Goethes Sonette - Lyrische Epoche und motivische Kontinuität [Reprint 2021 ed.] 9783112545362, 9783112545355

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Goethes Sonette - Lyrische Epoche und motivische Kontinuität [Reprint 2021 ed.]
 9783112545362, 9783112545355

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A B H A N D L U N G E N DER S Ä C H S I S C H E N A K A D E M I E DER W I S S E N S C H A F T E N ZU L E I P Z I G Philologisch-

historische

Band

58 • Heft

JOACHIM

Klasse 3

MÜLLER

GOETHES SONETTE-LYRISCHE EPOCHE UND MOTIVISCHE KONTINUITÄT

A K A D E M I E

- V E R L A G 19 6 6



B E R L I N

A B H A N D L U N G E N DER SÄCHSISCHEN A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU L E I P Z I G Philologisch-historische

Klasse

Verfasser- u n d Sachregister 1 8 9 6 - 1 9 4 5 der A b h a n d l u n g e n u n d Berichte 1957. 47 Seiten - gr. 8 - MDN 4,50 Band 45 Heft 1

Prof. Dr. J O H A N N F Ü C K , Arabiya. Untersuchungen zur arabischen Sprach- und Stilgeschichte 1950. IV, 148 Seiten - 4° - MDN 2 9 , - (vergriffen)

Heft 2 Heft 3 Band 46 Heft 1 Heft 2

Prof. Dr. F R I E D R I C H W E L L E R , Über den Quellenbezug eines mongolischen Tanjurtextes 1950. 54 Seiten - 116 Seiten faksimilierter Originaltext - 4 ° - MDN 19,80 (vergriffen) Prof. Dr. R E I N H O L D TRAUTMANN", Die slavischen Ortsnamen Mecklenburgs und Holsteins 1950. 176 Seiten - 4° - MDN 3 2 , - (vergriffen) Dr. K Ä T E FINSTERBUSCH, Das Verhältnis des Schan-hai-djing zur bildenden K u n s t 1952. VII, 136 Seiten - 14 Lichtdrucktafeln mit 40 Abb. - 28 Seiten Offset - 4° - MDN 4 0 , Prof. Dr. H E I N Z L Ä D E N D O R F , Antikenstudium u n d Antikenkopie. Vorarbeiten zu einer Darstellung ihrer Bedeutung in der mittelalterlichen und neueren Zeit. Zweite, erweiterte Auflage 1958. 215 Seiten - 183 Abb. auf 50 Lichtdrucktafeln - 4° - Ganzleinen MDN 5 3 , - (vergriffen)

Heft 3

Prof. Dr. F R I E D R I C H W E L L E R , Tibetisch-sanskritischer Index zum Bodhicaryävatära — H e f t I 1952. IV, 304 Seiten - 4° - MDN 3 1 , - (vergriffen)

Heft 4

Prof. Dr. F R I E D R I C H W E L L E R , Zwei zentralasiatische Fragmente des Buddhacarita 1953. 26 Seiten - 4 Abbildungen - 2 Lichtdrucktafeln - 4° - MDN 7,50

Band 47 Heft 1

Bibliographie zur Vor- u n d Frühgeschichte Mitteldeutschlands Herausgegeben von Prof. Dr. MARTIN J A H N — Band 1 Prof. Dr. W A L T H E R SCHULZ, Bibliographie zur Vor- und Frühgeschichte von Sachsen-Anhaltund Thüringen. Teil 1: Vom 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts 1955. 162 Seiten - 4° - MDN 1 2 , -

Heft 2

Prof. Dr. H E R B E R T K O C H , Studien zum Theseustempel in Athen 1954. 160 S. - 140 Abb. auf 52 Kunstdrucktaf. - 57 Lichtdrucktaf. - 4° - MDN 4 8 , -

Heft 3

Prof. Dr. F R I E D R I C H W E L L E R , Tibetisch-sanskritischer I n d e x z u m Bodhicaryävatära — H e f t I I

(vergriffen)

1955. I I , 307 Seiten - 4° - MDN 19,50 Band 48 Heft 1

Dr. H E R B E R T PETSCHOW, Neubabylonisches Pfandrecht 1956. 186 Seiten - 4» - MDN 1 9 , -

Heft 2

Bibliographie zur Vor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands Herausgegeben von Prof. Dr. MARTIN J A H N — Band 2 D r . GEORG BIERBAUM, Bibliographie z u r V o r - u n d F r ü h g e s c h i c h t e v o n Sachsen

Teil 1 und 2: Vom 16. J a h r h u n d e r t bis gegen E n d e des 19. Jahrhunderts 1957. 190 Seiten - 4° - MDN 12,50 Heft 3

Prof. Dr. E B E R H A R D H E M P E L , Material- und Strukturechtheit in der Architektur 1956. 18 Seiten - 5 Kunstdrucktafeln - 4» - MDN 2,90

Heft 4

Prof. Dr. MARTIN J A H N , Gab es in der vorgeschichtlichen Zeit bereits einen Handel ? 1956. 41 Seiten - 13 Abbildungen, davon 3 auf 2 Kunstdrucktaf ein - 4° - MDN 5 , -

B a n d 49 Heft 1

Dr. H E I N R I C H GÖTZ, Leitwörter des Minnesangs 1957. 189 Seiten - 4° - MDN 1 3 , -

Heft 2

Dr. WOLFGANG H E S S L E R , Mitteldeutsche Gaue des f r ü h e n und hohen Mittelalters 1957. 162 Seiten - 1 farbige Landkarte - 4° - MDN 1 6 , -

Heft 3

Prof. Dr. K A R L B A R W I C K , Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik 1957. 111 Seiten - 4° - MDN 10,50 (vergriffen)

Heft 4

Prof. Dr. E B E R H A R D H E M P E L , Unbekannte Skizzen von Caspar von Wolf Klengel 1958. 16 Seiten - 40 Abbildungen auf 24 Kunstdrucktafeln - 4° - MDN 5 , Fortsetzung auf der 3. Umschlagseite

A B H A N D L U N G E N DER S Ä C H S I S C H E N A K A D E M I E DER W I S S E N S C H A F T E N Z U L E I P Z I G Philologisch-historische Band

Klasse

58 • Heft

JOACHIM

3

MÜLLER

GOETHES SONETTE-LYRISCHE EPOCHE UND MOTIVISCHE KONTINUITÄT

A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N 19 6 6

Vorgelegt in der Sitzung v o m 17. Januar 1966 Manuskript eingeliefert a m 17. Januar 1966 Druckfertig erklärt a m 17. September 1966

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1966 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/119/66 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Werkdruck • 445 Gräfenhainichen • 2644 Bestellnummer: 2024/58/3 • ES 7 E • Preis: 3,70

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Gottfried August Bürger schrieb am 12. Januar 1789 an einen Freund: „Ihr werdet glauben, der selige Petrarca sei von den Toten auferstanden, wenn Ihr . . . meine Sonette nur von fern werdet tönen hören; denn Ihr sollt wissen, daß ich fast Tag für Tag ein Sonett produziere. Eine sonderbare Wut, die auch Schlegeln angesteckt." Es ist August Wilhelm Schlegel, der seit 1786 in Göttingen studierte, zuerst Theologie, dann wechselte er zur klassischen Philologie über, die der weitberühmte Heyne vertrat. Schlegel hatte bald die Freundschaft Bürgers gewonnen, der 1789 eine unbesoldete Professur für Ästhetik erhielt, und stand ihm in dieser Zeit besonders nahe. In der Vorrede zur zweibändigen Gedichtausgabe von 1789 hat Bürger, der ein Volksdichter im Sinn eines anschaulichen Dichtens für das ganze gebildete Volk sein wollte und die Popularität eines poetischen Werkes als Siegel seiner Vollkommenheit ansah, zugleich das Sonett rehabilitiert, nachdem er im Gedichtband selbst ein Dutzend veröffentlicht hatte. Er befürchtet freilich in der Nachahmung der von ihm versuchten wenigen Sonette „eine Überschwemmung von schlechten Sonetten", lobt aber demgegenüber diese Form, der man nach mancherlei Mißbrauch bei unseren älteren Dichtern den „Vorwurf des Zwanges und der Unbehilflichkeit" gemacht habe, aber dieser Vorwurf treffe mehr den Dichter als die Form selbst, die bei rechtem Gebrauch dem deutschen Dichter schöne poetische Chancen gäbe; „Ein gutes deutsches Sonett kann demjenigen, der nur einigermaßen Ohr hat, seiner Sprache mächtig ist und ihren Knoten, deren sie freilich leider genug hat, auszuweichen versteht, nicht viel schwerer sein als jedes andere kleine gute Gedicht von diesem Umfange; und wenn es gut ist, so schlägt es mit ungemein lieblichen Klängen an Ohr und Herz. Das Hin- und Herschweben seiner Rhythmen und Reime wirkt auf meine Empfindung beinahe eben so als ein von einem schönen, anmutigen, bescheidenen jungen Paare schön und mit bescheidener Anmut getanztes kleines Menuett." Dieser Vergleich ist erstaunlich genug, da die romanische Tradition die strenge Gefügtheit betont, gewiß auch den Wohlklang, aber nicht die tänzerische Lockerung. Nun, auch das Menuett des 18. Jahrhunderts hat in aller Gefälligkeit und Beweglichkeit sein bindendes Gesetz. Bürger weiß aber in den weiter folgenden Bemerkungen auch um die Architektur des Sonetts. Es sei vornehmlich dann gut, „wenn sein Inhalt ein kleines, volles, wohl abgerundetes Ganzes ist, das kein Glied merklich zu viel oder zu wenig hat, dem der Ausdruck überall so glatt und faltenlos als möglich anliegt, ohne jedoch im mindesten die leichte Grazie seiner hin und her schwebenden Fortbewegung zu hemmen. Es muß aus der Seele, es muß von Zunge und Lippe gleiten, glatt und blank wie der Aal, welcher der Hand entschlüpfend auf dem betauten Grase sich hinschlängelt. Wenn man versuchte, das gute und vollkommene Sonett in Prosa aufzulösen, so müßte es einem schwer werden, eine Silbe, ein Wort, einen Satz aufzugeben oder anders zu stellen, als alles das im Verse steht. Ja, sogar die überall äußerst richtig, voll- und wohltönenden Reimwörter müssen nicht nur irgendwo im Ganzen, sondern auch gerade an ihren Stellen, um des Inhalts willen, unentbehrlich scheinen". Diese innere Notwendigkeit auch des kleinsten Teils eines Kunstwerks ist gewiß ein allgemeines ästhetisches Postulat, aber der infolge der romanischen Tektonik besonders gut überschaubare Formcharakter des Sonetts setzt doch, da hat Bürger völlig recht, die Unauswechselbarkeit auch I

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der kleinsten Elemente ins Licht. Auch ihm ist das Sonett nicht bloß Gefäß, das man einem beliebigen Inhalt überstülpen kann, sondern vom Inhalt her wirkt das einheitliche poetische Geschehen bis in die Reimwörter und konstituiert ein organisches Ganzes. Dem Meister der Kunst, meint Bürger, dürfe das Sonett nicht leichter und schwerer sein als andere Gebilde. Ihm selbst zieme es nicht zu entscheiden, wie weit er mit seinen Sonetten seinen eigenen Forderungen Genüge geleistet habe, aber sein „junger vortrefflicher Freund, August Wilhelm Schlegel, dessen großem poetischen Talent Geschmack und Kritik, mit mannigfaltigen Kenntnissen verbunden, schon sehr frühe die gehörige Richtung gaben", habe „nach jenen Forderungen ohne Anstoß Sonette verfertigt . . . , die das eigensinnigste Ohr des Kenners befriedigen müssen", und so könne er sich „nicht enthalten, mit einem derselben diese Vorrede zu würzen", wodurch er sich zugleich rechtfertige, „diesen Lieblingsjünger", den er an andrer Stelle seinen „poetischen Sohn, an welchem er Wohlgefallen" hat, nennt und dessen Meister er gern heißen möchte, „wenn solche Jünger nicht ohne Meister fertig würden", so hochzuschätzen. Das Schlegelsche Sonett lautet: Das Lieblichste Sanft entschläft sichs an bemoosten Klippen, Bei der dunklen Quelle Sprudelklang. Lieblich labts, wann Glut das Mark durchdrang, Traubensaft in Tropfen einzunippen. Himmlisch dem, der je aus Aganippen* Schöpfte, tönt geweihter Dichter Sang. Göttlich ist der Liebe Wonnempfang Auf des Mädchens unentweihten Lippen. Aber eines ist mir noch bewußt, Das der Himmel seinen liebsten Söhnen Einzig gab, die Wonne milder Tränen; Wann der Geist, von Ahndung und von Lust Rings umdämmert, auf der Wehmut Wellen Wünscht in Melodien hinzuquellen. Sicher ist dies Sonett in fünfhebigen Trochäen ein wohlgerundetes Ganzes, das in filigranhafter Durchbrochenheit die Ausdrucksskalen der Empfindsamkeit durchspielt und die angesprochenen sanften Töne in melodischen Reimen verklanglicht (die mehrfache Binnenalliteration gibt den verfließenden Bewegungen ein rhythmisch stützendes Gegengewicht), aber ob dies Jugendgedicht Schlegels die Sonette Bürgers an künstlerischer Qualität übertrifft, stehe dahin (auf sie näher einzugehen, würde hier zu weit führen; sie seien einer Sonderuntersuchung vorbehalten). Bürger läßt auf das Schlegelsche Sonett unvermittelt noch eine recht nüchterne poetologische Bemerkung folgen, die zu dem vorangegangenen enthusiastischen Preis der Sonettpoesie nicht recht stimmen will: „Das Sonett ist übrigens eine sehr bequeme Form, allerlei poetischen Stoff von kleinerem Umfange, womit man sonst nichts anzufangen weiß, auf eine sehr gefällige Art an den Mann zu bringen. Es nimmt nicht nur den kürzeren lyrischen und didaktischen sehr willig auf, sondern ist auch ein schicklicher Rahmen um kleine Gemälde jeder Art, eine artige Einfassung zu allerlei Bescherungen für Freunde und Freundinnen." In der mit Bürger und A. W. Schlegel anhebenden Geschichte des klassisch-romantischen Sonetts läßt sich unschwer * eine den Musen geweihte Quelle am Helikon

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eine künstlerische Spannweite feststellen, die sowohl das gedanklich ernste als auch das graziös schwebende und das artig dekorierende Gebilde einschließt, ob Bürgers zunächst widerspruchsvoll anmutende Kennzeichnungen nun mehr oder minder bewußt darauf zielen oder nur mehr instinktiv solchen Spielraum erwägen. Die Situation eines Auftakts zum klassisch-romantischen Sonett, das in Goethes Sonettenfolge von 1807 gipfelt, wird noch reizvoller, wenn man zuletzt das in Bürgers Sammlung von 1789 an die elf leidenschaftlich gespannten Liebessonette angereihte Sonett „An August Wilhelm Schlegel" kurz betrachtet, das in ebenfalls trochäischer Sonettform dem jungen Meister des Sonetts überschwänglich huldigt: Kraft der Laute, die ich rühmlich schlug, Kraft der Zweige, die mein Haupt umwinden, Darf ich dir ein hohes Wort verkünden, Das ich längst in meinem Busen trug. Junger Aar! Dein königlicher Flug Wird den Druck der Wolken überwinden, Wird die Bahn zum Sonnentempel finden, Oder Phöbus' Wort in mir ist Lug. Schön und laut ist deines Fittichs Tönen, Wie das Erz, das zu Dodona* klang Leicht und stark dein Auf Aug sonder Zwang. Dich zum Dienst des Sonnengotts zu krönen, Hielt' ich nicht den eignen Kranz zu wert; Doch — dir ist ein besserer beschert. Dies Sonett hat barockes Gepräge, nicht die Grazie eines Rokokomenuetts, wenn auch die Laute schon aus diesem Milieu stammt. Doch Lorbeerzweige, Königsaar, Sonnentempel und Sonnengott, Fittichstöne und Erzklang samt dem mythologischen Phöbus sind Topoi aus der höfischen Welt mit ihren pathetischen Gebärden und panegyrischen Überhöhungen. Das Sonett wird gleichsam auf die Opernbühne gestellt. Solcher Sonette gab es in der deutschen Barockpoesie viele, und sie waren dort an ihrem gesellschaftlichen Platz. Man braucht gar nicht an den gegen Fürstengewalt und Feudalhochmut energisch aufbegehrenden Stürmer und Dränger und andererseits an den Verfasser der leidvollen Molly-Sonette zu denken, um nicht das Sonett an Schlegel als anachronistisch zu empfinden. Es ist ein Rückgriff auf barocke Gepflogenheiten, der freilich auch dieser Möglichkeit des deutschen Sonetts noch einen gewissen Glanz verleiht, aber glücklicherweise ohne Folgen geblieben ist. Immerhin ist es kurios und geschichtlich paradox, daß Bürgers Schlegelsonett mit den poetischen Requisiten des Barock den jungen Dichter ermutigt, seine den Meister übertreffende Kunst zu pflegen. Im Stil der artifiziellen Tradition verheißt der Stürmer und Dränger dem künftigen Romantiker den königlichen Sonnenflug in der sieghaften Beherrschung einer europäischen Kunstform, die bei aller Variabilität doch in der strengen Gesetzlichkeit ihrer Abfolge in 14 Zeilen, zwei Quartetten und zwei Terzetten, determiniert ist. Wie weit dann die Sonette Schlegels den hohen Erwartungen seines Gönners und Bahnbrechers gerecht geworden sind, muß hier um des vorgesetzten Zusammenhangs willen unbehandelt bleiben. * die durch Orakel berühmte griechische Stadt

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2 Doch war es August Wilhelm Schlegel, der Goethe den unmittelbaren Anstoß gab, sich ebenfalls im Sonett zu versuchen. Das ist kein geradliniger Weg. Schlegel übersetzt 1798 Sonette von Petrarca und leitet damit sowohl die Wiederentdeckung des italienischen Renaissancepoeten für die deutsche Literatur als auch die Sonettenperiode der Klassik und Romantik ein.1 Dabei geht er von anfänglich freierem Umgang mit der überlieferten Form zur strengen romanischen Version über und entscheidet sich endlich für den fünfhebigen Jambus, den durchgehend weiblichen Reim und die umschlingende Reimfolge abba in den Quartetten. Jahrelang bemüht er sich um die adäquate Eindeutschung italienischer, spanischer und portugiesischer Sonette und dichtet zahllose eigene Sonette mit den mannigfaltigsten Themen: literarische Polemik, „geistliche Gemälde", Dichterporträts, Liebesmotive, ethische, ästhetische und philosophische Gegenstände. Um 1800 beginnt die Welle der Sonette, die rund ein Jahrzehnt alle maßgebenden literarischen Kreise erfaßt. Als vollends Schlegel 1803 in seinen Berliner Vorlesungen über Petrarca von der Theorie des Sonetts handelt, kann sich kaum ein poetisch Versierter mehr dem modischen Sog entziehen. Schlegel sagte u. a. über das Sonett 2 : da das Sonett „bey Unkundigen im Verdacht einer bloß capriciösen Willkühr ihrer Regeln" stehe, wolle er die Notwendigkeit dieser Gattung abzuleiten versuchen. So mathematisch konstruiert das Sonett mit seinen 14 Zeilen, seinen je zwei Quartetts und Terzetts, seinem Reimschema abba abba cde cde anmute, so sei es doch mehr „als eine artige Spielerei", wie sie Bürger schildere. Man solle nicht von unglücklichem Zwang reden, das Sonett erfordere nicht mehr Korrektheit in der Versifikation wie jede andere Gedichtform, und die Krittler haben keinen Begriff, „wie die Form vielmehr Werkzeug, Organ für den Dichter ist, und gleich bey der ersten Empfängniß eines Gedichts, Gehalt und Form wie Seele und Leib unzertrennlich ist". So demonstriert Schlegel die „Notwendigkeit der 14 Zeilen des Sonetts, und daß es auch wieder nicht mehr haben darf ohne in einen unbedeutsamen Überfluß zu verfallen, so wie auch die Eintheilung in seine vier Glieder . . . Soll dies aber in unsrer Einsicht nicht bloß eine mathematische Subtilität bleiben, so müssen wir nun betrachten, wie es in der Poesie belebt wird, und welcher tiefsinnige und glorreiche Gebrauch davon zu machen steht. Die paarende und trennende Kraft des Reimes kann man auch als Gleichheit und Entgegensetzung bezeichnen, und deswegen muß das Sonett auch im Gehalt wie in der Form Symmetrie und Antithese in der höchsten Fülle und Gedrängtheit vereinigen." Jeder zum erstenmal vorkommende Reim sei „eine angeregte Erwartung, ein aufgegebnes Räthsel: Wie wird der Fortgang des Gedankens mit dem Gleichlaut zusammentreffen? und der antwortende Reim ist hievon die Lösung." Der Schluß sei erkennbar „an der vollständigen Auflösung des Dissonirenden". Durch seine festen architektonischen und reimmusikalischen Verhältnisse, durch seine bestimmte Gliederung werde das Sonett „gewaltig aus den Regionen der schwebenden Empfindung in das Gebiet des entschiedenen Gedankens gezogen". Es sei nicht so sehr für„Freunde des melodischen Hin- und Herwiegens in weichen Gefühlen", sondern „eine in sich zurückgekehrte, vollständige, und organisch articulirte Form", die auf dem Übergang vom Lyrischen zum Didaktischen und Epigrammatischen stehe. „Durch die gebundene Beschränkung wird das Sonett ganz besonders bestimmt, ein Gipfel in der Concentration zu seyn." Im Sonett werde daher jeder Augenblick „festlich und kostbar, und der Dichter muß ihn mit dem bedeutsamsten, was nach Maaßgabe des Gegenstandes in seiner Gewalt ist, auszufüllen suchen. Daraus geht der Charakter gedrängter und nachdrücklicher Fülle hervor. Bey dem Verhältnisse zwischen Empfindung und Gedanken findet zwar eine gewisse Breite Statt, aber der vielsagendste prägnanteste Ausdruck eines tiefen Gefühls ruft schon von selbst den Tiefsinn hervor. Und so kann ein Sonett nicht leicht zu tiefsinnig sein, wohl zu sinnreich, wenigstens zum Nachtheil seiner Großheit. Indessen glaube man nicht, daß das Sinnreiche im gehörigen Maaße dem Gefühl widerspreche und den Leser kalt

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lasse. Ist das Gefühl nicht bloß eine sinnliche Leidenschaft, sondern auf die höheren Anforderungen des Gemüths gerichtet, so wird es auch mehr oder weniger mit den in unserer Natur vermöge ihrer Duplicität liegenden Widersprüchen schwanger gehen, und sobald es in Begriffe übersetzt wird, treten diese als Antithesen hervor. Es kann daher gar wohl ein Sonett aus lauter Antithesen zusammengewebt seyn, und dennoch das wahrste Gefühl athmen. Nicht selten wird auch die Bedeutung des Ganzen in eine enigmatische Sentenz am Schlüsse zusammengefaßt. Andremale macht es einen erhabnen Eindruck wenn aus dem sinnreichen Gewebe des übrigen der Schluß mit einer großen Wahrheit oder einem einfachen Bilde herausgeht." Das ist eine erschöpfende Charakteristik der Sonettstruktur. Man darf vorwegnehmend sagen, daß Goethes Sonette geradezu den Idealfall der von Schlegel umrissenen Möglichkeiten des Sonetts in der deutschen Literatur darstellen. Empfindung und Gedanken, Gefühl und Tiefsinn, Gemüt und Begriff, Gipfel der Konzentration, gedrängte Fülle, Antithese und Sentenz: das alles sind Momente der künstlerischen Entfaltung in Goethes Sonetten. Soviel ich sehe, ist das erste Sonett, das Goethe schrieb, die Übertragung eines italienischen Sonetts, das sich in der von ihm 1796 übersetzten Biographie des Florentiner Goldschmieds Benvenuto Cellini eingefügt fand. Cellini war in Rom schwer erkrankt und während einer tiefen Ohnmacht von Besuchern für tot gehalten worden. Die Nachricht davon schreibt ein französischer Bekannter des Goldschmieds an dessen Freund Benedetto Varchi, der auf den vermeintlichen Tod Cellinis ein Sonett verfaßt. Er gibt es einem Schwager Cellinis, der nach Florenz reist und die Verse dem inzwischen wieder zu Leben gekommenen und Hoffnung zur Genesung gebenden Kranken überreicht. Dieser rückt das Gedicht, das einen ergreifenden Beweis freundschaftlichen Gefühls darstellt, in seine Schilderung ein. Der italienische Text lautet : Chi ne consolerà, Mattio, chi fia Che ne vieti il morir piangendo ? poi Che pure è vera, oimè, che . senza noi Così per tempo al Ciel salita sia. Quella chiar alma amica, in cui fioria Virtù cotal, che fina a' tempi suoi Non vide egual, nè vedrà credo poi Il Mondo, onde i miglior si fuggon pria Spirto gentil, se fuor del mortai velo S'ama, mira dal Ciel chi'n terra amasti, Pianger, non già il tuo ben, ma il proprio male Tu ten sei gito a contemplar su in Cielo L'Alto Fattore, e vivo il vedi or, quale Colle tue dotte man quaggiù il formasti. Das Reimschema ist abba abba cde ced. In Goethes Version heißt das Sonett, das mit dem Erstdruck großer Teile der Biographie im 7. Stück des 2. Jahrgangs der Hören 1796 erschien: Wer wird uns trösten, Freund? Wer unterdrückt Der Klagen Flut bey so gerechtem Leide? Ach ist es wahr? ward unsers Lebens Weide So grausam in der Blüthe weggepflückt ?

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Der edle Geist, mit Gaben ausgeschmückt, . Die nie die Welt vereint gesehn, vom Neide Bewundert, seiner Zeitgenossen Freude, Hat sich so früh der niedern Erd entrückt ? 0 liebt man in den seligen Gefilden Noch Sterbliches, so blick auf deinen Freund, der nur sein eignes Loos, nicht dich beweint! Wie du den ewgen Schöpfer abzubilden Hienieden unternahmst mit weiser Hand, So wird von dir sein Antliz dort erkannt. Das Reimschema bei Goethe weicht in den Terzetten ab: cdd cee; es finden sich außerdem zweimal unreine Reime (Vers 6/7 und 10/11). Vermutlich hat Goethe schon um 1800 das Gedicht mit dem programmatisch-polemischen Titel „Das Sonett" gedichtet, auch wenn es erst 1807 im „Morgenblatt für gebildete Stände" gedruckt wurde. Schlegel hatte in dem Band „Gedichte" von 1800 ein Sonett über das Sonett veröffentlicht, die Sonettform sich selbst in Sonettform präsentieren lassend: Das Sonett Zwei Reime heiß ich viermal kehren wieder, Und stelle sie, getheilt, in gleiche Reihen, Daß hier und dort zwei eingefaßt von zweien Im Doppelchore schweben auf und nieder. Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder Sich freier wechselnd, jegliches von dreien. In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen Die zartesten und stolzesten der Lieder. Den werd ich nie mit meinen Zeilen kränzen, Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket, Und Eigensinn die künstlichen Gesetze. Doch, wem in mir geheimer Zauber winket, Dem leih ich Hoheit, Füll in engen Gränzen, Und reines Ebenmaß der Gegensätze.

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Die Aussage über den Reim entspricht der dabei angewandten Reimfolge abba abba cde dce — Goethe hat dann in den Terzetten ausschließlich die symmetrische Folge cde cde gebraucht. Die künstlich-kunstvollen Gesetze der Reimanordnung — erst zwei Reime viermal wiederkehrend, dann drei Reime je zweimal wiederholt, dies noch in lockerem Wechsel — wollen weder als Spielerei noch als Eigensinn genommen werden, vielmehr verheißen sie dem, der sie zu handhaben versteht, lyrische Enthüllung geheimen Zaubers, Hoheit des Tons und Fülle in engen Grenzen, das reine Ebenmaß der Gegensätze von kunstvollem Gesetz, wozu der weibliche Reim und der jambische Fünfheber zählt, und emotionaler Bewegtheit, verheißen alles was in den Worten Zauber, Hoheit, Fülle anklingt, das bei allem Gleichmaß und aller vorgegebenen Zugemessenheit nicht meßbar ist. Schlegel hat damit geschickt und überlegen — noch vor seinen Vorlesungen — das Sonett als skalenreiche Ausdrucksform empfohlen. Ob nun Goethes „Sonett" eine unmittelbare Resonanz auf Schlegels Sonett-Sonett, das er bei seiner wohlwollenden Gesinnung dem Romantiker gegenüber sicher gekannt hat, darstellt oder ob Goethe sein Sonett

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erst schreibt, als er eine Sonettenmode inauguriert sieht, die er doch nicht unbedenklich findet: er setzt sich zweifellos mit der altneuen Form auseinander, indem er eine direkte Aufforderung der Romantiker an ihn fingiert, nun auch Sonette zu dichten — das geschieht in den ersten acht Zeilen seines Sonetts (ich setze sie deshalb in Anführungszeichen). Das Sonett „Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben, ist heiige Pflicht, die wir dir auferlegen: Du kannst dich auch, wie wir, bestimmt bewegen Nach Tritt und Schritt, wie es dir vorgeschrieben. Denn eben die Beschränkung läßt sich lieben, Wenn sich die Geister gar gewaltig regen; Und wie sie sich denn auch gebärden mögen, Das Werk zuletzt ist doch vollendet blieben". So möcht ich selbst in künstlichen Sonetten, In sprachgewandter Maße kühnem Stolze, Das Beste, was Gefühl mir gäbe, reimen: Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten, Ich schneide sonst so gern aus ganzem Holze, Und müßte nun doch auch mitunter leimen. Erneuter Kunstgebrauch, das meint wohl die Erneuerung der Petrarchischen Sonettform. Wenn selbst die Romantiker sich nach der strengen Vorschrift, nach Schritt und Tritt des vorgegebenen Schemas bewegen, wird es wohl auch dem Angesprochenen möglich sein. In dem was Goethe im 2. Quartett den Romantikern insinuiert, ist unverkennbare Ironie: die gewaltig sich regenden Geister lieben die Beschränkung (einen Begriff, den Goethe in einem 2. Sonett um 1800 kategorial gebrauchen wird), und im Gegensatz zu ihrem ungebundenen Gebaren (an dem Goethe genug Anstoß genommen hatte) wird das poetische Werk in der strengen Bindung des Sonetts sich vollenden. Auf diese fingierte Aufforderung, auch in Sonetten zu dichten, antwortet Goethe, indem er zunächst noch einmal das an ihn gestellte Ansinnen resümiert: das „möcht ich" ist als konjunktivische Appellation zu verstehen — man möchte, man erwarte von ihm, daß auch er in künstlichen, d. h.. kunstvollen, artifiziellen, dem vorgegebenen Formschema gemäßen Sonetten das Beste seines Gefühls reime — auf den Kontrast kommt es an; Gefühlssprache ist unmittelbarer Ausdruck, der sich als innere Form konstituiert, Formung des Gefühls bedeutet jeweilige Angleichung an das Auszudrückende. Vers 10 unterstützt noch die provozierende Zumutung an den vom Gefühl her Dichtenden (der Goethe um 1800 keineswegs mehr so eindeutig ist; also fingieren diese antwortenden Verse eine Situation des lyrischen Ichs, die dem biographischen Ich nicht entspricht): in Sonetten reimen, daß hieße sich in eine Distanz kühnen Stolzes begeben und mit dem Sonett sprachgewandte Maße beherrschen (so muß ich diese Zeile verstehen) — als ob der biographische Lyriker Goethe nach den freien ungezwungen anmutenden Formen seiner Jugend, den polymetrisch-hymnischen, madrigalischen und liedhaften Versen der Straßburger und zweiten Frankfurter Jahre nicht seit den 80er Jahren in hochklassischer Strenge antike und romanische Formen wie Distichen und Stanzen souverän beherrscht habe! Da sollte ihm das Sonett Schwierigkeiten machen? Doch es bereitet ihm Vergnügen, im zweiten Terzett sich abwehrend zu stellen und mit hübscher Derbheit zu argumentieren: weil er sonst seine Verse aus ganzem Holze schneide, wie ein Holzschnitzer sein Phantasiegebild aus einem ganzen Stück herausmodelliert, so schneide er, der Poet, seine Verse gleichsam aus der ungeteilten, ungegliederten Sprachsubstanz; das liegt

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ihm, ist ihm bequem, da kann er das Sprachganze nach seiner poetischen Laune prägen, aber beim Sonettschneiden aus schon vorgeprägten Teilen weiß er sich nicht bequem zu betten, da müßte er nun doch auch mitunter leimen, die Stücke zusammenleimen. Das Sprachgewandtheit erfordernde Reimen, das für das künstlich-kunstgerechte Ausfüllen eines Formgefäßes steht, fürchtet er als Leimen handhaben zu müssen, und das ist nun der extreme Widerspruch zu einer lyrischen Gefühlsaussage, die sich aus innerer Notwendigkeit sprachlich von selber fügt. Aber dies Leimen, mit dem Goethe das Machen eines Sonettes von sich abrückt, steht am Ende eines regelgerecht gebauten Sonetts, das die in Sonettform ausgesprochenen Bedenken gegen das Sonettdichten wunderhübsch widerlegt. Der das romantische Sonett-Treiben glossierende Klassiker hat, indem er sich Bedenken äußernd distanzierte, die ihn zum Sonettdichten Auffordernden nicht nur eingeholt, sondern sie, indem er in der fingierten Anrede an ihn selbst die Diskrepanz zwischen der ihnen eigenen Ungebundenheit und der ihnen fremden Beschränkung evoziert, schon überholt, weil ihm Beschränkung, Kunstdisziplin und Vollendung längst ins Wesen gegangen sind, so daß es ihm wohl gelingen wird, ohne Anstrengung, es sei denn der für jedes künstlerische Schafifen nötigen Besonnenheit, sein Gefühl in sprachgewandtes Maß zu prägen, so daß am Ende Reimen nicht Leimen heißt, sondern in erneutem Kunstgebrauch der alten Form gestalten, das „reine Ebenmaß der Gegensätze", von dem Schlegel sprach, zu erreichen.

3 Um 1800 wohl entstand noch ein zweites Sonett Goethes. Es wurde in das Vorspiel „Was wir bringen" eingefügt, das 1802 für die Eröffnung des Theaters in Lauchstedt geschrieben und noch im gleichen Jahr bei Cotta gedruckt wurde. Das Vorspiel mit dem Sonett erschien dann in den Cotta-Ausgaben seit 1806 und in der Ausgabe letzter Hand, aber das Sonett wurde von Goethe selbst nie in eine seiner Gedichtsammlungen in den Werkausgaben aufgenommen. Damit sollte wohl die dramatische Funktion des Sonetts im Vorspiel betont werden, und man muß deshalb den szenischen Zusammenhang beachten, in dem das Sonett zuerst erscheint, auch wenn sein programmatischer Gehalt mit Recht als eine für Goethes klassische Kunstauffassung allgemein gültige Aussage angesehen worden ist. Das Gedicht wird im Vorspiel im 19. Auftritt von einer Nymphe gesprochen, die das Liebliche, Natürliche, Naturwahre darstellt, das „ohne Rückhalt sein gedrängt Gefühl" ausspricht, und das Gedicht mit den Worten einleitet: Im Sinne schwebt mir eines Dichters alter Spruch Den man mich lehrte, ohne daß ich ihn begriff, Und den ich nun verstehe, weil er mich beglückt. Nun folgt ohne Überschrift das Sonett: Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen Und haben sich eh man es denkt, gefunden; Der Widerwille ist auch mir verschwunden, Und beide scheinen gleich mich anzuziehen. Es gibt wohl nur ein redliches Bemühen! Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden, Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.

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ihm, ist ihm bequem, da kann er das Sprachganze nach seiner poetischen Laune prägen, aber beim Sonettschneiden aus schon vorgeprägten Teilen weiß er sich nicht bequem zu betten, da müßte er nun doch auch mitunter leimen, die Stücke zusammenleimen. Das Sprachgewandtheit erfordernde Reimen, das für das künstlich-kunstgerechte Ausfüllen eines Formgefäßes steht, fürchtet er als Leimen handhaben zu müssen, und das ist nun der extreme Widerspruch zu einer lyrischen Gefühlsaussage, die sich aus innerer Notwendigkeit sprachlich von selber fügt. Aber dies Leimen, mit dem Goethe das Machen eines Sonettes von sich abrückt, steht am Ende eines regelgerecht gebauten Sonetts, das die in Sonettform ausgesprochenen Bedenken gegen das Sonettdichten wunderhübsch widerlegt. Der das romantische Sonett-Treiben glossierende Klassiker hat, indem er sich Bedenken äußernd distanzierte, die ihn zum Sonettdichten Auffordernden nicht nur eingeholt, sondern sie, indem er in der fingierten Anrede an ihn selbst die Diskrepanz zwischen der ihnen eigenen Ungebundenheit und der ihnen fremden Beschränkung evoziert, schon überholt, weil ihm Beschränkung, Kunstdisziplin und Vollendung längst ins Wesen gegangen sind, so daß es ihm wohl gelingen wird, ohne Anstrengung, es sei denn der für jedes künstlerische Schafifen nötigen Besonnenheit, sein Gefühl in sprachgewandtes Maß zu prägen, so daß am Ende Reimen nicht Leimen heißt, sondern in erneutem Kunstgebrauch der alten Form gestalten, das „reine Ebenmaß der Gegensätze", von dem Schlegel sprach, zu erreichen.

3 Um 1800 wohl entstand noch ein zweites Sonett Goethes. Es wurde in das Vorspiel „Was wir bringen" eingefügt, das 1802 für die Eröffnung des Theaters in Lauchstedt geschrieben und noch im gleichen Jahr bei Cotta gedruckt wurde. Das Vorspiel mit dem Sonett erschien dann in den Cotta-Ausgaben seit 1806 und in der Ausgabe letzter Hand, aber das Sonett wurde von Goethe selbst nie in eine seiner Gedichtsammlungen in den Werkausgaben aufgenommen. Damit sollte wohl die dramatische Funktion des Sonetts im Vorspiel betont werden, und man muß deshalb den szenischen Zusammenhang beachten, in dem das Sonett zuerst erscheint, auch wenn sein programmatischer Gehalt mit Recht als eine für Goethes klassische Kunstauffassung allgemein gültige Aussage angesehen worden ist. Das Gedicht wird im Vorspiel im 19. Auftritt von einer Nymphe gesprochen, die das Liebliche, Natürliche, Naturwahre darstellt, das „ohne Rückhalt sein gedrängt Gefühl" ausspricht, und das Gedicht mit den Worten einleitet: Im Sinne schwebt mir eines Dichters alter Spruch Den man mich lehrte, ohne daß ich ihn begriff, Und den ich nun verstehe, weil er mich beglückt. Nun folgt ohne Überschrift das Sonett: Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen Und haben sich eh man es denkt, gefunden; Der Widerwille ist auch mir verschwunden, Und beide scheinen gleich mich anzuziehen. Es gibt wohl nur ein redliches Bemühen! Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden, Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.

Goethes Sonette

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So ists mit aller Bildung auch beschaffen: Vergebens werden ungebundne Geister Nach der Vollendung reiner Höhe streben. Wer Großes will, muß sich zusammenraffen; In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben. Vorher hatte Merkur, der Seelenführer, die beiden Masken, mit denen ein Knabe die Nymphe geschreckt hat, gedeutet: die eine ist die komische Maske, Dies derbe wunderliche Kunstgebild, Zeigt, mit gewaltger Form, das Fratzenhafte die andere die tragische Maske: Doch dieses läßt vom Höheren und Schönen Den allgemeinen ernsten Abglanz ahnen Merkur versöhnt die Nymphe mit dem Knaben, den sie schüchtern floh: Nun werdet ihr, Natürliches und Künstliches, nicht mehr Einander widerstreben, sondern stets vereint Der Bühne Freuden mannigfaltig steigern. Darauf die Nymphe: Wie ist mir! Welchen Schleier nahmst du mir Von meinen Augen weg, indes mein Herz So warm als sonst, ja freier glüht und schlägt. Herbei, du Kleiner! keinen Gegner seh ich, Nur einen Freund erblick ich neben mir. Erheitre mir die sonst beladne Brust, In meinen Ernst verflechte deinen Scherz Und laß mich lächeln, wo die bittre Träne floß. Das Thema des Sonetts ist damit vorbereitet: Natürliches und Künstliches vereint steigern das Künstlerische, Scherz und Ernst verflechten sich in der Heiterkeit der Kunst, das einander Widerstrebende findet sich zum Bunde. Das Sonett gestaltet das Grundprinzip der klassischen Kunst: das Gegensätzliche oder scheinbar Gegensätzliche, im Gedicht als „Widerwille" bezeichnet, findet sich zusammen, (doch meint Widerwille auch zugleich in unserm Sinne die subjektive Abneigung, die verschwindet, weil ihr die Anziehung durch die beiden Phänomene entgegenwirkt); Natur und Kunst finden sich, wenn die Kunst die Natur bindet, das Ungebundene beschränkt (das Thema der fingierten Selbstdarstellung romantischer Problematik im Sonett „Das Sonett" taucht noch einmal auf); die Klassik strebt nach der Synthese der großen Antithesen, die nicht auf der Ebene der Kantschen Dualismen und unlösbaren Antinomien bleiben sollen, der Antithesen von Natur und Geist, Vernunftidee und empirischer Realität, Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Freiheit und Notwendigkeit, Willkür und Gesetz, Stoff und Form. In „Wilhelm Meisters Lehrjahren" heißt es: „Der Mensch ist nicht eher glücklich, als bis sein unbedingtes Streben sich selbst seine Begrenzung bestimmt", undin „Maximen und Reflexionen"

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sagt Goethe: „Unbedingte Tätigkeit, von welcher Art sie sei, macht zuletzt bankerott", womit die Gefahr und die tragische Konstellation allen enthusiastischen Entgrenzungsverlangens, wie es sich dichterisch herrlich in den Figuren Werthers, Fausts und Tassos entfaltet, nüchtern fixiert ist. Indem das Sonett mit dem Thema Natur und Kunst das Gegensätzlich-Vereinende der beiden Pole lyrisch darbietet, schöpft es seine Bewegtheit aus der Gegensätzlichkeit, die in der sprachlich-rhythmischen Bewegung selbst überwunden wird. Natur und Kunst finden sich, nachdem der ihnen gegenüber noch zwiespältige Mensch von ihnen gleichermaßen angezogen wird, im Zenit der Bildung. Als Wesen des Gebildeten, des aus Natur wie aus Kunst Gebildeten, des Naturgebildes wie des Kunstgebildes, enthüllt sich Begrenzung und Bindung. Durch Bindung erst wird die Kunst frei und dadurch wieder Natur. Die Bindung der Natur, des Elementaren an die Kunst und in der Kunst durch die ihrer selbst bewußte Schaffens- und Erkenntniskraft des Menschen setzt dessen Verhältnis zur Natur wieder frei: in der Kunst wird die Natur erst frei, sie übt keinen Zwang mehr auf den Menschen aus. Wie Ungebundenheit zur Unnatur führt, vermag sie auch nicht Kunst zu werden. Demgegenüber setzt jede Bildung Bindung voraus. Großes, Vollendetes ist nur in der Bindung möglich, weil Ungebundenes sich selbst verliert. Selbstgewählte Beschränkung macht den Meister in der Kunst wie im Leben. Das bindende und bildende Gesetz erst gibt uns Freiheit, weil es und wenn es uns zur Natur wird. Im motivischen Aufbau nähert sich das Sonett Schritt für Schritt dem thematischen Kern, der zugleich konzentrisch erhellt wird: Natur und Kunst in der Bindung des Gegensätzlichen ergeben Kunst, die sich als freie Natur, frei wie die Natur erkennt. So muß und wird jede Bildung Bindung sein müssen. Ungebundenes vermag nichts zu vollenden. Großes kommt nicht aus titanischer Entgrenzung, sondern aus der frei erwählten Begrenzung, aus der Beschränkung, die Konzentration, Intensivierung bedeutet. Meisterschaft ist Bildung in der Bindung, die frei ergriffen und bejaht wird als fruchtbare Bewährung der Bildung. In der freien Annahme des Gesetzhaften manifestiert sich Freiheit. Im Sonettgefüge und Versgang selbst entfaltet sich der Gedanke der Beschränkung, in der sich das Beschränkte frei weiß. Das klar und klangvoll gefügte Gebilde des Sonetts ist bindende Bildung, sich bildende Bindung. Der antithetische Ansatz hat eine reiche Skala: Natur und Kunst, Bildung und Bindung, Freiheit und Gesetz, Bewegung und Vollendung, ungebundene Geister und sich mit Fleiß bindender Geist, Widerwille und redliches Bemühen, Fliehen und Anziehen, Abgemessenheit und Herzensglühen — in der Sentenz des Schlußverses gelingt eine dialektische Vereinigung. Erst als die Spannung zwischen den Polen ihren Gipfel erreicht hat, ergibt sich die entspannende Lösung. Das letzte Reimwort geben greift auf streben am Ende des ersten Terzetts zurück; das Reimwort zusammenraffen, Vorbedingung des Großen, erinnert, daß Bildung eben so beschaffen ist, daß sie zusammenrafft, nicht ins Ungebundene entläßt; das Reimwort Meister überholt auf der Stufe der Beschränkung die ungebundnen Geister. So werden in den Terzetten bis in die Reimworte hinein die Vorstufen der Synthese mit dem Vorgang der Synthese architektonisch, rhythmisch und klanglich verbunden, so im lyrischen Vollzug der paradoxen Synthese das Zielthema Kunst als zweite Natur, Gesetz als Freiheit konstituierend. In der organisch artikulierten Strenge des Sonetts repräsentiert sich das differenzierte Programm deutscher Klassik.

4 In das Jahr 1802 fällt sicher auch die Niederschrift des Sonettes, das sich im Drama „Die natürliche Tochter" findet und das noch vor dem Erscheinen des ganzen Stückes im Cottaschen Taschenbuch auf das Jahr 1804 in der „Zeitung für die elegante Welt", in der Nr. 96 vom 11. August 1803, gedruckt wurde. Es hatte die Überschrift: „Sonett. Aus der natürlichen

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sagt Goethe: „Unbedingte Tätigkeit, von welcher Art sie sei, macht zuletzt bankerott", womit die Gefahr und die tragische Konstellation allen enthusiastischen Entgrenzungsverlangens, wie es sich dichterisch herrlich in den Figuren Werthers, Fausts und Tassos entfaltet, nüchtern fixiert ist. Indem das Sonett mit dem Thema Natur und Kunst das Gegensätzlich-Vereinende der beiden Pole lyrisch darbietet, schöpft es seine Bewegtheit aus der Gegensätzlichkeit, die in der sprachlich-rhythmischen Bewegung selbst überwunden wird. Natur und Kunst finden sich, nachdem der ihnen gegenüber noch zwiespältige Mensch von ihnen gleichermaßen angezogen wird, im Zenit der Bildung. Als Wesen des Gebildeten, des aus Natur wie aus Kunst Gebildeten, des Naturgebildes wie des Kunstgebildes, enthüllt sich Begrenzung und Bindung. Durch Bindung erst wird die Kunst frei und dadurch wieder Natur. Die Bindung der Natur, des Elementaren an die Kunst und in der Kunst durch die ihrer selbst bewußte Schaffens- und Erkenntniskraft des Menschen setzt dessen Verhältnis zur Natur wieder frei: in der Kunst wird die Natur erst frei, sie übt keinen Zwang mehr auf den Menschen aus. Wie Ungebundenheit zur Unnatur führt, vermag sie auch nicht Kunst zu werden. Demgegenüber setzt jede Bildung Bindung voraus. Großes, Vollendetes ist nur in der Bindung möglich, weil Ungebundenes sich selbst verliert. Selbstgewählte Beschränkung macht den Meister in der Kunst wie im Leben. Das bindende und bildende Gesetz erst gibt uns Freiheit, weil es und wenn es uns zur Natur wird. Im motivischen Aufbau nähert sich das Sonett Schritt für Schritt dem thematischen Kern, der zugleich konzentrisch erhellt wird: Natur und Kunst in der Bindung des Gegensätzlichen ergeben Kunst, die sich als freie Natur, frei wie die Natur erkennt. So muß und wird jede Bildung Bindung sein müssen. Ungebundenes vermag nichts zu vollenden. Großes kommt nicht aus titanischer Entgrenzung, sondern aus der frei erwählten Begrenzung, aus der Beschränkung, die Konzentration, Intensivierung bedeutet. Meisterschaft ist Bildung in der Bindung, die frei ergriffen und bejaht wird als fruchtbare Bewährung der Bildung. In der freien Annahme des Gesetzhaften manifestiert sich Freiheit. Im Sonettgefüge und Versgang selbst entfaltet sich der Gedanke der Beschränkung, in der sich das Beschränkte frei weiß. Das klar und klangvoll gefügte Gebilde des Sonetts ist bindende Bildung, sich bildende Bindung. Der antithetische Ansatz hat eine reiche Skala: Natur und Kunst, Bildung und Bindung, Freiheit und Gesetz, Bewegung und Vollendung, ungebundene Geister und sich mit Fleiß bindender Geist, Widerwille und redliches Bemühen, Fliehen und Anziehen, Abgemessenheit und Herzensglühen — in der Sentenz des Schlußverses gelingt eine dialektische Vereinigung. Erst als die Spannung zwischen den Polen ihren Gipfel erreicht hat, ergibt sich die entspannende Lösung. Das letzte Reimwort geben greift auf streben am Ende des ersten Terzetts zurück; das Reimwort zusammenraffen, Vorbedingung des Großen, erinnert, daß Bildung eben so beschaffen ist, daß sie zusammenrafft, nicht ins Ungebundene entläßt; das Reimwort Meister überholt auf der Stufe der Beschränkung die ungebundnen Geister. So werden in den Terzetten bis in die Reimworte hinein die Vorstufen der Synthese mit dem Vorgang der Synthese architektonisch, rhythmisch und klanglich verbunden, so im lyrischen Vollzug der paradoxen Synthese das Zielthema Kunst als zweite Natur, Gesetz als Freiheit konstituierend. In der organisch artikulierten Strenge des Sonetts repräsentiert sich das differenzierte Programm deutscher Klassik.

4 In das Jahr 1802 fällt sicher auch die Niederschrift des Sonettes, das sich im Drama „Die natürliche Tochter" findet und das noch vor dem Erscheinen des ganzen Stückes im Cottaschen Taschenbuch auf das Jahr 1804 in der „Zeitung für die elegante Welt", in der Nr. 96 vom 11. August 1803, gedruckt wurde. Es hatte die Überschrift: „Sonett. Aus der natürlichen

Goethes Sonette

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Tochter von Göthe. Nach der Erinnerung mitgeteilt". Was diese offenbare Fiktion soll, ist nicht klar. Das Sonett erscheint im 4. Auftritt des zweiten Aufzugs; die Situation ist so: Eugenie ist nach der Begegnung mit dem König im 5. Auftritt des ersten Aufzugs freudig gestimmt, da sie nach der internen Legitimation als Herzogstochter eine baldige öffentliche Anerkennung erhoffen zu können glaubt. Sie, die musisch Begabte, ergreift Pergament und Griffel und faßt eilig auf, was sie dem König zu jener Feier, bei der sie, „neugeboren durch sein Wort", ins politisch-gesellschaftliche Leben treten soll, herzlich widmen möchte — „Sie rezitiert langsam und schreibt": Welch Wonneleben wird hier ausgespendet! Willst du, o Herr der obern Regionen Des Neulings Unvermögen nicht verschonen ? * Ich sinke hin, von Majestät geblendet. Doch bald getrost zu dir hinaus gewendet Erfreuts mich, an dem Fuß der festen Thronen, Ein Sprößling deines Stamms, beglückt zu wohnen, Und all mein frühes Hoffen ist vollendet. So fließe denn der holde Born der Gnaden! Hier will die treue Brust so gern verweilen Und an der Liebe Majestät sich fassen. Mein Ganzes hängt an einem zarten Faden, Mir ist, als müßt ich unaufhaltsam eilen, Das Leben, das du gabst, für dich zu lassen. „Das Geschriebene mit Gefälligkeit betrachtend", fügt sie hinzu: So hast du lange nicht, bewegtes Herz, Dich in gemeßnen Worten ausgesprochen! Wie glücklich', den Gefühlen unsrer Brust Für ewge Zeit den Stempel aufzudrücken! Doch ist es wohl genug? Hier quillt es fort. Hier quillt es auf! — Du nahest, großer Tag, Der uns den König gab und der nun mich Dem Könige, dem Vater, mich mir selbst Zu ungemeßner Wonne geben soll. Dies hohe Fest verherrliche mein Lied! Beflügelt drängt sich Phantasie voraus . . . Nach einer kurzen Szene, in der die Hofmeisterin Einlaß begehrt, verbirgt Eugenie das Geschriebene, das die sie beglückende Hoffnung klar ausspricht, in einem geheimen Wandschrank. Weiter braucht nicht auf die dramatische Handlung eingegangen zu werden, durch die das Sonett evoziert wird. Darf man in den das Sonett reflektierenden Folgeversen auch den Grund genannt sehen, der Eugenie gerade in Sonettform dichten läßt? Ihr bewegtes Herz will sich in gemeßnen Worten aussprechen; sie ist glücklich, ihren Gefühlen „für ewge Zeit den Stempel aufzudrücken", das heißt doch wohl: die Gefühle so im dichterischen Wort festzuhalten, daß sie über den bewegten Augenblick hinaus dauern, noch mehr: eine solche Art des lyrischen Wortes zu wählen, daß es das Gefühl festprägt und das Festgeprägte über die vergehende Be* schonend beurteilen

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JOACHIM MÜLLER

wegtheit hinweg für alle Zeit bewahrt. Ließ Goethe deshalb für diese lyrische Selbstverständigung im Drama, für die er ja auch in „Iphigenie" von der sonstigen jambischen Entfaltung sich abhebende andere Versformen, z. B. im Parzenlied freirhythmische, wählte, Eugenie zum Sonett greifen? War dieses prädestiniert, dem bewegten Herzen gemeßne Worte zu leihen und das Gefühl geprägt zu bewahren? Vielleicht sollte man schärfer fragen: war eben das Sonett nicht prädestiniert, solchen poetischen Dienst zu leisten, um den es offensichtlich dem Mädchen geht? Die Tatsache, daß Eugenie im Sonett dichtet, was sie bewegt, spricht doch eigentlich klar dafür, daß Goethe seiner Figur das Sonett in die musisch gewandte H a n d gab, weil er ihr damit die Aussage ihrer Gefühlsbewegung in der distanzierenden poetischen Form, die ja in der Illusionsebene des dramatischen Vorgangs eine zweite Fiktion ist, einleuchtend ermöglichte. Goethe hat offenbar in der Zeit, in der er sich nach anfänglichem Zögern mit dem Sonett vertraut machte, die Gelegenheit einer objektiven Erprobung dieser ihm noch ungewohnten Form gern benutzt, als sie sich von der dramatischen Aktion und der seelischen Lage der Figur her nahelegte. Auch die noch folgenden Verse sprechen dafür, daß die von Eugenie ergriffene Sonettform eine weit über eine artistische Willkür oder eine artifizielle Demonstration hinausgreifende Funktion besitzt: Ist es genug, das Gefühl in gemeßne Form zu bringen? t u t Eugenie ihren Gefühlen genug, wenn sie sie in geprägte Form faßt ? Diese Frage stellt sie sich, weil sie eine Diskrepanz zwischen Gefühl und Wort empfindet. Und trotz der Bändigung des Gefühls im Sonettwort quillt es auf und fort. Nur weil das Sonett in seinem strengen Gefüge dem eingefangenen Gefühl gemessen-prägend entgegenwirkt, kann die fiktive Dichterin die Frage stellen, ob denn ihr aufquellendes Gefühl in der begrenzenden'.Gestalt adäquat aufgehoben ist. I n der Vorahnung des großen Tags, auf den sie hofft, ahnt sie auch „ungemeßne Wonne" — vielleicht hat Goethe nicht bewußt dies „ungemessen" dem „gemessen", womit Eugenie ihre gedichteten Worte kennzeichnet, gegenübergestellt; immerhin muß es nunmehr im Kontext eine rückbeziehende Funktion erhalten, und sinnvoll ist es im Gang dieser Verse, daß Eugenie, nachdem sie im Sonett ihr Gefühl gebändigt hat, in der folgenden unmittelbaren monologischen Aussprache zu ungemeßnen Worten greift: „ungemeßne Wonne" erwartet sie vom großen Tag, „Dies hohe Fest verherrliche mein Lied": das Sonett war kein Lied, dennoch — so darf man doch wohl interpretieren — möchte sie jetzt, da sie ihrer gefühlsquellenden Hoffnung ungehemmt (doch wiederum in der dramatisch-jambischen Gebundenheit aufgefangen) Ausdruck gibt, das Sonett als Lied empfinden, das Sonett, mit dem sie dem König am Feste huldigen will, in dem sie dem König mit der Gebärde des Knieens huldigt und ihm ihre Opferbereitschaft anbietet, als liedhafte Verherrlichung des künftigen Festes vorwegnehmen, aber das schon Geprägte vermag das nicht mehr zu leisten (auf die objektiv sich schon in diesen Versen ankündigende Tragik kann hier nicht mehr eingegangen werden), so sehr im Sonett selbst — und damit gehen wir noch kurz auf dessen gehaltliche Bewegung ein — das erwartete Wonneleben, Beglückung am Fuß des Throns, Vollendung frühen Hoffens, das Fließen des holden Gnadenborns evoziert werden — alles Momente, darin vorweggenommen wird, wasEugeniens beflügelt vorausdrängende Phantasie nach der Prägung des Sonetts gleichsam wieder aus dieser Geprägtheit freiläßt, so daß die ehrfürchtige Gebärde des Niederknieens wie die im letzten Vers die Grundhaltung des Sonetts zusammenfassende hingebende Opferbereitschaft dramatisch überholt wird. 3

5 Die Hauptphase für Goethes Sonett-Dichten beginnt mit dem Aufenthalt des Dichters in J e n a seit dem 11. November 1807. Er findet sich jetzt oft zusammen mit Zacharias Werner, Riemer und dem Juristen Johann Diederich Gries im gastlichen Hause des Buchhändlers Frommann

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wegtheit hinweg für alle Zeit bewahrt. Ließ Goethe deshalb für diese lyrische Selbstverständigung im Drama, für die er ja auch in „Iphigenie" von der sonstigen jambischen Entfaltung sich abhebende andere Versformen, z. B. im Parzenlied freirhythmische, wählte, Eugenie zum Sonett greifen? War dieses prädestiniert, dem bewegten Herzen gemeßne Worte zu leihen und das Gefühl geprägt zu bewahren? Vielleicht sollte man schärfer fragen: war eben das Sonett nicht prädestiniert, solchen poetischen Dienst zu leisten, um den es offensichtlich dem Mädchen geht? Die Tatsache, daß Eugenie im Sonett dichtet, was sie bewegt, spricht doch eigentlich klar dafür, daß Goethe seiner Figur das Sonett in die musisch gewandte H a n d gab, weil er ihr damit die Aussage ihrer Gefühlsbewegung in der distanzierenden poetischen Form, die ja in der Illusionsebene des dramatischen Vorgangs eine zweite Fiktion ist, einleuchtend ermöglichte. Goethe hat offenbar in der Zeit, in der er sich nach anfänglichem Zögern mit dem Sonett vertraut machte, die Gelegenheit einer objektiven Erprobung dieser ihm noch ungewohnten Form gern benutzt, als sie sich von der dramatischen Aktion und der seelischen Lage der Figur her nahelegte. Auch die noch folgenden Verse sprechen dafür, daß die von Eugenie ergriffene Sonettform eine weit über eine artistische Willkür oder eine artifizielle Demonstration hinausgreifende Funktion besitzt: Ist es genug, das Gefühl in gemeßne Form zu bringen? t u t Eugenie ihren Gefühlen genug, wenn sie sie in geprägte Form faßt ? Diese Frage stellt sie sich, weil sie eine Diskrepanz zwischen Gefühl und Wort empfindet. Und trotz der Bändigung des Gefühls im Sonettwort quillt es auf und fort. Nur weil das Sonett in seinem strengen Gefüge dem eingefangenen Gefühl gemessen-prägend entgegenwirkt, kann die fiktive Dichterin die Frage stellen, ob denn ihr aufquellendes Gefühl in der begrenzenden'.Gestalt adäquat aufgehoben ist. I n der Vorahnung des großen Tags, auf den sie hofft, ahnt sie auch „ungemeßne Wonne" — vielleicht hat Goethe nicht bewußt dies „ungemessen" dem „gemessen", womit Eugenie ihre gedichteten Worte kennzeichnet, gegenübergestellt; immerhin muß es nunmehr im Kontext eine rückbeziehende Funktion erhalten, und sinnvoll ist es im Gang dieser Verse, daß Eugenie, nachdem sie im Sonett ihr Gefühl gebändigt hat, in der folgenden unmittelbaren monologischen Aussprache zu ungemeßnen Worten greift: „ungemeßne Wonne" erwartet sie vom großen Tag, „Dies hohe Fest verherrliche mein Lied": das Sonett war kein Lied, dennoch — so darf man doch wohl interpretieren — möchte sie jetzt, da sie ihrer gefühlsquellenden Hoffnung ungehemmt (doch wiederum in der dramatisch-jambischen Gebundenheit aufgefangen) Ausdruck gibt, das Sonett als Lied empfinden, das Sonett, mit dem sie dem König am Feste huldigen will, in dem sie dem König mit der Gebärde des Knieens huldigt und ihm ihre Opferbereitschaft anbietet, als liedhafte Verherrlichung des künftigen Festes vorwegnehmen, aber das schon Geprägte vermag das nicht mehr zu leisten (auf die objektiv sich schon in diesen Versen ankündigende Tragik kann hier nicht mehr eingegangen werden), so sehr im Sonett selbst — und damit gehen wir noch kurz auf dessen gehaltliche Bewegung ein — das erwartete Wonneleben, Beglückung am Fuß des Throns, Vollendung frühen Hoffens, das Fließen des holden Gnadenborns evoziert werden — alles Momente, darin vorweggenommen wird, wasEugeniens beflügelt vorausdrängende Phantasie nach der Prägung des Sonetts gleichsam wieder aus dieser Geprägtheit freiläßt, so daß die ehrfürchtige Gebärde des Niederknieens wie die im letzten Vers die Grundhaltung des Sonetts zusammenfassende hingebende Opferbereitschaft dramatisch überholt wird. 3

5 Die Hauptphase für Goethes Sonett-Dichten beginnt mit dem Aufenthalt des Dichters in J e n a seit dem 11. November 1807. Er findet sich jetzt oft zusammen mit Zacharias Werner, Riemer und dem Juristen Johann Diederich Gries im gastlichen Hause des Buchhändlers Frommann

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ein, dessen Pflegetochter Minehen Herzlieb einen reizvollen lyrischen Gegenstand bildet. Alle dichten Sonette. Riemer berichtet: „Während dieses Aufenthaltes wurden in den abendlichen Lesezirkeln bei Frommann, Knebel u. a. besonders Sonette von Klinger, A. W. Schlegel, Gries und zuletzt auch von Goethe versucht und zwar gleich in einer gewissen A n z a h l . . . " In Goethes Tagebuch finden wir folgende Eintragungen: am 3. 12. 1807: „Werner las Sonette vor"; am 9. 12.: „ . . . Nachher zu Frommann. Schlegelsche Sonette gelesen, vorzüglich die auf den Tod seiner Stieftochter" — es handelt sich um sechs Sonette, die sich in dem 1800 entstandenen Gedichtzyklus „Todten-Opfer für Augusta Böhmer" (Caroline Schlegels Tochter aus erster Ehe) finden4 - ; 10. 12.: „Sonett"; 15. 12.: „Einiges Sonettische". An Zelter schreibt Goethe am 16. 12.: „Ich bin ins Sonettemachen hineingekommen." Am 18. 12. geht Goethe wieder nach Weimar. Die erhaltene Handschrift von Sonett IV trägt das Datum „Den 6. Dez. 1807", die aus dem Besitz Mina Herzliebs stammende Handschrift von Sonett V hat den Vermerk: „Jena, 13. Dez." In einer nichtgedruckten Partie zu den erst Jahre später geschriebenen Annalen auf 1807 heißt es: „Anfang Decembers kam Werner nach Jena, und man kann nicht läugnen, daß er Epoche in unsrem Kreise gemacht. . . Mit großer Wahrheit und Kraft las er vor, wodurch denn seine trefflichen Sonette noch höhern Werth erhielten und besonders die rein menschlich leidenschaftlichen großen Beifall gewannen. Es war das erstemal seit Schillers Tode, daß ich ruhig gesellige Freuden in Jena genoß; die Freundlichkeit der Gegenwärtigen erregte die Sehnsucht nach dem Abgeschiedenen, und der aufs neue empfundene Verlust forderte Ersatz. Gewohnheit, Neigung, Freundschaft steigerten sich zu Liebe und Leidenschaft, die, wie alles Absolute, was in die bedingte Welt tritt,vielen verderblich zu werden drohte. In solchen Epochen jedoch erscheint die Dichtkunst erhöhend und mildernd, die Forderung des Herzens erhöhend, gewaltsame Befriedigung mildernd. Und so war dießmal die von Schlegel früher meisterhaft geübte, von Werner ins Tragische gesteigerte Sonettenform höchst willkommen. Besonders sagte sie Riemers geistreich poetischem Talente zu, und ich ließ mich gleichfalls hinreißen, welches auch jetzt noch nicht reuen darf; denn die kleine Sammlung Sonette, deren Gefühl ich immer gern wieder bei mir erneuere und an denen auch andere gern teilgenommen, schreibt sich aus jener Zeit her. Noch einige sind im Hinterhalte; sie bleiben zurück, weil sie die nächsten Zustände nur allzudeutlich bezeichneten . . ." (WA 36, S. 391f). Über Druckweise und Erscheinungszeit später das Nötige. Hier sei der von Goethe prägnant fixierte Kern der Entstehungsgeschichte der Sonette herausgehoben: die biographischen und die literarischen Momente verflechten sich; Voraussetzungen für die Entstehung seiner eigenen Sonette sind zum einen die „ruhig geselligen Freuden", die Goethe in Jena das erstemal nach Schillers Tod genießt; doch der bei dem Gegensatz von Vereinsamung und Geselligkeit aufs neue empfundene Verlust fordert Ersatz. Neue Freundschaften werden dankbar angenommen, doch zugleich steigern sie sich zu Liebe und Leidenschaft, was neue Bedrohung bedeutet. Schlegels und Werners Sonette machen literarische Epoche, bringen einen neuen Ton ins literarisch-gesellige Leben, bahnen eine literarische Wende an — so hoch greift Goethe in der Kennzeichnung der Situation, Epoche meint für ihn wörtlich eine Zäsur, eine Wende und Krise im seelischen wie im geschichtlichen Leben. Die literarische Epoche fällt zusammen mit der seelischen Epoche in Goethes Leben: der gesellig Beruhigte wird neu erregt, der neu Erregte neu gefährdet. In solchen Epochen, solchen seelischen Wenden und Krisen hat die Dichtkunst eine doppelte Funktion: sie erhöht „die Forderung des Herzens", neu gewonnene Neigung und Freundschaft zu Liebe und Leidenschaft zu steigern, die „gewaltsame Befriedigung" verlangen, womit Verwicklungen drohen. Da nun wirkt die Dichtkunst mildernd, indem sie den bedrohlichen Zustand erhöhten Herzensverlangens g e s t a l t e t und im Gestalten distanziert. In diesem Moment kann eine literarische Form nur willkommen sein, die das Mildern des Erhöhten mit anspruchsvollem Kunstgesetz leistet. Schlegel und Werner vertreten die beiden

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Phasen der Sonettfunktion: Schlegel hat die Sonettform meisterhaft geübt, ihren spezifischen Kunstcharakter erwiesen, Werner hat sie ins Tragische gesteigert, dem Kunstcharakter tragische Substanz zugemutet; Tragisches wird in gebändigter Gestalt ausgesagt, wird als Gestalt verwirklicht und damit gebändigt, das tragisch Erhöhte wird im Sonett gemildert. Solche Doppelfunktion, die eine polare Spannung einfängt, kommt sowohl einem „geistreich poetischen Talent" wie Riemer zustatten, wie sie einen leidenschaftlich erregten Goethe „hinreißt", was ihn, aus der Rückschau gesprochen, nicht reut, so daß er das „Gefühl"der Sonette gern bei sich erneuert, das heißt doch wohl: der von Liebe und Leidenschaft hingerissne Dichter wird von der Sonettform ebenfalls hingerissen — so darf man die objektiv doppelsinnige Ausdrucksweise interpretieren —, so daß er sein Gefühl, das ihn bedrohte, ins Sonett band, und weil er es im Sonett distanzierte, bereut er weder das in rechter Epoche gekommene und zu rechter Epoche gediehene Sonettdichten, noch scheut er sich vor der erinnernden Erneuerung des ins Sonett eingegangenen Gefühls. Goethe hat in diesen Zeilen der Annalen einen entstehungsgeschichtlich komplizierten Vorgang außerordentlich klar analysiert, ohne doch das vielschichtige und vielgliedrige Geschehen zu vereinfachen, das zur Entstehung seiner Sonette 1807 und 1808 führt — von der Situation 1808 ist gleich noch zu sprechen. Es wird auch aus den letzten Sätzen deutlich, weshalb Goethe den Druck der Sonette lange zurückhielt, es war soviel Schmerzlich-Tragisches in der durchlebten Liebessituation dieser beiden Jahre, daß auch die gefühlsgebändigte Form des Sonetts noch stark bekenntnishaft durchzittert war. Das öffentlich zu bekunden, war noch nicht die Zeit. Aber eben die Sonettgestalt mochte es dann nach einigen Jahren erlauben, diese erlebnisdurchdrungenen Gedichte zu publizieren, so daß die ersten 15 Sonette in der zweiten Cotta-Ausgabe der Werke 1815 erschienen und die auch da noch zurückgehaltenen beiden letzten Sonette in die Ausgabe letzter Hand aufgenommen wurden, wo sie 1827, also noch zu Lebzeiten Goethes, ans Publikum kamen. Die Sonette hatten ihre Probe des Milderns auch für den Dichter selbst bestanden. Goethes Sonett-Dichten geht noch ins Jahr 1808 hinein. Am 12. 5. reist er nach Karlsbad. Er ist in diesem Sommer auch zweimal in Franzensbad. Am 17. 9. trifft Goethe wieder in Jena ein. In diesen Monaten ist er öfter mit der 23jährigen Silvie von Ziegesar zusammen, der Tochter des Sachsen-Weimarischen Generallandschaftsdirektors, des obersten Repräsentanten der Stände, der in Drakendorf bei Jena wohnt. Goethe hatte wohl schon in Jena eine Neigung zu ihr gefaßt, die sich in Karlsbad und Franzensbad, wo die Familie ebenfalls den Sommer über weilt, zweifellos vertieft. Jedenfalls ist Goethe in diesen Wochen ungemein aufgeschlossen und um ein häufiges Zusammensein mit Silvie bemüht. So reist er ihr nach Franzensbad nach und mietet sich dort im gleichen Hause ein5. Im Tagebuch begegnet Silvies Name mehrfach. Ein Brief vom 21. Juli aus Karlsbad an Silvie, die noch in Franzensbad weilt, endet mit den deutlich gefühlsbewegten Worten: „Tausendmal Adieu! Liebe, liebe Silvie." In den Partien der Annalen, die sich auf den Sommer 1808 beziehen, heißt es: „Das Leben zwischen Karlsbad und Franzensbrunnen, im Ganzen nach gemessener Vorschrift, im Einzelnen immer zufällig veranlaßt, von der Klugheit der Älteren immer angeordnet, von Leidenschaftlichkeit der Jüngeren am Ende doch geformt, machte auch die aus solchem Konflikt hervorgehenden Unbilden immer noch ergetzlich sowie in der Erinnerung höchst angenehm, weil doch zuletzt alles ausgeglichen und überwunden war." Auch hier ist wie in der Rückschau auf das Jahr 1807 das, was Konflikt und Unbilden hervorrief, in der Erinnerung bewältigt, weil alles zuletzt ausgeglichen und überwunden war. Auch diesmal hat die Dichtung mildernd gewirkt, ob sich die Intention der „Wahlverwandtschaften" verdichtet oder ob das Erlebte in Sonette eingeht. Am 22. 6. sendet Goethe 6 Sonette an Zelter (in andrer Reihenfolge als der endgültigen — I I I V III. VI VII — und mit einigen anderen als den späteren Überschriften) und schreibt ihm dazu, sich auf ausfällige Angriffe Johann Heinrich Vossens auf die ersten beiden Sonette beziehend: „ . . .Und was soll es nun

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gar heißen, eine rhythmische Form, das Sonett z. B., mit Haß und Wut zu verfolgen, da sie ja nur ein Gefäß ist, in das jeder von Gehalt hineinlegen kann, was er vermag. Wie lächerlich ist es, mein Sonett [von 1800], in dem ich einigermaßen zu Ungunst der Sonette gesprochen, immer wiederzukäuen, aus einer ästhetischen Sache eine Parteisache zu machen und mich als Parteigesellen heranzuziehen, ohne zu bedenken, daß man recht gut über eine Sache spaßen und spotten kann, ohne sie deswegen zu verachten und zu verwerfen." Goethe will sich mit dem Dichten eines Sonetts, in dem er noch dazu über die gehandhabte Form spottet, keineswegs auf die Seite der Romantik schlagen, aber das Sonett ist ihm hier als Gefäß für jeden möglichen Inhalt diskutabel. So hatte er an Cotta schon im April 1808 geschrieben: „Daß die Redakteure Ihres Morgenblattes . . . z. E. gegen das Sonett eine so komische Aversion beweisen, ist mir unbegreiflich. Als wenn dem Genie und Talent nicht jede Form zu beleben freistünde." Goethe belebt in den Jahren 1807 und 1808 das Sonett von einem spannungsreichen Gehalt her und mildert in der Sonettform den leidenschaftlichen Konflikt, der ihn bedroht. Laut Tagebuch liest er am 2. 7. und 8. 9. aus seinen Sonetten einem internen Kreise vor, in dem sicher auch Silvie zugegen ist. Viel wird natürlich über Goethes Beziehung zu Silvie geredet, und es mag noch ein Bemühen um sachlichen Bericht sein, wenn Caroline von Sartorius, die mit ihrem Mann, dem Historiker Georg Sartorius, in diesem Sommer zum näheren Umgang Goethes gehört, im Oktober 1808, nachdem sie einige Wochen in Jena und Weimar weilte, an ihren Bruder schreibt: „. . . So hat er diesen Sommer im Karlsbad ein Liebchen gehabt, dem er seine süßesten Lieder gesungen, und diese Sonette, die noch sämtlich ungedruckt sind, teilte er uns mit. Schön waren sie alle; am schönsten aber die, in welchen er sie sprechen ließ und mit deren Zartheit ich nichts zu vergleichen wüßte, wie es denn wohl noch nie einen Dichter gegeben hat, der in das weibliche Gemüt so tiefe Blicke getan, und es ist, als habe das ganze Geschlecht von der Edelsten bis zur Niedrigsten ihm Beichte gesessen. In denjenigen Liedern, worin er sprach, herrschte schon mehr das gemäßigte Feuer der reiferen Jahre . . ." Dies Urteil wird im einzelnen nachzuprüfen sein. Bemerkenswert aber ist es, daß Frau v. Sartorius bei allem Wissen um biographische Anlässe die Ausweitung der von ihr übrigens als liedhaft empfundenen Sonette auf einen allgemeinen Gefühlsbereich als das Entscheidende ansieht. Nicht der Liebhaber Goethe und die konkrete Situation eines Liebesverhältnisses sind ihr wichtig, sondern der einfühlsame Dichter, der dem weiblichen Gemüt tiefen Ausdruck gibt. Und dies im Sonett, das damit mehr als ein bloßes Gefäß ist.

6 Allzu eifrig hat man in dem Mädchen der Sonette ein bestimmtes Modell festhalten wollen, und es wurde neben Mina und Silvie auch noch Bettine Brentano genannt. Mit Bettine hat es eine eigene Bewandtnis: es kann kein Zweifel mehr sein, daß nicht Bettine in diesen Sonetten von Goethe besungen wird, sondern der romantische Kobold malte sich einen lyrischen Liebesroman aus, und Bettine verwob in ihrem späteren phantasiereichen Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" (1835) so geschickt Motive der Sonette in ihre fingierten Briefe an Goethe, daß es erscheinen mußte, er habe aus ihren Briefen die Motive für seine Sonette gewonnen6. Ob aber Mina, ob Silvie, ob Bettine mehr oder weniger „Modelle" gewesen sind, wen und wie die Person Goethe in diesen Monaten vom November 1807 bis zum September 1808 geliebt hat: das Mädchen der Sonette ist genau so wie die Ottilie der „Wahlverwandtschaften" und die Pandora des Festspiels, um nur die im gleichen Zeitraum konzipierten Figuren zu nennen, Geschöpf der Goetheschen Phantasie, die alle empirischen Personen zu dichterischen Gestalten erhöhte. Allzusehr schätzte man ferner die Sonette von 1807 und 1808 als bloße Kunst2 Müller

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gar heißen, eine rhythmische Form, das Sonett z. B., mit Haß und Wut zu verfolgen, da sie ja nur ein Gefäß ist, in das jeder von Gehalt hineinlegen kann, was er vermag. Wie lächerlich ist es, mein Sonett [von 1800], in dem ich einigermaßen zu Ungunst der Sonette gesprochen, immer wiederzukäuen, aus einer ästhetischen Sache eine Parteisache zu machen und mich als Parteigesellen heranzuziehen, ohne zu bedenken, daß man recht gut über eine Sache spaßen und spotten kann, ohne sie deswegen zu verachten und zu verwerfen." Goethe will sich mit dem Dichten eines Sonetts, in dem er noch dazu über die gehandhabte Form spottet, keineswegs auf die Seite der Romantik schlagen, aber das Sonett ist ihm hier als Gefäß für jeden möglichen Inhalt diskutabel. So hatte er an Cotta schon im April 1808 geschrieben: „Daß die Redakteure Ihres Morgenblattes . . . z. E. gegen das Sonett eine so komische Aversion beweisen, ist mir unbegreiflich. Als wenn dem Genie und Talent nicht jede Form zu beleben freistünde." Goethe belebt in den Jahren 1807 und 1808 das Sonett von einem spannungsreichen Gehalt her und mildert in der Sonettform den leidenschaftlichen Konflikt, der ihn bedroht. Laut Tagebuch liest er am 2. 7. und 8. 9. aus seinen Sonetten einem internen Kreise vor, in dem sicher auch Silvie zugegen ist. Viel wird natürlich über Goethes Beziehung zu Silvie geredet, und es mag noch ein Bemühen um sachlichen Bericht sein, wenn Caroline von Sartorius, die mit ihrem Mann, dem Historiker Georg Sartorius, in diesem Sommer zum näheren Umgang Goethes gehört, im Oktober 1808, nachdem sie einige Wochen in Jena und Weimar weilte, an ihren Bruder schreibt: „. . . So hat er diesen Sommer im Karlsbad ein Liebchen gehabt, dem er seine süßesten Lieder gesungen, und diese Sonette, die noch sämtlich ungedruckt sind, teilte er uns mit. Schön waren sie alle; am schönsten aber die, in welchen er sie sprechen ließ und mit deren Zartheit ich nichts zu vergleichen wüßte, wie es denn wohl noch nie einen Dichter gegeben hat, der in das weibliche Gemüt so tiefe Blicke getan, und es ist, als habe das ganze Geschlecht von der Edelsten bis zur Niedrigsten ihm Beichte gesessen. In denjenigen Liedern, worin er sprach, herrschte schon mehr das gemäßigte Feuer der reiferen Jahre . . ." Dies Urteil wird im einzelnen nachzuprüfen sein. Bemerkenswert aber ist es, daß Frau v. Sartorius bei allem Wissen um biographische Anlässe die Ausweitung der von ihr übrigens als liedhaft empfundenen Sonette auf einen allgemeinen Gefühlsbereich als das Entscheidende ansieht. Nicht der Liebhaber Goethe und die konkrete Situation eines Liebesverhältnisses sind ihr wichtig, sondern der einfühlsame Dichter, der dem weiblichen Gemüt tiefen Ausdruck gibt. Und dies im Sonett, das damit mehr als ein bloßes Gefäß ist.

6 Allzu eifrig hat man in dem Mädchen der Sonette ein bestimmtes Modell festhalten wollen, und es wurde neben Mina und Silvie auch noch Bettine Brentano genannt. Mit Bettine hat es eine eigene Bewandtnis: es kann kein Zweifel mehr sein, daß nicht Bettine in diesen Sonetten von Goethe besungen wird, sondern der romantische Kobold malte sich einen lyrischen Liebesroman aus, und Bettine verwob in ihrem späteren phantasiereichen Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" (1835) so geschickt Motive der Sonette in ihre fingierten Briefe an Goethe, daß es erscheinen mußte, er habe aus ihren Briefen die Motive für seine Sonette gewonnen6. Ob aber Mina, ob Silvie, ob Bettine mehr oder weniger „Modelle" gewesen sind, wen und wie die Person Goethe in diesen Monaten vom November 1807 bis zum September 1808 geliebt hat: das Mädchen der Sonette ist genau so wie die Ottilie der „Wahlverwandtschaften" und die Pandora des Festspiels, um nur die im gleichen Zeitraum konzipierten Figuren zu nennen, Geschöpf der Goetheschen Phantasie, die alle empirischen Personen zu dichterischen Gestalten erhöhte. Allzusehr schätzte man ferner die Sonette von 1807 und 1808 als bloße Kunst2 Müller

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Übung ein, als — wenn auch erstaunliche — handwerkliche Leistung, die aus einem artistischen Wettstreit entstanden, aus Freude am handwerklichen Können im geselligen poetischen Spiel geschaffen seien. Mag auch manches dieser Momente mitgesprochen und die schöpferische Situation mit ausgelöst haben: insgesamt kamen die Sonette aus innerstem Zwang. Weil Goethe von neuer Leidenschaft hingerissen wurde, in Jena wie in Karlsbad und Franzensbad, riß ihn das Sonettdichten hin als eine Möglichkeit, die Erregung des erhöhten Herzens zu mildern. Freilich, und das ist mehr als das Experiment des biographisch nachweisbaren Wettdichtens, gewinnt der Dichter im Sonettdichten zugleich mit der mildernden Bewältigung seiner Leidenschaftskonflikte die Distanz, sein Dichten gleichzeitig zu ironisieren und ästhetisch darüber zu reflektieren. Der Sonettdichter wird sich, in 3 Sonetten der Reihe, des Sonettdichtens im Sonettdichten bewußt und reflektiert den von ihm selbst an ihm selbst beobachteten Vorgang. Das geschieht schon im Motto: Liebe will ich liebend loben, Jede Form, sie kommt von oben. Lassen wir dahingestellt, ob die 2. Zeile eine Anspielung auf Schillers „Glocke" ist — „Doch der Segen kommt von oben" —: die Form erweist sich dem Liebenden als höhere Eingebung, die ihm notwendiger, adäquater Ausdruck für sein Erleben und die dadurch bewirkten Gehalte ist. Liebend zugleich die Liebe loben ist schon ein distanziertes Verhalten, und die Form reflektieren, sie als das unvermutet sich anbietende Gefäß ergreifen heißt das liebende Loben der Liebe schon als milderndes Tun gegenüber der Liebeserhöhung wahrzuhaben. Solche ästhetische Reflexion geschieht in den Sonetten XI, XIV und XV. Obwohl diese Sonette sehr überlegt in den zyklischen Zusammenhang eingefügt sind und keineswegs als störende Einlagen ausgeklammert werden dürfen, damit das Liebesgeschehen ungestört verlaufe 7 , seien sie doch voraus betrachtet, damit ihre Funktion als lyrische Verfremdung im Gesamtzyklus von vornherein klar werde. XI. Nemesis Wenn durch das Volk die grimme Seuche wüthet, Soll man vorsichtig die Gesellschaft lassen. Auch hab' ich oft mit Zaudern und Verpassen Vor manchen Influenzen mich gehütet. Und obgleich Amor öfters mich begütet, Mocht' ich zuletzt mich nicht mit ihm befassen. So ging mir's auch mit jenen Lacrimassen, Als vier- und dreifach reimend sie gebrütet. Nun aber folgt die Strafe dem Verächter, Als wenn die Schlangenfackel der Erinnen Von Berg zu Thal, von Land zu Meer ihn triebe. Ich höre wohl der Genien Gelächter; Doch trennet mich von jeglichem Besinnen Sonettenwuth und Raserei der Liebe. Einst ist der Dichter vor der „grimmen Seuche" des Sonettdichtens geflohen und hat sich vor dieser wie anderen „Influenzen" gleich Anfechtungen gehütet. Mit Amor wollte er sich nicht spielerisch befassen. Er lehnte auch das von A. W. Schlegel 1803 herausgegebene Schauspiel „Lacrimas" von Wilhelm von Schütz ab, das vier- und dreifach reimende Sonette (also etwa

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abba abba cde cde oder cdc cdc) enthielt. Verächtlich spricht der Dichter davon, man habe Sonette „gebrütet", aber nun folgt dem Verächter die Strafe: die Schlangenfackel der „Erinnen", der Erinyen, der grausamen Verkörperungen der Nemesis, der Rachegöttin, treibt ihn von Berg zu Tal, von Land zu Meer, ein ruheloser, schuldgepeinigter, gewissenbedrängter Orest. Wohl ist diese heraufbeschworene Mythe nicht ganz ernst gemeint. Im Kontrast ihres im Iphigeniedrama gestalteten tragischen Ernstes zu der Straftat der Sonettverachtung wird der Mythus verfremdet, der Dichter distanziert ihn, indem er ihn auf seine fast banale Situation anwendet, aber die wenn auch verfremdete Mythe verhüllt ein Ernstes. In der Orest-Reminiszenz wird des Dichters gegenwärtige Situation gleichermaßen verhüllt wie enthüllt: der Dichter, das Ich der Sonette, verfiel der „Sonettenwut" 8 , weil er der „Raserei der Liebe" 9 anheimfiel, und beide Phänomene drohen ihn von jeglichem Besinnen zu trennen. Er hört im Reigen der Erinyen, die seine Verachtung des Sonettes rächen, „der Genien Gelächter", es sind die Genien der Liebe und der Dichtung, die in Gelächter ob des unklugen Kostverächters ausbrechen, und diesen von ihm verlachten Genien muß er nun seinen Tribut zahlen, indem er seine doppelte Bedrängnis — „Sonettenwut und Raserei der Liebe" — im Sonett aussagt. Damit geht der lyrische Vorgang schon wieder über eine ästhetische Reflexion hinaus. Die der Liebesraserei gleichsam Pari bietende Sonettenwut meint die Grundspannung von Erhöhung und Milderung, die auch in der lyrischen Verfremdung noch als Kernmotiv des Gedichtreigens erkennbar wird. Ähnliches gilt von den Sonetten XIV und XV: XIV. Die Zweifelnden Ihr liebt, und schreibt Sonette! Weh der Grille! Die Kraft des Herzens, sich zu offenbaren, Soll Reime suchen, sie zusammenpaaren; Ihr Kinder, glaubt, ohnmächtig bleibt der Wille. Ganz ungebunden spricht des Herzens Fülle Sich kaum noch aus: sie mag sich gern bewahren; Dann Stürmen gleich durch alle Saiten fahren; Dann wieder senken sich zu Nacht und Stille. Was quält ihr euch und uns, auf jähem Stege Nur Schritt vor Schritt den läst'gen Stein zu wälzen. Der rückwärts lastet, immer neu zu mühen? Die Liebenden Im Gegentheil, wir sind auf rechtem Wege! Das Allerstarrste freudig aufzuschmelzen Muß Liebesfeuer allgewaltig glühen. XV. Mädchen Ich zweifle doch am Ernst verschränkter Zeilen! Zwar lausch' ich gern bei deinen Sylbespielen; Allein mir scheint, was Herzen redlich fühlen, Mein süßer Freund, das soll man nicht befeilen. Der Dichter pflegt, um nicht zu langeweilen, Sein Innerstes von Grund aus umzuwühlen; Doch seine Wunden weiß er auszukühlen, Mit Zauberwort die tiefsten auszuheilen. 2»

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Dichter Schau, Liebchen, hin! Wie geht's dem Feuerwerker? Drauf ausgelernt, wie man nach Maßen wettert, Irrgänglich-klug minirt er seine Grüfte; Allein die Macht des Elements ist stärker, Und eh' er sich's versieht geht er zerschmettert Mit allen seinen Künsten in die Lüfte. Beide Sonette geben sich in Dialogform (eine schon von den Troubadours geübte Sonderform, in der die rationale Struktur des Sonetts dialektisch gespannt wird10). Kann die kunstvolle Art der Reimepaarung der Herzensfülle mit ihrem bewegten Auf und Ab von Ruhe, Sturm und wieder Stille gerecht werden, wenn schon „des Herzens Fülle" nicht einmal ungebunden sich ausspricht, da den Dichter kein Sprechen adäquat dünkt? 11 So fragen die Zweifelnden, und im 1. Terzett von XIV sind die gehäuften ä-Laute zweifellos unmittelbarer Klangausdruck der quälenden Zweifel. Ist der Versuch, im Sonett der herzbewegenden Liebe Herr zu werden, nicht Grille, Qual und sinnlose Mühsal, wie das rückwärts lastende Steinewälzen, das auf den Mythos von Sisyphus anspielt? So zweifelt in XV das Mädchen „am Ernst verschränkter Zeilen", an der Gefühlsechtheit der „Sylbespiele" — redliches Herzensfühlen kann man doch nicht „befeilen" — hier klingt Goethes anfänglicher Stoßseufzer vom „Leimen" wieder durch —, und hier mag man überhaupt die immer regen Zweifel des auf Unmittelbarkeit bedachten Lyrikers Goethe spüren, der das Kennzeichen der Gattung Lyrik als der einen der drei Naturformen der Dichtweisen in der enthusiastischen Aufgeregtheit sah, freilich dann auch das Lyrische im Ganzen vernünftig, nur im einzelnen ein bißchen unvernünftig haben wollte.12 Doch das Mädchen weiß auch: der Dichter, der sein Innerstes von Grund aus umwühlt, versteht seine Wunden auszukühlen, „Mit Zauberwort die tiefsten auszuheilen". Auch die unmittelbar enthusiastische dichterische Aussprache ist sprachgestaltete formgewordene Aussage. Das tiefste Gefühl, der brennendste Schmerz ist in der Magie des Wortes, in der lebenden Gestalt der schönen Form bewußt gemacht. Die Liebenden und der Dichter antworten in diesem Sinn: in der Spannung der dialektischen Bezogenheit von „Allerstarrstem", dem vorgegebenen Formschema, und dem aufschmelzenden Liebesfeuer liegt der lyrisch schöpferische Akt des Liebesbekenntnisses. Der Feuerwerker, hier überhaupt als Sprengmeister zu verstehen, der Felsen sprengt und in Bergwerken die Grüfte miniert, „Drauf ausgelernt, wie man nach Maßen wettert", der das Element klug zu beherrschen glaubt und seine Grüfte „irrgänglich-klug" miniert, muß doch erfahren: Allein die Macht des Elements ist stärker, Und eh er sichs versieht, geht er zerschmettert Mit allen seinen Künsten in die Lüfte. Das Bild ist drastisch und erschreckend. Geht es denn um eine Katastrophe? Aber wenn der liebende Sonettdichter sich mit dem Feuerwerker vergleicht, dann deutet er im Sonettgespräch mit der Liebenden an, daß die Wahl des Sonetts keinesfalls eine Garantie für ein lustig-geplantes Silbespiel und Reimesuchen ist, sondern, weil Herzensfülle drängt und „Liebesfeuer allgewaltig glüht", das Innerste umgewühlt ist, wettert das Sonett als Liebesbekenntnis nicht mehr klug gesteuert nach Maßen, sondern wird von der elementaren Gewalt gesprengt — doch eben dies wird noch im Sonett gesagt! —, das Kunstvolle wird zerschmettert. In der Sonettform, die solches ihr Entgegengesetztes in sich bergen muß, wird die Sonettform damit selbst zum unmittelbaren Ausdruck des Sprengenden, aber das Sprengende wird als Ausdruck im Sonett gleichsam poetisch paralysiert.

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X I V und X V gehen somit bei aller ironischen Retardierung des Liebesgeschehens in der dialogischen Besinnung über die Sonettform in das Liebesgeschehen selbst mit ein. J a das Bild vom zerschmetterten Feuerwerker weist eindringlich auf die Gefahr hin, tatsächlich im Liebeserlebnis, in der Leidenschaftsvergegenwärtigung zerschmettert zu werden. Und andererseits wird nun von diesem distanzierenden, retardierenden Sonett her das gewaltige lyrische Thema sichtbar: elementar Sprengendes, ungebunden Drängendes bannt sich in das bändigende Form-Gefäß, das aber nicht als ein vom Gehalt zu trennendes verstanden werden darf, sondern als Gefäß, dessen Starrheit aufgeschmolzen wird vom Liebesfeuer, das es tragen muß, so daß Trank und Gefäß ein gefährliches Feuerwerk bilden. Die drei Sonette ergeben sich demnach als bewußte lyrische Verfremdungen, deren Funktion im Gesamtzyklus analog dem die Leidenschaft immer wieder bändigenden Besinnen zu verstehen ist. Gerade solche motivsymbolischen Bezüge, die aus dem Innern des Einzelsonetts zur Gesamtdichtung leiten, charakterisieren die feingliedrige Struktur der Sonette, die übrigens stets das gleiche Reimschema abba abba cde cde aufweisen und immer weibliche Versendungen haben.

7 Es ist somit die interpretatorische Aufgabe, den inneren Nexus, die zyklische Kontinuität durchsichtig zu machen. Die Sonette bilden eine lyrisch gefaßte Liebesgeschichte mit tiefen Konflikten und mannigfaltigen Phasen, die von enthusiastischer Unmittelbarkeit bis zu ironisierender Distanzierung und zu versöhnlichem Verzicht reichen,13 I. Mächtiges Überraschen Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale Dem Ocean sich eilig zu verbinden; Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen, Er wandelt unaufhaltsam fort zu Thale. Dämonisch aber stürzt mit einem Male — Ihr folgten Berg und Wald in Wirbelwinden — Sich Oreas, Behagen dort zu finden, Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schale. Die Welle sprüht, und staunt zurück und weichet, Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken; Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben. Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet; Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben. Mächtiges Überraschen ist transitiv gefügt und meint machtvolles Überraschtwerden durch Leidenschaftsüberwältigung. Der Vorgang wird ganz in ein großes Symbolfeld eingefangen. Es ist das Bild des Stromes, das im Jugendhymnus Goethes, in „Mahomets Gesang", in dem unaufhaltsam zu Tal und ins Meer fließenden Strom Sinnbild schöpferischer Fruchtbarkeit wird. Auch im Sonett kommt der Strom aus dem Felsenquell und drängt zu Tal, zum Ozean. Doch nun setzen Berg und Wald dem unaufhaltsam scheinenden Lauf einen Halt, mythisch personifiziert in der Bergnymphe Oreas. Dies Gegenwirken ist nicht nur ebenso elementar wie der Wandel des Wassers vom hochgelegenen Felsensaal bis zum Bergwaldhindernis, sondern „dämonisch": das Dämonische, einer von Goethes Grundbegriffen, den er insbesondere im

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X I V und X V gehen somit bei aller ironischen Retardierung des Liebesgeschehens in der dialogischen Besinnung über die Sonettform in das Liebesgeschehen selbst mit ein. J a das Bild vom zerschmetterten Feuerwerker weist eindringlich auf die Gefahr hin, tatsächlich im Liebeserlebnis, in der Leidenschaftsvergegenwärtigung zerschmettert zu werden. Und andererseits wird nun von diesem distanzierenden, retardierenden Sonett her das gewaltige lyrische Thema sichtbar: elementar Sprengendes, ungebunden Drängendes bannt sich in das bändigende Form-Gefäß, das aber nicht als ein vom Gehalt zu trennendes verstanden werden darf, sondern als Gefäß, dessen Starrheit aufgeschmolzen wird vom Liebesfeuer, das es tragen muß, so daß Trank und Gefäß ein gefährliches Feuerwerk bilden. Die drei Sonette ergeben sich demnach als bewußte lyrische Verfremdungen, deren Funktion im Gesamtzyklus analog dem die Leidenschaft immer wieder bändigenden Besinnen zu verstehen ist. Gerade solche motivsymbolischen Bezüge, die aus dem Innern des Einzelsonetts zur Gesamtdichtung leiten, charakterisieren die feingliedrige Struktur der Sonette, die übrigens stets das gleiche Reimschema abba abba cde cde aufweisen und immer weibliche Versendungen haben.

7 Es ist somit die interpretatorische Aufgabe, den inneren Nexus, die zyklische Kontinuität durchsichtig zu machen. Die Sonette bilden eine lyrisch gefaßte Liebesgeschichte mit tiefen Konflikten und mannigfaltigen Phasen, die von enthusiastischer Unmittelbarkeit bis zu ironisierender Distanzierung und zu versöhnlichem Verzicht reichen,13 I. Mächtiges Überraschen Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale Dem Ocean sich eilig zu verbinden; Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen, Er wandelt unaufhaltsam fort zu Thale. Dämonisch aber stürzt mit einem Male — Ihr folgten Berg und Wald in Wirbelwinden — Sich Oreas, Behagen dort zu finden, Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schale. Die Welle sprüht, und staunt zurück und weichet, Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken; Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben. Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet; Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben. Mächtiges Überraschen ist transitiv gefügt und meint machtvolles Überraschtwerden durch Leidenschaftsüberwältigung. Der Vorgang wird ganz in ein großes Symbolfeld eingefangen. Es ist das Bild des Stromes, das im Jugendhymnus Goethes, in „Mahomets Gesang", in dem unaufhaltsam zu Tal und ins Meer fließenden Strom Sinnbild schöpferischer Fruchtbarkeit wird. Auch im Sonett kommt der Strom aus dem Felsenquell und drängt zu Tal, zum Ozean. Doch nun setzen Berg und Wald dem unaufhaltsam scheinenden Lauf einen Halt, mythisch personifiziert in der Bergnymphe Oreas. Dies Gegenwirken ist nicht nur ebenso elementar wie der Wandel des Wassers vom hochgelegenen Felsensaal bis zum Bergwaldhindernis, sondern „dämonisch": das Dämonische, einer von Goethes Grundbegriffen, den er insbesondere im

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20. Buch von „Dichtung und Wahrheit" im Zusammenhang mit der Egmont-Interpretation beschrieben hat, durchkreuzt, zwischen dem Göttlichen und dem Teuflischen schwankend, so gern die moralische Weltordnung, und gegen seine unglaubliche Gewalt vermögen alle vereinten sittlichen Kräfte nichts; so schöpferisch es in einigen bedeutenden Menschen wie Mozart und Napoleon zu wirken vermag, so kann es auch zerstören. Gegenüber dieser gefährlichen Ambivalenz müssen wir mit unserer besseren Natur kräftig durchhalten und den Dämonen nicht mehr Gewalt einräumen als billig. Im Sonett I durchkreuzt das Dämonische die ursprüngliche Richtung des Flusses, seinen Lauf hemmend und begrenzend. Die dämonisch-elementare Entfaltung des Gegengewichts wird in Wirbelwinden deutlich; in deren dämonischem Stürzen hat Bergwaldkraft „Behagen", ein unheimliches Behagen. Das herabrauschende Wassergefälle ist machtvoll, aber ihm hält der machtvolle Gegensturz das Gleichgewicht, das ihn schließlich bezwingt. Die gehemmte Welle sprüht gegen die Schranke, „staunt" ob der Gegengewalt und muß ihr weichen, aber der Strom schwillt bergan, zurück in Richtung der Quelle. Es ist nicht Kapitulation, doch schmerzlicher Verzicht, sich immer selbst zu trinken. Das Fazit: gehemmt zum Vater ist das Streben — in „Mahomets Gesang" dagegen flehen die Brüder Gewässer den Bruder Strom an, sie zum Vater Ozean mitzunehmen, und er trägt sie auch alle „dem erwartenden Erzeuger Freudebrausend an das Herz". Gegen das Unaufhaltsame der 1. Strophe steht in der 2. und 3. das Gehemmtwerden, in der 2. als dramatischer Vollzug, in der 3. als vollzogenes Ereignis; in der 4. heißt das Resultat: ein neuer Zustand, ein See ist entstanden — Goethe nimmt damit im dichterischen Bild den Prozeß der Entstehung einer Talsperre vorweg, wie er den Panamakanal voraussagte —, und der neue See bildet inmitten von Wald und Felswelt ein neues Leben, mit beruhigtem Wellenschlag, so daß sich im neuen Naturgebild Sterne spiegeln können. Hier tritt die motivische Verklammerung des ganzen Sonetts zutage: in Strophe 1 steht schon „spiegeln"; das klare Quellwasser, in eilig drängender Bewegung, ist blanker Spiegel, der mit dem Wandel wechselt. Grund zu Gründe erscheinen nacheinander, den jungen Strom lockt nichts. Das Spiegeln ist geradezu Zeugnis des Fortgangs. In Strophe 4 geschieht es nicht vom Grund, sondern von oben: nun ist das zum See beruhigte Wasser Spiegel der Gestirne, die das Blinken des Wellenschlags bewirken. In Strophe 2 ist das Hemmen eine dämonische Aktion, in 3 ist gehemmtes Streben schmerzlicher Verzicht, Leid eines edlen naturbedingten Verlangens, in 3 ist die Welle das widerwillig Gebändigte, das auf sich selbst verwiesen. In 4 wird die Welle zum See, dessen Wellenschlag die sich spiegelnden Gestirne aufnimmt und neues Leben gründet. In Strophe 1 ist Felsensaal der Ursprung elementaren Lebens, in 4 wird der Fels zur Begrenzung des zum See gedeichten elementaren Stroms. Diese verschlungene Symbolik bezieht sich auf die Liebeserfahrung: die Leidenschaftsliebe kann nicht wie in „Mahomets Gesang" alles Entgegenstrebende in den Ozean fortreißen, da ihr Gegen-Liebe begegnet. Liebe hat ihren Gegen-Stand, der das Gefälle begrenzt. Das dämonische Fortstürmen wird vom dämonischen Auffangen gehemmt. Im neuen Leben des Sees mit dem leisen Wellenschlag kommt die leidenschaftlich erhöhte Liebe zu sich selbst. Im strengen Sonettgang werden beide elementaren Bewegungen gebändigt. I I . Freundliches Begegnen Im weiten Mantel bis an's Kinn verhüllet Ging ich den Felsenweg, den schroffen, grauen, Hernieder dann zu winterhaften Auen, Unruh'gen Sinns, zur nahen Flucht gewillet. Auf einmal schien der neue Tag enthüllet: Ein Mädchen kam, ein Himmel anzuschauen, so musterhaft wie jene lieben Frauen Der Dichterwelt. Mein Sehnen war gestillet.

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Doch wandt' ich mich hinweg und ließ sie gehen Und wickelte mich enger in die Falten, Als wollt' ich trutzend in mir selbst erwarmen; Und folgt' ihr doch. Sie stand. Da war's geschehen! In meiner Hülle könnt' ich mich nicht halten, Die warf ich weg, Sie lag in meinen Armen. Eine neue lyrische Phase, eine neue Station der Liebesentfaltung — eine seltsame Fluchtsituation: Auf schroffem Felsenweg — Reminiszenz an Mignons Lied der Sehnsucht, zugleich auch Vergegenwärtigung Jenenser Landschaft —, im Mantel verhüllt will der Liebende vor seiner Leidenschaft fliehen: Da begegnet ihm das Mädchen — Strophe 1 verhält sich zu Strophe 2 wie These zur Antithese, „Auf einmal" ist die Gegenwendung. Schon das Anschaun des Mädchens stillt das Sehnen, das den Liebenden „unruhigen Sinns" machte und zur Flucht trieb. Der neue Tag enthüllt sich mit dem Erscheinen der Geliebten, sie ist „ein Himmel anzuschauen", die Fügung macht Erscheinung und Bild identisch, „musterhaft" ist sie, den Frauen der Dichterwelt gleich, nämlich Dantes Beatrice und Petrarcas Laura, „musterhaft in Freud und Qual" wird später der Divan-Dichter Hatem und Suleika im Gedicht „Wiederfinden" nennen, idealgestaltet, vorbildlich lebend und liebend. Noch einmal versucht Strophe 3 eine trutzende Abwendung, die erste These scheint sich zu wiederholen, aber das Anschauen der Musterhaften, die Enthüllung eines neuen Tages, eines Himmels der Liebe kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, analog der Folge des Terzetts, mit dem die Stufe der Quartette ein für allemal verlassen wurde. So folgt dem schwachen „Doch" in 3, dem „trutzen", das doch nur ein Als-ob (und in der altertümlichen Prägung ist das Krampfhafte der Gebärde deutlich), ein starkes, das 1. Terzett überholendes antithetisches „Und . . . doch", das in lakonischer Aktion zur Synthese des enthusiastischen Effekts führt. Die weggeworfene Hülle greift zum Anfangsmotiv des Verhülltseins zurück, und was sich im 2. Quartett schon enthüllte, wird auch durch das „Und wickelte mich enger in die Falten" im retardierenden 1. Terzett nicht wieder verhüllt. Nicht nur vom Anschaun wie bei den alten Dichtern war das Sehnen gestillt, das Ende der 2. Strophe war voreilige Selbsttäuschung, sondern erst durch das hüllenlose Arm in Arm. III. Kurz und gut Sollt' ich mich denn so ganz an Sie gewöhnen? Das wäre mir zuletzt doch reine Plage. Darum versuch' ich's gleich am heut'gen Tage, Und nahe nicht dem vielgewohnten Schönen. Wie aber mag ich dich, mein Herz, versöhnen, ' Daß ich im wicht'gen Fall dich nicht befrage? Wohlan! Komm her! Wir äußern unsre Klage In liebevollen, traurig heitern Tönen. Siehst du, es geht! Des Dichters Wink gewärtig Melodisch klingt die durchgespielte Leier, Ein Liebesopfer traulich darzubringen. Du denkst es kaum und sieh! das Lied ist fertig; Allein was nun ? — Ich dächt' im ersten Feuer Wir eilten hin, es vor ihr selbst zu singen.

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Ursprünglich hieß das Sonett: „Gewöhnung". Die endgültige Überschrift deutet auf eine prägnante Schlußwendung. Sie erfolgt nach einem paradoxalen lyrischen Verlauf. Noch einmal versucht der Liebende die Abwehr, möchte der völligen Liebesbindung widerstehen, die sich als „vielgewohntes Schöne" andrängt, aber auch als „reine Plage" droht. Doch das Herz läßt sich nicht beschwichtigen. Von Strophe 2 an vollzieht sich alles präsentisch im Dichten, im Werden des Sonetts selbst. Aus dem lyrischen Moment fügt sich die strenge Gestalt: die Geliebte wird im Lied besungen, das sich als Sonett realisiert. Unruhiges Herz und dichtendes Bewußtsein sind das Wir, das „in liebevollen, traurig-heitern Tönen" klagen will. Der Sonettgesang ist eine Helldunkelkunst. Traurig-heiter ist zudem ein romantisches Mischgefühl — schon solche Nähe macht es unwahrscheinlich, daß die Phase, da das Herz aufgefordert wird, sich im distanzierenden Dichten zu versöhnen, endgültig ist. Zunächst freilich entsteht im 1. Terzett das Sonett-Lied vor unseren Augen und Ohren, und im entstehenden Lied scheint es dem Dichter möglich, „ein Liebesopfer traulich darzubringen", kein Liebesopfer in persona, sondern in melodisch durchgespielter Leier — das wird dem Herzen als annehmbar suggeriert, das erspart die verpflichtende Nähe und ist doch „traulich", besänftigt die Unruhe im Lied. Aber wird es dem verlangenden Herzen genügen, schwingt schon leise die Frage auf. Im 1. Vers der 4. Strophe scheint der Versuch zu gelingen: das aus dem distanzierenden Willen des Dichters geborene Lied ist fertig — doch wir sind noch nicht am Ende des den Vorgang repräsentierenden Sonetts. Die Frage: „Allein was nun?" ist schon die blitzschnelle Gegenwendung: das Herz drängt das Willens-Ich, das Lied der Geliebten selbst hinzubringen, „es vor ihr selbst zu singen", womit die Distanz aufgehoben, der Sinn des intendierten Opfers umgekehrt ist: nicht das Lied ist das. traulich gedachte Opfer, kein stellvertretendes Opfer ist möglich, der liebende und geliebte Dichter wird selbst das Opfer, das sein Herz auch will. Man kann die Durchsichtigkeit des Sonettgeschehens noch einmal von den Terzettreimen her begreifen, in denen nach Schlegel „der Fortgang des Gedankens mit dem Gleichlaut" zusammentrifft: dem „gewärtig" korrespondiert „fertig", das vom Dichter Gewollte gelingt, doch schon steht gegen „Leier", den distanzierenden Gesang, „Feuer" — Freude über das Gelungene und Drang, es vor die Geliebte zu bringen, da es sich nur in ihrer Gegenwart als gelungen bewähren kann, einen sich im Feuer des Aufbruchs; ging es noch am Ende des 1. Terzetts darum, statt der sich bindenden Person das Opfer des Liedes „darzubringen", so antwortet am Ende des Sonetts das „singen" vor ihr selbst. IV. Das Mädchen spricht Du siehst so ernst, Geliebter! Deinem Bilde Von Marmor hier möcht' ich dich wohl vergleichen; Wie dieses gibst du mir kein Lebenszeichen; Mit dir verglichen zeigt der Stein sich milde. Der Feind verbirgt sich hinter seinem Schilde, Der Freund soll offen seine Stirn uns reichen. Ich suche dich, du suchst mir zu entweichen; Doch halte Stand, wie dieses Kunstgebilde. An wen von beiden soll ich nun mich wenden ? Sollt' ich von beiden Kälte leiden müssen, Da dieser todt und du lebendig heißest ? Kurz, um der Worte mehr nicht zu verschwenden, So will ich diesen Stein so lange küssen, Bis eifersüchtig du mich ihm entreißest.

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Die Handschrift trägt das Datum des 6. 12. 1807. Zu Begegnung und Wiederbegegnung kam es in den Sonetten I I und I I I , weil nach I Leidenschaft und Gegenliebe zu neuem Leben erwuchsen. Der leidenschaftlich ergriffene Dichter entzieht sich vergeblich der Begegnung, wie er sich vergeblich durch dichterische Gestaltung des Liebeserlebnisses zu distanzieren suchte. Das Gedicht selbst treibt ihn zum Quell der künstlerischen Eingebung zurück. Nun wechselt die lyrische Perspektive: das Mädchen, die Geliebte und Liebende, hat das Wort. Sie hat das Bild des Geliebten in Marmor. Seine lebendige Gestalt ist in Kunstgestalt eingegangen. Dies reizt zum Vergleich: beide geben kein Lebenszeichen, doch während es zum Wesen des Steins und Steinbildes gehört, leblos zu sein, kann dies nicht Wesen des lebenden Vorbildes sein. Wenn aber der lebend Geliebte kein Zeichen gibt, so ist das härter als das Schweigen des Marmors. Als nichtausgesprochenes Zwischengeschehen zwischen den Sonetten II, I I I einerseits und IV andererseits ergibt sich: nach Begegnung und Annäherung hat sich der Geliebte wieder entfernt. Immer wieder entzieht er sich ihr, das beklagt sie. Sie bekennt sich zu ihrer Liebe. In dieser poetischen Situation ist ebensoviel geheimer Wunsch des Dichters, daß die Geliebte so bewußt-aktiv, so entschlossen in ihrer Liebe sei, wie die erstaunt wahrgenommene Erfahrung bestätigt, daß sie ihn in leidenschaftlichem Zudrang sucht: „Ich suche dich, du suchst mir zu entweichen." Dies aber tut das Kunstgebild nicht, es hält stand. So möge er ihrem Suchen, das ein Begehren ist, standhalten, sich ihr nicht entziehen. Der Vergleich zwischen Urbild und Abbild setzt ein zweites Mal im Abbild fast ein Vorbild im Sinn des Musterhaften: der Stein ist milde auch im versteinerten Schweigen. Er kann kein Lebenszeichen geben, er ist ohne Absicht des Sichverbergens stumm. In der 2. Strophe ist die Festigkeit des Steins Vorbild gegenüber dem Versuch des Urbilds zu entweichen. In diesen wieder aufgenommenen Vergleich zwischen Marmorbild und Lebensgestalt ist in Vers 1 und 2 von Strophe 2 ein zweiter antithetischer Vergleich eingebaut: nur „Der Feind verbirgt sich hinter seinem Schilde,Der Freund soll offen seine Stirn uns reichen". Wer sich wie ein Steinbild ohne Lebenszeichen verhält und wer im Unterschied zum beharrenden Stein nicht standhält, sich entzieht, der muß ein Feind sein. Aber in dieser verwickelten, zweifachen antithetischen Komparation wird der Liebeswunsch des Mädchens dichterisch offen; sie ersehnt ein Lebenszeichen vom Geliebten und erhofft sein Standhalten, damit sie ihn suchend erreicht. Sie erhofft sich ihn als offen sich zeigenden Freund. Zu Beginn der Terzette ist die Situation noch unentschieden. Alles steht in Frage: „An wen von beiden soll ich nun mich wenden?" Alle vergleichenden Antithesen sind auf neuer Stufe wirksam: von beiden Kälte, vom toten Stein (was seines Wresens ist) wie vom lebendigen Urbild? Aber wie kann die Liebende vom Lebendigen Kälte leiden müssen? Das ganze 1. Terzett wird in drängend banger Frage zur Klage und Anklage. Doch das 2. Terzett fängt die fragend-klagende Hilflosigkeit des 1. Terzetts mit entschlossener Wendung auf: „Kurz . . .", wenn der tote Stein mir nur gegenwärtig ist, der zwar liebendem Andrang standhält, aber kein atmendes Zeichen geben kann, „So will ich diesen Stein so lange küssen, Bis eifersüchtig du mich ihm entreißest", die durchaus magische Gebärde einer suchenden, verlangenden, halb schon verzweifelnden Liebe. Die Liebende will der fernen Kälte des Geliebten durch Erweckung seiner Eifersucht entreißen, daß er sie dem Stein entreißt als seinem ungeheuerlichen, weil unlebendigen Nebenbuhler. Das Mädchen spricht, das liebende Mädchen handelt in der die Antithesen Stein und Leben, Milde und Härte, standhalten und entweichen, Feind und Freund, tot und lebendig übergreifenden magischen Gebärde. In den hier die Struktur des Sonetts motivisch bestimmenden Antithesen läßt der Dichter mitfühlend-bewundernd die Liebeskraft einer Frau Gestalt werden. V. Wachsthum Als kleines art'ges Kind nach Feld und Auen Sprangst du mit mir, so manchen Frühlingsmorgen. „Für solch ein Töchterchen, mit holden Sorgen, Möcht' ich als Vater segnend Häuser bauen!"

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Und als du anfingst in die Welt zu schauen, War deine Freude häusliches Besorgen. „Solch eine Schwester! und ich war' geborgen: Wie könnt' ich ihr, ach! wie sie mir vertrauen!" Nun kann den schönen Wachsthum nichts beschränken; Ich fühl' im Herzen heißes Liebetoben. Umfass' ich sie, die Schmerzen zu beschwicht'gen ? Doch ach! nun muß ich dich als Fürstin denken: Du stehst so schroff vor mir emporgehoben; Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flücht'gen. Die Handschrift mit dem Datum des 13. 12. 1807 befand sich in Mina Herzliebs Besitz. Ursprünglich hieß das Sonett „Wachsende Neigung". Wachstum heißt wachsende Neigung und zugleich Steigerung: dem kleinen artgen Kind, das unbeschwert durch die Frühlingsauen springt, will der sie spazierenführende ältere Dichter Vater sein, es ist ein biblisch-idyllischer Ton, Patriarchalisches schwingt mit. In der 2. Strophe zeitraffend die neue Situation: aus dem kindlichen Töchterchen, um das sich ein Vater sorgt, wird die häuslich sorgende, schwesterlich anmutende Jugendgestalt. In ihrer schwesterlichen Sorge, ihrer sorgenden Schwesterlichkeit könnte sich der Ältere geborgen fühlen in gegenseitigem Vertrauen. Ein Gleichstand ist im gegenseitigen Verhältnis trotz des Altersunterschieds erreicht. Aus väterlichem Empfinden ward ein brüderliches. Nun die Zäsur: Mit dem unaufhaltsamen natürlichen Wachstum der Heranwachsenden muß die Neigung zur sich entfaltenden jungen Frau wachsen, und nun wird es frei herausgesagt, was den Dichter durchdringt: „heißes Liebetoben". Dies ist mit Schmerzen verbunden, weil es ungestilltes Sehnen heißt. Die Liebe bricht als Elementargewalt durch. Die Frage drängt: „Umfass ich sie, die Schmerzen zu beschwicht'gen?" Nur Erfüllung könnte die Sehnsuchtsschmerzen, das dämonische Liebesverlangen beschwichtigen, aber mit dem Einsatz des 2. Terzetts kommt das einhaltende: „Doch ach!" Die heiß Umworbene, glühend Ersehnte wird eben durch dieses Elementargefühl ferngerückt. Die kürzlich noch als Kind und Schwester nah schien und vertraut war, dann als Geliebte schon in der Frage der Liebesumfassung stand, ist eben deshalb, weil sie dem Liebenden höchster Lebenswert geworden, als Fürstin emporgehoben, unerreichbar im Moment, da nur die Erreichbarkeit der hochgewachsenen und hochgesteigerten Neigung entsprechen könnte, und der nun so schroff vom Liebenden Geschiedenen beugt er sich, beugt sich vor dem „Blick, dem flücht'gen". Sie scheint den bisher ihr Vertrauten nur mit flüchtigem Blick wahrzunehmen — das kann beides meinen: sie übersieht den Liebenden in seiner heißen Werbung, aber auch: sie flieht mit ihrem Blick vor seiner huldigenden Gebärde. Ihre schroffe fürstliche Haltung ist nur sein Eindruck, zugleich Ausdruck ihres natürlichen Wachstums. Vor ihm steht eine reife liebesbereite und liebesfähige Frau, die sich dieser ihrer neuen Wachstumsstufe noch gar nicht bewußt ist. Die Situation bleibt nach der intensiven Variation des Wachstumsmotivs völlig offen. VI. Reisezehrung Entwöhnen sollt' ich mich vom Glanz der Blicke, Mein Leben sollten sie nicht mehr verschönen. Was man Geschick nennt, läßt sich nicht versöhnen, Ich weiß es wohl und trat bestürzt zurücke. Nun wüßt' ich auch von keinem weitern Glücke; Gleich fing ich an von diesen und von jenen Nothwend'gen Dingen sonst mich zu entwöhnen: Nothwendig schien mir nichts als ihre Blicke.

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Des Weines Gluth, den Vielgenuß der Speisen, Bequemlichkeit und Schlaf und sonst'ge Gaben Gesellschaft wies ich weg, daß wenig bliebe. So kann ich ruhig durch die Welt nun reisen: Was ich bedarf ist überall zu haben, Und Unentbehrlichs bring' ich mit — die Liebe. Ursprünglich hieß das an Zelter gesandte Sonett „Entsagung". Sonett I I I hieß zuerst „Gewöhnung" : Leidenschaft, einmal aufgebrochen, will sich nicht an Distanz gewöhnen — Sonett VI beginnt mit dem Motiv: „Entwöhnen" — kann sich der Liebende, nachdem er sich einmal an Erscheinung und Gegenwart der Geliebten gewöhnte, ihrer wieder entwöhnen? Dies Stadium muß nun seit V erreicht sein: wie soll er sich entwöhnen, ohne daß sein Leben sich völlig ändert? Das ganze Sonett VI bedeutet eine Gegenwendung zu allem Vorhergehenden: Wie sieht das Leben aus, w e n n man sich der Liebe entwöhnen, ihr entsagen muß ? Wenn man auf Reise geht, Abschied nehmen muß, an Aufbruch denkt (ob man in der realen Welt von Jena nach Weimar zurückgeht, wie am 18. 12. 1807, oder von Karlsbad aufbricht, wie im September 1808), die lyrische Situation ist schmerzlich. Wenn der Glanz ihrer Blicke nicht mehr das Leben verschönt, wenn ein unversöhnliches Geschick den von ihm Betroffenen bestürzen will, dann gibt es kein weiteres Glück. Die 2. Strophe folgert aus dem Leitmotiv des Entwöhnens: wessen man sich auch sonst noch entwöhnen mag, nichts erscheint mehr notwendig. Von den sonst so notwendig erschienenen Dingen ist nichts mehr notwendig im Vergleich zu ihren Blicken. Sie allein sind notwendig, und auf dies allein Notwendige heißt es zu verzichten. Das Ende von Strophe 2 greift auf den Anfang von 1 zurück, beide Male, motivisch verbunden-, Entwöhnung und Blicke. Es ist eine intensivierende Wiederholung: mich ihrer Blicke entwöhnen, soll ich's wirklich? Das hebt jeden Wert und jeden Begriff von Notwendigkeit auf. Das 1. Terzett zählt alle sonst geliebten Lebenswerte her, kräftig sinnenhafte — Wein, Speise, Schlaf, Gesellschaft —, er braucht sie nicht mehr. Wenig bleibt von allem, wenn das Kostbarste fehlt. Das 2. Terzett hebt stoisch an, bitter aber klingt es durch: wenig Reisezehrung brauch ich; das wenige, dessen ich bedarf, um physisch leben zu können, ist überall — und es ist überall entbehrlich. Wahrhaft notwendig, wahrhaft unentbehrlich ist die Liebe, die Geliebte, sind ihre Blicke. Antithetisch Gesetztes: des Notwendigen sich entwöhnen heißt alles scheinbar Notwendige leicht entbehren — wird nun in der komplexen Abschiedssituation zusammengesehen. Das Unentbehrliche, von dem ich mich trennen, muß, die Gegenwart der Geliebten mit ihren lebensstiftenden Blicken ist paradoxerweise das Unentbehrliche, das ich dennoch mit mir trage und überallhin mitnehme, die Liebe selbst. Sie hat im Sonett das letzte Wort. VII. Abschied War unersättlich nach viel tausend Küssen, Und mußt' mit Einem Kuß am Ende scheiden. Nach herber Trennung tiefempfundnen Leiden War mir das Ufer, dem ich mich entrissen, Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln, Flüssen, So lang ich's deutlich sah, ein Schatz der Freuden; Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden An fernentwichnen lichten Finsternissen Und endlich, als das Meer den Blick umgränzte, Fiel mir zurück in's Herz mein heiß Verlangen; Ich suchte mein Verlornes gar verdrossen.

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Da war es gleich als ob der Himmel glänzte; Mir schien, als wäre nichts mir, nichts entgangen, Als h ä t t ' ich alles, was ich je genossen. Ursprünglich hieß dies Sonett „Jähe Trennung" — um solchen gesteigerten Abschied geht es. Ob man eine neue Abschiedssituation gegenüber VI annimmt oder ob in VII der Abschied von VI zum Abschiedsmoment zugespitzt wird, ist wohl das gleiche: in andrer lyrischer Vergegenwärtigung heißt die poetische Spannung Abschied bei unersättlicher Liebe (die Fülle des Genossenen ist nur mit der mythischen Großzahl lyrisch anzudeuten) und das nach der unerbittlichen schmerzvollen Trennung in der Fremde zu Bewahrende. Gegenüber VI ist es nicht nur mit dem leidenschaftlich-stürmischen Einsatz der Moment des Aufbruchs und ein Vorblick ins „Überall", sondern, wenn auch präterital abgerückt, das Hinweggleiten in konkreter Flußfahrt. Das noch rtahe Ufer erst: ein Schatz der Freuden, Ort des Liebesgeschehens, gegenständlicher Erinnerung, dann versinkt alles im Blauen, auch da noch Sichtbares, Erinnerung Aufrufendes — im herrlichen Enjambement von Vers 3 zu Vers 4 im 2. Quartett und im großartigen lyrischen Bogen mit der eindringlichen Klanggestalt. Der Kontrast zwischen dem hellen Klang der i-Laute und dem Vorgang des Versinkens in Blau, Dämmerung, Ferne, schließlich Finsternis evoziert eine schwebende Verhaltenheit, wieder ein Helldunkelmoment, und wie das Helle, Nahe, Klare ins Ferne, Blaue entweicht, entsteht das seltene Phänomen: „ . . .ein Augenweiden An fernentwichnen lichten Finsternissen" (Goethes Altersgedicht „Dämmrung senkte sich von oben" mit dem unvergleichlichen Licht-Dunkel-Kontrast „Holden Lichts der Abendstern", „Schwarzvertiefte Finsternisse Widerspiegelnd ruht der See" in der poetischen Kühnheit ahnen lassend). Dann kommt die Hinausfahrt aufs Meer, Land und Küste sind nur noch Umrisse. Der Blick fällt zurück ins Herz. Er ist identisch mit dem heißen Verlangen, das nicht mehr zum. realen Gegenstand zurück kann. Einen Augenblick ist das in sich gekehrte suchende Verlangen verdrossen. Aber der Blick, den das Meer begrenzt, so daß er auch nicht mehr den Halt an blauer lichter Ferne hat, der im Herzen das Verlorene verdrossen sucht, findet darin das Erinnern, das, was innen geblieben ist. Aus diesem Erinnern und den Erinnerungen scheint der Himmel zu glänzen. Der innere Glanz spiegelt einen äußeren Glanz vor. Gewiß, es scheint alles nur so zu sein, es ist Bewußtsein des Als-ob in der dreimaligen syntaktischen Anapher „als . . .", doch von der Abschiedssituation her, vom Rück-Blick in das Verlorene ist nun Nachklang, Fiktion als Vision. Doch gegen Ende, Scheiden, Trennung, Leiden, Entrissenwerden — die Leittöne der 1. Strophe — gegen die Augenweiden der im Blau versinkenden Liebeslandschaft — nach dem momentanen Schock: keine Sicht mehr, drohende Leere des Herzens — erhebt sich nun doch der Schein als Widerglanz, wenn auch diese Fügung doppeldeutig genug bleibt, als ein Aufglänzen und ein Angehen gegen den Glanz, und deshalb klingt das Als-ob des „Mir schien" im Mollton leise mit. Das Abschiedssonett klingt im schwebenden Helldunkelklang aus: der Glanz bleibt, im Glanz der Erinnerung ist mir nichts entgangen — die Verdopplung des Nichts hat zudem beschwörenden Charakter: es darf mir doch nichts entgangen sein —, ich habe alles, was ich je genossen. I n den folgenden drei Sonetten hat die Liebende noch einmal das Wort, wie sie es in IV hatte. Nun schreibt sie dem fernen Geliebten. Alle drei Sonette bestätigen den Wahrheitsgehalt des „Mir schien" am Ende von V I I wie auch das Ende von V I : der Liebende darf sagen, daß er die Liebe mitnahm als sein unentbehrliches Reisegepäck, daß ihm nichts entgangen, daß er alles gegenwärtig hat, was er genossen. Die Liebende h a t das Wort. Sie weiß zu sprechen, ihre Liebe zu bekennen (das kann kein naives, gefällig-gesellig sich gebendes Minchen sein, es müßte entweder ein gewachsenes und erwachtes Minchen oder eine leidenschaftlich ergriffene und bekennende Silvie sein; wie immer es biographisch zugegangen sein mag — das Mädchen der Sonette ist ein ebenso besonnenes wie hingebend-bekennendes Geschöpf). Doch bekennt sie nicht in schwärmerischer Hymnik, nicht in gelöstem Enthusiasmus, sondern in der gebändigten

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Form des Sonetts, so gefühlsgetönt und empfindungsstark sein strenges Gefüge schwingt — durchaus gab Goethe dem Sonett jenes Liedhafte, von'dem Frau von Sartorius beeindruckt war und das nicht nur vage die besondere lyrische Dichtart dieser Liebessonette umschrieb, sondern eine ihrer spezifischen Möglichkeiten prägnant charakterisierte. VIII. Die Liebende schreibt Ein Blick von deinen Augen in die meinen, Ein Kuß von deinem Mund auf meinem Munde, Wer davon hat, wie ich, gewisse Kunde, Mag dem was anders wohl erfreulich scheinen ? Entfernt von dir, entfremdet von den Meinen, Führ' ich stets die Gedanken in die Runde, Und immer treffen sie auf jene Stunde, Die einzige; da fang' ich an zu weinen. Die Thräne trocknet wieder unversehens: Er liebt ja, denk' ich, her in diese Stille, Und solltest du nicht in die Ferne reichen ? Vernimm das Lispeln dieses Liebewehens; Mein einzig Glück auf Erden ist dein Wille, Dein freundlicher zu mir; gib mir ein Zeichen! Blick und Kuß aus VII werden erinnert, zurückhaltender als in den glühenden Abschiedsversen des Geliebten, aber auch hier das Maß setzend: nichts Erfreulicheres als die Gegenwart des Geliebten in Blick und Kuß. In der 2. Strophe, sie ist entfernt von ihm, den Ihren entfremdet, gehen ihre Gedanken in die Trennungsstunde zurück. Nun weint sie, der Empfindung ist einen Augenblick Raum gegeben, ganz zart im rhythmischen Fluß. Das 1. Terzett fängt die gleitende Empfindung auf: Trost ist der Gedanke, daß er liebt „her in diese Stille", wie sie in die Ferne liebt. Das 2. Terzett spricht unmittelbar Bitte und Bekenntnis aus: vernimm meinen Liebesgruß, mein Gedenken, „das Lispeln dieses Liebeswehens", unendlich zart gesagt, das kaum Auszusprechende, ein Wehen zwischen Sprache und Gesang, ein andeutender Hauch, in der adäquaten die ganze Zeile tragenden Klanggestalt des i und e. Die innere Bewegung der Liebenden geht auf den fernen Geliebten zu, sie ist ganz hingebende Liebe, ganz an seinen freundlichen Willen hingegeben. Nichts ist Zwang in dieser Liebe, nichts will sie erzwingen, nur, an die bittere Erfahrung in IV motivisch anknüpfend, lispelt die Liebende: „Gib mir ein Zeichen", ein Lebenszeichen, Liebeszeichen. IX. Die Liebende abermals Warum ich wieder zum Papier mich wende ? Das mußt du, Liebster, so bestimmt nicht fragen: Denn eigentlich hab' ich dir nichts zu sagen; Doch kommt's zuletzt in deine lieben Hände. Weil ich nicht kommen kann, soll was ich sende Mein ungetheiltes Herz hinüber tragen Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen: Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende. Ich mag vom heut'gen Tag dir nichts vertrauen, Wie sich im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:

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So stand ich einst vor dir, dich anzuschauen Und sagte nichts. Was hätt' ich sagen sollen ? Mein ganzes Wesen war in sich vollendet. Noch ein Brief: eigentlich hat sie nichts zu sagen, eine rührende Liebesgebärde: wenn nur mein Liebeszeichen mit den nichtssagenden Zeilen in deine Hände kommt, mein Liebeszeichen ist „mein ungeteiltes Herz". Das ist bei aller Zartheit und mädchenhaften Scheu ein unbedingtes Liebesbekenntnis. Das scheinbar Nichtssagende von Strophe 1 wird zu anfang- und endelosen Aussagen, was das Herz zu senden hat, was in der Trennung vom Geliebten die Liebendsehnende bewegt: „Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen" — ein ganzer Vers wird von dieser reihenden Skala ausgefüllt. Nichts Aktuelles hat der Brief zu berichten — „im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen" wendet sich das treue Herz dem Fernen zu, nochmals eine Kette, nach der nominalen Reihung eine verbale Dynamik, durch dreifache Alliteration verstärkt. Das Herz im 2. Vers von Strophe 2 und das Herz im 3. Vers des 1. Terzetts umschlingen gleichsam die beiden viergliedrigen Reihen, in denen sich die Fülle des das Herz des Mädchens Bewegenden poetisch zusammenfaßt, im Grunde sind alle Fügungen Synonyme der Liebe, Wonnen und Plagen sind eins wie Sinnen und Wollen. Alle Regungen kreisen um den Geliebten, das Herz kreist sie im Sonettgefüge ein, und diese Regungen des Herzens haben nicht Anfang, nicht Ende. Die Viergliedrigkeit ist nur durch das Gesetz des Verses bedingt; hielte das vorgegebene Metrum nicht das Drängen der Herzensregungen auf, so schwölle die Reihe ins Uferlose. Strophe 1 und Strophe 4 umranken die über die Versgrenzen drängenden Regungen des Herzens: dies endlose Kreisen des liebenden Herzens um das zentrale Sehnen ist, aus nüchternem Innehalten betrachtet, eigentlich nichtssagend, doch im wörtlichen, hier tieferen Sinn: nichts sagend (1. Strophe Vers 3), mehr verschweigend als explizierend, so wie einst die Geliebte vor dem Geliebten stand, nichts sagend — was auch hätte sie sagen sollen (4. Strophe Vers 2): „Mein ganzes Wesen war in sich vollendet", als es sich ihm im Anschaun seiner Gestalt gab, es war als Ganzes Ausdruck, sagend, was Worte nicht vermögen. Nichts sagen hieß und heißt — in der Liebesgegenwart wie in der Trennung, die der scheinbar nichtssagende Brief überbrücken will — paradoxerweise alles sagen, das ganze Wesen damit aussagend, das sich im schweigenden Sagen vollendet. Damit ist die besondere Symmetrie dieses Sonetts gekennzeichnet: das 1. Quartett und das letzte Terzett sind im Motiv des Nichts-Sagens verklammert, das 2. Quartett und das 1. Terzett umgreifend, die in den viergliedrigen Reihen ihre bewegte Einheit konstituieren. X. Sie kann nicht enden Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir schicke, Anstatt daß ich's mit Lettern erst beschreibe, Ausfülltest du's vielleicht zum Zeitvertreibe Und sendetest's an mich, die Hochbeglückte. Wenn ich den blauen Umschlag dann erblickte; Neugierig schnell, wie es geziemt dem Weibe, Riss' ich ihn auf, daß nichts verborgen bleibe; Da läs' ich was mich mündlich sonst entzückte: Lieb K i n d ! Mein a r t i g H e r z ! Mein einzig W e s e n ! Wie du so freundlich meine Sehnsucht stilltest Mit süßem Wort und mich so ganz verwöhntest. Sogar dein Lispeln glaubt' ich auch zu lesen, Womit du liebend meine Seele fülltest Und mich auf ewig vor mir selbst verschöntest.

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Noch einmal: sie kann nicht enden. Der Titel knüpft so an den lyrischen Vorgang in I X , doch nun findet sich ein gänzlich anderer Ton, die Schreibende ist ganz Schelmerei, Charm und leichte Koketterie. Es ist das gelösteste Sonett im Liebesgespräch — freilich ganz in den Optativ gehoben und dadurch entwirklicht, was einleitend das zweimalige anaphorische „Wenn ich . . ." wie die auffallende konjunktivisch-konsonantische Härte in Vers 4 unterstreicht —: ich sende, da ich doch nichts Bestimmtes zu sagen weiß, „das weiße Blatt"; schreibe du darauf und sende es zurück, was vielleicht zu deinem Zeitvertreib dient, mach mich dadurch zur „Hochbeglückten" — dies ist das Wort, das später im Divan für Suleika gilt. Neugierig schnell öffnend, „läs ich was mich mündlich sonst entzückte": so schelmisch wünscht sie sich in diesem antizipierten Antwortbrief doch etwas ganz Bestimmtes, die geliebten Liebesworte intimster Liebesstunde — da ist noch einmal — im Rückgriff auf V — das naturhaft wachsende Geschöpf mit der sich in ihr und mit ihr steigernden Liebe: Kind, Herz, Wesen, alles in einem, sie bleibt und will bleiben sein lieb Kind, sein artig Herz, sein einzig Wesen. Dies möchte sie am liebsten von ihm hören: daß sie ihm lieb Kind wie einst zu Beginn, dann artig Herz, das meint ein Herz, das sich ihm artig gleich liebevoll aufgetan, zart hingebend, naturhaft liebreizend neigt, darin zugleich das dritte vorbereitend: weil sie ihr ganzes Wesen ihm schenkt und darin sich ihr Wesen vollendet, ist sie ihm, möchte sie ihm sein: „Mein einzig Wesen". Der antizipierte Brief mit der ihr beider Verhältnis nach ihrem Herzenswunsch ausdrückenden dreifachen Apostrophierung nimmt alle Erinnerung an alle Liebesstunden in sich auf. Die dreifache Anrede, Wunschformel innerster Herzensregung, wird zur lyrischen Klimax der Sonettfolge, daher von Goethe äußerlich durch Sperrdruck unterstrichen. Mit magischer Eindringlichkeit wird die Anrede dem Liebenden in die Feder gelegt. Was alles erinnert diese Anrede an Liebesgeschehen: zuerst die drei Stadien aus V noch einmal, jetzt im triadischen Apostroph: dem Kind stilltest du freundlich die Sehnsucht, doch glitt es durch süßes Wort und Verwöhnung schon ins Liebeserwachen und Liebeslispeln — dies war in V I I I Motiv, da wars ihr Lispeln, das kaum ausgesprochene Liebesbekenntnis. Nun ist es ihm anvermutet (die motivische Kontinuität von V I I I zu X in der Fügung „Lispeln" erfolgt im ergänzenden Kontrast), dies geschieht mit magischem Akzent: auch dein Liebesgespräch sei Lispeln, Ausdruck geheimsten Einverständnisses, nur Mund in Mund vernehmbar, nur von Lippe und Auge ablesbar, eben in dieser innig-intimsten Verbundenheit dazu angetan, liebend ihre Seele zu füllen, in seinem Lispeln sein Lieben in ihre Seele strömend. Sehr abschließend sind diese feingewobenen Verse, die dem Geliebten mit leisen Worten, doch wiederum kühn bekennend und magisch werbend, nahelegen, ihr das brieflich zu sagen, was er ihr oft genug mündlich im zartesten Liebesgespräch anvertraute, was alles sie ihm ist: „Und mich auf ewig vor mir selbst verschöntest." Wer solche Liebe empfing, hat sie ewig. In I X gab es nicht Anfang und nicht Ende, hier in X nun wird es kühn ins letzte Maß gehoben, das ein Maß-loses sein könnte, aber das Maßlose wird im Sonettvers gebändigt, er rundet das Weitausschwingende wie das ein Intimstes Wagende. Die Endzeilen aller 4 Strophen gehen Hand in Hand: hochbeglückt, entzückt, verwöhnt, verschönt. Die Dreiheit des Kindmädchens — Kind, Herz, Wesen — das sich in Strophe 2 Weib nennt und damit ohne Bedenken in die Stufe fraulicher Reife erhöht, wird in der dem Geliebten angemuteten und anmutbaren Fiktion von ihm als Herz und Wesen erkannt, wie sich die Getreue in I X ihm mit ungeteiltem Herzen und als im Lieben sich vollendendes Wesen gab. Nun, wenn der Geliebte diese ihm aus Liebe suggerierte Dreiheit bestätigt und seine Liebesstimme im Liebesbrief erklingen läßt, ist sie auf ewig vor sich selbst verschönt, da er liebend ihre Seele füllen wird. „Vor mir selbst": sie kann bestehen, sie verliert sich nicht in ihm. Gleichermaßen ist am Ende von I X wie X zuletzt eine sonettgerechte Distanz auch im Liebesgeständnis, in der unbedingten Liebesbereitschaft spürbar: die Liebende sagt ihr Wesen selbst aus, sie bekennt ihr Wesen, sie weiß darum, sie bleibt Gestalt der Liebenden. Von hier aus wird die zyklische Einordnung des verfremdenden Sonetts X I einsichtig. Es wurde vorweg interpretiert.

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XII. Christgeschenk Mein süßes Liebchen! Hier in Schachtelwänden Gar mannichfalt geformte Süßigkeiten. Die Früchte sind es heil'ger Weihnachtszeiten, Gebackne nur, den Kindern auszuspenden! Dir möcht' ich dann mit süßem Redewenden Poetisch Zuckerbrot zum Fest bereiten; Allein was soll's mit solchen Eitelkeiten? Weg den Versuch, mit Schmeichelei zu blenden! Doch gibt es noch ein Süßes, das vom Innern Zum Innern spricht, genießbar in der Ferne, Das kann nur bis zu dir hinüber wehen. Und fühlst du dann ein freundliches Erinnern, Als blinken froh dir wohlbekannte Sterne, Wirst du die kleinste Gabe nicht verschmähen. Nachdem dreimal die Liebende sprach, antwortet der Geliebte. Er tut es in heiterer Überlegenheit — die distanzierende „Pause", die Sonett X I im lyrisch-zyklischen Ablauf bedeutet, wirkt in die nächsten Sonette hinein: es geht um ein Geschenk fürs süße Liebchen, um Süßigkeiten, wie sie Kinder lieben. Sie war ja doch sein lieb Kind und ist es als geliebtes Wesen weiter. Das süße Geschenk dient dann,im Neueinsatz der 2. Strophe zum Vergleich: soll ich auch „poetisch Zuckerbrot" beilegen „mit süßem Redewenden"? Aber das wöge in der Liebe zu leicht, erweckte den Eindruck von Eitelkeit und Schmeichelei. Dem konkreten Kinderweihnachtsgeschenk, dem süßen und dem erwogenen, aber zu leicht befundenen poetischen Zuckerbrot wird mit dem 1. Terzett konfrontiert das Süße des Innern, das Sinnbildlich-Süße, „das vom Innern Zum Innern spricht". Dreimal also wird der Sprachbegriff süß verwendet, in je andrer Situation: konkret, allegorisch und symbolisch (süßes Geschenk, süßes Lied, süßes Innere), es sind drei Dimensionen lyrischen Sprechens in diesem Sonett. Mit der Süße des Innern wird wieder die lyrische Intimsphäre bezogen, die vor der poetischen Distanzierung gegenwärtig war: Herz zu Herz, Wesen zu Wesen, Lispeln Lippe an Lippe — dieses innere Süße kann nur „Hinüber wehen", das „Liebeswehen" aus VIII wird motivisch erinnert, das Unausgesprochene, nur zwischen Liebenden in der intimsten Begegnung Gelispelte, dies ist „genießbar". Nun bleibt aus dem konkreten Ansatz von Strophe 1 nur der vergleichende Hinweis, ein inneres Genießen im Wortsinn des Innewerdens. Das Schlußterzett mündet ganz in die motivische Kontinuität: um des Geliebten „freundlichen Willen" bat die Liebende in VIII am Ende, nun gibt der Geliebte diese Bitte zurück (der Dichter nun wieder in seiner Rolle, während er in VIII sich in des Mädchens Rolle einfühlte; dieser Wechsel bringt uns die poetische Fiktion des Ganzen wieder einmal zu Bewußtsein). Auch er hofft auf „ein freundliches Erinnern". Wenn wir noch zurückverweisen auf das Thema von II, „Freundliches Begegnen", so wird in solchen Bezügen wieder das motivische Gewebe im Gesamt der Sonettfolge sichtbar. Das Hinüberwehen von Herz zu Herz wird durch die kleinste äußere Gabe ebenso bewirkt wie bestätigt. Das scheinbar äußerliche Geschenk erweist sich im poetischen Wandel vom 1. Quartett zum 2. Terzett als ein zartes Sinnbild. Was vom 1. ins 2. Terzett hinüberweht, ist originäre Liebesverbindung, die zugleich bewußt macht, daß ein in heiterer Kindheitsreminiszenz gebotenes reales Geschenk, gebackne Früchte zur Weihnachtszeit, geheimnisvoll offenbarer Träger süßer Liebesgewißheit sein kann, und das durch die kleine Gabe freundlich Erinnerte geht ins Weite, ist die in der Ferne genossene Süßigkeit der innersten Liebesverbundenheit, „als blinkten froh dir

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wohlbekannte Sterne", die auf Ferne reimen (was hier noch nicht abgeblaßt wirkt), Glanz des Blickes, Glanz des Himmels aus VI und VII damit zyklisch erinnernd. XIII. Warnung Am jüngsten Tag, wenn die Posaunen schallen Und alles aus ist mit dem Erdeleben, Sind wir verpflichtet Rechenschaft zu geben Von jedem Wort, das unnütz uns entfallen. Wie wird's nun werden mit den Worten allen, In welchen ich so liebevoll mein Streben Um deine Gunst dir an den Tag gegeben, Wenn diese bloß an deinem Ohr verhallen ? Darum bedenk', o Liebchen! dein Gewissen, Bedenk' im Ernst wie lange du gezaudert, Daß nicht der Welt solch Leiden widerfahre. Werd' ich berechnen und entschuld'gen müssen, Was alles unnütz ich vor dir geplaudert; So wird der jüngste Tag zum vollen Jahre. Warnung — offenbar ein neuer Ton im Ablauf der lyrischen Liebeserzählung? Es ist nun der Werbende, der drängend eine Entscheidung sucht. Hatte er nicht Gewißheit genug? Der „jüngste Tag"; in der poetischen Figur ist noch ein eschatologischer Ton. Gewiß, wir sind im Sonett und im lyrischen Liebesgeschehen, dennoch ist „jüngster Tag" nicht nur Bild und Vergleich, motivisch jedenfalls wird das Sonett durch diese Sprachfigur zusammengehalten, Anfang und Schluß bringen sie: Rechenschaft am jüngsten Tag — pathetisch sogar mit den biblischen Posaunen aufgehöht — wird für alle werbenden Worte verlangt, wieviel bot der liebevoll die Gunst der Geliebten Erstrebende auf! Strophe 1 und 2 stellen insgesamt die Gewissensfrage : sind meine Liebesworte an dir verhallt ? Die beiden Terzette rufen ihr Gewissen — das zweimalige „bedenk" intensiviert—; solange hat sie gezaudert, daß seine Worte unnütz erscheinen könnten. Doch wenn sie diese seine Liebeswerbeworte noch rechtzeitig erhört, wird es ein Dienst an derMenschheit sein, denn wenn sein Liebesgeplauder unnütz gewesen, also unerhört geblieben wäre, müßte er seine Worte „berechnen", das meint rechtfertigen und entschuldigen, und alle unnützen Worte würden als zu leicht befunden. Solch Leid widerfahre dann der Welt! Der jüngste Tag ginge in ein volles Jahr über: Gericht und Leiden, Prüfung und Verwerfung dauerten ein Äonen-Jahr (so muß wohl die letzte Zeile verstanden werden). Ist hier nun die Alternative: erhörte Werbung, Aufwertung aller unnütz erscheinenden Worte eines Liebenden — oder Verwerfung alles Wortaufwandes um Liebe am Jüngsten Tag, so daß Leid der Menschheit dauert im Gericht? Aber eine solche harte Alternative ist wieder so ungemäß einem zarten Liebesgeschehen, daß sie nur im poetischen Bereich vollziehbar, sie wird in einer dem religiösen Pathos überlegenen Ironie in die fiktive Sphäre, in lyrische Schwebe gerückt, wie auch die eigengeprägte Sprachfigur „zum vollen Jahre" den traditionell-dogmatischen Kreis vom Jüngsten Tage sprengt. Im Sonettgang selbst durfte trotz des offnen Schlusses das motivische 'Wort „unnütz" aus Vers 4 in Vers 13 durch den Kontext verändert übergehen: unnützes Wort in Menschen fordert Rechtfertigung, unnützes Wort als Liebeswerbung dagegen rechtfertigt sich selbst, wenn es in seinem Liebessinn verstanden und erhört wurde. Nach der verfremdenden dialogischen Besinnung über das Liebesgeschehen in den Sonetten XIV und XV, die dennoch das Liebesgeschehen nicht aufhebt, sondern auf anderer Ebene vergegenwärtigt, bleibt auch in den beiden letzten Sonetten ein Gran Distanz: die Leidenschaft wird verhüllt, die Intimsphäre nur indirekt beschworen. 3

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XVI. Epoche Mit Flammenschrift war innigst eingeschrieben Petrarca's Brust, vor allen andern Tagen, Charfreitag. Eben so, ich darf's wohl sagen, Ist mir Advent von Achtzehnhundert sieben. Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort zu lieben Sie, die ich früh im Herzen schon getragen, Dann wieder weislich aus dem Sinn geschlagen, Der ich nun wieder bis an's Herz getrieben. Petrarca's Liebe, die unendlich hohe, War leider unbelohnt und gar zu traurig, Ein Herzensweh, ein ewiger Charfreitag; Doch stets erscheine, fort und fort, die frohe, Süß, unter Palmenjubel, wonneschaurig, Der Herrin Ankunft mir, ein ew'ger Maitag. Mit der Bildungsreminiszenz der 1. Strophe wird die private Sphäre in eine übergreifende Weltsphäre eingeordnet, die Intimpoesie zur Weltliteratur erhöht, das biographische Zufallsereignis in typenhafte Bezogenheit gesetzt, das persönliche Erlebnis ins Weltgültig-Geschichtliche verwandelt. Überraschend ist nun der genaue Gegenwartstermin, doch die Zahl hat wie in mythischen Bereichen magischen Reiz: wie Petrarca seine Laura an einem bestimmten Tag erblickte, am Karfreitag 1327, so wird für den Sonettdichter der Advent (29. November) 1807 bedeutsam; es wechseln nur Datum und datierbares Fest. Im Vergleich mit der PetrarcaBegegnung wird durch das fixierte Datum die geistig-seelische Höhe der Begegnung gleichgesetzt und damit eine erste Antithese aufgehoben. Die 2. Strophe setzt gegenüber Petrarcas absolutem Anfang ein Fortfahren im Lieben, innerhalb dieser Bewegung allerdings noch einen antithetischen Moment festhaltend: „früh im Herzen", dann „aus dem Sinn", doch ist dies nicht wie in der volksläufigen Wendung: aus dem Herzen, aus dem Sinn — gemeint, vielmehr dazu gegenläufig: im Herzen wohl, aber durch bewußte Gegenregung aus dem Sinn, bewußt wird die Herzensregung unterdrückt, aber sie wirkt dennoch allgewaltig: ihr, der Geliebten wird der Liebende „bis ans Herz getrieben", Herz findet sich zu Herzen. Der bewußt sich einschaltende Sinn unterliegt. Darnach bilden die beiden Terzette besonders schöne Entgegensetzungen: im ersten wird „Petrarcas Liebe, die unendlich hohe" als unbelohnt und traurig erinnert, „ein Herzensweh, ein ewiger Charfreitag" — sie bleibt ewig Passion; im zweiten ist die Liebe des Sprechenden ewiger Advent, wohl Wunschbild, doch nach der 2. Strophe im Bereich des Erfüllbaren. Die Ankunft der Geliebten bietet Dauergewähr, „fort und fort", der Advent wird zum Maitag, „unter Palmenjubel" zieht die Herrin ein, die sich dennoch nicht erhaben fernrückt wie die unendlich hohe Liebe des Italieners, sondern froh und süß anheimelt, süß war das Kennwort der Intimsphäre in XII, poetisch spielerisch gebraucht wie zugleich ins Ernste vertieft. Dennoch wird die poetische Situation wiederum aus der schlichten Liebesbegegnung einer biographischen Realität zum Advent 1807 herausgehoben durch die Palmenszenerie und die mythische Herrin, analog zum mythischen Herrn, auch dies eine poetische Verfremdung darstellend. Beide Momente aber involvieren das Mischgefühl „wonneschaurig", damit eine romantische Tönung zulassend. Ein kühnes dreieiniges Sinnbild fügt sich am Ende des Sonetts in poetischer Säkularisierung zusammen: Advent, Christi Verheißung wird zur frohen Erwartung der Geliebten; Palmsonntag, Einzug des Herrn unter Palmenjubel, wandelt sich zur Erscheinung der Herrin; als Geliebte

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aber kündet sie den ewgen Maitag der Liebe. Die häufigen Kola, die rhythmischen Zäsuren der beiden Terzette — drängende, doch immer wieder aufgehaltene Bewegung — spiegeln die seelische Erregtheit. Das Sonett heißt „Epoche". Die Annalen berichteten, wie das Sonettdichten Epoche gemacht. Epoche, ursprünglich Haltepunkt, Wende der Zeiten durch ein bedeutendes Ereignis, Beginn neuer weltgeschichtlicher Entwicklung, wird für ein Liebesgeschehen in Anspruch genommen, wie die Weltliteratur mit Petrarca und die Mythen des Neuen Testaments für die Epiphanie der Geliebten zeugten. Die Liebe in den Sonetten ist keine Episode, sondern sie macht Epoche, sie wendet das Leben des liebend-geliebten Dichters um, wendet es neu. Sie ward durch den Vergleich mit Petrarca und die biblischen Reminiszenzen auf geschichtlich-mythische Ebene gehoben. X V I I . Charade Zwei Worte sind es, kurz, bequem zu sagen, Die wir so oft mit holder Freude nennen, Doch keineswegs die Dinge deutlich kennen, Wovon sie eigentlich den Stempel tragen. Es thut gar wohl in jung- und alten Tagen Eins an dem andern kecklich zu verbrennen; Und kann man sie vereint zusammen nennen, So drückt man aus ein seliges Behagen. Nun aber such' ich ihnen zu gefallen Und bitte mit sich selbst mich zu beglücken; Ich hoffe still, doch hoff' ichs zu erlangen: Als Namen der Geliebten sie zu lallen, In Einem Bild sie beide zu erblicken, In Einem Wesen beide zu umfangen. Zuletzt wird die Liebesbeziehung verrätselt, als Charade verhüllt. Aber sie ist enthüllbar, entzifferbar. Dies ist ihr eigentlicher Sinn. So ist das Zurücknehmen der Intimsphäre ins Geheimnis zugleich paradoxal der Aufruf zum Erraten der Geheimbeziehung. Freilich muß man sich wiederum hüten, in diesem Stadium des sonetthaften Liebesspiels das Biographische wörtlich zu nehmen und das Epochale dieser Liebe auf ein Modell zu gründen. Wahrscheinlich ist der Hinweis auf Mina Herzlieb ein bewußtes Irreführen: wer etwa einen anderen Namen erwartet, sei betrogen, es bleibt alles in heiter-überlegener Schwebe, und doch kann die Lösung mit dem Namen Herzlieb auch ein biographisch Echtes enthüllen, entscheidend ist dies am Ende der Sonette nicht. Herzlieb ist durch die Sonettreihe zum Sinnbild der in motivischer Kontinuität gestalteten Liebesbeziehung geworden. Der Gang der Charade als Sonett ist nochmals ein Paradestück des Sonettgefüges: es führt von These und Antithese zur fast epigrammatischen Synthese, Setzung und Gegensetzung stehen in unlösbarer Relation, und aus ihr kommt die Verschmelzung. In der 1. Strophe nennen wir — der Dichter bezieht uns in sein Sprechen mit ein — zwei Worte kurz, bequem „mit holder Freude" — Herz, Liebe —, ohne immer deutlich die Dinge zu nennen, deren Stempel sie tragen. Dinge: das sind Phänomene, Gegenstände, Bewegungen. Die 2. Strophe kündet: „Es tut gar wohl in jung und alten Tagen", Herz an Liebe zu verbrennen, „kecklich", gewagt, unbedacht kühn, aber „vereint zusammen" heißt: Herzensliebe macht seliges Behagen, dies ist schon keine Antithese mehr. Doch gibt das 1. Terzett noch einmal einen neuen Ansatz: noch einmal werden die beiden getrennt, Herz und Liebe; doch beiden, dem Herzen wie der Liebe, will der Dichter 3«

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gefallen und bittet, „mit sich, selbst mich zu beglücken", er möchte mit seinem Herzen und seiner Liebe, die sein Selbst ausmachen, beglückt sein (anders ist die Fügung kaum zu verstehen). Das 2. Terzett vollendet den charadischen Gang: was das Selbst des lyrischen Ichs ausmacht — Herz und Liebe, liebendes Herz und Herzensliebe — ist der Name der Geliebten (heiße sie in der biographischen Realität nun Minchen Herzlieb oder Silvie von Ziegesar), den der Liebendgeliebte nur lallend sagen kann — das Lispeln der Liebespaare in VIII und X sei erinnert. Der Name weist aus dem Nennen, das seine beiden Worte vereint zusammen beschwor, auf das Sein, das zuerst als Bild, in einem Bild Herzlieb zu erblicken ist. Der Name ist Sinnbild, und über das Erblicken der Herzliebe, der Herzgeliebten im Bild als Sinnbild hinaus gilt es „In Einem Wesen beide zu umfangen", das Wesen Herzlieb, es klingt das vertrauliche Sprechen an: geliebtes Wesen! Das in der Charade nicht Ausgesprochene nimmt aber in motivischem Rückbezug die dreifache Beschwörung durch die Geliebte in den von ihr fingierten Worten des Geliebten in Sonett X auf, worin die Lösung der Charade antizipiert wird: „Lieb Kind! Mein artig Herz! Mein einzig Wesen!" Zugleich ist in dieser jetzt motivisch zu erinnernden Apostrophe das „ganze Wesen" aus IX gegenwärtig: es ist jetzt und hier am Charaden-Ende und am Zyklus-Ausgang zu Ende und das heißt ganz zu sich gekommen: das eine Wesen Herzlieb offenbart sein ganzes Wesen als Herzlieb, als Herzensliebe. Die motivisch-thematische Kontinuität und der innere zyklische Nexus erhöhen das Episodische zum Epochalen (ob biographischen Impuls das kleine zarte Minchen, das später in der Umnachtung starb, oder die leidenschaftlich geliebte Silvie, die einige Jahre darnach den würdigen Theologen Köthe heiratete, oder die zudringlich schwärmerische Bettine gaben). Der Sonettzyklus ist in Goethes Dichtung insgesamt alles andre als eine Episode, er macht Epoche.

8 Es sei einiges zusammengefaßt: Wir konstatieren im interpretatorischen Bemühen um die Sonette eine Kontrapunktik von lyrisch realisierter Antithetik und distanzierender Ironie, von dämonischem Überraschen und Wesensvollendung, von Begegnen und Epoche, von Wachstum und Abschied, von Hoffnung und Erfüllung, von Entsagung und Beglückung, von Erinnerung und Erwartung, von Sittengesetz und Exzentrizität, von Sonettenwut und Liebesraserei, von drohender Nemesis und poetischem Charadenspiel, von Jüngstem Gericht und ewigem Maitag, von begrenzender Bewahrung und aufschmelzendem Liebesfeuer, von Briefdialog und symbolischer Erhöhung, von Kunst und Leben, Jugend und Alter, Scherz und Ernst, Zweifel und Gewißheit, Gefühl und Reflexion. Der Zyklus entfaltet erhöhend wie mildernd alle Skalen Goethescher Polarität als Lebensgesinnung und gestaltet mit tiefem Blick ins weibliche Gemüt Systole und Diastole, Synkrisis und Diakrisis der Liebe. Goethes Sonette erfüllten Bürgers Charakteristik einer schwebenden Fortbewegung und eines abgerundeten Ganzen ebenso wie A. W. Schlegels differenziertes Programm gedrängter Fülle, organisch akzentuierter Form, antithetischer Symmetrie und epigrammatisch-sentenziöser Konzentration und führen damit die Geschichte des deutschen Sonetts auf eine höhere Stufe. Auch die Wahl des Sonetts mit seines Gleichlautes Kette und dem Ebenmaß der Gegensätze, wie A. W. Schlegel es besang, ließ für den schöpferischen Lebensprozeß im Intimbezirk der Liebe Raum. Nach dem Motto will der Dichter Liebe liebend loben in einer aus fremder Tradition gebotenen und gewählten Form. Auch Herzliebe entfaltet sich im thetisch-antithetischen Bau als Gestaltung Umgestaltung. Aus allen Einzelphasen, die lyrisch-szenisch-dialogisch durchschritten werden mit immer neuem Situationswechsel, in immer anderen Konstellationen,

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gefallen und bittet, „mit sich, selbst mich zu beglücken", er möchte mit seinem Herzen und seiner Liebe, die sein Selbst ausmachen, beglückt sein (anders ist die Fügung kaum zu verstehen). Das 2. Terzett vollendet den charadischen Gang: was das Selbst des lyrischen Ichs ausmacht — Herz und Liebe, liebendes Herz und Herzensliebe — ist der Name der Geliebten (heiße sie in der biographischen Realität nun Minchen Herzlieb oder Silvie von Ziegesar), den der Liebendgeliebte nur lallend sagen kann — das Lispeln der Liebespaare in VIII und X sei erinnert. Der Name weist aus dem Nennen, das seine beiden Worte vereint zusammen beschwor, auf das Sein, das zuerst als Bild, in einem Bild Herzlieb zu erblicken ist. Der Name ist Sinnbild, und über das Erblicken der Herzliebe, der Herzgeliebten im Bild als Sinnbild hinaus gilt es „In Einem Wesen beide zu umfangen", das Wesen Herzlieb, es klingt das vertrauliche Sprechen an: geliebtes Wesen! Das in der Charade nicht Ausgesprochene nimmt aber in motivischem Rückbezug die dreifache Beschwörung durch die Geliebte in den von ihr fingierten Worten des Geliebten in Sonett X auf, worin die Lösung der Charade antizipiert wird: „Lieb Kind! Mein artig Herz! Mein einzig Wesen!" Zugleich ist in dieser jetzt motivisch zu erinnernden Apostrophe das „ganze Wesen" aus IX gegenwärtig: es ist jetzt und hier am Charaden-Ende und am Zyklus-Ausgang zu Ende und das heißt ganz zu sich gekommen: das eine Wesen Herzlieb offenbart sein ganzes Wesen als Herzlieb, als Herzensliebe. Die motivisch-thematische Kontinuität und der innere zyklische Nexus erhöhen das Episodische zum Epochalen (ob biographischen Impuls das kleine zarte Minchen, das später in der Umnachtung starb, oder die leidenschaftlich geliebte Silvie, die einige Jahre darnach den würdigen Theologen Köthe heiratete, oder die zudringlich schwärmerische Bettine gaben). Der Sonettzyklus ist in Goethes Dichtung insgesamt alles andre als eine Episode, er macht Epoche.

8 Es sei einiges zusammengefaßt: Wir konstatieren im interpretatorischen Bemühen um die Sonette eine Kontrapunktik von lyrisch realisierter Antithetik und distanzierender Ironie, von dämonischem Überraschen und Wesensvollendung, von Begegnen und Epoche, von Wachstum und Abschied, von Hoffnung und Erfüllung, von Entsagung und Beglückung, von Erinnerung und Erwartung, von Sittengesetz und Exzentrizität, von Sonettenwut und Liebesraserei, von drohender Nemesis und poetischem Charadenspiel, von Jüngstem Gericht und ewigem Maitag, von begrenzender Bewahrung und aufschmelzendem Liebesfeuer, von Briefdialog und symbolischer Erhöhung, von Kunst und Leben, Jugend und Alter, Scherz und Ernst, Zweifel und Gewißheit, Gefühl und Reflexion. Der Zyklus entfaltet erhöhend wie mildernd alle Skalen Goethescher Polarität als Lebensgesinnung und gestaltet mit tiefem Blick ins weibliche Gemüt Systole und Diastole, Synkrisis und Diakrisis der Liebe. Goethes Sonette erfüllten Bürgers Charakteristik einer schwebenden Fortbewegung und eines abgerundeten Ganzen ebenso wie A. W. Schlegels differenziertes Programm gedrängter Fülle, organisch akzentuierter Form, antithetischer Symmetrie und epigrammatisch-sentenziöser Konzentration und führen damit die Geschichte des deutschen Sonetts auf eine höhere Stufe. Auch die Wahl des Sonetts mit seines Gleichlautes Kette und dem Ebenmaß der Gegensätze, wie A. W. Schlegel es besang, ließ für den schöpferischen Lebensprozeß im Intimbezirk der Liebe Raum. Nach dem Motto will der Dichter Liebe liebend loben in einer aus fremder Tradition gebotenen und gewählten Form. Auch Herzliebe entfaltet sich im thetisch-antithetischen Bau als Gestaltung Umgestaltung. Aus allen Einzelphasen, die lyrisch-szenisch-dialogisch durchschritten werden mit immer neuem Situationswechsel, in immer anderen Konstellationen,

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entwirkt sich das Epochale: Liebe vollendet sich im Wesenhaften, das in der Synthese von Einheit und Mannigfaltigkeit im Sonettzyklus zutage tritt. Im stets gleichen Reim- und Versschema, in der genau strukturierten Strophenfolge von zwei Quartetten und zwei Terzetten vollzieht sich als selbstgewähltes freies Gesetz der Beschränkung gleichermaßen erhöhend wie mildernd elementare Liebesbegegnung als freie Liebesentscheidung. Freilich bleibt zuletzt die Frage: was Spiel, was Wirklichkeit, was gilt das Spiel in Wirklichkeit ? Poesie ist stets Spiegel des außerdichterisch Wirklichen, aber für Goethe und in seiner Dichtung nicht nur Widerspiegelung objektiven Geschehens, wenn es auch dies sein mag, doch vor allem wiederholte Spiegelung, reflektiertes und im Helldunkel der poetischen Verwandlung gebrochenes Leben, bald nah, bald fern gerückt, im farbigen Abglanz das Leben darbietend, als Abglanz das Leben gestaltend, Sein und Wesen als Bild im Sinnbild gefaßt.

ANMERKUNGEN UND EXKURSE

1 Vgl. hierzu den k n a p p e n Abriß v o n Walter Mönch i n : D a s Sonett. Gestalt u n d Geschichte, Heidelberg 1955, 2. T. 2. Abschn. K a p . I über A. W . Schlegel u n d Goethe S. 174-178. 2 A. W . Schlegels Vorlesungen über schöne K u n s t u n d L i t e r a t u r D r i t t e r Teil (1803—1804) Geschichte der römischen L i t e r a t u r Italienischer Poesie i n : Deutsche L i t e r a t u r d e n k m a l e des 18. u n d 19. J a h r h u n d e r t s in N e u d r u c k e n hrsg. v o n B e r n h a r d Seuffert 19 Heilbronn 1884, S. 207—217. 3 A u s den Annalen f ü r das J a h r 1803 sei noch a n g e f ü h r t , was Goethe u. a. z u m P l a n des Eugenie-Stückes v e r m e r k t : „Der zweite Teil sollte auf dem L a n d g u t , dem A u f e n t h a l t Eugeniens, vorgehen, der d r i t t e in der H a u p t s t a d t , wo m i t t e n in der größten Verwirrung das wiedergefundene Sonett freilich kein Heil, aber doch einen schönen Augenblick würde hervorgebracht h a b e n . . . " 4 Als Beispiel f ü r die poetische Qualität der Sonette, die Goethe d a m a l s anhörte, wähle ich das Sonett „Das Schwanenlied", das zudem noch den Reiz h a t , auf Goethes Thulelied zu reflektieren: das von Gretchen in der sie bedrückenden Schwüle des abendlichen Zimmers gesungene Lied im Volkston n i m m t ihr bitteres Los vorweg, ohne d a ß ihr das schon b e w u ß t sein k a n n , u n d schafft d a m i t ein o b j e k t i v tragisches F l u i d u m — in Schlegels Sonett wird diese ursprüngliche, u n m i t t e l b a r ans H e r z greifende poetische Situation, die zu den genialsten Eingebungen der Weltliteratur zu zählen ist, literarisiert u n d auf die E b e n e einer sentimentalen Totenklage t r a n s p o n i e r t : D a s Schwanenlied Oft, wenn sich ihre reine S t i m m ' erschwungen, Schüchtern u n d k ü h n , u n d Saiten drein gerauschet, H a b ' ich das u n b e w u ß t e Herz belauschet, Das a u s der B r u s t melodisch vorgedrungen. Vom Becher, den die Wellen eingedrungen, Als aus d e m P f a n d , das Lieb' u n d Treu getauschet, D e r alte König sterbend sich berauschet. D a s war das letzte Lied, so sie gesungen. Wohl ziemt sichs, daß der lebensmüde Zecher, W e n n dunkle F l u t e n still sein Ufer küßen, I n ihren Schooß dahingiebt all sein Sehnen. Mir w a r d aus liebevoller H a n d gerißen, Schlank, golden, süßgefüllt, b e k r ä n z t , der Becher; U n d mir zu F ü ß e n b r a u s ' t ein Meer v o n T h r ä n e n . Gewiß ist dies Gedicht eine hohe artifizielle Leistung. Wie Thuleliedreminiszenz, Gesang des Mädchenkindes (Augusta s t a r b i m J u l i 1800 m i t 15 J a h r e n ) u n d Verwendung des Bechersymbols d u r c h den Dichter ineinandergewoben sind, das m a c h t Sterben u n d Totenklage zu einem rhetorischen Ereignis. Aber gerade deshalb geht uns nicht leicht ein, d a ß Goethe offenbar an dieser A r t v o n s o n e t t h a f t e r Verw a n d l u n g seiner eigenen dichterischen J u g e n d - u n d H e r z e n s t h e m e n nichts auszusetzen h a t t e — darin wird noch einmal sichtbar, wie sehr er seit 1800 f ü r die Sonettform gewonnen worden u n d f ü r die Son e t t e n - S i t u a t i o n in diesem Augenblick reif war. 5 Vgl. J o h a n n e s Urzidil, Goethe in B ö h m e n . Zürich 1962, bes. S. 5 2 - 5 8 . F e r n e r H a n s M. Wolfif, Goethe in der Periode der W a h l v e r w a n d t s c h a f t e n 1802—1809. Bern 1952. Wolff v e r t r i t t auf G r u n d u n g e d r u c k t e r

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D o k u m e n t e , d a r u n t e r einige Gedichte v o n Silvie, die These, d a ß sie allein das Modell zu den lebensvollsten Frauenfiguren in Goethes Dichtungen zwischen 1802 u n d 1809 gewesen sei u n d d a ß sie Goethes Neigung leidenschaftlich erwidert habe, w ä h r e n d i h m die unerwiderte Neigung zu Minchen diente, in harmlosem poetischem Spiel Minchens N a m e n zu nennen, u m dahinter die Leidenschaft zu Silvie zu verbergen. Mir scheint diese A n n a h m e schon deshalb gewagt, weil m a n eine so b e w u ß t e T a r n u n g auf K o s t e n eines b e k a n n t e n Mädchens als t a k t l o s empfinden m ü ß t e u n d Goethe nicht z u t r a u e n möchte. Doch Wolff d ü r f t e darin recht h a b e n , d a ß die poetische Mädchenfigur der Sonette, so sehr der n u n einmal lyrisch reizvolle N a m e n Herzlieb angespielt wird, in der künstlerischen U m w a n d l u n g der biographischen F a k t e n erzeugt w u r d e ; eine solche U m w a n d l u n g erlaubt aber auch nicht, Silvie allzu eng als konkretes Modell zu b e t r a c h t e n . 6 Der Nachweis ist leicht zu erbringen. D a s Verhältnis Bettines zu Goethe sei kurz resümiert. Die 21jährige findet 1806 in Offenbach die Briefe, die Goethe 1772—1776 ihrer G r o ß m u t t e r Sophie Laroche geschrieben h a t t e . I n ihnen war v o n Sophies Tochter Maximiliane die Rede, die Bettines M u t t e r wurde. Goethe h a t t e n a c h seiner F l u c h t aus Wetzlar eine Neigung zu ihr gefaßt u n d besuchte sie n a c h ihrer H e i r a t m i t dem F r a n k f u r t e r K a u f m a n n B r e n t a n o freundschaftlich, bis i h m der G a t t e eifersüchtig das H a u s wies. Seit 1806 besuchte B e t t i n e in F r a n k f u r t regelmäßig F r a u R a t Goethe, die ihr viel v o n Goethes K i n d h e i t erzählte. B e t t i n e berichtet später dem Dichter darüber, als er „Dichtung u n d W a h r h e i t " zu schreiben beginnt u n d nach d e m T o d der M u t t e r (Sept. 1808) n a c h Quellen f ü r seine Kindheitsgeschichte sucht. I m F r ü h j a h r 1807 besucht B e t t i n e Goethe das erstemal in Weimar, d a n n noch einmal im N o v e m b e r des gleichen J a h r e s , kurz bevor Goethe n a c h J e n a z u m Sonettdichten ging. D a n a c h k o m m t sie erst i m September 1811, diesmal m i t ihrem Mann Achim v o n Arnim, wieder n a c h W e i m a r . N a c h einem Zusammenstoß zwischen ihr u n d Christiane verbietet ihr Goethe das H a u s . Später n e n n t er sie einmal unwillig-abweisend „diese leidige Bremse". Sie schreibt weiter a n ihn, obwohl er ihre Briefe nicht b e a n t w o r t e t . E r s t 1824 wird sie v o n i h m in W e i m a r wieder empfangen. B e t t i n e schreibt v o m J u n i bis Dezember 1807 einige Briefe a n Goethe, er sendet ihr im Dezember 1807 die beiden Sonette I u n d I I I , was offenbar ein großer Gunstbeweis ist. Später b e h a u p t e t e sie, der ganze Zyklus sei durch sie hervorgerufen worden u n d f ü r sie b e s t i m m t gewesen. Man n a h m d a r a u f h i n lange an, d a ß B e t t i n e in den Sonetten I , I V , V I I , V I I I , I X u n d X auslösenden Anteil habe, also den Sonetten, in denen das Mädchen s p r i c h t ; m a n c h e W e n d u n g e n ihrer Briefe seien in die Sonette eingegangen, so wenn m a n ihren Brief an Goethe v o n A n f a n g Dezember 1807 m i t Sonett I I I vergleicht; sie schreibt: „So wie der F r e u n d A n k e r löst n a c h langer Zögerung u n d endlich scheiden m u ß ; i h m wird die letzte U m a r m u n g , was i h m der letzte Anblick war, u n d wenn n u n endlich a u c h das blaue Gebirg verschwindet, so wird ihm seine E i n s a m k e i t , seine E r i n n e r u n g alles so ist das treue G e m ü t beschaffen, d a s dich lieb h a t , das bin ich!, die dir v o n G o t t gegeben ist, als ein D a m m , über welchen dein H e r z nicht m i t d e m S t r o m der Zeit schwimmen soll, sondern ewig j u n g in dir bleibt u n d ewig g e ü b t in der Liebe —." Aber es ist n a c h d e m , was später im „Briefwechsel m i t einem K i n d e " geschah, k a u m ein Zweifel, d a ß Bettines Brief eine P a r a p h r a s e des eben v o n Goethe erhaltenen Sonetts I I I ist. Vor den 2. Teil des „Briefwechsels", den eigentlichen m i t Goethe, h a t B e t t i n e das Sonett X V I gestellt, das P e t r a r c a s Liebe zum Gegenstand h a t — auch eine L a u r a wollte sie in den Augen ihrer Leser f ü r Goethe gewesen sein! I n d e m fingierten Brief v o m 15. 5. 1807 im „Briefwechsel" spricht sie v o n Momenten, da sie ihn umhalste, u n d in seinem N a m e n spricht sie aus, was er h ä t t e in der w u n d e r b a r e n Liebesstunde sprechen k ö n n e n : „Mein K i n d ! Mein artig g u t Mädchen! Liebes H e r z ! " — also das, was Goethe in Sonett X d e m Mädchen als W u n s c h in den Mund legt. B e t t i n e wollte den E i n d r u c k erwecken, d a ß Goethe sein Sonett nach ihren Anregungen gedichtet habe, aber es liegt auf der H a n d , d a ß sie längst Goethes Sonett gelesen u n d d a n n ihre fingierten Briefe d a r n a c h geschrieben h a t . Ferner unterschrieb sie sich i m Brief v o m 14. 6. 1807 des „Briefwechsels": „Dein K i n d , Dein Herz, dein g u t Mädchen. . ." I n weiteren gedichteten Briefen finden sich Anspielungen auf die Sonette V, V I I I , I X u n d X (vgl. dazu die Ausgabe v o n G u s t a v K o n r a d , W e r k e u n d Briefe, Frechen-Köln 1959, S. 90, 96, 97, 109). Zuletzt fingiert sie einen Brief, den Goethe ihr aus K a r l s b a d schreibt u n d m i t dem er ihr die Charade — Sonett X V I I — schickt: es wird im W o r t l a u t beigelegt, u n d sie l ä ß t Goethe schreiben: „ . . . D u bist mir ein liebes freundliches Kind, das ich nicht verlieren möchte, durch welches ein großer Teil des ersprießlichsten Segens mir zufließt. D u bist mir ein freundliches Licht, das den A b e n d meines Lebens behaglich erleuchtet, u n d da gebe ich dir, u m doch z u s t a n d e z u k o m m e n m i t allen Klagen, z u m letzten Schluß beikommendes Rätsel, a n d e m m a g s t d u dich zufrieden r a t e n . . ." (S. 156). I n einem weiteren Brief k o m m t sie noch einmal auf die Charade zurück, a m E n d e des 1. Teils des „Briefwechsels", u n d schreibt: „Ich errate draus meine Rechte, meine Anerkenntnis, meinen L o h n u n d die B e k r ä f t i g u n g unsers Bundes, u n d werde jeden Tag deine neue Liebe neu erraten, verbrenne mich i m m e r , wenn d u mich zugleich u m f a n g e n u n d spiegeln willst in deinem Geist u n d vereint m i t mir gern genennt sein w i l l s t . . . " (S. 163)

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JOACHIM

MÜLLER

7 Das t u t Wolff a. a. O. S. 152, um die Geschlossenheit der lyrisch vergegenwärtigten spannungsreichen Liebeshandlung zu demonstrieren. Das ist aber, wie ich in meiner Interpretation der zyklischen Kontinuität deutlich mache, eine völlige Verkennung der gerade die tiefere Einheit der Sonette konstituierenden Funktion der drei reflektierenden Sonette. 8 Man könnte sagen: Bürgers „Sonettenwut" steckte Schlegel an, Schlegels und Werners „Sonettenwut" steckte Goethe an. Auch darin wird in heiter übertreibender Weise die bedeutsame Wegstrecke markiert, die die Geschichte des deutschen Sonetts von Bürger bis Goethe zurücklegte. 9 Man darf hierzu den 1. Satz aus Goethes Paraphrase seines Stanzengedichtes „Bros, Liebe" im Zyklus „Urworte. Orphisch" (1817) zitieren: „Hierunter ist alles begriffen, was man von der leisesten Neigung bis zur leidenschaftlichsten Raserei nur denken möchte; hier verbinden sich der individuelle Dämon und die verführende Tyche miteinander." 10 Mönch a. a. O. S. 178. 11 Erich Trunz sagt in seinem Kommentar in der Hamburger Ausgabe Bd. 1, 1960, S. 544 hierzu: „Sogar wenn keine strenge äußere Bindung Schranken setzt, ist es k a u m möglich, für des Herzens Fülle Gestalt zu finden — wieviel weniger kann es in so strenger Form der Fall sein!" 12 Maximen und Reflexionen Ausgabe Hecker Nr. 130. 13 Zur Bibliographie des Themas Goethes Sonette vgl. HA I (51960) S. 543. Von älterer Lit. sind noch lesenswert Kuno Fischer, Goethes Sonettenkranz; Heidelberg 1896; J . Schipper, Goethe-Jb. Bd. 17, 1896, S. 157—175. Aus der neueren Literatur hebe ich heraus: das Kapitel „Sonette" in Friedrich Gundolfs „Goethe" (1916, Neudruck Darmstadt 1963 S. 576-579); Gundolf vermag die Sonette nur als bewußtes Kunsthandwerk, als klassizistische Gattungsparadigmata, als ironisches Dichten — und das bedeutet für ihn einen poetischen Minderrang — einzuschätzen; der dichterischen Tiefe und Fülle wird er nicht gerecht. Die Deutung Paul Hankamers in „Spiel der Mächte", Tübingen 1947, S. 9—90, entfernt sich spekulativ vom Text. Auch sie erweist, daß man bei dem Bemühen, die biographischen Modelle und Situationen möglichst exakt auszumachen, das Eigentümliche der künstlerischen Verwandlung und damit das Eigenständige der lyrischen Bewegung verkennt.

Fortsetzung von der 2. Umachlagseite Band 50 Heft l a

Bibliographie zur Yor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands Herausgegeben von Prof. Dr. MARTIN J A H N — Band 1 Prof. Dr. WALTHEB SCHULZ, Bibliographie zur Vor- und Frühgeschichte von Sachsen-Anhalt und Thüringen. Teil 2a: I. Allgemeiner Teil,II. Archäologie und Ergänzungswissenschaften: Umwelt, Mensch, Archäologie, 1866-1953 1959. XXI, 652 Seiten - 1 Landkarte - 4° - MDN 6 3 , -

Heft lb

Bibliographie zur Vor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands Herausgegeben von Prof. Dr. MARTIN J A H N — Band 1 Prof. Dr. WALTHEB SCHULZ, Bibliographie zur Yor- und Frühgeschichte von Sachsen-Anhalt und Thüringen. Teil 2b: Historische Überlieferung, Ortsnamenüberlieferung, Volksüberlieferung, Darstellungen, bis 1953. Register 1962. XII, 290 Seiten - 4" - MDN 3 4 , -

Band 61 Heft 1

Dr. EKICH N E U S S , Entstehung und Entwicklung der Blasse der besitzlosen Lohnarbeiter in Halle Eine Grundlegung 1958. VIII, 344 Seiten - 1 Abbildung - 26 Tabellen - 4° - MDN 19,50

Heft 2

Dr. BERNHARD GEYER, Das Stadtbild Alt-Dresdens, Baurecht und Baugestaltung 1964. 111 Seiten - 35 Abbüdungen auf 22 Tafeln - 4° - MDN 13,90

Band 52 Heft 1

Heft 2 Heft 3 Heft 4

Prof. Dr. SIEGERIED MORENZ unter Mitarbeit von DIETER MÜLLER, Untersuchungen zur Bolle des Schicksals in der ägyptischen Religion 1960. 36 Seiten - 4° - MDN 6,30 Prof. Dr. MARTIN J A H N , Der älteste Bergbau in Europa 1960. 62 Seiten - 29 Abbildungen, davon 12 auf 4 Kunstdrucktafeln - 4° - MDN 6,80 Dr. ERNST ROHLOFF, Neidharts Sangweisen. Teil I : Kommentarband 1962. 130 S e i t e n - 4 ° Dr. E E N S T ROHLOFF, Neidharts Sangweisen. Teil I I : Melodien und Lieder 1962. 414 Seiten - 4° - Teil I und I I zusammen MDN 85,-

Band 58 Heft 1

Dr. DIETER MÖLLER, Ägypten und die griechischen Isis-Aretalogien 1961. 96 S e i t e n - 4 ° - MDN 15,50

Heft 2

Dr. HEINEICH MAOIRIUS, Die Baugeschichte des Klosters Altzella Plangestaltung von JOCHEN HELBIG 1962. 231 Seiten - 21 Figuren im Text - 155 Abbildungen auf 57 Kunstdrucktafeln - 28 Pläne auf 20 Tafeln und 7 Ausschlagtafeln - 4° - MDN 36,50

Heft 3

August Hermann Franckes Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts — Der Grolle Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einführung herausgegeben v o n D r . OTTO PODCZECK

1962. 163 Seiten - 4» - MDN 15,20 Band 54 Heft f Heft 2 Heft 3 Heft 4 Heft 5

Prof. Dr. FRIEDRICH B E H N , Zur Problematik der Felsbilder 1962. 89 Seiten - 175 Abbüdungen auf 64 Kunstdrucktafeln - 4° - MDN 16,30 Prof. Dr. FRIEDRICH WELLER, Zum Käsyapaparivarta — Heft 1 — Mongolischer Text 1962.122 Seiten - 4» - MDN 10,60 Prof. Dr. KARL HARWICK, Das rednerische Bildungsideal Ciceros 1963. 90 Seiten - 4° - MDN 7,50 i Prof. Dr. RICHARD HAUSCHILD, Mistra —Die Faustburg Goethes. Erinnerungen an eine Griechenlandfahrt 1963. 26 Seiten - 16 Abbüdungen auf 8 Kunstdrucktafeln - 4° - MDN 4,40 Dr. HELGA BRENTJES, Die Imamatslehren im Islam nach der Darstellung des Asch'arl 1964. 58 Seiten - 4 Tafeln - 4» - MDN 8,10

Band 55 Heft la

Heft l b

Band 56 Heft 1

Heft

2

Heft

3

Heft 4

Band 57 Heft 1

Bibliographie zur Vor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands Herausgegeben von Prof. Dr. M A R T I N J A H N — Band 2 Dr. GEORG BIERBAUM, Bibliographie zur Vor- und Frühgeschichte, Land Sachsen Teil 3: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis über Mitte des 20. Jahrhunderts (1884—1957) a) Land, Bewohner, Kultur, Zeitabschnitte (In Vorbereitung) Bibliographie zur Vor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands Herausgegeben von Prof. Dr. M A R T I N J A H N — Band 2 Dr. GEORG BIERBAUM, Bibliographie zur Vor- und Frühgeschichte, Land Sachsen Teil 3: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis über Mitte des 20. Jahrhunderts (1884-1957) b) Denkmalpflege, Allgemeines, Verzeichnisse (In Vorbereitung) Dr. J O A C H I M E B E R T , Zum Pentathlon der Antike. Untersuchungen über das System der Siegerermittlung und die Ausführung des Halterensprunges 1963. VIII, 66 Seiten — 11 Abbildungen auf 6 Kunstdrucktafeln, 1 Bildreihe auf 1 Ausschlagtafel — 5 Tabellen - 4° - MDN 9,40 Prof. Dr. LIESELOTTE BLUMENTHAL, Schillers Dramenplan „Die Prinzeßin von Zelle" 1963. 68 Seiten - 24 Tafeln - 4» - MDN 12,30 Prof. Dr. W E R N E R P E E K , Fünf Wundergeschichten aus dem Asklepieion von Epidauros 1963. 8 Seiten - 1 Ausschlagtafel - 4° - MDN 2 , Dr. R U D O L F GROSSE, Die mitteldeutsch-niederdeutschen Handschriften des Schwabenspiegels in seiner Kurzform. Sprachgeschichtliche Untersuchung 1964. 127 Seiten - 6 Tabellen - 4» - MDN 12,Dr. D E T L E F LOTZE, Lysander und der Peloponnesische Krieg 1964. 98 Seiten - 4° - MDN 9,30

Heft 2

Deutsch-tschechische Beziehungen im Bereich der Sprache und Kultur. Aufsätze und Studien Herausgegeben von Prof. Dr. BOHUSLAV HAVRÄNBK und Prof. Dr. R U D O L F F I S C H E R 1965. 219 Seiten - 3 Karten - 7 Abbildungen - 4 Tabellen - 4« - MDN 2 4 , -

Heft

Prof. Dr. F R I E D R I C H W E L L E R , Zum Käsyapaparivarta — Heft 2 — Verdeutschung des sanskrittibetischen Textes 1965. 163 Seiten - 4° - MDN 2 2 , Prof. Dr. W A L T E R H E N T S C H E L , Die Alte Börse in Leipzig und ihr Architekt 1964. 21 Seiten - 27 Abbildungen auf 16 Tafeln - 4° - MDN 6,35

3

Heft 4 Band 58 Heft 1

Onomastica Slavogermanica I Herausgegeben von Prof. Dr. R U D O L F F I S C H E R 1965. 126 Seiten - 3 Karten - 5 Abbildungen, davon 4 auf 2 Tafeln - 9 Tabellen - 4° - MDN 16,10

Heft 2

Prof. Dr. R I C H A R D (In Vorbereitung)

Heft

Prof. Dr. JOACHIM MÜLLER, Goethes Sonette — lyrische Epoche und motivische Kontinuität (Vorliegendes Heft)

3

HAUSCHILD,

Die Astävakra-Gltä

Einzel- oder Fortsetzungsbestellungen durch eine Buchhandlung erbeten Vor 1945 erschienene Abhandlungen antiquarisch durch den Akademie-Verlag, Berlin, zum Teil noch lieferbar

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