Hansische Studien: Heinrich Sproemberg zum 70. Geburtstag [Reprint 2021 ed.] 9783112535929, 9783112535912

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Hansische Studien: Heinrich Sproemberg zum 70. Geburtstag [Reprint 2021 ed.]
 9783112535929, 9783112535912

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BERICHTIGUNGEN S. 42, 20. Zeile von oben statt 1392—1394 lies: 1292—1294 S. 227, 3. Zeile von oben statt I I lies: I I M S. 244, untere Tabelle, Spalte „Tausend" muß ab „Russche Marten" folgendermaßen gelesen werden: Russche Marten — Scharpenort — Podolsches werk 3 Sohevenissen — Schöne werk 1 " 3 Smolensch werk — Swesches werk 3 Unghersch werk 4% Werk 1 S. 334, Anm. 3, 3. Zeile von oben statt vostoncaja lies: vostoßnaja

I V/2/14 PfG 02/61

Berichtigungszettel zu „Hansische Studien"

HANSISCHE

STUDIEN

FORSCHUNGEN ZUR MITTELALTERLICHEN GESCHICHTE Herausgegeben von H. Sproemberg, H. Kretzschmar und E.Werner

BAND 8

A K A D E M I E - V E R L A G 19 6 1



B E R L I N

HANSISCHE STUDIEN HEINRICH

S P R O E M B E R G Z U M 70. G E B U R T S T A G

Die wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft

Redaktion

erfolgte im Auftrage der

in der Deutschen Demokratischen

Gerhard

Heitz

und Manfred

Hansischen

Republik

durch

Unger

Mit 1 Tafel, 3 Abbildungen und 3 Faltkarten

A K A D E M I E - V E R L A G 19 6 1



B E R L I N

SEHR G E E H R T E R H E R R V O R S I T Z E N D E R !

Zu Ihrem 70. Geburtstag überbringen, wir Ihnen die herzlichsten Glückwünsche des Arbeitsausschusses und der Mitglieder des Hansischen Geschichtsvereins in der Deutschen Demokratischen Republik. Wir dürfen dabei der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie noch lange Jahre fruchtbarer wissenschaftlicher Arbeit erleben und die Geschäfte der Arbeitsgemeinschaft führen können. Die Hansische Arbeitsgemeinschaft blickt jetzt auf eine mehr als vierjährige erfolgreiche Tätigkeit zurück. Diese Tätigkeit erfolgte im Rahmen der Gesamtarbeit des Hansischen Geschichtsvereins und fand in den Jahresberichten des Vorstandes ihren positiven Niederschlag. Ihrer Initiative, Herr Vorsitzender, ist es zu verdanken, daß sich die Mitglieder des Hansischen GeschichtsVereins, soweit sie auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik wohnen, in einer Arbeitsgemeinschaft zusammenfanden und die vielfältigen Möglichkeiten ausschöpfen, die unser Staat der Arbeiter und Bauern der Wissenschaft bietet. Die Zahl der Mitglieder erhöhte sich in dieser Zeit erheblich; organisatorisch und finanziell hat sich die Lage der Arbeitsgemeinschaft ständig verbessert, und auch mit der VeröSentlichung wissenschaftlicher Monographien konnte inzwischen begonnen werden. Diesen Publikationen werden weitere folgen, und die Hansische Arbeitsgemeinschaft freut sich, zu Ihrem Ehrentage einen Band hansegeschichtlicher Beiträge als Geburtstagsgeschenk überreichen zu können, die in den letzten Jahren entstanden und vorwiegend von jüngeren Forschern verfaßt worden sind. I n ihnen spiegelt sich in erster Linie der wissenschaftliche Ertrag der Arbeitstagungen von Leipzig, Schwerin, Stendal und Berlin wider. Diese von Ihnen angeregten und geleiteten Arbeitstagungen räumten vor allem dem Nachwuchs ein weites Feld für Referate und Diskussionen ein, begründeten und förderten aber zugleich auch einen engen persönlichen Kontakt zwischen den Vertretern der Hansekommunen. Sie ermöglichten überhaupt erst den Historikern und Archivaren, den Bibliothekaren und Lehrern, die im Bereich der Hanseforschung tätig sind, die wissenschaftliche Arbeit mit staatlichen Mitteln zu leisten. Das Resultat dieser Arbeit soll als Sammelband vorgelegt werden und von den Fortschritten auf diesem Gebiet der Geschichtswissenschaft in der Deutschen Demokratischen Republik Zeugnis ablegen. Zugleich aber zeigt der Teilnehmerkreis, welche internationale Stellung die Hansische Arbeitsgemeinschaft unter Ihrer Leitung erreicht hat. Der Arbeitsausschuß und die Mitglieder sind sich einig darin, daß diese Erfolge ganz wesentlich Ihrem persönlichen Einsatz für die Hanseforschung und für den Hansischen Geschichtsverein zu danken sind. Die Hansische Arbeitsgemeinschaft widmet Ihnen deshalb diese Sammlung von .Hansischen Studien' als Zeichen der Hochachtung und der besonderen Verehrung mit den besten Wünschen für eine weitere schöpferische Arbeit. Berlin-Niedersohönhausen, den 25. November 1959

Hansischer Geschichtsverein Arbeitsgemeinschaft in der Deutschen Demokratischen Republik Dr. K. Höhnel Stellvertreter des Vorsitzenden

INHALT Biskup, Marian Die polnisch-preußischen Handelsbeziehungen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts

1

Brankack, Jan Einige Betrachtungen über Handwerk, Handel und Stadtentwicklung der Westslawen an der Ostseeküste vom 9. zum 12. Jahrhundert

7

Czok, Karl Zum Braunschweiger Aufstand 1374—1386

34

Fellmann, Walter Die Salzproduktion im Hanseraum

56

Friedland, Klaus Die Hanserezesse der frühen Neuzeit

72

Fritze, Konrad Die Finanzpolitik Lübecks im Krieg gegen Danemark 1426—1433 . . . .

82

Qutz, Eva Zu den Stralsunder Bürgerkämpfen am Ende des 14. Jahrhunderts. . . . Heitz, Gerhard Zur Rolle der kleinen mecklenburgischen Landstädte in der Periode des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus Höhnel, Karl Archivalische Quellenlage zur Hansegeschichte in den mecklenburgischen Stadtarchiven Hroch, Miroslav Wallensteins Beziehungen zu den wendischen Hansestädten Jeannin, Pierre Contribution a l'Etude du Commerce de Lübeck aux environs de 1580 . . Kaiisch, Johannes Pläne zur Belebung des Orienthandels über Kurland und Polen am Ausgang des 17. Jahrhunderts Kirchberg, Peter Bemerkungen zum Verhältnis Kaufmann — Fischer in Norwegen zur Hansezeit

90

103 123 135 162

190 201

VIII

Inhalt

Kossok, Manfred Die Bedeutung des spanisch-amerikanischen Kolonialmarktes für den preußischen Leinwandhandel am Ausgang des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts 210 Lesnikov, M. P. Der hansische Pelzhandel zu Beginn des 15. Jahrhunderts

219

Lesnikov, M. P Lübeck als Handelsplatz für Osteuropawaren im 14. Jahrhundert . . . .

273

Markov, Walter Die Triestiner Ostindien-Kompanie (1775—1785) und die Nordsee-AdriaKonkurrenz 293 Ogrissek, Rudi Die Hansekarte als Problem der thematischen Kartographie 303 Olechnowitz, Karl-Friedrich Zum Schiffbau Lübecks im 16. und 17. Jahrhundert Rudolph, Wolfgang Die Anfänge der ländlichen Frachtschiffahrt auf der Insel Rügen

311 . . . .

322

Samsonowicz, Henryk Studien über Danziger Kaufmannskapital im 15. Jahrhundert

332

Schildhauer, Johannes Die Sozialstruktur der Hansestadt Rostock von 1378 bis 1569

341

Schnitzler, Elisabeth Zur hansischen Universitätsgeschichte

354

Widera, Bruno Novgorods Beziehungen zu Ural und Westsibirien in der Vorhansezeit . .

388

Wiegand, Fritz Über hansische Beziehungen Erfurts

398

Wiegand, Rosemarie Zur sozialökonomischen Struktur Rostocks im 14. und 15. Jahrhundert . .

409

Zientara, Benedykt Einige Bemerkungen über die Bedeutung des pommerschen Exports im Rahmen des Ostsee-Getreidehandels im 13. und 14. Jahrhundert . . . .

422

Müller-Mertens, Eckhard Die Unterwerfung Berlins 1346 und die Haltung der märkischen Städte im wittelsbachisch-luxemburgischen Thronstreit

432

Bibliographie Heinrich Sproemberg (Nachtrag) Autorenverzeichnis

461 463

DIE POLNISCH-PREUSSISCHEN HANDELSBEZIEHUNGEN IN DER ERSTEN HÄLFTE DES 15. JAHRHUNDERTS von Marian

Biskup

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem polnischen Staat und dem deutschen Ordensstaate in Preußen in der ersten Hälfte des 15. J h . waren bis in die neuere Zeit hauptsächlich durch die ältere Arbeit von Theodor Hirsch 1 bekannt, welche jedoch nur die polnisch-danziger Handelsbeziehungen ausführlicher behandelte. Die Bedeutung der polnisch-preußischen Wirtschaftsbeziehungen für beide Staaten wurde erst in den letzten Jahren durch die polnische Historiographie, vor allem in den Arbeiten von Marian Malowist, hervorgehoben. 2 Zur gründlichen Erforschung dieses Problems war jedoch die Ausnutzung der zahlreichen, überwiegend nichtgedruckten Quellen aus den polnischen und — teilweise — ausländischen Archiven nötig, wie besonders die reichen Archivalien von Danzig und Thorn (hauptsächlich die Schöffenbücher und Korrespondenz mit den polnischen Städten), die Materialien des Hauptarchivs zu Warschau (vor allem Masowien betreffenden Landbücher) und die des Staatsarchivs zu Krakau (Rats- und Schöffenbücher). Von den ausländischen Archivalien ist insbesondere die umfangreiche Korrespondenz des Deutschen Ordens aus dem Ordensbriefarchiv wichtig, welche sich jetzt im Staatlichen Archivlager in Göttingen befindet. 3 Die polnisch-preußischen Handelsbeziehungen waren schon in der zweiten Hälfte des 14. und Anfang des 15. Jh. in voller Blüte. Sie bestanden in der Ausfahr polnischer Rohstoffe (wie Wolle und Häute), deren die polnischen Großstädte, besonders Thorn und Danzig, zur Entwicklung ihrer gewerblichen 1

2

3

1

H I R S C H , T., Danzigs Handels- und Gewerbsgeschichte unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, Leipzig 1858. MALOWIST, M . , Studia z dziejöw rzemiosla W okresie kryzysu feudalizmu w zachodniej Europie w XIV i XV w. Warschau 1954; Podstawy gospodarcze przywröcenia jednoäci panstwowej Pomorza Gdanskiego z Polskq w XV w. In: „Przeglqd Historyczny", Bd. XLV, H. 2-3, Warschau 1954. Die benutzten Materialien wurden vollkommen in meiner Arbeit, Zjednoczenie Pomorza Wschodniego z Polskf), w polowie XV w. (Über die Vereinigung Ostpommerns [Preußens] mit Polen in der Hälfte des XV. Jahrhunderts) Warschau 1959, ausgenutzt. Vorliegender Aufsatz stellt nur einen stark gekürzten Ausschnitt eines Teiles dieser Arbeit dar. Hansische Studien

2

Marian Biskup

Produktion bedurften. Außerdem exportierte Polen — hauptsächlich auf der Weichsel — Getreide und Holz, vor allem nach Thorn und Danzig. Dieser Handel befand sich teilweise in den Händen von Krakauer Kaufleuten, welche auch die Einfuhr des ungarischen, d. h. slowakischen, Kupfers nach Preußen vermittelten sowie über Danzig und die Ostsee nach Flandern gelangten. Die Hauptrolle in den Beziehungen dieser Periode spielte aber der Deutsche Orden. Die Ordensschäffer kauften bedeutende Mengen von Waldprodukten und Getreide, besonders in Masowien und Kujawien, welche weiterhin exportierten. Eine entscheidende Veränderung in dieser Hinsicht brachte die Niederlage des Ordens im „Großen Kriege" von 1409 bis 1411 mit Polen und deren Nachwirkungen auf die Landwirtschaft Preußens. Vor allem läßt sich von dieser Zeit an ein starker Rückgang der Produktion feststellen und damit eine bedeutende Verringung der Exportmöglichkeiten Preußens, also des Deutschen Ordens wie auch der Großstädte. Zweitens — nach dem Niedergange des Großhandels des Ordens übernahmen die preußischen Großstädte, namentlich Danzig und Thorn, die führende Rolle in dem bisherigen Hinterlande. Das dritte Moment stellen die bekannten, damaligen Veränderungen in der Handelsstruktur im Ostseegebiet dar. Englische und niederländische Kaufleute suchen f ü r ihre gewerblichen Handwerksartikel, besonders ihre Tuche, neue Absatzmärkte in Preußen, den baltischen Ländern, wie auch in Polen. Sie werden auch willige Abnehmer von Getreide und Holz. Diese Faktoren liquidierten die bisherige Form der polnisch-preußischen Handelsbeziehungen zwar nicht vollständig, tragen aber zur Erscheinung einiger wesentlicher, neuer Elemente bei. Vor allem haben sie eine bedeutende Vergrößerung der bisherigen Lieferungen aus Polen zur Folge. Der Hauptlieferant der Waldprodukte f ü r Preußen bleibt weiterhin Masowien. Masowische Kaufleute, selbst aus kleinen Städten, zeigen sich mit ihren Waldprodukten (besonders Holz und Teer) in großer Zahl im Danziger Hafen und kaufen die begehrten Importartikel, besonders Tuch, Fische und Salz — die wichtigsten Ausfuhrgegenstände Preußens. 4 Masowisches Getreide wird noch sehr schwach gehandelt. Weitere Zentren in Preußen für masowische Händler sind Thorn und Neidenburg. Das Zentrum des preußisch-masowischen Warenaustausches auf dem Gebiete Masowiens wird Warschau, das die Kaufleute aus den übrigen masowischen Städten, wie auch die Danziger und Thorner Kaufleute anzieht. Die preußischen Kaufleute kommen auch in andere masowische Städte u n d sogar Dörfer, u m dort die gesuchten Holzprodukte zu kaufen. Sie erteilen dabei hohe Geldvorschüsse ä conto der zukünftigen Lieferungen. Wie aus den Quellen ersichtlich ist, machten die preußischen Kaufleute auf diese Weise die masowischen Produzenten und Kaufleute von sich abhängig und nutzten dabei ihre finanzielle Überlegenheit aus. Die Beziehungen mit Masowien trugen also 4

Zahlreiche Eintragungen aus der ersten Hälfte des 15. Jh. — besonders in Danziger Sehöffenbiichern — Staatsarchiv Danzig, 300 43, Nr. 1 a und 1 b.

Polnisch-preußische

Handelsbeziehungen

3

wesentlich zur Akkumulation des Handelskapitals der preußischen Kaufleute bei, wenn auch diese andererseits die Entwicklung der Waren- und Geldwirtschaft der masowischen Städte positiv beeinflussen. Von großer Bedeutung für den preußischen Handel sind auch weiterhin Großpolen und Kujawien. Besonders die letzte Provinz, direkt an der Grenze gelegen, wird der Hauptlieferant von Getreide an die preußischen Großstädte durch Vermittlung der zwei kujawischen Grenzstädte Bromberg und Nessau, die besonders nach dem Jahre 1422, dem Meinoer Frieden, einen erstaunlichen Aufschwung nahmen. Sie exportieren hauptsächlich Getreide nach Danzig. Nessau wird außerdem infolge seiner Lage, verglichen mit Thorn, ein wichtiger Punkt des Warenaustausches für zahlreiche Kaufleute aus kleineren und größeren Städten Preußens, wie Elbing und Marienburg, hauptsächlich aber Danzig und sogar für niederländische und englische Kaufleute. 5 Die letzteren versuchen zu den polnischen Grenzstädten trotz heftiger Gegenwehr der preußischen Städte vorzudringen. Bromberg und Nessau werden auch bedeutende Punkte der polnischen Weichselschiffahrt zum Danziger Hafen. Außer Getreide liefert Kujawien nach Preußen das vielbegehrte Bromberger Bier und weiterhin die Rohstoffe für Thorner Handwerker. Sehr lebhafte Handelsbeziehungen bestehen zwischen Preußen und Großpolen. Man muß hier auf zwei Umstände verweisen: stärkere Expansion der großpolnischen Kaufleute mit Posen an der Spitze, sowie beträchtliche Aktivität der Danziger Kaufleute in großpolnischen Städten, was mit der gänzlichen Ausschaltung Thorns keineswegs gleichbedeutend ist. Das bisherige Stapelrecht dieser Stadt wird doch dauernd durchgebrochen. Die überwiegende Zahl der Transaktionen wird in Danzig durchgeführt. Die Danziger Kaufleute kommen auch öfter nach Posen, wo sie Handelsgesellschaften mit der dortigen Kaufmannschaft anknüpfen. In Posen wird auch ein Handelshaus der DanzigPosenschen Familie von Bock errichtet. 6 Großpolen liefert vor allem Getreide und Vieh, auch das billige, graue Tuch, besonders in Kosten hergestellt, welches mit preußischen Tuchen erfolgreich konkurriert. Einen anderen Charakter haben die Handelsbeziehungen der preußischen Städte mit Kleinpolen, besonders mit Krakau. Sie haben schon eine ältere Tradition, was hauptsächlich den Transithandel der Krakauer und Thorner betrifft. In dem besprochenen Zeitabschnitt, besonders seit dem Jahre 1416, ist das Erscheinen der Danziger Kaufleute auf dem Markte Krakaus und anderer kleinpolnischen Städten, wie Neu-Sandetz und Sandomir, zu bemerken, sowie eine bedeutende Erweiterung der Warensorten, die nicht nur die alten Transitartikel (wie Kupfer), sondern auch kleinpolnische Erze, Waldprodukte und — in kleineren Mengen — Getreide umfassen. Die Danziger Kaufleute kaufen 5

6



Ausführlicher J A N O S Z - B I S K U P O W A , I . , O poiozeniu i przeniesieniu Nieszawy. I n : „Zapiski Tow. Naukowego", Bd. X X , Thorn 1955. Akta radzieckie poznanskie. Bd. 1, hrsg. v o n K. KACZMARCZYK, Posen 1925, Nr. 288, 425, 654, 683; Staatsarohiv Danzig 300 D , 7, Nr. 34.

4

MARIAN BISKUP

besonders im westlichen Kleinpolen das gesuchte Eibenholz, wobei auch hier beträchtliche Geldvorschüsse gegeben werden. An zweiter Stelle ist das Blei, namentlich aus den Olkusser Gruben, zu erwähnen, welches aber hauptsächlich durch die Thorner Kaufleute gekauft wird. 7 Ein Beweis für die Intensität dieser Beziehungen ist die Entstehung eines Handelshauses der Krakauer Familie von Sweydnitzer in Thorn, sowie die Ansiedlung zahlreicher Kaufleute von Thorn und Danzig, und ihrer Familienangehörigen in Krakau und anderen kleinpolnischen Städten, wo sie sich um das Bürgerrecht bewerben, um die Freiheit der Transaktionen zu erlangen. Dieselbe wird nämlich durch das — gerade um diese Zeit streng durchgeführte — Stapelrecht Krakaus gehindert. Krakau verhindert doch die selbständigen Handelsbeziehungen der preußischen Kaufleute mit Ungarn, teilweise auch mit Ruthenien, besonders mit Lemberg. Man muß auch den wachsenden, selbständigen Export seitens der Kaufleute von Krakau und Neu-Sandetz nach dem Danziger Hafen hervorheben. Dieses Problem ist eng mit der Frage des baltischen Handels der polnischen Kaufleute sowie des Umtausches derselben mit den fremden Gästen, hauptsächlich Niederländern und Engländern, verbunden. Man sieht in den Jahren 1422—1454 einen harten Kampf der polnischen, speziell Krakauer Kaufleute um die Abschaffung des sogenannten Pfundzolls, welcher im Danziger Hafen durch die Ordensbehörden von den auf der Ostsee ausgeführten Waren erhoben wurde. Das beweist, daß die polnische Kaufmannschaft an der überseeischen Ausfuhr — sogar mit eigenen Schiffen — interessiert war, was übrigens die bekannten Bestimmungen der polnisch-preußischen Friedenstraktate aus den Jahren 1422 und 1435 voll und ganz bestätigen. In Wirklichkeit kennt man aber nur einzelne Handelsgesellschaften der größeren Krakauer und Danziger Kaufleute in den Jahren 1420—1445 zwecks gemeinsamen Handels mit Flandern. 8 Auch die Thorner Quellen weisen auf das Bestehen einer „englischen Gesellschaft" der Thorner und Krakauer Kaufleute Anfang des Jahres 1450 hin. 9 Das bedeutet aber nicht, daß eine selbständige polnische Handelsflotte auf der Ostsee bestanden hätte: Die Krakauer Kaufleute besitzen nur Anteile an einzelnen Danziger Schiffen, sogenannte Schiffsparten. 10 Man muß die Aktivität der polnischen Kaufleute im baltischen Handel, teilweise auch in der Schiffahrt anerkennen. Andererseits aber muß man ausdrücklich feststellen, daß die meisten Handelsgeschäfte der polnischen Kaufleute mit den fremden Gästen in dem Danziger Hafen erledigt wurden. Danzig 7

8 9 10

Zahlreiche Beweise in Krakauer Schöffenbüchern aus den Jahren 1408—1459 (Staatsarchiv Krakau, Nr. 4—7) sowie Ratsbücher, ibidem, Nr. 428 —429 (v. Jahre 1412 bis 1483). Staatsarchiv Krakau, Ratsbücher, Nr. 428, S. 298 und 302; Hansisches Urkundenbuch, Bd. VII, 1, hrsg. von H. G. R U N D S T E D T , Weimar 1939, Nr. 707 und 719. Staatsarchiv Thorn, Schöffenbuch der Altstadt Thorn, IX, 2, S. 423. Staatsarchiv Krakau, Ratsbücher, Nr. 428, S. 449 (im J. 1442).

Polnisch-preußische

Handelsbeziehungen

5

ist also um die Mitte des 15. Jh. nicht nur die wichtigste Stelle für die Transaktionen der dortigen, einheimischen Kaufleute mit den polnischen Lieferanten, sondern auch — trotz mancher politischer Hindernisse — ein Hauptpunkt für den Handel des polnischen Bürgertums mit dem westeuropäischen Kaufmann. Man kann daher sagen, daß der Danziger Hafen schon damals die Rolle eines polnischen, baltischen Hafens hatte. Aus den zahlreichen Quellen sieht man sehr klar die Bestrebungen der polnischen Kaufleute, sich in den baltischen Handel unter Ausschluß der hansischen, also der preußischen Vermittler, einzuschalten. Dieselbe Feststellung gilt übrigens auch für die litauischen Kaufleute im Danziger Hafen. Einen klaren Beweis für diese Bestrebungen finden wir in dem dauernden Kampfe der polnischen Städte — im Jahre 1443 beginnend — mit dem Danziger Rate. Der Rat erließ in Erkenntnis dieser wichtigen Angelegenheit um diese Zeit die bekannte Verordnung, daß im Fremdenhandel die Vermittlung der Danziger Kaufleute unbedingt erforderlich sei. Infolge dieser Verordnung lag tatsächlich der ganze Warenumsatz zwischen dem polnischen Hinterlande und den fremden Gästen in den Händen der Danziger zum Nachteil der polnischen Kaufleute, deren Handelsfreiheit an der Ostsee auf diese Weise stark begrenzt war. Zahlreiche Interventionen der polnischen Könige in den Jahren 1443 bis 1454 beim Danziger Rate und den Ordensbehörden, wie auch des kleinpolnischen Adels und der Städte, auch der kujawischen Gebiete, zeugen deutlich von der Bedeutung dieses Problems in den damaligen polnisch-preußischen Handelsbeziehungen. 11 Als eine wesentliche Neuerscheinung in diesen Beziehungen ist die Einschaltung des polnischen Adels anzusehen. Die Anfänge ihres selbständigen Exports nach dem Danziger Hafen sind auf Grund unserer Quellen, vor allem der Ordenskorrespondenz, schon sehr früh, und zwar in den Anfang des 15. J h . zu setzen. Als erste, die sich an dem Export beteiligen, können wir vor allem die höhere polnische Geistlichkeit, besonders die Bischöfe von Posen und Leslau, sowie die Erzbischöfe von Gnesen nennen, welche von ihren im nördlichen Polen gelegenen Gütern das Getreide, teilweise vom Zehnten, zwischen 1400 und 1425 nach Danzig schicken. Der größere, vor allem kleinpolnische Adel beginnt mit dem Getreideexport von seinen schon ausgebauten Vorwerken erst in den dreißiger Jahren. Dieser Anfang fällt also mit den wachsenden Getreideschwierigkeiten der preußischen Handelsstädte zusammen. Man muß auch zugeben, daß der polnische Adel versucht, dabei in unmittelbare Beziehungen mit den fremden Kaufleuten in Danzig zu treten. Der Export von seiten des Adels ist aber um diese Zeitperiode noch keine dauernde E r 11

Besonders aufbewahrt im Staatlichen Archivlager Göttingen, Ordensbriefarchiv (OBA); vgl. Regesta historico-diplomatica Ordinis S. Mariae Theutonicorum, hrsg. v o n E. JOACHIM und W. H U B A T S C H , Pars I, Göttingen 1 9 4 8 - 1 9 5 0 , Nr. 9074, 9496, 9581, 9979, 9981, 10116; HansischesUrkundenbuch, Bd. V I I I , hrsg. von W. S T E I N , Leipzig 1899, Nr. 1 6 4 - 1 6 6 .

6

Marian Biskup

scheinung, weil zum Beispiel die kleinpolnischen Magnaten öfters ihre Getreideüberschüsse den größeren polnischen Städten verkaufen. Immerhin muß man die Exportmöglichkeiten des polnischen Adels sowie sein ausdrückliches Interesse für volle Handelsfreiheit im Danziger Hafen schon in der besprochenen Zeitperiode unterstreichen. Abschließend ist festzustellen, daß die polnisch-preußischen Handelsbeziehungen in der ersten Hälfte des 15. J h . eine bedeutende Erscheinung im Wirtschaftsleben der polnischen Länder wurden. Sie trugen dabei in mancher Hinsicht zur wirtschaftlichen Unifikation einzelner polnischer Provinzen bei. Sie ermöglichten doch die Annäherung der verschiedenen polnischen Kaufleute in den zentralen Umtauschpunkten, besonders in Danzig. Preußen wurde dabei nicht nur der Abnehmer von polnischen Exportwaren, sondern auch ein wichtiger Vermittler in dem Warenumtausche des polnischen Bürgertums, teilweise auch des polnischen Adels mit den westeuropäischen Ländern. Der Danziger Hafen wird ein Berührungspunkt des polnischen und fremden, nichtpreußischen Kaufmanns, sowie ein „Sprungbrett" für die zukünftige Entwicklung des selbständigen baltischen Handels der polnischen Städte. Um so deutlicher wurden daher die wachsenden Schwierigkeiten seitens des Danziger Rates und des Deutschen Ordens in polnischen Kreisen empfunden. Es ist noch zu bemerken, daß die polnischen Erzeugnisse für preußische Städte nicht nur als Transitwaren galten. Im gewissen Grade dienten sie zur Deckung des inneren Bedarfs Preußens, besonders an Handwerksrohstoffen, Holz und sogar — bei Mißernten — Getreide. Die polnische Einfuhr spielte schon damals eine durchaus wichtige Rolle, besonders für das preußische Bürgertum in den Weichselstädten, wo sie eine bedeutende Quelle derAkkumulation des Handelskapitals wurde. Die polnischen Länder werden nebenbei ein wichtiger Abnehmer hauptsächlich verschiedener Handwerksartikel und Fische. Infolgedessen wird das polnische Hinterland um die Mitte des 15. J h . ein wahrhaft unentbehrlicher Faktor in der weiteren Entwicklung der preußischen Großstädte. Zwischen dem polnischen Staate und Preußen bestand also trotz der politischen Trennung eine gewisse ökonomische Abhängigkeit, was von dem Prozeß des wirtschaftlichen Zusammenwachsens beider Länder zeugen kann. Erst auf Grund dieser Beziehungen konnte ein konsequentes Programm der ;politischen Vereinigung Polens und Preußens entstehen, das seinen Ausdruck im Jahre 1454 fand. Die Folgen des dreizehnjährigen Krieges, vor allem die erlangte Machtstellung Danzigs, sowie der wachsende Anteil des polnischen Adels in dem Getreide- und Holzhandel an der Schwelle des 15. und 16. J h . haben aber die oben geschilderten Richtlinien der polnisch-preußischen Handelsbeziehungen wesentlich geändert, was schließlich in der fortschreitenden Ausschaltung des polnischen Kaufmanns von der Ostsee seinen Ausdruck fand.

EINIGE BETRACHTUNGEN ÜBER HANDWERK, HANDEL UND S T A D T E N T W I C K L U N G D E R W E S T S L A W E N AN D E R O S T S E E K Ü S T E VOM 9. ZUM 12. J A H R H U N D E R T von Jan

Brankach*

E i n e Darstellung -wirtschaftlicher Fragen a u s der Geschichte der Obodriten, Lutizen u n d P o m e r a n e n i m a u f k o m m e n d e n F e u d a l i s m u s b i e t e t u n t e r d e n verschiedensten G e s i c h t s p u n k t e n aufschlußreiche Anregungen. I s t sie doch gleichs a m w e s e n t l i c h für die geschichtliche Stellung dieser i m Ergebnis der f e u d a l e n deutschen O s t e x p a n s i o n u n t e r g e g a n g e n e n V ö l k e r s c h a f t e n i m Mittelalter u n d für die historisch richtige W ü r d i g u n g ihres A n t e i l s a n der E t h n o g e n e s e d e s d e u t s c h e n Volkes i m Ostseeraum u n d n i c h t u n b e d e u t e n d für die Rekonstrukt i o n d e s historischen Gesamtbildes der w e s t s l a w i s c h e n Frühgeschichte überhaupt. Darüber hinaus ist sie ein B e s t a n d t e i l der vor- u n d f r ü h f e u d a l e n W i r t s c h a f t derjenigen Völkerschaften, die jahrhundertelang als N a c h b a r n a n d e r südlichen u n d südöstlichen Ostseeküste s i e d e l t e n 1 u n d sich m i t anderen V ö l k e r n i n d e n H a n d e l u n d die Schiffahrt auf der Ostsee t e i l t e n . A u c h die f e u d a l e Ostexpansion, als w i c h t i g s t e Teilfrage der d e u t s c h - d ä n i s c h - w e s t s l a w i s c h e n B e z i e h u n g e n i m Mittelalter k a n n o h n e Berücksichtigung u n d Klärung wirtsc h a f t * 1

Der vorliegende Beitrag ist die u m gearbeitete Fassung eines K urzreferates übe Handel und Schiffahrt der Ostseeslawen an der Ostseeküste, das im F r ü h j a h r 1956 auf einer Tagung des Hansischen Geschichtsvereins in Leipzig gehalten wurde. Die Forschungen über die lettischen, litauischen, preußischen u n d westslawischen Völkerschaften im Mittelalter h a b e n in letzter Zeit einen beachtlichen Aufschwung genommen. Vgl. dazu ^opomeHKO, JlaraiiiiCKHe imeMeHa B nepBOMraiCHHHJieTHHHameft 8 P U ( D O R O S C H E N K O , Die lettischen Stämme im ersten Jahrtausend u. Z.), „Voprosy Istorii" 9, 1952, S. 122—130. IlamyTO, B. T., O6pa30Bamie nirroBCKoro rocy^apcTBa. PlsflaTejibCTBo Ana«. HayK 1959 ( P A & U T O , W. T., Die Entstehung des litauischen Staates) Moskau 1959. Die Quellenlage und bisherige Literatur zur litauischen Geschichte werden auf den Seiten 9—248 und 427—465 geboten. Zur Geschichte der preußischen Stammesgruppe vergleiche A N T O N I E W I C Z , J., Prusowie we wczesnym sredniowieczu i zarys ich kultury materialnej. Pomorze sredniowieczne, pod red. G. Labudy, Warszawa 1958, S. 121 bis 159. P O L L A K Ö W N A , M., Zanik ludnosci pruskiej. Pomorze sredniowieczne, S. 160 bis 207. Abhandlungen zur westslawischen Geschichte sind in den Anmerkungen 3, 5, 13 zu finden. Dazu ergänzend E P P E R L E I N , S., Neue Forschungen zur polnischen Geschichte des Mittelalters, in: „Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft" (weiterhingeführt als ZfG) 1957, H . 2, S. 411—441. B R A N K A Ö K , J., Zur Frühgeschichte der feudalen Staaten auf westslawischem Boden. Wirtschaftliche Voraussetzungen und Grundlagen, in: „Wiss. Zeitschr. d. Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellsch. und Sprachw. Reihe", H. 1/2, 1957/58, S. 141-161.

8

J A N BRANKAÖK

Ii eher Momente gar nicht geschrieben werden. Desgleichen erlaubt eine Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Struktur im Zusammenhang mit politischen Faktoren Vergleiche über die sozialökonomische Entwicklung der Völkerschaften und Stammesgruppen im gesamten Geltungsbereich der Ostsee. Die Entstehung und Entwicklung des Feudalismus fällt hier nicht nur im wesentlichen zeitlich zusammen, wie die Herausbildung und Festigung feudaler Produktionsverhältnisse bei Pomeranen, Obodriten, Lutizen und Dänen im 10. und 11. Jh., sondern sie weist auch gemeinsame Besonderheiten auf. So sind der relativ starke Sklavenhandel und beachtliche Reste der militärischen Demokratie als hemmender Faktor bei der Feudalisierung dieser Gebiete in Erwägung gezogen worden. 2 Die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der feudalen Entwicklung sowie ihre Besonderheiten können somit als Einheit und im größeren Rahmen betrachtet und dargestellt werden. Die nachfolgenden Ausführungen sollen die angedeuteten Probleme im Rahmen der gezeichneten Entwicklungslinien keineswegs klären oder gar lösen, sie sind lediglich zur Skizzierung einiger Teilfragen aus der Wirtschaftsgeschichte der Westslawen an der Ostsee bestimmt. Die eigenartige historische Entwicklung dieser westslawischen Stämme und Stammesverbände hat in Vergangenheit und Gegenwart die Aufmerksamkeit zahlreicher Historiker, Archäologen und Philologen auf sich gelenkt, und zu ihrer Geschichte liegt eine Vielzahl allgemein- und landesgeschichtlicher Abhandlungen vor. Eine Zusammenstellung dieser beachtlichen Vorleistung, die Anspruch auf relative Vollständigkeit erheben könnte, wurde nicht versucht und soll auch in diesem Rahmen nicht vorgenommen werden. Die Arbeiten von W. Brüske, H. Bulin, W. Kowalenko, K. Pieradska und L. Hrabovä 3 bieten in dieser Richtung einen guten Ersatz. Forschungsberichte zur feudalen deutschen Siedlungsgeschichte 4 sowie philologische 5 und archäologische 6 Arbeiten 2

Vgl. dazu bis 421.

3

B R Ü S K E , W . , Untersuchungen zur Geschichte des Lutizenbundes. Deutsch-wendische Beziehungen des 10. bis 12. Jh. In: „Mitteldeutsche Forschungen" Hrsg. v. R. Olesch, W. Schlesinger, L. E. Schmitt. Münster-Köln 1955. BULIN, H., Nemecky prinos k dejinäm polabsk^ch Slovanü, Deutscher Beitrag zur Geschichte der Elbslawen (Zusammenfassung). In: „Vznik a poöätky Slovanü II". Ceskoslovenskä akademie ved — Sekce historikä Slovansk^ üstav CSAV, Praha 1958, S. 55—98. KOWALENKO, W., Dalsze badania nad starosio wianskimi portami na Baltyku z IX—XII w. I n : , ,Przegl^d Zachodni 1/2 1955, S. 164-197.- (Mit einer Auswertung der schriftlichen Quellen und mit neueren Literaturhinweisen.) PIERADZKA, K., Walki Stowian na Baltyku w X.—XII. wieku. Prace Komisji wojskowohistorycznej ministerstwa obrony narodowej seria A, Nr. 1, Warszawa 1953. HRABOVÄ, L., K otäzce vzniku a v^voje statu u Polabskych Slovanü. In: „Ceskoslovenskjr Casopis Historickjr" 4, 1955, S. 642-668. H E L B I G , H . , Deutsche Siedlungsforschung im Bereich der mittelalterlichen Ostkolonisation. In: „Jahrb. für die Geschichte Mittel-und Ostdeutschlands" (weiterhin geführt als: Jb. f. G. MOD) Bd. II, 1953, S. 283-345. Dieser Forschungsbericht ist vom Standpunkt der sogenannten Ganzheitlichkeit verfaßt und enthält eine einseitige

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KOSMINSKI,

SKASKIN,

Geschichte des Mittelalters, Berlin

1958,

S. 396

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der Westslawen

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bringen wertvolles Ergänzungsmaterial. A u c h fehlt es h e u t e n o c h a n einer W e r t u n g dieser umfangreichen Literatur. W ä h r e n d ein Teil der bürgerlichen deutschen Historiker, vornehmlich i m 19. J h . , m i t ergiebigen Einzeluntersuchungen zur Erforschung der westslawischen Geschichte beitrug, wertvolle Quellen herausbrachte, sachlich interpretierte, T a t s a c h e n s a m m e l t e u n d bem ü h t war, Teilfragen der westslawischen Geschichte zu klären 7 , verstärkt sich i m Imperialismus die bereits vorher vorhandene Tendenz der E n t s t e l l u n g u n d einseitigen Darstellung der westslawischen Geschichte u n d g e h t bis zur offenen Fälschung u n d absoluten E n t w e r t u n g . 8 E s sind eigentlich i m m e r dieselben u n d damit tendenziöse Gesamteinschätzung der Ostexpansion. WAESCHAUER, A., Die Erforschung der Geschichte der deutschen Kolonisation im Osten. I n : „Korrespondenzblatt d. Gesamtvereins d. deutschen Geschichts- und Altertumsvereine" 53, 1905, S. l f f . LABUDA, G., Stare i nowe tendencje w liistoriografii zachodnoniemieckiej. I n : „Przeglad Zachodni" 2, 1956, S. 224-252: 5 TRAUTMANN, R., Die elb- und ostseeslawischen Ortsnamen. Teil II, Abhandlungen d. Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Phil.-hist. Klasse, Jg. 1947, Nr. 7, Berlin 1949, S. 89ff. (Wirtschaftsgeschichtliche Auswertung des ON Materials). BILEK, J., SCHALL, H., Slavische Siedlungstätigkeit im 14. J h . auf Rügen. I n : „Zeitschr. f ü r Slawistik", Bd. IV, H. 3, 1959, S. 379-393. SZYDLOWSKA, B., Zycie polabian w äwietle zabytköw ich jezyka. I n : Pamietnik slowianski (weiterhin geführt als Pam. Slow.) T. I I I Kraköw 1952 S. 58-105. Eine instruktive wirtschaftsgeschichtlich angelegte Studie zur sorbischen Nomenklatur h a t E. Eichler vorgelegt. EICHLER, E., Slawische Wald- und Rodungsnamen an Elbe und Saale, in: Beiträge zur Namenforschung, Bd. 9, Heidelberg 1958, S. 286—310. fi Vgl. einen zusammenfassenden Bericht zum Forschungsstand der westslawischen Geschichte in Deutschland (Archäologie). I n : „Letopis, Jahresschrift des Instituts f ü r Sorbische Volksforschung", Reihe B, H. 6, Bautzen 1959. S. 4 5 2 ^ 6 2 . 7 Als Beispiele f ü r diese Richtung in der bürgerlichen deutschen Historiographie seien nur genannt GIESEBRECHT, L., Wendische Geschichten aus den J a h r e n 780 bis 1182. Bände I , I I , I I I , Berlin 1843. (Ergiebige Paktensammlung, einziger Versuch einer zusammenfassenden Darstellung der westslawischen Geschichte im 19. J h . in Deutschland.) FABRICIUS, C. G., Urkunden zur Geschichte des Fürstenthums Rügen unter den eingeborenen Fürsten. Bände I—IV, Stralsund 1841 — Berlin 1859—1869. FOCK, O., Rügensch-Pommersche Geschichten aus sieben Jahrhunderten. I , Rügen 1168, Leipzig 1861. Seinen Darlegungen über den „kulturlosen" slawischen „Charakter" der Bewohner, ebenda S. 3, 5, 13 und seiner Auffassung, daß die slawischen Stämme f ü r die Freiheit des Raubes und des Plünderns gekämpft haben (S. 6) kann m a n allerdings nicht folgen. 8 Stellvertretend f ü r diese Linie sei hier A. Brackmann genannt, BKACKMANN, A., Gesammelte Aufsätze. Weimar 1941. Die germanische staatenbildende K r a f t habe den russischen Staat geschaffen (S. 10), die Slawen seien vom 8. bis zum beginnenden 11. J h . ohne staatenbildende K r a f t gewesen (S. 161). E r spricht vom großen „Kolonialwerk" (S. 78) und unterschiebt Karl dem Großen Pläne zur „Eroberung der Slawenwelt" (S. 29) und einen „gewaltigen Plan der Slawenmission" (S. 74). Die feudale Eroberungspolitik des deutschen Adels war eine universale Aufgabe des abendländischen Imperium christianum" und vollzog sich in einer „höheren Sphäre" (S. 75). Auf S. 38 fordert er selbst zur offenen Fälschung der deutschen Geschichte auf. Eine solche „abendländische" Betrachtungsweise schloß ganze Völkerfamilien

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Behauptungen, die dabei angeführt werden. Daran hat sich dem Inhalt nach seit der Zeit eines L. v. Ranke, Droysen, Wattenbach und Beheim-Schwarz bach9 nicht viel geändert, wie ein Blick in die westdeutschen Publikationen zur westslawischen Verfassungsgeschichte beweist.10 Die einzelnen Beispiele, die aus dem Geschichtsbild aus. In der Archäologie wurde in dieser Zeit ein primitiver slawischer Kulturzustand „rekonstruiert". Selbst der „Geruch, der aus Trümmern slawischer Burgwälle aufstieg", erlaubte Rückschlüsse auf „Zustände" im slawischen Osten. Vgl. Deutschland und Polen, Beiträge zu ihren geschichtlichen Beziehungen. München/Berlin 1933, S. 12. Bekannt ist ferner auch, daß bei Chrabrow (Ostseeküste) ein aufgefundenes Boot slawischer Herkunft bewußt falsch rekonstruiert wurde. Vgl. KOWALENKO, W., Dalsze badania, a. a. O.. S. 166 (mit dokumentarischem Material). 9 Die Marschrichtung des preußisch-deutschen reaktionären Historismus in der Be trachtung der slawischen Geschichte wurde von den genannten Historikern begründet und wesentlich mitbestimmt. Vgl. v. RANKE, L., Geschichte der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514. Leipzig 1874, 2. Aufl. S. V), (Slawen, Balten und Ungarn werden aus der geschichtlichen Betrachtungsweise ausgeschlossen) S. XVII, S. XIX („Begründung" der dienenden und widerstrebenden Rolle der Slawen in der Geschichte). DROYSEN, G. I., Geschichte der preußischen Politik. Berlin 18551, S. 23, 54, 55, 56, 58, 65. (Slawen geschichtslos, eine besondere Rolle spielt bei ihnen die Gewalt.) WATTENBACH, W., Die Germanisierung der östlichen Marken des deutschen Reiches. In: „Historische Zeitschrift", Bd. 9, 1863, S. 386-417 (bes. S. 416, 417). BEHEIM, M., SCHWARZBACH, Die Besiedlung von Ostdeutschland durch die zweite germanische Völkerwanderung. Berlin 1882, Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, hrsg. v. R. Virchov und Fr. v. Holtzendorf, XVII. Serie (bes. S. 4, 5, 8, 12, 13, 14, 22, 30, 31, 44, 48, 54, 55). 10 WEIZSÄCKER, W.. Geschichtliche Wechselwirkung deutsch-slawischen Rechtsdenkens. In: „Zeitschrift für Ostforschung" (weiterhin geführt als: ZfO), J g . 5, 1956, S. 161—180, (S. 161: Theorie der „ungleichen kulturellen Ebene" zwischen Slawen und Deutschen im Mittelalter; S. 170: Slawen ohne „freies Bürgertum" und ohne „Stadt im Rechtssinne". Kostproben seiner Betrachtungsweise vermitteln die Seiten 175—180. Dem,,slawischen Lebensgefühl" sei angeblich eine einseitige Gemeinschaft, die eine „starke Annäherung an eine, an sich gemeinschaftslose Masse" vollzieht, eigen. Diese „Theorie" ist schon über hundert Jahre alt, vgl. DROYSEN, G. I., a. a. O., S. 54). In diesen Rahmen gehört auch die Theorie vom „Halb-Kulturzustand" der Slawen, die bei H. Hassinger nachzulesen ist, HASSINGER, H., Geographische Grundlagen der Geschichte, Freiburg im Breisgau 1953, S. 29. Derartige Feststellungen vom „Kulturbefund" der slawischen Völker knüpfen in vielem an Theorien der alten Historiographie an. Auch in den Abhandlungen von M. Hellmann finden sich ähnliche Gedankengänge, HELLMANN, M., Grundfragen der slawischen Verfassungsgeschichte des frühen Mittelalters. In: „Jahrb. für Geschichte Osteuropas" N. F., Bd. 2, 1954, S. 387ff., ders., Slawisches, insbesondere ostslawisches Herrschertum des Mittelalters. In: „Das Königtum". Hrsg. v. Th. Mayer, Lindau/Konstanz 1956, S. 243ff., ders., Herrschaftliche und genossenschaftliche Elemente in der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte der Slawen. In: „ZfO", H. 3, 1958, S. 321-338. Den Rahmen der westdeutschen Neo-Abendlandkonzeption schildert BÜTTNER, T H . , Abendlandideologie und Neo-Karolingertum. In: „ZfG", 8, 1959, S. 1803-1824. Vgl. dazu auch UNGER, M., Bernhard von Clairvaux und der Slawenkreuzzug 1147. In: „ZfG", 1, 1959, S. 80-90.

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eine sachliche Darstellung nach dem positiven Vorbild des 19. J h . anstreben, sind nicht gerade sehr zahlreich. 11 Greift man die positive Leistung der bürgerlichen deutschen Historiographie heraus, so ist festzustellen, daß sie in siedlungsgeschichtlichen Fragen, wie z. B. bei der Lokalisierung der Stammesgebiete und Festlegung der Bevölkerungsdichte und in der Darstellung der politischen Geschichte Teilergebnisse erzielt hat, versagt sie jedoch besonders in der richtigen Analyse der Wirtschafts- und Sozialstruktur. Dieser grundlegende Mangel hat auch auf sachlich fundierte Arbeiten abgefärbt. Es ist daher kein Zufall, daß die Historiker der sozialistischen Länder gerade hier ansetzen und die Untersuchung der wirtschaftlichen Verhältnisse mit der Darstellung politischer Fragen in einer einheitlichen Betrachtungsweise anstreben. Dies geschieht im großen Rahmen der feudalstaatlichen Entwicklung der europäischen, darunter auch der slawischen Völker, wie es vornehmlich Grekow, towmianski und Graus vorgezeichnet haben. 1 2 In letzter Zeit haben zu Fragen der obodritisch-lutizischen und pomeranischen Geschichte Gracianski, Koroljuk, Zincuk, Widajewicz, Kowalenko, Ölaski, Pieradzka, Lesinski, Filipowiak, Labuda, Sczaniecki, Kiersnowski, Dowiat, Prochäzka, Hrabovä, Posvar, Bilek-Schall, Hofmeister, Unverzagt und Schuldt, um nur einige bedeutende zu nennen, unter den verschiedensten Gesichtspunkten Stellung genommen. 13 Während Gracianski und Zincuk bemüht sind, Verlauf und Ergeb11

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FRITZE, W . , Die Datierung des Geographus Bavarus und die Stammesverfassung der Obodriten. In: „Zeitsehr. für slawische Philologie" XXII, Heidelberg 1952, S. 3 2 6 — 3 4 2 . Ders., Beobachtungen zur Entstehung des Lutizenbundes. In: „Jahrb. f. d. Geschichte MOD" VII, 1 9 5 8 , S. 1 - 3 8 . B R Ü S K E , W... a. a. O . Vf. kann der Behauptung von W. Brüske, daß sich die Sorben, im Unterschied zu den Lutizen und Obodriten, im Verteidigungskampf gegen die deutschen Feudalherren ,willenlos der deutschen Herrschaft gebeugt haben" (S. ] ) und daß nach 983 das „Kulturgefälle" zwischen West- und Ostelbien angewachsen sei (S. 2), nicht zustimmen. G R E K O W , B. D., Die Bauern in der Rus von den ältesten Zeiten bis zum 17. Jahrhundert. Berlin 1959. E. fl. TpeKOB, HsSpaHHue Tpyati. TOM I, II. H3RaTeJibCTBo aKa«eMHH HayK CCCP Mocraa 1957, 1959. L O W M I A N S K I , H., Podstawy gospodarcze formowania sie panstw slowianskich, Warszawa 1953. G R A U S , F., Dejiny venkovskeho lidu v Cechäch vdobe predhusitske. I. Dejiny venkovskeho lidu od 10. stoleti. do poloviny. 13. stoleti Praha 1953. II. Dejiny venkovskeho lidu od poloviny 13. stoleti do roku 1419. Praha 1957. TpaijHaHCKHü, n. H., Eopböa CJiaBHH h HapoßoB npiiöajiTHKPi c HeMeijKoii arpecciieft B cpeRHiie BeKa. ( GRACIANSKI, P. N., Der Kampf der Slawen und der baltischen Völker gegen die deutsche Aggression im Mittelalter) Moskau 1943. Ders.: SaaJiöcKne cJiaBHiie B 6opb6e c HeMeijKOit arpecciieü B X — XII BB. (Die Elbslawen im Kampf gegen die deutsche Aggression im 10.—12. Jahrhundert). In: „HcTopHieCKÜH ntypiiaji", 1942. Ders. IloJiaCcKHe CJiaBHHe B 6opb6e c HeMeimoft arrpeccHeft (Die Elbslawen im Kampf mit der deutschen Aggression). CßopHHK: BeKOBan 6opb6a aananiiMX H JOJKHHX CJiaBHH npoTHB zepMaHCKOii arpeccHH Moskau 1944. Kopo.nioK, B. Tocy^apcTBO FoTiuaJiKa ( K O R O L J U K , W. D., Der Staat Gotschalks) CjiaBHHCKHil cöopHHK, MocKBa 1947. 3mi4yK, H. II. Boßpba 3anartimx CJiaBHH c HacTyriJieHPieM Heinei^KO-AaTCKHx (J>eoaa-

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nisse der deutsch-dänischen Expansion ins westslawische Küstengebiet darzulegen, Pieradzka die skandinavisch-slawischen Seekriege schildert und Bulin den großen Aufstand der Lutizen und Obodriten vom Jahre 983 würdigt, werfen Koroljuk und Hrabovä die Frage der Klassengesellschaft und des feudalen Staates bei den genannten Völkerschaften auf. Die Untersuchungen von Prochäzka über die feudalen Abgaben und Leistungen der polabischbaltischen Slawen u n d ( v o n Posvar über das Bergwerk der West- und das jioß Ha H»KHoe noßepeJKte BaJiTHflcitoro Mopn b 1 0 — 1 2 bb. (Zintöuk, J . P . , Der Kampf der Westslawen gegen die Expansion der deutsch-dänischen Feudalherren auf das Südufer der Ostsee im 10.—12. Jh.) KpaTKye cooCmeHHH, IlHCTHTyT cnaBHHOBe«eHHH AKaReMHH HayK CCCP, 2 1 , 1 9 5 7 , S. 99—108. Widajewicz, J., Weleci. Biblioteka Studium Siowianskiego U. J . Kraköw 1947, S. A. nr. 2. Weitere Hinweise mit einer Würdigung seiner Arbeiten in: ,,Pam. Slow. Bd.IY, H.2 (1954), WroclawPoznan 1955, S. 386—391 (Labuda, G., Jozef Widajewicz jako historyk dzie jöw Slowianszczyzny). Kawalenko, W., Dalsze badania, a. a. O., S. 164—197. (Die Abhandlung enthält auch Hinweise auf seine früheren Arbeiten.) Ölaski, K., Udzial Slowian w zyciu gospodarczym Baltyku na pocz^tku epoki feudalnej (VII—XII w.). In: „ P a m . Slow.", Bd. IV, H. 2 ( 1 9 5 4 ) , Wroclaw-Poznan 1 9 5 5 , S. 2 2 7 - 2 6 6 . Pieradzka, K„ Walki Slowian na Baltyku w X.—XII. wieku. Warszawa 1953 (mit einem Überblick der bisherigen Literatur). Dies., Zagadnienie grodöw i wczesnosredniowiecznej organizacji grodowej u Slowian pölnocnozachodnich. I n : „Pam. Slow., Bd. IV, H . 2 ( 1 9 5 4 ) Wroclaw-Poznan 1955, S. 2 6 7 - 3 0 3 . Lesinski, H.,Niekt6re problemy rozwoju miast na Pomorzu Zachodnim w sredniowieczu. Materialy Zachodno pomorskie, (weiterhin geführt als Mat. Zach. P.) Bd. II, Szczecin 1 9 5 6 , S. 2 7 9 - 2 9 7 . Filipowiak, W. Port wczesnosredniowiecznego Wolina, Mat. Zach. P., Bd. II, Szczecin 1956, S. 183 bis 210. Labuda, G., Polozenie sredniowiecznego Rostoku. Mat. Zach. P., Bd. II, 1 9 5 6 , S . 245—278. Sczaniecki, M., Giöwne linie rozwoju feudalnego panstwa zachodniopomorskiego I, Czasopismo prawno-historyczne 1955. Kiersnowski, R., Giöwne momenty rozwoju srodköw wymiany na Pomorzu wczesnofeudalnym. In: „Wiadomosci Archeologiczne", Bd. 23, 3, 1956. Dowiat, J., O rewizj^ pogladöw na dzieje wczesnosredniowiecznego pomorza (w zwiezku z wyst^pieniem R. Kiersnowkiego). I n : „Kwartalnik Historvczny" LXIII, Nr. 1, Warszawa 1956, S. 118-125. Ders., Pochodzenie dynastii zachodnio-pomorskiej i uksztaltowanie sie terytorium ksiestwa zachodnio pomorskiego. In: „Przeglqd Hist." Bd. XLV, 1954, H. 2/3. Prochäzka, V., Danovä a jinä bremena u polabskopobaltskych Slovanü. Prävnehistoricke Studie I. CSAV, Praha 1955. Ders., Organisace kultu a kmenoveho zrizeni polabskopobaltskych Slovanü. In: „Vznik a poöätky Slovanü" (weiterhin geführt als: Vznik a poöätky) CSAV, Bd. II, Praha 1958, S. 145-168. Ders., Prisaha, ordäl a svedectvi u polabsko-pobaltsk^ch Slovanü. In: „Vznik a poöätky", CSAV, Bd. II, Praha 1958, S. 169—181 Bulin, H., Ncmecky prinos k dejinam polabsk^ch Slovanü. In: „Vznik a poöätky I I " , S. 55—98 (B. führt einen großen Teil der deutschen Literatur an). Ders., Povstäni polabskfch Slovanüna Sklonku 10. stoleti. In: „Slovanske historicke Studie" (weiterhin geführt als Slov. hist. stud.), CSAV, Bd. II, Praha 1957, S. 7-60. PoäVAlt, J., Poöätky mince u polabsk^ch a pobaltsk^ch Slovanü. In: „Vznik a poöätky, II, Praha 1958, S. 121—144. Ders., K poöätküm hornictvi u zäpadnich Slovanü (Prispevek k mezislovansk^m vztahüm). In: „Slov. hist. stud.", CSAV, Bd. II, Praha 1 9 5 7 , S. 61—104. Bilek, S c h a l l , Slavische Siedlungstätigkeit im 14. Jh. auf Rügen. In: „Zeitschr. für Slawistik", Bd. IV, H. 3, 1959, S. 379-393. Hofmeister, A., Die Burgwallinsel im Teterower See und die Dänenzüge nach Circipanien 1171 und 1184. In: „Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Greifswald",

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Münzwesen der Elbslawen sind als wertvolle Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der genannten Völkerschaften zu werten. Einen guten Überblick über analoge Bestrebungen in Polen vermitteln die Untersuchungen von Kowalenko über die slawischen Häfen und Handelsplätze an der Ostsee. Labuda ist wiederum bemüht, die Rolle slawischer Volkselemente an der weiteren historischen Entwicklung des unterworfenen Gebietes am Beispiel von Rostock herauszuarbeiten und Slaski erörtert den Anteil der Ost- und Westslawen am Wirtschaftsleben des Baltikums im frühen Feudalismus. Der Forschungsrahmen ist somit ziemlich weit gespannt, das Streben nach einer Darstellung der ostseeslawischen Geschichte hinsichtlich ihres sozialökonomischen Inhalts ist dabei unverkennbar. Allgemein macht sich jedoch noch immer ein spürbarer Mangel in der Kenntnis der Wirtschaftsund Sozialgeschichte der Obodriten, Lutizen und Rügenslawen bemerkbar.14 Von den neueren westdeutschen Arbeiten verdienen besonders die von Fritze und Brüske genannt zu werden.15 Welche Gedankengänge eine Betrachtungsweise hervorbringen kann, die losgelöst vom sozialökonomischen Hintergrund betrieben wird, zeigen die Abhandlungen von H. D. Kahl zur Missionierung der Westslawen 16 und vor allem von W. Weizsäcker und gesellschafts- u n d sprachwissenschaftliche Reihe, N r . 3/4, 1953/54, S. 215—218. UNVERZAGT, W., SCHULDT, E., Die Burgwallinsel im Teterower See. I n : „ J a h r b u c h . f ü r Bodendenkmalpflege in Mecklenburg" 1953, S. 85ff., SCHULDT, E., Ausgrabungen auf dem Burgwall von Behren-Lübchin, K r . Teterow. I n : „Ausgrabungen und F u n d e " (weiterhin geführt als: A. u. F.), 1957, 2, S. 78ff. Ders., Die Ausgrabungen auf dem Burgwall Behren-Lübchin 1957. I n : „A. u. F . " , 3, 1958, S. 89ff. Ders., Der Burgwall von Behren-Lübchin, Kr. Teterow. I n : „ A . u. F . " , 3, 1958, S. 307ff. 14 Ein Versuch, diese Lücke zu schließen, stellt die Dissertation des Verf. dar, die im J a h r e 1961 an der Karl-Marx-Universität eingereicht wird. BRANKACK, J . , Untersuchungen zur sozialökonomischen und politischen Geschichte der Sorben, Lutizen u n d Obodriten vom 9.—12. J h . 15 FRITZE, W., a. a. O., BRÜSKE, W., a. a. O. Gegen eine einseitige „abendländische" Betrachtungsweise der mittelalterlichen europäischen Wirtschaftsentwicklung wendet sich H . L u d a t , der bemüht ist, neuen Erkenntnissen der polnischen Historiker in modifizierter F o r m einen Platz im westdeutschen „neoabendländischen" Geschichtsbild einzuräumen: LUDAT, H., Vorstufen u n d E n t s t e h u n g des Städtewesens in Osteuropa — Zur Frage der vorkolonialen Wirtschaftszentren im slawisch-baltischen B a u m — Osteuropa u n d der deutsche Osten. Beiträge zu Forschungsarbeiten u n d Vorträgen der Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen. I I I , 1955, KölnBraunsfeld, S. 7—53. Derselbe, F r ü h f o r m e n des Städtewesens in Osteuropa. Studien zu den Anfängen des europäischen Städtewesens. Vorträge u n d Forschungen IV. Lindau-Konstanz 1958. 16 KAHL, H . D., Zum Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters. I n : ,,ZfO" 1953, S. 1—14. Derselbe, Compellere intrare — Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- u n d Völkerrechts. I n : ,,ZfO" 1955, S. 360-401. Trotz mehrerer positiver Gedankengänge ist bei H . D. K a h l der Ausgangspunkt in der Darstellung der Christianisierung der Westslawen in Deutschland nicht richtig, d a er die Ausnahme (Ansätze friedlicher Bekehrungsversuche) in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellt (Hauptinhalt) und die Regel (gewalt-

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M. Hellmann zur slawischen Verfassungsgeschichte. Als „neue" stark gegenwartsbezogen ausgerichtete Idee erscheint bei Weizsäcker u n d Hellmann die eigentümliche Behauptung, daß in der mittelalterlichen slawischen Verfassungsgeschichte, insbesondere i m Gefolgschafts wesen, bei der „gemeinschaftslosen Masse" der Slawen, das Moment der rohen physischen Gewalt, des Zwanges u n d der Unterordnung eine erhebliehe größere R o l l e gespielt habe als bei den Germanen, für die das „ethische u n d letztlich religiös begründete Verhältnis der Freundschaft u n d der Treue kennzeichnend ist. 1 7 A u f die Frage, wie sich dieses Treue- u n d Freundschaftsverhältnis dann zwischen Feudalherrn u n d feudalabhängigen Bauern gestaltet hat, sucht m a n allerdings vergeblich eine befriedigende Antwort. Forschungen, die unter diesem „neoabendländischen" Blickwinkel angelegt sind, lassen selbstredend Teilfragen der Wirtschafts-

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same Christianisierung mit handgreiflichen politischen, ökonomischen und ideologischen Zielen im Rahmen der Ostexpansion unter der Regie der deutschen Feudalherren) nur nebenbei erwähnt bzw. sie den Franzosen (siehe Wendenkreuzzug 1147) zuschreibt. Vgl. auch U N G E R , M., a. a. O., S. 80—90. Vgl. W E I Z S Ä C K E R , W., a. a. O. und H E L L M A N N , M., Herrschaftliche und genossenschaftliche Elemente, a. a. O., S. 321—338. Hellmann gelangt zur Feststellung, daß es bei den Elb- und Ostseeslawen ein auf Zwang beruhendes, antichristlich verkümmertes slawisches Herrentum in Form von Burgherren und Kleinfürsten gegeben habe (S. 325, 330, 335), Hauptmerkmal des slawischen Herrentums bei den slawischen Gruppen sei die stärkere Betonung der physischen Gewalt und Macht (S. 327). „Deshalb kommt es in der slawischen Frühzeit zu keinem Zusammenwirken von rechtlich Gleichgestellten. Das Moment der Unterordnung spielt eine erheblich größere Rolle als bei den Germanen. Aller Herrschaft bei den slawischen Gruppen haftet bis zu einem gewissen Grade immer das Moment des Zwanges a n " (S. 327). Deshalb ist die richterliche Funktion des Herren bei den Slawen absolut (S. 327). I n diesem Zusammenhang wiederholt Hellmann die eigenartige Behauptung von H. F. Schmid (1933), daß den Slawen im Gegensatz zum „germanisch-romanischen Kulturkreis" die „Spannweite des Eigentumsbegriffes" fehle (S. 327). Seine „germanisch" gefärbte idealistische Betrachtungsweise kommt auch in der Charakterisierung der Gefolgschaften zum Ausdruck. So beruht die „slawische Gefolgschaft in weit höherem Maße auf Zwang zur Unterordnung und Gehorsam gegenüber dem Herren" als auf dem „ethisch und letzlich religiös begründeten Verhältnis der Freundschaft und der Treue", das für die germanische Gefolgschaft kennzeichnend sei (S. 327/28). Während das gewohnheitsmäßige Rechtssystem der Germanen im einzelnen durchdacht sei, ist so etwas bei den Slawen in vorchristlicher Zeit nicht nachweisbar (S. 329). Die West- und Südslawen übernehmen erst später das festgefügte „abendländische Rechtssystem" (S. 337) und unter dem Einfluß des Christentums und in Anlehnung an germanisch-deutsche Vorbüder vollzieht sich eine „Umformung slawischen Rechtslebens" (S. 328). Die Auffassung W. Schlesingers, nach der die Westslawen die feudale Gesellschaftsordnung (die halbe Basis und den feudalen Überbau) aus den Kerngebieten des „christlichen Abendlandes" importiert hätten, findet hier ihre Anwendung in der verfassungsgeschichtlichen Sphäre. S C H L E S I N G E R , W., Die deutsche Kirche im Sorbenland und die KirchenVerfassung auf westslavischem Boden. I n : „ZfO", I, 1952, S. 345-371 (bes. S. 345-353). Versuche, diese Fragen der Verfassung im Zusammenhang mit sozialökonomischen Fragen und abhängig davon zu behandeln, sind nicht einmal in Ansätzen vorhanden.

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geschichte, wie es Handwerk, Handel, Schiffahrt oder Stadtentwicklung der Westslawen sind, außer acht. Nachdem die Lutizen, Obodriten und Rügenslawen seit der Mitte des 1. Jahrtausends u . Z . in Gebieten zwischen Oder und Elbe seßhaft geworden waren, gewann ihr Wirtschaftsleben allmählich an Bedeutung. Eine Anzahl von Quellen erlaubt die dörfliche Wirtschaft dieser Stammesgruppen zu charakterisieren. Dabei ergibt sich die eindeutige Tatsache, daß Ackerbau und Viehzucht die Grundlage ihres Wirtschaftslebens und die Bodenbearbeitung die Hauptbeschäftigung der Bewohner darstellten. Auch Fischfang, Bienenzucht und Jagd als untergeordnete Wirtschaftszweige spielten eine Rolle. 18 Die Entwicklung der Technik der Bodenbearbeitung, die Wandlung der Eigentumsformen an Grund und Boden, sowie der Prozeß der sozialen Differenzierung und der Entstehung antagonistischer Klassen vollzogen sich im Rahmen des endgültigen Zerfalls der Gentilordnung vom 6. zum 10. J h . und stellten innerhalb der feudalstaatlichen Entwicklung bei den Westslawen grundsätzlich keine Besonderheit dar. Zeitliche und räumliche Unterschiede, sowie Grad und Intensität dieser feudalen Entwicklung variierten in den einzelnen Gebieten infolge unterschiedlicher historischer Bedingungen und beeinflußten hemmend oder fördernd besonders den Prozeß der feudalstaatlichen Zentralisierung. Die politische Entwicklung fand bei Obodriten und Lutizen ihren wichtigsten Ausdruck in der Entstehung verteidigungsfähiger Stammesverbände und ökonomisch und militärisch starker Stämme, bei den Obodriten in der Herausbildung einer erblichen Nachfolge der Stammesfürsten mit einer druzina im Gefolge. 19 Seit dem 10. Jh. mehren sich die Anzeichen f ü r feudale Produktions18

Die Belege dafür sind in der in Anm. 14 angeführten Dissertation zusammengetragen Als schriftliche Quelle für diese Feststellungen sei hier nur stellvertretend Ibrahim ibn Jakub (965/66) angeführt. „Sie (die Westslawen-Br.) bewohnen v o n den Ländern die ergiebigsten an Fruchtbarkeit und reichsten an Lebensmitteln. Sie befleißigen sich des Ackerbaues und Unterhaltserwerbs und sind darin allen Völkern des Nordens überlegen". „Sie säen in zwei Jahreszeiten, im Hochsommer und im Frühling und bringen zwei Ernten ein, am meisten säen sie Hirse". „Sie essen . . . Rind- und Gänse fleisch" (S. 16). Über die Obodriten schreibt Ibrahim ibn Jakub. „Sein Land (das Land des Obodritenfürsten Nacco-Br.) ist billig und reich an Pferden, so daß solche von dort exportiert wurden. D a s Land des Nacco ist reich an Wiesen, Dickicht und Morast." Aus: Jacob, 6 . , Arabische Berichte von Gesandten an germanischen Fürstenhöfen aus dem 9. und 10. Jh. Quellen zur deutschen Volkskunde. 1. H e f t , Berlin und Leipzig 1927, S. 11, 12, 16. Dazu, LBWICKI, T., Zródia arabskie do dziejów Slowianszczyzny. Wroclaw-Kraków 1956, Bd. 1, Fontes origines Polonorum illustrantes. Pod. red. G. Labudy — Fontes orientales Vol. 1.

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„Sie sind mit Waffen vollständig gerüstet, nämlich mit Panzern, Helmen und Schwertern". Aus Jacob, G., a. a. O., S. 11. I m Jahre 981 schickt Obodritenfürst Missizla (Mizzidrag?) seinen Sohn mit tausend Reitern nach Italien („cum mille equitibus qui fere omnes ibi sunt interfecti"). Vgl. Magistri Adam Bremensis Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum editio tertia (weiterhin geführt als: Adam v. Bremen), H a n nover und Leipzig 1917, hrsg. v . B. Schmeidler I I 42 (S. 102) Schol. 27/30).

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J a n Brankaök

Verhältnisse, so daß bei beiden Stammesgruppen im 11. und 12. Jh. mit feudalen Verhältnissen in Form einer feudalen Zersplitterung gerechnet werden kann. Die Quellen über die Macht- und Klassenverhältnisse im lutizisch-pomeranischen Grenzgebiet um 1120/30 bieten dafür genügend Belege. 20 Die Existenz zweier Hauptklassen bei den Obodriten und Lutizen, der unter feudaler deutscher Herrschaft stehenden einheimischen Feudalherren, und der teilweise doppelt ausgebeuteten, feudalabhängigen — in Teilgebieten stark dezimierten — slawischen Bauernklasse im 12. Jh. gehen aus Urkunden der Zeit von 1168 bis 1260 eindeutig hervor. 21 Auf Rügen, im lutizisch-pomeranischen Grenzgebiet und im unmittelbaren Herrschaftsbereich des obodritischen Fürstenhauses wurde dem slawischen Feudaladel ein Teil seiner ökonomischen Machtpositionen belassen, oder er wurde in dieselben zurückgeführt (Pribyslaw). Dieser einheimische Feudaladel hatte einen beträchtlichen Anteil an der Ausbeutung der slawischen und auch deutschen Bauern, wie es das Beispiel des Fürstentums 20

21

Vgl. Herbodi Dialogua de vita Ottonis, ed. G. H. Pertz MGSS, Hannover 1868 (weiterhin geführt als: Herbord): I I 7 (S. 58), 12 (S. 61/62), 14 (S. 62/64), 17 (S. 67), 21 (S. 74), 23 (S. 75/76), 24 (S. 77/78), 25 (S. 80/81), 26 (S. 81/82), 27 (S. 83), 28 (S. 84 bis 85), 29 (S. 86), 32 (S. 89), 34 (S. 92), 38 (S. 100), 39 (S. 100), 41 (S. 102), I I I 1 (S. 106/107), 2 (S. 107/108), 3 (S. 109/110: Usedom: nos, qui primi et mairoes dicimur ac sumus, populus, quinobis subiectus est.), 4 (S. 111/112), 5 (S. 113/115) Wolgast, 9 (S. 118/119) Gützkow. Weiterhin I I I 9 - 3 1 (S. 119-144). Feudaler Grundbesitz und feudale Grundrente in Händen obodritischer Stammesfürsten sind schon im 10. und 11. J h . überliefert. So gibt der regulus der Obodriten Billug um 963 Dörfer im Bereich obodritischer Burgen an den deutschen Bischof Wago (Helmold, Chronica Slovarum (weiterhin geführt als Helmold) ed. v. B. Schmeidler, 1917, I 14, S. 26—28 in sigulis urbibus, que sunt in terra Obodritorum, villas, quas ipse elegeris . . .). Dieser Quellenstelle zufolge h a t Billug urbes, villae und predia. Vgl. weiter Helmold I 18, S. 36/37, wo sich obodritische Vornehme Grundbesitz und Grundrente aneignen. Auch um 1020 sind predia, possensiones, urbes und suburbes in Händen obodritischer Fürsten. Helmold, I 18, S. 36—38. — Der Obodritenfürst Gotsalk besaß Principat und possessiones (Helmold, I 20, S. 41). Um 1100 dotiert Hinricus, Slauorum rex, die Lübecker Kirche. Mecklenburgisches Urkundenbuch (weiterhin geführt als MUB), Schwerin 1863, 1 36, S. 32. 1136 verleihen Wenden nnd Holsteiner dem Kloster Neumünster Güter, MUB I 33, S. 29. Über obodritisch-lutizisch-pomeranischen Feudaladel zwischen 1168 und 1200, vgl. die Urkunden, Codex diplomaticus Brandenburgensis (weiterhin geführt als: CdB) Riedel, Berlin 1843, 1 13, V I I I , S. 484 MUB. I 91, 98: Pribislaw stiftet Kloster Althof (Doberan); 100, 101, 105, 113, 114, 120, 121, 122, 124, 126; CdB I 3, X I X , Nr. 9, S. 87/88; MUB I, 137, 138, 147, 148, 152, 158, in dieser Urkunde (1195) werden „die Wendischen vom Adel" erwähnt). Nach 1200: MUB I Nr. 184, 197, 219, 223, 225, 244, 255, 256, 257, 258, 260, 278, 282, 285, 301, 312, 323, 331, 335, 336, 343, 344, 354, 355,359,373, 377,380,381,385,392,393,402,406,408,409,414,424,443,444,457,485, 515, 523, 560, 564, 565, 588, 594. MUB I I 1250, 1409, 1425, 1555, 1556. MUB I I I 1679, 1682, 1724, 1888 (noch 128 7 wird ein Slauus vir honestus nomine Dedic angeführt, MUB I I I , 1888, S. 249). Uber slawischen Feudaladel im Fürstentum Rügen vgl. die Urkunden des U B Rügen in der Zeit zwischen 1189—1258 (hrsg. Fabrieius). I I , H. 1, Nr. 2 (II), 3 (III), 6 (IV), 8 (V), 9 (VI), 11 (VIII), 15, 20 (XIII), 22 (XIV), 23 (XV), 25 (XVI), 26 (XVII), 28 (XVIII) wie MUB I 312, 30 (XIX), 31 (XX), 32

Handwerk,

Handel und Stadtentwicklung

der

Westslawen

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Rügen beweist. 22 Gerade diese Tatsache läßt den beachtlich fortgeschrittenen historischen Entwicklungsstand der beiden Völkerschaften im 11. und 12. J h . deutlich werden und widerlegt die Thesen von der angeblichen historischen Zurückgebliebenheit der Westslawen an Elbe und Oder. Eine Vielzahl von Quellen bestätigt für diese Gebiete überzeugend die Existenz eines einheimischen Feudaladels, der im Verlauf der weiteren historischen Entwicklung mit den deutschen Feudalherren zur einheitlichen Klasse zusammengeschmolzen ist. Die von J . Schultze vorgetragene, sachlich wenig fundierte Abwertung der angeblich „phantasievollen und unhaltbaren Theorien" der belassenen „Slawenhäuptlinge" 2 3 im lutizischen Siedlungsgebiet, wie sie schon die ältere bürgerliche deutsche Historiographie vertreten hat, dürfte damit ihre Hauptargumente verlieren. Es soll betont werden, daß es weit mehr als hundert Urkunden und Quellenstellen gibt, die auf lutizisch-obodritisch-rügenslawischen Feudaladel hinweisen. Wirtschafts- und sozialgeschichtlich zeichnen sich bei Obodriten und Lutizen in ihrer Entwicklung zwei Hauptetappen ab, die Übergangsphase zur Klassengesellschaft (militärische Demokratie) vorherrschend bis etwa 955/983 und die frühfeudale Zeit (983/1168), in der es allerdings noch beträchtliche Reste der militärischen Demokratie, eine verhältnismäßig zahlreiche Schicht freier Bauern gegeben hat. Auffallend sind die geringen Reste der Gentilordnung im Wirtschafts- und Sozialleben dieser Völkerschaften. Die Hauptmerkmale der Urgesellschaft, das Gemeineigentum an Grund und Boden und die Gliederung des Volkes nach Verwandtschaft sind im 11. und 12. J h . kaum noch in Spuren zu finden. Das ist, grob skizziert, der sozialökonomische Hintergrund, auf dem sich das Handwerk vom Ackerbau absondert und in dessen Rahmen Fragen des Handels und der Stadtentwicklung in diesen Gebieten zu stellen sind. Der Entstehung und Entwicklung des Handwerks und Handels bei Polen und Tschechen hat die neue Forschung eingehende Untersuchungen gewidmet. Die bedeutsame Rolle der Handwerker bei der Herausbildung vorstädtischer Marktorte und frühfeudaler Städte wird dabei im Unterschied zu früheren Arbeiten besonders hervorgehoben. Über das Handwerk der Obodriten und Lutizen liegen aus der Zeit vor dem 11. Jh. keine schriftlichen Belege vor, so daß zunächst die Forschungsergebnisse der Archäologie herangezogen werden müssen. Auf die Existenz von Handwerkern und Händlern in Suburbien sorbischer Burgwälle (Zörbig) des 9. und 10. J h . wurde in letzter Zeit in neueren

22 23

2

(XXI), 34 (XXII), 37 (XXIV), 38 (XXV), 44 (XXXb), 45 (XXXI), 46 (XXXII), 54 (XXXIX), 55 (XL), 56 (XLI), 57 (XLII), 58 (XLIII), 60 (XLIV), 61 (XLV), 62 (XLVI), 65 (XLIX), .66 (L), 67, 72, 73 (LIII), 82 (LVII), 85, 87 (LIX), 89 (LX), 92 (LXII), 94 (LXIV), 95 (LXV), 96 (LXVI), 101 (LXIX). MUB I, 278, S. 260, 285, S. 270. SCHULTZE, J., Der Wendenkreuzzug 1147 und die Adelsherrschaften im Prignitz- und Rhingebiet. Jb. f. G. MOD Bd. II, Tübingen 1953, S. 95-124 (bes. S. 98, 103, 113). Dazu kritische Stimmen im eigenen Lager in ZfO 4, 1955, S. 439. Hansische Studien

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J A N BBAUKAÖK

archäologischen Untersuchungen hingewiesen. 24 Ähnliche Ergebnisse dürften für obodritisch-lutizische Gebiete zu erwarten sein (Behren-Lübchin). Neben der handwerklichen Tätigkeit, die im Rahmen der Hauswirtschaft ausgeübt wurde, existierte vom 9. zum 12. Jh. das Handwerk als spezieller Wirtschaftszweig. Dies geht aus dem historischen Entwicklungsstand der beiden Stammesgruppen dieser Zeit und aus dem vorliegenden archäologischen Fundmaterial hervor. In den Burgen, die Sitze der Fürsten und Burgherren waren, erschienen vermutlich freie, ursprünglich wandernde, später seßhafte Handwerker. Drei Handwerkszweige sind es besonders, die sich aus dem archäologischen Fundmaterial des 9. bis 12. J h . feststellen lassen: die Holzbearbeitung, die Töpferei und das Schmiedehandwerk. Als besonders weit entwickelt ist die Holzbearbeitung zu betrachten. Der Bau von Häusern, Siedlungen, Tempeln, Burgen, Wehranlagen, Wegen, Brücken, wie zum Beispiel der etwa 750 m langen, gut durchkonstruierten Holzbrücke, die auf die Insel im Teterower See führte, sowie von Wagen, Booten, Hakenpflügen, Bienenbeuten und die Herstellung der Gegenstände für den häuslichen Wirtschaftsbedarf erforderten berufliche Spezialisierung und ein beachtlich hohes Niveau dieses Handwerkszweiges, der allgemein als der älteste angesehen wird. So verwandten beispielsweise die slawischen Handwerker und Burgenbauer beim Bau des Burgwalles Behren-Lübchin (Mecklenburg) 4000 gut zugerichtete eichene Planken. Von berufener Seite wird betont, daß die slawischen Handwerker dabei „Organisationsgabe entwickelten", ein ,,hohes technisches Können" bewiesen und die Axt „meisterhaft handhabten". „Übersieht man die Bauweise des soeben beschriebenen Walles unter besonderer Berücksichtigung der zahlreichen ausgezeichnet erhaltenen Bauteile, dann ergibt sich eine Verteidigungsanlage, die vom hohen technischen Können Zeugnis ablegt. 25 Damit wird jenen Thesen der Rest gegeben, die selbst aus dem Geruch, der aus Trümmern slawischer Burgwälle aufstieg, „Rückschlüsse" auf die materielle und geistige Kultur der westslawischen Völkerschaften zogen. Neben der Holzbearbeitung war das Schmiedehandwerk allgemein bekannt und verbreitet. So vermitteln bereits slawische Ortsnamen Hinweise auf die Bearbeitung des Eisenerzes. 26 In der Nähe slawischer Siedlungen und Gräberfelder wurden mehrfach Reste geschmolzenen Eisens und Eisengeräte auf24

25

26

Vgl. Frühe Burgen und Städte — Beiträge zur Burgen- und Stadtkernforschung. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Vorund Frühgeschichte. Bd. 2, Berlin 1954, S. 137f. 142. SCHXTLDT, E., Die Ausgrabungen auf dem Burgwall Behren-Lübchin. In: ,,A. u. F." III, 1958, S. 91. Ders., in: „A. u. F." Bd. III, 1958, H. 4/5, S. 299. TRAUTMANN, R., a. a. O., S. lOOf. Im obodritischen Siedlungsgebiet wird 1191 ein Gebiet als „in Silasne" bezeichnet. 1228 „terra Zylasen" (MUB I 151, S. 347), 1335: im Lande Zelezen. Vgl. dazu Po§VAFT, J., K poöätküm hornictvi, a. a. 0 . , S. 99. Dazu obersorbische ON wie Rudej (Kr. Hoyerswerda) obers. ruda-Erz.

Handwerk, Handel und Stadtentwicklung

der Westslawen

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gefunden. So aus sorbischen Gebieten in Liebon-Zscharnitz, Pannewitz, Bitterfeld und auf dem Zehrener Burgberg.27 R. Laser betont, „die einheimische Herstellung von Sporen kann zumindest für das 10.—11. Jh. im slawischen Siedlungsbereich Mitteldeutschlands angenommen werden, wenn man bedenkt, daß die Messer, Pfeilspitzen und Eisenhenkel wohl ohne Zweifel aus den Händen slawischer Schmiede hervorgegangen sind."28 Für obodritisches Gebiet meint E. Schuldt, daß sich das „einheimische slawische Metallhandwerk mit Handwerkszeug und Hausgerät" beschäftigt habe.29 Auffallend ist die Vielzahl der in Siedlungsplätzen und Gräbern aufgefundenen Messer. So weist bereits Knorr auf eine Anzahl slawischer Messerfunde und auf ein säbelartiges Schwert aus einer slawischen Ansiedlung bei Sternberg Kr. Schwerin hin.30 Die aufgefundenen Messer haben eine Länge bis zu 38 cm, ebenso das Schwert, ein anderes aufgefundenes Schwert war 68 cm lang.31 Auch Kasbohm betont bei der Auswertung neuerer Messerfunde die Vielseitigkeit der Formen, ihre Breite und ihre Länge, diezwischen 12 cm und 25 cm schwankt.32 Der Schmied stellte Sicheln, Beile, Äxte, Hacken, Sensen, Messer und eiserne Pflugscharen her, alles Werkzeuge, die mehr oder weniger zahlreich in slawischen Burgwällen und Siedlungen geborgen wurden und die auch in schriftlichen Quellen Erwähnung finden. So führt Herbord für die Zeit um 1120/1130 in pomeranisch-lutizischem Gebiet Beile, Schwerter, Äxte, Dolche, Messer und Lanzen an. 33 Diese 27

Vgl. OBERHOFER, L., Grabfunde aus Liebon-Zscharnitz. Kr. Bautzen. I n : „A. u. F . ' ' I I , 1, 1957, S. 35—40. LEHMANN, F., Aus der Frühgeschichte der Oberlausitz, Berlin 1958, S. 47 f. COBLENZ, W., Die Grabungen auf dem Zehrener Burgberg 1957. I n : ,,A. u. F . " , H. 1, 1958. LASER, R., Eine slawische Siedlung mit Brunnen aus der Gemarkung Bitterfeld. I n : „Jahresschrift f ü r mitteldeutsche Vorgeschichte", hrsg. v. M. J a h n , Bd. 40, 1956, S. 230 (bes. S. 245).

28

LASER, R . , a . a . O . , S . 2 4 9 .

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31 32

33

2*

29

SCHULDT, E . , „ A . u . F . " , H . 4 / 5 , 1 9 5 8 , S . 3 0 5 .

KNORR, H. A., Die slawischen Messerscheidenbeschläge. I n : „Mannus, Zeitschrift f ü r deutsche Vorgeschichte", hrsg. v. H. Reinerth, 30. J g . 1938, S. 479-545 (bes. S. 481—491,540). Auf S. 541 bezeichnet er das Messer als die einzige Waffe der Slawen. Diese Feststellung dürfte allerdings im Widerspruch zu anderen Quellen stehen (Ibrahim ibn Jakub). Seine Überbewertung des nordischen Einflusses auf die Küstenslawen ist nicht haltbar (S. 479), ebenso die Auffassung, daß „slawisches F o r m g u t " nur eine Episode im Wirtschaftsleben dieser Völkerschaften gewesen sei (S. 545). Ebenda, S. 540. KASBOHM, W., Das slawische Körpergräberfeld von Damm, Kreis Rostock. I n : „ J a h r b u c h f ü r Bodendenkmalpflege in Mecklenburg", 1953. Hrsg. v. E. Schuldt, Schwerin 1953, S. 119. Herbord I I 24, 30, 32, 33. F ü r eiserne Produktionsinstrumente zur Bodenbearbeit u n g vgl. KRETZSCHMER, J . , Die H e r k u n f t der frühgeschichtlichen Pflugscharen in Sachsen — Sachsens Vorzeit. I n : „ J a h r b u c h für heimatliche Vor- u n d Frühgeschichte." Jg. 4 (1940), Leipzig 1941, S. 41. I n Barby (Kr. Calbe) wurde z. B. eine eiserne Axt gefunden. Vgl. dazu „Jahresschr. f ü r mitteldeutsche Vorgeschichte", 1949, Bd. 33, S. 144. Eine Aufzählung eiserner Produktionsinstrumente, Waffen u n d Ausrüstungsgegenstände der brandenburgischen Lutizen bringt neuerdings J . Hermann. Ders., Die slawischen Stämme auf dem heutigen Gebiet Brandenburgs und ihre Geschichte. Märkische Heimat 2, 1960, S. 86-100 (bes. S. 90).

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J A N BKANKAÖK

Gegenstände stellten somit keine Seltenheit und Besonderheit dar. Auffallend sind auch die Funde von Reitersporen, welche die Existenz slawischer Reiter krieger archäologisch bestätigen. Aufgefunden wurden sie im sorbischen Bereich, beispielsweise in Zehren, Hildagsburg, Staucha (Kr. Meißen), in Festenberg bei Baderitz und in der Bitterfelder Gemarkung. 34 Ähnliche Beispiele liegen auch aus obodritisch-lutizischem Gebiet vor. Auf die Existenz von Eisenschmelzöfen kann daher mit großer Wahrscheinlichkeit geschlossen werden. 34 " Die Eisenbearbeitung wurde vermutlich bei Obodriten, Lutizen und Sorben mit unterschiedlicher Intensität betrieben. Nach Ansicht der älteren Forschung (Boguslawski) hemmte ein gewisser Mangel an Eisenerz bei den Sorben die umfassende Herstellung eiserner Produktionsinstrumente und Waffen. Bereits im Jahre 805 erließ Karl der Große ein Verbot über Waffen- und Brünnenausfuhr in westslawisches Siedlungsgebiet, das bekannte Diedenhofener Kapitular. 35 Bei den Obodriten sind seit dem 10. Jh. einheimische Ritter mit eiserner, Ausrüstung, mit Helm, Panzer und Schwert durch Ibrahim ibn J a k u b überliefert. 36 Auch das zahlenmäßig, gut gerüstete Rittergefolge obodritischer Stammesfürsten weist auf einen fortgeschrittenen Stand der obodritischen Eisenbearbeitung hin. Einen bedeutenden Erwerbszweig stellte die Töpferei dar. Die umfangreiche keramische Hinterlassenschaft der slawischen Stammesgruppen weist darauf hin, daß die westslawische Keramik bereits in handwerklicher Produktion hergestellt wurde. Von etwa 800 u. Z. an datiert die ursprünglich einfache und später verfeinerte Herstellung der Tongefäße durch die Drehscheibe, die eine intensive handwerklich betriebene Töpferei bei Lutizen und Obodriten beweist. Aus den Gebieten zwischen Elbe und Oder wurden bis jetzt zwei slawische Töpferöfen freigelegt, einer in Mecklenburg 37 und einer bei Kremitz Kr. Jessen an der Schwarzen Elster. 3 8 Während der erstere der sogenannten „spätslawischen" Zeit angehört, datiert der letztere aus der „mittelslawischen" Zeit (800 bis 1000 u. Z.). Neben der dörflichen handwerklichen Produktion gab es im 11. und 12. J h . in den westslawischen Ostseestädten präkommunalen Charakters 34

Vgl. COBLENZ, W., Die Grabung auf dem Zehrener Burgberg, a. a. O . , S . 3 8 . L A S E R , R., a. a. O., S. 249. REMPEL, H., ZU dem Reitersporn der Hildagsburg. In: „Abhandlungen und Berichte für Naturkunde und Vorgeschichte", Magdeburg 8, H. 5, 1953, S. 320f. RITTES, H., Der Wikingersporn von Staucha, Kr. Meißen. In: „Sachsens Vorzeit", 4, 1940, S. 34. NEUMANN, G., Ein bemerkenswerter Reiteraporn von Festenberg bei Baderitz. In: „Mittig. des Landesvereins sächs. Heimatschutz", 21, 1932, S. 189. 34a J. Herrmann erwähnt aus Grebs am Görnsee aufgefundene Reste eines Bisenverhüttungsofens. Eisenschmelzstätten gab es auch in Tremnitz Kr. Kyritz und Bredow bei Nauen. Vgl. J. Herrmann, Die slawischen Stämme, S. 90/91. 35 MGLL, Sectio II, Bd. I, S. 123. 36 Vgl. Anm. 18, 19. 37 SCHTILDT, E., Die slawische Keramik in Mecklenburg. Berlin 1956, S. 50. 38 BUTZMANN, P., Ein slawischer Töpferofen an der Schwarzen Elster bei Kremitz Kr. Jessen. In: „A. u. F.", IV, H. 2, 1959, S. 8 2 - 8 6 .

Handwerk, Handel und Stadtentwicklung der Westslawen

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einzelne von Handwerker nbesiedelte Stadtteile. Einen weit fortgeschrittenen Stand der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und das Vorhandensein spezialisierter Berufszweige im Siedlungsbereich der Obodriten beweisen dann zwei Urkunden aus den Jahren 1189 und 1225. Im Jahre 1189 trifft der obodritische Feudalherr Nicolaus Bestimmungen über den Schutz und die Privilegien des Zisterzienserklosters Doberan. Neben Kaufleuten und Händlern (mercatores, negociatores) werden dabei Schuster und Gerber angeführt, „homines autem illorum, qui sunt negociatores, pelliflces, sutores, mercatores vel aliarum artium, ut habeant neccessitatem coditie vendendi aut emendi, dent ad annum sex denarios."39 1225 verleiht Browin an Gadebusch Freiheiten der Stadt Lübeck, dabei finden wiederum mehrere Berufe Erwähnung. „Quicquid pistores, aut carnifices sive tabernarii commiserint . . . Mercatores cuiuscumque regni vel civitatis." 40 Über Erzbergbau und Salzgewinnung bei den genannten Stammesgruppen läßt sich aus der Zeit vor dem 10. Jh. kaum etwas Zuverlässiges aussagen. In der Literatur findet sich bereits im 19. Jh. die Auffassung, daß die Sorben in Salzwerken arbeiteten und nach Silber und anderen Erzen gruben (Chr. Schreiter, W. Bogustawski). Diese vermutbaren Ansätze finden jedoch keine Stütze in schriftlichen Quellen. Einige Quellen des 10. und 11. Jh. erwähnen lediglich als Bestandteil der Kriegstribute den Silber- und Goldzehnt mehrerer lutizischsorbischer Stämme. So zahlen 965 die Uckrer, Redarier, Riezaner, Tollenser und Zirzipaner an Magdeburg einen Silberzehnt.41 968 kommt aus den sorbischen Stammesgebieten der Nisaner, Lusizer aus Selpoli und aus der civitas Sulpize der Silberzehnt an Meißen.42 971 bekommt Meißen den Silberzehnt aus „Nisen, Lusice, Daleminza, Milza und Diadesia." 43 973 und 975 wird der Silberzehnt, den die erstgenannten fünf lutizischen Stämme an Magdeburg abzuführen haben, mit dem Hinweis auf seinen Verwendungszweck nochmals angeführt. 44 Aufschlußreich ist eine Quellenstelle aus dem Jahre 1004, in der Magdeburg in 17urbibus, darunter auch in „Turgua" neben dem Honigzins den „decem auri talentorum" erhebt.45 Dies ist die einzige Stelle, die aus der damaligen Zeit einen Goldzehnt bei den genannten Stammesgruppen anführt. Rückschlüsse auf eine einheimische Gewinnung von Gold und Silber lassen sich daraus zunächst noch nicht ziehen. Vermutlich handelt es sich hier, wenn auch 3» MUB I 148, S. 144. MUB I 315, S. 302. 11 DO I 295, S. 411f. (decimam tocius census . . . in argento). 42 Cod. dipl. Sax. Reg. II 1 nr. 4, S. 6. 43 DO I 406, S. 552/53. 44 Urkundenbuch des Erzstiftes Magdeburg (weiterhin geführt als: U B Magdeburg) Fr. Israel, W. Möllenberg, Magdeburg 1937, I, 76, S. 109, dass. für 975 (UB Magdeburg I 84, S. 123, MUB I, 20, S. 21). Der Silberzehnt wurde zur Erhaltung der Lichter und Anschaffung des Räucherwerkes verwandt. 45 DH II 88, S. 112 f. 40

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Jan Brankaök

nicht ausschließlich, um eingeführte Gegenstände. Allerdings fällt auf, daß Silbergeld, obwohl nicht Hauptgrundlage des Tauschhandels, schon im 10./11. und 12. J h . in sehr großen Mengen bei den einzelnen Stämmen vorhanden ist. So zahlen die lutizischen Teilstämme der Zirzipaner und Tollenser im Bruderkrieg des Stammesverbandes vom Jahre 1057 15000 Mark als Kriegssühne an Redarier, Sachsen, Dänen und Obodriten. 46 1126/27 müssen sich die Rügenslawen f ü r 4400 Mark Silber vom Obodritenkönig Heinrich den Frieden erkaufen. 47 U m 1150—1160 zahlen die wagrischen Obodriten an Heinrich den Löwen jährlich tausend Mark, dazu dem sächsischen Grafen noch viele Hundert an feudaler Grundrente. 48 Silber war auch bei anderen Stämmen in beachtlichen Mengen vorhanden. So zahlt im 9. J h . die Besatzung der kurischen Wallburg Apulia neben Geiseln und Zins 7000 Pfund Silber als Lösegeld an schwedische Eindringlinge. 49 Die Zahl der wehrfähigen Männer wird mit 15000 angegeben, von denen jeder ein halbes P f u n d Silber zu entrichten hatte. Obwohl in den angeführten Quellenstellen sichtlich übertrieben wird, so geht aus ihnen die allgemeine Verbreitung des Silbers im Ostseebereich eindeutig hervor. Seit dem 9. J h . h a t t e n sich in den Händen einzelner Kaufleute und Angehöriger der ökonomisch und politisch führenden Schicht beträchtliche Geldsummen angesammelt. Bei der Belagerung von Birca durch die Dänen im 9. J h . behaupten dieselben, daß jeder in der Burg eingeschlossene Kaufmann „mehr als hundert P f u n d Silber besäße." 5 0 U m 1128 schuldet ein vornehmer Däne dem Stadtfürsten von Gützkow, Mizlaw (Mizlaum civitatem principem) 500 P f u n d Silber. Als Gegenleistung hält Mizlaw den Sohn des vornehmen Dänen in Gefangenschaft. 51 Das Vorhandensein großer Mengen an Silber bei Stammesgruppen und Einzelpersonen weist somit auf einheimische Gewinnung von Silbererz hin. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß sich im sorbischlutizisch-obodritischen Bereich seit dem 9. und 10. J h . ein dem Ausmaß nach begrenzter Erzbergbau entwickelt hat. Schriftliche Erwähnung findet derselbe erst 1249, als der slawische Feudalherr Barnim dem Kloster Colbatz im lutizischen Gebiet in Plona unter anderem Bergwerke f ü r Gold, Silber, Eisen und 46 47 48 49

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.,Tandem Circipani XV milia talenta regibus offerentes pacem adepti sunt". Adam von Bremen, III 22, S. 165. Helmold, I, 38, S. 76. Helmold, 1,84, S. 1 6 1 . . . mille marcas ducipersolvimus... porro comiti tot centenaria. A. Rimberto et aliis discipulo Anskarii conscripta — Vita sancti Anskarii MGSS I, S. 714/15 Cap. 30. Apulia . . . Erant autem in ea urbe quindecim milia hominum bellatorum S. 745: pro unoquoque hominum, in hae urbe constitutorum dimidiam libram argenti offerimus, et insuper censum et datis obsidibus. A. Rimberto, Vita Anskarii, MGSS I S. 703 Cap. 19 . . . centum libras argenti. Dani. . . docentes . . . unumquemlibet negotiatorem plus ibi habere, quam sibi ablatum fuisset. Herbord, III, 9, S. 118/119. Mizlaum civitatem principem . . . adolescens nobilis, filius cuiusdam potentis de Dacia . . . vinctus cippo et catenis tenebatur, eo quod pater eius, 500 librarum debitur, hunc vadem posuisset.

Handwerk,

Handel

und Stadtentwicklung

der

Westslawen

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Salz übereignet, „in Plona . . . seu in eiusdem possessionibus aurifodine, argentifodinae, ferrifodine, salinae inventae fuerint." 5 2 1294 bekommt das Kloster Hilda von Mestwin vier Dörfer mit Bergwerken auf Gold, Silber, Zinn, Blei und Eisen, „Cum molendinis, piscariis, mellificiis, auri argentique fodinis, stanni, plumbi, ferri et omne genus, salis seu metalli, seu gemmarum." 53 Die Anfänge dieser Bergwerke sind aller Wahrscheinlichkeit nach im 11. und vielleicht sogar im 10. Jh. zu suchen, wenn auch umgestaltende Einflüsse der feudalen Ostexpansion im 12. und 13. Jh. nicht ganz auszuschalten sind. Über die Salzgewinnung berichtet bereits Ibrahim ibn Jakub. Er führt das jüdische Salzbergwerk bei Halle (Dobrogora) an, in dem die Mitwirkung sorbischer Volkselemente nicht ausgeschlossen werden kann. 54 Im 11. Jh. wird im wagrischen Oldeslo Salzgewinnung erwähnt. 55 Bekannt sind auch die pomeranischen Salzbergwerke in Colberg.56 Herbord weiß zu berichten, daß um 1124—1128 fast alle Bürger von Colberg Kaufleute waren und Handel auf anderen Inseln trieben, „Colobregam, quae superlitus maris sita est sed quia cives illius paene omnes institorum more ad exteras insulas negociandi causa navigaverant". 5 7 Auch um Greifswald und Eldena wurde im 12. und 13. J h . Salz gewonnen 58 , 1182 wird Salz in Cholchle (Dorf Brody) im Cottbus/Havel-Gebiet angeführt. 5 9 Salz galt als eines der wichtigsten Produkte und nahm im Handel einen breiten Platz ein.60 Etwas günstiger gestaltet sich die Quellenlage zur Schiffahrt und zum Handel der Westslawen an der Ostseeküste. So sucht die polnische Forschung die Anfänge der westslawischen Schiffahrt auf der Ostsee im 1. und 2. J h . u. Z. Die Weneder, von Tacitus und Ptolemaios überliefert, besiedelten bereits um die Zeitrechnung breite an der Weichselmündung liegende Küstenstreifen. Sie werden von K. Nepos um 62 v. d. Z. und von Pompeius Mela erstmalig als Inder (Weneder) erwähnt, die am Baltikum Handel trieben (commercia causa navigantes). Auch Plinius berichtet von den Wenedern. Wertvoll sind die Hinweise bei Ptolemaios, der den Südteil des Oceanus Sarmaticus als „Sinus Venedicus" bezeichnet „Habitant Sarmatiam gentes maximae Yenedae propter totum Venedicum sinum" 61 , „Oceani versus oram quae est iuxta Venedicum t2

V g l . d a z u POSVAÈ, K . p o ô â t k û m h o r n i c t v i , a. A. O., S. 9 7 / 9 8 Cod. P o m . 4 1 5 .

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Cd. B. VIII 115a.

54

V g l . POSVAÔ, K p o ö ä t k ü m h o r n i c t v i , a. a. 0 . , S. 9 7 - 1 0 0 .

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Helmold I 76. PoävAÄ, K poèâtkûm hornictvi, a. a. O., S. 100 (mit Quellenhinweisen). Herbord II 39, S. 100.

68

POSVAÄ, K p o ö ä t k ü m h o r n i c t v i , a. a. O., S. 100. M U B I 1 1 4 , S. 112.

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Vgl. die Bestätigungsurkunde für das Kloster Broda vom Jahre 1182. et salinam in Cholchele (MUB I 135, S. 130). Vgl. PO§VAS, K poèâtkûm hornictvti, a. a. O., S. 65f. Die Quellen hat W. KOWALENKO zusammengestellt und ausgewertet. Ders., Dalsze badania, a. a. 0., S. 167-172.

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Sinum, habitant Veltae". 62 Aus späterer Zeit, in der die Westslawen den gesamten Küstenstreifen zwischen Weichsel und Schwentine eingenommen hatten, werden für die Ostsee neben anderen auch die Bezeichnungen „mare Rugianorum" und „Sinus Sclavanicus" verwandt.63 Die ersteren Benennungen widerspiegeln zweifelsohne eine aktive Seefahrt uftd vermutliche Handelstätigkeit der westslawischen Stämme auf der Ostsee bereits in frühester historischer Zeit. Den Anteil der Westslawen an Handel, Schiffahrt und Schiffbau an der Ostsee hat der sachlich orientierte Teil der bürgerlichen deutschen Forschung durchaus anerkannt. So berichtet Barthold, „daß die Wenden den Sachsen jahrhundertelang in Handel und Schiffahrt vorangingen und diese erst später die Bahnen jener verfolgten", und Falk verwies auf den slawischen Schiffbau64, der aus der vor- und frühfeudalen Schiffahrt auf der Ostsee nicht ausgeklammert werden kann. Nach Pieradzka erreichten die Flotten der Ostseeslawen eine beachtliche Stärke. An der Plünderungsfahrt auf Konghela nahmen im Jahre 1136 annähernd 650 Boote teil. Die Zahl der Schiffe, die im Jahre 1157 am Überfall auf Haland beteiligt waren, betrug sogar 600—1500.65 Als Heinrich der Löwe 1160 gemeinsam mit Waldemar obodritisches Siedlungsgebiet brandschatzte und plünderte, brachten die Söhne Niklots einen Teil der obodritischen Bevölkerung auf Schiffe, um sie so vor der Vernichtung zu retten.66 Das Aufkommen und die Entwicklung des Handwerks trugen wesentlich zur Intensivierung des Handels bei. Bereits in der ersten Hälfte des 7. Jh. durchzogen fränkische Kaufleute westslawische Siedlungsgebiete.67 Um 736 traf der Fuldaer Abt Sturmi in einer Furt der Fulda badende slawische Händler.68 Im Jahre 805 legte Karl der Große im Diedenhofener Capitular neun Handelsplätze in der Grenzzone des „limes Sorabicus" fest, in denen der Handel mit den Westslawen vonstatten ging und beaufsichtigt wurde. Dabei sind Bardaenowic, Schezla, Magadoburg, Erpresfurt und Halazstat in erster Linie für den Handel mit Sorben, Lutizen und Obodriten bestimmt.69 Aufschluß•2 Ptolemaios Geogr. III, c. 5 p. S. 201, zitiert nach Kowalenko, Dalsze badania, a. a. O. 6 3 MÜB I 14, S. 1 zum Jahre 946. Adam von Bremen IV 5, S. 233. MUB I 130, S. 126 „mara Rügianorüm" (1179). 6 4 Vgl. B A K T H O L D , Geschichte der Hanse. Magdeburg 1839, S . 39. F A L K , H., Altnordisches Seewesen, Wörter und Sachen. 1912, IV, S. 4: „ein paar Sehiffsformen und Benennungen haben die Slawen beigesteuert." 65 P I E R A D Z K A , K., Walki Slowian, S. 64, 71, 72. 6 6 Helmold I 88. 6 7 Fredegarii Chronicon, IV 68. 6 8 Eigilis Vita Sancti Sturmi. MGSS II, S. 369. „pervenit ad viam, qua a Turingorum regione mercandi causa ad Magontiam pergentes ducit; ubi platea illa superflumen Fuldam vadit, ibi magnam Sclavorum multitudinen reperit eiusdem fhiminis alveo natantes". 6 9 MGLL II, T. I pars prior. S. 123, 7. De negotiatoribus qui partibus Sclavorum et Avarorum pergunt, quousque procedere cum suis negotiis debeant: id est partibus

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reich ist das angeführte Ausfuhrverbot für Waffen u n d Brünnen. Als erster obodritischer Handelsplatz wird in den dänisch-obodritischen Auseinandersetzungen des Jahres 808 das emporio Reric genannt, das v o m Dänenkönig Godofrid i m selben Jahre zerstört wurde. 70 K. Slaski vertritt die Auffassung, daß Reric eine Konkurrenzsiedlung 7 1 für die dänischen Handelsorte gewesen sei. Godofrid veranlaßte die Übersiedlung der Händler nach d e m Hafen (portus) Schleswig. 7 2 E i n weiterer slawischer Handelsort des 9. Jh. wird in der Lebensbeschreibung des Bischofs Ansker angeführt. So segelt eine dänische Flotte, die das reiche Birca belagert hatte, nach einer fernen „ S t a d t " (civitas) der Slawen, in der sie nach der Eroberung vollauf B e u t e u n d Schätze gewinnt (et captis in ea spoliis ac thesauris multis). 7 3 I m 9. J h . wird der Sklavenhandel bei den Obodriten erstmalig erwähnt. So k a u f t Bischof Ansger im dänischen und ostseeslawischen Bereich Sklaven und junge Menschen, u m sie zu Christen zu erziehen. 74 I n Schweden gab es damals viele gefangene Christen. 75 . So darf festgestellt werden, daß der Sklavenhandel bei Ostseeslawen, Dänen und Schweden bereits i m 9. Jh. einen wichtigen Aktivposten dargestellt hat. Daraus erklärt sich auch die Teilnahme v o n Händlern an d e n Eroberungs- u n d Plünderungszügen der im Küstengebiet der Ostsee siedeln -

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Saxoniae usque ad Bardaenowic, ubi praevideat Hredi et ad Schezla ubi Madalgaudus praevideat; et ad Magadoburg praevideat Aito, et ad Erpesfurt praevideat Madalgaudus, et ad Halazstat praevideat item Madalgaudus, et ad Foracheim, et ad Breemberga, et ad Ragenisburg praevideat Andulfus. et ad Lauriacum Warnarius. E t ut arma et brunias non ducant ad venundandum; quod si inventi fueriut portantes, u t omnia subtantia eorum auferatur ab eis, dimidia quidem pars partibus palatii, alia vero medietas inter iamdictos missos et inventorem dividatur. Annales Regni Francorum, ed G. H. Pertz ree F. Kunze, Hannover 1895 ad a 808 S. 125/26. Godofridus vero, priuaquam reverteretur, destrueto emporio, quod in oceani litore constitutum lingua Danorum Reric dicebatur et magna m regno illius commoditatem vectigalium persolutione praestabat, translatisque inde negotiatoribus, soluta classe ad portum, qui Sliesthorp, dicitur, cum universo exercitu venit. ÖLASKI, K., Udzial Siowian, a. a. O., S. 235. Vgl. Anm. 70. Vita saneti Anskarii MGSS I, S. 704. 19 Ceciditque sors, quod ad urbem quandam longius inde positam in finibus Slavorum ire deberent, illi . . . a loco memorato recessferunt, et ad urbem ipsam directo itinere properarunt, irruentesque super quietos, et secure habitantes, improvise civitatem illam armis ceperunt, et captis in ea spoliis ac thesauris multis, ad sua refersi sunt. „Coepit quoque ex gente Danorum atque Sclavorum non nullos emere pueros, aliquod etiam ex captivitate redimere, quos ad servicium Dei educaret". Vita saneta Anskarii MGSS I, S. 700 C. 15. Diese Menschen sollten in Turholt zu Christen erzogen werden. „Turholt . . . nonnullos pueros ex Nordmannis vel Slavis emptos in eadem cella causa discendi ad sacram militiam nutriendos posuerat — ad suum servicium missit".. Ebenda, S. 721 c. 38. „Multi etiam apud eos captivi habebantur christiani." Vita saneti Anskarii, MGSS I S. 697 c. 11. Ansker kauft in Schweden den Sohn einer Witwe los. E b e n d a , S. 714 c. 33. „cum inter multos alios cuiusdam viduae filium longiqua regione captivum abduetum, in Sueonum videlicet, pretio redemptum, ipse servitium misit."

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den Völkerschaften 76 , an denen die Epoche der aufkommenden feudalen Klassengesellschaft so reich ist. Besonders deutlich läßt den Sklavenhandel eine Stelle bei Rimbert werden. So werden christliche Gefangene, die in „barbarische" Länder verschleppt wurden und geflohen waren, von den Nordalbingern ohne Erbarmen aufgegriffen, gefesselt und erneut an Heiden und Christen verkauft. Einige wurden von den Vornehmen und Mächtigen (nobiles et potentes) als Knechte zur Arbeit gezwungen. Bischof Ansger greift in diesen Sklavenhandel mit Christen nur zögernd zugunsten der Gefangenen ein, weil an dem,,verruchten Bubenstück" viele Mächtige und Vornehme beteiligt waren, die beim Volk im Ansehen standen. 77 Derartige Verhältnisse dauerten im Bereich der Ostsee Jahrhunderte an. So berichtet Helmold, daß Obodriten, die nach den letzten Kämpfen um Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landes zu den Pomeranen und Dänen geflohen waren, von denselben ohne Erbarmen an die Polen, Böhmen und Sorben verkauft wurden. 7 8 Aufschlußreich ist dabei auch die Erwähnung, daß Vornehme und Mächtige als Initiatoren und Verkäufer auftreten, eine Erscheinung, die noch 300 Jahre später schriftlichen Quellen zu entnehmen ist. So ist ein vornehmer Däne dem lutizischen „ S t a d t f ü r s t e n " (princeps civitatis) von Gützkow Mizlaw mit 500 P f u n d verschuldet. 79 Der Ostseehandel war bereits im 9. J h . nicht ohne Gefahren. Rimbert schildert Kämpfe zwischen Seeräubern und Kaufleuten. Auf einer F a h r t nach Schweden werden Kaufleute von Seeräubern überfallen und nach tapferer Gegenwehr in zwei Treffen besiegt, die Kaufleute verlieren ihre Schiffe und das ganze Eigentum. 80 Der Kriegerkaufmann t r i t t hier in seiner Funktion deutlich hervor. Noch 300 Jahre später holen sich die Obodriten einen Teil der 76

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So befinden sich Kaufleute in Begleitung des schwedischen Heeres, das Siedlungsgebiete der Kuren plündert. Vita sancti Anskarii MGSS I, S. 714 c. 30. „gens Nordalbingorum . . . nonnulli captivi, que de christianis terris rapti, et ad barbarorum terras perducti, nimis apud exteros affligebantur, sepe evadendi inde effugerent et ad christianos venirent, ad . . . Nordalbingos, qui proximi noscuntur esse paganis, ipse eos absqui ulla miseratione, cum ad se venissent, capiebant, et in vinculis ponebant, quorum alios iterum ad paganos vendebant, alios sus mancipabant servitis, aut aliis christianis venundabunt. . . quod tantum nefas in sua diocesi contigiaset, . . . in hoc nefandissimo scelere erant plurimi inretii, qui potentes apud eos et nobiles habebantur." Vita sancti Anskarii MGSS I S. 721 c. 38. „Slavorum reliquiae . . . annonae penuriam et agrorum desolationes et congregatim ad Pomeranos sive ad Danos fugere, coperentur, quos illi nichil miserantes Polanis, Sorabis atque Boemis vendiderunt. Helmold, II 101, S. 199. Mizlaum civitatem principen. . . adolescens nobilis filius cuiusdam potentis de D a c i a . . . eo quod pater eus, 500 librarum debitur. Herbord III 9, S. 118/119. Vita sancti Anskarii MGSS I, S. 697 c. 10. Et cum negociatores, qui cum eis ibant, se viriliter defenderint, et primo quidem victoriam caeperint, in secundo tarnen ab eisdem pyratis devicti ac superati sunt, ita ut naves et omnia quae habebant eis tulerint".

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unerschwinglich hohen Kriegstribute, die sie an deutsche Feudalherrn zu zahlen hatten, aus Seeräuberfahrten und der Beraubung von Kaufleuten. 81 Unter den Seeräubern befanden sich auch obodritische Edle. 82 Sklavenhandel auf den dänischen Inseln ist einem arabischen Bericht des 9. Jh. zu entnehmen. So schleppen die Nordmannen (Dänen) dänische Inselbewohner als Gefangene fort und verkaufen sie in die Sklaverei. 83 Der Sklavenhandel innerhalb der einzelnen Stämme ist auch im obodritischen und lutizischen Bereich mehrfach belegt. So ziehen im Bruderkrieg des lutizischen Stammesverbandes im Jahre 1057 die siegreichen Sachsen, Obodriten, Dänen und Redarier mit Geld, Geiseln und Kriegsgefangenen ab. 84 Mistue, der Sohn des Obodritenkönigs Heinrich, plündert 1112 Siedlungsgebiete der obodritischen Linoger und schleppt eine Menge von Gefangenen fort 85 , in pomeranischlutizischen Grenzkämpfen wird die Kriegsbeute, die aus Geld, Kleidern und Gefangenen bestand, unter den Kriegern aufgeteilt. 86 Unter den Kapitulationsbedingungen, die 1168 dänische Eroberer den Ranen stellen, befindet sich auch die Forderung nach Freilassung christlicher Gefangener. 87 Ein umfangreicher und intensiver Handel der Völkerschaften an der Ostsee ist somit bereits als Realität schriftlichen Quellen des 9. Jh. zu entnehmen. Aus dem 10. J h . berichtet Ibrahim ibn Jakub, daß die Obodriten Pferde ins Ausland verkaufen. 88 Hinweise auf eine Handelstätigkeit der Westslawen enthalten auch Bestandteile der Feudalrente, die deutsche Feudalherren im 10. J h . von den unterworfenen sorbisch-lutizischen Stämmen beziehen. So zahlen 936 slawische Familien in Calbe und Frohsa vom Handelsertrag an Quedlinburg 89 , 937 entrichten drei lutizische Stämme, die Morizaner, Ligzizer und Heveller Zins und Verkaufszehnt an Magdeburg. 90 973 kommt der Handelszehnt aus 21 sorbischlutizischen Gebieten an Magdeburg. 91 In einigen Urkunden werden Kaufleute angeführt. So im Jahre 971 aus der Gegend von Belgern. 92 Um 1150 finden Marktorte der sorbischen Lusizer, wie zum Beispiel Cottbus, Priorna und Kaufleute aus dem lutizischen Branden81 82 83 81 86 86 87

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Helmold I 84, S. 161 (zum Jahre 1156). Helmold I 69, S. 134 sed et princeps terrae vocabatur Rochel, qui fuerat de semine Crutonis, ydolatra et pirata maximus. Vgl. JACOB, G., a. a. O.. S. 38 (Bericht von Ibn Dihja 822-860). „Multa milia paganorum hine inde prostrati sunt, plures abducti in captivitatem" (Adam von Bremen, III, 22 S. 165). Helmold I 37, S. 73 (infinitam predam et captivitate hominum). Herbord III 2, S. 107/08 homines, quoque quos captivaverant inter se distribuebant. Vgl. Ex Saxonts Gestis Danorum, Lib. XIV p. 834 Captivos Christianos ergastulo liberatos absque redemptione dimitterent. MGSS X X I X , S. 127. JACOB, G . , a . a . O . , S . 1 1 .

DO I, S. 89. DO 114, S. 101 —Codex diplomaticus Anhaltinus (weiterhingeführt als Cd A) I 1, 4, S. 4. CdSR 1 1 , 16, S. 253. MGDD I, S. 101, 316, 552; II, S. 208.

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bürg, die im. Gebiet der Spree Fische kaufen, in einem Fragment über die feudale Grundrente für die Nienburger Mönche aus dem lusizischen Bereich Erwähnung. 93 Als im Jahre 1168 das dänische Heer mit Unterstützung pomeranischer und obodritischer Hilfstruppen die rügenslawische Wallburg Arkona erobert, müssen auf Geheiß der Eroberer Sklaven und Kaufleute das Standbild des Swantewit aus der Burg schleppen. 94 1189 werden aus der Umgebung von Doberan Kaufleute angeführt 9 5 , ebenso in einer Urkunde Borwins vom Jahre 1225, „mercatores cuiuscumque regni vel civitatis" 96 , noch im Jahre 1283 gibt es an der Ostseeküste neben sächsischen auch wendische Kaufleute. 97 Um 1124 besitzt der Szczeciner Kaufmann Witscacus (Wyszak) sechs Boote. 98 Der vorwiegende Teil der Bewohner von Colberg trieb um 1124/1128 einen intensiven Handel. 99 Adam von Bremen berichtet, daß Iumne (Wolin) Sitz vieler fremder Kaufleute gewesen sei. An der Mündung der Oder gelegen, seien in dieser civitas nobilissima, Slawen mit anderen Völkern, mit Griechen, Sachsen und Barbaren, seßhaft gewesen.100 Herbord nennt Szczecin eine „civitas antiquissima et nobilissima in terra Pomeranorum matremque civitatum", in der Stadt wohnen im Jahre 1124 etwa 900 Familienväter mit ihren Kindern und Frauen. 101 In Szczecin ist bis zum Jahre 1237 slawisches Stadtrecht im Rechtsbereich in Funktion. 102 Unter den Händlern aus über 6 baltischskandinavischen Ländern die in der lübeckischen Zollrolle aus den Jahren 1220—1226 angeführt werden, sind Leute des obodritischen Feudalherrn Burwin genannt, desgleichen enthält sie Bestimmungen für Slawen, die in Lübeck Handel treiben. 103 93

CdA V (Anhang I), S. 353/54. „dominus vendit pisces mercatoribus de Brandeburch, illus adventantibus." 94 Ex Saxonia Gestis Danorum Lib. XIV, p. 834. 35 MUB I 148, S. 144. MUB I 315, S. 302. 97 MUB III 2255, S. 528. „mercatores civitatum Saxoniae et Slauie". 98 Mon. Pol. Hist. II, S. 51 zitiert nach W. Kowalenko, Dalsze badania, a. a. O. S. 183. 99 Herbord II 39 S. 100. 100 Adam von Bremen II, 22, S. 79 . . . nobilissima civitas Iumne celeberrimam prestat stacionem Barbaris et Grecis, qui sunt in circuitu . . . civitatum, quam incolunt Sclavi cum aliis gentibus, Grecis et Barbaris, nam et advenae Saxones parem cohabitandi legem acceperunt". 101 Herbord II 25, S. 81; II 34, S. 92 civitate, quae 900 patres familias absque parvulis et mulieribus . . . 102 Vgl. QUIRIN, K., Die deutsche Ostsiedlung im Mittelalter. Quellensammlung zur Kulturgeschichte. Bd. 2, Göttingen-Frankfurt-Berlin 1954, 21b, S. 77. 103 MUB I 273, S. 257 Nullus cives de Zwerin theloneat Lubeke, sie nec Rutenus, nec Noremannus, nee Suecius, nec Oningus, nec Guto, nec Livo, sie neque omnes gentes orientales, nec aliquo homo domini Burwini et filiorum suorum de redditibus suis, quos ad civitatem adduci f a c i t . . . Quoteumque punt Slauus vendit, tot denarios theloneabit, et quoteumque punt theloneabit, tot libere educere potest, et Semper procapitesuo unumdenarium dabit. Si Slauus venerit in civitatem, et vendit Valens solidum, dat denarium, si valet fertonem, quod vendit, dat I U I or denarios. D e

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der Westslawen

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Der Händler und der Kaufmann sind somit ein integrierender Bestandteil der Sozialstruktur der ostseeslawischen Völkerschaften. Diese aus schriftlichen Quellen gewonnene Erkenntnis wird vorzüglich durch eine Anzahl von Münzund Hacksilberfunden ergänzt. So datieren die ältesten orientalischen Münzfunde ins 8. und 9. Jh. und gehen bis auf die Omaijaden- und Abbassidendynastie zurück. Der umfangreichste Hacksilberfund wurde bei Voßberg, zwei Kilometer östlich von Usedom geborgen und enthielt 8700 Münzen (12 kg), die um 1100 vergraben wurden. 104 Beträchtlich ist auch die Anzahl deutscher und angelsächsischer Münzen. I m 11. und 12. Jh. erscheinen Münzen aus einheimischer Produktion. Eigenständige Münzprägung war vornehmlich auf Böigen, in Mecklenburg und Brandenburg ausgebildet. 105 Slawisches Geld ist in Mecklenburg und im Fürstentum Rügen noch im 14. Jh. in beträchtlichen Mengen im Umlauf. So zahlt Heinrich, Fürst von Mecklenburg zusammen mit anderen Rittern im Jahre 1316 seine Schuld an Rostock in wendischen Mark (4100).106 In 24 Urkunden des Fürstentums Rügen, die der Zeit zwischen 1316 und 1325 entstammen, ist eine Summe von insgesamt 41469 wendischen Mark und 8 Schilling angeführt. 107 Die Summen schwanken dabei zwischen 5 Mark und 8305 Mark. 108 Als Äquivalent im Handel galten zunächst Leinentücher. Ibrahim ibn Jakub erwähnt sie im 10. J h . in Böhmen 109 , Helmold kennt sie noch im 12. Jh. aus Rügen 110 , und selbst im 15. Jh. sind sie aus dem skandinavischen Bereich nicht ganz verbannt, wie es das Beispiel aus Bergen um 1397—1445 zeigt. 111 Es ist anzunehmen, daß die Leinentücher besonders im lokalen Austausch Verwendung fanden, während gewogenes Geld im Handel mit Fernkaufleuten bevorzugt wurde. Allerdings verweist J . Posvar mit Recht auf den Umstand, daß seit dem 11. Jh. Produktion und Handel den Austausch auf der Grundlage nullo lino, et nullo humulo, quod portat in dorao, opertet ipsum thelonare. (MUB I 273, S. 257). 104 Vgl. BELTZ, R., Der Schatzfund von Quilitz (Kreis Usedom-Wollin). In: „Baltische Studien", N. F. 39, 1927, S. 172. Weiterhin POSVAÄ, J., Poöätky mince, a. a. O., S. 121-142. LOS YGI dazu die vorzügliche Untersuchung von P O S V A Ü , J . ; ders., Poöatky mince, a. a. O. lo« M U ß IV 3830 (cum militibus . . . quatuor milia marcas et centum slauicalium denariorum). 107 Vgl. die Urkunden U B Rügen IV, Heft III. 3./4. Abteilung, Nr. 710, 711, 713, 714, 718, 719, 720, 721, 728, 729, 730, 733, 734, 736, 741, 745, 746, 762, 764, 767, 782, 812, 884, 895, S. 3 4 - 8 7 . 108 U B Rügen IV, H. III, 3. Abteilung, Nr. 721, 4. Abteilung, Nr. 812. Zum Münzwesen vgl. SUHLE, A., Beiträge zur Geschichte des Münzwesens in Pommern im Mittelalter (bis ca. 1330). In: „Baltische Studien", F. N. 39, 1937. Weitere Literaturhinweise bei P O § V A Ä , J . , Poöätkv mince, a. a. O . 109

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JACOB, G „ a . a . O . , S . 2 .

Helmold I 38, S. 77 apud Ranos non habetur moneta consuetudo . . . panno lineo comparabis aurum et argentum, quod forte per rapinas et captiones hominum . . . Diese Angabe bezieht sich auf den Bericht von Laskaris Kananos aus der Zeit um 1 3 9 7 - 1 4 4 5 , JACOB, G., a. a. O., S. 45.

30

JAN BRANKAÖK

von Geldmünzen erforderlich machten und daß Geldmünzen allmählich den einfachen Tauschhandel in den Hintergrund drängten. Eine große Rolle spielte dabei auch die Tatsache, daß ein Teil der feudalen Grundrente in Geld erhoben wurde 112 , wenngleich weiterhin die Naturalwirtschaft Grundlage für die Produktion blieb. Als Handelsprodukte galten Sklaven 113 , Pelzwerk, Pferde, Ochsen, Getreide, Fische, Salz, Honig, Wachs und Schmuck. Die Zollordnung zu Raffelstetten (um 904) nennt als Handelsprodukte der bayrisch-Sechischen Slawen Pferde, Ochsen, Wachs und Sklaven. 114 Zum Tempelschatz des Swantowit, den dänische Eroberer im Jahre 1168 den Rügenslawen abnötigten, gehören neben barem Geld, Silbergefäßen und kostbaren Waffen auch Seide, Atlas und bunte Teppiche 115 ; Gegenstände, die vermutlich fremde Händler als Abgabe für ihre Handelstätigkeit zu entrichten hatten. Über Umfang und Ausmaß der gehandelten Produkte liegen keine schriftlichen Hinweise vor. Wolin und Szczecin pflegten Handelsbeziehungen mit Sachsen, Dänen, Schweden, Polen, Ostslawen, Byzanz und den Arabern. Die soziale Herkunft des westslawischen Händlers ist ungeklärt. Die Oberschicht der Stämme war im Handel nicht ganz unbeteiligt, eine Schicht von Bauernkaufleuten und Bauernkriegern ist als wahrscheinlich in Erwägung zu ziehen. Der Handel stützte sich auf ein ausgedehntes Netz von Marktorten und Stadtsiedlungen. Marktorte gab es beispielsweise im sorbischen Siedlungsgebiet in Torgau 116 , Cottbus und Priorna. 117 Bei den Obodriten war es im 9. J h . Reric, im lutizisch-pomeranischen Grenzgebiet im 10. J h . Ubaba, vermutlich Wolin. 118 Helmold berichtet, daß die wagrischen Obodriten allsonntäglich zum Markt zusammen kamen. 119 Auch Ploen war bekannt als Marktort für Slawen und Sachsen. 120 Ein Teil der Marktorte und Wallburgen mit vorburgartiger Besiedlung entwickelte sich in der Zeit vom 10. zum 12./13. Jh. zu Städten präkommunalen Charakters. So er112 113

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116 116

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119 120

Belege dafür bietet PoävAÄ, J., a. a. 0 . , S. 126f. 1168 werden in Mecklenburg 700 gefangene Dänen zum Kauf feilgeboten. (Helmold I I 109, S. 215.). Im muselmanisohen Spanien kostete ein slawischer Sklave 1000 Dinar. In Mähren betrug 1078 der Wert eines Sklaven 300 Denare. Vgl. LEWICKI, T., Zrödla arabshie, S. 121, 301. Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, ed G. Friedrich T. I Pragae 1904—1907, Nr. 31, S. 35 (IV). Si autem Bawari vel Sola vi istius patriae ipsam regionem intraverint ad emenda victualia cum mancipiis vel cavallis vel bobus vel ceteris suppellecti libus suis, que necessaria sunt. FOCK, O., Rügensch-Pommersche Geschichten aus sieben Jahrhunderten. I Rügen 1168. Leipzig 1861, S. 90. Der Tempelschatz bestand aus 7 Kisten. 973 als Turguo erstmalig erwähnt CdSR I 1, nr. 16, S. 253. 1119 heißt es „ac locum mercatus in ipso loco Thurgove". CdSR I 2, nr. 58, S. 59. CdA V (Anhang I) Cotibus ecclesia et mercatus. (S. 357) altera Priorna — et ibidem dudum erat mercatus (S. 354). JACOB, G., a. a. O., S. 14.

Helmold I 69 S. 134 „prope vallum urbis antiquae, quo omnis terra die dominica propter mercatum convenire solebat. Helmold I, 95, S. 186, Forum Plunense quod frequentabatur a Slavis et a Saxonibus . . . mercacionibus.

Handwerk,

Handel und Stadtentwicklung

der

Westslawen

31

weist W. Kowalenko aus der Zeit vom 9. zum 13. Jh. an der ostseeslawischen Küste zwischen Schwentine und Weichsel 74 Burgwallhäfen, 27 Häfen ohne Burgwälle und 7 Fischerstationen. 121 Dabei ist zu betonen, daß ihre Größe und Bedeutung unterschiedlich waren und daß die feudale deutsche Ostexpansion umgestaltend gewirkt hat. Der eigenständige Charakter der städtischen Entwicklung ist jedoch dabei deutlich erkennbar. Nach Hensel war Wolin mit Anlegeplatz 4 km lang und besaß ein gut entwickeltes Handwerk, das für den Fernhandel produzierte. 122 Auch Szczecin trug bereits städtischen Charakter; es hatte mehrere tausend Einwohner, eine eigene Flotte und einen 200 Meter langen Anlegeplatz. 123 Stargard, das Zentrum der obodritischen Wagrier, wird von Adam von Bremen als civitas magna und populosissima bezeichnet. 124 Lubica, das spätere Lübeck, 1072 als civitas Slavorum bezeichnet, war zwischen 1092 und 1127 Sitz des obodritischen „Wendenkönigs" Heinrich und wirtschaftliches Zentrum des frühfeudalen obodritischen Staates, der zeitweilig lutizisch-sächsische Teilgebiete umfaßte. Bekannt ist die aktive Handels- und Seeräubertätigkeit der Rügenslawen. Als 1124/28 pomeranische und lutizische Feudalherrn das Christentum annehmen, brechen die Ranen ihre Handelsbeziehungen zu den Küstenstädten im pomeranisch-lutizischem Grenzgebiet ab. Im Jahre 1158 strebt Heinrich der Löwe Handelsbeziehungen zwischen Lübeck und Rügen an. Die polnische Archäologie hat Rekonstruktionen von aufgefundenen slawischen Booten vorgenommen. Dabei ergab sich die Tatsache, daß die Ostseeslawen neben dem Einbaum große Daubenholz-Spantenboote besaßen, die eine Länge bis zu 15 m, eine Breite bis zu 3,5 m und eine Höhe von 1,5 m erreichten, eine Besatzung von 44 Mann und eine Wasserverdrängung bis zu 3 0 1 hatten. 1 2 5 Bereits Adam von Bremen 126 spricht von slawischen Schiffen, die sich im 9. J h . in Birca aufhielten, und Saxo unterscheidet kleine und große slawische Fahrzeuge.127 Die Ranen führten im 12. Jh. bei Überfällen, wie zum Beispiel auf Lübeck (1112) und Seeland, Pferde in Booten mit. 128 In den vielen Kaperfahrten der Ostseeslawen kommt das Bestehen einer schlagkräftigen Flotte zum AusK O W A L E N K O , W., Dalsze badania, a. a. O., S. 164—197 (bes. Karte). yg] ï> -e -s oo

360

ELISABETH SCHNITZLER

gesetzten Studenten aus Braunschweig-Lüneburg und aus dem DeutschOrdensgebiet, die beiden letzten unter den Holsteinern und Mecklenburgern. Es gibt im 15. Jh. etwa 30 Ortschaften 'Hagen'. Otto de Haghen (156.) ist daher in Klammern zu jenen gesetzt, deren Herkunft noch unbekannt ist. Nur die ersten Immatrikulationen des Rostocker Eröffnungssemesters enthalten mehrere Ehrenmatrikel, bei denen genauere Angaben über Titel, Stand und Beruf der Personen angegeben sind, so daß die Herkunft leichter festzustellen war. Daher sind die ersten 25 Intitulierten in der Tabelle besonders gezählt. In späteren Semestern mehren sich die Angaben über Heimatort und Berufstitel, so daß sich ein größerer Prozentsatz der Immatrikulierten nach ihrer Herkunft fassen läßt. Die Hanse war, wie Heinrich Sproemberg 32 betont, eine politische Gemeinschaft, die nicht nur über die Grenzen des mittelalterlichen Imperiums hinausgegriffen hat, sondern die auch an sich außerhalb des Reiches stand, so daß sie einer nationalen Betrachtung nicht unterworfen werden kann. Indem H . Sproemberg auf den nationalen Charakter der Hanseforschung nach 1870 zu sprechen kommt, sagt er „Diese Politisierung des Hansegedankens hat zwar die fachwissenschaftliche Leistung nicht beeinträchtigt, aber es muß sich die Frage erheben, ob hier wirklich der wahre Charakter der alten Hanse richtig wiedergegeben ist, und ob nicht wichtige Gebiete der Hanseforschung dabei vernachlässigt wurden." 3 3 1930 hatte H. Reincke gesagt: „Tatsächlich steht die Hanse zu allen Zeiten nicht eigentlich in und unter dem Reiche, sondern als ein selbständiger Körper neben ihm." 3 4 Anschließend erläutert Sproemberg Fritz Rörigs Worte, daß die hansische Geschichte „in ihren europäischen Voraussetzungen und Bindungen" erfaßt werden müsse. 35 Die Hanse, die für ihre Mitglieder durch Privilegien Rechtsraum und Marktraum auf fremdem Hoheitsgebiet erlangte, stellte damit keineswegs, wie Sproemberg Johansens Darlegungen zusammenfaßt, irgendwelche territorialen Ansprüche. Die Hansen besaßen in den Ländern und an den Orten, in denen sie sich aufhielten, die größte Unabhängigkeit. Sie waren jener Institution allein unterworfen, die sie sich selbst geschaffen hatten. Zur Unabhängigkeit und Freiheit der Hanse und ihrer Mitglieder gehörte als Folgeerscheinung die Beweglichkeit oder Freizügigkeit dieses Bundes, durch die er wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten auszuweichen und sich an günstigeren Orten neu niederzulassen vermochte. An dieser Stelle seien zwischen zwei Institutionen des Mittelalters keine Gleichstriche, wohl aber Vergleiche gezogen, die auf die Ähnlichkeit oder Verwandtschaft aller Erscheinungsformen des Lebens hinweisen, die demselben Raum und denselben Jahrhunderten angehören. 32 34 35

SPROEMBERG, Hanseforschung, a. a. O., S. 150. REINCKE, Kaiser Karl IV., a. a. O., S. 4. SPROEMBERG, Hanseforschung, a. a. O., S. 131.

33

Ebenda S. 129.

Zur hansischen

Universitätsgeschichte

361

Der freie Zusammenschluß von scholares um einen oder mehrere magistri und doctores haben das Studium gebildet. Das durch Privilegien gesicherte Studium wird zum Studium generale und gibt sich seine statuta selbst. Diese Institution ist trotz der päpstlichen und kaiserlichen Privilegien in ihrer korporativen Autonomie weder dem Staat noch der Kirche — auch nicht den Gewalten des Ortes, wo sie weilt — unterworfen. Ihre Mitglieder gehen durch Immatrikulation nicht nur in eine neue Korporation ein, sondern in einen neuen Stand. Herbert Grundmann 3 6 hat diesen neuen Stand genauer definiert. Die Privilegien auch der Generalstudien gaben — abgesehen von dem Erteilungsrecht der facultas docendi — nur einige Kollegiengebäude, dann aber Marktrechte und vor allem Rechtsraum. Der Freizügigkeit der magistri entsprach die der scholares, und beide wurden durch die zahlreichen Geleitsurkunden und die Konservatorien geschützt. Die Unabhängigkeit vom Ort zeigte sich beispielsweise schon 1229 beim Pariser Generalstudium, das die Stadt verließ. 37 Der Autonomie dieser Institutionen verdanken die Universitäten Leipzig und Greifswald schließlich ihre Entstehung. Auch der nicht nationale Charakter der Universitäten kann gar nicht genug nachgewiesen und unterstrichen werden. Die Universitätsgeschichte ist ausgesprochen europäische Geschichte. Es sei an dieser Stelle nur daran erinnert, daß die nationes, obwohl sie eher die Einzugsgebiete für die Generalstudien bezeichnen wollten als die in ihnen mehrfach zusammengefaßten Nationen, doch den facultates an den europäischen Generalstudien mehr und mehr weichen mußten. In den Rostocker Universitätsstatuten des 15. Jh.'s heißt es ausdrücklich „Item . . . ex certa seiencia et evidenti causa ordinavimus et statuimus quod in universitate Rozstokcensi non debeant esse naciones alique quo ad universitatem nec quo ad aliquam facultatem". 38 Beide Körperschaften des europäischen Mittelalters, die , ,universitas mercatorum" 3 9 und die „universitas magistrorum et studentium" führten ein auf eigenem Rechte begründetes Sonderleben und überschnitten in einer bedingten Unabhängigkeit die Grenzen der Kommunen, der Länder, Staaten und Völker. H a t aber die universitas einen nicht nationalen, sondern europäischen Charakter, so muß die Erforschung ihrer Geschichte auch auf dieser Grundlage ruhen. Schließlich können die Äußerungen Sproembergs zu denen Rörigs und Johansens über die Hanseforschung auch für die Erforschung der Generalstudien gelten. 36

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39

G R X J N D M A N N , Herbert, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter. „Berichte über die Verhandl. der Sachs. Akademie d. Wiss., Phil.-histor. Kl.", Bd. 103, H 2., Berlin 1957, S. 16 und S. 24-26. Ebenda S. 33; für das Folgende S. 18. Vgl. Hoyer (Literat.-Verz. Nr. 69) S. 1175. Monumenta inedita rerum Germanicarum, praeeipue Cimbricarum et Megapolensium. Ed. v.Ernestus JoachimusdeWestphalen, Lipsiael745, Tom. IVpag. 1010. (Text von Rubr. I 8 nach dem Orig. verbess.) H O Y E R , Leipzig, a. a. O . (Anm. 42), S . 13—17. R Ö R I G , F R I T Z , Reichssymbolik auf Gotland. „HGB11." Jg. 64 (1940), S. 44 und 60.

362

ELISABETH SCHNITZLEB

Auch sie kann durch landesherrliche, nationale, konfessionelle Sicht trotz fleißigster Materialsammlung diesem hohen Gegenstand Unrecht tun. So zeigt beispielsweise 0 . Krabbes sonst so verdienstvolles Werk über die Universität Rostock an mehreren Stellen diese einengende Schau. 40 Die Geschichtsforschung hat sich, wie Sproemberg weiter feststellt 41 , mit •der Vor- oder Frühgeschichte, sowohl der Städte und Städtebünde, wie auch des Ständestaates befaßt und die Begriffe „präkommunal" und „frühständisch" als politische Fakten erwiesen. Nachdem das vergangene Jahrhundert den Begriff der Genossenschaft — auch in bezug auf die Hanse — geklärt hatte, hält Sproemberg die neueren Ergebnisse für ebenso wichtige Grundlagen der weiteren Hanseforschung. Die Geschichtsforschung hat sich aber in den letzten Jahrzehnten mit der Frühgeschichte auch der Generalstudien näher befaßt und genauere Definitionen ihres Wesens erarbeitet, wie Petry uns berichtet 42 , indem er die Arbeiten von Herbert Grundmann, Richard Meister, Heinrich Maack, Otto Eißfeldt, Walter Paatz und Alexander Kluge nennt. Die Frühgeschichte und die allgemeine Geschichte der Universität ist aber zugleich europäische. Hatte L. Petry 195743 geschrieben, daß wir durch Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte an einen Punkt geführt würden, „der die Einbettung des deutschen Erscheinungsbildes (der Universität) in den europäischen Rahmen gebieterisch fordert", so stellt er zwei Jahre später, am Ende seines Überblickes über die deutschen Universitätsforschungen, fest, daß wir dieser nicht nur deutschen sondern auch europäischen Universitätsgeschichte" in den letzten zwölf Jahren ein gutes Stück näher gekommen sind." 4 4 Da für die Erforschung der Universitäten innerhalb und außerhalb des Hanseraumes auf Grund ähnlicher Beschaffenheit ähnliche Forderungen ge40

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44

Vgl. SCHNITZLER, ELISABETH, Die Gründung der Univ. Rostock. „Wissenschaftl. Zeitschrift d. Univ. Rostock", Rostock 1957/58, Jg. 7, S. 160 A und S. 163 A und B. (Weiterhin geführt als: SCHNITZLEB, Gründung Univ. Rost.) SPROEMBERG, H a n s e f o r s c h u n g ,

a . A . O . , S. 139:

S o z . B . REINCKE, HEINBICH,

Die

Deutschlandfahrt der Flandrer während der hansischen Frühzeit. „HGB11." Jg. 67/68 (1942/43), S. 51 ff. REINCKE, H., Kölner, Soester, Lübecker und Hamburger Recht in ihren gegenseitigen Beziehungen. „HGB11." Jg. 69 (1950), S. 14FF. und Jg. 75 (1957), S. 4FF. WINTERFELD, LUISE VON, Gründung, Markt- und Ratsbildung deutscher Fernhandelsstädte. „Veröffentlichungen d. Provinz. — Instituts f. westf. Landes- und Volkskunde", R. I, H. 7, S. 7 - 8 9 , Münster 1955. PETRY, LUDWIG, Deutsche Forschungen nach dem 2. Weltkrieg zur Geschichte der Universitäten. „Vierteljahrschrift f. Sozial- und Wirtschaftsgesch.", Wiesbaden 1959, 46. Bd., H. 2, S. 200-203. (Weiterhin geführt als: PETRY, Forschungen, Universitäten.) HOYER, a. a. O., S. 1—33. Vgl. STEINMETZ, MAX, Bericht über den intemat. Historiker-Kongreß in Stockholm, 1960, betr. Univ.-Gesch.; ZfG., Bd. VIII (1960), H . 8, S. 1 8 9 2 — 1 8 9 6 ( L i t e r a t . - V e r z . N r . 72).

PETBY, LUDWIG, Die Reformation als Epoche der deutschen Universitätsgeschichte. Eine Zwischenbilanz. In: Festgabe Lortz. Baden-Baden 1957, S. 323. PETRY, Deutsche Forschungen, a. a. O., S. 203.

Zur hansischen

Universitätsgeschichte

363

stellt werden wie für die Erforschung der Hanse, so ist es für den Historiker des Mittelalters sehr reizvoll, die Auswirkungen beider so lebendigen Institutionen zu verfolgen, um deren Schnittpunkte aufzufinden und dadurch eine materiellgeistige Wechselwirkung der beiden darzulegen. Zu dieser Untersuchung eignet sich besonders die zweite Aufgabe des ersten Gebietes „Universität und Schulwesen", die Paul Johansen zur Festlegung des hansischen Kulturraumes vorschlägt. Es interessiert hier die weitere Entwicklung45 der Studenten, die im hansischen Bereich aufwuchsen, die Generalstudien in diesem und in anderen Gebieten aufsuchten und schließlich auf Grund ihrer Studien zu beruflicher Tätigkeit im hansischen Wirkungsraum kamen. Die Schnittpunkte von Universität und Hanse lassen sich bei dieser Fragestellung besonders gut darstellen (Tabelle 2). Reinhard Rollius 46 hat schon 1707 die Persönlichkeiten westfälischer Abstammung, die für die Rostocker Universität im 16. und 17. Jh. Bedeutung hatten, gesammelt. Im 18. Jh. hat auch die Zeitschrift „Etwas von gelehrten Rostockschen Sachen für gute Freunde" zahlreich, aber sehr verstreut, Universitätsquellen in Exzerpten und in Folgen ediert und sie hier und da zur hansischen Personengeschichte ausgewertet. 47 Ebenso hat Otto Krabbe 48 , besonders in seinen Anmerkungen, für Rostock, Prag, Köln, Lübeck und Greifswald zahlreiche Personengeschichten des Hansegebietes 1854 übermittelt. Nach ihm hat vor allem K. E. H. Krause 49 für die ersten Semester der Rostocker Universität die geburtsmäßige und akademische Herkunft der Professoren erforscht. Axel Vorberg 50 wies 1911 durch seine Arbeit über das Rostocker Dominikanerkloster Studenten und Professoren nach, die — im Hanseraum beheimatet — dort studierten und im Hansegebiet auch tätig waren, wie beispielsweise Jacobus Rydder, der seine Heimat in Kalkar hatte, in Rostock seinen Doktor in der Theologie machte und später Weihbischof von Utrecht wurde. In unserem Jahrhundert hat Rudolf Struck 51 die Beziehungen einiger Lübecker zu beiden hansischen Universitäten untersucht und deren Lebenslauf 45 4S

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49 SO

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SCHNITZLER, Rostock, Spätmittelalter, a. a. O., S. 126—128, Personen-Register. Merita Westphalorum in Academ. Rostoeh. delineata, Rostock 1707. SCHNITZLER, Rostock, Spätmitteleiter, a. a.O., S. 40/41. Etwas von gelehrten Rostockschen Sachen für gute Freunde. 6 Bände, Rostock 1737—1742, und: Weitere Nachrichten von gelehrten Rostockschen Sachen. 7 Bände, Rostock 1743-1748. (Weiterhin geführt als: Rost. Etwas.) K R A B B E , OTTO, Die Universität Rostock im 1 5 . und 1 6 . Jh., Rostock 1 8 5 4 , PersonenRegister. (Weiterhin geführt als: KRABBE, Univ. Rost.) KRAUSE, Univ. Rost., a. a. 0 . , Personen-Register, S. 24. V O R B E R G , A X E L , Beiträge zur Geschichte des Dominikanerordens in Mecklenburg. I Das Johanniskloster zu Rostock. „Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland", Leipzig 1911, H. 5, S. lOff. und Personenverzeichnis S. 39—41. (Weiterhin geführt als: VORBERO, Johanniskloster.) STRUCK, R U D O L F , Die lübeckische Familie Segeberg und ihre Beziehungen zu den Universitäten Rostock und Greifswald. „Zeitschrift des Vereins für Lübeckische ROLLIUS, REINHARD,

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ELISABETH

SCHNITZLER

genauer verfolgt. Einen weiteren, mehr europäisch-hansischen Rahmen spannt Heinrich Reincke 52 1931 in den Pfingstblättern des Hansischen Geschichtsvereins, indem er die Auswirkungen der Universität Prag auf das Hansegebiet an einigen Persönlichkeiten darstellt. Auf diese Arbeit kommt 1958 Erich von Lehe in den Hansischen Geschichtsblättern zu sprechen.53 H. Reincke weist unter anderem nach, daß die Stadtschreiber und Protonotare vieler Hansestädte im Ostseegebiet ihre philosophische Bildung auf der Universität in Prag erhielten und ihre juristische meistens auch auf der Karolina. Seit der Gründung der Prager Universität waren siebzig Jahre vergangen und im europäischen Raum allein zehn Universitäten entstanden: Krakow, Wien, Fünfkirchen, Erfurt, Cholm, Heidelberg, Köln, Ofen, Würzburg und Leipzig. Aber die Ostsee war nicht erreicht. Mit der Rostocker Gründung kam das Generalstudium erst an die Nordgrenze des Reiches und an die See. Seitdem Kaiser Karl IV. sein Stammland als Zentrum eines großen Herrschafts-, Wirtschafts- und Kulturbereiches mit der See zu verbinden trachtete54, sind auch an den der Karolina folgenden Universitätsgründungen mehr und mehr die weltlichen Gewalten mitbeteiligt, seien es die durch erweiterte Wirtschaftsunternehmen Einfluß gewinnenden Städte oder die aufsteigenden Territorialmächte. Auf deren Motive sind 1931 Heinrich Reincke und 1956 Roderich Schmidt 55 zu sprechen gekommen: für die politischen und wirtschaftlichen Verbindungen und die Verträge waren Juristen sowohl in den aufkommenden Beamtenstaaten wie in den Kanzleien der Hansestädte mehr und mehr eine Notwendigkeit geworden. Die Rostocker Matrikel bestätigt diese Erklärungen: Schon K. E. H. Krause machte auf den Wettstreit der Juristen mit den Philosophen in den ersten Rostocker Semestern aufmerksam. Tatsächlich stehen bis 1429 vierzehnmal Juristen an der Spitze des Generalstudiums. Sie kommen von den Hansestädten Hamburg, Bremen, Lüneburg und Lübeck, deren feste geistige Bindung an die Universität Prag bei der Rostocker Universitätsgründung zum Vorschein kommt. Die Prager Juristen waren vielfach schon in wichtiger Tätigkeit an den Universitäten Erfurt, Leipzig und in den Hansestädten selbst erprobt worden. Es fällt auf, daß sie in der Mehrzahl aus Lübeck kommen. Es lag nahe, daß sich der Rat der Stadt Rostock wie auch der der Universität zunächst an den

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54 55

Geschichte und Altertumskunde", Bd. X X . , H. 1, Lübeck 1919/20, S. 85-116. (Weiterhingeführt als: STRUCK, Lübeck, Rostock, Greifswald.) REINCKE, Kaiser Karl IV., a. a. O., S. 65—83. L E H E , E R I C H VON, Hamburgische Quellen für den Elbhandel und ihre Auswertung. „HGBll." Jg. 76 (1958) S. 137. REINCKE, Kaiser Karl IV., a. a. O., S. 4/5. S C H M I D T , R O D E R I C H , Die Anfänge der Universität Greifswald. Festschrift zur 500Jahrfeier der Universität Greifswald, Greifswald 1956, S. 22 A. (Weiterhin geführt als: SCHMIDT, Greifswald.) HOYER, Leipzig, a. a. 0 . , S. 9 / 1 0 u . S. 17ff.

Zur hansischen

Universitätsgeschichte

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Vorort des wendischen Quartiers wandte, wenn Hilfe nottat. So ging vom Rostocker Rat ein Schreiben am 1. November 142256 an den R a t der Stadt Lübeck, die Bürgermeister sämtlicher Hansestädte zu veranlassen, die päpstliche Kurie um Errichtung der noch fehlenden Theologischen Fakultät zu bitten. Lübeck hätte an Stelle von Greifswald die zweite Universität an der Ostsee erhalten können, wenn Rostocker Professoren und Studenten bei ihrem Auszug 1437 in ein Lübecker Kloster gezogen wären. Die damaligen Konservatoren 57 der Rostocker Universität gehörten sowohl zum Erzbistum Bremen wie auch zum Bistum Kammin. Daher hatte das Rostocker Generalstudium die Möglichkeit, sowohl nach Lübeck wie auch nach Greifswald, in das Bistum Kammin auszuwandern. Obwohl Lübeck die näher gelegene Stadt war, gingen Professoren und Studenten nach Greifswald. Der Rat der Stadt Lübeck aber bewahrte in der Zeit des Exils die beiden wichtigsten Urkunden der Rostocker Universität auf 5 8 und trug bei ihrer Rückkehr nach Rostock Sorge um das Studium. Schon 1439 machte der Lübecker Bürgermeister H. Rapesulver eine Schenkung für die Rostocker Studenten. 5 9 Der spätere Bischof von Lübeck, der Domherr Arnold Westfal 6 0 , Doktor im geistlichen Recht, stand der Universität in dem ersten schwierigen Jahr nach ihrer Rückkehr aus Greifswald vor. Nachdem er in Rostock und E r f u r t studiert hatte, war er 1430 schon Rektor in Erfurt gewesen. 61 Ein anderer Lübecker Jurist, Lambert Witinghof, hat ein Jahrzehnt später allein neunmal das Rektorat innegehabt. 62 Bei ihrem zweiten Auszug 1487 hat die Rostocker Universität aber Lübeck als Zuflucht gewählt. Nach der Überlieferung 63 soll sie zuerst kurze Zeit bei den Wismarer Dominikanern Aufnahme gefunden haben. Dann zogen Lehrer 66

Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1741 pag. 289. Vgl. KRABBE, Univ. Rostock, a. a. O., S. 55. Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1737, pag. 545 sq. u. Jg. 1739 pag. 289 sq. Urkündliohe Bestätigung der Herzoglich-Mecklenburgischen hohen Gerechtsamen, über dero Akademie und Rath zu Rostock. Herausgegeben von Aepinus, Ang. Joh. Dan., (Ort?) 1754, S. 10 § 17 und Beyl. 8. (Weiterhin geführt als: Urkündl. Bestätt.) 58 Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1740, pag. 387 sq.: die Urkunden wurden erst 1662 zurückgegeben. Vgl. SCHNITZLEE, Inauguration, a. a. O., S. 59A, Anm. *). 59 NEUMANN, KÄTHE, Das geistige und religiöse Leben Lübecks am Ausgang des Mittelalters. „Zeitschrift des Vereins f. Lübeckische Geschichte und Altertumskunde", Bd. XXI, H. 1 (1921), S. 113-256, und Bd. XXII, H. 1 (1923), S. 65-119. STRUCK, Lübeck, Rostock, Greifswald, a. a. O., S. 100/101: Westfal wurde 1445 Bischof von Lübeck. KRABBE, Univ. Rost, a. a. O., S. 131, Anm. 1. ,l Acten der Erfurter Universität, I. Th. 3. Allgemeine Studentenmatrikel, erste Hälfte (1392-1492), II. Th. 3 b Allgemeine Studentenmatrikel, 2. Hälfte (1492-1636) und Register = Th. III, herausgeg. von J. C. Hermann Weißenborn, „Geschichtsquellen der Provinz Sachsen . . ." Bd. 8, Th. I - I I I , Halle 1881, 1884, 1899, Th. I, S. 144 Z. 1 und S. 147. (Weiterhin geführt als: Acten Erfurt Matr.) 62 Matr. Rostock, a. a. O., Bd. I, S. X X V I I - X X I X . KRABBE, Univ. Rost., a. a. 0 . , S. 148. STRUCK, Lübeck, Rostock, Greifswald, a. a. O., S. 102. " KRABBE, Univ. Rost., a. a. 0., S. 203/204, auch für das Folgende. 57

366

ELISABETH SCHNITZLEB.

und Schüler nach Lübeck, ubi honorifice excepti sunt, wie später in der Matrikel vermerkt wurde. 64 Die Universität soll im St. Katharinenkloster der Franziskaner untergebracht worden sein. Nachdem unter dem Rektor Arnold Bodensen am 20. Juni 1487 in Rostock die letzte Immatrikulation stattgefunden hatte, wurde am 2. August 1488 die erste Immatrikulation in imperiali civitate Lubicensi 65 vorgenommen. Nach älterer Überlieferung soll das Generalstudium erst 1492 von Lübeck zurückgekehrt sein. O. Krabbe 66 dagegen nimmt an, die Heimkehr sei noch im August 1488 erfolgt. Auch damals hätte in Lübeck während des Exils der Rostocker Universität ein neues Generalstudium entstehen können, wie es drei Jahrzehnte vorher in Greifswald geschehen war, und es ist erstaunlich, daß es nicht dazu gekommen ist. In beiden Fällen haben sich die Hansestädte, nicht zuletzt Lübeck, für die Rostocker Universität eingesetzt. Der zweite Auszug bedürfte überhaupt noch so mancher Klärung; auch er bedeutet ein Kapitel hansischer Universitätsgeschichte. Es fragt sich u. a., wie weit die hansische Organisation diesen Exilerscheinungen im Universitätsleben des Mittelalters — abgesehen von den Nützlichkeitserwägungen — an sich schon entgegenkam. H. Reincke geht aber nicht nur dem ferneren Wirken Prager Juristen in den Hansestädten nach, sondern auch den im Hansegebiet sich als Kartäuser niederlassenden Prager Studenten und Professoren. 67 So erwähnt er z. B. den bekannten Kartäuser Hinrich Retzekow, der seit 1409 in der Rostocker Kartause Marienehe lebte. 68 Nachdem er mehrere Male an der Spitze der Karolina gestanden hatte, war er nach zehnjähriger Professur, 1399, in die Prager Kartause Mariengarten eingetreten und gelangte dann, wahrscheinlish über die Stettiner Kartause, wieder in seine Heimat, an die Ostsee. 64 66 67

88

66 Ebenda. Matr. Rost., a. a. 0., Bd. I, S. 248. KRABBE, Univ. Rost., a. a. O., S. 206. REINCKE, Kaiser Karl IV., a. a. O., S. 61—65. Vorliegenden Darlegungen H. Reinckes entnahm ich 1936 die Anregung zu meiner Arbeit über den Kartäuserorden in Norddeutschland. Vgl. SCHNITZLEB, Rostock, Spätmittelalter, a. a. O., S. 27, Anm. 11 und 12 und S. 2 1 , Anm. 5 2 . SCHNITZLEB, Rostock, Spätmittelalter, a. a. O., S. 27 und 108. BALCK, Meklenburger auf auswärtigen Universitäten bis zur Mitte des 17. Jh. „Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde . . .", Jg. 48 (1883), Jg. 49 (1884) und Jg. 50 (1885), S. 348, Nr. 1999. Liber Decanorum Faeultatis Philosophicae Universitatis Pragensis (1367—1585) „Monumenta Historica Universitatis CaroloFerdinandeae Pragensis" Pragae 1830/32, Tom. I Pars 1 und 2, Album seu Matricula Faeultatis Juridicae Univ. Pragens. (1372—1418). „Monum. Pragens.", Tom. II, Pars 1, Pragae 1834. — Tom. I Pars 1 pag. 235. (Weiterhin geführt als: Monum. Pragens.) HOFMEISTEE, ADOLPH, Heinrich von Ribnitz, der zweite Prior der Karthause Marienehe bei Rostock. „Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock", Bd. 3

H . 3, ( 1 9 0 2 ) , S . 1 0 6 - 1 0 8 .

Zur hansischen

Universitätsgeschichte

367

Wegen der Promotion eines Kartäusers sandte er einen Brief 69 von Marienehe aus an den Professor Heinrich Voss in Lübeck, welcher im Frühjahr 1430 die Universität Rostock schon wieder verlassen hatte. Hinrich Retzekow nennt in dem Schreiben den Lübecker Professor und Protonotar nicht nur seinen Freund, sondern auch seinen Vater. Offenbar ist Heinrich Voss in Prag der Doktorvater des Ribnitzers gewesen. Dieser Kartäuserprofessor aus Prag dürfte jedenfalls an der Gründung des Rostocker Generalstudiums beteiligt gewesen sein. Das Interesse zweier Ratsfamilien, Baggel und Katzow, sowohl an der Rostocker Kartause wie an der Rostocker Universität 70 deutet darauf hin. Die von Reincke aufgezeigten Zusammenhänge lassen sich auch in späterer Zeit verfolgen. Der Rostocker Professor Egbert van Harlem, der wie sein Kollege Peter Puerid.es Kartäuser und bis 1538 sechsmal Rektor der Universität Rostock war, wurde vom Bischof von Oesel 1522/23 ausersehen, ihm bei der Gründung einer Universität in Dorpat behilflich zu sein. 71 Die Karten 144 und 145 im Deutschen Kulturatlas 72 , welche die deutschen Universitäten vor der Reformation und zugleich die Druckorte des 15. Jh.'s zeigen, werden für Nordeuropa dadurch ergänzt, daß auch die Niederlassungen der Dominikaner, der Franziskaner und auch die der Fraterherren eingezeichnet sind. Die der Kartäuser aber fehlen. Sie geben zu den Universitäten, Schulen und Ordensstudien die Ergänzung und erweitern innerhalb des Hansegebietes durch ihren jeweiligen Personenkreis in der Ordensprovinz Saxonia die Kenntnis über die Herkunft und besonders über die spätere Tätigkeit der Immatrikulierten. Als Beispiel seien hier nur der auf Seite 12 erwähnte Jacobus Rydder genannt und Matthias Döring 73 , welcher von den Universitäten Prag und Erfurt 1434 nach Rostock kam und als Minister der Franziskaner-Ordens provinz Saxonia in vielen Städten des Hansegebietes, wie z. B. in Bremen und Lübeck 73 wirkte. Schon bei der geringen Zahl der bisher namentlich aufgeführten Rostocker Professoren, die von Prag und von Lübeck kamen, zeigten sich die Schnittpunkte von Hanse und Universität. Nachfolgend sei zur Probe für weitere Arbeiten einmal bei nur zehn unter den ersten fünfundzwanzig Rostocker •• Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1740 pag. 193/194. 70 SCHNITZLER, Rostock, Spätmittelalter, a. a. 0 . , S. 2 8 Anm. 1 3 . G R Ä B K E , H A N S A R N O L D , Die Wappensteine der Familie Bagghel und Katzow. „Rostocker Anzeiger" vom 31. V. 1944. 71 SCHNITZLER, Rostock, Spätmittelalter, a. a. O., S . 28 Anm. 17 und 18. Biographie, Allgemeine, Deutsche, 55 Bände und Register, Leipzig 1875—1912, Bd. X , S. 602. (Weiterhin geführt als: ADB). 72 Kulturatlas, Deutscher. Herausgeg. von G. Lüdtke und L. Mackensen, BerlinLeipzig 1928-1936, Bd. II, Karten 124 c bis 125 b, 128, 144 und 145. 73 ADB, a. a. O., Bd. X X , S. 664. G R O E T E K E N , Franziskaner in Riga. In: „Beiträge z. Gesch. d. Sächs. Franzisk.-Provinz v. Hl. Kreuze", hrsg. v. P. Patric. Schlager* Düsseldorf 1910, Bd. III, S. 85/86.

368

ELISABETH SCHNITZLER

Intitulierten 7 4 an H a n d der vorgenannten Editionen und Abhandlungen die Entwicklung und Tätigkeit nach absolviertem Hochschulstudium, soweit diese bekannt sind, dargestellt. Die Berufstätigkeit der Zehn nach absolviertem Studium lag sowohl vor wie nach der Rostocker Berufung. Wie bei der Darstellung der ersten nach Greifswald Berufenen 7 5 soll auch bei den zehn Rostocker Immatrikulierten die geistige Verwandtschaft mit den Doktorvätern und der alma mater der geburtsmäßigen Herkunft vorgezogen werden. 1. Hinricus de Gheysmaria (2.) 76 ist noch vor dem Archidiakon, dem Vizekanzler des Studiums, intituliert. Weil außer ihm aber niemand der immatrikulierten Dozenten den Magistertitel in der obersten Fakultät erworben hatte, rangierte er statutengemäß als erster nach dem Rektor. Von ihm wissen wir außer seinem Geburtsort Lübeck 7 7 auch den Ort seiner Studien: Prag. Sein Titel 'dominus', den außer ihm nur noch neun Intitulierte tragen, weist ihn als hohen Geistlichen aus. Tatsächlich war er nach K. E. H. Krauses 7 8 Ermittlungen bereits Kanoniker an St. Marien in Hamburg, wo er auch in mittelniederdeutscher Sprache zu lehren hatte. Offensichtlich wurde er wegen der Einrichtung der Rostocker Universität vom Hamburger Domkapitel beurlaubt, und er h a t wohl auch vorübergehend in Rostock doziert. Ein Brief, den er von Rostock aus an seinen Freund Johann Voss, den Protonotar seiner Vaterstadt Lübeck, schreibt, zeigt sein Interesse f ü r das neue Generalstudium. 7 9 Nach seinem Studium war Heinrich von Geismar Ratssekretär in Lübeck geworden. Als der R a t 1408 fliehen mußte, fand er in Göttingen Zuflucht, wo seine Schwester J u t t e mit einem Wernher Ridders, der wahrscheinlich aus einer Hamburger Patrizierfamilie stammte, verheiratet war. I n demselben Jahre wurde am Hamburger Dom ein Lehrstuhl f ü r Theologie gestiftet. 8 0 Von Geismar widmete sich weiteren Studien in E r f u r t , wo er in den Jahren 1410, 1412 und 1418 bereits das Rektorat bekleidete 81 . 1418 übernahm er die Hamburger Domlektur. 82 Am 3. Oktober 1431 ist er dort gestorben. Seine private Bücherausleihe, die auch Werke der Prager Universität umfaßte, erstreckte sich im han74

75

76 77

78 79

81

Inauguration, a. a. O., S . 54 B, S . 55 B, S . 58 A, S . 59 A und S. 63 A: die im „Eingangsprotokoll" der Matrikel erwähnten Personen sind hier zusammenfassend dargestellt. SCHMIDT, Anfänge Greifswald, a. a. O., S . 12 B. Vgl. Anm. 20. Matr. Rost, a. a. O., Bd. I, S. 1 A Z. 13/14. Vgl. K R Ü G E R , Bevölkerungsverschiebung, a. a. O., S. 157. Monum. Pragens., a. a. O . , Tom. I Pars 1 pag. 2 5 8 (und 2 7 1 ) . K R A U S E , Univ. Rost., a . a . O . , S. 1 8 . K R Ü G E R , Bevölkerungsverschiebung, a . a . O . , S. 1 5 7 : Johann und Conrad. K R A U S E , Univ. Rost., a. a. O., S. 18/19, auch für das Folgende. SCHNITZLER, Inauguration, a. a. O., S. 54 A und S . 57 B. Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1740 pag. 129-133. Der 2. Brief: pag. 161-165. R E I N C K E , Kaiser Karl I V . , a. a. 0 . , S. 7 8 . Acten Erfurt Matr., a. a. O., S. 90 A Z. 45 und S. 95 Z. 9/10. R E I N C K E , Kaiser Karl I V . , a. a. O . , S. 7 8 . SCHNITZLER,

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Universitätsgeschichte

369

sischen Gebiet sehr weit, nach Erfurt, Rostock, Lübeck, Göttingen und zu den IClöstern Ütersen und Reinfeld.83 Ebenso verlief sein gesamtes Leben in den Hansestädten. Einer seiner Neffen, Johann von Geismar, studierte 1421 in Rostock.84 Dem Sohn seiner Schwester, Hinricus Ridders, vermachte er 1431 seine Bücher, die er dem Rostocker Regens, Professor Bernhard Bodeker, geliehen hatte. Auch zwischen dem bekannten Konrad Gessel85 von Geismar, der 1425 an der Rostocker Universität immatrikuliert wurde und dem Hamburger Domlektor dürfte eine Verwandtschaft bestehen.86 Beide sind Lübecker. Über Konrad von Geismar und seine Schriften — eine davon in der Rostocker Universitätsbibliothek — hat Anton Blaschka87 erfolgreiche Untersuchungen angestellt. Konrad Gessel erlangte an der Philosophischen Fakultät Rostocks im Wintersemester 1426/27 das Bakkalaureat und befaßte sich in der Rostocker Handschrift besonders mit Astronomie. Eigenartigerweise sind seine Aufzeichnungen des Jahres 1435 in Thorn niedergeschrieben. Von 1438—1465 weilte er, nach Blaschka, vermutlich wieder in Rostock, doch 1466 faßt er in Thorn eine Kopie des zweiten Thorner Friedensvertrages ab. Ist er an den Verhandlungen beteiligt gewesen oder hat er, wie Blaschka meint, nur als Privater geschrieben? Zu der Frage, woher die Beziehungen Gessels nach Thorn stammen, schreibt Blaschka: „Man kann nur vermuten, daß Verbindungen aus der Zeit der Hanse noch nachwirkten und in irgendwelchen Wechselseitigkeiten fortlebten."88 Es liegt nahe, die Verbindungen des ehemaligen Prager Studenten und gebürtigen Lübeckers mit der Stadt Thorn auf die Zeit Kaiser Karls IV. zurückzuführen, der versucht hatte, Böhmen in Verbindung auch mit den Gebieten des Deutschen Ordens zu bringen. 2. Der dritte Immatrikulierte ist dominus Johannes Bonrade. Er war, wie der nachfolgende Brekewold, Jurist und stammte aus Lübeck. Damals war er Dekan des Lübecker Domkapitels. 83 84 85 86

87

88

24

Siehe Anm. 80 und 82. Matr. Rost., a. a.O., Bd. I S. 10 A. Ebenda S. 21 B. KRAUSE, Univ. Rost., a. a. 0 . , S. 19 dagegen: „Konrad Gesselen hat nichts mit ihnen (den genannten drei von Geismars) zu thun." BLASCHKA, ANTON, Vortrag, gehalten am 21. Mai 1957 in Krakau, an der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Fernerhin derselbe, Monumentum Thorunense und Die neue Handschrift U des Speculum stultorum. „Wissenschaftl. Zeitschr. d. Univ. Halle", Jg. VII H. 3, S. 715—738, Die Korrespondenz des Enea Silvio Piccolomini im Kodex Gesselen Za 89 und Zensurierte Briefe Papst Pius' II. „Wiss. Ztf. d. Univ. Halle." Jg. VII H. 4, S. 9 0 7 - 9 2 2 Konrad Gesselens Kopie des Zweiten Thorner Friedensvertrages. „Wiss. Ztf. d. Univ. Halle." Jg. VIII H. 4/5, S. 675-682. Ebenda, Jg. V I I I H. 4/5, S. 676 A . Matr. Rost., a. a. O., I 157 A : 1468 Gherwinus Gheismer de Riga imm. und I 188 A : 1474 Frowynus Gheysmer de Ryga imm. Hansische Studien

370

ELISABETH SCHNITZLER

3. Werner Brekewold*9 entstammte auch einer Lübecker Ratsfamilie und kam später in das dortige Domkapitel. Unter seinem Rostocker Rektorat wurde die größte Anzahl von Studierenden aufgenommen, die vielleicht durch sein Ordinariat „in novis juribus" angezogen wurde. 4. Es ist anzunehmen, daß der dann folgende Archidiakon von Rostock, Magister Johannes Meynesti90, gebürtiger Rostocker war. Sein Bruder, der Güstrower Domherr Dietrich Meynesti, wohnte noch 1448 in seinem eigenen Haus neben dem Doberaner Hof in Rostock und hatte die „vicaria perpetua" an der Rostocker Marienkirche inne. 91 Der Archidiakon selbst verkaufte 142992 sein Erbe oberhalb des Rostocker Minoritenkonvents an den Rat. Meynesti erhielt außer seinem Vizekanzellariat 1423 noch das Amt eines Konservators für das Generalstudium. 5. Der schon genannte Freund Geismars, Johann Foss, Magister der Philosophie und Bakkalaureus im weltlichen Recht, hatte auch in Prag studiert. Er war damals Priester an der Lübecker Marienkirche und Protonotar der Stadt. Im August 1419 erhielt er von einem anderen Freunde, dem Ordensmeister Siegfried Lander von Spanheym, einen Brief 93 , in dem ihm zwei junge Ordensbrüder empfohlen werden, die auf der Universität in Rostock studieren sollen. Zum Unterhalt der Studenten hatte der Meister des Ordens Arnd Salvyen, einem Ratmann aus der Ordensstadt Woldemir, der die Brüder bis Lübeck geleitete, hundert rheinische Gulden mitgegeben. Johann Voss wurde seit 1421 mehrere Male Rektor des neuen Generalstudiums. In dieser Zeit erwarb er sich den Doktorgrad in beiden Rechten. Nach einer Nachricht aus dem 18. Jh. 9 4 haben wir in ihm einen Westfalen aus Soest vor uns. 6. Ihm folgt Professor Heinrich Toke, der seine Studien 1406 in Erfurt begonnen, 1411 den Magister- und 1418 den Doktorgrad an der Theologischen 89

Matr. Rost. a. a. 0., Bd. I, S. 3.

STRUCK,

Lübeck, Rostock, Greifswald, a. a. O.

S. 96. 60 91

92

Gründung Univ. Rost., a. a. O., S . 162 B. Alt- und Neues Mecklenburg. Lib. I — X I X und Register, Güstrow und Leipzig 1753—1759, Lib. V I I I S . 75/76. SCHRÖDER, D I E T R I C H , Papistisches Mecklenburg, Wismar 1741, Bd. II pag. 2053. K R A U S E , L U D W I G , Zur Rostocker Topographie. „Rost. Beitr.", a. a. O . , Bd. 1 3 SCHNITZLER,

FRANCK, D A V I D ,

(1924), S. 42.

a. a. O . , S . 2 4 — 2 7 : der 2 . Brief wurde im Mai 1 4 2 0 geschrieben. Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1740 pag. 132: Johann Voss war seit 1409 presbyt. celebr. und seit 1 4 1 4 Protonotar in Lübeck. Vgl. SCHNITZLER, Inauguration, a. a. O.,

93

BÖTHFÜHR, L I V L Ä N D E R ,

94

Rost. Etwas, a.a.O., Jg. 1740 pag. 132/133 und Jg. 1739 pag. 226: Johann Voss de Monasterio imm. 1425, Rektor 1431, soll nicht mit dem Lübecker Protonotar identisch, sondern der Sekretär des Schwer. Bischofs sein.

S. 5 4 A .

Zw hansischen

Universitätsgeschichte

371

Fakultät erworben hatte. 9 5 Der Geburt nach stammte er aus Bremen. 96 I n Rostock war er 1419 der erste Dekan der Philosophischen Fakultät. Im November 1422 schrieb der Rostocker R a t an den zu Lübeck, man möchte dem Briefüberbringer des Meisters Heinrich Toke und ihm selbst die Sendung nach Rom durch Unterschrift und Siegelung seitens der Hansestädte erleichtern. Es handelte sich um ein Bittschreiben, die Theologische Fakultät für Rostock zu gewähren. Nach einer weiteren Überlieferung ist Hinrich Toke noch vor dem 27. März 1423 für die Universität Rostock bei der päpstlichen Kurie vorstellig geworden. 97 Die Daten stimmen zusammen, denn im April 1423 wurde für die Universität das erste Konservatorium urkundlich in Rom ausgestellt. 98 Die Errichtung der Theologischen Fakultät war den Unterhändlern noch nicht gelungen. Vielleicht hat das Konzil der Universität ihn aus Dank f ü r die erfolgreichen Reisen nach Lübeck und Rom 142499 zum Rektor gewählt. I m September desselben Jahres ist Toke schon wieder in Lübeck, ohne sein Amt zu verlieren. Auch im J a n u a r 1425 nimmt er eine Immatrikulationsgebühr für Rostock in Lübeck ein. Später wurde er Lektor am Magdeburger Dom. 7. Nikolaus Türlcow war wie Heinrich Geismar und Johann Voss Prager Student gewesen und darauf in seiner Heimatstadt Rostock Priester und später rector ecclesiae an St. Marien geworden. 100 Gleichzeitig war er, wie Johann Voss in Lübeck, Protonotar der Stadt Rostock. 8. Der zwölfte Intitulierte, Hermannus de Hamme101, ist ein gebürtiger Hamburger. 102 Er hatte seit 1406 in seiner Vaterstadt dasselbe Amt wie Nikolaus Türkow in Rostock und Johann Voss in Lübeck inne. Seine Professur in der Philosophie hatte er in Prag erworben, wo er wie jene beiden studiert hatte. Es ist anzunehmen, daß auch er an einer Hamburger Pfarrkirche Priester war. 95

Acten Erfurt Matr., a. a. O., Th. I S. 77 B, Z. 29. ADB, a. a. O., Bd. 38 (1894), S. 411f.: 1418 promovierte Tobe an der Theolog. Fak.-Matr. Rost., a. a. O., Bd. I, S. 17 und S. X X I I I : 1424 ist Toke „s. theol. bacc. formatus", S. 3: 1419 „mgr. art." 96 Matr. Rost. a. a. O., Bd. I S. 3. Hansisches Urkundenbuch. 7. Bd., Weimar 1939, S. 43, Anm. 3: 1438 ist ein Conr. Tacken mit Lübeckerin verh.; S. 8 Nr. 15: 1434 Joh. Tokke aus Danzig. 97 Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1741 pag. 289-291. KRAUSE, Univ. Rost., a. a. O., S. 20/21. KRABBE, Univ. Rost., a. a. O., S. 55. 98 Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1737 pag. 545 sq. Urkündl. Bestätt., a. a. 0., S. 10 § 17, Beyl. 8. 99 Und für das Folgende: Matr. Rost., a. a. O., Bd. I S. 17, S. 19 B (120. — 130. Immatr.) und S. 20 A (29. Immatr.). Rost. Etwas, a. a. O., Jg. 1739 pag. 78. 100 Vgl. Anm. 74. 101 Die Matrikel der Universität Leipzig (1409—1559). 2 Bände, herausgeg. von G. Erler; „Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae." II. Haupttheil, 16. und 17. Band, Leipzig 1895 und 1897, Bd. 1, S. 26 A. Bd. 2, S. L X X X V I I und S. 95. 102 REINCKE, Kaiser Karl IV., a. a. O., S. 73 und 79. HERAEUS, MAX, Hamburger Studenten . . . " . Ztf. d. Ver.'s f. Hambg. Gesch." Bd. 9 (1890), S. 587: Hamme nach dem westf. Hamm, 1481 ein Engelbert v. d. Hammen imm. 24*

372

E L I S A B E T H SCHNITZLEE

Schon im zweiten Semester, 1420, folgte er in Rostock Heinrich Toke im Dekanat der Artisten und wurde im fünften zum Rektor gewählt.103 1425 war er noch ein zweites Mal in Rostock Rektor, dann erhielt er in Hamburg 1432 am Dom die vicaria theologicalis.104 9. Der aus Rostock stammende Jurist Tidericus Sukowe hatte in Prag105 studiert, war 1409 mit nach Leipzig ausgezogen, 1411 Protonotar in Lübeck geworden und nach 1416 als Lehrer an die Universität Erfurt gegangen. Von 1419 bis 1430 bekleidete er mehrere Male das Rektoramt in Rostock. Wie lange er nach 1430 in Rostock blieb, ist noch ungewiß. Etwa 1430 soll er wieder in Lübeck gewesen sein, vielleicht bis zu seinem Tode im Jahre 1442.106 1431 war aber an der Rostocker Petrikirche ein Doktor beider Rechte, Fridericus Sukowe, Pfarrer. Wenn es sich bei dem ersten Buchstaben des Vornamens um ein Versehen107 handelt, so wäre der Pfarrer mit dem Professor identisch. Zu dieser Vermutung gibt außer der Rostocker Geburt auch die Reihenfolge der immatrikulierten Pfarrer, Türkow, Herthege, Sukow, Weider, Anlaß, die dem damaligen Rang der Rostocker Kirchspiele entspricht: St. Marien, St. Jakobi, St. Petri und St. Nikolai. 10. Der an letzter Stelle immatrikulierte Johann Weider108, ist uns durch eine Urkunde als der Pfarrer der Nikolaikirche bekannt, wie Nikolaus Türkow als der von St. Marien. Der Pfarrer Hinrich Herthege, welcher Sukow und Weider voransteht, dürfte der rector ecclesiae sancti Jacobi gewesen sein und wie Welder, wenn nicht Rostock selbst, so doch das Archidiakonat Rostock zur Heimat gehabt haben. Der Titel dominus erweist Johann Welder außerdem als Prälaten. Tatsächlich wird bei Einschreibung seines Dieners in die Matrikel 1424 vermerkt, daß Welder bischöflicher Offizial ist. 1399 gibt das Prager Artisten-Album einen Johann Welder als Examenskandidat an. Nachdem die weitere Entwicklung dieser zehn zumeist in Prag ausgebildeten Männer geschildert ist, sollen an zwei Tabellen die Schnittpunkte von Hanse und Universität gezeigt werden. Die erste gibt an, wie Amt und Tätigkeit in einer Hansestadt und an einer Universität bei den Einzelnen zusammentreffen Matr. Rost., a. a. O., Bd. I , S. X X I I I . KRAUSE, Univ. Rost., a. a. O., S. 19/20. 106 Monum. Pragens., a. a. O., Tom. I Pars 1 pag. 393 und Tom I I Pars 1 pag. 156. Für Leipzig: Die urkundlichen Quellen zur Geschichte der Universität Leipzig . . herausgeg. von Friedrich Zarncke. „Abhandlungen d. Philol.-histor. Cl. d. Kgl. Sachs. Gesellschaft d. Wissenschaften", s. 2. Bd., Leipzig 1857, S. 918 B. 106 STRUCK, Lübeck, Rostock, Greifswald, a. a. O., S. 95. KRAUSE, Univ. Rost., a. a. O., S. 17. REINCKE, Kaiser Karl IV., a. a. O., S. 69 und 73. 107 Landeshauptarchiv Schwerin, Städteakten, Rostock, Vol. I , Fasz. V I I (1404—1483). Schreibfehler ist möglich, weil es sich um eine abschriftliche Sammlung von Urkunden-Regesten und um Ausschnitte von Zeitschriften mit Urkunden-Editionen ohne Herkunftsangabe aus dem 18. Jh. handelt. 108 SCHNITZLER, Inauguration, a. a. O., S. 55 A. Matr. Rost., a. a. 0., Bd. I, S. 19 B. (130. Imm.) Monum Pragens., a. a. O., Tom I Pars 1 pag. 339.

103 104

vicecancellarius

intraneus incola

intitulatus

7. Türkow

presbyter notarius scriba religiosus lector principalis

mag. art. doctor (= professor) baccal. decanus licenc.

rector uni- vicecanversitatis cellarius

6. Toke 5. Voss 8. Hamme

consul protonotarius

5. Voss 8. Hamme

7. Türkow

consul protonotarius

intraneus incola

presbyter notarius, scriba religiosus lector principalis

proconsul syndicus

1. Geismar praepositus eccl. 3. Brekedecanus eccl. 4. Meynesti archidiaconus wold 2. Bonrade 6. Toke abbas 8. Hamme

rector universitatis

9. Sukow

10. Weider

praepositus eccl. decanus eccl. archidiaconus abbas

mag. art. doctor (= baccal. professor) licenc. decanus

proconsul syndicus

intitulatus

i i i i

in urbe hanseatica:

in studio generali

Zur hansischen Universitätsgeschichte 373

i i i i i i 4-

374

ELISABETH SCHNITZLEE

Tabelle 2). In ihr ist zugleich die Standes- und Rangordnung des Generalstudiums mit der der clerici und laici außerhalb der Universität verbunden, wie es die Rostocker Universitätsstatuten selbst in Rubrik V I I 4 für hohe Teste vorsehen. Die andere Tabelle (Tabelle 3) veranschaulicht, wie bei jedem Einzelnen der Ort der Wirksamkeit — oft gleichzeitig — eine Hansestadt und eine Universität, sei es daß ein Hamburger in Prag studiert, sei es, daß ein Universitätsprofessor als Dechant oder Protonotar in einer Hansestadt wirkt. Tabelle 3 Hansestädte 5. Voss

Soest 6. Toke

Bremen Hamburg

1. Geismar 8. Hamme

Lübeck

2. 3. 5. 6.

Rostock

4. 7. 9. 10.

Bonrade Brekewold Voss Toke

8. Hamme

9. Sukow

9. Sukow

Meynesti Türkow Sukow Weider

Rostock

1.

Geismar

7. Türkow 9. Sukow 10. Weider Erfurt

Leipzig

Prag

Universitäten

Für die Hälfte dieser Männer aus dem Hansegebiet lassen sich bis heute philosophische und juristische Studien in Prag nachweisen. Oft wurden die Juristen in Prag schon zu kaiserlichen Notaren kreiert, ehe sie in der Heimatstadt vom Schreiber zum Protonotar aufrückten. Sie haben durch ihre Muttersprache, die sie in Prag weiterbilden konnten, die Schriftsprache der hansischen Kanzleien entscheidend mitgeformt.109 Die klassische mittelniederdeutsche Schriftsprache haben Männer gebildet, die aus den Kloster- und Domschulen der Heimatstädte an die Karolina gingen und ihre Studien dort und in Leipzig, Erfurt und Rostock vollendeten. Damit ist das zweite Gebiet erwähnt, welches zur Erforschung des hansischen Kulturraumes dienen soll: die Ausbildungsstätten der Schreiber in den hansischen Kanzleien.110 Zu ihnen darf Rostock schon zu der Zeit rechnen, als die Stadt noch kein Generalstudium in ihren Mauern barg. 109

REINCKE, Kaiser Karl IV., a. a. O., S. 72/73.

110

JOHANSEN, H a n s i s c h e S i e d l u n g s g e s c h . , a. a . O . , S . 100—102.

Zur hansischen

Universitätsgeschichte

375

K . E. H. Krause 1 1 1 veröffentlichte den Brief eines Minderbruders, der in der Rostocker Universitätsbibliothek gefunden wurde. E s heißt da ,,Myn leve suster Taleke, du scholt weten, wo me Kinder leren s c h a l . . . In dat erste wen se er fibele lezen kont, so lerth me ze envort an der schule to dude. Item darneghest dat brevier. Item darna . . . den salter dyt synt schulebuke . . . wen se uth der schule kamen so lerth en de vicaria vort . . . unde den Donatus unde den Katonem . . . Nu will ik dy hir bescriven, . . . Sánete spiritus o hilghe ghest — veni kum — reple vorvulle — corda de herte — tuorum fidelium dyner loeveghen minschen — et accende unde entfenghe . . . (etc.)" Ein Franziskaner gibt hier einer Taleke genaue methodische Anleitungen, Kindern zunächst die Muttersprache und dann das Latein mit Hilfe der Muttersprache und in einem einzigen Arbeitsgange zu lehren. Er gibt, wenn man den gesamten Text des Briefes durchliest, eine Übersicht über den Lehrplan in der Elementarschule, die als eine Pfarr- oder Klosterschule, verbunden mit einer deutschen Schreibschule zu denken ist, dann über den in der städtischen Lateinschule, die zur Aufnahme in die Artistenfakultät befähigte. Die Ordens- oder Klosterschulen der Minderbrüder wie der Predigerbrüder, engstens mit den einzelnen Konventen verbunden, befaßten sich nicht allein mit der Ausbildung der Ordensangehörigen, sondern auch mit der der Bürgerkinder. Durch Gründung der Universität in Rostock aber bekamen die Konvente in ihrer Provinz ein Generalstudium, wohin sie ihre Mitglieder als Professoren und Studenten senden konnten. Damals haben sie einen Teil der elementaren Schulausbildung der Stadtkinder offenbar — wie hier der Taleke — den Schwestern und Brüdern des dritten Ordens mehr und mehr überlassen. Günther Hellfeld 112 hat den Inhalt dieser Handschrift jüngst in seiner Dissertation behandelt. In der Taleke vermutet er eine Ribnitzer Klarissin. Vielleicht hat aber auch der Franziskaner seiner leiblichen Schwester einen Weg zeigen wollen, wie sie ihren eigenen Kindern den Unterricht der unteren Klassen ersetzen könne, bis der Vikar in einer Pfarrschule oder in der städtischen Lateinschule die Kinder weiter fortbilden würde. Nach dem Schreiben dürften die Franziskaner der Hansestädte um 1400 bereits gewohnt gewesen sein, den gesamten Unterricht mit dem Gebrauch der mittelniederdeutschen Sprache aufs engste zu verbinden, vielleicht sogar den deutschen Elementarunterricht mit zu übernehmen, wie G. Hellfeld es für die Lateinschulen in den Hansestädten des 15. J h . , seien diese nun Pfarr- oder Stadtschulen, nachgewiesen hat. 111

112

SCHNITZLER, Rostock, Spitmitteliltar, a. a. O., S. 43/19. Eins Kinderlehre des 15. Jhs.', herausgeg. von KRAUSE, K . E . H. „Programme der Großen Stadtschule." Rostock 1873, Th. II, S. 1 3 - 2 0 . HELLFELD, GÜNTHER, Zur Entstehung und Entwicklung des städtisch-bürgerlichen Schulwesens im deutschen Ostseegebiet zwischen unterer Elbe und unterer Oder bis zum Ende des 16. Jh. (Ms), Diss. phil. Rostock 1956, S. 44 und 51 f. Vgl. auch S. 63, 66 und S. 69.

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ELISABETH SCHNITZLER

Die Niederschrift des Briefes ist nach Krause um 1420 geschehen. Fundort und Jahresangabe verweisen auf das Rostocker Franziskanerkloster St. Katharinen zur Zeit der Universitätsgründung. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß die Unterweisung von der Hand eines Rostocker Minderbruders stammt. Gebrauch und Mitformung der mittelniederdeutschen Sprache in Wort und Schrift bei Predigt und Katechese um 1400 können für die beiden Bettelorden Rostocks nur vermutet werden. Für die Kartäuser und für die Fraterherren Rostocks ist durch Funde niederdeutscher Drucke der Gebrauch der niederdeutschen Sprache in der zweiten Jahrhunderthälfte nachgewiesen. Die Brüder vom Gemeinsamen Leben haben seit ihrer Ankunft in Rostock, 1462, eine deutsche Schreibschule unterhalten, und beide Konvente — St. Michael und Marienehe — schickten einige Brüder als Schüler und auch als Lehrer an die Rostocker Universität*, an der seit 1419 Männer lehrten, die schon vor der Jahrhundertwende an der Pfarr- oder Domschule der eigenen Heimatstadt oder an der Universität Prag die mittelniederdeutsche Sprache gepflegt hatten. So ließ sich 1476 der Rat der Stadt Rostock von den Michaelisbrüdern ein Formelbuch 113 für niederdeutsche Briefe und Beurkundungen drucken, in dem es z. B. heißt: „Alia forma wo du scalt maken enen leide breff . . . " Vielleicht besteht hier sogar eine Abhängigkeit von dem Koblenzer Formelbuch Kaiser Karls IV.** Zum dritten Untersuchungsbereich des hansischen Kulturraumes, dem Kunsthandel, würde auch die Untersuchung der Tierdarstellungen an den Studentenbursen gehören. Die Bursen am „lateinischen Platz" vor der Universität Rostock hatten nach Vicke Schorlers 114 Bildrolle im Türsturz die Darstellung eines Tieres, welches der Burse auch den Namen gab. Woher die Bezeichnungen und Bilder an den Studentenhäusern,, Adlersburg", „Einhorn" und „Roter Löwe" aber stammen, ist wohl noch nicht untersucht worden. Vielleicht sagen auch sie über die Herkunft des Stifters der Burse und zugleich über die seiner Insassen etwas aus. * Rost. Matr., a. a. O., Bd. I, S. 254 A: 1490 Nie. v. Deer imm. (bis 1485 Rektor von St. Michael) — I 275 A: 1494 Hinr. vamme Lo (Fraterherr) imm. — I 281 B: 1496 Jud. Fleding de Xanctis(de Conventu Swollensi) imm. — Bd. II, S. 59 A: 1514 Dns. M. Hilleman prior und Bert. Calzow imm. — II 96 B: 1535 Joh. und Henning Albrechtes imm. 113 COLLIJN, I S A R . Rostochiana in der Kgl. Univ.-Bibliothek zu Uppsala. „Rost. Beitr." Bd. 4 H. 4, S. 94 (Bruchstücke des Formelbuches ediert, die Collijn im Einband eines Buches aus der Klosterbibliothek von Vadstena fand). Vgl. R E I N C K E , Kaiser Karl IV., a. a. O., S. 74/75. * * B A E T H G E N , F R I E D R I C H , Monumenta Germaniae Histo-rica. Bericht für das Jahr 1956/57. In: „Sitzungsber. d. Deutschen Akad. d. Wiss. zu Berlin", Kl. für Philosophie, Geschichte . . ., Jg. 1958, Nr. 1, S. 7/8: Dr. M. Kühn bearbeitet das Formelbuch im Koblenzer Staatsarchiv. 114 V I C K E SCHORLER, Warhaftige Abcontrafactur . . ., Rostock 1578—1586, herausgeg. von Oscar Gehrig, Rostock 1939, S. 40/41. Vgl, Gräbke, H. A. (Literat.-Verz. Nr. 70), S. 260—270.

37T

Zur hansischen Universitätsgeschichte

Hierher gehört ein anderes vielbesprochenes Kunstwerk an einem Rostocker Universitätsgebäude, welches hansische Beziehungen zeigt, die aber auch noch nicht gänzlich geklärt sind. Es handelt sich um die beiden heute noch erhaltenen kunstvollen Reliefplatten, die nach der "Überlieferung die Beischläge der ehemaligen Olafsburse gewesen sein sollen. Es ist zunächst festzustellen, daß Otto Krabbe115 das im 18. Jh. erwähnte collegium Norwegianorum mit der im Rostocker Hausbuch aufgeführten bursa S. Olavi gleichsetzte, weil er die Bezeichnung „collegium Norwegianorum" im Hausbuch nicht fand. Der weiterhin überlieferte Ausdruck collegium boreale erschwert noch die Klarstellung über Anzahl und Lage der Kolleg- und Studentenhäuser. Friedrich Schlie116 gab die Ermittlungen H. Grotefends wieder, der das Wappen auf einem der Beischläge wegen des darin abgebildeten Auerochsen dem Jürgen von Tiesenhusen zuschreibt. Immatrikuliert wurde Jürgen von Tiesenhusen in Rostock 1515, zwei Jahre später erwarb er den Magistergrad.117 1525 erhielt er das Bischofsamt von Reval und 1527 das von Oesel.118 Der Adler und die beiden kreuzweise gelegten Andreaskreuze im Wappen der Beischläge befinden sich nach Grotefend auch in den Wappen von Oesel und Reval. Friedrich Schlie vermutete nun, daß Tiesenhusen, obwohl er aus Riga stammte, während seines Rostocker Studiums in der Olafsburse der skandinavischen Studenten gewohnt und später zum Dank die beiden Reliefs gestiftet habe. Adolph Hofmeister machte dann auf zwei Briefe vom Frühjahr 1529 im Norwegischen Urkundenbuch119 aufmerksam. Aus dem einen geht hervor, daß der Erzbischof von Drontheim, Olaf Engelbrechtsson120, 1528 Regens des domus sancti Olavi in Rostock gewesen ist, aus dem zweiten, daß das Haus des Erzstuhles von Drontheim, die regencia Olavi, zerfallen sei, und daß der Rat den Erzbischof um Abhilfe bittet. Mit Recht setzte Adolph Hofmeister auf Grund beider Briefe die Olafsburse mit dem Kolleg der Norweger gleich.121 Adolf Friedrich Lorenz folgte ihm darin und stellte die Frage, ob nicht etwa das collegium philosophicum, auf dessen Platz das heutige Universitätsgebäude vom Jahre 1870 steht, das Haus des erzbischöflichen Stuhles von Drontheim — also die Olafsburse — gewesen sei, weil es von dem alten Kollegium 115 116

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KRABBE, Univ. Rostock, a. a. O., S. 133 Anm. 1 und 5. SCHLIE, FRIEDRICH, Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogthums Mecklenburg-Schwerin. Schwerin 1896, Bd. I, S. 273. (Weiterhin geführt als: SCHLIE,. Kunst, Meckl.) Matr. Rost., a. a. O., Bd. II, S. 62 A (20. Imm.) und S. 67 A (5. Prom.). Vgl. Anm. 116. Oldbreve til kundskab om norges indre og ydre forhold . . . i middelalderen, udgivne af C. R. U n g e r og H. J. Huitfeldt-Kaas, Christiania 1884. „Diplomatarium Norvegicum", Vol. X X I I , 11. Sämling, S. 591, Nr. 527 und S. 578 Nr. 518. Matr. Rost., a.a.O., Bd. I I , S. 15Nr.l09, S. 24 B (16. Prom.) undS. 32 A (6. Prom.): Olaf Engelbrechtsson stud. in Rostock vom W S 1503/4 bis 1507/8 und wurde promoviert. HOFMEISTER, ADOLPH, St. O l a v S. 177/178. V g l . A n m . 119.

in

Rostock. „ H G B 1 L " ,

a. a. O., J g . 29

(1901),.

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E L I S A B E T H SCHÌTITZLER

der Theologen und Philosophen immer geheißen habe, es sei ursprünglich ein Bischofssitz gewesen.122 Nun berichtet A. F. Lorenz aber selbst, daß sich in dem zweiten Bau des Philosophen-Kollegs von 1567, der die Grundmauern des mittelalterlichen ersten fast unberührt ließ und wegen seines weißen Verputzes den Namen „Weißes Kolleg" schuf, beim Abbruch im Jahre 1867 ein Ziegel angefunden habe, der dem ersten Bau entstammte und das Wappen des Schweriner Bischofs aus den Jahren 1365 bis 1375 zeigt. Der Ziegel befindet sich bis heute noch in der Außenwand des jetzigen dritten Baues von 1870, an der Nordseite des Südflügels, wo auch die Beischläge angebracht sind. Demnach dürften Kapelle und Gästehaus des Schweriner Bischofs mit der Kurie des Drontheimer Erzbischofs nicht identisch sein. Wohl aber müßte Olaf Engelbrechtsson, als er 1503 zum Studium nach Rostock kam, in der Olafsburse ein schon recht altes Gebäude vorgefunden haben, das als Eigentum des Drontheimer Domkapitels sicher schon vor der Universitätsgründung bestand und Kapelle wie Gästehaus für alle in Rostock sich aufhaltenden Skandinavier barg. Sonst wäre es nicht schon 1529 fast zerfallen gewesen. Es ist aber schwer einzusehen, warum die Drontheimer Kurie in Rostock oder die bursa Olavi eine Schenkung durch den Revaler Bischof erhalten haben sollte. Zwar wies M. Perlbach123 nach, daß dem hl. Olaf als Patron aller seefahrenden Kaufleute nicht nur Gilden in den Nordischen Ländern, sondern ebenso in Deventer, Danzig, Elbing, Königsberg und in Reval geweiht waren. So bestand auch an der Rostocker Marienkirche 1488 eine fraternitas sancti Olavi der Wiekfahrer.124 Danach mußte eine Olafs-Regentie nicht ohne weiteres eine solche skandinavischer Scholaren gewesen sein. Erst die beiden Briefe beweisen für Rostock ihren Zusammenhang mit den Nordischen Reichen. Daß aber die skandinavische Regentie auch von livländischen Professoren und Studenten benutzt wurde, oder daß zwei Olafsbursen bestanden, eine für skandinavische und eine für livländische Studenten, ist nicht anzunehmen. Die Beischläge mit dem Wappen des Jürgen von Tiesenhusen müssen demnach, entgegen der bisherigen Überlieferung, einem anderen Hause als der Olafsburse angehört haben. Neben dem von H. Grotefend festgestellten Wappentier des Jürgen von Tiesenhusen ist natürlich auch die fast lebensgroße Darstellung des Namens 122

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124

L O R E N Z , A D O L F F R I E D R I C H , Die Universitätsgebäude zu Rostock und ihre Geschichte. Rostock 1919, S. 6—11, 17—19. (Weiterhin geführt als: LORENZ, Universitätsgebäude.) P E R L B A C H , M A X , St. Olavsgilden in Preußen. „HGB11.", a. a. O., Jg. 29 (1901) S. 170-176. Vgl. H A M A N N , M A N F R E D , Wismar-Rostock-Stralsund-Greifswald zur Hansezeit (ein Vergleich). Vom Mittelalter zur Neuzeit. Festschrift Heinrich Sproemberg. Forschungen z. mittelalt. Gesch., Bd. 1, Berlin 1956, S. 99. SCHLIE, Kunst Meckl., a. a. O., Bd. I, S. 66 ist das Olafs-Siegel abgebüdet. Vgl. Anm. 121.

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patrons ein zweiter Hinweis auf den in Riga geborenen Bischof von Reval und Oesel. Auf Stadt und Erzbistum Riga weist aber außer dem Wappentier Rigas, dem Auerochsen, und außer dem Patron des aus Riga gebürtigen Stifters, dem hl. Georg, noch der auf dem Stein abgebildete Apostel Andreas, der Schutzheilige Revals. Sein Attribut, das Andreaskreuz, welches zum Wappen Revals gehört, hat Tiesenhusen in sein eigenes Wappen übernommen und auf einem der Beischläge abbilden lassen, weil er den Bischofssitz von Reval innehatte, der wie Oesel zum erzbischöflichen Stuhl von Riga gehörte.125 Dem Stadtheiligen Revals, dem Apostel Andreas, hatte z. B. schon ein Jahrhundert vorher, 1424, der Rigaer Erzbischof, Johann VI. Habundi, in der Rostocker Marienkirche einen Altar und eine Vikarstelle geschenkt, weil er in dieser Rostocker Stadtkirche getauft worden war.126 Aber der von Friedrich Schlie für Johannes den Täufer gehaltene Heilige dürfte ein anderer Heiliger, nämlich Antonius der Große, sein, weil zu seinen Füßen unter der Kappa ein Eber- oder Schweinekopf sichtbar wird, eines der Attribute dieses ägyptischen Einsiedlers aus dem 3. Jh. Der Eberkopf hat große Ähnlichkeit mit dem beim Eremiten Antonius dargestellten Eber am Rochusaltar der Rostocker Marienkirche. Das Hervorlugen des Ebers unter der Kappa findet sich auch bei einer Statue auf Fehmarn. Außerdem umfaßt der Heilige mit seinem linken Arm in kräftigem Griff ein widderähnliches Tier, welches 1902 wohl, zu der Annahme verleitete, es handele sich um Johannes Baptista. 127 Aber die Antonius-Darstellungen zeigen häufig ein kleines Schwein, das dem Eremiten „wie ein Hündchen oder Lamm" 128 folgt, an seiner Kappa hochspringt oder zu ihm aufblickt. Diese Art der Attributs-Wiedergabe findet sich in Westfalen, aber auch im Rheinland und vereinzelt in Schleswig-Holstein, Mecklenburg und anderen Ländern. Noch ein zweites und drittes bisher übersehenes Attribut weist uns auf den Einsiedler Antonius hin. Auf demselben Relief hält das Jesuskind auf dem Arm der Muttergottes dem Beschauer einen Rosenkranz, ein Attribut des hl. Antonius, entgegen, an dem in Medaillonform das sogenannte ägyptische oder Antonius-Kreuz in der Gestalt des griechischen ,,T" hängt, wie es z. B. auf dem Isenheimer Altar den Abtstab des Heiligen ziert. Mit Sicherheit gehören die Beischläge demnach nicht zur Olafsburse der Skandinavier, sondern zu einem livländischen Haus. Es müßte der Bedeutung 125

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E U B E L , C O N R A D , Hierarchia catholica medii aevi. Lib. I, Monast. 1898, pag. 397, 441, 579/580. LISCH, G. C. F., Die Besitzungen und der Verkehr des Erzbisthums Riga in Meklenburg. „Meckl. Jb.", a. a. O., Jg. 14 (1849), S. 67 und Urk. Nr. L I X (S. 263/264). Pommersches Urkundenbuch. Herausgeg. von der Landesgeschichtl. Forschungsstelle für die Prov. Pommern, Köln/Graz 1958, Bd. VII, Nr. 4767: das 2. und 4. Siegel zeigen an der vom Bischof und Kapitel von Oesel 1319 ausgest. Urk. sowohl den Täufer mit Lamm und „ecce", wie auch den Adler des Evangelisten. B R A U N , J O S E P H , Tracht und Attribute der Heiligen in der deutschen Kunst. Stuttgart 1943, S. 86—96: die Rostocker Beischläge sind hier nicht erwähnt.

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des Eremiten Antonius und der Antoniterherren für das Erzbistum Riga nachgegangen werden. Mecklenburgs Antoniter-Komturei in Tempzin129 dürfte mit den Beischlägen in keinem Zusammenhang stehen. Nun hat Vicke Schorler 1586 an dem Türsturz einer der Bursen am Universitätsplatz einen Adler abgebildet. Es ist die mit „de arnsborgh" bezeichnete Regentie. Das Wappentier war mit dem Bau so eng verbunden, daß das — heute anderen Zwecken dienende — Gebäude auch im 20. Jh. bei seiner Umgestaltung noch das Reliefeines Adlers als Schmuck erhielt. Die „Adlersburg" soll 1449 schon bestanden haben und wird um 1500 regentia arcis aquilae genannt ; ihr eigentlicher Name aber war,, Schwarzer Adler'' oder domus aquilae ,130 Sollten unter dem Wappentier von Oesel nicht Studenten aus den Gebieten des Deutschen Ordens untergebracht gewesen sein, von denen allein drei schon im August 1419 in Lübeck brieflich angemeldet wurden? Adler und Andreas an den Beischlägen verweisen uns auf die beiden dem Erzbistum Riga zugehörenden Bischofsstädte innerhalb des Ordensgebietes, Reval und Oesel. Wollte doch — wie erwähnt — der Bischof von Oesel durch einen Rostocker Professor versuchen, in Dorpat eine neue Universität oder ein Gymnasium zu gründen. Es sei daran erinnert, daß zur Zeit der Herstellung der Beischläge auch die Fraterherren Rostocks z. B. in Kulm schon seit 1508 ein Partikularstudium besaßen und in Danzig eine ähnliche Gründung versucht haben, Unternehmungen, die gewiß eine größere Anzahl Studenten aus diesen Gebieten nach Rostock holten. Jedenfalls waren die Beziehungen zwischen der Rostocker Universität und diesen Gebieten* sehr lebhaft. Nicht nur die Zugehörigkeit der Beischläge, sondern auch die Bezeichnung „Adlersbürg" für eine der Rostocker Bursen hätten damit ihre Erklärung gefunden. Wie die Patrone von Altären und Kirchen 131 häufig Rückschlüsse auf die Herkunft ihrer Stifter zulassen, so auch die Patrone von Gilden und Bruderschaften 132 in den Hansestädten. Bei einer Visitation des Rostocker Dominikanerklosters St. Johann im Jahre 1469 wurde ein Inventar der Kleinodien angelegt. Darin werden nur 129

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SCHMALTZ, KARL, Kirchengeschichte Mecklenburgs. Bd. I, Schwerin 1935, S. 209. Matr. Rost., a. a. O., Bd. I, S. 52 B (87. Imm.): 1435 wird nur einmal die Komturei Tempzin erwähnt: Dns. Fred. Snakenborch wird imm. „Fuit honoratus propter magistrum curie beati Antonii in Tempsin". LORENZ, Universitätsgebäude, a. a. O., S. 21/22, 38/39, 41 und 76. Für das Folgende: SCHNITZLER, Rostock, Spätmittelalter, a. a. O., S . 114, Anm. 22. LISCH, G. C. F.,

Über die Brüder vom gemeins. Leben zu Rostock. „Meckl. Jb." Jg. 16 (1851), S. 192. HTJLSHOF, ABRAHAM, Rostock und die nördlichen Niederlande vom 15. bis zum 17. Jahrh. „HGB11." Jg. 1910 Bd. XVI, S. 539 und S. 533 Anm. 2. * Vgl. S. 363. 131 JOHANSEN, PAUL, Die Kaufmannskirche im Ostseegebiet. „Vorträge und Forschungen", Bd. IV. Lindau/Konstanz 1958, S. 499-525. 132 Vgl. Anm. 123.

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Universitätsgeschichte

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in drei Fällen bildmäßige Beschreibungen gegeben. Aber es befindet sich unter den künstlerisch wohl besonders hervorstechenden Gegenständen auch ein capputium cappe cum ymaginibus trium regum cum coronis argenteis. 133 Das Kunstwerk mit den Bildern der drei hl. Könige dürfte der am Predigerkonvent stationierten fraternitas trium regum zugehören. Wenn auch die älteste von den noch erhaltenen Urkunden 134 der Rostocker Dreikönigsbruderschaft aus dem Jahre 1461 stammt, so sind die Voraussetzungen zur Gründung einer solchen geistlichen Gilde doch älteren Datums. Die Wahl der Patrone weist von Rostock nach Köln. Die Stadtheiligen Kölns, die drei Weisen, wurden 1388 auch für das Generalstudium zu Patronen erwählt. Das Siegel der Kölner Universität zeigt die Anbetung des Kindes durch die drei Könige. Daraus erklärt sich auch 135 , daß die Inauguration des Kölner Generalstudiums am 6. Januar, am Dreikönigstage, stattfand. Es wäre aber verfehlt, von dem der Rostocker Bruderschaft der hl. drei Könige gehörenden Kunstwerk lediglich auf die Verbindung beider Konvente sowie beider Hochschulen Schlüsse zu ziehen, vielmehr weist es uns auf die händlerische Verknüpfung beider Städte, welche den Konventen wie den Generalstudien zeitlich vorausging. Die alte Verbindung Rostocks mit Köln blieb noch fest und wirksam, als die Hanse ihren Höhepunkt längst überschritten hatte. So war 1483 136 Professor Albert Krantz von der Universität Rostock nach Köln zu einer großen Feier gesandt worden. Krantz, später Syndikus der Stadt Lübeck, dann Dechant am Hamburger Dom, stand damals an der Spitze der Rostocker Universität. Auch nach der Reformation blieb diese Bindung noch bestehen. 1540 bedurfte die Rostocker Universität dringend einer Reform. Der Rat der Stadt berief von der Kölner Universität drei Professoren, Gisbertus Longolius, Johannes Strubbe und Johannes Noviomagus. 137 Longolius, aus Andernach am Rhein, war im Heimatort des Freundes Strubbe, in Deventer, Rektor der Schule gewesen. Der Dritte, dessen Vorfahren in Nimwegen in Geldern saßen, kam aus einer Ortschaft bei Kempen. Sie haben eine Restaurationsschrift verfaßt und sich um die Hebung der Wissenschaft in Rostock bemüht. In ihrer Schrift werden die Städte Lübeck, Hamburg, Bremen, Lüneburg, Riga und Reval wegen der dem Rostocker Studium geleisteten Hilfe gerühmt. 138 Johanniskloster, a. a. O . , S . 7 und 2 0 . Geistliche Brüderschaften in Rostock. „Rost. Beitr.", a. a. O., Bd. 9 (1915), S. 45. 135 SCHNITZLER, Inauguration, a. a. O., S . 68 B. 136 R E I N C K E , H E I N R I C H , Albert Krantz als Geschichtsforscher und Geschichtsschreiber. „Festschrift von Melle", Hamburg 1933, S. 114. 137 K R A B B E , Univ. Rost., a. a. O., S. 443ff. -138 MÖNCKEBERG, C., Hamburg's Antheil an dem Versuch zur Wiederherstellung der Rostocker Universität im Jahre 1540. „Zeitschrift d. Ver.'s f. hamburg. Geschichte", Hamburg 1847, Bd. 2, S. 505. 133 VORBERG, 134

CRULL, GEORG,

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Die Erzeugnisse des Buchdrucks, die kostbaren Inkunabeln, gehören ohne Zweifel zum Kunsthandwerk. Wenn die Einzugsgebiete des Marktes von Deventer, wie Z. W. Sneller 139 dargelegt hat, in umgekehrter Richtung der Verbreitung der Windesheimer Kongregation entsprachen, so m u ß der Einzug der Fraterherren und ihrer Druckerei in Rostock 1 4 0 am Ende des 15. J h . ' s als eine Folge der Handelsverbindungen Rostocks mit den Niederlanden angesehen werden. Der Weg geht gleichzeitig über Münster, aus dessen Springbornhaus der Visitator des Rostocker Michaelisklosters kam, über Lübeck, dessen Schwesternhaus 1475, ein J a h r vor Rostock, mit der Druckkunst begann 1 4 1 , und über Köln, von wo Humanisten und Anhänger der devotio moderna an die Rostocker Universität, ins Fraterhaus und in die Kartause kamen. Nur durch eingehendes Studium der ersten Druckwerke, ihrer Holzschnitte und Einbände und der Typen selbst gelang es Bruno Claussen 142 , wertvolle Beiträge zur Feststellung dieses kulturellen Gegenstromes auf den alten hansischen Straßen zu liefern und zugleich das Leben der ersten Drucker in Lübeck und Rostock aufzuhellen. Wurden die Handelswege von Rostock über Lübeck, H a m b u r g und Bremen nach Münster in umgekehrter Richtung von den Druckern kunstvoller und gelehrter Werke begangen, so betraten die Erzeugnisse des Buchdrucks ein drittes Mal diese Straßen. Zunächst sind die Frühdrucke aber nicht Gegenstände des Handels, sondern sie verlassen Rostock infolge Schenkung, Vererbung, Ausleihe und anderer Schicksale. Die im hansischen Gebiet gemachten Funde von Drucken der Rostocker Michaelisbrüder 143 zeigen, daß dieselben über Deventer hinaus bis nach London gewandert sind und daß sie auch anderen hansischen Verbindungen Rostocks folgten. Denn sie finden sich in Kopenhagen, Stockholm, Upsala und Leningrad. Die Suche nach Inkunabeln, Einblattdrucken und Fragmenten müßte fortgesetzt werden, u m mit ihrer Hilfe die Verbindungen und Beziehungen der gelehrten Buchdrucker, Buchführer und Buchbesitzer innerhalb des Hanseraums aufzufinden. Gerade auf dem Gebiete der Frühdrucke berühren sich kultur- und geistesgeschichtliche Fragen mit denen hansischer Geschichte aufs engste. 139

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1 4 2

143

S N E L L E R , Z. W., Deventer, die Stadt der Jahrmärkte. „Pf. Bll. d. HGVs", a. a. 0., Bl. XXV (1936), S. 114. J O H A N S E N , Hansische Siedlungsgesch., a. a. O., S. 43. SCHNITZLER, Rostock, Spätmittelalter, a. a. 0., S. 80, Anm. 45 und S. 110—117. MELTZ, CARL, Die Drucke der Michaelisbrüder zu Rostock 1 4 7 6 — 1 5 3 0 . „Wissenschaftl. Zeitschrift d. Univ. Rostock", 5 . Jg., Sonderheft, Rostock 1 9 5 5 / 5 6 , S. 229 A. (Weiterhin geführt als: MELTZ, Drucke). JOOST, S I E G F R I E D , Bruno Claussen. „Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel", 15. Jg. Nr. 76a, Frankfurt 1959, S. 1158-1160: die Veröffentlichungen Claussens sind hier aufgezählt. MELTZ, Drucke, a. a. 0., S. 236-248. Vgl. Collyn's Fund, Anm. 113.

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Wenn hier ein Gedanke Heinrich Sproembergs und Paul Johansens aufgenommen und der Versuch gemacht wurde, in den drei genannten Bereichen den Kulturraum der Hanse näher bestimmen zu helfen, ohne den europäischen Blickpunkt zu verlieren, so mögen die Wesenszüge der universitas mercatorum und der universitas magistrorum et studentium, soweit sie sich als gemeinsame abzeichneten, und die an Tabellen verdeutlichten Auswirkungen der sich kreuzenden Wege beider Organisationen des europäischen Mittelalters und nicht zuletzt die besonders für Rostock aufgegriffenen Tatsachen und gestellten Fragen zu weiteren und eingehenderen Arbeiten anregen. Vor allem aber möge durch die Untersuchung, welche die drei den hansischen Kulturraum bestimmenden Bereiche nur streifen konnte, deutlich geworden sein, wie dringend notwendig die Publikation weiterer Quellen zur „hansischen" Universitätsgeschichte geworden ist.

Quellen- und,

Literaturverzeichnis

I. Quellen 1. Landeshauptarchiv Schwerin, Städteakten, Rostock, Vol. I, Fasz. VII (1404—1483). 2. Urkundliche Bestättigung der Herzoglich-Mecklenburgischen hohen Gerechtsamen, über dero Akademie und Rath zu Rostock.Herausgeg. von Ang. Joh. Dan. Aepinus, (Ort?) 1754. (Gekürzt als: Urkündl. Bestätt.) 3. Matrikler over Nordiske Studerende ved fremmede Universiteter (Rostock 1419 bis 1758), Efter offentlig Foranstaltning, samlede og udgivne af Dr. Ludvig Daae, Christiania 1885, H. 1, S. 30-149. (Gekürzt: Matr. Nordiske Stud.) 4. Die Matrikel der Universität Leipzig (1409—1559), 2 Bände, herausgeg. von G. Erler. „Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae", II. Haupttheil, 16. und 17. Bd, Leipzig 1895 und 1897. 5. Etwas von gelehrten Rostockschen Sachen für gute Freunde, 6 Bände, Rostock 1737 bis 1742, und: Weitere Nachrichten von gelehrten Rostockschen Sachen, 7 Bände, Rostock 1743-1748. (Gekürzt: Rost. Etwas.) 6. Ältere Universitäts-Matrikel, II. Universität Greifswald (1456—1700), herausgeg. von Ernst Friedlaender. „Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven", Bd. 52 und 57, Leipzig 1893/94. 7. Vicke Schorler, Warhaftige Abcontrafactur . . . Rostock 1578—1586, herausgeg. von Oscar Gehrig, Rostock 1939. 8. Die Matrikel der Universität Rostock, 1419—1831, herausgeg. von Adolph Hofmeister, Rostock 1889-1912, mit Register von E. Schäfer, Schwerin 1919/22. (Gekürzt: Matr. Rost.) 9. Die Balten auf der Universität Rostock, herausgeg. und ausgezogen für die Jahre 1419 bis 1611 von A. Hofmeister. „Sitzungsberichte der kurländischen Gesellschaft f ü r Literatur und K u n s t . .'.", Anhang III, B I, S. 43-62. Mitau 1893. 10. Eine Kinderlehre des 15. Jh.'s, herausgeg. von K. E . H . Krause; „Programme der Großen Stadtschule", Th. II, S. 13-20. Rostock 1873. 11. Matrikler over Norske Studerende ved Rostocks Universitet, 1419—1690, samlede og udgivne af Chr. Lange, „Norske Samlinger", VIII Vol., I, S. 72—94. Christiania 1852.

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ELISABETH SCHNITZLEB

12. Liber Decanorum Facultatis Philosophicae Universitatis Pragensis (1367—1585) . . . „Monumenta Histórica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis", Pragae 1830/32, Tom. I Pars 1 und 2 ; Album seu Matricula Facultatis Juridicae Universitatis Pragensis (1372—1418). „Monum. Pragens.", Tom. I I Pars 1, Pragae 1834. (Gekürzt: Monum. Pragens.) 13. Die Balten auf der Universität Rostock, herausgeg. von A. Hofmeister, herausgezogen für die Jahre 1611—1694 von G. Otto. „Sitzungsberichte d. kurländ. Gesellschaft f. Literatur u. K u n s t . . .", Beil. VI, S. 96-106. Mitau 1897. 14. Pommersches Urkundenbuch, herausgeg. von der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle für die Provinz Pommern, Bd. VII, Köln-Graz 1958. 15. Die Livländer auf der Universität Rostock von 1419—1499, herausgeg. von A. Hofmeister, ausgezogen von Ph. Schwartz. „Sitzungsber. d. Gesellschaft f. Gesch. u. Alterthumskunde d. Ostseeprovinzen Rußlands", Riga 1891. 16. Livländer an der Universität Rostock, herausgeg. von A. Hofmeister, ausgezogen von Unbekannt. „Jahrb. d. kurländ. Gesellschaft f. Literatur u. K u n s t . . .", Mitau 1903. 17. Oldbreve til kundskab om norges indre og ydre forhold . . . i middelalderen, udgivne af C. R . Unger og H. J . Huitfeldt-Kaas, „Diplomatarium Norvegicum", Vol. X X I I , 11. Sämling. Christiania 1884. 18. Hansisches Urkundenbuch, herausgeg. vom Verein f. hansische Geschichte 6. Bd. (1415-1433) bearb. von Karl Kunze, Leipzig 1905, und 7. Bd. (1434-1441) bearb. von Hans-Gerd von Rundstedt, Weimar 1939. 19. Acten der Erfurter Universität, I. Th. 3. Allgemeine Studentenmatrikel, erste Hälfte (1392-1492), I I . Th. 3 b Allgemeine Studentenmatrikel, 2. Hälfte (1492 bis 1636) und Register = 1 1 1 . Th., herausgeg. von J . C. Hermann Weißenborn, „Geschichtsquellen der Provinz Sachsen . . . " Bd. 8, Th. I - I I I , Halle 1881, 1884, 1899. (Gekürzt: Acten Erfurt Matr.) 20. Monumenta inédita rerum Germanicarum, praecipue Cimbricarum et Megapolensium, ed. v. Ernestus Joachimus de Westphalen, Tom. IV, Lipsiae 1745. 21. Die urkundlichen Quellen zur Geschichte der Universität Leipzig . . ., herausgeg. von Friedrich Zarncke. „Abhandlungen der Philol.-histor. Cl. d. Kgl. Sachs. Gesellschaft d. Wiss.", 2. Bd., Leipzig 1857. I I . Literatur 1. BAERENT, P., Über vier in Rostock und Wittenberg 1512 und 1563 immatrikulierte Livländer. „Sitzungsber. d. Gesellschaft f. Gesch. u. Altertumskunde zu Riga", Riga

1914-1921.

2. BAETHGEN, Friedrich, Monumenta Germaniae Histórica, Bericht f. d. J a h r 1956/57. „Sitzungsber. d. Deutschen Akad. d. Wiss. zu Berlin", Kl. für Philosophie, Geschichte . . . J g . 1958 Nr. 1, Berlin 1958. 3. BALCK, Meklenburger auf auswärtigen Universitäten bis zur Mitte des 17. J h . ' s „Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde . . .", J g . 48 (1883), J g . 49 (1884) und J g . 50 (1885).

4. BIOGRAPHIE, Allgemeine, Deutsche, 55 Bände und Register. Leipzig 1875—1912. (Gekürzt: ADB.) 5. BLASCHKA, Anton (Vortrag, gehalten am 21. Mai 1957 in Krakau, an der Polnischen Akademie der Wissenschaften), Monumentum Thorunense und Die neue Handschrift U des Speculum stultorum. „Wissenschaftl. Zeitschr. d. Univ. Halle", J g . V I I H. 3, S. 715—738, Die Korrespondenz des Enea Silvio Piccolomini im Kodex Gesselen Za 89 und Zensurierte Briefe Papst Pius' I I . „Wiss. Ztf. d. Univ. Halle." J g . V I I H. 4, S. 907—922 und Konrad Gesselens Kopie des Zweiten Thorner Friedensvertrages. „Wiss. Ztf. d. Univ. Halle." J g . V I I I , H. 4/5, S. 675-682.

Zur hansischen 6.

BÖTHFÜHR,

25

Hansische Studien

Universitätsgeschichte

385

H. J., Die Livländer auf auswärtigen Universitäten in vergangenen Jahrhunderten. „Festschrift der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands", Riga 1884. 7. B R A U N , Joseph, Tracht und Attribute der Heiligen in der deutschen Kunst, Stuttgart 1943. 8. C H E V A L I E R , U., Répertoire des sources historiques du moyen-age, Topobibliographie, P. 2 Montbéliard 1894-1899, 1903. 9 . C O L L I J N , Isak, Rostochiana in der Kgl. Univ.-Bibliothek zu Uppsala. „Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock", Bd. 4, H. 4 (1907). 1 0 . C R U L L , Georg, Geistliche Brüderschaften in Rostock. „Rost. Beitr.", Bd. 9 ( 1 9 1 5 ) . 11. E C K H A R D T , Julius, Verzeichnis der Liv- und Estländer, welche in den Jahren 1710 bis 1765 in Rostock studiert haben; „Livland im 18. Jh.", Bd. 1, 8 Beil. II, S. 548 bis 549, Leipzig 1876. 12. E U B E L , Conrad, Hierarchia catholica medii aevi, Lib. I, Monast. 1898. 1 3 . F R A N C K , David, Alt- und Neues Mecklenburg, Lib. I — X I X und Register, Güstrow und Leipzig 1 7 5 3 - 1 7 5 9 . 14. G R Ä B K E , Hans Arnold, Die Wappensteine der Familien Bagghel und Katzow. „Rost. Anzeiger" vom 31. V. 1944. 1 5 . G R A E S S E , J . G . TH., Orbis latinus, Dresden 1 8 6 1 u. Berlin 1 9 0 9 . 16. GRTTNDMANN, Herbert, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, „Berichte über die Verhandig. d. Sächs. Akademie d. Wiss., Phil.-histor. Kl., Bd. 103, H. 2, Berlin 1957. 17. H A M A N N , Manfred, Wismar-Rostock-Stralsund-Greifswald zur Hansezeit, ein Vergleich. Vom Mittelalter zur Neuzeit (Festschrift Sproemberg). „Forschungen z. mittelalt. Gesch.",Bd. 1, Berlin 1956. 18. HELLFELD, Günther, Zur Entstehung und Entwicklung des städtisch-bürgerlichen Schulwesens im deutschen Ostseegebiet zwischen unterer Elbe und unterer Oder bis zum Ende des 16. Jh.'s (Ms), Diss. phil. Rostock 1956. 19. H E R A E U S , Max, Hamburger Studenten auf deutschen und ausländischen Hochschulen in dem Zeiträume von 1290 bis 1650. „Zeitschrift d. Ver.'s f. Hamburgische Gesch.", Bd. 9 (1890), Hamburg 1894. 20. H O F M E I S T E R , Adolph, Heinrich von Ribnitz, der zweite Prior der Karthause Marienehe bei Rostock. „Beitr. Rost." Bd. 3 H. 3 (1902). 21. H O F M E I S T E R , Adolph, St. Olav in Rostock. „Hansische Geschichtsblätter", Jg. 29 (1901). 22. H O Y E R , Siegfried, Die Gründung der Leipziger Universität und Probleme ihrer Frühgeschichte. „Karl-Marx-Universität Leipzig 1409—1959", I. Bd., Leipzig 1959. (Gekürzt: Hoyer, Leipzig.) 23. H U L S H O F , Abraham, Rostock und die nördlichen Niederlande vom 15. bis zum 17. J h . „HGB11." Jg. 1910, Bd. XVI, S. 531-553, Leipzig 1910. 2 4 . J O H A N S E N , Paul, Umrisse und Aufgaben der Hansischen Siedlungsgeschichte und Kartographie. „HGB11." Jg. 73 (1955), S. 1-105. (Gekürzt: Johansen, Hansische Siedlungsgesch.) 2 5 . J O H A N S E N , Paul, Die Kaufmannskirche im Ostseegebiet. „Vorträge und Forschungen", Bd. IV, Lindau/Konstanz 1958. 26. J O O S T , Siegfried, Bruno Claussen. „Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel", 15. Jg. Nr. 76 a, Frankfurt 1959 (S. 1158ff.). 27. K R A B B E , Otto, Die Universität Rostock im 15. und 16. Jh., Rostock 1854. (Gekürzt: Krabbe, Univ. Rost.) 28. K R A U S E , K. E. H., Zur Geschichte der ersten Jahre der Universität Rostock. „Programme der Großen Stadtschule zu Rostock", Rostock 1875. (Gekürzt: Krause, Univ. Rost.)

386

ELISABETH

SCHNITZLER

dem Todtenbuche des S t . Johannis-Klosters vom PredigerOrden zu Rostock. „Programme der Großen Stadtschule zu Rostock", Rostock 1875. 30. K R A U S E , K . E. H., Holsteiner Studenten von 1640 in Rostock. „Zeitschrift d. Gesellschaft f. Schleswig- Holstein- Lauenburgische Gesch.", Kiel 1881, Bd. 11, S. 368-370. 3 1 . K R A U S E , K . E. H . , Pommern in Rostock 1 6 4 0 . „Monatsblätter", herausgeg. von d. Gesellschaft f. Pomm. Gesch. u. Alterthumskunde. Stettin 1 8 8 9 , Jg. 3 , S. 7 7 / 7 8 . 3 2 . K R A U S E , Ludwig, Zur Rostocker Topographie. „Rost. Beitr.", Bd. 1 3 ( 1 9 2 4 ) . 33. K R Ü G E R , Ernst Günther, Die Bevölkerungsverschiebung aus den altdeutschen Städten über Lübeck in die Städte des Ostseegebietes. „Zeitschrift des Vereins f ü r Lübeckische Geschichte und Altertumskunde", XXVII H. 1 und 2 (1933 und 1934). (Gekürzt: Krüger, Bevölkerungsverschiebung.) 34. K U L T U R A T L A S , Deutscher, herausgeg. von G. Lüdtke und L. Mackensen, BerlinLeipzig 1928 -1936, Bd. II. 35. L E H E , Erich von, Hamburgische Quellen für den Elbhandel der Hansezeit und ihre Auswertung. „HGB11.", Jg. 76 (1958). 36. L I S C H , G. C. F., Die Besitzungen und der Verkehr des Erzbisthums Riga in Meklenburg. „Meckl. J b . " Jg. 14 (1849). 37. L I S C H , G. C. F., Über die Brüder vom gemeinsamen Leben zu Rostock, „Meckl. J b . " Jg. 16 (1851). 38. L O R E N Z , Adolf Friedrich, Die Universitätsgebäude zu Rostock und ihre Geschichte, Rostock 1919. (Gekürzt: Lorenz, Universitätsgebäude.) 39. M E L T Z , Carl, Die Drucke der Michaelisbrüder zu Rostock 1476—1530. „Wissenschaftl. Ztf. d. Univ. Rost." 5 Jg., Sonderheft, Rostock 1955/56. (Gekürzt: Meltz, Drucke.) 4 0 . M Ö N C K E B E B O , C., Hamburgs Antheil an dem Versuch zur Wiederherstellung der Rostocker Universität im Jahre 1 5 4 0 . " Zeitschrift d. Ver.'sf. hamburgische Gesch.", Bd. 2, Hamburg 1847. 41. N E U M A N N , Käthe, Das geistige und religiöse Leben Lübecks am Ausgang des Mittelalters." Zeitschrift d. Ver.'s f. Lübeckische Gesch. u. Altertumskunde", Bd. X X I H. 1 (1921) und Bd. X X I I H. 1 (1923). 4 2 . O E S T E R L E Y , Hermann, Historisch-geographisches Wörterbuch des deutschen Mittelalters, Gotha 1883. 43. P E R L B A C H , Max, St. Olavsgilden in Preußen; „HGBI1", Jg. 29 (1901). 4 4 . P E T R Y , Ludwig, Die Reformation als Epoche der deutschen Universitätsgeschichte, Eine Zwischenbilanz. „Festgabe Lortz", Baden-Baden 1957. 45. P E T R Y , Ludwig, Deutsche Forschungen nach dem Zweiten Weltkrieg zur Geschichte der Universitäten. „Vierteljahrschrift f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch.", 46. Bd., H. 2. Wiesbaden 1959. (Gekürzt, Petry, Forschungen, Universitäten.) 46. R E I N C K E , Heinrich, Kaiser Karl IV. und die deutsche Hanse. „Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins", Lübeck 1931, Bl. X X I I . (Gekürzt: Reincke, Kaiser Karl IV.) (Gekürzt: Pf. Bl. d. HGV.'s.) 4 7 . R E I N C K E , Heinrich, Albert Krantz als Geschichtsforscher und Geschichtsschreiber. „Festschrift von Melle", Hamburg 1933. 48. R E I N C K E , Heinrich, Die Deutschlandfahrt der Flander während der hansischen Frühzeit. „HGB11." Jg. 67/68, (1942/43). 49. R E I N C K E , Heinrich, Kölner, Soester, Lübecker und Hamburger Recht in ihren gegenseitigen Beziehungen. „HGB11.", Jg. 69 (1950) und Jg. 75 (1957). 50. R I T T E R ' S Geographisch-statistisches Lexikon, 2 Bände, Leipzig 1883. 51. R Ö R I G , Fritz, Reichssymbolik auf Gotland. „HGB11.", Jg. 64 (1940). 52. R O L L I U S , Reinhard, Merita Westphalorum in Academ. Rostoch. delineata, Rostook 1707. 2 9 . KRAUSE, K . E . H . , AUS

Zur hansischen 53.

54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64.

65.

66.

67. 68. 69. 70.

72.

25»

387

S C H I E F N E B , A . , Über die Beziehungen Livlands zur Universität Rostock. „Das Inland, eine Wochenschrift f ü r Liv-, Est- u n d Kurländische Geschichte" Nr. 44, Dorpat 1855. SCHLIE, Friedrich, Die Kunst- u n d Geschichtsdenkmäler des Großherzogthums Mecklenburg-Schwerin, Schwerin 1896, Bd. I. (Gekürzt: Schlie, Kunst, Meckl.) SCHMALTZ, Karl, Kirchengeschichte Mecklenburgs, Bd. I, Schwerin 1935. SCHMIDT, Roderich, Die Anfänge der Universität Greifswald. „Festschrift zur 500Jahrfeier der Universität Greifswald", Greifswald 1956. (Gekürzt: Schmidt, Greifswald.) SCHNITZLEB, Elisabeth, Das geistige und religiöse Leben Rostocks am Ausgang des Mittelalters. „Historische Studien", H . 360, Berlin 1940. (Gekürzt: Schnitzler, Rostock, Spätmittelalter.) SCHNITZLEB, Elisabeth, Die Inauguration der Universität Rostock im J a h r e 1419. „Wissenschaftl. Zeitschrift der Universität Rostock", J g . 5 (Sonderheft), Rostock 1955/56. (Gekürzt: Schnitzler, Inauguration.) SCHNITZLEB, Elisabeth, Die Gründung der Universität Rostock. „Wissenschaftl. Zeitschrift der Universität Rostock", Jg. 7, Rostock 1957/58. (Gekürzt: Schnitzler, Gründung Univ. Rost.) SCHRÖDER, Dietrich, Papistisches Mecklenburg, Bd. I I , Wismar 1741. SNELLER, Z. W., Deventer, die Stadt der Jahrmärkte. „Pf. Bl. d. H G V . ' s " , Bl. X X V (1936). SPROEMBEBG, Heinrich, Die H a n s e in europäischer Sicht. Festschrift f. Prof. Enklaar, Groningen 1955. (Gekürzt: Sproemberg, Hanseforschung.) STAUDE, O., Dorpat und Rostock. „Rektoratsreden", Rostock 1918. STRUCK, Rudolf, Die lübeckische Familie Segeberg und ihre Beziehungen zu den Universitäten Rostock und Greifswald. „Zeitschrift des Vereins f ü r Lübeckische Geschichte und Altertumskunde", Bd. X X , Lübeck 1919/20. (Gekürzt: Struck, Lübeck, Rostock, Greifswald.) VORBERG, Axel, Beiträge zur Geschichte des Dominikanerordens in Mecklenburg, Das Johanniskloster in Rostock. „Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens", H. 5, Leipzig 1911. (Gekürzt: Vorberg, Johanniskloster.) W E S T E R M A N N S A T L A S zur Weltgeschichte, Teil I I : Mittelalter, Braunschweig 1 9 5 6 . WINTERFELD, Luise von, Gründung, Markt und Ratsbildung deutscher F e r n handelsstädte, „Veröffentlichungen d. Prov.-Instituts f. westf. Landes- u n d Volkskunde", R . I, H. 7, Münster 1955. GROETEKEN, Franziskaner in Riga. „Beiträge z. Gesch. der Sachs. FranziskanerProvinz v. Hl. Kreuze", hrsg. v. P. Patric. Schlager, Bd. I I I , Düsseldorf 1910. H O Y E B , S I E G F R I E D , Besprechung. I n : „ Z f G " , Bd. VI, H . 5, 1958. G R Ä B K E , H A N S A R N O L D , Rostock. Ein altes Stadtbild. „Hansische Geschichtsb l ä t t e r " 67-/68. Jg., S.

71.

Universitätsgeschichte

260—270.

Die H e r k u n f t der Leipziger Studenten von 1 4 0 9 — 1 4 3 0 , phil. Diss. (vervielf.), Leipzig 1935. S T E I N M E T Z M A X , Bericht über den i n t e m a t . Historiker-Kongreß in Stockholm, 1960, betr. Universitätsgeschichte. „Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft", Bd. V I I I , H . 8 , S. 1 8 9 2 — 1 8 8 6 . (Dort auch weitere Literatur.) KECK WOLFGANG,

NOVGORODS BEZIEHUNGEN ZU URAL U N D WESTSIBIRIEN IN DER VORHANSEZEIT* von Bruno

Widera

Die russischen Chroniken, besonders die Novgoroder, enthalten recht zahlreiche Mitteilungen über Verbindungen Novgorods zum Uralgebiet und zu Westsibirien im 12. Jh. Es handelt, sich um Nachrichten über Expeditionen aus Novgorod in das sogenannte Zavoloce, in das Pecora- und Jugraland und zu den Samojeden.1 Das ist ein Raum, der sich von Onega und Suchona im Westen bis zum Ob und Irtisch im Osten erstreckt. Neuerdings werden diese Nachrichten der russischen Chroniken auch von einer bei den Novgoroder Ausgrabungen jüngst gefundenen Birkenrindeurkunde ergänzt (Nr. 69, die eine Mitteilung der 4. Novgoroder Chronik aus dem Jahre 1148 über in der Wolga eingefrorene Schiffe bestätigt.2 Der deutsche Leser hat von diesen Verbindungen Novgorods zu Ural und Westsibirien zunächst Kenntnis bekommen von Sigmund Herbertstein mit seiner 1559 in deutscher Sprache erschienenen Moscovia3, im 18. Jh. durch Gerhard Friedrich Müllers „Sammlung Russischer Geschichte"4 und zu Beginn des 19. Jh. durch die Arbeiten von August Ludwig *

Nach dem Manuskript eines Kurzvortrages auf der hansischen Arbeitstagung in Berlin 1. bis 3. April 1959. 1

ÜOBecTb BpeMeHHttx JICT (Erzählung von den vergangenen Jahren) I, Moskau 1950, S. 196; IlepBafl HoBropoflCKan jieTormcB (1. Novgoroder Chronik) Moskau 1950, S. 18, 33, 38, 39, 40, 41, 43, 59; HnaTteBCKan JieTOiracb (Hypations-Chronik) = üoJiHoe coßpamie pyccKHX JieTomiceü (Vollständige Sammlung der russischen Chroniken) Bd. 2, Sankpeterburg 1845, S. 5; naTepHK KHeBCKaro-neiepcKaro MOHacTHpn (Paterik des Kiever Petschora-Klosters) in: üaMHTHHKH cnaBHHO-pyccKOÄ nHCiMeHHOCTH (Denkmäler des slawisch-russischen Schrifttums) Bd. 2, Sanktpeterburg 1911, S. 91.

J

ApqjixoBCKHÜ A . B., HoBropoflcmie rpaMoxu Ha öepecTe, H3 pacKonox, 1952 r (ARZICHOWSKIJ, A. W . , Nowgoroder Birkenrindeurkunden aus den Ausgrabungen des Jahres 1952), Moskau 1954, S. 71-73.

3

Moscovia, der Hauptstadt in Reissen, durch Herrn Sigmunden den Freyherrn zu Herberstein, Wienn 1557.

4

MÜLLER, GERHARD FRIEDRICH, Sammlung Ruußischer Geschichte. Bd. 3, Sanktpeterburg 1758, S. 145, 484; Bd. 5, Sanktpeterburg 1760, S. 418; Bd. 6, Sanktpeterburg 1761, S. 199-202, 206, 207, 218, 233, 269, 393.

Novgorods Beziehungen zu Ural und, Westsibirien

389

Schlözer 5 und später durch Philipp Strahls Geschichte des russischen Staates. 6 Aus den Nachrichten der russischen Chroniken erfahren wir eindeutig, daß die Novgoroder an der Pecora, bei den Samojeden gewesen sind und über den „großen Fels", das ist der Ural, hinübergegangen sind, also sich jenseits des Urals, demnach in Westsibirien, befunden haben. Das in den Nachrichten enthaltene Tatsachenmaterial zu erschließen, ist wichtig, da uns daraus auch die vorhansischen und frühhansischen Beziehungen Novgorods deutlicher werden, denn außer im ökonomischen und technischen Leben Novgorods selbst wurzeln die Beziehungen Novgorod-Hanse in dessen Verbindungen zu seinem nördlichen und östlichen Hinterland. J e tiefer und breiter diese Wurzeln freigelegt werden, um so klarer und deutlicher erkennen wir die Beziehungen Novgorods zur Hanse. Man muß Paul Johansen zustimmen, wenn er meint, daß nur aus der umfassenden Geschichte Novgorods die Hanse in vollem Umfang verständlich wird. 7 Die bisherige Geschichtsliteratur über Novgorod ist veraltet. Die Geschichte des Novgoroder Hinterlandes ist überhaupt noch nicht geschrieben. Darin sind sich deutsche und sowjetische Novgorod- und Hanseforscher einig (Johansen, Mongajt, Fedorov, Nasonov, Lascuk). 8 Über die Geschichte Novgorods, über dessen soziale und ökonomische Zustände und technischen Errungenschaften sowie über seine Verbindungen mit dem riesigen Hinterland aus der Zeit vom 10. bis zum Beginn des 13. Jh. unterrichtet uns die sowjetische archäologische Forschung mit neuem wertvollen Material. 9 Dieses Material konkretisiert die zwar häufigen, aber im allgemeinen doch wenig aussagenden erwähnten Mitteilungen der alten Chroniken. Für Novgorod selbst ist es schon erheblich reichlicher, für sein weites Hinterland dagegen ist erst mit seiner Hebung, Sammlung und Auswertung begonnen. 5 6 7 8

9

v. SCHLÖZER, AUGUST LUDWIG, Nestor, Russische Annalen in ihrer Slavonischen Grundsprache verglichen, übersetzt und erklärt. T. 2, Göttingen 1802, S. 48—52. STRAHL, PHILIPP, Geschichte des russischen Staates. Bd. 1, Hamburg 1832, S. 41—43. JOHANSEN, PAUL, Novgorod und die Hanse. In: Städtewesen und Bürgertum als geschichtliche Kräfte (Rörig-Gedenkschrift). Lübeck 1953, S. 122. Ebenda, S. 122; MoHraöT A., e«epoB I \ , Bonpocu HCTOPHH Benmtaro HOBTOpo«a (MONGAJT, A., FEDEROW, G., Fragen der Geschichte Groß-Nowgorods). In: Bonpocu HCTopHH („Fragen der Geschichte") H. 9, 1950, S. 105, 119; Hac0H0B, A. H., „PyccnaH seMm" H o6paaoBaiine TeppHTopHH «peBHepyccKoro rocyXapcTBa (NASONOW, A. N., „Das russische Land" und die Bildung des Territoriums des altrussischen Staates). Moskau 1951, S. 15; JlaiqyK JI.H ., BTHHHecKan HCTopHH neiepcKoro itpaa (LASCHTSCHUK, L. N., Die ethische Geschichte des Petschera-Landes). In: KpaTKiie coo6meHHH — HHCTHTyT 3THorpa(f>HH (Kurze Mitteilungen - Institut für Ethnografie). H. 25, S. 82. 1956. TpyflH HOBropoACKoii apxeoJioriMecKOit BKcneffimiiH (Arbeiten der Nowgoroder archäologischen Expedition) Bd. 1, Moskau 1956, Bd. 2, Moskau 1959; STÖKL, GÜNTHER, Russische Geschichte von der Entstehung des Kiewer Reiches bis zum Ende der Wirren. In: „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas", Bd. 6, S. 230, 1958 (Verfasser stellt fest, daß die Ausgrabungen in Nowgorod „sensationelle Ergebnisse" bringen).

390

BRUNO W I D E R A

Das Hauptaugenmerk der sowjetischen Forschung richtet sich auf den Raum der oberen Pecora, das Flußgebiet der Vycegda Kama, auf den mittleren Ural und unteren Ob. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, daß die Uralforschung, die schon seit Jahrzehnten beträchtliches Material angehäuft hat, das leider aber unveröffentlicht ist, nach einiger Unterbrechung wieder in Gang gekommen ist. 10 Für die Verbindungen Novgorods zu seinem Hinterland im Ural und Westsibirien hat die sowjetische archäologische Forschung der — mir nur teilweise zugänglichen — sowjetischen Literatur zufolge folgendes gegenständliche Material herangetragen: a) für das mittlere und südliche Uralvorland: Im Rayon Birsk an der Belaja (linker Nebenfluß der Wolga) wurden in Schichten des 10. bis 13. Jh. eine Silbergrivna und zwei silberne Barren sowie ein Teil eines Kettenhemdes gefunden. Auf dem gesamten Territorium Baschkiriens wurden 33 Funde des 10. bis 13. Jh. zerstreut voneinander gemacht. Diese Dinge können über Wolga-Bulgarien her gekommen sein. Es ist in dem Literaturbericht nicht angegeben, ob außer dem Material von Birsk sich unter diesen 33 Funden auch Novgoroder Material befindet.11 Da es sich um eine Materialsammlung handelt, die in Ufa veröffentlicht wurde und in Berliner Bibliotheken nicht zu haben ist, habe ich sie nicht einsehen können. An der oberen Kama wurde wiederholt altrussisches Material entdeckt. Im Rayon Cerdynsk an der oberen Kama wurden neuerdings zwei silberne Schar nierarmbänder gefunden, die entweder altrussische Juwelierarbeit sind oder aus Wolga-Bulgarien stammen, im letzteren Fall wären es aber Nachahmungen altrussischer Juwelierkunst.12 b) für das Gebiet des unteren Ob, an der Sosva, einem linken Nebenfluß des unteren Ob: In Schichten des 11. bis 13. Jh. wurde auf dem Burgwall Tan-Varup-Ekva folgendes Novgoroder Material gehoben: Keramik, Ringe eines eisernen Kettenhemdes, eine eiserne Axt, zahlreiche granulierte Schläfenringe. Lunulen und Ringe sind ebenfalls aus dem Westen der Rus 13 , es ist aber nicht sicher, 10

11

12

13

IlepBoe ypajicitoe apxeonorHHecKoe coßemaHHe npn MOJIOTOBCKOM YHHBEPCHTETE (1. Archäologische Beratung für den Ural bei der Universität Molotow). In: BecTHHK HpeBHeit ycropHH („Bote für alte Geschichte") H. 2, 1948. • CMHPHOB A . I L , 9noxa X — X I I I B B . ( S M I R N O W , A . P., Die Epoche vom 1 0 . — 1 3 . Jh.). In: KynbTypa npeBHH xnJieMeH IIpHypaJiBH h sanaÄHOit CjiÖHpuii (Die Kultur der ältesten Stämme im Vorland des Urals und Westsibiriens). Moskau 1957, S. 73. FeHiiHr, B . Cepe6pHHHlt ßpaaneT H3 BepHero üpiiKaMtH (HENING, W. F., Ein silbernes Armband aus dem oberen Kamagebiet). In: KpaTKHe cooßmemm HHCTHT y T a HCTopHH M a T e p H a n b H o i i KyjiBTypu (Kurze Mitteüungen des Instituts für Geschichte der materiellen Kultur) H. 62, 1956, S. 159-162. HepHei;eB B. H., HHHtHiie IIpHoßbe B 1 THcmneTHH Hanieö Ö P H ( T S C H E R N E Z E W , W. N, Das Gebiet des unteren Ob im 1. Jahrtausend u. Z.). In: KyjiLTypa jjpeBHiix niteMeH IIpHypaJiH H sanaflHoö CH6HPHH (Die Kultur der ältesten Stämme im Vorland des Urals und Westsibiriens). Moskau 1957, S. 213, 214, 230, 242, 243, 245.

Novgorods Beziehungen zu Ural und Westsibirien

391

ob sie Novgoroder Arbeit sind. Das gleiche ist von Anhängern aus Bronze mit Granulationen und Filigran zu sagen die an der Kama und VySegda gefunden wurden.14 Sehr bedeutsam an den Funden ist, daß nicht nur eiserne Werkzeuge, wie Äxte, sondern auch militärische Ausrüstungen, wie eiserne Kettenhemden und vor allem wertvoller Schmuck, in diese entfernten Ostgebiete gelangt sind. Den sowjetischen Untersuchungen zufolge ist das eiserne Kettenhemd ein typisch russisches militärisches Ausrüstungsstück, das schon im 10. Jh. auf tritt.15 Teile von Kettenhemden, besonders Gefüge von Kettenringen, wurden in verschiedenen Teilen der Rus gefanden, in Novgorod bei Ausgrabungen im Jahre 1938 und 1951 in Schichten des 12. Jh.16 Die Funde von Kettenhemdresten im östlichen Novgoroder Hinterland zeigen, daß die russischen Expeditionsteilnehmer nicht nur den klimatischen Bedingungen entsprechend winterfest gekleidet waren, sondern sich auch militärisch ausrüsteten. Den Funden zufolge sind die Novgoroder Pelzjäger in Erwartung von bewaffnetem Widerstand der Einheimischen im Pecora- und Jugra-Land in Ritterrüstung erschienen. Damit bestätigen diese Funde auch die Mitteilungen der 1. Novgoroder Chronik, daß die Eingeborenen den Eindringlingen hartnäckigen bewaffneten Widerstand leisteten.17 Die Funde von Schmuckstücken hingegen sind Hinweise auf eine weitgehende Klassenausbildung in der Gesellschaft der Eingeborenen des unteren Obraumes. Bestimmten Personen, die bereits an der Spitze einer gesellschaftlich sehr differenzierten Gemeinschaft standen und erhöhte Lebensansprüche stellten, dürften diese gefundenen wertvollen Schmuckstücke als Geschenke oder als Äquivalente für geliefertes Pelzwerk gegeben worden sein. Bei der Untersuchung der Verbindungen Novgorods mit dem Ural und mit Westsibirien muß die Verbindung Novgorods zu Vladimir-Suzdal und zu Wolga-Bulgarien, besonders zu dessen Hauptstadt Bolgar, in Betracht gezogen werden. Wolga-Bulgarien und Bolgar haben die Novgoroder aus zwei Gründen interessiert. Hier befanden sich sowohl ein landwirtschaftliches Versorgungszentrum als auch eine Pelzmetropole.18 Um die Mitte des 13. Jh. hat 14

HepHeiieB B. H . (TSCHERNEZEW, W . N . ) , a. a. O., S. 135.

KOJIIHH B , A . , H e p H a « MeTaJuiyprn« H MeTaJiJiooßpaCoTKa B «peBHefi P y c a (KOLTSCHIN, B . A . , D a s Eisenhüttenwesen und die Metallbearbeitung in der alten Rus)» Moskau 1953, S. 150; MeABeseB A . 3>., OpyjKHe HoBropo.ua Be-rmicaro (MEDWEDEW> A . F., Das Waffenwesen von Groß-Nowgorod). I n : T p y f f u HOBOPORCKOÖ apxeoJioriiqecKOÖ aKceAHi^HH (Arbeiten der Nowgoroder archäologischen Expedition). B d . 2, Moskau 1959, S. 173-175. L « MEDWEDEW, A . F., a. a. 0., S. 173.

15

17

IlepBaH HoBropoßCKafl JieTOiiiiCL (1. Nowgoroder Chronik) Moskau 1950, S- 38, 41.

18

CMHPHOB A . P . , BoJiHtcKHe BoJirapti (SMIRNOW, A . R., Die Solga-Bulgaren). I n : TpyflH rocyaapcTBeHHOro iicTopiiiecKoro My3eH (Arbeiten des staatlichen histo rischen Museums). Bd. 19, Moskau 1951, S. 3.

392

BRUNO WIDERA

sich hier sogar eine russische Kolonie niedergelassen, deren Reste in Gestalt von Wohnbauten, Glasperlen und schiefernen Spinnwirteln bei Ausgrabungen entdeckt •wurden. Die Wohnstätten sind denen von Novgorod sehr ähnlich.19 Wenn auch die schiefernen Spinnwirteln in Ovruc bei Kiev hergestellt -wurden, so können sie durchaus von Novgorod hierher gekommen sein, denn nachgewiesen ist die Einfuhr derselben aus Ovruc nach Novgorod. Es wurden bei den Ausgrabungen ungefähr 1500 Stück gefunden,20 und eine Birkenrindeurkunde (Nr. 105)21 bestätigt die Novgoroder Einfuhr auch. Novgöroder Material, nämlich ein Schläfenring, wurde in einem Grab des der armenischen Kolonie von Bolgar 22 gehörenden armenischen Friedhofs gefunden. In Siva wurden gläserne Armbänder gefunden, die denen aus Novgorod sehr ähnlich sind.23 Auf die Verbindungen von Novgorod zu Bolgar weist auch ein silberner Knotenknopf hin, dessen Geflecht auf Novgoroder Silberperlen zu sehen ist. 24 All diese Funde sind nicht nur Belege für die Verbindung von Novgorod zu Wolga-Bulgarien, sondern auch Denkmäler für das Erscheinen der Russen an der mittleren Wolga, Kama, Vycegda und Wjatka im 12. Jh. Wenn der Zustrom von gegenständlichem Material nach Wolga-Bulgarien aus anderen Teilen der Rus, so aus Kiev, Cernigov, Rjazan, Vladimir aus den Funden erwiesen ist, so ist der aus Novgorod ebenfalls gegeben. Besonders rege Verbindungen zwischen Novgorod und Wolga-Bulgarien bestanden in der Ära des Großfürsten von Vladimir-Suzdal, Vsevolod bolsoe gnezdo (1176—1212), der Novgorod seiner Botmäßigkeit unterworfen hatte. Ist mit gegenständlichem Material vom Osten her, so gering es zur Zeit auch erscheinen mag, die Verbindung Novgorods zu seinem östlichen Hinterland belegt und bekräftigt, und ergänzt es die diesbezüglichen schriftlichen Angaben der Chroniken, so bestehen auch gewisse Aussichten, vom Westen her, nämlich von Novgorod selbst, mit archäologischem Material die Verbindungen zu beweisen. Außer der schon erwähnten Birkenrindeurkunde Nr. 54 wurden 19

20

21

22

XjießHHKOBa T. A., JlpeBHee pyccKoe noceneime B BoJirapex (CHLEBNIKOWA, T. A., Alte russische Siedelung in Bolgar). In: KpaTKHe cooÖmeHHH HHCTHTyTa HCTopHH MaTepnaJibHOit KyjibTypH (Kurze Mitteilungen des Instituts für Geschichte der materiellen Kultur). H. 62, S. 141-147, 1956. KOJIHHH, B . A . , XPOHOJIORWH HOBROPORCKHX HpeBHOCTeft (KOLTSCHIN, B . A., Die Chronologie der Nowgoroder Altertümer). In: CoBeTCKan ApxeonorHH (Sowjet-Archäologie). H. 2, S. 111, 1958. ApiiHxoBcKHil A. B., BopKOBCKHit B. H., HoBropoflcmie praMoni Ha 6epecTe-H3 pacKonoK 1953/54 ro^a (ARZICHOWSKIJ, A. W., BORKOWSKIJ, W. I., Nowgoroder Birkenrindeurkunden aus den Ausgrabungen von 1953/54). Moskau 1958, S. 34, 35; ApiiHXOBCKHft A. B., Tpyipj HOBropoflCKofl apxeoJiorHiecKoö aKcne^HiiHH (ARZICHOWSKIJ, A. W., Arbeiten der Nowgoroder archäologischen Expedition). Bd. 1, Moskau 1956, S. 29. CMHPHOB A . P . , BOJMTCKHE BoJiraptr ( S M I R N O W , A . R . , Die Wolga-Bulgaren), S . 1 9 0 .

23

SMIRNOW, A . R . , a . a . O . , S . 2 6 3 .

24

Ebenda, S. 183.

Novgorods Beziehungen zu Ural und

393

Westsibirien

bereits Einfuhrmaterialien aus dem Pecora-Kama-Gebiet gehoben. Bis auf Holzfasern lassen sie sich jedoch nicht genau bestimmen.25 Für die Verbindungen Novgorods zu seinem nördlichen und östlichen Hinterland in der vor- und frühhansischen Periode ist auch die Erforschung der Novgoroder Verkehrsmittel von großer Bedeutung. Zur weiteren Aufhellung dieses Problems haben die neuesten archäologischen Novgorodforschungen ebenfalls einiges Bedeutsame erbracht. Mit dem gehobenen Material ist nicht nur der Landverkehr bezeugt, es lassen sich daraus auch die Argumente für Novgorods Seefahrt erhärten. Novgorods Landverkehr ist mit Funden von Ski und Schlittenkufen illustriert. Unter den Schlittenkufen befanden sich solche von 3 Metern Länge, die nur bei ganz großen Lastschlitten Verwendung finden konnten. Bei den Ski handelt es sich um zwei Exemplare, ein kurzes, gefunden in Schichten des 11./12. Jh. und ein langes von 1,92 m Länge in Schichten der ersten Hälfte des 13. Jh.26 Die Skis gehörten zur Ausrüstung der Jäger, die damit die Schneefelder der östlichen Gebiete durchquerten. Obwohl die altrussische Seefahrt in schriftlichen Quellen bezeugt ist (in der Ostsee für das 12. Jh. in der 1. Novgoroder Chronik und am Weißen Meer im Slovo o pogibeli Rusi, sowie in der Urkunde des Fürsten Svjatoslav Olgovic von 113727), wird sie von einer Reihe von Historikern bestritten. Mir scheint die Frage über das Ausmaß der Seefahrt Novgorods in der Hansezeit von untergeordneter Bedeutung zu sein, da Novgorods Aufgabe in der Hansezeit nicht darin bestand, Seefahrt zu treiben, sondern die Güter aus einem nördlichen und östlichen Hinterland an die Küste der Ostsee zu bringen. Die Aufgabe konnte im Landverkehr und mit Flußschiffahrt ausreichend bewältigt werden. Immerhin verdienen die Arbeiten der sowjetischen Historiker zur frühen Seefahrt Novgorods28 Beachtung, und die von ihnen vorgebrachten Argumente sind nicht von der Hand zu weisen. An archäologischem Material 25

26

27

Api^HXOBCKHÄ, A . B . ,

Tpyau

HOBROPOFLCKOÍT apxeoJioriiHecKoii sKcnenuunn

(ARZI-

CHOWSKIJ, A . W., Arbeiten der Nowgoroder archäologischen Expedition). T . I , Moskau 1956, S. 26. ARZICHOWSKIJ, A . W . , a . a . O . , S. 29; OpjioB C. H., Hoßan Haxo«na Kopaßjieit X I I B. Hoßropofle (ORLOW, S. N., Neuer Schiffsfund des 12. Jh. in N o w gorod). I n : „CoBeTCKaa ApxeonorHH" (Sowjet-Archäologie"). H . 4, S. 207—209,1958. IlepBaa HoBropoflCKan JieTonncb (1. Nowgoroder Chronik) S. 22, 26, 39; JIonapeB X . , CJIOBO o pornßejiH pyccKHH 3eMJiii (LOPAREW, CH., Das W o r t vom Untergang des russischen Landes). I n : üaMHTHHKH BpeBHeft nHCBMeHHOCTH (Denkmäler des ältesten S c h r i f t t u m s ) B d . 84, S t . - P e t e r b u r g , 1892, S. 2 0 ; P H I L I P P , W E R N E R , D a s V e r h ä l t n i s

des Slovo o pogibeli russkoj zemli zum Zitie Aleksandra Nevskago. I n : Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Bd. 5, S. 8, 1957. 29

3y6oß

H.

H . , OTenecTBeHHHe

MopenJiaBaTejiH-HccjieflOBaTejm

Mopeit

h

OKeaHOB

(SUBOW, N . N., Die vaterländischen Seefahrer und Forscher der Meere und Ozeane). M o s k a u 1954;

BAKAJIEB

B. I\,

Ü 3 HCTopHH p y c c K a r o

MoperuiaBamin

(BAKALEW,

W . G., Aus der Geschichte de russischen Seefahrt). I n : TpyflM no HCTopHH TexHHKH (Arbeiten zur Geschichte der Technik.) Bd. 11, Moskau 1954.

394

BRUNO WIDEBA

wurden bei den Novgoroder Ausgrabungen gehoben: zahlreiche Ruder, Spante und eine Schiffsnase. Arcichovskij, der Leiter der Novgoroder Ausgrabungen meint, dem Fundort am Volchov zufolge müsse sich dort eine Werft befunden haben.29 Wenn dieses Fundmaterial nicht ausreicht, um als Beleg für die Novgoroder Seefahrt an der Küste des Weißen und Nordmeeres an Novaja Zemlja vorbei bis in die Ob- und Jenessejmündung gelten zu können — eine solche glaubt Bakalev feststellen zu können30 —, so dürfte es in jedem Fall als sehr wertvolles Zeugnis für eine stark ausgebildete Flußschiffahrt Novgorods zu werten sein. Bekanntlich hatten die Novgoroder sehr stabile aufgebürdete, auch gegen Pfeilbeschuß Schutz bietende Lastenkähne, die sogenannten Nasady, von denen die russischen Chroniken besonders im 12. Jh. häufig berichten.31 Zweck der Novgoroder Expeditionen in das entfernte Hinterland, im Ostenalso nach dem Ural und Westsibirien, waren die Beute an wertvollem Pelzwerk und die Gewinnung von Edel- und Buntmetallen. Von Edelmetallen interessierte das Silber32, von Buntmetallen Kupfer, Blei und Zinn. Die Heranschaffung der im Ural befindlichen hochwertigen Eisenerze war zu jener Zeit noch nicht aktuell, da in Novgorod und in dessen Umgebung die leicht abbaubaren Raseneisenerze reichlich zur Verfügung standen. An Pelzwerk waren hier der hochgeschätzte Schwarzfuchs, das Hermelin und der Zobel zu finden.33 In den Rahmen der Untersuchungen über die Verbindungen Novgorods zu seinem östlichen Hinterland muß auch das Problem des Äquivalents für die von dort erworbenen Güter einbezogen werden. Es ist in der Forschung bekannt, daß die Novgoroder für das teure Pelzwerk den Eingeborenen mit metallenen, meistens eisernen Werkzeugen und Waffen zahlten.34 Aber es herrscht doch die Vorstellung vor, daß handwerkliche Erzeugnisse von den Novgorodern aus dem Westen bezogen wurden. Eine entwickelte handwerkliche Eigenerzeugung in der alten Rus' wird für diese Zeit bestritten. Auf Grund der jüngsten sowjetischen archäologischen Untersuchungen beginnt sich diese Auffassung zu ändern.35 Die russischen und sowjetischen Untersuchungen über das Handwerk in der alten Rus' haben vielmehr ergeben, daß gerade in der behandelten Periode 29

ApiiHXOBCKHü A. E., Hcmropofl no apxeoJioraqecKHM ÄaHHUM (ARZICHOWSKIJ, A. W., Nowgorod nach archäologischen Unterlagen). In: BecTHHK AnajieMHH HayK CCCP (Bote der Akademie der Wissenschaften der UdSSR) H. 3, S. 53, 1948.

30

BAKALEW, W . G . , a . a . O . , S . 1 2 .

31

32 33

34 35

IlepBan HoßroposcKan jieTonHCb S. 65, 73; CJIOBO O nojiny HropeBe (Igorlied), Moskau 1950, S. 27. IlepBaH HoBropoflCKan jieToniict, S. 40. YIIIOB FL. C . A . ,

3aMeTKH o «peBHHx p y c c K H X R e m > r a x (USCHOW, D . S . A . ,

Bemer-

kungen über das älteste russische Geld). In: .UpeBHOCTH (Altertümer). Bd. 2, 3, Moskau 1885, S. 9 3 - 9 6 . ÜOBecTb BpeMeHHbix jieT, Bd. 1, S. 40. STÖKL, G . , a . a . O . , S . 2 3 4 .

NovgorodBeziehungen

zu Ural und,

Westsibirien

395

des Mittelalters das Handwerk in der alten Rus' sehr hoch entwickelt war und eine sehr beachtliche Technologie ausgebildet worden ist. Handwerkliche Erzeugnisse, darunter Präzisionsinstrumente wie kupferne und eiserne Schlösser wurden auch ins Ausland ausgeführt. Aus einer Fülle von kleineren und größeren sowjetischen Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre kann ich nur hervorheben: Rybakov, Das Handwerk in der alten Rus' — 1948; KolÖin, Eisenverhüttung und Metallbearbeitung der alten Rus' — 1953; Bezborodov, Die Glasherstellung der alten Rus' — 1956. Uns interessiert hier die Frage, ob in Novgorod eine Eisenerzeugung und Eisenverarbeitung in der hier interesierenden Zeit vorgelegen haben oder nicht. Diese Frage ist in vollem Umfang zu bejahen. Wie die Ausgrabungen von Rajki bei Berdycev beweisen, stand die Eisenerzeugung in der Rus' im Übergang vom Stückofen, in welchem das Eisen noch im zähen Zustand gewonnen wird, zum Hochofen, der Flußeisen liefert. 36 Das Gebiet von Novgorod war mit seinen reichen Raseneisenerzen eines der ausgedehntesten Reviere für Eisenerzeugung der alten Rus'. Seit siebzig Jahren werden bei Ausgrabungen Eisenerzeugnisse freigelegt. Besondere Funde kamen zum Vorschein bei den seit 1945 betriebenen Ausgrabungen in Novgorod selbst. Außer Werkzeugen und Waffen wurden 6 lange Feuerzangen 37 (eine von 82 cm Länge) und ein großer Steinhammer geborgen. Wenn auch bisher keine Ofenanlage entdeckt wurde, so sind die erwähnten Werkzeuge doch Belege für eine örtliche Eisenverhüttung. Die langen Greifzangen dienten zur Herausnahme der Eisenluppen aus dem Schmelzofen und der Steinhammer zur Zerkleinerung der Eisenerze vor deren Beschickung in den Schmelzofen. Einige Schmiedewerkstätten belegen die Bearbeitung des aus dem Erz gewonnenen Roheisens zu Schmiedeeisen und dessen Weiterverarbeitung zu Gebrauchsgegenständen. Wie die analytisch-technologischen Untersuchungen, die Kolcin an den Fertigungserzeugnissen anstellte, beweisen, wurden auf die geschmiedeten Schneid- und Hiebwerkzeuge und Waffen aus Stahl gefertigte Schneiden aufgeschweißt. Die Stahlschneiden wurden durch termische Härtung erzielt. 38 Es handelt sich um eine ungewöhnliche Eisenverarbeitung, so daß diese Novgoroder Eisenfunde und deren technologische Analysen auch für den Eisenhüttenmann von großem Interesse sind. Die Geschichte der Eisenverhüttung und Eisenverarbeitung ist dadurch um ein wertvolles Tatsachenmaterial bereichert; die Geschichtskommission des Vereins der deutschen Eisenhüttenleute, Düsseldorf, ist an diesem Material sehr interessiert. Dieses Tatsachenmaterial zeigt, daß die Novgoroder Pelzjägerexpeditionen zu den Eingeborenen des Zavoloce, also des Landes jenseits Onega und Suchona bis in das Gebiet des unteren Ob, Novgoroder Eisenerzeugnisse handelten. Soweit diese Ein36

KOLTSCHIN, B . A . , E i s e n h ü t t e n w e s e n , S. 4 4 .

37

Arbeiten der Nowgoroder archäologischen Expedition, Bd. I, S. 24. KOLTSCHIN, B. A., a. a. O., derselbe, in: Arbeiten der Nowgoroder archäologischen Expedition, Bd. 2, S. 7 - 1 1 9 .

38

396

BRUNO WIDERA

geborenen noch unter steinzeitlichen Verhältnissen lebten' vollzog sich bei ihnen auf Grund dieser Berührungen mit den Novgoroder Expeditionen allmählich der Übergang zur Eisenzeit. Novgoroder Eisenfunde am unteren Ob stammen aus der einheimischen Novgoroder Eisengewinnung und Eisenverarbeitung. Erachten wir die handwerkliche Erzeugung der alten Rus' und die Eisengewinnung sowie Eisenverarbeitung im Novgoroder Raum als gegeben, so kommen wir bei der Untersuchung der Frage über die Zahlung der von Novgorod an die Hanse gelieferten Pelze einen Schritt weiter. So wird offensichtlich, daß die von den Novgoroder Pelzjägerexpeditionen gelieferten Pelze von der Hanse kaum oder nur gelegentlich mit handwerklichen Metallerzeugnissen, sondern vielmehr mit Tuchen und vor allen Dingen mit Silber bezahlt wurden. Die häufigeren Mitteilungen der altrussischen Chroniken über Silberanhäufungen bei Fürsten und Würdenträgern, die Bestimmungen über die erhöhten Geldstrafen in der erweiterten „Russkaja Pravda", die Umwandlung der Produktenrente in die Geldrente zeigen an, daß sich im 12. J h . in der Rus' und besonders in Novgorod viel mehr Silber angehäuft hat als in derZeit zuvor. Es handelt sich um Silber, das die Hansekaufleute nach der Rus', auch nach Novgorod, brachten und mit dem sie für Pelze zahlten. Der Anhäufung von Silber in der Rus' im 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jh. muß eine viel größere Bedeutung beigemessen werden als es bisher geschah. Daß auch Werkzeuge und vielleicht sogar gelegentlich Waffen — die Einfuhr der sogenannten fränkischen Schwerter fällt für das 12. Jh. ganz aus, Großfürst Mstislav der Große setzte sogar einen Zoll auf die Einfuhr von Waffen an 39 — ebenfalls als Äquivalent gegeben wurden, ist nicht ausgeschlossen. Ein Hauptposten der Bezahlung sind sie jedoch nicht gewesen. Fraglich erscheint es mir, ob sie es auch vorher gewesen waren. Die erwiesene hohe Technik des altrussischen Handwerks und des von Novgorod im besonderen zwingt zu einer Überprüfung des West-Ost-Austausches der vorausgegangenen Periode. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die zwar häufigeren, aber im Inhalt doch kargen Mitteilungen der altrussischen Chroniken über die Verbindungen Novgorods zu seinem Hinterland von Ural und Westsibirien von der Archäologie bestätigt wurden. Damit ist aber die Aufgabe der archäologischen Forschung noch nicht erfüllt. Die Novgorod-Hanseforschung muß mehr ermitteln, als die schriftlichen Quellen bieten. Geben diese nur ein allgemeines Bild von den Verbindungen Novgorods in diese entfernten Räume, so kann die archäologische Forschung den Raum und die Aufenthaltsplätze der Novgorodfahrer geographisch näher bestimmen. Haben die altrussischen Chronisten uns nur berichtet, daß die Novgoroder in die Jugra und zu den Samojeden gekommen sind, so müssen uns die Archäologen zeigen, wo sie sich dort aufgehalten haben. Für 39

Ajie(|iHpeiiKo P. K., BKOHOMimecmie 3anHCKH B. H. Tarameßa (ALEETRENKO, P. K., Ökonomische Notizen von W. N. Tatischtschew). In: HcTopmecKiiö apxHB (Historisches Archiv) Bd. 7, Moskau 1951, S. 412.

Novgorods Beziehungen

zu Ural und

Westsibirien

397

die Novgorod-Hanse-Forschung der Frühzeit hat daher die Archäologie, besonders die sowjetische, erstrangige Bedeutung. Der deutsche Forscher kann nur wünschen, daß recht viele Materialsammlungen und deren Auswertungen veröffentlicht und der deutschen Forschung zugänglich gemacht werden. In zunehmendem Maße benötigt der Historiker des Mittelalters im allgemeinen und der der Hanse im besonderen, vor allem für die Vor- und Frühhanseperiode — die von der Archäologie erbrachten gegenständlichen Quellenmaterialien.

Ü B E R HANSISCHE BEZIEHUNGEN ERFURTS von Fritz

Wiegand

Die Untersuchungen über den Erfurter Fernhandel und die Beziehungen der Stadt zur Hanse im Mittelalter haben bisher im Schatten der lokalen Geschichtsforschung gestanden. Sie hat Teilfragen des Fernhandels wohl berührt, die hansischen Beziehungen aber kaum gestreift. Die Probleme als solche blieben jedoch unerörtert, obwohl einige recht verdienstvolle Abhandlungen 1 zu den notwendigen Einzelforschungen hätten anregen können. Wenn sie unterblieben, dann lag das weniger an mangelndem Interesse, als an den dürftigen und verstreuten Quellen, die keine oder nur geringe Aussagen versprachen. Dazu kam, daß bei der örtlichen Forschung nur unklare Vorstellungen über das Wesen der mittelalterlichen Hanse bestanden. Man sah in ihr nicht eine Interessengemeinschaft ohne feste rechtliche Abgrenzung 2 , sondern vermutete in der Hanse das, was sie nicht war, nämlich eine festgefügte Wirtschaftsorganisation oder einen Städteverband im modernen Sinne. Erst die Bemühungen des Hansischen Geschichtsvereins belebten in den letzten Jahren die hansische Forschung in Erfurt. Sie vermochte natürlich auch keinen lückenlosen Überblick zu bieten, aber es war ihr möglich, nach dem vorhandenen Material bisherige Ansichten zu überprüfen und um neue Erkenntnisse zu erweitern. An Hand der bis jetzt erschlossenen Einzeltatsachen kann versucht werden, hansische Beziehungen Erfurts und seiner Fernkaufleute nachzuweisen. Dabei werden sich die Ausführungen vorwiegend mit Aufzählungen begnügen müssen, da eine organisch zusammenhängende Darstellung bei dem Stande der Forschung noch verfrüht wäre. Immerhin dürften die voneinander meist unabhängigen Einzelangaben einige beachtliche Aufschlüsse gewähren und auch objektive Folgerungen ermöglichen. Darüber hinaus sollen die Beispiele auch dartun, daß sich in den innerdeutschen Ar1

Z. B. GERBING, L., Erfurter Handel und Handelsstraßen. In: „Mitt. des Vereins für Gesch. u. Alt.Kunde von Erfurt", 21 (1900), S. 96-148. WIEMANN, E., Beiträge zur Erfurter Ratsverwalt ung im Mittelalter. Ebenda, 51 (1937), S. 37—152 und 52

2

BRANDT, A. V., Das Ende der Hansischen Gemeinschaft. In: „HGB11." 74(1956), S. 6 5 .

(1938), S. 1 - 1 0 3 .

Über hansische Beziehungen

Erfurts

399^

chiven noch Anhalte finden lassen, die für die hansische Geschichtsschreibung nicht ohne Bedeutung sind. Zunächst erscheint es nützlich, auf die Stellung Erfurts im binnenländischen Verkehrsnetz des Hoch- und Spätmittelalters hinzuweisen. Auf die Entwicklung Erfurts zu einer der bedeutendsten deutschen Städte hatten sich vor allem zwei Faktoren ausgewirkt. Es waren dies die außerordentlich günstige Verkehrslage und die Tatsache, daß Erfurt seit Jahrhunderten das Zentrum, wenn auch nicht den politischen Mittelpunkt der Thüringer Landschaft bildete. An den Erfurter Gerafurten trafen mehrere Nord-Süd-Straßen auf die große Ost-West-Verbindung, die Hohe- oder Königstraße, die schon 1252 als via regia Lusatiae bezeichnet wird. Sie verband das Rheingebiet von Maina bis Köln mit Brelau und führte weiter nach dem bereits im 12. Jh. blühenden Handelsplatz Kiew. Die von Augsburg und Nürnberg kommenden beiden Handelswege 3 spalteten sich in Erfurt in sechs Handelsstraßen nach dem Norden und Nordwesten auf. Sie wären bestimmt nicht aufrechterhalten worden, wenn nicht ein Bedürfnis, das nur im Handel begründet gewesen sein kann, vorhanden gewesen wäre. Über die Ziele dieser sechs Straßen gibt ein nach „altem Herkommen" angelegter Wegweiser über die Geleitstraßen von 1515 Auskunft. 4 Für alle Fahrten nach und von Erfurt waren die zu befahrenden Straßen genau festgelegt. Danach mußten die Nürnberger Handelstransporte durch das Löbertor in die Stadt einfahren und durften sie nur durch eins der beiden Nordtore verlassen. Der Handel nach Emden und Braunschweig führte durch das Johannistor über Weißensee und Halberstadt, nach Minden und Bremen durch das Andreastor über Nordhausen und Göttingen, nach Lüneburg durch das Johannistor über Weißensee, Sachsenburg, Halberstadt und Hildesheim, nach Hamburg durch das Johannistor über Wundersleben, Weißensee, Kindelbrück und Sangerhausen, nach Magdeburg durch das Johannistor über Weißensee, Sangerhausen, Quedlinburg oder Mansfeld. — Für den übrigen Handelsverkehr fehlt ein ähnlicher Wegweiser. Er war auch nicht erforderlich, da die Straßen nach Böhmen, Ost-, Süd- und Westdeutschland infolge der Gebirgsbarriere des Thüringer Waldes an feststehende Trassen gebunden waren und kaum umfahren werden konnten. Erfurt war aber nicht nur ein Straßenknotenpunkt, es war auch der Nahmarkt für ein produktionsstarkes und konsumkräftiges Umland, der Ausgangspunkt eines eigenen Fern- und Großhandels und auch das Ziel auswärtiger Fernkaufleute. Ausgeführt wurden an landwirtschaftlichen Erzeugnissen unter anderem Hanf, Hopfen, Anis, Karden 5 , Safflor 6 , Getreide und Waid. Dieser Waid war es vor allem, der E r f u r t s wirtschaftlichen Aufstieg im Mittelalter 3

Die Verlegung der Geleitstraße von Nürnberg über Leipzig nach Norden erfolgte erst, nachdem Leipzig seine Meßprivilegien um 1500 erhalten hatte. 4 Stadtarchiv Erfurt (weiterhin geführt als StA Erfurt), 5/181—1. 6 Weberdistel, verwendet zum Aufrauhen, Kardätschen, des Tuches. • Zum Rot- und Gelbfärben von Stoff en, in Erfurt erstmalig 1241 erwähnt.

400

FRITZ W I E G A N D

begründete. Eine Abgabe vom Waid, der withpenik, gehörte schon 1248/49 zu den Einkünften des Erzbischofs. 7 Auf einen umfangreichen Handel läßt auch das schon früh ausgeprägte Zollsystem schließen, wie es sich in Urkunden von 1157, 1196, 1248/49, 1289 abzeichnet. 8 Die ältesten Überlieferungen über eine Gruppe von Trägern des Erfurter Fernhandels datieren aus dem Jahre 1290.® Diese recht aufschlußreiche Quelle ist zwar von der handelsgeschichtlichen Literatur häufig erwähnt, von der Erfurter Geschichtsschreibung aber kaum herangezogen worden. Es handelt sich um Abrechnungen und Berichte über Geldgeschäfte, die Reinekinus Morneweg 10 im Auftrag des Rates der Stadt Lübeck durchführte. Die Mornewegischen Aufzeichnungen lassen nicht nur erkennen, daß Erfurter Kaufleute Handel mit Lübeck und Flandern betrieben, sondern ermöglichen auch Schlüsse auf die soziale Zusammensetzung des ältesten Rates der Stadt Erfurt. So führte' ein Vergleich der Ratslisten mit einer der Abrechnungen Mornewegs von 1290 11 zu einem überraschenden Ergebnis. Von den dort verzeichneten 13 Zahlungsempfängern gehörten 12 dem Erfurter Rat a n ; der 13., Andree filio Heidenrici, ist in den Ratslisten nicht verzeichnet, jedoch als begüterter Bürger mit erheblichem Besitz an Weinbergen und Hausgrundstücken nachzuweisen. 12 Zehn von den 13 Gläubigern und vier aus einer weiteren Abrechnung 13 waren schon vor 1283 Mitglieder des Rates. Dieses Jahr ist insofern von Bedeutung, weil in ihm der bisher von den „Gefrunden" allein besetzte R a t um 10 Handwerkersitze erweitert wurde. 14 Wer den Kern der Oberschicht, der Gefrunden, bildete, wird durch die Mornewegschen Aufzeichnungen deutlich; es waren die wirtschaftlich besonders kräftigen Fernkauf leute. Zum alten Rat gehörten allerdings noch Mitglieder, die Morneweg nicht nennt; doch das ist darauf zurückzuführen, daß der Erfurter Handel auch Beziehungen nach Görlitz, Breslau, Prag, Nürnberg und Frankfurt unterhielt. Die in dem Bericht Mornewegs aus Brügge 15 an den Rat zu Lübeck als „illis de Hertforde" bezeichneten Kaufleute sind f ü r Erfurt in Anspruch zu nehmen 7

8

9 10 11 12 13 11 15

OVERMANN, A . , Urkundenbuch der Erfurter Stifter und Klöster. I ( 1 9 2 6 ) , (weiterhin geführt als: OVERMANN, Ü B ) Nr. 2 9 4 S. 1 6 8 . B E Y E R , K., Urkundenbuch der Stadt Erfurt. (Weiterhin geführt als: Erf. Ü B ) I (1889) Nr. 42, 61 und 394. W I L D E N H A Y N , K., Kurmainzische Zölle und zollähnliche Abgaben in Erfurt. Erfurt 1955. Lübeckisches Urkundenbuch. (Weiterhin geführt als: Lüb. UB) I, 1 (1843) Nr. 553 bis 568 und II, 1 (1858) Nr. 73-79. Er war Lübecker Bürger und betrieb neben den Geldgeschäften auch eigenen Handel. Lüb. UB II, 1 Nr. 75. Landeshauptarchiv Magdeburg, Cop. 1399a, Freizinsregister Severi Erfurt 1294 und 1321. Lüb. UB II, 1, Nr. 78 (1290). Die neun großen Innungen hatten ihre Beteiligung am Ratsregiment erzwungen. Lüb. UB I, 1, Nr. 568.

Über hansische Beziehungen

Erfurts

401

Die Namen sind in Herford unbekannt, in Erfurt jedoch ausnahmslos nachzuweisen. Bei Hertforde, wie bei dem Namen Reslingere handelt es sich in dem Schreiben vom 13. Juli 1290 offenbar um Schreibfehler, die sich durch die anderen Schreiben Mornewegs leicht klären lassen.16 Welcher Art die von und mit den Erfurter Geschäftsleuten getätigten Abschlüsse waren, ist aus den Aufzeichnungen nicht zu ersehen. Sie könnten darauf schließen lassen, daß es sich um Warenlieferungen für den Rat von Lübeck handelte, denn es ist nicht wahrscheinlich, daß dieser reine Darlehensgeschäfte durchführte, obwohl ein ständiges Anlagebedürfnis der Lübecker Kämmerei bestand. Da die meisten Zahlungen von Morneweg in Brügge zu leisten waren, müssen die Erfurter Kaufleute dorthin gekommen sein. Dafür spricht auch der Bericht vom 13. Juli 129017, in dem erwähnt ist: ,,. . . et ego eciam hic jacui XIIII dies post festum Johannis baptiste, quod nemo hic venit, qui deberet habere pecuniam". Die Erfurter erschienen zwar nicht zu dem erwarteten Termin, sie müssen aber kurz danach eingetroffen sein, da ein endgültiger Ausgleich erfolgte. Der Schriftwechsel zeigt, daß 1290 umfangreiche Geschäftsverbindungen von Erfurt zu Lübeck und Brügge bestanden. Die Beziehungen zu Brügge berechtigen zu der Annahme, daß die Erfurter Kaufleute als mercatores Alemanie der Hanse angehörten. Bei ihrem auf Gewinn gerichteten Handel war ein derartiger Anschluß geboten, um in den Genuß der Vorteile und Rechte zu kommen, die das Flandernprivileg von 1253 der gotländischen Genossenschaft einräumte. Dazu kam noch, daß die Kaufleute bei der Kompliziertheit des Brügger Marktes nicht auf die Hilfe des Deutschen Hansqkontors in Brügge verzichten konnten. Aber abgesehen von diesen merkantilen Erwägungen wurde die Zugehörigkeit eines deutschen Kaufmanns zum Deutschen Recht oder zur Hanse auch ohne sein Zutun wirksam, sobald er an einem ausländischen Markt Handel trieb.18 Es spricht nichts dafür, daß die Erfurter Kaufleute auf auswärtigen Märkten als selbständige Hanse oder Gilde aufgetreten sind, auch wenn sie in Erfurt eine Gemeinschaft gebildet haben mögen. Angaben über die von den Erfurter Kaufleuten in Brügge, Gent und Lübeck eingekauften Waren fehlen. Nur in einer seiner Abrechnungen erwähnt Morneweg 19 , daß er 18 ulnas scharlaken für 6 1 / 2 Mark an Hinrico Osmunt in Erfurt lieferte. Wie aus Schuldurkunden des Landgrafen von Thüringen und des Grafen von Schwarzburg aus den Jahren von 1331 und 1332 20 zu ersehen ist, 16

17 18

19 20

26

Lüb. U B I, 1, Nr. 553. Reslingere erscheint in I, 1, Nr. 568 als Waltero Kartingere und in II, 1, Nr. 79 als Waltero Kerlingere. Lüb. U B I, 1, Nr. 553. FRIEDLAND, K., Kaufmann und Städte als Glieder der Hanse. I n : „HGbll." 76 (1958), S. 23. Lüb. U B II, 1, Nr. 78. Erf. U B I I (1897) Nr. 9 3 , 9 5 , 1 0 2 , 1 0 5 , 1 1 0 , 1 1 1 . Sie lassen auch die Bedürfnisse einer wohlhabenden Käuferschicht erkennen und auch welche beachtlichen Beträge sie dafür aufwendete. So schulden 1331 die Landgrafen v o n Thüringen 75 Mark Silber für scharlatico, pannis coloratis et in opere vario, die Grafen von Schwarzburg 33 Mark Hansische Studien

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FBITZ W IEGAND

gehörten Scharlatico, farbige Tuche, Pelze, Seidenstoffe und Spezereien zu den Handelsartikeln der Erfurter Großkaufleute. Da einer der gräflichen Gläubiger, Hugo Longo, bereits in den Listen des Morneweg vorkommt, ist. anzunehmen, daß wenigstens ein Teil dieser Waren aus Brügge und Gent bezogen war. Neben diesen kostbaren Qualitätserzeugnissen, die dem großen Luxusbedürfnis einer nicht eng zu begrenzenden Konsumentenschicht dienten, wurden aber im Gegensatz zu dem Handel früherer Zeiten auch lebenswichtige und schwere Güter eingeführt, so Wachs und vorwiegend aus Lübeck Schonensche Heringe und Stockfische der verschiedenen Sorten. In den Archivalien finden sich noch andere Beweise für den Handel mit dem Norden und Nordwesten. So weisen zahlreiche Einträge im Niederstadtbuch von Lübeck 1327—1363 auf umfangreiche Handelsbeziehungen zwischen Erfurt und Lübeck hin. 14mal erscheint Marquard Scheie und gar 112mal Eghardus Sasse, bisweilen auch Eckardus Saxo genannt; beide werden in mehreren Einträgen ausdrücklich als civis von Erphordia bezeichnet. 21 Ebenso verhält es sich mit Götz Butsted, Konrad Hogehus, Johann Saxo, Johannes von Halle und anderen. Auf einen Erfurter Kaufmann dürfte auch eine vom Rat zu Erfurt am 31. Oktober 1351 beglaubigte Vollmacht hindeuten. 22 Nach ihr beauftragte Katharina de Smedstedte einen Härtung de Ammara, die von ihrem in Lübeck verstorbenen Sohne Gottschalk 23 hinterlassenen Güter, insbesondere 181/2 Mark reinen Silbers, in Empfang zu nehmen. Gottschalk war Einwohner von Erfurt. 1427 beklagt sich der Rat von Erfurt bei Herzog Wilhelm von Lüneburg, daß der Vogt von Bodenteich dem Erfurter Bürger Johann Muczinrod bei Ülzen angehalten und ihm zwei Tonnen Heringe sowie zwei Lachse abgenommen habe. 24 Offenbar befand sich Muczinrod auf der Rückfahrt von Hamburg oder Lübeck nach Erfurt. Im nächsten Jahr wandte sich der Erfurter R a t an den R a t und Schultheißen von Monchetam 25 in Holland und teilte mit, daß bei diesem Ort der Erfurter Bürger Hans Kellner und sein gebrotten Knecht Albrecht von Anten-

21 22 23 24 25

für paimis coloratis et vario opere, 1332 die Landgrafen 231 Mark für farbiges Tuch und andere Waren, 100 Mark für verschiedene Waren dicti buntwerg und pellium, 30 Mark für Wein und Spezereien, nach einem Schuldanerkenntnis von 1333 an zwei Kaufleute, die nicht im Lübeckhandel nachzuweisen sind, 37 Schock großer Prager Pfennige occasione serici, specierum, pannorum sericeorum et aliorum. Stadtarchiv Lübeck, Ortsregister zum Stadtbuch 1327-1363 z. B. S. 463, 4 für 1344, 488, 4, 488, 5, 493, 2 für 1345. Ebenda, Urkundenrepertorium Trese, Varia Nr. 100. Die Originalurkunde gilt als verloren. Die Smidstedte waren ein Erfurter Patriziergeschlecht. Gottschalk d. J. zu 1330 bei Overmann UB, Nr. 1413. StA Erfurt, 1 - 1 / X X I - I a - l a (1427-1430) BI. 6r. Nach liebenswürdiger Auskunft des Franz Walkate Archief in Kampen kommt wahrscheinlich Monikendam in Frage.

Über hansische Beziehungen

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hausen von „vitaigen brudere" überfallen worden seien. Sie hätten den Erfurtern sechzehn Faß Waid weggenommen, die für Amsterdam bestimmt waren. Hans Kellner hätte tausend Gulden Lösegeld borgen müssen. Es wird gebeten, bei der Rückgabe des geraubten Gutes behilflich zu sein. 26 Da Monikendam an der Zuidersee lag, ist anzunehmen, daß die Erfurter für den Transport zum Teil den Seeweg benutzt hatten. Am 7. Juni 1437 bevollmächtigt die Witwe Margarete Nysse vor dem R a t in Erfurt Erhart von der Sachsen und Härtung Gernod, sich an den Waren, Tuchen und anderen Dingen schadlos zu halten, die ihr verstorbener Mann in Casla, Spangenberg und Defenthor (Deventer) zurückgelassen habe. 27 Unter dem 2. April 1451 urkundet der Rat von Erfurt, daß der Ratskumpan Hans Keiner seine Diener und Knechte beauftragt habe, seine Außenstände in Holland „in stetin, mergkelin oder dorffern" einzuziehen. 28 Einen Hinweis vom Erfurter Handel über See und die Benutzung des Binnenwasserweges der Weser bietet eine Beschwerde des Hans Kessebys, Wirtes zum Torneye in Erfurt. Sonnabend nach Lucie 1480 schreibt er dem Rat von Lübeck, daß Tyle Korne ihn an Waid auf der Weser, der See und in Bremen gekümmert habe. 29 Sehr aufschlußreich für den Erfurter Fernhandel ist aber auch ein Antwortschreiben des Rates an den Grafen Burckard von Mulingen und Herrn zu Barby vom 31. Juli 1490, der sich mit Hamburg, Lübeck und Lüneburg in Fehde befand und die Erfurter gewarnt hatte, mit diesen Städten Handel zu treiben. Der Rat von Erfurt teilte mit, daß ihm die „schrifft nicht geryng beswerung" verursache. Der Graf möge berücksichtigen, daß durch die Blockade „den unsern ire handel verhindert, geengt und gerungert werde und so vile unser Burger und die mennig, ire handel, nicht alleyne geyn Hamborg lubeck und luneburg fertigen sundern von dannen über sehe schuken kunnen irer handel, ane nyderlage irer guter in dise stete mit nicht volenden, und were den unsern unuberwintlicher schade, sich irer hendelzuenthalten dar umb wil uns, auch nodt sein von uch gancze wissenschafft zuempfahen, weß wir unde unser burger sampt irer haben und gutern, die se hin und herfuren über sehe schuken zu Hamburg, lubeck ader luneborgk nyderlegen und widder umb halen lassen, zu uch versehn sullen . . ." 3 0 Eine derartige Niederlage eines Erfurter Kaufmanns in Lübeck bestätigt ein Eintrag im Niederstadtbuch vom 13. März 1472. Danach verpfändeten der Lübecker Bürger Engelbrecht Vickinghusen und Hans Marggreve, Knecht 26 27 28 29

30

26»

StA Erfurt 1 - 1 / X X I - I a - l a ( 1 4 2 7 - 1 4 3 0 ) Bl. 42. Ebenda 1 - 1 / X X I - I a - l a (1434-1438) Bl. 144. Ebenda Bl. 143. Notiz ohne Quellenangabe, StA Erfurt 5 / 2 0 0 - 2 Bd. 11. U m Kiliani hatte der R a t von Erfurt den von Lübeck gebeten, den Korner zu veranlassen wegen seiner Forderung nach Erfurt zu kommen, StA Erfurt 1 - 1 / X X I - I b - l b (1472-1480) Bl. 403. StA Erfurt, 1—1/XXI—Ia—lb (1488-1500) Bl. 59r und 60.

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und Diener des Erfurter Bürgers Hans Milwisse, dem Lübecker Bürger Hans Gute „twe sack engever, eleven stucke Melans louwandes unde veffteyn stucke Walsch louwandes, dreunte twintich bucksiide unde sodane tassche". Die Waren hatte Hans Milwisse in Lübeck und zwar in seinem Keller in der Brunstraße unter dem Stand Hans Schinkels eingelagert.31 Auf Keller oder Niederlagen Erfurter Kaufleute in Lübeck läßt bereits eine Beschwerde der ortsansässigen Krämer von Ende 1461 schließen.32 Die Aufzählung mögen zwei chronikalische Mitteilungen über den Getreideexport beschließen, die den Vorzug haben, daß der Verfasser ausdrücklich betont: „Das habe ich gesehen, der dits geschreben hat". Er führt aus: „Item in deme selbigen sommer (1483) forte man also feie korns uss der stad erffort, das nymant gegloube kan, als man sagete, teglich XL adder funffczigk wagen unnd karren, in hessen, franken, an rin, in hollant unnd probant, es was in allen landen ture das brod." Ähnlich schreibt der Chronist zu den Jahren 1491 und 1493 und erwähnt zu letzterem, daß man auch „in das stifft zu koln . . . und kein brunsswigk" Getreide ausgeführt habe.33 Der Erfurt-Handel war aber nicht nur eine Angelegenheit der Erfurter Kaufleute, sondern auch von solchen aus „Antorff", „Debenter", Magdeburg, Lübeck und Hamburg. Diesen Binnenhandel läßt die Geleittafel von 1411 deutlich erkennen. Nach ihr waren den von auswärts kommenden Kaufleuten unter gewissen Voraussetzungen verschiedene Vergünstigungen eingeräumt, allerdings nicht für Fischwerk, Talg und Honig, wenn die Waren über die Nordhäuser Straße eingeführt wurden. Einige Einzeltatsachen sollen auch auf den von Norddeutschland ausgehenden Fernhandel nach Erfurt hinweisen. Unterm 2. Juli 1302 gestatteten die Markgrafen Otto und Conrad von Brandenburg der Stadt Stendal Zoll von Erfurter Bürgern zu erheben. Die Maßnahme war dadurch veranlaßt, daß die Stendaler Kaufleute in Erfurt Zoll entrichten mußten.34 Die Lübecker Bürger Nikolaus Stoltevoet und Ernst Sonnenberg verkauften 1375 5000 Stück Buntwerk und drei Packen Hermelinfelle an zwei Käufer in Erfurt, welche dafür zwei Schuldurkunden über 273 Pfund Erfurter Münze ausstellten. Die beiden Gläubiger hatten als Kommissionäre des Lübecker Kaufmanns Schepenstede die Ware in Erfurt abgesetzt.35 31 32 33

34 35

Staatsarchiv Lübeck, Nr. 953 a: Friedrich Bruns, Auszüge aus dem Niederstadtbuch 1471-1500. Lüb. ÜB I, 10 (1898) Nr. 119 und 132. STOLLE, K., Memoriale. Thür. erf. Chronik. Hrsg. von R. Thiele, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, 39 (1900), S. 445 und 458. Erf. ÜB. I, Nr. 500. RÖRIG, F., Großhandel und Großhändler in Lübeck des 14. Jahrhunderts. In: Wirtschaftskräfte im Mittelalter. Abhandlungen zur Stadt- und Hansegeschichte. Hrsg. von P. Kaegbein, Weimar 1959, S. 241.

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1435 bestätigte der Rat von Erfurt, daß die von den Grafen von Honstein den Lübecker Bürgern Hans und Kaspar Blume weggenommenen Waren deren Eigentum und in Erfurt versteuert worden seien.36 Die erwähnten Vorgänge erstrecken sich zwar über den langen Zeitraum von 1290—1493, sie deuten aber immerhin an, daß während dieser ganzen Spanne Beziehungen Erfurter Kaufleute zu solchen in Holland und Lübeck bestanden. Wenn die Überlieferungen aus der städtischen Kanzlei nur sehr wenig über die Verhältnisse des Erfurter Handels und die Hanseeigenschaft seiner Kaufleute aussagen, so ist das in den Verhältnissen begründet. Denn der R a t der Stadt war nicht unmittelbar am Handel beteiligt, sondern sah seine Aufgaben in erster Linie in der Schaffung von Bedingungen für dessen ungestörten Ablauf, insbesondere der Sicherheit der Straßen, des Verkehrs, der Kaufleute und ihrer Waren. Welche Folgen eine Blockierung der Handelsstraßen haben konnte, hatte Erfurt 1309/10 erfahren müssen, als der Landgraf von Thüringen alle Zugangsstraßen und -wege sperren ließ. Dadurch war das Wirtschaftsleben in der Stadt zum Erliegen gekommen, und bei den sich verschärfenden innerstädtischen Gegensätzen hatte die Oberschicht ihren maßgebenden Einfluß im Rat verloren. Um seine wirtschaftlichen und politischen Ziele zu verwirklichen, unterstützte der R a t tatkräftig die Landfriedenspolitik und schloß zahlreiche regionale Bündnisse, Dienst- und Schutzverträge ab 37 , die bei einigen der vertragschließenden Herrn und Fürsten allerdings recht fragwürdig waren. Die Dienst- und Schutzverträge beschränkten sich nicht nur auf Thüringen, sondern schlössen zeitweise auch die Nachbarländer Hessen und Braunschweig ein, durch welche Erfurter Fernhandelsstraßen führten. Eine besondere Bedeutung kam den seit 1304 eingegangenen Bündnissen Erfurts mit den Reichsstädten Mühlhausen und Nordhausen zu, die immer wieder verlängert wurden, letztmalig 1469 um 12 Jahre. Dazu kamen aber auch noch Bündnisse mit außerthüringischen Städten, wie den Hansestädten Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben. In fast allen Bündnisurkunden ist ausdrücklich festgelegt, „daz wir nicht hindern sollen die strasse". 38 Neben der Verkehrssicherheit war es aber das besondere Anliegen der Städte, alle ihre gemeinsamen Interessen aufeinander abzustimmen, ihre Macht zu festigen und ihre Selbständigkeit zu schützen, zumal sich die Landeshoheit immer stärker zu konsolidieren begann. Die vom Rat zu Erfurt betriebene Bündnispolitik läßt durchaus die Folgerung zu, daß er bei den Bestrebungen der Städte die Hanseprivilegien selbst zu übernehmen, nicht abseits gestanden, sondern schon früh Verbindungen zu der um die Mitte des 14. J h . sich bildenden Städtehanse aufgenommen h a t . 36 37

88

StA Erfurt, 1 - 1 / X X I - I a - l a (1434-1438) B l . 59r. GEBSER. W., Bündnisse, Schutz- und D i e n s t v e r t r ä g e der Städte Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen, Göttingen 1909. Von 1 2 7 8 - 1 4 9 6 schloß die Stadt über 60 Bündnisse, etwa 25 Dienst- und fast 20 Schutzverträge ab. Erf. Ü B I z. B. Nr. 566 für 1311, (II) Nr. 61 für 1327 und 116 für 1334.

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Während des Umbildungsprozesses, der erst um 1450 zum Abschluß kam, begründeten noch die ,, Fernkaufleute durch ihren Handel die Hanseeigenschaffc ihrer Heimatstadt, ohne daß sie formalen Ausdruck fand oder die Anerkennung durch andere voraussetzte. Was das in der Praxis bedeutete, hat am besten Heinrich Reincke mit der Bemerkung gesagt, beweispflichtig sei gewesen, wer die Nichtzugehörigkeit behauptete." 3 9 Da die Erfurter Kaufleute am hansischen Handel beteiligt waren, wie einige der angeführten Beispiele erkennen lassen, wurde Erfurt mit Recht als Hansestadt angesehen. Wenn es nicht als solche gegolten hätte, würde es neben anderen Hansestädten wahrscheinlich nicht von Lübeck, Stralsund, Wismar und Rostock am 10. August 1369 um Beistand gebeten worden sein. Es sollte bei seinen benachbarten Fürsten und Herren dahin wirken, daß sie den König von Dänemark nicht unterstützen möchten, da der von den Seestädten gegen ihn geführte Krieg gerecht und zum Vorteil aller Kaufleute sei.40 Auch eine Aktennotiz, bei der leider die Quelle nicht angegeben ist, läßt darauf schließen, daß Erfurt Hansestadt war oder als gleichberechtigt galt. 1424 war es angeblich von der Hanse ,,by horsamen, den gy der Hense schuldig" wären, aufgefordert worden, die Halberstädter zu meiden und keine Gemeinschaft mit ihnen zu haben, da es dort zu einem vom gemeinen Recht verbotenen Aufstand und zu Blutvergießen im R a t gekommen sei. Die Städte „ute der Henze ader der Henze brukir" sollten sich ernstlich nach dem Verbot richten. 41 Es handelt sich hier offenbar um ein ähnliches Schreiben, wie es Mühlhausen am 2. Februar erhalten hatte. 42 Trotz des Strukturwandels blieb die Hanse ihrem Wesen nach in erster Linie eine kaufmännische Gemeinschaft. Militärische Unterstützungen waren von ihr also kaum zu erwarten. Um der befürchteten Bedrohung ihres Handels, ihrer Sicherheit und ihrer Selbständigkeit wirkungsvoller zu begegnen, erweiterte sich das Städtebündnis Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen 1416 um die Hansestädte Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben. Veranlaßt durch die Hussitenbewegung wurde der Vertrag 1421,1427 und 1433 um jeweils 6 Jahre verlängert. 43 Die gleichen Gründe waren es auch, die zahlreiche Hansestädte aus dem Bereich des sächsischen Städtebundes am 21. April 1426 in Goslar zu einem dreijährigen Schutzbündnis unter der Führung der hansischen Vororte Braunschweig und Magdeburg zusammenfinden ließ.44 Zu den Zielen 39

40 41 42

43 44

FRIEDLAND, K . , a. a. O., S. 38.

HR I, Nr. 475 § 12, auch Erf. UB II Nr. 630. StA Erfurt, 5/200-2, Bd. 11. Die Notiz stammt von etwa 1800. B E M M A N N , R., Die Hanse und die Reichsstadt Mühlhausen. In: „HGbll."

16 (1910),

S. 2 8 6 - 2 8 8 .

Hansisches ürkundenbuch (HÜB) 6, Nr. 677. HUB 6, Nr. 624. Bundesgenossen bei der Gründung 1426: Braunschweig, Magdeburg, Hannover, Hildesheim, Göttingen, Goslar, Osterode, Northeim, Eimbeck, Halle, Helmstedt, Halberstadt, Quedlinburg, Aschersleben.

Über hansische Beziehungen

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des Goslarer Bundes gehörte die gemeinsame Beschickung der Hansetage, Sicherung und Schutz der Straßen und des Kaufmanns, gegenseitige Wahrung der Verfassungen, Hilfeleistungen bei Fehden und Ablehnung des heimlichen westfälischen Gerichts in den Landen rechts der Weser. 45 Am 28. Juni 1426 bat Aschersleben im Namen des Goslarer Bundes, dem auch Lübeck, Hamburg, Lüneburg und Leipzig beigetreten waren, den Rat von Nordhausen, mit Mühlhausen und Erfurt zu beraten, ob sie nicht den für 1427 nach Braunschweig einberufenen Hansetag beschicken wollten. 46 Ob die drei thüringischen Städte der Einladung Folge leisteten, istunbekannt. Dagegen sandte Mühlhausen seinen Ratsmeister Johann von Külstete zum Hansetag nach Lübeck am 1. Januar 1430. Das geschah zweifellos im Einvernehmen mit seinen alten Verbündeten Erfurt und Nordhausen. Das Interesse der Thüringer an diesem Hansetag wird verständlich aus den auf ihm gefaßten Beschlüssen, in denen gesagt ist: ,,wor eyne stad der henze overvollen van den bozen kettern, der stad Scholen alle desse anderen stadte mit gantzen truwen unde mit macht to hulpe komen". 47 Mit dem Goslarer Bund traten die drei thüringischen Städte 1429 in Verbindung ; Erfurts Syndikus, Magister Christoph von Muchein, nahm in diesem Jahre an einer Tagung des Bundes in Braunschweig teil. Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen waren gezwungen, ihre bisherige Zurückhaltung aufzugeben, da sie Unterstützung gegen einen befürchteten Einfall der Hussiten suchten. Aus diesem Grunde hatte Magister Christoph auch schon Reisen zu den Räten von Magdeburg und Halle unternommen, um Waffenhilfe zu erbitten. Der Erfurter Rat hatte ihm sogar den schriftlichen Auftrag erteilt, mit den beiden Städten zu beraten, ob es ratsam sei, im Falle der Not Vitalienbrüder anzuwerben, und was man ihnen an Kost und Sold geben müsse. 48 Da wahrscheinlich eine ernstliche Gefährdung befürchtet wurde, entschlossen sich Erfurt und die mit ihm verbündeten thüringischen Städte dem Goslarer Bund beizutreten, von dem eine aktive Unterstützung zu erhoffen war. An seiner Ende April/Anfang Mai 1430 stattgefundenen Tagung in Braunschweig nahmen Vertreter von Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen teil. In einer Urkunde vom 2. Mai 1430 erklärten sie den Beitritt ihrer Städte 4 9 unter ausdrücklicher Anerkennung der Aufgaben des Bundes. Außerdem verpflichtete sich Erfurt zu einem Beitrag von 250 Rheinischen Gulden, Mühlhausen und Nordhausen zu je 80 Gulden. Der Eintritt in den Goslarer Bund bereitete offenbar 4

>

AUENER, W., Mühlhausen und die Hanse. I n : „Mühlh. Geschichtsblätter", 33—35 (1936), S. 6f.

46

BEMMANN, R . , a . a . 0 . ,

47

H R I, 8, Nr. 712, A r t . 1. StA Erfurt, 1 - 1 / X X I - I a - l a (1428-1430) S. 102r und 103. Ebenda 5 / 2 0 0 - 2 Bd. 11, B 1 . 4 4 f . (Abschrift). Druck in Acta Academiae electoralis Moguntinae Scientiarum utilium q u n e Erfurt ad annum M D C C L X X V I I S. 1 1 5 f . Original der Urkunde Stadtarchiv Braunschweig AI—1 Nr. 652.

48 49

S. 289.

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keine Schwierigkeiten. Die Städte E r f u r t , MühLhausen und Nordhausen müssen damals Hansestädte gewesen sein, denn in ihrer Aufnahmeverpflichtung vom 2. Mai 1430 ist keine Ausnahme von der Bundesaufgabe, der gemeinsamen Beschickung der Hansetage vorgesehen. Wenn sich einzelne Städte zu Interessengruppen innerhalb der Hanse zusammenschlössen, so ist das nicht ungewöhnlich. Die Interessen der beteiligten Städte waren schon im 15. J h . so unterschiedlich, daß sie kaum noch ein gemeinsames Handeln durch die gesamte Hanse ermöglichten. Das kommt auch klar in der Ansicht Kölns zum Ausdruck: wir gehören zwar mit zur Hanse, aber der Krieg zwischen Dänemark und den Seestädten geht uns nichts an. 60 Mühlhausen trat 1432 aus dem Goslarer Bund aus. 51 Gleichartige Erklärungen liegen für Erfurt und Nordhausen nicht vor, aber die drei Städte erscheinen in der Verlängerungsurkunde nicht mehr. Das Ausscheiden aus dem Goslarer Bund bedeutete jedoch keineswegs den Austritt aus der Hanse. Nach einer chronikalischen Mitteilung soll Erfurt bis 1537 Mitglied der Hanse gewessn sein.52 Dieser Zeitpunkt könnte sogar zutreffen, zumal die Erfurter Kaufleute seit dem beginnenden 16. Jh. ihren Handel stärker nach dem Osten und Westen orientiert zu haben scheinen. Zusammenfassend wäre zu sagen, daß seit dem ausgehenden 13. Jh. ein ausgedehnter Fernhandel zwischen Erfurt, Flandern und Lübeck bestand, daß dieser die Zugehörigkeit zur Hanse zwangsläufig bedingte und Erfurt seitdem als Hansestadt angesehen werden kann. Es liegt aber kein Grund zu der Annahme vor, daß Erfurt erst durch seinen Beitritt zum Goslarer Bund Hansestadt geworden ist. 60 51 62

H R I, 9, Nr. 549. BEMMANN, R., a. a. O., S. 292. StA Mühlhausen Kopialbuoh 5f. 41. WEINREICH, J. W., Kurz gefaßte und gründliche Nachricht von den vornehmen Begebenheiten der Hauptstadt Erfurt. Prankfurt und Leipzig 1713, S. 68.

ZUR SOZIALÖKONOMISCHEN STRUKTUR ROSTOCKS IM 14. UND 15. JAHRHUNDERT von Rosemarie Wiegand

Die sozialen Bewegungen in den Städten des 14. Jh. kann man als Gesamterscheinung betrachten, wurden sie doch durch den massenweisen Übergang zur Geldform der Feudalrente1 hervorgerufen, wodurch Handel und Gewerbe in den Städten einen besonderen Aufschwung erhielten und die damit verbundene starke Differenzierung sowohl zwischen Besitzenden und Besitzlosen als auch innerhalb der besitzenden Schicht vertieft wurde. Vom 13. bis zum 15. Jh. ist kaum eine Hansestadt von Unruhen verschont geblieben, der wirtschaftliche Aufschwung nach dem Stralsunder Frieden betraf alle norddeutschen Hansestädte. Das Eingreifen der Hanse in vielen Fällen sei ein Beweis hierfür. Rostock entstand zu Beginn des 13. Jh. im Zuge der Stadtgründungen der Ostexpansion als deutsche Kaufmannssiedlung auf slawischem Boden. Fürst Heinrich Borwin I. verlieh den Bürgern von Rostock 1218 das Lübische Recht und die Zollfreiheit in der ganzen Stadt Rostock.2 Das Lübische Recht war schon vorher als Gewohnheitsrecht benutzt worden, denn es heißt: „Lubicensis civitatis iuris beneficio habito nunc et habento stabilientes confirmus." Die erste Siedlung umfaßt nur die Altstadt mit der Petrikirche, doch schon 1252 ist die Gemeinde in Alt-, Mittel- und Neustadt gegliedert, 1265 bildet sie wieder eine Einheit. Die Mittelstadt ist der politische und gewerbliche Mittelpunkt des städtischen Lebens geworden.3 Rostock war die erste Stadt an der Ostsee, die sich des Lübischen Rechtes erfreute. Der kommunale Organismus war so erstarkt — und hatte nach außen hin sich wirksam gemacht, daß die 1

Vgl. GRAUS, F . , Die erste Krise des Feudalismus. I n : Zig, 4 (1955), S. 5 5 2 - 5 9 2 .

Die Krise des Mittelalters war eine Agrarkrise und hatte ihre Ursache im Vordringen der Ware-Geld-Beziehung und nicht in den Folgen der Pest, wie es z. B. LÜTGE, F., Deutsche Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, 1952, S. 144ff.; REINCKE, H., Bevölkerungsprobleme der Hansestädte. IN: HGbll. Jg. 70 (1951), annehmen. Vgl. LÜTGE, F., Das 14. und 15. Jahrhundert in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, in: Jbb.

2 3

für N a t . - ö k . u. Statistik, B d . 1 6 2 , 1 9 5 0 ; KOSMINSKI, A. E.,EBOJIK>rHH $opM $eoflajibHOFI peHTH aKMHH b. 1 1 . — 1 5 . b. i n : „Bonpocw, HCTopim" 1955, H . 2 , S. 4 4 f f .

Mecklenburgisches Urkundenbuch (MUB) I, Nr. 244. MUB III, Nr. 1051.

410

ROSEMAKIE W I E G A N D

Rostocker Stadtverfassung und das Recht als Norm für andere neuangelegte Städte benutzt wurde. So wurde es 1226 an Wismar, 1234 an Stralsund — das in Rostock seinen Oberappellationshof hatte — und 1250 an Greifswald verliehen. 4 Die Gemeinsamkeit des Rechtes verbindet diese auf gleichartigem Boden erwachsenen und unter gleichartigen Lebensverhältnissen aufblühenden Städte mit einem starken Band, macht sie geeignet zum festen Kern des großen hansischen Städtebundes. Aber schon in der frühesten Zeit des Zusammenschlusses der Städte treten Disharmonien und Konkurrenzkämpfe auf. 5 Das erste Bündnis der fünf wendischen Städte wurde 1259 gegen die See- und Straßenräuber geschlossen 6 ; 1278 treten sie zum erstenmal als Einheit auf dem dänischen Markt auf. 7 Die offizielle Verbindung der Städte erfolgte 1283 im Landfrieden zu Rostock 8 , der einen Damm gegen die Übermacht Brandenburgs errichtete und sich bald gegen Norwegen bewährte. 1293 wird in Rostock das Landfriedensbündnis im Interesse der Städte ,,ob bonum pacis et utilit a t e m mercatorem communium" 9 erneuert. I m Kriegsfalle hatte jede Stadt ein ihrer Größe entsprechendes Kontingent an Bewaffneten zu stellen. Rostock stand dabei an zweiter Stelle, hinter Lübeck, wie es überhaupt im 13. und 14. Jh. im wendischen Quartier den zweiten Platz einnimmt. Eine genaue Bevölkerungszahl läßt sich jedoch für Rostock nicht angeben, es ist vielmehr ein Schwanken der Bevölkerungszahlen festzustellen, das aber nicht allein auf die Pest zurückzuführen ist 1 0 , sondern auch hier durch die Produktionsweise, die — wie schon erwähnt — zu einer sozialen Umschichtung führte, bestimmt wird. 11 Diese Umschichtung vollzog sich auf dem Lande und hatte die in der Stadt zur Folge. Durch Landflucht und Pauperisierung nimmt die Stadtbevölkerung zu, denn „Stadtluft macht frei"!, was sich bei den sozialen Auseinandersetzungen in den Städten bemerkbar macht. Will man zu einer annähernden Bevölkerungszahl kommen, so muß man dies durch Vergleiche tun. Für Rostock sind die Schoßlisten eine Quelle zur Berechnung der Bevölkerungszahlen. 12 So werden für Rostock auf einen Schoßpflichtigen 5 Einwohner gerechnet, woraus sich folgende Zahlen ergeben: 1378 2157 Schoßpflichtige = 10785 Einwohner 1385 war die Einwohnerzahl auf 11140 angestiegen; bis 1410 ist ein Ansteigen zu vermerken: 13935 4 5 6 8 10 11

MUB II, Nr. 2361. MUB II, Nr. 764; Hansisches Urkundenbuch (HÜB) I, Nr. 50. 7 MUB II, Nr. 847. MUB II, Nr. 812. 9 H U B I, Nr. 917. MUB III, Nr. 2248 A, B. Wie es Lütge und Reincke tun, vgl. Anm. 1. Vom marxistischen Standpunkt wurde diese Pesttheorie einer kritischen Prüfung unterzogen und das Ergebnis von GRAUS, F., a. a. O., eindeutig dargelegt, ebenso v o n KOSMINSKI, v g l . A n m . 1.

12

Die ältesten Schoßregister stammen aus der Zeit 1342/43, abgedruckt im MUB IX, Nr. 354, erste vollständige ab 1378.

Zur sozialökonomischen

Struktur

Rostocks

411

1421 und 1430 ist ein Rückgang der Schoßpflichtigen zu verzeichnen, was jedoch nicht auf einen grundsätzlichen Bevölkerungsrückgang schließen läßt, sondern eine Verarmung der unteren Schichten der Bevölkerung kennzeichnet. In den siebziger Jahren des 15. Jh. kann man nach dem Schoßregister 11000 Einwohner berechnen. Die kaufmännische Schicht bleibt während dieser Zeit stabil, hingegen tritt das Handwerk zahlenmäßig zurück. 13 Das Exportgewerbe fehlt Rostock — eine typische Fernhandels- und Hafenstadt — völlig. Durch die Verkehrsstraßen vom Westen und Osten und die Wasserstraßen vom Norden und Süden war Rostock mit der Handelswelt verbunden. Das waren die Voraussetzungen für einen gewinnbringenden Transitverkehr, dessen Umfang der Stadt den Reichtum und die Bedeutung in der Hanse brachte. Der ehemals slawische Handelsplatz war im Zuge der Ostexpansion zu einem deutschen geworden, und schon 118914 bezeichnet ihn Fürst Nicolaus: ,,. . . i n foro nostro", auf dem täglich gehandelt wird. Die Hanse hatte im 13. J h . die Monopolstellung erreicht, auf der die außerordentliche hohe ursprüngliche Profitrate des Handelskapitals beruhte. 15 Rostocks ältestes Handelsprivileg wurde 1251 vom dänischen König ausgestellt. 16 Auch der Handel mit Schonen 17 , Norwegen 18 und der Gegend um das Oslofjord und Skanör ist in früher Zeit nachweisbar. 19 Die Fernhändler und die Brauer, die im 15. Jh. besonders hervortreten 20 , denn Rostocker Bier wurde exportiert, waren die reichsten Leute in der Stadt und bildeten die Oberschicht. I m 14. und 15. J h . gibt es noch keine Trennung zwischen Kaufleuten und Brauern, diese tritt erst im 16. Jh. ein. 21 Neben den Fernhändlern gibt es noch Kaufleute, die durch den Detailhandel reich geworden sind, die Gewandschneider, die „Detailisten für Tuch im Hauptberuf" 2 2 , waren die Hauptvertreter dieser Schicht. Die Krämer und Höcker gehörten schon zu den Zünften. Nur zwischen dem Fernhändler und Gewandschneider waren die Grenzen fließend. Ungefähr 60 Gewandschneider lassen sich in Rostock nachweisen, und das Rathaus wird oft als 13

14 15 16

HAMANN, M., Der Einfluß der verschiedenen Bevölkerungsklassen auf das mittelalterliehe Stadtregiment gezeigt am Beispiel der wendischen Hansestädte im Gebiet der D D R . Phil. Diss. (ungedr.). Berlin 1953. Derselbe, Wismar—Rostock—Stralsund— Greifswald zur Hansezeit. In: Vom Mittelalter zur Neuzeit. Zum 65. Geburtstag von H. Sproemberg, Berlin 1956. MUB I, Nr. 147, 148. E N G E L S , F . , I n : Das Kapital. Bd. III, Nachtrag. Berlin 1 9 4 9 , S . 3 7 . K O P P M A N N , K . , Geschichte der Stadt Rostock. Rostock 1887, S. 4.

17

M U B III, Nr. 1705.

20

HAMANN, M., D e r E i n f l u ß . . . a. a. O., S. 22.

21

SCHILDHATJEE, J., a. a. O., S. 31, weist dies auch für das 16. Jh. nach. RÖBIG, F., Großhandel und Großhändler in Lübeck des 14. Jh. In: Wirtschaftskräfte im Mittelalter. Weimar 1959, S. 226 ff.

22

18

M U B III, Nr. 1705.

19

M U B III, Nr. 2007.

412

ROSEMARIE W I E G A N D

Gewandschneiderhaus bezeichnet. 23 Die Stadtobrigkeit erteilte die Rechte zum Handeln. Jedoch kam es in Rostock nie zu ausgesprochenen Kompanien, Gilden oder Societäten, wie zum Beispiel in Lübeck. Erst 1492 haben sich Fernhändler zur Rigafahrer-Gesellschaft zusammengeschlossen. Einen Einblick über Art und Umfang des Rostocker Handels im 14. und 15. Jh. geben die Sundzoll-Listen von 136824 und „Johann Tölners Handlungsbuch von 1445—1450"25. Die Familie Tölner hatte sich zu einer Societät zusammengeschlossen, die das Getreide des Hinterlandes ausführte und dafür in Holland und Flandern Tuch einkaufte. Die Familie Tölner zählte nach einigen Jahren, als Folge des gewinnbringenden Detailhandels, zu den reichsten Fernhändlern der Stadt. Der Handel mit dem Getreide des Hinterlandes herrschte in Rostock vor, denn Holland und Flandern wurden zum Teil direkt über Rostock mit mecklenburgischem Getreide versorgt. Der Getreidehandel der Ostseestädte ist genau so alt wie die Städte selbst, ja älter als sie.26 Die städtische Oberschicht beteiligte sich rege am Getreidehandel und hielt die Fremden davon möglichst fern. Schon im 13. Jh. kann man bei 13 Rostocker Ratsfamilien Getreidespeicher (granaria) nachweisen.27 Vieh wurde in geringem Maße vom flachen Land bezogen, jedoch bestand das Hauptgeschäft im Einund Verkauf von Tuchen. Der Beruf des Fernhändlers und auch des Großkaufmannes, oft also des Gewandschneiders, brachte einen Zusammenschluß politischer und, wie in damaliger Zeit üblich, religiöser Hinsicht mit sich. Dies zeigen Kaianden ünd Bruderschaften, die sich in Rostock zahlreich nachweisen lassen.28 Die Händler waren im gewerblichen Leben herrschend, nur das Böttcherhandwerk war infolge des Heringshandels und der Schiffahrt zu besonderer Blüte gelangt, denn „Man darf annehmen, daß ursprünglich jeder Seehafen seinen eigenen Schiffsbedarf mit eigener Reederei am eigenen Ort dekte".29 Die Rostocker Schiffsbauer lieferten Schiffe auch für andere Häfen, der E r kauf von Schiffen an Fremde wurde jedoch im Jahre 1412 verboten.30 Früh lassen sich in Rostock Zünfte bzw. Ämter nachweisen, die schon stark differenziert sind und sicher als fertige Institutionen von den alten deutschen 23 24

25

MÜB VI, Nr. 4159. Vgl. LECHNER, G., Die hansischen Pfundzollisten des Jahres 1368. Lübeck 1935; hier steht das Salz, das der Norden fast ganz entbehrte, bei den eingeführten Waren an erster Stelle mit einem Wert von 1106 1 / 2 Pfund von einem Gesamtwert von 3013 9 / l g Pfund, von Rostock gingen Waren des täglichen Bedarfs (alia bona) hinaus. Vgl. K O P P M A N N , K . , in: Geschichtsquellen der Stadt Rostock. Bd. I , Rostock 1 8 8 5 .

26

HAMANN, M., D e r E i n f l u ß . .

27

Die Rostocker Stadtverfassung bis zur Ausbildung der bürgerlichen Selbstverwaltung (1325). Schwerin 1929, S. 82. SCHNITZLER, E., Das geistige und religiöse Leben Rostocks am Ausgang des Mittelalters. Berlin 1940, S. 61. V O G E L , W . , Geschichte der deutschen Seeschiffahrt. Bd. I , Berlin 1 9 1 5 , S. 5 3 8 . Ebenda, S. 539.

28

29

30

MEYER, P . ,

a. a. O., S. 13.

Zur sozialökonomischen

Struktur

Rostocks

413

Städten übernommen worden sind. Nur die zahlenmäßig stärksten Handwerker werden sich zu Ämtern, die Gewerbetreibenden und Organisationen umfaßten, zusammengeschlossen haben. Material über die Handwerker enthalten die drei ältesten Stadtbücher von 1258—1288.31 Nach den gemeinsamen Abgaben waren bereits um 1270 insgesamt 41 Gewerbezweige zunftmäßig organisiert. 32 Vielfalt und relative Stärke der Ämter um die Mitte des 15. Jh. lassen sich an den Listen der von ihnen zu stellenden Bewaffneten für die Stadt nachweisen. 33 Nach einer 250jährigen Entwicklung stehen 44 Ämter fest. Das Amt zerfällt in zwei Gruppen, und teilt die Mitglieder in 1. vollberechtigte Mitglieder — die Meister und 2. die nicht vollberechtigten Mitglieder — die Gesellen. Die Meister stehen im Amt an erster Stelle. Sie waren die Werkstattbesitzer, Eigentümer des Rohmaterials und der Werkzeuge. Das Produkt gehörte ihnen ebenso, wie die Gewinne aus dem Verkauf. 34 Jeder Meister mußte sich den Satzungen des Amtes unterwerfen und den Beschlüssen Folge leisten. Die Meister mußten beim Eintritt in Gegenwart des Amtes schwören: ,,Dat ik denne rade to Rostock truwe holt und gehorsam wesen will, ere beste to wilende und ere ergeste to kerende unde den olderluden mynes amptes mogelken horsam to holende, dat my got so helpe . . ." 35 . Außer dem Vermögen und der Bürgschaft wurden noch eheliche Geburt, freie deutsche Abstammung, worauf besonders in den Anfängen der Stadt geachtet wurde, und guter Ruf und tadellose Führung während der Gesellenzeit, die durch einen Dienstbrief besiegelt sein mußten, verlangt. Die Lehrlinge werden schon 1260 im älteren Stadtbuchfragment erwähnt. 36 In der Mitte des 14. Jh. muß sich ein Wandel in der Stellung der Ämter zur Lehrlingsausbildung vollzogen haben, denn 1359 ist eine Bestimmung vom Amte der Böttcher erlassen worden. 37 Im Durchschnitt betrug die Lehrzeit drei Jahre. Nach dieser Zeit wurde der Lehrling losgesprochen und trat in den Gesellenstand ein. Für das 13. J h . ist kein geregeltes Arbeitsverhältnis der Gesellen bekannt, auch die Rostocker Stadtbücher erwähnen die Gesellen kaum. Im 14. Jh. ist Gesellenzeit vermutlich zur Voraussetzung für die Erlangung der Meister 31

82

33

34

Rostocks älteste Gewerbetreibende. In: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock. Bd. II, 3/4, 1898/99; MUB X, Nr. 7199. L E P S , C . , Das Zunftwesen der Stadt Rostock bis um die Mitte des 15. Jh. In: „HGbll." 1933/34, Jg. 58/59, S. 126ff. K O P P M A N N , K . , Die Wehrkraft der Rostockischen Ämter. In: „HGbll.", 1888, S. 165. PIRENNE, H., Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Europas im Mittelalter. Bern o. J., S. 171. DRAGENDORF, E . ,

35

LEPS, C., a. a. O., S. 181/82.

36

"

DRAGENDORF, E . , a . a . O . , S . 7 1 u n d 9 7 .

M U B X , Nr. 7199.

414

ROSEMARIE W I E G A N D

würde geworden, durch die Erschwerung der Aufnahmebedingungen sind jedoch nur wenige in den Meisterstand gelangt. Altersleute (olderlude) stehen den Zünften vor. Sie hatten eine Doppelstellung inne, denn 1. waren sie Vertreter des Rates gegenüber den Ämtern und 2. vertraten sie die Ämter gegenüber dem Rat, bildeten also das Bindeglied zwischen Rat und Amt. Das Amt war rechtlich vom Rat abhängig; besonders auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Gerichtsbarkeit waren sie eingeschränkt.^ So zum Beispiel wurden 135638, 136639 und 138340 Bestimmungen über die Zunftgerichtsbarkeit erlassen. Die Wahl der Altersleute erfolgte durch den Rat auf Vorschlag der Zünfte. Sie mußten einen Eid vor dem Rat ablegen und wurden dadurch zu Beamten des Rates. 41 Sie übten innere Funktionen in der Finanzverwaltung des Amtes aus, wobei sie dem Amt gegenüber Rechenschaft ablegen mußten. Die Masse der Bevölkerung bestand aus Handwerkern; so ist es verständlich, daß sie schon früh eine Erweiterung ihrer Rechte forderten und sich an den Aufständen der bürgerlichen Opposition beteiligten; denn „sie verlangten die Kontrolle über die städtische Verwaltung und einen Anteil an der gesetzgebenden Gewalt, sei es durch die Gemeindeversammlung oder durch eine Gemeindevertretung . . ., ferner Beschränkung des patrizischen Nepotismus und der Oligarchie einiger weniger Familien, die selbst innerhalb des Patriziats immer offener hervortraten" 4 2 . Aber Rostocks soziale Erhebungen haben nicht nur die soziale Differenzierung innerhalb der Stadt zur Grundlage, sondern auch die Doppelstellung — Hansestadt und mecklenburgische Territorialstadt — brachte Zwiespalt. Rostock war dem Landesherrn Untertan und hat es auch nie erreicht, sich völlig vom Landesherrn zu lösen, sondern blieb immer Territorialstadt. Von Anfang an mußte deshalb alles Streben auf die Mehrung und Sicherung der städtischen Privilegien gerichtet werden. Handelsfreiheit des Kaufmanns und alleiniger Besitz des Hafens mußten das Ziel sein. Die dauernden Geldschwierigkeiten des Landesherrn einerseits und Rostocks reicher Gewinn aus dem Handel andererseits erleichterten der Stadt den Weg zur städtischen Selbstverwaltung, die 1325 erreicht worden war 43 , die völlige Selbstverwaltung jedoch erhielt sie erst durch das Privileg von 1358, das der Stadt die volle Gerichtsbarkeit gab. 44 Dafür mußte die Stadt dem Landesherrn 2000 Mark zahlen. Sie hatte volles Recht zu Wasser und zu Lande, so weit sich ihre Markscheiden erstreckten. Rostock MUB XIV, Nr. 8268, 8736.

39

MUB XV, Nr. 9048.

40

38

M U B X X , Nr. 11479.

41

LEPS, C., a. a. O., S. 185.

42

ENGELS,

43

F., Der deutsche Bauernkrieg. In: Marx-Engels-Lenin-Stalin, Zur deutschen Geschichte. Bd. I, Berlin 1953, S. 197. 44 M E Y E R , P., a. a. O., S. 30ff. Ebenda, S. 35.

Zur sozialökonomischen Struktur Rostocks

415

hatte sich von fürstlichen Beamten in der Stadt befreit, und der Fürst selbst erhielt nur noch die Bede und den Importzoll. War auch anfangs der Burgvogt Herr der Stadt, so bestanden doch von Anfang an der Rat und die universitas civium. Schon 1218 sind unter einem Protokoll 10 Ratmannen und auch ein Priester Stephan von Rostock erwähnt 4 5 . Die Gemeinde tritt im 13. J h . noch gleichberechtigt neben dem R a t auf. Beide entwickelten sich gemeinsam, aber im Anfang des 14. Jh. hat der Rat seine Macht so ausgebaut, daß die Gemeinde ihm nichts entgegenzusetzen hatte. Nur diejenigen, die das Bürgerrecht erworben hatten, waren vollberechtigte Mitglieder der Gemeinde. Der Erwerb von Grundbesitz war anfänglich Pflicht, und das Lübische Recht hebt die erbgesessenen Bürger besonders hervor. 46 Sie bilden den Hauptbestandteil der Gemeinde. Noch im 13. Jh. verbanden die Interessen des Handels und des Handwerks die Bevölkerung, und der Kampf um die Selbstverwaltung brachte Rat und Gemeinde gleichsam Nutzen. Das wichtigste Recht war das civiloquium; die ältest erhaltene Burgsprake ist von 1240.47 Die Bürger wurden zum Schoß und zur Wehrpflicht herangezogen, n u r einige Ausnahmen von Befreiung sind bekannt. 48 Rostock hat es nie, wie zum Beispiel Stralsund, durch Steuern zu hohem Vermögen gebracht. Beim Schoß muß man die direkte und indirekte Steuer unterscheiden. 1260 wird zum erstenmal „collecta" erwähnt, die von der S t a d t erhoben wird 49 , auch als „tallia" 5 0 erscheint sie unter den Bürgerpflichten. Im 14. und 15. Jh. ist dann die niederdeutsche Bezeichnung „schot" an Stelle von collecta und tallia getreten 61 . Der Schoß wurde Jahr für Jahr erhoben 52 , aber er konnte auch ruhen, z. B. 1305 als Abzahlung für das von der Stadt aufgenommene Darlehen. 53 Grund und Boden sind das Hauptsteuerobjekt, jedoch gibt es eine Art Personalsteuer, den Vorschoß, den jeder in gleicher Höhe zahlen mußte. Der Vorschoß betrug im Durchschnitt 8 Schilling, sinkt jedoch immer mehr ab und weist auf eine Verarmung der Bevölkerung hin. 54 Die Vermögenssteuer betrug einen Pfennig pro Mark. Von der frühesten indirekten Steuer sind die Hopfen- und Butterakzise von 1275 zu erwähnen 5 5 ; die älteste Nachricht einer außerordentlichen Steuer stammt aus dem Jahre 1363.56 45 46 47 60 61 54

65

MUB I, Nr. 254, 255. HACH, J. E., Das alte Lübische Recht. Lübeck 1839, S. 361. 18 4 MUB II, Nr. 1207. MUB V, Nr. 3144. » MUB XIV, Nr. 8749 (2). MUB V, Nr. 3184, 3144; MUB II, Nr. 1480. 62 63 MUB VI, Nr. 3743. MUB V, Nr. 2986. MUB V, Nr. 2986. STATJDE, W., Die direkten Steuern der Stadt Rostock im Mittelalter. In: „Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde". Jg. 77, 1912, S . 144; bis ins 16. Jh. weist es SCHILDHAUER, J., Untersuchungen zur Sozialstruktur wendischer Hansestädte. In: „Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-ArndtUniv. Greifswald", Jg. VI. (1956/57) S. 93 nach. 58 MUB IV, Nr. 1379, 1374. MUB XV, Nr. 9142.

416

ROSEMARIE W I E G A N D

Eine Zusammenstellung des Schoßes aus dem Jahre 1388 verdeutlicht, daß es in Rostock eine breite Mittelschicht — Handwerker — gab, aber nur wenig hohe Vermögen. So setzt sich die Einnahme des Schoßes aus 1,6% des Vorschoßes, 75,6% dazwischenliegender Steuergruppen, 21,2% der Vermögenssteuer für 400 bis 1600 Mark und nur 1,6% der Vermögenssteuer für über 1600 Mark zusammen. 57 Anfänglich scheint der Rat vom Landesherrn eingesetzt worden zu sein. I n der Gemeinde waren noch alle ratsfähig, außer derjenigen, die Amt und Lehen vom Rat hatten. Das bezeugen die Handwerker, die sich im 13. J h . im R a t nachweisen lassen. 1213 tritt unter den 10 Ratsleuten ein „Henricus Faber" als „consul oppidi" auf. 58 Bis 1286 befinden sich Handwerker im Rat 5 9 , während im 14. Jh. keine Handwerker in städtischen Ämtern zu erkennen sind. Der Rat stand der Gemeinde vor und hatte sich bis zum 15. J h . gegenüber den Herzögen eine immer unabhängigere Stellung errungen, aber auch den Bürgern gegenüber war er immer selbständiger geworden. Die Wahl wurde später einer kleinen Gruppe überlassen, da das im Lübischen Recht verankerte Kooptationsrecht galt. . Über die Voraussetzung zur Ratswahl ist nur ein Beleg erhalten: es muß die echte und freie Geburt nachgewiesen werden, er darf keinem Herrn Untertan und sein Reichtum nicht „van openbare handwerk hebben gewunnen" sein 60 , auch sollien keine ,,twe brodere" zusammen im R a t sitzen. Durch das Anwachsen des Handelskapitals war die Stadt zu wirtschaftlicher Stärke gelangt, wodurch bald ein kleiner Kreis, der sich das Recht erworben hatte, Ratsherr zu werden, entstanden war. Er bestand aus der einflußreichen weil ökonomisch stärksten Schicht, dem Handelsbürgertum und bald nur noch aus seinen reichsten Vertretern, den Fernhändlern, dem Patriziat. 61 Sie saßen von Anfang an im Rat und haben sich nicht erst, wie in Lübeck, Ende des 13. Jh. ihre Macht erobert, sie bauten sie nur aus. Zu einer reinen Rentnerschicht ist es nie gekommen, da das erworbene Land auch der Stadt gegenüber steuerpflichtig war. 62 Im 13. Jh. ist es noch keine fest in sich abgeschlossene Gruppe, die Grenzen sind fließend. Dies zeigt eine Aufstellung: von 1250—1300 findet man 200 verschiedene Namen unter den Ratsherren, ein Teil von ihnen wurde nur einmal in den Rat gewählt, während bei 13 Mitgliedern eine Wiederwahl nachweisbar ist. Von 1350—1400 sind nur 30 Namen H A M A N N , M., Der Einfluß . . . a. a. O . , S. 2 7 . MUB I, Nr. 244. 58 MUB II, Nr. 686, 838; MUB III, Nr. 1889. 60 MUB III, Nr. 2003, 2423. 61 Zum Begriff „Patriziat": es ist die ökonomisch und politisch stärkste Schicht des Handelsbürgertums der Stadt, die sich durch verwandtschaftliche Bindungen durch Konzentration des Handelskapitals nach außen hin abschließt. In Rostock sind es die Brauer und Kaufleute, in Stralsund hingegen die Gewandschneider. "2 Kollach, K., Bürgerlicher Landbesitz der Stadt Rostock im 14. und 15. Jh. (bis 1350). Königsberg 1939. 57

68

Zur sozialökonomischen Struktur Rostocks

417

zu finden.63 So liegt die Stadtherrschaft in den Händen der mächtigsten Familien, die versuchen, ihren Einfluß durch enge verwandtschaftliche Beziehungen zu erhalten und auszubauen. Es gelingt nur noch wenigen Bürgern, durch reichen Gewinn oder durch Heirat in diese Gruppe einzudringen. Dadurch war eine gewisse Abgeschlossenheit erreicht. — Der Rat setzte sich aus den Vertretern des Handelspatriziats zusammen.64 Im 15. Jh. waren in Rostock 17 Familien herrschend, sie werden vom Volksmund in einem spöttischen Vers besungen: ,,De witten wilden Wülf hebben Hollogen / Un schwemmen to Grenz över de Aa, / Dat erföhren de von Baggeel un Buke / Un blösen int Horn, dat man et hörte / To Kröpelin up dem Kerhofe, / Do quam Katzow to Maaken."65 In diesen Familien vererbte sich die Ratsfähigkeit, obwohl de jure auch die nicht im Rat sitzenden Kaufleute ratsfähig waren, so gab es doch durch Vermögensungleichheit graduelle Unterschiede, die dann zu politischen Gegenstäzen wurden. Die ursprünglichen Rechte der Gemeinde waren auf formale zusammengeschrumpft, so das Etting im 14. und 15. Jh. und die Bürgerversammlung, aber die Pflichten wuchsen ständig an. Im 15. Jh. verschiebt sich das Verhältnis zwischen Arm und Reich auf Kosten der mittleren Schicht, des ,,gemenen Kopmannes". Dies ist an den Wohnungsverhältnissen der Stadt — aus den Schoßlisten ersichtbar — nachweisbar: im 15. Jh. kamen auf 100 Häuser 123 Buden, daneben gab es noch Kellerbewohner, sie zählten 1410 20, 1493 schon 273.66 Man kann annehmen, daß die Zahl höher war, denn nicht alle Kellerbewohner werden in der Lage gewesen sein, Schoß zu entrichten. Im 15. Jh. standen neben dem Patriziat und der geringen Zahl wohlhabender Kaufleute die große Menge des mittleren Handelsbürgertums, der Handwerksmeister und die plebejische Schicht. Sie führten immer wieder Klagen über die Günstlings- und Interessenwirtschaft des Rates, aus der für sie nur Nachteile erwuchsen. So kommt es in Rostock innerhalb von 150 Jahren viermal zu Erhebungen gegen den Rat: 1286/87, 1312, 1408 und 1427. Konnten sich die Zünfte auch infolge der rechtlichen Abhängigkeit vom Rat nicht zu politischen Machtinstrumenten entwickeln, so wurden sie doch zu Gemeinschaften des politischen Kampfes gegen die Bevormundung des Rates. Hingen die Erfolge der Zünfte in den Kämpfen von 1287 und 1312 von der Stärke und Dauer der Beteiligung der Kaufleute ab, so sind 1427 die Forderungen der Zünfte so stark, daß sie von der plebejischen Schicht unterstützt werden und die Kaufleute auf die Seite der Ratspartei treten. Der Aufstand von 1427/28 bildet einen gewissen Abschluß, denn die Domfehde von 1489 leitet einen neuen Abschnitt im Kampf um die politische Macht 63

RÖMER, H. U., Das Rostocker Patriziat bis 1400. Schwerin 1932, S. 29.

64

RÖMER, H . U . , a . a . O . , S . 3 7 ; f ü r d a s 16. J h . SCHILDHATTER, J . , S o z i a l e ,

66 66

27

und religiöse . . . a. a. 0., S. 31. Zitiert bei Lindberg, Chronicon Rostochiense, vor 1596. H A M A N N , M . , D e r E i n f l u ß . . . a . a . O . , S. 26. Hansische

Studien

politische

418

ROSEMARIE WIEGAND

ein. Tagelöhner und städtische Armut haben sich von den Zünften deutlich geschieden und bekämpfen alle Macht und allen Reichtum. Die Domfehde findet in einer Reihe von Aufständen im 16. J h . ihre Fortsetzung, wobei die Reformation eine Rolle spielt. 67 Rostochienses / Sunt velut enses / Semper acuti / Proelia poscunt / Necbene noscunt / Encitus uti. 6 8 Zum Bürgerkampf69 von 1427 Rostock h a t t e im 15. J h . den Höhepunkt seiner wirtschaftlichen und politischen Macht überschritten und war der Macht der Niederländer erlegen. 70 Rostock war kein wirtschaftliches Zentrum mehr, auf geistigem Gebiet aber sollte es noch einmal zum Sammelbecken der niederdeutschen Städte und der nordischen Staaten werden. Die Herzöge J o h a n n I I I . und Albrecht V. errichteten in Rostock eine Akademie und Hohe Schule, die Papst Martin V. am 12. 2. 1419 sanktionierte; eine theologische F a k u l t ä t wurde jedoch nicht genehmigt. 71 Die Universität ist zweifach Untertan: dem Landesherrn, der dadurch versuchte, seinen Einfluß in der Stadt zu stärken, und der Stadt. Dadurch ist die Universität eng mit den Unruhen der Stadt verbunden. Dem Rostocker R a t war es trotz aller Eide und Drohungen nicht lange möglich, die alte, unter harten Kämpfen im Jahre 1408 hergestellte Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Anlaß zu neuen Empörungen war der Mißerfolg der wendischen Städte im Krieg gegen König Erich von Dänemark Ende J u l i 1427, der in Hamburg, Wismar und Rostock zu Empörungen führte. 7 2 Der dänische König ließ Briefe unter der Bevölkerung verteilen, in denen behauptet wurde, daß der R a t ohne Befragung der Gemeinde m i t ihm Verträge abgeschlossen habe. Er ersuchte die Gemeinde, den R a t zur Aufgabe des Krieges zu veranlassen und Schadenersatz zu fordern. Diese Briefe verfehlten ihre Wirkung nicht. 7 3 Die sozialen Spannungen kamen zum Durchbruch. Den Höhepunkt der Empörung bildete die Wahl eines 60 Personen umfassenden Bürgerausschusses, der zur Hälfte aus Kaufleuten und Handwerkern bestand. 7 4 67

Diese Zeit wird von SCHILDHATJER, J., Soziale, politische und religiöse Auseinandersetzungen . . . a. a. O., behandelt. * Alte Variante des Städtespruches, abgedruckt bei LANGE, R., Verfassungskämpfe bis in die Mitte des 15. Jh. In: Schulprogramme. Rostock 1888, S. 5. ,9 CZOK, K., Zunftkämpfe, Zunftrevolutionen oder Bürgerkämpfe. In: „Wiss. Ztschr. der Karl-Marx-Univ., Leipzig", Ges. u. sprachwiss. Reihe. 8. Jg. (1958/59) H. 1, S. 143. 70 BURMEISTER, C. H., Beiträge zur Geschichte Europas im 16. Jh. aus den Archiven der Hansestädte. Rostock 1843, S. 5. 71 KRABBE, O., Die Universität Rostock. I. Teil, Rostock 1854, S. 31 ff. 8

72

73 74

HAMANN, M . , D e r E i n f l u ß , a . a . O . , S . 5 8 .

LISCH, G. C. F., Über das Rostocker Patriziat. In: „Jahrbücher des Vereins f. Mecklenburgische Geschichte u. Altertumskunde-', 11. Jg., 1846, S. 169ff. Bürgerbrief von 1427, Artikel 31, abgedruckt bei Lange, R., a. a. 0., S. 5.

Zur sozialökonomischen

Struktur

Rostocks

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Dieser Ausschuß verfaßte einen Bürgerbrief und zwang den Rat zur Bestätigung. Der Rat versprach die Bestätigung für den nächsten Tag, um Zeit zu gewinnen. Der älteste Bürgermeister, Heinrich Katzow, verließ als erster die Stadt, ihm folgten am nächsten Tag Heinrich Buk, Friedrich von Zehma und als letzter Johann Odbrecht. Dies geschah vermutlich am 26. 10. 142775. Die geflohenen Ratsherren wurden vor ein Gericht geladen, als sie diesem jedoch fernblieben, galt ihre Verbindung zum Dänenkönig als bewiesen, und sie wurden in Acht getan. 76 Die Herzogin Katharina verurteilte die Geflohenen zum Verlust ihrer mecklenburgischen Güter am 16. 1. 1428.77 Mit Zustimmung der Gemeinde wurde am 6. 12. 1427 ein neuer R a t gewählt, und alte Ratsmitglieder sollten nur bei Wiederwahl in den R a t gelangen. 78 Handwerker kamen, im Gegensatz zu 1408, nicht in den Rat. Neben den 6 alten Ratsmitgliedern wurde der Rat „von den kopluden und den uppersten borgern der stadt" ergänzt. Der neue Rat unterschied sich in seiner sozialen Struktur kaum von dem verdrängten. Das Durchschnittsvermögen betrug 1470 Mark, lag also höher als je zuvor. Der neue Rat wies einige reiche Bürger, die ihren Reichtum meist durch Seeraub vergrößert hatten, aus der Stadt.. Darunter waren auch die Söhne Heinrich Wittes und Heinrich Buks sowie Engelke Katzow. Ihr Vermögen wurde ihnen aber 1440 zurückerstattet. 79 Am 22. 2. 1428 wurde der Bürgerbrief, die Forderungen der Kaufleute und Zünfte enthaltend, vom neuen R a t bestätigt. Er umfaßte 44 Artikel und sollte eine Garantie für gewisse Rechte bei der Ausübung der politischen Macht darstellen. Artikel 1, 3 und 9 umfassen die Aufgaben des Sechziger-Ausschusses. Einige Ratsämter sind dem Rat rechenschaftspflichtig; dadurch sollten Unterschlagungen unmöglich gemacht werden. Ein Teil der Artikel (23—41, 43, 44) enthält eine urkundliche Anerkennung schon bestehender Zustände. Artikel 30 legt fest: alle sind steuerpflichtig, der Vorschoß wird auf 8 Schilling festgesetzt. Das Vermögen soll pro Mark mit einem Pfennig verschoßt werden, eine Erhöhung ist ausdrücklich untersagt. Artikel 24: die Amtsdauer soll lebenslänglich sein, und nur bei Todesfall oder Ausschluß sollte nach freier Wahl ergänzt werden. Artikel 35: die alten Ratsmitglieder sollen vom R a t ausgeschlossen werden; auch eine Beteiligung an einer Verschwörung sollte ein Hinderungsgrund zur Ratswahl sein. Artikel 36: wer die Privilegien der Stadt nicht achtet, geht seines Amtes verlustig. 75 76

78

79

27*

Die Chronik der niedersächsiscken Städte. Lübeck. Bd. III, 1912, S. 292, Anm. 1. 77 L A N G E , R . , a. a. O . , S. 1 8 . Ebenda, S. 1 9 . Bericht über die Ratswahl am St. Nikolaustage 1427, abgedruckt bei M A N N , H., Die Entwicklung der Rostockischen Stadtverfassung. In: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock. Bd. I, 1890. H A M A N N , M . , Der Einfluß . . . a. a. O., S. 59/60.

420

ROSEMARIE WIEGAND

Durch diesen Brief hatte die Opposition zweierlei erreicht: die Macht des Patriziats war gebrochen, und eine Beteiligung an der Politischen Macht war erreicht! Die Mehrheit im Rat besaßen die nichtzunftmäßigen Vertreter, die allerdings auch die breiten Schichten der Bevölkerung hinter sich hatten. Die Gemeinde erhoffte sich eine neue Politik, die von diesem Rat jedoch nicht durchgeführt werden konnte, da er — seiner Struktur entsprechend — eine echte Kaufmannspolitik führte. Die Voraussetzung: der Frieden. Der Rat schloß gegen den Willen der anderen Städte 1430 einen Separatfrieden mit dem Dänenkönig. 80 Die Herzogin ging zum alten Rat über und setzte ihn in Wismar in seine Rechte ein, um mit ihm die Stadt zu erobern. Dieser Versuch scheiterte an der Einheit des neuen Rates. So sah auch sie sich gezwungen, mit der Stadt Frieden zu schließen. König Sigismund stellte sich gegen den neuen Rat und t a t die Stadt am 23. 3. 1431 in Reichsacht und am 12. 5. 1432 in die Oberacht. Der alte R a t suchte jetzt bei der KirchenVersammlung in Basel Hilfe. Papst Eugen IV. verhängt über die Stadt das Interdikt, aber trotzdem werden von einigen Ordensgeistlichen die kirchlichen Ämter versehen. Auch die Vermittlung der Hansestädte, wozu diese sich auf dem Hansetag in Lübeck 1408 verpflichtet hatten, blieb ohne Erfolg. 81 Die Universität mußte auf Beschluß des Baseler Konzils die Stadt verlassen, jedoch kam sie erst Ostern 1437 dem Beschlüsse nach und ging nach Greifswald. 82 Die Städte Lübeck, Hamburg, Wismar und Lüneburg sahen sich gezwungen, gegen Rostock mit dem alten Rat ein Bündnis zu schließen und stellten dem neuen Rat ein Ultimatum: der alte Rat ist bis zum 10. 8. 1439 wieder einzusetzen, sonst treten sie gegen Rostock in den Krieg. 83 Am 29. 9. 1439 kehrt der alte Rat zurück und wird in seine alten Würden und Ämter eingesetzt, jedoch verläßt kein neues Ratsmitglied den Rat 8 4 , der Sechziger-Ausschuß verlor an Bedeutung, und der Bürgerbrief wurde außer Kraft gesetzt. Die Landesherren hatten durch die Unruhen in der Stadt wieder an Einfluß gewonnen und ließen sich den Treueid schwören. 85 Die vermittelnden Städte übernahmen die Lossprechung vom Kirchenbann, die am 3. 1. 1440 erfolgte. 86 König Friedrich III. löste die Stadt erst am 11. 12. 1443 aus der dreifachen Acht und Oberacht. 8 ' Am 12. 8. 1454 kehrten die vertriebenen Familien in die Stadt zurück, ebenfalls die Universität. Die Handwerker waren bis zuletzt auf der Seite des neuen Rates, wenn es auch innerhalb nicht an Spannungen fehlte, deren letztes Ergebnis der Stimmungsumschwung zugunsten des alten Rates war. Die Altersleute des Sechziger-Ausschusses nahmen eine schwankendere Haltung als die breiten Schichten ein. Die enge Verbindung der Handwerker mit den Ärmeren brachten die 80 81 84 86

LANGE, R., a. a. 0., S. 22 auch im folgenden. 82 Ebenda, S. 17. HR II, 2, Nr. 306. 85 H R I I , 2, Nr. 315. H R I I , 2, Nr 316. LANGE, R „ a. a. O., S . 2 5 .

87

83

HR II, 2, Nr. 316.

LISCH, G. C. F . , a. a. 0 . , S . 180.

Zur sozialökonomischen Struktur Rostocks

421

gemeinsamen Forderungen der Kaufleute und Zünfte zu einem gewissen Erfolg. Die Zünfte wurden aber auch oft gezwungen, gegen ihren Willen für und mit den Kaufleuten zu handeln. So war die Reformbewegung von vornherein in ein fortschrittliches und reaktionäres Lager gespalten, und der Erfolg konnte nicht für lange Zeit gesichert sein. Die Einleitung des Bürgerbriefes von 1428 zeigt deutlich die reaktionäre Forderung: ,,Alte Freiheiten und Gerechtigkeiten wie es von altersher gewesen i s t . " Diese Forderung war überholt, denn das Wirtschafts- und Rechnungswesen bedurfte einer weiteren Entwicklung. Die Kaufleute hatten erkannt, daß ihre Zeit einer neuen Verfassung bedurfte. Sie rangen um die Macht und hatten durch die Unterstützung der plebejischen Opposition Erfolg. Sie stellten in Rostock eine relativ große Schicht dar. Viele von ihnen erlangten Zutritt zum R a t . Auch die Einsetzung des alten Rates kann man nicht als Sieg der Reaktion betrachten, denn die alten erstrebten Zustände waren damit abgetan, und eine Verankerung der politischen Macht des fortschrittlichen Handelskapitals war gegeben. Die bürgerliche Opposition kann auch Ende des 15. J h . nur mit Unterstützung der plebejischen zu Recht gelangen, schließlich aber — an die Macht gelangt — verläßt sie den anfangs proklamierten Weg und setzt die Politik des Handels fort. Dadurch überwindet das Handelskapital die Beschränkung der Zunft. I m 16. J h . kann Rostock durch den Landhandel den Anschluß an die wendischen Städte wieder finden.

E I N I G E B E M E R K U N G E N Ü B E R D I E B E D E U T U N G DES EXPORTS

IM RAHMEN

POMMERSCHEN

DES O S T S E E - G E T R E I D E H A N D E L S

IM 13. U N D

14. J A H R H U N D E R T von B. Zientara

In letzter Zeit hat die Frage der Genesis der unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Ost- und Westeuropas wieder die Aufmerksamkeit vieler Forscher erweckt. Die charakteristischen Züge der Entwicklung des ostelbischen Baumes seit dem 16. Jh. — Niedergang der Städte, Entstehung großer Adelsgüter mit intensiver Getreideproduktion, die sich auf der Fronarbeit erbuntertäniger Bauern stützte — werden oft im Zusammenhang mit der großen Entwicklung des Getreidehandels in den Ostseeländern seit dem 15. Jh. gebracht. Einige Forscher sehen sogar darin die Hauptursache der späteren wirtschaftlichen Sonderentwicklung Ostmitteleuropas: der zunehmende Getreidebedarf der urbanisierten Länder des Westens (der Niederlande und Englands) sollte das Streben des Adels Ostelbiens zur Teilnahme am Gewinn im Getreidehandel fördern: Der Adel brach mit Hilfe der ausländischen Getreidehändler den schwachen Widerstand einheimischer Städte, und vermittelst seiner überragenden Stellung im Staate führte er eine bauernfeindliche Gesetzgebung ein. Die Bauern, verarmt und vom Markte zurückgedrängt, konnten nur wenige städtische Erzeugnisse kaufen. Die besseren Sorten, für die höheren Schichten bestimmt, wurden vom Ausland importiert; so gestaltete sich im Handel ein Verhältnis der Unterordnung der vorwiegend landwirtschaftlichen Länder Ostelbiens unter die reichen industriellen Staaten des Westens.1 Wie wir sehen, spielt hier der Ostsee-Getreidehandel die Rolle einer Triebfeder, die die ganze Entwicklung in Bewegung setzt; deshalb verdient er unsere besondere Aufmerksamkeit. Und bevor wir antworten, ob dieser Handel wirklich eine so große Bedeutung hatte, müssen wir seine Anfänge und erste Entwicklung etwas genauer untersuchen, als es bisher üblich war. Denn die Verände1

Vgl. meinen Artikel „ Z zagadnieri spornych tzw" wtörnego poddanstwa" w Europie srodkowej. In: „Przeglqd Historyczny", 47. 1956, S. 1—47. (Deutsche Zusammenfassung in: „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", 4. 1956, S. 750—754.) Den letzten Beitrag zu dieser Diskussion gab SKAZKIN, S. D., Osnovnye problemy tak nazyvaemogo „vtorogo izdanija krepostniöestva" v Srednej i Vostocnoj Evrope. In: „Voprosy Istorii", 1958, Nr. 2, S. 96-119.

Pommerscher Export im Ostsee-Getreidehandel

423

rangen in der Agrarstruktur und Sozialentwicklung Ostelbiens sind erst seit dem Ende des 15. Jh. bemerkbar; der Getreidehandel der Ostseeländer ist aber viel älter. Wir haben leider fast keine zahlenmäßigen Nachrichten über diese früheren Perioden. Das befreit uns jedoch nicht von der Notwendigkeit einer sorgfältigen Untersuchung dieser sehr bedeutsamen Erscheinung. Es existieren in der Geschichtswissenschaft sehr verschiedene Meinungen über die Bedeutung des Ostsee-Getreidehandels in der Zeit vom 13. bis zum 15. Jh. Solche Meinungsverschiedenheiten sind nur deshalb möglich, weil die bisherigen Untersuchungen dieses Thema zu wenig und zu mangelhaft berührt haben. Wenn man aber die Entwicklung dieses Handels im Zusammenhang mit seinem Einfluß auf die Landwirtschaft untersuchen wird, dann werden viele Tatsachen klarer erscheinen. Vielleicht könnte man dann erkennen, ob auch damals leichterer Getreideabsatz die Entwicklung landwirtschaftlicher Großbetriebe beeinflußte und in welchem Zusammenhang die „Fehlsiedlung" des 13. Jh. und die späteren Wüstungen mit dem zu- und abnehmenden Getreideabsatz stehen. Welchen Einfluß haben die großen Pestepidemien des 14. Jh. auf die Getreideproduktion in Ostelbien ausgeübt ? Selbstverständlich braucht die Beantwortung dieser Fragen ziemlich langwierige Untersuchungen, die zweifellos die Kräfte eines einzelnen Historikers übersteigen würden. Ich möchte hier nur einige Fragen berühren, die einerseits mit meinen Forschungen über den pommerschen Getreidehandel, andererseits mit einigen Gedanken in Zusammenhang stehen, die Professor M. Lesnikow in seinen Aufsätzen aufgeworfen hat. Es ist kaum möglich, hier die verschiedenen Meinungen über die Bedeutung des Ostsee-Getreidehandels in der Zeit vom 13. bis 15. Jh. darzulegen. Die ersten Untersuchungen zu diesem Thema sind von der Schmollerschen Schule ausgegangen und sollten dessen These von der städtischen Wirtschaftspolitik im Mittelalter beweisen. Ein Schüler Schmollers, Naudé 2, der sich dieser Aufgabe gewidmet hatte, hielt sich doch allzu straff in den Schranken der Theorie seines Lehrers und ordnete das Quellenmaterial dem Schema unter. Er hatte eine Reihe von Quellen über die nicht geringe Bedeutung dieses Handels gefunden, schrieb ihm aber keine größere Bedeutung zu. Seine Ansichten wurden anerkannt und in die Lehrbücher einbezogen: erst Fritz Rörig brachte in den zwanziger Jahren und später immer schärfer seine Überzeugung von der großen Bedeutung des hansischen Getreidehandels schon im 13. Jh. zum Ausdruck.3 Leider konnte er die Beweise nicht in einer speziellen Arbeit vorlegen. Seine Meinung wurde von anderen hervorragenden Historikern, wie Heinrich 2

3

NAITDB, W., Deutsche städtische Getreidehandelspolitik vom 15. bis 17. Jh. mit besonderer Berücksichtigung Stettins und Hamburgs. Leipzig 1889; derselbe, Die Getreidehandelspolitik der Europäischen Staaten vom 13. bis zum 18. Jh. Acta Borussica, Getreidehandelspolitik, I. Berlin 1896. So in seinen Hansischen Beiträgen, Breslau 1928, S. 211, 235; besonders scharf in dem Buch: Vom Werden und Wesen der Hanse. Leipzig 1940, S. 20—22.

424

B . ZLENTARA

Bechtel 4 und Michael Postan 5 geteilt, jedoch fast ohne Versuch einer Beweisführung. Doch hat schon H. Hennings in der Gedächtnisschrift für Rörig seine Meinung über diese Frage viel vorsichtiger formuliert.® Die entgegengesetzte Meinung, die sich schon 1901 zeigte, und zwar in einem russischen und deshalb wenig bekannten Artikel von Kulischer7, wollte den akzidentalen und unregelmäßigen Charakter des Getreidehandels im Mittelalter beweisen und seine Existenz mit den Hungersnöten dieses Zeitalters verbinden. Dazu stellte Kulischer die These auf, daß die Entwicklung des Getreidehandels zwar im Westen die Plage der Hungersnöte gemindert, aber dieselben Erscheinungen in Ostmitteleuropa vermehrt habe. So konnte er auch die Existenz größerer Getreideüberschüsse in Europa überhaupt für diese Zeit in Frage stellen. In letzter Zeit beschäftigte sich mit diesem Problem M. P. Lesnikow, vor allem in dem 1955 erschienenen Artikel in „Srednie Veka".8 Während seiner Untersuchungen über die Veckinchusenschen Handelsbücher und Handelskorrespondenz hatte er bemerkt, wie wenige Aufzeichnungen in diesen Quellen den Getreidehandel betreifen. Das veranlaßte ihn zur Meinung, daß der Getreidehandel in der Ostsee und der Getreideexport nach Flandern eine viel geringere Rolle gespielt haben, als es aus der Darstellung Naudes hervorgeht. Dazu untersuchte Lesnikow noch die Handelsrechnungen des Deutschen Ordens, der als ein großer Getreideexporteur des 14. Jh. galt. Auch hier stellte sich heraus, daß der Kornexport des Ordens ganz geringe Bedeutung gehabt hatte und meistens in den Mißerntejähren betrieben worden war. Ich meine auch, daß man der Getreideeinfuhr aus dem Hansegebiet nach Flandern nicht allzu große Bedeutung zuschreiben kann: der größte Teil des in Flandern verbrauchten Getreides stammte aus Nordfrankreich, auch aus England; die hansische Einfuhr nach Flandern war nur eine zusätzliche Ergänzung. Aber Lesnikow will auf Grund seiner Forschungen allgemeinere Schlüsse ü ber die Bedeutung des Ostsee-Getreidehandels ziehen. Er stellt, wenn auch sehr vorsichtig, die bisher herrschenden Meinungen von dem Ausmaß des hansischen Getreidehandels überhaupt in Frage und meint, daß die hohen Fracht4

5

6

7

8

BECHTEL, H . , Wirtschaftstil des deutschen Spätmittelalters. München und Leipzig 1930, S. 90-98; derselbe, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. I 2 1951, S. 236, 319, 354. POSTAN, M., The Trade of Medieval Europe, the North. In: The Cambridge Economic History of Europe, II. Cambridge 1952, S. 120ff. H E N N I N G S , H . , Die Lübecker Kornhäuser zu Beginn des 14. Jh. In: Städtewesen und Bürgertum als geschichtliche Kräfte. Gedächtnisschrift für Pritz Rörig. Lübeck 1953, S. 329. KTJLISCHER, J . , Chlebnaja torgovlja v srednie veka. In: „Narodnoe Chozjajstvo" 2, 1901, Nr. 3, S. 1-21, Nr. 4, S. 9-26. LESNJXOV, M . , Nekotorye voprosy baltijsko-niderlandskoj torgovli chlebom v konc e XIV-naöale XV veka. In: „Srednie Veka", 7. 1955, S. 112-134.

Pommerscher

Export

im

Ostsee-Getreidehandel

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kosten den Getreidehandel nur bei den größten Preisdifferenzen lohnend machten und deshalb sei er keineswegs ständig betrieben worden. Die Thesen Lesnikows verdienen Beachtung und quellenmäßige Untersuchung. Aber bevor man neues Material über die Getreide- und Frachtpreise zusammenstellt, wollen wir hier noch einige andere Tatsachen betrachten. 1. Wir haben hier mit einer großen Zeitperiode zu tun, ungefähr von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 15. J h . In dieser Zeit könnten die Handelsverhältnisse vielfach gewechselt haben, zumal die schwarze Pest viele Veränderungen in die Getreidemarktverhältnisse gebracht haben konnte. Wir können die Frage stellen, ob die Intensität des Getreidehandels in der 2. Hälfte des 14. Jh. nicht minder gewesen ist als in der ersten. Vielleicht veränderten sich auch damals die Richtungen des hansischen Getreidehandels? 2. Es scheint mir, daß vom 13. bis 15. J h . der größte Absatzmarkt des hansischen Getreides nicht Flandern, sondern Norwegen gewesen ist. Die Handelsfehden Norwegens mit den Hansestädten im 13. J h . sind seit den Studien von Harttung 9 allgemein bekannt. Man muß unterstreichen, daß es Mangel an Getreide war, der die norwegische Regierung zur Kapitulation vor der Hanse zwang. Hansisches Getreide war schon damals für die Bevölkerung Norwegens unentbehrlich 10 , und wir sollen uns daran erinnern, daß ein Teil dieses Getreides bereits nach Island reexportiert wurde. 11 In späterer Zeit wurden Nord- und Westnorwegen Absatzmarkt für lübeckisches Getreide, während Ostnorwegen in diesem Sinne von den Rostockern erobert wurde. 12 Die Norweger wollten sich anfangs vom hansischen Import unabhängig machen. Wir kennen ihre Versuche, das notwendige Getreide zu besorgen. Ich kann noch auf ein weiteres Beispiel hinweisen, nämlich die wenig bekannten norwegischen Versuche in Pommern, wo sie in einigen Häfen privilegiert wurden. Schon 1266 wurde bei Kolberg der Roggen nach norwegischen Maßen gemessen und nicht nur beim Handel mit norwegischen Kaufleuten, sondern auch im inneren Verkehr. 13 Beweist das nicht engere Beziehungen zwischen Norwegen und Pommern ? Wann tritt nun Holland als Absatzmarkt des Ostsee-Getreidehandels auf? Wie allgemein bekannt ist, mußten Holland und Seeland schon im 12. u n d 13. Jh. Getreide einführen, zuerst aus dem Rheinland und Niedersachsen. 14 Aber schon 1284 sehen wir in Dordrecht Getreidetransporte aus Rostock. 15 9

HARTTUNG, J., Norwegen und die deutschen Seestädte bis zum Schlüsse des 13. Jh. Berlin 1877.

10

JOHNSEN, O., N o r w e g i s c h e W i r t s c h a f t s g e s c h i c h t e . J e n a 1939, S. 1 1 9 f f . ; SCHREINER,

J., Bemerkungen zum Hanse-Norwegen-Problem. In: „HGB11.", 72, 1954, S. 67. 11

13 14 15

JOHNSEN, O., a. a. O., S. 133, 191.

12

A . a. O., S. 164.

Pommersches Urkundenbuch (weiterhin geführt als: PUB) II, Nr. 792, S. 141. BÄCHTOLD, H., Der norddeutsche Handel im 12. und beginnenden 13. Jh. Leipzig 1910, S. 50ff. Bronnen tot de geschiedenis van den Oostzeehandel. Hrsg. von H. Poelman. Bd. I , Gravenhage 1917, Nr. 36, S. 8.

426

B. ZlENTARA

Und welche Bedeutung die hansische Getreideeinfuhr für Holland in der ersten Hälfte des 15. Jh. hatte, davon zeugen die umfangreiche Korrespondenz und verschiedenen Aktenstücke aus der Zeit der hansischen Handelssperre gegen Holland vom Jahre 1438. Philipp der Gute schreibt damals wörtlich, daß wegen mangelnder Zufuhr aus dem Ostland eine große Getreideteuerung in Holland, Seeland und Friesland entstanden sei.16 Die holländischen Behörden unternahmen damals alles mögliche, um die Kaufleute verschiedener Hansestädte zum Durchbrechen der Sperre zu bewegen. Wenig bekannt sind noch die Beziehungen zwischen Hanse und Schottland. Es ist möglich, daß auch dieses getreidearme Land etwas Getreide aus den Ostseeländern einführte. Dieser hansische Getreidehandel wurde im 13. Jh. vor allem in den Händen der Lübecker konzentriert. Lübeck spielte die größte Rolle bei den norwegischen Handelskriegen 1248 und 1284; in Lübeck wollten die Norweger das benötigte Getreide beschaffen. Schon Mollwo schrieb dem Kornhandel Lübecks eine große Bedeutung zu 1 7 ; in letzter Zeit hat Hennings die Lübecker Kornspeicher der ersten Hälfte des 14. Jh. untersucht, und wir kennen etwa 30 solcher Gebäude an der Trave, die Kornböden bei den Wohnhäusern nicht einbegriffen.18 Woher brachten die Lübecker ihr Getreide? Man denkt hier vor allem an den städtischen Grundbesitz und an den Besitz der Bürger außerhalb des Stadtgebietes. Die Lübecker hatten wirklich einen umfangreichen Grundbesitz gewonnen: die Stadt selbst, städtische caritative Institutionen, endlich die einzelnen Bürger, erwarben einzelne Hufen, Renten oder ganze Dörfer nicht nur in der Nachbarschaft Lübecks, in Holstein und Mecklenburg, sondern auch auf Rügen und in Pommern.19 Die lübeckischen Kreuzfahrer in Livland hatten aus der unterdrückten Bevölkerung mehrere Korntribute erpreßt, die sofort auf die Schiffe geladen und nach Lübeck gebracht wurden.20 Auf demselben Weg kamen die Kornernten aus den in wendischen Gebieten gelegenen lübeckischen Besitzungen. Das alles reichte aber nicht aus — die lübeckischen Kaufleute mußten einen zusätzlichen Getreideaufkauf organisieren. Wo konnten die Lübecker größere Mengen an Getreide bekommen ? Pomerellen, ein Land, das später einmal so viel Getreide exportierte, mußte damals manchmal selbst Korn einführen: So bekam das Zisterzienser-Kloster Oliva beispielsweise die Erlaubnis, 24 Wispel Korn jährlich aus Pommern einzuführen.21 Auch aus Kujawien kam das Getreide auf den Weichselkähnen nach 16 17 18

A. a. O., I, Nr. 1350, S. 351f. MOLLWO, C., Die ältesten lübischen Zollrollen. Lübeck 1894, S. 45. H E N N I N G S , H . , a . a . O., S . 3 2 2 .

G., Lübecks Stadtgebiet. In: Städtewesen und Bürgertum. S. 243—296. JOHANSEN, P., Die Bedeutung der Hanse für Livland. In: „HGbll." 65/66, 1940/41, S. 12. PUB II, Nr. 618, S. 28.

19 F I N K , 20

21

Pommerscher

Export im

Ostsee-Getreidehandel

427

Pomereilen. Erst seit der Mitte des 14. Jh.. hören wir vom Getreideexport aus Pomerellen, der jedoch schnell an Bedeutung zunahm. Auch Livland hat seine Bedeutung in diesem Sinne erst im 14. Jh. erworben. Es kommen also nur Holstein, Mecklenburg und Pommern in Betracht. Wahrscheinlich lieferten alle drei Länder gewisse Mengen von Getreide nach Lübeck, aber die Nachrichten über den Getreideexport aus Pommern sind am zahlreichsten, und das entspricht, wie ich meine, auch der Bedeutung des pommerschen Getreidehandels. Es ist durchaus möglich, daß in erster Linie der Getreidereichtum des pommerschen Odergebietes die Lübecker nach Pommern lockte. Die reichsten Gegenden zwischen Oder und Randow und der Pyritzer Weizacker waren schon vor der deutschen Kolonisation verhältnismäßig dicht besiedelt. Höchstwahrscheinlich waren schon zur Zeit der Mission Ottos v. Bamberg die pommerschen Städte, wie Stettin und Wollin, auf Getreideeinfuhr nicht nur aus der nächsten Gegend angewiesen. Wenn auch die dänischen Einfälle viele Dörfer vernichtet hatten, so wurde doch von den deutschen Ankömmlingen die Getreideproduktion in einem noch größeren Umfang entwickelt. Vom Anfang an zeigt Stettin Interesse für Getreidehandel. Schon im Privileg von 1243 wurde Getreide als Handelsgegenstand erwähnt 2 2 ; so auch in der berühmten Zollrolle aus etwas späterer Zeit. 23 Der sehr bequeme Oderweg erleichterte den Stettinern den Getreidetransport. Auch sie, wie die Lübecker, wußten sich eines Getreideangebotes zu versichern, indem sie einen großen Grundbesitz erwarben. I m Gebiet zwischen Oder, Uckermünder Heide und Randow besaßen die Stettiner Bürger in der Zeit von 1250—1350 kleinere oder größere Besitzungen in vierzig Dörfern. Dieses Gebiet ist auch das nächste Getreidehinterland Stettins. Am Rande dieses Gebietes liegt die Stadt Gartz a. d. Oder, mit welcher Stettin wegen des Getreidehandels bald in einen Streit geriet. Vielleicht kauften die Lübecker ihr Getreide nicht nur in Stettin und anderen Städten, vielleicht versuchten sie es auch bei den Produzenten billiger zu bekommen? Sie hatten doch seit 1234 das Recht, welches 1245 noch einmal bestätigt wurde, überall in Pommern frei zu verkehren. 24 Aber bei der ersten Gelegenheit, als die Beziehungen des Fürsten zu Lübeck etwas kühler geworden waren, erwarben die Stettiner 1253 ein Privileg gegen den Getreideaufkauf der Fremden. Barnim I. gebietet darin, „ut nullus hospes annonam aliquam in tota terra nostra emere debeat vel presumat" seit den Ernten bis zu Ostern. 25 Es ist möglich, daß hier neben Lübecker auch Kaufleute aus anderen wendischen Städten gemeint sind, wie Rostock und Stralsund; wir können aber den Lübeckern sicher einen Platz unter den Aufkäufern zuschreiben. 1272 wurde dasselbe Verbot erneuert 26 , und die Kontrolle über den Getreideaufkauf wurde 22 23 21

Codex Pomeraniae Diplomaticus (weiterhin geführt als: CPD) Nr. 324. PUB II, Nr. 1113, S. 386. CPD Nr. 212-215, S. 470-473; Nr. 348, 356, S. 733, 741f. CPD Nr. 488, S. 961 f. « PUB II Nr. 966, S. 270.

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tatsächlich ausgeübt. In ihren Klagen, die die Lübecker der Rostocker Versammlung 1283 vorgestellt haben, lesen wir: „Item recordamini de siligine, quem dominus Barnim accepit civibus Lubicensibus".27 Es ist ein Beweis, daß die Lübecker auch in den für sie ungünstigen Verhältnissen nach dem pommer schen Getreide gegriffen haben. In derselben Zeit können wir einige interessante Vorgänge im pommerschen Getreidehinterlande beobachten, die auf eine ziemlich große Aktivität im Getreidehandel schließen lassen. Wie wir schon gesehen haben, waren die Landbesitzungen der Stettiner tief in die Umgebung des 1249 als deutsch-rechtliche Stadt gegründeten Gartz vorgedrungen. Auch die Getreideankäufe der Stettiner Getreidehändler hatten wahrscheinlich die Interessen der Gartzer stark verletzt, so daß die letzteren Schutz beim Fürsten suchen mußten. Im Jahre 1271 verbot Barnim I. den Getreideeinkauf in Gartz und Umgebung allen Kaufleuten, die nicht als Gartzer Bürger bekannt sind. Um den Gartzern die Kontrolle zu erleichtern, wurde die Verschiffung des Getreides nur in Gartz gestattet. 28 Diese Urkunde beweist, daß auch Gartz am Getreidehandel stark interessiert war, obwohl es auf diesem Gebiete von Stettin bedroht wurde. Auch die auf der anderen Seite des Odertals gegründete Stadt Greifenhagen begann sich früh für den Getreidehandel zu interessieren. Im Aufkauf war sie durch die Stettiner nicht so gestört wie Gartz; vor 1300 hatten die Stettiner auf dem rechten Oderufer noch keinen Landbesitz. Diese Tatsache zeigt auch die geringere Bedeutung dieser Gebiete für den stettinischen Getreideaufkauf. Bald wurde Greifenhagen ein Handelsmarkt für die Besitzungen des Kolbatzer Klosters und andere umliegenden Dörfer an Stelle der früheren Handelsplätze Fiddichow, Weltin, Neumark.29 Schon von Barnim I. hatte Greifenhagen das Recht freier Verschiffung der Waren zur See erworben. Dieses Recht, wie auch die Zollfreiheit in Wolgast, wurde dann oft von den Fürsten bestätigt. 30 Im Gegensatz zu Gartz gründete Greifenhagen einen Freihafen, wo alle fremden Kaufleute freien Einkaufund Verschiffung haben sollten (1281).31 Hierin kann man auch einen Konkurrenzkampf zwischen beiden Nachbarstädten sehen. Wohin haben die Gartzer und Greifenhagener ihr Getreide verschifft und woher kamen die Getreideaufkäufer nach dem Greifenhagener Hafen? Wir können hier vor allem an Greifswald und Stralsund denken, in welchen Städten wir vor 1300 ebenfalls einen regen Getreidehandel finden. Aus der Zeit um 1280 kennen wir aus Stralsund einige Korngeschäfte, sogar einen Transport von 50 Last Roggen nach Brügge.32 In Greifswald findet man Getreide nicht nur 27 28 30 31 32

Lübisches Urkundenbuch II, S. 50 (Nr. 64). 39 PUB II, Nr. 943, S. 254. PUB II, Nr. 1264, S. 496. PUB II, Nr. 1286, S. 516, Nr. 1158, S. 418f., Nr. 1206, S. 451. PUB II, Nr. 1206, S. 451 f. Das älteste Stralsundische Stadtbuch 1270-1310. Hrsg. von F. Fabricius, Berlin 1872, S. 39.

X

Pommerscher

Export im

Ostsee-Getreidehandel

429

in der Zollrolle erwähnt; auch die Freiheit der Getreideein- und Ausfuhr ist in einer besonderen Urkunde des Jahres 1289 unterstrichen. 33 Doch schon die Fürsten fürchteten eine Hungersnot, die aus einer übergroßen Ausfuhr entstehen könnte. Deshalb wurde Getreide aus dem Stapelprivileg 1270 ausgenommen 34 , und auch 1289 behielt sich der Fürst das Recht vor, in Notjahren die Kornausfuhr zu verbieten. 35 Doch abgesehen von Greifswald und Stralsund dürfen wir auch Rostock und Lübeck als Märkte für pommersches Getreide nicht ausschließen. Schon früh begann Stettin seinen Kampf um den Oderhandel und vor allem den Getreidehandel aus dem Odergebiet, dem sich seit den letzten Dezennien des 13. Jh. außer Bommern auch verschiedene märkische Gebiete angeschlossen hatten. Unter den Getreidelieferanten sehen wir bald Königsberg i. d. N., Schönfließ, Prenzlau, Frankfurt, Müncheberg und die Klöster Kolbatz, Jasenitz und Chorin. Diesen ganzen Handel wollte Stettin in seinen Händen zusammenfassen. Dabei konnte ihm seine immer stärkere wirtschaftliche und politische Stellung in Pommern behilflich sein. Im Jahre 1281 verbot Bogislav IV. jede Getreideausfuhr durch Peene und Swine auf kleineren Kähnen; auf beiden Flüssen sollte es nur auf Koggen und großen Schiffen zugelassen sein. 36 Dieses Verbot richtete sich natürlich vor allem gegen die kleineren Oderstädte, die nicht über größere Schiffe verfügten. Sie sollten ihr Getreide nur nach Stettin bringen und dort den Stettinern verkaufen oder wenigstens auf die Stettiner Schiffe verladen. Aus dem 14. Jh. sind uns Getreidetransporte aus Stargard und Damm auf Stettinischen Schiffen bekannt. 37 Und jetzt treffen wir das berühmte Niederlagsprivileg Stettins aus dem Jahre 1283.38 In der Literatur ist diese Urkunde ziemlich allgemein, aber ohne jede Nachprüfung anerkannt; doch vor mehr als 50 Jahren hat Paul v. Nießen wichtige Argumente gegen ihre Echtheit vorgebracht, die bis jetzt keine Widerlegung gefunden haben. 39 Ich will hier diese diplomatischen Beobachtungen nicht wiederholen, sie sind aber nicht zu übergehen und verdienen eine neue Diskussion. Die Sache ist aus verschiedenen Gründen sehr schwierig: erstens sind alle Stettiner Stadturkunden, so viel ich weiß, vernichtet; zweitens ist das pommersche Urkundenwesen, von kleinen Beiträgen für das 12. Jh. abgesehen, überhaupt nicht bearbeitet. Es läßt sich nur sagen, 33 35 37 38 39

34 P U B III, Nr. 1491, S. 61f. P U B II, Nr. 921, S. 2 4 0 f . 36 Vgl. Anm. 33. P U B II, Nr. 1211, S. 455. LECHNER, G., Die Hansischen Pfundzoll-Listen des Jahres 1368. Lübeck 1935, S. 43 f. P U B II, Nr. 1282, S. 513f. v. NIESSEN, P., Z u m brandenburgisch-pommerschen Kriege v o n 1283/84. I n : „Monatsblätter der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde", 17, 1903, S. 1 4 5 - 1 5 8 , 161/62; derselbe, Geschichte der Neumark im Zeitalter ihrer Entstehung und Besiedlung. Landsberg/W. 1905, S . 566—568; derselbe, Das Problem der großen Stettiner Handelsprivilegien vom Ende des 13. Jh. I n : „Monatsblätter" usw. 35. 1921, S. 4 1 - 4 4 .

430

B. ZlENTARA

daß, sofern Stettin wirklich ein Niederlagsprivileg in einem, solchen Umfange erworben hatte, es in Wirklichkeit nie in Kraft getreten ist. Das ganze 14. Jh. hindurch wurden die Privilegien der Oderstädte, in diesem Falle die freie Ausschiffung der Waren ins Meer, bestätigt; bei der Ausstellung solcher Urkunden waren mehrmals auch die Stettiner Bürger als Zeugen anwesend. Gartz und Greifenhagen erwarben sogar das Recht, den Stettinern die Oderschiffahrt zu versperren, wenn sie von ihnen bei der Durchfahrt in die See gestört würden. 40 Im Jahre 1312 bekamen alle Untertanen der brandenburgischen Markgrafen das Recht, frei ins Meer durch Stettin zu segeln.41 Dieses Recht wurde tatsächlich ausgeübt. Auf Grund des pommerschen und brandenburgischen" Quellenmaterials können wir den pommerschen Getreidehandel während des Jahrhunderts von 1250—1350 als sehr lebhaft ansehen. Wir erfahren, wie seine Ausdehnung längs der Oder und ihrer sehr kleinen Nebenflüsse wächst. Getreide kam nach Stettin aus Neumark, Barnim, aus den Ländern Lebus und Sternberg und endlich schon im 14. J h . aus Großpolen. Die Versuche der neumärkischen Städte, die gebräuchliche Getreidemaße zu vereinheitlichen, weisen auch auf die Bedeutung dieses Verkehrs hin. Neben dem Hauptstrom des Getreideverkehrs entwickelte sich dieser Handelszweig in der Uckermark, längs der Ucker, die bei Prenzlau sogar kanalisiert wurde. Diesen Weg wanderte Getreide aus den reichen Besitzungen der Stadt Prenzlau und des Zisterzienserinnen-Klosters Seehausen. Auch diesen Handel wollte sich Stettin unterordnen: Die Stadt erwarb 1312 ein Privileg, das alle Verschiffung des Getreides zwischen, Stettin und Uckermünde verboten hatte: nur von Stettin aus konnte Korn ausgeführt werden. 42 Leider haben wir keine Nachrichten über die Getreidemengen, meistens Roggen, die von der Odermündung ausgeschifft wurden. Deshalb können wir kaum sagen, wie hoch dieser Export im Vergleich zu den folgenden Jahrhunderten gewesen ist. Die ersten Daten haben wir aus dem Jahre 1368 — in dieser Zeit aber hat schon das Ordensland Preußen im Ostsee-Getreidehandel größere Bedeutung gewonnen. Dieses Datum scheint schon in eine andere Periode zu gehören, die als Zeitalter einer Stagnation oder sogar Regression der pommerschen und brandenburgischen Landwirtschaft bezeichnet werden kann. Dieser Rückgang der brandenburgisch-pommerschen Landwirtschaft soll noch genauer untersucht werden. Bevor das nicht geschehen ist, können wir die von F. Carsten in seinem wertvollen Buche über „Origins of Prussia" geäußerten Behauptungen nur als Arbeitshypothese annehmen. 43 Vieles aber spricht für diese Hypothese, vor allem die Wüstungszahl im brandenburgischen Landbuche und der Untergang vieler selbstbewirtschafteter Klostergüter. 40 41 43

Gartz: PUB VI, Nr. 3881, S. 296; Greifenhagen: PUB VI, Nr. 3874, S. 292. 42 PUB V Nr. 2671, S. 14. PUB V Nr. 2720, S. 46. CARSTEN, F., The Origins of Prussia. Oxford 1954, bes. S. 101 —116.

Pommerscher

Export im

Ostsee-Getreidehandel

431

Die Ursachen dieses Umschwungs könnte man in den großen Epidemien und den verminderten Getreidebedarf auf den west- und nordeuropäischen Märkten sehen. Aber Carsten selbst bemerkt, daß die Kriseerscheinungen schon vor dem „schwarzen Tod" sichtbar sind. Er sieht einen Zusammenhang zwischen ihnen und den weiteren Fortschritten in der Kolonisierung der östlichen Länder. Die minderwertigen Böden Brandenburgs und Pommerns waren von den Bauern verlassen worden, die in die Ordensländer oder nach Polen wanderten. Dazu kann man noch bemerken, daß nach den jüngsten Forschungen von Ladogörski die Bevölkerungszahl Polens in der zweiten Hälfte des 14. Jh. größer äls vor dem schwarzen Tod ist. 44 Das soll nicht unbedingt bedeuten, daß die Epidemien vor der polnischen Grenze haltgemacht haben, sondern der Bevölkerungsverlust schnell durch die Zuwanderung ausgeglichen worden ist. In dem Moment also, als Pommern immer mehr in die landwirtschaftliche Depression einbezogen war, konnte das Ordensland Preußen, das, wie Polen, keine Verluste durch die Pest erlitten hatte, den pommerschen Getreideexport an Umfang übertreffen. Eben aus der zweiten Hälfte des 14. J h . haben wir Nachrichten von der Zunahme der Landgüter des Ordens, von der Vermehrung der Scharwerke der Bauern in diesen Gütern, endlich vom Getreidehandel des Ordens selbst. 45 Auch die Städte Preußens standen dem nicht nach, wie die Getreidetransporte aus Danzig und Elbing nach Lübeck im Jahre 1368 zeigen.46 Der Getreidehandel Pommerns ist nicht ganz steckengeblieben, aber vieles spricht dafür, daß sein Umfang zurückging. Eine neue Belebung dieses Exports werden wir ungefähr seit der Mitte des 15. Jh. beobachten, als die Holländer ihre Expansion in die Ostsee begannen. Dieser ganze Fragenkomplex, den ich hier zusammengestellt habe, soll zeigen, wie kompliziert und wechselhaft die Geschichte des Ostseehandels war. Die aufgeworfenen Fragen können hier nur provisorisch und hypothetisch beantwortet werden. Der Getreidehandel der Ostseeländer war in der Zeit von 1250—1350 sehr beträchtlich und größer als im folgenden Jahrhundert. Der Periode schwunghafter Entwicklung der pommersch-brandenburgischen Landwirtschaft folgte die Periode der Depression, was vielleicht durch die Abwanderung eines Teiles der Bevölkerung nach dem Osten und durch die Pestepidemien bedingt wurde. Auch die Veränderungen auf den Getreidemärkten West- und Nordeuropas konnten einen — wir wissen nicht, wie großen — Einfluß auf den Ostsee-Getreidehandel ausüben. Mögen diese Betrachtungen als Anregung zur Diskussion und zu neuen Forschungen dienen, die diese Vorgeschichte des großen Ostseegetreidehandels beleuchten und einige Rückschlüsse auch für allgemeinere Probleme der Entstehung des großen wirtschaftlichen Gegensatzes zwischen West und Ost ermöglichen. T., Studia nad zaludnieniem Polski XIV wieku. Wroclaw 1958. Zur Geschichte des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Ostpreußen. 46 Leipzig 1910, S. 45 ff. L E C H N E R , G., a. a. O.

44

LADOGORSKI,

45

AUBIN, G.,

D I E U N T E R W E R F U N G B E R L I N S 1346 UND D I E HALTUNG DER MÄRKISCHEN STÄDTE IM WITTELSBACHISCH-LUXEMBURGISCHEN THRONSTREIT* von Eckhard

Müller-Mertens

Die vorliegende Studie führt in jene bewegte Epoche deutscher Geschichte, in der das Haus Luxemburg den Wittelsbachern die Krone abgewann, nachdem Kaiser Ludwig mit Unterstützung der Städte das Reich lange Jahre erfolgreich gegen die Fürsten, den König von Frankreich und das Papsttum verteidigt hatte. Karl IV. suchte die wittelsbachische Position durch die Förderung des falschen Waldemar, eines Betrügers oder Narren1, mit dessen Hilfe die von den Luxemburgern ermutigten Nachbarfürsten, die sächsischen Herzöge, die Fürsten von Anhalt und der Erzbischof von Magdeburg, die Mark zu gewinnen trachteten, zu erschüttern. Der rasche Erfolg des falschen Waldemar erklärt sich in entscheidendem Maße dadurch, daß er die Mehrzahl der märkischen Städte in kurzer Zeit für sich gewinnen konnte. Sie wurden so zu einem wichtigen Faktor im wittelsbachisch-luxemburgischen Thronstreit, in der Reichspolitik. Die Forschung hat die Beweggründe ihres Abfalls von Ludwig bisher nicht hinreichend aufhellen können.2 Folgende Anhaltspunkte ließen mich vermuten, daß bei der Stellungnahme der Städte ihre inneren sozialen Gegensätze eine Rolle gespielt haben und daß * Dieser Aufsatz wurde erstmals abgedruckt in „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" 1960, H. 1, S. 78ff. Der Wiederabdruck in etwas erweiterter Fassung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. 1 S C H L E S I N G E R , W., Der Osten. I n : Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte, 8. Aufl., Bd. 2, Stuttgart 1955, S. 604. 2 v. F R E Y B E R G , M., Beurkundete Geschichte Herzog Ludwigs des Brandenburgers, I n : „Abh. AK München, Hist. Klasse", Bd. 2, Abt. 1, München 1837; K L Ö D E N , K . F., Diplomatische Geschichte des Markgrafen Waldemar von Brandenburg. 4 Teile, Berlin 1844/45; G Ö T Z E , L., Urkundliche Geschichte der Stadt Stendal. Stendal 1873, Neudruck 1929; T A U B E , W. F R . , Ludwig der Ältere als Markgraf von Brandenburg (1323—1351). Berlin 1900; S C H R Ä D E R , K., Studien zur Geschichte der märkischen Städte unter den Askaniern und Wittelsbachern. Phil. Diss., Göttingen 1930; F A D E N , E., Berlin im Mittelalter. I n : ,,M. A R E N D T , E. F A D E N , O. F. G A N D E R T , Geschichte der Stadt Berlin, Festschrift zur 700-Jahr-Feier der Reichshauptstadt". Berlin 1937; T S C H I R C H , O., Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel, 3. Aufl. Brandenburg (H.) 1941.

Die Unterwerfung Berlins 1346

433

die Bildung einer askanischen und einer bayerischen Partei auf dem Gegensatz zwischen Patriziat und Zünften beruhte.3 Die Wittelsbacher bemühten sich um die Zurückgewinnung der märkischen Städte, worin sie Karl IV. nach dem Übereinkommen zu Bautzen (Februar 1350) unterstützte. Er teilte den uckermärkischen Städten im Frühjahr 1350 die Verwerfung des falschen Waldemar mit, den er am 2. Oktober 1348 als echt anerkannt und mit der Markgrafschaft sowie der Kurwürde des Reiches belehnt hatte. Der König wandte sich dabei nicht an den Rat, sondern an die Zünfte und die gemeine Bürgerschaft.4 Ludwig der Römer schrieb an die communitas von Köln an der Spree und bezeichnete den Rat als Urheber des Abfalls.5 Am 12. September 1351 verhängte Karl IV. auf Antrag des Markgrafen die Reichsacht über Brandenburg, Görtzke, Stendal, Tangermünde, Osterburg, Seehausen, Prenzlau, Pasewalk und Templin.6 Am Tage darauf schrieb er „allen Einlingesmeistern, hantwerkmeistern und allir gemeinschafte" der geächteten Stadt Görtzke und forderte sie auf, sich an Markgraf Ludwig zu halten.7 Ein gleicher Brief ist für Tangermünde überliefert.8 Wahrscheinlich gingen ähnliche Briefe an die Zunftmeister und gemeinen Bürger der anderen geächteten Städte ab. Man darf vermuten, daß die Wittelsbacher und Karl IV. hier die sozialen Gegensätze in den Städten auszunutzen versuchten und sich der Städte mit Hilfe der Zünfte versichern wollten. Bei der Verfolgung dieses Problems erhielt ich einen interessanten Hinweis durch K. F. Klöden. In seiner vor mehr als 100 Jahren erschienen „Diplomatischen Geschichte des für falsch erklärten Markgrafen Waldemar" berichtet er zum 27. Oktober 1346: „Ludwig fand in der Mark die Stimmung ungeändert. Die Städte hielten an ihm, und nach einer mit den Städten Berlin und Köln gepflogenen Unterhandlung stellten ihm diese folgende Urkunde aus: die Rathmänner, die Gemeinheit und die Gewerke der Städte Berlin und Kölln geloben dem Markgrafen Ludwig von Brandenburg und seinen Erben, ihm getreu zu sein, ihm allenthalben beizustehen, und ohne sein Wissen oder seines Hauptmannes, kein Bündnis einzugehen. Der Markgraf oder sein Hauptmann mag noch für das laufende Jahr vier Männer aus den Gewerken von Berlin, und zwei aus den Gewerken von Kölln in den Rath ernennen, so daß diese für das folgende Jahr ihre Nachfolger (aus den Gewerken) zu erwählen haben, 3

4

6 6

MÜLLER-MERTENS, E., Untersuchungen zur Geschichte der brandenburgischen Städte im Mittelalter I—IV. In: ,,Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität Berlin, Gesellschafts- u. sprachwissenschaftl.Reihe, 5. Jg. (1955/56), 6. Jg. (1956/57), Teil II, S. 295, Anm. 224 (im folgenden zitiert: Untersuchungen . . .). RIEDEL, A. F., Codex diplomaticusBrandenburgensis. 4 Hauptteile mit 35 Bänden u. 1 Suppl.-Band, Berlin 1838—1865, Chronolog. Register 2 Bände, Namensverzeichnis bearb. v. Heffter, A. W., 3 Bände, Berlin 1867-1869, SB., Nr. 28, S. 26f. Ebenda, Nr. 13, S. 236. E b e n d a , N r . 29, S . 2 7 ; TATJBE, W . F . , a. a. O., S. 1 3 3 f .

' Ebenda, Nr. 30, S. 28. 8 Ebenda, A XVI, Nr. 18, S. 13. 28

Hansische Studien

434

ECKHARD

MÜIXER-MERTENS

welche jedoch dem Markgrafen genehm sein müssen. Wenn sich ein Individuum aus des Markgrafen Gesinde an einem Einwohner vergreift, so sollen sie (die Rathmanne) den Thäter gefangen nehmen. Dem Markgrafen bleibt vorbehalten, die Angelegenheit auf gütlichem oder rechtlichem Wege zu schlichten. Alle alten Schuldbriefe, welche sie vom Markgrafen in den Händen haben, sollen kraftlos sein." 9 Klöden entnahm seine Nachricht der „Beurkundeten Geschichte Herzogs Ludwigs des Brandenburgers", die M. von Freyberg im Jahre 1837 verfaßte. Freyberg druckte den zitierten Auszug zusammen mit anderen Regesten in einem Anhang ab. 10 Er gab jedoch die Überlieferung und den Fundort der Urkunde nicht an. Sie ist in keiner der in Frage kommenden Urkundensammlungen enthalten, weder bei Küster 11 , Gercken12 und Raumer13 noch bei Riedel14, Fidicin15 und Voigt.16 Auch in der Literatur wurde sie nicht berücksichtigt. So denkt man zunächst an die unkritische Verwendung entstellter Überlieferung durch Klöden, was ein Werk nahelegt, das aus den Quellen die Echtheit des falschen Waldemar herauslesen will.17 Da Freyberg bayerischer Archivdirektor war18 und die Regesta Boica bearbeitete19, kam der Gedanke auf, daß die Urkunde in bayerischen Archiven zu suchen ist. Die Annahme erwies sich als richtig. Das mit zwei Siegeln versehene Original ist gut erhalten überliefert und wird im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufbewahrt.20 Die durch die Urkunde übermittelte Nachricht ruft Erstaunen hervor. Danach hatte die Zunftbewegung im 14. Jh. auch in Berlin Erfolg, wovon wir 9

KLÖDEN, K . F . , a. a. 0 . , B d . I I I , S. 135f.

10

F R E Y B E R G , M . V., a. a . 0 . , S . 144.

11

M Ü L L E R , J . CHR.,

1737-1769.

12

13

11 16

16

17

und

KÜSTER,

G. GTTFR.,

Altes und neues Berlin.

4

Abt., Berlin

G E R C K E N , P H . W., Codex diplomaticus Brandenburgensis. 8 Bde., Bd. 1—4 Salzwedel, Bd. 5 Stendal 1769-1785. VON R Ä U M E R , G. W . , Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus. 2 Bde., Berlin-Stettin-Elbing 1831-1833. Vgl. Anm. 4. F I D I C I N , E . , Historisch-diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin. 5 Teile, Berlin 1837-1842. Urkundenbuch zur Berlinischen Chronik, hrsg. v. d. Verein für die Geschichte Berlins durch R. Voigt und E. Fidicin, Berlin 1880 (im folgenden zitiert: UBBChr.); G E N G LER, H. G. PH., Codex iuris municipalis Germaniae medii aevi. Regesten und Urkunden zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte der deutschen Städte im Mittelalter. Bd. 1, Erlangen 1863-1867. KLÖDEN, K . F., a. a. 0 . , B d . I V , S. 359.

Artikel F R E Y B E R G , in: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 7 , Leipzig 1 8 7 8 , S. 335f. i» Bd. 5-12 (1301-1422), München 1836-1849. 2 0 Ein Abdruck wird auf S. 459f. gegeben. Dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München sei auch an dieser Stelle mein herzlicher Dank für seine freundliche Hilfe ausgesprochen. 18

HEIGL,

Die Unterwerfung Berlins

1346

435

bisher nichts gewußt haben.21 Vor allem aber überrascht der Eingriff des Markgrafen in die Stadtverfassung. Sein Vorgehen erscheint völlig ungewöhnlich, begann doch erst Kurfürst Friedrich I I . mit dem Abbau der städtischen Autonomie.22 Der Inhalt der Urkunde erfordert es, verschiedene Fragen brandenburgisch-berlinischer Geschichte neu aufzuwerfen. Sie betreffen die Auseinandersetzungen zwischen Patriziat und Zünften in Berlin-Kölln, die Berliner Verfassungsentwicklung sowie das Verhältnis zwischen den Spreestädten und dem Landesherrn, darüber hinaus die politische Bedeutung der märkischen Städte und ihre Stellungnahme beim Auftreten des falschen Waldemar. Durch das vorliegende Dokument werden zunächst die inneren Verhältnisse Berlins und Köllns deutlicher. Die Forschung ist der Auffassung, daß in Berlin-Kölln wie in den anderen märkischen Städten ein alternierender aristokratischer Rat herrschte, der seine Entscheidungen selbständig und uneingeschränkt traf. Erst die Unruhen von 1442 und das Eingreifen Kurfürst Friedrichs I I . führten das Ende dieser Verfassung herbei.23 Die erste Auskunft über die Stadtverfassung und Ratswahl in Berlin gibt eine Weisung des Stadtrechts an Frankfurt24, die dem Jahr 1253 angehören mag.25 Darin heißt es über die Ratswahl: ,,Consules autem, qui nunc sunt sequentis anni consules eligere habent et statuere." Die Wahl des neuen Rat, durch den alten blieb üblich, wie es unsere Urkunde, ein Entwurf über dis Vereinigung von Berlin und Kölln aus dem Ende des 14. Jh. 2 6 und der Unionse 21

ZIMMERMANN, A., Versuch einer historischen Entwicklung der märkischen Städteverfassungen. 3 Teile, Berlin 1837—1840; FIDICIN, E . , a. a. 0 . ; Berlinische Chronik, hrsg. v. d. Verein für die Geschichte Berlins durch E . Fidicin, Berlin 1868; SELLO, G., Zur Geschichte Berlins im Mittelalter. I n : „ M F " , Bd. 17,1882, S. 1 ff.; CLAUSWITZ, P., Historische Einleitung zu: R. Borrmann, Die Bau- und Kunstdenkmäler in Berlin. Berlin 1893 (im folgenden zitiert: Einleitung); HOLTZE, F . , Geschichte der Stadt Berlin. Tübingen 1906 (im folgenden zitiert: Berlin); CLAUSWITZ, P., Das Stadtbuch des alten Kölln an der Spree aus dem Jahre 1442 mit geschichtlicher Einleitung und Erläuterungen. In: „SchrVBG", Bd. 52, 1921 (im folgenden zitiert: K S t b ) ; STEFFEN, F . - K . , Das Berliner Stadtverfassungsrecht. 1 9 3 6 ; FADEN, E . , a. a. O. Die

22

23

hier und an anderen Stellen verwendeten Zeitschriften-Abkürzungen entsprechen den Abk. im Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte. 9. Aufl., Leipzig 1930/31. KAEBER, E . , Die Beziehungen zwischen Berlin und Cölln im Mittelalter und der Konflikt der beiden Städte mit Kurfürst Friedrich II. I n : „Hans. GB11.", Bd. 54, 1929, S. 19ff.; MÜLLER-MERTENS, E., Zur Städtepolitik der ersten märkischen Hohenzollern und zum Berliner Unwillen. I n : „ZfG", 4. J g . (1956), H. 3, S. 525 ff. CLAUSWITZ, P., Einleitung, S. 15; ders., KStb, S. 9ff.; FADEN, E „ a. a. O., S. 76 ffu. 9 8 ; KAEBER, E . , a. a. O., S. 2 2 f f . ; STEFFEN, F . - K . , a. a. O., S. 8ff.

24

UBBChr., Nr. 10, S. 8.

26

Zur Datierung vgl. CLAUSWITZ, P „ K S t b , S. 9 ; KAEBER, E . , a . a . O., S. 2 2 .

26

Berlinisches Stadtbuch, hrsg. von P. Clauswitz, Berlin 1883, S. 33ff.

28«

436

ECKHARD MÜLLER-MERTENS

vertrag von 1432 27 belegen. 28 Die Urkunden und Ratslisten 2 9 lassen erkennen, daß der abtretende R a t nach Ablauf eines Jahres wieder zur Regierung kam also ein alternierender R a t bestand. Mit Heiso institor und Theodericus cultellifex saßen in den Jahren 1280 3 0 und 1284 3 1 Männer im Berliner R a t , die offenbar nicht dem fernhändlerischen Patriziat angehörten. In der series consulum erscheint 1405 ein Fleischer Hennig Perwenitz 32 . Bis 1442 geben die Quellen keine weiteren Anhaltspunkte für die Beteiligung von Handwerkern am R a t . Hierauf gründet die Forschung die Auffassung, daß im Berliner R a t ursprünglich auch Handwerker gesessen haben, diese aber frühzeitig ausschieden und der R a t allein von den Geschlechtern besetzt wurde. „Noch in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts war die Zugehörigkeit zum R a t nicht an den kaufmännischen Beruf geknüpft. . . Wann sich ein wohl nicht rechtlicher, sondern praktischer Ausschluß der Handwerker aus dem R a t durchgesetzt hat, steht nicht fest. Vielleicht stand er in einem gewissen Zusammenhang mit einer engeren Verbindung der Kaufleute zu einer Gilde." 3 3 Fidicin 3 4 und Sello 3 5 sprachen der Bürgerversammlung entscheidende Bedeutung zu. Der R a t war nach ihrer Meinung an deren Zustimmung gebunden. Die jüngere Forschung konnte ihnen auf Grund der Quellenlage auch hier nicht folgen. 36 Die ersten Innungsstatuten werden vom R a t teilweise noch mit „vulbord unser gemeynheit" zusammen mit der universitas erlassen 37 . Von 1311—1431 ist eine Zustimmung der Gemeinde in den Urkunden nicht mehr zu finden. Nur nach dem Stadtbrande von 1380 wird sie 1381 bei einigen Veräußerungen angeführt. 38 « UBBChr., Nr. 54, S. 352. SELLOS Auffassung (a. a. O., S. 40), daß der Rat seit 1307 von der gesamten Bürgerschaft gewählt wurde, ist von CLATJSWITZ (KStb, S. 14) und E. KAEBER (a. a. O., S. 22) als Fehlinterpretation erwiesen worden. 2 9 Series Consulum in Berlin 1311—1362, Anhang zu: PUSTHIUS, Chronicon Berolinense. In: „SchrVGB", Bd. 4, 1870 (im folgenden: SC), S. 41FF. 30 UBBChr., Nr. 20, S. 13. 31 Ebenda, Nr. 22 u. 23, S. 15f. 3 2 SC, S. 41. 1400 und 1402 erscheint ein Arnd Perwenitz, allerdings ohne Berufsangabe (ebenda). 28

33

35 37

38

KAEBER, E . , a . a . O., S. 2 8 .

34

FIDICIN, E . , a . a . O., B d . I I I , S. 9 1 .

3 6 Vgl. die unter Anm. 23 angeführten Arbeiten. SELLO, G., a. a. O., S. 39ff. 1272, UBBChr., Nr. 16, S. 11; 1288, ebenda, Nr. 25, S. 17; 1289, ebenda, Nr. 27, S. 19; 1295, ebenda, Nr. 32, S. 21; 1311, ebenda, Nr. 42, S. 27. Die Innungsstatuten von 1280, ebenda, Nr. 20, S. 13 und 1284, ebenda, Nr. 22 u. 23, S. 15ff., wurden dagegen allein vom Rat erlassen. Ebenda, Nr. 19, S. 201; ebenda, Nr. 21, S. 203. Als der Rat 1343 einen Gesandten an den Gegenpapst bevollmächtigte, verbürgte sich auch die Bürgerschaft für dessen Schadloshaltung (ebenda, Nr. 45, S. 80). Sello beruft sich auf päpstliche, markgräfliche und städtische Briefe an Berlin, in denen neben dem Rat auch die Zünfte und die Gemeindeangeschrieben werden (G. SELLO, a. a. O., S. 39 u. 46). Sie sind indes nicht beweiskräftig für die verfassungsmäßige Stellung der Bürgerschaft. Das

Die Unterwerfung Berlins 1346

437

Aus der vorliegenden Urkunde von 1346 wissen wir nun, daß die Zünfte bereits in der Mitte des 14 Jh. so stark gewesen sein müssen, daß sie eine Beteiligung am Rat durchsetzen konnten. Künftig sollten in den Berliner Rat vier und in den Köllner Rat zwei Zunftmitglieder einziehen. Beim jährlichen Ratswechsel sollten sie ihre Nachfolger selbst wählen. Sie mußten aus den Zünften stammen. Durch diese Bestimmung sollte verhindert werden, daß die Zunftbeteiligung auf kaltem Wege beseitigt wurde, indem als Vertreter der Zünfte Angehörige des Patriziats gewählt wurden. Da die soziale Zusammensetzung der Ratsmitglieder weitgehend in Dunkel gehüllt ist39, läßt sich die Frage, ob die neue Ratszusammensetzung Bestand hatte, nur vermutungsweise beantworten. Die Veränderungen der Berliner Verfassung zugunsten der Handwerker im Jahre 1442 machen sicher, daß bis dahin zumindest eine Vorherrschaft des Patriziats bestanden hat. Berlin und Kölln sind zwischen 1346 und 1442 wiederholt von sozialen Kämpfen bewegt worden, in denen sich die patrizische Vorherrschaft behauptete. 40 Die Series Consulum hebt 1405 besonders hervor daß Hennig Perwenitz Fleischer war41. „Die ausdrückliche Zufügung des Berufes scheint anzudeuten, daß es sich um eine Ausnahme handelte." 42 Diese Tatbestände und das Schweigen der Quellen über eine Ratsbeteiligung von Handwerkern lassen es fraglich erscheinen, ob sich die Regelung von 1346 behauptet hat.

39

40 11 42

Berlinische Stadtbuch, Buch der Übertretungen, S. 197, erwähnt im Zusammenhang mit den Vorgängen um Tile Wardenberg, daß sowohl der R a t als auch Wardenberg eine Bürgerversammlung einberiefen. Danach ist damit zu rechnen, daß bei wichtigen Anlässen bzw. unter bestimmten Umständen die Bürgerschaft zusammengerufen wurde. Die Vorgänge um Tile Wardenberg sollen in einer späteren Arbeit behandelt werden. Bis 1442 treten in den Urkunden und Ratslisten 71 Ratsfamilien auf. Von ihnen sind 33 allein durch ihre Ratszugehörigkeit bekannt. Mitglieder von 8 Ratsfamilien treten darüber hinaus als Zeugen und Bürgen in markgräflichen und Geschäftsurkunden auf. Es folgen 22 Ratsfamilien, die sich als Lehnbürger nachweisen lassen. Fast alle bezogen aus ihrem Lehnsitz eine Rente von mindestens 10 Pfd. Silber. Sie hatten Kapitalien von jeweils 100 bis 1350'Pfd. Silber in Renten angelegt (vgl. M Ü L L E R - M E R T E N S , E., Untersuchungen . . ., I I I , S. 4). Eine Reihe von ihnen unterhielt geschäftliche Beziehungen zum Markgrafen, war Inhaber markgräflicher Ämter (z. B. der Münzmeister Otto Buch, der Stadtschulze und Münzmeister Tile Bruggp u. a.). Es erscheint berechtigt, sie der patrizischen Schicht Berlins zuzuordnen. Weiter lassen sich 9 Familien (Beelitz, Hameln, Krähenfuß, Lange, Mann, Mosekow, Rode, Wildenbruch, Wiprecht) als Fernhändler nachweisen (vgl. ebenda, S. 13). Als Handwerker ist mit Sicherheit allein der Ratsherr Hennig Perwenitz greifbar; wahrscheinlich war auch Tile Messermacher Handwerker. Die vorhandenen Urkunden sagen also nichts über eine beachtliche Teilnahme von Handwerkern am R a t aus. Dagegen können wir mit den Fernhändlern und Lehnbürgern eine bedeutende Gruppe der patrizisch-kaufmännischen Schicht im R a t fassen. Es ist hier an die Unruhen um Tile Wardenberg und Andreas Strohband gedacht. SC, S. 41. KABBEB, E . , a. a. O., S. 29.

438

ECKHARD M Ü L L E R - M E R T E N S

Mit den Ereignissen von 1346 ordnete sich Berlin in die große Bewegung der Zünfte ein, die in der Regierungszeit Ludwigs des Bayern ihren ersten Höhepunkt erlebte. 1330 wurde in Magdeburg die Herrschaft der Geschlechter gestürzt.43 Die Ereignisse strahlten in die Mark hinein. Im Herbst 1345 erhoben sich die Stendaler Handwerker und vernichteten das patrizische Stadtregiment. 44 Die Verfassung wurde nach magdeburgischem Vorbild umgestaltet. Von den zwölf Ratmännern wurden künftig acht von den Zünften, zwei von der gemeinen Bürgerschaft und nur noch zwei von den Gewandschneidern gestellt. 45 Das bedrohte Perleberger Patriziat konnte sich im Sommer 1345 offenbar noch behaupten.46 Im Januar 1347 mußte sich der aristokratische Rat jedoch zu Zugeständnissen gegenüber den Handwerkern bereitfinden. Bei Steuererhebungen sollte der Rat künftig zehn Vertreter der Zünfte hinzuziehen und mit ihnen beraten, bei den Ratswahlen sollten die Vorstellungen der Zünfte berücksichtigt werden.47 Zwischen den Ereignissen von Stendal und Perleberg lagen die Veränderungen in Berlin. Sie führten weiter als in Perleberg; jedoch blieb im Gegensatz zu Stendal das patrizische Primat gewahrt. Wenn wir die Zunftbewegung außer in Stendal und Perleberg jetzt auch in Berlin nachweisen können, so berechtigt das, ihr in der Mark eine größere Bedeutung zuzumessen, als es die Forschung bisher tat. 48 Danach muß der Druck der Zünfte auch in der Mark eine politische Größe gebildet haben, die künftige Arbeiten nicht mehr übersehen dürfen. Im Gegensatz zu dem markgräflichen Privileg für Stendal von 1345, durch das der Markgraf nach dem siegreichen Zunftaufstand die neue Verfassung der Stadt anerkannte, wurden in der Berliner Urkunde Zusicherungen festgehalten, die Rat, Zünfte und gemeine Bürgerschaft dem Markgrafen gewährten bzw. gewähren mußten. Hier erscheint nicht die Handwerkerschaft sondern der Markgraf als entscheidender Akteur. Darum ist unsere Urkunde mit den Feststellungen über die Zunftbewegung und die Ratsverfassung auch nicht ausgeschöpft. In viel bedeutenderem Maße als über die innerstädtischen Verhältnisse gibt sie Auskunft über die Beziehungen des Landesherrn zu der Stadt und die politische Rolle Berlins. An erster Stelle versprach die Stadt, dem Markgrafen treu zu bleiben, ihm jederzeit zu helfen, kein Bündnis gegen ihn abzuschließen, Einungen überhaupt 43

44

45

46 47

48

E., Zur Verfassungsgeschichte von Magdeburg und Salzwedel. In: „FBPG", Bd. 3,1890, S. 38; K R A U S E , Magdeburg, Stadtkreis. In: „Deutsches Städtebuch", hrsg. von Erich Keyser, Bd. 2, Stuttgart-Berlin 1941, S. 598f. GÖTZE, L., a. a. 0 . , S. 145ff.; v. K A L B E N - V I E N A U , R., Zur Geschichte der Familie von Kalben. Der Volksaufstand in Stendal 1345 und die nachfolgenden politischen Wirren. In: „JbAVG", Bd. 50, 1936. LIESEGANG,

RIEDEL, A X V , N r . 168, S. 124.

Ebenda, A I, Nr. 39, S. 143. Ebenda, A I , Nr. 5 9 , S. 1 4 8 ; A III, Nr. 7 4 , S. 3 8 1 ; vgl. L I E S E G A N G , E., Zur Verfassungsgeschichte von Perleberg. In: „FBPG", Bd. 4 , 1 8 9 1 , S. 421FF. V g l . SCHRÄDER, K . , a . a . 0 . , S . 6 9 .

Die Unterwerfung

Berlins

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nur mit seiner Genehmigung einzugehen. Ein derartiges Versprechen stand in den märkischen Urkunden jener J a h r e f ü r sich allein. Ein Einungsrecht war den Städten bereits in den Bedeverträgen 1280—1282 zugestanden worden. 4 9 E s wurde 1308/09 50 , 1320-1325 51 , 134452 sowie 1348 53 ohne landesherrliche Genehmigung geübt. Ludwig erkannte 1328 die Einung Berlins und Köllns mit dem Lande und den Städten in der Mark 54 und 1343/44 55 die Einung der altmärkischen Stände von 132156, 133157 und 133458 an. Der falsche Waldemar mußte 1348 das Bündnisrecht ausdrücklich bestätigen. 5 9 Berlin und Kölln erlegten sich 1346 eine Bindung auf. Sie fügten sich in eine Beschränkung ihrer Autonomie. Ludwig muß ein starkes Interesse d a r a n gehabt haben, die Zusage zu erhalten, daß Berlin kein Bündnis gegen ihn eingeht. Sie wäre nicht notwendig gewesen, wenn nicht die Befürchtung bestanden hätte, daß die Stadt eigene Wege geht. Hier scheint sich eine Konfliktsituation anzudeuten. Als zweiter P u n k t folgt das Zugeständnis, daß der Markgraf Handwerker in den R a t ernennen darf; doch damit nicht genug: Ihre Nachfolger bei d e r jährlichen Ratswahl bedürfen der Bestätigung des Landesherrn. Wenn sie ihm nicht zusagen, müssen Neuwahlen vorgenommen werden, und zwar so lange, bis die Gewählten dem Markgrafen genehm sind. Hier liegt ein Eingriff in die inneren Angelegenheiten vor, der eine für die märkischen Verhältnisse dieser Zeit einfach unerhörte Verletzung der städtischen Freiheiten darstellt. E r s t K u r f ü r s t Friedrich I I . konnte 1442 und 1448 in dieser Weise vorgehen, u m damit die Vernichtung der Urbanen Autonomie einzuleiten. Der dritte P u n k t der Urkunde behandelt das Rechtsverfahren gegen markgräfliche Dienstmannen, die auf Stadtgebiet straffällig werden. Seit Anfang des 14. J h . lassen sich Bestrebungen der Städte verfolgen, Vergehen und Verbrechen markgräflicher Dienstmannen und Adliger, die auf Stadtgebiet begangen wurden, der städtischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. 6 0 Die Bemühungen der Städte waren von Erfolg gekrönt. Nachdem die Neustadt Brandenburg 131561 dieses wertvolle Recht erhalten hatte, wurde es 1317 49

RIEDEL, A X V , N r . 3 8 , S. 2 6 ; A X X I , N r . 9, S. 94.

50

Ebenda, A IX, Nr. 10, S. 7; A IX, Nr. 14, S. 10; A XIV, Nr. 63, 64 u. 66, S. 50ff.; UBBChr., Nr. 38, S. 25.

51

RIEDEL, A I ,

52

54

" 56 58 59

60

"

Nr. 26,

S. 136; A X I X ,

Nr. 21,

S. 184;

B I, Nr. 562,

S. 4 6 7 ;

MUB,

VII, Nr. 4367, S. 46. 53 R I E D E L , A XIV, Nr. 124, S. 88. Ebenda, A XXI, Nr. 96, S. 161. UBBChr., Nr. 11, S. 53. R I E D E L , A XIV, Nr. 116 u. 118, S. 82ff.; A XV, Nr. 157, S. 118. Ebenda, A XV, Nr. 99 u. a„ S. 73. 67 Ebenda, A XVII, Nr. 36, S. 481. Ebenda, A XV, Nr. 119, S. 92; A XVI, Nr. 10, S. 8; A XVII, Nr. 38, S. 482. Ebenda, AIII, Nr. 71, S. 378; A IX, Nr. 58, S. 43; A XI, Nr. 54, S. 37; A XVI, Nr. 17, S. 12; A XVI, Nr. 27, S. 328; A XXI, Nr. 100, S. 163; SB, Nr. 19, S. 233. M Ü L L E R - M E R T E N S , E., Untersuchungen. . . , I I , S. 2 8 7 f . RIEDEL, A I X , N r . 17, S. 12.

440

ECKHARD MÜLLER-MERTENS

Berlin und Kölln62, 1319 Spandau63 zugesprochen. In dem Privileg für Berlin heißt es: „Echter wil wi, dat vnse manne, welkerleyge achtunge sy gerichtet werden, vor ore handteftige daet, der gebreke di sy began an wunden, an gerichte, oder ander sericheit, scolen sy tu rechte stan vor deine gerichte des schultens darseluens, vnd scolen vor diselue gebreke rede geuen." Wenn sich der Markgraf jetzt in den Rechtsgang einschaltet — und so ist die Bestimmung von 1346 wohl zu deuten —, muß auch hier ein Eingriff in die städtischen Rechte unterstellt werden. Das Bild rundet sich durch den Erlaß der markgräflichen Schulden seitens der Stadt, ohne daß von einer Gegenleistung die Rede ist, die sich auch an anderer Stelle nicht feststellen läßt. Es ist nicht anzunehmen, daß sich die Stadt aus freien Stücken zu diesen Zugeständnissen bereit gefunden hat, die neben der materiellen Einbuße eine empfindliche Einschränkung ihrer Rechte und Freiheiten mit sich brachten. Der Markgraf mußte Gelegenheit gefunden haben, gegen den Willen des Rates in die städtischen Verhältnisse einzugreifen. Das herrschende Patriziat mußte sich in einer Zwangslage befunden haben. Nach der allgemeinen Situation und der Bestimmung über die Ratszusammensetzung ist es wahrscheinlich, daß sie durch Zunftunruhen hervorgerufen wurde bzw. der Markgraf den Druck der Handwerker ausnutzte. Er schaltete sich in den Kampf der Zünfte gegen das Patriziat ein, erzwang ihre Ratsbeteiligung — ohne das patrizische Regiment zu stürzen — und erhielt auf diesem Wege die Möglichkeit, der gespaltenen Stadt wertvolle Zugeständnisse abzunötigen. Man muß sich fragen, was Ludwig zu diesem ungewöhnlichen Vorgehen bewegte, wobei das Ungewöhnliche in der Verletzung der Autonomie zu sehen ist. Nach den Urkunden bestand 1346 ein Konflikt zwischen Markgraf Ludwig und dem Berliner Münzmeister Otto Buch. Otto Buch gehörte zu den führenden Berliner Geschlechtern. 132864 und 134365 läßt er sich als Berliner Ratsherr 133166 als Bürgermeister nachweisen. 1325 wird er in einer Urkunde Papst Johanns XXII. unter den wittelsbachisch gesinnten Hauptschuldigen am Totschlag des Propstes Nikolaus von Bernau genannt.67 Otto Buch betrieb wie andere Berliner Patrizier, Finanzgeschäfte mit dem Markgrafen. Dieser verpachtete ihm 1335 den Havelberger Zoll.68 1340 wird er als Münzmeister von Berlin genannt.69 1346 muß es zum Zerwürfnis gekommen sein. Otto Buch wurde vom Markgrafen vertrieben, wie es in den Urkunden heißt.70 Wahrscheinlich war Buch seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachgekommen bzw. er hatte den Forderungen des Markgrafen nicht Genüge ge62

66 67

88

ÜBBChr., Nr. 44, S. 29.

63

RIEDEL, A I, Nr. 39, S. 63.

89

RIEDEL, A X I , Nr. 35, S. 25.

64

SC, S. 41.

68 UBBChr., Nr. 45, S. 80. Ebenda, Nr. 15, S. 57. Vatikanische Akten zur deutschen Geschichte in der Zeit Kaiser Ludwigs des Bayern, hrsg. von S. RIEZLER. Innsbruck 1891, Nr. 557, S. 244 ff.

Ebenda, S B , Nr. 15, S. 230.

'« Ebenda, B II, Nr. 956, S. 333; B VI, Nr. 2301, S. 87; UBBChr., Nr. 132, S. 143.

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leistet. Der Markgraf hielt sich an den Rat, der Buchs Verbindlichkeiten decken mußte. Buch ließ darauf am 1. Oktober 1346 dem Rat seine Lehngüter zum Abtrag der für ihn an den Markgrafen gezahlten Summe auf. 71 In den Versöhnungsurkunden zwischen den Wittelsbachern und Berlin von 1351,1352 und 1361 wird ausgeführt, daß Ludwig der Stadt bei der Vertreibung Buchs Briefe abnötigte, die ihre Rechte verletzten.72 Hieraus möchte ich schließen, daß sich der Rat auf die Seite Buchs stellte und sich in dieser Angelegenheit mit Ludwig überwarf. Die Stelle über die rechtsverletzenden Briefe möchte ich auf unsere Urkunde beziehen, die im gleichen Monat ausgestellt wurde, wie die über die Auflassung der Güter Otto Buchs. Bemerkenswert ist, daß Ludwig 1351 verspricht, in der Stadt kein Schloß zu errichten, und dies im unmittelbaren Zusammenhang mit der Behandlung der Rechtsverletzung von 1346. Sollte der Markgraf hierzu Anstalten getroffen haben ? Otto Buch gehörte zu den Finanzmännern des Markgrafen. Er steht in einer Reihe mit den Stendaler Kaufleuten Bismarck, Beringer, Falke, Gunter, Hidde u. a., die dem Markgrafen gegen Verpachtung und Verpfändung landesherrlicher Einkünfte wiederholt Anleihen gewährten.73 Ludwig benutzte die erhaltenen Summen für seine Rüstungen gegen Otto von Braunschweig74, dem er 1343 die Altmark abgewann. Nach dem Ubertritt Stendals wurden auch die Mittel der Stadt für den Markgrafen flüssig gemacht 75 , der die führenden Fernhändler dafür wiederholt begünstigte.76 So wird Nikolaus Bismarck im Juni 1345 mit dem landesherrlichen Schloß Burgstall belehnt.77 Die eigensüchtige Verwendung der Stadtfinanzen war einer der Gründe und Anlässe, die zum Aufstand der Stendaler Gewerke führten. 78 Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich auch in Berlin unter der Bürgerschaft Unwille und Haß gegen das Treiben der markgräflichen Finanzmänner ausbreiteten und die 71

72 73

74

76

76

77 78

RIEDEL, A VII, Nr. 4, S. 203 (hier ist das Datum falsch aufgelöst); A X I I , Nr. 13, S. 492. Vgl. Anm. 70. RIEDEL, A X V , S. 99ff. u. v. a . ; GÖTZE, L „ a . a . O . , S. 135ff., 141 f. u. 145; v. KALBEN-VIENAU, R . , Zur Geschichte der Familie von Kalben, Die Politik und Kriege Stendals 1319—1344, Die soziale Entwicklung der Stendaler Bürgerschaft. I n : JbAVG, Bd. 49, 1934, S. 37 (im folgenden zitiert als: v. KALBEN-VIENAU, R . , Zur Geschichte der Familie von Kalben). GÖTZE, L., a.a.O., S. 142; v. KALBEN-VIENAXJ , R., Zur Geschichte der Familie von Kalben, S. 37. RIEDEL, A X V , N. 140, S. 107; A X V , Nr. 149, S. 112; A X V , Nr. 153ff., S . 115ff.; L.GÖTZE, a . a . O . , S. 142 ff.; v . KALBEN-VIENAU, R . , Zur Geschichte der Familie von Kalben, S. 38f. RIEDEL, A X V , S. 96ff.; GÖTZE, L . , a. a. O., S . 136f. u. 145f. RIEDEL, A XVII, Nr. 68, S. 499. GÖTZE, L., a. a. O., S. 145ff.; v. KALBEN-VIENAU, R. (Zur Geschichte der Familie von Kalben, S. 43) versucht ohne stichhaltige Beweise das Patriziat gegen Götze in Schutz zu nehmen.

442

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Spannungen zwischen Patriziat und Zünften dadurch zugespitzt wurden. Hier dürfte eine Parallele vorliegen, nur daß sich der Markgraf in Berlin die Situation zunutze machte, sich direkt einschaltete und seine Forderungen gegenüber der Stadt durchsetzte. Vielleicht hatte sich auch in Stendal das Verhältnis zu den Patriziern abgekühlt, und vielleicht erklärt sich hieraus, warum Ludwig seine altmärkischen Freunde im Stich ließ. Der Streit mit Otto Buch und dem Berliner Rat allein hätte m. E. nicht ausgereicht, um Ludwig zu dem geschilderten Eingriff zu bewegen. Hierzu bedarf es einer weiteren Erklärung, wozu sowohl die Lage Ludwigs als auch die Stellung Berlins betrachtet werden muß. Nachdem Kaiser Ludwig der Bayer den Luxemburgern 1342 Tirol entrissen hatte, wurde die Frage eines Gegenkönigtums endgültig akut. Angeregt von Papst Clemens VI., erhob eine Fürstengruppe am 11. Juli 1346 den luxemburgischen Markgrafen Karl von Mähren zum Gegenkönig. Zu den Wählern gehörte der askanische Herzog Rudolf I. von Sachsen-Wittenberg. Dieser hatte bereits nach dem Tode Markgraf Waldemars 1319 Ansprüche auf die Markgrafschaft geltend gemacht und die Mittelmark besetzt.79 Er konnte sich bis 1328 in der südlichen Mittelmark halten80 und war von 1328 bis 1339 Pfandherr der Lausitz und der südmittelmärkischen Städte. 81 Ludwig mußte erwarten, daß seine alten Gegner neue Versuche unternehmen würden, die Mark für sich zu gewinnen. Es war für ihn notwendig, den Besitz der Mark nach außen und innen zu sichern. Sein Statthalter, Burggraf Johann von Nürnberg, schloß am 17. September einen Vertrag mit dem Erzstift Magdeburg, Sachsen-Wittenberg und Anhalt, auf die Dauer von acht Wochen Frieden zu halten. 82 Die kurze Frist der vereinbarten Friedenswahrung läßt die zugespitzte Lage deutlich erkennen. In der Mark selbst hatte sich Unwillen über Ludwigs Politik ausgebreitet. Die Städte wandten sich gegen die landesherrlichen Geldforderungen, gegen die fremden Räte und Dienstmannen und gegen die unzulängliche Friedenswahrung.83 Gegen neue Finanzoperationen im Sommer 1345 kam es zum offenen Widerstand.84 Erstmals traten die brandenburgischen Stände zu einem Landtag zusammen. Die neue Steuer wurde einhellig abgelehnt. „Die Städte und Herren verpflichteten sich gegenseitig zu einer gemeinsamen Abwehr der aufgestellten Forderungen. . . Sie dachten vielleicht sogar daran, ihren Widerstand mit den Waffen zu unterstützen; denn sie gaben sich das Versprechen, sich gegenseitig Mannen und Städten ihre Tore offenzuhalten." 85 Der Landtag fand in Berlin statt. Die brandenburgischen Städte hatten bereits zu Beginn des 14. Jh. eine autonome Stellung errungen. Sie hatten das volle Eigentum am städtischen 79

81 83 84

80 W. F R . , a. a. O., S. 8ff. Ebenda, S. 45f. 82 Ebenda, S. 71ff. R I E D E L , B I I , Nr. 808, S. 184. M Ü L L E R - M E R T E N S , E., Untersuchungen . . . , I I , S. 292f.

TAUBE,

RIEDEL, A I V , Nr. 23, S. 53F.; C I, Nr. 23, S. 24f.

* S TAUBE, W . ER., a. a. O., S. 8 5 f .

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Grund und Boden gewonnen, hatten sich von der Zuständigkeit der Vogt ei gewalt und des Landgerichts befreit und die hohe Gerichtsbarkeit erworben. Ihnen war ein Steuerbewilligungs-, Einungs- und Widerstandsrecht zugestanden worden.86 1308/09 schlössen sich die Städte des ottonischen Gebiets zu einem ersten Städtebund gegen mögliche Eingriffe Waldemars zusammen. Der Markgraf besiegelte den Städten die von seinen Vorgängern verliehenen Privilegien.87 Mit den Städtebünden der Jahre 1320—2588 begegneten die Kommunen den Wirren des Interregnums, aus denen sie gestärkt hervorgingen.89 Schließlich sind der altmärkische und der uckermärkische Städtebund von 134490 und 134891 zu nennen. In ihrem Mittelpunkt stand neben der Wahrung der bestehenden Verhältnisse und der Verteidigung des Landfriedens die Sicherung der städtischen Rechte und Freiheiten. Die Städte waren bereit, sie gemeinsam gegen Pürsten und mächtige Herren zu verteidigen. Tschirch92, Faden93 und Schultze94 haben deutlich gemacht, daß Berlin bereits damals seine führende Rolle in der Mittelmark angetreten hatte und an der Spitze des mittelmärkischen Städtebundes stand. Hier fanden die ersten Landtage statt. Der Bede vertrag für die Gebiete der ottonischen Linie wurde 1280 in Berlin abgeschlossen95, was die Stadt „bereits als Mittelpunkt und Hauptort der Herrschaft erscheinen läßt"96. Als Ludwig 1338 eine Steuer zur Einlösung der Lausitz erhob, mußte er sich auf einer Versammlung in Berlin verpflichten, keine derartige Steuer mehr zu erheben.97 Die Steuer wurde Berlin und Kölln zur Aufbewahrung übergeben, die den Städten garantierte, daß das Geld nur zur Lösung der Lausitz verwendet werden darf.98 1345 verbündeten sich die Stände in Berlin zu gemeinsamem Widerstand gegen die Geldforderungen des Landesherrn.99 Berlin weist sich also bereits in der Mitte des 14. Jh. als ein politischer Mittelpunkt Brandenburgs aus. Dies entsprach seiner Bedeutung als wichtigster mittelmärkischer Handelsplatz, der im Ver86

MÜLLER-MERTENS,

E., Untersuchungen .

S. 288f.

.., II,

Ebenda, S. 286f. 88

89 90

91

RIEDEL, A I ,

Nr. 26,

S. 136; A X I X , Nr. 21,

S. 184; B I,

Nr. 562,

S. 467;

MUB,

VII, Nr. 4367, S. 46. M Ü L L E R - M E R T E N S , E., Untersuchungen . . ., II, S. 292. RIEDEL, A X I V , N r . 124, S . 88.

Ebenda, A XXI, Nr. 96, S. 161. Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel, a. a. O., S. 37; ders., Der falsche Waldemar und die märkischen Städte. In: ,,FBPG", Bd. 43, 1930, S. 236.

82

TSCHIRCH, O . ,

93

F A D E N , E . , a . a . O . , S . 84FF.

94

SCHULTZE, J., Caput Marchionatus Brandenburgensis. Brandenburg und Berlin. In: „Das Hauptstadtproblem in der Geschichte". Festgabe für Friedrich Meinecke, Tübingen 1952, S. 76ff.

95

RIEDEL, C I, N r . 8, S. 9.

9

98

SCHULTZE, J . , a . a . O . , S . 7 6 .

' RIEDEL, A X I X , N r . 50, S. 2 0 2 ; A X X , N r . 4 4 , S. 2 0 9 ; C I , N r . 18, S. 16.

98

99

Ebenda, B II, Nr. 756, S. 140. Ebenda, A IV, Nr. 23, S. 53; C I, Nr. 23, S. 53.

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kehr zwischen den Nord- und Ostseegebieten mit der Mittelmark und Niederlausitz zwischen den Landen der mittleren Elbe und der Ostsee eine zentrale Stellung einnahm.100 Berlins Standpunkt kam daher in der Mark erhebliche Bedeutung zu. In der geplanten Situation war es für Ludwig sehr wichtig, sich der Städte zu vergewissern. Er wird ähnlich gedacht haben wie Engelbert Wusterwitz, der die Quitzowschen Unternehmen gegen Berlin 1410 folgendermaßen begründet: „Derselbige Dietrich von Quitzaw hat wohl bedacht, dass vom haubt anzuheben; darum hat er mit den Berlinschen den anfang zu streiten gemacht, auf dass, so er dieselben unter seine gewalt und herrschaft gebracht, auch unter ander städte in der Marke desto ehe könte mächtig werden."101 1442—1448 befand sich Berlin als Hort der städtischen Freiheit gegenüber den Hohenzollern wieder in einer ähnlichen Lage. Nach Ablehnung von Ludwigs Finanzplan war die Lage in der Mark gespannt. Dazu kam es zum Konflikt mit Otto Buch und dem Berliner Rat. Zunftunruhen gaben dem Markgrafen Gelegenheit zum Einschreiten. Er zwang der Stadt Zugeständnisse ab und schuf eine Ordnung, von der er sich Sicherheit versprach. Die führende Stadt des mittelmärkischen Städtebundes war unterworfen und gebunden. Es ist von großem Interesse, wie die märkischen Städte auf das Vorgehen des Landesherrn reagieren. Ohne Zweifel mußten sein Eingriff in die innerstädtischen Verhältnisse, die Verletzung der teuren Autonomie sie tief berühren, wenn auch keine unmittelbaren Nachrichten über ihre Stellungnahme erhalten geblieben sind. In diesem Zusammenhang erscheint mir die Frage am Platz, welche Motive den schnellen Abfall der märkischen Städte beim Auftreten des falschen Waldemar bedingt haben, eine Frage, die in der Literatur nicht befriedigend beantwortet wurde. Hierzu ist es zunächst nötig, den Tatbestand aufzunehmen. Nach dem Tode Kaiser Ludwigs des Bayern (11. Oktober 1347) trat der Kampf gegen das nunmehrige Haupt der bayerischen Wittelsbacher, Ludwig V. den Älteren, Herzog von Bayern, Markgraf von Brandenburg und Graf von Tirol, in ein akutes Stadium. Karl IV. verlieh den mecklenburgischen Fürsten Albrecht und Johann von Reichs wegen das Land Stargard und alle anderen Lande, die sie bisher von Brandenburg zu Lehen trugen (16. Oktober 1347).102 Er erhob sie zu Herzögen (8. Juli 1348).103 Herzog Rudolf I. von Sachsen erhielt die Altmark als Reichs100 Vgl. M Ü L L E R - M E R T E N S , E., Untersuchungen . . ., IV, S. 13ff.; SCHTTLTZE, J., a. a.O., S. 77f. 101 Des Engelbert Wusterwitz märkische Chronik, hrsg. von O . T S C H I R C H , Brandenburg 1912, S. 41. 102 BÖHMER, J. F., Regesta Imperii VIII, Die Regesten des Kaiserreiches unter Kaiser Karl IV., aus dem Nachlaß Böhmers hrsg. und erg. von A. Huber, Innsbruck 1877, Nr. 371 (im folgenden zitiert: BÖHMER-HTJBER). 103 Ebenda, Nr. 711.

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lehen (5. November 1347). 104 Herzog Barnim v o n Pommern-Stettin wurde die Lehnsunabhängigkeit Pommerns v o n Brandenburg bestätigt (12. J u n i 1348). 1 0 5 A m 28. April 1348 beauftragte Karl IV. Rudolf d. J . v o n Sachsen und Albrecht I I . v o n Anhalt, dem Erzbischof Otto die magdeburgischen Reichslehen zu reichen. 1 0 6 Sie müssen darauf mit Otto zusammengetroffen sein. N a c h Werunsky 1 0 7 und Struck 1 0 8 fand bei dieser Zusammenkunft die Verabredung über das Vorgehen gegen Markgraf Ludwig statt. Die Fürsten stellten sich hinter einen Mann, der sich als wiedererschienener Markgraf Waldemar 1 0 9 ausgab, und eröffneten, v o n Karl I V . unterstützt, im August 1348 den Krieg gegen den Wittelsbacher. Markgraf Ludwig hielt sich damals in Bayern und Tirol auf. 1 1 0 Die landesherrlichen Geschäfte führte der Landeshauptmann in der Mark, Friedrich v o n Lochen. N o c h a m 7. August urkundete der Landeshauptmann in Tanger104 107

108

109

105 106 Ebenda, Nr. 411. Ebenda, Nr. 698. Ebenda, Nr. 669. WERUNSKY, E., Geschichte Kaiser Karls IV. und seiner Zeit. Bd. 2,1, Innsbruck 1882, S. 127, Anm. 1. STRUCK, W. H., Märkische Urkunden aus der Zeit des falschen Waldemar im Anhaltinischen Staatsarchiv Zerbst (1268—1352). Anhang: Der sogenannte falsche Waldemar. In: „ F B P G " , Bd. 55, 1943, S. 81. Über das Auftreten des falschen Waldemar liegen 15 zeitgenössische Berichte vor,

z u s a m m e n g e s t e l l t b e i KLÖDEN, K . F . , a . a . O . , B d . I I , S . 336FF.; TSCHIRCH, O . , D e r

falsche Waldemar und die märkischen Städte. I n : „ F B P G " , Bd. 43, 1930, S. 240FF. Nur zwei Chroniken erklären ihn für echt. Einige belassen den Fürsten den guten Glauben an seine Echtheit, die Mehrzahl bezichtigt sie jedoch des Betruges. Als Anstifter und Akteure werden Herzog Rudolf I. — dieser in erster Linie —, der Magdeburger Erzbischof sowie die Anhaltiner genannt. Vgl. hierzu STRUCK, H . W., a. a. O., S. 71FF., der eine wesentliche Beteiligung der anhaltinischen Fürsten nachweist. no Vgl. das Itinerar Markgraf Ludwigs bei BIER, H., Märkische Siegel, 1. Abt.: Die Siegel der Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg, 2. Teil: Die Siegel der Markgrafen von Brandenburg aus dem Hause Wittelsbach 1323—1373. Berlin 1933, S. 186 ff. Es ist das Verdienst von BIER, durch seine Siegeluntersuchungen Ordnung in das Itinerar Ludwigs des Älteren gebracht zu haben. Dieses machte der Forschung wegen der gleichlaufenden Urkundentätigkeit mehrerer Kanzleistellen große Schwierigkeiten. „Seit spätestens Sommer 1347 führten, wo Ludwig nicht selbst weilte, Landeshauptleute mit ausgedehnten Regierungsvollmachten und eigener Landeskanzlei immer wenigstens eines seiner territorialen Siegel. Die den Markgrafen persönlich begleitende Hofkanzlei, unter Leitung des bisherigen Chefs der ungeteilten Kanzlei, blieb bestehen, aber sie besaß nicht mehr die ausschließliche Zuständigkeit zur Führung der markgräflichen Siegel. Die brandenburgischen Siegel führte in der Mark seit Sommer 1347 wiederholt der Landeshauptmann Friedrich von Lochen, das kleine tirolische Siegel seit 1348 in Tirol und Baiern fast ununterbrochen der Landeshauptmann Herzog Konrad von Teck. Beide urkundeten unter Namen, Titel und Siegel des Markgrafen, ganz als wäre dieser selbst der Aussteller; nichts im Wortlaut der Urkunden verrät dem Unkundigen, wer der wirkliche Aussteller ist. . . . Der einzige Wegweiser durch die gleichlaufenden Urkunden-Itinerare Ludwigs von 1346 bis 1351 sind die Siegel" (S. l l f . ) .

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münde 111 , in unmittelbarer Nähe von Wolmirstedt, dem Ausgangspunkt Waldemars. Die erste urkundliche Nachricht vom Auftreten Waldemars stammt vom 15. August 1348.112 Waldemar weilte zusammen mit Albrecht von Anhalt und Erzbischof Otto in Wolmirstedt. Er hatte die Mark noch nicht betreten; doch finden wir bereits Vertreter der Altstadt Brandenburg bei ihm. I n Wolmirstedt vollzog sich der Anschluß der havelländischen, altmärkischen und Priegnitz-Städte. Für Altstadt Brandenburg (17. August) 113 , Pritzwalk 114 , Tangermünde 115 und Osterburg 116 (19. August) sind Bestätigungsprivilege erhalten. Den Städten Pritzwalk, Havelberg, Perleberg und Kyritz wurde von Waldemar verbrieft, daß er Ludwigs Schulden übernehmen wolle (20. August). 117 Im September schrieb Karl IV. an eine unbekannte Stadt, daß Waldemar bis zum 29. August 25 Städte gewonnen habe. 118 Dieser läßt sich übrigens erst an diesem Tage erstmalig auf märkischem Boden nachweisen. Die Quellen geben keine Anhaltspunkte, daß vor dem 15. bzw. 20. August bewaffnete Operationen der verschworenen Fürsten — Magdeburg, Anhalt und Sachsen — stattgefunden haben, durch die die Städte zum Anschluß hätten veranlaßt werden können. Der Entscheid muß in den Städten ohne Eingreifen von außen gefallen sein, und zwar im wesentlichen vor dem 15. August. Mit Tschirch 119 , dem sich Faden 120 angeschlossen hat, kann aus der weitgehenden Übereinstimmung der Bestätigungsprivilegien auf ein koordiniertes Vorgehen der Städte geschlossen werden. „Es ergibt sich daraus unzweifelhaft, daß dem fürstlichen vielmehr ein einheitlicher Wille gegenübertrat, der diese Forderungen vorher in gemeinsamen Beratungen geformt habe. Und dann liegt der Verdacht sehr nahe, daß eine Verschwörung märkischer Städte an dem Unternehmen des falschen Woldemar tätigen Anteil h a t t e . . . Ein solcher Geheimbund der Städte des märkischen Westens erklärt dann auch die Schnelligkeit ohne Kampf, mit der ein großer Teil der Mark dem Pilger zufiel." 121 Auf eine Absprache weist das Bündnis der havelländischen Städte Altstadt und Neustadt Brandenburg, Rathenow und Nauen hin, die am 11. August beschlossen, nur einen gemeinsamen Herrn anzuerkennen und sich in dieser Angelegenheit 111

RIEDEL, A V , N r . 5 4 , S. 3 2 5 .

112 Ebenda, A IX, Nr. 67, S. 42. Die von RIEDEL, A X X , Nr. 17, S. 137, unter dem 16. 7. 1348 abgedruckte Urkunde Markgraf Ludwigs für Müncheberg, in der auf die dem falschen Waldemar geleistete Huldigung der Stadt Bezug genommen wird, ist auf den 29. 10. 1348 zu datieren, siehe hierzu den Anhang: Hat Müncheberg dem falschen Waldemar vor dem 16. Juli 1348 gehuldigt? 113 114 Ebenda, A IX, Nr. 68, S. 43. Ebenda, A III, Nr. 71, S. 378. 11S 116 Ebenda, A XVI, Nr. 17, S. 12. Ebenda, A XVI, Nr. 27, S. 328. 118 » ' Ebenda, A III, Nr. 72, S. 379. Ebenda, B II, Nr. 848, S. 216. 119 TSCHIRCH, O., Der falsche Waldemar und die märkischen Städte, a. a. 0., S. 234FF.; ders., Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel, a. a. O., S. 66f. 120

121

FADEN, E . , a. a. 0 . , S . 9 0 .

TSCHIRCH, O., Der falsche Waldemar und die märkischen Städte, a. a. O., S. 236f.

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gegenseitig Hilfe zu leisten. 122 Den Priegnitzstädten Perleberg, Havelberg, Kyritz und Pritzwalk wurde am 20. August gemeinsam eine Zusicherung von Waldemar über die Übernahme der landesherrlichen Schulden erteilt. 123 Sie setzt ein gemeinsames Handeln der Städte in dieser Angelegenheit voraus. Diese Auffassung kann durch eine weitere zeitgenössische Quelle gestützt und erhärtet werden. Heinrich von Herford schreibt in seiner Chronik: „Sie seufzen unter dem Drucke seiner Gewaltherrschaft (Ludwigs des Älteren — E. M.-M.) wie unter einer schweren Last, und zur Knechtschaft verurteilt schmachten sie nach Freiheit. Die bedeutenderen Städte unter ihnen verschwören sich, um die Freiheit wieder zu gewinnen, und ziehen zu ihrem Geheimbund mehrere der benachbarten Fürsten und Herren heran. Sie gewinnen einen Bauern, einen Menschen niedrigster Herkunft, erklären, er sei der Markgraf Waldemar, der nach langer Bußfahrt heimgekehrt sei, jubeln ihm wie dem wahren zu und leisten ihm in allem Gehorsam." 124 Hier zeichnet sich eine Verabredung und ein gemeinsames Vorgehen der Städte ab, das zum Abfall von Ludwig und zum Anschluß an die Askanier führte. Die Aktion der benachbarten Fürsten traf somit auf eine Aktion märkischer Städte. Beide gingen gemeinsam vor. F ü r die Haltung des schloßgesessenen Adels und der Ritterschaft liegen keine nennenswerten Nachrichten vor. Nach Täube folgten sie dem Beispiel der Städte 125 , die von den Chroniken bei der Behandlung des Abfalls an erster Stelle genannt werden. 126 Erst nachdem die Städte des Havellands, der Altmark und der Priegnitz gewonnen waren, begab sich Waldemar in die Mark. Ohne ihren Entscheid wäre ihm der Erfolg versagt geblieben. Die Zeitgenossen erkannten die Bedeutung der Städte und ihrer Parteinahme. Die Magdeburger Schöffenchronik stellt fest, daß Ludwig die Mark verloren hätte, wenn nicht Frankfurt,. Spandau (?) und Brietzen treu geblieben wären. 127 Und in der Tat, an den Mauern der Oderstadt brach sich der Ansturm der gegen den Wittelsbacher vereinten Heere unter Leitung Karls IV. 128 Die selbständige Politik der Städte wird dadurch unterstrichen, daß sie auch nach der Verwerfung des falschen Waldemar und der Achterklärung an den Askaniern festhielten. Erst als die Position Waldemars unhaltbar geworden war, die Anhaltiner ihre Sache aufgaben und es zu einem wittelsbachisch-anhaltinischen Vergleich kam, er122 124

126

126 127 128

123 RIEDEL, A I X , Nr. 66, S. 42. Ebenda, A III, Nr. 72, S. 379. Liber de rebus memorabilioribus sive Chronicon Henrici de Herfordia, ed. A. Potthast,. Gottingae 1859, S. 272 (im folgenden zitiert: Henricus de Herfordia . . .).

TAUBE, W . F B . , a. a . O., S. 9 8 .

Zusammenstellung der Quellen bei TSCHIRCH:, O., Der falsche Waldemar und die märkischen Städte, a. a. 0 . , S. 240ff. Magdeburger Schöffenchronik, hrsg. von K. JANICKE. IN: „Die Chroniken der deutschen Städte", Bd. 7, Leipzig 1869, S. 203. Zu den Gründen für die Haltung Frankfurts vgl. SCHRÄDER, K., a. a. O., S. 42f.. u. 50f.

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kannten im Februar 1355 die uckermärbischen129 und im März 1355 die letzten mittelmärkischen Städte 130 , letztere auf offizielle Anweisung des falschen Markgrafen Waldemar131, die Wittelsbacher erneut an. Nach der Darlegung des Sachverhalts ist zu fragen: Welche Beweggründe werden die Städte zu ihrem Abfall bewogen haben ? In der Literatur wird auf der einen Seite auf die allgemeine Mißstimmung über Ludwigs Regierung verwiesen.132 Die Unzufriedenheit wird neben dem leichtfertigen Lebenswandel des Markgrafen, seiner Ehe mit Margarete von Tirol und seiner Stellung zum Papst besonders auf seine ständigen Geldforderungen und die Tätigkeit fremder Räte zurückgeführt. Auf der anderen Seite werden die Hinneigung der Städte zu den Askaniern, ihre Sehnsucht nach der vergangenen Zeit, die als goldene empfunden worden wäre, die Erinnerung an die Tage voller Macht und Ruhm beschworen.133 Dazu gesellt sich die angebliche Erfüllung der städtischen Forderungen durch Waldemar.134 „Die Städte wurden durch seine freigebigen Privilegien gewonnen."135 Ganz gewiß hat Unzufriedenheit, haben Spannungen zwischen Landesherrn und Ständen in der Mark bestanden. Doch ist es fraglich, und es läßt sich nicht belegen, ob diese Spannungen das für die deutschen Territorien des 14. Jh. übliche Maß wesentlich überschreiten. Die ständigen Geldforderungen der Landesfürsten waren typisch. Sie wurden in gleichem Maße von den Askaniern vorgebracht. Im übrigen war es den Städten durchaus möglich, die auferlegte finanzielle Belastung zu tragen. Ihre Lage war alles andere als verzweifelt. Sie standen wirtschaftlich auf dem Höhepunkt. Im großen und ganzen haben sie Nutzen aus der landesherrlichen Finanzkalamität gezogen; denn den Forderungen wurde in der Regel nicht ohne Gegenleistung entsprochen. Auch der falsche Waldemar nahm sofort Anleihen auf. So gewährte Berlin-Kölln bereits am 23. September eine Summe von 208 Pfd. Silber und 48 1 / 2 Mark zur Einlösung von Pfändern.136 129

RIEDEL, A X X I , N r . 109, S. 172.

130

Ebenda, A I X , Nr. 77, S. 48. Ebenda, A I X , Nr. 76, S. 48.

131

132

V

F R E Y B E R G , M . , a . a . O . , S . 8 f . ; GÖTZE, L . , a . a . O . , S . 1 5 8 ; T A U B E , W . F B . , a . a . O . ,

S. 9 9 ;

SCHRÄDER,

K.,

a.a.O.,

S. 4 1 ;

TSCHIRCH,

O.,

Geschichte

der

Chur-

und

Hauptstadt Brandenburg an der Havel, a. a. O., S. 68. 133

K L Ö D E N , K . F . , a . a . O . , S . 1 8 5 f . ; GÖTZE, L . , a . a . O . , S . 1 5 9 ; S C H R Ä D E R , K . , a . a . O . , S. 4 1 ; FADEN, E . , a. a. O., S . 90.

134

136

136

GÖTZE, L . , a . a . O . , S . 1 5 9 ; F A D E N , E . , a . a . O . , S . 9 0 .

GRTTNDMANN, H., Die Zeit Kaiser Karls IV. (1347-1378). In: „Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte", 8. Aufl., Bd. 1, Stuttgart 1954, S. 459; HOLTZE, F., Geschichte der Mark Brandenburg. Tübingen 1912; KOSER, R., Geschichte der brandenburgischen Politik bis zum Westfälischen Frieden von 1648. Stuttgart 1913; HINTZE, O., Die Hohenzollern und ihr Werk. Berlin 1915; HOPPE, W., Geschichte der Mark Brandenburg in ihren Grundzügen. In: Märkisches Heimatbuch, 3. Aufl., Neudamm 1935; BAXTER, H E I N R I C H , Die Mark Brandenburg. Berlin 1954, nehmen überhaupt nicht Stellung. UBBChr., Nr. 74, S. 101.

Die Unterwerfung Berlina 1346

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Ob die nach Autonomie begierigen Städte eine Zeit als golden nachempfunden haben, die sie eine kräftige landesherrliche Gewalt spüren ließ, ist immerhin zweifelhaft. Wenn die Machtstellung des Markgrafen unter Waldemar auch bereits sehr geschwächt war, wie die märkischen Städte diesen einschätzten und was sie von ihm erwarteten, beweist der Städtebund von 1308/09, mit dem die Städte der ottonischen Linie dem gewalttätigen Markgrafen entgegentraten.137 Sie befürchteten Repressalien; kam es Waldemar bei dieser weit ausgreifenden Politik doch vor allem auf eine Erhöhung seiner Einnahmen an. Schließlich trifft es nicht zu, daß die Städte durch Privilegien bestochen wurden. Sie erhielten keine grundsätzlich neuen Freiheiten, und sie stellten auch nicht diese Forderung auf. Prinzipiell ging es um Rechte, die die Städte einzeln bereits erworben hatten und die jetzt präzisiert, zusammengefaßt und allgemein verliehen wurden.138 Es lassen sich weder erdrückende finanzielle Belastungen noch Vorteile der askanischen gegenüber der wittelsbachischen Ära, noch wesentliche Begünstigungen durch den falschen Waldemar nachweisen. Damit reichen die in der Literatur gegebenen Erklärungen nicht aus, um das Verhalten der Städte hinlänglich zu motivieren. Durch unsere Urkunde wissen wir nun, daß sich Ludwig während des wittelsbachisch-luxemburgischen Thronstreits auf die Seite der Zunfthandwerker gestellt und die Rechte Berlins erheblich verletzt hatte. Ist es nicht wahrscheinlich, daß dieses Moment eine wichtige Rolle bei der Parteinahme der Städte gespielt hat? Nachdem Ludwig im Herbst 1345 das Stendaler Patriziat preisgegeben und 1346 den Zunfthandwerkern an der Spree zum Erfolg verholfen hatte, mußte sich das Patriziat verlassen und bedroht fühlen und nach Sicherungen Ausschau halten. Sicher war es nicht zufällig, daß der falsche Waldemar gerade in den Städten, wo das Patriziat noch fest im Sattel saß, in Brandenburg und Prenzlau, seine standhaftesten Anhänger fand. Von weitaus größerer Bedeutung für die Städte mußte jedoch der Eingriff in die Autonomie, die Verletzung der städtischen Freiheit sein. Hier war ein echter Anlaß zur Besorgnis, zum Bruch und möglichen Abfall gegeben. Diese Auffassung ist durch Heinrich von Herford zu belegen. Er nennt die unterdrückte Freiheit als Motiv der Städteverschwörung.139 Die Berechtigung des Wider137

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29

Als der 1308 gestorbene Markgraf Hermann der Lange den unmündigen Johann V. hinterließ, sollte die Vormundschaftsregierung über die Gebiete der ottonischen Linie von der Markgräfin-Mutter Anna übernommen werden. Indes brachte der johanneische Markgraf Waldemar, der nach der Herrschaft über die ganze Mark strebte, die Vormundschaft und Regierung durch Gewaltanwendung an sich. M Ü L L E R - M E R T E N S , E . , Untersuchungen . . I I , S . 2 9 4 . Henricus de H e r f o r d i a . . . , S. 272, , , . . . , eosque gravaminibus, angariis, taliis, exactionibus plurimis et violentis et fraudulentis et aliis iniuriis innumeris tyrannice premens afflixit. Illi sub pondere tyrannidis eius quasi gravi onere pressi suspirant, Hansische Studien

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stands und der Hinwendung zu einem anderen Herrn bei Rechtsverletzungen war fest in der Vorstellungswelt der Zeit verankert. 1 4 0 Stendal und Prenzlau wurde das Widerstandsrecht in den Bedeverträgen von 1282 ausdrücklich eingeräumt. 1 4 1 I n der Urkunde der Markgrafen Otto und Conrad f ü r Stendal heißt es: „Preterea servandum duximus firmiter et tenendum, quod si quicquam de omnibus premissis infringeremus, quod absit, ex tunc dicti Burgenses habeb u n t liberum arbitrium, u t una cum Burgensibus castri et oppidi Tangermunde, cum Burgensibus civitatis Osterborch, et terris adjaeentibus oppidis jam predictis libere se divertere poterunt ad alium dominum, ad quem duxerint divertendum donec talis injuria et violencia per nos, fratres nostros, successores nostros fuerit ex integro retractata." Heinrich von Mecklenburg sichert 1304 Friedland zu: „Si autem nos, nostros Successores a u t Advocatos nostro nomine dicte nostre Civitati in dictis libertatibus, juribus et justitiis, u t premittitur indultis, in parte aut in toto infringendo contrariari contingeret, quod absit; E x t u n c nostri dilecti Consules sepe dicti ac universitas liberam habeant potestatis facultatem, salvo honore, eligendi Nobilem Dominum Marchionem Brandenborgensem, pro tempore Existentem, ad tuendum et defendendum eos in dictis libertatibus, justiciis et iuribus." 1 4 2 Waldemar mußte das Widerstandsrecht 1348 ausdrücklich in allgemeiner Form bestätigen. 1 4 3 Auch die Hinwendung zu einem Herrn, der einen besser begründeten Anspruch auf das Land hatte, war in den Rechtsvorstellungen verankert. Entsprechende Festlegungen wurden in die Bestätigungsprivilegien und städtischen Einungen nach dem Aussterben der märkischen Askanier aufgenommen. 1 4 4 Der Städtebund von 1349 behielt sich dieses Recht gegenüber den Anhaltinern ebenfalls vor. 145 Dieser Sachverhalt legt es mir nahe, in der Verletzung der städtischen Freiheit durch Ludwig gegenüber Berlin und Kölln ein wesentliches Moment f ü r den Abfall der märkischen Städte zu suchen. Berlin und Kölln befanden sich nicht unter den Städten, die sich Waldemar unmittelbar anschlössen. Ludwigs Maßnahme erwies sich als wirksam. Der Gewinn Berlins mußte von hoher Bedeutung f ü r die Sache Waldemars sein. 146 ad libertatem, addicti servilitati, gementes aspirant. Civitates eorum potiores ad libertatem querendam conspirant." 140 Vgl. K E R N , F., Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. 2 . von B U C H N E R kommentierte Aufl., Münster-Köln 1 9 5 4 . 141

142 143 144

RIEDEL, A X V , N r . 38, S. 2 6 ; A X X I , N r . 9, S. 94.

Ebenda, B I, Nr. 324, S. 256f. Ebenda, A III, Nr. 71, S. 378; A IX, Nr. 58, S. 43; A XI, Nr. 54, S. 37; A XVI, Nr. 17, S. 12; A XVI, Nr. 27, S. 328; SB, Nr. 19, S. 233. Ebenda, A XXI, Nr. 44, S.121; Pommersches Urkundenbuch, bearb.von R. K L E M P I N , R. P R Ü M E R S U. a., 7 Bde., Stettin 1868—1907 (im folgenden zitiert als: PUB), Bd. V, Nr. 3396 u. 3397, S. 531.

146

RIEDEL, B I I , N r . 877, S. 244.

148

a. a. 0 . , Bd. I V Nr. 3 0 , S . 3 3 , und UBBChr., Nr. 7 5 , S . 1 0 2 , druckt unter „ 1 3 4 8 ? " den Brief eines ungenannten Markgrafen an die „providis viris ac honestis consulibus nec non unionum magistris totique universitati civitatis veteris FIDICIN, E . ,

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Nach der Lage der Dinge war Widerstand zu erwarten, wobei Waldemar auf die Unterstützung des zurückgedrängten Patriziats rechnen durfte, das sich die Wiederherstellung seiner uneingeschränkten Macht versprach. Nachdem sich die Askanier durch Bündnisse mit Mecklenburg und Pommern 147 und den Anschluß der uckermärkischen Städte verstärkt hatten 148 , stießen die vereinten Streitkräfte gegen Berlin vor. Am 11. September waren sie in Bernau 149 , am 20. in Berlin. 150 Offenbar suchte Ludwig der bedrohten Stadt zu Hilfe zu kommen. Mit einem kleinen Heer aus Bayern 151 traf er am 16. September in Köpenick ein. 152 Zu spät! Beim Nahen der verbündeten Fürsten muß es in Berlin zu Unruhen gekommen sein. In der Stadt brach eine Feuersbrunst aus. In seiner Bestätigungsurkunde versprach Waldemar, den Brandschaden zu ersetzen. 153 Auf die Kämpfe in Berlin ist eine Nachricht der Magdeburger Schöffenchronik zu beziehen: „De borgere in ichteswelken Steden vorderveden sik und vorbranden sik under enander." 154 Unter dem Druck des heranrückenden Heeres bzw. durch direktes Eingreifen der askanischen Truppen werden die Zunfthandwerker zurückgedrängt, wird ihre Teilnahme am R a t aufgehoben und das patrizische Regiment wiederhergestellt worden sein. Wann sollte die Restauration sonst erfolgt sein? Die Anhänger Ludwigs wurden verfolgt und bestraft, in den Urkunden werden die Patrizier Jakob Rode und die Juden hervorgehoben. 155 Den markgräflichen Dienstmann Heinrich Hemerer ließ der Rat hinrichten. 156

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29*

Berlin" ab. Der Markgraf ermahnt diese zur Leistung der ihm wegen seines väterlichen Erbes zugesagten Huldigung. Der Brief ist datiert: „Datum Wolmirstedt, feria quarta ante P." FIDICIN, a. a. O., und KLÖDEN, a. a. O., Bd. III, S. 203f., beziehen ihn auf den falschen Waldemar. Ein Datierungsversuch ist fehlgeschlagen. M. E. kann P. nicht mit Patemus oder Privatus aufgelöst werden, deren Tag zwar der 21. 8. ist, die in den fraglichen Gebieten aber nicht zur Urkundendatierung herangezogen wurden. Die Herzöge Albrecht und Johann von Mecklenburg verbinden sich am 1. 9. zu Kremmen mit Waldemar (RIEDEL, B II, Nr. 844, S. 214). Unter den Zeugen befand sich auch Herzog Barnim von Pommern-Stettin. Nach KLODEN, a. a. O-, Bd. I , S. 207, „schloß Waldemar ein ähnliches Bündnis mit Magnus, König von Schweden, dem Erzbischofe Otto von Magdeburg, Herzog Rudolf von Sachsen und den Grafen von Holstein." Er beruft sich auf eine handschriftliche Notiz GTJNDLINGS, „die sich auf die noch ungedruckte Urkunde stützt". Genannte Urkunde ist uns nicht überliefert. RIEDEL, A X I I I , N r . 2 , S. 1 7 9 ; A X X I , N r . 1 0 0 , S. 163.

160 Ebenda, A XIII, Nr. 30, S. 327. Ebenda, A X I , Nr. 53 u. 54, S. 36. TAUBE, W. FE., a. a. O., S. 102. „Am 6. 9. scheint Ludwig von Nürnberg abmarschiert zu sein" (Regesta Boica, VIII, S. 141). RIEDEL, B II, Nr. 846, S.215.

RIEDEL, A X X I I I , S . 38.

163

E b e n d a , S B , N r . 19, S . 2 3 3 .

Magdeburger Schöffenchronik, a. a. O., S. 203. RIEDEL, B II, Nr. 956, S. 333; B VI, Nr. 2301, S. 87; UBBChr., Nr. 132, S. 143. Die Judenverfolgungen sind in das Jahr 1349 zu setzen (vgl. HEISE, WERNER, Die Juden in der Mark Brandenburg bis zum Jahre 1571. Berlin 1932, S. 82ff. u. 91f.). UBBChr., Nr. 90, S. 114.

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Mit dem Fall von Berlin war der Kampf um die Mittelmark entschieden. Wenige Tage später wurde Waldemar im Feldlager zu Heinersdorf von Karl IV. mit der Mark Brandenburg und der Kur belehnt (2. Oktober).157 Es bleibt zu betrachten, wie die Rückgewinnung der Spreestädte durch die Wittelsbacher zustande kam, und zu fragen, ob sie neue Umwälzungen herbeiführte. Berlin und Kölln standen zunächst fest auf der Seite Waldemars. Die Städte wurden im Sommer 1349 vergeblich von König Waldemar von Dänemark angegriffen.158 Offenbar kam es vor der endgültigen Aussöhnung im Sommer 1351 zu einem Vertrag Berlins und Köllns mit einem wittelsbachischen Markgrafen, der von den Städten jedoch gebrochen wurde. Dies ist aus einem markgräflichen Brief unbezeichneter Provenienz ersichtlich, dessen Aussteller Bruder eines Markgrafen Ludwig war.159 In dem Schreiben an die communitas in Kölln, das „feria quarta post Jacobum" — eine Jahresangabe fehlt — in Altlandsberg abgefaßt wurde, heißt es: „Ihr wißt es wohl, daß wir des armen Landes wegen Verträge mit Euch begonnen und auch mit Euch zu Ende geführt haben, worüber Ihr Briefe mit Euerm Stadtsiegel gegeben habt. Dieselben Verträge und Briefe habt Ihr uns aber so schnell gebrochen... — Nun können wir daran nicht mehr zweifeln, daß Ihr uns mit List aus dem Felde schlagen wollt, indem wir einen Theil unserer Mannschaft haben zureiten lassen. — Was soll denn noch mehr geschehen, als Raub, Brand, Unglück und Verbrechen. . .; und wir würden, Gott weiß es, ungern sehen, wenn solches noch länger im Lande geschähe. Und dies ist erst der Anfang, wie uns bedünkt. Was Euch dabei zur Last fällt, daran ist Niemand mehr schuld als Euer Rath und der Rath in Berlin und Göln, welchem Euer Rath darin folgte. — Wir mahnen Euch an Eure Eide, Eure Briefe und an Eure beschworene Huldigung, die Ihr unserm Bruder, dem Markgrafen Ludwig, gethan habt. Und wisset, wenn nun Land und Leute zumal verderbt würden, so könnt Ihr euch von den Vorwürfen, die Euch an Leib, Seele und Ehre träfen, niemals befreien." Nach der Lage der Dinge ist es wahrscheinlich, daß die hier geschilderte Auseinandersetzung in die Aera des wittelsbachisch-luxemburgischen Thronstreits, der Waldemar-Wirren gehört und das Schreiben in der Zeit zwischen dem Übergang Berlins im September 1348 und dem Rücktritt Ludwigs des Älteren Ende 1351 abgefaßt wurde. Berlin und Kölln hatten sich im Sommer 1351 mit den Wittelsbachern versöhnt.160 Es ist anzunehmen, daß dieser Akt mit einer neuen Huldigung verbunden war. Nach dem Rücktritt des älteren Ludwigs wurde die Versöhnung gegenüber dem nun allein regierenden Römer wiederholt.161 Damals muß auch eine Antrittshuldigung erfolgt sein. I " RIEDEL, B I I , S. 217ff. 158

Detmar-Chronik, hrsg. von K. KOPPMANN. In: „Die Chroniken der deutschen Städte", Bd. 19, Leipzig 1884, S. 519. 169 160 UBBChr., Nr. 93, S. 118. Ebenda, Nr. 92, S. 116. i«1 Ebenda, Nr. 94, S. 118.

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Danach müßte in dem Brief von einer Huldigung gegenüber beiden Markgrafen die Rede sein, wenn er nach Ende 1351 bzw. Anfang 1352 geschrieben wurde. Ludwig der Ältere kam als Vertragspartner nicht mehr in Frage, und Ludwig der Römer hätte sich als Alleinherrscher unbedingt auch auf die ihm geleistete Huldigung bezogen. Der Schreiber wird von Küster162, Riedel163, Voigt-Fidicin164 und Bier165 mit Ludwig den Römer identifiziert. Gegenüber Ludwig dem Älteren und Otto, die auch in Betracht gezogen werden müssen, verdient diese Deutung den unbedingten Vorzug.166 Markgraf Otto trat erst nach den Waldemar-Wirren als Landesherr in Aktion.167 Ludwig der Ältere hätte sich nicht begnügt, auf eine seinem jüngeren Bruder geleistete Huldigung Bezug zu nehmen.168 Klöden169, Riedel170 und Voigt, Fidicin171 bringen den Brief mit der Rückgewinnung Berlins durch Markgraf Ludwig den Älteren am 22. Juli 1351 in Verbindung. Bier verwirft diesen Ansatz. Er weist nach, daß sich Ludwig der Römer vom Februar bis November 1351 in den Niederlanden befand und setzt den Brief jn das Jahr 1350.172 Auch das Jahr 1349 dürfte ausscheiden: Nach dem Vertrag von Eltville im Mai 1349 bemühte sich Ludwig der Römer um die Wiedererlangung der Mark.173 Er schloß mit den Städten und Landen einen vorläufigen Vergleich den er am 14. Juli in Altlandsberg beurkundete.174 Danach wollten sich die Stände der wittelsbachischen Herrschaft zuwenden, wenn der König diese für rechtmäßig erkennt. Arnswalde, Friedeberg und Landsberg verbürgerten den märkischen Städten am 25. Juli im askanischen Spandau, daß die Mark163 RIEDEL, SB, Nr. 23, S. 236. KÜSTER, a. a. O., Bd. I V , Sp. 12. 165 BIER, H „ a. a. O., S. 305, Nr. 111. UBBChr., N r . 93, S. 118. ue Vgl. BIER, H., ebenda. „Einzige Überlieferung der Druck bis Küster . . . Das Schreiben hatte zweifellos den Absendertitel (Von uns Ludewig dem Romer marggrave zu Brandenburg etc.) abgesondert über dem Text stehen, und Küster, der diese Titelzeile nicht mit abgedruckt, hat doch aus ihr seine bestimmte Bezeichnung Ludwigs des Römers als des Antragstellers; die Adresse stand wie auch in den Drucken, ebenso abgesondert unter dem Text." 167 Vgl. BIER, H., a. a. 0., S. 93ff. Der unter der Vormundschaft seines Bruders, Ludwigs des Römers stehende, fünfzehnjährige Otto kam 1357 in die Mark. Von der zweiten Reichsbelehnung im Februar 1360 bis zum Tode Ludwigs des Römers 1365 war er Mitregent. Am 2. Januar 1361 stellte er seinerseits Berlin und Kölln eine Versöhnungsurkunde aus, und er bestätigte die städtischen Privilegien, UBBChr., Nr. 132, S. 143. 168 Ludwig der Römer kam im Herbst 1348 von Bayern in die Mark. Vom Januar bis November 1349 vertrat er seinen Bruder Ludwig den Älteren in der Regierung. Von der ersten Reichsbelehnung im Februar 1350 bis zum Rücktritt Ludwigs des Älteren im Dezember 1351 war er Mitregent. Vgl. BIER, H., a. a. O., S. 75ff. 169 KLÖDEN, K . F., a. a. O., Bd. II, S. 77. 170 RIEDEL, SB, Nr. 23, S. 236. 171 UBBChr., Nr. 93, S. 118. 172 BIER, H „ a. a. O., S. 155F., 273, 305, Nr. 111. 171 UBBChr., Nr. 80, S. 105. NA YGJ TAUBE, W . FR., a. a. O., S. 113FF. 162

164

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grafen ihrem Abkommen entsprechend keine Vergeltung üben werden175. Von dem Spandauer Tag ist eine Urkunde Zehdenicks erhalten. Die Stadt bekundete im Sinne der städtischen Stellungnahme und des Vergleichs, sich bei einem positiven Bescheid des Königs an die Wittelsbacher zu halten.176 Karl IV. antwortete am 15. August. Er verwies die Städte an Markgraf Waldemar als den rechtmäßigen Landesherrn und an die Askanier als seine Erben.177 Sein Brief war auch an Berlin und Kölln gerichtet. Es spricht nichts dafür, daß Berlin und Kölln neben dem Vergleich vom 14. Juli und der entsprechenden Festlegung vom 25. Juli und vor dem königlichen Entscheid, auf den man sich geeinigt hatte, einen weitergehenden Vertrag mit Ludwig dem Römer geschlossen haben sollten, der vor dem 29. Juli gebrochen wurde. Die Einigung vom 14. und 25. Juli kann nicht als Treuebruch im Sinne des Briefes definiert werden. Diese Annahme wird dadurch erhärtet, daß Ludwig der Römer am 30. Juli in dem nun definitiv auf seine Seite getretenen Königsberg urkundete178 und wohl nicht an einem Tage die Entfernung von Altlandsberg nach der neumärkischen Stadt bewältigt haben dürfte. Damit bleibt die Datierung auf den 28. Juli 1350. Sie paßt in das Itinerar Ludwigs des Römers und erweist sich in folgendem Zusammenhang als die wahrscheinliche: Nachdem Karl IV. den falschen Waldemar endgültig fallengelassen hatte, erhielten Berlin und Kölln im Frühjahr 1350 zusammen mit anderen Städten die königliche Anweisung, sich wieder den Markgrafen Ludwig, Ludwig dem Römer und Otto zuzuwenden.179 Wie die übrigen Städte antworteten Berlin und Kölln, daß Karl sie bei den sächsischen Herzögen und den Fürsten von Anhalt belassen möge.180 Sie erhielten darauf eine neue Mahnung des Königs 181 , ohne ihr jedoch stattzugeben. Markgraf Ludwig der Römer — er führte während der Abwesenheit seines älteren Bruders unter Leitung Friedrichs von Lochen die Regierungsgeschäfte in der Mark — gewann in der ersten Hälfte des Jahres neue Bundesgenossen, darunter auch die Mecklenburger Herzöge. Er kann damals den Versuch unternommen haben, die wichtigen Plätze Berlin und Kölln mit Gewalt zu unterwerfen. Der allgemeine Angriff des Römers und seiner Verbündeten auf die Position Waldemars begann Anfang August. 182 i' 5 RIEDEL, A XVIII, Nr. 27, S. 19. RIEDEL, S B , N r . 2 6 , S . 2 4 .

RIEDEL, B I I , Nr. 896, S. 262; vgl. ebenda Nr. 895, S. 261; BÖHMER-HUBER, a . a . O . ,

Nr. 1122 ff. 178 179

180

181 182

RIEDEL, A X I X , N r . 7 1 , S . 2 1 5 . 2 9 . 3 . 1 3 5 0 ; RIEDEL, B I I , N r . 9 2 8 ,

S. 2 9 6 ; 6 . 4 . 1 3 5 0 ,

ebenda, A X X I ,

Nr. 103,

S. 166; 6. 4. 1350, ebenda, SB, Nr. 28, S. 26. 19.4.1350, ebenda, A I X , Nr. 81, S. 45. Die sächsischen Herzöge und anhaltinischen Fürsten weilten am 30. 4. in Berlin und versprachen der Stadt, sie beim Tode Waldemars bei allen Rechten zu belassen (ebenda, SB, Nr. 22, S. 235). 1. 6. 1350, ebenda, B II, Nr. 937, S. 314. V g l . TAUBE, W . F R . , a. a. O . , S . 128.

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Berlins

1346

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Der R a t von Berlin und Kölln wird unter dem Druck einer wittelsbachischen Streitmacht zum Scheine nachgegeben haben, um nach dem Abzug wieder abzufallen. Indem sich der Römer an die communitas wandte, versuchte er, wie sein Bruder, die sozialen Spannungen auszunutzen und durch die Bürgerschaft einen Druck auf den R a t auszuüben. Der R a t bzw. die S t a d t gab jedoch nicht nach. Möglicherweise erfolgte der Vertrag zu einem früheren Zeitpunkt. Vielleicht mußte sich Berlin im Herbst 1349 den vereinten Streitkräften König Waldemars von Dänemark, der pommerschen Herzöge und des bei Oderberg geschlagenen Ludwigs des Römers ergeben. Ludwig der Ältere k a m Anfang November in die Mark 183 und könnte nach dem vorangegangenen Vertrag mit dem Römer die Huldigung empfangen haben. I m Sommer 1351 eröffnete Markgraf Ludwig der Ältere von Spandau aus den Angriff auf die Spreestädte. Zuvor stiftete er dem Spandauer Nonnenkloster zum Gedächtnis seines getreuen Heinrich Hemerer, den der Berliner R a t h a t t e hinrichten lassen, eine Rente von 10 Pfd. 1 8 4 Berlin wurde einer Belagerung unterworfen, die am 2. J u l i durch einen f ü r die Stadt günstigen Waffenstillstand für vier Wochen aufgehoben wurde. 185 Der Friedensschluß erfolgte a m 22. Juli. 186 I n der Versöhnungsurkunde stellte der Landesherr fest: „Hebbe wi sie ok an ennigen stücken vorvnreehtit hir vormals, d a t loue wy em mit dessem brife, dat wi des nicht mer dun en willen noch en scoln vnd n a desser t y t en gen vnrecht vp leggen noch vnsen hoftluden oder ambachtmannen gestaden, d a t si sy vorvnrechten oder ennige gewalt d u n . Ok scoln noch en willen wi sy nicht vorbüwen. Hebben ok sy brife vns gegeuen weder ire brife, die sy hebben vp ire rechlicheit, als si deden, do wi Otten Buke vordreuen, d y scol wi em weder geuen vnd scoln gentzliken dot sin vnd en geine macht mer hebben. . . . Ok loue wi em t u gelden redelik sculde, di wi em sculdich sin oder vnse man vnd hofgesinde von vnser wegen, di si vns bewisen mögen." Der Markgraf bekannte sich damit schuldig und nahm seine Maßnahmen von 1346 im vollen Umfang zurück. Diese Eingeständnisse sind nur in den Berliner Urkunden enthalten, nicht aber in den vielen anderen Versöhnungsprivilegien. 187 Sie kennzeichnen die Besonderheit der Berliner Ereignisse. Damit war die alte Ordnung, wie sie bis 1346 bestanden hatte, wiederhergestellt. Die Beschneidung der Berliner und Köllner Autonomie war eine Episode geblieben. Die Städte hatten den Markgrafen in die Schranken gewiesen. W e n n diese Interpretation zu Recht besteht — die Quellenarmut versagt ihr leider die letzte Sicherheit —, so treten die märkischen Kommunen auch in der Mitte des 14. J h . , wie schon früher, als selbständige und aktive politische Größen hervor. Der Eingriff des Landesherrn in die städtische Verfassung und die Verletzung der Urbanen 183

185 187

184 R I E D E L , A IV, Nr. 26, S . 5 6 . UBBChr., Nr. 90, S. 114. 186 Ebenda, Nr. 91, S. 115. Ebenda, Nr. 92, S. 116. Zusammengestellt bei MÜLLER-MERTENS, E., U n t e r s u c h u n g e n . . . , Anm. 227.

II,

S. 296

456

ECKHARD MÜLLER-MERTENS

Autonomie riefen einen Widerstand hervor, der im Abfall der Städte seinen Ausdruck fand. In den wittelsbachisch-luxemburgischen Thronstreit hineingestellt, wurde die Haltung der Städte zu einem wichtigen Faktor in der Reichspolitik, standen die Ereignisse in der Mark doch mit ihr weitgehend im Zusammenhang: der rasche Erfolg des falschen Waldemar, die Behauptung Ludwigs in der Neumark. Die berlinisch-brandenburgischen Ereignisse demonstrierten die Bedeutung des Kampfes zwischen Landesherrschaft und Stadtbürgertum, der Auseinandersetzungen zwischen Patriziat und Zunfthandwerk und der Verklammerung dieser Gegensatzpaare für die Stellung des Territorialfürstentums. Diese Gegensätze schufen dem Territorialsystem im 14. Jh. nicht zu beseitigende Angriffsflächen. Sie erlaubten unter bestimmten Umständen den Eingriff von außen, der sich in erster Linie dem Königtum anbot. König Albrecht I. konnte durch das Bündnis mit den rheinischen Städten die rheinischen Kurfürsten in den denkwürdigen Jahren 1301 und 1302 niederwerfen. 188 Ludwig der Bayer gewann im Kampf gegen Friedrich von Österreich die Reichsstädte, die diesem zunächst überwiegend anhingen, durch reiche Privilegien, wobei er sich besonders auf die Zunfthandwerker stützte. 189 Das Bündnis mit den märkischen Städten machte es den Askaniern und Karl IV. 1348 möglich, die landesherrliche Position in der Mark Brandenburg zu erschüttern. Die Klärung der Vorgänge von 1348 trägt somit dazu bei, die Fragen nach der Möglichkeit einer Überwindung des Territorialsystems durch die nationale Monarchie im Spätmittelalter im positiven Sinn zu beantworten.

EXKURS

Hat Müncheberg dem falschen Waldemar vor dem 16. Juli 1348 gehuldigt? Mit der Datumszeile ,,feria quarta in crastino divisionis Apostolorum Johannes et Jude" druckt Riedel eine Urkunde ab, in der Markgraf Ludwig die Stadt Müncheberg von dem Verdacht freispricht, in den sie durch die dem falschen Waldemar geleistete Huldigung gefallen war. 190 Die Auflösung des Datums bereitet Schwierigkeiten, hat das Fest der Aposteltrennung (15. Juli) doch nichts mit den Festtagen der Apostel Johannes und Judas zu tun. Diese wiederum wurden nicht zusammen verehrt. Der Apostel Johannes wurde am 188 YGJ HESSEL, A., Die Jahrbücher des deutschen Reiches unter König Albrecht Ivon Habsburg. München 1931, S. 92ff. 18« VGL, KNÖPFLER, J., Kaiser Ludwig der Bayer und die Reichsstädte in Schwaben, Elsaß und am Oberrhein. Forschungen zur Geschichte Bayerns, Bd. 11, 1903, S. lff. u. 103ff.; W I E S S N E R , W . , Die Beziehungen Kaiser Ludwigs des Bayern zu Süd-, West- und Norddeutschland. Erlangen 1932; LENTZE, H., Der Kaiser und die Zunftverfassung in den Reichsstädten bis zum Tode Karls IV. Breslau 1933. 180

RIEDEL, A X X , N r . 17, S. 137.

Die Unterwerfung

Berlins 1346

457

27. Dezember und anderen Tagen, Judas Thaddäus zusammen mit Simon am 28. Oktober gefeiert. Das Original der Urkunde ist nicht mehr auffindbar.191 Sie wurde neben Riedel auch von Gercken gedruckt192, ebenfalls „ex originale". Jedoch bringt Gercken eine andere Lesart der Datumszeile: „feria quarta in crastino divisionis Apostolorum Symonis et Jude." Nach den Drucken bei Gercken und Riedel enthält die Datumszeile der Urkunde zwei verschiedene Bestandteile und damit zwei Auflösungsmöglichkeiten: 1. „feria quarta in crastino divisionis Apostolorum" = 16. Juli; 2. „feria quarta in crastino Johannes (lies Symonis) bzw. Symonis et Jude" = 29. Oktober. Riedel brachte die erste Auflösung, Klöden193 und Bier194 entschieden sich für die zweite. Wenn Riedels Datierung zutrifft, mußte der falsche Waldemar bereits vor Mitte Juli 1348 seine Wirksamkeit im Osten der Mark erfolgreich entfaltet haben. Taube195, der sich wie Schräder196 Riedels Auflösung zu eigen macht, schreibt hierzu: „Dunkle Gerüchte werden das Land durcheilt haben. Der alte Markgraf sei zurückgekehrt, und manche Stadt, mancher Herr wird mit jenen Fürsten, die den hochverehrten Landesherrn schützten, bereits in Verbindung gestanden haben, bis man es wagte, offen hervorzutreten. Die aggressive Tätigkeit begann in der Mitte des August." Diese Erklärung ist unzutreffend. Wenn Müncheberg Waldemar tatsächlich vor dem 16. Juli gehuldigt hat, muß dieser bereits damals, offen und mit dem nötigen Anhang versehen, in der Mark aufgetreten sein. In diesem Falle wäre die vorgetragene Auffassung über das Vorgehen und die Rolle der märkischen Städte beim Auftreten des falschen Waldemar nicht aufrechtzuerhalten. Es ist darum nötig, ihrer rechten zeitlichen Einordnung eine nähere Untersuchung zu widmen. Gehen wir dabei vom 16. Juli aus. Markgraf Ludwig befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in der Mark. Unter seinem Namen, Titel und Siegel urkundete Friedrich von Lochen, der als Landeshauptmann den Markgrafen vertrat.197 Friedrich von Lochen hielt sich am 16. Juli in Berlin auf.198 Seine Anwesenheit in Berlin ist auch für den Vortag zu belegen.199 Die fragliche Urkunde wurde in Fürstenwalde ausgestellt. Fürstenwalde ist ungefähr 50 km Luftlinie von Berlin entfernt. Es ist unwahr191

Nach freundlicher Auskunft von Herrn Dr. Beck, Landeshauptarchiv Potsdam, und vom Stadtarchiv Müncheberg, wo sich die Urkunde in den dreißiger Jahren nach H. BIER, a. a. O., S. 229, noch befand.

GERCKEN, P H . W . , I» 3 KLÖDEN, K . F . , a. 195 TAUBE, W . FR., a. 197 BIER, H „ a. a. 0 . , 192

199

a. a. O., B d . I V , N r . 209, S. 382. 1 9 4 BIER, H „ a. a. O., S. 229. a . O., B d . H I , S . 255. 176 SCHRÄDER, K . , a. a. 0 . , S. 42. a. O., S. 95f. 1 9 8 RIEDEL, A V I I I , N r . 12, S. 134. S. l l f . u. 186FF.

Ebenda, A XIX, Nr. 25, S. 16.

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458

scheinlich, daß der Landeshauptmann am 16. Juli zugleich in Berlin und Fürstenwalde Urkunden ausgestellt hat. 200 In beiden Urkunden treten völlig verschiedene Personen als Zeugen auf. Die Zeugen der Berliner Urkunde lassen sich bis zum August 1348 ständig in der Umgebung des Landeshauptmanns nachweisen.201 Graf Günther von Schwarzburg-Wachsenburg, Herr zu Spremberg, Ulrich Wilbrand, Beringer Hele und Wolfhard von Satzenhoven, die Zeugen der Fürstenwalder Urkunde, sind 1348 bis zum 30. September202 nicht in der Mark nachweisbar. Graf Günther von Schwarzburg läßt sich am 5. Juni in Ingolstadt im Gefolge Markgraf Friedrichs von Meißen203 auffinden.204 Günther sollte für Friedrich in der ihm verpfändeten Lausitz die Gefälle einheben. Nach dem Kriegsausbruch führte Günther dem Wittelsbacher Hilfstruppen entgegen, die sich mit denen des Pfalzgrafen Ruprecht vereinten und von Herzog Rudolf von Sachsen geschlagen wurden. Günther schlug sich zu Ludwig nach Frankfurt durch.205 Gleichzeitig mit ihm tauchten Ulrich Wilbrand, Beringer Hele und Wolfhard Satzenhoven in Ludwigs Gefolge auf. Sie gehörten im Oktober und November zur ständigen Begleitung des Markgrafen.206 Es wäre ein sehr eigenartiger Zufall, wenn diese Personen am 16. Juli in Fürstenwalde zusammengetroffen wären. Schließlich fehlt Friedrich von Lochen als Zeuge in der Urkunde, was für ihre Datierung auf den 16. Juli unerläßlich wäre. Damit wird dieses Datum auch durch die Zeugen ausgeschlossen. Dagegen ordnet sich die Urkunde vollständig in die Vorgänge von Ende Oktober 1348 ein. Ludwig urkundete am 27. Oktober in Müncheberg207, am 28. Oktober vor Fürstenwalde208, am gleichen und am folgenden Tage in dieser Stadt. 209 Fürstenwalde erhielt nach der Übergabe am 28. Oktober eine Versöhnungsurkunde. Die damals für Müncheberg und Fürstenwalde ausgestellten Urkunden stimmen insgesamt wörtlich mit der Intitulatio des fraglichen Dokuments über ein. Dagegen weicht diese von den von Friedrich von Lochen gebrauchten Intitulationes Ludwigs ab. Die gleiche Überein 200 YGJ_ LUDWIG, F., Untersuchungen über die Reise- und Marschgeschwindigkeit im 12. und 13. Jahrhundert. Berlin 1897. 201

RIEDEL, A X I I I , N r . 12, S. 1 3 4 ; A X I V , N r . 130, S. 9 2 ; A X V I I I , N r . 3 3 , S. 3 9 1 ;

A X V I I I , Nr. 24, S. 4 5 7 ; A X I X , Nr. 25, S. 16. LIPPERT, W., Wettiner und Wittels-

bacher sowie die Niederlausitz im 14. Jahrhundert, Dresden 1894, Nr. 27, S. 238. 202

203 204 206

RIEDEL, A X X I I I , N r . 5 5 , S. 3 8 .

Zur Person vgl. LIPPERT, W., a. a. O., S. 51, Anm. 45. 2 0 6 TAUBE, W. FR., a. a. O., S. 102f. Ebenda, S. 55, Anm. 51. RIEDEL, A I X ,

Nr. 2 4 , S. 3 7 1 ; A X X I I I , N r . 4 2 , S. 3 8 ; A X X I V , N r . 8 2 , S. 4 5 .

Über das Auftreten des Schwarzburgers vgl. LIPPERT, W., Graf Günther von Schwarzburg-Wachsenburg, Herr zu Spremberg, und die anderen gleichzeitig in der Mark auftretenden Schwarzburger. In: „Niederlausitzer Mitteilungen", Bd. 3,

207

208 209

1 8 9 4 , S. 2 0 8 f . RIEDEL, A X V I I I , N r . 3 8 , S. 1 2 0 ; A X X , N r . 18, S. 138.

Ebenda, A X X , Nr. 19, S. 138. Ebenda, A X X , Nr. 20 u. 21, S. 139; A X X , Nr. 52, S. 215.

Die Unterwerfung

Berlins

1346

459

Stimmung bieten die Zeugenreihen. Dieser Tatbestand erlaubt den sicheren Schluß, daß die Urkunde am 29. Oktober ausgestellt wurde und eine Verschreibung oder Verfälschung des Datums vorliegt.

URKUNDENANHANG

Rat, Gemeinde und Zünfte der Städte Berlin und Kölln versprechen Markgraf Ludwig, ihn zu unterstützen und ohne sein Wissen kein Bündnis abzuschließen, sie machen ihm Zugeständnisse in bezug auf die Ratsverfassung und das Gerichtsverfahren gegenüber markgräflichen Dienstleuten und streichen seine Schulden. 1346 Oktober 27, Spandau. Original in München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbaiern Nr. 6539. 2 Siegel a. Pergamentstreifen; das linke von Berlin, sehr gut erhalten, rund, Siegelbild: Adler im Dreieckschild, der von zwei aufgerichteten Bären gehalten wird, Legende: + SIGILLVM. BURGENSIVM. DE. BERLINSUM; das rechte von Kölln, gering beschädigt, rund, Siegelbild: Adler, Legende: + S. CIVIUM COLONIE MARCHIONIS BRANDEBVRGENSIS. Rückvermerk aus dem 15. Jh.: Erbhuldungsbrief der stet Berlin vnd Koeln marggraf Ludwign von Brandnburg beschehen. Spandau anno 1346 am abent Simonis et Juda. Auszug bei M. v. Freyberg, Beurkundete Geschichte Herzog Ludwigs des Brandenburgers, Abh. Ak. München, Hist. Klasse, Bd. 2 Abt. 1, 1837, S. 144; danach K. F. Klöden, Diplomatische Geschichte des Markgrafen Waldemar von Brandenburg, T. 3, 1845, S. 135f.

„Wir die ratman vnd die gemeind vnd die gewerken der stete Berlin vnd Koelen veriehen offenlich an disem brif allen den die in sehent oder horent lesen daz wir mit guten trewn gelobt haben vnd loben an disem gegenwertigen brif dem hochgeborn fuersten Ludowigen marcgrafen ze Brandburg vnserm genedigen herren sinen erben vnd nachkomen daz wir in getrew vnd gewer vnd hilfflich sin wellen vnd gehorsam auf aller menniclich ewiclihen als byderb luete irem rehten herren mit rat vnd mit getat in allen Sachen vnd wider in sin erben noch nachkomen nimmer zetuon noch verbinden mit iemant heimlich oder offenlich durch deheinerley sache. Vnd wer daz daz iemant dhein verbuntnuesse oder eynung an vns suochte zehant swenn daz geschehe daz sullen wir an vnsern vorgenanten herren sin erben oder nachkomen oder an iren houptman bringen vnd daz handelen nach irem rat vnd willen vnd nicht anders. Auch muegen vnd sullen vnser vorgenanter herre der marcgraf oder sin houptman ob er ze lande nicht enwer on alle vnser Widerrede vnd widersprach ditz jar vier auz den gewerken ze Berlin vnd zwen auz den gewerken ze Koelen erberger vnd bescheidener manne in vnsern r a t kyesen geben vnd setzen welhie si wellen die mit vns raten bewizzen vnd handelen suellen alle sache heimlich oder offenlich vnd nicht on iren rat vnd wizzenheit handelen

460

ECKHARD MÜLLER-MERTENS

tuon noch lazzen. Darnach fuerbaz mer sullen die vorgeschriben sechs vier ander vz den gewerken ze Berlin vnd zwen vz den gewerken ze Kolen vf daz nehst ander jar in vnsern rat kysen geben vnd setzzen die vnserm vorgenanten herren sinen erben nachkomen oder irem houptmanne dem si des macht vnd gwalt geben gevallen oder ebenkomen. Wer ez daz der kein in nicht gevielen oder ebenkoemen so sullen si als lange kyesen biz daz si sogetan kyesen die in gevallen vnd ebenkomen. In sogetaner bescheidenheit daz ie des jares die sechs die an dem rate des jares gewest sint vf daz nehst zuo kuenftig jar furbaz mer ewiclich zuo gewonlicher zit anderer sechs vz den gewerken der vorgenanten stete kyesen suellen mit vnserm guoten willen als vorgeschriben stet die vnserm vorgenanten herren sinen erben nachkomen oder houptman gevallen allew jar vnd ebenkomen. Wer auch daz dehein vnsers vorgenanten herren siner erben oder nachkomen gesinde sich gen den vorgenanten steten Berlin vnd Kolen oder gen iemant dar inne vergriffen oder vberfueren an sogetanen Sachen die leyp oder lide treffen moehten oder anrueren den oder die suellen wir in bescheidner vanknuesse halten biz an vnsern vorgenanten herren sin erben nachkomen oder houptmann. Muegen si danne oder wellen an den klagern verrichtuong suochen oder minne vinden also daz der klager dem gerichte danke daz sol vnser guot wille sin. Wolten si aber kein suone an in suochen oder moehten kein minne an in vinden so suellen si in helffen daz in sogetan recht veberge als vnser burger einen solt vebergen. Auch sullen alle alte schuolde dar vmb wir biz vf disen tag vnsers vorgenanten herren oder von sinen wegen brif haben tot vnd ab sin also daz wir si nimmer mer gevordern sullen an in noch an sin Erben vnd sullen in die brif die wir darueber haben alle widergeben. Alle dise vorgeschriben stuke in aller der wise als si vor begriffen sind geloben wir fuer vns vnd vnser nachkomen mit bedahtem muot vnd mit guotem willen stet vnd gantz ze halten on geverde vnd geben darueber disen brif besigelten mit vnser beider stete insigelen der geben ist ze Spandowe nach gotes gebuerte drinzehenhundert iar vnd darnach in dem sechs vnd virtzzigistem jar an sant Symon vnd Judas der zweifboten abent."

BIBLIOGRAPHIE HEINRICH SPROEMBERG

Vgl. die Bibliographie (zusammengestellt von Gudrun Meyer) in: Vom Mittelalter zur Neuzeit. Zum 65. Geburtstag von Heinrich Sproemberg. Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, hrsg. von H. Sproemberg und H. Kretzschmar unter Mitwirkung von G. Heitz und E. Werner, Bd. 1, Berlin 1956, S. 9—14. Beiträge zur belgisch-niederländischen Geschichte. Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, Bd 3. Akademie-Verlag, Berlin 1959, 2 Karten, X und 367 S. Der Band enthält einige bereits früher gedruckte Beiträge, denen ein Nachwort beigegeben wurde. Die erstmals veröffentlichten Aufsätze sind kursiv gedruckt: Die Seepolitik Karls des Großen (S. 1—29) Die feudale Kriegskunst (S. 30—55) Judith, Königin von England, Gräfin von Flandern (S. 56—110) Die lothringische Politik Ottos des Großen (S. 111—223) Residenz und Territorium im niederländischen Raum (S. 224—258) Die Niederlande und das Rheinland in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (S. 259-276) Zur Geschichte der katholischen Kirche in Belgien (I) (S. 277—301) Zur Geschichte der katholischen Kirche in Belgien (II) (S. 302-325) Schiller und der Aufstand der Niederlande (S. 326—345) Lüttich und das Reich im Mittelalter (S. 346—367). 50 Jahre Abteilung Landesgeschichte (mit H. Kretzschmar). In : Wiss. Zschr. der KarlMarx-Universität Leipzig, 1956/57, H. 2, S. 153. Bemerkungen zu einer neuen Geschichte Frankreichs. I n : Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 5, 1957, S. 373-381. La naissance d'un E t a t allemand au Moyen Âge. I n : Le Moyen Âge, Bd. 65, 1958, S. 213-248. Die Hanse in europäischer Sicht. I n : DANCWERC, Festschrift für D. Th. Enklaar zum 65. Geburtstag. J . B. Wolters, Groningen 1959, S. 127-151. Judith. I n : Biographie nationale publiée par l'Académie royale de Belgique, Bd. 30, Supplément Bd. II, Heft 2, Établissements Émile Bruylant, Bruxelles 1959, Sp. 488-492. Eine rheinische Königskanditatur im Jahre 1125. I n : Festschrift für Franz Steinbach. Bonn 1960, S. 50-79. Contribution à l'histoire de l'idée d'Empire au moyen-âge, in: Revue belge de philologie et d'histoire, 1961. X X X I X , H. 2. Das Mittelalter in römischer und katholischer Sicht. I n : Theologische Literaturzeitung. 1960, Sp. 249-256.

Bibliographie

462

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J g . 81, 1960

16. J a h r h u n d e r t , Weimar 1958 (Sp. 227-231). HARSIN, PAUL, É t u d e s critiques sur l'histoire de la Principauté de Liegè

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Jg. 21, 1956

ECKHARTD, WILHELM A., Die Kapitulariensammlung Bischof Ghaerbalds von Lüttich, Berlin-Frankfurt, 1955 (S. 388-390)

J g . 21, 1956

ALBERTS, J A P P E W . u n d KETNEK, F . , N e d e r r i j n s e S t u d i e n X I I I E — X V E

J g . 22, 1957 J g . 24, 1959

eeuw, Groningen 1954, (S. 404-406). DE MOREATJ, E., Histoire de l'église en Belgique, Bd. 5. L'église des Pays-Bas (1559-1633), Bruxelles 1952, (S. 298-305). BONENFANT, PAUL, DU meurtre de Montereau au traité de Troyes, Bruxelles 1958, (S. 247-252). Deutsches Archiv zur Erforschung des

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Bruxelles

1954, (S. 179f.) Bd. 187, 1959 LEJEUNE, RITA, Rôle littéraire d'Alienor d'Aquitaine et de sa famille. Modena 1954, (S. 447 f.). Bd. 188, 1959 Belgische Archivinventare, veröffentlicht von A. SCUFFLAIRE, F. G. C. BETERAMS, A . JAMEES, J . BUNTINX, B r u x e l l e s 1 9 5 7 , ( S . 2 0 2 f . ) .

Bd. 191, 1960 Belgische Archivinventare, veröffentlicht von C. WYFFELS, G. HANSOTTE, Gent 1957 und Brüssel 1959, (S. X X X f . ) . Annalen des Historischen H. 140, 1942

Vereins für den

Niederrhein

STRIEFLER, ERNST, Gottfried K u r t h . Ein deutsch-belgisches Grenzlandschicksal, Leipzig 1941, (S. 136f.). Zusammengestellt von Lily Sproemberg

AUTORENVERZEICHNIS

Bishup, Marian, Dr., Dozent am Historischen Institut der Universität Torun. Brankack, Jan, Dipl.-hist., Wissenschaftlicher Assistent am Sorbischen Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig. Czok, Karl, Dr., Wissenschaftlicher Oberassistent am Institut für deutsche Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig. Fellmann, Walter, Dipl.-hist., Wissenschaftlicher Assistent an der Abteilung Fernstudium der Humboldt-Universität zu Berlin, Außenstelle Leipzig. Friedland, Klaus, Dr., Studienrat, Göttingen. Fritze, Konrad, Dr., Wissenschaftlicher Oberassistent am Historischen Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Outz, Eva, Dipl.-hist., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine Geschichte, Abt. Mittelalter, der Karl-Marx-Universität Leipzig. Heitz, Gerhard, Dr. habil., Dozent am Historischen Institut der Universität Rostock. Höhnel, Karl, Dr., Stellvertreter des Leiters der Staatlichen Archiwerwaltung im Ministerium des Innern der Deutschen Demokratischen Republik, Potsdam. Hroch, Miroslav, Dr., Oberassistent am Historischen Institut der Karls-Universität Prag. Jeannin, Pierre, Dr., Professor an der Sorbonne Paris. Kaiisch, Johannes, DT., Mit der Wahrnehmung einer Dozentur beauftragt am Institut für Geschichte der Europäischen Volksdemokratien der Karl-Marx-Universität Leipzig. Kirchberg, Peter, Dipl.-hist., Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichte der Technik und der Naturwissenschaften der Technischen Hochschule Dresden. Kossok, Manfred, Dr., mit der Wahrnehmung einer Dozentur beauftragt am Institut für Allgemeine Geschichte, Abt. Neuzeit, der Karl- Marx-Universität Leipzig. Lesnikov, P. M., Prof. Dr., Direktor des Historischen Instituts des Staatlichen LeninInstituts Moskau. Markov, Walter, Dr., Professor mit Lehrstuhl, Direktor des Instituts f ü r Allgemeine Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig. Müller-Mertens, Eckhard, Dr., Professor mit Lehrauftrag an der Humboldt-Universität Berlin. Ogrisseck, Rudi, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Verlages Enzyklopädie Leipzig. Olechnowitz, Karl-Friedrich, Dr., mit der Wahrnehmung einer Dozentur am Historischen Institut der Universität Rostock beauftragt. Rudolph, Wolfgang, Leiter des Heimatmuseums Barth, Rügen Samsonowicz, Henryk, Dr., Dozent am Historischen Institut der Universität Warszawa. Schildhauer, Johannes, Dr., Professor mit Lehrauftrag, Direktor des Historischen Instituts der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Schnitzler, Elisabeth, Dr., Archivarin der Universität Rostock. Widera, Bruno, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Wiegand, Fritz, Leiter des Stadtarchivs Erfurt. Wiegand, Rosemarie, Dipl.-hist., wissenschaftliche Assistentin am Museum f ü r Deutsche Geschichte, Berlin. Zientara, Benedykt, Dr., Dozent am Historischen Institut der Universität Warszawa.

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