Goethes Welt- und Lebensanschauung [Reprint 2018 ed.] 9783111512099, 9783111144368

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Goethes Welt- und Lebensanschauung [Reprint 2018 ed.]
 9783111512099, 9783111144368

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Der junge Goethe
II. Goethe und Spinoza
III. Goethe und die Natur
IV. Goethe und Kant
V. Goethe und die Romantik
VI. Goethe und die sittliche Welt
VII. Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum

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Goethes wett- und Lebensanschauung Theobald Ziegler wenn ich mich nach jemand nennen soll, so meist ich keinen andern.

Berlin 1914 Druck und Verlag von Georg Reimer

Vorwort. Horazschen Rat, mit der Veröffentlichung zu warten bis ins neunte Jahr, habe ich bei diesem Büchlein reichlich befolgt.

Im Wintersemester 1902/03 habe ich an

der Straßburger Universität ein einstündiges Kolleg über Goethes Welt- und Lebensanschauung gehalten, und darauf im Mär; 1905 denselben Stoff in einem fünfstündigen Lehr­ gang des Freien Deutschen Hochstifts hier in Frankfurt vor einem größeren Publikum in verkürzter Form behandelt. Und ähnlich habe ich dann die Vorlesung in einem Straßburger Volkshochschulkurs im Winter 1910 und zum letzten Mal im Herbst 1912 bei den Ferialhochschulkursen in Salzburg wiederholt. So hatte ich die Wahl, die ursprüngliche mehr als doppelt so umfangreiche Fassung oder die spätere Ver­ kürzung dem Druck zugrunde zu legen. Ich habe die letztere vorgezogen und sie im wesentlichen so, wie ich sie zuletzt in Salzburg fixiert habe, hier wiedergegeben, nur daß nach­ träglich die Einteilung in sieben nicht ganz gleich lange Abschnitte vorgenommen wurde. In dieser anspruchslosen Gestalt hoffe ich am ehesten die richtigen Leser für das Büchlein zu finden.

Die Kritik

werde ich damit freilich nicht entwaffnen, und das Vor-

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Vorwort.

urteil, mit dem alles, was ich über Goethe oder Schiller sage, von germanistischer Seite aufgenommen wird, dennoch nicht aus der Welt schaffen. Oder hat man vielleicht inzwi-schen doch gelernt, daß die deutsche Literaturgeschichte keinen Grund hat, das Mitarbeiten von philosophischer Seite so ohne weiteres als überflüssig und als anmaßend von der Hand zu weisen? Der Stil ist der freiere und lässigere der mündlichen Rede, diese seine Herkunft will das Büchlein nicht verleugnen, auch wenn es aus Hörern Leser und aus Vorträgen Abschnitte gemacht hat. Leichtgeschürzt, wie es sich ans Licht wagt, hat es das schwere Gepäck von Anmerkungen und Literatur-angaben und, außer in dem Abschnitt „Goethe und Kant", auch alle Polemik grundsätzlich vermieden. Ich rede über Goethe, wie ich ihn sehe und liebe. Denn daß das Gesagte zugleich so etwas ist, wie mein eigenes Glaubensbekenntnis, wird der geneigte Leser sicher spüren. Wenn ich mich nach jemand nennen sollte, so wüßte ich in aller Bescheidenheit keinen anderen als Goethe. Frankfurt a. M., 9. Februar 1914. Tbeobald Ziegler.

Inhaltsverzeichnis. Einleitung................................................................................................. i I. Der junge Goethe........................................................................ 9 II. Goethe und Spinoza .................................................................... 25 III. Goethe und die Natur................................................................ 40 IV. Goethe und Kant ........................................................................ 54 V. Goethe und die Romantik......................................................... 70 VI. Goethe und die sittliche Welt .................................................... 79 a) Geschichte und Politik.......................................................... 79 b) Das Sittliche......................................................................... 87 VII. Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum ............ icg

Den lieben Freunden in Ludwigsburg Herrn und Frau Mberkirchenrat Bacmeifter

hakespeare und kein Ende! hat Goethe einmal ge­

B

rufen — in allem Ernst gerufen.

Goethe und kein

Ende! sagen wir ebenso in vollem Ernst. Denn „das ist die Eigenschaft des Geistes, daß er den Geist ewig anregt": und was vom Geist überhaupt, das gilt in ganz besonderem Maße vom Geist Goethes, mit dem wir trotz allen Bienen­ fleißes der Wissenschaft, die sich als Goetheforschung und Goethephilologie mit ihm beschäftigt, noch immer nicht zu Ende gekommen sind.

Aber höher als diese Andacht zum

Kleinen und Kleinsten, der wir so vieles verdanken und die darum gewiß ihr gutes Recht und ihren großen Wert hat, steht doch ohne Frage die Zusammenfassung alles dieses erarbeiteten Einzelnen zu einem Gesamtbild seiner großen Persönlichkeit; und gerade das, Goethe zu fassen im Kern und Zentrum dieser seiner Persönlichkeit, wie sie sich ab­ spiegelt in seiner Welt- und Lebensanschauung int ganzen, scheint mir immer noch und immer wieder notwendig und reizvoll zu sein.

Das Interesse ist aber nicht bloß ein

historisches, ans ein Vergangenes sich beziehend.

Es ist zu­

gleich auch so etwas wie eine Aufforderung an uns selbst, uns über die unselige Zerrissenheit unserer Zeit mit ihren politischen, sozialen und religiösen Gegensätzen hinaus- und hinaufzuschwingen in die Höhenluft jener reinen Menschlich­ keit, die schließlich doch Goethes bestes Teil, sein erstes und Ziegler, Goethes Weltanschauung.

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Einleitung.

sein letztes Wort gewesen ist, und die auch für uns daS Höchste und Beste ist, was wir von ihm lernen und uns von ihm zu eigen machen können, weil sie allein uns über alles jenes Trennende hinweghelfen und zur Einigung und zur Einheit führen kann. Und darum auf alle Gefahr hin und in allem Ernst auch noch im zwanzigsten Jahrhundert: Goethe und kein Endel Aber Goethe von der philosophischen Seite her betrachten — denn darauf läuft ja mein Unterfangen am Ende doch hinaus —, ob das möglich ist? und ob wir damit nicht ihm selber Unrecht und Gewalt antun, ihm nicht ein ihm Fremdes und Fremdartiges unterlegen, das seiner Art widerspricht? Ausdrücklich hat er es ja abgelehnt, ein Philosoph im schulmäßigen Sinn des Wortes, ein Meta­ physiker und Systematiker zu sein. „Eigentlich brauche ich gar keine Philosophie", hat er wiederholt erklärt; also dürfen wir ihm, so scheint es, auch keine aufdrängen und nachsagen. Aber er war doch ein Mensch, von dem sein eigenes Wort gilt: „Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Bewußtsein eigener Gesinnung und Gedanken, das Er­ kennen seiner selbst, welches ihm die Fähigkeit gibt, auch fremde Gemütsart innig zu erkennen." Und ein Dichter war er in jenem höchsten Sinne des Wortes, wie er selber es frühe schon auf Shakespeare angewendet hat: „Shakespeare gesellt sich zum Weltgeist, beiden ist nichts verborgen. Aber wenn des Weltgeists Geschäft ist, Geheimnisse vor, ja oft nach der Tat zu bewahren, so ist es der Sinn des Dichters, das Geheimnis zu verschwätzen, und uns vor oder doch gewiß

in der Tat zu Vertrauten ju machen." Und ein Mann der Wissenschaft ist er gewesen auf allerlei Gebieten der Natur; kein Spezialist fteilich und kein Fachgelehrter, sondern einer jener sinnenden und denkenden Naturforscher, die ihre Arbeit in philosophischem Geiste treiben und den Blick stets auf das Ganze der Natur gerichtet halten, ein „Natur­ denker" richtiger noch als ein Naturforscher. Auch als Staatsmann ist Goethe tätig gewesen, der auf Menschen wohl zu wirken wußte und die verschiedensten Zweige der Verwaltung eines allerdings nur kleinen Landes sicher be­ herrschte und dabei tiefe Blicke tat in Menschenwelt und Menschenarbeit. Und endlich steht er als ein Weiser am Schlüsse seines langen Lebens vor uns, als einer der größten Welt- und Lebensweisen aller Zeiten in jener stillen Ruhe und Abgeklärtheit seines tiefen und feinen Geistes, die so merkwürdig kontrastiert zu dem Ungestüm und der Heftig­ keit, der Leidenschaftlichkeit und der Rastlosigkeit des jugend­ lichen'Stürmers und Drängers. Aber ob das Bild aus einem andern Grunde nicht trotzdem einer solchen einheitlichen Zusammenfassung wider­ steht, wie wir sie hier zu geben versuchen wollen? oder anders ausgedrückt: ob Goethe auch wirklich eine solche Einheit in sich dargestellt und die Ansätze seiner Weltanschauung zu einer solchen Einheitlichkeit zusammengearbeitet hat? Dem scheinen alle jene Widersprüche entgegenzustehen, an denen es ja freilich auch bei ihm nicht gefehlt hat. Über Philosophie und Philosophen, über Religion und Christentum, über Freiheit und Notwendigkeit, über Sitte und Sittlichkeit,

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Einleitung.

über Individuum und Gesellschaft finden sich bei ihm so viele einander oft diametral entgegengesetzte Urteile und Aussprüche, daß es scheint, als könne zunächst von einer Einheit und Einheitlichkeit keine Rede sein. Vielleicht konnte man dagegen fragen: Bei wem finden sich denn solche Widersprüche nicht? Auch bei welchem Philosophen nicht? Und man könnte weiter sagen: Widerspruchs­ frei sind nur die ganz Platten und die ganz Ober­ flächlichen, die Menschen ohne alle Tiefe und Vielseitigkeit; darum muß gerade Goethe, dieser Tiefste und Reichste, dieser unendlich Vielseitige, um nicht zu sagen: Allseitige, notwendig und vor andern auch ein Mann großer Wider­ sprüche gewesen sein. Ein Dämonisches war in ihm und ein Beschauliches zugleich, das gelegentlich fast gar ans Phi­ listerhafte zu grenzen scheint, — das sind mehr noch als Mütterchens Frohnatur und des Vaters ernstes Führen die beiden entgegengesetzten Pole seines Wesens. Dazu nehme man ein Leben von 83 Jahren, das nie stille stand, nie abgeschlossen war, rastlos fortschritt, wuchs und sich entwickelte und sich deshalb auch immer umge­ staltete und wandelte. Goethe war immer Goethe und doch nie ganz derselbe: darin liegt der Reichtum und der Reiz seines vor uns sich ausbreitenden Lebens. Darum muß er auch in den verschiedenen Perioden desselben über Gott und Welt, über Natur und Menschenleben anders und immer wieder anders gedacht und gesprochen haben. Und nicht bloß er selber hat sich gewandelt, auch die Welt um ihn her war in ewiger Umgestaltung begriffen und war es zu seiner

Einleitung.

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Zeit mehr als je. Wir brauche» ja nur ein paar seiner Zeitgenossen: Voltaire und Rousseau, Klopstock und Lessiag, Wieland und Herder, Kant und Schiller, Schelling und Hegel, Novalis und Schlegel, Heine und Byron ju nennen und uns zu erinnern, daß er den Siebenjährigen Krieg und Friedrich den Großen, die französische Revolution und Napoleon, die Befteiungskriege und den deutschen Bundestag, die Kämpfe um Missolunghi und die Juli­ revolution in Frankreich erlebt hat und, ein Sohn des acht­ zehnten Jahrhunderts, noch tief hineingewachsen ist in das neunzehnte mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften und der Technik, den Anfängen der Fabrikindustrie und des Deutschen Zollvereins, der Blüte der Romantik und ihrer Überwindung durch Realismus und Kritik: dann ist es uns klar, wie inhalts- und wandlungsreich diese seine Umwelt gewesen ist, und wir begreifen, wie sich ein so empfänglicher Geist wie der Goethes unter diesen wechselnden Einflüssen selber auch hat wandeln müssen. Und noch einmal und allem anderen voran auch hier wieder: Goethe war ein Dichter, d. h. ein Mann wechselnder Gefühle und Stimmungen, zu Hause in der kaleidoskopisch leicht verschiebbaren Welt der Phantasie. Aus solchem Stimmungs- und Bilderwechsel heraus hat sein beweglicher Geist heute den Schmerz und Jammer einer ganzen Welt sich durch die Seele ziehen lassen und morgen der Heiterkeit und Lust des Daseins fröhlich Worte geliehen, heute die Ab­ hängigkeit des Menschen von Schicksal und Natur aufs tiefste empfunden und morgen sich seiner genialen Selbst-

macht stolz und freudig gerühmt, heute stch über die pedan­ tischen Philosophen unbefangen lustig gemacht und ihre trennende Art zu denken entschieden abgelehnt und morgen stch seiner Übereinstimmung mit ihren tiefsten Gedanken staunend gefreut und stch lebhaft und dankbar mit ihnen eins gefühlt. Darum klingt es freilich gelegentlich bald so, bald anders, und darum haben wir uns zu hüten, solche gelegent­ liche Äußerungen für das Ganze zu nehmen und die Wider­ sprüche zu betonen und in den Vordergrund zu rücken. überhaupt mit diesen einzelnen Stellen! Auf ste ver­ zichten können auch wir natürlich nicht. Wie stch Goethe im Gespräch oder in Briefen über Spinoza oder Kant, über Gott und Welt, über Freiheit und Notwendigkeit ausge­ sprochen hat, das zu vernehmen wird auch uns vom größten Werte sein. Aber daneben und darüber hinaus wird doch die in seinen Werken niedergelegte Gesamtanschauung und werden uns daher diese Werke selbst das Wichtigste, sie vor allem die Quellen sein müssen, aus denen wir schöpfen. In der „Iphigenie" oder im „Wilhelm Meister" wird Goethes Verhältnis zum Sittlichen bindender sozusagen, klarer und verständlicher zum Ausdruck kommen, als in einem doch nur aus der Stimmung des Augenblicks und einem gar nicht oder nur halb bekannten Zusammenhang heraus zu verstehenden Cinzelwort. An die von Goethe selbst ver­ öffentlichten Werke haben wir uns also immer zuerst zu halten, ohne daß wir deswegen Tagebücher, Briefe und Gespräche mit ihren oft besonders intimen Bekenntnissen vernachlässigen und ausschließen dürfen.

Auch für die Bildung und das Werden seiner Weltund Lebensanschauung ist natürlich „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit" die nächste Quelle. Ist aber auch dafür mit Vorsicht und allerlei Vorbehalt ju gebrauchen. Goethe hat ja diese seine Selbstbiographie nicht nur als Wahrheit, sondern selber auch als Dichtung bezeichnet und damit sagen wollen, daß nur dichterische Phantasie die Lücken der Erinnerung habe ausfüllen und die Bruchstücke darin zu einem in sich zusammenhängenden, abgerundeten und einheitlich sich aufbauenden Lebensbild habe gestalten können. Also nicht um Erdichtung, wohl aber um eine phantasievolle Ergänzung und freie Umdeutung des kindlich und jugendlich Erlebten im Sinne des später Gewordenen handelt es sich dabei. So mag denn freilich manches tat­ sächlich ganz anders erlebt, ursprünglich ganz anders gefühlt und gedacht worden sein, als es der Sechzig- und Siebzig­ jährige nachträglich sich zurechtgelegt und psychologisch meisterhaft rekonstruiert, aber eben doch immer nur kon­ struiert hat. Allein wie gesagt, aus guten und festen Er­ innerungen zusammengefügt und darum für seine Anfänge namentlich eine unvergleichliche und für diese ohnedies viel­ fach sogar die einzige Quelle, so steht es doch in erster Linie als Wahrheit über Goethes Leben vor uns. Ich sage: für seine Anfänge namentlich. Daraus ergibt sich ein unserer heutigen entwicklungsgeschichtlichen Be­ trachtungsweise unumgänglich scheinender chronologischer Aufbau auch für dieses Büchlein. Freilich nicht so, als ob wir nun geradlinig durch das Ganze hin und im Ganzen

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Einleitung.

von Jahr zu Jahr und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt fort­ schreiten wollten. Wir werden vielmehr sachlich gliedern und sachlich Zusammengehöriges über weite Strecken hin zusammenfassen. Aber der Faden, an dem sich innerhalb dieser sachlichen Anordnung in den einzelnen Abschnitten alles aufreiht, soll doch mehr oder weniger sichtbar jedesmal wieder der chronologische sein. Und rein chronologisch wird jedenfalls der erste Abschnitt den Anfängen und Ansätzen einer werdenden Welt- und Lebensanschauung in Goethes Knaben- und frühesten Jünglingsjahren nachgehen müssen.

I. Der junge Goethe. Des Menschen Anfänge in der Stille des Hauses und im Schoße der Familie haben normalerweise stets etwas Idyllisches, dem alles Dramatische und Aufregende, aller Kampf und Streit fehlt und das doch als grundlegend nicht ganz übergangen werden darf, zumal wenn ein so reiches Leben daran sich anschließt wie bei Goethe; die Keime zu allem Folgenden zeigen sich schon hier. Mit der Quelle eines großen Stromes hat Goethe selbst im Mahometfragment diese Anfänge eines Großen verglichen: Seht den Felsenquell, Freudehell, Wie ein Sternenblick! Über Wolken Nährten seine Jugend Gute Geister Zwischen Klippen im Gebüsch.

Zwischen Klippen im Gebüsch geht heute auch unser Weg; denn von Goethes Kinder- und Jugendgedanken haben wir schlicht und kurz zu erzählen und zu berichten, wie sich da frühe schon die ersten Spuren einer kindlichen Welt­ anschauung zeigen, natürlich wie immer in den Formen der Religion.

Der überlieferten Religion —: aber gerade der

kirchliche Protestantismus seiner Umgebung, der orthodoxe sowohl wie der aufgeklärte, konnte in seiner Trockenheit und verstandesmäßigen Dürre weder dem Kopf noch dem Herzen

io

I. Der junge Goethe.

des aufgeweckten und warm empfindenden Knaben geben, was er brauchte.

Das Erdbeben von Lissabon im Jahre

1755 und ein Hagelwetter zu Hause regten in dem frühreifen Geist die ersten Skrupel und Zweifel auf, die freilich rasch wieder zum Schweigen gebracht wurden.

Und am deut­

lichsten tritt dem kleinen Gottsucher doch nicht der zornige und zerstörende, sondern der liebende und lebenschaffende Gott in der Natur entgegen, die er als sein Werk anerkennt und liebt. Und so versuchte er es denn auch auf seine kind­ liche, aber immer schon eigenartige Weise mit einer Art alttestamentlicher Gottesverehrung: er errichtete einen Altar, Naturprodukte sollten die Welt, eine Flamme das zu seinem Schöpfer sich aufsehnende Gemüt des Menschen im Gleichnis darstellen.

Bedeutsam ist dabei die Vorliebe des Knaben

für das Alte Testament und dessen Patciarchengestalten: die großgeschauten Naturbilder der hebräischen Sage und die Völker und Ereignisse, die jenen kleinen Fleck Erde durch Jahrtausende hindurch verherrlicht haben, erfüllten seine Einbildungskraft mehr und lagen ihm näher als das Neue Testament und das spezifisch Christliche.

Das Sünden­

bewußtsein namentlich, das man bei der Konfirmation und ersten Abendmahlsfeier herkömmlicherweise von ihm for­ derte, konnte er sich ehrlicherweise nicht abnötigen, das geniale Kraftgefühl in ihm reagierte gegen die ihm ange­ sonnene Abhängigkeit von der göttlichen Gnade.

Zum

Abschluß aber kam diese erste Knabenzeit mit dem Übeln Ende seiner ersten ernsthaften Liebe zu Gretchen.

Das

Heilmittel, das von dem ihm bestellten Aufseher gegen diese

Enttäuschung angewandt wurde, die Beschäftigung mit der Philosophie und ihrer Geschichte, kam natürlich noch zu früh, und das hat ihm wohl das systematische Studium der­ selben für alle Zeiten verleidet.

Den besseren Trost fand

er schon jetzt in der Natur und im Umgang mit ihr, wie Faust nach dem Jammer über das dem Gericht verfallene Gretchen zu Anfang des zweiten Teils: Ob er heilig, ob er bbse. Jammert sie der Unglücksmann.

In Leipzig warf er dann — das ist die Art des stu­ dentischen Anfängers zu allen Zeiten gewesen und gehört mit zu der akademischen Lern- und Lebensfreiheit — wie alle Autorität, so auch die religiöse keck beiseite und gefiel fich in einer gewissen altklugen Gleichgültigkeit und einem vorlaut absprechenden Skeptizismus.

Und auch an der sittlichen

Ordnung war er seit seinen Erfahrungen mit Gretchen irre geworden.

Das zeigen „Die Mitschuldigen", in denen frei#

lich die für ein Lustspiel allzu hart und abstoßend ausge­ führten widergesetzlichen Handlungen gleichermaßen das ästhetische und das moralische Gefühl verletzen.

Dagegen

deutet doch schon auf einen höheren Gesichtspunkt, auf eine gewisse — nicht vorsichtige, sondern keck moralische Duldung die kühne Anwendung des christlichen Worts: „Wer sich ohne Sünde fühlt, hebe den ersten Stein auf." Ms ein Schiffbrüchiger, ftank an Leib und Seele und unzufrieden mit sich selber, kommt er von Leipzig nach Hause und trifft hier die Mutter durch Fräulein v. Klettenberg eingeführt in die Kreise der Herrnhuter.

Auch Goethe schließt

sich diesen Separatisten an, vor allem der Klettenberg selber, an der ihm ebenso die Feinheit und Zartheit ihrer Frömmig­ keit wie die äußere Vornehmheit ihres adligen Wesens, ihre schöne Seele ebenso wie ihre schönen Formen imponierten und wohltaten.

In diesem Augenblick innerer eigener Not

hat er doch nicht bloß hypothetisch an- und nachempfunden, was diese schöne Seele wirklich empfand, sondern er tauchte selber tief auch hinab in den Grund dieser Herrnhutischen Frömmigkeit.

Damals ist Goethe fromm geworden und

ist es von nun an — freilich bald genug in einer von der Herrnhutischen weitabliegenden Weise — geblieben bis zum Ende. Daher hat er auch im „Wilhelm Meister" die Fröm­ migkeit der schönen Seele so fein und so verständnisvoll zeichnen können, und nur Schleiermacher als ehemaliger Herrnhuter hat das nicht ganz Treue und Echte des Bildes herauszufühlen geglaubt.

So gewiß aber war Goethe in

diesem Augenblick seiner Hinneigung zu dieser stillen, zarten und doch so tatkräftigen Form eines einfach schlichten Christentums, daß er sich am liebsten der Brüdergemeine auch äußerlich angeschlossen hätte. Doch Fräulein v. Kletteuberg kannte ihn besser als er sich selbst und widerriet ihm diesen Schritt.

Was ihn von den Herrnhutern und damit

vom Christlichen überhaupt schied, das war sein Optimismus, der Glaube an die menschliche Natur als eine gute. Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewußt:

das war schon damals sein Glaube. Darum konnte er kein Herrnhuter werden.

I. Oer junge Goethe.

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Das zeigte sich alsbald in Straßburg, wo er es noch einmal mit den Separatisten versuchte. Aber hier waren es keine Herrnhuter, sondern süddeutsche Pietisten mit ihrem sauertöpfischen und unduldsamen, ihrem unweltförmigen und quietistischen Christentum. Diese Art mußte ihn ebenso abstoßen, wie ihn die milden, weitläufigen und ak­ tiven Herrnhuter angezogen hatten. Und dazu waren es ungebildete, langweilige Leutchen, die seine Lebhaftigkeit nicht aushielt, kleine Leute, bei denen von der schönen Seele die Hauptsache, die Schönheit, fehlte. Da gefiel ihm der rationalistische Aktuar Salzmann besser, dessen Religiosität auf Rechtschaffenheit und männliche Selbständigkeit gestellt war und der das gut Handeln höher achtete als das andächtig Schwärmen. Und wie vom Pietismus, so löste sich Goethe in Straß­ burg merkwürdiger- — oder darf ich aus meiner persönlichen Erfahrung heraus sagen: natürlicherweise auch von allem französtschen Wesen, dem er in Leipzig offenbar nicht nur in seinen durch Versmaß und Technik französifierenden Dich­ tungen unterstanden hatte. Voltaire hatte es ihm dort an­ getan und großen Einfluß auf sein Denken ausgeübt. Jetzt las er Holbachs Systeme de la nature und fand diese Philo­ sophie so grau, so kimmerisch, so totenhaft, daß er Mühe hatte, ihre Gegenwart auszuhalten und davor wie vor einem Gespenste schauderte. Gegen diese mechanisch unlebendige Auffassung der Natur lehnte sich sein Naturgefühl, gegen die geisttötende, ganz nur in äußeren Beziehungen auf­ gehende Notwendigkeit dieses Materialismus sein eigenes

I. Oer fange Goethe.

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inneres genialisches Kraft- und Freiheitsgefühl auf; auch stand ihm der Herrnhutische Gottesglaube noch in ju freund­ licher Erinnerung, als daß er sich an diese hohle, leere und triste atheistische Halbnacht hätte gewöhnen können.

Und

Voltaires Spöttereien — einen Thersites nennt er ihn jetzt — sagten seinem ernsthaften Wesen nicht zu: auf der Bank der Spötter hat Goethe nie gesessen.

Dagegen hat er

den gesunden Menschenverstand und den Respekt davor, den bon sens

dieser Franzosen stets als wertvoll und auch für

sich selbst als vorbildlich anerkannt und festgehalten. Ganz anders stand er zu Rousseau. Der Einfluß, den der große Genfer auf Goethe und durch ihn auf unser ganzes modernes Empfinden ausgeübt hat und dadurch heute noch auf uns alle ausübt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: mit Rousseau wird man in späteren Zeiten viel­ leicht eher als mit Luther die neue Zeit anheben lassen. Zwei Worte sind es, in denen sich die Wirkung Rousseaus auf Goethe zusammenfassen läßt: Natur und Herz, wenn wir nicht als zweites Begriffspaar noch die Worte: Genie und Individualität hinzufügen wollen.

Wie Goethe damals zur

Natur stand, zeigen die Straßburger Lieder, vor allem das wundervolle: „Wie herrlich leuchtet mir die Natur", in dem sich Erd' und Sonne, Glück und Lust, Frühling und Jugend, Liebe und Leben wie Morgenwolken so golden schön zur Einheit zusammenschlingen, zusammenfühlen.

Und wenn

ihn das durch und durch Gesunde und Naive dieses Natur­ gefühls von Rousseaus krankhaft sentimentaler Natur­ sehnsucht scheidet, so fehlt es im „Werther" auch an dieser

I. Der junge Goethe.

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nicht: Ossians künstlich überhitzte Poesie hat hier in seinem Herren ans einen Augenblick Homers einfache Naivität ver­ drängt. Für sich aber hat er sich im „Werther" diese unge­ sunde Natursentimentalität von der Seele geschrieben, nur das Friedesuchen und Friedefinden am Busen der Natur ist geblieben — wie später im zweiten Teil des „Faust"', so alsbald schon im „Ganymed": Ach an deinem Busen Lieg' ich, schmachte. Und deine Blumen, dein Gras Drängen sich an mein Herz. Du kühlst den brennenden Durst meines Busens, Lieblicher Morgenwind, Ruft drein die Nachtigall Liebend nach mir aus dem Nebeltal. Ich komm'! ich komme!

Gleichzeitig erwacht aber auch noch in Straßburg das wissenschaftliche Interesse an der Natur. Um sie zu erkennen und zu verstehen, hat sich Goethe dort mehr mit Chemie und Anatomie als mit Juristerei beschäftigt. Aber daneben kam ihm auch schon der Gegensatz zum Bewußtsein. Bei Schiller ist es der Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Ideal; bei Goethe heißt es: Natur gegen Unnatur—gegen die Unnatur in unserem Leben, in unseren Sitten und Gesetzen; aber wiederum im „Werther" nicht als ein kampfesmutiges Sichauflehnen dagegen wie in den „Räubern", obwohl das Frei­ heitsgefühl im „Götz" wohl auch energisch zum Ausdruck gekommen ist, sondern vielmehr als ein darunter Leiden und davon Zerriebenwerden.

i6

I. Der junge Goethe.

Und noch tiefer ließ er sich von Herder in die Rousseau­ begeisterung einführen: nicht bloß Natur gegen Unnatur, auch Gefühl gegen Verstand, die Anerkennung des Irratio­ nalen im Menschen und besonders im genialen Menschen — das war es, was die beiden von den französischen Enzyklopä­ disten und von den deutschen Aufklärern trennte, das Ge­ fühlsmäßige, das Überquellende und Überströmende eines übervollen Herzens, aus dem bei dem jungen Goethe alles herauswuchs.

Was „macht den Dichter?" fragt er im

„Götz", und die Antwort lautet: „ein volles, ganz von einer Empfindung volles Herz".

So voll von Empfin­

dung ist der „Werther", und aus diesem Gefühlsüberschwang heraus heißt es dann gleich darauf im „Faust": Erfüll' davon dein Herz, so groß es ist, Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist, Nenn' es dann, wie du willst, Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen Dafür! Gefühl ist alles!

Das steht im Glaubensbekenntnis Fausts, und man könnte denken, gerade darauf, auf den Glauben, die Welt­ anschauung Goethes habe der Theologe Herder den größten Einfluß gehabt.

Allein was die beiden in Straßburg ver­

handelten, das waren zunächst keine Weltanschauungsfragen, sie sprachen von Poesie und Kunst, von Homer und Shake­ speare, von Volksliedern und hebräischer Poesie, von Erwin von Steinbach und dem Straßburger Münster, und natürlich auch schon vom „Faust".

In Straßburg ist Goethe zum

Dichter geworden, und neben der Liebe zu Friederike hat

I. Der junge Goethe.

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ihm dazu in erster Linie Herder geholfen, indem er ihn auf die Volkspoesie und aufShakespeare hinwies; ohne daß man dies alles doch, wie neuerdings geschehen ist, dahin über­ treiben und überspannen dürfte, daß man sagt, Herder sei Faust und der„Faust" ebenso das Werk Herders wie Goethes. So wird Goethe in Straßburg Lyriker, hier wurzelt der „Götz". Und auch die Bibel fiel ihm zunächst unter den dichterischen Gesichtspunkt; zu den Patriarchengeschichten, die den Knaben entzückt hatten, trat unter Herders Einfluß die hebräische Poesie der Psalmen. Allein damit ergibt sich doch ganz von selber auch ein Theologisches, wenn man es so nennen will: — eine menschlich freie und schöne, die rein historische Auffassung der Bibel. Und wenn Goethe seinen Rousseau daraufhin las, so mußte ihn nicht nur dessen Ausfall auf die Erb­ sünde, die er sich damals in seinem Tagebuch notiert hat, sondern vor allem im „Emil" das Bekenntnis des savoyardischen Vikars anziehen: die Betonung des Gefühlsmäßigen in der Religion stimmte mit dem, was ihn an den Enzyklo­ pädisten abgestoßen und ihm an der Herrnhutischen Fröm­ migkeit gefallen hatte, hier galt ja sicherlich: Gefühl ist alles! Mit dieser rein gefühlsmäßigen Auffassung der Re­ ligion verbindet sich dann auch die Opposition gegen alles Dogmatisch-Ausschließliche und Ausschließende. Religiöse Duldung erscheint ihm geradezu als das Wichtigste und Notwendigste. Das zeigen die mit zu diesem Zweck ge­ schriebenen theologischen Schriften aus jener Zeit, vor allem der „Brief des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu ***". Aber bestimmt scheidet er darin seine Toleranz Ziegler, Goethes Weltanschauung.

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i8

l. Der junge Goethe.

nicht bloß von der orthodoxen Verdammung der Heiden, sondern auch von der intoleranten Toleranz der Auf­ klärer, die in Wahrheit keine und bei der keine Freude zu holen sei.

Seine Toleranz ruht vielmehr auf dem

Glauben, den man nicht beweisen kann, sondern erfühlen muß. Freiheit

Daher lobt er Luther, daß er „dem Herze» seine wiedergegeben

und

es der

Liebe

fähiger ge­

macht" habe; aber, fügt er hinzu, „man lasse sich nicht blenden, als hätte er das Reich erworben, davon er einen andern herunterwarf; man bilde sich nicht ein, die alte Kirche sei deswegen ein Gegenstand des Abscheus und der Verachtung; hat sie doch wenige menschliche Satzungen, die nicht auf etwas göttlich Wahres gegründet wären — laßt sie, leidet sie und segnet sie".

„Wenn man's beim Licht

besieht, so hat jeder seine eigene Religion"; der Glaube ist „ein heiliges Gefäß, in welches ein jeder sein Gefühl, seinen Verstand, seine Einbildungskraft so gut, als er vermöge, zu opfern bereit stehe".

Deswegen betont er auch in seinen

Briefen aus jener Zeit immer wieder, die Hauptsache sei, daß man glaube; was man glaube, sei gleichgültig.

„Ob Ihre Buben an Christ glauben", schreibt er an Frau Jacobi, „oder Götz oder Hamlet, das ist eins, nur an was laßt sie glauben. Wer an nichts glaubt, verzweifelt an sich selber."

Auf die Unerschütterlichkeit unseres Zutrauens zu

Gott kommt es an: wie wir uns dieses göttliche Wesen denken, das hängt von unseren Fähigkeiten und von Um­ ständen ab und ist gänzlich Nebensache.

Für all das aber

berief er sich auf den savoyardischen Vikar Rousseaus, und

konnte sich dafür auch auf Herder und dessen damals noch so ganz neuen und unabgegriffenen Humanitätsgedanken berufen: Herder wird ihm der Humanus, durch ihn wurde Goethes Glaube zum Glauben an die Menschheit und reine Menschlichkeit.

Da könnte es auffallend erscheinen, daß er

in seiner nicht gedruckten Straßburger Dissertation den Ge­ danken ausführte, „der Gesetzgeber sei nicht allein berechtigt, sondern sogar verpflichtet, einen gewissen Kultus festzusetzen".

Aber auch dieser Gedanke ist Rousseauisch und be­

weist nur, daß Goethe seinen Contrat social gründlich ge­ lesen hat. Als Herzenssache ist Religion Privatsache, gewiß; das bleibt.

Aber der Kultus als ein Äußerliches und darum

ganz Indifferentes wird staatlich

festgesetzt: daran hat

Goethe auch noch im „Wilhelm Meister" festgehalten. Daß in dieser Zeit die Fragen der Weltanschauung Goethe durchweg in der Form der Religion beschäftigt und bewegt haben, zeigen endlich auch die Dichtungen der nächsten Jahre: Mahomet und der ewige Jude, Prometheus und Faust.

Das Wichtigste und Charakteristischste daran ist

für uns hier, daß sie alle Fragmente geblieben sind; doch wohl ein Zeichen, daß Goethes Weltanschauung damals noch eine unfertige war: er sah überall Anfänge, Richtungen, Ausblicke, aber noch kein bestimmtes Ziel und kein Ende; er fühlte sich hierhin getrieben und dorthin, aber wo er landen werde, wußte er noch nicht. Und fürs zweite haben sie, wenn wir daneben noch die Pläne zu einem „Cäsar" und einem „Sokrates" hinzunehmen, alle große Individuen, Genies zu Helden.

Das innere Erleben und das äußere

Schicksal, das große Wollen und das tiefe Leiden, die Tragik des Genies erfüllte und bewegte die Seele des jungen Dichters. So zuerst beim „Mahomet". An diesem ging ihm, noch vor seiner Bekanntschaft mit Lavater und seinem Ver­ ständnis für die jwei Seelen in dessen Brust, die Gefährlich­ keit des Prophetseins und die Tragik des Prophetenschicksals auf.

Um seine Sache durchjusetzen und auf die Menschen

zu wirken, kann Mahomet auch irdische Mittel nicht ver­ schmähen: das Irdische wächst, das Göttliche tritt zurück. Erst im Tode findet er sich selber wieder.

Das war doch

wohl von Anfang an Plan und Idee des freilich ganz nur Fragment gebliebenen Stückes.

Im „Ewigen Juden" ist

es Jesus selber, der als eine Art religiöser Übermensch (Da kam der Sohn ganz überquer Gestolpert über Sterne her Und fragt', was zu befehlen) sich zum Partei- und Volks­ führer auswerfen muß und dadurch bei dem Separatisten Ahasver Anstoß erregt.

Aber auch nicht diese Gestalt, von

der es freilich heißt: Genug, er war ein Original. Und aus Originalität Er andern Narren gleichen tät,

sondern die Wanderung des wiedergekehrten Jesus wird, im Fragment wenigstens, zur Hauptsache, zu einem Gang durch die Kirchen- und Religionsgeschichte mit starken Aus­ fällen gegen Priester und Pfaffen.

Nach 3000 Jahren

findet er sein Werk im offiziellen Christentum entartet, bei Katholiken und Protestanten seinen Geist verflogen und verklungen. Sah' immer der Herr nichts Seiaiges dran.

Ganz anders „Prometheus", ei« BUd zunächst seines eigenen produktiven Talents, das ihn in diesen Jahren seiner genialen Jugendkrast keinen Augenblick verließ. Mein ist Der KreiS, den meine Wirksamkeit erfüllt! RichtS drunter und nichts drüber!

In überschäumendem Kraftgefühl jeigt uns der in die Gedichte übergegangene Monolog Prometheus als den trotzigen Empörer, der Zeus die Ehre versagt, weil er alles nur stch und seinem heilig glühenden Herjen verdanken will und, seines Gottes voll selbst auch ein Göttlicher, ein Dä­ monischer, in den Göttern nur seinesgleichen sehen kann. Was so zu Worte kommt, ist aber zugleich auch ein echt Menschliches, weil des Menschen Herz ein trotzig und verzagt Ding in einem ist. Noch deutlicher läßt aber vollends der erste Monolog Fausts erkennen, wie es damals in Goethe glühte und stampfte, wühlte und stürmte. Es will ihm schier das Herz ver­ brennen, weil er sieht und sehen muß, daß wir gerade von diesen hohen und höchsten Dingen nichts wissen können, und weil ihn auch das Wissen als solches nicht befriedigen kann; denn in seinen Adern rinnt wirkliches warmes Menschenblut, nicht der verdünnte Saft von Vernunft als bloßer Denktätigkeit. Darum auf Adlersflügeln auf, hinaus ins weite Land, hinein ins volle ganze Menschenleben, auch in das Leben des Genusses und in das Leben der Tat, und sollte er darüber auch des Teufels sein und am Ende gar zerscheitern! So fühlte Goethe selbst, wie er es seinen Egmont aus-

22

I. Der junge Goethe.

sprechen läßt: „Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht gehen die Sonnenpferde der Zeit mit

unsers Schicksals

leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als mutig gefaßt die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? woher er kam.

Erinnert er sich doch kaum,

Ich stehe hoch und kann und muß noch höher

steigen, ich fühle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab' ich meines Wachstums Gipfel nicht erreicht, und steh' ich droben einst, so will ich fest, nicht ängstlich stehen.

Soll ich

fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind, ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen — da lieg' ich mit viel Tausenden." Wohin es geht, wer weiß es? — das war die Stimmung, mit der der junge Goethe alles Höchste und Tiefste, aber auch alles Niedrigste und Schuldbehaftete seines Lebens im „Faust" zusammenzu­ fassen begann. Natürlich, daß ihm dabei schon der Gedanke nahe lag: Wer immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen.

Ein Goethe glaubt wie Cäsar an sich und seinen Stern. Jetzt nur Stangen, diese Bäume Geben einst noch Frucht und Samen —

das ist seine Hoffnung.

Aber daß auch Stimmungen

über ihn kamen, in denen es ihm schien, als sollte sein Sonnenwagen in die Tiefe stürzen, als sollte es, gerade um des Genialen und Irrationalen willen, das er in stch fühlte, dämonisch, tragisch mit ihm endigen, wer möchte das be-

I. Der junge Goethe.

2Z

zweifeln? wer ihm das gar zum Vorwurf machen? Gerade weil sein Leben noch so fragmentarisch war, weil er so ganz tief empfand, 0 daß dem Menschen nichts Dollkommnes wird,

wußte er auf die Schicksalsfrage nach dem Ende Fausts damals noch nicht mit Sicherheit die Antwort: auch der „Faust" blieb vorläufig Fragment. Aber allmählich kommt doch größere Ruhe über ihn, Friedensluft fängt er um sich und in sich an zu spüren, eine auf Glauben ruhende Ergebung in das Schicksal, das es schließlich doch immer schon gut mit ihm gemeint hat, Ver­ trauen zu dem „lieben Ding, das doch sehr für ihn sorgt", wie er es in einem Briefe an Auguste Gräfin zu Stolberg, zu dem „lieben unsichtbaren Ding, das ihn leitet und schult", wie er es in seinem Reisetagebuch auf dem Wege nach Weimar so liebenswürdig genannt hat, stillt den Sturm seines Herzens.

Und diese Ergebung ist keine willen- und taten­

lose: mutig gefaßt hält er die Zügel seines Schicksalswagens mit fester Hand; oder ein anderes Bild: Doch er stehet männlich an dem Steuer; Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen, Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen; Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe Und vertrauet, scheiternd oder landend, Seinen Göttern —

seinem Genius.

So kommt er nach Weimar.

Und inzwischen hat er auch aufgehört, in prometheischem Trotz als Übermensch sich zu fühlen. Daher jetzt die Mahnung an die „Grenzen der Menschheit":

24

l

Der junge Goethe.

Deo» mit Gitter» Soll sich nicht messe» Irgend ein Mensch!

Und auf die Frage: Was uaterscheibet Gitter von Menschen?

kommt NUN die resignierte Antwort: Daß viele Wellen Vor jenen wandeln. Ein ewiger Strom: Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken.

Das sind Gedanken, die auf neue, von den bisherigen weit abliegende Einflüsse Hinweisen.

In ihnen kommt zur

Entfaltung, was sich lange schon angebahnt hat und einem ferneren Kristallisationsprozeß in ihm zum Ausgangs- und Mittelpunkt dient, und was wir nun besser im nächsten Abschnitt im Zusammenhang kennen lernen werden als den innersten Kern seiner allmählich immer reiferen und der Reife entgegenstrebenden Weltanschauung bestimmend: — es ist Goethes Spinozismus.

II. Goethe und Spinoza. Ja der Mitte der Welt die ruhende Erde, um sie sich bewegend Sonne, Mond und Planeten, und um bas Ganze her das feste Gewölbe des Fixsternhimmels mit den daran befestigten Sternen; und jenseits dieser Welt thronend in Herrlichkeit Gott, der von oben und von außen her die Welt regiert und lenkt und in ihrem Gang erhält: — das war das von Aristoteles übernommene einheitliche Weltbild des christlichen Mittelalters bis herein in die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. Da kam der Frauenburger Domherr Kopernikus und warf — ein großer Revolutio­ när — dieses Bild als ein falsches beiseite, hob die Erde aus ihrer Mittelpunktstellung und starren Ruhe heraus und ließ sie sich mit den andern Planeten um die Sonne drehen. Und während bei ihm der Fixsternhimmel noch in seiner Festigkeit unangetastet blieb, löste Giordano Bruno, ein italienischer Dominikaner und Naturphilosoph, auch ihn in zahllose Sonnensysteme auf, und das Fernrohr Gallleis drang wirklich in die unendliche Tiefe dieser Sternenwelt ein und vor. Bruno zog aber auch sofort in feuer­ trunkener Begeisterung die Konsequenz: die Welt unendlich, also gibt es kein Jenseits der Welt und keinen jenseitigen Gott; Gott vielmehr in der Welt, die Welt unendlich wie er und darum Gott und Welt eins, nur so verschieden, daß

26

II. Goethe und Spinoza.

Gott als die Einheit dieser Vielheit, als das Ganze dieses Alls zu denken ist. Es war die Lehre des Pantheismus, der also im Zusammenhang mit der neuen Astronomie und Wissenschaft der Natur überhaupt als neuzeitlicher ent­ standen und wieder aufgenommen worden ist.

Bruno

büßte für diese kühnen Spekulationen mit dem Feuertod. Aber seine Gedanken selbst blieben und wurden mit allen Konsequenzen vorgetragen, systematisiert und weiterent­ wickelt von Spinoza, dem holländischen Juden, der ohne alles Pathos die Einheit von Gott und Welt, Gott und Natur verkündigte und den Pantheismus in feste mathe­ matische Formeln brachte.

Auch er hatte dafür zu büßen:

die jüdische Synagoge stieß ihn aus, und die Christen sahen in ihm hundert Jahre lang den schlimmsten Ketzer, den Übeln Atheisten, verstoßen und verrufen war er und schließlich fast gar vergessen „wie ein toter Hund".

Aber nach hundert

Jahren kam für ihn die große Auferstehung, und die ihn zu neuem Leben weckten, das waren Jacobi und Lessing, Herder und Goethe, Schleiermacher, Schelling und Hegel. Daß Goethe Spinozist gewesen, es wenigstens in ge­ wissen Perioden seines Lebens gewesen ist, ist allgemein bekannt und anerkannt. Aber ebenso über Anfang und Dauer wie über Umfang und Tiefe dieser seiner Abhängigkeit von Spinoza ist Streit.

Hat man sie früher vielleicht etwas

überschätzt, so ist man heute geneigt, diesen Einfluß seiner zeitlichen Erstreckung wie seiner Intensität nach zu unter­ schätzen.

Mit den nötigen Einschränkungen bin ich in der

Hauptsache geneigt, wieder zu der früheren Ansicht zurück-

II. Goethe und Spinor«.

27

zukehren. Doch möchte ich darin richtig verstanden werden. Goethe war niemals in dem Sinne Spinozist, wie Schiller — übrigens auch nur eine Zeitlang, nicht bis ans Ende — Kan­ tianer gewesen ist. Das bedeutet eine Schwäche und eine Stärke, Mangel und Vorzug Goethes zugleich. Schiller war ein philosophischer Geist, daher konnte er in die Ge­ dankengänge eines Philosophen vollständig eindringen und sie sich im Zusammenhang systematisch aneignen. Goethe war Dichter, kein Philosoph und wollte keiner sein: „von der Philosophie habe ich mich selbst immer frei erhalten", sagt er ausdrücklich. Deswegen konnte er auch keines Philo­ sophen Schüler werden wie Schiller. Zugleich offenbart sich darin aber auch seine Stärke: er nimmt aus Spinozas System an und auf nur, was seinem Genius angemessen war, und wandelt das ihm Entnommene sofort seiner Natur und Denkungsart gemäß um, gefangen gibt er sich ihm nicht. So ist Goethes Spinozismus ganz anders Goethisch, als Schillers Kantianismus Schillerisch gewesen ist; Goethe bleibt auch Spinoza gegenüber immer Goethe. Spinoza hat nicht bloß einmal auf Goethe gewirkt, sondern zu wiederholten Malen hat sich Goethe, und zwar jedesmal in verschiedener Intensität und nach verschiedenen Seiten hin, von ihm beeinflussen lassen. In die Straßburger Zeit verlegen die, die sie am weitesten zurückdatieren, die erste Einwirkung; und es ist wahr, in seinen Tagebüchern aus jener Zeit findet sich eine Stelle, die es für verkehrt erklärt, Gott und Natur, Gott und Welt zu trennen, und in der Formulierung dieser pantheistischen Auffassung

28

ii. Soeth« unb Spinvta.

durchaus an Spinoza anklingt („separatim de Deo et natura rerum disserere difficile et periculosum est, eodem modo quam si de corpore et anima sejunctim cogitamus. Animam nonnisi mediante corpore, Deum nonnisi per* specta natura cognoscimus; hinc absurdum mihi videtur, eos absurditatis accusare, qui ratiocinatione maxime philosophica Deum cum mundo conjunxere. Quae enim sunt, omnia ad essentiam Dei pertinere necesse est, cum Deus sit unicum existens et omnia comprehendat“). Aber

in einem Schlußsätze lehnt er den „Spinozismus" als eine der schlimmsten Irrlehren ebenso entschieden ab („licet nulli subscribere velim sectae valdeque doleam Spinozismum, teterrimis erroribus ex eodem fönte manantibus, doctrinae huic purissimae iniquissimum frat rem natum esse“),

woraus hervorgeht, daß er damals Spinoza noch nicht ge­ kannt hat; sonst hätte er sehen müssen, daß die pantheistische Auffassung vom Verhältnis Gottes zur Welt, die er für die „reinste" erklärt, wirklich die Lehre Spinozas ist: aber nein! er hat von ihm nur als von einem argen Ketzer und Jrrlehrer gehört und urteilt also nach dem Hörensagen, nach dem allgemeinen Urteil der Welt seiner Zeit so un­ günstig über ihn. Sein damaliger Pantheismus stammt vielmehr von dem ihm zunächst näherstehenden Dichter­ philosophen Bruno, den er freilich auch nur aus zweiter Hand, aus des Franzosen Bayle Dictionnaire historique et critique kennt, den er aber auch alsbald gegen dessen kritische Anmerkungen verteidigt. So ist Goethes Pan­ theismus älter als seine Bekanntschaft mit Spinoza.

Diese datiert vielmehr erst aus dem Jahre 1774.

Auf

der Rheinreise, auf der das Weltkind Goethe in Koblenz so seelenruhig zwischen den beiden Propheten, Lavater rechts und Basedow links, Salm und Hahn verspeiste, war viel von Spinoza die Rede und Goethe der, der — offenbar aus der ersten, unmittelbaren Entdeckerfreude heraus — die beiden Reisegefährten mit ihm bekannt machte. klingt es anders als in Straßburg.

Und jetzt

Keiner, so sagt er den

aufhorchenden Gefährten, habe sich über die Gottheit dem Heiland so ähnlich ausgedrückt wie er; er sei ein äußerst gerechter, aufrichtiger Mann gewesen, habe die Prophe­ zeiungen bestritten, sei aber selber ein Prophet gewesen; sein Briefwechsel sei das interessanteste Buch, was man in der Welt von Aufrichtigkeit und Menschenliebe lesen könne. So voll von Spinoza kam Goethe dann nach Düsseldorf zu Fr. H. Jacobi, der zwar die Lehre Spinozas durchaus verwarf, aber sie doch als das konsequenteste philosophische System anerkannte und dadurch der erste wurde, der in der Öffentlichkeit auf den halb Vergessenen und ganz Verpönten und Verstoßenen wieder energisch hinwies.

Da mußte

natürlich zwischen den beiden viel von ihm die Rede sein. Wir können das auch daraus schließen, daß bei jener denk­ würdigen Unterredung Jacobis mit Lessing im Sommer 1780 eben Goethe und sein „Prometheus" den Ausgangs­ punkt für ihr Gespräch über Spinoza und für das Bekenntnis Lessings zu dessen Pantheismus (ev Kai

ttuv)

gebildet hat.

Aus dem Prometheus-Monolog allein würden die beiden schwerlich auf Spinoza haben kommen können, wenn nicht

Jacobi aus jenen früheren Gesprächen mit Goethe den Kommentar dazu nach dieser Seite hätte geben können und ihn seinem Mitunterredner Lessing als einen Pantheisten und Spinozisten bezeichnet hätte.

So fällt also die erste itv

time Bekanntschaft Goethes mit Spinoza in das Jahr 1774. Die zweite noch intensivere kommt bann in Weimar in den Jahren 1783 bis 1786, wo Goethe, wiederum angeregt durch Jacobi und seinen Streit mit Mendelssohn über Lessings „Spinozismus", zusammen mit Herder und Frau v. Stein Spinoza gründlich gelesen und ihn jetzt erst ganz tief innen hinein auf sich hat wirken lassen.

Wie sehr die

drei damals für Spinoza schwärmten, zeigen die Verse Herders, mit denen er seine Weihnachtsgabe für Goethe — eine Ausgabe der „Ethik" des Spinoza — Frau v. Stein auf ihren Geburtstag am Christfest 1784 übersandte: Deinem und unserem Freund soll heut' den heil'gen Spinoza Als ein Freundesgeschenk bringen der heilige Christ. Doch wie kamen der heilige Christ und Spinoza zusammen? Welche vertrauende Hand knüpfte die beiden in eins? Schülerin des Spinoza und Schwester des heiligen Christus, Dein geweiheter Tag knüpft am besten das Band. Reiche ihm seinen Weisen, den du gefällig ihm machtest. Und Spinoza sei euch immer der heilige Christ.

Daß Goethe daun später noch einmal, ein drittes Mal also, zu Spinoza und dem Spinozastudium zurückkehrte, werden wir weiterhin sehen.

Jetzt interessiert uns mehr zu

hören, was ihm Spinoza damals gewesen ist und worin sein Spinozismus inhaltlich bestanden hat. Er selbst berichtet darüber in „Dichtung und Wahrheit",

alles zusammen auf das Jahr 1774 datierend: „Dieser Geist, der so entschieden auf mich wirkte und der auf meine ganze Denkweise so großen Einfluß haben sollte, war Spinoza. Nachdem ich mich nämlich in aller Welt um ein Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens vergebens umgesehen hatte, geriet ich endlich an die „Ethik" dieses Mannes. Was ich mir aus dem Werke mag herausgelesen, was ich in das­ selbe mag hineingelesen haben, davon wüßte ich keine Rechenschaft zu geben; genug, ich fand hier eine Beruhigung meiner Leidenschaften, es schien sich mir eine große und freie Aussicht über die sinnliche und sittliche Welt aufzutun. Was mich aber besonders an ihn fesselte, war die grenzenlose Un­ eigennützigkeit, die aus jedem Satze hervorleuchtete. Jenes wunderliche Wort „Wer Gott recht liebt, muß nicht ver­ langen, daß Gott ihn wieder liebe", mit allen den Vorder­ sätzen, worauf es ruht, mit allen den Folgen, die daraus entspringen, erfüllte mein ganzes Nachdenken. Uneigen­ nützig zu sein in allem, am uneigennützigsten in Liebe und Freundschaft, war meine höchste Lust, meine Maxime, meine Ausübung, so daß jenes freche spätere Wort „Wenn ich dich liebe, was geht's dich an?" mir recht aus dem Herzen gesprochen ist. Übrigens möge auch hier nicht verkannt werden, daß eigentlich die innigsten Verbindungen nur aus dem Entgegengesetzten folgen. Die alles ausgleichende Ruhe Spinozas kontrastierte mit meinem alles aufregenden Streben, seine mathematische Methode war das Widerspiel meiner poetischen Sinnes- und Darstellungsweise, und eben jene geregelte Behandlungsart, die man sittlichen Gegen-

32

II. Goethe und Spinoza.

ständen nicht angemessen finden wollte, machte mich zu seinem leidenschaftlichen Schüler, zu seinem entschiedensten Verehrer.

Geist und Herz, Verstand und Sinn suchten sich

mit notwendiger Wahlverwandtschaft, und durch diese kam die Vereinigung der verschiedensten Wesen zustande." Im großen ganzen dürften das die springenden Punkte schon in der ersten Befruchtung Goethes durch Spinoza gewesen sein.

Nur der pantheistische Zug fehlt, durch den er

den Theismus und seinen „alttestamentlichen"

Gottes-

begriff überwunden hat; aber gerade jenen hatte er ja schon vor der Bekanntschaft mit Spinoza, nur bestärkt wurde er darin durch Spinoza, bei ihm hatte er den Pantheismus be­ grifflich klar formuliert vor sich.

Zunächst aber tat ihm

Spinoza doch ganz persönlich wohl, ähnlich wie das in merk­ würdiger Übereinstimmung bei dem jungen Bismarck der Fall war, was wir von Erich Marcks wissen, der mir übrigens in

seiner Bismarckbiographie

diesen Einfluß Spinozas

nicht ganz richtig gedeutet zu haben scheint.

Eine friedliche

Wirkung spürte Goethe von diesem ausgehen, und so oft er zu ihm zurückkehrte, umwehte ihn immer dieselbe „Friedens­ luft". Er fand Beruhigung bei einem Geiste, der sich in Gott beruhigt und erhaben fühlte über alle Affekte und Leiden­ schaften, über alle menschlich-irdischen Gegensätze und Wider­ sprüche, selbst über Gut und Böse.

Jener Geist der Er­

gebung, um nicht hier schon zu sagen: der Entsagung, die einen so tiefen Grundzug bildet im Wesen Goethes, hat hier seinen Ursprung und seine tiefste Quelle. Dagegen ist sach­ lich gemeint die grenzenlose Uneigennützigkeit, die sich an

II. Goethe und Spinoja.

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Gott hingibt, wie immer es kommt, und darum kein Ver­ hältnis der Gegenseitigkeit des Endlichen zum Unendlichen, auch nicht das der Gegenseitigkeit der Liebe von Gott er­ wartet und verlangt.

Damit war vollends alle Vermensch­

lichung Gottes beseitigt, und das imponierte der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit Goethes. Endlich jenseits von Gut und Böse — dieser Gedanke lag Goethe seit den „Mitschuldigen" nahe, es ist die Opposition gegen die Katechismusmoral, die so kindisch schroff und schablonenhaft scharf unterscheidet und von den feinen Übergängen zwischen Böse und Gut nichts ahnt.

In seiner Rede „zum Schäkespears Tag", die

er, noch ganz erfüllt von den

im Verkehr mit Herder

ihm aufgegangenen Ideen, im Oktober 1771 in Frankfurt gehalten hat, heißt es: „Das, was edle Philosophen von der Welt gesagt haben, galt auch von Schäkespearen: das, was wir bös nennen, ist nur die andere Seite vom Guten, die so notwendig zu seiner Existenz und in das Ganze gehört, als Zona torrida brennen und Lappland einfrieren muß, daß es einen gemäßigten Himmelsstrich gebe."

Das geht

noch nicht auf Spinoza zurück, er fand es aber nun wiederum nachträglich bestätigt bei dem Philosophen, dem Gut und Böse bloß menschliche Kategorien waren, die im Lichte der Ewigkeit, in Gott also verschwinden.

Der Gedanke, daß

es „so unmöglich nicht sei, daß das, was Gott von uns als gut und böse angesehen haben wolle, für ihn in einen Lichtstrahl zurückfließen könne; denn Zürnen und Vergeben seien bei einem unveränderlichen Wesen nichts als Dorstellungsarten" — dieser Gedanke könnte ähnlich so auch Ziegler, Goethes Weltanschauung.

3

34

II. Goethe und ©ptoot«.

bei Spinoja stehen, dem nicht der Mensch, wohl aber die Gottheit hoch über und jenseits von Gut und Böse, wirklich ein Übersittliches war. Fragt man aber nach Spuren dieser ersten Spinozabegeisterung in den Dichtungen der siebziger Jahre, so fehlt es an solchen nicht. Daß im „Ewigen Juden" das Theistische überwiegt, fällt nicht ins Gewicht; dramatisch mußte Goethe die Personen dieses Stückes theistisch sprechen lassen; aber zu seinem Plan gehörte eine Zusammenkunft Ahasvers mit Spinoza, und das sollte eine Szene werden, von der er sich große Wirkung versprach. Im „Werther" mischt sich theistische und pantheistische Ausdrucksweise. Im „Pro­ metheus" erkannten, wie wir gesehen haben, Jacobi und Lessing den pantheistische» Hintergrund: vor dem Einen Göttlichen verschwinden die Unterschiede zwischen Göttern und Menschen. Aber erst im „Faust", auch schon im Urfaust, überwiegt das Pantheistische entschieden: der Erdgeist ist eine ganz pantheistische Konzeption; ebenso ist das Glaubens­ bekenntnis Fausts der helle Pantheismus; nur das liebende Mädchen, das den geliebten Mann nicht verloren geben will, kann milde urteilen und meinen: Ohngefähr sagt das der Katechismus auch, Nur mit ein bisgen andern Worten.

Und NUN wird es immer deutlicher und bewußter. Erst in den „Grenzen der Menschheit" die schon einmal zitierten Worte: Was unterscheidet Götter von Menschen? Daß viele Wellen

Vor jenen wandeln. Sin ewiger Strom: Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken;

oder „An Schwager Kronos": Weit, hoch, herrlich der Blick Rings ins Leben hinein! Dom Gebirg zum Gebirg Schwebt der ewige Geisi Ewigen Lebens ahndevoll.

Zur vollen Klarheit und Entschiedenheit aber kommt dieser Goethesche Pantheismus doch erst in und seit der zweiten Spinozaperiode der achtziger Jahre durch den Gegensatz zu Jacobi, dessen „Kopfüber aus der Philosophie in den Glau­ ben" Goethe immer weniger behagen und einleuchten wollte. Über die Frage, ob Spinoza Atheist gewesen sei, debattieren die beiden.

Jacobi bejaht sie — freilich ganz mit Unrecht.

Es gibt zwei Abwege, zwischen denen sich der Pantheismus immer nur mühsam wie auf Messers Schneide oben halten kann: durch seine Gleichsetzung von Gott und Welt, Gott und Natur kann er entweder Gott verlieren und dann aller­ dings atheistisch werden; oder die Welt, den Kosmos ver­ lieren und akosmistisch werden. Auch Spinoza ist der Gefahr nicht entgangen; aber nicht der Atheismus, sondern das Auf- und Untergehen der Welt in Gott, nicht Gottlosigkeit, sondern Weltlosigkeit war der Abweg seiner pantheistischen Gleichsetzung von Gott und Welt. Daher ist es das Aller­ verfehlteste und Törichtste, ihn einen Atheisten zu nennen. Ihm war Gott vielmehr wirklich alles in allem, in ihm lebte

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II. Goethe und Spinoza.

und webte er: so war er seines Gottes voll, erfüllt von Ewig­ keitsgedanken, von der Betrachtung aller Dinge sub specie aetemitatis (im Lichte der Ewigkeit). In diesem Sinn ist Spinoza fromm gewesen, einer der allerfrömmsten Menschen, die je gelebt haben, wie ihm das Schleiermacher, der Mann des frommen Abhängigkeitsgefühls, in seinen Reden über die Religion bezeugt hat: „voller Religion war er und voll heili­ gen Geistes". Daß das so lange verkannt wurde und heute noch von vielen verkannt wird, hängt neben dem allgemeinen Vorurteil gegen den Pantheismus, den die Kirchlichen ein­ fach mit Atheismus zusammenwerfen, mit der stachlichten Schale zusammen, in die Spinoza seine Ethik gekleidet und eingepreßt hat, der geometrischen Form (more geometrico), durch die das warme, tiefe Leben voll gefühlsmäßigen Mysti­ zismus gewissermaßen in Fesseln geschlagen und erstarrt ist. Um so bedeutsamer und genialer war es, daß Goethe, dem das Mathematische, das Trennen und Zählen doch sonst nicht lag und nicht sympathisch war, als einer der ersten durch diese harte Schale hindurchdrang zum Kern voll Leben und Gefühl. Und so verteidigt er — im Bunde mit Herder — Spinoza vor allem gegen diesen ihm von Jacobi gemachten Vorwurf: „Wenn andere den Spinoza atheum schelten, so möchte ich ihn theissimum, ja christianissimum (den allerbesten Christen) nennen und preisen. Vergib mir, daß ich so gern schweige, wenn von einem göttlichen Wesen die Rede ist, das ich nur in und aus den einzelnen Dingen erkenne, zu deren näheren und tieferen Betrachtung niemand mehr aufmuntern kann als Spinoza selbst, obgleich vor

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II. Goethe und Spinoza.

seinem Blick alle einzelnen Dinge zu verschwinden scheinen." Und ein Jahr später an denselben: „Ich halte mich fest und fester an die Gottesverehrung des Atheisten und überlasse Euch alles, was Ihr Religion heißt und heißen müßt. Wenn Du sagst, man könne an Gott nur glauben, so sage ich Dir, ich halte viel auf das Schauen, und wenn Spinoza von einer intuitiven Erkenntnis spricht, so gibt mir das Mut, mein ganzes Leben der Betrachtung der Dinge zu widmen." In diesem Begriff des Schauens, das Goethe im Gegen­ satze zum Glauben und zum Beweisen, zum Trennen und Zählen als seine Art zu erkennen mit Recht oder Unrecht aus Spinoza nimmt oder es bei ihm auch und wieder findet, vereinigt sich das Ästhetische und das Mystische, das sinnlich Klare und das ganz Innerliche und Tiefe; darum ist dieser Begriff für seine Art, vom Sinnlichen auszugehen und darum doch durch das Sinnliche hindurch der Natur ins Herz zu sehen, so ganz besonders bezeichnend. enthüllt sich hier auch schon der Unterschied.

Und doch

Die Intuition

geht bei Spinoza mit einem raschen Schritt über das End­ liche hinweg direkt auf das Unendliche und Göttliche los; bei Goethe geht sie von den Einzeldingen aus, haftet liebevoll an ihnen und sucht i n ihnen, „in Steinen und Kräutern", wie er einmal schreibt, das Göttliche.

Spinoza ist Mystiker,

sein Schauen ist innerlich; Goethe als Künstler ist Realist, sein Schauen ist sinnlich. Das hängt aber auch mit einem Unterschied in ihrer Auffassung des Göttlichen selbst zusammen.

Spinoza kann

bei seinem Pantheismus den einen der beiden oben charak-

terisierten Abwege nicht vermeiden: vor seinem Blick „scheinen" nicht nur, wie Goethe sagt, alle einzelnen Dinge in Gott zu verschwinden, sie verschwinden wirklich in ihm. Das ist Goethes Meinung nicht; er läßt sich vielmehr durch sie und ihren Anblick erst zu näherer und tieferer Betrachtung der Dinge selbst hinführen und aufmuntern, um dann in ihnen drin das Göttliche zu suchen und zu finden. Das heißt: Goethe hält ebenso an der Natur wie an Gott, ebenso am Endlichen wie am Unendlichen fest. G o t t -- N a t u r ist daher der richtige Name dafür. So ist er einer der ganz wenigen Pantheisten, denen es gelungen ist, die beiden Ab­ wege gleichmäßig zu vermeiden und zwischen ihnen wirklich auf des Messers Schneide dahinzuwandeln. Ich wüßte nur noch einen, der dieses Kunststück in derselben vollendeten Weise fertiggebracht hat — Schleiermacher: aber während dieser die Balance auf dialektischem Wege, philosophisch, künstlich zu gewinnen weiß als ein geistiger und theologischer Seiltänzer, gleicht Goethe dem Nachtwandler, der auf schmaler Kante sicher dahinschreitet und den Absturz vom Steine hier, vom Sturze da glücklich vermeidet. Es ist bei ihm die unbewußte Sicherheit des genialen Menschen, dem selbstverständlich und leicht ist, was uns Durchschnittsdenkern nur mühsam und ausnahmsweise gelingen will. Daß auf dieser pantheistischen Mittellinie mit ihrer Gott-Natur auch eine andere Wertung und Schätzung der Einzeldinge zusammenhängt, ist klar. Nicht bloß Modi sind sie ihm, Modifikationen, Kräuselungen, Wellen der AllEinen göttlichen Substanz, wenn es auch zuerst so klingt:

II. Goethe und ©ptnoja.

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Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken. Das ist echt spinozistisch, widerspricht aber Goethes innerstem Wesen, der dazu zu sehr Dichter und Realist gewesen ist. Auch die Einzeldinge haben eigenen Wert, sind nicht bloße Modi, sondern selbständige Monaden und Entelechien. Da­ rin berührt sich Goethe mit Lessing.

„Wenn ich mich nach

jemand nennen soll, so weiß ich keinen andern" als Spinoza, hatte dieser gesagt.

Aber er hat sich lieber nach keinem

genannt; voller Spinozist zu sein, davon hielt ihn sein Re­ spekt vor dem Individuum ab; die Einzeldinge sind ihm mit Leibniz selbständige und kräftige Monaden, mit Aristoteles selbständige und selbsttätige Entelechien.

Diese Ausdrücke

nimmt auch Goethe auf und hält als der durch und durch individuelle, persönliche Mensch, der er ist, an der Selb­ ständigkeit, ja geradezu an der Ewigkeit dieser Entelechien fest. Übrigens mochte er diesen individualistischen Einschlag mit der Lehre Spinozas selbst für durchaus vereinbar halten, wenn er bei diesem las, daß das wahre Wesen der Dinge darin bestehe, daß sie sich in ihrem Sein zu behaupten suchen und daß das einzige Fundament der Tugend das Streben, sich zu erhalten, sei.

Und wie Goethe hat ja auch Spinoza

an einer Art individueller Unsterblichkeit festgehalten.

So

schloß der Spinozismus den Individualismus schon bei seinem Urheber selbst nicht völlig aus; und Goethe jedenfalls war Spinozist und Individualist zugleich.

III. Goethe und die Llamr. Mit der stärkeren Schätzung des Individuellen und Einzelnen hing aber bei Goethe auch eine lebensvollere Auf­ fassung der Natur im ganzen zusammen. Auch sie hat Spinoza nicht gefehlt, wenn er von der actuositas (Wirksam­ keit) Gottes redet und diesen als natura naturans (naturende oder schaffende Natur) der natura naturata (der genaturten oder geschaffenen Natur) gegenüberstellt. Deshalb hat Kuno Fischer die göttlichen Attribute bei Spinoza geradezu als Kräfte Gottes, die göttliche Substanz als den Inbegriff dieser unendlichen Kräfte angesehen, der in den Dingen kraftvoll wirksam ist. Aber so schön das wäre, richtig ist es nicht. Die mathematische Methode war bei Spinoza doch zu tief in den Geist des Systems eingedrungen und hatte das Hervorgehen der Welt nicht zu einem kraftvollen Pro­ duziertwerden durch Gott, sondern zu einem bloß logischen Folgen aus Gott gemacht. Das war Goethe in der Tat zu unlebendig, damit konnte er sich nicht befreunden, damit konnte er nichts anfangen. Für ihn gab es nichts Lebendige­ res und Lebensvolleres als die Natur, und trotz der Ewigkeit und Unveränderlichkeit ihrer Gesetze, die auch er durchaus anerkannte, stand er zu ihr persönlich doch ganz anders, in einem gemütlicheren und gemütvolleren Verhältnis als Spinoza. Sie war ihm nicht die mathematisch bestimmte

III. Goethe und die Natur.

41

Verkettung und Ordnung der Dinge, sondern die „liebende Mutter", „die uns in gedrungener Einfalt mit

ZW

und

Fülle sich um den Hals wirft"; „die gütige Mutter," wie er sie in Wilhelm Meisters theatralischer Sendung nennt, „die weise und liebreich die kleine, enge Haushaltung eines jeden sparsam reichlich ausgestattet hat". Und noch viel früher heißt es von ihr: Natur, du ewig keimende. Schaffst jeden tum Genuß des Lebens, Hast deine Kinder alle mütterlich Mit Erbteil ausgestattet. O leite meinen Gang, Natur, Den Fremdlings-Reisetritt, Den über Gräber Heiliger Vergangenheit Ich wandle.

Allein wozu solche Einzelzeugniffe, da wir alles, was Goethe in den achtziger Jahren übervollen Herzens über die Natur zu sagen hatte,

zusammengefaßt finden in dem

wundervollen aphoristischen Aufsatze des Tiefurter Journals, dessen Gedanken mitsamt ihrer Formulierung auf Goethe zurückgehen müssen, auch wenn der Schweizer Tobler sie schließlich niedergeschrieben hat? Das Fragment lautet so: „Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen — unvermögend aus ihr herauszutreten und unvermögend tiefer in sie hineinzukommen.

Ungebeten und ungewarnt

nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind, und ihrem Arme entfallen. Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch

III.

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Goeihe und die Natur.

nie; was war, kommt nicht wieder — alles ist neu und doch immer das Alte. Wir leben mitten in ihr und sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie. Sie scheint alles auf Individualität angelegt ju haben und macht sich nichts aus den Individuen.

Sie baut immer

und zerstört immer, und ihre Werkstätte ist unzugänglich. Sie lebt in lauter Kindern, und die Mutter, wo ist sie? — Sie ist die einzige Künstlerin: aus dem simpelsten Stoffe zu den größten Kontrasten: ohne Schein der Anstrengung zu der größten Vollendung — zur genausten Bestimmtheit, immer mit etwas Weichem überzogen.

Jedes ihrer Werke

hat ein eigenes Wesen, jede ihrer Erscheinungen den iso­ liertesten Begriff und doch macht alles eins aus. Sie spielt ein Schauspiel: ob sie es selbst sieht, wissen wir nicht, und doch spielt sie's für uns, die wir in der Ecke stehen.

Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewegen in

ihr, und doch rückt sie nicht weiter.

Sie verwandelt sich ewig

und ist kein Moment Stillestehen in ihr. Fü«?s Bleiben hat sie keinen Begriff, und ihren Fluch hat sie ans Stillestehen gehängt.

Sie ist fest.

Ihr Tritt ist gemessen, ihre Aus­

nahmen selten, ihre Gesetze unwandelbar. Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur.

Sie hat sich einen eigenen all­

umfassenden Sinn vorbehalten, den ihr niemand abmerken kann.

Die Menschen sind all in ihr und sie in allen. Mit allen treibt sie ein freundliches Spiel und freut sich, je mehr man ihr abgewinnt. Sie treibt^s mit vielen so im Ver­ borgenen, daß sie's zu Ende spielt, ehe sie's merken. Auch das Unnatürlichste ist Natur. Wer sie nicht allent­ halben sieht, sieht sie nirgendwo recht. Sie liebet sich selber und haftet ewig mit Augen und Herzen ohne Zahl an sich selbst. Sie hat sich auseinander­ gesetzt, um sich selbst zu genießen. Immer läßt sie neue Ge­ nießer erwachsen, unersättlich sich mitzuteilen. Sie freut sich an der Illusion. Wer diese in sich und andern zerstört, den straft sie als der strengste Tyrann. Wer ihr zutraulich folgt, den drückt sie wie ein Kind an ihr Herz. Ihre Kinder sind ohne Zahl. Keinem ist sie überall karg, aber sie hat Lieblinge, an die sie viel verschwendet und denen sie viel aufopfert. An's Große hat sie ihren Schutz geknüpft. Sie spritzt ihre Geschöpfe aus dem Nichts hervor und sagt ihnen nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen. Sie sollen nur laufen. Die Bahn kennt sie. Sie hat wenige Triebfedern, aber nie abgenutzte, immer wirksam, immer mannigfaltig. Ihr Schauspiel ist immer neu, weil sie immer neue Zuschauer schafft. Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben. Sie hüllt den Menschen in Dumpfheit ein und spornt ihn ewig zum Lichte. Sie macht ihn abhängig zur Erde, träg und schwer, und schüttelt ihn immer wieder auf.

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III. Goethe und die Natur.

Sie gibt Bedürfnisse, weil sie Bewegung liebt. Wunder, daß sie alle diese Bewegung mit so wenigem erreichte. Jedes Bedürfnis ist Wohltat. Schnell befriedigt, schnell wieder erwachsend. Gibt sie eins mehr, so iffs ein neuer Quell der Lust. Aber sie kommt bald ins Gleichgewicht. Sie setzt alle Augenblicke zum längsten Lauf an und ist alle Augenblicke am Ziele. Sie ist die Eitelkeit selbst; aber nicht für uns, denen sie sich zur größten Wichtigkeit gemacht hat. Sie läßt jedes Kind an sich künsteln, jeden Toren über sie richten, tausend stumpf über sie hingehen und nichts sehen, und hat an allen ihre Freude und findet bei allen ihre Rechnung. Man gehorcht ihren Gesetzen, auch wenn man ihnen widerstrebt, man wirkt mit ihr, auch wenn man gegen sie wirken will. Sie macht alles, was sie gibt, zurWohltat, denn sie macht es erst unentbehrlich. Sie säumet, daß man sie verlange, sie eilet, daß man sie nicht satt werde. Sie hat keine Sprache noch Rede, aber sie schafft Zungen und Herzen, durch die sie fühlt und spricht. Ihre Krone ist die Liebe. Nur durch sie kommt man ihr nahe. Sie macht Klüfte zwischen allen Wesen, und alles will sich verschlingen. Sie hat alles isolieret, um alles zur sammenjujiehen. Durch ein paar Züge aus dem Becher der Liebe hält sie für ein Leben voll Mühe schadlos. Sie ist alles. Sie belohnt sich selbst und bestraft sich selbst, erfreut und quält sich selbst. Sie ist rauh und gelinde.

III. Goethe «ad die Natur.

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lieblich und schrecklich, kraftlos und allgewaltig. Alles ist immer da in ihr. Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht. Gegen­ wart ist ihr Ewigkeit. Sie ist gütig. Ich preise sie mit allen ihren Werken. Sie ist weise und still. Man reißt ihr keine Erklärung vom Leibe, trutzt ihr kein Geschenk ab, das sie nicht freiwillig gibt. Sie ist listig, aber zu gutem Ziele, und am besten isss, ihre List nicht ju merken. Sie ist ganz und doch immer unvollendet. So wie sie^s treibt, kann sie's immer treiben. Jedem erscheint sie in einer eigenen Gestalt. Sie ver­ birgt sich in tausend Namen und Termen und ist immer dieselbe. Sie hat mich hereingestellt, sie wird mich auch heraus­ führen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten. Sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr. Nein, was wahr ist und was falsch ist, alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst." Das ist in der Tat „eine Art von Pantheismus", wie es Goethe später selbst genannt hat. Ohne den Einfluß von Spinoza hätte er so gewiß nicht denken und fühlen, nicht in dieses ganz persönliche Verhältnis zu Gott-Natur kommen können. Aber gegen Spinoza war ihm gerade hier die Natur kein Blindwaltendes, Sinn- und Zweckloses, sondern ein künstlerisch, d. h. sinn- und zweckvoll Schaffendes; nur freilich ein Persönliches und Bewußtes war ihm der mit der Natur identische Gott nicht. Auch als Künstlerin und, wie wir sehen werden, gerade als solche blieb ihm, der ein Künstler von der Natur Gnaden war, die Natur immer Natur, als Mutter,

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III. Goethe and die Ratar.

als Vater, als Allumfasser und Allerhalter hat er sie ange­ sehen; menschenähnlich, persönlich und damit ins Kleine und Kleinliche verzogen ist ihm darum Gott-Natur doch niemals erschienen. Und ebensowenig darf sich der Mensch als Weltzweck in den Mittelpunkt der Natur oder gar über sie und außer sie stellen wollen: auch er ist nur ein Teil, selbst nur ein Sohn der Natur, ein Kind dieser gütigen Mutter und darum von derselben Art wie sie. Und nun versenkte sich Goethe dankbar und liebevoll in diese Natur, um sie kennen zu lernen und zu verstehen; wobei mir immer viel wichtiger die Frage erscheint, was diese Naturstudien, die schon in Straßburg ihren Anfang genommen und ihn dann durch sein ganzes Leben hindurch begleitet haben, ihm geleistet haben und gewesen sind, als die viel ventilierte Frage, was er in der Naturwissenschaft und für sie geleistet habe. Er hat den Zwischenknochen im Oberkiefer des Menschen gefunden und damit eine vermeinte Lücke zwischen Tier und Mensch geschlossen. Er hat den Gedanken von der Metamorphose der Pflanzen und der Tiere gedacht und damit das Werden, das Spinozas Natur­ auffassung nicht kennt, gerade recht auf sie angewendet, und so den Entwicklungsgedanken zum Verständnis der organi­ schen Natur lange vor Darwin gefaßt, aber durch die Idee einer Urpflanze und eines Urtiers, die ihm nicht bloß „Idee" zu sein schienen, sondern die er sinnlich, leibhaftig zu sehen glaubte und in der Natur als wirklich vorhanden suchte, ein Künstlerisches in diese Entwicklung, ein Hervorbringen nach einem Urbild, einem Typus und Modell hineingeschaut.

III. Goethe und die Natur.

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Das hat ihn in der Farbenlehre irregeführt, wo er in Licht und Finsternis gegen Newton physikalisch das Urphänomen zu erkennen glaubte; dagegen hat er physiologisch das Gesetz von den antagonistischen Farben (Rot und Grün einer-, Blau und Gelb andererseits, die sich wechselweise fördern, wenn sie getrennt sind, die sich zerstören, wenn man sie ver­ einigen will) entdeckt; und psychologisch ist sein feines, künstlerisches Empfinden durch die Unterscheidung von kalten und warmen, von Plus- und Minusfarben geradezu wegleitend geworden für das Schaffen des Künstlers wie für die Kunst des täglichen Lebens und der ihr gestellten Aufgabe wohlgefälliger Farbenzusammenstellung. Endlich in der Geologie, wo wir sein lebhaftes Interesse an dem Gegensatze der Neptunisten und Vulkanisten aus dem zweiten Teil des „Faust" kennen, verrät sein Haß gegen den Vulkanismus seine Abneigung gegen alles Revolutio­ näre und Gewaltsame auch in der Natur. Diese ist kon­ sequent, selbst eine Gottheit könnte an ihren Gesetzen nichts ändern; aber rein mechanisch verfährt sie nirgends, überall ist eine innere Bildungskraft in ihr, der lebendig und künst­ lerisch schaffenden und wirkenden, erkennbar und tätig. Darum konnte Goethe seine Naturanschauung als „Hylozoismus" (Hyle — Materie; Zoe = Leben) bezeich­ nen, nicht im Sinn einer belebten Materie, sondern einer lebendigen Natur, zu der er sich schon im Urfaust bekannt hat; und so entsprang seine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Natur wirklich aus seinem innersten Bedürfnis und Herzen heraus und war um so weniger auch für den Dichter

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III. Goethe und die Natur.

ein Abweg oder ein grillenhafter Irrtum, weil er auch dabei immer Künstler blieb, immer den Blick auf das Ganze ge­ richtet, immer das geistige Band festhaltend, immer die geniale Intuition höher achtend als das Zergliedern und Trennen, das gegenständliche Denken höher als das re­ flektierende sich über den Gegenstand Stellenwollen, ein synthetischer Geist, kein analytischer Forscher. Deshalb wollen wir nicht zu denen gehören, die ihn meistern möchten und meinen, diese naturwissenschaftliche Arbeit sei verlorene Zeit, Goethe hätte etwas Besseres tun können als Natur­ studien treiben, oder wie Du Bois-Reymond über ihn zur Tagesordnung übergehen mit der hochmütigen Bemerkung, daß auch ohne Goethes Beteiligung die Naturwissenschaft heute genau so weit wäre, als sie ist; sondern wir wollen be­ greifen, daß er ohne diese Teilnahme an der naturwissen­ schaftlichen Forscherarbeit für sich selber nicht geworden und gewesen wäre, was er ist, und uns freuen und erbauen an der Art, wie er dadurch die Natur in seiner Weise anzusehen gelernt hat. Gott in der Natur sich offenbarend, die Natur der Gottheit lebendiges Kleid webend und wirkend, und der Mensch ein Sohn dieser Allmutter und alle Naturwesen im stillen Busch, in Luft und Wasser seine Brüder — das sind die unverlierbaren Gedanken dieser Goetheschen Natur­ betrachtung, das war sein schöner, frommer Glaube an GottNatur. Neben Shakespeare und Spinoza hat Goethe einmal den Botaniker Linnö genannt als den, von dem die größte Wirkung auf ihn ausgegangen sei. Aber freilich wodurch?

III. Goethe und die Natur

„durch den Widerstreit, zu dem er mich aufforderte." Die systematisierende und mit Zahlen operierende Methode Linnss erschien ihm, dem Feind alles Systematisierens und alles Zählens, als ein freilich geistreiches Absondern, als ein Verfahren nach willkürlichen, wenn auch oft zweckmäßigen Gesetzen: was jener mit Gewalt auseinanderhielt und trennte, das suchte Goethe nach dem innersten Bedürfnis seines Wesens zu vereinigen und in ein Stetiges zu ver­ wandeln. Und dieser Versuch gelang ihm, wie er jedenfalls glaubte, in Italien. Nicht, wie man denken sollte, Kunst und Kunststudien lagen ihm dort einzig und allein, vielleicht nicht einmal in erster Linie am Herzen, sondern die Natur und speziell die Flora dieser ihm neuen Welt. An den fremden und fremdartigen Gestaltungen der ita­ lienischen Pflanzenwelt ist ihm der Gedanke der Meta­ morphose aufgegangen, worin, wie schon gesagt, zuerst der Begriff des Werdens auffällt, der vom Spinozismus als einer Philosophie des Seins weit abzuliegen und abzuführen scheint, aber doch nur eine lebendigere Gestaltung des Pan­ theismus notwendig und möglich machte, die eben den Vorzug der Goetheschen vor der spinozistischen Auffassung desselben bildet. Allein neben der Welt der Pflanzen war es doch natürlich auch die Welt der Kunst, für die ihm in Italien Auge und Sinn geöffnet worden ist. Das zeigen seine italienischen Reisebriefe und Tagebücher und zeigt vielleicht noch über das ihm selbst bewußt Gewordene hinaus die antikisierende Richtung seiner Poesie von dieser Zeit an. Man hat es ja Siegtet, Goethes Weltanschauung.

4

50

III.

Goethe und die Natur.

schon bedauern und beklagen wollen, daß Goethe in Italien so gar klassisch und damit geradezu undeutsch geworden sei. Wenn wir nur das Bruchstück gebliebene Epos „Achilleis" oder die Helenaphantasmagorie im zweiten Teil des Faust oder das etwas steif und frostig anmutende Festspiel „Des Epimenides Erwachen" als Früchte dieses Klassizismus hätten und kennten, so möchte sich ein solcher Vorwurf allen­ falls hören lassen.

Aber wenn wir daran denken, daß wir

ohne diesen Klassizismus auch „Hermann und Dorothea", „Alexis und Dora" und selbst die „Iphigenie" in ihrer heutigen Fassung und Form nicht hätten, so müssen solche törichten Klagen und Anklagen doch sicherlich verstummen: seien wir froh, daß Goethe auch diesen klassischen Kursus „durchscharmuziert" hat, und suchen wir auch hier wieder zu verstehen, was er für ihn bedeutet hat. Die Hauptsache freilich, wie die Antike auf Goethes dichterisches Schaffen, auf seine Kunst und deren Stil gewirkt hat, beschäftigt uns hier nicht.

Seine Kunstanschauung

beeinflußt wohl auch seine Lebensanschauung und hängt mit ihr aufs engste zusammen, aber es ist das eine Sache für sich, die nicht hierher gehört. Nur darauf sei hingewiesen, daß Goethe in Italien Neuhumanist geworden ist und die Kunst der Alten im Geiste Winckelmanns gefaßt und ver­ standen, daß darum die stille Größe des Altertums auch ihn still und ruhig und gelassen gemacht hat und so neben Spinoza und in derselben Richtung wie die Beschäftigung mit dessen Ethik ein weiteres Beschwichtigungsmittel für sein leidenschaftlich glühendes Herz geworden ist.

Was aber

III. Goethe und die Natur.

51

hier ju sagen ist, ist das, daß Goethe in der antiken Kunst, der bildenden vor allem mit ihrem Überwiegen des Typi­ schen und ihrem Zurückdrängen des Individuellen und des Pathologischen, auch eine Bestätigung seines gegenständlichen, auf die Urformen und Urphänomene sich richtenden Natur­ denkens sah und fand. In den Bildwerken der Griechen schaute er wirklich an, was ihm Schiller nur als „Idee" gelten lassen wollte, hier war das Übersinnlich-Geistige sinnlich anschaulich geworden. Darum mußte ihm die klassische Kunst imponieren und ihn entzücken. Nicht well sie naiv war, wie er im Gegensatz jum Sentimentalischen und Romantischen naiv gewesen ist, sondern in ihrer Art, Geistiges im Sinnlichen wirklich zu zeigen — antidualistisch könnte man sie nennen —, liegt die tiefste Verwandtschaft Goethes mit den Griechen, darin ist er ihnen und sind sie ihm so ganz kongenial. Er selber hat es noch einfacher so ausgedrückt: „Die Klarheit der Ansicht, die Heiterkeit der Aufnahme, die Leichtigkeit der Mitteilung — das ist, was uns entzückt; und wenn wir nun behaupten, dieses alles finden wir in den echt griechischen Werken, und zwar geleistet am edelsten Stoff, am würdigsten Gehalt, mit sicherer und vollendeter Ausführung, so wird man uns verstehen, wenn wir immer von dort ausgehen und immer dorthin weisen. Jeder sei auf seine Art ein Grieche; aber er sells!" Und noch etwas ist ihm in Italien aufgegangen, was mit dem Ausdrucke „naiv" nicht ganz zu seinem Rechte kommt: die Einheit von Natur und Kunst. „Diese hohen Werke der Kunst", schreibt er 1786, „sind zugleich als die

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III.

Goethe und die Natur.

höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natür­ lichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen. Da ist Notwendigkeit, da ist Gott." So gilt von dieser Kunst alles, was von der Natur gilt. Auf sie, auf die Kunst der Griechen überträgt er, was er von der Natur und ihrem Schaffen zu sagen wußte: die­ selbe Bildungskraft, die in ihr tätig ist und nach jenen ein­ fachen Urformen und Typen schafft, ist auch im künstlerischen Genie und seinen Werken erkennbar: beide wirken naturhaft, d. h. unbewußt, gesetzmäßig und notwendig aus sich heraus. Und diese Schaffenskraft ist in beiden dieselbe göttliche. Auch der Künstler ist als Mensch, und als ge­ nialer und dämonischer Mensch erst recht, ein Naturwesen, Teil und Sohn der Natur als natura naturans, als GottNatur. Und dieser Gedanke ist nicht bloß ein theoretischer, sondern so fühlte Goethe auch persönlich. Darum ist nicht nur sein Naturgefühl religiöser Art, als Dichter weiß er sich noch besonders gottbestimmt und gottbegnadet, ist er seines Gottes voll; denn auch in seinem Dichten ist Gott. Diesen Gott wie in der Natur, so auch in sich und seinem künstlerischen Schaffen zu finden und anzuerkennen, darin besteht eine weitere Form und Seite seiner Religion, darin ist auch er immer „voller Religion und voll heiligen Geistes" gewesen. Doch von der Religiosität Goethes und von seinem Verhältnis zum Christentum wird noch besonders die Rede sein müssen; und da wird uns der Einfluß, den Italien und die Antike darauf, auf sein Heidentum, wie man es genannt

hat, und noch vorher auf seine sittliche Lebensanschauung ausgeübt haben, aufs neue und dann erst in ihrer vollen Wucht und Bedeutsamkeit entgegentreten. Und ebenso wollen wir uns tum Verständnis von Goethes Gegensatz zu der Ro­ mantik dieses sein festes Wurzeln in der Antike und in der Kunst der Antike hier schon vorläufig gesagt sein lassen.

IV. Goethe und Ranr. Haben wir in den beiden vorangehenden Abschnitten Goethes großes Ja kennen gelernt: Goethe und Spinoza, Goethe und die Natur, so muß nun auch das Nein zu Worte kommen: Goethe und Kant. Dabei muß ich freilich zum voraus um die Nachsicht meiner Leser bitten. Das Nein und die Polemik ist immer unergiebiger und unerfreulicher als das Ja. Auch kommt man, wenn man von Kant redet, um gewisse Fachausdrücke nicht herum: es ist, wie wenn man auf Granit beißt, es wird ungenießbar und jedenfalls nicht kurzweilig. Aber ich kann es ihnen nicht ersparen; denn dieses Nein ist lehrreich, es läßt uns Goethe und seine Weltb­ und Lebensanschauung doch erst richtig und ganz verstehen. Goethe und Kant! — hier sah man lange Zeit über­ haupt kein Problem. Goethe, der ganz unphilosophischc, der selbst erklärt hat, daß er kein Philosoph sei und sein wolle und zur Philosophie kein Verhältnis gehabt habe, wird am allerwenigsten ein solches zu Kants schwierigen und abstrakten Gedankengängen gewonnen haben; und wenn er doch philosophierte, so tat er es im Sinne Spinozas; als Spinozist aber war er kein Kantianer. Da wurde das alles plötzlich auf den Kopf gestellt und uns gesagt, seit Beginn der neunziger Jahre sei Goethe unter den Einfluß Kants geraten, dadurch von Spinoza abgekommen und schließlich

IV.

Goethe und Kant.

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durch Schiller ganz für Kant gewonnen, geradezu zu einem Jünger Kants gemacht worden. Der, der dies zuerst — in der „ersten Entdeckerfreude" — recht überschwänglich, dann all­ mählich etwas vorsichtiger und mit Einschränkungen be­ hauptet hat, war Karl Vorländer, einer von den Marburger Neukantianern, die überhaupt alles Große und Bedeut­ same in der Geistesgeschichte unseres deutschen Volkes und seiner jüngsten Vergangenheit auf Kant zurückführen und auf seinen Namen getauft wissen wollen.

Und nun wiesen auch

andere darauf hin, daß sie derartiges ja schon lange vor Vorländer ebenso erkannt und behauptet haben; und um­ gekehrt nahm, darauf sich stützend, der geistreich schillernde und schon aus Antisemitismus den Einfluß Spinozas weit von Goethe wegweisende Houston Stewart Chamberlain, der gleichzeitig auf Immanuel Kant und auf Richard Wagner schwört, in seinem Kantbuch von 1905 und vorsichtiger in seinem Goethewerk von 1912 auch Goethe unter die Pla­ neten auf, die um eine von diesen beiden Sonnen, um Kant, kreisen dürfen und von ihm ihr Licht empfangen. Und schließlich hat einer dieser Neukantianer Marburger Ob­ servanz, Ludwig Goldschmidt, in der „Frankfurter Zeitung" vom 23. Oktober 1909 diejenigen fast gar körperlich bedroht und in Verruf erklärt, die es fürderhin noch wagen würden, Goethe einen Spinozisten zu nennen.

Und da es eine neue

Weisheit war, so wurde sie von unserer auf alles Neue und Sensationelle sich hastig losstürzenden Zeit unbesehen als Wahrheit hingenommen und weitergetragen. Ganz besonders aber freute man sich in theologischen Kreisen über diese Ent-

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IV.

Goethe und Kant.

deckung: Kant stand dem Christentum und speziell dem Pro­ testantismus erheblich näher als Spinoza; war also Goethe Kantianer und nicht oder nicht mehr Spinozist, so konnte es auch mit seinem sogenannten Heidentum nicht so schlimm stehen und man ihm auch in kirchlichen Kreisen wieder näher kommen; und so stellte der Anempfinder Samuel Eck (Goethes Lebensanschauung 1902) dem Dreibund: SpinozaJacobi-Goethe eine höhere und bessere Trias: Kant-SchillerGoethe gegenüber und triumphierte, daß diese letztere an die Stelle jener früheren getreten sei. Ich kann das alles in der Hauptsache nur für eitel Sinnestäuschung und arge Übertreibung halten. Für Über­ treibung: denn es gibt nun freilich eine Reihe von Stellen, die einen Einfluß Kants auf Goethe beweisen; sie gesammelt und „archivarisch genau" zusammengestellt zu haben, das ist das unbestreitbare Verdienst Vocländers. Aber es sind eben einzelne Stellen, fehlt leider nur das geistige Band; und in dem, was für einen solchen Einfluß spricht und Goethe selber darüber gesagt hat, steckt immer auch sofort das Nein, das Gegensätzliche und die Opposition Goethes gegen Kant. Denn zwischen den beiden, zwischen Goethes zusammen­ schauender und Kants kritischer, die Dinge trennender Art des Denkens liegt geradezu die Weite einer Welt. Goethe und Kant gehören nicht zusammen: dasist die These, die ich in diesem Abschnitt zu beweisen habe. Ich freue mich darin der Übereinstimmung mit Georg Simmel, der diese Gegensätzlichkeit zwischen Kant und Goethe auf die Formel ge­ bracht hat: Grenzsetzung und Einheit. Ich würde sagen: Kant

IV.

Goethe und Kant.

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war ein analytischer, Goethe ein synthetischer Geist, Goethe blieb immer Künstler, Kant immer Mann der Wissenschaft. Doch nun zur Sache. Goethe, dieser universale Geist, der alles, was bedeut­ sam war um ihn her, empfänglich auf sich einwirken ließ und in sich verarbeitete, das ihm Kongeniale sich unbefangen und gern assimilierte, das Andersgeartete ohne viel Polemik einfach beiseite ließ und abwies, ist so auch mit der Philo­ sophie Kants verfahren.

Zu einem intimeren Kennenlernen

derselben sah er sich aber auch aus persönlichen Gründen veranlaßt, als er im Jahre 1794 mit Schiller, der damals wirklich Kantianer gewesen ist, den engen Freundschaftsbund schloß. Von der „Kritik der reinen Vernunft", dem ersten großen Hauptwerke .Kants, das im Jahre 1781 erschienen war, hatte Goetlre vor der italienischen Reise keine Notiz ge­ nommen.

Wie er aber 1788 nach Deutschland zurückkam,

da stand ganz Jena als Freund oder als Feind unter dem Zeichen Kants.

Und nun hätte Goethe nicht Goethe sein

müssen, wenn er. empfänglich wie er war, nicht alsbald auch auf dieses neue Licht seinen Blick gerichtet und versucht hätte, Sinn und Bedeutung dieser neuen Erscheinung sich klar zu machen. Und überdies — er war Kurator der Universität Jena und hielt es als solcher nicht nur für seine Pflicht, für ihre finanziellen Bedürfnisse zu sorgen, sondern auch am wissenschaftlichen Leben seiner Professoren in Anatomie, Geologie und Botanik mitarbeitend teilzunehmen.

So

studierte er im Winter 1789 auf 90 Kants „Kritik der reinen

58

IV.

Goethe und Kant.

Vernunft" „mit großer Applikation".

Was er daraus für

sich entnommen hat, hat er in dem Aufsatz „Einwirkung der neueren Philosophie" später selber geschildert. Danach ist das Resultat ein wesentlich negatives gewesen: „Der Ein­ gang war es, der mir gefiel, ins Labyrinth selbst konnte ich mich nicht wagen: bald hinderte mich die Dichtungsgabe, bald der Menschenverstand, und ich fühlte mich nirgend ge­ bessert. ... Kanten konnt' ich nicht folgen."

Da erschien

1790 Kants „Kritik der Urteilskraft", d. h. seine Lehre vom Schönen und Erhabenen einerseits, vom Zweck in der Natur andererseits.

Und von diesem Werk bekennt nun auch

Goethe, daß er ihm „eine höchst frohe Lebensepoche schuldig sei"; was aber nicht heißt, daß es auf ihn epochemachend gewirkt habe.

Ihn freute, daß die Hauptgedanken des

Buches seinem eigenen Tun und Denken, seiner Natur- und Kunstauffassung „ganz analog" waren, wenn er auch „hie und da etwas zu vermissen schien". Daß Kunst- und Naturerzeugnisse,

ästhetische und teleologische Urteilskraft

„sich

wechselsweise erleuchteten", daß „Dichtkunst und vergleichende Naturkunde so nah

miteinander verwandt seien, indem

beide sich derselben Urteilskraft unterwerfen", das ließ er sich von Kant gerne sagen. Aber so sehr er sich dadurch an­ geregt fühlte, ging er doch auf seinem eigenen Wege in den Gedanken über die Metamorphose der Pflanzen weiter, und so fand er für das, was er sich von Kant angeeignet oder in ihn hineingelesen hatte, bei den Kantianern seiner Umgebung wenig Anklang: sie meinten „mit lächelnder Verwunderung, das sei freilich ein Analogon Kantischer Vorstellungsart,

IV.

Goethe und Kant.

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aber ein seltsames". Immerhin war er hier auf dem Wege, sich Kant entschieden zu nähern: da erschien 1792 dessen „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" mit ihrer Lehre vom radikalen Bösen in der menschlichen Natur; und nun kam bei Goethe die Ernüchterung und das Ab­ rücken.

Geradezu entsetzt schrieb er darüber an Herder:

„Dadurch habe Kant seinen philosophischen Mantel, nachdem er ein langes Menschenleben gebraucht, um ihn von mancher­ lei sudelhaften Vorurteilen zu reinigen, freventlich mit dem Schandfleck des radikalen Bösen beschlabbert, damit auch Christen herbeigelockt werden, den Saum zu küssen." Diese harten Worte entsprechen ganz dem dezidierten

Nicht-

christentum des damaligen Goethe, der von der christlichen Lehre von der Erbsünde seit seiner Bekanntschaft mit Rousseau nie etwas hat wissen wollen. Aber nun schließt er die Freundschaft mit Schiller, der eben zu jener Zeit tief in philosophische Studien versenkt und wirklich Kantianer war.

Damit begann auch für Goethe

eine neue Epoche — eine Epoche für ihn als Dichter, als sittlich Strebenden und als philosophisch Denkenden.

Und

nach dieser dritten Seite hin entwickelten sich nun in Goethe die philosophischen Anlagen, soweit seine Natur sie enthielt. Das zeigt vor allem die Arbeit am „Faust", über die ihm Schiller 1797 schrieb: „Die Anforderungen an den Faust sind zugleich philosophisch und poetisch, und Sie mögen sich wenden, wie Sie wollen, so wird Ihnen die Natur des Gegenstandes eine philosophische Behandlung auflegen, und die Einbildungskraft wird sich zum Dienst einer Vernunft-

6o

IV. Goethe und Kant.

idee bequemen müssen." Und gleich in ihrer ersten ein# gehenderen Unterhaltung hatte ja Schiller die Goethesche Urpflanze, die dieser zu sehen und wirklich gefunden zu haben glaubte, eine bloße „Idee" im Sinne Kants genannt, was Goethe zuerst ganz unglücklich machte. Aber allmählich gewöhnte er sich an diese ihm ursprünglich fremde Sprache, er bezeichnet Urpflanze und Urtier gelegentlich selber als „Idee" und freut sich, daß er „nicht mehr der steife Realist sei" wie früher. So wuchs er durch das Verhältnis zu Schiller wirklich mit der Kantischen Philosophie zusammen, und die Philosophie wurde ihm überhaupt immer werter. Im Streit Herders gegen Kant konnte er mit dem alten Freund „nicht übereinstimmen", das Unrecht des jetzt nur noch nörgelnd seitwärts stehenden schien auch ihm zu klar. Dagegen ver­ folgte er Schillers Arbeiten nicht bloß mit persönlicher Freundesteilnahme sondern auch sachlich mit viel Zustim­ mung. Aber warum? Er selbst berichtet: „Schiller predigte das Evangelium der Freiheit, ich wollte die Rechte der Natur nicht verkürzt wissen. Aus freundschaftlicher Neigung gegen mich, vielleicht mehr als aus eigener Überzeugung, be­ handelte er in den „Ästhetischen Briefen" die gute Mutter nicht mit jenen harten Ausdrücken, die mir den Aufsatz über „Anmut und Würde" so verhaßt gemacht hatten." So hatte Goethe das Bewußtsein, daß nicht er Schiller, sondern daß dieser ihm sich in seinen Anschauungen genähert und anbe­ quemt habe. Und daß es doch kein bloß freundschaftliches Nachgeben, das gar nicht in Schillers Art lag, sondern ein über­ zeugtes Abrücken von Kant war, das zeigen nun umgekehrt

IV. Goethe und Kant.

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Äußerungen Schillers und zeigt, wie Goethe richtig gesehen hat, seine letzte und vollendetste Abhandlung über „naive und sentimentalische Dichtung". Unter Goethes Einfluß hat Schiller den Übergang vom Menschen Kants zum Menschen Goethes erst in sich selbst vollzogen und dann in dieser Ab­ handlung deutlich zu erkennen gegeben, daß die Kantische Ethik nicht nur, sondern auch die Kantische Ästhetik für ihn ihre Alleinherrschaft, die Geltung des absolut Richtigen verloren habe. Diese war ihm von Anfang an zu subjektiv gewesen, Goethe war objektiv; jene war ihm zu rigoros und zu mönchisch, Goethe war kein Freund einer solchen asketischen Sittlichkeit, und über der Arbeit am „Wallenstein" wurde ihm auch das motivierte und determinierte Handeln wichtiger als die intelligible Freiheit Kants.

So hat Schiller, durch

Goethe „zu schärferem Nachdenken genötigt", verlernt, Kants Schüler zu sein, während Goethe durch Schiller Kant genauer kennen und teilweise in seiner Sprache reden gelernt hat. Nach Schillers Tod aber hat sich Goethe, wie er selbst bezeugt, im Stillen wieder von aller Philosophie entfernt. Im Streit zwischen Jacobi und Schelling in den Jahren 1811 und i2 hat er aber doch als Pantheist und Spinozist für Schelling gegen den alten Freund Partei genommen und im Zusammenhang damit wieder einmal zu Spinozas Ethik gegriffen.

Und jetzt bekennt er sich aufs neue unver­

brüchlich dazu, Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen.

Aus dieser dritten Spinozabeschäftigung und -be-

geisterung stammt das ausdrücklich erneuerte Bekenntnis zum Pantheismus:

IV.

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Goethe und Kant.

Was wär' ein Gott, der nur von außen stieße. Im Kreis das All am Finger laufen ließe! Ihm ziemt's, die Welt im Innern tu bewegen, Natur in sich, sich in Natur tu hegen. So daß, was in ihm lebt und webt und ist, Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.

Wie er dann im Jahre 1817 die drei Großen nennen soll, die auf ihn den stärksten Einfluß ausgeübt haben, nennt er darum neben Shakespeare und Kant ist nicht dabei.

Sinne

doch nur Spinoza,

Und schließlich definiert er sein Ver­

hältnis zu diesem, es noch einmal zusammenfassend, so: „Kant hat nie von mir Notiz genommen, wiewohl ich aus eigener Natur einen ähnlichen Weg ging wie er.

Meine

Metamorphose der Pflanze habe ich geschrieben, ehe ich etwas von Kant wußte, und doch ist sie ganz im Sinn seiner Lehre"; und 1821: „Ich danke der kritischen und idealistischen Philo­ sophie,

daß sie mich auf mich selbst aufmerksam gemacht

hat: das ist ein ungeheurer Gewinn. Aber" — fährt er fort — „sie kommt nie zum Objekt; dieses müssen wir so gut wie der gemeine Menschenverstand zugeben, um am un­ wandelbaren Verhältnis zu ihm die Freude des Lebens zu genießen."

Damit enthüllt sich in letzter Stunde noch

einmal die ganze Differenz zwischen ihm und der idealisti­ schen und pessimistischen Philosophie Kants. Das sind die Selbstzeugnisse Goethes über sein Ver­ hältnis zu Kant.

Sie zeigen, daß er niemals ein Jünger

Kants gewesen ist und sich nie als solchen gefühlt hat. Das Verhältnis bleibt immer ein kühles, nur durch Schiller wird es zeitweise etwas intimer.

Doch die Hauptsache ist

IV.

das Inhaltliche.

Goethe und Kant.

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Wie steht es damit? Worin kann Goethe

mit Kant gehen? und worin lehnt er ihn ab? Worin ist er mit ihm in Übereinstimmung? und worin bestehen die Dif­ ferenzen? Eins ist Goethe mit Kant oder glaubt es doch zu sein in seiner Auffassung der organischen Natur. Aber seine An­ schauung von ihr ist doch nur „ein Analogon" zu der Kanti­ schen, und ausdrücklich betont er, daß er sie vor der Be­ kanntschaft mit dieser und unabhängig von ihr gewonnen und gehabt und auf ganz anderem, selbständigem Wege ge­ funden habe.

Neu war ihm nur oder kam ihm als neu zum

Bewußtsein der Gedanke der Urteilskraft, daß Natur und Kunst im Zweckmäßigen zusammenstimmen und daß ein Kunstwerk wie ein Naturprodukt, ein Naturprodukt wie ein Kunstwerk zu behandeln und der Wert eines jeden aus sich selbst zu entwickeln sei und in ihm selbst liege. Das erfreute ihn als Dichter und als Naturdenker zugleich. Das Zweite — und das empfand er als größten Gewinn — war die Ein­ sicht in den Anteil des Subjekts an aller unserer Erkenntnis: Goethe hatte nie gesondert, wieviel unser Selbst und wieviel die Außenwelt zu unserem geistigen Dasein beitrage; er glaubte wirklich, er sehe seine Meinungen vor Augen. Nun mochte er sich unter dem Einfluß Kants gern auf diejenige Seite stellen, welche dem Menschen am meisten Ehre macht, und gab allen Freunden vollkommen Beifall, die mit Kant behaupteten: wenngleich alle unsere Erkenntnis mit der Er­ fahrung anhebe, so entspringe sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung,

So hörte er auf, der steife, der naive

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IV. Goethe und Kant.

Realist zu sein, der er gewesen war. Aber Realist zu sein hörte er darum doch nicht auf. Gegenüber dem Idealismus von der Welt als unserer Vorstellung bleibt er, gestützt auf den gesunden Menschenverstand und aus Freude an der Natur und am Leben in ihr, beim Realismus, beim Glauben an deren Objektivität. Und endlich freut er sich auch darüber, daß Kant die Grenzen zu bestimmen suchte, wie weit der menschliche Geist als erkennender zu dringen fähig ist, und daß er gewisse Probleme ungelöst liegen ließ: die Natur Gottes, die Unsterblichkeit und das Wesen der Seele und ihr Zusammenhang mit dem Körper seien ewige Probleme, worin uns die Philosophie nicht weiter bringe. Aber schon der Vorsatz, das Unerforschliche ruhig zu verehren, liegt weit ab von den Kantischen Postulaten der praktischen Vernunft; und wenn er über Gott-Natur in der Weise Spinozas zu philosophieren nicht aufhörte, an der Unsterblichkeit mehr im Sinne Lessings als im Sinne Kants festhielt und die Seele mit Aristoteles und Leibniz als Entelechie, d. h. als Ding an sich faßte und die Dinge an sich in seinem „philosophischen Naturstand", d. h. doch wieder naiv realistisch gelten ließ, so sieht man, daß er die Grenzen des menschlichen Erkennens nicht genau da und bei weitem nicht so eng zog wie Kant. Und so stecken schon hier in den Berührungspunkten überall Dif­ ferenzen, die für sich allein ausreichen würden, Goethe nicht als Kantianer anzusprechen. Aber nun erst kommen die eigentlichen Differenzen, die Goethe selbst als solche empfunden und sich zum Be­ wußtsein gebracht hat. Es sind ihrer drei: i. auf theoreti-

IV. Goethe und Kant.

6?

schem Gebiete. Goethe war ein anschauender Geist, und so stellt er Kants kritischer Art, zu philosophieren, die seinige ausdrücklich als eine synkritische, dessen trennender seine zusammenschauende Denkweise entgegen. Anschauend stellt er sich vor die Natur und versenkt sich demütig und glücklich zugleich in ihre grandiose Objektivität, an die zu rühren ihm nicht einfällt. Trennend betrachtet Kant die Natur, das Stofflich-Objektive läßt er als das unbekannte Ding an sich gleichgültig liegen und holt aus der Natur nur das heraus und interessiert sich an ihr nur für das, was das Subjekt von sich aus an Gesetzen in sie hineingelegt hat; ihm ist die Natur Erscheinungswelt und als solche die subjektive Welt des Bewußtseins, dem sie ihr Sosein und alle ihre Gesetz­ mäßigkeit zu danken hat: wir sind es, die der Natur ihre Gesetze vorschreiben. Für Goethe ist die Natur objektiv die große Mutter, deren Gesetze nur darum die unsrigen sind, weil auch wir Natur, Teile, Söhne, Kinder der Natur sind, und die es darum gilt, mit offenen Augen zu schauen und dankbar zu lieben und zu verehren. Das ist der große Gegen­ satz zwischen dem Dichter und Naturschauer einerseits, wie sich Goethe selbst einmal genannt hat, und dem kritischen Philosophen andererseits — ein Gegensatz, über den keine Brücke hinwegführt. 2. Kants Kritik der praktischen Vernunft hat Goethe überhaupt nicht erwähnt und sie schon damit deutlich ab­ gelehnt. Vom kategorischen Imperativ hat er sogar ge­ meint, dieser führe, wenn man es damit zu weit treibe, zu nichts Gutem. Kühnlich behauptet freilich Eck: erst durch Ziegler, Goethes Weltanschauung.

5

66

IV.

Goethe und Kant.

Kant sei Goethe zum Bewußtsein der Pflicht gekommen, er habe sie wohl am grünen Tisch und bei Hofe erlebt, aber nicht verstanden; „in dem Rahmen seines von Spinoza ge­ leiteten, der Natur und der Kunst hingegebenen bewußten Denkens war für sie kein Raum".

Du lieber Himmel! und

alles vor seiner Bekanntschaft mit Kant, die Arbeit als Er­ zieher Karl Augusts, als Kammerpräsident in Weimar, als stiller Wohltäter des durch ihn dem Leben zurückgewonnenen Krafft, um einstweilen nur das zu nennen, hat er, weil er Kant noch nicht gelesen hatte, unbewußt und gedankenlos geleistet; unbewußt und gedankenlos das Göttliche im Men­ schen dahin bestimmt: Edel sei der Mensch, Hilfreich und gut! Denn das allein Unterscheidet ihn Don allen Wesen, Die wir kennen.

Und unbewußt und gedankenlos hat er seine Iphigenie den Kampf zwischen Lüge und Wahrhaftigkeit durchkämpfen und sich auf alle Gefahr hin für die Wahrheit entscheiden lassen! Das ist ja der helle Wahnsinn!

Nein, Pflichtmäßiges zu

leisten und Sittliches hochzuhalten, hat Goethe nicht erst von Kant lernen müssen, wenn es ihm auch in Schiller, in dessen Person in besonders energischer Weise entgegengetreten ist. Aber der Kantische Pflichtbegriff — nicht die Pflicht selber! — war ihm und blieb ihm notwendig zuwider; denn „alles Sollen ist despotisch"; daher war ihm ja sogar Schillers Aussatz über „Anmut und Würde", in dem doch auch dieser

67

IV. Goethe unb Äant.

den überstrengen Pflichtbegriff Kants ablehnte oder ein­ schränkte, geradeju „verhaßt. Er tat das Pflichtmäßige aus Neigung, aus seiner guten Natur heraus, naturhaft, nicht unter Vergewaltigung gegen die Natur.

Kant aber war

Rigorist, der jede Neigung erbarmungslos niederschlug und für verwerflich erklärte und keine andere Sittlichkeit als die kämpfende und ringende anerkannte.

In diesem Punkte

ist ja auch der Kantianer Schiller seinem Meister Kant untreu geworden und hat im Begriff der schönen Seele, den er mit Goethe teilt, nur daß er ihn ausschließlich ethisch deutet, die Versöhnung von Neigung und Pflicht gefunden und schließlich unter dem Einfluß Goethes sich in den Tenien gegen Kant selbst gewandt mit dem scharf und richtig treffen­ den Spott:

Gerne dien' ich den Freunden, doch tu' ich es leider mit Neigung, Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin. Der tiefste Grund für die Ablehnung des Kantischen Pflichtbegriffs lag aber bei Goethe in einem Doppelten. Bei Kant ruhte derselbe auf und gipfelte in der Idee einer intelligibeln Freiheit. Goethe war — auch darin mit Spinoza eins und nicht mit Kant — Determinist.

Statt vieler

Stellen hier nur eine aus einem Briefe an Schiller: „Unter anderen Betrachtungen bei Miltons verlorenem Paradies war ich auch genötigt, über den freien Willen, über den ich mir sonst nicht leicht den Kopf zerbreche, zu denken; er spielt in dem Gedicht, sowie in der christlichen Religion überhaupt, eine schlechte Rolle.

Denn sobald man den Menschen von

Haus aus für gut annimmt, so ist der freie Willen das

68

IV.

Goethe und Kant.

alberne Vermöge», aus Wahl vom Guten abzuweichen und sich dadurch schuldig zu machen; nimmt man aber den Menschen natürlich als bös an oder, eigentümlicher zu sprechen,

in dem tierischen Falle unbedingt von seinen

Neigungen hingezogen zu werden, so ist alsdann der freie Wille freilich eine vornehme Person, die sich anmaßt, aus Natur gegen die Natur zu handeln".

Hier offenbart sich

zugleich die Quelle dieses seines Determinismus: aus Natur gegen die Natur handeln zu wollen, erschien ihm als An­ maßung und als unmöglich; er handelte als „Dämonischer" aus seiner innersten Natur heraus, notwendig und im Ein­ klang mit Gott-Natur.

So war die Leugnung des freien

Willens wie bei Spinoza oder Schleiermacher, so auch bei Goethe in seiner Religion und seinem frommen Abhängig­ keitsgefühl begründet.

Zum andern aber hing doch auch

das wieder mit seiner ganzen synthetischen Art zusammen. Kant ging aus von der einzelnen Handlung und fragte, ob sie und ihre Maxime den Charakter des Allgemeingültigen habe und sich zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung eigne: Goethe lehnte dieses Auflösen und Zerhacken des Sittlichen in die Atome der einzelnen Handlungen ab und hielt sich an das ganze einheitliche Sein und Wesen des Menschen, aus dem, wenn es gut ist, das einzelne Gute mit innerer Notwendigkeit als Sache der Neigung, nicht als jedesmalige Pflichterfüllung hervorquillt.

Und auch darin

folgte ihm Schiller mit seinem Begriff der schönen Seele, den nun auch er nicht bloß als Idee konstruierte, sondern in Goethe als Wirklichkeit schaute und vor sich sah.

IV.

Goethe und Kaut.

69

Das beruht endlich 3. noch auf Goethes Anschauung von der menschlichen Natur als einer guten.

Daher jenes

schon zitierte starke Wort über Kants Religionsphilosophie und seine Lehre vom radikalen Bösen. Sie widersprach dem unausrottbaren Optimismus Goethes.

Und zugleich sah

er darin zu viel gewollt Christliches, eine bewußte Akkommo­ dation an das christliche Dogma von der Erbsünde, gegen das er sich immer schon gesträubt hatte.

Darum lehnte er

in seiner damaligen Christentumsferne die Kantische Philo­ sophie mit ihrem radikalen Bösen und ihrer Freiheitslehre als eine allzu christliche entschieden ab. So im

mußte

das Verhältnis

Goethes

ganzen ein vorwiegend negatives sein.

Anerkennung

seiner

Größe

und

der

zu

Kant

Bei

aller

weltgeschichtlichen

Bedeutung seiner Philosophie — e r für sich konnte Kant nicht folgen, seiner Natur nach konnte er nicht Kantianer sein.

Und so wird es in alle Ewigkeit zwei Arten von Men­

schen geben — die Goetheschen, sinnlich anschauenden und zusammenschauenden, objektiven, optimistischen,

und die

Kantisch trennenden, subjektivistischen und intellektuell und moralisch pessimistischen.

Man kann natürlich Kant und

Goethe hochstellen und bewundern, wie Goethe selbst Kant für den größten Philosophen erklärt hat: aber Kantianer und Goetheaner zugleich kann man nicht sein, sondern immer nur eines von beiden. täuschen oder täuschen lassen.

Darüber darf man sich nicht

V. Goethe und die Romantik.

Daß Goethe von dem Kantianer Fichte nicht viel wissen wollte, bestätigt noch einmal unsere Auffassung über sein Verhältnis zu Kant. Es war nicht nur das Persönliche — das Verhalten Fichtes im Atheismusstreite, das dem auf Beamtendisziplin Wert legenden Geheimen Rat unsym­ pathisch war, das Pathetisch-Rhetorische, das zugleich ein ganz Unkünstlerisches war, und das Revolutionäre und fanatisch Gewalttätige, das in seinem Idealismus wurzelte und ihn menschlich so „eiskalt" erscheinen ließ: es war nicht nur dieses Persönliche, das Goethe an Fichte mißfiel, sondern es war deutlich auch der philosophische Gegensatz des Realisten gegen den subjektiven Idealisten, die Naturlosigkeit des Fichteschen Systems, in der er nur die allergrößte Pietät­ losigkeit gegen die gütige Allmutter und als Dichter ein ganz besonders Unfruchtbares sehen konnte. Zugleich widersetzte sich sein gesunder Menschenverstand, den er in hervorragen­ dem Maße besaß und den er schon gegen Kant ausgespielt hatte, den Fichteschen Paradoxien: ihm und seinen Schriften gegenüber wußte er wirklich nicht, wo ihm der Kopf stand. Viel kongenialer war ihm Schelling. Auch Fichte war Romantiker; aber ganz romantisch war doch erst Schellings Philosophieren, wie er denn auch persönlich ganz in den romantischen Saus und Braus in Jena eingetaucht ist. Wie stand denn nun Goethe zur Romantik?

V.

Goethe und die Romantik.

71

Das Verhältnis war von Haus aus durchaus freund­ lich und sah sich längere Zeit geradezu wie Waffenbrüder­ schaft an.

Die französische Revolution, Fichtes Wissen­

schaftslehre und Goethes Wilhelm Meister erklärte Friedrich Schlegel für die drei größten Tendenzen des Zeitalters; und auf dem Wilhelm Meister erbauten er und sein Bruder ihre romantische Theorie vom wahrhaft Poetischen. Novalis nannte Goethe den wahren Statthalter des poetischen Geistes auf Erden, und August Wilhelm Schlegel pries ihn als den Wiederhersteller der Poesie in Deutschland.

Die

Egeria des Kreises aber, die Dame Luzifer, wie Schiller sie nannte,FrauKaroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling, war von früh an die feinsinnigste Hohepriesterin dieses Goethekultus, den dann in der nächsten Generation Bettina „das Kind" in ihrer Art weiter pflegte.

Als sich das Ver­

hältnis der Romantiker zu Schiller trübte und schließlich in offene Feindschaft ausartete, haben sie gegen ihn Goethe ausgespielt, und dieser hielt noch längere Zeit an ihnen fest.

In Tiecks „Genoveva" berauschte er sich „an dem

Tönereichtum dieser Missa solemnis, in der alle Nationen Europas der heiligen Genoveva huldigten". Auch hat er nicht nur die Sonettenform von ihnen gelernt, am Schluß der „Wahlverwandtschaften" und des zweiten Teils des „Faust" zeigt sich der Einfluß der Romantik als ein tiefeingreifen­ der auch sachlich in seiner eigenen Poesie.

Goethe hat zeit­

weise selber romantisiert. Und doch kam es auch zwischen ihm und ihnen zum Bruch.

Das lag nicht bloß am Persönlichen, das ihn auch

72

V.

Goethe und die Romantik.

hier vielfach abstieß und anwiderte, an der Frechheit dieser geistreichen Gesellschaft, die bei der ersten Lektüre von Schillers „Glocke" vor Lachen von den Stühlen fallen wollte, sondern es hatte tiefere, sachliche Gründe. Die Kunstanschauungen, wie sie Tieck und Wackenroder zuerst ent­ wickelten, gaben den ersten Anstoß. Für deutsche Art und deutsche Kunst hatte Goethe in seiner Straßburger Zeit geschwärmt. Das Münster und das deutsche Volkslied haben es ihm dort angetan, von seiner Schätzung deutscher Art ist sein „Götz" das vollwichtigste Zeugnis. Aber in­ zwischen war Goethe in Italien gewesen und hatte dort eine entschieden neuhumanistische Wendung genommen: er war auch in seiner Kunst und Kunstanschauung heidnisch, grie­ chisch geworden, seine „Reliquien waren Bruchstücke von griechischen Tempeln". Die Romantiker dagegen gingen gerade den umgekehrten Weg: antikisierend hatten sie be­ gonnen; bald aber sahen sie im Mittelalter den Quell der Erneuerung für Kunst, Politik und Religion. Sie lobten die strengen, mageren Formen der mittelalterlichen Bilder, ihre naiven und keuschen Gewänder, die gutmütig-kindliche Einfalt ihrer Gesichter, und an der mittelalterlichen Re­ ligion die Liebe zu der heiligen wunderschönen Frau der Christenheit, die mit göttlichen Kräften versehen, jeden Gläubigen aus den schrecklichsten Gefahren zu retten bereit war. So war in der Kunst das Nazarenertum proklamiert, und im Leben wurde Friedrich Schlegel katholisch. Das war nun alles Goethe so unsympathisch als möglich. Von einem Frieden mit diesem neukatholischen Künstlerwesen

V. Goethe und die Romantik.

73

will er nichts wissen, er protestiert gegen die Phrasen dieser neukatholischen Sentimentalität und bekennt sich in seinem „Winckelmann" im Gegensatz dazu ausdrücklich und lebhaft zum Klassizismus. Selbst in Friedrich Schlegels verdienst­ lichem Buch „Über die Sprache und Weisheit der Indier" findet er „den leidigen Teufel und seine Großmutter mit allem ewigen Gestanksgefolge auf eine sehr geschickte Weise in den Kreis der guten Gesellschaft eingeschwärzt"; und seinen Übertritt zum Katholizismus beklagt er, weil „hier im höchsten Lichte der Vernunft ein höchst ausgebildetes Talent verleitet worden, den Popanz zu spielen". Darum war er aber natürlich doch nicht blind gegen die Schönheiten mittelalterlicher Kunst und Poesie, erfreute sich an den Nibe­ lungen und den altdeutschen Volksliedern und ließ sich durch die Gebrüder Boisseree für den Kölner Dom und die alt­ deutschen Maler interessieren. Aber das war doch immer nur eine Episode. Gleich darauf kehrte er in seiner Zeit­ schrift „Kunst und Altertum" dem Mittelalter wieder den Rücken, betonte bei der Jubelfeier der Reformation im Jahre 1817 seinen Protestantismus und erklärte 1818 recht im Gegensatze zu aller Romantik: „Jeder sei auf seine Art ein Grieche, aber er sei's!" Während aber der Bruch mit der Schule und vor allem mit den Schlegel ein definitiver war, blieb das Verhältnis zu Schelling freundlich. Diesen wandlungsreichen Philo­ sophen hatte Goethe in der Periode seiner Naturphilosophie kennen gelernt; und da fand er in ihm, der eben damals den Übergang von Fichte zu — Spinoza vollzog, so viel

74

V. Goethe und die Romantik.

Verwandtes, daß er sich dadurch im höchsten Grade erfreut und angezogen fühlte. Wir denken heute gering von dieser Schellingschen Naturphilosophie, vergessen aber, welcher Gewinn es war, daß gegenüber der ganz naturlosen und ganz subjektiven Philosophie Fichtes durch sie die Objek­ tivität im allgemeinen und die Natur insbesondere wieder zu Ehren gekommen und das Interesse für die Natur nicht nur philosophisch und dichterisch, sondern auch wissenschaftlich geweckt worden ist. Schellings Naturphilosophie hat die Deutschen wieder der Natur zugewandt und wurde die Vor­ läuferin des Aufschwungs der Naturwissenschaft und ihres Studiums auch bei uns. Die Natur Schellings aber war die natura naturans Spinozas, die schaffende Natur Goethes in jenem lebendigen Sinn, in dem er sie als die Mutter ver­ ehrte und sich ihr vertrauensvoll hingab. Der großartige Gedanke einer Entwicklung und Stufenfolge aller organi­ schen Wesen und der monistische Gedanke von der Einheit der Natur und der Allgegenwart des Lebens in ihr war ein ebenso Fruchtbares und Modernes, wie es der Goetheschen Naturanschauung durchaus entsprach. Und ebenso begrüßte er es, wenn Schelling das Schaffen der Natur mit dem des Künstlers in Parallele stellte und sein System des transzen­ dentalen Idealismus in den Worten „Kunst" und „Genie" seinen Abschluß finden ließ. Wie Schelling als objektiver Idealist die Natur ver­ stand, lehrt ein merkwürdiges Gedicht von ihm: „Epiku­ risch Glaubensbekenntnis Heinz Widerporstens", dessen Druck Goethe zwar verhindert hat, mit dessen Grund-

V.

75

Goethe und die Romantik.

gedankeu er aber durchaus einverstanden war.

Darin

heißt es: Müßt' auch nicht, wie mir vor der Welt sollt' grausen, Da ich sie kenne von innen und außen. Steckt zwar ein Rtesengeist darinnen. Ist aber versteinert in seinen Sinnen, Kann nicht aus dem engen Panzer heraus. Noch sprengen das eiserne Kerkerhaus, Obgleich er oft die Flügel regt, Sich gewaltig dehnt und bewegt. In toten und lebend'gen Dingen Tut nach Bewußtsein mächtig ringen ... In einen Zwergen eingeschlossen, Don schöner Gestalt und graden Sprossen, Heißt in der Sprache Menschenkind, Der Riesengeist sich selber find't. Dom eisernen Schlaf, vom bangen Traum Erwacht, sich selber erkennet kaum, Über sich gar sehr verwundert ist, Mit großen Augen sich grüßt und mißt; Möcht' alsbald wieder mit allen Sinnen In die große Natur zerrinnen, Könnt' also zu sich selber sagen: Ich bin der Gott, der sie am Busen hegt, Der Geist, der sich in allem bewegt. Dom ersten Ringen dunkler Kräfte Bis zum Erguß der ersten Lebenssäfte, Hinauf zu des Gedankens Jugendkraft, Wodurch Natur verjüngt sich wieder schafft, Ist eine Kraft, e i n Pulsschlag nur, e i n Leben, Ein Wechselspiel von Hemmen und von Streben.

Das war auch „eine Art von Pantheismus", wie jenes Jugendftagment Goethes im Tiefurter Journal. In GottNatur blieben die beiden darum zeitlebens eins.

76

V.

Goethe und die Romantik.

Romantisch war auch die Philosophie Schopenhauers. Auch an ihm nahm Goethe mannigfaches Interesse.

Er

freute sich, daß dieser junge Mann auf die Gedanken seiner Farbenlehre bereitwillig einging und sich einer Welt von Gegnern gegenüber als wohlwollender Freund auf seine Seite stellte; und auch von seiner „Welt als Wille und Vor­ stellung" hat er freundlich Notiz genommen.

Gelesen aber

hat er darin sicher nur „einiges"; sonst hätte er nicht bloß an dem subjektiven „die Welt ist meine Vorstellung", son­ dern in seinem unverwüstlichen Optimismus noch viel mehr an dem dort gepredigten Pessimismus den schwersten Anstoß genommen.

Und er hätte wohl auch auf ihn, wie auf Hein­

rich v. Kleist, dem er

damit

nur teilweise gerecht

ge­

worden ist, den Begriff des Pathologischen angewendet. Diesem gegenüber hat er ja 1829 sein Urteil über die Ro­ mantik

überhaupt noch einmal zusammengefaßt in das

Wort: „Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke".

Goethe war eine viel zu gesunde

Natur, als daß er trotz aller persönlichen und sachlichen Berührungspunkte Romantiker hätte werden, sein oder gar bleiben können. Zweibund

Schon deshalb

„Goethe und

wird sich der alte

Schiller" nicht

ersetzen

lassen

durch die neuerdings im Überschwang der Kleistbegeiste­ rung beliebte Zusammenstellung: „Goethe und Heinrich von Kleist". Mit dieser Ablehnung der Romantik durch Goethe hängt es endlich zusammen, daß ihm Hegel sympathisch wurde. Zwar ist auch dieser aus der Romantik hervorgegangen und

in seinem Historismus auch romantisch geblieben; aber schließlich ist doch, neben Heine, er der Überwinder der roman­ tischen Philosophie und Weltanschauung überhaupt geworden — das zeigen am deutlichsten die Vertreter der Hegelschen Linken, Feuerbach und Strauß, und die unter Hegels Ein­ fluß stehenden Stürmer und Dränger des „jungen Deutsch­ land", die freilich nicht bloß unromantisch gewesen sind, sondern den Gegensatz zur Romantik rasch bis zur Nüchtern­ heit und Poesielosigkeit gesteigert haben.

Daß Goethe

von der krausen und abstrusen Sprache und Terminologie Hegels zunächst abgestoßen wurde, versteht sich von selbst. „Es ist ein trefflicher Kopf, aber es wird ihm so schwer, sich mitzuteilen", sagt er ganz treffend von ihm; und so konnte er gelegentlich erklären: „Von der Hegelschen Philosophie mag ich gar nichts wissen."

Allein je mehr er ihn persönlich

kennen lernte, desto mehr lernte er ihn auch schätzen, und so nannte er die Bekanntschaft mit ihm — rührend für den 75 jährigen — „eine der schönsten Blüten seines immer mehr und mehr sich entwickelnden Seelenfrühlings"; und nun erkannte er auch, daß er mit Hegel „in Grundgedanken und Gesinnungen wohl übereinstimme".

Und in der Tat —

der Subjektivität Fichtes und aller Romantik gegenüber war Hegel der Philosoph der Objektivität.

Darin und im

Respekt vor dem Wirklichen war er mit Goethe durchaus eins. Dagegen blieb dieser im Gegensatz zu dem Philosophen der Geschichte dem Studium der Natur treu, „bei der wir es mit dem unendlich und ewig Wahren zu tun haben"; während etwas von der Fichteschen Geringschätzung der

78

V. Goethe und die Romantik.

Natur als dem Anderssein der Idee doch nach wie vor in der Hegelschen Philosophie steckte. Alle diese Beziehungen werfen, wie ich glaube, trotz ihrer vielfach negativen Ergebnisse doch ein helles Licht auf Goethes eigene Anschauung und Art, wenn wir sehen, daß ihm Kant zu subjektivistisch, zu rigoros, zu christlich, Fichte zu naturlos und paradox, die Romantik zu katholisch und zu pathologisch, Hegel zu formlos und zu historisch war. So vielfach er sich mit ihnen allen berührt hat, so deutlich scheidet sich sein Weg von dem ihrigen, weil er einen andern Geist hatte als sie alle. Nur Spinoza und Schelling erkannte er als geistesverwandt an; aber freilich auch ihnen gegenüber blieb er immer er selbst, blieb er immer Goethe. Wir aber freuen uns nun doch, im nächsten Abschnitt wieder Wege wandeln zu dürfen, die weniger steil sind und uns aus den abstrakten Gefilden der Philosophie und ihrer Schulsprache durch die blühenden Landschaften seiner Liebe zu Friederike und zu Frau v. Stein führen sollen.

VI. Goethe und die sittliche Welt. a) Geschichte und Politik.

Wir können an den juletzt besprochenen Gegensatz ju Hegels Historismus anknüpfen und hier zuerst von Goethes Verhältnis zur Geschichte reden. Wissenschaftlich hat er sich nur mit der Natur und mit den Menschen als Naturwesen beschäftigt, auf geschichtliche Studien hat er sich nicht eingelassen. Wie wenig er von der Geschichte hielt, wissen wir ja schon aus dem Urfaust: ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer nennt er sie; und wir hören auch gleich, warum er so despektierlich urteilt: Die wenigen, die was davon erkannt. Die törig gnug ihr volles Herz nicht wahrten. Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.

Es war sein Individualismus, der ihn in jenem Augen­ blick so pessimistisch über das Schicksal der Großen und Tiefen und verächtlich wie Nietzsche über die Masse und die Melzuvielen reden ließ. Nur wo daher in der Geschichte ein großer Einzelner der Heldenspieler ist, da wird sein historisches Inter­ esse wach, wie er ja schon als Knabe nicht preußisch, sondern fritzisch gesinnt war. So sind denn auch zwei seiner Jugend­ dramen historische Stücke von großen Einzelnen, „Götz" und „Egmont". In diesem letzteren sind sogar die Massenszenen

8o

VI. Goethe und die sittliche Welt.

so komponiert, daß die Menge in eine Anzahl von scharf charakterisierten Einzelnen aufgelöst ist — das direkte Gegen­ stück zu dem Chor in Schillers „Braut von Messina" oder zu den typisch gehaltenen Figuren in „Wallensteins Lager". Wenn wir aber im „Egmont", vor allem in der großen Szene zwischen Egmont und Alba, einen entschiedenen Fort­ schritt an geschichtlichem Verständnis über den „Götz" hinaus wahrnehmen, etwa wie im „Don Carlos" über den„Fiesko", so hatte Goethe freilich inzwischen unendlich viel gelernt — nur nicht aus Büchern und alten Urkunden, sondern aus dem Leben und der Praxis der Gegenwart. Für das, was um ihn her war, hatte schon der junge Goethe mit dem klaren, offen aufgeschlagenen Auge und Sinn wie in der Natur, so im Menschenleben volles Verständnis, für die Geschichte als eine vergangene hatte er keines, sie inter­ essierte ihn nicht. Zu dieser Gegenwartswelt gehörte aber auch die Politik; und sie lernte er nun in Weimar dadurch kennen, daß er da selber Politik, soweit dies in dem kleinen Ländchen möglich war, selber Geschichte machen half. Dafür hatte der Enkel des Stadtschultheißen von Frankfurt freilich schon allerlei mitgebracht, auch hatte sein Vater für seine politische Bildung bestens gesorgt: mit hervorragenden Po­ litikern und Staatsmännern hatte schon der Jüngling mehrfach verkehrt, und wo er hinkam, hatte er die Augen weit aufgetan auch für die Lebensbedingungen, unter denen die Bevölkerung jeweils lebte und ihr Wesen trieb. Aber auch in Weimar war, was ihn zuerst und zuhöchst interessierte, nicht die Verwaltung in abstracto, sondern

VI.

Goethe und die sittliche Welt.

8l

wiederum ein ganz Persönliches, die Erziehung des Herzogs Karl August zu seinem fürstlichen Beruf, wie er das in dem herrlichen Gedicht „Ilmenau" poetisch schön und fein dar­ gestellt hat; und hier darf er schon 1783 als Erziehungs­ resultat an dem Freunde rühmen: Du keonesi lang die Pflichten deines Standes Und schränktest nach und nach die freie Seele ein,

und ihn mahnen, auf dem begonnenen Wege weiter zu gehen: So wandle du — der Lohn ist nicht gering — Nicht schwankend hin, wie jener Sämann ging. Daß bald eia Korn, des Zufalls leichtes Spiel, Hier auf den Weg, dort zwischen Dornen fiel. Nein! streue klug wie reich, mit männlich steter Hand, Den Segen aus auf ein geackert' band; Dann laß es ruh'n: die Ernte wird erscheinen Und dich beglücken und die Deinen.

Daß dann dieser sein Zögling 1816 der erste deutsche Fürst gewesen ist, der seinem Volke nach den Befteiungskriegen eine Verfassung gab, ist doch wohl kein Zufall; und ebensowenig, daß Goethe der erste deutsche Minister gewesen ist, der schon vor dem Fürstenbund Friedrichs des Großen „die elende Konstitution" des alten Deutschen Reiches durch eine Vereinigung der deutschen Mittel- und Kleinstaaten verbessern wollte. Auch der französischen Revolution, an der ihm freilich das Tumultuarische und Gewaltsame durchaus mißfiel, stand er nicht so verständnislos gegenüber, als ob er in zwei oder drei unbedeutenden Lustspielen nur die lächerlichen Ziegler, Goethes Weltanschauung.

6

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VI. Goethe und die sittliche Welt.

Außenseiten dieser großen Bewegung zu verspotten gewußt hätte.

Auf der Kampagne in Frankreich hat er am Biwak­

feuer von Dalmy 1792 den Offizieren gesagt: „Don hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte an, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen."

Zu zweifeln, ob

Goethe diese Worte damals wirklich gesprochen und sie nicht vielmehr erst nachträglich als Prophezeiung ex eventu hinzu„gedichtet" habe, dazu liegt meines Erachtens kein Grund und daher auch kein Recht vor.

Eine ganz ernsthafte Seite aber

weiß er jedenfalls in „Hermann und Dorothea" der fran­ zösischen Revolution und ihrer Einwirkung auf die Deutschen abzugewinnen, wenn er Hermann sagen läßt: Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist. Der vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter; Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich. Nicht dem Deutschen geziemt cs, die fürchterliche Bewegung Fortzulciten und auch zu wanken hierhin und dorthin. Dies ist unser! so laßt uns sagen und so es behaupten! Denn es werden noch stets die entschlossenen Völker gepriesen. Die für Gott und Gesetz, für Eltern, Weiber und Kinder Stritten und gegen den Feind zusammenstehend erlagen.

Und in der „Natürlichen Tochter", die ja nur die Ex­ position eines ganzen Zyklus von Revolutionsdramen sein sollte, schaute er nach einer Bändigerin der „fürchterlichen Bewegung", einer zweiten Jungfrau von Orleans aus, die freilich mehr die Züge seiner Iphigenie als die des Schillerschen Heldenmädchens annahm.

Daß der Entwurf vor der

Vollendung der Trilogie abbrach, hatte seinen Grund darin, daß nicht eine Jungfrau, eine Iphigenie, sondern ein starker Mann mit eiserner Faust die Revolution niederzwang, und

VI. Goethe unb die sittliche Welt.

8Z

so die Lösung eine ganz andere war, als der Dichter des Ewig-Weiblichen sie sich ausgedacht hatte. In Napoleon aber erlebte er nun, was ihn an der Ge­ schichte einzig anzog und schon als Knaben für Friedrich den Großen gewonnen hatte, Individualität und ganz groß Menschliches. Don ihm, in dem auch Hegel so etwas wie „die Weltseele" selber gesehen hat, sagt er: „Außerordent­ liche Menschen wie Napoleon treten aus der Moralität heraus, sie wirken zuletzt wie physische Ursachen, wie Feuer und Wasser." Das war es also wiederum auch hier — das Naturhafte, das Dämonische, das Nicht-anders-handelnkönnen, worin Goethe stets das besondere Merkmal des Genies gesehen hat; deshalb legt er an ihn auch nicht den sittlichen Maßstab an; solche dämonische Menschen stehen wie die Natur selbst jenseits von Gut und Böse. Und auch sein Sturz machte ihn darin nicht irre: bedurfte es doch des Zusammenwirkens der Natur und des ganzen übrigen Europa, um diesen Einen zu überwältigen. Aber auch als Deutscher dachte er kaum anders. Er war ein Sohn des achtzehnten Jahrhunderts und ein Deutscher aus der Zeit, wo Deutschland kein Staat mehr war. Nichts kann deutscher empfunden sein als „Götz" oder „Hermann und Dorothea"; für deutsche Art und Kunst hat er sich in Straßburg schon begeistert. Aber politisch hat er sich weder in den Zeiten des Unglücks und der Erniedri­ gung noch in denen der Wiedererhebung und des nationalen Zornes als Deutscher gefühlt. Er war zwar kein Kosmo­ polit im eigentlichen Sinne des Wortes, aber etwas von dem 6*

84

VI.

Goethe und die sittliche Welt.

kosmopolitischen Zeitalter vor dem Ausbruch der Revolution hat er doch abbekommen, wenn er ähnlich wie Lessing einmal ruft:

„Römerpatriotismus!

Davor bewahre uns Gott!"

und fragt: „Wenn wir einen Platz in der Welt finden, da mit unseren Besitztümern zu ruhen, ein Feld, uns zu nähren, ein Haus, uns zu decken, haben wir da nicht Vaterland? und haben das nicht Tausendund Tausende in jedem Staate? und leben sie nicht in dieser Beschränkung glücklich?

Wozu

nun das vergebene Aufstreben nach einer Empfindung, die wir weder haben können noch mögen, die bei gewissen Völkern und zu gewissen Zeitpunkten das Resultat vieler glücklich zusammentreffender Umstände war und ist?"

Und

noch 1807 klingt es reifer zwar, aber dem Sinn nach doch kaum viel anders, wenn er sagt: „Der Freiheitssinn und die Vaterlandsliebe, die man aus den Alten zu schöpfen meint, wird in den meisten Leuten zur Fratze... Unser Leben führt uns nicht zu Absonderung und Trennung von anderen Völkern, vielmehr zu dem größten Verkehr."

So

hat Goethe weder in den Zeiten der Schmach und der Er­ niedrigung noch nachher in den Jahren der Wiedererhebung und des sich aufraffenden nationalen Zornes und Trotzes und Kraftgefühls national deutsch empfinden können. Was ihn an der Napoleonischen Ära mit ihren Kriegen, Schlachten und Siegen ängstigte, das war nicht die Not des Vater­ landes, sondern die Gefahr für die Kultur und ihren stetig ruhigen Gang.

Das Wort aus den neunziger Jahren:

Franzium drängt in diesen verworrenen Tagen, wie ehmals Luthertum es getan, ruhige Bildung zurück,

VI. Goethe und die sittliche Welt.

85

gilt auch noch jehn Jahre später. Im übrigen glaubt er nach den Tagen von Jena so wenig wie Johannes v. Müller oder Hegel an Preußens Zukunft und ruft noch nach dem russischen Feldzuge den Stein und Arndt die bekannten Worte entgegen: „Ja, schüttelt nur an euren Ketten, der Mann ist euch zu groß. Ihr werdet sie nicht zerbrechen, sondern noch tiefer ins Fleisch ziehen." Und während der Kämpfe gegen Napoleon von 1813 bis 1815 versenkte er sich in das Studium der chinesischen Geschichte, um durch ein recht Fernliegendes sich von der Unruhe und der Er­ regung des Tages abzulenken. Daher war es schwerlich richtig, ihn von Berlin aus nach Sieg und Friedensschluß mit der Abfassung eines Fest­ spiels zu betrauen. Aber er für sich brauchte es doch, um ge­ wissermaßen zu sühnen, was er im Unglauben an sein Volk, an dessen patriotischen Aufschwung und an dessen nationale Kraft gefehlt hatte. Er selbst ist der Epimenides, der „diese Nacht des Jammers überschlief" und sich nun, da er erwacht ist, dieser Ruhestunden schämt; denn „für den Schmerz, den ihr empfunden, seid ihr auch größer als ich bin". Dieses Bekenntnis war ein stilles, aber ein ganz großes Heldentum Goethes. Allein ganz unrecht hat er mit seinem Mißtrauen doch nicht gehabt. Gleich nach dem Siege kamen ja neue Sorgen: der Schlaf des deutschen Volkes war zu tief gewesen, als daß auch das stärkste Schütteln und Rütteln es so schnell zur vollen Besinnung zurückzuführen vermochte. Und auch darin gab ihm die Geschichte recht: auch den Deutschen

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VI. Goethe und die sittliche Welt.

mußte erst einer kommen von Napoleons Art, „ein Kerl, dem die andern es nicht nachmachen können", und der sie so auf seine Weise schüttelnd und rüttelnd politisch zum Volk machte. Goethes Aufgabe aber war es, seine Deutschen vorher geistig, kulturell zu einigen und zum Volke zumachen; und diese historische Aufgabe hat er geleistet, wie neben ihm und Schiller keiner: der Weg zur deutschen Kaiserund Reichshauptstadt ging über die „Kopfstation" in Weimar. Auch innerpolitisch hat Goethe an seinem aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Standpunkte zeit­ lebens festgehalten: der aufgeklärte Despotismus blieb sein Ideal, daher er für sich nicht auf seiten der Verfassungs­ freunde stand, Majoritätsbeschlüsse und Preßfreiheit waren dem Individualisten geradezu widerwärtig. Auch an dem Burschenschaftsfest auf der Wartburg im Jahre 1817 hat er keine Freude gehabt, die Baccalaureusszene int zweiten Teil des „Faust" richtet ihre Spitze nach seiner eigenen Er­ klärung gegen die Burschenschafter. Wie aber dann die De­ magogenverfolgung und die Mißhandlung der Patrioten und der idealistischen Jugend kam, da schieden sich seine Wege aufs bestimmteste von denen der Reaktion; und schließlich hat er sich doch als einen „gemäßigten Liberalen" bekannt, „wie es alle vernünftigen Leute sind und sein sollen und wie ich selber es bin und in welchem Sinne zu wirken ich während eines langen Lebens mich bemüht habe". „Auf freiem Grund mit freiem Volke stehen" — das ist für ihn wie für den alt­ gewordenen Faust der Weisheit letzter Schluß, ist auch sein

VI. Goethe und die sittliche Welt.

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letztes Wort gewesen, wie Freiheit im „Götz" sein erstes Wort gewesen ist. b) Das Sittliche. Aber ehe wir zu dieser letzten Phase seiner politischen Anschauungen kommen, haben wir erst noch sein Verhältnis zum Sittlichen im eigentlichen und engeren Sinne des Wortes kennen zu lernen. Dabei denkt man wohl zunächst an Goethes persönliche Sittlichkeit. Allein über ihn moralisch zu Gericht sitzen — wer darf das? und wer kann das? Ich jedenfalls nicht; ich bin kein Herzenskündiger, kein moralischer Pulsfühler und Sittenrichter. Auch ist uns gerade das Intimste eines Men­ schenlebens — und dazu gehören die Motive unseres Han­ delns in erster Linie mit — jederzeit verborgen. Ich möchte aber auch nicht ganz darüber schweigen, als ob man sich scheuen müßte, davon zu reden. Goethe ist kein Heiliger gewesen: welcher Mensch wäre das? Es irrt der Mensch, so lang er strebt; und ein so leidenschaftlicher und dämonischer Mensch irrt gewiß da, wo er irrt, stärker als der ruhige und stumpfe Geist. Aber in seinem dunkeln Drange war er sich darum gewiß auch vor anderen des rechten Weges stets bewußt. Selbst den beiden Vorwürfen, die zumeist gegen Goethe erhoben werden, brauchen wir nicht aus dem Wege zu gehen, dem Vorwurf — um cs ganz philisterhaft auszudrücken — der Unbeständigkeit und Flatterhaftigkeit in der Liebe und dem Vorwurf des Egoismus. Gewiß, Goethe hat viel

VI. Goethe und die sittliche Welt.

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geliebt. Aber wer möchte denn in seinem Leben und Dichten eine von ihnen allen, Gretchen oder Kätchen, Friederike oder Lotte, Lili oder Frau v. Stein, Marianne v. Willemer oder Ulrike v. Levetzow missen? und wenn eine, so vielleicht noch am ehesten die, die er schließlich zu seiner rechtmäßigen Gattin gemacht hat, Christiane Dulpius; und am allerwenigsten die, zu der das Verhältnis am anstößigsten war, Frau v. Stein, die das Urbild seiner Iphigenie, sein guter Genius auf dem Wege zu allem Hohen und Höchsten gewesen ist. Das Wort von D. Fr. Strauß: „Lieben war sein Beruf" trifft darin das Richtige, und heißt: Goethe spielte nicht, er nahm es in der Liebe auch da ernst, wo er treulos wurde und sich schuldig gemacht hatte; so vor allem Friederike von Sesenheim gegenüber, der das Wort im „Faust" gilt: Und ich, bor Goltverhaßle, Harre nicht genug. Daß ich die Felsen faßte Und sie zu Trümmern schlug! Sie, ihren Frieden mußt' ich untergraben! Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!

Das

klingt

wahrhaftig

nicht

wie

Spiel

und

Leicht­

nehmen und Gewissenlosigkeit; und noch weniger die Worte Fausts in der Kerkerszene: Der Menschheit gan-er Jammer faßt mich an,

und sein: O wär' ich nie geboren!

Daß er aber Egoist gewesen — nun Hand aufs Herz! — wer von uns ist es denn nicht? Was Goethe diesen Übeln Ruf des Egoistischen über das gewöhnliche und erlaubte Maß hinaus

VI. Goethe und die sittliche Welt.

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eingetragen hat, das war zunächst ein ganz Äußerliches, seine steife, zugeknöpfte Haltung in späteren Jahren, die doch wohl eine Art Notwehr war, der Schutz gegen die vielen neugierigen und gleichgültigen Besucher, die sich über seine Schwelle drängten, und gegen die Ansprüche der kleinstädti­ schen und höfischen Gesellschaft in Weimar. Und innerlich war es sein Individualismus, das Wertlegen auf die Bil­ dung zu einer eigenen ganzen und schönen Persönlichkeit und die Überzeugung, daß jeder bei sich selbst anfangen müsse zu bessern, wenn es gut stehen solle um das Ganze. Dagegen wissen wir, daß er sein Leben in reichster Arbeit verbracht hat, die andern zugute kam und uns allen heute noch zugute kommt. Und wir kennen auch seine Überzeugung, daß wir uns dazu selbst bilden und bearbeiten sollen, damit wir an dem, was andere tun und leisten, desto gründlicheren und herzlicheren Anteil nehmen können. Solchen persönlichen Anteil nahm er an vielen; das schützte ihn gegen Pessimismus und hypochondrische Menschenverachtung: Und kaum seh' ich ein Menschengesicht, So hab' ich's wieder lieb.

Und endlich und über alles: hat Goethe von der Welt mehr empfangen oder ihr mehr gegeben? Er sagt bescheiden das erstere, wir sagen dankbar das zweite. Wenn einmal das Wort Nietzsches, „Genie sei schenkende Tugend" wahr ge­ wesen ist, so ist es bei Goethe gewesen. Was er uns als Menschen und uns als Deutschen geschenkt hat, das hat sich in Strömen verbreitet durch alle Welt, und die Spur von dem, was er in seinen Erdentagen geleistet hat, kann in Äonen

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VI. Goethe und die sittliche Welt.

nicht untergehen. Und da kommen die Kleinen und die kleinmeisterlichen Splitterrichter und sagen, Goethe sei Egoist gewesen! Du lieber Gott! Aber noch einmal: nicht darum handelt es sich, wie er sein Leben äußerlich und innerlich gelebt und geführt hat, sondern um seine sittliche Lebensanschauung, wie er sie aus­ gesprochen und in seinen Werken uns geoffenbart hat. Nur als ein fast Nebensächliches, aber auch besonders Er­ freuliches und ganz Gesundes merken wir an, daß, was er gelehrt und verkündigt, er allerdings auch gelebt hat. Und je mehr man von diesem Leben erfährt und weiß, desto mehr erkennt man die wundervolle Übereinstimmung zwischen Goethes Worten und Goethes Werken, und freut sich darüber. Bei der Beziehung zu Spinoza haben wir auch schon des Ethischen gedacht und zwei Züge gefunden, die Goethe an Spinoza besonders wert waren: die großartige Uneigen­ nützigkeit — „wer Gott recht lieb hat, darf nicht verlangen, daß Gott ihn wieder liebe" — und die Duldsamkeit auch im Sittlichen. In den „Mitschuldigen" schon hat er sich zu der letzteren bekannt, und geübt hat er sie selber sein Leben lang; auch sie hängt mit jenem Spinozistischen Jenseits von Gut und Böse zusammen, mit dem Übersittlichen, wie es ihm in Gott-Natur entgegentrat. Wichtiger war aber auch hier Rousseau: — das Re­ volutionäre in ihm und das ganz Individualistische. Jeder junge Mensch, aus dem etwas werden soll, muß einmal an den Ketten rütteln, die Sitte und Konvention und die mit allerlei Konventionellem durchsetzte Moral ihm anlegen.

VI. Goethe und die sittliche Welt.

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Vollends natürlich der junge Goethe, eine so leidenschaftlich­ glühende und innerlich lebendige, so kraftvolle und dämoni­ sche, so nach allen Seiten hin ausgreifende und vieles zu­ gleich begehrende Natur. Aus diesem Geiste der Auflehnung gegen alles Gemachte, Künstliche, Unnatürliche heraus sind „Götz" und „Faust", „Werther" und „Stella" entstanden: die kühne Selbsthilfe gegen eine in Unfreiheit verrottete Welt im „Götz"; die Dissonanz mit der Weltwirklichkeit und ihren enggebundenen Gesetzen, die Hoffnungslosigkeit, sich ausleben zu dürfen in den Wünschen seines Herzens — das lastet auf der Seele Werthers und macht ihm das Leben schal und wertlos; und im „Faust" vereinigt sich damit noch das Gefühl des Endlichen und Fragmentarischen, das Bewußtsein, daß dem Geiste nichts Vollkommenes wird, ein großes Wollen, Wollen des Genusses und Wollen der Tat neben dem Jkarusflug des Wissens, neben der Einsicht, daß wir nichts wissen können, der Entschluß, der ganzen Mensch­ heit Wohl und Weh auf seinen Busen zu häufen, auch auf die Gefahr hin, dabei wie sie am Ende selbst auch zu zerscheitern. Endlich in der „Stella" der Mann zwischen zwei Frauen. Im katholischen Mittelalter ist die Sage ent­ standen, daß der Papst dem Grafen v. Gleichen durch Ge­ stattung einer Doppelehe aus solcher Herzensnot geholfen habe; in der protestantischen Kirche haben wir die Tatsache, daß ihr Stifter Luther dem Landgrafen von Hessen die Ehe mit zwei Frauen wirklich gestattet hat. Goethe hat es wenigstens poetisch darzustellen gesucht und als mögliche Lösung er­ scheinen lassen. Aber so wenig wir Luther jenen übelsten

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VI. Goethe und die fittliche Welt.

Schritt seines Lebens verzeihen können, so wenig ist es dem Dichter gelungen, uns auch nur dichterisch von der Möglich­ keit einer solchen Lösung zu überzeugen. Die Ehe ist stärker und heiliger als der Papst der Sage, als der Reformator der Wirklichkeit und als die Phantasie des größten Dichters. Daher hat Goethe selber dem Stück später einen anderen Schluß gegeben, in dem dieses Skandalon der Doppelehe vermieden wird, hat es aber freilich dadurch nicht besser gemacht: der Charakter Fernandos ist gar zu jämmerlich und zu schwächlich, als daß er durch seine eigene Hand zu sterben den Mut finden könnte. Und so sind wir froh, daß neben der „Stella" der „Prometheus", neben der Schwäche, der sich Goethe übrigens auch in der Gestalt des Weisungen ange­ klagt hat, die Stärke und der Trotz dieses Übermenschen steht. Aber alles das war nur Vorbereitung und Übergang, nur Gärung und Werden. Nun kommt die saure Mannes­ arbeit in Weimar, die Goethe sich beschränken, sich konzen­ trieren und auf vieles verzichten lehrte; denn ein so universal veranlagter Mensch muß in jedem Augenblick unendlich vieles, was ihn lockt und reizt, beiseite schieben, zurückdrängen und darangeben; und jeder feste Beruf fordert vom Men­ schen solche Selbstbeschränkung und Selbstbornierung ohne­ dies. Und hier kommt nun auch die Liebe zu Frau v. Stein, bei der man ja natürlich nicht zuerst an das Anstößige, son­ dern vor allem an das Entsagungsvolle denken muß. „Ich lebe in einem beständigen Entsagen und Resignieren", dieser Stoßseufzer hat sich damals seinem gepreßten Herzen ent­ rungen. Das Faustische

VI.

Goethe und die sittliche Welt.

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Entbehren sollst du, sollst entbehren —

ihn hat es nicht getrieben, sich dem Teufel zu übergeben, ihn hat es gelehrt, zu entsagen und zu verzichten. Das zeigen „Die Geheimnisse" — erst in der „Zueignung" das Wort seiner Muse: Du flehst, wie klug. Wie nötig war's, euch wenig zu enthüllen! Kaum bist du sicher vor dem gröbsten Trug, Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwtllen, So glaubst du dich schon Übermensch genug. Versäumst die Pflicht des Mannes zu erfüllen! Wie viel bist du von andern unterschieden? Erkenne dich, leb' mit der Welt im Frieden!

Dann das andere: Wenn einen Menschen die Natur erhoben, Ist es kein Wunder, wenn ihm viel gelingt: Man muß in ihm die Macht des Schöpfers loben. Der schwachen Ton zu solcher Ehre bringt. Doch wenn ein Mann von allen Lebensproben Die sauerste besteht, sich selbst bezwingt, Dann kann man ihn mit Freuden andern zeigen Und sagen: Das ist er, das ist sein eigen! Denn alle Kraft dringt vorwärts in die Weite, Zu leben und zu wirken hier und dort; Dagegen engt und hemmt von jeder Seite Der Strom der Welt und reißt uns mit sich fort. In diesem innern Sturm und äußern Streite Vernimmt der Geist ein schwer verstanden Wort: Von der Gewalt, die alle Wesen bindet. Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.

Diese Überwindung aber ist nicht mehr ein Naturhaftes, sondern ist Überwindung der Natur im Menschen durch das Sittliche: und dieses ist Überwindung aller Selbstsucht —

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VI. Goethe und die sittlich« Welt.

Edel sei der Mensch, Hilfreich und gut!

Wie sehr für Goethe aber nun das Sittliche im Vorder­ gründe steht, zeigt die „Iphigenie", das hohe Lied der reinen Menschlichkeit, die alle menschlichen Gebrechen sühnet. Auch Iphigenie ist eine Natur, auch in ihrer Seele stürmt es leidenschaftlich, titanenhaft, auch sie stammt aus Tantalus" Geschlecht. Darum ist ihre Sittlichkeit keine kampflose: sie will den Bruder retten und soll den König, ihren hohen Gastfreund und Beschützer, belügen. Und gerade das kann sie nicht; daher wagt sie die ungeheure Tat und gesteht dem König die geplante Täuschung: so verherrlichen durch sie und ihre Stärke die Götter die Wahrheit und deren Sieg. Ihre sittliche Reinheit und Hoheit aber tritt uns entgegen in der echt griechischen Gestalt des Maßhaltens, das sie immer wieder sich selbst bezwingen und überwinden heißt. Maßvoll wie ein griechisches Götterbild steht Iphigenie vor uns; maßlos bis zur Krankhaftigkeit ist Tasso, nicht einmal vor der Prinzessin, die durch Leiden still und rein und groß ge­ worden ist, macht seine Liebesraserei Halt. „Erlaubt ist, was gefällt" ruft er ihr zu; „erlaubt ist, was sich ziemt" tönt ihm als Antwort aus ihrem Munde entgegen; damit stellt sie der Freiheit die Sittlichkeit, dem sich Auslebenwollen das Recht und die Macht der Sitte gegenüber. An Taffo zeigt sich, daß Sittlichkeit und Sitte stärker sind als das sich Über­ mensch dünkende Genie und gesunder und normaler als die genialste Subjektivität. Das Stück endet tragisch, und ist damit noch einmal der stärkste Protest gegen alles Über-

Menschentum und alle Privilegien und alles Ausnahme­ wesen, das das Genie für sich in Anspruch nehmen möchte. In diesen beiden Werken hatte Goethe eine Feinheit und Vergeistigung, eine Innerlichkeit und Tiefe erreicht, die sich äußerlich darin bekundet, daß sie von der Menge abgelehnt wurden. Aber auch in seinem eigenen Wesen reagierte etwas gegen diese Moral des Entsagens, die in Askese und asketischen Idealen gipfelt, reagierte eben doch wieder „Natur gegen Unnatur". Goethe war kein Asket, dagegen sträubte sich seine gesunde Natur und Natürlichkeit; in allem As­ ketischen sah er ein Unnatürliches, da uns die Natur eben auch die Sinnlichkeit ins Blut und mit auf unseren Lebensweg gegeben hat. Und diese Seite, lange unterdrückt und ver­ gewaltigt, wacht nun in Italien wieder auf. Die Farben­ pracht und Glut des italienischen Himmels und der italieni­ schen Natur, die Ungeniertheit des italienischen Volkslebens, die Naivität Homers und die Nacktheit der griechischen Kunst — das ergriff ihn mit seinem ganzen Zauber, und das, sah er, gehört auch mit zur vollen Menschlichkeit, die er ja eben hier in ihrer Ganzheit erfassen und in Wissen, Wollen und Genießen darstellen wollte. Nie ist Goethe den christlich-asketischen Idealen näher gewesen als in der „Iphi­ genie" und im „Tasso": jetzt rückt er mit mächtigem Ruck weit von ihnen ab; daher ertönen nun zuerst die sinnlichen Akzente der römischen Elegien, und dann kommen in den venetianischen Epigrammen die starken Ausfälle auf das Christentum, und folgt auf die entsagungsvolle und ver-

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VI. Goethe und die sittliche Welt.

geistigte Liebe tu Frau v. Stein das sinnliche Liebesver­ hältnis zu Christiane Vulpius. Diese Sinnlichkeit kommt seiner Poesie zugute: damit war die Gefahr einer allzu raffinierten Sublimierung und unnatürlichen Entkörperung beseitigt; nun steht er wieder „mit festen, markigen Knochen auf der wohlgegründeten dauernden Erde": diese, die Erde, der Realismus hat ihn wieder

Aber das Ästhetische verfeinert und verklärt nun

doch für immer die Sinnlichkeit, das Maßvolle des Griechen­ tums hält er fest: so ist es schöne, maßvolle Sinnlichkeit. Und das Schöne ist Symbol des Sittlichen.

Das ist nicht

nur die Schulmeinung Kants und Schillers, sondern eine Tatsache, die sich auch an Goethe bewährt und der er sich nicht entziehen kann und will.

Hier liegt vor allem auch

der Wert seiner Freundschaft mit Schiller: dessen durch und durch sittliche Persönlichkeit hat ihn auch in dieser der Sinn­ lichkeit wiedergeschenkten Periode Wert und Recht des Sitt­ lichen anerkennen und verkörpert schauen lassen; von Schiller weiß er daher doch nichts höher zu rühmen, als Daß hinter ihm in wesenlosem Scheine Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.

So geht Goethe immer mehr der Vollendung seines Wesens entgegen, für die wir nur das eine Wort finden können: er war ein Mensch; mehr Mensch als er, war keiner. Jenes schön Sinnliche,

Sinnenfrohe und

Sinnen­

freudige kommt nun auch in den Werken dieser Zeit, in „Hermann und Dorothea" und in „Wilhelm Meisters Lehr­ jahren" zur Aussprache.

Dieser Roman namentlich zog

VI. Goethe und die sittliche Welt.

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gewissermaßen die Summe seines ganzen damaligen Lebens­ inhalts. Spinozistisch, übersittlich läßt er als Künstler die Sonne seiner alles verklärenden Kunst aufgehen über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte. Philine, die leichtfertige Vertreterin anmutig heiterer Sinnlichkeit, ist mit derselben Liebe gezeichnet wie Natalie, die in ihrer sitt­ lichen Reinheit und Hoheit noch einmal ein Nachklang seines Verhältnisses ist zu Frau v. Stein. Und neben den vielen Kindern der Welt, von denen der Roman erzählt, stehen zu gleichen Rechten die Bekenntnisse der schönen Seele, an denen Goethe zeigt, wie er auch als Weltkind die Religion seiner Jugend nicht zu verleugnen braucht, sondern sie als ein Schönes und Feines und Zartes zu würdigen und hoch­ zuhalten gewillt ist. Und endlich weiß er im Harfner und in Mignon auch für die Abgründe der Einsamkeit, des Schmer­ zes und der Schuld die ergreifendsten Töne zu finden. Aber in diesem Reichtum von Menschengestalten und Menschenschicksalen enthüllt sich auch noch einmal der Zug, der uns hier die Hauptsache ist, der Individualismus Goethes als eines Sohnes des achtzehnten Jahrhunderts. Es ist — und zwar vermutlich schon in der ersten Fassung als „Wil­ helm Meisters theatralische Sendung" — die Bildungs­ geschichte eines Menschen, der auszog, seines Vaters Eselin zu suchen und dafür ein Königreich, das Königreich mensch­ lich-sittlicher Bildung, gefunden hat. Erst sieht es freilich so aus, als sei es auf die Bildung eines Schauspielers, eines Künstlers angelegt; und vom Künstler gilt ja in gewissem Sinne, er solle „höchst selbstsüchtig" verfahren. Dann aber Ziegler, Goethes Weltanschauung.

7

VI. Goethe und die sittliche Welt.

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tritt Wilhelm in die Kreise einer höheren, feineren und freie­ ren Bildung ein und erkennt es für sich als Irrtum, fremdes Leben künstlerisch darzustellen: vielmehr gilt es, sein eigenes Leben zum Kunstwerk zu gestalten; nicht auf den Schau­ spieler, sondern auf den Menschen war es abgesehen. Dabei wird der großen Gemeinschaft des Staates im Sinne Wil­ helm v. Humboldts und Schillers jeder positive Anteil an dieser Bildungs- und Erziehungsarbeit abgesprochen.

Aber

allein kommt das Individuum doch nicht zum Ziel, es braucht einer Vereinigung von Menschen, die den Menschen zum Menschen werden lassen.

Doch kann das im Geiste

jener individualistischen Zeit im Gegensatz zu der zufälligen Gemeinschaft des Staates nur ein planmäßig und ab­ sichtsvoll waltender und leitender Geheimbund sein — wir erinnern uns, daß Goethe Freimaurer war —, der die Idee der Meisterschaft, die der Lehrling noch nicht hat und haben kann, für ihn klar bewußt aufstellt und so seinem Lehrgang das Ziel steckt, wodurch dieser und damit das Leben selbst als echtes Kunstwerk eine schöne Zweckmäßigkeit erhält. Und doch deuten schon die „Lehrjahre" über sich hinaus auf ein Neues.

Goethe war als Minister immer mehr ein

Mann der Arbeit geworden und der Tat.

Daher heißt es

auch in Wilhelm Meisters Lehrbrief: „Die Worte sind gut, aber sie sind nicht das Beste"; und so treten ihm in Lothario und Therese Menschen anderer Art, Menschen der Arbeit und des Leistens gegenüber; und die Grundsätze, nach denen Lothario seine Güter verwaltet, sind keine individualistischen mehr, sondern sozialistisch.

So ist sich Goethe schon mitten

in seiner individualistischen Periode bewußt geworden, daß die ästhetische und künstlerische Selbstbildung, das Ideal seiner neuhumanistischen Denkweise, nicht das einzige, in ihrer „Selbstsucht" vielleicht nicht einmal das Höchste ist. Die Lehrjahre weisen über sich hinaus in eine andere Welt und in eine andere Lebensauffassung, hinaus zu der Fort­ setzung in den „Wanderjahren". Doch ehe wir dazu weitergehen, zuvor noch ein Wort über die „Wahlverwandtschaften". Sie galten einst für ein ganz unmoralisches Buch und waren als eine Art schlimmsten Ehebruchromans verpönt. Und es ist wahr: zunächst nicht sittlich, sondern natürlich und als Naturgewalt kommt die Liebe über den Menschen und fragt nicht, ob sie mit Moral und Konvention im Einklang steht. Dafür kann der Mensch nichts und dafür ist er nicht verantwortlich — schon der Titel weist darauf hin. Aber was nun der Mensch aus diesem Natürlichen macht und wie er mit seiner Natur fertig wird, das ist ein Sittliches. Wie Charlotte und der Hauptmann verzichten — entsagen, Ottilie für das von ihr als Schuld Empfundene freiwillig die Buße auf sich nimmt, und umge­ kehrt Eduard, der sich nichts versagen kann und nicht ent­ sagen will, dessen Neigungen maß- und zügellos sind, alle elend macht und selber an der Macht der Sitte und an der sittlichen Reinheit Ottiliens scheitert, das ist der durch und durch sittliche Inhalt dieses Romans. Daß die sittliche In­ stitution der Ehe stärker und höher und wertvoller ist als alle naturhafte Wahlverwandtschaft und Liebesleidenschaft, daß Entsagung die erhaltende und rettende Macht des

VI.

100

Goethe und die sittliche Welt.

Lebens ist, Unsittlichkeit Leben zerstört, das ist die gewaltige Lehre, die dieser hochsittliche Eheroman verkündigt. bilden die Wahlverwandtschaften

So

den vollen Gegensatz,

wenn man will, die retrsctatio (Zurücknahme) der „Stella". Doch du ranntest unaufhaltsam Frei ins willenlose Netz, So entzweitest du gewaltsam Dich mit Sitte, mit Gesetz:

diese

Worte,

gelten,

die

dem

könnten als

abgestürzten

Motto

Euphorion-Byron

über den „Wahlverwandt­

schaften" und dem Schicksal Eduards stehen. Ist hier eine Einrichtung der Sitte, die Ehe, voll ge­ wertet, so ist es in den „Wanderjahren" die Arbeit, die ihre Würdigung und Ehre erhält.

Mit der poetischen Verklärung

des Handwerks im St. Josephs-Idyll setzt es ein, mit der Schilderung einer reich gegliederten Fabriktätigkeit schließt es, wie das andere Lebenswcrk Goethes mit der großartigen Kolonisationsarbeit Fausts in dem ihm zu Lehen gegebenen Land am Meer. Und dazwischen kommt nun in den „Wan­ derjahren" auf dem Gute des Oheims zunächst der soziale Gedanke: „Besitz und Gemeingut".

„Was soll es heißen.

Besitz und Gut an die Armen geben?

Löblicher ist es, sich

für sie als Verwalter betragen." „Der Mensch muß Egoist sein, um nicht Egoist zu werden, zusammenhalten, damit er spenden kann."

So schließt sich Individualismus und

Sozialismus zusammen, und dieser übernimmt vor jenem die Führung.

In diesem Sinne gründen dann die Aus­

wanderer den neuen Staat, hinter dem freilich der alte Uni-

VI. Goethe und die sittliche Welt.

versalismus und Kosmopolitismus steht.

ioi

Zwar nicht:

ubi bene, ibi patria, aber „wo ich nütze, ist mein Vaterland"

gilt hier — ähnlich wie dies Schiller in der „Huldigung der Künste" in wahrhaft Goetheschen Versen ausgesprochen hat: Wo man beglückt, ist man im Vaterland«.

Und was die Auswanderer stiften und gründen, das ist ein Weltbund, eine Internationale, deren Aufgabe so formuliert wird: Du verteilest Kraft und Bürde Und erwägst es ganj genau, Gabst den Alten Ruh' und Würde, Jünglingen Geschäft und Frau.

Dennoch ist in diesem alles regulierenden Band und Bund die Freiheit des einzelnen deshalb nicht aufgehoben und gefährdet, weil Freisein nichts anderes ist als sich seiner Individualität gemäß betätigen dürfen; und das zu fördern ist ja eben die Aufgabe dieses sozialistischen Staates. Damit ein solcher Jdealstaat aufgerichtet und an die Stelle unseres Notstaates gesetzt werden kann, muß aber schon die Jugend von früh an dafür erzogen und die Erziehung auf völlig neuen Boden gestellt werden.

Das kann nicht

den einzelnen überlassen bleiben, und so muß an die Stelle unserer Jndividualerziehung die Erziehung durch die Ge­ sellschaft in einer eigens dafür eingerichteten pädagogischen Provinz treten.

In dieser Idee einer Sozialpädagogik

berührt sich Goethe mit Platon, mit Pestalozzi, mit Fichte, und antezipiert dabei Gedanken, die nicht nur vom acht­ zehnten in das neunzehnte Jahrhundert herüberführen, an

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VI. Goethe und die sittliche Welt.

dessen Schwelle ein Schleiermacher und Hegel die Ethik so­ zialisiert haben, sondern weit über dasselbe hinausweisen in eine Zukunft, die auch noch im zwanzigsten Jahrhundert — Zukunft ist. Was uns aber an diesem Erziehungsplan besonders interessiert, die religiöse Seite, darüber im nächsten Abschnitt mehr. Hier zum Schluß nur noch einmal die Frage: Wie sieht es angesichts von alledem mit dem Gerede von Goethes Unsittlichkeit? oder auch nur damit, daß bei ihm über der Natur die Welt des Sittlichen zu kurz gekommen sei? Nur fteilich ist es auch jetzt wieder eine andere Art von Sittlichkeit als bei Kant, nicht die Ethik des kategorischen Imperativs, sondern die naturhafte Moral der schönen Seele und der sittlichen Gesamtpersönlichkeit.

VII. Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum.

Wer Religion nur in der Form des Christentums kennt oder gelten läßt, der kann Goethe nicht verstehen und ihm nicht gerecht werden. Denn nicht als ungläubigen, sondern gerade als religiös gesinnten, frommen Mann stieß ihn die spezifisch christliche Weise der Religion, die eben nicht die einzige ist, innerlich ab. Warum? Wir wissen es zum Teil schon. Goethe war der menschlichen Natur gegenüber Opti­ mist, er glaubte an ihre Güte, weil er in sich selbst so viel Gutes und Schönes — als Gaben der guten Mutter und als Werk seiner eigenen Kraft — verspürte; darum konnte ihm der Begriff der Erbsünde und menschlichen Ohnmacht und der Notwendigkeit einer Allgewalt der göttlichen Gnade, die dem Menschen nichts zu tun übrig läßt, nicht einleuchten. Er sah in dem christlichen Sündenbewnßtsein und Erlösungs­ bedürfnis eine Pietätlosigkeit gegen die gütige Mutter Natur, die uns so und nicht anders in die Welt gestellt hat. Und er war natur- und sinnenfreudig, naturalistisch, auch seine Sinnlichkeit war als naturhafte berechtigt: das widersprach den christlichen Gedanken und Idealen aufs äußerste. Es war der Dualismus, der ihn am Christentum abstieß. Und endlich fand er in den Erscheinungsformen des Christen-

104 VII.

Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum.

tums so wenig vom wahren Geist Christi, daß er sich vielfach empört davon abwandte.

Wie damals beim Herrn Ober­

pfarrer und beim Kirchenkonvent, so würde der wieder­ gekehrte Christus auch heute beim protestantischen Ober­ kirchenrat in Berlin, freilich auch bei vielen seiner Gegner, noch „immer nichts Seinigs" finden, wie ihr's bald weiter werdet sehn.

Zunächst freilich hielt auch dieser junge Gottsucher, der im Christentum groß geworden und tief innerlich davon berührt worden war, alles Religiöse für ein Christliches. Daher erklärte

er Spinoza nicht bloß für theissimum,

sondern geradezu für christianissimum, wie der Kloster­ bruder Lessings dem Juden Nathan zuruft: Nathan! Nathan! Ihr seid ein Christ! — Bei Gott, Ihr seid ein Christ! Ein besserer Christ war nie!

Aber hier zeigt sich doch ein Unterschied.

Nathan heißt

so, weil er auf der Höhe menschlicher Sittlichkeit steht und vorurteilslos den Feinden Böses mit Gutem vergilt: der Aufklärung geht die Religion, das Christentum auf und unter im Moralischen. Goethe nennt Spinoza einen Christen, weil dieser fromm war: ihm war das Religiöse ein MystischGefühlsmäßiges, das sich im Sittlichen bei weitem nicht er­ schöpft. Über dem Lessingschen Moralismus und dem Goetheschen Mystizismus und Pantheismus schwebt aber dann doch wieder ein und derselbe höhere Begriff, der der Humanität. Doch hat dieser bei Goethe unter dem Einfluß Herders einen neuen, tieferen, selbst wieder gefühlsmäßigen Inhalt be-

kommen; und gesucht und gefunden hat er dieses Humane bald nicht mehr im Christentum, sondern für einen Augen­ blick wenigstens — bei den Freimaurern. Aus diesen Gedankengängen und Anregungen heraus ist in den achtjiger Jahren das leider Fragment gebliebene Gedicht „Die Geheimnisse" entstanden. Von allen Enden der Erde haben sich die zwölf trefflichsten Männer aus einem ideellen Montserrat zusammengefunden als eine Art Grals­ ritter, um hier, jeder auf seine Weise, Gott im stillen zu dienen. So stellen sie die verschiedenen Religionen dar. Aber alle scharen sich um den einen, Humanus geheißen, zu dem sie sich alle in Annäherung und Ähnlichkeit fühlen. Hier sollte sich finden, daß jede besondere Religion einen Moment ihrer höchsten Blüte und Frucht erreicht hat, worin sie jenem oberen Führer und Vermittler sich angenaht, so daß man jede Anerkennung Gottes und der Tugend, sie zeige sich auch in noch so wunderbarer Gestalt, doch immer aller Ehren, aller Liebe würdig finden muß. Humanus aber, der eben im Begriff ist, von ihnen zu scheiden, hinterläßt keine Lücke mehr, weil sein Geist sich in ihnen allen ver­ körpert, allen angehörig, keines eigenen irdischen Gewandes mehr bedarf. Es ist der Geist reinster Humanität, die höchste Blüte aller Menschheitsentwicklung, der Geist wahrer Men­ schen- und Gottesliebe. Daß aber von den verschiedenen Erscheinungsformen, in denen sich der echte Kern aller Re­ ligion darstellt, die christliche die höchste ist und der Humanität am nächsten steht, darauf deutet das Zeichen der Gesellschaft hin — das Kreuz.

io6 VII.

Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum. Das Zeichen sieht er prächtig aufgerichtet. Das aller Welt zu Trost und Hoffnung steht. Zu dem viel tausend Geister sich verpflichtet. Zu dem viel tausend Herzen warm gefleht. Das die Gewalt des bittren Tod's vernichtet. Das in so mancher Siegesfahne weht: Ein Labequell durchdringt die matten Glieder, Er sieht das Kreuz und schlägt die Augen nieder. Er fühlet neu, was dort für Heil entsprungen, Den Glauben fühlt er einer halben Welt.

Aber nun biegt Goethe aus dem schroff und spezifisch Christlichen doch hier schon um in das weich und schön Menschliche: Doch von ganz neuem Sinn wird er durchdrungen, Wie sich das Bild ihm hier vor Augen stellt: Es steht das Kreuz mit Rosen dicht umschlungen. Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt? Es schwillt der Kranz, um recht von allen Seiten Das schroffe Holz mit Weichheit zu bekleiden.

Man sieht hier das Vorbild für den Wagnerschen Parfifal. Aber auch den Unterschied. Wagner bleibt als Romantiker christlich, ganz christlich, Goethe ist durch und durch human. Immerhin ist auch bei ihm das Symbol noch christlich, auch sollte sich der ganze Vorgang, die Wahl des Bruder Marcus an Stelle des scheidenden Humanus, bedeutungsvoll in der Kar- und Osterwoche abspielen.

So ist der Kern des Ge­

dichts religiös gefühlte mehr als gedachte Humanität, nur die Form ist christlich.

Aus allen religiösen Gestalten und

Erscheinungsformen optimistisch das Beste herausholend und über allen und über dem Ganzen das Kreuz mit Rosen um-

VII.

Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum. 107

wunden — das ist der Inhalt dieser wundervollen, tief religiösen Gedankendichtnng. In welcher Weise sich Goethe in der „Iphigenie" dem Christlichen mit seinen asketisch-sittlichen Idealen angenähert hat, habe ich im vorigen Abschnitt gezeigt. Wenn wir frellich Kuno Fischer glauben dürften, so stünde das Christliche hier noch ganz anders entschieden im Mittelpunkt selbst. Daß die Weihe, die über der Gestalt der Iphigenie ausgebreitet ist, eine religiöse ist, empfindet jeder; in Bologna vor dem Bilde der heiligen Agathe hat sich Goethe vorgenommen, seine Heldin nichts sagen zu lassen, was diese Heilige nicht hätte ebenso aussprechen können. Die stille, hoheitsvolle Gelassenheit, die alles schließlich vertrauensvoll in der Götter Hände legt, ist die Frucht echter, gottgeborener Frömmigkeit. Nun geht aber Fischer weiter und bezeichnet als den religiösen Grundzug des Stückes die Idee des stell­ vertretenden Leidens und nennt die Entsühnung des Orest durch Iphigenie eine wahre Christustat. Das ist ein einge­ tragener, entschieden falscher Zug, ist Parsifal, nicht Iphigenie. Denn nicht, daß die Schuldlose für das ganze Geschlecht des Tantalus das Schuldgefühl trägt und darunter stellver­ tretend leidet, ist das Erlösende, sondern daß sie die Schuld­ lose, Reine, Heilige i st, die, wo sie hinkommt, den Segen der Menschlichkeit mitbringt und um sich her verbreitet und so den Fluch des Hauses bricht; oder wie es Goethe selbst deutlich und einfach formuliert hat: Alle menschlichen Gebrechen Sühnet reine Menschlichkeit.

io8 VII. Goethes Verhältnis |u Religion und Christentum.

Nicht christlich also, sondern human, nicht das Dogma von einem stellvertretenden Leiden, sondern der Glaube an menschliche Reinheit und reine Menschlichkeit, nicht christlich, aber tief religiös — das ist „Iphigenie"; und so ist das Stück noch über den „Nathan" hinaus das hohe Lied dieser reinen Menschlichkeit: ihre Heldin ist eine Heilige im sittlichen und religiösen, nicht im spezifisch christlichen Sinne des Worts. Allein schließlich hat Goethe selbst die „Iphigenie" „ver­ teufelt human" und Schiller sie „erstaunlich modern und ungriechisch" gefunden, weil sie eben doch im Gegensatz zur Antike ein Gedicht voll Seele und reicher Innerlichkeit war. Aber spezifisch christlich ist sie darum doch in keinem Strich und in keinem Zug. Um so weniger, als Goethe inzwischen, vor der letzten Vollendung des Stückes, die Humanität in Italien bei den Griechen und in den Werken der Renaissance noch von einer ganz andern Seite hatte kennen und verstehen gelernt. Dort wurde er einer der großen Führer der neu­ humanistischen Bewegung, die nicht nur Freude war am klassischen Altertum und am Studium seiner Poesie und Kunst, sondern die auch — man denke an Hölderlin — ein Stück des antiken Geistes, der griechischen Welt- und Lebensanschauung, ein Stück Heidentum also mit zurück­ brachte, wenn wir alles, was nicht christlich ist, unter diesem schiefen Namen zusammenfassen wollen. Auch Religion gehört zu und gibt es in diesem Heidentum. Und je mehr Goethe in Italien vor der Natur des Landesund vor der Kunst der Alten mit ihrer Größe und stillen Einfalt

VII.

Goethes Verhältnis t» Religion und Christentum. 109

human wurde, desto mehr versank das Christliche daneben und stieß ihn geradezu ab.

Teilweise stammt das freilich

schon aus der Zeit vor der italienischen Reise. Man wird nicht fehlgehen, wenn man dafür Lavater verantwortlich macht. Das enthusiastische und gefühlsmäßige Christentum dieses Mannes, sein genialer Pietismus und sein prophetisches Wesen hatten Goethe — wir wissen es schon — auf der Emser Reise im Jahre 1774 und das Jahr darauf in Zürich kongenialisch berührt und ihm sein ganzes Herz gewonnen. So übersah er — wollte er lange übersehen, was ihm von Anfang an mißbehagen mußte, das pietistisch Aufdringliche und Propagandistische, das Unduldsame und Freundes.

Eitle des

Aber mit der Zeit kam es doch zu Zusammen­

stößen, Goethe mußte die Intoleranz und Zudringlichkeit dieses Eiferers wiederholt zurückweisen.

Und ihm gegenüber

auch seine eigene Position schärfer und polemischer betonen: er sei zwar kein Widerchrist und kein Unchrist, aber ein de­ zidierter Nichtchrist, dieses Wort stammt aus jenen Aus­ einandersetzungen mit Lavater.

Endlich kam es, trotz aller

Versuche Goethes, Frieden zu halten, zum Bruch; unmittel­ bar vor der italienischen Reise schreibt er an Frau v. Stein: „Ich habe auch unter seine Existenz einen großen Strich gemacht und weiß nun, was mir per Saldo von ihm übrig bleibt."

Weder auf dem Hinweg noch auf der Rückreise

hat er ihn besucht.

Aber nur die Liebe war er auf ewig los,

ein gut Teil Groll und Haß war zurückgeblieben, das zeigen zehn Jahre später die scharfen Angriffe auf den früheren Freund in den Tenien:

HO VII. Goethes Verhältnis t" Religion und Christentum.

Schade, daß die Natur nur einen Menschen aus dir schuf, Denn jum würdigen Mann war und -um Schelmen der Stoff. Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niederes im Menschen Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.

Zunächst galt also Goethes Opposition gegen das Christentum nur dieser Lavaterschen Art, Christ zu sein, dem Pietismus, der ihm schon in Straßburg zuwider geworden war, einer bestimmten Form desselben also, nicht dem Christentum als solchem. Im übrigen standen Protestantis­ mus und Katholizismus seiner Kritik zu gleichen Rechten gegenüber, das zeigt schon das Fragment des „Ewigen Juden". Doch kannte er den ersteren besser, und so inter­ essierte ihn der Katholizismus mehr, von dem er, wie wir schon einmal gehört haben, im Briefe des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu *** günstig genug geurteilt hat: „Man lasse sich nicht blenden, als hätte Luther das Reich erworben, davon er einen andern herunterwarf, man bilde sich nicht ein, die alte Kirche sei deswegen ein Gegenstand des Abscheus und der Verachtung: hat sie doch wenige menschliche Satzun­ gen, die nicht auf etwas göttlich Wahres gegründet wären — laßt sie, leidet sie und segnet sie." Und dieses günstige Vor­ urteil für sie tritt uns auch auf der Schweizerreise von 1779 und zu Anfang der italienischen Reise deutlich entgegen. Aber je mehr er sich Rom näherte, desto lebhafter trat ihm vor die Seele, daß hier im italienischen Katholizismus vom ursprünglichen Christentum alle Spur verloren gegangen sei, und in Rom selbst kam ihm der Gegensatz vollends zum Bewußtsein: es erging ihm, wie es seinerzeit Luther in Rom

VII. Goethes Verhältnis i« Religion und Christentum. III

ergangen war, er sah überall „nichts Seinigs dran". „Die protestantische Erbsünde", d. h. die Abneigung des Pro­ testanten gegen die Äußerlichkeit des katholischen Kultus regte sich in ihm angesichts des päpstlichen Pompes, und verstärkt wurde sie durch seine aus der Jugend stammende Vorliebe für die Schlichtheit und Einfachheit des Herrn­ hutischen Gottesdienstes und durch seine Erfahrungen in Weimar, wo er an Herders Predigten voll Geist und Kraft sich erbaut und seine Freude gehabt hatte. Und so werden im „Tasso", in den römischen Elegien und vollends in den venezianischen Epigrammen die Ausfälle gegen Rom und römisches Wesen immer schärfer. Unter dem, was ihm wie Gift und Schlange zuwider ist, ist auch der „Krist", d. h. das Kruzifix an allen Straßen und Wegen, dieses Zeichen christlicher Unversöhnlichkeit und Schroffheit, das er deswegen in den „Geheimnissen" mit Rosen umwunden und verhüllt hat. Hier in Italien empfindet er darin dieselbe christliche Aufdringlichkeit, wie sie ihm bei Lavater entgegengetreten war, und sie erfüllte ihn hier wie dort geradezu mit Haß. Wie es aber positiv gemeint ist, zeigt ein anderes dieser Epigramme: Böcke jur Linken mit euch! So ordnet künftig der Richter, Und ihr Schäfchen, ihr sollt ruhig zur Rechten mir stehn! Wohl! Doch eines ist noch von ihm $u hoffen; dann sagt er: Seid, Vernünftige, mir grad' gegenübergestellt!

Dieses Vernünftige ist doch wohl nichts anderes als die Herdersche Humanitätsreligion, die ihm auf seiner Reise in Italien noch einmal besonders nahe getreten war

durch das Erscheinen des dritten Bandes der„Jdeen", die ihm Herder nachgeschickt hatte. Daran klärte sich ihm sein Gegen­ satz zu den Christen Lavater, Jacobi und Claudius, aber auch sein eigener frommer Glaube, daß alles Echte, Große und Innerliche aus Gott und in Gott sei.

So ist er mit

seinem Spinoza theissimus geblieben, seines Gottes voll, aber er hat aufgehört, ihn für christianissimum zu halten, weil er selber aufgehört hat, ein Christ zu sein. Wie tief aber seine Abneigung, ein wahrhaft „Julianischer Haß" gegen das Christentum nach seiner Rückkehr aus Italien gewesen ist, das spüren wir noch 1797 in der „Braut von Korinth", die in dieser Beziehung an Schillers „Götter Griechenlands" erinnert.

Wie dort geklagt wird:

Einen zu bereichern unter allen Mußte diese Götterwclt vergeh'n,

so kommt hier zur Klage die Anklage: Und der alten Götter bunt Gewimmel Hat sogleich das stille Haus geleert: Unstchtbar wird einer nur im Himmel, Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt; Opfer fallen hier. Weder Lamm noch Stier, Aber Menschenopfer unerhört.

Allein Schiller war noch nicht dreißig, als er die „Götter Griechenlands" dichtete, Goethe fast fünfzig, als er die Braut von Korinth so sprechen ließ. Das muß doch neben und über die Erfahrungen mit Lavater und über die Eindrücke seiner italienischen Reise hinaus noch einen besonderen Grund gehabt haben.

Sell

VII. Goethes Verhältnis i» Religion «Nb Christentum. HZ

meint: „Es mag daran einigermaßen auch Goethes Zorn darüber Beteiligt sein, daß sich ans Gründen christlicher Konvenienz beinahe jedes Haus in Weimar seiner Geliebten Christiane Dulpius verschloß." Das trifft gewiß das Richtige, nur ist es nicht tief und prinjipiell genug gefaßt. Zweierlei kommt hinzu. Einmal die schon erwähnte, in Italien neu belebte, echt griechische Sinnenfreudigkeit Goethes, die sich gerade an diesem Liebesverhältnis dar­ lebt. Und dann — Goethes Zorn über jenes sich Ver­ schließen der „guten" Gesellschaft vor Christiane war insofern ein gerechter, weil dieselbe Gesellschaft über seine Liebe zu der verheirateten Frau v. Stein mit duldsamem Still­ schweigen und verständnisvollem Augenzwinkern hinweg­ gesehen hatte und erst gegen die Liebe zu dem ledigen Bürger­ mädchen sich so intolerant erwies. So galt die Ablehnung offenbar mehr der Mesalliance als der guten Sitte und der geheiligten Institution der Ehe; die „christliche Konvenienz" war nur das fadenscheinige Sitten- und Tugendmäntelchen, mit dem diese kleinstädtische Aristokratie ihren Hochmut gegen die Unebenbürtige und Kleinbürgerliche heuchlerisch und scheinheilig umkleidete. Daß das Goethe verdroß, ist begreiflich; ebenso aber auch zu erwarten, daß, wenn der Zorn verflogen und die Sache verjährt oder gar durch die Trauung gut bürgerlich legitimiert war, Goethe auch dem Christentum wieder gerecht werden würde. Ein dezidierter Nichtchrist, ein Heide hörte er nicht auf zu sein; aber der Julianische Haß war nicht sein letztes Wort: er paßt gar nicht zu Goethes humaner und Ziegler, Goethes Weltanschauung.

8

ii4

VII.

Goethes Verhältnis tu Religion und Christentum.

olympischer Natur. Doch ging es mit der Versöhnung schritt- und etappenweise, und von einer Umkippung ist überhaupt keine Rede. Jenen Groll und Haß zu über­ winden, dazu half ihm die Romantik — nicht positiv durch ihre zur Schau getragene Christlichkeit, die ihm ja gerade das Widerwärtige an ihr war, sondern umgekehrt durch seinen Gegensatz gegen ihr neukatholisches und neudeutsches Wesen und seinen Unwillen über Friedrich Schlegels Über­ tritt zur katholischen Kirche. Demgegenüber besann er sich, wie in Rom, stärker und bestimmter auf seinen Protestan­ tismus; und so erklärte er 1817, im Jubeljahr der Reforma­ tion: „Lassen Sie uns bedenken, daß wir dies Jahr das Reformationsfest feiern und daß wir unsern Luther nicht höher ehren können, als wenn wir dasjenige, was wir für Recht, der Nation und dem Zeitalter ersprießlich erachten, mit Ernst und Kraft öffentlich aussprechen und öfters wieder­ holen." Dabei war freilich dieser sein Protestantismus nicht spezifisch christlich, sondern menschlich und human, patriotisch und national. Das zeigen am Schluß die Verse zum 31. Oktober 1817: Dreihundert Jahre hat sich schon Der Protestant erwiesen, Daß ihn von Papst- und Türkenthron Befehle baß verdrießen. Was auch der Pfaffe sinnt und schleicht, Der Prediger steht zur Wache, Und daß der Erbfeind nichts erreicht, Ist aller Deutschen Sache.,

VII. Goethes Verhältnis ju Religio» und Christentum. 115 Auch ich soll gottgegeb'ne Kraft Nicht ungenützt verlieren Und will in Kunst und Wissenschaft Wie immer protestieren.

Er aber hatte inzwischen für sich und seinen weltweiten Geist eine neue Provinz erobert, den Orient. Damit kehrte er zu seiner ersten Jugendliebe zurück, wo er sich in der Bibel an den Patriarchengeschichten erbaut und mit Herder sich in den Geist der hebräischen Poesie versenkt hatte.

Wie

Napoleon, so zog es auch ihn nach dem fernen Wunderland im Osten, wo die Wiege der Religion gestanden hatte und die Urformen der Religion und Dichtung, der Gesittung und des Staatslebens zu finden sein mußten.

Das ist der

Sinn und Zweck des „westöstlichen Divans", mit dem er in seiner Weise der neuesten Richtung der heutigen wissen­ schaftlichen

Theologie,

der

religionsgeschichtlichen,

prä­

ludiert hat.

Dabei ist freilich das Orientalische zunächst nur

Hülle und Maske mit beständigem Aus-der-Rolle-fallen und Sich-demaskieren, und doch gibt es dem Ganzen einen unvergleichlichen Zauber besonderer Reinheit und

Fein­

heit, etwas vom erfrischenden Wüstenhauch und von süß duftenden Schirasrosen weht uns daraus entgegen. Die herrschende Religion ist der Islam, Hafis verwahrt des

Korans

geweiht

Vermächtnis

pheten-Wort und Samen,

und

schätzet

wie es sich gebühret.

ProAber

dahinter taucht altpersischer Naturkultus auf, dem sich Goe­ thes Naturpantheismus im letzten Grunde verwandt fühlt: darin steht er das Urphänomen der Religion, die ewig die8*

Ii6 VII.

Goethes Verhältnis tu Religion und Christentum.

selbige bleiben und dauern und gelten wird, solange gott­ begnadete Wesen vorhanden sind, die Gottheit so zu ver­ Nietzsche hat für sein Memento vivere (Bedenke, daß

ehren.

du lebst!) die

Zarathustragestalt als

Symbol gewählt;

Goethe ist viel tiefer gedrungen, Zoroaster scheint ihm jene edle,

reine Naturreligion schon

in einen

Kultus verwandelt und verdorben zu haben.

umständlichen Darum hält

er sich lieber an die älteste und ursprünglichste, auf das An­ schauen der Natur gegründete Gottesverehrung, an das „Vermächtnis altpersischen Glaubens", in dem sich Natur­ pantheismus und Sittliches zur Einheit zusammenschlingen. Wenn die Sonne sich auf Morgenflügeln bogenhaft hervor­ hebt, fühlt er sich mit ihr, der kommenden, getragen, Gott auf seinem Throne zu erkennen, Ihn den Herrn des Lebensquells zu nennen, Jenes hohen Anblicks wert zu handeln Und in seinem Lichte fortzuwandeln;

vor ihr aber auch getrieben, abzulegen ein heiliges Vermächtnis Brüderlichem Wollen und Gedächtnis: Schwerer Dienste tägliche Bewahrung, Sonst bedarf es keiner Offenbarung;

und zum Schluß vor des Paradieses Tor auf Grund des alten Bedürfnisses zum Menschsein zu der Forderung be­ rechtigt: Nicht so vieles Federlesen! Laßt mich immer nur herein: Denn ich bin ein Mensch gewesen, Und das heißt ein Kämpfer sein!

Weil durch alle historischen Wandlungen und nationalen Verschiedenheiten hindurch diese einfachen Urformen des religiösen und sittlichen Lebens im Begriff des Humanen immer dieselben bleiben, so wächst dann aus dieser Er­ kenntnis auch das Bewußtsein und die Pflicht der Tolerant heraus, das liebevolle Verstehen alles Menschlichen unter allen Zonen und Völkern und in allen Individuen. Es ist der eine große Gedanke einer universalen Humanität, der Westen und Osten zusammen umschlingt, ohne alles Pathos die gewaltigste Predigt eines allgemeinen Völker- und Gottesfriedens auf Erden, die Versöhnung der ganzen Welt: Seid umschlungen, Millionen! In den „Noten und Abhandlungen" zum „Divan" findet sich auch das bekannte Wort: „Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Un­ glaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen dagegen, in welchen der Unglaube, in welcher Form es sei, einen kümmerlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Scheinglanze prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit Erkenntnis des Unfruchtbaren abquälen mag." Goethe hält es mit dem Glauben, er ist immer ein frommer Mensch gewesen und geblieben; wie Spinoza, war auch er voller Religion und voll heiligen Geistes. Aber sein Glaube ist kein historisch bestimmter oder gar

n8 VII.

Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum.

kirchlich abgestempelter. Er bleibt seinem pantheistischen und naturalistischen Glaubensbekenntnis treu: Gott, der nur von außen stieße!

natura naturans

im Gegensatz

Was wät' ein

treu der spinozisttschen zu allem Deismus und

Theismus, Gott-Natur ist überpersönlich.

Aber dieser sein

Pantheismus ist kein quietistisch-müßiges Verschwinden und Versinken in der Gottheit, sondern wie bei den Persern ein Mitarbeiten, Mitschaffen und Mitkämpfen mit dem lebendi­ gen, nie ruhenden und stillstehenden All; wie es in „Eins und Alles" heißt: Weltseele, komm', uns zu durchdringen! Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen, Wird unsrer Kräfte Hochberuf. Teilnehmend führen gute Geister, Gelinde leitend, höchste Meister, Zu dem, der alles schafft und schuf. Und umzuschaffen das Geschaffne, Damit sich's nicht zum Starren waffne. Wirkt ewiges, lebend'ges Tun. Und was nicht war, nun will es werden, Zu reinen Sonnen, farb'gen Erden; In keinem Falle darf es ruh'n. Es soll sich regen, schaffend handeln. Erst sich gestalten, dann verwandeln; Nur scheinbar steht's Momente still. Das Ew'ge regt sich fort in allen; Denn alles muß in Nichts zerfallen. Wenn es im Sein beharren will.

Und nun kommt auch das Letzte, was noch gefehlt hat.

VII. Goethes Verhältnis t» Religion und Christentum.

119

eine verständnisvolle Schätzung des Christentums als einer sittlichen Religion. Nicht als ob er aus dem „Heiden" zum Schluß noch ein Christ geworden wäre: es ist nur ein historisches Verstehen, nur ein historisches Gerechtwerden. So gut er die Größe Kants anerkennen konnte, ohne jemals selbst Kantianer zu sein, ebenso ist es mit der Größe des Christentums: auch dafür findet er, dem nichts Mensch­ liches fremd war, noch zuletzt ein gutes und das rechte Wort, ohne selber Christ zu werden. Elf Tage vor seinem Tode — es ist, als hätte ihm das Schicksal dazu noch Zeit lassen wollen — hat er es Eckermann gegenüber ausgesprochen: „Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei, Christo an­ betende Ehrfurcht zu erweisen, so sage ich: Durchaus! Ich beuge mich vor ihm als der göttlichen Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit." Aber wer das zitiert, darf auch die Fortsetzung nicht weglassen, die ebenso not­ wendig mit dazu gehört: „Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei, die Sonne zu verehren, so sage ich abermals: Durchaus! Denn fie ist gleichfalls eine Offen­ barung des Höchsten, und zwar die mächtigste, die uns Erden­ kindern wahrzunehmen vergönnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und find, und alle Pflanzen und Tiere mit uns." Das ist der alte Goethe und dasselbe Glaubensbekenntnis, wie sechzig Jahre zuvor, daß er das Göttliche in Bäumen und Kräutern suche und finde; das Höchste dieser Natur­ dinge ist die Sonne, in ihr offenbart sich Gott-Natur als das, was sie ist, als lebenspendende Kraft, immer wieder als

120 VII. Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum.

Aber hinzugekommen zum Natürlichen ist nun auch die sittliche Welt: auch sie ist Gottes und Offen­ barung seines Wesens, der Erdgeist im Tatensiurm. Und so ist ihm auch die Person Jesu als Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit göttlicher Art, wie nur je auf Erden das Göttliche erschienen ist. Damit hat sein Pantheismus — die Urreligion, wie er sie nun lieber nennt — erst seine letzte Vollendung und Sättigung erhalten, er ist aus einem natur­ haften und naturalistischen zugleich auch ein sittlicher, also ein universaler geworden: neben der natura naturans ist nun auch das Sittlich in seinen Gottesbegriff eingegangen. Nun erst ist Goethe ganz fromm, nun erst kann er in Wahr­ heit sagen: Alles ist Gottes. Neben dem Glauben steht aber auch die Hoffnung. Goethe war Individualist; daher hat er den spinozistischen Pantheismus von Anfang an ergänzt durch den Gedanken der Leibnizischen Monade, der Aristotelischen Entelechie. Darauf beruht seine Unsterblichkeitshoffnung, an der übri­ gens merkwürdigerweise auch Spinoza festgehalten hat. Diese Entelechien sind ewig und unvergänglich. Aber das Motiv zu diesem Glauben war bei Goethe natürlich kein metaphysisches, sondern ein ganz persönliches. Ihm ent­ springt der Gedanke an die Fortdauer nach dem Tode aus dem Begriff der Tätigkeit. „Wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag." Aber nicht alle sind ewig, wenigstens nicht alle auf gleiche Weise: „um sich natura naturans.

VII. Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum. 121

kräftig als große Entelechie zu manifestieren, muß man auch eine sein." Er bleibt auch hier aristokratisch und fürchtet sich auch droben vor dem „verklärten Klatsch" der Vielzu­ vielen. Und doch widerspricht das dem Faustischen Das Drüben kann mich wenig kümmern

durchaus nicht. Denn „die Beschäftigung mit Unsterblich­ keitsidee»" — dabei bleibt er — „ist für vornehme Stände und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu tun haben. Ein tüchtiger Mensch, der schon hier etwas Ordentliches zu sein gedenkt und der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, läßt die künftige Welt auf sich beruhen und ist tätig und nützlich in dieser". Das ist das alte: Aus dieser Erde quillen meine Freuden, Und diese Sonne scheinet meinen Leiden; Kann ich mich erst von ihnen scheiden. Dann mag, was will und kann, gescheh'n.

Neben diesem kräftigen Diesseitigkeitsglauben Goethes nimmt sich seine Unsterblichkeitshoffnung aus wie eine schmückende Arabeske, wie Glyzinien, die sich um das Haus auf festem Grund emporranken; und die Verbindung zwischen beiden wird hergestellt durch jenes an den Schluß des Prometheusfragmentes anknüpfende und ihn eigen­ tümlich vertiefende, ebenso tiefsinnige wie mehrdeutige: „Stirb und werde!", womit die „selige Sehnsucht" ausklingt: Und so lang' btt das nicht hast. Dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde.

122 VII.

Erotisches,

Goethes Verhältnis zu Religion und Christentum.

Anklänge

an

die Metamorphosenlehre

persönlicher Unsterblichkeitsglaube

gehen

hier

in

und

kühner

Verschränkung neben und durcheinander hin. Was soll ich tun? tätig sein: das ist die Hauptsache. Was darf ich hoffen? Kein Wesen kann tu nichts zerfallen! Das Ew'ge regt sich fort in allen. Am Sein erhalte dich beglückt. Das Sein ist ewig: denn Gesetze Bewahren die lebend'gen Schätze, Aus welchen sich das All geschmückt:

Die Antwort hierauf kommt aber erst an zweiter Stelle. Noch würde jedoch etwas fehlen, wenn wir nicht auch von der Rolle reden wollten, die in „Wilhelm Meisters Wan­ derjahren" der Religion zugewiesen ist.

Eines bringt nie­

mand mit auf die Welt, und doch ist es das, worauf alles ankommt, damit der Mensch nach allen Seiten hin ein Mensch sei, — die Ehrfurcht.

Ungern entschließt sich der

Mensch zu diesem Emporsehen; es ist ein höherer Sinn, der seiner Natur deshalb erst gegeben, anerzogen werden muß. Nur bei besonders Begünstigten entwickelt er sich aus sich selbst, weshalb man sie auch von jeher für Heilige und für Götter gehalten hat.

So ist es Aufgabe der Erziehung,

Ehrfurcht in den jungen Menschen zu wecken. dreifacher Gestalt.

Und zwar in

Erstens als Ehrfurcht vor dem, was

über uns ist: daher wird von unmündigen Kindern die An­ erkennung verlangt, daß ein Gott da oben sei, der sich in Eltern, Lehrern, Vorgesetzten abbildet und offenbart.

Das

VII. Goethes Verhältnis t» Religion und Christentum. 123

Zweite ist die Ehrfurcht vor dem, was uns gleich ist. Nur so steht der Mensch stark und kühn, nicht selbstisch vereinzelt da; nur in Verbindung mit seinesgleichen macht er Front gegen die Welt: das ist der soziale Einschlag wie in der Sittlichkeit, so nun auch in der Religion; Religion ist nicht bloß Privatsache. Endlich zum dritten die Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist. Dabei gilt es, die Erde nicht bloß unter sich liegen zu lassen und sich auf einen höheren Geburtsort zu berufen, sondern auch Niedrigkeit und Armut, Spott und Verachtung, Schmach und Elend, Leiden und Tod als göttlich anzuerkennen, ja Sünde selbst und Verbrechen nicht als Hindernisse, sondern als Fördernisse des Heiligen zu ver­ nehmen und liebzugewinnen. Auf diesen drei Ehrfurchten ruhen die drei Religionen, die ethnische, die philosophische und die christliche. Aber erst alle drei zusammen bilden und bringen die wahre Religion hervor, erst aus allen drei Ehrfurchten zusammen entspringt die oberste, die Ehr­ furcht des Menschen vor sich selber, das Höchste, was der Mensch zu erreichen imstande ist, daß er sich selbst für das Beste halten darf, was Gott und Natur hervor­ gebracht haben. Das alles wird den jungen Menschen in der päda­ gogischen Provinz veranschaulicht durch einen Bilderzyklus, dessen erster Teil die ethnische Religion des Judentums zur Darstellung bringt. Der zweite enthält die Bilder aus dem Leben Jesu; denn im Leben erschien er als ein wahrer Philo­ soph und Weiser im höchsten Sinne des Wortes: er steht auf seinem Punkte fest, er wandelt seine Straße unvermerkt,

124 VII. Goethes Verhältnis zu Religio» und Christentum.

und indem er das Niedere zu sich emporzieht, die Unwiffenden. Armen und Kranken seiner Weisheit, seines Reich­ tums, seiner Kraft teilhaftig werden läßt und sich ihnen deshalb gleichzustellen scheint, verleugnet er nicht von der andern Seite seinen göttlichen Ursprung. Dagegen wird über die Leiden Jesu ein Schleier gezogen. „Wir halten es für eine verdammungswürdige Frechheit", so erläutert es der Älteste, der Wilhelm führt, „jenes Martergerüst und den daran leidenden Heiligen dem Anblick der Sonne auszu­ setzen, die ihr Angesicht verbarg, als eine ruchlose Welt ihr dies Schauspiel aufdrang, mit diesen tiefen Geheimnissen, in welchen die göttliche Tiefe des Leidens verborgen liegt, zu spielen, zu tändeln, zu verzieren und nicht eher zu ruhen, bis das Würdigste gemein und abgeschmackt erscheint." So bleibt sich Goethe bis zum Schluß in seiner Abneigung gegen den Kruzifixus treu; nur motiviert er sie jetzt doch anders und tiefer. Aber ganz soll dieses Heiligtum des Schmerzes doch nicht fehlen: nur wird es bloß einmal im Jahre denen eröffnet, die aus der Schule entlassen werden. „Jene letzte Religion, die aus der Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist, entspringt, jene Verehrung des Widerwärtigen, Verhaßten, Fliehenswerten geben wir einem jeden nur ausstattungsweise in die Welt mit, damit er wisse, wo er dergleichen zu finden hat, wenn ein solches Bedürfnis sich in ihm regen sollte." So wird Goethe auch dem tiefsten Gehalt des Christentums gerecht; nur das spezifisch Christ­ liche, das Sündenbewußtsein und das Erlösungsbedürfnis wird noch einmal beiseite gelassen. Und alles ist nur päd-

agogisch gemeint, die Religion als Erziehungsmittel neben der Musik zur Ergänzung der weltlich-technischen Aus­ bildung, als die Weihe und der Sonntag des Lebens, wie sie Hegel so schön genannt hat. Und geblieben ist der Goethesche Optimismus, dem das Heiligtum des Schmerzes nur einmal im Jahre sich öffnet: Jesu Wandel ist „für den edelsten Teil der Menschheit noch belehrender und frucht­ barer als sein Tod; denn zu jenen Prüfungen ist jeder, zu diesen sind nur wenige berufen". Aber einmal im Jahre werden doch auch sie der Jugend gezeigt; denn Goethe kannte nicht bloß die Höhen und die Siege des Lebens, sondern auch seine Tiefen und Niederlagen, der Menschheit ganzen Jammer. Das zeigt sein „Faust". Aber auch in ihm heißt es: Hölle, wo ist dein Sieg? Denn Wer immer strebend sich bemüht. Den können wir erlösen.

Das ist der Weisheit letzter Schluß. Solch ein Streben­ der ist Goethe selber gewesen, und ein solcher Strebender ist die ganze Menschheit: darum ist sie Gottes, nicht des Teufels, darum kann auch sie erlöst werden. In diesem Trostwort klingt Goethes höchstes Lebeuswerk und klingt seine ganze Welt- und Lebensanschauung tapfer und mutig, getrost und sieghaft aus. Dieses Streben aber schlingt sich zusammen mit dem, was er als das Höchste erkannt hat in seinem Leben, mit der Liebe, die von oben erlösend teilnimmt am Menschen und die sich Goethe in ihrer vollendetsten Offen­ barung im Weibe verkörpert denkt, weil sie ihn selbst in dieser

126 VII. Goethes Verhältnis t« Religion und Christentum.

Form mehr als einmal gerettet und entsündigt, versittlicht und geadelt hat.

So ist das Wort vom Ewig-Weiblichen, das

uns hinanjieht, am Schluß des „Faust"" Ereignis jugleich und Gleichnis, ein Symbol, das unendliche Wahrheit ver­ hüllt und offenbart, wie die emporjiehende Madonna auf Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtinischen Kapelle ju Rom.

Ich aber habe, wie einst den Hörern dieser Vorträge, so nun auch meinen Lesern zum Schluß zu danken, daß sie sich mit mir haben erfreuen und erbauen mögen an all" dem Hohen und Herrlichen, das Gott-Natur der Welt in diesem einzigen Menschen geschenkt und geoffenbart hat.

Goethe

und kein Ende! damit habe ich begonnen; Goethe und kein Ende! damit schließe ich; denn es soll, es kann die Spur von seinen Erdentagen Nicht in Äonen untergeh'n.

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