Glaube, Mythos und Geschichte im Alten Testament [Reprint 2020 ed.] 9783112317976, 9783112306703

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Glaube, Mythos und Geschichte im Alten Testament [Reprint 2020 ed.]
 9783112317976, 9783112306703

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Glaube, Mythos und Geschichte im Alten Testament

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Johannes Hempel

Glaube, Mythos und Geschichte im Alten Testament

Verlag Alfred Töpelmann / Berlin W 35 1954

Sonderdruck aus Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Band 65

Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck: Buchkunst, Berlin W 35

Die Götter verbergen sich sogar in der Wahl ihres Werkzeuges. Wir sind alle der Gnade eines herabfallenden Dachziegels ausgeliefert. Uns bleibt nur das Bild Jupiters, wie er umhergeht und Dachziegel lockert, die dann auf einen Limonadeverkäufer oder auf Cäsar fallen. Die Volksrichter, die Sokrates zum Tode verurteilten, waren keine erhabenen Werkzeuge; und das waren auch nicht'der Adler und die Schildkröte, die Äschylos den Tod brachten.«

Dieser mehr oder weniger gutmütige Spott, mit dem THORNTON seinen Cäsar ein halbes Jahr vor den Iden des März sein eigenes Ende vorausschauen läßt, mag uns den Weg zur Frage, die uns heute beschäftigen soll, bahnen. Wie spricht, wie muß sprechen, der Glaube von der Geschichte? Kann er es tun, ohne den Mythos zu Hilfe zu rufen? Oder muß er, wenn der Mensch von heute den Mythos ohne Verletzung seiner Wahrhaftigkeit nicht beschwören darf, auf jede Deutung der Geschichte verzichten, die über den Rahmen innerweltlicher Kausalität hinausgreifen möchte? Wir beschränken uns dabei für heute bewußt auf das AT, sind allerdings der Überzeugung, daß das, was wir hier zu erarbeiten haben, auch für die brennende Frage der Entmythologisierung des Neuen seine Bedeutung besitzt. WILDER1

Wir stellen also von vornherein Mythos und Glaube in eine innere Beziehung zueinander und tun es, indem wir — ohne uns mit langen Debatten über die verschiedenen Möglichkeiten der Begriffsbestimmung aufzuhalten — einem Fingerzeig E . LOHMEYERS folgen. Hatte R . BULTMANN den Mythos folgendermaßen definiert: »Der Mythos redet von der Macht oder den Mächten, die der Mensch als Grund und Grenze seiner Welt und seines eigenen Handelns und Erleidens zu erfahren meint. Er redet von diesen Mächten freilich so, daß er sie vorstellungsmäßig in den Kreis der bekannten Welt, ihrer Dinge und Kräfte, und in den Kreis des menschlichen Lebens, seiner Affekte, Motive und Möglichkeiten einbezieht®«, TH. WILDER, Die Iden des März, deutsch von H. E. HULITSCHKE, 1949, S. 267. Neues Testament und Mythologie (Kerygma und Mythos, ein theologisches Gespräch, ed. H. W. BARTSCH2, Hamburg-Volksdorf 1961), S. 22. 1

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so stellt LOHMEYER demgegenüber die Frage, ob damit nicht das Wesen a l l e r Religion bestimmt sei: »Denn was heißt an Gott glauben oder von Göttern reden anderes als von seinem Wirken und Wesen in dieser Welt reden, unter uns Menschen in der Weise, wie Menschen wirken und reden. ,Das Göttliche' als ein .Menschliches' vorzustellen — hier liegt die Frage und die Antwort, der Trost und der Halt aller Religion 1 «.

So gewiß es keine Religion ohne »Glauben« gibt, mag man ihn in verschiedener Weise beschreiben oder umschreiben, so gewiß ist der Mythos e i n e Ausdrucksform des Glaubens, und es sei von Anfang an betont, daß die Bezeichnung einer Glaubensaussage als »Mythos« kein Urteil über ihren Wahrheitsgehalt in sich schließt. So wie in der Mathematik derselbe Tatbestand in einem Satz, in einer Formel oder in einer graphischen Darstellung zum Ausdruck gebracht werden kann, so mag eine Glaubenswahrheit in einem lehrhaften Satz formuliert oder in einer bildhaften Darstellung der eben behandelten Art »vorstellungsmäßig in den Kreis der bekannten Welt« einbezogen werden. Auch dort ist eine solche Einkleidung möglich, wo das gläubige Bewußtsein selbst es »weiß«, daß diese Vorstellungen die Wahrheit nicht adäquat zum Ausdruck zu bringen imstande sind, und zwar um deswillen, weil es um das Reich weiß, das nicht »von dieser Welt« ist. Und dies um so mehr, weil immer wieder an der mythischen Darstellung auch dichterische Phantasie so viel Anteil gewinnen kann 2 , daß der »religiöse« Gehalt dahinter zurücktritt, oder auch dichterisches Vermögen ihn bewußt zur Einkleidung ihm fremder Tatbestände nutzt. Beides geschieht vor allem dort, wo ein Wechsel der »Religion«, ein Anderswerden des »Glaubens« einen Mythos aus seiner Stellung als verbindlicher Glaubensaussage einer Gemeinschaft oder auch eines einzelnen Menschen, eben des Künstlers, verdrängt und zur unverbindlichen Erzählung von Göttern degradiert, die für den Erzählenden nicht mehr »Götter« sind, ohne daß sie, mit negativem Vorzeichen versehen, zu Dämonen geworden oder — wie in den Gebetsparodien der griechischen Komödie, in An1

Die rechte Interpretation des Mythologischen, ebenda S. 140. Vgl. CHR. G. HEYNES »poetischen Mythos« und seine Übernahme durch J. P H . GABLER (bei CHR. HARTLIEB und W . SACHS, Der Ursprung des Mythosbegriffes in der modernen Bibelwissenschaft, Schriften der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien 2, Tübingen 1962, S. 19, 32), zum Grundsätzlichen auch O. EISSFELDT, Theol. Blätter 17 (1938), Sp. 185ff. — In dem Verhältnis von Mythos und dichterischer Phantasie liegt ein wesentliches Problem der griechischen Tragödie; wie die Phantasie einen neuen Mythos schaffen kann, lehrt der Geist des Darius in Äschylus' Persern. Zum Problem der dichterischen Mythenkritik vgl. auch meine Ausführungen Journ. Theol. Studies 40 (1939), p. l f f . 2

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sätzen aber schon in den humoristischen Götterszenen bei Homer — zum Spott geworden wären 1 , wo also der Mythos seine ursprüngliche Beziehung zum Kultus verloren hat oder diese doch aufgelockert worden ist 2 . Und dies wiederum geschieht am leichtesten an einem Mythos, der es nicht mit »Grund und Grenze« der Menschenwelt zu tun hat, sondern, wiederum mit LOHMEYER zu sprechen, von der »Aseität Gottes in menschlichen Worten und Beziehungen zu reden wagt und zu reden vermag«3 oder gar diese »menschlichen Worte und Beziehungen« im theriomorphen Mythos in das Tier projiziert. Gerade diese tierische Verhüllung aber muß zur Kritik am Mythos führen! Bücken wir von da aus auf das AT, so fällt sofort ins Auge, wie geringen Umfangs die Mythen sind, die es nicht mit gott-menschlichen Beziehungen zu tun haben. Der monotheistische Charakter der Jahvereligion, der die Auswahl des Kanons beherrscht, hat nicht nur, wovon noch zu sprechen sein wird, den theogonen Mythos absterben lassen4, sondern hat darüber hinaus in der religiösen Dichtung notwendig, die beiden Gattungen »profanisiert«, die recht eigentliche Ausdrucksformen des rein in der »göttlichen« Welt spielenden Mythos sind: das Gottesleichenlied und das Gotteshochzeitslied5. In bitterer Ironie wird die erstere Form genutzt, dem Gott auf Erden, dem königlichen Herrn der vier Weltteile, des Babylonierkönigs Majestät die hohnvolle Klage zu singen: 1 Zum Gottesspott vgl. Alter Orient 38 (1938), S. 26f., speziell zur Gebetsparodie H. KLEINKNECHT, Die Gebetsparodie in der Antike, Stuttgart 1937. Beispiele einer humoristischen Gottesdarstellung aus Homer und Ugarit bringt O . EISSFELDT a. a. O. Sp. 189; das klassische Beispiel aus dem AT — J d c l 7 f . : der Gott aus gestohlenem Silber wird selbst gestohlen! — ist ein Beleg dafür, wie sehr die Kulte von Jerusalem und Dan sich getrennt hatten: die Feindschaft ist größer als das Bewußtsein, dem gleichen Gott zu dienen. Vgl. auch M. D. GOLDMAN, Humour in the Bible, Australian Biblical Review 2 (1952), p. l f f . 2 Zu Mythos und Kultus vgl. etwa G . V A N DER LEEUW, Festschr. A. BERTHOLET, Tübingen 1960, S. 287ff. und für ein einzelnes (israelitisches) Beispiel A. W E I S E R , ebenda S. 513ff., aber auch die für S. MOWINCKELS Psalmendeutung weithin grundlegende Anm. 1 in Psalmenstudien II (1921), S. 46. 3 a. a. O. S. 142. 4 Zum Wegfall des theogonen Mythos siehe unten S. 21. 5 Zum Problem vgl. meine Althebräische Literatur, Potsdam 1934, S. 25ff. Beide Formen gehören in den Bereich des Tammuz-Kultus (vgl. A. MOORTGAT, Tammuz, Berlin 1949; weiteres bei H. SCHMÖKEL, ZAW 64 (1952), S . 148f.). Die Vorgeschichte des Dumuzi, insonderheit die Frage, ob er von Haus aus ein »vollkommener« Gott (so E. UNGER, Theol. Lit.-Ztg. 77, 1962, Sp. 346) oder »vielleicht eine historische Königssgestalt war, die erst durch Inanna erhöht wird« (so A. FALKENSTEIN bei SCHMÖKEL S. 149, Anm. 3), kann für unser Problem auf sich beruhen.

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JOHANNES HEMPEL, Glaube, Mythos und Geschichte im Alten Testament Wie stille ist worden der Fronvogt, wie stille das Toben! Frevelers Rute zerbrach, Szepter der Herren. Schlug einst die Völker im Grimm, pausenlos pochend, jagte Nationen im Zorn, gnadenlos hetzend! Welt liegt in friedlicher Kuh, Jubel erhebt Libanons Zeder so froh, Eichbaum stimmt ein: »Stürztest! Uns nimmermehr naht nun, der uns fällt!« Drunten die Hölle, sie tobt, da du ihr nahst! Schatten erregen sich wild! Wer Weltenherr war, springet vom Throne empor, wer Völkern befahl. Hör doch! Sie alle zumal singen dir zu: »Du auch bist hilflos wie wir, wurdest uns gleich. Stürzte zur Hölle dein Stolz, deiner Harfe Getön! Unter dir Würmer gebreitet, Schlangen dein Deckbett.« Wie fielst du vom Himmel, du Glanzstern, des Morgenlichts Sohn! Wurdest zur Erde geworfen, zu Leichen gesellt. Du, der gesprochen im Herzen: »Will fahren gen Himmel, über die Gottessterne zumal erhöh'n meinen Thron, auf den Olympos mich setzen, im äußersten Norden, wallen über der Wolken Gebirg, gleichen dem Höchsten!« Hai Fährst zur Hölle hinab, in Grube und Grab (Jes 145-15)1.

1 Zu den Übersetzungen vgl., wo nichts anderes vermerkt ist, mein Buch: Worte der Profeten neu übertragen, Berlin 1949; zu den »Höllensturz«-Mythen namentlich W. KROLL, Gott und Hölle, Leipzig 1932, zum »Gehen in die Erde« des E l oder der Anat nach dem Tode des Baal inUgarit vgl. GORDON, Ugaritic Handbook (Anal. Orient. 26), Rom 1947 — im Folgenden stets als GORDON zitiert — Nr. 62, 7; 67, VI, 26 und

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In derselben Weise ist der Mythos vom Sündenfall des Wächters des Himmelsgartens »historisiert« zum dichterischen Ausdruck für den von Ezechiel erwarteten Sturz der Stadt Tyrus (Ez 28 uff.; vgl. Jes 23 sff.)1, und auch des eigenen Volkes Schicksal kann in prophetischer Rede in Worten dargestellt werden, die ihre Herkunft aus dem Mythos von des Gottes Tod und Auferstehung schwerlich zu verleugnen vermögen: Kommt, wir kehren heim zum Herrn! Riß er uns, wird er uns heilen, schlug uns, wird uns auch verbinden! Gibt uns Leben nach zwei Tagen, weckt uns auf am dritten Tage, und dann leben wir vor ihm (Hos. 6, lf.) I a

Analoges gilt von der Rettung des »frommen« Helden aus der Lebensgefährdung, in die ihn sein Festhalten an seinem Gott oder auch eine Untreue gegen ihn gebracht haben. Der Sonnengott, der, seiner Strahlenhaare beraubt, kraftlos wird3, den aber weder die »Philister« noch der »Fisch« auf immer halten dürfen4, der Daniel, den die Löwen in ihrem Zwinger nicht fressen5, sind — in der Form der Legende — »Historisierungen« des sterbenden und auferstehenden Gottes und zugleich Demokratisierungen des Königs als des erretteten Erretters, des erlösten Erlösers, von denen noch zu sprechen sein seine Übersetzung Ugaritic Literature, Rom 1949, p. 43 bzw. 42. Zum Verhältnis des Ezechiel zu Jes 1 4 vgl. jetzt A . VAN DEN B O R N , Studia Catholica 2 8 , 1 9 5 3 , p. 9 4 F F . Vgl. G. A. C O O K E , Old Testament Essays, London 1927, p. 37ff.; zum Problem der Historisierung auch M. N O T H , Christentum und Wissenschaft 4 (1928), S. 266ff. Der Ausdruck »Historisierung« ist s. Z. von Nora und wird im Folgenden hier von mir in etwas anderem Sinne gebraucht als von F. M. T H . D E L I A G R E - B O E H L , Opera Minora, Groningen-Djakarta 1953, p. 213ff„ der darunter die Ausstattung des Gottes mit menschlichen Zügen, z. B. die Angleichung des Gilgamesch und seines Freundes an Gestalten des Ritterepos, versteht. * So z. B . G. M A Y , ZAW 56 (1937), S. 273. Anders dekretiert C H R . B A R T H , Die Errettung vom Tode in den individuellen Klage- und Dankliedern des AT, Zollikon 1947, S. 139: »Der Hebräersagt .beleben', meint aber .gesund machen*; ähnlich auch J . J . STAMM, ZAW 57 (1939), S . 266ff. - A. W E I S E R , AT Deutsch 24, 1, Göttingen 1949, S. 44 übersieht, daß gerade die Tatsache der Übertragung des Auferstehungsglaubens auf das Volk Jahve als den Retter und Heiler heraustreten läßt und damit sein »eigentliches und innerstes Wesen . . . ernst nimmt«. 3 Jdc 16,17 ff.; vgl. zuletzt A . B E R T H O L E T , Wörterbuch der Religionen, Stuttgart 1952, S. 448, doch auch die Bestreitung durch N. H. S N A I T H , bei H. H. R O W L E Y , OT and Modern Study, Oxford 1961, p. 94. 4 Zu Jona vgl. noch immer H . SCHMIDT, Jona, Göttingen 1 9 0 7 . s Dan,6; vgl. dazu A. B E N T Z E N , Festschr. A. B E R T H O L E T , Tübingen 1950, S. 68ff. und jetzt E I S S F E L D T S Handbuch I, 19, 2. Aufl., Tübingen 1952, S. 165. 1

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wird1. Es mag im einzelnen zweifelhaft bleiben, wieweit die Versuche der älteren sog. panbabylonistischen oder der jüngsten Uppsalenser Schule, hinter einer Fülle von Worten des täglichen Lebens, etwa der »Wüste«2, mythische »Motive« oder »Muster« (patterns) nachzuweisen, über das Ziel hinausschießen; an der grundsätzlichen Möglichkeit, daß Erzähler (und noch mehr die Dichter, vor allem in der Zukunftsschau zur Schilderung einer drohenden Unheilssituation oder auch einer erhofften Errettung) bewußt oder in späterer Zeit auch unbewußt Züge aus dem Mythos von des Gottes oder der Göttin Hadesfahrt und Auferstehung »historisiert«, damit aber zugleich, mit DE LIAGRE-BOEHL ZU sprechen, die Geschichte mythisiert haben, ist nicht zu zweifeln. Der Spott, mit dem einst H. GUNKEL die GilgameschForschung P . JENSENS durch Aufweis entsprechender Motive in den Beziehungen zwischen Goethe und Schiller ad absurdum führen wollte8, wird als Warnung vor einer Neigung, die geschichtliche Überlieferung in Mythen aufzulösen, sein gutes Recht immer behaupten; er kann aber die Fragestellung als solche nicht außer Kraft setzen, da ja in den soeben angeführten Stücken eine Verwendung des Mythos zur dichterischen Einkleidung der Geschichte zweifelsfrei belegt ist. Wo im Einzelfall die Grenze verläuft zwischen einer Historisierung des Mythos in dem angegebenen Sinne — also einer »allegorischen« Verwendung des als solchen in seinem Gefüge erhaltenen Mythos — und einer Mythisierung der Geschichte — also einer Eintragung einzelner mythischer Züge in eine als solche in ihrem Gefüge erhaltenen »Geschichtserzählung« — läßt sich stets nur am konkreten Material ermitteln. Solche »Historisierung« ist die wohl gründlichste Entmythologisierung des Mythos, die möglich ist, wenn auch die Frage offen bleiben mag, wieweit etwa doch der Mythos, z.B. der Glaube an den Höllensturz eines Gestirngottes, daneben lebendig geblieben, durch die dichterische Historisierung also nicht völlig aufgesogen ist. Hat vielleicht eine solche Erzählung einst dazu gedient, die Brücke von dem »Sehr gut« des göttlichen Urteils über die von ihm geschaffene Welt zu der Verderbtheit der Sintflutgeneration und alles ihr gleichzeitigen »Fleisches« zu schlagen, eine Erzählung, die getilgt werden mußte, weil sie — analog Gen 6 iff. — den Mythos als Mythos bewahrt hatte? Wie dem aber auch sei: festzuhalten ist, daß sich innerhalb des AT eine Verehrung Jahves, des »lebendigen Gottes«, als sterbend 1

Siehe unten S. 42.

Vgl. z. B. A. JEREMIAS, Handbuch der altorientalischen Geisteskultur, 2. Aufl.» Leipzig 1929, Reg., und A. HALDAR, The notion of the desert in sumero-accadian and west-semitic religions (Upps. Univ. Ärsskrift 1960, 3). 2

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TH. H .

Reden und Aufsätze, Göttingen 1916, S. 166f.; einen ähnlichen Spott von gegen HALDAR vgl. J B L 68 (1949), p. 171f.

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und auferstehend nicht nachweisen läßt1, auch nicht in dem — in der Schwurformel nachklingenden — Jubelruf des aus der Scheol geretteten Königs: Jahve lebt! Gepriesen sei mein Fels, erhoben hat sich meines Heiles Gott (Ps 18 47) 2 !

Von ihm gilt das Bekenntnis:

E R ist der lebendige Gott, / bleibet in Ewigkeit! Sein Königtum nimmer vergeht3, sein Sultanat währt bis ans Ende, E r befreiet, er rettet / wirkt Wunder und Zeichen im Himmel, auf Erden, befreite den Daniel / aus Tatzen der Löwen (Dan 6 27f.).

Es ist menschliches Schicksal, auch der Mächtigsten auf Erden (vgl. Ps 82 6f.), zu sterben, getrennt vom Baume des Lebens durch den flammenschwerttragenden Cherub. So hielt es auch im Kananäertum Aqhat, des Dan'el Sohn, der Jungfrau Anat entgegen, daß er den Jedermannstod, den ganz gewissen Tod wird sterben müssen4. Göttliches »Schicksal« aber ist es, alles Ende der Welt schöpferisch zu überdauern. Bei dem eschatologischen Mythos wird darauf zurückzukommen sein. Wie aber steht es mit der zweiten literarischen Gattung, die im alten Orient Mythen innergöttlichen Lebens darbietet, mit den Liedern von der Götterhochzeit ? Liebe zwischen Gott und Göttin, auch dort, wo beide Partner oder einer von ihnen noch in tierischer Gestalt gedacht ist5, ist ja die Voraussetzung alles Lebens und Werdens. Sie wird daher in der Heiligen Hochzeit des Kultes vorgebildet und im be1 Vgl. meine Ausführungen Gott und Mensch, 2. Aufl., Stuttgart 1936, S. 75ff. und jetzt (im Gefolge von J . P E D E R S E N und F . H V I D B E R G ) G. W . A N D E R S O N bei H . H . R O W L E Y , OT and Modern Study, Oxford 1 9 5 1 , p. 296ff. 2 Vgl. die Auseinandersetzung von A. B E N T Z E N , Messias, Moses redivivus, Menschensohn, Zürich 1 9 4 8 , S. 2 3 mit G . W I D E N G R E N , Svensk Exeg. Arsbok 1 9 4 5 , S. 77. B. hält es für möglich, daß »in der alten Volksreligion Kanaans und des kanaanäisierten Israels« das haj jahwäh der Schwurformeln in einem dem Xpicrrös &V£CTTT| der christlichen Liturgie analogen Sinne zu verstehen sei, lehnt aber eine solche Auffassung — m. E. mit Recht — für die uns vorliegenden Königspsalmen ab. 3 Zu 'ad söfä' »bis ans Ende« = forever vgl. R. H. C H A R L E S , A critical and exegetical Commentary on the Book of Daniel, Oxford 1929, p. 163. 4

V g l . 2 A q h V I , 3 8 ( G O R D O N S . 1 8 3 ) mt

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'amt.

Vgl. die erfolgreiche siebenundsiebzigfache, achtundachtzigfache Begattung der 'glt//prt in der Wüste (bdbr// bSd shlmmt) durch Baal I AB V 18ff. ( G O R D O N Nr. 67; vgl. T H . H . G A S T E R , Thespis, New York 1950, p. (120) 192). Weiteres ZAW 57 (1939), S. 75ff. — Zu 'glt bdbr verweist G. p. 449 auf Jes 27 10: kmdbr Sm jr'h 'gl-, zum Verhältnis von ugar. ('ars) dbr zu hebr. mdbr und der Bedeutung von sklrn mt (oder shl mmt ?) vgl. A. H A L D A R a. a. O. p. 40, doch faßt H . - L . G I N S B E R G , ANET p. 139 dbr als Eigenname (»in Dubr«), 6

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gleitenden Liede besungen1, auch lange nachdem die Einsicht in die natürliche Kausalität der Lebensvorgänge gewonnen war2. Aus dem vorisraelitisch-kanaäischen sind solche Riten und Texte im Zusammenhang mit der Übernahme der Heiligtümer des Kulturlandes und der damit verbundenen Bereicherung der Funktionen Jahves in den israelitischen Gottesdienst gelangt, dem sie außerhalb der Ackerbausphäre notwendigerweise weithin fremd waren, in Verbindung mit dem Königskultus8 mindestens zeitweise in den Jerusalemer Tempel, stärker noch in den Kult auf den »Höhen« und wohl von da aus bis in die jüdische Militärkolonie in Elephantine. Auch sie hat der orthodoxe Jahvismus, für den die Grenze des Anthropomorphismus gerade in der Abstoßung der Sexualität gelegen war4, »historisiert«, indem er — wie die Anat zur Frau des Potiphar und den Aqhat zum Joseph 5 —so den Gott zum »Salomo« und seine Istar zur menschlichen Braut degradierte®. Dieser Schritt war zunächst nicht allzu groß, da ja der König selbst im sakralen Königtum eine »mythische Gestalt« darstellt. Entscheidend für die weitere Geschichte der Lieder aber ist es, daß sie damit aufhören, von Jahve und seiner weiblichen Entsprechung zu reden, und zwar so gründlich, daß, wie oft schon gesagt, selbst sprachlich dem Hebräischen des AT das Wort für »Göttin« verloren gegangen ist. Damit ist die Bahn eröffnet, auf der diese Texte völlig in den Raum des Menschlich-Allzumenschlichen und damit in eine keineswegs streng an die »Ehe« gebundene Erotik eingespannt, sich mit der in der natürlichen Freude am Sinnlichen Vgl. die »Geburt der lieblichen und schönen Götter« ( G O R D O N 62), Z. 49ff. vor allem 61 brn nSq bhbq hmhmt tqtnsn 62 tldn Uhr wSlm, und dazu G A S T E R p. 226, auch J . G R A Y , Journ. Near East, Stud. 8 (1949), p. 72ff., gegen die Auffassung des Textes als Libretto für ein Kultspiel aber O. E I S S F E L D T , Bibl. Orient. 8 (1961), S. 61f. 2 Vgl. C. H. R A T S C H O W , Magie und Religion, Gütersloh 1947, S. 79ff. 1

3 Zum Königskult s. unten S. 33. — Den Zusammenhang des Königtums mit der »Heiligen Hochzeit« belegt die Tatsache, daß gerade die Töchter aus königlichem Haus bis hin zur Tochter Naboneds die Stellung der Oberhierodule des Mondgottes eingenommen haben; vgl. F . M. T H . DE L I A G R E - B O E H L , Op. Min. p. 174ff.

Vgl. meine Ausführungen ZAW 57 (1939), S. 82ff. Damit entfällt die Möglichkeit, Praktiken zur Steigerung oder Wiedergewinnung der Potenz (s. unten S. 32) in seinem Kult zu verankern. 4 Zur Verschmähung der Anat durch Aqhat-Adonis in 2 Aqh. V i vgl. W. F. A L B R I G H T , Bull. Am. Schools Or. Res. 94 (1944), p. 34 mit Hinweis auf Gen 39 7ff. 4

• Zur Vorgeschichte des Hohenliedes vgl. jetzt H. SCHMÖKEL, ZAW 64 (1962), S. 148ff.; gegen eine Heranziehung der »Göttinnen« von Elephantine W. F . A L B R I G H T , Von der Steinzeit zum Christentum, Bern 1949, S. 370, 469 Anm. 68f., der vielmehr in ihnen Hypostasen von Eigenschaften Jahves sieht. Die Brooklyn-Texte bringen kein neues Material zu den fraglichen Gestalten; vgl. E. G. K R A E L I N G , The Brooklyn Museum Aramaic Papyri, New Häven, 1953.

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heimischen Poesie und ihren Beschreibungsliedern verschmelzen1. Für die Aufnahme des Hohenliedes in den Kanon aber war eine sehr merkwürdige Rückbildung, eine Rückerinnerung an den ursprünglich mythischen Sinn erforderlich: die allegorische Erklärung versteht es wiederum2 als ein Lied von Jahves Ehe, diesmal freilich gelöst vom Ritus. In analoger Weise ist im Buche Esther ein alter Jahreszeitenmythos aus dem Umkreis des babylonischen Neujahrsfestes zur Sage von der schönen und klugen Königin jüdischen Blutes historisiert und so ein nationalreligiöser Hintergrund für ein kalendermäßig seines Ursinnes beraubtes und damit seines Ritus entkleidetes Fest geschaffen3. Die Rezitation des Heiligen Textes muß nunmehr die dramatische Darstellung des mythischen Vorganges ersetzen, eine Erscheinung, die sich auch bei anderen Mythenkreisen aufzeigen läßt und noch besonders zu besprechen sein wird4. Historisiert aber ist der Mythos von der Götterhochzeit auch darin, daß die Erwählung des Volkes durch Jahve terminologisch nicht selten mit Verben bezeichnet wird, die einen sexuellen Nebensinn mindestens haben können6, vor allem aber darin, daß der Bund zwischen dem Volke und seinem Gott als Verlöbnis und Ehe dargestellt wird, für welche die Initiative in einer patriarchalen Eheordnung bei Jahve hegt: Verlob mich dir auf ew'ge Zeit, verlob mich dir in Heil und Recht, in Huld und in Erbarmen. Verlob mich dir in guter Treu, den Herrn darfst du erkennen (Hos 2 21 f.). Vgl. H. R I N G G R E N , Uppsala Univ. Arsskr. 1962: 6, p. 82 ff. Zur allegorischen Erklärung vgl. jetzt M. ROBERT, Le Cantique des Cantiques, Paris 1961 und dazu A. F E U I L L E T , Nouv. Rev. Theol. 74 (1962), p. 706; zur EheAllegorie im allgemeinen A. BUZY, Vivre et Penser 3 ( = Rev. Bibl. 62), 1946, p. 77ff. 1

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3 Vgl. zum Purimfest zuletzt V. C H R I S T I A N , Nötscherfestschr. (Bonner Bibl. Beitr. I), Bonn 1960, S. 33ff. 4 Für den Kosmogonischen Mythos (Rezitation von Gen 1) vgl. P. H U M B E R T , Rev. d'Hist. et de Phil. Rel. 16 (1936), p. lff., zu dem in der Lade-Erzählung historisierten Drachenkampf A. B E N T Z E N , Journ. Bibl. Lit. 67 (1948), p. 37ff. 5 Vgl. die Verben jäda' (Am 3 2 ; vgl. G. J . B O T T E R W E C K , »Gott erkennen« im Sprachgebrauch des AT (Bonner Bibl. Beiträge II), Bonn 1961, S. 21f., zum sexuellen Nebensinn schon E . BAUMANN, ZAW 28 (1908), S. 30f.) und vor allem 'äheb Hos 1 1 1 , wobei freilich zu beachten ist, daß Hosea für die menschliche Liebe zu Jahve dies Wort vermeidet, das vielmehr erst von Jeremia aufgenommen wird; vgl. W. E I C H R O D T , Theologie des AT, I I I , Leipzig 1939, S. 31 f. Zu dieser Zurückhaltung des Propheten würde es stimmen, daß da'at *aelohim bzw. absolutes hadda*at bei Hosea »kognitiven« Sinn hat, also das Wissen um Gottes Tun. und Willen bezeichnet, das Ehebild aber durch andere Verben bezeichnet wird; so H. W. WOLFF, Evangel. Theologie 12 (1962/63) S. 633ff. Ich frage mich darüber hinaus, ob nicht neben der Deutung des ' e e l o h i m

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Neben dem Volk aber mag auch das Land als Ehefrau und Geliebte seines Gottes erscheinen1 und in dieser Ausprägung des »Bildes« der Mythos von der Liebe des Himmelsgottes zur Erdherrin noch sichtbarer durchschimmern als in dem strenger historisierten von der Gottesehe mit der geschichtlichen Größe der Nation: Um Zions willen schweig ich nicht, bleib für Jerusalem nicht still, bis gleich dem Licht ihr Heil erstrahlt, wie Fackelbrand die Rettung flammt. Dann sehen Völker deinen Sieg, die Kön'ge deinen Ruhm zumal. Dann nennt man dich mit neuem Namen den Jahves Mund mit Ehren gibt; wirst Krön und Zier in Jahves Hand, ein Königsschmuck in Gottes Hand. Man nennt dich nimmer: »Du Verlaß'ne!«, dein Land heißt nimmer: »Wüste« mehr. Man nennt dich: »Bei mir wohlgelitten!«, dein Land heißt fürder: »Ehefrau«! Denn Jahve hat an dir Gefallen, dein Land darf sich (mit ihm) vermählen. Denn wie der Jüngling freit die Maid, vermählt sich dir, der dich erbaut, wie sich der Freier freut der Braut, freut deiner sich dein Gott und Herr (Jes 621-5).

Es ist nun aber für den Geist der Jahvereligion kennzeichnend, daß die Historisierung des Mythos von der Gottesehe weithin unter negativem Vorzeichen erfolgt ist, in der Darstellung des Abfalls des Volkes von seinem Gott unter dem Bilde des Ehebruches. Hosea ist vorangegangen, Jeremia ist ihm — vielleicht auf Grund ähnlicher Erlebnisse?2 —• gefolgt und Ezechiel hat in einer allzu drastischen Ausmalung jene Grenze erreicht, an der das Bild wenigstens für unser Empfinden die Ehrfurcht vor dem Wesen Gottes zu überschreiten beginnt und der Exeget den Psychiater über eine etwa vorhandene pathologische Anlage befragen möchte3. In dem Symbol von der »großen als gen. obj. in manchen Fällen auch die Auffassung als gen. subj. möglich ist: das von Gott mitgeteilte Wissen über seinen Willen; vgl. ZAW 6 6 ( 1 9 3 3 ) , S . 1 9 5 . 1 Vgl. meine Ausführungen Theol. Lit.-Blatt 2 (1922), S. 100. 2 Die endlose Debatte über Hoseas Ehe soll hier nicht wieder aufgenommen werden; vgl. zuletzt J . C O P F E N S , Festschr. Nötscher, Bonn 1960, S . 38ff. und N. SNAITH, Mercy and Sacrifice, London 1953. Zu Jeremia vgl. M. D. GOLDMAN, Austr. Bibl. Rev. 2 (1952), p. 43ff. 3 Vgl. etwa E . C. BROOME, Journ. Bibl. Lit. 66 (1946), p. 277ff. und K . J A S P E R S , i n : Arbeiten zur Psychiatrie, Neurologie und ihren Grenzgebieten (Festschr. K. Schneider), ed. H. K R A N Z , Willsbach und Heidelberg 1947, S. 80. — Welche Verwüstungen

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Hure« Babel, das heißt Rom, der Johannes-Apokalypse fließen die Züge des Leichenliedes auf Tod und Hadesfahrt der Göttin mit dem Schicksal der ungetreuen Gottesbraut zusammen: Hernieder! Hock dich in den Staub, du Jungfrau Babel! Hock dich zu Boden ohne Thron, Chaldäertochter! Denn fürder nennt dich keiner mehr: »Du Zarte, Feine«! Wohl sprachst du: »Immer werd' ich sein Herrin auf ew'ge Zeit«! Hast solcher Dinge nicht gedacht und nicht des Endes (Jes 47 1.7). In ihrem Herzen sprach sie wohl: »Als Fürstin will ich thronen, und Witwe werd* ich niemals sein und Leiden niemals schauen«! An einem Tage kommen ihr der Tod, das Leid, der Hunger, all diese Plagen, und im Brand des Feuers muß sie brennen (Offb 18 7t.).

Mit dem allen ist nun freilich eine eigenartige Lage gegeben. Der Gottestod und die Gottesliebe sind, sagten wir, Gegenstand kultischer Begehungen, die am festlichen Tage die »Gemeinde« vereinen, Begehungen, an denen Leben und Gedeihen der Kultgenossen, der Bauernschaft, hängt1. Mit der Seßhaftwerdung Israels im Ackerbaulande und der Übernahme der bäuerlichen Kultstätten wurden auch die dort gefeierten Feste jahvisiert. Für den orthodoxen Jahvismus geschieht das so, daß Jahve — außer in den radikal kulturkritischen Sekten, von denen wir die Rekabiten etwas genauer kennen — zwar die F u n k t i o n des Ackerbaukultus in »seinem Lande« (vgl. selbst Hos 9 3) im Gegensatz zur Wüste als dem Ort des Durstes und der ostwindversengten Dürre (Hos 2 5 13 s.hs)2, und wohl auch mindestens einen Teil des Kultpersonals3 übernahm, aber nicht den AckerbauMythos. Dieser wird vielmehr durch den geschichtlichen Mythos ersetzt, kraft dessen die Begehung nunmehr der Erinnerung an die Gottestaten der Vergangenheit dient, die in dem Memorialkult neue Wirklichkeit wird und die Zukunft gestaltet. Denn was für die Generation am Ende der Wüstenwanderung proklamiert wird, gilt solche Schilderungen bei Jugendlichen auslösen können, zeigt die erschütternde Lebensbeichte O . J. BIERBAUMS, in seinem Schüsselroman Prinz Kuckuck. 1 Vgl. jetzt S . MOWINCKEL, Religion und Kultus, Göttingen 1 9 5 3 , S . 7 9 . 2 Vgl. T H . C. VRIEZEN, Hosea, Profeet en Cultuur, Groningen-Batavia 1941, S. 8. 3 Zum Kultpersonal des »fertility-cult« vgl. B. A. BROOK, Journ. Bibl. Lit. 60, (1941), p. 227 ff.

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nicht allein für sie, sondern für alle kommenden Geschlechter, so oft die heiligen Worte vor der feiernden Gemeinde aufklingen: Jahve, unser Gott, schloß mit uns einen Bund am Horeb. Nicht mit unsern Vätern (allein) schloß Jahve solchen Bund, sondern (zugleich) mit uns1, die wir die sind, die heute allesamt hier leben (Dtn 5 3 f.)

Diese Abstoßung des Mythos verlangt naturgemäß auch eine Umgestaltung des Ritus, die nur schrittweise erfolgen konnte; denn je lebensnotwendiger ein Ritus für die ihn begehende Gemeinde ist, desto schwerer löst sie sich auch von Einzelheiten desselben, desto konservativer vollzieht sie ihn auch dort, wo er mit dem »Glauben« in Spannung steht. Hierauf beruht z. B. die Zähigkeit, mit der die Sexualorgiastik sich im Jahvekult gehalten hat, selbst unter der Jahvepriesterschaft 2 . Sind in dem bisher Gesagten die zugrundeliegenden Mythen dadurch gekennzeichnet, daß sie Göttliches in menschlichen Lebensäußerungen malen und insofern gewiß auch ein Stück menschlichen Selbstverständnisses verraten — nämlich die zentrale Stellung des Eros und des Todes im menschlichen »Leben« auf der einen Seite, die zentrale Stellung des Geschichtlichen im israelitischen Daseinsverständnis der Nation im Unterschied von einer Mittelpunktstellung der Natur in fremden Religionen auf der anderen — so ist ihre Wirkung und ihre Bedeutung nicht zu vergleichen mit derjenigen der anderen Mythen, die von dem Walten des Gottes oder der Götter im menschlich-geschichtlichen Dasein im allgemeinen oder doch bestimmter, ausgezeichneter, »erwählter« Persönlichkeiten zu sagen wissen. Es sind vor allem drei Kreise, die ins Auge zu fassen sind: der kosmogonische Mythos mit seinen Ausstrahlungen in die Eschatologie, der soteriologische Mythos mit der gleichen Wendung und endlich der Offenbarungsmythos, der seinerseits sowohl den kosmogonischen als den soteriologischen Mythos zu seinem Inhalt haben kann. Alle drei Mythenkreise aber sind nicht nach ihrer rein literarischen Seite — ihrem Vorkommen im überlieferten Schrifttum — zu beurteilen, sondern hinter die literarische Form ist auf die kultische Verwurzelung zurückzugehen, die ihnen eigen ist. Die beiden Gestaltungen des k o s m o g o n i s c h e n Mythos, welche die Geschichtsdarstellung des AT eröffnen, brauchen nicht nacherzählt zu werden. So naiv plaudernd der j ahvistische Schöpfungsbericht scheinbar einhergeht, so theologisch geladen ist er in Wahr1

Zur Bedeutung »nicht nur« der hebr. Negation vgl. H. H. ROWLEY, Bull. John

R y l . L i b r . 2 9 ( 1 9 4 6 ) , p . 1 7 n a c h C. J . CADOUX, E x p . T i m e s 5 2 ( 1 9 4 0 / 4 1 ) , p . 3 7 8 , u n d j e t z t A . KUSCHKE, Z N W 4 3 ( 1 9 5 0 / 6 1 ) , S. 2 6 3 .

* Vgl. die Ausübung des jus primae noctis durch die Priester Hos 413 f. und dazu L. ROST, Festschr. A. Bertholet, Tübingen 1950, S. 451 ff.

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heit bis in die sprachliche Gestaltung hinein, die das kananäischphönikische Stichwort vermeidet1, mit seinem Bekenntnis zu dem von allem Tierischen Geschiedensein des Menschlichen und damit zu dem Anthropomorphismus Gottes2, mit seiner Zurückführung der Qualen der Welt auf das Gottgleichseinwollen des Menschen, in seiner Ahnung, daß selbst unter Leiden Lebendürfen eine göttliche Gnade ist, die das Zurückgeworfenwerden in das Nichts des Chaos noch aufhält, aufhält, um der Schöpfung willen, die des Menschen bedarf, den Ackerboden zu bebauen, damit er Furcht bringe. Diese Fassung des Mythos ruft geradezu nach einer existentialen Interpretation, vor allem die erschütternde Beichte in Gen 3. In ihrer Stufenfolge der »Versuchungen« führt sie vom Zweifel an der Tatsächlichkeit eines göttlichen Verbotes über den Zweifel an dem Ernst und an der Wahrhaftigkeit Gottes und damit an der Menschenfreundlichkeit seines Verbotes mit unheimlicher Zwangsläufigkeit zur Hybris hinüber und läßt es innerlich nacherleben, wie der Verfasser selbst diesen Weg hat gehen müssen und wie dieser Weg immer wieder der Weg des Menschen vor dem »Gesetze« ist. Darüber aber darf nicht verkannt werden, daß es dem Jahvisten nicht darum geht, sich selbst zu verstehen, sondern den gegenwärtigen Zustand seiner Welt zu erklären, den Zustand des Daseins, in dem er und alle Menschen seiner Tage — und aller Tage, setzen wir hinzu — leben, ursächlich zu begreifen3. Der Sündenfall ist ihm genau so ein einmaliges »geschichtliches« Ereignis wie die Arche Noah oder der Turmbau zu Babel oder die Gottesstimme, die Abraham aus Chaldäa rief und in das gelobte Land geleitete. Der Gottesfluch über Schlange und Feld ist ihm genau so ein einmal gesprochenes machtgeladenes Wort wie der Fluch und Segen, durch den der sterbende Isaak das Schicksal Israels und Edoms festlegte, oder mit dem Nathan das im Ehebruch gezeugte Kind der Bathseba zum Tode brachte. Daß zwischen dem, was wir Geschichte nennen, dem menschlich-völkischen Leben, in dem Menschen nach menschlicher Vernunft oder Unvernunft, nach dem, was sie über »gut« und »böse« wissen oder wider solche Erkenntnis, nach Gottes Gebot oder in sündiger Lust handeln und ihr Leben zum Guten oder Bösen wenden, und dem, was wir Mythos nennen, dem unmittelbaren Handeln Gottes unter uns Menschen, sei es zum Segen oder zum Fluch — daß zwischen »Geschichte« und »Mythos« ein qualitativer Unterschied, ein Unterschied des unmittelbaren Wirklichkeitsgehaltes 1

Vgl. P. HUMBERT, ZAW 65 (1953), der das Fehlen des Stammes p'l mit der

Tendenz zur demythologisation 8

3

zusammenbringt.

V g l . Z A W 67 (1939), S. 7 7 f f .

Zum »Sinn des Mythos«, die Ordnung in der Welt zu erklären (die der Kultus dann seinerseits zu befestigen hat), vgl. S. B. FROST, Vet. Test. 2 (1952), p. 72f.

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besteht, ist ein dem antiken Schriftsteller fernliegender Gedanke. Die Erkenntnis von der, völkerpsychologisch gesehen, Notwendigkeit der mythischen Denkform gerade auf dem Gebiete der Ätiologie, wie sie (in Göttingen) zuerst von H E Y N E erkannt und von EICHHORN auf die Genesis angewandt ist, sollte nicht wieder aus den Augen verloren werden1. Auch die Zurechnung von Gen 2 und 3, vor allem von Gen 3 zu den »philosophischen« und nicht zu den »historischen« Mythen ändert nichts an der Erkenntnis, daß auch der philosophische Mythos seiner inneren Struktur nach volle Wirklichkeitsentsprechung für sich in Anspruch nimmt. Er tut es, gerade weil er von Gott redet. Der kosmogonische Mythos will nichts anderes sein als Zeugnis von dem wirklichen und wahrhaftigen Walten dieses seines Gottes. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß aller Wahrscheinlichkeit nach jenes im Rahmen der altorientalischen Geschichtsschreibung einmalige Werk, das die Thronnachfolge Davids durch menschliches Handeln, menschliches Sichverschulden und Versagen schließlich auf den Bathseba-Sohn Salomo kommen läßt, innerhalb der jah1 Die Einzelnachweise vgl. in der S. 4 Anm. 2 genannten Schrift von CHR. HARTLIEB und W. SACHS. — An dieser Stelle liegen, wie am Kande vermerkt sei, die Schwierigkeiten für die katholische Exegese, insofern die Entscheidung vom 23. 6 . 1 9 0 6 die Möglichkeit einer allegorischen Deutung der Erzählungen gerade von dem Nachweis abhängig macht, daß der biblische Autor im konkreten Einzelfall konkrete Geschichte nicht habe bieten wollen-, excepto tarnen casu non facile nec temere admittendo, in quo, Ecclesiae sensu non refragante eiusque salvo judicio, solidis argumentis probetur, Hagiographum voluisse non veram et proprie dictam historiam tradere, sed sub specie et forma historiae parabolani, allegoriam vel sensum aliquem a proprie litterali seu historica verborum significatione remotum proponere (zitiert nach A. KOLPING, Festschr. NÖTSCHER, Bonn 1960, S. 141, Anm. 16), eine Möglichkeit, deren Annahme die Enzyklika Divino afflante Spiritu vom 30. 9 . 1 9 4 3 durch Hinweis auf die von der heutigen verschiedenen altorientalischen Redeweise noch erweitert hat; insofern sie nach einem Hohenlied auf den sensus litteralis fortfährt: Veteres enim Orientales, ut quod in mente haberent experimerent, non semper iisdem formis iisdemque dicendi modis utebantur, quibus nos hodie, sed illis potius, qui apud suorum temporum et locorum homines usu erant recepti . . . Haec porro postremis hisce decenniis maiore, quam antea, cura et diligentia peracta, clarius manifestavit, quaenam dicendi formae illis temporibus adhibitae sint sive in rebus poetice describendis, sive in vitae normis et legibus proponendis, sive denique in enarrandis historiae factis atque eventibus (zitiert nach Vivre et penser a. a. O. p. 21). So richtig das hier Gesagte ist — wieweit neuere Entscheidungen die damit dem katholischen Exegeten gestellte Aufgabe wieder einengen, steht dem Nichtkatholiken zu beurteilen nicht zu (doch vgl. etwa J . A. O'FLYNN, Humani Generis and Sacred Scripture, Irish Theol. Quart. 19,1963, p. 17ff.), so scheint mir doch der Nachweis, daß der Jahvist selbst zwischen formalmythischer Ausdrucksweise und dem Aussageinhalt habe scheiden

w o l l e n o d e r k ö n n e n (so KOLPING a. a . O. S . 1 4 7 f f . i n A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t J . COPPENS,

Anal. Lov. Bibl. et Orient., Ser. I I , 3, Löwen 1948) nicht zu erbringen. Gerade ihn aber würde die Entscheidung von 1906, wenn ich sie recht verstehe, erfordern.

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vistischen »Schule« entstanden und mit der jahvistischen Ur- und Patriarchengeschichte verbunden ist1, wenn man nicht geradezu denselben Verfasser hier wie dort am Werke sehen will2. Es handelt sich ja bei seiner Darstellung wie schon in der Erzählung von der Werbung um Rebekka (Gen 24) oder auch in der Josephsgeschichte (Gen 37ff.) wohl um die ersten Ansätze einer rationalen, mit den Mittelursachen rechnenden Geisteshaltung, wie sie in der internationalen Bildungsschicht der »Weisen« verwurzelt sind3, aber es handelt sich keineswegs um eine aufklärerische Leugnung der Möglichkeit unmittelbaren Gotteshandelns oder seiner T a t s ä c h l i c h k e i t bei anderen Gelegenheiten, von denen die Tradition zu berichten weiß. An der Wirklichkeit solcher Überlieferung kennt der Erzähler keinen Zweifel; in schlichter Wahrhaftigkeit aber schildert er das, was er erlebt hat, ohne dramatische göttliche Manifestationen, die der Geschichte seiner Tage versagt waren. Auch dort, wo primär der Mensch handelt und das göttliche Tun in Reaktion auf Ungehorsam, auf Bundesbruch oder bundesgemäßes Verhalten des menschlichen Partners erfolgt, weiß es der israelitische Glaube, an dem der Jahvist seinen vollen Anteil hat (vgl. nur Gen 18x4!), nicht anders, als daß auch dies von »menschüchen« Affekten des Zornes, der Liebe, der Treue, des Ehrwillens gesteuerte Handeln Jahves in der Wahl seiner Mittel völlig souverän ist und an keine andere Grenze gebunden als an sein eigenes Wollen4. In der Profetie gelangt er auf seinen Gipfel: Der heidnische Herrscher, mag er Sanherib oder Kyros heißen, die Kräfte der Natur und die Wesen der anderen Welt stehen Jahve frei zu Gebote, finden aber auch an seinem Willen die entscheidende Grenze ihrer Macht6. Er verwirft das Werkzeug, das mehr sein will als Axt und Säge (Jes lOsff.), vor ihm vergeht auch das Mächtigste und Festeste in der Welt: Tag des Kriegsherrn Jahve wider alles, was hoch und erhaben, wider alles, was ragend und hehr: 1 Zur Geistesverwandtschaft des Jahvisten mit der Thronfolgeerzählung, vgl. meine Althebr. Lit., Potsdam 1934, S. 108f„ 116f. 2 So G. HÖLSCHER, Geschichtsschreibung in Israel, Lund 1 9 6 2 , S. 2 7 , auch S. 6 7 Anm. 2 . 3 Zum Zusammenhang des Jahvisten mit der Ideologie der »Weisen« vgl. meine Ausführungen DLZ 49 (1928), S. 705ff. und Althebr. Lit. S. 113; speziell für die Josephsgeschichte jetzt G. VON RAD, Vet. Test. Suppl. I (1953), S. 120ff.; zu den Anfängen der Einwirkung eines »rationalen Faktors auf die religiösen Anschauungen« beim Jahvisten auch G. HÖLSCHER, Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung (Sitzungsber. Heidelberger Akad., Phil.-Hist. Kl. 1941/42, 3), S. 101. 4

Vgl. meine ältere Arbeit: Altes Testament und Geschichte, Gütersloh 1930,

S. 16ff. s

Vgl. mein Gott und Mensch im AT 2 , Stuttgart 1936, S. 33ff.

H e m p e l , G l a u b e , M y t h o s u . G e s c h . i. A T .

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wider alle Libanonzedern, / wider alle Basanseichen, wider alle ragenden Berge, / wider alle erhabenen Höhen, wider alle hohen Türme, / wider alle festen Mauern, wider alle Tarschisch-Fahrer, / wider alle schönen Schiffe, Menschenhochmut beugt sich, / Mannesstolz vergeht. Erhaben ist J a h v e allein / an jenem Tage (Jes 212-18).

Die Macht Jahves ragt weit über Menschenmaß hinaus. Wie er die physiologischen Bedingungen des weiblichen Lebens, die Natur der Schlange und die Fruchtbarkeit des Ackers durch sein Wort wandelt, so schwindet vor ihr alle Herrschaft der Dämonen. Dort zumal ist sie ausgeschaltet, wo der Glaube die Geschichte in göttlicher Verstockung — beim Jahvisten des Pharao der Plagenerzählung — als der Ursache menschlicher »Sünde« und in der Erfahrung der Unmöglichkeit menschlicher Buße im Geschlecht der »Jünger der Bosheit« (Jer 13 23f.) streng theozentrisch deutet und das Walten Gottes — ich wiederhole: ohne die Möglichkeit äußeren Eingreifens zu bestreiten — in das Innere der Menschenseele verlegt, das neue Herz, den neuen Geist erhofft und erbittet; der »seelischen« Wandlung wird aus derselben göttlichen Macht die äußere folgen. Reines Wasser spreng' ich über euch, daß ihr rein werdet von allen euren Unreinheiten und von allen euren Befleckungen will ich euch säubern. Dann gebe ich euch ein neues Herz und gebe einen neuen Geist in eure Brust und nehme das steinerne Herz aus eurem Leib und gebe euch ein fleischern Herz. Dann senke ich meinen Geist in eure Brust und mache euch zu Menschen, die in meinen Geboten wandeln, meine Satzungen bewahren und ausführen. Dann dürft ihr in dem Lande bleiben, / das ich euren Vätern gab, und werdet mein Volk sein, ich werde euer Gott sein. Dann mach ich euch frei von all' euren Unreinheiten, und rufe das Korn herbei und mehre es und gebe euch keine Hungersnot mehr. Ich mehre die Frucht der Bäume / und den E r t r a g der Erde, damit ihr keine Schmach der Hungersnot mehr tragen m ü ß t unter den Völkern. Gedenkt ihr dann an eure bösen Wege und unguten Taten, so werden euch eure Verschuldungen und Greuel anekeln. Nicht u m euretwillen t u e ich es, — ist der Spruch Jahves, — das sei euch kund, Ihr sollt euch schämen und Scham empfinden über eure Wege, Haus Israel (Ez 36 25-32).

Aber so weit, wie noch einmal unterstrichen sei, die Macht Jahves alle irdischen Größen überbietet: sein Walten bleibt in seiner Begründung dem »Kreis menschlichen Lebens, seiner Affekte, Motive«

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um so mehr verhaftet, als ja die Formen, in denen für den israelitischen Glauben die Eigenart der Beziehung zwischen diesem einen Gott und diesem seinem Volk zum Ausdruck kommt, nämlich sowohl der »Bund« als göttliche Setzung als der spezifisch deuteronomische Gedanke der »Erwählung«1, Daseins- und Rechtsgestaltungen aus dem »Kreis menschlichen Lebens«, in den Sitten menschlichen Rechtes zustandegekommen, darstellen. Auch die grandiose Wucht der Ausmalung der Sinaitheophanie kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Mahl der Ältesten auf dem Gottesberg ebenso wie die Urkunde, von Gott oder dem Offenbarungsmittler beschrieben, oder das heilige Buch, auf das die Volksgemeinde sich verpflichtet, die göttliche Stiftung in menschlichen Farben malen, damit aber zugleich sein Walten an die menschlich-sittlichen Maßstäbe der »Treue«, der Eideserfüllung binden, es ethisch schematisieren, wenn es als göttlich geglaubt werden soll. Der nach menschlicher Norm »unsittlich« handelnde Gott wäre kein »Gott«, nur daß eben diese Norm selbst als gottgesetzt und nicht als von Menschen geschaffen geglaubt wird. Wie groß aber die Spannweite den Darstellungsmöglichkeiten göttlichen Waltens einerseits in derartigen äußeren Wundern 2 wie dem Donnern und Rauchen des Berges, andererseits in der inneren Lenkung des Menschenherzens selbst bei Schriftstellern nicht sehr weit voreinander abstehender Zeiten, aber verwandter Problemlage (Rettung des »Frommen«) zu sein vermag, zeigt ja das Nebeneinander des Estherbuches und der Daniellegenden. Die verhaltene Art, in der der hebräische Text des erstgenannten Werkes redet, will die Wirklichkeit göttlichen Walt ens gewiß nicht leugnen, auch wenn er den Alexandrinern nicht »fromm« genug erschien und daher von ihnen »verbessert« werden mußte. Für die Thronfolge-Erzählung — um auf sie zurückzukommen — gilt im Leben des Volkes, was Rebekkas Brüder dahin aussprechen, daß, wo Gott etwas plant, der Mensch weder J a noch Nein zu sagen, sondern schlicht zu gehorchen hat (Gen 24 50 50 20). Für den verwandten Glauben der Josephserzählungen sollte dabei nicht übersehen werden, daß sie »das Handeln Gottes« nicht »in eine radikale Verborgenheit, Fremdheit und Unerkennbarkeit verweisen«3. Wissen sie doch die höchst konkrete Aussage darüber zu machen, daß es »gut« ist, gut im Sinne der Lebenserhaltung! Gewiß kann man dies »gut« erst nachträglich erkennen, aber nachträglich eben doch mit voller 1 Zum Bund als göttlicher Setzung vgl. vor allem J. BEGRICH, ZAW 60 (1944), S. lff., auch P. VAN IMSCHOOT, Nouv. Rev. Theol. 74 (1952), p. 78öff.; zur Erwählung jetzt T H . C. VRIEZEN, Die Erwählung nach dem AT, Zürich 1953, auch H . H . ROWLEY, The Biblical Doctrine of Election, London 1950. 2 Zum Problem vgl. auch J. BLOCH, On the Apocalyptic in Judaism (Jew. Quart. Rev., Monogr. Ser. II), Philadelphia 1953, p. 6. 3 G. VON R A D a. a. O. S. 126.

2*

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Klarheit, und zwar im Gegensatz zu allem »Bösen« menschlichen Tuns. Die Möglichkeit der existentialen Interpretation des Jahvisten darf nicht gegen die »realistische« Intention seiner mythischen Erzählungen gekehrt werden, so verlockend ein solcher Ausweg unter apologetischem Gesichtspunkt erscheinen könnte 1 . Wieweit etwa im NT die Verhältnisse hinsichtlich einer existentialen Interpretation der Auferstehung Jesu bei Paulus und Johannes ähnlich oder anders liegen, darf uns hier nicht beschäftigen und der Seitenblick darauf die Erkenntnis der in Gen 2f. vorliegenden Tatbestände nicht beeinflussen. Nicht wesentlich anders liegen die Dinge bei dem Schöpfungsbericht in Gen l 2 , so sehr es sich bei ihm geltend macht, daß er in ganz anderer Weise reflektiert ist, als der bisher besprochene Text. Ich denke dabei nicht allein an die tageweise Aufgliederung der Schöpfung und an die darin sich spiegelnde erstaunliche Ahnung der Phylogenese des organischen Lebens als vielmehr an die theologische Polemik gegen die babylonische Kosmogonie in einer Zeit, in der Bel-Marduk, der junge Gott in der Abfolge der Göttergenerationen, zum Herrn des Weltreiches aufgestiegen ist. Sein Anspruch auf das Regiment wurde einst durch den Götterruf des Schöpfungstages: »Marduk ward König« legitimiert und wird jetzt an jedem Neujahrstag im Mimus vor der andächtigen Gemeinde neu anerkannt und bestätigt. Er, der Herr des zaubergewaltigen Wortes, der Sieger über die Tiamat und ihre Helfer, hat als der Bildner und Ordner der Welt das unumstößliche Recht auf das Sultanat über alle Lande. »Im Anfang 1 Vgl. die apologetische Abzweckung auch in Divino afflante Spiritu: Cognitis igitur acurateque aestimatis antiquorum loquendi scribendique modis et artibus, multi dissolvi poterunt, quae contra Divinarum Litterarum veritatem fidemque historicam opponentur (a. a. O. p. 22). a Zu Gen 1 verweise ich auf meinen seit vier Jahren gesetzten Aufsatz »Priesterschrift« in P A U L Y - W I S S O W A - K R O L L - Z I E G L E R . In der Datierung gehe ich jetzt gegenüber Althebr. Lit. S. 151 (etwa 660 a. c) um etwa 60 Jahre hinauf in die Zeit, in der Babylonien sich in der Katastrophe des assyrischen Reiches anschickt, die Herrschaft im Westen zu übernehmen. Ich überhöre dabei den leisen dualistischen Unterton nicht, der in Gen 1 2 die Finsternis und das Wasser als chaotische Mächte von der Schöpfung ausnimmt, sie vielmehr eingrenzt, auch nicht, daß in den AhuraMazda-Bekenntnissen Darius' I. der fremde Gott als der Schöpfer betont wird, Gen 1 also gegen ihn gerichtet sein könnte. Allein auch gegenüber der neuesten Datierung in die frühe Perserzeit — C . A. S I M P S O N , Interpreters Bible I ( 1 9 5 2 ) , p. 4 6 0 — scheint mir nicht nur die innerisraelitische Polemik der Priesterschaften untereinander, die vorausgesetzte Stellung zu Edomitern und Arabern und das Fehlen jedes »Zionismus«, sondern gerade die eigenartige Stellung zu den babylonischen Mythen für eine Zeit zu sprechen, in der das glaubensstärkende Bekenntnis wider Marduk in der Priester- wie in der Laienunterweisung das erste Erfordernis war. In die gleiche Zeit weisen kalenderische Erwägungen; vgl. E. A U E R B A C H , Vet. Test. I I ( 1 9 6 2 ) , p. 3 4 1 .

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schuf Gott« — und das heißt für alle Hörer und Leser des Textes: unser Gott! — »Himmel und Erde«. Da ist — angesichts der oft aufgezeigten Beziehungen zu Enuma Elis muß man sagen: mit bewußter Absicht! — der theogone Mythos getilgt. Als erste Tat des ersten Subjektes schuf E R den Kosmos, nicht durch den Waffensieg über die vorweltlichen Ungeheuer, sondern allein durch sein machtgeladenes grenzensetzendes, daseinwirkendes Wort, und eine unzerreißbare Linie führt auch hier — wie im Babylonischen vom Drachensieg zur Gründung der Stadt und ihres Tempels — über ein heute verlorenes Zwischenstück, das die Perversion der »sehr guten« Welt in die dem Untergang geweihte geschildert haben muß1, zur Sintfluterzählung, über diese selbst und über die Urväter zur Gottesoffenbarung des El Schaddai an Abraham und des Jahve an Mose. In dieser Kette ist kein Raum für ein Walten der Dämonen2, sei es als Helfer, sei es als Gegner des weltenschaffenden Gottes, wie sie beim Jahvisten in der Gestalt des Cheruben am Paradiesestor und in den Göttersöhnen als Väter der Riesen doch noch am Rande des Geschehens auftauchen. Wiederum ist zu betonen, daß für die Priesterschaft, in deren Mitte die Texte der Novizenunterweisung und der Laienbelehrung gedient haben, nachdem die dramatische Aufführung des Mythos abgestorben war, kein Unterschied im Wirklichkeitsgehalt zwischen der Erzählung von dem ersten Menschen, vom Stammvater und vom Volksgründer bestanden hat. Auf diesem Wirklichkeitsgehalt beruht ja doch das Entscheidende: die Weltherrschaft des eigenen Gottes, die allein seine Verheißungserfüllung sicherstellt. Hier geht es wirklich um die Urgeschichte, ohne welche die Volksgeschichte keine Sicherheit besitzt und ohne welche die gesamte Geschichtsschau einen ihrer großartigsten Züge verlöre: Die Einheit aller Geschichte in der Einheit des weltordnenden und weltregierenden Gottes. Weltgeschichte aber vollzieht sich in den ineinander geflochtenen Geschicken der Nationen, ihren Machtkämpfen, Siegen, Niederlagen, Vernichtungen! Was H Ö L S C H E R für den Jahvisten eindrücklich gemacht hat, die politische Ausrichtung seines Werkes3, gilt erst recht und um1

Der Grundsatz der spiegelnden Strafe ließe an einen Frevel wider das Leben

denken. 2 Vgl. die Bemerkungen von G. HOWE, der Mensch und die Physik (Echo der Zeit 8), Oldenburg (Oldenb.) 1953, S. lOff. über die »Entmythisierung und Entdämonisierung der W e l t « in Gen 1 als Abkehr von einer »Kultur der ersten Generation«. Wenn ich für die Weltordnung aus dem Gotteswort bei P die Eingliederung in den »Mythos« beibehalte, so um der eingangs gegebenen Definition willen, um nicht das Gespräch mit terminologischen Erörterungen zu belasten. Daß die Tilgung des theogenen Mythos wie des Drachenkampfes eine entscheidende i n h a l t l i c h e Eingrenzung des Mythos bedeuten, dürfte deutlich genug geworden sein. 3

Geschichtsschreibung

S. 109 ff.; zum Zusammenhang

von Schöpfung und

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fassender auch für den Priesterkodex, wie es im Kern für den israelitischen Glauben überhaupt gilt. Politik und Geschichte gehören ihm zusammen. Mögen später in der Prophetie die Glaubensforderungen an das Volk wie erst recht an den König oft genug »unpraktisch« sein und der Gang der Geschichte von innerweltlichen Voraussetzungen her nicht mehr erklärt werden können1, so bestätigen sie mit ihrer Ableitung des politischen Zusammenbruchs aus dem göttlichen Walten doch nur das eben Gesagte: auch im Mythos geht es um die Grundlegung der Geschichte samt der Gegenwart, in der man lebt und sicher leben kann, weil der Gott, in dessen Hand man sich weiß, von Uranfang an der Herr ist, dem die Welt gehört hat, gehört und immer gehören wird. Auch hier mögen wir versuchen, den Mythos existential zu deuten und dabei betonen, daß sich in ihm ein ganz bestimmtes Selbstverständnis spiegelt, für welches der Mensch — kraft der demokratischen Grundhaltung Israels nicht nur der König! — gegenüber allem Seienden auf die Seite des Gottes gehört, der ihn nach seinem Bilde schuf2, ein Selbstverständnis, das gegenüber dem babylonischen Glauben an das göttliche Blut in unsern Adern Verwandtschaft und Abstand im Gleichgewicht zu halten sucht 3 , und wir mögen den Wahrheitsgehalt dieses Existenzverständnisses bejahen oder leugnen: für den Priester geht es um etwas, was für ihn ein »objektives« Widerfahrnis in der Zeit ist, ein Widerfahrnis, ohne welches die Zeit, in der es sich ereignet hat, nicht den Namen tragen könnte, den sie erhält: Im A n f a n g schuf Gott die Welt! Auch die Tatsache, daß durch den Wegfall des Mimus die abstrakte Aufreihung der göttlichen Tagewerke die lebendige Bildhaftigkeit alter mythischer Stoffe verdrängt und den Text näher an die Begrifflichkeit »philosophischer« Darlegungen heranrückt, nimmt ihm seinen mythischen Charakter nicht. Steht so am Anfang keine Kluft zwischen Mythos und Geschichte, so gilt das Gleiche für Ende und Ziel aller Geschichte, an dem sich Weltherrschaft Jahves vgl. H. Groß, Weltherrschaft als religiöse Idee im AT (Bonner Bibl. Beitr. 6), 1953, S. 36ff. 1 Vgl. F . WEINRICH, Der religiös-utopische Charakter der »prophetischen Politik«, Gießen 1932, dessen Ausführungen auch durch die Anklage auf ein »geheimes idealistisches Rezept« in seiner Exegese ( H . - J . K R A U S , Prophetie und Politik, München 1962, S. lOf.) nicht widerlegt sind. 3 Zum Bild Gottes, dieser immer wieder verhandelten Frage der Exegese, vgl. L. KOEHLER, Theol. Zeitschr. 4 (1948), S. 16ff„ der mit Recht für Gen 129 betont, daß die Termini fäläm und demut »Würde und Einzigartigkeit der Erscheinung Gottes« — entsprechend der Grundhaltung des P — wahren. Zum König als falmu des (Sonnen-)Gottes in assyrischen Texten der Sargoniden-Zeit vgl. zuletzt F. M. TH. DE LIAGRE-BÖHL, O p . 3

min. p. 403.

Vgl. meine Ausführungen Ethos des AT, Berlin 1938, S. 200f., und ZAW 67 (1939), S. 85.

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wiederholen wird, was am Anfang geschah, ja man kann sagen, daß die Zukunftserwartung in manchem die mythischen Züge lebendiger bewahrt hat, vor allem den Drachenkampf selbst. Daß es sich dabei für den israelitischen Glauben um eine neue Wundertat seines Gottes, des ersten und des letzten, des »Ewigkeitsgottes«1, nicht aber um eine auch ihn verschlingende Götterdämmerung handelt, dürfte nach dem, was wir von seinem »Leben« zu sagen hatten, nicht zweifelhaft sein. Sein Wort, in der Urzeit nach der großen Flut gesprochen (Gen 822), sein Bund mit Tag und Nacht hält jetzt die Welt in ihrem Bestand und zugleich — für das geschichtliche Bewußtsein des Jahveglaubens entscheidend! — den Bestand Israels und der davidischen Dynastie: Verletz' ich meinen Bund mit Tag und Nacht, die heil'ge Regel Himmels und der Erde, dann erst verwerf ich David, meinen Knecht, daß ich aus seinen Söhnen den nicht nähme, der über ihrer Väter Kinder herrsche, denn ihr Gefängnis wend' ich voll Erbarmen (Jer. 32 25t.)! So spricht Jahve, der die Sonne bestellt zum Lichte des Tags, den Mond und die Sterne zum Lichte der Nacht, der das Meer gepeitscht, des Wogen tosen, Kriegsherr Jahve, das ist sein Name: »Wenn diese heil'gen Regeln vor mir wanken« ist Jahves Spruch, »dann, dann nur hören Israels Schößlinge auf, ewiges Volk zu bleiben vor mir« (Jer 3l35f.).

Es ist sein Tag, der als Dunkel und Nichtlicht (Am 5 18) über die Welt hereinbricht: Erde wankt vor ihm, / die Himmel beben, Mond und Sonne bleichen, / Sternenglanz verlischt. Jahves Schall ertönt, / mächtig ist sein Heer, kräftig wirkt sein Wort, / groß ist Jahves Tag. Zeichen am Himmel, / Zeichen auf Erden! Blut laß ich werden, / Feuer und wirbelnden Rauch! Vor dem Tage Jahves / Sonne verwandelt in Dunkel / Mondlicht entartet in Blut (Joel 2 lOi. 3 3f.)!

E r ist das erste Subjekt der neuen Welt: Neuen Himmel schaff ich, neue Erde! Keiner mehr gedenkt der ersten, keiner trägt sie mehr im Herzen (Jes 6517). 1 Zum 'Ihj 'Im Jes 4028 (vgl. E. J E N N I , ZAW 65 (1953), S. lff.) ist als Parallele die 'lt 'Im 'sr(t), die »Ewigkeitsgöttin Aschera«, aus einem aramäischen Amulett vom Arshlan Tash heranzuziehen; vgl. W. F . A L B R I G H T , Bull. Am. Schools Orient. Res. 7 6 (1939), S. 6ff.

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Es ist nun aber kennzeichnend für den geschichtlichen Geist der Jahvereligion, daß nicht nur diese Ausmalungen der letzten Katastrophe und der Weltenneuordnung zu Einkleidungen des Gerichtes Jahves über die »Heiden«, die nach 587 bestgehaßten Edomiter zumal (vgl. z. B. Jes 34i-8), oder zu Bildern der Heilsverheißung für sein eigenes Volk geworden sind; müssen die ungerechten Richter in der Exhomologese bekennen1: Den Sirius schuf er, den Orion, das Dunkel wandelt er in Dämmer, verfinstert Tag in schwarze Nacht, Er ruft der großen Meeresflut und gießt sie auf das weite Land. »Jahve«, das ist sein Name (Am 6 8 ; vgl. 95f.),

so wird sein Schöpfungswort in der Volksgeschichte, in der Wiederaufrichtung Jerusalems sich wiederholen: So spricht J a h v e , der dich beschützt 2 , vom Mutterschoß an dich g e m a c h t : »Ich bin Jahve, der alles schuf, allein den Himmel aufgespannt, freiwillig Erdengrund gelegt, der Priester Zeichen arg verwirrt, in W a h n Wahrsagerschar gestürzt, die Weisen weit davon gejagt, zu Spott die Wissenschaft gemacht, bestätigt seines Knechtes Wort, auch seiner Boten R a t erfüllt, Jerusalem gesagt: »Sei Heimstatt«! zu J u d a s S t ä d t e n : »Seid gebaut«!, zur Tiefe sprach: »Versiegen mußt du, ich trockne deine Ströme aus«!, von Kyros sprach: »Mein Freund ist er; was ich nur will, das führt er aus«!, zur Heil'gen S t a d t : »Man soll dich bauen«!, zum Tempel: »Sollst gegründet sein«! ( J e s 44 24-28).

Es ist vielmehr zu beachten, wie lebendig gerade bei Deuterojesaja, aber nicht allein bei ihm zwischen das Gotteswalten in der Urzeit und das ihm analoge in der Endzeit eine Historisierung des Mythos »zwischengeschaltet« ist. An die Stelle des Chaos-Drachenkampfes als des Anfangs aller Geschichte ist vielfach der Beginn der Volksgeschichte getreten, die Befreiung aus Ägypten 3 und eben dieses Zu dieser Rechtsform vgl. F. HORST, ZAW 67 (1939), S. 46ff. Zu dieser Bedeutung der Wurzel g'l vgl. A. R . JOHNSON, Vet. Test. Suppl. 1 (1963), p. 67ff. 3 Zum Gedanken des neuen Auszugs (aus Babylonien) als des Beginnes der endgültigen Heilszeit vgl. J . FISCHER, Theol. Quartalschr. 1 1 0 ( 1 9 2 9 ) , S . l l l f f . , ferner e t w a 1

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Ereignis wird nun seinerseits mit mythischen Farben gemalt und in eben dieser Ausformung in die Zukunft projiziert. Der neue Auszug — aus Babylonien — bedeutet nun den Anbruch der letzten Zeit: Bist du der der Bist du der

nicht der Held, die Rahab zerschmiß, den Lindwurm durchbohrt ? nicht der Held, die Meerflut zerteilt, den gewaltigen Schwall? Der durch Meersfluten vorlängst gebahnt den Erlösten den rettenden Pfad ? Die Jahve erkaufet, die kehren nun heim und ziehen gen Zion mit Jauchzen, ihre Häupter mit ewiger Freude gekrönt, von Wonne und Freude geführt bei der Hand! »Ich bin's der euch tröstet! Wen fürchtest du denn ? Einen Menschen ? Der stirbt! Ein Menschlein ? / Vergeht wie das Gras! Vergißt du Jahve, ihn, der dich doch schuf, der den Himmel gespannt, der die Erde geformt ? Du aber bist ängstlich von Tage zu Tag, vor des Fronvogtes Grimm, / der auf Schaden nur sinnt ? Wo bleibt denn des Fronvogtes Grimm? (Jes 519-13).

Neben den »Anfang« im Auszug aus Ägypten aber tritt der »Anfang« in den Ereignissen der davidischen Zeit, die damit gleichfalls zur »Urzeit« wird1, deren Geschehen sich im Kultus wiederholt — in der Inthronisation des jeweiligen Davididen — und die sich dereinst vollenden wird. Das kann so geschehen, daß David selbst als eine Art Barbarossagestalt wiederkehrend geglaubt wird2, sei es, daß David die Zustände, wie sie unter ihm waren, neu heraufführt, sei es endlich, daß gar in einer angesichts der konservativen Grundhaltung Jesajas 3 gerade bei ihm doppelt beachtenswerten antidynastischen Zuspitzung der Kritik an dem lebenden Herrscher auf die vorkönigliche Zeit zurückgegriffen wird 4 : J . B E G R I C H , Studien zu Deuterojesaja, Stuttg. 1 9 3 8 , S. lOOf. und neuerdings C . R . NORTH in: Studies in O T Prophecy, pres. to Prof. T H . H. R O B I N S O N , Edinburgh 1950, p. 116ff. 1 Zum Problem vgl. A.-J. K R A U S , Die Königsherrschaft Gottes im AT, Tübingen 1951, S. 55 Anm. 1. 2 Siehe unten S. 37 2 . Trotz des davidum ( = »Häuptling«) der Mari-Texte — vgl. zuletzt A. J I R K U , Forschungen und Fortschritte 1953 — wird man bis auf weiteres »David« als Namen des ersten gesamtisraelitischen Königs zu benutzen haben. 3 Vgl. vor allem 3 1-7 und dazu meine Worte der Propheten, Berlin 1949, S. 121 ff. 4 Zur antidynastischen Wendung der Zukunftserwartung vgl. H . G R E S S M A N N , Der Messias, Göttingen 1929, S. 238f., 438f.; H. W. W O L F F , ZAW 54 (1936), S. 2001, auch meine Ausführungen Alter Orient 38 (1938), S. 12f.

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Weh! Wie ward zur Hure / Treuenburg! Einst erfüllt vom Recht, drin Gerechtigkeit gewohnt, und nun nichts als Mörder! Taube Schlacke ward dein Silber, Wasser deinen Wein verschnitt! Deine Fürsten meutern, / bilden Diebesbanden, lassen all' sich schmieren, / raffen all' Geschenke! Schaffen niemals Recht den Waisen, achten nicht der Witwe Rechtsstreit. Darum: Spruch des Herrn, / des Kriegsherrn Jahve, Israels gewalt'gen Herren: »Räch' mich, ha! — an meinen Gegnern, still' den Haß an meinen Feinden! Recke wider dich die Hand, schmelz im Ofen deine Schlacken / und vertilge all' dein Blei! Geb' dir wieder deine Richter, wie am Anfang sie gewesen, deine Ratsherrn, wie sie eh'dem bei dem Anbeginne waren Nenn dich dann: Du Stadt des Rechtes, Treuenburg!« (Jes 121-27).

Für das sündige Jerusalem der Gegenwart des Propheten mag die Erwartung der Wiederkehr der davidischen Zeit dann freilich auch dies bedeuten, daß die Schrecken der Belagerung, die es damals durchzustehen hatte, als der König mit seiner Söldnertruppe wider die Stadt zu Felde zog, sich wiederholen werden, doch so, daß im allerletzten Augenblick die große Wende aus Jahves Allmacht eintritt. Denn wie die Weltordnung auf das Chaos folgt, das Jahve einst gebannt hat, so gehört das letzte Wort der Endzeit nicht der Not, sondern der Rettung durch den Gott, der diesem Volk sein Wort verpfändet hat. Die Naturbedingtheit, die göttliche Machterweisung und sein geschichtlicher Heilswille schaffen gemeinsam und gleichgerichtet an dem Bild, das Jesaja in einem Wortspiel malt, das im Deutschen schlechthin unnachahmlich ist: Ha! Ariel, du Gottesherd, du Nabel der Welt! Du Stadt, da David Lager schlug! Fügt Jahr zum Jahr / im Festeskreise! Ich bedräng den Ariel, des wird Stöhnen sein und Klagen. Wirst für mich ein Opferherd, wie einst David schlag' ich Lagerl Stelle Posten gegen dich, / baue Wälle wider dich, daß du tief am Boden redest, aus dem Staub gedämpft nur sprechest, wie ein Totengeist vom Boden, aus dem Staub die Stimme wimmert.

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Da! Wie flüchtiger Staub / die Schar deiner Feinde, wie verfliegende Spreu / die Schar der Gewalt'gen! Plötzlich, ganz jählings geschieht's: wirst besucht vom Kriegsherrn Jahve mit Brausen und Beben, / gewaltigem Lärm, mit Sturmwind und Sausen / mit Flamme von fressendem Feuer. Wie ein Traum, / ein Gesicht bei der Nacht wird werden die Schar aller Völker, wider Ariel Heeresdienst leistend, und all' ihre Posten, ihre Wälle zumal und alle, die sie bedrängen. So wird es sein: Ein Hungriger träumt, er esse; erwacht er, ist leer sein GebißI So wird es sein: Ein Durstiger träumt, er trinke; erwacht er, vergeht seine Kraft und trocken verbleibt seine Kehle. Genau so ergeht es der Schar aller Welt, so den Zionsberg feindlich berennen (Jes 291-8)1

Ein Vergleich dieser Erwartung mit der späteren Gog-MagogWeissagung bei Ezechiel führt auf die viel verhandelte Streitfrage, wieweit im Einzelfall die prophetische Zukunftsschau [als innerzeitlich oder als »eschatologisch« anzusprechen sei1, wieweit also ein angekündigtes Ereignis als das letzte und zugleich als das erste — das letzte dieser und das erste der kommenden Welt! — zu gelten habe. Sie gewinnt von unsern Beobachtungen aus ein anderes Aussehen. Insofern in der Erwartung des Kommenden der Mythos h i s t o r i s i e r t (und damit, wie schon betont, politisiert) ist, entscheiden mythische Einzelzüge nichts für einen eschatologischen Sinn des Ganzen, so wenig einzelne eschatologische Motive, von einem Dichter genutzt, ihn bereits zum »Eschatologiker« werden lassen2. Vielmehr besteht die besonders energisch durch S. MOWINCKEL vorgetragene aktuelle Deutung namentlich der Drohungen in der älteren Prophetie völlig zu Recht 3 . Die den Chaosdrachen, den Jahve bezwingt, vertretenden Feindvölker und ihre Könige sind die geschichtlichen Widersacher des Volkes und seines Gottes, so wie in den nächstverwandten Plagen in den Flüchen über den Vertragsbrüchigen in der Stele von Sudschin und den ihr analogen assyrischen Staatsverträgen 4 reale, hier und 1 Für eine Spezialfrage vgl. W. VOLLBORN, Innerzeitliche oder endzeitliche Gerichtserwartung (Diss. theol. Greifswald), Kiel 1938. 2 So J . LINDBLOM, The Servant Songs in Deutero-Isaiah (Lunds Universitets Ärsskrift, N. F., Avd., 1. Bd. 4 7 : 6 ) , p. 104. 3 Han som kommer, Kopenhagen 1951, S. 92 unter Betonung des politischen Charakters der Erwartungen; zur Frage Politik, Mythos und Geschichte vgl. oben S. 21 f. 4 Zur Stele von Sudschin vgl. S. RONZEVALLE, Mel. Univ. St. Joseph Beyrouth,

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jetzt erwartete Leiden herabbeschworen werden. Analog zeigt der Einbau von prophetischen Heilssprüchen mythischen Charakters — Umwandlung der Natur (II Reg 3 16 f.) und Nichtleerwerden von Mehllade und Ölkrug (I Reg 17 u ) — in die Eliaslegende und ihre Nebenordnung neben weniger »wunderhaft« formulierte (II Reg 4 43 7 l) 1 , daß auch in der verheißenden Zukunftsschau der mythische Einzelzug für das eschatologische Verständnis im strengen Sinne nichts beweist. Sofern wir aber die mythischen Züge als solche ins Bückfeld fassen, werden wir uns daran zu erinnern haben, daß innerhalb der israelitischen Frömmigkeit das gemeinorientalische Kreislaufdenken2 durch den Glauben an die Weltenneuordnung als an das e i n m a l i g e Ziel des geschichtlichen Gotteswaltens aufgespalten ist und wir werden von da aus jene Züge im strengen Sinne »eschatologisch« zu deuten haben. Kreislaufdenken und Eschatologie schließen einander aus; ja darüber hinaus steht der Mythos als solcher, sofern er die gegenwärtig in der Welt herrschende Ordnung erklären — und im Kultdrama sichern — will, zu jeder Eschatologie und ihrer Betonung eines Endes in einer gewissen Spannung3. Aber der hoseanische Gedanke einer göttlichen Erziehung oder der jesajanische eines Geschichtsplanes Jahves4 lassen das Kommende nicht als das Ergebnis einer kosmischen Notwendigkeit, sondern als das Willensziel seines Gottes erscheinen, ohne daß darüber die mythischen Vorstellungen (z.B. der urtümliche Paradiesesfriede zwischen den Tieren selbst und zwischen ihnen und den Menschen) verändert oder gar aufgegeben werden müßten5. Ist es doch eine richtige Beobachtung vonTH.BoMAN, daß für die Semiten »die Zeit identisch ist mit ihrem Inhalt«, die »Zukunft« also inhaltlich bestimmt ist als das in der allgemeinen, mythisch geprägten Erwartung auf das Volk »Zukommende«8. Eine genauere X V , 7, 1931 und H. BAUER, Archiv f. Orientforsch. 8 (1932/33), S. l f f . ; den Text auch Z A W 50 (1932), S. 178ff. Die verwandten assyrischen Verträge vgl. bei E. F. WEIDNER. A f O 8 (1932/33), S. 17ff. 1 Vgl. W.REISER, Theol. Zeitschr. 9 (1953), S. 321 ff. * Vgl. S. B. FROST, Vet. Test. 2 (1962), S. 72ff. 3 Ebenda p. 70ff. 1

Vgl. J. FICHTNER, Z A W 63 (1951), S. 16ff.

• Darum schließt auch die Erkenntnis, daß der »Tag Jahves« in Am 5 18 der Kulttag ist, den mythischen Gehalt der an ihn geknüpften Erwartungen keineswegs aus; der Kultus ist die Einbruchsstelle des Mythos in die geschichtliche Wirklichkeit. ' Das hebräische Denken im Vergleich mit dem Griechischen, Göttingen 1962, S. 120ff. Seine Ersetzung sowohl der »Zeitlinie« als des »Zeitzyklus« durch den »Zeitrhythmus« bleibt freilich dem Kreislaufdenken ungewollt doch noch zu nahe. Richtiger erscheint die These von G. PIDOUX/ (Rev. Theol. Phil. 1962 p. 120ff.) von einer Aufnahme der »konzentrierten Zeit« in das »lineare« Zeitverständnis als Kennzeichen des israelitischen Zeitdenkens.

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Abgrenzung des Innerzeitlichen und des Endzeitlichen ist dabei freilich im Einzelfalle um so schwieriger, als derselbe Ausdruck ('ahärit) sowohl »Zukunft« als »Ende«, sowohl »später« als »schließlich« bezeichnen kann, die hebräische Terminologie also selbst ein EntwederOder ausschließt1. Für sich allein trägt ein Spruch wie Jes 27 1 zweifellos eschatologischen Charakter: An jenem Tage straft Jahve mit scharfem, großem, blankem Schwert den Leviathan, die flüchtige Schlange, den Leviathan, die geringelte Schlange und tötet den Drachen im Meer2.

Aber man kann fragen, ob im Zusammenhang der sog. JesajaApokalypse3 und der hinter ihr stehenden Ereignisse, wohl der Zerstörung des Marduktempels durch Xerxes im Jahre 485, der Sänger an die letzte Katastrophe denkt oder ob ihm der Drachenkampf der Ur- und Endzeit ein Bild für eben diese Vernichtung des feindlichen Gottes darbietet. Die historisierende Zwischenschaltung der Exodos stellt mindestens die Frage nach der Historisierung des kosmogonischen Mythos in seiner eschatologischen Wendung und damit nach seiner Entmythologisierung in demselben Sinne, wie wir sie bei dem Gottesleichenlied zu besprechen hatten. Wie aber steht es, so fragen wir nunmehr, mit dem soteriologischen Mythos, der seinerseits sowohl mit der Kosmogonie als mit der Eschatologie eng verknüpft ist? Ein ausgeführter HeilbringerMythos ist im AT — und, fügen wir sofort hinzu — im Umkreis des alten Orients — bisher nicht erhalten. Wohl aber weisen Spuren, bleiben wir zunächst beim AT, wie die Trösterrolle des Noah gegenüber dem Fluch wider den Ackerboden (Gen 5 29) oder die Gestalt des Abraham als des Segensträgers (Gen 12 3), vor allem aber der Menschengestaltige, der in Dan 7 in den Himmelswolken kommt und nach der Herrschaft der Tiere das Weltensultanat erhält4, darauf hin, daß einst ein größerer Reichtum vorhanden war. Die Ursache für das Zurücktreten mythischer Heilbringergestalten mag in den einVgl. T H . C. VRIEZEN, Vet. Test., Suppl. 1 (1953), p. 223. Vgl. die Ugarit-Parallele bei GORDON 67, I , lff., 27ff. 3 Vgl. J . LINDBLOM, Die Jesaja-Apokalypse Jes 24—27 (Lunds Univ.-Arsskrift 34: 3) 1938; zum Text denselben. Die Jesaja-Apokalypse in der neuen Jesajahandschrift (DSIa), S. 96. Hingegen denkt R. H. P F E I F F E R , Introduction to the OT, New York 1948, p. 448 wieder an die Kämpfe mit Seleukiden und Ptolemäern und möchte bis ins dritte Jahrhundert heruntergehen. 4 Das Material zu Noah als »Erlöser« vgl. bei W. STAERK, Die Erlösererwartung in den östlichen Religionen, Stuttgart 1938, S. 44ff., zu Abraham ebenda S. 48ff., zum Menschensohn S. 421 ff. und jetzt namentlich S. MOWINCKEL a . a . O . S. 261 ff. ; 282ff.; weitere Literatur ebenda S. 385 Anm. 601. 1

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zelnen Religionen und Kulturen des alten Orients jeweils verschiedene, in ihrer besonderen Struktur verankerte Gründe gehabt haben. In Ägypten, wo sowohl Re, der die Menschheit durch das Didi-Bier vor der Vernichtung durch die Hathor bewahrt, als auch Isis und Nephthys als Schützerinnen an der Leiche des Osiris, samt Horus, der dem Vater sein Auge schenkt, als Rettergestalten bekannt genug sind, erscheint der »Retter« völlig entmythologisiert in der Gestalt des Weisen der Vergangenheit, dessen Sprüche, zumal in der Form des Königstestamentes, ein Leben im Glänze des Beamtentumes, ja der königlichen Herrschaft sichern 1 . Im Sumerischen läßt das Gilgamesch-Epos seinen Helden wohl gewaltigen Ruhm ernten, aber nicht das »Leben« gewinnen, obwohl er das Lebenskraut, die Pflanze Moly der Odyssee, gefunden hat 2 . Die erschütternde Erkenntnis ist aufgedämmert, daß dies höchste Heil, das der alte Orientale begehrt, eben das Leben, ihm niemals zuteil wird, auch dem König nicht, und diese Erfahrung läßt den an sich zum »Heilbringer« Prädestinierten zum »tragischen Helden« werden, der das Heil wohl fand, dem es aber die arge Schlange geraubt hat! Damit ist das Königtum in den Bannkreis des TammuzGlaubens und -Kultus getreten, und das Babyloniertum hat diese ererbte Verbindung weitergetragen. Wenn aber im AT der soteriologische Mythos derart weitgehend verloren gegangen ist wie es tatsächlich der Fall ist, so in erster Linie wohl deshalb, weil das monotheistische Bewußtsein Israels sehr stark gegen jeden »Retter« neben Jahve reagieren mußte. Die ältere Heldensage ist darin noch unbefangen, daß sie in der Form des priesterlichen Heilsorakels für die bisher unfruchtbare Mutter 3 auch die Rettertat des kommenden Kindes ankündigt: Siehe! Unfruchtbar warst du, hast niemals geboren, doch schwanger wirst du, gebierst einen Sohn! Hüte dich wohl! Trink Wein nicht noch Met, iß niemalen unreine Speise. Denn siehe! Schwanger wirst du, gebierst einen Sohn, auf des Haupt soll kein Schermesser kommen. Denn gottgeweiht soll werden der Knabe vom Mutterschoß an. Hebt an, Israel zu retten aus der Philister Hand (Jdc 13 3-5). 1

Die Rettung der Menschheit durch Re: Text ANET p. 10f. ( J . A. W I L S O N ) ; Zusammenstellung ägyptischer Weisheitsschriften vgl. bei J . FICHTNER, BZAW 62 (1933), S. 3ff.; neueste Übersetzungen ANET 412ff. ( W I L S O N ) . ZU den Isis-HorusMythen (und -märchen) vgl. A. ERMAN, Die Religion der Ägypter, Berlin 1934, S. 68ff. 2 Zur Analyse des Gilgamesch-Epos vgl. jetzt F. M. T H . DE LIAGRE-BÖHL, Op. Min. 222ff., 237ff. und J. J. STAMM, Asiatische Studien 6, S . 9ff., zu Adapa als Heilgott auch BÖHL, S. 231 ff. — Die Frage, wieweit sich in dem Epos der Widerstreit des Sonnen- gegen den Tammuz-Kultus spiegelt, lasse ich dahingestellt. 3 Zu den Orakelsprüchen für unfruchtbare Frauen vgl. P . HUMBERT, AfO 1 0 ( 1 9 3 5 ) , S. 77ff.

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Noch deutlicher tritt die Unbefangenheit der Sage hervor, wenn wir die neutestamentliche Umbiegung danebenhalten: Der wird groß sein vor dem Herrn. Wein noch starkes Getränk wird er nicht trinken! Heiliger Geist wird ihn erfüllen vom Mutterschoß an. Viele der Israelsöhne wird er zum Herren, ihrem Gott, bekehren und wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft des Elias, die Herzen der Väter zu den Kindern zu kehren und Ungehorsame die Weisheit der Gerechten zu lehren, dem Herrn zuzurichten ein ihm bereites Volk (Lc 113-21).

Vom Mahabharata bis zu Vergil knüpft sich die Errettererwartung an die Geburt eines Segenskindes. Jesaja aber hat dadurch, daß er den Jubel über den Neugeborenen umbog in den Botenspruch über die Adoption des den Thron seiner Väter besteigenden Davididen zum Gottessohn1, in eben dieser Umformung den erwarteten Friedefürsten seinem Gott entscheidend untergeordnet und damit den lapidaren Schlußsatz mit seinem Hinweis auf den »Eifer« Jahves vorbereitet. In analoger Weise hat er den Isaisproß zum Heilswerkzeug seines Gottes gemacht, indem er seine geheime Wissensmacht und die Gottesfurcht, in der er lebt, als Gaben des Jahvegeistes feiert, der sich auf ihm niederläßt und ihn zum frömmsten Menschen erhebt2. In grausiger Umkehrung aber wird dem Propheten die Form des Heilsorakels zur Hülle für die Drohung mit der Geburt des »Gottstehunsbei«, aus dessen Namen erst Spätere den der Stilform entsprechenden verheißenden Klang herausgehört und daher in dem »Gottinunserer Mitte« den Heilbringer erwartet haben3. Auch der Immanuel aber 1 So A.ALT, Bertholet-Festschrift, Tübingen, 1950, S. 39 ff. zu J e s 9 s f . ALT will in 9 5 wajjiqqäre' statt wajjiqrä' lesen und damit die Gleichheit mit den passiven Formen jullad und nittan herstellen, wie das schon L X X getan hat. E s mag gefragt werden, ob nicht umgekehrt jälad und nätan herzustellen (mit J a h v e als selbstverständlichem, im Geheimton des Orakels nicht ausdrücklich genannten Subjekt), das Passiv aber als Anfang einer »Entmythologisierung« ähnlich anzusprechen ist wie das sofort zu erwähnende Impersonale in Deut 34 6 und analog dem Nifal statt des Qal bei dem Verbum rä'äh bei der Gottesschau im Heiligtum. 2 Zu J e s 11 lff. vgl. jetzt R . KOCH, Geist und Messias, Wien 1960, S. 72ff„ zur Auslegung in der alten Kirche (Irenäus) TH. RÜSCH, Die Entstehung der Lehre vom Heiligen Geist, Zürich 1952, S. 108. 3 A. C. W E L C H , Kings and Prophets of Israel, ed. N. W . P O R T E O U S , London 1962, S. 217 sieht die Doppelsinnigkeit des Immanuelzeichens gleichfalls, verlegt sie aber in den Propheten selbst: »But Immanuel is the agent of Yahweh and fulfills the purpose of Yahweh . . . and because the self-manifestation of Yahweh brings more than the destruction of whatever is opposed to him, the coming of Immanuel implies more than ruin. His advent has a positive content, because He serves One whose purpose is primarly for redemption«. Anders jetzt wieder H. R I N G G R E N , ZAW 6 4 (1952), S. 131ff., in dessen Ausführungen vor allem auf einen von W I D E N G R E N , Religion och

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ist nicht der Unheilsbringer selbst, vielmehr tritt die große Verödung des Landes, die Jesaja in seiner Berufungsvision erlebt hatte, bereits ein, bevor er in der Kraft der Gottesspeise gelernt hat, gut und böse von einander zu scheiden1, ebenso wie der »Raubebaldeilebeute« nichts ist als der Zeuge, in dessen frühester Jugend, noch ehe die ersten sinnvollen Laute von ihm gestammelt werden, die assyrische Katastrophe über Damaskus und Samarien hereingebrochen sein wird2. In die gleiche Richtung weist es, wenn die Liste der Urväter bei jedem einzelnen (mit alleiniger Ausnahme des Henoch) das »er starb« betont, wenn von Noah — wie mutatis mutandis von dem Sintbrandhelden Lot — eine nicht eben sehr ehrenvolle Erzählung gebracht3 und Abrahams Begräbnis geschildert wird4. Wenn für Moses trotz der mythischen Züge (ägyptischer Herkunft) in der Legende von seiner Geburt und Aussetzung im Nil5 und bei aller Betonung seiner bis zuletzt ungebrochenen »Kraft«9 dennoch die Zeit und der Bibel 7 (1949), S. 28f. beigebrachten Spruch auf die Geburt der Hatschepsut (mir nicht zugänglich) verwiesen sei. Meine eigene Auffassung habe ich Worte der Propheten S. 126f. näher zu begründen versucht. — Die ältere Literatur vgl. bei J . J . STAMM, Rev. TMol. Phil. 1944 (auch separat), der eine Unheilsbedeutung des 'immänü'el freilich für sprachlich unmöglich hält. Zur Deutung von »Gut und Böse« nicht im kumulativen ( = Allwissenheit), sondern im distinktiven Sinne vgl. zuletzt J . COPPENS, Analecta Lovaniensia Biblica et Orientalia, Ser. I I , 35 (1952), p. 17f. 1

2 Zum Namen vgl. auch A. JIRKU, Theol. Lit.-Zeitg. 76 (1960), Sp. 118 (gegen S. MORENZ, ebenda 74 (1949), Sp. 697ff.), der ugar. mhr »Krieger« (GORDON, Nr. 1147 »serviceman, soldier«) heranzieht und »Krieger der Beute, eilend an Raub« übersetzt. So verlockend eine solche persönliche Charakterisierung des Kindes wäre, so scheitert sie doch wohl an dem Parallelismus mhr // hS. 3 Zum Schlaf des Sintfluthelden darf wohl auch der Schlaf des Gilgamesch lach seiner Hadesfahrt als entferntere Parallele herangezogen werden; es dürfte für Jas israelitische Bewußtsein typisch sein, daß dies Motiv, von dem Vater der neuen VIenschheit ausgesagt, nicht nur ihn selbst in wenig »ehrenvoller« Lage zeigt, sondern ler Widerspruch gegen die sexuelle Perversität zugleich politisch gewandt i s t : wider lie Kananäer (Gen 9 25) sowie gegen die ostjordanischen Bruderstämme (Gen 19 37f.). Der Untergang von Sodom und Gomorrha ist ein historisierter Sintbrandmythos und nsofern sind die Töchter des Lot die beiden Urmütter, die mit dem Urmenschen die neue) Menschheit erzeugen; vgl. A. LODS, Rev. de l'Hist. des Rel. 1927, p. 204ff. 1 Gen 2Ö7FF. P . ; hervorzuheben ist, daß P zu dem »sachlich Wichtigen« (G. 'ON RAD, A T D 3 [1962], S. 226) die Tatsache rechnet, daß der »Segen« auf Isaak l a c h d e m T o d e des Abraham kommt, A. also gerade nicht als »Heiland« erscheint! 5

Zum mythischen Hintergrund

(Horus-Seth-Kampf)

der Aussetzungs- »No-

velle« vgl. n a m e n t l i c h S . LURIA, Z A W 4 2 ( 1 9 2 6 ) , S . 1 0 1 ff.

Zur Bedeutung von Ih Dtn 34 7 vgl. W . F . ALBRIGHT, Bull. Am. Schools Or. ies. 94 (1944), p. 32 auf Grund von 2 Aqh. V I , 18, 28 (wo allerdings GORDON, Glossary •io. 1944 die Form 'aslhk unter Vorbehalt von slh ableitet. Als Kontrastparallele vgl. 6

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Ort seines Todes genau angegeben, zugleich aber durch das Nichtbekanntsein seines Grabes eine sichere Grenze gegen jede Verehrung gezogen wird, die sich an ein seinen Leib bergendes Weli knüpfen könnte 1 . Nur darin hält ihm sein Gott die Treue, daß er seinen Leib nicht den Tieren läßt, sondern ihm selbst die Ruhestatt rüstet; für LXX aber war selbst dieser Zug allzu mythisch, so daß sie ihn durch das unpersönliche »Man begrub ihn« nicht ungeschickt »entmythologisierten«. Der Träger der Gesetzesoffenbarung ward keine Gestalt des soteriologischen Mythos, aber auch für Elias, den Wegbereiter der letzten großen Theophanie am Ende der Tage, zeigt sich ein ähnliches Streben. Die Legende spricht von seiner Himmelfahrt nicht um ihrer selbst willen, vielmehr im Rahmen der Elisa-Erzählungen zur Legitimation seines »Schülers«2. Ob der das Erstgeburtsrecht seines Meisters am »Geist« erlangt, kann keiner sagen, denn das steht bei Gott. Dann aber wird es sein, wenn er dessen Entrückung schauen darf. Nicht jeder ist berufen, das Wunder zu erblicken, so wie die Auferstehung Jesu nicht »allem Volke« sichtbar ward, sondern allein den Auserwählten. Die anderen mögen den Leichnam suchen, den sie doch niemals finden werden. Nur wer den Geist hat, weiß dann, was geschehen ist; ein Grabmal aber, an dem man ihn verehren könnte, kennt die Überlieferung nicht. Analoges gilt für Jeremia, von dessen jenseitiger Fürbitte die Makkabäerzeit zu sagen weiß; seine Spur verschwindet in Ägyptenland 3 . Nun hat aber der soteriologische Mythos nicht nur von einzelnen Errettergestalten zu erzählen und sie zu verehren. Vielmehr hat er im Kultus seine feste Stelle, und zwar im Königskult. Es ist hier nicht der Ort, auf die Einzelheiten einzugehen, die vor allem seitens der englischen und der neusten skandinavischen Forschung über das »sakrale Königtum« erarbeitet oder doch behauptet worden sind. An den Grundzügen kann kaum ein wesentlicher Zweifel bestehen. Das altorientalische Königtum ist kein rein menschlich-politisches, sondern zugleich eine sakral-kultische Institution. Der König ist nicht nicht nur die Altersschwäche des David I Reg 110, sondern auch des El, die er durch eine kräftige Suppe überwinden muß: GORDON, Text 62, 40ff. 1 DTN 34 8. Sollte die Stelle gegen ein zu ihrer Zeit gezeigtes Hosegrab im Westjordanland polemisieren ? Zum ursprünglichen Sinn des »Sehens« des Landes als traditio durch fines demonstrare vgl. D . D A U B E , Studies in Biblical Law, Cambridge 1947, p. 24ff. 2 Vgl. H . G U N K E L , Geschichten von Elisa (Meisterwerke hebr. Erzählungskunst I), Berlin o. J„ S. 4ff. 3 II Reg 2L6FF. (Elias); II Macc löl3f. (Jeremia). Für Elias kennt R . J A K O B im XIII. Jh. auf dem Karmel den Altar und Jichus ha-Abot im XVI. Jh. die Höhle, aber beide wissen von keinem Grabe; vgl. CARMOLY, Itinéraires de la Terre Sainte, Brüssel 1847, p. 184. 448f. Hempel. Glaube, Mythos u. Gesch. i. AT.

3

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in demselben Sinne »Mensch« wie jeder seiner Untertanen, sondern inkarnierter Gott, »Gottesknecht« oder »Gottessohn«, wie immer unterschiedlich in den einzelnen Religionsbereichen von Ägypten bis Sumer (seit Schulgi) und Persien, sowie innerhalb der einzelnen Kulturkreise und Religionsformen zu den verschiedenen Zeiten das gegenseitige Verhältnis von Gott und Mensch im Herrscher bezeichnet werden mag1, und welche priesterlichen Funktionen bis hin zur »sakralen Tötung« im Interesse der Lebenserneuerung und Entsündigung des Volkes an ihm oder durch ihn auszuführen waren2. Für Israel verbindet sich nicht nur bei der Königswerdung des Saul das Reckencharisma als »Begeisterung« durch den Gott in allen Schichten der Überlieferung, den ihm freundlichen wie den das Königtum grundsätzlich als Frevel wider den Volksgott ablehnenden, mit der Wahl durch den Heerbann der freien Mannen3, sondern auch für David wird dieser selbe zugleich säkulare und demokratische Zug sowohl für seine Wahl zum jüdischen wie zum israelitischen König unbefangen beigebracht4. Analog wird für Absalom die Erwählung durch Jahve 1 Eine knappe Übersicht über die wesentlichsten Arbeiten der Engländer (vor allem S. H . HOOKE, The Origins of Early Semitic Ritual, Schweich Lectures 1935, London 1938 und A. R. JOHNSON, The Röle of t h e King in t h e Jerusalem Cultus, i n : The Labyrinth, ed. S. H . HOOKE, London 1936, p. 71 ff.) und der Uppsalenser (vor allem G . WIDENGREN, Psalm 110 och det sakrale kungadömet i Israel, i n : Uppsala Universitets Ärsskrift 1941; derselbe: The King and t h e Tree of Life in Ancient Near Eastern Religion, ebenda 1961; I. ENGNELL, Studies in Divine Kingship, 1943) bieten M . NOTH, Zeitschr. Theol. Kirche 47 (1950), S. 167ff. und H . RINGGREN, ZAW 6 4 (1952), S. 120ff. Zu vergleichen sind auch J . GRAY, Vet. Test. 2 (1962), p. 193ff. und die jeweiligen Ausführungen in den Kapiteln über die Psalmen (A. R. JOHNSON) und die israelitische Religion ( G . W. ANDERSON) in dem Sammelband The OT and Modern Study, ed. H . H . ROWLEY, Oxford 1951 und jetzt auch die ausführliche Auseinandersetzung mit I. ENGNELL durch R. DE LANGHE in Bibliotheca Orient. 10 (1963), p. 18ff. Eine Sonderstellung nimmt ein A. BENTZEN, Messias, Moses redivivus, Menschensohn, Zürich 1948, zu dessen vermittelnder Haltung auch S. MOWINCKEL, Stud. Theol. 2 (1948), S. 71 ff. heranzuziehen ist. Sonderliteratur zum Gottesknecht siehe unten S. 41. 2 Die Unterschiede der ägyptischen von der mesopotamischen Ideologie betont namentlich H. FRANKFORT, Kingship and t h e Gods, 1948; innerhalb der mesopotamischen F . M. T H . DE LIAGRE-BÖHL. Op. Min., 1953, p. 102f. Die Notwendigkeit einer kultischen Erneuerung der Segenskräfte des Königs selbst und durch ihn der Segenskräfte des Volkes betont mit Recht J . PEDERSEN, Israel III/IV, 1940, p. 86. 3 Zum Verhältnis des Charismatikertums zum Königtum bei Saul (I Sam 1115 8 18) und David (II Sam 2 4 6 3) vgl. A. ALT, Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina (Reformationsprogramm), Leipzig 1930, zur weiteren Geschichte des israelitischen Königtums denselben, Vet. Test. 1 (1951), S. 2ff. 4 Ähnliches scheint nach den Nachweisungen von K. F. EULER, ZAW 66 (1938), S. 272ff. zu den altaramäischen Inschriften und von M. NOTH a. a. O. S. 173 zu der Stele des Bar-Hadad, ebenda Anm. 2 zum Mesastein (gegen ENGNELL p. 80) f ü r Syrien und Ostjordanien zu gelten. Auch sollte für die ganze Frage dies nicht über-

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und die Wahl durch »dies Volk und alle Männer von Israel« betont (II Sam 16 18), während in der Erzählung von dem Landtag zu Sichern die Nordstämme sich für Jerobeam ohne jeden Seitenblick auf ein göttliches Handeln entscheiden (I Reg 12 3 ff.). Von da aus wird es verständlich, daß im Nordreich die Salbung nur bei der charismatisch-revolutionären Handlung des Elisa an Jehu (II Reg 9 3), aber nie als staatsrechtlicher, durch die Priesterschaft vollzogener Akt erwähnt wird — falls man dies Schweigen nicht als judäische Polemik gegen das Ketzerkönigtum des Nordens deuten will — und daß auch im Süden, wo das dynastische Prinzip das charismatische verdrängt hat, noch für II Reg 1112 die Akklamation zur Investitur gehört. Revolutionäre Akte wie II Reg 21 23 lassen auch hier keine staatsrechtlichen Schlüsse zu. Wie nun die ältere Zeit die beiden Faktoren der Gotteswahl und der Volkswahl miteinander ausgeglichen und damit das charismatische und das demokratische Prinzip auf einen Nenner zu bringen versucht hat — man denke z. B. an das Loswerfen in I Sam 10 20s. — ist in den Texten nicht mehr mit Sicherheit zu erkennen, da die ausführlicheren Schilderungen, die wir besitzen, wiederum revolutionäre Lagen betreffen, in denen die »Wahl« sich auf eine Anerkennung des tatsächlich bereits vollzogenen Umschwungs beschränkt (II Reg 10 5) oder Parteiungen eine reguläre Wahl überhaupt nicht Zustandekommen lassen, vielmehr die Waffen entscheiden müssen (II Reg 16 22). Gleichwohl wird man aber an der Annahme nicht vorbeikommen, daß die Idee des sakralen Königtumes auch der älteren israelitischen Zeit durchaus bekannt gewesen ist. Für Ugarit ist sie bezeugt, mag man immerhin zweifeln können, wieweit ein Mann wie König Nqmd, der Zeitgenosse des Subbiluliumas zu Beginn des XIV. Jh.s, für sich die Gottessohnschaft in Anspruch nahm, von der der Krt- und der Aqht-Text reden 1 . Auch mag es unsicher sein, wieweit zur Zeit der israelitischen Landnahme die Königsherrschaften in Palästina durch andere Herrschaftsformen abgelöst waren, wie sie z. B. für den Adel in Sichern bezeugt sind (Jdc 9)2. Aber die Beziehungen zu Ägypten waren spätestens von der Zeit Salomos an wieder so eng, daß auch von da aus ein Wissen um die dort lebendige Ideologie nicht bezweifelt werden kann. Wir werden das Schweigen der Texte also als eine bewußte Ausklammerung zu verstehen haben. Die ältere israelitische Geschichtsschreibung will den König als den vom Volke gewählten und wieder absetzbaren Herrscher schildern, auch wenn ihm in der Salbung »göttliche« Qualitäten beisehen werden, daß die Zeit der Sargoniden in Assur nach den Nachweisungen von 2 DE LIAGRE-BOEHL (siehe S . 2 2 ) für den assyrischen König auch in der Theorie die Göttlichkeit nicht mehr in Anspruch nimmt. 1 Vgl. J. G R A Y a. a. O. p. 196ff. 2 Vgl. A. ALT, Staatenbildung S. 30f. 3*

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gelegt werden. Selbst der nur von einem Teil des Gesamtvolkes, dem l am hä'äräs, den vollfreien Gliedern des Heerbannes 1 bestellte Herrscher empfängt sie noch in den letzten Zeiten des judäischen Staates (II Reg 23 30). Gewiß: wer gesalbt ist, mit dem »ist Gott«, der ist »wie ein Gottesengel«, »vernimmt Gutes wie Böses« und »Weiß, was auf Erden geschieht« er ist, ugaritisch gesprochen, der, »der zu herrschen versteht«2. Er ist nicht nur als der vom Volke Gekürte Gegenstand der Fürbitte des Volkes, das seinen Gott anruft zum Schutze des »Mannes zu seiner Rechten, des Menschen, den er für sich gestärkt hat« 3 , sondern als der Gesalbte ist er zugleich der qualifizierte Fürbitter (I Reg 8)4. Zu beachten ist jedoch dabei, daß die Bezeichnung Davids als des »Gottesengels« in Zusammenhängen begegnet, in denen er durch solch Schmeichelwort zu einem Gnadenakt umgestimmt werden soll (vgl. II Sam 19 28), die Wendung also im Munde des Erzählers einen leicht ironischen Nebenton besitzt. Noch deutlicher ist das Gottesgnadentum zurückgedrängt dort, wo — vergleichbar dem Hohn in der Fabel des Jotham, daß zum Königtum nur taugt, wer zu nichts Besserem nütze ist (Jdc 9 7fi.) — der schon erwähnte Verfasser von I Reg 1 von den trüben Machenschaften der Bathseba mit Hilfe des Nathan berichtet und damit den Salomo von vornherein als den zukünftigen Reichsverderber brandmarkt. Aber so gewiß es richtig ist, daß wir, hätten wir allein unsere Erzählungsliteratur, kaum ahnen würden, daß auch im alten Israel die sakrale Königsideologie verbreitet gewesen ist, so wenig dürfen wir die immerhin vorhandenen, wenn auch geringen Spuren derselben in den Prosatexten übersehen: etwa das gerade bei Saul, David und Absalom (!) begegnende gelegentliche Vorkommen des auch für die Berufung zum Priestertum verwandten Verbums bdhar für die »Erwählung« des Herrschers durch den Volksgott5 oder das halb widerwillige und Jahve für die — vom Standpunkt einer folgerichtigen Anwendung des Lohn- und StrafeSchemas aus bestehende — »Programmwidrigkeit« seines Tuns entschuldigende Zuerkennen des Ehrentitels eines »Heilandes« an Ketzerkönige (II Reg 13 5 14 26f.), durch welche Jahve Verheißungen erfüllt. Was aber trotz dieser gelegentlichen Hinweise in den Prosatexten fehlt, läßt sich aus Psalmen und Propheten reichlich ersetzen 1

Vgl. E.

S

GORDON

Der 'amm ha'arez im AT, Stuttgart 1936. 49 I 20; zur Deutung von Ihn vgl. auch mein Ethos des AT S. 260

WÜRTHWEIN,

Anm. 163. 3 Vgl. zu Ps 80l8f. jetzt O. EISSFELDT, Festschr. A. Alt, Tübingen 1963, S. 66ff. 4 Anders F. H E S S E , Die Fürbitte im AT, Diss. Theol. Erlangen 1 9 4 9 ( 1 9 6 1 ) ; P. A. H . DE BOER leitet Oudtest. Stud. I I I ( 1 9 4 3 ) , p. 1 6 0 das Königsrecht der Fürbitte aus seiner priesterlichen Funktion her. 8 Das Material bei T H . C . VRIEZEN, Die Erwählung Israels im A T , Zürich 1 9 6 3 , S. 46.

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3 7

u n d d a m i t d e r K ö n i g s m y t h o s in wesentlichen Z ü g e n wiedergewinnen. E r d ü r f t e auf d e m W e g e ü b e r d a s J e r u s a l e m e r S t a d t k ö n i g t u m , wie es v o n D a v i d u n d wider ihn v o n A b s a l o m — d e r folgerichtig v o n s e i n e m E i n z u g in diese S t a d t a b als K ö n i g u n d E r w ä h l t e r G o t t e s b e z e i c h n e t wird ( I I S a m 1 6 14) ! — u s u r p i e r t w o r d e n ist, in I s r a e l h e i m i s c h gew o r d e n sein 1 . Zugleich a b e r ist e r d u r c h d a s d e r israelitischen Religion eigene A b s t a n d s b e w u ß t s e i n zwischen G o t t u n d M e n s c h e n t s c h e i d e n d u m g e w a n d e l t w o r d e n . Die G e b u r t a u s d e r i m geheimnisvollen Orakelstil als die »Gebärerin« (Mich 5 2) b e z e i c h n e t e n G o t t e s b r a u t , d e r calmâh, d u r c h welche irdische F r a u sie i m m e r v e r t r e t e n w o r d e n sein m a g 2 — die K ö n i g i n e t w a o d e r die o b e r s t e d e r »Vestalinnen«, d e r i m T e m p e l dienenden F r a u e n u n d M ä d c h e n 3 — s t e h t a m A n f a n g seines Lebensweges. I n der Inthronisation z u m Gottessohne adoptiert4 und m i t d e r E r k e n n t n i s k r a f t wie d e r G e r i c h t s v o l l m a c h t des g ö t t l i c h e n Geistes a u s g e r ü s t e t 5 , eignet i h m die H e i l s m a c h t , die i h m sein »Vater« verleiht. Sein Sieg, d e n e r v o n s e i n e m G o t t v e r l a n g e n d a r f ( P s 2 s f ) , Vgl. namentlich M. N O T H a . a . O . S. 182ff., auch meine Ausführungen: Gott und Mensch8, Stuttgart 1936, S. 173ff. — Zum Zusammenhang gerade des Jerusalemer Kultus mit der in Ugarit sichtbaren Mythologie vgl. J . G R A Y , Journ. Near Eastern Stud. 8 (1949), p. 82f. im Gefolge von N. W. P O R T E O U S , Proc. Glasgow Orient. Soc. 10 (1940/41), p. 7ff. Noch deutlicher würde die zentrale Bedeutung des Jerusalemer Kultus für die Königsideologie hervortreten, wenn sich die These von H.-J. K R A U S , es sei jährlich am ersten Tage des Laubhüttenfestes in Jerusalem ein »königliches Zionsfest« gefeiert worden, das Jerobeam I. am 15. 8. in Bethel nachgeahmt habe, noch stärker unterbauen (Die Königherrschaft Gottes im AT, Tübingen 1952, S. 44ff.) und sein Verhältnis zu dem von A. W E I S E R gleichfalls für Jerusalem postulierten Bundeserneuerungsfest (Die Psalmen I, ATD 14, Göttingen 1950, S. 11 ff.) genauer bestimmen ließe. 2 Vgl. das Material — samt dem Hinweis auf ugar. hl 'Imi tld b(n) ( G O R D O N 7 7 , Zeile 7 ) — jetzt am besten bei J . C O P P E N S , La Prophétie de la 'almah, Anal. Lov. Bibl. et Orient. II, 35 ( = Eph. Lov. X X V I I I , p. 648ff.), 1952. Hingegen fehlt im AT die Säugung des neugeborenen Gotteskindes an der Brust der Göttin — der Aschera, der Jungfrau (btlt) Anat ( G O R D O N 128 I I 26f.), die im Kananäischen eine Holle spielt (vgl. J . G R A Y , Vet. Test. II, 1952, p. 196f.). Eine ganz andersartige Vorstellung ist die vom wiederkehrenden König (vgl. namentlich H. SCHMIDT, Der Mythos vom wiederkehrenden König im AT, Tübingen 1925), was nicht ausschließt, daß beide Gedanken friedlich nebeneinander in Mi 5 1 ff. begegnen, wenn man nicht zu so schweren Eingriffen in den Text sich entschließen will, wie A. B R U N O , Micha und der Herrscher aus der Vorzeit, Leipzig 1923, S. 86ff. sie vornimmt. (Zur Säugung jetzt das von E. W. erwähnte Ugarit-Relief AfO 16 (1953), S. 353.) 3 Vielleicht weist auch Jes 81 ff., der Verkehr des Jesaja mit der »Profetin«, aus dem der Raubebaldeilebeute hervorgeht (siehe oben S. 32), in diese Zusammenhänge; vgl. I. H Y L A N D E R , Monde Oriental 25 (1931), S. 53ff. 4 Zu Ps. 2 7 als Adoptionsformel vgl. jetzt auch H . R I N G G R E N , ZAW 6 4 ( 1 9 5 2 ) , 1

S.

123. 6

Siehe oben S. 31.

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und das eigene Walten seines Gottes, dessen Ausgang er auf dem Throne zur rechten Hand Jahves erwarten soll (Ps 110 l ff.), liegen da untrennbar ineinander; auch was der König wirkt, schafft in Wahrheit durch ihn sein Gott. Als dem Gottessohn eignet ihm »ewiges Leben«1. Gewinnt doch die Formel des israelitischen Hofzeremoniells: »Der König lebe (ewiglich)« ihr volles Gewicht aus Texten wie den Klagen des ugaritischen Krt-Sohnes Ilhu: Unser Vater, an deinem Leben hätten wir Freude, über dein NichtSterben würden wir jubeln . . . Vater, willst du wie Sterbliche (kmtm) sterben ? . . . Wie darf man denn sagen: El's Sohn ist Krt, der Sprößling von Ltpn-und-Qds ? Sterben denn Götter? Darf der Sprößling des Ltpn nicht leben? 2 .

Sein Regierungsantritt am Neujahrstage nach seines Vorgängers Tod ist Neuordnung, Neuschöpfung der Welt im Siege über die in den wirklichen Feinden historisierten Chaosmächte, den ihm sein Gott im Orakel zuspricht, samt all der Ehre und Kraft zu rechtem Verhalten, die er ihm im Traume gewähren mag (I Reg 3 5 ff.), so wie El dem König Krt im Traum die erforderlichen Opfer für ihn selbst, den Tor-El, und für Baal nennt und die nötigen Anweisungen für den Zug zu Pbl, dem Vater der schönsten Maid, erteilt3. Ausgerüstet mit Kraft durch den Trunk aus der Lebensquelle4 wird er den Sieg durch schwerste Leiden hindurch erringen, die ihn bis an die Todesgrenze führen werden5. Alle diese Züge haben ihre Parallelen und Vorbilder in den benachbarten Religionen. Man könnte die Frage stellen, ob diese sakrale Verehrung des lebenden Königs das Primäre und die Übertragung ihrer Einzelzüge auf den Endzeitherrscher, den »Messias« — aus der Enttäuschung über den wahren Zustand des empirischen Königtums — das Sekundäre, oder ob der geschichtliche Gang vielmehr umgekehrt zu denken sei, daß nämlich ein feststehendes mythisches Bild des Gottkönigs auf den jeweils regierenden Herrscher 1

Zum »ewigen Leben« Jahves siehe oben S. 8f.

2

GORDON 1 2 5 ,

Uff.

Krt Zeile 35ff. (p. 184). Auch das »Sichnähern« (Stamm qrb) des Baal an Dan'el am siebenten Tage des Opferfestes (2. Aqht I, 17) mit dem Lebenssegen des El für seinen »Knecht«: »Es lebe Dan'el« (yh dn'il), gehört in den gleichen Zusammenhang. Zu I Reg 3 vgl. auch E . L . EHRLICH, BZAW 73 (1953), S. 36ff. 1 Zum »Bache am Wege« Ps 110 7 zieht A. BENTZEN, Messias p. 19 auch 1. Aqht I 152 (GORDON p. 180), den Fluch des Dan'el wider den Brunnen heran, an dem AqhatSiegfried von Yatpan-Hagen im Auftrag der Anat-Brunhild ermordet wurde; aber H. L. GINSBERG sieht ANET p. 154 in Qim-Mayim einen Ortsnamen; ähnlich auch GASTER, Thespis p. 302ff. 5 Zum »Tod des Beters in den Psalmen« vgl. A. BENTZENS Stellungnahme für S. MOWINCKEL (Norsk teol. Tidsskr. 1944, S. 70ff.) gegen G . WIDENGREEN, Svensk Ex. Ärsbok 1945, S. 66) in: Festschr. O. EISSFELDT, Halle 1947, S. 57ff. 3

GORDON,

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angewandt und er im »Hofstil« mit dessen Zügen ausgestattet sei. Meines Erachtens handelt es sich aber nicht um ein Entweder-Oder. Vielmehr wird der soteriologische Mythos von einer übermenschlichen Errettergestalt, einem »Heiland«, einem Soter 1 , einem Prometheus, dem Urmenschen, im Königskult mit dem lebenden Herrscher verbunden. Er geht aber in dieser Übertragung nicht auf, so wie in der eschatologischen Wendung des kosmogonischen Mythos ein nicht historisierter Rest lebendig blieb. Der Herrscher der Endzeit, der »Gesalbte« im strengen Sinne, ist eine übermenschliche Gestalt, in dessen Herrschaft »Jahves Königsherrschaft in einer besonderen Form in Erscheinung tritt« 2 , von dem gelegentlich selbst Funktionen ausgesagt werden, die anderwärts als Herrschaftsmomente seines Gottes begegnen8. Der Prophet, sahen wir, sucht ihn in den Rahmen des Menschlichen einzuspannen, indem er ihn zum frömmsten der Menschen stempelt. Er erfüllt die Gottesforderungen sozialen Rechtverhaltens, in denen sich das göttliche Rechtverhalten spiegelt. Wie beispielsweise zu den von Merodach-Baladan II übertretenen Forderungen des Ea im sog. babylonischen Fürstenspiegel4 das Achten auf Recht und die Bekämpfung der »Schurken« gehört, so begegnet die Übung von Recht und Gerechtigkeit6 und das Schlagen des Tyrannen, des 'äm (sie!), zu den Obliegenheiten des »Messias«; beides aber sind göttliche Taten, deren Lobpreis am Tage seiner Thronfahrt erschallt (Ps 99 4). Der Messias ist nicht Sieger aus eigener Kraft, sondern selbst der, dem »geholfen wird«, der nicht in stolzer Pracht, sondern demütig daherkommt, wenn er in seine Stadt einzieht6. Aber eben dieser Rahmen erweist sich als zu eng für das Bild dessen, den man erwartet. Das Bestreben auch der Königspsalmen, die Gottessohnschaft des Herrschers mit dem Alleingottsein Jahves durch den Gedanken der Adoption auszugleichen, hat nicht verhindern können, daß der irdische König über Menschenmaß hinauswächst. Schon der Glaube an die in dem judäischen König sich vollziehende Erfüllung der JahveVerheißung an die Dynastie — mag sie immerhin durch die religiöse Be1 Daß der Titel Soter den mit ihm Geehrten an sich noch nicht über Menschenmaß hinaushebt, zeigt A . D. NOCK, in: The Joy of Study, Festschr. F. C . GRANT, New York 1951, p. 127. 2 So formuliert H . G R O S S a. a. O . S. 110 vorsichtiger gegenüber den weitergreifenden Aussagen von H . W . W O L F F , ZAW 6 4 (1936), S. 168ff., der im Messias geradezu eine Erscheinungsform Jahves wie den Engel usw. sehen möchte. 3 Vgl. etwa die Nebeneinanderstellung von Jes 2 und Sach 9 bei G R O S S , S. 106. 4 Veröffentlicht und bearbeitet durch F . M. TH. BOEHL, Mitteilungen der altOrient. Ges. XI, 3 (1937). 5 Vgl. auch etwa Hi 40 12 und zur Bedeutung der »Gerechtigkeit« namentlich S. MOWINCKEL, Psalmenstud. II (1921), S. 168. • Vgl. zu Sach 9 meine Ausführungen BZAW 67 (1938), S. 234 Anm. 16

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dingung der Bundeserfüllung begrenzt und damit sowohl der Theodizee als der Buße des Volkes im staatlichen Zusammenbruch der Weg geebnet sein1 — schon diese Grundlage für die Standfestigkeit des Jerusalemer Königtums gegenüber dem revolutionär-labilen Charakter des nordisraelitischen ist geeignet, ihm mythische Züge zu erhalten. Hat doch David in feierlichem Eide seinem Gott in der Zeit der Heimatlosigkeit der Heiligen Lade geholfen und dafür dessen Eid eingetauscht, daß er sein »Horn sprießen« und »seine Leuchte zurichten« werde. Kraft eben dieser Gottesworte ist der Davidsohn mehr als ein Glied in der natürlichen Kette leiblicher Erbfolge 2 . Um so bemerkenswerter ist es nun aber, daß auch an den Gestalten, in denen der soteriologische Mythos am deutlichsten greifbar ist, der in der israelitischen Religion lebendige Zug zur Historisierung sich auswirkt. Der Menschensohn von Dan 7 wird gleichgesetzt dem Jahvevolk 3 : Ein Gesicht sah ich bei nächtlicher Schau: Ich sah: mit den Wolken des Himmels kam einer, an Gestalt wie der »Mensch«, trat vor den Uralten, / ward vor ihn geführt. Dem ward zuteil das Herrenrecht, / die Macht, das Reich! Dem dienten die Völker zumal, / Nationen und Sprachen. Des Reich ist ein ewiges Reich, / das niemals vergeht, des Herrschaft hat niemals ein Ende. Reich, Herrschaft und Macht / der Reiche unter dem Himmel wird dem heiligen Volke des Höchsten zuteil. Des Reich ist ein ewiges Reich, Dem dienet und dem wird gehorsam/ein jeder Staat der Welt (Dan

7l3f. 27).

Die Person des Menschengestaltigen ist im Ursinn der Erwartung sicherlich ein Individuum und insofern steht Jesu Deutung auf sich selbst dieser ursprünglichen Bedeutung näher als der Ausformung, die sie in Dan 7 erfahren hat; im heutigen Text aber steht sie »als Symbol für das kommende Reich und war im Geiste der Hörer irgendwie (in some way) mit diesem Reiche assoziiert«4. Der, wie wir noch 1 Zur Nathansverheißung vgl. zuletzt J . C . SCHROEDER, The Interpreters Bible II, New York und Nashville 1963, p. 864f., der sie mit R. H. P F E I F F E R in ihrer heutigen Gestalt für spät, die in ihr enthaltene »verse prophecy« 8b. 9a. lOab. 12. 14—16 aber für eine »authentic tradition« erklärt, andererseits H. R I N G G R E N a. O. S . 128 und M. SIMON, Rev. d'Hist. et de Phil. Religieuses 32 (1952), p. 41ff. 2 Zu Ps 1 3 2 vgl. vor allem B E N T Z E N a. a. O . S . 29f. 3 Zum Menschensohn vgl. jetzt die umfassende, die bisherige Literatur voll ausschöpfende Behandlung durch S. M O W I N C K E L , Han som kommer S. 227ff., der klar die historisierende Gleichsetzung mit Israel im heutigen Text von der benutzten Tradition von einem himmlischen Wesen, einem Mitthroner (medtroner) Gottes scheidet (S. 230), deren Vor- und Nachgeschichte (Henoch!) wir hier nicht zu verfolgen haben. 4 H . H . R O W L E Y , The Biblical Doctrine of Election, London 1950, p. 156.

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sehen werden, mit dem Begriff des »Heiligen Volkes« häufig verbundene Missionsgedanke als Aufgabe der Erwählung Israels tritt hinter dem der Herrschaft weithin zurück und nur insofern bleibt der Zusammenhang mit dem Erlösungsmythos gewahrt, als der Gegensatz Mensch: Tier die verheißene Herrschaft als ein höheres, gottgemäßeres Reich erscheinen läßt denn die von ihm abgelösten. Die andere Gestalt, von der hier zu sprechen ist, ist der Jahveknecht des deuterojesajanischen Buches, in Sonderheit in Kap. 53. Auch hier müssen wir auf eine Erörterung der unübersehbaren Literatur mit ihren literarischen (Abgrenzung der Lieder und ihre Zugehörigkeit zum Buche des Dichterpropheten), exegetischen und religionsgeschichtlichen Problemen verzichten 1 . In der Schilderung des Ebed verbinden sich Züge des Offenbarungsmythos, von dem wir sogleich bei der Behandlung der Prophetie zu sprechen haben werden, mit solchen aus der Königsideologie und damit auch aus dem Tammuzkult. Grundsätzlich ist dies oft ausgesprochen, und nur das mag trotz neuerlicher Bestreitung aller Zusammenhänge 2 fraglich bleiben, in welchem Verhältnis sie zu einander stehen. Der entscheidende Gedanke ist der der Stellvertretung 3 , der innerhalb des Glaubens des AT eine sehr mannigfache Ausprägung erhalten hat. In seinen »symbolischen Handlungen« vertritt der Prophet bald seinen Gott gegenüber dem Volk, bald auch das Volk gegenüber seinem Gott 4 . Das Opfertier vertritt den Menschen, für den es geschlachtet wird, und der König das Volk, fürbittend und opfernd, aber auch für dasselbe leidend 6 . Es mag unsicher bleiben, wieweit eine dem babylonischen Ritus der Königsmißhandlung am Neujahrstag analoge israelitische Sitte durch Ps 89 39f. wirklich bewiesen wird 4 , und erst recht, ob tatsächlich Joj achin in Babel durch Amel-Marduk zum »Ersatzkönig« erhöht und dann — wie der Ersatzkönig Dumqi durch Assarhadon — nach 1

Die Literatur bis 1948 am besten bei C . R . NORTH, The Suffering Servant in Deutero-Isaiah, London 1948, die seitdem erschienene wohl vollständig bei H. H. ROWLEY, The Servant of the Lord and other Essays, London 1952, in dessen Werk vor allem auch die eingehende Auseinandersetzung mit H. S. NYBERG und I. ENGNELL zu beachten ist (p. 42ff.). Noch nicht berücksichtigen konnte R. die Artikel von H. RINGGREN, ZAW 64 (1962), S. 139ff. und V. DE LEEUW, Anal. Lov. Bibl. et Orient. II, 33 = Ephem. Theol. Lov. 28 (1962), 449ff. 2 L. G. RINGNELL, Vet. Test. 3 (1953), S. 87ff. 3 Vgl. zuletzt H . S. HOOKE, Vet. Test. 2 (1952), p. 2ff. 4 Vgl. meine Ausführungen in: Die Mehrdeutigkeit der Geschichte, Göttingen 1936, S . 32ff., auch G. FOHRER, ZAW 6 4 (1962), S . 118f. (und jetzt sein Buch Die symbolischen Handlungen der Propheten, Zürich 1953). 5 Beachte die — von David freilich ausgeschlagene — Möglichkeit in II Sam 24,13. • Vgl.

H . RINGGREN a . a . O .

S. 144.

4 2

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100 Tagen getötet worden ist1. Aber ganz abgesehen von diesen Möglichkeiten könnte in einem in Babylonien entstandenen Text das benutzte Bild sehr wohl durch babylonische Riten angeregt sein, zumal ja die an den Tammuz-Kult erinnernden Motive des Textes ohnehin durch babylonische Vermittlung zu erklären sind. Jahve ist, wie wir schon sahen, kein sterbender Gott, so daß der »Knecht« ihn nicht in dieser Funktion vertreten kann. Für den babylonischen König stehen die Dinge da ganz anders, zumal selbst BelMarduk im Neujahrsritual in den Berg gegangen ist2. Aber auch in Israel ist der mö$tal der nösäder erlöste Erlöser, wie der bewährte Märtyrer der qualifizierte Fürbitter ist und im Gegensinn der Plünderer selbst der Plünderung verfällt (Jes 33 1). Wie sich in der spiegelnden Strafe Sünde und Unheil entsprechen, so Bewährung im Unheil und Unheilsüberwindung. Wir könnten dies ganze Problem des Gottesknechtes sicherer klären, wenn uns der soteriologische Mythos, in dem von solchen kultischen Voraussetzungen aus das Leiden des »Heilandes«, wer immer ihn vertreten mag, und seine eigene Errettung eine entscheidende Rolle gespielt haben muß, wenigstens in einem unüberarbeiteten israelitischen Text vor uns hätten. Auch alle die zahlreichen Versuche der Exegese, den Gottesknecht mit einer geschichtlichen Gestalt der Vergangenheit oder der Gegenwart des Propheten gleichzusetzen3, deren keiner wirklich zum Ziele geführt hat, sind Zeugen der Erkenntnis, daß der Mythos nicht um seiner selbst willen, sondern um seiner Geschichtswerdung willen nachgedichtet worden ist, auch wenn wir heute nicht mehr in der Lage sind, anzugeben, welches diese Geschichte gewesen sei, die er handelnd und leidend mitgestaltet habe oder mitgestalten werde. Ist doch mindestens ein wichtiges Stück der von dem Knecht gemachten Aussagen, seine Auferstehung, eine Größe der Zukunft, wenn man sich nicht dazu entschließen will, auch sein Leiden und Sterben als von einer endzeitlichen Gestalt ausgesagt anzuerkennen. Am Ende der Tage (sei es dieser Weltzeit, sei es der Welt überhaupt) wird der Mythos Geschichte. Für die Beantwortung dieser Frage nach der in dem Liede »gemeinten« Person wäre es nicht weniger wichtig, zu wissen, welche Züge des zugrundeliegenden Mythos in ihm nicht genannt sind, als immer erneut den Versuch zu machen, aus den dargebotenen die Frage des 1

3

So

F . M . T H . DE LIAGRE-BOEHL, O p .

min.

p . 77.

Vgl. Zeitschr. Syst. Theol. 6 (1929), S. 645ff. 3 Eine kleine Blütenlese — unter besonderer Berücksichtigung von S. MOWINCKELS früherer Gleichsetzung des Knechtes mit dem Propheten — siehe bei H. H. ROWLEY a. a. O. p. 7 ff. Zu beachten ist der Versuch von J. LINDBLOM, The Servant Songs in Deutero-Isaiah, Lund 1951, die Frage nach dem Wer des Knechtes durch die andere zu ersetzen: Was b e d e u t e t der Knecht; vgl. die prägnante Formulierung p. 102 und dazu jetzt T H . C . VRIEZEN, Die Erwählung Israels nach dem A T , Zürich 1 9 6 3 , S. 6 6 L .

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Kämmerers aus dem Mohrenlande zu beantworten. Wie bei dem Menschengestaltigen ist aber auch hier mit der Möglichkeit einer Gleichsetzung des Knechtes mit dem Volke zu rechnen1, wie sie an anderen Stellen des deuterojesajanischen Buches (41s 441 f. 21 45 4 4820), vielleicht als eine originale Schöpfung des Dichterpropheten, begegnet2 und von dem hellenistischen Judentum, anhebend mit der Septuaginta, weitergetragen worden ist3. Der Gedanke freilich, daß Israel für die Sünden der Welt büßen und Sühne schaffen solle, ist im Judentum vor Origenes nicht nachweisbar4. Er hat aber in dem Gedanken der göttlichen Erwählung insofern eine Vorbereitung, als das dafür gebrauchte Verbum bdhar die Berufung zu einer Aufgabe in sich schließt, die dem »Erwählten« auferlegt wird. Der Prophet wird berufen, das Jahvewort zu verkünden, der Apostel, das Evangelium zu predigen, das Volk aber »erwählt«, damit es »missionarisch« den Namen und die Ehre seines Gottes in der Welt zur Anerkennung führe8. Und die in der Nähe des Toten Meeres neugefundenen Texte weisen darin einen unerwarteten und für das NT bedeutungsvollen Tatbestand auf, daß sie von einer Sühne der »Einung« für die Sünden des Landes (oder der Welt ?) wissen und damit jene weiterreichenden Glaubensgedanken doch wohl vorbereiten: Geschehen diese Dinge in Israel, dann steht fest die Ratsversammlung der Einung in der Wahrheit, als ewige Pflanzung, als heiliges Haus für Israel, als allerheiligster Kreis für Ahron, als Wahrheitszeugen im (letzten) Gericht, als Auserwählte des (göttlichen) Wohlgefallens (Lc 214!), Sühne zu schaffen für das Land und über die Bösewichter zu bringen ihren Lohn*. Vgl. ROWLEY a. a. O . p. 33ff. (Collective and fluid theories). Auch LINDBLOM kommt im Grunde auf die kollektive Deutung zu, die für ihn in den die Lieder erläuternden Begleitworten des Textes selbst vorliegt: The Servant of the Songs is thought of as an individual . . . but he symbolizes allegorically a Community, namely Israel (a. a. O. S. 103). * Vgl. W. ZIMMERLI, in Wb NT V (1963), S. 660ff. 3 Vgl. J . JEREMIAS, ebenda S. 681ff., zur Septuaginta auch K. F. E U L E R , Die Verkündigung vom leidenden Gottesknecht aus Jes 63 in der griechischen Bibel, Stuttgart 1934, S. 126 ff. 4 Vgl. H . L. STRACK und P . BILLERBECK, Kommentar zum NT aus Talmud und Midrasch I, München 1922, S. 481, auch H. W. WOLFF, Jesaja 63 im Urchristentum2, Berlin 1960, S. 60ff. Zur messianischen Deutung von Jes 63 vgl. jetzt auch S. G. F. BRANDON, The Fall of Jerusalem and the Christian Church, London 1961, p. 76f. 5 Vgl. T H . C . VRIEZEN a. a. O . S . 66ff.; etwas anders F. M. T H . DE LIAGRE-BÖHL, Festschr. Bertholet, Tübingen 1960, S. 77ff. = Op. Min. S. 81ff. 4 Hier (wie in IX, 3) fügt G. LAMBERT, Anal. Lov. Bibl. et Orient., Ser. II, 23, p. 33ff. ( = Nouv. Rev. Thl. 1961,p.966ff.) hinter »la terre« ein: »(d'Israel)«; A. Du1

4 4

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Das ist die »bewährte Mauer, der kostbare Eckstein«, deren Grundfesten nicht wanken noch von ihrer Stelle weichen. Allerheiligste Wohnung für Ahron in der Erkenntnis ihrer aller 1 für den Rechtsbund und zur Darbringung lieblichen Duftes, und eine Behausung der Rechtlichkeit und der Wahrheit in Israel, den Bund aufzurichten nach ewigen Satzungen. Und sie werden stehen im göttlichen Wohlgefallen, Sühne zu schaffen für das Land und zu ordnen das Gericht über die Bosheit, (so daß kein Frevel mehr sei) 2 .

Aber auch bei einer — wie man sieht, in DSD nicht vollzogenen — Deutung des Knechtes von Jes 53 auf Israel würde ein Rest verbleiben, der in die Gleichsetzung nicht eingehen würde und in der Rede von dem »idealen Israel« seinen Niederschlag gefunden hat 3 . Diese Tatsache mag unserer Beobachtung zur Bestätigung dienen, daß die Historisierung des Mythos niemals ein Vorgang ist, der alle Rätsel löst, dort zumal nicht, wo die Geschichte selbst kraft des in ihr sich vollziehenden Gotteswaltens »mythisch« und damit zur Grundlage eines neuen Mythos wird, in dem die »neuen Dinge« in ihrer gottgewirkten Herrlichkeit die »alten Dinge« überstrahlen4, die der Kultus jetzt vergegenwärtigt. Die »neuen Dinge« werden in der Zeitenwende oder am Ende aller Zeiten geschehen, welche der Kultus, indem er sie im Lied besingt, mitschafft. Fragen wir wiederum nach der Möglichkeit einer existentialen Deutung des Mythos, so spiegelt sich auch in ihm ein ganz bestimmtes menschliches Selbstverständnis. Der Mensch steht vor uns, der sich in seinem geschichtlichen Dasein entscheidend bedroht fühlt, ein Vorgang, der sich innerhalb des AT aus der politischen und militärischen Nouveaux Aperçus sur les Manuscrits de la Mer Morte (L'Orient Ancien Illustré 6), Paris 1963, p. 176, no. 6 deutet: »Les membres de la secte ont le devoir d'»expier pour la terre«: c'est une fonction sacerdotale; c'est eux aussi qui, à la fin des temps, jugeront les impies«. Ist diese Auslegung richtig, so hätten wir hier die nächste Parallele zu Lc 22 30 I Cor 6 2. 1 Text : bd 't hwlm Ibrjt mSpt ; D U P O N T - S O M M E R und B A R D T K E , Die Handschriftenfunde am Toten Meer, Berlin 1952, S. 100 Anm. 4 wollen nach B R O W N L E E 'wlm lesen. L A M B E R T übersetzt: dans la connaissance que tous possèdent de l'Alliance, du jugement et de 1'offrande«. Die Konjektur würde den Sinn erleichtern. 2 D S D V I I I , 4ff. ( = M. B U R R O W S , The Dead Sea Scrolls of St. Mark's Monastery, I I , New Häven 1 9 6 1 : Plates and Transcriptions of the Manual of Discipline, pl. V I I I ) ; zur Literatur über die neuen Texte siehe auch S. 46, Anm. 2. 3 Eine interessante Weiterbildung dieser Auffassung bietet N. H. SNAITH in: Studies in OT Prophecy, près, to Prof. Th. H. Robinson, Edinburgh 1960, p. 188ff., der in dem Knecht den »righteous remnant«, genauer Jojachin und die Exulanten von 697, die »sehr guten Feigen« von J e r 241, und erst sekundär die Exulanten überhaupt sehen will. 4 Zu den »neuen« und den »früheren Dingen« vgl. C. R . NORTH, ebenda p. 111 ff. PONT-SOMMER,

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Lage des Volkes heraus besonders erklärt 1 . Man weiß sich seinen Nachbarn, vor allen den Großreichen unterlegen und hat gegenüber den kananäischen Vorgängern im Besitz des Landes so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Sie haben die Städte gebaut, die Brunnen gegraben, die Weinberge und Gärten angelegt (Dtn 6 lOff.) und haben damit die älteren Rechte als der »Fremdling«, als welcher die Väter einst die Gegend durchwandert und nicht mehr als ein Stückchen Feldes mit einer Höhle darinnen erworben haben, die tote Ahnfrau beizusetzen 2 . Den Besitz- und Herrschaftsanspruch hat man nur kraft der Setzung des eigenen Gottes, der mächtiger ist als der Gott, dem die heiligen Stätten vordem geweiht waren: und diesem Gotte gegenüber hat man sich verschuldet. So deutet der Glaube die Nöte der Gegenwart und sehnt sich aus ihnen heraus nach einer Friedenswelt, in der man nimmer um das Dasein von Volk und Staat werde kämpfen und in solchem Streite Schlag um Schlag einstecken müssen. Man wartet auf eine Friedenswelt der »Gerechtigkeit«, die innerhalb des Volkes herrschen und in der Erfüllung der grundlegenden Gottesgebote der Bruderschaft das göttliche Wohlgefallen sicherstellen möchte. Und diese Welt kann nur e i n e r schaffen, Gott selbst in der Erfüllung seiner Verheißungen, die er einst den Vätern ohn all' ihr Verdienst und Würdigkeit gegeben hat. Er aber schafft sie durch den von ihm Berufenen, wiederum in Erfüllung älterer Gottesworte. Dies Gespaltensein des geschichtlichen Bewußtseins spiegelt sich im soteriologischen Mythos; es hält ihn in der Sphäre des Geschichtlich-Politischen und damit des Diesseitigen3 und hemmt damit seine Entfaltung in eine über das gegenwärtige Leben hinausgreifende individuelle Erlösungslehre hinein. Zwar werden kraft der »demokratischen« Geschichte des Kultus, die sich auch im Ägyptischen nachweisen läßt, die Aussagen von der Rettung aus dem Tode, die von dem Gotte und dem König als dem menschgewordenen Tammuz gelten, in der abgewandelten Form der Bewahrung vor dem Tode 4 , auf andere Glieder der Volksgemeinde angewandt 5 , aber es unterbleibt jede »mystische« 1

Vgl. mein Ethos des AT (BZAW 67), Berlin 1938, S. 93ff. Zu den rechtlichen Verhältnissen in Gen 2 3 vgl. M . R. LEHMANN, Bull. Amer. School Or. Res. 1 2 9 ( 1 9 5 3 ) , p. 15ff. 3 Zur Diesseitsbegrenzung der israelitischen Erwartung vgl. zuletzt F . B A U M GÄRTEL, Verheißung, Gütersloh 1962, S. 24, 40 u. ö. 4 Vgl. CHR. BARTH, Die Errettung vom Tode in den individuellen Klage- und Dankliedern des AT, Zollikon 1947; zum Tode als der schwächsten Form des Lebens und zur Lebensschwäche als »Tod« vgl. auch A. R . JOHNSON, The Vitality of the Individual in the Thought of Ancient Israel, Cardiff 1949, p. 88ff. (und jetzt G. P I D O U X , L'Homme dans l'Anc. Test. Neuchätel, Paris 1953, q. 56). 5 Naturgemäß stehen dabei die »Großen« des Staates, die Heerführer usw. zunächst im Vordergrund, auf die H. BIRKELAND, Die Feinde des Individuums in der 2

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Ineinssetzung des zu Rettenden mit dem Erretter und seinen Schicksalen, wie sie etwa im ägyptischen Totenritual des Osiriskreises erfolgt. Der Messias ist der Retter des Volkes. Der israelitische Mensch versteht sich hier in seiner irdischen Existenz zentral von der Existenz seines Volkes her bestimmt und damit auf den Rettergott der Nation angewiesen. Aber je intensiver dies Bedrohtseinsgefühl lebendig ist, desto weniger vermag die Königsideologie sich dort, wo sie in die Zukunft greift, von der konkreten Gestalt ihrer irdisch-politischen Ausmalung zu lösen. Das Politische wird nie zum bloßen Bild, Symbol oder Typus für ein jenseitiges Heilsgut, so wie die Errettung des einzelnen aus Krankheit und irdischer Not wohl durch das Erleben innerer Gottesnähe überboten, ja entwertet werden kann, aber doch nicht zum Bild, Symbol oder Typus einer inneren und über den Tod hinaus geltenden Begnadigung wird 1 . Im Unterschied von dem zum rein dichterischen Ausdruck gewordenen Hadessturz des AuroraSohnes verbleibt dem »Soter« ein Rest »mythischer« Realität auch dort, wo die Historisierung in seiner Gleichsetzung mit Israel am weitesten vorgetrieben ist. Das »Heilige Volk« des Höchsten und das Ideale Israel behalten einen mythischen Zug, so wie auch die Feinde der letzten Zeit, von denen es das Volk und mit ihm die Welt zu befreien gilt, mythische Züge bewahren. Das damit angeschnittene Problem ist nun auch für die Rätsel, die uns die neugefundenen Texte vom Nordwestufer des Toten Meeres aufgeben, von nicht zu übersehender Bedeutung 2 . Auch sie »historisieren«. Die Feinde, über die Prophet Habakkuk einst geklagt hat, sind von ihm mit mythischen Farben gemalt. Dadurch ist ja eine sichere Antwort auf die Frage, wer denn nun »eigentlich« mit ihnen israelitischen Psalmenliteratur, Oslo 1933, die individuellen Klage- und Danklieder beziehen möchte. Bei seiner Interpretation käme die politische Bestimmtheit der »Erlösung« besonders deutlich zum Ausdruck. 1 Das ist das Richtige an der Auseinandersetzung F. BAUMGÄRTELS mit den neuesten typologischen Versuchen VON R A D S und seiner Freunde, die jetzt sogar drohen, die lutherischen Agendenpläne zu beeinflussen (vgl. CHR. MAHRENHOLZ, Agende für evangelisch-luterische Gemeinden I, 4, 1963, S. 44) a. a. O. S. 19 Anm. 17 und S . 106ff. Zur Frage der Typologie vgl. jetzt auch L . KOEHLER, Theol. Zeitschr. 9 (1963), S. 241 ff. 8 Die Literatur über die Funde ist bereits unübersehbar. Die älteren Veröffentlichungen — bis etwa zur Jahreswende 1960/61 — bespricht zuverlässig W. B A U M GARTNER, Theol. Rundschau 19 (1961), 97ff. An zusammenfassenden Werken seitdem nenne ich : P. KAHLE, Die hebräischen Handschriften aus der Höhle, Stuttgart 1961 ; H. BARDTKE, Die Handschriftenfunde vom Toten Meer, Berlin 1962; H. H. ROWLEY, The Zadokite Fragments and the Dead Sea Scrolls, Oxford 1962; A. DUPONT-SOMMER, Nouveaux aperçus sur les Manuscrits de la Mer Morte (L'Orient Ancien Illustré 6) Paris 1963. Die neuesten Fundberichte durch P. R. DE VAUX, vgl. in Rev. Bibl. 60 (1963), p. 83 ff., 245ff. (540 ff.)

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gemeint sei, bisher nicht gegeben, denn auch die von P. H U M B E R T in eingehender Exegese gewonnene innerisraelitische Deutung auf den bösen König Jojaqim ist ja nicht ohne Widerspruch geblieben1. Der Kommentar (hebr. pä&är), dessen Verfasser für sein Bewußtsein in der letzten Zeit lebt und der sich daher berechtigt fühlt, den Prophetentext nun auch auf die Ereignisse seiner Zeit zu beziehen, setzt sie den Seleukiden gleich2, vielleicht (bei anderer Auslegung gewisser Anspielungen) auch den Römern3. J e t z t muß das Rettungswunder Gottes geschehen und es wird geschehen kraft der Deutung, welche der »Lehrer der Gerechtigkeit« den göttlichen Geheimnissen gab, wie sie dem Moses und den Propheten geschenkt waren. Denn ihm ist es verliehen, sie richtig zu verstehen. Wir haben bei dem Offenbarungsmythos auf diese Seite zurückzukommen; in dem jetzigen Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß das Weltbild der Texte durch und durch mythologisch ist, indem ihm der — nach den Nachweisungen von K. G. K U H N ohne iranischen Einfluß unverständliche4 — Dualismus der beiden Geister zugrunde hegt, die, beide von Gott geschaffen (anders Sap. Sal. 11 24), von Anfang an nebeneinanderstehen und bis zum Ende der Tage sich in die Herrschaft über die Menschen teilen: des Geistes der Wahrheit und des Geistes des Truges, des Fürsten der Lichter und des Engels der Finsternis6. Am Ende der Tage aber werden der Prophet und der Messias — genauer: die beiden Messiasse8 — auftreten; der »Lehrer der Einung« aber, von dem die Bruderschaft ihren Ausgang genommen hat, und der sie reformierende »Lehrer der Gerechtigkeit«7, den sie als Offenbarungsmittler in höchsten Ehren 1 P. HUMBERT, Problèmes du Livre d'Habacuc (Mém. de l'Univ. de Neuchâtel 18), Neuchâtel 1944; dagegen G. FÖÖRER, Theol. Rundschau 20 (1952), S. 267. 2 So H. H. ROWLEY, The internal dating of the Dead Sea Scrolls (Anal. Lov. Bibl. et Orient. II, 30), Löwen 1962, der in dem Lehrer der Gerechtigkeit den Hohenpriester Onias und in seinem Gegenspieler, dem Argen Priester, den Menelaos sieht. 3 Zu dieser Deutung vgl. jetzt wieder A. DupoNT-Sommer a. a. O. p. 33ff., auch H.-J. SCHOEPS, ZAW 63 (1962), S . 249, aber nicht minder die Bedenken von G. R. DRIVER, J Q R 64 (1963), p. 3ff. « Zeitschr. Theol. Kirche 49 (1962), S. 296ff. 5

Manual oí Discipline (DSD), ed.

MILLAR BURROWS

(The Dead Sea Scrolls of

St. Mark's Monastery, II, New Haven 1961) III, 18f. rwhwt h'mt wh'wl; III, 20

ér 'wrjm. . . . ml'k hwSk. * DSD I X , 11: 'd bw' nbj' wmSjhj 'hrttm wjir'l;

vgl. dazu vor allem M. BURROWS, Angl. Theol. Rev. 34 (1962), p. 203ff. Zur Frage der beiden Gesalbten in der Damaskusschrift und den Testamenten der Zwölf Patriarchen vgl. auch A. DUFONT-SOMMER a. a. O. p. 80ff. 7 Zur Unterscheidung des (älteren) Lehrers der Einung von dem (jüngeren) Lehrer der Gerechtigkeit und den sich daraus ergebenden Folgerungen für die spätere Ansetzung der Damaskusschrift (CDC) vgl. L. ROST, TheoL Lit.-Zeitung 78 (1963),

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hält, werden weder mit dem »Gesalbten« noch mit dem Menschensohn noch mit dem gestorbenen und wiederkehrenden Gottesknecht terminologisch oder sachlich gleichgesetzt. Mir wenigstens erscheint trotz DUPONT-SOMMERS neuerlicher Verteidigung seine Deutung einer Stelle im Habakkuk-Kommentar, der Auslegung von 2 15, auf eine Erscheinung des — vorher von dem Lügenpriester getöteten — »Lehrers der Gerechtigkeit« am Tage der Eroberung Jerusalems durch Pompeius am Großen Versöhnungstag des Jahres 63 1 nicht sicher genug, um eine so weitreichende Vermutung zu stützen, wie sie eine übernatürliche Erscheinung des Lehrers im Rahmen der nationalen und religiösen Katastrophe bedeuten würde 2 . Auch die jetzt von dem gleichen Forscher vertretene Beziehung des »Neuen Priesters« aus Test. Levi 18 auf den wiederkehrenden Lehrer der Gerechtigkeit erscheint mir zu vage, da der einzige beiden Gestalten gemeinsame konkrete Zug die ihnen zuteil werdende Offenbarung der Gottesworte ist, während alle anderen Momente in der Ausmalung seiner Herrlichkeit im Habakkuk-Kommentar ohne Parallele sind. Die Erwartung der Auferstehung des »Erneuerers des Gesetzes« in Test. Levi 16 endlich ist textkritisch unsicher und es besteht zudem die auch von DUPONT-SOMMER nicht geleugnete Möglichkeit christlicher Interpolation 3 . Mit anderen Worten: so nahe die neuen Texte terminologisch dem NT, vor allem der paulinischen und der johanneischen Glaubenswelt stehen, so nahe, daß an einer Kenntnis der jüdischen Sektenfrömmigkeit ihrer Tage gar nicht zu zweifeln ist 4 — so scheint doch ein sehr wesentlicher Unterschied zu bestehen: der soteriologische Mythos in seiner eschatologischen Wendung ist auf den Lehrer der Gerechtigkeit im älteren Schrifttum der »Einung« bisher nicht übertragen. Erst in der sog. Damaskusschrift findet sich an einer Stelle ein »messianischer Oberton« 5 , der dann in dem Taxo der Assumptio Mosis Sp. 143ff., zur zeitlichen Reihenfolge der Sektenschriften überhaupt H . H . ROWLEY, Bull. John Rylands Libr. 35 (1953), p. 143ff. 1 a. a. O. p. 64ff. ; vgl. schon Aperçus Préliminaires (L'Orient Ancien Illustré 4), Paris 1 9 5 0 , p. 5 6 zu DSH, Col. XI, 4ff. (ed. M. BURROWS, The Dead Sea Scrolls of St. Mark's Monastery I, New Haven 1 9 5 0 ) . 2 Vgl. jetzt auch K . ELLIGER, Studien zum Habakuk-Kommentar v o m Toten Meer, Tübingen 1953, S. 281ff. auf Grund eingehender Behandlung von XI, 2ff. (S. 211 ff.). 3 Nouv. Aperçus p. 64ff. 4 Ich verweise auf meine Ausführungen Nachr. Akad. Wissenschaften Göttingen Phil.-Hist. Kl. 1949, S. 421 ff. oder auf K. G. KUHN, Zeitschr. Theol. u. Kirche 47 (1950), S. 192ff. * M. BURROWS, Angl. Theol. Rev. 1952, p. 206 auf Grund von C D C 8, 10f. (ed. l L . ROST, S. 14; ed. ZEITLIN, J Q R , Monogr. Ser. I , 1952, Taf. V I , 10f.): 'd md jwrh (sie!) hsdq b'hrjt hjmjm.

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voller erklingt1. Es ist selbstverständlich, daß wir angesichts der Fülle noch unveröffentlichter Texte nur mit Vorbehalt sprechen können, doch scheint mir das Bild der bisher bekannt gewordenen so eindeutig — und so spezifisch jüdisch —, daß ich mindestens für jetzt diese Trennungslinie zu ziehen wage. Auch dort, wo in den Hymnen der einzelne Fromme seine Rettung durch die schützende Gottesmacht mit mythischen Bildern malt und sie in den Rahmen der eschatologischen Vernichtung des Belijjaal und seiner Helfer im Sintbrand hineinstellt2, fehlt wenigstens bisher jede Spur eines Erretters neben Gott, und zwar auch dort, wo der Fromme sein zukünftiges Schicksal über diese Zeit und Welt hinaus in einer Aufnahme in die himmlische Ratsversammlung, die (jenseitige) »Gemeinde der Heiligen«, die »heiligen Wohnungen« (oder: die »heiligen Auen«) erblickt8. E R , der »ewig ist«, hält in seiner Hand das »Recht« des Frommen in dem ganzen Reichtum des Inhaltes, den das Wort miSpät im Hebräischen besitzt 4 : Ich aber, mein »Recht« steht bei Gott, und in seiner Hand die Geradheit meines Weges samt meines Herzens Redlichkeit. Durch seine Heilserweisungen wird getilgt meine Sünde, denn aus der Quelle seines »Wissens« hat er sein Licht hervorgehen lassen 6, daß mein Auge schauen dürfe seine Wunder und das Licht meines Herzens (erkenne) das kommende Geheimnis*, E R , der ewig ist, ist die Stütze meiner rechten Hand, auf festem Felsen (läuft) der Weg, den ich schreite, vor nichts und gar nichts darf mir grauen7. 1 Zur Gleichung mhwqq = Taxo-Lehrer der Gerechtigkeit, vgl. S. M O W I N C K E L , Vet. Test. Suppl. I (1953), p. 88. a Zu beachten ist vor allem das zuerst von E. L. S U K E N I K , Megiloth Genuzoth Jerusalem 1948, Taf. X I I I veröffentlichte Lied (vgl. meine Bearbeitung ZAW 62, S. 260ff.; letzte deutsche Übersetzung bei H. B A R D T K E , Die Handschriftenfunde am Toten Meer, Berlin 1962, S. 163ff.). 3 Vgl. namentlich Zeile 4ff. des eben genannten Textes (punktiere: bema'amädim s'bä' q°däSim / / 'im 'adat bene Sämajim / / 'im rühöt da'at; ebenso offenbar M. W A L L E N S T E I N , Hymns from the Judaean Scrolls, Manchester 1950, p. 15, während B A R D T K E , wie seine Übersetzung zeigt, in den beiden ersten Fällen 'am statt 'im lesen will), und DSD X I , 8; zum Text W. H. B R O W N L E E , Bull. Am. Schools Or. Res. Suppl. 1 0 - 1 2 (1951), p. 49 n. 16. 4 DSD X I , 2ff. »ER, der ewig ist«: hww' 'wlm, M. B U R R O W S erinnert (bei B R O W N LEE a. a. O. p. 43 n. 8) an Philo's Wiedergabe von Jahve durch 6 Ä>v oder TÖ ÖV. 4 Ich sehe keinen Grund, 'wrw in 'wrj zu ändern. * Zum Partzip Niphal nhjh im futurischen Sinn vgl. B R O W N L E E a. a. O. p. 64ff.; anders G . L A M B E R T , Anal. Lov. Bibl. et Orient. Ser. II, 23 (1951), p. 39, no. 98 ( = Nouv. 7 Zum Text vgl. B R O W N L E E p. 43, no. 9 (nach Rev. Thtol. 1951, p. 974). H. L . G I N S B E R G ) und L A M B E R T , p. 39 (974), no. 99, die nach VIII, 8 herstellen.

H e m p e l , G l a u b e , M y t h o s u . G e s c h . i. A T .

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JOHANNES HEMPEL, Glaube, Mythos und Geschichte im Alten Testament Denn Gottes »Treue« ist der Fels, über den ich schreite, seine Heldenstärke ist die Stütze meiner Rechten und aus der Quelle seines Heiles (strömt) mein »Recht«. Licht (strahlt) in mein Herz vom Geheimnis seines Wunders her, durch Ihn, der ewig ist, erblickt mein Auge das »Wissen«, das verborgen ist vor den Menschen, Kunde und kluges Denken, (verhüllt) den Menschenkindern, Quelle des Heiles und Becken der Heldenkraft, samt dem Brunnen des Lichtglanzes, (verborgen) der Schar derer, die Fleisch sind. Denen, die er erwählt, gab Gott es zum ewigen Erbe, und läßt sie Anteil gewinnen am Lose der Heiligen, und mit den Himmelskindern verbindet er ihre Schar / zur Gemeinschaftsversammlung, daß ihre Schar (weilen darf) auf heiliger Aue als ewige Pflanzung zu jeglicher Weltzeit, die kommt.

Mit dieser Betonung der »Gottesgnaden« als »ewiger Hilfe« wider alles Schwanken 1 sind wir in der Welt der Daniellegenden, aber nicht im Bereich des Erlösungsmysteriums des NT. Der Versuch, in dem Lehrer der Gerechtigkeit Jesus zu sehen, setzt ein »ebionitisches« Urchristentum voraus 3 , dem die entscheidenden Züge der Christologie nicht nur des Paulus und des Johannes, sondern auch der Synoptiker fehlen würden. Insofern kann er unsre These von dem nicht-messianischen Charakter des Lehrers der Gerechtigkeit in willkommener Weise stützen. Auch für ihn aber erscheint das bisher beigebrachte Beweismaterial zu gering, so interessant die angeblich in einem noch unveröffentlichten Fragment (einer Auslegung von Ps 37) begegnende Selbstbezeichnung der Bruderschaft als »Gemeinde der Armen« ('adat 'äbjonim) sein würde. Allein weder die Tatsache, daß die neugefundene Sammlung messianischer Testimonia mit der Stelle Dtn I815.18 beginnt, die a u c h auf Jesus bezogen worden ist (Act 3 22 7 37, vielleicht auch Joh 6 14), noch die andere Tatsache, daß neuaufgetauchte Phylakterien neben dem Schema auch den Dekalog enthalten 4 , können es ausgleichen, daß keine einzige klare Anspielung auf ein Jesuswort oder eine Tat Jesu nachweisbar ist, während doch die gesamte Literatur der Sekte von alttestamentlichen Anklängen getragen ist. Achten wir auf diese Unterschiede der beiden Religionskreise, so wird auch die Eigenart des neutestamentlichen Dualismus gegenüber dem in unseren Texten vertretenen deutlicher. In der johanneischen Frömmigkeit stehen sich die Welten der beider Geister 1

Lies (mit BROWNLEE) wswdm bnwt 'wlm statt wswd mbnwt 'wlm. Vgl. DSD XI, l l f f . 3 Vgl. J. L. TEICHER, Manchester Guardian 16. Sept. 1953, mit dessen älteren Untersuchungen sich DUPONT-SOMMER, Nouv. Aperçus p. 201 ff. auseinandergesetzt hat. 4 Vgl. R. DE VAUX, Rev. Biblique 60 (1953), p. 263. 2

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nicht mehr statisch gegenüber, wohl in einem dauernden Kampfe miteinander liegend, in dem die Welt der Finsternis die Lichteskinder zu verführen sucht, aber eben doch bis zum letzten großen Tage nach Gottes Vorsehung und Willen im Nebeneinander die Welt beherrschend 1 , sondern die Lichtwelt ist in dem fleischgewordenen Wort mit Macht in die Dunkelwelt eingebrochen und hat den Endkampf schon eröffnet. Die eschatologische Entscheidung hat schon angehoben und vollzieht sich nach göttlicher Prädestination in dem einzelnen Frommen in der Vollmacht, im Glauben Gotteskind und Glied der Lichtwelt zu sein. Im Hören der Wahrheit wird offenbar, wer »aus der Wahrheit ist« (Joh 18 37). Damit stehen wir vor dem letzten Problem, dem O f f e n b a r u n g s m y t h o s . Manchmal und auf mancherlei Weise kann die Gottheit sich kundtun, im unmittelbaren Sichtbarwerden, vielleicht in verhüllter Gestalt, so daß der Mensch, dem sie erscheint, sie zunächst so wenig erkennt, wie Josua den Fürsten des Jahveheeres (Jos 5 13f.) oder die Emmausjünger ihren Herrn (Lc 2416), bis seine Augen geöffnet werden und er nun wie weiland Manoah (Jdc 13 15 ff.) dessen innewird, wen er vor sich hat oder vor sich gehabt hat. Die Erscheinung des Gottes mag im Traume geschehen oder in der Vision. Er selber mag unsichtbar bleiben und nur seine Stimme hören oder auch sich durch einen Dolmetsch-Engel vertreten lassen2 oder auch schweigen und durch solches Sichnichtmanifestieren seinen Zorn spüren lassen (I Sam 3i). Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der israelitischen Psychologie, daß ihr — trotz oder infolge ihrer stärker auditiven Veranlagung 3 — das Sehen einen engeren Kontakt mit dem Wahrgenommenen bedeutet als das Hören, so daß das Abstandsbewußtsein es wohl erträgt, die Gottesstimme zu hören, aber nicht, sein »Angesicht« zu sehen, ohne zu sterben (Ex 33 20). In den Begriffen des »Namens«4 und des käböd, des Lichtglanzes, der »Herrlichkeit« 5 ist ein Ausgleich geschaffen zwischen dem Verzicht auf die 1

Zum Dualismus der Sektentexte vgl. vor allem die Analysen bei K. G. K U H N , Zeitschr. Theol. u. Kirche 49 (1962), S. 200, dessen Aufweis der Unterschiede gegenüber der paulinischen Prädestination sich durch die im Text gezeigten Unterschiede gegenüber der johanneischen Frömmigkeit ergänzen läßt. 2 Vgl. z. B. H. E I S I N G , Nötscher-Festschr. (Bonner Bibl. Beitr. I), 1960, S. 62ff. 3 Zur auditiven Veranlagung Israels gegenüber dem Griechentum vgl. TH. BOMAN a. a. O . S . 166ff. — B . weist mich brieflich darauf hin, daß schon H. LEISEGANG, Heiliger Geist I, 1 (1919), S. 216ff. den Übergang von hebräischer zu griechischer Denkart bei Philo dadurch belegt, daß Ph. »das biblische Reden Gottes in eine sichtbare Offenbarung verwandelt«. 4 Vgl. namentlich O. GRETHER, Name und Wort Gottes im AT (BZAW 64), Gießen 1934. 5 Vgl. z. B . L. H. BROCKINGTON, Exp. Times 67 (1946/46), p. 21ff. 4'

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ersehnte, im Kultdrama der älteren Zeit erlebte und in der Kultsprache der Psalmen noch erbetene Gottesschau 1 , und der geltend gewordenen Lehre von seiner Transzendenz, ein Ausgleich, den die urchristliche Gemeinde in der Person Jesu vollzogen sieht (Joh 1 18 6 46 I Joh 412). Im Begriff des »Geistes« — den freilich, worauf m. W. zuerst S . MOWINCKEL aufmerksam gemacht hat, die älteren Propheten für ihre eigenen Erlebnisse meiden — wird eine analoge Auflösung der Spannung zwischen der Transzendenz Gottes und seinem innerweltlichen und innerseelischen Wirken gesucht und gefunden 2 , und endlich leistet die »Hand« Jahves denselben Dienst 8 , auch in den seltenen Beispielen jüdischer Malerei und Mosaikkunst, in denen sie in Dura wie in Beth Alpha begegnet. Das mit allen diesen Erscheinungen verbundene Schwinden der persönlichen Erscheinung Jahves hat nun aber seine Folgen für die Erlebnissicherheit. Zeigt ein im natürlichen Ablauf der Dinge unerklärliches Geschehen, ein Erdbeben etwa, eine Sonnenfinsternis, ein Hagelsturm oder ein Heuschreckenschwarm an, daß ein übernatürliches Wesen am Werke ist, so mag man darüber streiten, wer denn hier gehandelt hat oder handelt, und nach Kennzeichen sich umschauen, die Mehrdeutigkeit des Wunders 4 zu beheben. Wenn Jahve den Assyrer vor Jerusalem vernichtet, wird man ihn, den Landesgott, als den Sieger anerkennen; wenn die Menschen nur einmal recht nachdenken wollten, müßten sie aus der Sinnlosigkeit einer Zerstörung der Satanswerke durch Satan es erschließen, daß in Jesus Gott und nicht Beelzebub die Wunder wirkt (Jes 14 24 ff. Mc 3 22 par.). Durch absonderliche Widerfahrnisse, durch ihn gewirkt oder an ihm sich vollziehend, wird der Gottgesandte legitimiert (Ex 4ifl.), bis er im Zauberwettstreit seine Gegner übertrumpft hat (Ex 9 n). Durch die Geschichte wird das Wort, das er spricht, als das Wort eines, seines Gottes ausgewiesen, es sei denn, daß dieser selbst ihn durch einen Lügengeist betören läßt (I Reg 22 21). Denn das ist die — nicht nur in Israel — verbreitetste Offenbarung der Gottheit 6 , 1

Siehe oben S. 31 Anm. 1 ; zum Zusammenhang von »Name«, käböd und kultischer Theophanie auch A. W E I S E R , Festschr. A. BERTHOLET, Tübingen 1960, S . 613ff. 2 Außer der oben S. 31 Anm. 2 genannten Literatur vgl. zum Geistproblem jetzt auch J. GUILLET, Thèmes Bibliques, Paris 1951, p. 228ff. 3 Zur »Hand« vgl. mein Gott und Mensch 2 , Stuttgart 1936, S. 17; auf eine assyrische Parallele — Tiglatpileser vor der Hand Assurs auf dem Londoner sog. Bröken Obelisk — macht SCHRADE, Der Verborgene Gott, Stuttgart 1949, S. 218, Abb. 49 aufmerksam. 4 Vgl. meine Ausführungen: Die Mehrdeutigkeit der Geschichte als Problem der prophetischen Theologie, Göttingen 1936, S. 8ff. 8 Vgl. M. NOTH, Geschichte und Gotteswort im A T (engl, in Bull. John Rylands Libr. 32, 2, 1960, p. 194ff.); J. PEDERSEN, Festschr. Th. H . ROBINSON, Edinburgh 1950, p. 127ff.; J. GRAY, Expos. Times 63 (1951/52), p. 263ff.

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daß sie ihr machtgeladenes, sich selbst vollstreckendes Wort zu einem Menschen sendet, es einem Menschen eingibt, daß er es weitersage und dadurch die Geschichte gestalte nach dem Plan und auf das Ziel hin, das sein Gott ihr gesetzt hat. Wir haben es hier mit einem sehr weitschichtigen Phänomen zu tun, das von den urtümlichsten religiösen Gestaltungen bis hin zu den sublimsten Erlebnissen der Mystik reicht, das die Welt der Legende umspannt, in Einzelzügen in die Heldensage hineinspielt und das prophetische Bewußtsein beherrscht. Wie freilich über das Sehen und Hören Gottes oder seines Engels hinaus oder auch abgesehen von diesen »mythischen« Formen der Offenbarungsempfang erfolgt sei, darüber fehlen terminologisch eindeutige Bestimmungen. Die aus der sexuellen Sphäre stammenden Ausdrücke des »Packens«, »Betörens« oder »Überwältigens« haben ihren konkreten Sinn eingebüßt1 und stehen nur noch »symbolisch« für die Wehrlosigkeit des Offenbarungsträgers gegenüber dem sich Offenbarenden, die sich auch in den Schreckreaktionen spiegelt, unter denen sich der Offenbarungsempfang vollzieht2. Diese müssen abklingen, je mehr das Erfahren der unmittelbaren Nähe Jahves und seine Zwangsgewalt schwindet und damit persönlicher Entscheidung und Wortgestaltung eine Möglichkeit eröffnet, wovon sofort zu reden sein wird. Auch das, was G R E T H E R das Zurücktreten der Audition hinter einer »unmittelbaren Eingebung des däbär« nennt, jene seelischen Erlebnisse, für die M O W I N C K E L die Haltung der sog. »Gruppenbewegung« zum Vergleich heranzieht, gehört in den von uns gesuchten Bereich nichtmythischer Offenbarungserfahrungen3, für die das AT keine Beschreibungsmöglichkeit haben konnte. Vor allem erfahren wir nichts darüber, wie dem Lehrer der Gerechtigkeit die göttlichen Geheimnisse kundgeworden sind. Wir haben kein Eigenzeugnis aus seinem Munde; den Seinen aber genügt es, daß sein Gott ihm den wahren Sinn der Worte Moses' und der Propheten enthüllt hat; vielleicht darf man annehmen, daß es sich um »Erleuchtungen« während der Meditation über dem Gesetz und den übrigen heiligen Schriften handelt, die ihn mit der unmittelbaren Überführungskraft sich durchsetzender Erlebnisse überkommen haben. Damit aber stünden wir jenseits des Offenbarungsmythos in einem nicht mehr mythischen Offenbarungsglauben, weil auch die subtilste Form anthropomorphen Gotteshandelns, sein Reden im Wort, das gehört wird, hingefallen wäre4. Vgl. ZAW 56 (1938), S. 63f. Neben Jes 21 iff. (vgl. zuletzt R. B. Y. SCOTT, Vet. Test. 2 (1952), p. 278ff.) ist namentlich Hi 412ff. zu nennen. 3 Vgl. O. GRETHER a. a. O. S. 89ff.; S. MOWINCKEL, Act. Orient. 13 (1935), p. 264. 4 Zu andersartigen Gedankenbildungen bei Philo, IV Esra und anderen spätjüdischen Zeugnissen vgl. J . LEIPOLDT, ZNW 44 (1952/53), S. 128 ff. 1

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Welches aber ist, solange es »gehört« wird, der Inhalt des »Wortes« ? Niemals ist er innerhalb des AT — im Unterschied von den Sprüchen der »Weisen« — eine allgemeine Lehre, ein immer und überall geltender Satz, mit einziger Ausnahme des als Offenbarung an Moses stilisierten Grunddogmas der deuteronomischen Schule: Höre, Israel, Jahve ist unser Gott, Jahve als der Einel (Dtn 64)

und etwa noch der Proklamation von der Heiligkeit Jahves im Sang der Saraphen in der Berufungsstunde Jesajas: Heilig, dreimal heilig ist der Kriegsherr Jahve, sein lichter Schein erfüllt die Welt (Jes 63).

Immer wieder handelt es sich vielmehr um Willens- und Machtäußerungen Gottes, die die Zukunft nicht allein vorhersagen, sondern vorhergestalten, Äußerungen seiner Leidenschaft zum Guten in Liebe und Erbarmen, zum Bösen in Zorn und unheimlichem Drange zur Strafe und Rache. Denn trotz der in der Satansgestalt sich vollziehenden Abspaltung der »dunklen Wesensseite Gottes« 1 bleibt dem Begriff der Heiligkeit Jahves diese Ambivalenz göttlichen Wollens und Seins. Sie gehört — auch in ihrer für die israelitische Geschichtsschau maßgebenden ethischen Schematisierung — zu dem gemeinorientalischen Erbe, denn auch in Israels Umwelt begegnet bis hin zur sog. Weidnerschen Chronik der Glaube, daß Götter ihr eigenes Volk schlagen2, wenn es gegen ihre Verehrung verstößt In Israel mußte sich dieser Gedanke um so stärker auswirken, je lebendiger im Bundesgedanken die Verbindung zwischen Volk und Gott als göttliche Setzung 8 und je überwältigender die weltüberlegene Macht Jahves als geschichtsgestaltendes Prinzip geglaubt ward. Mit dem, was der Prophet erfährt, hat er sich abzufinden, ob er will oder nicht, ob er unter der göttlichen Zwangsgewalt widerstandslos gehorcht oder ob er zuvor innerlich für seinen Dienst gewonnen werden muß. Das kann so geschehen, daß der Prophet selbst im Scheltwort, etwa geleitet von dem Grundsatz der spiegelnden Strafe, eine Begründung hinzufügt, welche dem Volk, zuvor aber ihm selbst das Wollen seines Gottes einsichtig und damit bejahbar macht 4 . Der Vorgang kann sich auch so abspielen, daß der Appell an sein Gewissen ihm die Verantwortung, die er für die zu Warnenden und für sich selbst trägt, klarstellt (Hes 3 17ff.). Es ist ein packendes 1

S.

Vgl. R. R.

SCHÄRF,

Die Gestalt des Satan im AT, Diss. Phil. Zürich I, 1948,

167. 2

Vgl. Mehrdeutigkeit S. 29 ff. Zum »Bund« als göttlicher Setzung siehe oben S. 191. 4 Zu den Begründungen der Prophetensprüche vgl. H. W. W O L F F , ZAW 62 (1934), S. l f f . und mein Gott und Mensch2, Stuttgart 1936, S. 101. 3

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Schauspiel, dies Ringen zwischen dem schlechthinnigen Gebundensein an ein für den Propheten völlig »irrationales« Erleben auf der einen Seite — das sich auch in dem »irrationalen« Charakter des israelitischen Ethos und seiner Gesetzeserfüllung, damit aber der Verumständung des gesamten Rechtes in die Sinaioffenbarung spiegelt — und der starken rationalen, verstehenwollenden Komponente des israelitischen Geistes auf der anderen Seite zu verfolgen1. Dieser Kampf hat in aller Regel das Offenbarungserlebnis zu seiner Grundlage, insonderheit das Berufungserlebnis des Propheten, welches für all sein späteres Erleben schlechthin entscheidend und formend ist. Und so stark ist für das religiöse Bewußtsein die Herrschaft des Offenbarungserlebens, daß in der eben erwähnten Zusammenfassung allen Rechtes in der Sinaierzählung auch fremde Stoffe überkommenen altorientalischen Traditionsgutes mit spezifisch israelitischen Sätzen zur Einheit verbunden werden2, die in viel stärkerem Maße formal und inhaltlich »göttliches« Recht ist als dies bei den übrigen orientalischen Rechten der Fall ist. Hat aber der Kampf zwischen dem rationalen Denken und der Bindung an das Erleben übermächtigen göttlichen Willens das Offenbarungserlebnis zur Grundlage und zum Ausgangspunkt, so ist es zugleich der »Stoff«, den die Ratio bearbeitet, indem sie ihn nicht etwa an irgendwelchen »weltanschaulichen« Grundsätzen mißt, sondern an älteren Worten und Verhaltungsweisen Jahves und dem aus ihnen sich ergebenden Wissen um sein ganz konkretes Tun. Wo aber ein Allgemeingültigkeit beanspruchender Satz der »Weisen«, die Vergeltungslehre, nicht dazu dienen kann, ein konkretes Handeln Gottes zu verstehen, sondern sein Verständnis verhüllt und erschwert, mag es geschehen, daß eine »Offenbarung«3 — nicht den Satz verneint, sondern — die gesamte Fragestellung zugunsten des in sich gegründeten göttlichen Handelns außer Kraft setzt: Und Jahve antwortete dem Hiob aus dem Wettersturm und sprach: »Reckenrüstung leg an! / Frag' ich, stehe mir Rede! Ändre mein Urteil! / Verdamm mich. Gerechter! Hast Gottes Arm ? / Donnerst wie er ? Stolz sei dein Schmuck, / Hoheit dein Kleid! Lodert dein Zorn, / beugst du den Bösen, stürzest den Stolzen, / fällest den Falschen, streckst in den Staub / tödlich sein Haupt, dann preis' ich dich, / dein's Armes Sieg! (Hi 40eff.) 1 Zum »irrationalen Gehorsam« und seiner Spannung zum rationalen Zug des israelitischen Denkens vgl. mein Ethos des AT, Berlin 1938, S. 182 ff. 2 Zur Vorgeschichte des israelitischen Rechtes vgl. neben meiner Althebr. Lit. S. 73ff. namentlich A. ALT, Kleine Schriften I, München 1963, S. 278ff. 3 E. WÜRTHWEIN bezieht (Festschr. A . BERTHOLET, Tübingen 1 9 6 0 , S . 5 4 8 ) auch die Konfliktslösung in Ps 73 auf ein dem Beter gewordenes Orakel.

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Und Hiob antwortete dem Jahve und sprach: »Ich weiß, du kannst alles! / Nichts ist dir zu schwer! Törichtes hab' ich gesprochen, / Wunder, die nie ich verstand; hatte von dir nur gehört, / jetzt sah dich mein Auge! Bin drum verklagt und verjagt, / büße in Asche und Staub« (Hi 421 ff.).

Wo die »Vernunft« an ihre Grenze gelangt ist, bricht der Mythos mit elementarer Gewalt neu durch. Das mythische Geschehen — das Handeln Jahves in dieser konkreten Welt von der Urzeit her, in der Gegenwart und in der kommenden Endzeit — und das mythische Wort, dem Propheten (oder auch im Orakel dem Priester) gegeben, sind aufeinanderbezogen, und wo »vernünftige« Erwägungen diese Beziehungen auflockern wollen, müssen sie vor dem Primat des »Geoffenbarten« kapitulieren. Der Offenbarungsmythos ist aus dem israelitischen Glauben nicht zu eliminieren, wohl aber hat er Zeiten stärkerer oder schwächerer Lebendigkeit, größerer oder geringerer Konkretheit der Vorstellungen, in denen er einhergeht, auch der strengeren oder loseren Traditionsgebundenheit. Wir kommen an das gleiche Problem noch von einer anderen Seite heran. Es ist offensichtlich, wie stark gerade der Offenbarungsmythos vom Wechsel des Weltbildes betroffen wird. Mochte den Bewohnern der sibirischen Tundra der auf seinem ersten Weltflug über sie hindonnernde Zeppelin eine dämonische Manifestation sein: die auf dem europäischen Kriegsschauplatz eingesetzten Tungusen haben das Wesen der Fliegerei »besser« verstehen gelernt! Für das AT ist nun, da sein Weltbild in seinen wesentlichen Zügen einheitlich ist, nicht diese Form der Mythenkritik und damit der »Entmythologisierung bedeutsam geworden, sondern allein eine Mythenkritik aus Glauben. Man darf nicht alles Geschehen auf Jahve zurückführen und man darf nicht jede Erscheinungsform von ihm aussagen! Sowohl die im Glauben immer lebendiger erfaßte »Überweltlichkeit« als auch •die Zurückdrängung dessen, was man seit V O L Z mit Recht das »Dämonische« in ihm genannt hat, haben dazu geführt, die »schwarzen Wunder« und die reinen Schauwunder zurückzudrängen und die unmittelbaren Gotteserscheinungen, wie oben schon angedeutet und wie oft genug dargestellt, zugunsten des Traumes, der Vision, des »Gesichtes«, der Engelerscheinung und vor allem des prophetischen Wortes einzudämmen. Nur ist dabei zu beachten, daß der Glaube an die alles Menschenmaß übersteigende Gottesmacht in dem Abstandsbewußtsein gerade des Offenbarungsträgers von seinem Gott •dazu geführt hat, die »Wunder« als magische Taten des aus eigener Kraft wirkenden Menschen auszuschließen und sie als Manifestationen seines Gottes, als Gott es werke festzuhalten, wie auch die symbolischen Handlungen der Propheten sich durch ihre Bindung an den •Gottesbefehl von den magischen Praktiken abheben, mit denen sie

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das Wirksamsein teilen1. Analog hat das Erlebnis des Überwältigtwerdens des Propheten in dem auf ihn ausgeübten Gotteszwang eine Auflösung des Offenbarungserlebnisses in einen innerseelischen Vorgang unmöglich gemacht. Man kennt sehr wohl den Unterschied eines »gegebenen« Wortes von den Gedanken des eigenen Herzens und weiß ihn polemisch energisch zu nutzen (z. B. Jer 23 iß); man mag auch im Einzelfall selbst schon vor dem Sicherfüllen, das allen Zweifel bannt, nach einem Kennzeichen ausschauen, an dem man den Offenbarungscharakter des eigenen Erlebens ablesen könnte und es in einem äußeren Ereignis (vgl. Jer 32 s und schon I Sam 20 2 ff. 9 f.) oder in der Übereinstimmung mit anderen »Worten« finden (Jer 28 8f.). Es mag auch die eigene Deutung oder Begründung, die der Prophet dem ihm gewordenen Wort zu geben weiß, mit in den Gottesspruch selbst hineingenommen werden2. Immer aber bleibt dies bestehen: Die Frage nach der Realität eines Gotteserlebnisses wird nie von der rationalen Kritik an der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer unmittelbaren Einwirkung Gottes auf den Offenbarungsträger her gestellt, niemals aus »weltanschaulichen« Gründen, vielmehr dort, wo sie für ein einzelnes Wort auftaucht, immer nur vom I n h a l t des Wortes her, an dessen Gottgewirktsein Zweifel auf Grund seiner Spannung gegen andere Gottesworte, gegen Gottes Treue oder gegen sein bisheriges Handeln auftauchen. Das Erlebnis der »Grenze« ist so lebendig, daß wohl die Handlungsunfähigkeit der fremden Götter und ihrer Bilder verspottet werden mag (z. B. Jes 44 iofi.), daß aber das Handeln Jahves nur von seinem eigenen — der höchsten menschlichen Sittlichkeit der „Treue" und Gerechtigkeit weithin analogen — Ethos und seinem eigenen weltüberlegenen Gottsein und damit seiner »Ehre« her eingegrenzt werden kann, und daß auch Zweifel an dem Gottgewirktsein des einzelnen Wortes ihrerseits aus dem Glauben stammen und von ihm leben. Zu den »echten« Gottesworten aber, die sich als solche erfüllen müssen, gehört nicht zuletzt die Zusage an den Offenbarungsträger, dessen Widerstand, wo er lebendig wird, nicht nur durch die göttliche Übermacht mit Zwangsgewalt gebrochen werden, sondern auch innerlich durch das Besondere seines Gotteserlebens überwunden werden soll: Gürt' deine Hüfte! / Auf! Sprich zu ihnen! Erschrick nicht vor ihnen! Sonst schreck ich dich, / daß sie's schauen! Siehe, ich mache dich heute / zur Burg, wohl bewehrt, zur eisernen Säule, / zur ehernen Mauer / wider die Welt, die Könige Judas, ihre Minister, 1

Vgl. jetzt G. F O H R E R , Die symbolischen Handlungen der Propheten, Zürich 1963. Vgl. zum Problem H. W I L D B E R G E R , Jahvewort und Prophetische Rede bei Jeremia, Diss. theol. Zürich 1942. 2

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ihre Priester, die Leute im Lande. Streiten sie wider dich, sie bezwingen dich nicht, denn ich bin mit dir! Ich rette dich (Jer Int.; vgl. 15 20). Ich aber dachte: Hab umsonst mich gemüht, / für nichts und gar nichts / verzehrt meine Kraft! Und doch: Bei Jahve steht mein Recht, mein Lohn bei meinem Gott (Jes 4 9 4 f . ) !

Die Qualität des Gotteserlebnisses tritt damit neben seine Wucht und führt dort, wo seine Zwangsgewalt nachzulassen beginnt, die revelatorische Erfahrung in die Nähe jener anderen, in der gesamten Religionsgeschichte verbreiteten, die dem Frommen bei dem Gebet und dem Innewerden der Gebetserhörung zuteil werden oder ihm auch bei dem Lesen der für ihn heiligen Schriften und der Meditation über ihnen geschenkt werden. Vielleicht darf man hier noch einen guten Schritt weitergehen. Es mag sein, daß dort, wo der Künstler seit den Tagen Homers seine Formung des Stoffes in mythischer Rede erfleht, hinter seinen Gebeten zur Muse oder zu den die Metamorphosen und seinen Sang von ihnen wirkenden Göttern das »Fremdheitserlebnis«1 nur noch schwach nachzittert. Es mag sein, daß die Anerkennung des mythischen Erlebens des Künstlers durch den Beschauer seines Werkes eine überschwängliche Redewendung darstellt, die nicht mit wörtlichem Ernste hingenommen werden darf; ich denke etwa an FRIEDRICH HEBBELS Ausruf vor der jetzt für uns verlorenen Sixtinischen Madonna, deren Auge auch mir zuerst die Spannweite künstlerischen Schaffens erschlossen hat: Das hätt' ein Mensch gemacht? Wir sind betrogen! Das rührt nicht her von einer ird'schen Hand! Das ist entstanden wie der Regenbogen und auch wie jener göttlich Unterpfand. Schau hin! Dein Auge wird dir nimmer sagen, was Tau ist oder Licht im kleinsten Punkt! Drum soll sich keiner an dies Wunder wagen, der seine Pinsel bloß in Farben tunkt. Viel lieber soll's die Zukunft ganz betrauern, als nur zur Hälfte sich erhalten sehn: In einer Sage mög' es ewig dauern, in einem Abbild nicht zugrunde gehn!

Es wird kaum je möglich sein, genauer zu bestimmen, wo ein unanschauliches Fremdheitserlebnis sich des mythischen Bildes des »Sehens« und »Hörens« der Gottheit als »dichterischer« Ausdrucksform bedient und damit »die Macht oder die Mächte« »vorstellungsmäßig in den Kreis der bekannten Welt und in den Kreis des mensch1

Vgl. meine Schrift: Berufung und Bekehrung, Stuttgart 1935.

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liehen Lebens, seiner Affekte, Motive und Möglichkeiten einbezieht« oder wo das Erleben selbst mythisch-anschaulichen Charakter getragen hat. Aber dort, wo der Künstler und der Prophet im verantwortlichen Bekenntnis zu dem Transsubjektiven ihrer Erfahrungen diese in mythischem Bilde zum Ausdruck bringen und damit ihr Erlebnis nicht einkleiden, sondern in seinem wirklichen Ablauf zu schildern vermeinen, die Anklage auf Schizophrenie zu stellen, mag dort verlockend sein, wo die Form ihres Erlebens — wie wir es oben für Ezechiel sahen — für uns nicht mehr nacherlebbar ist. Aber man darf darüber nicht vergessen, daß damit auch das schlichte Erleben des Frommen im Gebet und in der Erfahrung der Sündenvergebung in die Nähe solchen Verdammungsurteils gerät. Es gibt keine Mystik, es gibt keine Gebetserfahrung, die mehr sein will als Gemütserleichterung durch Aussprechen dessen, was die Seele bedrückt und quält, die nicht den »mythischen« Zug in sich trügen. In ihnen erfährt der Mensch »Grund und Grenze seiner Welt und seines eigenen Handelns und Erleidens« darin, daß »eine Macht oder Mächte« sich ihm zu erfahren geben, die er, will er sein Erleben sich selbst vorstellungsmäßig klären oder anderen in Worten oder im Kunstwerk übermitteln, im Bilde menschlicher Verhaltungs- und Handlungsweisen ausformen muß. Martin Luthers Protest gegen die Verurteilung der Anthropomorphisten hat hier ihre Stelle: Decretum damnat dv6pC0TT0ii0p