Unternehmen („Gesellschaften“), Dienstleistende und Dienstleistungsempfänger, Kapitalgeber und Kapitalnehmer.36 Darin liegt zwar keine „Vereinigung von Menschen“ ex officio, jedoch die Sicherung eines Raums für das ungehinderte grenzüberschreitende Zusammenfinden von Anbietern, Nachfragern und Gesellschaftern sowie für die ungehinderte Entstehung grenzüberschreitenden Wettbewerbs. Dies verstärk(t)en insbesondere auch die der seinerzeitigen EWG/EG (und der heutigen neuen EU) gegebenen Möglichkeiten zur Effektuierung dieses Freiverkehrs insbesondere durch binnenmarktfördernde Rechtsetzung und hierbei vor allem in Gestalt der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im Interesse der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarktes.37 II. Subjektive Rechte und Rechtsschutz Eine in der Geschichte des Rechts der internationalen Beziehungen besonders nachhaltige Innovation zur „Vereinigung von Menschen“ ist der Rechtsprechung des EuGH zu danken. Aus dem Gedanken, dass es „das Ziel des EWG-Vertrages“ sei, einen gemeinsamen Markt zu errichten, „dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörenden Einzelnen unmittelbar betrifft“38, interpretierte er die völkervertraglich in Kraft gesetzten Behinderungsverbote des Freiverkehrs in ihrer Kehrseite als subjektive Rechte der Marktteilnehmer.39 Der Gerichtshof begründete dadurch folgerichtig das Axiom der unmittelbaren Anwendbarkeit der primärrechtlichen Beschränkungsverbote40 und deren Anwendungsvorrang vor konfligierendem mitgliedstaatlichem Recht gleich welcher Art41 mit der Konsequenz des Rechtsschutzes durch mitgliedstaatliche Gerichte, unterfütterte damit zugleich inhaltlich sinnfällig die Funktion des Vorlageverfahrens zum EuGH42 und betonte die damit mögliche Agentenschaft der Einzelnen zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts.43

36 Vgl. dazu Müller-Graff, Basic Freedoms – Extending Party Autonomy across Borders, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, 2001, S. 133 ff.; s. schon ders., Privatrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in: Müller-Graff/Zuleeg (Hrsg.), Staat und Wirtschaft in der EG, 1987, 17 ff. 37 Vgl. dazu Müller-Graff, Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes, EuR 1989, 129 ff.; ders., Die Verdichtung des Binnenmarktrechts zwischen Handlungsfreiheiten und Sozialgestaltung, in: EuR Beiheft 1/2002, 7 ff. 38 EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (van Gend & Loos) Tz. 9. 39 Grundlegend EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (van Gend & Loos) Tz. 16. 40 Grundlegend EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (van Gend & Loos) Tz. 12, 16. 41 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (Costa/ENEL) Tz. 12: „wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften.“ 42 So zur sinnfälligen Verbindung von Vorlageverfahren und unmittelbarem gerichtlichem Schutz der individuellen Rechte der Einzelnen EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 Tz. 15.

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III. Zusätzliche Rechte der Unionsbürgerschaft Im Zuge der insbesondere auch durch diese Rechtsprechung beförderten zunehmenden Verbindung der Europäischen Gemeinschaften mit den wirtschaftlichen Alltagslagen Einzelner und, im Fortgang, der darin liegenden Verstärkung der Europäischen Gemeinschaften (und der alten Europäischen Union von Maastricht) zu einem zielbezogenen transnationalen Gemeinwesen44 (im Sinne von Gemeinwohlzielen, unmittelbarer Betroffenheit Privater, Hoheitsrechten und Organen)45 gewann die durch den Vertrag von Maastricht eingeführte Unionsbürgerschaft zugleich Kontur für das Ziel der „Vereinigung von Menschen“, auch wenn die Unionsbürgerschaft, nach einem Wort Christoph Schönbergers, für die Herausbildung einer „europäischen Identität […] weniger Motor als Tachometer“ ist.46 Dies gilt zum einen insbesondere für die dadurch eingeführte Gewährleistung des allgemeinen unionsbürgerlichen Freizügigkeitsrechts innerhalb der Union auch ohne Marktbezug.47 Zum anderen öffnet die Unionsbürgerschaft48 eine politische Dimension der Vereinigung von Menschen durch die von ihr gewährte Vermittlung von (wenn auch homöopathisch dosierten) Teilhaberechten von Unionsbürgern an öffentlichen Aufgaben in anderen Mitgliedstaaten (aktives und passives Wahlrecht auf kommunaler und europäischer Ebene am Wohnsitz49) und Schutzpflichten für Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten in Drittstaaten.50 IV. Die Freizügigkeit des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ Konzeptionell und integrationspolitisch wird die von Binnenmarktvorschriften und Unionsbürgerschaft in Form subjektiver Rechte gewährte Freizügigkeit seit der Vertragsreform von Amsterdam durch das operative Ziel der Schaffung eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ ohne Binnengrenzkontrollen 43

Ebda.: „Die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten […] ausgeübte Kontrolle ergänzt.“ 44 Zu den einzelnen Schritten Müller-Graff, Primärrechtliche Entwicklungsschritte der Gemeinschaftsintegration zu einem transnationalen Gemeinwesen, integration 2007, 407 ff. 45 Zu diesem Verständnis eines Gemeinwesens Müller-Graff, Europäische Verfassungsordnung, in: Scheuing (Hrsg.), Europäische Verfassungsordnung, 2003, 11, 20. 46 Schönberger, Stiftet die Unionsbürgerschaft europäische Identität?, in: Müller-Graff (Hrsg.), Der Zusammenhalt Europas – In Vielfalt geeint, 2009, 5, 71. 47 Heute Art. 21 AEUV; zu den Konsequenzen Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 21 Rdnr. 1, 9 ff., 13 ff., 17 m.w.N. 48 Vgl. dazu grundlegend Schönberger, Unionsbürger. Europas föderales Bürgerrecht in vergleichender Sicht, 2005. 49 Art. 22 AEUV; zum Gesamtzusammenhang dieser Teilhaberechte in der Entwicklung der Integration vgl. Müller-Graff (Fn. 44), 407 (420). 50 Art. 23 AEUV.

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überwölbt. Es wurzelt im Ziel der Binnengrenzkontrolllosigkeit des Binnenmarktkonzepts, flankiert dieses51 und wurde zunächst außerhalb des Gemeinschaftsrechts durch die Schengen-Abkommen zwischen Deutschland, Frankreich und den Beneluxstaaten vorgespurt.52 Sodann verband es sich zunächst mit dem ursprünglichen Unionsrecht des Vertrags von Maastricht in den „Angelegenheiten gemeinsamen Interesses“ der intergouvernementalen, so genannten dritten Unionssäule „Justiz und Inneres“,53 ehe es im begrifflichen Gewand des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ durch den Vertrag von Amsterdam Einzug in die Begrifflichkeit des primären Gemeinschaftsrechts und zu einem Gutteil auch in dessen Bestimmungen hielt.54 V. Vision und Perspektive der transnationalen Privatrechtsgesellschaft Unschwer ließen sich aus den aufgeführten primärrechtlichen Elementen Vision und Perspektive einer transnationalen europäischen Privatrechtsgesellschaft imaginieren, die sich aus dem steten Wirken der erleichterten, sich von selbst vollziehenden innergemeinschaftlichen wirtschaftlichen und sozialen Vernetzung speist.55 Sehr plastisch illustriert Hans Magnus Enzensberger anhand von Adressbüchern das aus seiner Sicht eingetretene Beziehungsgeflecht, das den „wahren Stand der europäischen Integration“ dokumentiere: ein Gewimmel „in diesen Notizbüchern, über ganz Europa verstreut, von […] Geschäftspartnern, Enkeln, Kontonummern, Lehrern und Schülern, Websites, Münzsammlern, Winzern, Putzfrauen, Automechanikern, Zahnärzten und Schwarzarbeitern“ mit der Konsequenz: „Heute verbinden uns die zivilen Netze stärker als alle Abkommen […] Millionen von Fäden schaffen Interdependenzen […]“.56 51 Vgl. zur konzeptionellen Herkunft und Entwicklung Müller-Graff, Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, 1996, 11, 20 ff.; ders., Die Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (JIZ), in: Festschrift für Ulrich Everling, 1995, 925, 940; ders., Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und Rechts – Der primärrechtliche Rahmen, in: Müller-Graff (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005, 11 ff.; ders., Der „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ im neuen Verfassungsvertrag für Europa – Neuerungen und Notwendigkeit seiner Rekonstruktion, in: Europa und seine Verfassung, Festschrift für Manfred Zuleeg, 2005, 605 ff.; ders., Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Lissabonner Reform, in: EuR Beiheft 1/2009, 105 ff.; s. auch Sharpston, First Steps towards an EU Jurisprudence on the Area of Freedom, Security and Justice (AFSJ), in: Iliopoulos-Strangas/Diggelmann/Bauer (Hrsg.), Rechtsstaat, Freiheit und Sicherheit in Europa, 2010, 435 ff. 52 Vgl. dazu Taschner, Schengen, 1997. 53 Nachweise zu dieser Entwicklung vgl. Fn. 51. 54 Nachweise zu dieser Entwicklung vgl. Fn. 51. 55 Vgl. Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Müller-Graff/Roth (Hrsg.), Recht und Rechtswissenschaft – Signaturen und Herausforderungen zum Jahrtausendbeginn, 2000, 271 ff. 56 Enzensberger, Sanftes Monster Europa, 2011, 67.

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Diese Beobachtung hindert Enzensberger allerdings nicht, zugleich die These von der „politischen Entmündigung der Bürger“ durch die Selbstreferenz der Institutionen der Union aufzustellen.57 In ihr klingt in literarischer Form das viel behandelte Problem der transnational gemäßen und transnational möglichen demokratischen Legitimation der Union an, das jüngst von Jürgen Habermas in das Erfordernis der „Entscheidung zwischen transnationaler Demokratie und postdemokratischem Exekutivföderalismus“ zugespitzt wurde.58 Ohne dies hier unter dem Gesichtspunkt der institutionell gesicherten Bewahrung einer lebendigen Demokratie vertiefen zu können, ist allerdings die Zusatzfrage zu stellen, ob eine transnationale Demokratie ohne eine sich im Kern innerlich vertrauende Zivilgesellschaft überhaupt auf festem Boden stehen kann.

C. Der Gedanke der transnationalen europäischen Gesellschaft und dessen Perspektiven im Vertrag von Lissabon im Blick auf den Centenniumshorizont 2052 der supranationalen Integration Die mögliche Perspektive der die Menschen vereinigenden transnationalen europäischen Gesellschaft ist vom Vertrag von Lissabon erneut gestärkt worden und öffnet den Blick auf den – von der Gründung der Montanunion an gerechnet – Centenniumshorizont 2052 der supranationalen Integration. I. Die konzeptionelle Stärkung des Vereinigungspotentials Unter dem Gesichtspunkt der Vereinigung von Menschen hat der Vertrag von Lissabon insbesondere den „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zum ersten operativen Hauptziel zur Verwirklichung der unionalen Leitzieltrias (Förderung des Friedens, der Werte und des Wohlergehens ihrer Völker) erhoben.59 Er weist ihm damit trotz seiner diversen primärrechtlichen Schwächen (territoriale Unvollständigkeit, keine genuine unmittelbar anwendbare primärrechtliche Norm, Abhängigkeit von europäischer Rechtspolitik60) die mögliche Perspektive des rechtlich gesicherten befriedeten und sicheren Freizügigkeitsraums.61 Er erleichtert mit dem Ziel der dauerhaften Kontrollfreiheit an den Binnengrenzen der Union das ungehinderte Zusammenkommen von Unionsbürgern. Diese Perspektive wird allerdings von den jüngsten Überlegungen zur Zulässigkeit zeitweiser Grenzkontrollen zwischen den Uni-

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Ebda., 50 ff. Habermas, Zur Verfassung Europas, 2011, 48 ff. 59 Art. 3 Abs. 2 EUV i.V.m. Artt. 67 ff. AEUV. 60 Dazu Müller-Graff, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Lissabonner Reform, EuR Beiheft 1/2009, 105 (106 ff., 108 ff., 112 ff.). 61 Ebda., 125 f. 58

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onsstaaten62 konterkariert. Im übrigen hat der Vertrag von Lissabon einzelne überkommene unionsbürgerrechtliche Freizügigkeitsrechte nunmehr zusätzlich über die zum Primärrecht gewandelte63 Grundrechte-Charta als Grundrechte ausgewiesen.64 II. Die „politische Vereinigung von Menschen“ durch Recht Führt man das Leitwort der Vereinigung von Menschen auf die politische Ebene der von den Betroffenen legitimierten Bildung zwingender Kollektivmacht, so geht es um die Frage der Selbstfindung der Einzelnen zu einer politischen Gesamtheit in Form legitimierter europäischer Hoheit. Die transnationale europäische Gesellschaft, die durch Marktgrundfreiheiten, Unionsbürgerschaft und befriedeten Freizügigkeitsraum entstehen kann, konstituiert jedoch noch keine politische Gemeinschaft. Ob oder inwieweit sich ein derartiger politischer Wille bildet, ist spekulativ. Es wäre ein revolutionärer Wechsel der Legitimationsgrundlage von den Staaten zu einer neuen politischen Gemeinschaft. Die Erörterung der Frage der Wünschbarkeit eines derartigen Wandels steckt unter den Gesichtspunkten der Bewältigung des Problems großräumiger zentripetaler Machtkonzentration und der Möglichkeit dauerhafter transnationaler Bürgersinnbereitschaft bestenfalls im Anfangsstadium.65 Allerdings wird gegenwärtig durch die heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen um transnationale Budgethilfen innerhalb der Europäischen Währungsunion (Stichwort: Griechenland) der allenfalls rudimentäre Zustand transnationaler Bürgersolidarität innerhalb der Union sowohl auf Seiten der Geber wie der Nehmer offenbar. III. Die grenzüberschreitende Gesellschaft als Vereinigungsmodell Unter dem Gesichtspunkt der Vereinigung von Menschen enthält Art. 2 S. 2 EUV die bemerkenswerte, aber auslegungsbedürftige Invokation von „Gesellschaft“. Danach „sind (die Werte) (der Union) allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“ Denkbar sind zwei Verständnisse der hierin angesprochenen Gesellschaft: entweder der jeweilig in einem Mitgliedstaat befindlichen Gesellschaft oder aber einer die Mitgliedstaaten übergreifenden Gesellschaft. In beiden Verständnisvarianten bleibt die Trennlinie zwischen privat-interaktiver Sphäre und kollektiver Hoheitssphäre jedoch sprachlich 62

Vgl. zum Streit um die „Schengen-Reform“ F.A.Z. v. 9. 6. 2012. Art. 6 Abs. 1 EUV. 64 So Art. 15 Abs. 2, 39, 40 GRCh. 65 Bemerkenswerterweise äußert Habermas (Fn. 58), 82 ff. bei seinen Überlegungen zu einer Entwicklung „von der internationalen zur kosmopolitischen Gemeinschaft“ „kommunitaristische Zweifel an der möglichen Transnationalität der Volkssouveränität.“ Die Auseinandersetzungen um die „Solidarität“ der Eurostaaten in der griechischen Staatsschuldenkrise illustrieren facettenreich das Problem. 63

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und konzeptionell gewahrt. Gerade wegen dieses Kennzeichens freiheitlicher Gesellschaften materialisiert sich Jean Monnets Credo, nicht Staaten zu koalieren, sondern Menschen zu vereinigen, zuallererst in den aufgezeigten primärrechtlichen Gewährleistungen der grenzüberschreitenden Privatrechtsgesellschaft.

Demokratie und Parlamentarismus im europäischen Staatenverbund Bedingungen, Umfang und rechtliche Bedeutung der politischen Rückkoppelung zwischen den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments und dem Bundestag Von Bernd Grzeszick

A. Einleitung: Parlamentarische Wechselwirkungen und demokratische Legitimation Das Gespür für Wechselwirkungen zwischen nationalem, europäischem und internationalem Recht sowie das rechtlich integrative Zusammendenken politisch zusammenhängender Themen sind prominente Merkmale des Werkes von Eibe Riedel, und er hat sich wiederkehrend mit den Funktionsbedingungen nationaler, inter- und supranationaler Rechtsregelungen in einer internationalisierten Welt auseinandergesetzt.1 Eben diese Frage stellt sich nun auch für die Grundlagen, Ausformungen und Wechselwirkungen parlamentarischer Institutionen in Europa. Ist die Vermittlung demokratischer Legitimation über Wahlen zu repräsentativen Parlamenten im Grundsatz weiterhin eine nationalstaatliche Angelegenheit, oder ist die europäische Ebene mit dem Europäischen Parlament in diese Betrachtung zu integrieren? Das Bundesverfassungsgericht hat sich diesen Fragen aus der Perspektive der verfassungsrechtlichen Grenzen der europäischen Integration bereits länger zugewandt. Die Entscheidungen zum Vertrag von Maastricht2 sowie zum Reformvertrag von Lissabon3 nehmen dazu explizit und ausführlich Stellung und sind damit prominente 1 Dazu nur Riedel, Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte zur Frage der Sexualkunde an öffentlichen Schulen, EuGRZ 1978, 264 ff.; ders., Der Vertrag von Maastricht und das Grundgesetz, in: Leser (Hrsg.), Deutsch-Französisches Kolloquium Marburg-Poitiers, 1993, 81 ff.; ders., Der gemeineuropäische Bestand von verfassungsprinzipien zur Begründung von Hoheitsgewalt – Legitimation und Souveränität, in: Müller-Graff/Riedel (Hrsg.), Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, 1998, 77 ff.; ders., International Law Shaping Constitutional Law. Realization of Economic, Social and Cultural Rights, in: ders. (Hrsg.), Constitutionalism – Old Concepts, New Worlds, 2005, 105 ff. 2 BVerfGE 89, 155. 3 BVerfGE 123, 267.

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Äußerungen in der umfassenderen Diskussion über die Frage, wie Parlamentarismus und demokratische Legitimation auf der Ebene der EU funktionieren und was daraus für die nationalen Legitimationsstrukturen folgt.4 Ob und wieweit der Bundestag und das Europäische Parlament vergleichbar sind, wird in einer der jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts deutlich: dem Urteil vom 9. November 2011 über die 5 %-Sperrklausel bei den Wahlen zum Europäischen Parlament.5 Während das Gericht die 5 %-Klausel bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in der Entscheidung aus dem Jahr 1979 noch als rechtmäßig ansah,6 hat es nun anders entschieden und die entsprechende Regelung im EuWahlG grundsätzlich verworfen.7 Da das Europäische Parlament seit dem Jahr 1979 an Kompetenzen und Einfluss sowohl im Verhältnis zu den anderen Organen der EG bzw. EU als auch im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten und damit an Bedeutung ganz erheblich gewonnen hat,8 ist die Entscheidung bereits auf den ersten Blick zumindest kontraintuitiv. Die Problematik der Entscheidung wird auch an anderen Stellen deutlich: Das Urteil ist mit knapper Mehrheit und entgegen einem deutlichen Sondervotum ergangen,9 und die Entscheidung ist in der Literatur differenziert aufgenommen worden.10 Bemerkenswerterweise ist dabei ein Aspekt nahezu unerschlossen geblieben: Die politische Rückkoppelung zwischen den in Deutschland gewählten Mitgliedern des Europäischen Parlaments und dem Bundestag. Bis auf eine kurze und pauschal ge-

4 Dazu nur Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus. Eine Studie zum Verhältnis von föderaler Ordnung und parlamentarischer Demokratie in der Europäischen Union, 2004; Maurer, Parlamentarische Demokratie in der Europäischen Union. Der Beitrag des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente, 2002. 5 BVerfGE 129, 300. 6 BVerfGE 51, 222. 7 BVerfGE 129, 300 (343). 8 Vedder, Die 5 %-Klausel im Europawahlrecht, in: Hendler/Ibler/Soria (Hrsg.), „Für Sicherheit, für Europa“, FS Götz, 2005, 109 (112 ff.); hinsichtlich des Vertrags von Lissabon Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 6, 2011, Rdnrn. 602 ff. mit weiteren Nachweisen; ausführlich zu den legislativen Kompetenzen Elliesie, Kompetenzverteilung im institutionellen Dreieck der EU: Gesetzgebungsverfahren dargestellt im diachronen Kontext, 2011. 9 BVerfGE 129, 300 (346 ff.). 10 Grundsätzlich zustimmend Lembcke/Peukert/Seifarth, Wandel der Wahlrechtsrealitäten – Zur Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 7 EuWG, DVBl. 2012, 401; Morlok, Chancengleichheit ernstgenommen – Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Fünf-Prozent-Klausel bei der Europawahl, JZ 2012, 76; Roßner, Verfassungswidrigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht, NVwZ 2012, 22; von Arnim, Was aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur 5-Prozent-Klausel bei Europawahlen folgt, DÖV 2012, 224; grundsätzlich kritisch Eilert, Anmerkung zu einem Urteil des BVerfG vom 09. 11. 2011 (2 BvC 4/10, 6/10, 8/10; DVBl 2011, 1540 – 1545) – Zur Verfassungswidrigkeit der FünfProzent-Sperrklausel bei der Europawahl, DVBl. 2012, 234; Schönberger, Das Bundesverfassungsgericht und die Fünf-Prozent-Klausel bei der Wahl zum Europäischen Parlament, JZ 2012, 80.

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fasste Bemerkung im Urteil11 hat dieser Aspekt in der Entscheidung keine, in den bislang dazu ergangenen Stellungnahmen nur wenig Berücksichtigung erfahren.12 Dies verwundert umso mehr, als die politische Rückkoppelung nicht nur in der politischen Praxis erhebliche Bedeutung hat, sondern auch für die vom Gericht zu entscheidende Rechtsfrage – die Rechtmäßigkeit der Sperrklausel bei den Wahlen zum Europäischen Parlament – von Relevanz ist. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden den Bedingungen, dem praktischen Umfang und der rechtlichen Bedeutung der politischen Rückkoppelung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Bundestag nachgegangen. Dazu werden zunächst die verfassungsrechtliche Erforderlichkeit einer effektiven Rückkoppelung (B.) sowie die Bedeutung und Gewährleistung effektiver politischer Rückkoppelung in der parlamentarischen Praxis skizziert (C.). Auf dieser Grundlage werden dann die einzelnen Rückkoppelungswirkungen und deren Verhältnis zur Sperrklausel erarbeitet (D.). Der Beitrag schließt mit einigen Schlussfolgerungen und einem Ausblick (E.).

B. Verfassungsrechtliche Erforderlichkeit einer effektiven Rückkoppelung Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sieht die politische Rückkoppelung der Abgeordneten an den Mitgliedstaat, aus dessen Kontingent sie gewählt werden, aus der Perspektive der Rechtfertigung der Sperrklausel, misst ihr im Ergebnis aber „keine verfassungsrechtliche Bedeutung“13 zu. Entgegen diesen Ausführungen kann die Sperrklausel nicht nur durch den Schutz und die Förderung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments, sondern auch durch diese Rückkoppelung als weiterer, eigenständiger Grund gerechtfertigt werden. Die Sperrklausel führt in der Praxis dazu, dass die in Deutschland gewählten Abgeordneten einer politischen Gruppierung angehören, die in Deutschland ein Mindestmaß an Größe und Relevanz hat und die deshalb in der Regel im Bundestag vertreten ist. Das Bundesverfassungsgericht hat den dies rechtfertigenden Grund bereits in der Entscheidung von 1979 beschrieben.14 Danach hängt ein erfolgreiches Wirken des Europäischen Parlaments in erheblichem Maß davon ab, dass eine enge Verbindung und Zusammenarbeit zwischen den Abgeordneten der Versammlung und den tragenden politischen Kräften ihrer Heimatländer besteht, die ihrerseits auf den Rat und die Kommission einwirken können. Die Versammlung und ihre Abgeordneten bedürfen sowohl bei der Diskussion und Formulierung konkreter Maßnahmen als auch zu deren Verwirklichung in besonderem Maße einer engen Verzahnung mit den die Politik der Mitgliedstaaten bestimmenden Parteien. Dazu vermögen im na11

BVerfGE 129, 300 (341 f.). Kurze Erwähnung findet der Aspekt allein bei Morlok (Fn. 10), 78. 13 BVerfGE 129, 300 (341). 14 BVerfGE 51, 222 (248 f.).

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tionalen Bereich unbedeutende Splittergruppen, die keine unmittelbare Verbindung zu den maßgeblichen politischen Kräften ihres Herkunftslandes haben, wenig oder nichts beizutragen. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht explizit anerkannt, dass es auch bei den Wahlen zum Europäischen Parlament die Parteien und Wählervereinigungen sind, die die Bürger für diese Wahlen zu politischen Handlungseinheiten organisatorisch zusammenschließen.15 Diese effektive Rückkoppelung der Parlamentarier ist dabei weder zufällig noch nur rechtlich zulässig, sondern beim derzeitigen Stand der Integration verfassungsrechtlich geboten, um die nötige demokratische Legitimation der EU sicherzustellen. Die von der deutschen Verfassung geforderte demokratische Legitimation der EU geschieht über zwei Legitimationsstränge: einen nationalen und einen europäischen.16 Zum einen legitimieren die Bürger als nationale Staatsvölker über ihre Parlamente und Regierungen den Rat, der aus Ministern der nationalen Regierungen besteht. Zum anderen wählen die Bürger in das Europäische Parlament Abgeordnete aus dem Kontingent des Mitgliedstaates ihrer Herkunft oder ihres Wohnsitzes. Rat und Parlament setzen dann gemeinsam die Kommission ein. Das Europäische Parlament setzt sich dabei aus in den Mitgliedstaaten gewählten Abgeordneten zusammen; die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind Abgeordnete der Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament.17 Die entsprechenden Grundsätze zur demokratischen Legitimation der EU durch die Wahlen zum Europäischen Parlament hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung über den Reformvertrag von Lissabon näher ausgeführt.18 Danach ist das Europäische Parlament auch nach der Neuformulierung in Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon und entgegen dem Anspruch, den Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon nach seinem Wortlaut zu erheben scheint, kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes. Das Europäische Parlament ist nicht als Vertretung der Unionsbürger als ununterschiedene Einheit nach dem Prinzip der Wahlgleichheit konstruiert, sondern als Vertretung der Völker in den jeweils zugewiesenen nationalen Kontingenten von Abgeordneten angelegt. Deshalb sind die Abgeordneten zu Recht Abgeordnete der Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament, und deshalb werden die Größen der Abgeordnetenkontingente auch durch das Prinzip der Staatengleichheit mitbestimmt und nicht allein durch die demokratische (Wahlrechts-) 15

BVerfGE 51, 222 (235). Brosius-Gersdorf, Die doppelte Legitimationsbasis der Europäischen Union – Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der demokratischen Legitimation der Europäischen Union, EuR 1999, 133; Classen, Europäische Integration und demokratische Legitimation, AöR 119 (1994), 238 (259 f.); Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, in: von Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Aufl., 2009, 961 (984 ff.); Zuleeg, Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1993, 1069 (1071 f.). 17 So auch Nettesheim, Verlust des Mitgliederstatus des Europäischen Parlaments in Anwendung nationalen Rechts, JZ 2003, 952. 18 BVerfGE 123, 267 (372). 16

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Gleichheit der Bürger. Dem derzeitigen Stand der Integration entsprechend ist die Wahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament aus demokratischer Sicht kein genuin oder allein europäischer Vorgang, sondern die Wahlen zum Europäischen Parlament vermitteln der EU demokratische Legitimation in Rückbindung an den Mitgliedstaat, aus dessen Kontingent die Abgeordneten gewählt werden.

C. Bedeutung und Gewährleistung effektiver politischer Rückkoppelung in der parlamentarischen Praxis Die somit verfassungsrechtlich nötige und vorausgesetzte Rückbindung muss aber auch tatsächlich hinreichend effektiv sein, damit die der Wahl des Europäischen Parlaments normativ zugedachte demokratische Legitimationsvermittlung auch tatsächlich geleistet werden kann und nicht zu einer reinen Fiktion gerät. Der Sicherung und Förderung der tatsächlichen politischen Rückkoppelung dient die Sperrklausel, denn sie führt in der Praxis dazu, dass die in Deutschland gewählten Abgeordneten einer politischen Gruppierung angehören, die in Deutschland ein Mindestmaß an Größe und Relevanz hat und die deshalb im Regelfall im Bundestag vertreten ist; damit wird die legitimatorisch nötige politische Rückkoppelung auch in der Realität sichergestellt. In der Praxis zeigt sich die von den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die demokratische Legitimation der EU vorausgesetzte Rückkoppelung zum einen darin, dass der Wahlkampf zum Europäischen Parlament immer noch überwiegend von Themen nationaler Dimension dominiert wird. In der Politikwissenschaft werden diese Wahlen deshalb auch als „nationale Wahlen zweiter Ordnung“19 bezeichnet. Zwar tauchen mittlerweile auch EU-Fragen als Themen auf, vor allem in Hinsicht auf Stand, Nutzen und Entwicklung der Integration. Bei der Themenwahl und -erörterung ist aber häufig die nationale Perspektive auf diese Fragen dominierend. Zum anderen gibt es deutliche Belege dafür, dass die EU-Parlamentarier auch und besonders in zentralen Fragen und Abstimmungen im Parlament vor allem auf nationale Interessen und Positionen Rücksicht nehmen; besonders deutlich wurde dies zum Beispiel bei der Arbeitszeitrichtlinie, der CO2-PKW-Richtlinie sowie der Rückführungsrichtlinie. Daher kann auch nicht überraschen, dass nachzuweisen ist, dass die Parlamentarier bei Konflikten zwischen nationaler Parteidelegation und transna19

So erstmals Reif/Schmitt, Nine second-order national elections – A conceptual framework for the analysis of European election results, European Journal of Political Research 8 (1980), 3; in der Folge außerdem Marsh, Testing the Second-Order Election Model after Four European Elections, British Journal of Political Science 28 (1998), 591; Norris, Second-order elections revisited, European Journal of Political Research 31 (1997), 109; Reif, National Electoral Cycles and European Elections, Electoral Studies 3 (1984), 244; ders., European elections as member state second-order elections revisited, European Journal of Political Research 31 (1997), 115.

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tionaler Fraktion durchaus auch mit ihrer nationalen Delegation und gegen die Fraktion stimmen. Bekanntestes Beispiel dafür ist das Verhalten der britischen Konservativen in der EVP-ED-Fraktion, die in über einem Drittel aller Abstimmungen gegen die offizielle Fraktionslinie votiert haben. Auch darüber hinaus zeigt sich deutlich, dass die Loyalität der Parlamentarier gegenüber der nationalen Partei stärker ausgeprägt ist als die gegenüber der EU-Fraktion. Die entsprechenden Daten zum Abstimmungsverhalten der Parlamentarier können unter anderem einer von Politikwissenschaftlern der London School of Economics und der Université Libre de Bruxelles gepflegten Datenbank entnommen werden.20 Hier lässt sich die Loyalität der 188 nationalen Fraktionen in puncto Abstimmungsverhalten im Verhältnis zu den sieben europäischen Großfraktionen für die laufende und die zurückliegende Legislaturperiode nachvollziehen.21 Insbesondere die am unteren Ende der Skala rangierenden Mitglieder der EFD-Fraktion (Positionen 145, 161, 163 – 166, 168 – 173) offenbaren, wie wenig ausgeprägt die Bindung an eine übergeordnete Fraktionsdisziplin im Einzelnen ausfällt. So stimmte beispielsweise die UK Independence Party (11 Abgeordnete) in der gegenwärtigen Legislaturperiode bislang nur in 47,96 Prozent der Fälle in Übereinstimmung mit der EFDLinie; die ebenfalls in der EFD agierende Lega Nord (9 Abgeordnete) stimmte in 86,98 Prozent der Fälle gemäß EFD-Vorgabe. Die Übersicht zur Loyalität gegenüber der nationalen Partei22 stellt das Abstimmungsverhalten sämtlicher Abgeordneter in Bezug auf die Vorgaben der jeweiligen EU-Fraktion und die ihrer jeweiligen nationalen Partei gegenüber. In den allermeisten Fällen ist dabei die Loyalität gegenüber der nationalen Partei stärker ausgeprägt als die gegenüber der EU-Fraktion. Schließlich wurde zur Sicherstellung der Rückkoppelung der in Deutschland gewählten EU-Parlamentarier an den Bundestag und dessen Fraktionen ein intensives Geflecht entwickelt. Die Koordination zwischen Bundestag und Europäischem Parlament hat bei formaler Betrachtung zwei Ebenen: Eine formal-organisatorische und eine fraktionell-politische. Rechtsgrundlage der formal-organisatorischen Koordinationsebene ist Art. 12 lit. f EUV, der den aktiven Beitrag der nationalen Parlamente zur guten Arbeitsweise der Union würdigt und ihnen zahlreiche Rechte einräumt, sowie das Protokoll Nr. 1 über die Rolle der nationalen Parlamente in der EU. Die interparlamentarische Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament wird demnach vom EU-Recht vorausgesetzt und gefördert. Hierunter fallen im Einzelnen die Parlamentspräsidentenkonferenz sowie gemeinsame Sitzungen von Fachausschüssen der nationalen Parlamente mit denen des Europäischen Parlaments, von denen die Konferenz der EU-Ausschüsse (COSAC) wohl das bekannteste Format darstellt. In diesen Formaten werden grundsätzlich die in den Ausschüssen vertretenen Fraktionen paritätisch abgebildet. 20

Siehe unter . Siehe unter . 22 Siehe unter .

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Auf der fraktionell-politischen Ebene bestehen zwar im Einzelnen Unterschiede, aber im Grundsatz doch ähnliche Strukturen, vor allem bei den größeren Fraktionen.23 Es gibt regelmäßige Treffen auf der Ebene des geschäftsführenden Vorstands der jeweiligen Bundestagsfraktion sowohl mit der Gruppe der politisch entsprechenden deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament als auch mit der politisch entsprechenden Fraktion des Europäischen Parlaments. Daneben treffen sich einzelne Fach-Arbeitsgruppen der Bundestagsfraktionen mit den entsprechenden Fach-Arbeitsgruppen der entsprechenden Fraktionen im Europäischen Parlament. Weiter gibt es eine Vielzahl von Treffen zwischen Fachpolitikern der Bundestagsfraktionen sowie der entsprechenden Gruppen deutscher Parlamentarier im Europäischen Parlament mit Berichterstattern, Obleuten und Ausschussvorsitzenden der entsprechenden Europäischen Parlamentsfraktionen. Diese Treffen werden zum Teil angereichert durch die der Partei einer Europäischen Parlamentsfraktion zugehörigen (nationalen) Minister und die Fachpolitiker der Partei im Europäischen Parlament. Zudem bestehen weitere zahlreiche informelle Koordinationsrunden, Treffen etc. Diese Koordinierungsformate und -instrumente belegen nachdrücklich, dass die über die Fraktionen und Parteien laufende Koordination zwischen dem Europäischen Parlament und dem Bundestag für die demokratisch nötige Rückkoppelung zwischen einem Europäischen Parlamentarier und seinem Mitgliedstaat eine hohe Bedeutung hat.

D. Zu den einzelnen Rückkoppelungswirkungen und deren Verhältnis zur Sperrklausel Der nähere Blick auf das Zusammenwirken von Europäischem Parlament und Bundestag zeigt, dass sich die demokratische Legitimation verschaffende Wirkung der politischen Rückkoppelung an den Mitgliedstaat dabei in insgesamt vier Richtungen entfaltet. Erstens kommt sie der Arbeit und Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zugute, indem sie die Abstimmung mit den nationalen politischen Kräften sachlich und politisch sicherstellt (I.). Zweitens sichert sie eine eigenständige Information der Abgeordneten über die tatsächliche, rechtliche und politische Lage im Mitgliedstaat, in dem sie gewählt wurden (II.). Drittens fördert sie eine wirksame Vertretung der Interessen des Mitgliedstaates, in dem der Abgeordnete gewählt wurde (III.). Viertens stellt sie die nötige Rückkoppelung an den und Informationsaustausch mit dem Bundestag sicher, vor allem, aber nicht nur in Europaangelegenheiten (IV.).

23 Vgl. zum Folgenden die frühe Analyse von Seider, Die Zusammenarbeit von deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlamentes und des Deutschen Bundestages und ihr Beitrag zum Abbau des parlamentarischen Defizits in der Europäischen Gemeinschaft, 1990, 187, 200 ff.

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I. Politische Rückkoppelung als Funktionsbedingung mitgliedstaatlicher Legitimationsvermittlung Zum einen bedarf ein erfolgreiches Wirken des Europäischen Parlaments einer engen Koppelung zwischen den EU-Parlamentariern und den tragenden politischen Kräften der Mitgliedstaaten. Diskussion, Formulierung und Verwirklichung konkreter Maßnahmen gelingen ohne enge Verzahnung mit den die Politik der Mitgliedstaaten bestimmenden Parteien nicht. Diese Verzahnung wird durch Splittergruppen, die nicht im Bundestag sind, gestört. Deshalb ist es gerechtfertigt, sie auf europäischer Ebene auszuschließen. Das dagegen gerichtete Argument, dass der Anknüpfungspunkt des erfolgreichen Wirkens des EU-Parlaments vom Grundgesetz nicht gedeckt sei, weil das Grundgesetz nur die Funktionsfähigkeit deutscher Parlamente verlange, dagegen diejenige des EU-Parlaments allenfalls über die Grundsätze der Europarechtsfreundlichkeit und Integrationsoffenheit anerkenne, überzeugt nicht.24 Denn der Begriff der Rechtfertigung durch zwingende Gründe25 ist hinreichend offen, um vor allem über Art. 23 GG und die Legitimationsstruktur der EU auch den Schutz der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zu erfassen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch aus nationaler Perspektive die Funktionsfähigkeit des EU-Parlaments umso schützenswerter ist, je mehr Staatsaufgaben auf die EU übertragen werden.26 Der Notwendigkeit, zugunsten eines erfolgreichen Wirkens des Europäischen Parlaments eine enge Koppelung zwischen den EU-Parlamentariern und den tragenden politischen Kräften der Mitgliedstaaten herzustellen, steht auch das Aufkommen von Europäischen Parteien und deren Anerkennung in Art. 10 Abs. 4 EUV sowie Art. 224 AEUV nicht entgegen. Zwar sind nach den Regelungen der entsprechenden Verordnung aus dem Jahr 2003 Europäische Parteien gerade nicht darauf angewiesen, an nationale oder regionale Parteien erheblich angebunden zu sein,27 worin ein Argument dafür gesehen werden könnte, dass das EU-Parlament selbst nicht befürchtete, durch das Fehlen einer Anbindung an nationale Parlamente an Funktionsfähigkeit einzubüßen. Allerdings hat die erhebliche Erweiterung der Aufgaben des EU-Parlaments, insbesondere durch den Lissabon-Vertrag, auch in souveränitätssensiblen Bereichen wie Strafrecht und Strafverfahren, das Bedürfnis der Abstimmung mit nationalen politischen Kräften drastisch erhöht; das konnte das Europäische Parlament beim Beschluss der Verordnung im Jahr 2003 noch nicht berücksichtigen. 24

So aber Bleckmann, Nochmals – Europawahlgesetz verfassungskonform?, DÖV 1979, 503 (505); wohl ebenfalls in diese Richtung Ehlers, Examinatorium – Sperrklauseln im Wahlrecht, Jura 1999, 660 (665). 25 Dazu BVerfGE 95, 408 (418); 120, 82 (107); sowie zuletzt BVerfG, NVwZ 2012, 33 (35). 26 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 64. Erg.-Lfg. Januar 2012, Art. 38 Rdnr. 128. 27 Siehe Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003, ABl. L 297 v. 15. 11. 2003, S. 1.

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Dass die Rückkoppelung zwischen EU-Parlament und nationalen Parlamenten nicht nur gewünscht, sondern europarechtlich mittlerweile sogar geboten ist, zeigt der oben bereits erwähnte Art. 12 EUV (Stand: Lissabon), der den aktiven Beitrag der nationalen Parlamente zur guten Arbeitsweise der Union würdigt und ihnen zahlreiche Rechte einräumt, sowie das Protokoll Nr. 1 über die Rolle der nationalen Parlamente in der EU. Auch die politische Realität zeigt, dass die Anzahl europäischer Parteien im Jahr 2003 noch sehr gering war und sie in der Regel als Zusammenschlüsse nationaler Parteien aufgebaut waren; dies ist bis heute fast unverändert. Die Gefahr des Verlusts der Rückkoppelung an die politischen Kräfte in den Mitgliedstaaten war daher trotz der insofern offen gestalteten Regelung des Art. 3 der o.g. Verordnung sehr gering. Insgesamt ist die Verordnung damit kein Indiz für eine entsprechende Einschätzung des EU-Parlaments. Die politischen Parteien auf europäischer Ebene (Art. 10 Abs. 4 EUV) haben bislang auch kaum grenzübergreifend integrierende Wirkungen entfalten können. Ihre transnationale Programmatik erschöpft sich in allseits konsensfähigen Generalaussagen. Gerade das Schicksal der bei der Zulassung zu den letzten Wahlen zum EU-Parlament am Quorum von 4000 Unterschriften gescheiterten und mittlerweile inaktiven Partei „Libertas“ belegt, dass wahrhaft europäische Bewegungen ohne Rückanbindung an größere nationale Parteistrukturen derzeit politisch kaum überlebensfähig sind. Dass Libertas nicht aus nationalen Parteien zusammengesetzt war, trifft überdies nur mit Einschränkungen zu; in Deutschland und Spanien etwa konnte sie nur antreten, indem sie auf vorhandene Strukturen anderer Parteien zurückgriff; in Deutschland war dies die AUF-Partei – Partei für Arbeit, Umwelt und Familie – Christen für Deutschland. Die Tatsache, dass die Funktionsfähigkeit des EU-Parlaments der Rückkoppelung an nationale Parlamente bedarf, kann auch nicht mit Verweis auf die Aufhebung der 5 %-Klausel im deutschen Kommunalwahlrecht, die einer Rückkoppelung der Ratsmitglieder an das Landesparlament zuwiderlaufe, widerlegt werden. Gleiches trifft auf die mögliche Überlegung zu, dass die Bundestagsabgeordneten nicht an die Landtagsfraktionen rückgekoppelt sein müssen, weshalb dies auch nicht im Verhältnis zwischen Europäischem Parlament und Bundestag verlangt werden könne. Letztgenannter Vergleich ist aus der Perspektive demokratischer Legitimation bereits deshalb grundlegend verkehrt, weil die EU keine staatliche Ebene mit eigenständiger bzw. unabhängiger demokratischer Legitimation ist, sondern nach Stand und Struktur der Integration der demokratischen Legitimation aus den Mitgliedstaaten zwingend bedarf, wie oben bereits ausgeführt wurde. Weiter ist für den Vergleich mit der kommunalen Ebene zu beachten, dass es im EU-Parlament aufgrund seiner Zusammensetzung der Koordination unterschiedlicher nationalstaatlicher Interessen bedarf, wohingegen auf kommunaler Ebene keine Vertreter unterschiedlicher Gebietskörperschaften zusammenkommen, deren Interessen koordiniert werden müssen. Zudem bedürfen Gemeinden zur Durchsetzung ihrer Beschlüsse nicht (wie das EU-Parlament zum Beispiel im Fall von Richtlinien) des Landesgesetzgebers (für das EU-Parlament: des Bundesgesetzgebers), weshalb Gemeinden nicht darauf an-

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gewiesen sind, dass ihre Maßnahmen die wesentlichen Interessen des Landes berücksichtigen. Schließlich ist der Vergleich mit den Kommunen auch deshalb unzutreffend, weil das Rückbindungsargument in der EU auf die Rückanbindung der höher aggregierten Ebene an die niedriger aggregierte Ebene bezogen ist und nicht – wie das Argument der Koppelung der Kommune an den Landtag – auf eine Rückanbindung der niedriger aggregierten Ebene an die höher aggregierte Ebene. Splittergruppen, die nicht im Bundestag vertreten sind, haben auch nur sehr begrenzte rechtliche Möglichkeiten, eine Anbindung an tragende politische Kräfte auf nationaler Ebene zu erreichen. In Bezug auf die vorhandenen Rückkoppelungsregelungen trifft es zwar zu, dass §§ 93a Abs. 4 S. 1, 93b Abs. 8 GOBT bei Ausschussberatungen von Unionsdokumenten (§ 93a GOBT) sowie im Ausschuss für die Angelegenheiten der EU den deutschen EU-Parlamentariern unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit grundsätzlich die Möglichkeit der Anbindung an die nationalen politischen Kräfte eröffnen. § 93a Abs. 4 S. 1 GOBT erfordert aber einen entsprechenden Beschluss des entsprechenden Ausschusses; sonst haben EU-Parlamentarier nach § 93a GOBT keine Möglichkeit der Teilnahme an Ausschussberatungen. Nach § 93b Abs. 8 GOBT hat zwar jeder EU-Parlamentarier Zutritt zu den Sitzungen des Ausschusses für Angelegenheiten der EU, aber die Teilnahmebefugnis bzw. -berechtigung, von der eine echte Rückkoppelung im Sinne diskursiven Abgleichs politischer Positionen abhängt, steht – Vorschlag und Berufung vorausgesetzt – nur den EU-Parlamentariern zu, die Parteien angehören, die auch im Bundestag vertreten sind (vgl. § 93b Abs. 8 S. 2 GOBT). An dieser Situation ändert auch die Gemeinwohlverpflichtung der Regierungsmitglieder und Parlamentarier nichts, denn sie haben zwar dem Wohle des gesamten deutschen Volkes zu dienen, aber aus dieser Gemeinwohlverpflichtung folgen keine Pflichten im engeren Sinne einer Rechtspflicht, in Deutschland gewählte EU-Parlamentarier auch dann mit Informationen zu versorgen oder zu unterstützen, wenn die betreffenden EU-Parlamentarier einer nicht im Bundestag vertretenen Partei angehören. Zudem ist darauf zu achten, dass das Gemeinwohl hier mehr Ergebnis des politischen Prozesses ist als eine einzelne Handlung oder ein bestimmtes Ergebnis im Sinne eines rechtlich bindenden Zieles.28 Gleichfalls nicht überzeugend ist das Argument, dass Splittergruppen zur Verzahnung zwischen Bundestag und EU-Parlament allein wegen der 5 %-Klausel bei der Bundestagswahl nichts beitragen können, weshalb diese aufzuheben sei. Zum einen wäre der Beitrag der Splittergruppen auch dann zu gering; es würde lediglich eine doppelte Zersplitterung (Bundestag und EU-Parlament) erreicht. Zum anderen ist die 5 %-Klausel bei den Wahlen zum Bundestag deshalb erforderlich und vom Bundesverfassungsgericht auch in der Entscheidung zu Sperrklauseln im Kommunalwahlrecht29 nicht kritisch thematisiert worden, weil die Funktionen des Bundestages 28 Trute, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rdnr. 75. 29 BVerfGE 120, 82 ff.

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– und der Landtage – deutlich stärker des Schutzes vor politischer Zersplitterung bedürfen, als dies beim EU-Parlament der Fall ist30. Denn trotz seiner vielfältigen und gewachsenen Funktionen und Befugnisse hat das Europäische Parlament keine dem Bundestag entsprechende Regierungsbildungskompetenz. Mit der Zustimmung zur Wahl der Kommission hat das EU-Parlament zwar in Bezug auf die Kommission eine ähnliche Kreationsfunktion; diese fehlt aber hinsichtlich des Rates, der die Richtlinienkompetenz innehat, vgl. Art. 4 EUV und Art. 15 EUV-Lissabon. Die Verbindung zwischen der Regierung und der Mehrheit der Volksvertretung ist damit im deutschen Staatsaufbau enger als auf der europäischen Ebene. Die Zersplitterungsverhinderung wirkt im Bundestag und in den Landtagen unmittelbarer und stärker positiv auf die Handlungsfähigkeit des politischen Systems als Ganzes, da das Parlament entscheidenden Einfluss auch auf die Handlungsfähigkeit der Exekutive ausübt. Im Bundestag und in den Landtagen sind zur Regierungsbildung und zur Gesetzgebung ständige stabile Mehrheiten nötig; auch deshalb findet im Bundestag und in den Landtagen in der Regel eine klare Gruppierung nach Regierungsmehrheit und Opposition statt. Weiter steht einer Rechtfertigung der Sperrklausel aus dem Aspekt der Rückkoppelung nicht entgegen, dass ein zwingender Grund nur bestehe, wenn die Zulassung von Splittergruppen die Funktionsfähigkeit des EU-Parlaments gefährdet. Zum einen ist eine entsprechende Prognose nach den oben dargestellten Ausführungen mindestens gut vertretbar, wenn nicht sogar zutreffend. Zum anderen ist der Bezugspunkt der Rückkoppelung nicht die Funktionsfähigkeit des EU-Parlaments innerhalb des Gefüges der EU, sondern das tatsächlich möglichst wirksame und effektive Funktionieren der Legitimationsvermittlung aus den Mitgliedstaaten zum EU-Parlament, um Defizite demokratischer Legitimation zu vermeiden. Auch kann nicht überzeugend dargelegt werden, dass Art. 3 DWA zeigt, dass die EU die Einschätzung, es bedürfe einer Sperrklausel, um die notwendige Rückkoppelung sicherzustellen, nicht teilt, denn sonst hätte der DWA die Entscheidung über die Einführung von Sperrklauseln nicht den Mitgliedstaaten überlassen. Denn die Ermächtigung des Art. 3 DWA zeigt im Gegenteil, dass Sperrklauseln in der EU als legitim und notwendig angesehen und akzeptiert werden.31 Es fehlt insoweit an einer Einigung auf eine einheitliche europäische Regelung, weil die nationalen Wahlrechtssysteme und -traditionen stark divergieren und weil in den kleineren Mitgliedstaaten die oben dargestellte „faktische Sperrwirkung“ eintritt. Außerdem: Hätte auf Ebene der EU tatsächlich die Überzeugung bestanden, dass es Sperrklauseln nicht bedarf, hätte kein Grund bestanden, den DWA für Sperrklauseln zu öffnen.

30

Die unterschiedliche Schutzwürdigkeit betonen etwa Morlok/Kühr, Wahlrechtliche Sperrklauseln und die Aufgaben einer Volksvertretung, JuS 2012, 385 (390); Thiele, Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung innerhalb von Staaten und Staatenverbindungen, 2008, 212 f.; Wild, Die Gleichheit der Wahl, 2003, 258. 31 Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages spricht diesbezüglich von einem „starke[n] Indiz“, siehe BT-Drucks. 17/2200, Anlage 15, S. 59.

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Schließlich kann es zwar trotz der Sperrklausel dazu kommen, dass Abgeordnete in das EU-Parlament gewählt werden, ohne dass sie eine entsprechende Rückanbindung in ihrem Mitgliedstaat haben, denn es genügt, dass ihre Partei bei der Wahl zum Europäischen Parlament mindestens 5 % der Stimmen erringt. In dieser Konstellation ist die Zulassung zum Europäischen Parlament aber deshalb gerechtfertigt, weil im Rahmen der Abwägung zwischen der Intensität des Eingriffs in die Wahlrechtsgleichheit und der politischen Rückkoppelung der Abgeordneten an den Mitgliedstaat, aus dessen Kontingent sie gewählt werden, die Wahlrechtsgleichheit wegen der Vielzahl der betroffenen Kandidaten ein hinreichendes Gewicht hat, das ab einer gewissen Anzahl der Stimmen dem Ausschluss durch eine Sperrklausel entgegensteht; deshalb ist in Art. 3 DWA für Sperrklauseln eine Grenze bei 5 % vorgesehen. II. Politische Rückkoppelung als Bedingung fundierter Entscheidungsfindung durch EU-Parlamentarier Zum anderen sind Abgeordnete des EU-Parlaments für eigenständige fundierte Entscheidungen auf Kenntnisse über die Situation in ihrem Mitgliedstaat sowie die Auswirkungen einer EU-Rechtsetzung im Mitgliedstaat angewiesen. Über den nötigen logistischen Rückhalt und die Informationen verfügt nur ein EU-Parlamentarier, der eine wirksame politische Anbindung im Mitgliedstaat hat und an das nationale Parlament rückgekoppelt ist. Abgeordnete von Splittergruppen im EU-Parlament sind daher für fundierte eigenständige Entscheidungen strukturell deutlich weniger gerüstet und dürfen deshalb ausgeschlossen werden. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Rechtsetzung, da das EU-Parlament hier auf Besonderheiten in den Mitgliedstaaten sowohl inhaltlich Rücksicht nehmen kann und soll, beispielsweise bei der Gestaltung von Richtlinien, als auch in Bezug auf die Subsidiarität der Kompetenzausübung erhebliche Informationen aus den Mitgliedstaaten benötigt. Das Erfordernis solcher Sachkenntnisse ist auch nicht demokratietheoretisch verfehlt, denn es läuft nicht auf eine Überprüfung bestimmter Sachkenntnisse der Parlamentarier hinaus, sondern stellt maßgeblich auf die strukturellen und institutionellen Möglichkeiten zu deren Erlangung ab. III. Politische Rückkoppelung als Bedingung wirksamer Vertretung nationaler Interessen im Europäischen Parlament Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Europäische Parlament aus Vertretern nationaler Kontingente zusammengesetzt ist und die Parlamentarier Abgeordnete aus den Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament sind. Die dem entsprechende effektive Vertretung der Interessen des Mitgliedstaates im Europäischen Parlament ist aber mit zu kleinen Abgeordnetengruppen nicht möglich, und die Koordi-

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nation der deutschen Parlamentarier im Europäischen Parlament – und damit die Repräsentanz deutscher Interessen – wird durch Abgeordnete aus Splittergruppen deutlich erschwert. Die Sperrklausel ist daher zur Sicherstellung effektiver Repräsentation deutscher Interessen im Europäischen Parlament erforderlich. Gegen das Ziel der wirksamen Vertretung der nationalen Interessen im Europäischen Parlament kann nicht angeführt werden, dass die Parlamentarier nicht Vertreter der Interessen ihres Mitgliedstaates, sondern Vertreter der gesamteuropäischen Interessen sein sollen, wie dies auch Art. 10 Abs. 1 und 2 EUV benennt. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung über den Reformvertrag von Lissabon deutlich Stellung bezogen: „Das Europäische Parlament ist auch nach der Neuformulierung in Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon und entgegen dem Anspruch, den Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon nach seinem Wortlaut zu erheben scheint, kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes. Dies spiegelt sich darin, dass es als Vertretung der Völker in den jeweils zugewiesenen nationalen Kontingenten von Abgeordneten nicht als Vertretung der Unionsbürger als ununterschiedene Einheit nach dem Prinzip der Wahlgleichheit angelegt ist.“32 Das Ziel der wirksamen Vertretung der nationalen Interessen im Europäischen Parlament ist auch keine Verkehrung des Gedankens demokratischer Repräsentation, da eben nicht ein europäisches Volk im EU-Parlament repräsentiert wird, sondern nach Mitgliedstaaten getrennte Kontingente von EU-Bürgern mit Herkunft aus oder Wohnsitz im Mitgliedstaat. Daher ist es auch legitim und konsequent, wenn die EU-Parlamentarier in der Praxis bei Abstimmungen im Parlament durchaus nationale Interessen ihres Mitgliedstaates vorrangig berücksichtigen und sich damit zumindest auch als nationale Interessenvertreter gerieren. Gleichfalls nicht überzeugend ist das Gegenargument, dass die Effektivität der Vertretung deutscher Interessen steigen könnte, wenn auch Vertreter von Splittergruppen einen Sitz im EU-Parlament erhielten, denn indem diese sich gleichgesinnten Fraktionen anschlössen – oder die Fraktionsstärke erst ermöglichten –, könnten sie sich im Fraktionsverbund für deutsche Interessen einsetzen, so dass Deutschland in Fraktionen vertreten wäre, in denen das bisher nicht der Fall ist. Denn zum einen verkennt diese Argumentation, dass zu unterscheiden ist zwischen der Vertretung der Interessen der Partei – diese ist auch in Fraktionen zu leisten, in denen Parlamentarier aus einer Vielzahl von Mitgliedstaaten zusammenkommen – und der Vertretung nationaler Interessen, die eine Fraktion aus Parlamentariern unterschiedlichster Mitgliedstaaten und geringer politischer Homogenität nicht leisten kann. Zum anderen ist angesichts der politischen Ausrichtung der Splitterparteien nicht absehbar, dass sie zu einer der großen politischen Fraktionen passen werden; vielmehr ist wahrscheinlich, dass viele Abgeordnete von Splitterparteien tatsächlich keinen Anschluss an eine der großen, politisch homogeneren Fraktionen finden werden. So ist zum Bei32 BVerfGE 123, 267 (372); ebenso Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Stand: 46. Erg.-Lfg. 2011, Art. 14 EUV Rdnr. 40; Huber, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 14 EUV Rdnr. 40.

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spiel zu beobachten, dass in der siebten Wahlperiode im EU-Parlament 27 Mitglieder fraktionslos sind, und jedenfalls ohne Fraktionszugehörigkeit kann eine Stimme im EU-Parlament keinen größeren Beitrag zur Vertretung nationaler Interessen leisten. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es Grundsätzen demokratischer Repräsentation widerspreche, einzelne Parlamentarier daran zu messen, wie effektiv sie Interessen Deutschlands vertreten können, was den Erfolg des Mandats und damit ein qualitatives Kriterium zum Maßstab der Rechtfertigung des Eingriffs in die Wahlrechtsgleichheit mache. Diese Argumentation verkennt, dass Demokratie auf Mehrheit und auf Interessendurchsetzung und daran ausgerichteter Verantwortung beruht, die in Wahlen eingelöst wird; wird dieser Zusammenhang gelöst, werden die Grundlagen demokratischer Legitimationszurechnung gelöst. IV. Politische Rückkoppelung als Bedingung der Anbindung des Bundestags an das Europäische Parlament Schließlich erfordern die Kompetenzen der EU eine intensive Rückkoppelung der EU-Parlamentarier an den Bundestag, um sicherzustellen, dass einerseits nationale Richtungsentscheidungen auch auf europäischer Ebene einfließen, andererseits der Bundestag über die Vorhaben und Beratungen im Europäischen Parlament effektiv und effizient unterrichtet wird. Diese Rückkoppelung kann von Abgeordneten von Splittergruppen nicht geleistet werden und wird deshalb gestört. Auch deshalb dürfen mit der Sperrklausel Splittergruppen aus dem Europäischen Parlament herausgehalten werden. Splittergruppen, die nicht im Bundestag vertreten sind, haben nur sehr begrenzte rechtliche Möglichkeiten, eine Anbindung zwischen Bundestag und Europäischem Parlament zu bewirken. In Bezug auf die vorhandenen Regelungen trifft es zwar zu, dass der Bundestag bereits über § 93a Abs. 4 GOBT, nach dem Ausschüsse unter anderem Mitglieder des EU-Parlaments zu ihren Beratungen in Europaangelegenheiten hinzuziehen können, die Möglichkeit hat, sich über den Diskussionsstand auf EUEbene zu informieren; auch § 93a Abs. 5 GOBT ermöglicht einen Austausch, indem er vorsieht, dass Ausschüsse des Bundestags Mitglieder zu einem Ausschuss des Europäischen Parlaments entsenden können. Die Möglichkeit des § 93a Abs. 4 S. 1 GOBT erfordert aber einen entsprechenden Beschluss des entsprechenden Ausschusses; sonst haben die EU-Parlamentarier nach § 93a GOBT keine Möglichkeit der Teilnahme an Ausschussberatungen. Und nach § 93a Abs. 5 GOBT ist die Beteiligung der Fraktionen wichtig für Überweisungen für eingegangene Unionsdokumente durch den Ausschuss für Angelegenheiten der EU an die jeweiligen Sachausschüsse. Splittergruppen, die nicht im Bundestag vertreten sind, haben daher nur sehr begrenzte Möglichkeiten, Anbindung an tragende politische Kräfte auf nationaler Ebene zu erreichen.

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E. Schlussfolgerungen und Ausblick Ob die gebotene intensivere Auseinandersetzung mit der Rückkoppelung zwischen den in Deutschland gewählten Mitgliedern des Europäischen Parlaments und dem Bundestag zu einer anderen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geführt hätte, ist eine spekulative Frage, die aber angesichts des Sondervotums sowie der in der Literatur geübten Kritik an der Entscheidung einen erheblichen Reiz hat. Unabhängig davon ist zu wünschen, dass die in der Sache hochrelevanten und komplexen Aspekte der Vermittlung demokratischer Legitimation künftig angemessen berücksichtigt werden. Der im Urteil explizit ausgewiesene Ansatz, das Wahlrecht wirklichkeitsorientiert zu betrachten,33 sollte auch in Bezug auf das Europarecht und dessen Rückkoppelungen mit dem Mitgliedstaaten durchgehalten werden. Recht und Politik, nationales und europäisches Handeln sind zwar zu differenzieren, wirken aber zusammen, weshalb allein eine intensive Auseinandersetzung mit den in der Realität wirkenden politischen Faktoren der eingangs angesprochenen Wechselwirkungen zwischen nationalem und europäischem Recht eine zutreffende Grundlage zur Verfügung stellen kann, auf der dann überzeugende Antworten gefunden werden können auf die Rechtsfragen, die der Vorgang der europäischen Integration mit sich bringt.

33

BVerfGE 129, 300 (321).

VI. Der Schutz des Menschen im nationalen Recht

Menschenwürde: Vor die „Objektformel“ hat die Grundrechtsdogmatik die Bestimmung des Schutzbereichs gesetzt Von Friedhelm Hufen

A. Einführung – vom Segen der Methode Wenn Mensch und Menschenrechte im thematischen Mittelpunkt einer Festschrift wie dieser stehen, dann hat das seine Gründe. Diese sind auch im Werk und in der Person Eibe Riedels zu finden. Nationales und internationales Recht übergreifend hat er sich immer wieder diesen zentralen Themen gewidmet. Beginnend – und sogleich Maßstäbe setzend – mit seiner Habilitationsschrift zur Theorie der Menschenrechtsstandards1 hat er sich ebenso mit den Grundsatzfragen von Menschenrechten und Menschenwürde2 wie auch mit nach wie vor hochaktuellen Einzelthemen wie dem Menschenrecht auf Wasser3, Gentechnik und Embryonenschutz4 bis hin zu den Rechten von AIDS-Kranken5 und der Prügelstrafe auf der Isle of Man im legendären Fall Tyrer6 befasst. Über den Menschen Eibe Riedel, seine persönliche Wärme und Spontaneität, seine atemberaubenden Tempi in Arbeit und Rede, seine Kreativität und zuverlässige Freundschaft wird ohnehin jeder gern berichten, der wie der Autor dieser Zeilen das Glück hat, ihn seit der Habilitationszeit zu kennen. Gestandene Völkerrechtler und Rechtsvergleicher sind davor gefeit, die von ganz eigenen historischen Erfahrungen geprägten7 „deutschen“ Maßstäbe der Menschen1

Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards. Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen, 1986. 2 Baum/Riedel/Schaefer (Hrsg.), Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998; darin Riedel, Universeller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, 25 ff.; vgl. auch Riedels Beiträge in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2003, 323 ff. 3 Riedel/Ruthen, The Human Right To Water, 2005. 4 Riedel, Gentechnologie und Embryonenschutz als Verfassungs- und Regelungsprobleme, EuGRZ 1986, 469 ff.; ders., Zum Lebensbeginn in verfassungsrechtlicher Sicht, 1989; ders., Gentechnik im Spannungsfeld von Recht und Ethik, in: Alma Mater Philippina, 1991, 12. 5 Gallwas/Riedel/Schenke (Hrsg.), AIDS und Recht, 1992. 6 Riedel, Die Prügelstrafe als Kriminal- und Schulstrafe, EuGRZ 1977, 484; ders., Urteilsbericht, in: EuGRZ 1979, 162 ff. 7 Herdegen, Das Absolute ist relativ, F.A.Z. vom 18. 12. 2008, S. 8.

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würde für allgemeinverbindlich zu erklären und etwa mit der durchaus unangebrachten Attitude des Besserwissenden alten Menschenrechtsnationen wie der Schweiz und den Niederlanden Vorwürfe wegen deren Freigabe der Sterbehilfe zu machen oder Großbritannien wegen der großzügigen Handhabung der Präimplantationsdiagnostik zu kritisieren.8 Gerade in Grundfragen der Ethik gibt es eben trotz der immer wieder betonten gemeinsamen Wertebasis in Europa keine einheitlichen Vorstellungen über so zentrale Fragen wie den Beginn des Lebensschutzes, die Selbstbestimmung des Patienten, erlaubte und unerlaubte Diagnose und Therapie.9 Aber auch im nationalen Bereich, konkret: Bei der Interpretation von elementaren Grundsatznormen wie Menschenwürde, freier Entfaltung der Persönlichkeit und Recht auf Leben gibt es weniger Konsens als oft behauptet wird. Auch hier bestimmen vielfach ethische und auch theologische Grundannahmen die Auslegung der immerhin für alle geltenden Verfassung. Damit besteht die Gefahr, dass wegen deren wirklicher oder vermeintlicher größerer Klarheit die jeweils rigideste Position zum Inhalt des Art. 1 Abs. 1 GG und damit zugleich als jeder Veränderung oder auch nur Abwägung entzogen deklariert10 oder aber umgekehrt die Menschenwürde zur „kleinen Münze“ für alltägliche Ansprüche und Konflikte trivialisiert wird.11 Juristische Methodik allein kann hier gewiss nicht Abhilfe schaffen. Gleichwohl hängt die viel beschworene rationalisierende und integrierende Funktion der Verfassung davon ab, dass auch bei der Interpretation der Menschenwürde das Instrumentarium der Grundrechtsdogmatik zum Einsatz gebracht, dass die eigene Methode im Hinblick auf ethische und ggf. auch ideologische Vorabfestlegungen hinterfragt wird, Ergebnisse sorgfältig begründet werden. Methodology matters – das gilt auch in so ethisch und historisch geradezu überfrachteten Fragen wie der Interpretation unveräußerlicher Menschenrechte im allgemeinen und der für unantastbar erklärten Menschenwürde im Besonderen. Niemand weiß das besser als Eibe Riedel, der sich immer der Methodik der Rechtswissenschaft verpflichtet wusste. Ein Beitrag in der Festschrift für den unvergessenen gemeinsamen Mainzer Kollegen Peter Schneider12 und ein gemeinsames Sommerseminar mit Studienstiftlern in Molveno 8

Krit. dazu auch zu Recht Schulze-Fielitz, Verfassungsvergleichung als Einbahnstraße? Zum Beispiel der Menschenwürde in der biomedizinischen Forschung, in: Blankenagel/Pernice/Schulze-Fielitz (Hrsg.), Verfassung im Diskurs der Welt: Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, 2004, 355 (364); zu den Grundlagen vgl. nur Riedel, Methods of Constitutional Interpretation in Comparative Perspective, in: Feinäugle/Röder/ Wiesner (Hrsg.), Max Planck Compilation of The Papers and Proceedings of the Heidelberg Seminar on Potential Disputes before the Sudanese Constitutional Court, 2006, 13 ff. 9 So etwa in kluger Zurückhaltung zum Lebensschutz vor der Geburt EGMR, NJW 2005, 727; zuletzt EGMR, NJW 2012, 207. 10 Grundlegend Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2002. 11 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 1 Rn. 45 ff.; Tiedemann, Vom inflationären Gebrauch der Menschenwürde in der Rechtsprechung des BVerfG, DÖV 2009, 606. 12 Riedel, Methoden der Verfassungsinterpretation im Wandel, in: Denninger (Hrsg.), Kritik und Vertrauen: Festschrift für Peter Schneider zum siebzigsten Geburtstag, 1990, 382.

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zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Rechtswissenschaft sind mir dazu in bester Erinnerung. Für die Menschenwürde – unabhängig davon, ob sie als echtes Grundrecht oder als erhabener objektiver Grundsatz oberhalb der gewöhnlichen Welt der Grundrechte begriffen wird13 – gilt es also, wie für alle Grundrechte im Einzelfall zunächst den Schutzbereich und die Träger des Rechts zu klären und erst dann herauszuarbeiten, ob ein Eingriff in den so verstandenen Schutzbereich vorliegt. Erst danach ist zu fragen, ob der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, was jedenfalls nach Auffassung der großen Mehrheit der Verfassungsinterpreten14 bei der Menschenwürde nicht oder allenfalls zum Schutz der Menschenwürde selbst in Betracht kommen kann.

B. Die Objektformel oder: Der unvermittelte Sprung zum Eingriff Nicht nur in studentischen Klausuren und Referaten, sondern auch in einem großen Teil der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur beginnt und endet die Prüfung der Menschenwürde mit der sogenannten „Objektformel“ Günter Dürigs: „Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“15. Die Formel wurde durch das BVerfG16 dahin konkretisiert, dass der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlicher Willkür gemacht bzw. die Subjektqualität des Menschen nicht prinzipiell in Frage gestellt werden darf.17

13 Einführend zu dieser Kontroverse Hufen, Staatsrecht II, Grundrechte, 3. Aufl. 2011, § 10 Rn. 9 ff.; für lediglich objektives Prinzip maßgeblich etwa Böckenförde, Menschenwürde als normatives Prinzip, JZ 2003, 809; Enders, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2008, Art. 1 Rn. 63; Dreier (Fn. 11), Art. 1 Rn. 40; für Interpretation des Art. 1 sowohl als richtungweisende Grundsatzentscheidung als auch als subjektives Grundrecht BVerfGE 61, 126 (137); Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 9 ff.; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 27. Aufl. 2011, Rn. 365; Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1995, § 20 Rn. 18; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Loseblatt, Art. 1 Rn. 26 ff.; Schmidt-Jortzig, Zum Streit um die korrekte dogmatische Einordnung und Anwendung von Art. 1 Abs. 1 GG, in: Depenheuer (Hrsg.), Staat im Wort: Festschrift für Josef Isensee, 2007, 491; Tornow, Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht, 2008. 14 Vgl. nur Höfling, Die Unantastbarkeit der Menschenwürde, JuS 1995, 857; Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, 105 ff.; Kischel, Die Begründung. Zur Erläuterung staatlicher Entscheidungen gegenüber dem Bürger, 2003, 121; Dreier (Fn. 11), Art. 1 Rn. 132; Hufen, Die Menschenwürde, Art. 1 I GG, JuS 2010, 1 (9); die Diskussion zusammenfassend und zugleich für eine Öffnung plädierend jetzt Baldus, Menschenwürdegarantie und Absolutheitsthese, AöR 136 (2011), 529 (529 ff.). 15 Dürig, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 1. Aufl. 1958, Art. 1 I Rn. 28. 16 Erstmals wohl in BVerfGE 9, 89 (95). 17 BVerfGE 50, 166 (175).

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Günter Dürig hat diese Formel entwickelt, bevor die heutige „Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Terminologie“ gebräuchlich wurde. Dabei wird schon in der Formulierung deutlich, dass sich die Formel auf die Eingriffsebene bezieht. Definiert wird hier nicht das Schutzgut der Würde des Menschen. Dessen Inhalt wird vielmehr vorausgesetzt und die Verzweckung sodann als Eingriff definiert. Neben den geradezu sprichwörtlichen Schwierigkeiten, den eigentlichen Inhalt des Grundrechts zu bestimmen, trug die Objektformel dazu bei, dass die Interpretation bis heute „eingriffslastig“ ist. Auch das BVerfG hat den Gehalt der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde in einer Art „Negativdefinition“ anhand von Regelbeispielen zumeist von dem jeweiligen in Frage stehenden Verletzungsvorgang her bestimmt18. Wird der Schutzbereich explizit angesprochen, so folgen keine eigentlichen geschützten Bereiche, sondern die bekannten zur Definition der Menschenwürde eingesetzten Theorien (Mitgifttheorie, Leistungstheorie usw.)19, oder auch eine Formulierung wie: Die Menschenwürde schützt vor Folter, Diskriminierung, Ächtung, Erniedrigung; allesamt also wieder nichts anderes als Fallgruppen von Eingriffen. Salopp gesprochen: Wir wissen nicht, was die Menschenwürde und wer deren Träger ist, wir wissen aber genau, wann ein Eingriff in die Menschenwürde vorliegt. Immerhin ist die Betonung der Subjektqualität des Menschen20 zentrales Element des Schutzbereichs und zugleich begriffliche Voraussetzung der „Negativdefinition“. Häufiger und auch klarer sind die Aussagen zum personellen Schutzbereich; so insbesondere der Standardsatz, dass das Grundrecht allen natürlichen Personen ungeachtet Herkunft, Alter, Gesundheitszustand usw. zustehe, wobei dann allerdings unter dem Stichwort „Schutz des werdenden Lebens“ die Abhängigkeit von ethischen Grundpositionen umso schärfer hervortritt21. Das alles ist keineswegs nur ein methodisches Sandkastenspiel, denn es bestimmt entscheidend das Ergebnis – zumal dann, wenn im Eingriff immer bereits die Verletzung des obersten Grundrechts der Verfassung gesehen wird. So wäre das bekannte Urteil zum Luftsicherheitsgesetz22 gewiss überzeugender ausgefallen, wenn das BVerfG genauer begründet hätte, warum die Ermächtigung zum Abschießen eines Verkehrsflugzeuges für die davon betroffenen unschuldigen Passagiere nicht nur einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bedeutet, sondern was exakt gerade die Menschenwürde zusätzlich in Spiel bringt. Der EuGH hätte möglicherweise von der Blockierung eines ganzen Forschungszweiges Abstand genommen, wenn er etwas sorgfältiger hinterfragt hätte, warum ein bestimmtes Verfahren zur Herstellung von Stammzellen (es ging nicht etwa um menschliches Leben als solches) nicht paten18

So bereits BVerfGE 1, 97 (104); 27, 1 (6); zuletzt BVerfGE 109, 279 (311). So etwa Pieroth/Schlink (Fn. 13), Rn. 368 ff.; Sodan, Grundgesetz, 2009, Art. 1 Rn. 3 ff.; unter dem Stichwort „Grundrechtsbestand“ auch Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. 2 (Grundrechte), 2010, 118. 20 BVerfGE 30, 1 (26); 50, 166 (175). 21 Dazu unten D. 22 BVerfGE 115, 118 (139). 19

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tierbar sein soll und wer in einem solchen Fall ein Träger des Grundrechts ist23. Auch würde man sich wünschen, dass in allen Debatten um Präimplantationsdiagnostik und Stammzellforschung dem Verdikt der menschenunwürdigen Selektion wenigstens die Klärung vorangehen würde, ob und ggf. ab welchem Stadium der pränidative Embryo als Träger der Menschenwürde zu behandeln sei. Schließlich kann nur die exakte Bestimmung von Schutzbereich und Grundrechtsträger davor bewahren, dass gerade die Menschenwürde Einfallstor höchst subjektiver Wert-, Moral- und Tabuvorstellungen in die Grundrechtsdogmatik wird.

C. Elemente des sachlichen Schutzbereichs Die Dominanz der Objektformel und der Kasuistik des Eingriffs bedeuten nicht, dass die zuerst notwendige Definition des sachlichen Schutzbereichs gleichsam bei Null ansetzen müsste. Im Kern geht es um die Subjektstellung und den Eigenwert der menschlichen Person24, die aber konkretisiert und ausgefächert werden müssen, um möglichst exakt herauszuarbeiten, was im Einzelnen zum Schutzbereich zählt und wie dieser von anderen Grundrechten wie Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, allgemeines Persönlichkeitsrecht, allgemeines Freiheitsgrundrecht und freie Entfaltung der Persönlichkeit abzugrenzen ist. Dabei helfen Kommentare und Lehrbücher ebenso wie eine ganze Reihe von Einzelbeiträgen, die sich nicht auf Eingriff und Verletzung beschränken, sondern sehr wohl sagen, was und warum ein bestimmter Kernbereich des Lebens zum Schutzbereich der Menschenwürde zu rechnen ist25. Auch stecken in dem umfangreichen Case-Law der Praxis Elemente des Schutzbereichs, die freigelegt und gebündelt werden können. Dabei sind selbstredend die mit „Mitgifttheorie“, „Begabungstheorie“ usw.26 ihrerseits nur oberflächlich bezeichneten philosophischen und historischen Vorverständnisse im Auge zu behalten, die seit jeher die Interpretation von Art. 1 GG mitbestimmen. Doch wird bei näherem Hinsehen erkennbar, dass bestimmte Grundelemente „theo23

EuGH v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 – Brüstle/Greenpeace e.V., NJW 2012, 293 (Ls.), EuZW 2011, 908 und die Kritik von Taupitz, Die Menschenwürde von Embryonen in der EU, Editorial NJW-Heft 36, 2011. 24 BVerfGE 87, 209 (228); Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, AöR 118 (1993), 353 (376). 25 Genannt seien nur die Staatsrecht II-/Grundrechte-Lehrbücher, Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 1 ff.; Michael/Morlok, Grundrechte, 2. Aufl. 2010, Rn. 131 ff.; Ipsen, Staatsrecht II, Grundrechte, 12. Aufl. 2009, Rn. 225 ff.; Pieroth/Schlink (Fn. 13), Rn. 349 ff.; grundlegend die Aufsätze von Böckenförde (Fn. 13), 809; Dederer, Die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Dogmatische Grundfragen auf dem Stand der Wissenschaft, JöR 57 (2009), 89; Hofmann (Fn. 24), 353; Hufen, Erosion der Menschenwürde?, JZ 2004, 313; Poscher, Die Würde des Menschen ist unantastbar, JZ 2004, 756; die Monographien von Enders (Fn. 14); Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990; Ladeur/ Augsberg, Die Funktion der Menschenwürde im Verfassungsstaat, 2008; Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff – eine philosophische Klärung, 2007. 26 Näher dazu Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 5.

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rieübergreifend“ anerkannt sind – wenn auch in jeweils unterschiedlicher Gewichtung und mit deutlichen Überschneidungen. Im Kern geht es stets um den Schutz der menschlichen Identität und des Eigenwertes jedes Menschen (I.), den Schutz der körperlichen und seelischen Integrität (II.), den Schutz der Intimität und des Kerns persönlicher Lebensgestaltung (III.), den Schutz des Kerns der menschlichen Selbstbestimmung (IV.), den Schutz der Sozialbezogenheit des Menschen (V.) und – last but not least – um den Schutz des Existenzminimums als materieller Basis menschlichen Daseins (VI.). I. Schutz der Identität Im Mittelpunkt des Schutzbereichs stehen die Identität des Menschen und die Achtung vor dem Eigenwert und der Einmaligkeit seiner Persönlichkeit27 , unabhängig von Geschlecht, Rasse, Alter, Religion, Herkunft und sonstigen Faktoren. Es ist weder Aufgabe des Staates noch irgendeiner Erziehungsinstitution, diese Identität von außen zu prägen, zu verändern oder gar zu sanktionieren. So ist es ein Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn der Staat die Identität des Menschen nicht anerkennt, wenn er sie als zu vernachlässigenden Teil einer Masse, Klasse oder Religion betrachtet. Unstreitig zum Kernbereich der Menschenwürde gehört auch die „Identität als Mensch“. Schon deshalb muss die Rechtsgemeinschaft mit allen Mitteln das Entstehen von Mischwesen von Mensch und Tier („Hybriden“) verhindern, die gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass sie eine nur teilweise menschliche Identität aufweisen – was freilich nicht heißt, dass bei allem Horror über eine solche Vorstellung der „menschliche Teil“ einer solchen Identität durch Art. 1 GG geschützt wäre.28 Neben der persönlichen Herkunft gehört unbestreitbar die Identität als Mann oder Frau zum Kernbereich des Menschenwürdeschutzes. Eine wichtige Fallgruppe hierzu bietet die Rechtsprechung zur Transsexualität29. Hat ein Mensch seine geschlechtliche Identität verändert, dann ist es eine Missachtung der Menschenwürde, wenn der Staat diese nicht durch Namensänderung und neue Personalpapiere anerkennt30, und das BVerfG hat zu Recht sogar das eherne Prinzip des Vorbehalts der Ehe für heterosexuelle Paare in einem Einzelfall aufgegeben, wenn die Partner nach einer Geschlechtsumwandlung beieinander bleiben wollen31. Trotz aller sich daraus ergebender Probleme wird man auch die Intersexualität, also die Zugehörigkeit zu zwei Geschlechtern, zunächst akzeptieren müssen, was z. B. die anscheinend immer noch ge-

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BVerfGE 87, 209 (228); Ipsen (Fn. 25), Rn. 216. Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Mensch – Tier – Mischwesen in der Forschung. Stellungnahme, 2011. 29 Dazu BVerfGE 49, 286 (297); 115, 1 (14); Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 72 und § 16 Rn. 52. 30 Ständige Rechtsprechung BVerfGE 49, 286 (297); EGMR, NJW 2004, 2505. 31 BVerfGE 121, 175; ähnlich zur eingetragenen Lebensgemeinschaft eines Transsexuellen BVerfG, NJW 2011, 909. 28

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bräuchliche Beseitigung „störender“ Geschlechtsmerkmale im Säuglingsalter ausschließen dürfte.32 II. Schutz der körperlichen und seelischen Integrität Die zweite Fallgruppe verdeutlicht, dass sich die einzelnen Elemente der Menschenwürde und die spezielleren Grundrechte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) überschneiden. Gerade im Hinblick auf die körperliche Integrität spricht viel dafür, den Problemschwerpunkt statt bei Art. 1 Abs. 1 GG bei Art. 2 Abs. 2 GG zu sehen. Unbestreitbar ist aber die Menschenwürde zumindest dann berührt, wenn es um drastische Eingriffe in die körperliche Integrität, um Folter, unmenschlichen Schmerz, Eingriffe in den körperlichen Intimbereich, Sklaverei und Menschenhandel geht.33 Unter heutigen Bedingungen wird die körperliche und seelische Integrität der meisten Menschen in Europa allerdings nicht von Folter, Menschenhandel und Zwangsprostitution bedroht. Sie hängt aber unter Umständen sehr direkt und unmittelbar von der Ausgestaltung und den Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens ab. Der Schutz vor unerwünschten Eingriffen in den Körper, Zwangsbehandlung, Zwangsernährung usw. ist eben nicht „nur“ in Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG gewährleistet34, sondern auch durch die Menschenwürde. Das gilt auch für die selbstbestimmte Abwehr lebensverlängernder medizinischer Behandlungen einschließlich künstlicher Ernährung usw.35 Das „in dubio pro dignitate“36 war der Grundgedanke, der mutmaßlich in der Diskussion um Patientenverfügung und den Vorrang des Patientenwillens gegenüber paternalistischer Lebensverlängerung den Ausschlag gegeben hat.37 Er gilt aber auch für die Zwangsernährung von Terroristen, wie sie in den 1970er Jahren traurige Wirklichkeit war.38

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Dazu Bora, Zur Situation intersexueller Menschen, Bericht, 2012; Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Intersexualität, Stellungnahme, 2012; Kolbe, Intersexualität, Zweigeschlechtlichkeit und Verfassungsrecht, 2010. 33 EGMR, NJW 2010, 3003. 34 BVerfG, NJW 2011, 2113 und 3571. 35 BGH, NJW 2010, 2963; NJW 2011, 161; deutlich auch EGMR, NJW 2011, 3773. 36 Hufen, In dubio pro dignitate. Selbstbestimmung und Grundrechtsschutz am Ende des Lebens, NJW 2001, 849 (849 ff.). 37 Zusammenfassend Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 59; zuletzt Höfling, Das neue Patientenverfügungsgesetz, NJW 2009, 2849; Kreß, Patientenverfügungen und Selbstbestimmung in Anbetracht der Notfallmedizin, ZRP 2009, 69. 38 Lesenswert Klimpel, Bevormundung oder Freiheitsschutz?, 2003.

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Umgekehrt bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG neben Art. 2 Abs. 2 GG auch die Frage der sogenannten „Priorisierung“ medizinischer Leistungen39, denn sie macht neben der Erhaltung des Lebens und wesentlicher Körperfunktionen auch die Bekämpfung schwerer Schmerzen in allen Stadien für alle Menschen ungeachtet ihres Versicherungs- und Aufenthaltsstatus40 und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Pflicht der Medizin und deren Kostenträger. Die Verpflichtung zum Schutz vor unmenschlichen Schmerzen gilt auch in Fällen, in denen Ärzte meinen, einen Schwerstkranken durch die Verweigerung schmerzlindernder Opiate vor einer wirklichen oder vermeintlichen Suchtgefahr oder Verkürzung des Lebens um wenige Stunden bewahren zu müssen.41 Neben der körperlichen Integrität durch Art. 1 GG geschützt ist auch die seelische Integrität, also die Achtung des Menschen als Person. Sie ist bedroht durch alle Formen der Verhöhnung, der Erniedrigung, der Schmähung und des Prangers, aber auch durch z. B. erniedrigende Umstände in der Haft.42

III. Schutz der Intimität – räumlicher Kern der Menschenwürde? Das BVerfG hat immer wieder deutlich gemacht, dass es neben den durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Rechten auf Geheimnisschutz, Privatsphäre, Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme usw. einen Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung gibt, in dem jede Rechtfertigung von Eingriffen ausscheidet, weil hier Art. 1 Abs. 1 GG jeder staatlichen Ingerenz Grenzen setzt43. Im Lauschangriff-Urteil44 erhielt dieser Schutz eine sowohl räumliche als auch funktionale Komponente. Staatliche Überwachungsmaßnahmen haben sich vom räumlichen Kern der Persönlichkeitssphäre fernzuhalten; ergriffene Maßnahmen sind sofort abzubrechen, wenn 39 Eichhorn, Gerechte Rationierung durch Einführung einer Prioritätensetzung im deutschen Gesundheitswesen, 2011; Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO), Zur Priorisierung medizinischer Leistungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Zusammenfassung September 2007, DÄBl. Heft 40, 2007, A 2750; skeptisch zur Mobilisierung der Menschenwürde in diesem Zusammenhang allerdings Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), 152; Spellbrink, Zur Bedeutung der Menschenwürde für das Recht der Sozialleistungen, DVBl. 2011, 661. 40 Zu Recht fordert die Bundesärztekammer für abschiebungsbedrohte Ausländer daher anonymisierte Krankenscheine, DÄBl. 06. 10. 2011, (zuletzt abgerufen am 21. 6. 2012). 41 Czerner, Vom Sterbehilfediskurs zur Novellierung des § 216 StGB, 2004, 120. 42 BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, NJW 2011, 137 (Rechtsschutz eines Gefangenen nach Unterbringung in Haftraum mit rassistischen Schmierereien). 43 BVerfGE 51, 97 (110); Dammann, Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Zum Menschenwürde- und Wesensgehaltsschutz im Bereich der Freiheitsgrundrechte, 2011. 44 BVerfGE 109, 279 (308).

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die Kommunikation sich auf jenen Intimbereich bezieht. Eine noch engere Schutzzone ist der echte Intimbereich des Menschen, wobei auch der Kern persönlicher Kommunikation – nicht nur etwa der Bereich menschlicher Sexualität – gemeint ist.45 Diesen – wie auch immer bezeichneten – Kern hält das BVerfG für unantastbar und selbst durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht einschränkbar.46 Diese Auslegung ist wie alle „Kernbereichslehren“ nicht unproblematisch.47 Unabhängig von allen Bedenken wird aber deutlich, dass selbst in Momenten größter Terrorgefahr die Menschenwürde einen unverfügbaren Bereich persönlicher Intimität gewährleisten muss, wenn der Rechtsstaat seine Identität nicht gefährden will. Deshalb stellt der private Rückzugsraum wie Schlafzimmer, Bad, Toilette einen durch die Menschenwürde geschützten Kern dar. Jenseits der räumlichen Sphäre gibt es auch für den Menschen bewegliche Bereiche der Intimsphäre, so etwa das persönliche Inhalte bergende Tagebuch, das Gespräch der Ehegatten, das Beichtgespräch, die besonders geschützt sind. Kernbereich der Intimität ist die menschliche Sexualität. Kulturübergreifend stellen Geschlechtsorgane, geschlechtliche Vereinigung und intime Kommunikation Bereiche der Achtung und der besonders geschützten Selbstbestimmung dar. Deshalb ist es keine überzogene Tabuisierung, wenn sich auch die ansonsten erlaubte drastische Politiker-Karikatur48 der Darstellung von Geschlechtsmerkmalen und sexueller Anspielungen zu enthalten hat. Die erzwungene Entblößung in der Öffentlichkeit ist eine besonders drastische Form des Prangers und der Demütigung. IV. Schutz der Selbstbestimmung Wenn seit der Aufklärung ein Kern der Menschenwürde in der Autonomie und der Selbstbestimmung des Menschen liegt, dann muss auch die Interpretation des Grundrechts diesen Kern wiedergeben49. Während die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der „Normalfall“ menschlicher Selbstbestimmung in Art. 2 Abs. 1 GG geregelt sind, gibt es einen besonderen Bereich, der unter den Schutz der Menschenwürde fällt: So etwa die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität, über die eigene Identität und über grundlegende personenbezogene Informationen. Zu diesem Kern gehört auch die Entscheidung darüber, ob der Mensch etwas sagt und was er sagt und ob er etwas isst oder sich der Nahrungsaufnahme verweigert. Ganz unabhängig vom Grad des zugefügten Schmerzes und der Körperverletzung ist deshalb die Folter, definiert als das Quälen eines Menschen zur Erzwingung eines 45

BVerfGE 80, 367 (373). BVerfGE 109, 279 (309). 47 Poscher, Menschenwürde und Kernbereichsschutz, JZ 2009, 269. 48 BVerfGE 75, 369 (379) – Strauß-Karikatur. 49 Grundlegend Goos, Innere Freiheit. Eine Rekonstruktion des grundgesetzlichen Würdebegriffs, 2011. 46

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Geständnisses oder einer anderen Aussage50, nicht nur ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG, sondern auch immer ein Eingriff in die Menschenwürde, weil sie exakt auf den Kern der Selbstbestimmung zielt. Deshalb ist sie – in welcher Form und aus welchem Grund auch immer – ausnahmslos durch Art. 1 GG verboten51, und deshalb umgreift der Schutz des Art. 1 GG auch die Verhinderung der Abschiebung oder Auslieferung in ein Land, in dem dem Betroffenen Folter droht.52 Die Selbstbestimmung als Element des Schutzbereichs ist aber auch zu beachten, wenn sich deren „Unverfügbarkeit“ gegen den Menschen selbst richtet. Besonders schwierig zu lösen sind die Fälle, in denen „objektiv“ ein Eingriff in die Menschenwürde durch Demütigung, Erniedrigung, Prügel und Quälerei in Betracht kommt, diese aber durch einen erwachsenen Menschen im vollen Bewusstsein des Vorgangs und ohne äußeren Zwang oder Druck in Kauf genommen oder sogar gewollt wird. Hier ist immer wieder klarzustellen, dass die „Aufklärungswurzel“ der Menschenwürde energisch dafür streitet, den freien Willen des Menschen auch in diesen Fällen vor überzogenem staatlichem Paternalismus zu bewahren. Deshalb ist der Eingriff des Staates gegen derartige „Selbstverletzungen“ die absolute Ausnahme und kommt allenfalls in Frage, wenn die konsentierte Selbsterniedrigung ein solches Ausmaß erreicht, das eigentlich nur noch von krankhaften Abweichungen gesprochen werden kann – etwa im Falle der durch Video dokumentierten Abschlachtung eines Menschen53 (Fall Rotenburg), einer besonders brutalen Form der Selbstverstümmelung54, oder wenn die Würde einer ganzen Gruppe von Menschen verletzt (Beispiel: Zwergenweitwurf) und/oder zur nicht durch die Selbstbestimmung gerechtfertigten Nachahmungstat verleitet wird. Dagegen gehen weder die „Peep-Show“55 noch Geschmacklosigkeiten vom Typ „Big Brother“56 oder 50 Für engen Begriff Eser, Zwangsandrohung zur Rettung aus konkreter Lebensgefahr. Gegen kritische Rückfragen zur sogenannten „Rettungsfolter“, in: Herzog/Neumann (Hrsg.), Festschrift für Winfried Hassemer, 2010, 713 (713 ff.). 51 Zu dieser hier nicht zu diskutierenden Kontroverse einführend Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 63 sowie die Rechtsprechung im Fall „Gäfgen“, BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, NJW 2005, 656; EGMR, NJW 2010, 3145; Grabenwarter, Androhung von Folter und faires Strafverfahren – das (vorläufig) letzte Wort aus Straßburg, NJW 2010, 3128. 52 EGMR, NVwZ 2011, 413 (Abschiebung nach Griechenland als Verstoß gegen Folterverbot); vgl. auch § 60 Abs. 5 AufenthaltsG; unverständlich OVG Münster, DVBl 2011, 1666 (Kein Abschiebungsschutz für einen zum Christentum konvertierten Iraner). 53 BGH, NJW 2009, 3576 – Kannibale von Rotenburg. 54 Hagemeier/Bülte, Zum Vorschlag eines neuen § 226a StGB zur Bestrafung der Genitalverstümmelung, JZ 2010, 406. 55 BVerwGE 64, 247; BVerfGE 84, 314. 56 Für Verbot Hinrichs, „Big Brother“ und die Menschenwürde, NJW 2000, 2173; Schmitt Glaeser, Big Brother is watching you – Menschenwürde bei RTL 2, ZRP 2000, 395; dagegen Huster, Individuelle Menschenwürde oder öffentliche Ordnung, NJW 2000, 3477; Dörr, Big Brother und die Menschenwürde, 2000; Fink, Programmfreiheit und Menschenwürde, AFP 2001, 189.

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„Dschungelcamp“ den Staat etwas an. Nicht jede Form der Prostitution verletzt insofern die Menschenwürde.57 Deren Schutzbereich ist aber immer berührt und in der Regel auch verletzt, wenn – wie im berüchtigten „Flatrate-Bordell“ oder bei Einhergehen mit Freiheitsberaubung und Menschenhandel – gerade die freie Selbstbestimmung über den eigenen Körper ausgeschlossen wird.58 Vorsicht ist ebenfalls angebracht, wenn es – wie etwa beim sog. „neuro enhancement“ – um die neurologischen Grundlagen des freien Willens selbst59 oder – wie bei der Burka – um die Verschleierung der eigenen Identität und damit der Würde geht.60 V. Schutz der sozialen Bezüge Wenn die Menschenwürde auch das vielleicht „persönlichste“ und „individuellste“ Grundrecht ist, so kennt schon die antike Philosophie den Menschen als „animal rationale et sociale“61. Gemeint ist das elementare Bedürfnis nach sozialen Kontakten mit anderen Menschen. Gleichwohl findet dieser Aspekt in Rechtsprechung und Literatur überraschend geringe Beachtung. Der Kontakt zum Mitmenschen gehört aber auch für Straftäter zum Kern der Menschenwürde. Dieses Recht kann zwar durch die Verfahrensordnungen im Interesse des Schutzes anderer und der Strafverfolgung inhaltlich bestimmt und konkretisiert werden. Auch besteht kein Anspruch auf bestimmte Kontakte – etwa zu Mittätern, Mitwissern, Geldboten usw. Berührt ist der Schutzbereich aber in jedem Fall dann, wenn jeder zwischenmenschliche Kontakt durch gezielte Isolation ausgeschlossen wird. Auch die bekannte Rechtsprechung des BVerfG zur lebenslangen Freiheitsstrafe lässt sich nicht nur mit dem Anspruch auf die „zweite Chance“, sondern auch damit begründen, dass kein Mensch auf Dauer von allen selbstgewählten zwischenmenschlichen Kontakten ausgeschlossen werden darf.62 Selbstverständlich eingeschlossen ist hier auch die kulturelle Dimension des Würdeschutzes. Die Teilhabe an Kunst, Bildung, Religion gehört also zum Kern der Menschenwürde, der nicht ausgeschlossen werden darf.

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BGH, NJW 2010, 1615. EuGH v. 20. 11. 2001, Rs. C-268/99 – Malgorzata Jany u. a./Staatssecretaris van Justitie, Slg. 2001, I-8615 – 8690; VG Berlin, NJW 2001, 983. 59 Gärditz, Pharmakologisches Neuro-Enhancement als Rechtsproblem, PharmR 2011, 46; Lindner, „Neuro-Enhancement“ als Grundrechtsproblem, MedR 2010, 463. 60 Parczak, „Zeig mir dein Gesicht, zeig mir wer du wirklich bist“. Zur religionsverfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Burka-Verbots unter dem Grundgesetz, DÖV 2011, 45; dagegen Gerhardt, Zwischenruf: Verschleierte Menschenwürde, ZRP 2010, 232. 61 Aristoteles, Politik 1253a2. 62 BVerfGE 45, 187 (228); zuletzt BVerfGE 86, 288 (302, 312). 58

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VI. Schutz des Existenzminimums Besonders umstritten, weil zeit-, geld- und fallabhängig ist die Gewährleistung eines unmittelbar aus Art. 1 GG folgenden Existenzminimums. Zwar hat das BVerfG von Anfang an betont, dass zum Kern der Menschenwürde auch die Gewährleistung eines sozialen und wirtschaftlichen Existenzminimums gehöre63, sich aber stets gehütet, konkrete Beträge zu nennen, und es hat den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers sowie die Abhängigkeit vom allgemeinen Lebensstandard und anderen Vergleichen stets anerkannt.64 Konkreter ist das Gericht lediglich bei der Bestimmung des „steuerfreien Existenzminimums“65 und beim Existenzminimum der „Hartz IV-Kinder“ geworden.66 Letztgenannte Entscheidung ist für die Menschenwürde auch deshalb interessant, weil das Gericht sich nicht auf die physische Existenz beschränkt, sondern zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip auch einen Anspruch des Hilfsbedürftigen auf diejenigen materiellen Voraussetzungen ableitet, die für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Hier greift das Gericht also selbst den notwendigen Sozial- und Kulturbezug als Element der Menschenwürde auf. Insgesamt spricht aber viel dafür, die Gewährleistung des Existenzminimums nicht als besonderes Element des Schutzbereichs zu begreifen, sondern als eine Art Teilhabefunktion, die wie bei anderen Grundrechten verhindert, dass die Freiheitsgarantie leerläuft. Das würde für die Menschenwürde bedeuten, dass jedenfalls im Kern sichergestellt sein muss, dass die persönliche Identität, Integrität, Intimität, Autonomie und Sozialkontakt auch real wahrgenommen werden können.

D. Persönlicher Schutzbereich Vergleichsweise festen Grund betritt die Grundrechtsdogmatik beim personellen Schutzbereich, also der Frage, wer Träger des Grundrechts ist. Die Menschenwürde kommt allen Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Alters, ihrer Religion, ihrer Kultur oder ihres gesundheitlichen Status zu. Sie gilt mithin ebenso für Kinder wie für Ausländer, Schwerstbehinderte und Sterbende. Jede Differenzierung wäre inso63 So bereits BVerfGE 1, 97 (104); 82, 60 (85); zuletzt BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, NVwZ 2005, 927. Auch die WRV sprach bereits in Art. 151 S. 1 von der Gewährleistung eines menschwürdigen Daseins – dies aber ausdrücklich als Aufgabe der Wirtschaftsverfassung. 64 Zur Konkretisierungsbefugnis des Gesetzgebers BVerfGE 40, 121 (133); Neumann, Menschenwürde und Existenzminimum, NVwZ 1995, 426; Wallerath, Zur Dogmatik eines Rechts auf Sicherung des Existenzminimums, JZ 2008, 157; Davy, Soziale Gleichheit: Voraussetzung und Aufgabe der Verfassung, VVDStRL 68 (2009), 122 (140). 65 Dazu zuletzt BVerfGE 120, 125 (143). 66 BVerfGE 125, 175 (222); Lenze, Sind die neuen Hartz-IV-Sätze verfassungskonform?, NVwZ 2011, 1104.

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fern bereits ein Eingriff67. Träger der Menschenwürde sind indessen nur Menschen, nicht etwa Tiere oder gar Pflanzen, die Natur insgesamt68 oder virtuelle Kreaturen wie die immer wieder zitierten „Zombies“ in bestimmten Computerspielen69. Da ferner die Menschenwürde ein höchstpersönliches Grundrecht ist, kommt sie weder Gruppen von Menschen, Familien, Ethnien noch juristischen Personen70 und Staaten zu.71 Kaum eine Frage der Menschenwürde ist so umstritten (und so unentschieden) wie der pränatale Würdeschutz, d. h. die Frage, ob Embryonen und Föten Träger der Menschenwürde sind. Auf der einen Seite des Meinungsspektrums finden sich Autoren, die den Zeitpunkt so früh wie möglich definieren und damit die Menschenwürde mit der Kernverschmelzung beginnen lassen.72 Die Gegenauffassung verweist auf kaum lösbare Widersprüche, wenn die volle Garantie der Menschenwürde vor der Geburt ansetze, und geht davon aus, dass erst der geborene Mensch in vollem Umfang Träger der Menschenwürde ist.73 Der Zweite Senat des BVerfG hat in einer ebenso ungenauen wie apodiktischen Formulierung in beiden Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch betont, die Menschenwürde komme jedem menschlichen Leben „von Anfang an“ zu74, und wird seither – wie kaum anders zu erwarten – von Vertretern beider Positionen in Anspruch genommen.75 Eine wachsende Gruppe von Autoren vermeidet das „alles oder nichts“ der genannten Positionen und geht davon aus, dass sich wie das vorgeburtliche Leben selbst auch dessen Zuordnung zur Menschenwürde in Stufen von der Kernverschmelzung über die Nidation, die Herausbildung des Nervensystems, die Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibs bis zur Geburt entfaltet und steigert76.

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Ipsen (Fn. 25), Rn. 211. Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 19. 69 BVerfGE 87, 209 (230). 70 Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 27. 71 Das gilt auch für verfolgte Minderheiten, vgl. den Fall „Holocaust auf ihrem Teller“, BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, NJW 2009, 3089. 72 Böckenförde (Fn. 13), 812; Höfling, Von Menschen und Personen: Verfassungsrechtliche Überlegungen zu einer bioethischen Schlüsselkategorie, in: Dörr/Fink/Hillgruber/Kempen/ Murswiek (Hrsg.), Die Macht des Geistes: Festschrift für Hartmut Schiedermair, 2001, 363; Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, 2007; Starck, Verfassungsrechtliche Grenze der Biowissenschaft und Fortpflanzungsmedizin, JZ 2002, 1065. 73 Ipsen (Fn. 25), Rn. 213; Merkel, Früheuthanasie, 2001, 98 ff. 74 BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (252). 75 Krit. Ipsen (Fn. 25), Rn. 213. 76 Nachweise bei Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 24; eindrucksvoll auch die Vorsitzende der früheren Enquête-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ Rennesse, Reform des Stammzellengesetzes ein neuer Stichtag, ZRP 2008, 161. 68

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E. Weitere Prüfungsschritte – Ausblick Die Eröffnung des sachlichen und des persönlichen Schutzbereichs bedeutet nicht, dass bereits eine Verletzung vorliegt.77 Jetzt gilt es vielmehr den konkreten Eingriff festzustellen. Hierfür ist die „Objektformel“ nur ein Hilfsmittel – mehr nicht. In den „Benetton“-Urteilen78 hat das BVerfG den Eingriff auf wirklich gravierende Beeinträchtigungen beschränkt. Ein weiteres Beispiel: Selbst wenn man annimmt, dass der pränidative Embryo Träger der Menschenwürde ist, reichen die bekannten Kampfbegriffe wie „Instrumentalisierung“ oder „Selektion79 nicht aus, um die Verfassungswidrigkeit der Präimplantationsdiagnostik oder der Forschung an embryonalen Stammzellen zu belegen. Ähnliches gilt für eine vorschnelle Verurteilung von unerlässlichen medizinischen Tests in der Kinder-Onkologie.80 Aber das wären Themen für mehr als eine weitere Festschrift. Blickt man in die Zukunft, dann wird deutlich, dass bei allen kulturbedingten Unterschieden wichtige Fragen der Menschenwürde nicht mehr allein auf der Ebene einer nationalstaatlichen Verfassung geklärt werden können. Ob gerade die „deutsche“ Interpretation der Menschenwürde zu einem kraft Art. 79 Abs. 3 GG gegen eine übergreifende gesamteuropäische Interpretation unveränderlichen Kern gehört, wäre eine weitere interessante Frage, zu deren Beantwortung Eibe Riedel sicherlich viel beizutragen hätte. Mehr spricht jedenfalls dafür, dass EuGH, EGMR, BVerfG und Landesverfassungsgerichte sowie die Gemeinschaft der europäischen Verfassungsinterpreten dazu aufgefordert sind, gemeinsam an den Grundstrukturen einer europäischen Menschenwürdegarantie zu arbeiten. Für diese freilich müsste ebenfalls gelten: Auch vor eine „europäische Objektformel“ hat die Grundrechtsdogmatik die Bestimmung des Schutzbereichs, also dessen gesetzt, was geschützt sein soll.

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BVerfGE 30, 1 (25); 109, 279 (311); 115, 118 (153). BVerfGE 102, 347 (359); 107, 275 (280). 79 Kritisch etwa: Lehmann, Die in-vitro-Fertilisation und ihre Folgen, 2007; Müller-Terpitz (Fn. 72); Schockenhoff, Selektive Willkür, Frankfurter Rundschau, 7.2010: „Die Auswahl von Embryonen widerspricht der Menschenwürde. Der BGH hat in dieser Frage ein fatales Urteil gefällt.“; Sacksofsky, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, KJ 2003, 274; zur Gegenposition Latsiou, Präimplantationsdiagnostik. Rechtsvergleichung und bioethische Fragestellung, 2008; weitere Darstellung des Problems bei Hufen (Fn. 13), § 10 Rn. 51. 80 Janning, Darf man Arzneimittel mit Kindern testen?, Pharmazeutische Zeitung vom 29. 09. 2011; Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Ethikrat plädiert für kontrollierte Arzneimittelforschung an Kindern, DÄBl. 23. 09. 2011, (zuletzt abgerufen: 21. 6. 2012); ähnl. zu erwachsenen Einwilligungsunfähigen Brückner/Brockmeyer/Gödicke/Kratz/Scholz/Taupitz/Weber, Einbeziehung von volljährigen einwilligungsunfähigen Notfallpatienten in Arzneimittelstudien, MedR 2010, 69 (69 ff.). 78

Der Schutzbereich des Art. 8 GG Von Wolf-Rüdiger Schenke

A. Einleitung Zu den Gebieten des öffentlichen Rechts, denen das besondere Interesse von Eibe Riedel gilt, gehören die Grundrechte. Ein Grundrecht, mit dem sich die Rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu beschäftigen hatte, ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Dieses war und ist aber nicht nur Gegenstand zahlreicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts, sondern steht auch mit im Zentrum des Interesses des rechtswissenschaftlichen Schrifttums. Das dürfte sich im Hinblick auf wichtige Weichenstellungen, die das BVerfG gerade in jüngster Zeit in Bezug auf die Versammlungsfreiheit vorgenommen hat und die zu einer weiteren, demokratierechtlich begründeten Ausdehnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG geführt haben, in Zukunft sogar noch verstärken. Ohnehin sind trotz einer intensiven Beschäftigung mit Art. 8 GG, die seit der Brokdorf-Entscheidung sowohl in der Rechtsprechung wie auch in der Rechtslehre zu verzeichnen ist, noch zahlreiche sich in diesem Zusammenhang stellende Probleme ungeklärt und bilden den Gegenstand sehr kontrovers geführter Diskussionen. Sehr umstritten ist dabei insbesondere, wie weit der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG zu ziehen ist. Mit den sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen wird sich der folgende Beitrag befassen. Näher untersucht werden soll dabei zunächst, wer sich auf das Grundrecht des Art. 8 GG berufen kann (B. I.) und was unter einer Versammlung i.S.d. Art. 8 GG zu verstehen ist (B. II.). In diesem Zusammenhang ist auch darauf einzugehen, welche Einschränkungen des Schutzbereichs sich daraus ergeben, dass Art. 8 GG nur Versammlungen schützt, die friedlich sind und ohne Waffen durchgeführt werden (B. III.), und in welchem Umfang Art. 8 Abs. 1 GG durch speziellere Grundrechte verdrängt wird (B. IV.). Besondere Bedeutung kommt naturgemäß aber vor allem der sehr umstrittenen Frage zu, wie weit der bei tatbestandlicher Einschlägigkeit des Art. 8 GG gewährte Schutz der Versammlungsfreiheit inhaltlich reicht (B. V. – B. VII.). Abschließend ist zu thematisieren, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang Art. 8 GG auch die negative Versammlungsfreiheit schützt (B. VIII.).

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B. Der Schutz durch Art. 8 Abs. 1 GG I. Die geschützten Personen Art. 8 Abs. 1 GG ist ein Deutschengrundrecht. Der Begriff des Deutschen richtet sich nach Art. 116 GG. Geschützt sind grundsätzlich alle natürlichen Personen, die Deutsche i. S. dieser Vorschrift sind. Diese Beschränkung des Grundrechtsschutzes mutet freilich auf den ersten Blick insoweit problematisch an, als sie mit dem vielfach angenommenen – und in internationalen Menschenrechtspakten1 zum Ausdruck kommenden – Menschenrechtsgehalt der Versammlungsfreiheit nur schwer vereinbar zu sein scheint. Bei näherer Hinsicht erweisen sich diesbezügliche Bedenken aber als nicht durchschlagend, da die Verneinung des Grundrechtsschutzes des Art. 8 GG für Nichtdeutsche nicht bedeutet, dass damit eine Versammlung von Ausländern keinen Grundrechtsschutz genießt, und ihnen zudem der einfachgesetzliche Schutz des § 1 VersG zuteil wird (s. dazu unten B. I.). Selbst Deutsche können sich nur insoweit auf Art. 8 GG berufen, als sie die Einsichtsfähigkeit bezüglich Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts besitzen, also grundrechtsmündig sind. Das trifft bei allen voll Geschäftsfähigen zu, erschöpft sich aber nicht hierin. Auch Minderjährige können, sofern sie entsprechend einsichtsfähig sind, vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen. In Zweifelsfällen ist dabei von der Grundrechtsmündigkeit auszugehen. Kleinkinder vermögen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit allerdings nicht auszuüben. Das schließt nicht aus, dass ihre Mitnahme möglicherweise durch die Versammlungsfreiheit ihrer Personensorgeberechtigten, also insbesondere ihrer Eltern, gedeckt ist.2 Umstritten ist, ob sich auch inländische juristische Personen des Privatrechts auf den Grundrechtsschutz berufen können3. Zwar können diese an einer Versammlung nicht teilnehmen. Wohl aber können sie eine solche veranstalten, womit sie sich insoweit gem. Art. 19 Abs. 3 GG auf den Schutz des Art. 8 GG berufen können. Das gilt selbst dann, wenn sie keine juristischen Personen im rechtstechnischen Sinn sind. Der Begriff der juristischen Person i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG ist – wie heute allgemein anerkannt wird – weit zu verstehen. Auch nicht rechtsfähige Vereinigungen werden hierdurch erfasst, soweit sie auf eine gewisse Dauer ausgerichtet sind und ein Mindestmaß an Organisation aufweisen.4 Eine Gruppe von Personen, die sich nur aus Anlass einer beabsichtigten Versammlung gebildet hat und deren Funktion sich in der Organisation und Durchführung dieser einen Versammlung erschöpft, ist demnach 1 s. Art. 20 Abs. 1 AEMR, Art. 11 EMRK, Art. 15 f. AMRK, Art. 10 f. AfrCh, Art. 12 Abs. 1 GR-Ch.; dazu näher Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. I, 6. Aufl. 2010, Art. 8, Rdnr. 7. 2 Kunig, in: von Münch/Kunig, GG Bd. I, 6. Aufl. 2012, Art. 8, Rdnr. 9. 3 Dafür die h.M., so z. B. Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 11. 4 Höfling, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 8, Rdnr. 48; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 8, Rdnr. 11.

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wegen Fehlens der zeitlichen Dauer nicht grundrechtsfähig i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG. Allerdings sind die Personen, die sich zur Veranstaltung der Versammlung zusammengeschlossen haben, ihrerseits grundrechtsfähig, so dass sich insoweit keine Schutzdefizite ergeben. Ausgeschlossen ist es nach einhelliger Ansicht, der Versammlung selbst eine Grundrechtsfähigkeit zuzuerkennen.5 Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich gem. Art. 19 Abs. 3 GG grundsätzlich nicht auf Grundrechte und damit auch nicht auf die Versammlungsfreiheit berufen. Der Staat oder sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts genießen damit bei einer von ihnen veranstalteten Versammlung nicht den Schutz des Art. 8 GG.6 Privaten Teilnehmern an einer staatlicherseits initiierten Versammlung ist die Berufung auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hingegen nicht verwehrt (s. auch unten B. VIII.).7 Ein Schutz juristischer Personen des öffentlichen Rechts durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist nur dort erwägbar, wo ausnahmsweise Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar sind und es um in Form einer Versammlung erfolgende kollektive Meinungsäußerungen i.V.m. derartigen Grundrechten geht.8 Allerdings wird Art. 8 GG insoweit häufig durch die speziellen Freiheitsgrundrechte verdrängt. Das gilt etwa für durch juristische Personen des öffentlichen Rechts veranstaltete Versammlungen wie religiöse Prozessionen, die durch Art. 4 GG und nicht durch Art. 8 GG geschützt werden (s. unten B. IV.). Grundsätzlich nicht geschützt werden durch Art. 8 GG Ausländer. Jedoch kommt ihnen der schwächere Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG zugute. Da mit einer Versammlung regelmäßig auch eine Meinungsäußerung verbunden ist, können sie sich, sofern ihnen zugleich mit der Versammlung eine entsprechende Meinungsäußerung untersagt wird, auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Außerdem unterfallen Ausländer den Vorschriften des VersG. Deshalb gilt auch für sie das in § 1 VersG normierte grundsätzliche Recht auf Versammlungsfreiheit. Handelt es sich um ausländische Unionsbürger, so wirft das Deutschengrundrecht im Hinblick auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV Probleme auf. Eine solche Diskriminierung verneint die h.M. freilich, weil sich das Problem der Versammlungsfreiheit im Rahmen des AEUV grundsätzlich nicht stelle und eine Gleichbehandlung von Deutschen und EU-Ausländern bereits durch die einfachgesetzlichen Vorschriften des VersG sichergestellt sei.9 Das überzeugt allerdings nicht, da sich in Verbindung mit dem Vollzug von Unionsrecht die Problematik der Ver5 Benda, in: Bonner Kommentar zum GG, 1995, Art. 8, Rdnr. 20; Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 34. 6 Benda (Fn. 5), Art. 8, Rdnr. 19. 7 Geis, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 8, Rdnr. 26; BVerfG NVwZ 2005, 1055 (1056). 8 Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 48. 9 Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8, Rdnr. 110; Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Aufl. 2001, Art. 8, Rdnr. 31.

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sammlungsfreiheit gleichfalls sehr wohl stellen kann10, wie im Übrigen auch an der Regelung des Art. 12 Abs. 1 GR-Charta deutlich wird. Zudem ruft eine nur einfachgesetzliche Gleichstellung der EU-Ausländer mit Deutschen im Hinblick auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV insoweit Bedenken hervor, als hierdurch der grundrechtliche Schutz von EU-Ausländern eingeschränkt wird. Der Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG bleibt deutlich hinter dem des Art. 8 GG zurück. Dogmatisch nicht überzeugend ist auch die Auffassung, für die Einschränkung des Art. 2 Abs. 1 GG seien in Bezug auf die Beschränkungen der Versammlungsfreiheit die Schranken des Art. 8 Abs. 2 GG heranzuziehen. Vorzugswürdig dürfte es demgegenüber sein, die Beschränkung des Art. 8 GG auf Deutsche wegen Art. 12 AEUV auf EU-Ausländer nicht anzuwenden.11 II. Der Begriff der Versammlung i.S.d. Art. 8 GG Die heute wohl h.M. versteht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts12 unter einer Versammlung die Zusammenkunft von mehreren Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgabe. An diese Begriffsbestimmung lehnt sich auch die Legaldefinition des Art. 2 Abs. 1 BayVersG an. Nach ihr ist eine Versammlung eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgabe. Demgegenüber fasst ein Teil des rechtswissenschaftlichen Schrifttums den Versammlungsbegriff weiter. Die Erörterung oder Kundgabe muss danach nicht auf eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sein.13 Eine im rechtswissenschaftlichen Schrifttum häufig vertretene Ansicht will sogar auf das Merkmal der Erörterung oder Kundgabe ganz verzichten. Nach ihr reicht es bereits aus, wenn eine Mehrheit von Personen für eine gewisse Zeit zu einem gemeinsamen Zweck zusammen gekommen ist.14

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s. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 8, Rdnr. 13. s. hierzu auch Jarass (Fn. 4), Art. 19, Rdnr. 12; Klein, Gedanken zur Europäisierung des deutschen Verfassungsrechts, in: Festschrift für Stern, 1997, 1301 (1310); a.A. aber die h.M., vgl. z. B. Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 52. 12 So z. B. BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460); 2002, 1031 (1032); dahin tendierend auch BVerwGE 56, 63 (69); Enders, Der Schutz der Versammlungsfreiheit (Teil I), Jura 2003, 34 (36, 38); Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 16; Laubinger/Repkewitz, Die Versammlung in der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, VerwArch. Bd. 92 (2001), 585 (624 ff.). 13 Geis (Fn. 7), Art. 8, Rdnr. 18; und Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 17. 14 So z. B. Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 47; Kniesel, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Entwicklung des Versammlungsrechts seit 1996, NJW 2000, 2857; Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 17; Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 11; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, 27. Aufl. 2011, Rdnr. 753; Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 24. 11

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1. Die erforderliche Zahl der Versammlungsteilnehmer Grundsätzliche Einigkeit besteht darin, dass eine Versammlung ein Zusammenkommen von mehreren Personen verlangt. Eine „Ein-Mann-Versammlung“ stellt deshalb keine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG dar. Zu beachten ist allerdings, dass der Schutz der Versammlungsfreiheit bereits dann zum Tragen kommen kann, wenn eine Person sich darum bemüht, andere Personen zu einer gemeinsamen Kundgabe zu gewinnen. Das ergibt sich daraus, dass Art. 8 GG schon die Vorbereitung einer Versammlung schützt (s. unten B. VI.). Geht es einer Person darum, andere Personen dafür zu gewinnen, sich ihrer Kundgabe anzuschließen, so greift Art. 8 GG folglich ein. Im Zweifel wird dabei davon auszugehen sein, dass eine derartige Absicht besteht und die Person ihr Anliegen nicht nur als „Einzelkämpfer“ verfolgen will. Möglicherweise lag ein solcher Sachverhalt der Entscheidung des BVerfG zugrunde, wonach bereits einer Ein-Personen-Mahnwache (dort vor dem Geburtshaus von Erich Honecker) der Schutz der Versammlungsfreiheit zuteil werden sollte. Fehlt es an einem derartigen kommunikativen Bemühen, so gewährt lediglich Art. 5 Abs. 1 GG Grundrechtsschutz. Kontrovers diskutiert wird, wie viele Personen für eine Versammlung essentiell sind. Vielfach werden bereits zwei Personen als ausreichend angesehen; andere fordern drei oder mehr Personen oder in Anlehnung an die Soll-Vorschrift des § 56 BGB mindestens sieben Personen.15 Letzteres scheidet allerdings schon deshalb aus, weil § 56 BGB, der die für die Eintragung eines rechtsfähigen Vereins erforderliche Mindestzahl der Mitglieder zum Gegenstand hat, eine thematische Verbindung allenfalls zur Vereinigungsfreiheit, nicht aber zur Versammlungsfreiheit aufweist. Richtigerweise dürfte von einer ausreichenden Teilnehmerzahl – in Übereinstimmung mit der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 BayVersG – bereits bei zwei Personen auszugehen sein. Dass einzelne Vorschriften des Versammlungsgesetzes des Bundes auf solche Versammlungen nicht passen – es z. B. nicht sinnvoll ist, bei solchen „Kleinversammlungen“ den in §§ 18, 7 VersG vorgesehenen Versammlungsleiter zu bestimmen –, spricht nicht gegen diese Auffassung, weil einfachgesetzliche Bestimmungen den verfassungsrechtlichen Begriff der Versammlung nicht determinieren können. Zudem ist es bei einer teleologischen Auslegung bzw. Reduktion der §§ 18, 7 VersG durchaus möglich, das bei Kleinversammlungen sinnwidrige Erfordernis eines Versammlungsleiters zu vermeiden. Unerlässlich für eine Versammlung ist die gemeinsame körperliche Anwesenheit der Versammlungsteilnehmer. Eine nur virtuelle gemeinsame Präsenz im Internet genügt nicht.16

15 So z. B. von Münch, in: von Münch, Grundgesetzkommentar, Bd. I, 3. Aufl. 1985, Art. 8, Rdnr. 9. 16 Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 45; Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 31.

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2. Der erforderliche Versammlungszweck a) Zum Erfordernis einer Erörterung oder Kundgabe Zweck der Zusammenkunft muss eine gemeinsame Kundgabe bzw. Erörterung sein. Auf dieses Erfordernis kann m. E. nicht verzichtet werden. Dafür spricht nicht nur die historische Entwicklung der Versammlungsfreiheit, sondern auch eine andernfalls zu befürchtende Ausuferung des Versammlungsbegriffs, der dann völlig heterogene Zusammenkünfte von Menschen mit unterschiedlichsten Zielsetzungen umfasste. So fielen hierunter dann nicht nur eine politische Meinungsäußerung, mit welcher der Staat zur Behebung eines Missstands aufgefordert wird, sondern z. B. auch das gemeinsame Kegeln und Musizieren, der gemeinsame Besuch einer Sportveranstaltung oder die gemeinsame Unterhaltung im Rahmen eines Kaffeekränzchens.17 Dass solche Zusammentreffen, bei denen die Teilnehmer die unterschiedlichsten Zielsetzungen verfolgen, in ganz unterschiedlichem Umfang schutzbedürftig erscheinen, liegt auf der Hand. Der besonders weitreichende Schutz der Versammlungsfreiheit – die, soweit sie in geschlossenen Räumen stattfindet, nur verfassungsimmanente Schranken aufweist und auch im Übrigen insoweit polizeifest ist, als sich Einschränkungen grundsätzlich nicht auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht stützen lassen – wäre bei einer solchen Ausweitung ihres Schutzbereichs und der hiermit verbundenen Privilegierungen nicht mehr zu legitimieren. Nicht zu rechtfertigen wäre es bei einem so weiten Verständnis schließlich auch, dass die Ausübung der Versammlungsfreiheit oftmals mit einer Beschneidung der Rechte anderer Personen, z. B. von Verkehrsteilnehmern, Anwohnern und Gewerbetreibenden, verbunden ist.18 Die Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf Deutsche wäre bei einer so weiten Ausdehnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG gleichfalls nicht verständlich. In seiner letzten Konsequenz wäre bei einem extensiven Versammlungsbegriff, bei dem die mit der Zusammenkunft verbundenen Zielsetzungen weitgehend offen gelassen bzw. ausgeblendet werden, auch eine Abgrenzung zwischen einer Versammlung, die dem Art. 8 GG unterfällt, und einer bloßen Ansammlung von Personen, die nach einhelliger Meinung nicht dem Art. 8 GG unterfallen soll19, nicht mehr möglich. Das Paradebeispiel für eine Ansammlung, nämlich die neugierigen Gaffer bei einem Unfallgeschehen, ließe sich bei dem hier abgelehnten weiten Verständnis jedenfalls unschwer unter den Begriff der Versammlung subsumieren.20 Der gemein17

Zu Recht kritisch gegenüber einem derart weiten Versammlungsbegriff mit weiteren Beispielen Laubinger/Repkewitz, Die Versammlung in der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, VerwArch. Bd. 92 (2001), 585 ff. 18 Vgl. auch BVerfG, NJW 2001, 2459. 19 Statt vieler Benda (Fn. 5), Art. 8, Rdnr. 22, der zu Recht darauf hinweist, dass sich eine Versammlung aus einer Ansammlung entwickeln kann; Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 19. 20 Nicht überzeugend deshalb Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 24, der hier grundsätzlich das Vorliegen einer Versammlung ablehnt, obwohl er bereits eine gemeinsame Zweckverfolgung als ausreichend ansieht. Unumstritten ist allerdings, dass eine Ansammlung

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same Zweck, der hier bei der Zusammenkunft erfüllt wäre, läge in der Befriedigung der Neugier der das Unfallgeschehen betrachtenden Personen. Das Erfordernis einer gemeinsamen Erörterung bzw. Kundgabe, die auch nicht verbale Ausdrucksformen umfasst, macht demgegenüber die Nähe der Versammlungsfreiheit zur verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit deutlich, die bei der Versammlungsfreiheit kollektiv wahrgenommen wird. Erst das erklärt den besonderen Stellenwert, den das Grundgesetz der Versammlungsfreiheit zuerkennt. Musik- und Tanzveranstaltungen wie die Love Parade, bei der es schwerpunktmäßig um Ausdruck eines Lebensgefühls sowie um Unterhaltung, Konsum und kommerzielle Interessen, nicht aber um eine Meinungskundgabe geht, sind deshalb vom BVerfG21 zu Recht nicht unter den Begriff der Versammlung i.S.d. Art. 8 GG subsumiert worden. Allerdings kann hier die Grenzziehung schwierig sein22, weshalb im Zweifelsfall vom Vorliegen einer Versammlung auszugehen ist.23 So dürfte dem VGH Mannheim24 beizupflichten sein, wenn er davon ausgeht, dass ein Konzert rechtsextremistischer Skinheadbands typischerweise nicht nur dem Musikkonsum und der Unterhaltung, sondern auch der Rekrutierung neuer Anhänger und deren ideologischer Festigung durch eine Meinungskundgabe dient und deshalb als Versammlung i.S.d. Art. 8 GG wie auch des VersG zu qualifizieren ist. b) Einflussnahme auf öffentliche Meinung nicht erforderlich Gestritten wird darüber, ob die Erörterung oder Kundgabe auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sein muss.25 Das scheint bei einer demokratisch-funktionalen Interpretation des Begriffs der Versammlungsfreiheit, die der gemeinsamen historischen Wurzel der Versammlungsfreiheit und des Petitionsrechts Rechnung trägt, nahe zu liegen und entspricht auch dem im anglo-amerikanischen Rechtskreis vorherrschenden Begriff der Versammlungsfreiheit. Schubkraft erhält ein solches Verständnis zudem durch die Ausgestaltung der Versammlungsfreiheit zu einer Versammlung werden kann, wenn sie etwa in einen gemeinsamen Protest einmündet (vgl. hierzu Schulze-Fielitz [Fn. 10], Art. 8, Rdnr. 24). 21 BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460); ebenso im rechtswissenschaftlichen Schrifttum z. B. Gröpl, Grundstrukturen des Versammlungsrechts, Jura 2002, 18 (19); Laubinger/Repkewitz, Die Versammlung in der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, VerwArch. Bd. 92 (2001), 585 ff.; a.A. Kniesel, NJW 2000, 2857 f.; Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 22; Wiefelspütz, Aktuelle Probleme des Versammlungsrechts in der Hauptstadt Berlin, DÖV 2001, 21 ff. 22 So bejaht etwa BVerwG, NVwZ 2007, 1431 die Versammlungseigenschaft der „Fuckparade 2001“. 23 BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460); BVerwG, NVwZ 2007, 1431 (1432). 24 VGH Mannheim, VBlBW 2010, 468 unter Berufung auf BVerwGE 129, 42. 25 So z. B. BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460); 2002, 1031 (1032); BVerwGE 56, 63 (69); OVG Weimar, NVwZ-RR 1998, 497 (498); Enders, Jura 2003, 34 (36, 38); Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 15 f.; Laubinger/Repkewitz, Die Versammlung in der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, VerwArch. Bd. 92 (2001), 585 (624 ff.).

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als Deutschengrundrecht, die eine enge Verbindung zwischen Versammlungsfreiheit und Demokratieprinzip indiziert. Freilich lässt sich dieser ausschließlich demokratisch-funktionalen Deutung entgegenhalten, dass sie der auch liberalen Wurzel der Versammlungsfreiheit nicht in ausreichendem Maße Rechnung trägt. Diese wird dem Wortlaut des Art. 8 GG weit eher gerecht als eine Reduktion des Versammlungsbegriffs lediglich auf solche Erörterungen und Kundgaben, die auf eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung gerichtet sind. Gegen eine Verengung des Art. 8 GG auf Erörterungen und Kundgaben, die die öffentliche Meinung im Visier haben, lässt sich auch ins Feld führen, dass die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG, welche ebenfalls ein demokratisches Grundrecht darstellt und in enger Verbindung mit Art. 8 GG steht, nicht nur für die öffentliche Meinungsbildung bedeutsame Stellungnahmen umfasst, was ein gewichtiges Argument dafür bildet Entsprechendes auch für durch Art. 8 GG geschützte kollektive Meinungsäußerungen und Kundgaben anzunehmen.26 Ohnehin ist der ganz unterschiedlichen Deutungen zugängliche Begriff der öffentlichen Meinung und der hiermit eng verknüpfte Begriff der öffentlichen Angelegenheiten wenig konturenscharf27 und impliziert deshalb erhebliche Unsicherheiten bei der Bestimmung der tatbestandlichen Reichweite des Art. 8 GG wie auch des hiermit verbundenen Anwendungsbereichs des VersG. Der oftmals behauptete scharfe Gegensatz zwischen einer demokratisch-funktionalen und einer liberalen Deutung der Versammlungsfreiheit28, die auch die bei der Zusammenkunft erfolgende kollektive Meinungsäußerung und -kundgabe in Bezug auf private Angelegenheiten einschließt, dürfte in der Realität ohnehin nicht bestehen, weil es den Teilnehmern einer Versammlung meist darum geht, die Verfolgung privater Angelegenheiten zugleich zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen und auf diese Weise die öffentliche Meinung zur Verstärkung privater Anliegen zu mobilisieren.29 Insoweit mutieren denn auch private Anliegen vielfach zu öffentlichen Anliegen. Das hier befürwortete extensive Verständnis der Versammlungsfreiheit sollte umso leichter fallen, als hiermit keineswegs in Frage gestellt werden soll, dass die Hauptbedeutung des Art. 8 GG im Schutz solcher kollektiver Meinungsäußerungen und -kundgaben liegt, die auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung gerichtet sind und insoweit „Demonstrationscharakter“ aufweisen. Ein ausschließlich auf die öffentliche Meinung bezogenes Verständnis des Versammlungsbegriffs birgt allerdings die Gefahr in sich, eine demokratierechtliche Dynamik zu entfalten, die auf Kosten anderer Freiheitsgrundrechte zu gehen droht.30 Dafür liefert – wie noch zu 26 Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 49 f.; Kannengießer, in Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 8, Rdnr. 3; Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 14. 27 Geis (Fn. 7), Art. 8, Rdnr. 18. 28 s. hierzu z. B. Gusy (Fn. 1), 8, Rdnrn. 9 ff.; Kloepfer, Versammlungsfreiheit, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 164, Rdnrn. 11 ff. 29 Vgl. auch Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 17. 30 Dazu, dass der durch Art. 8 GG gewährte Schutz umso weitreichender ist, je enger der Versammlungsbegriff verstanden wird, s. Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 14.

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zeigen sein wird (dazu unten B. V. 2. und 3.) – die Rechtsprechung des BVerfG, das den Bezug der Versammlungsfreiheit zur öffentlichen Meinung in besonderer Weise betont, durchaus Belege. Einfachgesetzliche Bestimmungen wie Art. 2 Abs. 1 BayVersG, nach dem eine Versammlung u. a. eine „überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Erörterung oder Kundgebung“ erfordert, vermögen zwar die Reichweite eines Versammlungsgesetzes zu bestimmen. Sie sind aber nicht in der Lage, den verfassungsrechtlichen Versammlungsbegriff zu definieren. Eine gesetzeskonforme Auslegung der Verfassung verbietet sich. Im Übrigen macht gerade die Legaldefinition des bayerischen Gesetzgebers deutlich, welche Schwierigkeiten sich stellen, wenn man den Versammlungsbegriff mit dem Erfordernis der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung auflädt. Der dort enthaltene einschränkende Zusatz, dass die Versammlung „überwiegend“ auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist, erklärt sich daraus, dass dem Gesetzgeber offenbar bewusst war, welche Schwierigkeiten ein an der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung orientierter Versammlungsbegriff mit sich bringt. Freilich werden die sich insoweit stellenden Abgrenzungsschwierigkeiten durch den Zusatz „überwiegend“ nicht gelöst. Vielmehr schafft dieser Zusatz letztlich nur zusätzliche Abgrenzungsprobleme. Die gemeinsame Kundgabe bzw. Erörterung setzt im Übrigen begrifflich keineswegs eine Identität der Meinung der Versammlungsteilnehmer voraus31, sondern lässt durchaus Raum für das Vertreten unterschiedlicher, miteinander konkurrierender Meinungen. Eine hiermit verbundene Dialogsituation ist sogar – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips – verfassungspolitisch durchaus erstrebenswert. Inwieweit der Veranstalter diesem Dialog im Rahmen einer Versammlung Raum gewährt und diesem eine die Versammlung prägende Wirkung zukommt, ist freilich eine andere Frage. Die Versammlungsfreiheit gewährt jedenfalls den Vertretern konkurrierender Minderheitsmeinungen allenfalls in beschränktem Umfang ein Recht, sich im Rahmen der Versammlung Gehör zu verschaffen32. Art. 8 GG entfaltet insoweit keine unmittelbare Drittwirkung. Er schützt grundsätzlich nur vor einer staatlichen Unterbindung pluraler Anliegen im Rahmen einer Versammlung. Finden die Meinungen von Minderheiten im Rahmen einer Versammlung keine ausreichende Berücksichtigung, weil sie mit den Anschauungen des Veranstalters bzw. der Mehrheit der Teilnehmer nicht übereinstimmen, bleibt es den Vertretern abweichender Anschauungen jedoch unbenommen, eine Gegenversammlung zu veranstalten bzw. an dieser teilzunehmen. Für eine solche sich oft spontan bildende Gegenversammlung gilt § 14 VersG nicht bzw. allenfalls mit Einschränkungen.33 Nicht dem Schutz des Art. 8 GG unterliegt auf jeden Fall ein auf Verhinderung bzw. Spren31

Vgl. z. B. BVerfG, NJW 1995, 3110; Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 14. s. zur Problematik des „kommunikativen Gegendemonstranten“ Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 70; Roellecke, NJW 1995, 3101. 33 s. dazu Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 62. 32

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gung der Versammlung gerichtetes Verhalten, da Art. 8 GG nur die argumentative Auseinandersetzung der Teilnehmer der Versammlung schützt, nicht aber die Unterbindung einer Versammlung.34 Keinen Schutz bietet Art. 8 GG auch für die Anmeldung von Versammlungen, die ausschließlich den Zweck verfolgen, eine später für denselben Ort angemeldete andere Versammlung zu verhindern.35 Abzulehnen ist die vom OVG Münster36 vertretene Ansicht, Versammlungen, die rechtsextremistische Ideologien wie den Nationalsozialismus zum Gegenstand hätten, fielen schon kraft einer dem Art. 8 GG anhaftenden verfassungsimmanenten Schranke aus dessen Schutzbereich. Diese Schranke soll sich aus dem Demokratiegebot, der Menschenwürde und dem dem Friedensgebot verpflichteten Rechtsstaat des Grundgesetzes ergeben.37 Für eine solche Schranke lassen sich Art. 8 GG keine Anhaltspunkte entnehmen. Das GG beinhaltet in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG sowie in Art. 26 Abs. 1 GG besondere Schutzvorkehrungen, die einen Schutz vor einer Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erlauben, und bietet insoweit keinen Raum für zusätzliche Grundrechtsbegrenzungen. Ohnehin bedürfen verfassungsimmanente Schranken – wie sonst allgemein anerkannt wird – einer Konkretisierung durch den Gesetzgeber. III. Die Begrenzung des Grundrechtsschutzes auf friedliche und ohne Waffen durchgeführte Versammlungen Auch wenn eine Versammlung im oben definierten Sinn vorliegt, wird sie nach Art. 8 GG nur dann tatbestandlich geschützt, wenn sie friedlich und ohne Waffen erfolgt. Fehlt es an dieser Friedlichkeit bzw. erfolgt die Versammlung unter Mitführung von Waffen, ist der Schutzbereich des Art. 8 GG nicht eröffnet. In diesem Fall scheidet selbst ein Grundrechtsschutz durch den sonst als Auffanggrundrecht fungierenden Art. 2 Abs. 1 GG aus38, da dieser kein auf die Verletzung der Rechte anderer gerichtetes Verhalten schützt.

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BVerfGE 84, 203 (209 f.); Geis (Fn. 7), Art. 8, Rdnr. 22. s. hierzu auch Kniesel/Poscher, NJW 2004, 422 (425); vgl. zu sich hier ergebenden Gefahren auch BVerfG NVwZ 2005, 1055 (1056); und Hoffmann-Riem, NJW 2004, 2777 (2780). 36 OVG Münster, NJW 2001, 2111 („schon kraft verfassungsimmanenter Schranken vom Schutzbereich der Demonstrationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1 GG ausgenommen“). 37 OVG Münster, NJW 2011, 2111; Battis/Grigoleit, Neue Herausforderungen für das Versammlungsrecht?, NVwZ 2001, 121 (124); Hufen, Staatsrecht Bd. II, 3. Aufl. 2011, § 30, Rdnr. 38; zu Recht ablehnend BVerfG, NJW 2001, 2072; Hoffmann-Riem, Demonstrationsfreiheit auch für Rechtsextremisten? Grundsatzüberlegungen zum Gebot rechtsstaatlicher Toleranz, NJW 2004, 2777 (2780 ff.); Kloepfer (Fn. 28), § 164, Rdnr. 113; Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 69. 38 Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 92; Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 123; a.A. Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 38. 35

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1. Die Friedlichkeit der Versammlung Ein unfriedliches Verhalten i.S.d. Art. 8 GG liegt dann vor, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit durch aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden.39 Der Begriff der Unfriedlichkeit ist durch die Verfassung vorgegeben und unabhängig davon zu bestimmen, ob eine bestimmte Handlung durch den Gesetzgeber unter Strafe gestellt wird. Wäre man anderer Ansicht, so stünde dem einfachen Gesetzgeber die Befugnis zu, über den Schutzbereich des Art. 8 GG zu disponieren. Eine in Verbindung mit einer Versammlung drohende Verletzung Dritter begründet noch keine Unfriedlichkeit. Allerdings kann – wie noch zu zeigen sein wird (B. V. 2. und 3.) – die tatbestandliche Anwendbarkeit des Art. 8 GG entfallen, wenn ein Verhalten notwendigerweise mit der Verletzung verfassungsmäßig geschützter Rechte Dritter verbunden ist. Allein aus der Vermummung von Versammlungsteilnehmern kann noch nicht zwingend auf deren Unfriedlichkeit geschlossen werden40, denn die Vermummung kann die unterschiedlichsten Gründe haben und braucht keineswegs den Zweck einer Tarnung bei einer Gewaltanwendung gegenüber anderen Personen zu verfolgen. Von daher ist § 17 a Abs. 2 VersG, der ein Vermummungsverbot beinhaltet, verfassungsrechtlich nicht unproblematisch. Diesbezügliche verfassungsrechtliche Bedenken dürften aber im Ergebnis nicht durchschlagen, weil die zuständige Behörde nach § 17 a Abs. 3 S. 2 VersG Ausnahmen vom Vermummungsverbot zulassen kann, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu befürchten ist. Allerdings ist die Vorschrift verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass es bei auszuschließender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht im behördlichen Ermessen steht, ob eine Ausnahme vom Vermummungsverbot zugelassen wird, sondern die Behörde hierzu sogar verpflichtet ist.41 Das im Übrigen bestehende gesetzliche Vermummungsverbot lässt sich dadurch legitimieren, dass eine Vermummung von Versammlungsteilnehmern ein Indiz für für ein beabsichtigtes unfriedliches Verhalten bilden und damit eine Gefahr begründen kann. Das unfriedliche Verhalten einzelner Teilnehmer einer Versammlung führt noch nicht zur Unfriedlichkeit der Versammlung.42 Andernfalls könnten einige wenige Personen der friedlichen Mehrheit der Versammlung den Schutz der Versammlungsfreiheit nehmen. Ein unfriedliches Verhalten des Veranstalters oder des Leiters einer Versammlung wird aber meist auf die ganze Versammlung abfärben und dieser den

39 BVerfG, NVwZ 2005, 80; und dazu Kment, Vorrang des Versammlungsrechts gegenüber dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht (Anmerkung zu BVerfG, Beschl. v. 26. 10. 2004 – 1 BvR 1726/01), JA 2005, 492 ff. 40 So auch Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 32; Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnrn. 25, 27; Schneider, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 8, Rdnr. 12; a.A. Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 86. 41 So auch Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 25. 42 BVerfGE 69, 315 (360 f.); Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 33.

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Charakter der Friedlichkeit nehmen.43 Dasselbe gilt, wenn die Mehrheit der Versammlung sich unfriedlich verhält oder mit dem unfriedlichen Verhalten einzelner Teilnehmer sympathisiert oder es zumindest duldet und sich von ihm nicht distanziert. Die Übergänge können hier freilich fließend sein. Nicht zu folgen ist aber auf jeden Fall der Ansicht Depenheuers44, der von den friedlichen Teilnehmern eine Unterbindung der Gewalt von Gewalttätern verlangt und dabei so weit geht, dass dies sogar eine vorläufige Festnahme oder eine Überstellung der Gewalttäter an die Ordnungskräfte erfordern könne. Eine solche Gewaltanwendung kann von den friedlichen Teilnehmern zur Wahrung der Friedlichkeit der Versammlung nicht verlangt werden und überfordert die friedlichen Teilnehmer. Sie kann sich zudem kontraproduktiv auswirken, indem sie zu einer Steigerung des Gewaltpotentials führt und gerade damit die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet.45 Die Friedlichkeit einer Versammlung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sie Anlass für ein unfriedliches Verhalten anderer, die Versammlung störender Personen oder eine unfriedliche Gegenversammlung bietet.46 Das unfriedliche Verhalten anderer Personen kann den Veranstaltern oder Teilnehmern einer friedlichen Versammlung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zweckveranlassung zugerechnet werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die im allgemeinen Polizeirecht entwickelte Figur des Zweckveranlassers47 überhaupt auf das Versammlungsrecht Anwendung finden kann. Jedenfalls kann in dem Verhalten der friedlichen Veranstalter bzw. Teilnehmer einer Versammlung noch nicht eine unmittelbare Verursachung einer Gefahr gesehen werden.48 Anderes kommt allenfalls dann in Betracht, wenn ein unfriedliches Verhalten anderer Personen bewusst provoziert wird. Ist das Verhalten der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer friedlich, ergibt sich für diese regelmäßig aus Art. 8 GG ein Anspruch auf Schutz vor störenden unfriedlichen Versammlungsteilnehmern, insbesondere wenn diese die Versammlung zu unterbinden versuchen. Es bedarf damit keiner Selbsthilfe. Ist es der Polizei ausnahmsweise nicht möglich, die Störung durch ein Vorgehen gegen die Störer zu unterbinden, kann eine Versammlung bei Vorliegen der Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands beschränkt und als ultima ratio durch die Polizei aufgelöst werden. 2. Das Mitführen von Waffen Bewaffnete Teilnehmer einer Versammlung können sich nicht auf den grundrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit berufen. Auch hier gilt aber, dass 43

Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 47. Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 97. 45 Vgl. auch Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 28. 46 Vgl. z. B. Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 24. 47 Zu dieser Rechtsfigur s. näher Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Aufl. 2011, Rdnrn. 244 ff. 48 s. dazu auch Schenke (Fn. 47), Rdnr. 246. 44

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die Bewaffnung einzelner Teilnehmer nicht zu Lasten der friedlichen Teilnehmer gehen darf, sondern die Polizei nur zu einem Vorgehen gegen die bewaffneten Teilnehmer verpflichtet. Waffen sind dabei jedenfalls alle Waffen im Sinne des Waffengesetzes (s. § 1 Abs. 2 WaffG). Der Begriff der Waffe ist aber nicht zwingend an diese einfachgesetzliche Legaldefinition gebunden, sondern umfasst alle Gegenstände, die nach der Verkehrsauffassung Waffen darstellen.49 Sogenannte „Passivwaffen“ („Schutzwaffen“ nach dem Sprachgebrauch des § 17 a Abs. 1 VersG), d. h. Gegenstände, die dem Schutz vor Angriffen dienen (z. B. Helme), fallen nicht hierunter, können aber im Einzelfall ein Indiz für geplantes unfriedliches Verhalten von Versammlungsteilnehmern bilden.50 Davon kann aber keineswegs immer ausgegangen werden, da durchaus legitime Gründe für das Mitführen von Gegenständen sprechen können, die geeignet sind, gewalttätige Angriffe anderer Personen abzuwehren. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber das in § 17a Abs. 1 VersG statuierte grundsätzliche Verbot des Mitführens von „Schutzwaffen“ daran geknüpft, dass diese den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren. Daran fehlt es, wenn das Mitführen von „Schutzwaffen“ zum Schutz vor zu erwartenden oder jedenfalls wahrscheinlichen Angriffen anderer Personen dienen soll. Ist beim Mitführen solcher Gegenstände eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen, besteht auch hier nach § 17a Abs. 3 VersG ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung. Umstritten ist, ob Gegenstände, die nach dem Sprachgebrauch keine Waffen darstellen, von den Versammlungsteilnehmern aber in der Absicht mitgeführt werden, mit ihnen andere Personen anzugreifen, als Waffen i.S.d. Art. 8 GG zu qualifizieren sind.51 Dem Streit kommt aber keine praktische Bedeutung zu, da in einem solchen Fall ein unfriedliches Verhalten der Versammlungsteilnehmer vorliegt, das als solches einen Schutz nach Art. 8 GG ausschließt.52 IV. Tatbestandlicher Ausschluss des Art. 8 GG durch speziellere grundrechtliche Normen Der Schutz bestimmter Versammlungen wird bereits durch spezielle Grundrechte gewährleistet, die als leges speciales dem Art. 8 GG vorgehen und dabei häufig sogar noch einen weiterreichenden Schutz beinhalten als das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Als Beispiel hierfür bieten sich insbesondere religiöse Prozessionen, Wallfahrten und Gottesdienste an. Sie unterfallen dem Schutz des Art. 4 Abs. 1

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Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 27. Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 28. 51 Dafür Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 26; OVG Weimar, ThürVBl. 2000, 14 (15); a.A. Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 26. 52 Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 36. 50

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und 2 GG53, für den – anders als für Versammlungen unter freiem Himmel – kein Gesetzesvorbehalt besteht und der deshalb nur durch verfassungsimmanente Schranken begrenzt ist. Dem trägt § 17 VersG Rechnung, indem er klarstellt, dass die §§ 14 – 16 VersG, welche Einschränkungen für öffentliche Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel zum Gegenstand haben, nicht für religiösen Zwecken dienende Versammlungen gelten. Verdrängt wird Art. 8 GG auch durch Art. 5 Abs. 3 GG.54 Demgemäß unterfallen wissenschaftlichen Zwecken dienende Versammlungen wie z. B. ein wissenschaftlicher Kongress nicht dem Art. 8 GG. V. Die durch die Versammlungsfreiheit geschützten Modalitäten der Versammlung 1. Allgemeines zu den verschiedenen Versammlungsformen Art. 8 GG differenziert zwischen Versammlungen in geschlossenen Räumen und Versammlungen unter freiem Himmel. Entscheidend für die Abgrenzung ist dabei nicht die Offenheit der Versammlung nach oben, sondern die räumliche Begrenzung zu allen Seiten der Versammlung hin.55 Während erstere nur verfassungsimmanente Schranken aufweisen, besteht für letztere ein Gesetzesvorbehalt (Art. 8 Abs. 2 GG). Versammlungen i.S.d. Art. 8 GG sind sowohl öffentliche Versammlungen, bei denen die Teilnahme nicht auf einen individuell feststehenden Personenkreis beschränkt ist (s. Art. 2 Abs. 2 BayVersG), wie auch nichtöffentliche Versammlungen.56 Geschützt werden durch Art. 8 GG nicht nur vorher organisierte und durch einen Veranstalter geplante Versammlungen, sondern auch Spontanversammlungen.57 Allerdings ist deren Besonderheiten bei der Ausgestaltung des Versammlungsrechts Rechnung zu tragen. So gilt das den Veranstalter einer Versammlung betreffende Anmeldeerfordernis des § 14 VersG bei Spontanversammlungen nicht, da diese keinen Veranstalter aufweisen. Auch Eilversammlungen, die zu einer effektiven Verfolgung des Versammlungsziels auf eine möglichst baldige Durchführung angewiesen sind, sind Versammlungen i.S.d. Art. 8 GG. Die nach dem Wortlaut des § 14 VersG auch hier gebotene Anmeldung, die 48 Stunden vor der Bekanntgabe der Versammlung zu erfolgen hat, liefe letztlich auf ein Verbot von Eilversammlungen hinaus und stünde damit einer effektiven Wahrnehmung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit bei solchen Versammlungen im Wege, bei denen dem Zeitmoment für das mit der 53

Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 17; Kannengießer (Fn. 26), Art. 8, Rdnr. 18; Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 124. 54 Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 87; Jarass (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 2; mit Differenzierungen auch Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 127. 55 Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 133; Geis (Fn. 7), Art. 8, Rdnr. 102. 56 Das VersG des Bundes wie auch das BayVersG beziehen sich grundsätzlich nur auf öffentliche Versammlungen. Für die Bekämpfung von Gefahren, die von nichtöffentlichen Versammlungen ausgehen, gilt grundsätzlich das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht (s. näher Schenke [Fn. 47], Rdnrn. 343 und 362). 57 Vgl. statt vieler Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 19.

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Versammlung verfolgte Anliegen eine besondere Bedeutung zukommt. Der Versuch des BVerfG58, dem durch eine verfassungskonforme Auslegung des für die Anmeldung geltenden Fristerfordernisses Rechnung zu tragen, vermag freilich nicht zu überzeugen und läuft der Sache nach auf eine Teilnichtigkeit des § 14 VersG hinaus.59 Auch Großdemonstrationen sind Versammlungen i.S.d. Art. 8 GG. Sie unterfallen grundsätzlich den §§ 14 ff. VersG.60 Bei ihnen ist eine möglichst frühzeitige Kooperation zwischen Veranstalter und Versammlungspolizei angezeigt61, die aber keine Kooperationspflicht62, sondern nur eine Obliegenheit für den Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer zu begründen vermag. Deshalb kann die Versammlungsbehörde von dem Veranstalter einer Großversammlung nicht die Vorlage eines besonderen Sicherheitskonzepts verlangen.63 Das Fehlen eines solchen Sicherheitskonzepts kann aber dazu führen, dass bei der Durchführung der Versammlung Gefahren zu erwarten sind, die versammlungspolizeiliche Einschränkungen rechtfertigen. Zu beachten ist im Übrigen, dass die Kooperation zwischen Veranstalter und Polizei nicht zu einer zu weitreichenden polizeilichen Einmischung in Durchführung und Ablauf der Versammlung führen darf. Geschützt werden durch Art. 8 GG vielfältige Formen des gemeinsamen Handelns zum Zwecke der Meinungsäußerung. Der Schutz bezieht sich dabei sowohl auf die Veranstaltung von wie auch auf die Teilnahme an Versammlungen. Die Versammlungsfreiheit impliziert ein Bestimmungsrecht sowohl hinsichtlich des Gegenstands wie auch des Ortes und des Zeitpunktes der Versammlung und auch ihrer sonstigen Modalitäten. Erfasst werden von der Versammlungsfreiheit nicht nur auf einen Ort beschränkte, sondern auch sich fortbewegende Versammlungen. Das Zusammentreffen kann z. B. mittels Lichter- oder Menschenketten, durch Mahnwachen, aber auch durch Autocorsi erfolgen.64 Geschützt ist auch das Mitführen von Transparenten, die insbesondere den Anlass und die Zielsetzung der Versammlung verdeutlichen, ebenso die Verteilung von Flugblättern sowie das Skandieren von Parolen mit und ohne Lautsprecher65, ferner Gesang und Musik, die zum Zweck der Meinungsäußerung eingesetzt werden, aber auch Schweigemärsche. Auch das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken als Zeichen einer gemeinsamen politischen Gesinnung unterfällt dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG.66 Die Regelung des § 3 Abs. 1 VersG, nach der es verboten ist, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemein58

BVerfGE 69, 315 (349 f.). s. dazu näher Schenke (Fn. 47), Rdnrn. 370 ff.; und Schenke, JZ 1986, 35. 60 BVerfGE 69, 315 (354 f.). 61 BVerfGE 69, 315 (354 ff.). 62 BVerfG, NJW 2001, 2078. 63 BVerfG, NJW 2001, 2078. 64 Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 17. 65 s. näher Geis (Fn. 7), Art. 8, Rdnr. 30. 66 Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 36.

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samen politischen Gesinnung zu tragen, steht hiermit nicht in Widerspruch. Wie sich aus der Systematik des § 3 VersG, aber auch aus einer verfassungskonformen Auslegung dieser Bestimmung ergibt, sind darunter nur solche Kleidungsstücke zu verstehen, die der Versammlung einen paramilitärischen Charakter verleihen und damit einhergehend Gewaltbereitschaft der Teilnehmer signalisieren. Fehlt es hieran und drücken die Kleidungsstücke nur eine gemeinsame politische Überzeugung aus, werden sie von § 3 VersG nicht erfasst.67 Dasselbe gilt bei beruflichen Uniformträgern wie Polizisten, Feuerwehrleuten u. ä. sowie bei traditionellen Uniformen im Rahmen karnevalistischer Umzüge.68 Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit beinhaltet das Recht zur Kundgabe auf öffentlichen Straßen und Plätzen, da ohne diese eine außenwirksame Kundgabe der Versammlungsteilnehmer nicht möglich wäre. Einer Sondernutzungserlaubnis bedarf es hierzu nicht.69 Das gilt jedenfalls dann, wenn die Versammlung mittels einer bestimmungsgemäßen, sich im Rahmen der Widmung des Verkehrswegs haltenden Nutzung der Sache durchgeführt wird. Sich aus der Durchführung insbesondere von Großversammlungen zwangsläufig ergebende Beeinträchtigungen des durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Gemeingebrauchs anderer Verkehrsteilnehmer, aber auch Lärmbelästigungen von Anliegern und Nachbarn sind von diesen grundsätzlich hinzunehmen. Das gilt aber nicht mehr, wenn die Versammlung mit einer Nutzung der Straße verbunden ist, die außerhalb ihres Widmungszwecks liegt.70 So ergibt sich aus Art. 8 GG kein Recht, eine Autobahn zu einer Fußgänger- oder Fahrraddemonstration zu nutzen, denn für eine Fußgänger- oder Fahrradnutzung ist die Autobahn offensichtlich nicht gewidmet.71 Für eine solche Nutzung ist erst dann Raum, wenn den Versammlungsteilnehmern eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis eingeräumt wird, auf die aber – selbst dann, wenn die Nutzung nur für einen sehr eng beschränkten Zeitraum erfolgen soll – grundsätzlich kein Rechtsanspruch besteht. Auch wenn bei der Entscheidung über die Gewährung einer Sondernutzungserlaubnis Art. 8 GG nicht außer Acht gelassen werden darf, wird sich im Hinblick auf die gravierenden Folgen, die eine Sperrung der Autobahn nach sich zieht, selbst dort, wo ein besonderer Bezug des Versammlungsthemas zu der Autobahnnutzung besteht, die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis in der Regel ver67 OVG Bautzen, NVwZ-RR 2002, 435 f.; Kniesel/Poscher, Die Entwicklung des Versammlungsrechts 2000 bis 2003, NJW 2004, 422 (426). 68 Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 147. 69 Jedenfalls bei länger andauernden Großversammlungen gilt dies auch für das von den Veranstaltern initiierte Aufstellen von infrastrukturellen Einrichtungen, wie z. B. von Toilettenwagen und Imbissständen (VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 370; s. näher Schneider [Fn. 40], Art. 8, Rdnr. 18). 70 s. dazu auch Schwerdtfeger, Die Grenzen des Demonstrationsrechts in innerstädtischen Ballungsbereichen, 1988, 55; ebenso Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 162; Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 33. 71 s. hierzu näher VGH Kassel, NJW 2009, 312, wonach hier die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis jedenfalls nicht generell ausgeschlossen ist; a.A. OVG Lüneburg, NZV 1995, 332.

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bieten. Nicht durch Art. 8 GG geschützt werden auch Versammlungen auf Bahngleisen, da diese Nutzung offensichtlich mit der Bestimmung der Gleise zum Schienenverkehr nicht im Einklang steht, insbesondere wenn deren bestimmungsgemäße Verwendung und überdies das Eigentum der Bahn beeinträchtigt werden, wie dies bei einer Blockade von Bahngleisen der Fall ist. 2. Die Durchführung von Versammlungen auf fremden Grundstücken Nicht durch die Versammlungsfreiheit geschützt ist ferner die Durchführung von Versammlungen auf fremden Grundstücken ohne die Erlaubnis der Grundstückseigentümer. Sie wird bereits tatbestandlich nicht durch Art. 8 Abs. 1 GG erfasst, der keine Befugnis zur Beeinträchtigung fremder Rechte durch die Wahl des Versammlungsorts gewährt72. In der neueren Rechtsprechung des BVerfG73 wird allerdings diese bisher allgemein vertretene Ansicht teilweise in Frage gestellt. Danach ist eine Versammlung, die im Flughafengebäude eines durch die öffentliche Hand beherrschten Flughafenbetreibers stattfindet, dann durch Art. 8 GG geschützt, wenn sie in solchen Bereichen durchgeführt wird, die dem allgemeinen Publikumsverkehr zugänglich sind, und dies selbst dann, wenn nach der Flughafenbenutzungsordnung Versammlungen nur mit der (im konkreten Fall fehlenden) Einwilligung des Flughafenbetreibers zulässig sein sollen. Zwar schaffe die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten, insbesondere gewähre sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind (so z. B. Sicherheitsbereiche) oder die schon nach den äußeren Umständen nur bestimmten Zwecken (wie z. B. der Gepäckausgabe auf Flughäfen) dienen.74 Wohl aber erlaube die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Publikumsverkehr gestattet sei. Auf die Widmung der Sache zum Gemeingebrauch, die bisher ganz überwiegend als Voraussetzung für die tatbestandliche Einschlägigkeit der Versammlungsfreiheit bei einer Versammlung auf fremden Grundstücken gefordert wurde75, kommt es nach dieser Rechtsprechung nicht mehr an. Diese neue Rechtsprechung begründet damit eine erhebliche Ausdehnung des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit, die vom BVerfG darauf gestützt wird, dass die Freiheit zur kollektiven Meinungsäußerung für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung konstituierend sei.76 Mit dieser tatbestandlichen Extension der 72

BVerwGE 91, 135 (138 f.); BGH, NJW 2006, 1054 (1055); VGH Kassel, NJW 2009, 312 (313); OVG Lüneburg, NZV 1995, 332; NVwZ-RR 2004, 575; Geis (Fn. 7), Art. 8, Rdnr. 86; Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 43; Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 33; Schneider (Fn. 40), Art. 8, Rdnr. 29. 73 BVerfG, NJW 2011, 1201 (1204); VGH München, NVwZ-RR 2012, 66; s. schon früher Höfling (Fn. 4), Art. 8 Rdnr. 39; a.A. BGH, NJW 2006, 1054 (1055) unter Stützung auf BVerwGE 91, 135 (138). 74 BVerfG, NJW 2011, 1205. 75 So z. B. von Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 45; Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 35. 76 BVerfG, NJW 2011, 1201 (1204).

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Versammlungsfreiheit ist notwendigerweise zugleich eine erhebliche Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Eigentümers verbunden. Zwar war der Eigentümer in dem vom BVerfG entschiedenen Fall ein Flughafenbetreiber, bei dem es sich um ein von der öffentlichen Hand beherrschtes gemischtwirtschaftliches Unternehmen in Privatrechtsform handelte, das sich als solches nicht auf den grundrechtlichen Schutz des Eigentums berufen kann. Dies ändert aber nichts daran, dass dem Flughafenbetreiber die aus seinem zivilrechtlichen Eigentum fließende Verfügungsbefugnis in Bezug auf die Durchführung von Versammlungen im Flughafengelände weitgehend genommen wird. Das ihm auch nach Auffassung des BVerfG verbleibende Hausrecht wird inhaltlich weitgehend entleert, da „die auf der Grundlage des Hausrechts ergehenden Maßnahmen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit im demokratischen Rechtsstaat Rechnung zu tragen“ haben und grundsätzlich die für Schranken der Versammlungsfreiheit auch sonst geltenden verfassungsrechtlichen Maßgaben gelten sollen.77 Dementsprechend werden Spontanund Eilversammlungen, die keiner oder nur einer eingeschränkten Anmeldepflicht unterliegen, durch das BVerfG78 als zulässig angesehen. Das begründet bei Versammlungen im Flughafengelände ein ganz spezifisches Gefahrenpotenzial, dem der Flughafenbetreiber, aber auch allgemein die im Flughafengelände befindlichen Passanten ausgesetzt sind. Selbst wenn die Beeinträchtigungen, die von einer Versammlung im Flughafen für dessen Benutzer ausgehen, unterhalb der Gefahrenschwelle bleiben, wirkt sich der Schutz dieser Versammlung durch die Versammlungsfreiheit auf die Benutzer des Flughafens jedenfalls insoweit negativ aus, als jene in der Konsequenz einer solchen Extension des Art. 8 GG die sich aus der Durchführung der Versammlung ergebenden Belästigungen hinzunehmen haben – und dies, obwohl ihre Benutzung des Flughafengeländes den – wenn auch nur schwachen – Grundrechtsschutz des Art. 2 Abs. 1 GG für sich in Anspruch nehmen kann. Es verwundert deshalb, dass das BVerfG bei seiner Argumentation die Interessen anderer Flughafenbenutzer weitgehend ausblendet. Geht man – wie hier in Abweichung von der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur, aber im Einklang mit der wohl h.M. im staatsrechtlichen Schrifttum angenommen – davon aus, dass durch Art. 8 GG nicht nur solche Meinungsäußerungen und Kundgaben geschützt werden, die einen Bezug zur öffentlichen Meinung aufweisen, so müssen sich die Bedenken gegenüber der unter Rückgriff auf das Demokratieprinzip begründeten tatbestandlichen Ausweitung des Art. 8 GG noch zusätzlich verstärken. Für eine Ausdehnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG dürfte in dem vom BVerfG entschiedenen Fall auch gar kein praktisches Bedürfnis bestanden haben. Eine Durchführung der Versammlung wäre nämlich auch auf der Basis einer vom Flughafenbetreiber erteilten Sondernutzungserlaubnis in Betracht gekommen. Sind mit der Durchführung einer Versammlung im Flughafengelände für den Flug77 78

BVerfG, NJW 2011, 1207; ebenso VGH München, NVwZ-RR 2012, 66. BVerfG, NJW 2011, 1207.

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hafenbetreiber wie auch für die Flughafenbenutzer keine besonderen Beeinträchtigungen verbunden und sprechen zudem spezifische Gründe für die Wahl des Flughafengeländes als Versammlungsort, so wird das Ermessen des Flughafenbetreibers bei der Entscheidung über eine Sondernutzungserlaubnis unter Berücksichtigung des fehlenden Grundrechtsschutzes des Flughafenbetreibers sowie der Ausstrahlungen des Art. 8 GG jedenfalls oftmals auf Null reduziert sein. Der Vorteil einer Lösung, die die Durchführung einer Versammlung an das Erfordernis einer Sondernutzungserlaubnis knüpft, ergibt sich dabei daraus, dass dadurch dem Flughafenbetreiber die Möglichkeit eingeräumt wird, das Für und Wider der Gestattung einer Versammlung im Flughafengelände im Vorhinein näher zu prüfen. Eine generelle Ablehnung der Durchführung solcher Versammlungen wäre jedenfalls stets ermessensfehlerhaft. Die Problematik der neueren Rechtsprechung des BVerfG wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass das Gericht offenbar dazu tendiert, Art. 8 GG auch auf solche Fälle anzuwenden, in denen Private einen öffentlichen Verkehr etwa in einem Einkaufszentrum oder einer Ladenpassage eröffnen.79 In diesen Fällen wird die Problematik einer demokratierechtlichen Aufladung der Versammlungsfreiheit evident, weil hier nicht nur die grundrechtlich geschützte Handlungsfreiheit anderer Besucher beeinträchtigt würde, sondern ebenso das Eigentumsgrundrecht des Betreibers des Einkaufszentrums oder der Ladenpassage, der mit der Durchführung der Versammlung nicht einverstanden ist. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zu Versammlungen auf einem der öffentlichen Hand gehörenden Gelände, das dem Publikumsverkehr ohne einen Widmungsakt (in begrenztem Umfang) tatsächlich geöffnet ist. Zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehört nämlich nicht nur der Schutz der Versammlungsfreiheit, sondern ebenso der Schutz des Eigentumsgrundrechts. Verschiebungen des Grundrechtsschutzes zwischen diesen Grundrechten durch Ausdehnung des Schutzbereichs eines Grundrechts zu Lasten des Schutzbereichs eines anderen Grundrechts, die der Sache nach einen Verfassungswandel implizieren, bedürfen daher einer besonderen Rechtfertigung. Diese lässt sich auch bei einer demokratisch-funktionalen Interpretation des Art. 8 GG – von den hiergegen bestehenden allgemeinen Bedenken einmal ganz abgesehen – nicht begründen. Anderes könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn ohne eine Ausdehnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG dessen demokratierechtliche Funktion ernsthaft beeinträchtigt würde. Das trifft aber gegenwärtig genauso wenig zu wie in der Vergangenheit, da jedenfalls öffentliche Straßen und Plätze den Versammlungsteilnehmern uneingeschränkt zur Artikulation ihres Versammlungsziels zur Verfügung stehen. Im Übrigen läge es in der Logik der hier abgelehnten demokratierechtlichen Freiheit, ähnliche Schritte auch bei anderen, funktional in engem Zusammenhang mit der Demokratie stehenden Grundrechten zu vollziehen. So wäre dann beispielsweise nicht einzusehen, warum es nicht auch einem „Einzelkämpfer“ erlaubt sein 79 BVerfG, NJW 2011, 1201 (1205); krit. hierzu das abweichende Votum von Schluckebier, BVerfG, NJW 2011, 1209 (1210).

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sollte, in Einkaufszentren und Ladenpassagen entgegen dem Willen der Privateigentümer Flugblätter zu verteilen, um auf diese Weise auf die öffentliche Meinung einzuwirken.80 Vom vorher Gesagten ganz abgesehen, ist eine demokratierechtlich fundierte Extension des Art. 8 GG ohnehin keineswegs so unproblematisch, wie es prima facie den Anschein haben mag81. Art. 8 GG steht nämlich in einem gewissen Spannungsverhältnis zur grundgesetzlichen repräsentativen Demokratie. Zwar kommt der Versammlungsfreiheit zweifellos insoweit eine wichtige demokratische Funktion zu, als sie „die Möglichkeit zur öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozess, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest fördert“82. Besonders positiv wirkt sich dabei sicher auch aus, dass die Möglichkeit zu einer Äußerung in einer größeren Öffentlichkeit auch denjenigen eröffnet wird, denen der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, versperrt ist.83 Doch darf bei alldem nicht übersehen werden, dass die Versammlungsfreiheit typischerweise durch Minderheiten in Anspruch genommen wird.84 Diese Minderheiten sind aber nicht das Volk. Insofern stimmt es nicht bzw. ist es zumindest missverständlich, wenn behauptet wird, „Versammlungen enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“.85 Unübersehbar ist es aber jedenfalls, dass die der Versammlungsfreiheit innewohnenden plebiszitären Elemente durchaus zu Spannungen mit der im Grundgesetz verankerten repräsentativen Demokratie führen können. Selbst wenn die Versammlungsfreiheit auf ein im Eigentum von Privaten stehendes, dem öffentlichen Verkehr eröffnetes Gelände erstreckt würde, bliebe aber noch zu beachten, dass die privaten Grundstückseigentümer durch Art. 8 GG nicht unmittelbar grundrechtlich gebunden wären. Art. 8 GG könnte ihnen gegenüber deshalb nur eine mittelbare Drittwirkung entfalten.86 Deshalb kann aus dem Umstand, dass ein im Eigentum der (unmittelbar grundrechtsgebundenen) öffentlichen Hand stehendes Gebäude nach Auffassung des BVerfG zum Zweck der Durchführung von Versammlungen genutzt werden kann, noch nicht gefolgert werden, Gleiches müsse dann auch für Private gelten.87 Private vermögen selbst vor Erreichen der Gefahrenschwelle rechtlich respektable Gründe anzuführen, die sie dazu bewegen, eine solche Nutzung zu Versammlungszwecken auszuschließen, ohne dass dies als sitten80

Vgl. auch BVerfG, NJW 2011, 1201 (1208 f.). s. hierzu auch Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 12; Kloepfer (Fn. 28), § 164, Rdnrn. 14 ff. 82 So BVerfGE 69, 315 (346 f.) unter Berufung auf Hesse. 83 BVerfGE 69, 315 (346); BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460). 84 Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 16 f. 85 BVerfG 69, 315 (347) unter Berufung auf Hesse; krit. hierzu Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 35; Götz, DVBl. 1985, 1347 (1348). 86 Dazu, dass sich nur in extremen Fällen aus § 826 BGB eine Pflicht ergeben kann, Räume für eine Versammlung zur Verfügung zu stellen, s. Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 118. 87 s. dazu auch die abweichende Meinung von Schluckebier, BVerfG, NJW 2011, 1209 (1210). 81

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widrig diskreditiert werden könnte. Solche Gründe resultieren daraus, dass die Durchführung einer Versammlung etwa in einem Einkaufszentrum oder einer Ladenpassage zu einer empfindlichen Einschränkung des privatnützigen Eigentums führen kann. So würden hier Kunden häufig beim Einkauf behindert, was oftmals zu einem Umsatzrückgang führen dürfte. Zudem kann die Durchführung einer Versammlung eine Überwachung von Verkaufsstätten zum Schutz dort angebotener Waren erheblich erschweren oder gar unmöglich machen und schließlich nicht selten auch mit erheblichen Folgelasten für Eigentümer (Wegräumen von Flugblättern, Reinigungslasten und im Extremfall Sachbeschädigungen) verbunden sein, die – anders als bei der Nutzung von öffentlichen Wegen – nicht sozialisiert werden können. Dass zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang besteht und im Verbot der Versammlung ein Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung liege88, wie dies das BVerfG in Bezug auf von der öffentlichen Hand beherrschte Verkehrsflächen behauptet, kann jedenfalls nicht allgemein für von Privaten beherrschte Verkehrsräume gelten und bleibt ohne überzeugende Begründung. Es will jedenfalls schwerlich einleuchten, weshalb es dem Eigentümer trotz der grundrechtlich geschützten Privatautonomie verwehrt sein soll, den durch ihn eröffneten Verkehr auf solche Nutzungen zu beschränken, die für ihn privatnützig sind, und zugleich Nutzungen auszuschließen, die diese Privatnützigkeit zu gefährden vermögen. Die volle Tragweite einer Erweiterung der Versammlungsfreiheit auf solche Verkehrsflächen, die nicht der öffentlichen Hand, sondern Privaten gehören, wird schließlich daran deutlich, dass es bei Privaten – anders als bei der öffentlichen Hand – von vorneherein ausgeschlossen ist, unter Rückgriff auf eine dem Art. 8 GG zu entnehmende leistungsrechtliche Komponente auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis hinzuwirken. Während dies bei Verkehrsflächen, die im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, oftmals möglich sein wird und sich damit die praktischen Auswirkungen einer Extension der Versammlungsfreiheit in Grenzen halten, scheidet ein solcher Ansatz in Bezug auf Flächen, die von Privaten für den öffentlichen Verkehr eröffnet werden, aus. Deshalb hat bei ihnen eine Ausdehnung der Versammlungsfreiheit sehr weitreichende Konsequenzen. Das sollte das BVerfG bei der von ihm in dieser Richtung bisher nur angedachten, aber noch nicht entschiedenen weiteren Ausdehnung des Art. 8 GG zur Vorsicht und Zurückhaltung veranlassen. 3. Versammlungsfreiheit und Sitzblockaden Umstritten ist die Zulässigkeit von auf Art. 8 GG gestützten Sitzblockaden, die den Verkehr für einen längeren Zeitraum blockieren. In diesem Zusammenhang hatte sich die Rechtsprechung wiederholt mit der Frage zu befassen, ob ein solches Verhalten als Nötigung zu qualifizieren ist. Die Problematik hat allerdings neuer-

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So BVerfG, NJW 2011, 1201 (1204).

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dings einiges von ihrer Brisanz verloren, nachdem das BVerfG89 nunmehr ausdrücklich die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH90 anerkannt hat. Nach ihr kommt dort, wo durch die Teilnehmer einer Sitzblockade ein Fahrzeug an der Weiterfahrt gehindert wird und dieses damit die Straße für nachfolgende Fahrzeuge blockiert, der Tatbestand einer Nötigung gem. § 240 StGB in mittelbarer Täterschaft in Betracht. Völlig unabhängig von der hier nunmehr durch das BVerfG vorgenommenen Weichenstellung bleibt aber das Problem bestehen, ob die Durchführung von Sitzblockaden überhaupt vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst wird und sich, damit zusammenhängend, die verfassungsrechtliche Problematik solcher Aktionen nicht erst auf der Rechtswidrigkeits-, sondern bereits auf der Tatbestandsebene stellt. Außer Streit steht dabei, dass andere Verkehrsteilnehmer die Beeinträchtigungen, die sich aus der Durchführung einer Versammlung auf einer Straße ergeben, grundsätzlich hinzunehmen haben, da diese Beeinträchtigungen mit der Ausübung der Versammlungsfreiheit typischerweise verbunden sind und eine sozialadäquate Folge solcher Veranstaltungen darstellen. Der grundrechtlich geschützte Gemeingebrauch anderer Verkehrsteilnehmer, der durch eine Versammlung beeinträchtigt wird, wird insoweit bereits auf der Verfassungsebene begrenzt. Zulässig dürften m. E. auch kurzfristige Sitzdemonstrationen mit symbolhaltigem Charakter sein, soweit sich daraus keine Beeinträchtigungen des Verkehrs ergeben, die über das mit der Durchführung von Versammlungen üblicherweise verbundene Maß und die daraus zwangsläufig resultierende Beeinträchtigung Dritter hinausreichen. Werden Sitzblockaden aber über einen längeren Zeitraum in einer Weise durchgeführt, die andere Verkehrsteilnehmer an der widmungsgemäßen Nutzung der Straße hindert, und wird den Versammlungsteilnehmern auch keine Sondernutzungserlaubnis erteilt, ist dies, auch wenn sich die Teilnehmer auf passive Resistenz beschränken, entgegen der h.M. nicht mehr durch Art. 8 Abs. 1 GG gedeckt.91 In Fällen dieser Art wird das durch Art. 2 Abs. 1 GG (bei Anliegern u. U. auch durch Art. 14 GG) grundrechtlich geschützte Recht anderer Personen missachtet, die Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs zu benutzen, ohne dass dies zu einer effektiven Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit als geboten erscheint. Bedenklich ist es insbesondere, wenn solche Sitzblockaden nicht nur zum Zwecke der Meinungskundgabe erfolgen, sondern bewusst und gewollt auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Nutzung von Straßen durch andere Verkehrsteilnehmer zielen, um dadurch deren Auf89

BVerfG, NJW 2011, 3020. BGHSt 41, 182; 41, 231; BGH, NJW 1995, 2862. 91 Generell (und damit noch weitergehend als hier vertreten) gegen die Einbeziehung von Sitzblockaden in den Schutzbereich des Art. 8 GG Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 66; Schmitt Glaeser, Private Gewalt im politischen Meinungskampf, 2. Aufl. 1992, 99 ff.; teilweise auch die abweichende Meinung Haas, BVerfGE 104, 115 (116 f.); a.A. aber die h.M., vgl. z. B. BVerfGE 73, 206 (248); 76, 211; 87, 399 (406); 104, 92 (104); Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 30; Jarass (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 8; Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 23; Schneider (Fn. 40), Art. 8, Rdnr. 11.1; nunmehr auch Kloepfer (Fn. 28), § 164, Rdnr. 68. 90

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merksamkeit zu erzwingen oder sie gar zur Unterstützung der mit der Sitzblockade verfolgten Ziele zu nötigen.92 Auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und eine dadurch gebotene Extension der Versammlungsfreiheit lässt sich eine solche Instrumentalisierung Dritter zur Durchsetzung von Versammlungszielen nicht stützen. In der Logik der freiheitlich-demokratischen Grundordnung liegt vielmehr – das sei hier nochmals betont – auch die Anerkennung des Grundrechtsschutzes nicht demonstrierender Verkehrsteilnehmer. Das gilt umso mehr, als sich diese ihrerseits zusätzlich auf ihre gleichfalls grundrechtlich geschützte negative Versammlungsfreiheit berufen können (s. auch unten B. VIII.). Für die Verneinung des Grundrechtsschutzes der Teilnehmer einer Sitzblockade spielt es keine Rolle, ob derartige Sitzblockaden strafrechtlich als Nötigung zu qualifizieren sind. Die Begrenzung der Versammlungsfreiheit folgt nach der hier vertretenen Ansicht vielmehr bereits daraus, dass diese grundsätzlich nicht zu Eingriffen in die Rechte anderer Personen ermächtigt. Es gilt insoweit dasselbe wie bei der Durchführung einer Versammlung auf fremden Grundstücken gegen den Willen der Grundstückseigentümer. Zur Begründung der Unzulässigkeit von Sitzblockaden bedarf es in beiden Fällen nicht des Rückgriffs auf das den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG begrenzende Merkmal der Friedlichkeit der Versammlung. Beide Male rechtfertigt das Tatbestandsmerkmal der Friedlichkeit auch nicht den Schluss, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit finde seine tatbestandliche Grenze erst dort, wo die Versammlung einen unfriedlichen Charakter aufweise.93 Dass der in Art. 8 GG statuierte tatbestandliche Ausschluss unfriedlicher Versammlungen nicht den Umkehrschluss erlaubt94, andere Formen der Drittschädigung seien nach Art. 8 GG generell zulässig, kommt denn bezeichnenderweise auch die h.M. nicht umhin anzuerkennen. Auch sie hält nämlich bei verkehrsbehindernden Sitzblockaden deren Auflösung selbst dann für zulässig, wenn sie keinen unfriedlichen Charakter aufweisen. Diese Auflösung der Versammlung schließt (von den Nachwirkungen des Grundrechtsschutzes bei der Beendigung der Versammlung einmal abgesehen; s. unten B. VI.) nach ganz h.M. die tatbestandliche Anwendbarkeit des Art. 8 GG grundsätzlich aus.95 Da bei durch Sitzblockaden verursachten erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen der Ermessensspielraum der Versammlungsbehörde vielfach erheblich reduziert sein und deshalb eine Auflösungsanordnung zu ergehen haben wird, unterscheidet sich die h.M. vom hier vertretenen Standpunkt damit aber keineswegs so weit, wie dies auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Übereinstimmung besteht zwischen beiden Auffassungen auch darin, dass dort, wo sich nur einige wenige Personen an einer Sitzblockade beteiligen, nur diesen 92 s. auch BVerfGE 104, 92 (105); und Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 28: Steht bei einer Blockadeaktion die Erzwingung des eigenen Vorhabens im Vordergrund und nicht die Teilhabe an der Meinungsbildung, so kommt Art. 8 von vornherein nicht ins Spiel. 93 So auch Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 66. 94 Für diesen aber z. B. Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 22. 95 Vgl. für viele Hoffmann-Riem, Neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Versammlungsfreiheit, NVwZ 2002, 257 (259); Jarass (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 21.

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die Berufung auf Art. 8 GG verwehrt ist, wobei die Verneinung des Grundrechtsschutzes nach der h.M. freilich auch hier wiederum an den vorherigen behördlichen Ausschluss dieser Personen von der Versammlung gebunden ist. Problematisch bleibt bei der Lösung der h.M. allerdings, dass nach ihr – insoweit abweichend von der hier vertretenen Ansicht – das Verhalten der Personen, die sich an einer Sitzblockade beteiligen, trotz einer möglicherweise massiven Beeinträchtigung von Verkehrsteilnehmern solange als rechtmäßig angesehen werden muss, bis es zu einer Anordnung der Auflösung der Versammlung oder zu einem Ausschluss der blockierenden Personen von der Versammlung kommt. Das hat die wenig befriedigende Konsequenz, dass damit deren zivilrechtliche Verantwortlichkeit für von ihnen vor der Auflösung bzw. vor dem Ausschluss verursachte Schäden generell ausgeschlossen ist. Für die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Teilnehmer einer Sitzblockade, insbesondere für die Frage der Anwendung des § 240 StGB, spielt die hier dargelegte Kontroverse – wie schon betont – hingegen keine Rolle. Als nicht mehr durch Art. 8 GG gedeckt anzusehen ist es daher, wenn Versammlungsteilnehmer den Verkehr und den Zugang zu einer Anlage blockieren, indem sie sich anketten.96 Unzulässig ist die Blockade von Straßen auf jeden Fall – auch nach Ansicht des BVerfG97 –, wenn sie der zwangsweisen oder sonstwie selbsthilfeähnlichen Durchsetzung von Forderungen dient, wie das z. B. bei der Sperrung eines Autobahnübergangs mittels auf der Fahrbahn abgestellter Fahrzeuge zutrifft, mit der die Einreise in ein anderes Land erzwungen werden soll, das die Einreise vorher verweigert hat. Gleichfalls nicht dem Schutz des Art. 8 GG unterliegt eine Blockade des Einsatzes von Baumaschinen durch Demonstranten.98 Die in der Literatur vertretene gegenteilige Ansicht, die auch selbsthilfeähnliche Aktionen unter Hinweis auf die Bedeutung der Versammlungsfreiheit als „politisches Kampfmittel“99 unter Art. 8 GG subsumieren will, demonstriert demgegenüber eindrücklich die Problematik einer exzessiven „demokratierechtlichen“ Überdehnung des Art. 8 GG. Ebenso scheidet ein Schutz durch die Versammlungsfreiheit – wie schon oben unter B. V. 2. ausgeführt – dort aus, wo sie mit der bestimmungsmäßigen Nutzung des für die Versammlung genutzten Geländes lediglich zu anderen Zwecken kollidiert und auch keine Sondernutzungserlaubnis erteilt wird.100

96 Wie hier das Minderheitsvotum BVerfGE 104, 115 (116) = NJW 2002, 1035; a.A. aber das Mehrheitsvotum BVerfGE 104, 92 (103 f.) = NJW 2002, 1031 ff. 97 BVerfGE 104, 92 (105) = NJW 2002, 1031 (1032); Kunig (Fn. 2), Art. 8, Rdnr. 28. Nach Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 17 sollen solche Aktionen nur dann nicht unter Art. 8 GG fallen, wenn sie unfriedlich sind. 98 BGH, NJW 1998, 377 (380). 99 Kniesel/Poscher, Die Entwicklung des Versammlungsrechts 2000 bis 2003, NJW 2004, 422 (423). 100 Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 162.

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VI. Vor- und Nachwirkungen der Versammlungsfreiheit Der Schutz der Versammlungsfreiheit ist nicht auf die Durchführung der Versammlung beschränkt, sondern erstreckt sich in gewissem Umfang auch auf die Zeit vor ihrer Durchführung und auf die Zeit nach ihrer Beendigung.101 Daraus folgt insbesondere, dass die Anreise zu einer Versammlung in den Schutz des Art. 8 GG einzubeziehen ist.102 Andernfalls ließe sich durch die Behinderung der Anreise der grundrechtliche Schutz der Versammlungsfreiheit aushöhlen. Das BVerwG103 trägt dem Rechnung, indem es für Standardmaßnahmen, die gegenüber anreisenden Versammlungsteilnehmern getroffen werden, zusätzlich zu den Erfordernissen, die nach allgemeinem Polizeirecht für solche Maßnahmen nötig sind, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für ein versammlungspolizeiliches Einschreiten fordert und damit von einer Vorwirkung des Art. 8 GG ausgeht. So setzt eine Durchsuchung von Personen, die mit einem Bus zur Teilnahme an einer Versammlung anreisen, nicht nur das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen einer Durchsuchung nach dem allgemeinen Polizeirecht voraus, sondern hat auch den Erfordernissen des § 15 VersG zu genügen. Unzulässig ist es auf jeden Fall, wenn die Durchsuchungen bewusst so schleppend durchgeführt werden, dass den Anreisenden die Teilnahme an der Versammlung unmöglich gemacht wird.104 Auch nach Beendigung einer Versammlung erlischt der Schutz der Versammlungsfreiheit nicht vollständig. Vielmehr sind Maßnahmen wie das Fotografieren und Registrieren von Versammlungsteilnehmern, die sich vom Versammlungsort entfernen, nur bei Vorliegen der im VersG geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen solcher versammlungspolizeilicher Maßnahmen zulässig. Sie haben zwar keinen Einfluss mehr auf die bereits beendete Versammlung, können aber in Bezug auf zukünftige Versammlungen eine abschreckende Wirkung entfalten.105 Als mit Art. 8 GG für unvereinbar angesehen wird es durch das BVerfG106, wenn die Strafgerichte die Weigerung, sich unverzüglich von einer aufgelösten Versammlung zu entfernen, ohne Rücksicht darauf, ob die Auflösung rechtmäßig war, gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG ahnden. VII. Die Schutzrichtungen der Versammlungsfreiheit 1. Die Abwehrfunktion des Art. 8 GG Art. 8 GG schützt vor allen rechtswidrigen Eingriffen in seinen Schutzbereich. Dieser schließt sowohl die Veranstaltung einer Versammlung wie auch deren Leitung 101

Dazu Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnrn. 75 ff. BVerfGE 84, 203 (209); Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 23. 103 BVerwGE 129, 142 ff.; s. auch Schenke (Fn. 47), Rdnr. 379. 104 Schenke (Fn. 47), Rdnr. 379. 105 Benda (Fn. 5), Art. 8, Rdnr. 36. 106 BVerfG, NJW 1993, 581 f.

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und die Teilnahme ein107 und beinhaltet das Recht, über Zeit, Ort, Art und Inhalt der Versammlung zu entscheiden.108 Wird in das Versammlungsrecht eingegriffen, spielt es keine Rolle, woraus sich die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ergibt. Selbst ein Eingriff, der unter Verstoß gegen nur objektives Recht erfolgt, zieht eine Verletzung der Versammlungsfreiheit nach sich. Der Schutz beschränkt sich nicht auf klassische imperative Grundrechtseingriffe wie das Verbot, die Auflösung oder sonstige Beschränkungen von Versammlungen, sondern erstreckt sich auch auf faktische Eingriffe, die gleichfalls das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu beeinträchtigen vermögen.109 Darunter fallen z. B. „exzessive Observationen und Registrierungen“110. Aus diesem Grund hat das BVerfG111 im Rahmen einer einstweiligen Anordnung, die sich gegen das BayVersG richtete, zu Recht Bedenken gegenüber der dort früher vorgesehenen polizeilichen Befugnis geäußert, wonach Bild- und Übersichtsaufzeichnungen einer Versammlung auch ohne das Vorliegen einer konkreten Gefahr gestattet waren. Auch eine von den Versammlungsteilnehmern nicht erwünschte und nicht aus Gründen der Gefahrenabwehr veranlasste Begleitung einer Demonstration durch mit Einsatzanzug, Helm und gezogenem Schlagstock ausgerüstete Polizei kann wegen ihrer einschüchternden Wirkung auf die Versammlungsteilnehmer in deren Versammlungsfreiheit eingreifen.112 Ein faktischer Grundrechtseingriff kann weiterhin in der staatlichen Veranlassung von Gegenveranstaltungen liegen, die die Besetzung eines potentiellen Versammlungsorts bezwecken, um dort die Durchführung nicht erwünschter Versammlungen faktisch zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen.113 Einen (grundsätzlich unzulässigen) faktischen Eingriff in Art. 8 GG begründet es ferner, wenn dem Veranstalter einer Versammlung vom Staat die Kosten auferlegt werden, die aus dem Einsatz von Polizeibeamten erwachsen, die vom Staat zur Sicherung der Durchführung und Ordnung bei einer Großversammlung eingesetzt werden.114 Das gilt auch für einen Kostenbescheid, der für die Festsetzung versammlungsrechtlicher Auflagen gegenüber einem Versammlungsveranstalter erhoben wird, obwohl von diesem keine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.115 Auch unter dem Gesichtspunkt der Zweckveranlassung lassen sich polizeirechtliche Kostenersatzansprüche gegen den Veranstalter einer friedlichen Versammlung selbst dort nicht begründen, wo die Versammlung den Anlass 107

Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 24. BVerfGE 69, 315 (343); BVerfG, NJW 2007, 2167 (2168 f.). 109 Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 34. 110 BVerfGE 69, 315 (349). 111 BVerfG, NVwZ 2009, 441 ff. 112 OVG Bremen, DVBl. 1990, 1048 (1052); Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 33. 113 Höfling (Fn. 4), Art. 8. Rdnr. 39; vgl. aber auch BVerfG, NVwZ 2005, 1055. 114 s. hierzu z. B. Schenke, Erstattung der Kosten von Polizeieinsätzen, NJW 1983, 1882 (1887). 115 BVerfG, NVwZ 2008, 414. 108

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für gewalttätige Gegendemonstrationen bot.116 Der Veranstalter hat hier zwar im naturwissenschaftlichen Sinn eine Störung verursacht, da die von ihm durchgeführte Versammlung für die gewalttätige Gegendemonstration kausal war. Er kann hier aber dennoch nicht als störender Zweckveranlasser qualifiziert werden, weil er die Gefahr nicht unmittelbar verursacht hat. Ob eine unmittelbare Verursachung vorliegt, ist anhand wertender Gesichtspunkte festzustellen, wobei diese Wertung – wie sich zumindest im Wege der verfassungskonformen Auslegung ergibt – wesentlich durch Art. 8 GG geprägt wird.117 Eine polizeirechtliche Verantwortlichkeit kommt allerdings dann in Betracht, wenn die Teilnehmer einer Versammlung es darauf anlegen, eine gewalttätige Gegendemonstration zu provozieren. Als zulässig anzusehen ist es, wenn den Veranstaltern einer Versammlung Kosten für die Reinigung einer Straße auferlegt werden, sofern diese die Verunreinigungen im polizeirechtlichen Sinn unmittelbar verursacht haben.118 2. Die verfahrensrechtliche Funktion des Art. 8 GG Verstärkt wird die Abwehrfunktion der Versammlungsfreiheit durch eine dem Art. 8 GG immanente verfahrensrechtliche Komponente. In deren Konsequenz ist es der Versammlungsbehörde untersagt, eine Versammlung erst im letzten Moment zu verbieten, um auf diese Weise einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu verhindern.119 Ebenso unzulässig ist es, wenn einem Veranstalter die Durchführung der Versammlung wegen Unzuverlässigkeit von vorgesehenen Ordnern untersagt wird, ohne dass die Namen der unzuverlässigen Ordner benannt werden und damit dem Veranstalter die Möglichkeit eingeräumt wird, Ersatzordner einzusetzen.120 Auf der verfahrensrechtlichen Dimension der Versammlungsfreiheit beruht auch die Pflicht der Versammlungsbehörde, sich kooperationsfreundlich zu verhalten.121 3. Art. 8 GG als Leistungsrecht Aus Art. 8 GG können sich auch Leistungsrechte ergeben. Daraus ergibt sich, dass die Teilnehmer einer Versammlung grundsätzlich einen Anspruch auf Schutz vor gewalttätigen Angriffen durch Dritte, einschließlich gewalttätiger Gegendemonstran116

Dazu auch Hoffmann-Riem, Neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Versammlungsfreiheit, NVwZ 2002, 257 (263). 117 Schenke (Fn. 47), Rdnr. 246. 118 BVerwGE 80, 158 (160 ff.); Laubinger/Repkewitz, Die Versammlung in der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, VerwArch. Bd. 92 (2001), 585, 612; Schenke (Fn. 47), Rdnr. 384; Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 88. 119 Hoffmann-Riem, Demonstrationsfreiheit auch für Rechtsextremisten? Grundsatzüberlegungen zum Gebot rechtsstaatlicher Toleranz, NJW 2004, 2777 (2781). 120 BVerfG, NJW 2001, 2078 (2079). 121 Dazu BVerfGE 69, 315 (355 ff.); BVerfG, NJW 2001, 2078 (2079). s. dazu näher Depenheuer (Fn. 9), Art. 8, Rdnrn. 117 ff.

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ten, besitzen122. Art. 8 GG kommt ferner dort Bedeutung zu, wo eine Nutzung von Straßen zu Versammlungszwecken auch unter Berücksichtigung des Art. 8 GG nicht mehr durch den Gemeingebrauch gedeckt ist, sondern es einer Sondernutzungserlaubnis bedarf123. Sprechen gewichtige Gesichtspunkte dafür, dass eine Versammlung nur mittels einer Sondernutzung durchgeführt werden kann, so kann sich der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde im Einzelfall so verengen, dass sie zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis verpflichtet ist. Soweit die Veranstalter einer Großversammlung diese nur auf einem der öffentlichen Hand gehörenden Grundstück durchführen können, ist ein Rechtsanspruch darauf denkbar, das Grundstück zur Verfügung zu stellen. VIII. Der Schutz der negativen Versammlungsfreiheit Art. 8 GG schützt nach richtiger, wenn auch umstrittener Auffassung nicht nur die positive Versammlungsfreiheit, d. h. das Recht, an einer Versammlung teilzunehmen, sondern auch die negative Versammlungsfreiheit, d. h. das Recht, sich an einer Versammlung nicht zu beteiligen.124 Es gilt insoweit Ähnliches wie in Bezug auf die eng verwandte, durch Art. 9 GG geschützte negative Vereinigungsfreiheit, der ebenfalls unter demokratierechtlichen Gesichtspunkten eine besondere Bedeutung zukommt. So kann in der bewussten Nichtteilnahme an einer politischen Demonstration genauso eine politische Meinungsäußerung liegen wie in der Teilnahme an einer solchen Versammlung. Bedeutung erlangt dies insbesondere bei staatlicherseits initiierten Aufmärschen und Kundgebungen, mit denen der Bürger instrumentalisiert und zur Verfolgung staatlicher Ziele eingesetzt werden soll.125 Ihn bei staatlichem Druck zur Teilnahme an einer solchen Versammlung nur auf den im Verhältnis zu Art. 8 GG weit schwächeren Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG zu verweisen, überzeugt nicht. Allerdings wird im staatsrechtlichen Schrifttum126 gerade in Bezug auf die Nichtteilnahme an staatlicherseits veranstalteten Versammlungen ein Schutz durch Art. 8 GG verneint und nur auf den Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG verwiesen. Die negative Vereinigungsfreiheit soll danach nur insoweit dem Art. 8 GG unterfallen, als es darum geht, die Grundrechtsträger vor der Teilnahme an einer durch Private veranstalteten Versammlung zu schützen. Damit wird die Erstreckung des Art. 8 GG auf die negative Vereinigungsfreiheit aber praktisch bedeutungslos, denn dass der Staat einen Bürger zwingt, an einer durch Private veranstalteten Versammlung teilzunehmen, ist 122 Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 41; Schneider (Fn. 40), Art. 8, Rdnr. 26; BVerfG, NVwZ 2006, 1049. 123 Hoffmann-Riem (Fn. 9), Art. 8, Rdnr. 40. 124 BVerfGE 69, 315 (343); Höfling (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 25; Jarass (Fn. 4), Art. 8, Rdnr. 5; Kloepfer (Fn. 28), § 164, Rdnr. 47; Schneider (Fn. 40), Art. 8, Rdnr. 16; einschränkend SchulzeFielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 39; a.A. Gusy (Fn. 1), Art. 8, Rdnr. 33; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Versammlungsfreiheit, 1993, 151 ff.; Hufen (Fn. 37), § 30, Rdnr. 12. 125 s. auch Schneider (Fn. 40), Art. 8, Rdnr. 16. 126 Schulze-Fielitz (Fn. 10), Art. 8, Rdnr. 39.

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kaum vorstellbar und degradiert die negative Versammlungsfreiheit zu einem Papiertiger bzw. einem Grundrecht ohne Anwendungsbereich. Die Fälle, an die man bei Anerkennung einer in Art. 8 GG verorteten negativen Vereinigungsfreiheit denkt und in denen diese in der Tat bedeutsam werden kann, sind denn auch von autoritären Staaten veranstaltete Massenaufmärsche und Propagandaveranstaltungen, bei denen der Bürger zur Teilnahme mehr oder weniger intensiv genötigt wird. Der nationalsozialistische Staat, aber auch die DDR lieferten hierfür reiches Anschauungsmaterial, und auch in der Gegenwart lassen sich viele Beispiele für solche Pervertierungen von Versammlungen in anderen autoritären Staaten finden. In der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes mögen zwar derzeit kaum Anwendungsfelder für eine vor staatlicher Vereinnahmung des Bürgers schützende negative Versammlungsfreiheit vorstellbar sein. Das schließt aber nicht aus, dass sich hieran zukünftig etwas ändern kann und dass das Grundgesetz als eine zukunftsbezogene Ordnung auch für diesen Fall Vorsorge zu treffen hat. Die dogmatische Begründung für die geschilderte Begrenzung der negativen Versammlungsfreiheit stützt sich auf eine Parallele zur negativen Vereinigungsfreiheit. Danach schützt Art. 9 GG zwar grundsätzlich nicht nur die positive, sondern auch die negative Vereinigungsfreiheit. Dies gilt aber nur für privatrechtliche Vereinigungen, nicht hingegen für staatliche Vereinigungen, insbesondere also nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Die Bildung juristischer Personen des öffentlichen Rechts beruht nicht auf einer privatautonomen Entscheidung des Bürgers, sondern ist in Konsequenz des sogenannten institutionellen Gesetzesvorbehalts nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich. Art. 9 GG schützt deshalb die positive Vereinigungsfreiheit nicht in Bezug auf die Bildung öffentlich-rechtlicher Vereinigungen. Damit ist es aber wegen der Komplementärfunktion von positiver und negativer Vereinigungsfreiheit nur konsequent, den Bürgern in Bezug auf eine Zwangsmitgliedschaft bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch keine durch Art. 9 GG gewährleistete negative Vereinigungsfreiheit zuzubilligen. Der Bürger ist denn auch schon kraft Gesetzes vielfach Zwangsmitglied juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Deshalb genügt es, ihn insoweit auf den schwächeren Schutz des Auffanggrundrechts des Art. 2 Abs. 1 GG zu verweisen. Ganz anders stellt sich aber die Situation hinsichtlich des Art. 8 GG dar. Der Grundrechtsschutz der Versammlungsfreiheit erstreckt sich hier auch auf die Teilnahme an einer durch den Staat veranstalteten Versammlung. Da sowohl die Veranstaltung einer Versammlung wie auch die Teilnahme an der Versammlung Betätigungen beinhalten, die den Schutz des Art. 8 GG genießen, besteht kein Grund, den Bürgern hinsichtlich der Teilnahme an einer staatlicherseits initiierten Versammlung die positive Versammlungsfreiheit in Gestalt der Teilnahmefreiheit vorzuenthalten.127 Andernfalls wären sie gezwungen, eine zusätzliche Versammlung zu veranstalten, welche die gleiche Zielsetzung wie die vorher staatlicherseits 127 So auch BVerfG, NVwZ 2005, 1055 (1056); Geis (Fn. 7), Art. 8, Rdnr. 26; Schneider (Fn. 40), Art. 8, Rdnr. 23.

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initiierte Versammlung verfolgte, wobei sich eine solche Aufspaltung für das mit der Versammlung verfolgte Anliegen als eher hinderlich erwiese. Die Teilnahme des Bürgers an der vom Staat oder einem sonstigen Hoheitsträger veranstalteten Versammlung signalisiert zugleich die Zustimmung zu dem mittels der Versammlung verfolgten Anliegen. Sie weist damit den Charakter einer demokratischen Akklamation zu staatlichem Handeln auf, das die Wahlrechte des Bürgers ergänzt und insoweit Elemente plebiszitärer Demokratie beinhaltet. Dann ist es aber nur folgerichtig, ja sogar geboten, dem Bürger zugleich das Recht einzuräumen, an einer solchen Versammlung nicht teilzunehmen und damit zum Ausdruck zu bringen, dass er das vom Staat mit der Versammlung verfolgte Ziel missbilligt bzw. sich mit diesem nicht zu solidarisieren vermag. Dieses Recht wird nicht nur dann verletzt, wenn die Teilnahme an einer Versammlung staatlicherseits befohlen wird, sondern ebenso, wenn eine Nichtteilnahme durch den Staat sanktioniert wird (z. B. mit beruflichen Nachteilen oder der Vorenthaltung von Leistungen).

C. Resümee Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dient sowohl einem demokratischen wie auch einem liberalen Anliegen. Insoweit kommt ihm eine überragende Bedeutung für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung zu, in deren Konsequenz es der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG unterliegt. Freilich bedarf es bei dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit einer angemessenen Austarierung zwischen seiner demokratischen und seiner liberalen Komponente. Wenn seine demokratierechtliche Bedeutung überbetont wird, droht in Konsequenz einer hierin angelegten demokratierechtlichen Dynamik, die auf eine immer weitere Ausdehnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG drängt, nicht nur eine Überwältigung von Rechten Dritter, die gleichfalls Grundrechtsschutz beanspruchen. Ein solches disproportioniertes Verständnis der Versammlungsfreiheit kann sogar zu einer Gefährdung der grundgesetzlichen repräsentativen Demokratie führen. Versammlungen dienen dann nicht nur der Vorformung der öffentlichen Meinung und sind damit einhergehend wichtige Indikatoren für an den Staat adressierte Anliegen der Bürger, die auf die staatliche Willensbildung einwirken. Sie drohen – sicher zugespitzt – in ihrer letzten Konsequenz in eine „Versammlungsdemokratie“ einzumünden, bei der eine Minderheit der Bürger überproportionalen Einfluss auf staatliche Entscheidungen zu erlangen und der schweigenden Mehrheit ihren Willen zu oktroyieren vermag. Eine demokratisch-funktionale Interpretation der Versammlungsfreiheit, die bei der Bestimmung ihres Schutzbereichs nicht Maß hält und die die Versammlungsfreiheit als ein „politisches Kampfmittel“ begreift, das sogar die gewaltsame Durchsetzung von Versammlungszielen als noch durch Art. 8 GG gedeckt ansieht, begünstigt ein solches „Plebiszit der Straße“, das in ein Spannungsverhältnis zu der durch das Grundgesetz etablierten repräsentativen Demokratie gerät. Das gilt zumal bei der Verstärkung der Wirkungen solcher „Plebiszite“ durch die mediale Aufmerksamkeit,

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die ihnen regelmäßig zuteil wird. Das Argument, der schweigenden Mehrheit stehe es offen, sich gleichfalls in Versammlungen zu organisieren und zu betätigen, vermag sich hier aufdrängende Bedenken nicht zu zerstreuen, zumal auch die negative Versammlungsfreiheit in Art. 8 GG verankert ist.

Menschenwürde von Embryonen: Das Patentrecht als Instrument der Fortentwicklung europäischen Primärrechts? Von Jochen Taupitz

A. Einleitung Als einer der wichtigsten Motoren der Europäischen Rechtsentwicklung gilt der Europäische Gerichtshof.1 Am 18. Oktober 2011 hat das Gericht im Verfahren Brüstle gegen Greenpeace ein Urteil gefällt2, das sich zwar vordergründig nur mit der Auslegung des Europäischen Patentrechts befasst. Bereits kurze Zeit nach dem Urteil wurde jedoch die Ansicht geäußert, dass dieses geeignet sei, massive Auswirkungen auch auf die Auslegung des europäischen Primärrechts zu entfalten.3 Vor dem Hintergrund der Forschungsinteressen des verehrten Jubilars für Menschenrechtsfragen4 und darunter auch Fragen des Embryonenschutzes5 soll in diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, ob mit dem Urteil Brüstle gegen Greenpeace das Patentrecht als Instrument zur Fortentwicklung des europäischen Primärrechts eingesetzt wird – oder gar dafür instrumentalisiert wird. Zudem soll die Frage aufgegriffen werden, ob zumindest die Europäische Forschungsförderungspolitik geändert werden muss6. Eine Kritik des Urteils selbst soll hier dagegen nicht im Zentrum der Erörterungen stehen.7 1 Siehe dazu statt vieler Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, S. 68. 2 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10, (Oliver Brüstle/Greenpeace e.V.), GRUR 2011, 1104 ff. 3 Gärditz, Human dignity and research programmes using embryonic stem cells: An Analysis of Brüstle/Greenpeace-judgment of the the European Court of Justice, ZfL 2012, 136 (138 f.); Starck, Anmerkung zur Entscheidung des EuGH vom 18. 10. 2011 (C-34/10), JZ 2012, 145 (146). 4 Siehe statt vieler hier nur eine der älteren Publikationen von Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9 ff. 5 Dazu etwa Riedel, Gentechnologie und Embryonenschutz als Verfassungs- und Regelungsproblem, EuGRZ 1986, 469 ff. 6 Bejahend offenbar der Europaparlamentarier Peter Liese, siehe Bolzen, Welt Online vom 22. 11. 2011. 7 Das Urteil wurde in der Literatur ganz überwiegend kritisiert, siehe etwa Feldges, Weite Auslegung des Begriffs „menschlicher Embryo“, GRUR 2011, 1107 ff.; Groh, Keine Pa-

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Der dem EuGH vorliegende Sachverhalt bezog sich auf ein Patent, das Oliver Brüstle 1997 vom Deutschen Patentamt für ein Verfahren zur Herstellung menschlicher Nervenzellen erhalten hatte. Grundlage dieses Verfahrens sind embryonale Stammzellen, die – nicht von Brüstle selbst, sondern von anderen Forschern im Ausland8 – einer befruchteten menschlichen Eizelle etwa fünf Tage nach der Befruchtung entnommen wurden und anschließend zu einer Stammzelllinie weiter kultiviert worden waren. Die Organismen, aus denen die embryonalen Stammzellen gewonnen worden waren, wurden bei der Gewinnung der Stammzellen zerstört. Aus der erzeugten Stammzelllinie hat Brüstle Vorläuferzellen des Gehirns hergestellt in der Hoffnung, eines Tages durch ihre Transplantation in das Nervensystem von Patienten Krankheiten wie Alzheimer oder Multiple Sklerose behandeln zu können. Einige Jahre später erhob Greenpeace gegen dieses Patent Nichtigkeitsklage mit der Begründung, Patente „für die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ seien nach dem deutschen Patentgesetz ausgeschlossen. Das BPatG gab der Klage statt.9 Der im Berufungsverfahren angerufene BGH10 legte die Sache Ende 2009 dem EuGH zur Klärung von drei näher unterteilten Fragen vor, die die Auslegung der dem deutschen Patentgesetz zugrundeliegenden sogenannten Biopatentrichtlinie11 betrafen. Die Biopatentrichtlinie soll Handelshemmnisse abbauen, indem sie für den Patentschutz biotechnologischer Erfindungen einen einheitlichen Rechtsrahmen in tentierbarkeit von Erfindungen unter Verwendung von embryonalen Stammzellen, EuZW 2011, 910 ff.; Straus, Zur Patentierung humaner embryonaler Stammzellen in Europa. Verwendet die Stammzellforschung menschliche Embryonen für industrielle oder kommerzielle Zwecke?, GRUR Int. 2011, 1048 ff.; Taupitz, Menschenwürde von Embryonen – europäischpatentrechtlich betrachtet. Besprechung zu EuGH, Urt. v. 18. 10. 2011 – C-34/10 – Brüstle/ Greenpeace, GRUR 2012, 1 ff.; Dederer, Human-embryonale Stammzellforschung vor dem Aus? – Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 18. 10. 2011, Rs. 34/10, EuR 2012, 337 ff.; Wilmut, Cell Stem Cell 9, December 2, 2011, 498 f.; Vrtovec/Scott, Cell Stem Cell 9, December 2, 2011, 502 (503). 8 Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der auf den ersten Blick mit dem BrüstleUrteil vergleichbaren Entscheidung des Europäischen Patentamts zu der mit Art. 6 Abs. 2 lit. c Biopatentrichtlinie wortgleichen Vorschrift des § 28 lit. c der AusführungsVO zum EPÜ, GRUR Int. 2010, 230 (235) – „Stammzellen/WARF“ (ausführlich dazu Straus (Fn. 7), 914 ff.): Während es in der EPA-Entscheidung um Kulturen embryonaler Stammzellen ging, zu deren Erzeugung direkt auf Embryonen zugegriffen werden musste, bezieht sich das Urteil des EuGH auf Zellen, die aus embryonalen Stammzellkulturen gewonnen wurden, die ihrerseits in einem früheren Schritt aus Embryonen gewonnen wurden. Die Brüstle-Erfindung greift also nicht unmittelbar auf Embryonen zurück, sondern auf eine Zwischenstufe in einem mehraktigen Herstellungsprozess, an dessen Anfang irgendwann einmal und von wem auch immer Embryonen verbraucht wurden. 9 BPatG, Urteil vom 5. 12. 2006 – 3 Ni 42/04 – Neurale Vorläuferzellen, GRUR 2007, 1049 ff. 10 BGH, Beschluss vom 17. 12. 2009 – Xa ZR 58/07 (BPatG) – Neurale Vorläuferzellen, GRUR 2010, 212 ff. 11 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 7. 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABlEG Nr. L 213, S. 13.

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allen Mitgliedstaaten sicherstellt. Der Erlass dieser Richtlinie benötigte mehrere Anläufe: 1995 ließ das Europäische Parlament den ersten Entwurf nach sechsjährigen Verhandlungen scheitern, weil er nur die Patentierung biotechnologischer Erfindungen behandelte und nicht auf dadurch berührte ethische Prinzipien einging.12 Der schließlich angenommene Entwurf stellt in seinem Artikel 5 klar: (1) Der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, können keine patentierbaren Erfindungen darstellen.

Artikel 6 lautet: (1) Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, sind von der Patentierbarkeit ausgenommen; dieser Verstoß kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass die Verwertung durch Rechtsoder Verwaltungsvorschriften verboten ist. (2) Im Sinne von Absatz 1 gelten unter anderem als nicht patentierbar: a) Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen; b) Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens; c) die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken. […]

In Nr. 38 der Erwägungsgründe heißt es: „Ferner ist es wichtig, in die Vorschriften […] eine informatorische Aufzählung der von der Patentierbarkeit ausgenommenen Erfindungen aufzunehmen, um so den nationalen Gerichten und den Patentämtern allgemeine Leitlinien für die Auslegung der Bezugnahme auf die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten zu geben. Diese Aufzählung ist selbstverständlich nicht erschöpfend. Verfahren, deren Anwendung gegen die Menschenwürde verstößt, wie etwa Verfahren zur Herstellung von hybriden Lebewesen, […] sind natürlich ebenfalls von der Patentierbarkeit auszunehmen.“

Die Biopatentrichtlinie war damit die erste Richtlinie, die explizit die Menschenwürde erwähnt und einen Verstoß gegen die Menschenwürde als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten bezeichnet; zugleich deuten die Erwägungsgründe allerdings auch an, dass die explizit in Art. 6 Abs. 2 aufgezählten Verfahren – und damit auch die im Brüstle-Verfahren streitgegenständliche Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken – keinen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen. Denn die explizit aufgezählten Beispiele sollen nach den zitierten Erwägungsgründen eine Leitlinie für die Auslegung der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten geben; darüber hinaus („ebenfalls“) sollen Verfahren, deren Anwendung gegen die Menschenwürde verstößt, „na12 Siehe dazu hier nur Frahm/Gebauer, Patent auf Leben? – Der Luxemburger Gerichtshof und die Biopatent-Richtlinie, EuR 2002, 78 (79); Rothley, Warum das Europäische Parlament nochmals über den Schutz biotechnologischer Erfindungen nachdenken sollte, GRUR Int. 1995, 481 ff.

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türlich“ von der Patentierbarkeit ausgenommen sein. Das sieht der EuGH im BrüstleUrteil offenbar anders (ohne allerdings auf diesen Widerspruch näher einzugehen13); denn die Auslegung des Art. 6 Abs. 2 lit. c) Biopatentrichtlinie wird vom EuGH in dieser Entscheidung explizit aus dem Blickwinkel der Achtung der Menschenwürde vorgenommen.14 Nr. 39 der Erwägungsgründe der Biopatentrichtlinie führt schließlich aus: „Die öffentliche Ordnung und die guten Sitten entsprechen insbesondere den in den Mitgliedstaaten anerkannten ethischen oder moralischen Grundsätzen …“. Worin sich „ethische“ und „moralische“ Grundsätze unterscheiden, bleibt dabei offen.

B. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH zur Menschenwürde Der EuGH hat sich erst seit etwa 15 Jahren ausdru¨ cklich mit der Menschenwu¨ rde befasst. In der Literatur wird zu Recht kritisiert, dass er dabei jede Auseinandersetzung mit deren Inhalt und Begru¨ ndung vermissen lässt.15 Auch das Brüstle-Urteil führt kaum zu größerer Klarheit, fasst das Verdikt der Menschenwürdeverletzung allerdings äußerst weit. Erstmals wurde die Menschenwu¨ rde in der „Transsexuellen“-Entscheidung vom 30. 4. 1996 erwähnt.16 Hier sprach der EuGH – sub signo Diskriminierung – von einem „Anspruch“ auf Achtung der Wu¨ rde17, was in die Richtung eines subjektiven Rechts deutet.18 In einer ersten Entscheidung zur Biopatentrichtlinie vom 9. Oktober 200119 wurde die Menschenwürde dann jedoch offenbar als objektives Verfassungsprinzip der Union anerkannt. Der EuGH führte dazu aus: „Es obliegt dem EuGH, im Rahmen der Kontrolle der Übereinstimmung der Handlungen der Organe mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts die Beachtung der Menschenwürde und des Grundrechts der Unversehrtheit der Person sicherzustellen.“20 13 Vielmehr wird der 38. Erwägungsgrund zutreffend zitiert (Rdnr. 33); siehe auch EuGH, Urteil vom 9. 10. 2001, Rs. C-377/98 (Königreich der Niederlande/Europäisches Parlament), Rdnr. 76. 14 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 34. 15 Ekard/Kornack, „Europäische“ und „deutsche“ Menschenwürde und die europäische Grundrechtsinterpretation – Zugleich zur Gentechnik-Forschungsförderung und zum Verhältnis der verschiedenen EU-Grundrechtsquellen, ZEuS 2010, 111 (127); Bröhmer, Anmerkung, EuZW 2004, 755, 757; Groh (Fn. 7), 910 f. 16 EuGH, Urteil v. 30. 4. 1996, Rs. C-13/94, (P ./. S & Cornwall County Council), Slg. 1996, I-2143 (zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Kündigung eines Transsexuellen). 17 Ebda., Rdnr. 22. 18 Ekard/Kornack (Fn. 15), 127 f. 19 EuGH, Urteil vom 9. 10. 2001, Rs. C-377/98 (Königreich der Niederlande./.Europäisches Parlament). 20 Ebda., Rdnr. 70.

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Aus der vorsichtigen Formulierung von der „Beachtung der Menschenwürde“ und der gleichzeitigen Wortwahl vom „Grundrecht auf Unversehrtheit der Person“ sowie aus der Tatsache, dass das Gericht darauf verzichtete, den Hinweis des Generalanwaltes Jacobs auf den Grundrechtscharakter der Menschenwürde21 in sein Urteil zu übernehmen, lässt sich schlussfolgern, dass der EuGH die Menschenwürde nicht als eigenes Grundrecht ansieht.22 Was den Inhalt der Menschenwürde angeht, ¨ ußerungen bleibt der EuGH in beiden Urteilen allerdings vage; aus den weiteren A zur Biopatentrichtlinie ergibt sich lediglich, dass eine Verletzung der Menschenwu¨ rde jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn der menschliche Ko¨ rper in tatsa¨ chlicher Hinsicht „unverfu¨ gbar und unvera¨ ußerlich bleibt“23. Auch die Omega-Entscheidung vom 14. Oktober 200424 brachte bezu¨ glich der Reichweite und Begru¨ ndung der Menschenwu¨ rde kaum weitere Klärung. Vielmehr beschra¨ nkte sich das Gericht auf die Feststellung der Existenz der Wu¨ rde als gemeinschaftsrechtlichem Rechtssatz, ohne dessen Inhalt na¨ her zu bestimmen.25 Bedeutsam an dieser Entscheidung ist allerdings, dass der EuGH den Mitgliedstaaten bezüglich der Auslegung des Begriffs der „öffentlichen Ordnung“ im Sinn von Art. 46 EG (heute Art. 36 AEUV) sehr deutlich einen eigenen Beurteilungsspielraum, letztlich also ein unterschiedliches Schutzniveau im nationalen Recht des Menschenwürdeschutzes, zubilligt26, wenn auch das Gemeinschaftsrecht „unbestreitbar auf die Gewa¨ hrleistung der Achtung der Menschenwu¨ rde als eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes“ abziele.27 Nach den Grundsätzen der Omega-Entscheidung ist der primärrechtliche Begriff der öffentlichen Ordnung, der auch die Achtung der Menschenwürde umfasst, angesichts der unterschiedlichen Auffassungen in den Mitgliedstaaten „eng zu verstehen“28. 21

Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge v. 14. 6. 2001 – Rs. C-377/98 Rdnr. 197. Die Einordnung der Menschenwürde ist auch in Deutschland umstritten gewesen; siehe zu den verschiedenen Ansichten Riedel (Fn. 5), 475 ff. 23 EuGH, Urteil vom 9. 10. 2001, Rs. C-377/98 (Fn. 19), Rdnr. 77; siehe auch Ekardt/Kornack (Fn. 18), 128. 24 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2004, Rs. C-36/02 (Omega Spielhallen- und Automatenaufstellungs GmbH/Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn). 25 Kritisch Ekard/Kornack (Fn. 15), 128. 26 Siehe Rdnrn. 30 f.: „ […] ist eine Berufung auf die öffentliche Ordnung nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Allerdings können die konkreten Umstände, die möglicherweise die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung rechtfertigen, von Land zu Land und im zeitlichen Wechsel verschieden sein. Insoweit ist den zuständigen innerstaatlichen Behörden daher ein Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den EG-Vertrag gesetzten Grenzen zuzubilligen.“ 27 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2004, Rs. C-36/02 (Fn. 24), Rdnr. 34. 28 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2004, Rs. C-36/02 (Fn. 24), Rdnr. 30; siehe dazu auch Gärditz, Menschenwürde, Biomedizin und europäischer Ordre Public, in: Dujmovits/Eberhard/Eisenberger/Ennöckl/Lachmayer/Stöger (Hrsg.), Medizin und Recht, 2006, 11 (31); Schmidt, Der Schutz der Menschenwürde als Fundament der EU-Grundrechtscharta unter besonderer Berücksichtigung der Rechte auf Leben und Unversehrtheit, ZEuS 2002, 631 (637 ff.). 22

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C. Die Brüstle-Entscheidung In der Brüstle-Entscheidung bezog sich der EuGH nicht mehr wie zumeist sonst bei der Herleitung allgemeiner Rechtsgrundsätze der EU auf die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten oder auf internationale Verträge.29 Auch wird Art. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, durch den der Menschenwürdeschutz in der EU seit Inkrafttreten des EU-Vertrages am 1. 12. 2009 deutlich an Gewicht gewonnen hat30, in dem Urteil nicht erwähnt. Vielmehr beruft sich der EuGH lediglich auf die Biopatentrichtlinie selbst, durch die der Unionsgesetzgeber erkennen lasse, jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen zu wollen, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt werden könnte.31 Des Weiteren zitiert der EuGH Nr. 38 der Erwägungsgründe zur Biopatentrichtlinie, wonach „die öffentliche Ordnung und die guten Sitten insbesondere den in den Mitgliedstaaten anerkannten ethischen oder moralischen Grundsätzen“ entsprechen. Eine nähere Darstellung dieser in den Mitgliedstaaten anerkannten ethischen oder moralischen Grundsätze findet sich in dem Urteil jedoch nicht. Ganz im Gegenteil verweist der EuGH darauf, dass er durch das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren nicht dazu aufgerufen sei, auf Fragen ethischer Natur einzugehen.32 Er habe sich vielmehr darauf zu beschränken, die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie juristisch auszulegen. Zu den (hier relevanten) Vorlagefragen äußert sich der EuGH wie folgt: Die erste Vorlagefrage des BGH ging dahin, ob die Organismen, aus denen die menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden können, und/oder die von Brüstle als Ausgangsmaterial für die von ihm patentierten Verfahren tatsächlich eingesetzten embryonalen Stammzellen ihrerseits als „Embryonen“ im Sinne des Art. 6 der Richtlinie anzusehen seien. Nach Ansicht des EuGH ist der Begriff „menschlicher Embryo“ weit auszulegen, weil sonst das mit der Richtlinie bezweckte reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt werde33 und der Unionsgesetzgeber alle Verfahren, deren Anwendung die der Menschenwürde geschuldete Achtung beeinträchtigen könnte, von der Patentierung ausschließen wolle.34 Das Patentrecht müsse „unter Wahrung der Grundprinzipien ausgeübt werden, die die Würde und die Unversehrtheit des Menschen gewährleisten“35. Deshalb sei jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, jede unbefruchtete 29

So etwa noch in EuGH, Urteil vom 14. 10. 2004, Rs. C-36/02 (Fn. 24), Rdnr. 33. Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV; zur Entstehungsgeschichte der Grundrechte-Charta Riedel, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2010, Titel IV Rdnrn. 17 – 25. 31 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 34. 32 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 30. 33 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 28. 34 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 34. 35 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 32 unter Hinweis auf Erwägungsgrund 16 der Richtlinie. 30

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menschliche Eizelle, in die [nach der Dolly-Methode] ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist, und jede unbefruchtete menschliche Eizelle, die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist, ein „menschlicher Embryo“36. Was Stammzellen angeht, die von einem menschlichen Embryo im Stadium der Blastozyste gewonnen werden, sei es dagegen Sache des nationalen Gerichts, im Licht der technischen Entwicklung festzustellen, ob sie unter den Begriff des menschlichen Embryos im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. c) der Richtlinie fallen.37 Mit einer weiteren Frage wollte der BGH wissen, ob eine Erfindung, obwohl sie selbst nicht die Verwendung menschlicher Embryonen zum Gegenstand hat, von der Patentierung ausgeschlossen ist, weil sie ein Erzeugnis betrifft, dessen Herstellung die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen erfordert. Auch hier folgt der EuGH der weitest möglichen Auslegung: „Verwendung von Embryonen“ sei auch die Verwendung von embryonalen Stammzellen, die ursprünglich einmal durch Verbrauch von Embryonen (diese auch noch gemäß der „weiten Auslegung“ des EuGH!) gewonnen wurden. Dabei ist es nach Auffassung des Gerichts ohne Bedeutung, dass die Embryonenverwendung „gegebenenfalls in einem Stadium erfolgt, das weit vor der Verwertung der Erfindung liegt“38. Zur Begründung führt das Gericht wiederum nur an, dass die Patentrichtlinie jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen wolle, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt werden könne39 ; zudem würde der Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 Biopatentrichtlinie bei Nicht-Einbeziehung der vorangehenden Embryonenverwendung die „praktische Wirksamkeit genommen […], indem es dem Patentanmelder ermöglicht würde, ihre Anwendung durch eine geschickte Abfassung des Anspruchs zu umgehen“40. Faktisch werden Herrn Brüstle also alle Handlungen, die andere Personen im Ausland ohne jede Beteiligung von ihm (und ohne Bezug zu seiner Forschung bzw. seinem Patentantrag41) begangen haben, offenbar im Sinne einer diffusen Lehre von 36 Kritisch dazu Dederer (Fn. 7), 338; Taupitz (Fn. 7), 2; siehe auch Laimböck/Dederer, Der Begriff des „Embryos“ im Biopatentrecht. Anmerkungen zu den Schlussanträgen von GA Yves Bot v. 10. März 2011, Rs. C-34/10 – Brüstle. Zugleich eine Kritik des Kriteriums der „Totipotenz“, GRUR Int. 2011, 661 (664 f.). 37 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 37; kritisch dazu Taupitz (Fn. 7), 2. 38 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 49. 39 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 49. 40 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 50. 41 Insoweit unterscheiden sich die Ausgangslagen der WARF-Entscheidung des Europäischen Patentamts (siehe unter Fn. 8) und des Brüstle-Urteils des EuGH. – Embryonale Stammzellen können als Stammzelllinien sehr lange in Kultur gehalten und beliebig vermehrt werden. Die deutsche Stichtagsregelung in § 4 Abs. 2 StZG stellt sicher, dass nach Deutschland nur embryonale Stammzellen importiert werden, bei denen der Embryonenverbrauch in der Vergangenheit liegt und die verbrauchten Embryonen auch nicht wieder „lebendig gemacht“ werden können. Insgesamt ist es damit praktisch ausgeschlossen, dass Stammzellen im Ausland „für die deutsche Forschung“ hergestellt werden, ganz abgesehen davon, dass von

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den „Früchten des verbotenen Baumes“ als eigenes Unrecht zugerechnet.42 Das ist weder mit dem Wortlaut der Richtlinie noch mit ihrem Telos hinreichend vereinbar43 und verkennt die Unterscheidung von Ursprungshandlung und Verwertungshandlung44 – in anderer Terminologie diejenige zwischen Vorbereitungshandlung und rechtswidriger Tat.45 Diese Unterscheidung ist die ethische und rechtspolitische Legitimation der Rechtslage in Deutschland, wonach (gemäß Embryonenschutzgesetz) zwar der inländische Verbrauch von Embryonen für Forschungszwecke (und – verkürzt gesagt – der Verbrauch von Embryonen im Ausland „unter deutscher Beteiligung“) verboten ist46, die aus einem Embryonenverbrauch im Ausland gemäß dortiger Rechtslage früher einmal gewonnenen embryonalen Stammzellen aber gemäß Stammzellgesetz (nach behördlicher Genehmigung) sehr wohl in das Inland importiert und hier für Forschungszwecke verwendet werden dürfen. Auf dieser Linie liegt auch die europäische Forschungsförderung, die zwar nicht die Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen umfasst47 und die Gewinnung selbst den „strengen Genehmigungs- und Kontrollvorschriften gemäß den rechtlichen Rahmenbedingungen des/der betreffenden Mitgliedstaats/Mitgliedstaaten“ überlässt48, aber sehr wohl ausdrücklich die Förderung der Forschung mit embryonalen Stammzellen beinhaltet49 und dies nicht als Verstoß gegen „die ethischen Grundprinzipien“ erachtet, die dem Siebten Rahmenprogramm zugrunde liegen50. Bemerkungen hierzu finden sich in der Brüstle-Entscheidung erstaunlicherweise nicht. Eine Begründung, warum in der Verwendung von embryonalen Stammzellen, die als solche unstreitig keinen Menschenwürde- und Lebensschutz genießen, dennoch eine Verletzung der Menschenwürde der verbrauchten Embryonen zu sehen sei, Deutschland aus erfolgende Anstiftung und Beihilfe zum ausländischen Embryonenverbrauch nach deutschem Recht strafbar sind, siehe Taupitz, Erfahrungen mit dem Stammzellgesetz, JZ 2007, 113 (119 f.). 42 Dazu schon bezogen auf die Entscheidung des BPatG (oben Fn. 9) kritisch Trips-Hebert/ Grund, Die Früchte des verbotenen Baumes? Die Patentierung von Stammzellen nach dem Brüstle-Urteil des Bundespatentgerichts und mögliche Fernwirkungen für die pharmazeutische Industrie, PharmR 2007, 397 (406); siehe ferner bezogen auf das Brüstle-Urteil Dederer (Fn. 7), 340; Taupitz (Fn. 7), 3; zustimmend Gärditz (Fn. 3), 139. 43 Auf die Problematik embryonaler Stammzellen konnte der Richtliniengeber seinerzeit noch gar nicht eingehen, weil die Herstellung der ersten menschlichen embryonalen Stammzelllinie erst im November 1998 durch James Thomson publiziert wurde: Thomson, Embryonic stem cell lines derived from human blastocysts, Science, vol. 282, 6. 11. 1998, 1145 ff. 44 Dazu Taupitz (Fn. 41), 118. 45 Dazu aus dem Blickwinkel des Patentrechts Trips-Hebert/Grund (Fn. 42), 402. 46 Näher Taupitz (Fn. 41), 119 ff. 47 Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 über das Siebte Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 bis 2013); siehe auch die Pressemitteilung des Rats Nr. 11554/06 (Presse 215) vom 24. Juli 2006. 48 Art. 6 Abs. 3 des in Fn. 47 genannten Beschlusses. 49 Art. 6 Abs. 3 des in Fn. 47 genannten Beschlusses. 50 Siehe Art. 6 Abs. 1 des in Fn. 47 genannten Beschlusses.

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wurde zwar in Deutschland vereinzelt über den Gedanken einer „postmortalen Menschenwürde pränatalen Lebens“51 versucht.52 Dies wird jedoch von der ganz überwiegenden Auffassung zu Recht abgelehnt.53 Denn der vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Schutz der postmortalen Menschenwürde54 knüpft daran an, dass der Betreffende in der menschlichen Gemeinschaft („unter uns“) gelebt und gewirkt hatte. Es geht also im Kern um das Andenken an jemanden, der Teil einer sozialen Gemeinschaft war. Dieser Gedanke kann auf Embryonen in vitro sicher nicht übertragen werden. Und eine menschenwürdewidrige Verwendung von Embryonen für industrielle oder kommerzielle Zwecke im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Biopatentrichtlinie könnte nur dann angenommen werden, wenn Embryonen wiederholt als Ausgangsmaterial in technischen Verfahren („industriell“) eingesetzt würden oder Gegenstand von Handelsgeschäften („kommerziell“) wären55, wenn also die Verwendung menschlicher Embryonen bei der gewerblichen Verwertung der Erfindung unmittelbar und notwendig stets de novo notwendig wäre.56 Das ist bei der Gewinnung von embryonalen Stammzellen, die aus ganz unterschiedlichen Motiven heraus geschieht, jedenfalls nicht durchgängig der Fall.57 Alle derartigen oder andere Begründungsversuche werden vom EuGH in der Brüstle-Entscheidung nicht einmal genannt58; das Gericht verschanzt sich vielmehr hinter der pauschalen Aussage, dass der Unionsgesetzgeber jede Möglichkeit der Patentierbarkeit ausschließen wollte, sobald die der Menschenwürde geschuldete Ach51 Ausdruck von Löwer, Schriftliche Stellungnahme vom 8. 3. 2002, Drucks. 14-574 l des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages, der selbst von „verfassungsrechtlich gänzlich ungesichertem Terrain“ spricht. 52 Brewe, Embryonenschutz nach Stammzellgesetz, 2006, 109 ff. 53 Dederer, Hochrangigkeit von Zielen der Stammzellforschung im Lichte des Grundgesetzes, in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd. 8 (2003), 305 (308 f.); Taupitz, Der Schutz embryonaler Stammzellen durch das Stammzellgesetz, GenTechnik & Recht 2003, 11 (13 ff.). 54 BVerfGE 30, 173 (194); BVerfG NJW 1994, 783 (784); NJW 2001, 594; NJW 2001, 2957 (2958 f.). 55 Dederer, Patentierungsverbot für aus embryonalen Stammzellen gewonnene Zellen, GRUR 2007, 1054 (1055); Straus (Fn. 7), 919 f.; so auch das bei Trips-Hebert/Grund (Fn. 42), 403, zitierte Gutachten, das von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben worden war. 56 Dederer, Patentierbarkeit der Forschungsergebnisse im Zusammenhang mit humanembryonalen Stammzellen, insbesondere mit dem sog. therapeutischen Klonen. Aspekte des deutschen und europäischen Rechts, in: Straus/Ganea/Shin (Hrsg.), Patentschutz und Stammzellforschung. Internationale und rechtsvergleichende Aspekte, 2009 (MPI Studies on Intellectual Property, Competition and Tax Law; Bd. 13), 11 (37). 57 Offenbar geht der EuGH davon aus, dass jede patentgemäße Embryonenverwendung – wegen der mit dem Patent verbundenen, regelmäßig auf gewerbliche Nutzungen bezogenen Rechte – eine Embryonenverwendung zu „industriellen“ oder „kommerziellen“ Zwecken sei; in dieser Auslegung sind die Tatbestandsmerkmale „zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ jedoch entbehrlich, so zutreffend Dederer (Fn. 7), 339. 58 Groh (Fn. 7), 911 spricht davon, dass das Urteil in den wesentlichen Punkten „blinde Flecke“ enthalte.

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tung dadurch beeinträchtigt werden „könnte“ – und ohne die vom Gericht angenommene Fernwirkung des Verbots der Instrumentalisierung von Embryonen wäre die Richtlinie offenbar zu ineffektiv.59

D. Ausstrahlung der Brüstle-Entscheidung auf das europäische Primärrecht? Auch wenn das Urteil somit in seiner Begründung nicht zu überzeugen vermag, stellt sich doch die Frage nach seinen Auswirkungen über das europäische Patentrecht hinaus. In der Literatur wird insoweit darauf verwiesen, dass der EuGH von einem „autonomen“ Konzept der Auslegung des „ordre public“ im europäischen Recht ausgegangen sei60; dies folge aus den Aussagen des Gerichts, wonach der Begriff des „menschlichen Embryo“ im Sinne des Art. 6 der Richtlinie als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen sei, der im gesamten Gebiet der Union einheitlich auszulegen sei.61 Deshalb müssten die Schlussfolgerungen des Gerichts auch für die Auslegung der Menschenwürdegarantie im Sinne des europäischen Primärrechts herangezogen werden. Das Gericht habe eigenständige Menschenwürdestandards des europäischen Rechts entwickeln wollen und die Menschenwürde zu einem generellen Prinzip erhoben.62 Und wenn die Menschenwürde bestimmte Patentierungen verbiete, so verbiete sie auch die Verfahren, die patentiert werden sollen.63 Gegen eine Ausstrahlungswirkung des Urteils über das Patentrecht hinaus spricht jedoch vor allem, dass der EuGH in seiner Entscheidung selbst ausdrücklich betont, dass seine Aufgabe im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren lediglich in der juristischen Auslegung der Vorschriften der Biopatentrichtlinie bestehe; auf Fragen ethischer Natur, die in vielen Mitgliedstaaten gesellschaftspolitisch sehr sensibel und von deren unterschiedlichen Traditionen und Werthaltungen geprägt sind, habe das Gericht dagegen nicht einzugehen.64 Hervorgehoben wird weiter, dass die Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Recht der Union nicht definiert, unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der Ziele der Regelung, zu der sie gehören, zu bestimmen sind.65 Betont wird zudem, dass die Richtlinie nicht die Verwendung menschlicher Embryonen im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen regele, sich vielmehr auf die Patentierbarkeit biotechnologischer 59 Vgl. auch Frommel/Beier, Europäischer Gerichtshof entscheidet: Forschen? Ja! – Patentieren? Nein!, Gyne Dezember 2011, 9 (10). 60 Gärditz (Fn. 3), 137. 61 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 26. 62 Gärditz (Fn. 3), 138 ff. 63 Starck (Fn. 3), 146. 64 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 30. 65 Ebda., Rdnr. 31.

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Erfindungen beschränke.66 All dies und die apodiktische Kürze des Urteils67 sprechen eindeutig dafür, dass jedenfalls der EuGH selbst seine Entscheidung nicht als „Leitlinie“ für den – gar primärrechtlichen – Menschenwürdeschutz von Embryonen in der EU betrachten will. Zudem spricht der EuGH nur davon, dass „die der Menschenwürde geschuldete Achtung [durch das Patent] beeinträchtigt werden könnte“68. Der Ausdruck „könnte“ beschreibt nur die Möglichkeit einer Menschenwürdebeeinträchtigung, die der EuGH zudem nur aus dem Blickwinkel der Biopatentrichtlinie für ausreichend hält. Ob diese Möglichkeit auch aus anderem Blickwinkel – etwa im Hinblick auf das europäische Primärrecht – genügt, ist damit nicht entschieden. Vor diesem Hintergrund stellt es ein beredtes Schweigen dar, dass der EuGH Art. 1 Grundrechtecharta oder andere Normen des europäischen Primärrechts mit keinem Wort erwähnt69; dies ist auch deshalb so bemerkenswert, weil der EuGH gerade in diesem Punkt Generalanwalt Yves Bot nicht gefolgt ist, der sich in seinem Schlussantrag noch ausdrücklich auf die Grundrechtecharta bezogen hatte70; die übrigen Ausführungen von Yves Bot hat der EuGH dagegen weitestgehend übernommen. Nicht gefolgt ist der EuGH des Weiteren der Aussage von Yves Bot, dass es bei dem Vorlageverfahren „in Wirklichkeit [um] eine grundlegende Frage [gehe], nämlich die nach der Definition des menschlichen Embryos“71. Damit liefert das Urteil auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der EuGH – im Gegensatz zur verbreiteten Auffassung in der Literatur72 – den Embryo überhaupt als von Art. 1 Grundrechtecharta erfasst ansieht.73 Im Gegensatz zum ersten Urteil zur Biopatentrichtlinie74 hat der EuGH die Menschenwürde auch nicht als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts eingeordnet, sondern den Menschenwürdeschutz strikt richtlinienimmanent interpretiert.75 Während die Ausführungen im ersten Urteil zur Biopatentrichtlinie erkennbar auf eine grundsätzliche Bedeutung des Menschenwürdeschutzes über das Patentrecht hinaus abzielten, hat das Brüstle-Urteil diese weitgehende Aussage vermieden, sich vielmehr ganz auf das Patentrecht beschränkt. Das Gericht hat auch mit keinem Wort angedeutet, dass es von den in der Omega-Entscheidung entwickelten Grund-

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Ebda., Rdnr. 40. Dazu kritisch Straus (Fn. 7), 1049; Feldges (Fn. 7), 1108. 68 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 49, wo u. a. auf Rdnr. 34 verwiesen wird. 69 Auf die Nicht-Erwähnung der Grundrechtecharta weist zu Recht Dederer (Fn. 7), 343 hin. 70 Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 10. 03. 2011 – C-34/10, Rdnrn. 13 f. 71 Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 10. 03. 2011 – C-34/10, Rdnr. 4 (mit der einschränkenden Bemerkung: „auch wenn sie nur im Sinne der Richtlinie 98/44 zur Beantwortung ansteht, d. h. für Zwecke des Schutzes biotechnologischer Erfindungen“). 72 Ekard/Kornack (Fn. 15), 129 f. 73 Anders Gärditz (Fn. 3), 139. 74 Siehe Fn. 19, Rdnr. 70. 75 Dederer (Fn. 7), 343. 67

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sätzen abweichen wolle.76 Darin wurde – wie bereits oben dargestellt77 – ausdrücklich betont, dass der primärrechtliche Begriff der öffentlichen Ordnung eng zu verstehen sei und den Mitgliedstaaten angesichts der von Land zu Land und im zeitlichen Wechsel unterschiedlichen Umstände ein Beurteilungsspielraum zukomme. Hinter dieser zutreffenden Zurückhaltung steht die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten (deklaratorisch dazu ex Art. 6 Abs. 3 EUV), zu der auch der von kulturabhängigen bioethischen Wertentscheidungen bestimmte Umgang mit der Würde des menschlichen Lebens und die Festlegung des Kreises ihrer Rechtssubjekte gehört.78 Das stellt der EuGH im Brüstle-Urteil nicht in Frage. Schließlich ist das Patentrecht mit seinen auf die Menschenwürde, öffentliche Ordnung und gute Sitten gestützten Patenthindernissen grundsätzlich kein geeigneter Rechtsbereich zur Fortentwicklung von allgemein gültigen Grundrechtsstandards. Ein Patenthindernis hat zunächst zur Folge, dass jedermann und nicht nur der Patentinhaber die Erfindung gewerblich nutzen kann.79 Denn ein Patent verleiht seinem Inhaber nur das Recht, Dritten die Verwertung zu industriellen oder gewerblichen Zwecken zu untersagen; ebenso wenig wie ein Patent dem Patentinhaber erlaubt, die patentierte Erfindung anzuwenden, verbietet ein Patenthindernis deren Anwendung oder Benutzung.80 Das bedeutet auch, dass das Brüstle-Urteil die kommerzielle Nutzung von embryonalen Stammzellen zunächst erleichtert und gerade nicht beschränkt hat – eine paradoxe Konsequenz aus dem Blickwinkel derjenigen, die die Verwendung von embryonalen Stammzellen als Verstoß gegen die Menschenwürde ansehen. Zwar kann das Patenthindernis auf längere Sicht ein Hemmnis für Investitionen darstellen und so einen bestimmten Forschungsbereich austrocknen81 – zum Schaden für jene Kranke, die dringend auf Therapien, entwickelt aus der Forschung mit embryonalen Stammzellen, warten.82 Andererseits können von dem Patenthindernis Forschungsanreize ausgehen etwa für Unternehmen aus 76

Anders Gärditz (Fn. 3), 138. Siehe Fn. 26. 78 Dazu Gärditz (Fn. 28), 31; Schmidt (Fn. 28), 637 ff. 79 Taupitz (Fn. 7), 4. 80 Siehe dazu ausdrücklich Erwägungsgrund 14 der Biopatentrichtlinie: „Ein Patent berechtigt seinen Inhaber nicht, die Erfindung anzuwenden, sondern verleiht ihm lediglich das Recht, Dritten deren Verwertung zu industriellen und gewerblichen Zwecken zu untersagen. Infolgedessen kann das Patentrecht die nationalen, europäischen oder internationalen Rechtsvorschriften zur Festlegung von Beschränkungen oder Verboten oder zur Kontrolle der Forschung und der Anwendung oder Vermarktung ihrer Ergebnisse weder ersetzen noch überflüssig machen […]“. 81 Dies ist es offenbar, was die Gegner der Forschung mit embryonalen Stammzellen über den Ausschluss der Patentierbarkeit zu erreichen hoffen und Forscher befürchten, siehe zu den Befürchtungen der Forscher etwa Wilmut (Fn. 7), 498 f.; eher abwiegelnd Davies/Denoon, Cell Stem Cell 9, 2 December 2011, 500 f. 82 Siehe Vrtovec/Scott (Fn. 7), 503: „Europe should focus more on protecting the human dignity of terminally ill patients eagerly awaiting novel stem cell treatments than on safeguarding the human dignity of each and every somatic cell in our body“. 77

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dem Ausland, die dort durchsetzbare Patente der Konkurrenz hier in Europa nicht mehr beachten müssen.83 Von manchen wird das Brüstle-Urteil denn auch gar als „Befreiungsschlag für die Grundlagenforschung an menschlichen embryonalen Stammzellen“ bewertet; „[d]enn es erlaubt Forschern eine angemessene, breite Operationsfreiheit, ohne dass sie durch Patentdickichte navigieren und die Grenzen des Forschungsprivilegs ausloten müssen“84. Insgesamt kann somit gerade das Patentrecht (genauer: können die Patenthindernisse) nicht dazu herhalten, nach Art einer „Schleusennorm“ die Auslegung der primärrechtlich vermittelten Werteordnung zu beeinflussen.85 Fazit: Wer aus der Brüstle-Entscheidung eine Bedeutung für das Primärrecht herausliest, tut dies nicht im Einklang mit dem Rechtsverständnis des EuGH, sondern gegen dessen ausdrücklich anderslautende Erklärung und im Widerspruch zum Telos von Patenthindernissen.

E. Auswirkungen auf die europäische Forschungsförderungspolitik?86 Die EU hat die Forschung mit embryonalen Stammzellen in ihrem siebten Forschungsrahmenprogramm in Art. 6 Abs. 3 eingeschlossen87: „Forschung an – sowohl adulten als auch embryonalen – menschlichen Stammzellen darf nach Maßgabe sowohl des Inhalts des wissenschaftlichen Vorschlags, als auch der rechtlichen Rahmenbedingungen des/der betreffenden Mitgliedstaats/Mitgliedstaaten gefördert werden.“

Ausgeschlossen sind nach Art. 6 Abs. 2 dritter Spiegelstrich lediglich „Forschungstätigkeiten zur Züchtung menschlicher Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken oder zur Gewinnung von Stammzellen, auch durch Kerntransfer somatischer Zellen“, also ein Teilbereich der verbrauchenden Embryonenforschung. Damit liegt die europäische Forschungsförderung auf der Linie des deutschen Rechts (siehe oben unter C.). Die ersten Entwürfe für das 8. Forschungsrahmenprogramm namens „HORIZON 2020“, das gerade ausgearbeitet wird, beinhalten ebenfalls die Möglichkeit,

83 Koch/Baum/Trounson, European court ruling on embryonic stem cells: ripple effects, Cell Stem Cell 9, December 2, 2011, 499 (500). 84 Schneider, Das EuGH-Urteil ,,Brüstle versus Greenpeace“ (Rs. C-34/10): Bedeutung und Implikationen für Europa, ZGE 2011, 475 (492); siehe auch Koch/Baum/Trounson (Fn. 83), 499 f. 85 Anders aber Schneider (Fn. 84), 487 f. m.w.N. 86 Zu den europarechtlichen Grundlagen der Forschungsförderung Ekard/Kornack (Fn. 15), 114 ff. 87 Siehe Fn. 48.

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die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen zu fördern.88 Damit stellt sich die Frage, inwieweit das Brüstle-Urteil Auswirkungen auf die Forschungsförderung der EU hat, selbst wenn man eine Fernwirkung auf das europäische Primärrecht (wie vorstehend unter D.) verneint. Für eine Ausstrahlungswirkung der Brüstle-Entscheidung auf die europäische Forschungsförderungspolitik könnte zunächst sprechen, dass der EuGH festgestellt hat, der Begriff des „Embryos“ müsse unionsweit einheitlich und weit ausgelegt werden. Die weite Auslegung des Begriffes Embryo im Sinn des Art. 6 Abs. 2 lit. c der Richtlinie stützt der EuGH jedoch darauf, dass eine Beeinträchtigung des Binnenmarktes verhindert werden soll, wie sie durch unterschiedlich weite Interpretationen von Patenthindernissen entstehen würde.89 Auch Erwägungsgrund 7 der Biopatentrichtlinie führt aus, dass eine uneinheitliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten ungünstige Auswirkungen auf den Handel haben und zu Nachteilen bei der industriellen Entwicklung betreffender Erfindungen sowie zu einer Beeinträchtigung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes führen könnte.90 Für den Bereich von Wissenschaft und Forschung können diese Annahmen jedoch nicht ohne weiteres übernommen werden. So zielen wissenschaftliche Untersuchungen nicht ausschließlich auf den Handel mit daraus resultierenden Ergebnissen oder auf eine industrielle Verwertung ab, sondern erfüllen eine darüber hinausgehende Funktion für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und für solche Patienten, denen mit einer eventuell daraus entwickelten Therapie geholfen werden könnte. Es fließen also zusätzliche Gesichtspunkte in die Abwägung mit ein. Hinzu kommt, dass der EuGH ausdrücklich klargestellt hat, dass „die Richtlinie nicht zum Gegenstand hat, die Verwendung menschlicher Embryonen im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen zu regeln“91. Dazu Dederer92: „Was nicht Gegenstand der Biopatentrichtlinie ist, kann auch nicht Gegenstand des vorliegenden Urteils sein“. Diese Schlussfolgerung ergibt sich auch aus einer weiteren Überlegung: Das Urteil erfasst allenfalls Verfahren, die embryonale Stammzellen als „Forschungswerkzeuge“ benutzen, nicht aber solche Verwendungen, bei denen die Stammzellen selbst den Gegenstand der Forschung bilden. Denn die letztgenannten sind von den Patentwirkungen von vornherein ausgenommen (vgl. § 11 Nr. 2 und 2b PatG). Sie können also im Sinne der Brüstle-Entscheidung a priori „vom Patent selbst und den daran geknüpften Rechten getrennt werden“93. Da diese Verfahren vom Patent und seinen 88 Mitteilung der Europäischen Kommission bzgl. „Horizon 2020 – Das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation (2014 – 2020)“ vom 30. 11. 2011, S. 7. 89 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 34. 90 Siehe Fn. 11. 91 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 40. 92 Dederer (Fn. 7), 343. 93 EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011, Rs. C-34/10 (Fn. 2), Rdnr. 43.

Menschenwürde von Embryonen

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Wirkungen getrennt werden können, unterliegen sie auch keinem Patenthindernis und werden damit vom Brüstle-Urteil nicht erfasst. Deshalb gilt auch aus diesem Blickwinkel, dass Forschung an embryonalen Stammzellen selbst nach Auffassung des EuGH nicht per se gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt94. Nach Gärditz95 ist es allerdings jedenfalls politisch unangebracht, mit europäischen Fördergeldern Erfindungen zu fördern, die innerhalb der EU nicht patentierbar sind und anschließend vom Ausland genutzt werden können. Dem ist jedoch zu widersprechen. Denn der Anschein, europäische Fördergelder kämen so indirekt dem Ausland zugute, trifft nicht zu. Schließlich steht es auch europäischen Forschern weiterhin frei, ihre Erfindungen im Ausland patentieren zu lassen. So behält zum Beispiel auch Oliver Brüstle seine in den USA, China und Japan erteilten Patente.96 Umgekehrt können ausländische Forscher ihre Erfindungen, die gegen die Biopatentrichtlinie verstoßen, auf dem Gebiet der EU-Mitgliedstaaten nicht patentieren lassen, so dass in beiden Fällen eine Gleichstellung existiert. Europäische Fördergelder nutzen also nicht ausschließlich ausländischen Monopolen, sondern dienen auch den europäischen Forschern. Zudem muss betont werden, dass eine öffentliche Forschungsförderung gerade jetzt, da private Investoren durch das Patenthindernis abgeschreckt werden, vonnöten ist.97 Aus wissenschaftlichen und forschungspolitischen Gesichtspunkten erscheint die Einstellung der Finanzierung nicht zweckmäßig, da im Bereich der Stammzellforschung auch künftig Grundlagenforschung nötig ist. Damit ist keine Änderung der europäischen Forschungsförderpolitik erforderlich oder auch nur angezeigt.

F. Zusammenfassung Insgesamt zeigt sich, dass das europäische Patentrecht nur deshalb Anlass für den EuGH im Brüstle-Verfahren war, sich zur Menschenwürde zu äußern, weil die Menschenwürde ausdrücklich in den Erwägungsgründen der Biopatentrichtlinie erwähnt wird. Eine Ausstrahlungswirkung dieser Entscheidung auf andere Rechtsbereiche und insbesondere das europäische Primärrecht hat das Gericht eindeutig nicht beabsichtigt. Das Patentrecht, das dem Inhaber keine über sonstige Vorschriften hinausgehende Erlaubnis zur Verwertung oder Anwendung einer Erfindung gewährt, sondern lediglich das Recht enthält, anderen die gewerbliche Verwertung zu untersagen, ist zudem ein sehr spezieller Teil des mit dem gemeinsamen Binnenmarkt verknüpften Wirtschaftsrechts; darin enthaltene Patentausschlüsse taugen nicht zur Fortentwicklung des Menschenwürdeschutzes im Primärrecht der Union.

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Zutreffend Dederer (Fn. 7), 343. Gärditz (Fn. 3), 139. 96 Dazu Schneider (Fn. 84), 506 f. 97 Koch/Baum/Trounson (Fn. 83), 499.

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Autonomie im Experiment Einwilligung, Widerrufsrecht und Datenschutz bei klinischen Prüfungen Von Sebastian Graf von Kielmansegg Wer sich, wie der Jubilar es über viele Jahre hinweg getan hat, mit Rechtsfragen der klinischen Forschung beschäftigt, stößt unweigerlich auf den Aspekt der Einwilligung. Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben von Ethik-Kommissionen, darüber zu wachen, dass Studienteilnehmer nicht ohne ordnungsgemäße Aufklärung und Einwilligung in eine klinische Prüfung einbezogen werden. Kehrseite des Einwilligungserfordernisses als Garant individueller Autonomie ist die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs der Studienteilnahme. Beide Seiten der Medaille können schwierige Fragen aufwerfen. Eine von ihnen, die von wissenschaftlicher Seite bislang eher wenig Aufmerksamkeit erfahren hat, soll hier erörtert werden: Der Zusammenhang zwischen studienbezogener und datenschutzrechtlicher Einwilligung, oder präziser: die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des datenschutzrechtlichen Widerrufs der Teilnahme.

A. Die Primärebene: Studienteilnahme Ausgangspunkt ist das Grundprinzip, dass jede Einbeziehung eines Menschen als Teilnehmer einer klinischen Prüfung seiner Einwilligung bedarf. Das ist keine bloße Formalie. Die Einwilligung kann nur dann wirksam erteilt werden, wenn der Teilnehmer zuvor über die wesentlichen Elemente der Studie so weit aufgeklärt worden ist, dass er in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite seiner Teilnahme abzuschätzen. Alle einschlägigen internationalen1 und nationalen Regularien2 gehen von diesem Prinzip des „informed consent“ aus. Man darf hinzufügen: Es ist auch verfassungsrechtlich geboten. Eine zwangsweise Heranziehung zu medizinischen Versuchen wäre mit dem Persönlichkeitsrecht und dem Verfassungsfundament der Menschenwürde nicht vereinbar. 1 Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki, Ziff. 22; CIOMS-Guidelines Ziff. 4 ff.; ICH Guideline for Good Clinical Practice, Ziff. 4.8; RL 2001/20/EG, Art. 3 Abs. 2 lit. d; Bioethik-Konvention des Europarates, Art. 5. 2 § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3b AMG; § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 MPG; § 28c Abs. 1 RöV; § 87 Abs. 1 StrlSchVO.

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Die Einwilligung, letztlich: die Übereinstimmung mit dem freien Willen des Betroffenen gilt somit als zentrale Legitimationsgrundlage für die Zumutung der Risiken und Belastungen, die mit einem medizinischen Versuch verbunden sind. Eine adäquate Nutzen-Risiko-Abwägung alleine kann das nicht bewerkstelligen. Sie muss allerdings hinzutreten.3 Die Einwilligung ist nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Zulässigkeit einer klinischen Prüfung. Es entspricht diesen Grundsätzen, dass der Teilnehmer an seiner ursprünglichen Einwilligung nicht zwangsweise festgehalten und zur Fortsetzung der Studie verpflichtet werden kann. Das Vorliegen einer Einwilligung ist ganz unbestritten nicht nur initiale, sondern fortdauernde Grundlage der Studie. Wenn sie entfällt, darf der Teilnehmer nicht länger herangezogen werden. Anders formuliert: Jede Teilnahme an einer klinischen Prüfung ist frei widerruflich. In den spezialgesetzlichen Regelungen wird das ausdrücklich bekräftigt, und der Teilnehmer muss auch über dieses Recht aufgeklärt werden.4

B. Die Sekundärebene: Datenerhebung und -verarbeitung I. Einwilligung Komplizierter wird die Sache, wenn man die datenschutzrechtliche Seite in den Blick nimmt. Alle klinischen Studien beinhalten neben dem primären interventionellen Eingriff notwendigerweise die Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten der Teilnehmer. Manche beschränken sich sogar darauf – Anwendungsbeobachtungen etwa oder epidemiologische Studien. Auch hierfür ist im Grundsatz eine Einwilligung des Betroffenen erforderlich, die zusätzlich zu derjenigen in den interventionellen Eingriff erklärt werden muss. AMG und MPG sprechen dies ausdrücklich aus.5 Bei Studien, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Spezialgesetze fallen, kommt das allgemeine Datenschutzrecht zum Zuge, das gleichfalls vom Einwilligungsprinzip ausgeht.6 Das Bundesdatenschutzgesetz kennt allerdings Ausnahmen. Zu diesen datenschutzrechtlich begünstigten Erhebungstatbeständen zählt auch die Forschung. So ist die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten – einschließlich Gesundheitsdaten – 3

Deklaration von Helsinki, Ziff. 18; § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG; § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 MPG. 4 Deklaration von Helsinki, Ziff. 22; CIOMS-Guidelines Nr. 5 Nr. 2; ICH Guideline for Good Clinical Practice, Ziff. 4.10.4 lit. m; RL 2001/20/EG, Art. 3 Abs. 2 lit. e; Art. 5 Abs. 3 Bioethik-Konvention des Europarates. Im deutschen Recht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 u. Abs. 2a Nr. 3 AMG; § 20 Abs. 2 S. 2 MPG; § 28c Abs. 1 S. 4 RöV; § 87 Abs. 1 S. 4 StrlSchVO. 5 § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3c AMG; § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 MPG. Zu Einzelaspekten auch § 28c Abs. 2 RöV u. § 87 Abs. 2 StrlSchVO. 6 § 4 Abs. 1 BDSG.

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zu Forschungszwecken auch ohne Einwilligung zulässig, wenn der Forschungszweck auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erreicht werden kann und das Interesse des Betroffenen an der Integrität seines Datenschutzes wesentlich überwiegt.7 Die Datenschutzgesetze der Länder enthalten ähnliche Klauseln;8 im Falle Baden-Württembergs ist der Wortlaut sogar noch liberaler.9 Die Ethik-Kommissionen fassen diese gesetzliche Option, soweit ersichtlich, nur mit spitzen Fingern an und halten im Allgemeinen am Dogma des Einwilligungsprinzips fest. Dafür gibt es gute Gründe. Das Forschungsprivileg kann nicht überspielen, dass es grundsätzlich der Autonomie des Einzelnen unterliegt, inwieweit er mit seinen persönlichen Daten zur Forschung beitragen möchte oder nicht. Verfassungsrechtlich gesprochen: Der Ausgleich zwischen Forschungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht im Wege praktischer Konkordanz kann eine zwangsweise Durchbrechung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur ausnahmsweise rechtfertigen, weil beide Rechtspositionen unterschiedlich betroffen sind: Die medizinische Forschung kann nach Fragestellung, Methode und Datenquellen in der Regel ausweichen; das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hingegen ist gerade in seinem Kern berührt, wenn der Betroffene einen Zugriff auf seine Daten dulden muss. Das heißt nicht, dass die Forschungsklauseln der Datenschutzgesetze obsolet sind, aber ihre tatbestandlichen Voraussetzungen sind restriktiv auszulegen, wenn sie nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Persönlichkeitsrechts führen sollen. Nicht schon die Notwendigkeit des Forschungsprojektes an sich, sondern erst des Zugriffs auf die Daten gerade des Betroffenen kann dessen zwangsweise Einbeziehung rechtfertigen. Daran fehlt es bei klinischen Prüfungen in der Regel. Überdies muss dem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse ein besonderes Gewicht zukommen. Es kommt hinzu, dass die Landesdatenschutzgesetze für die Datenverarbeitung ohne Einwilligung teilweise eine behördliche Zustimmung10 oder eine besondere Mitteilung an den Datenschutzbeauftragten11 verlangen. So bleibt es bei dem Grundsatz, dass auch datenschutzrechtlich prinzipiell

7

§ 13 Abs. 2 Nr. 8 BDSG (Erhebung); ebenso § 14 Abs. 5 Nr. 2 BDSG (Umwidmung) sowie § 28 Abs. 6 Nr. 4 BDSG für nicht-öffentliche Stellen. Vgl. auch Erwägungsgrund 34 der RL 95/46/EG. 8 Zur Datenerhebung: Bayern (15 Abs. 7 Nr. 7); Brandenburg (§ 28 Abs. 1 lit. c); Rheinland-Pfalz (§ 12 Abs. 5 Nr. 5). Nur für die Datenverarbeitung Berlin (§ 30 Abs. 1 Nr. 2); Bremen (§ 19 Abs. 2); Hamburg (§ 27 Abs. 1); Hessen (§ 33 Abs. 1); Mecklenburg-Vorpommern (§§ 9 Abs. 3 Nr. 9 u. 30 Abs. 1 Nr. 2); Niedersachsen (§ 25 Abs. 2 Nr. 3); NordrheinWestfalen (§ 28 Abs. 2 Nr. 3); Saarland (§ 30 Abs. 2); Sachsen (§ 36 Abs. 1); Sachsen-Anhalt (§ 10 Abs. 2 Nr. 9); Schleswig-Holstein (§ 22 Abs. 4); Thüringen (§§ 4 Abs. 5 Nr. 6 u. 20 Abs. 2 Nr. 9). 9 §§ 19 Abs. 1, 35 Abs. 1 LDSG, die diese Hürde nur auf die Übermittlung und die Erhebung ohne Kenntnis des Betroffenen beziehen. 10 Berlin (§ 30 Abs. 1 Nr. 2); Hessen (§ 33 Abs. 1 S. 3); Mecklenburg-Vorpommern (§ 30 Abs. 2); Saarland (§ 30 Abs. 3); Schleswig-Holstein (§ 22 Abs. 3 Nr. 3). 11 Hamburg (§ 27 Abs. 2 S. 2).

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eine Einwilligung des Betroffenen erforderlich ist. Er wird im Übrigen auch durch das ärztliche Berufsrecht bekräftigt.12 II. Widerruf und Löschungsanspruch Die Frage eines nachträglichen Widerrufs der datenschutzrechtlichen Einwilligung ruft hingegen größere Schwierigkeiten hervor. In der Praxis enthalten die Einwilligungserklärungen, die den Studienteilnehmern vorgelegt werden, häufig einen Passus, in dem der Sponsor der Studie sich das Recht vorbehält, bei einem Widerruf der Studienteilnahme die bis dahin erhobenen Daten weiter zu verwenden und auszuwerten. Damit wird das datenschutzrechtliche Widerrufsrecht eingeschränkt, nämlich auf einen Widerruf ex nunc bezüglich der Erhebung neuer Daten. Zumeist – auch aus Sicht der Ethik-Kommissionen – werden derartige Einschränkungen des datenschutzrechtlichen Widerrufsrechts nur bei Arzneimittelstudien akzeptiert, weil lediglich das AMG eine entsprechende gesetzliche Regelung enthält. In allen anderen Fällen soll den Teilnehmern klinischer Studien ein unabdingbarer Anspruch auf Löschung der erhobenen Daten zustehen, wenn sie ihre Einwilligung in die Studienteilnahme widerrufen.13 Trifft das zu? 1. Verfassungsrechtliche Ebene Datenschutz ist Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist praktiziertes Verfassungsrecht, seit das BVerfG in seinem Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus der Taufe gehoben hat.14 Die Frage nach Vorliegen und Grenzen des Löschungsanspruchs führt deshalb zunächst einmal auf die verfassungsrechtliche Ebene. Richtig ist jedenfalls, dass der persönlichkeitsrechtliche Gewährleistungsgehalt auch das fortdauernde Bestimmungsrecht über personenbezogene Daten einschließt. Dieses Recht wird also nicht nur durch die ursprüngliche Erhebung, sondern auch durch die fortdauernde Speicherung und Nutzung der Daten beeinträchtigt. Aber das ist nur ein Teil der Antwort. Die entscheidende Frage bleibt, ob und wie diese Beeinträchtigung legitimiert werden kann. a) Erfordernis einer gesetzlichen Einschränkung? Eine erste, irreführende Grundannahme in der Diskussion geht dahin, eine Beschränkung des grundrechtlich geschützten Löschungsanspruchs bedürfe zwingend 12

Z. B. § 15 Abs. 2 Berufsordnung der LÄK Baden-Württemberg. Ausführlich Herbst, Die Widerruflichkeit der Einwilligung in die Datenverarbeitung bei medizinischer Forschung, MedR 2009, 149 ff. 14 BVerfGE 65, 1. 13

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einer gesetzlichen Grundlage.15 In Wirklichkeit lässt sie sich grundrechtsdogmatisch ebenso auf eine Einwilligung des Betroffenen stützen. aa) Die Figur des Grundrechtsverzichts Man befindet sich damit im Einzugsbereich des sogenannten Grundrechtsverzichts. Diese schillernde Rechtsfigur ist seit langem umstritten, ihre Berechtigung zuweilen ganz grundsätzlich in Zweifel gezogen worden, vor allem unter Verweis auf die objektive Dimension der Grundrechte als Fundament des freiheitlichen Verfassungsstaates und ihre kompetentielle Funktion als Anknüpfungspunkt der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte. Beides entziehe die Grundrechte der individuellen Verfüg- und Verzichtbarkeit durch den Betroffenen. Die Tragweite dieser Argumente ist jedoch begrenzt. Im Kern liegen die Dinge zunächst einmal umgekehrt: Der Verzicht auf eine grundrechtliche Freiheit ist seinerseits autonome Freiheitsausübung und deshalb selbst als Teil der Handlungsfreiheit grundrechtlich geschützt.16 Das stößt an seine Grenzen, wo der Verzicht im konkreten Fall tatsächlich eine objektive, vom Betroffenen losgelöste Grundrechtsfunktion in Mitleidenschaft zieht oder nicht freiwillig zustande gekommen, mithin kein Ausdruck autonomer Entscheidungsfreiheit ist. Innerhalb dieser Grenzen aber vermag der übereinstimmende Wille des Betroffenen die Beeinträchtigung eines grundrechtlichen Schutzgutes prinzipiell zu legitimieren.17 Das Erfordernis einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage greift in diesem Fall nicht ein. Die Grundvoraussetzungen sind in unserem Fall erfüllt. Die Erhebung von Gesundheitsdaten im Rahmen einer klinischen Prüfung tangiert keine selbständige objektive Grundrechtsfunktion, sondern lediglich das subjektive Abwehrrecht des Betroffenen. Die Teilnahme an der jeweiligen Studie ist freiwillig. Selbst wenn der Patient nur durch sie Zugang zu einer neuen, noch nicht etablierten Behandlungsmethode erhält, bleibt die Teilnahme seine autonome Entscheidung. Die Datenerhebung wiederum ist notwendiger und integraler Bestandteil der Studie und damit auch der autonomen Teilnahmeentscheidung. Und schließlich ist auch der unantastbare Menschenwürdekern des Grundrechts in Konstellationen dieser Art nicht berührt. Dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht dogmatisch auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 gestützt wird, besagt ja nicht, dass es in toto den absoluten Schutz der Menschenwürde genieße. Diese Herleitung bringt nur pointiert zum Ausdruck, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie andere Grundrechte auch, in seinem Kerngehalt menschenwürderelevant ist und deshalb in einer konsistenten Grund15

Herbst (Fn. 13), 150; Simitis, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, § 4a, Rn. 95. Grundlegend Göldner, Gesetzmäßigkeit und Vertragsfreiheit im Verwaltungsrecht, JZ 1976, 352 (355). 17 So die h.M., siehe beispielsweise Pietzcker, Rechtsfigur, Staat 17 (1978), 527 ff.; Robbers, Der Grundrechtsverzicht – Zum Gegensatz „volenti non fit iniuria“ im Verfassungsrecht, JuS 1985, 925 ff.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 887 ff.; Merten, Der Grundrechtsverzicht, FS Schmitt Glaeser, S. 53 ff. 16

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rechtsordnung auch jenseits dieses Kerngehaltes substantiellen Grundrechtsschutz genießen muss – mangels spezielleren Grundrechts durch Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1. Aber sie erhebt nicht alle Aspekte des Persönlichkeitsrechts und damit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in den Rang der Menschenwürde. Dementsprechend unterliegt dieses Recht dem einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG. Und dementsprechend kann der Betroffene über dieses Rechtsgut prinzipiell auch selbst disponieren. bb) Vom tatsächlichen Einverständnis zur bindenden Einwilligung Dieses Resultat ist relativ unproblematisch, soweit und solange ein tatsächliches und aktuelles Einverständnis des Betroffenen mit der Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgutes vorliegt. Bei dem Problem des nachträglichen Widerrufs fehlt es daran jedoch gerade. Die Frage ist also, ob die ursprüngliche Einwilligung eine Rechts- und Bindungswirkung entfalten und den Betroffenen somit an seinem früheren Willen festhalten kann. Diese Variante des „Grundrechtsverzichts“ steht im eigentlichen Zentrum der Kritik: Nur der aktuelle und tatsächliche, nicht aber ein früherer und rechtlich perpetuierter Wille des Betroffenen soll eine Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter legitimieren können.18 Diese auf den ersten Blick einleuchtende Differenzierung ist jedoch fragwürdig. Wenn es zutrifft, dass die Willensausrichtung des Betroffenen sich auf die Entstehung grundrechtlicher Abwehransprüche auswirkt, dann gilt das auch für den Willen, sich rechtlich zu binden. Zur Freiheit autonomer Grundrechtsausübung gehört auch die Möglichkeit der für die Zukunft bindenden Verfügung über Grundrechtspositionen.19 Jede Entscheidung für die Wahrnehmung einer grundrechtlich geschützten Verhaltensoption fordert unausweichlich den Verzicht auf andere. Erst die Eingehung rechtlicher Bindungen ermöglicht die Erlangung rechtlicher Vorteile im Rahmen von Austauschverhältnissen. Kurz: Die Freiheit zur Bindung ist essentieller Bestandteil der Freiheitsordnung, weil sich wesentliche individuelle Bedürfnisse nur in Austauschverhältnissen mit wechselseitigen Bindungen verwirklichen lassen – in Austauschverhältnissen vor allem mit anderen privaten Akteuren, nicht selten aber auch mit dem Staat. Die Teilnahme an klinischen Prüfungen ist ein Verhältnis dieser Art, das dem Betroffenen eine freiheitserweiternde Option bietet. Patienten erhalten durch sie Zugang zu neuen Behandlungsmethoden, die noch nicht etabliert sind. Probanden erhalten üblicherweise eine Aufwandsentschädigung in zum Teil nicht unerheblicher Höhe. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine synallagmatische Leistungsbeziehung, aber in der Sache eben doch um eine ökonomisch relevante Vergünstigung. Schließlich – und vor allem – eröffnet die Studienteilnahme die Möglichkeit, nach 18

So etwa Stern (Fn. 17), 916; Fischinger, Der Grundrechtsverzicht, JuS 2007, 808 (809). Ähnlich Koch, Grundrechtsschutz, S. 134 ff.; Merten, HGR III, § 73, Rn. 19; Robbers (Fn. 17), 930; Sachs, Volenti non fit iniuria, VerwArch 76 (1985), 398 (422 ff.). 19

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autonomer Entscheidung am wissenschaftlich-medizinischen Fortschritt mitzuwirken. Daher ist nicht nur das aktuelle Einverständnis, sondern auch die Eingehung einer rechtsverbindlichen Einwilligung ein grundsätzlich zulässiger Akt autonomer Freiheitsausübung, selbst dann, wenn sie auf die Beeinträchtigung des Schutzgutes informationeller Selbstbestimmung hinausläuft. Die Einwilligung nimmt dieser Beeinträchtigung nicht den Eingriffscharakter. Wohl aber fungiert sie als Rechtfertigungsgrund. Genauer: Sie kann das formale Erfordernis einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage ersetzen – jedenfalls in dem Sinne, dass dem Gesetzesvorbehalt hier durch die einschlägigen zivil- und verwaltungsrechtlichen Regelungen über Rechtsgeschäfte Genüge getan ist. Man mag einwenden, dass Klauseln dieser Art nicht individuell ausgehandelt und vereinbart werden, sondern Bestandteil einer vorgegebenen Einwilligungserklärung sind. Zivilrechtlich gesprochen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Das steht der Wirksamkeit der Einwilligung jedoch nicht prinzipiell entgegen. Man wird auch für Einwilligungserklärungen, die dem Öffentlichen Recht unterliegen, die Wertung von § 305c Abs. 1 BGB heranziehen können, wonach vorformulierte Bestimmungen unwirksam werden, wenn sie so ungewöhnlich sind, dass die andere Seite nicht mit ihnen zu rechnen braucht. Diese Grenze ist in unserem Fall nicht überschritten. Dass klinische Daten, die bereits mit Einwilligung erhoben und bestimmungsgemäß in den Auswertungsprozess einbezogen worden sind, diesem Vorgang nicht einfach wieder entzogen werden können, ist jedenfalls nicht fernliegend. Um eine Überraschungsklausel handelt es sich dabei nicht. b) Materielle Anforderungen an den Ausschluss von Löschungsansprüchen Ein materiellrechtlicher Blankoscheck ergibt sich daraus freilich nicht. Die Bindung des Staates an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt unabhängig davon, ob Gesetz oder Einwilligung als Eingriffsgrundlage dienen. Daran ist auch der partielle Ausschluss des datenschutzrechtlichen Widerrufsrechts zu messen. Dass ein Verlust von Löschungsansprüchen vor diesem Maßstab bestehen kann, liegt an den Besonderheiten der Konstellation klinischer Prüfungen, die in der Diskussion viel zu wenig berücksichtigt werden. Fünf Gesichtspunkte sind hervorzuheben: - Zum ersten: Neben allen ökonomischen Interessen der Sponsoren und Prüfer dient die Durchführung klinischer Prüfungen samt der damit verbundenen Datenerhebung einem öffentlichen Interesse von hohem Rang, nämlich dem medizinischwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Dabei umschreibt dieses „öffentliche Interesse“ nicht nur einen diffusen oder gar staatsbezogenen Gemeinwohlgedanken, sondern die Behandlungsmöglichkeiten und Heilungschancen zukünftiger Patienten. Es geht mithin um greifbare individuelle Belange von zum Teil existentieller Bedeutung – Belange, die ihrerseits grundrechtlich geschützt sind und potentiell jedermann zustehen. Bei therapeutischen Studien erhält der Teilnehmer überdies

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die Chance, auch persönlich von der Studie und der in ihr erprobten Behandlungsmethode zu profitieren. Kurz: Hinter der Datenerhebung und -verarbeitung bei klinischen Studien steht nicht nur das Eigeninteresse der Forschungsinstitution, sondern auch ein rechtlich und ethisch anerkanntes Allgemeininteresse, u. U. auch ein Eigeninteresse des Betroffenen selbst. - Zum zweiten entspricht die Durchführung klinischer Prüfungen einer Erwartung, die die Rechtsordnung an diejenigen stellt, die medizinische Heilmittel und Behandlungsmethoden in den Verkehr oder zur Anwendung bringen. Am deutlichsten ist das im Arzneimittelrecht, wo die Durchführung klinischer Prüfungen eine Zulassungsvoraussetzung für neue Arzneimittel darstellt.20 Für Medizinprodukte gilt das in dieser Form nicht, weil es kein behördliches Zulassungsverfahren gibt. Aber auch hier muss die Eignung für den vorgesehenen Verwendungszweck mit klinischen Daten belegt werden, die vorzugsweise aus klinischen Prüfungen stammen.21 Im Übrigen unterliegt jede Abweichung von einer etablierten Behandlung zugunsten neuer Methoden haftungsrechtlichen Sorgfaltsmaßstäben, deren Einhaltung nicht zuletzt von der Existenz klinischer Daten abhängt. - Drittens ist zu beachten, dass die klinischen Daten, um deren Verwertung oder Löschung es geht, zu guten Teilen erst durch besondere analytische Verfahren ermittelt werden. Es handelt sich also um Daten, die vom Betroffenen nicht einfach zur Verfügung gestellt worden, sondern in deren Gewinnung die Forschungseinrichtung im Vertrauen auf die erteilte Einwilligung u. U. erheblichen Aufwand stecken musste. - Von besonderer Relevanz ist ein vierter Gesichtspunkt: Klinische Prüfungen beziehen, im Gegensatz zu Biobanken oder Registern, regelmäßig nur ein eng begrenztes Teilnehmerkollektiv ein. Das ist – abgesehen von Kostengründen – normativ schon deshalb geboten, um den mit den Risiken der Studienteilnahme belasteten Personenkreis nicht unnötig weit zu ziehen.22 Andererseits bedarf jede Studie einer gewissen Mindestzahl von Teilnehmern und verwertbaren Datensätzen, um zu statistisch aussagekräftigen Ergebnissen kommen zu können. Die Größe der Studienkohorten wird also nicht willkürlich bemessen, sondern nach biometrischen Methoden auf die von der Studie verfolgte Fragestellung zugeschnitten. Dementsprechend hängen Erfolg und Aussagekraft dieser Studien davon ab, dass die Zahl der verwertbaren Datensätze nicht wesentlich unter die zuvor kalkulierte Zahl der Studienteilnehmer sinkt. Eine nachträgliche Rekrutierung von Ersatzprobanden wiederum lässt der Studienablauf i. d. R. nicht zu. Die Daten der einzelnen Studienteilnehmer sind aus diesen Gründen nicht ohne weiteres ersetzbar oder mit anderen Probanden reproduzierbar. Anders formuliert: Mit der Aufnahme eines bestimmten Teilnehmers in eine klinische Studie nimmt der Sponsor der Studie eine nicht revidierbare Disposition vor. Entzieht 20

§§ 22 Abs. 2 Nr. 3 u. 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG. § 19 Abs. 1 i.V.m. § 3 Nr. 25 MPG. 22 So ausdr. § 28 Abs. 1 Nr. 7 RöV. 21

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ein Teilnehmer der Studie nachträglich die Verfügbarkeit seiner Daten, hat das deshalb Folgen, die über seinen persönlichen Datensatz potentiell weit hinausreichen und die gesamte Studie in Mitleidenschaft ziehen. Das trifft nicht nur den Sponsor, sondern auch die übrigen Teilnehmer, denn jeder nachträgliche Entzug von Datenmaterial verschlechtert das Nutzen-Risiko-Verhältnis, das ihrer Studienteilnahme ursprünglich zugrunde gelegen hatte. - Schließlich ist die Aufwandsentschädigung zu nennen, die die Teilnehmer bei Probandenstudien üblicherweise erhalten. Auch ohne synallagmatischen Charakter handelt es sich bei ihr um einen finanziellen Ausgleich für den erbrachten zeitlichen Aufwand und die in Kauf genommene Beeinträchtigung von Rechtsgütern – anteilig auch für die Erhebung und Überlassung der klinischen Daten. Ein einseitiger nachträglicher Widerruf würde diesen Zusammenhang zerreißen. Er löst deshalb eine Rückabwicklungsproblematik aus, die bei der Frage eines etwaigen Löschungsanspruches stets mitzubedenken ist. In der Summe sprechen diese Besonderheiten in der Güterabwägung deutlich gegen die Annahme, der Ausschluss eines Löschungsanspruchs in der Konstellation einer klinischen Prüfung sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Erst recht liegt es fern, darin einen Verstoß gegen den Menschenwürdekern dieses Rechtes zu sehen. Dass die entsprechende gesetzliche Regelung des AMG verfassungswidrig sei, wird denn auch kaum behauptet.23 Entscheidend für dieses Abwägungsresultat ist die Kumulation mehrerer Umstände: Es geht nicht um Eingriffe in die körperliche Integrität, sondern nur um die informationelle Selbstbestimmung – bei aller Bedeutung des Datenschutzes doch ein Grundrecht von geringerem normativem Gewicht und Würdegehalt. Ebenso geht es nicht um eine weitere Vertiefung des Grundrechtseingriffs durch neue Datenerhebungen, sondern nur um eine Aufrechterhaltung des schon erreichten Standes durch die weitere Speicherung und Nutzung der bereits erhobenen Daten. Drittens macht es normativ einen signifikanten Unterschied, dass dem Betroffenen nicht von vornherein ein fremder Wille aufgezwungen wird, sondern er an seiner eigenen, autonom getroffenen Zustimmungsentscheidung festgehalten wird. Und viertens hat die Forschungseinrichtung, wie gesehen, ein legitimes und gewichtiges Interesse an der Erhaltung und Nutzung des erhobenen Datenbestandes, insbesondere wenn und weil dieser von vornherein limitiert ist und zur Erzielung aussagekräftiger Studienergebnisse benötigt wird. Dass dem Betroffenen in diesem Umfang die Möglichkeit genommen wird, seine Einstellung zu dem Forschungsvorhaben zu überdenken und seine Teilnahme datentechnisch ungeschehen zu machen, sprengt nicht den Rahmen 23 A.A. teilweise Herbst (Fn. 13), 152, mit dem Argument, die Aussagekraft der Studie und Vollständigkeit der Zulassungsunterlagen sei durch das Fehlen des Datensatzes eines einzigen Studienteilnehmers nicht erheblich beeinträchtigt. Das mag so sein, wenn man den Einzelfall isoliert betrachtet. In der Summe ändert sich das Bild aber rasch, und die Beurteilung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer Widerrufsregelung muss ins Kalkül einbeziehen, dass diese Regelung auch tatsächlich in Anspruch genommen wird.

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des rechtlich Zumutbaren – so wenig wie es auch sonst nicht unzumutbar ist, an eigenen Dispositionen festgehalten zu werden. Diese Folgerung gilt erst recht, wenn Sponsor und Forschungseinrichtung nicht in öffentlicher, sondern in privater Trägerschaft stehen. Da hier die Grundrechte nur mittelbar gelten, fehlt es an dem klaren Gegenüber von Grundrecht und Rechtfertigungslast. Stattdessen stehen sich die Belange beider Seiten gleichberechtigt und in offener Abwägung im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln gegenüber. Grundrechtsdogmatisch lässt sich ein genereller Vorrang des Löschungsanspruchs gegenüber dem Nutzungsinteresse hier also noch weniger begründen als im Falle staatlicher Forschungseinrichtungen. 2. Einfachgesetzliche Ebene Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist der datenschutzrechtliche Löschungsanspruch beim Widerruf der Teilnahme an einer klinischen Prüfung also weder unantastbar noch unabdingbar. Vor diesem Hintergrund lässt sich nun fragen, wie die einfachrechtliche Regelung der Problematik zu beurteilen ist. a) Das Arzneimittelgesetz Einen klaren partiellen Ausschluss des datenschutzrechtlichen Widerrufsrechts enthält nur das AMG, das seit der 12. Novelle von 2004 das Widerrufsrecht insoweit schon gesetzlich beschränkt. Dafür ist keine Einwilligung, sondern nur eine entsprechende Aufklärung des Studienteilnehmers erforderlich.24 Interessanterweise hatte der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung genau entgegengesetzt eine Pflicht zur Datenlöschung beim Widerruf der Studienteilnahme vorgesehen und dies als die „datenschutzrechtlich gebotene Folgerung“ angesehen.25 Der Bundesrat schwächte dies in seiner Stellungnahme zu einem Löschungsanspruch „auf Wunsch“ ab.26 Erst der zuständige Fachausschuss des Bundestages veranlasste die Einfügung des heutigen § 40 Abs. 2a, weil eine Datenlöschung nach Beendigung der Teilnahme nicht sachgerecht sei.27 b) Andere Spezialregelungen Bei Medizinproduktestudien ist die Rechtslage weniger klar. Das MPG statuiert in § 20 Abs. 2 die jederzeitige Widerruflichkeit der erteilten Einwilligung, und das schließt, wie der Verweis auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 ergibt, neben der Studienteilnahme auch die Einwilligung in die „Aufzeichnung von Gesundheitsdaten und […] Ein24 § 40 Abs. 2a Nr. 2 u. 3 AMG. Dabei ergibt sich der Ausschluss des Widerrufsrechts nur indirekt aus der Statuierung der entsprechenden Aufklärungspflicht. 25 BT-Drucks. 15/2109, S. 10 u. 30, § 40 Abs. 2 S. 4 AMG (Entwurf). 26 BR-Drucks. 748/03 (Beschluss), S. 17. 27 BT-Drucks. 15/2849, S. 17 f. u. 60 (Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung).

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sichtnahme zu Prüfungszwecken durch Beauftragte des Auftraggebers oder der zuständigen Behörde“ ein. Man mag daraus schließen, dass auch die datenschutzrechtliche Einwilligung uneingeschränkt widerruflich sein solle.28 Aber genau besehen ergeben sich Zweifel an dieser Auslegung. Ursprünglich enthielt das MPG lediglich eine Regelung zur Einwilligung in die Studienteilnahme, und nur darauf bezog sich die anschließende Passage zum Widerrufsrecht.29 Erst die Novelle von 2002 fügte den Halbsatz zur datenschutzrechtlichen Seite der Einwilligung hinzu und erweiterte dadurch indirekt auch den Anwendungsbereich der Klausel zur Widerruflichkeit der Einwilligung. Diese Klausel selbst blieb jedoch unverändert. Überhaupt war die Frage des Widerrufs und seiner Folgen in keiner Weise im Visier dieser Gesetzesänderung. Was man erreichen wollte, war eine Angleichung an das AMG, um die Möglichkeit einer Überprüfung der Klardaten durch Monitore und Behörden sicherzustellen. Die Auswertung der Daten durch den Sponsor der Studie hingegen wurde in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich als nicht regelungsbedürftig angesehen.30 Schon gar nicht waren die Konsequenzen eines Widerrufs dieser Einwilligung Gegenstand der Erörterung. Dass die gesetzliche Festschreibung der Widerruflichkeit auch auf die datenschutzrechtliche Einwilligung Bezug nimmt, war also eher ein regelungstechnisches Zufallsprodukt. Das macht sie nicht irrelevant, bedeutet aber, dass ihre Tragweite mit Vorsicht zu bestimmen ist. Der Wortlaut der einschlägigen Passage in § 20 Abs. 1 Nr. 2 MPG zwingt denn auch keineswegs dazu, in dem Verweis in Abs. 2 die Anordnung einer totalen Widerruflichkeit zu sehen. Eindeutig ist nur, dass neben den Primäreingriffen auch die Datenerhebung und -aufzeichnung einer Einwilligung bedarf und dass diese Einwilligung insgesamt widerrufen kann. Das Spezialproblem hingegen, ob sich daraus in jedem Fall ein Anspruch auf Löschung der bereits erhobenen Daten ergeben muss, ist weder vom Wortlaut noch von der gesetzgeberischen Regelungsintention umfasst. Auch der auffallende Gegensatz zur Regelung im AMG führt zu keinem anderen Ergebnis, erlaubt insbesondere keinen Umkehrschluss. Die MPG-Novellierung von 2002 übernahm exakt das Regelungsmodell, dem damals auch das AMG noch folgte.31 Erst die 12. AMG-Novelle von 2004 hatte ja die ausführliche Sonderregelung des § 40 Abs. 2a AMG eingefügt, und die dabei geführte Diskussion um eine explizite Verankerung von Löschungspflichten, Löschungsansprüchen oder Löschungsverboten zeigt, dass man in den bis dahin geltenden Vorschriften des AMG (und den identischen des MPG) noch keine klare Regelung dieser speziellen Frage sah. Das MPG grenzt sich also nicht etwa gezielt von der heutigen AMG-Lösung ab, sondern ist vielmehr auf einem früheren Stand des AMG stehengeblieben, der sich dieses 28 So Herbst (Fn. 13), 152. Auch der Mustertext des Arbeitskreises Medizinischer EthikKommissionen zur Einwilligung in Medizinproduktestudien sieht deshalb – anders bei Arzneimittelstudien – einen Löschungsanspruch des ausscheidenden Studienteilnehmers vor, . 29 § 17 Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 MPG 1994. 30 BT-Drucks. 309/01, S. 73. 31 § 40 Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 AMG a.F.

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Problems noch nicht angenommen hatte. Dass im MPG auch später kein Pendant zu § 40 Abs. 2a AMG eingefügt worden ist, dürfte daran liegen, dass es kein vergleichbares behördliches Zulassungsverfahren für Medizinprodukte gibt und die Sicherstellung einer vollständigen Prüfdokumentation hier deshalb keine verfahrensrechtliche Notwendigkeit ist. Auch mag das Regelungsungetüm des § 40 Abs. 2a AMG vor Wiederholungen abgeschreckt haben – die Dimensionen der Datenschutzerklärung, die der Studienteilnehmer zu verdauen hat, gelten jedenfalls als fragwürdig. So oder so treffen die Gründe, die für eine vollständige Dokumentation sprechen, auf Arzneimittel- und Medizinproduktestudien im Wesentlichen gleichermaßen zu.32 Es wäre ganz inkonsistent, dem AMG ein zwingendes Gebot, dem MPG aber ein zwingendes Verbot der weiteren Datenspeicherung entnehmen zu wollen. Nicht umsonst verpflichtet § 10 Abs. 7 MPKPV die Sponsoren von Medizinproduktestudien, die Unterlagen zehn Jahre nach Studienende aufzubewahren, ohne dass klar würde, wie sich diese Verpflichtung zu etwaigen Löschungsansprüchen der Studienteilnehmer verhält. Im Ergebnis also wird man sagen müssen: Das MPG bekräftigt den Grundsatz der Widerruflichkeit der datenschutzrechtlichen Einwilligung. Die Frage jedoch, wann daraus konkret Löschungsansprüche entstehen und inwieweit diese abdingbar oder unabdingbar sind, überlässt es dem allgemeinen Datenschutzrecht. Ähnliches gilt für die Sonderregelungen der Röntgen- und der Strahlenschutzverordnung.33 Auch hier wird die Widerruflichkeit nicht nur der Einwilligung in die Studienteilnahme, sondern auch „alle[r] im Zusammenhang mit der Anwendung stehenden Einwilligungen“ bekräftigt. Nur die Mitteilung der Strahlenexposition an die zuständige Behörde wird ausdrücklich als „unwiderruflich“ gekennzeichnet. Der Löschungsanspruch wird hier also für einen eng begrenzten Bereich gesetzlich ausgeschlossen.34 Im Übrigen jedoch lässt sich diesen Verordnungen keine abschließende Regelung über die Frage der Entstehung und Abdingbarkeit von Löschungsansprüchen entnehmen. c) Die Datenschutzgesetze Sedes materiae für diese Frage bleiben somit die Datenschutzgesetze. Sie begründen einen Löschungsanspruch unter anderem, wenn die Speicherung der Daten unzulässig ist35 – womit auch der Fall erfasst ist, dass die Speicherung nachträglich unzulässig wird. Stützt sich die Datenspeicherung maßgeblich auf eine Einwilligung 32

Vgl. die Ausschussbegründung zu § 40 Abs. 2a AMG, BT-Drucks. 15/2849, S. 60, wo neben dem Zulassungsverfahren auch mit der Qualität der wissenschaftlichen Auswertung und den Sicherheitsinteressen der Studienteilnehmer argumentiert wird – beides Gründe, die auch in § 40 Abs. 2a Nr. 3 AMG Eingang gefunden haben. 33 § 28c Abs. 1 S. 4 u. Abs. 2 Nr. 2 RöV sowie § 87 Abs. 1 S. 4 u. Abs. 2 Nr. 2 StrlSchVO. 34 Vgl. Herbst (Fn. 13), 152. 35 §§ 20 Abs. 2 Nr. 1 u. 35 Abs. 2 Nr. 1 BDSG. Entsprechendes ergibt sich für öffentliche Forschungseinrichtungen der Länder aus den Landesdatenschutzgesetzen, z. B. § 23 Abs. 1 Nr. 1 LDSG Baden-Württemberg.

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des Betroffenen, führt grundsätzlich auch der nachträgliche Widerruf dieser Einwilligung zu einer Löschungspflicht,36 sofern die Einwilligung widerruflich ist. Diese Widerruflichkeit wird, wie wir gesehen haben, von allen Spezialgesetzen außer dem AMG statuiert. Auch die meisten Datenschutzgesetze sehen sie explizit vor37 – in der Regel zwar nur „mit Wirkung für die Zukunft“, aber damit entfällt eben ex nunc auch die Grundlage für die weitere Speicherung und Verarbeitung.38 Dieses datenschutzrechtliche Widerrufsrecht muss zudem im Grundsatz als zwingendes Recht angesehen werden.39 Die Datenschutzgesetze sehen ausdrücklich vor, dass die Rechte des Betroffenen, einschließlich seines Löschungsanspruchs, unabdingbar sind.40 Das bedeutet streng genommen zwar nur, dass der Anspruch auf Löschung rechtswidrig gespeicherter Daten nicht ausgeschlossen werden kann. Aber damit ist doch auch allgemein zum Ausdruck gebracht, dass das Verfügungsrecht des Betroffenen über seine Daten nicht rechtsgeschäftlich eingeschränkt werden können soll. Gleichwohl folgt daraus nicht notwendigerweise eine Pflicht zur Löschung der Daten. Drei Argumentationswege stehen dafür zur Verfügung. Zum einen ist mit der Beendigung der aktiven Teilnahme an einer klinischen Prüfung nicht auch zwangsläufig ein Widerruf der Einwilligung in die Nutzung der schon erhobenen Daten verbunden. Es ist daher ohne weiteres zulässig, wenn bei einem Widerruf der Teilnahme die Daten nicht automatisch gelöscht werden, sondern der Betroffene die Wahl erhält. Zum zweiten soll das datenschutzrechtliche Widerrufsrecht – jedenfalls ab Beginn der Datenverarbeitung – nicht beliebig, sondern nach Treu und Glauben nur dann ausgeübt werden dürfen, wenn die weitere Datenverarbeitung dem Betroffenen objektiv nicht mehr zumutbar ist.41 Diese Einschränkung ist aus den Gründen, die schon im verfassungsrechtlichen Kontext erörtert worden sind, gerade auch für die spezielle Konstellation der klinischen Prüfung plausibel. Und schließlich entfällt der datenschutzrechtliche Löschungsanspruch jedenfalls dann nicht, wenn die Datenspeicherung sich auf eine einwilligungsunabhängige Rechtsgrundlage stützen kann. Hier kommen nun wieder die Forschungsklauseln der Datenschutzgesetze ins Spiel. Diese Klauseln ermöglichen zwar nur in Ausnahmefällen die unfreiwillige Einbeziehung in klinische Studien. Hingegen können sie durchaus einem Löschungsanspruch nach Widerruf der Einwilligung entgegenstehen, weil ihre tatbestandlichen Voraussetzungen in dieser speziellen Konstellation 36

Mallmann, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, § 20, Rn. 39. Das BDSG spricht die Widerruflichkeit nur beiläufig an (§ 28 Abs. 3a), wird insoweit aber nicht anders ausgelegt als die Landesdatenschutzgesetze, vgl. Simitis, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, § 4a, Rn. 94. 38 Vgl. Herbst (Fn. 13), 149 f. m.w.N.; Gola/Schomerus, BDSG, § 4a, Rn. 18. 39 Simitis, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, § 4a, Rn. 95. 40 § 6 Abs. 1 BDSG. Ebenso etwa § 5 Abs. 1 LDSG Baden-Württemberg. 41 Simitis, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, § 4a, Rn. 99; Gola/Schomerus, BDSG, § 4a, Rn. 18. 37

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viel eher zu bejahen sind. Auch hier schlagen sich die oben erörterten Besonderheiten nieder. Ist der Teilnehmer einmal in die zahlenmäßig begrenzte Studienkohorte einer klinischen Prüfung aufgenommen worden, ist die Auswertung seiner Daten für den Forschungszweck grundsätzlich erforderlich und auch nicht mehr mit vertretbarem Aufwand durch andere Daten und Probanden ersetzbar. Und wenn und weil der Betroffene zunächst einmal die Einwilligung in die Studienteilnahme und Datenverwertung erteilt hatte, ist sein Interesse an der nachträglichen Löschung im Vergleich zum Nutzungsinteresse normativ weniger schutzwürdig. Denn damit hat er selbst eine wesentliche Ursache dafür gesetzt, dass die Forschungseinrichtung ihre Dispositionen so getroffen hat, dass für das Forschungsprojekt (auch) gerade seine Daten benötigt werden. Dafür ist keine besondere Einwilligung, in der Regel aber eine Aufklärung des Studienteilnehmers über diese Rechtsfolge erforderlich. Denn dass der Betroffene diesen Gesichtspunkt in seine Entscheidung über die Studienteilnahme aufnehmen konnte, ist ein wesentlicher Faktor für die Gewichtsverschiebung in der Interessenabwägung. Umgekehrt bleibt es denkbar, dass die Abwägung im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände doch zugunsten des Löschungsanspruchs ausfällt, insbesondere wenn der Zuschnitt des Forschungsprojektes sich in der Zwischenzeit wesentlich verändert hat oder das Vertrauen in den ordnungsgemäßen Umgang mit den Daten erschüttert worden ist.42 Im Grundsatz aber gilt, dass sich ein Ausschluss von Löschungsansprüchen beim Ausscheiden aus klinischen Prüfungen, die mit einem begrenzten Probandenkollektiv eine konkrete medizinisch-wissenschaftliche Fragestellung verfolgen, rechtfertigen lässt – sei es durch immanente Grenzen des Widerrufsrechts, sei es auf der Grundlage der datenschutzrechtlichen Forschungsklauseln.

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Allgemein dazu Simitis, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, § 4a, Rn. 99.

Kinderlärm – kein Grund zur Klage? Die Privilegierung des Kinderlärms durch das Immissionsschutzrecht Von Hans-Werner Laubinger Eibe Riedel (zwei Kinder), dem dieser Beitrag gewidmet ist, und ich (drei Kinder) wissen: Kinder sind ein unvergleichliches Geschenk, für das man dankbar sein muss. Aber wir wissen auch, dass lärmende Kinder – seien es die eigenen, seien es fremde – einem ungeheuer auf die Nerven gehen können. So verwundert es denn auch nicht, dass Kinderlärm immer wieder Streitigkeiten heraufbeschwört und die Gerichte, sowohl die ordentlichen als auch die Verwaltungsgerichte, beschäftigt. Das hat wiederholt den Gesetzgeber auf den Plan gerufen. Im Sommer 2011 hat er dem § 22 BundesImmissionsschutzgesetz (BImSchG) folgenden Abs. 1a eingefügt1: „(1a) 1Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen. 2Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.“

A. Die Entstehung des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder: Wettlauf um die Gunst des Volkes Die Vorschrift ist unverändert aus zwei textidentischen Gesetzentwürfen hervorgegangen, die zum einen die beiden damaligen Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP2 und zum anderen die Bundesregierung3 eingebracht hatten. Die Vor- und Entstehungsgeschichte4 der Vorschrift bietet ein schönes Beispiel für den Wettlauf der politischen Kräfte um die Gunst einer großen Klientel. Er beginnt 1 Zehntes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen ausgehenden Kinderlärms vom 20. Juli 2011 (BGBl. I, 1474), im Folgenden zitiert als 10. BImSchG-ÄndG. 2 BT-Drs. 17/4836 vom 22. Februar 2011. 3 BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, BT-Drs. 17/5709 vom 4. Mai 2011. 4 Eingehende Dokumentation bei Ule/Laubinger/Repkewitz, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Kommentar, Rechtsvorschriften, Rechtsprechung, Loseblatt, Stand: 182. AL/Febr. 2012, Bd. 1, Entstehung und Entwicklung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, Nr. 61, S. 181 ff.

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spätestens mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP vom 26. Oktober 2009. Er verhieß kurz und bündig: „Kinderlärm darf keinen Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen geben. Wir werden die Gesetzeslage entsprechend ändern.“ Das ließ die Opposition nicht ruhen. Am 16. November 2009 brachte das sozialdemokratisch regierte Land Rheinland-Pfalz im Bundesrat einen Entschließungsantrag ein mit dem Titel „Kinderlärm kein Grund zur Klage – gesetzliche Klarstellungen zum Umgang mit Geräuschemissionen von Kinder- und Jugendeinrichtungen“.5 Dem schlossen sich Brandenburg, Bremen, Hessen und das Saarland an. Am 5. März 2010 nahm der Bundesrat daraufhin folgende Entschließung an: „Der Bundesrat ist der Ansicht, dass Kinderlärm keinen Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen geben soll. Der Bundesrat unterstützt die Bundesregierung in ihrem Bestreben, die Gesetzeslage entsprechend zu ändern. Das Recht sollte klar zum Ausdruck bringen, dass Kinderlärm sozialadäquat ist. Wenn Kinder innerhalb und außerhalb von Betreuungseinrichtungen spielen, verursachen sie Geräusche, Lärm und Krach. Kinder brauchen Freiräume, um spielerisch soziales Verhalten zu erlernen und sich geistig wie körperlich entwickeln zu können. Eine klare gesetzgeberische Wertung, dass Kinderlärm sozialadäquat ist, kann nach Meinung des Bundesrates dazu beitragen, gerichtliche Auseinandersetzungen um Kinderlärm von vornherein zu vermeiden. Abwehransprüche sollten auf seltene Einzelfälle beschränkt bleiben. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher zu prüfen, ob und wie das geltende Bundesrecht verbessert werden kann, um diese Ziele zu erreichen. Zudem sollte eine Änderung der Baunutzungsverordnung dahingehend erwogen werden, dass Kindertagesstätten als Anlagen für soziale Zwecke in reinen Wohngebieten nicht mehr nur ausnahmsweise zugelassen werden können, sondern im Regelfall zulässig sind.“

Noch im Verlaufe des Jahres 2010 legten die drei Oppositionsparteien SPD6, DIE LINKE7 und Bündnis 90/DIE GRÜNEN8 in die gleiche Richtung zielende, teilweise noch darüber hinausgehende Entschließungsanträge im Bundestag vor. Am 22. Februar 2011 brachten die beiden Koalitionsfraktionen ihren Gesetzentwurf im Bundestag ein9, der ihn schon zwei Tage später ohne Aussprache an die Ausschüsse überwies.10 Die Bundesregierung legte ihren Gesetzentwurf am 4. März 2011 dem Bundesrat vor11 und brachte ihn, nachdem dieser am 15. April seine Stellungnahme dazu beschlossen hatte, zusammen mit dessen Stellungnahme und ihrer Gegenäußerung im Bundestag ein.12 Dieser nahm am 26. Mai 2011 die beiden zusammengeführten 5

BR-Drs. 831/09 vom 16. November 2009. BT-Drs. 17/881 vom 2. März 2010: „Kinderlärm – Kein Grund zur Klage“. 7 BT-Drs. 17/1742 vom 18. Mai 2010: „Für eine immissions- und baurechtliche Privilegierung von Sportanlagen“. 8 BT-Drs. 17/2925 vom 14. September 2010: „Vorrang für Kinder – Auch beim Lärmschutz“. 9 BT-Drs. 17/4836 vom 22. Februar 2011. 10 BT-Plenarprot. 17/93, 10465. 11 BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011. 12 BT-Drs. 17/5709 vom 4. Mai 2011. 6

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Gesetzentwürfe einstimmig an.13 Gleichzeitig wurden die Entschließungsanträge der drei Oppositionsfraktionen mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen abgelehnt. Am 17. Juni 2011 beschloss der Bundesrat, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen.14 Damit war der Weg frei für die Ausfertigung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten am 20. Juli 2011 und die Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt am 27. Juli 2011.15 Das Gesetz und damit der neue Abs. 1a des § 22 BImSchG trat am darauffolgenden Tage, also am 28. Juli 2011, in Kraft. Die neue Vorschrift wirft eine Reihe von Fragen auf, denen im Folgenden nachgegangen werden soll, soweit der zur Verfügung stehende beschränkte Raum es gestattet.

B. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den § 22 Abs. 1a BImSchG Umstritten ist bereits, ob dem Bund überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für die neue Vorschrift zusteht. Als Kompetenztitel kommt allein Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG in Betracht. Danach erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung auf „die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm)“. Umstritten ist, ob der Lärm, den Kinder in Kindertageseinrichtungen oder auf Kinderspielplätzen produzieren, verhaltensbezogener Lärm im Sinne dieser Norm ist. Bejaht man dies, so steht die Gesetzgebungskompetenz insoweit ausschließlich den Ländern zu. Das wird von einem nicht unerheblichen Teil der Literatur in der Tat angenommen. Er stützt sich dabei auf die Entstehungsgeschichte des Klammerzusatzes. Dieser wurde dem Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG im Zuge der Föderalismusreform I16 angefügt. Vor deren Inkrafttreten stand dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu für „24. die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung“. Das Änderungsgesetz ersetzte „Abfallbeseitigung“ durch „Abfallwirtschaft“ und fügte nach „Lärmbekämpfung“ die Worte „(ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm)“ an. Dieser Klammerzusatz führte sogleich zu einer lebhaften Kontroverse in der Literatur darüber, welche Kompetenzen dem Bund für den Sachbereich Lärmschutz noch zustehen.17

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BT-Plenarprot. 17/111, 12679. Beschluss v. 17. Juni 2011, BR-Drs. 289/11. 15 BGBl. I, 1474. 16 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22 usw.) vom 28. August 2006 (BGBl. I, 2034). 17 Hansmann, Die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2007, 17; Sauer, Anlagenbezogener Lärmschutz gegen verhaltensbezogenen Lärm? – Zur Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG i. d. F. der Föderalismusreform am Beispiel des Kinderlärms, NordÖR 2008, 480; Huber/Wollenschläger, Immissionsschutz nach der Föderalismusreform I: Zur veränderten Kompetenzverteilung zwischen Bund und 14

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In der Literatur stehen einander drei Ansichten gegenüber18: Der Klammerzusatz – bringe nichts anderes zum Ausdruck als der Klammerzusatz im ursprünglichen Gesetzentwurf, in dem er lautete „(ohne Sport- und Freizeitlärm und Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung)“; – knüpfe an die in Rechtsprechung, Schrifttum und Regelungspraxis gebräuchliche Unterscheidung von anlagenbezogenem und verhaltensbezogenem Lärm an; – erfasse jeden Lärm, der durch Menschen hervorgerufen wird und der nicht nach den technischen Ursachen, sondern nach dem sozialen Verhalten der handelnden Personen zu bewerten ist. Die zuerst genannte Lesart19 beruft sich auf die Entstehungsgeschichte der Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. Nachdem sich die Verhandlungen in der von Bundestag und Bundesrat eingesetzten Bund-Länder-Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung20 festgefahren hatten, unterbreiteten Franz Müntefering und Edmund Stoiber in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende der Kommission am

Ländern im Bereich des Lärmschutzes, NVwZ 2009, 1513; Guckelberger, Geräuschemissionen von Kinder- und Jugendeinrichtungen aus öffentlich-rechtlicher Sicht, UPR 2010, 241. 18 Hansmann (Fn. 17), 17, unter Hinweis auf Erörterungen im Rahmen der Bund/LänderArbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI). Ebenso die Bayerische Staatsregierung in der Begründung des von ihr am 29. März 2011 im Bayerischen Landtag eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Anforderungen an den Lärmschutz bei Kinder- und Jugendspieleinrichtungen (BayLT, Drs. 16/8124 vom 29. März 2011, 4); dazu s.u. D. IV. 19 Zu ihr bekennen sich die meisten GG-Kommentare: Haratsch, in: Sodan, Grundgesetz, 2009, Art. 74 Rn. 50; Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 166; Seiler, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 2009, Art. 74 Rn. 90; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 11. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 70; Schnapauff, in: Hömig, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 24; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 103; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 315. Im Ergebnis ebenso Rojahn, Kinderlärm zwischen Immissionsschutz und Sozialadäquanz, ZfBR 2010, 752 (756). 20 Die Arbeit der Kommission ist dokumentiert in der Broschüre Bundestag, Bundesrat (Hrsg.): Zur Sache, 1/2005, der eine CD-ROM mit reichhaltigen Materialien beigefügt ist. Aus ihnen ist ersichtlich, dass die Ansichten in der Kommission darüber, wem die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung (und für andere umweltrechtliche Materien) zusteht, weit auseinander gingen und bis zum Schluss nicht auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden konnten. Die Meinungspalette reichte von der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes bis zur ausschließlichen Zuständigkeit der Länder. Die Präsidenten der Landtage in der Kommission und die Projektgruppe 4 plädierten dafür, den Ländern die Befugnis zur Regelung der Lärmbekämpfung insoweit zuzuweisen, als es um den „lokalen, durch Sportund Freizeiteinrichtungen verursachten Lärm“ geht (in: ibid., 415 f., 418). Einen ähnlichen Vorschlag („Lärmbekämpfung, soweit es um lokalen Sport- und Freizeitlärm geht“) unterbreiteten Nordrhein-Westfalen und das Saarland (in: ibid., 420 ff.). Der Gedanke, den Ländern auch die Kompetenz zur Regelung des Lärms einzuräumen, der von „Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung“ ausgeht, taucht – soweit ersichtlich – erstmals in dem Vorentwurf der beiden Kommissionsvorsitzenden auf.

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13. Dezember 2004 einen „Vorentwurf“. Darin schlugen sie vor. die Nr. 24 wie folgt zu fassen: „24. die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Sport- und Freizeitlärm und Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung)“.

Dieser Formulierungsvorschlag wurde von den damaligen Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP in ihren Entwurf für das GG-Änderungsgesetz21 übernommen. Zur Begründung führten sie dazu aus: „Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung soll künftig nicht mehr den Lärm von Sportanlagen und anderen Einrichtungen umfassen, die der Freizeitgestaltung dienen oder eine soziale Zweckbestimmung haben. Regelungen zur Bekämpfung des Lärms von sozialen Einrichtungen, Sport- und Freizeitanlagen wie Kindergärten, Jugendheimen, Spielplätzen, Sportstätten und -stadien, Theatern und Aufführungsorten sowie Veranstaltungs- und Festplätzen, Hotels und Gaststätten fallen als Anlagen mit überwiegend lokaler Bedeutung künftig in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder.“

Gegen dieses Änderungsvorhaben wurden im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens von mehreren Seiten Bedenken erhoben.22 Die drei Oppositionsfraktionen schlugen während der Beratungen im Rechtsausschuss voneinander abweichende Fassungen der Nr. 24 vor. Der federführende Rechtsausschuss des BT empfahl in seiner Beschlussempfehlung23 schließlich, „die Wörter ,(ohne Sport und Freizeitlärm und Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung)‘ durch die Wörter ,(ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm)‘ zu ersetzen“.

Er „begründete“ das in seinem Bericht24 mit zwei dürren Worten: „Redaktionelle Änderung.“ In der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs in der 44. Sitzung am 30. Juni 2006 ging keiner der zahlreichen Redner auch nur mit einem Wort auf diese „redaktionelle Änderung“ ein.25 Auch in dem vom Bundestag angenommenen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen26 und in den vom Bundestag abgelehnten drei Entschließungsanträgen der Oppositionsfraktionen27 ist von ihr nicht die Rede. Gleiches gilt für die Beratung im Bundesrat in der 824. Sitzung am 7. Juli 2006, in der der vom Bundestag beschlossene Gesetzestext angenommen

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BT-Drs. 16/813 vom 7. März 2006. Näheres bei Hansmann (Fn. 17); Huber/Wollenschläger (Fn. 17) mit teilweise wörtlicher Wiedergabe der Stellungnahmen. 23 BT-Drs. 16/2010 vom 28. Juni 2006, 6. 24 BT-Drs. 16/2069 vom 29. Juni 2006, 42. 25 BT-Plenarprotokoll 16/44, 4233 – 4298. 26 BT-Drs. 16/2052 vom 28. Juni 2006. 27 BT-Drs. 16/2053 (FDP), 16/2054 (DIE LINKE), 16/2055 (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), alle vom 28. Juni 2006. 22

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wurde28 ; Ausschussberatungen zu dem Gesetzentwurf fanden im Bundesrat nicht statt. Die Parlamentaria geben somit keinen Aufschluss darüber, was der historische Gesetzgeber mit der Änderung des Wortlauts des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG bezweckte. Ein Teil der Literatur zieht aus dem Umstand, dass die Änderung des Klammerzusatzes als „redaktionelle Änderung“ deklariert wurde, die Schlussfolgerung, die Neufassung habe dieselbe Bedeutung wie die ursprüngliche Fassung. Das vermag jedoch nicht zu überzeugen. Eine redaktionelle Änderung liegt nur dann vor, wenn der Wortlaut einer Vorschrift geändert wird, um ihn – ohne inhaltliche Änderung – einer nach Abfassung der Vorschrift geänderten Rechts- oder Sachlage anzupassen; das ist vor allem dann der Fall, wenn die Vorschrift auf eine Bestimmung verweist, die zwischenzeitlich einen anderen Standort erhalten hat. Von einer derartigen Anpassung kann hier jedoch nicht die Rede sein. Die Änderung ist vielmehr die Konsequenz der Tatsache, dass sich die Mitglieder des Rechtsausschusses nicht auf die ursprüngliche Fassung des Klammerzusatzes einigen konnten. Diese wurde durch die Änderung also implizit abgelehnt. Demzufolge ist es auch verfehlt, zur Erläuterung der neuen Fassung auf die amtliche Begründung zu der überholten Fassung zurückzugreifen, wie es in der Literatur häufig geschieht.29 Die dürre Begründung lässt sich nur mit dem hohen Zeitdruck erklären, unter dem das Reformgesetz durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht wurde und der von den Oppositionsfraktionen bei der zweiten Beratung im Bundestag durchaus zu Recht mehrfach beklagt worden ist. Nicht zu überzeugen vermag auch die von Huber/Wollenschläger30 entwickelte These von der „verfassungsautonomen Begriffsbildung“, d. h. einem Verständnis des Ausdrucks „verhaltensbezogener Lärm“, das von dem herkömmlichen Verständnis abweicht. Im Ergebnis ist deshalb der Auffassung zu folgen, dass unter dem „verhaltensbezogenem Lärm“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG dasselbe zu verstehen ist, was schon zuvor in Rechtsprechung und Schrifttum darunter in Abgrenzung zum „anlagenbezogenen31 Lärm“ verstanden wurde.32 Es bleibt also dabei: Nicht nur der von 28

BR-Plenarprotokoll 824, 203 – 222. Siehe die Nachweise in Fn. 19. 30 Huber/Wollenschläger (Fn. 17), 1518 ff.; wie sie auch Guckelberger (Fn. 17), 248. Ähnliche Erwägungen finden sich in der Begründung zu dem Entwurf eines bayerischen Gesetzes über die Anforderungen an den Lärmschutz bei Kinder- und Jugendspieleinrichtungen (KJG) vom 29. März 2011 (LT-Drs. 16/8124 vom 29. 03. 2011, 4 f.); zu diesem Gesetz siehe unter D. IV. 31 Den Begriff „anlagenbezogen“ verwendet das Grundgesetz seit der Föderalismusreform in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 („ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen“). 32 So auch Hansmann (Fn. 17); Sauer (Fn. 17), 480 ff.; Eberhard, Die Privilegierung von Kinderlärm im Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin – Ein Vorbild für Nordrhein-Westfalen?, NWVBl. 2011, 456; Scheidler, Der neue § 22 Abs. 1a BImSchG und sein Zusammenspiel mit dem Bauplanungsrecht, ZfBR 2011, 742 (743 f.); ders., Das Zehnte Gesetz zur 29

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Maschinen33, sondern auch der von Menschen in einer Anlage im Sinne des § 3 Abs. 5 produzierte Lärm ist „anlagenbezogen“ und unterfällt damit der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Das gilt etwa für die hier in Rede stehenden Kindertageseinrichtungen und Spielplätze, aber auch für Schulen, Sportanlagen und Festplätze. Der Bundesregierung ist deshalb zuzustimmen, wenn sie in der Begründung zum 10. BImSchG-ÄndG die Gesetzgebungskompetenz des Bundes verteidigt.34 Die von § 22 Abs. 1a BImSchG geregelte Materie gehört zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG.35 Aber selbst dann, wenn man den hier abgelehnten Ansichten folgen würde, hätte dies nicht zur Folge, dass bundesrechtliche Rechtsvorschriften, die verhaltensbezogenen Lärm regeln, nicht mehr gelten. Denn gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG, der ebenfalls im Zuge der Föderalismusreform I seine heutige Fassung erhielt, gilt als Bundesrecht erlassenes Recht fort, obwohl es wegen Änderung des Art. 74 Abs. 1 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte. Der Bund kann es selbst aufheben und auch in Details ändern, aber nicht ersetzen.36 Vor allem aber können die Länder es ersetzen (Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG).

Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, NVwZ 2011, 838 (839 f.); Fricke/Schütte, Die Privilegierung des Kinderlärms im BImSchG – Eine rechtliche Anmerkung zu § 22 Abs. 1a BImSchG, ZUR 2012, 89 (93 ff.). 33 Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass Maschinen auf-, an- und abgestellt sowie gewartet werden müssen, so dass auch der von ihnen ausgehende Lärm seine Ursache letztlich in dem Verhalten von Menschen hat und so betrachtet „verhaltensbezogen“ ist. 34 Die diesbezüglichen Ausführungen der Amtl. Begründung sind wiedergegeben in: Ule/ Laubinger/Repkewitz (Fn. 4), 193 f. 35 Den gegenteiligen Standpunkt vertritt allerdings die Bayerische Staatsregierung, wie die Staatsministerin Emilia Müller in der 884. BR-Sitzung am 17. Juni 2011 zu Protokoll gab (BR-Plenarprotokoll 884, 307* f.). Seit der Ergänzung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG stehe die Gesetzgebungskompetenz sowohl für den Sport- und Freizeitlärm als auch für den Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung nicht mehr dem Bund, sondern den Ländern zu. Bayern könne eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Abs. 1a daher nur auf der Grundlage des Artikels 125a Abs. 1 GG anerkennen. Diese Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes schließe es nicht aus, dass die Länder im Bereich des verhaltensbezogenen Lärms im Sinne des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 24 GG eigene Bestimmungen treffen, die sich auf Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung beziehen und die bisher, z. B. durch die Sportanlagenlärmschutzverordnung, noch bundesrechtlich geregelt sind. Mit dem Inkrafttreten des Bayerischen Gesetzes über Anforderungen an den Lärmschutz bei Kinder- und Jugendspieleinrichtungen (zu diesem Gesetz siehe unter D. IV) würden die entsprechenden bundesrechtlichen Regelungen für Bayern gemäß Art. 125a Abs. 1 GG durch Landesrecht ersetzt. 36 Näheres bei Jarass, in: Jarass/Pieroth (Fn. 19), Art. 125a Rn. 7; Maiwald, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Fn. 19), Art. 125a Rn. 6; Seiler (Fn. 19), Art. 125a Rn. 4; Uhle, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt, 46. Lfg./März 2006, Art. 125a Rn. 27 f.); Wolff, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 19), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 125a Rn. 23. Gegen eine Änderungsbefugnis des Bundes jedoch Degenhart (Fn. 19), Art. 125a Rn. 7.

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C. Der Regelungsgehalt des § 22 Abs. 1a BImSchG Die neue Regelung wirft eine Reihe von Fragen auf, die Literatur und Rechtsprechung noch geraume Zeit zu schaffen machen werden. I. Geräuscheinwirkungen von Kindern (Kinderlärm) Die neue Vorschrift privilegiert nur Geräuscheinwirkungen, die durch Kinder hervorgerufen werden. Damit stellt sich als erstes die Frage, was hier unter Kindern zu verstehen ist. 1. Kinder Der Begriff des Kindes wird sowohl in der Umgangs- als auch in der Gesetzessprache nicht einheitlich verwendet. Schon der Anknüpfungspunkt ist unterschiedlich. Zum einen bezeichnet Kind die Abstammung einer Person von einer anderen. Danach ist auch ein Dreißigjähriger das Kind seiner Eltern. Diesen Begriff meint die Vorschrift mit Sicherheit nicht. Zum anderen benennt der Ausdruck Kind die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Altersgruppe. Wie diese begrenzt ist, variiert allerdings. Überwiegend endet die Kindheit mit der Vollendung des 14. Lebensjahres.37 Teilweise ist die Altersgrenze aber auch anders gezogen. So ist ein Kind im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes „wer noch nicht 15 Jahre alt ist“. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes38 bestimmt in Artikel 1, dass im Sinne dieses Übereinkommens ein Kind jeder Mensch ist, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt. So ist auch Art. 6 Abs. 2 GG zu verstehen, wonach Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind. Der Status als Kind im Sinne dieser Vorschrift endet erst mit Erlangung der Volljährigkeit, also mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Dem trägt § 7 Abs. 2 SGB VIII Rechnung mit der Bestimmung, dass Kind im Sinne des § 1 Abs. 2 SGB VIII ist, wer noch nicht 18 Jahre alt ist; der in Bezug genommene § 1 Abs. 2 wiederholt Art. 6 Abs. 2 GG. Die meisten Regelungen unterscheiden von den Kindern die Jugendlichen. Zu diesen zählen regelmäßig die Personen, die 14 (Jugendarbeitsschutz-

37 So u. a. § 176 Abs. 1 StGB („Person unter vierzehn Jahren“); § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe („wer noch nicht 14 Jahre alt ist, soweit nicht die Absätze 2 bis 4 etwas anderes bestimmen“); § 1 Abs. 1 Nr. 1 Jugendschutzgesetz („Personen, die noch nicht 14 Jahre alt sind“): § 3 Abs. 1 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag („Kind, wer noch nicht 14, Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist“). 38 Vom 20. November 1989 (BGBl. II 1992, 121), am 26. Januar 1990 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet und am 5. April 1992 für Deutschland in Kraft getreten.

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gesetz: 15), aber noch nicht 18 Jahre alt sind.39 Nach der Entstehungsgeschichte des § 22 Abs. 1a BImSchG kann nicht zweifelhaft sein, dass mit Kindern nicht alle Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gemeint sind, sondern nur unter 14 Jahre alte Personen.40 Damit steht fest, dass § 22 Abs. 1a BImSchG dann nicht anwendbar ist, wenn der Lärm von einer Einrichtung ausgeht, deren Benutzer sämtlich 14 Jahre alt oder älter sind. Wie aber verhält es sich, wenn nur wenige, vielleicht sogar nur ein einziger die Altersgrenze überschreiten?41 Weiter stellt sich die Frage, was maßgeblich sein soll: die normative Festlegung der Altersgrenze durch den Betreiber der Einrichtung oder aber die tatsächliche Zusammensetzung der Benutzergruppe. 2. Kinderlärm und andere Emissionen Von § 22 Abs. 1a BImSchG erfasst werden nur Geräuscheinwirkungen. Nicht privilegiert sind andere Emissionen, die von einer der in der Vorschrift genannten Einrichtungen ausgehen. Das gilt etwa für Luftverunreinigungen und Gerüche, hervorgerufen beispielsweise durch Grillen, für Erschütterungen oder Lichteffekte. Unter den Begriff der Geräuscheinwirkung fallen der Amtlichen Begründung42 zufolge alle Geräuscheinwirkungen durch kindliche Laute wie Sprechen und Singen, Lachen und Weinen, Rufen und Schreien und Kreischen, aber auch Geräuscheinwirkungen durch körperliche Aktivitäten wie Spielen, Laufen, Springen und Tanzen, selbst wenn die eigentliche Geräuschquelle in kindgerechten Spielzeugen, Spielbällen und Spielgeräten sowie Musikinstrumenten liegt. Dies gelte auch für Geräuscheinwirkungen durch Sprechen und Rufen von Betreuerinnen und Betreuern, da diese Laute unmittelbar durch die Kinder und ihre Betreuung bedingt seien. Nicht privilegiert sind dagegen solche Geräusche, die nicht – unmittelbar oder mittelbar – durch die Kinder verursacht werden, sondern beispielsweise durch Festivitäten der Betreuer oder anderer Personen außerhalb der Betriebszeit der Einrichtung. Probleme dürften sich in dieser Hinsicht weniger in Bezug auf Kindertageseinrichtungen als vielmehr in Hinblick auf Kinderspielplätze ergeben, wie die Erfah-

39 § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII; § 1 Abs. Nr. 2 Jugendschutzgesetz; § 3 Abs. 1 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag; § 1 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz (Jugendlicher ist, wer zur Tatzeit 14, aber noch nicht 18, Heranwachsender, wer zur Tatzeit 18, aber noch nicht 21 Jahre alt ist). 40 So auch die Amtl. Begründung (BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, 6). 41 Hansmann, Privilegierung von Kinderlärm im Bundes-Immissionsschutzgesetz, DVBl. 2011, 1400 (1403), meint, in derartigen Fällen könne nur eine Beurteilung der konkreten Gegebenheiten unter Berücksichtigung der Bedeutung einer gesunden Entwicklung von jungen Menschen zu einem sachgerechten Ergebnis führen. Entscheidend sei, ob die Geräuscheinwirkungen bei einer Gesamtbetrachtung noch als Kinderlärm angesehen werden könnten. Ob das praktikabel ist, erscheint zweifelhaft. Aber das Dilemma ist nicht dem Autor, sondern dem Gesetzgeber anzulasten, der die Lebenswirklichkeit negiert. 42 BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, 5 f.

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rung lehrt. Werden sie von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen genutzt, ist der dabei erzeugte Lärm nicht privilegiert. Gleiches gilt für Geräuscheinwirkungen, die durch nicht ordnungsgemäß errichtete oder gewartete Einrichtungsgegenstände, z. B. quietschendes Spielgerät, verursacht werden.43 II. Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen § 22 Abs. 1a BImSchG privilegiert nur solche Geräuscheinwirkungen, die Kinder in bestimmten Einrichtungen erzeugen. Da sich die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Nr. 24 GG auf den anlagenbezogenen Lärm beschränkt, muss es sich bei diesen Einrichtungen um Anlagen im Sinne von § 3 Abs. 5 BImSchG handeln. Nicht erfasst wird also der Lärm, den Kinder beispielsweise auf der grünen Wiese, auf der Straße (Stichwort: Fußballspiel im Wendehammer), im Hinterhof oder im Wohnhaus produzieren. Dieser (rein) verhaltensbezogene Kinderlärm fällt jedoch möglicherweise unter die landesrechtlichen Vorschriften, die ebenfalls den Kinderlärm privilegieren wollen (siehe unter D.). 1. Kindertageseinrichtungen Die Amtliche Begründung des 10. BImSchG-ÄndG44 verweist auf § 22 Abs. 1 Satz 1 des Achten Buches des Sozialgesetzbuchs (SBG VIII). Diese Vorschrift definiert „Tageseinrichtungen“ als „ Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden“. Von ihnen unterscheidet das Gesetz die Kindertagespflege. Sie wird „von einer geeigneten Tagespflegeperson in ihrem Haushalt oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten geleistet“ (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Das Nähere über die Abgrenzung von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege regelt das Landesrecht (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII). Die Einrichtung und Führung der (Kinder-)Tageseinrichtungen ist von den Ländern in Ausführungsgesetzen zum Achten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) geregelt. Diese Gesetze haben sehr unterschiedliche Namen: Kindertagesbetreuungsgesetz45, Kinderbildungs-

43 So auch die Amtl. Begründung (Fn. 42), 6, sowie Hansmann, Rechtliche Bewertung von Kinderlärm, in: Appel (Hrsg.), Öffentliches Recht im offenen Staat: Festschrift für Wahl, 2011, 495 (501 f.). 44 BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, 6. 45 Baden-Württemberg: Gesetz über die Betreuung und Förderung von Kindern in Kindergärten, anderen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz – KiTaG) vom 19. März 2009 (GBl. 2009, 161).

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und -betreuungsgesetz46, Kindertagesförderungsgesetz47, Kindertagesstättengesetz48, Tageseinrichtungs- und Kindertagespflegegesetz49, Kinderbetreuungsgesetz50, Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch51, Kinderbildungsgesetz52, Kinderbetreuungs- und -bildungsgesetz53, Kindertageseinrichtungsgesetz54, Kinderförderungsgesetz55.

Sie alle unterscheiden Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Einige von ihnen warten mit Begriffsbestimmungen auf. Trotz unterschiedlicher Formulierungen ist allen Definitionen gemeinsam, dass Kindertageseinrichtungen Einrichtungen sind, die dazu dienen, Kinder ganztägig oder für einen Teil des Tages aufnehmen, um sie zu bilden, zu erziehen und zu betreuen. Wichtig ist den Gesetzgebern der Bildungsauftrag. So ist z. B. in Hessen eine Einrichtung, die lediglich betreut, also eine bloße Verwahranstalt ist, keine Tageseinrichtung für Kinder im Sinne des 46

Bayern: Bayerisches Gesetz zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindergärten, anderen Kindertageseinrichtungen und in Tagespflege (Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz – BayKiBiG) vom 8. Juli 2005 (GVBl 2005, 236). 47 Berlin: Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege – Kindertagesförderungsgesetz – KitaFöG) vom 23. Juni 2005 i. d. F. vom 23. Juni 2005 (GVBl., 322); Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kindertagesförderungsgesetz – KiföG M-V) vom 1. April 2004 (GVOBl. M-V 2004, 146). 48 Brandenburg: Zweites Gesetz zur Ausführung des Achten Buches des Sozialgesetzbuches – Kinder- und Jugendhilfe – (Kindertagesstättengesetz – KitaG) i. d. F. vom 27. Juni 2004 (GVBl. I/04, [Nr. 16], 384); Niedersachsen: Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) i. d. F. vom 7. Februar 2002 (GVBl. 2002, 57); Rheinland-Pfalz: Kindertagesstättengesetz vom 15. März 1991 (GVBl., 79); Schleswig-Holstein: Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflegestellen (Kindertagesstättengesetz – KiTaG) vom 12. 12. 1991 (GVOBl., 651). 49 Bremen: Bremisches Tageseinrichtungs- und Kindertagespflegegesetz. 50 Hamburg: Hamburger Kinderbetreuungsgesetz (KibeG) vom 27. April 2004 (HmbGVBl. 2004, 211) letzte berücksichtigte Änderung: Gesetz vom 6. Juli 2010 (HmbGVBl., 485). 51 Hessen: Hessisches Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch (HKJGB) vom 18. Dezember 2006. 52 Nordrhein-Westfalen: Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (Kinderbildungsgesetz – KiBiz) – Viertes Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes – SGB VIII – vom 30. Oktober 2007 (GVBl., 462). 53 Saarland: Saarländisches Ausführungsgesetz nach § 26 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Saarländisches Kinderbetreuungs- und -bildungsgesetz (SKBBG) vom 18. Juni 2008 (ABl., 1254). 54 Sachsen: Sächsisches Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen (Gesetz über Kindertageseinrichtungen – SächsKitaG), Neufassung vom 15. Mai 2009 (GVBl., 225); Thüringen: Thüringer Gesetz über die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege als Ausführungsgesetz zum Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetz – ThürKitaG – vom 16. Dezember 2005 (GVBl., 371). 55 Sachsen-Anhalt: Gesetz zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege des Landes Sachsen-Anhalt (Kinderförderungsgesetz – KiFöG) vom 5. März 2003 (GVBl. LSA 2003, 48).

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§ 25 HKJGB.56 Erst recht keine Kindertageseinrichtung ist eine Einrichtung, in der die Kinder sich völlig selbst überlassen sind. Die Anerkennung als Kindertageseinrichtung setzt infolgedessen zumindest zweierlei voraus: geeignete Räumlichkeiten und geeignetes Personal. Ohne Belang ist, ob Träger der Einrichtung die öffentliche Hand (z. B. Gemeinde, Landkreis) oder ein Privater (z. B. ein Zusammenschluss von Eltern57 oder eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts) ist.58 Die Länder habe in ihren soeben genannten Gesetzen oder in den Ausführungsverordnungen zu ihnen Anforderungen an die räumliche und personelle Ausstattung der Einrichtungen festgelegt. Die Länder haben den Begriff der (Kinder-)Tageseinrichtung durch Beispiele konkretisiert. Danach gehören zu ihnen vor allem Kindergärten, Kinderkrippen und Kinderhorte, die jeweils für Kinder bestimmter Altersstufen vorgehalten werden. Daneben gibt es etwa „Häuser für Kinder“ (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 BayKiBiG), „altersübergreifende Tageseinrichtungen für Kinder“ (§ 25 Abs. 2 Nr. 4 HKJGB), „Kinderspielkreise“ (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 KiTaG Nds.) und „Kinderhäuser für Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr“ (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 KiTaG SH). 2. Kindertagespflege Den Kindertagesstätten stellen das SGB VIII und die Landesgesetze die Kindertagespflege zur Seite, die von einer geeigneten Tagespflegeperson in ihrem Haushalt oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten geleistet wird (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Die Länder können bestimmen, dass die Kindertagespflege auch in anderen geeigneten Räumen geleistet wird (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII); von dieser Möglichkeit haben die Länder Gebrauch gemacht. § 23 Abs. 3 SGB VIII regelt, welchen Anforderungen eine Tagespflegeperson genügen muss; das Nähere bestimmen die Länder. Ob die Einrichtungen der Kindertagespflege durch § 22 Abs. 1a BImSchG als „ähnliche Einrichtungen“ privilegiert werden, ist nicht völlig klar.59 In der Amtlichen Begründung60 heißt es: 56

103.

Hofmeister, Hessisches Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch, Kommentar, 2009, § 25,

57 Gemäß § 25 SGB VIII sollen Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte, die die Förderung von Kindern selbst organisieren wollen, beraten und unterstützt werden. § 3 Abs. 3 KitaFöG Berl kennt „Eltern-Initiativ-Kindertagesstätten“; das sind „Tageseinrichtungen, in denen Eltern die Förderung ihrer Kinder selbst organisieren“. 58 Nach Art. 3 Abs. 1 BayKiBiG können Träger von Kindertageseinrichtungen kommunale, freigemeinnützige und sonstige Träger sein. Sonstige Träger sind insbesondere Elterninitiativen, privatwirtschaftliche Initiativen, nichtrechtsfähige Vereine und natürliche Personen (Abs. 4). 59 Vgl. Hansmann (Fn. 41), 1404; Scheidler (Fn. 32), 744. 60 BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, 6.

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„Unter ähnlichen Einrichtungen wie Kindertageseinrichtungen sind bestimmte Formen der Kindertagespflege gemäß § 22 Absatz 1 Satz 2 SGB VIII zu verstehen, die nach ihrem Erscheinungsbild ähnlich wie Kindertageseinrichtungen betrieben werden (z. B. Kinderläden).“

Damit war der Bundesrat nicht zufrieden. In seiner Stellungnahme61 zu dem Regierungsentwurf monierte er, die von dem zweiten Satzteil vorgenommene Einschränkung sei zum einen konkretisierungsbedürftig, und fuhr fort: „Zum anderen wird hierdurch ein großer Teil der Kindertagespflege von der Privilegierung ausgeschlossen, insbesondere der Regelfall, in dem die Tagespflegeperson in ihrem Haushalt bis zu fünf Kinder betreut. Wenn im Rahmen des Immissionsschutzrechts eine Privilegierung dieser Art der Tagespflege nicht umsetzbar sein sollte, wird um Prüfung dazu gebeten, wie dies unter Einbeziehung weiterer Rechtsgebiete (z. B. Zivilrecht) erreicht werden kann.“

Hierauf reagierte die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung62 mit folgenden kryptischen Ausführungen: „Von der vorgesehenen Privilegierung des Kinderlärms in § 22 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes werden nicht nur Kindertagesstätten und Kinderspielplätze erfasst, sondern auch ähnliche Einrichtungen. Dazu gehören auch Einrichtungen der Kindertagespflege (z. B. Kinderläden). Im Hinblick auf die Kindertagespflege, die durch eine Tagespflegeperson in ihrem Haushalt durchgeführt wird und die vom anlagenbezogenen Lärmschutzrecht des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht erfasst werden kann, entfaltet aber die immissionsschutzrechtliche Privilegierung des Kinderlärms eine Ausstrahlungswirkung auch auf das zivilrechtliche Nachbarschaftsrecht sowie das sonstige Zivilrecht, insbesondere das Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht. Auf diese Ausstrahlungswirkung wird in der Gesetzesbegründung hingewiesen. Aufgrund der Ausstrahlungswirkung sind Änderungen in weiteren Rechtsgebieten nicht erforderlich.“

Eine Klärung bringen diese Ausführungen nicht. Da dem Bund die Gesetzgebungskompetenz nur für den anlagenbezogenen Kinderlärm zusteht, kann eine Tagespflegeeinrichtung nur dann als „ähnliche Einrichtung“ im Sinne von § 22 Abs. 1a BImSchG qualifiziert werden, wenn im konkreten Fall die Voraussetzungen des § 3 Abs. 5 BImSchG erfüllt sind. In Betracht kommen Nr. 1 (ortsfeste Betriebsstätte) und Nr. 3 (Grundstück, auf dem Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können). Der Begriff der Betriebsstätte wird weit ausgelegt. Als Betriebsstätten angesehen worden sind z. B. Werksgebäude, Diskotheken, Ballettschulen, Verkaufsstellen, Hotelgaststätten und Kindergärten. In Anbetracht dessen sollte man keine Hemmungen haben, eine Tagespflegeeinrichtung als Betriebsstätte anzuerkennen, wenn die Betreuung der Kinder in Räumlichkeiten durchgeführt wird, die dafür eingerichtet sind, in denen also altersgerechtes Spielzeug, Wickel- und Ruhemöglichkeiten u. Ä. vorgehalten werden, wie sie bei einer Kindertagesstätte üblich 61 62

BR-Drs. 128/11 (Beschluss) vom 15. April 2011 = BT-Drs. 17/5709 vom 4. Mai 2011, 7. BT-Drs. 17/5709 vom 4. Mai 2011, 8.

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sind. Diese Räumlichkeiten können sich im Haushalt der Pflegeperson oder der Personensorgeberechtigten (etwa einer der Mütter oder Väter der betreuten Kinder) oder anderwärts befinden. 3. Kinderspielplätze Ausdrücklich genannt werden von § 22 Abs. 1a BImSchG auch Kinderspielplätze. Ein Spielplatz ist eine Fläche unter freiem Himmel, die dazu bestimmt und dafür ausgestattet ist, dass Kinder auf ihr spielen.63 Typische Ausstattungsgegenstände sind Sandkästen, Wippen, Klettergerüste, Rutschen, Schaukeln, Karussells. Keine Kinderspielplätze sind Sportanlagen und Bolzplätze64, weil sie in der Regel nicht nur von Kindern, sondern auch – oft primär – von Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt werden.65 Zutreffend definiert das VG München in seinem Urteil vom 5. August 200866 die Begriffe Spielplatz und Bolzplatz mit folgenden Worten: „Unter einem Bolzplatz ist ein i. d. R. öffentlicher Platz zu verstehen, der von der Gemeinde für Kinder und Jugendliche zum Fußball spielen in ihrer Freizeit zur Verfügung gestellt wird und üblicherweise aus einem Feld mit ein oder zwei Toren und ggf. Umzäunungen besteht (…). Kinderspielplätze sind demgegenüber Anlagen, die mit mehreren Spielgeräten (etwa Schaukeln, Rutschbahnen, Wippen, Sandkasten, Klettergeräte etc.) ausgestattet sind, mit bzw. auf denen Kinder spielen sollen. Im Gegensatz zum Bolzplatz ist der Kinderspielplatz insbesondere auf eine Mehrfachnutzung ausgelegt, zu der im Einzelfall auch das Ballspiel gehören kann; der Bolzplatz hingegen dient ausschließlich dem Fußballspiel.“

Eine „nackte“ Rasenfläche ist kein Kinderspielplatz, selbst wenn sie regelmäßig zum Spielen dient.67 Der Ausdruck Kinderspielplatz gehört seit langem der Gesetzessprache an. Seiner bedienen sich insbesondere das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht. So können nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB Spielplätze im Bebauungsplan festgesetzt werden. Die (Landes-)Bauordnungen bestimmen, dass unter bestimmten Voraussetzungen, die von Land zu Land variieren, bei der Errichtung eines Gebäudes ein Spielplatz für Kleinkinder auf dem Baugrundstück oder in dessen Nähe anzulegen ist, und

63

Zum Begriff Kinderspielplatz siehe auch Macht/Scharrer, Einrichtungen für Kinder und Jugendliche im Verhältnis zur Nachbarschaft, DÖV 2009, 657 (658). 64 Das OVG Berlin, Urt. v. 22. 04. 1993, Ule/Laubinger/Repkewitz (Fn. 4), Rspr. § 22 Nr. 81, 3 = NVWZ-RR 1994, 141, definiert den Bolzplatz als ein mit einem höheren Ballfangzaun versehenes Spielfeld, auf dem regelmäßig lärmintensiv ohne feste Regeln Fußball gespielt, „gebolzt“, wird. 65 So auch die Amtl. Begründung (BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, 6). 66 VG München, Urt. v. 05. 08. 2008, Az. M 1 K 08.210. 67 Anders jedoch Hansmann (Fn. 41), 1402: Auf die Aufstellung von festen Geräten komme es nicht an. Maßgebend sei vielmehr, ob das Grundstück ausdrücklich oder konkludent zum Spielen von Kindern bestimmt ist und mit einer gewissen Regelmäßigkeit als Spielfläche genutzt wird.

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dass u. U. auch für bestehende Gebäude die Anlegung eines solchen Kleinkinderspielplatzes verlangt werden kann.68 4. Ähnliche Einrichtungen § 22 Abs. 1a BImSchG will auch „ähnliche Einrichtungen“ privilegieren, wobei nicht eindeutig ist, ob diese Einrichtungen stets Kinderspielplätzen ähnlich sein müssen oder ob auch den Kindertageseinrichtungen ähnliche Einrichtungen in Betracht kommen; man wird wohl letzteres annehmen müssen. Jedenfalls muss es sich um eine Anlage im Sinne von § 3 Abs. 5 BImSchG handeln; denn hierauf beschränkt sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Unter ähnlichen Einrichtungen wird man kleinräumige Einrichtungen zu verstehen haben, die für das Spielen von Kindern bestimmt und geeignet sind und in Anbetracht ihrer Funktion in der Nähe von Wohngebieten gelegen sein müssen.69 Als Beispiel einer ähnlichen Einrichtung nennt Abs. 1a Ballspielplätze. Ballspiele sind Spiele, bei denen das Spielgerät ein Ball oder ein Kugel ist. Ballspiele sind insbesondere Fußball, aber auch Hand-, Volley- und Korbball, Hockey, Tennis und Tischtennis. In Anbetracht des Umstandes, dass der Bund nur für die Regelung anlagenbezogenen Lärms zuständig ist, reicht eine „nackte“ Rasen- oder Sandfläche nicht aus, sondern es müssen Einrichtungen vorhanden sein, die für die Ausübung des Ballspiels erforderlich sind, etwa kleine Fußballtore, Netze oder Tischtennisplatten. Derartige Ballspielplätze fallen bereits unter die Kategorie der Kinderspielplätze, sofern sie ausschließlich dem Ballspiel von Kindern dienen. Die Qualifizierung als „ähnliche Einrichtungen“ ist daher nicht recht verständlich. III. Die Negation der Schädlichkeit des Kinderlärms und ihre Folgen Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden, sollen im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung sein. Dass in die Umgebung der Einrichtung ausstrahlender Kinderlärm eine Umwelteinwirkung darstellt, lässt sich schlechterdings nicht in Abrede stellen. § 22 Abs. 1a BImSchG nimmt dem Kinderlärm lediglich das Stigma der Schädlichkeit. Das hat zur Folge, dass eine der Voraussetzungen von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BImSchG nicht mehr vorliegt. Das würde – beim Wort genommen – bedeuten, 68

§ 9 Abs. 2 LBO BW, Art. 7 Abs. 2 BayBO, § 8 Abs. 2 und 3 BauO Bln, § 7 Abs. 3 Satz 2 BrbBO, § 8 Abs. 3 und 4 BremLBO, § 8 Abs. 2 HBO, § 8 Abs. 2 LBauO M-V, § 11 LBauO NRW, § 11 LBauO RP, § 10 Abs. 2 LBO Saarland, § 8 Abs. 2 SächsBO, § 8 BauO LSA, § 8 Abs. 2 LBO SH, § 9 Abs. 2 ThürBO. 69 Ähnlich Scheidler (Fn. 32), 840; Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 9. Aufl. 2012, § 22 Rn. 34a.

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dass der Betreiber der Einrichtung Kinderlärm auch dann nicht verhindern muss, wenn er nach dem Stand der Technik vermeidbar ist, und dass der nach dem Stand der Technik unvermeidbare Lärm nicht auf das Mindestmaß beschränkt werden muss. Die Immissionsschutzbehörden dürfen keine Anordnung nach § 24 BImSchG erlassen, wenn gegen die Gebote von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 verstoßen wird. Ja, sie könnten noch nicht einmal dann den Betrieb der Einrichtung untersagen, wenn durch den Lärm das Leben oder die Gesundheit der Nachbarn gefährdet wird. Und schließlich müsste einem Bauantrag stattgegeben werden, selbst wenn abzusehen ist, dass die Nachbarschaft durch die zu schaffende Einrichtung voraussichtlich in unzumutbarer Weise belästigt oder gar in ihrer Gesundheit gefährdet werden wird. Der Gesetzgeber versucht, nicht tragbare Auswirkungen durch die Wort „im Regelfall“ zu vermeiden. Der Amtlichen Begründung70 zufolge liegt ein vom Regelfall abweichender Sonderfall jedoch nur dann vor „wenn besondere Umstände gegeben sind, zum Beispiel die Einrichtungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu sensiblen Nutzungen wie Krankenhäusern und Pflegeanstalten gelegen sind, oder sich die Einrichtungen nach Art und Größe sowie Ausstattung in Wohngebiete und die vorhandene Bebauung nicht einfügen“.

Das bedeutet, dass der „normale“ Nachbar gegenüber einer Kindertageseinrichtung oder einem Spielplatz keine Chance haben soll. Das vermag im Ergebnis nicht durchweg zu überzeugen und dürfte auch dem Willen des Gesetzgebers kaum entsprechen. Man wird vielmehr zwei Konstellationen voneinander unterscheiden müssen, nämlich zum einen die, dass die Nachbarn gegen eine bereits bestehende Einrichtung im Sinne des § 22 Abs. 1a BImSchG vorgehen wollen, und zum anderen die, dass sie die Errichtung einer Einrichtung in ihrer Nachbarschaft verhindern wollen. Wie die Entstehungsgeschichte belegt, ging es dem Gesetzgeber darum zu verhindern, dass bereits bestehende Einrichtungen geschlossen werden müssen, weil Nachbarn sich belästigt fühlen. Bei einer derartigen Fallgestaltung nimmt § 22 Abs. 1a BImSchG den Nachbarn die Möglichkeit, sich darauf zu berufen, die Lärmimmissionen seien unzumutbar. Die Privilegierung stößt jedoch spätestens dann an ihre Grenzen, wenn der Lärm das Leben oder die Gesundheit der Nachbarschaft gefährdet.71 Denn diese durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter haben den Vorrang vor dem Recht der Kinder auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch Lärmentfaltung. In einem solchen Fall muss die zuständige Behörde den Betrieb nach § 25 Abs. 2 BImSchG untersagen, falls die Gefahr nicht auf andere Art und Weise behoben werden kann. Wesentlich anders ist die Situation, wenn eine Einrichtung – sei es durch Neubau, sei es durch Nutzungsänderung – erst geschaffen werden soll. Es ist nicht einsichtig, 70

BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, 7. Ebenso Krumb, Kinderlärm als Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen, BauR 2011, 1251 (1261 f.); Fricke/Schütte (Fn. 32), 90 f. 71

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dass auch in einem solchen Fall der von der geplanten Einrichtung voraussichtlich ausgehende Kinderlärm nicht „schädlich“ sein soll, obwohl er für die Nachbarschaft nach den üblichen Maßstäben unzumutbar sein wird. Anderes mag dann gelten, wenn der ins Auge gefasste Standort für die Einrichtung der einzig in Betracht kommende ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in Rede stehenden Einrichtungen in der Nähe der Wohnungen, also nicht „irgendwo da draußen“ platziert werden sollen. IV. Verbot der Heranziehung von Immissionsgrenzwerten und Immissionsrichtwerten (§ 22 Abs. 1a Satz 2 BImSchG) Der Satz 2 des § 22 Abs. 1a BImSchG untersagt, bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen Immissionsgrenzwerte und Immissionsrichtwerte heranzuziehen. Dieses Verbot richtet sich sowohl an die Verwaltung als auch an die Gerichte. Zur Begründung führt die Amtliche Begründung72 aus, solche quantitativen Werte seien für Kindereinrichtungen nicht angebracht; die ihnen zugrunde liegenden Lärmindizes in Form von Dezibel (dB) seien physikalische Größen der Akustik, so dass ein allein darauf beruhender Bewertungsmaßstab für die Beurteilung der von spielenden Kindern hervorgerufenen Geräuscheinwirkungen dem besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft grundsätzlich nicht gerecht werden könne. Mithin sei für die Beurteilung entscheidend, ob sich Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen nach Art und Größe sowie Ausstattung in Wohngebiete und die vorhandene Bebauung einfügen. In einem solchen Regelfall lägen die von den Einrichtungen hervorgerufenen Geräuscheinwirkungen durch spielende Kinder im Rahmen des Üblichen und seien nicht geeignet, eine erhebliche Belästigung für die Nachbarschaft und damit eine schädliche Umwelteinwirkung im Sinne des § 3 Absatz 1 BImSchG herbeizuführen.

Diese Ausführungen werden der bisherigen Judikatur, die durch den Abs. 1a korrigiert werden soll, nicht gerecht. Sie rennen offene Türen ein. Die Gerichte wurden in der Vergangenheit nicht müde zu betonen, dass die Entscheidung darüber, ob Kinderlärm schädlich ist, nicht lediglich aufgrund physikalischer Größen ermittelt werden kann, sondern dass stets eine Bewertung vorzunehmen ist, bei der eine Reihe von Faktoren berücksichtigt werden muss, insbesondere die soziale Akzeptanz. So heißt es in dem Beschluss des BVerwG vom 11. Februar 200373, in dem es um einen Bolzund Skateplatz ging: Die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräuschen, die von Anlagen der in Rede stehenden Art ausgehen, müsse wegen deren Atypik und Vielgestaltigkeit weitgehend der tatrichterlichen Wertung im Einzelfall vorbehalten bleiben. Diese richte sich insbesondere nach der durch Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit, wobei wertende Elemente wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz mitbestimmend seien.

72

BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, 7 f. BVerwG, Ule/Laubinger/Repkewitz (Fn. 4), Rspr. § 22 Nr. 155, 3 = DVBl. 2003, 808 f. = DÖV 2003, 632 f. 73

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Schon in der Vergangenheit hat die Rechtsprechung es abgelehnt, die Immissionswerte der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung)74, der TA Lärm75, der VDI-Richtlinie 2058 oder der Freizeitlärmrichtlinie76 auf die hier in Rede stehenden Einrichtungen anzuwenden, sondern hat ihnen allenfalls Anhaltspunkte für die Bewertung entnommen oder hat sie – was dasselbe bedeutet – als Orientierungshilfe verwendet.77 Sowohl die 18. BImSchV (§ 2) als auch die TA-Lärm (Nr. 6) und die LAI-Freizeitlärmrichtlinie (Nr. 4) enthalten Immissionsrichtwerte. Richtwerte sind – anders als Grenzwerte – keine Werte, die unter keinen Umständen überschritten werden dürfen, sondern Werte, an denen sich eine von der Verwaltung im konkreten Einzelfall vorzunehmende Wertung ausrichtet. Sie sind nicht als absolute Zumutbarkeitsschwelle anzusehen.78 Angesichts der nur indizierenden Funktion der Immissionsrichtwerte und der bisherigen gerichtlichen Praxis ist das von § 22 Abs. 1a Satz 2 BImSchG verhängte Verbot kaum nachvollziehbar. Wie bisher werden die Behörden und Gerichte auch künftig unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles eine Entscheidung darüber treffen müssen, ob der Kinderlärm den Nachbarn zugemutet werden kann.79

74 Weder Kindertageseinrichtungen noch Kinderspielplätze sind Sportanlagen im Sinne der 18. BImSchV. 75 Nr. 1 Abs. 2 Buchst. h TA Lärm schließt „Anlagen für soziale Zwecke“, zu denen Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplatze unbestritten gehören, ausdrücklich aus seinem Anwendungsbereich aus. 76 Die Freizeitlärmrichtlinie wurde 1995 vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) beschlossen. Sie ist inzwischen von mehreren Ländern durch Verwaltungsvorschrift für verbindlich erklärt worden. Ihre Nr. 1 schließt Kinderspielplätze, die die Wohnnutzung in dem betroffenen Gebiet ergänzen, expressis verbis von ihrem Anwendungsbereich aus und betont zugleich, die mit ihrer Nutzung unvermeidbar verbundenen Geräusche seien sozialadäquat und müssten deshalb von den Nachbarn hingenommen werden. 77 Zur Nichtanwendbarkeit der Regelwerke siehe auch Dietrich/Kahle, Immissionsschutzrechtliche Beurteilung von Kindergartenlärm und Lärm von Kinderspielplätzen, DVBl. 2007, 18 (20 f.); Böhm, Schutz vor Kinderlärm?, LKRZ 2007, 409 (411 f.). 78 OVG Münster, Ule/Laubinger/Repkewitz (Fn. 4), Rspr. § 22 Nr. 87, Ls. 1 und S. 2 f. = NWVBl. 1994, 385 = UPR 1994, 310; nach Nr. 4 der LAI-Freizeitlärmrichtlinie markieren die von ihr festgelegten Immissionsrichtwerte die Schwelle, oberhalb der in der Regel (sic!) mit erheblichen Belästigungen zu rechnen ist. 79 So auch Fricke/Schütte (Fn. 32), 92.

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D. Kinderlärm-Vorschriften der Länder Während einige Bundesländer bewusst80 eine bundesrechtliche Regelung abgewartet haben, haben andere Länder – teilweise schon vor dem Bund – Vorschriften erlassen, die den von Kindern verursachten Lärm privilegieren sollen. I. Berlin Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Landes-Immissionsschutzgesetzes vom 3. Februar 2010 (GVBl., 38) wurde dem Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin vom 5. Dezember 2005 (GVBl., 735) folgender § 6 Abs. 1 eingefügt: „Störende Geräusche, die von Kindern ausgehen, sind als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung und zur Erhaltung kindgerechter Entwicklungsmöglichkeiten grundsätzlich sozialadäquat und damit zumutbar.“

Die Vorschrift81 beruht auf einem wortgleichen Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin vom 16. September 2009.82 Zur Gesetzgebungskompetenz und zum Anwendungsbereich äußert sich die Begründung nicht. Der Gesetzentwurf wurde in der 58. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 28. Januar 2010 mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der FDP, die die Regelung für überflüssig hielt, bei Stimmenthaltung der CDU, deren Alternativentwürfe gleichzeitig abgelehnt wurden, angenommen.83 Das OVG Berlin-Brandenburg betont in seinem Urteil vom 11. September 201084, die von dieser Vorschrift angestrebte Privilegierung von Kinderlärm sei bei der Entscheidung über die Zumutbarkeit von Lärm, der von einem Bolzplatz ausgeht, im Rahmen der erforderlichen Einzelfallbetrachtung zu berücksichtigen.

II. Hamburg Das Hamburgische Lärmschutzgesetz vom 30. November 201085 enthält sogar einen eigenen „Teil 2 Geräusche aus Kindertageseinrichtungen“, der die §§ 5 bis 8 umfasst. Sein § 6 stellt den Grundsatz auf, durch kindliches Spielen hervorgerufene Geräusche im Bereich von Kindertageseinrichtungen seien grundsätzlich verträglich mit anderen Nutzungen, insbesondere in Wohngebieten. § 7 bestimmt alsdann, bei 80 So z. B. die Hessische Landesregierung mit Verweis auf den Koalitionsvertrag auf Bundesebene (LT-Plenarprotokoll 18/49, 3392 ff.). 81 Zu ihr s. auch Rojahn (Fn. 19), 756; sowie Eberhard (Fn. 32), 456 ff. 82 Drs. 16/2644 vom 16. September 2009. 83 Abgeordnetenhaus, Plenarprotokoll 16/58, 5577 – 5582. 84 OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11. 11. 2010, Az. 11 B 24.08 = juris, Rn. 40 f. 85 Hamburgisches Gesetz zum Schutz gegen Lärm (Hamburgisches Lärmschutzgesetz – HmbLärmSchG) vom 30. 11. 2010.

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der Ermittlung der Erheblichkeit von Belästigungen und Nachteilen im Sinne von § 22 Abs. 1 BImSchG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BImSchG sei jener Grundsatz „mit besonderem Gewicht einzubeziehen“. Es seien alle im Einzelfall bedeutsamen Umstände zu ermitteln. Den Anstoß zu dieser Regelung gaben Abgeordnete der SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft, die den aus fünf Paragraphen bestehenden Entwurf zu einem „Gesetz zur Regelung von Geräuschimmissionen von Kindern und Jugendlichen in Hamburg (Hamburgisches Kinderlärmgesetz)“ eingebracht hatten.86 Die Abgeordneten gingen dabei davon aus, den Ländern stehe als Folge der Föderalismusreform die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zum Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm zu. Hierzu zählten auch die Lebensäußerungen von Kindern und Jugendlichen. Die Gesetzgebungskompetenz ergebe sich unmittelbar aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. Die bisherigen Schwierigkeiten in Bezug auf die Ermächtigungsgrundlage für eine eigenständige Landesregelung beständen daher nicht mehr. Die den Senat tragenden Fraktionen von CDU und GAL konterten mit einem Entschließungsantrag87, der den Senat ersuchte, 1. eine Auswertung der jetzigen Rechtslage unter Einbeziehung der in Hamburg erfolgten Urteile vorzulegen. 2. Vorschläge zu verbesserten Regelungen zu erarbeiten, die ein Privilegieren von Kinderlärm gegenüber Gewerbelärm beinhalten und damit größere Sicherheit für die Planung und den Betrieb von Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen. Vier Monate später forderten die beiden Fraktionen den Senat auf, „den Entwurf eines Lärmschutzgesetzes vorzulegen, in dem Regelungen zum verhaltensbezogenen Lärm und zu Geräuschen aus Kindertagesstätten getroffen werden“88. Dieser Aufforderung kam der Senat mit einer Mitteilung vom 6. Juli 2010 nach89, indem er die beiden Ersuchen beantwortete und den Entwurf zu dem Lärmschutzgesetz vorlegte, der alsdann Gesetzeskraft erlangte.

III. Rheinland-Pfalz Durch das Dritte Änderungsgesetz zur Änderung des Landes-Immissionsschutzgesetzes vom 9. März 2011 (GVBl., 75) wurde dem § 3 des Landes-Immissionsschutzgesetzes vom 20. Dezember 2000 (GVBl., 578) folgender Abs. 2 angefügt: „Kinderlärm stellt grundsätzlich keine schädliche Umwelteinwirkung dar und ist als sozialadäquat in der Regel zumutbar.“

Ob diese Vorschriften nur den verhaltensbedingten Kinderlärm umfassen oder auch den anlagenbedingten, den § 22 Abs. 1a BImSchG im Auge hat, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollen sie ausschließlich den verhaltensbedingten Kinderlärm normieren. Denn die Lan86

Bürgerschafts-Drs. 19/1023 vom 3. September 2008. Bürgerschafts-Drs. 19/1098 vom 16. September 2008. 88 Bürgerschafts-Drs. 19/2024 vom 20. Januar 2009. 89 Bürgerschafts-Drs. 19/6680 vom 6. Juli 2010.

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desregierung begründete ihren Regelungsvorschlag, der unverändert Gesetz wurde, wie folgt90 : „Wenn Kinder spielen, verursachen sie Geräusche, die von Erwachsenen nicht selten als belästigender Lärm empfunden werden. Da es bisher weder im Bundes- noch im Landesrecht Bestimmungen zum Kinderlärm gibt, kommt es in der Praxis immer wieder zu Konflikten, die dann häufig in Klagen vor den Gerichten münden. Wenngleich inzwischen weitestgehend die Überzeugung vorherrscht, dass kindlicher Lärm nicht mit Gewerbe- oder Verkehrslärm gleichgesetzt werden kann und Kinderlärm von den Gerichten in der Regel als sozialadäquat betrachtet wird, führen gerichtliche Auseinandersetzungen zur Verunsicherung bei Eltern, Erzieherinnen und Erziehern. Nach dem Wortlaut des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 24 des Grundgesetzes steht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für anlagenbezogenen Lärm zu, von der er insbesondere durch den Erlass des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) Gebrauch gemacht hat. Anlagen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind auch Kindertagesstätten und Spielplätze. Demgegenüber liegt der sogenannte verhaltensbezogene Lärm in der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Es obliegt daher den Ländern, selbst Regelungen zu treffen, wie Kinderlärm außerhalb von Anlagen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu behandeln ist. Dem dient die neue Vorschrift des § 3 Abs. 2 LImSchG. Damit wird auch landesgesetzlich festgeschrieben, was inzwischen weitgehend Konsens in der Rechtsprechung ist, dass Kinderlärm in der Regel keine schädliche Umwelteinwirkung ist und als sozialadäquat grundsätzlich hinzunehmen ist. Auch wenn Anlass für Konflikte meist Kinderlärm aus ,Anlagen‘ sein wird, kann die neue Vorschrift dennoch Signalwirkung zu mehr Verständnis für Kinderlärm haben und im Bereich des verhaltensbezogenen Lärms eine Vermutung für die Zulässigkeit des Kinderlärms bedeuten.“

Mit diesen Ausführungen anerkannte die rheinland-pfälzische Landesregierung, dass dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung des anlagenbedingten Kinderlärms zusteht.91 90 LT-Drs. 15/5124 vom 9. November 2010, 5 f., der Gesetzentwurf wurde am Ende der ersten Beratung im LT in der 10. Sitzung am 18. November 2010 (LT-Plenarprotokoll 15/102, 5999 – 6002) an die Ausschüsse verwiesen. Der federführende Ausschuss für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz empfahl die Annahme, ohne Einblick in die Ausschussberatungen und die vom Umweltausschuss durchgeführte Anhörung zu gewähren (LT-Drs. 15/5399 vom 17. Februar 2011). Nach der zweiten Beratung im LT in der 109. Sitzung am 23.02. 2011 wurde der GesE einstimmig angenommen (LT-Plenarprotokoll 15/109, 6433 – 6438). In beiden Sitzungen wurde an der Kinderlärmregelung von Seiten der Oppositionsparteien CDU und FDP Kritik geübt. 91 Der der Opposition angehörende CDU-Abgeordnete Weiner bekräftigte diese Ansicht in der zweiten Beratung des GesE im rheinland-pfälzischen Landtag mit den Worten: „Während der Bund für die Neuregelung von sogenanntem anlagebedingtem Lärm zuständig ist, sind die Länder zuständig für den verhaltensbedingten Lärm, also für den Lärm, der außerhalb solcher Anlagen entsteht, zum Beispiel in Höfen, Gärten, auf Bürgersteigen, in Grünanlagen und Parks sowie in Biergärten.“ (Plenarprot. 15/109, 6434). Ebenso die der SPD angehörende Staatssekretärin Kraege (in: ebda., 6437): „Das, was wir nach der Verfassung als Land umsetzen können, haben wir in dem Gesetz über unseren verhaltensbezogenen Lärm geregelt. Dafür haben wir die Gesetzgebungskompetenz. Für den anlagenbezogenen Lärm liegt die

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IV. Bayern Der Freistaat hat am 20. Juli 2011 das Gesetz über Anforderungen an den Lärmschutz bei Kinder- und Jugendeinrichtungen (KJG) (GVBl., 304) erlassen. Es regelt die Zulässigkeit von Immissionen durch Geräusche von Kinder- und Jugendspieleinrichtungen in der Nachbarschaft von Wohnbebauung (Art. 1 Satz 1 KJG) und gilt für Kindertageseinrichtungen, Großtagespflegestellen und Kinderspieleinrichtungen sowie für die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb von Anlagen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Bayerischen Bauordnung92 im Freien, die überwiegend Jugendlichen zur Freizeitgestaltung, insbesondere auch zur körperlichen Ertüchtigung, dienen (Art. 1 Satz 2 KJG). Nicht erfasst sind hingegen andere Anlagen für soziale Zwecke sowie Sportanlagen (Art. 1 Satz 3 KJG). Dieses Gesetz geht erheblich über § 22 Abs. 1a BImSchG hinaus, und zwar vor allem dadurch, dass es nicht nur den Kinderlärm, sondern auch den von Jugendlichen erzeugten Lärm reglementiert. Das Gesetz trifft eine differenzierende Regelung für diese beiden Bereiche. Art. 2 bestimmt, dass die natürlichen Lebensäußerungen von Kindern, die Ausdruck natürlichen Spielens oder anderer kindlicher Verhaltensweisen sind, als sozialadäquat hinzunehmen sind. Die sich anschließenden Art. 3 bis 6 KJG beziehen sich ausschließlich auf Jugendspieleinrichtungen und bleiben deshalb hier außer acht. Die Bayerische Staatsregierung geht offenbar davon aus, dass Kinderlärm jeder Art – auch soweit er in den in § 22 Abs. 1a BImSchG genannten Einrichtungen verursacht wird – nicht mehr nach dieser Vorschrift, sondern ausschließlich nach Art. 2 KJG zu beurteilen ist. In der Amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs, der ohne Änderung Gesetzeskraft erlangte, heißt es93: „Eine Beurteilung, auch entsprechend, von ,Kinderlärm‘ nach Vorschriften des BImSchG findet daher in Bayern künftig nicht mehr statt. Dies gilt auch, wenn der Betrieb von Schulen zu einer steigenden Lärmbelastung der Anwohner führen sollte. Unnötig störender Lärm ist zu vermeiden.“

Hierfür spricht auch die bereits mitgeteilte Erklärung94 der bayerischen Staatsministerin Emilia Müller im Bundesrat anlässlich der zweiten Beratung des 10. BImGesetzgebungskompetenz beim Bund. Deswegen muss die Bundesregierung im Rahmen ihrer gesetzgebenden Zuständigkeit handeln, damit Eltern mit Kindern sowie Kommunen und Träger von Einrichtungen für Kinder vor Klagen wegen Kinderlärm geschützt werden.“ 92 Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayBauO definiert bauliche Anlagen als „mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen“. Als bauliche Anlagen gelten gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 3 solche Anlagen, die nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt sind, überwiegend ortsfest benutzt zu werden, sowie 1. Aufschüttungen, soweit sie nicht unmittelbare Folge von Abgrabungen sind, 2. Lagerplätze, Abstellplätze und Ausstellungsplätze, 3. Campingplätze und Wochenendplätze, 4. Freizeit- und Vergnügungsparks sowie 5. Stellplätze für Kraftfahrzeuge. 93 Bay. Landtag, Drs. 16/8124 vom 29. März 2011, 5. 94 Siehe Fn. 35.

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SchG-ÄndG. Aus dem zweiten der soeben zitierten Sätze ergibt sich ferner, dass Art. 2 KJG auch für den Lärm gelten soll, den Kinder in einer Schule produzieren, also in einer Anlage, die außerhalb des Anwendungsbereichs von § 22 Abs. 1a BImSchG liegt. Der Art. 2 KJB privilegiert den Kinderlärm noch rigoroser, als § 22 Abs. 1a BImSchG dies tut, der die Privilegierung ausdrücklich nur für den Regelfall gelten lässt. Eine solche oder ähnliche Einschränkung enthält die bayerische Vorschrift nicht. Sie ist auch nicht gewollt, wie sich aus der Äußerung der Abg. Christa Stewens (CSU) in der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs im Bayerischen Landtag ergibt95 : „Kinderlärm wird grundsätzlich ausgenommen. Es gibt keine Einschränkungen mehr bei Kindern.“ Das wird sich angesichts von Art. 2 Abs. 2 GG schwerlich durchhalten lassen. V. Zulässigkeit und Anwendungsbereich der landesrechtlichen Kinderlärm-Vorschriften Damit stellt sich die Frage, welcher Spielraum den Ländern zur Regelung des Kinderlärms nach Erlass des § 22 Abs. 1a BImSchG verblieben ist und ob die soeben genannten landesrechtlichen Vorschriften auf einer ausreichenden Gesetzgebungskompetenz beruhen – eine Frage, die hier angesichts des beschränkten Raumes nicht ausdiskutiert werden kann.96 Zur Erinnerung: Den Ländern steht die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis für den verhaltensbezogenen Lärm sowie die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den anlagenbezogenen Lärm zu (s. o. B.). Sie sind daher befugt, den verhaltensbezogenen Kinderlärm zu regeln, z. B. den Lärm von Kindern auf der Straße, auf Innenhöfen oder auf der grünen Wiese. Dagegen ist ihnen die Regelung des anlagenbezogenen Kinderlärms verwehrt, soweit der Bund von seiner (konkurrierenden) Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Dieser hat nun aber den Kinderlärm durch § 22 Abs. 1a BImSchG nur insoweit privilegiert, als er in Kindertageseinrichtungen, auf Kinderspielplätzen oder in ähnlichen Einrichtungen verursacht wird. Nicht erfasst von § 22 Abs. 1a BImSchG wird der Kinderlärm, der in anderen Anlagen produziert wird, beispielsweise in (Grund-)Schulen. Damit stellt sich die Frage, ob die Länder diese Lücke füllen dürfen, indem sie auch diesen Kinderlärm privilegieren. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob der Bund den anlagenbezogenen Kinderlärm abschließend regeln wollte. Das dürfte zu verneinen sein. Denn in der Amtlichen Begründung zum 10. BImSchG-ÄndG führte die Bundesregierung aus97: „Der Immissionsschutz für nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen ist allerdings im Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht abschließend geregelt. Gegenüber den Anforderungen 95

Bay. Landtag, Plenarprot. 16/80 vom 12. Juli 2011, 7168. s. dazu auch Hansmann (Fn. 43), 502 f., 506 f. und 508 f. 97 BR-Drs. 128/11 vom 4. März 2011, 4.

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des § 22 Absatz 1 BImSchG bleiben gemäß Absatz 2 weitergehende öffentlich-rechtliche Vorschriften unberührt, wobei dies auch landesrechtliche Vorschriften sein können. Ferner sind die Landesregierungen gemäß § 23 Absatz 2 BImSchG ermächtigt, durch Rechtsverordnung (gemäß Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes auch durch Gesetz) vorzuschreiben, dass die Errichtung, die Beschaffenheit und der Betrieb nichtgenehmigungsbedürftiger Anlagen bestimmten Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft genügen müssen, soweit die Bundesregierung von der Ermächtigung keinen Gebrauch macht.“

Dies dürfte so zu verstehen sein (eindeutig ist das freilich nicht), dass es den Ländern überlassen bleiben soll, über die durch § 22 Abs. 1a BImSchG getroffene Regelung hinauszugehen.

E. Bedürfnis für die Sonderregelung des Kinderlärms? Man kann mit guten Gründen bezweifeln, dass für die genannten Vorschriften wirklich ein Bedürfnis vorlag. Denn die Rechtsprechung hat auch schon vor ihrem Erlass dem von Kindern verursachten Lärm eine privilegierte Stellung im Vergleich mit anderen Lärmarten eingeräumt und die weitaus meisten Nachbarklagen abgewiesen. Dafür nur einige wenige aus einer Fülle von Belegen: – BayVGH, Urteil vom 30. April 198498: „Der Lärm, den spielende Kinder verursachen, mag schwer erträglich sein, ist jedoch als Lebensäußerung unvermeidbar und regelmäßig in einem Wohngebiet der Nachbarschaft zuzumuten.“ – HessVGH, Beschluss vom 9. November 198799: „Der Lärm spielender Kinder ist in einem Wohngebiet nicht gebietsfremd, sondern geradezu gebietstypisch. […] Es ist in Rechtsprechung und Schrifttum allgemein anerkannt, daß ein Kinderspielplatz in einem Wohngebiet nicht nur zulässig, sondern sogar geboten ist, um den Kindern gefahrlose Spielmöglichkeiten in zumutbarer Entfernung ihrer Wohnungen zu schaffen.“ Das bedeute allerdings nicht, dass bei der Anlegung von Kinderspielplätzen in Wohngebieten keinerlei Rücksicht genommen werden muss. Öffentliche Kinderspielplätze seien so anzulegen, dass sie nicht zu unzumutbaren Nachteilen oder Belästigungen führen. Anhaltspunkte dafür, ob das Maß des Zumutbaren überschritten ist, biete die TA Lärm. – BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1991100 : Nachbarklage gegen Bolzplatz. Selbst in einem reinen Wohngebiet sei die Errichtung eines Kinderspielplatzes als sozialadäquate Ergänzung der Wohnbebauung grundsätzlich zulässig. „Ein Kinderspielplatz ist eine für eine altersgemäße Entwicklung eines Kindes wünschenswerte, wenn nicht gar erforderliche Einrichtung, um einem Kind einen von Beeinträchtigungen der Umwelt weitgehend 98

499.

VGH München, Ule/Laubinger/Repkewitz (Fn. 4), Rspr. § 3 Nr. 55, 2 = BayVBl. 1984,

99 VGH Kassel, Ule/Laubinger/Repkewitz (Fn. 4), Rspr. § 22 Nr. 31, 4 f. = NuR 1988, 296 = UPR 1988, 117. 100 BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1991, Az. 4 C 5/88 = NJW 1992, 1779.

Kinderlärm – kein Grund zur Klage?

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ungestörten Aufenthalt im Freien zu ermöglichen und ihm u. a. Gelegenheit zu geben, sein Sozialverhalten im Spielen mit anderen Kindern zu trainieren. Seinem jeweiligen Alter entsprechend ist ein Kind sowohl bei seinem Aufenthalt auf dem Spielplatz als auch auf dem Hin- und Rückweg auf eine Beaufsichtigung angewiesen. Das gilt naturgemäß vor allem für Kleinkinder. Um den Bedürfnissen von Kindern und etwaigen Betreuungspersonen Rechnung zu tragen, gehören Kinderspielplätze in die unmittelbare Nähe einer Wohnbebauung; sie sind als deren sinnvolle Ergänzung anzusehen.“ – VGH BW, Beschluss vom 3. März 2008101: Kinderspielplätze mit üblicher Ausstattung gehören in die unmittelbare Nähe der Wohnbebauung. Die mit ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung typischerweise verbundenen Geräusche sind, soweit sie Folge der natürlichen Lebensäußerungen von Kindern sind, ortsüblich, sozial adäquat und daher auch in einem reinen Wohngebiet hinzunehmen. Sie sind mit dem Ruhebedürfnis der Anwohner regelmäßig vereinbar. – Nds. OVG (Lüneburg), Beschluss vom 3. Januar 2011102: „In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts […] sind Kinderspielplätze nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts […] auf die unmittelbare Nähe zur Wohnbebauung angewiesen und stellen sogar in einem reinen Wohngebiet deren nicht nur sinnvolle, sondern auch städtebaurechtlich zulässige Ergänzung dar. Denn Spielplätze sind für eine altersgemäße Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wünschenswerte, wenn nicht sogar erforderliche Einrichtungen, um diesen einen Aufenthalt im Freien zu ermöglichen, bei dem der natürliche Bewegungsdrang ausgelebt und zugleich Sozialverhalten eingeübt werden kann. Nur im Einzelfall kann eine solche ebenfalls sehr lärmträchtige Einrichtung daher unzulässig sein.“

Den Stein des Anstoßes bildete hauptsächlich das in der politischen Diskussion mehrfach ins Feld geführte Urteil des LG Hamburg vom 8. August 2005103 im Fall „Kindergarten Marienkäfer“, dem nicht verallgemeinerungsfähige Besonderheiten des hamburgischen Bauplanungsrechts zugrunde lagen104 und der deshalb die Einfügung des Abs. 1a kaum zu legitimieren vermag. Angesichts dessen dürften die Vorschriften bei sachgerechter Interpretation keine wirklich ins Gewicht fallenden Änderungen der rechtlichen Situation bewirken.105 Die Erhebung von Klagen können sie ohnehin nicht verhindern, solange es den Art. 19 Abs. 4 GG gibt. Einen Zweck haben die Bestimmungen allerdings erfüllt: Sie haben den politischen Parteien Gelegenheit gegeben, sich als Anwälte des Kindes zu profilieren. Da sich dabei aber sämtliche Parteien in dem Bestreben, die Konkurrenz zu übertrumpfen, mächtig ins Zeug gelegt haben, dürfte letztlich keine von ihnen Vorteile in der Gunst des Volkes errungen haben.

101

VGH Mannheim, BauR 2008, 1576. OVG Lüneburg, Ule/Laubinger/Repkewitz (Fn. 4), Rspr. § 22 Nr. 191. 103 LG Hamburg, Ule/Laubinger/Repkewitz (Fn. 4), Rspr. § 3 Nr. 137 = ZUR 2006, 193. 104 Dazu Macht/Scharrer (Fn. 63), 663, 664, 665. 105 So auch Krumb (Fn. 71), 1263; Hansmann (Fn. 43), 509; Fricke/Schütte (Fn. 32), 95.

102

An Introduction to Korean Constitutional Law The Legal System with a Special Reference to Constitutional Law in Korea By Young Ho Kwon

A. Introduction On July 1948, the first Constitution of the Republic of Korea was adopted and it has been amended nine times ever since. The last amendment was made in 1987. The current Constitution represents a substantial progress in the direction of full democratization of Korea.1 Basic principles of the Constitution are found in the preamble. The basic features of the Korean Constitution are the sovereignty of people, separation of powers, pursuit of peaceful and democratic unification of South and North Korea, pursuit of international peace and cooperation, rule of law and responsibility of the state to promote welfare. It also incorporates some further regulations for the protection of human rights and the creation of an independent Constitutional Court. The successful practice of the Constitutional Court has played a vital role in making Korea a more democratic society. The Republic of Korea follows continental legal systems like Germany and France. It is different from the common law system as found in India and other Commonwealth countries. The Korean Constitution was adopted from the Weimar Republic Constitution in 1919. Theoretically, the Korean Constitution has two characteristics: one is the liberal democratic character and another is the social democratic character. The Korean Constitution consists of a Preamble, 130 Articles, and six Supplementary Rules. It is divided into ten Chapters: General Provisions, Rights and Duties of Citizens, the National Assembly, the Executive, the Courts, the Con-

1

Preamble of Korean Constitution: “We the people of Korea, proud of a resplendent history and traditions dating from time immemorial, […] do hereby amend, through national referendum following a resolution by the National Assembly, the Constitution, ordained and established on the Twelfth Day of July anno Domini Nineteen hundred and forty-eight, and amended eight times subsequently.”

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stitutional Court, the Election Management, the Local Authorities, the Economy, and the Amendments to the Constitution.2 The Korean Constitution is based on a liberal democratic political order. It not only declares in its Preamble that the Republic of Korea aims to “further strengthen free and democratic order,” but also institutionalizes the separation of powers, and the rule of law. The Constitution also institutionalizes a social democratic order in its Preamble3 and in Art. 119.4 In accordance with its social democratic character the Constitution can be interpreted in terms of the right to life and social rights, for example, the right to welfare, education, work etc. The Korean Constitution has adopted a presidential system of governance supplemented by parliamentary mechanisms. It provides political parties with constitutional privileges and protection while imposing on them constitutional duties such as not to impair the free and democratic political order.5

2 Kim Chul Su, The Constitutional Law (2003), pp. 143 – 157; Kwon Young Sung, The Constitutional Law, 2003, 137 – 144; Huh Young, The Constitutional Law and the Constitutional Theory (1997), pp. 205 – 207. 3 Preamble of Korean Constitution: “To destroy all social vices and injustice, and To afford equal opportunities to every person and provide for the fullest development of individual capabilities in all fields, including political, economic, social and cultural life by further strengthening the basic free and democratic order conducive to private initiative and public harmony […]”. 4 Art 119 Korean Constitution: (1) The economic order of the Republic of Korea shall be based on a respect for the freedom and creative initiative of enterprises and individuals in economic affairs. (2) The State may regulate and coordinate economic affairs in order to maintain the balanced growth and stability of the national economy, to ensure proper distribution of income, to prevent the domination of the market and the abuse of economic power and to democratize the economy through harmony among the economic agents. 5 Art 8 Korean Constitution: (1) The establishment of political parties shall be free, and the plural party system shall be guaranteed. (2) Political parties shall be democratic in their objectives, organization and activities, and shall have the necessary organizational arrangements for the people to participate in the formation of the political will. (3) Political parties shall enjoy the protection of the State and may be provided with operational funds by the State under the conditions as prescribed by law. (4) If the purposes or activities of a political party are contrary to the fundamental democratic order, the Government may bring action against it in the Constitutional Court for its dissolution, and the political party shall be dissolved in accordance with the decision of the Constitutional Court.

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B. Theory in Korean Constitutional Law I. General Theory in Constitutional Law The Korean Constitution has adopted many provisions from its German counterpart. Several German scholars from 1920 to 1990 were exposed to the Korean constitutional law and Korea translated several decisions of the German Constitutional Court into constitutional law practice. In the area of administrative law some French scholars’ theories have been adopted. Korean human right activists have also used the decisions of the Supreme Court of the United States. The Korean scholars and Constitutional Court seem to follow the “theory of value” based on German Constitutional theory.6 Owing to this theory7 each fundamental right has a value. That is why if one fundamental right conflicts with another, the more important fundamental right will be protected. Each fundamental right builds a valuable institution of the Constitution. All fundamental rights are the essence of the Constitution. In one way the whole Korean Constitution is a summary of values that each fundamental right lays down. The fundamental rights in Korea have three characters: the first one is individual. That means that individual rights are protected against violations by the state, e. g., the protection of the right to freedom represents such an individual right. The second one is the character of constitutional order. According to this character, fundamental rights can be interpreted as the duty of the government to create institutions to protect the latter. The third character of fundamental rights is pervasively found in Korean legislation. Fundamental rights like freedom of speech and expression and equality have been expressly translated into various enactments. The Constitution of Korea must be analyzed in the backdrop of its history. It is well known that Korea has experienced war from 1950 to 1953 and dictatorship for over 30 years. Till the 21st century protection of fundamental rights was a basic concern of the Korean society. After the democratization in 1987 it took around ten years to achieve the goal of protection of fundamental rights. In fact, the protection is still not sufficient and the continuous improvement process has not finished, yet. However, the condition has ameliorated. Thus fundamental rights, especially human rights, represent the most important parts of the Korean Constitution and Korean society. According to Korean legal philosophy human rights are almost the same as fundamental rights. The protection of fundamental rights is the goal of the Constitution, which means that simultaneously the protection of human rights is the goal of the Constitution. Other parts of the Constitution, e. g., the government and the political system of the State as well as others are the instruments to guarantee the compliance with fundamental rights.8 6 R. Smend, Verfassung and Verfassungsrecht (1928); E.-W. Böckenförde, “Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation”, NJW 1974, pp. 1529 – 1538. 7 Kwon Young Sung, supra fn. 2, at pp. 277 – 291; Huh Young, supra fn. 2, at pp. 313 – 359. 8 Huh Young, supra fn. 2, at pp. 742 – 759; Kwon Young Sung, supra fn. 2, at pp. 673 – 674.

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The Korean Constitution knows two basic principles of interpretation: First, the democratic principle, which is used in the area of the political and governmental systems. Second, the social legal state principle, which looks very similar to the rule of law and social welfare policy in the commonwealth countries. Occasionally, these two principles conflict with each other. However, there are also situations when they supplement each other, as well. The basic idea of democracy is liberalism and majority decision-making. The idea of democracy in Korea corresponds to the meaning of a liberal democracy. The social democracy was taken from the social legal state principle, protecting the minorities and guaranteeing equality as the pursued idea of social democracy is equality. Prior to the democratization in 1987 liberty was the most important issue of the Korean Constitution. It was more important than equality. Even though liberty is still the most important idea of the Korean Constitution, in the Korea of the 21st century it became difficult for the state to violate one individual’s liberty rights. However, these are the reasons why Koreans discuss equality, especially economic and social equality, more than liberty. II. Theory in Fundamental Rights In Korea the meaning of “fundamental right” is almost the same as the meaning of “human right”. However, Korean scholars are aware that the origins of the word “fundamental right” lie in the German Constitution. After World War II, the Germans, being divided into East and West Germany, attempted to build a new democratic country. Owing to the chaotic political conditions prevailing at that time West German scholars at first tried to make a Constitution only for West Germany. They thought that after a possible reunification of Germany a new Constitution could be written. During the reunification process in 1990 it became evident that East German people wanted to become West German citizens and it was not possible to establish a new Constitution for all Germans. However, West Germany needed a Constitution. As they thought that Germany would not remain divided forever West Germany introduced a Constitution in 1949 and called it the “Basic Act”. This Constitution introduced a number of rights for the citizens. Some of them were human rights such as the right of freedom, equality and claim, applying to all the people, including foreigners. The other rights, e. g., the right to vote, social welfare or security were to be enjoyed by only German citizens. Both were the rights of citizens. However, practically there was no difference between human rights and fundamental rights.9 In Korea society journalists and social scientists use the word “human right” with the same meaning as “fundamental right”. In jurisprudence both words are used. The meaning of the word “fundamental right” is, however, broader than the meaning of the word “human right”. That is why human rights are one of the most important parts of the Korean Constitution. Human rights are the essence of the Constitution. The 9

Kwon Young Sung, supra fn. 2, at p. 273.

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protection and guarantee of human rights is one of the major functions of the Korean Constitution. Fundamental rights laid down in the Korean Constitution are classified into the following six categories: 1. Right to enjoy worth and dignity as a human being, right to pursue happiness and equality as basic fundamental rights, 2. Right to freedom, 3. Economic rights, 4. Political Rights, 5. Right to claims, 6. Social Rights. In fact, there are various prevalent theories of fundamental rights propounded by scholars all over the world. However, Korean legal experts and the Korean Constitutional Court have utilized only a few. The most popular fundamental rights theory is value theory. According to this theory every fundamental right has two aspects: Firstly, the fundamental right will protect people against arbitrary state actions and secondly, the fundamental rights are constitutional orders. The latter aspect introduces fundamental rights into legislation in order to prevent any discrimination, e. g. gender discrimination and, at the same time, reminds the state of its duty to guarantee and protect the fundamental rights of people because such rights are parts of the constitutional order.10 The next popular theory of fundamental rights is the liberal human rights theory. According to this theory fundamental rights provide protection to individuals in case that the state violates private areas of citizens, especially the right to freedom. The right to freedom is the most fundamental of all fundamental rights and is a natural right as per this theory.11 The second chapter of the Constitution (from Art 10 to Art 39) contains three groups, i. e., fundamental rights, duties of citizens and the guarantee of institutions. The Korean Constitution provides various kinds of duties for citizens, e. g. military service, tax, labour, and education. The Constitution makes it clear that all citizens have basic duties, namely, the duty to pay taxes, the duty to work, and the duty of military service under the conditions as prescribed by law. The guarantee of institutions does not have the same character as fundamental rights and duties. These provisions guarantee only the institutions themselves. 10 Kim Chul Su, supra fn. 2, at p. 304; Kwon Young Sung, supra fn. 2, at p. 312; Huh Young, supra fn. 2, at p. 345. 11 Kwon Young Ho, supra fn. 2, at p. 278.

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Their presence is, however, very important for establishing a democratic state. That is why the Korean Constitution guarantees these institutions. These institutions can be divided into two groups; firstly, public institutions like the political parties, local authority, education and civil service. Secondly, private institutions like property rights, family etc. These institutions do not guarantee the individual rights of citizens. However, without these institutions it is impossible to make Korea a free democratic state. According to a majority of Korean scholars the essence of these institutions cannot be changed by any constitutional revision and amendment. Such institutions are usually more strongly protected than the individual rights.12 Any amendment made to the Korean Constitution requires a special procedure. Either the President or a majority of the National Assembly may submit a proposal for such a constitutional amendment. An amendment needs the concurrence not only of the National Assembly but also a national referendum. The former requires support of a two-third majority or more of all the members of the National Assembly while the latter requires more than one half of the total votes cast by more than one half of eligible voters in a national referendum.

C. Government of the Republic of Korea I. The Legislature Legislative power is vested in the National Assembly, a unicameral legislature. The Assembly is composed of 300 members serving a four-year term. In the Assembly 246 members are elected by universal adult franchise, the remaining 54 seats are proportionately distributed among the parties winning five seats or 3 % of the second vote in the elections. The proportional representation system is aimed at appointing Assembly members who will represent national interests rather than local interests. To be eligible for election, a candidate must be at least 25 years of age. One candidate from each electoral district is selected by a plurality of votes. An Assembly Member is not held responsible outside the Assembly for any opinions expressed or votes cast in the legislative chamber.13 During the session of the Assembly, no Assembly member may be arrested or detained without consent of the Assembly except in the case of a flagrant criminal act.14 12

Kim Chul Su, supra fn. 2, at pp. 264 – 269. Art 45 Korean Constitution: No member of the National Assembly shall be held responsible outside the National Assembly for opinions officially expressed or votes cast in the Assembly. 14 Art 44 Korean Constitution: (1) During the sessions of the National Assembly, no member of the National Assembly shall be arrested or detained without the consent of the National Assembly except in case of flagrante delicto. 13

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In case of apprehension or detention of an Assembly member prior to the opening of a session, he must be released during the session upon the request of the Assembly. Legislative sessions can be conducted in either a regular or an extraordinary/emergency way. Except as otherwise provided in the Constitution or the law, the attendance of more than one half of the entire Assembly Members, and the concurrent vote of more than one half of the Assembly Members present, is necessary to make decisions of the National Assembly binding. In case of a tie, the matter is said to be rejected by the Assembly. Legislative meetings are open to the public but this rule may be waived with the approval of more than one half of the members present when the Speaker deems it necessary to do so in the interest of national security. The National Assembly is vested with a number of functions under the Constitution, the foremost of which is making laws. Other functions of the Assembly include approval of the national budget, matters related to foreign policy, declaration of war, and the dispatch of armed forces abroad or the stationing of foreign forces within the country; inspecting or investigating specific matters of state affairs; and impeachment. The Assembly elects one Speaker and two Vice-Speakers, who serve for two-year terms. The Speaker presides over the plenary sessions and represents the Legislature while supervising its administration. The Vice-Speakers assist the Speaker and take the chair in his absence. II. The Executive The President of the Republic of Korea is elected by nationwide, equal, direct and secret elections, and stands at the apex of the executive branch. The President serves a single five-year term with no additional terms being allowed. This single-term provision is a safeguard for preventing any individual from holding the reins of government power for a protracted period of time. In the event of presidential disability or death, the Prime Minister or members of the State Council will temporarily serve as the President as determined by law. Under the current political system, the President plays six major roles. The President is the head of state, symbolizing and representing the entire nation both in the government system and in foreign relations. Firstly, he receives foreign diplomats, awards decorations and other honors, and grants pardons. He has the duty to safeguard the independence, territorial integrity, and continuity of the state and to uphold the Constitution in addition to the unique task of pursuing the peaceful reunification of Korea.

(2) In case of apprehension or detention of a member of the National Assembly prior to the opening of a session, such member shall be released during the session upon the request of the National Assembly, except in case of flagrante delicto.

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Secondly, the President is the chief administrator, and thus enforces the laws passed by the legislature while issuing orders and decrees for the enforcement of laws. The President has full power to direct the State Council and a varying number of advisory organs and executive agencies. He is authorized to appoint public officials including the Prime Minister and heads of executive agencies. Thirdly, the President is commander-in-chief of the armed forces. He has extensive authority over military policy including the power to declare war. Fourthly, the President is the leader of the ruling party with a nationwide organization. He appoints senior level personnel of the executive branch based on recommendations from his party. Fifthly, the President is the chief diplomat and foreign policy maker. He accredits or dispatches diplomatic envoys, and signs treaties with foreign nations. Finally, the President is chief policymaker and a key lawmaker. He may propose legislative bills to the National Assembly or express his views to the legislature in person or in writing. The President cannot dissolve the National Assembly, but the Assembly can hold the President ultimately accountable to the Constitution by means of an impeachment process.15

D. Legal System in Korea The Korean legal system is very simple. The judiciary consists of three levels of courts: the Supreme Court, the High Courts, and the District Courts including the specialized Family Court and the Administrative Court. The courts exercise jurisdiction over civil, criminal, administrative, electoral, and other judicial matters while also overseeing affairs related to the registration of real estate, census registers, deposits etc. Korean judiciary resembles a bureaucratic organization. The Supreme Court in its administrative function has the only control over the all courts and judges. The Constitutional Court is fully independent and is the highest court in matters of constitutional law. The decisions of the Constitutional Court have full force and effect as law. They are different from the decisions of the Supreme Court of Korea, which are limited to the case only. But the decisions of the Constitutional Court are as effective as any enacted law. Especially decisions on the constitutionality of laws are as valid as laws themselves. The Constitutional Court may amend and change the laws. It can decide upon the matter of irritancy of laws and if the clause or provision is found to be irritant, it is struck down by it. It is a sacrosanct fact that decisions of the Constitutional Court must be made within 180 days. Owing to its tremendous jurisdictional competence many cases of women’s rights were adjudicated upon by the Constitutional Court.

15

Kwon Young Sung, supra fn. 2, at pp. 912 – 960.

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The Supreme Court is the highest judicial tribunal. It hears appeals from the decisions rendered by lower courts and martial court verdicts. The Chief Justice of the Supreme Court is appointed by the President with the consent of the National Assembly. Justices of the Supreme Court are appointed by the President upon the recommendation of the Chief Judge. Other Judges are appointed by the Chief Justice with the consent of the Conference of Supreme Court Justices.16 The term of office of the Chief Justice is six years, a second term is not allowed. The Chief Justice must retire from office at the age of 70. The term for other justices is six years but they may be reappointed in accordance with the provisions of law, although they must retire from office when they reach the age of 65. High Courts hear appeals from the decisions of civil, criminal and administrative cases rendered by district and family courts and also try special cases. The Patent Court reviews decisions rendered by the Patent Office as an intermediate appellate body. The Supreme Court is the final tribunal for patent disputes. District Courts are located in Seoul and in the following twelve cities: Incheon, Suwon, Chuncheon, Daejeon, Cheongju, Daegu, Busan, Changwon, Ulsan, Gangju, Jeonju and Jeju. The Family Court is empowered to hear all cases involving matrimonial, juvenile, or other domestic matters. The Administrative Court handles administrative cases only. District Courts outside Seoul perform the functions of the Administrative Court in their respective districts. Besides these courts, there are martial courts which exercise jurisdiction over offenses committed by members of the Armed Forces and their civilian employees.

E. Conclusion Korean judiciary is a mixed form of continental and American legal systems. The basic form of judiciary was adopted from the American system. However, the Korean judiciary functions in a different way than the American system. The USA is a federal state and its judiciary is also federally organized, meaning that there are federal and state courts. Korea, however, is a centralized country like France. Due to various circumstances the Korean legal culture has also developed differently. Bureaucratic organization of courts and hierarchical ranks of judges bring the Korean Supreme Court the monopoly of judicial power. The Korean judiciary functions like the executive. Only the Supreme Court has the power to appoint and transfer judges. This monopoly of the Supreme Court menaces the independence of lower courts and the status of 16 Art 104 Korean Constitution: (1) The Chief Justice of the Supreme Court shall be appointed by the President with the consent of the National Assembly. (2) The Supreme Court Justices shall be appointed by the President on the recommendation of the Chief Justice and with the consent of the National Assembly. (3) Judges other than the Chief Justice and the Supreme Court Justices shall be appointed by the Chief Justice with the consent of the Conference of Supreme Court Justices.

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judges. Nowadays there is a debate on reforms of the judiciary system, especially on the independence of judiciary and the status of judges. The Korean judiciary has some weak points. One of them is instability in the status of the judges. Monopolistic hegemony of the Supreme Court is another demerit. State’s organs’ powers must be separated and must check and balance each other. This means the judiciary has not only to be separated from other organs like the executive and the legislative, but also there should be separation of powers among the various bodies of the judiciary. The Korean Constitution has been amended nine times after its introduction. These amendments happened because of drastic political changes, which took place in Korea. Facing a war from 1950 to 1953 it has also experienced a dictatorship for a long period of time. The protection of human rights was one of the biggest issues in the 20th century. After the democratization of Korea it has established a Constitution, which is able to protect human rights. The successful practice of the Constitutional Court has played a vital role in making Korea a more democratic society. In the present the Korean government has tried to establish a new and more democratic legal system, e. g. introducing women’s rights and equal opportunities for occupation and in social welfare. Following a continental legal system, the Republic of Korea is similar to Germany and France. It is different from the common law system found in India and commonwealth countries. The Korean Constitution was adopted from the Weimar Republic Constitution in 1919. Theoretically, the Korean Constitution can be characterized in two ways. First, it is of a liberal democratic character and second it is social democratic. The basic features of the Korean Constitution are the sovereignty of people, the separation of powers, and the pursuit of peaceful and democratic unification of South and North Korea, the pursuit of international peace and cooperation, the rule of law and the responsibility of the state to promote welfare. The Korean society is changing from an inequal society to an equality-oriental one. Thus it is necessary to execute Constitutional principles. Although it is a long and difficult way it shall continue. Only then Korean people can achieve the desired result of an equal society.

A Comparative Study on the Authority and Status of Personal Information Protection Agencies By Il Hwan Kim

A. Introduction The information society, which is a society that produces and creates knowledge based on information and communication technology, is where major decisions are made by individuals and organizations with knowledge information. In other words, the knowledge information society is a society wherein information is mutually connected to become knowledge, which becomes the driving power for the creation of fortune and value. Therefore, in a knowledge information society, new responsibilities for the constitution and the government emerge. That is, a knowledge information society requires the government and the constitution to form and maintain, more than before, preliminary conditions based on which individuals’ freedom and rights are established and executed. The higher incidence of personal information violation in today’s information society may be understood only in the context of the debate on the risk that information technology development poses to humankind. Eventually, after the emergence of computers, the fear that the state has access to all personal information through automated information processing and the permanent connection of information has increased. Due to the differences in the legal traditions, the order of constitutional laws, and the legal systems of countries, the content, scope, and protective organizations of personal information protection laws also show a wide range of diversity. Recently, however, the attitude of the European Union (EU), which demands a very high level of personal information protection, has been leading other countries to take extra measures to establish or revise their personal information protection laws. In this respect, this contribution intends to conduct a comparative analysis of the personal information protection agencies in the knowledge information society.1 It is hoped that this analysis will find the least common denominator that is general and 1 Cf. Personal Information Protection Act (Act No. 10465) of South Korea, on which legislative discussions started in 2004, was announced publicly on March 29, 2011 and is in effect from September 30, 2011.

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universal, aimed at safeguarding personal information, in responding to the global community without national borders.

B. Enhanced Awareness of the Role and Function of Personal Information Protection Agencies in the Knowledge Information Society I. Stepped-up Protection of an Individual’s Private Life Through the Right to Informational Self-Decision in the Knowledge Information Society Therefore, while there is no doubt that a state must search, process, and store the information that it needs to perform the tasks it has to perform, it must not collect, transfer, or store information that it does not need for such purpose. The protection of the privacy of individuals in today’s information society is one of the most important principles in the formation of a human- and constitution-friendly information society. This is because in today’s information society, the information possessor and the electronic-information processor can exercise overwhelming power that is yet unrecognized, and this power can be abused. The most important issue at present is to raise the transparency of information processing to the extent possible, and to continue to guarantee the dignity and freedom of individuals by normatively predicting technological development. The right to informational self-decision is the right to decide whether to open one’s personal information to the public and whether to allow others to use such personal information.2 As this right protects the individual’s decision on whether to use or open his/her personal information to the public, a social order and legal system, which does not allow the people to know by whom, for what, when, and how such information is being used, is not consistent with the right to informational self-decision. II. Constitutional Basis of a PIP Organization: Necessity of Control for PIP Efficiency Where personal information and automotive data are processed, the data should be in a protected form. In particular, unlike physical damages, which have occurred in the past, it is difficult for people to realize that their personal information is being watched by advanced information technology in the information society; after enacting a personal information protection act and realizing personal rights protection, each nation discusses personal information protection ‘control’. In conclusion, the purpose of a personal information protection act is to enact constitutional mediation and personal information protection regulations before or at least simultaneously as new information technologies are being developed. In the information society, how2

Decision of the Constituional Court of Korea, 26 May 2004, 2005 HyunMa 190.

Authority and Status of Personal Information Protection Agencies

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ever, it is not enough to enact a personal information protection law only for the protection of the personal information of people because considering the development of new technologies and the possibility of the application of these technologies, legislators and lawyers are in a more handicapped situation, and each individual is also in a position where it cannot have control or opportunity. Therefore, not only the enactment of a personal information protection act but also the establishment and activation of an organization that will control the data processing of nations or societies for efficient protection are important.

C. A Comparative Study on Personal Information Protection Agencies: Analysis of Control Agencies in Major Countries I. Overview In a comparative study on personal information protection agencies, not all the control agencies across the world could be examined. Therefore, in this study, control agencies had to be explored by first classifying them. To begin with, they were classified into the external- and internal-control types. The external-control-type agencies were further divided into those that implement the consultation system, the German personal information protection agency type, characterized by the authority to carry out the function of post-control and advice (consultation) as well as the authority to control the public sector alone; and those that implement the permission system, the French personal information protection agency type, which approves the establishment of an information file and authorizes the control agencies to control, make a decision on, and intervene not only in the public sector but also in the private sector. The internal-control-type agencies, on the other hand, consist of the national agencies in charge of dealing with personal information that independently control the information treatment, as in the United States.3 II. Control Type 1. The External-Control-Type System a) The Permission System: France aa) Organization and Status When the French Parliament introduced the Information Protection Act in 1978, it set up CNIL (Commission Nationale de l’Informatique et des Libertés), an independ3 Personal information supervision agencies can be classified into the enforcement system by an integrated supervision agency (UK, France, and Germany) and the enforcement system by a dispersed supervision agency (USA and Japan).

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ent agency that was tasked with giving advice on the personal information treatment system and with supervising and investigating the existing system, deciding that the act should regulate both the public and private sectors.4 CNIL consists of 17 members, each with a five-year tenure. The French control agency was established as both a representative agency and an independent administrative agency.5 Therefore, there is only a limited possibility that the government can control CNIL. The status of CNIL’s members is defined by the Information Protection Act, and the ban against holding more than one office is aimed at strengthening the committee’s independence.6 bb) The Function and Authority of CNIL The lawmakers who introduced the Personal Information Protection Act were interested in regulating the major personal information systems being used in the public sector. This explains why the primary goal of CNIL is to supervise the treatment of personal information. CNIL, however, as an independent administrative agency, is also in charge of intervention, coordination, and joint projects, with the right to enact rules and orders and to intervene in and control issues related to personal information, which are all beyond its basic goal. Thus, the authority and organizational structure of CNIL are quite different from those of the legislative, judiciary, and executive, which are the classical national agencies. First of all, the French control agency has the right to allow the establishment of an information system. As a result, the establishment of an information system in the public field is allowed by CNIL only when it is based on relevant laws. Thus, it can be understood that CNIL is playing a pivotal role in the implementation of the French Information Protection Act through its adoption of permission and reporting systems, its detailed definition and scope of the substantial related laws, its operation amidst a lack of detailed regulations, and its exercise of control over information treatment both in the public and private sectors. In the end, it can be understood through the foregoing that the French information control system is a prearranged system. Accordingly, CNIL can have the authority to control information both in the private and public sectors. cc) Evaluation of CNIL The judgment of the French control model is ultimately dependent on the effectiveness of CNIL. It is obvious that CNIL has successfully made the government con4

J. Michael, Privacy and Human Rights, 1994, 65. The merits of the representative system are (1) it will be hardly influenced by outside factors; (2) as a result, it can secure fairness; and (3) it can resolve a variety of problems because it is composed of members with various careers. On the other hand, the demerits of the representative system are (1) it is slow and incurs much expense; and (2) it can be less flexible due to its long process. 6 E. Mitrou, Die Entwicklung der institutionellen Kontrolle des Datenschutzes, 1993, 205. 5

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sider the citizens’ welfare, and CNIL’s efforts to introduce rules and regulations to safeguard the individual freedom are seen as a major achievement. It is also evident that laws have been revised and formulated so that personal information can be protected. CNIL in France, however, is not defined as a personal information protection agency, and the duty of the committee is not limited to simply protecting the citizens or their information both before and after disclosure. Rather, the committee had to exert efforts to coordinate various interests and to reach a social agreement.7 Therefore, CNIL is a political agency aimed at politically achieving personal information protection rather than legally controlling it.8 This is why CNIL seeks to find agreement and compromise instead of making a decision. Thus, CNIL, as a representative agency, understands that it should play its role by coordinating and revising the positions of the two sides instead of taking a side with one of them when it makes a judgment on the issue of personal information protection. From the outset, CNIL was defined as a representative agency. Nevertheless, the fact that CNIL has to deal with numerous challenges is seen as problematic because the huge burden on CNIL lowers the quality and lessens the effectiveness of its dealing with the challenges. As such, it can be said that while the French Information Protection Act is relatively well-organized, the problem is that the protection of the act and its control agency are not adequate.9 b) The Consultation System: Germany aa) The Authority and Status of Personal Information Protection Agencies in the German Federal Information Protection Act The German Federal Parliament revised the Federal Information Protection Act on 15 November 2006 to change Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz (BfD) into federal information protection and Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) (sec. 23, Federal Information Protection Act).10 BfDI carries out various challenging functions, such as personal information protection on the German, European, and global levels, and the securing of information freedom and its continuous development. Therefore, any citizens who think that the public or private agencies do not fully respect their personal rights or their right to have access to information can appeal to BfDI. BfDI conducts a variety of recommendation, advice, and reporting activities especially in the process of adopting a new law, to improve information protection and freedom. 7 Therefore, if you look at the French legal system in particular, from among the countries with the Anglo-American legal system, it stipulates a wide range of social issues far beyond an individual’s privacy or supervision control. 8 After all, representative agencies like CNIL depend almost absolutely on such abilities as resolving the conflicting points among various opinions, and making them harmonious with each other. 9 D. H. Flaherty, Protecting Privacy in Surveillance Societies, 1989, 237. 10 S. Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 6th ed. 2006, 927.

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bb) Control Through Personal Information Protection Agencies in the Public Sector The German government compensates for personal information damage chiefly through BfDI. The federal information protection agency receives information on incidents of federal agencies’ violations of personal information and deals with these. Therefore, anyone whose personal information has been tampered with or whose legal rights (e. g. the right to read, correct, and delete personal information) have been denied can appeal to the Federal Information Protection Agency. The right to file a formal objection is guaranteed by the Federal Information Protection Act. Thus, BfDI receives complaints and reports of infringements and resolves these in a convenient way, without a fee, to help the citizens exercise their rights. The revised Federal Information Protection Act aimed at establishing a legal status for BfDI and decided on how to select the BfDI i. e. through the parliament. The BfDI is a single-person independent agency, and BfDI belongs to the Federal Ministry of the Interior, but BfDI’s appointment, term, budget, and organization structure were legally considered so that BfDI can carry out its functions independently.11 Moreover, according to the regulations of the Federal Information Protection Act, the primary duty of BfDI is to supervise information treatment in the public sector to protect personal information. Towards this end, the BfDI can make recommendations, which means that it is authorized to conduct investigations and to make the corresponding recommendations but has no authority to issue an order with binding force. The BfDI, however, is authorized to file an objection to the corresponding agencies if the Federal Information Protection Act or other information protection laws are violated.12 In short, the BfDI serves as an ombudsman that acts to keep the citizens’ personal information safe. cc) The Individual-Rights Protection System in the Private Sector The private sector has set up a multilayer control system to protect the people concerned. Such a system consists of (i) a personal information protection agency, an internal-control agency; (ii) the management association, a collective-control agency; and (iii) the government agencies, external-control agencies. The primary control, however, as far as personal information protection is concerned, is exercised by the storage agencies and the personal information protection agency because the supervision by the government agencies is only secondary. Thus, the external control by the government agencies cannot replace effective self-control. The personal information protection agencies, both in the public and private sectors, should assign someone to be in charge of personal information protection. The latter should exercise control internally and independently, which is the first step in the supervision of the collection, treatment, and use of personal information. 11 12

Par. 1, Art. 22 of the Federal Information Protection Act. Art. 22 of the Federal Information Protection Act.

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dd) Evaluation of BfDI Since the federal government and the state governments adopted the aforementioned personal information protection laws in 1969, Germany has become a role model country with a well-developed personal information protection system that other countries want to look into and learn.13 In short, the German control agencies have no legally binding power and are independently operated. c) The Internal-Control-Type System: United States aa) The Characteristics of the U.S. Personal Information Laws The United States is one of the countries in the world that first recognized that an individual’s private life can be seriously violated in an information society.14 This notwithstanding, it has not introduced a law to comprehensively protect personal information. Instead, a variety of rules and regulations on the federal and state levels have been adopted, aimed at protecting concrete and individual information, and agencies like a credit recording agency that investigates and uses a specific kind of information have been established.15 The characteristics of the U.S. personal information protection laws are as follows: (1) While a variety of laws and orders governing the use of personal information exist in either the public or the private sector, they have a general tendency to deal with a specific industry, economic field, and concrete issues from time to time. (2) The laws in these individual areas are applied to a user of specific information, in a context of the use of specific information, a specific information type, or a specific use of personal information. They are maybe seldom related to protecting consistently any personal information from its collection, treatment, and deletion. In particular, they have a strong tendency to prohibit the disclosure of such information rather than the collection, use, and storage of personal information.16 (3) In addition, the personal information in the U.S. relies to a large extent on the judiciary relief measures through which each citizen who thinks that his rights are infringed can file a lawsuit, claiming that he/she is not protected by the control and supervision of the state or an independent committee.17 13

D. H. Flaherty, supra fn. 9, at p. 21. The U.S. Privacy Act, which was enacted in 1974, was one of the first national laws regulating the personal information treatment activities of the federal government across the world, and those regulations were quickly recognized on the global stage to be a guideline of OECD (William S. Challis/Ann Cavoukian, “Case for a U.S. privacy commissioner: A Canadian commissioner’s perspective”, The John Marshall Journal of Computer & Information Law, 6). 15 H. H. Perrit, Jr., Law and the Information Superhighway, 1996, 88. 16 F. H. Cate, “The changing face of privacy protection in the European Union and the United States”, (1999) 33 Ind. L. Rev. 174. 17 C. D. Raab/C. J. Bennett, “Taking the measure of privacy: Can data protection be evaluated?”, (1996) 62 International Review of Administrative Sciences, 545; P. M. Regan, 14

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These controls by means of various laws for protecting privacy are applied to very limited information or specific government agencies. Periodically, these controls deal only with the distribution (conveyance) of information through the government, not the collection, use, or storage of personal information. Even if those laws are applied, the privacy protection in the public sector is inadequate due to the exception provisions regulated by other laws.18 In conclusion, the first reason why personal information is not protected in a consistent and proper way in the U.S. is that a general (basic) law presenting the general principles and standards as to the protection of personal information has not been adopted. The second reason is that the level or degree of personal information protection observed by each law under the circumstances without such general principles and standards extremely varies.19 Needless to say, while it is possible that personal information is intensively protected in a specific field, the protection method in each field, without general principles and standards, can inevitably lead to different levels and degrees of protection, which is a demerit for the American way. bb) The Function and Authority of Personal Information Protection Related Agencies in the U.S. Laws (1) The Primary Solution for Personal Information Protection in the U.S.: Redemption of Individual Rights As explained earlier, unlike other countries where an independent control agency has been established, the U.S. relies almost entirely on the legal redemption measure, in which any citizen who thinks that his or her rights have been infringed can file a lawsuit with a court of law, instead of protecting personal information through a national agency or an independent committee.20 Of course, the system by which each citizen files a lawsuit based on the Privacy Act to have his/her rights safeguarded may be seen as a very useful tool, but what is really happening in the U.S. is a different story altogether.21 For an individual’s rights to be protected according to the Privacy Act in the U.S., the individual must prove that a federal agency acted on purpose when it illegally used his or her personal records, which may be difficult to do because the immunity clauses of the information treatment agencies stipulated by the Privacy Act are extremely extensive. As such, the fact that an individual should know whether his or her personal records are being abused by federal agencies and “Privacy legislation in the United States: A debate about ideas and interests”, (1996) 62 International Review of Administrative Sciences, 470. 18 W. S. Challis/A. Cavoukian, supra fn. 14, at p. 9. 19 F. H. Cate, supra fn. 16, at p. 110. 20 C. D. Raab/C. J. Bennett, supra fn. 17, at p. 545; P. M. Regan, supra fn. 17, at p. 470. 21 For this, refer to G. C. Smith, “We’ve got your number”, (1989) 37 UCLA Law Review 168.

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what information is being stored and used by such agencies reveals a crucial defect if it are the individuals who supervise and control the information treatment by the state. In other words, privacy protection through a court of law involves prohibitive expenses and much time and, in some cases, is ineffective.22 Therefore, many people who have studied privacy protection strongly criticize the U.S. individual approach to personal information protection as unfair, inconsistent, irrational, and ineffective.23 (2) The Characteristics of the U.S. Personal Information Protection System: The Internal Control Type System As mentioned earlier, no complete personal information protection system has yet been established in the U.S. Therefore, it can be safely said that the level of personal information protection in the U.S. is not as high as in Europe and other countries. The reason for this is that while there are a number of laws in the U.S. on the federal government level aimed at protecting personal information, they are rules and regulations that always govern only limited areas.24 Of course, the U.S. Privacy Act, when it was legislated, was innovative and had a great effect on other countries, but the responsibility of ensuring its successful implementation is extremely widely distributed. For example, the law stipulates the collection and treatment of personal information by the federal government, but the governing agencies are so complicated that the issue of information surveillance cannot be wholly reviewed, or the issue of personal information protection cannot be understood. This means that activities that could infringe on privacy can be carried out in many places at the same time. Nonetheless, the U.S. has not set up a supervising agency that will control the country’s information treatment, as other countries have, and in reality, the responsibility of supervising and securing the correct implementation of the personal information protection laws is too widely distributed. As a result, privacy protection in the U.S. is neither consistent nor predictable, according to the above-described individual approach, and there is no federal agency that is wholly charged with protecting the citizens’ privacy, that assumes continuous responsibility for the issue of privacy, and that coordinates the government’s privacyrelated activities. Enactment is ex-post-facto, and the U.S. government is blamed for intervening in the issue only when a specific problem takes place.25 It can thus be said, as mentioned above, that the most important characteristic of the U.S. personal information protection system is that there is no existing informa22 P. M. Regan, supra fn. 17, at p. 470; J. R. Reidenberg, “Privacy wrongs: In search of remedies”, (2003) 54 Hastings Law Journal 877. 23 For example, F. H. Cate, supra fn. 16, at p. 80. 24 F. H. Cate, supra fn. 16, at p. 201. 25 For more detailed information on this, refer to Options for Promoting Privacy on the National Information Infrastructure (Draft for Public Comment), , a report published by the U.S. IITF (Information Infrastructure Task Force) in April 1997.

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tion protection (control) agency. As such, the government chief is responsible for enforcing the Privacy Act in the public sector. The supervision of the enforcement of the Privacy Act, however, lies partially with the Office of Management and Budget (OMB), which is under the President’s control. In conclusion, in the U.S. personal information protection system, each administrative agency deals with a related matter by itself, without a control agency directly intervening in it. This system stems from the idea that each and every national agency should independently deal with the issue of information treatment and privacy. In the private sector, the Federal Trade Commission (FTC) is authorized to enforce laws aimed at protecting personal information or privacy related to child online privacy, consumer credit information, and fair business practice, and to supervise the observance of such laws. In the American legal system, where no personal information protection agency exists, it can be said that the FTC plays a limited role as a personal information protection agency, functioning only as a consumer privacy protection agency.

D. The Authority and Legal Status of a Desirable Personal Information Protection Agency I. The Judgment Standards and Contents of a Desirable Personal Information Protection Agency 1. Admitting the Distinctiveness in Organizing a Supervising Organization Due to the differences in the political and legal systems or the view of finding a control measure for each nation, there are many differences in establishing a controlling organization and its authority. Thus, to understand the organization and management of a PIP controlling organization, there is a need not only to examine the general and special PIP act regulations but also to focus on each society. This is because specific political-historical situations and legal-administrative traditions affect the controlling organization’s legal authority and its policy and methods. 2. Standard of Judgment The criteria for deciding which controlling organization is most efficient for PIP depend on which model will provide the people with more comprehensive PIP. With regard to this, the plans for organizing a PIP organization can be based on “functional independence” and “efficiency of damage redemption.” Especially, “guaranteeing functional independence” and “guaranteeing legal authority” are the major criteria for the evaluation of the control models.

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II. The Authority and Legal Status of a Personal Information Protection Agency that is Comparatively Admissible 1. The Guarantee of Independence The independence of a personal information protection agency is all about institutional control over personal information protection. Therefore, the independence of a personal information protection agency is a basic requirement for the control of personal information protection and is at the same time a yardstick for measuring the effectiveness of such control. To begin with, the basic proposition that in the relationship between the controller and the controlled (as a component of the control conception) the controller and the controlled are not identical serves as a judgment foundation for embodying the concept of independence. In addition, the concept of independence should come from the kind and scope of presented challenges and the goals established in information protection control. If so, the independence of an agency means that it should be independent, on the one hand, from the executive and other political agencies that are being controlled, and on the other hand, from the citizens. Moreover, the independence of a control agency should be based on the premise that the control agency’s decision procedures should be independently operated. Accordingly, the control agency enjoys independence as a semi-judicial agency. Thus, all information protection agencies should not be subject to orders in connection with their activities, and should not be under any duty supervision. 2. Legal Authority a) Prevention Authority For personal information to be effectively protected, it should first be considered in planning and deciding an information and communication technology system. Unless such preliminary procedure control is exercised, it is next to impossible to effectively respond to such information treatment through some post-rights of a control agency and an individual after the information communication technology is established and operated. Accordingly, a protection agency is needed so that the establishment of an information treatment system and “whether personal information is protected” can be simultaneously examined from the stage at which personal information is collected to the stage at which it is deleted. b) Investigation, Consultation, and Coordination Authority A control agency whose first aim is to protect personal information must exert efforts to secure and step up a variety of individual rights in the information society. While it is ultimately desirable to upgrade the information policies for the whole country or society, a control agency should focus on keeping personal information safe. As such, a control agency can make a contribution to the national agencies re-

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sponsible for drawing up and enforcing information policies by making and enforcing relevant policies, but it cannot play a leading role in that regard. Therefore, the focus of a personal information protection agency’s challenge and activity lies in the functions of investigation and consultation (advice). For a control agency to act as one aimed at protecting personal information, the public agencies under the authority of the personal information protection agency should be charged with assisting the agency in the process of exercising various authorities (e. g. investigation, consultation, coordination). Furthermore, the assistance duty should be understood as being both supplementary and comprehensive. c) The Authority to Recommend and File an Objection Additionally, a control agency is defined as an agency for recommendation, warning, and filing an objection. Naturally, all these functions are related to administrative and daily information treatment affairs. In short, the differentiation of administrative internal control from the existence of a control agency related to information protection lies in stimulating the control agency so that it can contribute to the transparency of information treatment and can appeal to the public opinion for those issues to be socially discussed. d) The Function of the Ombudsman The fact that a personal information protection agency continues to exert efforts to restrict the country’s unjust information treatment is a kind of continuous contribution to the creation of consistent information policies for the country. Therefore, one of the major duties of such an agency is to try to protect the rights of the citizens who feel that they are being subjected to illegitimate surveillance. In other words, the personal information protection agency is authorized to provide each and every citizen with help in a non-bureaucratic and citizen-friendly way as much as possible, which is typically the task of the ombudsman. In conclusion, the personal information protection agency as “a citizen lawyer” should assist and help anyone who needs help in connection with personal information protection.26 e) Submission of a Report The best reference for understanding the jobs and policies of a control agency is its activity report. Such a report has many functions. First of all, the activity report that is submitted to the congress to report personal information-related issues and the solutions to these serves as the medium for its activities. Thus, the report mainly consists of the confirmed and unresolved issues that the agency encounters during its exercise of its control power. Therefore, this report on the one hand informs the congress of 26 H. Heil, Bundesbeauftragter für den Datenschutz, in: Roßnagel (ed.), Handbuch Datenschutzrecht, 2003, 770.

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various issues related to its being a controller of the executive, and on the other hand explains alternatives to conflicting interests when these come about. f) Others In addition, the personal information protection agency should set consistent and unified standards for personal information protection through a joint project with the other organizations dealing with the same issue in various legal areas, and in particular, it is stressed that joint work among personal information protection related global and domestic agencies is needed against the backdrop of cross-border information flow and increasing information exchange on the global stage. Moreover, to enhance the effectiveness of information protection control, personal information protection agencies should do everything in their power to strengthen the ordinary citizens’ awareness of the matter, to continue to develop personal information protection, and to provide the citizens with various related services.

E. Conclusion 1. As mentioned earlier, the enactment of a personal information protection law cannot always be the answer to the need for a country to protect the people’s private life in a knowledge information society. Therefore, while the establishment of a personal information protection agency is necessary to protect the citizens effectively in a knowledge information society, the establishment of a control agency in charge of controlling the information treatment in a country or society is absolutely indispensable. The reason for this is that without such a control system, the national agencies cannot be prevented from unlimitedly collecting and conveying personal information and excessively spying on individuals’ private life. This can be easily understood by looking at the U.S. personal information protection system. First, the initial stage agency that will make a judgment on whether the laws are being respected under the Federal Privacy Act in the U.S. is the court of law, but practical affairs and experiences have so far proven that courts of law fail to properly function as control agencies. Worse, the routine internal supervision by public officials is too weak and perfunctory. 2. A close look at the control models in many countries has led to the following conclusions. First, if the legislative has fully defined the individual rights that should be protected in a knowledge information society in the corresponding laws, the enforcement or control agency must not exercise an extremely extensive discretionary power in interpreting the relevant principles. In particular, as far as the balancing of conflicting crucial values is concerned, the other national agencies, particularly the legislative, are superior to the personal information protection agency. In other words, when tricky interest relations collide with each other or when the personal information protection committee collides with the other national agencies, the leg-

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islative has to try to resolve the conflict, in principle, through laws. Moreover, with regard to balancing other conflicting values and the privacy of an individual, the primary duty of the personal information protection committee is to continuously play a supervisory and investigative role to ensure that the rights of each and every individual are protected. As mentioned earlier, the French control model — the permission system — is also quite problematic because it puts an excessively heavy burden on the control agency, which in turn makes its work method extremely bureaucratic and perfunctory. As it is intrinsically impossible to control everything, the agency cannot properly implement the truly important matters in the end. 3. All things considered, the personal information protection committees of Germany and Canada, which have an advisory authority as to the operation of the personal information protection system in the public sector, are relatively more effective. This advice (consultation) system has the merit of precluding the possibility that the executive will defy or disregard the permission of the control agency, and the control agency can behave in a flexible and practical way. At any rate, the control agency emerges as an independent and reliable coordinator among various interest groups. In particular, it is not legitimate or proper for the control agency to make a decision on the personal information protection policies in place of the legislative or executive due to its lack of technical expertise and direct democratic legitimacy. In particular, in the cases of France and Sweden, there is an unavoidable danger of the information protection function’s becoming inflexible or bureaucratic in the approval procedure itself, and worse, there is danger that this problem would turn the control agency into an administrative agency.

South Korea’s Media Act in the Era of Multimedia Overview and Prospects By Seong-woo Ji

A. Introduction Article 21 of the South Korean Constitution provides the freedom of press and publication, which is the essential basic right for the establishment and development of modern democratic nations, and as such, is guaranteed in the constitutions of most democratic nations.1 The freedom of press is not simply an individual’s subjective civil right, but also a guaranteed systematic mechanism for delivering information to the general public.2 Whereas press, newspaper, and broadcasting all fall within the scope of application of the freedom of press and publication, different regulatory principles are being applied to them. Meanwhile, communication is an interactive means of sending and receiving voice and data information between a few selected participants. The freedom of com1 Constitutional Court Heonjae 1991/9/16. 89 Heonma165; Heonjae 1998/4/30. 95 Heonjga 16; Korean Constitutional Law Association (KCLA), Constitution Annotation, Ministry of Government Legislation, 2007, 630 – 634; Seong Nak-in, Constitution Science (2010), 518 et seq.; Jeong Jong-seop, Theories of Constitution Science (2011); K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV/I (2006), §§ 109 et seq.; J. Isensee/ P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV (2001), §§ 141 et seq. For the discussion of freedom of expression in the USA: A. Sarat, Speech and Silence in American Law (2010), 143; D. M. Fraleigh/J. S. Tuman, Freedom of Expression in the Marketplace of Ideas (2011). Also, for the historical development of the freedom of expression in the USA: Park Ji-ung/Lee Ji-eun (translated), Freedom for Thoughts that We Dislike, 2007 (Original text: A. Lewis, Freedom for the Thought That We Hate: a biography of the First Amendment [2007]). 2 Systematic guarantee refers to the system to provide constitutional guarantees for certain systems, namely, the foundation for the establishment and existence of the country, such as political party system, election system, civil servant system, local municipality system, education system, university autonomy system, military system, private property system, and family system so as to properly maintain the systems. To guarantee the aforementioned rights of freedom systematically aims to provide constitutional guarantees for the creation of systems, and to restrain the legislative branch not to arbitrarily abolish such systems or damage their essence. For details, Gwon Yeong-seong, Principal Theories of Constitution Science (2011), 187 et seq.

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munication emphasizes the economic and industrial aspects based on the market principle and efficiency as well as the personal information between the sender and the receiver.3 Based on these communication characteristics, communication laws have been enacted to implement policies focused on the protection of users. Such protective measures include the confidentiality of communication, regulation of technologies and the monopoly of services. The construction of communication infrastructures was created through the establishment of a fair competition environment, as well as the facilitation of the use of communication services. Unlike the freedom of press and publication, the freedom of communication is delivered via totally different media. While the first could be classified as mass media, the latter rather belonged to personal information, resulting in a different application of laws to both of them. That was a past understanding. Facing this dualistic approach and the freedom of press under the constitution, certain press-related laws were developed and enacted. These included e. g. the publication act, the newspaper act, the print and audiovisual media act, the communication act, the audiovisual communication act, and the media act. The so developed communication-related laws were the communication act, the information and communication act and the telecommunication act. However, with the appearance of new services, i. e. mixed media services resulting out of the convergence of networking services and separate industries led e. g. to newspapers being distributed via the internet, converged broadcasting and communication services, etc. This combination of services, which do not completely belong to one single category of the press, publication or communication demands a change in the vertical categorization and legislation. Due to these social changes, press, publication and communication, which were each governed by different constitutional principles, are now expanding into the press information act or the communication act.4 This paper discusses South Korea’s media act focused on its recent trends and development direction in this era of multimedia.

B. Convergence of Broadcasting and Communication and Rationale for the Amendment of Relevant Laws Broadcasting media are classified into one category with over ten years of service including terrestrial TV, cable TV, and satellite TV, as well as into the latest category of IPTV, Internet TV, and smart TV. The first category also evolves into new forms of media in line with the digitalization and interaction of technologies. Terrestrial TV, 3

For the freedom of communication and the guarantee of privacy, Jeong Jong-seop, supra fn. 1. 4 Here, the concept of communication includes an individual’s communications and social communication newspapers and broadcasting (so-called mass communication).

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cable TV, and satellite TV are responding to the convergence of the medial environment by adopting digital and interaction technologies. Media convergence happens in the three following patterns. Alongside the merging development, industrial structures are changing in such a way as to optimally segment the value chain into various stages to be selected by consumers. Particularly, content production and services, transmission (networking), and terminals are segmented into different categories and are vying with each other, offering expectations to form an active industrial structure. I. Convergence of Networks Thanks to the development of media engineering the convergence of broadcasting and communication became possible. Until recently, the delivery of broadcasting and communication services happened via different networks. Voice was delivered via voice networks,5 broadcasting via broadcasting networks, and data via data networks6 or the internet. Technically, in the past, broadcasting networks were different from voice communication networks, video communication networks, and data communication networks, making it difficult to widen broadcasting services. Nowadays, the advanced network performance and integrated networks make it possible that broadcasting activities are enabled via communication networks7 or communication activities are enabled via broadcasting networks8. Thus, everything is happening within one single network system. II. Convergence of Service Provision The network convergence resulted in the provision of e. g. (1) communication service via the broadcasting network,9 (2) the broadcasting service via the communication network10 and (3) the so-called broadcasting and communication borderline service.11 For instance, in line with the expanded bandwidths, video service is being vitalized in the communication category, and diverse channels are being provided in 5

PSTN (Public Switched Telephone Network). PSDN (Public Switched Data Network). 7 For instance, this refers to where the existing terrestrial broadcasters provide their own content in the form of VOD or in real time via the Internet. 8 For instance, this refers to triple play service (TPS) such as broadcasting, communication and Internet provided by cable broadcasters. 9 For instance, this refers to the provision of communication services via CATV. 10 This refers to the provision of VOD via telephone networks. 11 For instance, this refers to the provision of newspapers, broadcasting, e-mail, and phone services via the Internet. Recently, Internet newspapers have formed portal sites, exercising power to excel the existing print media in attraction of advertisements, content quality, transmission speed, etc. 6

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the broadcasting category, thus blurring the conventional basic characteristics of broadcasting, and creating services and interactive services for specific audiences not for a number of unspecified people. III. Convergence of Industries The convergence of service providers is the procedure by which broadcasters and communication service providers enter the other party’s area through strategic alliances, as well as mergers and acquisitions. Due to several regulations on shareholding included in the Communication Act the Korean SKT, KT and other communication service providers are barred from taking stakes in MBC, SBS and other terrestrial broadcasters. This will change in future and allow these communication companies to take stakes in terrestrial broadcasters. Like the merger of AOL and Time Warner in the USA, further mergers and acquisitions between broadcasters and communication service providers will create new media enterprises.

C. South Korea’s Media Act, its Amendments and Prospects I. Introduction The definition of a “regulatory system” is a combined body of humans, materials and institutions by which the regulator (legislator) provides restrictions on various rights of people or imposes certain duties on them. The regulation itself happens for a specific public interest to improve the efficiency of the functioning.12 Thus, the regulatory system covers several components such as the introduction of certain regulatory institutions, the target of regulation, various regulatory laws, and various administrative regulatory actions. In order to efficiently regulate the convergence of broadcasting and communication, it is necessary to apply a regulatory principle that does not differently regulate similar services based on different networks and service transmission technologies, and that is tailored to the characteristics of services. It is also necessary to reform the regulatory system to differentiate the characteristics of various services under the technology neutrality principle that removes regulatory differentiation according to different networks and technologies.

12 Im Jun/Jeong Gyeong-o/Hwang Ju-yeon, A Study of Advancement of Regulatory Systems in line with the Evolvement of Broadcasting and Communication: A case study on follow-up regulatory solutions and implementation measures thereof, Policy Research, KISDI (2011), 54.

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Regulatory systems are classified into a vertical regulatory system and a horizontal regulatory system. While the first refers to independent regulation methods in the field of services ranging from transmission via network to implementation of services to regulation of devices, the latter, which was introduced in line with broadband networks and super-high speeds, regulates different hierarchies. It is working differently and provides consistent service regulation with networks under the existing vertical regulatory system. The regulatory system should be reformed in such a way as to horizontally divide and apply the value chain system under the dual vertical industrial structure to be horizontal market participants oriented. It is necessary to reorganize the vertically separated and operated business areas through convergence in response to market needs, to expand the market scope of various value chain areas, and to activate competition. The horizontal regulation system is expected to provide an effective regulatory framework to distinguish between network areas by accelerating the convergence and service characteristics provided by the network. Furthermore, it is necessary to reorganize the business classification based on networks into business classification based on services and to apply the same regulatory principles to the same services using the technology neutrality principle.13 II. Discussions by International Organizations (ITU, EU, OECD) Globally, broadcasting and communication convergence services are provided and the convergence environment of broadcasting and communication is changing fast. Thus, regulation should technically respond to diverse channels associated with new media, to diversifying channels associated with compression technologies and to accelerated media convergence due to digital technologies. The regulation should also industrially respond to the blurring of demarcation between the information industry, the knowledge industry and the entertainment industry. This environmental change is likewise occurring overseas.14 According to ITU, broadcasting service is the transmission of wireless services for the general public, including the transmission of voice, television and other forms of transmission. Telecommunication, however, refers to the concept that encompasses all symbols, signals, characters, videos and sounds as well as the transmission and reception of news that are delivered via wireless, wired, optical and electric systems.

13

C. McTaggart, “A Layered Approach to Internet Legal Analysis”, (2003) 48 McGill Law Journal, 571. 14 Hwang Ju-seong, Global Trends in Digital Convergence and Their Policy Implications, Korea Information Society Development Institute, 2011.

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In addition to this concept definition by ITU, various international organizations and individual nations have different definitions for the concept of broadcasting and communication. The freedom of broadcasting and the freedom of communication provide different protection scopes of basic rights and levels of regulation. Thus, broadcasting and communication services will differ in regulation philosophies and regulatory rigidity, according to which the services belong to broadcasting or communication (whether they are put under similar regulation). Various relevant problems have already been posed and will likely continue to be posed. To address these problems, it is necessary to examine how broadcasting and communication concepts were established in developed countries similar to South Korea. A special attention shall be paid to terms of network service development speeds and the amendment of laws as well as the improval of philosophies. Recently, the EU announced the proposal of an Audiovisual Media Service Directive15 amended from the Borderless TV Directive of December 2005. The directive defines the concept of broadcasting as an audiovisual media service and an expanded concept in line with the technological development era environment by dividing it into a linear service (real time transmission) and a non-linear service (non realtime service by user selection) with the inclusion of VOD in the non-linear service. The OECD claims that the definition should shed the vertical classification and that competition should be activated in the hierarchy of transmission, while social-cultural regulation should be applied to the content hierarchy. With this thought, the OECD believes that the horizontal regulation system is the appropriate regulatory system in the convergence environment by which the vertical regulatory system will be nearly eliminated, i. e., by which transmission and content are separated. Starting with the 1996 Telecommunication Act of the USA, and the 1997 Green Paper of the EC, digital convergence spread across the world, and since 2005 it has undoubtedly established a convergence phenomenon. Since 2010 some states have entered into the reformation of legislation in preparation for convergence trends. In the preparation stage, privatization, deregulation and digitalization were implemented. The full-fledged stage introduced convergence services and cross-entry in the broadcasting and communication area. In the advanced stage, convergence is expanding into other areas in addition to media leading to a design and implementation of national strategies. III. Reformation of Regulatory Systems in South Korea The Lee Myung-bak administration, which started in February 2008, reshuffled the state organization established by Cheong Wa Dae. The presidential secretariat 15 Cf. Directive 2007/65/EC of 11 December 2007, L 332/27, .

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and the security office were incorporated into the presidential office, thus merging both functions into the responsibility of the chief of staff. The presidential office cut its workforce by 20 %. In addition, the Policy Office as well as the Security Office of Cheong Wa Dae were abolished. The ministerial-level Policy Office, which had been criticized for being high-handed, was abolished and had its functions incorporated into the presidential secretariat. The ministerial-level Security Office head position was abolished as well. Further, it was tried to reduce the Roh Moo-hyun government organization, consisting of 22 ministries, to only 15 ministries. Although it did not quite work out, it finally led to the amount of 17 ministries. Five ministries, i. e., the Information and Communication Ministry, the Science and Technology Ministry, the Marine and Fisheries Affairs Ministry, the Gender Equality Ministry and the Unification Ministry, were originally planned to be abolished. Finally, three ministries, i. e., the Information and Communication Ministry, the Science and Technology Ministry, and the Marine and Fisheries Affairs Ministry, were abolished. However, the Gender Equality Ministry remained under the name of Ministry of Gender Equality and Family and the Unification Ministry was also retained. Nevertheless, ministerial names were also markedly changed. The Korea Broadcasting Commission and the Ministry of Information and Communication were abolished, and the Korea Communications Commission (“KCC”) was established and put under the control of the President. IV. Problems of the Regulatory System As already described, the KCC, despite the ruling and opposition parties’ agreement, was put under presidential control. The KCC was launched to be more independent when promoting the conversion of broadcasting and communication with a focus on an industrial promotion rather than on public functions. Hence, the first priority was the efficiency of policymaking. The KCC, compared with the former KBC, is a presidential organization, and thus is heavily criticized for being centralized. Although the KCC has somewhat enhanced its professionalism and efficiency, it is criticized for not considering the people’s representation and independence by emphasizing only the separation of powers. The criticism also aims at the KCC for being highly likely to infringe the people’s constitutional basic rights such as the freedom of press or the freedom of expression. Article 1 of the Installation and Operation Act of the KCC provides; “The objective is to proactively respond to the convergence environment of broadcasting and communication, to promote the freedom, publicity and public interest of broadcasting, to bolster the international competitiveness of broadcasting and communication, to guarantee

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the independent operation of KCC, thereby promoting the protection of the people’s rights and interest as well as the public welfare.”

Thus, the KCC should not only be public-oriented and professional, but also politically independent, especially from the administrative branch. However, according to the KCC Establishment Act the KCC shall be under presidential control, limiting the promotion of the freedom, publicity and public interest of broadcasting. According to Articles 11 and 16 of the Government Organization Act the KCC is supposed to be supervised by the President and the First Prime Minister, thus losing its political neutrality and independence. Particularly, the commissioner of the KCC is supposed to be recommended by the President, leading to the result that the KCC further loses its independence from the President. To achieve a system of checks and balances, the Vice Commissioner and opposition lawmakers should properly play their role. However, under the current structure this is not possible. Additionally, no other state with the separation of powers has a broadcasting and communication regulation being put under the direct control of the President. The FCC of the USA, although being a similar model to the KCC, is not a body under the direct control of the President, but a legally independent body. This point should be heeded in Korean legislation. The broadcasting media shall be independent so as to promote democratization and create diverse healthy public opinions. The broadcasting policymaking being placed under the direct control of the President is feared to seriously interfere with the independence of broadcasting.16

D. South Korea’s Media Act, its Structure and Problems I. Informatization Framework Act Prior to the application of the National Informatization Framework Act on 22 May 2009, the Informatization Promotion Framework Act that defined the principle of informatization was completely amended by the Ministry of Public Administration and Security and changed into the National Informatization Framework Act on 23 August 2009.17 In line with the informatization functions, which were distributed into different ministries following the government organization reshuffling in February 2008, as well as with the national informatization paradigm shifting globally from informatization promotion to information utilization, the Act was enacted to offer new philosophies and principles of national informatization in response to those 16 Im Dong-uk, “Evaluation of One Year of KCC Operation”, Seminar Presentation of Media Publicity Forum (4 October 2009). 17 Law No. 9705, 2009/5/22. Complete amendment as of 23 August 2009.

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trends. It shall also define the provisions for policy formulation and implementation, thereby realizing a society of knowledge and information. The Act itself aims to define the basic direction of the national informatization as well as to point out the provisions which are necessary for the formulation and implementation of relevant policies. All of this helps to realize a sustainable society of knowledge and information and to enhance the life quality of people. Article 6 sec. 1 of the Act requires the government to revise national informatization plans every five years with the aim of implementing national informatization efficiently and systematically. Also, Article 6 sect. 2 provides that the Minister of Public Administration and Security shall develop the framework by putting together the central government’s and local governments’ plans. According to Article 9 the plan shall be determined after it is reviewed by the National Informatization Strategy Committee. This procedure shall apply to any important matter, which can be defined by Presidential Ordinances. II. Governing KCC Laws When laws are classified into administrative laws and administrative execution laws, as well as into general norms and special norms, the KCC Establishment Act has to be seen as an administrative law, which can simultaneously be qualified as a general norm defining the overall operations of KCC. Most of other laws, however, are administrative execution laws and provide special norms. First, the KCC Establishment Act aims to proactively respond to the convergence environment of broadcasting and communication so as to promote the freedom, publicity and public interest of broadcasting, to bolster the international competitiveness of broadcasting and communication, to guarantee the independent operation of KCC, and thus to protect the rights and interest of the people and promote public welfare, Article 1 KCC Establishment Act. This Act has three operational principles: First, to realize the welfare of broadcasting and communication users as well as of ordinary services. Second, to facilitate the development of broadcasting and communication technologies and services and create a fair competition environment, and finally, to devise policies to enable the broadcasting and communication business to serve public interests, Article 2 KCC Establishment Act. In addition to this Act, laws pertaining to broadcasting and communication are outlined in the following table. Not only the conversion, the broadcasting, and the communication categories as specified, but also other categories are regulated. In this matter laws pertaining to broadcasting influence the communication category or vice versa.

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Seong-woo Ji Table 1 Governing KCC Laws

Category

Convergence

Laws

Enforcement Acts

- Act on the Establishment and Operation of the KCC

- Acts on Installation and Operation of the KCC

- Act on Internet and Multimedia Broadcasting Businesses

- Act on Internet and Multimedia Broadcasting Business

- Framework Act on the Development of Broadcasting and Communication

- Enforcement Ordinance on Framework Act on the Development of Broadcasting and Communication - The KCC and Organizations of Agencies under its Control Act

- Broadcasting Act

Broadcasting

- Enforcement Act of Broadcasting Act - Special Act pertaining to conversion of terrestrial broadcasting - Enforcement Act of Special Act into digital broadcasting and to the pertaining to conversion of teractivation of digital broadcasting restrial broadcasting into digital broadcasting and to the activation - Education Broadcasting System of digital broadcasting Act - Broadcasting Culture Promotion Association Act

- Enforcement Act of Education Broadcasting System Act

- Telecommunication Act

- Enforcement Act of Telecommunication Act

- Act on Promotion of Use of Information and Communication Networks and on Protection of Information, etc. - National Informatization Framework Act

- Enforcement Act of Act on Promotion of Use of Information and Communication Networks and on Protection of Information, etc.

- Enforcement Act of National Informatization Framework Act - Act on Protection and Use of Position Information, etc. - Enforcement Act of Act on ProCommunication tection and Use of Position Infor- Telecommunication Framework mation, etc. Act - Act on Internet Address Resources

- Enforcement Act of Telecommunication Framework Act

- Act on Information and Commu- - Enforcement Ordinance of Act of Internet Address Resources nication Work Business - Act on Protection of Communi- - Enforcement Act of Act on Information and Communication cation Confidentiality Work Business

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- Act on Protection of Communication Confidentiality - Provision concerning Technical Criteria for Broadcasting and Communication Equipment - Provision concerning Accounting and Report of Telecommunication Business Radio wave

- Radio Wave Act

- Enforcement Act of Radio Wave Act

III. Problems of Norm Levels Conventional broadcasting means the delivery of audiovisual broadcast programs to a number of unspecified people in a one way direction. Communication means receiving and sending voices and data between specific speakers or users.18 Under the legal definition, broadcasting means to plan, schedule and produce broadcast programs and transmit them to a number of unspecified people in one way, while communication means sending and receiving voice and video data between communication service users via wire, wireless, beam and other electronic means. Both broadcasting and communication have the delivery of information via networks in common, but they differ in their delivery system, the delivery method and the delivered content. Communication has developed into a network-centered industry with the strength of a two-way transmission and mobile networks. Although it started with one way networks, broadcasting now has the strength of providing high quality content. Thus, in the past, broadcasting and communication were separate businesses, and accordingly their operation and regulation were divided.19 In line with the acceleration of the convergence of broadcasting and communication, convergence media are massively appearing. Yet, the corresponding convergence content markets have still to be activated. Particularly, in recent years, the content industry is changing from a single content focused approach to more and more entertainment content, etc., thus converging and combining services encompassing one value chain of network and delivering everything out of one source, i. e. service, IT, devices and software. On 29 February 2008 the Act pertaining to the establishment and operation of the KCC to regulate these situations was enacted. The KCC is now responsible for every kind of broadcasting and communication policies. The Broadcasting and Communi18

Lee Won-cheol, “Overview of Laws Pertaining to Broadcasting and Communication of Major Countries (1)”, Korea Communications Agency (2011), 34. 19 Kim Guk-jin, Understanding of Convergence of Broadcasting and Communication (2003), 25 et seq.

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cation Review Committee is responsible for the review of broadcasting and communication content. Both institutions were part of the Act. However, agencies responsible for the policies for and the regulation of broadcasting and communication were integrated. This is still regulated separately by the Broadcasting Act and the Communication Act. Additionally, being still separate, content review has yet to properly reflect the convergence of broadcasting and communication. The past broadcasting review regulation and broadcasting review regulation by the broadcasting committee, and the review regulation by the information and communication ethics committee are still applied as they are. All that changed were their names. Recently, the Framework Act on Development of Broadcasting and Communication was enacted, and the proposed Broadcasting and Communication Bill will be submitted to the review committee. Regarding the review of content, legislation related to the communication review, such as the KCC Establishment Act and the Information and Communication Network Act have yet to be systematically streamlined.

E. Conclusion Taking a view from the constitutional perspective, the freedom of broadcasting is generally regarded as both, freedom right to be attributed to the system and a guarantee thereof by the system. According to this opinion, the legislator should not abolish the freedom of broadcasting or interfere in its essence through legislation. The broadcasting system establishment requires the specific formation of the freedom of broadcasting, being a part of the guarantee by the system. Thus, if the freedom of broadcasting were abolished and its essence were violated, the legislator would be allowed to have a broad discretion in its legislative power. The legislator could exercise a broad discretionary power concerning the specific system formation, and thus the broadcasting system should be formed in such a way as to reflect the values of the times as much as possible to efficiently guarantee the freedom of broadcasting. South Korea’s Media Act established KCC to govern and supervise the convergence of broadcasting and communication from the perspective of hardware. However, the KCC was put under the direct control of the President, and is criticized for its inability to remain politically neutral as well as its excessive pursuit of industrial-oriented policies. Further, from the perspective of software, South Korea’s Broadcasting Act and Communication Act is still adopting a vertical classification, and thus should be massively reformed to convert into a horizontal regulation to equally regulate different regulation levels by media in line with global trends.

Twist the Cup and the Lip: A National Perspective on Human Rights and Development By Wan-Hea Lee1

A. Introduction The more we study development, the more we learn what we do not know. Examining concrete country examples leads to the inevitable conclusion that there is no one general path to development but the combination of specific policy choices taken in a specific national and international context, comparative advantages and disadvantages that work in specific cases. What were once taken as constant variables we now know can change over time. The continuous refinement of mechanical econometric models of growth have helped to target interventions, but the truth is that our understanding about the relationships between most variables remains constrained; we know more about the correlation between them rather than direct causality. At the same time, the normative work on development has also advanced, which should guide policymakers about the kind of choices that they should make and the regulatory frameworks that would help ensure positive results. The convergence of the human rights and development discourses has reshaped the objectives of development, from economic growth to improvements in human development and quality of life, especially for the most marginalised in society. By better defining the ultimate aims, we are better able to reject the once accepted sacrifices of short-term inequality and democracy deficits for long-term growth, and better able to appreciate the role of the processes and institutions that will get us there. Human rights norms are also helping to better focus the processes that can better achieve development. In particular, the concepts of participation and accountability, not only as a means to promote better development but as rights in and of themselves, reinforce this approach. This has yet to be explored in one coherent look at the level of the rights-holder’s multifaceted interactions with the main driver of development – the market – and the State obligations in this regard. This article aims to present some elements to stimulate this important discussion. 1 Senior Human Rights Officer at the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights. The views expressed in this article are solely of the author and do not reflect the position or views of the United Nations.

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One strain of development studies has emerged that examines the institutional framework that leads to successful development. This could serve as a basis for identifying the essential elements of a pro-human rights and pro-development national economic governance system. This article thus has a second aim of contributing to this effort by raising some heretofore neglected questions about national economic governance from the perspective of the individual, who is one and the same holder of human rights and intended beneficiary of development. This article is a contribution to this process of reflection from a strong believer in the Committee on Economic, Social and Cultural Rights and the dedicated individuals that serve on it. Professor Eibe Riedel, in particular, has been not only a good friend to me but also my best devil’s advocate on many issues and a key engine behind the Committee’s work on those issues touched upon here. His presence in the Committee will be deeply missed.

B. A Human Rights-Friendly Market We begin with the premise that the market is the main mechanism through which rational individuals, families and groups can satisfy the material needs that are necessary for the fulfilment of their human rights. Insofar as we are examining the goods essential for survival, such as food and housing, and basic social services, such as education or health, the relevance of these sectors of the market for the realisation of human rights is clear, for these rights are explicitly provided for in the human rights treaties, notably the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. For States that have committed themselves to the continuous improvement of living conditions2 and the overall improvement of the well-being of the entire population3, the general functioning of the market becomes a human rights issue. In this regard, as the State is the direct duty-bearer under international human rights law, the State is obliged to ensure that the market operates by a regulatory framework that ensures that rights-holders are able to obtain the goods and services that will provide for an adequate and continuously improving standard of living. The market environment must be made to facilitate transactions that are fair for both businesses4 and consumers. The usual market processes might ensure this in most cases without need for intervention by efficiently allocating productive capacity to those goods and services for which demand is highest. The inherent continual self-corrective feature of the law

2

Article 11, para. 1 of the Covenant. The 1986 Declaration on the Right to Development, Preamble. 4 The term “business” is used in the broadest sense of term of a profit-seeking entity, regardless of size and ownership structure, including State-owned enterprises, cooperatives, transnational corporations, etc. 3

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of supply and demand according to conventional wisdom led the specialists to vigorously advise developing countries to desist from interfering with the market. The human rights dimension of the equation adds consideration of what happens with the winners and losers of this continuous adjustment process. The most extensive set of norms relates to the rights-holder as a worker. Under the Covenant and a host of ILO Conventions, the State is obliged to establish and enforce labour standards regarding the process of recruitment (i. e., that it not be affected by discrimination on the grounds of race, colour, ethnicity, sex, disability, etc.), employment (i. e., that the conditions of employment be just and favourable), as well as dismissal (i. e., to be also not subject to discrimination, that unemployment benefits and training be made available to enable a transition to another job, etc.).5 A proactive State role is called for to protect individuals against exploitative conditions, particularly children.6 The fact that today 160 States – over 80 % of the world’s countries – are parties to the Covenant would support arguments in favour of extraterritorial application of basic human rights guarantees to the operations of businesses operating in countries other than their home base.7 The human rights obligations of States to ensure the provision of a minimum level of education for all should be viewed not in isolation but in conjunction with the obligation to realize the right to work. Among the objectives of education must be to leave students with employable skills and knowledge that concur with the broader development policies that are chosen.8 A State seeking to promote development will also seek to provide at least a basic human rights education that imparts values of tolerance, non-discrimination and peaceful coexistence, as well as knowledge about the State’s governance structure through which all persons have a right to participate in decision-making processes and to seek remedies in case of violations of their rights. A growing body of empirical studies have pointed to the importance of investments in education in contributing to successful development, and investments in primary and secondary education have been shown to have more positive impact on pro-poor growth and in diminishing inequality than investments in higher education.9 To better achieve a reduction in inequality, it is essential that members of mar5 General Comment number 18 of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights. 6 Article 32 of the Convention on the Rights of the Child and ILO Convention No. 182. 7 Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations “Protect, Respect and Remedy” Framework (“Ruggie Principles”), A/HRC/17/31, Annex, para. 2, 21 March 2011. 8 The right to work entails an obligation to provide technical and vocational education to facilitate access to employment, as does the right to education (Articles 6, paragraph 2, and 13, paragraph 2(b), of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, and Article 23, paragraph 3, of the Convention on the Rights of the Child). 9 J. H. Lopez, “Pro-poor growth: a review of what we know (and of what we don’t)”, World Bank PRMPR, draft September 2011.

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ginalised groups be enabled to access education, especially girls and members of traditionally disempowered minority groups. At the centre of a reliance on market mechanisms to promote development is a recognition of the role of the private sector in creating jobs and through those jobs to better distribute wealth. An implicit requirement is therefore an adequate regulatory framework that facilitates the establishment of for-profit enterprises, while informing them of and holding them to account for their responsibilities toward their consumers and employees.10 This is especially true for developing countries, among them those with a weak social protection system, in regard to self-employment or family or other micro-enterprises. Efforts to track and improve the business environment show progress in recent years, but they remain at the level of voluntary initiatives.11 Insofar as businesses are the main employers in a given State, there is a human rights argument to be made that the obligation of the State to take appropriate steps to safeguard the right to work and guarantee an adequate standard of living12 requires making it reasonably simple for businesses to operate and thereby to fulfil their role in promoting employment. Another neglected variable in the equation is the role of the rights-holder as a consumer.13 Under this perspective, the consumer is both a subject and object in the implementation of his own rights; the consumer has not only the freedom to provide for him- or herself but also the responsibility to do so. Where there are dependants involved, whether spouses, children or older persons, the responsibilities of the consumer are commensurately greater. The market infrastructure must establish and enforce product safety standards, redress procedures, and clear liability when those standards are breached. At a minimum, the State must ensure that there are standards defined on the presentation of the products presented on the market, so that adequate information is provided to enable consumers to make a rational choice. It should ensure that profit-seeking enterprises share basic information on the contents and the risks of danger associated with a product. It should establish a way by which claims may be made in the case of adverse consequences. The marketing and production methods of some firms that convince poverty-stricken mothers in developing countries that expensive powder milk is better for their babies than breastmilk, for exam10 Ruggie Principles, supra fn. 7; Statement on the obligations of States parties regarding the corporate sector and economic, social and cultural rights, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, E/C.12/2011/11. 11 International Finance Corporation, World Bank, “Doing business 2012: Doing business in a more transparent world” (2012). 12 Article 11, para. 1 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. 13 An early attempt to set out voluntary standards of consumer protection resulted in the adoption in 1985 of the Consumer Protection Guidelines (ECOSOC resolution 39/248), which were updated to include sustainable consumption issues and adopted again by the General Assembly in 1999 in decision 54/559. The adoption of the Guidelines occasioned a debate in which some argued that consumer rights should be considered as human rights. See S. Deutch, “Are consumer rights human rights?”, 32/3 Osgoode Hall Law Journal (1994).

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ple, have a direct bearing on the human rights of both the babies and their families. When a family considers how to spend its limited income to maximize its well-being, ensuring the human right to information14 in the marketplace is essential. The underlying premise of the market model that the consumer is rational merits deeper reflection. If the presumption is that the consumer can make the best choices to maximise his or her own utility within his or her purchasing power, then no informed purchase could be wrong. Particularly where one’s spending does not impact on the necessities of life, it may be reasonable to accept that the choice is his and the State does not need to be concerned. Where it does impact on basic needs, are there human rights obligations on the State to act? The responsibilities of the State to the non-rational consumer have not been addressed in either the development or the human rights literature. The fact is that not all the choices competing for the attention of consumers will necessarily add to their quality of life and some choices are outright harmful. Normally, every purchase will be decided upon on the basis of two main factors: the utility served by the nature of the product being purchased and the price. Focusing on the latter, when it is possible for consumers to make choices that require repayments beyond their means to repay, the question arises as to whether safeguards, including legal ones, need not be put into place. The current financial crisis is a story of both spending and lending beyond one’s means. The final result for US homeowners became a clear human rights issue when they lost their homes – usually the main asset that provides for a family’s economic stability – in addition to much of their capacity to provide for their livelihoods. In this case, it was a human rights issue already at the time when unaffordable loans were allowed to begin, compounded by the fact that a disproportionate amount of sub-prime loans15 were offered to persons of colour relative to white persons at the same income level, who subsequently constituted a disproportionate number of the victims of foreclosures.16 The sub-prime housing crisis became a national crisis in the country, and it became an international crisis because

14

Article 19, para. 2 of the International Covenant on Civil and Political Rights. Loans offered to individuals who do not qualify for the prime rate at a higher interest rate than the prime. 16 American Civil Liberties Union, “Predatory Lending: Wall Street Profited, Minority Families Paid the Price”, by L. Schwartztol, Racial Justice Program at 4:35pm, ; Report of the United States of America to the Human Rights Committee, CCPR/C/ USA/4 (2009), paras. 73 et seq.; Housing Scholars and Research and Advocacy Organisations, “Residential segregation and housing discrimination in the United States: violations of the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination” Dec 2007, ; Addendum to the Report of the Special Rapporteur on adequate housing as a component of the right to an adequate standard of living, and on the right to non-discrimination in this context, Raquel Rolnik, on her mission to the United States of America, A/HRC/13/20/Add.4 (2010), paras. 64 – 66. 15

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the dollar was the de facto world standard. The effect on the world economy was immediate and severe. While it has historically been anathema to assert that lending conditions should be affected by human rights obligations, it can be argued that the limit must be set at the point where the impact on the affected individuals would risk causing them to fall into poverty. To address such situations, some countries apply the golden rule that an individual’s total debt obligations per month should not exceed one-third of his or her total monthly income. This may be a general practice of lending institutions in some countries, but it is far from universal and very rarely is it a legal standard. An argument may be made that persons should not be allowed under human rights law to indebt themselves to the extent that they risk falling into poverty even when they are willing to do so, just as persons do not have the choice to submit themselves to torture, even if they are willing – the prohibition of torture being absolute under all circumstances. While respecting the freedom of individuals to make the transactions that they believe serve them best, when the scale of a transaction endangers a person’s or family’s livelihood, can it be said that the right to an adequate standard of living obliges the State under human rights law to intervene by setting binding limits of affordability within which any lending may be offered, at no circumstances leaving the client with less disposable income than a legally defined minimum? The human rights perspective lends force to the movement toward regulation of the excesses of the market. The market can misinform and discriminate. Irresponsible marketing can try to create an anticipation of satisfaction from harmful products and thus create a demand for them. All actors in the market are capable of taking more risks than are safe for them to take: businesses, consumers, and governments. Allowing the market to function does not conflict with the minimum regulation necessary to ensure the protection of human rights for all.

C. When the Market Fails For the segment of the population that is unable, on its own, to satisfy its needs through the market, human rights guarantees in the marketplace play a most prominent role. The rights of the consumer in regard to basic necessities, including food, water, housing, sanitation, and health care, merit special measures of protection for the most marginalised. In such cases, special incentives (through differential taxation rates, subsidies, etc.) may be needed in order to encourage the market to produce the goods and services in question at a price that is affordable to this segment of the population, or special measures to facilitate “self-help” initiatives. Such measures have been successful in the context of housing. Alternatively, the State might find it more efficient to provide such goods and services directly, as is commonly the case with public education and utilities.

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For those who do not manage to obtain basic goods and services for themselves, the State is obliged under the human rights framework to identify them and find a way to fill the gap. One way is to establish a minimum floor of social protection that individuals can rely upon when all else fails, particularly through social security (pensions, social insurance and assistance).17 The human rights treaty bodies, particularly the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, and international organisations have been vocal about the imperative for States to establish a social protection floor.18 While the level of that floor will inevitably depend on the level of available resources, the obligation to establish and abide by it is immediate. The pressures on social security administrations across the world had already been mounting by the time that the current financial crisis erupted. While the experience is very different from country to country, there were discernible worrisome trends affecting pensions, including the overall aging of the populations of the more developed countries and consequent increases in expenditures relative to contributions, high budget deficits financed in part by drawing heavily on public pension schemes, large numbers of workers in the informal sector who had very limited access to formal pension schemes, and difficulties in significantly expanding the rate of coverage, which globally remains at a mere 20 % of the working population.19 The financial crisis is exacerbating many of these pressures, requiring more pay-outs while higher unemployment and tighter fiscal constraints are reducing the amounts being paid in. For many countries, social security reform has entailed introducing new limits or conditions on benefits, an increase in the retirement age (possibly a violation of the prohibition of retrogression on human rights guarantees), and increases in contribution rates from subscribers. However, the same pressures have proven the value of social security programmes. Those countries that were best able to manage the recent crisis’ social and economic impacts were those that had comprehensive social security programmes already in place.20 Globally, the common misperception that social security costs drained resources and thus were a cause of economic ills is being dispelled from the knowledge that the current financial crisis is not attributable to social security expenditures.21 As recommended by the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, each State is obliged to find a sound combination of contributory and non-contributory social security schemes that provides coverage for all to meet at 17

Article 9, International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, and General Comment number 19 of the Committee. 18 Report of the Social Protection Floor Advisory Group of the ILO and WHO, “Social protection floor for a fair and inclusive globalization” (2011). 19 Global Report of the International Social Security Association, “Dynamic Social Security: Securing social stability and economic development” (2010). 20 Reference to Bonnet/Ehmke/Hagemejer, 2010, in: “Dynamic Social Security: Securing social stability and economic development – development and trends,” triennial report of the International Social Security Association, 2008 – 2010. 21 Reference to Euzéby, 2010, in the above report of the ISSA.

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least the minimum entitlements defined by the Covenant. While that minimum standard may improve with the pace of broader economic development, it must not wait for the optimal time. Even lower-income countries have proven capable of providing their populations with a minimum basket of social protection benefits through innovative financing, such as through taxes or from a reserve fund.22 The obligation to ensure that social security is available to all can be said to require particular caution in the investments allowed with social security funds. The financial crisis has brought to the fore the risk of tightly linking the financing of social security programmes with fluctuating financial markets. Governance failures in fund investment are evident and there is a strong case for reviewing and updating risk management systems.23 According to the Committee, the failure to regulate the activities of individuals and groups and the failure to ensure the financial sustainability of State pension schemes constitute violations of the right to social security.24 It follows that there is a human rights obligation for States to establish the threshold of an acceptable level of risk that must not be exceeded by any investments made with social security funds.

D. Pro-Poor Growth The most obvious but nevertheless important contribution of human rights to the development discourse was the attention it insisted be paid to the most marginalised groups in society. In economic terms, they are the poorest, but from a broader perspective, they are also often members of ethnic, religious or cultural minority groups, among them the worst off are disproportionately women. A long-held belief among economists was that industrial development followed a path of increased inequality in the short-term before the creation of wealth would spread the benefits and equality would increase in the long term, à la Kuznets inverted U-curve. Short-term inequality was therefore not only acceptable, but it was considered to be a necessary sacrifice for greater prosperity in the long-term. More recent studies from the 1990s have brought this into question by demonstrating that the higher the baseline inequality, the slower growth will be in the long-term.25 One might deduce from these studies that inequality is not inevitable but that it should 22

Ibid., and the Report of the Social Protection Floor Advisory Group of the ILO and WHO, supra fn. 18. 23 Ibid. 24 General Comment number 19 of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights. 25 P. Aghion/E. Caroli/C. Garcia-Penalosa, “Inequality and Economic Growth: the Perspective of the New Growth Theories”, 37/4 Journal of Economic Literature, pp. 1615 – 1660 (1999), cited in R. van der Hoeven/A. Shorrocks (eds.), Perspectives on Growth and Poverty, p. 46; M. Ravillion, “Pro-Poor Growth: A Primer,” World Bank, Policy Research Working Paper No. 3242, 2004; J. H. Lopez, “Pro-growth, pro-poor: Is there a trade-off?”, World Bank (PRMPR), July 2010.

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be combatted from the start, which coincides well with every State’s human rights obligations. In the development discourse, the acceptance of short-term inequality led to a false dilemma about the relationship between inequality and poverty, which in the final analysis is a dilemma between relative poverty and social values. Let’s say that policymakers face a choice between two policies: (a) one that would raise the economic growth rate by 8 % and improve the average income of the poorest by 3 % and of the richest by 10 %, and (b) another that would increase growth by 6 % and improve the average income of the poorest by 4 % and of the richest by 8 %. Many specialists might not hesitate to recommend the 10 % choice, arguing that everyone would be better off in absolute terms, even if inequality were to deteriorate. Depending on the definition of pro-poor growth used (relative or absolute), one could argue that both choices are pro-poor. The dilemma resolves itself when considered in the light of human rights norms, which stipulate that everyone is entitled to an adequate standard of living, and that the obligation to take steps to achieving that is immediate. A State that has not achieved the complete eradication of poverty does not have the choice of discounting the 1 % share that some of the poor might not receive as a result of choosing (a). For practically every State on this planet, this dilemma is irrelevant. The Covenant, by presenting a normative basis for a number of positive rights that are directly related to the success of the development strategy chosen can be said to oblige poverty reduction and thereby oblige the maximum pro-poor growth from the start. This conforms to the consistent focus in human rights on the most marginalised and disadvantaged in society. The Rawlsian argument that development should be measure, not by aggregate progress but by the benefit that such progress brings to the poorest in society, has finally found an operational vehicle in some of the propoor strategies being developed today. States will have a number of specific choices to make when determining the kind of pro-poor growth strategy that suits their context best. The human rights dimension adds little to the selection, as long as it is evidence-based, pro-poor and aimed at reducing inequalities. However, human rights obligations can provide guidance on setting limits on what is not a choice. - First, of the many reasons why external debt may be accrued, it should not be due to a government borrowing beyond its means to repay. Fiscal responsibility is directly linked to its ability to provide essential services. - Second, when new debt is deemed necessary, it must not be incurred without a transparent needs assessment and disclosure of the terms of the loan.26 26 The United Nations Independent Expert on the effects of foreign debt and other related international financial obligations of States on the full enjoyment of all human rights, particularly economic, social and cultural rights, Cephas Lumina, is currently elaborating Draft Guiding Principles on Foreign Debt and Human Rights for submission to the Human Rights

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- Third, the undertaking of development projects should not be allowed to proceed without adequate consultation with the affected persons and a built-in provision for fair compensation. Such projects should not be permitted to cause harm, even when justified to be for the general welfare. Any project that is expected to cause displacement or environmental degradation, for example, should be weighed against all options to minimize any resulting damage, in a transparent process of consultation. - Fourth, any decisions to implement austerity measures should not be taken except in full transparency. Included among their aims should be the protection of the budget for social expenditures to the maximum extent possible.27 Ensuring the sustainability of State guarantees for basic goods and services requires a minimum level of fiscal discipline. Just as individuals must not be permitted to indebt themselves beyond their means, a State must also be prevented from doing the same so as not to endanger its ability to fulfil human rights. While these points are focused on the responsibilities of the borrowing State, lenders also have responsibilities to prevent such a situation. States from which loans are issued, whether public or private, must establish rules and thresholds to prevent themselves and private lenders from placing an unsustainable burden on the borrowing State that would hinder its ability to realise human rights28.

E. The National Institutional Framework With the convergence of the human development lens and human rights norms, both reinforcing the other in important ways, the question arises as to how then human rights-friendly development can be pursued in practical terms. The institutional basis for development has been the subject of wide debate, mostly in the negative sense during the period of neoclassical development economics of the 1970’s and 1980’s when there was a deep confidence in the market mechanisms and therefore deep distrust of any government interference in their operation. Since then, the successful examples particularly from East Asia have led many to reconsider their positions, which despite lingering scepticism has opened the door to a healthier de-

Council in which he will aim to address the process for examining the lending and borrowing process against human rights standards. 27 General Comment number 2 of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights (1990), para. 9. 28 The Independent Expert on the effects of foreign debt has called on States to regulate the actions of the so-called “vulture funds”, where a firm purchases sovereign debt at a large discount, including debt that has been forgiven, and attempts to obtain the full value of the debt through litigation (A/HRC/14/21). He has also made recommendations in regard to general predatory lending and other practices that lead to the incurrence of “illegitimate debt” (A/64/289).

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bate about the institutional requirements for successful development and how developing countries can attain them.29 The search can be said to have begun with the observation that what early development thinkers presumed as a long-term positive relationship between economic growth, poverty reduction and the reduction of inequality is borne out in the data on some countries, but so is the opposite in others. Today, we know that these relationships are not automatic. A better way to express them is that economic growth can lead to a reduction in poverty and inequality, but it works best when the growth and development strategies are explicitly designed to do so, in a way that fits the national context. The national context, in turn, is reflected in and shaped by national actors. It requires a process of internalization by competent domestic institutions, supported by a population empowered to participate in its elaboration and that can see their lives improving as a result of it, and a serious effort to prevent leakage of limited resources. The welcomed increased attention being paid to “economic governance” and “institutional support to development” acknowledges that within the State, specific institutions must be responsible for specific parts of the development equation.30 While the mandates of the key institutions that should assume these responsibilities will differ from country to country, several basic principles inspired by the fields of human rights, development and public administration are suggested below, along with indications of the types of institutions that might embody those principles. I. A Professional Bureaucracy Any State action to promote development will depend on the line ministries to implement the necessary policies and programmes. A professional career civil service that is shielded from undue political influences must be capable of taking advantage of the limited opportunities for preferential treatment of domestic industries offered by the international financial, development and trade institutions. He or she would be able to identify, reflect, and even stimulate the creation of new comparative advantages in development planning. A professional bureaucracy should also help elected governments to elaborate rational budgets that ensure social protection for all, at a level appropriate to the State’s level of development, strengthen a fair tax collection system that serves its development objectives, and guide Parliaments on the necessary regulatory framework. A professional social security administration would be better able to ensure the integrity of the system. A technocratic bureaucracy

29 H.-J. Chang, Globalisation, economic development and the role of the State (2003), pp. 306 et seq. 30 Addendum to the Report of the high-level task force on the implementation of the right to development on its sixth session, A/HRC/15/WG.2/TF2/Add.2. Also ref. Chang supra fn. 29, Chapter 9, and the Global Competitive Report, World Economic Forum, 2011.

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will be better placed to also implement the sensitive reforms that will be needed to advance, such as in land ownership, property rights, tax collection, etc. II. Informed Decision-Making An independent data collection agency should collect and disseminate key data that can be expanded over time as resources allow. It should be empowered to inform policymakers about the impact of their policies to allow for any necessary adjustments. The data collected should reflect international standards to allow for international comparisons and exchange of lessons, properly disaggregated according to human rights norms. It should track, among other things, key human rights/human development indices. Freedom of information should be guaranteed in law. A specialized national research institute specifically mandated to develop viable options for policymakers and the implementing ministries at both the macro and micro levels, based on international and national experiences and on human rights obligations, could prove to be useful. It should be well placed to tailor solutions to the national and local contexts. It may be a public or semi-public institution. It could consult with academia and civil society about theories, models, good practices and the reality on the ground. It could also support the foreign service in representing national interests in international financial, trade and other institutions that impact on national development. III. Rule of Law 1. A legal framework should be developed that balances the rights of producers and consumers, employers and employees. It should ensure that all the human rights enumerated in the international treaties ratified by the State are applicable in domestic courts, particularly those that prohibit actions that commonly arise in the development process, such as forced evictions, and establish a social protection system. A legal or regulatory framework should clearly establish the rights and responsibilities of businesses and consumers, establish procedures for the determination of ownership of property and its transfer, and the rules requiring transparent public and private sector accounting. 2. Rules-based market mechanisms can facilitate the operations of the former and allow the latter to maximize their utility, without excesses or abuses. These may include a regulated banking system that functions under transparent lending rules, including for the poor (under conditions they can afford), taking guidance from an independent central bank. A stock market could help with the raising of capital. But just as the right formula for development for any country will depend on many factors that are specific to that country, so will the mix of market institutions. 3. The capacity of a justice system that is independent from the executive should be built in order to be able to increasingly handle cases of both civil and criminal law

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effectively and efficiently, giving effect to the right of all persons to equality before the law. The type of administrative complaints that do not need to be dealt with by the courts should be delineated and procedures established to resolve them. 4. Where possible, a system of legal aid should be established to facilitate access to the justice system. 5. Where less formal or traditional justice systems are in place that enjoy a high degree of confidence among the public, efforts should be made to determine the division of labour between them and the formal justice system.

IV. Continuous Monitoring 1. Institutions for monitoring the development process should be created or strengthened within the State apparatus but independent from it. Continued close consultation with civil society organisations, informed by the data collected by a State data collection agency, would enable then to play the role of bridge between broader society and the government, helping to build public consensus around the broader national development aims and to bring public concerns to development planners and decision-makers, in so doing also allowing for early corrective measures to be taken when needed. National human rights institutions, where they exist, could assume this role. 2. An independent anti-corruption body would help to minimize leakages in the investments for development. It should monitor actual cases as well as public perceptions of corruption and promote the establishment of an appropriate anti-corruption legal framework and capacity within the judiciary and prosecutor’s office to deal with corruption cases. A pro-development orientation would have it monitor the degree to which corruption affects business operations.

V. Participation and Empowerment of Rights-Holders 1. The formal mechanisms for the expression of public opinion, the formation and functioning of democratic institutions such as elected national and local governments, parliaments, political parties and other representative bodies should be strengthened so that they actually play this role. 2. To do so, fundamental civil and political rights must be respected, which may require special measures to reach out to the most marginalised sectors of society. They should be guaranteed the freedom to freely establish and join political parties, trade unions, and civil society organisations that represent one’s interests and can monitor the functioning of the State.

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3. A priority focus on universalising education and health care is an essential means for the empowerment of rights-holders, enabling them to participate meaningfully in the development process, whether as entrepreneurs, workers, consumers, or part of the public service. The principle of participation is not new to the development process, but neither is it uniformly accepted. The development literature continues to pose the question of whether the cacophony of democracy is compatible with the task of economic management, particularly in the early stages of development. At the extreme, studies show that political stability is an essential factor in the development of the private sector, and thus it will operate better in a stable democracy than in a conflict situation. However, among stable polities, be they democratic or autocratic, is there a case to be made that development can be more efficiently pursued when civil and political rights are not respected? The rights perspective would have us rephrase the question. This seemingly technical question that was explored through empirical studies could not be satisfactorily answered because at the heart of it is actually a moral question of whether faster and higher growth is better than a slower but inclusive pro-poor growth that redresses inequalities. Participation in the decisions affecting one’s life is a human right. Enabling participation can safeguard against potential abuses, and it can serve as a trigger that sounds an alarm when things somewhere go wrong. The objective being redefined from overall economic development to inclusive human development, the question answers itself. The heavy emphasis on accountability institutions to monitor the development process (points 4 and 5) and provide remedies to affected individuals (point 3) is the other significant contribution of the human rights perspective. This reorients the traditional impersonal development planning and programming processes that have been based on generalisation of impact, such as on “the poor” or the “general welfare”, towards integrating consideration of the impact on real people. The accountability institutions and procedures are the implementers of the government’s obligation to exercise due diligence in order to not only react to problems when they arise but to anticipate them, prevent them beforehand as far as possible, and deal with them if they materialize. Weaknesses of accountability mechanisms in the face of powerful economic and political interests are a major reason for the bad reputation often associated with development among civil society all over the world, a result of suffering caused by élite capture of public land and assets, forced evictions and displacement, discriminatory lending and employment practices, exploitative working conditions, environmental degradation, and the use of violence to implement development plans, to name a few of the common abuses. Development projects need to build in the planning a way to deal squarely with such possible consequences through better participation and accountability, rather than treat them as side-effects.

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The level of sophistication of the institutions that embody the above principles may depend on the level of overall development, but regardless of the starting point, they can be consciously built and progressively strengthened. All of these institutions will depend on a sound development and human rights-oriented education system. These are the institutions that would put into practice the concept of national contextualisation and ownership of the development process.31

F. Conclusion We live in exciting times. We have many tools at our disposal that our predecessors did not. The past ideological confrontations have been put to rest by the collapse of most of the communist economies and the role of the market is now more clearly appreciated. We are better able to understand the functioning of the markets, in turn, and the need to temper its excesses. And yet, the reality is that we are living through a global financial crisis … again. And a disproportionate number of the victims are the most marginalised and vulnerable in our societies … again. The fact that important catalysts of the crisis came from the more regulated countries shows that there remains much to be learned and applied about how the market should be regulated, not only in the developing world. While there is cause for celebration about the progress made in reducing poverty, the fact is that many who were not technically poor before the crisis have also fallen into poverty, are vulnerable to doing so, and in all, nearly a billion people in the world are still in poverty. Globalisation has meant that the strains on one economy are felt elsewhere, and in the case of the largest economies, they are felt everywhere. As we wonder what went wrong, again, the human rights imperative sheds a much needed light on what can be done to reduce the risks of the worst effects repeating themselves. The cyclical nature of economic downturns guarantees that we will be facing this again. Acting now on human rights obligations, such as putting into place counter-cyclical protection tools like a universal social security system, would ensure that next time more people will be shielded at the individual and household level. Establishing or strengthening a human rights-friendly regulatory framework that prevents the excesses of the market from affecting the minimum requirements for an adequate standard of living would help to prevent similar latent crises from exploding. Setting in place a sound national infrastructure for economic governance would help to ensure that development objectives are well formulated and implemented in a way that is appropriate in the national context. These elements were reviewed from the perspective of the individual – the ultimate subject and object of development and human rights. The article explored the individual’s direct interactions with the most central mechanism for development 31 As stressed in the Accra Agenda for Action of the Third High Level Forum on Aid Effectiveness (2008).

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– the market – and the institutional framework that should ensure its proper functioning, certainly for the most marginalised but also for mainstream society. In the process, the human rights norms helped answer some common development myths and false dilemmas. While there is still a great deal to be learned about the ingredients and processes of successful development, translating into action what we already know, drawing from the expertise of the growing pool of development and human rights scholars and practitioners, can help us get the cup to the lip now, before, as Keynes reminded us, we will all be dead.

Von der Traufe zurück in den Regen Von Ángel R. Oquendo Zu Beginn meiner Überlegungen möchte ich die Ansichten von Jürgen Habermas über das Verhältnis von Demokratie und Menschenrechten einer Überprüfung unterziehen. Habermas selbst versucht Befürchtungen zu zerstreuen, dass diese beiden Konzepte kollidieren könnten. Er unternimmt es zu zeigen, dass sich beide Begrifflichkeiten voraussetzen und gegenseitig stützen. Grundsätzlich glaubt er, dass alle politischen Prinzipien in ähnlicher Weise kohärent sein müssen. Die Beschäftigung mit seiner Position wird es mir nicht nur ermöglichen, einen höchst anspruchsvollen Ansatz zur Vermeidung politischer Dilemmata zu untersuchen, sondern auch zu veranschaulichen, warum diese Art von Projekt zunächst so reizvoll erscheint. Hierauf aufbauend argumentiere ich, dass ein solches Unterfangen letztendlich jedoch fehlgeht. Habermas ist bestrebt zu zeigen, dass Demokratie oder „Volkssouveränität“ und Menschenrechte, obwohl sie gelegentlich zu kollidieren scheinen, sich tatsächlich gegenseitig bestärken. Menschenrechte kontrollieren niemals die Souveränität des Volkes oder schränken diese ein, sondern ermöglichen erst ihre genuine Ausübung. Dementsprechend ist die Forderung an die Mehrheit, Menschenrechte zu achten, keine Einschränkung, sondern vielmehr die wichtigste Grundlage wahrer Demokratie. Habermas’ politische Philosophie identifiziert Menschenrechte gerade anhand der dem demokratischen Prozess zugrundeliegenden Prämissen. „Die Substanz der Menschenrechte steckt dann in den formalen Bedingungen für die rechtliche Institutionalisierung jener Art diskursiver Meinungs- und Willensbildung, in der die Souveränität des Volkes rechtliche Gestalt annimmt.“1 Der demokratische Prozess, der diskursiv die Meinungs- und Willensbildung der Bürgerschaft gestaltet, erfordert die Anerkennung bestimmter individueller Mitwirkungsrechte wie der Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit, freie Wahlen und Gleichheit. „Der Grundsatz, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht“, erklärt Habermas, „muss je nach Umständen in der Form von Meinungs- und Informationsfreiheiten, von Versammlungsund Assoziationsfreiheiten, von Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheiten, von Berechtigungen zur Teilnahme an politischen Wahlen und Abstimmungen, zur Betätigung in politischen Parteien oder Bürgerbewegungen usw. spezifiziert wer1 Habermas, Faktizität und Geltung: Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 1992, 135.

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den.“2 Habermas würde zweifellos mit Joshua Cohen darin übereinstimmen, dass „die [grundlegenden individuellen] Freiheiten nicht nur Themen der Deliberation sind, sondern vielmehr die Strukturen auszubilden helfen, die Deliberation erst ermöglichen.“3 Habermas ist bemüht, einen Mittelweg zwischen zwei Extremen zu finden: Zwischen der liberalen Tradition Immanuel Kants einerseits und der seiner republikanischen Kollegen, die sich auf Jean-Jacques Rousseau berufen, andererseits. Sowohl Kant als auch Rousseau versuchen, Konzepten wie Demokratie und Menschenrechte einen hohen Stellenwert innerhalb ihrer Denkmodelle einzuräumen; oder, um mit Habermas zu sprechen: „Rousseau und Kant [haben] das Ziel verfolgt, im Begriff Autonomie die Vereinigung von praktischer Vernunft und souveränem Willen so zu denken, daß sich die Idee der Menschenrechte und das Prinzip der Volkssouveränität wechselseitig interpretieren.“4 Für Habermas sind beide Philosophen auf ihre jeweils eigene Art und Weise letztendlich an diesem Unterfangen gescheitert, während sein völlig anderer Ansatz von Erfolg gekrönt sei. Habermas vertritt die Position, dass Demokratie und Menschenrechte ebenbürtige Konzepte gleichen Ursprungs sind.5 Er versucht daher, einen „internen Zusammenhang zwischen Volkssouveränität und Menschenrechten“ zu etablieren, den Kant und Rousseau übersehen hätten.6 Habermas behauptet, dieser Zusammenhang „liegt im normativen Gehalt eines Modus der Ausübung politischer Autonomie, der […] durch die Kommunikationsform diskursiver Meinungs- und Willensbildung gesichert wird.“7 Er kommt hierbei zu folgendem Schluß: „auf diese Weise setzen sich private und öffentliche Autonomie wechselseitig voraus, ohne daß die Menschenrechte vor der Volkssouveränität oder diese vor jenen einen Primat beanspruchen könnten.“8 Habermas nimmt an, dass Demokratie und Menschenrechte Ausdruck der jeweils öffentlichen und privaten Dimension desselben Autonomieprinzips seien. So erklärt er die enge Beziehung zwischen beiden Begriffen. Die Möglichkeit eines Konkurrenzverhältnisses zwischen beiden Konzepten, geschweige denn einer Inkommensurabilität, wird infolgedessen von vornherein ausgeschlossen. In der Habermas’schen Begriffsbestimmung von Autonomie gibt es keine Hierarchie zwischen öffentlicher und privater Autonomie, wie man sie etwa in der Theo2

Ebda., S. 162. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, in: Hamlin/Pettit (Hrsg.) The Good Polity: Normative Analysis of the State, 1989, S. 30. 4 Habermas (Fn. 1), 130. Ebenso Habermas, Die Einbeziehung des Anderen: Studien zur politischen Theorie, 1996, 89, 293, 299. 5 Vgl. Larmore, The Foundations of Modern Democracy: Reflections on Jürgen Habermas, 3 Eur. J. Phil (1995), 55 (64 ff.). 6 Habermas (Fn. 1), 133, 129; ders. (Fn. 4), 242, 300. 7 Habermas (Fn. 1), 133. 8 Habermas (Fn. 4), 301. Vgl. ebenso ders. (Fn. 1), 479. 3

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rie von Kant oder Rousseau findet. Habermas schreibt die Autonomie weder ausschließlich dem „einzelnen Subjekt“ noch dem „Großsubjekt eines Volkes oder einer Nation“9 zu. Stattdessen findet Autonomieausübung in „Diskurse[n] […] und Verhandlungen [statt], deren Verfahren diskursiv begründet sind.“10 Öffentliche Autonomie à la Habermas wird als politische Autonomie ausgeübt. Mit anderen Worten: Sie entfaltet sich im Rahmen eines diskursiven demokratischen Prozesses, der die Beachtung privater Autonomie, wie sie in einer Reihe von Menschenrechtsnormen zum Ausdruck gebracht wurde, voraussetzt. Bis zu diesem Punkt wirkt die Habermas’sche Beschreibung recht abstrakt. Es ist schwer nachzuvollziehen, welche praktischen Konsequenzen diese Prinzipienverdeutlichung haben könnte. Daher scheint es hilfreich, auf eine konkretere Ebene zu wechseln. Zu diesem Zweck werde ich die Argumentation auf einige spezifische Problembereiche anwenden. Bei der Entwicklung seiner Argumentation betrachtet Habermas in erster Linie Fälle, in denen Menschenrechte scheinbar der Demokratie widersprechen bzw. diese verdrängen. Ein Beispiel wäre der rechtliche Schutz von Muslimen gegen repressive Maßnahmen einer überwiegend christlichen Gesellschaft. Habermas würde behaupten, dass in einem solchen Szenario die Grundsätze der privaten und öffentlichen Autonomie nicht wirklich kollidieren. Die hegemonialen Ambitionen der Christen haben gerade kein Fundament in der öffentlichen Autonomie, sondern verletzen diese. Autonomie in diesem Sinne verlangt gerade die Achtung der individuellen Freiheiten. Volkssouveränität, anders ausgedrückt, ist nur legitim, wenn sie die grundlegenden Menschenrechte achtet. Die zugrunde liegende Idee lautet, dass echte Demokratie voraussetzt, dass alle Mitglieder des Gemeinwesens ein Teil der kollektiven Selbstbestimmungsanstrengung sind. Jeder muss nicht nur ein Stimmrecht haben, sondern auch ein Recht, sich politisch zu organisieren und an allen relevanten Debatten teilzunehmen. Noch bedeutsamer ist, dass die politische Gemeinschaft alle ihre Mitglieder mit Respekt behandeln muss, damit sie effektive politische Akteure sein können. Wenn sie die Bürger- oder Sozialrechte ihrer Mitglieder verletzt, untergräbt sie ihre politischen Rechte, vereitelt die Demokratie und verletzt so die öffentliche Autonomie.11 Habermas verfolgt einen ähnlichen Ansatz in Situationen, in denen die Demokratie scheinbar Vorrang vor den Menschenrechten hat. Er leugnet die Existenz eines echten Konflikts, wenn es darum geht, dass Forderungen des öffentlichen Rechts des zwanzigsten Jahrhunderts Vorrechte des privaten Rechts des neunzehnten Jahrhunderts verdrängen. Natürlich schränkt das öffentliche Recht letztlich die individuellen Freiheiten ein, die in den Zivilgesetzbüchern in den Nachwehen der französischen Revolution verankert wurden. Mit anderen Worten, Eigentums- oder Vertrags9

Habermas (Fn. 1), 134. Vgl. ebenso ders. (Fn. 4), 288. Habermas (Fn. 1), 134. 11 So Habermas (Fn. 1), 105.

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rechte mussten erst kollektiven Werten wie sozialer Gerechtigkeit nachgeben. Offensichtlich erkennt Habermas dieses Phänomen, besteht aber darauf, dass es keine Kollision von Prinzipien gibt. Die Habermas’sche Theorie gibt vor, dem Dilemma durch zwei verwandte, aber unterscheidbare Fluchtwege zu entkommen. Zunächst erklärt Habermas, dass der Grundsatz der Privatautonomie, wie er in den Zivilkodifizierungen Ausdruck gefunden hat, bereits den Begriff der Gleichheit in sich trägt.12 Von diesem Standpunkt aus gesehen, werden Beschränkungen des Privateigentums oder der Vertragsfreiheit auf der Grundlage von Gleichheit vorgenommen. Sie verletzen folglich nicht die Privatautonomie, sondern verstärken diese vielmehr. Indem zum Beispiel bestimmte Arten von Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern für unwirksam erklärt werden, fördert das Arbeitsrecht das Erreichen eines Höchstmasses gleicher individueller Freiheiten, statt diese zu behindern. Zweitens vertritt Habermas die Ansicht, dass die Veränderung des Privatrechts aus der Perspektive des öffentlichen Rechts Einzelpersonen letztlich die Mittel zur uneingeschränkten Ausübung ihrer Privatautonomie an die Hand gibt. In der Regel hat diese Art der Veränderung nicht nur einen Umverteilungseffekt zur Folge, sondern neigt auch dazu, Personen mit einem minimalen Niveau des Wohlstands auszustatten, der es ihnen theoretisch und praktisch ermöglicht, autonom zu agieren. Was wäre beispielsweise der Sinn des Eigentumsrechts, wenn man gar kein Eigentum besitzt? Habermas beschreibt überzeugend die innere Verbindung zwischen Demokratie und Menschenrechten. Allerdings ist seine kategorische Ablehnung jedweder Möglichkeit eines Konflikts nicht eingängig. Sicher wäre es seltsam, wenn die Ziele der Gesellschaft in einem ständigen Konflikt miteinander stünden; ist es aber nicht ganz natürlich, dass Ideale wie Demokratie und Menschenrechte hin und wieder miteinander kollidieren? Habermas würde sich vermutlich an dieser Stelle nicht zurückziehen, sondern seine Position radikalisieren. Er würde Konflikte zwischen Demokratie und Menschenrechten sowie zwischen zwei beliebigen gültigen politischen Prinzipien ablehnen. Er würde behaupten, dass das Zulassen der Möglichkeit einer Kollision zwischen diesen Normen auf ihre Angleichung an Werte hinauslaufe und damit ihr Wesen völlig missverstehe. Habermas räumt ein, dass Werte ohne weiteres kollidieren können. „Verschiedene Werte konkurrieren um Vorrang; soweit sie innerhalb einer Kultur oder Lebensform intersubjektive Anerkennung finden, bilden sie flexible und spannungsreiche Konfigurationen.“13 Grundlegend unterscheidet er hiervon jedoch Normen. „Verschiedene Normen dürfen, wenn sie für denselben Kreis von Adressaten Geltung beanspruchen,

12 13

Ebda., 481. Vgl. ebenso ebda., 153; 483 f. Ebda., 311.

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einander nicht widersprechen; sie müssen in einem kohärenten Zusammenhang stehen, d. h. ein System bilden.“14 Daher muss Habermas, wenn er behauptet, Demokratie und Menschenrechte dürfen nicht in Widerspruch zueinander stehen, beide Konzepte als Normen und nicht als Werte kategorisieren. Allerdings scheint diese Einordnung seltsam, wenn nicht in Bezug auf die Menschenrechte, dann doch zumindest in Bezug auf die Demokratie. Wenn man von letzterer spricht, denkt man in der Regel an einen Wert im Sinne einer breiten Aspiration. Selten kommt einem in diesem Zusammenhang eine Norm oder ein konkretes Prinzip des Handelns in den Sinn. Bei der Klassifizierung von Demokratie und Menschenrechten als Normen weist Habermas nicht einfach auf einen semantischen Unterschied gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch hin. Er behauptet vielmehr implizit, dass diese Begriffe sich in der Sache von Werten unterscheiden. Demnach nimmt er an, dass sie, als Normen, mit einem eigenen Bündel von Merkmalen ausgestattet sind. Gleichermaßen würde er auf der Unterscheidung aller politischen Prinzipien von Werten bestehen. Soweit er Demokratie und Menschenrechte als Normen einordnet, muss Habermas ihnen vier entsprechende Merkmale zuordnen.15 Erstens sind diese Konzepte deontologischer Natur, sie legen also Pflichten fest ohne Bezug auf bestimmte Ziele. Zum Beispiel wird in einer Demokratie regelmäßig zu Wahlen aufgerufen, nicht weil Glück oder Nutzen damit erhöht wird, sondern weil Bürger ein Recht haben zu wählen. Selbst wenn hierdurch ein oder mehrere Ziele der Bürgerschaft beeinträchtigt würden, müßte das Prinzip weiterhin das allgemeine Wahlrecht verlangen. Zweitens heben die Habermas’schen Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten einzelne spezifische Maßnahmen als richtig oder falsch und nicht als mehr oder minder wünschenswert hervor. Wenn beispielsweise die Telefonüberwachung gegen Menschenrechte verstößt, ist sie nicht hinnehmbar. Ihre Akzeptanz unter diesem Gesichtspunkt ist keineswegs abhängig davon, ob und in welchem Umfang das Gemeinwesen Menschenrechte unterstützt, so als wären diese Werte. Drittens geht Habermas davon aus, dass das Mandat von öffentlicher und privater Autonomie „den absoluten Sinn einer unbedingten und universellen Verpflichtung [hat]: das Gesollte beansprucht, gleichermaßen gut für alle zu sein.“16 „Die Attraktivität von Werten“, im Gegensatz dazu, „hat den relativen Sinn einer in Kulturen und Lebensformen eingespielten oder adoptierten Einschätzung von Gütern.“17 Die For14

Ebda. „Normen und Werte“, so Habermas, „unterscheiden sich also erstens durch ihre Bezüge zu obligatorischem bzw. teleologischem Handeln; zweitens durch die binäre bzw. graduelle Kodierung ihres Geltungsanspruchs; drittens durch ihre absolute bzw. relative Verbindlichkeit und viertens durch die Kriterien, denen der Zusammenhang von Norm- bzw. Wertsystemen genügen muss.“ Habermas (Fn. 1), 311. 16 Ebda. 17 Ebda. 15

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derungen nach Demokratie und Menschenrechten gelten demzufolge in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten. Natürlich schließt diese Absolutheit nicht die Möglichkeit aus, diese Konzepte kontextuell anzuwenden, so dass die spezifisch erforderlichen politischen Maßnahmen von einer Gemeinschaft zur nächsten variieren. Das vierte Attribut ist dasjenige, auf das sich die nachfolgenden Überlegungen konzentrieren. Demgemäß können Demokratie und Menschenrechte nicht miteinander kollidieren. Wenn diese Konzepte Werte wären, könnten sie sich gelegentlich konträr gegenüberstehen und eine relative Rangfolge einnehmen. Als gültige Normen müssen sie jedoch in Harmonie zueinander stehen. Wenn die einen ein bestimmtes politisches Handeln erfordern, können die anderen ein solches Handeln nicht untersagen. Ihre Gebote müssen kategorisch und konsequent sein. Daher müssen Demokratie und Menschenrechte Teil eines kohärenten Systems von Prinzipien sein, nicht einer zufälligen Auswahl von Bestrebungen. Habermas ist überzeugt, dass alle politischen Prinzipien als Normen sämtliche dieser Merkmale aufweisen müssen. Sie dürfen nicht nur einige haben, während andere fehlen. Die Möglichkeit, Kollisionen einzuräumen, ist nicht einfach nur ein Missverständnis, sondern ein Kategoriefehler. Ein solcher impliziert, dass man diese Begriffe als Werte behandelt, statt als Normen, und damit grundlegend ihrem Wesen nach verkennt. Die Behauptung, dass es keine Kollisionen zwischen politischen Prinzipien geben kann, ist reizvoll, weil sie zu implizieren scheint, dass Gesellschaften immer in der Lage sind, alle diese Normen gleichzeitig zu erfüllen. Sie schließt die Möglichkeit aus, zwischen wichtigen Grundsätzen wählen oder diese gelegentlich missachten zu müssen. Abwägungen und Priorisierungen scheinbar konkurrierender Normen werden damit entbehrlich. Habermas’ Betrachtung ist besonders attraktiv, weil sie, wie ich bereits erwähnt habe, die innere Beziehung zwischen Demokratie und Menschenrechten betont. Sie verfolgt die beiden Begriffe zurück zu dem Prinzip der Autonomie. Diese Verbindung bietet nicht nur eine zusätzliche Garantie, dass es keine Kollisionen gibt. Sie unterstreicht auch eine grundlegende Einheit in den wichtigsten politischen Verpflichtungen der Gesellschaft. Habermas wäre der Ansicht, dass alle angeblichen Konflikte zwischen Demokratie und Menschenrechten sich aus einer Fehlinterpretation des einen oder beider Konzepte ergeben. In derartigen Fällen würde er eine genauere Lesart beider Normen empfehlen, um zu erkennen, dass beide letztlich das gleiche Ergebnis fordern.18 Aus seiner Sicht stellt das Konzept der Autonomie den Leitstern in diesem Prozess der Überprüfung und des Ausgleichs dar. 18 Hill, Jr., Moral Dilemmas, Gaps, and Residues: A Kantian Perspective, in: Mason (Hrsg.) Moral Dilemmas and Moral Theory, 1996, 167 (173) („The Kantian answer … is easy to summarize: Review the facts of the case, explore your options, and be guided by the ideas expressed in the various versions of the Categorical Imperative.“ ). Vgl. ebenso ders., 175.

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Habermas würde in ähnlicher Weise für die ultimative Konvergenz aller politischen Grundsätze einstehen. Er würde wahrscheinlich alle diese Normen auf den Begriff der Autonomie zurückverfolgen und damit die Kohärenz der gesamten politischen Kultur garantieren. Angesichts der offensichtlichen Konflikte würde er empfehlen, die betroffenen Prinzipien auf die Idee der Autonomie rückzubeziehen, um zu verstehen, dass sie eigentlich gar nicht kollidieren, sondern sich gegenseitig ergänzen. Habermas’ Behauptung, dass es keinen Konflikt zwischen Demokratie und Menschenrechten geben kann, findet Unterstützung in den Schriften seines Landsmanns Robert Alexy19 sowie in jenen seines deliberativen Demokratenkollegen Carlos Nino20. Analytisch-politische Philosophen wie John Rawls und Charles Larmore stützen Habermas ebenfalls in diesem Punkt.21 Selbst Ronald Dworkin, der ursprünglich die Rechte des Einzelnen als „Trümpfe“ gegen die Mehrheit interpretiert hatte22, stimmt nunmehr Habermas zu, dass die Beziehung zwischen Demokratie und Menschenrechten Ergänzung statt Konkurrenz beinhalte.23 Dieser breite Konsens ist nicht überraschend. Philosophen haben traditionell versucht, einen prinzipiellen Konflikt im Reich der moralischen und politischen Philosophie wegzudiskutieren.24 Die vorherrschende Meinung war in der Tat, dass Prinzipien nicht miteinander kollidieren dürfen. Diese Philosophen haben damit implizit Urteile über Moral und Politik denen etwa der physischen Welt angeglichen. Die Prämisse lautet, dass man ebenso wenig behaupten könne, die Erde sei gleichzeitig flach und rund, wie man beteuern könne, es bestünde eine gleichzeitige Pflicht, dem Mör-

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Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs: Studien zur Rechtsphilosophie, 1995, 163 f. Nino, The Constitution of Deliberative Democracy, 1996, 39 („fundamental rights … are prerequisites for the proper operation of the democratic process.“). Ebda., 137 („There can be no tension between the recognition of rights and the operation of the democratic process, since the value of the democratic process arises from its capacity to determine moral issues such as the content, scope and hierarchy of rights.“). Vgl. Oquendo, Deliberative Democracy in Habermas and Nino, 22 Oxford J. Legal Stud. (2002) 189 (197 f.); vgl. ebenso ders., Reflexiones sobre las premisas, el contenido y la variabilidad del concepto de la democracia, Revista Jurídica de la Universidad de Palermo (2000). 21 Vgl. Rawls, Reply to Habermas, 92 J. Phil. (1995) 132 (162); Larmore, The Foundations of Modern Democracy: Reflections on Jürgen Habermas, 3 Eur. J. Phil. (1995), 55 (67). („Habermas is probably right in that typical individual rights work to make democratic selfgovernment possible,“ yet „this cannot be its only rational support. They also concretely express the most profound human right which is equal respect and that establishes the ideal of democratic self-government by itself.“). 22 Dworkin, Rights as Trumps, in: Waldron (Hrsg.), Theories of Rights, 1984, 153. Vgl. ebenso Dworkin, Taking Rights Seriously, 1977, 194 („A right against the government must be a right to do something even when the majority thinks that it would be bad to do it and even when to do it would harm the majority.“); Ebda., 269 („If a person has a right to something, it is bad for the government to deny it even when it is in the general interest.“). 23 Dworkin, Constitutionalism and Democracy, 3 Eur. J. Phil. 2 (1995). 24 Ebda. 20

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der die Waffe zurückzugeben und das potenzielle Mordopfer zu schützen.25 Ebenso kann man nicht erklären, dass ein Gemeinwesen den Willen der Mehrheit zu diskriminieren achten und gleichzeitig die Diskriminierung von Minderheiten verhindern soll. Ein verwandtes Argument ergibt sich aus dem Einsatz der Kant’schen Maxime, dass ,sollen‘ sowohl in der moralischen als auch politischen Philosophie ,können‘ impliziert.26 Genauer gesagt, wenn Individuen zwei Handlungen ausführen sollen, müssen sie in der Lage sein, beide Handlungen zu tun. Wenn sie nicht beide Handlungen gleichzeitig vornehmen können, kann sie nicht die Pflicht treffen, beides zu tun. Unter diesen Umständen kann sie höchstens eine Verpflichtung zur Vornahme einer der beiden Handlungen treffen. Die gleiche Argumentation scheint im Fall von politischen Gemeinschaften zuzutreffen. Aus dieser Perspektive kann es keine echten Kollisionen zwischen moralischen oder politischen Prinzipien geben. Wenn ein Konflikt vorzuliegen scheint, müssen die Philosophen diesen Eindruck zerstreuen. Sie müssen zeigen, dass zumindest eine der Normen nicht wirksam ist. Eine mögliche Erklärung dafür könnte beispielsweise sein, dass eine übersehene Ausnahme im Spiel ist. Bernard Williams stellt diesen Denkansatz zur individuellen Moral auf die Probe.27 Er behauptet, dass Menschen gelegentlich echte moralische Dilemmata nicht vollständig durch Deliberation umgehen können. In diesen Fällen befinden sich miteinander unvereinbare Verpflichtungen im Widerstreit. Bestenfalls empfiehlt die eingehende moralische Reflexion, welche der Verpflichtungen man aufrechterhalten sollte, vermag aber nicht den Druck, der von der missachteten Einstandspflicht ausgeht, vollständig zu neutralisieren.28 Für Williams sind es diese moralischen Über25

Mothersill, The Moral Dilemmas Debate, in: Mason (Hrsg.), Moral Dilemmas and Moral Theory, 1996, 66 („Plato’s example is often cited: a person leaves a weapon with you for safekeeping but when he returns to claim it, you observe that he has become demented and has murderous intentions.“). 26 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1974, 439. 27 Vgl. Williams, Ethical Consistency, Problems of the Self: Philosophical Papers 1956 – 1972, 1973, 186. Ebenso Barcan Marcus, More about Moral Dilemmas, in: Mason (Hrsg.), Moral Dilemmas and Moral Theory, 1996, 23 (26) („Of the contemporary moral philosophers, Bernard Williams is the one who has noted the contingent origin of dilemmas and seen most clearly that there should be a way of squaring dilemmas with consistency of moral codes.“). Vgl. generell Gowans (Hrsg.), Moral Dilemmas, 1987; Mason (Hrsg.), Moral Dilemmas and Moral Theory, 1996. 28 Williams (Fn. 27), 179; Barcan Marcus (Fn. 27), 23 (Hence, „even where principles, including priority principles, favor one alternative in a dilemma, the original obligation with respect to the other is not erased.“). Ebenso Barcan Marcus, Moral Dilemmas and Consistency, in: Gowans (Hrsg.), Moral Dilemmas, 1987, 188 („That is, wherever the circumstances are such that an obligation to do x and an obligation to do y cannot as a matter of circumstance be fulfilled, the obligations to do each are not erased, even though they are unfulfillable.“); Mothersill (Fn. 25), 66 (78) („Williams and Marcus are correct in observing that where an allthings-considered decision precludes the discharge of a prima facie obligation, the latter is not thereby erased.“).

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reste, die die Reue- und Schuldgefühle des moralisch Handelnden in diesen Situationen erklären (sog. Phänomen des „moral residue“).29 Williams stellt sich das folgende Szenario vor: Ich verspreche einem Freund, ihn zum Mittagessen zu treffen, werde aber Zeuge eines schrecklichen Unfalls auf dem Weg dorthin. Ich merke, dass ich den Unfallopfern zur Hilfe kommen muss, selbst wenn dies dazuführt, dass ich mein Treffen mit meinem Freund nicht wahrnehmen kann. Obwohl die Entscheidung, meine Verabredung nicht einzuhalten, moralisch richtig ist, wird meine Verpflichtung gegenüber meinem Freund nicht einfach verschwinden. Ich habe mein Versprechen, wenn auch aus einem guten Grund, gebrochen, und ihn in gewissem Sinne im Stich gelassen. Ich werde das Gefühl haben, dass ich es meinem Freund schuldig bin, etwas wiedergutzumachen. Ich werde ihn sehr wahrscheinlich anrufen, mich entschuldigen, ein neues Treffen planen und sogar anbieten, die Rechnung beim nächsten Mal zu übernehmen.30 Peter Railton stellt richtigerweise fest, dass in diesem Fall kein „echtes Dilemma“ vorliegt, trotz der Tatsache, dass die betreffende Person „die Unannehmlichkeiten, die sie wissentlich verursacht hat,“31 bedauert. Der Verlust muss viel größer sein, damit man von einem tiefen moralischen Konflikt sprechen kann. Gleichwohl präsentiert das beschriebene Beispiel auf anschauliche Weise die Indizien eines authentischen Dilemmas. Bei einer vernachlässigten Pflicht von monumentaler Bedeutung wäre der Fall in der Tat moralisch verheerend. So könnte ich zum Beispiel versprochen haben, meinem Freund in der mündlichen Verhandlung gegen ihn ein Alibi zu geben. Dann befinde ich mich in einer Zwickmühle, auch wenn keinerlei Zweifel besteht, dass ich die Verhandlung meines Freundes sausen lassen sollte, um als Zeuge des katastrophalen Unfallgeschehens Notfallhilfe leisten zu können.32 Williams glaubt, dass im Allgemeinen die Tendenz besteht, Moral als geschlossenes kognitives System zu begreifen und widerstreitende Verpflichtungen mit konfligierenden Meinungen gleichzusetzen, was dazu führt, moralische Konflikte fehlzudeuten.33 Er kritisiert den philosophischen Ansatz, wonach eine Person, die ein 29

Williams (Fn. 27), 172; vgl. Barcan Marcus (Fn. 27), 23 (33) („Regret, here is too weak a description of the accompanying moral sentiment. Something closer to remorse is more appropriate.“). 30 Williams (Fn. 27), 175. Railton notes that „obligation, and especially ,living up to‘ our obligations or respecting those to whom they are owed, are complex and partly symbolic matters, with many routes to reconciliation and the mitigation of moral residue.“ Vgl. Railton, The Diversity of Moral Dilemma, in: Mason (Hrsg.), Moral Dilemmas and Moral Theory, 1996, 140 (159) („[E]ven where principles, including priority principles, favor one alternative in a dilemma, the original obligation with respect to the other is not erased.“). 31 Ebda., 154 f. 32 A.A. Mothersill (Fn. 25), 66 (When the ultimate decision is of the kind „in which all right-thinking people concur“, one should not call the situation a dilemma.). Vgl. ebenso McConnell, Moral Residue and Dilemmas, in: Mason (Hrsg.), Moral Dilemmas and Moral Theory, 1996, 36 (42). 33 Williams (Fn. 27), 170 – 175.

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moralisches Problem durchdacht hat, zu einer klaren Lösung kommt und sich dementsprechend verhält, schließlich über jeden Vorwurf erhaben sein wird. Er warnt davor, moralische Dilemmata als Situationen zu betrachten, in denen es nur eine Pflichtenkollision zu geben scheint. Er lehnt ausdrücklich die Ansicht ab, dass in diesen Fällen eine der konkurrierenden Verpflichtungen sich letztlich als eine scheinbare oder, in den Worten von William David Ross, als prima facie Pflicht erweisen würde.34 Williams setzt einem solchen Ansatz entgegen, dass er den moralischen Konflikt nicht hinreichend ernst nehme, und bemerkt, dass „es sicherlich eine Verfälschung des moralischen Denkens ist, wenn man seine Logik dergestalt darstellt, dass in einer Konfliktsituation eine der angetroffenen Pflichten völlig zurückzuweisen ist.“35 Der Eifer, Fälle von offensichtlicher Normenkollision wegzudiskutieren, ist sowohl vom politischen wie vom moralphilosophischen Standpunkt her betrachtet problematisch. Wenn derartige Situationen im politischen Leben auftauchen, wäre es irreführend zu behaupten, dass für die Gesellschaft, wenn sie sich bewusst und richtigerweise für eines der Prinzipien entschieden hat, das andere Prinzip entweder nicht anwendbar oder nicht mehr bindend sei.36 Man sollte vielmehr erkennen, dass die Gesellschaft es bis zu einem gewissen Grade nicht vermocht hat, ihre Verpflichtungen einzuhalten. Das Gemeinwesen mag durch innere Wirren gehen und die Pflicht haben, Wiedergutmachung zu leisten, obwohl es die richtige Wahl getroffen hat. Lawrence Kohlberg betont, dass Individuen gerade in der Konfrontation mit Dilemmata ihr moralisches Wissen unter Beweis stellen und entwickeln.37 Gerade in der Auseinandersetzung um einen normativen Konflikt offenbaren und vermehren Gemeinschaften ihre politische Weisheit. Natürlich sind klassische Dilemmata, in denen keines der konkurrierenden Prinzipien sich durchsetzt, ebenfalls möglich. Sie stellen „Zwickmühlen“ im Sinne von Simon Blackburn dar. Das heißt, sie präsentieren „eine Reihe von Alternativen, von denen eine und nur eine übernommen werden soll, ohne dass man wissen kann, welche Alternative dies sein sollte.“38 Zwickmühlen in diesem Sinne beinhalten, worauf Walter Sinnott-Armstrong hinweist, „symmetrische oder unvergleichbare [Anforde-

34 Ebda., 175 f. (zitiert Ross, The Foundation of Ethics, 1938, 84 ff.); a.A. Barcan Marcus (Fn. 27), 23 (24) („W. D. Ross also denied the reality of moral dilemmas but takes pains to give us an account of them.“). 35 Williams (Fn. 27), 183. 36 Vgl. Schlink, Abenddämmerung oder Morgendämmerung: Zu Jürgen Habermas’ Diskurstheorie des demokratischen Rechtsstaats, 12 Rechtshistorisches Journal (1993), 57 (60). 37 Vgl. allgemein Kohlberg, Resolving Moral Conflicts within the Just Community, in: Harding (Hrsg.), Moral Dilemmas: Philosophical and Psychological Issues in the Development of Moral Reasoning, 1985, 71. 38 Blackburn, Dilemmas: Dithering, Plumping, and Grief, in: Mason (Hrsg.), Moral Dilemmas and Moral Theory, 1996, 127.

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rungen].“39 Sie sind, nach Williams,40 tragisch und führen augenscheinlich zur Bedrängnis, zum Phänomen des moralischen Überrestes (des „moral residue“) und zu einem Bedürfnis nach Ausgleich. Ich habe mich dennoch dafür entschieden, mich auf Fälle mit einer vernünftigen Lösung zu konzentrieren, um zu unterstreichen, dass Dilemmata nicht von der Unmöglichkeit einer prinzipiengeleiteten Entscheidung abhängen. Es mag den Anschein haben, dass sich politische Dilemmata der Logik der Verpflichtungen entziehen. Wenn die Gemeinschaft einerseits A tun soll und B die Durchführung von A verhindert, dann scheint die Gemeinschaft eine Pflicht zu treffen, B nicht auszuführen. Sie scheint daher notwendigerweise keine Verpflichtung zu haben, sowohl A als auch B auszuführen. Wenn andererseits eine Gemeinschaft eine Verpflichtung hat sowohl A als auch B zu tun, so scheint sie eine Pflicht zu treffen, A und B zu realisieren. Die letztgenannte Pflicht legt nahe, dass es möglich sein muss, A und B gleichzeitig zu erreichen. Folglich scheint es, dass das Gemeinwesen nicht vor einem echten Dilemma in Bezug auf zwei Verpflichtungen stehen kann.41 Allerdings ist die deontologische Logik komplizierter als es scheint. Eine politische Pflicht zieht eine allgemeine Verpflichtung nach sich, Maßnahmen zu ergreifen, die es ermöglichen, dieser Pflicht nachkommen zu können. Dies bedeutet nicht, dass eine gesonderte Verpflichtung besteht, jede von diesen Maßnahmen erfolgreich auszuführen. Zu sagen, dass die Gesellschaft B tun sollte, führt nicht dazu, dass sie A nicht ausführen sollte, nur weil A kontingent unvereinbar ist mit B. Es bleibt daher folgendes festzuhalten: Wenn die Gesellschaft A und B tun sollte, bedeutet dies nicht, dass sie A tun und gleichzeitig nicht tun sollte. Ein Beispiel: Die Verpflichtung einer Gemeinde, ihren behinderten Mitgliedern zu helfen, schließt grundsätzlich nicht die Pflicht ein, von der Beseitigung von Rassendiskriminierung abzusehen, nur weil ein knappes Budget eine Wahl zwischen diesen beiden Verpflichtungen erfordert. Ich gehe hierbei von einer dramatischen und unvorhersehbaren finanziellen Situation aus, in der die Überweisung von zusätzlichen Geldern in den einzigen beiden Funktionen gewidmeten Fonds nicht möglich ist. Unter diesen Umständen könnte die Entscheidung, in einem gegebenen Jahr die Maßnahmen gegen Rassendiskriminierung finanziell zu vernachlässigen, um die finanzielle Unterstützung von Behinderten angemessen zu berücksichtigen, vernünftigerweise in der Tatsache begründet sein, dass in den vorangegangenen zehn Jahren erstere erhebliche finanzielle Förderung erhalten haben, während letzteren diese finanzielle Unterstützung versagt blieb. Natürlich sollte die Gemeinde weitere finanzpolitische Anpassungen vornehmen, damit beiden Verpflichtungen im folgenden 39 Sinnott-Armstrong, Moral Dilemmas and Rights, in: Mason (Hrsg.), Moral Dilemmas and Moral Theory, 1996, 48 (53). 40 Williams (Fn. 27), 74. 41 So McConnell (Fn. 32), 36 („One version of the conceptual argument [against moral dilemmas] appeals to two principles: that ,ought‘ implies ,can‘ and that if an agent ought to do each of two acts then he ought to do both acts.“).

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Jahr wieder nachgekommen werden kann.42 Trotzdem sollte sie jetzt den Behinderten helfen und sie sollte jetzt Diskriminierung bekämpfen, auch wenn die Gemeinde derzeit nicht beides gleichzeitig tun kann. Darüber hinaus ist das, was Williams als „das Agglomerationsprinzip“ bezeichnet, für die politische ebenso wie für die moralphilosophische Argumentation ungeeignet.43 Diese Vorstellung geht davon aus, dass eine Pflicht A zu tun und eine Pflicht B zu tun zusammen die Pflicht impliziere, beide Handlungen auszuführen. Dies bringt in Verbindung mit der bereits erwähnten Möglichkeitsanforderung mit sich, dass es keine Pflicht geben kann, A und B zu tun, wenn A und B nicht gleichzeitig erreichbar sind. Eine Verpflichtung, A und B zu tun, führt nämlich zu einer Pflicht, A und B auszuführen; dies erfordert aber zwangsläufig, dass beide Pflichten A und B gleichzeitig erfüllbar sein müssen. Tatsächlich bedeutet, A und B tun zu sollen, nicht beiden Pflichten gleichzeitig nachkommen zu müssen. Um zu meinem vorherigen Beispiel zurückzukehren: Die Pflicht, Programme zur Unterstützung von Behinderten zu finanzieren und die Pflicht, Maßnahmen gegen Rassendiskriminierung finanziell zu unterstützen, beinhaltet keine Verpflichtung, beiden Pflichten zur gleichen Zeit nachzukommen. Die beiden Verpflichtungen sind vollkommen unabhängig voneinander realisierbar. Es kann unmöglich sein, beide gleichzeitig durchzuführen; dann kann es aber auch keine Pflicht geben, das Unmögliche herbeizuführen. Diese Konflikte deuten nicht unbedingt an, dass die politischen Prinzipien der Gesellschaft inkohärent sind. Es sind nicht die Prinzipien selbst, die kollidieren, sondern vielmehr deren Anwendung. Daher kann das Gemeinwesen trotz dieser Dilemmata weiterhin mit gleichermaßen vernünftiger Überzeugung an beiden Normen festhalten. Natürlich erfordert die Umsetzung eines der anwendbaren Grundsätze die Ausführung spezifischer Handlungen, die die Gesellschaft ausdrücklich scheut. Kollektives Bedauern und Kompensation kann diese Tatsache nicht ändern. Es ist jedoch nicht nötig, das Gemeinwesen derart hart zu beurteilen. In diesen Fällen hat die Gesellschaft einen Entschuldigungs-, wenn auch keinen Rechtfertigungsgrund für die Vernachlässigung ihrer Pflicht. Sie kann daher unter diesen Umständen widerwillig die Anforderungen des betreffenden Prinzips vernachlässigen, gleichzeitig aber an dem Prinzip selbst weiter festhalten. Noch wichtiger ist, dass der Entschuldigungsgrund Ansprüche anderer nicht auszulöschen vermag. Andersdenkende können sich zulässigerweise gegen die Gesellschaft wenden und Kompensation verlangen. Sie 42

Vgl. Barcan Marcus (Fn. 28), 188 („Although dilemmas are not settled without residue,“ Marcus reasons, „the recognition of their reality has a dynamic force. It motivates us to arrange our lives and institutions with a view to avoiding such conflicts.“). Vgl. ebenso dies. (Fn. 27), 23 (28) („Still, in troublesome dilemmas we often wish we could have avoided the emergence of such a predicament, and we often do take steps, to the extent that it is possible, to avoid them in the future.“); dies. (Fn. 28), 188 („[A]s rational agents with some control of our lives and institutions, we ought to conduct our lives and arrange our institutions so as to minimize predicaments of moral conflict.“). 43 Dies. (Fn. 27), 23 (28) („deontic principle of factoring“).

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hätten keinen Anspruch auf eine dieser Optionen, wenn die Verletzung der Pflichten durch die Gesellschaft gerechtfertigt wäre. John L. Austin unterscheidet sorgfältig die Rechtfertigung von der Entschuldigung als Verteidigung. „Im Rahmen der einen Verteidigung akzeptieren wir, vereinfacht gesagt, die Verantwortung, aber bestreiten, dass [das, was wir getan haben] schlecht war. Im Rahmen der anderen Verteidigung geben wir zu, dass es schlecht war, akzeptieren aber nicht die volle oder überhaupt jegliche Verantwortung.“44 Im Strafrecht lässt sich dieser Kontrast zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung veranschaulichen. George P. Fletcher macht geltend, dass sich diese Dichotomie besonders im deutschen Strafrecht klar widerspiegelt.45 Eine Person, die einen anderen in Notwehr tötet, hat eine Rechtfertigung für ihr Tun. Sie hat ein Recht auf ihre Tat und das Gesetz verbietet jegliche Einmischung in die angemessene Ausübung dieses Rechts. Im Gegensatz hierzu steht jemandem, der aus einer Notstandslage heraus tötet, um einen tödlichen Schaden von sich oder anderen abzuwenden, lediglich ein Entschuldigungsgrund zur Seite.46 Die Person hat kein Recht auf ihr Tun und das Strafrecht verurteilt die Handlung (auch wenn sie diese nicht unter Strafe stellt).47 Darüber hinaus kann die Person verpflichtet werden, Wiedergutmachung für das, was sie getan hat, zu leisten. Sie muss möglicherweise Schadensersatz an die Angehörigen ihres Opfers zahlen. Der Grund hierfür ist, wie Austin erklärt, der Folgende: „nur wenige Entschuldigungsgründe vermögen uns vollständig der Bestrafung zu entziehen: die durchschnittliche Entschuldigung in einer Notsituation läßt uns lediglich von der Traufe zurück in den Regen kommen, aber natürlich befinden wir uns immer noch naß im Regen.“48

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Austin, Philosophical Papers, 1970, 176. Vgl. ebda., 181, Nr. 1 („Hence, if somebody says he blames me for something, I may answer by giving a justification, so that he will cease to disapprove of what I did, or else by giving an excuse, so that he will cease to hold me, at least entirely and in every way, responsible for doing it.“). 45 Fletcher, Rethinking Criminal Law, 1979, 759 („Claims of justification concede that the definition of the offense is satisfied, but challenge whether the act is wrongful; claims of excuse concede that the act is wrongful, but seek to avoid the attribution of the act to the actor. A justification speaks to the rightness of the act; an excuse, to whether the actor is accountable for the concededly wrongful act.“). Vgl. ebenso ebda., 767 („[T]he distinction between justification and excuse has never received the kind of attention in Anglo-American law that it has in the German legal tradition.“). 46 So Austin (Fn. 44), 176 f. (The objection to a murder charge „may be on the ground that the killing was done in battle (justification) or on the ground that it was only accidental if reckless (excuse).“). 47 „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld.“ StGB § 35(1) (Deutschland). Vgl. ebenso Art. 122 – 7 Code Pénal (Frankreich); Art. 23(I) Código Penal (Brasilien); Art. 24 Código Penal (Mexiko). 48 Austin (Fn. 44), 177.

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Analog dazu hat eine Gemeinschaft, die angesichts eines Dilemmas eine ihrer Pflichten missachtet, kein Recht so vorzugehen, nur weil ihr ein Entschuldigungsgrund zur Seite steht.49 Andere mögen sich legitimerweise gegen die Verletzung wenden und Kompensation fordern. Sie dürfen jedoch das Gemeinwesen in der Erfüllung seiner anderen, kollidierenden Verpflichtung nicht behindern. Daher können sie lediglich von der Gesellschaft fordern, die Ursache des Konflikts zu beseitigen. Mein früheres Beispiel kann helfen, diesen Punkt zu klären. Ethnische Minderheiten haben das Recht, Einwände gegen die Entscheidung der Gemeinde zu erheben, die Finanzierung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung zu kürzen, und hierfür gegebenenfalls Entschädigung verlangen. Doch sie haben kein Recht, die Gemeinde dazu zu zwingen, ihr Programm für Behinderte drastisch zu reduzieren. Sie dürfen die Gemeinde lediglich dazu aufrufen, die benötigten Ressourcen aufzutreiben, ohne andere kommunale Pflichten zu verletzen. Sie können zum Beispiel verlangen, dass sie einen Kredit aufnimmt, einige ihrer überflüssigen Ausgaben beseitigt oder Steuern erhöht. Die Befürworter der perfekten normativen Harmonie in der politischen Philosophie würden zugeben, dass es in diesen Situationen schwierig ist, richtige Entscheidungen zu treffen. Sie würden auch akzeptieren, dass die Lösung eines solchen Konflikts alle erwähnten Qualifikationen und Entschädigungen verlangt. Auf mein vorheriges Beispiel bezogen würden sie behaupten, es bestünde eine umfassende Pflicht der Gemeinde für die Bekämpfung rassistischer Unterdrückung Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, außer die Gemeinde müsste Programmen zur Unterstützung von Behinderten den Vorzug geben, beispielsweise weil sie letztere über mehrere Jahre hinweg finanziell vernachlässigt hätte. Sie könnten auch behaupten, dass im Falle einer Ausnahme die Gemeinde eine Verpflichtung hätte, sich zu entschuldigen, die Betroffenen zu entschädigen und sicherzustellen, dass sie in der Zukunft über ausreichende Ressourcen für beide Zwecke verfügt. Es ist entscheidend, diese Möglichkeit im Auge zu behalten, um zu vermeiden, die Position derjenigen zu karikieren, die an ein nahtloses System der politischen Prinzipien glauben. Jedoch ist es ebenso wichtig zu beachten, dass es verfehlt wäre, die Schwierigkeiten bei der Lösung eines mathematischen Problems mit den Schwierigkeiten zu vergleichen, vor denen man im Rahmen eines politischen Dilemmas steht. Mathematische Probleme bereiten nur hinsichtlich ihrer Lösungsfindung Schwierigkeiten. Im Gegensatz hierzu bestehen die Schwierigkeiten im Rahmen politischer Dilemmata selbst dann, wenn man die richtige Antwort kennt. Die Gemeinschaft geht in einem solchen Fall durch innere Unruhen, auch wenn sie auf Anhieb weiß, was sie tun muss. Darüber hinaus hätten diejenigen, die nicht an politische Dilemmata glauben, zu erklären, warum die Gemeinde in dem oben erwähnten Beispiel sich entschuldigen 49 Fletcher (Fn. 45), 771 („Claims of justification divide themselves into those that are essentially private, and those that are exercised in the name of government or the community as a whole.“).

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oder gar einen Ausgleich zahlen muss.50 Natürlich könnten sie behaupten, die Gemeinde habe nicht angemessen geplant, um beiden Verpflichtungen hinreichend nachkommen zu können. Vielleicht aber befand sie sich – trotz ihres durch und durch verantwortlichen Verhaltens – unerwartet in einer Zwickmühle.51 Zum Beispiel könnte sie sich mit einem knapperen Real-Budget konfrontiert gesehen haben, weil internationale Spekulanten eine Abwertung der nationalen Währung sowie Inflation verursacht hatten. Auf der einen Seite sollte die Pflicht zur Wiedergutmachung nicht von der Eventualität des Nachweises kommunalen Verschuldens abhängen, insbesondere angesichts der Komplikationen im Rahmen des Schuldnachweises von Gruppen. Auf der anderen Seite sind das Gefühl des kollektiven Bedauerns und der Sinn einer Verpflichtung zum Ausgleich, trotz Fehlens von Schuld, in keiner Weise unangemessen. Sie sind auch keine verlegenen Sympathiebekundungen angesichts des Pechs, das ethnischen Minderheiten widerfahren ist. Im vorliegenden Beispiel befindet sich die Gemeinde in einer anderen Situation, als wenn ihre Mitglieder von natürlichen Widrigkeiten heimgesucht worden wären, oder wenn die Gemeinde selbst die Situation einer ihrer Untergruppen im Zuge ihrer ordentlichen (und völlig unproblematischen) Handlungsweise verschlechtert hätte. Entsprechend begründen die folgenden vier Szenarien unterschiedliche kommunale Gefühle und Pflichten: Die erste Gemeinde bemerkt, dass die jüngsten Stürme erhebliche Schäden bei einigen ihrer Bürger verursacht haben. Eine zweite Gemeinde unterdrückt die Meinungsfreiheit ihrer Dissidenten, weil sie Kritik nicht vertragen kann. Eine dritte Gemeinde erhebt eine hohe Steuer, die ihre reichsten Mitglieder extrem belasten wird, um so ihren Schienenverkehr wiederaufzubauen. Die vierte Gemeinde hält ihr Versprechen nicht, einen Park in einem ihrer Stadtviertel zu bauen, nachdem sie erkannt hat, dass sie die Mittel braucht, um Wohnraum für die Armen zu schaffen. Nur die letzte Gemeinde steht vor einem politischen Dilemma. Sie unterscheidet sich von der ersten, weil sie kausale Verantwortung trägt, von der zweiten, weil sie sich legitim verhält, und von der dritten, weil sie eine entscheidende Aufgabe außer Acht läßt. Diejenigen, die die Möglichkeit der widerstreitenden politischen Verpflichtungen verwerfen, würden vielleicht darauf bestehen, den dritten und den vierten Fall zu kombinieren. Ich setze mich stattdessen für die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung ein. Darüber hinaus bin ich der Ansicht, dass im vierten Beispiel, im Gegensatz zum dritten Fall, das Gemeinwesen angemessenerweise Reue empfindet und 50 Blackburn (Fn. 38), 127 (132) („[A]pology and even reparation may be in order when no requirements have been violated, and even when no quandary ever existed.“); ebda., 134 („To identify a requirement is then to give an outright verdict.“). 51 Barcan Marcus (Fn. 28), 188 (199) („There is no reason to suppose, this being the actual world, that we can, individually or collectively, however holy our wills or rational our strategies, succeed in foreseeing and wholly avoiding conflict. It is not merely failure of will or failure of reason, which thwarts moral maxims from becoming universal laws. It is the contingencies of the world.“).

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die Pflicht hat, Kompensation zu zahlen. Der Grund hierfür ist, dass die Gemeinde es versäumt hat, ihr Wort zu halten. Die Pflicht, trotz fehlenden Verschuldens zu kompensieren, ist nicht so ungewöhnlich, wie es scheinen mag. Im Bereich der unerlaubten Handlung ist sie alltäglich. Das Gesetz sieht oft verschuldensunabhängige Produkthaftung von Unternehmen vor, die für von ihren Produkten verursachten Schäden haften müssen, selbst dann, wenn das Unternehmen sich tadellos verhalten hat. Offensichtlich rechtfertigt Verursachung nicht an sich eine Haftung, sondern nur in Verbindung mit der Vorstellung, dass sich die Hersteller die Produktionskosten vergegenwärtigen und einen Anreiz haben sollten, effizient in die Prävention zu investieren, oder auf ihre Finanzkraft zurückgreifen sollten, um Opfer zu entschädigen. Zusammenfassend kann man sagen, dass politische Prinzipien wie Demokratie und Menschenrechte kollidieren können. Statt derartige Kollisionen zu leugnen, sollte die politische Philosophie versuchen, diese zu verstehen. Ein solcher Ansatz würde eine vernünftige Auswahl zwischen beiden Normen nicht ausschließen. Vielmehr würde er darauf aufmerksam machen, dass der Konflikt vielleicht selbst dann nicht verschwindet, nachdem die Gemeinde richtig entschieden hat, was zu tun ist. In spezifischen Fällen kann die korrekte Entscheidung für eine Norm nur auf Kosten der anderen getroffen werden, so dass am Ende ein unausweichliches Gefühl des Verlustes bleiben kann. Die politische Gemeinschaft sollte also nicht nur bedauern, dass sie eine ihrer wichtigen Überzeugungen vernachlässigt hat, sondern auch versuchen, ihr Versagen auszugleichen. Hierdurch wäre die Gemeinde letztendlich in der Lage, ihre anhaltende Verpflichtung gegenüber der nicht berücksichtigten Norm zum Ausdruck zu bringen.

VII. Der Mensch als Gestalter des Rechts

Der menschliche Faktor: Der Mythos der Jury im common law Von Uwe Kischel „Mensch und Recht“ – selten begegnen sich diese beiden für das Wirken Eibe Riedels prägenden Aspekte in so spezifischer Weise wie bei der Jury. Schließlich wird die rechtliche Entscheidung hier nicht von ausgebildeten Juristen, sondern gerade und allein von Laien in ihrer ganzen juristischen Unbefangenheit und – hoffentlich – menschlichen Einfühlsamkeit gefällt. Auch Eibe Riedel ließ schon früh eine gewisse Sympathie für diese Form volksnaher Entscheidung erkennen.1 Die zentrale Bedeutung der Jury für das Selbstverständnis des common law inbesondere in den USA, ihre mediale Präsenz („Die zwölf Geschworenen“), aber auch die ausgeprägten Unterschiede im juristischen Denken gegenüber dem kontinentaleuropäischen Recht führen allerdings dazu, daß vielfach im In- und Ausland die real existierende Jury hinter einem verklärten Idealbild, einem Mythos zurücktritt, Mißverständnisse und Fehleinschätzungen oft sogar dominieren. So besteht eine Jury entgegen landläufiger Meinung weder notwendig aus zwölf Personen noch muß sie immer einstimmig entscheiden.2 Weder gibt es stets ein komplexes, von den Parteien beeinflußbares Auswahlverfahren für die Juroren als Tummelfeld der Anwälte3 noch ist die Jury die klar überwiegende oder auch nur übliche Entscheidungsmethode in Zivilverfahren.4 Selbst in Ländern des common law sind Mißverständnisse über die Jury durchaus verbreitet, etwa wenn der durchschnittliche Engländer noch heute glaubt, daß alle 1

Vgl. Riedel, Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem, 1976, 129 f. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit kleinerer Jurys in den USA vgl. Williams v. Florida, 399 U.S. 78 (1970); Colgrove v. Battin, 413 U.S. 149 (1973); zur Zulässigkeit bloßer Mehrheitsentscheidungen in den USA vgl. Apodaca v. Oregon, 406 U.S. 404 (1972); Johnson v. Louisiana, 406 U.S. 356 (1972); zu den unterschiedlichen Größen der Jurys in den USGliedstaaten variierend zwischen 6 und 12 Juroren vgl. United States Department of Justice, State Court Organization, 2004, 233 ff.; in England genügt z. B. eine Mehrheit von 10 der 12 Geschworenen, vgl. Juries Act, 1974, Section 17 (1); in Schottland entscheidet eine 15-köpfige Jury mit einfacher Mehrheit, kurz Edward, The Scottish reactions: An epilogue, in: Markesinis, The gradual convergence: Foreign ideas, foreign influences, and English law on the eve of the 21st century, 1994, 263 (263). 3 Gegenüberstellung der einschlägigen US-amerikanischen und englischen Sichtweisen durch Lord Denning in R v Sheffield Crown Court, ex p Brownlow [1980] QB 530 (CA) 541. 4 Zum Rückzug der Jury in Zivilverfahren in den USA vgl. Sward, The decline of the civil jury, 2001, 12 ff.; zur fast vollständigen Aufgabe in England vgl. Bailey/Ching/Taylor, Smith, Bailey and Gunn on the modern English legal system, 5. Aufl. 2007, 943 ff.; Elliott/Quinn, English legal system, 12. Aufl. 2011, 225 f. 2

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Strafverfahren vor eine Jury gelangen, während dies realiter nur bei etwa jedem hundertsten Verfahren der Fall ist.5 Eine verbreitete Meinung über die Jury aber behindert das vertiefte Verständnis ihrer Funktionsweise und Bedeutung in besonderer Weise und bedarf deshalb genauerer Betrachtung: daß die Jury nur über Tatsachen, der Richter hingegen über das Recht entscheide. Diese Sichtweise ist innerhalb des common law Denkens zwar durchaus richtig, verstellt jedoch jedenfalls für den Außenstehenden den Blick darauf, daß Rechtsanwendung und damit Rechtsauslegung sogar im Kern dessen liegen, was die Jury ausmacht (A.). Erst diese Erkenntnis ermöglicht es, die vielzitierte Bedeutung der Jury für Freiheit und Demokratie zu verstehen und zu würdigen, die den Schlüssel für ihre ausgeprägte rechtskulturelle Verwurzelung im common law darstellt (B.). Gleichzeitig wirft die rechtsanwendende Funktion aber neue Fragen und Verständnisprobleme für den außenstehenden Beobachter auf, die insbesondere die Urteilsbegründung und damit zusammenhängend die rechtliche Überprüfbarkeit der Urteile sowie die Entwicklung des Rechts betreffen (C.). Wie diese rechtsanwendende Jury dann abschließend bewertet wird, hängt nicht zuletzt mit der eigenen Grundauffassung von Recht zusammen (D.).

A. Die Jury als Rechtsanwender I. Die Arbeit der Jury am Recht Wer als kontinentaleuropäischer, insbesondere deutscher Jurist die übliche Aussage hört, daß die Jury über die Tatsachen, der Richter hingegen über das Recht entscheide, wird sich intuitiv vorstellen, daß die Juroren sich nur mit den dem Beweis zugänglichen, also von rechtlichen Wertungen freien Vorgängen in der realen Welt beschäftigen: Was hat der Angeklagte am 26. Januar genau getan, hatte er ein Messer in der Hand, rechnete er mit dem Tod des Opfers, hatte er sich vorher einen Plan zurechtgelegt oder handelte er ganz spontan? Mit der jeweils geltenden Definition des Mordes im Unterschied zum Totschlag in all ihren Feinheiten und mit der Frage, welche Mordvoraussetzungen hier möglicherweise einschlägig oder erfüllt sind, sollte sich die Jury hingegen nach dieser Vorstellung nicht beschäftigen, da es sich um Rechtsfragen handelt. Daß dies nicht sein kann, zeigt sich aber schon daran, daß Jurys üblicherweise nicht etwa auf Fragen zum Vorliegen oder Nichtvorliegen konkreter Tatsachen antworten, sondern schlicht und ohne Erläuterung im sog. general verdict6 feststellen, ob der Angeklagte schuldig ist oder der Antragsteller einen Anspruch hat. Die Jury wen5

Vgl. dazu näher Darbyshire, Darbyshire on the English legal system, 10. Aufl. 2011, 528. Zur selten gebrauchten Alternative des special verdict vgl. Nepveu, Beyond „guilty“ or „not guilty“: Giving special verdicts in criminal jury trials, Yale Law and Policy Review 21 (2003), 263 (passim); aus historischer Sicht vgl. Morgan, A brief history of special verdicts and special interrogatories, Yale Law Journal 32 (1923), 575 (575 ff.). 6

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det also das Recht auf Tatsachen an und produziert das Ergebnis. Wie aber jeder Jurist weiß, ist die Rechtsanwendung, z. B. die Beantwortung der Frage, ob in einem konkreten Fall Fahrlässigkeit vorliegt, keineswegs ein einfacher, gar mechanischer oder rein logischer Vorgang,7 sondern gehört zum komplexen Kern dessen, wozu ein Jurist üblicherweise ausgebildet wird. Das gilt umso mehr, als bei der Rechtsanwendung stets auch der anzuwendende Rechtsbegriff in seinen juristischen Aspekten konkretisiert und damit genauer definiert wird. Mit anderen Worten besteht jede Rechtsanwendung auf einmal festgestellte Tatsachen letztlich darin, die rechtlichen Aussagen solange zu verfeinern, bis ihre Übereinstimmung mit den Tatsachen evident geworden ist. Rechtsanwendung, auch durch die Jury, ist somit Arbeit am Recht, nicht Arbeit an den Tatsachen.8 II. Andere Grenzziehung zwischen Recht und Tatsachen Darüber hinaus wird im common law die Grenze zwischen Recht und Tatsachen anders gezogen, als es dem vom deutschen Recht geprägten Rechtsgefühl entspricht; sie gilt als außerordentlich schwierig zu bestimmen.9 Wenn beispielsweise ein Anspruch aus negligence voraussetzt, daß ein Verhalten „unvernünftig“ ist und damit die sog. duty of care verletzt, so gilt die Vernünftigkeit oder Unvernünftigkeit einer konkreten Handlungsweise als Tatsachenfrage. Ebenfalls dem Bereich der Tatsachen wird etwa die Frage zugeordnet, ob bestimmte Worte als „beleidigend“ zu gelten hätten, was „Handel“ im Sinne eines Steuergesetzes darstelle, oder ob ein Fahrzeug ein „Schiff“ sei.10 Aus deutscher Perspektive und in deutscher Terminologie ergibt sich somit, daß die Subsumtion unter einen Rechtsbegriff hoher Abstraktionsstufe bereits als Tatsachenermittlung gilt, so daß auch alle Unterdefinitionen und Detailaussagen zur Bedeutung dieses Begriffs in den Tatsachenbereich fallen. Beispielsweise entschied ein englisches Gericht, daß der Vernünftigkeitsstandard im Rahmen von negligence von einem Reiter verlange, bei Dunkelheit so zu reiten, daß er innerhalb seiner Sichtweite anhalten könne; dieser Aussage wurde der rechtliche Charakter aber ebenso abgesprochen11 wie der Feststellung eines anderen Ge7

Vgl. nur Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1983, 17. Zu diesem Charakter der Rechtsanwendung vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, 211 f.; Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2000, 55 ff.; ähnlich aus Sicht des common law Sparf v. U.S., 156 U.S. 51, 98 (1895): „the right of the court to decide the law, and the duty of the jury to apply the law thus given to the facts, subject to the condition, inseparable from the jury system, that the jury, by a general verdict, of necessity determined in the particular case both law and fact, as compounded in the issue submitted to them.“ 9 Vgl. dazu etwa die klare Darstellung der Problematik bei Bailey/Ching/Taylor (Fn. 4), 11 ff., 476 f.; vgl. etwa auch Craig, Administrative Law, 6. Aufl. 2008, 269 ff. 10 Vgl. Bailey/Ching/Taylor (Fn. 4), 12 f. m.w.N. 11 Tidy v Battman [1934] 1 KB 319 (CA); Morris v Luton Corporation [1946] 1 KB 114 (CA) 116. 8

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richts, daß es fahrlässig sei, wenn ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer nicht erkläre, wie Schutzkleidung zu verwenden sei.12 Teilweise wird bei dieser Art der Rechtsanwendung im common law auch von secondary facts gesprochen, die sich erst durch Ableitung aus dem faktischen Rohmaterial, den primary facts ergäben.13 Nun wäre diese Art der Einordnung aus deutscher Sicht zwar gewöhnungsbedürftig, aber letztlich nicht schwer zu handhaben, wenn tatsächlich schlicht jede Rechtsanwendung als Tatsachenfrage eingeordnet würde. Genau das aber ist nicht der Fall. Ob etwa ein „Gegenstand mit einer Klinge“ vorliegt, wird ebenso als Rechtsfrage angesehen14 wie die Feststellung, ob ein Auto mehr als 60 Meilen pro Stunde fuhr15 – auch wenn diese Beispiele aus deutscher Sicht gerade einen besonders ausgeprägten Tatsachenanteil aufweisen. Die typischen Argumente für die Einordnung als Recht oder Tatsache stellen darauf ab, ob ein gewöhnliches Wort der englischen Sprache vorliege, das von jedermann angewandt werden könne, ob die korrekte Schlußfolgerung nur von einem ausgebildeten Juristen gezogen werden könne und ob es um eine klare Ja/Nein-Frage im Unterschied zu einer graduellen Frage gehe. Bei genauerer Betrachtung lassen sich all diese Argumentationsfiguren kritisieren; auch vermag keine von ihnen die gewonnenen Ergebnisse vollständig zu erklären. Letztlich ist man sich in England denn auch durchaus bewußt, daß es nicht um die allgemeine theoretische Richtigkeit der Einordnung, sondern in jedem Einzelfall vor allem auch um das erwünschte Ergebnis geht.16 III. Jury-Instruktionen Daß der Jury die Rechtsanwendung obliegt, ist im common law ein Gemeinplatz.17 Daß die Jury damit auch eine wichtige Funktion als Instanz der Rechtsauslegung einnimmt, weil jede Rechtsanwendung zumindest implizit von einem bestimmten Verständnis der rechtlichen Voraussetzungen ausgehen muß, wird hingegen weit seltener erkannt.18 Die für die Rechtsauslegung unweigerlich notwendigen juristischen Informationen erhalten die Juroren vom Richter in Form der sog. jury 12

Vgl. Qualcast (Wolverhampton) Ltd v Haynes [1959] AC 743 (HL). Vgl. etwa Devlin, Trial by jury, 1956, 138, 141 f. 14 Vgl. R v Davis (Reginald) [1998] Crim L R 564 (CA Crim). 15 Fiktives Standardbeispiel nach Daly, Judicial review of errors of law in Ireland, Irish Jurist 41 (2006), 60 (65). 16 Vgl. Bailey/Ching/Taylor (Fn. 4), 14; zur Lage in den USA speziell im Hinblick auf die Jury vgl. etwa Vandevelde, Thinking like a lawyer: An introduction to legal reasoning, 1996, 13 ff.; Feinman, Everything you need to know about the American legal system, 2. Aufl. 2006, 130 f. 17 Vgl. nur U.S. v. Gaudin, 515 U.S. 506, 512 ff. (1995); Boylan-Kemp, English legal system, the fundamentals, 2. Aufl. 2011, 204; Elliot/Quinn (Fn. 4), 222; Vandevelde (Fn. 16), 12, 14. 18 Deutlich etwa Solan, Jurors as statutory interpreters, Chicago-Kent Law Review 78 (2003), 1281 (1284 ff.). 13

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instructions. Daß gemeinhin allein dem Richter die Entscheidung über Rechtsfragen zugeordnet wird, beruht also nicht nur auf der spezifischen Grenzziehung zwischen Recht und Tatsachen sowie der ohnehin bestehenden Alleinherrschaft des Richters über alle prozeßrechtlichen Fragen, sondern auch auf seiner in den Jury-Instruktionen zum Ausdruck kommenden Definitionsmacht. Diese Definitionsmacht erfährt jedoch in der Praxis vielfache Einschränkungen. So können in den USA zwei Typen von Instruktionen unterschieden werden: Der eine bleibt sehr allgemein und überläßt der Jury schon deshalb weite Entscheidungspielräume. Der andere bemüht sich tatsächlich um größte Genauigkeit. Aber auch daraus ergibt sich nicht zwingend eine weitgehende, reale Steuerung der Jury bei der Auslegung und Anwendung des Rechts. Geht es beispielsweise um die Anwendung von statutes, also geschriebenem Gesetzesrecht, so tendieren die Richter dazu, die Sprache der statutes einschließlich dort vorhandener, für die Gesetzgebungstechnik des common law durchaus typischer Definitionen und anderer Details zu übernehmen. Dies gilt selbst dann, wenn diese Gesetzessprache – wie oft – hochkomplex und schwer verständlich ist.19 Gerade aufgrund ihres Detailreichtums bleibt deshalb dieser Typ von Instruktionen besonders für Laien weitgehend unklar und kann so jedenfalls kaum steuernd wirken.20 IV. Die rechtsanwendende Jury in historischer Perspektive Aus historischer Perspektive ist die rechtsanwendende und damit rechtsauslegende Funktion der Jury alles andere als verwunderlich. Im Gegenteil: Die Jury hatte über Jahrhunderte sogar eine zweifelsfreie Herrschaft über die rechtliche Seite des Falles.21 Vor dem Richter wurde ursprünglich im Rahmen der sog. pleadings im Kern nur abgeklärt, was eigentlich im Streit lag und worüber entsprechend die Jury letztlich entscheiden sollte. Rechtsfragen nichtprozessualer Art oblagen so grundsätzlich allein der Entscheidung durch die Jury. Außerhalb der Jury konnten sie überhaupt nur auf zwei Weisen erörtert werden: Erstens indem der Beklagte alle Behauptungen des Klägers einräumte, aber darauf bestand, daß er dazu nicht Stellung nehmen müsse, weil die Behauptungen schon rechtlich zu nichts führten. Dieser sog. demurrer war allerdings bei Richtern hochgradig unbeliebt und blieb, selbst wenn er erhoben wurde, oft unbeantwortet. Zweitens bestand die Möglichkeit der sog. tentative pleadings, bei denen die Parteien in einem Was-wäre-wenn-Spiel vor Gericht ausloteten, welche Reaktionen bestimmte pleadings (etwa ein demurrer) hervorrufen würden. Hier konnte es um Rechtsfragen gehen, doch blieben solche Debatten außerhalb des Protokolls und damit gleichsam fiktiv. 19

Vgl. ausführlicher und mit Beispielen und Gegenbeispielen Solan (Fn. 18), 1284 ff. Vgl. auch Fleming, The American tort process, 1988, 127 f. mit konkretem Beispiel ebda., 128 Fn. 111. 21 Zum folgenden vgl. ausführlich Baker, An introduction to English legal history, 4. Aufl. 2007, 71 ff.; kurz Bailey/Ching/Taylor (Fn. 4), 9 f.; McClanahan, The „true“ right to trial by jury: The founders’ formulation and its demise, West Virginia Law Review 111 (2009), 791 (808 ff.). 20

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Insgesamt bestand eine ausgeprägte Abneigung der Richter, sich in Rechtsfragen festzulegen oder gar Ausnahmen zu allgemeinen Prinzipien des Rechts aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu entwickeln. So erklärt es sich auch, daß die Parteien in der Regel dazu angehalten wurden, den Streit nicht etwa auf konkrete Einzelfragen zu verengen (sog. special pleading), sondern schlicht alle Behauptungen des Gegners zu bestreiten (pleading the general issue), so daß der Fall im ganzen zur Jury gehen konnte. Dies ist einer der Hintergründe der vielzitierten Feststellung, daß das materielle Recht – oder was wir heute darunter verstehen – im common law ursprünglich kaum vorhanden und nur in den Lücken des Prozeßrechts verborgen war.22 Tatsächlich hat das bloße pleading of the general issue beispielsweise über Jahrhunderte die Entwicklung eines Vertragsrechts verhindert.23 Erst ab dem 16. Jahrhundert wurden langsam Methoden entwickelt, die es den Richtern erlaubten, trotz der oder gar gegen die Jury inhaltlich zu Rechtsfragen und nicht nur zu Formfragen Stellung zu nehmen.24 In den USA blieb die Befugnis der Jury zur Entscheidung von Rechtsfragen erheblich länger erhalten. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Jurys „judges both of the law and fact in a criminal case, and are not bound by the opinion of the court“.25 1835 allerdings erklärte Justice Story in einer bahnbrechenden Entscheidung, daß es die Pflicht des Gerichts sei, die Jury über das Recht zu instruieren und die Pflicht der Jury, dem zu folgen.26 Verteidiger der alten Sichtweise waren aber noch während des gesamten 19. Jahrhunderts zu vernehmen.27

B. Die Freiheit der Jury Die Macht der Jury über die Rechtsanwendung und damit über die praktische Wirkung des Rechts ist sehr groß. Gleichzeitig weiß niemand und kann niemand überprüfen, wie und warum genau eine Jury eine bestimmte Entscheidung getroffen hat, ob aufgrund einer genauen rechtlichen Erörterung, eines vagen Gerechtigkeitsgefühls oder gar – tatsächlich geschehen28 – mithilfe einer spiritistischen Sitzung. Das Verfahren der Jury ist immer geheim; seine Veröffentlichung etwa in England eine Straftat.29 Beide Aspekte, Macht und Geheimhaltung, geben in ihrem Zusammenspiel der Jury die Möglichkeit, nach eigenem Dafürhalten zu entscheiden und beispielsweise einen Angeklagten auch dann freizusprechen, wenn er von Gesetzes 22

Vgl. Maine, Dissertations on early law and custom, 1883, 389. Vgl. Baker (Fn. 21), 81. 24 Vgl. dazu näher Baker (Fn. 21), 82 ff.; Bailey/Ching/Taylor (Fn. 4), 10. 25 U.S. v. Wilson, 28 F. Cas. 699, 708 (C.C. Pa. 1830). 26 U.S. v. Battiste, 24 F. Cas. 1042, 1043 (C.C. Mass. 1835). 27 Vgl. etwa Hilands v. Commonwealth, 111 Pa. 1, 5 (1886); Sparf v. U.S., 156 U.S. 51, 171 (1895) (Gray, J. and Shiras, J., dissenting); zum ganzen ausführlich Harrington, The lawfinding function of the American jury, Wisconsin Law Review 1999, 377 (377 ff.). 28 Vgl. R v Young (Stephen) [1995] QB 324 (CA). 29 Vgl. etwa Attorney-General v Associated Newspapers Ltd [1994] 2 AC 238 (HL). 23

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wegen verurteilt werden müßte. Diese Möglichkeit wird immer wieder auch als solche anerkannt und stellt keineswegs nur einen unvermeidlichen Mißbrauch oder eine unerwünschte Nebenwirkung dar: „We recognize […] the undisputed power of the jury to acquit, even if its verdict is contrary to the law as given by the judge and contrary to the evidence.“30 Diese Entscheidungsfreiheit, die sog. jury nullification oder jury equity, wird allerdings meist nur als Macht, nicht aber als Recht der Jury angesehen; sie findet zudem nicht nur Verteidiger, sondern wird immer wieder auch kritisiert.31 Denn schließlich ermöglicht sie auch vorurteilsbeladene und irrationale, also im schlechtesten Sinn rechtswidrige Urteile, die etwa von Rassismus, Hass oder Selbstgerechtigkeit bestimmt sind. Im Kern betrifft der Streit in Literatur wie Rechtsprechung aber weniger die Möglichkeit der jury nullification überhaupt, sondern vielmehr die Frage, ob die Jury über diese Möglichkeit informiert werden sollte oder auch nur informiert werden darf. In der Praxis ist die jury nullification, bei aller Schwierigkeit der Feststellung, jedenfalls kein vernachlässigbar seltenes Randphänomen, sondern eine durchaus reale und potentiell wirkmächtige Entscheidungsalternative.32 Tatsächlich ist diese Freiheit einer der zentralen Gründe für die intensive rechtskulturelle Verwurzelung der Jury im common law. Die Jury steht als Puffer zwischen Staat und Bürger und kann der Gerechtigkeit, wie die Juroren sie sehen, gegenüber dem kalten und vielleicht zu harten Buchstaben des Gesetzes zum Durchbruch verhelfen.33 Beispiele dafür werden nicht nur in einer vielleicht weniger freiheitlich orientierten Vergangenheit, sondern auch heute noch gefunden. In der Literatur immer

30 U.S. v. Moylan, 417 F.2d 1002, 1006 (C.A. Md. 1969); zu den beschränkten Möglichkeiten gerichtlicher Überprüfung vgl. infra C.II. 31 Kritisch etwa St. John, License to nullify: The democratic and constitutional deficiencies of authorized jury lawmaking, Yale Law Journal 106 (1997), 2563 (2577 ff., 2597); Simson, Jury nullification in the American system: A skeptical view, Texas Law Review 54 (1976), 488 (512 ff.); positiv etwa Brody, Sparf and Dougherty revisited: Why the court should instruct the jury of its nullification right, American Criminal Law Review 33 (1995), 89 (90 ff.); zum Streit insgesamt vgl. darüber hinaus etwa die klare Darstellung bei Horowitz/Kerr/Niedermeier, Jury nullification: Legal and psychological perspectives, Brooklyn Law Review 66 (2001), 1207 (1207 ff.); deutlich gegen ein entsprechendes Recht (im Unterschied zur Macht) der Jury die zentrale Entscheidung in Sparf v. U.S., 156 U.S. 51, 101 f. (1895); besonders klar auch die Darstellung durch Judge Leventhal in U.S. v. Dougherty, 473 F.2d 1113, 1133 ff. (1972) und das dagegen gerichtete Sondervotum, U.S. v. Dougherty, 473 F.2d 1113, 1139 ff. (1972) (Bazelon, Chief Judge, dissenting). 32 Zur Empirie vgl. Horowitz/Kerr/Niedermeier (Fn. 31), 1220 ff. 33 „If the jury feels that the law under which the defendant is accused is unjust, or that exigent circumstances justified the actions of the accused, or for any reason which appeals to their logic or passion, the jury has the power to acquit, and the courts must abide by that decision.“ U.S. v. Moylan, 417 F.2d 1002, 1006 (CA. Md. 1969). Umso bemerkenswerter sind Ausnahmen wie etwa die sog. death-qualified jury in den USA, bei der in potentiell einschlägigen Fällen solche Juroren schon vorab ausgesondert werden, die die Todesstrafe ausnahmslos ablehnen; die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Auswahl wurde erneut bestätigt in Lockhart v. McCree, 476 U.S. 162, 165, 170 ff. (1986).

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wieder genannt wird etwa der Einsatz illegaler Drogen bei schwersten Krankheiten.34 Ein weiteres Beispiel bietet die radikale strafrechtliche Regel des „three strikes and you are out“ in Kalifornien, wenn etwa ein Kleinkrimineller bei Verurteilung wegen seines dritten Kaufhausdiebstahls automatisch mit einer Mindeststrafe von 25 Jahren Gefängnis rechnen müßte und die Jury ihn daraufhin trotz klarer Beweis- und Rechtslage freispricht.35 Aus der Zeit der Prohibition wird von Jurys berichtet, die sich weigerten, Mitbürger wegen Alkoholverkaufs zu verurteilen.36 Bei alledem wurde bereits 1670 in einem bis heute vielzitierten Fall festgestellt, daß eine Jury, die sich weigert, einen Angeklagten zu verurteilen (im konkreten Fall zwei politisch verfolgte Quäker), dafür nicht strafrechtlich verfolgt werden könne.37 Hier erst wird wirklich deutlich, was gemeint ist, wenn die Jury als zentraler freiheitssichernder Faktor, als „the very palladium of free government“ angesehen und auch verklärt wird.38 Sie ist ein demokratisches Bollwerk gegen die Tyrannei, gegen die Übermacht des Gesetzgebers und der Richter, gegen staatliche Einmischung: „Each jury is a little parliament [sic!]. […] no tyrant could afford to leave a subject’s freedom in the hands of twelve of his countrymen. So that trial by jury […] is the lamp that shows that freedom lives.“39 Die Jury filtert auch heute noch das gerichtliche Verfahren durch eine Art lokaler Auffassung von richtig und falsch.40 Die jury equity ist also nicht etwa eine besondere Randerscheinung in der Konstruktion der Jury, sondern macht im Gegenteil gerade ihren zentralen Wert aus. Für Juristen ebenso wie Durchschnittsbürger im Bereich des common law, namentlich in den USA, ist die Jury der Inbegriff des fairen Verfahrens.

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Vgl. Darbyshire (Fn. 5), 551. Vgl. zu diesem Beispiel kurz Solan (Fn. 18), 1307 m.w.N. 36 Vgl. Horowitz/Kerr/Niedermeier (Fn. 31), 1209 f. 37 Bushell’s Case [1670] 89 ER 2 (CCPl). 38 Hamilton, The Federalist No. 83, in: The Federalist Papers, Penguin edition 1961, 495 (499), der diese Ansicht allerdings zunächst referiert und nur für Strafsachen im Ergebnis teilt; aus heutiger Zeit etwa Fleming (Fn. 20), 102; vgl. auch Pound, Law in books and law in action, American Law Review 44 (1910), 12 (18): „Jury lawlessness is the great corrective of law in its actual administration.“. 39 Devlin (Fn.13), 164; ähnlich etwa Lord Atkin in Ford v Blurton [1922] 38 TLR 801 (CA) 805: „the bulwark of liberty, the shield of the poor from the oppression of the rich and powerful“. 40 Vgl. Solan (Fn. 18), 1283; zur historischen Entstehung dieses Phänomens vgl. Yeazell, The new jury and the ancient jury conflict, The University of Chicago Legal Forum 1990, 87 (90 f.). 35

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C. Jury und Entwicklung des Rechts I. Fehlende Begründbarkeit von Urteilen in Jury-Prozessen Wenn die Jury nicht nur äußerlich erkennbare Tatsachen feststellt, sondern eigenständig das Recht anwendet und dabei auch auslegt, stellt sich schnell die Frage, wie ein darauf aufbauendes Urteil überhaupt mit einer Begründung versehen werden kann. Denn die Jury gibt nur das Ergebnis bekannt und der Richter, der das Urteil verfaßt, weiß ebensowenig wie jeder andere, auf welchen Wegen dieses Ergebnis erreicht wurde. Tatsächlich sind Urteile in Jury-Verfahren extrem kurz und bleiben letztlich ohne jede nachvollziehbare Begründung. Als Beispiel kann die sowohl innerhalb als auch außerhalb der USA zu recht nachhaltig kritisierte und vielfach karikierte erstinstanzliche Entscheidung im McDonald’s-Kaffee-Fall herangezogen werden. Dort hatte sich eine 79-jährige Rentnerin an einem bei McDonald’s gekauften Kaffee verbrüht, als sie im Auto den Deckel von dem zwischen ihren Oberschenkeln abgestellten Pappbecher abzog und der Becher dabei umkippte. Sie erhielt von einer Jury in New Mexico nicht nur erkleckliche $ 160.000 Schadensersatz, sondern bekam zusätzlich $ 2,7 Millionen Strafschadensersatz zugesprochen. Der zugehörige Urteilstext besteht nach der Eingangsformel nur aus sechs rechtlichen Ergebnissen zu einzelnen Ansprüchen in je einem Teilsatz, gefolgt von einer Art Tenor, also den gerichtlichen Anordnungen zur Zahlung der Summe sowie zu Zinsen und Kosten. Das ganze, vieldiskutierte Urteil paßt problemlos auf eine Druckseite und ist aus sich selbst heraus vollkommen unverständlich; nicht einmal zum Sachverhalt ist ihm eine Andeutung zu entnehmen.41

41 Vgl. Liebeck v. McDonald’s Restaurants, No. CV-93-02419, 1995 WL 360309 (N.M. Dist. Aug. 18, 1994). Im vollen Wortlaut lautet die Entscheidung zwischen Eingangsformel („… a jury having rendered its verdict as follows …“) und abschließenden gerichtlichen Anordnungen („IT IS HEREBY ORDERED, ADJUDGED AND DECREED that Judgement is entered […] in the amount of […]“) nur: „1. On Plaintiff’s claim for product defects, for Plaintiff; 2. On Plaintiff’s claim for breach of the implied warranty of merchantibility, for Plaintiff; 3. On Plaintiff’s claim for breach of the implied warranty of fitness for particular purpose, for Plaintiff; 4. On Plaintiff’s claim that Plaintiff was comparatively at fault, Plaintiff determined to be twenty percent (20 %) at fault; 5. On Plaintiff’s claim for compensatory damages, Plaintiff is entitled to $ 200,000.00 to be reduced by $ 40,000.00, representing her twenty percent (20 %) comparative negligence, for a net judgement of $ 160,000.00; 6. On Plaintiff’s claim for punitive damages, punitive damages are awarded in the sum of $ 2,700,000.00.“ Über die bloße Feststellung, daß die $ 2,7 Millionen exzessiv waren, geht übrigens auch die Begründung der anschließenden, rein richterlichen Entscheidung, den Strafschadensersatz auf $ 480.000, also den dreifachen Schadensersatz, zu senken, nicht hinaus, vgl. Order on defendant’s post-trial motion, Liebeck v. McDonald’s Restaurants, No. CV93-02419, 1994 WL 16777706 (N.M. Dist. Sept. 16, 1994).

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Urteile ohne Begründung mögen nicht nur – aus der Außenperspektive – rechtsstaatlich bedenklich erscheinen,42 sondern können als solche auch nicht angemessen zur Fortentwicklung des Rechts beitragen. Erstinstanzliche Urteile, die auf der Entscheidung einer Jury beruhen, sind also dogmatisch völlig bedeutungslos. Dies zeigt sich vielfach auch daran, daß diese Urteile trotz der bekannten, exzessiven Veröffentlichungspraxis der USA nicht einmal elektronisch verfügbar sind. Selbst in sehr bekannten Fällen, in denen es gerade um die Auslegung eines bestimmten Rechtsbegriffs ging und die deshalb bis zum Supreme Court gelangten, findet sich das erstinstanzliche Urteil allenfalls verborgen in den Materialien, zusammen etwa mit Anklageschrift, Wortprotokoll des Verfahrens und Jury-Instruktionen.43 Einen Gipfel erreicht die inhaltliche Bedeutungslosigkeit, wenn das Urteil selbst aus einem Formblatt besteht, auf dem der Richter die einschlägigen Sätze schlicht ankreuzt und gelegentlich einige Worte einfügt; publiziert wird dann eben dieses Formblatt einschließlich der nicht angekreuzten Varianten.44 II. Reduzierte Überprüfbarkeit im Instanzenzug Ganz praktisch stellt sich weiterhin die Frage, wie Urteile auf Basis einer JuryEntscheidung überhaupt einer Überprüfung im Rechtsmittelverfahren unterliegen können, wenn zentrale Aspekte der Entscheidungsfindung – die zugrundegelegten Tatsachen und die Anwendung der abstrakten Rechtssätze – unbekannt bleiben. Tatsächlich mag hier einer der Gründe für die ausgeprägte Verfahrensorientierung des common law zu finden sein. Denn eine erste Überprüfungsmöglichkeit findet sich naturgemäß bei den zahllosen Verfahrensfragen, über die allein der Richter zu entscheiden hatte. Erfolgversprechend ist ein solcher Angriff aber grundsätzlich nur, wenn der Verfahrensfehler sich auf das Verdikt der Jury ausgewirkt haben kann. Die genauen Maßstäbe dafür und ihre praktische Handhabung sind unterschiedlich und komplex.45 Ein weiterer, sehr beliebter Angriffspunkt sind die Jury-Instruktio42 Zum Unterschied von deutschem Rechtsstaat und US-amerikanischer rule of law vgl. nur kurz Kischel, Vorsicht, Rechtsvergleichung!, ZVglRWiss 104 (2005), 10 (12 f.); zum rechtsstaatlichen Problem aus rein deutscher Sicht vgl. ders., Die Begründung, 2003, 64 ff. 43 Vgl. z. B. Smith v. U.S., 508 U.S. 223 (1993), wo ein Federal District Court den Beschwerdeführer nach einem Gesetz verurteilt hatte, das die Benutzung (use) einer Feuerwaffe während und in Verbindung mit einem Drogenschmuggeldelikt unter Strafe stellte; das Gericht stellte sich die Frage, ob der Tausch einer Waffe gegen Drogen eine Benutzung im Sinne des Gesetzes darstellte. Vgl. etwa auch Schmuck v. U.S., 489 U.S. 705 (1989), bei dem es darum ging, ob im Sinne des Straftatbestands des sog. mail fraud ein Postversand zum Zwecke der Ausführung eines betrügerischen Plans erfolgt sein kann, wenn der Betrug schon abgeschlossen war, bevor etwas mit der Post versendet wurde. Zu beiden Fällen vgl. auch Solan (Fn. 18), 1286 ff., 1289 f., 1294 f. 44 Vgl. etwa Judgement U.S. v. Smith, No. 90-6020-Cr-PAINE-(01) (S.D. Fla. Jan. 18, 1991); Smith v. U.S., No. 91-8674, 1992 WL 12012185 (U.S. Dec. 2, 1992). 45 Zur harmless error doctrine in den USA vgl. Saltzburg, The harm of harmless error, Virginia Law Review 59 (1973), 988 (passim); Gerberding, Das Rechtsmittelsystem im USamerikanischen Strafverfahren, 2005, 131 ff.

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nen. Dies ging so weit, daß der Gesetzgeber sich gezwungen sah einzuschreiten. Neuere Regeln verlangen, daß die Instruktionen auch den Parteien mitgeteilt werden, damit diese noch im erstinstanzlichen Verfahren Einspruch gegen die Instruktionen einlegen können; tun sie es nicht, ist ihnen insofern auch das Rechtsmittel verwehrt.46 Eine Überprüfung des eigentlichen, materiellen Entscheidungsinhalts hingegen ist außerordentlich schwierig. Aus historischer Perspektive entwickelten sich Angriffsmöglichkeiten etwa ab dem 16. Jahrhundert gemeinsam mit ganz allgemeinen Methoden der Richter, inhaltlich zu Rechts- und nicht nur zu Formfragen Stellung zu nehmen. Beispielsweise erlaubte die motion for a new trial, das Verdikt beiseite zu schieben und eine Neuverhandlung anzuordnen. Zunächst war dies nur ganz ausnahmsweise möglich, wenn die Verfahrensakte einen Verfahrensfehler ergab. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts aber konnte sich eine Partei auch auf eine Feststellung des erstinstanzlichen trial judge berufen, der zufolge das Verdikt entweder gegen die Erläuterungen der Rechtslage verstoße, die er der Jury vorab gegeben habe, oder das Verdikt nicht von den Beweisen gedeckt oder es zu Fehlverhalten der Jury gekommen sei.47 Zweck dieser nur scheinbar weitreichenden Regelung war aber nur die Korrektur gröbster Fehler der Jury, nicht etwa eine gleichsam routinemäßige rechtliche Kontrolle im einzelnen. Heute ist der Angriff wegen eines materiellen Fehlers – vereinfacht gesagt – nur erfolgversprechend, wenn die Entscheidung klar und unzweifelhaft falsch ist, zum Beispiel weil sie nach der Beweis- und Rechtslage zwingend ausscheidet. Der genaue Prüfungsmaßstab wird dabei zwar verschieden formuliert, aber in aller Regel äußerst streng gehandhabt.48 Wie schwer es ist, ein Verdikt aufzuheben, zeigt sich etwa in den Fällen sog. inconsistent verdicts: Hier wird ein Angeklagter wegen eines Delikts A, aber ausdrücklich nicht wegen Delikts B schuldig gesprochen, obwohl B in A notwendig vorausgesetzt ist. So wurde ein Angeklagter wegen Drogenhandels freigesprochen, jedoch wegen der Benutzung eines Telefons während eben dieses Drogenhandels verurteilt.49 Eine solche Entscheidung ist in den meisten Einzelstaaten der USA trotz ihrer unzweifelhaften Unhaltbarkeit nicht überprüfbar, da nicht festgestellt werden kann, zu wessen Lasten die Inkonsistenz geht und worauf sie inhaltlich beruht, etwa Milde, einem sachlichen Fehler oder einem 46

Vgl. für das Strafverfahren auf Bundesebene Hay, US-Amerikanisches Recht, 4. Aufl. 2008, 272 Fn. 187; zur einschlägigen Federal Rule of Criminal Procedure 51 vgl. Fogarty v. Near North Insurance Brokerage, Inc., 162 F.3d 74 (79 f.) (CA 2d Cir. 1998); Medforms, Inc. v. Healthcare Management Solutions, Inc., 290 F.3d 98 (111 f.) (CA 2d Cir. 2002). 47 Vgl. dazu Baker (Fn. 21), 84 f.; vgl. weiter Lettow, New trial for verdict against law: Judge-jury relations in early nineteenth-century America, Notre Dame Law Review 71 (1996), 505 (510 ff.); Mitnick, From neighbor-witness to judge of proofs: The transformation of the English civil juror, American Journal of Legal History 32 (1988), 201 (212 ff.). 48 Vgl. dazu Robertson, Judging jury verdicts, Tulane Law Review 83 (2008), 157 (passim); für einen Überblick zur Überprüfung von jury verdicts im englischen und US-amerikanischen Recht vgl. Gerding, Trial by Jury: Die Bewährung des englischen und des US-amerikanischen Jury-Systems – Eine Idee im gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Wandel, 2007, 454 ff. 49 U.S. v. Powell, 469 U.S. 57 (1984).

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zwecks Einstimmigkeit gefundenen Kompromiß.50 Entscheidungen gegen die Jury zu treffen, ist bei alledem nicht unbedingt dem Rechtsmittelgericht vorbehalten. Hält der erstinstanzliche trial judge in den USA das Verdikt für ernstlich fehlerhaft, kann er selbst auf Antrag ein neues Verfahren mit einer neuen Jury anordnen. Der trial judge kann bei ganz eindeutiger Beweislage die Entscheidung auch in anderer Weise an sich ziehen und so dafür sorgen, daß die Jury in der Sache nicht entscheidet.51 Details unterscheiden sich – hier wie auch sonst – von Rechtsordnung zu Rechtsordnung. Eine zentrale Beschränkung der Überprüfbarkeit von Jury-Entscheidungen schließlich ist dem common law meist so selbstverständlich, daß der Außenstehende sie leicht übersieht: Kommt die Jury in Strafverfahren zum Freispruch, so ist das Verfahren damit endgültig beendet. Es kann, anders als bei einer Verurteilung, nicht wieder eröffnet werden. Rechtsmittel, die im Erfolgsfall zu einer neuen Entscheidung der Jury führen müßten, sind der Anklage regelmäßig verwehrt.52 Diese Macht zum Freispruch steht daher auch im Kern der Debatte um die Freiheit der Jury.

D. Jury und Grundauffassung von Recht Die Jury wird sowohl im common law als auch außerhalb vielfach in einem verklärten, abstrahierten Licht gesehen und so zu einem Mythos, der ihrer realen Bedeutung, ihren teils problematischen Ergebnissen und ihrer tatsächlichen Funktionsweise nur wenig gerecht wird. Nicht umsonst ist die Jury in England aus fast allen Zivilverfahren verschwunden,53 nicht umsonst aber gehört sie andererseits etwa in den 50 Vgl. U.S. v. Powell, 469 U.S. 57 (57 f.) (1984); vgl. auch schon Dunn v. U.S., 284 U.S. 390 (393 f.) (1932); für einen Überblick über inconsistent verdicts vgl. Muller, The hobgoblin of little minds? Our foolish law of inconsistent verdicts, Harvard Law Review 111 (1998), 771 (771 ff.); vgl. auch Cammack/Garland, Advanced criminal procedure in a nutshell, 2. Aufl. 2006, 431 f.; in einigen wenigen Staaten sind inconsistent verdicts dagegen überprüfbar, so wie in Maryland, das erst 2008 in Price v. State, 405 Md. 10 (CA 2008) die neue Möglichkeit einer objection vor dem Ausgangsgericht geschaffen hat. 51 Zu den Möglichkeiten der motion to dismiss, des summary judgements oder des directed verdicts vgl. etwa nur kurz Hay (Fn. 46), 70 f., 272; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozeßrecht, 3. Aufl. 2003, 42, 59 f., 66; bleibt ein Antrag auf directed verdict erfolglos, kann er im Anschluß an das Verdikt der Jury der Sache nach vor dem trial judge wiederholt werden; es geht dann um ein sog. judgement notwithstanding the verdict, dazu etwa ebda., 67 f. 52 Zu den heutigen Ausnahmen im englischen Recht vgl. etwa Boylan-Kemp (Fn. 17), 402 ff. 53 Zu den teils gravierenden Problemen im kleinen verbliebenen Bereich vgl. nur John v MGN Ltd [1997] QB 586 (CA), in dem eine Jury dem Sänger Elton John £ 350.000 Schadenersatz gegen eine Zeitung wegen der Behauptung zugesprochen hatte, er habe auf einer Party Anzeichen einer Eßstörung gezeigt. Der Court of Appeals kommentierte deutlich: „It is in our view offensive to public opinion, and rightly so, that a defamation plaintiff should recover damages for injury to reputation greater, perhaps by a significant factor, than if that same plaintiff had been rendered a helpless cripple or an insensate vegetable.“, ebda., 614.

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USA als Bastion des Bürgers gegen eine Übermacht des Staates zum praktisch unaufgebbaren Kernbestand der Rechtskultur. Letztlich läßt die Einstellung zur – richtig verstandenen – Jury sogar Rückschlüsse auf die Grundauffassung zu der Frage zu, was Recht eigentlich ist und was ein Gerichtsverfahren bewirken soll: Wenn es im Prozeß darum gehen soll, die objektiven Tatsachen festzustellen, dann die verbindlich vorgegebenen Rechtsregeln zu finden und lege artis auszulegen, um sie schließlich auf die Tatsachen anzwenden, wenn die Gerichte insofern Diener der Staatsmacht sind, dann macht eine Jury kaum einen Sinn. Wenn das Recht hingegen weniger als Sammlung hierarchischer Normbefehle angesehen wird, sondern zumindest neben solchen Befehlen auch als ein Konglomerat aus Handlungsregeln und -standards, deren Anwendung vom jeweiligen Kontext abhängt und die aus dem Volk mit all seinen Vorurteilen und Idealen heraus geschaffen werden, dann kann die Jury ein wichtiges und sinnvolles Element sein.54 Eibe Riedel hat das Recht stets weit verstanden und versucht, die reale Normenvielfalt – insbesondere über das Standarddenken – vor positivistischer Reduktion zu retten;55 seine Sympathie für die Jury ist so nur konsequent.

54 Deutlich Atiyah/Summers, Form and substance in Anglo-American law, 1987, Nachdruck 2002, 174 f. 55 Vgl. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, passim, insbes. 260 ff.

„Standards“ wider die Verhexung von Recht und Regulierung mit den Mitteln der Sprache – Erfahrungssätze der Riedelianer Von Christian Koenig

A. Standards als normativer und extranormativer Erdungspol von Weltbewegendem und von „nitty-gritties“ 1983 habilitierte sich Eibe Riedel mit der Habilitationsschrift „Theorie der Menschenrechtsstandards. Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen“. Diesem Forschungsfeld ist er mit viel Innovations- und didaktischer wie praktischer Vermittlungskraft treu geblieben. Darüber legt die vorliegende Festschrift Zeugnis ab wie auch sein Einsatz von 1997 bis heute als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen. Mit dem UN-Sitzungsort Genf verbindet ihn auch – bezeichnend für seine akademische Transfermission – seine Lehre an der dortigen Universität. Diese Verbindung von thematischer Nachhaltigkeit, Innovationskraft und Stetigkeit in Lehre, Forschung und Praxistransfer zeichnet nicht alle Riedelianer aus. Einige unter ihnen wechselten geradezu sprunghaft die Arbeits-, Lehr- und Forschungsgegenstände, etwa vom allgemeinen Völkerrecht über das Weltraum- und Kriegsvölkerrecht, über die „nitty-gritties“ des Wirtschaftsverwaltungs- oder des Banken- und Börsenrechts zum europäischen Wettbewerbs- und Netzregulierungsrecht. Und genau hier in der Entdeckungsreise durch die verschiedensten Sektoren einer oder mehrerer Rechtsordnungen bewährt sich der erste Erfahrungssatz der Riedelianer getreu dem englischen Sprichwort: „You’ll find nobody comes down to the nitty-gritty when it calls for namin’ things for what they are.“ Diesen Erfahrungssatz erläuterte uns Eibe Riedel, als wir an seinem Lehrstuhl Mitte der achtziger Jahre die Druckfahnen seiner Habilitationsschrift korrekturlasen und er uns in den Kosmos vielfältiger und vielschichtiger völkerrechtsnormativer und extranormativer Standards einführte, etwa der unterschiedlichsten UN-Sonderorganisationen wie der International Labour Organization (ILO), der Food and Agriculture Organization (FAO) oder der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO). Er mahnte, den völkerrechtlichen Rechtsquellenkanon nicht auf die

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engen Formate des Art. 38 des IGH-Statutes zu reduzieren, zumal in dieser Bestimmung lediglich das vom IGH anzuwendende Recht aufgeführt wird. Ein Druckfehler „saft law“ statt „soft law“, den zu entdecken einer der Korrekturleser besonders stolz war, kommentierte der Autor der grundlegenden rechtsphänomenologischen Schrift mit dem besagten „you’ll find nobody comes down to the nitty-gritty when it calls for namin’ things for what they are.“ War es englischer Humor oder rechtsphänomenologische Erkenntnis an der konkreten druckfehlerbehafteten Stelle in Bezug auf eine bestimmte Empfehlung der UN-Generalversammlung, die der Autor spontan und mutig offenbarte? Der findige Korrekturleser hat nicht nachgefragt. Jedenfalls – und das ist charakteristisch für Eibe Riedel – entwickelte sich diskursiv bei einem oder zwei Gläsern Sherry eine prägende methodische Erkenntnis, der zweite Erfahrungssatz der Riedelianer, diesmal in deutscher Sprache: Rechtsdogmatische Probleme vermag nicht zu lösen, wer nicht erkennt, durch welche Fehlanwendungen oder Unterlassungen von Sprache sie konditioniert werden! Wenn etwa Teile der Völkerrechtsliteratur den Rechtsquellenkanon auf die engen Formate des Art. 38 des IGH-Statutes implizit trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse reduzieren, unterschlagen sie schon sprachlich die Beschränkung auf das organschaftliche Kompetenzformat, denn Art. 38 beschränkt sich ausweislich seines Wortlautes1 auf die vom IGH anzuwendenden Rechtssätze, enthält aber gerade keinen numerus clausus der Völkerrechtsquellen außerhalb der Zuständigkeit des IGH. Wir diskutierten bei einem dritten Glas Sherry die rechtsdogmatische Einordnung des in Art. 38 Abs. 2 genannten ex aequo et bono. Jahre später entwickelte sich im Rahmen der Besprechung eines von Eibe Riedel betreuten Habilitationsvorhabens mit dem Schwerpunkt im Wirtschaftsverwaltungsrecht – „Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung“ – eine intensive Diskussion darüber, ob das Vorhaben sich auf die Verrechtlichung der aus dem anglo-amerikanischen Kulturkreis überlieferten ökonomischen Regulierungskonzepte konzentrieren sollte. Treffsicher, nüchtern und nicht von der postmodernen Regulierungseuphorie trunken mahnt der Betreuer des Habilitationsvorhabens zur rechtsdogmatischen Strenge ohne die praktischen (rechtlichen wie vorrechtlichen) Konditionierungswirkungen einer (zu eng verstandenen) Rechtsdogmatik zu vernachlässigen. Obwohl er selbst nicht für das Thema brennt, unterstützt er das Habilitationsvorhaben intensiv, 1 „(1) Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an a) internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind; b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung; c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze; d) vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen. (2) Diese Bestimmung läßt die Befugnis des Gerichtshofs unberührt, mit Zustimmung der Parteien ex aequo et bono zu entscheiden.“

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drängt fortwährend zur wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Erdung. Auch hier gilt, dass allokative und regulatorische Probleme nicht zu lösen vermag, wer nicht erkennt, durch welche Fehlanwendung von Sprache – zusätzlich verstellt postmodern „regulatory capture“ den klaren Blick – sie entstehen und weiter konditioniert werden, gleich in welchem Bereich. Und hier schließt sich der dritte Erfahrungssatz an: Durch die weiten Peripherien der Rechtsordnungen und der Regulierungswüsten mit ihren Fata Morganas reisende Nachwuchsjuristen soll man thematisch nicht in der eigenen Forschungsheimat aufhalten oder gar an der thematischen Ausreise hindern. Die wissenschaftliche Reise- und Entdeckungsfreiheit im Rahmen der gleichwohl intensiv betreuten Arbeit bedingt aber methodische Erdung. Diese wird zur wertvollen Ausstattung, welche weiterzugeben Berufung ist.

B. Regulierungsrechtliche Standards – ein Anwendungsbeispiel für die normative und extranormative Erdung von „nitty-gritties“ Fernab von der Forschungsheimat Eibe Riedels bewähren sich die von ihm zwecks Erdung regulatorischen Sturm und Drangs nachhaltig vermittelten Erfahrungssätze – selbst in Bezug auf die äußerst peripheren „nitty-gritties“ der Entgeltregulierung von Energieversorgungsnetzen, in denen sich auch höchstinstanzliche Bundesgerichte derart verstricken können, dass sich sogar der in Folge einen legislativen Ausweg suchende Gesetzgeber in einem chaotischen Gesetzgebungsverfahren verliert. I. Zum Effizienzgrundstandard: Effizienz in Bezug auf das Unabänderbare ist sprachlicher und logischer Unsinn … 1. Die unionsrechtlichen Standards für die Netzzugangsentgeltregulierung Unionsrechtlich besteht auch nach Neufassung des Regulierungsrahmens durch das Dritte Energie-Binnenmarktpaket der Europäischen Union ein weiter Spielraum des deutschen Gesetzgebers für die Ausgestaltung der nationalen Netzzugangsentgeltregulierung. Gem. Art. 32 Abs. 1 S. 2 der beiden EU-Elektrizitäts- und Gasrichtlinien (EltRL und GasRL)2 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Tarife für den Netzzugang oder die Methode ihrer Berechnung vor deren Inkrafttreten ge2 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EU Nr. L 211/55 v. 14. 8. 2009 und Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211/94 v. 14. 8. 2009.

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nehmigt werden. Dabei muss das jeweilige nationale System Anreize zur unternehmerischen Effizienzsteigerung setzen (Art. 37 Abs. 8 EltRL, Art. 41 Abs. 8 GasRL) und gewährleisten, dass die Netzzugangsentgelte „angemessen“ und „nichtdiskriminierend“ sind (Art. 37 Abs. 10 EltRL, Art. 41 Abs. 10 GasRL). Zudem sollen sie gewährleisten, dass die Lebensfähigkeit der Netze gesichert ist (Art. 37 Abs. 6 lit. a EltRL, Art. 41 Abs. 6 lit. a GasRL). 2. Standards des EnWG zur Bildung der Netzentgelte Die Vorschrift des § 21 Abs. 1 und 2 EnWG enthält die Standards, die bei der Festlegung und der Berechnung von Entgelten für den Netzzugang, die Netznutzung und die damit zusammenhängenden Dienstleistungen zu beachten sind, die auch für die Entgelte im System der Anreizregulierung gelten. Die Entgelte müssen gem. § 21 Abs. 1 EnWG angemessen, diskriminierungsfrei und transparent sein. Diese Maßstäbe – Standards – prägen alle Ansätze der Entgeltregulierung ebenso wie die Missbrauchsaufsicht der Regulierungsbehörde. Jedoch gibt § 21 Abs. 1 EnWG noch keinen Hinweis darauf, wie ein „angemessenes“ Entgelt zu kalkulieren ist. § 21 Abs. 2 EnWG stellt insoweit die Grundnorm für die Ermittlung „angemessener“ Entgelte im Rahmen einer Methodenregulierung dar. Die Grundsätze der Entgeltbildung für die nähere Ausgestaltung der Methoden zur Kalkulation der Netzzugangsentgelte sind in der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) und der Gasnetzentgeltverordnung (GasNEV) niedergelegt. Nach § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG werden die Entgelte zunächst im Grundsatz auf der Basis der Kosten einer Betriebsführung, die denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen müssen, gebildet. Dies bedeutet, dass das EnWG insoweit einen kostenorientierten Ansatz vorsieht, maßgeblich für die Entgeltberechnung also bestimmte, im Unternehmen des Netzbetreibers angefallene Kosten sind. Nach § 21 Abs. 2 S. 2 EnWG dürfen bei dieser effizienzkostenorientierten3 Bildung der Entgelte nur solche Kosten Beachtung finden, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb einstellen würden. Maßstab sind damit die Kosten, die sich in einem „Als-ob-Wettbewerb“ in den Netzzugangsentgelten niederschlagen würden. Auch in einem auf der Basis von Marktdaten simulierten hypothetischen Wettbewerb könnte der Netzbetreiber bei der Preisbildung nur solche Kosten auf die Entgelte abwälzen, die ein strukturell vergleichbarer, an Effizienzsteigerung orientierter Wettbewerber an seine Kunden weitergäbe. Zum 1. Januar 2009 hat gem. § 1 Abs. 1 S. 2 der Verordnung über die Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze (ARegV) die Anreizregulierung das bis dahin praktizierte System der Entgeltregulierung – die ex ante Genehmigungspflicht gem. § 23a Abs. 1 EnWG – abgelöst. Die Anreizregulierung bezweckt Effizienzsteigerungen bei den Netzbetreibern. Gegenüber der statischen kostenorientierten Regu3 s. zu dieser Begrifflichkeit auch Kühling/el Barudi, Das runderneuerte Energiewirtschaftsgesetz: Zentrale Neuerungen und erste Probleme, DVBl. 2005, 1470 ff.

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lierung stellt die Anreizregulierung als Preisobergrenzen- (price cap) oder Erlösobergrenzenregulierung (revenue cap) das Ziel dynamischer Effizienz in den Vordergrund. Kernbestandteil dieser Regulierungsform ist es, Effizienzanreize bei gleichzeitigem Erhalt des Qualitätsniveaus zu schaffen. Dabei führt die Anreizregulierung zu einer Entkoppelung von Kosten und Erlösen.4 Die Anreizregulierung erfolgt gem. § 21a Abs. 2 EnWG durch die Vorgabe von Obergrenzen für eine Regulierungsperiode, die sich auf die Höhe der Netzzugangsentgelte (Preisobergrenzen) oder auf die Gesamterlöse aus den Netzzugangsentgelten (Erlösobergrenzen) beziehen können. Wie sich aus § 4 Abs. 1 ARegVergibt, hat der Verordnungsgeber sich für letztere Variante entschieden, sodass die Obergrenzen der zulässigen Gesamterlöse eines Netzbetreibers aus den Netzentgelten reguliert werden. Zentrale Vorschrift für die regulatorische Ermittlung der Erlösobergrenzen ist § 4 Abs. 1 ARegV. Danach werden die Obergrenzen der zulässigen Gesamterlöse eines Netzbetreibers aus den Netzentgelten nach Maßgabe der §§ 5 bis 16, 19, 22, 24 und 25 ARegV bestimmt. Damit sind die Faktoren, die die Erlösobergrenze beeinflussen, abschließend festgelegt.5 Die Berechnungsformel für die Erlösobergrenzen („Regulierungsformel“) enthält alle diese zu berücksichtigenden Faktoren und ergibt sich aus § 7 i.V.m. Anlage 1 zur ARegV. Die Erlösobergrenzen werden nach § 4 Abs. 2 ARegV vorab für jedes Kalenderjahr innerhalb der Regulierungsperiode einzeln bestimmt. Die Bestimmung der Erlösobergrenzen erfolgt gem. § 32 Abs. 1 Nr. 1 ARegV i.V.m. § 29 Abs. 1 EnWG durch Festlegung der Regulierungsbehörde. Bei der Ermittlung der Erlösobergrenze wird ein genereller sektoraler Produktivitätsfaktor (Xgen) berücksichtigt. Dieser ergibt sich gem. § 9 Abs. 1 ARegV aus der Abweichung des netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts vom gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt und der gesamtwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung von der netzwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung. Einfach gewendet ist der sogenannte Xgen eine von jedem Unternehmen des Sektors zu erreichende Zielvorgabe – also ein Standard – in Form einer unterstellten zukünftigen Produktivitätssteigerung.6 Bei der Ermittlung der Erlösobergrenzen durch die Regulierungsbehörde unterscheidet bereits § 21a Abs. 4 S. 1 EnWG zwischen solchen Kostenanteilen der Netzzugangsentgelte, die im Einflussbereich des Netzbetreibers liegen (beeinflussbare Kostenanteile), und solchen Kostenanteilen, die diesem Einflussbereich völlig entzogen sind (nicht beeinflussbare Kostenanteile). Die ARegV setzt diese Unterscheidung in § 11 um: Gem. § 11 Abs. 1 ARegV gelten als nicht beeinflussbar „dauerhaft 4 Ludwigs, Maßstäbe und Methoden der Entgeltregulierung im Spiegel europa- und verfassungsrechtlicher Vorgaben, NVwZ 2008, 954; Säcker/Meinzenbach, Der Effizienzkostenmaßstab des § 21 II EnWG im System der energierechtlichen Netzentgeltregulierung, RdE 2009, 1 (14). 5 Säcker/Meinzenbach, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. 1, Anh. § 21a EnWG, § 4 ARegV, Rdnr. 4. 6 Ähnlich Groebel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. 1, Anh. § 21a EnWG, § 9 ARegV, Rdnr. 1.

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nicht beeinflussbare Kostenanteile und vorübergehend nicht beeinflussbare Kostenanteile“. Die verbleibenden Kosten sind gem. § 11 Abs. 4 ARegV beeinflussbar. Von besonderer Bedeutung ist auch in Bezug auf den sektoralen Produktivitätsfaktor Xgen die Unterscheidung zwischen den dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten und den übrigen Kosten. Die dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten fließen nämlich nicht in den Effizienzvergleich ein und unterliegen keinen Effizienzvorgaben. Dies folgt dem Effizienzgrundstandard, wonach Effizienz in Bezug auf das Unabänderbare schon sprachlich und logisch unmöglich ist. Die dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten sind in § 11 Abs. 2 ARegV abschließend aufgezählt. Nr. 1 nennt die Kosten für gesetzliche Abnahme- und Vergütungspflichten, worunter Abnahme und Vergütung nach §§ 8 Abs. 1, 16 EEG zu fassen sind, bzw. die Abnahme und die Vergütung nach § 4 Abs. 1, 3 S.1 KWKG. Ausgaben für Konzessionsabgaben i.S.d. KAV sind von Nr. 2 erfasst. Nicht beeinflussbar sind nach Nr. 3 Kosten zur Zahlung von Betriebssteuern. Die Inanspruchnahme vorgelagerter Netzebenen wird von Nr. 4 erfasst, ist jedoch auf die „erforderliche“ Inanspruchnahme beschränkt, um – ausweislich der Begründung – keinen wirtschaftlichen Anreiz zu schaffen, z. B. im Gasbereich den Einsatz sinnvoller Instrumente zur gezielten Kappung der Lastspitze zu reduzieren und dadurch eigene Netzkosten zu Lasten zugewälzter Entgelte einzusparen. Kosten aus der Inanspruchnahme einer Lastflusszusage sind davon jedoch nicht umfasst.7 Nr. 5, der Zu- und Abschläge auf die Erlösobergrenzen sowie die Verzinsung dieser Abschläge unter nicht beeinflussbare Kosten fasste, wurde aufgehoben. Nr. 6 privilegiert Kosten für genehmigte Investitionsbudgets nach § 23 ARegV, sofern sie in der betreffenden Regulierungsperiode durchgeführt und auch kostenwirksam werden. Mehrkosten für die Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Erdkabeln nach § 43 S. 1 Nr 3 und S. 4 EnWG sowie von Erdkabeln gem. § 21a Abs. 4 S. 3 2. Hs. EnWG sind unter Nr. 7 zu fassen, allerdings stehen diese Kosten unter dem Vorbehalt, dass sie bei effizientem Netzbetrieb entstehen. Vermiedene Netzentgelte gem. §§ 18 StromNEV, 35 Abs. 2 EEG und 4 Abs. 3 S. 2 KWKG sind von Nr. 8 erfasst. § 11 Abs. 2 Nr. 8a erfasst Kosten aus dem erweiterten Bilanzausgleich gem. § 35 GasNZV abzüglich der vom Einspeiser von Biogas zu zahlenden Pauschale. Zum Teil werden Kosten, die nach dem Verursachungsprinzip sonst vom Biogaseinspeiser zu tragen wären, auf den Netzbetreiber verlagert. Dies betrifft drei Viertel der Anschlusskosten (§ 33 Abs. 1 S. 2 GasNZV) sowie mögliche Kosten für die Beimischung von Zusatzstoffen zur Einhaltung der eichrechtlichen Vorgaben (§ 36 Abs. 3 GasNZV) und der Odorierung (§ 36 Abs. 4 GasNZV). Nr. 8b erfasst Zahlungen an Städte oder Gemeinden nach Maßgabe von § 5 Abs. 4 StromNEV für die Errichtung von Freileitungen. Nr. 9 betrifft Kosten der betrieblichen und tarifvertraglichen Vereinbarungen zu Lohnzusatz- und Versorgungsleistungen, die vor dem 31. 12. 2008 abgeschlossen wurden. Damit fallen fast ein Drittel der Personalkosten letztlich unter die nicht beeinflussbaren Kosten. Nr. 10 stellt die Kosten der im gesetzlichen Rahmen ausgeübten Personal- und Betriebsrats7

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1. 9. 2010 – VI-3 Kart 50/09, nach juris, Rdnr. 43.

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tätigkeit unter Schutz. Die Entgelte, die Betriebsratsmitglieder erhalten, sind in § 37 Abs. 2 und 4 BetrVG festgelegt. Nr. 11 betrifft Kosten für die Berufsausbildung und Weiterbildung im Unternehmen und von Betriebskindertagesstätten für Kinder der im Netzbereich beschäftigten Betriebsangehörigen. Nr. 12 bezieht sich auf pauschalierte Investitionszuschläge i.S.d. § 25 ARegV (s.u.). Unter Nr. 13 sind die Kosten der Auflösung von Netzanschlusskostenbeiträgen und Baukostenzuschüssen nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4 i.V.m. S. 2 StromNEV und § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4 i.V.m. S. 2 GasNEV gefasst. Kosten aus dem bundesweiten Ausgleichsmechanismus nach § 2 Abs. 4 Energieleitungsausbaugesetzes (EnLAG) fallen unter Nr. 14. Zudem gelten gem. § 11 Abs. 2 S. 2 ARegV bei Stromversorgungsnetzen auch solche Kosten als dauerhaft nicht beeinflussbar, die sich aus Maßnahmen des Netzbetreibers ergeben, die einer wirksamen Verfahrensregulierung nach der Stromnetzzugangsverordnung oder der Stromhandelsverordnung unterliegen. Für Gasnetzbetreiber gilt gem. § 11 Abs. 2 S. 3 ARegVentsprechendes. Eine wirksame Verfahrensregulierung liegt gem. § 11 Abs. 2 S. 4 ARegV vor, soweit eine umfassende Regulierung des betreffenden Bereichs durch vollziehbare Entscheidungen der Regulierungsbehörden oder freiwillige Selbstverpflichtungen der Netzbetreiber erfolgt ist, die Regulierungsbehörde dies nach § 32 Abs. 1 Nr. 4 festgelegt hat und es sich nicht um volatile Kostenanteile nach § 11 Abs. 5 handelt. Auf eine solche Festlegung als wirksam verfahrensreguliert besteht seitens der Netzbetreiber jedoch kein Anspruch, solange auch nur eine geringfügige Beeinflussbarkeit verbleibt.8 Anders als von der Bundesnetzagentur (BNetzA) und einigen Beschwerdegerichten angenommen,9 war die Berücksichtigung des sektoralen Produktivitätsfaktors Xgen nicht von der ursprünglichen Verordnungsermächtigung gedeckt.10 Es handelt sich nämlich nicht um eine Regelung über die allgemeine Geldwertentwicklung, wie sie zulässig gewesen wäre, sondern um eine Regelung über die besondere Kostenentwicklung.11 Die Beschlüsse des BGH vom 28. Juni 2011 (EnVR 34/10 und EnVR 48/10) schlugen in der regulierten Energiewirtschaft ein wie eine Bombe. Mit der höchstrichterlichen Verwerfung von § 9 ARegV hat der BGH den durch den Verordnungsgeber vorgesehenen generellen sektoralen netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschrittsfaktor (Xgen) im System der Entgeltregulierung der Energiewirtschaft ins Wanken gebracht: 8

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. 7. 2010, VI-3 Kart 184/09, Rdnr. 106. Siehe nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 3. 2010 – VI-3 Kart 200/09, nach juris, Rdnr. 95 ff. 10 BGH, Beschl. v. 28. 6. 2011 – EnVR 48/10 – EnBW Regional AG, nach juris, Rdnr. 36; BGH, Beschl. v. 28. 6. 2011 – EnVR 34/10, nach juris, Rdnr. 30; so auch OLG Celle, Beschl. v. 19. 8. 2010 – 13 VA 23/09, nach juris, Rdnr. 17; OLG Brandenburg, Beschl. v. 12. 1. 2010 – Kart W 7/09, nach juris, Rdnr. 53; OLG Naumburg, Beschl. v. 5. 11. 2009 – 1 W 6/09, nach juris, Rdnr. 52. 11 Ernst, Anmerkung zu den Beschlüssen des BGH vom 28. Juni 2011 – Az. EnVR 34/10 und EnVR 48/10, N&R 2011, 213 (216). 9

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„33. Die in § 9 Abs. 1 ARegV außerdem vorgesehene Berücksichtigung der Abweichung des netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts von dem gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt ist hingegen durch die Verordnungsermächtigung nicht gedeckt. Eine hinreichende Grundlage hierfür findet sich weder in § 21a Abs. 4 Satz 7 EnWG noch in § 21a Abs. 5 EnWG. […] 40. Da der netzwirtschaftliche Produktivitätsfortschritt sonach nicht berücksichtigungsfähig ist, ist die pauschale Festlegung der Höhe des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors gemäß § 9 Abs. 2 ARegV gegenstandslos. Auf die gegen die Höhe des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors und die Methode ihrer Ermittlung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde kommt es sonach nicht mehr an. 41. Die Bundesnetzagentur wird im weiteren Verfahren – vorbehaltlich einer eventuellen Änderung von § 9 ARegV durch den Verordnungsgeber – gemäß § 9 Abs. 1 ARegV die Abweichung der gesamtwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung von der netzwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung zu ermitteln und diesen Wert anstelle des Terms PFt in der Regulierungsformel nach Anlage 1 zu § 7 ARegV anzusetzen haben.“

Aus legislativer Sicht war nun Eile geboten, um das – gemessen am Telos – nunmehr unvollständige regulatorische Regelungsgefüge sinnvoll zu vervollständigen. Einer der regulatorisch bedeutendsten Kürzungsfaktoren für Netzentgelte war durch die Beschlüsse des BGH verworfen worden; viele Netzbetreiber hatten in Folge Erhöhungen ihrer Netzentgelte zum Jahreswechsel 2011/2012 angekündigt. Die Frage war mit den Händen zu greifen: Wie lässt sich der Druck auf die Netzbetreiber aufrechterhalten, um befürchtete Steigerungen der Netzentgelte von insgesamt bis zu 2 Milliarden Euro zu verhindern? Der Bundesnetzagentur sind ohne entsprechende normative Vorgaben die Hände gebunden. Schon zehn Tage nach Bekanntwerden der Entscheidung – die Gründe lagen noch nicht einmal vor – waren erste Bestrebungen erkennbar, die durch die höchstrichterliche Verwerfung von § 9 ARegV gerissene Lücke mittels einer Nachbesserung des § 21a Abs. 6 EnWG wieder zu füllen. Am 8. Juli 2011 forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die defekte Ermächtigungsgrundlage für den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor (Xgen) ergänzt werden sollte. Dann wurde ein Entwurf vorgelegt, der das EnWG und die ARegV ändern sollte. Daran ist zunächst – von der ungewohnten Schnelligkeit des Vorgehens abgesehen – nichts Erstaunliches. Zur grundsätzlichen Zulässigkeit dieses Elements der Regulierungsformel hatte der BGH nämlich nach der Feststellung der fehlenden Ermächtigungsgrundlage gar nicht mehr Stellung genommen. Schaut man sich den Neuregelungsvorschlag aber im Detail an, so drängen sich Fragen auf, die schon einer sprachlichen Klärung bedürfen – vom regulatorischen Sinn ganz zu schweigen. Die ursprünglich vorgeschlagene Änderung bezog sich nämlich nicht nur auf die defekte Ermächtigungsgrundlage im EnWG und den – erforderlichen – Neuerlass der ARegV. Nach der vorgeschlagenen Neufassung des § 9 Abs. 1 der ARegV sollte der Xgen „aus der Abweichung des netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts und der gesamtwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung

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von der netzwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung“ ermittelt werden. Dieser Vorschlag war nicht nur sprachlich mangelhaft. Die sprachlichen Mängel setzten sich dann in regulatorischen Irrungen – frei nach dem sprachphilosophisch-logischen Muster Ludwig Wittgensteins – fort, dass regulatorische Probleme nicht zu lösen vermag, wer nicht erkennt, durch welche Fehlanwendung von Sprache, Rechenformeln und Axiomen sie überhaupt erst erzeugt werden. So drängte sich etwa die Frage auf, wieso der pauschalierte Ansatz für die erste und zweite Regulierungsperiode unverändert bleiben sollte. Gemäß § 9 Abs. 2 ARegV war nämlich nach wie vor ein pauschaler Wert von 1,25 % für die erste und 1,5 % für die zweite Regulierungsperiode vorgesehen. Nachzuvollziehen war dies kaum. Wie sich bei einer Veränderung der Berechnungsparameter nach § 9 Abs. 1 ARegV dieser pauschalierte Wert nicht ebenfalls verändern soll, konnte kaum erklärt werden. Am 30. November 2011 zog der Wirtschaftsausschuss die Reißleine. Nun sollte doch der alte Wortlaut beibehalten werden. Die Verhexung des Rechts mit den Mitteln der Sprache zeigt sich aber wieder in der Begründung: vorgeblich „handelt es sich um eine redaktionelle Korrektur“. Danach wird an der Ermächtigungsgrundlage nachgebessert, die Regelungen der ARegV werden nur formal neu erlassen. Die bisherigen Bedenken wurden dadurch gleichwohl nicht ausgeräumt. Erkennbar ist nämlich keineswegs, wie der Verordnungsgeber dem Umstand Rechnung tragen will, dass der BGH den Xgen im letzten Sommer – richtigerweise – als pauschale Effizienzvorgabe eingestuft hat, die sich konsequenterweise nicht auf nicht beeinflussbare Kostenanteile beziehen darf. Über den Xgen mag man sicher trefflich streiten. Die Entscheidung, ihn einzuführen bzw. neu zu fassen, ist hinzunehmen. Vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers dürfte er jedenfalls gedeckt sein. Unverständlich ist aber, wie nach den Entscheidungen des BGH keine konsequente Nachbesserung vorgenommen werden kann. Die Richtung hat der BGH – im Sinne des sprachphilosophisch-logischen Musters Ludwig Wittgensteins – gewiesen. Eine rechtssichere Ausgestaltung lässt sich danach durch bloße Änderungen am EnWG nicht erreichen. Der Xgen hat nur eine Zukunft, wenn man die Regulierungsformel in der Anlage 1 zu § 7 ARegV entsprechend anpasst. Den Grund dafür systematisch, sprachlich und logisch nachzuvollziehen fällt nicht schwer. Selbst wenn man den Netzwirtschaften erhebliche Effizienzsteigerungspotentiale unterstellt, so kann Effizienz immer nur bezogen auf beeinflussbare Kosten gesteigert werden. Effizienz in Bezug auf das Unabänderbare ist sprachlicher und logischer Unsinn! Können Kosten nicht unternehmerisch beeinflusst werden, so ist der Vorhalt unhaltbar, diese seien nicht effizient veranlasst worden: „Es ist eine Hauptquelle unseres Unverständnisses, dass wir den Gebrauch unserer Wörter nicht übersehen.“ (Ludwig Wittgenstein)

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II. … und doch lässt der BGH die (§) 9 (ARegV) trotz chaotischen Gesetzgebungsverfahrens gerade sein! Die Regelung zum generellen sektoralen Produktivitätsfaktor (Xgen) in § 9 ARegV stand mithin unter keinem guten Stern. Im Juni 2011 erreichte das Trauerspiel nur seinen vorläufigen Höhepunkt, als der BGH die Unwirksamkeit der Norm wegen des Fehlens einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Sinne des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG feststellte.12 Zwar hat der BGH inzwischen die gesetzgeberischen Reparaturarbeiten gebilligt13, die Entscheidungen vermögen indes nicht zu überzeugen. Bereits das legislative Reparaturverfahren im Nachgang zu den Entscheidungen vom Juni 2011 verlief verwirrend. Nachdem eine inhaltliche Änderung an dem Entwurf des § 9 Abs. 1 ARegV14 zu erwarten war, erklärte der Wirtschaftsausschuss am 30. November 2011, bei der vermeintlichen Änderung handele es sich um die Korrektur eines Versehens. Durch eine „redaktionelle Korrektur“ wurde der ursprüngliche Wortlaut kurzerhand wiederhergestellt.15 Damit aber nicht genug: Mit einigem Erstaunen ließ sich im Bundesgesetzblatt (BGBl.) Nr. 71 vom 29. Dezember 2011 nämlich der Wortlaut des ursprünglichen Entwurfs nachlesen. Ob der durch den Wirtschaftsausschuss mühsam im Wege der Korrektur hinzugefügte Normbestandteil schon vor der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten verloren ging oder erst auf dem Weg in das Bundesgesetzblatt abhanden kam, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass der beschlossene und der im Bundesgesetzblatt verkündete Wortlaut divergieren. Verfassungsrechtlich sollte man daher eigentlich davon ausgehen, dass die Vorschrift einmal mehr unwirksam ist: Der beschlossenen Fassung fehlte es an der Verkündung (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG), der verkündeten Version am ordnungsgemäßen Gesetzesbeschluss (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG). Mit Verwunderung nahm man im BGBl. Nr. 6 vom 8. 2. 2012 auf S. 131 erneut eine knappe Berichtigung zur Kenntnis, die zu dem vom Wirtschaftsausschuss korrigierten Wortlaut führte, indem die Worte „vom gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt“ hinzugefügt wurden. Diesem verfassungsrechtlich bedenklichen Vorgehen erteilt der BGH nun seinen Segen: „§ 9 Abs. 2 ARegV ist nicht bereits deswegen rechtswidrig, weil § 9 Abs. 1 ARegV nicht in der vom parlamentarischen Gesetzgeber beschlossenen Fassung […] verkündet worden ist, indem nach den Wörtern ,aus der Abweichung des netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts‘die Wörter ,vom gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt‘ fehlen. Hierbei handelt es sich um ein offensichtliches Redaktionsversehen, das bereits im Re-

12

BGH, Beschluss v. 28. 6. 2011 – EnVR 34/10 und EnVR 48/10. BGH, Beschluss v. 31. 1. 2012 – EnVR 10/10, EnVR 16/10, EnVR 31/10 und EnVR 58/09. 14 BT-Drs. 17/7632. 15 BT-Drs. 17/7984. 13

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gierungsentwurf […] enthalten war und im Wege der Berichtigung behoben werden kann […].“16

Zwar ist eine Berichtigung nach § 61 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) möglich. Die Berichtigungsmöglichkeit, die – wie sich aus § 61 Abs. 3 GGO ergibt – auch nach Verkündung im BGBl. erhalten bleibt, besteht für „Druckfehler und andere offenbare Unrichtigkeiten“ (§ 61 Abs. 1 GGO). Ein „Druckfehler“ liegt aber nur im Fall eines technischen oder menschlichen Fehlers im Druckvorgang selbst vor. Auch eine „offenbare Unrichtigkeit“ besteht nicht. „Offenbar“ unrichtig kann etwas nur dann sein, wenn sich der Fehler aus sich selbst heraus aufdrängt. Sobald weitere Erkenntnisquellen hinzugezogen werden müssen, ist der Fehler nicht mehr offenbar. Der BGH widerspricht sich somit selbst, wenn er den Regierungsentwurf heranzieht, um zu dem Ergebnis zu kommen, es liege ein „offensichtliches Redaktionsversehen“ vor. Dadurch dokumentiert er gerade, dass der Fehler ganz so offenbar nicht sein kann. Diese Wertung entspricht auch den im Prozessrecht geltenden Standards. Gemäß § 319 Abs. 1 ZPO werden „Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen […] jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen […]“ berichtigt. Ist eine bloße Berichtigung wegen der Schwere des Fehlers nicht möglich, verbleibt dagegen nur die Urteilsergänzung gemäß § 321 Abs. 1 ZPO, die auch eine erneute mündliche Verhandlung nach § 321 Abs. 3 ZPO erfordert. In diesem Fall ist mit der mündlichen Verhandlung ein wesentlicher Verfahrensteil (§ 128 Abs. 1 ZPO) nachzuholen, auch wenn dieser sich auf den Fehler zu beschränken hat (§ 321 Abs. 4 ZPO). Ebenso wäre hier eine erneute Ausfertigung bzw. eine Neuverkündung der Norm – abhängig von der Verortung des Fehlers im jeweiligen Verfahrensabschnitt – erforderlich gewesen. Die Entscheidung des BGH übersieht auch die Grenze zwischen Auslegung und Berichtigung, wenn der BGH (zirkulär) erklärt, aufgrund seiner Erwägungen zur Zulässigkeit der Berichtigung sei „§ 9 Abs. 1 ARegV in diesem Sinne auszulegen.“17 Die Auslegung schafft nämlich nicht den berichtigten Normtext, sondern ermittelt erst die Bedeutung und Reichweite eines feststehenden Textes. Dem widerspricht es nicht, wenn im Rahmen der genetischen Auslegung die Reichweite der normativen Anordnung vor dem Hintergrund der parlamentarischen Materialien ermittelt wird, denn diese Auslegungsmethode geht gerade von einem feststehenden Normtext aus. Dieser lässt sich aber – anders als der BGH meint – nicht durch Auslegung ermitteln, sondern lediglich seine Bedeutung.

16 17

BGH, Beschluss v. 31. 1. 2012 – EnVR 10/10, Rdnr. 12. BGH, Beschluss v. 31. 1. 2012 – EnVR 16/10, Rdnr. 19.

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C. Fazit Rechtliche und regulatorische Probleme vermag nicht zu lösen, wer nicht erkennt, durch welche Fehlanwendungen und Unterlassungen von Sprache sie entstehen und konditioniert werden. Dies gilt umso mehr für die vorgelagerten verfassungsrechtlichen Verfahrenskategorien. Hoch leben die Standards, die vielschichtigen Maßstäbe, welche die Erkenntnis erst ermöglichen, und hoch lebe Eibe Riedel, der uns so viele damit zusammenhängende Erkenntnisse stets erfrischend neugierig und offen für die Phänomene dieser Welt – einschließlich ihrer „nitty-gritties“ – vermittelt hat!

John Lockes Second Treatise of Government als Prolegomenon des internationalen Menschenrechtsschutzes? Von Martin Will

A. Einleitung: Locke und Völkerrecht? Ein Jurastudium in Marburg eröffnete in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts die erstaunliche Möglichkeit, ein klassisches englisches Studium, wie es der Jubilar auf dem Weg nicht nur zum LL.B., sondern auch zum AKC am King’s College, London absolviert hatte, „in der Nussschale“ des Staats- und Völkerrechts nachzuvollziehen. Statt allzu kleinteiliger Arbeiten am Normtext1 eröffnete sich ein Panoptikum normativer Referenzen, das Fenster in geisteswissenschaftliche Weiten öffnete. Da wurden anhand des Staats- oder Völkerrechts archimedische Punkte gesucht, gefunden, und dann nicht selten als vermeintlicher Fixpunkt bzw. Mevekojojjuc_a2 entlarvt, mutig hermeneutische Zirkel beschritten, bis einzelnen Hörern gar schwindelig wurde, und manche Gewissheit ebenso schnell etabliert wie zertrümmert. Über der staunenden Hörerschaft schwebte der Jubilar und ließ – das Konzert der Studierenden behutsam dirigierend – jene Welten entstehen. Trotz stupender Offenheit gegenüber Denkschulen und geistesgeschichtlichen Traditionen war dabei doch stets erkennbar, wo er studiert hatte. Es war die Verankerung in der geistesgeschichtlichen Tradition der Vordenker der britischen Aufklärung wie John Locke und David Hume, die vor vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten behaupteter Materialismen schaudern ließ und die Überlegenheit eines liberalen Diskurses nahelegte, in dem sich – für den Juristen unmittelbar einsichtig – jede These im Streit der Meinungen zu beweisen hatte. Dieses stetige Ringen, der unbekannten Weite des Unbewiesenen und Unbeweisbaren ein Stück begehbares Land abzugewinnen, mag auch zum besonderen Interesse des Jubilars für das Völkerrecht und hier speziell zu seinem Engagement für den internationalen Menschenrechtsschutz beigetragen haben.3 Die Ausrichtung an einem Staatsphilosophen wie

1

„Hölzchen und Stöckchen“. Nephelokokkygia/„Wolkenkuckucksheim“. 3 In der Wissenschaft bereits grundlegend durch seine 1986 publizierte Habilitationsschrift „Theorie der Menschenrechtsstandards“ und in der Praxis maßgeblich durch seine langjährige Mitgliedschaft im UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Genf, . 2

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John Locke hingegen mag hierzu nicht viel beigetragen haben, könnte man vermuten, aber ist vielleicht auch diese Vermutung eine letztlich zu falsifizierende Hypothese? Als einer der bedeutendsten politischen Denker und Staatsphilosophen befasste sich John Locke (1632 – 1704) nicht nur mit den Bedingungen politischer Freiheit und religiösen Friedens, sondern namentlich im „Essay Concerning Human Understanding“, der seinen zeitgenössischen Ruhm begründete4, grundlegend mit der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis. Für Juristen und Staatswissenschaftler gilt er heute insbesondere als Begründer einer Theorie des liberalen Verfassungsstaates5, der durch einen Vertrag grundsätzlich freier Bürger entsteht, auf den Schutz ihrer fundamentalen Grundrechte zentriert ist und dazu zumindest partiell separierte Gewalten aufweist. Vor allem sein im Dezember 1689, im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Glorious Revolution in England von 1688/89 anonym publizierter, „an Essay concerning The True Original, Extent, and End of Civil-Government“6 überschriebener Second Treatise of Government7 hat – neben seiner fundamentalen Bedeutung für die Staatsphilosophie – bis heute ungebrochenen Einfluss auf eine Fülle spezieller Rechtsgebiete.8 So ist Locke nicht nur ein Klassiker des Staats- und Verfassungsrechts, sondern werden in Literatur und Rechtsprechung etwa seine Ausführungen zum Eigentum9 heute u. a. bei urheberrechtlichen10, arbeitsrechtlichen11 und steuerrechtlichen12 Fragestellungen und seine Aussagen zur Elternschaft gar bei familienrechtlichen Problemen herangezogen13. 4 Laslett, Introduction, in: Laslett (Hrsg.), Locke, Two Treatises of Government – Student Edition, 1988, 37 f. 5 Euchner, Einleitung, in: John Locke – Zwei Abhandlungen über die Regierung, 1977, 43 spricht insofern von einem undifferenzierten, aber im wesentlichen zutreffenden „LehrbuchKlischee“. 6 In deutsch meist mit „Über den wahren Ursprung, die Reichweite und den Zweck der staatlichen Regierung“ wiedergegeben. 7 Zweite Abhandlung über die Regierung. 8 Den Publikationsgewohnheiten der damaligen Zeit entsprechend ist als Erscheinungsjahr der Treatises 1690 angegeben. Zu der schwierigen Editionsgeschichte der Treatises, bis posthum mit der vierten Auflage, 1713, eine Ausgabe erschien, die Lockes eigenen Ansprüchen annähernd gerecht geworden wäre: Laslett, Introduction, in: Laslett (Hrsg.) (Fn. 4), 7 ff.; dass die Two Treatises ähnlich wie der Toleranzbrief und anders etwa als der fast zeitgleich publizierte Essay Concerning Human Understanding zunächst anonym erschienen, war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Herrschaft des durch die Glorious Revolution zur Macht gekommenen Wilhelm III., die Locke durch die Publikation der im Wesentlichen bereits früher entstandenen Treatises zu legitimieren suchte, zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesichert war. Im Falle einer neuerlichen Restauration der Stuart-Herrschaft hätte Locke mit erheblichen Repressalien rechnen müssen; vgl. auch Euchner (Fn. 5), 9. 9 Locke, Treatises, II., §§ 25 ff. 10 Vgl. nur Götting, Der Begriff des Geistigen Eigentums, GRUR 2006, 353 (354); Ann, Die idealistische Wurzel des Schutzes geistiger Leistungen, GRUR Int. 2004, 597. 11 Vgl. LAG Niedersachsen, Urt. v. 20.10.1989 – 3 Sa 1610/88. 12 Kleensang, Strukturprinzipien des Erbrechts – historisch betrachtet, MittBayNot 2007, 471 (474).

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Vor allem aber dürfte es keinen zweiten Staatsdenker geben, dessen Thesen in gleicher Weise nicht nur wichtige nachfolgende Staatsphilosophen wie Montesquieu, Voltaire und Rousseau beeinflusst, sondern unmittelbar Niederschlag in einflussreichen Verfassungsdokumenten gefunden haben. So scheint nicht nur in nordamerikanischen Menschenrechtskatalogen wie der am 12. Juni 1776 verabschiedeten Virginia Bill of Rights, als ältester umfassender Menschenrechtserklärung, sowie den berühmten Passagen aus der Präambel und dem ersten Abschnitt der am 4. Juli 1776 proklamierten amerikanischen Unabhängigkeitserklärung über die unveräußerlichen Rechte der Menschen unverkennbar Lockes Feder durch, sondern wären ohne diese die Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787 mitsamt der zwei Jahre später nachfolgenden Bill of Rights ebenso undenkbar gewesen wie die Allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Revolutionszeit (1789) und die französische Revolutionsverfassung „des Jahres I“ von 1793.14 Darf Locke damit in keinem übergreifenden Werk bspw. der Allgemeinen Staatslehre und Staatsphilosophie fehlen, hält ihn die völkerrechtliche Literatur hingegen kaum einer gesonderten Erwähnung für würdig.15 Er gilt weder als Klassiker des Völkerrechtsdenkens16, noch findet man den berühmten Namen im umfassenden Register einer führenden aktuellen Völkerrechtsgeschichte.17 Dieser Befund lässt sich zunächst leicht damit erklären, dass Locke trotz eines nicht eben schmalen Oeuvres kein Werk über das Völkerrecht als solches hinterlassen hat. In einer Ära schreibend, in der über die noch auf Einzelprobleme des Völkerrechts zentrierten Werke wie etwa die fulminante Relectio „De Indis“ eines Francisco de Vitoria (1483 – 1546)18 hinausgehend eine systematische Erfassung des Völkerrechts als eigenständiges Rechtsgebiet namentlich durch das 1625 erschienene Hauptwerk „De iure belli ac pacis“ des Niederländers Hugo Grotius (1583 – 1645) bereits weit vorangetrieben war, wäre wohl eine kondensierte Stellungnahme zum Völkerrecht als solchem oder doch zumindest zu dessen Geltungsgrund erforderlich gewesen, um überhaupt noch als Vordenker jenes Rechtsgebiets wahrgenommen zu werden. Doch rechtfertigt dies tat13

Salgo, Die Stellung des Vaters bei der Adoption seines nichtehelichen Kindes durch die Mutter und deren Ehemann, NJW 1995, 2129 (2131). 14 Zu der nie in Kraft getretenen französischen Verfassung des Jahres I etwa Frotscher/ Pieroth, Verfassungsgeschichte, 11. Aufl., 2012, Rdnrn. 76 ff. 15 So erwähnt selbst Spezialliteratur wie Midgley, The Natural Law Tradition and the Theory of International Relations, 1975, Locke lediglich am Rande und nicht als Schöpfer eines eigenständigen theoretischen Beitrags zum Recht der internationalen Beziehungen. 16 Lockes Name fehlt meist in den üblichen Überblicken über die Völkerrechtsgeschichte in Völkerrechtslehrbüchern; vgl. etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, §§ 14 ff.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, 1. Abschn., Rdnrn. 99 ff. (S. 65 ff.); Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2007, § 2 Rdnrn. 9 ff.; Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 9. Aufl., 2008, 36 ff.; Herdegen, Völkerrecht, 10. Aufl., 2011, § 2 Rdnrn. 5 ff.; von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rdnrn. 20 ff. 17 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl., 2007, 257 ff. 18 de Vitoria, De Indis/Über die Indianer, in: Horst/Justenhoven/Stüben, Francisco de Vitoria – Vorlesungen II (Relectiones), 1997, 370 ff.

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sächlich zugleich den Schluss, dass Lockes Werk, und hier namentlich sein Second Treatise, für das Völkerrechtsdenken und speziell den internationalen Menschenrechtsschutz unergiebig gewesen wären?

B. Der internationale Naturzustand als Einfallstor des Völkerrechts in den Second Treatise Die Lektüre des Second Treatise lässt Lockes Vernachlässigung als Völkerrechtsdenker zunächst als nachvollziehbar erscheinen. Tatsächlich schreibt Locke hier nicht über das Völkerrecht als solches. Schon den Begriff des Völkerrechts (ius gentium) sucht man vergeblich. Vor dem Hintergrund von Lockes klassischer Bildung als Absolvent der Westminster School und des Christ Church College in Oxford, seinem quasi enzyklopädischen Interesse an den neuesten Entwicklungen in praktisch allen wesentlichen Wissenschaften, den vielfältigen internationalen Bezügen seiner Vita und den zahlreichen Werken zu internationalen Angelegenheiten, die sich in seiner ansehnlichen Bibliothek befanden, kann es sich bei diesem Versäumnis kaum um ein Versehen gehandelt haben.19 Hätte dieser Staatsphilosoph im Kern Aussagen über das Völkerrecht als solches und dessen Geltungsgrund treffen wollen, dann hätte er es in Anknüpfung an die bereits zur Verfügung stehende Literatur beim Namen genannt. Doch rechtfertigt die terminologische Auslassung andererseits nicht etwa den Schluss, dass sich Locke im Second Treatise nicht mit internationalen Angelegenheiten und dem Völkerrecht befasst hätte. Dies indiziert etwa bereits die bekannte Besonderheit seiner Gewaltenlehre im 12. und 13. Kapitel des Second Treatise, die neben Legislative und Exekutive eine föderative Gewalt kennt, welche die Gewalt über die zwischenstaatlichen Beziehungen, d. h. konkret z. B. über Krieg und Frieden, Bündnisse und sonstige Abmachungen mit allen Personen und Gemeinschaften außerhalb des Staates, umfasst.20 Letztlich ist es bei näherem Hinsehen aber geradezu frappierend, dass bereits an viel früherer Stelle, nämlich im zweiten Kapitel des Second Treatise über den Naturzustand, deutlich wird, dass es Locke im Kern seiner Abhandlung zwar um die Stellung des Individuums im Staat ging, er dabei aber sehr wohl über die Grenzen des einzelnen Staates hinaus dachte.21 Sein Postulat vorstaatlicher Freiheitspositionen beruht argumentativ auf der Prämisse eines von ihm als empirische Realität gedachten ursprünglichen Naturzustands, den er als Zustand vollkommener Freiheit der Menschen charakterisiert, innerhalb der Grenzen des Gesetzes der Natur ihre Handlungen zu regeln und über 19

Zu Lockes Vita etwa Cranston, John Locke – A Biography, 1957; Laslett, Introduction, in: Laslett (Hrsg.) (Fn. 4), 16 ff.; zu den internationalen Bezügen sehr kondensiert: Tuck, The Rights of War and Peace, 2001, 167 f. 20 Locke, Treatises, II., §§ 145 ff. 21 Locke, Treatises, II., §§ 4 ff.

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ihren Besitz und ihre Persönlichkeit so zu verfügen, wie es ihnen am besten scheint, ohne dabei jemanden um Erlaubnis zu bitten oder vom Willen eines anderen abhängig zu sein.22 Damit sieht sich seine Argumentationskette aber dem naheliegenden Einwand ausgesetzt, dass es einen solchen Naturzustand niemals gegeben habe. Diesen empirischen Einwand will Locke indes mit dem Argument widerlegen, dass sich alle Fürsten und Herrscher von unabhängigen Regierungen auf der ganzen Welt in einem Naturzustand befänden, so dass es wohl einleuchtend sei, dass die Welt niemals ohne eine große Anzahl von Menschen in einem solchen Zustand war oder jemals sein werde.23 An diesem Argument ist nicht nur bemerkenswert, dass die von Locke empirisch gedachte Realität der Beziehungen der Fürsten und Herrscher untereinander als quasi soziologisches Exempel für die tatsächliche Existenz eines Naturzustands herangezogen wird. Vielmehr mag besonders überraschen, dass es auf die Fürsten und Herrscher und nicht auf die von ihnen regierten Gemeinwesen zentriert ist. Bedenkt man, dass Locke an anderer Stelle des Second Treatise durchaus auf die Gemeinschaft (commonwealth) im Sinne eines Staates abstellt, die gegenüber allen anderen Staaten oder Personen, die dieser Gemeinschaft nicht angehören, ein einziger Körper im Naturzustand sei24, kann dies aus Sicht des heutigen Verfassungs- und Völkerrechtshistorikers zunächst als Manifestation des Ende des 17. Jahrhunderts noch nicht völlig abgeschlossenen Prozesses der Staatenbildung angesehen werden, der erst allmählich den Blick vom Herrscher auf das beherrschte Gemeinwesen als Bezugspunkt völkerrechtlicher Beziehungen lenkte. Für Locke selbst bot die in seiner Ära noch durchaus naheliegende Anknüpfung an die Fürsten und Herrscher als Akteure der internationalen Ebene indes wohl primär die Möglichkeit einer potentiell überzeugenderen Argumentation: Es geht ihm darum, das Postulat eines Naturzustands zwischen Menschen empirisch zu belegen. Besteht dieser Naturzustand, wie er darlegt, aber für jeden unmittelbar erfahrbar zwischen Fürsten und Herrschern, die trotz ihrer hervorgehobenen Position eindeutig Menschen sind, dann verspricht dieses Argument höhere Überzeugungskraft, als wenn er auf die abstrakten Gemeinwesen als solche abgestellt hätte. Festgehalten werden kann hier, dass Locke im Rahmen dieses Arguments bereits an sehr früher Stelle des Second Treatise den Naturzustand im internationalen Bereich heranzieht. Welche Rolle spielt dabei aber das Völkerrecht?

22

Locke, Treatises, II., § 4. Locke, Treatises, II., § 14. 24 Locke, Treatises, II., § 145. 23

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C. Vom Wesen des internationalen Naturzustands im Second Treatise – Völkerrecht als Ausweg aus dem status naturae? Locke belässt es nicht bei einem pauschalen Verweis auf die Existenz eines Naturzustands zwischen den Fürsten und Herrschern unabhängiger Regierungen. Täte er dies, sähe er sich nämlich dem Einwand ausgesetzt, dass doch eben jene Fürsten und Herrscher, wie dem gebildeten Zeitgenossen bekannt war, vielfältige Verträge und Abkommen untereinander abzuschließen pflegten. Kann dann aber noch von einem Naturzustand die Rede sein, dessen Existenz doch aber zu beweisen ist? Diesem Argument will Locke den Boden entziehen, indem er feststellt, dass ein Bündnis eines Fürsten oder Herrschers mit einem anderen noch nicht aus dem Naturzustand hinausführe. Nicht jeder Vertrag beende nämlich den Naturzustand unter den Menschen, sondern nur jener, in dem sie gegenseitig übereinkämen, eine Gemeinschaft einzugehen und einen politischen Körper zu bilden.25 Die Menschen könnten sich untereinander andere Versprechen geben oder andere Verträge abschließen und dennoch im Naturzustand verbleiben. Damit hat aber, ohne dass es als solches benannt würde, das Völkerrecht über das Tor des internationalen Naturzustands, der wiederum als Argument für die Existenz eines Naturzustands auch im individuellen Bereich dient, Eingang in den Second Treatise gefunden.26 En passant wird akzeptiert, dass es im Naturzustand, in dem sich Fürsten und Herrscher unabhängiger Regierungen befinden, Bündnisse und andere Verträge geben kann, welche diese binden. Dass Locke diese in seiner Epoche bereits weithin praktizierte Rechtsquelle des Völkerrechts aber als nicht hinreichend für den Ausgang aus dem Naturzustand ansieht, lässt zugleich Rückschlüsse auf das Wesen des internationalen Naturzustands im Second Treatise zu. Schon die Anerkennung von Vertragsrecht im internationalen Naturzustand macht deutlich, dass es sich bei diesem keinesfalls um einen Zustand rechtloser Anarchie handelt. Dies impliziert aber zugleich, dass das existente positive Völkerrecht als solches keinen Ausweg aus dem Naturzustand weist. Eine Überwindung desselben ist vielmehr – wie Lockes Analogie zum individuellen Naturzustand belegt – nur denkbar, wenn die Individuen übereinkommen, eine Gemeinschaft einzugehen und einen politischen Körper zu bilden. Dass Locke nun eine derartige Überwindung des internationalen Naturzustands durch Bildung eines politischen Körpers auf universaler Ebene für zumindest unrealistisch, wenn nicht unmöglich hält, macht seine Bemerkung deutlich, dass der Naturzustand zwischen Fürsten und Herrschern unabhängiger Regierungen nicht nur belege, dass die Welt niemals ohne eine große Anzahl von Menschen in einem solchen Zustand gewesen sei, sondern auch jemals sein 25

Locke, Treatises, II., §§ 14, 15. Siehe auch das konkrete Exempel zwischenstaatlicher Verträge zu Ansprüchen auf Land, das im Besitz eines anderen war, in: Locke, Treatises, II., § 45; dazu auch Ward, Locke on the Moral Basis of International Law, American Journal of Political Science, Vol. 50, No. 3 (Jul. 2006), 691 (699). 26

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werde27. Und tatsächlich ist diese These trotz aller tatsächlichen und behaupteten Konstitutionalisierungsprozesse im Völkerrecht jedenfalls bis zum heutigen Tage nicht falsifiziert worden.

D. Die naturrechtliche Dimension des Völkerrechts im Second Treatise: Konzeption und Grundprinzipien Die rechtliche Dimension des internationalen Naturzustands erschöpft sich für Locke indes nicht in der empirisch nachweisbaren Dimension des Völkervertragsrechts. Wohl maßgeblich beeinflusst durch Thomas Hobbes (1588 – 1679)28 und möglicherweise auch Samuel Pufendorf (1632 – 1694)29, auf die er allerdings nicht ausdrücklich Bezug nimmt, geht Locke vielmehr davon aus, dass nicht nur im Naturzustand der Individuen, sondern auch im internationalen Naturzustand das durch Vernunft erkennbare natürliche Gesetz gelte.30 Das natürliche Gesetz ist für Locke die eigentliche grundlegende Quelle des Völkerrechts.31 Im Second Treatise finden sich allerdings keine grundsätzlichen Ausführungen über den Geltungsgrund und das Wesen des Naturrechts. Dies mag zum einen darauf zurückzuführen sein, dass der Second Treatise keine Abhandlung über das Recht und schon gar keine Abhandlung über das Völkerrecht als solches ist, dem Recht vielmehr eine eher dienende, wenn auch essentielle Funktion zur Erklärung des Wesens des Staates (bzw. der oft synonym verwendeten Regierung) und der Stellung des Individuums in diesem zukommt. Vor allem aber wären mit jeder näheren Erklärung eines durch die Vernunft unmittelbar erkennbaren Naturrechts wohl die inhärenten Widersprüche zu 27

Locke, Treatises, II., § 14; im Ergebnis ähnlich Pangle/Ahrensdorf, Justice Among Nations – On the Moral Basis of Power and Peace, 1999, 154: „Given, as Locke immediately stresses, that nations remain forever in the state of nature […]“ sowie Cox, Locke on War and Peace, 1960, 138 f.; Ward, John Locke and Modern Life, 2010, 268; ders. (Fn. 26), 691 (693). 28 Hobbes’ Einfluss auf Locke und die Frage, inwieweit Lockes Treatises auch gegen Hobbes gerichtet sind, bildet seit langem einen Schwerpunkt der Locke-Forschung. Vgl. dazu etwa Laslett, Introduction, in: Laslett (Hrsg.) (Fn. 4), 67 ff.; zu berücksichtigen ist, dass der heute in einschlägigen Diskussionen allgegenwärtige Hobbes um 1690 im öffentlichen Bewusstsein eine wesentlich geringere Bedeutung besaß als der heute weitgehend vergessene Robert Filmer, gegen den sich v. a. Lockes First Treatise richtete. 29 Für einen maßgeblichen Einfluss der Pufendorfschen Werke „De Iure Naturae et Gentium Libri Octo“ von 1672 und „De Officio Hominis et Civis“ von 1673, die Locke nach langer Suche 1681 endlich erwerben konnte, auf den Second Treatise: Tuck (Fn. 19), 167 ff.; danach sei Lockes Argumentation im Second Treatise geradezu aus einer Kritik an Pufendorfs Thesen entstanden. 30 Dies scheint an zahlreichen Stellen im Speziellen auf, wird aber grundsätzlich bspw. in der Formulierung in: Locke, Treatises, II., § 195 deutlich, nach der er nicht darüber streiten wolle, ob die Fürsten von den Gesetzen ihres Landes ausgenommen seien, er sich aber ganz sicher sei, dass sie den Gesetzen Gottes und der Natur Unterwerfung schuldeten. 31 Vgl. auch Ward (Fn. 27), 279 f.

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Lockes fast zur selben Zeit publiziertem „Essay Concerning Human Understanding“ zu Tage getreten, dessen Grundannahmen einem vernunftmäßig unmittelbar erkennbaren Naturrecht entgegenstehen mussten.32 Letztlich behauptet Locke die Existenz eines natürlichen Gesetzes ebenso apodiktisch wie dann bestimmte wesentliche Rechtspositionen aus diesem abgeleitet werden.33 Lediglich mittelbar lässt sich aus den zahlreichen Bezugnahmen auf das natürliche Gesetz schließen, wie Lockes Naturrechtskonzeption, die im Laufe seiner Karriere erheblichen Entwicklungen unterworfen war, zum Zeitpunkt, in dem er den Second Treatise verfasste, geartet war.34 Dass Locke sich im Second Treatise, gerade was die internationale Dimension angeht, stärker an Hobbes’ Naturrechtskonzeption anlehnte als etwa an diejenige bspw. eines Hugo Grotius35, indiziert nicht zuletzt einer der „Lackmustests“, dem jede Naturrechtskonzeption mit ihrem Dilemma der leichten Behauptbarkeit einerseits und der schwierigen Konkretisierbarkeit und Durchsetzbarkeit in der Rechtswirklichkeit andererseits unterzogen werden kann. Es handelt sich um die Frage, welche Rechtspositionen konkret aus dem behaupteten natürlichen Gesetz abgeleitet werden. Jenseits einer spezialisierten moralischen Fundierung naturrechtlicher Positionen in der Weise, dass spezifische Verhaltensweisen bspw. im Lichte etwa des christlichen Dekalogs als unmittelbar geboten oder verboten erschienen, finden sich im Second Treatise trotz einer grundsätzlichen Ableitung des natürlichen Gesetzes von Gott eher kulturübergreifend gültige, absolut zu denkende naturrechtliche Positionen.36 Fundamental ist im internationalen Bereich die noch heute zu den Grundprinzipien des Völkerrechts zählende prinzipielle Gleichheit der Staaten als Subjekten des internationalen Naturzustands.37 Ohne dass Locke vor den manifesten Unterschieden der Staaten etwa im Hinblick auf die Zahl der Bevölkerung und die Größe des Herrschaftsgebietes und den Auswirkungen dieser Faktoren auf die interne und die exter32 Dies indizieren bspw. die erhaltenen Teile des Briefwechsels mit seinem Freund James Tyrrell, der bereits 1681 ein gegen Robert Filmer gerichtetes Werk veröffentlicht hatte (vgl. Cranston (Fn. 19), 205), zwischen Dezember 1689 und April 1690; vgl. dazu Laslett, Introduction, in: Laslett (Hrsg.) (Fn. 4), 1988, 79 f.; vgl. zum Ganzen auch Specht, John Locke, 2. Aufl., 2007, 161. 33 Hier ist exemplarisch die Passage aus Locke, Treatises, II., § 12 anzuführen, nach der es, obwohl es zu weit vom eigentlichen Ziel entferne, auf Einzelheiten des Gesetzes der Natur einzugehen, doch sicher sei, dass es ein solches gebe. Dies sei für ein vernunftbegabtes Wesen und für jemanden, der über dieses Gesetz nachgedacht habe, ebenso verständlich und klar wie die positiven Gesetze der Staaten, ja vielleicht sogar noch klarer, da die Vernunft leichter zu begreifen sei als die Einfälle und komplizierten Kunstgriffe der Menschen, die in schönen Worten doch nur widersprüchliche und versteckte Interessen verfolgten. So verhalte es sich nämlich mit einem großen Teil staatlicher Gesetze, die nur insoweit gerecht seien, als sie auf dem Gesetz der Natur beruhten, nach dem sie zu ordnen und auszulegen seien. 34 Bereits in den Jahren 1663, 1664 hatte Locke acht Essays über das Naturrecht verfasst, die allerdings erst Mitte des 20. Jh. publiziert wurden: Locke, Essays on the law of nature, edited by van Leyden, 1954. 35 Vgl. Cox (Fn. 27), 145 f. 36 Vgl. auch Cox (Fn. 27), 138. 37 Vgl. Art. 2 Nr. 1 UN-Charta.

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ne Dimension der Staatlichkeit die Augen verschlösse38, vertritt er – analog zur prinzipiellen Gleichheit der Menschen39 – doch unbeirrbar die Position, dass allen Staaten unabhängig von jenen Faktoren im Lichte des Naturrechts dieselben Rechte zustünden.40 Die zweite, damit verbundene und ebenso grundlegende Rechtsposition der Staaten, die Locke aus dem Naturrecht ableitet, ist deren Recht zur Selbstbewahrung. Ähnlich wie die Individuen im Naturzustand das grundlegende Recht der Selbstbewahrung hätten, da das Grundgesetz der Natur verlange, dass die Menschheit so weit wie möglich erhalten werde41, komme auch den Gemeinwesen, zu denen sich die Menschen zusammengeschlossen hätten, um als einheitliche, freie und unabhängige Gesellschaft erhalten zu bleiben42, in den Fährnissen des internationalen Naturzustands das naturrechtlich fundierte Recht und letztlich auch die Pflicht zu, grundsätzlich alles zu tun, was erforderlich sei, um die gebildete Gemeinschaft und damit letztlich sich selbst als Körper zu erhalten.43

E. Zur Konkretisierung des naturrechtlichen Völkerrechts am Beispiel von Kriegszustand und Eroberung Dass Locke nicht bei grundlegenden naturrechtlich fundierten Völkerrechtsprinzipien wie der Gleichheit der Staaten oder dem Recht der Selbstbewahrung stehen bleibt, machen exemplarisch seine Ausführungen zu Kriegszustand und Eroberung deutlich, die zugleich in besonderem Maße belegen, dass er „seinen Hobbes“ gelesen, aber auch überwunden hat. Die Bedeutung dieser Ausführungen im Second Treatise wird schon dadurch indiziert, dass das grundlegende Kapitel über den Kriegszustand als drittes Kapitel systematisch unmittelbar auf das fundamentale Kapitel über den Naturzustand, welches den Anfang des Second Treatise bildet, folgt.44 Inhaltlich wird im Kapitel über den Kriegszustand schnell deutlich, dass Locke keineswegs bei Hobbes stehenbleibt. Richten sich Lockes Thesen – nicht nur im First Treatise – unmittelbar gegen Robert Filmer45, der, obgleich bereits 1653 verstorben, 38

Vgl. etwa Locke, Treatises, II., § 42. Dazu grundlegend Locke, Treatises, II., §§ 4 ff. 40 Cox (Fn. 27), 148 f. 41 Locke, Treatises, II., §§ 6, 16, 128; auch in der individuellen Sphäre ist das Recht (und die Pflicht) der Selbsterhaltung für Locke das grundlegendste naturrechtliche Prinzip, das zudem für jeden unmittelbar erkennbar sei. Selbst das Eigentumsrecht leitet Locke, wie sich am klarsten aus einer Passage des First Treatise ergibt (Locke, Treatises, I., § 86) aus dem Selbsterhaltungsrecht ab; vgl. dazu Euchner (Fn. 5), 31 f. 42 Locke, Treatises, II., § 217. 43 Vgl. insbes. Locke, Treatises, II., § 149. 44 Locke, Treatises, II., §§ 16 ff. „Der Kriegszustand“. 45 Das Titelblatt der Two Treatises of Government enthielt z. B. in der klassischen Ausgabe von 1698 (vgl. das Facsimile des Titelblatts der berühmten „Christ’s copy“ bei Locke, in: Laslett (Hrsg.) (Fn. 4), 135) die Beschreibung: „Two Treatises of Government: In the Former, The False Principles and Foundation of Sir Robert Filmer, And His Followers, Are Detected 39

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doch in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts als Kronzeuge eines Gottesgnadentums der englischen Monarchie und damit einer absolutistischen Königsherrschaft galt, können sie zugleich als kaum verhehlte Kritik an Hobbes aufgefasst werden, etwa wenn Locke fordert, dass Naturzustand und Kriegszustand, so oft manche Menschen sie auch verwechselt hätten, tatsächlich klar voneinander unterschieden werden müssten.46 Im dritten Kapitel geht es – dem Hauptanliegen des Second Treatise entsprechend – unmittelbar um die Sphäre der einzelnen Menschen. Die den Second Treatise durchziehende argumentative Austauschbeziehung zwischen der individuellen Sphäre der einzelnen Menschen einerseits und der internationalen Sphäre der Staaten andererseits findet dann aber auch darin ihren Niederschlag, dass sich Locke später intensiv mit dem internationalen Kriegszustand befasst47. Dabei werden exemplarisch Rechtspositionen von Herrschern und Staaten deutlich, die Locke für naturrechtlich fundiert hält. Kriegszustand entsteht nach Locke durch den ungerechten Gebrauch von Gewalt48. In einem so hervorgerufenen Kriegszustand findet nun das grundlegende natürliche Recht des angegriffenen Staates auf Selbstbewahrung und damit in exekutiver Perspektive das Recht, alles zu tun, was nötig ist, um sich selbst zu erhalten, seine für jeden Zeitgenossen nachvollziehbare unmittelbare Anwendung. Dies impliziert ein Recht auf Selbstverteidigung, das nach Locke auch die Tötung von Menschen zu rechtfertigen vermag, da jedenfalls derjenige, der die Schuld am ungerechten Gebrauch von Gewalt trage, welcher einen anderen Menschen in den Kriegszustand versetze, sein Leben verwirkt habe.49 Über die unmittelbar defensiven Selbstverteidigungshandlungen hinaus behandelt Locke – argumentativ im Zusammenhang mit der Auflösung von Regierungen – die Konsequenzen im Falle der Eroberung.50 Dabei ist wiederum zwischen der ungerechten und der gerechten Gewaltanwendung zu unterscheiden: Die gerechte Eroberung folgt als eine Art verlängerter Selbstverteidigung aus der erlaubten Gewaltanwendung gegen einen Aggressor. Klar ist für Locke zunächst, dass ein Angreifer, der sich einem anderen gegenüber in den Kriegszustand versetzt und unrechtmäßig in die Rechte eines anderen Menschen eingreift, durch einen derartigen ungerechten Krieg kein Recht über den Besiegten zu erwerben vermag.51 Aus einem ungerechten Krieg mag zwar eine faktische Machtposition resultieren, Rechtsansprüche auf die

and Overthrown. The Latter is an Essay Concerning The True Original, Extent, and End of Civil-Government“; zur Ausrichtung der Treatises gegen Filmer etwa Cranston (Fn. 19), 208 f. 46 Locke, Treatises, II., § 19. 47 Namentlich im 16. Kapitel über die Eroberung, Locke, Treatises, II., §§ 175 ff. 48 Locke, Treatises, II., § 181. 49 Locke, Treatises, II., § 181. 50 Locke, Treatises, II., §§ 175 ff. 51 Locke, Treatises, II., § 176 insbes. am Ende.

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Unterwerfung und den Gehorsam der Besiegten folgen hieraus hingegen nicht.52 Der Eroberer, der einen gerechten Krieg führt53, erlangt hingegen absolute Macht über das Leben derer, die der gegen ihn gerichteten unrechtmäßigen Gewalt tatsächlich Unterstützung gewährt, ihr geholfen oder zugestimmt haben.54 Die Gewalt des Eroberers über die in einem gerechten Krieg Überwundenen begrenzt Locke – trotz deren prinzipieller Charakterisierung als völlig despotisch i.S.v. absolut und in Modifikation der überkommenen Lehren eines gerechten Krieges sowie in markanter Abkehr von den Lehren eines Hobbes oder eines Macchiavelli55 – auf eine differenzierte Art und Weise56: Zunächst besteht sie – wie schon impliziert – in personaler Hinsicht nur gegenüber denjenigen, die im oben beschriebenen Sinne tatsächlich an dem ungerechten Krieg beteiligt waren57. Auf einer zweiten, logisch nachrangigen Stufe sind nur bestimmte Rechtsgüter derjenigen, die am ungerechten Krieg beteiligt waren, dem Eroberer verfallen. An dieser Stelle nimmt Locke eine – wie er vorsorglich selbst einräumt58 – merkwürdige Einschränkung der absoluten Gewalt vor, die zwar zur Tötung derjenigen berechtige, die in den ungerechten Krieg verwickelt gewesen seien, nicht aber dazu, sich ihres Besitzes und Vermögens zu bemächtigen.59 Allerdings gilt zumindest eine Ausnahme von dieser Beschränkung: Der gerechte Eroberer darf sich nämlich aus den Gütern derjenigen, die ihr Leben verwirkt haben, befriedigen, soweit dies erforderlich ist, um für den erlittenen Schaden und die Lasten des Krieges Entschädigung zu erhalten.60 Schließlich ist aber auch dieses Recht auf Reparation aus den Gütern der Besiegten nicht etwa unbegrenzt. Es kann vielmehr seine grundlegende Grenze in den Rechten der Ehefrau und der Kinder des einzelnen Besiegten an dessen Vermögen finden61, die, jedenfalls was das Recht 52

Locke, Treatises, II., § 176 am Ende. Locke, Treatises, II., § 177. 54 Locke, Treatises, II., §§ 178 f. 55 Dazu prägnant: Pangle/Ahrensdorf (Fn. 27), 153 ff. 56 Vgl. auch Cox (Fn. 27), 157 ff.; Ward (Fn. 27), 270 f.; ders. (Fn. 26), 691 (694 f.). 57 Locke, Treatises, II., §§ 178 f.; in § 177 schließt Locke zuvor aus, dass der gerechte Eroberer Macht über diejenigen erlangt, die an seiner Seite gesiegt haben. Erscheint dies auf den ersten Blick selbstverständlich, ist dieser Punkt für Locke argumentativ insofern wichtig, als er im Hinblick auf die historische Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer im Jahr 1066 ausschließt, dass Wilhelm (und seine Nachfolger) durch die Eroberung Macht über die mit ihm ins Land gelangten Normannen erlangt haben kann. Damit taugt diese Eroberung aber von Anfang an nicht dazu, einen Rechtsanspruch der Nachfolger Wilhelms (einschl. Charles II. und James II.) auf absolute Herrschaft in England zu begründen. 58 Locke, Treatises, II., § 180. 59 Locke, Treatises, II., §§ 180 ff.; Locke, Treatises, II., § 180 kommt der zu erwartenden Kritik an diesem Argument, speziell dem naheliegenden a maiore ad minus-Schluss, dass das Vermögen erst recht verwirkt sein müsse, wenn schon das höchstwertige Rechtsgut des Lebens verwirkt sei, zuvor, indem er selbst ausführt, dass seine These auf den ersten Blick unzweifelhaft als seltsame Lehre erscheine, zumal sie im Widerspruch zur üblichen Praxis von Eroberern stehe. 60 Locke, Treatises, II., § 182 am Ende. 61 Locke, Treatises, II., §§ 181 ff., insbes. § 182 am Ende, § 183. 53

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der Kinder angeht, aus dem Vermögen ihres Vaters erhalten zu werden, ihrerseits naturrechtlich fundiert seien.62 Knüpft diese Begrenzung des Reparationsrechts an kollidierende, ihrerseits naturrechtlich fundierte Rechtspositionen an, ergibt sich die zweite Begrenzung, nämlich der Ausschluss des Rechtsanspruchs auf irgendwelches Land, das erobert wurde, eher aus Verhältnismäßigkeitserwägungen: Schon aus dem Grund, dass das Reparationsrecht der Wiedergutmachung für die ungerechte Gewaltanwendung diene und kultiviertes bzw. kultivierbares Land per se viel mehr wert sei als jeder Schaden, der im Krieg angerichtet worden sein könne, ergebe sich aus ihm kein Recht zur Aneignung von Land.63 Insgesamt belegen die Abschnitte über die Eroberung exemplarisch, wie Locke aus grundlegenden naturrechtlich fundierten Positionen wie dem Selbsterhaltungsrecht des Staates in empirisch belegbaren Situationen wie derjenigen der Eroberung im Wesentlichen durch logische Deduktion spezifische Rechte und Pflichten wie etwa das spezielle Reparationsrecht ableitet, die dann in der Abwägung mit kollidierenden, z. T. ihrerseits naturrechtlich fundierten Rechtspositionen, bspw. der Kinder am Vermögen des am ungerechten Krieg beteiligten Vaters, bereits sehr stark ausdifferenzierte Inhalte annehmen können. Dass es ihm mit dem Schutz der Rechte auch gegenüber dem eigentlich rechtmäßigen Eroberer sehr ernst ist, belegt u. a. Lockes Schlussfolgerung, dass der eigentlich gerechte Eroberer, der sich ungerechtfertigt am Eigentum bspw. der am Krieg nicht Beteiligten oder der Kinder Beteiligter vergreife, diesen gegenüber selbst zum ungerechten Angreifer werde, gegen den die Betroffenen dann ihrerseits das Recht zum Widerstand hätten.64

F. Ansätze internationaler Menschenrechte im Second Treatise Locke gilt als zentraler Vordenker individueller Menschenrechte, wie sie heute in den meisten Verfassungen ihre positivrechtliche Ausformung erfahren haben. Seine Grundrechtspositionen, namentlich „property“, sind indes naturrechtlich fundiert und bestehen als solche bereits im Naturzustand. Lockes Prämissen, dass die Menschen auch im Naturzustand gottgegebenen naturrechtlichen Vorgaben unterworfen gewesen seien und der Naturzustand durch einen Sozialvertrag überwunden werde, stehen unmittelbar in der Tradition Hobbes’, gehen in ihren Grundlagen aber doch viel weiter zunächst auf die mittelalterliche Scholastik, namentlich Thomas von Aquin (1225 – 1274), und damit letztlich auf Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) zurück. Locke bleibt aber – was die konkreteren Ableitungen angeht – nicht bei der scholastischen Tradition stehen. Eine der wesentlichen Entwicklungen seiner Naturrechtstheorie besteht gerade in der Anerkennung des Eigentums als Element, ja sogar Es62

Locke, Treatises, II., § 182, § 183. Locke, Treatises, II., § 184. 64 Locke, Treatises, II., § 196.

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sentialium bereits des Naturzustands. Mit dieser naturrechtlichen Fundierung des Eigentums als wesentliche Voraussetzung der menschlichen Selbsterhaltung entsteht aber ein unübersehbares Spannungsverhältnis zu den klassischen Naturzustandsund Naturrechtsauffassungen.65 Hatte seit der Antike die Ansicht dominiert, Eigentum sei kein notwendiges Element der natürlichen Ordnung, sondern beruhe vielmehr auf menschlicher Übereinkunft, ist es für Locke auch im Naturzustand eine Grundvoraussetzung menschlichen Daseins66. Indem Eigentum, also property, wobei dieser Begriff bei Locke teilweise in einem weiteren Sinne über das Eigentum an Gegenständen hinausgehend auch andere grundlegende Rechte wie das Recht auf Leben und die persönliche Bewegungsfreiheit umfassen kann67, und ggf. andere Rechte bereits im Naturzustand bestehen, ist aber die Grundlage für ein vorstaatliches, auch durch die mittels des Sozialvertrags initiierte Staatenbildung nicht verdrängbares Grundrechtsverständnis geschaffen.68 Damit stellt sich zugleich die Frage, ob Locke nicht nur als Vordenker der heute in den meisten Staaten verfassungsrechtlich verankerten Grund- und Menschenrechte, sondern auch eines internationalen Grund- und Menschenrechtsschutzes anzusehen ist. Bereits Lockes Herleitung innerstaatlicher Grundrechte könnte dafür sprechen, dass seine Grundrechtskonzeption in der Tat nicht an staatliche Grenzen gebunden, sondern vielleicht sogar notwendigerweise eine auch internationale war: Warum sollte, wenn die innerstaatlich vermittelten Grundrechte nach Locke auf vorstaatlichen, im Naturzustand existenten Rechten basieren, die durch die sozialvertragliche 65 Euchner (Fn. 5), 47 f. spricht etwas zu pointiert von einer inneren Aushöhlung der klassischen Naturrechtslehre, stellt aber zutreffend fest, dass deren Rahmen, die Existenz gottgeschaffener, natürlicher, vom Menschen erkennbarer Normen, nicht in Frage gestellt werde. 66 Euchner, Naturrecht und Politik bei John Locke, 1969, 194; ders., John Locke, in: Meier/Denzer, Klassiker des politischen Denkens, 3. Aufl., 2007, 15 (20 f.). 67 Locke, Treatises, II., § 123: „[…] And ’tis not without reason, that he seeks out, and is willing to joyn in Society with others who are already united, or have a mind to unite for the mutual Preservation of their Lives, Liberties and Estates, which I call by the general Name, Property“; vgl. auch Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl., 1978, 41; Laukötter/Siep, Grundrechte als Eigentum, in: Salzborn (Hrsg.), Der Staat des Liberalismus, 2000, 149 (151). 68 Mit ihrem Eintritt in die Gesellschaft durch Abschluss des Sozialvertrags verzichten die Menschen nach Locke, Treatises, II., § 131 auf die Gleichheit, Freiheit und exekutive Gewalt (Equality, Liberty, and Executive Power) des Naturzustands, um sie in die Hände der Gesellschaft zu legen. Dieser Verzicht betrifft, wie sich aus den §§ 123 ff. ergibt, die Freiheit, alles zu tun, was innerhalb der Grenzen des Gesetzes der Natur für die Selbsterhaltung und die Erhaltung der anderen Menschen nötig ist, sowie die Gewalt, Verbrechen zu bestrafen, die gegen jenes Gesetz begangen wurden (§§ 128 ff.). Die grundlegenden Rechte, namentlich Freiheit und Eigentum (Liberty and Property), werden hingegen als solche nicht aufgegeben, dient doch der Zusammenschluss zur Gesellschaft gerade dazu, sie – primär durch die eingesetzte Legislative – fortan möglichst effektiv zu schützen (§ 131); vgl. dazu auch Euchner (Fn. 66), 196 ff.

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Staatenbildung nicht verdrängt werden konnten, eine Staatenbildung in Staat A die vorstaatlichen Rechte bspw. der Bürger von Staat B verdrängen können? Prinzipiell muss die naturrechtlich fundierte Rechtsausstattung des nun staatlich verfassten Bürgers gegenüber jedem anderen Staat und jeder anderen Regierung Geltung beanspruchen können. Dass dieser Schluss keine theoretische Hypothese ist, sondern vielmehr von Locke selbst gezogen wurde, indizieren bereits seine Ausführungen im zweiten Kapitel des Second Treatise zur Strafgewalt der Fürsten und Staaten, nach denen die Sanktion der durch die Legislative eines Staates erlassenen Gesetze einen Fremden nicht erreichen könne.69 Die gesetzgebende Gewalt, durch die sie für die Untertanen des jeweiligen Staates in Kraft träten, habe über den Fremden keine Macht. Vielmehr könne irgendein Staat über einen Ausländer keine andere Gewalt haben, als jeder Mensch von Natur aus über den anderen besitze.70 Nun wäre noch möglich, dass insbesondere gleichfalls naturrechtlich hergeleitete Rechte der Staaten die naturrechtlich begründeten Individualrechte der Menschen verdrängen oder überlagern könnten. Dass Locke gerade einer solchen Relativierung von Grundrechten einen Riegel vorschieben möchte, zeigt jedoch seine oben herausgearbeitete Argumentation über naturrechtlich begründete Rechtspositionen im Extremzustand des Krieges und speziell in der Eroberung: Wenn das an das naturrechtliche Recht der Selbstbewahrung anknüpfende Recht der Staaten, sich infolge eines gerechten Kriegszustands zumindest partiell des Aggressorstaates bemächtigen zu können, seine Grenze in individuellen Rechtspositionen bspw. von Personen, die nicht am ungerechten Krieg mitgewirkt haben, findet und – mit der Einschränkung des seinerseits beschränkten Reparationsrechts – zudem prinzipiell das Eigentum sogar des am ungerechten Krieg Beteiligten zu schützen ist, dann lässt sich der Schluss ziehen, dass diese Rechtspositionen auch auf der zwischenstaatlichen Ebene zu respektieren sind. Selbst dort, wo der Eroberer ein Recht auf Reparationen aus dem geschützten Eigentum des Besiegten hat, soll dies seine Grenze in den Rechten insbesondere der Kinder des Besiegten finden. Mit dieser grundsätzlichen Anerkennung grundrechtlicher Positionen auch im internationalen Bereich stellt sich zugleich die Frage, ob Lockes Argumentation es möglicherweise sogar nahelegt, im internationalen Bereich von einem besonders starken Grundrechtsanspruch auszugehen. Wenn nämlich die grundlegenden Rechtspositionen des Menschen naturrechtlich bereits im Naturzustand existieren und sich der internationale Bereich nach Locke wesensmäßig durch eine Fortexistenz des Naturzustands auszeichnet, müssen dann die naturrechtlich fundierten Grundrechtspositionen der Menschen im internationalen Bereich nicht in besonders grundlegender und unverfälschter Art und Weise existieren, die möglicherweise gar den innerstaatlich existenten Grundrechtsschutz zu übertreffen vermag? Ein solcher Schluss wäre indes ebenso verlockend wie kühn. Insofern ist nämlich zunächst zu berücksichtigen, dass der internationale Naturzustand für Locke – wie 69 70

Locke, Treatises, II., § 9. Locke, Treatises, II., § 9 am Ende.

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ausgeführt – in erster Linie zwischen Fürsten und Herrschern von unabhängigen Regierungen besteht. Eine Anknüpfung an den auf der internationalen Ebene real existierenden Naturzustand müsste daher nach Lockes Konzeption unmittelbar in einer naturrechtlichen Rechtezuweisung an Fürsten, Herrscher und die von ihnen regierten Staaten enden. Diese Rechtezuweisung und deren Begrenzung scheinen bei Locke auf, wenn er naturrechtlich fundierte Rechte wie das der prinzipiellen Gleichheit und der Selbstbewahrung, die im Naturzustand wurzeln, nicht nur den Menschen, sondern auch den Fürsten, Herrschern und damit letztlich den Staaten, als Subjekten der internationalen Sphäre, zuweist. Die Menschen, die keine Fürsten und Herrscher sind, leben indes auch für Locke nur noch selten im Naturzustand. Überall, wo sich Staaten gebildet haben, und das ist für ihn in allen zivilisierten Regionen der Fall, ist der Naturzustand in den gesellschaftlichen Zustand übergegangen, in dem die vorstaatlichen naturrechtlichen Grundrechte nicht verdrängt worden sein können, aber nun innerstaatlich garantiert werden müssen.71 Grundrechtsansprüche der Menschen in internationalen Konstellationen wie derjenigen des Kriegszustands und der daraus resultierenden Eroberung ergeben sich für Locke damit letztlich aus dem Fortwirken des im Naturzustand existierenden naturrechtlichen Grundrechtszustands, nicht hingegen speziell aus dem zwischenstaatlich real existierenden Naturzustand.72

G. Lockes Second Treatise als verkanntes Prolegomenon des internationalen Menschenrechtsschutzes? Finden sich im Second Treatise also nicht nur die theoretischen Ansätze für die Begründung auch international gültiger Menschenrechte, sondern insbesondere im Zusammenhang von Kriegszustand und Eroberung auch sehr konkrete Ausprägungen derselben, stellt sich die Frage, warum Locke, was den internationalen Menschenrechtsschutz angeht, bei weitem nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die ihm als Vordenker staatlich vermittelter Grundrechte beigemessen wird. Ein wesentlicher Grund hierfür mag in der historischen Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes in Relation zum innerstaatlichen Menschenrechtsschutz und – damit verbunden – in der narrativen Dimension der Verbreitung der Menschenrechte liegen. Menschenrechtsschutz, wie wir ihn heute kennen und inzwischen nicht mehr nur als Essentialium der Verfasstheit von Staaten, sondern auch als wesentliches Element der Völkerrechtsordnung empfinden, hat sich über einen langen Zeitraum innerstaatlich entwickelt.73 Es waren Vorreiter wie die im Entstehen begriffenen Vereinigten 71

Cranston (Fn. 19), 210. Dies indiziert auch die schon angeführte Passage aus Locke, Treatises, II., § 9, die in der Feststellung gipfelt, dass irgendein Staat über einen Ausländer keine andere Gewalt haben könne, als jeder Mensch von Natur aus über den anderen besitze. 73 Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, 2009, 35 ff. 72

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Staaten, die, im Ablösungsprozess von der britischen Herrschaft an theoretische Vordenker wie namentlich John Locke und grundrechtliche Vorformen wie den englischen Habeas Corpus Amendment Act von 1679 anknüpfend, beginnend mit der Virginia Bill of Rights von 1776 die Blaupausen themenübergreifender Menschenrechtskataloge formulierten, die dann über Jahrzehnte und Jahrhunderte zunächst Verfassungsanspruch und dann Verfassungswirklichkeit von immer mehr Staaten werden sollten. Dokumente wie die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung oder die amerikanischen Menschenrechtserklärungen basierten in Geist und Wortlaut in einem Maße auf Lockes Theorien, dass dies Thomas Jefferson, als Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung, den Vorwurf des Plagiats eingebracht haben soll74. War es damit evident, Locke als Vordenker der genannten Menschenrechtsdeklarationen zu betrachten, konnte und musste er zugleich auch als Vordenker der auf diesen basierenden späteren positivrechtlichen Menschenrechtsgewährleistungen in den Verfassungen von immer mehr Staaten angesehen werden. Die Genese des internationalen Grund- und Menschenrechtsschutzes, die erst mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN-Generalversammlung vom 10. Dezember 1948 an Momentum gewann, wird demgegenüber nicht so sehr als eigenständiger Prozess, sondern vielmehr als Erweiterung des Menschenrechtsschutzes von der staatlichen Ebene auf die internationale Ebene des Völkerrechts empfunden und dargestellt75. Die Etablierung und Verbreitung des internationalen Menschenrechtsschutzes knüpft nach der herrschenden Sichtweise an die innerstaatliche Kodifizierung von Menschenrechten an, welche quasi in einem weiteren Schritt auf die internationale Ebene gehoben worden seien. Da dieser Prozess aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg an Fahrt gewann und eben die innerstaatlichen Gewährleistungen als Vorbild erschienen, wurde Locke insofern nicht nur nicht mehr als Initiator empfunden, sondern im Grunde überhaupt nicht mehr als Vordenker auch des internationalen Menschenrechtsschutzes in Betracht gezogen. Dass dieses Bild korrigiert werden muss, indiziert bereits die Tatsache, dass Lockes grundlegende Thesen über die Rechte der Menschen – obwohl seine auf das besitzende Bürgertum zugeschnittenen Theorien aus der Perspektive des 20. und 21. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht als überholt angesehen werden müssen76 – in wesentlichen internationalen Menschenrechtsinstrumenten kaum weniger Niederschlag gefunden haben als in den genannten Verfassungstexten etwa der Vereinigten Staaten. So spiegelt die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrech74

Specht (Fn. 32), 167. So spricht etwa Wolgast (Fn. 73), 214 davon, dass Menschenrechte und Grundfreiheiten mit der Internationalisierung und Universalisierung aus ihrer bisherigen innerstaatlichen Kodifizierung „herausgelöst und in einen staatenübergreifenden Kontext überführt“ worden seien. 76 So konnten Lockes Zentrierung auf das besitzende Bürgertum und seine auf dieses begrenzten Demokratievorstellungen den Freiheits- und Gleichheitskonzepten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in dem sich der internationale Grund- und Menschenrechtsschutz entfaltete, nicht mehr gerecht werden; vgl. dazu etwa Euchner (Fn. 5), 58 f. 75

John Locke und der internationale Menschenrechtsschutz

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te der UN-Generalversammlung vom 10. Dezember 1948 mit Bezugnahmen auf die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen als Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt Grundgedanken des Second Treatise ebenso wider wie die Präambeln und Texte zahlreicher späterer internationaler Menschenrechtsverträge, namentlich des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966. Hinzu kommt, dass der internationale Menschenrechtsschutz historisch-genetisch zwar in der Tat an die innerstaatlichen Menschenrechte anknüpft, dass er aber doch eine eigene Entwicklungsgeschichte hat, die in ihrem Prozess normativer Verfestigung aus qualitativer Perspektive gleichsam parallel neben dem Prozess der Etablierung staatlich verbürgter Menschenrechte steht. Ähnlich wie am Anfang des innerstaatlichen Menschenrechtsschutzes an naturrechtliche Postulate anknüpfende appellative Grundrechtsdeklarationen wie diejenige in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung standen, die erst nach und nach über andere Rechtsquellen, namentlich nationale (Verfassungs-)Gesetze, zu allgemein anerkannten Rechtssätzen aushärten mussten, standen auch am Anfang des modernen internationalen Menschenrechtsschutzes appellative Erklärungen wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die als Deklaration der UN-Generalversammlung keine unmittelbare Verbindlichkeit beanspruchen konnte. Erst durch die „Aushärtung“ der dort formulierten, an naturrechtliche Postulate anknüpfenden Grund- und Menschenrechte in den Rechtsquellenformen des Völkerrechts, speziell den zahlreichen internationalen Grund- und Menschenrechtsverträgen, erlangten diese Postulate dann unbestrittene Rechtsqualität. Es wäre also eine Verkürzung, den internationalen Menschenrechtsschutz allein als Transponierung innerstaatlicher Grundrechte auf die internationale Ebene anzusehen. Es handelt sich vielmehr um einen qualitativ durchaus eigenständigen Prozess, der seinerseits von feierlichen Deklarationen naturrechtlicher Postulate ausging und im Laufe mehrerer Jahrzehnte zu einem immer größeren Bestand an rechtsförmigen internationalen Grund- und Menschenrechten geführt hat. Damit kann der internationale Menschenrechtsschutz aber qualitativ letztlich in ähnlicher Weise wie der innerstaatliche Menschenrechtsschutz auf Lockes Theorie grundlegender, vorstaatlicher Grund- und Menschenrechte zurückgeführt werden.

H. Fazit: Johne Locke als Vordenker auch des internationalen Grund- und Menschenrechtsschutzes John Locke hat im Second Treatise weder über das Völkerrecht als solches noch über internationale Grund- und Menschenrechte als solche geschrieben. Vor dem spezifischen historischen Hintergrund der Bemühungen der Stuartkönige Charles II. und James II. zur Etablierung einer absoluten Monarchie in England und der „Glorious Revolution“ von 1688/89, die jenen Bestrebungen ein Ende bereiten sollte, ging

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es ihm nicht mehr wie dem noch von den Schrecken des englischen Bürgerkriegs der Mitte des 17. Jahrhunderts geprägten Thomas Hobbes um den Schutz des Einzelnen durch einen starken Staat77, sondern um die Sicherung der Rechte des Einzelnen im und gegenüber dem eigenen, potentiell übergriffigen Staat.78 Dass sich Locke bei näherem Hinsehen im Second Treatise substantiell zum Völkerrecht geäußert hat, vermag an diesem Befund nichts zu ändern. Lockes Äußerungen zum Völkerrecht haben in erster Linie eine dienende Funktion. Sie sollen seine Herleitung naturrechtlich fundierter, vorstaatlicher Grundrechte unterstützen und stärken. Mit den Bezügen des Second Treatise zum internationalen Menschenrechtsschutz verhält es sich indes ein wenig anders. Einerseits lassen sich internationale Grundund Menschenrechtspositionen – wie gezeigt – in Lockes allgemeine Konzeption eines primär naturrechtlich begründeten Völkerrechts einfügen, andererseits partizipieren sie gerade aufgrund ihrer naturrechtlichen Fundierung letztlich an dem allgemeinen, aus dem natürlichen Gesetz abgeleiteten Charakter, der auch das Fundament der innerstaatlichen Grundrechte bildet. Genau genommen sind es an der Wurzel sogar dieselben naturrechtlich fundierten Rechtspositionen. Lockes theoretische Ableitungen tragen also auch einen internationalen Grundund Menschenrechtsschutz. Nicht nur mittelbar – insofern als sich der internationale Grundrechtsschutz de facto aus dem wesentlich auf Lockes Denken zurückgehenden innerstaatlichen Grundrechtsschutz entwickelt hat –, sondern auch unmittelbar, als qualitativ eigenständiges Phänomen, lässt sich der internationale Grundrechtsschutz grundlegend auf den Second Treatise zurückführen. John Locke hat den internationalen Grund- und Menschenrechtsschutz schon aufgrund der zeitlichen Distanz sicher nicht initiiert, wie dies bei den staatlich vermittelten Grund- und Menschenrechten der Fall war, dennoch kann und muss sein Second Treatise zu den Prolegomena auch des internationalen Grund- und Menschenrechtsschutzes gerechnet werden.

77 In einer frühen, um 1660, also im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Stuartherrschaft unter Charles II. verfassten Schrift über die Stellung der Staatsgewalt in Glaubensfragen („Question. Whether the Civil Magistrate may lawfully impose and determine the use of indifferent things in reference to Religious Worship“), die allerdings zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht wurde, hatte Locke vor dem Hintergrund des überstandenen Bürgerkriegs und wohl auch beeinflusst von der royalistischen Atmosphäre, die in Oxford dominierte, noch selbst eine sehr starke Stellung von König und Staat postuliert. Vermutlich war diese Schrift stark von Hobbes beeinflusst, der aber nicht explizit genannt wird. Dazu etwa Cranston (Fn. 19), 61 ff. 78 Schon aufgrund des soeben skizzierten politischen Anliegens, das Individuum gegen Ansprüche einer absolutistischen Königsherrschaft zu schützen und ganz konkret – wie Locke, Treatises, Vorwort selbst zum Ausdruck bringt – die Herrschaft des durch die Glorious Revolution zur Macht gelangten Königs Wilhelm III. (von Oranien) zu legitimieren, geht es ihm im Second Treatise konkret um die innerstaatliche Dimension des Grundrechtsschutzes; historisch-genetisch ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass die Two Treatises wohl im Wesentlichen bereits Anfang der 1680er Jahre verfasst wurden; dazu etwa Cranston (Fn. 19), 207 f.

Rudolf Leberecht Reimer – A Forgotten German/Australian Lawyer By Greg Taylor*

A. Introduction I first became aware of the existence of Rudolf Leberecht Reimer (24 August 1819 – 7 April 1860)1 when I stumbled across the following obituary in a Germanlanguage newspaper published in Melbourne on 27 April 1860, which has fortunately preserved some of the contents of the lost issues of German-language newspapers of South Australia of the period. Mit aufrichtigem Bedauern haben wir den Tod des Hrn. Rudolf Reimer in Tanunda zu melden. Der Verschiedene war ein geistreicher und gebildeter Mann, und hatte sich in seiner Stellung als Redakteur der „Südaustralischen Zeitung“ mit Recht ungemeine Achtung erworben. In dem von ihm gegründeten Blatte lesen wir folgenden Nachruf: Am Sonnabend, den 7. April, starb in Folge einer Gehirnerweichung Herr Rudolf Reimer, Gründer und ehemaliger Redakteur der „Südaustralischen Zeitung“. Mit seltenen Geistesgaben und einem höchst umfangreichen Wissen, dessen Fülle richtig zu beurtheilen nur Wenigen unter der hiesigen Einwohnerschaft vergönnt war, verband Rudolf Reimer ein menschenfreundliches, *

This essay is based on a paper delivered at the conference “German-Australian Connections: Transnational and Transcultural Links between German-speaking Countries and Australia” held at the Barr Smith Library, University of Adelaide, 24 – 25 September 2010 and convened by Lee Kersten et al. For their assistance with the research on this paper, the author wishes to thank the archives of the Humboldt-Universität zu Berlin and Martin Meiske in particular; the archives of the University of Leipzig, and Manuela Carl in particular; Beate Behrens of the Dietrich-ReimerVerlag, Berlin; Stefanie Grunack of the Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz; Dr. Rüdiger Hitz; Marion Krause of the Brandenburgisches Landeshauptarchiv; Jens Müller of the University of Bonn; the Probate Registry in the Supreme Court of South Australia; Dr. Doris Reimer; Mark Richardson of the Old Systems Section of the Land Services Group, Department for Transport, Energy and Infrastructure, South Australia; Anne Süß of the University of Mannheim; and Dr. Lois Zweck. Useful comments on a draft were provided by Lee Kersten and Prof. Horst Lücke; the usual caveat applies. 1 The date of birth is taken from Reimer, Passion & Kalkül: Der Verleger Georg Andreas Reimer (1776 – 1842) (Walter de Gruyter, Berlin 1999), p. 157; Ziesak (transl. Barrett), Walter de Gruyter Publishers 1749 – 1999 (Walter de Gruyter, Berlin 1999), p. 33. The date of death shown in the former of those sources is confirmed by “South Australian Register”, 10 April 1860, p. 2.

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für alles Gute und Edle schlagendes Herz, und ein tief eindringendes Interesse für den geistigen und materiellen Fortschritt seiner Landsleute in Südaustralien. Unermüdlich in seiner Anregung alles dessen, wodurch deren Stellung unter ihren Mitcolonisten verbessert und gehoben werden könnte, blieb sein hellsehender Blick nicht auf die vaterländische Umgebung allein beschränkt, sondern umfaßte mit richtigem Urtheil die hiesigen Zustände in ihrer Gesammtheit. Seine gründliche Kenntniß der Landessprache setzte ihn mit Hülfe langjähriger juristischer Studien in den Stand, nicht nur vor den Deutschen als Lehrer und Erläuterer der ihnen größtentheils fremden Landesgesetze zu erscheinen, sondern auch Mängel und Widersprüche in der Gesetzgebung nachzuweisen, und insofern es einem Privatmanne möglich, mit Einsicht und Energie zu bekämpfen. So haben z. B. die Reimer’schen Aufsätze über die preußische Hypotheken-Ordnung in den englischen Zeitungen wesentlich dazu beigetragen, die Idee des von Herrn Torrens verfaßten Real Property Akts, der anerkannt wohlthätigsten Maaßregel, welche die Colonie ihrem ersten Parlamente zu verdanken hat, in dem Kopfe dieses talentvollen Staatsmannes zur Reife zu bringen. So wäre ohne Reimer’s thätige Anregung in der Umgegend von Tanunda und anderswo die für die Interessen unserer Landwirthe so wichtige Destillationsfrage nie zu einer so allgemeinen Erkenntniß ihrer Bedeutung gelangt, daß sie gewissermaßen zu einem Partheiruf in den jüngst verflossenen Wahlen erhoben wurde, und in manchen Fällen den Wendepunkt derselben bildete. Sogar in der letzten Zeit seines Lebens, trotzdem sein Körper durch langwierige Krankheit geschwächt und sein Geist die Spannungskraft verloren, so daß nur die Aussicht auf baldige Rückkehr in die Heimath seinen Muth noch aufrecht erhielt, war er noch für das Wohl der deutschen Gemeinschaft besorgt, und beabsichtigte die Anregung einer Denkschrift zur Verbesserung der Naturalisationsgesetze.2

Having, as I do, an interest in the history of the Torrens system of lands titles registration – which was embodied in South Australia’s Real Property Act of 27 January 1858 referred to in the obituary, and over the last 150 years has spread around the world3 – this naturally attracted my attention. But a broader question has also occupied my mind: who was Rudolf Reimer, and why is so little known about this once prominent and highly respected legal member of South Australia’s German community today? Despite all our efforts to promote the government of law rather than of men, personalities matter in the law – something which need scarcely be said in a Festschrift dedicated to Professor Eibe Riedel – and it is a great loss if we know nothing of a notable figure in the early legal history of any place, let alone one which produced a reform as important as the Torrens system. This is all the more so given that Reimer was one of the small tribe of early German jurists who emigrated to Australia and enriched its legal life with Continental insights. This paper is an attempt to fill this gap as far as the sources available allow. For rather more is known and can be discovered about Reimer’s father than about Rudolf Reimer himself: Rudolf Reimer left behind no children who might have perpetuated

2

“Melbourner deutsche Zeitung”, 27 April 1860, p. 205. Space does not permit here a full bibliography, and I take refuge in that wonderful German abbreviation “m.w.N.”, applying it to my own “Is the Torrens System German?” (2008) 29 Jo Leg Hist 253. 3

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his memory nor any personal papers, letters, diaries or even a will.4 His sole monuments were the newspapers he edited, most of the numbers of which have been lost, along with a book he produced to encourage emigration by Germans to South Australia.

B. Family Background5 Rudolf Leberecht Reimer’s father was Georg Andreas Reimer, originally from Greifswald, while his mother, Wilhelmine Philippine Charlotte Susanne geborene Reinhardt, was a parson’s daughter from the area around Magdeburg. Together they produced twelve sons and four daughters, of whom eight and three respectively survived to adulthood. Only one emigrated to Australia: Rudolf Leberecht, who is the subject of this paper. Georg Andreas Reimer started his long career as a book publisher early, at the age of fourteen; by 1800, not yet twenty-four, he was in charge of his own firm in Berlin. He went from publishing school textbooks to being ‘the publisher of the German Romantics’6 whose outstanding list of authors included Heinrich von Kleist, the brothers Grimm and Novalis. When he died in 1842, his eulogy was given by no less a luminary than Ernst Moritz Arndt, in whose collected works, published of course by one of Reimer’s subsidiary imprints, it is preserved.7 1842 was nevertheless an unfortunate choice of year of death, for this meant that the commemoration of the hundredth anniversary of his death fell in 1942 and was thus marked by the Nazis.8 They were admittedly not entirely destitute of material that appealed, for Reimer had taken part in the wars of liberation against Napoleon, although thirty-six years old; but it is clear that Reimer was a man of pronounced liberal convictions, so much so that, during the persecution of alleged demagogues in 1819, the very year of Rudolf Leberecht’s birth, his papers were seized and examined and he was himself ques4 That there is no will recorded in Reimer’s name was communicated to the author by Sam Dewhirst of the Probate Registry, Supreme Court of South Australia, 19 March 2010. Reimer owned no land registered under either the old system or the Torrens system, as was advised to me by Mark Richardson of the Old Systems Section of the Land Services Group, South Australian Department for Transport, Energy and Infrastructure in an e-mail dated 13 April 2010. 5 The section draws on the following resources: Johnnessohn, “Georg Andreas Reimer: ein Beitrag zur Geschichte des Berliner Buchhandels” (1929) 46 Mitt des Vereins für die Geschichte Berlins 121; Reimer, Georg Andreas Reimer: Erinnerungen aus seinem Leben, insbesondere aus der Zeit der Demagogenverfolgung (Georg Reimer, Berlin 1900); Reimer, Passion & Kalkül, pp. 7, 135 – 143, 156 f, 179; Ziesak, Walter de Gruyter, pp. 3 – 33. In the last-mentioned source, there is a portrait of Rudolf Leberecht Reimer at p. 32. 6 Ziesak, Walter de Gruyter, p. 3 (emphasis in original). 7 G. A. Reimer, in: Arndt, Schriften für und an seine lieben Deutschen, Vol. 3 (Weidmann, Leipzig 1845), pp. 333 – 344. 8 “Deutsche Allgemeine Zeitung”, 26 April 1942, in the cutting-books of the Berliner Stadtbibliothek.

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tioned by the authorities. However, charges brought against him were abandoned. There is some speculation that the Iron Cross was denied to Georg Andreas Reimer for his services in the war against Napoleon largely as a result of his activity as publisher of Arndt and Fichte. By 1828, however, Georg Andreas Reimer had so far recovered political respectability that the powers that were tolerated his election to the City Assembly of Berlin and then, in 1831 and 1837, to the higher municipal dignity of Stadtrath. In the latter office it is said that his dislike of pomp and ceremony caused the king to delay the conferral of a gold chain as a symbol of that office on the holders of it until after Reimer’s death. Thus Rudolf Leberecht Reimer, born in 1819 when his father was already well into his forties, grew up in a household that was wealthy, cultivated and politically engaged. In 1816, before Rudolf Leberecht’s birth, proof of his father’s success as a publisher was apparent to all the world with his purchase of a former palace as his residence at Wilhelmstraße 73; the same building became the residence of the Reich President of the Weimar Republic before its destruction in the Second World War. As well as publishing school textbooks and literary works, Georg Andreas Reimer’s firm was responsible for a wide variety of other works in all branches of knowledge, including law. It is easy to imagine the young Rudolf Leberecht Reimer leafing through the various publications on offer in his father’s firm as he considered his future career. His choice fell on law, and quite possibly he discussed that with his uncle, his mother’s brother, who was a Justizrath. Perhaps he was also introduced to one of his father’s friends, Karl von Kamptz, the Prussian Minister of Justice and a prolific author, whose friendship developed with his father well after the latter’s run-in with the authorities in 1819. However, as Rudolf Leberecht Reimer left behind, it would seem, no surviving letters or accounts of his life all this is necessarily speculation. It remains only to record that the Reimer publishing house, having remained in the family until 1897, was taken over by Walter de Gruyter, a firm which of course still exists, in that year. Rudolf Leberecht Reimer, having emigrated to Australia, took no further part in its affairs, and other brothers inherited various parts of the business.

C. Law Studies and Life Before Emigration Rudolf’s choice, for whatever reason, fell on the law, and on completion of his studies at the Royal Joachimstal Gymnasium9 he began his studies of it by moving to Bonn in the Prussian Rhineland. There he enrolled on 23 October 1838, aged nineteen, in law and Cameralia, which nowadays might be called public administration

9 His school is stated in the documents from the archive of the Humboldt-Universität zu Berlin which were kindly supplied to me by it.

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and finance.10 In the Prussian Rhineland he probably studied, paradoxically enough, the Code Napoleon, thus acquainting himself with one of the principal legacies of the Emperor whom his father had fought. After a year in Bonn he moved abroad, to Leipzig in Saxony, where he is recorded as enrolled in law only.11 His last station was in 1841 and the first half of 1842 in his home city at what is now the Humboldt-Universität zu Berlin,12 where he again stayed for a year. He studied various legal subjects and also a few extras such as experimental chemistry, achieving good to excellent marks in all of them. Among his teachers was Jakob Grimm, who knew young Rudolf’s father as his publisher. He appears to have moved back home during this period, as his address is recorded as Wilhelmstraße 73. It does not emerge from the University records whether this period of study saw him complete his legal studies at University and become eligible for the next, practical stage of legal training. Despite his political views,13 it is however recorded that he did not join any forbidden student associations and was not the subject of any disciplinary proceedings. He is recorded as having left on 2 April 1842, twenty-five days before his father’s death, but again we cannot know whether his father’s last illness was long or short or had any effect on his son’s departure from University. What Rudolf Leberecht did from the end of his studies in 1842 until his emigration in 1849 is subject to an annoying doubt. There is a record14 of an Auskultator (Referendar in today’s language) named Reimer living at Wilhelmstraße 73, the Reimers’ family home, from 1844 to 1847; in 1848 the same person appears as a Court official living in Stallschreiberstraße 12; and in 1849 and 1850 he is a secretary and something called a Calculator in the War Ministry and living at Dessauerstraße 17. These were jobs for which Rudolf Leberecht’s training in law and Cameralia at the University of Bonn clearly suited him. If he did hold these jobs, he must also have finished his legal studies at the University rather than merely interrupted them on the death of his father.

10 http://peter-hug.ch/lexikon/cameralia indicates the content of Cameralia. The dates of enrolment and departure were communicated to me by e-mail from the archives of the University of Leipzig. 11 Blecher/Wiemers (eds.), Die Matrikel der Universität Leipzig Part II (Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, 2007), p. 176. 12 The documents supplied to me from its archive bear the following file number: AZ 227, Bl. 20 – 24; Matrikel – Imma. 487/31. Rektorat; Stud. Verz. 1841. 13 I do not have any writings of Reimer’s from this period, but I feel safe deducing his views from the contents of the newspaper he published in South Australia and the family’s own position. 14 This and all further records of succeeding years are taken from the yearly editions of Winckler’s “Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Berlin, Charlottenburg and Umgebungen” (Veit and Comp, Berlin 1844 – 1850). There is also nothing in the Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz or in the Brandenburgisches Landeshauptarchiv under Reimer’s name. This is not surprising given the great losses during the Second World War. The “Einwohnermeldekartei” begins only in 1875.

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The person concerned disappears from the directory of inhabitants in 1851, which, given the time lag in publishing such directories, corresponds nearly enough with Rudolf Reimer’s emigration to Australia in 1849. The only problem is that the person concerned, who in all other respects is an exact fit with Rudolf, has the initial “C” in all the years mentioned. As none of his brothers bore the initial “C”15 either or studied law16 the best available explanation is that it is an error in the directory (which is, after all, not infallible). Furthermore, one modern source states that Rudolf Leberecht emigrated to Australia having become a Referendar.17 We may therefore conclude that, from his graduation in 1842 until his emigration in 1849, Rudolf went through the normal period of training following a successful University course in law and then began a career in the Prussian civil service. This career was, however, suddenly interrupted by emigration. Having been born in August 1819, Rudolf Leberecht Reimer was twenty-eight years old when the revolutions of March 1848 broke out, and twenty-nine when their failure became apparent. I do not know whether he took any active part in the revolution, but certainly he was in sympathy with its aims, and its failure led him to choose a new homeland. According to a family tradition conveyed to me by Dr Achim Reimer of Heidelberg in early 2013, his family might also have been pleased to see the back of him, for he was supposed to have been something of a ne’er-do-well who had devoted too much of his energy – and the family’s assets – to wine, women and gambling; there is however nothing to support this tradition in what written records of his life now exist, and the date and circumstances of his departure more strongly suggest a connexion with the failed revolution than a desire to rid the family of a black sheep.

D. Life in Australia The last ten years and eight months of Rudolf Leberecht Reimer’s short life – he died at forty – were spent in South Australia. He arrived in Port Adelaide on 7 August 1849 in the “Prinzessin Luise” and died at Tanunda in the Barossa Valley, an area largely settled by Germans, on 7 April 1860. The “Prinzessin Luise” was the vessel by which many middle-class liberal Germans, disappointed by the failure of the revolution of 1848 – 1849, left their homeland forever and sought happiness on the freer and more liberal shores of South Australia. Its passengers included a number of names that were to go on to prominence in the nineteenth-century history of the col-

15 He had an older brother named Karl, possibly written “Carl” in those days, but he was a publisher like his father and died in 1858. 16 Of Rudolf Leberecht’s seven brothers who survived to adulthood, three became publishers, two doctors and two farmers: Reimer, Passion & Kalkül, p. 157. 17 Reimer, Passion & Kalkül, p. 157. The author of the book has informed me by e-mail that the source for this statement is the “Reimer’scher Familienkalendar”.

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ony, such as Linger, Mücke and Schomburgk.18 They also included Rudolf Leberecht Reimer, who must have made many valuable friendships as the plans for emigration developed and on the long voyage out. It does not seem possible to reconstruct Reimer’s activities in his first year or so in South Australia, but by the start of 1851 he must have been working on the foundation of his newspaper, the „Adelaider Deutsche Zeitung“, the first issue of which appeared on 2 April 1851.19 One writer describes Reimer at this stage as a ‘well-to-do businessman’,20 although no source is given for this assertion and we may doubt whether Reimer had managed to amass much capital, at least of his own, either in his time as an Auskultator and civil servant in Prussia or in the brief period he had by then spent in South Australia. In the prospectus for his newspaper, reprinted in its first issue on 2 April 1851, Reimer promised to campaign for the improvement of the lot of Germans in his new colony – difficulties in obtaining naturalisation and, as a consequence, in exercising the right to buy land and vote were to be a constant theme, judging on the few issues that have survived21 – and also promised that his newspaper wird sich zwar hauptsächlich mit Besprechung der Verhältnisse unserer Kolonie beschäftigen, dabei aber nicht vernachlässigen, über unser altes Vaterland möglichst genaue Nachrichten zu geben und auch von Zeit zu Zeit leitende Artikel über die deutschen Zustände zu liefern, ohne in den Fehler zu verfallen, den politischen Bewegungen Deutschlands oder gar eines einzelnen deutschen Staates mehr Beachtung zu schenken als den für uns wichtigern unserer neuen Heimath.

By this early stage, then, Reimer was already thinking of himself as a South Australian of German origin rather than a German in exile. On the same page of the newspaper he proclaimed that in the new colony there should be ‘keine Engländer und keine Deutschen, sondern nur Südaustralier’, although the context was advocacy of the removal of assorted disabilities of the German settlers owing to their lack of British citizenship and thus this proclamation was not entirely untainted by self-interest. Be that as it may, he put this view into practice himself rapidly, being naturalised in 1851 after taking the oath of allegiance as soon after his arrival as 18 March 185022 – although of course there was no South Australian citizenship so he perforce became, despite what he wrote about the need for all to be South Australians, a British subject. 18

Lodewyckx, Die Deutschen in Australien (Ausland und Heimat Verlagsaktiengesellschaft, Stuttgart 1932), p. 50. 19 The rather complicated history of the early Australian German-language press is outlined in: Gilson/Zubrzycki, The Foreign-Language Press in Australia 1848 – 1964 (Australian National University Press, 1967), pp. 8 – 12. 20 Walker, “German-Language Press and People in South Australia, 1848 – 1900” (1972) 58 Jo Royal Aust Hist Soc 121, 122. 21 Three in total: two for April and one for November 1851. 22 South Australian Government Gazette, 28 March 1850, p. 201; 20 November 1851, p. 786.

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Reimer’s newspaper appears to have been a fundamentally democratic and liberal production judging on the well-written and well-reasoned editorial he published in his second issue, on 5 April 1851, on the proposed colonial electoral law. He condemned the property qualification as unfair to the poorest and even to those who had moved house and might be unable to produce proof of a rental contract of at least six months’ duration as well as to those who were buying through a building society. He was naturally also against the (much higher) property qualification for the candidates. He called for the secret ballot, which was introduced later that decade at almost the same time in South Australia and Victoria – well in advance of its introduction elsewhere in the English-speaking world. These are the sort of things we should expect from a disillusioned supporter of the revolution of 1848. Again putting his words into practice, he was the chairman of a meeting of German voters held on 20 June 1851 to decide which candidate best served their interests at the forthcoming inaugural legislative elections for South Australia. After three others were put to the vote, they were nearly unanimous in choosing (Sir) Richard Hanson, later Premier and then Chief Justice of the colony, but judging on the report Reimer does not appear to have been especially prominent in making this inspired choice.23 Reimer bought out his opposition newspaper, the „Südaustralische Zeitung“, but in retrospect 1851 was not the best year to found a newspaper, let alone buy a rival: Reimer ceased to have any connexion with the newspaper on 30 September 1851,24 although unfortunately he does not say why; and the newspaper died in January 1852 as the Victorian gold rushes drew huge numbers of people from South Australia in search of sudden wealth. It was a year of labour shortages and sudden declines in population, and Reimer’s venture was not the only one to run into difficulties in that topsy-turvy year in South Australia’s history.25 Further proof of Reimer’s attachment to South Australia is provided by a book he wrote as early as 1851 – in the same year as setting up his newspaper – entitled “Südaustralien: ein Beitrag zur deutschen Einwanderungsfrage” and published by his slightly older brother’s Dietrich Reimer Verlag, founded in 1845 after his father’s death and still in existence today.26 This was a response to one G. Listemann, who had published a small book, or long pamphlet, entitled “Meine Auswanderung nach Süd-Australien und Rückkehr zum Vaterlande: ein Wort zur Warnung und Belehrung für alle Auswanderungslustige[n]” with the firm of A. W. Hayn in 1851. Listemann was a teacher from Berlin who had come to South Australia in 1849 with five children, two servants27 and high expectations, and found himself able to make a liv23

“Register”, 21 June 1851, p. 2. South Australian Archives, GRG 24/6/1851/2945 (letter from Reimer to Colonial Secretary dated 1 October 1851). 25 Walker, (1972) 58 Jo Royal Aust Hist Soc 121, 123 f. 26 Ziesak, Walter de Gruyter, p. 33; http://www.reimer-mann-verlag.de/reimer/. I contacted that company and was informed that all its archives had been destroyed at the end of the Second World War. 27 Lodewyckx, Die Deutschen, pp. 50 – 52. 24

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ing as a farmer only with difficulty. He returned as early as April 1850 and wrote his pamphlet as a warning to others of the perils of emigrating. Reimer answered him effectively and thus proved himself loyal to his adopted country, although unfortunately nothing at all about him as a person emerges from his book. Reimer’s activities from 1852, when his newspaper closed, until his re-emergence on the public stage in 1857 are unclear. It is conceivable that he too went to Victoria in search of wealth. If so, he did not find it. If the family tradition conveyed to me by Dr Achim Reimer has any substance, it may be that he had reverted to his old ways and was again devoting himself to the worship of Bacchus, but this would sit oddly with the respect shown to him by his community when he re-emerges on to the historical record in 1857 and in his obituary, quoted at the outset of this essay. Reimer made his way, by whatever route, from the colonial capital, Adelaide, to Tanunda in the Barossa Valley at some stage, as we find him again writing a letter from Tanunda to the “Register” on 14 April 1857, which it printed in its issue of 16 April. Coincidentally this is the same week as that in which the contents of R. R. Torrens’s Bill for lands titles registration was revealed to the world in the same newspaper, but Reimer argued rather, in flawless English, for German as well as British emigrants to have access to the subsidised passage to South Australia offered by the Land Fund. He suggested a scheme for selecting the lucky immigrants. He returned to that theme with two further letters in May of the same year, noting that the British character of the colony would not be threatened by the proposal or, if it ever should be, the immigration of Germans could easily be stopped, and also that the Germans could be expected to assimilate rapidly.28 By March 1859 Reimer, still in Tanunda, had re-joined the world of journalism, and while no issues have survived of the “Südaustralische Zeitung” itself it is clear that he was its editor. In a letter to the government he stated that his ‘main object’ in re-entering the newspaper business was ‘to furnish the German settlers who may be unacquainted with the English language with such information regarding the enactments and laws in force in this province, as is necessary or desirable to possess for agriculturalists’,29 although too much reliance should not be placed on this statement given that Reimer’s ‘main object’ in writing this letter was actually to ask for a government subsidy of £52 for performing that valuable service (which the government declined to provide). There is also a record of his personal donation of £1 to a bushfire relief fund and his co-ordination of collections at Tanunda from the office of the “Südaustralische Zeitung”.30 On the day after what was to be the last celebration of his birthday in August 1859, a dinner was given for Reimer as the editor of that newspaper in Tanunda. A speech

28

“Register”, 16 May 1857, p. 3; 30 May 1857, p. 3. State Archives of South Australia, GRG 24/6/1859/642 (letter from Reimer to Chief Secretary dated 14 April 1859). 30 “South Australian Advertiser”, 17 March 1859, p. 1. 29

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gives us some idea of how he might have spent some of his time in between his two editorships: All petitions nearly from here were generally the result of his labo[u]r and work; and regarding the law he had done his best for his countrymen, and had always advised them, particularly if there were any law points, in money matters, from parties who had still connections in Germany.31

This agrees with the description of his activities in the German-language obituary with which I began this essay, which referred to Reimer as ‘a teacher and expounder of what were for the Germans largely strange local laws’. Not being an English, Scottish, Irish or local legal practitioner, Reimer was not, of course, entitled to practise the law in South Australia,32 but those whom he assisted in the ways described could hardly have failed to show their appreciation in some way. The obituary also states that Reimer was involved at this time in the debate – no doubt partly, at least, by means of the petitions referred to in the extract just quoted – on the law of distillation in South Australia,33 a subject of obvious relevance to the nascent, largely German wine-growing industry in the Barossa Valley. A statute had been passed on the topic in 185834 and it remained controversial into 1859.35 One of his petitions – a successful one submitted in 1858 for a more frequent mail service in the Barossa Valley – is preserved in the State Archives of South Australia.36 It was signed by 310 people, some with English names but mostly Germans.37 The birthday dinner must have been quite an event – it lasted until 2 a.m. – but Reimer was already in poor health, and made his excuses for giving a very brief speech in reply. He gave up the editorship shortly afterwards owing to ill health.38 His death occurred on 7 April 1860, just as it seemed he might be recovering. His last recorded words were to a maid, Henriette Marie Oehrlich, who had come to clean his room: to her he said that ‘he would be gone in a few minutes’. This was so, although unfortunately not quite in the way he intended. The medical evidence

31

“Advertiser”, 30 August 1859, p. 2. See Rule XIV in the schedule to Ordinance No. 2 of 1850. 33 Petitions on this subject are indeed recorded in the South Australian Parliamentary Papers, no. 86/1857 – 58 and no. 113/1858, but of course we are not told who wrote them, nor are the signatories named. 34 21 Vic. No. 16 (1858) (S.A.) – a statute which was assented to on the same day as Torrens’s Real Property Act. 35 See, for example, South Australian Parliamentary Debates, House of Assembly, 25 May 1859, col. 121; Legislative Council, 31 August 1859, col. 585. 36 GRG 24/6/1858/756, 855, 1408. 37 One of the latter signed himself, in large characters, simply as F. Offe. In so doing he could not have been aware that, 152 years later, his very name would reduce this researcher to helpless laughter and a consequent breach of the rule of silence that must be observed in the archives of South Australia. 38 “Register”, 10 April 1860, p. 2: ‘about September last year’. 32

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at the inquest held on the afternoon of his death was that he died of apoplexy.39 His obituary mentioned his intention to return to Germany as the only thing that was keeping him going, but he died far from the land of his birth. Why he intended to go back, and whether permanently or not, are unknown questions. His newspaper, however, outlived him, surviving until 1916 as the “Australische Zeitung” and being revived between the wars.40 What then of Reimer’s contribution to the Torrens system by means of articles on the Prussian Mortgage Ordinance, referred to in his obituary? I have to confess that I have not found anything which can be unequivocally ascribed to his pen. Now the obituary states that his piece or pieces appeared in the English newspapers, but in South Australia “English” was usually used by the local Germans to mean English-language but of colonial location. Nevertheless I have conducted searches of both the local and English newspapers41 without any definite success, and also searched periodicals, both legal and non-legal.42 There is a letter from someone styling himself “Reformer” – it had not been Reimer’s practice to use a pseudonym in his earlier letters – in the “Register” of 11 February 1857,43 which mentions the Prussian ‘Hippotheken Ordnung’. Reimer himself would hardly have made that spelling mistake, which amusingly suggests, based on the Greek Rppor, a place for exhibiting horses rather than a law on mortgages, but it might have been introduced by the editor or typesetter. The letter continues: If the despots of Prussia yielded to the urgent representations of statesmen advocating the necessity of disencumbering the industrious classes from the trammels imposed on their humble possessions, both by the act of the civilians and the clumsy devices of the feudalists, so as to substitute in their stead a mode of transfer safe in itself and cheaply to be had, then certainly our industrious classes must be allowed to take care of their own interests so as not

39

“Register”, 10 April 1860, p. 2. See above, fn 19. 41 I conducted this search using the index to The Times and the “Nineteenth Century British Library Newspapers” data base. The latter yields only an article from Berlin in the “Daily News” of 2 December 1852, p. 5, which explains the Prussian system very briefly in what appear to be words written by a native German speaker: In Prussia, namely, all real property is registered; every estate, house or tenement has its page in the mortgage book kept at the Court to the jurisdiction of which it belongs. If the property be free from debt, the page contains at least the specification, the title and the amount of direct taxes to the government, parish dues, and all permanent onera. However, this report is stated to have been sent from Berlin, which by this time Reimer had left forever. 42 Using the “Wellesley Index to Victorian Periodicals, 1824 – 1900” and the “Cumulative Author Index for Poole’s Index to Periodical Literature” and also searching “Poole’s” under likely subjects. As this does not include legal periodicals I also looked in the “Jurist”, the “Law Times”, the “Solicitor’s Journal” and the “Law Review” as well as conducting searches electronically. 43 Page 2 (italics in original). 40

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to allow their possessions to become any more entangled in the meshes spun by the numerous tribe of crafty “conveyancers”.

The reference to the ‘despots of Prussia’ fits Reimer’s political stance, and the reference to the Roman law (‘civilians’) as well as the indigenous German law (‘feudalists’) shows that the writer was acquainted with the two principal sources of law in nineteenth-century Germany. However, there is not enough here to enable it to be said that the letter was definitely Reimer’s. There were other possible sources of knowledge about Prussian law available even to non-German speakers in South Australia at that time.44 We know45 that in the second half of 1857 Torrens issued agitprop materials for his proposed new system of lands titles registration, both of which took the form of shortlived journals: one was entitled “Torrens’s Diary” and the other the “People’s Journal”. No copy of either has survived; it is possible that Reimer’s essays were in one or both of them. It may also be in some other lost journal, or in a place where I did not think to look. A further possibility is that our obituary writer was not wholly accurate and that Reimer did not publish anything at all: perhaps Reimer helped Torrens in informal face-to-face discussions or (given that the one lived in Adelaide and the other in Tanunda) by writing to Torrens personally – this is not unlikely. It is far less likely that our obituarist has simply invented Reimer’s assistance to Torrens as a means of associating the former in death with the extremely successful and popular system of lands titles registration invented by Torrens.

E. Conclusion On balance I am inclined to believe the obituary and its claim that Reimer helped Torrens. Either the letter from “A Reformer” was his, despite the error in spelling a basic term of German land law; or I could not find Reimer’s written contribution, either because I did not look in the right place or because it is lost. We know that Torrens had a circle of advisers in his development of the system of lands titles registration that now bears his name and applies in so many parts of the world, and we know that partly because he himself left prominent statements on the public record to that effect.46 Most of these advisers were of British origin47 but a few 44

See Esposito, “A New Look at Anthony Forster’s Contribution to the Development of the Torrens System” (2007) 33 UWALR 251, 278 – 281; Raff, Private Property and Environmental Responsibility: A Comparative Study of German Real Property Law (Kluwer Law International, The Hague 2003), p. 49; “Register”, 16 August 1856, p. 3, where someone calling himself one of the ‘non-legal colonists’ (which leads me to rule out Reimer as the author of this letter) forwards provisions of the Prussian Code of Criminal and Civil Law and quotes provisions on the registration of land. 45 From “Register”, 4 September 1857, p. 2; 8 October 1857, p. 2. See also Pike, “Introduction of the Real Property Act in South Australia” (1960) 1 Adel LR 169, 180. 46 For example, Taylor, (2008) 29 Jo Leg Hist 253, 273.

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were Germans. Other Germans included Dr Ulrich Hübbe (whose claims have, however, been wildly exaggerated)48 and also one Dr Bayer, whom Torrens himself mentioned on one occasion,49 presumably the medical practitioner of that name from Munich50 who obviously knew enough about real property law to be able to assist Torrens. However that may be, Reimer’s life was short but remarkable. He managed to establish himself – not without, it must be said, a favourable start in life – in two very different societies in rather varied roles: in the one as a legally trained civil servant and in the other as a journalist and what might be called today a “community organiser”. In South Australia he was clearly a major player in the nascent German community from his arrival in 1849 to his death in 1860: he edited two newspapers, one of which survived for many decades as an organ of the German community in South Australia, and provided advice and assistance to his community. His name deserves a better fate than oblivion.

47

Such as the prominent persons named in: Lücke, “Ulrich Hübbe or Robert Torrens? The Germans in Early South Australia” (2005) 26 Adel LR 211, 241. As I speculate in (2008) 29 Jo Leg Hist 253, 269, I suspect that the Governor of South Australia himself, Sir R. G. Macdonnell, was another. 48 Professor Murray Raff claims to believe that I have agreed with his thesis that a transplantation occurred: “Torrens, Hübbe, Stewardship and the Globalisation of Property Law Systems” (2009) 30 Adel LR 245, 271. The titles of my articles alone need only to be read to show that I do not. The only reason why I have not referred to literature on reception is that the dates on which Torrens and Hübbe met show quite clearly that no reception can possibly have occurred, as the principles of the Torrens system were developed without knowledge of the Hamburg system, which it resembled only coincidentally. 49 “Advertiser”, 7 July 1860, p. 3. 50 There is a short biography of Dr. Bayer in: Loyau, Notable South Australians, or Colonists Past and Present (Carey, Page & Co., Adelaide 1885), pp. 228 f.

Sharing Legal Education Between Germany and America By Mark Weston Janis and Philip Brereton Janis We are delighted to pen this short essay in honor of our good friend, Professor Eibe Riedel. As a father-son team, we know Eibe well both as a colleague and as a teacher. It is a very happy opportunity to add our tribute to Eibe’s Liber Amicorum. And what better topic than sharing legal education between Germany and America? It was Eibe who initiated the very successful and on-going sister school collaboration between the law faculties of the University of Mannheim and the University of Connecticut. Eibe is now honored as an International Research Scholar on the Connecticut Faculty of Law. To put our Mannheim/Connecticut collaboration in historical context, intellectual exchanges between German and American law faculties date well back into the 19th century. At least as early as the 1820’s, German emigrées like Francis Lieber and Charles Follen settled and taught law in the United States, Lieber at South Carolina and Follen at Harvard. Not only did they instruct young American lawyers but they brought the intellectual achievements of the great German universities to the attention of leading American law scholars, such as Joseph Story of Harvard. The work of some of that era’s leading German professors, Barthold Niebuhr of Berlin, Gustav von Hugo of Göttingen, Friedrich Carl von Savigny of Marburg, Anton Friedrich Justus Thibaut of Kiel, and Carl Joseph Anton Mittermaier of Heidelberg, were translated and became well-known on the western side of the Atlantic. The well-deserved fame of the German law faculties persuaded a small band of young Americans to brave the Atlantic even before the introduction of reliable liners powered by steam and to enroll at German universities: Thomas Reynolds to Heidelberg, and George Ticknor, W. C. King, C. D. L. Brush, H. Lindemann, and David Hoffman to Göttingen.1 Later in the 19th century, German scholastic methodology played an important role in the development of the modern American law school. Notably, Harvard’s pioneering Dean Langdell’s new “scientific methodology” and even the concept of “thinking like a lawyer” combined German scholastic methods and theories of “legal science”

1 M. H. Hoeflich, “Transatlantic Friendships & the German Influence on American Law in the First Half of the Nineteenth-Century,” 35 American Journal of Comparative Law 599 – 611 (1987).

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with the Anglo-American common law.2 In 1912, Edwin Borchard wrote: “In no country has [the] development of legal science been more fruitful than in Germany.”3 Borchard paid tribute to the great German jurists of the early 19th century, but also emphasized the late 19th century contributions of German professors like Rudolph Jhering, Theodor Sternberg, Rudolf Stammler, Josef Kohler, Rudolf Bierling, and Ernst Bekker.4 Not all Americans, however, rhapsodized over German legal education. One American critic preferred America’s stress on practical training for the law, concluding that he had “some doubt whether the unlimited freedom of the German university provides the best possible professional training for the average man.”5 In part, this criticism was founded on the profound differences between the German and the American approaches to law. As one German scholar recently observed: German legal thinking provides perhaps the most sophisticated example of [the] abstract and systematic approach to legal issues. German jurists tend to view individual codifications, as well as the legal system, as a whole in terms of conceptual unity. The structure of the legal order is organized on the bases of overarching legal principles. While it may prove unattainable in practice, the ideal remains that of law as a rational, complete and logical system of rules. This view is quite peculiar from a comparative perspective. Lawyers raised in a common law tradition would seem to be much more skeptical of the ideal of law as an internally consistent system of rules. American jurists in particular tend to repudiate the conception of an autonomous system of logically interrelated rules. Indeed, an important current in contemporary American legal thinking holds virtually the opposite view.6

For a variety of reasons, American interest in German law and law schools diminished somewhat during the course of the 20th century. American inattention to Germany became so severe that in 1987 Professor Hoeflich of the University of Illinois complained that “[t]here has been a tendency in recent decades to pass over the importance of German influences on American law.”7 Even as recently as 1993, one observer lamented that there had been no US law review article about German legal education for more than forty years.8 This observation was, happily, inaccurate,

2 L. I. Appleman, “The Rise of the Modern American Law School: How Professionalization, German Scholarship, and Legal Reform Shaped Our System of Legal Education,” (2004 – 2005) 39 New England Law Review 251, at p. 253. 3 E. M. Borchard, “Jurisprudence in Germany,” (1912) 12 Columbia Law Review 301. 4 Id. at pp. 314 – 319. 5 E. V. Reynolds, “Legal Education in Germany,” (1902 – 03) 12 Yale Law Journal 31, at p. 34. 6 R. Grote, “Comparative Law and Teaching Law Through the Case Law in the Case Law Tradition – A German Perspective,” (2005) 82 University of Detroit Mercy Law Review 163, at p. 164. 7 Hoeflich, supra fn. 1, p. 599. 8 J. R. Ostertag, “Legal Education in Germany and the United States – A Structural Comparison,” (1993) 26 Vanderbilt Journal of Transnational Law 301, at p. 302.

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there being, for example, a lengthy article, “Report on German Legal Education,” published in 1962,9 as well as the previously cited article of 1987.10 Whatever the current state of American attention to German legal education, it seems to some observers that American legal education has generally made less impact on German law faculties than the other way about. One observer, Rainer Grote, concluded in 2005 that “[a]lthough more German law students than in previous times go to a foreign university at one point or another in their legal education, including United States law schools, this has left no visible mark on the teaching methods applied at German law schools.”11 As one American professor observing Germany, Japan and the United States noted, “legal education is as culturally-determined as any field of professional study.”12 Fortunately, in the past few decades, thanks to the vision and wisdom of scholars like Eibe Riedel, this situation of reciprocal inattention has been energetically addressed. Not only has there been a flow of German law graduates to the United States to pursue LL.M. degrees, but very recently there have been a number of German/ American law school collaborations that permit German and American law students, still short of graduation, to spend a semester in a law faculty in the other country. Mannheim is one of thirteen sister schools for Connecticut, the others being Exeter, SOAS, and Nottingham in England, University College Dublin in Ireland, Leiden and Tilburg in the Netherlands, Aix-en-Provence in France, Siena in Italy, Pompeu Fabra in Spain, Beijing University of International Business and Economics in China, Haifa in Israel, and Free University Berlin, also in Germany. Each semester Connecticut welcomes about twenty students from these sister law faculties, some enrolled as one- or two-semester J.D. exchange students, others coming for two or three semesters as candidates for our LL.M. in U.S. Legal Studies. Students may take any of the more than one hundred courses offered each academic year. There are concentrations in areas of particular strength at Connecticut – human rights, insurance, tax, and intellectual property – but basically there are course offerings in almost every field of U.S. and international law. Although, sadly, there have been no Mannheim students who have so far come to Connecticut, happily eight Connecticut students have spent one or two semesters at Mannheim. These are Myra Cadena (Fall 2002), Patrick Lamb (Fall 2003), Adam Mocciolo (Fall 2004 – Spring 2005), Benjamin White (Fall 2005), Philip Janis (Fall 2006), Brian Tims (Fall 2007), Julie Wynns (Fall 2008), and Nicole Netkin-Collins (Fall 2009 – Spring 2010). While at Mannheim, Connecticut exchange students 9

425.

B. Shartel, “Report on German Legal Education,” (1962) 14 Journal of Legal Education

10

Hoeflich, supra fn. 1. Grote, supra fn. 6, at p. 178. 12 J. R. Maxeiner, “Integrating Practical Training and Professional Legal Education,” in: J. Klabbers/M. Sellers (eds.), The Internationalization of Law and Legal Education (2008), 37, at p. 39. 11

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make up part of an international student body, participating in Mannheim’s Master of Comparative Law (“MCL”) program. The MCL program is administered jointly by the University of Mannheim and the University of Adelaide in Australia, although the program is open to students from other universities.13 Accordingly, Connecticut students work alongside students from Australia and elsewhere who are pursuing their master’s degrees. The MCL program is a one-year master’s program, one semester spent in Mannheim and another in Adelaide. At Mannheim, the university faculty offers a range of English-language courses, with supplemental courses taught by practitioners.14 The Connecticut student’s day-to-day studies in Mannheim are similar in many ways to his or her law studies in the United States. Some of the differences that may have existed in the past seem to have diminished in recent years. Rasnic, writing in 1993, stated that “[a]ll classes are a series of lectures … with no assignments and no class participation.”15 This seems to have changed and the MCL students attend small classes which require some out-of-class work and which are very heavy on class participation. Similarly, Leith, writing in 1995, noted that German law schools seem to have a high student to staff ratio, although by 2007, class sizes were similar to or smaller than those in the U.S. German law students seem to take more courses per semester, although the total class time is about the same.16 In other ways, the MCL student’s course of study will have changed distinctly from his or her U.S. law school. The student will primarily study international or comparative law topics, such as Comparative Law, European Competition Law, or International Criminal Law.17 These classes will require a different focus from the U.S. classes and, moreover, the student will need to adapt to the systematic approach to the study of law mentioned above. In addition to the student exchange program, the Mannheim/Connecticut sisterschool partnership created by Eibe Riedel has sponsored several faculty exchanges. Notably, Mannheim’s Hans-Joachim Cremer visited for four weeks at Connecticut, teaching the first part of Connecticut’s course on European Union Law. There have also been scholarly visits to Connecticut by Eibe Riedel himself and Dirk Hanschel. Connecticut’s Mark Janis paid Mannheim a reciprocal visit where he gave several lectures. The friendly collaboration between the law faculties at Mannheim and Con13

MCL website at http://mcl.uni-mannheim.de/startpage/index.html. Mannheim course catalogue, available at http://www.uni-mannheim.de/ionas/n/uni/aka demisches_auslandsamt/english/incoming_exchange_students/course_catalogues/course_catalo gue_fall_semester_2011/jura_englisch/index/html. 15 C. D. Rasnic, “Comparative Reflections on Student Life and Faculty Demands in a German University”, (1993) 11 J. Prof. Legal Educ. 211, at p. 214. 16 P. Leith, “Legal Education in Germany: Becoming a Lawyer, Judge and Professor”, (1995) 4 Web Journal of Current Legal Issues, http://webjcli.ncl.ac.uk/articles4/leith4.html. 17 Mannheim course catalogue, http://www.uni-mannheim.de/ionas/n/uni/akademisch es_auslandsamt/english/incoming_exchange_students/course_catalogues/course_catalogue_ fall_semester_2011/jura_englisch/index.html. 14

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necticut are thus not only an important part of a long tradition of sharing between German and American law faculties, but also a vibrant living reality today. For this we have to thank the vision, energy, and intelligence of Eibe Riedel. All of us, on both sides of the Atlantic are indebted to Eibe. We, from Connecticut, are delighted to join in singing his praises.

Autorenverzeichnis Prof. Dr. Rudolf Bernhardt, Gustav-Kirchhoff-Str. 2a, D-69120 Heidelberg Prof. Dr. Jochen Graf von Bernstorff, Eberhard Karls Universität Tübingen, Neue Aula, Gmelinflügel, 1. OG, Zi. 148.1, Geschwister-Scholl-Platz, D-72074 Tübingen Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Politische Wissenschaft – Raum A5 A1, Bismarckstr. 1, D-91054 Erlangen Prof. Dr. Armin von Bogdandy, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Im Neuenheimer Feld 535, D-69120 Heidelberg Prof. Dr. Michael Bothe, Theodor-Heuss-Straße 6, D-64625 Bensheim Prof. Dr. Adrian J. Bradbook, The University of Adelaide, Ligertwood Building, Floor/Room 223, Adelaide, South Australia 5005, Australia Virginia Brás Gomes, Member of the Committee of Economic, Social and Cultural Rights, Av. Marechal Teixeira Rebelo, 33-18 Esq., 1500-424 Lisboa, Portugal Prof. Andrew Clapham, Director, Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights, Graduate Institute of International and Development Studies, P.O.Box 136, 1211 Geneva 21, Switzerland Prof. Dr. Hans-Joachim Cremer, Universität Mannheim, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Schloss Westflügel, 68131 Mannheim Prof. Catarina de Albuquerque, Rua do Vale de Pereiro, 2, 1269-113 Lisboa, Portugal Prof. em. Dr. Dr. Jost Delbrück, Schoolredder 20, D-24161 Altenholz Prof. Dr. Diane A. Desierto, Peking University School of Transnational Law, University Town, Xili, Nanshan District, Shenzhen, 518055, China Prof. Dr. Ulrich Fastenrath, Juristische Fakultät, TU Dresden, Bergstr. 53, D-01069 Dresden Prof. Dr. Thomas Giegerich, Universität des Saarlandes, Europa-Institut, Postfach 15 11 50, D-66041 Saarbrücken Prof. Dr. Bernd Grzeszick, Universität Heidelberg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Internationales Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Friedrich-Ebert-Anlage 6 – 10, D-69117 Heidelberg Priv. Doz. Dr. Dirk Hanschel, School of Law, University of Aberdeen, Taylor Building, AB24, 3UB, Old Aberdeen, Großbritannien Prof. Dr. Stephan Hobe, Universität zu Köln, Institut für Luft- und Weltraumrecht, Lehrstuhl für Völkerrecht, Europarecht, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht, Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Backhaushohl 62, D-55128 Mainz

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Autorenverzeichnis

Prof. Mark Weston Janis, University of Connecticut, School of Law, 55 Elizabeth Street, Hartford, CT 06105-2290, USA Philip Brereton Janis, 41 Lothbury, London, EC2R 7HF, Großbritannien Prof. Seong-woo Ji, Sungkyunkwan University, School of Law, South Korea Priv. Doz. Dr. Sebastian Graf von Kielmansegg, Siegelsmauer 11, D-69126 Heidelberg Prof. Dr. Il Hwan Kim, Sungkyunkwan University School of Law, 53 Myeongnyun-dong 3-ga, Jongno-gu, Seoul 110-745, South Korea Prof. Dr. Uwe Kischel, Universität Greifswald, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung (Nordosteuropa), Mercator-Stiftungslehrstuhl, Domstr. 20, D-17489 Greifswald Prof. Dr. Eckart Klein, Universität Potsdam, Lehrstuhl für Staats-, Völker- und Europarecht, August-Bebel-Straße 89, D-14482 Potsdam-Babelsberg Prof. Dr. Christian Koenig, Zentrum für Europäische Integrationsforschung, Walter-Flex-Straße 3, D-53113 Bonn Prof. Dr. Young-Ho Kwon, Law School, Jeju National University, 102 Jejudaehakno, Jeju-si 690-756, South Korea Prof. em. Dr. Hans-Werner Laubinger, Philipp-Wasserburg-Str. 45, D-55122 Mainz Wan-Hea Lee, Senior Human Rights Officer, Office of the UN High Commissioner for Human Rights (OHCHR-UNOG), 1211 Geneva, Switzerland Prof. Dr. R. Alexander Lorz, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Lehrstuhl für Deutsches und Ausländisches Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht, Gebäude: 24.81, Etage/Raum: 00.50, D-40225 Düsseldorf Stephen Marks, Harvard School of Public Health, Department of Global Health and Population, 665 Huntington Avenue, I-1210E, Boston, MA 02115 USA Prof. Willajeanne F. McLean, University of Connecticut, School of Law, 55 Elizabeth Street, Hartford, CT 06105-2290, USA Prof. Dr. Dr. h.c. Peter-Christian Müller-Graff, Universität Heidelberg, Institut für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Friedrich-Ebert-Platz 2, D-69117 Heidelberg Dr. Karin Oellers-Frahm, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Im Neuenheimer Feld 535, D-69120 Heidelberg Prof. Ángel R. Oquendo, The University of Connecticut, Chase 312, School of Law, 65 Elizabeth Street, Hartford, CT 06105-2290, USA Ariranga G. Pillay, Chairperson of the Committee of Economic, Social and Cultural Rights, Former President of SADC Tribunal and Former Chief Justice of Mauritius, 211, Ollier Avenue, Rose Hill, Mauritius Prof. Dr. Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Zimmerstr. 26/ 27, D-10969 Berlin Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schenke, Universität Mannheim, Fakultät für Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre, Schloß, Westflügel, D-68131 Mannheim

Autorenverzeichnis

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Dr. Jakob Schneider, Secretary of the Committee on Migrant Workers, Human Rights Treaties Division, United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHRUNOG), Palais Wilson (1-032), CH-1211 Geneva 10, Switzerland Prof. Nico Schrijver, Universiteit Leiden, Grotius Centre for International Legal Studies, P.O. Box 9520, 2300 RA Leiden, The Netherlands Prof. Dr. Bruno Simma, Former Judge at the International Court of Justice (2003 – 2012), William H. Cook Global Law Professor, University of Michigan Law School, 625 South State Street, Ann Arbor, MI 48109-1215, USA Prof. Dr. Christian Starck, Schlegelweg 10, D-37075 Göttingen Prof. Dr. Jochen Taupitz, Universität Mannheim, Fakultät für Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre, Schloß, Westflügel, D-68131 Mannheim Prof. Greg Taylor, Monash University, Room 221, Wellington Road, Clayton, Victoria 3800, Australia Prof. Dr. Christian Tietje, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Juridicum, Universitätsplatz 3 – 5, D-06108 Halle (Saale) Prof. Dr. Martin Will, EBS Law School, Lehrstuhl für Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Europarecht, Recht der neuen Technologien sowie Rechtsgeschichte, Gustav-Stresemann-Ring 3, D-65189 Wiesbaden Michael Windfuhr, Deutsches Institut für Menschenrechte, Zimmerstr. 26/27, D-10969 Berlin Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Im Neuenheimer Feld 535, D-69120 Heidelberg Prof. Dr. Andreas Zimmermann, Universität Potsdam, Professur für Öffentliches Recht, insbes. Europa- und Völkerrecht sowie Europäisches Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsvölkerrecht, August-Bebel-Str. 89, D-14482 Potsdam