Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht: Eine verfassungsrechtliche Studie unter besonderer Berücksichtigung von § 5 Abs. 1 EnWG [1 ed.] 9783428482474, 9783428082476

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Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht: Eine verfassungsrechtliche Studie unter besonderer Berücksichtigung von § 5 Abs. 1 EnWG [1 ed.]
 9783428482474, 9783428082476

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht

Band 27

Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht Eine verfassungsrechtliche Studie unter besonderer Berücksichtigung von § 5 Abs. 1 EnWG Von

Dr. Ulrich M. Gassner

Duncker & Humblot · Berlin

ULRICH M. GASSNER

Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin HeckeI, Ferdinand Kirchhof Hans von Mangoldt, Thomas Oppermann Günter Püttner, Michael Ronellenfitsch sämtlich in Tübingen

Band 27

Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht Eine verfassungsrechtliche Studie unter besonderer Berücksichtigung von § 5 Abs. 1 EnWG

Von

Dr. Ulrich M. Gassner

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Gassner, Ulrich M.:

Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht : eine verfassungsrechtIiche Studie unter besonderer Berücksichtigung von § 5 Abs. 1 EnWG / von Ulrich M. Gassner. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. 27) Zug\.: Tübingen, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08247-8 NE:GT

D 21

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, BerIin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-08247-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Vorwort Diese Arbeit hat im Sommersemester 1994 der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation vorgelegen. Sie wurde Ende März 1994 abgeschlossen und für die Drucklegung nur noch geringfügig überarbeitet. Dank schulde ich vor allem Herrn Prof. Dr. Günter Püttner, der die Arbeit angeregt und betreut hat. Für die Übernahme und rasche Erstellung des Zweitgutachtens bin ich Heml Professor Dr. Michael Ronellenfitsch sehr verbunden. Herrn Prof. Dr. Winfried Brugger (Heidelberg) danke ich dafür, daß er mir während der Tätigkeit an seinem Lehrstuhl genügend Freiraum ließ, um eine solche Studie in absehbarer Zeit anzufertigen. EbenfalIs zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum für die ehrenvolle Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht. Schließlich danke ich Frau Ingrid Baumbusch für die Erledigung von Satz- und Korrekturarbeiten. Heidelberg, im August 1994

Ulrich M. Gassner

Inhaltsverzeichnis 1S

Einleitung A. Annäherungen

.................................................. .

J. Erwartungssicherheit

1S

.......................................... .

15

11. Verrechtlichung .............................................. .

16

III. Entrechtlichung

19

B. Gegenstand

20 .................................................. .

21

...................................................... .

22

E. Gang der Untersuchung ............................................ .

23

C. Abgrenzungen

D. Methode

Erster Teil

Die Verfassuogsmäßigkeit kriterieruoser Geoehmigungsvorbebalte im Wirtschaftsverwaltuogsrecht Erstes Kapitel

Wirtschaftsordnung und Recht

25

J. Wirtschaft und Recht ...........................................

25 25

11. Wirtschaft als dynamisches und komplexes System ......................

28

A. Wirtschaft als Regelungsobjekt ........................................

III. Grenzen rechtlicher Steuerung ..................................... B. Legislative und Exekutive im Wirtschaftsverwaltungsrecht

29

....................

31

J. Strukturelemente der Wirtschaftsverwaltung ...........................

31

11. Aspekte der Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Exekutive

.........

33

1. Steuerungsrecht

33

2. Überwachungsrecht ..........................................

34

Zweites Kapitel

Kriterieruose Geoehmiguogsvorbehalte A. I dea Itypus

38 38

8

Inhaltsverzeichnis

1. Formen

38 38

2. Arten

40

3. Typen

40

I. Genehmigungsvorbehalte

ll. Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Begriffsbestimmung

41

.............................................. .

44

C. Realtypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

D. Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

E. Funktionstypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

F. Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

G. Problemdimensionen

51 Drittes Kapitel

Vom Vorbehalt des Gesetzes zum ParIameotsvorbehait

53

A. Begriffsklärungen

53

B. Die geschichtliche Entwicklung des Gesetzesvorbehalts .......................

55

c.

I. Entslehungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

ll. Die Ausprägungen des Gesetzesvorbehalts im deutschen Konstitutionalismus ....

56

1. Frühkonstitutionalismus

56

2. Spätkonstitutionalismus

59

1Il. Die Tradierung der spätkonstitutionellen Vorbehaltsdogmatik unter der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

................

66

Der Gesetzesvorbehalt der Wesentlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

IV. Kontinuität und Wandel des Gesetzesvorbehalts nach 1945

I. Die Grundaussagen der Wesentlichkeitstheorie im dogmengeschichtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Abkehr vom Eingriffskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Wesenllichkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 70 70

3. Der Parlamenlsvorbehalt

71

4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

ll. Verfassungsdogmatische Funktion

................................. .

73

.............................. .

75

D. Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt

E. Entbehrlichkeit des Parlamentsvorbehalts als Bestimmtheitsstandard?

78

Viertes Kapitel

Das aUgemeioe Bestimmtheitsgebot A. Temlinologische Vorklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 80

Inhaltsverzeichnis

9

............................................... .

81

.............................................. .

8S

I. Rechtsstaatsprinzip ............................................ .

8S

B. Inhaltsbestimmung C. Begrüodungsansätze

1. Dogmengeschichtliche Entwicklung 2. Rechtssicherheit

............................. .

........................................... .

3. Rechtsweggarantie

8S 89 90

4. Gewaltenteilungsgrundsatz .................................... .

92

............................... .

96

5. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

98

6. Ergebnis

11. Demokratieprinzip ............................................. 111. Grundrechte

99

................................................. 106

IV. Sonstige Begründungsversuche

.................................... 112

1. Funktionell-struktureller Ansatz

................................. 113

2. Legitimatorischer Ansatz ...................................... 113 V. Stellungnahme ...................... . ......................... 114 VI. Folgerungen

................................................. 116

D. Präzisierungen und Abgrenzungen

118

I. Bestimmtheit und Klarheit

118

11. Bestimmtheit und Semantik

121

III. Bestimmtheit und Lücke ......................................... 123 125

IV. Bestimmtheit und Auslegung 1. Allgemeine Auslegungsgrundsätze

125

2. Verfassungskonforme Auslegung

127

V. Bestimmtheit und Ermessen VI. Bestimmtheit und Zeit

...................................... 131

.................. . ....................... 133 Fünftes Kapitel

Bestirnmtbeitsgebot und ParlamentsvorbebaIt

137 137

A. Rechtsprechung

I. Zusammenhänge

.............................................. 137

11. Unklarheiten ................................................. 139 B. Schrifttum C. Stellungnahme

141 ................................................... 143

I. Reduktionistischer Ansatz ........................................ 144

11. Substitutiver Ansatz ............................................ 148 D. Ergebnis

151

10

Inhaltsverzeichnis Sechstes Kapitel Kriterien zur Bestimmung der Regelungsdicbte

A. Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Direktiven

B. Methodische Grenzen

153

....................... 153

.............................................. 154

C. Formelle Kriterien ................................................. 156 I. Voraussehbarkeit .............................................. 156 11. Praktikabilität

159

111. Verwaltungspraxis ............................................. 161 IV. Schutz vor Willkür

............................................ 162

V. Inhalt, Zweck und Ausmaß ....................................... 164 VI. Entstehungszeil des Gesetzes VII. Regelungsmaterie

..................................... 166

............................................. 168

1. Komplexität ............................................... 170 2. Dynamik

................................................. 172

3. Autonomie ................................................ 176 D. Materielle Kriterien

177

I. Der materiale Gehalt des Wesentlichkeitsmaßstabs

...................... 177

11. Individuelle Wesentlichkeit ....................................... 180

1. Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsintensität ....................... 180 2. Eingriffsintensität 3. Determinanten

........................................... 182

............................................. 185

a) Formbezogene Determinanten aa) Allgemeine Kriterien

................................ 185

................................... 185

bb) Grundrechtsspezifische Kriterien b) Inhaltsbezogene Determinanten

........................... 187

............................... 190

aa) Eindimensionale Freiheitsbeeinträchtigungen ................... 191

(1) Allgemeine Kriterien

................................ 191

ß) Grundrechtsspezifische Kriterien

........................ 192

bb) Mehrdimensionale Freiheitsbeeinträchtigungen

(1) Allgemeine Kriterien

................................ 194

ß) Grundrechtsspezifische Kriterien

111. Generelle Wesentlichkeit

1. Inhalt

................. 194

........................ 196

........................................ 200 200

2. Determinanten ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 201 a) Quantität ............................................... 201 b) Qualität ................................................ 202 c) Reversi bilität ............................................ 203 d) Kontroversität

........................................... 203

Inhaltsverzeichnis E. Ergebnis und Folgerungen

11

........................................... 206

I. Prima-facie-Vermutung der Unbestimmtheit ........................... 206 11. Widerlegbarkeit ............................................... 206 Zweiter Teil

Die Verfassungsmäßigkeit von § S Abs. 1 EnWG A. Einführung ...................................................... 208

B. Regelungsgehalt .................................................. 210 C. Analyse

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 212

I. Formelle Kriterien ...................................... 1. Voraussehbarkeit

< • •



• ••

212

........................................... 212

2. Praktikabilität .............................................. 212 3. Verwaltungspraxis

.......................................... 212

4. Schutz vor Willkür .......................................... 214 5. Inhalt, Zweck und Ausmaß

.................................... 214

6. Entstehungszeit des Gesetzes ................................... 215 7. Regelungsmaterie ........................................... 217 a) Bereichsanalyse .......................................... 217 aa) Elektrizitätswirtschaft ................................... 217 bb) Gaswirtschaft b) Folgerungen

........................................ 223

............................................ 224

8. Zwischenergebnis ........................................... 225 11. Materielle Kriterien

............................................ 226

1. Determinanten individueller Wesentlichkeit

a) Formbezogene Determinanten aa) Allgemeine Kriterien

......................... 226

................................ 226

................................... 226

bb) Grundrechtsspezifische Kriterien b) Inhaltsbezogene Determinanten

........................... 227

............................... 228

aa) Eindimensionale Freiheitsbeeinträchtigungen ................... 228

a) Allgemeine Kriterien

................................ 228

1\) Grundrechtsspezifische Kriterien

........................ 232

bb) Mehrdimensionale Freiheitsbeeinträchtigungen

................. 236

a) Allgemeine Kriterien ................................ 236 1\) Crrundrechtsspezifische Kriterien ........................ 238 2. Determinanten genereller Wesentlicbkeit ........................... 238 3. Zwischenergebnis ........................................... 239 111. Ergebn is .................................................... 239

12

Inhaltsverzeichnis

D. Auslegung

...................................................... 240

1. Allgemeine Auslegungsgrundsätze .................................. 240 1. Präam bel und Gesetzestext ..................................... 240 2. Gesetzesbegründung

......................................... 246

3. Amtliche Verlautbarungen ..................................... 246 4. Normen außerhalb des EnWG

.................................. 247

5. Sonstige Anhaltspunkte ....................................... 248 6. Zwischenergebnis ........................................... 251 H. Verfassungskonforme Auslegung ................................... 251

1. Ideologische Grenzen

........................................ 252

2. Funktionelle ("'renzen

........................................ 255

3. Crrammatikalische Crrenzen

.................................... 258

4. Auslegungsmöglichkeiten

..................................... 259

E. Ergebnis

....................................................... 260

F. Ausblick

261

Zusammenfassung in Thesenfonn

262

Literaturverzeichnis

272

Abkürzungsverzeichnis bes.

besonders

BWK

Brennstoff-Wärme-Kraft (Zeitschrift)

ders.

derselbe

dies. EU

dieselbe(n) Europäiscbe Union

EW

Elektrizitätswirtschaft (Zeitschri ft)

F.A.Z.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

grdl. Hbd.

grundlegend Halbbd.

HdbStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HdbDStR jew.

Handbuch des Deutschen Staatsrechts jeweils

RBeil.

Rechtsbeilage der EW

SW

Soziale Welt (Zeitschrift)

u. a. unveröff. VEnergR

un ter an derem

wo z. B. zit. zutr.

unveröffentlicht Veröffentlichungen des Instituts für Energierecht an der Universität zu Köln (Scbriftenreihe) Wirtschaftsdienst (Zeitschri CI) zum Beispiel zitiert zutreffend(e)

Im übrigen wird auf Hildehert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. AuO., Berlin, New York 1993, verwiesen.

Was die Erhaltung der persönlichen Freiheit betrifft, ist die Arbeitsteilung zwischen einer Legislative, die bloß sagt, daß dies oder jenes getan werden soll, und einem Verwaltungsapparat, dem die ausschließliche Macht gegeben ist, diese Instruktionen durchzuführen, die denkbar gefährlichste Einrichtung.

Friedrich August von Hayek'

Einleitung A. Annäherungen I. Erwartungssicherheit Eine der zentralen Aufgaben sozialer Normen und damit auch des Rechts besteht darin, Erwartungssicherheit herzustellen. In dieser funktionellen Zuweisung stimmen die verschiedenen Strömungen der modemen Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie weitgehend überein 2• So hat etwa Arnold Gehlen die Ansicht vertreten, erst Institutionen und normative Verhaltensordnungen schüfen die Entlastung und Orientierungsgewißheit, derer die Menschen als instinktgeleitete Mängelwesen bedürften 3• Auch für Theodor Geiger bildet die nonnative Koordination von Verhaltensweisen eine notwendige Voraussetzung für die soziale Existenz des Menschen. Normen beruhen also letztlich auf sozialer Interdependenz 4 • Als Essentiale jeglichen sozialen Ordnungsgefüges vennitteln sie Ordnungssicherheit5• Eine Dimension dieses Begriffs ist die Orientierungssicherheit, die Geiger als "das Wissen um den Inhalt von Nonnen" definiert. Dieses Wissen hat einen aktiven und einen passiven Aspekt: "Ich weiß, welche Handlungsweise die anderen von mir erwarten oder nicht erwarten, und ich weiß, welches Gebaren ich vom anderen

I

v. Hayek, S. 333.

Vgl. etwa Henkel, S. 437 f.; Kausch, S. 5 f., 27 f.; RehbinJer, S. 142 ff.; Zippelius, Gesellschaft, S. 54 f.; 68; ders., Rechtsphilosophie, S. 59 f., 161 ff. 2

l Gehlen, Moral, S. 95 ff.; ders., Mensch, S. 9 ff., 327 ff., 383 f. und passim; ders., Forschung, S. 55 ff., 69 ff.

• Geiger, S. 45 ff. und passim. 5 Geiger, S. 64; an ihn anknüpfend Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 161 f.

16

Einleitung

zu gewärtigen habe oder nicht"6 Die Nonn ist aus dieser Sicht also weder Befehl noch Imperativ, sondern, mit Ernst E. Hirsch zu sprechen, "Gebarenserwartung"7. Auch Niklas Luhmann zufolge erfüllt das Recht als nonnatives System die Funktion der "Erwartungserleichterung"8. Seine Hauptaufgabe liegt in der Auswahl von Verhaltenserwartungen 9 , d. h., präziser ausgedrückt, von Erwartungen von Erwartungen: Um die Interaktion zwischen zwei Personen zu steuern, ist nicht nur erforderlich, daß die eine erwarten kann, wie sich die andere verhalten wird, sondern sie muß auch erwarten können, weIche Erwartungen die andere ihr gegenüber hegt, und sich danach richten 10. In höher entwickelten Gesellschaften kommt dem Recht die Aufgabe zu, jene Erwartungen so zu generalisieren und zu stabilisieren, daß über kontingentes Verhalten bindend entschieden werden kann l1 • Luhmann definiert demzufolge das Recht als die Struktur eines sozialen Systems, die auf kongruenter Generalisierung nonnativer VerhaltenseIWartungen beruht l2 • Orientierungsgewißheit bildet für ihn also sogar ein konstitutives Merkmal des Rechtsbegriffs. In ähnlicher Weise ist für Luhmanns Antipoden Jürgen Habermas Recht u. a. ebenfalls dazu da, "Dämme stabiler VerhaltenselWartungen gegen den geschichtlichen Variationsdruck zu errichten"13.

11. Verrechtlichung Ebenso ellug wie in der Beurteilung dieser grundlegenden Funktion des Rechts in modemen Gesellschaften ist man sich grundsätzlich auch in der Diagnose zunehmender VerrechtIichung der Lebensverhältnisse in modemen Gesellschaften l4 • Orientiert man sich an den drei staatlichen Institutionen, die an diesem Prozeß beteiligt sind, kann man mit Rüdiger Voigt zwischen Parlamentarisierung, Bürokratisierung und Justizialisierung differenzieren l5 • Darüber hinaus werden häufig, vor allem mit Blick auf die namentlich von der Legislati-

6

Geiger, S. 64.

7

Hirsch, S. 331.

&

Luhmann, Rechtssoziologie, S. 100; ausführlich ders., Ausdifferenzierung, S. 73 ff. und passim.

• Luhmann, Rechtssoziologie, S. 100. 10 Luhmann, Rechlssoziologie, S. 33 ff. 12

Luhmann, Ausdifferenzierung, S. 377 f. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 99, 105.

13

Habermas, Faktizität, S. 269; ähnlich ders., a.a.O., S. 167.

11

Vgl. dazu die überblicksartigen Darstellungen bei Görlitz/Voigt, S. 119 ff., und Holtschneider, S. 43 ff.; jew. m. w. N. 14

IS Voigt, S. 15, 18 ff. = ders., S. 75, 80 ff.; ebenso Görlitz!Voigt, S. 133 ff.; Hendler, DVBI 1983, S. 873, 888; kritisch zum analytischen Erkenntniswert dieser Unterscheidung Dreier, ZfRSoz 4 (1983), S. 101, 103.

A. Annäherungen

17

ve ausgehende "Kolonialisierung der Lebenswelt"16, externe und interne Verrechtlichung unterschieden 17• Erstere umschreibt das quantitative Phänomen zunehmender Normierung neuer, bislang nicht erfaßter Lebensbereiche. Diese "Dynamisierung des Rechts"18 vor allem hat Habermas im Auge, wenn er die Verrechtlichung als säkularen zivilisatorischen Prozeß interpretiert, der sich seit dem BegiIm der Neuzeit in vier großen Schüben vollzogen habe l9 • Kennzeichnend für die gegenwärtige vierte Phase des sozialstaatlichen Verrechtlichungsschubes sei, daß der Staat das Recht zunehmend als Steuerungs- und Gestaltungsmittel einsetze, um Wirtschaft und Gesellschaft zu formen 20• Auch Luhmann hat darauf hingewiesen, daß im allgemeinen der Bedarf für kongruent generalisierte Verhaltenserwartungen in dem Maße steigt, wie die Gesellschaft komplexer wird und sich immer mehr funktionell ausdifferenziert21 • Diesen Bedarf befriedigt allerdings die allseits beklagte Nonnenflut22 nur vordergründig: Wenn die Gesetzgebung aufgebläht wird und nicht mehr von klaren, überschaubaren Prinzipien geleitet ist, führt dies trotz gestiegener Regelungsdichte keineswegs zu einem Gewinn an rechtlicher Orientierungsgewißheit23 • Walter Leisner konstatiert deshalb mit Recht einen Circulus vitiosus des Rechtsstaats, und zwar nicht nur in bezug auf die exteme, sondem auch im Hinblick auf die inteme Verrechtlichung 24 • Als inteme Verrechtlichung wird die qualitative Dimension dieser Entwicklung bezeichnet. Gemeint ist das Phänomen, daß Lebensbereiche, die bereits geregelt sind, durch Verdichtung des normativen Regelungsgehalts noch weiter durchnormiert werden. Die Regelungsdichte 25 , d. h. die Präzision und Genau16 So die plakative Formel, mit der Habermas, Theorie, S. 522 ff., die Folgen der VerrechtIichung für die sozialen Beziehungen der Individuen zu verdeutlichen sucht. 17 Vgl. etwa Görlitz/Voigt, S. 119; kritisch zu dieser Unterscheidung Schulze-Fielitz, S. 2. U Weiß, DÖV 1978, S. 601, 602.

" Habermas, Theorie, S. 524 ff. 20

Habermas, Theorie, S. 530 ff.

21

Luhmann, Rechtssoziologie, S. 103.

Besonders prägnant Weiß, DÖV 1978, S. 601 ff.; ferner etwa lsensee, ZRP 1985, S. 139 ff.; F. Kirchhof, Normenflut, S. 257 ff.; Maassen, NJW 1979, S. 1473 ff.; Starck, ZRP 1979, S. 209 ff.; zuletzt ausführlich Holtschneider, S. 28 ff. m. w. N. Weitere Nachweise der Schriftenflut zur Normenflut finden sich bei Braun, VerwAreh 1985, S. 24, 36 Fn. 63; Ossenbühl, Vorbehalt, S. 9 f.; Pütlner, DÖV 1989, S. 137, 139 Fn. 25; Schneider, Rn. 427 Fn. 2; Schulze-Fielitz, S. 9 ff. 22

23

Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 162, 163 f.

Leisner, JZ 1977, S. 537, 540; ähnlich Degenhart, DÖV 1981, S. 478, 483 ff.; Jsensee, ZRP 1985, S. 139, 141 ff. 24

2S Dem sozial- und verwaitungswissenschaftlichen Sprachgebrauch, den Intensitätsgrad der rechtlichen Durchdringung eines Regelungsbereichs nicht als Regelungsdichte, sondern als Regelungstiefe zu bezeichnen, vgl. etwa Böhret/Hugger, S. 11; Mayntz, S. 24, 25, wird hier nicht gefolgt, da

2 Gassner

18

Einleitung

igkeit der in den Nonnen enthaltenen Festlegungen, wird erhöht. Bei solcher "Detaillierung des Rechts"26 besteht die spezifische Gefahr perfektionistischer Nonnen, die aufgrund ihrer hohen Komplexität wenig übersichtlich und schwer handhabbar sind 27 • Beiden Typen der Verrechtlichung ist auf individueller Ebene gemein, daß sie, jedenfalls wenn man die klassische Eingriffstätigkeit des Staates in den Blick nimmt, den Verlust individueller Freiheitsräume zur Folge haben28• Darüber hinaus führt die Überkomplexität und ständige Novellierung von Gesetzen aus Sicht des Nonnadressaten zu Unsicherheit, Unstetigkeit, Verlust an Verläßlichkeit, kurz: zu dem, was Soziologen als "Kontingenz" bezeichnen, und wovon ihn die sozialen Institutionen im Sinne Gehlens eigentlich gerade "entlasten" sollen 29• Als negative Folge der Verrechtlichung auf gesellschaftlicher Ebene befürchtet man vor allem eine Machtverschiebung zugunsten der Verwaltung 30• Zudem träten Vollzugsdefizite auf, so daß das Recht nach verbreiteter Ansicht Gefahr läuft, seine Wirkkraft als staatliches Steuerungs- und Gestaltungsmittel allmählich einzubüßen 31 . Denn eine zu hohe Regelungsdichte überfordere nicht nur die Wahrnehmungsfähigkeit der Bürger, sondern auch die BefÜcksichtigungskapazität der Verwaltung32. Verrechtlichung bedeutet demnach nicht mehr die "Herstellung von Erwartungssicherheit mit rechtlichen Mitteln"33. In letzter Konsequenz droht vielmehr die "Selbstgefährdung des Rechts"34. GunJher Teubner zufolge endet die traditionelle Verhaltenssteuerung durch Gesetze wegen der ihr eigenen mangelnden Berücksichtigung der Eigengesetzlichkeiten von regulierendem und reguliertem System unvenneidlich in einem regulatorischen Trilemma: "Sie führt entweder

er in der Rechtswissenschaft unüblich ist, vgl. nur Degenhart, DÖV 1981, S. 478, 483; Denninger, Rn. 159; Maurer, § 6 Rn. 9 ff.; Schulze-Fielitz, S. 2. 26 Weiß, DÖV 1978, S. 601, 602. 1:7 Hendler, JbRSoz 9 (1983), S. 59,63; Voigt, JbRSoz 9 (1983), S. 17, 30; Weiß, DÖV 1978, S. 601, 602. 21

Eindringlich Weiß, DÖV 1978, S. 601, 604 ff.

2'>

Seibe!, S. 134, 150.

30

Holtschneider, S. 48.

Vgl. schon Wagener, VVDStRL 37 (1978), S. 215, 244 ff.; zusammenfassend zuletzt etwa Dreier, S. 7 ff.; Holtschneider, S. 49,68 C.; Lange, VerwArch 1991, S. 1 ff. )1

n Böhret/Hugger, S. 12; Voigt, JbRSoz 9 (1983), S. 17, 30; ders., S. 14, 22 C. 295 f. )) So die Definition von Vobruba, SW 1992, S. 168, 172. 14 Weiß, DÖV 1978, S. 601.

= ders., S. 287,

A. Annäherungen

19

zu einer 'Inkongruenz' von Recht und Gesellschaft oder zu einer 'ÜberIegalisierung' der Gesellschaft oder zu einer 'Übersozialisierung' des Rechtes. "35 Mag diese Auffassung auch zu kategorisch erscheinen, so kann man doch nur schwerlich leugnen, daß der schon 1953 von Hans Huber so eindringlich beschriebene "Niedergang des Rechts"36 sich offenbar noch beschleunigt hat. Das ist jedenfalls der Eindruck, den nahezu alle 37 aktuellen Stellungnahmen zum VerrechtIichungsschub der Modeme und den von ihm ausgehenden Gefahren vermitteln. Axel Görlitz etwa zieht aus "rechtspolitologischer" Sicht folgendes Fazit: "... statt Rechtstransparenz greift Undurchschaubarkeit um sich, statt Rechtsrationalität breitet sich Unberechenbarkeit aus, und statt Rechtssicherheit grassiert Unsicherheit."38 Zugespitzt ließe sich also resümieren: Summum ius summa incertitudo.

III. Entrechtlichung Als Palliativ gegen den Furor legisiativus 3Q und seine unzuträglichen Folgen für die Rechtskultur schlagen zahlreiche Autoren den Abbau nonnativer Verhaltenssteuerung durch Entrechtlichung vor. Ihre Konzepte sind je nach Denkansatz unterschiedlich akzentuiert 40 • Teilweise wird angeregt, Recht auf die Regulierung von Organisation, Verfahren und Neuverteilung von Steuerungsrechten zu beschränken 41 • Andere Entregelungsstrategien orientieren sich eher an der gesetzgeberischen Praxis. Dort hat Reinhard Hendler drei Entgesetzlichungsformen beobachtet, nämli~h (1.) die Rechtsbereinigung bei Aufrechterhaltung des gesetzlichen Normierungsstandards, (2.) die VelWendung von Generalkausein, unbestimmten Rechtsbegriffen, Ennessens- und Auffangtatbeständen anstelle detaillierter gesetzlicher Vorschriften und (3.) die ersatzlose Streichung vorhandener gesetzlicher RegeIungen 42 • In ihren Bemühungen um legal self-restraint setzen nicht wenige Autoren große ElWartungen auf den zweiten Typ rechts technischer Entregelungsformen. Sie plädieren für den Verzicht auf strikte Einzelfallregelungen und befülWorten "mehr rechtsfreie Räume"

3S 36

Teubner. Quademi Fiorentini 1984, S. 109, 126 f., 128 ff.; vgl. auch das., S. 78 f. H. Huber, S. 59 ff., bes. S. 79 ff.

37

Eine Gegenkritik findet sich etwa bei Schulze-Fie/itz, S. 17 ff.

Ja

Görlitz, JfR 1 (1987), S. 17,24.

39

Herzog, S. 83, 86.

Vgl. aus der neueren Literatur etwa Görlitz, JfR 1 (1987), S. 17, 24 ff.; Ronge, JfR 1 (1987), S. 101 Cf.; eingehend zu den verschiedenen AbhilCestrategien zuletzt etwa Holtschneider, S. 184 Cf. 40

4.

Vgl. etwa Teubner, Quaderni Fiorentini 1984, S. 109, 122 ff.

42

Hendler, JbRSoz 9 (1983), S. 59,62 ff.

20

Einleitung

durch venninderte Regelungsintensität43 • Im einzelnen soll dies durch verstärkte Nutzung bestimmter rechtstechnischer Instrumentarien, wie etwa Ennessensgewährungen, unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln, erreicht werden 44 • Solche Fiexibilisierungsstrategien4S sind freilich ebensowenig neu wie die Verrechtlichungdiskussion, die zwar erst seit den siebziger Jahren intensiv geführt wird, deren Wurzeln aber bis in die Weimarer Zeit zurückreichen46• So stand schon earl Schmitt der "Auflösung eines legalitären Nonnativismus " positiv gegenüber und begrüßte sie als möglichen Ausweg aus dem Verrechtlichungsdilemma 47 • Erst heute aber ist "die Grenze zwischen Offenheit und Striktheit einer Regelung ... zu einer Kemfrage der Rechtswissenschaft geworden"48, die unter den verschiedensten Gesichtspunkten breit erörtert wird.

B. Gegenstand Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklung kann es kaum verwundem, daß sich die Stimmen derer mehren, die gerade auch in bezug auf den hier interessierenden Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts 49 fordem, die Legislative solle verstärkt auf offene Normen als Therapeutikum zur Bekämpfung der Gesetzesinflation zurückgreifenso. Die umfangreichere Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf die Verwaltung habe, so wird behauptet, vor allem den Vorteil, eine schnellere Anpassung an die zunehmend dynamischen und komplexen Lebensverhältnisse zu ermöglichen. Hinzu komme, daß das Parlament wieder ausreichend Zeit erhalte, sich auf die wesentlichen Gesetzgebungsaufgaben zu orientieren 51 • Aus diesen Gründen erscheine es "durchaus legitim",

43

Leisner, JZ 1977, S. 537, 542; ähnlich Starck, ZRP 1979, S. 209, 213.

Vgl. Lange, DVBI 1979, S. 533 ff.; Löwe, S. 9, 13 ff.; Mosch, 35, 43 ff.; Oschatz, DVBI 1980, 619 ff.; Weiß, DÖV 1978, S. 601, 607; vgl. für die durch die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bewirkte" Aufwertung und Ausweitung des Ermessens" Bullinger, JZ 1984, S. 1001, 1005 = ders., S. 131, 144 ff. m. w. N. 44

45 Voigt, S. 14,25 f. = ders., S. 287, 297 f., spricht insofern von Flexibilisierung i. e. S.; ebenso Holtschneider, S. 198 ff. 46 Vgl. dazu Voigt, JbRSoz 9 (1983), S. 17, 19; Vobruba, SW 1992, S. 168, 169 f. 47

C. Schmiu, Staat, S. 43; vgl. hierzu Seibel, S. 134, 135 f.

48

P. Kirchhof, Bestimmtheit, S. 25.

49 Hier verstanden als die Regelungsmaterie, in der sich öffentliches Wirtschaftsrecht und Verwaltungsrecht überschneiden, vgl. etwa die Definitionen bei PüUner, Wirtschaftsverwahungsrecht, S. 109, und Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 9.

50 Vgl. vor allem Braun, VerwArch 1985, S. 24, 40 ff. m. w. N.; Mösbauer, S. 9 Fn. 34, 222; ähnlich Mann, S. 44 ff. 51 Braun, VerwArch 1985, S. 24, 41, 44.

C. Abgrenzungen

21

wenn die Legislative die Regelungsdichte wirtschaftsbezogener Gesetze vermindere 52• Nicht die Legitimität, sondern die Legalität einer besonderen Art solcher Entgesetzlichung zu untersuchen, setzt sich diese Studie zum Ziel. Ihr Gegenstand sind solche Regelungen, bei denen der Konflikt zwischen Komplexität und Dynamik der Lebensverhältnisse einerseits und den Anforderungen an normative Orientierungssicherheit andererseits besonders deutlich zutage treten müßte: Genehmigungsvorbehalte ohne Genehmigungskriterien, wie etwa § 5 Abs. 1 EnWG, § 3 WährG, § 12 Abs. 3 AEG oder § 15 Abs. 2 NSpkG. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich damit zunächst und vor allem die Frage nach der "hinreichenden Bestimmtheit"53 solcher Regelungen. Spätestens seitdem das Bundesverfassungsgericht Anfang der siebziger Jahre die sog. Wesentlicbkeitstbeorie54 entwickelt hatsS, lassen sich Bestimmtheitsanforderungen allerdings nicbt isoliert von der Frage der Reichweite des Parlamentsvorbehalts ermitteln. Dies erhellt schon daraus, daß - wie im einzelnen noch darzustellen sein wird - das Bestimmtbeitsgebot ebenso wie der Vorbehalt des Gesetzes in seiner modemen Prägung Aussagen über die Aufgabenverteilung zwiscben Normgeber und Nonnvollzieher trifft. Das Verhältnis zwischen beiden Verfassungsgrundsätzen haben Rechtsprechung und Lehre indes noch nicht abschließend geklärt 56• Für die hier zu erörternde Frage der Verfassungsmäßigkeit kriterienloser Genehmigungsvorbehalte bedeutet dies, daß es zunäcbst erforderlich ist, Umfang und Grenzen des Gesetzesvorbebalts sowie dessen verfassungsdogmatische Grundlagen zu thematisieren.

c. Abgrenzungen Mit Rücksicht auf die zahlreichen Arbeiten aus jüngerer Zeit, die sich mit diesem Thema unter verschiedenen Blickwinkeln eingehend auseinandergesetzt haben 57, dient die Darstellung im bier vorge,gebenen Rahmen allerdings vor

52

Braun, VerwArch 1985, S. 24, 44.

So die ständige Fomlel des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 8, 274, 275 (LS 5), 325, die es zunächst zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG entwickelt hatte, vgl. etwa BVerfGE 1, 14, 17 (LS 19), 60; 4, 7, 21; 4, 352, 358; 5, 71, 77; 7, 267, 274; vgl. zur Genealogie des allgemeinen Bestimmtheitsgebots ausführlich unten 4. Kap. C. I. 1. 54 Soweit ersichtlich hat Oppermann, C 51 Fn. 104 und passim, diesen Begriff geprägt. 55 Grundlegend BVerfGE 33, 125, 158 ff. 53

Vgl. im einzelnen unten 2. Kap. G, 3. Kap. E. Vgl. etwa Börger, S. 4 ff.; Busch, S. 19 ff.; Clement, bes. S. 4 ff., 118 ff.; Hermes, bes. 14 ff.; Ossenbühl, Vorbehalt, S. 9 ff.; Papier, Vorbehalt, S. 36 ff.; Staupe, bes. S. 42 ff., 103 ff. 56 57

Einleitung

22

allem der Vergewisserung über die eigene Position und wird sich weitgehend auf diejenigen Streitpunkte beschränken, die dazu beitragen, den anzuwendenden verfassungsrechtlichen Maßstab einschließlich seiner Subkriterien zu konkretisieren. Ausgeblendet bleibt namentlich die Frage des Verhältnisses von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zum Gesetzes- bzw. Parlamentsvorbehalt. Das Schwergewicht der Untersuchung liegt auch nicht auf der dogmatischen Ableitung des Parlamentsvorbehalts, zumal die einschlägigen Bemühungen im Schrifttum im Verhältnis zum betriebenen theoretischen Aufwand wenig ertragreich waren und letztlich die von Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelten Wesentlichkeits- und Bestimmtheitskriterien~ nicht substantiell vertiefen oder ergänzen konnten 59. Allem Anschein nach bleibt das Wesentliche der Wesentlichkeitstheorie und das Bestimmte des Bestimmtheitgebots im wesentlichen unbestimmbar. Angesichts dieses Befundes erscheint es deshalb vorrangig, jenen Kriterienkatalog auf seine Praktikabilität zu überprüfen und aus wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Sicht zu spezifizieren und zu differenzieren. Freilich kann auch dies nicht geleistet werden, ohne sich Klarheit über die dogmatische Verankerung von Wesentlichkeits- und Bestimmtheitsmaßstäben zu verschaffen. Denn Nonnativität und Operativität des Bestimmtheitsgebots werden, wie im einzelnen noch darzustellen ist, maßgeblich von seinen verfassungsrechtlichen Direktiven sowie deren Konsistenz und Homogenität geprägt.

D. Methode Entsprechend der rein juridischen Orientierung der Arbeit60 soll den Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts, anders als etwa in der sonst verdienstvollen Studie Jürgen Staupes, nicht bloß den Rang einer rechtspolitisch vernünftigen Checkliste zukommen 61 • Sie werden vielmehr als rechtliche Indikatoren für die verfassungsmäßige Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf die Verwaltung begriffen. Damit ist zugleich gesagt, daß Maßstäbe, die primär von rechtspolitischen Vorstellungen detenniniert sind, von vornherein außer Betracht bleiben62 •

SB Anders als Denninger, JA 1993, S. 264,266, meint, "fehlen ... die feineren Maßstäbe zur gebotenen Regelungsdichte" keineswegs; vgl. im einzelnen unten 6. Kap. 59 Bauer, JZ 1990, S. 130, 131; Henseler, UPR 1988, S. 135, 136 f.; Karpen, AöR 114 (1989), S. 662 f.; Ossenbühl, DVBI199O, S. 1123, 1124; Schoch, NVwZ 1988, S. 1115, 1116.

611 61

Vgl. schon oben B. Vgl. Staupe, S. 292 Fn. 250, 294; zutr. Kritik bei Henseler, UPR 1988, 135, 136.

62 Hierzu ist etwa die Frage zu rechnen, inwieweit es unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsüberlastung sinnvoll ist, daß sich der Bundestag mit Detailfragen befaßt.

E. Gang der Untersuchung

23

Freilich darf diese Konzentration auf unverzichtbare Mindeststandards juristischer Analysen nicht als Huldigung an rechtspositivistische Denktraditionen mißverstanden werden. Richtigerweise muß man vielmehr auch in diesem Kontext von Heinrich Triepels berühmter Erkenntnis ausgehen, daß das Staatsrecht im Grunde keinen anderen Gegenstand als das Politische hat63 • Vor allem die Vielfalt und Vielschichtigkeit der entscheidungserheblichen Aspekte ist es, die im Halbdunkel zwischen Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgebot die Konturen zwischen verfassungsrechtlich zwingend gebotenem und lediglich rechtspolitisch vemünftigem Verhalten des parlamentarischen Gesetzgebers verschwimmen läßt64 • Der Umstand, daß Staatsrecht und Politik grundsätzlich nicht zu trennen sind, entbindet den Verfassungsinterpreten aber auch hier nicht von der Verpflichtung, der Normativität der Verfassung hinreichend Rechnung zu tragen. Denn wie alle Rechtswissenschaft ist auch die Staatsrechtswissenschaft, wie Konrad Hesse in seiner Freiburger Antrittsvorlesung prägnant formuliert hat, "Normwissenschaft; dadurch unterscheidet sie sich von der politischen Soziologie und der Wissenschaft von der Politik als reinen Wirklichkeitswissenschaften. "65 Leitet demnach die Publizistik ebenso wie die anderen Zweige der Jurisprudenz ihre Existenzberechtigung aus der potentiellen Diskrepanz zwischen Sein und Sollen ab, so ist es auch ihre Existenzbedingung, um noch eirunal Triepel das Wort zu geben, "die Grenze aufzuzeigen, wo objektive Erkenntnisse durch subjektive Urteile abgelöst werden; es ist ihre Pflicht zu versuchen, diese Grenze [n] möglichst weit hinauszuschieben "66.

E. Gang der Untersuchung Die Arbeit gliedert sich in einen allgemeinen und einen besonderen Teil. Das Hauptgewicht der Darstellung liegt auf der Erörterung der oben angerissenen verfassungsdogmatischen Fragen. Die beiden Eingangskapitel des ersten Teils enthalten ein erstes Grobraster zur verfassungsrechtlichen Bewertung kriterienloser Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht Im ersten Kapitel werden, soweit hier von Interesse, die Besonderheiten des Wirtschaftssystems als Regelungsobjekt des Wirtschaftsverwaltungsrechts erörtert. Im nächsten Kapitel folgt eine typologi-

6)

Triepel, Staatsrecht, S. 12, in seiner Berliner Rektoratsrede von 1926; ebenso ders., VVDStRL

M

Hense1er, UPR 1988, S. 135, 136.

6!1

Hesse, Verfassung, S. 5.

66

Triepel, AöR 43 (1922), S. 349, 350.

5 (1928), S. 2, 8.

24

Einleitung

sche Analyse von Genehmigungsvorbehalten ohne Genehmigungskriterien. In den anschließenden drei Kapiteln wird untersucht, ob und inwieweit der Parlamentsvorbehalt in der Lage ist, die ihm zugedachte Funktion als verfassungsrechtlicher Bestimmtheitsstandard zu erfüllen. Um diese Frage zu klären, wird im dritten Kapitel zunächst der Gesetzesvorbehalt der Wesentlichkeitstheorie und seine verfassungsdogmatische Funktion diskutiert Als Kontrapunkt folgt im nächsten Kapitel die Darstellung des allgemeinen Bestimmtheitgebots. Dem schließt sich im fünften Kapitel die Analyse des Verhältnisses beider Rechtsinstitute an. Mit dem sechsten Kapitel, in dem die wirtschaftsrechtlich relevanten Determinanten der Regelungsdichte näher bestimmt werden sollen, endet der allgemeine Teil der Arbeit. Im abschließenden zweiten Teil soll am Beispiel von § 5 Abs. 1 EnWG versucht werden, die generelle verfassungsrechtliche Beurteilung kriterienloser Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht exemplarisch zu konkretisieren.

Erster Teil

Die Verfassungsmäßigkeit kriterienloser Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht Erstes Kapitel

Wirtschaftsordnung und Recht Will man die Verfassungsmäßigkeit bestimmter wirtschaftsregelnder Nonnen prüfen, erscheint es von Nutzen, sich vorab über die Besonderheiten der Rege1ungsmaterie und des sie ordnenden Nonnensystems Klarheit zu verschaffen.

A. Wirtschaft als Regelungsobjekt I. Wirtschaft und Recht Auch wenn das Wirtschaftsverwaltungsrecht nicht einheitlich definiert wird, so ist man sich doch darin einig, daß eine begriffliche Bestimmung dieses Rechtsgebiets an dem Merkmal "Wirtschaft" anzusetzen hat. Überwiegend wird dieser Begriff wie in der Volkswirtschaftslehre verstanden als Summe der Einrichtungen und Maßnahmen zur planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs durch Erzeugung, Herstellung und Verteilung knapper Güter sowie die Erbringung knapper Dienste und Leistungen. Diese Begriffsbestimmung fußt auf der Vorstellung einer Gliederung der Wirtschaft in einen primären (Urproduktion), einen sekundären (gewerblich-industrielle Produktion) und einen tertiären Sektor (Dienstleistungen)!. Keine modeme Gesellschaft kaml die Bedarfsdeckung, die in diesen drei Sektoren zu leisten ist, allein den autonomen Entscheidungen der privaten Wirtschaftssubjekte überlassen 2• Selbst streng (neo-)liberal gesinnte Theoretiker räumen ein, daß es gewisser staatlicher Maßnahmen bedarf, um die Funktions-

1

Bauer, in: R. Schmidt, S. 38; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 9 f.; jew. m. w. N.

2

Vgl. aus rechtswissenschaftlicher Sicht statt vieler Scheuner, VVDStRL 11 (1954), S. 1, 8.

1. Teil, 1. Kap.: Wirtschaftsordnung und Recht

26

fähigkeit marktwirtschaftlicher Systeme zu gewährleisten3• Von der Notwendigkeit, den gesamtwirtschaftlichen Prozeß durch eine "ordnende Ratio" des Staates zu lenken 4, geht auch die "Freiburger Schule" des Ordoliberalismus aus, die mit ihrer Konzeption der Sozialen Marktwirtschafts die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland grundlegend zu prägen vermochte 6 • Ihr zufolge wird die erforderliche staatliche Ordnung des Wirtschaftsprozesses mit rechtlichen Mitteln hergestellt, wobei sich Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung wechselseitig bedingen: "Der Rechtsstaat kann sich nur dort vollständig durchsetzen, wo zugleich mit seiner rechtlich-staatlichen Ordnung eine 'adäquate' Wirtschaftsordnung verwirklicht ist."7 Ist man mit Franz Böhm bereit, "gewisse Entsprechungszusammenhänge zwischen Staatsverfassung und Wirtschaftsordnung" zu kOllStatieren8 , so bedeutet dies in einer freiheitlichen Verfassungsordnung auch und vor allem, die Grenzen der wirtschaftspolitischen Wirksamkeit des Staates strikt anzuerkennen. Ausmaß und Intensität staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen sollen mithin unter der Maxime stehen: "So viel Freiheit wie möglich, so viel Zwang wie unbedingt notwendig."q Die herkömmliche Auffassung eines dialektischen Verhältnisses von Recht und Wirtschaft, die hier freilich nur grob skizziert werden konnte, sieht sich im Kontext der schon erwähnten Verrechtlichungsdebaue lo neuerdings grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt, und zwar vor allem von seiten der Systemtheorie. Aus systemtheoretischer Sicht ist für moderne Gesellschaften charakteristisch, daß sie aus verselbständigten Teilsystemen bestehen. Die Selbstreferentialität eines Teilsystems habe dessen Immunität gegenüber externen Steuerungsversuchen zur Folge ll • Da es sich bei der Wirtschaft ebenfalls um ein autopoietisch geschlossenes Subsystem handele, sei, wie einzelne Protagonisten der Systemtheorie meinen, auch in diesem Bereich eine gezielte Einwirkung mit rechtlichen Mitteln generell unmöglich. So stellt etwa Niklas Luhmann lapidar fest: "Das politische System kaml ... nur sich selber steuern. "12 ) Vgl. etwa Hayek, S. 287: "... eine funktionierende Marktwirtschaft setzt gewisse Tätigkeiten des Staates voraus·. 4 Eucken, S. 7. 5

Diese Formel hat Müller-Armac/c, S. 59, geprägt.

Vgl. hierzu etwa Püttner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 19 ff.; R. Schmidt, S. 68 f.; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 37 ff. 7 Eucken, S. 52. 6

• Böhm, S. 7. Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 42.

q

10

Vgl. oben Einleitung A. 11.

11

Vgl. im einzelnen die Darstellung von RosewitzJSchiman/c, S. 295, 300 f. m. w. N.

12

Luhmann, Wirtschaft, S. 334; ders., PVS 1989, S. 4 ff.; ähnlich Willke, S. 3, 13.

A. Wirtschaft als Regelungsobjekt

27

Ob dieser radikale Steuerungspessimismus empirisch belegbar ist und theoretisch überzeugend begründet werden kann, ist indessen höchst zweifelhaft Schon wenn man die Rechtswirklichkeit in den Blick nimmt, scheint eher die Annahme gerechtfertigt, daß die systemtheoretische Argumentation trotz der häufigen VelWendung des Wortes "hochkomplex" die Komplexität der Verflechtungen und Interaktionen zwischen Staat und Gesellschaft verkennt und vor allem auch die vielfältigen Interventionsinstrumente und Interventionsintensitäten, wie sie gerade für das WirtschaftsvelWaltungsrecht typisch sind, nicht angemessen erfassen kann!3. Vor allem punktuelle Interventionen, etwa durch Genehmigungsvorbehalte, zeitigen im allgemeinen klar erkennbare unmittelbare Steuerungswirkungen. Die pauschalisierende These von der praktischen Steuerungsunfähigkeit des politischen Systems läßt sich also schon in empirischer Hinsicht kaum überzeugend belegen. Aber auch die theoretischen Prämissen dieser Auffassung rufen Bedenken hervor. Die Stichworte für mögliche Einwände liefern die Protagonisten des systemtheoretischen Steuerungspessimismus selbse 4• Gunther Teubner etwa ist der Auffassung, die autopoietisch geschlossenen Teilsysteme seien keine autistischen Systeme, die ihre Umwelt nicht oder nur bedingt wahrnähmen, sondern vielmehr miteinander kommunizierten. Deutlich wird dies an seiner Darstellung des in der ökonomischen Analyse des Rechts diskutierten Modells ko-evolutionärer Prozesse von Recht und Wirtschaft, das er für "hilfreich" hält l5 • Teubner zufolge impliziert dieses Modell, "daß sich das Rechtssystem gezielt für Außenlänn empfindlich machen" könne l6 • Das bedeutet aber freilich auch umgekehrt, daß sich das Wirtschaftssystem systematisch für "Gesetzgebungslänn" empfänglich macht. Diese vom theoretischen Ausgangspunkt gewonnene Beschreibung des Verhältnisses von Recht und Wirtschaft läßt sich in der Wirklichkeit unschwer nachweisen - man denke nur an den Lobbyismus durch Wirtschaftsverbändei? Die organisierten Interessen in Gestalt der Verbände zeichnet aus, daß sie ständig mit Vertretern des politischen Systems, wie etwa der Ministerialbürokratie, kommunizieren. Betrachtet man beide Seiten als Repräsentanten der von ihnen vertretenen Subsysteme, so wird klar, wie man sich die Funktionsweise der "dezentralen Kontextsteuerung" nach Helmut Willke konkret vorzustellen hat. Willke führt zur Art und Weise der Beteiligung der autopoietisch geschlossenen Teilsysteme an dem Prozeß der dezentralen Kontextsteuerung l8

]) Scharpf, PVS 1989, S. 10,16; Schuppert, Staat 1989, S. 91, 100. 14

Vgl. Schuppert, Steuerung, S. 217, 224 ff.

15

Teubner, JbRSoz 13 (1988), S. 45, 54; ähnlich das., S. 126 f. und passim.

16

Teubner, JbRSoz 13 (1988), S. 45, 54.

17

Schuppert, Steuerung, S. 217, 225 f.

11

Die dezentrale Kontextsteuerung beläßt jedem Teilsystem die notwendige Selbststeuerung,

1. Teil, 1. Kap.: Wirtschaftsordnung und Recht

28

aus, es seien die Subsysteme selbst, die hierbei "als gesellschaftliche Akteure" in gemischten Gremien, wie etwa Konzertierten Aktionen, m itwirkten 19. Die konturlosen Subsysteme werden durch diesen unvermittelten Ebenenwechsel zu höchst konkreten korporativen Akteuren, die man - vom Standpunkt des politischen Systems aus gesehen - zur Förderung des Gemeinwohls beeinflussen oder sogar instrumentalisieren kann 20 • Die These von der generellen Unempfanglichkeit der Wirtschaft für Steuerungs impulse des politischen Systems vermag also nicht zu überzeugen. Demnach scheint der mancherorts apostrophierte" Abschied vom Recht"21 als Steuerungs instrument der modemen Industriegesellschaft allzu voreilig eingeläutet worden zu sein. Jedenfalls kann die - spätestens mit der Staatsrechtslehrertagung 1989 zum Modethema auch der Rechtswissenschaft avancierte 22 Frage nach den Grenzen der Steuerung durch Recht kaum pauschal beantwortet werden. Da die verschiedenen Regelungsbereiche in je unterschiedlicher Weise einer rechtlichen Steuerung zugänglich sind 23 , bedarf es vielmehr zunächst einer Differenzierung nach Rechtsmaterien 24 • Mit Blick auf die vorliegende ThemensteIlung ist also danach zu fragen, welche besonderen Merkmale unsere Wirtschaftsordnung in ihrer Eigenschaft als Rege1ungsobjekt aufweist.

11. Wirtschaft als dynamisches und komplexes System Die "Kompliziertheit des heutigen sozialen Ganzen", unter der die Gesetzgebung Ernst Forsthoffzufolge zuallererst leidet2.5, zeigt sich auch und gerade im Bereich der modemen Wirtschaft Die Steuerungs- und Ordnungsaufgabe des Staates muß sich in einer Umgebung bewähren, deren kontingente Abläufe zu

bindet es aber zugleich in den Funktionszusammenhang der Gesellschaft ein, vgl. im einzelnen WiIlke, S. 3, 4 f. 19

Wil/ke, S. 3, 6; vgl. zu diesem Beispiel ausführlich ders., S. 298 ff.

20

Schuppert, Steuerung, S. 217, 226 f.

21

Vgl. den Titel des von Voigt 1983 herausgegebenen Sammelbandes.

Vgl.lpsen, VVDStRL 48 (1990), S. 178, 192, 205 (LS 12); Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 207, 230 f. (LS 4 und 5); Ronellenfitsch, DVBI 1989, S. 851, 855 f. Schon 1987 widmete sich die HeideIberger Tagung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung "Öffentliches Recht" Fragen der Leistungsfähigkeit des Rechts, allerdings Trute, S. 1, zufolge "mehr aus der Innenperspektive der Rechtswissenschaft". Vgl. auch den Beitrag von Brohm, S. 218 ff., auf der 56. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1988 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. 22

23

Nocke, S. 81; Schuppert, Steuerung, S. 217.

Ähnlich Schuppert, Steuerung, S. 217, der im Anschluß an Voigt, 1fR 1 (1987), S. 3 f., neben der bereichsspezifischen Differenzierung eine weitere Unterscheidung nach Typen rechtlicher Steuerung vorschlägt; vgl. unten B. 24

25

Forsthoff, Industriegesellschaft, S. 99.

A. Wirtschaft als Regelungsobjekt

29

beeinflussen immer schwieriger ist: Die permanente wissenschaftlich-technologische Revolution hat zur Folge, daß in der Volkswirtschaft Arbeitsteilung und Spezialisierung ständig zunehmen. Vor allem auf ökonomisch-technischem Gebiet herrschen keine stabilen Verhältnisse, sondern Entwicklungstempi, die sich exponentiell beschleunigen. Was heute noch gilt, ist morgen schon überholt. Die Wirtschaftssubjekte interagieren und kommunizieren infolgedessen in immer komplexeren Zusammenhängen. Die Wirtschaft der Industriegesellschaft ist demnach, wie Niklas Luhmann treffend feststellt, keine Hierarchie, sondern eine "Heterarchie", d. h. "ein komplexes System, in dem alle Operationen mit naheliegenden anderen vernetzt und durch sie konditioniert sind, ohne daß irgendwo ... die Einheit des Systems zu beobachten wäre.·26 Die Komplexität und Dynamik des wirtschaftlichen Geschehens äußert sich darin, daß zahlreiche Faktoren das ökonomische Handeln beeinflussen und damit zugleich eine Vielzahl von Variablen für jede staatliche Steuerungsmaßnahme bilden. Die verschiedenen Parameter stehen untereinander in enger Wechselbeziehung. Wie dieses dichte Geflecht von Wechselwirkungen im einzelnen zusammenhängt, ist für die Teilnehmer am Wirtschaftsprozeß weitgehend undurchschaubar. Diese Unübersichtlichkeit wird nicht nur quantitativ durch die Zahl der Verknüpfungen bestimmt, sondern auch durch weit gespannte räumliche und zeitliche Dimensionen21 •

III. Grenzen rechtlicher Steuerung Für die staatliche Steuerungsaufgabe wirkt sich die Undurchschaubarkeit und Unvorhersehbarkeit des Wirtschaftsgeschehens insofern prekär aus, als sie auf den - jedenfalls im Nahbereich noch vorhandenen - Sachverstand der privaten Wirtschaftssubjekte verstärkt angewiesen ist28• Zudem erschweren es das rasante Entwicklungstempo und die damit einhergehende Zunahme an Komplexität dem Gesetzgeber immer mehr, die Vielfalt der ökonomischen Vorgänge durch abstrakt-allgemeine Tatbestandsbeschreibungen zu erfassen. Delill die Regelung durch eine Rechtsnorm setzt voraus, daß die Komplexität der Umwelt reduziert ist und auf eine überschaubare Anzahl allgemein geltender Tatbestände abstrahiert werden kann. Auch weitere immanente Voraussetzungen des klassischen rechtsstaatlichen Modells der gesetzeskonformen Steuerung durch Eingriff scheinen, wie dargestellt, gerade im Bereich der Wirtschaft immer weniger

26

Luhmann, Wirtschaft, S. 126 f.

27

Vgl. Ritter, S. 69, 71, zu den Dimensionen sozialer Komplexität im allgemeinen.

Vgl. Schuppert, Steuerung, S. 217, 220 f., der allerdings das Steuerungsproblem im Verhältnis von Recht und Wirtschaft zu sehr auf diesen Gesichtspunkt verengt. 2i

1. Teil, 1. Kap.: Wirtschaftsordnung und Recht

30

vorhanden zu sein. Die zentralen Prämissen dieses Regelungsmodells, nämlich daß die angestrebten Steuerungseffekte im wesentlichen über geradlinige, einfach gebaute Wirkungsketten verlaufen, daß im gesellschaftlichen Umfeld konstante Verhältnisse herrschen und daß der Staat über alle erheblichen InformatiOllen verfügt29, sind zunehmender Erosion ausgesetzt. Die sich ständig steigemde techno-ökonomische Komplexität und Dynamik der modemen Industriegesellschaft könnte also ohne weiteres die Annahme rechtfertigen, das Gesetz als auf Dauer angelegte Regelung erleide zwangsläufig im Bereich der Wirtschaft einen Funktionsverlust, so daß die verfassungsrechtlichen Anforderungen an dessen Regelungsdichte zu reduzieren seien 30• Der Befund, daß es immer mehr Rechtsvorschriften des Wirtschaftsverwaltungsrechts gibt, in denen der Gesetzgeber der Exekutive durch Rechtsetzungs- oder Einzelaktsennächtigung ein ziemlich umfassendes Regelungsspektrum zur Verfügung stellet, läßt sich in der Tat kaum bestreiten und belegt diese Hypothese. Die "beunruhigende neue Unbestimmtheit des Rechts" 32 beantwortet aber noch nicht die Frage nach der "normativen Kraft der Verfassung"33, die sich bei EntrechtIichungsstrategien im Verfassungsstaat stets stellen muß. Deshalb erscheint es verfehlt, die Diskussion über Steuerungsprobleme, wie vielfach zu beobachten ist, allein unter dem Gesichtspunkt technischer Effizienz zu führen und die verfassungsrechtlichen Aspekte außer acht zu lassen 34 • Jedenfalls können angesichts der Vielgestaltigkeit des wirtschaftsbezogenen Betätigungsfeldes des Staates kaum allgemeingültige Aussagen über die verfassungsrechtIichen Grenzen administrativer Entscheidungsfreiräume und damit auch über die verfassungsrechtIich gebotene Regelungsdichte wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Normen getroffen werden. Soll deshalb das Ausmaß der rechtlich relevanten Komplexität und Dynamik bei bestimmten wirtschaftsregelnden Normen beurteilt werden, ist es erforderlich, weitere Unterscheidungen zu treffen. Zweckmäßigerweise wird man sich zunächst über die verschiedenen Arten von Regelungsmodi und Handlungsformen, die das Wirtschaftsverwaltungsrecht in seinen verschiedenen Sparten kennt, Klarheit verschaffen, um sodann den hier interessierenden Normtyp entsprechend zuzuordnen.

2'>

Näher Ritter, AöR 104 (1979), S. 389, 390 f.

30

So etwa Braun, VerwArch 1985, S. 24,44.

3'

Vgl. etwa den Überblick bei Tettinger, S. 373 ff.

)2

Teubner, S. 124.

33

So der Titel von Hesses Freiburger Antrittsvorlesung.

JoI

Brohm, S. 217, 219, 220 f.

B. Legislative und Exekutive im Wirtschaftsverwaltungsrecht

31

B. Legislative und Exekutive im Wirtschaftsverwaltungsrecht I. Strukturelemente der Wirtschaftsverwaltung Dieses Vorhaben wird dadurch erschwert, daß es trotz zahlreicher Bemühungen bis heute nicht gelungen ist, das Wirtschaftsverwaltungsrecht in einer allgemein anerkannten und überzeugenden Weise zu systematisieren und zu strukturieren3s • Dieses auffalIige Defizit gegenüber anderen Teilgebieten des besonderen Verwaltungsrechts mag der diffusen, inhomogenen Stoffmasse geschuldet sein, die diese Rechtsmaterie umfaßt36• Wie dem auch sei, für den hier verfolgten begrenzten Zweck erscheint es jedenfalls sinnvoll, jenen Gliederungsversuchen keine neuen hinzufügen. Die folgende Darstellung beschränkt sich deshalb darauf, einen themenspezifisch orientierten Überblick zu geben. Mit dem Wirtschaftsverwaltungsrecht als Steuerungsinstrument regelt der Staat die Voraussetzungen der Wirtschaftstätigkeit, ihre erlaubten Grenzen und deren administrative Kontrolle. Hierbei steht in der Praxis nach wie vor das Handeln der Behörde durch Wirtschaftsverwaltungsakte37 quantitativ und qualitativ im Vordergrund 3S • Die hier interessierenden Genehmigungsvorbehalte ennächtigen die zuständigen Behörden, begünstigende oder - im Falle der Versagung - belastende Wirtschaftsverwaltungsakte zu erlassen 39• Legt man die traditionelle Abgrenzung von Eingriffs- und Leistungsverwaltung zugrunde, sind Genehmigungsvorbehalte als Fonnen der Einschränkung von Freiheitsgrundrechten ersterer zuzuordnen. Fraglich ist indessen, üb dieser Klassifikation heute überhaupt noch dogmatische und systematische Bedeutung zukommt Denn die Gegenüberstellung von Eingriffs- und Leistungsverwaltung beruht auf dem konstitutionellen Staatsrecht, das den allgemeinen Gesetzesvorbehalt am Merkmal des Eingriffs festgemacht hat40• Die damit verbundene Orientierung an den Rechtsfonnen des Verwaltungshandelns steht mit dem Grundmuster des sozialstaatlich geprägten Verwaltungsrechts und seinen fließenden Grenzen zwischen Leistung und Eingriff'l schwerlich in Einklang.

3S Vgl. nur die divergierenden Gliederungsversuche bei Badura, Rn. 67 ff.; Brohm, DÖV 1979, S. 18 ff.; Henke, DVBI 1983, S. 982 ff.; Kolb, S. 981 ff.; Tettinger, S. 113 ff. J6 Braun, VerwArch 1985, S. 24,29. 37

Diesen Begriff hat namentlich E. R. Huber I, S. 55 ff., geprägt.

Ja

Stober. Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 206.

39

Vgl. schon E. R. Huber I, S. 60 f.

40 41

Vgl. hierzu unten 3. Kap. V~1. dazu nur die Beispiele bei Püttner, Verwaltungslehre, S. 38.

32

1. Teil, 1. Kap.: Wirtschaftsordnung und Recht

Die Fixierung auf den nonnativen oder konkreten Eingriffsakt erscheint namentlich im Bereich der lenkenden und planenden Wirtschaftsverwaltung verfehlt, wo er häufig nur einen Ausschnitt des komplexen mehrstufigen Verwaltungshandelns darstellt 42 • Daher ist die dogmatische Anknüpfung am Merkmal des Eingriffs keineswegs "in allen Gebieten der Wirtschaftslenkung unentbehrlich", wie Peter Lerche meint43 • Gleichwohl würde es zu weit gehen, der Unterscheidung von Eingriffen und Leistungen jedwede Bedeutung abzusprechen. Gerade auch im Hinblick auf die hier interessierende Frage der Nonnierungsdichte bleibt sie nach wie vor zumindest "hilfreich"M, es sei delUl, man folgt entgegen der ganz h. M. der Lehre vom sog. Totalvorbehalt, die die völlige Durchnonnierung auch der Leistungsverwaltung fordert 45 • Der wesentliche Grund, an dieser Differenzierung auch weiterhin festzuhalten, besteht darin, daß anderenfalls das jeweils unterschiedliche Ausmaß gesetzlicher Gestaltungsfreiheit nicht angemessen berücksichtigt würde. Wegen der in beiden Bereichen unterschiedlichen Maßstäbe für das Handeln des Gesetzgebers ist es also nach wie vor grundsätzlich sinnvoll und zweckmäßig, zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung zu unterscheiden 46 • Für den hier verfolgten Zweck erscheint diese fonnale Unterscheidung zwischen den beiden Hauptzweigen der Verwaltung allerdings noch zu unspezifisch. Sie muß deshalb durch eine materielle, zweckorientierte Typisierung konkretisiert werden, die der Beschaffenheit des Wirtschaftsverwaltungsrechts mit seinem komplexen ökonomischt'n Bezugsfeld in besonderem Maße entspricht Unter dieser Optik bietet sich eine Grobgliederung in zwei Teilgebiete an, und zwar in das gewerbepolizeilich ausgerichtete Wirtschaftsüberwachungsrecht und das wirtschaftspolitischen Zielen dienende Wirtschaftssteuerungsrecht, das vor allem die Bereiche der Wirtschaftsplanung und der Wirtschaftslt'nkung umfaßt 47 • Die Aufteilung in "mikrojuristisches" Überwachungsrecht und "makrojuristisches" Steuerungsrecht, wie sie von Rolf Gröschner in Anlehnung an die

42 Braun, VerwArch 1985, S. 24, 30; Tettinger, S. 266 f.; allgemein Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 193, 227 f., 242; Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 245, 253 ff. 43 Lerche, DÖV 1961, S. 486 .

.. Püttner, Verwaltungslehre, S. 38, mit generellem Bezug auf das Verwaltungsrecht.

45 Vgl. mit jeweils unterschiedlichen Begründungen etwa Imboden, S. 41 f.; Jesch, S. 186 er.; Rupp, S. 131 f.; ausführlich zu den verschiedenen "Totalvorbehaltslehren" Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 211 ff. 46 v. Münch/Ehlers, § 2 Rn. 55; Tettinger, S. 267.

47 Ähnlich Henke, DVBI 1983, S. 982 f.; diesem folgend Braun, VerwArch 1985, S. 24, 31 f. Auch Jarass, vor § 7 Rn. 1 ff., unterscheidet im Ausgangspunkt zwischen Wirtschaftslenkung und Wirtschaftsaufsicht, während etwa Püttner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 26 f., 123 ff., weitergehend zwischen Wirtschaftsaufsicht, Wirtschaftslenkung (Globalsteuerung) und Wirtschaftsförderung differenziert.

B. Legislative und Exekutive im Wirtschaftsverwaltungsrecht

33

Unterscheidung von Mikro- und Makroökonomie in den Wirtschaftswissenschaften vorgeschlagen wird 48, reflektiert die AufgabensteIlung des Wirtschaftsverwaltungsrechts: Gefahrenabwehr und Wohlfahrtspflege. Diese zwei Leitideen bestimmen die Strukturmerkmale der beiden Rechtsgebiete. So arbeitet das historisch jüngere Steuerungsrecht, das vornehmlich die sozialstaatliche Wohlfahrtspflege im Auge hat, vorwiegend mit indirekten Globalmaßnahmen und mittelbaren Ingerenzen mit ungleichen Auswirkungen, wie etwa dem Gewähren von Vorteilen. Demgegenüber ist für das Wirtschaftsüberwachungsrecht der Gedanke der Gefahrenabwehr prägend mit der Folge, daß es durch die hergebrachten Institute des Polizeirechts geformt wird und als Handlungsinstrumente das traditionelle Arsenal staatlicher Kontrolhnittel aufweist, wie etwa Genehmigungsvorbehalte49. Die eindeutige Zuordnung der einzelnen Rechtsmaterien zum Steuerungsoder Überwachungsrecht ist oft deshalb schwierig, weil viele Gesetze sowohl von sozialstaatlichen wie auch von gewerbepolizeilichen Leitideen beherrscht sind. Im konkreten Fall ist deshalb zu untersuchen, welches Prinzip das einzelne Gesetz schwerpunktmäßig beherrschtso. Trotz der nicht unerheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten sind entsprechende Bemühungen nicht nur berechtigt, sondern hier geradezu geboten. Denn eine solche Systematisierung erlaubt, wie im folgenden darzustellen ist, Rückschlüsse auf die Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgeber und Verwaltung und damit auf die zentrale Frage der erforderlichen Regelungsdichte.

11. Aspekte der Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Exekutive 1. Steuerungsrecht

Itmerhalb des Wirtschaftssteuerungsrechts haben sich - entgegen der im Überwachungsrecht zu verzeichnenden Entwicklung - die Gewichte erheblich zugunsten der Verwaltung verschoben. Diese Entwicklung hängt mit der Differentia specifica beider Rechtsgebiete zusammen. Der wirtschaftspolitische Gestaltungsauftrag des Steuerungsrechts unterscheidet sich von der Ordnungsfunktion des Überwachungsrechts durch seine ausschließliche Zukunftsbezogenheil Dessen Ausrichtung auf zukünftige, nicht vorhersehbare Abläufe erfordert zwangsläufig besonders große Entscheidungs- und Handlungsspielräume für die

Gröschner, S. 66. 4' Henke, DVBI 1983, S. 982, 983; ebenso Braun, VerwAreh 1985, S. 24, 32. 50 Henke, DVBI 1983, S. 982, 983.

U

3 Gassner

34

1. Teil, 1. Kap.: Wirtschaftsordnung und Recht

Verwaltung 5t • Hier mag auch der Bereich sein, wo sich kooperative Verfahren am besten entfalten können 52 und Verwalten durch "mittelbares" Einwirken funktionsadäquat ist53 • Im hier interessierenden Zusammenhang kann das Steuerungsrecht indes ausgeblendet bleiben. Denn als Handlungsinstrumente kommen in diesem Sektor des Wirtschaftsverwaltungsrechts Genehmigungsvorbehalte als klassische Konditionalprogramme 54 gerade nicht in Betracht Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen kann sich der Gesetzgeber im Bereich der Wirtschaftslenkung nicht des herkömmlichen Engriffsinstrumentariums bedienen, sondern ist im wesentlichen auf indirekt wirkende Festlegungen angewiesen 55 • Dementsprechend finden sich in diesem Bereich überwiegend final strukturierte Zweckprogramme, die bewirken, daß der Entscheidungsprozeß der Verwaltung nicht determiniert, sondern nur in Grenzen gefaßt wird 56• Im Steuerungsrecht hat das Gesetz also aufgrund der Besonderheiten der Regelungsmaterie einen Funktionswandel durchgemacht, wenn nicht gar einen - zumindest graduellen Funktionsverlust erlitten. 2. Überwachungsrecht

Auf den ersten Blick könnte man annehmen, daß das Gesetz wenigstens noch im eher traditionell geprägten Überwachungsrecht mit seinen auf die langfristige Ordnung des Wirtschaftsgeschehens angelegten Regelungen seiner hergebrachten Funktion als Steuerungsmittel der Verwaltung gerecht werden kann. Diese Sicht erscheint jedoch bei näherer Betrachtung allzu optimistisch. Dies gilt namentlich für diejenigen Bereiche des Überwachungsrechts, in denen sich die technisch-wissenschaftliche Entwicklung auswirkt Zu denken ist hierbei vor allem an die Rechtsmaterien, in denen sich Wirtschaftsverwaltungsrecht und Umweltrecht berühren 57 • Infolge der Eigendynamik des wissenschaftlich-techno-

51

Braun, VerwArch 1985, S. 24, 34 f.

Vgl. Ritter, S. 69, 89 (f., in bezug auf regionale Wirtschaftspolitik; grundlegend schon Krüger, Zusammenarbeit, S. 235 ff. 53 P. Kirchhof, Verwalten, S. 371 ff. 52

54 Zur Unterscheidung von Konditionalprogrammen und Zweckprogrammen vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 88, 227 ff.

55

Müller-Graf!, S. 250 ff.; Pütlner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 27.

5

Luhmann, Zweckbegriff, S. 195.

57 Dezidiert zum Verhältnis von Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 11 ff.; zurückhaltender Pütlner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 117 f. Eine trennscharfe Absonderung des technisch-ökologischen vom ökonomischen Bereich, wie sie etwa Schuppert. Steuerung. S. 217 ff., unter dem hier diskutierten Blickwinkel ohne nähere Begründung

B. Legislative und Exekutive im Wirtscbaftsverwaltungsrecbt

35

logischen Prozesses entstehen in immer rascherer Folge neue Probleme in bisher nicht bekanntem Ausmaß, die regelungsbedürftig sind, weil sie Gefahren für Leben, Gesundheit und Privatsphäre mit sich bringen 58• Wegen der Vielzahl der berührten Interessen tendiert die Legislative verstärkt dazu, der Verwaltung für die erforderliche Abwägung im Einzelfall nur Richtpunkte vorzugebens9 • Darüber hinaus entlastet sich der Gesetzgeber dadurch von Regelungsaufgaben, daß er die sich ständig ändernden technischen Normen durch offene generalklauselartige Formeln in das Wirtschaftsüberwachungsrecht inkorporiert60 • Der Einsatz solcher "Allgemeinformeln" bietet im Gegensatz zu den Methoden direkter Rezeption technischer Standards 61 den zusätzlichen Vorteil, daß dadurch dem dynamischen Entwicklungsprozeß von Wissenschaft und Technik ohne weiteres Rechnung getragen werden kann 62. In dieser "Tendenz zur technokratischen Selbstregulierung"63 einen gänzlichen Verlust des Primats des Rechts zu sehen und von einer "Herrschaft kraft Ingenieurswissens" zu sprechen 64 , geht allerdings zu weit6S • Vielmehr muß zwischen den verschiedenen Regelungsebenen unterschieden werden. Weitgehend unbestritten ist insofern die Feststellung, daß das" Außenrecht" gegenüber den wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen an Steuerungskraft verloren hat 66• Nicht das Recht insgesamt erleidet also einen Funktionsverlust, sondern vor allem das parlamentarische Gesetz: Die rechtliche Bewältigung der technischen Dynamik wird überwiegend der Exekutive überlassen, die insoweit an die Stelle des parlamentarischen Normgebers tritt67• Inwiefern diese Entwicklungen von den besonderen Strukturen der Regelungsmaterie vorgezeichnet sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Offenbar liegt es in der Sachlogik des wissenschaftlich-technischen Prozesses, daß der vornimmt, wird den tatsächlichen und rechtlichen Verflechtungen beider Regelungsbereiche nicht gerecht. SI Statt vieler Breuer, AöR 101 (1976), S. 46, 50. 59 Braun, VerwArch 1985, S. 24, 33. 60 Braun, VerwAreh 1985, S. 24, 33; Pitschas, DÖV 1989, S. 785, 788; grdl. zur Rezeption technischer Normen durch staatliches Recht Breuer. AöR 101 (1976), S. 46 CC.; Marburger, S. 379

Cf.

61

Hierzu Breuer, AöR 101 (1976), S. 46, 60 Cf.

Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 208,230 f. (LS 4); Nolte, S. 75 f.; Papier, Vorbehalt, S. 36,63 C. 6) Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 208, 230 C. (LS 4). 62

64

Wolf, Leviathan 1987, S. 357, 365.

M

Pitschas, DÖV 1989, S. 785, 788 f.

Vgl. etwa Grimmer, 1fR 2 (1988), S. 144, 152; Stern, Staatsrecht III/l, S. 1280. Grimmer, 1fR 2 (1988), S. 144, 154; F. Kirchhof, Normenflut. S. 257, 262 C.; Murswie/c, VVDStRL 48 (1990), S. 208, 230 C. (LS 4); Pitschas, DÖV 1989, S. 785, 789; Trute, S. I, 17 C. 66 67

36

1. Teil, 1. Kap.: Wirtschaftsordnung und Recht

Behörde von der gesetzlichen Regelung zumindest ein Minimum an Zukunftsoffenheit der Verwaltungsentscheidung gewährleistet wird. Daß wirtschaftsüberwachungsrechtIiche Normen gerade in den umwelt- und technikbezogenen Rege1ungsbereichen von zunehmender Offenheit gekennzeichnet sind 68, ist also zu einem gewissen Grad durch die Eigengesetzlichkeiten der Regelungsmaterie bedingt. Umgekehrt ist aber auch zutreffend, daß Regelungsdefizite nur zum Teil unvermeidlich sind und auch konkrete Sicherheits- und Vorsorgeanforderungen ohne allzu großen Verlust an Anpassungsdynamik vom Gesetzgeber festgelegt werden können 69 • Zu weit geht deshalb die Auffassung, daß "die richtige Balance zwischen angemessener Berücksichtigung des technischen Fortschritts und der notwendigen Beachtung der sicherheitsrechtlichen Belange der Allgemeinheit ... nur die zuständige Behörde finden" könne 70. Entsprechendes gilt für die pauschal erhobene Forderung, im Technikrecht "offene" Regulierungsmuster zu installieren, die nicht nur auf die Prävention als leitende juristische Steuerungskategorie abheben 71 , sondern die Lemfähigkeit der Exekutive "als das zentrale Steuerungselement im Rahmen einer pluralistischen Rechtserzeugung" einsetzen12. Eine solche Sichtweise, die sich primär an der (nur scheinbar unangreifbaren) immanenten Logik technischer Sachzwänge ausrichtet, läuft Gefahr zu verkennen, daß der Staat seine Regelungsaufgabe gerade auch in diesem Bereich wahrnehmen muß 73 und sich schon aus rechtsstaatlichdemokratischen Gründen nicht vorschnell und ohne Not auf die Rolle des Moderators oder Partners im Rahmen kooperativen, reflexiven oder informellen Verwaltungshandelns 74 zurückziehen darf75 • Wie im Wirtschaftsverwaltungsrecht allgemein 76 , so gilt aber auch in dessen Randbereichen, daß apriori getroffene Pauschalurteile über die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsdichte kaum hilfreich sind. Vielmehr kommt es

61

Vgl. den Überblick bei Tettinger, S. 373 ff.

Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 208, 231 (LS 5). In diesem Fall stellte sich dann nicht die Frage der Steuerungsfähiglceit des Rechts, sondern diejenige der Steuerungswilligkeit der rechtsetzenden Organe, vgl. lpsen, VVDStRL 48 (1989), S. 177, 192. q,

70

So Braun, VerwArch 1985, S. 24,34.

71

Hierzu Grimm, KritV 1986, S. 38 ff.

n Pitschas, DÖV 1989, S. 785, 796. 73 Breuer, AöR 101 (1976), S. 46, 47. Für die "Suprematie der rechtlichen Betrachtuugsweise" plädiert ebenso Oftinger, S. 1,32: "Das Recht hat der Technik die Schranken zu setzen und nicht umgekehrt." Vgl. auch die eindringlichen Mahnungen von Fors/hoff, Induslriegesellschafl, S. 42 ff., bes. 46 f.

7.

Vgl. dazu im einzelnen den Überblick bei Pitschas, DÖV 1989, S. 785, 794 ff.

Kritisch auch Püttner, DÖV 1989, S. 137, 140; ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 26; Send/er, DÖV 1989, S. 482, 486; v. Brünneck, S. 253, 258, spricht in diesem Zusammenhang plastisch von der "Gefahr einer Kolonisierung der Verwaltung für gesellschaftliche Einzelinteressen" . 76 Tettinger, S. 374 f. 15

B. Legislative und Exekutive im Wirtschaftsverwaltungsrecht

37

darauf an, den Besonderheiten der konkreten Nonn und des von ihr geregelten Lebenssachverhaltes in differenzierter Weise Rechnung zu tragen. Generell läßt sich sub signo der hier vorgeschlagenen Grobeinteilung daher nur soviel sagen, daß der Umfang des technisch-wissenschaftlichen Dynamisierungspotentials eines Regelungsbereichs indizieIl für die objektiv gebotene Breite des behördlichen Entscheidungsfreiraums ist. Für die Kembereiche des Wirtschaftsüberwachungsrechts, die nur marginale Technik- und Umweltbezüge aufweisen, verbleibt es insoweit bei der abstrakt noch weniger erfaßbaren Indizwirkung ökonomischer Dynamik und Komplexität für die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive 77 • Eine leistungsfähige Wirtschaftsverwaltung kann eben, wie schon Ernst Rudolf Huber betont hat, "nur bei einer gewissen Elastizität der administrativen Entscheidungs- und Gestaltungsmacht entwickelt werden. "78 Mit dieser Erkelmtnis ist über die Verfassungsmäßigkeit kriterienloser Genehmigungsvorbehalte freilich noch kein abschließendes Urteil gesprochen. Vielmehr bedarf es noch weiterer Überlegungen, die sich im folgenden zunächst darauf richten, dil"se Regelungen typologisch und definitorisch zu erfassen.

77 Vgl. oben A. I1., III. 7. E. R. Huber I, S. 59.

Zweites Kapitel

Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte Die dargestellten bereichsspezifischen Charakteristika haben erste Anhaltspunkte rur die verfassungsrechtliche Bewertung kriterienloser Genehmigungsvorbehalte im Wirtschaftsverwaltungsrecht erbracht. Die folgende typologische Analyse soll dazu beitragen, dieses grobe Raster zu verfeinern und zugleich definitorische Klarheit zu schaffen. Im einzelnen lassen sich ideal-, real- und funktionstypische Gesichtspunkte unterscheiden.

A. Idealtypus J. Genehmigungsvorbehalte 1. Formen Im Anschluß an Otto Mayer 1 unterscheidet die traditionelle Verwaltungsrechtsdogmatik bei Tatbeständen, die Erlaubnispflichten rur bestimmte Tätigkeiten festlegen, zwischen "präventiven" Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und "repressiven" Verboten mit Befreiungsvorbehalt2• Dieser Differenzierung liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Gesetzgeber mit präventiven Verboten nicht anstrebt, bestimmte Tätigkeiten als gemeinschaftsschädlich zu unterbinden. Vielmehr sollen sie nur einer wirksamen vorherigen Kontrolle unterworfen werden. Bei Erfüllung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen wird demzufolge die "natürliche Handlungsfreiheit" des Bürgers gleichsam nur wiederhergestellt. Gerade auch im hier interessierenden Wirtschaftsüberwachungsrecht sieht man den Zweck der Erlaubnispflicht allgemein darin, eine Prüfung vor Beginn der Tätigkeit zu ermöglichen 3• Das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist insofern "nichts anderes als die verwaltungsrechtliche Ausprägung der liberalen Idee einer freien Wirtschaft."4 Das repressive Verbot mit Dispensvorbehalt hingegen soll bestimmte Tätigkeiten grundsätzlich verhindern und nur ausnahmsweise zulassen. Es ist ein typisches Instrument wohlfahrtsstaatlicher Wirt-

I

O. Mayer I, S. 239 ff.

Vgl. nur Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 267 f.; Maurer, § 9 Rn. 51 ff.; Ossenbühl, DÖV 1968, S. 623 ff. 2

l

Henke, DVBI 1983, S. 982, 984.

• Hofmann, Privatwirtschaft, S. 12.

A. Idealtypus

39

schaftsüberwachung, das vereinzelt sogar als der "grundrechtlichen Freiheit nicht mehr adäquat" angesehen wird s. Die scharfe Entgegensetzung "präventiver" und "repressiver" Verbote erscheint nach neuerer Auffassung insofern unberechtigt, als Wirkung und Zielrichtung beider Formen von Verbotsnonnen keine grundsätzlichen Unterschiede aufweisen. Sie sind nur in quantitativer, nicht aber in qualitativer Hinsicht verschieden. Gleichviel ob Erlaubnis- oder Befreiungsvorbehalt, jedesmal ist es dem Gesetzgeber darum zu tun, gefährliche Zustände oder Verhaltensweisen zu verhindern und ungefährliche zu gestatten. Die inhaltliche Annäherung beider Nonntypen wird namentlich bei solchen Erlaubnissen deutlich, deren Erteilung in das Ennessen der Verwaltung gestellt ist 6• Wegen der mangelnden Differenzierungsleistung der hergebrachten Typisierung von Erlaubnistatbeständen werden vereinzelt andere Unterscheidungskriterien vorgeschlagen. Kennzeichnend für ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt sei, daß ein Verbot nach behördlieber Prüfung wegen überwiegender privater Belange des Antragstellers aufgeboben werden kann 7• Der Dispens bingegen gestatte Ausnabmen von Verbotsvorscbriften nicbt aus Gründen eines überwiegenden privaten Interesses, sondern ausschließlich aufgrund öffentlicher BelangeS. Ob diese Differenzierungskriterien eine bessere Abgrenzung ennöglicben, erscbeint zumindest in Grenzfällen zweifelhaft Denn ebenso wie bei der traditionellen Auffassung ist es erforderlich, das gesetzgeberiscbe Anliegen zu bewerten. Dieses ist aber oft nicht klar erkennbar, weil der Gesetzgeber schon aufgrund der ibn bindenden verfassungsrecbtlicben Vorgaben gezwungen ist, Gemeinwoblbelange und Individualinteressen auszugleicben. Jedenfalls sind, aucb wenn man diese neuere Typologie der Beurteilung zugrundelegt, die Genebmigungsvorbebalte des Wirtscbaftsverwaltungsrecbts als (präventive) Verbote mit Erlaubnisvorbebalt oder Kontrollerlaubnisse 9 zu klassifizieren. Denn wirtscbaftsverwaltungsrecbtliche Genebmigungen ergehen nicbt ausscbließlicb aufgrund spezifiseber Gemeinwoblbelange, sondern vor allem im Interesse der privaten Belange des Antragstellers. Sie bezwecken, die wirtscbaftlicbe Betätigungs- und Entfaltungsfreibeit (Art. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) der am Wirtscbaftsleben Beteiligten wiederberzustellen, ibnen also das zu geben, was ibnen von Verfassungs wegen obnebin zustebt. Das Wirtschaftsver-

5

So Rupp, NJW 1966, S. 2037, 2039.

Näher Bachof, S. 155,221; Gusy, JA 1981, S. SO, 81; Wolff/Bachofl, S. 406; Schwabe, JuS 1973, S. 133, 136 f. 6

7

Gusy, JA 1981, S. SO, 83.

a Ossenbühl, DÖV 1968, S. 618, 625.

• Maurer, § 9 Rn. 51; Gramlich, S. 7; Ronellenfitsch, DVBI 1989, S. 851, 862 f.

1. Teil, 2. Kap.: Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte

40

waltungsrecht erweist sich demnach bei GenehmigungsvorbehaIten in besonderem Maße als konkretisiertes VerfassungsrechtlO•

2. Arten Aus grundrechtlicher Sicht können noch zwei weitere Gruppen wirtschaftsverwaItungsrechtlicher Genehmigungsvorbehalte unterschieden werden. Zum einen gibt es Genehmigungspflichten, die Aufnahme und Ausübung der gewerblichen Tätigkeit als solcher betreffen. In diesen Fällen unterliegt das "Ob" des ökonomischen Prozesses der vorherigen behördlichen Genehmigung. Der Zugang zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit wird auf Personen beschränkt, die spezifische subjektive oder objektive Voraussetzungen zu erfüllen haben. Beziehen sich die Genehmigungserfordernisse auf ein konkretes Gewerbe insgesamt oder auf bestimmte Betätigungsarten innerhalb eines oder mehrerer Gewerbe, kann man daher von personenbezogenen Genehmigungen sprechenII. Objektbezogene Genehmigungserfordernisse setzen hingegen auf unterschiedlichen Stufen der Produktion von Gütern und Erbringung von Dienstleistungen an. Sie beziehen sich nicht auf die dem Grunde nach genehmigte Betätigung als solche, sondem betreffen nur einzelne ihrer Ausübungsfonnen. Ihr Regelungsbereich ist also das "Wie" der gewerblichen Tätigkeit. Entsprechend der zeitlichen Abfolge bei der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen kann man zwischen Errichtungs-, Betriebs-, Produkt- und Absatzgenehmigungen differenzieren 12. Freilich lassen sich beide Kategorien von Genehmigungsvorbehalten nicht trennscharf voneinander scheiden. Die Übergänge sind fließend. Bei einer idealtypischen Betrachtungsweise wird man gleichwohl sagen kÖlUlen, daß die Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit bei personenbezogenen Gcnehmigungsvorbehalten tendenziell höher ist als bei den nur sektoreIl wirksamen objektbezogenen Erlaubnisnormen.

3. Typen Der grundrechtliche Beschränkungseffekt von Kontrollerlaubnissen hängt darüber hinaus von ihrer nonnstrukturellen Ausgestaltung ab. Herkömmlich werden je nach dem Ausmaß des behördlichen Handlungs- und Entscheidungs-

10

Nach dem berühmten Titel des Aufsatzes von Werner, DVBI 1959, S. 527 ff.

Vgl. Püttner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 82 f. 12 Jarass, § 13 Rn. 6 Cf.; Stober, Handbuch, S. 771 C.; vgl. dazu unten noch unter dem Gesichtspunkt mehrdimensionaler Freiheitsbeeinträchtigungen 6. Kap. D. 11. 3. b) bb) 11). 11

A. Idealtypus

41

spielraums idealtypisch zwei Arten von Genehmigungsvorbehalten unterschieden: die gebundene und die freie Erlaubnis 13 • Gebundene Genehmigungen dienen typischerweise der vorbeugenden Kontrolle. Sie kennzeichnet, daß an das Vorliegen eines näher umschriebenen Sachverhaltes zwingend eine bestimmte Rechtsfolge geknüpft ist. Nach dem klassischen Muster gewerberechtlicher Freiheit müssen gebundene Erlaubnisse erteilt werden, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. Aus Sicht des Grundrechtsträgers gibt es zwei grundlegend verschiedene Tatbestandsmodalitäten. Entweder liegt es in der Macht des Antragstellers, die Genehmigungsvoraussetzungen zu erfüllen oder er hat hierauf keinen Einfluß. Im ersten Fall spricht man von subjektiven, im zweiten Fall von objektiven Zulassungsvoraussetzungen 14• Die erforderliche Genehmigung kann aber auch im Ermessen der Behörde stehen. Bei solchen ErIaubnistatbeständen tritt der gesetzliche Wille zugunsten des administrativen Willens zurück, so daß die Verwaltung in der Lage ist, eigene Entscheidungsmaßstäbe anzuIegen 15 • Sie verwendet der Gesetzgeber typischerweise dort, wo spezifischer Gefahren wegen ein generelles Verbot gerechtfertigt ist, von dem nur ausnahmsweise dispensiert werden soll.

11. Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte Für kriterienlose Genehmigungsvorbehalte ist charakteristisch, daß sie ihrem Wortlaut zufolge keinerlei materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis enthalten. Sie nennen nur das Objekt der Genehmigung, das hierfür zuständige Organ oder sonstige rein formelle Genehmigungsvoraussetzungen und eröffnen damit der Vollzugsbehörde einen erheblichen Handlungs- und EntscheidungsspieIraum. Diese geringe Intensität der Nonnbindung kann der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck bringen, daß er die kriterienlosen Genehmigungsvorbehalte als Ermessensnonnen ausgestaItd 6 • Fraglich ist indes, ob das, jedenfalls bei idealtypischer Betrachtung, nicht auch in Fonn gebundener Erlaubnisse möglich wäre.

13 Allgemein WolfflBachofl, S. 404; vgl. speziell für wirtschaftverwaltungsrechtliche Genehmigungsvorbehalte Jarass, § 13 Rn. 17 ff.; Püttner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 83. 14 Vgl. näher unten 6. Kap. D. 3. a) bb).

"Vgl. zu diesem Ermessensverständnis nur Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 322; Stern, Ermessen, S. 19. 16

Die weitere Möglichkeit, unbestimmte Rochtsbegriffe zu verwenden, vgl. nur Erichsen, § 10

Rn. 3, bleibt hier wegen des Fehlens jeglicher materieller Tatbestandsmerkmale zwangsläufig außer Betracht.

42

1. Teil, 2. Kap.: Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte

Im Unterschied zu gebundenen Erlaubnissen kann die Verwaltung bei freien Erlaubnissen (Ennessensnonnen) zwischen verschiedenen Verhaltensweisen wählen. Die h. M. unterscheidet bei der Ennessensnonn strikt zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite der Nonn. Ihr zufolge knüpft das Gesetz an den Tatbestand nicht eine einzige, sondern mehrere mögliche Rechtsfolgen, wobei die Ennessensausübung nur beschränkt, nämlich im Rahmen des § 114 VwGO, gerichtlich überprüfbar ist 17• Entsprechendes gelte auch für Sollvorschriften, die der Verwaltung ebenfalls ein - allerdings reduziertes - Ennessen einräumten 18• Diese Verbannung des Ennessens auf die Rechtsfolgenseite der Norm, wie sie sich in der deutschen Rechtspraxis nach 1945 im Anschluß an Hermann ReußI9 durchgesetzt hafO sieht sich indes von einer Gegenbewegung zunehmend in Frage gestellt, die teilweise unter ausdrücklicher Berufung auf die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Aufwertung und Ausweitung des Ennessens streitet21 • In nonnstruktureller Hinsicht wird gegen die h. M. eingewendet, für Ennessensnonnen sei charakteristisch, daß sie die Behörde zur Erweiterung des gesetzlichen Tatbestandes ennächtigen 22 • Teilweise bestreitet man sogar, daß es überhaupt ein auf der Rechtsfolgenseite von Nonnen lokalisiertes Ennessen gibt23 • Wie sich mit den Mitteln der deontischen Logik 24 darstellen läßt, ist es aber nicht zutreffend, daß es zwischen zwingenden Nonnen und Ermessensermächtigungen keinen Unterschied auf der Rechtsfolgenseite gibt Die deontische Logik unterscheidet kategorische und bedingte Nonnen, wobei entscheidendes Merkmal der letzteren ist, daß Erlaubnisse, Gebote oder Verbote nur für den Fall des Vorliegens bestimmter Bedingungen gelten. Benutzt man diese Kategorien, läßt sich eine Ennessensnonn, die lautetlS (1) Wenn BI bis Bx erfüllt sind, kann R angeordnet werden sowohl paraphrasieren als

17

11 19

313.

Erichsen, § 10 Rn. 14; Maurer, § 7 Rn. 7 f.

BVerwGE 49,16,23; Erichsen, § 10 Rn. 13; WolfflBachof I, S. 196. Reuß, DVBI1953, S. 585 ff; hieran anknüpfend etwa Bachof, JZ 1955, S. 97 ff.; Ure, S. 309,

20 Vgl. zu dieser Entwicklung Bul/inger, JZ 1984, S. 1001, 1003 ff. = ders., S. 131, 136 ff.; eingehend auch Koch, Verwaltungsrecht, 101 ff. und passim. 21 Vgl. nur Bul/inger, JZ 1984, S. 1001, 1005 = ders., S. 131, 144 ff. m. w. N. 22 Koch, Verwaltungsrecht, S. 126 ff.; zusammenfassend KochlRüßmann, S. 88 f.

So namentlich W. Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 157 f. Vgl. den Überblick bei KochlRüßmann, S. 43 ff. 25 "B" steht im folgenden für "Bedingung", "B: für "von der Behörde zu setzende Bedingung", "Br" für "formelle Bedingung", "R" für "Rechtsfolge". 23

24

A. Idealtypus

43

(la) Wenn BI bis Bx erfüllt sind, dann ist es erlaubt, R anzuordnen wie auch als (lb) Wenn BI bis Bx und Bis bis B.. erfüllt sind, ist es geboten, R anzuordnen 26 • Die entsprechende zwingende Nonn muß in der Redeweise der deontischen Logik lauten: (2) Wenn BI bis Bx erfüllt sind, dann ist es geboten, R anzuordnen. Vergleicht man diese Nonn mit (la), so ergibt sich, daß beide auf der Tatbestandsseite übereinstimmen, die Rechtsfolgeanordnungen R aber deontisch verschieden qualifIZiert sind. Hieraus folgt, daß sich Ennessensnonnen und zwingende Nonnen auf der Rechtsfolgenseite unterscheiden. Insofern sprechen also logische und semantische Erwägungen für die ganz überwiegende Auffassung 21 • Erkennt man darüber hinaus entgegen der traditionellen Dogmatik die Existenz eines Tatbestandsennessens an, so wäre für kriterienlose Genehmigungsvorbehalte, die die Entscheidung über die Anordnung der gesetzlich vorgesehenen Maßnahme in das Ennessen der Behörde stellen, entsprechend der Fonnulierung (lb) folgende Darstellung möglich: (3) Wemt Blf bis Bxf und Bis bis B.. erfüllt sind, ist es geboten, R anzuordnen. Ob diese nonnstrukturelle Konsequenz aus rechtstheoretischen oder gar verfassungsrechtlichen Gründen generell zwingend ist 28 , erscheint zweifelhaft Jedenfalls im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative dürfte es gleichgültig sein, wie man die Regulativfunktion von Ennessensnonnen aus nonntheoretischer Sicht versteht29 • Dies zeigt sich gerade hier. Deml das Spezifikum kriterienloser Genehmigungsvorbehalte besteht darin, daß materielle Tatbestandselemente (BI bis BJ vollständig fehlen. Der Gesetzgeber hat also keinerlei Bedingungen vorgegeben, unter denen die Rechtsfolge angeordnet werden kamt. Auf die fonnale Ausgestaltung der Rechtsfolgenseite der Nonn kann es demnach nicht entscheidend ankommen. Wenn aber das Schwergewicht der Nonnaussage in jedem Fall auf dem offenen Tatbestand liegt, wird die Frage der fonnalen nonnstrukturellen Zuordnung der Ennessensennächtigung unerheblich. Selbst wenn man Ennessen als Ennächtigung der Behörde, den gesetzlichen Tatbestand um weitere Elemente zu ergänzen, ver-

26

Ähnlich Koch, Verwaltungsrecht, S. 130; Rubel, S. 30 ff.

Z1

Koch, Verwaltungsrecht, S. 131.

2J So etwa W. Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 157, unter Berufung auf eine in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte "Pflicht der Vollzugsorgane zum Handeln nach Grundsätzen".

29 Vgl. etwa Zimmer, S. 363, der die "schematische Trennung zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgeermessen" für "verfehlt" hält.

44

1. Teil, 2. Kap.: Kriterienlose Genehmiguogsvorbehalte

stehen wollte, ist dies mithin fUr die typologische Einordnung kriterienloser Genehmigungsvorbehalte ohne Belang. Hieraus erhellt allenfalls, daß solche Regelungen gerade wegen ihres offenen Tatbestandes auch als gebundene Erlaubnisnormen ergehen können, ohne dadurch den behördlichen Vollzugsspielraum zu verringern. Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, daß kriterienlose Genehmigungsvorbehalte aus normtheoretisch-idealtypischer Sicht sowohl in Form von gebundenen Erlaubnissen wie auch von Ermessensnormen vorkommen können.

B. Begriffsbestimmung Läßt man die spezifisch deontische Terminologie der Formulierungen (la), (lb), (2) und (3) beiseite, können demzufolge die beiden Arten kriterienloser Genehmigungsvorbehalte idealtypisch wie folgt umschrieben werden: (4) Wenn Blf bis Bxr erfüllt sind, kann R angeordnet werden. (5) Wenn Blf bis Bxr erfüllt sind, muß R angeordnet werden. Die gesetzestechnische Darstellung dieser Normtypen kann unterschiedlich sein, ohne daß sich der Aussagegehalt ändert So ist es möglich, die Ermessensennächtigung (4) sprachlich auch durch Ausdrücke wie "darf", "ist befugt" usw. oder durch ausdrücklichen Hinweis auf "(pflichtgemäßes) Ennessen" darzustellen. Entsprechendes gilt für kompetentiell geprägte Zuweisungen, wonach etwa ein Tarif oder die Aufnahme einer Tätigkeit der Genehmigung einer bestimmten Behörde "bedarf". Ist die Verwaltung hingegen, wie bei gebundenen Erlaubnissen (5), zum Handeln verpflichtet, sind Ausdrücke, wie "ist zu (erteilen)", "darf nicht (versagt werden)" usw. gleichbedeutend mit "muß".

C. Realtypus Unabhängig von dieser idealtypischen Charakteristik hat man sich freilich zu vergegenwärtigen, daß kriterienlose GenehmigungsvorbehaIte bei realtypischer Betrachtung kaum als zwingende Normen formuliert werden dürften. Es widerspräche elementaren Regeln der Gesetzgebungskunst und wäre geradezu widersiIU\ig, würde der Gesetzgeber die Exekutive verpflichten, immer schon dann Erlaubnisse zu erteilen, wenn nur gewisse formelle Voraussetzungen erfUllt sind. Denn indem die Legislative auf die Festlegung materieller Tatbestandsvoraussetzungen verzichtet, zeigt sie ja gerade, daß die Entscheidung im konkreten Fall möglichst weitgehend der Verwaltung überlassen bleiben soll. Zudem wäre es unter rechtspolitischen Gesichtspunkten sinnlos, eine Schranke für die Aufnahme einer Tätigkeit zu errichten, die die Behörde schon bei Erfüllung bloßer

D. Bezeichnung

45

fonnaler Voraussetzungen zu öffnen gezwungen wäre. Die Fonn einer gebundenen Erlaubnis widerspräche insofern auch dem mit Genehmigungsvorbehalten verfolgten Zweck präventiver Kontrolle. Wenn im folgenden von kriterienlosen Genehmigungsvorbehalten die Rede ist, sind deshalb Ennessenstatbestände gemeint. Das Ennessen bezieht sich hierbei nicht auf die Entscheidung, ob die Behörde tätig werden soll (sog. Entschließungsennessen)30. Denn die zuständige Behörde muß über den Antrag entscheiden, wenn die fonnalen Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen. Die Verwaltung hat also nur bei der Festlegung des Entscheidungsinhalts einen Ennessensspielraum. Legt man der Beurteilung die von Ni/das Luhmann eingeführte Unterscheidung zwischen Konditional- und Finalprogrammen 31 zugrunde, so ergibt sich hieraus folgendes: Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte haben, auch wenn man sie, wie vorgeschlagen, als Ennessenstatbestände betrachtet, fonnal betrachtet eine "Wenn-Dann-Struktur", die sich aus Tatbestand und Rechtsfolge zusammensetzt. Andererseits fehlt kriterienlosen Genehmigungstatbeständen das spezifisch deterministische Element, das Konditionalprogramme auszeichnet. Darüber hinaus ergibt sich aus ihrem Wortlaut auch kein Hinweis auf die vom Gesetzgeber mit dem Genehmigungsvorbehalt angestrebten Ziele. Es liegt also auch kein expressis verbis genanntes Zweckprogramm vor, das den Entscheidungsprozeß der Verwaltung vorprogrammieren könnte. Die Intensität der Nonnbindung durch kriterienlose Genehmigungsvorbehalte bleibt also hinter der durch Konditional- und Finalprogramme erzeugten deutlich zurück.

D. Bezeichnung Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte kennzeichnet, daß ihnen materielle Tatbestandselemente fehlen. Wie oben ausgeführt, enthalten sie nur fonnelle Genehmigungsvoraussetzungen. Aus diesem nonnspezifischen Charakteristikum erhellt, daß es verfehlt oder zumindest mißverständlch wäre, sie, wie teilweise vorgeschlagen wird, als "tatbestandslose" Genehmigungsvorbehalte zu bezeichnen 32. Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte bilden zwar ein Stück bewußt offengelassener Gesetzgebung33, enthielten sie aber nicht einmal fonnelle Tatbestandselemente, läge schon keine Rechtsnonn vor. Denn jeder Rechtssatz ist

JO

Maurer, § 7 Rn. 7; W. Schmidt, Einführung, S. 48 mit Fn. 31.

32

Luhmann, Rechtssoziologie, S. 88, 227 ff.; vgl. dazu auch schon oben 1. Kap. B. II. 1. a. E. So aber etwa Stern/Nierhaus, S. 77, 88 ff.

33

In Anlehnung an die Beurteilung von Generalklauseln durch Hedemann, S. 58.

31

1. Teil, 2. Kap.: Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte

46

notwendig eine Geltungsanordnung, deren Sinn darin besteht, einem generell umschriebenenen Sachverhalt, dem "Tatbestand", eine ebenso generell umschriebene "Rechtsfolge" zuzuordnen 34 • Die Bezeichnung kriterienloser Genehmigungsvorbehalte als "VolIblankettnormen" wäre aus demselben Grund unzutreffend, es sei denn, man einigte sich darauf, die formellen Tatbestandselemente in rechtstheoretischer Hinsicht als unerheblich zu betrachten3S • Dies hieße aber zu verkennen, daß auch ihnen ein normativer Aussagegehalt zukommt. Nennt man sie "Teilblankettnormen" , so geht der Unterschied zwischen dem Vorhandensein formeller und dem Fehlen materieller Entscheidungskriterien verloren. Im übrigen erfassen beide Begriffsprägungen nicht nur Genehmigungsvorbehalte, sondern Nonnen jedweder Art. Unabhängig hiervon erscheint es durchaus überzeugend, die Benennung an die Offenheit des Tatbestandes zu knüpfen. Genehmigungsvorbehalte, die keine materiellen Kriterien aufweisen, sind nun einmal im Kern lediglich Zuständigkeitsvorschriften, deren Regelungsgehalt sich im wesentlichen darin erschöpft, Genehmigungsobjekt und -subjekt zu bestimmen. Aus diesem Grund könnte es naheliegen, sie als "offene Kompetenzvorschriften" zu bezeichnen. Dem steht allerdings entgegegen, daß gerade im wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Schrifttum vielfach von "offenen Kompetenznormen" in einem weit umfassenderen Sinn gesprochen wird. So versteht etwa Wilfried Braun hierunter Rechtsvorschriften, "in denen der Gesetzgeber der Exekutive durch Rechtsetzungs- oder Einzelaktsermächtigung ein ziemlich umfassendes Regelungsspektrum einräumt", z. B. mittels hochabstrakter unbestimmter Rechtsbegriffe 36• Peter J. Tettinger zu folge ist für "offene" Nonnen charakteristisch, daß sie insofern GeneralklauseIn sind, als sie normative Tatbestandselemente aufweisen, die besonderer Konkretisierung bedürfen, um eine Subsumtion überhaupt erst zu ermöglichen. Genehmigungsvorbehalte ohne materielle Genehmigungskriterien können danach allenfalls als eine Unterart "offener" (Kompetenz-)Normen charakterisiert werden 37• Die zuweilen für diese Regelungen verwandte Bezeichnung als "neutrale" Genehmigungsvorbehalte 38 vennag wegen ihrer Blässe und dem damit verbundenen unklaren Aussagewert ebensowenig zu überzeugen.

:w So die ganz h. M., vgI. etwa Henkel, S. 41; Kelsen, Rechtslehre, S. 33 f.; F. Kirchhof, Rechtsetzung, S. 31 f.; Larenz, S. 251, 256. 35

So etwa Börger, S. 107 Fn. 9.

Braun, VerwArch 1985, S. 24, 36 f. 37 VgI. zu den Formen der Offenheit Geitmann, S. 47 ff. 36

3&

SternlNierhaus, S. 77, 88.

E. FunktioDstypUS

47

Im folgendenden wird deshalb an dem zwar nicht allzu griffigen, dafUr aber präzisen Begriff "kriterienlose Genehmigungsvorbehalte" festgehalten.

E. Funktionstypus Die skizzierte norm theoretisch-typologische Charakterisierung kriterienloser Genehmigungsvorbehalte reicht nicht aus, um deren spezifisch kompetentielle Rolle im Verhältnis Legislative-Exekutive gebührend zum Ausdruck zu bringen. Dies könnte aber der Begriff der "Delegation" leisten, wie ihn Heinrich Triepel in seiner grundlegenden Studie über "Delegation und Mandat im öffentlichen Recht" definiert und systematisiert hat Nach Triepel ist unter Delegation ein Rechtsakt zu verstehen, durch den der Inhaber einer staatlichen oder gemeindlichen Zuständigkeit seine Kompetenz39 ganz oder zum Teil auf ein anderes Subjekt überträgt: "Delegation bedeutet Kompetenzverschiebung"40. Sie geht einher mit einer Abweichung von der bestehenden Kompetenzordnung, deren Bestehen somit vorausgesetzt wird 41 • Aufgrund des Delegationsaktes wird dem Delegatar die Befugnis verliehen, in eigenem Namen kraft eigener Kompetenz zu halldeln 42• Triepel unterscheidet verschiedene Arten von Delegationen. Zunächst stellt er der echten Delegation die unechte gegenüber. Bei der echten oder devolvierenden Delegation gibt der Delegant seine eigene Zuständigkeit zugunsten des Delegatars vollständig - nicht notwendig endgültig - aur 3• Zur unechten Delegation gehört die hier allein interessierende Fallgruppe der konservierenden Delegation, die dadurch gekennzeichnet ist, daß der Delegant seine Zuständigkeit auf ein anderes Rechtssubjekt überträgt, ohne sich jedoch der Möglichkeit zu begeben, diese selbst wahrzunehmen 44 • Für diese Delegation ist also charakteristisch, daß sie (nur) zum "Verlust der Ausschließlichkeit einer Kompetenz" beim bisherigen Kompetenzinhaber fUhrt4S • Nach dem Grundgesetz und den Landesverfassungen ist die (unechte) Delegation rechtsetzender Kompetenzen lq Die Begriffe Zusländigkeit und Kompetenz werden entsprechend dem üblichen Sprachgebrauch im folgenden synonym verwendet; ebenso etwa Magiera, S. 160 mit Fn. 2; differenzierend dagegen Schlink, S. 142 f.; WolffiBachofIl, S. 15. 40 Triepel, Delegation, S. 23; kritisch dazu Barbey, Rechtsübertragung, S. 48 fC.; vgl. ferner Schenke, VerwArch 1'177, S. 120, 122. 4' Triepel, Delegation, S. 80; Barbey, Rechtsübertragung, S. 106. 42 Triepel, Delegation, S. 23.

4l

Triepel, Delegation, S. 51 f.

.. Triepel, Delegation, S. 53 fC.; zu den anderen Fällen unechter Delegation, vgl. ders., a.a.O., S. 36 Cf., 60 Cf., 65 CC. 45 Triepel, Delegation, S. 54.

1. Teil, 2. Kap.: Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte

48

von der Legislative auf die Exekutive grundsätzlich zulässig. Das gilt sowohl für Verordnungsermächtigungen im Rahmen von Art 80 GG und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen wie auch für die Delegation von Regelungsbefugnissen an autonome Satzungsgeber46 • Neben diesen beiden klassischen Formen offener Delegation gibt es gesetzliche Regelungsmodi, die zwar keine förmlichen Verordnungsbefugnisse oder Satzungsautonomie verleihende Ermächtigungen enthalten, im Ergebnis aber ebenfalls einen De1egationseffekt haben. Man bezeichnet diese Regelungen als verdeckte Delegation(snorm)en47 • Solche De1egationsformen kelUlzeichnet, daß sie den "Verzicht des Gesetzgebers zugunsten der Verwaltung"48 nicht ausdrücklich, sondern nur konkludent durch ihre semantische Offenheit zum Ausdruck bringen. Die wie auch immer geartete Unbestimmtheit von Normen ist also im Grunde stets ein Problem der Machtverteilung zwischen diesen beiden Gewalten. Der Unterscheidung von verdeckten und offenen Delegationen liegt demnach die Erkenntnis zugrunde, daß der Gesetzgeber de1egationsähnIiche Kompetenzverweisungen vornimmt, wenn er partiell offene Regelungen trifft, indem er unbestimmte Gesetzesbegriffe, Generalklauseln, Ermessenstatbestände usw. verwendet49 oder gar, wie bei kriterienlosen Genehmigungsvorbehalten, gänzlich auf materielle Tatbestandselemente verzichtet. Anders als gesetzliche Verordnungsermächtigungen und die Einräumung von Satzungsautonomie enthalten solche Regelungen keine Delegation von (Rechtsetzungs-) Kompetenzen. Sie schaffen aber die Grundlage für gesetzeskonkretisierende Regelungen der Exekutive und führen in gleicher Weise wie offene Delegationen zu Kompetenzverschiebungen zu Lasten der Legislativeso. Kriterienlose Genehmigungsvorbehalte sind demnach in funktioneller Sicht als verdeckte Delegationen zu kennzeichnen, die aufgrund ihrer relativ geringen Regelungsdichte einen besonders hohen Zuständigkeitsverlust des Gesetzgebers als De1egant bewirken. Dieser "Verdeckungs"-Effekt hat nur die Bedeutung funktions typologischer Einordnung. Solche Normen können jedenfalls nicht schon mit dem Argument in ein verfassungsrechtliches Zwielicht gebracht werden, die "Verdecktheit" der Delegation berge ein "erheblich höheres Gefährdungspotential für eine parlamentarische Selbstentmachtung" in sich, als dies

4

:lO 31

Staupe, S. 141. Staupe, S. 140. Staupe, S. 141.

32

Staupe, S. 146.

33

Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 691; ders., Wesentlicbkeitstbeorie, S. 187, 193.

).4

Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 691.

35

Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 691; ders., Wesentlichkeitstheorie, S. 187, 194.

36 Kisker, NJW 1977, S. 1313, 1314; ders., ZParl 1978, S. 53, 55 (Ergänzung); Geitmann, S. 84 und passim (Intensivierung); Ossenbühl, HdbStR lll, § 62 Rn. 23 (Intensivierung); Rengeling, NJW 1978, S. 2217, 2218, 2221 (Intensivierung); vgl. ferner den Überblick bei element, S. 40 f., 138 f.

C. Stellungnahme

143

dieser Ansicht ist die Annahme, daß, wie etwa Fritz Ossenbühl ausführt, Unbestimmtheit in der Gesetzgebung der Sache nach dazu führt, Entscheidungsmacht auf die Exekutive zu verlagern 37• Bestimmtheitsanforderungen dienen demnach, wie mit Recht betont wird, der Steuerung der Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Exekutive, genauer gesagt: der "Feineinstellung der Kompetenzverteilung"38. Sie setzen die Geltung des Gesetzesvorbehalts logisch voraus: Während der Gesetzesvorbehalt entscheidet, ob eine Regelung durch die Legislative überhaupt für eine bestimmte Materie erfolgen muß, schreibt der Bestimmtheitsgrundsatz vor, wie diese Regelung im einzelnen auszusehen hat. Das Bestimmtheitsgebot bewirkt sonach die Intensivierung des Gesetzesvorbehalts 39• Insofern sind beide Prinzipien in der Tat, wie Ossenbühl meint, "unlösbar" miteinander verbunden 40• Der Wesentlichkeitsgedanke bildet das Rückgrat dieser Verbindung. Aus diesem Blickwinkel fällt das Bestimmtheitsgebot, wie Gertrude Lübbe-Wolf! klar, aber ohne Auseinandersetzung mit anderen Aufassungen formuliert, "bereichsweise" mit dem Wesentlichkeitsgrundsatz zusammen: "Soweit für eine bestimmte Regelungsmaterie ... eine inhaltliche gesetzliche Regelung überhaupt existiert, folgt aus dem Grundsatz, daß wesentliche normative Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen, darüber hinaus nichts weiter, als daß die fragliche gesetzliche Regelung hinreichend bestimmt sein muß. "41

c. Stellungnahme Die Bestimmung des Verhältnisses von Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz in Rechtsprechung und Literatur hängt augenscheinlich davon ab, welche Funktion und damit welchen Anwendungsbereich man bei den Verfassungsgrundsätzen beizumessen bereit ist. Aus der Perspektive eines materiell verstandenen Bestimmtheitsgebots lassen sich eine reduktionistische und eine substitutive Ansicht unterscheiden. Erstere versucht, den Anwendungsbereich des Parlamentsvorbehalts zu Lasten des Bestimmtheitsgrundsatzes auszudehnen. Letztere tendiert umgekehrt dazu, nicht dem Parlamentsvorbehalt, sondern dem Bestimmtheitsgebot die Aufgabe zuzuweisen, als normatives Regulativ für die Von "Ergänzung und Konkretisierung" spricht vereinzelt auch das Bundesverfassungsgericht, allerdings nur bezogen auf Art. 80 Abs. 1 S. 2 C.G; vgl. BVerfGE 58, 257, 278. 37 Ossenbühl, HdbStR I1I, § 62 Rn. 23. Ja Rengeling, NJW 1978, S. 2217, 2221; ebenso Niehuis, Rn. 71 mit Fn. 157; Staupe, S. 138, in bezug auf das Verhältnis zwischen Gesetz· und Verordnungsgeber. 3. Rengeling, NJW 1978, S. 2217, 2218; Ronellenfitsch, S. 159. 411 Ossenbühl, HdbStR I1I, § 62 Rn. 23. 4. Lübbe-Wolff, ZG 1991, S. 219, 241.

144

1. Teil, 5. Kap.: Bestimmtheitsgebot und Parlamentsvorbehalt

verfassungsmäßig gebotene Regelungsdichte zu dienen. Die Differentia specifica dieser zwei gegenläufigen Ansätze besteht bei idealtypischer Betrachtung demzufolge darin, ob und inwieweit dem Bestimmtheitsgrundsatz eine kompetentielle Funktion zugesprochen werden soll oder nicht Anders als man auf den ersten Blick vermuten könnte, geht es bei dieser Kontroverse trotz der Identität der Fragestellung und der zentralen Entscheidungskriterien um mehr als einen Akt der Namensgebung. Zwar gibt es einen "Naturalismus der Semantik"42 gerade im historisch wandelbaren und wandlungsfähigen Verfassungsrecht nicht, so daß es sprachlich nicht ausgeschlossen ist, den Bestimmtheitsgrundsatz zum Parlamentsvorbehalt oder umgekehrt diesen zu jenem umzuekettieren. Indessen kann - unabhängig von den praktischen Weiterungen der Entscheidung für die eine oder die andere Auffassung - die bisher nicht untersuchte Frage nach der dogmatisch schlüssigeren Konzeption nicht auf terminologischer Ebene beantwortet werden. Nur dann ist die hier vertretene kompetentielle Deutung des Bestimmtheitsprinzips überzeugend begründet, wenn sich auch in verfassungsdogmatischer Hinsicht ihre Überlegenheit im Verhältnis zum herrschenden Topos des Parlamentsvorbehalts erweist. Um dies zu klären, werden die skizzierten Ansichten, sofern sie überhaupt Begründungsansätze enthalten, im folgenden einer kritischen Prüfung unterzogen.

I. Reduktionistischer Ansatz Nach der hier vertretenen Auffassung, wie sie vor allem auch in der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck kam, haben Bestimmtheitserfordernisse, sofern sie auf ein Parlamentsgesetz angewandt werden, deshalb kompetentiellen Charakter, weil sie über die Regelungsdichte einer Nonn entscheiden. Je mehr die Legislative selbst regelt, desto geringer ist der Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Exekutive. Es ist also widersprüchlich, weml Michael Kloepfer uneingeschränkt anerkennt, daß das Bestimmtheitsgebot Anforderungen an die Regelungsdichte stellt, ihm aber andererseits "keine spezifische und zentrale Bedeutung" für die Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative beimißt43 • Diese reduktionistische Sicht läßt sich auch nicht mit dem vielfältigen Anwendungsbereich dieses Verfassungsprinzips rechtfertigen 44 • Denn der Umstand, daß das Bestimmtheitsgebot auch für untergesetzliche Nonnen und die Entscheidungen von Exekutive und

42

Koch, Staatsrecht, S. 13, 29 f.

43

Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 691.

.. Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 691; Staupe, S. 141.

C. Stellungnahme

145

Legislative gilt, hindert nicht die Annahme, daß es (ausschließlich) auf Gesetzesebene kompetenzverteilende Wirkungen entfaltet Ob z. B. ein Verwaltungsakt dem Bestimmtheitsgebot des § 37 (L)VwVfG genügt, ist für die Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgeber und Verwaltung zwar in der Tat völlig bedeutungslos. Insofern erweist sich der Bestimmtheitsgrundsatz aber nur als Beispiel für die dem Rechtsleben keineswegs fremde Erscheinung der Relativität von Rechtsbegriffen. Hielte man das Argument strukturell verschiedener Geltungsbereiche gleichwohl für überzeugend, so hätte dies im übrigen zwingend zur Folge, dem Bestimmtheitsgebot nicht bloß "keine spezifische und zentrale", sondern überhaupt keine kompetentielle Bedeutung zuzusprechen. Insofern sind Kloepfers Darlegungen inkonsequent. Auch weml sich der reduktionistische Ansatz mit dem vielgestaltigen Anwendungsbereich des Bestimmtheitsgebots nicht begründen läßt, ist es rein sachlogisch freilich nicht ausgeschlossen, den Bestimmtheitsgrundsatz konsequent zu entmaterialisieren und seine kompetentielle Aufgabe weitestmöglich dem Parlamentsvorbehalt zu übertragen. Die gängigsten Methoden dieses Zuschnitts laufen auf den Versuch hinaus, explizit, wie etwa Jürgen Staupe, oder implizit, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Wesentlichkeitsrechtsprechung, ein vorbehaltsrechtIiches Bestimmtheitsgebot zu konstruieren und dieses durch vermeintlich rein "rechtsstaatliche" Bestimmtheitsanforderungen zu ergänzen. Höchst zweifelhaft ist indes, ob und inwieweit eine solche säuberliche Trennung tatsächlich möglich ist. Sobald man, wie etwa Staupe, an der allgemeinen Aussage festhält, Sinn und Zweck des "allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots" liege darin, "im Interesse der Rechtssicherheit hinreichend eindeutige normative Aussagen zu gewährleisten"45, verschwimmt sofort die Grenze zu kompetentiell relevanten Bestimmtheitserfordernissen. Denn .die Forderung nach Eindeutigkeit zielt - zumindest auch - auf die Regelungsintensität. Nichts anderes gilt für das prima facie blasse Kriterium der Erkennbarkeit der Rechtslage durch den Betroffenen, das von der Rechtsprechung häufig als eines von mehreren Essentialia des BestimmtheitsgebotsgenalUlt wird 46 • Denn selbst bei isolierter Betrachtung stellt dieses Bestimmungsmerkmal Anforderungen an die Regelungsdichte: Je eingehender die gesetzliche Regelung, desto eher ist es dem Betroffenen grundsätzlich möglich, sein Verhalten an der Norm auszurichten, und desto stärker ist tendenziell auch das behördliche Verhalten determiniert. Die tremlscharfe Unterscheidung zweier Bestimmtheitsgebote erweist sich damit als undurchführbar. Mithin ist die reduktionistische Ansicht schon des-

45 46

Staupe, S. 141. Zuletzt etwa BVerfGE 84, 133, 149; 87, 234, 263; BVerwGE 77,214,219.

10 Gassner

146

1. Teil, 5. Kap.: Bestimmtbeitsgebot und Parlamenlsvorbebalt

halb nicht plausibel, weil es ihr nicht gelingt, die Konkurrenz zwischen Parlamentsvorbehalt und allgemeinem Bestimmtheitsgrundsatz hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Exekutive überzeugend zu lösen. Selbst wenn man aber den reduktionistischen Ansatz konsequent zu Ende dächte und das Bestimmtheitsgebot im hier vertretenen Sinn letztlich in ein bloßes Klarheitsgebot umdeutete 47 , entfiele dieses Bedenken nicht. Denn auch dem Klarheitsprinzip wohnt zumindest mittelbar ein kompetentielles Moment inne 48 • Zudem würde die vollständige Entleerung des Bestimmtheitsgrundsatzes bedeuten, daß er seine selbständig beschränkende Funktion verlöre und damit - entgegen der ganz h. M. - vollkommen bedeutungslos würde. Er wäre eine nachgeschobene Formvorschrift ohne materiellen Gehalt. Überdies stünde ein solches Ergebnis mit den Entstehensgründen von Wesentlichkeitstheorie und Bestimmtheitsgebot schwerlich in Einklang. Aus der originären Stoßrichtung beider Grundsätze ergibt sich kein zwingender Grund, weshalb der Parlamentsvorbehalt das von der Rechtsprechung Ende der fünfziger Jahre geprägte Gebot der hinreichenden Bestimmtheit von Individualermächtigungen ersetzen müßte. Das Grundanliegen der neueren WesentIichkeitsrechtsprechung war es, dem Gesetzesvorbehalt neue Anwendungsbereiche zu erschließen. Vor allem galt es, den Vorbehalt des Gesetzes auf die bisher nicht erfaßten besonderen Gewaltverhältnisse und andere vorbehaltsfreie Bereiche auszudehnen und ihn vom Merkmal des Eingriffs zu lösen 49 • Die zentrale Funktion der WesentIichkeitsrechtsprechung, den herkömmlichen Gesetzesvorbehalt zu extensivieren, kann deshalb von der Aufgabe des Bestimmtheitsgebots, diesen zu intensivieren, nicht nur genealogisch, sondern, wie oben schon anklangSO, auch gedanklich getrennt werden. Dies gilt jedenfalls für den Bereich der traditionellen Eingriffsverwaltung. Dort ist die Frage des "Ob" einer materiell-gesetzlichen Regelung schon durch die Anwendung grundrechtlicher Gesetzesvorbehalte oder des Allgemeinvorbehalts im herkömmlichen Verständnis beantwortet, ohne daß der Rückgriff auf eine wie immer geartete Wesentlichkeitstheorie erforderlich wäre. Im Gegenteil: Die Anwendung der Wesentlichkeitsdoktrin auf klassische Eingriffsgesetze birgt die Gefahr ihrer Mißdeutung, und zwar insofem, als man sich veranlaßt sehen könnte, den Anwendungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes auf "wesentliche Eingriffe" zu verengen 51 • D~mgegenüber hat man sich bewußt zu machen, daß der Begriff des

47

So wobl Börger, S. 34, 138 f .

.. Vgl oben 4. Kap. D. I. 49

Vgl. im einzelnen oben 3. Kap. C.

50

Vgl. 3. Kap. C. 11., D.

51

Vgl. oben 3. Kap. D.

C. Stellungnahme

147

Eingriffs schon die den Gesetzesvorbehalt auslösende Wertung in sich trägt Die Diagnose, daß ein Eingriff vorliegt, impliziert daher notwendigeIWeise den Wesentlichkeitsbefund s2• Sofem ein fönnliches Gesetz den Eingriff regelt, wovon bei den hier interessierenden Genehmigungsvorbehalten auszugehen ist, bedarf es der Denkfigur des Parlamentsvorbehalts auch nicht, um die Regelungsebene (parlament oder Exekutive) zu bestimmen. Im übrigen spricht vieles dafür, daß die Kompetenzverteilung zwischen Gesetz- und Verordnungsgeber ausschließlich dem Regime des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG unterliegt, so daß es nicht erforderlich ist, den Parlamentsvorbehalt als regulatives Prinzip heranzuziehen s3 • Über das "Wie" einer parlamentsgesetzlichen Regelung hat sodann der Bestimmtheitsgrundsatz im hier definierten Sinn zu entscheiden. Auch insoweit bedarf es demnach nicht des Rückgriffs auf die neuere Wesentlichkeitsrechtsprechung. Zwar beansprucht sie, den GesetzesvorbehaIt nicht nur gegenständlich, sondern auch umfangmäßig zu bestimmen. Diese zweite verfassungsrechtsdogmatische Funktion, die der Wesentlichkeitstheorie zugeschrieben wird S4 , war indes schon in genealogischer Hinsicht von Anfang an obsolet. Das muß man jedenfalls für den klassischen Eingriffsbereich hoheitlicher VelWaltung annehmen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat, wie ausgeführt, schon früher unter dem Leitbegriff des Bestimmtheitsgebots cum grano salis dieselben qualitativen Anforderungen an Individualennächtigungen gestellt, wie sie nun sub signo "ParlamentsvorbehaIt" zur ganz h. L. geworden sind. Da beide Leitprinzipien die Selbstentscheidungspflicht des Gesetzgebers zu regulieren suchen, zielen sie auf denselben Anwendungsbereich. Sie schließen sich deshalb gegenseitig aus. Diese Konkurrenzsituation ist schon wegen der geschilderten Abgrenzungsschwierigkeiten zugunsten des Vorrangs eines funktional verstandenen Bestimmtheitsgebots aufzulösen. Stellt man zudem in Rechnung, daß mit dem Siegeszug der Wesentlichkeitsdoktrin und der damit einhergehenden Präponderanz materieller Maßstäbe ein nicht unerheblicher Verlust an Rechtssicherheit eingetreten ist, erscheint es geboten, das Bestimmtheitsgebot als flächendeckendes kompetentielles Regulativ zu refonnulieren. Infolge der ihm immanenten fonnalen Maßstäbe elWeist es sich gegenüber dem ParlamentsvorbehaIt als das etwas präziser arbeitende Werkzeug. Überdies ist die hier vertretene Konzeption schlüssiger, weil sie zu klaren Verhältnissen führt. Auch aus dogmengeschichtlicher Sicht drängt sie sich auf. Jedenfalls hätte die allenthalben beklagte Un-

52 53 S