Performative Lyrik und lyrische Performance: Profilbildung im deutschen Rap 9783839436202

Rap does not exist on paper - rap must be performed. The individual style of a rapper - their flow - is thus a crucial m

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Performative Lyrik und lyrische Performance: Profilbildung im deutschen Rap
 9783839436202

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
TEIL I – GRUNDLAGEN DER UNTERSUCHUNG
1. Leitthesen und theoretische Ausgangslage
1.1 Das Untersuchungsfeld: Rap in Deutschland
1.2 Methodik, Darstellungsproblematik
1.3 Forschungsstand
1.4 Aufbau
2. Rap und HipHop in Deutschland: Beschreibung einer Kultur der Selbstinszenierung
2.1 ‚HipHop‘ – Begriffsbestimmung
2.2 HipHop und Rap: Profilrelevante Charakteristika
TEIL II – ENTWURF EINER ‚POETIK DES RAP‘
3. Poetizität von Raptexten – poetische Verfahren
3.1 Oralität und Literalität
3.2 Verfahren zur klanglichen Verknüpfung
3.3 Verfahren zur semantischen Verknüpfung
4. Das Erlebnisphänomen ‚Flow‘
4.1 ‚Flow‘ – Begriffsbestimmung
4.2 Synchronizität und rhythmische Quantisierung
4.3 Rhythmische Referenzstrukturen
4.4 Metrische Synchronizität
4.5 Double-Time, Half-Time
4.6 Artikulation, Phrasierung, Intonation
4.7 Strukturierende Bewegungen
4.8 Wiederholungen
5. Das Boasting – Prahlerei als Kulturpraxis
5.1 Sprechakte im Rap
5.2 Das Boasting – Begriffliche Eingrenzung
5.3 Präsentationsverfahren | 1405.4 ‚Skillz‘ und ‚Stylez‘
5.5 Wirkungsästhetik im Boasting
5.6 Ghettokind, Straßenjunge und harte Kerle
5.7 Gewaltfokussierende Boastings
5.8 Wortspiele
5.9 Stereotyp und Individualität
6. Das Dissing
6.1 Das Dissing – Begriffliche Eingrenzung
6.2 Die Adressierung von Dissings
6.3 Dissing-Techniken
6.4 Dissing und Sexualität
7. Topos ‚Urbanität‘
7.1 Repräsentationsstrategien
7.2 Authentifizierungsstrategien
7.3 Straße – ‚street‘ – ‚Street-Credibility‘
7.4 Ghetto und Gangsta
7.5 „Mein Block“ – Selbstinszenierungen im lokalen Umfeld
7.6 „Meine Stadt“ – Lokalisierung und Profilbildung
7.7 Wettbewerb und Städtevergleich
8. Topos ‚Sexualität‘
8.1 Profilbildung in Opposition zur Erwachsenenkultur
8.2 Profilbildung in Opposition zur Konkurrenz
8.3 Provokatives Potenzial
8.4 Erotik und Pornografie
8.5 Paradoxien bei Sexualitätsdarstellungen von Rapperinnen
8.6 Fallbeispiel Lexemverband ‚ficken‘
8.7 Szeneinterne Kritik von Sexualitätsdarstellungen
9. Topos ‚Gewalt‘
9.1 Manifestationen von Gewalt
9.2 Realness und Authentizität
9.3 Paradoxien bei Gewaltdarstellungen von Rapperinnen
9.4 Indizierung
TEIL III – FALLBEISPIELE
10. Sido – vom ‚Rüpelrapper‘ zum ‚Straßenjungen‘
10.1 Einleitung
10.2 „Weihnachts song“
10.3 „Mein Block“
10.4 „Hey Du!“
10.5 Fazit
11. Bushido – Migration und Mystifizierung
11.1 Einleitung
11.2 „Bei Nacht“
11.3 „Alles verloren“
11.4 „Für immer jung“
11.5 Fazit
12. Resümee und Ausblick
12.1 Resümee
12.2 Ausblick
ANHANG
Raptexte
Trackverzeichnis
Musikvideoverzeichnis
Literatur

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Johannes Gruber Performative Lyrik und lyrische Performance

Studien zur Popularmusik

Johannes Gruber, geb. 1981, studierte Schlagzeug, Musik und Germanistik in Hannover und promovierte an der Freien Universität Berlin im Fach »Neuere deutsche Literatur«. Er unterrichtet Deutsch und Musik an einem Gymnasium und arbeitet als Referent und Workshop-Leiter mit den Themenschwerpunkten Gesang, A cappella, Mouth-Percussion, Slam Poetry und Rap.

Johannes Gruber

Performative Lyrik und lyrische Performance Profilbildung im deutschen Rap

Bei der vorliegenenden Studie handelt es sich um die leicht überarbeitete Dissertation des Verfassers, die 2014 an der Freien Universität Berlin angenommen wurde.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

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Inhalt

Einleitung | 9

TEIL I – G RUNDLAGEN DER UNTERSUCHUNG 1.

Leitthesen und theoretische Ausgangslage | 15

1.1 1.2 1.3 1.4

Das Untersuchungsfeld: Rap in Deutschland | 17 Methodik, Darstellungsproblematik | 35 Forschungsstand | 44 Aufbau | 47

2.

Rap und HipHop in Deutschland: Beschreibung einer Kultur der Selbstinszenierung | 51

2.1 ‚HipHop‘ – Begriffsbestimmung | 53 2.2 HipHop und Rap: Profilrelevante Charakteristika | 57

TEIL II – ENTWURF EINER ‚P OETIK DES RAP ‘ 3.

Poetizität von Raptexten – poetische Verfahren | 75

3.1 Oralität und Literalität | 75 3.2 Verfahren zur klanglichen Verknüpfung | 83 3.3 Verfahren zur semantischen Verknüpfung | 92 4.

Das Erlebnisphänomen ‚Flow‘ | 97

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8

‚Flow‘ – Begriffsbestimmung | 97 Synchronizität und rhythmische Quantisierung | 102 Rhythmische Referenzstrukturen | 103 Metrische Synchronizität | 106 Double-Time, Half-Time | 115 Artikulation, Phrasierung, Intonation | 121 Strukturierende Bewegungen | 126 Wiederholungen | 130

5.

Das Boasting – Prahlerei als Kulturpraxis | 133

5.1 Sprechakte im Rap | 133 5.2 Das Boasting – Begriffliche Eingrenzung | 137 5.3 Präsentationsverfahren | 140

5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9

‚Skillz‘ und ‚Stylez‘ | 143 Wirkungsästhetik im Boasting | 148 Ghettokind, Straßenjunge und harte Kerle | 150 Gewaltfokussierende Boastings | 152 Wortspiele | 154 Stereotyp und Individualität | 155

6.

Das Dissing | 159

6.1 6.2 6.3 6.4

Das Dissing – Begriffliche Eingrenzung | 159 Die Adressierung von Dissings | 160 Dissing-Techniken | 161 Dissing und Sexualität | 167

7.

Topos ‚Urbanität‘ | 171

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7

Repräsentationsstrategien | 174 Authentifizierungsstrategien | 176 Straße – ‚street‘ – ‚Street-Credibility‘ | 178 Ghetto und Gangsta | 179 „Mein Block“ – Selbstinszenierungen im lokalen Umfeld | 181 „Meine Stadt“ – Lokalisierung und Profilbildung | 184 Wettbewerb und Städtevergleich | 187

8.

Topos ‚Sexualität‘ | 193

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7

Profilbildung in Opposition zur Erwachsenenkultur | 193 Profilbildung in Opposition zur Konkurrenz | 195 Provokatives Potenzial | 198 Erotik und Pornografie | 203 Paradoxien bei Sexualitätsdarstellungen von Rapperinnen | 213 Fallbeispiel Lexemverband ‚ficken‘ | 225 Szeneinterne Kritik von Sexualitätsdarstellungen | 235

9.

Topos ‚Gewalt‘ | 239

9.1 9.2 9.3 9.4

Manifestationen von Gewalt | 239 Realness und Authentizität | 245 Paradoxien bei Gewaltdarstellungen von Rapperinnen | 249 Indizierung | 251

TEIL III – FALLBEISPIELE 10. Sido – vom ‚Rüpelrapper‘ zum ‚Straßenjungen‘ | 259

10.1 10.2 10.3 10.4 10.5

Einleitung | 259 „Weihnachts song“ | 260 „Mein Block“ | 266 „Hey Du!“ | 282 Fazit | 287

11. Bushido – Migration und Mystifizierung | 291

11.1 11.2 11.3 11.4 11.5

Einleitung | 291 „Bei Nacht“ | 292 „Alles verloren“ | 300 „Für immer jung“ | 305 Fazit | 315

12. Resümee und Ausblick | 321

12.1 Resümee | 321 12.2 Ausblick | 327

ANHANG Raptexte | 333 Trackverzeichnis | 355 Musikvideoverzeichnis | 373 Literatur | 375

Einleitung

Rap ist heute in Deutschland populärer als jemals zuvor. Die Leitmedien unserer Zeit spielen dabei eine zentrale Rolle: Das Internet macht Rapperinnen und Rapper1 groß, das Fernsehen – leicht zeitversetzt – noch größer. Gemessen an der (Massen-)Popularität, der medialen Aufmerksamkeit, der Wirtschaftskraft und der unüberschaubaren Zahl an Produzenten und Konsumenten scheint die Rapkultur aktuell einen nie dagewesenen Boom zu erleben. Rap ist salonfähig geworden, längst im kulturellen Mainstream verwurzelt und trägt überwiegend nur noch zu Werbezwecken das Stigma des Verruchten und Verbotenen. Als quasi legitimierte Sprecher einer vermeintlichen Jugend- und Sub-Kultur und als medienerfahrene harmlose Paradiesvögel sind Rapper mittlerweile gern gesehene Gäste in Talk-Runden und Podiumsdiskussionen. Sie sorgen für den Hauch an Unangepasstheit und hohe Einschaltquoten. Michi Beck und Smudo werden Jury-Mitglieder bei „The Voice of Germany“, das Leben von Sido, Bushido und nun auch Cro wird Gegenstand von Kinofilmen, Samy Deluxe ist zu Gast bei „Sing meinen Song“, sein Lebenswerk wird geehrt und seine Hits von Größen des Pop-Business in einem Medienspektakel gecovert. Zumindest in der Popular- und Massenkultur ist der deutsche Rap längst angekommen. Und hat sich dabei teilweise selbst überlebt. Eines steht aber bislang noch aus: Der ‚Ritterschlag der Wissenschaft‘. Dafür gibt es mehrere Gründe. ‚Abtörner‘ Nummer eins dürfte der spezifische Sprachgebrauch sein. Rapper verwenden teilweise unverständliche Jugend- und Szenesprache, Entlehnungen aus anderen Sprachen, Wortneuschöpfungen, die sich ohne Hintergrundwissen nicht dechiffrieren lassen, Halbsätze, Wortreihungen und

1

Der Kritik Glowanias und Heils an einer Frauenrap-/Männerrap-Dichotomisierung folgend werde ich, sofern nicht weiter spezifiziert, im Folgenden mit dem Begriff ‚Rapper‘ sowohl weibliche wie männliche MCs bezeichnen. (Vgl. hierzu ausführlich Kap. 1.2 und Glowania/Heil 1996, S. 102.)

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vor allem eine vulgäre, obszöne und sexistische Umgangssprache, die wenig gewohnte Hörer als Zumutung empfinden. Hinzu kommt eine offensichtliche Schneller-Höher-Weiter-Ästhetik, in der Prahlen und Beleidigen als vorherrschende Sprechakte eine ernsthafte Beschäftigung mit den Inhalten völlig auszuschließen scheint. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich schließlich aus der Materialität: Was genau ist Rap? Und wie lässt er sich untersuchen? Denn Rap existiert nicht auf dem Papier, Rap muss aufgeführt werden. Welche wissenschaftliche Disziplin ist also prädestiniert, welche Methoden geeignet und welche Kriterien sinnvoll, um einzelne Rapper und ihre Kulturprodukte zu vergleichen und daraus Kulturstandards abzuleiten? Jegliche Rap-Forschung, die in der Analyse nur auf die Textgrundlage, nur auf die Darbietung des Textes oder nur auf den Inhalt der Texte beschränkt ist, greift zu kurz. Mit anderen Worten: Nur ein interdisziplinärer Untersuchungsansatz kann das Gesamtphänomen Rap hinreichend erfassen. Die vorliegende Studie setzt entsprechend auf mehreren Ebenen an. Zunächst geht es darum Rappen als rhetorisches Spiel nach tradierten Regeln zu beschreiben und diese mithilfe traditioneller Verfahren und Techniken zu kontextualisieren. So entsteht aus der Analyse von Hunderten von Raptracks und Raptexten eine ‚Poetik des Rap‘, die literarische Produktionsverfahren und poetische Gestaltungsmechanismen systematisiert. Dabei spielen die Kulturtechniken des Boasting und Dissing eine Schlüsselrolle. Mit dem hier angewendeten und weiterentwickelten Konzept des ‚Flows‘ und der daran anschließenden neu ausgearbeiteten Flowanalyse als elementare Analysemethode wird ein Instrumentarium bereitgestellt, um Raptexte bzw. Raptracks erstmals auch qualitativ zu untersuchen. Neben der für die Aufwertung dieses Genres so wichtigen Fokusverschiebung vom Was auf das Wie, entsteht dabei der Eindruck, dass das Wie im Untersuchungszeitraum der Jahre 2000 bis 2010 zu einer nie dagewesenen Perfektion gebracht wurde. Könnte diese Dekade bereits die ‚Hoch-Zeit des Rap in Deutschland‘ gewesen sein? Rap ist nicht nur Text, Rap ist die authentische Verkörperung dieses Textes. Dabei ist charakteristisch für die Rapkultur, dass der Autor selbst seine Texte performt. Sobald aber durch das performative Moment der Akteur selbst in die Werkbetrachtung mit einfließt, rücken auch Mechanismen und Strategien der Image-Bildung (hier: Profilbildung) in den Fokus. Dieser Umstand manifestiert sich unter anderem in dem für den untersuchten Zeitraum zentralen – vor allem auch szeneinternen – Diskurs über Künstlerinszenierung und Authentizität, der insbesondere im sogenannten ‚Gangsta-Rap‘ eine herausragende Rolle spielt. Das Vorhaben, die dabei wirksamen Profilbildungsprozesse zu identifizieren und zu untersuchen, kann wiederum nur auf Grundlage einer Genrepoetik gelingen. Erst dann können Fragen wie die folgenden erörtert werden: Wie gelingt es Rap-

E INLEITUNG | 11

pern ihr Profil zu generieren, zu verändern und als ‚authentisch‘ bzw. ‚real‘2 zu etablieren? Welche Strategien und Mechanismen wenden sie an? Wo sind sie innovativ, wo repetitiv? Anhand der beiden prominenten Beispiele Sido und Bushido und der Detailanalysen einzelner ihrer Raptracks bzw. Raptexte aus unterschiedlichen Schaffensperioden sollen schließlich profilübergreifende, längerfristige Prozesse und Strategien nachgewiesen werden. Außerdem dienen sie dazu, die Anwendbarkeit der entwickelten Analysemethoden, der spezifizierten Terminologie sowie neuer Klassifikationsmodelle für literarische Produktionsverfahren und poetische Gestaltungsmechanismen zu überprüfen. Die vorliegende Studie, die sich an ein Fachpublikum und wissenschaftlich interessierte Leser wendet, verfolgt also ein mehrfaches Anliegen: Zum einen sollen standardisierte poetische Verfahren und Gestaltungsmechanismen gesammelt und systematisiert werden, um daraus eine ‚Poetik des Rap‘ abzuleiten. Sie wiederum dient als notwendige Basis, auf der Aussagen über Profilbildungsmechanismen und -strategien im deutschen Rap überhaupt erst möglich werden. Außerdem werden dazu erforderliche Analysemethoden entwickelt und auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft, mit deren Hilfe erstmals Rap in seiner Gesamtheit als sprachbasiertes Klangphänomen untersucht werden kann – als ‚performative Lyrik‘ und ‚lyrische Performance‘.

2

Gemeint ist hier das aus dem Englischen stammende Wort „real“ mit der Bedeutung ‚wirklich‘, ‚echt‘.

Teil I – Grundlagen der Untersuchung

1. Leitthesen und theoretische Ausgangslage

Ausgangspunkt der Untersuchungen ist die These, dass Rapper als Verfasser und Performer ihrer eigenen Texte sich in jedem Moment der Produktion und Aufführung selbst inszenieren und auf diese Weise ihr Künstlerprofil1 performativ herstellen und permanent aktualisieren. Anhand von Analysen von über 300 Raptexten und deren konkreter Umsetzung in Raptracks, die in den Jahren 2000 bis 2010 veröffentlicht wurden, werden daher literarische Produktionsverfahren, poetische Gestaltungsmechanismen, performative Profilbildungsstrategien und profilrelevante Topoi ermittelt, um so schließlich den Versuch zu unternehmen, eine ‚Poetik des Rap‘ abzuleiten. Den Begriff ‚Poetik‘ verwende ich dabei weder im Sinne einer normativen Regelpoetik noch für eine Autorpoetik, sondern gewissermaßen als Genrepoetik, mithilfe derer die Poetizität von Raptexten bestimmt und beschrieben werden kann. Auf dieser Grundlage werden anschließend zwei exemplarische Künstlerprofile auf die dabei ermittelten Prozesse und Inhalte hin untersucht. Hierbei dienen die jeweiligen drei Raptracks aus unterschiedlichen Schaffensperioden unter anderem der Veranschaulichung von längerfristigen Strategiewechseln innerhalb eines Profils. Das zugrunde liegende Textkorpus, wovon ca. 300 Texte in dieser Arbeit namentlich erwähnt und deshalb im Anhang gelistet werden, umfasst insgesamt weit über 600 Raptexte und entstand mit dem Ziel einer gewissen Exemplarizität mittels eines zweistufigen Auswahlverfahrens: Als ‚Rapper‘ bezeichnen sich all jene, die einen Text mit Reimen und Assonanzen zu einem Grundrhythmus in Beziehung setzen. Die Möglichkeiten der digitalen Produktion, Vervielfältigung und Verbreitung von Audioformaten führten seit der Jahrtausendwende zu einer unüberschaubaren Zahl dilettierender bis semi-professioneller Rapper, die etwa auf ‚youtube‘ und ähnlichen Internetplattformen präsent sind. In einem ersten Schritt wurden daher zunächst Rapper hinsichtlich ihrer medialen Präsenz und Kommerzialität sondiert. Dabei dienten die offiziell durch ‚mediacontrol‘ ermittelten Charts (‚Mainstream‘, Major-Labels), sowie inoffizielle Szene-Charts 1

Zum Begriff des ‚Profils‘ vgl. Kap. 1.1.3.

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(‚Underground‘, Independent-Labels) als Orientierung. Eine Platzierung in den Charts ist an ein Publikum und an Publikationen geknüpft und kann daher als Indikator für Bekanntheitsgrad und Professionalität gelesen werden. Die Veröffentlichung zumindest eines Studio-Albums wurde damit formales Kriterium. Auf diese Weise war darüber hinaus eine gewisse Kontinuität des Künstlerprofils gewährleistet, da die Konzeption und Produktion eines Albums eine bestimmte Anzahl an Tracks, eine längerfristige Aktivität als Rapper und eine als Rezipienten antizipierte Anhängerschaft voraussetzen. Die Systematisierung durch Verkaufs- bzw. Downloadcharts birgt allerdings die Gefahr einer Verzerrung, da subkulturelle Phänomene hier größtenteils unterrepräsentiert sind. Aus diesem Grund bestand der zweite Schritt aus der gezielten Recherche innerhalb von Subkulturen, die aufgrund ihrer quantitativen Bedeutung wichtigen Neuheitswert produzieren. So wurden auch Künstler und Rapformationen in die Betrachtungen mit einbezogen, deren Publikationen nicht in den einschlägigen Charts auftauchen, die über Independent- oder Fake-Labels veröffentlicht werden und teilweise nicht im offiziellen Plattenhandel oder nur über private Homepages zu beziehen sind. Auch sie finden Verbreitung über ‚youtube‘ oder ähnliche Internetplattformen und heben sich durch eine große Zahl an Aufrufen bzw. Rezipienten hervor. Auf diese Weise entstand nicht ein Textkorpus, das dem Anspruch gerecht werden soll, repräsentativ für den deutschsprachigen Rap zu sein, sondern eine Sammlung an exemplarischen und protypischen Beispielen, anhand derer Aussagen über die medial präsente Rapkultur in Deutschland in ihrer ganzen Breite getroffen werden können. Wie in Teil I und II der Arbeit zu sehen sein wird, ist die Rapkultur in Deutschland äußerst heterogen. Die Vielfalt an Stilen und individuellen Inszenierungen ist das Ergebnis stark unterschiedlicher Gestaltungsmechanismen, die trotz der Anwendung standardisierter Verfahren durch den ‚Zwang zur Individualisierung‘2 immer auch profilspezifischen Modifikationen und Rekontextualisierungen unterworfen sind. Aus einer kritischen Distanz zu Kategorisierungen wie den vermeintlichen ‚Rap-Genres‘, die einer begrifflichen Trennschärfe bislang entbehren, werde ich daher in der vorliegenden Arbeit Klassifizierungen grundsätzlich vermeiden. Ich strebe eine differenzierte Betrachtungsweise an, die sich an den jeweiligen Profilen der einzelnen Künstler orientiert. Dementsprechend summiere ich im Folgenden einige der zitierten Rapper bewusst ohne weitere Spezifikation in alphabetischer Reihenfolge: Afrob, Azad, Bass Sultan Hengzt, B-Tight, Blumentopf, Creutzfeld & Jakob, Curse, Deichkind, Dendemann, D-Flame, Die Fantastischen Vier, Eko Fresh, Farid Bang, Ferris

2

Vgl. hierzu etwa Menrath 2001, S. 76 ff.

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MC, Fettes Brot, Fler, Frauenarzt, Hecklah & Coch, Huss und Hodn, Jan Delay, King Orgasmus One, Kitty Kat, K.I.Z., Kool Savas, Kollegah, Lady Bitch Ray, Marteria, Massiv, Massive Töne, Nina, Olli Banjo, Pyranja, Samy Deluxe, Sookee, Spax, Tefla & Jaleel, Thomas D, Torch, Visa Vie und viele weitere. Die beiden prominenten Profile Bushidos und Sidos eignen sich aus mehreren Gründen als exemplarische Fallbeispiele für Teil III der Arbeit: Rap als eine Kultur der Selbstinszenierung, so wird vor allem Teil II zeigen, basiert wesentlich auf einem permanenten internen Authentizitätsdiskurs. Die vorausgesetzte ständige Evaluation der performativen Künstlerinszenierung durch die Rezipienten führt zu der Gleichsetzung von kommerziellem Erfolg und authentischer Profilbildung. Mit anderen Worten: Der erfolgreichste Rapper wird auch als authentischster Rapper imaginiert. Diese Annahme kann auf Grundlage der Detailanalysen von zwei der bis heute erfolgreichsten Rapper in Deutschland teilweise revidiert werden. Gleichzeitig kann gerade anhand der beiden besonders umfangreichen Oeuvres und gut dokumentierten Künstlerprofile Bushidos und Sidos die enorme Bedeutung spezifischer Profilbildungsstrategien dargestellt werden. Außerdem war es ein Anliegen, die in Teil II typisierten poetischen Verfahren nicht an poetologischen und performance-technischen Ausnahmeerscheinungen zu prüfen und zu demonstrieren, sondern an populären Beispielen einer Massenkultur. Entgegen der, vielfach selbst im wissenschaftlichen Diskurs gängigen, fehlenden Differenzierung zwischen verschiedenen Profilen, weisen die Inszenierungen Bushidos und Sidos enorm unterschiedliche Gestaltungsmechanismen und Profilbildungsstrategien auf. Diese lassen nach meiner Auffassung eine einheitliche Klassifizierung unmöglich und eine gemeinschaftliche Zuordnung zu dem Subgenre des ‚Gangsta-Rap‘ unzureichend erscheinen.

1.1 D AS U NTERSUCHUNGSFELD : R AP

IN

D EUTSCHLAND

Zunächst muss das Untersuchungsfeld klarer umrissen werden: Was genau ist ‚Rap‘? Dazu werden im ersten Schritt unterschiedliche, teilweise konkurrierende Verwendungsweisen in einer Begriffssynopse einander gegenübergestellt. Daran anknüpfend wird das in dieser Arbeit zugrunde liegende Rapverständnis näher beschrieben und, im Anschluss an Überlegungen zur Gattungsproblematik, der für diese Untersuchung elementare Begriff der ‚Profilbildung‘ eingeführt und näher bestimmt. Die darauf folgenden drei Unterkapitel bauen thematisch direkt aufeinander auf und beschäftigen sich mit der Medialität von Raptexten bzw. Raptracks, anschließend mit der Frage, ob Raptexte als lyrisches Textgenre auf-

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gefasst werden können und schließlich mit der grundlegenden Performativität des Rap. 1.1.1 ‚Rap‘ – Begriffsbestimmung Die selbst in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen vielfach fehlende definitorische Explikation des Rap-Begriffs suggeriert die Existenz eines quasi intuitiven, allgemeinen Verständnisses. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass das, was im Einzelnen als ‚Rap‘ bezeichnet wird, keinesfalls ein zweifelsfrei zu greifender Gegenstand ist. Zwei unterschiedliche Bezeichnungsmuster dominieren dabei den Diskurs: Zum einen wird mit ‚Rap‘ ein Musikgenre bezeichnet, eine „Sparte des globalen Musikmarktes“3. Von diesem Verständnis ausgehend werden musikalische Produktionen, die in Form von CDs bzw. digitalen Formaten wie MP3 oder AAC (teilweise in Kombination mit einer visuellen Umsetzung als Musikvideo) veröffentlicht werden, in Subkategorien zusammengefasst wie ‚Gangsta-Rap‘, ‚Party-Rap‘ u.v.m. Diese Klassifizierungen, obwohl sie ursprünglich versuchen Musikproduktionen einzuordnen, basieren maßgeblich auf textlich-inhaltlichen Kriterien. Eine systematische Einteilung aufgrund ausschließlich musikalischer Charakteristika wurde meines Wissens bisher nicht in Angriff genommen und ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. Hier offenbart sich die Problematik der Trennschärfe dieses Rap-Begriffs: Kriterien des einen Analyserasters (Inhalt, Semantik, Metaphorik etc.) dienen als Basis einer Kategorisierung, die mit Kriterien eines anderen Analyserasters (musikalische Komponenten, Stil etc.) nicht kompatibel sind und dennoch übernommen werden.4 Zum anderen bezeichnet ‚Rap‘ in einer zweiten Lesart konkreter jenes akustische Ereignis, das der Künstler selbst hervorbringt. Musikalische Begleitparameter wie Beat, Harmonisierung usw. werden dabei jedoch überwiegend ausgeklammert. Diesem Verständnis entspringen Definitionen wie „Raps können als gesprochene Texte bzw. Wörter verstanden werden“5 oder die vielfach anzutreffende Begriffsbestimmung des „rhythmisch akzentuierten Sprechgesangs“6. Während erstere ebenfalls auf einer Vorstellung von singulären Entitäten basieren (zu erkennen an der pluralischen Verwendung) und eine Fokussierung auf die textliche Grundlage forcieren, scheint die Bezeichnung des ‚Sprechgesangs‘ die Ereignishaftigkeit des Phänomens stärker in den Vordergrund zu rücken.

3

Custodis 2008, S. 171.

4

Vgl. hierzu auch die Überlegungen zur „Gattungsproblematik“ in Kapitel 1.1.3.

5

Wiegel 2010, S. 15.

6

Bielefeldt 2006, S. 137.

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Des Weiteren wird in der HipHop-Forschung parallel zum häufig in der Pluralform verwendeten Rap-Begriff (die ‚Raps‘ eines Künstlers)7 als Bezeichnung für konkrete Aufführungen von Raptexten außerdem ein wesentlich weiter gefasster, singularischer Begriff im Zusammenhang mit dem Totalphänomen angewendet, etwa in der Beschreibung als Kultur (z. B. der ‚deutsche Rap‘)8. Basierend auf einem konstruktivistischen Kulturverständnis, in dem die Rapkultur nicht unabhängig von den Akteuren gedacht wird, stellt die vorliegende Studie den eigentlichen Vorgang des ‚Rappens‘, das performative Darstellen oder ‚Performen‘ von Raptexten ins Zentrum. ‚Rappen‘ wird dabei als Kulturpraxis verstanden, bei der durch tradierte poetische Verfahren erstellte Sprachkonstrukte zu einer gedachten oder tatsächlich akustisch präsenten rhythmischmusikalischen Grundstruktur, dem ‚Beat‘, in Bezug gesetzt und mittels erprobter Gestaltungsmethoden durch den Verfasser selbst aufgeführt werden. In Abgrenzung dazu können rhythmisiert gesprochene Texte ohne einen zugrunde liegenden regelmäßigen Beat der ‚Slam Poetry‘ zugeordnet werden.9 In beiden Fällen handelt es sich um live vorgetragene lyrische Texte, bei der die theatrale Darbietung durch den Verfasser als Performance im Mittelpunkt steht.10 ‚Rap‘ als Gesamtphänomen ist die um diese Kulturpraxis herum entstehende komplexe Kultur, deren Teilhabende auch als ‚Szene‘ bezeichnet werden. Spezifische Kulturprodukte dieser Kultur werde ich als solche begrifflich kennzeichnen. Raptexte und Raptracks etwa fasse ich als eigenständige literarische bzw. musikalische Genres auf, die anhand genrespezifischer Charakteristika klassifiziert werden können.11 Durch die enge Verknüpfung mit der Musik finden gerappte Texte ihre Verbreitung überwiegend als produzierte Studioversionen, die hier in Abgrenzung zum Begriff ‚Song‘ als ‚Tracks‘ bezeichnet werden.12 Auch wenn bei Tonaufzeichnungen und Studioproduktionen technische Instrumentarien zur Verfügung stehen, deren Potenzial zur klanglichen Veränderung des Originalsignals weit das der Live-Elektronik übersteigt, wird die Live-Situation weitestgehend strukturell unverändert transferiert: Der Verfasser selbst performt seinen lyrischen Text vor einem Publikum. Das Ideal der Live-Kommunikation bleibt sowohl in

7

Vgl. etwa Karrer/Kerkhoff 1996, S. 8 oder Mikos 2003, S. 79.

8

Vgl. etwa Elflein 2006, S. 22, Menrath 2001, S. 123 oder Wiegel 2010.

9

Vgl. etwa Westermayr 2010, S. 134 ff.

10 Hier zeigen sich Parallelen zu Vorträgen von Manifesten in den dadaistischen Soireen. 11 Vgl. hierzu insbesondere die Kap. 1.1.4. 12 Vgl. Ismaiel-Wendt 2011, S. 54 ff.

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der Klangästhetik der Ausübenden als auch in der Vorstellung des vor dem Mikrofon stehenden Musikers auf Seiten der Konsumenten präsent, selbst wenn die Stimmen der Akteure mit technischen Hilfsmitteln wie Kompressoren oder Equalizer für die Fixierung auf Tonträger gezielt modifiziert werden.13 Im Allgemeinen basiert die Kommunikationssituation auf der Präsupposition der ‚Personalunion‘ von Verfasser und Performer (vgl. Kap. 1.1.1). Von ‚Ghostwritern‘ oder Songwritern als Urheber der Texte, wie sie in vielen Bereichen der Popmusik gängig sind, wird im Rap generell nicht ausgegangen. Als etabliertes Genre provozieren Raptexte daher eine Rezeptionshaltung, aus der heraus das redende Ich, der Sprecher, im Standardfall mit dem Rapper als ‚realem‘ Autor gleichgesetzt wird. Aus rezeptionsästhetischer Perspektive wird also nicht zwischen ‚implizitem‘ oder ‚abstraktem‘ und ‚empirischem‘ oder ‚konkretem Autor‘ unterschieden (vgl. dazu Kap. 1.1.6). Der Sprechersituation des Rappers ist stets ein Publikum inhärent. Wie im weiteren Verlauf der Arbeit gezeigt werden wird, ist die spätere performative Darstellung des Textes bereits integraler Bestandteil der Textproduktion selbst. Im Anfangsstadium der Rap-Produktion dient dabei die schriftliche Fixierung vorwiegend als Gedächtnisstütze und Arbeitsmaterial. In der Live-Situation hingegen werden, anders als etwa gelegentlich bei der ‚Slam Poetry‘, keine Niederschriften verwendet. Lediglich im Studio können sie Teil des Produktionsprozesses sein. Die komplexen Klangstrukturen, die durch rhythmische Verteilung, Betonungen, Assonanzen usw. entstehen, können nur bedingt und meist lediglich mithilfe individueller Zeichensysteme schriftlich fixiert werden. Die später in Booklets oder auf Homepages offiziell zur Verfügung gestellten Raptexte sind von den Rappern selbst editierte oder vom Produktionsteam erstellte und von den Künstlern autorisierte Fassungen. Sie dienen in erster Linie marktstrategischen Zielen wie der Fanpflege14 oder der Literarisierung15 und damit der Aufwertung des Künstlers. Rappen ist also eine Kulturpraxis, die nicht zwangsläufig einer Verschriftlichung bedarf. Für Untersuchungen hinsichtlich der Poetizität sind schriftliche Abstraktionen bzw. Reduktionen jedoch unerlässlich.

13 Vgl. etwa Ismaiel-Wendt/Stemmler 2009, S. 73 ff. 14 Die Raptexte können so leichter verbreitet und memoriert, Fehler beim Transkribieren vermieden und schwer nachzuvollziehende Textstellen eindeutig wiedergegeben werden. 15 Durch das schriftliche Fixieren und Wiedergeben wird der Künstler auch als Dichter lanciert, indem seine Textproduktionen qualitativ wie quantitativ nachvollziehbarer werden.

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Raptexte können, wie zu sehen sein wird, als ‚lyrische‘ Texte betrachtet werden, die mithilfe von teilweise standardisierten literarischen Produktionsverfahren erstellt werden. Als Textsorte zeichnen sie sich durch eine gebundene Form der Sprache aus (standardmäßige paarige Endreime), die stark an der musikalischen Grundlage orientiert ist. Zum einen äußert sich dies in der überwiegenden Stellung des Endreimpaares am Zeilenende, die mit einem periodisch wiederkehrenden, meist eintaktigen musikalischen Zyklus (standardmäßig ein 4/4-Takt) synchronisiert ist (vgl. Kap. 4.4). Außerdem wird die konventionelle Einteilung von Popsongs in Strophen, wiederkehrenden Refrains und Bridge-Teilen in der Sequenzierung des Texts simultan abgebildet. Rapper nehmen überwiegend die Position eines inszeniert-autobiografischen Erzählers ein, der aus der Ich-, seltener aus der Wir-Perspektive erzählt. Die Strophen sind dabei tendenziell multi-thematisch, bei narrativen Raptexten vollzieht sich in ihnen die eigentliche Handlung. Der Refrain beinhaltet die wiederkehrende erzählerisch-dramaturgische und musikalische Pointe des Stückes und wird auch als ‚Hook‘16 bezeichnet. Die Wiederholungen sind meist identisch. Wie diese englische Bezeichnung bereits andeutet, zeichnet sich dieser Formteil – gewissermaßen als ‚Essenz‘ des Werkes – durch besondere Prägnanz und Eingängigkeit aus. Die musikalische ‚Bridge‘17, die stets eine Ausweitung des bisherigen klanglichen Materials darstellt, kann von einem weiteren inhaltlichthematischen Höhepunkt begleitet sein, der den darauffolgenden Refrain neu kontextualisiert und eine neue Bedeutungsebene eröffnet. Entsprechend der Standard-Form eines Popsongs sind Raptracks bei einer ungefähren Spieldauer zwischen 3 und maximal 5 Minuten meist aus einer variablen Kette von Strophen mit darauffolgendem Refrain zusammengesetzt. Nach einer eventuellen Bridge oder einem instrumentalen Zwischenspiel enden die Stücke überwiegend mit einem – teilweise mehrfach wiederholten – Refrain. In einzelnen Fällen sind Musikalben durchaus auch als in sich geschlossene Zyklen konzipiert.18 Bei dem Großteil der auf Alben zusammengestellten Tracks handelt es sich jedoch um Einzelstücke, die in keinen größeren thematischen Zusammenhang gestellt sind. Der Produktionsprozess ist demnach nicht mit der eventuellen schriftlichen Fixierung des Raptextes durch den Rapper abgeschlossen, sondern erst in dem Moment, wo er ihn vor einem tatsächlichen oder fiktiven Publikum performt. Eine Fixierung der Performance kann auf technischem Wege akustisch als Ton-

16 Vgl. etwa Kautny 2009, S. 143 oder Wiegel 2010, S. 23. 17 Vgl. etwa Ismaiel-Wendt 2011, S. 259. 18 Etwa „Der Herr der Dinge“ von Prinz Pi und Biztram (Doppel-Album „!Donnerwetter!”, No Peanuts 2006).

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träger (CD) bzw. Tondatensatz (MP3) oder audio-visuell als Bildmedium (DVD) bzw. Bilddatensatz (Videoformate) erfolgen.19 Schriftliche Fixierungen der Raptexte – ob durch den Verfasser selbst oder durch Dritte – werden daher als abstrahierte, nachträglich konstruierte Transkriptionen verstanden. Sie werden hier als ‚Primärtexte‘20 behandelt, die erst durch die Kombinationsanalyse von schriftlicher Fixierung und klanglicher Realisierung als Raptracks auf Tonträgern Aussagen über die Kulturpraxis des Rappens ermöglichen. 1.1.2

Gattungsproblematik

Wie bereits angedeutet, ist in den Jahren seit der Jahrtausendwende eine Ausdifferenzierung der bis dahin verbreiten Stile und Formen im Rap zu beobachten. In der HipHop-Forschung in Deutschland wurden immer wieder Versuche unternommen, allgemeingültige Kategorien zur Klassifizierung zu finden. Dabei verwendete der Großteil der Forscher bislang Kategorisierungen aus der englischsprachigen Forschung wie ‚Party-Rap‘, ‚Conscious-Rap‘, ‚Pimp-‘ oder ‚Gangsta-Rap‘. Wie die folgende Definition von Ismaiel-Wendt exemplarisch zeigt, dienten und dienen dabei vor allem inhaltliche Faktoren als Distinktionsmerkmale, die wiederum maßgeblich in den Raptexten ihren Niederschlag finden: „Conscious Rap ist eine Bezeichnung für Rap Lyrics, in denen politische und sozialkritische Botschaften formuliert sind.“21 Anhand inhaltlicher Kriterien bietet diese Unterscheidung zwar eine gewisse Trennschärfe, vernachlässigt aber auch Effekte weiterer Referenzsysteme und führt somit zu einer Verallgemeinerung, die individuelle Ausprägungen nivelliert. Umgekehrt widmet sich etwa Seeliger „einer vergleichenden Betrachtung textlicher Motive“22 bei Rappern unterschiedlicher Genres, namentlich des ‚Polit-‘ und des ‚Gangsta-Rap‘, benennt wichtige Gemeinsamkeiten und stellt auf dieser Basis schließlich „die Diagnose eines gemeinsamen Fluchtpunktes linker Weltbilder“23. Dabei setzen sich ihm zufolge die Rapper „nicht nur textlich mit äußerst ähnlichen Themen (ungleiche Teilhabechancen und Ausgrenzungserfahrungen in der Gesellschaft) auseinander, sondern teilen auch bezüglich ihrer Beurteilung ähnliche Einschätzungen“24.

19 Aus Gründen der Überschaubarkeit wird in der vorliegenden Arbeit von Analysen von Live-Auftritten abgesehen. 20 Vgl. Androutsopoulos 2003b, S. 113. 21 Ismaiel-Wendt 2011, S. 260. 22 Seeliger 2012, S. 166. 23 Ebd., S. 181. 24 Ebd., S. 180.

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Besonders die Kategorie des sogenannten ‚Gangsta-Rap‘ lässt die Problematik einer klaren definitorischen Abgrenzung offenkundig werden.25 Zum einen wird ‚Gangsta-Rap‘ anhand inhaltlicher Kriterien klassifiziert: „Dieses RapGenre zeichnet sich durch einen Fokus auf Themen wie Prostitution, Gewalt, Drogenkonsum und Sex aus.“26 Als formales Kriterium hingegen wird der drastische Sprachstil angeführt: „Ihre Sprache ist oft sexistisch, ordinär, gewaltbereit und verwendet Slang.”27 Auf dieser Basis werden schon lange sowohl stilistisch, wie inhaltlich-profiltechnisch derart unterschiedliche Rapper wie Sido und Bushido unter der gleichen Subkategorisierung ‚Gangsta-Rap‘ zusammengefasst.28 Beide Kriterien sind jedoch nicht hinreichend. Rapper Frauenarzt beispielsweise verwendet stark sexistische und pornografische Texte, ohne die in der Gangster-Metaphorik üblichen Themengebiete wie Waffen und Dealerei zu bedienen. Sido wiederum, dessen Sprachstil im Untersuchungszeitraum häufig ordinär und obszön war, entspricht trotz zahlreicher Schilderungen von Dealerei und Kleinkriminalität nicht dem Bild eines Gangsters. Die Kategorie des ‚Gangsta-Rap‘ unterscheidet sich insofern von anderen Einteilungen, als dass sie nicht nur von Musikjournalisten und anderen Vertretern der Dominanzkultur zur Beschreibung eines Phänomens benutzt wird. Vielmehr dient sie auch den Rappern selbst als selbstüberhöhende Eigentitulierung und Charakterisierung: „Das ist Gangsta-Rap“ (Bushido, „Alles verloren“).29 Dabei wird mit dem Begriff auf mythische Vorstellungen nach dem Modell US-

25 So schreibt etwa Szillus in der Anthologie „Deutscher Gangsta-Rap“: „Wenn man von Gangsta-Rap spricht, dann geht es in erster Linie um ein Gefühl. Nicht […] um ein festes Genre, dessen Substanz und Charakteristika man trennscharf abgrenzen könnte. Sondern um ein Subgenre der HipHop-Kultur respektive der Rap-Musik, das sich vor allem über bestimmte Stilmittel, Themenfelder und Sprachcodes definiert. Ob ein Song oder ein Künstler als Gangsta-Rap(per) zu kategorisieren ist, liegt in vielen Fällen im Auge des Betrachters und ist damit auch von dessen Sozialisation und Perspektive abhängig.“ (Szillus 2012b, S. 41.) 26 Wiegel 2010, S. 18. 27 Klein/Friedrich 2003a, S. 28. 28 Vgl. etwa Szillus 2012b, S. 53 ff. 29 In ähnlicher Weise inszeniert sich etwa King Orgasmus One als Erfinder des sogenannten ‚Porno-Rap‘ (vgl. etwa Sendung „Menschen bei Maischberger“, 10.04.2007, ARD, online verfügbar unter http://www.youtube.com/watch?v=9ebqZ3Vszy8 [Stand 2016-07-24]).

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amerikanischer ‚Ghetto-Gangster‘30 referiert. Gerade aber der im Zusammenhang mit HipHop häufig verwendete Begriff des ‚Gangsta‘ hat sich mittlerweile verselbstständigt und entbehrt auch innerhalb der Kulturwissenschaften jeglicher definitorischer Trennschärfe.31 Wie die oben beschriebenen Beispiele belegen, lassen sich also aus wissenschaftlicher Sicht keine Kriterien festlegen, anhand derer eine systematische Klassifizierung möglich wäre. Ich möchte mich deshalb in der vorliegenden Arbeit von verbreiteten Genrebegriffen distanzieren. Der hier präferierte Forschungsansatz nimmt stattdessen den Verfasser als Ausgangspunkt und nähert sich dem Gegenstand aus produktionsästhetischer Perspektive. Basierend auf der Beobachtung, dass Rapper mithilfe ihrer Texte ihre Künstleridentität formen, spielen Kategorisierungen dementsprechend nur insofern eine Rolle, als sich die Musiker selbst ihrer bedienen, um ein bestimmtes ‚Image‘ zu kreieren. 1.1.3

Profilbegriff

In der Popularmusikforschung, in der die Performanz, die ‚Verkörperung‘ der Musik durch den Künstler selbst, als wichtiger Faktor zunehmend erkannt wird, ziehen Wissenschaftler vermehrt die Kategorie des ‚Images‘ zur Beschreibung der Musiker und ihrer Kulturprodukte heran. Das Image, verstanden als das Ergebnis einer – überwiegend bewussten – Selbstinszenierung des Künstlers, „einer Fiktionalisierung seiner selbst“32, ermöglicht es, etwaige Widersprüche teilweise zusammenzuführen. Das jeweils spezifische Künstlerimage ist ein aus komplexen Wirkungszusammenhängen resultierendes Gesamtbild, das auch mitunter paradoxe Einzelbestandteile beinhalten kann. So werden auch stark heterogene Fiktionalisierungen, wie etwa die Inszenierungen des selbst ernannten ‚Gangsta-Rappers‘ Bushido, mit dem Begriff des Images beschrieben. Die Künstlerimages deutscher Rapper sind über eine gewisse Zeit betrachtet allerdings häufig einem starken Wandel unterworfen, wie vor allem in den Kapiteln 10 und 11 noch zu sehen sein wird. Dementsprechend kann im Zusammenhang mit stilisierten Künstlerrepräsentationen im Grunde nur von jeweils ‚temporären Images‘ die Rede sein, derer sich der Musiker bei der Selbstinszenierung zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem spezifischen Kontext bedient.

30 Nicht zu verwechseln etwa mit dem Klischeebild eines US-Gangsters italienischer Prägung, wie Al Capone. 31 Vgl. hierzu etwa auch Szillus 2012b, S. 41. 32 Helms 2011, S. 30.

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Um diese zweifelhafte Nomenklatur zu umgehen, wird in der vorliegenden Arbeit das komplexe Gesamtbild eines Künstlers, das über Prozesse der performativen Selbstinszenierung hervorgebracht und permanent verändert wird, als ‚Profil‘ bezeichnet. In Abgrenzung dazu sollen mit dem Begriff ‚Image‘ jene stereotypisierten Bilder bezeichnet werden, die Teil des „kommunikativen Gedächtnisses“33 sind. Sie beinhalten Netze an assoziativen Konnotationen, die die Musiker zweckhaft aktivieren. Auf diese Weise kann sich ein Rapper im Laufe seiner Karriere unterschiedliche Images zu eigen machen. Unter dem Begriff der ‚Profilbildung‘ werden all jene Handlungen, Verfahren und Strategien zusammengefasst, mit deren Hilfe Rapper aktiv und performativ ihr spezifisches Profil generieren und permanent aktualisieren. Die Profilbildung ist folglich ein fortwährender, konstruktiver Prozess. In der Standard-Kommunikations-situation zwischen Rapper und Publikum stehen die Künstler und ihre Produkte grundsätzlich immer unter Beobachtung. Aus genrespezifischen Gründen, die in Kapitel 2.2 ausführlicher erläutert werden, ist daher jede Aktion (und Publikation) eines Rapper per se profilbildend. Entsprechend ist in diesem Sinne alles als ‚profilrelevant‘ zu bezeichnen, was prinzipiell das Potenzial besitzt, verändernd auf das Profil des Rappers einzuwirken. Ein Großteil der profilrelevanten Effekte vollzieht sich dabei implizit und ohne bewussten Impuls, etwa als Ergebnis standardisierter, traditioneller Kulturpraktiken. Teilweise werden sie jedoch auch gezielt evoziert und offenbaren eine zugrunde liegende ‚Profilbildungsstrategie‘. Diese Neuorientierung ist auch eine Reaktion auf die zunehmende Diskussion über bestehende Zusammenhänge zwischen inszeniertem Image und medial nachvollziehbarer Authentizität. Die noch junge Imageforschung konnte bislang keine hinreichenden Lösungsansätze bereitstellen, die den Widerspruch von Inszenierung und imaginierter Realität vereinbaren, ohne auf das theoretisch schwer zu fassende Konzept der Authentizität zurückgreifen zu müssen, das die „Keep it real“-Problematik34 ebenso einschließt wie die Frage nach der „StreetCredibility“35. Das Konzept des Profils hingegen ermöglicht es durch einen weiteren, künstlerspezifisch-historischen Blickwinkel singuläre Inszenierungen in einen größeren Kontext zu stellen. Außerdem lenkt es den Fokus weg von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Adaption von Identitätsbildern wie den Images hin zu einer Theorie performativer Identitätskonstruktion bei Rappern.

33 Vgl. Mikos 2003, S. 69 und Linke 2005, S. 70 ff. 34 Vgl. etwa Wiegel 2010, S. 95 ff. 35 Vgl. etwa Klein/Friedrich 2003a, S. 42 ff.

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1.1.4

Die Frage der Medialität: Was sind Raptexte und Raptracks?

Rap entsteht im Körper der Akteure. Diese gestalten mit ihrer Stimme (dem komplexen Zusammenspiel von Stimmlippen, der Atemmuskulatur, den Resonanzräumen etc.) musikalisch-sprachliche Konstrukte, die als zusammenhängende, in sich geschlossene Werke konzipiert und rezipiert werden. Als Basis dieser Konstrukte werden vom Rezipienten grundsätzlich durch den Rappenden selbst verfasste Texte imaginiert – die Raptexte. Ihre Verbreitung finden Raptexte wiederum in erster Linie in ihrer akustischen Manifestation – als Raptracks. Diese sind in ihrer Substanz und Beschaffenheit leichter zu definieren als Raptexte: In erster Linie sind sie akkustische Fixierungen, die als physische Tonträger (Schallplatte, CD) oder digitale Audioformate (MP3, AAC, WAV etc.) veröffentlicht und verbreitet werden. Aus markstrategischen Gründen werden diese Audiotracks teilweise von den Produktionsfirmen oder den Künstlern selbst mit begleitenden Videos versehen. Auf diese Weise entstehen Fixierungen von RapPerformances als Videodateien und auf Bildspeichermedien wie DVDs. Die dabei durch die filmische Dramaturgie leicht veränderten akkustischen Versionen werden häufig als ‚Single-Versionen‘ gekennzeichnet. Dieser Studie liegen überwiegend die Album-Versionen zugrunde. Wie insbesondere in Kapitel 3.1 zu sehen sein wird, können Raptracks der Terminologie Walter J. Ongs folgend als Manifestationen ‚sekundärer Oralität‘36 bezeichnet werden, da hier elementare Kulturtechniken oraler Kulturen ihre Anwendung finden und so das Ergebnis wesentlich prägen. Die von Rezipienten abstrahierten oder tatsächlich von den Verfassern mitgelieferten Raptexte als Verschriftlichungen können in analoger Terminologie als Beispiele einer ‚sekundären Literalität‘ beschrieben werden. Auf dieser Grundlage ist ein Raptext zunächst als gedankliches Sprachkonstrukt zu verstehen, das in bestimmten Fällen zu keinem Zeitpunkt der Produktion als zusammenhängendes Schriftstück, als in sich geschlossene, schriftlich fixierte Entität existiert. Der Produktionsprozess variiert zwischen den einzelnen Rappern und Studios sowie von Track zu Track. Mitunter entstehen die Texte teilweise durch Ad-hoc-Dichten und spontanes musikalisch-klangliches Ausprobieren. Hierbei wird die finale Version sukzessive durch Wiederholung auswendig gelernt. Abgesehen von eventuellen skizzenhaften Aufzeichnungen und Gedächtnisstützen werden daher keine zusammenhängenden Raptexte im Sinne optischer bzw. schriftlicher „Verkörperungsformen

36 Vgl. Ong 1987, S. 136 ff.

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im grafischen Medium“37 erstellt. Nachträglich anfertigte schriftliche Fixierungen (durch Rezipienten oder die Verfasser selbst) sind hier als Übertragungen eines oralen Phänomens in ein anderes Zeichensystem zu verstehen. In anderen Fällen fixieren Rapper ihre Texte bereits bei der Entstehung schriftlich, nutzen die Niederschriften während der Aufnahme im Studio und stellen sie anschließend in Booklets zu CDs oder DVDs, als Bonusmaterial auf Medienträgern oder online auf ihrer Homepage zur Verfügung. Analog etwa zur musikalischen Darbietung eines Instrumentalstücks, bei welcher der Instrumentalist das schriftlich fixierte Notenmaterial in Klänge überträgt, könnte der Rapper in diesen Fällen als ‚Interpret‘ seines eigenen Textes bezeichnet werden. Allerdings sind derartige – zeitlich bereits vor der eigentlichen Rap-Performance abgeschlossene – Raptexte vielmehr als rudimentäre Gedächtnisstütze, denn als ‚Ergebnis‘ des kreativen Aktes zu verstehen. Auch wenn die finale klangliche Gestalt in der Vorstellung des Verfassers bei der schriftlichen Fixierung im Vorfeld des Produktionsprozesses bereits präsent ist, kann das beabsichtigte, imaginierte Klangergebnis nicht in Form von Schrift fixiert werden. Der Terminus ‚Gestaltung‘ als Bezeichnung für den Modus der Textwiedergabe ist daher insofern angebracht, als dass im Falle des Rappenden gewissermaßen eine ‚Rezitation‘ bzw. ‚Interpretation‘ (im musikwissenschaftlichem Sinne) durch den Verfasser selbst stattfindet. Trotz der Tatsache, dass Rap vielfach als Musikgenre verstanden wird und Rapper demnach als Musiker bezeichnet werden können, unterscheiden sich Rapgestaltung und Interpretation in wichtigen Punkten: Die Interpretation – verstanden als konkrete Aufführung eines musikalischen Werkes durch einen Musiker – basiert auf der prä-performativen Existenz des in Notation vorliegenden Opus und wird im Standardfall von einer vom Urheber verschiedenen Person ausgeführt, dem ‚Interpreten‘.38 Bei der Rapgestaltung hingegen ist der Rappende im Standardfall auch der Urheber. Dies kann zur Folge haben, dass zu keinem Zeitpunkt der Rapproduktion eine durch Notation bzw. mittels eines anderen Zeichensystems (z. B. Schrift) fixierte Vorlage existiert.39 Aus diesen Überlegungen resulieren weitreichende Folgen für das hier zugrunde liegende Rapverständnis:

37 Wirth 2013, S. 205. 38 Entsteht ein Werk erst in der Aufführung spricht man grundsätzlich von einer ‚Improvisation‘. 39 Interessanterweise rekurriert auch Lamping auf einen musiktheoretischen Terminus, wenn er der schriftlichen Fixierung von Gedichten „den Charakter einer Partitur“ (Lamping 1989, S. 29.) attestiert und damit den aufführungspragmatischen Aspekt in den Mittelpunkt rückt.

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Rap existiert nicht auf dem Papier. Rap muss erst in der aktiven Ausübung, die ich auch als ‚Aufführung‘ bezeichnen werde, performativ hergestellt werden.40 Rap ist in erster Linie ein Klangphänomen, das von den Akteuren nach bestimmten poetischen Verfahren konzipiert und durch erprobte Gestaltungsmechanismen in Klang übertragen wird. Die akustische Fixierung als ‚Klangaufführung‘ findet in Form von Raptracks statt. Die Raptexte oder ‚Raplyrics‘ wiederum sind diesem Verständnis entsprechend schriftliche – häufig erst nachträglich oder durch Rezipienten erstellte – Abstraktionen bzw. Reduktionen, anhand derer diese poetischen Verfahren mit literaturwissenschaftlichen Methoden untersucht werden können. Aus diesem Rapverständnis ergibt sich auch die produktionsfokussierende Ausrichtung dieser Studie: Wenn Rap im Körper der Akteure entsteht, rückt damit der Rappende in den Vordergrund, der Rapper oder ‚MC‘41. Es ist also nach den Produktionsbedingungen, produktionsästhetischen Kulturstandards und den Möglichkeiten individuellen Ausdrucks zu fragen. 1.1.5

Raptexte als lyrisches Textgenre?

Wie bereits erwähnt und in Kapitel 3.1 ausführlicher dargelegt, können Raptracks als Manifestationen ‚sekundärer Oralität‘42 verstanden werden. Raptexte wiederum stellen in diesem Sinne Beispiele einer ‚sekundären Literalität‘ dar. Es wird gezeigt werden, dass sich Raptexte als literarische Textsorte durch eine Reihe charakteristischer Eigenschaften auszeichnen. Diese betreffen etwa die formale Struktur (Sequenzierung in Strophen, paarige Endreime etc.), die Handlungsstruktur (progressive Strophen, repetitive Refrains) oder die dominante Sprechsituation (der Sprecher wird als mit dem Performenden identisch vorausgesetzt, der sich an ein Publikum wendet). Als etablierte Textsorte, die wiederum eine spezifische Rezeptionshaltung hervorruft und die „gezielt durch dem Publikum geläufige Genresignale“43 (genrespezifisches Vokabular, Szenemarker etc.) eine bestimmte Erwartung provoziert, können Raptexte auch als ‚Genre‘ bezeichnet werden. Aber wie lassen sich Raptexte gattungstheoretisch einord-

40 Insofern sind Raptexte mit ihrer performativen Ausrichtung konzeptionell vergleichbar etwa mit dadaistischen Manifesten (vgl. Jarillot Rodal 2012). 41 ‚MC‘, ursprünglich als Abkürzung für „Master of Ceremony“ (Klein/Friedrich 2003a, S. 15), wird heute noch vielfach als (Eigen-)Bezeichnung für Rapperinnen und Rapper verwendet (vgl. auch MC Basstard, Ferris MC usw.). 42 Vgl. Ong 1987, S. 136 ff. 43 Fricke 2010, S. 20.

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nen? Wie lässt sich die hier aufgestellte Behauptung, dass Raptexte mittels standardisierter poetischer Verfahren hergestellte lyrische Texte sind, begründen? Aus formtheoretischer Perspektive, wie sie etwa von Conrady oder Burdorf vertreten wird, welche die Begriffe ‚Lyrik‘ und ‚Gedicht‘ synonym verwenden, sind Raptexte Gedichte bzw. lyrische Texte. So stellen auch sie „mündliche oder schriftliche Rede in Versen“44 dar, die also von „der Alltagssprache abgehoben“45 und „kein Rollenspiel, also nicht auf szenische Aufführung hin angelegt“46 sind. Dieses letztere hinreichende Kriterium ist in Bezug auf Raptexte insofern einschränkend, als dass es nur im Idealfall der authentischen Künstlerinszenierung realisiert wird.47 Eine ‚gefakte‘48 Präsentation wird hingegen auch szeneintern von den Rezipienten als ‚Rollenspiel‘ disqualifiziert. Darüber hinaus vereinigen Raptexte zahlreiche Eigenschaften, die Burdorf und andere weiterhin als akzidentielle Merkmale benennen. Hierzu zählen metrische, rhythmische und klangliche Abweichungen von der Alltagssprache, die relative „Kürze oder Konzision“49, „die Nähe des im Gedicht Sprechenden zum Autor“50, das direkte Ansprechen der Rezipienten, die „Direktheit der literarischen Kommunikation, strukturelle Dominanz der Personalpronomina, besonders derjenigen der ersten und zweiten Person“51, die sich etwa in Metaphern und Symbolen niederschlagende Bildlichkeit und schließlich „die Sangbarkeit des Textes, der liedartige Charakter, die Nähe zur Musik“52. Gerade der letztgenannte Aspekt wird nicht zuletzt auch gattungshistorisch begründet und auf die bis ins 18. Jahrhundert übliche Gleichsetzung von ‚Lyrik‘ und ‚Lied‘ zurückgeführt.53 Entsprechend zählt Burdorf auch explizit Liedtexte populärer Musik zu lyrischen Texten. Auf diesem Hintergrund ist auch das Interesse der Germanistischen Mediävistik an Raptexten nicht verwunderlich, da in den kompetitiven, selbstinszenatorischen und performativen Grundstrukturen wichtige Parallelen

44 Burdorf 1995, S. 20. 45 Ebd. 46 Ebd., S. 21. 47 Zur Kategorie der Authentizität und deren Bedeutung für Selbstinszenierungen im HipHop vgl. besonders Klein/Friedrich 2003a. 48 Vgl. ebd., S. 160 f. 49 Zymner 2013, S. 67. 50 Burdorf 1995, S. 21. 51 Ebd. 52 Ebd. 53 Vgl. hierzu etwa Andreotti 2000, S. 254 ff.

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zur mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung gegeben sind, die aufschlussreiche Forschungsergebnisse ermöglichen.54 Lamping kritisiert die prinzipielle Gleichsetzung von ‚Lyrik‘ und ‚Gedicht‘ und schlägt eine Differenzierung vor, indem er die Kategorie des ‚lyrischen Gedichts‘ konkretisiert. Zu dessen Definition nennt er „zwei notwendige Bedingungen, die zusammengenommen auch hinreichend sind: das formale Kriterium der Versform und das strukturelle der Einzelrede.“55 Wie schon beim zuerst beschriebenen rein formtheoretischen Ansatz, ist auch nach dieser Definition das erste, formale Kriterium im Rap durch die musikalisch-pragmatische Segmentierung in Takte und die damit korrespondierende Reimstruktur grundsätzlich gegeben.56 Problematischer erscheint hingegen das Kriterium der ‚Einzelrede‘. Zunächst lässt sich festhalten, dass Raptexte alle von Lamping aufgezählten obligatorischen Eigenschaften einer ‚Rede‘ aufweisen: Sprachlichkeit, Sinnhaltigkeit, Sukzessivität und Endlichkeit.57 Lamping definiert den Begriff der ‚Einzelrede‘ spezifischer als ‚monologische‘, ‚absolute‘ und ‚strukturell einfache‘ Rede. Als ‚absolute Rede‘ beschreibt Lamping die monologische Kommunikation, die „an keinen Gesprächspartner gerichtet, auf keine konkrete Gesprächssituation bezogen und semantisch allein durch den einen Kontext des Sprechers bestimmt ist“58. Die ‚strukturell einfache‘ Rede ist als in keinen größeren Redezusammenhang gestellt, für sich stehend und als für sich selbst verständlich charakterisiert. Lamping inkorporiert diese Kriterien in seine Theorie, um sowohl komplexere dialogische Strukturen wie im ‚dramatischen Dialog‘ als auch die Rolle etwa eines ‚epischen Erzählers‘ auszuschließen. Man könnte nun einwenden, dass Raptracks wie etwa „Session“ von Samy Deluxe und Gast-Rappern (Samy Deluxe feat. Dendemann, Illo & Nico Suave, „Session”) sich durch eine Vielzahl von Sprechern oder der Klassiker „Die da !?!“ von Die Fantastischen Vier (Die Fantastischen Vier, „Die da !?!“) sich gerade durch eine konkrete Gesprächssituation auszeichnen. Außerdem könnten in diesem Zusammenhang die sogenannten ‚Diss-Tracks‘59 wie etwa Kool Savas‘ „Das Urteil“ (Kool Savas, „Das Urteil“) angeführt werden, die sich explizit an – mitunter namentlich erwähnte – Kontrahenten richten.

54 Vgl. hierzu explizit Würtemberger 2009. 55 Lamping 2010, S. 326. 56 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 4.4. 57 Vgl. Lamping 1989, S. 23. 58 Ebd., S. 66. 59 Diss-Tracks sind Tracks, in denen einer oder mehrere Kontrahenten verbal angegriffen, denunziert, ‚gedisst‘ werden. (Vgl. hierzu ausführlich Kap. 6.1.)

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Dem ist entgegenzuhalten, dass selbst diese Raptexte in sich geschlossen und aus sich selbst verständlich sind. Außerdem stehen sie in keinem größeren narrativen Zusammenhang und stellen schließlich keine dialogische Progression im Sinne eines ‚Zwiegesprächs‘, sondern vielmehr ‚Polyloge‘60 dar. Wie in Kapitel 6 gezeigt werden kann, beziehen sich außerdem ‚Dissings‘ nur in Ausnahmefällen auf individuelle Konkreta, sind selbst im Falle einer namentlichen Adressierung generell als poetische Profilbildungsstrategien zu lesen und stellen in sich geschlossene Entitäten dar, die aus hermeneutischer Sicht nicht erst im Kontext eines ‚Beefs‘ oder ‚Battles‘ (vgl. Kap. 2.2.6) verständlich werden. Zahlreiche konkrete Beispiele reflektierend, differenziert Lamping seine anfänglich vorgestellte ‚Minimaldefinition‘ und provoziert damit Abgrenzungsprobleme. Zunächst erweitert er den Begriff der ‚Einzelrede‘ von der ‚Rede eines Einzelnen‘ hin zur „gemeinsame[n] Äußerung mehrerer Sprecher“61, sofern der „Monologcharakter“62 gewahrt bleibe. Weiterhin räumt er in einigen lyrischen Gedichten eine „Tendenz der Dialogisierung“63 ein, die auch das Adressieren an ein Gegenüber miteinschließen kann. Zuletzt beschreibt er in „dialogisierten monologischen Gedichten“64 die Möglichkeit der Bezogenheit auf eine konkrete Situation, „auf eine bestimmte (alltägliche) Kommunikationssituation“65 und die Ausrichtung auf einen bestimmten Adressaten. Aber auch ein derartiges Gedicht sei „immer noch von den Bedingungen lyrischer Kommunikation geprägt“66: „Der oder die Angesprochene kommt in ihm nicht zu Wort, und insofern bleibt es eine einzelne Äußerung. Als vereinzelte Äußerung zeigt es sich darüber hinaus an die Situation, auf die es sich bezieht und aus der heraus es wohl entstanden ist, nicht wesentlich gebunden, und insofern behält es auch in seiner vergleichsweise großen Konkretheit noch ein Moment der speziellen Absolutheit jeglicher lyrischer Kommunikation.“67

60 Vgl. Hertel 2013, S. 135. 61 Lamping 1989, S. 64. 62 Ebd., S. 64. 63 Ebd. 64 Ebd., S. 67. 65 Ebd., S. 68. 66 Ebd. 67 Ebd.

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Auf dieser Grundlage können auch Raptexte wie die oben genannten als ‚lyrische Gedichte‘ bezeichnet werden. Aufgrund des ‚Primats des Klangs‘68, das bereits bei der künstlerischen Werkgenese wirksam ist, sind Raptexte – noch stärker als andere lyrische Textsorten – gleichzeitig auch auf die konkrete Aufführung zur Sinnstiftung angewiesen. Dementsprechend lautet die Kernthese dieser Arbeit: Rap ist performative Lyrik und lyrische Performance. Diese Formulierung ist also nicht als tautologischer Chiasmus zu verstehen, sondern als Umschreibung der im Rap stets präsenten, konstitutiven Parallelität von Text und Aufführung. 1.1.6

Performative Lyrik – lyrische Performance?

Seit der „performativen Wende“69 wurde das Performanzkonzept auf unterschiedliche Forschungsgegenstände angewendet, modifiziert und neukontextualisiert.70 Dabei sind vor allem zwei Traditionslinien erkennbar: Zum einen jene Konzeptionen, die ausgehend vor allem von der Sprechakt-Theorie Austins ‚performatives‘ als Sprechakte verstehen, die mit ihrer Äußerung zugleich eine Handlung vollziehen. Zum anderen etwas weiter gefasste, ritual- und theaterwissenschaftliche Performanzkonzepte, wie etwa das von Fischer-Lichte vorgestellte, in dem Performanz zum Sammelbegriff für alle Vorgänge „einer Darstellung durch Körper und Stimme vor körperlich anwesenden Zuschauern“71 wird. Die Gemeinsamkeit beider Ansätze liegt in der „Betonung der Handlung, der Einwirkung der Kunst bzw. der Sprache auf die Gesellschaft, auf den Menschen und auf die interaktiven Subjekte“72. Stefanie Menrath überträgt in „Represent what ... Performativität von Identitäten im HipHop.“73 die Theorie der performativen Konstruktion von Identitäten aus der Kulturphilosophie explizit auf die HipHop-Kultur und damit auch auf die Herstellung des Künstlerprofils74 eines Rappers. Rapper müssen rappen, um als Rapper wahrgenommen zu werden, ihre Künstleridentität – ihr Profil – herzu-

68 Vgl. hierzu ausführlicher Kap. 1.1.6. 69 Vgl. Gil 2012, S. 81 ff. 70 Vgl. hierzu grundsätzlich Wirth 2002. 71 Fischer-Lichte 2001, S. 297. 72 Gil 2012, S. 82. 73 Menrath 2001. 74 Ich verwende in dieser Arbeit die Bezeichnung ‚Profil‘ in Abgrenzung zu dem Begriff des ‚Image‘ für das komplexe Gesamtbild eines Künstlers (vgl. ausführlich dazu Kap. 1.1.3).

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stellen und permanent zu aktualisieren. Eines ihrer Mittel sind Raptexte. Diese können als performative Texte verstanden werden, die erst durch die Kombination mit einer außersprachlichen Praxis, nämlich der ‚Verkörperung‘ der Texte, Realität werden.75 Dabei müssen Raptexte von einem ‚autorisierten‘ Sprecher (im Sinne Austins) – dem Rapper selbst, als Verfasser lyrischer Texte – aufgeführt werden. Erst dann entsteht Rap als ‚performative Lyrik‘. Dieser grundlegend performative Charakter von Raptexten steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem genrespezifischen Prinzip der Authentizität.76 Friedrich schreibt dazu: „Authentisch sein kann man im HipHop aber nur über gelungene Inszenierungen und nur diese entscheiden darüber, ob jemand berechtigt ist, über andere Performances zu urteilen. So ergibt sich eine kontinuierliche Kette von Performances, in der ausgehandelt wird, wer für HipHop sprechen darf, indem darüber gesprochen wird, wer legitimer Sprecher ist und wer nicht.“77

Das entscheidende Movens bei der Textproduktion ist die im Anschluss stattfindende Aufführung des Textes vor (präsentem oder imaginiertem) Publikum. Um als authentisch akzeptiert zu werden, muss also auch die Inszenierung des Rappers als Interpret seiner eigenen Texte authentisch gelingen. Insofern unterscheide ich an Fischer-Lichte anknüpfend zwischen der ‚Aufführung‘, also dem aktiven ‚Rappen‘, und der ‚Inszenierung‘ als „‚Kunst‘, sich selbst […] wirkungsvoll in Szene zu setzen“78. Mit dem Sprechen wird eine Handlung vollzogen, nämlich die Selbstinszenierung des Künstlers als Interpret und Urheber seiner eigenen Werke.79 Auch im Sinne Fischer-Lichtes kann Rap daher als performatives Phänomen beschrieben werden. Die Profilbildung des Rappers findet nicht nur auf der sprachlichsemantischen Ebene der Textkonzeption statt, sondern ist wesentlich von der authentischen Aufführung des Textes abhängig. Da es sich hierbei um nach bestimmten poetischen Verfahren erstellte Texte handelt, kann diese Aufführung als ‚lyrische Performance‘ bezeichnet werden. Dabei ist das Publikum bzw. sind die „körperlich anwesenden Zuschauer“80 in der als ‚Standard‘ zu kennzeich-

75 Vgl. Hühn/Schönert 2007, S. 4. 76 Vgl. hierzu v. a. Klein/Friedrich 2003a, S. 55-83. 77 Friedrich 2010, S. 146. 78 Fischer-Lichte 2001, S. 299. 79 Zur Inszenierung in der populären Musik vgl. grundsätzlich Helms/Phleps 2013. 80 Fischer-Lichte 2001, S. 297.

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nenden Kommunikationssituation des konsumierenden Zuhörers fiktiv und nur in den Ausnahmefällen der Live-Performances tatsächlich präsent. Eine der zentralen Arbeitshypothesen, die in dieser Studie erörtert werden soll, lautet also: Rap ist in mehrerer Hinsicht performativ. Im Sinne einer Sprechhandlung, die mit der Äußerung zugleich eine Handlung vollzieht (das Rappen), als kommunikativer Akt, der in einem theatralen Raum zwischen Künstler und Publikum ausgehandelt wird (die Rap-Performance als Inszenierung von Identität durch Authentizität) und als selbstreferenzielles Produkt einer Subkultur, das erst mittels der Repetition einer konventionalisierten kulturellen Praxis durch autorisierte ‚Performer‘ Realität herstellt (die Rapkultur). Der Rapper ist Textverfasser und Performer zugleich. Diese ‚Personalunion‘ ist charakteristisch für das Genre. Aus rezeptionsästhetischer Sicht wird das redende Ich, der Sprecher, im Standardfall mit dem Rapper als Autor gleichgesetzt.81 Seine Inszenierung wird dabei nicht als Kunstfigur, sondern als mit dem ‚realen Autor‘ identisch präsumiert. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive ist es jedoch notwendig, zwischen dem ‚impliziten‘ oder ‚abstrakten Autor‘ (dem Rapper als inszenierte Kunstfigur, also etwa Sido oder Bushido) und dem ‚empirischen‘ oder ‚konkreten Autor‘ (in diesem Fall Paul Würdig bzw. Anis Mohamed Youssef Ferchichi) zu unterscheiden.82 Innerhalb des Rap als Kultur der Selbstinszenierung muss jede selbstreflektierende Aussage eines Rappers zur Autorschaft gleichzeitig immer auch als Inszenierung gelesen werden. Daher sind im Kontext dieser Arbeit Erkenntnisse über den Verfasser der Raptexte stets als Erkenntnisse über den ‚konstruierten Autor‘83, den Rapper als inszenierte Kunstfigur, zu verstehen. Aussagen über die realen Verfasser der Texte können und sollen hier nicht getroffen werden. Aus dem Zusammenwirken des performativen Grundcharakters der Rapkultur und der Prämisse des sich in jedem Moment selbstinszenierenden Rappers entsteht ein grundlegendes, konstruktives Prinzip. Dieses möchte ich als ‚Primat der Darstellung gegenüber dem Inhalt‘ bzw. mit einer Fokussierung der performativen Realisierung als klangliches Erlebnis als ‚Primat des Klangs‘ bezeichnen: Nicht der thematische Gehalt der Texte steht beim Rap im Vordergrund, sondern die formale Gestaltung und deren Performance durch den Künstler.84

81 Zur Autorschaft vgl. grundsätzlich Detering 2002, Jannidis 1999, Fotis 2000. 82 Vgl. hierzu v. a. Hoffmann/Langer 2013, S. 131 ff. und Schmid 2013, S. 171. 83 Hoffmann/Langer 2013, S. 133. 84 Vgl. hierzu etwa auch Forman 2009, S. 25 f.

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Am deutlichsten lässt sich diese Prämisse, mithilfe der hier entwickelten ‚Flowanalyse‘ explizieren. Diese macht wiederum die Poetizität und ‚Musikalität‘ der zugrunde liegenden Texte in ihrer ganzen Klanglichkeit erst nachvollziehbar und beschreibbar.

1.2 M ETHODIK , D ARSTELLUNGSPROBLEMATIK Im Zentrum der Betrachtungen stehen Tracks deutscher Rapperinnen und Rapper, die in den Jahren 2000 bis 2010 in Deutschland veröffentlicht wurden. Wenn nicht weiter spezifiziert, werde ich in dieser Studie mit dem Begriff ‚Rapper‘ sowohl weibliche wie männliche MCs bezeichnen. Ich teile die Kritik der HipHop-Forscherinnen Glowania und Heil an der Konstruktion „monolithischer Blöcke“85 einer Männerrap-/Frauenrap-Dichotomie: „Aus dieser Wechselbeziehung zwischen Männer- und Frauenrap hat die Kritik einen polaren Gegensatz zwischen dem maskulin-sexistischen Rap und dem anti-sexistischen Frauenrap konstruiert, der jedoch methodologisch in eine Sackgasse führt.“86 Denn wie auch insbesondere in den Kapiteln 8.5 und 8.7 zu sehen sein wird, existieren zahlreiche Beispiele einerseits von männlichen MCs, „die sich gegen sexistische Gewalt aussprechen“87 und andererseits von Rapperinnen, die sich „zu Sprecherinnen der (heterosexuell definierten) Black-Macho-Ethik machen“88. Anspruch der vorliegenden Arbeit ist daher vielmehr, durch die Kombination von Text-, Flow- und Kontextanalyse eine profilorientierte Betrachtungsweise zu ermöglichen, die jegliche ‚klassische‘ Kategorisierung obsolet werden lässt. Eine ‚Poetik des Rap‘ zu entwerfen und daran anschließend die Profilbildung im deutschsprachigen Rap näher zu beleuchten, ist nur dann möglich, wenn das Phänomen Rap in seiner Komplexität und im Kontext der unterschiedlichen Referenzsysteme betrachtet wird. Denn wie viele jugend- und popkulturelle Phänomene ist Rap nicht auf einen Musikstil, eine bestimmte Lebensweise oder eine spezifische Interpretation von Welt zu verkürzen, er ist vielmehr das Resultat eines komplexen, wechselseitigen Zusammenspiels derselben. Einige Wissenschaftler wie Klein und Friedrich wiesen darauf hin, dass die HipHop-Kultur eine ‚hybride‘ und ‚glokale‘ Kultur sei, die sich immer wieder selbst bestätige und

85 Glowania/Heil 1996, S. 102. 86 Ebd. 87 Ebd. 88 Ebd.

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zugleich aktualisiere.89 Dies geschieht mithilfe von komplexen Prozessen der Neukontextualisierung global kursierender Medientexte durch „produktive Aneignung“90 und der kreativen Einbettung innovativer Elemente, die per se immer schon referenziell ist. Rap ist infolgedessen multi-medial, multi-kulturell und multi-referenziell. Er ist gleichermaßen ein musikalisches Genre, das mit literarischen Mikrotexten91 arbeitet, wie es ein soziokulturelles Phänomen ist. Rap als Forschungsgegenstand provoziert daher eine multidisziplinäre Betrachtung, die verschiedene kulturtheoretische und sozialwissenschaftliche Perspektiven berücksichtigt. So schreibt etwa auch Bielefeldt: „[…] die Musik des HipHop, die im Kontext stark performativer, oral tradierter Kultur steht, kann zumindest mit den traditionell notations- und werkorientierten Verfahren musikwissenschaftlicher Analyse schwerlich angemessen beschrieben werden. Und nur wenig mehr verspricht es, Rap sozusagen abzüglich seiner Klanglichkeit als Schrift zu behandeln, als das also, was vom Rap übrig bleibt, wenn er es aufs Blatt Papier geschafft hat – und darum kein Rap mehr ist.“92

Die zeitgenössische Kulturtheorie erkennt in der Auseinandersetzung mit aktuellen wie historischen Untersuchungsgegenständen zunehmend die Bedeutung interdisziplinärer Forschungsarbeit und die damit notwendig gewordene methodologische Erweiterung. Offensichtlich scheint die Aufmerksamkeit für Referenzsysteme und Kontexte in den Kulturwissenschaften zuzunehmen, oder um es in der Terminologie Blühdorns zu formulieren, der sich mit den Relationen von Textverstehen und Intertextualität beschäftigte: Das Bewusstsein für die Bedeutung des Makrotextes für das Verständnis des Mikrotextes scheint sich zu entwickeln.93 In Bezug auf den deutschsprachigen Rap bedeutet dies, dass weder eine separate Betrachtung der Rapper als sich ausdrückende Individuen, noch deren Raptracks, geschweige denn ihrer Raptexte für eine umfassende Charakterisierung des Phänomens hinreichen. Vielmehr müssen ebenso historische Kulturgü-

89 Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 132 f. 90 Androutsopoulos 2003a, S. 12. 91 Nach Blühdorns Definition stammt ein prototypischer Mikrotext „von einem einzigen Autor, ist zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einer bestimmten Handlungsabsicht verfasst worden, behandelt ein bestimmtes Thema, gehört zu einer bestimmten Textsorte und besteht ausschließlich aus sprachlichen Komponenten (Wörtern und Sätzen)“ (Blühdorn 2006, S. 279). 92 Bielefeldt 2006, S. 137. 93 Vgl. Blühdorn 2006, S. 279.

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ter, die in der Auseinandersetzung überhaupt erst einen kreativen Prozess ermöglichen und als Ressourcen an zitierfähigem Material zur Verfügung stehen, sowie parallel auftretende Referenzsysteme in die Untersuchung mit einfließen. Mit anderen Worten: Rap muss als ‚intermediales Phänomen‘ wahrgenommen und analysiert werden.94 Der Rapper selbst als inszenierte Kunstfigur und seine Produkte gehören wohl zu den komplexesten soziokulturellen Phänomenen unserer Zeit. Nur wenige Kulturschaffende bedienen derart viele Tätigkeitsfelder und nutzen bzw. schaffen dabei solche umfassenden Systeme kontextueller Verknüpfungen. Die referenziellen und intertextuellen Bezüge im Rap sind aufgrund ihrer Komplexität in ihrem tatsächlichen Ausmaß nicht vollständig beschreibbar. Ausgangspunkt der vorliegenden Studie bleiben schwerpunktmäßig Betrachtungen zu Musik und Sprache. An relevanten Stellen werden darüber hinaus extratextuelle und extramusikalische Referenzen aufgedeckt und erläutert, sowie genrespezifische Zitations- und Verweispraktiken verdeutlicht. Um die Rapgestaltung und die konkrete Aufführung des Raptextes umfassender untersuchen zu können, ist neben literatur- und sprachwissenschaftlichen Methoden zur Analyse für dieses Vorhaben eine methodische Ergänzung vonnöten: Ausgehend von später näher spezifizierten musikwissenschaftlichen Verfahren, der zusätzlichen Abstraktion bzw. Reduktion auf rhythmische Strukturen und deren Verschriftlichung (Notation), wird zu diesem Zweck im Zuge dieser Arbeit die Flowanalyse als interdisziplinäre Methode (weiter)entwickelt und auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft. Dazu muss zunächst die wissenschaftliche Konzeptionalisierung des in diesem Kontext nahezu unerforschten Phänomens Flow ausdifferenziert und vorangetrieben werden. Ausgehend von Konzeptionen aus der englischsprachigen Forschungsliteratur wird dazu der Übertragungsversuch für die musikwissenschaftliche Anwendung Oliver Kautnys hier nun auch auf literatur- und sprachwissenschaftliche Zusammenhänge ausgeweitet. Im hier zugrunde liegenden Flow-Konzept wird Flow als klangliche Dimension des individuellen Rapstils verstanden, die im Umgang mit Reimakzenten, Rhythmus, Sprachartikulation, Phrasierung und Intonation performativ hergestellt wird. Insofern ist das Erlebnisphänomen Flow maßgeblich abhängig von der Poetizität der zugrunde liegenden Texte. Die Flowanalyse kombiniert daher literatur- und sprachwissenschaftliche Ansätze mit musikwissenschaftlichen Analysemethoden, um Aussagen über Gestaltungsstrategien beim Rappen zu ermöglichen.

94 Vgl. hierzu grundsätzlich Helbig 1998.

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Die in dieser Arbeit angewandten Methoden der Werkanalyse beschränken sich größtenteils auf höranalytische Verfahren. Dabei können viele der Gestaltungsparameter wie Rhythmus, Intonation und Phrasierung mit musikwissenschaftlichen Termini treffend beschrieben werden. Die phonetische Analyse ermöglicht es darüber hinaus, Aussagen über spezifische und profilrelevante Artikulationsmechanismen zu treffen. Eine kritische Textinterpretation, die etwa historische Referenzsysteme (Genrestandards, Traditionen) mit einschließt, ist die Grundlage der hier maßgeblich relevanten Betonungsanalyse als Basis der Flowanalyse. Die Betonungsanalyse wiederum ist eine Rhythmusanalyse, die musikpragmatische und sprachperformative Mechanismen zugleich betrachtet. Auf dieser Basis können Genrestandards ermittelt und profilspezifische Charakteristika untersucht werden, ohne die Erkenntnisse zu individuellem Stil als Distinktionsmerkmal bei der Selbstinszenierung nicht möglich wären. Durch den beschriebenen interdisziplinären Ansatz wird außerdem der Versuch unternommen, terminologische Leerstellen bei der Beschreibung sprachlich-musikalischer Gestaltung zu ergänzen und zu schließen. Gegenstand der Analysen sind hier also in erster Linie die Raptracks und die ihnen zugrunde liegenden Raptexte. Wie jedoch die Überlegungen zur Definition des Rapbegriffs verdeutlichten, werden diese Texte vielfach als Ursprungsentitäten eines Prozesses imaginiert, an dessen Ende die eigentlichen Kulturprodukte der Raptracks stehen. Aus dieser Perspektive betrachtet erscheinen Raptracks in erster Linie als Transformationen der Texte in eine andere ‚Medialität‘, die Analyse der Texte wiederum gewissermaßen als Untersuchung der ‚Urform‘, deren Manifestation die Raptracks sind.95 Die vorliegende Arbeit basiert hingegen auf einem Verständnis von Rap, welches das eigentliche ‚Rappen‘, das performative Aufführen des Textes und damit die akustische Fixierung der Aufführung, die Raptracks, in den Mittelpunkt stellt und die Raptexte gewissermaßen als ‚Sekundärmedium‘ versteht. Erst wenn hierüber Klarheit besteht, wenn Aussagen über Raptexte in klarem Bewusstsein darüber getroffen werden, dass deren Verschriftlichungen stets Abstraktionen und semiotische Reduktionen sind, können Analysen von Raptexten Erkenntnisse liefern und etwa literatur- sowie sprachwissenschaftliche Methoden greifen. In der hier gesammelten Form bilden sie in sich geschlossene Entitäten, erfüllen sämtliche Kriterien eines prototypischen Mikrotextes96 und sind daher auch mit den Methoden der Textlinguistik beschreibbar. Gleichzeitig verstehe ich aus Gründen, die ich im Folgenden noch

95 Vgl. hierzu ausführlicher Kap. 1.1.4. 96 Vgl. Blühdorn 2006, S. 279.

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ausführlicher darlegen werde, Raptexte auch als literarisches Genre, das sich mit literaturwissenschaftlichen Verfahren analysieren lässt. 1.2.1

Textdarstellung

Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen wird in der vorliegenden Arbeit, wo möglich und verfügbar, vorzugsweise auf autorisierte Textversionen aus Booklets oder von offiziellen Homepages der Künstler zurückgegriffen.97 Da beispielsweise künstliche Zeilenbrüche oder Satzzeichen zum Teil bedeutungsunterscheidende Effekte haben können, wird bei längeren, grafisch abgesetzten Zitaten die Darstellung des Textes generell vom Original übernommen. Dazu zählt etwa auch die etwaige einheitliche Groß- bzw. Kleinschreibung.98 Originalgetreue Darstellungen werden mit „*“ gekennzeichnet: Gib mir das alles, Digger Und wir könnten wetten: In 20 Jahren mach ich dir aus Bielefeld Manhatten (Jan Delay, „Kartoffeln“, Album „Mercedes-Dance“, Universal 2006)*

In allen anderen Fällen werden von mir erstellte oder von Rapmusikkonsumenten angefertigte und von mir redigierte Transkriptionen genutzt, die in Onlineforen für (Lied-)Texte bzw. Raplyrics zusammengetragen wurden. Raptexte werden hier, wie bereits in Kapitel 1.1.5 beschrieben, als lyrische Texte verstanden, die mithilfe poetischer Verfahren hergestellt werden und sich als klangästhetisch orientierte Gebilde durch unterschiedliche rhetorische Stilfiguren auszeichnen. Sie sind stets rhythmisch strukturiert und weisen zum Großteil eine sich wiederholende Sequenzialität auf, die an der Takt-Struktur der musikalischen Grundlage orientiert ist. Dadurch ergeben sich Aufeinanderfolgen einer – je nach rhythmischer Unterteilung oder ‚Quantisierung‘ (vgl. Kap. 4.2) – mehr oder weniger festen Anzahl von Silben pro Takteinheit, die beim überwiegenden Teil aller Raptexte eine signifikante Assonanz oder einen Reim am Ende, im Bereich der letzten Taktzählzeit aufweisen. Es kann daher von einer ‚VersStruktur‘ gesprochen werden, die in den Transkriptionen durch Schrägstriche („/“) gekennzeichnet wird. Bei der Darstellung in Versform entsprechen die Zeilen den jeweiligen Versen, was teilweise zur Folge hat, dass musikalisch ‚auf-

97 Zweifelsfrei erkennbare orthografische Fehler wurden von mir korrigiert. 98 Lediglich auf die originalgetreue Wiedergabe von rechtsbündigen und zentrierten Texten wurde verzichtet.

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taktig‘ phrasierter Text (vgl. Kap. 4.4) in der gleichen Zeile wiedergegeben wird wie der ‚Volltakt‘ und somit die Einteilung in Zeilen nicht der jeweiligen Taktstruktur entspricht. Diese Darstellungsform kann daher auch als ‚phrasische Darstellung‘ bezeichnet werden. Die Produktionsverfahren reichen teilweise jedoch weit über die Konstruktion paarweiser Endreime hinaus und machen eine konsequente Einteilung in Verse bzw. Zeilen obsolet und teilweise unmöglich. In diesen Fällen wurden auch längere Zitate in Form von Fließtext abgebildet, wie im folgenden Beispiel: Ich fass’ zu mit aller Zugkraft. Lauter blitzende Beisser zerschlitzen die schwitzende Geisel auf ihrer himmlischen Reise. Viele tödliche kleine weisse Reihen verschlingen den Brei aus Innereien, ein Leiden unermässlich! (Pyranja, „Verteidigung und Angriff (Piranhas)“, Album „Wurzeln & Flügel”, Dackel Enterprise 2003)

Generell werden Rapzitate im Mengentext aus Gründen der besseren Lesbarkeit als transkribierter Fließtext ohne Rücksicht auf die konkrete Darstellung eines eventuell gegebenen Originals wiedergegeben. An relevanten Stellen wird auch hier die Einteilung in Verse durch Schrägstriche angezeigt. Um Verwechslungen zwischen der Singular-Imperativform und alltagssprachlichen Verkürzungen zu vermeiden, werden alltagssprachliche Verkürzungen mit einem Apostroph gekennzeichnet, wie in „Zeig was du kannst! Zeig dein’ [Aaah] oder ich zeig’ dir die Tür!“ (Kitty Kat in Sido, „Ficken”). Einschübe in eckigen Klammern, wie in diesem Beispiel, stammen von Co-Rappern oder von eingefügten Samples. Die grafische Trennung der Worte erfolgt nach klanglicher Maßgabe und nicht wie üblich nach Silben, also beispielsweise „A-dler“ anstelle von „Ad-ler“. 1.2.2

Flowanalyse und -darstellung

Bei den Raptracks wurde, wenn möglich, auf die Original-Audioversionen zurückgegriffen, die auf den jeweiligen Alben zu finden sind. Die Freetracks stammen von öffentlichen (Internet-)Plattformen (offizielle Homepages der Künstler, Homepages von Szenemagazinen o. Ä.), auf denen sie frei zugänglich zum Download bereitgestellt werden. Die Werkanalyse ist daher einem stark dialogischen und diskursiven Prinzip zwischen Text- und Audiokorpus unterworfen, da erst ein Abgleich von – durch den Verfasser selbst oder Dritten hergestellten – schriftlichen Fixierungen und der klanglichen Realisierung Erkenntnisse liefern und theoretische Ableitungen ermöglichen kann (zur Medialität vgl. Kap. 1.1.4).

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Dem ‚close reading‘ der Raptexte wurde sozusagen ein ‚close listening‘ der tatsächlichen klanglichen Realisierung beiseite und gegenüber gestellt. Ich benutze die Bezeichnung ‚close listening‘ analog zu ‚close reading‘ als Sammelbezeichnung für höranalytische Verfahren und klangbezogene Analysemethoden. Diese berücksichtigen sowohl die konkrete Artikulation, als auch prosodische und musikalische Gestaltungsmittel der Rapper und vergleichen diese mit der rhythmisch-musikalischen und klanglich-musikalischen Grundlage und setzen sie in Beziehung zueinander. Viele der dabei relevanten Gestaltungsparameter wie Rhythmus, Intonation und Phrasierung können mit musikwissenschaftlicher Terminologie treffend beschrieben werden. Zu diesen Analysemethoden gehört zuvorderst die Betonungsanalyse als erweiterte Rhythmusanalyse, die sowohl musikpragmatische als auch sprachperformative Mechanismen berücksichtigt. In Kombination mit der phonetischen Analyse und einer kritischen Textinterpretation, die etwa auch historische Referenzsysteme wie Genrestandards und kulturspezifische Traditionen mit einschließt, bildet sie die methodische Grundlage der Flowanalyse. Mit deren Hilfe wiederum werden Aussagen über spezifische und profilrelevante Artikulationsmechanismen überhaupt erst möglich. Das Erlebnisphänomen Flow, verstanden als klangliche Dimension des individuellen Rapstils, das im Umgang mit Reimakzenten, Rhythmus, Sprachartikulation, Phrasierung und Intonation performativ hergestellt wird, ist maßgeblich abhängig von der Poetizität der zugrunde liegenden Texte (vgl. Kap. 3). Die Flowanalyse kombiniert daher literatur- und sprachwissenschaftliche Ansätze mit musikwissenschaftlichen Analysemethoden und bietet so die Möglichkeit, Genrestandards und profilspezifische Charakteristika zu untersuchen und, basierend auf dieser Grundlage, Aussagen über individuellen Stil als Distinktionsmerkmal bei der Selbstinszenierung im Rap zu treffen. Überlegungen zur Rezeptionsästhetik sind daher – methodisch bedingt – integraler Bestandteil der vergleichenden Betrachtungen. Für eine systematischmusikwissenschaftliche Annäherung fehlen meines Wissens bislang die technischen Möglichkeiten und eine elektronische Klanganalyse ist aufgrund der Komplexität des Untersuchungsgegenstands nur bedingt durchführbar: Sowohl ein Abgleich schriftlicher Zeichen und klanglicher Realisierungen als auch die Ermittlung von Betonungsstrukturen im Stimmverlauf des Rappers erschienen auf technischem Wege nicht möglich. Die Ergebnisse bleiben also bei aller systematischen Methodisierung auch Beobachtungen eines forschenden Betrachters. Aus diesem Grund erschien die Kombination mit quantitativen Methoden ratsam. So wurden etwa durch Zählungen Daten zur Häufigkeit einzelner Schlüsselwörter, Floskeln und Kulturpraktiken ermittelt, die mittelbar in die Betrach-

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tungen integriert wurden. Darüber hinaus konnten genreübergreifende Sprachanalysen Aufschluss darüber geben, welche rhetorischen Stilformen und kulturspezifischen Praktiken deutschsprachige Rapper nutzen, um ein individuelles Profil zu generieren. Dabei fließen vor allem in die Untersuchungen zu ‚Boasting‘ (vgl. Kap. 5) und ‚Dissing‘ (vgl. Kap. 6) auch Erkenntnisse aus der Diskursanalyse und der Sprechakttheorie mit ein, da beide Raptechniken auch als profilrelevante Inszenierungsstrategien eines Individuums verstanden werden, welches durch soziale und marktspezifische Machtdispositionen determiniert ist. Zusammenfassend sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass – trotz der zahlreichen Textbeispiele – in dieser Arbeit also nicht die als Transkriptionen aufgefassten Raptexte (vgl. Kap. 1.1.4), sondern deren tatsächliche Realisierungen in den Raptracks im Vordergrund stehen. Aussagen über den zugrunde liegenden Text sind daher immer auch höranalytisch auf das Klangerlebnis zurückgebunden. Bei der Beschreibung der formalen Struktur bediene ich mich geeigneter Begriffe aus der Musikanalyse. Die Einteilung in ‚Strophe‘, ‚Refrain‘ und ‚Bridge ‘ orientiert sich an der gängigen Struktur von Popsongs. Für die Darstellung rhythmischer Strukturen erwies sich die Notation mit musikalischen Notenlängen als äußerst praktikabel und zielführend, wenngleich eingeräumt werden muss, dass auch diese Verschriftlichung nur eine annähernde Darstellung sein kann, welche die wirklich akustisch wahrnehmbare Rhythmisierung der Rapstimme nie vollständig wiederzugeben vermag. Auch wenn mittlerweile erste Versuche in der Rapforschung unternommen wurden den Tonhöhenverlauf einer Rapstimme ansatzweise grafisch darzustellen,99 habe ich mich in der vorliegenden Arbeit dazu entschlossen, aus Gründen der Übersichtlichkeit und Überschaubarkeit das akustische Ereignis generell auf die rhythmische Dimension zu reduzieren. Diese kann nur auf einer einzigen Notenlinie dargestellt werden (s. Nb. 1). Ausnahmen mit Notationen im 5-Zeilensystem bilden lediglich melodiöse Stimmführungen. Die Drum-Beats werden in traditioneller Schlagzeug-Notation und auf die Kernstruktur reduziert wiedergegeben:

99 Vgl. etwa Kautny 2009, S. 154 ff.

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Notenbeispiel 1: Beispiel für Notation von Rapstimme und Drum-Beat

Akustisch gleichzeitig erklingende Ereignisse sind vertikal übereinander abgebildet. Artikulatorisch betonte Textelemente werden mit musikalischen Akzentsymbolen gekennzeichnet, wie im folgenden Notenbeispiel zu sehen.

Notenbeispiel 2: Beispiel mit Akzentsymbolen für artikulatorische Betonungen

1.2.3

Kontextanalyse

Basierend auf einem Kulturverständnis, das die HipHop- und Rapkultur als Ergebnis aktiv angeeigneter und stetig modifizierter Kulturpraktiken und als Summe der daraus entstehenden Kulturprodukte versteht, werden in der vorliegenden Arbeit auch die kontextualen Referenzsysteme und Deutungsrahmen mitberücksichtigt sowie intertextuelle Bezüge herausgearbeitet. In der Tradition der ‚Cultural Studies‘ werden daher auch Kontextanalysen mit einbezogen und Erkenntnisse aus relevanten Partnerdisziplinen wie Soziologie, Psychologie und weiterer Sozialwissenschaften an den entsprechenden Stellen integriert. Zu den relevanten Referenzsystemen zählen zum einen kulturspezifische Kontexte, wie die kollektive Kulturgeschichte (vgl. Kap. 2.2.4), traditionelle kulturelle Praktiken (vgl. Kap. 5 und 6), Erlebniskategorien (vgl. Kap. 4), mythische

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Figuren und Bildmotive (vgl. Kap. 7.3 und 7.4). Zum anderen bilden sämtliche Elemente der jugendlichen Lebenswelt, wie etwa auch Filme, berühmte Persönlichkeiten, aktuelle Geschehnisse des öffentlichen Lebens und Teile des ‚kulturellen Gedächtnisses‘100 der Gesellschaft einen Deutungsrahmen, der für die Interpretation von Raptracks unerlässlich ist. Die Analyse des zugrunde liegenden Beats (vgl. Kap. 4.3) ist von elementarer Bedeutung, um Konvergenzen respektive Divergenzen zwischen unterschiedlichen Betonungsstrukturen zu ermitteln und Aussagen über Konstruktionsprinzipien sowie Gestaltungsmechanismen zu ermöglichen. Dennoch werden Betrachtungen zu weiteren Komponenten der musikalischen Gestaltung nur am Rande erfolgen, da die tatsächlichen Produktionsvorgänge nicht transparent sind und der konkrete Anteil des Rappers am musikalischen Hintergrund nicht klar zu erkennen ist.

1.3 F ORSCHUNGSSTAND Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rap und HipHop in Deutschland war zunächst auf die US-amerikanische Rapkultur und später auf vergleichende Studien mit dieser beschränkt. Kulturhistorisch ist die Entstehung und Entwicklung der Rapkultur in Deutschland untrennbar mit der US-amerikanischen Ursprungskultur verwoben und bis heute von ihr beeinflusst.101 Wie an zahlreichen Beispielen zu sehen sein wird, sind es gerade jene Rapper, die bereits vor der Jahrtausendwende aktiv waren, die durch „permanente Aktualisierung der Ursprungserzählung“102 aus Gründen der Profilbildung die genre-spezifische Geschichtsschreibung repetieren und sich zu einem US-amerikanischen ‚Original‘ in Beziehung setzen. So bleibt auch heute noch der Rekurs auf die US-amerikanische Rapkultur ein wichtiger Bestandteil der meisten Studien zu deutschem Rap und HipHop. Wie in den Kapiteln 2.3. und vor allem 5.1 ausführlicher beschrieben wird, können auf Grundlage des von Ismaiel-Wendt herausgearbeiteten Ordnungssystems der „MusikEthnoLogik“103 derartige traditionalistischen und historisierenden Verweispraktiken als sich selbst bestätigende Wiederholungen von Narrativen identifiziert werden: Sie sind immer schon Nacherzählungen von Erzählun-

100 Vgl. Linke 2005, S. 68 ff. 101 Vgl. hierzu etwa Bennett 2003, Elflein 2006 und Mager/Hoyler 2007. 102 Klein/Friedrich 2003a, S. 63. 103 Vgl. Ismaiel-Wendt 2011, S. 45 ff.

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gen. Im hier relevanten Untersuchungszeitraum ist jedoch zeitgleich eine Tendenz zur Etablierung von hierarchisierenden historischen Original-KopieModellen zu erkennen. So kann etwa Bushido stellvertretend für Inszenierungen als Trendsetter und Pionier stehen, die – bei aller tatsächlichen Rekurrenz, Zitation und versteckten Adaption – nicht länger mit dem traditionellen US-Historismus vereinbar sind. Ein Großteil der Publikationen bezüglich HipHop war zunächst eher phänomenologischer Art. Auffallend ist hierbei, dass in vielen dieser Publikationen Kenner und Partizipanten der HipHop-Kultur in Interviewäußerungen und erläuternden Hintergrundtexten zu Wort kamen und die Verfasser selbst aktiv Beteiligte der Szene sind oder waren.104 Aus diesem direkten Bezug zu Insiderwissen resultiert zum einen die Vermeidung einer Missachtung der tatsächlichen Relevanzstrukturen der Subkultur durch Outsider: „Abgelehnt wird vor allem ein akademischer Diskurs, der HipHop bloß als Illustration einer bestimmten kultur- oder sozialwissenschaftlichen Theorie heranzieht, ohne die tatsächlichen Relevanzstrukturen der Kultur zu kennen. Im Extremfall wird jede neue akademische Publikation über HipHop mit dem Verdacht konfrontiert, an der Realität vorbei zu reden.“105

Zum anderen folgt daraus jedoch auch teilweise eine sehr subjektiv geprägte Schilderung von historischen Entwicklungen und Phänomenen. In der akademischen Auseinandersetzung ist – gemessen an der Zahl der entsprechenden Publikationen – augenscheinlich das Interesse an Rap und HipHop innerhalb der Musikwissenschaft bzw. der Popularmusikforschung am größten. Hier sind vor allem die von Helms und Phleps herausgegebenen Sammelbände zu unterschiedlichen Aspekten populärer Musik zu erwähnen.106 Als Jugendkultur scheint die Relevanz dieses Untersuchungsgegenstands auch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive schon seit längerer Zeit unumstritten, wie vor allem die herausragenden Arbeiten von Klein und Friedrich belegen.107 Ebenso ist innerhalb der Sprachwissenschaft, insbesondere in der Soziolinguistik, ein zunehmendes Interesse zu beobachten.108 Wie vor allem die von Androutsopoulos verfassten oder

104 Hierzu zählen etwa Krekow/Steiner 2000 und Verlan/Loh 2002. 105 Androutsopoulos 2003a, S. 10. 106 Hierzu zählen etwa Helms/Phleps 2006, 2007, 2008 und 2011. 107 Hier besonders erwähnenswert Klein/Friedrich 2003a. 108 Etwa Lüdtke 2007a.

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herausgegebenen Arbeiten exemplarisch verdeutlichen,109 kann dabei nur eine interdisziplinär ausgerichtete Forschung dem komplexen Untersuchungsgegenstand gerecht werden. Auf diese Weise entstanden und entstehen Sammelbände, die interessante Ergebnisse aus unterschiedlichen Forschungsgebieten zusammentragen und verschiedene Perspektiven der Literatur-, Sprach-, Musik- und Sozialwissenschaften miteinander kombinieren.110 Weniger text- und sprachfokussierte Untersuchungen mit einer ausweitenden Betrachtung auf kontextuelle Sekundärmedien111 finden sich vor allem im Umfeld der ‚Cultural Studies‘. Zusammenfassend könnte man in Bezug auf die methodischen und theoretisch-konzeptionellen Herangehensweisen in Untersuchungen zum deutschsprachigen Rap und HipHop von zwei prinzipiell verschiedenen Gruppen sprechen: Zum einen von Arbeiten, die ausgehend von Raptext-Analysen mit meist sprachwissenschaftlichen Methoden einzelne Phänomene der HipHop-Kultur erforschen und dabei mitunter referenzielle Bezugsysteme vernachlässigen. Zum anderen von Studien mit interdisziplinären Ansätzen, die durch Aufdeckung komplexer Kontextrelationen Rap und HipHop als soziokulturelle Phänomene ganzheitlich beschreiben, dabei jedoch die konkrete Realisierung in der kulturspezifischen Sprache und insbesondere in den Raptexten außer Acht lassen. Ziel dieser Studie ist es, die Lücke zwischen beiden Zugangsweisen zu schließen, einen Bogen zwischen deskriptiven kulturwissenschaftlichen und systematisch-sprachwissenschaftlichen Untersuchungen zu schlagen und so einen Beitrag zur Ausdifferenzierung dieses hochkomplexen Untersuchungsgegenstandes zu leisten. Die Literaturwissenschaft hat erst in den letzten Jahren begonnen, sich eingehender mit diesem Thema zu beschäftigen.112 Raptexte als literarisches Genre stehen im Verdacht, keinen befriedigenden Erkenntnisgewinn liefern zu können. Zu trivial scheint die Botschaft des Autors, zu wenig variantenreich die formale Gestaltung. Die genrespezifische Standardform (paarige Endreime, StropheRefrain-Struktur etc.) suggeriert Gleichförmigkeit und mangelnde Vielfalt. Und in der Tat können viele der medial präsenten Raptracks durch narratologische Analyse, Textinterpretation oder ‚close reading‘ keine aufschlussreichen Er-

109 Hier ist vor allem zu nennen Androutsopoulos 2003. HipHop: Globale Kultur - lokale Praktiken. Bielefeld: Transcript. 110 Besonders erwähnenswert Bock/Meier/Süss 2007 und Hörner/Kautny 2009. 111 Beispielsweise analysierten Klein und Friedrich HipHop-Videos in Hinblick auf kulturspezifische Bildinszenierungen von Urbanität (Klein/Friedrich 2003b.) 112 Der erste Versuch einer ‚Poetik des Rap‘ wurde entsprechend erst einige Monate vor der Drucklegung dieser Studie veröffentlicht (Wolbring 2015) und kann deshalb hier leider nicht berücksichtigt werden.

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kenntnisse bieten. Interessante neue Forschungsergebnisse verspricht jedoch gerade ein Perspektivenwechsel, der eine Öffnung in Richtung eines Bewusstseins für die grundlegende Performativität bestimmter literarischer Genres mit einschließt, wie es etwa in der Germanistischen Mediävistik oder der Popularmusikforschung verbreitet scheint, und der dadurch ein entsprechend erweitertes Verständnis von Autorschaft, Ausdruck und Aufführung begünstigt. Aus rezeptionsästhetischer und konsumpsychologischer Sicht wird sich der offensichtliche Erfolg und die Akzeptanz einiger Raptracks beim Publikum selbst mit interdisziplinären Analysemethoden wohl nie vollständig erklären lassen. Zu komplex und undurchsichtig sind die tatsächlichen Wirkungszusammenhänge zwischen Rapper, Profil, Markt und Trend, Publikum, sozialer Umgebung, Konsumptionsverhalten etc. Ziel dieser Arbeit ist es daher vielmehr, Raptexte als literarisches Genre aus produktionsästhetischer Sicht zu durchleuchten und Raptracks als performative Lyrikaufführung zu untersuchen, um dadurch neue Erkenntnisse für die Literaturwissenschaft und angrenzende Disziplinen zu ermöglichen.

1.4 AUFBAU Das zweite Kapitel widmet sich zunächst einer überblicksartigen Beschreibung des Untersuchungsfelds Rap im Kontext der HipHop-Kultur, die bis heute als Bezugs- und Deutungsrahmen eine wichtige Rolle spielt. Dazu werden im Anschluss an eine begriffliche Einordnung der Bezeichnung ‚HipHop‘ die Zusammenhänge zwischen der Rap- und der HipHop-Kultur in Deutschland näher beleuchtet. Ausgehend von dem in der Rapforschung weit verbreiteten, hierarchisierenden Modell einer Ursprungs- und Referenzkultur, werden Grundeigenschaften der HipHop-Kultur zusammengefasst und auf Korrelationen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der Rapkultur hin untersucht. Anschließend wird die hier verwendete Terminologie spezifiziert und die methodische Ausrichtung dieser Studie weiterführend betrachtet. Teil II mit den Kapiteln 3 bis 9 ist das Kernstück der vorliegenden Arbeit. Ausgehend von Überlegungen zur Oralität bzw. Poetizität von Raptexten werden zunächst standardisierte literarische Produktionsverfahren ermittelt und untersucht. Dabei werden vor allem Strategien zur klanglichen bzw. semantischen Kohärenzbildung gesammelt und systematisiert. Wie zu sehen sein wird, stehen diese Konstruktionsverfahren in einer wechselseitigen Abhängigkeit von poetischen Gestaltungsmechanismen, die wiederum integraler Bestandteil des Erlebnisphänomens Flow sind. Daher wird in einem nächsten Schritt die wissenschaft-

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liche Konzeptionali-sierung des Flow-Phänomens vorangetrieben und an zahlreichen Beispielen exemplifiziert. Nach der Beschreibung der Kulturpraktiken des ‚Boastings‘ und ‚Dissings‘ als zentrale performative Profilbildungsstrategien im Rap werden anschließend die bedeutendsten profilrelevanten Topoi der Rapkultur – Urbanität, Sexualität und Gewalt – eingehender betrachtet und in Hinblick auf die jeweiligen Darstellungsformen untersucht. Dabei spielen insbesondere auch Distinktionsmerkmale zwischen einzelnen Subkulturen sowie profilspezifische Charakteristika eine Rolle. Neben einigen weiteren Inszenierungsparametern definieren sich Rapper maßgeblich durch ihre Texte. Diese bestimmen inhaltlich, wie formal – etwa durch den Sprachstil und den damit verbundenen Konnotationen – das Profil des Künstlers. Daher werden in Teil II der Arbeit neben formalen und inhaltlich-strukturellen Analysen besonders Untersuchungen zu individuellen und genrespezifischen sprachlichen Textgestaltungselementen und poetischen Verfahren in den Fokus gerückt. Ausgehend von den in Kapitel 2 näher beschriebenen Prinzipien der HipHop-Kultur wird auf diese Weise der Entwurf einer ‚Poetik des Rap‘ entwickelt und anhand zahlreicher Beispiele aus unterschiedlichen Subkulturen veranschaulicht. In Teil III der Arbeit dienen die zuvor ermittelten und ausführlich beschriebenen genrespezifischen Produktionsverfahren, Gestaltungsmechanismen und Kulturpraktiken als Basis, um mittels exemplarischer Werkbeispiele und deren Analyse die jeweiligen Profilbildungsmechanismen und -strategien der beiden Rapkünstler Sido und Bushido eingehender zu untersuchen. Ziel ist hierbei nicht nur die Erprobung der in Teil II theoretisierten Analysemethoden und die Anwendung der zuvor weiterentwickelten Konzeptionen und Termini. Während in Teil II stil- und profilübergreifende Beispiele zur Veranschaulichung herangezogen werden, stehen in Teil III werk- und profilimmanente Vorgänge im Vordergrund. Dazu wurden anhand des spezifischen Profils eines einzelnen Rappers und in größeren Werkzusammenhängen ganzer Strophen und Refrains mehr lineare und kontextuale Mechanismen und Prozesse beleuchtet. Damit konnte etwa auch der Linearität des Hörvorgangs und der Bedeutung der zeitlichen Komponente bei der Rezeption von Rapstücken Rechnung getragen werden. Außerdem wurde auf diese Weise eine Betrachtung horizontaler Strukturen und größerer Gestaltungszusammenhänge ermöglicht. Die jeweiligen drei im Detail analysierten Texte stammen aus drei unterschiedlichen Schaffensperioden und sollen so den Vergleich der Profilbildungsstrategien zu spezifischen Zeitpunkten ermöglichen: 1. Zu Beginn der Karriere, als es den Rappern erstmals gelang, größeres Interesse innerhalb der Subkultur zu erregen. 2. In einer Konsolidierungsphase, in der sich bereits ein spezifischer, individueller Rapstil etabliert hatte. 3. Zu einem Zeitpunkt, als der jeweilige Künstler bereits eine konstante Größe im

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Musikgeschäft darstellte und zunehmend Marketingstrategien der Populär- und Mainstreamkultur an Bedeutung gewannen. Den Vorwurf einer gewissen Redundanz in Kauf nehmend, werden in den Kapiteln 10 und 11 die wichtigsten sprachlichen Äußerungen, vom Beginn des jeweiligen Tracks bis zum Ende des ersten Refrains, einer intensiven Analyse im Sinne des ‚close reading‘ unterzogen. Dies geschieht nicht zuletzt auch, um die sinnhafte Strukturierung des akustischen Materials nachzuweisen und poetische Verfahren, wie genre- und profilspezifische Gestaltungsmechanismen systematisch darstellen zu können. Das folgende Zitat verdeutlicht eines der Kernprobleme der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit deutschsprachigem Rap und HipHop, dem auch in der vorliegenden Arbeit begegnet werden musste: „Seit Mitte der 90er Jahre gehört die Hip-Hop-Szene zu den populärsten Jugendkulturen in Deutschland. Die Vielfalt und die kreativen sowie integrativen Qualitäten des Hip-Hop werden jedoch durch ‚Szenestars‘ verdeckt, die von Jugendmedien gefördert und crossmedial beworben, ein völlig unangemessenes Bild eines gewalthaltigen und frauenfeindlichen Hip-Hop in den Vordergrund spielen. Vor allem Berliner Rapper wie Sido und Bushido fallen durch ihre Inszenierung als ‚Gangster aus deutschen Großstadtghettos‘ auf. […] Dass weite Bereiche des Hip-Hop eine reichhaltige Musik- und Jugendkultur darstellen, gerät dabei zu Unrecht in den Hintergrund.“113

Die konzeptionelle Gegenüberstellung von Teil I und II auf der einen und Teil III auf der anderen Seite ist ein Versuch, dieser Gefahr zu begegnen: Insbesondere Teil II liefert zahlreiche exemplarische und prototypische Beispiele, die aufgrund des dreigliedrigen Auswahlverfahrens Vielfalt und Variantenreichtum des Rap in Deutschland in seiner ganzen Breite aufzeigen sollen. Teil III hingegen setzt mit der Detailanalyse prägnanter Werke der beiden sehr unterschiedlichen ‚Szenestars‘ Sido und Bushido, zwei exemplarische, medial präsente und populäre Profile in Beziehung zu Szenestandards und spezifischen kulturellen Praktiken, kontextualisiert sie und macht sie vor dem Hintergrund der ‚Poetik des Rap‘ neu fassbar.

113 Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 5.

2. Rap und HipHop in Deutschland: Beschreibung einer Kultur der Selbstinszenierung

Wie in Kapitel 1.1.1 beschrieben, kursieren in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Rap beschäftigen, zahlreiche, teilweise konkurrierende Rapbegriffe. Dabei wird ‚Rap‘ – je nach wissenschaftlicher Perspektive und Schwerpunkt – als Sprachpraxis1, als Musikgenre2, seltener auch als literarisches Genre3 verstanden. Als besonders konfus und uneinheitlich stellt sich die begriffliche Trennung von ‚Rap‘ und ‚HipHop‘ dar. Teilweise werden die beiden Begriffe synonym, teilweise als antagonistisches Gegensatzpaar verwendet. In der szeneinternen wie öffentlichen und akademischen Diskussion wird Rap bzw. ‚Rapping‘ bis heute neben dem ‚Writing‘4, ‚DJing‘5 und ‚B-Boying‘6 als eine der vier elementaren, traditionellen Teilkulturen des HipHop be-

1

Vgl. etwa Klein/Friedrich 2003a, S. 15.

2

Vgl. etwa Kautny 2009, S. 141.

3

Vgl. etwa Werner 2007, S. 25.

4

Als ‚Writing‘ im engeren Sinne wird das optische Werben in der Öffentlichkeit mit dem eigenen Namen in kunstvollen Zeichen bezeichnet. Im weiteren Sinne werden unter dem spezielleren Begriff ‚Graffiti-Writing‘ oder nur ‚Graffiti‘ alle Wandmalereien zusammengefasst. (Vgl. Krekow/Steiner/Taupitz 1999.)

5

Der Begriff ‚DJing‘ (abgeleitet von ‚DJ‘, der Abkürzung von ‚Discjockey‘) ist ein Sammelbegriff für die verschiedenen Techniken des Plattenauflegens, mithilfe derer der DJ u.a. die musikalische Grundlage für die Performance des Rappers kreiert. (Vgl. Poschardt 1997.)

6

Als ‚B-Boying‘ (auch bekannt unter dem Begriff ‚Breakdance‘) wird die aktive Ausübung der kulturspezifischen Tanztechniken des HipHop, wie ‚Popping‘ (Tanztechnik

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zeichnet.7 Aus kulturhistorischer Perspektive bestehen keine Zweifel an der ursprünglichen Untrennbarkeit von HipHop und Rap. Dieser Umstand führte in der Vergangenheit dazu, dass diese beiden Begriffe in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen synonym gebraucht oder unzureichend voneinander abgegrenzt wurden. Auch szeneintern belegen zahlreiche Formulierungen eine begriffliche Vermischung.8 In den Jahren seit der Jahrtausendwende erfolgte jedoch innerhalb der Rapszene Deutschlands eine starke stilistische Ausdifferenzierung, die neue Spielformen hervorbrachte. Diese fühlen sich teilweise offensichtlich von USamerikanischen Vorbildern und selbst vom traditionellen Wertesystem des HipHop ‚emanzipiert‘ und unabhängig.9 Auf diese Weise entstanden zum einen Rap-Subszenen, die sich von jeglicher HipHop-Kontextualisierung distanzieren und solche, die in einem konstruktivistischen Akt eine spezifische Geschichtsschreibung vorantreiben, die mitunter idealisierende und romantisierende Züge trägt.10 Die Wurzeln dieser Entwicklung und die Anfänge dieses Säkularisierungsprozesses, der letztlich zu einem neuen Selbstbewusstsein einer jungen Generation von Rappern in Deutschland führte, sind vor allem im Untersuchungszeitraum der Jahre 2000 bis 2010 zu finden. Wie das Beispiel des Rappers Bushido zeigen wird, sind im zeitgenössischen deutschen Rap Musiker aktiv, die sich zu Beginn ihrer Karriere, als sich der Rap in Deutschland in der Phase der Neukontextualisierung und Lokalisierung befand, zum Wertekanon des HipHop bekannten, während sie sich Jahre später wieder davon distanzierten. Außerdem etablierte sich parallel dazu eine neue Generation deutschsprachiger Rapper, die nur indirekt mit der teilweise mythisierten und historisierten HipHop-Tradition in Berührung kamen und sich davon abgrenzen. Um aus der gegenwärtigen Perspektive über HipHop zu sprechen, muss zwischen verschiedenen – teilweise historischen – Modellen unterschieden werden. Denn was einst als Subkultur begann ist musikalisch, wie modisch und sprachlich in Deutschland mittlerweile längst in den Mainstream übergegangen. Selbst den Charakter einer Jugendkultur büßte er teilweise ein, da prägende Aktivisten

mit roboterähnlichen Bewegungen) und ‚Locking‘ (trickfilmartiges In-sich-Zusammenfallen und Wieder-Aufrichten) bezeichnet. (Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 33.) 7

Vgl. etwa Litzbach 2011, S. 13.

8

Z. B. rappt Lakman „Man singt heutzutage Hip Hop, man spricht nicht mehr.“ (Creutzfeld & Jakob, „Wer meint´s ernst“).

9

Vgl. etwa Androutsopoulos 2003a, S. 12.

10 Vgl. hierzu die Ausführungen zu Ismaiel-Wendts Konzept der „MusikEthnoLogik“ in Kap. 5.1.

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der Szene (etwa Sido und Bushido) mittlerweile über 30, teilweise sogar über 40 Jahre alt sind (beispielsweise einzelne Mitglieder von Fettes Brot oder Die fantastischen Vier) und traditionelle Insignien einer Jugendkultur nun innerhalb einer ‚jugendlichen‘ Erwachsenenkultur verwendet werden. Klein fasst in diesem Kontext zusammen: „Mittlerweile ist HipHop weit mehr als eine Jugend- und Popkultur. Wie keine andere Jugendkultur zuvor hat sie weltweit ein Zeichensystem entwickelt, das nachhaltig in die Kunst – Graffiti in Museen und Galerien, Breakdane in den zeitgenössischen Kunsttanz – und vor allem auch Alltagswelten eingedrungen ist: HipHop-Moden gehören längst zum Repertoire von Modehäusern der Haute Couture bis hin zu Mainstream-Mode in Billigläden. Begrüßungsrituale, Mimiken, Gesten und HipHop-spezifische Körper- und Bewegungssprachen sind unübersehbare Standards auf den Schulhöfen schon bei Schülern der unteren Klassen, Sprechweisen und Szeneworte sind in das Sprachvokabular nicht nur der Jugendlichen, sondern auch der ‚Berufsjugendlichen‘ eingegangen.“11

Die HipHop-Kultur ist demnach mittlerweile eine diffuse Populärkultur. Dennoch dient sie bis heute auch in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen als Erklärungsrahmen für Strukturen und Tendenzen der Rapkultur. Daher werden im Folgenden die unterschiedlichen – koexistenten und teilweise sich widersprechenden – Konzepte von HipHop einander gegenübergestellt und mit dem szeneinternen Diskurs abgeglichen.

2.1 ‚H IP H OP ‘ – B EGRIFFSBESTIMMUNG S.M.U.D.O. das ist hip hop unterricht hip hop die musik und rap ist was man drüber spricht doch da gibts so viele trends und das ist das problem die einen machen auf gemässigt und die andern auf extrem das ist für manche viel zu ernst für manche infantil für manche nur ein spass und für manche ein ventil da noch die übersicht behalten dass fällt schwer bei dem gewühl doch alle bringen eins zum ausdruck und zwar ihr lebensgefühl es ist wahr hip hop aus europa kommt aus der retorte das wird auch so bleiben benutzen wir nur fremde worte denk nicht so verdreht werde sprechgesangspoet

11 Klein 2007, S. 84.

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ein silbensprudelnder interpret dessen reime jeder sofort versteht nur in der muttersprache kann der spass am wortspiel funktioniern nur so kannst du den sinn der worte gut akzentuiern sprachliches selbstbewusstsein das ist das prinzip mach dich frei von vorurteilen und geniesse diese - hip hop musik (Smudo in Die Fantastischen Vier, „Hip Hop Musik“, Album „4 gewinnt“, Columbia 1992)*

Dieser Textauszug stammt aus dem Track mit dem programmatischen Titel „Hip Hop Musik“ von Die Fantastischen Vier (Die Fantastischen Vier, „Hip Hop Musik“). Hier dient die finale Strophe als Eingangszitat, das in mehrfacher Hinsicht relevant für die weiteren Betrachtungen ist: Zum einen stammt dieser Auszug von einer der ersten in Deutschland aktiven Rap-Formationen, die diesen Text bereits 1992 im Booklet des Albums „4 gewinnt“ (Columbia 1992) veröffentlichte. Damit kann er als kulturhistorisches Dokument betrachtet werden, in dem Reflexionen von den Akteuren selbst bezüglich des Rap- bzw. HipHopVerständnisses festgehalten sind. Zum anderen stammt er damit auch von einer Gruppe, die aus Gründen, die im Folgenden noch näher beschrieben werden, gerade im Kontext von Begriffsverständnis und Zugehörigkeit szeneintern immer wieder für Diskussionen sorgte. Smudo beschreibt hier aus seiner Sicht den Zusammenhang zwischen Rap und HipHop mit den Worten „hip hop die musik und rap ist was man drüber spricht“ (ebd.)*. Damit ist ein erstes Begriffsverständnis bereits treffend charakterisiert: HipHop wird verstanden als Musikstil. HipHop wird außerdem als Lebensgefühl beschrieben. So fasst auch Smudo in diesem Track das Gemeinsame aller Strömungen und Stile zusammen mit den Worten „doch alle bringen eins zum ausdruck und zwar ihr lebensgefühl“ (ebd.)*. Die Facetten des „Lebensgefühls HipHop“12 sind so unterschiedlich, wie die Profile der Rapper selbst. Dennoch gibt es einige Gemeinsamkeiten, die auf einem tradierten Wertesystem basieren. Denn HipHop wird auch als Wertegemeinschaft beschrieben. Der Großteil der Rapper und insbesondere jene der älteren Generation verstehen sich als Teil einer „HipHop-Gemeinschaft“13, die nicht nur auf Agonalität und individuelle Distinktion begründet ist. „Denn HipHop ist nicht nur Konkurrenz und Kampf, sondern vor allem eins: eine an ethischen Prinzipien orientierte Wertegemein-

12 Klein/Friedrich 2003a, S. 157. 13 Ebd., S. 92.

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schaft.“14 Auf diesem Hintergrund sind Äußerungen wie „Ich glaub’ noch immer an HipHop“ (Spax, „Waffenbrüder“) und „Wo viele den Faden verloren, haben wir Hip Hop nie abgeschworen“ (Massive Töne, „Mach mal lauter“) zu lesen. Dieses Verständnis einer Gemeinschaft basiert wesentlich auf der kollektiven Referenz und Bezugnahme auf eine gemeinsame, szenespezifische Geschichte (vgl. Kap. 2.2.4). HipHop wird traditionell als ‚Underground‘ verstanden. Wie Menrath beschreibt, wird unter Partizipanten anhand von Dauer und Intensität der Beschäftigung mit HipHop zwischen dem Zentrum und der Peripherie unterschieden.15 Dieser innere Kern bezeichnet sich selbst als die ‚Szene‘. „Die Szene beschäftigt sich nicht mit Mainstream-HipHop. Hier kommen die Bezeichnungen Underground, womit die Szene in Verbindung gebracht wird, und Kommerz auf, mit der der kulturelle Mainstream gekennzeichnet wird.“16 Damit ist die grundsätzliche Dichotomisierung von Mainstream und Underground angedeutet, die im Zusammenhang mit HipHop als Subkultur und Gegenkultur zur dominanten Kultur eine bedeutende Rolle spielt. Gerade Die Fantastischen Vier polarisierten und polarisieren diesbezüglich innerhalb der HipHop-Szene. Zur kulturhistorischen Bedeutung der Gruppe schreibt Wiegel: „Mit ihrem Hit ‚Die Da?!‘ (1992) proklamieren sie einen spaßorientierten Rap mit Wortwitz, der erstmals auch einen kommerziellen Erfolg schafft und so Rap der breiten deutschen Öffentlichkeit zugänglich macht.“17 Diese „Rap-Philosophie“18 traf in mehrerer Hinsicht auf szeneinterne Widerstände. So zeigt das Zitat von Menrath, dass Kommerz grundsätzlich mit Mainstream in Verbindung gebracht wird und daher in starkem Kontrast zum Ideal des ‚Underground‘ steht. Es ist jedoch nicht der kommerzielle Erfolg als solcher, der Anstoß erregt, wie Kautny beschreibt: „Wertungsdiskurse können durchaus Produkte des Mainstreams im Namen der Authentizität ablehnen und gleichzeitig zur sozial-ökonomischen Ausbildung eines MainstreamKanons beitragen. Genau dieses Paradoxon findet sich […] im HipHop. Denn zum Selbstverständnis der ehemaligen Subkultur gehört es […] zwischen HipHop als System und Mainstream-Pop als feindlicher Umwelt zu unterscheiden, obwohl HipHop sozialökonomisch bereits längst einen eigenen Mainstream hervorbringt.“19

14 Ebd., S. 51. 15 Vgl. Menrath 2001, S. 103. 16 Ebd. 17 Wiegel 2010, S. 18. 18 Ebd., S. 17. 19 Kautny 2008, S. 147.

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Als wesentliches Kriterium der Beurteilung scheint also die Authentizität darüber zu entscheiden, ob Künstler und ihre Produktionen von der HipHop-Szene als ‚Pop‘ degradiert werden. Das hier zugrunde liegende, sehr enge Konzept von Authentizität basiert dabei auf der Konformität mit einem teilweise mythisierten und historisierten HipHop-Ideal.20 HipHop wird als mythisches Konstrukt beschrieben. In diesem Verständnis spielt die „Erfahrung der Unterdrückung, als Gemeinsamkeit der HipHopper“21 eine zentrale Rolle. Als authentisch und „kredibel“22 gilt der, „der soziale Marginalisierung am eigenen Leib erfahren hat“23. Die „Gute-Laune-Partymusik“24 von Die Fantastischen Vier steht dazu stilistisch wie inhaltlich in klarem Gegensatz und brachte der Gruppe den Vorwurf einer „unauthentischen Attitüde“25 ein. Im oben zitierten Track rappt Hausmarke: es hat ein für allemal mit hip hop nichts zu tun sich auf seinem alten ghettoimage auszuruhn zum einen hats für mich den sinn zu sagen wer ich bin zu beschreiben wo ich herkomm und da ists halt nicht so schlimm (Hausmarke in Die Fantastischen Vier, „Hip Hop Musik“, Album „4 gewinnt“, Columbia 1992)*

Mit der hier deutlich werdenden Haltung stellten sie generell den unmittelbaren Zusammenhang zwischen authentischer Inszenierung und Erfahrungen sozialer Marginalisierung in Frage. Gerade aber der sogenannte ‚Gangsta-Rap‘, der einige Jahre später in Deutschland kommerziell erfolgreich wurde, basiert wesentlich auf dieser Legitimationsgrundlage. HipHop wird teilweise also auch als verharmlosendes, realitätsfremdes und antiquiertes Relikt aufgefasst. Die Opposition von ‚unauthentischem HipHop‘ und ‚authentischem Rap‘ verschärfte sich über die Jahre. Dies führte dazu, dass sich innerhalb der vor allem in Berlin entstandenen Rap-Szene ein konkurrierendes Begriffssystem verbreitete. Hier wird ‚Rap‘ ausschließlich als Begriff für die in obigem Sinne ‚authentischen‘ Rap-Stile und ‚HipHop‘ als Sammelbezeichnung für die als ‚harmlos‘ und veraltet wahrgenommene Rap-Szene um Gruppen

20 Vgl. hierzu Klein/Friedrich 2003a, S. 55-83. 21 Menrath 2001, S. 82. 22 Fettes Brot in „Der beste Rapper Deutschlands ist offensichtlich Ich“. 23 Klein/Friedrich 2003a, S. 42. 24 Fuchs 1996, S. 158. 25 Elflein 2006, S. 21.

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wie Die Fantastischen Vier oder Fettes Brot verwendet. So konstatiert etwa Kool Savas im Jahr 2000 in einem Interview: „Sowas wie Fettes Brot ist eh kein Rap […].“26 Damit vollzog sich in den letzten ca. 20 Jahren eine Verschiebung der mit den einzelnen Genres assoziierten Images: Während zunächst die HipHop-Kultur als Underground und Gegenkultur zum Mainstream-Pop verstanden wurde, wird seit einigen Jahren der sogenannte ‚Gangsta-Rap‘ als Underground bezeichnet. HipHop als Mainstream-Kultur wird dagegen ein Authentizitätsdefizit bescheinigt. Dabei besteht, wie bereits erwähnt, keine Korrespondenz zwischen diesen Einschätzungen und tatsächlichen ökonomischen Relationen. Die fehlende Trennschärfe des HipHop-Begriffs in einer sich ständig verändernden und ausdifferenzierenden Kultur führte unweigerlich auch zu einer Individualisierung desselben. Dies schlägt sich auch in den zahlreichen programmatischen Auseinandersetzungen von Rappern nieder. Entsprechend behaupten sowohl Kay One, Fler und Bushido (Berlins Most Wanted, „Das ist Hip Hop“) als auch Sido, B-Tight und Kitty Kat (Sido, B-Tight, Kitty Kat, „Das ist Hip Hop“) in den gleichnamigen Tracks „Das ist Hip Hop!“. HipHop lässt sich also zusammenfassend als komplexe Kultur beschreiben, die ein Ergebnis unterschiedlicher kultureller Praktiken und deren permanente Aktualisierung ist. Damit ist dieser Begriff auch immer historisch an die jeweiligen Akteure und Teilhabenden gebunden, die diese Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt hervorbringen und prägen. Für die vorliegende Arbeit ist die HipHopKultur daher in sofern relevant, als dass Rapper auf vielfache Weise – bewusst und unbewusst – darauf referieren und sich nicht zuletzt aufgrund der historischen Zusammenhänge – explizit und implizit – dazu in Bezug setzen bzw. davon distanzieren.

2.2 H IP H OP UND R AP : P ROFILRELEVANTE C HARAKTERISTIKA Wie zu sehen war, kann die komplexe Rapkultur in ihrer Vielfalt nicht unabhängig von der HipHop-Kultur beschrieben werden. Auch wenn teilweise szeneinterne Dichotomisierungen darüber hinwegtäuschen und einzelne Rapper und Subgenres eine kulturhistorische Verbindung negieren, kann das Verhältnis von Rap zu HipHop als das einer Teil- zur Ursprungs- bzw. Referenzkultur charakterisiert werden. Im öffentlichen, szeneinternen und akademischen Diskurs glei-

26 Beni-mike 2000. King Kool Savas. Online verfügbar unter http://rap.de/c37interview/5744-king-kool-savas [Stand 2016-07-24].

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chermaßen dient dementsprechend die HipHop-Kultur bis heute als Bezugs- und Deutungsrahmen, mit dessen Hilfe Phänomene und Strukturen der Rapkultur eingeordnet und theoretisiert werden. Aus diesem Grund sollen im Folgenden wichtige Kernthesen zum HipHop und daran anschließend zum Rap zusammengefasst und daraus wesentliche profilrelevante Charakteristika abgeleitet werden. Basierend auf einem konstruktivistischen Kulturverständnis, demgemäß die HipHop- bzw. Rapkultur nicht unabhängig von den Teilhabenden zu begreifen ist, werden dabei einige Beispiele aus Raptexten die theoretischen Erkenntnisse untermauern. 2.2.1

Jugendkultur / Subversivität

HipHop ist eine Jugendkultur, die erwachsen wird. Der HipHop in Deutschland blickt auf eine mittlerweile über dreißigjährige Geschichte zurück. Damit befindet er sich – kulturhistorisch gesehen – zur Zeit in einem äußerst interessanten Stadium: Die sich auch wesentlich in Abgrenzung zur Erwachsenenkultur definierende Subkultur ist von Akteuren wie etwa Sido und Bushido geprägt, die heute über 30 Jahre alt sind. Inwiefern das einen Einfluss auf den Umgang mit konventionalisierten Markern der Jugendkultur hat, wie etwa der spezifischen Kleidung, einer soziolektal geprägten Sprache usw., ist bislang wenig erforscht. HipHop ist nicht nur in dem Sinne eine Jugendkultur, dass sie überwiegend von jugendlichen Praktizierenden hergestellt wird. Vielmehr wird sie auch von nicht (mehr) adoleszenten Teilhabenden nach den Codes der Jugendkultur genutzt, zu denen der spezifische Kleidungsstil, soziolektale Szenemarker, sowie die Konsumption unterschiedlicher Kulturprodukte zählt. In den Raptexten schlägt sich die jugendliche Ausrichtung sowohl in den thematisierten Sujets als auch in der spezifischen Sprache nieder. Zu den altersspezifischen Themen gehören etwa Partys und Ausgehverhalten wie in Kitty Kats „Braves Mädchen“ (Kitty Kat, „Braves Mädchen“) oder der Konsum von Rauschmitteln wie in „Rhymes, Weed, Cash“ (Creutzfeld & Jakob, „Rhymes, Weed, Cash“), „Drogenrausch“ (Deichkind, „Drogenrausch“) und vielen weiteren. Zu den unzähligen Beispielen für jugendsprachliche Formulierungen zählen bspw. „meine Haltung rüberbringen, geile Reime bringen“ (Madcap in Albino & Madcap, „Unser Horizont“)* oder die soziolektale Begrüßungsformel „Was geht ab?“ (Jan Delay, „Klar”). In den Wirkungszusammenhang jugendkultureller Konnotation gehört auch die permanente Auseinandersetzung einiger Rapper mit der Indizierung ihrer Musikproduktionen. Denn wie Custodis in „Tadel verpflichtet – Indizierung von Musik und ihre Wirkung“ beschreibt, kommt „den kreativen Akteuren der Ju-

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gendszenen […], die ihren Erfolg auch am Widerstand messen, der ihnen von der Erwachsenenwelt entgegengebracht wird“27 gerade auch der öffentliche Protest der Dominanzkultur zugute, indem er die eigene Popularität steigert und als Beweis für Nonkonformität gilt. Als von jugendlichen Akteuren gestaltete Gegenkultur zur Dominanzkultur der Erwachsenen wurde HipHop in Deutschland zunächst mit Subversivität und Opposition in Verbindung gebracht.28 Mit der beginnenden Auflösung im Mainstream und dem zunehmenden Alter prägender HipHopper konnte diese Konnotation erst wieder durch die Inszenierung des Aufbegehrens aus der Position marginalisierter Teile der Gesellschaft gegen das Establishment provoziert werden.29 Dieses Prinzip wird in den Darstellungen des ‚Gangsta-Rap‘ vielfach auf eine Gut-Böse- bzw. Legal-Illegal-Dichotomie verkürzt (vgl. insbesondere Kap. 10.2.4, 10.3.2 und 11.4.2). 2.2.2

Glokalität / Hybridität

HipHop ist eine glokale Kultur. Er ist Ergebnis eines aktiven Aneignungsprozesses global kursierender Kulturangebote mittels ständiger lokaler Neukontextualisierung.30 Als bis heute dominante Ursprungskultur gilt der US-amerikanische HipHop. „Als Teil des glokalen Phänomens HipHop ist dessen deutscher Ableger […] immer auch Kopie und/oder Aneignung US-amerikanischer GenreArchetypen.“31, schreibt Elflein. Ob und inwiefern der HipHop in Deutschland tatsächlich als Nachahmung des US-amerikanischen Originals gewertet werden kann, ist umstritten. Der deutsche HipHop ist ohne die Entwicklung in den Vereinigten Staaten nicht denkbar. Gleichzeitig konnten vergleichende Studien jedoch auch belegen, dass durch den „Zwang zu lokalkulturell gebundener Authentizität“32 nicht nur weitreichende Modifikationen stattfanden und weiterhin erfolgen, sondern dabei auch kontinuierlich neue, lokalspezifische Spielformen hervorgebracht werden.33 Die Beschäftigung mit Rap war in Deutschland für die Beteiligten von Beginn an eine Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Rapkultur. Diese zunächst allgegenwärtige Rückbezüglichkeit auf die Ursprungskultur führte zu

27 Custodis 2008, S. 163. 28 Vgl. Altrogge/Amann 1991, S. 7 ff. 29 Vgl. etwa Janitzki 2012, S. 300. 30 Vgl. etwa Klein/Friedrich 2003a, S. 64 ff. 31 Elflein 2006, S. 11. 32 Lüdtke 2007a, S. 309. 33 Vgl. etwa Lüdtke 2007a.

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der bis heute andauernden Diskussion um Original vs. Kopie und der szeneinternen Debatte um Begriffe wie ‚Deutschrap‘ vs. ‚deutscher Rap‘. So behauptet Signore Rossi von der Kölner Gruppe Microphone Mafia „Es gibt überhaupt keinen ‚Deutschrap’, es gibt nur deutschsprachigen Rap. Tut mir leid, aber Rap kommt aus Amerika.“34 und Tatwaffe von Die Firma rappt 1998: „Die Firma kopiert nicht Amerika“ (Die Firma, „Scheiß auf die Hookline“). Besonders die mythische Figur des ‚Gangsta-Rappers‘ gilt als Indikator und trennt jene deutschsprachigen Rapper, die gewissermaßen an eine Erb-Authentizität durch Ähnlichkeit glauben, von jenen, die gerade die Übertragbarkeit generell kritisch hinterfragen, wie etwa Curse mit „Gangsta Rap“ (Curse, „Gangsta Rap“) oder Huss und Hodn mit „Gangsterberuf“ (Huss und Hodn, „Gangsterberuf“).35 „HipHop ist eine hybride Kultur.“36 Diese Eigenschaft erscheint als logische Konsequenz aus dem grundsätzlich glokalen Charakter, den auch die Teilkultur des Rap auszeichnet: „Die Veränderlichkeit von Bedeutungen innerhalb der globalisierten Rapkultur und ihr transkultureller Charakter infolge des Austauschprozesses zwischen global und lokal verfügbaren Ressourcen bedingen Hybridität als eine ihrer Grundeigenschaften.“37 Auf der sprachlichen Ebene findet diese Hybridität zunächst ihren Niederschlag in der Koexistenz unterschiedlicher Sprachen, wie etwa Englisch, Deutsch und Türkisch. Wie in Kapitel 7 näher beschrieben positionieren sich Rapper darüber hinaus teilweise auch mittels dialektaler Formulierungen in den spezifischen lokalen Szenen, wie beispielsweise in „‚Was is’ los Digga?‘“ (Samy Deluxe, „Zurück“) einiger Hamburger Rapper.38 Musikalisch wie stilistisch führte der prinzipiell hybride Charakter der Kultur zu einer nie dagewesenen Vielfalt.

34 Zit. nach Klein/Friedrich 2003a, S. 77. 35 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 7. 36 Klein/Friedrich 2003a, S. 9. 37 Lüdtke 2007a, S. 309. 38 Vgl. hierzu insbesondere Kap. 7.1.

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2.2.3

Pluralität

HipHop ist eine pluralistische Kultur. Infolge der ständigen Hybridisierung und Neukontextualisierung durch die performative Aneignung und Weiterentwicklung der Praktizierenden fand eine kontinuierliche kulturelle Anreicherung und Diversifizierung statt, die eine Reihe neuer Stile, Ästhetiken und auf gemeinsamen normativen Systemen basierende Subkulturen hervorbrachten. Androutsopoulos fasst zusammen: „HipHop versteht sich als mehrdimensionale kulturelle Praxis, deren Bestandteile mit mehreren semiotischen Codes operieren: Bild, Sound, Typografie, Körperbewegung, Sprache.“39 In Auseinandersetzungen mit der Rapkultur finden interessanterweise trotz der nachweisbaren Vielfalt und des außerordentlichen Stilpluralismus dennnoch häufig wiederkehrende Fokussierungen und Vereinfachungen statt. Karrer und Kerkhoff schreiben dazu: „Über Rap reden heißt auch, die Vielfalt seiner Ausprägungen ins Licht zu rücken, und ihn vor der Reduktion auf das höchst ambivalente und politisch unreife Subgenre des ‚Gangsta‘-Rap zu bewahren.“40 Was die Autoren und Herausgeber hier bereits Mitte der 1990er Jahre aus der Perspektive der amerikanischen Literaturforschung über die US-amerikanische Ursprungskultur als Anspruch an den Untersuchungsgegenstand formulierten, muss heute in der hiesigen Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen Rapkultur neu aufgegriffen werden. Solange der medial präsenteste Rap in Deutschland noch harmlose „Gute-Laune-Partymusik“41 war, die weder inhaltlich noch sprachlich den Protest der Dominanzkultur evozierte, beschränkte sich auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung häufig auf die stärker polarisierenden Produktionen des USamerikanischen Marktes – namentlich des ‚Gangsta-Rap‘. Je mehr auch der deutschsprachige Rap sein provokatives Potenzial entfaltete und die so entstandenen Produktionen kommerziell erfolgreicher wurden, desto mehr mediale Aufmerksamkeit und öffentliches Interesse konnte er hervorrufen.42 So konstatiert Elflein 2006: „Deutscher Battle- und Gangster-Rap ist im Moment so erfolgreich wie nie – mit Künstlern wie Eko Fresh, Kool Savas, aber auch mit Bushido und den mit Aggro Berlin assoziierten Rappern Fler und Sido.“43 In der hiesigen öffentlichen Diskussion dominiert ebenfalls der stärker für Kontroversen sorgende ‚Gangsta-Rap‘, und auch in wissenschaftlichen Auseinanderset-

39 Androutsopoulos 2003a, S. 15. 40 Karrer/Kerkhoff 1996, S. 9. 41 Fuchs 1996, S. 158. 42 Vgl. etwa Wiegel 2010, S. 13. 43 Elflein 2006, S. 22.

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zungen mit deutschsprachigem Rap wird häufig dieses Genre in den Fokus gerückt. So entsteht ein etwas einseitiges und verzerrtes Bild der deutschen RapSzene, denn auch Elflein stellt weiterhin fest: „Etablierte Stars des deutschen Rap wie Samy Deluxe, Die Fantastischen Vier, Fettes Brot, Die Firma oder Max Herre wurden nicht verdrängt, vielmehr erobern die […] Battleund Gangster-Rapper zusätzlich die Charts. Teilweise haben etablierte Künstler wie z.B. Fettes Brot oder Die Firma im Moment sogar die höchsten Chart-Platzierungen ihrer Karriere.“44

Tatsächlich ist jedoch auch aufgrund der zunehmenden Individualisierung und Loslösung von traditionalistischen Wertegemeinschaften in den vergangenen Jahren seit der Jahrtausendwende eine Diversifizierung des deutschen Rap zu beobachten, aus der eine nie dagewesenen Fülle an Formen und Stilen resultierte. Die Inhalte und Formen unterscheiden sich dabei teilweise stark und disqualifizieren etablierte Muster der Klassifizierung wie ‚Party-Rap‘, ‚Gangster-Rap‘ oder ‚politischer Rap‘ als unzureichend. 2.2.4

Historizität / Traditionalismus

HipHop wird als wertkonservative, traditionalistische und mythisierende Kultur beschrieben. Klein und Friedrich sehen im Vergleich zu anderen Jugend- und Popkulturen in dieser Eigenschaft einen der Gründe für die Langlebigkeit der HipHop-Kultur.45 Mit Blick auf kulturhistorische Publikationen, die zu einem großen Teil von Szenemitgliedern verfasst oder zusammengetragen wurden, stellt Androutsopoulos fest: „Was HipHop von anderen Musikkulturen […] unterscheidet, ist die Art und Weise, in der die Beteiligten ihre eigene Geschichte rekonstruieren.“46 Davon ausgehend diagnostiziert er die Weitergabe von Wissen innerhalb der Gemeinschaft als eines der Grundprinzipien der HipHop-Kultur.47 Wie Ismaiel-Wendt in „Tracks’n’treks – Populäre Musik und postkoloniale Analyse“48 ausführlich darlegt, werden dabei durch sich selbst wiederholende Zitationspraktiken Kontinuitäten suggeriert, wo im Grunde nur „Erzählungen über

44 Ebd. 45 Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 14 ff. 46 Androutsopoulos 2003a, S. 9. 47 Ebd. 48 Ismaiel-Wendt 2011.

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die Vergangenheit“49 bestätigt werden. Durch diese Zitations- und Verweispraktiken positionieren sich die einzelnen Rapper im kulturhistorischen Kontext und bestätigen oder modifizieren die szeneinterne Geschichtsschreibung. Der historische Startpunkt der Entwicklung des HipHop in Deutschland wird vielfach mit der Ausstrahlung US-amerikanischer Filme gleichgesetzt, die sich mit der HipHop-Kultur beschäftigen, wie etwa „Wild Style“ (Regie: Charlie Ahearn, 1982), „Beat Street“ (Regie: Stan Lathan: 1984) und „Breakin‘“ (Regie: Joel Silberg, 1984).50 So bestätigt etwa auch D-Flame mit „‚Wild Style‘ war der Film, der mein Leben verändert hat.“ (D-Flame feat. Tone, „Mehr als Musik“) gängige Geschichtsschreibungen der HipHop-Forschung. Dementsprechend ist der Verweis auf die vier traditionellen Säulen des HipHop in Raptexten elementarer Bestandteil historisierender Erzählungen. So demonstriert etwa Torch, einer der ersten deutschsprachigen Rapper von der Gruppe Advanced Chemistry, sein ganzheitliches Verständnis von HipHop in den Zeilen „Deine Stadt wird im Nu genommen, mit Graffiti zugebombt“ (ebd.), „bauen Beats nur aus Bock so wie es früher war / als ich noch nicht so müde war und Graffitisprüher war“ (Torch, „Wir waren mal Stars“). Azad erinnert sich in seinem Track „Hip Hop“ (Azad, „Hip Hop“) „hinter der Schule wurde gebreakt“ und auch Massive Töne referieren auf die traditionellen HipHop-Disziplinen, wenn sie rappen: Hab vor dem Spiegel Schritte geübt, mich auf dem Boden gedreht // [...] Ich saß in der Schule, tagsüber Tags51 üben // Abends in der Bude, nachts in Zügen // [...] Wir waren Graffiti Kiddies, die wie auf Drogen durch die City zogen // Wir holten uns Sprühdosen (Massive Töne, „Geld oder Liebe“, Album „MT3“, EastWest Records 2002)*

Dabei fällt auf, dass Rapper, die bereits vor der Jahrtausendwende schon aktiv waren, sich tendenziell eher mit US-amerikanischen Vorbildern in Bezug setzen und ein ganzheitlicheres HipHop-Verständnis transportieren. Bei Rappern der jüngeren Generation lassen sich derartige historische Rückbezüge seltener finden. Hier häufen sich vielmehr Darstellungen als Trendsetter, Pionier und unabhängiger Kreativer.52 Damit müssen die Befunde der früheren HipHop-Forschung, die konstatieren, dass „die Gemeinschaften des HipHop nicht posttradi-

49 Ebd., S. 47. 50 Vgl. etwa Mager/Hoyler 2007, S. 47 oder Szillus 2012b, hier: S. 42. 51 „Tags“ sind Namenszeichen, kunstvolle Signaturen der Graffiti-Writer (vgl. etwa Klein 2007, S. 82). 52 Vgl. hierzu etwa die in Kap. 5 ausführlicher beschriebenen Profilbildungsmechanismen bei Bushido.

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tional, sondern langlebig, stabil, wertkonservativ und an Tradition gebunden“53 sind, in Bezug auf den zeitgenössischen deutschen Rap teilweise revidiert werden. Wie insbesondere Kapitel 5.4 und 7.4 zeigen werden, lässt sich besonders im ‚Gangsta-Rap‘ die Tendenz erkennen, dass die Verweispraktiken weniger darauf abzielen, sich als Teil eines traditionellen Gefüges darzustellen. Vielmehr inszenieren sie sich selbst als Unikum oder Startpunkt eines Trends, der in klarer Opposition zu dem tradierten Wertekanon des HipHop steht. Bushido etwa, der um die Jahrtausendwende erste Tracks veröffentlichte, distanzierte sich von traditionellen Grundsätzen der HipHop-Gemeinschaft und kommuniziert offen, dass er „jegliche ethischen Prinzipien der HipHop-Kultur ablehnt“54. Gleichzeitig knüpft er jedoch auch an Teile des Ursprungsmythos an, wenn er sich selbst als „Gangster-Rap sein Vater“ (Bushido, „Ein Mann Armee“) bezeichnet und als Wegbereiter des deutschen ‚Gangsta-Rap‘ inszeniert (vgl. dazu ausführlicher Kap. 5.4). Die kulturinterne Geschichtsschreibung führt durch teilweise ‚romantisierende‘ Darstellungen und Selektionen auch zu mythisierenden Tradierungen. So beschreiben Klein und Friedrich etwa den bis heute wirksamen Ursprungsmythos: „Die Ursprungserzählung des ‚schwarzen HipHop‘ hat den Charakter einer mythischen Erzählung, nicht nur weil sie die mit ‚schwarzem HipHop‘ verbundenen Regeln als normative Vorgaben eines authentisch wirkenden HipHop vorstellt, sondern auch, weil sie die Erzählfigur ‚schwarzer Rapper‘ als Bewertungsmaßstab für den mittlerweile globalisierten HipHop etabliert.“55

Zum Entstehungsmythos des HipHop gehört, dass er in einer Mega-City, NewYork, entstand und daher auch an spezifische Großstadterfahrungen gebunden ist.56 Mit ihren spezifischen Inszenierungen von persönlichem Auflehnen gegen soziale Marginalisierung und urbanem Überlebenskampf referieren Bushido und viele weitere Berliner Rapper folglich auf populäre historische Motive der HipHop-Kultur. Dieses Anknüpfen an den traditionellen Mythos von Rap als kanalisierendes Ausdrucksmittel für Subversivität und soziale Marginalisierung in der lebensfeindlichen Umwelt des Ghettos dient dabei in erster Linie profilgenetischen Zielsetzungen (vgl. Kap. 11): „Die HipHopper selbst sind sich der Ambi-

53 Klein/Friedrich 2003a, S. 147. 54 Wiegel 2010, S. 96. 55 Klein/Friedrich 2003a, S. 62. 56 Vgl. Klein/Friedrich 2003b, S. 86.

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valenz einer subversiven Position durchaus bewußt. Sie wissen, daß sich Marginalität und Rebellion, auch als Pose, gut verkaufen läßt.“57 Bei aller Veränderlichkeit wird HipHop also gleichzeitig auch als „traditionsbewusst und wertorientiert“58 beschrieben. Auch wenn tradierte Werte wie ‚Fairness‘ und ‚Respekt‘59 – etwa gegenüber der kulturspezifischen Tradition, andere Rapper oder deren geistigem Eigentum – teilweise an Bedeutung verlieren, werden innerhalb der HipHop-Kultur weiterhin in der täglichen Aneignung und Neukontextualisierung permanent spezifische Mythen aktualisiert und etabliert. So sind bis heute mythische Vorstellungen vom Ursprung der Kultur als Medium einer marginalisierten ‚schwarzen‘60 Bevölkerungsschicht wirksam, deren Erfahrungen wesentlich an das Leben in einer Großstadt geknüpft sind. Urbanität und Marginalisierung bleiben daher auch bestimmende Topoi in den Textproduktionen der Rapper.61 Die kontinuierliche Hybridisierung und Neukontextualisierung hatte gleichzeitig aber auch eine Weiterschreibung, Wiederentdeckung oder Modifizierung der mythischen Erzählungen zur Folge.62 Bezüglich der Rolle der aktiv partizipierenden Frauen und der Inszenierungen von Weiblichkeit kann innerhalb der Rapkultur in den letzten Jahren ein starker Wandel festgestellt werden (vgl. besonders Kap. 8.5 und 9.2). Dabei förderte die sich ausweitende Hybridisierung und Diversifizierung auch eine zunehmende kritische Auseinandersetzung mit tradierten Standards (vgl. Kap. 8.7). Dennoch lautet der Tenor der aktuellen HipHop-Forschung, dass die HipHopKultur bis heute männlich dominiert ist und traditionelle patriarchale Strukturen und Denkmuster repetiert und standardisiert. Dabei kommen die einzelnen Wissenschaftler bei der Suche nach dem Ursprung je nach individuellem Schwerpunkt zu unterschiedlichen Erklärungsansätzen. So interpretiert Litzbach das beobachtete szeneinterne Festhalten an traditionellen Rollenmustern nicht als Ausdruck eines kulturspezifischen Traditionalismus, sondern versteht die Inszenierungen als „Abbild der alltäglichen Wirklichkeit“ 63, des gesellschaftlichen IstZustands. Lüdtke wiederum sieht auch in der „Performanz unterschiedlicher Sprechakte“64 innerhalb des Rap einen repetitiven Faktor, der die „interaktiona-

57 Menrath 2001, S. 130. 58 Klein/Friedrich 2003a, S. 14. 59 Vgl. ebd., S. 51. 60 Vgl. etwa Ismaiel-Wendt 2011, S. 48 und Menrath 2001, S. 120. 61 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 7 bzw. 9. 62 Vgl. hierzu insbesondere Ismaiel-Wendt 2011, S. 137 ff. 63 Litzbach 2011, S. 80. 64 Lüdtke 2007b, S. 225.

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le Unterdrückung durch Fallenlassen oder Nichtaufnahme der von Frauen aufgebrachten Themen und Bedeutungen und den Anpassungszwang an Sprechweisen, Gesprächsinhalte und Begrifflichkeiten von Männern“65 begünstigt. Bei genauerer Betrachtung der verschiedenen Strategien von Rapperinnen im Umgang mit den traditionell patriarchalen Strukturen der Rap- und HipHopKultur ensteht der Eindruck, dass jene Musikerinnen, die sich zwar zum Teil mit genrespezifischen – gerade auch traditionalistischen und historisierenden – Standards synchronisieren, gleichzeitig dabei aber aus der Kultur heraus agieren, ihr innovatives, emanzipatorisches und progressives Potenzial am nachhaltigsten entfalten können (vgl. Kap. 8.5). Auch hier zeigt sich also die Rapkultur als bipolares Hybrid zwischen Repetition bzw. Konservation und Kreation. 2.2.5

Performativität / Authentizität „Gemeinschaft entsteht im HipHop durch Dabeisein und Mitmachen. Die Zugehörigkeit und der Gewinn lokaler Anerkennung sind von der aktiven Beteiligung abhängig, die Grenzen zwischen Künstler und Publikum werden verwischt.“66

Aus dem Zusammenwirken von Historizität und ständiger Aktualisierung resultiert eine der elementaren Eigenschaften des HipHop: sein notwendig aktiver Charakter. HipHop ist eine Subkultur, die nur in Prozessen der „aktiven Aneignung“67 für die Teilhabenden Wirklichkeit wird, d.h. sie muss in ständigen Vorgängen der subjektiven Neukontextualisierung Teil der Erfahrung des Einzelnen werden. Erst wenn die Partizipierenden die global kursierenden Kulturgüter in der individuellen Aneignung als geistige und materielle Ressourcen nutzen, gewinnen diese an Relevanz und werden ‚real‘. HipHop ist daher auch eine performative Kultur, die eine aktive Teilnahme voraussetzt. Erst die produktive Aneignung des HipHop als „global verbreitetes Geflecht alltagskultureller Praktiken“68 kann „die Realworld HipHop“69 herstellen, sie bedarf einer performativen Produktion: „Der Mythos HipHop wird Wirklichkeit, indem er theatral dar-

65 Ebd. 66 Androutsopoulos 2003a, S. 12. 67 Ebd., S. 11. 68 Androutsopoulos 2003a, S. 11. 69 Klein/Friedrich 2003a, S. 37.

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gebracht wird“.70 Der performative Grundcharakter bietet die Möglichkeit, die eigene Identität in Prozessen der aktiven Aneignung, Reflexion und Produktion mit sich und seiner sozialen Umgebung auszuhandeln. „Denn HipHop ist eine Lebenswelt mit einem klaren sozialen Ordnungssystem, festen Regeln, definierten Orten und einem tradierten Normen- und Wertesystem. Sie ist identitätsversprechend und identitätssichernd.“71 Nur wer die tradierten Normen und Regeln auch aktiv in sein Leben integriert – in Kleidung, Attitüde usw. – wird als ‚authentisch‘ innerhalb der subkulturellen Gemeinschaft akzeptiert.72 HipHop ist demnach keine Konsumentenkultur, sondern sie muss aktiv angeeignet und performativ hergestellt werden. Sowohl auf Seiten der eigentlichen ‚Rezipienten‘ (durch den Kauf von Tonträgern, durch das Tragen der entsprechenden Kleidung, durch Benutzung des typischen Sprachstils und InsiderVokabulars usw.), als auch auf Produzentenseite. Hier treten folglich mehrere Faktoren in ein komplexes Wechselspiel: Der US-amerikanische HipHop gilt als Ursprungskultur der lokal rekontextualisierten Subkulturen. Die an der Subkultur Partizipierenden nutzen szenespezifische Ausdrucksmöglichkeiten für die Inszenierung der eigenen Identität. Diese Identität muss im ständigen Spannungsfeld zwischen Original und Kopie performativ hergestellt werden. Die Authentizität, also die glaubhafte Inzenierung, wird damit zum entscheidenden Kriterium, nach der über das Gelingen der performativen Profilbildung entschieden wird. Dabei ist Authentizität als ‚soziale Konstruktion‘ zu verstehen, „die einer Person wegen bestimmter Handlungen und auf Grund bestimmter Ursachen zugeschrieben wird“73 und die wiederum die „Realness“74 des Profils bedingt. Klein und Friedrich fassen dieses Prinzip in der einfachen wie aussagekräftigen Formel zusammen: „Real ist das, was glaubhaft in Szene gesetzt wird.“75 Über den Zusammenhang der einzelnen Konzepte schreibt Menrath „Realness meint […] nur bedingt Authentizität und Echtheit. Die ‚Identitätscollage‘ muss z.B. authentisch sein in dem Sinne, dass sie eine glaubhafte Inszenierung darstellt, die ‚äußeren‘ Umstände müssen passen“76. Das gilt insbesondere auch für die Künstlerinszenierungen der Rapper und äußert sich vor allem in dem allgegenwärtigen Kampf um Authentizität, wie die folgenden Kapitel zeigen werden. Die Rezipienten er-

70 Ebd., S. 147. 71 Ebd., S. 159. 72 Vgl. Klein 2003a, S. 186 ff. 73 Elflein 2006, S. 25. 74 Androutsopoulos 2003a, S. 19. 75 Klein/Friedrich 2003a, S. 9. 76 Menrath 2001, S. 99.

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warten von den Rappern, dass deren Texte als zentrales Produkt ihres künstlerischen Schaffens aufrichtig und ‚real‘ sind. Daher kann auch Rap als Teil der HipHop-Kultur nur als prinzipiell performative Kulturpraxis verstanden werden. Rap ist nicht nur Text, Rap ist die notwendig authentische Darbietung dieses Textes. Wie zu sehen sein wird, verwenden Rapper dementsprechend in ihren Texten ungekünstelte Alltagssprache, benutzen ritualisierte, kulturspezifische Sprechakte und oszillieren zwischen dem Zitieren tradierter Kulturprodukte und der Etablierung eines eigenen Stils. Sie tragen szenespezifische Kleidung, bedienen sich konventionalisierter Gesten und verkörpern den Habitus des HipHoppers. 2.2.6

Agonalität

HipHop ist eine agonale Kultur. Wie im weiteren Verlauf der Arbeit zu sehen sein wird, manifestieren sich kompetitive Aktionsmuster innerhalb des Rap vor allem in den kulturspezifischen Praktiken des Boastings und Dissings (s. Kap. 5 und 6). In der HipHop-Forschung werden Rapproduktionen mit einem derartigen Fokus vielfach unter dem Begriff ‚Battle-Rap‘ als quasi konsistente Subkategorie zusammengefasst.77 Auf der Suche nach den Wurzeln dieses Charakteristikums liefern sowohl szeneinterne Geschichtsschreibungen als auch wissenschaftliche Analysen Erklärungen, die aufgrund teilweise mythisierender Interpretationen kritisch hinterfragt werden sollten.78 So konstatiert etwa Würtemberger: „Im Rap sind die Wurzeln des Wettkampfgedankens in der ZuluBewegung zu finden.“79 Aufgrund der oben beschriebenen Abkehr einiger Rapper und ganzer Subgenres von tradierten Historisierungen werden auch soziologisch-pragmatische Erwägungen in der vorliegenden Arbeit Berücksichtigung finden, die einen anderen Erklärungsansatz für den agonalen Charakter der HipHop- und insbesondere der Rapkultur nahelegen: Die Identitätsbildung erfolgt immer auch in der Spiegelung mit Gleichgesinnten durch Assimilation bzw. Distinktion. Jede Inszenierung, ob als HipHop-Fan oder als Rapper, wird stets im Kontext der spezifischen Geschichte und aktueller Moden wahrgenommen. So oszillieren die Darstellungen stets zwischen Konformität, Wiederholung und Rekontextualisierung tradierter Codes, Kreativität und der produktiven Neuentwicklung (vgl. Kap. 2.2.7). In den Rapproduktionen oszillieren daher die profilrelevanten Inszenie-

77 Vgl. hierzu etwa Custodis 2008 oder Elflein 2006. 78 Zur Kritik an einer mythisierenden Geschichtsschreibung vgl. vor allem Kap. 5.1. 79 Würtemberger 2009, S. 146.

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rungen zwischen der Positionierung im historischen Kontext als Insider und Trendsetter auf der einen und genretypischen Boastings bezüglich der eigenen Originalität und Kreativität auf der anderen Seite. Zu Ersterem zählen Beispiele wie etwa der Track „Deutschrap“ von Massive Töne (Massive Töne, „Deutschrap“), in dem die Rapper „den Nachwuchs“ kritisieren und deren fehlenden „Respekt an die Architekten“ (ebd.) anprangern oder Blumentopfs „Gute Musik”, in dem vergangene Zeiten und damit implizite Qualitätsansprüche glorifiziert werden: „Wir bringen den positiven Rap wieder zurück ins Geschäft“ (Blumentopf, „Gute Musik”). Beispielhaft für die zweitgenannte Kategorie sind die zahlreichen Variationen von Boastings wie „Der Shit ist so fresh“ (MOK, „F... Deutschland“), „die Zeit war reif für neue Styles“ (Jan Delay, „Klar“) oder „sie wollen noch mehr von den phänomenalen Ideen“ (Samy Deluxe, „Champions“).80 Ein interessanter Spezialfall, der für die Profilbildung von enormer Bedeutung sein kann, ist der sogenannte ‚Beef‘, der langwierige, von Rappern öffentlich v. a. über Publikationen ausgetragene Disput: Eine Abfolge von sogenannten ‚Diss-Tracks‘ und die Reaktionen des Betroffenen darauf. Bei dieser personalisierten Sonderform des Battles, steht jedoch weniger der sportliche Aspekt im Vordergrund, als vielmehr der Rufmord eines oder mehrerer Kontrahenten, um den eigenen ‚Fame‘-Status zu verbessern. Als Beispiel dient an späterer Stelle der Beef zwischen dem Rapper Kool Savas und seinem ehemaligen Protegé Eko Fresh, der in der Szene einiges Aufsehen erregte. 2.2.7

Kollektivität / Individualität

HipHop ist eine gemeinschaftsstiftende Kultur. Über die unterschiedlichen Szenemarker demonstrieren die Teilhabenden Zugehörigkeit. Sie dienen zum einen der Demonstration von Insiderwissen und aktiver Partizipation nach innen, und gleichzeitig der Abgrenzung und subkulturellen Opposition nach außen. Neben dem erwähnten Sprachcode (s. Kap. 3.1) zählen dazu etwa auch modische Marker: „das ist wo die Hosen weit sind, das ist HipHop“ (Sido, „Aggrokalypse“). HipHop ist damit gleichzeitig auch identitätsstiftend. Denn wie Menrath betont ist trotz der offenen Zugänglichkeit kommerzialisierter Kulturmarker eine aktive Teilhabe an der Subkultur an bestimmte Voraussetzungen geknüpft: „Die wichtigste Teilnahmebedingung besteht gerade darin, daß man ‚sich selbst spielen‘ muß, seine Identität performieren muß.“81 So herrscht geradezu ein ‚Zwang

80 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 5.4. 81 Menrath 2001, S. 1.

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zur Individualisierung‘82, die Notwendigkeit, sich auch durch Abgrenzung und Distinktion selbst zu inszenieren. Diese Inszenierungen finden dabei auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig statt. Entscheidend für den Erfolg ist dabei die jeweils glaubwürdige Performation des Dargestellten. Da der US-amerikanische HipHop als ursprünglich und damit authentisch angesehen wird, dient er – vor allem in den Medien, aber auch szeneintern und teilweise selbst im wissenschaftlichen Diskurs – als Maßstab, an dem die Glaubwürdigkeit lokaler Rekontextualisierungen gemessen wird. Dementsprechend werden diese danach beurteilt, wie sehr sie am Original orientiert sind, wie viel subversives Potenzial sie bereit halten und ob sich die Akteure in ähnlichen Lebenssituationen befinden wie ihre Vorbilder.83 Für die Rapper bedeutet dies nicht unbedingt, dass sie mit dem lyrischen Ich ihrer Texte identisch sind und der Inhalt ihrer Texte auf den Wahrheitsgehalt hin überprüft wird, sondern dass ihre Authentizität „vielmehr am formbetonten Aspekt von Sprache fest zu machen“84 ist und so das Darstellen selbst, das eigentliche Rappen als ‚authentisch‘ akzeptiert werden muss. Auch wenn die Inszenierungen der Rapper damit grundsätzlich unter Fiktionsvorbehalt stehen, werden dennoch die Darstellungen gleichzeitig immer wieder auch an der Realität gemessen. Bielefeldt formuliert: „In der Regel […] entkommen wir der Dynamik der Stimme trotz allem nicht, bleiben wir der Sehnsucht nach der Übereinstimmung von Kunst und Leben verhaftet.“85 Die Dichotomisierung von Authentizität und Realness bzw. Street-Credibility und ‚Fake‘86 findet wiederum „ihre argumentative Kraft über den Bezug zum Ursprungsmythos und dessen imaginierte mythische Figuren.“87 Neben der szeneinternen Diskussion findet diese Auseinandersetzung vor allem im Journalismus statt.88 Auch hier ist der Bezug zur Ursprungskultur maßgebend und führt zu einer populären Polarisierung: „‚Deutscher Rap‘ wird mit Spaß und Kommerz in Verbindung gebracht, deutsch-türkischer HipHop hingegen mit Politik, Gewalt und Ghetto.“89

82 Vgl. ebd., S. 23 f. 83 Vgl. Klein/Friedrich 2003b, S. 71. 84 Androutsopoulos 2003a, S. 19. 85 Bielefeldt 2006, S. 140. 86 Vgl. etwa Menrath 2001, S. 92. 87 Klein/Friedrich 2003a, S. 72. 88 Vgl. Klein/Friedrich 2003b, S. 71. 89 Klein/Friedrich 2003a, S. 72.

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2.2.8

Intertextualität / Kontextuale Referenzsysteme

HipHop ist eine intertextuelle und multireferenzielle Kultur. Durch beschriebene Grundeigenschaften der HipHop- und Rapkultur wie Hybridität und Performativität kann eine monomediale Auseinandersetzung keine aussagekräftigen Erkenntnisse liefern. So bestätigt Werner: „Denn gerade poetische Formen wie der Rap und musikalische Formen wie der HipHop zeichnen sich – aufgrund der von ihnen bevorzugten Verfahren der Zitation beziehungsweise des musikalischen Sampling (also der digitalen Speicherung und Wiedergabe bestehender Sounds) – durch eine extrem hohe Verweisdichte und Intertextualität aus.“90

Kulturspezifische Zitationspraktiken generieren und aktualisieren stetig ein komplexes Netz an intertextuellen und multireferenziellen Beziehungen, die für die Bedeutung der Primärtexte elementar sind. Für die Rapforschung bedeutet dieses, dass eine reduktionistische Untersuchung der Raptexte ebenso wenig erfolgversprechend ist, wie eine Beschränkung auf die Analyse der musikalischen Produktion oder anderer einzelner Kulturprodukte. Erst die interdisziplinäre Beschäftigung und eine Ausweitung der Betrachtungen auf kontextuale Referenzsysteme können Bedeutungszusammenhänge im Rap offenlegen und Aussagen zu Strukturmechanismen und Handlungsschemata ermöglichen. Zu den relevanten Referenzsystemen zählen nicht nur kulturspezifische Kontexte, wie die kollektive Kulturgeschichte (vgl. Kap. 2.2.4), traditionelle kulturelle Praktiken usw., sondern sämtliche Elemente der jugendlichen Lebenswelt. Hierzu zählen Filme, berühmte Persönlichkeiten, aktuelle Geschehnisse des öffentlichen Lebens und Teile des ‚kulturellen Gedächtnisses‘91 der Gesellschaft, wie etwa die spezifische Landesgeschichte in den Zeilen „So war’s wohl damals bei Adolf auch“ (Curse, „Goldene Zeiten“) oder „Jeder Zweite bei drei Grad kurz vor Moskau noch dabei war, als die Streitmacht im Eisgraben einbrach, doch heimlich noch ‚Heil!‘ sagt“ (Olli Banjo, „Deutschland“). Wie in den Kapiteln 5 und 6 näher erläutert, spielen gerade in den kulturspezifischen Praktiken des Boastings und Dissings metaphorische Formulierungen und Vergleiche eine Rolle, die Bezug nehmen auf Elemente des alltäglichen Lebens vieler Jugendlicher. So boastet Rokko81 „Das hier ist Kill Bill“ (Rokko81 in Automatikk, „1000 Jungs“) oder „Du willst auch in den Fight Club“ (ebd.) und referiert damit auf zwei – mittlerweile zu Kultfilmen avancierte – Kinofil-

90 Werner 2007, S. 25. 91 Vgl. Linke 2005, S. 68 ff.

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me, „Kill Bill“ („Kill Bill“, Action-Film, USA, 2003, Regie: Quentin Tarantino) bzw. „Fight Club” („Fight Club”, Thriller, USA, 1999, Regie: David Fincher). Samy Deluxe verarbeitet wiederum eine der bekanntesten deutschen Fernsehshows mit dem gleichnamigen Track „Wer wird Millionär“ (Samy Deluxe, „Wer wird Millionär“), Massiv rappt über „Stern TV“, „Germany’s Next Topmodel“ und „Big Brother“ (Massiv, „Hollyhood“). Viele der Vergleiche thematisieren bekannte Persönlichkeiten wie in „Ich frag’ mich, käme dieser Jimi Blue Ochsenknecht auch mit diesen Gossenkids hier aus meinem Block zurecht? […] Bei uns gibt es Tausend Crack-Junks wie Amy Winehouse“ (ebd.). Die Firma schließlich liefert mit dem Titel „Jetzt“ (Die Firma, „Jetzt“) eine überblicksartige Zustandsbeschreibung ihrer Zeit mit Zeilen wie „Ich film’ dich mit dem IPhone / Ich stell’ es auf Youtube“ und „Das ist die Gegenwart, klick auf Wikipedia“ (ebd.). Eine besondere Dichte derartiger Referenzen, die gleichzeitig durch sprachliche Modifikationen angereichert wurden, weist etwa Marterias Track „Haze Ventura“ (Marteria, „Haze Ventura“) auf. Hier wird unter anderem auf andere Rapper („Ich treff’ Eißfeldt in der Eisdelay“, „Deine Weedlingsrapper“, ebd.), bekannte Spielfilme („Haze Ventura“, ebd.) und bekannte Bands („Haze auf Base“, „Meine Blunthound Gang“, ebd.) angespielt. Die hier skizzierten Charakteristika sind stark verkürzt und modellhaft dargestellt. Sie sind weder allgemeingültig und auf alle Teilphänomene im Rap anwendbar noch auschließlich auf die Rap- und HipHop-Kultur zu beziehen. Dennoch können sie in ihrer Ausprägung, Kombination und Streuung als kulturspezifisch aufgefasst werden. Sie spielen bei der Profilbildung der Rapper eine zentrale Rolle und können daher als Distinktionskriterien beim Vergleich unterschiedlicher Profile fungieren. Wie die Skizzierung der komplexen Wirkungszusammenhänge verdeutlicht, wird die spezifische Kulturgeschichte, die kulturellen Praktiken und das tradierte Wertesystem szeneintern in unterschiedlicher Weise permanent neu kontextualisiert, modifiziert und bestätigt. Folglich bleibt HipHop bis heute Referenzkultur und ist als Bezugs- und Deutungsrahmen für jede Beschäftigung mit Rap elementar. Entsprechend wird im weiteren Verlauf vielfach auf die hier gesammelten Kernthesen verwiesen. In der vorliegenden Studie wird nicht die vielfach diskutierte Frage nach dem Verhältnis zwischen US-amerikanischem Vorbild und lokaler Rekontextualisierung in Deutschland erörtert. Hier wird vielmehr der Versuch unternommen, aus einer interdisziplinären Perspektive, die die Raptracks bzw. Raptexte als zentrale Elemente der Profilbildung in den Fokus rückt, spezifische Mechanismen und Referenzstrukturen aufzudecken, die Rapper nutzen, um performativ ihre Künstleridentität bzw. ihr Profil zu formen und permanent zu aktualisieren.

Teil II – Entwurf einer ‚Poetik des Rap‘

3. Poetizität von Raptexten – poetische Verfahren

Teil II der Arbeit mündet in den Versuch, Strukturprinzipien, poetische Verfahren und standardisierte Gestaltungsmechanismen im deutschen Rap zu extrahieren und zu beschreiben, um auf Grundlage dieser Beobachtungen eine ‚Poetik des Rap‘ entwickeln zu können. Es handelt sich hierbei um eine Genrepoetik, mithilfe derer Raptexte hinsichtlich ihrer Poetizität näher bestimmt werden können. Die folgenden Zusammenfassungen sind Ergebnisse der Detailanalysen von über 300 Raptracks und den jeweils zugrunde liegenden Raptexten. Doch inwiefern können Raptexte überhaupt als ‚literarisches Genre‘ bezeichnet werden? Was zeichnet sie aus poetologischer Perspektive aus und welche poetischen Verfahren sind erkennbar?

3.1 O RALITÄT

UND

L ITERALITÄT

Raptracks stellen eine Verbindung von Oralität und postmoderner Technologie dar.1 Gerade die kulturspezifischen Praktiken der „Interpolation“ und des „Sampling“2, aber auch moderne Studioproduktionstechniken sind wichtige Faktoren in der Rapgestaltung und legitimieren einen Forschungsansatz, der „die technologischen Aspekte von Rapmusik als eigene ästhetische Innovationsquelle den oralen Aspekten gleichgestellt“3. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Urheber: In der Rapkultur wird der Performende als Verfasser des Raptextes standardmäßig vorausgesetzt, wohingegen nicht immer eindeutig ist, wer für das Gesamtkunst1

Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 59.

2

Vgl. hierzu v. a. Mikos 2003, S. 64-84.

3

Menrath 2001, S. 57.

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werk Raptrack verantworlich war. Während einige Rapper mit dem entsprechenden Equipment (Aufnahmetechnik, Software etc.) im ‚Heimstudio‘ auch ihre eigenen Drum-Beats entwerfen, den musikalischen Hintergrund mihilfe von Samples und Equalizern erstellen und auch das finale Mixing bzw. Mastering übernehmen, liefern andere in professionellen Tonstudios lediglich die RapTonspur und arbeiten mit DJs und Produzenten zusammen. Der Produktionsprozess und der Anteil des Rappers am fertigen Produkt sind in diesen Fällen nicht nachzuvollziehen. Die folgenden Überlegungen basieren auf der – in der Einleitung und v. a. in Kapitel 3.1 vorgestellten – These, dass Raptracks der Terminologie Walter J. Ongs folgend als Manifestationen ‚sekundärer Oralität‘4 klassifiziert werden können. Wie in Kapitel 1.1.4 ausführlicher beschrieben, sind Raptexte hinsichtlich ihrer Materialität schwerer zu fassen als Raptracks. Während diese als digitale Fixierungen eines akustischen Phänomens und daher, wie oben beschrieben, als Manifestationen ‚sekundärer Oralität‘ verstanden werden können, sind Raptexte als grafische Abstraktionen bzw. Reduktionen aufzufassen. Diese Position ist dem verbreiteten Verständnis von Raptexten als Ursprungsentitäten, deren ‚Interpretation‘ (im musikwissenschaftlichen Sinne) wiederum die Raptracks sind, diametral entgegengesetzt. Die Verschriftlichungen, die von Rezipienten abstrahiert oder tatsächlich von den Verfassern mitgeliefert wurden (im Booklet der CD, auf der offiziellen Homepage des Künstlers), möchte ich an Ong anknüpfend daher als Beispiele einer ‚sekundären Literalität‘ bezeichnen. Die Werkurheber sind zwar in einer literalisierten Gesellschaft sozialisiert und daher Teil einer ‚chirographischen‘ und ‚typographischen‘ Kultur,5 die konkreten künstlerischen Produktionen der Raptracks bedürfen jedoch nicht zwingend einer Verschriftlichung (vgl. Kap. 1.1.4). Welche Eigenschaften zeichnen also Raptracks als Manifestationen ‚sekundärer Oralität‘ bzw. Raptexte als deren literalisierte Form aus? Anworten liefern vergleichende Untersuchungen mit primär oralen Kulturen, mit Performern ohne „chirographische Denkweise“6. Wie einige Rapforscher – darunter Werner und Litzbach am ausführlichsten – beschreiben, weisen die HipHop- und insbesondere die Rapkultur eine Reihe typischer Merkmale primär oraler Kulturen auf. So zählt Werner auch Raptexte zu jenen Texten, die „in der Regel eher auditiv denn

4

Vgl. Ong 1987, S. 136 ff.

5

Vgl. ebd., S. 47.

6

Vgl. ebd., S. 174.

P OETIZITÄT

VON

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visuell (durch stummes ‚Augen-Lesen‘) und eher kollektiv als einzeln“7 rezipiert werden. Er fasst zusammen: „Der performative und kollektive Charakter dieser Gattungen schlägt sich dabei in ihrer syntaktischen, semantischen und phonetischen Form nieder.“8 Zu den typischen Merkmalen primär oraler Kulturen gehört beispielsweise auch die sich im performativen Grundcharakter wiederspiegelnde „Unmittelbarkeit“.9 Diese erfordert die reale oder imaginierte Koexistenz von Sender und Empfänger und findet ihren Ausdruck unter anderem in der „direkte[n] Ansprache in der zweiten Person“10 und im bis heute wirksamen „Call-and-ResponsePrinzip“11. Die Beispiele reichen von an das Publikum gerichtete Fragen wie „Was geht Leute? Seid ihr mit mir down?“ (Das Bo, „Türlich, Türlich (sicher, Dicker)“) bis hin zu konkreten, theatralen Handlungsanweisungen wie „Schmeißt die Fuffies durch den Club und schreit ‚Bo! Bo!‘“ (Sido, „Fuffies im Club”) oder „Macht den Walkman an! Wir füttern die Stöpsel. Also nickt jetzt mit dem Beat und schüttelt die Köpfe!” (Buddy Inflagranti in Deichkind feat. Nina, „Bon voyage“). Weiterhin werden sprachliche „Redundanz“12, repetitive Muster, Wiederholungen und das Spiel mit Variationen als Kennzeichen oraler Kulturen genannt: „Zum einen zeichnen sich orale Texte oft durch sprachliche Redundanz oder, positiver ausgedrückt, durch Abundanz aus: Das mehrmalige Formulieren des gleichen Sachverhalts auf verschiedene Weise wie auch die Wiederholung bestimmter Wörter oder formelhafter Phrasen erlauben es dem Sprecher/der Sprecherin, auf dem Weg zur nächsten Aussage geistig innezuhalten,

und

führen gleichzeitig zur

Kohärenzbildung

und

Rhythmisierung des gesprochenen Textes […].“13

Dieses Phänomen lässt sich besonders gut beim Freestyle-Rap beobachten, wo sich Rapper durch rhetorische Wiederholungen und dem Zitieren von Floskeln aus ihrem individuellen Standardrepertoire Zeit zum Nachdenken verschaffen. Neben diesem in erster Linie für den ausführenden Künstler relevanten, performance-pragmatischen Grund wird außerdem das Ziel der Kohärenzbildung sicht-

7

Werner 2007, S. 13.

8

Ebd.

9

Vgl. Litzbach 2011, S. 41.

10 Werner 2007, S. 14. 11 Klein/Friedrich 2003a, S. 45. 12 Vgl. Ong 1987, S. 45 ff. 13 Werner 2007, S. 14.

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bar, welches wiederum für die Rezeption der Texte von entscheidender Bedeutung ist. Es äußert sich vor allem in der Konstruktion eines „mnemotechnischen Skeletts“14, das sich aus verbindenden Strukturen von klanglichen oder semantischen Verknüpfungen zusammensetzt. Die Beispiele reichen dabei von paarigen Endreimen über Wortwiederholungen und ausgedehnte Alliterationsketten bis zu komplexen Netzen von Assonanzen, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Auch der in Kapitel 2.2.4 innerhalb des HipHop und Rap nachgewiesene Traditionalismus und Historismus, der sich auch in repetitiven Strukturen und Zitationspraktiken niederschlägt, kann als Kennzeichen oraler Kulturen interpretiert werden.15 Litzbach erwähnt des Weiteren, dass „oral orientierte Kulturen als eher einfühlend und teilnehmend denn objektiv-distanziert beschrieben“16 werden. Diese Grundeigenschaft lässt sich im Rap einerseits anhand der überwiegenden Erzählperspektive der ersten Person, andererseits aber auch am Impetus der Erzählweise nachvollziehen. Der Vortrag durch den Verfasser selbst ist stets persönlich motiviert, häufig – real oder fiktiv – autobiografisch und bringt in vielen Fällen eine starke Emotionalität zum Ausdruck. Daher werden auch die spezifischen Kulturpraktiken des Boastings, des Dissings und des Battles (vgl. Kap. 5, 6) und der agonale Grundcharakter der Rapkultur (vgl. Kap. 2.2.6) zu den Merkmalen einer primär oralen Kultur gezählt.17 Nachdem der Aspekt der Oralität auf diese Weise eingehender betrachtet wurde, schließt sich nun unmittelbar die Frage nach der Poetizität von Raptexten an. Auf diesem Hintergrund sollen im Folgenden standardisierte poetische Verfahren ermittelt und exemplifiziert werden. Dabei soll gemäß der eingangs erwähnten produktionsfokussierenden Ausrichtung der Studie stets die Frage mitberücksichtigt werden, warum Rapper die jeweiligen Verfahren anwenden und welche profilrelevanten Effekte dadurch entstehen. In Bezug auf den Zusammenhang zwischen der Poetizität von Raptexten und der Profilbildung der Rapper möchte ich folgende These voranstellen: In der Rapkultur ist bei der Generierung des individuellen Künstlerprofils die Inszenierung als souveräner Dichter von elementarer Bedeutung. Auch wenn einzelne Strömungen im zeitgenössischen Rap – wie etwa namentlich der sogenannte ‚Gangsta-Rap‘ – das bereits erwähnte ‚Primat des Klangs‘ (vgl. Kap. 1.1.6) teilweise in Frage stellen und einen in der Kulturgeschichte neuartigen Fokus auf

14 Ebd. 15 Vgl. etwa Litzbach 2011, S. 44 oder Werner 2007, S. 13. 16 Litzbach 2011, S. 45. 17 Vgl. etwa ebd., S. 47 oder Werner 2007, S. 14.

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die inhaltlich-thematische Eigendarstellung demonstrieren, bleibt dennoch die performative Selbstinszenierung als ‚Wortkünstler‘ integraler Bestandteil der Profilbildung. Rappen ist die eigeninszenatorische Artikulation mithilfe von Wörtern, dementsprechend ist der künstlerisch-kreative Umgang mit selbigen obligatorische Legitimationsgrundlage für die aktive Teilhabe an der Rapkultur. Weiterhin basiert die vorliegende Studie auf der Prämisse, dass genreübergreifende Standards beobachtbar sind, von denen Kriterien abgeleitet werden können, die innerhalb der Rapkultur über die Beurteilung einer Rapper-Inszenierung als geglückt oder misslungen entscheiden. Eine elementare Rolle spielen dabei einerseits klangliche Strukturen und semantische Pointen, welche durch die hier beschriebenen poetischen Verfahren generiert werden, andererseits aber auch das dabei entstehende Phänomen des Flows, welches im späteren Verlauf der Arbeit eingehender betrachtet wird (vgl. Kap. 4). Diese These wird unter anderem von der zu beobachtenden quantitativen Verteilung der unterschiedlichen poetischen Verfahren gestützt, wie im Folgenden zu sehen sein wird. 3.1.1

Sprachvarietäten

„Rap ist inszeniertes alltägliches Sprechen.“18 pointieren Klein und Friedrich und liefern damit auch die Begründung für die standardmäßige Verwendung von Umgangssprache, Jugendsprache sowie soziolektale und dialektale Formulierungen, die ebenfalls als weitere Kennzeichen die grundsätzliche Oralität der Rapkultur charakterisieren. Damit verfolgen die Rapper zuvorderst profilstrategische Ziele, indem sie so ihre eigene Authentizität und Glaubwürdigkeit als legitime Sprecher der Jugendkultur Rap, einer Teilkultur oder einer sozialen Gruppe unter Beweis stellen. Alltagssprachliche Marker wie Verkürzungen und Stauchungen, beispielsweise in „was fürn Scheiß/ n echter Künstler geht immer weiter“ (Meditias, „Come on Baby“)* und insbesondere durch Kontraktion reduzierte Formen wie in „Wenn die Nadel Platte trifft, könnt ihr alle einmal sehn / Es gibt so viele Gründe sich für sein Scheiss zu schäm“ (Afrob feat. Dean "D" Dawson, „Stossen mit den Jungs an“)* werden vielfach als Kolloquialismen in den Booklets oder auf den Homepages der Künstler fixiert.19 Als sprachliche Marker der Jugendsprache treten vor allem Redewendungen wie „es wär geil“ (D-Flame, „Mehr als Musik“) und jugendsprachliche Verkür-

18 Klein/Friedrich 2003a, S. 37. 19 Einige Rapper, wie etwa Curse oder Die fantastischen Vier, geben ihre Texte in Booklets grundsätzlich überwiegend in Standarddeutsch wieder.

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zungen wie „ich ahne das gar nich / hab keinen blassen“ (Jan Delay, „Ahn’ ich gar nich'“) auf. Außerdem ist das Einflechten englischsprachiger Wörter nicht nur Kennzeichen des szenespezifischen Sprachgebrauchs, sondern auch der Jugendsprache generell, so etwa „Nee, war ‘n Gag“ (Jan Delay, „Mercedes-Dance Intro”). Rapspezifisch hingegen ist der kreative Umgang mit englischsprachigen Begriffen und Slogans, wie etwa in „special Designs, in real time ... Was zählt schon Zeit?“ (Spax, www.overloadexplorer.de)* oder „also Leute, komm förder me“ (Afrob, „Stossen mit den Jungs an“)*. Dialektischer Sprachgebrauch wie in „dis is’ nicht bitter auf die fresse dis is’ bitte oder danke“ (Sookee, „Keep it Käsekuchen“)* dient in erster Linie lokalen Repräsentationsstrategien und wird in Kapitel 7.1 näher beschrieben. Neben der profilrelevanten Nutzung von Sprachvarietäten ist aus poetologischer Sicht besonders interessant, wie einzelne Formulierungen modifiziert oder bewusst eingesetzt werden, um klangliche oder semantische Korrespondenzen zu generieren. So fällt im obigen Beispiel von Sookee auf, dass durch die spezifische dialektale Variante des Standarddeutschen gleichzeitig eine Assonanzkette mit dem Vokal ‚i‘ ermöglicht wird. Samy Deluxe wiederum experimentiert als Hamburger in dem Track „..Hab’ Gehört..“ mit dem sächsischen Dialekt und ermöglicht erst durch das Persiflieren den Endreim: „Ich hab’ gehört, dass ich eigentlich Sachse wär, / nur nach Hamburg gezogen, weil’s grad so abgeht hier.“ (Samy Deluxe, „..Hab’ Gehört..“). Aus pragmatisch-gestalterischen Gründen entsteht so durch den kreativen Umgang und den gezielten Einsatz von Sprachvarietäten ein Nebeneinander von gesprochener Alltagssprache und Standarddeutsch, das zum Beispiel auch in der parallelen Nutzung von ‚ich hoff‘‘ („ich hoff Du hast ‘n Handtuch mitgenommen“, Thomas D, „Keine Panik“) und ‚ich hoffe‘ („Ich hoffe ihr seid startklar“, Meditias, „Come on Baby“) zu erkennen ist. So können Rapper bei der Gestaltung des jeweiligen Flows (vgl. Kap. 4), je nach Kontext, Reim und Rhythmik der gewünschten Passage, auf unterschiedliche Realisierungen desselben Lexems zurückgreifen. Ähnliches gilt beispielsweise auch für das Präteritum: Während – ähnlich wie im alltäglichen Sprachgebrauch – die Benutzung präteritaler Formen als Zeichen eines ‚elaborierten Codes‘20 generell vermieden wird, dienen sie dennoch bei Bedarf als poetologisches Gestaltungsmittel, wie in „wie eine Schanze nahmen“ (z.B. Thomas D, „Keine Panik“) oder in „du ludst mich ein zu ‘ner Jam“ (Kool Savas, „Das Urteil“). In den folgenden Zeilen von Kool Savas hingegen fällt der besondere, antiquiert wirkende Satzbau beim Genitiv auf, der so in einem Raptext von Kool Savas nicht unbedingt zu erwarten ist: „Beuten

20 Klein/Friedrich 2003a, S. 37.

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Tiere aus, machen sie zu des Menschen Sklaven. / Quälen sie, töten sie und essen dann ihre Kadaver.“ (Kool Savas, „Krank“). Von einer ironischen Brechung ist hier aufgrund der ernsten Grundstimmung des Textes nicht auszugehen, es handelt sich hier vielmehr um ein pragmatisch-gestalterisches Mittel, um die Assonanz um den langen ‚a‘-Vokal auf den beiden Endsilben zu ermöglichen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Verwendung von genrespezifischem Vokabular. Aus profilstrategischer Sicht können sich Rapper damit natürlich in erster Linie als Teilhabende der Szene ausweisen. So ist das ‚Eingrooven‘21 im Intro eines Tracks mit Szenemarkern wie ‚Yo!‘ oder ‚Yeah!‘ bis heute ein gängiges und weit verbreitetes Verfahren, das sich besonders auch bei Live-Konzerten als kulturspezifische Praxis etablierte. Im Kontext poetischer Verfahren fällt dabei auf, dass sich derartige einsilbige – noch dazu exklamatorische und semantisch quasi ungebundene – Szenemarker gut eignen, um ‚metrische Lücken‘ im Sprachfluss zu füllen.22 Wie am Beispiel des Ausrufs ‚Yeah!‘ veranschaulicht werden kann, gilt jedoch die Bildung von Reimen und Assonanzen mit ihrer Hilfe, wie beispielsweise in „Warum redet jeder Spast seit Wochen nur von mir? / Ich komm auf die Bühne und auf einmal schreien alle ‚Yeah!‘“ (Bushido, „Bei Nacht“) gerade aufgrund des exklamatorischen Charakters und der semantischen Stagnation als technisch wenig versiert. Eine Legitimation kann deshalb auch in diesem Fall die ironisierende Brechung sein, wie in „So soll’s sein“ von Samy Deluxe (Samy Deluxe, „So Soll’s Sein“). Der Rapper ironisiert hier nicht nur durch die gezielt affektierte Artikulation, sondern auch durch den konkreten semantischen Kontext: Samsemi on air, live wie ‘n Konzert, / gib das Mikrofon her, dann geht da schon mehr. / [Oh yeah!]23 Und auch wenn es nicht so wär’, / würd’ ich es sagen, nur damit ihr einmal den Flow hört. (Samy Deluxe, „So Soll’s Sein“, Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001)

Wie die Markierungen verdeutlichen, entsteht durch die spezifische Artikulation ein dichtes Netz an Assonanzen, wobei der entsprechende Einwurf „Oh yeah!“ nur eines von vielen Elementen darstellt. Beispiele für diese Reimpraxis in ernsthafteren Zusammenhängen wie in den aggressiveren Raptexten einiger Ber-

21 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 5.3. 22 Vgl. Kap. 4.3. 23 Dieser Ausruf ist gesampelt und setzt sich aus mehreren gleichzeitigen Stimmen zusammen, was den Eindruck der spontanen Reaktion eines Publikums erweckt.

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liner Rapper, etwa „Automatikk und Fler, wir ficken dich, yeah, bitte komm her, doch du kleine Nutte willst doch nicht mehr“ (Automatikk feat. Fler, „Friss Dreck“), entbehren hingegen meist dieser ironisch-humoristischen Legitimation. 3.1.2

Sprichwörter und Redewendungen

Das häufige Verwenden und Variieren von Sprichwörtern und insbesondere von Redewendungen ist ebenfalls ein Kennzeichen für die grundsätzliche Oralität der Rapkultur und wird dementsprechend für die Rezeption von Raptexten als außerordentlich bedeutend beurteilt.24 Das Referieren auf bekannte Inhalte des gemeinsamen Sprachwortschatzes provoziert Aufmerksamkeit und intellektuelle Anteilnahme am Gerappten. Der Ursprung dieser Methode ist aber weniger in rezeptionsrelevanten Überlegungen zu finden, als vielmehr im Grundcharakter des Rap als „inszeniertes alltägliches Sprechen“25. Fettes Brot etwa rappen 1998 „Viele Wege führen nach Rom, doch nur einer führt zu dir“ (Fettes Brot, „Viele Wege führen nach Rom“), Thomas D von Die Fantastischen Vier behauptet ein Jahr später „wo ihre Liebe hinfällt wächst kein Gras mehr“ (Die Fantastischen Vier, „Hammer“). Wie diese beiden Beispiele, die außerhalb des Untersuchungszeitraums liegen, verdeutlichen sollen, ist das Zitieren vollständiger Sprichwörter in Produktionen seit dem Jahrtausendwechsel seltener nachzuweisen und beschränkt sich dabei meist auf kürzere Formeln wie etwa „Veni, vidi, vici“ (Lisi, „L.I.S.I.“) oder erscheint in explizit humoristischen und ironisierenden Verwendungszusammenhängen, wie etwa in „du hälst bei meinen Eltern um meinen Schwanz an“ (K.I.Z., „Ringelpiez mit Anscheissen“). Diese Praxis wird mittlerweile als antiquiert angesehen und dient daher vielfach als stilistisches Mittel, um Kleinbürgerlichkeit und Spießertum zu karikieren, wie im folgenden Beispiel „Was einen nicht umbringt, macht hart, und wer übt, ist feige.“ (Die Fantastischen Vier, „Du mich auch“), oder um eine humoristische Pointe zu kreieren wie in „Ich fick’ gerne, was ich kenn’. Ich bin halt ‘n Bauer, und was der Bauer nicht kennt, fickt er nicht“ (Olli Banjo, „Hong Kong“). Wesentlich häufiger werden hingegen Redewendungen integriert wie in „Mach’ mich doch fertig und nimm mir meine Butter vom Brot“ (F.R., „FrRrRrRrRr“), in „doch ich halt dir keine Predigt“ (Massive Töne, „Traumreise“) oder in „habt ihr gefunden, was ihr gesucht habt – die Nadel im Heuhaufen“ (Spax, „Ego“). Auch hier wird über humorvolle Verknüpfungen, etwa „Ich nehm’ kein Blatt mehr vor den Mund, ich nehm ‘n Megafon“ (Blumentopf,

24 Vgl. etwa Litzbach 2011, S. 46. 25 Ebd., S. 37.

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„Schweiss“) oder klanglich interessante Kombinationen, wie in „halt’ meinen Verstand in Stand“ (Spax, www.overloadexplorer.de), Kreativität demonstriert. In diesen Kontext sind auch Aufmerksamkeit provozierende Reminiszenzen und Zitationspraktiken einzuordnen, die wie bei Redewendungen und Sprichwörtern auf einen kollektiven Erfahrungsschatz referieren, etwa durch die Verwendung bekannter Filmtitel wie in „Hier ist kein E-Mail für dich, hier ist mein Rap und sonst nichts“ (Spax, „Du hast den Style“)* oder das Zitieren populärer Werbeslogans wie in „Geiz ist geil“ (Curse, „Der lange Weg zur...“).26

3.2 V ERFAHREN

ZUR KLANGLICHEN

V ERKNÜPFUNG

Zahlreiche dieser poetischen Verfahren können also als Kennzeichen der grundlegenden Oralität der Rapkultur interpretiert werden. Wie bereits erwähnt werden so etwa verschiedene Formen der Wiederholung und Variation aus mnemotechnischen Gründen als kohärenzbildende Mittel eingesetzt. Dabei lassen sich Verfahren zur klanglichen bzw. semantischen Verknüpfung voneinander unterscheiden, die nun eingehender untersucht werden sollen. 3.2.1 Identische Reime Die einfachste klangliche Strukturierung und Kohärenzbildung bei maximaler klanglicher Korrespondenz kann durch wörtliche Wiederholungen – also ‚identische Reime‘27 – erreicht werden. Sie treten am häufigsten in Refrains auf: Schmeißt die Fuffies durch den Club und schreit ‚Bo! Bo!‘ / Winkt mit eurem Schmuck und schreit ‚Bo! Bo!‘ / Ich trag’ die Maske im Club und schrei’ ‚Bo! Bo!‘ (Sido, „Fuffies im Club”, Album „Maske“, Aggro Berlin 2004)

Sie können dabei wie in diesem Beispiel sowohl als Endreime fungieren als auch am Zeilenanfang stehen, wie im folgenden Refrain von Azad: In meinem Block läuft das Business, das keiner sieht. / In meinem Block pumpt Blaulicht Adrenalin! /

26 Vgl. hierzu ausführlicher Kap. 2.2.8. 27 Vgl. Burdorf, S. 30.

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In meinem Block sprechen wir unseren eigenen Slang. / In meinem Block sind die Jungs wie meine zweite Fam. (Azad, „Mein Block“, Album „Der Bozz“, Bozz Music 2004)

Die häufige Verwendung derartiger, repetitiver Elemente gerade in den Refrains von Stücken hat sowohl ästhetische als auch pragmatische Ursachen: Zum einen wird so das sprachliche Material – und damit die semantische Komplexität – bei gleichzeitiger maximaler Klangrepetition auf ein Minimum beschränkt. So bleibt eine Hook eingängig, leicht zu memorieren und animiert im besten Falle das Publikum zum Mitsingen bzw. Mitsprechen. Insofern kann diese Gestaltungstechnik als Ausdruck des kulturspezifischen „Call-and-Response-Prinzip“28 interpretiert werden. Zum anderen bleibt dem Rapper dadurch, dass der Refrain die Handlung oder dramaturgische Entwicklung des Stückes generell nicht vorantreibt, sondern bei Vergegenwärtigung des Kernthemas vielmehr konserviert, die Freiheit, relativ unabhängige Strophentexte zu gestalten. Deutlich seltener ist diese Technik der wörtlichen Wiederholung auch in Rapstrophen zu beobachten, wobei es vergleichsweise nur wenige Beispiele wie das folgende gibt, in denen dabei die Endposition besetzt wird: was ist los mit dir mein Schatz aha mit deiner Schwester gehts bergab aha Nicki Nicki Nicki Nicki war nie weg aha (Thomas D in Die Fantastischen Vier, „Nikki war nie weg“, Album „Fornika“, Columbia 2007)*

Es lassen sich dementsprechend nur wenige Raptexte finden wie „Ach so” von Blumentopf mit identischen Reimen auf beiden Positionen. Was schaust du mich so an? Was los? / Was hab ich dir getan? Was los? / Was soll der Kinderkram? Was los? / Ich hab’s total verplant. Ach so! / Ich mach nie was du sagst. Ach so! / Schau, das war’s mit uns. Ach so! (Roger in Blumentopf, „Ach so”, Album „Musikmaschine“, Four Music 2006)

28 Vgl. etwa Klein/Friedrich 2003a, S. 49.

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Ein pragmatischer Grund für den generell selteneren Einsatz von identischen Reimen in den Strophen ist zunächst die dramaturgische Stagnation, die durch Wiederholungen entstehen kann. Außerdem spielen rezeptionsrelevante Erwägungen eine große Rolle: Wörtliche Wiederholungen sind kein Zeichen besonderer poetischer Raffinesse und treten daher vielfach in einer ironisch-gebrochenen, humoristischen Inszenierung auf. Letzteres gilt aufgrund des natürlichen Schwerpunkts am Zeilenende und damit des akustischen Höhepunkts insbesondere für identische Reime auf der Endposition.29 Eine weitere dramaturgische oder performance-technische Legitimation kann neben der ironischen, humorvollen Brechung, wie in den Beispielen von Blumentopf und Thomas D, auch eine serielle Aufzählungen sein, wie etwa in „so der ‚Natural born killers‘-, ‚Bonny and Clyde‘-Style / allein zu zweit Style, zu allem bereit Style“ (Spax, „Du hast den Style“)*. Wörtliche Wiederholungen am Zeilenanfang sind hingegen häufiger zu finden. Auf diese Weise bleibt sowohl die inhaltliche Progression als auch das klangrelevante Spiel mit Assonanzen und Reimen am Zeilenende möglich. Aufgrund des überwiegend inszeniert-autobiografischen Erzählstils beginnen einige der personalisierten Serien beim Boasting (vgl. Kap. 5) mit ‚Ich‘ bzw. ‚Wir‘: Ich wasch’ meine Kohle, ich lad’ die Kanone, / ich enter’ die Charts, meine Parts sind nicht ohne. / Ich schnapp’ mir die Krone, verkaufe sie weiter, / Denn ich bin der King, ihr ein Haufen von Bitern. (MOK, „F*** Deutschland“, Album „Hustler”, Ersboeserjunge 2007)

Beim Dissing (vgl. Kap. 6) wiederum, ebenso wie bei (sozial-)kritischen Botschaften und bei der Liebeslyrik (vgl. Kap. 8.4) dominieren Wiederholungen der Personalpronomen ‚Du‘ bzw. ‚Ihr‘: Ihr kotzt mich an, mit eurem Neid und negativen Scheiß, ihr glotzt mich an und hofft, dass ich darunter leide - ich weiß! Ihr wollt mir nichts Böses, doch offensichtlich auch nichts Gutes (Spax, „Ihr kotzt mich an“, Album „Alles relativ“, Universal 2000)*

Neben diesen sprechaktbedingten syntaktischen und pragmatischen Ursachen spielen jedoch auch häufig mnemotechnische und poetologische Erwägungen eine Rolle. So werden beispielsweise identische Reime aus Wörtern oder Wort29 Zum Zusammenhang von akustischem Höhepunkt und musikalischem Metrum vgl. ausführlich Kapitel 4.4.

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gruppen verwendet, die um die Hook und teilweise auch um den Titel des Stücks kreisen. So wiederholt der Rapper kontinuierlich das Thema des Stückes, nimmt in der theatralen Inszenierung immer wieder neuen Schwung und bereitet gleichzeitig die Hook des Stückes vor, wie im folgenden Beispiel: Hab’ gehört, dass ich nix and’res als Dissen kann, / hab’ gehört, ich stifte die Jugend zum Kiffen an. / Hab’ gehört, ich hätte die Allüren eines Superstars. / Hab’ gehört, ich hätte Beef mit Kool Savas. (Samy Deluxe, „..Hab’ Gehört..“, Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001)

Auf diese Weise entstehen Texte wie etwa auch „Nicht jeder“ von Herr von Grau, die aufgrund der seriellen Struktur auch als ‚Listentexte‘ bezeichnet werden können: Nicht jeder, der was anzieht, ist ein Magnet. Nicht jeder, der mal irgendwas plant, ist ein Planet. Nicht jedes Wesen ist auch automatisch verwest. Nicht jeder Leichtathlet ist auch ein leichter Athlet. (Herr von Grau, „Nicht jeder“, Album „Heldenplätze“, Rappers.In 2009).

In Bezug auf die Verwendung identischer Reime lässt sich zusammenfassend das Folgende festhalten: Dadurch, dass sich der Kulminationspunkt poetischer Kreativität und Fertigkeit in erster Linie am Versende befindet, sind sie an dieser Stelle insgesamt seltener und eher in Refrains zu finden sind. Wenn sie auf dieser Position auftauchen sind sie häufig ironisch-humorvoll gebrochen und/oder dienen performance-technischen Zwecken (Call-and-Response). Als Anfangsreime sind sie weniger problematisch, aber auch hier ist die semantische Struktur einer Serie fast immer evident. Generell provozieren wörtliche Wiederholungen aus rezeptionsästhetischer und formalanalytischer Perspektive stets die Frage der Legitimation. Daher liegt der Schluss nahe, dass für die Darstellung von Kreativität und Wortgewandtheit – also für die Profilbildung des Künstlers als technisch souveräner Rapper – für die Rezipienten eine offensichtliche ironischhumorvolle Brechung, das Erkennen performance-technischer Elemente bzw. das Sichtbarwerden eines seriellen Prinzips von entscheidender Bedeutung ist.

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3.2.2

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Paarige Endreime, mehrteilige Assonanzen

Das am häufigsten anzutreffende Verfahren zur Bildung klanglicher Korrespondenzen ist die Bildung paariger Endreime, die als Standardfall im deutschen Rap gewertet werden kann. Diese Beobachtung erschließt sich sowohl hinsichtlich der Position als auch hinsichtlich der Struktur als logische Folge aus den oben erwähnten Charakteristika des ‚poetologischen Kulminationspunkt‘ am Versende (Endreime) und des seriellen Konstruktionsprinzips (das Paar als Minimalserie). Dabei handelt es sich zum Großteil um reine und unreine Reime mit ein bis zwei Reimsilben, wie in Afrobs Zeilen „Rat mal bitte wie ich rapp’! - Wieder wie ein Chef, alle sind komplett geblendet. / Rat mal, mit dem neuen Track komm’ ich wieder ums Eck und ich weiß nicht wo das endet.“ (Samy Deluxe, „Champions”). Identische Reime durch wörtliche Wiederholungen sind wie oben beschrieben generell problematisch und werden größtenteils vermieden. Die Integration von Homonymen hingegen, die durch die unterschiedliche Bedeutung einen semantischen Mehrgewinn bringen, findet naturgemäß eher selten statt und kann als besonderer Kunstgriff gelten, wie etwa in „Hier kommt fettes Zeug für Euch aus Witten City, per Express geliefert. / Fünf MCs im Stress und Fieber, Jungs, Ihr seid komplett geliefert.“ (Creutzfeld & Jakob, „Bunkerwelt in Witten“). Ähnliches gilt in besonderem Maße auch für homophone Wortkombinationen, wie in Kollegahs Zeilen „Du siehst mich ‘ne 5-Meter-Line Koks aus Mexiko legen. / Und hat er 4 Meter gezogen, überlässt der Mac sie Kollegen.“30 Einen klangästhetisch einfachen, semantisch jedoch anspruchsvollen Spezialfall stellt jenes Verfahren dar, das auf der Aneinanderreihung einzelner Sätze und Satzfragmente mithilfe von Homonymen bzw. Polysemen basiert. Dabei folgen die Gleichlaute direkt aufeinander und markieren so die jeweiligen Satzenden bzw. -anfänge. Ein besonders plastisches Beispiel hierfür liefert Albino in „Unser Horizont” (Albino & Madcap, „Unser Horizont”): ES SIND DIE ROLLEN IN DER GESELLSCHAFT, DIE UNS KRANK MACHEN. KRANK MACHENDE TÄTER, OPFER, OHNMACHT MÜSSEN WIR ANPACKEN. ANPACKEN DIE MACHT, DIE UNGLEICH VERTEILT IST. VERTEILT IST AUFMERKSAMKEIT, ALS WENN MAN AUF NER REISE IST. REISE BIS ZUM ORT, AN DEM DER SCHMERZ ZU GROSS SCHEINT. GROSS SCHEINT DIE VERSUCHUNG ZU FLIEHEN, STEIG INS BOOT EIN. BOT EIN DER TAG DIE CHANCE ZU GEHEN, DIE CHANCE ZU SEHEN, DIE CHANCE ZU NEHMEN, MIT CONTE-

30 Aus Kollegah, „Mosaikmuster“, Facebook-Exklusive, online verfügbar unter https:// www.youtube.com/watch?v=TcXpGTlRBA0 [Stand 2016-06-26].

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NANCE ZU BESTEHEN. ZU BESTEHEN WIE TRAURIG, NUR DARUM GEHT ES WOHL. GEHT ES WOHL UM'S LEBEN, WENN JA, DANN LEBEWOHL. (Albino in Albino & Madcap, „Unser Horizont”, Album „Plan 88 - 88 is great“, Art 4 Real 2008)*

Hier werden in erster Linie homophone Wortkombinationen gewählt, etwa „Steig ins Boot ein! Bot ein’ der Tag die Chance“. Teilweise werden jedoch auch wörtliche Wiederholungen verwendet, wie in „an dem der Schmerz zu groß scheint. Groß scheint die Versuchung“. Eine eingehendere Analyse identischer Endreime führt direkt auf die Spur zu einem der zentralen und gleichzeitig interessantesten Phänomene im Rap: In den folgenden Zeilen von Massiv fällt zunächst auf, dass der Rapper einen paarigen identischen Endreim mit dem selben Lexem ‚kommen‘ verwendet. Die Leute sagen es wird einer aus dem Volk komm’ / Sie sagen er wird aus dem Nichts zum Erfolg komm’ / Und erst wenn er kommt wird hier alles vollkomm’ / Ich glaube ich bin der, der Mann den ihr wollt [Komm(t)!] (Massiv, „Einer aus dem Volk“, Album „Meine Zeit“, Al Massiva 2009)

Bei genauerer Betrachtung der weiteren Assonanzbeziehungen zeigt sich jedoch, dass die klanglichen Korrespondenzen hier auf einem zweisilbigen Motiv mit einem doppelten ‚o‘-Vokal basieren, das als „Volk komm’“, „[Er-]folg komm’“, „vollkomm’“ und „wollt [Komm(t)!]“ variiert wird. Wie derartige Beispiele zeigen, scheinen also wörtliche Wiederholungen dann als probates konstruktives Mittel akzeptiert, wenn sie in der Kombination mit weiteren Wörtern als mehrteilige Assonanzen ein wiederkehrendes, klangliches Motiv bilden. Ein zweites zentrales Phänomen, das mit dieser Beobachtung eng zusammenhängt, ist die offensichtliche Tendenz zu unreinen Reimen im Rap. Und auch hier kann die Konstruktion mehrteiliger Assonanzen als mögliche Ursache identifiziert werden. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Im folgenden Textausschnitt von Casper bilden auf den ersten Blick die ersten beiden Zeilen einen einsilbigen reinen Reim („Beat“/„sieht“), die Verse drei und vier enden mit einer zweisilbigen Assonanz („wart’ ab“/„Vaters“): Klar will ich auch hinauf, nehme den Beat / bete für Kies, geb’ alles, damit jeder mich sieht. /

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Schäme mich nie. Zieh’ den Dampf ein und wart’ ab. / Meine Geschichte – der Kampf meines Vaters. (Casper, „Hundeleben“, Album „Hin zur Sonne“, 667 One More Than The Devil 2008).

Durch die konkrete Rhythmisierung, Artikulation und Phrasierung können Akzentuierungen entstehen, die akustisch als Einheit wahrgenommen werden und über die klassische Betonung der Endsilben hinausgehen. So ist in obigem Beispiel etwa die Klang- und Rhythmusstruktur von „Dampf ein und wart’ ab“ und „Kampf meines Vaters“ oder in den ersten beiden Zeilen von „nehme den Beat“, „bete für Kies“ und „jeder mich sieht“ fast identisch. Wie dieses Beispiel zeigt, können dabei nicht nur ein- und zweisilbige, sondern auch deutlich längere Motive gebildet werden, wie etwa auch in Kollegahs Zeilen „Ich steh auf, will mich anziehen, bin ‘ne zeitlang am Grübeln / bei all den Designeranzügen hinter den Kleiderschranktüren“ (Kollegah, „In the hood“), in denen der Rapper mit „zeitlang am Grübeln“, „[De-]signeranzügen“ und „Kleiderschranktüren“ ganze fünf Silben assonanztechnisch verknüpft. Dieses Assonanz-Verfahren bietet Rappern zahlreiche Vorteile: Zum einen können sie sich losgelöster vom Ideal der reinen Reime kreativ entfalten und sind nicht auf eine endliche Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten beschränkt bzw. können auch Wörter, die sich als Reimwörter im Sinne reiner Reime nur wenig oder gar nicht eignen, verwenden. Gleichzeitig ermöglicht es ihnen, auch Wörter klangästhetisch aneinander zu binden, die aus völlig unterschiedlichen semantischen Feldern stammen, womit der ‚Genuss beim Hören‘31 verstärkt werden kann.32 Schließlich können mehrteilige Assonanzen auch freier variiert werden und bieten mehr Möglichkeiten auch Binnenreime bzw. -assonanzen zu kreieren, sodass ganze Reihen von klanglichen Variationen entstehen. 3.2.3

Binnenreime und Assonanzketten

Die klangästhetisch linearsten Verfahren der klanglichen Wiederholung innerhalb der Rapverse basieren auf Alliterationen bzw. Assonanzen. Als Beispiel für Ersteres dient Olli Banjos „Ich mach Rap kaputt“, etwa in den Anfangszeilen „Banjo bumst das Bundesgebiet, bringt Biggie nach Bonn, / ballert böse Bullets im Ballermannrap“ (Olli Banjo, „Ich mach Rap kaputt“). Aufgrund der Schwierigkeit, geeignete Lexeme semantisch nachvollziehbar zu verknüpfen, sind derartige Alliterationsketten naturgemäß anspruchsvoller und daher seltener anzu-

31 Vgl. Kautny 2009, S. 162. 32 Vgl. hierzu insbesondere auch Kap. 3.3.2.

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treffen. Assonanzketten, die auf der Wiederholung einzelner Vokale oder Diphthonge beruhen, sind wiederum häufiger zu finden. Das folgende Beispiel von Samy Deluxe etwa basiert in erster Linie auf Assonanzen mit dem Vokal ‚a‘: Ihr hört den krassesten, global allumfassenden, Rassisten hassenden, nicht locker lassenden, assigen, Joint paffenden, auf deinen Teppich aschenden, Bomben bastelnden, fantastischen Typ, der Massen zum Schreien, Springen und Klatschen bringt. Der einzigartige, sympathische, nicht arische, sogenannte Farbige, der selten auf eine Party geht (Samy Deluxe, „Der Guteste“, Album „Verdammtnochma!“, Capitol Music/EMI 2004)

Interessanterweise fällt bei beiden Verfahren durch weniger prominente oder sogar fehlende Endreime sowie die klangliche Verschränkung der Verse bzw. musikalischen Takte eine deutliche Entlastung des ‚poetologischen Kulminationspunkts‘ auf. Diese Reim- und Assonanzketten, bei denen der konventionelle Schwerpunkt des Endreims durch ein komplexes Netz an Assonanzen ersetzt wird, sind technisch sehr anspruchsvoll, daher insgesamt eher selten und überwiegend bei offensichtlich ‚flowfokussierenden‘ Rappern zu finden, wie die zitierten Rapper Samy Deluxe und Olli Banjo oder etwa auch Kool Savas und Creutzfeld & Jakob. Häufiger werden dagegen wiederkehrende Assonanzen um einzelne Vokale mit mehrteiligen Assonanzen kombiniert. Dazu muss zuvor eines der am meisten verbreiteten Verfahren zur Bildung von Binnenreimen bzw. -assonanzen mithilfe einer mehrteiligen Assonanz erläutert werden. Hierzu zunächst ein Beispiel von Laas Unltd.: Wie Skills und Persönlichkeit, gib mir eine Möglichkeit und whack Rapper werden blamiert, dann zerlegt wie Pökelfleisch (Laas Unltd., „Backpack Inferno“, Album „Backpack Inferno“, No Image Records 2010)

Die als Standard zu beschreibende Struktur erstreckt sich über zwei Verse, wobei im ersten Vers das entsprechende Motiv (hier die dreisilbige Kombination mit dem Umlaut ‚ö‘ und dem abschließenden Diphthong ‚ei‘) zwei Mal auftaucht (Binnen- und Endreim), im zweiten Vers nur ein Mal als Endreim. Dieses Verfahren ist eng mit dem in Kapitel 3.2.1 erwähnten ‚seriellen Prinzip‘ verknüpft: Durch die bereits im gleichen Vers zwei Mal erklingende Assonanz wird eine Erwartungshaltung evoziert, indem eine Minimalserie eröffnet wird, die dann ihren vorläufigen Endpunkt in einem – meist von einer inhaltlichen Pointe

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begleiteten – Endreim in Vers zwei findet. So zeichnet sich der erste Vers stets durch eine besondere klangliche Dichte aus, wohingegen im zweiten Vers die anschließende sprachliche Pointe vorbereitet wird. Dieses Standardverfahren wird beispielsweise bei Olli Banjo mit Assonanzketten kombiniert. So beschreibt er in „Baseballschläger“ auf humorvolle Weise den fiktiven Racheakt, nachdem er von seiner Freundin mit seinem besten Freund betrogen wurde: schlag ihm den Schädel ein, lässig, smooth, so wie ‘n Jay-Z Rhyme. Er steht doch auf Rapmusik, also werd’ ich Slim Shady biten und dich in den Kofferraum packen, ihn auf’n Rücksitz. Bitte bück dich, du Miststück, bist ‘ne Bitch. Ich krieg nix mit, wenn der Knick richtig kriegt. Ich fick dich. Wenn ich mit dir quitt bin, hast’n G’sicht wie’n Fishmac. Wisch’ mit der Tisch-deck’. Weil er nix mitkriegt, kriegt er ‘n Brett, wie beim Picknick. Schick dich aus ‘m Raum, damit de nit mitkriegst und dich nicht der Blitz trifft, denn danach kriegt er dann die Hauptrolle im Video von Limp Bizkit. (Olli Banjo, „Baseballschläger”, Album „Schizogenie”, Headrush Records 2005)

Bereits bei der Darstellung des Textes werden einige Fragen aufgeworfen, da anhand der komplexen Assonanzstrukturen keine klare Einteilung in Zeilen gegeben ist, wie etwa bei der Strukturierung durch Endreimpaare. Daher ist diese Darstellung an der musikalischen Grundlage – dem Beat (vgl. Kap. 4) – als strukturgebender Träger orientiert. Jede Zeile entspricht einem kompletten Takt des Grundrhythmus. Welche Rolle dabei genau das Taktmetrum bei der Akzentuierung der Wörter spielt, welche Grundmechanismen beobachtbar sind und welche Wechselwirkungen zwischen Reimen bzw. Assonanzen und der jeweiligen Rhythmisierung bestehen können, wird im weiteren Verlauf in Kapitel 4 ausführlich beschrieben. Diese Beispiele verdeutlichen, dass im Rap nicht alleine (End-)Reimsilben als klangrelevantes dichterisches Mittel genutzt werden, sondern überwiegend mehrteilige Assonanzen und komplexe Assonanzstrukturen, die nicht zwingend in reinen Endreimen kulminieren. Schließt man diese Erkenntnis in die Überlegungen zu wörtlichen Wiederholungen mit ein, relativiert dies die Vorstellung von einem potentiellen Ideal reiner, ‚erweiterter‘ oder ‚identischer‘ Endreime im Rap.33

33 Zur Terminologie von Reimen vgl. etwa Burdorf 1995, S. 30.

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3.3 V ERFAHREN 3.3.1

ZUR SEMANTISCHEN

V ERKNÜPFUNG

Serielle Verfahren

Als mnemotechnisches Mittel und für die Herstellung von Textkohärenz spielt die Konstruktion einer Serie häufig eine wichtige Rolle. Dementsprechend lassen sich einige der poetischen Verfahren als ‚serielle Verfahren‘ subsummieren. Die größte Gruppe von ihnen wurde bereits im Zusammenhang mit identischen Reimen thematisiert: In Form von wörtlichen Wiederholungen von Wörtern oder Wortgruppen am Versanfang oder -ende können sie die Basis für Listentexten oder eingängigen Hooks sein. Die hier weiterhin dargestellten Verfahren zeichnen sich durch den kreativen Umgang mit logischen Serien aus, die jedoch nicht auf Wiederholung, sondern auf Entwicklung basieren. Sie können auf die Makrostruktur eines kompletten Textes bezogen sein, wie etwa im Fall von „Zehn Rap Gesetze“ von Curse (Curse, „Zehn Rap Gesetze“), oder aber kaum wahrnehmbar nur in wenigen Versen realisiert sein wie in den Zeilen von Thomas D in „Die Stadt schläft“ „dann überwinden wir die Zweisamkeit des Seins / wir fangen bei Null an und bleiben Eins“ (Thomas D, „Die Stadt schläft“). Offensichtlicher zu erkennen ist das serielle Prinzip etwa bei Azad, der bei der Beschreibung seines Wohnumfelds in „Mein Block“ (Azad, „Mein Block“) rappt: „Jeder Zweite von uns war in einem Kampfsportverein. Jeder Dritte hat ein’ Pit. Weil jeder Vierte versucht, Dich zu ficken, gibt es oft die Fünf ins Gesicht.“ (ebd.). Eine Zahlenserie ganz anderer Art entwirft Curse in dem Track „24“ (Curse, „24”), in dem er in nur einer Strophe das Anbahnen, den Verlauf und die Konsequenzen eines ‚One-Night-Stand‘ beschreibt. Er schließt vor der letzten Hook mit den Worten: 10 Minuten für ‚Ich geh jetzt, es war schön und wir sehen uns.‘ 10 Sekunden für ‚Schreib mir sms‘, 8 Sekunden lang Abschiedskuss. 20 Minuten nach Haus, aus den Sachen raus. Danach 1 Stunde geduscht, doch der Geruch geht nicht raus. 4 Monate für den Alltag, 2 Stunden für Fieberschübe, 2 Stunden für´s Wartezimmer beim Arzt und sich übel fühlen. 4 Minuten Blutabnahme, 6 Tage warten auf Werte – die Sekunde des Ergebnis im Leben die schwerste. Tausend Stunden für Zweifel und Reue, 20 Sekunden verzweifelt, 20 begreifen, dann 20 weinen, 20 schreien. 24 sein und erkennen: ‚Oh, mein Gott was hab ich gemacht?‘ 24 Jahre getauscht für den Rausch von nur einer Nacht. (Curse, „24”, Album „Sinnflut“, Subword 2005)

Dabei können serielle Verfahren nicht nur auf Zahlen, sondern auf jegliche Wortgruppen bezogen sein, die ein gemeinsames Merkmal aufweisen und so in

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irgendeiner Weise kombiniert werden können, wie in „Früher war es Hamburg, heute ist es Berlin. / Nächstes Jahr kommt der neue Shit.“ (Huss und Hodn, „Radiowecker“) oder im folgenden Textauszug von Haftbefehl: die Limousinen sind deutsch, die Uhr’n aus der Schweiz, / das Steak argentinisch, die Hur’n aus Tschechei, / die Kugel aus Blei und das Blut aus dei’m Fleisch (Haftbefehl, „Glänzen“, Album „Azzlack Stereotyp“, Echte Musik 2010)

Reihungen Zu den seriellen Methoden können auch unterschiedliche Arten von Aufzählungen und Reihungen gezählt werden. Eine der in der HipHop-Kultur populärsten thematischen Aufzählungen stammt von Sido in „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“): „Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block” (ebd.). Auch hier sind derartig pointierte Verkürzungen vor allem in den Hooks der Tracks zu finden, wie auch im folgenden Beispiel von Blumentopf: Prost! Jamas! Cheers! Stößchen! Hoch die Tassen! [Chin-chin!] / Eisgekühlt, schau wie’s perlt! Du brauchst noch mehr? [Stimmt, stimmt.] / Bier, Rum, Wodka, Ouzo, Whisky pur. [Trink, trink!] (Blumentopf, „Chin Chin”, Album „Musikmaschine“, Four Music 2006)

In den Strophen finden sich vielfach Aneinanderreihungen von Aktivitäten, vor allem in szenischen Darstellungen, wie im folgenden Beispiel, die vor allem beim ‚Storytelling‘34 Anwendung finden, also in Raptexten, die Geschichten erzählen. Ich prüf’ die Quali äußerst kritisch, mach’ zu, pack’ den Beutel in die Anzugstasche, seh’ mich um, steig’ aus, lass’ auf dem Beifahrersitz ein Bündel Scheine zurück und geh’ dann weiterverticken (Kollegah, „Straßenapotheker“, Album „Kollegah“, Selfmade Records 2008)

Außerdem nutzen Rapper freiere Assoziationsketten wie die folgende, um über bekannte Schlagwörter eine assoziative, profilrelevante Aura zu kreieren.

34 Klein/Friedrich 2003a, S. 66.

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Hugo Boss, Bang Bus, extrem notgeil, / Armband, Breitling, Backstage, Showtime, / Bullrot, AirMax, Primetime, Kokain, / Doreen, Maskenmann, Aidstest positiv! (Bushido, „Sonnenbank Flavour“, Album „Von der Skyline zum Bordstein zurück“, Ersguterjunge 2006)

Dieser Gestaltungstil, der als ‚Staccato-Stil‘ bezeichnet werden könnte, transportiert – gekoppelt an eine schnelle Rhythmisierung bzw. durch einen schnellen Flow (vgl. Kap. 4) – Energie sowie Schnelligkeit und ist besonders häufig bei Rappern des sogenannten ‚Gangsta-Rap‘ zu beobachten. Bei einer getragenen Vortragsweise und einer vergleichsweise langsamen Rhythmisierung entsteht durch den Staccato-Stil hingegen der Eindruck von überlegener Gelassenheit und kühler Einsilbigkeit, wie etwa im bereits zitierten Beispiel von Haftbefehl (s. weiter oben). Das populärste Beispiel für diesen Stil, das gleichzeitig durch die nahezu lückenlose Verwendung von Akronymen auf ein Minimum an kohärenzbildenden Stilmitteln beschränkt bleibt, ist „MFG“ von Die Fantastischen Vier: THX, VHS und FSK RAF, LSD und FKK DVU, AKW und KKK RHP, USW, LMAA (Die Fantastischen Vier, „MfG“, Album „4:99“, Columbia 1999)

3.3.2

Kopulative Verfahren – Disparität und Konnexion

Ein häufig angewendetes poetisches Verfahren, vor allem in humoristischen Zusammenhängen, basiert auf dem kreativen Umgang mit feststehenden Phraseologismen und konventionalisierten Sinnzusammenhängen bzw. Wortkombinationen, die mindestens ein gemeinsames Lexem teilen. In „Ich will kein Mitleid erregen, doch dass die GEMA so krass ausschüttet wie ich meine Seele“ (F.R., „FrRrRrRrRr“) referiert der Rapper zum einen auf die bekannte Redewendung ‚die Seele ausschütten‘ und auf die v. a. für Musiker und Künstler relevante Tatsache, dass die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“, GEMA, ihren Mitgliedern die abgerechneten Tantiemen als Rechteinhaber ihrer Werke ‚ausschüttet‘. Auch das Zitat von Massiv „Du hast hier keine Perspektive, wenn statt Mama ein Erzieher schreit.“ (Massiv, „Wenn der Mond in mein Ghetto kracht“) zeigt deutlich, dass derartige Verkettungen ihr semantisch-provokatives Potenzial wesentlich aus der Kombinati-

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VON

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on von disparaten Assoziationskontexten speist. Der überwiegende Teil dieser Verbindungen wird in Form von ‚wie‘-Vergleichen dargestellt: Ich hab Verkaufszahlen erreicht und geriet dabei dank raptechnisch herausragender Leistung zu ‘ner Ausnahmeerscheinung, einem Aushängeschild, das seitdem hauptsächlich mit Preisen abstauben zu tun hat wie meine Haushälterin (Kollegah, „Kollegah“, Album „Kollegah“, Selfmade Records 2008)

Diese Spannung zwischen Konnexion und Disparität wird vor allem auch in poetischen Verfahren genutzt, die mit Antonymen arbeiten. Sprachliche Komplexität und Kreativität unterscheiden sich dabei teilweise deutlich, da diese Methoden genreübergreifend in vielen Rapstilen eingesetzt werden. So behauptet Massiv etwa „gestern war ich ziemlich arm, morgen bin ich ziemlich reich“ (Massiv, „Hollyhood“), Thomas D rappt „unsre Sinne finden sich und sie verlieren ihr Ziel“ (Thomas D, „Die Stadt schläft“). Die Antonyme können sowohl durch Adjektive und Adverbien, wie in „Du bist groß, denkst klein“ (Olli Banjo, „Special“), als auch durch Verben realisiert werden, wie etwa in „Ich weiß nicht wo du warst, oder was du gesehen hast / Wie viel du gegeben, oder was du am Nehmen warst“ (Thomas D, „Fluss“) oder in Curses Zeilen „ich will nach dem sterben noch leben, und keiner von denen sein, die schon beim leben sterben“ (Curse, „Goldene Zeiten“)*. Außerdem werden antonymische Wortpaare verwendet, etwa „um Liebe und Hass, den Tod und das Leben, / um die Verhältnismäßigkeit der Dinge, Schweigen und Reden.“ (Spax, „Ego“). Das besondere Potenzial von Gegensatzpaaren nutzen auch Die Fantastischen Vier im Refrain von „MfG“, indem sie ‚draufgehen‘ und ‚drauf gehen‘ bzw. ‚fallen‘ und ‚auffallen‘ einander gegenüberstellen: MfG mit freundlichen Grüßen die Welt liegt uns zu Füßen denn wir stehen drauf wir gehen drauf für ein Leben voller Schall und Rauch bevor wir fallen fallen wir lieber auf (Die Fantastischen Vier, „MfG“, Album „4:99“, Columbia 1999)*

Eine weitere Subkategorie bilden poetische Verfahren, die auf der sinnhaften Neukombination von Lexemen basieren und daher als ‚Komposita-Verfahren‘ bezeichnet werden können. Häufig sind bereits die Titel der Tracks auf diese Weise entstanden wie etwa in „Siebenmeilensneakers“ (Sookee, „Siebenmeilensneakers“) oder „Königskettenfetischist“ (Automatikk, „Königskettenfetischist“) und gerade bei Boasting-Tracks (vgl. Kap. 5) stark verbreitet, wie etwa in

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„Reimemonster” (Afrob feat. Ferris MC, „Reimemonster”), „Ghettopräsident“ (Automatikk, „Ghettopräsident Pt. 2“) oder „Ghettostar“ (B-Tight, „Ghettostar“). So werden sprechende Titel mithilfe von Begriffen generiert, die durch anhaftende Konnotationen in der Kombination profilrelevante Assoziationen wecken sollen. Auch in den Raptexten werden Komposita verwendet, deren semantischer Gehalt sich intuitiv erschließt wie in „ein Teufelskreislauf“ (Thomas D, „Symphonie der Zerstörung“). Einen Sonderfall stellen diffamierende Namenskomposita beim Dissing (vgl. Kap. 6) dar: So bezeichnen etwa Bushido und Eko Fresh ihren Opponenten Fler im gleichnamigen Diss-Track als „Flerräter“ (Bushido feat. Eko Fresh, „Flerräter“) und rappen „Du hast jetzt flerkackt, denn wir haben dich flernichtet. / Willst du uns flerarschen, Patrick? Flerpiss dich!“ (ebd.). Aus profilanalytischer Perspektive lässt sich zusammenfassen, dass bei den oben beschriebenen poetischen Verfahren generell schöpferische Techniken des Kreierens, Variierens und Kombinierens überwiegen und als Maßstab bzw. Kennzeichen für Kreativität eine bedeutende Rolle spielen. Repetitive Muster und Wiederholungen wiederum bedürfen sowohl bei Verfahren zur klanglichen Verknüpfung (z. B. bei Anaphern oder identischen Reimen) als auch bei Verfahren zur semantischen Verknüpfung (z. B. bei Reihungen) rezeptionsästhetisch einer textimmanenten ‚Legitimation‘. So sind Gleichlaute am Zeilenanfang oder -ende bzw. Reihungen dann probates Mittel der Klanggestaltung, wenn sie als Serie, als humorvoll-ironische Brechung oder als performance-technisches Element erkennbar sind. Rap entsteht erst im Körper der Akteure, lautet eine der eingangs erwähnten Leitthesen (vgl. Kap. 1.1). Auch in diesem Kapitel war bei einigen Beispielen zu erkennen, dass das ‚Klangphänomen‘ Rap nur bedingt vom zugrunde liegenden Raptext ableitbar ist. Umgekehrt verdichteten sich die Hinweise darauf, dass sich das volle klangliche Potenzial von Raptexten lediglich aus der konkreten Aufführung erschließt. Die Poetizität von Raptexten lässt sich folglich nur dann ganzheitlich beschreiben, wenn die performative Gestaltung des Textes bei der Analyse mitberücksichtigt wird. Mit der hier vorgestellten Erlebniskategorie des Flows und der daraus entwickelten Flowanalyse wird der Versuch unternommen, diese Lücke zu schließen.

4. Das Erlebnisphänomen ‚Flow‘

4.1 ‚F LOW ‘ – B EGRIFFSBESTIMMUNG In der musikwissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde die elementare Bedeutung des Phänomens des Flows für die Analyse von Rap bereits vor mehr als zehn Jahren erkannt und thematisiert. So schreibt beispielsweise der HipHopForscher Adam Krims in seiner vielbeachteten Veröffentlichung mit dem Titel „Rap music and the poetics of identity”: „The rhythmic styles of MCing, or ‘flows’, are among the central aspects of rap production and reception, and any discussion of rap genres that takes musical poetics seriously demands a vocabulary of flow.”1 Was im englischen Sprachraum schon seit der Jahrtausendwende Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen ist (stellvertretend stehen hier etwa Standardwerke zum HipHop von Tricia Rose2, Adam Krims3 oder Cheryl L. Keyes4), fand erst mit der Inkorporierung des Begriffs in den deutschen Sprachgebrauch allmählich Einzug in hiesige akademische Diskussionen. Eine erste musikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und der Methode der Flowanalyse im Zusammenhang mit deutschsprachigem Rap findet sich in dem Beitrag von Oliver Kautny „Ridin‘ the Beat – Annäherungen an das Phänomen Flow“5. Darin beschreibt Kautny mit Bezug auf Keyes zunächst die Bedeutung des Begriffs als ‚rhythmische Dimension‘ des Rap:

1

Krims 2001, S. 48.

2

Rose 1994.

3

Krims 2001.

4

Keyes 2002.

5

Kautny 2009, S. 141-169.

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„Insbesondere beschreibt der Begriff Flow die rhythmische Verschränkung von Sprechgesang und Begleitpattern – übersetzt in den Jargon der Szene: das Zusammenspiel von Rap und Beat.“6

Damit ist eine der wichtigsten Referenzstrukturen des komplexen Klangerlebnisses Rap bereits benannt: der Beat. Im Gegensatz zu Kautny, der den mehrdeutigen Begriff synonym zu „Grundschlag, Metrum“7 verwendet, soll hier eine weiterführende Differenzierung vorgeschlagen werden. Die elementarste Ebene stellt dabei der eigentliche ‚Grundschlag‘ (im Englischen ‚beat‘) eines Taktsystems dar, beispielsweise ein Viertelgrundschlag in einem 4/4-Takt (s. Nb. 3).

Notenbeispiel 3: Die Fantastischen Vier – „Le Smou“ – rhythmische Referenzsysteme

Die Quantisierung dieses Grundschlags, also die dominierende zeitliche Unterteilung, die im Fall des deutschsprachigen HipHop generell entlang eines binären (Achtel oder Sechzehntel) oder ternären Rasters (Triolen, Sextolen) erfolgt, ergibt sich in einem interpretatorischen Akt aus der akustischen Kombination des Beats und markanter Begleitstimmen.8 Der Beat schließlich setzt sich im deutschsprachigen Rap überwiegend aus Schlagzeug- oder Percussion-Spuren und der Bass-Stimme zusammen. Er ermöglicht erst die „metrische Interpretati6

Ebd., S. 141.

7

Ebd.

8

Vgl. Schreuder 2006, S. 35 ff.

D AS E RLEBNISPHÄNOMEN ‚FLOW ‘ | 99

on“9 des Gehörten (s. Kap. 4.4). Anschließend an die rhythmische Dimension des Rap erweitert Kautny den Flow-Begriff auch auf „die Melodiegestaltung des Rap“10 und reiht sich damit in die Traditionslinien englischsprachiger Publikationen ein: „Adam Krims oder Cheryl L. Keyes weisen sicherlich zurecht darauf hin, dass rhythmische und melodische Gestaltungsweisen sich zu einem untrennbaren Ganzen verbinden.“11 Unter Melodiegestaltung ist hier nicht die melodiöse Intonierung einzelner Rapper, also das Hervorbringen einer Melodie im musikalischen Sinne zu verstehen, wie in Kapitel 4 näher beschrieben. Kautny ist der Auffassung, „dass auch der gereimte Sprachklang zur Flowgestaltung beiträgt“12 und versucht mit der Entlehnung dieses mehrdeutigen Begriffs vielmehr den Brückenschlag zwischen Literatur- und Musikwissenschaft, indem er in Anlehnung an Gerhard Kurz die in der Lyrikanalyse bekannte Tatsache, dass „die Reimkonstellation […] eine eigene rhythmische Gestalt in der Wiederholung von Lauten“13 bildet, in den wissenschaftlichen Diskurs über Rap einführt: „Wenn nämlich der reich gestaltete Sprachklang des Rap musikalisch gesehen eine wichtige, akzentuierende Klangfarbe und damit Beiträger für den Rhythmus ist, dann bedeutet dies, dass Rhythmus- und Reimanalyse miteinander verbunden werden sollten.“14 Auch in der Argumentationslinie der vorliegenden Arbeit spielt diese Erkenntnis eine bedeutende Rolle. Beide Faktoren, Reim und Rhythmus, entfalten durch komplexe Wechselwirkungen nicht gänzlich voneinander zu trennende Wirkungspotenziale und bieten damit erst die Möglichkeit, den Flow als individuellen Reimstil („one’s personal unique style at rhyming“15) für die Profilbildung im HipHop zu nutzen. So schreibt auch Krims: „Rhythmic style marks several dimensions of rap music at once for artists and fans – history, geography, and genre all at once, not to mention the constant personal and commercial quest for uniqueness.”16 Was in der wissenschaftlichen Diskussion für die HipHop-Kultur im Allgemeinen konstatiert wird, gilt also auch im Besonderen für das Phänomen des Flows: Der individuelle Flow ist damit nicht nur Ausdruck eines szenespezifischen Traditionalismus17 und einer permanenten lo-

9

Wewers 2012, S. 16.

10 Kautny 2009, S. 143. 11 Ebd. 12 Ebd, S. 144. 13 Kurz 1999, S.47 14 Kautny 2009, S. 147. 15 Keyes 2002, S. 232. 16 Krims 2001, S. 48. 17 Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 14 ff.

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kalen Neukontextualisierung18, sondern vor allem auch integraler Bestandteil spezifischer ‚performativer Identitätskonstruktion‘19 bzw. elementarer Teil der individuellen Profilbildung. Die folgende Feststellung Androutsopoulos‘ zur HipHop-Kultur, kann demnach auch auf das Phänomen des Flows im Speziellen übertragen werden: „Die künstlerischen Ausdrucksformen des HipHop bieten ein formales Raster an, um individuelle Kreativität zu erproben und Distinktion mit eingeschränkten Ressourcen zu erzielen.“20 Daher verwundert es nicht, dass Kautny, der sich dem Phänomen Flow als wissenschaftlichem Gegenstand „gleichzeitig als musikalisch-sprachliches Objekt sowie als Rezeptionserlebnis“21 nähert, bestätigen kann, dass innerhalb der HipHop-Kultur „‚Flow’ als wichtiger Aspekt zur Bewertung von Rap-Musik”22 gilt. Verschiedene weitere Faktoren können sich positiv wie negativ auf das Flow-Erleben auswirken: So kann die konkrete Live-Situation durch eine mitreißende Performance und die kollektive Begeisterung einen positiven Einfluss auf die Rezeption haben. Eine bassbetonte Klangwiedergabe des am Austragungsort installierten Soundsystems und eine damit einhergehende Unterdrückung der wichtigen höheren Sprachklänge wiederum kann zu einer negativeren Beurteilung führen.23 Außerdem erwähnt Kautny in Anlehnung an Krims die Fan-Identifikation mit dem jeweiligen Künstlerprofil als potentiell Einfluss nehmenden Faktor auf die individuelle Wahrnehmung.24 Kautny räumt durchaus auch die Möglichkeit ein, dass manchen Fans rhythmische Raffinessen entgehen und wenig virtuosen Rappern ein guter Flow testiert wird. Allerdings ergänzt er: „Man sollte sich jedoch davor hüten, die rhythmische Hörfähigkeit von HipHop-Fans und deren vielfach auf Reim- und Rhythmuswahrnehmung fokussierte und trainierte Hörweise zu unterschätzen.“25 Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen daher aus einer eher produktionsästhetischen Sicht die komplexen Wechselwirkungen zwischen sprachrhythmischen und rhythmisch-musikalischen Komponenten, die von Seiten des Urhebers für die individuelle Rezeption, für ein „genussvolles Hören“26 bereitgestellt werden.

18 Vgl. Androutsopoulos 2003a, S. 11f. 19 Vgl. Menrath 2001. 20 Androutsopoulos 2003a, S. 12. 21 Kautny 2009, S. 145. 22 Ebd., S. 141. 23 Ebd., S. 146. 24 Vgl. ebd. 25 Ebd., S. 166. 26 Ebd., S. 162.

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Wie bereits bei Kautny, wird auch in der vorliegenden Untersuchung die Dichotomisierung nicht-gesangsähnlicher Artikulationsweisen Krims in perkussive („percussion-effusive“27) und sprachorientierte („speech-effusive“28) Reimstile anhand der Kriterien größerer rhythmischer Synchronizität29 bzw. komplexerer Polyrhythmik30 kritisiert. Wie Analysen unterschiedlicher Flows deutscher Rapper im Einzelnen zeigen werden, hat eine sprachpragmatische Ausführung nicht notwendig einen rhythmisch komplexeren Flow zur Folge.31 Grundlage des hier vorgestellten Flow-Konzeptes ist vielmehr ein Rapverständnis, das rhythmische Textartikulation immer vom aktiven Sprechen her denkt: Schon bei der alltäglichen Rede bedienen sich Sprachnutzer – teilweise bewusst, überwiegend intuitiv – rhythmischer Gestaltungsmittel zur performativen Interpretation des semantischen Inhalts. Tritt zu einer freien, prosaischen Rhythmisierung ein – wie auch immer geartetes – Metrum, bleibt das sprachliche Material was es ist, nämlich eine lineare Kette, sinnhaft artikulierter phonetischer Standardlaute, die nur dann als sinnhaft rezipiert werden können, wenn sie einen gewissen Toleranzbereich trotz performativer Individualisierung nicht übersteigen. Mit anderen Worten: Rap muss immer ‚sprachorientiert‘ sein. Gleichzeitig ist Rap elementar rhythmisch-perkussiv. Beide Komponenten sind integrale Bestandteile und aus dem Gesamtphänomen Rap nicht wegzudenken. Da – wie Krims selbst anmerkt – die Übergänge zwischen den verschiedenen Stilen fließend sind, werden hier andere Unterscheidungsmerkmale erarbeitet und vorgestellt. Anschließend an die oben näher beleuchteten Flow-Konzepte von Krims und Keyes, wird in dieser Arbeit das Phänomen Flow als klangliche Dimension des individuellen Rapstils verstanden, die im Umgang mit Reim- und Assonanzakzenten, Rhythmus, Sprachartikulation, Phrasierung und Intonation performativ hergestellt wird.

27 Krims 2001, S. 50. 28 Ebd. 29 Vgl. ebd., S. 51. 30 Vgl. ebd. 31 „Perkussive oder sprechorientierte Artikulationsweisen können natürlich mit rhythmischer Raffinesse einhergehen, dies muss jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein. Hier besteht kein monokausales Ursache-Wirkungs-Verhältnis.“ (Kautny 2009, S. 143.)

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4.2 S YNCHRONIZITÄT UND RHYTHMISCHE Q UANTISIERUNG Grundsätzlich scheint generell bei Musikern Synchronizität als ein Qualitätsmerkmal wahrgenommen zu werden. Ausgehend von dem Ideal einer Gruppenleistung, bei der Musiker zusammen musizieren, ist auch das Zusammenspiel von Rapper und musikalischem Background von besonderer Bedeutung. So stellt auch Kautny fest, dass in der HipHop-Szene im Allgemeinen bei der Beurteilung von Rappern an „der alltagssprachlichen Positiv-Negativ-Dichotomie (im Takt/nicht im Takt)“32 festgehalten wird. An dieser Stelle möchte ich ein Modell vorstellen, das auf einer Differenzierung verschiedener Ebenen von Synchronizität basiert. Denn wenn in Bezug auf Rap von ‚im Takt‘ als positive Attribuierung bzw. ‚nicht im Takt‘ als dessen negatives Gegenstück die Rede ist, kann dabei auf unterschiedliche Kategorien referiert werden, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Zum einen kann sich die Synchronizität von Raplyrics und dem zugrunde liegenden Beat auf die Übereinstimmung der rhythmischen Quantisierung beziehen. Aus diesem Grund werden in dieser Arbeit die rhythmischen Strukturen der Raplyrics und des musikalischen Backgrounds (Beat, aber auch andere Begleitstimmen) des häufigeren in Notenbeispielen gegenübergestellt und in Beziehung gesetzt. In Notenbeispiel 4 ist ein kurzer Ausschnitt aus einem Track von Bushido in traditioneller Notation festgehalten. Im 3. Takt ist deutlich zu erkennen, dass sich der Rapper von der Quantisierung des Beats löst. Er bewegt sich rhythmisch nicht mehr in einem binären Sechzehntelraster, sondern verändert aus Gründen alltagspragmatischer Sprachassimilation den Raprhythmus hin zu einer freieren Einteilung, dargestellt durch triolische Notation.

Notenbeispiel 4: Bushido – „Für immer jung“ – rhythmische Struktur

32 Ebd., S. 142.

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Im 3. Takt des Beispiels löst sich der Rapper also vom Beat und ist nicht mehr ‚im Takt‘. Wie im weiteren Verlauf gezeigt werden wird, kann diese Anomalie seines ansonsten konstanten Sechzehntel-Flows als Unregelmäßigkeit grundsätzlich positiv wie negativ rezipiert werden.

4.3 R HYTHMISCHE R EFERENZSTRUKTUREN Die jeweilige Referenzstruktur ergibt sich stets aus den für das Stück spezifischen rhythmischen Elementen eines HipHop-Tracks. Dabei kann es sich um Patterns aus perkussiven Klangsamples33, einen komprimierten Drum-Beat, bis hin zu komplexen, aus mehreren additiven Spuren zusammengesetzten Grundrhythmen handeln. Komprimierte Drum-Beats wie in „Du mich auch“ von Die Fantastischen Vier (Die Fantastischen Vier, „Du mich auch“) waren mit der Entstehung des Genres die ersten rhythmischen Referenzen und gelten deshalb heute als Kennzeichen des HipHop der sogenannten „old school“.34 In aktuellen Veröffentlichungen werden fast ausschließlich digital produzierte Drum-Beats eingesetzt, die aus mehreren Einzelsamples kombiniert werden.35 Unter ‚komprimierten Drum-Beats‘ sollen daher jene Rhythmusspuren subsummiert werden, die im Gegensatz dazu aus einem relativ kompakten Grundrhythmus bestehen, der als Ganzes von einem Drummer eingespielt sein könnte. Derartige Drum-Beats verweisen häufig durch die ‚traditionellen‘, natürlichen Schlagzeugsounds auf ihre tatsächliche oder vermeintliche Herkunft als historisches Instrumentensample. Neben Liveproduktionen, bei denen häufig nicht nur DJs an Turntables die Beats liefern, sondern ein Live-Drummer den Rapper begleitet, könnten alle Tracks als Beispiele genannt werden, in denen gesampelte DrumSet-Rhythmen aus Originalsongs verwendet werden. Stellvertretend sei an dieser Stelle „Lass‘ die Sonne rein“ (Die Fantastischen Vier, „Lass‘ die Sonne rein“)

33 Als ‚perkussive Klangsamples‘ werden hier rhythmisierte, natürliche oder natürlich klingende (Alltags-)Geräusche verstanden. 34 Krekow/Steiner/Taupitz 2003, S. 400. 35 In vielen aktuellen Studioproduktionen werden ausschließlich digitale Samples verwendet. Produzenten können so jede Form von Klängen miteinander kombinieren und beispielsweise Drum-Beats kombinieren, die nur dem Namen nach Schlaginstrumente darstellen. So ersetzt etwa der Klang von klatschenden Händen vielfach die Funktion einer Snare-Drum mit Schlägen auf der 2. und 4. Zählzeit (z.B. in Sidos „Mein Block“, Aggro Berlin 2004)

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von Die Fantastischen Vier erwähnt, in dem der Drum-Beat des Titels „Reggins“ (The Blackbyrds, „Reggins“) von The Blackbyrds gesampelt wird.36 In aktuellen Produktionen überwiegen vergleichsweise komplexe Beats, die aus verschiedenen perkussiven Einzelsamples kombiniert werden und erst in der Summe ein rhythmisches Grundmuster liefern. Ein Exempel dafür liefert Notenbeispiel 5 aus Sidos Titel „Mein Block“ (Sido feat. Bendt, Fuhrmann, Loku, „Mein Block (Beathoavenz Video RMX)“).

Notenbeispiel 5: Sido – „Mein Block“ – rhythmische Struktur

Hier wird erkennbar, dass nicht alleine die Drum-Set-Spur für den Beat verantwortlich ist. Vielmehr etabliert das Zusammenspiel mit dem Bass und vor allem mit einer sehr prägnanten Synthesizer-Stimme („Synthesizer II“) die eigentliche rhythmische Quantisierung. Ähnliches lässt sich in noch deutlicher an „Du mich auch“ (Die Fantastischen Vier, „Du mich auch“) von Die Fantastischen Vier veranschaulichen. Notenbeispiel 6 zeigt, dass die eigentliche triolische Quantisierung des Tracks nicht vom Drum-Set, sondern wesentlich vom SynthesizerRhythmus geprägt wird, dessen Klang entfernt an den einer E-Gitarre erinnert.

Notenbeispiel 6: Die Fantastischen Vier – „Du mich auch“ – Beat

36 Vgl. http://bit.ly/1jLeOgK [Stand 2016-07-22].

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Ohne die triolische Subdivision durch diese zusätzliche Spur (Synthesizer), könnte der Rap über dem Drum-Beat auch binär unterteilt werden, da jener lediglich aus Achtelnoten besteht. In der achtteiligen Fernsehsendung „Blockstars – Sido macht Band“ des österreichischen Fernsehsenders ORF von Ende 2011, konnten die Zuschauer in der ersten Folge Zeuge eines inoffiziellen Castings sein, bei dem Sido nach der Darbietung eines Anwärters für die Show moniert: „Das ist nicht im Takt, Michael. Du rapst einfach vor dich hin, das ist leider nicht im Takt.“37 Im-Takt-Sein ist hier gleichzusetzen mit Im-Metrum-Sein. Dabei ist dieses Metrum nicht immer durch eine musikalische Begleitung ‚von außen‘ gegeben, sondern vielmehr eine internalisierte rhythmische Struktur („internalized beat“38) in der Vorstellung des Rappers selbst. Die Situation, in der der angehende Rapper in der Sendung ohne musikalische Referenz rappt, stellt gewissermaßen die Ur-Konstellation des Rappens dar: Als performative Praxis bedarf die Tätigkeit des Rappens neben dem Rapper als Sender ein (wie auch immer geartetes) Publikum als Empfänger. Schon bei der Genese der Raplyrics wird die Existenz dieses potentiellen Gegenübers mitgedacht. Die konkrete Realisierung bei der Performance kann von einem real gegenwärtigen Publikum (in der Sendung der unmittelbar vor dem Performenden sitzende Rapper Sido), bis hin zu einem fiktiven Rezipientenkonglomerat (Fernsehkamera respektive Zuschauer, Studiosituation respektive Rezipienten) variieren. Dennoch – und das zeigt Sidos Kommentar exemplarisch – scheint die potentielle Nachvollziehbarkeit einer linearen rhythmischen Referenz für den Erfolg einer überzeugenden Rap-Performance von elementarer Bedeutung. Rap ist nicht die bloße Aneinanderreihung von Worten, sie müssen in einer metrischen Anordnung sinnhaft positioniert werden. Die Menge und Qualität der Raplyrics des Rap-Neulings und wie es genau zu der Einschätzung des Profis kam, kann aufgrund der Mittelbarkeit des Mediums und dem offensichtlich fragmentarischen Charakter des Beitrages nicht ermittelt werden. Die wenigen Sekunden, in denen der Kandidat tatsächlich beim Rappen gezeigt wird, vermitteln jedoch schnell den Eindruck, dass es ihm nicht so sehr an der Fähigkeit mangelt, zu reimen, sondern vielmehr an der akustischen Etablierung eines musikalisch-metrischen Sub-Systems. Um diesen Sachverhalt eingehender zu erläutern, muss zunächst das Konzept des Metrums, wie es in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, näher bestimmt werden.

37 Video verfügbar unter http://www.youtube.com/watch?v=UtF61x3vZkI [Stand 201607-25]. 38 Keyes 2002, S. 126.

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4.4 M ETRISCHE S YNCHRONIZITÄT Neben der Orientierung an der Quantisierung des rhythmischen Referenzsystems, ist die zweite Ebene auf die sich Synchronizität als Qualitätsmerkmal beziehen kann, die Übereinstimmung von metrisch-musikalischen Betonungen und inhaltlich-semantischen, wie sprachpragmatisch-akustischen Akzenten. Unter Metrum soll hier die hierarchische Ordnung verschiedener Akzentstufen innerhalb eines regelmäßigen Betonungsmusters, dem Takt, verstanden werden. Im Allgemeinen kann beim überwiegenden Teil aller in Deutschland publizierten Rapstücke von einem 4/4-Takt als standardmäßige Grundlage ausgegangen werden. Innerhalb der Vierergruppierung werden die Grundschläge unterschiedlich betont, dabei entsteht in der Regel das Betonungsmuster schwer-leichthalbschwer-ganz leicht (vgl. Nb. 3). Im wissenschaftlichen Diskurs ist im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Metrum und Raptext „vom klassischen zweitaktigen Verspaar mit Endreim auf Grundschlag 4“39 die Rede. Der Standardtakt im Rap enthält also mindestens eine Reimsilbe, die häufig im Bereich des letzten Grundschlages positioniert ist und als ‚Primärreim‘ bezeichnet werden kann. Das bedeutet, dass der Reim als finaler – zumindest akustischer, in vielen Fällen auch semantischer – Höhepunkt eines Verses, als ‚poetologischer Kulminationspunkt‘, mit dem leichtesten Teil der Betonungsstruktur des musikalischen Taktes zusammenfällt. Notenbeispiel 7 ist eine exemplarische Darstellung dieser Standardvariante aus dem Titel „Definition Von Fett“ (Fettes Brot, „Definition Von Fett“) von Fettes Brot.

Notenbeispiel 7: Fettes Brot – „Definition Von Fett“ – Reimstruktur

Die Reimpaare „anmacht“/„anlacht“ und „-platte“/„hatte“ sind jeweils mit dem Wortschwerpunkt (der jeweiligen ersten Silbe) auf Zählzeit 4 eines jeden Taktes

39 Kautny 2009, S. 144.

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gesetzt. Diese Positionierung kann im HipHop als klassischer Standard angesehen werden. Abweichungen von diesem Muster gelten bereits als individualisierter Stil, als spezifischer Flow. Insofern ist bereits das jeweils auf der 1. Zählzeit des Taktes platzierte „fett“ im obigen Beispiel eine spielerische Variation. Diese standardmäßige Positionierung der Endreime wird auch dann beibehalten, wenn vom oben erwähnten Betonungsmuster des klassischen 4/4-Metrums durch die konkrete Realisierung im spezifischen Beat abgewichen wird. In dem Titel „Le Smou“ (Die Fantastischen Vier, „Le Smou“) von Die Fantastischen Vier wird beispielsweise im Beat40 die Zählzeit 3 ausgespart bzw. mit zwei Noten auf das 3. und 4. Sechzehntel nach Zählzeit 2 vorgezogen.

Notenbeispiel 8: Die Fantastischen Vier – „Le Smou“ – Beat

Grundsätzlich gilt: Wortschwerpunkte, die nicht mit dem Metrum eines Taktes übereinstimmen, können prinzipiell als ‚nicht im Takt‘ wahrgenommen werden. Dementsprechend finden sich derartige Beispiele nur vereinzelt in Veröffentlichungen (kommerziell) erfolgreicher Rapper. Ein Exempel liefert Notenbeispiel 9, das einen kurzen Auszug aus Bushidos Rap in „Für immer jung“ (Bushido feat. Karel Gott, „Für immer jung“) wiedergibt.

40 In diesem Fall ergeben Bass und Drum Set eine klangliche Einheit, Anschläge des Basses sind von Schlägen der Bass-Drum kaum zu unterscheiden.

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Notenbeispiel 9: Bushido – „Für immer jung“ – unkonventionelle Wortbetonungen

RealisierungsBeispiel

Betonung möglich

Der Drum-Beat, in dem Zählzeit 3 unbetont erklingt, etabliert erst in Kombination mit den Synthesizer-Streicherklängen („Synth.“) die vier Grundschläge des musikalischen Backgrounds. Durch das klangliche Zusammenspiel von Beat und Raplyrics, entstehen musikalisch-rhythmische Betonungen auf konventionell unbetonten Wortsilben. Im oben dargestellten Takt 12 wird das Wort „Collegejacken“, das standardmäßig auf der 1. Silbe betont wird, durch die spezifisch Positionierung auf der 3. Silbe („-ja-“) akzentuiert. Hier findet also eine Modifikation des wortimmanenten Betonungsgefüges durch die Platzierung im musikalischen Metrum statt. Anders verhält es sich in den Takten 13 und 14 des Notenbeispiels: Hier werden Worte akzentuiert, die im Grunde semantisch in den Hintergrund rücken müssten und durch die jeweilige Stellung im metrischen Gefüge eine unangemessene Akzentuierung erfahren. Für den Raptext in Takt 13 sind verschiedene Betonungen denkbar. „Die-

ses

Le-

ben

ist

halt

ein-

fach

kalt

und

schwer.“

X

-

X

-

X

(X)

(X)

-

X

(X)

X

T. 4

T. 1

-

T. 2 T. 3

-

T. 1 T. 4

-

T. 2 T. 3

T. 2 T. 3

T. 4

Tabelle 1: Bushido – „Für immer jung“ – Exemplarische Betonungsanalyse

T. 1 T. 2

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Tabelle 1 stellt für den in Notenbeispiel 10 dargestellten Satz „Dieses Leben ist halt einfach kalt und schwer“ (Bushido, „Für immer jung“) prinzipiell mögliche Betonungsmuster dar. Je nach Kontext können einige Silben gegebenenfalls betont werden, andere wiederum nicht, wie die jeweils hinteren Silben der zweisilbigen Wörter. Die in Zeile 2 der Tabelle in Klammern gesetzten Wörter können nur in Ausnahmen, in explizit konstruierten semantischen Zusammenhängen betont werden. Eine Betonung der Konjunktion „und“ ist nur in solchen Fällen nachvollziehbar, wo der Kontext zunächst ein Entweder-OderVerhältnis suggeriert. Eine hypothetische Realisierung für diesen Fall ist im 4. Takt des nachfolgenden Notenbeispiels dargestellt.

Notenbeispiel 10: Bushido – „Für immer jung“ – Betonungsbeispiele

Die beiden Worte „halt“ und „einfach“ können als Abtönungspartikel bezeichnet werden.41 Eisenberg schreibt über diese Wortklasse: „Ihre Funktion wird im allgemeinen darin gesehen, den Inhalt des Satzes, dem sie nebengeordnet sind, auf die Sprechsituation zu beziehen.“42 Mit ihrer Hilfe kann die Stellung des Sprechers zum Gesagten verdeutlicht werden. Da sie damit nur ‚abtönen‘, also nur einen anderen Sprachinhalt in gewisser Weise kommentieren, erscheint es folgerichtig, dass diese Wörter selbst im normalen Sprachgebrauch nicht unmotiviert betont werden. Dementsprechend wirken die beiden rhythmischmetrischen Realisierung in den Takten 1 (die Originalrhythmisierung von Bushido) und 4 (hypothetisches Betonungsbeispiel) zwar nicht unmöglich – wie

41 Vgl. Eisenberg 2004, S. 233 f. 42 Ebd., S. 233.

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das bei den Silben 2, 4 und 8 der Fall wäre (s. Tab. 1) – aber dennoch unelegant und wenig versiert. Abgesehen von diesen stilistischen Erwägungen ist außerdem noch eine weitere, weitreichende Konsequenz mit zu berücksichtigen: Die Rhythmisierung und spezifische Stellung im Metrum des Originals könnte beim bloßen Hören der Raplyrics sogar zu einer Fehlinterpretation, einem Missverständnis führen, denn das metrisch akzentuierte Wort „einfach“ könnte anstatt als Abtönungspartikel auch als eines von drei Adjektiven gedeutet werden („Dieses Leben ist halt einfach, kalt und schwer“ – Bushido feat. Karel Gott, „Für immer jung“). Die relativ gleichförmige Intonation und Phrasierung des Rappers trägt in diesem konkreten Fall auch nicht zu einer Klärung bei. Ähnliche Tendenzen und Mechanismen, die im Zusammenhang mit der unkonventionellen Betonung in Takt 13 des Notenbeispiels 7 aufgedeckt und erläutert werden konnten, sind auch bei der Akzentuierung von „ein“ in der Zeile „und jedes Jahr komm’ jetzt ein Paar Falten mehr“ (ebd.) in Takt 14 wirksam. Derartige, zweifelhafte Positionierungen von Textfragmenten in einem Metrum, durch die „metrisch unkontrollierte Akzente“43 entstehen, werden im weiteren Verlauf der Arbeit als ‚Displatzierungen‘ bezeichnet. Dieser Begriff wird in klarer Abgrenzung zu explizit intentionalen Kompositionstechniken verwendet. Eine kompositorische Absicht kann dann konstatiert werden, wenn rhythmische Betonungen, die nicht mit gegebenen metrischen Strukturen kongruieren, klangliche Variationen von einem erkennbaren Muster darstellen und damit Zufälligkeit weitgehend ausschließen. Rhythmische Komplexität und Polymetrik als Qualitätsmerkmal setzen eine erkennbare Vergleichsstruktur voraus.44 Kautny schreibt im Zusammenhang mit rhythmischer Bindung und Freiheit: „Bindung ist rap- und rezeptionstechnisch ein Hilfsmittel […] und schafft Kohärenz, Orientierung und Nachvollziehbarkeit. Freiheit, erzeugt durch Variation und Abweichung, ermöglicht Genuss und Lebendigkeit.“45 Als Beispiel hierfür soll an dieser Stelle ein Ausschnitt aus der ersten Strophe aus „Wickeda MC“ (Samy Deluxe, „Wickeda MC“) von Samy Deluxe dienen. Anhand der folgenden graphischen Darstellung lässt sich schnell nachvollziehen, dass der Rapper sich hier über die „vom klassischen zweitaktigen Verspaar mit Endreim auf Grundschlag 4“46 gesteckten Grenzen weit hinaus bewegt.

43 Kautny 2009, S. 142. 44 Vgl. ebd. 45 Vgl. ebd., S. 165. 46 Ebd., S. 144.

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5

Renn’ in den Raum, perform’ für die Männer und Frau’n.

6

Ob ich unter der Sonn’nbank war? Nein, ich war immer so braun.

7

Spürt Ihr die Schwingung im Raum statt dem Minimum-Sound

8

der Konkurrenz, der wir ihr’n Platz in eurer Erinnerung klau’n?

(Samy Deluxe, „Wickeda MC“, Album „Samy Deluxe“, EMI Electrola 2001)

Die hier betrachteten Zeilen 5 bis 8 des Rap basieren im Wesentlichen auf mehrteilige Assonanzen um den Diphthong ‚au‘. So erscheinen nicht nur die Endreimsilben „Frau’n“, „braun“, „Sound“ und „klau’n“, sondern auch „Raum“ als zweifacher Binnenreim (s. Weiß auf dunklem Hintergrund). Wie in der graphischen Darstellung zu erkennen ist, beschränken sich die Gleichklänge allerdings nicht auf diese einzelnen Wörter, sie werden stattdessen kunstvoll auf viersilbige Klangkonstruktionen erweitert, die innerhalb der 5. Zeile (s. dunkle Textmarkierung) bzw. in den Zeilen 6 bis 8 kongruieren und damit die akustische Kohärenz des Teilabschnittes maßgeblich mitgestalten. Durch die spezifische, individuell gestaltete Artikulation des Diphthongs ‚au‘ von Seiten des Rappers, der diesen nicht als [aʊ], sondern vielmehr als [ɔʊ] realisiert, ermöglicht er zusätzliche Klangwiederholungen, die die gesamte Passage durchziehen (s. Weiß auf dunklem Hintergrund): 5

Renn’ in den Raum, perform’ für die Männer und Frau’n.

6

Ob ich unter der Sonn’nbank war? Nein, ich war immer so braun.

7

Spürt Ihr die Schwingung im Raum statt dem Minimum-Sound

8

der Konkurrenz, der wir ihr’n Platz in eurer Erinnerung klau’n?

(Samy Deluxe, „Wickeda MC“, Album „Samy Deluxe“, EMI Electrola 2001)

Neben den genannten ließen sich noch weitere poetische Mittel nachweisen, wie beispielsweise das klangliche Spiel um gleiche, betonte Anlaute, wie in „´Renn’ in den ´Raum“ (Anlaut [r]) und „´Spürt Ihr die ´Schwingung“ (Anlaut [ʃ]), korrespondierende, akzentuierte Auslaute wie in „der Konkur´renz, der wir ihr’n ´Platz“47 oder dem generellen Klangspiel um den Vokal ‚i‘, vor allem in den Zeilen 6 bis 8. Diese Strukturen lassen sich grafisch nur unzureichend darstellen, weshalb der Blick nun zunächst auf die musikalisch-metrische Positionierung der Raplyrics gelenkt werden soll.

47 Alle drei Zitate stammen aus „Wickeda MC“ (Samy Deluxe, „Wickeda MC“).

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Notenbeispiel 11: Samy Deluxe – „Wickeda MC“ – rhythmische Struktur

Notenbeispiel 11 verdeutlicht, dass sich in diesem Track die Referenzstruktur aus einem relativ komplexen Drum-Sample und einer ostinaten Bassfigur zusammensetzt. Der Beat etabliert vor allem eine starke Betonung der 1. Zählzeit. Generell lässt sich festhalten, dass der Flow des Rappers in dieser Passage konsequent an der Sechzehntel-Quantisierung des Backgrounds orientiert ist. Auffallend ist nun, dass er unbetonte Silben auf metrisch akzentuierte Zählzeiten setzen kann, ohne dass der Eindruck von Beliebigkeit oder mangelnder Souveränität entsteht. Selbst Silben, die im normalen Sprachgebrauch nie betont werden könnten, wie etwa „un´ter“ in Takt 7, stehen hier auf schwerer Zählzeit. Samy Deluxe spielt hier mit rhythmischen Partikeln, die er gezielt im Metrum verteilt. Notenbeispiel 12 ist eine Version von Notenbeispiel 11, die aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die oben erwähnten viersilbigen Klangkonstruktionen reduziert wurde.

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Notenbeispiel 12: Samy Deluxe – „Wickeda MC“ – reduzierte Reimstruktur

Diese optische Vereinfachung lässt erkennen, dass die klangliche Keimzelle des Rapflows aus vier aufeinanderfolgenden Sechzehntelnoten besteht, deren letzte – als Trägerin der Endreimsilbe – jeweils zu einer Achtelnote verlängert wird.48 Die Endreimpattern „Männer und Frau’n“, „immer so braun“ und „MinimumSound“49 stehen jeweils an der gleichen Stelle im Metrum, auf der Zählzeit 3, womit die finale Reimsilbe gewissermaßen stets auf der vorgezogenen Zählzeit 4 beginnt. Im Gegensatz dazu ist die letzte Wortkette, mit der das Spiel um den Diphthong ‚au‘ für den Rest der Strophe sein vorläufiges Ende findet und damit als eine Art Höhepunkt fungiert, so positioniert, dass die letzte Silbe „klau’n“ direkt auf der betonten Zählzeit 4 endet.

48 An einigen Stellen ist anstelle einer Achtelnote, die äquivalente Kombination von zwei übergebundenen Sechzehntelnoten zu sehen, deren Dauer sie entspricht. 49 Alle drei Zitate stammen aus „Wickeda MC“ (Samy Deluxe, „Wickeda MC“).

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Im musikwissenschaftlichen wie im szene-eigenen Diskurs finden in der Beurteilung von Akzentstrukturen im Rap die Attribute ‚on-beat‘ bzw. ‚off-beat‘50 Verwendung: „On-beat zu rappen meint, dass sich der Rapper erfolgreich mit der Musik synchronisiert, ‚im Takt(schlag)‘ bleibt und metrisch unkontrollierte Akzente vermeidet. Gelingt ihm das nicht, ist sein Rap off-beat.“51 In diesem Kontext ist unter dem Begriff ‚Beat‘ der Grundschlag des Taktes (hier: ‚Takt(schlag)‘) zu verstehen. Versteht man in diesem Zusammenhang allerdings ‚Beat‘, wie zu Beginn des Kapitels 4 beschrieben, als dominante rhythmische Referenzstruktur, die sich aus perkussiven Einzelelementen zusammensetzt, so wird der Umstand nachvollziehbar, dass „rhythmisch als gelungen betrachtete Akzentstrukturen, die rhythmustheoretisch eigentlich als Off-Beat-Akzente angesehen werden müssten […], in der Praxis oft als on-beat (im Takt) klassifiziert werden.“52 Denn wie in den Notenbeispielen 9 und 10 zu erkennen, kann der Beat weit komplexere rhythmische Strukturen als Referenz etablieren als den Grundschlag eines Taktes und somit auch off-beat-Stellungen im Takt mit Akzenten versehen, wodurch die Synchronizität mit selbiger durchaus als ‚im Takt‘ bzw. ‚on-beat‘ empfunden werden kann. Entsprechend kommt auch Kautny zu der Feststellung: „Es gibt in der Szene jedoch auch die Kenntnis von Akzenten, die bewusst und rhythmisch gekonnt neben den Grundschlägen platziert sind. Die Rhythmustheorie der populären Musik verwendet hierfür den Begriff des Off-Beat-Akzentes; liegen die Betonungen hingegen auf den Grundschlägen (engl.: Beats) eines Taktes, werden diese als On-Beat-Akzente bezeichnet.“53

Da die Profilbildung im Rap auch über die Technik der Akzentpositionierung stattfindet, kann diese auch durchaus als individuelles Charakteristikum wahrgenommen werden und als Kriterium für eine Klassifizierung dienen: „Während Off-Beat-Flows häufig mit neueren, ab den 1990er Jahren aufkommenden RapStilen assoziiert werden, gilt der On-Beat-Flow als Markenzeichen des OldSchool-Raps der 1980er Jahre […].“54 Wie Notenbeispiel 9 und die Auseinandersetzung mit On- bzw. Off-Beat-Akzenten in diesem Kapitel zeigen, müssen bestimmte Faktoren beim Rappen aufeinander treffen, damit Kreativität und In-

50 Kautny 2009, S. 142 ff. 51 Ebd., S. 142. 52 Ebd. 53 Ebd. 54 Ebd., S. 143.

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dividualität in der rhythmischen Realisierung von Sprache als solche rezipiert werden können, nicht als zufällige Randerscheinungen ignoriert werden und dadurch „genussvolles Hören“55 überhaupt erst stattfinden kann. Dass beispielsweise im oben erwähnten Beispiel aus „Wickeda MC“ (Samy Delux „Wickeda MC“) selbst die Displatzierung „´Erinnerung“ als humoristische Farbe wahrgenommen wird, ist der gezielten Phrasierung und Artikulation des Interpreten zuzuschreiben, die keinen Zweifel daran lässt, dass diese Positionierung explizit beabsichtigt oder zumindest bewusst in Kauf genommen wurde. Damit ist eine weitere, grundlegende Möglichkeit angesprochen, Raplyrics zu gestalten und zu interpretieren, die in Kapitel 4.6 eingehender betrachtet werden soll: Die Artikulation und Phrasierung des performenden Rappers. Abschließend bleibt noch zu erwähnen, dass bei der Rezeption von Raplyrics Pausen auf schweren Zählzeiten eine wichtige Rolle spielen. Einem Rapper wird dann attestiert, dass es ihm gelungen ist, sich erfolgreich mit dem zugrunde liegenden Beat zu synchronisieren, wenn sein Flow on-beat ist, das heißt, wenn wichtige Wortschwerpunkte mit den musikalischen Betonungen übereinstimmen (s. o.). Wenn im Gegensatz dazu wichtige Zählzeiten – und hierzu zählen grundsätzlich alle Viertelnoten des 4/4-Standard-Taktes, vor allem aber die Zählzeiten 1 und 3 frei bleiben, also keine Entsprechung in den Raplyrics finden, werden diese Pausen sensibel wahrgenommen: Je nach konkreter Einbettung und offenkundiger Serialität (vgl. Kap. 3.3.1) sowohl genussvoll, als willkommene Abwechslung, als auch als störende Unterbrechung eines gelungenen Flows.

4.5 D OUBLE -T IME , H ALF -T IME Es wurde bereits erwähnt, dass Rapper ihren Flow mitunter abwechslungsreicher gestalten, indem sie zwischen unterschiedlichen Quantisierungen wechseln. Notenbeispiel 13 ist ein Versuch, die komplexen rhythmischen Vorgänge in Samy Deluxes Flow in „Sensationell“ (Samy Deluxe, „Sensationell“) in traditioneller Notation wiederzugeben.56

55 Ebd., S. 162. 56 Entgegen der üblichen Vorgehensweise in dieser Arbeit ist in diesem Notenbeispiel kein viertaktiger Notenausschnitt wiedergegeben, der der musikalischen Struktur entspricht, sondern aus Gründen der besseren Veranschaulichung der kontrastierend gegenüber stehenden Quantisierungen ist ein Abschnitt gewählt, der im Vergleich zum musikalischen Grundmuster um einen Takt verschoben ist. Wie an der Gestaltung des

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Notenbeispiel 13: Samy Deluxe – „Sensationell“ – Wechsel der Quantisierung im Flow

Der zugrunde liegende Beat ist vergleichsweise komplex gestaltet: Die einzige konstante Figur ist die auf jeder Achtel erklingende ‚Hi-Hat‘ (gedämpfter Beckenklang). Die leichten Umspielungen derselben, sowie die Bass-Drum und Snare-Klänge sind entlang eines sextolischen Rasters gruppiert. Die obligatorische Betonung der zweiten und vierten Zählzeit des Taktes durch einen SnareSchlag ist vorgezogen und erfolgt bereits auf der letzten Sextolensechzehntel davor, wodurch der zweite Grundschlag jeweils unbetont bleibt und lediglich mit zwei Hi-Hat-Achteln gefüllt wird. Über diesen anspruchsvollen Grundrhythmus rappt Samy Deluxe in einem gleichmäßigen, synchronen sextolischen Flow bis zu dem dargestellten Abschnitt, der aus der Mitte der zweiten Strophe stammt. Hier ist zu erkennen, dass der Rapper in eine schnellere 32tel-Unterteilung wechselt. Der Übergang erfolgt allmählich und wirkt wie ein Accelerando der Rapstimme über einem konstanten rhythmischen Fundament: Im ersten Takt ist die sextolische Unterteilung noch klar zu erkennen, im zweiten Takt wird sie durch agogische Sprechzäsuren langsam aufgeweicht (erkennbar an binären Sechzehntelgruppen) und erst im dritten Takt findet endgültig der Schritt in die

Beats zu erkennen ist (Variationen erfolgen für gewöhnlich im zweiten oder vierten Takt) beginnt die musikalische Phrase im zweiten wiedergegebenen Takt.

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neue, schnellere Quantisierung statt. Dass diese neue Unterteilung nicht sofort auf der ersten, sondern erst mit der zweiten Zählzeit umgesetzt wird, unterstützt die allmählich beschleunigende Wirkung. Wenn auch dieses Beispiel in seiner Komplexität und Konstruiertheit nicht als Standard für den deutschsprachigen Rap gelten kann, so konnten hier dennoch Mechanismen und Techniken aufgezeigt werden, die in ähnlicher Form in vielen deutschen Produktionen wirksam sind. Im Folgenden soll nun der Blick auf jene speziellen Flow-Stile gelenkt werden, deren Quantisierung nicht zwischen triolischer und binärer Unterteilung oszilliert, sondern im Verhältnis 1:2 (bzw. 2:1) zur musikalischen Begleitung steht: Double-Time- bzw. Half-TimeFlows.57 Wie Notenbeispiel 14 verdeutlicht, basiert der Titel „Ewig“ von Die Fantastischen Vier (Die Fantastischen Vier, „Ewig“) auf einem ausgefallenen Beat, der ein vergleichsweise langsames Metrum etabliert. Das Tempo des Grundschlages ist mit 69 bpm relativ langsam, außerdem etabliert dieser spezifische Drum-Beat eine halbtaktige metrische Struktur, indem er durch die den jeweils doppelten Bass-Drum-Sound eine starke erste und dritte Zählzeit betont, während die Zählzeiten zwei und vier frei bleiben.

Notenbeispiel 14: Die Fantastischen Vier – „Ewig“ – Double-Time-Flow 57 Vgl. ebd., S. 143.

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Der Text des Stückes wird von Rapper Hausmarke interpretiert und ist konsequent in fließende Achtel unterteilt, die mit dem halbtaktig strukturierten Beat kongruieren. Erst gegen Ende des Stücks, nach dem letzten Refrain, übernimmt Bandkollege Thomas D und rappt eine Art Kommentar, der in Sechzehntelnoten gehalten ist und eher staccato gerappt wird. Im Gegensatz zu dem langsameren Achtel-Flow Hausmarkes rappt Thomas D in diesem Beispiel doppelt so schnell (‚Double-Time‘), in Sechzehnteln. Auch wenn der begleitende Beat aus Sechzehnteln besteht, erscheint aus oben genannten interpretativ-strukturellen Gründen der langsamere Achtel-Flow Hausmarkes stimmiger, derjenige seines Kollegen hingegen zu schnell, nämlich doppelt so schnell. Rapper Kollegah konnte in der Rap-Szene mit seinem Double-Time-Flow in mehreren Stücken Aufsehen erregen. Notenbeispiel 15 zeigt einen Ausschnitt aus dem Track „Mondfinsternis“ (Kollegah, „Mondfinsternis“), den er fast komplett in Double-Time rappt.

Notenbeispiel 15: Kollegah – „Mondfinsternis“ – Double-Time-Flow

Notenbeispiel 16 ist eine vereinfachte Darstellung von Notenbeispiel 15. Hier ist deutlicher erkennbar, warum – trotz gleicher Quantisierung der Hi-Hat- und der Rap-Spur – der Eindruck des Double-Times entsteht.

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Notenbeispiel 16: Kollegah – „Mondfinsternis“ – Double-Time-Flow in reduzierter Darstellung

Maßgeblich verantwortlich für den Double-Time-Effekt ist die Quantisierung des Rap-Flows im Verhältnis zum Grundbeat des Stückes. Die reduzierte Darstellung in Notenbeispiel 16 lässt erkennen, dass sich Bass-Drum und Snare zu einem konventionellen Beat (Bass-Drum auf Zählzeit 1 und 3, Snare auf 2 und 4) mit einem Grundtempo von 75 bpm addieren. Lediglich die HiHat-Spur weist mit Zweiunddreißigsteln eine ungewöhnlich schnelle Unterteilung auf. Verglichen mit diesem relativ langsamen Beat erscheint der Rhythmus des Rap enorm schnell, da er nun nicht wie in Notenbeispiel 15 als Sechzehntel-Flow, sondern als Zweiunddreißigstel-Flow – also doppelt so schnell – wahrgenommen wird. Der umgekehrte Fall, dass die Raplyrics im Verhältnis zum Beat nur halb so schnell gerappt werden, ist weniger häufig anzutreffen. Er kann nur in Ausnahmefälle und meist nur über kürzere Zeitabschnitte nachgewiesen werden, wie beispielsweise in „Ganz normal“ von Die Fantastischen Vier (Die Fantastischen Vier, „Ganz normal“).

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Notenbeispiel 17: Die Fantastischen Vier – „Ganz normal“ – Half-Time-Flow

Notenbeispiel 17 zeigt einen kurzen Ausschnitt aus der ersten Strophe des Tracks. Der Raprhythmus ist an der Sechzehntel-Quantisierung des Beats orientiert. In Takt 4 der Darstellung läuft der Sechzehntel-Flow in gleichmäßigen Achteln aus, wodurch ein retardierendes Moment entsteht, das den neuen musikalischen Formteil als eine Art Refrain, der die erste von der zweiten Strophe trennt, exponiert. Diese finalisierende Wirkung wird vom Break, der musikalischen Pause in der Drum-Spur, zusätzlich unterstützt. Die Halbierung der verwendeten Notenwerte in Fällen wie diesem dient demnach, vergleichbar mit einem nachdrücklichen Buchstabieren, der Betonung und dem Exponieren wichtiger Textstellen oder musikalischer Formteile. Eine rhythmisch-musikalische Besonderheit des Flows kann die spezielle Ausführung des aus der Jazzmusikpraxis bekannten, sogenannten ‚laid back‘ sein.58 Dabei werden Rhythmen dem zugrunde liegenden Beat leicht nachgestellt. Derartige Nuancen sind in traditioneller Notation nicht darstellbar, weshalb einzelne Wissenschaftler zur Veranschaulichung auf eigenkreierte Notationsformen zurückgreifen müssen. Ein konventionalisiertes Zeichensystem steht für dieses komplexe Phänomen rhythmischer Performance nicht zur Verfügung. Das Gegenteil von ‚laid back‘ ist nur theoretisch denkbar, praktisch jedoch kaum nachzuweisen. Eine leicht verspätete Positionierung von Silben wird als 58 Vgl. ebd., S. 159.

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besonders entspannte, ‚coole‘ Attitüde wahrgenommen und kann als souveräne Etablierung von einem gegebenen Begleitrhythmus rezipiert werden. Eine deutlich verfrühte Positionierung hingegen könnte als Zeichen von Nervosität und mangelnder Souveränität gelten und wird daher vermieden. Lediglich in Form zeitlich begrenzter, accellerierender Textelemente zum Zwecke der On-BeatPlatzierung akzentuierter Rhythmusmarker ist eine Realisierung rhythmischer Beschleunigung in Rapstücken nachzuweisen, wie etwa in Notenbeispiel 11 in Takt 3 auf der zweiten Zählzeit, wo Rapper Samy Deluxe zwischen dem vorhergehenden sextolischen und dem neuen 32tel-Flow vermittelt.

4.6 ARTIKULATION , P HRASIERUNG , I NTONATION Wie bereits dargelegt, ist das Phänomen Flow nicht nur auf rhythmische Parameter zu verkürzen. Durch die akustische Gestaltung und performative Aufführung treten zur rhythmischen Strukturierung und der Positionierung im Metrum weitere Faktoren, die wesentlichen Einfluss auf die Rezeption haben. Dazu gehören „die stimmliche Artikulation“59, die Intonation oder „Tonhöhengestaltung“60, sowie die Phrasierung durch melodiöse Sprachverläufe auf Atemströmen spezifischer Länge. Letztere ist – vergleichbar mit dem Singen einer Melodie – mit den musikalischen Segmenten synchronisiert. Atemzäsuren werden dabei sinnhaft gesetzt und kongruieren meist mit semantischen Einheiten. Langes formuliert in diesem Zusammenhang: „Phrasierung ist das, was die musikalische Interpretation ausmacht, nämlich eine Synthese rationaler und künstlerischästhetischer Vorstellungen.“61 So entsprechen in obigem Notenbeispiel 15 die rhythmischen Pausen in den Takten 1 und 3 den Atemzäsuren. In Notenbeispiel 16 ist ein Ausschnitt aus der ersten Strophe des Titels „Mehr als Musik“ (D-Flame & Tone, „Mehr als Musik") der Frankfurter Rapper D-Flame und Tone abgebildet. Die komplexe Betonungsstruktur des Rap ist mithilfe von Akzentsymbolen über den Noten verdeutlicht. Diese Betonungen erfolgen maßgeblich durch eine lautere Dynamik der jeweiligen Silben. Allerdings spielt in diesem Zusammenhang die Phrasierung eine wichtige Rolle, da die dynamische Akzentuierung im Gegensatz zu dem eher staccato ausgeformten Flow häufig an längere Vokalklänge gekoppelt ist, wie in „Ozean“ oder „Soldaten“. Der Begriff Phrasierung steht hier im musikwissenschaftlichen Sinn nicht nur für

59 Ebd., S. 147. 60 Ebd. 61 Lange 1991, S. 56.

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die Segmentierung in einzelne Phrasen durch Atmung und Pausen, sondern bezeichnet auch die konkrete Gestaltung der Phrasen durch akustische Parameter wie Dynamik und Stimmfärbung, zu denen auch notwendigerweise andere Teilbereiche wie musikalische Artikulation (staccato, legato etc.), Metrik und Mikrotiming treten.

Notenbeispiel 18: D-Flame & Tone – „Mehr als Musik“ – 1. Strophe – Akzentuierung im Rap

Dieses Beispiel zeigt exemplarisch, dass Artikulation und Phrasierung bei der performativen Umsetzung von Raplyrics nur schwer voneinander zu trennen sind. Hinzu kommt ein dritter Faktor, der ein weiteres Gestaltungsmittel der Rapperformance sein kann: die Intonation des Textes. Sie kann in der einfachen Sprachmelodie, die dem natürlichen Redefluss inhärent ist, grundsätzlich bei jedem Rapper nachgewiesen werden.62 Darüber hinaus finden sich jedoch auch elaboriertere Intonationspraktiken. Dabei reicht die Bandbreite vom etwas ab-

62 Ausnahmen stellen hier lediglich Textpassagen oder ganze Rapsongs dar, die in einer betont sterilen, ‚maschinenhaften‘ Darbietungsweise interpretiert werden, wie etwa im ersten Part des Rappers D-Flame im oben genannten Titel. Doch selbst hier ist eine natürliche Sprachmelodie lediglich reduziert.

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schätzig auch als „Singsang“63 bezeichneten gesanglichen Rap-Stil einzelner Gruppen wie Fettes Brot oder Die Fantastischen Vier, über repetitive Intonationsmuster wie im Flow der Rapperin Shana Supreme von der Rap-Formation Meditias, bis hin zu einer fast durchgängig melodiös angelegten Rapgestaltung, wie sie in Deutschland etwa Peter Fox in den letzten Jahren erfolgreich etablieren konnte (s. folgendes Notenbeispiel).

Notenbeispiel 19: Peter Fox – „Alles neu“ – 1. Strophe – Melodiegestaltung der Lead-Stimme

In obigem Notenbeispiel 19 ist die Gestaltung der Lead-Stimme in „Alles neu“ von Peter Fox (Peter Fox, „Alles neu“) näherungsweise in traditioneller Notation dargestellt. Auf den ersten Blick lässt sich erkennen, dass sich zum einen das Tonmaterial der Melodie auf lediglich zwei verschieden Töne beschränkt (ungefähr es und ges) und zum anderen der Ambitus der Lead-Stimme mit einer kleinen Terz (es-ges) äußerst gering ist. Durch die (abgesehen vom Auftakt) konsequente Quantisierung in Achteln entsteht ein sehr gleichmäßiger Flow. Dieser kongruiert in den Takten 1, 3 und 5 mit dem Beat, der wiederum die Viertelnoten des Taktes betont. Strukturierendes, repetitives Element ist der identische Rhythmus in den Takten 2, 4 und 8, der durch die Betonung der Reimsilben synkopiert erscheint. Die Takte 6 und 7 stellen in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit dar: In Takt 6 wird nicht der wiederkehrende synkopierte Rhythmus der Takte 2, 4 und 8 zitiert, wodurch der zwei Takte umfassende Zyklus unterbrochen wird. Außerdem variiert der Musiker in den Takten 6 und 7 den überwie63 Kautny 2009, S. 143.

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gend am Metrum und der regelmäßigen Betonung des Grundschlages orientierten Flow, indem er dreisilbige Phrasierungen wie auf „Teich ist zu“ und „Beißer wie“ (ebd.) einbaut. Er behält deren natürliche Wortbetonung bei und generiert dadurch eine Polymetrik, die erst im 8. Takt mit dem charakteristischen Rhythmus auf den Reimsilben „weißen Hai“ aufgefangen wird. Die Akzentuierung der Worte wird generell von der Melodieführung unterstützt. So sind beispielsweise unbetonte Silben wie in „Peter kocht jetzt“ (ebd.) oder „Teich ist zu klein“ (ebd.) auf den im Verhältnis weniger spannungsreichen Grundton (es) gesetzt. Darüber hinaus unterstützt die Vertonung des wiederkehrenden Reimrhythmus in den Takten 2, 4 und 8 auf dem Grundton („feinstes Fleisch“, „EinsPunkt-Eins“, „weißen Hai“, ebd.) durch das erwähnte geringere Spannungsniveau das zweitaktige musikalische Phrasenmuster. Es kann also festgehalten werden, dass die Melodiegestaltung der Raplyrics in diesem Beispiel – so rudimentär sie auch sein mag – den Flow in seiner Synchronizität mit oder in der bewussten Opposition gegen den musikalischen Background unterstützt und teilweise sogar herstellt. Insofern werden hier Kautnys Beobachtungen bezüglich des Verhältnisses von Raplyrics und melodischer Gestaltung bestätigt: „Betont sei jedoch, dass es im Rap, sieht man von gesangsorientierten Hooks in vielen Rap-Chorussen einmal ab, tendenziell nicht um ausgeprägte melodische Gestaltung geht, sondern eher um Akzentgestaltung des Sprechgesangs durch Melodik.“64 In diesem Kontext soll der Fokus über einen Zwischenschritt schließlich auf den Stimmklang der Rapper als Gestaltungsmittel und Identifikationsmerkmal gelenkt werden, der untrennbar mit dem Flow verbunden ist.65 Dieses, in den Kulturwissenschaften nur wenig erforschte, Themengebiet wurde im spezifischen Kontext des HipHop erstmals in dem von Hörner und Kautny 2009 herausgegebenen Sammelband „Die Stimme im HipHop –Untersuchungen eines intermedialen Phänomens“66 umfassender untersucht. Der Tenor der Forscher aus den unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Disziplinen lautet: In den akademischen Auseinandersetzungen mit populärer Musik „fällt eine seltsame Vernachlässigung der ‚Stimme‘ auf“67. Dementsprechend sind die Methoden und Instrumentarien der Analyse und das entsprechende Vokabular zur Beschreibung stimmlicher Phänomene nur rudimentär entwickelt. Gleichzeitig betonen die Wissenschaftler die enorme Bedeutung von Stimme und Stimmgestaltung für die Rezeption und Interpretation popmusikali-

64 Ebd. 65 Vgl. Forman 2009, S. 23. 66 Hörner/Kautny 2009. 67 Forman 2009, S. 24.

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scher Werke. So schreibt Forman etwa: „Intonation und Variation der stimmlichen Modulation tragen in der Rap-Musik demnach wesentlich zur Konstruktion von symbolischem Wert und Sinn bei.68 Bevor jedoch die eigentliche Stimme des Rappers ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden kann, wird zunächst der Versuch unternommen, neben den genannten weitere Parameter der stimmlichen Gestaltung zu filtern. Hier ist der englischsprachige, treffende Begriff ‚approach‘ von besonderer Relevanz, den ich in diesem Zusammenhang mit ‚Gestus der Stimme‘ übersetzen möchte. Er bezeichnet die spezifische Vortragsweise der Rapper, den kontextgebundenen ‚Tonfall‘, aber auch den profiltypischen Rapstil. Dazu einige Beispiele: In dem von Sido veröffentlichten gemeinsamen Track mit Kitty Kat und Tony D „Ficken“ (Sido, „Ficken”) lässt sich der unterschiedliche Stimmgestus der einzelnen Rapper gut beobachten: Sidos Vortragsstil kann als ‚rufend‘ bezeichnet werden. Klare Stimmen, die bei der Studioaufnahme mit einem dynamisch lauten Pegel aufgezeichnet wurden, transportieren Selbstbewusstsein. Etwa in Zimmerlautstärke gesprochen oder gar geflüstert entwickeln Stimmen ein völlig anderes Potenzial. Eine laute Stimme hingegen suggeriert Überzeugung und Mitteilungswillen. Auf Sido folgt der Beitrag von Tony D, dessen Vortragsstil als ‚schreiend‘ beschrieben werden kann. Durch das Plus an Lautstärke bei der Aufnahme und dem intuitiv wahrnehmbaren Plus an körperlicher Anstrengung wirkt sein Stimmgestus wesentlich aggressiver. Kitty Kat schließlich entscheidet sich für einen dynamisch wesentlich leiseren Vortragsstil, der Laszivität und Erotik transportiert. An diesem Beispiel wird deutlich, dass bei ähnlichem Textinhalt, der spezifische Stimmgestus die Rezeption des Gerappten wesentlich mit beeinflussen kann. Das folgende Beispiel stellt unterschiedliche Stimmgestaltung desselben Rappers gegenüber: In dem Track „Und was ist jetzt“ (Curse, „Und was ist jetzt“) richtet Rapper Curse die Titelfrage in den Refrains an eine ExPartnerin und beschreibt auf sehr emotionale Weise in den Strophen die Trennungsgeschichte des Paares und seine Gefühle. Dabei verwendet er zu Beginn des Tracks einen ruhigen Stimmgestus, mit dem er das innere Bild des einsamen, sinnierenden Verlassenen evozieren kann, das etwa auch im Musikvideo inszeniert wird (s. Abb. 2). Mit zunehmender Dauer des Stücks, entwickelt er einen immer wütender oder zorniger werdenden Stimmgestus, der schließlich in einen ‚geschrienen‘ Vortragsstil kulminiert. Auf diese Weise gelingt es ihm, der Dramaturgie des Textes durch die spezifische stimmliche Gestaltung eine zusätzliche Dynamik zu verleihen.

68 Ebd., S. 26.

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Ein bestimmter Stimmgestus kann im Verlauf einer Rapperkarriere als fester Bestandteil des Profils auch zu einem Charakteristikum und Alleinstellungsmerkmal werden. Während so etwa Samy Deluxe einen entspannten, ‚coolen‘ oder ‚gechillten‘69 Sprachgestus für sich etablierte, der sich durch eine sonore Tonlage und eine Dynamik auszeichnet, die eher an der normalen Sprechlautstärke orientiert ist, steht Kool Savas für eine offensivere, exaltiertere und dynamisch lautere Stimmgestaltung. Gerade wenn der Stimmgestus als charakteristisches Stimmelement etabliert werden konnte, ist dieser von dem eigentlichen spezifischen Klang der Stimme eines Rappers kaum zu trennen. Vielfach ist für den individuellen „signature sound“70, also den ‚distinktiven Stimmklang‘ eines Rappers, vielmehr der spezifische Stimmgestus als der eigentliche Stimmklang verantwortlich. Auch wenn jede Stimme sehr individuell und charakteristisch ist, zeichnen sich einzelne Rapper durch außergewöhnlich markante Stimmen aus, wie etwa die tiefen und sonoren Stimmen von Harris, Marteria und D-Flame oder die als ‚näselnd‘ beschriebene Stimme von Jan Delay.

4.7 S TRUKTURIERENDE B EWEGUNGEN Ein weiterer Aspekt der Rapperformance, auf den an dieser Stelle hingewiesen werden soll, ist die gestische und mimische Gestaltung des Raps, die sowohl eine illustrierende, wie strukturierende Funktion erfüllen kann.71 Zur ersten Kategorie gehören die in Musikvideos zu Rapstücken häufig zu findenden symbolischen Gesten, wie in Abbildung 1. Hier formt der Rapper Tatwaffe bei den Worten „hört ihr die Liebe aus den Versen nicht“ (Die Firma, „Die Eine 2005“) mit den Fingern den Buchstaben ‚L‘ (s. Abb. 1).72

69 Vgl. etwa Klein/Friedrich 2003a, S. 44. 70 Forman 2009, S. 28. 71 So beschreiben etwa Klein und Friedrich generell die Performance eines Rappers: „Seine Bewegungen unterstützen den flow seines Raps, Sprech- und Bewegungshandlungen korrespondieren unmittelbar miteinander.“ (Klein/Friedrich 2003a, S. 123.) 72 Musikvideo etwa zu finden auf der Single „Die Eine 2005“ (Die Firma, „Die Eine 2005“, Single „Die Eine 2005“, LaCosaMia 2005).

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Abbildung 1: Die Firma – Musikvideo zu „Die Eine 2005“ – 0:26 – Symbolische Geste

Flowrelevant und deshalb hier von größerem Interesse sind im Gegensatz zu derartigen illustrierenden Gesten vielmehr musikalisch-rhythmische Bewegungen, die den spezifischen Flow unterstützen, indem sie synchron zu den Wortakzenten visuelle Impulse liefern und ihn zum Teil in der Ausübung überhaupt erst generieren. Die minimalistischste aller körperlichen Gesten, um den Rapzeilen Ausdruck zu verleihen (sieht man vom mimetischen Ausdruck bei der Textperformance ab), ist das synchron zu den Betonungen der Raplyrics erfolgende Kopfnicken, das im Musikvideo zu Curse‘ Titel „Und was ist jetzt“ (Curse, „Und was ist jetzt“) besonders gut zu beobachten ist.73 Der Musiker ist darin alleine an einem Tisch sitzend zu sehen, seine Arme sind zu Beginn des Stückes noch auf der Tischplatte aufgelehnt, die Kopfbewegung ist (neben der Haltung des oberen Rumpfes) zunächst ausdrucksstärkstes Mittel der Performance.

Abbildung 2: Curse – Musikvideo zu „Und was ist jetzt“ – 1:43 – Minimalistischer körperlicher Ausdruck

73 Musikvideo etwa verfügbar auf der EP „Und was ist jetzt“ (Curse, EP „Und was ist jetzt“, Jive 2003) und unter http://www.tape.tv/curse/videos/und-was-ist-jetzt-1 [Stand

2016-05-26].

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Wenn die Arme durch eine aufgestützte Haltung von Bewegungen ausgeschlossen sind (s. Abb. 3) wie im Musikvideo zu Sidos „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“)74 oder eine besonders intime Atmosphäre, eine in sich gekehrte Attitüde dargestellt werden soll (s. Abb. 4) wie im Videoclip zu dem Titel „Freiheit“ (Curse, „Freiheit“)75 von Curse, helfen zusätzlich Gesten der Hände dem Gerappten mehr Ausdruck zu verleihen.

Abbildung 3: Sido – Musikvideo zu „Hey Du!“ – 1:44 – Gesten der Hände

Abbildung 4: Curse – Musikvideo zu „Freiheit“ – 0:15 – Gesten der Hände

In Videoclips zu deutschsprachigen Rapproduktionen lassen sich zahllose Gesten finden, die unter Beteiligung der Arme oder des ganzen Körpers den Flow des Rappers unterstützen. Auch wenn hier, wie in anderen Bereichen des Selbstausdrucks eines Künstlers, Kreativität und Individualität angestrebt werden, lassen sich dennoch Tendenzen und konventionalisierte Formen erkennen. Der 74 Musikvideo online verfügbar unter http://bit.ly/2a1tX0w [Stand 2016-07-20]. 75 Musikvideo verfügbar auf der Single „Freiheit“ (Curse, Single „Freiheit“, Subword 2008) und unter http://www.tape.tv/curse/videos/freiheit [Stand 2016-05-26].

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Großteil aller Gesten und Bewegungen entstammt einem genrespezifischen Pool an Stereotypen: Neben dem obligatorischen ‚Bouncen‘, dem leichten bis heftigen, wippenden In-die-Knie-Gehen im Rhythmus des Grundschlages, werden synkopische und polyrhythmische Reimstrukturen mit Gesten der Hände und Arme unterstützt, die tendenziell in Richtung Boden gerichtet sind (s. Abb. 5).76

Abbildung 5: D-Flame – Musikvideo zu „Bitte…Wer?“ – 1:59 – Stereotype Bewegung

In Abbildung 5 ist Rapper D-Flame im Videoclip zu dem von DJ Stylewarz produzierten Titel „Bitte…Wer?“ (DJ Stylewarz, „Bitte...Wer?“) von der Seite zu sehen.77 In dieser Perspektive einer genrespezifischen Geste ist gut zu erkennen, dass die Ausholbewegung der Hände die Schulterhöhe nicht überschreitet, der Handrücken ist meist nach oben gerichtet, der Rapper gestikuliert überwiegend vor der Körpermitte. Wie tief die Musiker mit ihren Gesten dabei in Richtung Boden gehen, variiert stark und ist unter anderem von individuellem Stil, Textaussage und Kameraperspektive abhängig. Generell sind diese strukturierenden Bewegungen wichtige Indikatoren, die in Kombination mit der Flowanalyse dabei helfen können, technisch anspruchsvolle und klangästhetisch interessante polymetrische Betonungsstrukturen von unmotivierten und zufälligen Displatzierungen (vgl. Kap. 4.4) und damit den Flow unterschiedlicher Rapper qualitativ zu unterscheiden. 76 Diese abwärts gerichteten Bewegungen erinnern an den Bewegungsablauf beim Dribbling im Basketball. Diese Assoziation ist insofern passend, als dass Basketball

als Volkssport im Ursprungsland des HipHop und das Spielfeld (der BasketballCourt) als Aufenthaltsort Jugendlicher, Teil des Ghetto-Ursprungsmythos des HipHop ist und beispielsweise auch in genrespezifischen Kleidungsstücken wie BasketballShirts aktualisiert wird (Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 35.).

77 Musikvideo etwa zu finden auf der DVD „Juice DVD – German Rap Video Classics“ (Juice Magazin 2005).

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4.8 W IEDERHOLUNGEN Wie bereits an mehreren Stellen angedeutet und in Kapitel 3.2 ausführlich beschrieben, ist die Wiederholung ein wichtiges Kompositionsprinzip in der rhythmischen Gestaltung von Raplyrics. Repetitive Strukturen können sowohl Ursache eines als besonders kunstfertig gestalteten als auch eines als unoriginell und gleichförmig empfundenen Flows sein. Sobald die Wiederkehr eines Rhythmus als konstituierendes Element des Rap erfahrbar wird, als kalkulierte strukturierende Komponente, ist die genussvolle Konsumption prinzipiell möglich.

Notenbeispiel 20: Die Fantastischen Vier – „Einfach Sein“ – Strophe

In Notenbeispiel 20 sind die ersten 8 Takte der zweiten Strophe des Titels „Einfach Sein“ (Die Fantastischen Vier, „Einfach Sein“) von Die Fantastischen Vier abgebildet, der von Rapper Michi Beck performt wird. Dieser gesamte Abschnitt basiert auf einem triolischen Achtelraster und kann grob in drei verschiedene, sich wiederholende Rhythmen unterteilt werden, die insgesamt die folgende Form ergeben: A-A-B-C-C-B. Die ersten beiden Zeilen sind gleich rhythmisiert (Formteil A), beginnend mit 4 auftaktigen Achteln, gefolgt von 7 Achteln, die jeweils die Zählzeiten 1 bis 3 betonen. Der Formteil B erstreckt sich hauptsächlich über die Takte 3 und 4. Er beginnt ebenfalls mit dem Auftakt von Formteil A, unterbricht jedoch den Achtelflow nicht, sondern komplettiert die Kette bis zu Zählzeit 3 des darauffolgenden Taktes. Dadurch entsteht der Eindruck einer Weiterentwicklung des Formteiles A. Hierauf folgt der zweimalige Formteil C, der einen kürzeren Auftakt aufweist, nämlich nur drei Achtel. Ansonsten weist er jedoch die gleiche Struktur auf wie Formteil A, mit einem finalen Schwerpunkt auf der 3. Zählzeit des jeweiligen Taktes. Schließlich wird noch einmal in den Takten 7 und 8 (mit Auftakt) der Rhythmus von Formteil B zitiert. Die beiden Formteile B erscheinen in der Rezeption als Weiterentwicklung der Formteile A

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und B, die sich wiederum sehr ähneln und in ihrer jeweiligen Wiederholung identisch sind. Diese auch beim bloßen Hören leicht nachzuvollziehende Struktur suggeriert Kalkül und Sinnhaftigkeit. Ein erkennbares Kompositionsprinzip fördert in diesem Fall die genussvolle Konsumption des rhythmischen Flows. Wie in Kapitel 3.2 ausführlicher dargelegt wurde, ist gemäß dem ‚Primat des Klangs‘ eine Dominanz der klanglichen Ereignisse gegenüber dem inhaltlichsemantischen Gehalt zu beobachten. Dies gilt insbesondere für repetitive Muster und Klangwiederholungen, die häufig von einer Akzentuierung durch Artikulation, Phrasierung und Intonation begleitet sind. Dass diese Gestaltungsprämisse mitunter zu Verständnisschwierigkeiten führen kann, zeigt exemplarisch das folgende Beispiel: In „1000 Jungs“ (Automatikk, „1000 Jungs“) rappt Atillah78 „Du Arschloch, denkst du bist intelligent wie Einstein / Kein Scheiß, in Wirklichkeit bist du so klug wie ein Stein“ (ebd.). Die homophonen Kombinationen „wie Einstein“ und „wie ein Stein“ (ebd.) sind auch rhythmisch analog gestaltet: In beiden Fällen wird ein Sechzehntelkette durch betonte Achtel unterbrochen. Wie in Notenbeispiel 21 deutlich zu sehen, ist das akzentuierte Achtelpaar konstitutives Wiederholungselement dieser Textpassage.

Notenbeispiel 21: Automatikk – „1000 Jungs“ – Flow

Außerdem akzentuiert Atillah78 die Reimsilben durch eine lautere Dynamik, die zusätzlich noch von Co-Rapper Rokko81 gedoppelt werden. Es entsteht ein klanglich interessanter Flow. Der semantische Gehalt des Vergleichs hingegen tritt dabei durch die unkonventionelle Betonung von „´ein Stein“ fast in den Hintergrund und ist bei erstmaligem Hören nur schwer nachzuvollziehen. Ein Beispiel, in dem der Rapper versiert mit repetitiven Elementen arbeitet und durch die Verteilung im Metrum sowie die spezifische prosodische Gestaltung komplexe, polyrythmische Akzentstrukturen herstellt, bietet Kool Savas als Gastrapper in Olli Banjos Track „Denkmal“ (Olli Banjo feat. Caput, Kool Savas, Moe Mitchell, „Denkmal”). In Notenbeispiel 22 ist zu erkennen, dass der Rapper zunächst ein zweisilbiges Motiv einführt, das zuerst auf Zählzeit 1 („focused“) und 4 („Vote es“) ‚on-beat‘ gesetzt wird, dann ‚off-beat‘ variiert wird

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(„Klositz“) und schließlich wieder auf Zählzeit 1 positioniert wird („Lotus“), wodurch der Eindruck einer in sich geschlossenen Form entsteht.

Notenbeispiel 22: Kool Savas – „Denkmal“ – Flow

Durch eine Art Engführung wird an ebendieser Stelle (Takt 4) das nächste konstitutive Motiv eingeführt, welches auf der jeweils vierten Sechzehntel der Zählzeit und damit jeweils an metrisch interessanter Stelle erscheint. Das dreisilbige Motiv wird als „Beschichtung“, „Geschichte“, „Geschichten“, „Teelichtchen“ und „seelischen“ mit einer jeweils betonten Erstsilbe realisiert, wodurch die Entsprechung in der rhythmischen Struktur unterstrichen wird. Den Anschluss an das nächste Motiv gestaltet Kool Savas durch die semantische Leerstelle „seelischen“, auf die er „Beistand“ als logische Fortführung folgen lässt. Das Substantiv steht zu Beginn der klangrepetitiven Kette „Beistand“„Kleinkram“-„sein kann“ und findet seinen klanglichen Endpunkt, gleich einer Unterschrift unter einem Statement, in dem akzentuierten Ausruf des Pseudonyms des Rappers, „Essah“.

5. Das Boasting – Prahlerei als Kulturpraxis

5.1 S PRECHAKTE

IM

R AP

Für die in Raptexten realisierten Sprechakte wurden in der Auseinandersetzung mit deutschen Künstlern einige Begriffe aus der Ursprungskultur übernommen. Die Wurzeln des US-amerikanischen Vorbilds wiederum werden vielfach in den selbstreferenziellen, gereimten Sprechtexten des „toasting“1 verortet, das ursprünglich der jamaikanischen ‚Deejay-Kultur‘ entstammt. Darüber hinaus verweisen HipHop-Forscher auf die tief in der afro-amerikanischen Tradition verwurzelte Praxis des „playing the dozens“2, eines Spiels, bei dem die Kontrahenten in gereimten Sprachkreationen ihr Gegenüber verbal angreifen, und schließlich auf die traditionelle Figur des „signifying monkey“3, dem Prototypen des cleveren Spottredners. Wie stark die Auswirkungen dieser historischen Verknüpfungen auch heute noch gewertet werden, zeigen nicht zuletzt jüngste Publikationen, wie etwa „The dozens – A history of rap's mama“4 von Elijah Wald. Auch in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit deutschsprachigem Rap geht der überwiegende Teil der Forscher bei der Spurensuche, Offenlegung und Analyse geschichtlicher Wirkungszusammenhänge und traditioneller Kulturpraktiken, bis zu den zuvor beschriebenen Ursprüngen des US-amerikanischen HipHop selbst zurück. Dementsprechend werden in der Beschreibung vielfach die originalen Begrifflichkeiten übernommen, um gemeinsame historische Wurzeln mit der Ursprungskultur offen zu legen. Dazu zählen vor allem die bereits erwähnten ursprünglich afro-amerikanischen Kulturpraktiken des

1

Vgl. etwa Krims 2001, S. 55.

2

Vgl. Dollard 1995.

3

Vgl. Gates 1988.

4

Wald 2012.

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‚Signifying‘5 und des ‚Playing the dozens‘6 sowie das in der jamaikanischen Tradition verwurzelte ‚Toasting‘7. In „Tracks’n’treks - Populäre Musik und postkoloniale Analyse“ entwickelt Ismaiel-Wendt die These, „dass Popmusik durch eine besonders starke topographische, ethnisierte, kulturalisierte und rassisierte Ausrichtung gekennzeichnet“ und immer auch als postkoloniale Musik zu verstehen sei. Er kritisiert „das territorialisierte Denken und Wahrnehmen“8 und die aus diesen hervorgehende „Topophilie“, also „das Begehren nach Verortung“9, die er bei Akteuren der Popmusik diagnostiziert. Ihm zufolge greifen Musiker bei der Produktion auf auditive Bedeutungsträger und konventionalisierte Klangmarker zurück und nutzen so die mit ihnen verknüpften Konnotationen auch zur Profilbildung.10 Bei den Rezipienten wiederum entstünden aufgrund „einer topographischen und kulturellen Determinierung“11 Assoziationsketten, die „immer auf ein existierendes Modell der Bildung von Klängen oder auf bestehende Systeme, wie Genres oder Stile“12 zurückgreifen. Wenn also Musiker in ihren Kompositionen vermeintlich traditionelle Elemente verarbeiten, positionieren sie sich damit lediglich innerhalb des kulturspezifischen, sich selbst bestätigenden Ordnungssystems, der von Ismaiel-Wendt so genannten „MusikEthnoLogik“13: „Rückwärtsgewandte musikalische Verweise in zeitgenössischer populärer Musik belegen weder ethnische noch rassische Kontinuitäten, sondern sind ‚Erzählungen über die Vergangenheit‘.“14 Die Argumentationslinie der vorliegenden Arbeit folgt im Wesentlichen den hier skizzierten Thesen Ismaiel-Wendts und versteht gleichzeitig die HipHop-Kultur als ‚hybride Kultur‘ (vgl. Kap. 2.2.2), die in Prozessen der aktiven Aneignung permanent neukontextualisiert und aktualisiert

5

Vgl. etwa Karrer 1996, S. 21 ff., Menrath 2001, Klein/Friedrich 2003b und Werner

6

Vgl. etwa Lüdtke 2007.

7

Vgl. etwa Karrer 1996, Wippermann 2000, Menrath 2001 und Werner 2007.

8

Ismaiel-Wendt 2011, S. 19.

9

Ebd.

2007.

10 Zusammen mit Stemmler zeichnet er an anderer Stelle beispielsweise nach, auf welche Weise der Rapper K’Naan in seinen Produktionen ‚Afrikanizität‘ inszeniert (Ismaiel-Wendt/Stemmler 2009). 11 Ismaiel-Wendt 2011, S. 22. 12 Ebd. 13 Vgl. ebd., S. 45 ff. 14 Ebd., S. 47.

D AS B OASTING | 135

wird.15 Damit sollen jene in den Kulturwissenschaften verbreiteten Erklärungsmuster neu zur Diskussion gestellt werden, welche die Ursachen von Grundtendenzen der deutschen HipHop-Kultur nach der Jahrtausendwende innerhalb der afro-amerikanischen (oder jamaikanischen) ‚MusikEthnoLogik‘ verorten. Denn vor allem auch die Analysen der genrespezifischen und profilrelevanten Zitationspraktiken, die im Textkorpus zu beobachten sind, werden zeigen, dass in Bezug auf den deutschsprachigen Rap der Jahre 2000 bis 2010 die Wurzeln der Traditionslinien weniger in afro-amerikanischen oder jamaikanischen Musikgeschichtsschreibungen zu suchen sind. Erkenntnisreicher scheint es vielmehr, die wesentlichen, prägenden Faktoren der Rapkultur in Deutschland den gegebenen Verhältnissen des Kulturkreises entprechend und auf Basis der hier zur Verfügung stehenden Kulturprodukte zu rekonstruieren. Rapper Bushido beispielsweise, ist demnach weniger als „Nachfahre des afrikanischen Griots“16, sondern vielmehr im Kontext traditioneller US-amerikanischer Ghetto-Stilisierung zu interpretieren. Die von ihm vielfach realisierten diffamierenden Äußerungen über Frauen und Mütter von Opponenten resultieren weniger aus der jahrzehntealten Tradition des ‚playing the dozens‘ oder der historischen Figur des ‚signifying monkey‘, als vielmehr der stark auf die Familie ausgerichteten Kulturen, in denen sich viele in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationserfahrung verwurzelt fühlen.17 Am Beispiel des Jazz-Musikers Coltrane beschreibt Ismaiel-Wendt, wie USamerikanische Musiker sich bewusst und gezielt auf die Suche nach ‚kulturellen Wurzeln‘ machen, zu denen sie sich sozusagen erst ‚nachträglich‘ und in kognitiven Prozessen a posteriori in Beziehung setzen: „Seine Musik ist kein Produkt einer wie auch immer gearteten Kontinuität. Kontinuität besteht einzig und allein in Bezug auf die rassistische Logik.“18 Die These lautet folglich: Eine gewinnbringende Suche nach traditionellen Wurzeln und Spuren des deutschen Rap kann nur bis zu der als Ursprungskultur angenommenen US-amerikanischen HipHop-Kultur erfolgen. Alle weiterführenden Ursprungserzählungen, die auf afrikanische oder jamaikanische Traditionen verweisen, sind bereits Nacherzählungen einer stilisierten, genrespezifischen – teilweise rassistischen, immer aber postkolonialen – Geschichtsschreibung und nicht Ausdruck einer transkulturellen, transhistorischen Kontinuität. In der Neu-

15 Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 64 ff. 16 Ismaiel-Wendt 2011, S. 48. 17 Azad rappt beispielsweise: „Unsere Familien – unser größter Reichtum! Unsere Heimat im Inneren. Ihr seid Feinde, wir Killer!“ (Azad, „Mein Block“). 18 Ismaiel-Wendt 2011, S. 47.

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kontextualisierung global kursierender Medieninhalte fließen bereits spezifische Faktoren der Rezipierenden (sozialer Status, Bildungsstand, politisches Umfeld etc.) in die Wahrnehmung, Verarbeitung und weitere Tradierung mit ein. Dementsprechend ist es Ziel dieser Arbeit, gängige Erklärungsmuster in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit deutschsprachigem Rap kritisch zu hinterfragen, welche die Wirkungslinien deutscher Rap-Produktionen auf Basis kultureller Kontinuitäten bis zu afro-amerikanischen bzw. jamaikanischen Wurzeln zurückverfolgen und dabei Analysemodelle der Ursprungskultur übernehmen, die nur bedingt auf die Entwicklungen der hiesigen Kultur anwendbar sind. Aufgrund mangelnder Relevanz sollen daher die oben genannten Techniken nicht weiter thematisiert, sondern lediglich zwei elementare Kulturpraktiken Gegenstand der Betrachtung werden, die beide eng miteinander verwandt sind: Das ‚boasting‘, das Prahlen, und das ‚dissing‘, das Beleidigen. Beide Techniken sind im analysierten deutschen Textkorpus nachzuweisen und gelten als zentrale Kulturpraktiken im HipHop.19 Klein und Friedrich betonen die enorme Bedeutung von Aktivität und Performativität für die Kultur des HipHop und ergänzen: „Die Kunst des Machens ist […] immer auch eine Kunst der Selbstinszenierung und Selbsterhöhung.“20 Mit dem „Zwang zur öffentlichen Inszenierung“21 liefern sie so eine Begründung, warum auch im deutschen Rap das Boasting und das Dissing nicht wegzudenken sind. Außerdem werden diese beiden Kulturpraktiken als Folge der kulturspezifischen Agonalität (vgl. Kap. 2.2.6) verstanden: „Diese als boasting bezeichnete Selbstpreisung gehört genauso wie die Schmähung der Gegner (dissing) zur genrespezifischen Wettkampfkunst, die sich nicht nur in konzertähnlichen Rap-Battles ausdrückt, sondern auch in Battle-Songs auf Alben, in langwierigen Fehden zwischen Rappern (beefs) sowie in als Wettkampf inszenierten, zeitgleichen CDVeröffentlichungen mehrerer Rapper.“22

Eine Kultur, die grundlegend inszenatorisch (vgl. Kap. 2.2.7), performativ (vgl. 2.2.5) und komparativ ist (vgl. Kap. 2.2.6), bringt zwangsläufig für das jeweilige Medium (hier: Sprache) auch kompetitive Techniken hervor, die die eigenen Vorzüge betonen (Boasting) und die des Anderen schmälern (Dissing). Allerdings lassen sich die Wirkungssphären dieser Techniken nicht, wie in obigem

19 Vgl etwa Androutsopoulos 2003b, Karrer 1996, Kautny 2009. 20 Klein/Friedrich 2003a, S. 39 21 Ebd. 22 Kautny 2008, S. 145.

D AS B OASTING | 137

Zitat, auf nur wenige Kulturprodukte wie Battles, Battle-Songs oder Beefs beschränken. Nach dem hier zugrunde liegenden Begriffsverständnis, das den aktiven Charakter der eigentlichen Tätigkeit in den Fokus rückt, sind Boasting und Dissing weit verbreitete Kulturpraktiken, die eine elementare Rolle bei der Profilbildung spielen und daher grundsätzlich in jedem Subgenre zu finden sind.

5.2 D AS B OASTING – B EGRIFFLICHE E INGRENZUNG Auch wenn die spezifische Kulturpraxis des Boastings im überwiegenden Teil der Publikationen zu Rap und HipHop Erwähnung findet, steht eine umfassende wissenschaftliche Grundlagenanalyse dieses Phänomens, das als elementarer Bestandteil der Repräsentationstraditionen nicht wegzudenken ist, bislang aus. Viele Beschreibungen, wie die Karrers, sind Ausdruck eines relativ engen Begriffsverständnisses: „Grundsituation ist das Aufschneiden, das boasting, das durch kleine Geschichten aus dem eigenen Leben gestützt wird, und direkt mit Tanzanweisungen an das Publikum verbunden wird.“23 Die verschiedenen Konzepte stimmen weitgehend darin überein, dass es sich beim Boasting um eine „ritualisierte Sprechhandlung“24 handelt, eine „verbale Strategie der Selbsterhöhung“25. Dieses sprachpragmatische Modell (das auch der Karrer’schen Kategorisierung zugrunde liegt) basiert auf einem funktionalen Erklärungsmuster, welches Boasting als elaborierte Technik verbalen Ausdrucks mit dem Ziel der „Selbsterhöhung“26 denkt. Diese Auffassung kulminiert gewissermaßen in der Reduktion des Phänomens als bloßes „Stilmittel“27. In dieser Arbeit, die Raptexte in erster Linie als performativ realisierte Selbstinszenierungen versteht, wird dieses Begriffsverständnis zugunsten einer etwas weiter gefassten Auslegung aufgegeben: Hier wird Boasting als im Rap nahezu allgegenwärtige Sprachpraxis aufgefasst, die überall da realisiert wird, wo Rapper – in kreativgestalterischer bis eindimensional-prahlerischer Weise – mithilfe sprachlicher Mittel ihr Profil generieren und modifizieren. Denn nicht alle Boastings sind derart offensichtlich und klar zu erkennen, wie im Fall des Refrains von Samy Deluxe „Der Beste“ (Samy Deluxe, „Der Beste“): „Ich bin immer noch der Beste hier!” (ebd.). Wie in diesem Kapitel anhand einiger Beispiele von Rappern un-

23 Karrer 1996, S. 32. 24 Androutsopoulos 2003b, S. 116. 25 Ismaiel-Wendt 2011, S. 259. 26 Ebd. 27 Klein/Friedrich 2003a, S. 39.

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terschiedlicher Stile und Profile verdeutlicht wird, nutzen Rapper verschiedenste Techniken, um sich selbst in das (aus ihrer Sicht) günstigste Licht zu rücken und gestalten auf diese Weise ihr charakteristisches Profil. Die dabei präferierten Images sind individuell und variieren in den wiedergespiegelten Idealen, Zielen, moralischen Vorstellungen usw. Dementsprechend unterscheiden sich die Boastings inhaltlich stark voneinander: Während die Einen sich in ihren Raps eloquenter, wortgewandter, verspielter, thematisch unverfänglicher und pazifistischer geben, richten Andere ihren Fokus darauf, direkter, unmittelbarer, brutaler und aggressiver zu wirken. Die Kulturpraxis des Boastings steht häufig in der Gefahr, auf vergleichende Formulierungen, die einer quasi sportlichen Schneller-höher-weiter-Prämisse folgen, reduziert zu werden. Die Boastings differieren jedoch nicht nur inhaltlich, sondern auch formal-strukturell, in ihrer Direktheit, der häufig konstatierten Selbstironie28, der sprachlichen Komplexität und ihrer klanglich-rezeptionsästhetischen Bedeutung. Um eine genauere Definitionssuche des Begriffes ‚Prahlerei‘ in diesem konkreten Zusammenhang zu vermeiden, werden im Folgenden als Boasting all jene Formulierungen eines Rap bezeichnet, die in ‚behauptender‘, konstatierender Weise Einfluss auf die jeweilige Profilbildung nehmen. Dabei wird Boasting immer als Sprechhandlung gedacht, die vom Interpreten, dem Verfasser selbst, performativ realisiert werden muss. Ausgehend von dem oben erwähnten engeren Boasting-Begriff entwirft Karrer eine Klassifizierung für Raptexte und begründet damit das funktionaltheoretische Subgenre des sogenannten ‚Boasting-Rap‘, auf das wiederum zahlreiche Forscher referieren.29 Eine fundierte Definition dieses kategorisierenden Begriffs steht bislang jedoch aus. Die Wissenschaftler klassifizieren dabei überwiegend anhand der ‚Funktion‘ des jeweiligen Rap.30 Basierend auf diesem Distinktionsmerkmal lässt sich jedoch eine Gruppe der ‚Boasting-Raps‘ nicht eindeutig bestimmen. Raptexte sind stets verbalisierte Selbstinszenierungen, mithilfe derer Rapper ihr Profil generieren, es permanent bestätigen oder weiterentwickeln. Dementsprechend könnte nur von ‚Boasting-Raps‘ im engeren Sinne gesprochen werden, wenn statt auf die funktionale, auf die inhaltlich-formale Ebene referiert und so jene Texte subsummiert würden, die ausschließlich aus formal-kreativen, aber inhaltlich-eindimensionalen Produktionsmechanismen um

28 Vgl. bei Ismaiel-Wendt: „Boasting ist eine Selbstüberhöhung mit einem Hauch von Selbstironie.“ (Ismaiel-Wendt 2011, S. 136.) 29 Vgl. etwa Kautny 2008, S. 142 ff., Menrath 2001, S. 60. 30 Menrath 2001, S. 60.

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die eigene Künstlerpersönlichkeit bestünden, ohne etwa je politische Aussagen zu treffen oder Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Themen darzustellen. Eine Kultur, die wesentlich geprägt ist von der permanenten Forderung nach „Inszenierung von Differenz, dem Zwang zur Repräsentation“31, bringt allerdings nur wenige derartige Produkte hervor. Die Unterscheidung zwischen profilstrategischen und boasting-freien Äußerungen scheint grundsätzlich nicht möglich. Im Kontext dieser Arbeit wird daher die Bezeichnung ‚Boasting-Rap‘ nur für jene Raptracks verwendet, die im engeren Sinne ausschließlich aus der wortreichen Selbstdarstellung des Rappers bestehen, wie etwa „Der Beste“ (Samy Deluxe, „Der Beste“) von Samy Deluxe oder „FrRrRrRrRr“ (F.R., „FrRrRrRrRr“) des Rappers F.R.. Hier geben die Musiker schon im Titel des Stückes unmissverständlich zu erkennen, dass diese Tracks nur dem kreativen Spiel des Boastings gewidmet sind. Diese Kategorie ist allerdings nicht, wie oben erläutert, in Abgrenzung zu anderen Attribuierungen zu verstehen. Denn selbst in solchen Texten, die vordergründig nur die eigene Person zum Gegenstand haben, können durchaus Inhalte transportiert werden, die als charakteristisch etwa für den sogenannten ‚Conscious-Rap‘32 oder den ‚politischen Rap‘ gelten. Gerade die Kulturpraxis des Boasting (und insbesondere die Boasting-Tracks), die im Folgenden weiter systematisiert und expliziert wird, brachte und bringt immer wieder Rappern den Kollektivvorwurf sinnentleerter „Phrasendrescherei“33 ein. Dabei lässt sich interessanterweise generell beobachten, dass auch szeneintern banale und eindimensionale Phrasen wie etwa die bereits zitierte Refrainzeile „ich bin immer noch der Beste hier“ (Samy Deluxe, „Der Beste“) einer besonderen Legitimation bedürfen, um akzeptiert zu werden. Wie zu sehen sein wird sind dabei generell drei gängige Begründungszusammenhänge zu erkennen: Entweder die entsprechenden Textstellen werden textimmanent oder performativ ironisch gebrochen (wie in obigem Fall), sie zeichnen sich durch eine besonders intensive – weil technisch anspruchsvolle und/oder humorvolle – semantische Pointe aus oder sie werden durch klangästhetische Besonderheiten (‚Primat des Klangs‘) legitimiert.34

31 Ismaiel-Wendt 2011, S. 68. 32 Ebd., S. 260. 33 CD-Rezension über Bushidos Album „Zeiten ändern dich“ auf computerbild.de unter http://bit.ly/1po18sM [Stand 2016-05-15]. 34 Interessanterweise scheinen lediglich innerhalb der Subkultur des sogenannten ‚Gangsta-Rap‘ zusätzliche Authentifizierungsstrategien als weiterer Begründungszu-

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Einer auf inhaltlich-semantische Kriterien fixierten Wissenschaft bieten derartige Stücke selbstverständlich keinen großen Erkenntnisgewinn. Versteht man diese Produktionen allerdings als kreative und individuelle Realisierungen eines durch teilweise standardisierte Produktions-, Inszenierungs- und Profilbildungsmechanismen hergestellten Kulturprodukts, eröffnen sich faszinierende neue Untersuchungsfelder. So bieten selbst derartige ‚Boasting-Raps‘ aus poetologischer sowie klang- bzw. rezeptionsästhetischer Perspektive aufschlussreiche Forschungsergebnisse. Denn interessanterweise gelten bei derartigen Stücken ebenso die aus anderen Bereichen bekannten Strukturprinzipien, auch hier muss die performative Selbstinszenierung des Künstlers – ob ironisch gebrochen oder narzistisch-naiv – in der Rezipientenwahrnehmung als authentisch glücken. Phrasen wie die oben zitierte müssen performativ realisiert werden und stehen im jeweiligen Kontext – ob auf CD, im Musikvideo oder beim Live-Gig vor Fans – in Bezug auf Glaubwürdigkeit und Authentizität auf dem Prüfstand. Dementsprechend entscheiden auch in diesem Zusammenhang Kriterien wie Kreativität, Individualität, Traditionsbewusstsein etc. (vgl. Kap. 2.2) über den Erfolg der Selbstinszenierung.

5.3 P RÄSENTATIONSVERFAHREN Zunächst werden einige zentrale standardisierte Verfahren zusammengetragen und erläutert, mit deren Hilfe Rapper sich selbst oder ihre Produkte profilstrategisch präsentieren. Einleitende Sprachpraxis zu Beginn vieler Raptracks beispielsweise ist das Nennen des eigenen Namens, eventuell des Produzenten, weiterer Co-Rapper, dem Produktionsjahr oder weiterer Angaben. Ähnlich dem beispielsweise von Radiomoderatoren bekannten ‚Voice-over‘, sind dabei erste Samples des Stückes bereits zu hören, der komplette Beat und das gesamte Klangspektrum des eigentlichen Tracks sind jedoch noch nicht zu hören. Häufig erklären HipHop-Forscher die Entwicklung dieses Ritus damit, dass die ersten MCs des US-amerikanischen HipHop DJs im eigentlichen Sinne waren, die während des Plattenauflegens beim Wechsel von einem zum nächsten Stück oder in musikalischen Pausen, das Publikum mit kurzen verbalen Einwürfen animierten.35 Einige Wissenschaftler gehen in diesem Kontext bei ihrer Spurensuche so-

sammenhang möglich, wie vor allem in den Kapiteln 7 bis 9 an einigen Stellen zu sehen sein wird. 35 Vgl. hierzu Elflein 2006, S. 26 ff., Klein/Friedrich 2003a, S. 20 ff., Mikos 2003, S. 66.

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gar zurück bis zu den Vorläufern der jamaikanischen Deejay-Tradition.36 In der vorliegenden Studie wird diese Sprachpraxis jedoch vielmehr als eine Form des Boastings interpretiert, die im Wesentlichen aus dem Nachahmen US-amerikanischer Vorbilder seit den 1980er Jahren resultiert: Durch das dezidierte Nennen des eigenen Namens, dem inszenierten Einführen quasi in der dritten Person, wird bereits eine überhöhende Grundsituation geschaffen, welche die Aufmerksamkeit weg von der Musik, hin zum sprachlich-musikalischen Inhalt der Rap-Stimme lenken soll. Die Nennung des DJs oder Produzenten und etwaiger Co-Rapper dient einem ähnlichen Ziel und stellt dabei gleichzeitig den Künstler als Teil eines größeren Teams dar.37 Diese Nennungen werden teilweise auch als Fremd-Samples eingebaut, wodurch ein spannungssteigender Effekt evoziert wird, ähnlich wie durch die Ansage eines Moderators oder Stadionsprechers. So ertönt etwa in dem Track „Champions“ (Samy Deluxe, „Champions“) von Samy Deluxe – von einer Kinderstimme vorgetragen und damit ironisch gebrochen – zunächst der Name des Gastrappers, des Gastgebers, einem akronymischen Bandnamen für dieses Projekt und schließlich der Titel des Albums: „Afrob! Samy Deluxe! ASD! Verdammtnochma!“ (ebd.). Besonders in Eröffnungstracks zu Rap-Alben, die häufig auch mit ‚Intro‘ betitelt werden, lassen sich derartige Ankündigungen finden. Massiv verwendet im Intro zu seinem Album „Meine Zeit“ (Massiv, „Meine Zeit“) zahlreiche Samples, die offensichtlich aus Medienbeiträgen wie Nachrichtensendungen extrahiert wurden und unterstreicht damit nicht nur seine Präsenz in den öffentlichen Medien. Durch O-Töne von Moderatoren aus Fernseh- und Radiosendungen lässt er außerdem seine Geschichte – etwa der Angriff eines Maskierten 2008 in Berlin38 – aus der dritten Person erzählen und gibt ihr damit einen dramatischeren Rahmen und einen stärkeren Realitätsbezug. Rapper Curse hingegen spricht im Intro zu dem Stück „Alles wird besser“ (Curse, „Alles wird besser“) selbst das ‚Voice-over‘ und kombiniert dabei standardisierte Begrüßungsmarker mit genrespezifischen Ausrufen: „yeah ladies und gentleman willkommen zurück yeah innere sicherheit, es fühlt sich sehr gut an wieder bei euch zu sein, ja lass uns gleich anfangen mit dem zeug“ (Curse, „Alles wird besser“)*. Repetierte Ausrufe wie das „Yo! Yo!“ in diesem Beispiel stehen häufig am Übergang zwischen in normalem Sprachgestus vorgetragenem Intro und dem

36 Vgl. Krims 2001, S. 55, Werner 2007, S. 208. 37 Zur besonderen Rolle der Lokalisierung im großstädtischen Umfeld vgl. Kap. 7.1. 38 „Der maskierte Täter feuerte drei Mal auf offener Straße in Berlin Neukölln. Seine Kugeln galten in der Nacht zum Dienstag dem bundesweit bekannten Rapper Massiv.“ (Massiv, „Hollyhood“)

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eigentlichen Rap der ersten Strophe. Diese Übergangslaute sind dabei häufig bereits im Metrum des später einsetzenden Beats rhythmisiert und könnten daher als ‚Einschwingen‘ oder ‚Eingrooven‘39 verstanden werden, mit dem sich der Musiker aus dem Sprechen in den Flow des Stückes bringt und einen Übergang vom Intro zum eigentlichen Hauptteil des Stückes schafft. Diese Form des Boastings erfüllt daher also auch performance-pragmatische Funktionen. Die sicherlich plakativste Form des Boastings mit dem eigenen Namen, findet sich in jenen Stücken, deren Refrain oder Hook Mehrfachnennung des Künstlers selbst beinhalten. Dabei können die Spielformen stark variieren: Wenn der eigene Künstlername in den Refrain mit einfließt, wird er häufig als Sample eingespielt, sodass er quasi von einem Dritten ausgesprochen wird. So wird etwa der Name der Rapperin Nina in der Hook des Tracks „Doppel X Chromosom“ (Nina, „Doppel X Chromosom“) jeweils von einem Scratch-Geräusch eingeleitet und von einer Männerstimme ausgesprochen, wodurch der Charakter eines Samples unterstrichen wird: „Ey, mein Name – [NINA] – MC meine Ambition“ (ebd.). In vielen Fällen führen Rapper mit den Tracks neue Alternativ-Bezeichnungen für sich selbst ein. So nennt sich Samy Deluxe im gleichnamigen Track „Wickeda MC“ (Samy Deluxe, „Wickeda MC“)40. Seine Eigenlobhymnen kulminieren im minimalistischen Refrain: Der Wickeda MC, Wickeda MC, / Wickeda MC, Sam Semilia! / Der Wickeda MC, Wickeda MC, / Wickeda MC, der Wickeda MC! (Samy Deluxe, „Wickeda MC“, Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001)

Rapper F.R. wiederum benutzt für die Mehrfachnennung seines Namens im Refrain eines Rapsongs ein Sample, das aus seinem Namen besteht, der mit lang gezogenem, rollendem ‚R‘ artikuliert wird, während die Stimme des Sprechers – vermutlich der Rapper selbst – ein abwärts geführtes Glissando vollzieht. Dementsprechend nennt er diesen Track auch „FrRrRrRrRr“ (F.R., „FrRrRrRrRr“). Rapper Bass Sultan Hengzt zerlegt einen Teil seines Künstlernamens in „H.E.N.gzt” (Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt”), indem er Wörter expliziert, die Bestandteile des Akronyms sein könnten:

39 Vgl. Forman 2009, S. 27. 40 Man beachte, dass bereits der Albumname mit dem Namen des Künstlers identisch ist („Samy Deluxe“).

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‚H‘ - ist mein Hass und ich lasse ihn heraus / ‚E‘ - Eko ist ein Opfer und ich lach’ ihn aus / ‚N‘ - Ihr seid alle neidisch auf mich / ‚GZT‘ - Warum findet ihr den Reim nicht? (Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt”, Album „Der Schmetterlingseffekt“, Amstaff 2007)

Die oben skizzierte Methode, sich selbst aus der Sicht Dritter zu präsentieren, ist generell auch in den Strophen von Rapstücken gängige Praxis. So rappen Creutzfeld & Jakob: „Sobald Du Deine Schwächen zeigst, ist Creutzfeld da, um zuzuschlagen.“ (Creutzfeld & Jakob, „Auge des Sturms“). Thomas D äußert aus Sicht eines fiktiven weiblichen Fans über die eigene Band „und werden auch die Pausen länger sie sind der Dauerbrenner“ (Die Fantastischen Vier, „Du und sie und wir“). Die Fantastischen Vier liefern auch zahlreiche Beispiele dafür, dass es sich in Gruppen mit mehreren Rappern anbietet, übereinander zu boasten: So rappt Thomas D im gleichen Stück aus derselben Perspektive über seinen Bandkollegen „ich brauch ‘nen echten Mann nicht schlechten Sprechgesang / einen wie Michi Beck der wär der Richtige“ (ebd.).

5.4 ‚S KILLZ ‘

UND

‚S TYLEZ ‘

Durch das in Kapitel 2.2.6 beschriebene szenespezifische Grundprinzip der Agonalität ist es vor allem anderen von Bedeutung, seine eigenen – zunächst einmal technischen – Fähigkeit als Rapper zu rühmen, die ‚skills‘ bzw. typografisch modifiziert „skillz“41: „und seid sicher, die Skills sind tight“ (Samy Deluxe, „Hausfriedensbruch“), „Creutzfeld Jakob, endlich wieder Skills und Styles!“ (Creutzfeld & Jakob, „Anfangsstadium“), „unsere Skillz sind einfach härter“ (Spax, „24-365 (Volles Programm)“). Dabei werden die einzelnen Kriterien wie der generelle Flow (s.a. Kap. 4), Versiertheit in der Reimtechnik, Synchronizität mit dem Beat etc. zumeist in – mehr oder minder kreativen – metaphorischen Wortkompositionen lobend thematisiert: „Mein Flow ist die Lücke zwischen dope und unbegreiflich“42 (Kool Savas, „16-2“) behauptet beispielsweise Kool Savas. Rapperin Kitty Kat erklärt „Der Flow sitzt!“ (Kitty Kat, „Es gibt kein Zurück“) oder „Ich flow’ perfekt!“ (Kitty Kat, „Miyo!”). Samy Deluxe boastet „Ich dichte wie’n Kranker, lichte die Anker, und Leinen los. / Mit Rhyme-Flows, die du nicht annähernd einholst.“ (Samy Deluxe, „So soll's sein“).

41 Wippermann 2000, S. 78. 42 Die Bezeichnung ‚dope‘ steht hier für etwas außergewöhnlich Gutes, vgl. ebd., S. 199.

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Flow gehört zu jenen Ereignis-Phänomenen, die beim Rappen nicht fehlen dürfen. Entsprechend der in der HipHop-Kultur überwiegend demonstrierten Lässigkeit oder ‚Coolness‘43 wird dabei vielfach betont, wie selbstverständlich und unangestrengt jene Fähigkeiten erworben wurden. So unterstreichen etwa die Mitglieder der HipHop-Formation Fettes Brot die Natürlichkeit ihrer Rapfähigkeiten mit den Worten „wir ham den Flow von Muddi und die Styles von Daddy“ (Fettes Brot, „Ruf mich an“). Samy Deluxe reimt: Dafür sind andere MCs jetzt abgefuckt / wie tight der Typ die Texte auf Takte packt. / Das Ding dabei: Ich hab nicht mal nachgedacht, / sie nur nach ‘ner durchgemachten Nacht aufs Blatt gebracht. (Samy Deluxe, „So soll’s sein“, Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001).

Elementarer Bestandteil eines als gelungen angesehenen Flows ist, wie in den Kapiteln 4.1 bis 4.3 beschrieben, auch die Synchronizität mit dem zugrunde liegenden Beat. Dementsprechend konstatiert Samy Deluxe in obigem Beispiel über sich selbst „wie tight der Typ die Texte auf Takte packt“ (Samy Deluxe, „So soll's sein“) und bei der HipHop-Formation Huss und Hodn heißt es „Ich passe in den Beat wie schöne Nutten in Bikinis“ (Huss und Hodn, „Nich so schwuu“). Da die Erlebniskategorie des Flows maßgeblich vom souveränen Umgang mit Reimen abhängig ist, spielen vor allem Reimfertigkeiten eine Rolle: „Wir setzen beim Zeilenschreiben meilenweise Meilensteine, / bleiben beileibe die Meister der tightesten Reime.“ (Spax, „Supreme Superior“). Gleichzeitig demonstrieren einige Rapper hingegen auch ihre künstlerische Eigenständigkeit oder unangepasste Individualität durch die vermeintliche Freiheit vom Zwang zu reimen: Rapperin Kitty Kat konstatiert selbstbewusst „Scheiß auf Reim, Kitty Kat hat ihren eigenen Flow!“ (Kitty Kat, „Fliegen üben“) und Kool Savas rappt „sagt S-A-V-A-S, der Rest braucht nicht mehr zu reimen“ (Kool Savas, „Alle in einem“). Das Freestylen, also das mehr oder weniger spontane und unvorbereitete Ad-hoc-Rappen, gilt generell als Paradedisziplin, um die eigenen Skills live unter Beweis zu stellen. Dementsprechend begründet Spax in „Supreme Superior“ (Spax, „Supreme Superior“) den ihm und seinem Co-Rapper entgegengebrachten Respekt mit den Worten „weil wir was machen, was die meisten meiden - Freestyles reimen, / und zwar so tighte Lines, die selbst die Fleißigsten zu Hause nicht schreiben“ (ebd.).

43 Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 43.

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Aus Gründen der Distinktion, des ‚Zwangs zur Individualisierung‘ (vgl. Kap. 2.2.7) und des Wettbewerbs (vgl. Kap. 2.2.6) sind Rapper immer auch bestrebt, ihr kreatives und innovatives Potenzial unter Beweis zu stellen. Ein wesentlicher Austragungsort ist dabei neben den oben erwähnten Skills auch der individuelle Style (häufig auch in der Mehrzahl ‚Styles‘ verwendet), nämlich die individuelle Handschrift eines Rappers, die er performativ herstellt.44 Infolgedessen ist dieser häufig Gegenstand beim Boasting. „Mein Name steht für Burner-Stylez“ (David P. in Spax, „Supreme Superior“)* behauptet Rapper David P.. Der individuelle Stil wird damit auch zum zentralen Austragungsort des in Kapitel 2.2.7 beschriebenen Oszillierens zwischen Traditionalismus und Innovation. So lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen Rapper ihre eigene Kreativität rühmen, Konkurrenten als Nachahmer degradieren und sich selbst als Trendsetter inszenieren. Ein Beispiel liefern Creutzfeld & Jakob in dem Track „Anfangsstadium“ (Creutzfeld & Jakob, „Anfangsstadium“): „Die Zeit ist reif für den neuen Scheiß“ (ebd.) lauten die ersten Worte des Stückes. Später heißt es über die eigene Produktion „Das ist neu und fresh.“ (ebd.) und schließlich „Die neusten Styles werden geboren und wenn’s nicht klappt, dann eben neu von vorn.“ (ebd.). Rapper Fler erklärt seine Einzigartigkeit mit der in sich kreisenden Wortkomposition „Ich bin anders als die Anderen. / Alle Anderen sind nicht alle anders als die Anderen“ (Fler in Tony D et al., „5 krasse Rapper“). In Berlin herrscht dabei vor allem bei den Rappern, die mit ihrem aggressiven Image in der Tradition des ehemaligen Labels „Aggro Berlin“ stehen, ein rauerer Ton: „Die Hundesöhne! Warum habt ihr unser’n Style geklaut?“ (Automatikk, „1000 Jungs“). Beispielhaft sei hier Bushidos Track „Ein Mann Armee“ (Bushido, „Ein Mann Armee“) angeführt. „Ich hab’ den Weg geebnet, hart sein ist Mode“ (ebd.) textet der Rapper in der ersten Strophe.45 Später führt er aus: Ghetto – ich war der erste Rapper hier in Deutschland, / der dieses Wort in einen Text gepackt hat, ihr Heuchler! / ‚Bordstein‘, ‚Skyline‘, ‚Street‘ – meine Wortwahl. / Ihr habt euch bedient. 030 meine Vorwahl. Es tut mir Leid, leider war keiner von euch ‚G‘46, / Denn selbst die beste Kopie, bleibt ‘ne Kopie (Bushido, „Ein Mann Armee“, Album „Zeiten ändern dich“, Ersguterjunge 2010)

44 Vgl. ebd., S. 37. 45 Zu den tatsächlichen historischen Zusammenhängen vgl. Szillus 2012b. 46 ‚G‘ wird hier englisch ausgesprochenen und steht als Abkürzung für ‚Gangster‘. (Vgl. etwa Elflein 2006, S. 11-30.)

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Pointiert bringt der Rapper seine angebliche Vormachtstellung schließlich im Refrain zum Ausdruck: „Denn ich bleib’ Gangsta-Rap sein Vater“ (ebd.). Der Track aus dem die zitierten Zeilen stammen, steht im Zusammenhang mit einem Beef (vgl. Kap. 2.2.6) zwischen den Rappern Bushido und Bass Sultan Hengzt und ist nicht zuletzt auch im Kontext wiederkehrender Plagiatsvorwürfe zu sehen, wie beispielsweise jenen in dem Diss-Track „Ex-Guter Junge“ von Bass Sultan Hengzt (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“) formulierten: „Jeder Kinack weiß, dass du mein Image geklaut hast.“ (ebd.). Der verbale Kampf um Originalität und Kopie, um Trendsetter und Mitläufer, um geistiges Eigentum und dessen Diebstahl zieht sich durch sämtliche Stile und Subgenres. Allerdings unterscheidet sich das Boasting in diesem Bereich stark in verbaler Vehemenz und Direktheit, in der transportierten Ironie, sowie in den sprachlichen Metaphern und Vergleichen. Unschuldig und harmlos wirken beispielsweise im Vergleich zu den oben zitierten Boastings die Warnungen von Rapper Lakman: „MCs gucken, wie ich meinen Text setz’, doch wehe, einer schreibt ab!“ (Creutzfeld & Jakob, „Auge des Sturms“). David P. zeigt sich etwaigen Nachahmern gegenüber selbstbewusst: „diese Klone und Kopien stellt unsere Gegenwart in’ Schatten“ (David P. in Spax, „Supreme Superior“). Eine eher selten realisierte Form des mittelbaren Boastings lässt sich anhand des hörspielartig inszenierten Intros zu Sidos „Fuffis im Club“ (Sido, „Fuffis im Club“) veranschaulichen: Zunächst hört man den Rapper mit übertriebener GuteLaune-Attitüde folgenden Text sprechen (Zeile 1-3) und rappen (Zeile 4-6): [Ah yeah!] 2003! Bei Headrush im Studio! Es ist ein heißer Tag und ich habe etwas geschrieben für einen heißen Tag mit dem richtigen Groove! [Waaa!] Spüre diesen Fuß, lass’ mich in dich hinein! / Öffne deine Tür und lasse mich hinein! / Spüre diesen Fuß und lass’ mich hinein! (Sido, „Fuffis im Club“, Album „Maske“, Aggro Berlin 2004)

Nachdem die Hintergrundmusik mit einem Effekt, als würde ein Tonband oder eine Schallplatte verlangsamt und schließlich zum Stillstand gebracht, endet und den Rapper offensichtlich aus seinem Sprachfluss bringt, ist wie aus dem Regieraum eines Tonstudios die Stimme einer zweiten Person zu hören: „Ey Sido, das kenn’ ich irgendwoher! Lass’ mal lieber ‘was Neues machen, okay?“ (ebd.). Sowohl der zugrunde liegende Beat als auch der Text sind Zitate aus dem Track „Spüre diesen Groove“ von MC Rene (MC Rene, „Spüre diesen Groove“) aus

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dem Jahr 1995.47 Der Text ist im Vergleich zu den entsprechenden Zeilen des Originals nur leicht verändert: [Ah yeah!] Neunzehnhundertfünfundneunzig! Bei Headrush im Studio! Es ist ein heißer Tag und ich habe etwas geschrieben für einen heißen Tag mit dem richtigen Groove! [Waaa!] Spüre diesen Groove, lass’ mich in Dich hinein! / Öffne Deine Tür und lass’ mich hinein! / Spürst Du diesen Groove, dann lasse mich hinein! (MC Rene, „Spüre diesen Groove“, Album „Renevolution“, MZEE 1995)

Durch die Veränderung der Hook in „Spüre diesen Fuß!“ (Sido, „Fuffis im Club“), dem stilisierten, karikierenden Sprechgestus Sidos und die Verwendung des Originalsamples entsteht ein komischer Effekt. Dies ist zum einen auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Darbietungsweise des Rap nicht dem Profil des Rappers entspricht, wohingegen die Textänderung mit einer neuen, asozialen Komponente durchaus mit dem Stil des Musikers korrespondiert. Außerdem erinnert die musikalische Begleitung durch die Verwendung der Originalsamples an die Produktionen der sogenannten ‚old school‘48 und wirkt damit aus heutiger Sicht antiquiert. Während Sido hier also die kontrastierende Gegenüberstellung nutzt, um sich als moderner und innovativer Musiker zu inszenieren, dient Huss und Hodn in „Strassenraep“ (Huss und Hodn, „Strassenraep“) diese Technik dazu, sich vom ‚Gangsta‘-Rap abzugrenzen. Zunächst boastet der Rapper der Formation, Kurt Hustle, der bereits vor der ersten gerappten Silbe die genrespezifische Praxis des ‚Eingroovens‘ (vgl. Kap. 5.3) karikiert: Meine Freunde atmen keine Luft ein, nein, sondern Kokain. / Er ist sechs aber ich verkauf’ es sogar ihm, / weil ich bin hart. Ich hab’ nie etwas gelesen. / Mit zwei Jahren bin ich schon im Knast gewesen. / […] Dein Block ist hart aber meiner ist härter. (Huss und Hodn, „Strassenraep“, Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2008)

47 Offensichtlich handelt es sich bei dem verwendeten Beat sogar um das Originalsample aus dem Song „North Carolina“ des US-amerikanischen Jazz- und Soulsängers und Pianisten Les McCann (Les McCann, „North Carolina“), den auch MC Rene schon verarbeitet hatte (Vgl. http://bit.ly/SzeKGS [Stand 2016-07-23]). 48 Vgl. Karrer/Kerkhoff 1996, S. 7.

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Die Stimme des DJs Hulk Hodn aus dem Aufnahmeraum unterbricht den Rapper und stellt ihn zur Rede: „Alter, willst du mich verarschen?“ (ebd.). Der Dialog endet mit der Aufforderung des DJs „Alter, verpiss dich, Mann! Du rappst jetzt wieder normal!“ (ebd.) und der darauf folgenden Entschuldigung des Rappers „Ja, okay. Ich wollt’ ja nur mal neue Styles ausprobieren.“ (ebd.).

5.5 W IRKUNGSÄSTHETIK

IM

B OASTING

Eine der in Raptexten am häufigsten anzutreffenden Methoden des Boastings ist das Beschreiben der durch den Rap beim Rezipienten vorgeblich evozierten Effekte mithilfe von bildhaften Vergleichen und metaphorischen Illustrationen. Gegenstand der Beschreibung können sämtliche Einzelbereiche der Rap-Skills sein. So verweist Azad etwa auf seinen Flow, „mein Flow brennt alles nieder“ (Azad, „Mein Block“), während Lakman explizit seine Reimfähigkeiten in Fokus rückt mit „Ich hab’ Dich und schlag’ zu. Denn jeder meiner Rhymes boxt sich durch, als ob er im Knast ist.“ (Creutzfeld & Jakob, „Auge des Sturms“) und Retrogott von Huss und Hodn formuliert „Rapper fürchten meine Raps. [Warum?] Weil sie wie Aids töten.“ (Retrogott in Huss und Hodn, „Radiowecker“). Je nach Profil des jeweiligen Rappers werden unterschiedliche Effekte positiv gewertet und als erzielte Zustände beschrieben. Einige der geboasteten Zeilen beschreiben dabei Zielsetzungen populärer Musik als primär unterhaltungsorientierte Kulturprodukte, gemäß Ninas Motto „ich will nur eins: mit mei’m Rappen Häuser rocken“ (Nina, „Doppel X Chromosom“). So boastet etwa auch Buddy Inflagranti „Ihr […] tanzt so heftig, dass ihr mit euren Füssen den Boden schruppt.“ (Deichkind, „Bon voyage“) und Johnny Mo rappt „Ich bring’ die Massen zum Kochen, du scheiterst an ‘ner Suppe / Ich hab’ die Fäden in der Hand, deshalb tanzt jede Puppe“ (Johnny Mo in Marteria, „Fusion 2007“). Der überwiegende Teil der Rapper verortet die eigentliche Qualität und Macht seiner Produktionen im Inhalt der Lyrics, in der ‚Durchschlagskraft‘ seiner Worte. „Das hier ist Massakerrap, da hilft dir auch kein Doubletime / Molotow-Punchline, das hier braucht kein’ Waffenschein“ (Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt”) rappt Bass Sultan Hengzt. Nicht nur die Skills und Styles sollen das Gegenüber beeindrucken, sondern zuvorderst auch der semantische Gehalt der Texte. Doch während derartige Boastings vor allem in Richtung anderer Mitkonkurrenten zielen, rücken andere den Rezipienten in den Mittelpunkt. Auch in den auf Konsumentenseite beabsichtigten Auswirkungen und Effekten unterscheiden sich die Rapper untereinander. So erklärt David P. „bring’ die Leute auf Gedanken - wie Psychopharmaka” (David P. in Spax, „Supreme Supe-

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rior“), Lakman behauptet „Die Infektion ist schon passiert, von mir am Mic hypnotisiert“ (Creutzfeld & Jakob, „Anfangsstadium“). Dabei ist für die Wirkung bei den Rezipienten wieder das „Konzept von ‚keeping it real‘“49 von enormer Bedeutung. Dementsprechend kreist eine Vielzahl von Boasting-Zeilen um die Glaubwürdigkeit des jeweiligen Rappers, wie bei David P. in „Wir sehen die Dinge wie sie sind, ihr Spinner schwelgt in Utopien“ (David P. in Spax, „Supreme Superior“) und „Ich hab’ den Sachverhalt studiert, der Wahrheit ins Gesicht geblickt, / es zählt nicht, was du hören willst, es geht darum wie es wirklich ist.“ (ebd.). Damit attestiert er seinen Zeilen einen ähnlichen Wahrheitsgehalt wie Rapper Azad, wenn dieser boastet „Ich knall’ die Fakten wie Schellen auf den Tisch.“ (Azad, „Mein Block“). Wichtiger Bestandteil dieser Inszenierung von Glaubwürdigkeit ist auch das Herausstellen der eigenen Konsequenz und Weitsicht, sich selbst und seinen Idealen treu zu bleiben und sich nicht von allgemeinen Trends oder Gedankengut des Mainstream beeinflussen zu lassen. So erklärt Nina etwa „Ich lass mir nicht ‘reinreden, ich werd’ mein’ Weg gehen“ (Nina, „Doppel X Chromosom“) und David P. behauptet „dank meiner Strategie bin ich nicht assimiliert“ (David P. in Afrob, „Alles Lüge“). Gängige und einfache Methode in diesem Zusammenhang ist außerdem, den Kontrahenten oder die anonyme Masse anderer MCs als Lügner und Heuchler darzustellen, wie in Spax‘ Zeilen „Wofür wir beiden Applaus kriegen, dass die Lügen der anderen auffliegen, / Betrügereien kann man nicht aufziehen, wenn Scheiben von uns aufliegen.“ (Spax, „Supreme Superior“) oder im Boasting von David P. „das ganze Heuchlerpack entlarvt, keine Maske hält perfekt“ (ebd.), und Afrob rappt „ich mein’ den whacken Mainstream und den aufgesetzten Untergrund“ (Afrob feat. Ferris MC, „The return of Reimemonster”). Die Inszenierungen anderer Rapper werden als „fake“50 diffamiert, so stellt etwa auch Nina dem ‚Gepose‘, dem offensichtlich vorgetäuschten So-tun-als-ob, tatsächliche Authentizität gegenüber: mich interessiert nur wie sehr du du bist und das heißt: / doofes Gepose von deutschen Mittelstandskids, die bei ihren Eltern / wohn’ und mit ihrer Posse Ghettogewohnheiten proben (Nina, „Doppel X Chromosom“, Album „Nikita”, Motor Music 2001)

Das Gegenteil von gehaltloser Oberflächlichkeit wird häufig mit dem aus dem Englischen übernommenen Ausdruck ‚deep‘ beschrieben: „Es geht darum, wie deep Du bist, weil Rappen keine Peep-Show ist.“ (Creutzfeld & Jakob, „An-

49 Elflein 2006, S. 25. 50 Klein/Friedrich 2003a, S. 160.

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fangsstadium“). Die Erklärungsmuster für die in den eigenen Texten vermittelte ‚Tiefe‘ sind unterschiedlich. Rapper wie Flipstar, Spax oder Samy Deluxe belegen den Gehalt ihrer Raps mit der Unmittelbarkeit des persönlichen Ausdrucks und der dabei wirksamen Ernsthaftigkeit, wie zum Beispiel in den Zeilen „Ich scheiss’ auf eure klinisch toten Tracks. Mein Album stinkt nach Schweiß, denn das ist meins und kommt von mir persönlich“ (ebd.) oder in der Aussage „Denn ich allein steck’ in diesen Scheiß schon so viel Liebe rein“ (Samy Deluxe, „Positiv“).51

5.6 G HETTOKIND , S TRASSENJUNGE

UND HARTE

K ERLE

Rapper wie Baba Saad, Massiv oder Bushido verfolgen hingegen primär eine andere Authentifizierungsstrategie: Sie fokussieren im Wesentlichen ihre „street credibility“52 und begründen die Glaubwürdigkeit ihrer Lyrics mit zahlreichen Belegen für die ursächlichen, biografischen Auslöser ihrer gegenwärtige Persönlichkeitsstruktur: Die Stilisierung einer persönlichen Vergangenheit voller Gewalt und Illegalität, Entbehrung und Überlebenskampf dient der Eigeninszenierung als ‚harter Kerl‘53 bzw. ‚toughe Kriegerin‘54. Beispielhaft kann hier Rapper Bass Sultan Hengzt zitiert werden: „Ich komm nach einem Jahr zurück und hab Beton in meiner Brust.“ (Bass Sultan Hengzt, „Schmetterlingseffekt“) zeigt nur eines von vielen metaphorischen Bildern, das Rapper einsetzen, um ihre ‚Härte‘ zu symbolisieren, ebenso wie „Leg’ dein’ Hass mal kurz zur Seite und erkenne, wie viel Liter Blut ich über Zeilen schreibe!“ (ebd.). Um zu unterstreichen, dass er nicht nur in Raptexten und -videos ein ‚harter Kerl‘ ist, sondern auch außerhalb der künstlerischen Inszenierung, boastet er über sich und Co-Rapper King Orgasmus One, sie seien „auch hart in Interviews“ (Bass Sultan Hengzt, „Battle dies und das“). Derartige Inszenierungen

51 K.I.Z. brechen diese Boasting-Praxis ironisch in dem Track „Töten“ in den Zeilen „mein Album war krass, dein Album war krasser / ich übergieße meinen Ghostwriter mit kochendem Wasser“ (K.I.Z., „Töten“, Album „Sexismus gegen Rechts“, Royal Bunker 2009). 52 Klein/Friedrich 2003a, S. 40 ff. 53 Vgl. etwa Kanehl/Zill 2009, S. 6. 54 Vgl. etwa „Kriegerin“ (Kitty Kat, „Kriegerin“, Album „Pink Mafia“, Urban 2011) von Kitty Kat.

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können als Charakteristikum jener Produktionen konstatiert werden, die häufig unter dem Sammelbegriff ‚Gangsta-Rap‘ zusammengefasst werden.55 Während „die Ästhetisierung der eigenen Situation“56 durch den Künstler die ‚Ghetto-Kultur‘ für den außenstehenden Teil der Konsumenten überhaupt erst zugänglich macht, wird ein anderer Teil der Rezipienten durch eine Form der Solidarisierung gezielt angesprochen, wie sie bei Kitty Kat in dem Titel „Ich bin eine von euch“ wohl am deutlichsten zu beobachten ist: Die Aussage lautet unverblümt und direkt „Ich weiß wie ihr fühlt, denn ich bin eine von euch!“ (Kitty Kat, „Ich bin eine von euch“). In einem weiteren Track konstatiert sie „doch […] bis jetzt sind meine Taschen noch ziemlich leer / wie ihr schon wisst, ich mach’ den Shit für die Straßen“ (Kitty Kat, „Still a real bitch“). In ähnlicher Weise rappt Sido über sich selbst „Ich bin ein Ghettokind“ (Sido, „Strassenjunge“) und im gleichen Stück, das programmatisch mit „Strassenjunge“ betitel ist, „Ich bin nur ein Junge von der Straße“ (ebd.). Massiv behauptet: „Hier spricht die Straße“ (Massiv feat. Sido, „Das ist die Strasse“). Rapper Kollegah benennt unmittelbar die vermeintlichen Adressaten seiner Musik – „für junge Ghettokids aus der Bundesrepublik“ (Kollegah in Casper feat. Kollegah, „Strasse 2“) – und Massiv veröffentlicht den programmatischen Titel „Einer aus dem Volk“ (Massiv, „Einer aus dem Volk“). Die Beispiele für Boastings, in denen die Rapper ihr kriminelles und damit toughes oder ‚hartes‘ Profil mit Beschreibungen ihres vergangenen oder sogar noch aktuellen Lebens in sozialer Benachteiligung und/oder Illegalität kreieren, gehören mit zu den am häufigsten anzutreffenden Lyrics im analysierten Textkorpus. Sie zeichnen sich durch eine „Negatividealisierung des Lebens in benachteiligten Stadtvierteln“57 und die „Umkehrung des Ausgrenzungsverhältnisses“58 aus (vgl. etwa auch Kap. 10.3 und 11.2) und stammen überwiegend von Rappern aus Großstädten wie Berlin und Frankfurt. Derartige Boastings beinhalten Illustrationen stereotypisierter Bilder des ‚Gangsta-Rappers‘. In erster Linie zählt dazu Dealerei („Ich hab ‘nen Nebenjob, nebenbei mit Hero dealen“ – Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt”), der persönliche Kontakt zu Dealern („Alle Leute wissen, dass in meinem Bezirk die Dealer wohnen“ – Bushido, „Sonnenbank Flavour“), zumindest aber Drogenkonsum („In meinem Block wächst man auf mit Hasch und Beton“ – Azad, „Mein Block“). Darüber hinaus werden seltener auch Prostitution und Zuhälterwirtschaft („der Pimp im Chefsessel“ – Kollegah

55 Zur Gattungsproblematik vgl. besonders Kap. 1.1.2. 56 Jacob 1996, S. 179. 57 Janitzki 2012, S. 300. 58 Ebd.

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in Casper, „Strasse 2“)59 sowie Waffengeschäfte („Sankt Pauli-Pumpguns geh’n über’n Ladentisch“ – Nate57, „Nate57“) thematisiert. Zur Herstellung der Suggestion einer „Boss-Aura“60 gehören Aufzählungen von Statussymbolen, wie Kampfhunde („Jeder Dritte hat einen Pit, weil jeder Vierte versucht Dich zu ficken“ – Azad, „Mein Block“) und imageträchtige Wagen: „Ich trag’ Bomberjacke, sitze im Benz, lass’ den Beat bangen, Weed brennen, fahr’ zu meinen Gangstern.“ (ebd.). Wie dieses Beispiel zeigt, werden auch einzelne Kleidungsstücke mit dem Stereotyp des Gangstas assoziiert, wie etwa „Silberketten, Lederjacken“ (Bushido in Bushido & Fler aka Sonny Black & Frank White, „Heavy Metal Payback“). Der ‚Selbstschmuck der Illegalität‘ ist immer auch eine Selbstdarstellung als ‚Outlaw‘, für den die Regeln und Normen der ihn umgebenden Gesellschaft nicht gelten. Aber auch für Rapper, die nicht auf ein Gangsta-Image referieren, ist die Inszenierung als freier Künstler mit einer Botschaft – etwa vergleichbar mit dem Narren am Hofe, der als Einziger die Wahrheit vor der Obrigkeit aussprechen kann – von Bedeutung, wie etwa in „David Pe und Spax - für die kein Mensch die Regeln setzt.“ (David P. in Spax, „Supreme Superior“) und in „sprech ich aus worauf ich Bock hab“ (Afrob, „Alles Lüge“).

5.7 G EWALTFOKUSSIERENDE B OASTINGS Neben den genannten Strategien ist es jedoch vor allem die verbale Inszenierung von Gewalt und die dadurch ausgeübte und transportierte Macht, die Rapper nutzen, um etwa ein Gangsta-Profil zu generieren und zu etablieren.61 In den meisten Fällen liegt der Fokus auf der reinen Drohgebärde, wie in Kitty Kats „Plagst du mich, dann klatsch’ ich dich!“ (Kitty Kat, „Es gibt kein Zurück“) oder in Sidos „Pass auf, sonst gibt’s Klatsche!“ (Sido in Fler feat. Sido, „Therapie“), um gefährlicher, härter und ernstzunehmender zu wirken. Wie weit dabei die einzelnen Künstler in ihren Androhungen gehen, variiert stark, wie die folgenden Beispiele von Rokko81 und Tony D zeigen, die sich deutlich in Aggressivität und Vehemenz der benutzten Bilder von den obigen Zitaten unterscheiden: „Ich reiße alles in Stücke, zerdrücke dich wie ein’ Toast“ (Tony D et al., „5

59 Zur Figur des „Pimp “ vgl. etwa Litzbach 2011, S. 23 f. 60 Kollegah in „Strasse 2“ (Casper, „Strasse 2“). 61 Den engen Zusammenhang zwischen Darstellungen körperlicher Gewalt und Männlichkeitskonstruktionen im deutschsprachigen Rap arbeitete insbesondere Gossmann exemplarisch heraus (Gossmann 2012).

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krasse Rapper“), „hab mein Butterfly dabei, um dich zu schlachten, wie ein Schwein“ (Rokko81 in Automatikk, „Ghettopräsident Pt. 2“). „Du bist meine Beute, lass’ dich bluten wie beim Opferfest / Exekution, Kopf Richtung Wand, du Schwein!“ (Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt”) boastet Bass Sultan Hengzt und greift damit gleich auf mehrere stereotype Darstellungstechniken zurück: Metaphorische Formulierungen aus dem semantischen Feld ‚Jagd‘ (hier: „Beute“) gehören genauso zum Standardrepertoire gewaltzentrierter Texte, wie mit ‚Krieg‘ assoziierte Ausdrücke (hier: „Exekution“, „Kopf Richtung Wand!“, ebd.). Außerdem werden die Zeilen durch die Erwähnung des „Opferfestes“ religiös konnotiert. Die Beleidigung schließlich verschärft zusätzlich den aggressiven Impetus des Rap. In einem anderen Track boastet Bass Sultan Hengzt „Jeder weiß, Sonny Black, hab’ auf Tour dich geboxt.“ (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“) und nimmt damit Bezug auf ein konkretes Zusammentreffen mit Rapper Bushido (alias Sonny Black), wodurch ein besonderer Realitätsbezug hergestellt wird. Derartige Rückbezüge auf reale Vorkommnisse sind in deutschen Raptexten jedoch eher selten anzutreffen. Gewaltfokussierende Boastings zielen jeweils darauf ab, eine möglichst eindeutige Machtkonstellation zu beschreiben. Eine Möglichkeit ist daher etwa auch die Referenz auf altershierarchische Strukturen, wie zwischen Erwachsenen und Kindern, wie in „ich erzieh’ dich Bengel und deine Jungs auch“ (Kitty Kat, „Miyo!“). Eine weit verbreitete Technik der Darstellung von Machtstrukturen ist außerdem, Vergleiche aus dem Bereich Sexualität zu verwenden, wie vor allem in Kapitel 8 zu sehen sein wird. Zum einen werden dabei natürlich die eigenen positiven Eigenschaften gerühmt, wie etwa in „Heiß, heiß, japp, ich bin heiß, heiß, heiß, heiß!“ (Kitty Kat, „Heiß“), oder die eigene sexuelle Attraktivität beschrieben: „deine deutschen Frauen, wollen ‘ne Nummer mit dem Türken schieben“ (Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt”). Wie das letzte Beispiel aber schon verdeutlicht, ist die Darstellung von Sexualität fast immer auch an weitere Referenzen auf Machtstrukturen gekoppelt. Hier wird beispielsweise impliziert, dass durch sexuelle Attraktivität eine für gesetzt konstatierte Disposition (angezeigt durch das Possessivpronomen „deine“) durchbrochen werden und sogar Tabubrüche (rassistisch idealisierend geboastet durch die Eigenbezeichnung „der Türke“) legitimiert werden können. Die von Bass Sultan Hengzt stammenden Behauptungen „ich lass’ mir immer noch ein’ blasen, klatsche Nutten auf’n Hintern“ (Bass Sultan Hengzt, „Battle dies und das“) und „ich mach Gangbang, Atze, und du darfst dafür deine Freundin filmen“ (ebd.) zeigen exemplarisch, dass der Beschreibung einiger Sexualpraktiken bereits eine symbolische hierarchische Ordnung inhärent ist und immer wieder auf Schilderungen herabwürdigender Gesten zurückgegriffen wird. Vor diesem Hintergrund sind auch die von Kitty

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Kat mehrfach wiederholten Zeilen „Ich bin ‘ne Frau, aber wäre ich ‘n Mann / würd’ ich dir jetzt sagen ‚Alter, lutsch’ mein’ Schwanz!‘“ (Kitty Kat, „Bitchfresse”) einzuordnen. Die Aufforderung „lutsch’ mein’ Schwanz!“ (ebd.) ist ein direktes Zitat von Kool Savas‘ populärem, gleichnamigen Stück (Kool Savas, „LMS“) und teilweise als Originalsample aus dem Ursprungtrack zu hören. Damit setzt sich Kitty Kat nicht nur in direkte Beziehung zu einem der bekanntesten Songs der deutschen Rap-Geschichte, sondern nutzt gleichzeitig das inhärente machtdemonstrierende Potenzial dieser Phrase.

5.8 W ORTSPIELE Gerade beim Boasting versuchen Rapper, kreative Wortkompositionen und sprachliche Pointen zu kreieren und bedienen sich beispielsweise bekannter Phrasen sowie populärer Formulierungen, die sie leicht verändern. So erinnert Afrob mit der klanglich interessanten Zeile „nur das Beste vom Besten zum Testen“ (Afrob, „Reimemonster”) an populäre Werbeslogans. „Am Ende wird’s assig, der Krieg beginnt, die rechte und linke Hand des Teufels. Eine stoppt Dich, die andere zerhackt Dich.“ (Creutzfeld & Jakob, „Auge des Sturms“). Diese Variation einer bekannten Redewendung ist Teil eines kreativen semantischen Spiels, das Creutzfeld & Jakob den gesamten Titel „Auge des Sturms“ hindurch aufrecht erhalten. Lakman eröffnet den Track mit den Worten „Kein Werk Gottes, Leute, Teufels Beitrag!“ (ebd.), der Name des Albums lautet wiederum „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“ (Put Da Needle To Da Records 2000). Außerdem bleibt er im gleichen Bild, wenn er rappt „jeder von euch ist gläubig“ (Creutzfeld & Jakob, „Auge des Sturms“) oder „flach wie ‘n Steinsarg“ (ebd.). Auch die Zeilen „Wir sind rau wie der Wind, der hier weht.“ (Azad, „Mein Block“) von Azad oder „jetzt bin ich hart bis auf die Knochen“ (B-Tight, „Ghettostar“) von B-Tight sind strukturell insofern ähnlich, als dass auch sie auf variierten bekannten Phrasen basieren. Rapper kreieren beim metaphorischen Spiel um Größe und Macht überdimensionierte Bilder, die sich in Stil, Grad der Übertreibung, Ironie und sprachlicher Kreativität stark unterscheiden. Bass Sultan Hengzt behauptet beispielsweise „Ich stampf’ einmal auf den Boden und der Himmel wird grau.“ (Bass Sultan Hengzt, „Schmetterlingseffekt“). Auch Bizzy Montana entwirft eine Vorstellung großer Dimensionen in „meine Stimme steht jetzt im Dunkeln über den Häuserdächern“ (Bizzy Montana, „Stunde Null“). Bushido und Azad beschreiben sich in den entsprechenden Boasting-Tracks „Ein Mann Armee“ (Bushido, „Ein Mann Armee“) bzw. „1 Mann Armee“ (Azad, „1 Mann Armee“) als übermächti-

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ge Einzelkämpfer. Neben Metaphern des Kämpferischen oder Kriegerischen finden sich immer wieder auch Verweise auf gewaltige Naturschauspiele, wie Gewitter, Hurrikane, Flutkatastrophen oder Ähnliches. So heißt es in „Auge des Sturms“ von Creutzfeld & Jakob beispielsweise „Alles, was ich für Creutzfeld beitrag’, […] ist häufig wie ‘n Steinschlag.“ (Creutzfeld & Jakob, „Auge des Sturms“). Zu den gängigsten Bildern übermäßiger Macht gehören die zahlreichen unterschiedlichen ‚Einer-gegen-Alle-Konstrukte‘, die Inszenierungen als einziger ‚wirklicher‘ Rapper, wie etwa in „ich fick’ die deutsche Rapelite“ (Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt”). Sie treten häufig in Kombination mit Standardbehauptungen zum ‚deutschen Rap‘ in seiner Gesamtheit auf: Laas Unltd. konstatiert „deutscher Rap ist depressiv“ (Laas Unltd., „Backpack Inferno“), Bass Sultan Hengzt erklärt „deutscher Rap ist wieder weich“ (Bass Sultan Hengzt, „Battle dies und das“), „deutscher Rap ist ein Zirkus voller Clowns“ rappt Fler (Fler in Tony D, B-Tight, Kitty Kat, Sido, Fler, „5 krasse Rapper“), Fard formuliert humoristischer „deutscher Rap ist wie ‘ne Bratwurst, denn jeder zweite gibt seinen Senf dazu“ (Fard in Fard feat. Snaga, „Kingshit“) und Bushido schließlich bringt das vernichtende Urteil: „Deutscher Rap ist jetzt so gut wie tot“ (Bushido, „Ein Mann Armee“).

5.9 S TEREOTYP

UND I NDIVIDUALITÄT

Bei vergleichenden Betrachtungen der beim Boasting verbalisierten Ziele einzelner Rapper zeigen sich interessante Unterschiede. HipHop und seine Teildisziplinen sind als performative Kultur elementar auf ein Publikum ausgerichtet. Beliebtheit und Akzeptanz, zumindest aber Respekt62 innerhalb der Szene oder einer kleineren Gruppe von Rezipienten, stehen damit für alle Rapper im Vordergrund. Samy Deluxe boastet, er sei „der überall Umjubelte“ (Samy Deluxe, „Der Guteste“) und Bushido rappt „alle Kids, überall, gehen raus, Album holen“ (Bushido, „Sonnenbank Flavour“). Während allerdings die Einen ihren „Fame“63-Status in der gesamten HipHop-Szene etablieren wollen, behaupten Andere, „immer Underground bleiben“ (Kool Savas, „Schwule Rapper“)64 zu wollen – und damit ‚real‘ zu bleiben – und verurteilen jede Form der Kommerzi-

62 Zur Bedeutung des Respekts innerhalb der HipHop-Kultur siehe v.a. Klein/Friedrich 2003a, S. 40 ff. 63 Ebd., S. 41. 64 Menrath 2001, S. 97.

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alisierung. So betont Kitty Kat beispielsweise in „Still a real bitch“: „doch […] bis jetzt sind meine Taschen noch ziemlich leer / wie ihr schon wisst, ich mach’ den Shit für die Straßen“ (Kitty Kat, „Still a real bitch“). Wirtschaftlicher Erfolg ist daher nicht bei allen Rappern Thema beim Boasting wie es etwa bei Bushido häufiger der Fall ist: „mein Label, eine Goldmine“ (Bushido, „Sonnenbank Flavour“), „ich bin jetzt ein Imperium am Aufbauen“ (Bushido in Bushido, Chakuza, Eko Fresh, „Vendetta“). Interessante Unterschiede zwischen den einzelnen Rappern zeigen sich auch in dem jeweiligen Sprachstil und dem verwendeten Vokabular. Denn während einige den Archetyp der ‚Stimme der Straße‘ verkörpern wollen, elaborierten Code vermeiden und auf Schlichtheit sowie Direktheit in Form und Inhalt setzen, betonen andere ihre vermeintliche Eloquenz, Bildung und Intelligenz: „Wir sind nicht burnbar, nicht zerstörbar, sind zu intelligent.“ (Spax, „Supreme Superior“), „ich weiß, dass ich intelligent bin, Jungs, und brauch’s nicht beweisen“ (Samy Deluxe, „Die Meisten“). Bass Sultan Hengzt hingegen rappt in dem Track „Rap braucht kein Abitur“ auf dem gleichnamigen Debüt-Album „Ich habe keinen Respekt vor der alten Schule / ihr seid alles nur Studenten“ (Bass Sultan Hengzt, „Rap braucht kein Abitur (Rap Student)“) und zieht damit klar Position gegen den so genannten ‚Studenten-Rap‘. Wie um seine Behauptung zu untermauern veröffentlicht er zwei Jahre später ein Album mit dem Titel „Rap braucht immer noch kein Abitur“ (Ersguterjunge 2005). Im gleichen Jahr veröffentlicht die Rap-Formation K.I.Z. den Titel „Tanz“ (K.I.Z., „Tanz“), in dem auch sie erklären „Rap ist ein Hahnenkampf / Und Rap braucht kein Abitur“ (ebd.). Dementsprechend reagieren etwa Blumentopf 2006 in „Gute Musik“ (Blumentopf, „Gute Musik“) mit den Zeilen „Und ihr habt recht: Rap braucht kein Abitur. / Aber jeder was zum Essen, wenn sein Magen knurrt.“ (ebd.) und F.R. kontert in einem Track, den er programmatisch auch „Rap braucht Abitur“ (F.R., „Rap braucht Abitur“) nennt, mit den Worten „Doch lieber Studentenrapper, als später mal Tellerwäscher.“ (ebd.). Rapper Holunder der Gruppe Blumentopf kommentiert im Booklet zur CD seinen Track „Zu talentiert“ (Blumentopf, „Zu talentiert“) mit den Worten: „Mein Statement für alle, die Studentenrap als Schimpfwort benutzen. Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich ab sofort hatermäßig auf einem Upgrade bestehe – schließlich mach ich ja jetzt Doktorandenrap.“65 In dem 55-sekündigen Boasting-Rap, der weder einen Refrain noch eine Hook aufweist, rappt Holunder:

65 Aus dem Booklet zum Album „Musikmaschine“ von Blumentopf (Four Music 2006).

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Aber bis es soweit ist, bleib’ ich immatrikuliert / als ältester Rapper im Land der immer noch studiert. / Hier kommt die geistige Elite du Trottel, / ein arroganter Akademiker mit Skateboard Promodel. / Ich bin so talentiert, es ist egal was ich mach’, / nur ich hab mich halt entschieden für ein anspruchsvolles Fach. / Deinen Fünfer damals im Mathezeugnis findest du witzig, / doch die Bank kassiert die Zinsen bei dir dreifach und du blickst’s nicht. / Tut mir leid für dich, doch es ist mir egal. / Ich bin genial, das hab ich schriftlich vom Staat. / Mein IQ ist so hoch, es gehört schon fast verboten, / mit Zahlen die so groß sind rechnen sonst nur Astronomen. (Holunder in Blumentopf, „Zu talentiert“, Album „Musikmaschine“, Four Music 2006)

Bushido wiederum boastet in seinem 2010 veröffentlichten Track „Ein Mann Armee“ (Bushido, „Ein Mann Armee“) schließlich „ich bleib Gangster-Rap sein Vater und ich fick’ von Studenten-Rap die Mutter!“ (ebd.). Äußerst unterschiedlich ist außerdem die Artikulation religiöser Inhalte. So formuliert Azad ohne erkennbare Ironie „Ich blick’ zum Himmel: Bitte, Vater, zeig mir einen Weg!“ (Azad in Baba Saad feat. Azad, „Gefangen“) und Curse baut in seinen Track die bekannte Phrase ein „Gott, vergib mir!“ (Curse, „Wenn ich die Welt aus dir erschaffen könnte“). Spax referiert auf christliche Glaubenssätze, wenn er rappt „Ich bin weiß Gott nicht bibelfest, doch lieb’ ich meinen Nächsten.“ (Spax, „Waffenbrüder“), die Rapper von Automatikk bekennen sich zur muslimischen Tradition, indem sie äußern „von den Bullen weg gerannt und noch Schwein gehabt, doch haben niemals auf unserem Teller Schwein gehabt“ (Automatikk, „Strich in der Landschaft“). Sido wiederum lässt die ihm eigene Ironie einfließen, wenn er in seinem Track „1000 Fragen“ fragt: „Warum glaub ich Gott ist ein Rapper?“ (Sido, „1000 Fragen“). Einen ganz eigenen, im Vergleich extremen Weg geht Rapper Bushido in dem Track „September“ (Bushido, „September“). Darin bezeichnet er sich selbst – sein Pseudonym lautet „Sonny Black“ – und Rapper Baba Saad als „Sonny und Saad, zwei ganz harte Moslems“ (ebd.). Der Track wendet sich namentlich gegen andere Rapper („Scheiß auf Hengzt, scheiß auf Fler!“, ebd.) sowie eine unpersönliche Pluralität und ist durchzogen von dem metaphorischen Spiel um die Behauptung „ich bin ein Taliban“ (ebd.). Dabei boastet der Rapper „vielleicht werd’ ich dieses Jahr ein Flugzeug entführen“, „ich hab’ eure Airline gekidnappt“, „wenn ich will seid ihr alle tot“ und im Refrain schließlich „ich lass’

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dich bluten wie die Typen aus den Twin Towers“66. Auch andere Rapper nutzen dieses Provokationspotenzial und die spezifischen Konnotationen für die Profilbildung, wie etwa auch Fard, wenn er rappt „Jetzt ist Fard da – frisch rasiert aus dem Taliban-Trainingslager“ (Fard in Fard, „Kingshit“) oder Haftbefehl mit „ich bring’ Terror, zerbombe das Pentagon“ (Haftbefehl feat. Chaker, „Gillette“).67 Dass es neben den oben beschriebenen, innerhalb des HipHop quasi standardisierten Boasting-Inhalten auch zahlreiche individuelle Themen gibt, die je nach Kontext aufgegriffen und mit Metaphern umspielt werden, zeigen auch einige Beispiele der Rapperin Kitty Kat. Zum einen reiht sie sich mit Boastings gemäß dem Motto der Rapperin Nina „hör mir zu und ich geb’s dir so, wie’s nur’n Weib tut“ (Nina, „Doppel X Chromosom“) in eine Tradition weiblicher MCs ein, die ein Bild selbstbewusster Frauen generieren: Guck mir einfach zu und du weißt wie man das macht: / Ich füll’ sie nach und nach ab, / klau ihn’ ihr Geld, kauf’ was mir gefällt. / Ich nehm’ sie aus bis zum letzten Cent. / Sag, dass du ihn liebst, er gibt dir sein letztes Hemd. / Ich hab sie alle in der Hand! / Borg’ mir seine Karre und die Karte für die Bank. / Will er mich seh’n, sag ich, dass ich grad nich’ kann. / Behandel’ ihn wie Dreck und er frisst mir aus der Hand. / Wo ist dein Problem? / Wer sagt, ich kann die ganze Scheiße hier nicht umdreh’n? (Kitty Kat, „Bitchfresse”, Album „Miyo!“, Urban 2009)

In dem Track „Du bist Vergangenheit“ (Kitty Kat, „Du bist Vergangenheit“), der an eine Ex-Freundin ihres jetzigen Partners adressiert ist, boastet sie hingegen „Was kannst du ihm schon bieten? - Ich bin Ehefrau-Material!“ (ebd.). Durch den Verweis auf die an Traditionen und Konventionen geknüpfte Kategorie der ‚Ehe‘ aktiviert sie Assoziationen und bringt individuelle Auffassungen zum Ausdruck, die mit den Inszenierungen der meisten Rapperinnen nicht vereinbar sind (vgl. hierzu besonders auch Kap. 8.5 und 9.2).

66 Alle vier Zitate stammen aus „September“ (Bushido, „September“). 67 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 9.1.

6. Das Dissing

6.1 D AS D ISSING – B EGRIFFLICHE E INGRENZUNG In einer Kultur, deren Akteure wesentlich auf das Erlangen von Respekt angewiesen sind, ist das Gegenteil von respektieren – im Englischen ‚disrespect‘ bzw. ‚dissing‘, im Deutschen ‚dissen‘ – wirksames Mittel der Beschimpfung und Beleidigung.1 Das Dissing ist, ähnlich dem Boasting, eine Sprachpraxis mit dem Ziel der Selbsterhöhung, hier allerdings nicht mit dem Mittel der Stilisierung der eigenen Person, sondern der verbalen Herabsetzung eines oder mehrerer Opponenten. Wie bereits für das Boasting beschrieben, steht auch das Dissing in direktem Zusammenhang mit dem grundsätzlich agonalen Charakter des HipHop, der Allgegenwart von Wettbewerb. Rapper Curse formuliert dementsprechend das fünfte seiner „Zehn Rap Gesetze“: „Nummer Fünf ist so wichtig wie nichts ist in diesem Business: / Da die Scheiße Kampfsport ist, sei drauf gefasst, dass Du gedisst wirst!” (Curse, „Zehn Rap Gesetze“). Ziel des Dissings ist zunächst einmal wie beim Boasting, sich selbst als eloquenter, verbal überlegen Rapper darzustellen und zu versuchen, den Ruf des Gegenübers zu beeinträchtigen bzw. zu ‚zerstören‘: „Du wirst von mir Reime hör’n, die dich zerstör’n“ (Kitty Kat, „Still a real bitch“). ‚Gepunktet‘ wird allerdings nicht nur mit bloßen Treffern, also reinen Diffamierungen, wie „Du bist ‘ne Pissbacke!“ (Sido in Fler, „Therapie“), sondern vor allem in der kunstvollen verbalen Darstellung und überzeugenden, performativen Inszenierung derselben, wie im Folgenden gezeigt werden wird. Dissing findet in komprimierter Form besonders in den sogenannten ‚Dissing-Tracks‘ oder ‚Diss-Tracks‘ statt, die gezielt gegen einen speziellen Kontrahenten gerichtet sind. Diss-Tracks enthalten immer auch Boastings, weil eine Erniedrigung des Gegners häufig die kontrastierende Darstellung der eige-

1

Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 41.

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nen Vorzüge miteinschließt. Ein ‚reiner‘ Diss-Track ist also nur in der Theorie denkbar, in der Praxis jedoch nicht nachzuweisen. Als Diss-Tracks sollen im Folgenden jene Stücke bezeichnet werden, die sich namentlich oder implizit gegen einen oder mehrere spezifische Kontrahenten richten.

6.2 D IE ADRESSIERUNG VON D ISSINGS Wie direkt der Adressat beim Dissing angesprochen und seine Identität offengelegt wird, ist unterschiedlich. Eko Fresh benennt in „Die Abrechnung“ in der ersten Zeile des Rap seinen Opponenten: „Savas, du bist schon Anfang dreißig“ (Eko Fresh, „Die Abrechnung“). Auch der Angesprochene lässt in seinem Konter „Das Urteil“ (Kool Savas, „Das Urteil“) schon mit den ersten Worten keinen Zweifel daran, an wen der Track gerichtet ist: „Du hast es geschafft, Eko“ (ebd.). Andere Diss-Tracks, wie „H.E.N.G.Z.T.“ (Bushido, „H.E.N.G.Z.T.“) gegen Bass Sultan Hengzt, tragen den Namen des Adressaten schon im Titel. In diesem Stück wird der Künstlername in seine vermeintlichen, akronymischen Bestandteile zerlegt und damit direkten Bezug auf das Original des BoastingTracks „H.E.N.gzt” (Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt”) genommen: ‚H‘ steht für den Hass und den lasse ich heraus. / ‚E‘ eine Kugel reicht, dann gehen deine Lichter aus. / ‚N‘ steht für den Neid, so sind eben Stricher drauf. / ‚GZT‘ du hast dich wie ‘ne Bitch verkauft. (Bushido, „H.E.N.G.Z.T.“, Freetrack2)

Ein weiteres Beispiel ist Bushidos „Flerräter“ (Bushido, „Flerräter“) gegen Fler. Wie bereits im Titel, finden im Raptext diffamierende Wortkreationen mit dem Namen des Adressaten Verwendung: „Du hast jetzt flerkackt, denn wir haben dich flernichtet. Willst du uns flerarschen, Patrick?“ (ebd.). Eine spezielle Form des Dissings im Zusammenhang mit dem Namen des Kontrahenten, ist die Nennung des bürgerlichen Namens. Durch die Vermeidung des Rapper-Namens kommt das Nicht-Respektieren als Künstlerpersönlichkeit zum Ausdruck. Außerdem wird damit das gesamte Profil des betroffenen Rappers in Frage gestellt, das wesentlich an das Pseudonym gekoppelt ist. So nennt Laas Unltd. seinen Diss-Track gegen Rapper Kollegah, der mit bürgerlichem Namen Felix Antoine Blume heißt, „Fick dich Felix (F.D.F)“ (Laas Unltd., „Fick dich Felix (F.D.F)“)

2

Online verfügbar unter http://bit.ly/1t8D1yo [Stand 2016-05-25].

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und Bushido spricht in „Flerräter“ (Bushido, „Flerräter“) seinen Opponenten Fler, eigentlich Patrick Losensky, an mit „Ok, Patrick, wir werden uns nie wieder flertragen!“ (ebd.). Neben der Tatsache, dass bei dem Ansprechen der jeweiligen Person mit dem bürgerlichen Vornamen eine persönliche Bekanntschaft oder Vertrautheit suggeriert wird, die wiederum den Eindruck unterstützen soll, dass tatsächliche Geheimnisse über den Geschädigten ausgesprochen werden, erinnert es auch immer an elterliche Maßregelung und symbolisiert dadurch eine bestimmte Machtdisposition zugunsten des Rappenden (vgl. Kap. 5.7). Wie jedoch bereits in unterschiedlichen Zusammenhängen beim Boasting zu sehen war, ist auch ein Großteil der Dissings an einen oder mehrere anonyme, imaginäre Rapper adressiert.

6.3 D ISSING -T ECHNIKEN Eine häufig zu beobachtende Praxis in Diss-Tracks ist es, sich mit Gastbeiträgen unterschiedlichster Art als Teil einer größeren Gruppe von Gleichgesinnten zu inszenieren und damit gewissermaßen ‚Verbündete‘ zu präsentieren. So ist im Intro des bereits erwähnten Diss-Tracks „Die Abrechnung“ (Eko Fresh, „Die Abrechnung“) von Eko Fresh eine Sprechstimme, wie durch ein Telefon aufgezeichnet, zu hören: Yo! Was geht ab? Hier ist Cengiz Koc, Kickbox-Weltmeister aus Berlin-Kreuzfeld. Ich hab’ gehört, dass manche Leute auf meinem Bruder, Eko, ‘rumhacken. Jungs, ich sag’s euch: Wenn ihr ihm ein Haar krümmt, gibt’s Ärger! Das war Cengiz Koc! (Eko Fresh, „Die Abrechnung“, Album „German Dream Allstars“, BMG 2005)

Häufiger sind jedoch Features von anderen Rappern, wie etwa die Beteiligung von Eko Fresh in dem bereits zitierten Stück „Flerräter“ von Bushido (Bushido, „Flerräter“). Bass Sultan Hengzt wiederum konstatiert eine Lobby, indem er behauptet „Baba Saad hört ‚Fick Bushido‘ auf sein’ iPod.“ (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“) und spielt damit auf den eigenen Diss-Track „Fick Bushido” (Bass Sultan Hengzt, „Fick Bushido”) an. Wie beim Freestyle-Battle, wo sich die Kontrahenten auch physisch gegenüber stehen, dient das Äußere des Gegners ebenso in Diss-Tracks als Angriffsfläche, da es sich bei dem Adressaten um bekannte Künstler handelt. „Vom Pumpen hast du ‘n Busen bekommen so wie Anastacia“ (Laas Unltd., „Fick dich Felix (F.D.F)“) rappt Laas Unltd. über Kollegah und Bushido äußert „Scheiß auf Hengzt, scheiß auf Fler seine Diss-Tracks, ihr fetten Schweine!“ (Bushido, „Sep-

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tember“). Gerade in gewaltfokussierenden Texten ist es gängige Praxis, den Opponenten als ‚krank‘ oder „behindert“ zu titulieren. So rappt Bass Sultan Hengzt etwa „Du bist behindert“ (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“) oder „Du bist nur so dünn, dank deiner AIDS-Infektion.“ (ebd.). Derartige Vergleiche wirken jedoch äußerst infantil und können häufig nur in Kombination mit besonders kreativen, humorvollen oder unkonventionellen Wortkompositionen überzeugen. Während beim Boasting interessanterweise deutliche Unterschiede zwischen Rappern zu beobachten sind, die sich als besonders eloquent darstellen und ihre Intelligenz als Quelle der verbalisierten Weisheiten vorstellen, und jenen, die exponierte Elaboriertheit ablehnen und ihre Lebensweisheit mit ihrer StreetCredibility begründen, sind die Tendenzen beim Dissing einheitlicher: „Dummer Felix, du hast Anabolika im Kopf gespritzt“ (Laas Unltd., „Fick dich Felix (F.D.F)“) disst Laas Unltd. Rapper Kollegah, „den Weg zur Sonderschule gehst du jetzt mit Krücken entlang“ (Bushido, „Ein Mann Armee“) behauptet Bushido. Spax richtet sich in dem Track „Ihr kotzt mich an“ (Spax, „Ihr kotzt mich an“) gleich an mehrere Adressaten mit „ihr redet Schwachsinn, weil ihr nicht nachdenkt“ (ebd.), Samy Deluxe behauptet „ihr seid zu dumm!“ (Samy Deluxe in Melbeatz, „Ok!“). Vielfach finden sich Dissings im Zusammenhang mit Familienmitgliedern. Schon einige Boastings enthalten Diffamierungen einzelner Personen aus dem familiären Umfeld der jeweiligen Adressaten, wie in dem vergleichsweise harmlosen Beispiel von Samy Deluxe: „Samy Deluxe, oh ja das bin ich! Also wunder dich nicht, wenn deine Frau im Schlaf von mir spricht!“ (Samy Deluxe, „Champions“). Das Beleidigen von Familienangehörigen, vor allem der Mutter, gehört zu den primitivsten, aber unter einigen Rappern – beispielsweise Bushido, King Orgasmus One oder Kollegah – auch zu den effektivsten Dissing-Methoden. Dementsprechend sind sie in den Produktionen einiger Künstler so zahlreich, dass selbst andere Rapper dieses Vorgehen thematisieren, etwa F.R. wenn er sarkastisch einen imaginären Kollegen dazu auffordert: „Beleidige meine Mutter!“ (F.R., „FrRrRrRrRr“). Die Häufigkeit derartiger Diffamierungen erklärt sich zum einen daher, dass die Identifikation mit der eigenen Mutter als am stärksten vorausgesetz wird und Beleidigungen hier am emotionalsten rezipiert werden. Denn während die Vaterfigur in manchen Raps durchaus negativ behaftet ist, einige Rapper in ihren Texten mit ihren Vätern verbal ins Gericht gehen, wird die Mutterfigur tendenziell positiv präsentiert und gilt generell als Person, deren Respekt und Ansehen als maximal schützenswert erachtet werden, wie auch die folgende Behauptung von Bass Sultan Hengzt veranschaulicht: „Du verkaufst deine Mutter, wenn du Geld brauchst“ (Bass Sultan Hengzt, „H.E.N.gzt“). Dazu zählen auch Dissings wie „Hier, für deine Mutter eine War-

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steiner Dose!“ (Bushido, „Ein Mann Armee“), die in erster Linie vermeintliche negative Eigenschaften der jeweiligen Person beschreiben, bis hin zu Beleidigungen wie „ich ficke deine Mutter, du Bastard“ (King Orgasmus One, „Fick die Ex 2000sex“) oder „Ich fick’ deine Mutter, während dein Pa in die Hände clapt“ (Bass Sultan Hengzt, „Battle dies und das“), die vornehmlich Familienmitglieder als Projektionsflächen von Gewaltandrohungen funktionalisieren. Zum anderen sind derartige Dissings so verbreitet, weil gerade die Mutter-KindBeziehung eine ganze Reihe metaphorischer Angriffspunkte bietet, wie das folgende Beispiel von Kool Savas verdeutlicht: „Deine Mutter meinte ‚Tu meinem Sohn nix!‘/ Ich wollt’ nicht, doch der Bengel ist zu verzogen“ (Kool Savas, „Das Urteil“). Eine der häufigsten Beschimpfungen in diesem Zusammenhang ist „Motherfucker“ (Casper, „Stampf ihn ein“), mit der Rapper automatisch immer auch auf die US-amerikanische Ursprungskultur referieren, sowie die deutsche Adaption ‚Mutterficker‘, wie etwa im Refrain von Automatikks Track „Friss Dreck“ (Automatikk, „Friss Dreck“). Die Adressaten der Dissings sind größtenteils andere Rapper, im konkreten Einzelnen und im Allgemeinen. Für letzteren Fall werden häufig die generalisierenden Termini ‚(deutscher) HipHop‘ oder ‚der (deutsche) Rap‘ verwendet, um die eigene Einzigartigkeit zu implizieren: „Denn Hip Hop ist in Deutschland meistens Mittelmaß und häufig whack.“ (Creutzfeld & Jakob, „Anfangsstadium“) behaupten Creutzfeld & Jakob, Fler konstatiert „Deutscher Rap ist ein Zirkus voller Clowns“ (Fler in Tony D et al., „5 krasse Rapper“). Fard erklärt „Deutscher Rap ist wie ‘ne Bratwurst, denn jeder Zweite gibt seinen Senf dazu“ (Fard, „Kingshit“) und Ferris MC rappt „Deutscher HipHop is’ eh kaputt wie Politik“ (Ferris MC, „Düstere Legende“). Interessanterweise sind Dissings wie die folgenden, die gegen die musikalischen Produktionen an sich gehen, vergleichsweise selten: „Ich bin erstaunt, dass euer Sound so schwach ist auf der Brust. Mann, welcher Trottel kauft den Mist, den Du als deutschen Rap ausgibst?“ (Creutzfeld & Jakob, „Anfangsstadium“), „Wir schätzen Kunst wert, stumpfen Lärm hören wir sehr ungern“ (Spax, „Supreme Superior“). Wie schon für das Boasting beschrieben, ist ein wesentlicher Austragungsort der Demonstrationen von Überlegenheit hingegen das weite Feld der eigenen Fähigkeiten (Skills, z.B. Flow) bzw. des individuellen Stils (Styles) und das Behaupten im „Krieg der Styles“: Denn meine Lines und Battle-Rhymes sind einfach unversöhnlich. Nimm das ruhig persönlich, Mann, die Wut im Bauch muss raus! Verdammt, wir stehen im Rampenlicht, von

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Angesicht zu Angesicht, eins gegen eins, jetzt wird ausgeteilt. Bist Du bereit für den Krieg der Styles? (Creutzfeld & Jakob, „Auge des Sturms“, Album „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, Put Da Needle To Da Records 2000)

Hier zählen also zum einen die Skills, die Kunstfertigkeit im rhythmischmusikalischen Reimen und der interpretatorischen Performance der Texte. Dazu gehört der spezifische Flow eines Künstlers, weshalb Kitty Kat behauptet „ich hab Flows, die du nicht checkst“ (Kitty Kat, „Pussy“), aber auch beispielsweise die Fähigkeit in Battles zu bestehen, wie das folgende Zitat von Creutzfeld & Jakob zeigt: „Ich bin zwar unsterblich, doch in ‘n paar Jahren battlet Dich mein Kind und bringt Dich runter in die Erdschicht.“ (Creutzfeld & Jakob, „Anfangsstadium“). Zum anderen erfolgt durch die Adaption, Hybridisierung und Generierung der Styles, also dem kreativen und Distinktion schaffenden individuellen Umgang mit künstlerischen Ausdrucksformen, die Profilbildung des Musikers.3 Auch hier spielen bei der Etablierung des eigenen Stils Originalität und Kreativität wieder eine wichtige Rolle: „Du rennst einem toten Trend hinterher - ich mach’ ihn neu“ (B-Tight in Tony D et al., „5 krasse Rapper“). Dementsprechend ist es in der Tat auch als Beleidigung zu verstehen, wenn etwa Bushido rappt „Für mich seid ihr alle Raver“ (Bushido, „Sonnenbank Flavour“) und Automatikk mit den Worten disst „ihr macht Pop“ (Automatikk, „Friss Dreck“). Andere Musikstile und die damit konnotierten Lifestyles gelten als Gegenmodell. Vor allem Pop gilt als normativer Gesellschaftsstandard, popmusikalische Anleihen als Anbiederung und die Popindustrie als Produktionsmaschinerie kommerzieller Massenware. Rapper Holunder resümiert daher „Ich weiß, man braucht ‘ne Menge Pop, wenn man hoch hinauswill“ (Blumentopf, „Die Bretter, die die Welt bedeuten“) und Ferris MC betont seine vermeintliche Integrität, wenn er behauptet „Ohne mich wird aus Rap wie Punk bloß Popmusik.“ (Ferris MC, „Düstere Legende“). Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise auch Kool Savas‘ Äußerung „Du warst weg, weit weg in der Popwelt“ (Kool Savas, „Das Urteil“) zu verstehen, die er gegen seinen Opponenten Eko Fresh in seinem Track „Das Urteil“ richtet. Ähnlich wie für das Boasting beschrieben, wird bei der Inszenierung der eigenen Fähigkeiten und des persönlichen Stils als Teil der individuellen Profilbildung, die künstlerische Produktion und das Abbilden von Realität gleichgesetzt: „Warum ihr uns bitet? - Weil ihr lang noch nicht so weit seid, / Lichtjahre entfernt von der Essenz unserer Weisheit.“ (Spax, „Supreme Superior“). Umgekehrt

3

Vgl. Androutsopoulos 2003a, S. 12.

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werden daher auch beim Dissing in erster Linie die Realness und Glaubwürdigkeit der Anderen attackiert. Dabei können alle Teilbereiche des jeweiligen Profils als Angriffsfläche dienen. So ist beispielsweise in der verbalen Auseinandersetzung des Beefs zwischen Bass Sultan Hengzt und Bushido zu beobachten, wie beide Kontrahenten die Plausibilität des jeweiligen Profils unterminieren, indem sie die kulturelle Identität in Frage stellen: Mit „Guck auf Youtube, Bushido kann kein Arabisch.“ (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“) versucht Bass Sultan Hengzt die Identitätskonstruktion seines Gegners zu entlarven und disst ihn mit den Worten „Du bist kein Moslem, du bestellst dir Schweinefleisch“ (Bass Sultan Hengzt, „Fick Bushido“). Bushido behauptet im Gegenzug „Du bist halber Türke, aber türkisch sprechen geht nicht / Selber schuld, du bist zu den Deutschen gewechselt“ (Bushido, „H.E.N.G.Z.T.“). Aufgrund der besonderen Bedeutung von Urbanität im HipHop und Rap (vgl. Kap. 7) wird auch die regionale Herkunft zum Indikator für Authentizität und Glaubwürdigkeit: „Sag, warum tust du krass, du kommst aus’m Kuhkaff.“ (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“), „Während du Kuhweidengras mähst und eine Schreinerlehre machst in deinem 30-Seelen-Kaff“ (Kollegah, „1001 Nacht“). Wie auch schon beim Boasting beobachtet, wird bei Vertretern des sogenannten ‚Gangsta-Rap‘, zuvorderst das jeweilige Gangster-Image attackiert: „Mittlerweile weiß doch jeder, dass du Studiogangster bist” (Bushido, „H.E.N.G.Z.T.“), „Geh und sei lieber wieder der King auf deinem Schulhof“ (Sido in Tony D et al., „5 krasse Rapper“). Auch hier wird in erster Linie die Authentizität des Rappers in Frage gestellt, indem der Widerspruch von Inszenierung und imaginierter Realität thematisiert wird: „Du bist ein Gangster, aber für wie viele Stunden am Tag? / Guck böse in die Kamera! Tu so als wärst du hart! / Tu das, was dein Manager dir sagt!“ (Huss und Hodn, „Gangsterberuf“). Wie dieses Beispiel zeigt, oszilliert dabei wieder die verbale Auseinandersetzung in der dichotomen Gegenüberstellung von ‚hart‘ und ‚weich‘, Gangsta und Schwächling: „Wir kommen direkt aus dem Dreck, Ihr seid weichgespült.“ (Azad, „Mein Block“) behauptet Azad, Atillah78 rappt „du bist nicht hart, du bist so weich wie Mozarella“ (Atillah in Automatikk, „1000 Jungs“) und Kollegah disst „Selbst wenn du dein’ Vorsatz hältst, dich anzustrengen, du bleibst ein selten Hanteln stemmendes, meist bei gelben Ampeln bremsendes Weichei“ (Kollegah, „Big Boss“). Neben den Schilderungen von aggressiven, machtdemonstrierenden Szenen in denen der körperlich Unterlegen beschrieben wird, wie in „Ich schlag’ und frag’ dich, wo meine Knete bleibt / und sofort fängst du Spast an um dein Leben zu schrei’n“ (Automatikk, „Wir fikkken alless“) oder „Und du liegst nach zwei fast tödlichen Magengrubenschlägen

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schwach stöhnend da im Blumenbeet“ (Kollegah, „1001 Nacht“), ist es vor allem die Darstellung feigen Verhaltens, mit dessen Hilfe Kontrahenten diffamiert werden, wie beispielsweise in „Du hast Angst, wenn ich dir in die Augen blick’“ (Automatikk, „Strich in der Landschaft“), „Und deine Gang rennt davon, wenn sie mich sieht“ (Kollegah, „Big Boss“) oder „Du bleibst inmitten deiner Leute“ (Casper, „Strasse 2“). In seltenen Fällen wird dabei auf konkrete, tatsächliche Begebenheiten Bezug genommen, wie im Diss von Bass Sultan Hengzt gegen Bushido „Haben uns auf der Bravo-Show gesehen, / Ihr wart 10 Mann mehr, du hast dich einfach umgedreht. / Angstschweiß und Panik“ (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“). Gerade durch die gewaltfokussierenden Dissings einiger ‚Gangsta-Rapper‘ und insbesondere durch konkrete Angriffe mit ‚realem‘ Bezug tritt häufig die Tatsache in den Hintergrund, die für das Dissing und das Boasting gleichermaßen gilt: Im überwiegenden Teil aller Fälle steht der Anspruch eines rhetorischen Variantenreichtums und sprachlicher Versiertheit im Vordergrund. Auch das Dissing zielt auf sprachliche Pointen, die performativ ausgeübt werden und das Publikum durch rhetorische Raffinesse, Kreativität oder besonderen Humor beeindrucken sollen. Ein Beispiel für letzteres bietet etwa Fards Äußerung „Du machst künstlich auf hart wie ‘ne Penispumpe“ (Fard in Fard, „Kingshit“) oder der Vergleich von B-Tight „Deine Gang ist planlos wie Kinder beim Topfschlagen“ (B-Tight in Tony D et al., „5 krasse Rapper“). Dabei kreieren die Rapper häufig nicht nur derartige Vergleiche nach dem Schema ‚ihr seid wie x‘, sondern erweitern das verwendete Bild um weitere Formulierungen aus dem entsprechenden semantischen Feld. So rappt Flipstar von Creutzfeld & Jakob beispielsweise „Ich schick’ Euch Clowns zurück ins Zirkuszelt und lach’ Euch später aus“ (Creutzfeld & Jakob, „Anfangsstadium“). Er setzt also zum einen andere Rapper mit Figuren gleich, über die generell gelacht wird bzw. die ‚lächerlich sind‘. Zum anderen impliziert er außerdem durch die Schilderung des angestammten Platzes (das Zirkuszelt), zu dem er sie ‚zurück schickt‘, eine eindeutige Machtkonstellation, die er schließlich noch mit dem Hinweis „lach’ Euch später aus“ (ebd.) unterstreicht, indem aus der nicht zwangsläufig degradierenden Tätigkeit ‚über jemanden lachen‘ ein ‚auslachen‘ wird. Auch beim Dissing kann die Flowanalyse generell helfen, eine klangästhetische Schwerpunktsetzung zu diagnostizieren. So stehen die folgenden Zeilen von Samy Deluxe stellvertretend für Dissings, die neben der inhaltlichen Aussagekraft des Rap durch den spezifischen Flow, der vor allem durch das komplexe

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Netz an Assonanzen generiert wird, außerdem „genussvolles Hören“4 ermöglichen. Ich muss mich von euch ganzen Schlappschwänzen abgrenzen, / all den ganzen Hackfressen, die mich jeden Tag stressen, / sind die gleichen Leute an der Spitze die sich sattessen, / und Minderheiten werden zu Mehrheiten und trotzdem vergessen! (Samy Deluxe, „Weck Mich Auf“, Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001

6.4 D ISSING UND S EXUALITÄT Wie in Kapitel 5 für die Kulturpraxis des Boastings bereits beschrieben, bietet vor allem der Themenbereich der Sexualität zahlreiche Möglichkeiten zur Darstellung eigener Überlegenheit durch die verbale Inszenierung von Machtstrukturen. Jede Abweichung von einer als Norm vorgestellten Heterosexualität wird dabei tendenziell als Diffamierung verwendet. „Deutscher Rap ist schwul“ (Fler in Fler, „Therapie“) rappen Fler und einige Andere und auch die Beschimpfung „Homo“ (etwa in King Orgasmus One, „Schneid dein Kopf ab“) lässt sich bei mehreren Rappern finden. Beide Beispiele belegen die in großen Teilen der Rapkultur – und namentlich im sogenannten ‚Gangsta Rap‘ – beobachtbare Heteronormativität. Dabei gibt es nur in seltenen Fällen konkrete Anlässe auf die Bezug genommen wird, wie im folgenden Beispiel von Bass Sultan Hengzt: „Geh auf den Strich um dir dazu zuverdienen, / Kein Problem, du gibst Interviews im Schwulenmagazin.“ (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“).5 Der auch heute noch männlich dominierte Rap ist durchzogen von Illustrationen phallischer Symbolik, meist reduziert auf einfachste Schneller-höherweiter-Vergleiche beim Boasting bzw. deren Umkehrung beim Dissing. Neben vielfachen Darstellungen vermeintlich fehlender Potenz oder mangelnder sexueller Anziehungskraft, wie in „Deine Jenny fickt mit jedem […], außer mit dir.“ (Bass Sultan Hengzt, „Ex-Guter Junge“), werden vor allem eindimensionale Beleidigungen über das Fehlen oder die Beeinträchtigung primärer Geschlechtsmerkmale formuliert. Dazu zählen ebenso Äußerungen wie „Weil du kein’ Schwanz hast“ (Automatikk, „Wir fikkken alless“) von Automatikk oder „Du

4

Kautny 2009, S. 162.

5

Der Rapper spielt in seinem Diss-Track gegen Bushido auf dessen Interviews in den beiden Magazinen „blu“ (damals noch unter dem Namen „Sergej“) und „Siegessäule“ an. (vgl. Görke/Heymann 2007.)

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trägst Baggys, damit dein kleiner Penis Platz zum Atmen hat“ (Marteria, „Das Leben ist schön“) von Marteria, als auch Formulierungen wie „Du willst Rappen und brichst dir dabei den Schwanz ab“ (Bushido, „Bei Nacht“), die auf einer stärker metaphorischen Ebene ansetzen. Bei der Analyse von Dissings im Zusammenhang mit Sexualität fällt auf, dass die Stereotypen und standardisierten Bilder männlicher Heterosexualität auch von Rapperinnen übernommen werden, um ähnliche Images zu generieren. Als Beispiel soll hier Kitty Kat dienen, die etwa behauptet „für mich bist du nicht mal genug, ich hab ‘n Kleid für dich“ (Kitty Kat, „Still a real bitch“). Sie greift damit, ebenso wie beispielsweise auch mit ihrem Track „Bitchfresse” (Kitty Kat, „Bitchfresse”), der bereits in den Kapitel 5.7 und 5.9 näher betrachtet wurde, auf identische klischierte Männlichkeitsbilder zurück, ohne diese zu reflektieren oder ironisch zu brechen wie dies bei anderen Rapperinnen zu beobachten ist (vgl. hierzu Kap. 8.5). Wie diese ersten Beobachtungen im spezifischen Kontext des Dissings und zuvor des Boastings erkennen lassen, gehört der Topos der Sexualität zu den zentralen Profilbildungselementen im Rap. Aus diesem Grund ist eine umfangreiche Betrachtung genrespezifischer Standards und Spielformen vonnöten, um die Möglichkeiten und Grenzen individueller Profilbildung aufzuzeigen. Diesem Themenkomplex widmet sich Kapitel 8. Zusammenfassend kann man in Bezug auf die Profilbildung mithilfe der Sprachpraxis des Dissings bestimmte Tendenzen festhalten: Auch wenn sich diese Kulturpraxis durch alle Sparten des Genres zieht und grundsätzlich bei allen Rappern nachzuweisen ist, unterscheiden sich Formen und Inhalte stark. Während Künstler wie Samy Deluxe, Creutzfeld & Jakob oder Curse vielfach nicht näher definierte einzelne Rapper, häufiger jedoch Rapper-Kollegen im Allgemeinen oder die Masse der Kritiker und damit in den meisten Fällen eine unspezifische Masse adressieren, sind Diss-Tracks wie die oben erwähnten von Bushido, Bass Sultan Hengzt oder Kool Savas an konkrete Kontrahenten gerichtet. Außerdem finden sich zahlreiche verbale Angriffe gegen einzelne Subgenres wie ‚Studenten-Rap‘ auf der einen bzw. ‚Gangsta-Rap‘ auf der anderen Seite, womit sich die einzelnen Musiker positionieren, um von dem jeweiligen konnotierten Image zu profitieren. Auch inhaltlich unterscheiden sich die verschiedenen Stile: Während die Erstgenannten vorrangig ihre Fähigkeiten als MC rühmen, indem sie Beispiele für die technische Unterlegenheit der Opponenten beschreiben, zielen Produktionen der Letztgenannten vielfach auf die Entlarvung als ‚Studio-Gangster‘, als ‚fake‘, als persönlich unterlegen – körperlich, sexuell, wirtschaftlich etc. – und

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beinhalten häufig Androhung von Gewalt. Ebendies führt schließlich auch auf der formalen Ebene zu einem wesentlich aggressiveren, direkteren Sprachduktus und zu drastischeren Bildern und Schilderungen auf der metaphorischen Ebene. Nachdem die beiden zentralen Kulturpraktiken des Boastings und Dissings als performative Profilbildungsstrategien ausführlicher beschrieben wurden, sollen nun die damit eng in Zusammenhang stehenden drei bedeutendsten profilrelevanten Topoi in den Fokus gerückt werden: Urbanität, Sexualität und Gewalt.

7. Topos ‚Urbanität‘

Der Topos der Stadt und die Darstellungen des Urbanen gehören zu den am häufigsten diskutierten Untersuchungsgegenständen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rap und HipHop. So schreibt etwa Friedrich: „Die Stadt ist ein immer wieder auftauchender Bezugspunkt aller Praktiken und Inszenierungsweisen im HipHop. Und obwohl das Themenspektrum von Raptexten breit gefächert ist, kommt es auch hier zu einer kontinuierlichen Erwähnung der Stadt, urbaner Nachbarschaften, von Orten der Stadt oder mit der Stadt verbundenen Institutionen und Aktivitäten."1

Dabei ist in den zahlreichen Publikationen die Tendenz einer Fokussierung auf visuelle Medien zu beobachten. Friedrich konstatiert in diesem Zusammenhang: „Die für die moderne Stadt schon von Georg Simmel aufgestellte These der Dominanz des Sehsinns über die anderen Sinne wird so nicht nur bestätigt, sondern sogar radikalisiert. Die Stadt ist danach nur noch als eine Text- oder Bilderwelt zu bestimmen.“2

Ausgehend von der These, „dass Musik, genauso wie andere kulturelle Artefakte, in bestimmten sozialen Kontexten entsteht, in denen auch Codes bereitgestellt werden, über die überhaupt erst die Bedeutung des kulturellen Artefakts erzeugt werden kann“3, beschreibt der HipHop-Forscher das Verweispotenzial musikalischer Produktionen zunächst als rein klangliche Ereignisse: „Diese Codes vorausgesetzt, kommt es zur Entstehung von bestimmten Bedeutungen einzelner Musikstücke, die sich auf die zu hörenden Klänge oder ihre Verweisstruktur be-

1

Friedrich 2010, S. 140.

2

Friedrich 2007, S. 32.

3

Ebd., S. 34.

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ziehen und insofern bedeutungsgenerierend sind.“4 Auf der klanglichen Ebene identifiziert Friedrich dabei maßgeblich zwei Elemente in HipHop-Musikproduktionen, die auf das Städtische verweisen: Zum einen nennt er die Verwendung von Geräuschen – etwa Alltagsgeräusche, aber auch das kulturspezifische ‚Scratchen‘5 – zum anderen das allgegenwärtige Montageprinzip, das er als Ausdruck der beschleunigten Heterogenität im Stadtleben identifiziert.6 „Mit der Montage wird es möglich, die in den Städten anzutreffenden Überlagerungen von Kulturen, Klängen und Praktiken in Musik darzustellen. Deshalb ist die Musik des HipHop […] vor allem eines: städtisch.“7 Die Gründe für die zu beobachtende Dominanz der Auseinandersetzungen mit visuellen Inhalten hingegen sind in der spezifischen Kulturgeschichte und der prinzipiell selbstreferenziellen, historisierenden Grundtendenz der HipHop-Kultur zu finden: Zum Entstehungsmythos des HipHop gehört, dass er sich in einer Mega-City entwickelte und daher an spezifische Großstadterfahrungen gebunden ist.8 Darstellungen des Städtischen gehören infolgedessen zu den ältesten und am häufigsten wiederkehrenden Bildmotiven des HipHop. Bereits die auch für den deutschsprachigen HipHop einflussreichen ersten Filme „Wild Style“9 (1982) und „Beat Street“10 (1984) beinhalten urbane Bilder.11 Ihr globales Zirkulieren, die lokale Aneignung und Rekontextualisierung ermöglicht seither eine kontinuierliche Erneuerung des HipHop-Mythos als „schwarze Kulturpraxis“12 aus dem Ghetto einer Mega-Stadt. Klein und Friedrich betonen die normative Kraft, die durch die repräsentative und performative Funktion von Bildmedien ausgehen und damit Realität überhaupt erst herstellen kann. Sie resümieren: „Das was als ‚echter‘ und ‚authentischer‘ HipHop gilt, ist folglich schon Produkt von Bildinszenierungen.“13 Den Prozess der Verbildlichung des Städtischen beschreiben sie als ei-

4

Ebd.

5

Ebd., S. 38.

6

Ebd.

7

Ebd, S. 41.

8

Klein/Friedrich 2003b, S. 86.

9

Vgl. etwa „‚Wild Style‘ war der Film, der mein Leben verändert hat.“ (D-Flame in DFlame & Tone „Mehr als Musik“, Single „Mehr als Musik“, Mercury 2002)

10 Vgl. etwa „‚Beat Street‘ gab uns den Rest / und traf wie ’n harter Schlag in die Fress’.“ (Tone in D-Flame & Tone „Mehr als Musik“, Single „Mehr als Musik“, Mercury 2002) 11 Klein/Friedrich 2003b, S. 86. 12 Ebd. 13 Ebd., S. 98.

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nen „Vorgang der Transformation eines normativen Konzeptes von Urbanität in ein ästhetisches Konzept“14, der für die HipHop-Kultur von elementarer Bedeutung ist: „In ihren Bildproduktionen findet eine Umdeutung des Normativen in ästhetische Kategorien statt. Normative Kategorien des Städtischen werden als Bilderwelt in Szene gesetzt. Über ihre Umwandlung ins Ästhetische dienen sie als Bild-Rahmen für die Inszenierung normativer Prinzipien der HipHop-Kultur.“15

Die Bildproduktionen des Urbanen haben in ihrer Selbstreflexivität somit also vor allem auch gemeinschaftsstiftende Funktion: „Städtische Klischeebilder des HipHop, wie rappende MCs auf Hochhäusern oder in Taxis, DJs auf eingezäunten Sportplätzen, Graffiti an verwahrlosten Orten rufen eine globale kollektive Identität des HipHop wach.“16 Susanne Stemmlers Beobachtungen im französischen Rap der Banlieues lassen noch weiterreichende Schlussfolgerungen zu. Denn sie belegen eine derartige Wirkung auch für kleinere Gemeinschaften innerhalb der HipHop-Kultur, die sich auch auf den Rap in Deutschland übertragen lassen: „Spielt Musik durch ihre Ausdrucksmöglichkeiten seit jeher eine große Rolle im Leben der Einwanderer, so wird sie mit Rap zur Chiffre des prekären Lebens in Städten generell.“17 Die Darstellungen finden neben den Raptexten maßgeblich auf der visuell sichtbaren Ebene in Kleidungen und Kulturpraktiken statt, die wiederum in bildlichen Inszenierungen wie CD-Cover, Booklets und Fotos auf Homepages ihren Niederschlag finden. Zu den populärsten Bildmedien sowohl auf der Produzentenseite als auch in der wissenschaftlichen Diskussion zählen die Musikvideos.18 „Aber auch hier bleibt die Bildproduktion ambivalent: Zum einen bringt sie einen fragmentierten und diskontinuierlichen Blick auf die Stadt hervor, zum anderen aktualisiert ein stereotypes Bild der postindustriellen Stadt den Ursprungsmythos des HipHop, demzufolge HipHop eine urbane Kultur ist und nur dort entstehen konnte.“19

14 Klein/Friedrich 2003a, S. 110. 15 Ebd., S. 111. 16 Ebd., S. 123. 17 Stemmler 2007, S. 108. 18 Zur besonderen Bedeutung der Musikvideos für die Entwicklung des ‚Gangsta-Rap‘ vgl. Szillus 2012b, S. 84 ff. 19 Klein/Friedrich 2003b, S. 93.

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Klein und Friedrich kritisieren die Behauptung „gängiger Subkulturtheorien, dass die Entstehung von lokalen Subkulturen vor allem aus den ökonomischen, sozialen und politischen Lebensbedingungen von Jugendlichen in großen Städten resultiert“20 und vertreten ihrerseits die These, dass authentischer HipHop nicht zwangsläufig marginalisierender Großstadterfahrungen bedarf.21 Auch Stemmler stellt ausgehend von vergleichenden Betrachtungen des französischen Rap fest: „Die Inszenierungen der Stadt im HipHop […] können als Authentifizierungsstrategien bezeichnet werden, mit denen über global zirkulierende Symbole des Urbanen im Lokalen ein urbanes Lebensgefühl hergestellt wird. Am Beispiel von Musikvideos kann man zeigen, dass nicht mehr das Urbane als gelebte städtische Kultur in Erscheinung tritt, sondern vielmehr die postindustrielle Stadt als Bühne für eine theatrale Kulturpraxis fungiert.“22

7.1 R EPRÄSENTATIONSSTRATEGIEN Mit der Verbildlichung tritt auch das körperliche Moment in die Präsentation: Dabei wird nicht nur der physische Körper des Rappers mit seinen ‚kulturellen Einschreibungen‘23 und als „Materialisierung des Habitus“24 Teil der Inszenierung. Die Kunstfigur des Rappers erfährt mit dem visuellen Sichtbarwerden eine Konkretion, „in der mimetischen Identifikation wird nicht auf der Ebene des Körpers eine vorgegebene Wirklichkeit nachgeahmt, es wird eine neue Wirklichkeit hergestellt“25. Der Rappende ‚verkörpert‘ seine Raptexte, seine leibliche Präsenz wird zum Argument für seine Authentizität, „das leibliche In-der-WeltSein“26 wird zur Bürgschaft. Dieses symbolische ‚Einstehen‘ wird auch mit dem Begriff der ‚Repräsentation‘ beschrieben. In der deutschsprachigen HipHopSzene wurde hierfür die englische Bezeichnung ‚to represent‘ als ‚representen‘ in den Wortschatz integriert. So boasten Massive Töne etwa „Wir drei Doktoren ohne Kittel / verteidigen Titel / representen Viertel“ (Massive Töne, „Wer?“).

20 Ebd., S. 88. 21 Ebd., S. 86. 22 Stemmler 2007, S. 107. 23 Vgl. etwa Fischer-Lichte 2001, S. 308. 24 Klein/Friedrich 2003a, S.193. 25 Ebd., S. 197. 26 Fischer-Lichte 2001, S. 307.

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Dementsprechend fand dieser performative Prozess auch Eingang in die HipHop-Forschung (vgl. auch Kap. 5.3). Friedrich etwa schreibt dazu: „HipHop-Aktivisten bezeichnen die Verbindung ihrer eigenen Praxis mit ihrer sozialen und örtlichen Herkunft, ihren Crews und mit HipHop allgemein als ‚Repräsentation‘. Repräsentation meint das Einstehen und die Verkörperung dieser Gruppen und ihrer Normen und Werte.“27

Die Repräsentation erstreckt sich ausgehend von der körperlich-visuellen Inszenierung auch über andere Bereiche individueller Selbstpositionierung, wie Androutsopoulos etwa für den Bereich der Online-Präsentation beschreibt: „Repräsentieren kann unterschiedlich performiert werden, u.a. durch die Erzählung der eigenen Biografie, die Zusammensetzung der Linkliste oder die explizite Erklärung, die eigene Stadt/Region auf die ‚virtuelle Landkarte‘ der Musikkultur setzen zu wollen.“28 Eine lokale Positionierung findet schon in der Namensgebung der jeweiligen Labels statt. Dazu gehören etwa „Aggro Berlin“ oder das von Samy Deluxe gegründete Sublabel „Hamburgs Finest“. Neben der Betitelung der Stücke selbst (etwa Lisi, „Berlin“) wird damit bereits das explizite Nennen des entsprechenden Labels im Intro oder Outro von Rap-Stücken, wie etwa in „Zurück“ von Samy Deluxe (Samy Deluxe, „Zurück“), zu einer Repräsentationstechnik, ebenso wie auch die an gleicher Stelle stattfindende Proklamation der Stadt (des Stadtteils), die jeweils repräsentiert wird: „Sonny Black, King Orgasmus One! West-Berlin! West-Berlin! West-Berlin!” (King Orgasmus One in Bushido, „Drogen, Sex, Gangbang“). Auch hier finden sich, wie in Kapitel 5.1 beschrieben, mitunter Kombinationen mit speziellen Kulturpraktiken, sodass nicht nur die Art der Präsentation, sondern beispielsweise auch die verwendeten englischsprachigen Begriffe auf die genrespezifische Historizität verweisen: „Hamburg City am Start“ (Afrob in Samy Deluxe, „So Soll's Sein”), „Westberlin in the House“ (Harris in Deine Lieblings Rapper, „Mit Stil“). Innerhalb der Stücke selbst differieren die Verweispraktiken, folgen jedoch wiederkehrenden Mustern. So setzen sich Musiker vielfach zu einer imaginären, stadtspezifischen Produktionsästhetik in Bezug, die auch als ‚Style‘ bezeichnet wird (vgl. Kap. 5.4): „Der Style aus Hamburg-Beach“ (Das Bo, „Türlich, Türlich (Sicher, Dicker)“). Durch diese Boasting-Technik werden die eigenen Veröffentlichungen als wesentlicher Hauptbestandteil der jeweils spezifischen städtischen Szenen suggeriert, wie etwa auch in Formulierungen wie „dies hier

27 Friedrich 2010, S. 146. 28 Androutsopoulos 2003c, S. 71.

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ist neuer Hamburg City-Shit“ (Samy Deluxe, „Let's Go“). Sie schließt an die in Kapitel 5.4 beschriebenen Boastings als Trendsetter und Stilikone an und führt auch hier zu verbalen Superlativen wie „Ich bin Berlin Most Wanted” (Bass Sultan Hengzt, „Battle dies und das“) bzw. „Wir sind Berlins most Wanted“ (Bushido, „Fick Rap”). In ähnlicher Weise fragt Farid Bang auf seinem Album „Asphalt Massaka“ „Wer ist Düsseldorf?“ (Farid Bang, „Wer ist Düsseldorf“), boastet „Das ist Düsseldorf!“ (ebd.) und auf dem Folgealbum „Ich bin Düsseldorf!“ (Farid Bang, „Ich bin Düsseldorf“). Bei diesen Eigenlokalisierungen handelt es sich in den meisten Fällen um ein abstraktes Repräsentationsverhältnis, um ein nicht näher bestimmtes SichBekennen als identitätsstiftende Profilbildungsstrategie. Dementsprechend referieren die Lokalisierungen nicht nur auf die „Hochburgen der deutschen RapSzene“29, sondern etwa auch auf Städte wie Witten (Creutzfeld & Jakob, „Witten City“), Chemnitz (Tefla & Jaleel, „Chemnitz”) oder Rostock (Pyranja, „MV“)30. Gerade jedoch die Positionierungen im großstädtischen Umfeld Berlins dienen vielfach darüber hinaus als Authentifizierungsstrategie, wie insbesondere in Kapitel 7.6 zu sehen sein wird. Dabei wurde speziell im Kontext des ‚Gangsta-Rap‘ „der Wohnort als stärkstes Exklusions- bzw. Inklusionskriterium“31 identifiziert.

7.2 AUTHENTIFIZIERUNGSSTRATEGIEN Mit dem Repräsentieren als profilrelevante Kulturtechnik und dessen gegenseitiges In-Frage-Stellen mithilfe der Praktiken des Boastings und Dissings wird die Authentifizierung des Repräsentierten primäres Ziel der Selbstinszenierung. Kanehl und Zill betonen in diesem Zusammenhang die wichtige Bedeutung der „Behauptung einer Korrespondenz zwischen musikalisch-ästhetischer Darstellung und sozialen Rollen und Erfahrungen in der Stadt, auf der Straße, im Ghetto“32 für die Authentizität der Inszenierung: „Das heißt, ein HipHop-Track wirkt umso authentischer, je mehr es den Produzenten zu vermitteln gelingt, dass die dargestellten Erfahrungen tatsächlich auf der Straße am eige-

29 Wiegel 2010, S. 18. 30 ‚MV‘ steht in diesem Track für ‚Mecklenburg-Vorpommern‘. Pyranja rappt hier: „Ich bin das Girl aus‘m Norden und mach‘n bisschen Reklame. / Ich bin geboren in Rostock, schreib mir ‚MV‘ auf die Fahne.“ (Pyranja, „MV“). 31 Janitzki 2012, S. 293. 32 Kanehl/Zill 2009, S. 4.

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nen Leib gemacht worden sind, und nicht lediglich voyeuristischer Phantasie entstammen.“33

So attackiert beispielsweise Bass Sultan Hengzt in seinem Diss-Track „Fick Bushido” den Gegner mit den Worten „Halt deine Fresse, du bist nicht mal in Berlin geboren!“ (Bass Sultan Hengzt, „Fick Bushido”). King Orgasmus One rappt „du bist zugezogen und machst ein’ auf Berliner“ (King Orgasmus One, „Schneid dein Kopf ab“). Sowohl beim Dissing als auch beim Boasting stellt das Ländliche das ‚harmlose‘ Gegenmodell zum Urbanen dar: Es geht um Klau’n und um Dealerei. Jeder will ein Spieler sein. / Heute ist es Gras-Ticken, morgen Autoschieberei. / Okay, das gibt’s in Dörfern nicht, doch ich lebe in Berlin, / wo sich ein Junkie jede Scheiße in den Körper spritzt (Bushido in Chakuza feat. Bushido, „Eure Kinder“, Single „Eure Kinder“, ersguterjunge 2007)

Kitty Kat rappt im Diss-Track „Früher wart ihr Fans“ (Fler feat. Kitty Kat & Godsilla, „Früher wart ihr Fans“) „pass auf, dass ich nicht komme und dich von deinem Traktor boxe“ (ebd.). Auch wenn sich die inszenierten Rollen im Detail unterscheiden, ist die Stadt jedoch bis heute Legitimierungsgrundlage und Basis einer authentischen Profilbildung im Rap geblieben, nicht nur aus kulturhistorischen Gründen – weil sie gemäß der Ursprungserzählung der Entstehungsort dieser Subkultur ist – sondern auch, weil sie Zustände und Situationen bereithält, mithilfe derer sich der Protagonist überhaupt erst profilieren kann. Auf diese Weise wird der „Großstadtkämpfer zur zentralen Figur“34. Darstellungen einer lebensfeindlichen, städtischen Umgebung dienen als theatrale Kulisse, in der sich der Protagonist als den widrigen Umständen trotzender und daran gewachsener Großstadtkämpfer inszenieren kann: „Ich sag’ dir ehrlich, der Weg war lang und beschwerlich / und langsam merk’ ich, zu freundlich zu sein, ist in Frankfurt gefährlich.“ (Tone in D-Flame & Tone „Mehr als Musik“). Diese Strategie wird etwa in Bushidos Darstellungen besonders deutlich. So boastet er beispielsweise in Bezug auf sich selbst: „Ein gemachter Mann! - Berlin ist ein Macht-Ort.” (Bushido, „Bloodsport“). Die verbalen Inszenierungen seiner vermeintlichen Macht bedienen sich extremer Bilder: „Wenn ich will, musst du aus Berlin ausziehen“ (Bushido, „H.E.N.G.Z.T.“). Warum gerade das Städtische an

33 Ebd. 34 Friedrich 2010, S. 149.

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Machterfahrung, -kampf und -demonstration gekoppelt ist, beschreiben Klein und Friedrich: „HipHop ist, qua Tradition, Street Culture. Straße, das ist ein Synonym für das wirkliche Leben, für den alltäglichen Kampf in der Großstadt, für Anonymität und soziale Probleme. Street-Credibility verspricht von daher Respekt. Street-Credibility hat der, der durch seine Lebenserfahrung die Codes und Regeln der Straße kennt, also vor allem jemand, der soziale Marginalisierung am eigenen Leib erfahren hat.“35

7.3 S TRASSE – ‚ STREET ‘ – ‚S TREET -C REDIBILITY ‘ Eines der zentralen Motive in den Darstellungen von Urbanität ist die ‚Straße‘ als Symbol unmittelbarer Lebenserfahrung und damit der Glaubhaftigkeit. Elflein schreibt dazu: „Das Verlangen nach Authentizität, das in den Konzepten von ‚keeping it real‘ oder kurz ‚street‘ steckt, ist grundlegend für HipHop.“36 Und auch Schröer bestätigt: „Gleichwohl HipHop als ‚Straßenkultur‘ mittlerweile zunehmend domestiziert und virtualisiert erscheint […], bleibt ‚die Straße‘ einschließlich der damit verbundenen Assoziationen als ‚Mythos‘ und gleichzeitig als Projektionsfläche szeneorientierten Handelns bestehen.“37

Entsprechend bezeichnet sich etwa Sido selbst als „Straßenjunge“ (Sido, „Straßenjunge“) und beschreibt im gleichnamigen Track ausführlich welche charakterlichen Eigenschaften aus seiner Sicht „ein Junge von der Straße“ (ebd.) aufweist. Er rappt in den ersten vier Zeilen der ersten Strophe: Ich bin nicht böse, ich tanz nur ab und zu aus der Reihe / Doch ich pass’ auf, dass ich verhältnismäßig sauber bleibe / Ich hab ‘ne weiße Weste, okay, vielleicht hat sie Flecken / Ich bin ein Ghettokind, mit Bierfahne und Adiletten (Sido, „Straßenjunge“, Album „Ich“, Aggro Berlin 2006)

35 Klein/Friedrich 2003a, S. 42. 36 Elflein 2006, S. 25. 37 Schröer 2012, S. 67.

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Kollegah hingegen manifestiert sein Image als Gangster und Dealer mit dem Titel „Straßenapotheker“ (Kollegah, „Straßenapotheker“). Im Refrain erklärt er: „Auf den Straßen kannte ihn jeder / Sie nannten ihn Straßenapotheker“ (ebd.). In den Boasting-Strophen des Stücks beschreibt er seinen vermeintlichen Alltag als Straßendealer: „Geht bei Minusgraden raus, tickt auf Kilobasis Rauschgift. / Der Straßenapotheker, der die Kripofahnder austrickst.“ (Kollegah, „Straßenapotheker“). Mit diesen beiden Beispielen ist gewissermaßen der Rahmen abgesteckt, in dem sich die einzelnen Inszenierungen deutschsprachiger Rapper zum Großteil bewegen: Vom relativ harmlosen ‚Outlaw‘ der Stadtrandbezirke bis hin zum Großdealer nach US-amerikanischem Vorbild. Die ‚Straße‘ dient dabei als theatrale Kulisse für illegale Geschäfte, etwa in „ich lauf’ durch die Street, mache draußen mein’ Kies“ (Nate57, „Nate57“), und als mythischer Ort, an dem Authentizität ausgehandelt wird. Vor diesem Hintergrund ist auch ‚Asphalt‘ in Raptexten als metonymisches Substitut zu verstehen, wie etwa im gleichnamigen Titel von Bushido (Bushido, „Asphalt“), in „Asphalt Massaka“ von Farid Bang (Farid Bang, „Asphalt Massaka“) und Azads „Azphalt Inferno“ (Azad, „Azphalt Inferno“). Elementar für die ‚Street-Credibility‘ (vgl. Kap. 5.6) ist daher die Selbstdarstellung als Insider. „Ich bin ‘n Hipster, ich weiß, was abgeht, was man so spricht auf der Straße“ (Spax, „Kidz“) boastet etwa Spax, die Headliners behaupten „wir […] sprechen die Sprache der Straße“ (Headliners in Samy Deluxe feat. Headliners, „Bereit”). Dabei sind die Verweise multidirektional. Während beispielsweise das Zitat „Ich […] brachte die Straße in die Charts“ (Azad in Kool Savas & Azad, „Ich bin Rap“) das Ideal einer Grenzüberschreitung von der Subhin zur Massenkultur impliziert, suggeriert „Ich zeig‘ Rap, wo die Straßen sind“ (Azad, „Mein Block“) einen Annäherungsprozess von einer artifiziellen hin zu einer authentischeren Sphäre, wohingegen „ich mach‘ den Shit für die Straßen“ (Kitty Kat, „Still a real bitch“) den vermeintlichen Anspruch einer horizontalen Wirkungs- und Rezeptionsprämisse artikuliert.

7.4 G HETTO UND G ANGSTA Im Vergleich zum Topos der Straße stellt der Topos des ‚Ghettos‘ in einigen Belangen eine Intensivierung im Ausdruck dar. Wie unter anderem Janitzki beschreibt, ist dabei der Ghettobegriff als Bezeichnung für ein „Wohngebiet, in welchem fast ausschließlich eine Bevölkerungsgruppe – unfreiwillig – lebt“38 auf

38 Janitzki 2012, S. 295.

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kein deutsches Stadtgebiet wirklich anwendbar und daher in erster Linie als „Überspitzung der sozialräumlichen Verhältnisse“39 zu verstehen. Die Assoziationen des Ghetto-Motivs sind weniger diffus, da sie enger an medial transportierte Bildproduktionen – vor allem aus den USA und Frankreich – gekoppelt scheinen. Während das Motiv der Straße häufig mit sozialer Benachteiligung, Marginalisierung und Opferrolle konnotiert ist, transportiert das Ghetto-Motiv stärker aktive Gewalt, Aggressivität und Kriminalität. Vor diesem Hintergrund sind Eigentitulierungen wie „Ghettostar“ (B-Tight, „Ghettostar“), „GhettoChef“ (Eko Fresh, „Gheddo“) oder „Ghettopräsident“ (Automatikk, „Ghettopräsident Pt. 2“) zu lesen. Unterscheidet man zwischen den spezifischen Konnotationen, fällt auf, dass der Topos des Ghettos im Gegensatz zu Darstellungen des Städtischen im Allgemeinen und der Straße erst verhältnismäßig spät – erst nach der Jahrtausendwende – Eingang in die deutschsprachige Rapkultur fand. Zeitlich wird sein Erscheinen in Raptexten häufig simultan mit dem Entstehen des sogenannten ‚Gangsta-Rap‘ in Deutschland verortet.40 Die besondere Bedeutung für die Profilbildung in diesem Subgenre betonen auch Dietrich und Seeliger: „So ist die sozusagen standardmäßig beschworene ‚Ghettoexistenz‘ einer der zentralen Bezugspunkte in der Konstruktion von Gangsta-Rap-Images.“41 Dementsprechend erstreckt sich die Authentifizierungspraxis auch auf die vermeintliche Rolle des Vorreiters und Trendsetters als ‚Gangsta‘ aus dem ‚Ghetto‘, wie in den obigen Beispielen von Azad oder oder etwa auch in dem Track „Ein Mann Armee“ von Bushido (Bushido, „Ein Mann Armee“), der diesbezüglich bereits in Kapitel 5.4 ausführlicher beschrieben wurde. Umgekehrt wird entsprechend beim Dissing gerade die Glaubwürdigkeit derartiger Inszenierungen negiert. Wie einige Wissenschaftler nachweisen, trägt die authentifizierende Funktion urbaner Inszenierungen schließlich zu einer „Heroisierung der Figuren“42 bei, die sich im ‚Gangsta-Rap‘ in extremer Ausprägung beobachten lässt. „Die Korrespondenz zwischen sozialer Erfahrung auf der Straße und ästhetischer Darstellung wird als wesentliche Bedingung authentischen Gangsta Raps erachtet. Die Beschreibung des eigenen Viertels dient deshalb weniger einer sachlichen Darstellung der Umgebung, sondern verifiziert die eigene Identität, die sich im Elend zu behaupten vermag.“43

39 Ebd. 40 Vgl. Wiegel 2010, S. 99. 41 Dietrich/Seeliger 2012, S. 31. 42 Kanehl/Zill 2009, S. 6. 43 Ebd., S. 5.

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Die enorme Bedeutung von Authentizität bei der Inszenierung von persönlicher Erfahrung für die Profilbildung, die in der zeitgenössischen Forschung vor allem innerhalb dieses umstrittenen Genres konstatiert wird (zur Kritik an dieser Kategorisierung vgl. Kap. 1.1.2), ist gleichzeitig jedoch kulturspezifisch und kann in sämtlichen Spielformen des Rap nachgewiesen werden (vgl. Kap. 2.2.5).

7.5 „M EIN B LOCK “ – S ELBSTINSZENIERUNGEN LOKALEN U MFELD

IM

Eines der populärsten Beispiele profilbildender Selbstinszenierung im urbanen Kontext ist Sidos „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“), das in Kapitel 10.3 einer eingehenden Analyse unterzogen wird. Bereits 2003, ein Jahr vor der Veröffentlichung von Sidos Version, erschienen zwei weitere Tracks mit diesem Titel von Blumentopf (Blumentopf, „Mein Block“) und Hecklah & Coch (Hecklah & Coch feat. BK, „Mein Block“). Auch in diesen beiden Sücken wird das direkte städtische Umfeld der Protagonisten zum Gegenstand der Betrachtung. Der ‚Block‘ gehört damit neben dem ‚Viertel‘ (vgl. etwa Eko Fresh, „Das ist mein Viertel“) bzw. der ‚Hood‘ (vgl. etwa Kollegah, „In der Hood“) zu den populärtsten Bildmotiven bei Inszenierungen im urbanen Kontext. Blumentopf, deren Raptexte häufig sozialkritische Inhalte transportieren, beschreiben in ihrem Track anhand einiger Beispiele ihr als klein- und spießbürgerlich wahrgenommenes Umfeld in Münchens Innenstadt: wo man mich nicht grüßt, sondern gegen Wände klopft, / wo keinem was entgeht, weil jeder aus dem Fenster glotzt. / Wo Gerüchte sich verbreiten wie ein Kettenbrief, / und man sich den Kopf zerbricht wie ich mein Geld verdien’. / […] wo der Nachbar gerne Rasen mäht, / wo man Treppen putzt und Straßen fegt. (Blumentopf, „Mein Block“, Album „Gern geschehen“, Four Music 2003)

Aus Sicht der Profilanalyse fällt dabei auf, dass Blumentopf die Illustrationen in der Gegenüberstellung nutzen, um den eigenen Status als ‚Outlaws‘ und jugendliche Gegenkultur zu begründen: wo Du Schiss hast, wenn Du Tüten rauchst / oder dass die Oma neben Dir das Gas vergisst, / wo Künstler noch ‘n Schimpfwort und keine Arbeit ist, /

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wo man es hasst wenn Du ‘ne Party gibst, weil das ganze Haus am Schlafen ist. / […] Wo Du nachts mit Skateboard heimfährst und mit dem Lärm die Nachbarn weckst (Blumentopf, „Mein Block“, Album „Gern geschehen“, Four Music 2003)

Hier wird also eine kulturspezifische – auch historisch begründete, traditionelle – Tendenz erkennbar, die ihren vorläufigen Höhepunkt in den Schilderungen asozialen Verhaltens einiger zeitgenössischer Rapper findet, die dem ‚Gangsta-Rap‘ zugeordnet werden. Auch die profilrelevante Strategie, sich selbst als sozial marginalisiert und am Rande der Gesellschaft zu inszenieren, dort, wo gesellschaftlich sanktionierte Handlungen täglich stattfinden, kann hier in verhältnismäßig harmlosen Illustrationen beobachtet werden: wo ein Import/Export-Shop neben dem anderen liegt / und Du das Gefühl nicht los wirst, alles was es dort gibt / kann da nur gelandet sein weil es vom Lastwagen fiel. (Blumentopf, „Mein Block“, Album „Gern geschehen“, Four Music 2003)

Gerade im folgenden Beispiel, in dem wortreich und verklausuliert von Prostitution in der Nachbarschaft die Rede ist, wird deutlich, dass hier die Darstellung noch über das Dargestellte dominiert. Dieses Verhältnis wird häufig im ‚Gangsta-Rap‘ umgekehrt. Und wenn es dunkel wird und Du gehst abends aus’m Haus, / triffst Du oft auf Typen, die Dir nicht in die Augen schauen, / auf wen, der Deinem Blick ausweicht, weil es ihm peinlich ist, / und auch wenn Du nicht schaust wo er klingeln wird, dann weißt Du es, / denn die Damen erwarten ihn, / und er hofft, Du denkst, er hat sowas wie’n Arzttermin, / doch allen ist klar was geht / hinter der Tür im Erdgeschoss auf der ‚Massage‘ steht. (Blumentopf, „Mein Block“, Album „Gern geschehen“, Four Music 2003)

In „Mein Block“ (Hecklah & Coch, „Mein Block“) von Hecklah & Coch wiederum wird die implizite Verknüpfung von persönlicher Erfahrung und Authentizität offensichtlich:

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Du handelst verkehrt, du verstellst dich bei dein’ Fotos und Tracks, / doch in deinem Hood gibt’s nur ein’ Typ der Drogen vercheckt. / Was willst du mir denn erzählen? Ich komm’ aus Berlin Schöneberg! (Hecklah & Coch feat. BK, „Mein Block“, Album „Grundausbildung“, Rawzone Records 2003)

Die Illustrationen und Vergleiche, die in diesem Boasting-Track angeführt werden, sind wesentlich direkter als in Blumentopfs Track. Dadurch findet eine Rollenverschiebung vom passiv Partizipierenden zum aktiven Gestalter statt: ich rede von dem Scheiß, an den du nicht mehr geglaubt hast: / Autos klau’n, Tüten bau’n, Frauen und Knast. / Du muckst auf, weil einer deiner Typen damals im Bau saß. / Pass auf, Spast, geh in’ Laden und kauf das! / Du brauchst das. Ich geh’ nach Hause und rauch’ Gras. (Hecklah & Coch feat. BK, „Mein Block“, Album „Grundausbildung“, Rawzone Records 2003)

Am Ende der zweiten Strophe heißt es: „Du wirst niemals ein Feature kriegen mit uns, nur miese Kritik. / Du bist geliefert und vertrieben. Raus aus meinem Gebiet!“ (Hecklah & Coch, „Mein Block“). Die dritte und finale Strophe endet mit den Worten: „Unsere Blogs bringen deinen Scheißblock zum Fallen.“ (ebd.). In beiden Fällen betont der Text am Ende der Strophe und damit an prominenter Stelle seine eigene Künstlichkeit, indem die finalen Boastings das zuvor Gerappte als metaphorisches Spiel mit einer Fiktion zu erkennen geben. Insofern unterscheiden sich Hecklah & Coch und ihr Co-Rapper Bekah hier von anderen Rappern, deren Authentifizierungsstrategien in eine Selbstinszenierung münden, die vordergründig keine Brüche aufweist und damit jede Form der Reflexivität ausschließt. So boastet Azad in seinem 2004 erschienenen Track „Mein Block“ (Azad, „Mein Block“) am Ende seiner letzten Strophe: „Ich bin nicht Curse, aber dies ist alles real.“ (ebd.).

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7.6 „M EINE S TADT “ – L OKALISIERUNG

UND

P ROFILBILDUNG

direkt aus Hamburg – meine Stadt, wo ich leb’, / die Leute hör’n es an der Art, wie ich red’ (Samy Deluxe, „Zurück“, Single „Zurück“, Deluxe Records 2004)

HipHop fand Ende der 1980er Jahre in Deutschland auch über die Rundfunksender der hier stationierten US-Soldaten Verbreitung.44 So erinnert sich Tone: „Die ganze Chose kam über`n Ozean, / importiert von Soldaten aus den Staaten“ (Tone in D-Flame & Tone „Mehr als Musik“). Dies ist ein Grund, warum erste Zentren der HipHop-Kultur in Berlin, Heidelberg, Frankfurt, Stuttgart und Mannheim entstanden. Vor allem durch den zunehmenden Erfolg der Fantastischen Vier wurde in den 1990er Jahren Stuttgart als Rap-Hochburg stilisiert. So resümieren sie selbst 2004 in ihrem Track „Bring It Back“, in dem sie einige ihrer erfolgreichsten Titel der vergangenen Jahre zitieren: „Bring it back the old Stuttgart Rap“ (Die Fantastischen Vier, „Bring It Back“). Das Stück endet mit einem Rap-Feature von Sabrina Setlur, die als Vertreterin der Frankfurter Rap-Szene mit Formulierungen wie „ihr seid ja net mal Hesse“ (Sabrina Setlur in Die Fantastischen Vier, „Bring It Back“) keinen Zweifel daran lässt, wen sie repräsentiert. Sie schließt ihren Beitrag – und damit auch das Stück – mit den Worten: „Noch deutlicher jetzt: euch woll‘n mir hier net! / Also macht euch weg mit euerm Stuttgart Dreck!“ (ebd.). Während Sabrina Setlur sich hier mithilfe dialektaler Formulierungen aus dem Hessischen lokal verortet, fand bei dem Stuttgarter Rapper Afrob das Schwäbische sogar Eingang in den Titel des Tracks „Schaffen ums zu schaffen“ (Afrob feat. Dymak & J-Luv, „Schaffen ums zu schaffen“). Ähnlich selbstbewusst wie die Fantastischen Vier, die in obigem Beispiel ihre eigenen Produktionen als den einzig existenten ‚Stuttgarter Rap‘ vorstellen, äußern sich Samy Deluxe und die Headliners in dem gemeinsamen Stück „Bereit” (Samy Deluxe, „Bereit”): „uns geht’s um gute Tracks, guten Rap für’n guten Zweck, / Hamburgs Arsch zu retten, zu viele ha’m unseren Ruf befleckt“ (ebd.). Samy Deluxe rappt in Richtung seiner Mitstreiter: „doch vergesst nie, dass ihr auch Verantwortung tragt, / denn wenn wir diesen Scheiß hier nicht durchzieh’n ist Hamburg im Arsch“ (ebd.). Aber auch Rektor Donz von Fettes Brot positioniert seine Gruppe – mit Verweis auf das Gründungsjahr – durch die

44 Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 98.

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Eigenbezeichnung als „Hamburgs HipHop-Dinosaurier, 92er Baujahr“ (Rektor Donz in Fettes Brot, „Da draussen“) als fester Bestandteil der städtischen Szene. Wie schon in obigem Beispiel von Sabrina Setlur zu beobachten, nutzen Rapper nicht nur Soziolekte und subkulturell spezifische Sprachvarietäten, sondern auch dialektale Besonderheiten, um sich authentisch als Teil der lokalen Sprachgemeinschaft zu inszenieren. So erklärt Samy Deluxe im Eingangszitat „direkt aus Hamburg – meine Stadt, wo ich leb’, / die Leute hör’n es an der Art, wie ich red’: / ‚Was is‘ los Digga?‘“ (Samy Deluxe, „Zurück“), wodurch er die hamburgische Anrede ‚Digga‘ als Lokalmarker etabliert, die nicht nur von ihm („Hamburg City is’ im Haus, Digga” – Samy Deluxe, „Hausfriedensbruch”), sondern von vielen weiteren Hamburger Rappern verwendet wird, wie Ferris MC („das ist dein Glück, Digga“ – Ferris MC, „Unsterblich '04“), das Bo („kein Ding, Digga, das Ding hat Swing“ – Das Bo, „Türlich, Türlich (Sicher, Dicker)“) oder Jan Delay („Jan Delay, Digga, was geht ab?“ – Jan Delay, „Klar“). Ebenfalls ausschließlich bei MCs aus Norddeutschland zu finden (hierzu zählt neben den Hamburger Rappern etwa auch der Hannoveraner Spax) ist das soziolektale Adjektiv ‚derbe‘. So erklärt Samy Deluxe: „Engländer sagen: splendid!, Amis: incredible! / Hamburger sagen: derbe! Franzosen: très bien!“ (Samy Deluxe, „So Soll's Sein”). Generell fällt auf, dass Boasting-Inhalte vieler der genannten Hamburger Rapper, die kommerziell erfolgreich und medial am präsentesten sind, häufig humorvoll und spielerisch wirken. Wenn sich Rapper negativ über ihre eigene Stadt äußern, dann ist dies in einigen Fällen, wie in „Ich komm’ aus Hamburg City. / Das is’ da, wo’s kein’ Sommer gibt.” (Samy Deluxe, „Es ist wahr“), nicht als profilrelevante Strategie zum Zweck der Illustration von Widerstandsfähigkeit zu verstehen, sondern vielmehr als liebevolle Neckerei. Auch der bei vielen HipHop-Musikern zu beobachtende Usus, in Anlehnung an z.B. ‚New York City‘ den Namen ihrer Stadt um ein angehängtes ‚City‘ zu erweitern, zeugt hier eher von einem humorvollen Prahlen, als einem ernsthaften Vergleich auf Augenhöhe: „Was geht, Leute? Seid ihr mit mir down, / mit dem Sound aus Hamburg City, dem die Leute vertrau’n?“ (Das Bo, „Türlich, Türlich (Sicher, Dicker)“). Rapper Massiv hingegen wird in seinem Musikvideo zu „Eiszeit“ (Massiv in Massiv feat. Basstard, „Eiszeit“) im Stile moderner HollywoodGangster-Filme in der großstädtischen Kulisse New York Citys inszeniert und rappt dabei ohne erkennbare Distanzierung oder Ironisierung „Das hier ist Berlin, hier ist es neblig und so kühl, kühl. / Fühl, fühl, komm erleb’ die Street, Street.“ (ebd.). Im aktuellen Rap medial dominierend, am offensivsten beworben und am häufigsten mit dem Stadtnamen verknüpft sind sicherlich die Produktionen aus der Bundeshauptstadt. Mit dem Erfolg des Labels „Aggro Berlin“ und den mit

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ihm assoziierten Rappern, die zu Beginn dieses Jahrtausends einen neuen, aggressiveren Rap-Stil etablierten, wurde Berlin glorifiziert und zum Mythos. Mit keiner anderen deutschen Stadt sind Vorstellungen von ‚Ghetto‘ und großstädtischem Überlebenskampf so eng verknüpft, wie mit Berlin. Das folgende Zitat von Fler aus seinem Track „Identität“ (Fler, „Identität) steht stellvertretend für eine unüberschaubare Masse an Raptexten Berliner Rapper, die eine Fülle an Beschreibungen von Zuständen und Situationen beinhalten, mithilfe derer sich der Künstler als Teil eines Systems am Rande der Gesellschaft inszeniert, als Großstadtkämpfer und ‚Outlaw‘: In meiner Stadt nehmen kleine Mädchen Drogen, sind schwanger. / Es ist wie Sodom und Gomorrha hier in Berlin am Tag. / Und in der Nacht leben Kinder auf der schiefen Bahn. / Und ihr Politiker seid nie durch Berlin gefahren. / Hier geht es darum, kannst du Essen und die Miete zahlen. / Hier geht es darum, bist du jemand, hast du hier einen Namen, / kannst du dich durchsetzen. Es ist Krieg wie in Vietnam. / Bist du zur falschen Zeit am falschen Ort, ziehen sie dich ab. / Hier kriegst du alles was du willst, Koks, Piece und Gras. / Das ist der Grund, warum ich Hass in meinen Liedern hab’, / warum ich jetzt meine AGGRO-Tätowierung trag, / warum ich nie darauf höre was ihr mir sagt. / Ich schwöre auf alles, glaubt mir: Berlin bleibt hart. (Fler, „Identität“, Album „A-G-G-R-O / Nach eigenen Regeln “, Aggro Berlin 2005)

Das städtische Leben, das hier beschrieben wird, steht in klarer Opposition zu den Inszenierungen von Künstlern, die sich offen oder implizit zu der von Die fantastischen Vier bekannt gewordenen Formel „We are from the Mittelstand“45 bekennen und eine künstliche Dramatisierung des eigenen Profils ablehnen: „weiße mittelstandskids aus dem ghetto was ein witz“ (Smudo in Die Fantastischen Vier, „Die Geschichte Des O“)*. Wie auch die detailreiche Analyse von Sidos „Weihnachts song“ (Sido, „Weihnachts song“) in Kapitel 10.2 zeigen wird, werden bürgerliches Leben und Spießertum als Gegenwelt konstruiert und inszeniert. So rappt Sido „Du sitzt lieber an ‘nem gut gedeckten Tisch, / dann merkst du schnell: Berlin is’ nix für Dich.“ (Sido, „Steig ein!“) und Deichkind bemerken ironisch „Ach so, Du stehst auf Kunst. Du bist wirklich gebildet und ernährst Dich gesund.“ (Deichkind, „Crew vom Deich“). Ähnliches lässt sich

45 Vgl. etwa Wasserbäch 2009 oder Jürgens 1999.

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auch in Bezug auf die Erwachsenenkultur beobachten: „Die Kids machen ‘n Luftsprung, die Alten schreien: ‚Igittigitt!‘ / Denn ich bring‘ all die dreckigen Styles aus Hamburg City mit.“ (Samy Deluxe, „So Soll’s Sein”).

7.7 W ETTBEWERB

UND

S TÄDTEVERGLEICH

Neben der bereits erwähnten gemeinschaftsstiftenden Funktion urbaner Darstellungen, aufgrund derer sich die HipHop-Kultur nach außen hin abzugrenzen versucht, dienen Inszenierungen mit konkreten Stadtnamen wie in Kapitel 7.1 beschrieben nicht nur der Profilbildung des Einzelnen, sondern auch den jeweiligen städtischen Szenen als Distinktionsmittel. Dabei sind in erster Linie Konnotationen und mythische Vorstellungen des „Großstadtkämpfers“46 für die authentische Selbstinszenierung von Bedeutung, die sich vor allem in Darstellungen der gegensätzlichen Pole ‚Stadt‘ und ‚Land‘ manifestieren. Auf der anderen Seite bieten spezifische lokale Charakteristika in Sprache und Stil für die individuelle Profilbildung Möglichkeiten der Individualisierung durch Synchronisation bzw. Opposition. So stellt etwa auch Menrath fest, dass die einzelnen Musikszenen in den Großstädten relativ autonom agieren und der Austausch vor allem intern stattfindet.47 Auf diese Weise bietet sich auch hier ein Ausdrucksfeld des kompetitiven Grundcharakters des HipHop. „Ich hab gehört, dass ich eigentlich Sachse wär / und nur nach Hamburg gezogen weil’s grad so abgeht hier.“ (Samy Deluxe, „… hab‘ gehört …“) rappt Samy Deluxe in der humorvollen Aufzählung angeblicher Gerüchte über seine Person im Track „… hab‘ gehört …“ (ebd.), wobei er in der ersten der beiden Zeilen den sächsischen Dialekt nachahmt. Auch wenn es schon zum damaligen Zeitpunkt, 2001, Rap aus Sachsen gab – etwa von der Gruppe Tefla & Jaleel aus Chemnitz – ist dieser Vergleich nicht als Diffamierung konkreter sächsischer Rapper, sondern lediglich als absurde Boasting-Geste zu verstehen. Im Gegensatz dazu wird Luke Stylewalker bei seinem Seitenhieb gegen die Berliner Szene schon konkreter: Nachdem Creutzfeld & Jakob mit „Bunkerwelt in Witten“ (Creutzfeld & Jakob, „Bunkerwelt in Witten“) ihre Heimatstadt preisen und im Refrain als „Hip Hops gutes Gewissen“ (ebd.) bezeichnen, boastet Luke Stylewalker in „Fehdehandschuh“ (Creutzfeld & Jakob, „Fehdehandschuh“):

46 Friedrich 2010, S. 149. 47 Menrath 2001, S. 58.

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Ich frag’ in Berlin, wie’s läuft und die sagen: ‚’n bisschen enttäuscht vom deutschen Rap. / Rap bräucht’ ‘n Versteck!‘ - Komm nach Witten und überzeug’ Dich komplett! (Luke Stylewalker in Creutzfeld & Jakob, „Fehdehandschuh“, Album „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, Put Da Needle To Da Records 2000)

Gegenseitige Verleumdungen der jeweiligen städtischen Szenen in Dissings spielen eher eine untergeordnete Rolle. Samy Deluxe rappt in seiner Aufzählung vermeintlicher Gerüchte zwar auch „angeblich hab’ ich sogar Beef mit ganz Berlin“ (Samy Deluxe, „… hab‘ gehört …“), tatsächlich sind diese persönlichen Auseinandersetzungen, die Beefs, jedoch stets stark an einzelne Rapper gebunden. So kann, wie bereits gezeigt, zwar durchaus die Herkunft eines Künstlers Gegenstand von Dissings werden, länger währende Beefs zwischen Städten oder ganzen Regionen, wie etwa die Auseinandersetzungen zwischen East Coast und West Coast der USA, sind hierzulande jedoch nicht zu beobachten. Aber [ich] hör’ schon wieder Stories, dass Berliner mich hassen, / nur weil ich sag’ ‚Hamburg ruled!‘ und sie meine Lieder nicht raffen. / Vielen da draußen ist das Ganze zu stresslos, / hetzen Städte gegeneinander auf wie East- und Westcoast (Samy Deluxe, „Positiv“, Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001)

Die Konfrontationen sind hier stets persönlich motiviert und richten sich gegen spezielle Kontrahenten, die teilweise sogar aus der gleichen Stadt stammen. Dennoch sind tatsächlich in der zeitgenössischen Medienkultur immer wieder Tendenzen zu erkennen, die selbst von der Szene als ‚Hetze‘ wahrgenommen werden, wie in diesem Zitat angedeutet. Daher wurde auch bereits in der Forschung die Frage nach möglichen Verursachern und deren Zielen gestellt. Zum einen beschreiben Helms und Phleps, wie die urbanen Identifizierungsprozesse beispielsweise über städtische Kulturamtsprojekte politisch instrumentalisiert werden: „Plötzlich sind Musiker nicht mehr Störenfriede und Sozialfälle, sondern Kreative, oder gar – in der Sprache der globalen Marktschreier und ihrer akademischen Zulieferer – eine Creative Class, die vor allem eines tun soll: den Marktwert der Stadt erhöhen, damit sich andere Produkte, Waren mit weniger Sexappeal, besser verkaufen lassen.“48

48 Helms/Phleps 2007, S. 9.

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Neben marktstrategischen Überlegungen der Künstler oder ihrer Labels selbst, sind es außerdem sekundäre kulturspezifische Nutznießer wie Modelabels und Anbieter von Lifestyle-Artikeln, die ein Interesse an der Wettkampf-Kultur des HipHop entwickelten. Als plastisches Beispiel kann hier das seit Anfang 2010 in zahlreichen youtube-Videos veröffentlichte Projekt „Meine Stadt“ eines Modelabels genannt werden, das mit renommierten und weniger bekannten Rappern gezielt Werbeträger im jeweiligen urbanen Kontext inszeniert.49 Im Beschreibungstext auf der Seite des YouTube-Kanals, heißt es: „Thug Life sucht die Hip Hop Stadt! Mit über 100 etablierten Rappern kann das Battle beginnen, in Stadt-Episoden werden die Rapper ihre Stadt repräsentieren und ihr könnt für euren Favoriten voten! […] Welche ist die Hip Hop Stadt in Deutschland? Wer kann am Ende ‚Meine Stadt‘ sagen und ist damit real?“50

Dieses Projekt lief in Deutschland über viele Monate und wurde in der Folge auch auf Frankreich und Spanien ausgeweitet, weitere Videos folgten fortlaufend. Das Label warb auf der offiziellen Homepage mit einem Zitat aus dem Beitrag von Haftbefehl: „Unter’m T-Shirt von ‚Thug Life‘ trage ich die Pistole. / Überleben auf dem Asphalt“51 Hier wird deutlich, wie die gezielte Verbindung der Modemarke mit dem Profil der Rapper, mit Kriminalität („trage ich die Pistole“52) und ‚Street-Credibility‘ („Überleben auf dem Asphalt“53), zu Werbezwecken genutzt wird. Aber wie bereits das Zitat von Samy Deluxe zeigt, findet auch innerhalb der Szene ein kritischer Diskurs über urbane Repräsentationsstrategien statt. So bestätigt das folgende Zitat von Sido, dass auch innerhalb des Rap ein Bewusstsein für marktstrategische Anpassungsmechanismen und ihre Folgen besteht: Guck, wie’s sich verändert hat seit ‚4 Gewinnt‘! / Musik aus der Hauptstadt fegt durch’s Land wie der Wind, / kein deutscher Rapper, der sich nicht auf Berlin trimmt! (Sido, „Ghettoloch“, Album „Maske“, Aggro Berlin 2004)

49 Vgl. http://www.youtube.com/user/meinestadt2010 [Stand 2016-05-26]. 50 Zit. nach ebd. 51 Video online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=UJKQqT0Ggqw [Stand 2016-07-06]. 52 Ebd. 53 Ebd.

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Auch wenn diese Zeilen dem Rapper hier in erster Linie dazu dienen, seine eigene Stellung als Vorreiter und Trendsetter hervorzuheben, so wird mit dem Verweis auf das Album „4 gewinnt“ von Die Fantastischen Vier (Columbia 1992) dennoch zeitgleich auch ein bestimmtes Gefühl für historische Wirkungszusammenhänge deutlich. Dieses zweite Album der Gruppe, das mit „Die da !?!“ (Die Fantastischen Vier, „Die da!?!“) eine der erfolgreichsten Singles der Bandgeschichte enthält, konnte den kommerziellen Erfolg des ersten Albums fortführen und ermöglichte erstmals auch den Einstieg in den Musikmarkt der Schweiz und Österreichs, ein in mehrerer Hinsicht wichtiges Ereignis der deutschen Rapgeschichte. Der Hinweis, der auch als auf den Track „Vier gewinnt“ hindeutend (Die Fantastischen Vier, „Vier gewinnt“) gelesen werden kann, ist gleichzeitig eine Betonung der stilistischen und inhaltlichen Unterschiede. Auf diese Weise impliziert Sido eine (qualitative) Entwicklung hin zum Berliner Rap heutiger Prägung, der in extremem Gegensatz zu den Ursprüngen des deutschsprachigen Rap und der harmlosen „Gute-Laune-Partymusik“54 der frühen 1990er Jahre steht. Auch Kurt Hustle von der Kölner Rap-Formation Huss und Hodn thematisiert die Popularität Berliner Rapper und die daraus resultierende Orientierung und Assimilierung von Selbstinszenierungen an Modelle einschlägiger, auch kommerziell erfolgreicher Profile: Fast jeder deutsche Rapper hat jetzt Verwandte im Osten, / pumpt sein Gangsterimage auf. [„Du bist schwul!“] - Find ich auch. / Früher war es Hamburg, heute ist es Berlin. / Nächstes Jahr kommt der neue Shit. [„Woher?“] - Aus meinem Arschloch (Huss und Hodn, „Radiowecker“, Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2008)55

Mit der Gedankenkette „früher […] Hamburg“, „heute […] Berlin“, „nächstes Jahr […] aus meinem Arschloch“ (Huss und Hodn, „Radiowecker“) werden aktuelle und historische Formen der Glorifizierung und Mythisierung urbaner Leitbilder ironisch gebrochen und in Frage gestellt. Ein interessantes Beispiel liefert schließlich Jan Delay in „Kartoffeln“ (Jan Delay, „Kartoffeln“), das Ismaiel-Wendt bereits eingehend untersuchte.56 In dem Stück setzt sich der Künstler maßgeblich auch mit seiner Identität als Deutscher

54 Fuchs 1996, S. 158. 55 Bei den in Klammern dargestellten Einschüben handelt es sich um kurze Samples, auf die der Rapper direkten Bezug nimmt. 56 Vgl. Ismaiel-Wendt 2011, S. 129-143.

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– metaphorisch pointiert als ‚Kartoffel‘ – auseinander. Die Stadt und das Städtische werden hier aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet: als Schmelztiegel und Kulminationspunkt kultureller Strömungen und Entwicklungen, die dem Kreativen erst seine geistige Entfaltung ermöglichen. Zunächst echauffiert sich der Musiker in der ersten Strophe „über dieses öde Gemüse und seine Eigenschaft, / Stärke zu besitzen, aber leider keinen Geschmack“ (ebd.) und konstatiert für die Zeit seit den 1930er Jahren und dem zunehmenden Machtzuwachs des Nationalsozialismus in Deutschland („der Flavour ist braun und der Groove, der ist Marsch“, ebd.): „Seitdem ist hierzulande alles finster. / Für Stil und Humor herrschten 70 Jahre Winter“ (ebd.). Dementsprechend lautet seine zusammenfassende Beschreibung der ‚deutschen‘ Mentalität in der finalen Zeile der ersten Strophe: „wir haben keinen Stock, sondern ‘nen Wald im Arsch“ (ebd.). Die zweite Strophe beinhaltet eine Ansammlung von Beispielen für mangelndes Modebewusstsein („Darum sind hier alle so modebewusst wie Taxifahrer / […] Die Hosen Karotten und Sandalen mit weißen Socken“, ebd.) und Stillosigkeit, von denen sich der Musiker klar distanziert: „Hab ich sie im Ausland getroffen, hab ich mich stets geschämt, / und sie waren noch nicht mal besoffen“ (ebd.). Vor diesem Hintergrund ist schließlich die dritte Strophe als Beschreibung eines Gegenmodells zu lesen. Als Kartoffel Da sollte man in ner Stadt leben Weil hier die Zutaten sind, die einem Geschmack geben Ja hier in Hamburg, zwischen Sam und Tocotronic Krieg ich gar nicht so viel mit von den 70 Jahren Grobmotorik Gib mir: Gutes Radio, gutes Fernsehen, gute Mode, Gutes Essen, gute Clubs Und ein paar fähige Idole Gib mir das alles, Digger Und wir könnten wetten: In 20 Jahren mach ich dir aus Bielefeld Manhatten (Jan Delay, „Kartoffeln“, Album „Mercedes-Dance“, Universal 2006)*

Die Stadt wird hier als Zentrum von Kreativität und kulturellem Leben beschrieben, als Sammelort jener Faktoren, die einer ‚Kartoffel‘ erst ermöglichen, die in den ersten beiden Strophen beschriebenen Veranlagungen zu überwinden („Weil hier die Zutaten sind, die einem Geschmack geben“, ebd.). Mit den zwei Beispielen aus dem kulturellen Sektor, dem Bereich also, in dem sich der Musiker auch selbst bewegt – Samy Deluxe und die Hamburger Rock-Band Tocotronic –

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liefert er nachvollziehbare Beweise für den Ausnahmestatus seiner Heimatstadt und schließlich auch für das Potenzial einer Stadt, dem kulturell Rückständigen eine persönliche Weiterentwicklung zu ermöglichen, bis hin zu einer eigenen künstlerischen Identität, wie die des Rappers selbst. Zusammenfassend kann man festhalten, dass Darstellungen des Urbanen seit den Anfängen des HipHop in Deutschland bis heute eine enorme Rolle bei der Profilbildung im deutschsprachigen Rap spielen. Mit Blick auf den sogenannten ‚Gangsta-Rap‘, der die öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurse dominiert, kann sogar von einer zunehmenden Mystifizierung und Glorifizierung des (Groß-)Städtischen gesprochen werden.

8. Topos ‚Sexualität‘

Wie bereits in zahlreichen Beispielen zu beobachten und vor allem im Zusammenhang mit den Kulturpraktiken des Boastings und Dissings thematisiert, spielt die Inszenierung der eigenen Sexualität bei der Profilbildung innerhalb der HipHop-Kultur eine zentrale Rolle. Diese kann auf allen Ebenen der Selbstdarstellung stattfinden: In den Texten, der Musik, der Kleidung, dem Habitus, der Bewegung – überall da, wo Individualität ihren Ausdruck findet. In diesem Kapitel werden die Ursprünge und zugrunde liegenden Motivationen dessen, was ich als ‚performative Sexualisierung‘ bezeichnen werde, zunächst innerhalb der HipHop-Kultur als Jugendkultur und anschließend im Rap als kultureller Praxis näher beleuchtet. Die Mechanismen der Profilbildung durch bewusst inszenierte Kongruenz bzw. Divergenz in Opposition zur Erwachsenenwelt oder im Wettstreit mit Konkurrenten werden aufgedeckt und anhand einiger Beispiele verdeutlicht. Um das provokative Potenzial sexueller Themenverarbeitung zu veranschaulichen, werden Standardvorstellungen und Normen innerhalb der HipHop-Kultur zum Thema Sexualität zusammengetragen. Anschließend werden anhand eines Fallbeispiels Bedeutungswandel und Neukontextualisierung sprachlicher Zeichen in deutschen Raptexten nachgezeichnet. Das Kapitel schließt mit dem Versuch, Charakteristika und Tendenzen in den Produktionen von Rapperinnen in Abgrenzung zum dominanten männlichen Rap zusammenzufassen.

8.1 P ROFILBILDUNG IN O PPOSITION E RWACHSENENKULTUR

ZUR

Aus der Sicht von Klein und Friedrich besteht für die Partizipierenden der HipHop-Kultur nicht nur die Möglichkeit, die oben erwähnten Formen der Selbstdarstellung zu nutzen, sondern sie wird notwendigerweise gefordert:

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„Die Flexibilität, Schnellebigkeit und Fragmentierung der neuen sozialen Gemeinschaften befördern den Zwang zur Selbst-Inszenierung: Um sich sozial anschlussfähig zu machen, ist der Einzelne aufgefordert, seine kulturellen, sozialen, sexuellen oder politischen Dispositionen zu markieren.“1

Mit anderen Worten: Innerhalb der Jugendkultur des HipHop gehört die eigene Sexualität nicht in den Bereich des Privaten, sie ist nicht Teil einer als ‚nicht öffentlich‘ respektierten Exklusivsphäre des Individuums. Sie muss vielmehr, wie bereits für andere Teilaspekte individueller Identität beschrieben, performativ inszeniert und ‚veräußert‘ werden. Dies gilt auch im Speziellen für die Rapper selbst: Um im dichten Musikmarkt aufzufallen und sich mittels einer stärker konturierten Profilierung von Mitkonkurrenten abzusetzen, vor allem aber auch, um sich als Vertreter einer Jugendkultur in Opposition zur Erwachsenenwelt zu inszenieren, bleibt auch im deutschsprachigen Rap die Arbeit mit tabuisierten, sexuellen Themen, eines der zentralen Momente des Schaffensprozesses. Die Medienwissenschaftler Altrogge und Amann formulieren im Zusammenhang mit jugendkulturellen Musikstilen: „[…] die Musik als Kristallisationspunkt der Jugendkultur(en) transportiert ein Lebensgefühl, das zumindest in Teilen in krassem und explizitem Gegensatz zu Wert- und Handlungsorientierungen der Erwachsenenwelt steht: Von sexuellen Orientierungen und Projektionen der Adoleszenzphase, jugendlichen – zumeist männlichen – Omnipotenzphantasien mit dem demonstrativ zur Schau gestellten ‚Macho-Verhalten‘, über die durch gezielte und bewußte Provokation vollzogene Abgrenzung gegenüber einer als kalt und technokratisch empfundenen Gesellschaft und einem öffentlich zur Schau gestellten ungebremsten Hedonismus bis hin zur ‚live hard and die young‘-Attitüde, die schon seit den Anfängen des Rock 'n Roll ein unverzichtbares Element seiner musikalischen Botschaft war.“2

Die Provokationen entfalten dabei ihr Wirkungspotential sowohl auf der Produzenten- als auch auf der Konsumentenseite und dienen hier wie dort der öffentlich wahrnehmbaren Profilbildung: „Die Verletzung von Tabus hilft zu differenzieren: Den Musiker, der noch einen Schritt weiter geht, von seinen Konkurrenten; den Hörer, der sich ansprechen lässt, von denen, die sich schockiert abwenden.“3 Ein Grund für die signifikante Häufigkeit von „Vokabular zur Bezeich-

1

Klein/Friedrich 2003a, S. 146.

2

Altrogge/Amann 1991, S. 7

3

Helms 2011, S. 20.

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nung primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale und des Sexualaktes“ 4 liegt in der prinzipiellen Tendenz einiger Rapstile zur Vulgärsprache als Zeichen für einen ‚natürlichen‘, ungekünstelten Sprachstil. Wenn Sido sich als „Straßenjunge“ (Sido, „Straßenjunge“) inszeniert und sich zum Sprachrohr des ‚Menschen von der Straße‘ macht („wir hier im Viertel“ – Sido, „Steig ein!“), muss er auch die ‚Sprache der Straße‘ nutzen. Denn umgekehrt fassen Klein und Friedrich zusammen: „Elaborierter Code ist tabu.“5 Als illustrierendes Beispiel dient der folgende Textauszug aus der dritten Strophe von Sidos populärem Track „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“): Ganz zur Freude der Hausfrau darüber / Die sagt: ‚Männer ficken auch nicht mehr wie früher‘ / Deshalb trifft man sie oft im 15. Stock / Bei der Hardcore-Lesbe mit dem Kopf unter ihrem Rock / Wenn ich ficken will, fahr ich runter in den dritten / Aber die Braut fick’ ich nur zwischen die Titten / Denn der Pornostock befindet sich im achten / Hier könnt’ ich jeden Tag woanders übernachten. (Sido, „Mein Block“, Album „Maske“, Aggro Berlin 2004)

Vulgarität und Derbheit gehören in diesem Fall zum individuellen Stil des Rappers, um nicht nur inhaltlich auf eine Kongruenz von inszenierter und persönlicher Realität zu verweisen, sondern auch durch die Sprachgestaltung Authentizität und ‚Street Credibility‘ zu demonstrieren.

8.2 P ROFILBILDUNG IN O PPOSITION

ZUR

K ONKURRENZ

Die Profilbildung mithilfe provokativer Formulierungen aus dem Bereich der Sexualität dient nicht nur der gezielten Abgrenzung von elaboriertem Code und Erwachsenenkultur, sondern auch dazu, sich in der HipHop-Kultur und im dichten Musikmarkt Aufmerksamkeit zu verschaffen. Durch die Kulturpraxis des Boastings, kann sich der Rapper mit szenespezifischen Vorstellungen, Idealen und Normen synchronisieren und als aktiver Teilhaber der Subkultur inszenieren. Gleichzeitig ist es ihm mittels des Dissings darüber hinaus möglich, sich gezielt gegen spezifische Kontrahenten im Battle zu wenden oder sich allgemeiner

4

Lüdtke 2007, S. 153.

5

Klein/Friedrich 2003a, S. 37.

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in direkter Opposition zu anderen Rappern, der Szene, einzelnen Institutionen oder literarischen Substituten selbst zu erhöhen. Beide Methoden werden im Kontext ‚performativer Sexualisierung‘ im Folgenden näher beleuchtet. Eine der Möglichkeiten, sich selbst als überlegener Rapper darzustellen, ist die Profilierung über die Thematisierung sexueller Handlungen und Haltungen. Im Gegensatz zu vielen anderen Kriterien der Beurteilung, wie beispielsweise die sprachlichen Fähigkeiten (‚Skills‘), der Flow, die Popularität in und außerhalb der Szene (‚Fame‘) etc. bietet diese Form der Selbstüberhöhung den Vorteil, dass das Fehlen eines konkreten Beweises obligatorischer Teil des Spiels um Behauptung und Prahlerei ist: Ein Rapper, der in seinen Lyrics seinen gekonnten Flow rühmt und den Fokus auf seine sprachlichen Fähigkeiten lenkt, muss im selben Moment den aktiven Beweis dazu antreten. Ein Rapper aber, der seine angebliche Macht mit der sexuellen Überlegenheit über Frauen im Allgemeinen oder eine bestimmte Person, über andere Männer oder einen speziellen Kontrahenten begründet, kann nicht in einer konkreten Beweispflicht stehen. Dies ist einer der Gründe für die Popularität derartiger Vergleiche innerhalb des Boastings. Die Verweispraxis auf die eigene sexuelle Potenz als bewundernswürdige Eigenschaft des Rappers ist so alt wie der deutschsprachige Rap selbst. Durch die Adaption beziehungsweise Neukontextualisierung des afroamerikanischen Originals wurde sie zusammen mit vielen anderen Komponenten der Ursprungskultur zu einem elementaren Bestandteil.6 Bereits zu Beginn der 1990er Jahre, als der deutsche Rap gerade kommerziell erfolgreich wurde – namentlich mit der Veröffentlichung des Albums „Jetzt geht's ab“ von Die fantastischen Vier (Columbia 1991)7 – nutzten deutsche Rapper diese spezifische Form des Boastings: Smudo behauptet im Titel „Jetzt passt auf“ (Die Fantastischen Vier, „Jetzt paßt auf“) beispielsweise „fraun langn mir an die hose um zu sehen, was ich hab“ (ebd.)*, während sich Bandkollege Thomas D selbst einführt mit den Worten „am mikro Thomas ‚D’ - der mädchenkopfverdreher / und bei dir zu haus - der geschlechtsverkehrer“ (ebd.)*. Diese vergleichsweise ‚harmlose‘, sexuell konnotierte Prahlerei veränderte sich in den folgenden zwei Jahrzehnten enorm und findet seinen vorläufigen Klimax in den verbalen Ausschweifungen so genannter „Pornorapper“8 zeitgenössischer Prägung. Stellvertretend für ein ganzes

6

Vgl. ebd., S. 24 f.

7

Vgl. ebd., S. 14.

8

Helms 2011, S. 40.

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Subgenre, das als ‚Porno-‘ oder ‚Pimp-Rap‘9 bezeichnet wird, seien an dieser Stelle die Rapper B-Tight, Frauenarzt und King Orgasmus One genannt, zu deren Produktionen Titel zählen wie „Der Ficker“ (B-Tight, „Der Ficker“), „Gynäkologe“ (Frauenarzt feat. Tanga Lilly, „Gynäkologe“) oder „Fick die Ex 2000sex“ (King Orgasmus One, „Fick die Ex 2000sex“). Eine weitere Ursache für die Popularität sexueller Anspielungen und Vergleiche im Rap findet sich im rituellen Beleidigen fiktiver oder tatsächlicher Kontrahenten, dem Dissing. Die aus dem Battle (vgl. Kap. 2.2.6) entstandene Kulturpraxis des Dissings basiert zu einem Großteil aller Fälle auf Beleidigungen und Verunglimpfungen sexueller Prägung. Hier dienen all jene Bereiche des Privatlebens des Kontrahenten als Ausgangsmaterial für denunzierende Vergleiche, die sowohl für den Akteur als auch für sein Publikum nicht unmittelbar einsehbar und damit widerlegbar sind: Ob Familienangehörige, Bildungsstand, Wohngegend, Wohnsituation, Hobbies oder Freunde, kein Teilbereich des privaten Lebens ist sicher vor den diffamierenden Worten des Kontrahenten. Je heftiger der Treffer, desto größer die Anerkennung durch das Publikum, denn gerade unter Jugendlichen stellt die Sexualität einen der sensibelsten Teilbereiche der Privatsphäre dar. Mit anderen Worten, gerade hier bietet jeder – eben auch ein unbekannter – Kontrahent ausreichend Angriffsfläche für die im Battle so wichtige Technik des Dissings. Und auch für den verbalen Wettstreit bietet diese Form der rituellen Beschimpfung einen weiteren, sehr pragmatischen Vorteil: Da es für derartige Vorstöße in das Privatleben des Kontrahenten keinen konkreten Realitätsbestand geben muss, lassen sich dementsprechende Wortkombinationen, Phrasen, bis hin zu größeren Rap-Passagen vorbereiten, auswendig lernen und in der jeweiligen Situation des konkreten Battles gleichsam unabhängig vom jeweiligen Adressaten anwenden. Ein Spezialfall ist in diesem Zusammenhang der Beef (vgl. Kap. 2.2.6), in dem verbale Angriffe weniger standardisierte Formen zu bedienen scheinen und dementsprechend stärker personalisiert sind als in Freestyle-Battles. Als Beispiel dient hier der Beef zwischen dem Kool Savas und seinem ehemaligen Protegé Eko Fresh. Interessanterweise sind in den beiden zentralen Tracks des Beefs – Eko Freshs Diss-Track „Die Abrechnung“ (Eko Fresh, „Die Abrechnung“) und Kool Savas‘ „Das Urteil“ (Kool Savas, „Das Urteil“) – sexuelle Denunziationen eher eine Randerscheinung. Eko Fresh greift nicht seinen direkten Opponenten mit derartigen Beleidigungen an, sondern nur Nebenfiguren wie den Rapper Fler

9

Litzbach schreibt als allgemeine Charakterisierung des Pimp-Rappers: „Seine Selbstdarstellung ist geprägt von geradezu unzerstörbarer sexueller Potenz, der die Frauen reihenweise erliegen bzw. zum Opfer fallen.“ (Litzbach 2011, S. 23.)

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(„Du bist schwul, Junge, du hast den gewissen Flair.“ – Eko Fresh, „Die Abrechnung“), und auch die Reaktion Kool Savas‘ beschränkt sich auf inhaltliche, biographische und rap-technische Angriffe und enthält in einem über fünfminütigen Track lediglich an zwei Stellen Diffamierungen aus dem Bereich der Sexualität („der Rapper der Dieter Bohlen den Cock hält“, „Eko, lutsch meinen Schwanz!“ – Kool Savas, „Das Urteil“). Dieses Gegenbeispiel verdeutlicht, dass Rapper gerade dann beim Dissing auf Inhalte aus dem Bereich der Sexualität zurückgreifen, wenn der einzelne Opponent oder die Menge der Adressaten nicht ausreichend konkrete ‚Angriffsfläche‘ für Denunziationen bieten.

8.3 P ROVOKATIVES P OTENZIAL Wie bereits in Kapitel 8.1. angedeutet, werden Musikstilen wie HipHop oder Heavy-Metal, als wesentliche Identifikationsmedien bestimmter Jugendkulturen, grundsätzlich provokatives Potenzial zugeschrieben.10 Dabei findet die Opposition und kontrastierende Gegenüberstellung zwar innerhalb der Musikkulturen statt, kann jedoch nicht direkt durch musikalische Parameter transportiert werden. Vielmehr fungiert die Musik hier als Flucht- und Ausgangspunkt außermusikalischer Zeichensysteme: „Die Musik an sich ist […] als selbstreferenzieller Bereich nicht in der Lage, aus sich heraus Tabus zu brechen oder pornographisch zu sein. Dahingegen werden vor allem in den Genres Rap und Heavy Metal die Lyrics als Hauptursache für derlei Zuschreibungen identifiziert (Porno/Tabu).“11

Gerade aber die Sprache – als scheinbar am leichtesten zugängliches, weil vermeintlich intuitiv verständliches, Zeichensystem – wird häufig fehlinterpretiert und ist insbesondere im deutschsprachigen Rap immer wieder Ziel und Ausgangspunkt öffentlicher Kritik. So sind es vielfach immer noch in erster Linie anstößige Texte, die bei Rap-Alben zu einer Indizierung durch die ‚Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien‘12 führen, obwohl in der Forschung spätestens seit Anfang der 1990er Jahre ein direkter Zusammenhang zwischen Medieninhalt (hier: vor allem auch die Texte) und antisozialem Verhalten der Konsu-

10 Vgl. Altrogge/Amann 1991, S. 7 11 Ahlers/Jacke 2011, S. 223. 12 Im Folgenden kurz: BPjM.

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menten negiert wird.13 Um die Mechanismen provokativer Kunstprodukte aus dem Bereich der Raptexte besser verstehen zu können, müssen zunächst die in der HipHop-Kultur gängigen, konventionalisierten Vorstellungen, Ideale und Normen in Bezug auf Sexualität umrissen werden. „HipHop ist eine patriarchal organisierte, männlich dominierte und sexistische Kulturpraxis, gekennzeichnet dadurch, daß primär zwischen Mann und Nicht-Mann unterschieden und Weiblichkeit als Projektionsfläche für männliche Phantasien begriffen wird.“14 Dieses Zitat von Klein und Friedrich liefert eine Zusammenfassung der in diesem Zusammenhang wichtigsten Charakteristika der HipHop-Kultur. Aus ihnen resultiert eine Reihe von Folgeerscheinungen, die auch Rap als Teilkultur wesentlich prägen und selbst über die verschiedenen Entwicklungen der letzten Jahre hinweg, relativ konstant mitbestimmen. Teil des Spiels um Authentizität und Glaubwürdigkeit innerhalb der HipHop-Kultur ist die Selbstinszenierung als heterosexueller, potenter Rapper15 bzw. als selbstbestimmte, sexuell aktive Rapperin16. Heterosexualität gilt als Norm, tatsächliche oder imaginierte Homosexualität als verurteilungswürdige Anomalie und damit potenziell als Beleidigung: Wer sich nicht als Außenseiter diskreditieren will, muss in performativen Akten der Selbstinszenierung immer wieder neu unter Beweis stellen, dass er „straight“17 ist. Dementsprechend gilt die Attribuierung ‚schwul‘ bzw. „gay“18 als Beschimpfung und ist aufgrund dominanter Heteronormativität im deutschsprachigen Rap zahlreich zu finden. Als Exempel, in denen die Verunglimpfung bereits im Titel enthalten ist, seien hier lediglich die Tracks „Schwule Rapper” von Kool Savas (Kool Savas, „Schwule Rapper”) und „Nich so schwuu“ der Rap-Formation Huss und Hodn (Huss und Hodn, „Nich so schwuu“) genannt. Die Beispiele, in denen diese Attribuierung in insultierender Weise eingesetzt wird, unterscheiden sich deutlich in der Komplexität der sprachlichen Bilder: Sie reichen von eindimensionalen, direkten Insulten wie „du bist schwul“ (Azad, „Rapresentieren“) oder „heute bist du der schwule Rapper in Strumpfhosen“ (Alpa Gun in „Frohe Weihnachten“) über Wortkreationen wie „Deutschland ist und bleibt das Schwulenrapper-Mekka“ (Huss und Hodn, „Radiowecker“) bis hin zu Formulierungen, die ihr volles diffamierendes Potential nur auf der Basis von Insiderwissen entfalten können, wie das oben zitierte Dissing von Kool Sa-

13 Vgl. etwa Altrogge/Amann 1991, S. 7. 14 Klein/Friedrich 2003a, S. 206. 15 Ebd., S. 111 ff. und Litzbach 2011. 16 Vgl etwa Glowania/Heil 1996 und Lüdtke 2007b. 17 Wippermann 2000, S. 178. 18 Ebd.

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vas „der Rapper der Dieter Bohlen den Cock hält“ (Kool Savas, „Das Urteil“). Mittlerweile wird die Bezeichnung ‚schwul‘ in deutschen Raptexten mehr oder weniger arbiträr für all dasjenige verwendet, was in irgendeiner Weise negativ konnotiert ist und erscheint selbst in Kontexten, in denen noch nicht einmal direkt von Personen die Rede ist wie in der Zeile „ficke auch die Backspin und die oberschwule Juice“ (Frauenarzt, „Diese Fotzen“), in der sich Rapper Frauenarzt über zwei der großen Szenemagazine („Backspin“ und „Juice“) mokiert. Interessanterweise gilt im verbalen Umgang mit Homosexualität, was sich für sexuell konnotierte Bilder im Allgemeinen beobachten lässt: Vergleiche und bildhafte Konstruktionen aus dem Bereich der Sexualität sind grundsätzlich bipolar und können positiv wie negativ kontextualisiert sein. Ein Beispiel liefert Kool Savas‘ Ausruf „Lutscht meinen Schwanz!“ (Kool Savas, „LMS“), der auch zum Titel eines Tracks wurde und in den ersten Jahren wesentlich zu der Popularität des Rappers beitrug. In den Strophen des Stückes, in dem er vorwiegend seinen Status als potenter, aggressiver und überlegener Liebhaber beschreibt, fehlt auch nicht der Hinweis auf seine Heterosexualität: „mich in den Po zu ficken, geht nicht“ (ebd.). Dennoch schließt er einen anderen populären Track, „Das Urteil“ (Kool Savas, „Das Urteil“), mit den Worten „Eko, lutsch meinen Schwanz!“ (ebd.). Dieses Beispiel soll zeigen, dass in der Selbstpositionierung zwischen Homo- und Heterosexualität eine Komponente dominiert: Die Darstellung von Macht. Hier geht es nicht mehr um eine konkrete, sexuelle Handlung, sondern um die mit ihr konnotierte Machtposition, wie in Kapitel 8.6 noch detaillierter ausgeführt wird. Aber nicht nur die Demonstration der eigenen Heterosexualität wird standardmäßig gefordert, sondern ebenso die aktive Ausübung derselben. Auch hier gilt: Eine glaubwürdige Selbstdarstellung gelingt nur über eine performative Inszenierung. Der vermeintlich erfolgreiche Rapper beschreibt dabei immer wieder seine „geradezu unzerstörbare sexuelle Potenz“19. B-Tight konstatiert in dem Track „Bums mich!” (B-Tight & Bendt, „Bums mich!”) beispielsweise „Im Club, im Auto, im Bett / egal wo er steht wie ein Brett.“ (ebd.). Um die eigenen Behauptungen zu untermauern, fehlen in der eindimensionalen Logik des sexuell ‚Omni-Potenten‘ auch nicht Beispiele für quasi messbare Kenngrößen: So rappt Kollegah etwa in „Mondfinsternis“ (Kollegah, „Mondfinsternis“) „Habe danach mit der Nutte ca. 7 Stunden Sex“, Kool Savas behauptet „Meine Bälle wiegen gemeinsam 4 Zentner“ (Kool Savas, „LMS“), Olli Banjo „meine Eier wiegen zehn Zentner“ (Olli Banjo, „Hong Kong“) und K.I.Z. „keine Schwänze sondern Baumstämme / Keine Säcke sondern Staudämme“ (K.I.Z., „Spast“). Auf diese

19 Litzbach 2011, S. 23.

T OPOS ‚S EXUALITÄT ‘ | 201

Weise werden nicht nur Darstellungen von sexualisierten Inhalten, die eine spezifische Machtkonstellation repräsentieren, zu Beispielen der eigenen Überlegenheit. Mittlerweile stehen körperliche Attribute selbst als Symbole für Macht: „Das ist der Riesenschwanz, riesenlang, ihr kriegt Angst, / wir sind dran. Das ist das Lable Nummer eins.“ (Sido, „Aggrokalypse“). Selbst satirische Beschäftigungen mit derartigen Klischeebildern männlicher Sexualphantasien, wie beispielsweise in der Gemeinschaftsproduktion „Das System (Die kleinen Dinge)“ von K.I.Z und Sido (K.I.Z feat. Sido, „Das System (Die kleinen Dinge)“), in der sich die Rapper mit wahnwitzigen Vergleichen wie „ich kann wie Sherlock Holmes mein’ Pimmel mit der Lupe suchen“ (ebd.) gegenseitig überbieten in der Schilderung dessen, was sie als „schlecht bestückt wie ein ostdeutscher Supermarkt“ (ebd.) bezeichnen, können aufgrund der in ihr transportierten Ironie nicht darüber hinweg täuschen, dass in der patriarchalischen Macho-Ethik des PimpRap weiterhin klischierte Vorstellungen von Männlichkeit dominieren. Ein weiteres Indiz besonderer Virilität ist außerdem die Zahl der angeblichen Sexualpartnerinnen. Beispiel gebend sei hier Rapper Kollegah, der im Track „Mondfinsternis“ (Kollegah, „Mondfinsternis“) prahlt: Keiner dieser Rapper kann so viele Bitches zu derselben Zeit in 10 Städten haben, ohne dass die Weiber irgendwann checken was abgeht. Kid, ich hab allein in deiner City ca. 7 oder 8 Babes, was geht? (Kollegah, „Mondfinsternis“, Album „Bossaura“, Selfmade Records 2011)

Von festen Partnerschaften, Loyalität und Treue – allesamt Kennzeichen der Erwachsenenkultur – ist wenig die Rede, dafür von intimen Partybekanntschaften und sexueller Unabhängigkeit. Schon Anfang der 1990er Jahre beschreiben Die fantastischen Vier in dem Stück „Du Arsch“ (Die fantastischen Vier, „Du Arsch“) den Inbegriff spaßorientierter Sexualität – den ‚one night stand‘: […] baby, ich zahl jetzt dein drink und dann gehn wir gleich zu dir oder machst dus gern im wasserbett, na dann gehn wir zu mir wo immer wir auch hingehn, hoff ich das wir uns verstehn uns morgen nach dem frühstück dann auch nie mehr wiedersehn a one night stand, wir drehn das ding nur heute nacht an was anderes hab ich sowieso gar nicht gedacht (Die fantastischen Vier, „Du Arsch“, Album „Jetzt geht's ab“, Columbia 1991)*

Sexuelle Unabhängigkeit und wechselnde Geschlechtspartner als Statusobjekte existieren in den ersten Entwicklungsjahren des deutschsprachigen Rap aus-

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schließlich und heutzutage überwiegend in der Welt der männlichen Rapper. Dennoch wird auch von den Frauen seit den Anfängen des deutschen Rap sexuelle Versiertheit als Qualitätsmerkmal vorausgesetzt, um als Sexualpartner nicht hinter dem stets als potent dargestellten Rapper zurück zu bleiben, wie etwa Thomas D in „Thomas und die Fraun“ (Die fantastischen Vier, „Thomas und die Fraun“) beschreibt: mir egal ich will eine die muss nett sein frisch frei natürlich und natürlich gut im bett sein darüber hinaus lässt sich sowas schlecht erfassen geradeheraus sie muss einfach zu mir passen (Die fantastischen Vier, „Thomas und die Fraun“, Album „4 gewinnt“, Columbia 1992)*

Sexuelle Passivität ist generell „negativ – das heißt unmännlich beziehungsweise weiblich und homosexuell – besetzt“20 und wird lediglich als bewusste Abstinenz als Beweis für Willensstärke und einen höheren Anspruch akzeptiert. So versucht Kollegah sich in dem Titel „Mondfinsternis“ (Kollegah, „Mondfinsternis“) von Konkurrenten abzusetzen mit den Worten: „ich stoße Chicks von der Bettkante, die sie heiraten würden“ (ebd.). Das Vokabular für die Bezeichnung primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale und für den Sexualakt selbst ist umfangreich, einen entsprechenden Überblick bietet vor allem Lüdtke.21 Die in diesem Kontext verwendeten Vergleiche variieren in ihrer sprachlichen Komplexität und ihrer kreativen Anlage. Generell kann man jedoch feststellen, dass das provokative Potenzial unmittelbar an die verbale Direktheit gekoppelt ist: Je drastischer und derber die Sprache, um so stärker die potentiell rezipierte Provokation. In zeitgenössischen RapProduktionen zeichnet sich allerdings ein Kollaps sprachlicher Vulgarität ab. In Zeiten, in denen es scheinbar keine sprachlichen Tabus mehr in Rap-Lyrics gibt, in denen Rapper exakt so schreiben, wie sie umgangssprachlich sprechen, in denen im Internet jeder indizierte Songtext nach mehr oder weniger intensiver Recherche gefunden werden kann, ist ein Provozieren mithilfe besonderer verbaler Direktheit nicht länger zu leisten. Jedes noch so vulgäre Wort aus dem Bereich der Sexualität kann in einem – zumindest im Internet öffentlich zugänglichen – Raptext geortet werden. Selbst die Quantität als letzte mögliche Ursache des Anstoßes wird obsolet, wenn beispielsweise Rapper Frauenarzt mit dem Track „Diese Fotzen“ (Frauenarzt, „Diese Fotzen“) alleine bis nach dem ersten Refrain

20 Gossmann 2012, S. 102. 21 Vgl. Lüdtke 2007a, S. 153-158.

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des Stückes 14 Mal die Bezeichnung ‚Fotzen‘ und 20 Mal das Verb ‚ficken‘ verwendet. Eine Folge dieser Entwicklung ist die inhaltlich-semantische Pervertierung, die bei jüngsten Publikationen des sogenannten ‚Porno-‚ oder ‚PimpRap‘ zu beobachten ist, worin körperliche Macht und sexuelle Gewalt als neue, provozierende Stilmittel eingesetzt werden. So rappt Kollegah in dem Titel „Mondfinsternis“ (Kollegah, „Mondfinsternis“) „zerre deine Bitch auf Toilette und ficke der den arroganten Blick aus der Fresse“ (ebd.). Dietrich Helms benennt in „Thema Nr. 1 – Sex und populäre Musik“ eine der Ursachen für das provokative Potenzial der Gewaltpornografie: „Macht allerdings polarisiert als Medium zwischen Herrschendem und Beherrschten und kann in Gesellschaften mit einem egalitären Selbstverständnis noch stärker provozieren als Erotik. Macht hat durch diese Provokation daher eine stärker differenzierende Wirkung.“22 An dieser Stelle ist ein kurzer Exkurs vonnöten, um den Begriff der Erotik und der Pornografie voneinander abzugrenzen und in Beziehung zu Darstellungen von sexuellen Machtstrukturen in deutschsprachigen Raptexten zu setzen. Im Wesentlichen beziehe ich mich dabei auf den von Dietrich Helms und Thomas Phlebs herausgegebenen Band „Thema Nr. 1 – Sex und populäre Musik“23, mit Fokus auf den Beitrag Dietrich Helms „Theoretische Überlegungen und historische Schlaglichter zum Thema ‚Erotik und Musik‘“24.

8.4 E ROTIK

UND

P ORNOGRAFIE

Ausgehend von der Popmusik skizziert Helms zu Beginn der genannten Abhandlung zunächst die Rahmenbedingungen, unter denen die Kommunikation zwischen Künstler und Rezipient überhaupt stattfinden kann: „Dieses Singen vom Ich braucht eine gute Begründung, die vom Publikum akzeptiert werden muss, um überhaupt zu funktionieren, und eine solche Begründung liefert die Liebe.“25 Zu den auf diese Weise legitimierten Musikproduktionen zählen grundsätzlich alle Vertonungen von Liebeslyrik, wie beispielhaft für den Rap etwa auch „Die Eine 2005“ (Die Firma, „Die Eine 2005“) von Die Firma, „Wenn ich die Welt aus dir erschaffen könnte“ von Curse (Curse, „Wenn ich die Welt aus dir erschaffen könnte“) oder „Flucht zu dir“ (F.R., „Flucht zu dir“) von F.R.. Durch

22 Helms 2011, S. 40. 23 Helms/Phleps 2011. 24 Helms 2011, S. 9-43. 25 Ebd., S. 23.

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die kulturspezifische ‚Coolness‘26 als stilistische Maxime der Darstellungsästhetik entstehen außerdem Raptexte, die zwar inhaltlich korrespondieren, aufgrund der verwendeten sprachlichen Codes und einer scheinbaren Dominanz der Form über den Inhalt (vgl. ‚Primat des Klangs‘, Kap. 1.1.6) allerdings nur bedingt zu dieser Kategorie gezählt werden können, wie beispielsweise „Du hast den Style“ (Spax, „Du hast den Style“) von Spax. 8.4.1 Erotische Darstellungen Anschließend bestimmt Helms Erotik als spezifische, unkörperliche Kommunikation: „Musik hat nichts zu tun mit dem biologischen Prozess des Sex als körperlichem Akt der Fortpflanzung, allerdings sehr viel mit den kommunikativen Prozessen, die dem Geschlechtsverkehr vorausgehen (können): der Erotik.“27 Zu den Beispielen erotischer Lyrik können in diesem Sinne Raptexte gezählt werden, in denen Flirten als Sprechakt inszeniert wird, insbesondere wenn dabei körperliche Attribute mit einfließen wie in den folgenden Zeilen von Samy Deluxe: Warum ist dein Ausschnitt so tief? Kleid so eng? / Und noch so kurz? Mein Blick bleibt häng’n. / […] Frauen in allen nur erdenklichen Farben und Form’n! / Seh’ die Augen, seh’ die Lippen, seh’ die Nase, die Ohr’n. / Seh’ die Haare so lang! Haut so glatt! / Warum werd’ ich bloß bei schönen Frauen so schwach? (Samy Deluxe, „Warum“, Album „Verdammtnochma!“, Capitol Music/EMI 2004)

Ein außergewöhnliches Beispiel für erotische Darstellungen im deutschsprachigen Rap liefert die Rapperin Sookee mit ihrem Track „Blicke wie Feuer“ (Sookee, „Blicke wie Feuer“). Die detailreiche Beschreibung eines Sexualakts wird in der Hookline kommentiert mit den Worten: dis is’ wow und flirty – blicke wie feuer dis is’ down und dirty – es gibt nix zu bereuen die eine haut erhitzt die andere dis is’ wie zwei sich ineinander verwandeln (Sookee, „Blicke wie Feuer“, Album „Quing“, Springstoff 2010)*

26 Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 43 f. und insbesondere Geiger/Schröder/Söll 2010. 27 Helms 2011, S. 10.

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Die drei Strophen können als Vorspiel („aber hitze im innern die nach draußen bricht / alle sinne fließen in eine richtung / es gibt nur diesen wunsch es gibt keine verpflichtung“, ebd.), Akt mit Höhepunkt („alles zittert vibriert kribbelt bebt und jauchzt / dis euphorische finale besteht darauf / noch ein tick nach vorn und die zeit bleibt steh’n“, ebd.) und Nachspiel („kraft und spannung sind fort alles ist leicht / […] dis blut verteilt sich wieder gleichmäßig im körper“, ebd.) gelesen werden. Der sehr poetische Text („alles ringsum surrt nur leise im off“, „dieser weiche mund der so süßes kann“, ebd.) ist in seiner authentischen wie ästhetisch anspruchsvollen Darstellungsweise eine Ausnahmeerscheinung im deutschsprachigen Rap. Definiert man Erotik wie Helms als Kommunikationsprozess vor einem eventuellen Sexualakt, so sind die häufigsten Beispiele erotischer Raptexte Fiktionsdarstellungen und inszenierte Fantasie, wie etwa in „ich will mit mein’ Händen klatschen und zwar auf deine festen Backen, / will sie nehmen und sie kneten und mit beiden Händen packen“ (Frauenarzt, „Dein Arsch“). Helms versteht derartige Sprechhandlungen als Probehandeln und argumentiert, dass auf diese Weise kommunikative Strategien ausprobiert werden können: „Denn Musik kann durch die Sonderwelt, die sie schafft, in der Alltagswelt tabuisierte oder unmögliche Kommunikation möglich machen. So können Handlungen des Flirtens und der Anmache, die Sprache der Liebe und die Zeichen der Erotik unverbindlich erprobt, vermittelt und zur Diskussion gestellt werden.“28

Helms beschreibt die Parallelität der beiden Modi mithilfe der Begriffe ‚Alltag‘ und ‚Feier‘: „In der langen Geschichte des menschlichen Verhaltens der Feier – vom religiösen Ritus bis zur privaten Party – zeigt die Musik an, dass andere Regeln der Kommunikation gelten als im Alltag.“29 Bezüglich der Übertragung fiktionaler Kommunikationsspiele aus dem Modus der Feier in die Realität schreibt er weiter: „Die Erotik zwischen Musikern und Publikum […] steht unter Fiktionsvorbehalt und muss, wenn die Musik endet, eine spürbare Hürde überwinden, um in die Realität hinübergetragen zu werden.“30 In diesem Zusammenhang wird die Notwendigkeit offenkundig, die Differenz zwischen den unterschiedlichen Sprecherrollen von Popsängern und Rappern näher zu bestimmen. In Ergänzung zu Helms soll an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass im Gegensatz zu Solo-Sängern aus der Popmusik, die im Allgemeinen vorrangig

28 Ebd., S. 15. 29 Ebd., S. 19. 30 Ebd., S. 15.

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als ‚Interpreten‘ im wörtlichen Sinne gelten, d.h. als Darstellende eines Originaltextes, dessen Urheber sie nicht gezwungenermaßen selbst sind, die Personalunion von Verfasser und Interpret im Rap generell vorausgesetzt wird (vgl. Kap. 1.1.1). Diese enge Verknüpfung mit der Person des Rappers in Kombination mit den genrespezifischen Kulturpraktiken des Boastings und Dissings haben weitreichende Folgen für die Identifikationsmechanismen zwischen Künstler und Rezipient: In der Popmusik ermöglicht die stellvertretende Perspektive des Interpreten generell auf Seiten der Rezipienten auch ein stellvertretendes Einnehmen der Adressaten-Position, also die Identifikation mit dem lyrischen Du. Auf diese Weise kann durchaus auch eine erotisch aufgeladene Situation evoziert werden, beispielsweise wenn reine Männer-Gesangsgruppen wie Boyz II Men vor ihrer überwiegend weiblichen Zuhörerschaft Titel performen wie „I’ll make love to you“ (Boyz II Men, „I’ll make love to you“). In der standardmäßigen Kommunikationssituation im Rap hingegen ist das lyrische Gegenüber grundsätzlich vom Hörer verschieden. Die dominierenden Adressierungen im Rap an die zweite Person (Singular oder Plural) implizieren stets eine Solidarisierung des Publikums mit dem ‚Sprecher‘, dem Rapper. Eine Kultur, die wesentlich auf der Profilierung des Ich – repräsentiert in der selbstüberhöhenden Kulturpraxis des Boastings – in klarer Opposition zum lyrischen Du – repräsentiert in der diffamierenden Kulturpraxis des Dissings – basiert, evoziert eine Rezeptionshaltung, die eine Identifikation mit dem lyrischen Ich voraussetzt. Dadurch ergeben sich genrespezifische Hindernisse für die von Helms im Bereich der Popmusik beobachtete erotische Spannung, die zwischen Interpreten und Rezipienten entstehen kann. Grundsätzlich kann also festgehalten werden, dass im Rap eine erotische Spannung vielmehr durch die Identifikation mit der Sprecherrolle ermöglicht wird. 8.4.2 Pornografische Darstellungen Schließlich versucht Helms die ‚Erotik‘ von der ‚Pornografie‘ abzugrenzen, indem er konstatiert, dass „für visuelle Medien die vollständige Entblößung das baldige Ende der Erotik“31 bedeutet und argumentiert: „Pornographie, das Vormachen von Geschlechtsverkehr, vermag keine kommunikative Nahwelt aufzubauen, da der Beobachter nicht mehr direkt angesprochen wird. Zudem taugt sie kaum zur Darstellung von Individualität.“32 Ähnliches gilt für sprachliche Kulturprodukte wie Raptexte, die aufgrund einer zu drastischen Darstellungs-

31 Ebd., S. 40. 32 Ebd.

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weise und der spezifischen Kommunikationssituation keine ‚Nahwelt‘ aufbauen können und so zu verbaler Pornografie werden. So schreibt auch Helms: „Besonders deutlich wird die Problematik am Beispiel der von der Presse so genannten ‚Pornorapper‘ männlichen und weiblichen Geschlechts, in deren Texten es nicht mehr um Erotik geht, sondern vor allem um die Darstellung von Macht mithilfe körperlicher Zeichen.“33 Helms beschreibt auf diese Weise ein dichotomes Modell, in dem einem ‚kommunikativen Prozess‘ zwischen Gleichgestellten innerhalb einer ‚Nahwelt‘ (die Erotik) ein Distanz schaffendes Abbilden und hierarchisierendes ‚Darstellen von Macht‘ (die Pornografie) gegenüber gestellt wird. Vor diesem Hintergrund können unzählige Raptexte als ‚pornografische‘ Texte subsumiert werden, in denen sexuelle Handlungen aus profilrelevanten Gründen, die im Folgenden noch weiter spezifiziert werden, plastisch geschildert werden. Darüber hinaus können sogar einige Profile von Rappern, deren Künstlername bereits Ausdruck einer themenfokussierenden Profilbildung ist, als ‚Porno-Rapper‘ kategorisiert werden, wie namentlich Frauenarzt und King Orgasmus One. In Ergänzung zu Helms, scheint im konkreten Kontext pornografischer Raptexte jedoch eine Differenzierung zwischen produktions- und rezeptionsseitigen Mechanismen vonnöten. Auf Seiten der Rezipienten bieten pornografische Texte zahlreiche Möglichkeiten der Identifikation, der Inszenierung, der Reflexion, der Kompensation34 u. v. m., die unter anderem bei Herschelmann ausführlicher beschrieben werden.35 Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit, die den Rapper als Verfasser der Texte stärker in den Fokus rückt, ist jedoch die Frage nach den Produktionsmechanismen und den zugrunde liegenden Profilbildungsstrategien pornografischer Texte entscheidend. Zunächst einmal kann festgehalten werden, dass einige der pornografischen Bilder und Formulierungen durchaus humoristische Zielsetzungen verfolgen.36 Dazu gehören etwa Phrasen wie B-Tights „Die Morgenlatte wird geblasen, ich spritz’ ab und sie ist satt. / So ein Frühstück hat diese Bitch noch nie gehabt.“ (B-Tight, „Der Ficker“) und viele der in dieser Arbeit zitierten sexualisierten Boastings. Diese können wiederum einen Teil ihrer Wirkung gerade durch die Kombination mit dem provokativen Potenzial entfalten (vgl. Kap. 8.1 und 8.2). Helms schreibt dazu:

33 Ebd. 34 Vgl. Ahlers/Jacke 2011, S. 223. 35 Herschelmann 2009, S. 172 ff. 36 Vgl. hierzu etwa die Beobachtungen von Kanehl und Zill zu pornografischen Darstellungen in Sidos „Mein Block“ (Kanehl/Zill 2009, S. 10).

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„Dabei ist die solidarisierende Wirkung nach innen umso stärker, je provozierender das Verhalten nach außen wirkt. Die Verletzung von Tabus hilft zu differenzieren: Den Musiker, der noch einen Schritt weiter geht, von seinen Konkurrenten; den Hörer, der sich ansprechen lässt, von denen, die sich schockiert abwenden.“37

Dieses Fiktions-Spiel oder „So-tun-als-ob“38 bietet demnach durch die stellvertretende, passiv-konsumierende Teilhabe nicht nur ein lustvolles Erlebnis, sondern gleichzeitig auch eine Möglichkeit der Selbstinszenierung – sowohl auf der Produktions- als auch auf der Konsumentenseite. Viele der Formulierungen weisen spezifische sprachliche Marker auf, die die zugrunde liegende Provokationsstrategie klar erkennen lassen, zuvorderst zählt dazu obszönes und vulgäres Vokabular: Komm, lass nicht viel reden, ich will ficken / Bumsen, Blasen, Lecken, Schwitzen, Abspritzen, Ficken / Raus, rein, rein, raus, eintauchen / Dicke Schwänze, dicke Titten, ich will ficken (Sido feat. Kitty Kat, Tony D, „Ficken”, Album „Ich“, Aggro Berlin 2006)

So sind es häufig gerade die aus der Dominanzkultur zitierten Beurteilungen wie „all die ganzen schweinischen Sachen“ (Kitty Kat in Sido, „Ficken“), die klischierte Vorstellungen von Pornografie, Perversion und Fetischismus wiederholen und bestätigen: ich saug’ jeden Tropfen aus dir raus, / ich mach’ Dinge, die sich keine traut, / Handschellen dabei und mein Spielzeug auch (Kitty Kat in Sido feat. Kitty Kat, „Das Eine“, Album „Eine Hand wäscht die andere“, Aggro Berlin 2007)

Wie in Kapitel 8.5 näher ausgeführt werden wird, sind derartige pornografische Darstellungen – selbst wenn sie von Rapperinnen präsentiert werden – überwiegend spezifisch männliche Fantasien, wie auch das nachfolgende Beispiel verdeutlicht:

37 Helms 2011, S. 20. 38 Ebd.

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Ich spiel’ an meinen Knospen und lutsch’ an dicken Schwänzen. / Wenn ich richtig in Fahrt bin, gibt’s Anal ohne Grenzen. / […] Vaginal, Anal, Oral ist alles, was ich kann und mag. / Nur mit diesen tollen Dingen ertrag’ ich jeden Tag. / X-beliebige, extravagante Spritz-mir-in-den-Mund-Stellungen. (Tanga Lilly in Frauenarzt feat. Tanga Lilly, „Gynäkologe“, Album „Tanga Tanga“, Berlin Crime 2005)39

Wie im weiteren Verlauf der Arbeit und insbesondere in Kapitel 8.6 zu sehen sein wird, äußert sich die männliche Perspektive vor allem in der dargestellten, charakteristischen Machtkonstellation, wie etwa auch in „Manche dürfen nur blasen - die sind dann dick. / Wenn sie fertig ist, wird sie wieder weggeschickt.“ (B-Tight, „Der Ficker“), in „Hört auf zu labern, ihr sollt blasen!“ (Frauenarzt, „Dein Arsch“) und zahllosen weiteren Beispielen. Diese Machtdemonstrationen wiederum sind innerhalb der erwähnten Rapgenres elementare Bestandteile der Profilbildung und wurden so schließlich auch zur Basislegitimation des kommunikativen Aktes an sich: „Erst im HipHop der Gegenwart ist es möglich geworden, auch das Streben nach Macht, den Herrschaftswillen über andere, zur legitimen Begründung der Ich-Perspektive eines Liedes zu etablieren […].“40 Mit der Fokussierung auf die Demonstration von Herrschaftswillen und Macht bei gleichzeitiger Absenz von Erotik lässt sich so schließlich auch der Einzug von Gewaltdarstellungen in die Inszenierungen begründen. „Ohne Erotik, die gegenseitige Präsentation und Akzeptanz der individuellen Geschlechtlichkeit des Körpers, kann körperliche Kommunikation zur Ermöglichung von Sex auch und nur noch als Demonstration von Macht mit der Androhung von Gewalt ablaufen.“41 Dementsprechend können vor allem gewaltpornografische Machtdarstellungen ein besonderes Provokationspotenzial entfalten.42 So erklärt sich auch die enorme Bedeutung derartiger Inszenierungen für die Profilbildung etwa der sogenannten ‚Gangsta-Rapper‘, die mithilfe von Gewaltpornografie ihre Überlegenheit auch im Speziellen gegenüber Frauen demonstrieren.

39 Ob in diesem Fall Tanga Lilly lediglich der Produktionsname für die im Studio (einen Text von Frauenarzt) Rappende oder tatsächlich der Künstlername einer eigenständigen Rapperin ist, bleibt aufgrund mangelnder öffentlicher Präsenz und profiltechnischer Konstanz fraglich. 40 Helms 2011, S. 23. 41 Ebd., S. 16. 42 Vgl. ebd., S. 40.

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8.4.3 Distinktionspotenzial der Flowanalyse Wie die zahlreichen bisherigen Beispiele verdeutlichten und vor allem in Kapitel 8.6 noch in komprimierter Form zu sehen sein wird, nutzen Rapper nahezu aller Subgenres vulgäres und obszönes Vokabular. Wie gezeigt werden konnte, liegen die Ursachen dafür vor allem in dessen provokativen (Opposition zur Erwachsenenwelt), gemeinschaftsbildenden (durch Adaption von Genrestandards) und individualisierenden Potenzial (Opposition zur Konkurrenz). Obszönität und Vulgarität als sprachlich-formale Kriterien lassen also keine Klassifikation von Raptexten zu. Auch das Verwenden pornografischer Darstellungen als inhaltliches Kriterium kann nur quantitative Unterschiede zwischen einzelnen Rappern und Subgenres beschreiben und ist daher lediglich notwendiges, jedoch nicht hinreichendes Kriterium etwa für die Unterscheidung von ‚Porno‘-, ‚Pimp‘- und ‚Gangsta‘-Raptexten. Ein Distinktionsmerkmal ist auch hier wieder der spezifische Flow: Mithilfe der Flowanalyse können flowfokussierte Raptexte mit pornografischen Darstellungen von jenen Texten unterschieden werden, die unabhängig von einem ‚Primat des Klangs‘ den pornografischen Inhalt der Texte in den Fokus rücken, um damit das spezifische Profil zu etablieren. Exemplarisch werden dazu im Folgenden die 8 Eröffnungstakte aus dem Signatur-Track „Gynäkologe“ (Frauenarzt, „Gynäkologe“) von Frauenarzt analysiert: Das nachfolgende Notenbeispiel 23 ist eine näherungsweise Darstellung der rhythmischen Struktur des Flows. Dabei könnte anhand der Vielzahl der unterschiedlichen rhythmischen Elemente und dem gemeinsamen Auftreten von binärer und ternärer Quantisierung der Eindruck eines besonders ausgefeilten Flows entstehen. Tatsächlich handelt es sich hierbei allerdings lediglich um behelfsmäßig in traditioneller Notenschrift wiedergegebene Unregelmäßigkeiten, die einen äußerst uneinheitlichen und nicht souverän wirkenden Flow erzeugen. Eines der Kennzeichen für mangelnde raptechnische Souveränität ist die rhythmische Stauchung zum Ende einiger Takte hin, beispielsweise in den Takten 1, 2, 3 und 6, die an kleiner werdenden Notenwerten zu erkennen ist. Sie wurzelt in dem Bemühen, wichtige Silben auf betonte Zählzeiten – etwa auf Zählzeit 1 des nachfolgenden Taktes – zu platzieren und wird als arrhythmisches Accelerando realisiert, um noch rechtzeitig alle Silben unterzubringen. Dementsprechend ist eine Synchronisierung mit dem zugrunde liegenden Beat in vielen Fällen nicht erkennbar und gipfelt etwa in den Displatzierungen von Takt 3 auf 4. Das Bestreben, einen On-Beat-Flow (vgl. Kap. 4.4) durch ‚korrektes‘ Positionieren der Silbenbetonungen synchron zum Metrum des Taktes zu produzieren, ist außerdem in den semantisch unmotivierten Zäsuren zu identifizieren (im Notenbild zu er-

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kennen an Pausen, Punktierungen und längeren Notenwerten), wie vor allem in den Takten 4, 6 und 7.

Notenbeispiel 23: Frauenarzt feat. Tanga Lilly – „Gynäkologe“ - Flow

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Eine regelmäßige Reimstruktur ist nicht gegeben. Klanglich interessante Phänomene wie die Assonanzen um den ‚ei‘-Diphthong in den Takten 3 bis 6 entstehen vielfach durch inhaltlich eindimensionale Wiederholungen wie in „es hat den Anschein, es scheint“ (ebd.) oder in „mein Feind. Mein Freund, meine Fotze“ (ebd.). Es kann also zusammengefasst werden, dass der ungleichmäßige Flow, zum Beat asynchrone Rhythmen und Displatzierungen, semantisch unmotivierte Zäsuren und das Fehlen eines elaborierten Netzes an Assonanzen darauf hinweisen, dass bei der Produktion des Raptracks „Gynäkologe“ (Frauenarzt, „Gynäkologe“) das Darstellen pornografischer Inhalte klar im Fokus stand. Wendet man sich nun wieder den Rezipienten derartiger Texte zu, bleibt festzuhalten, dass pornografische Texte – trotz der offensichtlichen Absenz von ‚Erotik‘ in obigem Sinne – durchaus eine erotisierende Wirkung entfalten können. Denn ähnlich wie ein Hardcore-Porno den Zuschauenden fesseln kann, weil der bloße Voyeurismus, das Zuschauen und Hineinversetzen in eine Situation, in die der Beobachter selbst in den meisten Fällen nie gelangen wird, lustvoll sein kann, weil es das quasi stellvertretende Realitätwerden simuliert, tragen Raptexte mit besonders drastischen Schilderungen von sexuellen Erniedrigungen und erotischen Perversionen das Potenzial der genussvollen Teilhabe. Integriert man die oben erläuterte Ergänzung bezüglich der spezifischen Standardkommunikationssituation im Rap in das Helm’sche Modell, können pornografische Darstellungen in deutschsprachigen Raptexten neu interpretiert werden: Die obszönen und vulgären Sprachkonstrukte sind auch in der Wahrnehmung der Rezipienten weniger als Abbild von Realität, sondern vielmehr als verbal-performativ hervorgebrachte, authentische Inszenierungen von Fiktion zu verstehen. Die Standardsituation der Kommunikation beim Rappen inkludiert einen stets selbstbewussten, überlegenen Rapper und ein Publikum, das auf eine Prüfung des Wahrheitsgehalts der geboasteten Inhalte verzichtet, weil es den Austragungsort dieser Kommunikation stets als ‚Bühne‘ und den Austragungsmodus als ‚Feier‘43 und damit die ‚Sonderwelt‘ als solche akzeptiert. Die Selbstinszenierungen, die im Modus der ‚Feier‘ stattfinden, müssen übertrieben sein und gehen weit über die Alltagskommunikation hinaus. Gleichzeitig wird diese Kommunikation jedoch immer an ihrem Realitätsbezug gemessen. „Eine Regulation findet lediglich durch die Diskussion um die Glaubwürdigkeit bzw. Au-

43 Vgl. ebd., S. 19.

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thentizität des Images statt“44, schreibt Helms und ergänzt, dass im Gegensatz etwa zur Opernsängerin, die verschiedene Rollen personifizieren kann, „die Sängerin im System der populären Musik gezwungen [ist], in der Öffentlichkeit auch außerhalb der Musik die Fiktion ihres Images weiter zu spielen, um authentisch zu wirken.“45 Gleiches gilt in besonderem Maß auch für den Rapper, wobei nicht nur die Medien der Schallaufzeichnung heutzutage die Grenzen zwischen ‚Alltag‘ und ‚Feier‘ immer mehr verschwimmen lassen.46 Auch die zunehmende Präsentationsdichte aktiver Künstler in den Printmedien, im Fernsehen und in den Online-Medien (Homepages, Magazine, Videos usw.) begünstigt diese Entwicklung. Aufgrund der wachsenden Konkurrenz durch Aufzeichnung und die daraus resultierende ständige Vergleichbarkeit, entsteht geradezu ein Zwang zur Individualisierung, der maßgeblich Ausdruck über die eigene Körperlichkeit des Künstlers findet. Aus diesem Grund soll im Folgenden die Rolle des empirischen, materiellen Körpers bei der performativen Profilbildung der Rapper näher bestimmt werden.

8.5 P ARADOXIEN BEI S EXUALITÄTSDARSTELLUNGEN VON R APPERINNEN Während in der US-amerikanischen Ursprungskultur Frauen von Beginn an wesentliche Impulse lieferten und die Szene aktiv mitgestalteten – ob als Mitbegründerin des ersten Rap-Labels (Sylvia Robinson, „Sugarhill Records“)47, als Künstlerin mit dem ersten Battle-Track auf Vinyl (Roxanne Shanté, „Roxanne’s Revenge“, Pop Art Records 1984) oder als Trendsetterin, die musikalische Maßstäbe setzte und die Musiklandschaft nachhaltig beeinflusste (Missy Elliott)48 – scheinen Frauen im deutschen Rap und HipHop erst allmählich Einfluss auf die Entwicklung des Genres zu nehmen. Bereits in den 1980er Jahren thematisierten Frauen im US-amerikanischen HipHop Sexismus, indem sie sich „mit sexuellen Anspielungen oder sexuell aufgeladenen Inszenierungen nicht nur gegen den neuen Konservatismus auflehnen, sondern auch im männlich dominierten Feld des HipHop Weiblichkeit selbstbewußt, frivol und mitunter zynisch in Szene set-

44 Ebd., S. 31. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Völker/Menrath 2007, S. 22. 48 Ebd., S. 23.

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zen“49. Die Gründe dafür, dass auch bei der Etablierung von Musikerinnen in der Szene die Sexualität bestimmendes Thema wurde, basieren wesentlich auf dem provokativen Potenzial und sind bereits in Kapitel 8.3 näher bestimmt worden. Interessanterweise erfährt dabei der Teilaspekt der Darstellung von Machtkonstellationen eine besondere Rolle, da gerade hier Selbstbewusstsein eindrücklich inszeniert werden kann: „Ob Foxy Brown, Missy Elliott, oder Queen Latifah – gerade der HipHop kennt eine Anzahl von Frauen, die in ihren Texten mit männlichen Bildern von Weiblichkeit spielen und sich über Männer lustig machen und den Spieß umdrehen, wenn sie nichts weiter als guten Sex von den Männern fordern.“50

Nach Meinung einiger Wissenschaftler entwächst dieses Selbstbewusstsein vor allem aus einem Bewusstsein für die eigene „erotische Macht“51, die lediglich funktionalisiert wird: „Sex-Raps von Lil’ Kim, Missy Elliott oder Foxy Brown folgen dem Umstand, dass in einer männlich dominierten und von Schönheit und Sex besessenen Gesellschaft Frauen ihre erotische Macht effektiv einsetzen.“52 Dabei ist der kommunikative Erfolg der Akteurinnen maßgeblich abhängig von ihrer sozial determinierten Position: Klein und Friedrich ergänzen die HabitusTheorie Bourdieus um eine vor allem an Butler orientierte Theorie des Performativen und stellen zusammenfassend fest, dass ein performativer Akt dann scheitert, wenn die Position des Sprechers – also auch der Rapperinnen - nicht sozial legitimiert ist.53 „Erst in dem gelungenen performativen Akt liegt die Chance der Bildung des ‚Subjekts Frau‘ auch im HipHop verborgen.“54 Um sich im patriarchal strukturierten und organisierten HipHop Gehör zu verschaffen, sind weibliche Partizipierende grundsätzlich gezwungen, sich mit genrespezifischen Standards partiell zu synchronisieren, weshalb Menrath in ihrer stark empirisch ausgerichteten Untersuchung mit dem Titel „Represent what ... – Performativität von Identitäten im HipHop“ feststellen muss: „Da die von meinen Gesprächspartnerinnen praktizierte heterosexuell-‚männliche‘ Sichtweise nicht durch einen ‚weiblichen‘ Diskurs hinterfragt wurde, bot es sich – leider – nicht an, die

49 Klein/Friedrich 2003a, S. 206. 50 Ebd., S. 208. 51 Lüdtke 2007b, S. 219. 52 Ebd. 53 Klein/Friedrich 2003a, S. 207. 54 Ebd., S. 209.

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Problematik von Gender-Identitäten im HipHop zu untersuchen.“55 Die Ausrichtung an patriarchalen Denkmustern ist insbesondere dann mit Schwierigkeiten verbunden, wenn diese Grundstrukturen uneinheitlich sind und diffusen Tendenzen folgen. So übt Lüdtke beispielsweise Kritik an der Doppelmoral, nach welcher bei Männern der Bezug auf erotische Attribute als ‚Charme‘ bezeichnet wird, während Frauen des Ausverkaufs beschuldigt werden.56 Außerdem fügt sie hinzu: „Ein weiterer Aspekt der Doppelmoral, mit der sexuell aktive Frauen konfrontiert sind, betrifft die Logik des Umwerbens: ihr Wert beruht zum Großteil auf ihrer sexuellen Macht, jedoch verlieren sie diesen Status, wenn sie Sex haben. Ungleich der Pimp-Figur, die durch sexuelle Aktivität an Format gewinnt, wird das weibliche Gegenstück meist entwertet.“57

Die Strategien der Profilbildung von Rapperinnen können stark variieren: Während sich die einen durch Non-Konformität auszeichnen und sich um eine konsequente Konstruktion eines ‚weiblichen Gegenmodells‘ bemühen, versuchen andere durch Synchronisation mit männlich geprägten Kulturtechniken von etablierten Erfolgsstrategien zu profitieren. Im Spannungsfeld dieser beiden Pole bewegen sich all jene, die durch Neukontextualisierung und Aktualisierung etablierter Kulturtechniken die aktive Teilnahme und Mitgestaltung an einer hybriden Kultur praktizieren. Inwieweit die jeweiligen Inszenierungen dabei männlich geprägte Strukturen übernehmen, sie ironisch brechen oder offen kritisch hinterfragen ist individuell sehr unterschiedlich und soll im Folgenden näher betrachtet werden. Aus kulturhistorischer Perspektive fällt generell die Synchronizität zwischen zunehmendem Sexismus und einer kritischen szeneinternen Reflexion teilweise doppelmoralischer, männlicher Denkmuster auf. Dementsprechend rappt beispielsweise Cora E., die stilistisch wie etwa Torch zu den Rappern der sogenannten ‚old school‘ zu zählen ist, für welche wiederum die Rapkultur untrennbar mit der HipHop-Kultur und deren Werten und Normen verbunden war, noch 1998 in dem Track mit dem Titel „... und der MC ist weiblich“ (Cora E., „... und der MC ist weiblich“) „Der Quatsch, es wär’ schwer sich zu beweisen als Frau in Rap-Kreisen ist nix als Kaffeeklatsch“ und nennt Fleiß, Talent und die daraus resultierenden Rapfähigkeiten als einzige Voraussetzungen für die aktive Teil-

55 Menrath 2001, S. 11. 56 Lüdtke 2007b, S. 219. 57 Ebd., S. 220.

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habe als Rapperin an der Rapkultur. Der nur ein Jahr später veröffentlichte Track „LMS“ (Kool Savas, „LMS“) von Kool Savas markiert – zunächst noch im relativierenden Kontext der Battle-Tradition stehend (vgl. Kap. 2.2.6 und 5.7) – den Startpunkt einer Entwicklung, die zunehmend sexualisierte, diskriminierende und gewaltfokussierende Texte hervorbringt und im sogenannten ‚Gangsta-‘ und ‚Porno-Rap‘ kulminiert.58 Wie unterschiedlich sich Rapperinnen zu dieser Entwicklung seit der Jahrtausendwende positionieren, zeigt zunächst ein Vergleich der Profilbildungsstrategien von Lady Bitch Ray und Kitty Kat. Die beiden Künstlerinnen verfolgen bei ihrer Spiegelung männlicher Machtdarstellungen teilweise konträre Zielsetzungen und greifen auf sehr unterschiedliche Techniken zurück, um Selbstbewusstsein, Individualität und Authentizität zu demonstrieren. Während Lady Bitch Ray dabei in erster Linie durch performative Sexualisierung das inhärente provokative Potenzial nutzt, um das MachoGebaren zeitgenössischer Rapper ad absurdum zu führen, ist in den Texten und Produktionen Kitty Kats hingegen nur wenig kritische Distanz zu erkennen. Sie übernimmt vielmehr erfolgreiche Verkaufsstrategien – denn als solche sind von den Rezipienten als authentisch akzeptierte Profile zu verstehen – und wendet sie für sich an, ohne eine spürbare individuelle Differenzierung vorzunehmen. Insofern steht sie zwar durchaus in der Tradition US-amerikanischer Künstlerinnen wie Foxy Brown, Missy Elliott oder Queen Latifah, „die in ihren Texten mit

männlichen Bildern von Weiblichkeit spielen und sich über Männer lustig machen und den Spieß umdrehen, wenn sie nichts weiter als guten Sex von den Männern fordern“59. So boastet sie in „Bitchfresse“ etwa „ich geh’ mit ihm aufs Zimmer, ziel’ auf sein’ Dick und sag’: Gib mir mein’ Shit!“ (Kitty Kat, „Bitchfresse”). Gleichzeitig geht sie allerdings in ihren Darstellungen nicht so weit wie beispielsweise Lady Bitch Ray, die in ihren Texten mit der drastischen Ausdrucksweise und der inhaltliche Intensität nicht nur die Mechanismen vieler männlicher Musiker adaptiert, sondern diese konterkariert und als Spiegel vorhält, wie beispielhaft in dem Track „Deutsche Schwänze“ (Lady Bitch Ray, „Deutsche Schwänze“) zu beobachten, in dessen Refrain sie rappt:

58 Vgl. hierzu auch Szillus 2012b, S. 51 und Wiegel 2010, S. 18. 59 Klein/Friedrich 2003a, S. 208.

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Deutsche Schwänze kann man alle knicken. / Ich bin geil aber Deutschland kann nicht ficken. / Ich hab’ alle deutschen Schwänze ausprobiert, / doch leider bringt es kein deutscher Schwanz bei mir! (Lady Bitch Ray, „Deutsche Schwänze“, Compilation „Juice CD Volume 67“, Juice Magazin 2006)

Generell stellt Lüdtke bei vergleichenden Betrachtungen von US-amerikanischen und deutschen Raptexten Differenzen bezüglich der von Rappern und Rapperinnen angewendeten Sprechakte fest: „Rapperinnen werden von Rappern häufiger kritisiert, beleidigt, unterbrochen und zum Schweigen aufgefordert als umgekehrt. Rapper entschuldigen und rechtfertigen sich weniger als Rapperinnen, machen mehr herablassende Komplimente und geben mehr Anweisungen.“60 Während jedoch sowohl in den spezifischen Kulturpraktiken des Boastings und Dissings im Allgemeinen, als auch im Umgang mit Darstellungen des Städtischen und – wie sich im Folgenden zeigen wird – in Gewaltdarstellungen im Speziellen lediglich Unterschiede in Häufigkeit und Drastik zwischen den Textproduktionen von Rappern und Rapperinnen feststellen lassen, differieren die Profilierungsstrategien in Bezug auf Sexualität zwischen den einzelnen Rapperinnen prinzipiell. Dabei gehen die beobachtbaren Identifikationsmuster über die von Glowania und Heil aus dem US-amerikanischen HipHop abgleiteten beiden konträren Typen der „lady“ als „stolze, starke, sich selbst und ihrem Umfeld treue Frau“ 61 bzw. der „bitch“, „die hauptsächlich auf sexueller Ebene Kontakt mit Männern sucht und hat, und die den vorgeblich männlichen Sexualtrieb zu ihrem Vorteil ausnutzt“62, hinaus. Im deutschsprachigen Rap sind die Bezeichnungen ‚bitch‘, ‚lady‘ und ‚ho‘ nach wie vor präsent und Teil der sprachlichen Profilierung, waren in den letzten Jahren jedoch einem starken Bedeutungswandel unterworfen. Ähnlich wie sich mit der Inkorporierung der Bezeichnung ‚Gangsta‘ in deutschen Rap-Produktionen eine Sinnentleerung bzw. -Veränderung vollzog, konnte die ‚Lady-Bitch-Dichotomisierung‘ als Modell für eine Kategorisierung hiesiger Musiker nicht genügen. Unter anderem waren es Rapperinnen wie Lady Bitch Ray, die nicht zuletzt auch mit ihrem Künstlernamen und Titeln wie „Ich Bin Ne Bitch“ (Lady Bitch Ray, „Ich Bin Ne Bitch“) einen Prozess in Gang setzten, der in ähnlicher Weise etwa bei US-amerikanischen Rappern zu beobachten war, die mit der Eigentitulierung als ‚Nigger‘ den diffamie-

60 Lüdtke 2007b, S. 225. 61 Glowania/Heil 1996, S. 103. 62 Ebd.

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renden Effekt der ursprünglichen Bezeichnung relativieren und so „die Wirksamkeit hierarchisierender Sprache“63 teilweise unterminieren konnten. Auch wenn eine detaillierte Betrachtung des Bedeutungswandels und der konkreten Verwendungsweisen szenespezifischer Bezeichnungen wie ‚Bitch‘, ‚Hoe‘, ‚Schlampe‘, ‚Nutte‘ den Rahmen dieser Arbeit übersteigen würde, seien einige für die weiteren Betrachtungen relevante Beobachtungen kurz zusammengefasst: Wie bereits erwähnt, werden die zitierten Begriffe von Rappern und Rapperinnen gleichermaßen, sowohl für andere Männer als auch für andere Frauen benutzt. Damit verloren die ursprünglichen Beleidigungen teilweise an diffamierender Wirkung und rückten mitunter sogar in die Nähe intern freundschaftlicher Bezeichnungen. Gleichzeitig werden sie parallel dazu jedoch auch weiterhin in den ursprünglichen Bedeutungszusammenhängen verwendet. In der zunehmend sexualisierten Subkultur waren diese Begriffe, die ehemals eine Prostituierte bezeichneten, einem Bedeutungswandel unterworfen. Als geboastete Eigenbezeichnung implizieren sie Selbstbewusstsein, Stärke und Unabhängigkeit durch sexuelle Selbstbestimmung und ein Bewusstsein für die eigene ‚erotische Macht‘. Als beleidigende Bezeichnung für andere Frauen stehen sie für mangelnde Intelligenz, fehlende ökonomische, emotionale usw. Unabhängigkeit und sexuelle Fremdbestimmung. Die konkreten semantischen Inhalte können also stark variieren und sind lediglich aufgrund des konkreten Bedeutungszusammenhangs zu entschlüsseln. Rapperin Pyranja kritisiert in ihrem Track „Fremdkörper“ (Pyranja, „Fremdkörper“) offen männlich-chauvinistische Denkstrukturen und Rollenklischees innerhalb der Rapkultur, indem sie beispielsweise folgenden Dialog entwirft: Doch, muss schon sagen, Show war tight und auch in Sachen Flow und Style, / für ‘ne Braut ganz nice und cool, dass Du Texte selber schreibst. / Mit anderen Worten: Baby, willkommen im Mittelalter! / Und ich nur: Danke für die Blumen, doch Du starrst gerade auf meine Titten, Alter! (Pyranja, „Fremdkörper“, EP „Im Kreis”, Def Jam Germany 2001)

Es handelt sich hierbei um einen Boasting-Track, in dem die Rapperin durch die kontrastierende Gegenüberstellungen zu klischierten Rollenzuweisungen, wie auch in „Lass’ mich nicht reduzieren auf: ‚Komm, wir machen mal ‘n Liebeslied! Du bist ‘n Girl, das rappt, und ich zeig’ Dir jetzt Dein Themengebiet!‘" (ebd.) Selbstbewusstsein demonstriert. In einigen ihrer Texte spiegelt sie männ-

63 Grimm 1998, S. 99.

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liche Kulturpraktiken, beispielsweise in „an alle andern: Eure Titten sind zu klein!“ (Py aka Christiane Latte feat. Fumanschu, „Ab 18“) und in „Ich hatte was mit Deinem Bruder an Silvester, aber der Fick mit Deinem Kerl war noch viel besser!“ (Py aka Christiane Latte, „Blondes Gift“). Dabei lässt die Musikerin ihr Alter Ego Christiane Latte sprechen, um die Homogenität bzw. Kontinuität ihrer Künstleridentität und die Authentizität ihres Profils als Pyranja nicht zu gefährden. Sowohl bei Lady Bitch Ray als auch bei Pyranja als Christiane Latte ist demnach eine kritische Reflexion erkennbar. Beide nutzen dabei sexualisierte Boastings und Dissings, um in der Nachahmung und Übertreibung männliche Kulturpraktiken zu spiegeln. Während letztere dabei durch den Rückgriff auf ein Alter Ego in der Gegenüberstellung gleichzeitig auch das Gegenmodell liefert, bleibt Lady Bitch Ray konsequent in ihrer theatralen Inszenierung als weiblicher Counterpart. Auch die Rapperin Sookee reflektiert in einigen ihrer Tracks über Sexualität, klischierte Rollenzuweisungen und szeneinterne Konventionen. Dabei wählt sie nicht die Methode der nachahmenden Spiegelung, sondern problematisiert inhaltlich-argumentativ. Sehr deutlich wird dies in dem gemeinsamen Track mit Rapper Tapete „Pro Homo“ (Sookee feat. Tapete, „Pro Homo”), in dem sie Intoleranz und Homophobie im HipHop thematisiert. Dort rappt sie in der ersten Strophe: denn ein mann gilt als mann wenn das verlangen was er spürt sich dominant verhält niemals ein’ ander’n mann berührt und die norm geht noch weiter betrifft sogar kleider die moves und die sprache man darf niemals scheitern sonst heißt es ganz einfach ‚bist du schwul oder was?’ der bitterste zweifel an kool und an krass (Sookee in Sookee feat. Tapete, „Pro Homo”, Album „Quing“, Springstoff 2010)*

Interessanterweise beschäftigten sich viele der öffentlich reflektierenden und kritischen Rapperinnen auch wissenschaftlich mit Rap und HipHop. So verfasste Reyhan Şahin (Lady Bitch Ray) ihre Magistraarbeit zum Thema „Jugendsprache anhand der Darstellung der Jugendkultur Hip Hop“64, Anja Käckenmeister (Pyranja) fragte in der gleichnamigen Publikation „Warum so wenig Frauen rappen?“65.

64 Vgl. Şahin 2005. 65 Käckenmeister 2007.

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Bei der Analyse von Kitty Kats Texten hingegen drängt sich der Eindruck auf, dass die Rapperin durch Rücksichtnahme auf aktuelle Trendtendenzen und Konsumentenverhalten keine kritische Reflexion zum Ausdruck bringt. Vielmehr kopiert sie die Techniken ihrer männlichen Kollegen und überträgt sie unmittelbar, ohne einen reflektierenden Schritt der Transformation. Damit gelingt es ihr zwar, sich selbst als selbstbewusste Frau in Szene zu setzen, klischierte Bilder werden dadurch teilweise aber eher noch bedient, als kritisch hinterfragt. Wie eindimensional diese Übertragung stattfindet, lässt sich am deutlichsten an dem identischen Sprachgebrauch erkennen. Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, nutzt Kitty Kat beispielsweise in ihrem Track „Bitchfresse“ (Kitty Kat, „Bitchfresse“) ein Sample aus Kool Savas‘ „Lutsch mein Schwanz“ (Kool Savas, „LMS“).66 Damit referiert sie nicht nur inhaltlich und stilistisch auf diesen populären Titel, sondern versucht bei ihrer Adaption auf Mechanismen zurückzugreifen, die bereits in der Vergangenheit ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt haben. In dem Originaltrack von Kool Savas, der sich in der überzogenen, drastischen Aufzählung seiner sexuellen Potenz und Überlegenheit klar als reiner ‚Boasting-Rap‘ präsentiert, rappt der Musiker im Refrain: Alle Nutten mit viel Geld - Lutsch mein’ Schwanz! / Alle Fotzen ohne Hirn - Lutsch mein’ Schwanz! / Alle Mädels, die mich mögen - Lutsch mein’ Schwanz! / Alle Frauen dieser Welt - Lutsch mein’ Schwanz! (Kool Savas, „LMS “, Single „LMS“, Put Da Needle To Da Records 1999)

Da eine Übertragung des ursprünglichen, provokanten Bildes mit den spezifischen Konnotationen allerdings nur schwer möglich scheint, behilft sich die Rapperin mit der einfachen Formulierung „Wäre ich ‘n Mann, würd’ ich dir jetzt sagen: Alter, lutsch mein’ Schwanz!“ (ebd.), die sie ebenfalls im Chorus des Titels wiederholt. Während Kool Savas im Original nicht nur durch seine derbe und obszöne Wortwahl, sondern auch durch die beschriebene Sexualpraxis, die eine klare Machtkonstellation beschreibt, sich selbst als überlegener ‚Pimp‘ inszeniert, kann die 1:1-Übertragung der Rapperin nicht die gleiche provozierende Wirkung erzielen. Sie adressiert ihren Text offensichtlich an ein männliches Ge-

66 Der vollständige Titel lautet „Bitchfresse (L.M.S.)“, wobei die Ergänzung „L.M.S.“ eine direkte Anspielung auf den Titel des Originals und „Bitchfresse“, das jeweils ebenfalls als Sample aus dem Ursprungstrack eingespielt wird, eine Reminiszenz an die Zeile Savas‘ „Bitch, [halt deine] Fresse, bevor ich dir den Sack in den Mund presse!“ (ebd.) darstellt.

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genüber. Mit der zweiten Strophe, in der sie beschreibt, wie gleichgesinnte Frauen selbstbewusst und souverän mit Männern umgehen sollten, relativiert sie gleichzeitig durch den Adressatenwechsel zusätzlich die Wirkung des Refrains. Auch in dem folgenden Beispiel adaptiert Kitty Kat eines der zentralen Momente in der Darstellung als erfolgreicher MC: die Inszenierung von Überlegenheit durch sexuelle Attraktivität. In „Braves Mädchen” (Kitty Kat, „Braves Mädchen”) erscheint in der Reihe teilweise gesellschaftlich sanktionierter Tätigkeiten im Zusammenhang mit Feiern („Ich rauche, ich saufe“, ebd.) auch „ich tanz’ auf’m Tisch mit dei’m Typ” (ebd.). Der durch das Possessivpronomen suggerierte, konventionalisierte Hoheitsbereich einer anderen Frau, wird hier bewusst verletzt und dient der gezielten Provokation sowie der Zurschaustellung besonderen Selbstbewusstseins. In dem Track „Heiß“ (Kitty Kat, „Heiß“) boastet die Musikerin „Superwoman, Augenschmaus / Ich weiß du magst mein’ Knochenbau“ (ebd.) und in „Fliegen üben“ (Kitty Kat, „Fliegen üben“) rappt sie „scheiß auf Reim, Kitty Kat hat ihren eigenen Flow / am Ende guckst du eh auf meinen Arsch in den Jeans“ (ebd.). Auch wenn hier ein Bewusstsein für die eigene ‚erotische Macht‘ zum Ausdruck kommt, handelt es sich hier weniger um eine spezifische weibliche ‚Etablierungsstrategie‘67, sondern vielmehr um die direkte Übertragung körperbezogener Boastings männlicher MCs. In dem Stück „Du bist Vergangenheit“ (Kitty Kat, „Du bist Vergangenheit“), das Kitty Kat an eine Konkurrentin adressiert, die offensichtlich am gleichen Partner interessiert ist, boastet sie „Was kannst du ihm schon bieten? – Ich bin Ehefrau-Material!“ (ebd.). Zum einen widerspricht der Inhalt des Tracks, der verbale Kampf um einen männlichen Partner, prinzipiell der selbstbestimmten, unabhängigen Grundhaltung einer Lady Bitch Ray, die sexuelle wie emotionale Emanzipation fordert und ihren Hörerinnen empfiehlt „sich nicht über Typen zu definieren“68. Zum anderen verweist der Begriff des ‚Ehefrau-Materials‘ als Herausstellungsmerkmal auf traditionelle, patriarchal geprägte Denkstrukturen. In dem Stück „Früher wart ihr Fans“ (Fler, „Früher wart ihr Fans“) liefert Kitty Kat ein weiteres Beispiel für die überwiegende Synchronisation mit den Kulturpraktiken ihrer männlichen Kollegen:

67 Vgl. Lüdtke 2007b, S. 219. 68 Braun 2007.

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wenn du mich disst, kannst du nicht cool sein, / denn das hier ist Muschi, dann kannst du nur schwul sein. / Du Missgeburt! Ob Brille, ob Lupe, / dein Schwanz sieht man nicht, du verdammter Eunuch. (Kitty Kat in Fler feat. Kitty Kat & Godsilla, „Früher wart ihr Fans“, Freetrack69)

Diese Beispiele bestätigen das vom US-amerikanischen HipHop ausgehende Resümee von Glowania und Heil somit in seiner Gültigkeit auch für den deutschsprachigen Rap: „Auf der anderen Seite gibt es Rapperinnen, die nicht nur in ihrem Streben nach der heilen ‚Familie‘ die Werte der patriarchalen Gesellschaft kritiklos internalisiert haben, sondern sich auch indirekt zu Sprecherinnen der (heterosexuell definierten) Black-Macho-Ethik machen, wenn sie unreflektiert homophobes Vokabular in ihre raps bringen.“70

Dass die Rapperin mit dieser Synchronisierung mit männlich geprägten Kulturpraktiken erfolgreich ist, belegen nicht zuletzt ihre zahlreichen Features in Tracks populärer Rapper wie Sido (Sido feat. Kitty Kat, „Das Eine“) oder BTight (B-Tight feat. Kitty Kat, „Das Geständnis“). Und so ist sie 2008 auf dem Sampler „Ansage Nr.8“ des Labels „Aggro Berlin“ auch tatsächlich Teil einer Gruppe von namhaften Rappern, die ihren gemeinsamen Track betiteln mit „5 krasse Rapper“ (Sido, Kitty Kat, Fler, Tony D, B-Tight, „5 krasse Rapper“). Ähnlich wie Kitty Kat verwenden auch Lisi und She-Raw etablierte, männlich strukturierte Kulturpraktiken durch eine unmittelbare, wenig kritische Adaption. So nutzen sie originär diffamierende Bezeichnungen für Frauen wie in „Scheiß auf die Schlampe […] die Bitch is n Neider“ (Lisi, „Bleib cool“) oder im Refrain von „Fotzen Part 2“ (Lisi, „Fotzen Part 2“): Bitches und Fotzen ich kann sie durchschauen Schlampen und Hoes ob Männer ob Frauen Huren und Stricher sie wollen dich beklauen Wichser und Stalker du kannst ihnen nicht trauen (Lisi, „Fotzen Part 2“, Album „Eine wie keine“, Four Music 2006)*

Dabei werden Ausdrücke wie ‚Schlampen‘ für Männer und Frauen gleichermaßen benutzt, wodurch eine teilweise Relativierung und Entschärfung bestimmter diffamierender Bezeichnungen entsteht, wie es etwa schon für den Begriff

69 Online verfügbar unter http://bit.ly/1nmVZ79 [Stand 2016-05-25]. 70 Glowania/Heil 1996, S. 102.

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‚Bitch‘ an früherer Stelle beschrieben wurde. Allerdings lässt sich bei Rapperinnen wie Kitty Kat oder Lisi, die um die Generierung eines aggressiveren Profils bemüht sind,71 auch die Tendenz erkennen, sich sowohl beim Boasting als auch beim Dissing andere Frauen als Gegner zu wählen. zerfetze Bitches im Battel zermetzel sie bis ins Letzte ich hetze und mach Action zersmacke jede die kommt wenn ich rappe bedeutet für mich am Mic wird jede zerbombt (She-Raw in Lisi feat. She-Raw, „Interessiert mich nicht“, Album „Eine wie keine“, Four Music 2006)*

Ähnlich wie viele männliche Rapper, profilieren sich auch einige Rapperinnen, indem sie sich durch kontrastierende Inszenierung weiblicher Gegenmodelle positiv positionieren. So rappt She-Raw: „während jede Braut schluckt, mach’ ich dick Scheine / krieg’ dick Props, Ollen kriegen nur Dick zwischen die Beine“ (She-Raw in Lisi feat. She-Raw, „Interessiert mich nicht“). Damit beschreibt sie sich als erfolgreiche („mach’ ich dick Scheine“, ebd.), angesehene („krieg’ dick Props“, ebd.)72 Rapperin und adaptiert männlich geprägte Denkmuster und Kategorisierungen, indem sie andere Frauen auf ihre Sexualität oder Körperlichkeit reduziert und als ‚Schlampen‘ diffamiert („Ollen kriegen nur Dick zwischen die Beine“, ebd.)73. Diese Strategie, sich in Boastings und Dissings gegen andere Frauen zu wenden, ermöglicht es Rapperinnen, sich auch in Anwendung genrespezifischer Kulturpraktiken zu inszenieren, riskieren allerdings nicht durch verbale Angriffe anderer männlicher Musiker deren Akzeptanz. Diese Beispiele von Künstlerinnen, deren Profilbildung wesentlich auf der direkten Übertragung patriarchaler Modelle basieren, lassen spezifische Problemkonstellationen offenkundig werden, mit denen Rapperinnen konfrontiert sind: Zum einen verdeutlichen sie die partielle Nicht-Übertragbarkeit von männlich geprägten Szenemechanismen, die wesentlich an standardisiertes MachoVerhalten gekoppelt sind. Durch die erkennbare Adaption männlicher Strategien bleibt der Vergleich mit dem Ursprungskontext inhärent. So schreibt ein Kriti-

71 Lisi bezeichnet in einem Interview einen ihrer aggressivsten Songs „Payback“ (Lisi, „Payback“) als „Girl-Fight-Song“ (Simon 2006). 72 Die Bezeichnung ‚jemandem Props geben‘ steht szeneintern für anerkennendes Loben und das Aussprechen von Respekt vor allem für künstlerische Leistungen. So berichtet etwa Lisi über eine Zusammenkunft mit ihrem Mentor und Förderer Afrob: „Er kam nach einer Show mal vorbei und hat mir Props gegeben.“ (Ebd.) 73 ‚Dick‘ entspricht der aus dem Englischen übernommenen umgangssprachlichen Bezeichnung ‚dick‘.

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ker: „Lisi trägt Highheels, hantiert mit Waffen, posiert im Pelz und Negligé und wirkt dabei so gefährlich wie eine Hauptstadt-Reimerin im Angesicht von Gangster- und Porno-Rap heutzutage eben wirken muss, um als satisfaktionsfähig zu gelten.“74 Hier wird deutlich, dass das Ersetzen männlich-stilisierter Stereotypisierung durch eine weibliche Adaption nur bedingt etablierte Muster durchbrechen kann. Eine Neukontextualisierung männlich-geprägter Strukturen führt vielmehr zu einer Bestätigung und Etablierung derselben. Extreme Inszenierungen von Rapperinnen wie etwa bei Lady Bitch Ray wiederum können zwar in der Spiegelung männliche Konstruktionen, Stereotypisierungen und Denkmuster offenlegen und spiegeln, bieten gleichzeitig jedoch mit ihrem „Gegenentwurf zu männlich-chauvinistischen Rappern“75 kein tragfähiges Alternativmodell. Aufgrund mangelnder Authentizität können derartige Selbstinszenierungen reflektieren, problematisieren und kritisieren, entbehren jedoch eines ‚transformatorischen‘ Potenzials, wie auch Klein und Friedrich bestätigen: „Global zirkulierende Bilder und Symbole des männlichen HipHop können durchaus transformatorisch wirken und zwar dann, wenn die Inszenierung der weiblichen Parodie des being bad als authentisch geglaubt wird. Das heißt auch, daß Gegenentwürfe von HipHop-Produzentinnen im lebensweltlichen Kontext nicht zwangsläufig subversiv wirken, denn ihre transformierende Kraft bemisst sich an dem Gelingen der theatralen Darbietung, die als Zitation der Grenzüberschreitung ständig wiederholt werden muß.“76

Wie etwa auch stellvertretend anhand der Rapperin Pyranja gezeigt werden konnte, finden sich allerdings im deutschen Rap auch Beispiele für Rapperinnen, die durch die Aneignung szenespezifischer Kulturpraktiken, deren Modifikation und Neukontextualisierung einen Gegenentwurf konstruieren, der weder auf Oppositionierung noch unkritischer Synchronisierung basiert. Die vorangegangenen Beispiele konnten so verdeutlichen, dass sich die Identifikationsentwürfe und Profile deutschsprachiger Rapperinnen, sowie ihre Strategien und Methoden zum Teil erheblich unterscheiden. Die Analyseergebnisse bestätigen damit die von Glowania und Heil geäußerte Kritik an einer auf reduktionistischen Vorstellungen basierenden Männerrap-/Frauenrap-Dichotomisierung.77 Den konstruierten „polaren Gegensatz zwischen dem maskulin-sexistischen Rap und dem anti-

74 Haas 2006. 75 Funk-Hennigs 2011, S. 106. 76 Klein/Friedrich 2003a, S. 209. 77 Vgl. dazu Glowania/Heil 1996, S. 102.

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sexistischen Frauenrap“78 negierend und die Auffassung teilend, dass „Produktionen von Männern […] genauso subversiv in den Lebenswelten von Konsumentinnen wirken [können] wie umgekehrt Rapperinnen durchaus das Frauenbild männlicher HipHop-Konsumenten beeinflussen können“79, werden daher nun weitere überblickartige Betrachtungen von Rappern und Rapperinnen gleichermaßen folgen, zunächst bezüglich des wohl populärsten Lexemverbands deutschsprachiger Raptexte und anschließend mit dem Fokus auf szeneinterne kritische Auseinandersetzungen mit Sexualitätsdarstellungen im Rap.

8.6 F ALLBEISPIEL L EXEMVERBAND ‚ FICKEN ‘ „‚Ich fick dich!‘, ist einer der klassischen Hip-Hop-Ausdrücke, der Eltern empört.“80 heißt es in einem Themenheft mit dem Titel „Hip-Hop-Musik in der Spruchpraxis der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Rechtliche Bewertung und medienpädagogischer Umgang.“, das von der BPjM 2008 veröffentlicht wurde. Und tatsächlich ist alleine die Quantität der Verwendungen des Lexemverbands ‚ficken‘ in Publikationen des deutschsprachigen Rap innerhalb des Untersuchungszeitraums frappierend: Realisierungen finden sich in unterschiedlicher Intensität und Häufigkeit in allen Subgenres und Stilen, bei nahezu allen Rapperinnen und Rappern des analysierten Textkorpus. Am Beispiel des Bedeutungswandels des Wortes ‚ficken‘ innerhalb der Rapkultur und der darauffolgenden Veränderung in der Beurteilung öffentlicher Vertreter der Erwachsenenwelt – repräsentiert durch eine Entscheidung der BPjM – soll im Folgenden die Relevanz kontextueller Referenzsysteme für die Einschätzung sprachgebundener Medieninhalte verdeutlicht werden. Unter Berücksichtigung track- und textimmanenter Verweise und der konkreten poetologischen Einbettung werden dazu mit Hilfe der Flowanalyse die unterschiedlichen Verwendungsweisen systematisiert und erläutert, die auch bei der Beurteilung der Texte bzw. Tracks eine Rolle spielen können und auch sollten. Dieses Verb beschreibt in seiner ursprünglichen Bedeutung zunächst den Koitus, implizierte in der standardisierten, männlich geprägten Auslegung allerdings immer schon eine spezifische Machtkonstellation: Derjenige, der ‚fickt‘ übt Macht aus, derjenige, der ‚gefickt wird‘ ist der Unterlegene. Diese Struktur wurde beibehalten und auf externe semantische Inhalte übertragen. Durch den

78 Ebd. 79 Ebd., S. 210. 80 Carus, Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 29.

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originär vulgären Kontext ist dieses Wort mit einer besonderen Derbheit und dadurch ebenfalls mit latenter Provokation konnotiert. „Mit ‚ficken‘ wird in diesen Texten in vielen Fällen ein völlig respektloser Umgang mit Frauen beschrieben und der Eindruck vermittelt, Frauen seien bloße sexuelle Reizobjekte und Wegwerfware für den Mann. Oder als Steigerung der Jugendgefährdung: Die sexuelle Befriedigung des Mannes darf auch gegen den Willen der Frauen und Mädchen mit Gewalt durchgesetzt werden.“81

Zunächst werden jene Bedeutungszusammenhänge in das Blickfeld gerückt, in denen der Lexemverband im Kontext sexueller Handlungen in Erscheinung tritt. 8.6.1 Sexuelle Handlungen und implizite Machtstrukturen „Der Kontext vieler Lieder zeigt, dass das Wort ‚ficken‘ offensichtlich nicht – wie zur Entkräftung des Vorwurfs der sexistischen Sprache vielfach vorgetragen – durchgängig als Synonym für ‚fertig machen‘ anzusehen ist. Zumindest teilweise ist der Wortgebrauch eindeutig auf sexuelle Handlungen bezogen und kann in diesen Texten nur in der vulgärsprachlichen Lesart verstanden werden.“82

Auch wenn, wie in Kapitel 8.4 ausführlicher beschrieben, im deutschsprachigen Hip-Hop durchaus Beispiele zu finden sind für erotische Darstellungen, für Flirten und Umwerben wie es häufiger in Musikstilen wie Pop und R’n‘B zu beobachten ist, und sogar ganze Raps von Liebesgefühlen handeln (teilweise als „Liebeslyrik“83 bezeichnet), überwiegen im analysierten Textkorpus Inszenierungen von herabsetzenden Sexualpraktiken, die eine eindeutige Machtstruktur repräsentieren und vor allem im Lexemverband ‚ficken‘ realisiert werden. Die Beispiele hierfür sind zahlreich und stammen vor allem von Rappern in der Tradition des ehemaligen Berliner Labels „Aggro Berlin“, wie Bushido, Bass Sultan Hengzt, Tony D und den Vertretern des eigens für deren Klassifizierung entwor-

81 Ebd. 82 Ebd., S. 19. 83 Wiegel 2010, S. 77.

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fenen Genres des „Porno-Rap“84, wie Frauenarzt oder auch Lady Bitch Ray (vgl. Kap. 8.4). Während Letztgenannte eindimensionale, monothematische Raps produzieren, die durch drastische Schilderungen und Direktheit provozieren sollen und sprechende Titel tragen wie etwa das Album von King Orgasmus One „Fick mich… und halt dein Maul!“ (I Luv Money Records 2003), nutzen andere Rapper derartige Ausdrücke vor allem beim Boasting und Dissing zur Generierung eines besonders derben, sexuell attraktiven und erfolgreichen, überlegenen oder aggressiven Images (vgl. besonders Kap. 5.7 und 6.4). Dazu gehören mitunter auch humorvolle Sprachvariationen von bekannten Redewendungen wie in Sidos „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“), „Ganz zur Freude der Hausfrau darüber / die sagt: ‚Männer ficken auch nicht mehr wie früher‘“ (ebd.). Der Lexemverband wird zwar maßgeblich, jedoch nicht ausschließlich von männlichen MCs verwendet. Rapperin Kitty Kat beispielsweise ist in Sidos Track „Ficken” (Sido, „Ficken”) beteiligt, indem sie zunächst die Hook wiederholt, die zuvor ihr männlicher Korapper gerappt hatte („ich will ficken“, ebd.). Anschließend trägt sie eine Strophe bei, in der sie ihrerseits ihre überlegene Position darstellt. Inwiefern dabei die Adaption männlich geprägter Sprechhandlungen durch die Rekontextualisierung zu Umdeutungen führen kann wurde in Kapitel 8.5 ausführlicher dargelegt. Noch derber, aggressiver, degradierender oder denunzierender und damit eine Steigerung des Konzepts ‚ficken‘ ist der Ausdruck ‚arschficken‘. Er stellt in vielerlei Hinsicht eine Intensivierung dar: Als Bezeichnung für von männlichen Homosexuellen praktizierten Analverkehr, dient dieser Begriff sowohl beim Boasting, als auch beim Dissing einer Ausdruckssteigerung. Als derbes, umgangssprachliches Synonym für eine heterosexuelle Sexualpraxis, ist dieser Ausdruck Träger zahlreicher Konnotationen aus dem Bereich männlich-stilisierter Pornofilm-Vorstellungen mit extremer physischer, wie psychologischer Machtausübung, wie zwei Beispiele von King Orgasmus One belegen sollen: „Ich ficke dein’ Arsch während du kochst!“ (King Orgasmus One in Bushido, „Drogen, Sex, Gangbang“), „Frauen schreien, wenn ich ihr Arschloch ficke!“ (ebd.). Eine der ersten und umfassendsten Beschäftigungen mit diesem Lexemverband stellt Sidos Track mit dem Titel „Arschficksong“ (Sido, „Arschficksong“) dar. Dieses Stück trug aufgrund der drastischen Darstellungen und der verbalen Direktheit wesentlich zum frühen Ruhm des Rappers bei.85 Ne-

84 Helms 2011, S. 40. 85 Er selbst erinnert daran, wenn er in „Mein Block“ im Zusammenhang mit Schilderungen von Analverkehr rappt „Und davon sing ich dir ein Lied. Du kannst es kaufen.“ (Sido, „Mein Block“).

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ben der Derbheit und Vulgarität in der Sprache und dem drastischen Inhalt, entbehrt der Rap nicht eines gewissen Humors, wenn Sido in den ersten Zeilen des Tracks beispielsweise einleitet mit den Worten „Sie fragen, ob ich nur über Analsex reden kann. / Doch es geht nicht anders – ich bin der Arschfickmann.“ (Sido, „Arschficksong“), später einem potenziellen Sexualpartner empfiehlt „du brauchst viel Kondition, halt dein Arsch schön fit!“ (ebd.). In „Ghettoloch“ (Sido, „Ghettoloch“, Album „Maske“, Aggro Berlin 2004) bezeichnet er sich als „der weltbeste Arschficker“ (ebd.) und mit einer gewissen Ironie legt er einer ehemaligen Sexualpartnerin die Worte in den Mund „Und dein Arschfick war so extrem zärtlich!“ (Sido, „Was hat er“). 8.6.2 Bedeutungszusammenhang ‚fertig machen‘ Im Folgenden werden nun Verwendungskontexte ins Blickfeld gerückt, in denen ‚ficken‘ im Sinne von ‚fertig machen‘ verwendet wird. In einer Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien von 2005 ist im Zusammenhang mit der Indizierung von Raptexten zu lesen: „Formulierungen wie: ‚Ich fick dich‘, oder: ‚Arschficken‘ beschrieben keine sexuelle Handlung, sondern bedeuteten: ‚Ich übertreffe dich‘. Anzumerken sei hierzu, dass diese Ausdrücke nicht nur im subkulturellen Bereich des Hip-Hop, sondern in der gesamten Jugend die Bedeutung ‚übertreffen‘ erlangt habe.“86

Der Grund hierfür ist vor allem in den oben beschriebenen impliziten Machtstrukturen zu finden. Diese werden bei der Übertragung des Lexemverbands in metaphorische Bedeutungszusammenhänge nicht nur übernommen, vielmehr findet eine Reduktion und Fokussierung auf sie als wesentliches Charakteristikum statt. Dementsprechend lassen sich Beispiele für zahlreiche Bedeutungszusammenhänge aus verwandten Wortfeldern wie ‚besiegen‘, ‚übertreffen‘, ‚fertig machen‘ finden. Zunächst werden zwei Beispiele aus Zeitungsinterviews zeigen, dass die Verwendung des Ausdrucks der alltäglichen Sprachpraxis vieler Rapper entstammt, die sich damit als Teil einer Jugendkultur und insbesondere der HipHop-Kultur inszenieren. Bushido erklärt über das Projekt eines gemeinsamen Albums mit Sido: „So gesehen, sind das auch die Früchte unserer Arbeit. Wir haben uns jahrelang ge-

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BPjM 2005, Entscheidung Nr. 5313 vom 01.09.2005, zit. nach Custodis 2008, S. 167.

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fickt und beleidigt. Wir können froh sein, dass es nicht ausgeartet ist.“87 Im gleichen Interview übermittelt Sido seinem Rapperkollegen Fler den Rat: „Genieß deine Zeit in New York und mach dir dort nicht schon wieder einen Kopf, wen du in Deutschland ficken wirst, wenn du zurückkommst.“88 In beiden Fällen wird die aktive Form ‚ficken‘ verwendet. Der Aktive ist in diesem Bild immer der Überlegene, wie auch folgende Gegenüberstellung in Bushidos „Bei Nacht“ (Bushido, „Bei Nacht“) zeigt: „Hier gibt es kein Picknick: du chillst - ich fick dich!“ (ebd.). Bei der Übertragung der Machtkonstellation als wesentliches Charakteristikum wird sogar das persönliche Gegenüber obsolet, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen: Im Fall von Flers Zeilen „Ihr wollt jetzt irgendjemand ficken? Fickt die NPD. Aber glaubt mir Leute: fickt nicht mit der NDW!“ (Fler, „Identität“) ist das Akkusativobjekt eine Partei (NPD) und eine fiktive, von ihm als damit vorgeblich einflussreicher deutscher Rapper ausgelöste Volksbewegung, die er „Neue Deutsche Welle“ nennt (vgl. Fler, „Neue Deutsche Welle 2004“). Mithilfe von Personifikationen lassen sich auch abstrakte Begriffe kombinieren, so wirft etwa Eko Fresh seinem ehemaligen Förderer Kool Savas in „Die Abrechnung“ (Eko Fresh, „Die Abrechnung“) vor „wegen Groupies, sonst nichts, hast du unsere Zukunft gefickt“ (ebd.). Samy Deluxe zitiert in „Musik Um Durch Den Tag Zu Komm“ (Samy Deluxe, „Musik Um Durch Den Tag Zu Komm“) seine Zeitgenossen mit den Worten „Fick die Arbeit!“ (ebd.). Curse wiederum rappt „lasst euch nicht ficken von der politik“ (Curse, „Curse ist zurück“)* und Massive Töne fragen „Erwartungshaltung an unser Album? / gibt’s Interesse? / fickt uns die Presse?“ (Massive Töne, „Stress”)*. Konkrete Dissings in diesem Kontext stellen unter anderem Diss-Tracks mit plakativen Titeln wie „Fick dich Felix (F.D.F)“ (Laas Unltd., „Fick dich Felix (F.D.F)“) oder „Fick Bushido“ (Bass Sultan Hengzt, „Fick Bushido“) dar. Die häufigsten Fallbeispiele sind jedoch weniger personalisierte Dissings und Boastings, die sich gegen ein nicht weiter spezifiziertes, stellvertretendes ‚Du‘ richten: „Ich bin der, der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint“ (Bushido, „Bei Nacht“), „Ich kick’ Shit, diss’ und fick’ Dich, als ob ich neun Leben hätte.“ (Die Firma, „Wir sind…“), „Fick jeden am Mic, jeden der meint/ Er flowt und ist besser als ich, wenn er reimt“ (Kool Savas, „Don’t hate“). Wenn sie nicht an ein konkretes oder stellvertretendes einzelnes Gegenüber gerichtet sind, treten derartige Metaphern häufig im Kontext großer Verallgemeinerungen auf, wie in „Du fickst sie alle, wenn du Geld hast!“ (Sido, „Fuffies im Club”), „Ich fick’ das ganze Land“ (MOK, „F*** Deutschland“), bis hin zu „Fick die

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Szillus 2012a.

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Ebd.

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Welt“ (Nate57, „Fick die Welt“). Die Rapper von Automatikk boasten im Refrain des Tracks „Wir fikkken alless“ (Automatikk, „Wir fikkken alless“) aus dem gleichnamigen Album „Wir Ficken alles / Wir Ficken jeden / Wir Ficken Deutsch Rap / Und nehmen sein Leben“ (Automatikk, „Wir fikkken alless“). Analog zu derartigen Bildern wird beim Dissing die Unfähigkeit, zu ‚ficken‘, als Synonym für Machtlosigkeit inszeniert, wie im folgenden Beispiel, in dem Samy Deluxe rappt „Kuck, ihr könnt uns eh nicht mehr ficken, wie ein Sack ohne Schwanz!” (Samy Deluxe in Melbeatz, „Ok!“). Wie oben für die Bedeutung ‚koitieren‘ beschrieben, ist auch in diesem Bedeutungszusammenhang ‚Arschficken‘ als Intensivierung zu verstehen. So formuliert etwa Azad „Ich kann keinem vertrauen. Glaub mir, jeder fickt hier deinen Arsch.“ (Azad in Baba Saad, „Gefangen“) und Die Firma rappt „Wenn Ihr Typen wie uns in den Arsch ficken wollt, seid sicher, dass Ihr Mut mitbringt und mit zehn Armeen anrollt.” (Die Firma, „Wir sind…“). Bushido überträgt die impliziten Machtstrukturen direkt auf die künstlerisch-musikalische, aber auch ökonomisch-marktstrategische Auseinandersetzung mit seinem Kontrahenten, wenn er am Ende des Diss-Tracks „Flerräter“ (Bushido, „Flerräter“) boastet „Aggro Berlin ist der Schwanz, der dich in den Arsch bumst!“ (ebd.). In einer verkürzten Variation rappt Eko Fresh in der Hook zu dem Stück „Vendetta“ (Bushido, Chakuza, Eko Fresh, „Vendetta“) über Bushidos Label „ersguterjunge“ „Es ist Vendetta, Ersguterjunge in dein Arsch“ (ebd.). Was in diesen beiden Beispielen die Wirtschaftsmacht symbolisierte, ist im Folgenden die Wortgewalt der Lyrics, wenn Bushido im Intro zum Diss-Track „H.E.N.G.Z.T.“ (Bushido, „H.E.N.G.Z.T.“) in Richtung von Bass Sultan Hengzt und weiteren Opponenten erklärt: „118 Bars in euern Arsch“ (ebd.). Und auch in diesem Kontext werden humoristische sprachliche Variationen verwendet, wie in „Doch, wenn wir fertig mit dir sind, hat dein Arsch mehr Löcher als ein Schweizer-Käse“ (Fard, „Kingshit“). Am Beispiel Bushidos lassen sich innerhalb desselben Profils die unterschiedlichen Verwendungsweisen und Bedeutungsebenen des Lexemverbands illustrieren: Im Track mit dem plakativen Titel „Drogen, Sex, Gangbang“ (Bushido, „Drogen, Sex, Gangbang“) behauptet der Rapper selbstbewusst „Ich fick’ alles weg!“ (ebd.). Auf seinem ersten Tape, das 2003 digital überarbeitet auch bei Aggro Berlin veröffentlicht wurde, erschien „Fick Rap“ (Bushido, „Fick Rap“). In „Gibt es dich?“ (Bushido, „Gibt es dich?“) rappt er „Ich bin alleine und jetzt fickt es mich, weil ich mir täglich diese Frage stelle: Gibt es dich?” (ebd.). Wie weit sich dieser Szeneausdruck mittlerweile auch metaphorisch etablierte, zeigt schließlich das Beispiel des Tracks „Arschfick“ (Bushido, „Arschfick“) mit folgendem Refrain:

T OPOS ‚S EXUALITÄT ‘ | 231

Das Leben ist ein Arschfick in 24 Stunden fließen / neue Tränen neuer Kummer reißen alte Wunden / 23 Stunden und 60 Minuten wird es / dauern bis es wieder anfängt und wir bluten (Bushido, „Arschfick“, Album „King of Kingz“, Ersguterjunge 2003)

Dieses Beispiel verdeutlicht außerdem, dass eine vulgäre und obszöne Ausdrucksweise – neben den bereits beschriebenen profilgenetischen Effekten – für Rapper, die sich als ‚hart‘ und aggressiv inszenieren, auch die besondere Möglichkeit bietet, emotionale Inhalte auf eine Art und Weise zu umschreiben, die nicht zwangsläufig ihr Profil in Frage stellt. So kann auch ein ‚Gangsta-Rapper‘ wie Bushido von Verzweiflung und Angst rappen und Wörter benutzen wie „Tränen“, „alte Wunden“ und „Kummer“, die mit einer gewissen Emotionalität konnotiert sind und eher mit Textsorten wie Schlagertexte oder Gedichte assoziiert werden. In einigen Fällen werden beide Bedeutungsfelder gleichzeitig in einem Text verwendet. So boastet etwa Lady Bitch Ray im Track „Deutsche Schwänze“ (Lady Bitch Ray, „Deutsche Schwänze“) „Ich bin geil aber Deutschland kann nicht ficken!“, wobei sie trotz metonymischer Formulierung klar auf den körperlichen Akt und die sexuelle Potenz referiert, während sie mit „ich ficke eure Hilfe, helft euch lieber selber!“ (ebd.) auf die sekundäre, indirektere Bedeutungsebene zurückgreift. Derartige Beispiele, zu denen auch der Track „Drogen, Sex, Gangbang” (Bushido, „Drogen, Sex, Gangbang“) gehört, in dem King Orgasmus One in der ersten Strophe ebenfalls sexuelle Akte beschreibt, Bushido alias Sonny Black in seiner Strophe hingegen mehrfach die metaphorische Verwendungsweise einsetzt, sind zahlreich und unterstreichen ebenso wie die Formulierung „denn du fickst nicht sie, sondern sie fickt dein Leben“ (Nate57, „Gefährliches Mädchen“) von Nate57 die Problematik der Koexistenz konkurrierender Bedeutungsfelder. In einigen Fällen erlaubt erst der spezifische Kontext eine eindeutige Interpretation der verwendeten Wortkomposition. Wie die Beispiele in diesem Kapitel verdeutlichen, sind die häufigsten Darstellungstechniken bei der Verwendung des Lexemverbands ‚ficken‘ mittlerweile standardisierte Formulierungen wie ‚ich ficke x‘, beispielsweise in „deshalb fick’ ich die Szene in den Arsch als wär ich Rocco“89 (Bass Sultan Hengzt, „Rap braucht kein Abitur (Rap Student)“), ‚ich ficke auf x‘, wie in „fick’ auf dein’ Rap“ (King Orgasmus One, „Schneid dein Kopf ab“) oder ‚ich gebe einen Fick

89

Mit „Rocco“ ist hier einer der bekanntesten Schauspieler, Produzenten und Regisseure von Pornofilmen, Rocco Siffredi, gemeint.

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auf x‘, wie etwa „Ich geb ‘nen Fick auf die Moral, ich scheiße aufs Gesetz!“ (Kitty Kat, “Mit dir”). Eine seltenere Technik ist hingegen die Variation und Modifikation bekannter Redewendungen, die häufig einen humoristischen Effekt evozieren soll, so fügt King Orgasmus One seiner Live-DVD den Untertitel bei „Orgi Pörnchen 2 – Das Auge fickt mit“ (DVD, „Orgi Pörnchen 2 – Das Auge fickt mit“, Pornoboss Production 2004). Gelegentlich werden Wortneuschöpfungen kreiert wie in Sidos Outro zum Track „Arschficksong“: „Yeah, glaube das reicht euch Spassten. Wenn nich’, ihr wisst ja wo ihr euren nächsten Arschfick her bekommt. Ich bin der Arschfickmann.“ (Sido, „Arschficksong“). Außerdem wird immer wieder das durch Präfigierung entstandene Derivat ‚zerficken‘ benutzt wie in „Wer is sicker als ich, wenn ich spitt, n Ficker zerfick / ist alles over“ (Kool Savas & Azad, „Banana 2“). Tefla & Jaleel erklären im BoastingTrack „Phlatline” (Tefla & Jaleel, „Phlatline”), dass „Phlatline etwas dicker, unfickbar und Gewinner heißt” und Olli Banjo erklärt sich und sein Umfeld in „Denkmal“ als „Unfickbar!“ (Olli Banjo, „Denkmal”). 8.6.3 Distinktionspotenzial der Flowanalyse Wie bereits angedeutet kann am Beispiel des Lexemverbands besonders deutlich veranschaulicht werden, in wiefern die Flowanalyse hier zur Unterscheidung von inhalts- und flowfokussierenden Rappern und zur Herleitung von Unterscheidungshinweisen und Distinktionsmerkmalen beitragen kann. Die Ergebnisse einer solchen Analyse könnten wiederum Einfluss auf Indizierungsprozesse entwickeln, denn aufgrund der teilweisen Vermischung beider Bedeutungsfelder lassen nicht alle Textstellen ihr Wesen als reine ‚Sprachspiele‘ so klar erkennen wie „Ich fick’ alle Idioten mit einer Line und zerreiß’ / jeden am Mic der redet und meint, dass er irgendwas weiß“ (Kool Savas, „Don’t hate“). Gerade besonders drastische Formulierungen oder realitätsnahe Schilderungen führen durch das offensichtliche Fehlen kritischer Distanz oder reflektierender Prozesse immer wieder zu Indizierungen: „‚Ficken‘ in der Bedeutung schlagen/verprügeln heißt nicht immer künstlerisch gewaltfrei. Es kann die reale Gewaltanwendung gemeint sein und nach Auffassung der Gremien der BPjM ist auch ‚verbale‘ Gewalt generell geeignet, eine verrohende Wirkung auf Kinder und Jugendliche auszuüben, gerade bei drastischer Beschreibung.“90

90

Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 29.

T OPOS ‚S EXUALITÄT ‘ | 233

Dabei dient gerade die sich in den Worten ausdrückende, inhaltliche Distanzierung in der künstlerischen Reflexion als maßgebliches Kriterium bei der Beurteilung. Je authentischer die Verkörperung der gewaltfokussierenden Texte durch den Rapper, desto größer die Gefahr der Identifikation mit dem Vorbild und der „verrohende[n] Wirkung auf Kinder und Jugendliche“91: „Das Gremium ist im Ergebnis zu der Annahme gekommen, dass in den Liedtexten körperliche Gewalt bis hin zu Tötungen und auf reale Lebenssituationen bezogene Demütigungen besungen werden. Es handelt sich hier weniger um Battle-Rap, sondern um die Beschreibung des vorgegebenen Lebensstils und realer Situationen.“92

Ein weiteres, eher technisch-musikalisches Kriterium bietet jedoch auch die Kategorie des Flows. Das oben zitierte Beispiel von Kool Savas unterscheidet sich in der aggressiven und vulgären Ausdrucksweise kaum von anderen Texten, die indiziert wurden. Eine inhaltliche kritische Distanz ist auch nur schwer nachzuweisen. Dennoch deutet dieses Beispiel aufgrund der zutage tretenden rhythmisch-musikalischen Raffinesse auf einen flowtechnischen Schwerpunkt, auf das ‚Primat des Klangs‘. Ich fick’ alle Idioten mit einer Line und zerreiß’/ jeden am Mic, der redet und meint, dass er irgendwas weiß (Kool Savas, „Don’t hate“, Album „Der beste Tag meines Lebens“, Subword 2002)

Die Markierungen verdeutlichen das Netz an Reimsilben und Assonanzen, die sich durch die beiden Zeilen ziehen. Das folgende Notenbeispiel zeigt näherungsweise die rhythmischen Strukturen von Kool Savas‘ Flow und die Kongruenz lautlicher und metrischer Betonungen. So sind die klanglich dominanten Assonanzen um den Diphthong ‚au‘ ([aʊ]) konsequent als Off-Beat-Akzente gesetzt, wodurch eine interessante, polyrhythmische Struktur entsteht.

91

Salzmann 2010, S.20.

92

Ebd.

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Notenbeispiel 24: Kool Savas – „Don’t hate“ – Flow

In der zweiten Strophe verwendet der Rapper eine Variation dieser Klangkompositionen des Refrains in den Zeilen „Fick jeden am Mic, jeden der meint / Er flowt und ist besser als ich wenn er rhymet“ (Kool Savas, „Don’t hate“). Auch wenn sich ein Track durch besondere sprachlich-musikalische Raffinesse, einen besonderen Flow auszeichnet, mindert das nicht die Gefahr einer ‚Verrohung‘ auf Rezipientenseite, die eine Indizierung oder Altersbeschränkung nach sich ziehen kann. Allerdings hilft es zwischen rein profilgenetischen Narrativen und szenekonformen Spielformen zu unterscheiden. Zur ersten Gruppe zählen zum einen Rapper wie Bushido und Kollegah, die durch den Sprachstil, den spezifischen Soziolekt und konnotierte Assoziationsketten gezielt ein Profil generieren, dessen Inszenierungen „habituelle Brüche“93 aufweisen und die Authentizität des Künstlers in Frage stellen (vgl. Kap. 11.5). Zum anderen gehören dazu auch jene Musiker mit geringerer Popularität wie Automatikk oder Xatar, die in der Vergangenheit weniger Veröffentlichungen hatten, deren Profile weniger Diskontinuitäten aufweisen und die gerade deshalb als besonders jugendgefährdend eingestuft werden, weil die Identifikation mit ihren authentischen Inszenierungen als höher eingeschätzt wird, was etwa im Indizierungsverfahren gegen Xatars Album „Alles oder Nix“ (Aon Records, 2008) zum Ausdruck kommt.94 Zu jener Gruppe schließlich, die vornehmlich szenekonforme Spielformen modifizieren und weiterentwickeln, gehören Rapper wie Kool Savas oder die Mitglieder der Gruppe K.I.Z., deren Sprachstil sich nicht wesentlich von dem der zuvor Genannten unterscheidet. Allerdings ist hier eine kritische Distanzierung in den reflektierenden und teilweise ironisierenden Darstellungen zu beobachten, die sich häufig durch eine elaboriertere Gestaltung auszeichnen, wo-

93

Schröer 2012, S. 75.

94

Vgl. Salzmann 2010, S.20.

T OPOS ‚S EXUALITÄT ‘ | 235

durch sich derartige Produktionen in erster Linie als künstlerische Spielformen qualifizieren.

8.7 S ZENEINTERNE K RITIK VON S EXUALITÄTSDARSTELLUNGEN Die BPjM bestätigt, dass generell die Verwendung des Lexemverbands ‚ficken‘ „nicht nur im subkulturellen Bereich des Hip-Hop, sondern in der gesamten Jugend“95 zu beobachten ist. Daher ist die Tatsache, dass Beispiele in den Werken aller analysierter Rapper zu finden sind, darauf zurückzuführen, dass derartige Ausdrücke Bestandteil der Jugendsprache sind. Gleichzeitig kann in Ansätzen ein szeneinterner kritischer Diskurs beobachtet werden, wie einige Beispiele verdeutlichen sollen. So fasst Rapper Curse etwa die aus seiner Sicht wesentlichen Inhalte der zeitgenössischen Rapkultur in den folgenden Zeilen zusammen: Ich bin der Fluch und ihr rappt alle dasselbe, alle das gleiche. Ich fass es zusammen mit einer Zeile: Fick Dich, ich diss dich, Bitch und Scheiße. Was bleibt von eurem Text, wenn ich die sechs Worte streiche? (Curse, „Der Fluch“, Album „Sinnflut“, Subword 2005)*

Die Mitglieder der Rap-Formation K.I.Z., deren Texte sich auf der sprachlichen Ebene in Direktheit und Drastik nur wenig von anderen sexistischen und gewaltfokussierenden Lyrics unterscheiden, häufig dabei allerdings durch einen sarkastischen Unterton stereotypisierte Rap-Inhalte ironisch brechen, überbieten sich mit Gast-Rapper Sido gegenseitig in „Das System (Die kleinen Dinge)“ (K.I.Z., „Das System (Die kleinen Dinge)“) in der wortgewandten Schilderung der vermeintlichen Winzigkeit ihrer Genitalien. Damit spiegeln sie gängige BoastingTechniken vor allem des sogenannten ‚Porno-Rap‘, die wesentlich auf übertriebenen Vergleichen und Superlativen basieren. Eine ironische Brechung dieser Boastingpraxis bieten ebenfalls Huss und Hodn in „Radiowecker“ (Huss und Hodn, „Radiowecker“): „Mein Penis ist wie …, äh, guck dir den Kölner Dom an! / Vorm Open Mic zieh ich mir dein Doorag als Kondom an“ (ebd.). Nicht nur der Vergleich mit dem Kölner Wahrzeichen und der Szene-Kopf-

95

BPjM 2005, Entscheidung Nr. 5313 vom 01.09.2005, zit. nach Custodis 2008, S. 167.

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bedeckung96, sondern gerade auch die theatrale Performance („äh, guck dir den Kölner Dom an“, ebd.) kann als Hinweis auf eine Ironisierung gedeutet werden. Eine etwas andere Form der Transformation sexualisierter Inhalte, findet sich in Spax‘ Track „Pornostyle“ (Spax, „Pornostyle“), in dem er seine Rap-Fähigkeiten ausschließlich in Vergleichen mit sexuellen und pornografischen Inhalten umschreibt. Hier ein Auszug aus der letzten Strophe: Beats sind Gleitcreme, damit die Rhymes besser reingehen, Reservoir ist vollgetankt, den Flopschutz lass’ ich einnähen. Du musst mich einnehmen, denn ich bin Aphrodisiakum, stimuliere mein Publikum bis zum Delirium. Ich weiß, viele andere klingen ziemlich zum Kotzen, doch ich bin so tight am Beat, als wär’ ich ‘n Cockring. (Spax, „Pornostyle“, Album „Alles relativ“, Universal 2000)*

Bereits der plakative Titel impliziert eine ironische Grundhaltung, welche durch die oft humoristischen Vergleiche, wie dem folgenden, zusätzlich unterstrichen wird: „Verstehen meiner Texte ist ähnlich wie Anal-Verkehr: / man muss sich nur entspannen, dann ist das gar nicht schwer.“ (ebd.). Außerhalb der Szene wird häufig vorausgesetzt, dass die Subkultur auf einheitlichen, konventionalisierten Sprachcodes basiert und daher keine Verständigungsprobleme bezüglich semantischer Inhalte entstehen. Wie das folgende Zitat zeigt, sind jedoch selbst die Rapper teilweise gezwungen, konkurrierende oder diffuse Sprachmodelle zu konkretisieren: Aber zu viele Rapper halten ihre Fähnchen in den Wind / Ihr seid schwul! Und das mein ich nicht im Sinne von Sex / Sondern im Sinne von ‚ihr macht schwule Tracks‘ (Huss und Hodn, „Rokin‘“, Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2007)

Wie bereits in Kapitel 6.3 angedeutet sind bei männlichen wie weiblichen MCs Angriffe gegen das äußere Erscheinungsbild in Dissings zu finden. Während derartige Diffamierungen in der gleichgeschlechtlichen Kommunikation lediglich als zusätzliche thematische Erweiterung des Dissings gelten, werden die Beleidigungen von Frauen durch männliche MCs häufig als Ausdruck von Sexuali-

96

Ein Durag (auch ‚doo-rag‘) ist ein vor allem durch afro-amerikanische Rapper wie 50 Cent oder Nelly bekannt gewordenes Kopftuch.

T OPOS ‚S EXUALITÄT ‘ | 237

sierung und Objektifizierung gewertet.97 Eines der deutlichsten Beispiele hierzu ist Kool Savas‘ Stück „Fick dich nicht” (Kool Savas, „Fick dich nicht”). Mit den Worten „Du bist hässlich wie die Nacht, sogar hässlich bei Nacht. / Dass es sowas Hässliches wie dich gibt, hätte ich niemals gedacht“ (ebd.) leitet er eine Aneinanderreihung von Metaphern und Bildern ein, mit denen er in teilweise banalen, doch flowtechnisch auch interessanten und mitunter humorvollen Formulierungen („du siehst aus wie ‘n verschossener Elfer“, ebd.) ein fiktives weibliches Gegenüber beleidigt. Kitty Kat nimmt indirekt Bezug auf die Dominanz des äußeren Erscheinungsbilds, wenn sie ironisch boastet „scheiß auf Reim, Kitty Kat hat ihren eigenen Flow / am Ende guckst du eh auf meinen Arsch in den Jeans“ (Kitty Kat, „Fliegen üben“). Auf humorvolle und ironisierende Weise beschäftigt sich Samy Deluxe im Track „Warum“ (Samy Deluxe, „Warum“) mit klischierten Rollenzuschreibungen und den Wechselbeziehungen zwischen Körperlichkeit und sexueller Anziehung: Warum ist dein Ausschnitt so tief? Kleid so eng? / Und noch so kurz? Mein Blick bleibt häng’n. / Ich kann nix tun, es ist wie ein Reflex. / Ich weiß ihr Frauen seit da anders - ihr denkt niemals an Sex. / Aber Männer sind wie Hunde. Sorry, doch so ist das. / Woll’n die Katze füttern und ich rede nicht von ‚Whiskas‘. / Und ich weiß, dass ihr denkt wir woll’n immer nur das Eine. / Doch egal wo ich bin, seh ich immer nur die Beine. / Die Taillen, die Hüften, die Brüste, die Ärsche. / Seht ihr etwa von weitem schon die inneren Werte? / [Nein.] Wir leider auch nicht. Genau deswegen / schau’n wir uns eure Körper an, da müsst ihr wohl mit leben. / Ein Blick ist wie ein Kompliment, solang ich dich nicht anstarr’. / Sei dankbar! Verdammt, ja, es ist verdammt hart. / Wir brauchen den Anblick, ihr braucht die Beachtung. / Und wenn es nicht so ist, warum lauft ihr dann halb nackt rum? (Samy Deluxe, „Warum“, Album „Verdammtnochma!“, Capitol Music/EMI 2004)

Eine Reflexion männlich-sexistischer, genrespezifischer Sprechhandlungen kann in Ansätzen bereits in Darstellungen mit extremen Übertreibungen nachgewiesen werden, wie etwa in dem Track von K.I.Z. mit dem plakativen Titel „Riesenglied“ (K.I.Z., „Riesenglied“). Der Refrain des Stückes ist musikalisch und text-

97

Lüdtke 2007b, S. 225.

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lich eine Modifikation des Refrains aus „Liebes Lied“ von Absolute Beginner (Absolute Beginner, „Liebes Lied“). Der Text des Originals lautet: „Ihr wollt ein Liebeslied, ihr kriegt ein liebes Lied“ (ebd.). In der Adaption von K.I.Z. wird daraus „Du willst ein Liebeslied, / du kriegst mein Riesenglied. / Ein Glied, wie vom Schmied / also halt hin, dit Ding passt nur halb rin. (K.I.Z., „Riesenglied“). Nicht nur die Reminiszenz an das ‚harmlose‘ Original, sondern auch die pointierte Reimgestaltung und die dialektale Wendung am Ende des Refrains belegen den humoristischen Gestus des Tracks. Indem sie sich ihrer bei der Selbstinszenierung bedienen, entlarven die Rapper in den Strophen klischiert ‚männliche‘ Denkmuster („Beim Duschen nach dem Sport war ich früher immer der King“, ebd.) und Handlungsstrategien („Ich bind mir nicht die Schuhe zu, ich will unter deinen Rock gucken“, ebd.) als Beispiele stereotypisierter Männlichkeit und geben diese damit der Lächerlichkeit preis. Dominantes Stilmittel der Darstellung ist die Übertreibung: ich wach’ acht Uhr morgens auf, stolper’ über mein Ding. / […] ich geb’ den Cumshot ab und du denkst, du kriegst ’nen Ziegelstein ab. / Mein Schwanz ist so lang, ich führ ’ne Fernbeziehung, / Scheiß auf Keuschheitsgürtel, du brauchst ‘ne Zentralverriegelung / (K.I.Z., „Riesenglied“, Album „Böhse Enkelz“, Royal Bunker 2006)

Die Absurdität der gewählten Vergleiche qualifiziert den Track als reinen ‚Boasting-Track‘ und gipfelt etwa an exponierten Stellen wie dem Übergang von Strophe zu Refrain in Formulierungen wie „Lass das Höschen ruhig an, denn er passt sowieso nicht, / ich fliege weg und ficke in das Loch der Ozonschicht“ (ebd.) und zuletzt „Ich flieg ins Weltall und ficke in ein schwarzes Loch“ (ebd.). Derartige Darstellungen illustrieren und problematisieren konventionalisierte Männlichkeitskonstruktionen, ohne jedoch die genrespezifische Heteronormativität in Frage zu stellen. Dieser Schritt hingegen wird am stärksten deutlich in themenzentrierten Produktionen wie „Pro Homo“ von Sookee und Tapete (Sookee, „Pro Homo”), die kritische Auseinandersetzungen mit subkulturellen Sexualitätsstandards, Homophobie und Intoleranz beinhalten.

9. Topos ‚Gewalt‘

9.1 M ANIFESTATIONEN

VON

G EWALT

Die Auseinandersetzungen in Kapitel 5.7 und vor allem auch in Kapitel 8 ließen die Notwendigkeit einer näheren Betrachtung von Gewaltmanifestationen im deutschsprachigen Rap klar erkennen. Nicht nur in der öffentlichen Diskussion, sondern auch in der akademischen Auseinandersetzung steht Rap häufig unter Generalverdacht. So beobachtet auch Grimm: „Wenn Rap angegriffen wird, dann meist aufgrund seiner sexistischen und gewaltverherrlichenden Repräsentationen.“1 Während in Kapitel 8 erstere als Kulturpraktiken theoretisiert sowie kontextualisiert und damit zumindest teilweise relativiert werden konnten, gilt es nun die Manifestationen von Gewalt einer eingehenderen Betrachtung zu unterziehen. Wie zu sehen war, sind Gewaltdarstellungen in Raptexten in Bezug auf die Quantität – zum einen die Häufigkeit ihres Auftretens im Œuvre des Musikers, zum anderen die Dichte innerhalb eines Textes – unterscheidbar. So wurden in Kapitel 5.7 bereits Texte als ‚gewaltfokussierend‘ klassifiziert, deren semantischer Gehalt sich im Wesentlichen auf Boasting mithilfe von Gewalt-Darstellungen reduzieren lässt. Allerdings wurde auch die Notwendigkeit offenkundig, derartige Texte qualitativ (mit Hilfe der Flowanalyse) nach Funktion und Art dieser Darstellungen zu analysieren. Denn wie vor allem am Beispiel des Lexemverbands ‚ficken‘ zu sehen war, sind für einen Teil der Rapper gewaltfokussierende Machtillustrationen lediglich Teil eines verbalen Spiels mit genrehistorischen Kulturpraktiken, während es für andere entscheidender Bestandteil einer Authentifizierungs- und Profilbildungspraxis darstellt. Um diesen Themenkomplex eingehender betrachten zu können, bedarf es zunächst einer definitorischen Abgrenzung relevanter Begriffe wie ‚Gewalt‘, ‚Aggression‘, ‚Brutalität‘ und

1

Grimm 1998, S. 125.

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‚Vehemenz‘: Unter Gewalt wird hier in Anlehnung an Kunczik und Zipfel „die beabsichtigte physische und/oder psychische Schädigung einer Person, von Lebewesen und Sachen durch eine andere Person verstanden“2. ‚Aggression‘ wiederum wird im Kontext der vorliegenden Arbeit als Verhaltensmuster verstanden, das im Zustand emotionaler Erregtheit den Einsatz von Gewalt häufig nach sich zieht. Die beiden Begriffe ‚Vehemenz‘ und ‚Brutalität‘ werden verwendet, um die sprachlichen Formulierungen, die inhaltlichen Bilder und die Gestaltung der Rapstimme näher beschreiben zu können. So dienen diese Bezeichnungen der qualitativen Unterscheidung und ermöglichen Aussagen über den ‚Grad der Rohheit‘ gewaltmanifestierender Elemente. Im Zusammenhang mit Raptexten kann von unterschiedlichen ‚Manifestationen von Gewalt‘ gesprochen werden: Zuvorderst handelt es sich dabei um Darstellungen von Gewalt im Sinne von verbalen Inszenierungen. Auf der Textebene werden Handlungen und Situationen beschrieben, in denen Gewalt ausgeübt wird. So finden sich Gewaltdarstellungen etwa in narrativen Raptexten aus Sicht eines quasi unbeteiligten Beobachters, wie im folgendenden Beispiel von Prinz Pi: „Er kommt aus einer Nachbarschaft / wo du an der Ecke echte Hustler hast / sie hauen dir auf die Fresse wenn du Faxen machst / nehmen dir die Potte und dein iPod Shuffle“ (Prinz Pi, „Kette (Würfel II)“)*. In dieser Form dienen die Gewaltdarstellungen häufig als exemplarische Schilderungen, um in der metaphorischen Wiederholung zu überspitzen und so etwa auf soziale Missstände hinzuweisen. Derartige Raptexte können auch aus der Ich- oder Wir-Perspektive gewaltdarstellende Inhalte thematisieren und sich gleichzeitig durch einen sozialkritischen Impetus auszeichnen, wie etwa im Fall von „Amok Zahltag“ von KAAS3 oder „Männer“ von Curse (Curse feat. Trauma & Fabio, „Männer“). In diesen Fällen suggerieren die Texte Realität und erzielen den gewünschten Effekt des Bewusstwerdens gerade durch die realistische Darstellung. Gewaltdarstellungen aus der Ich-Perspektive gehören zu den häufigsten Manifestationen von Gewalt und sind als integrale Bestandteile der genrespezifischen Sprachpraktiken des Dissing und Boasting potenziell in sämtlichen Rapstilen nachweisbar. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen ‚illustrierenden Gewaltmanifestationen‘, können diese als ‚performative Gewaltmanifestationen‘ bezeichnet werden, da hier durch Diffamierungen und verbale Beleidigungen Gewalt ausgeübt wird. Die Darstellungen von Gewalt unterscheiden sich dabei an Brutalität und Vehemenz der verwendeten Bilder mitunter kaum von anderen,

2

Kunczik/Zipfel 2006, S. 22.

3

Vgl. hierzu etwa Wiegel 2010, S. 65 ff.

T OPOS ‚G EWALT ‘ | 241

qualifizieren sich jedoch durch Humor, Sarkasmus oder die implizite Ironie als Stilelemente der Übertreibung. Ein Realitätsbezug kann hier prinzipiell ausgeschlossen werden. Elflein schreibt in diesem Zusammenhang: „Teil des Gründungsmythos von HipHop ist auch die Transformation gewalttätiger Auseinandersetzungen in eine nicht gewalttätige, künstlerische Form mit Hilfe der Battle. Gleichzeitig wird diese Transformation auf einer künstlerischen Ebene zum Begründungszusammenhang, mit dem die Textinhalte relativiert werden.“4

Verbale Diffamierungen im Zusammenhang mit selbstüberhöhenden Inszenierungen sind aufgrund des traditionell kompetitiven Grundcharakters der HipHop-Kultur vor allem in der Ur-Form des Battles grundsätzlich von den Teilhabenden akzeptiert (vgl. Kap. 2.2.6). Gerade die hierarchisierende Selbstüberhöhung ist elementarer Bestandteil der beiden genannten Kulturpraktiken und damit integraler Bestandteil der Rapkultur.5 Dementsprechend verwundern auch nicht die Beobachtungen Elfleins, der in Interviews mit Rappern mehrfach den „Versuch der Relativierung der Textinhalte, das Nicht-verantwortlich-seinwollen des Rappers für den Inhalt des Spiels“6 feststellt. „Die Metaphern sind vielmehr notwendig, um im Wettbewerb, im Spiel zu bleiben.“7 Wie bereits angedeutet, unterscheiden sich die Darstellungen jedoch erheblich in Form, Inhalt und erzieltem Effekt. Dabei ist die figurative Bedeutung der Formulierungen nicht immer so offensichtlich wie in „Nachdem ich euch in alter Battle-Manier die Fresse polier’“ (Samy Deluxe in Samy Deluxe, „Session”) oder in „[ich] komm zu dir und kill den besten Rapper deiner Stadt.“ (Kool Savas, „Alle in einem“). Doch diese Beispiele zeigen, dass nicht die reine Formulierung (hier etwa die aggressive Wendung ‚die Fresse polieren‘) sondern der spezifische Kontext für die Beurteilung von Bedeutung ist. Problematisch wurde das rituelle Beleidigen und Selbstüberhöhen kulturhistorisch gesehen mit dem Einzug diskriminierender Sprachhandlungen und verbal immer direkter werdender Rapprofile, die das figurative Spiel des Boastings und Dissings als solches nicht mehr erkennen ließen oder es teilweise sogar bewusst negierten, wie im Folgenden noch näher ausgeführt werden wird. Daher ist es notwendig in diesem Kontext prinzipiell zwischen ‚gewaltfokussierenden

4 5

Elflein 2006, S. 18. Insofern muss Wiegels Kriterium der heldenhaften Darstellung zumindest hinsichtlich ‚Gewalt verharmlosender‘ Texte relativiert werden (vgl. Wiegel 2010, S. 68).

6

Elflein 2006, S. 19.

7

Ebd.

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Boastings‘ und ‚geboasteten Gewaltdarstellungen‘ zu unterscheiden: Während erstere als elementare Bestandteile aus der Rapkultur nicht wegzudenken sind, sich selbst als ‚metaphorisches Spiel‘8 relativieren und so etwa auch reflektieren können, sorgen letztere immer wieder für den Widerstand der Dominanzkultur und für Sanktionen, wie etwa Indizierungen. Eines der Kriterien bei der Beurteilung ist der Realitätsbezug. Dass dieses Kriterium für die Klassifikation von gewaltverherrlichenden Texten jedoch nicht hinreichend ist, zeigen die folgenden Beispiele: Sehr effektvoll und bei der Rezeption durch die Assoziation mit individuellemotionalen Erinnerungen besonders intensiv sind Gewaltmanifestationen durch bewusstes Aktivieren bestimmter Inhalte des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ einer Kulturgemeinschaft (vgl. Kap. 2.2.7), wie etwa historische Ereignisse, Tragödien und Katastrophen. Hierzu zählen beispielsweise Vergleiche wie „mit jedem meiner Alben geht's für euch direkt runter wie Aaliyahs Cessna“9 (Kool Savas, „Essah“) oder „die Scheiße knallt wie im Libanon“ (Jan Delay, „Klar“). In beiden Fällen wird durch genretypische Verweispraktiken auf reale Ereignisse referiert, die aufgrund ihrer Bekanntheit und der enormen Vehemenz gewählt wurden. Ähnliches gilt für die Anspielung auf den Amoklauf an einer Erfurter Schule im April 2002 in dem Track „Das Urteil“ (Kool Savas, „Das Urteil“) von Kool Savas, über den Wiegel urteilt: „Er verherrlicht im Vergleich zwischen dem Amoklauf von Erfurt und seinen sprachlichen Fähigkeiten, Gewalt.“10 Interessante Beispiele bieten vor allem auch die Verweise auf die Ereignisse des 11. September 2001. So verwendet etwa Kool Savas den Vergleich „ich bin bereit die Welt zu verändern wie der 11. September“ (Kool Savas, „Wie S“) in der beschriebenen Weise zur Steigerung des Ausdrucks beim Boasting. Die Absurdität der konstruierten Gegenüberstellung in „Manche meinen die Twin Towers zu zerstören war schlimm / Doch hört erst hin wie die meisten deutschen Rapacts klingen“ (Kool Savas feat. Eko & Valezka & Melbeatz, „Optik Anthem“) wiederum nutzt er für das Erzielen eines komischen Effekts im Stile humorvollpointierter Dissings. Im Vergleich dazu verwendet Bushido in seinem Freetrack „September“ (Bushido, „September“) Bilder, die an Brutalität und Vehemenz die zuvor beschriebenen Beispiele weit übersteigen. Dieser Track sollte ursprünglich auf dem Album „Von der Skyline zum Bordstein zurück“ (Ersguterjunge 2006)

8

Vgl. ebd.

9

Im August 2001 verunglückte R&B-Sängerin Aaliyah tödlich durch den Absturz einer Cessna.

10 Wiegel 2010, S. 92.

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an elfter Position, und damit in der Trackliste als „11. September“, erscheinen.11 Hier ein Auszug aus der ersten Strophe ab der Zeile, in der der Rapper den Inhalt zum ersten Mal mit seiner Person in Verbindung bringt: Meine Feinde, euer Blut läuft, ich spür’s / Vielleicht werd’ ich dieses Jahr ein Flugzeug entführ’n / Kontert wie ihr wollt, ich bekomme noch mal Gold / Ich hab Chemowaffen bei und komme durch den Zoll / Scheiß auf Hengzt, scheiß auf Fler seine Diss-Tracks / Ihr fetten Schweine, ich hab eure Airline gekidnappt. / Sonny und Saad zwei ganz harte Moslems / Wir sind das ‚Double-Team‘ wie Van Damme und Rodman / Junge, ich kotz’, denn Amerika gefällt euch / Für mich gibt’s nur eine Zahl und die is 11-9. (Bushido, „September“, Freetrack12)

Bushido bedient sich hier klischierter, medial verbreiteter Bilder im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. Septembers 2001 und evoziert gezielt Assoziationen durch Schlüsselwörter wie „Feinde“, „Flugzeug entführ’n“, „Chemowaffen“, „Zoll“, „Airline gekidnappt“, „Moslems“, „Amerika“ und „11-9“. Gleichzeitig bleibt die künstlerische Fiktion durch einige Rückbezüge, die auf das Medium des Raptextes selbst als Artefakt zurückverweisen, erkennbarer Bestandteil des Textes. Zu diesen Fiktionsmarkern gehört etwa der Verweis auf den Erfolg der künstlerischen Produktion in „Kontert wie ihr wollt, ich bekomme noch mal Gold“ (ebd.) und das namentliche Erwähnen von anderen Künstlern in „Scheiß auf Hengzt, scheiß auf Fler seine Diss-Tracks / Ihr fetten Schweine, ich hab eure Airline gekidnappt“ (ebd.). Vor allem diese Verknüpfung der narrativen Ebene der geschichtlichen Ereignisse mit der kulturpragmatischen Ebene des Dissing bzw. Boasting unter Bezugnahme auf andere Rapper qualifiziert den Text als künstlerisches Artefakt. Relativierend wirkt außerdem die in diesem Zusammenhang ‚harmlos‘ wirkende Reminiszenz an Filmschauspieler Jean-Claude Van Damme und Dennis Rodman. Um ein besonders gewaltvolles und beeindruckendes Image zu erschaffen, werden Bilder kreiert und zitiert, die an Vehemenz und Brutalität kaum zu überbieten sind. Diese metaphorische Collage kulminiert in einem Refrain, der im Gegensatz zu den Strophen keine offensichtlich relati-

11 http://www.hiphop-jam.net/special51.html [Stand 2016-07-25]. 12 Online verfügbar unter http://bit.ly/1po5Kz0 [Stand 2016-05-25].

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vierenden oder auf das Medium selbst zurückweisenden Elemente aufweist. Insofern stellt er eine Intensivierung im Ausdruck dar: Der 11. September, der Tag der Entscheidung / Ich bin dieser Junge über den man las in der Zeitung / Wenn ich will, seid ihr alle tot. Ich bin ein Taliban / Ihr Missgeburten habt nur Kugeln aus Marzipan / Der 11. 9., der Tag der Verdammnis / Du kannst dich überzeugen falls du ein Mann bist / Ich lass dich bluten wie die Typen aus den Twin Towers / Meine Freunde tragen Lederjacken und sind stinksauer. (Bushido, „September“, Freetrack13)

Dieser Text Bushidos stand in der öffentlichen und akademischen Diskussion vielfach in der Kritik und führte neben dem Vorwurf der Gewaltverharmlosung auch zur Verurteilung eines sich äußernden radikalen Islamismus.14 Wiegel, der sich eingehend mit diesem Raptext beschäftigte, resümiert: „Moslem sein und Terrorist sein werden somit auf eine Stufe gestellt, es entsteht das Bild, als hinge Moslem sein und Terrorist zusammen. Der Sprecher bedient sich des gängigen medialen Klischees und fördert dieses noch zusätzlich.“15 Als Ursachen dieser spezifischen Gestaltung benennt Islamwissenschaftler Müller in Bezug auf Bushidos Raptext marktstrategische und profilrelevante Erwägungen: „Tatsächlich haben wir es hier aber kaum mit einer militant-islamistischen Weltanschauung, sondern eher mit den Fantasien pubertierender Jungs zu tun. Solche Fantasien kommen an im Kiez und unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund“16. Viel entscheidender als der Realitätsbezug scheinen also die textimmanenten Fiktionsmarker zu sein. Wo sie fehlen, wie etwa im Refrain von „September“ (Bushido, „September“), gewinnt ein anderes Kriterium an Relevanz, das im weiteren Verlauf der Arbeit diskutiert werden soll: die Authentizität einer Darstellung. Dazu muss zunächst der Fokus auf das Provokationspotenzial fiktiver Gewaltdarstellungen gerichtet werden, bei denen nicht – wie hier – der Verweis auf eine geteilte Wirklichkeit, auf eine konkrete Realität emotionale Effekte evozieren kann. Denn nicht nur die Referenz auf reale Ereignisse wird als Verlassen des fiktiven Imaginationsraums verurteilt, sondern vor allem auch besonders

13 Ebd. 14 Vgl. Müller 2012. 15 Wiegel 2010, S. 109. 16 Müller 2012.

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plastische und „realistisch dargestellte Gewalthandlungen“17 ohne konkreten Realitätsbezug.

9.2 R EALNESS

UND

AUTHENTIZITÄT

In dem gemeinsam mit Madcap produzierten Track „Überall“ (Albino in Albino & Madcap, „Überall”) auf dem Album „Plan 88 - 88 is great“ (Art 4 Real 2008), das Albino mit den Worten „Plan 88: Mukke für Nazis“ im politischen Kontext einordnet,18 heißt es: Blut pumpt durch mein Herz, Adrenalin raubt mir den Nerv. Killerinstinkt, durch Jahre gestauten Hasses. Durch die Zeit verblasst es? Fuck dat, ich lass es. Alles raus, verdammter Scheiss, das Blut quillt heraus. […] Der Schlachthof ruhte unbemerkt bis zum heutigen Tag. Die Hemmung ist weg, der Entschluss ist deutlich erstarkt. (Albino in Albino & Madcap, „Überall”, Album „Plan 88 - 88 is great“, Art 4 Real 2008)*

Interessante Ergebnisse liefert im Zusammenhang dieses Tracks die Analyse der einzelnen intensivierenden Gestaltungselemente. So fällt auf, dass neben der Benutzung von Schlüsselwörtern wie „Blut“, „Adrenalin“, „Killerinstinkt“, „Hass“, „Schlachthof“ und „Blut quillt heraus“ (ebd.) auch Marker für emotionale Erregtheit wie die Exklamationen „Fuck dat“ und „verdammter Scheiß“ (ebd.) verwendet werden. Darüber hinaus vermittelt die stimmliche Gestaltung des Rap – dazu gehören v.a. prosodische Elemente wie die Intonation – und der spezifische Flow der Rapstimme, etwa die Phrasierung und dynamische Gestaltung (vgl. Kap. 4.6), Entschlossenheit und Tatendrang. Die zugrunde liegende musikalische Untermalung wirkt durch heroische Hörnerbegleitungen und mit Militär assoziierte Marschrhythmen der kleinen Trommel zusätzlich dramatisierend. An exponierter Stelle – am Ende der ersten Strophe, das häufig mit einem erzählerisch-dramaturgischen Höhepunkt zusammenfällt – rappt Albino „Ihr

17 Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 11. 18 Im Booklet der CD erklärt Albino: „Mit ’88 is great‘ wollen wir ein klares Nein gegen Rechts setzen. Die Idee des Plan 88 ist die Neubesetzung der, in faschistischen Kreisen als Erkennungsmerkmal benutzten Pseudonyms, ‘88‘ (88 = Heil Hitler). Die ‘88‘ steht ab sofort für Hip Hop und soll auch nur damit in Verbindung gebracht werden. Die 88 als Nazisymbolik wird abgelöst durch eine kreative, positive und lebensbejahende Kraft: HipHop!“ (Albino im Booklet zu Albino & Madcap, Album „Plan 88 88 is great“, Art 4 Real 2008).

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kanntet meine Tränen, doch Lachen ist gesünder. / Dachte ich mir und betätigte den Zünder …“ (Albino in Albino & Madcap, „Überall”), woraufhin das Geräusch einer detonierenden Bombe zu hören ist. In „Adriano (Letzte Warnung)“ (Brothers Keepers, „Adriano (Letzte Warnung)“) wiederum rappt Denyo 77 in seinem Beitrag zu dem gemeinsamen Track gegen Rechtsextremismus „Ich fühl’ mich eingeengt und will statt Prominenz und statt großer Fans, Nazis, die wie Poster häng’n“ (ebd.). Eine Flowanalyse der entsprechenden beiden Takte des Tracks liefert zahlreiche Hinweise auf das hier wirksame ‚Primat des Klangs‘ (vgl. Notenbeispiel).

Notenbeispiel 25: Denyo 77 – „Adriano“ – Flow

In diesem Notenbeispiel fallen zunächst die rhythmischen Wiederholungen auf: Die erste und zweite Phrase sind identisch, die dritte um ein Sechzehntel reduziert, die vierte – und semantisch entscheidende – leicht erweitert. Dabei wird nach dreimaliger Pause auf die ‚schwere‘ Zählzeit 1 und 3, das Signalwort ‚Nazis‘ on-beat auf Zählzeit 3 gesetzt, was eine bestimmte Erwartungshaltung evoziert. Die Reimsilben ‚-engt‘, ‚-nenz‘, ‚Fans‘ und ‚häng’n‘ (wobei die größte klangliche Kongruenz in der Form A-B-B-A vorliegt) sind mit langem Notenwert konsequent auf jedes vierte Achtel gesetzt. Darüber hinaus sind die dreisilbigen Assonanzen „Prominenz“, „großer Fans“ und „Poster häng’n“ zu erkennen. Die klangliche Entsprechung des einleitenden ‚o‘-Vokals wird dabei durch die von der Standardsprache abweichende Betonung von „´Pro-mi-nenz“ ermöglicht. Außerdem kann der Stimmgestus (vgl. Kap. 4.6) von Denyo 77 in seinem Beitrag als sehr entspannt und keineswegs aggressiv charakterisiert werden. Auch wenn die Summe der hier skizzierten klangästhetischen Produktionsmechanismen und nicht zuletzt die konkrete Performanz auf die Dominanz des ‚Primats des Klangs‘ hinweisen, urteilt jedoch Wiegel in Bezug auf die zitierte Textpassage: „Diese Äußerung kann ganz klar als gewaltfördernd erkannt werden.“19 Interessanterweise stammt keines der beiden Beispiel von einem Rapper mit einem aggressiven Profil. Außerdem kann weder Albino noch Denyo 77 zu der Gruppe der für ihre Aggressivität bekannten ‚Gangsta-Rapper‘ gezählt werden.

19 Wiegel 2010, S. 40.

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Dennoch kommt Wiegel zu seiner Einschätzung, was zum einen in einer fehlenden Unterscheidung zwischen ‚gewaltfokussierenden Boastings‘ – wie im Fall von Denyo 77 – und ‚geboasteten Gewaltdarstellungen‘, zum anderen in einer Gleichsetzung von Authentizität und Realität begründet ist. Daher verdeutlicht dieses Urteil, dass für die Rezeption und Beurteilung von Raptexten vielfach die Art der Abbildung und Inszenierung bzw. das Verhältnis von fiktiver Illustration und tatsächlicher Realität von elementarer Bedeutung ist. Dieser Themenkomplex wird häufig als „‚Keep it real‘ Problematik“20 umschrieben und basiert auf der grundlegenden Frage nach der Authentizität resp. Glaubwürdigkeit der Inszenierung des Rappers. Dabei wird die scheinbar einfache Formel Klein und Friedrichs „Real ist das, was glaubhaft in Szene gesetzt wird.“21 in den Auseinandersetzungen mit deutschsprachigem Rap, insbesondere mit dem sogenannten deutschen ‚Gangsta-Rap‘ vielfach fehlinterpretiert und mit dem Trugschluss gleichgesetzt: Real ist das, was ‚echt‘ – im Sinne von ‚wahr‘ – ist. So kommt etwa auch Wiegel zu dem zweifelhaften Schluss: „Gangsta-Rap-Texte können generell in zwei Kategorien eingeteilt werden. Die erste bezeichnet die Texte, deren Inhalt aus den tatsächlichen Erfahrungen der Rapper stammt. In dieser Art und Wiese vertreten sie in ihrer textlichen Darstellung einen literarischen Realismus. Die zweite Kategorie setzt sich aus frei erfundenen Texten zusammen, die Nelson George als ‚Cartoons‘ bezeichnet. Diese haben somit nicht den Anspruch, die Realität abzubilden.“22

Diese Kategorisierung basiert auf der Prämisse eines monokausalen Zusammenhangs zwischen tatsächlicher Lebenserfahrung und authentischer Inszenierung und setzt eine kontinuierliche Prüfung des Wahrheitsgehalts des Gerappten durch die Rezipienten voraus. Damit könnte allerdings weder die offensichtliche Akzeptanz von Profilen wie etwa jenem Bushidos, das unvereinbare Brüche aufweist und dessen Diskontinuitäten öffentlich diskutiert werden, noch der vergleichsweise geringere Erfolg bislang konsequenterer und überzeugenderer Darstellungen anderer Rapper ausreichend erklärt werden. Diesen Widerspruch versucht Wiegel zu lösen, indem er aus Bushidos Worten „Auf der Street hast du dich mit ‚Keep it real‘ krass blamiert“ (Bushido, „Intro“) folgert:

20 Ebd., S. 95-97. 21 Klein/Friedrich 2003a, S. 9. 22 Wiegel 2010, S. 95.

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„Aus diesem Zitat des Rappers wird deutlich, dass dieser jegliche ethischen Prinzipien der HipHop-Kultur ablehnt wie auch den Anspruch, ‚real‘ zu sein, also im weitesten Sinne ‚Realität‘ abzubilden. Aus der ‚Keep it real‘ Perspektive würde er somit als ‚fake‘, als ‚unecht‘ bzw. nicht authentisch erscheinen. Wie sich zeigen wird, ermöglicht es diese künstlerische Entscheidung dem Rapper Bushido, Gewaltbilder zu erschaffen, die jenseits der Realität liegen und Teil seiner eigenen theatralen Inszenierung sind.“23

Klein und Friedrich betonen hingegen den direkten Zusammenhang von Inszenierung und Authentizität und rücken so die glaubwürdige, überzeugende Performance des Gerappten in den Mittelpunkt. Dieser Betrachtungsweise folgend möchte ich daher die bereits in Kapitel 1.1.1 entwickelte These vom ‚Primat der Darstellung gegenüber dem Inhalt‘ an dieser Stelle wieder aufgreifen. Damit wird die eigentliche Frage nach der tatsächlichen Realität insofern obsolet, als dass die Darstellungen des Rappers als Inszenierungen eines Künstlers immer als unter Fiktionsvorbehalt stehend verstanden werden. Authentizität wird folglich nicht im Spannungsfeld zwischen Theatralität und Wirklichkeit, sondern lediglich auf der Ebene der Performance, des Darstellens ausgehandelt. Das Abgleichen von Inszenierung und Realität kann nur aufgrund medial kursierender Inhalte erfolgen und ist damit per se ‚mittelbar‘. Das individuelle Erleben in der Konsumption wiederum scheint ‚unmittelbar‘. Der Prozess der Authentifizierung ist offensichtlich komplex und nicht vollständig durchschaubar, jedoch in jedem Fall einer direkten Realitätskausalität im Sinne Wiegels enthoben, der Realness und das ‚Abbilden von Realität‘ miteinander koppelt.24 Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die scheinbare Nähe zur Realität das Hauptkriterium bei der Beurteilung von Gewaltdarstellungen in Raptexten darstellt, das bei Rappern wie Bushido immer wieder zu Indizierungen und anderen Sanktionen der Dominanzkultur führt. Der Grund hierfür scheint plausibel: „Grundsätzlich sind realistisch dargestellte Gewalthandlungen eher als jugendgefährdend einzustufen als solche, die Gewalt abstrakt darstellen.“25 Gleichzeitig ist dabei die authentische Aufführung des Gerappten von elementarer Bedeutung, wobei das Aushandeln der Authentizität lediglich in der Sphäre der theatralen Darbietung stattfindet, die sich über sämtliche öffentliche Auftritte wie Interviews, Homepage etc. erstreckt. Dementsprechend können die exemplarisch beschriebenen Inszenierungen sowohl von Bushido als auch von Denyo 77 als ‚authentisch‘ charakterisiert werden. Während sich letzterer jedoch mit ‚ge-

23 Ebd. 24 Vgl. ebd., S. 96. 25 Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 11.

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waltfokussierenden Boastings‘ im Kontext genrespezifischer Kulturpraktiken positioniert, liefert ersterer mit ‚geboasteten Gewaltdarstellungen‘ mitunter Texte, die jeglicher Relativierung durch Ironisierung etc. entbehren. Eine trennscharfe Unterscheidung ist, wie gezeigt werden konnte, lediglich auf Basis einer Kombination von Profil- und Flowanalyse möglich.

9.3 P ARADOXIEN BEI G EWALTDARSTELLUNGEN VON R APPERINNEN Im Folgenden werden Gewaltdarstellungen von Rapperinnen hinsichtlich der in ihnen sichtbar werdenden Paradoxien eingehender untersucht. Denn wie bereits erwähnt sind Gewaltdarstellungen beim Boasting und Dissing profilübergreifend zu beobachten und somit auch Bestandteil der Raptexte von Rapperinnen. So rappt Pyranja etwa „Schütz deinen Kiefer, wenn wir Beef haben“ (Pyranja, „Warm up“) und „ich geb’ dir ‘n Arschtritt zum Abflug“ (Pyranja, „Gastspiel“). Kitty Kat boastet „pass auf, dass ich nicht komme und dich von deinem Traktor boxe“ (Kitty Kat in Fler, „Früher wart ihr Fans“) und „ich erhäng’ dich an deinem Bling, denk besser nach was du sagst, kann dein Leben bang’“ (Kitty Kat, „Miyo!“). Interessante Ergebnisse liefern in diesem Zusammenhang Untersuchungen der Boasting-Tracks, die als Signatur-Track die Rapperin als Kunstfigur thematisieren und mit entsprechenden Bildern operieren. So beschreibt Kitty Kat ihre Überlegenheit im Titel-Track des Albums „Miyo!“ (Urban 2009) – also die Nachahmung des Tierlauts – mit dem metaphorischen Bild einer Katze: „meine Krallen sezieren dich wie Messer“ (ebd.). Ähnliches hatte Rapperin Pyranja bereits sechs Jahre zuvor in einem Track mit dem Titel „Verteidigung und Angriff (Piranhas)“ (Pyranja, „Verteidigung und Angriff (Piranhas)“) in der Beschreibung als Piranha praktiziert. Darin rappt sie „Lauter blitzende Beißer zerschlitzen die schwitzende Geisel“ (ebd.) und „Viele tödliche kleine weiße Reihen verschlingen den Brei aus Innereien, ein Leiden unermesslich!“ (ebd.). Generell ist festzuhalten, dass nicht weiter konkretisierte Adressaten wie ‚du‘, ‚ihr‘ und männliche Kontrahenten in Texten von Raperinnen als unmarkierte Formen verstanden werden können. Mitunter sind selbst eindeutig gegen männliche Opponenten gerichtete Dissings lediglich als unmarkierter Standard zu verstehen, wie etwa in „Du rappst, als würde man dir die Eier amputieren“ (Visa Vie, „Dein Rap“), wo Visa Vie lediglich auf eine genretypische Vergleichspraxis zurückgreift, ebenso wie Kitty Kat in „du fragst dich, was such’ ich am Mic? - Ganz leicht: ich tret’ dir die Eier breit!“ (Kitty Kat, „Kitty Kat”).

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Insofern sind folgende Kommunikationssituationen als Sonderfälle zu betrachten und werden im Folgenden näher beleuchtet: Männliche MCs gegen Frauen, Rapperinnen explizit gegen Männer und Rapperinnen gegen andere Frauen. Zur ersten Kategorie zählen zum einen jene Beispiele, in denen Rapper ehemalige Partnerinnen anklagen wie etwa Olli Banjo in „Baseballschläger“ (Olli Banjo, „Baseballschläger“), die teilweise auch zum sogenannten ‚Liebesrap‘ gezählt werden können, und zum anderen die unzähligen sexistischen BoastingRaps, die in Kapitel 8 ausführlicher beschrieben wurden. Die zweite Kategorie, in der sich Rapperinnen explizit und namentlich gegen Männer richten, dient – abgesehen auch hier von Beispielen des ‚Liebesrap‘ – häufig der besonderen Akzentuierung von Selbstbewusstsein und Opposition gegen patriarchalische Strukturen. So boastet Kitty Kat beispielsweise: Stell dir vor, ich kann mehr als kochen, / kann mehr als süß kucken, mehr als shoppen. / Ich kann rappen, dich vollends ausknocken, / ich kann dir dein Sack in den Bauch hoch boxen. (Kitty Kat, „Miyo!“, Album „Miyo!“, Urban 2009)

Lisi rappt: „ich bin die bei der kein Spruch zieht die dir Eine klatscht geb dir Schelln in dein Gesicht voller Wut voller Hass guck dich an man du Spast“ (Lisi, „Bleib cool“)*. In einem Interview bezeichnet sie den zitierten Track als „GirlFight-Song“26 und betont mit dem Verweis auf den Kinofilm „Kill Bill“ (Regie: Quentin Tarantino, 2003) das Ideal selbstbewusster Frauen, die explizit auch auf Gewaltanwendung als probates Mittel zum Erreichen individueller Interessen zurückgreifen. Zur dritten Kategorie, in der Rapperinnen andere Frauen attackieren, gehören zum einen jene Raptexte, in denen die (fiktiven) Partnerinnen des männlichen Adressaten zum Ziel der Dissings werden. Derartige Diffamierungen, wie etwa in „deine Olle ist wie eine vom Strich“ (Kitty Kat in Sido, „Mach keine Faxen“) sind dabei zwar beleidigend, jedoch selten mit Gewaltdarstellungen gekoppelt. Sie zielen vielmehr auf die Selbstinszenierung als überlegene, sexuell aktive und attraktive Partnerin. Zum anderen zählen zu dieser Kategorie Boastings wie „Bitches nennen sich Queen ich lass sie vor mir knien“ (Lisi feat. Afrob, „Das Problem“)* von Lisi oder das folgende Beispiel von She-Raw:

26 Simon 2006.

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zerfetze Bitches im Battel zermetzel sie bis ins Letzte ich hetze und mach Action zersmacke jede die kommt wenn ich rappe bedeutet für mich am Mic wird jede zerbombt (She-Raw in Lisi feat. She-Raw, „Interessiert mich nicht“, Album „Eine wie keine“, Four Music 2006)*

Mithilfe derartiger inszenierter Angriffe verfolgen die Rapperinnen das Ziel, die eigene Vormachtstellung als bester weiblicher MC zu verdeutlichen. Diesen Anspruch bestätigen auch Zitate wie „Jeder weiß, ich bin die Rettung für deutschen Female-Rap“ (Kitty Kat in Sido, „Aggrokalypse“) oder „ich bin sicher die erste krasse Olle, ich geh ein in die Geschichte“ (Kitty Kat in BK, „Mittelfinger hoch“).

9.4 I NDIZIERUNG Nachdem in diesem Kapitel Gewaltdarstellungen im deutschsprachigen Rap als Strategien der Profilbildung in den Fokus gerückt wurden, soll nun im Folgenden die Beurteilung durch die Erwachsenen- und Dominanzkultur, die darauf basierende Sanktionierung und deren profilrelevante Folgen skizziert werden. Denn nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der akademischen Auseinandersetzung ist der Vorwurf der Gewaltverherrlichung bzw. -verharmlosung präsent.27 Wie zu sehen sein wird, kann aufgrund genrehistorischer Ursachen und Entwicklungen teilweise sogar von einem Zuwachs an kritischen Auseinandersetzungen gesprochen werden, der allerdings auch von einer zunehmenden, szeneinternen Sensibilisierung und einem daraus resultierenden Diskurs begleitet ist. Herschelmann schreibt in diesem Kontext: „Sido, Bushido, Frauenarzt & Co sind bei einigen Jungen sehr beliebt und bei vielen Erwachsenen sehr umstritten. Ihnen wird einerseits vorgeworfen, dass ihre Texte gewaltund drogenverherrlichend, explizit pornographisch, frauenverachtend und schwulenfeindlich sind, dass sie Gewalt propagieren, zur Missachtung von Frauen aufrufen und zur Verrohung und Abstumpfung von Jugendlichen beitragen. Und tatsächlich sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von Tonträgern derart beurteilt und indiziert worden. Andererseits wird ihnen zugute gehalten, dass sie nur auf gesellschaftliche Missstände hinweisen und für sozial benachteiligte Gruppen eine Identifikationsmöglichkeit, ein Sprachrohr

27 Vgl. etwa Grimm 1998, S. 125.

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und eine Artikulationsmöglichkeit darstellen. Empirische Belege gibt es für beide Thesen nicht.“28

In unterschiedlichem Maß und Häufigkeit befasst sich die BPjM mit der Prüfung von Rapmusik, die immer wieder zu Indizierungen von Rap-Tonträgern führt.29 Welche genrespezifischen Kulturpraktiken dabei eine Rolle spielen und welche Kriterien für eine Beurteilung von Bedeutung sind und sein könnten, soll im Folgenden skizziert werden: Wie bereits in Kapitel 8.3 beschrieben, kann Musik prinzipiell aus sich heraus keine Tabus brechen oder provozieren. Anstoß und Ausgangspunkt der Prüfung sind jeweils die der Musik zugrunde liegenden Texte, weil aus Sicht der Bundesprüfstelle „die Sprache das entscheidende Element [ist], um die Botschaft zu transportieren“30. Dabei ist die Indizierung von HipHop-Musik noch nicht sehr lange gängige Praxis, vielmehr war „die Bundesprüfstelle bis 2003 nur vereinzelt mit der Prüfung von Medien aus dem Umfeld des Hip-Hop befasst.“31 1996 konstatierte Fuchs in Bezug auf die HipHop-Kultur noch, dass sie „für Gewaltlosigkeit, Toleranz, eine multikulturelle Gesellschaft und allgemein progressive politische Einstellung“32 stehe. Zwar produzierten selbst „die lustigen Wortspielclowns“33 des – aus heutiger Sicht – wenig anstößigen, ‚ironisch-augenzwinkernden Mittelstandsrap‘34 vereinzelt Tracks, die aufgrund des Textes indiziert wurden (etwa Die fantastischen Vier, „Frohes Fest“), derartige Restriktionen der Erwachsenenkultur blieben jedoch zunächst noch selten. „Dies änderte sich ab Ende 2003 aufgrund der vermehrten medialen Präsenz mancher Interpreten des ‚neuen deutschen Battle-Rap‘. Von da an erhielt die Bundesprüfstelle eine Vielzahl von Anträgen und Anregungen, die sich auf dieselben Objekte bezogen.“35 Zum Jahrtausendwechsel hin entstand ausgehend von Rappern wie Kool Savas ein neuer Rap-Stil, der teilweise als „neuer deutscher Battle-Rap“36 bezeichnet wird. Dieser brach mit grundlegenden, kulturellen Traditionen:

28 Herschelmann 2009, S. 171. 29 Zu den Aufgaben und dem Wirkungsbereich der BPjM vergleiche besonders Hecken 2012. 30 Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 5. 31 Ebd., S. 3. 32 Fuchs 1996, S. 164. 33 Szillus 2012b, S. 43. 34 Vgl. ebd. S. 44. 35 Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 3. 36 Loh/Güngör 2002, S. 215.

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„Das zunächst praktizierte respektvolle Gegeneinander, das jede Form persönlicher oder familiärer Beleidigung verbot, veränderte sich mit dem Aufkommen des ‚neuen deutschen Battle-Rap‘ hin zum vermeintlichen Tabubruch um jeden Preis, der jede Form von Erniedrigung durch Beleidigung zulässt.“37

Durch diese intensivierte, auch in Kapitel 6 ausführlich beschriebene Diffamierungspraxis wurde die Diskriminierung von Menschen ein „durch die Spruchpraxis der Gremien [der BPjM] entwickeltes Tatbestandsmerkmal“38: „Unter Diskriminierung wird die Benachteiligung von Menschen oder Gruppen (zumeist Minderheiten) aufgrund von Merkmalen wie soziale Gewohnheiten, sexuelle Neigungen oder Orientierungen, Sprachen, Geschlecht, Behinderung oder äußerlichen Merkmalen verstanden. Sie steht dem Grundsatz der Gleichheit der Rechte aller Menschen entgegen. Beispielsweise sind solche Darstellungen nach der Spruchpraxis jugendgefährdend, die die Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen, extrem übergewichtigen, kleinwüchsigen oder behinderten Menschen zum Inhalt haben.“39

Während im Zuge dieser Entwicklung vor allem Boasting- und Dissing-Tracks entstanden, die einen aggressiveren sprachlichen Stil aufwiesen, erschienen etwas später auch Texte, die sich durch die thematisierten Inhalte von anderen Genres absetzen wollten: „Neben dem Battle-Rap entwickelt sich insbesondere in der bis dahin relativ ruhigen deutschen Hauptstadt Berlin ab dem Jahr 2000 eine kommerziell sehr erfolgreiche Form des so genannten Gangsta-Rap. Dieses Rap-Genre zeichnet sich durch einen Fokus auf Themen wie Prostitution, Gewalt, Drogenkonsum und Sex aus.“40

Custodis, der sich mit der Indizierung und ihrer Wirkung auf Künstler, Konsumenten und Gesellschaft auseinandersetzte, benennt einen der wesentlichen und populärsten Ausgangspunkte dieser neuen Entwicklung – das Berliner Label „Aggro Berlin“: „Bereits mit dem ersten Sampler Aggro Ansage Nr. 1 machte das Label Aggro Berlin durch besonders gewaltbereite, sexistische, homophobe, rassistische und Drogen verherr-

37 Ebd. 38 Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 12. 39 Ebd. 40 Wiegel 2010, S. 18.

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lichende Texte auf sich aufmerksam. Auch alle drei folgenden Alben Aggro Ansage Nr. 2, 3 und 4 waren Gegenstand von BPjM-Verfahren und wurden […] indiziert.“41

„Aggro Berlin“ und stilistisch daran orientierte Rapper setzten neue Maßstäbe, die wesentlichen Einfluss auf die Profilbildung durch „Artikulation einer nicht gesellschaftskonformen Identität“42 hatten: „Kriminalität und die Bereitschaft, Gewalt einzusetzen, werden so zur Metapher, die Autonomie zum Ausdruck bringen soll.“43 Damit wurde zur gleichen Zeit die Ablehnung durch die Erwachsenen- und Dominanzkultur zum Indikator für Nonkonformität, Subversivität und für die Akteure einer Jugendszene, „die ihren Erfolg auch am Widerstand messen“44, letztendlich auch für Authentizität. So lässt sich auch die Relevanz für die spezifische Profilbildung von Rappern herleiten, denn auch Custodis zufolge „erzeugten die ausgesprochenen Indizierungen […] die unerwünschte Nebenwirkung, die beanstandeten Musikstücke in der jeweiligen Szene zu nobilitieren“45. Als Folge dessen, so der Wissenschaftler weiter, sei daher immer wieder nach Indizierungen die Strategie zu beobachten, dass „Musiker ihre folgenden Produktionen bewusst provokativ konzipieren, um die behördliche Beschränkung zum Aufbau eines Images als offiziell ‚anerkannte‘ Bad Boys zu funktionalisieren.“46 Die Indizierung aufgrund jugendgefährdender Texte wurde dementsprechend zum Qualitätssiegel und für Rapper ein probates Profilbildungselement. In „Kunst und Gangsta-Rap im Lichte der Rechtsprechung“47 beschäftigte sich Hecken, der selbst als Gutachter nach einem Indizierungsantrag an einem derartigen Verfahren beteiligt war, mit den Kriterien und der juristischen Grundlage bei den Indizierungsverfahren des BPjM ausführlicher. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die BPjM Verhaltensweisen und Einstellungen ahndet, „die keineswegs illegal sind“48, jedoch den „gesellschaftlich anerkannten sittlichen Normen eklatant“49 zuwiderlaufen und deren Beurteilung auf einer

41 Custodis 2008, S. 167. 42 Grimm 1998, S. 78. 43 Ebd., S. 79. 44 Custodis 2008, S. 163. 45 Ebd. 46 Ebd., S. 164. 47 Hecken 2012. 48 Ebd., S. 389. 49 Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 10.

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Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz basiert.50. Wie Hecken ausführlich anhand eines Albums von K.I.Z. exemplifiziert, ist durch diesen relativ weiten Kunstbegriff vor allem eine offenkundige Ironisierung für die Beurteilung im Sinne des Jugendschutzes von Bedeutung. Durch offensichtliche Ironie werden Texte trotz sexistischer und gewaltfokussierender Inhalte nicht als „Bekenntnisse zu bestimmten aggressiven oder gar körperlich verletzenden Handlungen“51 wahrgenommen sondern als künstlerische Artefakte und können auf diese Weise keine „verrohende und zu Gewalttätigkeit anreizende Wirkung“52 entfalten. Sowohl für die Ermittlung des ‚ästhetischen Rangunterschieds‘53 und die Klassifizierung als ‚Kunstwerk‘ als auch für das Exponieren künstlerischer Produktionspraktiken stellt die vorliegende Arbeit mit der Flow- und Profilanalyse wichtige neue Untersuchungsmethoden und Forschungsansätze vor, die hier einen bedeutenden Beitrag leisten können (vgl. etwa Kap. 8.6.3 und 9.2).

50 Hierbei wird der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene grundgesetzliche Kunstbegriff „offen und historisch relativ“ (Hecken 2012, S. 366) gefasst und entspricht dem, was „unter sogenannten Drittanerkennern, also in institutionalisierten und publizistisch tätigen Kunstkreisen, als Kunst gilt“ (ebd.). 51 Ebd., S. 387. 52 Carus/Hannak-Mayer/Kortländer 2008, S. 19. 53 Vgl. Hecken 2012, S. 365.

Teil III – Fallbeispiele

10. Sido – vom ‚Rüpelrapper‘ zum ‚Straßenjungen‘

10.1 E INLEITUNG In diesem Kapitel werden exemplarisch drei markante Werke des Berliner Rappers Sido hinsichtlich ihrer Poetizität und der in ihnen wirksamen Mechanismen der Profilbildung untersucht. Es handelt sich dabei um Raptracks aus unterschiedlichen Schaffensphasen des Rap-Musikers. Sie arbeiten mit unterschiedlichen Themenkomplexen und folgen jeweils eigenen Gestaltungsprinzipien. Dennoch haben sie auch Gemeinsamkeiten: In ihnen finden gleichermaßen personen- und genrespezifische Mechanismen der Profilbildung ihre Anwendung, die charakteristisch sind für die Selbstinszenierung dieses Rappers. Der „Weihnachts song“ (Sido, „Weihnachts song“) aus dem Jahr 2003 war eines der ersten Stücke, das den Rapper Sido einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. Das dazugehörige Musikvideo trug maßgeblich zu dem Erfolg des Titels bei. Dieser Track bedient – wie der Name schon vermuten lässt – Weihnachtsklischees, arbeitet mit humorvollen Elementen und zeichnet bei aller jugendlichen Ausgelassenheit, ein aggressives und nonkonformistisches Bild von Label und Interpret. Einer der populärsten und für den Erfolg des Rappers maßgeblich verantwortlichen Tracks ist „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“) von 2004, der auch außerhalb der Rapkultur Aufsehen erregte. Diese Produktion wird in der HipHop-Forschung häufig als Paradebeispiel des deutschen ‚Gangsta-Rap‘ zitiert.1 Inwiefern diese Kategorisierung angebracht bzw. inadäquat ist, wird auch die Detailanalyse zeigen. Wie der Titel bereits andeutet, handelt es sich hierbei um die genrespezifische Inszenierung des Rappers als Mitglied einer Gruppe sozial marginalisierter Menschen am Rande der Gesellschaft. Im Text und dessen Um1

Vgl. etwa Herschelmann 2009, S. 184 und Kanehl/Zill 2009, S. 6.

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setzung im Videoclip werden zum Zweck der authentischen Darstellung des Musikers und dessen ‚Street Credibility‘ konventionalisierte Bildsymbole des HipHop zitiert. Das letzte der drei analysierten Stücke, „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“), stammt aus dem Jahr 2009, als der Künstler bereits nicht mehr bei dem Independent Label „Aggro Berlin“, sondern bei „Urban“ (Universal Music Group) unter Vertrag stand. Sowohl einige klangliche Eigenschaften der Produktion, als auch die größere Professionalität und Konformität des Videoclips sind Anzeichen für eine gesteigerte Budgetierung und eine gezieltere Marktorientierung. Auch inhaltlich-formell geht Sido mit diesem Titel neue Wege. Insofern ist „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“) vorläufiger Endpunkt einer Entwicklung, die von Inszenierungen als jugendlicher, unangepasster ‚Rüpelrapper‘2, über jene als selbstbewusster ‚Gangsta‘ bis hin zu profilwirksamen Reminiszenzen eines erfolgreichen Musikers an das Leben als ‚Straßenjunge‘3 reichen, wie im Folgenden zu sehen sein wird.

10.2 „W EIHNACHTS

SONG “

10.2.1 Hintergrund Der „Weihnachts song“ (Sido, „Weihnachts song“) wurde erstmalig 2003 auf dem Label-Sampler „Aggro Ansage Nr. 3“ (Aggro Berlin 2003) herausgegeben. Das ebenfalls von dem Label produzierte Musikvideo zu diesem Titel avancierte zum bis dahin erfolgreichsten Clip von „Aggro Berlin“ und war ein wesentlicher Faktor für die zunehmende Popularität des Rappers.4 Die erste Veröffentlichung als Single fand im Jahr 2006 statt (Single „WeihnachtsSong '06“, Aggro Berlin 2006) weitere Versionen des Stücks erschienen in den nachfolgenden Jahren und können als Reaktionen auf eine anhaltende Nachfrage verstanden werden.5 Mu-

2

Diese Bezeichnung für Sido findet sich in zahllosen Beiträgen über den Rapper in der

3

Vgl. etwa „Strassenjunge“ (Sido, „Strassenjunge“).

Print- und Online-Presse. 4

Musikvideo verfügbar etwa auf der DVD „Aggro Ansage Nr.1 DVD #1“ (Aggro Berlin 2004) und online unter http://aggro.tv/sido-weihnachts-song-video/ [Stand 201605-19].

5

„WeihnachtsSong 2007“ (Sido, „WeihnachtsSong 2007“, Single „WeihnachtsSong 2007“, Aggro Berlin 2007) und „WeihnachtsSong“ (Sido, „WeihnachtsSong“, Single „WeihnachtsSong“, Aggro Berlin 2008).

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sikalisch stellt dieser Track eine neu textierte Bearbeitung des bekannten Winterlieds „Jingle Bells“ des amerikanischen Komponisten James Lord Pierpont dar. Der Refrain wird vom Rapper Sido über die bekannte Melodie gesungen. 10.2.2 Text- und Bildanalyse „Wart ihr auch alle schön Aggro?“6 Mit diesen Worten eröffnet Sido den „Weihnachts song“ (Sido, „Weihnachts song“). Der Rapper war 2001 einer der ersten beiden Künstler, die kurz nach der Gründung des Labels „Aggro Berlin“ unter Vertrag genommen wurden. „Aggro“ ist ein aus der Verkürzung des Wortes ‚aggressiv‘ entstandenes Adjektiv aus der Jugendsprache mit der Bedeutung des Ursprungswortes.7 Insofern ist die Frage eine semantische Umkehrung der Frage ‚Wart ihr auch alle schön artig?‘ aus dem Weihnachtsmann-Skript8 als zugrunde liegendes kognitives Schema.9 Damit wird zum einen Aggressivität als erstrebenswerte Eigenschaft impliziert, andererseits aber auch eine Art Treuebekenntnis zu den Produktionen und damit den Stil des Labels abgefragt. Das Intro des Tracks ist ein Beispiel für die genrespezifische Kulturpraxis des ‚Rapresentierens‘ (vgl. Kap. 5.3), entsprechend beginnt es neben der Eingangsfrage auch mit der Nennung des Albumtitels („Aggro Ansage Nummer 3“)10 und endet mit der Angabe des Labels („Aggro Berlin“). Dazwischen wird durch die Referenz auf die bekannte Phrase „Frohe Weihnachten!“ und die ernste Intonation der Effekt des Widerspruchs zwischen Erwartungshaltung und tatsächlichem Inhalt des Stückes verstärkt bzw. die Spannung auf das Kommende erhöht. Mit den Worten „sag allen Bescheid / dass Sido kommt und ‘n Sack bei hat“ wird das doppeldeutige, semantische Spiel eröffnet, das sich durch den gesamten Track zieht und bei dem die Gleichsetzung des Rappers mit dem Weihnachtsmann und die gleichzeitig sexuelle Anspielung auf das männliche Geschlechts-

6

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden im Folgenden die Quellenangaben der zitierten Textpassagen reduziert. Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich sämtliche Zitate in Kapitel 10.2 auf den analysierten Track „Weihnachts song“ (Sido, „Weihnachts song“, Sampler „Ansage Nr.3“, Aggro Berlin 2003).

7

Hä?? Jugendsprache unplugged. 2008. Berlin: Langenscheidt. S. 12.

8

Vgl. etwa Hühn/Schönert 2007, S. 8.

9

Zu den Referenzsystem vgl. allgemein Kap. 2.2.8.

10 Die Sampler des Labels, auf denen die jeweils aktiven vertraglich verpflichteten Rapper in Erscheinung treten, wurden seit den Anfängen mit „Aggro Ansage Nummer 1“ als ‚Ansagen‘ bezeichnet.

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organ („Sack“)11 Elemente des Komischen darstellen. Auch die Formulierung „dass wenn Sido kommt und ‘n Sack bei hat / ist Weihnachtszeit“ erzeugt eine gewisse Komik durch die semantische Umkehrung eines Ursache-WirkungVerhältnisses. Mit der Aufforderung „Guck mal mein Sack“ beginnt die erste Strophe. Sie enthält Umgangssprache („guck“) und sexuelle Konnotationen als konstituierende Elemente, die im Folgenden den gesamten Text prägen werden. Eines der Mittel, mit denen sich Sido als Vertreter einer Jugendkultur und als ‚Junge von der Straße‘ inszeniert, ist der omnipräsente Soziolekt wie in „und jetzt habt ihr ‘n Harten / weil die Aggro-Leute mit Ansage 3 am Start sind“.12 Mit der Aussage „wer cool sein will, geht raus in den Wald / sucht nach so ‘nem Kerl in rot und macht ihn kalt“ wird eine klare Botschaft formuliert: ‚Gewalt ist cool!‘ In der bildtechnischen Umsetzung ist hier der Rapper – erkennbar an der charakteristischen Maske – zu sehen, wie er einen als Weihnachtsmann gekleideten Mann überwältigt und dessen Mantel klaut. Offensichtlich wird hier also die Vorgeschichte zum Intro gezeigt, in dem Sido bereits diesen Mantel trägt. Das weihnachtliche Skript wird abermals bedient, wenn der Hinweis gegeben wird „du brauchst noch Flocken für Schnee“. „Schnee“ ist hier als harmlos klingender Euphemismus für Kokain13 und „Flocken“ als umgangssprachliches Synonym für Geld zu verstehen.14 Auch wenn der Satz „egal was dir andere Rapper so zeigen / das Mittel zum Erfolg ist aggro bleiben“ natürlich auch im wörtlichen Sinn seine Richtigkeit hat, denn der Erfolg des Labels ist wesentlich in dem vor allem aggressiven Image begründet, ist dies hier allerdings auch der gewaltverharmlosende inszenierte Aufruf zu aggressivem Verhalten.

11 Im dritten Refrain zeigt Co-Rapper Bushido analog zu den Worten auf den Unterkörper Sidos. 12 Der ‚Harte‘ wird hier als metonymischer Tropus für das erigierte männliche Geschlechtsorgan verwendet und steht in der jugendsprachlichen Verwendungsweise für Begeisterung. Im Video wird die Formulierung von einer verbreiteten, entsprechenden Geste begleitet, dem aufrecht gehaltenen Arm mit geballter Faust. 13 Pulverförmiges Kokain wird aufgrund der optischen Ähnlichkeit umgangssprachlich häufig als „Schnee“ bezeichnet. Siehe auch zu Beginn der zweiten Strophe die Formulierung „die Nase ist voll Schnee“. 14 Im Video ist an dieser Stelle das Reiben zwischen Daumen und Zeigefinger als konventionalisierte Geste im Zusammenhang mit finanziellen Mitteln zu sehen.

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10.2.3 Track- und Flowanalyse Im Folgenden sollen die musikalischen und soundtechnischen Elemente der Produktion eingehender betrachtet werden. Zu Beginn des Titels ist zu einem Voiceover die Melodie von „Jingle Bells“ mit einem klischeehaften Glöckchen-Synthesizer-Sound zu hören, begleitet von stereotypen Schellen-Achteln. Über diese Klänge spricht der Rapper das Intro. Obwohl szenespezifische Marker wie „Yeah!“ oder die Nennung des Labels nicht fehlen, wird durch die gut gelaunte Intonation und Phrasierung sowie den entspannten Gestus der Sprechstimme der Eindruck erzeugt, es handle sich um ein Kinderlied. Auffallend ist der begleitende Percussion-Rhythmus, der weder in den ‚klanglichen Erwartungshorizont‘ eines Weihnachtssongs, noch in die eines typischen „Aggro Berlin“-Raptracks passt. Der Refrain basiert auf der Melodie des berühmten Weihnachtsliedes, die mit neuem Text versehen wurde und vom Rapper auf Tonhöhen gesungen wird. Die Tonfolge der Hauptstimme ist dabei komplett gedoppelt im Abstand einer Quinte zu hören. Durch diese, für die Stimmführung einer begleitenden zweiten Stimme atypischen Verfahrensweise, ergibt sich ein konfuses Harmonie-Gerüst, das durch einen sporadisch eingesetzten Bass mit nur gelegentlich eingestreuten Tönen außer der Grundtonart keine weitere Nebenharmonie etablieren kann. Die konsequente Parallelführung der Stimmen und die fehlende Harmonisierung sind vermutlich dem Cut-and-Paste-Verfahren musiktheoretisch wenig bewanderter Produzenten geschuldet.15 Die Evokation klischeehafter Skripte zu dem Original des Weihnachtsliedes und die Texte stehen im Vordergrund. Durch die einfache Rhythmisierung der Phrase „und Geschenke verteilt“, bei der jede Silbe die Länge einer Achtelnote erhält, fällt die eigentlich unbetonte erste Silbe des Wortes ‚Geschenke‘ auf eine betonte Zählzeit („´Geschenke“), wodurch ein komischer Effekt entsteht, ähnlich einem Folgefehler eines Kindes, das einen spontanen Text über eine ihm bekannte Melodie singt. Auch in den finalen Refrainzeilen „dass wenn Sido kommt und ‘n Sack bei hat / ist Weihnachtszeit“ fällt ein infantiler Gestus durch die plump wirkende Halbierung der Notenlängen auf „Weihnachtszeit“ auf. Außer dem genrespezifischen Ausruf „Yeah!“ sind außerdem immer wieder auch andere kommentierende Einwürfe zu hören, wie etwa ein fragendes „Hä?“ nach „Guck mal mein Sack“, ein abfälliges „Wäh!“ nach „heute mag ich kein’“ oder laute Rufe nach „um Leute anzuschrei’n“. Der Aufforderung „und macht ihn kalt“ folgt ein stereotypes Todesröcheln, nach „die Nase ist voll Schnee“

15 Vgl. Elflein 2006.

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hört man ein geräuschhaftes Hochziehen der Nase wie beim Kokainschnupfen. Zum einen dienen derartige Einwürfe und ‚Vertonungen‘ dem Füllen von akustischen Lücken im Rapflow, zum anderen aber auch der Unterstützung der humoristischen Grundatmosphäre. Bei einigen Signal- und Reimwörtern oder -phrasen ist der Rapper von der eigenen Stimme gedoppelt. Dabei werden im Video immer wieder auch andere Personen im Bild gezeigt, deren Lippenbewegungen synchron sind mit den zu hörenden Phrasen des Rappers, wie beispielsweise bei „Klassen besser“. Nach einem bruchstückhaften Beginn etabliert Sido hier insgesamt einen Flow mit regelmäßigen Reimakzenten im Bereich des ‚poetologischen Kulminationspunkts‘ (vgl. Kap. 4.4). Im Gegensatz zur rhythmisch präzisen Gestaltung des Refrains, zeichnen sich die Strophen durch einen ‚laid back‘-Rapstil (vgl. Kap. 4.5) aus, der durch eine ungekünstelte Artikulationsweise entsteht, die stark am natürlichen Sprachrhythmus orientiert ist. Auf diese Weise trägt die spezifische Rapgestaltung zum kindlichen, verspielten Grundcharakter des Stückes bei. 10.2.4 Zusammenfassende Betrachtung Mit dem Überfall, dem Einbruch und mehreren Szenen, in denen sich der Rapper in der Öffentlichkeit rüpelhaft verhält, wird Sido in diesem Song als aggressiver, asozialer Rebell inszeniert, der sich keinen mehrheitsgesellschaftlichen Gesetzen oder Normen verpflichtet fühlt (vgl. Kap. 2.2.1). Insofern besteht eine gewisse Kongruenz zum gewaltfokussierenden Raptext. Die Rempeleien in den Studioszenen vor dem roten Vorhang wirken dagegen eher wie das Gerangel zwischen Befreundeten, womit der Protagonist als Teil einer Clique und als jugendlicher Kumpel-Typ dargestellt wird. Auch der allgemeine Stimmgestus und die beschriebenen infantilen Elemente relativieren die gewaltfokussierenden Textpassagen als ‚gewaltfokussierende Boastings‘ (vgl. Kap. 9.1). Das Video erzielt vor allem aufgrund des sogenannten Fischaugenobjektivs (s. Abb. 6) und der damit einhergehenden optischen Verzerrung, durch situationskomische Szenen und die Durchbrechung des Weihnachtsmann-Klischees über weite Strecken eine humoristische Wirkung.

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Abbildung 6: Sido – Musikvideo zu „Weihnachts song“ – 0:03 – Fischaugenobjektiv

Der Rapper trägt während des gesamten Videos die silberne Maske, die für mehrere Jahre zu seinem Markenzeichen wurde und so als Kohärenz bildendes Mittel der Profilbildung dient.16 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Maske, die im späteren Verlauf seiner Karriere zum Symbol seines aggressiven Images wurde – man beachte beispielsweise die bewusst respekteinflößende Inszenierung derselben im Musikvideo zu „Mein Block“ (vgl. Kap. 10.3.2) – hier fast schon die Funktion einer Clownsnase einnimmt. Insgesamt kann eine tendenzielle Positionierung des Dargestellten in die Umgebung des Scherzhaften konstatiert werden, die bereits in der thematischen Grundanlage des Textes wurzelt: der ‚Gangsta‘-Rapper als Weihnachtsmann. Das entscheidende Movens der Videoproduzenten scheint durchaus zu sein, der jugendlichen Zielgruppe eine heiter-unterhaltsame Bildumsetzung zu bieten. Vergleichbares gilt auch für die klangliche Umsetzung: Bei den Worten „und durch den Schornstein in dein Haus“, die in der Melodieführung bei „Schornstein“ die höchste Note erreichen müsste, verlässt der Rapper – im Gegensatz zu den Parallelstellen – die korrekte Tonhöhe, gerade so als würde er sie nicht erreichen können. Dadurch wird zum einen der lallende und weniger treffsichere Eindruck des immer betrunkeneren Protagonisten des Videos wiedergespiegelt, gleichzeitig aber auch der komische Effekt der Pointe durch die scheinbare Beiläufigkeit (zu bemerken an der durch zu wenig Spannung entstehenden Intonationsungenauigkeit) verstärkt. Insgesamt zeichnet sich dieser Raptext nicht durch ausgefeilte Reim- oder Assonanzstrukturen aus, sondern unterstützt durch Assonanzen, isolierte Kurzsätze und einen Staccato-Flow den jugendlich-verspielten Grundcharakter. 16 Der erste Track „Intro“ (Sido, „Intro“, Album „Aggro Berlin“, Urban 2009) auf dem Album „Aggro Berlin“, das 2009 veröffentlicht wurde, thematisiert die Trennung von der Maske in einer theatralen Szene, in der Sido in der Rolle des Rappers und der Maske spricht.

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10.3 „M EIN B LOCK “ 10.3.1 Hintergrund Auch wenn, wie bereits erwähnt, die Zuordnung des Tracks „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“) zu dem – wie auch immer näher zu beschreibenden – Genre ‚Gangsta-Rap‘ kritisch zu hinterfragen ist (vgl. Kap. 1.1.2), weist dieser Titel inhaltlich-textuell, wie auch in der visuellen Umsetzung einige Verweise auf Vorbilder eines klischiert imaginierten US-amerikanischen ‚Gangsta-Rap‘ auf. Die New Yorker HipHop-Forscherin Tricia Rose fasst in „Black noise: Rap music and black culture in contemporary America“17 einige Grundtendenzen der Bildsprache in HipHop-Musikvideos zusammen: „Over most of its brief history [...] rap video themes have repeatedly converged around the depiction of the local neighborhood and the local posse, crew, or support system. Nothing is more central to rap’s music video narratives than situating the rapper in his or her milieu and among one’s crew or posse.”18

Sidos „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“) ist ein treffendes Beispiel für die Neukontextualisierung des ‚Ghetto-Mythos‘ (vgl. hierzu ausführlich Kap. 7.4) und die Inszenierung im lokalen Umfeld ‚urbaner Nachbarschaften‘19 mithilfe etablierter Bildsymbole. Schon der plakative Titel lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hier um die selbstbewusste Darstellung eigener Stärke und Härte vor dem Hintergrund des Milieus eines sozialen Brennpunkts handelt. Wie in Kapitel 7.5 beschrieben war Sidos Track nicht der erste mit diesem Namen in der Rap-Geschichte. Er erschien erstmalig im November des Jahres 2003 als „Juice Exklusiv“-Version auf der im HipHop-Magazin „Juice“ enthaltenen Beilage-CD (Sido, „Mein Block (Beathoavenz Remix) (Juice Exclusive)“, Compilation „Juice CD Volume 36“, Juice Magazin 2003). Damit erschien der Titel erst nach gleichnamigen Veröffentlichungen der Rap-Formationen Blumentopf (Blumentopf, „Mein Block“, Compilation „Juice CD Volume 34“, Juice Magazin 2003) und Hecklah & Coch (Hecklah & Coch feat. BK, „Mein Block“, Compilation „Juice CD Volume 35“, Juice Magazin 2003) auf den beiden vorhergehenden Beilage-CDs. In der Remix-Version der Musikproduzenten Beathoavenz nimmt Sido im Intro direkten Bezug auf die genannten Gruppen:

17 Rose 1994. 18 Ebd., S. 10. 19 Vgl. Friedrich 2010, S. 140.

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Ich hab’ mir die letzten zwei „Juice“ geklaut und auf den CDs waren so Tracks drauf, die hießen „Mein Block". Blumentopf und Hecklah & Coch... tzz! Mein Block, mein Block, mein Block. / Und nicht Blumentopf sein Block. Yeah! / Mein Block, mein Block, mein Block. / Und nicht Hecklah & Coch sein Block. (Sido feat. Bendt, Fuhrmann, Loku – „Mein Block (Beathoavenz Video RMX)“, Single „Mein Block“, Aggro Berlin 2004)

Vor dem letzten Refrain sind die Stimmen der Co-Rapper zu hören, die ebenfalls auf die gleichnamigen, zuvor erschienenen, Stücke referieren: Ey, Sido, wer is’n Blumentopf? Wer is’n Hecklah & Coch? Ey, du machst jetzt einen Track über unseren Block! (Sido feat. Bendt, Fuhrmann, Loku – „Mein Block (Beathoavenz Video RMX)“, Single „Mein Block“, Aggro Berlin 2004)

Es handelt sich hierbei um ein Dissing (vgl. Kap. 6), das auf den Bekanntheitsgrad der jeweiligen Rapper abzielt.20 Die Veröffentlichung der Single (Aggro Berlin 2004), die von einem Musik-Video21 begleitet war, erfolgte Anfang April 2004,22 noch vor dem Erscheinen des Debütalbums „Maske“ (Aggro Berlin 2004) Ende des Monats,23 auf dem die originale Albumversion des Tracks enthalten ist. Mit Platz 13 der deutschen Single-Charts war dieser Titel die erste Veröffentlichung des Labels in den Top 20 und der Beginn des kommerziellen Durchbruchs des Rappers.24 Szillus beschreibt ihn als einen „der stilprägendsten Songs der deutschen HipHop-Geschichte“25.

20 Nach Aussagen der Betroffenen wurde dieses Dissing interessanterweise noch vor dem Erscheinen des Tracks entschärft, indem Sido durch einen Anruf wissen ließ, dass dieser ‚Diss‘ nicht ernst zu nehmen sei. Außerdem ist die Veröffentlichung des Tracks „Lauf” (Hecklah & Coch, „Lauf”) unter Beteiligung von Sido ein Hinweis darauf, dass keine Unstimmigkeiten zwischen den Musikern bestanden. 21 Verfügbar etwa auf der Single (Single „Mein Block“, Aggro Berlin 2004) und unter http://bit.ly/1nUSvtN [Stand 2016-07-28]. 22 http://www.discogs.com/Sido-Mein-Block/release/771727 [Stand 2016-05-19]. 23 http://www.discogs.com/Sido-Maske/release/561408 [Stand 2016-05-19]. 24 Vgl. https://www.offiziellecharts.de/titel-details-27673 [Stand 2016-07-28]. 25 Szillus 2012b, S. 54.

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10.3.2 Text- und Bildanalyse Der Titel „Mein Block“ auf dem Label-Sampler „Aggro Ansage Nr.3“ (Sido, „Mein Block RMX“, Sampler „Ansage Nr.3“, Aggro Berlin 2003), auf der oben erwähnten Beilage-CD des Szenemagazins (Sido, „Mein Block (Beathoavenz Remix) (Juice Exclusive)“), sowie der als Single erschienene Track (Sido, „Mein Block (Beathoavenz Video RMX)“) sind Remix-Versionen des ProduzentenDuos Beathoavenz. Mit dem in Kapitel 10.3.1 beschriebenen, überwiegend gesprochenen Intro und dem Einwurf der Co-Rapper stellt Sido den Raptext in einen spezifischen Kontext, indem er sich mithilfe des Boastings und Dissings in Bezug zu anderen Gruppen setzt und als Teil eines größeren Rapper-Kollektivs inszeniert. Dabei wirken die Darstellungen, trotz profilrelevantem Verweis auf den Diebstahl, durch Formulierungen wie „Und nicht Blumentopf sein Block“ (ebd.), die zahlreichen Wiederholungen und die ‚szenische‘ Gestaltung fast infantil und relativieren so den Gehalt des Raptextes. In der Fassung ohne Feature-Beiträge, welche dem Musikvideo zugrunde liegt, steht an Stelle dieses Intros die komplette dritte Strophe des Tracks „Steig ein!“ (Sido, „Steig ein!“), das ebenfalls auf dem Debütalbum erschien. Im Video ist zu sehen, wie Sido – wieder zu erkennen an der charakteristischen, silbernen Maske – zusammen mit einem Komplizen auf einem Parkplatz einen BMW aufbricht. Der harmlose Charakter der einleitenden Einladung „Steig ein!“ (ebd.) wird so durch die Doppeldeutigkeit der Formulierung ins Negative gekehrt.26 In der Strophe heißt es weiter: „Ich will dir ‘was zeigen, / den Platz, an dem sich meine Leute ‘rumtreiben“ (ebd.). Die Bezeichnung „meine Leute“ steht für die Peer-Gruppe, für die ‚Crew‘ oder „Posse“27. Der Rapper beschreibt den Ort mit den Worten „hohe Häuser, dicke Luft“ (ebd.). Die „hohen Häuser“ stehen stellvertretend für Plattenbauten in Stadtteilen wie in diesem Fall dem Märkischen Viertel in Berlin. Die „dicke Luft“ ist im wörtlichen wie übertragenen Sinn zu verstehen, als olfaktorische Belastung eines Ortes, an dem viele Menschen auf kleinem Raum wohnen, aber auch als Atmosphäre eines Orts besonderen Aggressionspotenzials mit potenziell krimineller Energie.28 „Menschen auf Drogen Hier platzen Träume“ (ebd.). So schildert er die Arbeitersiedlungen als ghettoartiges Umfeld und trostlosen Ort. Wenn Sido kämpferisch behauptet „wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben“ (ebd.) inszeniert er damit einerseits So-

26 Das Verb ‚einsteigen‘ dient in der Umgangssprache als Umschreibung für ‚einbrechen‘ und ist damit ein harmloser klingendes Synonym für eine kriminelle Handlung. 27 Rose 1994, S. 10. 28 Vgl. hierzu auch Janitzki 2012, S. 296.

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lidarität, gleichzeitig ist es aber auch ein offenes Bekunden der Zugehörigkeit des Rappers, womit er die Legitimation schafft, über dieses Milieu authentisch zu berichten (vgl. Kap. 5.6). Mit Sätzen wie „hab doch keine Angst vor dem Typen mit dem Schlagring / er ist zwar ein bisschen verrückt, doch ich mag ihn“29 (ebd.) findet eine Bagatellisierung statt, mit dem Ziel, dem Rapper selbst als Teil dieses aggressiven Umfeldes ein härteres Image zu verleihen. Ähnliches gilt für Sätze, wie „ich kann versteh’n, dass du dich hier nicht so wohl fühlst“ (ebd.). Die sich zu diesem Satz reimende nächste Zeile lautet: „dass du viel lieber zu Hause im Pool wühlst“ (ebd.). Das Bild des Pools dient hier als Symbol bürgerlichen Wohlstands. Die semantisch zweifelhafte Konstruktion ‚im Pool wühlen‘ scheint dabei der Bildung der Asssonanzen geschuldet („wohl fühlst“ / „Pool wühlst“, ebd). Auch die folgenden Zeilen „du sitzt lieber an ‘nem gut gedeckten Tisch / dann merkst du schnell, Berlin ist nix für dich“ (ebd.), in denen eine heterogene Millionenstadt lediglich auf ghettoartige Zustände reduziert wird, sind in ihrem kausalen Zusammenhang nicht so ohne weiteres nachzuvollziehen und scheinen in erster Linie aufgrund des ‚Primats des Klangs‘ entstanden zu sein. Durch die bagatellisierenden Beschreibungen des aggressiven Milieus, wird ein scheinbar rechtsfreier Raum bzw. ein, nur den ‚Gesetzen der Straße‘ verpflichtetes, System von Machthabenden und Abhängigen gezeichnet. Mit den ersten Worten der Strophe „Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus“30 beginnend, verfolgt die Kamera nach dem Intro den Rapper bei den verschiedenen Stationen des Rundgangs. Mit dieser ersten Phrase ist bereits die Opposition von bürgerlichem Wohlstand und der Armut in sozialen Brennpunkten gesetzt (vgl. Kap. 2.2.1). Das Einfamilienhaus, als bürgerliches Gegenstück zum Häuserblock, steht stellvertretend für soziale Ungerechtigkeit und Marginalisierung. In der Folge beschreibt der Rapper das Leben im „MV“ (soziolektale Abkürzung für das ‚Märkische Viertel‘ in Berlin) mit der jugendsprachlichen Wendung „Doch im MV scheint mir die Sonne aus’m Arsch / In meinem Block weiß es jeder: Wir sind Stars!“. Der Slogan ‚wir sind Stars‘ bezieht sich auf die Selbstsicht kleiner, mehr oder weniger organisierter Gruppen von meist jugendlichen Bewohnern eines Blocks, die sich durch überwiegend illegale Geschäfte (Handel mit Diebesgut, illegales Glücksspiel usw.) einen Status erarbeiten und

29 Der „Typ mit dem Schlagring“ wird im Musikvideo von dem Rapper Tony D gespielt. 30 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden im Folgenden die Quellenangaben der zitierten Textpassagen reduziert. Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich sämtliche Zitate in Kapitel 10.3 auf den analysierten Track „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“, Album „Maske“, Aggro Berlin 2004).

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sichern, der sie von allen anderen dort Lebenden abhebt. Gleichzeitig ist es Ausdruck einer genügsamen Haltung im Sinne eines Zurecht-Kommens mit den gegebenen Umständen im Viertel. Die Phrase „hier krieg ich alles“ ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sich innerhalb von Soziokulturen in sich geschlossene, selbstorganisierende Strukturen bilden, die es dem Einzelnen ermöglichen an Waren und Dienstleistungen zu gelangen, die ihm auf legalem Wege außerhalb der Wohngemeinschaft vermutlich verwehrt bleiben würden. Einige Beispiele werden im Verlauf des Stückes genannt: Drogen, Prostitution, Waffen, gefälschte Papiere, Schmuggelware. Der Passus „Die Bullen können kommen, doch jeder weiß Bescheid / Aber keiner hat was gesehen, also könn’ sie wieder geh’n“ veranschaulicht in besonderer Weise, dass Loyalität in derartigen Milieus großgeschrieben und Verrat nicht geduldet wird. Auf das Eingeständnis „hier ist es dreckig“ folgt die Zeile: „Doch ich weiß, das wird schon wieder mit ‘n bisschen Spucke“. Zum einen werden damit die oft mangelhaften hygienischen und bautechnischen Zustände von Wohnhaussiedlungen bagatellisiert, zum anderen aber auch die Nähe zur tatkräftigen Arbeiterklasse ausgedrückt. „Mein schöner weißer Plattenbau wird langsam grau / Drauf geschissen - ich werd auch alt und grau im MV“. Der ‚schöne weiße Plattenbau‘ klingt nach einem Paradoxon. Mithilfe dieses Bildes wird allerdings auch der Rahmen für das Wortspiel mit der Redewendung ‚alt und grau werden‘ eröffnet. Die Beschreibung eines durch Strangulation herbeigeführten Suizids wird in der letzten Strophe Gegenstand eines Wortspiels um dem Wortstamm ‚hängen‘ (zum einen als ‚erhängen‘ bzw. ‚hängen‘ und ‚herumhängen‘): „wo so’n Kerl schon seit drei Wochen hängt / ich häng’ im sechsten ‘rum, in meinem Stock“. Mit dem jugendsprachlichen Ausdruck des ‚Rumhängens‘ wird der Bogen geschlagen zu dem in der Einleitung des Stückes erwähnten ‚Rumtreiben‘. Nach dem collageartigen Rundgang durch den ‚Block‘ endet das Stück durch die narrative Rückwendung des Fokus auf die Peer-Group, die beispielsweise die „übergeilen Nachbarn“31 miteinschließt, wieder am Ausgangspunkt des Textes, „in meinem Block“. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Sprache in diesem Stück häufig vulgär ist.32 Außerdem bedient sich der Verfasser vielfach umgangssprachlicher Redewendungen („scheint mir die Sonne aus’m Arsch“, „dreckig wie ‘ne Nut-

31 Das Adjektiv ‚übergeil‘ ist eine jugendsprachliche Steigerung von ‚geil‘. 32 Die Worte ‚Nutte‘ und ‚Arsch‘ werden jeweils zweimal benutzt, das Verb ‚ficken‘ und das entsprechende Substantiv ‚Ficker‘ insgesamt viermal, außerdem die Bezeichnung ‚Schwanz‘.

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te“, „d’rauf geschissen“). Auf diese Weise kann sich Sido als Teil des beschriebenen Milieus inszenieren und Authentizität suggerieren. Es dominieren die semantischen Felder Sex, Drogen, Aggression und Kriminalität: Beginnend mit der Feststellung „hier hab ich Drogen, Freunde und Sex“ beginnt eine Aneinanderreihung sexueller Praktiken (Analverkehr, voyeuristischen Praktiken, Mammalverkehr, Cunnilingus), diffamierende Personenbeschreibungen („Nutten“, „von dem Schwulen“, „Hardcore-Lesbe“) und anderen Signalwörtern („ficken“, „Schwanz“, „Titten“, „Porno“). Das Wort ‚Drogen‘ erscheint dreimal, es wird über den „Junkie“ und seinen morgendlichen Konsum von „zehn Bier“, seinen „Ticker“33 und über jene berichtet, „die immer drauf sind“34, es wird „Gras“ (Marihuana) erwähnt und einer Etage der Siedlung sogar der Titel „Drogenstock“ verliehen. Die ‚lokalen Akteure‘, die Nachbarn, werden „mit ihren meist kriminellen oder zumindest sozial abweichenden Tätigkeiten“35 als ‚GhettoFiguren‘ inszeniert und dienen so zusätzlich der Authentifizierung. Der Rapper trägt die silberne Totenkopf-Maske während des gesamten Videoclips. Sie wird weniger als Kopfbedeckung, sondern vielmehr als integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit dargestellt: Zwischen dem Intro und der ersten Strophe ist der Musiker zu sehen, wie er sein Erkennungszeichen offensichtlich auch im ‚privaten‘ Rahmen trägt – sogar beim Schlafen. Auf der einen Seite wirkt das Bild des mit der Maske auf dem Sofa dösenden Rappers fast komisch, auf der anderen Seite symbolisiert diese Szene aber auch eine auffallend stringente Konsequenz, die die Authentizität der optischen Inszenierung des Musikers unterstreichen soll. Die Botschaft lautet: Die Maske – und die damit verbundene Lebenseinstellung – wird nicht nur ab und zu vor der Kamera getragen, sondern ist vielmehr fester Bestandteil des Lebens. Sie symbolisiert sein aggressives und nonkonformistisches Image. In seinem Buch Weihe schreibt dazu: „Das Maskenwesen ist Botschafter einer ‚anderen’ Welt, und deren Andersartigkeit soll möglichst deutlich hervortreten.“36. Die Beschaffenheit dieser anderen Welt, voller Hass, Gewalt, Aggression, könnte nicht plakativer dargestellt werden, als mit einer Totenkopfmaske. Gleichzeitig schafft der Rapper durch dieses Insigne aber auch eine Distanz zu seiner direkten Umwelt, in der er sich

33 Der ‚Ticker‘ ist ein Dealer, der Drogen ‚vertickt‘ (vgl. Wippermann 2000, S. 193). Eine der gängigen Darreichungsformen von Drogen heißt ‚Ticket‘, dabei handelt es sich um mit LSD getränktes Papier (vgl Kröber 2010, S. 294). 34 Die soziolektale Wendung ‚drauf sein‘ ist eine allgemeinere Umschreibung von ‚auf Droge sein‘. 35 Janitzki 2012, S. 297. 36 Weihe 2004, S. 22.

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präsentiert: Er, der rappende Musiker, das Sprachrohr des Viertels, unterscheidet sich auch von den ihn umgebenden Menschen dadurch, dass er die Zustände und Prozesse im Milieu quasi ‚mit anderen Augen‘ sehen und nur dank eines künstlerischen Prozesses in eine Form bringen kann, die auch Außenstehenden einen Einblick ermöglicht.37 Der Effekt der Maske ist jener aller Masken: Sie verschleiert die eigentliche Identität des Trägers und ist offensichtliches Kennzeichen einer Inszenierung, verweist gleichzeitig aber auch auf die Unmöglichkeit persönlichen Ausdrucks des sich hinter der Maske Verbergenden.38 10.3.3 Flowanalyse Im nachfolgenden Notenbeispiel (Nb. 26) sind die rhythmischen Strukturen des Refrains von „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“) näherungsweise in einem Notenbild festgehalten. Bei der Analyse fällt schnell eine generelle Zweiteilung der unterschiedlichen Schichten auf: Der Beat, der Bass und die mit „Backings II“ bezeichnete Synthesizer-Melodie basieren auf einem geshuffelten, also einem ternären Rhythmus (erkennbar an der Sechstolen-Notation), wohingegen der Rap selbst und eine weitere Synthesizerstimme („Backings I“) – deren Klang an eine orientalische Flöte erinnert – binär rhythmisiert sind.

Notenbeispiel 26: Sido – „Mein Block“ – Refrain

37 Vgl. ebd., S. 46. 38 Vgl. ebd., S. 37.

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Durch den vergleichsweise komplexen ternären Background, wird der monotone Effekt des relativ gleichförmigen Flows verstärkt. Alle Wortbetonungen stimmen mit den musikalischen Schwerpunkten überein. Sido performt damit einen „On-Beat-Flow“39, der in der Fachliteratur als Markenzeichen des ‚old school‘Rap charakterisiert wird.40 Durch diesen Vergleich wird deutlich, dass der Rapper Sido keine komplexen polyrhythmischen und polymetrischen Strukturen herstellt, wie sie vielfach von flowfokussierenden Rappern der letzten drei Jahrzehnte angestrebt wurden, sondern dass er einen eher schlichten Rapstil verfolgt, der ebenso klar erscheint, wie seine Aussagen. Die mithilfe ‚serieller Verfahren‘ (vgl. Kap. 3.3.1) erstellte Aufzählung im ‚Staccato-Stil‘ (vgl. ebd.) arbeitet mit Zäsuren und exponierten Betonungen: Die Silben „mein“ sind unbetont und deshalb konsequent auftaktig gesetzt (auf die unbetonte zweite, vierte, sechste und achte Achtel des Taktes). Die Schlagwörter selbst sind jeweils so im Taktschema angeordnet, dass der Wortschwerpunkt stets mit den betonten Zählzeiten übereinstimmen (vgl. Kap. 4.4). Die beiden Zeilen werden durch größere Zäsuren unterteilt, indem die beiden Reimwörter „Block“ und „Stock“ durch nachstehende längere Pausen exponiert werden. Dieser Refrain ist in mehrerer Hinsicht charakteristisch für Sidos Rapstil: Seine Rhythmisierung ist – wie seine Sprache – sehr schlicht und intuitiv gehalten. Die Wortschwerpunkte stimmen überwiegend mit den musikalischen Betonungen überein, wodurch ein homogener Flow entsteht, der sehr natürlich und ungekünstelt wirkt. Worte, denen er mehr Bedeutung beimessen will, werden nicht nur durch die Intonation, sondern auch durch rhythmische Marker, wie Pausen, exponiert. Szenespezifische Qualitätsmerkmale wie Wortspiele, kreative metaphorische Neuschöpfungen oder Polymetrik treten hier eher in den Hintergrund. Der Refrain erfüllt durch die Maxime relativer Eingängigkeit und hohen Wiedererkennungswertes als Formteil eine gänzlich andere Funktion als die Strophen, die völlig anderen Zielsetzungen wie kreative Unterhaltung und interessant gestaltete Information folgen. Aus diesem Grund soll im Folgenden auch eine der Rap-Strophen näher beleuchtet werden. Die folgende Darstellung ist ein Versuch, die klanglichen Strukturen der ersten Strophe grafisch zu verdeutlichen.

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Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus Weil du denkst, du hast alles, was du brauchst Doch im MV scheint mir die Sonne aus’m Arsch In meinem Block weiß es jeder: Wir sind Stars!

39 Kautny 2009, S. 143. 40 Vgl. Krims 2001, S. 43.

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Hier krieg’ ich alles, ich muss hier nich’ mal weg Hier hab ich Drogen, Freunde und Sex Die Bullen können kommen, doch jeder weiß Bescheid Aber keiner hat was geseh’n, also könn’ sie wieder geh’n Okay, ich muss gesteh’n: Hier ist es dreckig wie ‘ne Nutte Doch ich glaub’, das wird schon wieder mit ‘n bisschen Spucke Mein schöner weißer Plattenbau wird langsam grau D’rauf geschissen - ich wird’ auch alt und grau im MV

(Sido, „Mein Block“, Album „Maske“, Aggro Berlin 2004)

Zunächst fällt auf, dass die Reimstruktur im Wesentlichen der zweitaktigen musikalischen Struktur des Beats entspricht. Die Textzeilen erstrecken sich jeweils über einen Takt, inhaltlich wie formal (Paarreime am Ende der Zeile, Assonanzen) werden jedoch jeweils zwei Zeilen miteinander verschränkt. Die ersten beiden Zeilen richten sich an ein lyrisches ‚Du‘. Klanglich dominieren der ‚au‘Diphthong ([aʊ]), der nicht nur in dem unreinen Endreimpaar „aus“/„brauchst“, sondern zusätzlich in dem Signalwort „Einfamilienhaus“ erscheint (s. dunkle Markierung), und die insgesamt vierfache Anrede „du“. Die klangliche Klammer in Zeile 3 und 4 bilden die Assonanzen „Arsch“ und „Stars“ (s. Weiß auf dunklem Hintergrund) mit einem markanten langen aVokal ([a:]) in Endposition, außerdem fällt die Wiederholung kurzer o-Klänge ([ɔ]: „doch“, „Sonne“, „Block“, s. helle Markierung) und der mehrfach in Erscheinung tretende ‚ei‘-Diphthong ([aɪ]: „scheint“, „meinem“, „weiß“, s. Weiß auf dunklem Hintergrund) auf. Nach der Information der örtlichen Situierung, wird in den folgenden beiden Zeilen der Versorgungszustand nun aus einer Innensicht beschrieben. Dementsprechend wird die Ortsbeschreibung auf das Adverb „hier“ reduziert. Neben der exponierten Stellung zu Beginn beider Zeilen erscheint „hier“ noch ein drittes Mal (s. dunkle Markierung) und ist damit zusammen mit der Eigenbenennung des Verfassers, „ich“, die ebenfalls dreimal auftaucht, wichtiger Bestandteil des klanglichen Materials der beiden Zeilen. Mit einem kurzen e-Vokal ([ɛ]) bilden „weg“ und „Sex“ den unreinen Endreim. Akustisch hervortretend sind in den Zeilen 7 und 8 die Alliteration „können kommen“, der Diphthong ‚ei‘ ([aɪ]) in „weiß Bescheid“ und „keiner“ (s. Weiß auf dunklem Hintergrund) und das Reimpaar „geseh’n“ und „geh’n“, das als klanglicher Ersatz für den nicht vorhandenen paarigen Endreim fungiert. Die folgenden beiden Zeilen werden durch den Endreim „wie ‘ne Nutte“/„bisschen Spucke“ markiert. Die Strophe endet mit einem Zeilenpaar, das im Wesentlichen auf Assonanzen mit dem Diphthong ‚au‘ ([aʊ]) basiert: „Platten-

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bau“, „langsam grau“, „d’rauf geschissen“, „ich werd’ auch alt und grau im MV“. Dabei wird nicht nur der Diphthong zur Assonanzbildung verwendet (s. dunkle Markierung), sondern auch komplexere Lautketten, wie die Aufeinanderfolge von kurzem Vokal ‚a‘ ([a]) und darauffolgendem Diphthong ‚au‘ ([aʊ]) in „Plattenbau“, „langsam grau“ und „alt und grau“ (s. Kombination von heller und dunkler Markierung). Außerdem werden in der Phrase „Mein schöner weißer Plattenbau“ der Diphthong ‚ei‘ ([aɪ]) und die Reimsilbe ‚-er‘ ([ɒ]) in einer Engführung auf klanglich interessante Weise verschränkt. In der Summe erzeugt Sido so einen akustischen Climax zum Ende der Strophe hin und bereitet klanglich wie inhaltlich den anschließenden Refrain des Stückes vor. Neben dieser, an der musikalischen Struktur orientierten, Gruppierung in Zeilenpaare mittels Inhalt, Endreim und Assonanzen, nutzt der Rapper außerdem weitere literarische Elemente zur Herstellung innerer Kohärenz über die zweitaktige Einteilung hinweg: Durch das Wiederaufgreifen des ‚au‘-Diphthongs ([aʊ]) der ersten beiden Zeilen in „MV“ und „aus’m“ in Zeile 3, kann eine klangliche Verknüpfung über das erste Endreimpaar hinweg hergestellt werden (s. dunkle Markierung), die außerdem in den letzten beiden Zeilen der Strophe noch einmal aufgegriffen wird (s. dunkle Markierung). So entsteht eine klangliche Klammer zwischen dem Beginn und den letzten Zeilen, die dem Rezipienten einen „Prozess des genießenden Erinnerns an weiter zurückliegende Sprachklänge“41 ermöglicht. Ähnlich verhält es sich bei dem, in der dritten und vierten Zeile realisierten, ‚ei‘-Diphthong ([aɪ]: „scheint“, „meinem“, „weiß“, s. Weiß auf dunklem Hintergrund), dessen klangliche Wiederholung und Fortsetzung in „weiß Bescheid“ und „keiner“ in den Zeilen 7 und 8 (s. Weiß auf dunklem Hintergrund) erfolgt. Wie zuvor beschrieben, stellen diese beiden Zeilen wiederum eine Unregelmäßigkeit in der durch Endreime strukturierten Einteilung in Paare dar. An die Stelle des Endreimes tritt hier eine klangliche Verschränkung über noch weitere Zeilen: Die oben erwähnten Reime um den Diphthong ‚ei‘ ([aɪ]), als klangliche Reminiszenz an die Zeilen 3 und 4 (s. Weiß auf dunklem Hintergrund), verknüpfen die siebte und achte Zeile miteinander, das Reimpaar „geseh’n“ und „geh’n“ hingegen wird durch eine Entsprechung in „gesteh’n“ in der folgenden Zeile 9 ergänzt (s. helle Markierung). Neben dem, sowohl zu Beginn als auch am Ende der Strophe erwähnten, Akronym für das ‚Märkischen Viertel‘ („MV“) ist in diesem Zusammenhang als letztes kohärenzbildende Mittel schließlich die strophenübergreifende Verwendung der Eigenbenennung des Verfassers („ich“) zu nennen.

41 Kautny 2009, S. 164.

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Notenbeispiel 27 verdeutlicht die bereits an früherer Stelle im Refrain nachgewiesene Parallelität einer triolischen Sechzehntel-Quantisierung (sextolische Rhythmen) im Background und einer binären Sechzehntel-Quantisierung (binäre Sechzehntelgruppen) in der Rap-Stimme, die auch in den Strophen realisiert wird.

Notenbeispiel 27: Sido – „Mein Block“ – Quantisierung der ersten Strophe

Auf diese Weise erscheint der Flow relativ unabhängig vom zugrunde liegenden Beat, da lediglich die Viertelbetonungen der Musik als wirkliche Synchronisierungspunkte wahrgenommen werden. So kann Sido einen unsteten und variierenden Flow kreieren, der dennoch nicht mit dem Beat in Konflikt gerät. Eine traditionelle Notation wie in Notenbeispiel 28 kann nur annäherungsweise darstellen, was tatsächlich passiert, wenn der Rapper, je nach exklamatorischer Darbietung und Wortbetonung, das rhythmische Raster dem Wortfluss anpasst.

Notenbeispiel 28: Sido – „Mein Block“ – Rapstimme der ersten Strophe

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Folgende Beobachtungen lassen sich dabei zusammenfassen: Wie in Notenbeispiel 28 zu sehen, ist grundsätzlich die vierte Viertel eines Taktes betont. Dabei werden die Reimwörter stets so platziert, dass Wortschwerpunkt und Taktschwerpunkt (Zählzeit Vier) übereinstimmen. Mehrsilbige Reimwörter beginnen dementsprechend bei jambischer Betonung vor der Zählzeit, off-beat (s. „M´V“), Trochäen direkt auf der Zählzeit, on-beat (s. „´Spu-cke“).42 Die Back-up Vocals, die von Sido selbst ausgeführt werden, unterstützen die Betonung der letzten Taktzählzeit und der Endreime durch eine Doppelung kurzer, dreisilbiger Formulierungen („lachst mich aus“, „im MV“, „aus’m Arsch“) bis hin zu längeren Phrasen („Aber keiner hat was geseh’n, also könn’ sie wieder geh’n“). Die Rhythmisierung (Notenwerte entsprechen der Länge der Vokale) sowie die Metrisierung (Synchronisierung der Wort- und Taktschwerpunkte durch gezielte Platzierung innerhalb des musikalischen Metrums) der Raplyrics sind am natürlichen Sprachrhythmus orientiert. Unregelmäßigkeiten im Flow – im Notenbild zu erkennen an den Wechseln zwischen triolischer und binärer Quantisierung – scheinen eine Folge dieser Sprachästhetik zu sein. So ist beispielsweise die Augmentation des Rhythmus von „Einfamilienhaus“ zu erklären. Dieses und die folgenden Wörter könnten nur dann weiterhin entlang eines Sechzehntelrasters rhythmisiert werden, wenn der natürliche Sprachfluss aufgegeben würde. Infolgedessen ergibt sich auch die leichte Verschiebung des finalen Reimakzentes in einigen Takten kurz hinter die vierte Zählzeit, wie in „lachst mich aus“ und „mal weg“, wodurch sogenannte Laid-Back-Akzente (vgl. Kap. 4.4) entstehen. Neben der Betonung sprachlicher Elemente durch rhythmisch-metrische Strategien, nutzt der Rapper außerdem Intonation und Phrasierung zur Strukturierung des Textes, indem er seine Stimme in Tonhöhe, Dynamik und Artikulation variiert. Einige dieser performativen Schwerpunkte sind im Notenbild mit Akzentsymbolen festgehalten. So findet beispielsweise durch einen fast schon melodiösen Stimmverlauf in der Phrase „Aber keiner hat was geseh’n, also könn’ sie wieder geh’n“ eine Binnendifferenzierung statt, die über die rein rhythmisch-musikalische Strukturierung hinausgeht. Durch die alltagssprachliche Klangästhetik entstehen zusätzliche akustisch interessante Phänomene, wie etwa in der Phrase „die Bullen können kommen“. Performativ modifiziert klingt der Text vielmehr nach „die Bull’n könn’ komm’“. Durch diese sprachpragmatische Verkürzung entsteht eine Reduktion auf die immer heller werdenden Vokalklänge ([ʊ], [œ] und [ɔ]) bei fast identischem Auslaut. In „aber keiner hat was geseh’n“ wird durch die klangliche Realisierung der Endsilben ‚-ber‘ und

42 Vgl. Kap. 4.3.

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‚-ner‘ als [bɒ] bzw. [nɒ] die Phrase zu einer auf a-Klängen basierende Kette, die das Reimwort „geseh’n“ stärker hervortreten lässt. Die beiden Beispiele verdeutlichen, wie durch intuitive performative Mechanismen, etwa der alltagssprachlichen Lautmodifikation, weitere Gestaltungselemente für den Rapper bereit stehen, die als wichtige Elemente seines spezifischen Rap-Flows genutzt werden können. Eine weitere Ebene lautlicher Differenzierung entsteht durch klangliche Auffälligkeiten, wie Alliterationen („können kommen“), Vokalreihungen („Hier krieg ich alles, ich muss hier nich’ mal weg“), Wortrepetitionen („Weil du denkst, du hast alles, was du brauchst“) etc., die den Flow abwechslungsreicher gestalten. Sie wirken gewissermaßen dem relativ gleichförmigen Betonungsmuster (stets betonte vierte Zählzeit) entgegen. 10.3.4 Zitationspraktiken: Referenzen und Querverweise Während der Zeilen des Intros ist im Videoclip zu sehen, wie die beiden Akteure in dem gestohlenen Fahrzeug durch die Straßen eines Stadtviertels fahren. Die Bilder referieren damit auf die in vielen HipHop-Videos dargestellte Kulturpraxis des ‚Cruisen‘43, des scheinbar ziellosen Umherfahrens in urbaner Umgebung. Zwischen dem Intro und der ersten Strophe startet das instrumentale Zwischenspiel noch während sich die repetierte Hook „steig ein“ im Hall verliert, sodass eine musikalische Überblendung stattfinden kann. Für Sekundenbruchteile wird im Video der Titel des Stücks in einer Schriftart eingeblendet, die an die kantigen Schriftzüge erinnert, welche durch das Einritzen mit einem scharfen Gegenstand auf glatten Oberflächen entstehen und häufig in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln anzutreffen sind. Im Refrain des Titels „Mein Block“ der HipHop-Formation Blumentopf (Blumentopf, „Mein Block“) heißt es: „mein Block, mein Haus, mein Viertel“. Diese Aufzählung wird in Sidos Hookline noch weiter geführt: „Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block / meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom ersten bis zum 16. Stock“. Diese Reihung kann auch als Reminiszenz an einen populären Werbespot der Sparkasse gelesen werden, der Ende der 90er Jahre im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Im Spot werden zwei Männer gezeigt, ehemalige Klassenkameraden, die sich in sichtlichem Stolz gegenseitig ihre Errungenschaften und Besitztümer in Form von Beweisfotos vorlegen (s. Abb. 7).

43 Das sogenannte ‚Cruisen‘ als genrespezifische Kulturpraxis ist im gleichnamigen Track von Massive Töne (Massive Töne, „Cruisen“) anschaulich dargestellt.

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Abbildung 7: Werbespot der Sparkasse – 0:12 – „mein Haus, mein Auto, mein Boot“

In ähnlicher Weise zählt Sido die Dinge auf, die seine Welt prägen. In der visuellen Umsetzung des zweiten Refrains schließlich ist der Rapper zu sehen, der parallel zu den Worten der Hookline Jugendlichen, die sich mit Kartentricks die Zeit vertreiben, entsprechende eigene Fotos vorlegt (s. Abb. 8). Durch den Rekurs auf den bekannten Werbespot wird der Gegensatz zwischen vermögendem Mittelstand und dem Leben in der Plattenbausiedlung kontrastiv gegenübergestellt.

Abbildung 8: Sido – Musikvideo zu „Mein Block“ – 2:35 – „meine Straße, mein Zuhause, mein Block“

Nach dem zweiten Refrain wird der Chorus des Songs „Sido aus’m Block“ (Sido, „Sido aus‘m Block“) zitiert, der ebenfalls auf dem Album „Maske“ (Aggro Berlin 2004) erschien und wiederum eine Bearbeitung des Titels „Jenny from the block“ von Jennifer Lopez (Jennifer Lopez, „Jenny from the block“) darstellt. Durch die Gleichsetzung des deutschen ‚Block‘, im Sinne eines Hausblocks einer Wohnsiedlung, mit dem englischen Wort ‚block‘ für eine Häuserzeile, wie sie vor allem in amerikanischen Großstädten vorzufinden sind, wird

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außerdem der Ghetto-Mythos untermauert und gleichzeitig durch die Solidarisierung mit den dort lebenden Menschen ein Gemeinschaftsgefühl evoziert (vgl. Kap. 7.4). Im Gegensatz zu Jennifer Lopez, die vor dem Hintergrund ihres mittlerweile angesammelten Reichtums versucht eine integere HipHop-Identität zu unterstreichen und Zeugnis der Street-Credibility44 abzulegen, bezieht sich Sido vielmehr auf seinen Popularitätserfolg, wenn er rappt „auch wenn ich jetzt das Land rock’ / bin ich immer noch Sido aus’m Block“. Das saloppe Eingeständnis „ich fühl mich wohl zwischen Dreck und Gesocks“ ist weniger eine diffamierende Äußerung, als vielmehr eine solidarisierende Geste. Die Plattitüde in die der Refrain mündet dient als Kernzelle und Pointe eines Wortspiels um ‚gehen‘ und ‚kommen‘, ‚darauf ankommen‘ und ‚herkommen‘: „denn egal wohin du gehst, es kommt drauf an wo du herkommst“. In einige seiner Songs baut Sido namentliche Erwähnungen von real existierenden Personen ein oder erwähnt stellvertretende Namen, um dem Text mehr Authentizität zu verleihen.45 So rappt er hier „im zwölften bei Manne kriegst du Falschgeld / und ‘n Bootleg von Eißfeldt“. Ein Bootleg ist eine illegale Tonaufnahme, also ein in der HipHop-Kultur durchaus verbreitetes und begehrtes Objekt. In diesem Fall soll es sich um eine Produktion des HipHop-Musikers Jan Delay handeln, der mit bürgerlichem Namen Eißfeldt heißt. In Anlehnung an die Demonstration der Statusobjekte mithilfe von Fotos im zweiten Refrain, werden im letzten Refrains in Standbildern posierende Crewmitglieder und befreundete Bewohner der Wohnsiedlung eingeblendet. Kampfhunde sind dabei eines der wichtigen Bildmotive: Aufgrund ihrer einschüchternden Präsenz gelten sie als zum aggressiven Image passende Statusobjekte. Neben der Einschüchterung dienen sie auch zur Darstellung der eigenen Stärke. Die visuelle Umsetzung des letzten Refrains umreißt ein Konglomerat der bedeutendsten Bildsymbole der HipHop-Kultur: In den Sequenzen zwischen den Standbildern ist immer wieder der Rapper zu sehen, stets umgeben von leicht bekleideten Frauen.46 Das dahinter stehende Motiv ist simpel und wurde von Völkel und Menrath folgenderwei-

44 Die ‚Street-Credibility‘ ist das Ergebnis einer glaubwürdigen Eigendarstellung als jemand, der die Gesetze der Straße kennt und sich dort behaupten konnte. (Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 42.) 45 Im hier ebenfalls analysierten Track „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“) beispielsweise berichtet der Rapper von seinem – real existierenden – Freund „Bobby“, wohingegen im „Weihnachts song“ (Sido, „Weihnachts song“) in erster Linie aus klanglichen Gründen die Namen Peter, Frank, Hagen und Erika erwähnt werden. 46 Zur Funktion von ‚Rap-Models‘ in HipHop-Videos vgl. ausführlich Völker/Menrath 2007.

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se zusammengefasst: „Sie sollen die Männlichkeit des Rappers untermauern und dienen als Statussymbol, das etwas über die Potenz und den Erfolg des Hauptdarstellers aussagt.“47 Außerdem finden Graffiti und Breakdance als wichtige Kulturpraktiken der HipHop-Kultur (vgl. Kap. 2.1) ihre Darstellung (s. Abb. 9).

Abbildung 9: Sido – Musikvideo zu „Mein Block“ – 2:38 – Breakdance und Graffiti als Szenemarker

Nicht nur für die „globale kollektive Identität des HipHop“48 und der ständigen Erneuerung des Entstehungsmythos, sondern auch als „theatrales Mittel zur medialen Produktion von Lokalität“49 spielt die Inszenierung von Urbanität in der HipHop-Kultur eine elementare Rolle, wie in Kapitel 7 näher beschrieben wurde. Die lokale Herkunft und deren vielfältige Darstellung in Text und Bild stellen für Rap-Künstler wichtige Elemente der Konstruktion von Identität dar. Aus diesem Grund sind in diesem Track neben der namentlichen Erwähnung im Text („Berlin“, „MV“) auch visuelle Hinweise auf die konkrete Stadt im Videoclip zu finden.50 Auch mit seiner Kleidung stellt sich Sido als Teil der HipHop-Kultur dar.51 Er trägt weite Hosen, Sneaker, einen weiten Pulli mit Kapuze und dem eigenen Logo52, eine Jacke mit Kapuze, die er über weite Strecken des Videos weit 47 Ebd., S. 9. 48 Klein/Friedrich 2003a, S. 123. 49 Klein/Friedrich 2003b, S. 93. 50 Vgl. Klein/Friedrich 2003a, S. 122. 51 Vgl. ebd., S. 35. 52 Das Logo besteht aus dem handschriftlich aussehenden Namenszug Sidos, bei dem der Punkt über dem ‚i‘ durch ein Herzsymbol ersetzt wurde. Die Symbolik von Totenkopfmaske und Herz stehen diametral zueinander. Der scheinbare Widerspruch lässt sich nur durch eine implizite Ironie oder durch eine Prämisse typographischer Ästhetik erklären: Es liegt die Vermutung nahe, dass der Schriftzug aus dem Auto-

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über den Kopf gezogen hat. Die weit ins Gesicht gezogene Kapuze ist Teil des inszenatorischen Aktes: Sie ist ein weit verbreitetes Bildmotiv und erinnert an die vor allem aus US-amerikanischen Medien bekannten Darstellungen von meist kriminellen Jugendlichen, die mit den tiefen Kapuzen ihre Identität verschleiern und nicht erkannt werden wollen. Der Track endet mit dem, in HipHop-Tracks häufig anzutreffenden, Verkünden der für den spezifischen Klang dieser Version verantwortlichen Musikproduzenten („Beathoavenz Remix“), des eigenen Namens und dem des Labels.

10.4 „H EY D U !“ 10.4.1 Hintergrund Sidos Stück „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“) war nach der Veröffentlichung als Single (Single „Hey Du!“, Urban 2009) Ende 2009 bis März 2010 insgesamt 16 Wochen in den Charts und erreichte eine Höchstposition von Platz 4.53 Es war außerdem auf dem fast zeitgleich erschienenen Album „Aggro Berlin“ (Album „Aggro Berlin“, Urban 2009) enthalten. Der Künstler erhielt für diesen Song 2010 einen ‚VIVA Comet‘ in der Kategorie ‚Bester Song‘54 und für den MusikClip55 einen ‚Echo‘ in der Kategorie ‚Bestes Video National‘.56 Damit zählt dieses Stück zu den bis dahin erfolgreichsten Produktionen in Sidos Karriere. Dieser Track basiert auf „Maria‘s Lied“ (ebenfalls gelistet unter dem Titel „Hey du“ und „Du bist schön auch wenn du weinst“)57 aus dem Berliner Musical „Linie 1“. Die Musik wurde 1986 von Birger Heymann komponiert, der Text stammt von Volker Ludwig.58 In der Bearbeitung thematisiert der Rapper erstmalig seine Kindheit in der ehemaligen DDR. In Interviews erklärte er, dass er zuvor seine ‚Ost-Vergangenheit‘ verschwiegen habe, um Anfeindungen auf-

gramm des Künstlers entstanden ist, das wiederum ein kommunikatives Produkt im Kontakt mit potentiellen Fans darstellt und daher auf speziellen Gestaltungsprinzipien basiert. 53 Vgl. https://www.offiziellecharts.de/titel-details-626989 [Stand 2016-07-28]. 54 Vgl. http://www.bravo.de/stars/musik-charts/viva-comet-2010 [Stand 2016-05-25]. 55 Online verfügbar unter http://bit.ly/2a1tX0w [Stand 2016-05-20]. 56 Vgl. http://www.daserste.de/echo2010/nominierte.asp [Stand 2016-05-24]. 57 GEMA-Werk.-Nr. 1995480-001, online einsehbar unter https://online.gema.de/werke/ search.faces [Stand 2016-05-20]. 58 Ebd.

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grund seiner Herkunft zu vermeiden.59 Die späte Inspiration, seine Geschichte auf künstlerische Weise der Öffentlichkeit preis zu geben, sei schließlich von „Maria‘s Lied“ ausgegangen.60 Den Originaltext schrieb Ludwig in Berliner Dialekt. Sido beginnt – wie in der Vorlage – mit der prägnanten ersten Strophe des Stückes. Dabei evozieren die ersten Worte „Hey Du, hey Du. Hör mir ma’, hör mir ma’ zu!“61 in direkter Weise Aufmerksamkeit. Hier erhält die Strophe inhaltlich-thematisch, wie formal-strukturell durch die regelmäßige Wiederholung die Funktion eines Refrains. Für den atmosphärischen Grundgehalt des Stückes sind damit die wichtigen Impulse bereits zu Beginn des Stücks geliefert: Durch den dialektalen Text wird ein großstädtisches Lokalkolorit evoziert und gleichzeitig von Beginn an impliziert, dass hier kein elaboriertes Kunstprodukt präsentiert wird, sondern die authentische Darstellung eines von Schicksalen geprägten Lebens. Im Musical wird die Geschichte eines Mädchens erzählt, das bei der Suche nach seinem ‚Märchenprinzen‘ auf seiner Fahrt durch Berlin mit der U-Bahnlinie 1 einem Panoptikum von Großstadt-Typen begegnet.62 Bei Rezipienten, die mit dem Original vertraut sind, sollen damit Erinnerungen an Gefühle wie Mitleid und Nostalgie aktiviert werden. Aber auch dem unvorbereiteten Hörer erschließt sich spätestens am Ende des Refrains bei den Worten „ick seh’ nur, wie traurig du bist“ die bedeutungsschwangere Grundatmosphäre. Die ersten Zeilen werden wie im Original von einer Frau gesungen, weshalb zu Beginn des Songs noch unklar bleibt, ob die Zeilen den Rapper ansprechen oder ob sich Singstimme und Rapstimme an einen dritten Adressaten richten. 10.4.2 Text- und Flowanalyse „Das Leben singt keine Kinderlieder“ stellt der Rapper in einer Variation des Sprichwortes ‚wie das Leben spielt‘ zu Beginn der ersten Strophe fest. Schon in der ersten Rapzeile wird durch die implizite Lebenserfahrung – entstanden durch persönliches Leid, dessen Bewältigung Mitgefühl, vor allem aber Respekt einfordert – die ernste Grundstimmung des Stückes manifestiert. Ebenso deutlich drücken dies die folgenden Zeilen aus: „Verdammt, es ist hart, du musst was tun,

59 Vgl. Albers 2009. 60 Ebd. 61 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden im Folgenden die Quellenangaben der zitierten Textpassagen reduziert. Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich sämtliche Zitate in Kapitel 10.4 auf den analysierten Track „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“, Album „Aggro Berlin“, Urban 2009). 62 Specht 2009, S. 31.

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das sag’ ich immer wieder. / Und nicht, dass du denkst, der labert nur. Ich weiß wovon ich rede.“ Mit der Abwandlung der Redewendung ‚sich den Frust (o. Ä.) von der Seele reden‘ in „schließlich rapp’ ich mir mit jedem Song die Scheiße von der Seele“ wird der eigentherapeutische Effekt des Rappens umschrieben, gleichzeitig aber auch die Authentizität der daraus resultierenden Produktionen in den Fokus gerückt. Mit der Ankündigung „Pass auf ich erzähl dir was, damit du nicht mehr traurig bist“, welche die Beschreibung der eigenen turbulenten Biographie einleitet, schlägt der Rapper die Brücke zur Hook des Stücks, bei gleichzeitiger Überhöhung der eigenen Tragödie durch implizites Herabstufen des möglichen Schicksals des Adressaten. Das Geständnis „Ich war ein stolzer Pionier, obwohl eingesperrt wie ein Tier“ zielt auf eine Solidarisierung mit ehemaligen DDR-Bürgern ab: Er war integrativer Teil des Systems, das er gleichzeitig auch kritisiert. Mit dem umgangssprachlichen Verb in „wollte sie schnell rübermachen“ zitiert Sido eine bekannte Phrase und knüpft damit an das ‚kulturelle Gedächtnis‘63 von Zeitzeugen an. Die folgende Schilderung dessen, was ihn in der Bundesrepublik „im Asylantenheim“ erwartet, entbehrt nicht eines gewissen Humors durch das alliterierende Wortpaar „Appachen und Alkis“. In drastischer Weise formuliert der Rapper, was es für ihn bedeutete als „Ostler Junge“ in einem großstädtischen, westdeutschen Umfeld aufzuwachsen: „ich bekam wegen der Herkunft fast jeden Tag auf die Fresse“. Ob diese Zeile als poetische Übertreibung oder wörtlich zu verstehen ist, lässt sich nicht nachweisen. Mit Sicherheit soll jedoch in der Rückschau ein Bild extremer Gewalt und damit – bezogen auf den Protagonisten selbst – außergewöhnlicher Härte und Standhaftigkeit evoziert werden. In Raptexten werden nur sehr selten mit positiven Emotionen wie Liebe und Zuneigung konnotierte Wörter benutzt. Im Besonderen gilt das für jene Genres, die mit einem explizit aggressiven oder harten Image des Protagonisten arbeiten.64 Hier dienen häufig metonymische Formulierungen der Konnotationsreduktion oder -verschiebung. So beschließt Sido die Strophen dieses Stückes mit den jeweils gleichen vier überleitenden Zeilen, in denen es heißt: „Doch ich glaub’ unter dem Wasser steckt ‘ne Fratze, die sich sehen lässt.“ Der Begriff ‚Wasser‘ ist in diesem Zusammenhang metonymisches Substitut für ‚Tränen‘. In der paradoxen Formulierung „‘ne Fratze, die sich sehen lässt“ wird offensichtlich ein positiv konnotiertes Wort nicht nur durch ein neutraleres, sondern sogar durch ein negativ konnotiertes ersetzt, wodurch ein spannungsreicher Widerspruch ent-

63 Vgl. Linke 2005. 64 Vgl. hierzu etwa auch die Beobachtungen zu Bushidos „Arschfick“ (Bushido, „Arschfick“) in Kapitel 8.6.

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steht. Der semantische Gehalt dieser Konstruktion ist angelehnt an die Grundaussage des Originalstückes, das neben „Maria‘s Lied“ auch den Titel „Du bist schön auch wenn du weinst“ trägt.65 Dieser ist von den Zeilen des wiederkehrenden Refrains abgeleitet: „Bald wirst du wieder stolz und glücklich sein, denn du bist schön, sogar schön, wenn du weinst.“ (Ilona Schulz, „Du bist schön auch wenn du weinst (Marias Lied)“). Insofern findet in Sidos Bearbeitung eine Umstrukturierung im Sinne einer Umfunktionalisierung der ursprünglichen Formteile statt. Die erste Strophe des Originals wird in der Bearbeitung des Rappers insgesamt dreimal verwendet und erhält durch die Wiederholung den Charakter eines Refrains: als Intro, zwischen den beiden Strophenblöcken und als Outro. Der einleitende (Intro) und der abschließende Chorus (Outro) unterscheiden sich von dem mittleren, durch eine Reduktion in der musikalischen Begleitung. Die oben erwähnten wiederkehrenden vier Zeilen am Ende der beiden Strophenblöcke dienen somit als Überleitung zur Hook des Stückes (im Original die erste Strophe) und sind inhaltlich eine Adaption des ursprünglichen Refrains mit der finalen Botschaft: „Ich hoffe dieses Lied wischt deine Tränen weg. Hör zu!“. Sido gestaltet in diesem Track einen überwiegend gleichmäßigen Sechzehntel-Flow. Nur wenige Stellen sind nicht eindeutig an der Sechzehntel-Quantisierung, sondern eher an einem natürlichen Sprachrhythmus orientiert. Hierzu zählen etwa „Nein, mein Freund“ zu Beginn des Stückes und das bestätigende „ja, du hörst richtig!“, die sich interessanterweise beide an den Hörer wenden und Aufmerksamkeit evozieren. Die Regelmäßigkeit der Sechzehntel-Ketten wirkt nicht besonders mühelos oder entspannt und steht damit in starkem Kontrast zur Bildinszenierung des lockeren, leicht melancholisch wirkenden Rappers. Die Gründe hierfür liegen zum einen in der fast staccato gestalteten Vortragsweise (vgl. Kap. 4.4 bzw. 4.5), zum anderen in den langen Wortketten ohne hörbare Atmer des Künstlers und den teilweise überlappenden Tonspuren, wie etwa beim Übergang der Zeilen in „ziemlich unglaublich ist. / Ich bin im Osten aufgewachsen“ oder „bei uns spionier’n. / Und weil sie uns“. Vor allem fällt jedoch der allgemein ‚rufende‘ Stimmgestus des Rappers auf, der weniger melancholisch, als anklagend und aufrüttelnd wirkt. Durch die langen, lückenlosen Sechzehntel-Ketten entstehen mitunter Displatzierungen, die zu ungewöhnlichen Betonungen führen wie in „´Verdammt“ oder „´Pass auf“. An anderen Stellen nutzt Sido die unregelmäßige Stellung der Wörter im Metrum jedoch, um mithilfe artikulatorischer Betonungen interessante, polyrhythmische Strukturen zu generieren.

65 GEMA-Werk.-Nr. 1995480-001, online einsehbar unter https://online.gema.de/werke/ search.faces [Stand 2016-05-20].

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Notenbeispiel 29 zeigt wie das wiederkehrende Element der Sechzehntelgruppe mit einer Betonung auf der ersten und vierten Sechzehntel (s. Markierung) die Takte 15 und 16 der ersten Strophe strukturiert.

Notenbeispiel 29: Sido – „Hey Du!“ – Polyrhythmik

Dabei ist es vor allem die Betonung der vierten Sechzehntel („´Wedding“, „´Alkis“, „´Aldi“), die durch die Off-Beat-Positionierung und die nachfolgende unbetonte Hauptzählzeit die Rapgestaltung abwechslungsreicher erscheinen lässt. Der Song und das dazugehörige Musikvideo stammen aus einer Zeit, als sich „Aggro Berlin“, das erste Label bei dem Sido unter Vertrag stand, bereits aufgelöst hatte, und ihn „Urban“, ein Label der „Universal Music Group“, verpflichten konnte. Sowohl der Unterschied in der klanglichen Ausrichtung der Produktion, als auch in der Realisierung des Videoclips, können als Resultate einer veränderten Marktstrategie des neuen Labels im Gegensatz zu dem ehemaligen Independant-Label gewertet werden. Soundtechnisch erinnert der Track an typische Popproduktionen großer Major-Labels: Das Klangspektrum ist sehr breit und transparent, der Beat ist poppig-basslastig,66 flächige Background-SynthesizerSounds suggerieren Tiefe, großzügig eingesetzte Halleffekte übernehmen die Funktion eines ‚akustischen Weichzeichners‘67. Anders als das immer wieder mit Indizierungsverfahren beschäftigte Label „Aggro Berlin“ scheint „Urban“ nicht das Risiko einer Indizierung eingehen zu wollen: Die Sprache des Rappers ist jugendfrei geworden. Ein Text Sidos, in dem das Wort ‚Scheiße‘ das Maximale an Derbheit darstellt, wäre noch wenige Jahre früher imageschädigend gewesen. An die Stelle des ehemals aggressiven, nonkonformistischen Auftretens des Musikers ist Besonnenheit und marktstrategische Taktik getreten. So ermöglicht der Rückgriff auf biografische Fakten Sido zum einen die Authentifizierung durch seine persönliche Geschichte und die Solidarisierung mit sozial Benachteiligten bei gleichzeitiger Distanzierung und Inszenierung als ‚Selfmademan‘ und erfolgreicher Künstler 66 Zur ‚Bass-Poetik‘ populärer Musik vgl. Ismaiel-Wendt 2011, S. 186 ff. 67 Zum Hall als ‚akustischer Weichzeichner‘ vgl. Gottstein 2011.

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10.5 F AZIT Sido ist offensichtlich auch noch oder gerade als bei einem Major-Label unter Vertrag stehender Musiker um Authentizität bemüht. Wie jeder Rapper, der sich aus dem Underground der Szene kontinuierlich in Richtung Mainstream bewegt, gerät er immer mehr in ‚Authentifizierungszwang‘. Sein Profil hat sich verändert. Bei aller demonstrierten Härte und Nonkonformität, ist der Rapper des „Weihnachts songs“ (Sido, „Weihnachts song“) durchaus noch bemüht, zu unterhalten und komische Effekte mit einfließen zu lassen. Er nimmt sich selbst nicht über alle Maßen ernst und seine Provokationen sind eingebettet in eine Inszenierung, die nicht nur schockieren, sondern auch amüsieren soll. Der Protagonist von „Mein Block“ (Sido, „Mein Block“) trägt dieselbe Maske. Doch dieser will ernst genommen werden. Er arbeitet weiterhin „mit Humor und Augenzwinkern, aber gleichzeitig mit einer latenten Ernsthaftigkeit, die keinen Zweifel daran ließ, dass Sido selbst in diesem Umfeld aufgewachsen war“68. Der Track und die Umsetzung im Video sind Monumente inszenierter ‚Street-Credibility‘ des Künstlers, dessen Erfolg zu diesem Zeitpunkt maßgeblich auf dem Image des ‚Rüpelrappers aus dem Ghetto‘ begründet war. Mit zahlreichen Verweisen auf die HipHop-Kultur findet eine Verortung im subkulturellen und genrehistorischen, vor allem aber auch im jugendkulturellen Kontext statt. Generell dienen die detailreichen Schilderungen der Verhältnisse im ‚Ghetto‘ weniger der Kritik als vielmehr der spezifischen Profilbildung, der Gestus des Textes wirkt dementsprechend „weniger resigniert als trotzig“69. „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“) schließlich ist das Werk eines Musikers, der seit vielen Jahren kommerziell erfolgreich ist, die Mechanismen des Markts kennt und weiß, wie profitabel das Mainstream-Geschäft sein kann. Außerdem möchte er als Künstler und Musiker ernst genommen werden. Die Problematik der scheinbaren Unvereinbarkeit von authentischer, künstlerischer Produktion und Kommerz ist ihm bewusst.70 Im dichten deutschen Musikmarkt ist es ihm zu Beginn seiner Karriere gelungen durch Provokation, Unmittelbarkeit und eine authentische Selbstinszenierung aufzufallen, sich zu etablieren und schließlich sogar erfolgreich neu zu definieren. Sein Profil des ehrlichen Rappers aus der DDR, aus dem Ghetto, aus sozialer Marginalisierung und alltäglicher Hoffnungslosigkeit durchlief in den Jahren seiner Karriere bis heute verschiedene Images, die er jeweils glaubhaft in Szene setzen konnte. Sein aggressives und

68 Szillus 2012b, S. 54. 69 Janitzki 2012, S. 299. 70 Vgl. Engel 2015.

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nonkonformistisches Auftreten der ersten Jahre verhalf ihm zu Aufmerksamkeit, Popularität und war immer auch schon ein Mittel zur Inszenierung von Charakter und Authentizität. Die kulturspezifische ‚Street-Credibility‘ als ‚Gangsta-Rapper‘ erzeugte und erneuerte Sido fortwährend mit einer exzessiven Darstellung seiner Herkunft (vgl. Kap. 7.4), seiner Biografie (vgl. Kap. 5.6) und seines Lebenswandels (vgl. Kap. 2.2.1). Mit der zunehmenden Abnutzung des GangstaKlischees im deutschsprachigen Raum, vor allem auch durch eine reger gewordene öffentliche Diskussion über ‚ghettoartige Zustände‘, sah sich der Musiker gezwungen, seine Rolle neu zu definieren. Ausgehend von dem ersten Label, mit dem er zusammenarbeitete, „Aggro Berlin“, entstand ein ganzes Subgenre, das sich harte und aggressive Texte als Charakteristikum zu eigen machte und den ‚Gangsta-Rap‘ in Deutschland zu etablieren versuchte. Auf seinem zweiten Soloalbum (Album „Ich“, Aggro Berlin 2006) stellt Sido im Refrain des eigens zu dieser Thematik entworfenen Tracks „Strassenjunge“ (Sido, „Strassenjunge“) klar: „Ich bin kein Gangster, kein Killer, ich bin kein Dieb / ich bin nur ein Junge von der Straße.“ (ebd.). Im Jahr 2009 veröffentlicht Sido sein viertes SoloAlbum „Aggro Berlin“ (Album „Aggro Berlin“, Urban 2009) bei dem zur „Universal Music Group“ gehörenden Label „Urban“. Diese Produktion, die einen Wendepunkt im Schaffen des Rapkünstlers darstellt, beginnt mit einem Track, der mit „Intro“ (Sido, „Intro“) betitelt ist und in einer theatralen Hörspielszene den Akt der Trennung des Rappers von seiner Maske thematisiert. Die Maske, die „Leute anspucken“ und „rumpöbeln“ will, wird als Quelle asozialen und aggressiven Verhaltens inszeniert und symbolisch abgelegt. Der Rapper erklärt seiner Maske und allen Rezipienten: „Ich will jetzt so ‘was wie ein’ Neubeginn, verstehste?“ (ebd.). Der Rap-Musiker geht offen, wenn auch immer von einer gewissen Ironie begleitet, mit seiner Neuorientierung um und kommuniziert seinen Imagewandel in aller Deutlichkeit. Nur so kann er authentisch bleiben. Seine Sprache in den Raptexten ist immer sehr direkt, er benutzt viele umgangssprachliche, soziolektale und kulturspezifische Redewendungen. Damit stellt er sich selbst als jugendlicher HipHopper und „Junge von der Straße“ (Sido, „Strassenjunge“) dar. Generell lässt sich im Vergleich zu anderen Rapkünstlern behaupten, dass sein Sprachstil im Allgemeinen wenig elaboriert und dadurch sehr natürlich bzw. ungekünstelt erscheint.71 Sein Flow ist durch regelmäßige Achtel- bzw. Sechzehntelketten, die konsequent synchron zum musi-

71 Rap-Musiker wie Samy Deluxe oder Peter Fox beispielsweise zeichnen sich im Vergleich dazu durch weniger bedeutungsschwangere Texte und einen wesentlich elaborierteren Sprach-Code aus, der sich vor allem in einer höheren Dichte an poetischen Verfahren wie Vokalreihungen und einer kreativeren Metaphorik äußert.

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kalischen Metrum gesetzt sind, und nur wenige Displatzierungen eher eindimensional, daher umso eingängiger. Seine Rhythmen und seine Phrasierung sind stark alltagssprachlich geprägt, intuitiv und leicht verständlich. Auch wenn der Rapper Sido mit seinen neueren Produktionen im Mainstream angekommen scheint, wiederholen sich profilspezifische Mechanismen und Charakterzüge: Authentizität steht für ihn an oberster Stelle. Er nutzt seine Biografie bewusst zur Steigerung der semantischen Ernsthaftigkeit seiner Texte, er demonstriert Nonkonformismus, wo immer möglich und er bleibt humorvoller Optimist, der als Künstler ernst genommen werden will. Seine rhythmischen und metrischen Strukturen sind entsprechend seiner sprachlichen Klarheit selten komplex und unterstreichen sein Postulat von Inhalt, Direktheit und Authentizität.

11. Bushido – Migration und Mystifizierung

11.1 E INLEITUNG Bushido galt lange als kommerziell erfolgreichster deutschsprachiger Rapper.1 Zu Beginn seiner Laufbahn ebenfalls bei dem Plattenlabel ‚Aggro-Berlin“ unter Vertrag (vgl. etwa Kap. 10.2), wird er heute als Wegbereiter des deutschen ‚Gangsta-Rap‘ und als einziger „Rap-Superstar“2 Deutschlands bezeichnet. „Der deutsche Gangsta-Rap erfährt erst ab der Jahrtausendwende in Deutschland seinen Siegeszug. Insbesondere das Plattenlabel ‚Aggro-Berlin‘ sorgt für eine Massenverbreitung dieses Genres bei Jugendlichen. Der Gangsta-Rapper Bushido gilt allgemein als Erster, der dieses Rap-Genre erfolgreich in Deutschland etablierte.“3

Als Startpunkt dieser Entwicklung wird in der HipHop-Forschung häufig die Veröffentlichung seines ersten Solo-Albums „Vom Bordstein bis zur Skyline“ (Aggro Berlin 2003) genannt. Wie bereits im vorhergehenden Kapitel stammen auch hier die analysierten Raptracks aus unterschiedlichen Schaffensphasen des Musikers. Den Anfang bildet daher die Analyse des Tracks „Bei Nacht“ (Bushido, „Bei Nacht“), der auf dem genannten Debütalbum veröffentlicht wurde. Der anschließend betrachtete Track „Alles verloren“ (Bushido, „Alles verloren“) wurde auch als bis dato erfolgreichste Single-Auskopplungen veröffentlicht und stammt von dem Album „7“ (Ersguterjunge 2007), mit dem der Rapper durch den Einstieg auf Platz 1 der Album-Charts auch seine erste Topplatzierung

1

Vgl. Wiegel 2010, S. 99.

2

Ebd.

3

Ebd., S. 94.

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erreichen konnte.4 Die letzte der drei Analysen nimmt den Titel „Für immer jung“ (Bushido, „Für immer jung“) zum Gegenstand, der 2008 veröffentlicht wurde und in Zusammenarbeit mit dem tschechischen Schlagersänger Karel Gott entstand. Wie bereits in Kapitel 10.4 im Zusammenhang mit Sidos „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“) beschrieben, nutzt hier auch Bushido den Rückgriff auf einen bereits bestehenden Refrain eines Songs zu profilstrategischen Zwecken.

11.2 „B EI N ACHT “ 11.2.1 Hintergrund „Bei Nacht“ (Bushido, „Bei Nacht“) erschien 2003 auf Bushidos bereits erwähntem Debütalbum „Vom Bordstein bis zur Skyline“ (Aggro Berlin 2003). Mit der Veröffentlichung dieses Albums wird vielfach der Beginn einer stilistischen Neuorientierung im deutschsprachigen Rap verbunden. So schreibt Wiegel: „Sein erstes Solo-Album, welches überwiegend von Bushido selbst in Heimarbeit produziert wurde ‚Vom Bordstein bis zur Skyline‘ (2003), gilt allgemein deshalb als bedeutend, weil es das umstrittene Rap Genre ‚Gangsta-Rap‘ erstmals in einer deutschen Version erfolgreich etablierte. Der deutsche Rap bekam mit diesem Album eine bis dahin nicht gekannte sprachliche Härte und Brutalität.“5

„Bei Nacht“ (Bushido, „Bei Nacht“, Single „Bei Nacht“, Aggro Berlin 2003) wurde als Single ausgekoppelt und mit einem Musikvideo6 versehen. Dieser Track spielte daher für den Erfolg des Albums eine nicht unwesentliche Rolle. Ähnlich wie im Musikvideo zu „Mein Block“ (vgl. Kap. 10.3.2) wird auch in der Fassung, die diesem Clip zugrunde liegt, ein Teil aus einem anderen Stück als Intro genutzt. In diesem Fall handelt es sich um die (einzige) Strophe und den Refrain aus „Electrofaust“ (Bushido, „Electrofaust“), dem Eröffnungstrack des Debütalbums. Szillus schreibt zu diesem Musikvideo: „Das erste Video zur Single ‚Electrofaust/Bei Nacht‘ brachte alles auf den Punkt, was guter Gangsta-Rap aussagen musste: In harter Schwarzweiß-Optik demonstriert Bushido

4

Vgl. https://www.offiziellecharts.de/titel-details-346136 [Stand 2016-07-28] bzw.

5

Wiegel 2010, S. 99.

6

Verfügbar etwa auf der DVD „Aggro Ansage Nr.1 DVD #1“ (Aggro Berlin 2004).

https://www.offiziellecharts.de/album-details-63365 [Stand 2016-07-28].

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Zahlenstärke und Block-Verbundenheit, gleichzeitig stellt er sich arrogant und drohend über seine Gegner […].“7

11.2.2 Text- und Flowanalyse Dieser grundsätzlich offensive und drohende Gestus entspringt auf der Textebene vor allem aus der konsequenten Oppositionierung von Sprecher und Gegenüber. Diese manifestiert sich unter anderem in der direkten Gegenüberstellung der Eigenennennung („Bushido“), der Pronomen „ich“, „mein“ und „mich“ (insgesamt 7x) auf der einen und der Pronomen „du“, „dein“/„deine“, „dich“ bzw. „ihr“ und „euch“ (insgesamt 8x) auf der anderen Seite. Besonders deutlich kommen diese konstruierte Opposition und das Pendeln zwischen Boasting und Dissing etwa in den – obwohl intuitiv verständlich, semantisch zweifelhaften – Zeilen „Mein Tape und Tempelhof rult.8 / Dein Tape und Schöneberg buht.“ (Bushido, „Electrofaust“) zum Ausdruck. Ein weiteres Merkmal dieses Textes ist die spezifische Sprachverwendung. So ist zum einen das genretypische Einflechten von aus dem Englischen stammenden Begriffen (vgl. Kap. 3.1 und 7.1) zu beobachten („booten”, „Sound”, „shit”, „down”), zum anderen aber auch die profilrelevante Verwendung von Signalwörtern und Formulierungen wie „mein Bezirk“, „Block“, „aus dem Ghetto“, „the hood“ und „Gangster“. Die anschließende Hook von „Electrofaust“ (Bushido, „Electrofaust) ist ebenfalls geprägt von der Inszenierung im urbanen Kontext (vgl. hierzu Kap. 7) und weist mit ‚Härte‘ konnotierte Begriffe auf wie „Bordstein“, „Beton“ und „Asphalt“. Besonders auffallend, auch aufgrund der vierfachen Wiederholung, ist die Phrase „Der vom Bordstein / bis zur Skyline.“ (Bushido, „Electrofaust“). Durch eine deutlich langsamere Rhythmisierung und eine große Pause am Ende jeder Zeile, die durch das Geräusch einer abgefeuerten Schusswaffe gefüllt wird, entsteht eine zusätzliche Hervorhebung. Diese scheint in sofern legitimiert, als dass diese Phrase im Eröffnungstrack (Bushido, „Electrofaust“) gleichzeitig den Titel des Albums (Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003) repetiert und auf diese Weise zusammen mit dem letzten Track des Albums vor dem Outro, „Vom Bordstein bis zur Skyline“ (Bushido, „Vom Bordstein bis zur Skyline“), eine konzeptionelle Klammer bildet. Mit variierten Track- und Albumnamen wie „Von der Skyline zum Bordstein zurück“ (Bushido, „Von der Skyline zum Bordstein zurück“, Album „Von der

7

Szillus 2012b, S. 55.

8

Aus dem Englischen abgeleitet von „tape“ (Tonband) und „to rule“ (herrschen, regieren).

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Skyline zum Bordstein zurück“, Ersguterjunge 2006) und „Bordstein und Skyline zugleich“ (Bushido, „Bordstein und Skyline zugleich“, Album „AMYF (Ltd. Deluxe Edition)”, Bushido (Sony Music) 2012) greift der Rapper im späteren Verlauf seiner Karriere wiederholt auf dieses ursprüngliche Bild zurück. Wie bei Bushido häufiger zu beobachten, entwirft er hier eine bipolare Metapher, die im Sinne einer Oben-Unten- bzw. Gut-Schlecht-Dichotomisierung9 zunächst intuitiv verständlich erscheint, jedoch logische Brüche aufweist. Der Rapper kombiniert hier zwei Lexeme, die beide dem Assoziationsfeld ‚Stadt‘ entstammen. Während jedoch der Begriff ‚Bordstein‘ auf einen konkreten Nahbereich referiert, bezieht sich ‚Skyline‘ auf ein fernes Abstraktum. Verstanden als eine Horizontlinie in einiger Entfernung, müsste dieses Bild daher horizontal-metaphorisch im Sinne einer ‚Von hier bis zum Horizont‘-Konstruktion interpretiert werden. Gleichzeitig soll der Begriff ‚Skyline‘ jedoch offensichtlich die Assoziation mit hohen Häusern wecken und erinnert so im Kontext des genrespezifischen ‚Aufstiegsmythos‘10 an klischierte Vorstellungen von exklusiven, repräsentativen Wohnungen. Konsequenterweise müsste der Titel also etwa ‚Vom Bordstein zum Penthouse‘ lauten. Aufgrund von klangästhetischen Erwägungen wurde jedoch das weniger passende Lexem ‚Skyline‘ als Reimwort zu ‚Bordstein‘ gewählt. Der fragmentarische Stil der Strophe, in der jede Zeile einem einzelnen Satz entspricht, der rhetorisch nur lose mit den übrigen verknüpft scheint, wird auch im Refrain beibehalten. Demenentsprechend zeichnet sich dieser auch durch unvermittelte Wechsel des Redegegenstands („Der Dschungel aus Beton, die Lunge voller Smog.“, Bushido, „Electrofaust“)11 und der verwendeten Sprechakte aus. Letzteres lässt sich beispielsweise anhand der beiden letzten Zeilen des Refrains demonstrieren, in denen Bushido, wie im Folgenden noch häufiger zu beobachten, zunächst eine rhetorische Boasting-Frage stellt („Wer hat Benzin im Blut und brennt den Asphalt weg?“, ebd.), die also per se kein Kommunikationsgegenüber impliziert. Direkt im Anschluss rappt er in Richtung des DissingAdressaten: „Der Horizont wird schwarz, es wird jetzt Zeit für’s Bett.“ (ebd.).12

9

Vgl hierzu insbesondere Lakoff/Johnson 1998, S. 22 ff.

10 Vgl. etwa Friedrich 2010, S. 149. 11 Handelte es sich hier klar um eine Eigenbeschreibung des Protagonisten, so wäre ‚Im Dschungel aus Beton, die Lunge voller Smog‘ eindeutiger. Auch wenn diese Lesart naheliegend erscheint, suggeriert die tatsächliche Formulierung eine Personifikation der Stadt als „Dschungel“, deren Lunge „voller Smog“ ist. 12 Bezöge man den implizierten Dissing-Adressaten nicht in die Interpretation mit ein, ergäbe sich ein ungewollter komischer Effekt: Der Rapper, der sich bei Einbruch der Dunkelheit schlafen legen muss.

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Mit den Worten „Du machst nichts, was ich nicht schon gestern gut gemacht hab’.“13 beginnt schließlich die Album-Version von „Bei Nacht“ (Bushido, „Bei Nacht“). Mit dieser Eröffnungszeile bedient sich Bushido der vielfach zu beobachtenden Boasting-Technik, sich selbst als Vorreiter und Trendsetter zu inszenieren (vgl. Kap. 5.4). Gleich in der zweiten Zeile nutzt er bereits einen seiner vielen sexualisierten Vergleiche, wenn er das unspezifische Gegenüber disst mit den Worten „Du willst rappen und brichst dir dabei den Schwanz ab“. Wie in Kapitel 8 eingehender beschrieben, wird hier das Rappen als Praxis vorgestellt, die nur von ‚Macht Besitzenden‘ überzeugend ausgeführt werden kann, während gleichzeitig auf Machtkonstellationen Bezug genommen und eine Korrespondenz zwischen sexueller Überlegenheit und Kompetenz impliziert wird.14 „Ich mach’ jetzt mein Solo hart“, kündigt der Rapper daraufhin an. Mit der positiv konnotierten Bezeichnung ‚hart‘, die als Adjektiv sowie als Adverb gelesen werden kann, referiert Bushido auf ‚inhaltliche Härte‘ in Form von thematischer Drastik und auf die ‚sprachliche Härte‘ durch performativen Impetus und verbale Direktheit. Gleichzeitig ist dieser Vergleich auch sexuell konnotiert und bedient sich bestimmter Szenestandards in Bezug auf Sexualität, nach denen ‚Härte‘ als körperliche Gewalt und sexuelle Potenz als Ausdruck von Macht gelten (vgl. Kap. 8.3). In der Formulierung „schreib’ den Text im Polo-Shirt“ dient das ‚Polo-Shirt‘ als Symbol für besonders müheloses Arbeiten und ist gleichzeitig ein Hinweis auf die öffentliche Abkehr von modischen Standards der HipHopSzene.15 Die in ihrer semantischen Prägnanz zweifelhafte Phrase ist offensichtlich dem ‚Primat des Klangs‘ geschuldet, da „Polo-Shirt“ durch Assonanzen mit „Solo hart“, „Kohle“ und „Homos“ korrespondiert. „Ich mach die Kohle, keiner von euch Homos ist was wert“ rappt Bushido weiter. Mit der geboasteten, umgangssprachlichen Formulierung „Ich mach die Kohle“ impliziert der Rapper wirtschaftlichen Erfolg als angestrebtes Ziel, womit er sich von jenen HipHopMusikern distanziert, die Realness und Authentizität mit Underground und Nicht-Kommerzialisierung gleichsetzen (vgl. Kap. 2.2.1). Das Dissing „keiner von euch Homos ist was wert“ bietet in zweierlei Hinsicht ein typisches Beispiel

13 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden im Folgenden die Quellenangaben der zitierten Textpassagen reduziert. Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich sämtliche Zitate in Kapitel 11.2 auf den analysierten Track „Bei Nacht“ (Bushido, „Bei Nacht“, Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003). 14 Zu Männlichkeitskonstruktionen im deutschsprachigen Rap und insbesondere bei Bushido vgl. grundsätzlich Gossmann 2012. 15 Vgl. im Gegensatz hierzu etwa Sidos Inszenierung in „Mein Block“, wie in Kapitel 10.3.2 beschrieben.

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für Bushidos Rap-Stil: Zum einen gehören homophobe Äußerungen zum gängigen Repertoire des Rappers.16 Zum anderen zeigt sich in der direkten Gegenüberstellung von „Ich mach die Kohle“ und „keiner von euch […] ist was wert“, die eine semantische Verknüpfung impliziert, eine bei Bushido häufiger zu beobachtende inhaltlich-semantische Umdeutung: Eine metaphorische Beschreibung, wie hier ‚etwas wert sein‘, wird dabei aus dem Kontext einer Metapher gelöst und durch eine wörtliche Bedeutung ersetzt. So wird aus dem ideellen ‚Wert‘ einer Person auf dem Hintergrund finanzieller Wertschöpfung die ökonomische Produktionskraft eines Menschen, aufgrund derer wiederum ersterer scheinbar bemessen wird. Mit „Jeder meiner Fans scheißt darauf wie du am Mic rappst“ wird der Text wie bereits in der zweiten Zeile an einen anderen Rapper adressiert, wodurch sich dieser Track auch als Diss-Track (vgl. Kap. 6.1) qualifiziert. Mit dem Verweis auf den Berliner Stadtteil in „Komm nach Schöneberg“ verortet sich der Rapper im urbanen Umfeld und nutzt dadurch profilrelevante Assoziationen (vgl. Kap. 7). Die Wiederholung des Morphems ‚scheiß-‘ dient offensichtlich klanglichen Zielsetzungen, wie die folgende Darstellung der Assonanzstruktur verdeutlicht. Jeder meiner Fans scheißt darauf wie du am Mic rappst. / Komm nach Schöneberg und zeig mir deinen Scheißtext! (Bushido, „Bei Nacht“, Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003)

Anstelle eines Endreimpaars findet sich auf der Position des Primärreims eine zweisilbige Assonanz „Mic (rappst“/„Scheißtext“). Außerdem weist die Assonanzreihe um den ‚ei‘-Diphthong ([aɪ]: „meiner“, „scheißt“, „Mic“, „zeig“, „deinen“, „Scheißtext“, s. helle Textmarkierung) durch die Wiederholung des Morphems ‚scheiß-‘ und das sehr ähnliche Paar „meiner“/„deinen“ nur relativ wenig abwechslungsreiches Material auf. Mit der nachfolgenden Zeile „Meine Stadt hat kein’ Platz, ich mach’ aus deinem Team ‘ne Bitch“ steht Bushido in der Boasting-Tradition urbaner Selbstinszenierung und -überhöhung („Meine Stadt hat kein’ Platz“, vgl. Kap. 5) und sexualisierter Machtdemonstrationen („ich mach’ aus deinem Team ‘ne Bitch“). Umgangssprachliche Verkürzungen wie hier ‚kein‘‘ kennzeichnen den stark an

16 Der Begriff der Homophobie muss in diesem Zusammenhang spezifiziert werden: Die zahlreichen Dissings Bushidos gegen seine Kontrahenten sollten nicht in erster Linie als Ausdruck einer omnipräsenten Homophobie im engeren Sinne, einer Aversion gegen Homosexualität verstanden werden. Aus Gründen, die in Kapitel 8.3. näher betrachtet wurden, stellen sie vielmehr eine instrumentalisierte Diffamierungspraxis dar.

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der Alltagssprache orientierten Rapstil Bushidos. Der Rapper boastet „ich schreibe einen Satz und töte damit ihn und dich“. Da sich der Text immer nur an singuläre oder multiple lyrische Gegenüber richtet, stellt sich die Frage, wer die mit ‚ihn‘ bezeichnete dritte Person ist. Die Flowanalyse dieser Zeile und der korrespondierenden Reimzeile, legt die Vermutung nahe, dass es sich hier um eine artifizielle Einschiebung handelt, um die jeweilige Reimsilbe an synchroner Stelle zu positionieren.

Notenbeispiel 30: Bushido – „Bei Nacht“ – Betonungsstruktur

Wie in Notenbeispiel 30 zu erkennen, ermöglicht der Einschub „ihn und“ und die daraus resultierende Stellung am Satzende eine ähnliche Positionierung im Taktmetrum, wie die der Reimsilben „Team ‘ne Bitch“ im vorhergehenden Takt. Außerdem zeigt dieses Notenbeispiel die korrespondierende Akzentstruktur der auf Zählzeit 2 und dem nachfolgenden Achtel betonten Reimwörter „kein’ Platz“ und „einen Satz“ in den Takten 3 und 4. Die selbstüberhöhende Verkürzung „ab heute bin ich Chef“ erinnert an häufig um die Artikel reduzierte Wendungen aus dem als „Kanak Sprak“17 bezeichneten Sozio- bzw. Ethnolekt. Es stellt sich die Frage, weshalb der Rapper seinen Status als ‚Chef‘ mit dem eingrenzenden Zusatz „ab heute“ kombiniert. Denn schließlich impliziert sowohl der anfängliche Verweis auf vergangene Tätigkeiten („Du machst nichts, was ich nicht schon gestern gut gemacht hab’“) als auch die Erwähnung einer Fan-Gemeinschaft auf eine gewisse historische Dimension, auf eine Geschichte. Eine mögliche Erklärung ist die Etablierung eines seriellen Verfahrens mit Zeitangaben, das mit dem Temporaladverb „gestern“ in der ersten Zeile eröffnet wird und mit den später folgenden näheren Angaben „morgen“ („geh morgen zum Single-Treff“) und „seit Wochen“ („Warum redet jeder Spast, seit Wochen nur von mir?“) fortgeführt wird. Auch die Bedeutung der Zeile „Sag den Leuten du kennst mich und geh morgen zum Single-Treff“ er17 Vgl. Zaimoglu 1995.

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schließt sich nicht unmittelbar. Der ‚Single-Treff‘ dient offensichtlich als Symbol für Einsamkeit und die peinliche Beschäftigung des Einsamen. Insofern kann diese Zeile auch als Drohung gegen den ‚parasitären Profiteur‘18 verstanden werden, nicht nur sein oben erwähntes ‚Team‘, sondern sein gesamtes persönliches Umfeld zu attackieren. Auch an dieser Stelle dient die Assonanz „bin ich Chef“/„Single-Treff“ der Legitimation eines semantisch zweifelhaften Bildes. Der thematische Wechsel hin zu der Beschreibung der Live-Qualitäten des Rappers kommt unvermittelt: „Warum redet jeder Spast seit Wochen nur von mir? / Ich komm’ auf die Bühne und auf einmal schreien alle ‚Yeah!‘“. Die Praxis der Reimbildung mit dem Ausruf ‚Yeah!‘ („mir?“ / „‚Yeah!‘“) gehört, wie in Kapitel 3.1.1 ausführlicher beschrieben, zu den einfacheren Methoden und gilt daher als wenig elegante Lösung. Die Aussage „Jeder meiner Tracks ist für meinen Stadtbezirk“ dient wie in Kapitel 7 beschrieben zum einen der Legitimierung durch Authentizität, da sich der Rapper auf diese Weise als Teil eines großstädtischen Umfeldes inszeniert. Außerdem kommt damit die Solidarisierung mit einer theoretisch real existierenden sozialen Gruppe zum Ausdruck, nach außen wird Loyalität und Gruppenzugehörigkeit demonstriert und das Image eines stellvertretenden Sprechers wird unterstützt. In der folgenden Zeile wechselt Bushido erneut das Thema und rappt „Gib mir einen Tag und ich zeig’ dir, wie man zum Schatten wird“. Diese Formulierung erinnert an einige Filme, in denen Menschen absichtlich ‚zum Schatten‘ und ‚unsichtbar‘ und damit zur überall lauernden Gefahr werden wollen. Diese Zeile könnte jedoch auch als Drohung verstanden werden: Wenn jemand keinen ‚Fame‘ hat (vgl. Kap. 2.2.5), ein No-Name ist oder sein Ruf zerstört wurde, wird er ebenfalls ‚zum Schatten‘. Mit „Dann komm in meinen Hood!“19 verwendet Bushido ein genrespezifisches Lexem, das unmittelbar mit dem Topos des urbanen Überlebenskampfs in Verbindung steht (vgl. Kap. 7.5). Die Drohung „hier kannst du den Bordstein fressen“ referiert auf die symbolische Position des Unterlegenen am Boden.20 Ein zweites Mal in diesem Text erwähnt der Rapper die diffamierende Bezeich-

18 Dem ‚parasitären Profiteur‘ wird hier unterstellt, von der angeblichen Bekanntschaft mit dem Rapper profitieren zu wollen („Sag den Leuten du kennst mich“). 19 Eigtl. „meine Hood“ (vgl. Kap. 7.5). 20 Eine wörtliche Entsprechung dessen und eventuelle Inspiration zu dieser Formulierung findet sich im – vor allem auch durch die besonders plastische Darstellung von Gewalt – populär gewordenen US-amerikanischen Kinofilm „American History X“ (Regie: Tony Kaye, 1998), in dem in einer der Schlüsselszenen die brutale Tat des ‚Randsteinbeißens‘ dargestellt wird.

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nung „Spast“ und erzeugt mit der umgangssprachlichen Wendung ‚kaputt machen‘ ein mehrdeutiges Bild der körperlichen, wie psychischen und ideellen Zerstörung, zumindest was den Ruf als Rapper angeht. Die erste Zeile des Refrains ist aus zwei Fragen zusammengesetzt: „Wer ist so fit wie ich? Wer ist mein Feind?“ Eine klare logische Stringenz ist an dieser Stelle nicht erkennbar. Bei dem Wort ‚fit‘ zeigt der Rapper im Video auf seine Schläfe als Geste der Referenz auf Intelligenz im Gegensatz zur Fitness im körperlich-sportlichen Sinne (‚illustrierende Geste‘, vgl. Kap. 4.7). Damit wird die erste der beiden Fragen als rhetorische Frage qualifiziert, wie sie häufig in derartigen Boasting-Kontexten vorzufinden ist. Die zweite Frage hingegen ist konzeptionell sehr unterschiedlich und legt durch das Bereitstellen des Reimwortes „Feind“ zu „scheint“ in der zweiten Zeile eine zugrunde liegende Klangprämisse nahe. „Ich bin der, der dich fickt wenn die Sonne nicht mehr scheint“ boastet der Rapper und nutzt dabei ‚ficken‘ mit der Wortbedeutung ‚fertig machen‘, wie in Kapitel 8.6 ausführlich beschrieben. Hier findet sich auch der erste Hinweis auf den Titel des Stückes „Bei Nacht“. Die Verknüpfung mit dem Nächtlichen, mit dem Licht Abgewandten führt zu einer Mystifizierung des Rappers als im Dunkeln lauernde, omnipräsente Gefahr. Mit „Du kannst schreien so laut du kannst“ beschreibt Bushido eine beschämende Handlung des Unterlegenen, die er gezielt in die Nähe klischiert weiblichen Verhaltens rückt, womit er die finale Zeile und Pointe des Refrains gewissermaßen vorbereitet: „Du bleibst doch nur ‘ne Frau mit Schwanz, die sich nichts traut“. Die Hintergründe und Mechanismen, die bei dieser rituellen Beleidigung wirksam sind, wurden ausführlich in Kapitel 8 beschrieben. Dementsprechend kann zusammenfassend also die Beobachtung Gossmanns, dass Bushidos ‚Männlichkeitskonstruktion‘ „vor allem auf der Abgrenzung von anderen Männlichkeiten“21 basiert, für diesen Raptext bestätigt werden.22

21 Gossmann 2012, S. 98. 22 Gossmann fasst diese Profilbildungsstrategie wie folgt zusammen: „Er schlägt und ‚bumst‘ seine (männliche) Konkurrenz, schmückt sich mit seiner Kriminalität und seiner Herkunft aus dem ‚Ghetto‘ und verwandelt sein Dasein als Außenseiter in einen Status der Einzigartigkeit.“ (ebd.).

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11.3 „ALLES

VERLOREN “

11.3.1 Hintergrund Der Track „Alles verloren“ (Bushido, „Alles verloren“) wurde 2007 auf dem Album „7“, sowie als Singleversion (Single „Alles verloren!“, Ersguterjunge 2007) veröffentlicht. Sie erschienen auf Bushidos eigenem Label „ersguterjunge“, das er 2004 gegründet hatte und das mit Major-Labels wie „Universal/Urban“ und ab 2007 mit „Sony/BMG“ zusammenarbeitete. Mit einer Sitzenposition von Platz 4 der offiziellen deutschen Charts war „Alles verloren“ (Bushido, „Alles verloren“, Single „Alles verloren!“, Ersguterjunge 2007) die bis dahin erfolgreichste Single des Rappers.23 Dieser Track weckt auf verschiedenen Ebenen irreführende Assoziationen, je nachdem mit welcher Rezeptionshaltung sich der Konsument dem Stück nähert. Der Titel „Alles verloren“ lässt zunächst einen autobiografischen Text oder die Schilderung einer tragischen Geschichte aus Sicht des betroffenen Verfassers selbst im Stile der rapspezifischen Kulturpraxis des ‚Storytelling‘24 erwarten. 11.3.2 Text- und Flowanalyse Damit korrespondierend beginnt der Track mit flächigen Synthesizersounds und Chorklängen, die mit einer sich wiederholenden Moll-Kadenz einen dramatischen Grundcharakter evozieren. Auch die Textebene unterstützt zunächst diese Erwartungshaltung: Bushido eröffnet den Text mit „Mir fließt das Ghetto durch die Pulsadern“25. Mit dieser intensivierenden Variante der Wendung ‚durch die Adern fließen‘ rückt er zunächst die eigene Person in den Mittelpunkt und impliziert einen autobiografischen Text. Mit dem Anschluss „ich gebe dir dafür die Schuld, Vater“ noch innerhalb desselben Taktes, wird eine semantische Verbindung suggeriert, die erst nach der nächsten Zeile „dass bei uns damals die Bullen da waren“ widerlegt wird. Mit jeder folgenden Zeile wird jedoch klarer, dass es sich bei diesem Stück um einen Boasting-Track handelt. Das ‚Ghetto‘ und damit assoziierte Vorstellungen von Illegalität („dass bei uns damals die Bullen

23 Vgl. https://www.offiziellecharts.de/titel-details-346136 [Stand 2016-07-28]. 24 Vgl. etwa Wiegel 2010, S. 102. 25 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden im Folgenden die Quellenangaben der zitierten Textpassagen reduziert. Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich sämtliche Zitate in Kapitel 11.3 auf den analysierten Track (Bushido, „Alles verloren“, Album „7“, Ersguterjunge 2007).

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da waren“) und Überlebenskampf werden als Quelle besonderen Stolzes inszeniert. „So wie ich ist diese halbe scheiß Nation“ rappt Bushido weiter und inszeniert sich damit als Sprachrohr und Vertreter einer größeren Gemeinschaft, die er im Folgenden noch weiter beschreibt. Dementsprechend wechselt er unvermittelt von der Ich- zur Wir-Perspektive und modifiziert die Wendung ‚Tropfen auf den heißen Stein‘ zu „wir sind den heißen Tropfen auf dem kalten Stein gewohnt“, womit die Kombination von Blut und Straßenteer angedeutet sein könnte. Mit „Lass doch mal die Lügen sein“ wechselt der Rapper erneut die Sprecherperspektive. Ob diese Forderung an den bislang einzigen direkt Angesprochenen, den Vater, gerichtet ist, erschließt sich nicht unmittelbar. Die daran anschließende Zeile „wir knacken dafür keine Schlösser und das SEK tritt dafür keine Türen ein“ impliziert hingegen vielmehr ein Gegenüber aus Politik oder Justiz, das stellvertretend angeklagt wird. „Sag mir endlich, wann kommt Ali aus dem Knast?“ fährt der Rapper fort und vollzieht damit erneut einen scheinbaren Themenwechsel. Auf diese Weise bleibt jedoch auch die gedankliche Verbindung zu dem erwähnten Knacken von Schlössern und dem SEK-Einsatz aktuell. In „ich hoffe nur, ich geb dir mit dem Lied ein bisschen Kraft“ vollzieht Bushido noch einmal einen Wechsel des Adressaten. Diesmal wird offensichtlich „Ali“ angesprochen und damit die Glaubwürdigkeit des Gesagten unterstützt. „Ich bin der, der die Regeln bricht“ rappt Bushido weiter und lässt unmittelbar darauf eine Pause folgen. Durch das Freilassen der eigentlich akzentuierten dritten Zählzeit (vgl. hierzu Kap. 4.4) erhält diese Behauptung eine zusätzliche Betonung und erweckt an dieser Position, unmittelbar nach den Hinweisen auf einen Inhaftierten, den Eindruck eines Boastings. Die Fortführung „und du wirst angehalten, weil du als Kanake in ‘nem AMG-Mercedes sitzt“ eröffnet eine zweite Lesart: Versteht man die Anrede ‚du‘ nicht als Mittel der Gegenüberstellung im Sinne einer geboasteten Ich/Du-Positiv/Negativ-Dichotomie (vgl. Kap. 5), sondern als Solidarisierungs- und Identifikationsmarker, können diese Zeilen als sozialkritische Anklage des nonkonformen Individualisten gegen Diskriminierung gelesen werden. Die Eigentitulierung als „Kanake“ ist dabei – ähnlich wie für die Selbstbezeichnung als ‚Nigger‘ innerhalb des HipHop beschrieben26 – Kennzeichen einer selbstbewussten Aneignung und enthierarchisierenden Umdeutung einer vormaligen Diffamierung. „Du bist für sie nur wie Dreck und sie schließen dich weg“ spielt auf anklagende und solidarisierende Weise erneut auf den Inhaftierten an. Mit dem Zusatz „und dann wird mir gesagt, ich handel nicht politisch korrekt“ wird zum einen die Ungerechtigkeit angeprangert, aufgrund der eigenen Herkunft benachteiligt und diskriminiert zu werden. Gleichzeitig wird

26 Vgl. etwa Grimm 1998, S. 99.

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jedoch durchaus profilstrategisch an die eigene Nonkonformität erinnert. „Wie gern würden mich die Wichser in die Zelle bringen, weil in meiner Fangemeinde eh nur Kriminelle sind“ boastet Bushido weiter. Auf diese Weise inszeniert sich der Rapper zum einen selbst als unantastbarer ‚Outlaw‘, solidarisiert sich nach innen verbal mit ‚Kriminellen‘ und suggeriert gleichzeitig nach außen hin eine konsistente, imponierende Hörerschaft. Noch einmal wechselt der Rapper den Adressaten und rappt in Richtung staatlicher Repräsentanten als implizite Gegner „Ihr seid nur unzufrieden, deswegen wollt ihr mir den Mund verbieten“ und bereitet damit die finalen Worte der ersten Strophe vor: „Ich hab’ keine Lust, meinen Mund zu schließen.“ Mit dieser sprachlichen Pointe an musikalisch herausgehobener Stelle inszeniert sich der Rapper als selbstbewusster, subversiver Individualist und stellt sich als nonkonformes „Sprachrohr einer marginalisierten Jugend“27 dar. Mit repetierten, figurativen und rhetorischen Fragen sowie semantisch zweifelhaften Kausalsätzen zeichnet Bushido im Refrain ein düsteres Bild vom hoffnungslosen Leben im unspezifischen, als „Ghetto“ bezeichneten Milieu, das geprägt ist von Arbeits- und Perspektivlosigkeit. Bereits mit der ersten Zeile „Mir fließt das Ghetto durch die Pulsadern“ beginnt der Rapper ein für Außenstehende schwer verständliches Spiel um Zugehörigkeit und Distanz. Während er sich auf der einen Seite mit sozial Marginalisierten solidarisiert – unmittelbar genannt werden etwa inhaftierte ‚Kriminelle‘ und Arbeitslose – stellt er gleichzeitig dadurch auch eine Distanz her, dass er, „der die Regeln bricht“, sich als von der Justiz unantastbar und, durch den Verweis auf Status-Symbole („AMGMercedes“), von Arbeitslosigkeit und Geldsorgen unbehelligt darstellt. Durch die formale Adressierung des Refrains an ignorante und unwissende Außenstehende inszeniert sich Bushido als Sprachrohr der Marginalisierten. Die wörtlichen Wiederholungen von „Kannst du das Ghetto seh’n?“, sowie die Reduktion auf „kannst du es seh’n“ und lautliche Variationen wie „kannst du im Ghetto sehn“ dienen nicht nur der inhaltlichen Intensivierung, sondern auch klanglichen Zielsetzungen.

Notenbeispiel 31: Bushido – „Alles verloren“ – Betonungen/Flow

27 Gossmann 2012, S. 90.

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In Notenbeispiel 31 ist die Akzentstruktur der ersten beiden Takte des Refrains dargestellt. Durch die Positionierung des Textes synchron und asynchron zu den unterschiedlichen ‚natürlichen‘ Schwerpunkte des musikalischen Metrums (vgl. Kap. 4.4) ergibt sich ein interessantes Betonungsgefüge. Es sind drei verschiedene Akzentarten zu erkennen: Akzente zu Beginn der Phrasen („Kannst“, „Kannst“, „Kannst“), Akzente durch lange Vokale und Notenwerte am Ende der Phrasen („seh’n“, „seh’n“, „[ver-]kommt“, „[ver-]lor’n“) und schließlich regelmäßige Wortbetonungen, die mit den natürlichen Schwerpunkten des Taktmetrums übereinstimmen („Ghe[-tto]“, „Kannst“, „Ghe[-tto]“, „alles“, „alles“). Aus auditiv-rezeptiver Sicht interessant sind vor allem die unregelmäßigen Betonungen zu Beginn und am Ende der Phrasen. Rezeptionsästhetisch wirkungsvoll ist in erster Linie das Spiel mit Konvergenz und Divergenz zwischen betonten Klängen der Rapstimme und den Betonungen des zugrunde liegenden Metrums. So fällt etwa auf, dass bei gleichem klanglichem Material der Kette aus dreimaligem „Kannst“ durch die spezifische Positionierung ein unterschiedliches Klangerlebnis produziert wird. Im zweiten Takt hingegen ist es gerade die repetitive Regelmäßigkeit der Betonungsstruktur von „alles verkommt“ und „alles verlor’n“, die aufgrund des unterschiedlichen Inhalts eine interessante Wirkung entfaltet. Die Flowanalyse des Refrains zeigt also, dass auch hier das „Primat des Klangs“ (vgl. Kap. 1.1.1) wirksam ist und liefert entsprechend die Begründung für semantisch vage oder zweifelhafte Formulierungen. So wird etwa das Bild des ‚Verkommens‘ in „Kannst du […] seh’n wie alles verkommt“ inhaltlich nicht vorbereitet und erschließt sich nur indirekt als serielles Element einer Kette von Beschreibungen des Verfalls und der Destruktion. Verfolgt man die weitere klangliche Gestaltung der Hook, liegt der Schluss nahe, dass „wie alles verkommt“ in erster Linie als Assonanz zu der später erscheinenden korrespondierenden Wendung „dem Alltag entkomm’n“ eingebaut wurde. Auch die anschließende Begründung „denn sie hat alles verlor’n“ ist trotz intuitiv wahrnehmbarer Nähe zum Sujet kausal nicht schlüssig. Ähnliches gilt für die Parallelstellen „denn er hat alles verlor’n“ und „Wir haben alles verlor’n.“ im weiteren Verlauf des Refrains, die als thematische Konstituente eine Brücke zum Titel des Stückes schlagen. Durch den anklagenden Impetus und die offensichtliche Adressierung der Hook an Außenstehende werden die erwähnten dritten Personen („sie“, „er“) zu stellvertretenden, figurativen Abstrakta, zu Stereotypen des hoffnungslosen Lebens im ‚Ghetto‘. „Kannst du die Tränen sehn“ ist eine Variation der ersten Zeile der Hook und unterstreicht auf diese Weise die implizite Verbindung von ‚Ghetto‘ und ‚Leid‘. Die erwähnten Tränen werden kontextuell mit einer weiblichen Person verknüpft über die Bushido rappt „sie würde nur zu gern dem Alltag entkommen, sie wartet auf ihre Chance.“. Hier offenbart sich

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wie an anderen Stellen eine Diskrepanz zwischen gewählter Formulierung und semantischem Gehalt: Sie – also die im Ghetto lebende Frau, über die zunächst erwähnt wurde, dass sie „alles verlor’n“ habe – möchte vermutlich in erster Linie aus dem entkommen, was ihren Alltag ausmacht: Missstände und Entbehrungen. Der Rapper wählt jedoch die Wendung „dem Alltag entkommen“ und die häufig verharmlosende Floskel „nur zu gern“, als beschriebe er eine Frau, die der Routine, der Gleichförmigkeit entfliehen möchte, um etwas Aufregenderes zu erleben. In der Thematisierung des männlichen Protagonisten wiederum, „kannst du es sehn wie er den Job jetzt verliert, denn er hat alles verlor’n.“, fällt zunächst das Adverbial ‚jetzt‘ auf, das in diesem spezifischen Kontext fremd wirkt. Nach den beschriebenen vielfachen Perspektivenwechseln in der ersten Strophe wirkt der Refrain insofern homogen, als dass er einheitlich aus Sicht eines anklagenden Erzählers gestaltet scheint, der stellvertretend für die Menschen im sozialen Milieu des ‚Ghettos‘ eine Frau und einen Mann beschreibt, die stereotype Situationen durchleben. Lässt man sich als Rezipient auf diesen Deutungsrahmen ein, ist nicht schlüssig, warum ‚jetzt‘, also zu einem implizierten fixen Zeitpunkt der Verlust des Jobs eintrifft. Aus einer Situation heraus, die aufgrund ihres exemplarischen Charakters scheinbar der Zeitlichkeit enthoben erscheint, führt der Rapper plötzlich unvermittelt einen Marker zeitlicher Prozesshaftigkeit ein und stellt damit den antizipierten Deutungsrahmen in Frage. Statt einer narrativ-rationalen Erklärung für das beschriebene ‚Ereignis‘ folgt mit „denn er hat alles verloren“ vielmehr eine Folge der Ereignisse. Die Flowanalyse kann wieder eine mögliche Erklärung liefern: Vergleicht man die rhythmische Struktur einzelner Takte des Refrains, so erklärt sich das Einfügen des inhaltlich redundanten Wortes „jetzt“ damit, dass auf diese Weise dasselbe wiederkehrende rhythmische Muster entsteht wie in den Parallelstellen, was einen gleichmäßigeren Flow ermöglicht (vgl. Nb. 31, Takte 2, 4, 6, und 8).

Notenbeispiel 32: Bushido – „Alles verloren“ – rhythmische Struktur

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Bushido schließt den Refrain mit den Worten „und jetzt sag mir nochmal, ich schau nicht nach vorn, wir haben alles verloren“. Er scheint damit Bezug zu nehmen auf einen Vorwurf, den er aber gleichzeitig auch wieder bestätigt, denn mit der abschließenden Variante „wir haben alles verloren“ wird klar, dass der Fokus tatsächlich auf den aktuellen oder kürzlichen Ereignissen liegt und nicht auf einer optimistischen, in die Zukunft gerichteten Lebenseinstellung.

11.4 „F ÜR

IMMER JUNG “

11.4.1 Hintergrund Mit einer Spitzenposition von Rang 5 der deutschen Charts gehört der Track „Für immer jung“ (Bushido, „Für immer jung“) von dem Album „Heavy Metal Payback“ (Ersguterjunge 2008), der auch als Single (Bushido, „Für immer jung“, Single „Für immer jung“, Ersguterjunge 2008) veröffentlicht wurde, zu den erfolgreichsten Produktionen Bushidos.28 Er erhielt für die Single und das Musikvideo zwei „Juice Awards“ des Szenemagazins „Juice“ in den Kategorien ‚Single national‘ und ‚Video national‘.29 Diese Auszeichnungen basieren auf Leserabstimmungen und können als Indikator für die Akzeptanz der Rezipienten gelesen werden. In der 2012 erschienenen „inoffiziellen Bushido-Biografie“ resümieren die Autoren: „‚Für immer jung‘ zusammen mit Karel Gott war eine rundum positive PR-Bombe für Bushido und auch für die deutsche Rapmusik ganz allgemein.“30 Dieses Stück basiert auf dem vielfach gecoverten englischsprachigen Original der deutschen Synthie-Pop-Gruppe Alphaville aus dem Jahr 1984, „Forever Young“ (Alphaville, „Forever Young“). In dieser Produktion arbeitet der Rapper mit dem tschechischen Schlagersänger Karel Gott zusammen, der den Refrain des Stückes interpretiert.31

28 Vgl. https://www.offiziellecharts.de/titel-details-520718 [Stand 2016-07-28]. 29 Vgl. Fuchs-Gamböck/Rackow/Schat, S. 155. 30 Ebd., S. 99. 31 Seit 2010 kursiert im Internet eine weitere Version als Freetrack, dessen Refrains von einem Kinderchor gesungen werden und dessen Raptext sich deutlich unterscheidet (Bushido, „Für immer jung“, Freetrack, online verfügbar unter https://www.youtube. com/watch?v=aQWoQACFYec [Stand 2016-05-02]).

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11.4.2 Textanalyse Das Stück beginnt mit einem Intro, das aus der zweimaligen Abfolge der dem Stück zugrunde liegenden Harmonisierung zusammengesetzt ist. Die benutzten Klänge stammen überwiegend aus dem Klangspektrum klassischer Instrumente eines Sinfonieorchesters: Die flächigen Harmonien werden mit Streicher-Synthesizer-Klängen wiedergegeben, zwischen der ersten und der zweiten Harmoniefolge liefern künstliche Kesselpauken eine orchestrale musikalische Füllstimme. Auf das Intro folgt der vom Schlagersänger eingesungene Refrain des Stückes. Dieser besteht im Wesentlichen – abgesehen von einem markanten Sextvorhalt in der Melodie auf dem vierten Harmonieklang – aus der Melodie des Originals, allerdings mit einem ins Deutsche übertragenen Text: Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer. Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer jung. (Karel Gott in Bushido feat. Karel Gott, „Für immer jung“, Album „Heavy Metal Payback“, ersguterjunge 2008)

Hierbei handelt es sich weder um eine wort- noch sinngetreue Übersetzung, sondern vielmehr um eine relativ freie Übertragung.32 Durch die Aufforderung der Rückbesinnung auf Vergangenes („Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer jung.“33), gesungen von einem Mann in gesetztem Alter, erhält der Refrain einen speziellen Impetus und begünstigt so die bedeutungsvolle Atmosphäre des Stückes sowie des Raptextes. Gleich mit der ersten Textzeile der Strophe „Du scheißt auf die, die sinnlos reden, denn du bleibst ein Mann der Tat.“ wird eine Opposition zu jenen aufgebaut, „die sinnlos reden“. Mit diesem impliziten Vorwurf und der Formulierung „du scheißt auf die“ entsteht eine aggressive Grundstimmung. Der „Mann der Tat“ steht hier für den Prototyp des tatkräftigen Arbeiters, dem Ideal des sprichwörtlichen ‚kleinen Mannes‘, der sein Schicksal selbst in die Hand nehmen will. Ob das lyrische Du, wie im Großteil der Raptexte, für andere Rapper bzw. ein

32 Der Originaltext des Refrains lautet: „Forever young, I want to be forever young. Do you really want to live forever? Forever and ever.“ (Alphaville, „Forever Young“). 33 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden im Folgenden die Quellenangaben der zitierten Textpassagen reduziert. Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich sämtliche Zitate in Kapitel 11.4 auf den analysierten Track „Für immer jung“ (Bushido feat. Karel Gott, „Für immer jung“, Album „Heavy Metal Payback“, ersguterjunge 2008).

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theoretisches Gegenmodell oder aber für eine konkrete Person bzw. stellvertretend für einen bestimmten Typus Mensch steht, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar zu erkennen. Das alltagspragmatisch verkürzte Adverb ‚grad‘‘ in „arbeitest grad’ hart“ mit der Bedeutung ‚zur Zeit‘, ‚jetzt‘ suggeriert eine zeitliche Begrenzung, obwohl der übrige Teil des Textes in einer poetischen Allgemeingültigkeit bleibt. So liegt der Schluss nahe, dass die Komposition „grad’ hart“ aufgrund lautlicher Erwägungen eingefügt wurde, da sie die Folge von Assonanzen mit kurzem ([a]) und langem Vokal ‚a‘ ([a:]) von „Mann der Tat“ und „gottverdammten Tag“ ergänzt. Fluchen („den ganzen gottverdammten Tag“) wie Beleidigungen („das Schwein von Chef“) unterstützen den angelegten aggressiven Grundton. Die Wendung ‚seine Laune an jemandem heraus lassen‘ ist eine Variation der gängigen Redewendung ‚seine Laune an jemandem auslassen‘. Sie ist ein Beispiel für das bei Bushido häufiger anzutreffende Phänomen, dass er konventionalisierte Redewendungen leicht variiert benutzt. Auch wenn sich dem Hörer intuitiv der semantische Inhalt der Phrase „Bei deiner Frau ist Funkstille, Trauer.“ erschließt, fällt dennoch auf, dass der Rapper hier, wie auch an anderen Stellen zu beobachten, einen Ausdruck wählt, der zwar dem gleichen semantischen Feld entspringt, jedoch im Grunde nicht ganz treffend ist, da hierbei ‚Traurigkeit‘ mit ‚Trauer‘ gleichgesetzt wird. Allerdings ist dieses Wort Teil des Reimpaares „Trauer“/„aufzulauern“ und vermutlich vor allem aufgrund des ‚Primats des Klangs‘ (vgl. Kap. 1.1.1) gewählt worden. Die Metapher der ‚Funkstille‘ wiederum steht eigentlich für einen mangelnden Dialog zwischen Kommunikationspartnern und damit für eine Kommunikationssituation und nicht für einen Zustand, in dem sich eine Person befindet. „Geht sie fremd?“ fragt der Rapper und suggeriert damit einen Sprecherwechsel, als habe er die Position des Betroffenen eingenommen, während er mit der folgenden Frage vielmehr die Rolle eines allwissenden Erzählers einzunehmen scheint: „Hast du echt noch Kraft dem Hund aufzulauern?“34 Mit dem als logische, standardmäßige Reaktion vorgestellten ‚Auflauern‘ des Liebhabers, wird auf eine stereotypisierte, männliche Handlungsstrategie referiert, die körperliche Aktionen und physische Gewalt impliziert. An dieser Stelle ist ein kurzer Exkurs bezüglich des Topos der Ehre in Bushidos Schaffen vonnöten. In der gemeinsam mit Lars Amend erstellten Au-

34 Die Bezeichnung ‚Hund‘ ist ein vielfach benutztes Schimpfwort bei Bushido, das vor allem auf die Erniedrigung des Diffamierten abzielt: „Runter wie ein Hund!“ (Bushido, „H.E.N.G.Z.T.“), „Du bist ein Hund, wenn du verzeihst.“ (Bushido, „Gibt es dich?“), „Ihr seid alles Hunde“ (Bushido, „Drogen, Sex, Gangbang“).

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tobiografie35 greift der Rapper mehrfach dieses Thema auf, vor allem in den Sinnzusammenhängen „Stolz und Ehre“36 und „Ehre und Anstand“37. Da eine systematische Betrachtung von Bushidos Ehrbegriff den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde, sei hier lediglich darauf hingewiesen, dass dieser Topos insgesamt eine wichtige Rolle bei Bushido zu spielen scheint. Dabei nennt der Rapper in seinen Texten verschiedene Spezifikationen wie die ‚GangsterEhre‘ („Junge, du hast nicht die Ehre eines Gangster“ – Bushido, „H.E.N.G.Z.T.“), die ‚Kanaken-Ehre‘ („Für Tracks mit Fler hast du die Kanaken-Ehre verkauft“, ebd.) oder die Ehre der Mutter („Eure Mütter haben keine Ehre wie bei ‚Frauentausch‘“ – Bushido in Chakuza, Eko Fresh & Bushido, „Vendetta“)38. Insofern kann der lediglich angedeutete individualistische Ehrbegriff Bushidos nicht vollständig beschrieben, als zugrunde liegende psychischemotionale Kategorie jedoch in einigen Kontexten als präsent und wirksam konstatiert werden. Am deutlichsten wird Bushido bezüglich der ‚Ehre der Frau‘: In „Gibt es dich?“ (Bushido, „Gibt es dich?“) fragt er „warum heutzutage keine Frau ‘was auf die Ehre gibt“ und erklärt in den darauffolgenden Zeilen: ich will nur eine die mich respektiert / die weiß, dass Freundschaft zwischen Mann und Frau nicht existiert / die nicht fremd geht, Flirten ist schon Fremdgehen. / Nur ein Blick reicht und ich lasse diesen Menschen stehen. (Bushido, „Gibt es dich?“, Album „7“, Ersguterjunge 2007)

Diese und weitere Konzepte scheinen stets rückbezüglich und relevant in Bezug auf die Ehre als Mann und Rapper. Daraus resultierend kommt Bushido in „Gibt es dich?“ (Bushido, „Gibt es dich?“) schließlich zu dem Schluss „deine Frau geht fremd. / Du bist ein Hund, wenn du verzeihst.“ Auf diesem Hintergrund sind auch das ‚Auflauern‘ und Stellen des Geliebten der eigenen Frau durch den Betrogenen als ‚ehrenhafte‘ patriarchale Aktionen zu verstehen. „Die Kinder ham dich auch belogen“, fährt der Erzähler fort und lässt auf die alltagssprachliche Verkürzung eine Reihe von Beispielen folgen: „Egal ob Rauchen, Party, Saufen, Drogen.“ Was an anderen Stellen Insignien jugendlichen Verhaltens und erstrebenswerte Kategorien der Partygeneration sind (vgl.

35 Amend/Bushido 2008. 36 Ebd., S. 236. 37 Ebd., S. 355. 38 Der Rapper spielt an dieser Stelle auf das Sendeformat „Frauentausch“ des Fernsehsenders RTL II an (vgl. http://www.rtl2.de/533.html [Stand 2016-05-25]).

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Kap. 2.2.1), ist in diesem Fall negativ konnotiert, weil es hier um den Schutz der eigenen Kinder geht. „So hast du dein Blut nicht aufgezogen.“ konstatiert der Rapper und referiert mit der Metapher ‚des eigenen Bluts‘ auf einen Ehrbegriff im Kontext der Familie. Anschließend beschreibt er an einem plastischen Beispiel das offensichtlich verurteilungswürdige Verraten der eigenen Ideale: „Früher Collegejacken, jetzt der Anzug, du erkennst dich nich’.“ Die Collegejacke steht hier für jugendliche Überzeugungen (s. Abb. 10), der Anzug als Symbol für Bodenständigkeit, Biederkeit und Erwachsenenwelt (vgl. Kap. 2.2.1).

Abbildung 10: Bushido – CD-Cover: Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003

Bushido scheint für sich selbst als in der Öffentlichkeit stehende Person zwischen zwei unterschiedlichen profilrelevanten Assoziationsfeldern zu unterscheiden: Zum einen steht dabei der Anzug wie in diesem Textbeispiel für Seriosität und teilweise Synchronisierung mit den Regeln und Normen der Erwachsenenwelt, etwa wenn der Musiker, wie häufiger zu beobachten, bei Fernsehauftritten einen Anzug trägt.39 Gleichzeitig ist der Anzug allerdings auch ein Symbol für den vermeintlich erfolgreichen, mitunter mafiös-kriminellen Geschäftsmann, als der sich Bushido etwa im Musikvideo zu dem gemeinsamen Track mit Sido „So mach ich es“ (Sido & Bushido, „So mach ich es“) oder auf dem CD-Cover des Albums „Zeiten ändern dich“ (Ersguterjunge 2010) inszeniert (s. Abb. 11).

39 Etwa in der Sendung „3 nach 9“ des hr vom 25.01.2008.

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Abbildung 11: Bushido – CD-Cover: Album „Zeiten ändern dich“, Ersguterjunge 2010

Darüber hinaus ist der Musiker auch im Musikvideo zu diesem Track, das – neben Backstage-Bildern, semi-privaten Videos und Aufnahmen von Bushido im Studio – den Sänger in einem schwarzen Oldtimer chauffiert zeigt, im Anzug am Steuer einer ebenfalls schwarzen Limousine zu sehen und wird so als erfolgreicher und wohlhabender Musiker in Szene gesetzt. 40 „Dieses Leben ist halt einfach kalt und schwer“ rappt Bushido weiter. Durch die Partikel ‚halt einfach‘ wird der Eindruck eines lebenserfahrenen Sprechers suggeriert. Das Leben wird als „kalt“ bezeichnet, wobei sich dieser poetische Ausdruck nicht unmittelbar semantisch erschließt. Auch hier kann das ‚Primat des Klangs‘ als Ursache vermutet werden, da auf diese Weise fünfsilbige Assonananzen in „einfach kalt und schwer“ und „ein Paar Falten mehr“ realisiert werden. Mit einem der populärsten metaphorischen Bilder für Freiheit wendet sich der Rapper am Ende seiner Rapstrophe noch einmal mit einer rhetorischen Frage an das lyrische Du: „Sag, wie gern würdest du jetzt frei wie ein Adler fliegen“ und schließt mit der Wendung „kein’ Gedanken mehr verschwenden, irgendwann im Sarg zu liegen?“ Diese Formulierung ist grammatikalisch fehlerhaft (‚Gedanken verschwenden‘ mit Infinitivkonstruktion), fügt sich jedoch rhythmisch in den Flow des Stückes. Mit dieser Zeile wird inhaltlich die Brücke zur Hook des Stückes geschlagen, in der der Wunsch nach Unsterblichkeit thematisiert wird. 40 Musikvideo verfügbar etwa auf der Single (Single „Für immer jung“, Ersguterjunge 2008) und unter http://www.kingbushido.tv/blog/?portfolio=fur-immer-jung-feat-ka rel-gott [Stand 2016-05-20].

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11.4.3 Flowanalyse Um weitere Aussagen über Bushidos Phrasierung und den spezifischen Flow treffen zu können, wird im Folgenden eine rhythmische und klangliche Analyse des Rap zusammengefasst. Zunächst eine grobe Übersicht der Reimstruktur: 1

Du scheißt auf die, die sinnlos reden, denn du bleibst ein Mann der Tat.

2

Arbeitest grad’ hart, den ganzen gottverdammten Tag.

3

Du fühlst dich alt und schwach, du fühlst dich ausgelaugt.

4

Und das Schwein von Chef lässt an dir die schlechte Laune ‘raus.

5

Was für ein Pausenclown. Zehn Jahre Blut und Schweiß.

6

Du kuckst in den Spiegel, dieser Blick sagt: Genug, es reicht.

7

Bei deiner Frau ist Funkstille, Trauer.

8

Geht sie fremd? Hast du echt noch Kraft dem Hund aufzulauern?

9

Die Kinder ham dich auch belogen: Egal ob Rauchen, Party,

10

Saufen, Drogen. So hast du dein Blut nicht aufgezogen.

11

Jeder denkt an sich, doch wer denkt an dich?

12

Früher Collegejacken, jetzt der Anzug, du erkennst dich nich’.

13

Dieses Leben ist halt einfach kalt und schwer

14

und jedes Jahr komm’ jetzt ein Paar Falten mehr.

15

Sag, wie gern würdest du jetzt frei wie ein Adler fliegen,

16

kein’ Gedanken mehr verschwenden, irgendwann im Sarg zu liegen?

(Bushido feat. Karel Gott, „Für immer jung“, Album „Heavy Metal Payback“, ersguterjunge 2008)

Die Einteilung der Zeilen ist in ‚phrasischer Darstellung‘ (vgl. Kap. 1.2.1) wiedergegeben, sodass schnell erkennbar wird, dass bis auf eine Ausnahme die einbis fünfsilbigen Reimkonstituenten stets in am Ende der Zeile, also im Bereich der 4. Zählzeit des jeweiligen Taktes stehen (‚poetologischer Kulminationspunkt‘, vgl. Kap. 4.4). Lediglich zwischen Zeile 9 und 10 findet eine Verschiebung statt, sodass die betonten Reimsilben „Saufen, Drogen“ erst im nachfolgenden Takt auf die 1. Viertel platziert werden. Notenbeispiel 33 stellt die rhythmische Struktur der ersten Rapstrophe des Stückes dar und zeigt dieses Phänomen anschaulich in den Takten 9 und 10. Die Markierungen verdeutlichen die Lage der jeweiligen Primärreime (vgl. Kap. 4.4), die in fast allen Fällen paarige Endreime sind.

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Notenbeispiel 33: Bushido – „Für immer jung“ – Lage der Endreime

Wie dieses Notenbeispiel zeigt, etabliert der Rapper überwiegend einen gleichmäßigen Sechzehntel-Flow, der nur an wenigen Stellen einer alltäglicheren Sprachrhythmisierung angenähert wird, wie in den Takten 3, 8, 9, 11 und 12, näherungsweise dargestellt durch eine triolische Notierung. Mit dem ersten Takt der Rapstrophe führt Bushido die oben erwähnte regelmäßige Platzierung der Endreim auf die letzte Viertel ein. Durch die Dreigliedrigkeit endet die letzte Silbe zunächst konsequent auf der Achtel nach der 4. Zählzeit. Diese Strukturierung behält er bis zum 7. Takt bei, wo er zum ersten Mal eine zweigliedrige Reimkonstituente einsetzt und auftaktig fortfährt. In den Takten 9 und 10 schließlich findet die oben erwähnte Verschiebung statt: Indem Bushido durch die Reime nicht die übliche Zweiteilung in jeweils 4 Viertel (Endreim auf Zählzeit 4 des jeweiligen Taktes), sondern eine Dreiteilung in 2, 3 und 3 Viertel vornimmt, entsteht eine Positionierung der Reimkonstituenten „auch belogen“, „Saufen, Drogen“ und „aufgezogen“ auf Zählzeit 2 des ersten (Takt 9) und die Zählzeiten 1 und 4 des zweiten Taktes (Takt 10). Danach sind die jeweils innerhalb der Reimkonstituente am stärksten betonten Silben „denkt“, „[er-]kennst“, „schwer“, „mehr“, „A[-dler]“ und „Sarg“ wieder konsequent auf die 4. Zählzeit positioniert.

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Notenbeispiel 34: Bushido – „Für immer jung“ – rhythmische Struktur

Wie Notenbeispiel 34 verdeutlicht, ist der zugrunde liegende Drum-Beat des Stückes in Sechzehnteln quantisiert.41 Insgesamt kann man festhalten, dass sich Bushido mit seiner Rhythmisierung des Rap generell stark an diesem Grundmuster orientiert. Im Notenbild erkennbare Abweichungen (annäherungsweise dargestellt durch triolische Strukturen in den Takten 3, 8, 9, 11 und 12) ergeben sich offensichtlich aus der, dem natürlichen Sprachduktus angeglichenen, Artikulation einzelner Worte oder Phrasen.42 So erklärt sich beispielsweise in Takt 3 die intuitive Rhythmisierung von „alt und schwach“, sowie von „ausgelaugt“: Durch die Artikulation des Klanges ‚schwa-‘, die eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, erscheint die Sechzehntelnote zu „schwach“ im Notenbild zeitlich nach hinten verschoben, ebenso, wie sich der zwischen den ersten beiden Silben leicht gedehnte Rhythmus von „ausgelaugt“ aus dem normalen Sprechrhythmus ergibt.43 Die erste prägnante Silbe der Rap-Strophe – „scheißt“ auf die schwere Zählzeit 1 des ersten Volltaktes – eröffnet mit einem ‚ei‘-Diphthong ([aɪ]) eine Kette von Assonanzen („scheißt“, „bleibst ein“, „Arbeitest“), die sich über die beiden ersten Zeilen erstreckt und später wieder aufgegriffen wird. Diese beiden Zeilen sind dominiert von den Reimkomposita, zusammengesetzt aus einem kurzen a-Vokal ([a]) und darauffolgendem langen a-Vokal ([a:]) in „Mann der Tat“, „grad’ hart“ und „gottverdammten Tag“, die von weiteren kurzen aKlängen begleitet werden („Arbeitest“, „ganzen“). Außerdem arbeitet Bushido hier mit Alliterationen („die, die“, „denn du“, „ganzen gottverdammten“). Der im 1. Takt eingeführte Sechzehntel-Flow wird in Takt 2 sofort wieder durch eine 41 Dies ist vor allem zu erkennen an dem durchgängigen Sechzehntelraster der Hi-Hat, hier dargestellt durch Notenköpfe in Form von Kreuzen. 42 Vgl. Kautny 2009, S. 153. 43 Eine Rhythmisierung des Wortes ‚ausgelaugt‘ mit drei exakt gleich langen Notenwerten würde beim Hören als künstlich und unnatürlich wahrgenommen werden.

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Zäsur unterbrochen: Die Beschreibung „Arbeitest grad’ hart“ ist on-beat auf die schwere erste Zählzeit gesetzt, wodurch die beiden a-Klänge von „arbeitest“ und „hart“ jeweils auf einer Viertel des Taktes positioniert sind. Diese betonte Stellung ist kombiniert mit einer klanglichen Engführung des dominanten aKlanges („grad’ hart“) und einer darauffolgenden Pause, die den Eindruck eines Bruchs noch verstärkt. Zeile 3, im Notenbeispiel Takt 3, ist sprachlich und musikalisch synchron gestaltet: Die identischen Worte „du fühlst dich“ werden jeweils auf das zweite Sechzehntel nach der Hauptzählzeit (Zählzeit 1 bzw. 3) gesetzt und weisen daher ein metrisch fast identisches Betonungsmuster auf. Ähnliches kann man in Zeile 11 (im Notenbeispiel 33 Takt 11) beobachten. Auch hier werden die beiden sprachlich sehr ähnlichen Phrasen „jeder denkt an sich“ und „doch wer denkt an dich“ rhythmisch so im Metrum verteilt, dass gleiche Betonungsstrukturen entstehen. Im Fall der freien Zählzeiten 1 und 3 in Takt 3 liegt der Schluss nahe, dass sich diese Pausen durch die metrische Platzierung der beiden jeweils gleichen Phrasen „du fühlst dich“ ergab, die auftaktig – also off-beat – gesetzt werden mussten, um die jeweiligen nachfolgenden Adjektive („alt und schwach“, „ausgelaugt“) auf die betonteren Viertel platzieren zu können. Die Diffamierung „was für ein Pausenclown“ in Zeile 5 wurde vermutlich aus klanglichen Gründen gewählt. Sie reiht sich ein in die um den Diphthong ‚au‘ ([aʊ]) gestaltete Assonanzkette „ausgelaugt“ und „Laune ‘raus“ und verknüpft auf diese Weise klanglich die Zeilen 3 bis 5. Dieser Diphthong spielt später, in den Zeilen 7 bis 10, noch einmal eine Rolle. Die Redewendung „Blut und Schweiß“ eröffnet am Ende von Zeile 5 das Reimpaar, das mit den Worten „genug, es reicht“ in Zeile 6 geschlossen wird. Die Zeilen 7 und 8 (die Takte 7 und 8 im Notenbeispiel) sind sprachlich wie rhythmisch miteinander verwoben. Es dominieren Formulierungen mit dem Diphthong ‚au‘ ([aʊ]: „Frau“, „Trauer“, „aufzulauern“), wobei das Endreimpaar „Trauer“/„aufzulauern“ durch die Verschiebung des Akzentes von der bis dahin konsequent auf das Achtel nach der Zählzeit 4 gesetzten Reimsilben hier nun direkt auf die vierte Viertel des Taktes und die auftaktige Verschränkung durch die erste der beiden Fragen („Geht sie fremd?“) in den Hintergrund rückt. Aus flowanalytischer Perspektive fallen außerdem die Displatzierungen der Zeilen 12 bis 14 auf, die in Kapitel 4.4 bereits eingehend untersucht wurden.

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11.5 F AZIT Im Vergleich zu den Textproduktionen anderer Rapper des Korpus fällt auf, dass Bushidos Raptexte zahlreiche Diskontinuitäten, Inkonsequenzen und Paradoxa aufweisen. Vielfach ist etwa zwischen Titel des Stücks, Kernaussage der Rapstrophen und dem Inhalt des Refrains nur ein loser Zusammenhang erkennbar. Bushidos Raptexte sind häufig multi-thematisch und verfolgen keinen stringenten Erzählstrang. Außerdem wechseln Sprecherrolle und Adressaten in vielen Fällen abrupt und unmotiviert. Die verwendeten metaphorischen Bilder sind häufig semantisch zweifelhaft, modifizierte Redewendungen provozieren durch Ignorieren ihrer ursprünglichen Implikationen an einigen Stellen Verständnisprobleme. Der Umgang mit textlichen Pointen und die Positionierung von Schlüsselwörtern hingegen zeugen von einer großen Bewusstheit für erzielte Effekte und sind von enormer Bedeutung für das Profil des Künstlers. Seine Inszenierung als ‚Gangsta-Rapper‘, als unantastbarer ‚Outlaw‘ und „Sprachrohr“44 marginalisierter sozialer Gruppen basiert wesentlich auf metaphorischen und figurativen Bildern, die trotz logisch-semantischer Unregelmäßigkeiten intuitiv nachvollziehbar bleiben. Die Aneignung standardisierter Floskeln und Redewendungen erfolgt individuell und ist stark umgangssprachlich und soziolektal geprägt. Es erhärtete sich dabei der Eindruck, dass diese Modifikationen vielfach nicht mit den sprachlichen Variationen und poetischen Verfahren zu erklären sind, die in Kapitel 3 eingehender beschrieben wurden, sondern vielmehr einer soziolektal- bzw. ethnolektal beeinflussten Sprachvarietät entstammen. Bushido gilt sowohl in der öffentlichen Diskussion wie in akademischen Auseinandersetzungen als derjenige Rapper, der in Deutschland den ‚GangstaRap‘ erfolgreich etablieren konnte.45 Diese Beurteilung ist Ergebnis einer jahrelangen Profilbildungsstrategie, die ausgehend von klischierten und mythischen Vorstellungen eines als ‚authentisch‘ vorgestellten US-amerikanischen Originals, populäre Motive und Topoi rekontextualisiert und gleichzeitig als originär für sich beansprucht. Wenn also Bushido rappt „Das ist Gangsta-Rap“ (Bushido, „Alles verloren“) und „Ghetto – Ich war der erste Rapper hier in Deutschland, der dieses Wort in einen Text gepackt hat, ihr Heuchler!“ (Bushido, „Ein Mann Armee“) nutzt er damit die kulturspezifische Praxis des Boastings, um durch ein gezieltes Aktivieren und Aktualisieren konventioneller Deutungsrahmen und Assoziationsketten (Gangster – USA – Ghetto – Kriminali-

44 So bezeichnete sich der Rapper etwa in der ZDF-Sendung „Johannes B. Kerner“ vom 25.03.2008: „ich bin ja auch ein Sprachrohr“. 45 Vgl. etwa Wiegel 2010, S. 94.

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tät – Überlebenskampf) ein individuelles Profil zu gestalten. Er inszeniert sich als Trendsetter und Vorreiter eines Rap-Stils, der sich durch besondere sprachliche Härte sowie Vehemenz und Drastik der bedienten Bilder auszeichnet. Entgegen jeder Behauptung dieses als isoliert für sich stehenden Erfolgsprofils bewegt sich Bushido als Rapper dabei jedoch immer auch in einem kulturhistorischen und durch Konventionen strukturierten Kontext. Entsprechend sind die Kulturpraktiken, derer er sich bedient, wie das häufig sexualisierte Dissing und Boasting, und bestimmte kulturspezifische Standards – so etwa das Performen eines Flows, das Benutzen eines ‚natürlichen‘ Sprachstils, die Verwendung von verbalen Szenemarkern etc. – keineswegs neu und ungewöhnlich. Wie zuletzt die Analyse der drei exemplarischen Beispiele zeigte, ist vielmehr entscheidend, auf welche Weise sich Bushido der genannten Elemente bedient. So fällt etwa in dem Track „Bei Nacht“ (Bushido, „Bei Nacht“) auf, dass Bushido beim Boasting fast gänzlich auf ironische Brechungen verzichtet, die noch bis zur Jahrtausendwende beim Großteil und heute noch bei vielen der Rapper als integraler Bestandteil der obligatorischen ‚Ich bin der Beste‘Inszenierungen zu beobachten sind. Auf diese Weise vollzieht er den Schritt von ‚gewaltfokussierenden Boastings‘ zu ‚geboasteten Gewaltdarstellungen‘ (vgl. Kap. 9.1). Gegenstand der Boastings sind nicht mehr die raptechnischen Fähigkeiten des Rappers, sondern seine persönliche Prävalenz, die sich vor allem in der körperlichen und geistigen Überlegenheit manifestiert. Erstere wird durch Beispiele der eigenen physischen Stärke (‚performative Gewaltmanifestationen‘, vgl. Kap. 9.1), aber auch der erotischen Anziehungskraft und sexuellen Potenz untermauert. Letztere findet ihren Niederschlag in Inszenierungen als findiger Geschäftsmann, cleverer Krimineller und von der Justiz unantastbarer ‚Outlaw‘. Dabei dient ein drastischer, vulgärer und obszöner Sprachstil der Demonstration von Selbstbewusstsein, Aggressivität und Durchsetzungsvermögen und transportiert gleichzeitig Nonkonformität und Subversivität. Dementsprechend dominieren beim Dissing neben Darstellungen der gegnerischen Naivität und intellektuellen Unterlegenheit vor allem Angriffe auf körperliche Merkmale, sexuelle Potenz und die als Norm vorausgesetzte Heterosexualität des Opponenten. Das Stück „Alles verloren“ (Bushido, „Alles verloren“) ist ein exemplarisches Beispiel aus jener Phase seiner Karriere, in der Bushido als erfolgreicher Musiker und Geschäftsmann bereits bemüht war, seine Authentizität als Rapper und sein Image als ‚Gangsta‘ aus dem ‚Ghetto‘ aufrecht zu erhalten. Ähnlich wie Sido (vgl. Kap. 10.4) in der vergleichbaren Situation betont er seine subkulturellen Wurzeln und demonstriert offensiv Solidarität mit jenen sozialen Gruppen, die stellvertretend für Überlebenskampf und Marginalisierung stehen: Inhaftierte, Kriminelle, Menschen in sozialen Brennpunkten. Die Strategie, um seine Au-

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thentizität als erfolgreicher Rapper und Geschäftsmann und zugleich als „Junge“ von der ‚Straße‘, „der im Supermarkt in Kassen greift“ (Bushido, „Alles verloren“) nicht zu gefährden, besteht darin, sich als ‚Sprachrohr‘ zu inszenieren, als involvierter und auktorialer Erzähler zugleich Missstände anzuklagen sowie im Berichten von exemplarischen Lebensgeschichten von kontextualen Assoziationen zu profitieren, indem er „die marginalisierte Männlichkeit auch mit Hilfe von Hinweisen auf einen (arabischen) Migrationshintergrund und das ‚Ghetto‘ konstruiert“46. „Für immer jung“ (Bushido, „Für immer jung“) basiert auf einem ähnlichen Gestaltungsprinzip. Die Zusammenarbeit mit einem etablierten Künstler wie Karel Gott und das Zurückgreifen auf eine bekannte Melodie zeugt darüber hinaus von marktstrategischen Überlegungen, die sich auch in einer gemäßigteren Sprache niederschlagen. Auffälligerweise vermeidet Bushido generell autobiografische Verweise. Sogar in einem Track wie diesem, welcher thematisch für eine Gegenüberstellung mit der eigenen Vergangenheit als Authentifizierungsstrategie – wie etwa in Sidos „Hey Du!“ (Sido, „Hey Du!“) – genutzt werden könnte, beschränkt sich der Rapper auf die Darstellung in der zweiten Person. Selbst Formulierungen wie „Genieß’ den Augenblick, wenn du mit deinen Freunden bist. / Diesen Moment mit deiner Mutter, denn dann freut sie sich.“ (ebd.), die mit positiven Emotionen konnotiert sind und auch als selbstreferenzielle Aussagen des Verfassers gewertet werden könnten, werden stets in einen relativierenden Kontext gestellt, um das spezifische Profil nicht zu gefährden. Wie die beiden zuvor analysierten Tracks exemplarisch zeigen konnten, sind Verweise auf die eigene Person immer entweder Referenzen auf das Künstlerprofil selbst – wie vor allem im Track „Bei Nacht“ (Bushido, „Bei Nacht“) zu beobachten – und überwiegend auf Gegenwart und Zukunft gerichtet oder vermeintlich autobiografische Verweise in die Vergangenheit, die mit dem aktuellen Profil kongruent sind, wie etwa in „Ich gebe dir dafür die Schuld, Vater / Dass bei uns damals die Bullen da waren“ (Bushido, „Alles verloren“). Sido und Bushido sind Teil des Mainstreams und reagieren dementsprechend mit Anpassung und Synchronisierung auf der einen, gezielter Provokation und inszenierter Nonkonformität auf der anderen Seite. Sie bewegen sich damit permanent „im Spannungsfeld zwischen Authentizität und Opportunität“47. Jedoch unterscheiden sich ihre Profilbildungsstrategien in entscheidenden Punkten: Während Sido seine Glaubwürdigkeit gerade an autobiografische Fakten und die per-

46 Gossmann 2012, S. 99. 47 Schröer 2012, S. 77.

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formative Inszenierung der Einheit von Rapper und Privatperson knüpft (Verbindung zu ‚empirischem‘ oder ‚konkretem Autor‘), reichen Bushidos Authentifizierungsstrategien im Wesentlichen bis zur Künstlerfigur als inszeniertem Mythos selbst (Verbindung zu ‚implizitem‘ oder ‚abstraktem Autor‘).48 Während daher der eine seine Authentizität immer wieder neu herstellen muss, indem er das jeweilige Image durch die Verknüpfung mit der hinter dem Profil stehenden personellen Konstante legitimiert, und dabei diesen Prozess – etwa in der Inszenierung der Maske – mitunter auch zum Gegenstand der künstlerischen Produktion macht, bleibt der andere in seiner Selbstreferenzialität konsequenter auf der Ebene der Inszenierung selbst, was zum einen überhaupt erst die Mystifizierung des spezifischen Profils ermöglicht, gleichzeitig jedoch Kongruenzprobleme mit der Privatperson provoziert. Während der eine dementsprechend Sprache aus einem intuitiven Gefühl heraus gestaltet und so Vulgarität und Direktheit, aber auch Ironie und Humor aus dem alltäglichen Sprachgebrauch integriert, ist bei dem anderen Sprache Projektionsfläche profilrelevanter Stilisierungen im Kontext von Macht, Migration und Marginalisierung. Während der eine so einen einfachen, aber regelmäßigen – auf den alltagspragmatischen Akzentuierungsmustern basierenden – Flow produziert, zeichnet sich der andere durch eine Betonung sprachlich-semantischer Pointen aus, die von einer kreativen Aneignung und Schöpfung metaphorischer Formulierungen zeugt und der die Erlebniskategorie Flow untergeordnet wird. Profilübergreifend kann festgehalten werden, dass sich Sidos Rapstil vor allem durch eine alltagspragmatische Sprache und Artikulation, direkte, sprachliche Bilder ohne artifizielle Verklärung bzw. Verharmlosung sowie große verbale Vehemenz auszeichnet. Diese Charakteristika sind maßgeblich für die Etablierung des Profils des ‚Straßenjungen‘49 von Bedeutung und können als Indikatoren für die von ihm beschriebene Lebenswelt gelten: Er bildet seine Umwelt ab, wie er sie erfährt – unmittelbar und intensiv. Darstellungen von Gewalt und sexualisierte Inhalte können hier vornehmlich als ungekünstelte Wiedergaben einer persönlichen Wahrnehmung von Realität gelesen werden. Gleichzeitig belegt die auffallende Häufigkeit metaphorischer Formulierungen und Vergleiche, die einen komischen Effekt erzeugen, einen Sinn für humorvolle Darstellungen und ironische Brechungen.

48 Diese Ergebnisse mögen in Anbetracht des öffentlichen Auftretens der Rapper teilweise verwundern, sind jedoch stets aus werk- bzw. trackanalytischer Forschungsperspektive zu lesen. 49 Vgl. etwa „Strassenjunge“ (Sido, „Strassenjunge“).

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In diesem Punkt unterscheidet sich Sidos Profil entscheidend von jenem Bushidos: Kreativ-humorvolle Formulierungen existieren in Bushidos Texten überwiegend im Zusammenhang mit beißendem Spott und Sarkasmus beim Boasting. Die Inszenierungen des gefährlichen und ernst zu nehmenden Gangsters sind mit ironischen Brechungen nicht kompatibel. Auch er verwendet größtenteils eine ungekünstelte, alltagspragmatisch gestaltete Sprache, die etwa in den zahlreichen nicht standardmäßigen Verwendungen konventionalisierter Metaphern von soziolektalen Einflüssen geprägt ist und seine Darstellung als Sprachrohr marginalisierter Jugendlicher mit Migrationshintergrund unterstützt. Neben dieser spezifischen Art der Sprachverwendung unterstützen vor allem die nahezu allgegenwärtigen Inszenierungen von Gewalt und Brutalität, gepaart mit einem aggressiven Sexismus und chronisch vorhandener Homophobie, das Profil des Gangsters. Seine Authentizität versucht Bushido maßgeblich über detailreiche Schilderungen gewalttätiger und krimineller Tätigkeiten und über die Selbstinszenierung als erfolgreicher Geschäftsmann herzustellen. Zu diesem Zweck entwirft er vielfach semantisch lose verknüpfte, profilrelevante Assoziationsketten.

12. Resümee und Ausblick

12.1 R ESÜMEE ich hab jetzt bock zu flowen und jeder begreift es, jeder der reif ist, und jeder der weiss daß rap nicht nur texte schreiben sondern live ist (Curse, „Rap“, Album „Innere Sicherheit“, Premium Blend 2003)*

Performative Lyrik und lyrische Performance? Wie gezeigt werden konnte, sind Raptexte mithilfe teilweise standardisierter poetischer Verfahren hergestellte („texte schreiben“) lyrische Texte, die erst in der konkreten Aufführung („live“) ihr klangliches Potenzial („flowen“) entfalten können und so Realität werden. Insofern ist Rap die synergetische Kombination aus beidem: Performative Lyrik und lyrische Performance. Performativität wurde damit als eine der Grundeigenschaften des Rap identifiziert. Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war unter anderem die These, dass Rapper sich aufgrund der genrespezifischen ‚Personalunion‘ als Verfasser und Performer ihrer eigenen Texte in jedem Moment der Produktion und Aufführung selbst inszenieren und so ihr Künstlerprofil performativ herstellen. Die in Kapitel 1.1.3 hergeleitete Spezifikation des ‚Profils‘ in Abgrenzung zum Begriff des ‚Image‘ erwies sich dabei als notwendig und zielführend: Auf dieser Grundlage waren umfassendere Profilanalysen überhaupt erst möglich, die wiederum Untersuchungen größerer zeitlicher Zusammenhänge und Prozesse bedingten und mit dem Imagebegriff nur unzureichend beschrieben werden können. Außerdem wurde so ein Paradigmenwechsel vorbereitet und initiiert, der anstelle auf der – in Kapitel 1.1.2 problematisierten – Kategorisierung in unterschiedliche Subgenres wie ‚Gangsta-Rap‘ etc. auf einer profilorientierten wis-

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senschaftlichen Annäherung an den Untersuchungsgegenstand gründet. Auch wenn damit prinzipiell die Profilbildung im Rap beschreibbar wurde, musste zunächst eine methodische Grundlage geschaffen werden, auf der umfassende Analysen der Raptracks und der zugrunde liegenden Raptexte erst möglich wurden, ohne das Gesamtphänomen Rap auf einzelne Elemente zu reduzieren. Die Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Konzeptionalisierung des Phänomens ‚Flow‘ erwies sich daher als eine der Hauptaufgaben der vorliegenden Arbeit. Sie war die Grundvoraussetzung für eine tiefergehende Analyse des spezifischen Rapstils eines Künstlers. Die Basis der Flowanalyse ist eine Rhythmus- und Betonungsanalyse, die musikpragmatische und sprachperformative Mechanismen gleichermaßen berücksichtigt. Anhand der daraus abgeleiteten Genrestandards sowie profilspezifischen Charakteristika konnten so schließlich Erkenntnisse zu individuellem Stil als Distinktionsmerkmal bei der Selbstinszenierung gewonnen werden. Mithilfe der sich ergänzenden Trias aus Text-, Flow- und Kontextanalyse konnte auf diese Weise auch die Ausgangsthese bestätigt werden, dass profilübergreifende sprachmusikalische und performancetechnische Kriterien abgeleitet werden können, anhand derer innerhalb der Rapkultur maßgeblich über die Beurteilung einer Rapper-Inszenierung als geglückt oder misslungen entschieden wird. Als Kernstück dieser Arbeit stellte Teil II schließlich den Entwurf einer ‚Poetik des Rap‘ im Sinne einer Genrepoetik dar, die als Produktions- bzw. Texttheorie und Performanztheorie gleichermaßen versucht, Rap in seiner ganzen Klanglichkeit als performative Lyrik und lyrische Performance zu beschreiben. Zu diesem Zweck wurden in einer systematischen, progressiven Anordnung zunächst literarische Produktionsverfahren (Kap. 3) und poetische Gestaltungsmechanismen (Kap. 4), anschließend performative Profilbildungsstrategien (Kap. 5 und 6) und zuletzt elementare profilrelevante Topoi (Kap. 7 bis 9) extrahiert, theoretisiert und exemplifiziert. Ausgehend von grundsätzlichen Überlegungen zur ‚Materialität‘ des Analysegegenstands konnten in Kapitel 3 Raptracks in Anlehnung an Ong als Manifestationen ‚sekundärer Oralität‘ und daran anknüpfend Raptexte als Beispiele einer ‚sekundären Literalität‘ charakterisiert werden. Für die Beschreibung der Poetizität von Raptexten als literarischem Genre wurden zunächst signifikante Merkmale auf der Ausdrucksebene gesammelt und literarische Produktionsverfahren abgeleitet, um diese in Bezug auf einzelne Charakteristika wie homophone Wiederholungen, Assonanzen und Reime, die Modifikation von Sprichwörtern und Redewendungen, Zitationspraktiken, Metaphern und Vergleiche, ‚serielle Methoden‘, Aneinanderreihungen und freie Assoziationsketten sowie jugendsprachliche, soziolektale und dialektale Sprachverwendung zu typologisieren.

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Da Rap als ‚Klangphänomen‘ auf diese Weise nur unzureichend erfasst und beschrieben werden kann, wurde in einem nächsten Schritt in Kapitel 4 die Konzeptionalisierung des nahezu unerforschten Phänomens Flow ausdifferenziert und vorangetrieben. Der individuelle Flow eines Rappers ist integraler Bestandteil der Selbstinszenierung und kann erst durch die konkrete Aufführung des Textes – etwa in den Raptracks – erfahrbar werden. Wie gezeigt werden konnte, ist das Phänomen Flow als klangliche Dimension des individuellen Rapstils beschreibbar, das im Umgang mit Reimakzenten, Rhythmus, Sprachartikulation, Phrasierung und Intonation performativ hergestellt wird. Daher war es in der Folge möglich, durch selbstreflektierende Textpassagen und vergleichende Detailanalysen von Raptracks, Synchronizität in Bezug auf ein bestimmtes Referenzsystem als prinzipielles Qualitätsmerkmal zu identifizieren und unterschiedliche Formen von Synchronizität zu klassifizieren. Die Anwendung musikwissenschaftlicher Terminologie bei der Beschreibung von Gestaltungsparametern wie Rhythmus, Intonation und Phrasierung erwies sich dabei als zielführend und sinnvoll. Die Ausdifferenzierung des Flow-Konzepts und der sich daraus ergebende Begründungszusammenhang waren letztlich auch die Voraussetzung für die Verifizierung des – in der Rapkultur als wirksam behaupteten – ‚Primats der Darstellung gegenüber dem Inhalt‘ bzw. ‚Primats des Klangs‘, der These also, dass beim Rap nicht der thematische Gehalt der Texte, worauf die Inszenierungen selbst im akademischen Diskurs vielfach reduziert werden, sondern die formale Gestaltung und deren Performance im Vordergrund stehen. In den Kapiteln 5 und 6 konnten anhand der beiden zentralen Kulturpraktiken des Boastings und des Dissings performative Profilbildungsstrategien herausgearbeitet und zusammengefasst werden, mit deren Hilfe sich Rapper durch kreative Aneignung und Weiterentwicklung im Kontext der spezifischen Kultur, ihrer Geschichte, Traditionen und Tendenzen verorten und in Beziehung setzen, gleichzeitig aber auch Individualität demonstrieren und so letztlich ihre Künstleridentität performativ herstellen. Interessante Erkenntnisse lieferten dabei vor allem auch die profilübergreifenden, vergleichenden Betrachtungen zu einzelnen Topoi, die in der Rapkultur eine zentrale Rolle spielen, wie Urbanität (Kap. 7), Sexualität (Kap. 8) und Gewalt (Kap. 9): So konnten die Beobachtungen einiger Forscher bestätigt werden, dass das Urbane in mehrerer Hinsicht eines der zentralen Bezugssysteme des Rap war und weiterhin bleiben wird.1 Zum einen wird die genrehistorische, enge Verknüpfung zwischen Großstadt und HipHop in den spezifischen Erzählungen immer wieder aktualisiert und bestätigt, wie vor allem im Zusammenhang mit his-

1

Vgl. etwa Klein/Friedrich 2003a, S. 99 ff. oder Friedrich 2010.

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torisierenden Boastings zu sehen war. Außerdem spielt die Lokalisierung im urbanen Kontext eine besondere Bedeutung bei der kulturspezifischen Praxis des ‚Repräsentierens‘2 und als Authentifizierungsstrategie: Die Inszenierung von Authentizität basiert auf der „Behauptung einer Korrespondenz zwischen musikalisch-ästhetischer Darstellung und sozialen Rollen und Erfahrungen in der Stadt, auf der Straße, im Ghetto“3. Daher bestand ein wichtiger Schritt in der Systematisierung und Kontextualisierung der zentralen Leitbegriffe ‚Straße‘, ‚street‘4 und ‚Street-Credibility‘5. Trotz der Tatsache, dass durch moderne Produktionstechniken, die zunehmende Bedeutung des Internets als Werbeplattform und flexiblere Distributionswege auch teilweise eine Stärkung kleinerer Städte im Untersuchungszeitraum zu beobachten war, führte gerade auch der sogenannte ‚Gangsta-Rap‘ durch die heroisierte Figur des großstädtischen Gangsters aus dem ‚Ghetto‘ zu einer neuen Blüte urbaner Inszenierungen.6 Als Kultur von Jugendlichen und sich jugendlich Fühlenden spielt Sexualität im Rap eine bedeutende Rolle. Wie bereits im Kontext sexualisierter Boastings und Dissings klar zu erkennen war, stellt sie einen integralen Bestandteil jugendlicher Lebenswelten dar. Daher wurden die in den Kapiteln 5.7 und 6.4 skizzierten Beobachtungen in Kapitel 8 zusammengetragen und um weitere Erkenntnisse unter dem Aspekt profilrelevanter Mechanismen ergänzt. Dabei konnte die Oppositionierung zur Erwachsenenkultur bzw. zur Konkurrenz als zentrale Profilbildungsstrategie bestimmt werden. Diese wiederum basiert auf dem provokativen Potenzial sexualisierter Darstellungen, welches erst in der Gegenüberstellung mit Genrestandards nachvollziehbar wurde. Die anschließende Unterscheidung zwischen Erotik und Pornografie erwies sich als notwendig, um auf dieser Grundlage Provokation als Profilbildungsstrategie im Zusammenhang mit Machtdemonstrationen konkretisieren zu können, wobei auch hier die Flowanalyse als Distinktionsinstrument wichtige Erkenntnisse ermöglichte. Ausgehend von Betrachtungen zu dem Verhältnis von Performativität und Körper in der Rapkultur ergab sich außerdem die Notwendigkeit, den Topos der Sexualität in den Darstellungen von Rapperinnen detaillierter zu untersuchen. Dabei wurden zum einen Inszenierungen identifiziert, in denen männlich-stilisierte Stereotypisierungen durch eine ‚weibliche‘ Adaption ersetzt und Verhal-

2

Vgl. etwa Androutsopoulos 2003c, S. 71 oder Friedrich 2010, S. 146.

3

Vgl. Kanehl/Zill 2009, S. 4.

4

Vgl. etwa Elflein 2006, S. 25.

5

Vgl. etwa Jacob 1996, S. 179.

6

Vgl. Kanehl/Zill 2009, S. 6.

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tens- und Gestaltungsstandards – teilweise auch ironisch überspitzt – übernommen wurden. Die partielle Nicht-Übertragbarkeit von männlich geprägten Szenemechanismen sorgte in diesen Fällen jedoch vielfach sogar für eine ungewollte Bestätigung derselben. Eine kritische Reflexion und das Potenzial zu wirklicher Innovation konnte hingegen vielmehr für die Profilbildungsmechanismen jener Rapperinnen konstatiert werden, die einen ‚weiblichen‘ Gegenentwurf zu männlich-chauvinistischen Identitätskonstruktionen präsentierten, der weder auf Oppositionierung noch unkritischer Synchronisierung basiert. Kernstück der Betrachtungen zum Topos der Sexualität wurde die anschließende umfangreiche Analyse der Verwendungszusammenhänge des Lexemverbands ‚ficken‘. Zum einen konnten damit die zuvor ermittelten Gestaltungsund Profilbildungsmechanismen in Anwendung des Fallbeispiels auf ihre Gültigkeit hin geprüft werden. Gleichzeitig war es auf diese Art möglich, den wohl populärsten Lexemverband des Rap in Deutschland auf Basis konkreter Realisierungen und Kontexte zu untersuchen und methodisch zu ergründen, um damit gleichzeitig Strategien kulturspezifischer Sprachbenutzung und -aneignung zu exemplifizieren. Das Paradebeispiel für sprachliche Verrohung, sexistische Inhalte und der Generalvorwurf des „Jeder fickt jeden“7-Sprachstandards im Rap konnte so umfassend analysiert und – zumindest teilweise – relativiert werden. Sowohl die näheren Untersuchungen zum Topos der Sexualität in Kapitel 8, als auch die Dominanz des vielfach mystifizierten ‚Gangsta-Rap‘ in der öffentlichen Wahrnehmung wie in der akademischen Auseinandersetzung ließen eingehendere Untersuchungen zu den unterschiedlichen Formen der Gewaltdarstellung im Rap unabdingbar erscheinen. Nach einer ersten begrifflichen Einordnung der Bezeichnungen ‚Gewalt‘, ‚Aggression‘, ‚Brutalität‘ und ‚Vehemenz‘ wurden so zunächst verschiedene ‚Manifestationen von Gewalt‘ zusammengefasst und beschrieben. Gewaltdarstellungen aus der Ich-Perspektive wurden als Standardfall identifiziert, der vor allem in den Kulturpraktiken des Boastings und Dissing realisiert wird. Anhand von Detailanalysen konnten jedoch ‚gewaltfokussierende‘ Texte von jenen unterschieden werden, in denen Gewalt lediglich als Teil einer kulturspezifischen Praxis, als metaphorisches poetisches Verfahren instrumentalisiert wird.8 Interessante Beobachtungen ließen sich in näheren Untersuchungen bezüglich der Gewaltdarstellungen von Rapperinnen ermöglichen: So konnte auch hier – wie bereits im Kontext sexualisierter Sprachpraktiken und insbesondere bei der Verwendung des Lexemverbands ‚ficken‘ – zwischen unterschiedli-

7

Haftbefehl, „Wie die Tränen meiner Mutter“.

8

Vgl. Elflein 2006, S. 19.

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chen Profilbildungsstrategien von Rapperinnen unterschieden werden. Von besonderer Bedeutung waren hierbei die Kommunikationspositionen und die Adressierung Gewalt darstellender Boastings und Dissings. Einige Rapper, namentlich jene, die häufig unter dem Genrebegriff ‚GangstaRap‘ zusammengefasst werden, beziehen sich bei der Profilbildung maßgeblich auf Gewaltdarstellungen. Welche sprachlichen Strategien dabei für die Inszenierung von Realness und Authentizität von Bedeutung sind, war daher von besonderem Interesse. Dabei führten Überlegungen zu Glaubwürdigkeit und Realitätsbezug von Gewaltdarstellungen unweigerlich auch zum Themenkomplex der Indizierung von Rapproduktionen. Je authentischer die Inszenierung als Gewalttäter, je realer die Beschreibung von Situationen und Tätigkeiten, desto höher die potenzielle Identifikation des Konsumenten und die Gefahr von Verrohung bzw. Nachahmung. Damit wurde die Indizierung von Rapstücken gleichzeitig jedoch auch Kennzeichen für Nonkonformität bzw. ‚Gütesiegel‘ und sorgte so wiederum für einen zusätzlichen Authentifizierungseffekt. Teil III der Arbeit diente schließlich der Erprobung der in Teil II entwickelten Analysemethoden, der Anwendbarkeit der spezifizierten Terminologie und Klassifikationsmodelle für literarische Produktionsverfahren und poetische Gestaltungsmechanismen, sowie der Illustration von Profilbildungsstrategien anhand von zwei exemplarischen Profilen. Im Fall des Rappers Sido konnte auf diese Weise der Weg der Inszenierungen vom Image des maskierten ‚Rüpelrappers‘, über den stolzen ‚Outlaw’ großstädtischer Problembezirke bis hin zum erfolgreichen Rapstar, der seine Authentizität über das Bild des „Straßenjungen“ zu behaupten versucht, nachgezeichnet werden. Auch wenn gewisse Gemeinsamkeiten wie die Inszenierung von Nonkonformität und soziale Marginalisierung sowie die sprachliche Vehemenz und Brutalität der verwendeten Bilder erkennbar sind, unterscheidet sich Bushidos Profil von dem soeben skizzierten in einigen Kernpunkten erheblich. Inszenierungen körperlicher Gewalt sind nahezu allgegenwärtige Konstituente und dienen der Etablierung eines ‚Gangsta‘-Profils. Ausgehend von Selbstinszenierungen als gewaltbereiter Krimineller und unantastbarer Gangster führt dies über das Image des sozial Marginalisierten mit Migrationshintergrund, das sich wesentlich aus dem Bildmotiv des ‚Ghettos‘ speist, bis zur Darstellung als erfolgreicher Geschäftsmann, der weiterhin seine Authentizität über Nonkonformität und Ghettoerfahrung zu bestätigen versucht. Die performative Darstellung der inszeniert-autobiografischen Texte ist bei beiden Musikern das zentrale Moment der Profilbildung. Dabei bedienen sie sich genrespezifischer Kulturpraktiken wie Boasting und Dissing, inszenieren sich durch Zitate und Querverweise auf relevante Referenzsysteme als Teilhabende

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einer Jugend- und Subkultur und wecken durch provokante Inhalte gezielt profilrelevante Assoziationen. Gerade aber auch die ‚sprachmusikalischen Gestaltungsmittel‘ spielen für die Profilbildung eine elementare Rolle: Durch die Verwendung spezifischer poetischer Verfahren, sprachlicher Szenemarker und schließlich durch die Generierung und Etablierung eines individuellen Flows formen die Musiker ihre Künstleridentität als Rapper. In diesem Zusammenhang konnten einige der in Teil II der Arbeit systematisch dargestellten genrespezifischen Strategien und Techniken auch als Teil der Profilbildung Sidos und Bushidos nachgewiesen und im spezifischen Kontext interpretiert werden.

12.2 A USBLICK Im Untersuchungszeitraum der Jahre 2000 bis 2010 brachten die Rapper die literarischen Produktionsverfahren und die Techniken poetischer Gestaltung zu einer nie dagewesenen Perfektion. Ähnlich wie bei anderen Umbrüchen der Kulturgeschichte wäre zu erwarten, dass auf diese nur eine Überwindung der bis dato gültigen Ideale und Standards folgen kann. Und aus genrehistorischer Perspektive scheint sich diese Vermutung – zumindest teilweise – zu bewahrheiten: Innerhalb der tradierten Grenzen liefern aktuelle Rap-Produktionen nichts Neues. Im Gegenteil, ihr innovatives Potenzial liegt gerade in der kontinuierlichen Verschiebung und Auflösung traditioneller Grenzen. So sind etwa in der Nachfolge weiblicher Gegenmodelle zu männlich-patriarchalen Rapstilen unter anderem Rapperinnen wie Lumaraa zu finden, die nicht nur inhaltlich-thematisch (vermehrt Liebeslyrik), sondern auch formal-stilistisch (balladeske Gestaltung, hoher Gesangsanteil) an weibliche Singer und Songwriter aus der Pop-Musik erinnern. Andererseits verwischen mit Rappern wie Käptn Peng bzw. ‚RapPoeten‘ wie Bas Böttcher, die ihre rhythmisierten Textgebilde auch ohne musikalische Begleitung und fixes Tempo performen, zunehmend die Grenzen zur Slam Poetry. Sogenannte ‚Porno-‘ und ‚Gangsta-Rapper‘ trennen die historische Verbindung von Rap und HipHop (vgl. Kap. 2) und vollziehen implizit und explizit die endgültige Ablösung von der HipHop-Kultur. Authentizität als Qualitätsmerkmal wird mit ‚Gangsta-Rappern‘ wie Bushido oder Kollegah bzw. spätestens mit monothematischen ‚Porno-Rappern‘ wie Frauenarzt oder Bass Sultan Hengzt endgültig ad absurdum geführt. Und MC Fitti beweist, dass neben fehlender Authentizität auch mangelnde Fertigkeiten bei der Textproduktion kein Ausschlusskriterium mehr sein muss. Schließlich wird selbst der traditionelle Antagonismus von Rap und Pop medienwirksam aufgehoben: Rapper Cro proklamiert die Geburt des ‚Raop‘.

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Durch diese Prozesse scheint an die Stelle der ‚Old-‘ und ‚New-School‘9 gewissermaßen eine ‚Multi-‘ oder ‚No-School‘ getreten zu sein, die sich so stark ausdifferenzierte, dass es nur noch wenige verbindende Elemente gibt und bei der kollektive ästhetische Ideale oder gemeinsame Normen- und Wertesysteme nur in Ansätzen zu erkennen sind. Der US-amerikanische Rapper Nas behauptete 2006 mit Blick auf zeitgenössische Rap-Produktionen seiner Landsleute auf dem gleichnamigen Album „Hip Hop is dead“ (Def Jam Recordings 2006). Rapper Retrogott rappte ein Jahr später „Nas hat gesagt, dass HipHop tot ist. – Das war er schon bei seinem Track mit Jennifer Lopez.“ (Huss und Hodn, „Garnichtsohart“). Er begründet seine Schlussfolgerung also mit der Unvereinbarkeit von HipHop-Idealen und Pop. Folgt man dieser Argumentationslinie, könnte man in Bezug auf die aktuelle deutsche Kulturlandschaft tatsächlich überspitzt feststellen: HipHop ist tot. Rap hingegen ist ‚quicklebendig‘ und fördert immer neue Spielarten, die sich einer Kategorisierung weitgehend entziehen. Mit der in dieser Studie erprobten und weiterentwickelten Flowanalyse jedoch steht eine neue und äußerst vielversprechende Methode zur Verfügung, deren volles Potenzial hier lediglich angedeutet werden konnte. Durch ihre Anwendung kann beispielsweise zwischen willkürlichen Displatzierungen (vgl. Kap. 4.4) und raffinierten Kompositionstechniken beim Rappen unterschieden werden. Auf dieser Grundlage wiederum sind Aussagen über die individuellen Gestaltungsstile und Profilbildungsstrategien von Rappern möglich. So kann der rudimentären und unzureichenden Kategorisierung auf Grundlage rein inhaltlicher Merkmale (etwa im Falle des ‚Gangsta-Rap‘, des ‚Porno-Rap‘ etc.) oder aufgrund einer musikalischen Stilisierung (etwa beim ‚Pop-Rap‘, ‚Cloud-Rap‘ etc.) eine Alternative gegenüber gestellt werden, die eine Unterscheidung und vergleichende Gruppierung auf Basis der Profile der Rapper anstrebt. Im Zuge der zu beobachtenden, jedoch teilweise von Szenestars überdeckten Diversifizierung des deutschsprachigen Rap seit der Jahrtausendwende entstanden außergewöhnliche Kunstprodukte, deren Untersuchung auch mithilfe der Flowanalyse interessante Ergebnisse erwarten lässt: So repräsentieren etwa Herr von Grau, Amewu oder Chefket einen Rapstil, der sich vor allem durch anspruchsvolle Texte sowie ausgefeilte Raptechniken und Flows auszeichnet. Inte-

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Die beiden Begriffe sind nur wenig trennscharf und werden szeneintern verwendet, um (überwiegend vor der Jahrtausendwende aktive) Rapper und deren Produktionen, die in Bezug auf Klangästhetik sowie Werte- und Normensystem noch stark am traditionellen HipHop orientiert sind, von der (überwiegend nach der Jahrtausendwende aktiven) jüngeren Generation Rapper zu unterscheiden, die sich implizit und explizit von den tradierten Idealen distanzierte.

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ressant sind außerdem innovative Rapkonzepte wie etwa das programmatische Album „Der Herr der Dinge“ (Doppelalbum „!Donnerwetter!”, No Peanuts 2006) von Prinz Pi, das in insgesamt 30 Raptracks eine zusammenhängende, fiktionale Geschichte erzählt. Diese wird dabei nicht von Drumbeats, sondern von sinfonischen Kompositionen begleitet, die an Filmmusik erinnern. Eine vergleichende Analyse mit anderen narrativen Textsorten würde sicher aufschlussreiche Ergebnisse liefern. Besondere Erwähnung finden sollte in diesem Zusammenhang auch das von den Brüdern Robert und Johannes Gwisdek gegründete HipHop-Projekt Käptn Peng & die Tentakel von Delphi. Die intelligenten und tiefgründigen, vornehmlich jedoch auch humorvollen Raptexte Robert Gwisdeks zeugen von einer besonderen sprachlichen Dichte und klanglichen Raffinesse. Gleichzeitig sind die Textaufführungen und -Performances des professionellen Schauspielers außergewöhnlich und hinsichtlich ihres innovativen Gehalts sowie bewussten Einsatzes von Gestaltungsmitteln beispielhaft. Die gezielte Untersuchung der sprachmusikalischen Gestaltungsmittel und des individuellen Flows ließen insgesamt auch die Notwendigkeit weitergehender Betrachtungen zu einzelnen Charakteristika der Stimme des Interpreten, kulturspezifischer Assoziationen und künstlerischer Artikulation offenkundig werden. Für diesen Teilbereich existieren jedoch bislang keine effizienten Analysemethoden, geschweige denn eine themenspezifische Terminologie. Darüber hinaus erschien gerade eine nähere Analyse der musikalischen Begleitung als lohnenswert. So könnte eine musikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Beats als Träger kultureller Einschreibung sowie die Untersuchung klanglicher Marker, wie Instrumentenklänge (vgl. etwa Kap. 10.2.3 und 11.4.2), Tempo, Rhythmisierung etc. aufschlussreiche neue Erkenntnisse liefern, die in die Analyse von Raptracks grundsätzlich mit einfließen sollten. Die in dieser Arbeit entwickelte ‚Poetik des Rap‘ dient auch dem Versuch, mittels einer umfassenden Theorie externen Beobachtern der Rapkultur Deutungsrahmen und Analyseraster bereitzustellen, aufgrund derer generalisierende und trivialisierende Klassifizierungen und Beurteilungen neu diskutiert werden können. Außerdem bietet sie etwa auch für die Pädagogik eine wichtige Grundlage für Aufklärung und kritische Reflexion. So kann mit ihrer Hilfe beispielsweise im Zusammenhang mit Fällen besonders drastischer Sprachstile zwischen gestalterisch-pragmatischen Zielsetzungen und intentionalen, profilrelevanten Erwägungen unterschieden werden, wie vor allem in der Gegenüberstellung von ‚flowfokussierenden‘ und ‚inhaltfokussierenden‘ Rappern deutlich wurde. Bestimmten Effekten der beschriebenen Reaktionsspirale bei der Indizierung von Rapstücken könnte so in Ansätzen entgegengewirkt werden.

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Durch die Methode der Flowanalyse und die dezidierte Analyse von Betonungs- und Rhythmusstrukturen konnte gezeigt werden, dass der deutschsprachige Rap ein enormes Potenzial etwa auch für weiterführende musik- und sprachdidaktische Konzepte bereithält. So bieten Raptexte bzw. Raptracks durch die alltagspragmatische Gestaltung und die häufig repetitiven Strukturen zahlreiche Ansatzpunkte im Bereich musikalisch-spielerischen Spracherwerbs, die bisher nur selten genutzt werden. Auch bei der Lyrikanalyse finden sich erste Versuche, Raptexte einzubinden, allerdings beschränken sich diese meist auf vergleichende Betrachtungen auf rein inhaltlicher Ebene. Untersuchungen etwa, die über die Identifikation von Endreimen hinausgehen und auch Assonanzstrukturen miteinschließen, fehlen in aktuellen Lehrwerken gänzlich. Auf Grundlage der Genrepoetik könnten nun beispielsweise auch erstmals Betrachtungen zu sprachlichen Bildern, semantischen Feldern und metaphorischen Kompositionstechniken in den Deutschunterricht miteinfließen. Auf einer reflexiven Metaebene bieten Raptexte außerdem die Möglichkeit, zum Ausgangspunkt für Betrachtungen zu Autorschaft und künstlerischem Ausdruck in der Lyrik zu werden. Innerhalb der Musikdidaktik, die Rap und HipHop bereits weitaus umfangreicher integriert, liegt der größte potenzielle Nutzen zweifelsohne in der Flowanalyse als zentrales Instrument, um Raptracks nicht nur in Bezug auf Harmonisierung, Instrumentierung und musikalischer Kreativität, sondern erstmals auch hinsichtlich des spezifischen Flows eines Künstlers qualitativ zu untersuchen. Außerdem bieten sich neue Anwendungsfelder im Bereich Rhythmus und Metrum: Durch das In-Bezug-Setzen von sprachpragmatischen Rhythmisierungen mit der musikalischen Quantisierung des Beats kann bei der Vermittlung und Analyse von Rhythmen auf bereits in der Intuition verankerte Erfahrungen zurückgegriffen werden. Diese gilt es didaktisch aufzubereiten und zu nutzen. Rap als performative Lyrik und lyrische Performance ist die zeitgenössische Manifestation der uralten Verbindung von Musik und Sprache – in Reinform. Er wird sich weiterhin stetig verändern. Und uns noch lange beschäftigen.

Anhang

Raptexte Sido – „Weihnachts song“ (Album „Ansage Nr.3“, Aggro Berlin 2003) „Wart ihr auch alle schön aggro? Aggro-Ansage Nummer 3 Frohe Weihnachten Yeah Aggro Berlin Weihnachtszeit, Weihnachtszeit, sagt allen Bescheid, Dass Sido kommt, und 'n Sack bei hat und Geschenke verteilt, hey Weihnachtszeit, Weihnachtszeit, geh und sag Bescheid, Dass wenn Sido kommt, und 'n Sack bei hat, ist Weihnachtszeit. Yeah, guck mal mein Sack (hä?) Guck mal was ich hab (yeah) Für jeden ein Geschenk mit Liebe verpackt Ihr habt das ganze Jahr gewartet, und jetzt habt ihr 'nen Harten Weil die Aggro-Leute mit Ansage 3 am Start sind. Sido war auf Tour – die Hürden sind aus'em Weg (yeah) Bushidos Album hat die Karten auf den Tisch gelegt. (yeah) Denn keiner, der nicht abgeht, wenn "Aggro Berlin" drauf steht, (yeah) Sieht wohl ganz so aus als wenn der Plan aufgeht. Wer cool sein will, geht raus in den Wald, Sucht nach so 'nem Kerl in Rot und macht ihn kalt. *örg* Scheiß auf das, was der bringt - so'n Taschenmesser. Aggro-Produkte sind um Klassen besser! (yeah) Mach's dir gemütlich: Dicke Socken und Tee, Und denk dran: du brauchst noch Flocken für Schnee. *sniff* Egal, was dir andere Rapper so zeigen,

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Das Mittel zum Erfolg ist: aggro bleiben! Weihnachtszeit, Weihnachtszeit, sagt allen Bescheid, Dass Sido kommt, und 'n Sack bei hat und Geschenke verteilt, hey Weihnachtszeit, Weihnachtszeit, geh und sag Bescheid, Dass wenn Sido kommt, und 'n Sack bei hat, ist Weihnachtszeit. Die Nase ist voll Schnee, *sniff* Heute mag ich keinen, (wäh) Heut' lauf ich durch die Stadt, nur so, um Leute anzuschreien. (ey du Hundesohn!) Ich setz die Maske auf, Ich trink die Flasche aus (oah) Jetzt steig ich auf dein Dach und durch den Schornstein in dein Haus. (yeah) Keiner ist mehr da, du bist im Urlaub und fährst Ski Ich lass mir Badewasser ein und guck laut MTV. Ich fühl mich hier echt wohl, (ahh) Ich mach mich bei dir breit, (yeah, home) Home, mein Freund, ich wünsche dir 'ne frohe Weihnachtszeit. Weihnachtszeit, Weihnachtszeit, sagt allen Bescheid, Dass Sido kommt, und 'n Sack bei hat und Geschenke verteilt, hey Weihnachtszeit, Weihnachtszeit, geh und sag Bescheid, Dass wenn Sido kommt, und 'n Sack bei hat, ist Weihnachtszeit. Yeah, wenn ihr alle schön aggro wart, dann kriegt ihr auch Geschenke Peter bekommt neue Treter. Frank kriegt seinen Job bei der Bank. Der dicke Hagen kriegt'n verkleinerten Magen. Und Erika bekommt ein Kind, wie jedes Jahr. Und ich wünsch mir'n Beat von Beathovenz. Yeah, an alle meine Aggro Leute: Frohe Weihnachten“

Online verfügbar unter http://lyrics.wikia.com/wiki/Sido:Weihnachtssong [Stand 2016-05-23].

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Sido – „Steig ein!“ (Album „Maske“, Aggro Berlin 2004) [Strophe 1] Steig ein! Ellenbogen aus dem Fenster wie ein Gangster Ich mach das Auto mit dem Hengst klar Frisch rasiert, frischen Sack, frisch tätowiert Kleine äußerliche Mängel retuschiert Du musst gut aussehn in Berlin, sonst wird's stressig Guck dich um: Alle Versager sind hässlich Coole Klamotten und der richtige Sound Scheibe runter, Bass dröhnt, Loveparade staunt Die Snare und die Kick, fühl den Beat und nick' Zeig dein' "Ich geb 'nen Fick auf alles"-Blick Zieh am Joint, mein Freund Mach das Fass auf, ich zeig dir die Stadt Yo Roman, dreh den Bass auf [Hook] Steig ein! Ich zeig dir die Stadt Breite Straßen Schöne Villen Dunkle Ecken Solange, bis der Wagen kein Benzin mehr hat Orte für Action und Plätze zum Verstecken Steig ein! Ich zeig dir die Stadt Breite Schultern Nazis und Zecken Solange, bis der Wagen kein Benzin mehr hat Steig ein, es gibt noch so viel zu entdecken Steig ein! [Strophe 2] Zieh die weiße Line Die Party geht auf mich Hau rein

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Behalt den Schein Jetzt wird gesoffen Doch halt die Augen offen Und bleib nirgends stehn Es gibt noch so viel zu sehn Guck nach rechts: ein Banker, der sich Koks kauft Und guck links: der Junkie, der sich Obst klaut Guck da: der Plattenladen, die Geschäfte laufen nicht Und sieh: die 14-Jährigen dahinten verkaufen sich Ein Stück weiter wird die Welt wieder hell Prunkvolle Villen und ein Fünf-Sterne-Hotel Auch wenn so 'ne Gegend meine Stadt völlig entstellt Ist Berlin immer noch die schönste Stadt auf der Welt [Hook] Steig ein! Ich zeig dir die Stadt Breite Straßen Schöne Villen Dunkle Ecken Solange, bis der Wagen kein Benzin mehr hat Orte für Action und Plätze zum Verstecken Steig ein! Ich zeig dir die Stadt Breite Schultern Nazis und Zecken Solange, bis der Wagen kein Benzin mehr hat Steig ein, es gibt noch so viel zu entdecken Steig ein! [Strophe 3] Ich will dir was zeigen Den Platz, an dem sich meine Leute rumtreiben Hohe Häuser, dicke Luft, ein paar Bäume Menschen auf Drogen, hier platzen Träume Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben Ich hab alle meine Freunde aus dieser Gegend Hab doch keine Angst vor dem Typen mit dem Schlagring Er ist zwar ein bisschen verrückt, doch ich mag ihn

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Ich kann verstehn, dass du dich hier nicht wohl fühlst Dass du viel lieber zu Hause im Pool wühlst Du sitzt lieber an 'nem gutgedeckten Tisch Dann merkst du schnell: Berlin is nix für dich [Hook] Steig ein! Ich zeig dir die Stadt Breite Straßen Schöne Villen Dunkle Ecken Solange, bis der Wagen kein Benzin mehr hat Orte für Action und Plätze zum Verstecken Steig ein! Ich zeig dir die Stadt Breite Schultern Nazis und Zecken Solange, bis der Wagen kein Benzin mehr hat Steig ein, es gibt noch so viel zu entdecken Steig ein! Steig ein! Ich zeig dir die Stadt Breite Straßen Schöne Villen Dunkle Ecken Solange, bis der Wagen kein Benzin mehr hat Orte für Action und Plätze zum Verstecken Steig ein! Ich zeig dir die Stadt Breite Schultern Nazis und Zecken Solange, bis der Wagen kein Benzin mehr hat Steig ein, es gibt noch so viel zu entdecken Steig ein!

Online verfügbar unter http://lyrics.wikia.com/wiki/Sido:Steig_Ein! [Stand 2016-05-23].

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Sido – „Mein Block“ (Album „Maske“, Aggro Berlin 2004) Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein Zuhause, mein Block, mein Block Yeah, ah Yeah du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus Weil du denkst Du hast alles was Du brauchst Doch im MV scheint Dir die Sonne aus'm Arsch In meinem Block weiß es jeder, wir sind Stars! Hier bekomm ich alles, ich muss hier nicht mal weg Hier hab ich Drogen, Freunde und Sex Die Bullen können kommen, doch jeder weiß hier bescheid Aber keiner hat was geseh'n also könnt ihr wieder gehn' Ok, ich muss gesteh'n: Hier ist es dreckig wie ne Nutte Doch ich glaub das wird schon wieder mit'n bisschen Spucke Mein schöner weißer Plattenbau wird langsam grau Draufgeschissen! Ich werd auch alt und grau im MV Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein Zuhause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein Zuhause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock Der Kerl aus´m Ersten war früher mal Rausschmeißer! Seit dem er aus dem Knast ist, ist er unser Hausmeister! Er ist oft bei der Nutte aus dem Zweiten Jetzt verkauft sie Fotos von ihm beim Arschausweiten! Der Fetischist aus dem Fünften kauft sie gerne Er sagt, Rosetten sehen aus wie kleine Sterne! Obwohl die von dem Schwulen aus dem Elften immer aussieht Als wenn man den Schwanz gerade frisch rauszieht! Und davon sing ich Dir ein Lied, du kannst es kaufen

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Wie die Sekten-Fans aus dem 9. Die immer drauf sind Genauso wie der Junkie ausm 4 Der zum Frühstück erst mal 10 Bier trinkt Dann geht er hoch in den siebten zum Ticker Er bezahlt für 10 Teile doch statt Gras kriegt er 'nen Ficker Damals war der Drogenstock noch der zehnte Der aus'm siebten ist der der überlebte Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein Zuhause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein Zuhause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock (Stadt) (Bezirk) (Zuhause) (Mein Block) (Gedanken) (Weihnachten) (Leben) (Mein Block) Yea, ah hier kriegst du alles Im zwölften bei Manne kriegst du Falschgeld Und ein Bootleg von Eißfeldt Ein Stock höher hat son Kerl sein Studio Er rappt und macht Tracks auf die Beats von Coolio Ganz zur Freude der Hausfrau darüber Die sagt „Männer ficken auch nicht mehr wie früher“ Deshalb trifft man sie oft im fünfzehnten Stock Bei der Hardcore-Lesbe, mit dem Kopf unter ihrem Rock Wenn ich ficken will fahr ich runter in den dritten Aber die Braut fick' ich nur zwischen die Titten

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Denn der Pornostock befindet sich im achten Hier könnt ich jeden Tag woanders übernachtn Im sechzehnten Stock riecht der Flur voll streng Aus der Wohnung, wo son' Kerl schon seit drei Wochen hängt Ich häng im sechsten rum in meinem Stock Mit meinen übergeilen Nachbarn in meinem Block Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein Zuhause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein Zuhause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock Deine Villa, dein Boot, deine Frauen, deine Karriere Dein Geld, dein Leben, Kein Bock

Online verfügbar unter http://www.lyrics.com/mein-block-lyrics-sido.html [Stand 2016-07-12].

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Sido – „Hey Du!” (Album „Aggro Berlin“, Urban 2009) „Hey Du! Hey Du! Hör mir mal, hör mir mal zu... Ick will dir mal wat erzählen von mir dit hab ich noch nie jemacht außer bei dir vielleicht bringt it dir wat ick kenn dir ja nich... Ick seh nur wie traurig du bist! Nein mein Freund das Leben singt keine Kinderlieder verdammt es ist hart du musst was tun, das sag ich immer wieder! und nicht, dass du denkst, der labert nur. Ich weiß wovon ich rede. Schließlich rap ich mir mit jedem Song die Scheisse von der Seele! Pass auf ich erzähl dir was damit du nicht mehr traurig bist! Etwas das für dich bestimmt wirklich ziemlich unglaublich ist. Ich bin im Osten aufgewachsen, ja du hörst richtig! Doch das es da ne Mauer gab, interessierte mich nicht. Ich war ein stolzer pionier obwohl eingesperrt wie ein Tier! Mama sagte, dass die Nachbarn heimlich bei uns spionieren und weil sie uns wohl überwachten wollte sie schnell rüber machen. Sachen packen, Kinder an die Hände, flüchten über Nacht. Und dann richten wir uns provisorisch bei Verwandten ein, doch nicht lange denn dann gab's 'nen Platz im Asylantenheim mitten im Wedding zwischen Appachen und Alkis und mit den neuen Homies kletterte ich nachts in den Aldi! Denn ein ostler Junge war nicht wirklich angesagt im Westen ich bekam wegen der Herkunft fast jeden Tag auf die Fresse! Und ab da hab ich mir geschworen, ein Geheimnis draus zu machen, damit meine Kumpels keinen Grund haben mich auszulachen! Warum ich dir das jetzt erzähle, weiß ich nicht genau. Wahrscheinlich weil du grad so guckst mit deinen weinerligen Augen. Doch ich glaub' unter dem Wasser steckt 'ne Fratze die sich sehen lässt. Ich hoffe dieses Lied wischt deine Tränen weg! Hör zu! Hey Du! Hey Du! Hör mir mal, hör mir mal zu... Ick will dir mal wat erzählen von mir

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dit hab ich noch nie jemacht außer bei dir vielleicht bringt it dir wat ick kenn dir ja nich... Ick seh nur wie traurig du bist! Dann sind wir ins MV gezogen, ein Viertel am Stadtrand und ab dann gings ab man! Nicht mal ein Haar am Sack dran aber Faxen machen, denn Mama fehlte es an Geld! Also hab ich gelernt wie mans anstellt, auf der Straße! Die Schule war natürlich nur noch reine Nebensache. Man wird einfach ins Leben entlassen nach der 10. Klasse und dann stand ich da ohne alles wieder man! Mama machte mir noch 'ne Ausbildung als Erzieher klar! Doch auch da bin ich rausgeflogen! von zu Hause ausgezogen ohne Wohnung nur bei Bobby, Luftmatratze auf'm Boden. Keine Perspektive, keine Aussicht auf was besseres, nur ganz viel von dem Zeug das dich vergessen lässt, zu viel! Ich weiß, ich kenn dich nicht, doch ich erzähl dir das, Damit du weißt wieviele Facetten das Leben hat. Ich mein mal geht es abwärts doch dann lernst du aus deiner Pleite und dann geht es hoch guck hier das Schicksal war auf meiner Seite! Das macht es auch für dich, das wird schon wieder, glaub an dich! Die Zukunft zaubert dir wie mir ein breites Grinsen auf's Gesicht. Lauf nicht einfach hin und her, siehs positiv das ist nicht schwer. Ich hatte diesen Traum ich hab ihn verfolgt und jetzt bin ich wer! Warum ich dir das jetzt erzähle, weiß ich nicht genau. Wahrscheinlich weil du grad so guckst mit deinen weinerligen Augen. Doch ich glaub unter dem Wasser steckt ne Fratze die sich sehen lässt. Ich hoffe dieses Lied wischt deine Tränen weg! Hör zu!

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Hey Du! Hey Du! Hör mir mal, hör mir mal zu... Ick will dir mal wat erzählen von mir dit hab ich noch nie jemacht außer bei dir vielleicht bringt it dir wat ick kenn dir ja nich... Ick seh nur wie traurig du bist!“

Online verfügbar unter http://lyrics.wikia.com/wiki/Sido:Hey_Du! [Stand 201605-23].

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Bushido – „Electrofaust“ (Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003) [Intro] "Wer hat dir den Auftrag gegeben mich umzubringen? Ich bezahle dir zweimal so viel, wenn du ihn umbringst." "Hört sich gut an, aber ich kann das nicht akzeptieren Ich habe den Auftrag angenommen und ich führe ihn aus Das bin ich meinem guten Ruf schuldig." "Das werden wir ja sehen, ob du ihn ausführen kannst Ich hab jedenfalls keine Angst vor dir und deinen faulen Tricks. Meine Faust ist stärker." "Ich breche dir alle Knochen. Gegen mich hast du keine Chance..." [Part 1] Jetzt kommt mein Bezirk und der Rest kann gehen Ich treff mich gerne am Block mit euch Kecks um zehn Ihr könnt runterfahr'n, um wieder neu zu booten Ich bring den Sound aus dem Ghetto für 80 Minuten Ich bin der New Kid On The Block Ihr seid alle zu shit für den Job Du bist down, weil deine Stars alle scheiße waren Bushido bringt Rap wieder zu den 30ern Mein Tape und Tempelhof rult Dein Tape und Schöneberg buht Deutschland kriegt Stress mit den Boyz n the Hood Du hast Pech, weil jeder Gangster jetzt auf dich spuckt! "Na, wo bleibt deine berühmte Faust?" [Hook] Der vom Bordstein Bis zur Skyline Der Dschungel aus Beton, die Lunge voller Smog Es ist gut hier zu sein, denn ich lebe für den Block Der vom Bordstein

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Bis zur Skyline Wer hat Benzin im Blut und brennt den Asphalt weg? Der Horizont wird schwarz, es wird jetzt Zeit für's Bett (2x) "They say I walk around like I got an S on my chest"

Online verfügbar unter http://genius.com/Bushido-elektrofaust-lyrics [Stand 2016-05-23].

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Bushido – „Bei Nacht“ (Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003) Du machst nichts, was ich nicht schon gestern gut gemacht hab Du willst rappen und brichst dir dabei den Schwanz ab Ich mach jetzt mein Solo hart, schreib den Text im Polo-Shirt Ich mach die Kohle, keiner von euch Homos ist was wert Jeder meiner Fans scheißt darauf, wie du am Mic rappst Komm nach Schöneberg und zeig mir deinen scheiß Text Meine Stadt hat kein' Platz, ich mach aus deinem Team 'ne Bitch Ich schreibe einen Satz und töte damit ihn und dich Egal, wie viel du rappst, ab heute bin ich Chef Sag den Leuten, du kennst mich und geh morgen zum Single-Treff Warum redet jeder Spast seit Wochen nur von mir? Ich komm auf die Bühne und auf einmal schreien alle "Yeah!" Jeder meiner Tracks ist für meinen Stadtbezirk Gib mir ein' Takt und ich zeig dir, wie man zum Schatten wird Du willst alles ausprobiern Dann komm in meine Hood Hier kannst du den Bordstein fressen Ich mach dich Spast kaputt Wer is' so fit wie ich? Wer is' mein Feind? Ich bin der, der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint Du kannst schreien, so laut du kannst Du gehst knockout Du bleibst auch nur 'ne Frau mit Schwanz Die sich nichts traut (Yeah!) Wer is' so fit wie ich? Wer is' mein Feind? Ich bin der, der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint Du kannst schreien, so laut du kannst Du gehst knockout Du bleibst auch nur 'ne Frau mit Schwanz Die sich nichts traut (Yeah!)

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Ich guck dich an und reduziere dich auf Millimeter Gestern war ich nett, doch heute heißt es: "Wir sind Gegner!" Es is viel zu ernst, als dass du noch mit mir abhängst Du quatschst mich voll, weil du Schwuchtel jetzt einen Star kennst Ich bin pervers und vögle Nutten aus den Hotpants Dein größter Traum ist, dass du mit mir cool am Block danct Hier gibt es kein' Picknick, du chillst, ich fick dich Du behauptest, Rap soll man nich ernst nehm Du Kind bist out und naiv Mein Name glänzt am Horizont Sag deiner Mama, dass Bushido morgen wiederkommt Ich beiß mich fest, du Opfer, ich lass nicht mehr los Welcher Kanacke zahlt Eintritt für deine Billigshows?! Cordon Sport, du schreibst viel, ich brauch ein Wort Ich bin Berliner 48 und ich scheiß auf Torch Rapp dein Ding frei, lauf weg und bring drei Ich hab für jeden von euch Platz, ihr seid Toy (Yeah!) Wer is' so fit wie ich? Wer is' mein Feind? Ich bin der, der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint Du kannst schreien, so laut du kannst Du gehst knockout Du bleibst auch nur 'ne Frau mit Schwanz Die sich nichts traut Wer is' so fit wie ich? Wer is' mein Feind? Ich bin der, der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint Du kannst schreien, so laut du kannst Du gehst knockout Du bleibst auch nur 'ne Frau mit Schwanz Die sich nichts traut

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Wer is' so fit wie ich? Wer is' mein Feind? Ich bin der, der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint Du kannst schreien, so laut du kannst Du gehst knockout Du bleibst auch nur 'ne Frau mit Schwanz Die sich nichts traut“

Online verfügbar unter http://lyrics.wikia.com/wiki/Bushido:Bei_Nacht [Stand 2016-05-23].

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Bushido – „Alles verloren“ (Album „7“, Ersguterjunge 2007) „Mir fließt das Ghetto durch die Pulsadern Ich gebe dir dafür die Schuld, Vater Dass bei uns damals die Bullen da waren So wie ich ist diese halbe scheiß Nation Wir sind den heißen Tropfen auf dem kalten Stein gewohnt Lass doch mal die Lügen sein Wir knacken dafür keine Schlösser und das SEK tritt dafür keine Türen ein Sag mir endlich, wann kommt Ali aus dem Knast? Ich hoffe nur, ich geb dir mit dem Lied ein bisschen Kraft Ich bin der, der die Regeln bricht Und du wirst angehalten Weil du als Kanake in 'nem AMG-Mercedes sitzt Du bist für sie nur wie Dreck und sie schließen dich weg Und dann wird nie gesagt, ich handel nicht politisch korrekt Wie gern würden mich die Wichser in die Zelle bringen Weil in meiner Fangemeinde eh nur Kriminelle sind Ihr seid nur unzufrieden, deswegen wollt ihr mir den Mund verbieten Ich hab keine Lust, meinen Mund zu schließen. Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn, kannst du im Ghetto sehn, wie alles verkommt, denn sie hat alles verloren. Kannst du die Tränen sehn, kannst du sie sehn, sie würde nur zu gern dem Alltag entkommen, sie wartet auf ihre Chance. Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn, kannst du sehn wie er den Job jetzt verliert, denn er hat alles verloren. Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn und jetzt sag mir nochmal, ich schau nicht nach vorn, wir haben alles verloren. Für deine Eltern jetzt der Alptraum in Person Das ist Gangsta-Rap, denn ich rappe für ein paar Millionen Ja, der Kritiker spekuliert und ich geb ihm jetzt 'ne Hilfe Ich bin vorbestraft, asozial und tätowiert Gut erkannt, hier rappt der Junge über Knast Beim ECHO fühlte ich mich wie ein unerwünschter Gast Falsches Lachen, denn sie hassen mich, ich spür den krassen Neid Ja, ich bin der Typ, der im Supermarkt in Kassen greift Ihr wollt das echte Leben, dann lasst mich aussprechen

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Ich kann noch mehr, als nur Autotüren aufbrechen Kannst du sehen, wie sich die Wolkendecke völlig schließt Mein ganzer Lebensstil wird mich noch in die Hölle ziehen. Ihr könnt mir den Tod wünschen, ich möchte einfach in den siebten Himmel Doch ich find mich in den sieben Todsünden Das ist sieben, Junge, das hier ist das siebte Album Und ich bewahre immer noch die Haltung Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn, kannst du im Ghetto sehn, wie alles verkommt, denn sie hat alles verloren. Kannst du die Tränen sehn, kannst du sie sehn, sie würde nur zu gern dem Alltag entkommen, sie wartet auf ihre Chance. Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn, kannst du sehn wie er den Job jetzt verliert, denn er hat alles verloren. Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn und jetzt sag mir nochmal, ich schau nicht nach vorn, wir haben alles verloren. Ich habe diesen Weg hier ausgesucht Und mag der Weg auch wieder steinig werden Scheiß drauf, ich gehe die Strecke auch zu Fuß Was wollt ihr mir nur erzählen, ihr seid ein Haufen Opfer Ein Haufen Opfer, das mal gerade frisch ausgekotzt hat Scheißegal, wie viel Geld ich schon verdient hab Ich bleib für immer dieser Junge, der gedealt hat Ich mach den Unterricht, den Unterricht für die Unterschicht, Fresse Es gibt keinen, der mich unterbricht Sie versuchen mir die Art zu rappen auszureden Mann, dabei haben sie uns vor langer Zeit schon aufgegeben Ihr könnt mich abführen, 100.000 Kriminelle, die mein Album kaufen Könnt ihr diese Macht spüren? Ihr könnt mich wegsperren, ihr könnt mich observieren Die Langeweile treibt mich dazu, euch zu provozieren Es gibt keine Konkurrenz und ich ficke eure Artgenossen Ich bin jetzt zurück, jetzt wird scharf geschossen.

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Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn, kannst du im Ghetto sehn, wie alles verkommt, denn sie hat alles verloren. Kannst du die Tränen sehn, kannst du sie sehn, sie würde nur zu gern dem Alltag entkommen, sie wartet auf ihre Chance. Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn, kannst du sehn wie er den Job jetzt verliert, denn er hat alles verloren. Kannst du das Ghetto sehn, kannst du es sehn und jetzt sag mir nochmal, ich schau nicht nach vorn, wir haben alles verloren“

Online verfügbar unter http://lyrics.wikia.com/wiki/Bushido:Alles_Verloren [Stand 2016-05-23].

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Bushido feat. Karel Gott – „Für immer jung“ (Album „Heavy Metal Payback“, ersguterjunge 2008) „Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer... Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer jung. Du scheißt auf die, die sinnlos reden, denn du bleibst ein Mann der Tat. Arbeitest grad' hart; den ganzen gottverdammten Tag. Du fühlst dich alt und schwach. Du fühlst dich ausgelaugt. Und das Schwein von Chef lässt an dir die schlechte Laune raus. Was für ein Pausenclown. Zehn Jahre Blut und Schweiß. Du guckst in den Spiegel, dieser Blick sagt: Genug es reicht. Bei deiner Frau ist Funkstille - Trauer. Geht sie fremd, hast du echt noch Kraft dem Hund aufzulauern? Die Kinder haben dich auch belogen: Egal ob rauchen, Partie, saufen, Drogen. So hast du dein Blut nicht aufgezogen. Jeder denkt an sich, doch wer denkt an dich? Früher Collegejacken, jetzt der Anzug du erkennst dich nicht. Dieses Leben ist halt einfach kalt und schwer und jedes Jahr kommen jetzt ein Paar Falten mehr. Sag, wie gern würdest du jetzt frei wie ein Adler fliegen, kein Gedanken mehr verschwenden irgendwann im Sarg zu liegen? Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer... Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer jung. Deine Eltern sind jetzt alt und krank. Und das ist wie ein schlechter Film und du betest jetzt zu Gott: Bitte halt ihn an. Es kommt dir vor wie gestern. Du warst gerade neun. Dein erstes Tor. Man ist stolz, wenn sich der Vater freut. Er war dein Trainer. Gekickt vor dem Haus. Heute läuft der Mann gebeugt mit 'nem Krückstock ins Haus. Du bist traurig. Dieser Mann der täglich mit dir draußen war, sitzt ganz allein am Küchentisch und hat jetzt grauen Star. Er ist krank. Krank, weil ihm die Niere fehlt. Der Stock begleitet ihn, wenn er heut' spazieren geht. Ihr geht es schlechter als ihm, aber keinen interessiert's. Der Arzt gibt ihr meist

R APTEXTE | 353

den letzten Termin. Wer kann die Zeit hier noch zurückdrehen? Wer gibt ihr wieder diese Kraft? Sie ist schwach. Guck mal, sie kann nur gebügt gehen. Und dir bleibt nur deine Erinnerung. Alles ist vergänglich, doch wir wären gern für immer jung, immer jung. Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer... Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer jung. Wie gern würde ich jetzt sagen: Hoffnung stirbt zuletzt. Was hab ich getan, warum bestraft mich Gott mit diesem Pech? Wann wird mir bewusst, dass nichts hier für immer ist, dass alles irgendwann zerbricht und ich dann in den Trümmern sitz? Genieß' den Augenblick, wenn du mit deinen Freunden bist. Diesen Moment mit deiner Mutter, denn dann freut sie sich. Irgendwann wird sie gehen. Genieß' den Augenblick, den du gerade mit ihr teilst. Alles andere braucht sie nicht. Und diese scheiß Gewohnheit - jeder denkt an sich. Kinder stressen ihren Vater bis er lediglich zerbricht, bis er einfach nicht mehr kann und auch nicht mehr reden will, weil er wieder jung sein möchte und auch leben will. Nichts ist für immer. Wir wären gern für immer jung. Lass' uns die Zeit, die bleibt einfach nur verbringen und vergiss doch einen Tag den harten Job. Hol jetzt die RayBan, die blue Jeans. Sing für sie Karel Gott. Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Du musst dich an die schöne Zeit erinnern, denn nichts ist für immer... Für immer jung, ein Leben lang für immer jung. Ich werde einfach immer alles geben. Ein Leben lang für immer jung. Ich werde einfach immer alles geben. Für immer. Im Leben. Für immer. Für immer. Für immer jung.“

Online verfügbar unter http://lyrics.wikia.com/wiki/Bushido:Für_Immer_Jung [Stand 2016-05-23].

Trackverzeichnis

Absolute Beginner - Liebes Lied

Album „Bambule“, Universal 1998

Afrob feat. David Pe - Alles Lüge

Sampler „Kopfnicker Records Das Album“, Kopfnicker Records 2001 Single „Reimemonster“, Four Music 1999 Album „Hammer“, Four Music 2005 Album „Hammer“, Four Music 2005 Album „Made in Germany “, Four Music 2001 Albino & Madcap, Album „Plan 88 - 88 is great“, Art 4 Real 2008 Albino & Madcap, Album „Plan 88 - 88 is great“, Art 4 Real 2008 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/2akPwXY [Stand 2016-05-25]. Album „Forever Young“, WEA 1984 Album „Illegal“, MurderBass 2009

Afrob feat. Ferris MC - Reimemonster Afrob feat. Dymak & J-Luv - Schaffen ums zu schaffen Afrob feat. Dean „D“ Dawson - Stossen mit den Jungs an Afrob feat. Ferris MC - The return of Reimemonster Albino & Madcap - Überall Albino & Madcap - Unser Horizont Alpa Gun - Frohe Weihnachten

Alphaville - Forever Young Automatikk - 1000 Jungs Automatikk - Friss Dreck Automatikk - Ghettopräsident Pt. 2 Automatikk - Königskettenfetischist

Album „Des Killatape Vol. 1“, Amstaff 2005 Album „Jenseits von Eden“, MurderBass 2008 Album „Jenseits von Eden“, MurderBass 2008

356 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Automatikk - Strich in der Landschaft Automatikk - Wir fikkken alless Azad - 1 Mann Armee Azad - Azphalt Inferno Azad - Hip Hop Azad - Mein Block Azad - Rapresentieren Baba Saad feat. Azad - Gefangen Bass Sultan Hengzt - Battle dies und das Bass Sultan Hengzt - Ex-Guter Junge Bass Sultan Hengzt - Fick Bushido Bass Sultan Hengzt - H.E.N.gzt Bass Sultan Hengzt - Rap braucht kein Abitur (Rap Student) Bass Sultan Hengzt - Schmetterlingseffekt Berlins Most Wanted - Das ist Hip Hop Bizzy Montana - Stunde Null

BK feat. Kitty Kat - Mittelfinger hoch

Blumentopf - Ach so

Album „Wir fi***en immer noch alles “, Amstaff 2006 Album „Wir fikkken alless“, Gangbang Rec. 2004 Album „Leben“, Pelham Power Productions 2001 Album „Azphalt Inferno“, Bozz Music 2009 Album „Leben“, Pelham Power Productions 2001 Album „Der Bozz“, Bozz Music 2004 Album „Leben“, Pelham Power Productions 2001 Album „Das Leben ist Saad“, Ersguterjunge 2006 Album „Rap braucht immer noch kein Abitur“, Ersguterjunge 2005 Album „Zahltag“, Murderbass 2009 MP3-Release, Amstaff 2006 Album „Der Schmetterlingseffekt“, Amstaff 2007 Album „Rap braucht kein Abitur“, Amstaff 2003 Album „Der Schmetterlingseffekt“, Amstaff 2007 Album „Berlins Most Wanted“, Ersguterjunge 2010 Album „M.A.D.U. 2 (Mukke Aus Der Unterschicht)“, Ersguterjunge 2008 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/2arHY8j [Stand 201605-25] Album „Musikmaschine“, Four Music 2006

T RACKVERZEICHNIS | 357

Blumentopf - Chin Chin Blumentopf - Die Bretter, die die Welt bedeuten Blumentopf - Gute Musik Blumentopf - Mein Block Blumentopf - Mein Block Blumentopf - Schweiss Blumentopf - Zu talentiert Boyz II Men - I’ll make love to you Brothers Keepers - Adriano (Letzte Warnung) B-Tight & Bendt - Bums mich! B-Tight feat. Kitty Kat - Das Geständnis B-Tight - Der Ficker B-Tight - Ghettostar Bushido - 11. September

Bushido - Alles Verloren Bushido - Alles Verloren Bushido - Arschfick Bushido - Asphalt Bushido - Bei Nacht

Album „Musikmaschine“, Four Music 2006 Album „Musikmaschine“, Four Music 2006 Album „Musikmaschine“, Four Music 2006 Album „Gern geschehen“, Four Music 2003 Compilation „Juice CD Volume 34“, Juice Magazin 2003 Album „Musikmaschine“, Four Music 2006 Album „Musikmaschine“, Four Music 2006 Single „I’ll make love to you“, Motown 1994 Single „Adriano (Letzte Warnung)“, Downbeat Records 2001 Sampler „Ansage Nr.3“, Aggro Berlin 2003 Album „Neger Neger“, Premium Edition, Aggro Berlin 2007 Sampler „Ansage Nr.4“, Aggro Berlin 2004 Album „Goldständer“, Aggro Berlin 2008 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/1po5Kz0 [Stand 201605-25] Album „7“, Ersguterjunge 2007 Single „Alles verloren!“, Ersguterjunge 2007 Album „King of Kingz“, Ersguterjunge 2003 Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003 Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003

358 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Bushido - Bei Nacht Bushido - Bloodsport

Bushido - Bordstein und Skyline zugleich Bushido & Fler aka Sonny Black & Frank White feat. King Orgasmus One - Drogen, Sex, Gangbang Bushido - Ein Mann Armee Bushido - Electrofaust Bushido - Fick Rap Bushido - Flerräter

Bushido & Fler aka Sonny Black & Frank White - Heavy Metal Payback Bushido feat. Karel Gott - Für immer jung Bushido feat. Karel Gott - Für immer jung Bushido - Gibt Es Dich Bushido - H.E.N.G.Z.T.

Bushido - Intro Bushido - September

Bushido - Sonnenbank Flavour

Single „Bei Nacht“, Aggro Berlin 2003 Album „Von der Skyline zum Bordstein zurück“, Ersguterjunge 2006 Album „AMYF (Ltd. Deluxe Edition)”, Bushido (Sony Music) 2012 Album „Carlo, Cokxxx, Nutten“, Aggro Berlin 2002 Album „Zeiten ändern dich“, Ersguterjunge 2010 Album „Vom Bordstein bis zur Skyline“, Aggro Berlin 2003 Album „King Of Kingz“, Aggro Berlin 2003 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/2aaHij2 [Stand 201605-25] Sampler „Ansage Nr.2“, Aggro Berlin 2002 Album „Heavy Metal Payback“, Ersguterjunge 2008 Single „Für immer jung“, Ersguterjunge 2008 Album „7“, Ersguterjunge 2007 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/1t8D1yo [Stand 201605-25] Album „7“, Ersguterjunge 2007 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/1po5Kz0 [Stand 201605-25]. Album „Von der Skyline zum Bordstein zurück“, Ersguterjunge 2006

T RACKVERZEICHNIS | 359

Bushido, Chakuza, Eko Fresh - Vendetta

Bushido - Von der Skyline zum Bordstein zurück Busta Rhymes - Legend Of The Fall Offs Casper - Hundeleben Casper - Stampf ihn ein Casper feat. Kollegah - Strasse 2 Chakuza feat. Bushido - Eure Kinder Cora E. - ... und der MC ist weiblich Creutzfeld & Jakob - Anfangsstadium

Creutzfeld & Jakob - Auge des Sturms

Creutzfeld & Jakob - Bunkerwelt in Witten Creutzfeld & Jakob - Fehdehandschuh

Creutzfeld & Jakob - Rhymes, Weed, Cash, Beatz Creutzfeld & Jakob - Wer meint‘s ernst

Creutzfeld & Jakob - Witten City Curse - 24

Album „ersguterjunge Sampler Vol.2 - Vendetta“, ersguterjunge 2006 Album „Von der Skyline zum Bordstein zurück“, Ersguterjunge 2006 Album „The Big Bang“, Aftermath Entertainment 2006 Album „Hin zur Sonne“, 667 One More Than The Devil 2008 Album „Hin zur Sonne“, 667 One More Than The Devil 2008 Album „Hin zur Sonne“, 667 One More Than The Devil 2008 Single „Eure Kinder“, ersguterjunge 2007 Album „Corage“, EMI 1998 Album „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, Put Da Needle To Da Records 2000 Album „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, Put Da Needle To Da Records 2000 Album „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, Put Da Needle To Da Records 2000 Album „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, Put Da Needle To Da Records 2000 Album „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, Put Da Needle To Da Records 2000 Album „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, Put Da Needle To Da Records 2000 Album „Zwei Mann gegen den Rest!“, Universal 2003 Album „Sinnflut“, Subword 2005

360 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Curse - Alles wird besser

Curse - Der Fluch

Album „Innere Sicherheit“, Premium Blend 2003 Album „Innere Sicherheit“, Premium Blend 2003 Album „Sinnflut“, Subword 2005

Curse - Der lange Weg zur...

Album „Freiheit“, Subword 2008

Curse - Freiheit

Album „Freiheit“, Subword 2008

Curse - Gangsta Rap

Album „Sinnflut“, Subword 2005

Curse - Goldene Zeiten Curse - Konsequenzen

Album „Innere Sicherheit“, Premium Blend 2003 Album „Sinnflut“, Subword 2005

Curse feat. Trauma & Fabio - Männer

Album „Sinnflut“, Subword 2005

Curse - Rap

Album „Innere Sicherheit“, Premium Blend 2003 Album „Innere Sicherheit“, Premium Blend 2003 Album „Freiheit“, Subword 2008

Curse - Curse ist zurück

Curse - Und was ist jetzt Curse - Wenn ich die Welt aus dir erschaffen könnte Curse - Zehn Rap Gesetze Das Bo - Türlich, Türlich (sicher, Dicker)

Deichkind feat. Nina - Bon voyage Deichkind - Crew vom Deich Deichkind - Drogenrausch Deine Lieblings Rapper - Mit Stil D-Flame & Tone - Mehr als Musik Die Fantastischen Vier - Bring It Back Die Fantastischen Vier - Die Da?! Die Fantastischen Vier - Die Geschichte Des O

Album „Feuerwasser“, Jive 2000 EP „Türlich, Türlich (sicher, Dicker)“, Yo Mama‘s Recording 2000 Album „Bitte ziehen sie durch“, Showdown 2000 Album „Noch fünf Minuten Mutti“, EastWest Records 2002 Album „Noch fünf Minuten Mutti“, EastWest Records 2002 Album „Dein Lieblings Album“, Aggro Berlin 2005 Single "Mehr als Musik", Mercury 2002 Album „Viel“, Four Music 2004 Album „4 gewinnt“, Columbia 1992 Album „Lauschgift“, Columbia 1995

T RACKVERZEICHNIS | 361

Die Fantastischen Vier - Du Arsch Die Fantastischen Vier - Du mich auch

Album „Jetzt geht's ab“, Columbia 1991 Album „Fornika“, Columbia 2007

Die Fantastischen Vier - Du Und Sie Und Wir Die Fantastischen Vier - Einfach Sein

Album „Fornika“, Columbia 2007

Die Fantastischen Vier - Ewig

Album „Viel“, Four Music 2004

Die Fantastischen Vier - Frohes Fest

Single „Frohes Fest“, Columbia 1991 Album "Die 4. Dimension", Columbia 1993 Album „4:99“, Columbia 1999

Die Fantastischen Vier - Ganz Normal Die Fantastischen Vier - Hammer Die Fantastischen Vier - Hip Hop Musik

Album „Fornika“, Columbia 2007

Die Fantastischen Vier - Lass Die Sonne Rein Die Fantastischen Vier - Le Smou

Album „4 gewinnt“, Columbia 1992 Album „Jetzt geht's ab“, Columbia 1991 Album „4 gewinnt“, Columbia 1992 Album „4:99“, Columbia 1999

Die Fantastischen Vier - MfG

Album „4:99“, Columbia 1999

Die Fantastischen Vier - Nikki War Nie Weg Die Fantastischen Vier - Thomas Und Die Fraun Die Fantastischen Vier - Vier Gewinnt

Album „Fornika“, Columbia 2007

Die Fantastischen Vier - Jetzt Paßt Auf

Die Firma - Die Eine Die Firma - Die Eine 2005 Die Firma - Jetzt Die Firma - Scheiß auf die Hookline Die Firma - Wir sind DJ Stylewarz feat. Torch & D-Flame Bitte...Wer

Album „4 gewinnt“, Columbia 1992 Album „4 gewinnt“, Columbia 1992 Album „Spiel des Lebens / Spiel des Todes“, LaCosaMia 1998 Album „Krieg und Frieden“, LaCosaMia 2005 Album „Das sechste Kapitel“, LaCosaMia 2010 Album „Spiel des Lebens / Spiel des Todes“, LaCosaMia 1998 Album „Das dritte Auge“, V2 Records 2002 Single „Bitte...Wer?“, Island Records 2002

362 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Eko Fresh - Die Abrechnung Eko Fresh - Das ist mein Viertel Eko Fresh feat. Bushido - Gheddo Fard feat. Snaga - Kingshit Farid Bang - Asphalt Massaka Farid Bang - Ich bin Düsseldorf Farid Bang - Wer ist Düsseldorf Ferris MC - Düstere Legende Ferris MC - Unsterblich ’04 Fettes Brot - Da draußen Fettes Brot - Definition Von Fett Fettes Brot - Der beste Rapper Deutschlands ist offensichtlich Ich Fettes Brot - Ruf Mich An Fettes Brot - Viele Wege führen nach Rom Fler feat. Kitty Kat & Godsilla - Früher wart ihr Fans Fler - Identität Fler - Neue Deutsche Welle 2004 Fler feat. Sido - Therapie F.R. - Flucht zu dir

Album „German Dream Allstars“, BMG 2005 Album „Hart(z) IV“, Subword 2006 Album „Hart(z) IV“, Subword 2006 Album „Omertà“, Code Rouge 2008 Album „Asphalt Massaka“, German Dream Evangelium 2008 Album „Asphalt Massaka 2“, German Dream Evangelium 2010 Album „Asphalt Massaka“, German Dream Evangelium 2008 Album „Ferris MC's Düstere Legenden“, EMI 2006 Album „Ferris MC's Düstere Legenden“, EMI 2006 Single „Da draussen“, Intercord 2000 Single „Definition Von Fett“, Alternation 1994 Album „Strom und Drang“, Indigo 2008 Single „Ruf Mich An“, Polydor 1999 Single „Viele Wege führen nach Rom“, Alternation 1998 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/1nmVZ79 [Stand 2016-05-25] Album „A-G-G-R-O / Nach eigenen Regeln “, Aggro Berlin 2005 Album „Neue Deutsche Welle“, Aggro Berlin 2005 Album „Fremd im eigenen Land“, Aggro Berlin 2008 Album „Vorsicht, Stufe!“, DEAG Music 2008

T RACKVERZEICHNIS | 363

F.R. - FrRrRrRrRr F.R. - Rap braucht Abitur F.R. - Son of a preacher man Frauenarzt - Dein Arsch Frauenarzt - Diese Fotzen Frauenarzt feat. Tanga Lilly - Gynäkologe Haftbefehl feat. Chaker - Gillette Haftbefehl - Glänzen Haftbefehl - Wie die Tränen meiner Mutter Hecklah & Coch - Lauf Hecklah & Coch feat. BK - Mein Block Hecklah & Coch feat. BK - Mein Block Herr von Grau - Nicht jeder Huss und Hodn - Gangsterberuf Huss und Hodn - Garnichtsohart Huss und Hodn - Nich so schwuu Huss und Hodn - Radiowecker Huss und Hodn - Rokin’ Huss und Hodn – Strassenraep

Album „Wer bist du?“, DEAG Music 2010 Single „Rap braucht Abitur“, DEAG Music 2008 Album „Wer bist du?“, DEAG Music 2010 Album „Der Untergrundkönig“, Mehr Kohle Records 2005 Album „Der Untergrundkönig“, Mehr Kohle Records 2005 Album „Tanga Tanga“, Berlin Crime 2005 Album „Azzlack Stereotyp“, Echte Musik 2010 Album „Azzlack Stereotyp“, Echte Musik 2010 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/295EfZq [Stand 201605-18] Bonus-CD, Album „Über alles in der Welt“, Rawzone Records 2004 Album „Grundausbildung“, Rawzone Records 2003 Compilation „Juice CD Volume 35“, Juice Magazin 2003 Album „Heldenplätze“, Rappers.In 2009 Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2008 Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2008 Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2008 Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2008 Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2008 Album „Jetzt schämst du dich!“, Entourage-Business 2008

364 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Ilona Schulz - Du bist schön auch wenn du weinst (Marias Lied) Jan Delay - Ahn’ ich gar nich’

King Orgasmus One - Schneid dein Kopf ab Kitty Kat - Bitchfresse

Album „Linie 1 – Das Musical“, Polydor 1986 Album „Mercedes-Dance“, Universal 2006 Album „Mercedes-Dance“, Universal 2006 Album „Mercedes-Dance“, Universal 2006 Album „Mercedes-Dance“, Universal 2006 Album „This Is Me … Then“, Epic 2002 Album „Alles nur aus Liebe“, I Luv Money Records 2005 DVD, „Orgi Pörnchen 2 – Das Auge fickt mit“, Pornoboss Production 2004 Album „La petite mort II“, I Luv Money Records 2010 Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Braves Mädchen

Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Du bist Vergangenheit

Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Es gibt kein Zurück

Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Fliegen üben

Album „Pink Mafia“, Urban 2011

Kitty Kat - Heiß

Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Ich bin eine von euch

Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Kitty Kat

Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Kriegerin

Album „Pink Mafia“, Urban 2011

Kitty Kat - Mit dir

Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Miyo!

Album „Miyo!“, Urban 2009

Kitty Kat - Pussy

Sampler „Aggro Ansage Nr.8“, Aggro Berlin 2008 Produzent Woroc, Album „Berlin Berlin”, VS Recordz 2007

Jan Delay - Kartoffeln Jan Delay - Klar Jan Delay - Mercedes-Dance Intro Jennifer Lopez - Jenny from the block King Orgasmus One - Fick die Ex 2000sex King Orgasmus One - „Orgi Pörnchen 2 – Das Auge fickt mit“

Kitty Kat - Still a real bitch

T RACKVERZEICHNIS | 365

K‘naan - Wash It Down

Kollegah - 1001 Nacht Kollegah - Big Boss Kollegah - In der Hood Kollegah - Kollegah Kollegah - Mondfinsternis Kollegah - Straßenapotheker Kool Savas - 16-2 Kool Savas - Alle in einem Kool Savas & Azad - Banana 2 Kool Savas - Das Urteil Kool Savas – Don’t hate Kool Savas - Essah Kool Savas - Fick dich nicht Kool Savas & Azad - Ich bin Rap Kool Savas - Krank Kool Savas - LMS Kool Savas - Optik Anthem feat. Optik Crew (Eko & Valezka & Melbeatz) Kool Savas - Schwule Rapper

Album „The Dusty Foot Philosopher“, Sony BMG Music Entertainment 2005 Album „Kollegah“, Selfmade Records 2008 Album „Kollegah“, Selfmade Records 2008 Album „Kollegah“, Selfmade Records 2008 Album „Kollegah“, Selfmade Records 2008 Album „Bossaura“, Selfmade Records 2011 Album „Kollegah“, Selfmade Records 2008 EP „Warum rappst du?“, Lmssound 2000 Album „Der beste Tag meines Lebens“, Subword 2002 Kool Savas & Azad, Album „One“, Subword 2005 Album „Die John Bello Story“, Optik Records 2005 Album „Der beste Tag meines Lebens“, Subword 2002 Album „Tot oder lebendig“, Sony BMG 2007 Album „Optik Takeover“, Optik Records 2006 Album „One“, Subword 2005 Album „Tot oder lebendig“, Sony BMG 2007 Single „LMS“, Put Da Needle To Da Records 1999 Album „Der beste Tag meines Lebens“, Subword 2002 Single „LMS“, Put Da Needle To Da Records 1999

366 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Kool Savas - Wie S K.I.Z. feat. Sido - Das System (Die kleinen Dinge) K.I.Z. - Riesenglied K.I.Z. - Ringelpiez mit Anscheissen K.I.Z. - Spast K.I.Z. - Tanz

K.I.Z. - Töten Laas Unltd. - Backpack Inferno Laas Unltd. - Fick dich Felix (F.D.F)

Lady Bitch Ray - Deutsche Schwänze Lady Bitch Ray - Ich Bin Ne Bitch Lisi - Berlin Lisi - Bleib cool Lisi feat. Afrob - Das Problem Lisi - Fotzen Part 2 Lisi feat. She-Raw - Interessiert mich nicht Lisi - L.I.S.I. Lisi - Payback

Album „Der beste Tag meines Lebens“, Subword 2002 Single „Das System (Die kleinen Dinge)“, Royal Bunker 2009 Album „Böhse Enkelz“, Royal Bunker 2006 Album „Sexismus gegen Rechts“, Royal Bunker 2009 Album „Hahnenkampf“, Royal Bunker 2007 Album „Das Rap Deutschland Kettensägen Massaker“, Royal Bunker 2005 Album „Sexismus gegen Rechts“, Royal Bunker 2009 Album „Backpack Inferno“, No Image Records 2010 Freetrack, online verfügbar unter http://bit.ly/2arILWN [Stand 201605-25] EP „Vorhang auf!“, Vagina Style Records 2007 EP „Vorhang auf!“, Vagina Style Records 2007 Album „Eine wie keine“, Four Music 2006 Album „Eine wie keine“, Four Music 2006 Album „Eine wie keine“, Four Music 2006 Album „Eine wie keine“, Four Music 2006 Album „Eine wie keine“, Four Music 2006 Album „Eine wie keine“, Four Music 2006 Album „Eine wie keine“, Four Music 2006

T RACKVERZEICHNIS | 367

Marteria - Das Leben ist schön Marteria - Fusion 2007 Marteria - Haze Ventura Massiv feat. Sido - Das ist die Strasse Massiv - Einer aus dem Volk Massiv feat. Basstard - Eiszeit Massiv - Hollyhood Massiv - Intro Massiv - Wenn der Mond in mein Ghetto kracht Massive Töne - Deutschrap Massive Töne - Im Club Massive Töne - Mach mal lauter Massive Töne - Stress Massive Töne - Traumreise Massive Töne - Wer? MC Rene - Spüre diesen Groove Meditias - Come on Baby Melbeatz feat. Kool Savas, Samy Deluxe Ok! MOK – F*** Deutschland

Album „Base Ventura“, Magnum12 2007 Album „Base Ventura“, Magnum12 2007 Album „Base Ventura“, Magnum12 2007 Album „Der Ghettotraum in Handarbeit“, Fight4Music 2009 Album „Meine Zeit“, Al Massiva 2009 Album „Der Ghettotraum in Handarbeit“, Fight4Music 2009 Album „Meine Zeit“, Al Massiva 2009 Album „Meine Zeit“, Al Massiva 2009 Single „Wenn der Mond in mein Ghetto kracht“, Al Massiva 2007 Album „MT3“, EastWest Records 2002 Album „MT3“, EastWest Records 2002 Album „MT3“, EastWest Records 2002 Album „MT3“, EastWest Records 2002 Album „MT3“, EastWest Records 2002 Album „MT3“, EastWest Records 2002 Album „Renevolution“, MZEE 1995 Album „No. 1“, Al Dente Recordz 2008 Album „Rapper’s Delight“, Optik Records 2004 Album „Hustler”, Ersboeserjunge 2007

368 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Nate57 - Fick die Welt Nate57 - Gefährliches Mädchen Nate57 - Im Kreis Nate57 - Nate57 Nina - Doppel X Chromosom Olli Banjo - Baseballschläger Olli Banjo feat. Caput, Kool Savas, Moe Mitchell - Denkmal Olli Banjo - Deutschland Olli Banjo - Hong Kong Olli Banjo - Ich mach Rap kaputt Olli Banjo - Special Peter Fox - Alles neu Prinz Pi - Kette (Würfel II) Py aka Christiane Latte feat. Fumanschu – Ab 18 Pyranja - Blondes Gift Pyranja - Fremdkörper Pyranja - Gastspiel Pyranja - MV Pyranja - Verteidigung und Angriff (Piranhas)

Album „Stress aufm Kiez“, Rattos Locos Records 2010 Album „Stress aufm Kiez“, Rattos Locos Records 2010 Album „Stress aufm Kiez“, Rattos Locos Records 2010 Album „Stress aufm Kiez“, Rattos Locos Records 2010 Album „Nikita”, Motor Music 2001 Album „Schizogenie”, Headrush Records 2005 Album „Sparring 3”, Headrush Records 2008 Album „Erste Hilfe”, Capitol Music 2003 Album „Schizogenie”, Headrush Records 2005 Album „Schizogenie”, Headrush Records 2005 Album „Schizogenie”, Headrush Records 2005 Album "Stadtaffe", Warner Music 2008 Album „!Donnerwetter!”, No Peanuts 2006 Album „Frauen & Technik”, Pyranja Records 2004 Album „Frauen & Technik”, Pyranja Records 2004 EP „Im Kreis”, Def Jam Germany 2001 Album „Wurzeln & Flügel”, Dackel Enterprise 2003 Album „Laut & Leise”, Pyranja Records 2006 Album „Wurzeln & Flügel”, Dackel Enterprise 2003

T RACKVERZEICHNIS | 369

Pyranja - Warm up Samy Deluxe - ..Hab’ Gehört.. Samy Deluxe feat. Headliners - Bereit Samy Deluxe - Champions Samy Deluxe - Der Beste Samy Deluxe - Der Guteste Samy Deluxe - Die Meisten Samy Deluxe - Es ist wahr Samy Deluxe - Hausfriedensbruch Samy Deluxe - Let’s Go Samy Deluxe - Musik Um Durch Den Tag Zu Komm Samy Deluxe - Positiv Samy Deluxe - Sensationell Samy Deluxe - Session Samy Deluxe - So Soll’s Sein Samy Deluxe - Warum Samy Deluxe - Weck Mich Auf Samy Deluxe - Wer Wird Millionär Samy Deluxe - Wickeda MC

Album „Wurzeln & Flügel”, Dackel Enterprise 2003 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „Verdammtnochma!“, Capitol Music/EMI 2004 Album „Verdammtnochma!“, Capitol Music/EMI 2004 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „Verdammtnochma!“, Capitol Music/EMI 2004 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „Verdammtnochma!“, Capitol Music/EMI 2004 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „Deluxe Records Let’s Go!“, Deluxe Records 2005 Album „Dis wo ich herkomm“, Deluxe Records 2009 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „Verdammtnochma!“, Capitol Music/EMI 2004 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001 Album „SchwarzWeiss“, EMI 2011 Album „Samy Deluxe”, EMI Electrola 2001

370 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Samy Deluxe - Zurück Sido - 1000 Fragen Sido feat. B-Tight, Fler, Kitty Kat - Aggrokalypse Sido - Arschficksong Sido feat. Kitty Kat - Das Eine Sido, B-Tight, Kitty Kat - Das ist Hip Hop

Sido feat. Kitty Kat, Tony D - Ficken Sido - Fuffies im Club Sido - Ghettoloch Sido - Hey Du! Sido - Hey Du! Sido - Intro Sido feat. Kitty Kat - Mach keine Faxen Sido - Mein Block (Beathoavenz Remix) (Juice Exclusive) Sido - Mein Block RMX Sido - Mein Block Sido feat. Bendt, Fuhrmann, Loku - Mein Block (Beathoavenz Video RMX) Sido - Sido aus’m Block Sido & Bushido - So mach ich es Sido - Steig ein! Sido - Strassenjunge

Single „Zurück“, Deluxe Records 2004 Album „Ich“, Aggro Berlin 2006 Album „Ich und meine Maske“, Aggro Berlin 2008 Sampler „Ansage Nr.1“, Aggro Berlin 2002 Album „Eine Hand wäscht die andere“, Aggro Berlin 2007 Sampler „Aggro Berlin Label Nr. 1 2001 - 2009 X“, Aggro Berlin 2010 Album „Ich“, Aggro Berlin 2006 Album „Maske“, Aggro Berlin 2004 Album „Maske“, Aggro Berlin 2004 Album „Aggro Berlin“, Urban 2009 Single „Hey Du!“, Urban 2009 Album „Aggro Berlin“, Urban 2009 Album „Ich“, Aggro Berlin 2006 Compilation „Juice CD Volume 36“, Juice Magazin 2003 Sampler „Ansage Nr.3“, Aggro Berlin 2003 Album „Maske“, Aggro Berlin 2004 Single „Mein Block“, Aggro Berlin 2004 Album „Maske“, Aggro Berlin 2004 Album „23“, Columbia 2011 Album „Maske“, Aggro Berlin 2004 Album „Ich“, Aggro Berlin 2006

T RACKVERZEICHNIS | 371

Sido - Was hat er

Sookee - Blicke wie Feuer

Album „Maske“, Aggro Berlin 2004 Sampler „Ansage Nr.3“, Aggro Berlin 2003 Single „WeihnachtsSong ’06“, Aggro Berlin 2006 Single „WeihnachtsSong 2007“, Aggro Berlin 2007 Single „WeihnachtsSong“, Aggro Berlin 2008 Album „Quing“ - Premium Edition, Springstoff 2010 Album „Quing“, Springstoff 2010

Sookee - Keep it Käsekuchen

Album „Quing“, Springstoff 2010

Sookee & Tapete - Pro Homo

Album „Quing“, Springstoff 2010

Sookee - Quing

Album „Quing“, Springstoff 2010

Sookee - Siebenmeilensneakers

Album „Quing“, Springstoff 2010

Sookee - Trinity

Album „Quing“, Springstoff 2010

Spax - 24-365 (Volles Programm)

Album „Alles relativ“, Universal 2000 Album „Alles relativ“, Universal 2000 Album „Engel & Ratten“, Universal 2003 Album „Alles relativ“, Universal 2000 Album „Alles relativ“, Universal 2000 Album „Alles relativ“, Universal 2000 Album „Alles relativ“, Universal 2000 Album „Alles relativ“, Universal 2000 Album „Alles relativ“, Universal 2000

Sido - Weihnachts song Sido feat. G-Hot, Kitty Kat, Tony D – WeihnachtsSong (Remix) Sido – WeihnachtsSong 2007 Sido - WeihnachtsSong Sookee - 12 Minuten

Spax - Du hast den Style Spax - Ego Spax - Ihr kotzt mich an Spax - Kidz Spax - Pornostyle Spax feat. David Pe - Supreme Superior Spax - Waffenbrüder Spax - www.overloadexplorer.de

372 | P ERFORMATIVE L YRIK UND LYRISCHE P ERFORMANCE

Spezializtz feat. Afrob - Afrokalypse Tefla & Jaleel - Chemnitz Tefla & Jaleel - Phlatline Tefla & Jaleel - Sachsenring The Blackbyrds - Reggins Thomas D - Die Stadt schläft Thomas D - Fluss Thomas D - Keine Panik (Der Handtuch Song) Thomas D - Symphonie der Zerstörung Thomas D - Wir brauchen dich Tony D et al. - 5 krasse Rapper Torch - Wir waren mal Stars Visa Vie - Dein Rap

Single „Afrokalypse“, Columbia 1998 Album „Interview”, Phlatline Records 2001 Album „Direkt neben dir”, Phlatline Records 2002 Album „Interview”, Phlatline Records 2001 Album „The Blackbyrds”, Fantasy 1974 Album „Kennzeichen D”, One Artist 2008 Album „Kennzeichen D”, One Artist 2008 Album „Kennzeichen D”, One Artist 2008 Album „Kennzeichen D”, One Artist 2008 Album „Kennzeichen D”, One Artist 2008 Sampler „Ansage Nr.8“, Aggro Berlin 2008 Album „Blauer Samt“, V2 Records 2000 Album „Die neun Todsünden“, Flavamatic 2009

Musikvideoverzeichnis

Bushido - Alles Verloren

Bushido - Bei Nacht Bushido feat. Karel Gott Für immer jung

Curse - Freiheit

Curse - Und was ist jetzt

Die Firma - Die Eine 2005 DJ Stylewarz feat. Torch & D-Flame - Bitte...Wer Sido - Hey Du!

Sido - Mein Block Sido - Weihnachts song

Spezializtz feat. Afrob Afrokalypse

Single „Alles verloren!“ (Ersguterjunge 2007) und unter http://www.tape.tv/bushido/videos/allesverloren [Stand 2016-05-27] DVD „Aggro Ansage Nr.1 DVD #1“ (Aggro Berlin 2004) Single „Für immer jung“ (Ersguterjunge 2008) und unter http://www.kingbushido.tv/blog/?portfolio=furimmer-jung-feat-karel-gott [Stand 2016-05-20] Single „Freiheit“ (Subword 2008) und unter http://www.tape.tv/curse/videos/freiheit [Stand 2016-05-26] EP „Und was ist jetzt“ (Jive 2003) und unter http://www.tape.tv/curse/videos/und-was-ist-jetzt-1 [Stand 2016-05-26] Single „Die Eine 2005“, LaCosaMia 2005 DVD „Juice DVD – German Rap Video Classics“ (Juice Magazin 2005) http://www.universalmusic.de/sido/videos/detail/video:218644/hey-du [Stand 2016-05-20] Single „Mein Block“ (Aggro Berlin 2004) DVD „Aggro Ansage Nr.1 DVD #1“ (Aggro Berlin 2004) und online unter http://aggro.tv/sidoweihnachts-song-video/ [Stand 2016-05-19] DVD „Juice DVD – German Rap Video Classics“ (Juice Magazin 2005)

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Studien zur Popularmusik Christa Brüstle (Hg.) Pop-Frauen der Gegenwart Körper – Stimme – Image. Vermarktungsstrategien zwischen Selbstinszenierung und Fremdbestimmung 2015, 272 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2774-9

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Julio Mendívil Ein musikalisches Stück Heimat Ethnologische Beobachtungen zum deutschen Schlager 2008, 388 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-864-3

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