Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag am 2. Januar 2003 [Reprint 2013 ed.] 9783110877038, 9783899490411

The festschrift for the 70th birthday of Peter Ulmer honours a scholar who helps to shape German private, trade and econ

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Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag am 2. Januar 2003 [Reprint 2013 ed.]
 9783110877038, 9783899490411

Table of contents :
Vorwort
I. Gesellschafts- und Konzernrecht
Zeitliche und sachliche Begrenzung von Abfindungsansprüchen gegen das herrschende Unternehmen im Spruchstellenverfahren
Transparenz und Wertprüfung beim Erwerb von Sacheinlagen durch genehmigtes Kapital
Abfindungsklauseln nach dem Tod des Gesellschafters einer OHG und Pflichtteilsergänzungsansprüche
Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft
§ 130 HGB: Weitere Rechtsfortbildung im Recht der BGB-Gesellschaft?
Direktkontakte des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern
Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht: Viel geschmahtes Relikt aus vergangenen Zeiten oder nützliches Finanzierungsinstrument?
Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Inhaberin von Kennzeichenrechten
„Nichtbefassungsbeschluß“ und § 50 GmbHG
Scheinsozietäten als besondere Form der Scheingesellschaft
Die Freistellung des Organwalters von seiner Haftung gegenüber der Gesellschaft
Genehmigtes Kapital und Beteiligungserwerb – Zu Informationsdefiziten, Rechtsschutzmöglichkeiten und Reformüberlegungen –
Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea – Neue Denkanstöße für die „Corporate Governance“ – Diskussion
Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr
„Organnachfolge“ bei der Verschmelzung?
Satzungsstrenge und Gestaltungsfreiheit in der Europaischen Aktiengesellschaft
Zur Holzmüller-Problematik: Reduktion des Vorstandsermessens oder Grundlagenkompetenz der Hauptversammlung?
Gesellschafterinnenhaftung in der GmbH und internationale Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001
Der Gläubigerschutz bei Liquidation der masselosen GmbH
Zur konzernrechtlichen Behandlung von BGB-Gesellschaften und Gesellschaftern
Interne Voraussetzungen für die Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG
Die besondere sachverständige Beratung des Aufsichtsrats durch seine Mitglieder
Stand und Entwicklung im Recht der Stock-Options
Zur Reichweite der Inkompatibilitätsregelung des § 287 Abs. 3 AktG
Abschwächungen des mitgliedschaftlichen Bestandsschutzes im Aktienrecht
Abhängigkeit der Einziehung von Geschäftsanteilen von der Abfindungsleistung?
Vorbelastungshaftung und anschließende Gewinne
Die Haftung einer Schwestergesellschaft für die Schulden einer anderen Schwester nach dem Urteil „Bremer Vulkan" des BGH
Beschlussmängelstreitigkeiten und Schiedsgerichtsbarkeit - Gestaltungs- und Reaktionsmöglichkeiten
Ausschluss der Anfechtung des Squeeze-out-Beschlusses bei abfindungswertbezogenen Informationsmängeln
Integrationswirkung des Umwandlungsgesetzes – Betrachtungen zur Dogmengeschichte und Rechtsfortbildung im Gesellschaftsrecht
Treupflichten im mehrstufigen Unterordnungskonzern
Virtuelle Holding und Bereichsvorstände – eine aktien- und konzernrechtliche Betrachtung
Entscheidungen und Ermessen im Aktienrecht
Zweifelsfragen der nominellen Kapitalerhöhung durch den GmbH-Scheingesellschafter
Die „versteckte“ stille Gesellschaft
Zur Haftung des Treugeber-Kommanditisten bei der qualifizierten Treuhand
Die „kohärente und auf Dauer angelegte Gruppenpolitik“
Die Anfechtung eintragungsbedürftiger Strukturbeschlüsse de lege lata und de lege ferenda
Die Zulässigkeit von Mehrheitsregelungen in Konsortialverträgen
II. Kapitalmarkt- und Bilanzrecht
Prospektaktualisierungspflichten – Aktualisierungs-, Berichtigungs- und Nachtragspflichten im Recht der Haftung für Prospekte und Angebotsunterlagen
Die Information des Kapitalmarkts beim Börsengang (IPO)
Ein Versuch der Standortbestimmung des neuen Rechnungslegungsrechts
Zur Haftung der AG und ihrer Organmitglieder für unrichtige oder unterlassene Ad-hoc-Informationen
Optionen auf eigene Aktien
Wie lange noch: Verbundene Unternehmen im Bilanzrecht?
Abschlussprüfung und Interessenkonflikte – Ein Plädoyer
III. Kartell- und Wettbewerbsrecht, allgemeines Wirtschaftsrecht
Freie Vertriebsgestaltung – Grundsatz und Grenzen im deutschen und europäischen Handels-, Wirtschafts- und Presserecht
Werbefreiheit nach „Benetton“
Einflußregulierungen in Gesellschaften zwischen Binnenmarktrecht und Eigentumsordnung
Gemeinschaftsunternehmen – Die ewige Suche nach dem Schwerpunkt
Konzeption und Strukturen des Wirtschaftsrechts
Kartellverbot und Ausschließlichkeitsbindungen bei Alleinvertriebsvereinbarungen nach der sechsten Kartellrechtsnovelle – Neuere Tendenzen bei der Abgrenzung zwischen § 1 und § 16 GWB unter Berücksichtigung der „Schirm“-GFVO (EG Nr. 2790/1999)
Verfassungsschranken der Kommunalwirtschaft
Die Beurteilung kooperativer Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen nach der EG-Fusionskontrollverordnung – Eine Zwischenbilanz zu Art. 2 Abs. 4 EG-FKVO
Abwehrkartelle
IV. Bürgerliches Recht, Handels-, Verbraucherschutz- und AGB-Recht
Die AGB-rechtliche Leitbildfunktion des neuen Leistungsstörungsrechts
Geltungserhaltende oder geltungszerstörende Reduktion?
Rechtsgeschäftliche Vertretung – Representación voluntaria Vergleichender Überblick zum deutschen und spanischen Recht
Zur Effizienz der Verbandsklage nach § 13 AGB-Gesetz
Öffentlichrechtliche Satzungen und Benutzungsordnungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen
Die Haftung des Vertragshändlers gegenüber seinem Abnehmer nach neuem Kaufrecht
Allgemeine Geschäftsbedingungen und Arbeitsvertrag – Ein Beispiel für eine missglückte Gesetzgebung
Der Vertrag als Ausdruck grundrechtlicher Freiheit
AGB-Recht und Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsmodernisierung
Amtliche Unternehmenspublizität und digitale Medien
Verbundene Rechtsgeschäfte – einheitliches Rechtsgeschäft
Schadenersatz und Freizeichnung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Individualverträgen
V. Varia
Die Verwirklichung von Anfechtungstatbeständen des Eigenkapitalersatzrechts nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Der Konzernrat nach § 3 BetrVG n.F
Honoré Daumier – Ein Kämpfer für die Republik
Der Aktionär im Verfassungsrecht
Aufgaben künftiger europäischer Privatrechtsetzung angesichts deutscher Erfahrungen
VI. Verzeichnis der Veroffentlichungen von Peter Ulmer
VII. Autorenverzeichnis

Citation preview

Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag

A

Festschrift für

PETER ULMER zum 70. Geburtstag am 2. Januar 2003 herausgegeben von

Mathias Habersack Peter Hommelhoff

Uwe Hüffer Karsten Schmidt

w DE

G

RECHT

2003 D e Gruyter Recht · Berlin

ISBN 3-89949-041-X Bibliografische

Information

Der Deutschen

Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über chttp://dnb.ddb.de> abrufbar. © Copyright 2003 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz G m b H , Gräfenhainichen Druck: Sachsendruck G m b H , Plauen Bindung: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe G m b H , Berlin

Peter Ulmer zum 2. Januar 2003 HOLGER

ALTMEPPEN

GERD

KRIEGER

H E I N Z - D I E T E R ASSMANN

BRUNO

T H E O D O R BAUMS

FRIEDRICH

WALTER BAYER

JOHANNA K Ü B L E R

KARLHEINZ BOUJONG

MANFRED LIEB

ULRICH

MARCUS LUTTER

BURGARD

CLAUS-WILHELM

CANARIS

KROPFF KÜBLER

KLAUS-PETER MARTENS

MATTHIAS CASPER

HANS-JOACHIM

C A R S T E N P. C L A U S S E N

PETER O .

BARBARA D A U N E R - L I E B MEINRAD DREHER DIETER FEDDERSEN KARL-HEINZ FEZER H A R T W I N VON G E R K A N GOETTE

BARBARA GRUNEWALD MATHIAS HABERSACK PETER HANAU WILHELM

LUDWIG HÄSEMEYER IRMGARD HEINRICH HELLWIG

HORST-DIETHER

HENSEN

MARTIN HENSSLER

MICHAEL

PETER HOMMELHOFF HOPT

NORBERT ULRICH

PRIESTER

JOCHEM

REICHERT

LENNART R I T T E R FRITZ RITTNER HARRY SCHMIDT KARSTEN SCHMIDT EBERHARD UWE H.

SCHMIDT-ASSMANN

SCHNEIDER

WOLFGANG SCHÖN

ERNST STEINDORFF E B E R H A R D SCHWARK RÜDIGER VOLHARD WACKERBARTH

DOLF WEBER

HUBER

HARM PETER WESTERMANN

STEPHAN H U T T E R

GERHARD WIEDEMANN

UWE HÜFFER IHRIG

DETLEV JOOST PETER KINDLER PAUL K I R C H H O F HORST KONZEN HANS-GEORG

HANS-JOACHIM THOMAS RAISER

ULRICH

HORN

HANS-CHRISTOPH

ANDREAS PENTZ

URSULA STEIN

HIRTE HOFFMANN-BECKING

KLAUS J .

WALTER ODERSKY

JOHANNES SEMLER

HARTWIG HENZE HERIBERT

MÜLLER-GRAFF

CARSTEN SCHÄFER

HAPP

HANS-JÜRGEN

PETER-CHRISTIAN ULRICH NOACK

TIM DRYGALA

WULF

MERTENS

MÜLBERT

KOPPENSTEINER

H E R B E R T WIEDEMANN GEORG WIESNER CHRISTINE

WINDBICHLER

MARTIN WINTER DANIEL ZIMMER WOLFGANG ZÖLLNER

Inhalt Vorwort

XV I. Gesellschafts- und Konzernrecht

H O L G E R ALTMEPPEN

Zeitliche und sachliche Begrenzung von Abfindungsansprüchen gegen das herrschende Unternehmen im Spruchstellenverfahren . .

3

WALTER BAYER

Transparenz und Wertprüfung beim Erwerb von Sacheinlagen durch genehmigtes Kapital

21

KARLHEINZ BOUJONG

Abfindungsklauseln nach dem Tod des Gesellschafters einer OHG und Pflichtteilsergänzungsansprüche

41

MATTHIAS CASPER

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

51

BARBARA D A U N E R - L I E B

§ 130 HGB: Weitere Rechtsfortbildung im Recht der BGBGesellschaft?

73

M E I N R A D DREHER

Direktkontakte des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern

87

DIETER FEDDERSEN

Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht: Viel geschmähtes Relikt aus vergangenen Zeiten oder nützliches Finanzierungsinstrument?

105

K A R L - H E I N Z FEZER

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Inhaberin von Kennzeichenrechten

119

Vili

Inhalt

WULF GOETTE

„Nichtbefassungsbeschluß" und § 50 G m b H G

129

BARBARA GRUNEWALD

Scheinsozietäten als besondere Form der Scheingesellschaft

. . . .

141

Die Freistellung des Organwalters von seiner Haftung gegenüber der Gesellschaft

151

MATHIAS HABERSACK

WILHELM HAPP

Genehmigtes Kapital und Beteiligungserwerb - Zu Informationsdefiziten, Rechtsschutzmöglichkeiten und Reformüberlegungen-

175

MARTIN HENSSLER

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea Neue Denkanstöße für die „Corporate Governance"-Diskussion .

193

HARTWIG HENZE

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

211

MICHAEL HOFFMANN-BECKING

„Organnachfolge" bei der Verschmelzung?

243

PETER HOMMELHOFF

Satzungsstrenge und Gestaltungsfreiheit in der Europäischen Aktiengesellschaft

267

UWE HÜFFER

Zur Holzmüller-Problematik: Reduktion des Vorstandsermessens oder Grundlagenkompetenz der Hauptversammlung?

279

PETER KINDLER

Gesellschafterinnenhaftung in der G m b H und internationale Zuständigkeit nach der Verordnung ( E G ) Nr. 44/2001

305

H O R S T KONZEN

Der Gläubigerschutz bei Liquidation der masselosen G m b H

. . .

323

H A N S - G E O R G KOPPENSTEINER

Zur konzernrechtlichen Behandlung von BGB-Gesellschaften und Gesellschaftern

349

Inhalt

IX

GERD KRIEGER

Interne Voraussetzungen für die Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG

365

MARCUS LUTTER u n d TIM DRYGALA

Die besondere sachverständige Beratung des Aufsichtsrats durch seine Mitglieder

381

KLAUS-PETER MARTENS

Stand und Entwicklung im Recht der Stock-Options

399

HANS-JOACHIM MERTENS

Zur Reichweite der Inkompatibilitätsregelung des § 287 Abs. 3 AktG

419

PETER O . MÜLBERT

Abschwächungen des mitgliedschaftlichen Bestandsschutzes im Aktienrecht

433

ANDREAS PENTZ

Abhängigkeit der Einziehung von Geschäftsanteilen von der Abfindungsleistung?

451

H A N S - J O A C H I M PRIESTER

Vorbelastungshaftung und anschließende Gewinne

477

THOMAS RAISER

Die Haftung einer Schwestergesellschaft für die Schulden einer anderen Schwester nach dem Urteil „ Bremer Vulkan " des B G H

493

JOCHEM REICHERT

Beschlussmängelstreitigkeiten und Schiedsgerichtsbarkeit Gestaltungs-und Reaktionsmöglichkeiten

511

HARRY SCHMIDT

Ausschluss der Anfechtung des Squeeze-out-Beschlusses bei abfindungswertbezogenen Informationsmängeln

543

KARSTEN SCHMIDT

Integrationswirkung des Umwandlungsgesetzes Betrachtungen zur Dogmengeschichte und Rechtsfortbildung im Gesellschaftsrecht

557

χ

Inhalt

U W E Η . SCHNEIDER u n d U L R I C H BURGARD

Treupflichten im mehrstufigen Unterordnungskonzern

579

E B E R H A R D SCHWARK

Virtuelle Holding und Bereichsvorstände - eine aktien- und konzernrechtliche Betrachtung

605

JOHANNES SEMLER

Entscheidungen und Ermessen im Aktienrecht

627

URSULA STEIN

Zweifelsfragen der nominellen Kapitalerhöhung durch den GmbHScheingesellschafter

643

H A R M PETER WESTERMANN

Die „versteckte" stille Gesellschaft

657

GEORG WIESNER

Zur Haftung des Treugeber-Kommanditisten bei der qualifizierten Treuhand

673

CHRISTINE WINDBICHLER

Die „kohärente und auf Dauer angelegte Gruppenpolitik"

683

MARTIN WINTER

Die Anfechtung eintragungsbedürftiger Strukturbeschlüsse de lege lata und de lege ferenda

699

WOLFGANG ZÖLLNER

Die Zulässigkeit von Mehrheitsregelungen in Konsortialverträgen .

725

II. Kapitalmarkt- und Bilanzrecht H E I N Z - D I E T E R ASSMANN

Prospektaktualisierungspflichten - Aktualisierungs-, Berichtigungs- und Nachtragspflichten im Recht der Haftung für Prospekte und Angebotsunterlagen

757

T H E O D O R BAUMS u n d STEPHAN H U T T E R

Die Information des Kapitalmarkts beim Börsengang (IPO) . . . .

779

Inhalt

XI

C A R S T E N P. CLAUSSEN

Ein Versuch der Standortbestimmung des neuen Rechnungslegungsrechts

801

NORBERT HORN

Zur Haftung der A G und ihrer Organmitglieder für unrichtige oder unterlassene Ad-hoc-Informationen

817

HANS-CHRISTOPH IHRIG

Optionen auf eigene Aktien

829

BRUNO KROPFF

Wie lange noch: Verbundene Unternehmen im Bilanzrecht? . . . .

847

RÜDIGER VOLHARD u n d D O L F W E B E R

Abschlussprüfung und Interessenkonflikte - Ein Plädoyer

865

III. Kartell- und Wettbewerbsrecht, allgemeines Wirtschaftsrecht KLAUS J . H O P T

Freie Vertriebsgestaltung - Grundsatz und Grenzen im deutschen und europäischen Handels-, Wirtschafts- und Presserecht

891

F R I E D R I C H K Ü B L E R u n d JOHANNA K Ü B L E R

Werbefreiheit nach „Benetton"

907

PETER-CHRISTIAN MÜLLER-GRAFF

Einflußregulierungen in Gesellschaften zwischen Binnenmarktrecht und Eigentumsordnung

929

LENNART R I T T E R

Gemeinschaftsunternehmen - Die ewige Suche nach dem Schwerpunkt

955

FRITZ RITTNER

Konzeption und Strukturen des Wirtschaftsrechts

977

CARSTEN SCHÄFER

Kartellverbot und Ausschließlichkeitsbindungen bei Alleinvertriebsvereinbarungen nach der sechsten Kartellrechtsnovelle Neuere Tendenzen bei der Abgrenzung zwischen § 1 und § 16 GWB unter Berücksichtigung der „Schirm"-GFVO (EG Nr. 2790/1999)

991

XII

Inhalt

EBERHARD SCHMIDT-ASSMANN

Verfassungsschranken der Kommunalwirtschaft

1015

GERHARD WIEDEMANN

Die Beurteilung kooperativer Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen nach der EG-Fusionskontrollverordnung Eine Zwischenbilanz zu Art. 2 Abs. 4 E G - F K V O

1031

DANIEL ZIMMER

Abwehrkartelle

1053

IV. Bürgerliches Recht, Handels-, Verbraucherschutzund AGB-Recht CLAUS-WILHELM CANARIS

Die AGB-rechtliche Leitbildfunktion des neuen Leistungsstörungsrechts

1073

LUDWIG HÄSEMEYER

Geltungserhaltende oder geltungszerstörende Reduktion?

1097

IRMGARD H E I N R I C H

Rechtsgeschäftliche Vertretung - Representación voluntaria Vergleichender Uberblick zum deutschen und spanischen Recht

.

1109

HORST-DIETHER HENSEN

Zur Effizienz der Verbandsklage nach § 13 AGB-Gesetz

1135

HERIBERT HIRTE

Öffentlichrechtliche Satzungen und Benutzungsordnungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen

1153

ULRICH HUBER

Die Haftung des Vertragshändlers gegenüber seinem Abnehmer nach neuem Kauf recht

1165

DETLEV JOOST

Allgemeine Geschäftsbedingungen und Arbeitsvertrag - Ein Beispiel für eine missglückte Gesetzgebung

1199

PAUL K I R C H H O F

Der Vertrag als Ausdruck grundrechtlicher Freiheit

1211

Inhalt

XIII

MANFRED LIEB

AGB-Recht und Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsmodernisierung

1231

U L R I C H NOACK

Amtliche Unternehmenspublizität und digitale Medien

1245

WALTER ODERSKY

Verbundene Rechtsgeschäfte - einheitliches Rechtsgeschäft . . . .

1263

HERBERT WIEDEMANN

Schadenersatz und Freizeichnung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Individualverträgen

1273

V. Varia HARTWIN VON GERKAN

Die Verwirklichung von Anfechtungstatbeständen des Eigenkapitalersatzrechts nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . .

1293

PETER HANAU u n d U L R I C H WACKERBARTH

Der Konzernrat nach § 3 BetrVG n.F.

1303

HANS-JÜRGEN HELLWIG

Honoré Daumier - Ein Kämpfer für die Republik

1313

WOLFGANG SCHÖN

Der Aktionär im Verfassungsrecht

1359

ERNST STEINDORFF

Aufgaben künftiger europäischer Privatrechtsetzung angesichts deutscher Erfahrungen

1393

VI. Verzeichnis der Veröffentlichungen von Peter Ulmer

1423

VII. Autorenverzeichnis

1441

Vorwort Mit der Festschrift zum 70. Geburtstag von Peter Ulmer soll ein Gelehrter gewürdigt werden, der das deutsche Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht und seine internationalen Bezüge in beispielgebender Weise zu prägen, akademische Tugenden vorzuleben und nachhaltig in die Praxis des Zivil- und Wirtschaftsrechts hineinzuwirken weiß. Peter Ulmer wurde am 2. Januar 1933 in Heidelberg als Sohn von Eugen Ulmer, Professor an der Heidelberger Juristischen Fakultät und nachmaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht in München, und Elisabeth Ulmer geb. Linser geboren. Den Gymnasialjahren in Heidelberg folgte ab 1952 das Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, Genf und Heidelberg, sodann der juristische Vorbereitungsdienst in Heidelberg und München sowie bei der (damaligen) Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Luxemburg. Die beiden Staatsprüfungen legte Peter Ulmer 1956 in Heidelberg und 1961 in Stuttgart ab. Bereits 1959 war er von der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg mit einer Dissertation über den Unternehmensbegriff im Vertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (im Druck erschienen 1960) zum Dr. iur. utr. promoviert worden. 1958/1959 betrieb Peter Ulmer rechtsvergleichende Studien an der University of Michigan Law School, Ann Arbor/Mich., USA, die er mit dem Master of Comparative Law (MCL) abschloß. Dem Assessorexamen schlossen sich praktische Berufstätigkeiten an, zunächst in der Rechtsabteilung der Daimler Benz AG in Stuttgart, sodann als Vorstandsassistent bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deutsche Treuhandgesellschaft AG und schließlich als Beamter im Juristischen Dienst der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Aber damals dominierten schon, dokumentiert durch eine Reihe von Aufsatzveröffentlichungen, die ausgeprägt wissenschaftlichen Neigungen dieses vielseitigen jungen Praktikers. Als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und betreut von Wolfgang Hefermehl habilitierte sich Peter Ulmer im Jahr 1968 für die Fächer Bügerliches Recht, Handelsrecht, Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung. Alsbald erhielt er Rufe auf ordentliche Professuren an den Universitäten Hamburg und Salzburg. Nach seiner Entscheidung für den Hamburger Ruf war Peter Ulmer dort von 1969 bis 1975 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht, Gewerblichen Rechtsschutz und Direktor des Seminars für Handels-, Schiffahrts- und Wirtschaftsrecht. Einen 1972 an ihn ergangenen Ruf an die Universität Tübingen lehnte er ab. Im Jahr 1975 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl

XVI

Vorwort

für Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Bürgerliches Recht an der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und wurde als Nachfolger von Wolfgang Hefermehl Geschäftsführender Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht. Seiner Heimatuniversität blieb er trotz eines ehrenvollen Rufs an die Universität zu Köln treu. 1977/1978 war er Dekan der Juristischen Fakultät, von 1991 bis 1997 durch wiederholte Wahl Rektor der Universität. In dieser Eigenschaft bekleidete er zwei Jahre lang das Amt des Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz Baden-Württemberg. Seine hohe Reputation führte ihn in bedeutende Ehrenämter. So war er Vorsitzender des Fachausschusses Rechtswissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitglied der Ständigen Deputation, also des Vorstands des Deutschen Juristentages. Daß Peter Ulmer auch in der Unternehmenspraxis ein gesuchter Berater und Schiedsrichter ist und mehrere Beiratsämter bekleidet, rundet das vielfältige Bild einer beruflichen Erfolgsgeschichte ab, wie sie in der akademischen Profession selten ist. Das wissenschaftliche Werk Peter Ulmers besticht durch thematische Vielfalt, argumentative Grundsätzlichkeit, Sachlichkeit und Entschiedenheit. Praxisnähe in ihrer besten, das Grundsätzliche nie aus den Augen verlierenden Form zeichnet sämtliche Arbeiten ebenso aus wie eine in rechtswissenschaftlicher Dogmatik fundierte Methode. Vier große Schwerpunktbereiche sind in erster Linie zu nennen: Das Vertriebsrecht hat schon in der Habilitationsschrift (Der Vertragshändler, 1969) sowie in rechtsvergleichenden und kartellrechtlichen Arbeiten des Jubilars machtvolle Impulse erhalten, zuletzt durch die gemeinsam mit Habersack verfaßte Schrift über den Kraftfahrzeugvertrieb durch Vertragshändler (1998). Im Gesellschaftsrecht erstrecken sich Ulmers große Kommentierungen von den Personengesellschaften (Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Partnerschaftsgesellschaft und oHG) bis hin zu den Kapitalgesellschaften (namentlich zur GmbH). Die mit den klangvollen Namen Staub und Hachenburg versehenen Großkommentare zum HGB und zum GmbHG wären ohne ihn als Herausgeber und Autor nicht, was sie sind. Durch eine Fülle von Einzelveröffentlichungen hat Peter Ulmer das Recht aller Handelsgesellschaften, das Konzernrecht, aber gerade auch das Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts wirkungsmächtig geprägt. Das allgemeine Unternehmensrecht hat er vor allem durch Grundlagenwerke zum Mitbestimmungsrecht und durch stets neue rechtspolitische Anstöße (zuletzt ZHR 166 [2002], 271) vorangetrieben. Einen Schwerpunkt bilden schließlich Fragen des Sonderprivatrechts, des Verbraucherschutzrechts und besonders des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dieses hat der Jubilar rechtspolitisch von den Vorarbeiten zum AGB-Gesetz (Verhandlungen des 59. DJT 1974, S. H 8 ff.) bis zu den einschlägigen Teilen der Schuldrechtsreform (in Schulze/Schulte-Nölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 215; JZ 2001, 491) vorbereitet und

Vorwort

XVII

begleitet und in dem gemeinsam mit Brandner, Hensen und Harry Schmidt verfaßten, weithin von ihm geprägten Standardkommentar auf eine für die anwendende und fortbildende Rechtspraxis unverzichtbare Höhe gebracht. Auch das vor allem in früheren Jahren intensiv bearbeitete Kartellrecht und das mehr und mehr in den Vordergrund rückende Kapitalmarktrecht sind gewichtige Schwerpunkte, die nur auf den ersten Blick in Peter Ulmers großem Œuvre zurücktreten. Viele der in diesen Werken herausgearbeiteten Grundlagen sind heute notwendiges Rüstzeug der Praxis. Auch rechtspolitisch haben die Arbeiten des Jubilars reiche Früchte getragen, etwa in Gestalt des AGB-Gesetzes, der Gesetzgebung zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und des vor allem für die mittelständische Unternehmenspraxis bedeutsamen Nachhaftungsbegrenzungsgesetzes. Dieses eigene Werk hätte die Kräfte eines anderen wohl erschöpft. Doch wendet sich Peter Ulmer mit nicht geringerer Intensität den Arbeiten anderer, vor allem des wissenschaftlichen Nachwuches, zu. Drei Habilitationen und zahlreiche Promotionen geben hiervon Zeugnis. Generationen ehemaliger Studenten, darunter Praktiker von hohem Rang, sprechen mit Stolz von der Teilnahme an seinen praxisnahen und anspruchsvollen Vorlesungen. Zu regelrechter Berühmtheit brachten es seine Seminare, in denen durch langjährige Teilnahme namentlich der Honorarprofessoren Dres. Schilling und Stimpel die Verbindung der Rechtswissenschaft mit anwaltlicher und höchstrichterlicher Praxis im buchstäblichen Sinn persönlich zum Ausdruck kam. Auch die zur Institution gewordenen Heidelberger Hachenburg-Vorlesungen sind ganz wesentlich sein Werk. Bei seiner Abschiedsvorlesung im Februar 2001 hatten zahlreiche Schüler und Freunde gemeinsam mit den Studenten Gelegenheit, den großen und erfolgreichen Lehrer noch einmal im Hörsaal zu erleben und zu würdigen. Zu diesen akademischen Leistungen im eigenen Haus kommt die Herausgeberschaft bei Festschriften, Sammelwerken und Schriftenreihen hinzu. Nicht wenigen Schülern ist es unter seiner vorbildgebenden Anleitung gelungen, eines Tages auch zu Autoren der Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR) zu avancieren, deren Profil und Reputation im In- und Ausland zu einem ganz wesentlichen Teil der nun bereits fünfundzwanzig Jahre währenden Tätigkeit des Jubilars als Schriftleiter zu danken ist. Peter Ulmer hat dieses umfassende Pensum mit unbestechlicher Uneigennützigkeit und mit unverkennbarer Freude an Leistung und Pflichterfüllung bewältigt, hat Werken und Institutionen Glanz verliehen, ohne solchen für sich zu reklamieren. An hohen akademischen Ehrungen hat es gleichwohl nicht gefehlt. Die Ehrenpromotionen durch die Universidad Autónoma Madrid, durch die Universität Montpellier I und durch die Universität Lleida/ Spanien sind Ausdruck der internationalen Reputation dieses Gelehrten. Zu seinem 65. Geburtstag wurde zu seinen Ehren von den Heidelberger Schülern ein Symposion veranstaltet, dessen Erträge unter dem Titel „Die Spaltung im

XVIII

Vorwort

neuen Umwandlungsrecht und ihre Rechtsfolgen" im Verlag Recht und Wirtschaft (Heidelberg 1999) erschienen sind. Die hinter dieser beeindruckenden Lebensleistung stehende Persönlichkeit muß schon dem Leser von Peter Ulmers Schriften erahnbar sein. Jede persönliche Begegnung wird diese Erwartung auf das Vollkommenste bestätigen und die zunächst distanzierte Bewunderung festigen. Hochgewachsen, aufrecht in jedem Sinne des Wortes, begabt mit natürlicher Autorität, immer ganz er selbst, klar in der Zuwendung zu Menschen und Dingen, präzis in der Erfassung von Problemen und dann sachlich und unbeirrbar in ihrer Bewältigung, überzeugt Peter Ulmer seine Gesprächspartner und sein Publikum, ohne sich jemals vergewissernd nach Beifall umsehen zu müssen. Bequemlichkeit ist seine Sache nicht, und nicht anders erwartet er es von seinem Gegenüber. Dieses hat selbst zu entdecken, daß Ulmers strenge Sachlichkeit zugleich eine Einladung zum Dialog ist, daß sie nicht einschüchtern, sondern zum Mitdenken einladen will, daß sie Teil einer Wahrheitssuche ist, die den Zuhörer einschließt: sapere aude! Wer sich darauf einläßt, wird ein kontrolliertes, aber gewinnendes Miteinander erleben. Wie kooperativ Peter Ulmer ist, erfährt man bei praktischen Organisationsaufgaben, etwa bei der Planung von Symposien oder bei gemeinsamen Herausgeberaktivitäten. Und wer die kultivierte glanzvolle Gastfreundschaft in seinem Haus über dem Neckar genießt, ihn als sachkundigen Kunstliebhaber bei den Salzburger Festspielen oder im Theater erlebt, wer seine Naturliebe und seine Lust an gelebter Freundschaft entdeckt, der wird verstehen, daß die vorliegende Festschrift zu einem guten Teil auch eine echte Freundesgabe ihrer Autoren ist. Deren herzliche Zuneigung schließt Jorinde Ulmer und die große Familie ein. Mag der Jubilar ihnen, den Lesern und Bewunderern seiner Werke und der rechtsanwendenden Praxis noch lange Mittelpunkt, Vorbild und Wegweiser sein. Die Herausgeber

I. Gesellschafts- und Konzernrecht

Zeitliche und sachliche Begrenzung von Abfindungsansprüchen gegen das herrschende Unternehmen im Spruchstellenverfahren HOLGER

ALTMEPPEN

I. Einleitung Die außenstehenden Aktionäre einer vertraglich konzernierten A G haben einen Anspruch auf Abfindung (§ 305 AktG). Das Abfindungsangebot wird in aller Regel befristet und erlischt zwei Monate nach Bekanntmachung der Eintragung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 291 A k t G ) im Handelsregister (§ 294 A k t G , § 10 H G B ) . Das ist nämlich die vom Gesetz vorgeschriebene Mindestannahmefrist (§ 305 Abs. 4 S. 2 AktG). N a c h Ablauf dieser Frist weiß der andere Vertragsteil - das herrschende Unternehmen - , wie viele Aktionäre abgefunden werden müssen, während die etwa noch vorhandenen weiteren außenstehenden Aktionäre sich für einen Verbleib in der A G gegen „angemessenen Ausgleich" entschieden haben (S 304 AktG). Der gesamte Zeitplan gerät durcheinander, wenn ein Spruchstellenverfahren mit dem Ziel eingeleitet wurde, eine höhere als die angebotene Abfindungs-/Ausgleichsregelung zu erzielen (§ 306 AktG). In diesem Fall ist die Privatautonomie der Vertragsparteien insoweit eingeschränkt, als die Frist zur Annahme des Abfindungsangebotes „frühestens zwei Monate nach dem Tage" endet, an welchem im Spruchstellenverfahren „die Entscheidung über den zuletzt beschiedenen Antrag im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden ist" (§ 305 Abs. 4 S. 3 AktG). Danach läuft das Abfindungsangebot gegebenenfalls weit über die vom anderen Vertragsteil bestimmte Annahmefrist hinaus für eine unkalkulierbare Zeit. Oftmals ist der Unternehmensvertrag längst beendet, bevor das Spruchstellenverfahren abgeschlossen wird. Dies gilt nicht nur dann, wenn der in aller Regel mindestens für fünf Jahre vereinbarte Unternehmensvertrag 1 vorzeitig endet. Man hört immer öfter

1 Im Vertragskonzern der A G wird aus steuerlichen Gründen der Organschaftsvertrag abgeschlossen, also die Kombination des Beherrschungs- mit dem Gewinnabführungsvertrag, der aber eine Mindestdauer von fünf Jahren haben muss, wenn er steuerlich anerkannt werden soll (§ 14 Nr. 3 S. 1 KStG). Dadurch soll steuerlichen Manipulationen

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davon, dass Spruchstellenverfahren auch nach Ablauf der fünfjährigen Dauer des Organschaftsvertrages noch nicht abgeschlossen sind. In manchen Gerichtsbezirken muss man sich auf eine Verfahrensdauer bis zu zehn Jahren(!) einstellen. Wenn aber zwischenzeitlich nach Beendigung des Unternehmensvertrages der Kurswert der Aktien unter den seinerzeit angebotenen Abfindungsbetrag gefallen ist, kommt der „andere Vertragsteil" in eine verheerende Lage: Da sein Abfindungsangebot trotz der Vertragsbeendigung für die Dauer des Spruchstellenverfahrens Geltung behält, kann offenbar jeder Aktionär, insbesondere auch derjenige, der seine Aktien erst nach der Beendigung des Unternehmensvertrages erworben hat, dem anderen Vertragsteil diese Aktien zum Barabfindungsbetrag andienen. Dies gilt womöglich sogar für junge Aktien aus einer Kapitalerhöhung. Man könnte also in Kenntnis der Beendigung des Organschaftsvertrages während der Dauer des Spruchstellenverfahrens Aktien zu einem Kurswert unterhalb der angebotenen Abfindung erwerben, um sie sofort „mit Gewinn" dem anderen Vertragsteil anzudienen oder aber bis zur Beendigung des Spruchstellenverfahrens abzuwarten, ob man vielleicht einen noch größeren Gewinn herausholen kann. Ein derartiges Ergebnis ist nach dem Gesetz (§ 305 Abs. 4 S. 3 AktG) scheinbar zwingend, obgleich es offensichtlich indiskutabel ist. Eine nähere Betrachtung dieses im aktienrechtlichen Schrifttum bisher nicht behandelten, in der Praxis jedoch zunehmend relevanten Problems sei dem Jubilar in Bewunderung seiner großen wissenschaftlichen Verdienste für das Gesellschaftsrecht gewidmet.

II. Grundlagen der Abfindung außenstehender Aktionäre 1. Adressatenkreis der

Abfindungsregelung

Das Abfindungsangebot im Zuge eines Organschaftsvertrages (§ 305 AktG) richtet sich an außenstehende Aktionäre. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, festzulegen, wer „außenstehender Aktionär" ist.2 Der Begriff ist umstritten, wobei außer Frage steht, dass jedenfalls der andere Vertragsteil nicht außenstehender Aktionär ist.3 Schon in der Regierungsbegründung zu § 295 AktG wird jedoch die entscheidende Wertung zur Frage, wer „außenstehender Aktionär" sein muss, dargelegt:

vorgebeugt werden, s. statt aller Emmerich/Sonnenschein/Habersack Konzernrecht, 7. Aufl., 2001, S. 183. 2 S. RegBegr Kröpf'f AktG 1965, S. 385. 3 S. statt aller Bilda in MünchKomm. AktG, 2. Aufl., 2000, § 304 Rn 18.

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„Der Kreis dieser Aktionäre ergibt sich aus dem Wesen der Sache. Grundsätzlich sind alle Aktionäre der Gesellschaft mit Ausnahme des anderen Vertragsteils außenstehende Aktionäre. Dem anderen Vertragsteil müssen aber diejenigen Aktionäre gleichgestellt werden, deren Vermögen wirtschaftlich mit dem Vermögen des anderen Vertragsteils eine Einheit bildet oder deren Erträge dem anderen Vertragsteil oder denen die Erträge des anderen Vertragsteils zufließen. Nicht außenstehende Aktionäre sind daher auch Aktionäre, die mit dem anderen Vertragsteil unmittelbar oder mittelbar durch den Besitz aller Anteile oder durch einen Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrag verbunden sind. . . . " 4 Außer dem anderen Vertragsteil gehören deshalb nicht zum Adressatenkreis der Abfindungsregelung i.S.d. § 305 AktG Aktionäre, die an dem anderen Vertragsteil zu 1 0 0 % beteiligt sind, Einmann-Töchter des anderen Vertragsteils sowie Unternehmen, die mit dem anderen Vertragsteil durch einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag wirtschaftlich verschmolzen sind.5 Doch schon mit der Veräußerung der Aktie an einen „Dritten", der auch bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht zum „anderen Vertragsteil" gehört, kann dieser Erwerber die Eigenschaft des außenstehenden Aktionärs erhalten. Außenstehende Aktionäre sind nämlich auch solche, die ihre Anteile erst nach Inkrafttreten des Organschaftsvertrages erworben haben. 6 Die dogmatische Begründung dafür ergibt sich aus dem Umstand, dass das Abfindungsangebot im Organschaftsvertrag konstruktiv als ein Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. §§ 328ff. B G B anzusehen ist, nämlich als ein Vertrag zugunsten der außenstehenden Aktionäre. 7 Bei einem Vertrag zugunsten Dritter braucht der begünstigte Dritte aber zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht festzustehen. Es genügt, dass der Kreis der Begünstigen bestimmbar ist, und die Bestimmbarkeit ergibt sich hier aus der Angebotsfrist. Als Zwischenergebnis ist festzustellen, dass jeder, der auch wirtschaftlich gesehen nicht zur A G gehört und seine Aktie innerhalb der Angebotsfrist erworben hat, grundsätzlich die Abfindungsoption erwirbt. Entscheidend ist daher, wie lange das Abfindungsangebot gilt.

RegBegr Kropff AktG 1965, S. 385. S. statt aller Bilda in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 304 Rn 21 ff. 6 S. bereits RegBegr Kropff AktG 1965, S. 395; im übrigen wohl unstr., vgl. Hiiffer AktG, 5. Aufl., 2002, § 304 Rn 2; Koppensteiner in Kölner Komm, zum AktG, 2. Aufl., 1986, § 304 Rn 12; Würdinger in Großkomm. AktG, 1973, § 304 Rn 5; Bilda in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 304 Rn 28 jew. mwN. 7 S. nur B G H Z 135, 374, 380 = N J W 1997, 2242 „Guano"; Hüffer AktG, o. Fn 6, § 305 Rn 3; Koppensteiner in Kölner Komm, zum AktG, o. Fn 6, § 305 Rn 4. 4 5

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2. 7.um Erlöschen eines Abfindungsangebotes

bei

Vertragsbeendigung

a) Gesetzeslage Aus dem Gesetz ergibt sich nicht ausdrücklich, ob ein Abfindungsangebot i.S.d. § 305 AktG bei Beendigung des Organschaftsvertrages erlischt. § 305 Abs. 4 AktG handelt nur von einem befristeten Angebot und regelt dazu Einschränkungen der Privatautonomie. Die für uns wichtigste Einschränkung besteht in der Aufhebung einer vertraglichen Befristung des Angebotes für die Dauer eines laufenden Spruchstellenverfahrens (§ 305 Abs. 4 S. 3 AktG). 8 Allerdings folgt aus § 304 AktG, dass die Ausgleichszahlung, die in einer wiederkehrenden Geldleistung besteht, gewiss nur für die vereinbarte Vertragsdauer geschuldet sein kann. Unstreitig nur für die Dauer des Vertrages sind Ausgleichszahlungen nach Maßgabe des § 304 AktG auch dann geschuldet, wenn der Vertrag durch ordentliche Kündigung beendet wird. Dies gilt namentlich dann, wenn der andere Vertragsteil die ordentliche Kündigung erklärt, auch wenn im Schrifttum bisweilen de lege ferenda Bedenken dagegen erhoben werden, dass der andere Vertragsteil diese Möglichkeit de lege lata überhaupt hat. 9 Hinsichtlich der Ausgleichsleistung nach § 304 AktG gilt ferner, dass die ordentliche Kündigung des Vertrages ein etwa anhängiges Spruchstellenverfahren nicht beendet. Das gerichtliche Verfahren ist schon deshalb zu Ende zu führen, weil sein Ausgang für die geschuldete Höhe des Ausgleichs maßgeblich ist. 10 Selbstverständlich ist andererseits, dass der Ausgleich, den das Gericht nach Vertragsbeendigung im Spruchstellenverfahren festsetzt, nur pro rata temporis der Dauer des Vertrages geschuldet ist. Das Gericht setzt im Spruchstellenverfahren also nur einen angemessenen Ausgleich für den Zeitraum zwischen Vertragsbeginn und Vertragsbeendigung fest. Nach allem ergibt sich zu dem unbefristeten Abfindungsangebot, dass jedenfalls eine Ausgleichszahlung nur während der Dauer des Vertrages geschuldet ist.11 Daraus folgt weiter, dass grundsätzlich auch ein unbefristetes Abfindungsangebot mit Beendigung des Organschaftsvertrages enden muss, schon weil es dann kein Wahlrecht zwischen Ausgleich und Abfindung mehr geben kann. 12 Dazu bereits I. S. dazu die Nachw. bei Altmeppen in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 297 Rn 7ff., 59ff., 64 ff.; Emmerich/Sonnenschein/Habersack Konzernrecht, o. Fn 1, S. 264f. mwN. 10 S. dazu insbes. BVerfG WM 1999, 433; reiche Nachw. bei Bilda in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 304 Rn 190 § 306 Rn 44. 11 S. nur Bilda in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 304 Rn 183 rawN. 12 Bilda in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 305 Rn 28; Krieger in MünchHdb. AG, 2. Aufl., 1999, § 70 Rn 92; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 2. Aufl., 2001, § 305 Rn 27; Koppensteiner in Kölner Komm, zum AktG, o. Fn 6, § 305 Rn 12; aA Luttermann JZ 1997, 1183, 1184 f. 8

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Doch soll das Spruchstellenverfahren den außenstehenden Aktionären nicht zuletzt die Freiheit erhalten, erst dann zwischen Ausgleich und Abfindung zu entscheiden, wenn beide Entschädigungsvarianten der Höhe nach feststehen. Deshalb ist aus § 305 Abs. 4 S. 3 AktG zu schließen, dass ein Abfindungsangebot sogar nach der regulären Beendigung eines Unternehmensvertrages, insbesondere nach Zeitablauf oder nach ordentlicher Kündigung, noch so lange Bestand haben muss, bis im Spruchstellenverfahren über die Höhe von Ausgleich und/oder Abfindung endgültig entschieden ist. Denn erst dann kann der wahlberechtigte Aktionär seine Entscheidung in Kenntnis aller Umstände treffen. Nach allem spricht die Gesetzeslage dafür, dass ein Abfindungsangebot dann und nur dann mit der Vertragsbeendigung erlischt, wenn kein Spruchstellenverfahren mehr anhängig ist. Anderenfalls bleibt das Angebot auch nach Vertragsbeendigung noch so lange bestehen, bis im Spruchstellenverfahren abschließend über die Höhe von Ausgleich oder Abfindung entschieden ist (SS 304 Abs. 3 S. 3, Abs. 4, 305 Abs. 4 S. 3 AktG). b) Meinungsstand in Rechtsprechung und Lehre Folgerichtig hat der Bundesgerichtshof in der Grundsatzentscheidung vom 20. Mai 1997 „Guano" 1 3 ausgeführt, der Abfindungsanspruch außenstehender Aktionäre nach § 305 AktG bestehe fort, wenn der Unternehmensvertrag während des Spruchstellenverfahrens beendet werde. Konstruktiv ergebe sich der Anspruch denn auch gar nicht aus dem Unternehmensvertrag, sondern aus dem Gesetz. Diese Rechtsansicht ist überzeugend, zumal das Spruchstellenverfahren jedenfalls nicht durch Beendigung des Unternehmensvertrages seine Erledigung findet. 14 Die gegenteilige Ansicht 15 dürfte dem Gesetz widersprechen und ist zudem heute überholt, nachdem auch das Bundesverfassungsgericht 16 die Ansicht des II. Zivilsenats des B G H bestätigt hat. Auch im Schrifttum wird deshalb zutreffend angenommen, dass die Vertragsbeendigung das Abfindungsangebot nicht zum Erlöschen bringt, solange das Spruchstellenverfahren noch nicht abgeschlossen ist.17

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B G H Z 135, 374ff. S.II2a. 15 O L G Karlsruhe A G 1995, 139, 140; O L G Zweibrücken A G 1994, 563, 564; Koppensteiner in Kölner Komm, zum AktG, o. Fn 6, § 305 Rn 12 § 306 Rn 19; Krieger in MünchHdb. AG, 1. Aufl., 1988, § 70 Rn 139 (anders ders. 2. Aufl., o. Fn 12, § 70 Rn 92). 16 BVerfG WM 1999, 433, 434. 17 Bilda in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 305 Rn 28; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, o. Fn 12, § 305 Rn 27; Hiiffer AktG, o. Fn 6, § 305 Rn 4a; Krieger in MünchHdb. AG, o. Fn 12, § 70 Rn 92 jew. m w N . 14

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III. Zur Notwendigkeit der Modifikation des Abfindungsanspruchs nach Vertragsbeendigung 1. Die

Problematik

Es hat sich gezeigt, dass das Abfindungsangebot, falls ein Spruchstellenverfahren noch anhängig ist, nach Vertragsbeendigung grundsätzlich schon deswegen Bestand haben muss, weil anderenfalls das in § 305 AktG vorgesehene Wahlrecht des außenstehenden Aktionärs zwischen Ausgleich und Abfindung verloren ginge. Anders als hinsichtlich des Ausgleichs ergibt sich für die Abfindung aber die Besonderheit, dass sie nicht pro rata der Vertragsdauer gewährt werden kann. Die Folge ist, dass dann, wenn das Abfindungsangebot noch über den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung hinaus angenommen werden kann, der andere Vertragsteil offenbar das Risiko von Kursverlusten im Zeitraum zwischen Vertragsbeendigung und demjenigen Zeitpunkt zu tragen hat, bis zu welchem die Abfindung längstens verlangt werden kann.18 In rechtlicher Hinsicht ist entscheidend, dass solche Kursverluste nach Vertragsbeendigung auf einer Geschäftsführung oder allgemeinen Marktsituation beruhen können, die mit dem - beendeten(!) - Organschaftsvertrag gar nichts mehr zu tun haben. Es kann aber nicht Sinn und Zweck der Abfindungsregelung in § 305 AktG sein, dass Aktionäre auch nach Beendigung des Organschaftsvertrages auf Kosten des anderen Vertragsteils spekulieren dürfen.19 Eine Aufrechterhaltung des Abfindungsangebotes nach Vertragsbeendigung kann deshalb nur mit Modifikationen in Betracht kommen.20 Die Lösung ergibt sich, wenn man der Frage nachgeht, was nach Vertragsbeendigung vernünftigerweise noch für eine Abfindung in Betracht kommt. 2. Der Sinn und Zweck der Abfindung Eine der umstrittensten Regelungen im Regierungsentwurf zum Aktiengesetz 1965 war diejenige zum Abfindungsangebot (§ 294 RegE).21 Mehrheitlich hielt man zumindest ein Recht der außenstehenden Aktionäre auf eine Barabfindung für erforderlich.22 Der Gesetzgeber hat die „schwere BeS. 112. S. zur Problematik bereits I. 2 0 Der Umstand, dass der Gesetzgeber die Problematik nicht gesehen hat, mag darauf beruhen, dass er davon ausgegangen sein dürfte, das Spruchstellenverfahren werde noch während des i. d. R. mindestens fünf Jahre dauernden Organschaftsvertrages (s. F n 1 ) abgeschlossen sein. Auch Rspr und Wissenschaft haben sich mit diesem zunehmend relevanten Problem bisher nicht auseinandergesetzt. 18

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S. dazu Altmeppen in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, Einl. §§ 291 ff. Rn 18. S. Untersuchungen zur Reform des Konzernrechts, Bericht der Studienkommission des DJT, 1967, S. 84 ff. mwN. 21

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lastung", die sich aus der Verpflichtung des anderen Vertragsteils ergibt, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen Barabfindung zu erwerben, sehr wohl erkannt. 2 3 D i e dagegen vorgebrachten B e denken hat der Gesetzgeber jedoch nicht aufgegriffen. E r hielt es für unverzichtbar, dass die außenstehenden Aktionäre ein Abfindungsrecht erhalten, weil man ihnen nicht auferlegen könne, die mit Beherrschungs- und G e w i n n abführungsverträgen verbundene „grundlegende Änderung ihrer

Gesell-

schafterstellung ... hinzunehmen". I m Vordergrund stand dabei die Sorge, der Ausgleich nach § 304 A k t G könne im Einzelfall den Vermögensnachteil außenstehender Aktionäre nicht vollständig decken, zumal mancher A k t i o n ä r nicht damit einverstanden sei, statt eines echten Gewinnanteils eine „ R e n t e " vom anderen U n t e r n e h m e n zu b e k o m m e n , auf dessen Geschäftsführung er keinen Einfluss habe. N a c h den Umständen könne auch „die Sorge begründet sein, daß die Gesellschaft bei Beendigung des Vertrages nicht mehr fähig ist, auf eigenen F ü ß e n zu stehen". 2 4 Aus diesen Erwägungen des Gesetzgebers ergibt sich, dass das R e c h t außenstehender Aktionäre, sich im Falle eines Organschaftsvertrages in bar zum Verkehrswert abfinden zu lassen, ihnen das wirtschaftliche

Risiko

abnehmen soll, welches sich trotz der Ausgleichsregelung für den außenstehenden A k t i o n ä r ergibt, wenn er in der Gesellschaft bleiben müsste. I n diesem Zusammenhang spielt das Eigentumsrecht des Aktionärs eine erhebliche Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in der „Feldmühle" Entscheidung und nochmals im J a h r e 1999 hervorgehoben, die K o m p e n s a tion müsse dem verfassungsrechtlichen

G e b o t (Art. 14 G G )

Rechnung

tragen, Minderheitsaktionäre vor einer Entwertung ihrer Mitgliedschaftsrechte durch Gewinnabführungs- oder Beherrschungsverträge zu schützen. 2 5 D i e Frage der Angemessenheit der Abfindung muss deshalb auf den Stichtag bezogen werden, an welchem die Hauptversammlung über den G e w i n n abführungs· und Beherrschungsvertrag beschließt (§§ 293 Abs. 1, 305 Abs. 3 S. 2 A k t G ) . D e n n in diesem M o m e n t beginnt bereits die grundlegende Ä n d e rung der Gesellschafterstellung außenstehender Aktionäre, ungeachtet der Tatsache, dass die Wirksamkeit des Vertrages n o c h von der Eintragung abhängt (§ 294 Abs. 2 A k t G ) . In zeitlicher Hinsicht geht es um solche Wertminderungen, die nach dem Stichtag des Hauptversammlungsbeschlusses über den Organschaftsvertrag eintreten. Deshalb muss das Abfindungsangebot den Verkehrswert erreichen, den die Aktie an diesem Tage hatte.

S. RegBegr Kropff AktG 1965, S. 397. S. RegBegr Kropff AktG 1965, S. 397. 25 BVerfGE 14, 263, 266 ff. = NJW 1962, 1667; BVerfG WM 1999, 433, 434; BVerfGE 100, 289, 301 f. = WM 1999, 1666, 1667 „Altana"; s. auch BGHZ 119, 10 „Asia/BBC"; BGHZ 135, 374, 378f. „Guano"; s. auch Röhricht ZHR 162 (1998), 249, 257 mwN. 23 24

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Die während der Dauer des Abfindungsangebotes eingetretenen Wertminderungen trägt danach automatisch der andere Vertragsteil, soll doch der außenstehende Aktionär durch Ausübung des Abfindungsangebotes vor solchen Wertminderungen gerade bewahrt werden. Für den anderen Vertragsteil ist das zwar mit einer „schweren Belastung" verbunden, wie der Gesetzgeber durchaus gesehen hat. 26 Realisiert sich die Wertminderung aber gerade in einer Zeitspanne, in welcher der andere Vertragsteil mit der A G wirtschaftlich verschmolzen ist - und um nichts anderes als um einen Fusionstatbestand auf Zeit handelt es sich bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen -, 2 7 entspricht es gerade dem Sinn und Zweck des Abfindungsanspruchs, dass dieser Wertverlust vom anderen Vertragsteil zu übernehmen ist. Hingegen können Wertverluste, die sich erst nach Beendigung des Unternehmensvertrages ergeben, nach Sinn und Zweck der Abfindungsregelung schon deswegen nicht mehr erfasst sein, weil die AG in diesem Zeitraum wieder „eigenständig", der Fusionstatbestand auf Zeit nämlich beendet ist. Das Risiko von Wertminderungen ihrer Anteile tragen während dieses Zeitraumes mit Selbstverständlichkeit die Aktionäre. Ihre „Sorge", „daß die Gesellschaft bei Beendigung des Vertrages nicht mehr fähig ist, auf eigenen Füßen zu stehen", hat der Gesetzgeber durchaus gesehen.28 Aus diesem Grunde sollte der Aktionär frei entscheiden dürfen, ob er sich zu Beginn der wirtschaftlichen Fusion von seiner Beteiligung gegen Barabfindung trennt. 29 Die Vorstellung, dass eine solche Barabfindung etwa auch dann noch geschuldet sein könnte, wenn die nach Beendigung des Fusionstatbestands in die Selbstständigkeit entlassene AG am Markt erfolglos operiert, ist aber mit Sinn und Zweck der Abfindungsregelung nicht zu vereinbaren. Sie scheidet nach der Vorstellung des Gesetzgebers schon deswegen aus, weil es nach Beendigung des Fusionstatbestandes gar keinen „außenstehenden Aktionär" i.S.d. § 305 AktG mehr geben kann. 30 Der Umstand, dass dies im Falle noch andauernder Spruchstellenverfahren nach dem Wortlaut des Gesetzes scheinbar anders ist,31 ändert nichts am Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Barabfindung: Die Abfindungsregelungen sollen nach ihrem System unter keinen Umständen Wertverluste ausgleichen, die erst im Zeitraum nach Vertragsbeendigung entstehen.

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S. RegBegr Kropff A k t G 1965, S. 397. Altmeppen in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 291 Rn 8ff.; ders. ZIP 1998, 1853ff. mwN. 28 S. RegBegr Kropff AktG 1965, S. 397. 29 Vgl. dazu o. Fn 24. 30 Näher sogleich III 3. 31 S. 1,112. 27

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Nach dem Leitbild des Gesetzes soll vielmehr derjenige Aktionär, der sich während des Organschaftsvertrages f ü r den Verbleib in der Gesellschaft entscheidet, neben dem wiederkehrenden Ausgleich pro rata des Vertrages (§ 304 A k t G ) am Stichtag der Vertragsbeendigung die Beteiligung an einer Vermögensmasse haben, die zumindest bilanziell nicht geringer ist als zu Beginn des Vertrages. 32 Da andererseits nicht zweifelhaft sein kann, dass außenstehende Aktionäre sich bis zur Beendigung eines Spruchstellenverfahrens noch für ein Abfindungsangebot entscheiden können, 3 3 ergibt sich nur die Frage, wie nach Sinn und Zweck der Abfindung das Risiko von Kursverlusten zu verteilen ist, welche die Aktien erst erleiden, nachdem die wirtschaftliche Fusion mit dem anderen Vertragsteil beendet wurde. Insoweit kommt eine Beschränkung des Adressatenkreises der Abfindungsberechtigten oder eine auf den Zweck der Abfindung zugeschnittene, die nachträglichen Verluste berücksichtigende Berechnung des Abfindungsbetrages in Betracht.

3. Zur Beschränkung des Kreises der

Abfindungsberechtigten

Bedenkt man Sinn und Zweck der Abfindungsregelung 3 4 , wäre es nicht abwegig, den Abfindungsanspruch nur zugunsten solcher außenstehender Aktionäre anzuerkennen, die entweder innerhalb der Angebotsfrist ihre Option ausgeübt oder aber das Spruchstellenverfahren eingeleitet haben bzw. diesem zumindest beigetreten sind. D e n n wer weder das Abfindungsangebot wahrnimmt noch ein Verfahren betreibt, nach welchem dieses Angebot zu verbessern sei, hat sich offenbar f ü r den Ausgleich entschieden. Nach der vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 3 5 besteht der Abfindungsanspruch demgegenüber auch zugunsten solcher Aktionäre fort, die sich dem Spruchstellenverfahren nicht angeschlossen haben. Der B G H argumentiert, dass der Abfindungsanspruch nicht nur vertraglicher N a t u r ist (Vertrag zugunsten Dritter), 36 sondern dass er dem Grunde nach schon kraft Gesetzes gewährt wird. 37 Das trifft zu, wie sich nicht zuletzt aus dem Umstand ergibt, dass die Abfindung jedenfalls auch dann zu gewähren ist, wenn es an einem Abfindungsangebot im Vertrag fehlt (§ 305 Abs. 5 S. 2 AktG). Dann aber liegt es nahe, dass alle Aktionäre vom Spruchstellenverfahren profitieren können, zumal auch § 306 Abs. 4 S. 2

32 Dazu eingehend Altmeppen in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 302 Rn 39 ff. m w N ; s. auch sogleich III 5. 33 Dazu eingehend Β II. 34 S. III 2. 35 Vgl. die Nachweise o. Fn 13,16. 36 S. d a z u o . F n 7 . 37 B G H Z 135, 374, 380.

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AktG zugunsten aller außenstehenden Aktionäre eine mittelbare Beteiligung an diesem Verfahren gewährleistet (durch Bestellung eines gemeinsamen Vertreters). Damit steht jedenfalls fest, dass sich alle außenstehenden Aktionäre noch für die Abfindung entscheiden können, die ihre Anteile bereits zu Beginn des Spruchstellenverfahrens besaßen. Zweifelhaft ist jedoch, ob noch solche Aktionäre in den Genuss einer Abfindungsoption gelangen können, die ihre Anteile erst nach Beendigung des Unternehmensvertrages erworben haben. Dagegen spricht vordergründig der Wortlaut des § 305 Abs. 1 AktG, indem er die Abfindungsoption „außenstehenden Aktionären" vorbehält: Solche gibt es nach Beendigung des Unternehmensvertrages gar nicht mehr. Doch ist dieses Begriffsargument nur scheinbar tragfähig. Denn es knüpft an die - bereits dargelegte - Vorstellung des Gesetzgebers an, dass ein Abfindungsanspruch nach Beendigung des Unternehmensvertrages sowieso ausscheidet.38 Besteht aber der Abfindungsanspruch im Ausnahmefall eines noch andauernden Spruchstellenverfahrens auch nach Beendigung des Unternehmensvertrages fort - und auch daran besteht kein Zweifel -, 3 9 zeigt sich, dass es auch nach Beendigung des Unternehmensvertrages noch „außenstehende Aktionäre" i.S.d. Gesetzes geben kann, die nämlich nach Maßgabe des Ausganges des Spruchstellenverfahrens noch Ausgleich oder Abfindung beanspruchen können. Zum Kern des Problems führt die Frage, ob der Abfindungsanspruch solcher Aktionäre erlöschen muss, falls sie ihre Aktie nach Vertragsbeendigung veräußern. Diese Frage ist zu verneinen, weil der Abfindungsanspruch in diesem Fall mit der Aktie auf den Rechtsnachfolger übergehen muss: Die Aktie verkörpert als Inhaberpapier die aus der Mitgliedschaft resultierenden Vermögensrechte ihres Inhabers, und solange mit dieser Aktie ein Abfindungsanspruch verbunden ist, muss dieser auch - zusammen mit der Mitgliedschaft - übertragbar sein. Nur dann, wenn in der Person des Erwerbers Gründe vorliegen, die zum Untergang des Abfindungsanspruchs führen, weil der Erwerber wirtschaftlich gesehen der „andere Vertragsteil" ist,40 ergibt sich etwas anderes. Der Untergang des Abfindungsanspruchs folgt dann aber nicht aus dem Ubertragungsakt nach Beendigung des Unternehmensvertrages, sondern allein daraus, dass nur Aktionäre abgefunden werden können, die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht „der andere Vertragsteil" sind. Umgekehrt gilt allerdings, dass die Veräußerung von Aktien, die im Zeitpunkt ihrer Veräußerung keinen Abfindungsanspruch gewähren, nur dann

38 39 40

S. II 2. S. II 2. Dazu II 1.

Begrenzung von Abfindungsansprüchen und Spruchstellenverfahren

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einen Abfindungsanspruch zur Entstehung bringen kann, wenn der Rechtsnachfolger „außenstehender Aktionär" ist. Und daran fehlt es immer, wenn der andere Vertragsteil seine Beteiligungsrechte nach Beendigung des Unternehmensvertrages veräußert. Denn der andere Vertragsteil ist kein außenstehender Aktionär, seine Aktien begründeten daher im Zeitpunkt der Veräußerung noch keinen Abfindungsanspruch. 41 Gleiches gilt in diesem Falle aber für den Erwerber, der schon deswegen nicht „außenstehender Aktionär" sein kann, weil der Fusionstatbestand bereits vor seinem Erwerb beendet worden war. Die AG kann zu diesem Zeitpunkt gar keine außenstehenden Aktionäre mehr haben, wenn man von solchen absieht, die im Zeitpunkt der Beendigung des Unternehmensvertrages außenstehende Aktionäre waren und wegen des andauernden Spruchstellenverfahrens weiterhin als solche fingiert werden. Nach allem ergibt sich als Zwischenergebnis, dass der Adressatenkreis des Abfindungsanspruches durch Veräußerung der Aktien nach Beendigung des Unternehmensvertrages nicht verändert wird. Soweit der Veräußerer gar nicht zum Adressatenkreis gehörte, weil er - wirtschaftlich betrachtet - dem anderen Vertragsteil „zuzurechnen" ist, erweitert sich der Adressatenkreis durch die Veräußerung nicht mehr. Andererseits bleibt ein mit dem Wertpapier verbundener Abfindungsanspruch auch dann bestehen, wenn ein ehemals außenstehender Aktionär seine Mitgliedschaft nach Vertragsbeendigung auf einen Dritten überträgt. 4. Rechtslage hinsichtlich einer Kapitalerhöhung nach

Vertragsbeendigung

Aus dem Gesagten ergibt sich ohne weiteres, dass auch die jungen Aktien, die im Zuge einer Kapitalerhöhung entstehen, keine Abfindungsansprüche mehr begründen, wenn die Kapitalerhöhung nach Vertragsbeendigung erfolgt. Denn diese Aktien kann kein „außenstehender Aktionär" erwerben, weil es solche nach Vertragsbeendigung nur insoweit gibt, als sie schon bei Vertragsbeendigung außenstehende Aktionäre waren und zumindest mittelbar (§ 306 Abs. 4 S. 2 AktG) noch an einem laufenden Spruchstellenverfahren beteiligt sind. Für die Bezieher junger Aktien kommt dies von vornherein nicht in Betracht. Erst recht begründet eine Veräußerung solcher Aktien keinen Abfindungsanspruch, da mit der Veräußerung nach Vertragsbeendigung allenfalls ein bestehender Abfindungsanspruch übergehen kann. 42

41

S.III.

42

Eingehend III 3.

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5. Die Verkürzung des Abfindungsanspruchs in Höhe der nachvertraglichen Wertminderung der Aktien D i e Regelungen zu Ausgleich und Abfindung außenstehender Aktionäre in §§ 3 0 4 - 3 0 6 A k t G gehen von dem Normalfall aus, dass während der D a u e r des Unternehmensvertrages eine Entscheidung des Aktionärs für Ausgleich oder Abfindung stattfindet. Dies gilt in erster Linie dann, wenn die Vertragsangebote insoweit nicht angegriffen werden. A b e r auch wenn ein Spruchstellenverfahren läuft, entspricht es dem gesetzlichen Regelfall, dass dieses Verfahren während der -

mindestens fünfjährigen - 4 3 Vertragsdauer ab-

geschlossen ist, jeder Aktionär also noch während des laufenden Vertrages seine Entscheidung zu treffen hat. Die Alternativen für den außenstehenden Aktionär haben ihren G r u n d ausschließlich in der wirtschaftlichen Fusion seiner A G mit dem anderen Vertragsteil: 4 4 Wählt er den Ausgleich, so ist dies eine „Entschädigung" dafür, dass seine A G für die D a u e r des Unternehmensvertrages ihre Eigenständigkeit aufgibt und wirtschaftlich mit dem anderen Vertragsteil fusioniert. Entscheidet er sich für die Abfindung, überlässt er seine Mitgliedschaft gegen Entschädigung, die mindestens den Verkehrswert erreichen muss, einem Unternehmen, das regelmäßig Mehrheitsaktionär seiner A G ist und mit seiner A G für die D a u e r des Vertrages wirtschaftlich fusioniert. Bei wirtschaftlicher Betrachtung übernimmt dieses U n t e r n e h m e n (der „andere Vertragsteil") also gleichsam einen weiteren Anteil an dem Gesamtunternehmen, das durch den Organschaftsvertrag entsteht. 4 5 N a c h Beendigung des Unternehmensvertrages ist ein solcher „Tausch" gar nicht mehr möglich. D e r „Ausgleich" i.S.d. § 304 A k t G kann nur nachträglich für den Zeitraum des Vertrages angehoben werden, wenn dies im Spruchstellenverfahren so entschieden wird. D i e etwaige E r h ö h u n g der vertraglich angebotenen Abfindung soll den außenstehenden A k t i o n ä r so stellen, als sei er bereits auf der Basis des vertraglichen Angebots angemessen abgefunden worden. 4 6 Eine Besonderheit ergibt sich in unserer Situation, wenn ein außenstehender Aktionär sich bis zum Abschluss des Spruchstellenverfahrens n o c h nicht S. oben Fn 1. Zu Sinn und Zweck der Abfindungsregelungen s. III 2. 45 S. zur wirtschaftlichen Fusion kraft des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags bereits o. Fn 27. 46 Deshalb entspricht es zu Recht völlig herrschender Ansicht, dass der außenstehende Aktionär, welcher bereits die Abfindung gewählt hat, eine Nachzahlung in Höhe der Differenz erhält, wenn das Gericht eine höhere Abfindung bestimmt (sog. „Abfindungsergänzungsanspruch"), s. statt aller Bilda in MünchKomm. AktG, o. Fn 3, § 305 Rn 125ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, o. Fn 12, § 305 Rn 66; Hüffer, AktG, o. Fn 6, § 305 Rn 32; Krieger in MünchHdb. AG, o. Fn 12, § 70 Rn 130 jew. mwN. 43

44

Begrenzung von Abfindungsansprüchen und Spruchstellenverfahren

15

für die Abfindung entschieden hat. Wählt dieser Aktionär nicht den (gegebenenfalls erhöhten) Ausgleich, bietet er dem anderen Vertragsteil eine Beteiligung an, die gar nicht mehr an einem „Gesamtunternehmen" besteht, weil der Fusionstatbestand längst beendet worden ist. Es gibt „den anderen Vertragsteil" gar nicht mehr, insbesondere kann der ehemalige Vertragspartner nicht mehr eine weitere Beteiligung an dem Gesamtunternehmen erwerben, das er seinerzeit kraft des Organschaftsvertrages geschaffen hat. Man nötigt dem ehemaligen Vertragspartner vielmehr den Erwerb einer Mitgliedschaft an einem Unternehmen auf, das nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich selbstständig geworden ist und mit dem anderen Vertragsteil nichts mehr zu tun hat. Der Umstand, dass außenstehende Aktionäre in dieser Situation überhaupt noch eine Abfindung verlangen können, obwohl sie sich bis zum Ende des Unternehmensvertrages gerade nicht für die Abfindung entschieden haben, beruht allein auf der Notwendigkeit, dem außenstehenden Aktionär noch die Wahlfreiheit zwischen Ausgleich und Abfindung erhalten zu müssen, wenn das Spruchstellenverfahren - was der vom Gesetzgeber nicht beachtete Ausnahmefall ist - länger dauert als der Unternehmensvertrag. 47 Es ergibt sich daraus für den anderen Vertragsteil eine kaum noch zu rechtfertigende Härte, die allenfalls deswegen in Kauf genommen werden kann, weil es sich um seltene Ausnahmefälle handelt. Doch wer bis zur Beendigung des Fusionstatbestandes immer noch nicht die Abfindung gewählt, sondern sich dafür entschieden hat, vorläufig Mitglied der rechtlich und wirtschaftlich wieder selbstständigen AG zu bleiben, trägt ab diesem Stichtag jedenfalls die Gefahr für künftige(!) Wertminderungen seiner Mitgliedschaft selbst. Die Vorstellung, dass solche Wertminderungen noch „Schäden" sind, die auf den ehemaligen Vertragspartner der AG abgewälzt werden könnten, ist dogmatisch und wertungsmäßig schlichtweg indiskutabel. 48 Nach Sinn und Zweck der Abfindungsregelung kommt dies schon deswegen nicht in Betracht, weil die Abfindung nach dem Leitbild des Gesetzes an sich den bestehenden Fusionstatbestand voraussetzt. 49 Gewiss ist dies in dem Ausnahmefall anders, dass ein Spruchstellenverfahren länger als der Fusionstatbestand dauert. Doch folgt aus dieser Ausnahme und namentlich aus § 305 Abs. 4 S. 3 AktG keineswegs, der andere Vertragsteil müsse deswegen das Risiko von Kursverlusten übernehmen, die Aktionäre einer rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen AG erleiden, mit welcher der andere Vertragsteil gar nichts mehr zu tun hat. Insbesondere kann ein Aktionär einer solchen rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen AG nicht geltend machen, er sei bereits früher, nämlich noch 47 48 49

Eingehend zu den Grundlagen II. S. bereits I, III 1 und 2. S. III 2-4.

16

Holger Altmeppen

in der Zeit des Fusionstatbestandes mit dem anderen Vertragsteil, A k t i o n ä r dieser A G gewesen, und nur wegen dieses Fusionstatbestandes mit dem ehemaligen Vertragspartner sei der Wert seiner Aktie gesunken. Allerdings hat der Gesetzgeber sehr wohl gesehen, dass die A G

bei Beendigung des

Fusionstatbestandes „nicht mehr fähig" sein mag, „auf eigenen F ü ß e n zu stehen". 5 0 I m Schrifttum ist deshalb auch erwogen worden, o b man der A G nach

Beendigung

des

Unternehmensvertrages

gegebenenfalls

„Wieder-

aufbauhilfen" zu leisten hat; doch haben sich solche Überlegungen zu R e c h t nicht durchgesetzt. 5 1 Juristisch nicht einzuordnen wäre demgegenüber der Gedanke, der andere Vertragsteil müsse denjenigen Aktionären, die sich für den Verbleib in der A G auch nach Beendigung des Unternehmensvertrages entschieden haben, Wertminderungen ersetzen, die ihre Beteiligungsrechte in einem Zeitraum nach Beendigung des Fusionstatbestandes erfahren. D e n n der A k t i o n ä r einer rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen A G trägt als Investor von Risikokapital alleine das Risiko dafür, wie sich der Wert seiner Mitgliedschaft am Markt entwickelt (einmal abgesehen davon, dass es praktisch gar nicht m ö g lich wäre, den Einfluss zu messen, den der ehemalige Fusionstatbestand insoweit haben mag). Gewiss kann es passieren, dass die rechtlich und wirtschaftlich wieder selbstständige A G am M a r k t erfolglos bleibt, nachdem der Fusionstatbestand beendet worden ist. Wer dieses Risiko fürchtet, kann und muss sich während der D a u e r des Fusionstatbestandes für die Abfindung entscheiden. Wer sich die Entscheidung zwischen Ausgleich und Abfindung auch nach Beendigung des Fusionstatbestandes n o c h offen hält, was nur in dem A u s nahmefall möglich ist, dass trotz Vertragsbeendigung noch ein Spruchstellenverfahren andauert, 5 2 trägt ab Vertragsbeendigung das Risiko einer Wertminderung seiner Mitgliedschaft. Wählt er statt des Ausgleichs am Ende des Spruchstellenverfahrens die Abfindung, ist ein Zustand herzustellen, der dem gesetzlichen Leitbild der Abfindung (§ 305 A k t G ) entspricht. Danach b e k o m m t der Aktionär entweder die angebotene (weil angemessene) oder die v o m Gericht erhöhte Abfindung gegen Überlassung der Aktie mit dem Wert, den sie während des Fusionstatbestandes hatte. D e n n mit der Beendigung des Fusionstatbestandes endet nach Sinn und Z w e c k der

S. RegBegr Kropff AktG 1965, S. 397. Vielmehr muss der andere Vertragsteil die AG mit einem Vermögen in die wirtschaftliche Selbstständigkeit entlassen, das bilanziell mindestens genauso hoch ist wie dasjenige zu Beginn des Fusionstatbestandes (§ 302 AktG). Das bedeutet, der letzte Verlustausgleichsanspruch ist bisweilen auf der Basis von Zerschlagungswerten zu berechnen und damit gegebenenfalls exorbitant hoch. Nachweise bei Altmeppen in MiinchKomm. AktG, o. Fn 3, § 291 Rn 39 ff. mwN. 52 S. II. 50

51

Begrenzung von Abfindungsansprüchen und Spruchstellenverfahren

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Entschädigungsregelungen im Vertragskonzern auch die Möglichkeit, dem anderen Vertragsteil Anteile am Gesamtunternehmen gegen Abfindung zu überlassen. Die Aktionäre der wieder selbstständig gewordenen AG tragen das Risiko der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Mitgliedschaft ab diesem Zeitpunkt selbst.53 Die Wahl solcher Aktionäre, die wegen eines ausnahmsweise andauernden Spruchstellenverfahrens auch nach Vertragsbeendigung noch besteht, muss deshalb jedenfalls auf die Vertragsdauer bezogen bleiben. Ebenso wie der Ausgleich - mag er vom Gericht erhöht werden oder nicht nur pro rata temporis des Fusionstatbestandes gewährt werden kann, muss die Abfindungsvariante auf die Vertragsdauer bezogen werden. Deshalb werden Aktionäre, die sich aufgrund der Besonderheiten des Spruchstellenverfahrens noch nachträglich für die Abfindung entscheiden können, so behandelt, als hätten sie sich im letzten denkbaren Moment für die Abfindung entschieden, und das ist - vom Spruchstellenverfahren abgesehen der Zeitpunkt der Vertragsbeendigung.54 Da der Aktionär, der sich erst später für die Abfindung entscheidet, die Aktie nicht mehr mit dem Wert eintauschen kann, den sie zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung gehabt hat, muss er sich eine etwaige Wertminderung ab diesem Zeitpunkt von seiner Abfindungssumme abziehen lassen. Dies geschieht, weil allein er für diese Wertminderung das Risiko trägt, es deshalb nicht auf den anderen Vertragsteil abwälzen kann. Jede andere Betrachtungsweise führt zu unerträglichen Wertungswidersprüchen. 55 6.

Beweislast

Nach dem Leitbild der Abfindungsregelungen im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (§§ 304, 305 AktG) hat grundsätzlich jeder Aktionär einen Abfindungsanspruch, soweit er nicht - und sei es auch nur bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - zum anderen Vertragsteil gehört.56

Eingehend III 1 - 4 . S. II, III 1 - 4 . 55 S. I, III 1. Dahingestellt bleibe, ob man zugunsten der Aktionäre, welche nachträglich noch die Abfindung wählen, § 15 HGB anzuwenden hat, solange die Beendigung des Unternehmensvertrages nicht eingetragen und bekannt gemacht wurde (§ 298 AktG!). Bejahendenfalls könnten die Aktionäre Wertverluste bis zu diesem Zeitpunkt (§ 15 Abs. 2 HGB) noch auf den anderen Vertragsteil abwälzen (s. zur Anwendung des § 15 HGB hinsichtlich der Eintragung der Vertragsbeendigung Altmeppen in MiinchKomm. AktG, o. Fn 3, § 298 Rn 2: Die Eintragung hat lediglich deklaratorische Bedeutung, § 15 HGB ist grundsätzlich anwendbar). Gegen die Anwendung des § 15 HGB spricht immerhin, dass Aktionäre als Mitglieder der eintragungspflichtigen Gesellschaft nicht ohne weiteres „Dritte" i.S.d. § 15 HGB sind (s. dazu Altmeppen in MiinchKomm. AktG, o. Fn 3, § 294 Rn 41 f. mwN). 56 S. II 1. 53 54

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Holger A l t m e p p e n

Die Ausnahme von der Regel muss nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen der andere Vertragsteil beweisen. Grundsätzlich anders ist die Situation nach Beendigung des Unternehmensvertrages. In diesem Zeitraum gibt es gar keinen „anderen Vertragsteil" mehr, ebenso wenig also einen „außenstehenden" Aktionär. Wer behauptet, er sei auch nach Beendigung des Unternehmensvertrages noch „außenstehender Aktionär", beruft sich damit auf den Ausnahmefall, dass er zu denjenigen gehöre, die sich bis zur Beendigung des Unternehmensvertrages als außenstehende Aktionäre in der AG befunden haben und wegen eines andauernden Spruchstellenverfahrens noch Abfindung begehren können, oder dass er ein Rechtsnachfolger eines solchen Aktionärs sei.57 Die Beweislast des betreffenden Aktionärs ergibt sich hier daraus, dass es nach Beendigung des Unternehmensvertrages grundsätzlich überhaupt keinen „außenstehenden Aktionär" mehr gibt, diese Eigenschaft aber zu den Anspruchsvoraussetzungen gehört (§ 305 Abs. 1 AktG). Den Nachweis, er habe die Aktie bereits vor Vertragsbeendigung besessen, kann zudem nur der betreffende Aktionär führen, und dies ohne weiteres, während der andere Vertragsteil gar nicht dazu im Stande ist, dem Aktionär nachzuweisen, er habe die Aktie zu einem späteren Zeitpunkt als demjenigen der Vertragsbeendigung erworben. Wer behauptet, die Aktie zwar erst nach Vertragsbeendigung, jedoch als Rechtsnachfolger eines abfindungsberechtigten Aktionärs erworben zu haben, muss letzteres ebenfalls beweisen. Denn wer nach Vertragsbeendigung eine Aktie erwirbt, kann grundsätzlich nicht „außenstehender Aktionär" sein, wenn und weil es gar keinen Fusionstatbestand mit einem „anderen Vertragsteil" mehr gibt. Zwar geht der Abfindungsanspruch des ehemaligen „außenstehenden Aktionärs" auch mit der Veräußerung der Aktie nach Vertragsbeendigung nicht unter.58 Doch trifft den Rechtsnachfolger eines solchen Aktionärs dieselbe Beweislast wie seinen Rechtsvorgänger. Bei Erwerb nach Vertragsbeendigung liegt zudem die Annahme nahe, dass der Erwerber Rechtsnachfolger des anderen Vertragsteils geworden ist, und dann scheidet ein Abfindungsanspruch von vornherein aus. 59 Denn nach Beendigung des Fusionstatbestandes veräußert der ehemalige Vertragsteil bisweilen seine Mehrheitsbeteiligung an der AG. Wer also nur behauptet, er habe seine Aktie an der Börse erworben, hat unter keinen Umständen schlüssig einen Abfindungsanspruch dargelegt. Auch er muss wissen, dass eine solche Aktie schon deswegen keinen Abfindungsanspruch begründet, weil es „außenstehende Aktionäre" zum Zeitpunkt seines Begehrens gar nicht mehr geben kann, wenn man von der Aus-

57 58 59

S. III 3. Eingehend III 3. Näher III 3.

Begrenzung von Abfindungsansprüchen und Spruchstellenverfahren

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nähme absieht, dass ehemalige außenstehende Aktionäre mit Rücksicht auf das laufende Spruchstellenverfahren diese Rolle noch behalten sollen.60 Ist nach allem der Erwerber von Aktien einer rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen AG im Grundsatz niemals abfindungsberechtigt, muss dieser Erwerber den Ausnahmefall darlegen, dass gerade die von ihm erworbene Aktie noch einen Abfindungsanspruch eines ehemaligen außenstehenden Aktionärs verbrieft. Gelingt dem Aktionär nach Vertragsbeendigung der Beweis, dass er nach Maßgabe des § 305 Abs. 4 S. 3 AktG noch die Abfindung wählen kann, erhält er grundsätzlich den vom Gericht im Spruchstellenverfahren festgesetzten Abfindungsbetrag (gegebenenfalls ist dies der schon im Vertrag angebotene). Es ist dann Sache des ehemaligen Vertragspartners der AG, darzulegen und zu beweisen, dass der Aktionär sich einen Abzug von der Abfindung gefallen lassen muss, weil die Aktie erst nach Vertragsbeendigung an Wert verloren habe. Auch das ergibt sich aus dem allgemeinen Beweislastgrundsatz, dass jeder, der eine ihm günstige Rechtssituation behauptet, beweispflichtig ist. Im Grundsatz erhält nämlich jeder abfindungsberechtigte Aktionär die vom Gericht bestätigte oder festgesetzte Abfindung (§§ 305, 306 AktG). Der ehemalige „andere Vertragsteil" ist zudem auch ohne weiteres dazu in der Lage, die Wertminderung, die ab dem Stichtag der Vertragsbeendigung eingetreten sein soll, darzulegen und zu beweisen. Er kann und muss wissen, wie etwa der Börsenkurs am Stichtag der Vertragsbeendigung gewesen ist, und derjenige am Stichtag des Abfindungsbegehrens steht ohne weiteres fest. Mit der Differenz hat das zur Abfindung verpflichtete Unternehmen jedoch den Abschlag zunächst einmal schlüssig dargelegt. Es dürfte dann Sache des Aktionärs sein, Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass der Kursverlust die Entwicklung des Wertes seines Mitgliedschaftsrechts unzutreffend ungünstig beschreibt. Der Kursverlust ab dem Stichtag der Vertragsbeendigung ergibt in aller Regel die Wertminderung, die der andere Vertragsteil in Abzug bringen darf: Er soll gerade keine Kursverluste tragen, die der Aktionär erst nach Vertragsbeendigung als Mitglied einer rechtlich und wirtschaftlich wieder eigenständigen AG erlitten hat. Das Risiko solcher Kursverluste ist nicht mehr auf den „anderen Vertragsteil" abzuwälzen. 61

60

Näher III 3. Näher Β III 5. Weitere Einzelheiten zur Darlegungs- und Beweislast sind hier nicht darzustellen. 61

20

Holger Altmeppen

IV. Ergebnisse 1. Der Abfindungsanspruch außenstehender Aktionäre kann grundsätzlich bis zu dem in § 305 Abs. 4 S. 3 AktG bezeichneten Zeitpunkt geltend gemacht werden, also noch bis zu 2 Monate nach dem Tag, an dem die Entscheidung im Spruchstellenverfahren über den zuletzt beschiedenen Antrag im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden ist. Dies gilt unabhängig davon, ob das vertragliche Abfindungsangebot befristet war und ob der Unternehmensvertrag möglicherweise schon Jahre vorher beendet worden ist. 2. Einen Abfindungsanspruch haben aber nur solche Aktionäre, die entweder im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung außenstehende Aktionäre i.S.d. § 305 Abs. 1 AktG waren oder aber Rechtsnachfolger solcher Aktionäre geworden sind. Keinen Abfindungsanspruch haben demgegenüber Aktionäre, die ihre Mitgliedschaft erst nach Beendigung des Unternehmensvertrages von jemandem erworben haben, der kein außenstehender Aktionär war, namentlich also bei Erwerb vom ehemaligen „anderen Vertragsteil". Die Beweislast, dass er im bezeichneten Sinne „außenstehender Aktionär" gewesen oder Rechtsnachfolger eines solchen geworden ist, hat nach Vertragsbeendigung der den Abfindungsanspruch geltend machende Aktionär. 3. Aktien, die im Zuge einer erst nach Vertragsbeendigung durchgeführten Kapitalerhöhung neu entstehen, begründen von vornherein keinen Abfindungsanspruch gegen den ehemaligen Vertragspartner der AG. 4. Aktionäre, die sich bis zur Vertragsbeendigung nicht für die Abfindung entschieden haben, tragen das Risiko nachvertraglicher Wertminderungen ihrer Aktien selbst. Soweit sie wegen eines Spruchstellenverfahrens, welches den Fusionstatbestand des Organschaftsvertrages überdauert, noch in der Lage sind, sich nachträglich für die Abfindung zu entscheiden, müssen sie sich von dieser Abfindung den Betrag abziehen lassen, um den ihre Aktien nach Vertragsbeendigung an Wert eingebüßt haben. Die Beweislast hat insoweit der ehemalige andere Vertragsteil. In der Regel genügt die Darlegung des Kursverlustes.

Transparenz und Wertprüfung beim Erwerb von Sacheinlagen durch genehmigtes Kapital WALTER BAYER

I. Darstellung der Problematik und Rechtstatsachen Durch die Siemens-Nold-Entscheidung des BGH 1 hat das Rechtsinstitut des genehmigten Kapitals neuen Aufschwung erhalten. Bereits im Jahre 1998 verfügten knapp 2/3 aller 526 börsennotierten Aktiengesellschaften mit mehr als 5% Streubesitz über ein genehmigtes Kapital; im Jahre 1984 betrug die Quote nur knapp 1/4.2 Eine noch in Arbeit befindliche Auswertung aller im Bundesanzeiger des Jahres 2000 veröffentlichten Kapitalmaßnahmen nach §§ 202ff AktG kommt zu dem Ergebnis, daß ca. 50 % aller Kapitalerhöhungen börsennotierter Aktiengesellschaften gegen Sacheinlagen erfolgten. Betrachtet man die Höhe der Einlagen, dann ergibt sich zwischen Sach- und Bareinlagen ein Verhältnis von 55:45. Bei mehr als 3/4 der Kapitalerhöhungen wurde das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen. Der ganz überwiegende Zweck aller Kapitalerhöhungen (ca. 50 %) besteht im Erwerb von Unternehmen (asset deal) oder Beteiligungen (share deal). Hier ist das Schadensrisiko der zwangsläufig vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre besonders groß, da sie in aller Regel über die Einzelheiten des Unternehmens- bzw. Beteiligungserwerbs vor dem Abschluß der Kapitalerhöhung nicht informiert werden [ausf. III.] und darüber hinaus die hM den Standpunkt einnimmt, daß eine Prüfung des Wertes der Sacheinlage nach der lex lata nicht zu erfolgen habe [ausf. IV.]. Die Gefahr, daß die Aktionäre neben der aufgrund des Bezugsrechtsausschlusses unvermeidbaren Verwässerung ihrer Stimmrechtsquote auch noch einen Vermögensverlust hinnehmen müssen - falls nämlich der Wert der Sacheinlage den Wert der aus-

1 B G H Z 1 3 6 , 1 3 3 f f = N J W 1997, 2 8 1 5 f f = JZ 1998, 47ff m. Bspr. Lutter J Z 1998, 50ff = EWiR 1997, 1013 ( H i r t e ) = WuB II A. § 186 A k t G 3.97 {Heìnsìus) = LM A k t G § 186 Nr. 9 (Schwark). 1 Für 1998: Roth ZBB 2001, 50ff; Angaben zu 1984 bei Hirte Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 104 mwN. Überblick bei Hirte in Großkomm, 4. Aufl. 2001, § 202 Rn 87 ff.

22

Walter Bayer

gegebenen neuen Aktien nicht erreicht - wird von der hM in Kauf genommen. Selbst de lege ferenda wird etwa von der Regierungskommission Corporate Governance nur ein sehr begrenzter Handlungsbedarf festgestellt [dazu V]. Die aktuelle Praxis entspricht nicht den Anforderungen an Transparenz, die Aktionäre und Kapitalmarkt vom Vorstand einer Aktiengesellschaft erwarten dürfen. Es ist vielmehr - im Rahmen der Auswertung aller im Jahre 2000 erfolgten Kapitalerhöhungen - festzustellen, daß die Unternehmensleitungen nicht nur ihre Aktionäre über die bevorstehende Ausnutzung des genehmigten Kapitals uninformiert lassen (was rechtlich umstritten ist), sondern häufig auch ihren Pflichten zur ad-hoc-Information nach § 15 W p H G nur unzureichend nachkommen (was rechtswidrig ist).3 Die Grenze zur Irreführung wird überschritten, wenn in werbemäßigen Bekanntmachungen über die Börsenzulassung der ausgegebenen neuen Aktien der Eindruck erweckt wird, daß „die Werthaltigkeit der Sacheinlage" von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „bestätigt" worden sei, und erst bei näherem Hinsehen deutlich wird, daß sich Prüfung und Testat allein auf den geringsten Ausgabebetrag beziehen, nicht dagegen auf den tatsächlich festgesetzten Ausgabebetrag, der in aller Regel über dem Mindestausgabebetrag des § 9 Abs. 1 AktG liegt und in praxi häufig ein Vielfaches des Nennbetrags der neuen Aktien (bzw. des anteiligen Wertes bei Stückaktien) beträgt. 4 N u r für den sachkundigen Anleger wird verständlich, daß der Wirtschaftsprüfer zB nur bestätigt hat, daß der Wert einer für 100000 Aktien zum Nennbetrag von 1 Euro erworbenen Sacheinlage mindestens 100000 Euro erreicht und nicht den festgesetzten und bekanntgemachten Sacheinlagewert von 50 Mio Euro. 5 Die aktuelle Praxis der Sacheinlageprüfung widerspricht darüber hinaus dem europäischen Recht. Es ist an der Zeit, daß diese - nicht neue - Erkenntnis sowohl im rechtswissenschaftlichen Schrifttum als auch in den Reihen der Wirtschaftsprüfer und bei den Registergerichten wahrgenommen wird. Für

3 Der Erwerb eines Unternehmens oder einer wesentlichen Beteiligung ist im Regelfall nach § 15 W p H G publizitätspflichtig: Kiimpel in Assmann/Schneider, W p H G , 2. Aufl. 1999, § 15 Rn 66, 72. Zur Beeinflussung des Börsenkurses im Falle von Kapitalerhöhungen ausf. die empirische Untersuchung von Nowak ZBB 2001, 449 ff. 4 Das Aufgeld (Agio) wird der Kapitalrücklage (§§ 266 Abs. 3 A II, 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB) zugeführt: Lutter in Kölner Komm, 2. Aufl. 1995, § 182 Rn 22; Hüffer AktG, 5. Aufl. 2002, § 182 Rn 22 (allgM). 5 Beispiel: Bekanntmachung der caatoosee ag vom September 2001 über die Ausgabe von 782.976 neuen Aktien zum Teilwert von 1 Euro/Aktie gegen eine Sacheinlage im Wert von 37.867.500.00 USD. Die Ernst & Young Deutsche Allgemeine Treuhand A G Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestätigte entgegen dem ersten Eindruck nicht den Sollwert der Sacheinlage von 37.867.500,00 USD, sondern allein einen Mindestwert von 782.976,00 Euro.

Transparenz und Wertprüfung beim Erwerb von Sacheinlagen

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diesen Z w e c k erscheint die Behandlung der Problematik in der Festschrift für Peter

Ulmer

der geeignete O r t . Es würde den Verfasser im übrigen sehr

freuen, wenn der Jubilar seiner Auffassung zustimmen würde.

II. Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen: Die Konzeption des doppelten Schutzes gem. §§ 186 Abs. 3, 255 Abs. 2 AktG I m Falle einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen wird den Aktionären grundsätzlich kein R e c h t z u m B e z u g der neuen Aktien gewährt. Zeichnungsberechtigt ist allein der Sacheinleger. Sowohl die Kapitalrichtlinie ( K a p R L ) 6 als auch zahlreiche Rechtsordnungen der EU-Mitgliedsstaaten 7 verneinen daher für diese Variante der Kapitalerhöhung ein Bezugsrecht der Aktionäre bereits im Ansatz. Dagegen differenziert das deutsche Aktiengesetz traditionellerweise nicht zwischen Bar- und Sacheinlage, sondern gewährt dem A k t i o n ä r bei jeder F o r m von Kapitalerhöhung ein Bezugsrecht (§ 186 A k t G ) . Allerdings kann das Bezugsrecht durch qualifizierten Mehrheitsbeschluß ausgeschlossen werden (§ 186 Abs. 3 A k t G ) . I m Ergebnis besteht daher zwischen einer mit qualifizierter Mehrheit zu beschließenden Sachkapitalerhöhung

und

einer

Kapitalerhöhung

gegen

Sacheinlagen

unter

gleichzeitigem Ausschluß des Bezugsrechts kein allzu großer Unterschied. D i e deutsche K o n z e p t i o n beinhaltet jedoch deshalb einen höheren Schutz für die v o m Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre, weil der Bezugsrechtsausschluß wegen der Schwere des Eingriffs in die Mitgliedschaft - die Stimmrechts- und auch die Kapitalquote werden verringert - nach der richtungsweisenden Kali 8c Salz-Entscheidung des B G H generell nur dann rechtmäßig angeordnet werden darf, wenn er sachlich gerechtfertigt ist, d. h. im Interesse der A G liegt, zum angestrebten Z w e c k geeignet und erforderlich ist sowie unter Berücksichtigung der Aktionärsinteressen auch dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht. 8 Entgegen manchen Stimmen in der Litera-

6 Zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie v. 13.7.1976 (77/91/EWG), ABl Nr. L 26 v. 31.1.1977 S. Iff; abgedruckt bei Lutter Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 114 ff. 7 Ausf. Bagel Der Ausschluß des Bezugsrechts in Europa, 1999, S. 103 ff (zu Italien, Spanien, Portugal), S. 156f (zu England), S. 228ff (zu Frankreich, Belgien, Niederlande). 8 Β GHZ 71, 40 ff = NJW 1978, 1316 (Kali & Salz)·, BGHZ 125, 239, 241 (Deutsche Bank)·, Lutter (Fn 4), § 186 Rn 59ff; Hüffer (Fn 4), § 186 Rn 25; Wiedemann in Großkomm, 4. Aufl. 1995, § 186 Rn 137ff; Krieger in MünchHdb AG, Bd IV 1. Aufl. 1988, § 56 Rn 69ff; grundlegend Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 3 5 0 ff ; vgl. weiter Hirte (Fn 2), S. 129 ff; Schockenhoff Gesellschaftsinteresse und Gleichbehandlung beim Bezugsrechtsausschluß, 1988. Nachw. der umfangreichen Rspr. bis 1994 bei Schockenhoff AG 1994, 45 ff. Abw. Martens

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Walter Bayer

t u r 9 verstößt diese materielle Schranke des Bezugsrechtsausschlusses auch bei der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen nicht gegen europäisches Recht, da die einschlägigen Vorgaben der K a p R L nur Mindestnormen sind, die vom innerstaatlichen Gesetzgeber jederzeit zum Schutze der Altaktionäre überschritten werden dürfen. 1 0 Das Erfordernis der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses gilt auch im Rahmen eines genehmigten Kapitals. 11 Insoweit hat durch B G H Z 136, 133 keine Änderung der bisherigen Rechtslage stattgefunden. 12 Vielmehr hat der zum Bezugsrechtsausschluß gem. § 203 Abs. 2 A k t G ermächtigte Vorstand bei der Ausnutzung der Ermächtigung zu prüfen, ob der Ausschluß des Bezugsrechts - bei der Sacheinlage also deren E r w e r b - im Interesse der A G liegt und auch unter Berücksichtigung der Interessen der ausgeschlossenen Altaktionäre verhältnismäßig

ist. 13 Diese Pflicht trifft

ebenso den nach § 2 0 2 Abs. 3 S. 2 A k t G zustimmungspflichtigen Aufsichtsrat. Eine pflichtwidrige Entscheidung der Verwaltung führt zum einen zur Haftung gem. §§ 9 3 , 1 1 6 A k t G gegenüber der A G , 1 4 begründet zum anderen aber auch wegen Verletzung der Mitgliedschaft Abwehr- 1 5 und Haftungs-

ZIP 1992,1667,1687; M Ulbert Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1995, S. 303 ff, 330 ff. 9 Kindler ZHR 158 (1994), 339, 356ff; speziell zur Problematik der verdeckten Sacheinlage auch Knobbe-Keuk DB 1990, 2573, 2583; Meilicke DB 1990, 1173, 1174; Steindorff EuZW 1990, 251, 252 (gegen BGHZ 110, 47 [IBH] und hM). 10 EuGHE 1996, 1-6028 = NJW 1997, 721 (Siemens/Nold); vgl. weiter GA Tesauro EuGHE 1996, I-6019ff = IstR 1996, 549ff m. Anm. Drinkuth; zust. Drinkutb IStR 1997, 312ff; Klinke ZGR 1998, 212, 236ff; Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht 1999, Rn 200 ff; Hirte (Fn 2), § 203 Rn 63; Krieger (Fn 8), § 56 Rn 69; krit. Kindler ZGR 1998, 35, 4Iff; ebenso bereits Wiedemann (Fn 8), § 186 Rn 18ff; ausf. Drinkutb Die Kapitalrichtlinie - Mindest- oder Höchstnorm, 1998; rechtsvergleichend Bagel (Fn 7), S. 341 ff mwN; tendenziell abw. BGH ZIP 1995, 372 (Vorlagebescbluß Siemens/Nold)·, dazu zu Recht krit. Lutter ZIP 1995, 648 f; Hirte DB 1995,1113 ff. 11 Vor BGHZ 136, 133ff (Siemens/Nold) allgM: BGHZ 83, 319ff (Holzmann); Lutter (Fn 4), § 203 Rn 11, 18; Hüffer AktG, 3. Aufl. 1997, § 203 Rn 27; Hefermebl/Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckard/Kropff, AktG, 1993, § 203 Rn 21 ff; Krieger (Fn 8), § 58 Rn 17; ausf. Hirte (Fn 2), S. 104 ff. 12 Die Ausführungen des BGH sind allerdings nicht ganz eindeutig und wurden daher im Schrifttum auch mißverstanden; vgl. nur Kindler ZGR 1998, 37, 39; zweifelnd auch Bayer ZHR 163 (1999), 505, 514; Cabn ZHR 163 (1999), 554, 571 ff. 13 Zutreffend Hüffer (Fn 11), § 203 Rn 35; Hirte (Fn 2), § 203 Rn 63, 79; Ulmer in Müller-Graff/Roth (Hrsg.), Recht und Rechtswissenschaft, 2001, S. 393, 405; Krieger (Fn 8), § 58 Rn 43; Ekkenga AG 2001, 567, 569; siehe auch die „authentische" Interpretation bei Röhricht ZGR 1999, 445, 471. 14 BGHZ 136, 133, 140; Bayer ZHR 163 (1999), 505, 522; Cabn ZHR 163 (1999), 554, 575; ders. ZHR 164 (2000), 113, 119; Hirte (Fn 2), § 203 Rn 148. 15 BGHZ 136, 133, 140 und allgM; Bayer NJW 2000, 2609, 2611; Krieger ZHR 163 (1999), 343, 356f; Habersack DStR 1998, 533, 537; Hüffer (Fn 11), § 203 Rn 38f; ausf. Hirte (Fn 2), § 203 Rn 130 ff mwN.

Transparenz und Wertprüfung beim Erwerb von Sacheinlagen

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anspräche 16 gegenüber den rechtswidrig vom Bezug der neuen Aktien ausgeschlossenen Aktionäre. 17 Soweit ein Bezugsrechtsausschluß sachlich gerechtfertigt und auch in formeller Hinsicht rechtmäßig ist, müssen die Altaktionäre den Eingriff in ihre Mitgliedschaft hinnehmen. Sie sollen jedoch nach der gesetzlichen Konzeption keineswegs einen Vermögensverlust erleiden: Der Verlust ihrer Anteilsquote muß vielmehr durch den Vermögenszuwachs der A G vollständig kompensiert werden, d. h. der Wert der erworbenen Sacheinlage muß dem Wert der ausgegebenen neuen Aktien entsprechen. Keineswegs dürfen die neuen Aktien unter Wert ausgegeben bzw. die Sacheinlage überbewertet werden denn dies wäre eine unzulässige „Quersubventionierung" des zeichnungsberechtigten Sacheinlegers durch die vom Bezug ausgeschlossenen Altaktionäre.18 Eine solche Vermögensverwässerung will die Vorschrift des § 255 Abs. 2 AktG verhindern. 19 Die Regelung ergänzt das vorrangig im Gläubigerinteresse bestehende Verbot des § 9 Abs. 1 AktG, die neuen Aktien unter pari, d. h. unter dem Nennbetrag - bzw. bei Stückaktien unter dem anteiligen Betrag des Grundkapitals - auszugeben.20 Auch im Bereich der UberpariEmission - eine solche Aktienausgabe ist bei einer Kapitalerhöhung die Regel - 2 1 darf die Hauptversammlung daher keinen (Mindest-)Ausgabebetrag festsetzen, der „unangemessen niedrig" ist; ein solcher Beschluß wäre nach § 255 Abs. 2 AktG anfechtbar.22 Dies gilt in analoger Anwendung der Vorschrift ebenso, wenn im Falle der regulären Sachkapitalerhöhung gem. §§ 182ff AktG kein Ausgabebetrag festgesetzt wird,23 jedoch die erworbene Sacheinlage keine angemessene Gegenleistung darstellt.24 Wird der Ausgabebetrag für die neuen Aktien nicht von der Hauptversammlung beschlossen, sondern - was zulässig und in der Praxis üblich ist -

16 So auch Bayer NJW 2000, 2609, 2611; Cahn Z H R 163 (1999), 113, 141 ff; ders. Z H R 164 (2000), 113, 121 ff; Habersack DStR 1998, 533, 537; Baums Gutachten 63. DJT, F 230; Hüffer (Fn 11), § 203 Rn 38f; Hirte (Fn 2), § 203 Rn 141 f. 17 Zur Problematik, inwieweit auch eine Haftung der A G gegenüber den Aktionären (gem. § 31 BGB) in Betracht kommt, ausf. Hirte (Fn 2), § 203 Rn 145ff mwN. 18 So zutreffend Habersack Die Mitgliedschaft - subjektives und sonstiges' Recht, 1996, S. 260. 19 Ausf. Bayer Z H R 163 (1999), 505, 515ff mzwN. 20 Zum Verbot der Unterpari-Emission: Hüffer (Fn 4), § 9 Rn 2; speziell im Falle der Kapitalerhöhung: Lutter (Fn 4), § 182 Rn 21; Wiedemann (Fn 8), § 182 Rn 61; Hefermehl/Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckard/Kropff, AktG 1988, § 182 Rn 62. 21 Ausf. Bayer Z H R 163 (1999), 505, 523 mwN. 22 Ausf. Bayer Z H R 163 (1999), 505, 514ff mwN. 23 Zur Problematik Bayer Z H R 163 (1999), 505, 520 mwN. 24 B G H Z 71, 41, 50 ff (Kali & Salz)·, Hüffer (Fn 11), § 255 Rn 7; K. Schmidt in Großkomm, 4. Aufl. 1996, § 255 Rn 5; Zöllner in Kölner Komm, 1. Aufl. 1985, § 255 Rn 7; Bayer Z H R 163 (1999), 505, 520.

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v o m Vorstand der Aktiengesellschaft im R a h m e n der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals festgesetzt (§ 204 Abs. 1 S. 1 A k t G ) , 2 5 dann scheidet mangels Beschluß der Hauptversammlung eine Anfechtung gem. § 255 Abs. 2 A k t G aus. A n die Stelle des Verwässerungsschutzes gem. § 255 Abs. 2 A k t G tritt hier die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat gem. §§ 93, 116 A k t G , wenn die neuen Aktien entgegen dem Verbot des § 255 Abs. 2 A k t G unter Wert und damit pflichtwidrig ausgegeben werden. 2 6 E b e n s o wie im Falle eines rechtswidrigen Bezugsrechtsausschlusses k ö n n e n die v o m Bezug ausgeschlossenen Aktionäre wegen Verletzung ihrer Mitgliedschaft auch eigene Unterlassungs- und Haftungsansprüche gegen Vorstand und A u f sichtsrat geltend machen. 2 7 I m Ergebnis unterliegt daher die Verwaltung der A G bei der Festsetzung des Ausgabebetrags der neuen Aktien den gleichen materiellen Schranken wie die Hauptversammlung. Keineswegs kann sie unter Hinweis auf ihr „unternehmerisches E r m e s s e n " einen größeren Spielraum in Anspruch nehmen. 2 8 Stets muß vielmehr der quotale Beteiligungsverlust der v o m Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre vollständig kompensiert werden. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich - ebenso wie im parallelen Sachverhalt einer Verschmelzung - der Wert der neuen Aktien und die erworbene Sacheinlage iSe Verschmelzungswertrelation decken. 2 9

III. Aktionärsschutz durch Transparenz 1.

Ausgangspunkt Das Schutzkonzept der lex lata läuft ins Leere, wenn die v o m B e z u g der

neuen Aktien ausgeschlossenen Altaktionäre nicht wenigstens im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachprüfen können, o b der Bezugsrechtsausschluß sachlich gerechtfertigt ist und der Ausgabebetrag der neuen Aktien dem Wert der Sacheinlage in angemessener Weise entspricht. Dies hat auch der G e s e t z geber erkannt und für den Fall der regulären Kapitalerhöhung in § 186 Abs. 4 S. 2 A k t G ausdrücklich angeordnet, daß das Bezugsrecht von der Hauptversammlung nur ausgeschlossen werden darf, wenn der Vorstand zuvor die Aktionäre in einem schriftlichen Bericht über den G r u n d des Bezugsrechtsausschlusses informiert sowie den vorgeschlagenen Ausgabebetrag der neuen

Dazu BGHZ 136, 133, 137 (Siemens/Nold); Bayer ZUR 163 (1999), 505, 520 mwN. BGHZ 136,133, 141 (Siemens/Nold); Bayer ZHR 163 (1999), 505, 522 mwN. 27 Bayer ZHR 163 (1999), 505, 522; Cahn ZHR 164 (2000), 113, 138; Hirte (Fn 2), § 203 Rn 131, 142. 28 Ausf. Ekkenga AG 2001, 615, 622ff; Cahn ZHR 163 (1999), 554, 577ff. 29 Lutter (Fn 4), § 186 Rn 92; ausf. Bayer ZHR 163 (1999), 505, 532ff mwN. 25 26

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Aktien begründet hat (§ 186 Abs. 4 S. 2 AktG). Insbesondere hat der Bericht auch zur materiellen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses Stellung zu nehmen. 3 0 Diese Transparenz des Verfahrens gilt sowohl für die Bar- als auch f ü r die Sachkapitalerhöhung. Ein Verstoß gegen die KapRL - die wie bereits ausgeführt den Bezugsrechtsausschluß bei der Sachkapitalerhöhung nicht kennt und daher für diesen Fall auch keine Regelungen zur Berichterstattung trifft - liegt auch hier nicht vor (siehe bereits II.). Ergänzend steht den Aktionären die Möglichkeit offen, vor der Beschlußfassung über die Sachkapitalerhöhung und den Bezugsrechtsausschluß ihr Auskunftsrecht gem. § 131 A k t G wahrzunehmen. 3 1

2. Das Informationsmodell

des AktG beim genehmigten

Kapital

a) Ermächtigungsbeschluß Auch beim genehmigten Kapital ist vom A k t G eine ausführliche schriftliche Berichterstattung vorgesehen. Sowohl f ü r den Fall des Direktausschlusses des Bezugsrechts durch die Hauptversammlung (§ 203 Abs. 1 S. 1 iVm § 1 8 6 Abs. 4 S. 2 A k t G ) als auch f ü r den Fall, daß der Vorstand zum Ausschluß des Bezugsrechts ermächtigt wird (§ 203 Abs. 2 S. 2 iVm § 186 Abs. 4 S. 2 AktG), bedeutet die gesetzliche Verweisung, daß der beschlußfassenden Hauptversammlung ein ausführlicher schriftlicher Bericht vorzulegen ist. Entgegen seiner früheren Rechtsprechung 3 2 und der h M im Schrifttum 3 3 hat der B G H in der grundlegenden Siemens-Nold-Entscheidung indes ausgeführt, daß die strengen Anforderungen an die Berichtspflicht nach § 186 Abs. 4 S. 2 A k t G f ü r das genehmigte Kapital nicht mehr zur Anwendung kommen sollen. Denn da der Einsatz des als flexibles Instrument der Kapitalbeschaffung konzipierten genehmigten Kapitals in der Z u k u n f t liege und somit weder eine konkrete Abwägung zwischen dem verfolgten Zweck und den Interessen der vom Bezugsrechtsausschluß betroffenen Aktionären nicht vorgenommen werden noch der konkrete Ausgabebetrag der neuen Aktien festgesetzt werden könne, mache eine ausführliche Berichterstattung keinen Sinn, sondern führe lediglich zu einer Blockade der Unternehmensleitung.

30 B G H Z 83, 319, 326 = N J W 1982, 2444, 2445f (Holzmann); Lutter Z G R 1979, 401, 407 ff; ders. (Fn. 4), § 186 Rn 88; Wiedemann (Fn 8), § 186 Rn 125f; Hüffer (Fn 4), § 186 Rn 24; Bayer A G 1988, 323, 327; Hirte (Fn 2), S. 85 ff. 31 Ausf. Decker in Großkomm, 4. Aufl. 2001, § 131 Rn 203 m w N . 32 B G H Z 83, 319 ff = N J W 1982, 2444ff (Holzmann). 33 Dazu nur Lutter (Fn 4), § 203 Rn 22 ff; Hefermehl/Bungeroth (Fn 11), § 203 Rn 21 ff; Krieger (Fn 8), § 58 Rn 17; Quack ZGR 1983, 257ff; Semler BB 1983, 1568ff; Schockenhoff A G 1994, 45ff; aA Hirte (Fn 2), S. 112ff; Marsch A G 1981, 211, 213; Heinsius Z G R 1984, 383, 386f; ders. in FS Kellermann, 1991, S. 116,120; Martens in FS Steindorff, 1990, S. 151 ff; Kühler/Mendelson/Mundheim A G 1990, 463 ff.

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Der Vorstand müsse daher nur noch in abstrakt-genereller Form über den zur Beschlußfassung vorgeschlagenen Zweck des genehmigten Kapitals berichten.34 Diese Neuorientierung des Rechts des genehmigten Kapitals gilt nach ganz hM sowohl für den Fall, daß die Hauptversammlung bereits im Ermächtigungsbeschluß das Bezugsrecht der Aktionäre ausschließt (Fall des § 203 Abs. 1 AktG) als auch für den Fall, daß der Vorstand über den Auschluß des Bezugsrechts bei Ausnutzen der Ermächtigung entscheidet (Fall des § 203 Abs. 2 AktG). 35 Allgemein wird B G H Z 136, 133 so verstanden, daß die Hauptversammlung den Vorstand ohne nennenswerte materielle Schranken und ohne spezifische inhaltliche Information zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals auf Vorrat ermächtigen kann.36 b) Vorab-Berichterstattung vor Durchführung der Kapitalerhöhung Heftiger umstritten ist dagegen die Frage, ob der Vorstand die Aktionäre vor der Ausnutzung des genehmigten Kapitals über den Grund und den Umfang der Kapitalerhöhung sowie den Ausgabebetrag der neuen Aktien zu informieren hat 37 oder ob es ausreicht, wenn nachträglich auf der nächsten Hauptversammlung gem. § 160 Abs. 1 Nr. 3 AktG im Anhang des Jahresabschlusses über die Kapitalerhöhung berichtet wird.38 Der B G H hat sich bislang nicht festgelegt.39 Mit dem L G Frankfurt/M hat sich in neuerer Zeit erstmals ein Instanzgericht dezidiert gegen eine Pflicht zur Vorabinformation ausgesprochen.40 Bei der Entscheidung des Streits ist zu bedenken, daß der Aktionärsinformation vor Durchführung der Kapitalerhöhung heute eine ganz andere Bedeutung zukommt als früher. Denn vor der Siemens-Nold-Wende der Rechtsprechung war der Vorstand bei der Ausnutzung eines genehmigten 34 B G H Z 136, 133, 138ff = N J W 1997, 2815 (Siemens/Nold)·, zust. Volhard AG 1998, 397ff; Bungen N J W 1998, 488ff; abl. Lutter JZ 1998, 50ff; ders. in FS Zöllner, 1999, S. 363, 372ff; teilw. krit. auch Hüffer (Fn 4), § 203 Rn 11 f, 25ff; Bayer Z H R 161 (1999), 505, 538f. 35 Zutreffend Hüffer (Fn 4), § 203 Rn 27; Hirte (Fn 2), § 203 Rn 21, 57, 109. 36 Siehe nur Hüffer (Fn 4), § 203 Rn 29. 37 So insbesondere Lutter BB 1981, 861, 863; ders. (Fn 4), § 203 Rn 31; Hirte (Fn 2), S. 112ff, ders. (Fn 2), § 203 Rn 11 Off; Timm DB 1982, 211, 216; Kimpler DB 1994, 767, 768; Sethe A G 1994, 343, 351 ff; Meilicke/Heidel DB 2000, 2358, 2359f; ebenso noch Hüffer AktG, 4. Aufl. 1997 § 203 Rn 36. 38 Krieger in MünchHdb AG, 2. Aufl. 1999, § 58 Rn 44; Heinsius (Fn 33), S. 115, 123 f; Quack ZGR 1983, 257, 264; Volhard A G 1998, 397, 402; Martens (Fn 33), S. 451, 452ff; Cohn Z H R 164 (2000), 113, 118; Bosse ZIP 2001, 104, 106 f; nunmehr - trotz Bedenken auch Hüffer (Fn 4), § 203 Rn 37. 39 Ausdrücklich offengelassen in B G H Z 83, 319, 327. Auch B G H Z 136, 133 ff (Siemens/Nold) hat hierzu keine Aussage getroffen: zutreffend Ekkenga A G 2001, 615, 620. Auch Hefermehl/Bungeroth (Fn 11), § 203 Rn 27 haben die Frage unentschieden gelassen. 4 0 LG Frankfurt/M ZIP 2001, 117, 118 (Commerzbank).

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Kapitals den engen Grenzen der bereits sehr konkreten Ermächtigung unterworfen. Dagegen ist sein formeller Handlungsspielraum heute nahezu unbegrenzt.41 Wer sich daher für eine ausschließliche ex-post-Kontrolle (durch Berichterstattung auf der nächsten Hauptversammlung) ausspricht, akzeptiert notwendigerweise auch Eingriffe in die Rechtsstellung der Aktionäre, die sich nachträglich als unzulässig erweisen, sei es, weil bereits der Bezugsrechtsausschluß per se rechtswidrig war, sei es, weil der Ausgabebetrag der neuen Aktien zu niedrig bzw. die erworbene Sacheinlage überbewertet war. Daß Ersatzansprüche gegen die verantwortlichen Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat zu einer ausreichenden Kompensation des eingetretenen Rechts- bzw. Vermögensverlusts führen, wurde bislang in der Praxis noch nicht erprobt; der Erfolg von Aktionärsklagen zur Kontrolle von Verwaltungshandeln ist im Rahmen der lex lata eher skeptisch zu beurteilen. Das insbesondere von Marcus Lutter favorisierte Modell eines .Aktionärsschutzes durch Verfahren'42 ist daher vorzugswürdig.43 Einer Pflicht zur Vorab-Berichterstattung über die beabsichtigte Ausnutzung des genehmigten Kapitals stehen auch weder dogmatische noch (jedenfalls im Regelfall) praktische Hindernisse entgegen:44 Zwar ist es zutreffend, wenn festgestellt wird, daß eine Pflicht zur Vorabinformation im Aktiengesetz nicht ausdrücklich angeordnet wird.45 Denn sowohl der Verweis auf § 186 Abs. 4 S. 2 AktG in § 203 Abs. 2 S. 2 AktG als auch der Verweis auf § 186 Abs. 4 S. 2 AktG in § 203 Abs. 1 S. 1 AktG betreffen offensichtlich nur die Berichterstattung im Vorfeld des Ermächtigungsbeschlusses. 46 Ebensowenig läßt sich eine Vorab-Berichterstattung europarechtlich begründen.47 Dies gilt sowohl für die Bar- als auch für die Sachkapitalerhöhung: Art. 25 Abs. 2 KapRL gestattet ausdrücklich, daß anstelle der grundsätzlich zuständigen Hauptversammlung (Art. 25 Abs. 1 S. 1) ein anderes Organ der AG zu einer Kapitalerhöhung ermächtigt werden kann. Im Falle einer Barkapitalerhöhung können nach Art. 29 Abs. 5 die Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten vorsehen, daß das zuständige Organ auch zum Ausschluß des Bezugsrechts ermächtigt werden kann.48 Eine ausZur Problematik eingehend Ekkenga A G 2001, 567ff, 615ff. Lutter ZGR 1979, 401, 407; ders. (Fn 4), § 186 Rn 56. 43 So bereits Bayer ZHR Beiheft 71 (2002), 137, 153 ff. 44 Ausdrücklich angeordnet ist eine solche Vorab-Berichterstattung etwa in Frankreich: Wiedemann (Fn 8), § 186 Rn 27; Hirte (Fn 2), § 202 Rn 68; ausf. Bagel (Fn 7), S. 83 ff, 197ff. 45 So LG Frankfurt/M ZIP 2001, 117, 118. 46 Dazu H Uff er (Fn 4), § 203 Rn 8 ff, 23 ff. 47 So aber Hirte (Fn 2), § 203 Rn 45 ff. 48 Von dieser Option haben Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Belgien und England Gebrauch gemacht; Spanien, Portugal und Italien verlangen hingegen den Ausschluß des Bezugsrechts durch die Hauptversammlung. Andere Mitgliedsstaaten kennen das Rechtsinstitut des genehmigten Kapitals nicht. Ausf. Bagel (Fn 7), S. 94, 155f, 216 ff, 354 ff; Hirte (Fn 2), § 202 Rn 66 ff mwN. 41

42

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drückliche Berichtspflicht nach Maßgabe des Art. 29 Abs. 4 ist in diesem Fall durch die Kapitalrichtlinie nicht vorgeschrieben, und zwar weder im Zeitpunkt der Erteilung der Ermächtigung n o c h im Zeitpunkt der Ausnutzung des genehmigten Kapitals. 4 9 Dies ist zwar rechtspolitisch bedauerlich, jedoch aufgrund des Harmonisierungsstandes in der E U als bewußte Entscheidung hinzunehmen. 5 0 F ü r die Sachkapitalerhöhung macht es im übrigen keinen Unterschied, o b sie im R a h m e n einer regulären Beschlußfassung oder im R a h m e n eines genehmigten Kapitals erfolgt: Europarechtlich sind stets nur die Artt. 27 Abs. 2 , 1 0 Abs. 2 der K a p R L einzuhalten (dazu IV); darüber hinausgehende Berichtspflichten existieren hier bereits deshalb nicht, weil die K a p R L bei der Sachkapitalerhöhung kein Bezugsrecht vorsieht und daher auch keine Aussage z u m Bezugsrechtsausschluß trifft (II). Die Pflicht zur Vorab-Berichterstattung folgt indes aus einer richtig verstandenen „entsprechenden" Anwendung des § 186 Abs. 4 S. 2 A k t G in analoger Anwendung der §§ 203 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 A k t G . Dies folgt m e t h o disch daraus, daß der B G H in seiner neueren Rechtsprechung den gesetzlich angeordneten Verweis auf § 186 Abs. 4 S. 2 A k t G inhaltlich so entleert, daß von einer Information der Aktionäre iSd § 186 Abs. 4 S. 2 A k t G wahrlich nicht mehr gesprochen werden kann. Dieses (vertretbare) Defizit an gesetzlich vorgeschriebener Information m u ß jedoch zum nächst möglichen Zeitpunkt kompensiert werden, will man nicht den Sinn und Z w e c k

der

Berichtspflicht des § 186 Abs. 4 S. 2 A k t G unterlaufen: D i e Aktionäre - und nicht die Verwaltung - sollen in Kenntnis aller Fakten darüber entscheiden, o b und inwieweit sie auf ihre Beteiligung an der A G verzichten und darüber hinaus das R i s i k o einer Verwässerung (Problem:

Bewertung der Einlage-

leistung!) 5 1 in K a u f nehmen. Naturgemäß kann die Berichterstattung vor Ausnutzung des genehmigten Kapitals nicht in einer Hauptversammlung erfolgen. Stattdessen ist der vollständige Bericht analog §§ 175 Abs. 2, 179 a Abs. 2, 293 f A k t G , § 63 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 U m w G in den Geschäftsräumen der A G auszulegen und auf Verlangen jedem A k t i o n ä r zu übersenden. Aufgrund des technischen F o r t -

49 Wie hier zutreffend LG Frankfurt/M ZIP 1997, 1030, 1034 (Deutsche Bank)·, Bosse ZIP 1991, 104, 105; Kindler ZHR 158 (1994), 339, 363 f; Kley Bezugsrechtsausschluß, 1998, S. 61 ff. 50 Entgegen Kley (Fn 49), S. 61 ff und Hofmeister NZG 2000, 713, 716 entfällt die Berichtspflicht nach Art. 29 Abs. 4 der KapRL allerdings nicht, wenn die Hauptversammlung im Rahmen des Ermächtigungsbeschlusses selbst das Bezugsrecht ausschließt. Der europäische Gesetzgeber hat hier vielmehr bewußt unterschieden, wie sich anhand der Textveränderungen und der Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses (AB1EG Nr. C 88 v. 6.9.1971 S. 1, 5) zum Entwurf der Kommission (AB1EG Nr. C 48 v. 24.4.1970) nachweisen läßt. Zur Problematik ausf. Baldamus Die Reform der Kapitalrichtlinie, Diss. Jena 2002. 51 Dazu ausf. Bayer ZHR 163 (1999), 505, 529ff.

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schritts wird man auch eine Veröffentlichung auf der Homepage der A G f ü r zulässig erachten können, sofern diese dem Zugriff der Aktionäre unterliegt. In beiden Varianten ist die Absicht zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Angabe der wesentlichen Eckdaten bekanntzumachen; hierbei ist darauf hinzuweisen, w o und in welcher Form der ausführliche Bericht eingesehen werden kann. 52 Eine korrekte Mitteilung gem. § 15 W p H G genügt als Bekanntmachung. 5 3 U m den Zweck der Vorab-Berichterstattung nicht zu konterkarieren, darf die Verwaltung das genehmigte Kapital nicht vor Ablauf einer angemessenen Interventionsfrist auszunutzen. 5 4 Eine solche Wartefrist ist im Regel zumutbar und begründet keineswegs die Gefahr, daß das genehmigte Kapital als flexibles Instrument der Kapitalbeschaffung beeinträchtigt wird. Auch die Befürchtung, zum O p f e r „räuberischer Aktionäre" zu werden, stellt sich hier - anders im Anfechtungsklageverfahren - aus zwei Gründen nicht: Z u m einen kann eine Intervention seitens der Aktionäre aus praktischen Gründen nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen, so daß bis zu einer Entscheidung keine erhebliche zeitliche Verzögerung eintritt. Zum anderen werden Aktionäre nur bei wohl begründeter Erfolgsaussicht klagen, da sie andernfalls die strenge H a f t u n g des § 945 Z P O riskieren. 55 Fehlt indes eine angemessene Berichterstattung oder ergibt sich aus dem Bericht, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausnutzung des genehmigten Kapitals zweifelsfrei nicht vorliegen, dann spricht nichts dagegen, jedem Aktionär die Möglichkeit einzuräumen, das rechtswidrige Handeln der Verwaltung zu stoppen, „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist".

IV. Aktionärsschutz durch Wertprüfung 1. Europäisches Recht Nach Art. 10 KapRL ist f ü r Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, vor Gründung der Gesellschaft ein Sachverständigenbericht zu erstellen (Abs. 1), in dem jede Einlage beschrieben, die angewandten Bewertungsmethoden genannt und im Ergebnis festgestellt wird, ob das Bewertungsergebnis

52

Wie hier auch Hirte (Fn 2), § 203 Rn 110, 112. Dazu Hirte (Fn 2), § 203 Rn 113. 54 Zutreffend Lutter BB 1981, 861, 863; den. (Fn 4), § 203 Rn 31; Hirte (Fn 2), 5 203 Rn 135 f. 55 So auch Cahn Z H R 164 (2000), 113, 118; ders. Z H R 163 (1999), 554, 575; Hü f f er (Fn 4), § 203 Rn 39 aE; Krieger Z H R 163 (1999), 343, 355; gegen die Anwendung des § 945 Z P O allerdings Hirte (Fn 2), § 203 Rn 133. Zur Problematik des Gebühren- und Zuständigkeitsstreitwertes: Cahn Z H R 164 (2000), 113, 117f m w N . 53

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„wenigstens der Zahl und dem Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, dem rechnerischen Wert und gegegebenenfalls dem Mehrbetrag der dafür ausgegeben Aktien entsprechen" (Abs. 2). Dieser Sachverständigenbericht ist nach Maßgabe von Art. 3 der PublizitätsRL 56 offenzulegen (Abs. 3), d.h. beim Handelsregister einzureichen. Ausnahmen von dieser Sacheinlagenprüfung im Rahmen der Gründung sind in Art. 10 Abs. 4 der KapRL vorgesehen. Im Rahmen der Kapitalerhöhung (Artt. 25 ff) wird in Art. 27 Abs. 2 S. 1 KapRL für Sacheinlagen ebenfalls ein Sachverständigenbericht gefordert, der vor der Durchführung der Erhöhung des gezeichneten Kapitals zu erstellen ist. Art. 27 Abs. 2 S. 3 bestimmt ergänzend, daß die Absätze 2 und 3 des Art. 10 anzuwenden sind. Sowohl der Mindestinhalt des Sachverständigenberichts (Art. 10 Abs. 2) als auch die Verpflichtung zur Offenlegung (Art. 10 Abs. 3) gelten somit nicht nur bei der erstmaligen Kapitalaufbringung, sondern auch bei jeder Erhöhung des Grundkapitals. Dies bedeutet: Sollen als Gegenleistung für die ausgegebenen (neuen) Aktien Sacheinlagen in die AG eingebracht werden, so ist zwingend ein Sachverständigenbericht vorzulegen, durch den bestätigt wird, daß der Wert der Sacheinlage zumindest dem Nennwert, bei Stückaktien zumindest dem anteiligen rechnerischen Wert und - soweit die Aktien über dem Nennwert oder bei Stückaktien über dem anteiligen rechnerischen Wert ausgegeben werden - auch dem „Mehrbetrag" entspricht. Die sachverständige Wertfeststellung erfaßt somit nach Art. 10 Abs. 2 sowohl bei der Gründung als auch über den Verweis in Art. 27 Abs. 2 S. 3 - bei der Kapitalerhöhung nicht nur den Mindestausgabebetrag der (neuen) Aktien nach Art. 8 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie, sondern auch ein etwaiges Aufgeld (Agio). Dieses Auslegungsergebnis des Art. 10 Abs. 2 KapRL ist unbestritten. N u r klarstellend sei daher erwähnt, daß sich nicht einwenden läßt, die Formulierung sei unklar, weil sich der Textteil „und gegebenenfalls dem Mehrbetrag der dafür auszugebenden Aktien" möglicherweise nur auf die unmittelbar vorangehende Alternative der Ausgabe von Stückaktien bezieht, nicht jedoch auf die Ausgabe von Nennbetragsaktien. Hiergegen spricht zum einen, daß Aktien ohne Nennbetrag nicht mit einem „Mehrbetrag" ausgegeben werden können, 57 zum anderen aber insbesondere auch der Sinn der Regelung, der nämlich eindeutig darauf abzielt, daß im Falle einer Sacheinlage nicht nur die Gläubiger vor einer Aktienausgabe unterpari geschützt werden sollen, sondern ebenso die Mitgesellschafter des Einlegers vor einer Uberbewertung der Sacheinlage. Denn da ein Aufgeld im Regelfall immer dann festgesetzt wird,

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Erste gesellschaftsrechtliche Richtlinie v. 9.3.1986 (68/151/EWG), AB1EG Nr. L 65 v. 14.3.1968 S. 8 ff, abgedruckt bei Lutter (Fn 6), S. 104ff. 57 Zutreffend Wiedemann (Fn 8), § 183 Rn 82; ebenso Hirte D B 1995,1113, 1114.

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wenn die Aktienausgabe zum Nennwert hinter dem Verkehrswert der (neuen) Aktien zurückbleibt, würden bei einer Uberbewertung der Sacheinlage die Mitgründer bzw. im Falle der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen die vom Bezug der neuen Aktien ausgeschlossenen Altaktionäre sowohl im Hinblick auf ihre Stimmrechtsquote als auch im Hinblick auf ihre vermögensmäßige Beteiligung ungerechtfertigterweise benachteiligt. Vor einer solchen Benachteiligung soll die sachverständige Prüfung schützen, indem sie nicht nur feststellt, ob die Sacheinlage dem Mindestausgabebetrag der Aktien, sondern darüber hinaus auch einem festgesetzten Mehrbetrag entspricht. 58 Daß die Regelung des Art. 10 Abs. 2 KapRL nicht nur den Gläubiger-, sondern ausdrücklich auch den Aktionärsschutz bezweckt, ergibt sich eindeutig aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Sowohl die Kommission 59 als auch der Wirtschafts- und Sozialausschuß 60 und das Europäische Parlament 61 hielten es für notwendig, daß ein Sachverständiger auch „zugunsten der Aktionäre" überprüft, inwieweit der Wert der Sacheinlage dem „Wert der dafür auszugebenden Aktien" entspricht. In diesem Sinne haben daher auch zahlreiche EU-Staaten und - im Vorgriff auf den beabsichtigten Beitritt - zuletzt Polen die Artt. 10 Abs. 2, 27 Abs. 2 der Kapitalrichtlinie in ihr innerstaatliches Recht umgesetzt. 62 2. Die Regelung im

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a) Gründung Für das Recht der Gründung bestimmt § 34 Abs. 2 AktG, daß über jede Prüfung schriftlich zu berichten ist; der Bericht der Gründungsprüfer ist beim Registergericht einzureichen und kann von jedermann eingesehen werden (Abs. 3). Der Prüfungsumfang erstreckt sich nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 AktG namentlich darauf, ob die vom Aktiengesetz geforderten Angaben der Grün-

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Ebenso Wiedemann (Fn 8), § 183 Rn 82; Hirte DB 1995, 1113, 1114; Meilicke DB 1996, 513, 514; Habersack (Fn 10), Rn 194; Drinkutb (Fn 10), S. 233; Bagel (Fn 7), S. 345; abw. - soweit ersichtlich - nur Kindler ZHR 158 (1994), 339, 361. 59 AblEG Nr. C 48 v. 24.4.1970 S. 10. 60 AblEG Nr. C 88 v. 5.9.1971 S. 3. 61 AblEG Nr. C 114 v. 11.11.1971 S. 20. 62 Ausf. "Wiedemann (Fn 8), § 183 Rn lOff; vgl. auch Schutte-Veenstra Harmonisatie van het kapitaalbeschermingsrecht in de EEG, 1991, S. 54ff; Bagel (Fn 7), S. 156f (zu England), 232 f (zu Belgien); zum polnischen Recht: Oplustil Gläubigerschutz durch reale Kapitalaufbringung im deutschen und polnischen Recht der Kapitalgesellschaften, 2001, speziell S. 262. Uberblick über die europäischen Rechtsordnungen vor Inkrafttreten der Kapitalrichtlinie bei Lutter Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964, S. 251 ff.

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der zutreffen; nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 A k t G ist zu prüfen, „ob der Wert der Sacheinlagen ... den geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien oder den Wert der dafür zu gewährenden Leistung erreicht". Die Kommentierungen zu § 34 A k t G enthalten durchgängig die Aussage, daß bei Sacheinlagen zu prüfen sei, „ob der Wert der Leistung wenigstens [den] geringste[n] Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien bzw. [den] Wert der e n t s p r e c h e n d e n ] Leistung erreicht". 6 3 Die P r ü f u n g habe z u m vorrangigen Ziel, „im Interesse der realen Kapitalaufbringung eine U b e r bewertung der Gegenstände von Sacheinlagen ... aufzudecken u n d zu verhindern". 6 4 Allgemein wird darauf hingewiesen, daß die gesetzliche A u f z ä h lung nicht erschöpfend sei („namentlich"). 6 5 D a ß die U b e r p r ü f u n g der Sacheinlage auch ein Aufgeld erfaßt, wird allerdings in der Kommentarliteratur nicht ausdrücklich erwähnt. 6 6 Daher erscheint es fraglich, ob die A u f fassung von Habersack zutrifft, wonach der deutsche Gesetzgeber Art. 10 Abs. 2 der K a p R L korrekt in das innerstaatliche Gründungsrecht der A G umgesetzt habe. 67 Es ist vielmehr festzustellen, daß der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 2 A k t G abgesehen von der Ergänzung der Vorschrift durch Art. 1 Nr. 9 StückAG 6 8 völlig mit der Formulierung übereinstimmt, die im Rahmen der Aktienrechtsreform 1965 gewählt w u r d e und inhaltlich auf § 26 A k t G 1937 zurückgeht. 69 Die inhaltliche Erweiterung des Prüfungsumfangs aufgrund von Art. 10 Abs. 2 der KapRL hat somit gesetzestechnisch gerade keine Berücksichtigung gefunden. 7 0 Allerdings bestimmt § 36a Abs. 2 S. 3 A k t G , daß der Wert der Sacheinlage „dem geringsten Ausgabebetrag u n d bei Ausgabe der Aktien f ü r einen höheren als diesen auch dem Mehrbetrag entsprechen (muß)". Die Einfügung dieser Vorschrift erfolgte ebenfalls im Rahmen der U m s e t z u n g der KapRL; die Gesetzesbegründung enthält hierzu allerdings nur den lapidaren Hinweis, daß „Satz 3 des neuen Absatzes 2 ... f ü r Sacheinlagen das auch f ü r

63 So Hüffer (Fn 4), § 34 Rn 3; iE ebenso Röhricht in Großkomm, 4. Aufl. 1997, § 34 Rn 8; MünchKommAktG/Pewrz, 2. Aufl. 2001, § 34 Rn 17. 64 So Röhricht (Fn 63), § 34 Rn 8; iE ebenso Hüffer (Fn 4), § 34 Rn 3 („Verbot der Unterpariemission"); Pentz (Fn 63), § 34 Rn 15 aE. 65 Kraft in Kölner Komm, 2. Aufl. 1986, § 34 Rn 3; Pentz (Fn 63), § 34 Rn 9; Röhricht (Fn 63), § 34 Rn 3; Hüffer (Fn 4), § 34 Rn 2. 66 Ausdrücklich verneinend allerdings Hoffmann-Becking in MünchHdb AG, Bd. IV 2. Aufl. 1999, ξ 4 Rn 25 67 Habersack (Fn 10), Rn 158. 68 StückaktienG v. 25.3.1998, BGBl I S. 590ff. 69 Dazu ausf. Röhricht (Fn 63), § 34 Rn 1; Pentz (Fn 63), § 34 Rn 1. 70 Siehe auch BegrRegE zur Änderung des § 34 AktG im Rahmen der Umsetzung der Kapitalrichtlinie: BT-Drucks 8/1678 S. 1, 12.

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Bareinlagen geltende Verbot der U n t e r p a r i e m i s s i o n (wiederhole)". 7 1 Diese Feststellung gilt jedoch nur für den ersten Halbsatz. § 36 a Abs. 2 S. 3 A k t G ist vielmehr eine Konkretisierung der in Art. 9 Abs. 2 der K a p R L und allgemein bereits in § 36 a Abs. 2 S. 1 A k t G formulierten Verpflichtung, daß Sacheinlagen vollständig zu leisten sind. Diese Verpflichtung zur vollständigen Leistung schließt auch das Aufgeld mit ein. F ü r Bareinlagen - die nicht zwingend vollständig zu leisten sind (Art. 9 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie) - besteht hinsichtlich des Aufgelds kein Unterschied: Das Agio ist stets vollständig zu leisten (§ 3 6 a Abs. 1 S. 1 H S 2 A k t G ) . 7 2 D i e Einhaltung der in § 3 6 a A k t G geforderten Voraussetzungen ist bei der Anmeldung zur Eintragung der A G in das Handelsregister zu versichern (§ 37 Abs. 1 S. 1 H S 1 A k t G ) . E i n e Nachweispflicht statuiert § 37 Abs. 1 S. 2 A k t G nur für Bareinlagen. Diese Beschränkung wird in der K o m m e n t a r literatur damit begründet, daß das Registergericht über die Einzelheiten der Wertverhältnisse bereits durch den Gründungsbericht nach § 32 Abs. 2 S. 1 A k t G sowie den Bericht der Gründungsprüfer nach § 33 Abs. 1 und 2 A k t G informiert werde. 7 3 Dies ist zutreffend. A u c h ohne eine ausdrückliche Regelung in § 34 Abs. 1 Nr. 2 A k t G folgt aus § 32 Abs. 2 S. 1 A k t G , daß die Gründer zum Wertverhältnis der ausgegebenen Aktien im Verhältnis zur Sacheinlageleistung umfassend zu berichten haben; diese Berichterstattung der G r ü n d e r ist sowohl nach § 33 Abs. 1 A k t G durch Vorstand und Aufsichtsrat zu prüfen als auch nach § 33 Abs. 2 N r . 4 A k t G durch Gründungsprüfer auf ihre R i c h tigkeit hin zu untersuchen, d.h. es ist im Gründungsprüfbericht gem. § 34 Abs. 1 A k t G auch festzuhalten, in welcher H ö h e ein Aufgeld zu erbringen ist und o b der Wert der Sacheinlage auch diesen Mehrbetrag abdeckt. D a r ü b e r hinaus kann das Registergericht im R a h m e n seines materiellen Prüfungsrechts (§ 38 Abs. 1 A k t G ) 7 4 zusätzlich noch den Nachweis einer vollständigen - und somit auch das Aufgeld umfassenden - Leistung der Sacheinlage verlangen. 7 5 I m Ergebnis ist somit gewährleistet, daß trotz der mißverständlichen F o r mulierung in § 34 Abs. 1 Nr. 2 A k t G der Wert einer Sacheinlage im R a h m e n der Gründung umfassend überprüft wird; die Wertüberprüfung erstreckt sich insbesondere auch auf das Aufgeld. 7 6 Dieser Auffassung entspricht auch

BegrRegE zu § 36a AktG, BT-Drucks 8/1678 S. 1, 13. Die Regelung des § 36 a Abs. 1 AktG nF stimmt überein mit § 36 Abs. 2 S. 2 AktG aF. 73 Röhricht (Fn 63), § 37 Rn 33 f; Pentz (Fn 63), § 37 Rn 44 aE; Hüffer (Fn 4), § 37 Rn 4. 74 Zum Prüfungsrecht und zur parallelen Prüfungspflicht des Registergerichts ausf. die Jenaer Dissertation von Klepsch Prüfungsrecht und Prüfungspflicht der Registergerichte, 2002. Vgl. weiter Röhricht (Fn 63),§ 38 Rn 5; Pentz (Fn 63), § 38 Rn 8, 12 ff. 75 Zutreffend Röhricht (Fn 63), § 37 Rn 34. 76 Abw. allerdings Hoffmann-Becking (Fn 66), § 4 Rn 25. 71

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die Prüfungspraxis. 7 7 Entspricht die Sacheinlage nicht dem vollen Wert der dafür ausgegebenen Aktien, dann kann (und muß) das Registergericht die Eintragung ablehnen. 78 Die weniger restriktive Formulierung in § 38 Abs. 2 S. 2 A k t G steht dieser Auffassung nicht entgegen; vielmehr hat es der Gesetzgeber - wohl versehentlich - versäumt, den auf die Aktienrechtsreform von 1965 zurückgehenden Wortlaut der Vorschrift an die neue Regelung in §§ 36a Abs. 2 S. 3, 37 Abs. 1 S. 1 A k t G anzupassen. 79 b) Kapitalerhöhung Dagegen erfolgt im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen keine umfassende Wertprüfung. Dies gilt sowohl f ü r die reguläre Kapitalerhöhung als auch bei Ausnutzen eines genehmigten Kapitals. Die Praxis 80 folgt hier vielmehr der hM, nach der die gem. § 183 Abs. 3 S. 1 A k t G vorgeschriebene Prüfung der Sacheinlage (übereinstimmend für das genehmigte Kapital: § 205 Abs. 3 S. 1 AktG) 8 1 auf die Feststellung beschränkt sei, daß der geringste Ausgabebetrag der neuen Aktien erreicht sei, d.h. die neuen Aktien nicht unter pari ausgegeben werden. Ein höherer Ausgabebetrag solle unberücksichtigt bleiben; denn Zweck der Prüfung sei es allein, einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 A k t G auszuschließen, nicht dagegen, die Rechte der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Altaktionäre zu sichern. 82 Lutter empfiehlt aus diesem G r u n d der Hauptversammlung, den Kapitalerhöhungsbeschluß bis zur Vorlage eines Sachverständigengutachtens zurückzustellen, wenn sie sichergehen wolle, daß die in Aussicht genommene Sacheinlage

77 WP-Handbuch Bd II 11. Aufl. 1998 Rn C 77; ausf. Schiller AG 1992, 20, 21; ders. Gründungsrechnungslegung, 1990, S. 127ff (wirtschaftswiss. Diss. Göttingen); Angermayer Wpg 1998, 914ff; dies. Die aktienrechtliche Prüfung von Sacheinlagen, 1994, S. 215ff (betriebswirtschaftl. Diss. Mannheim); Penné Die Prüfung der Sacheinlagen nach Aktienrecht, 1984, S. 239ff; Kupsch/Penné Wpg 1985, 125, 128 f; zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten der KapRL: Mutze AG 1970, 324, 328; Barz in Großkomm, 3. Aufl. 1973, § 34 Anm 2; aA Müller Wpg 1969, 589, 593. 78 So auch Röhricht (Fn 63), § 38 Rn 41 aE. 79 Zutreffend Röhricht (Fn 63), § 27 Rn 100. Zur abw. Rechtslage bei der GmbH: Scholz/Winter GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 9c Rn 32; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl. 2000, § 9c Rn 5; Lutter/Hommelhoff GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 9c Rn 18; Rowedder/Rittner/Schmidt-Leithoff GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 9c Rn 14 aE; Hachenburg/Ulmer GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 9c Rn 33; Spiegelherger/Walz GmbHR 1998, 761, 765; aA Geßler BB 1980,1385, 1387. 80 WP-Handbuch Bd I, 12. Aufl. 2000, Rn Q 962 ff. 81 In der Kommentarliteratur zu § 205 Abs. 3 AktG wird stets pauschal auf § 183 Abs. 3 AktG verwiesen: Lutter (Fn 4), § 205 Rn 16; Hüffer (Fn 4), § 205 Rn 6; Hirte (Fn 2), § 205 Rn 15; Hefermehl/Bungeroth (Fn 11), § 205 Rn 4. 82 So Lutter (Fn 4), § 183 Rn 52; Hüffer (Fn 4), § 183 Rn 16; Krieger (Fn 38), § 56 Rn 41; Hoffmann-Becking (Fn 66), § 4 Rn 27; Hefermehl/Bungeroth (Fn 20), § 183 Rn 90 ff.

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auch das Aufgeld abdecke. 83 Allein Wiedemann vertritt den entgegengesetzten Standpunkt. 8 4 Der h M ist nicht zu folgen. Sie verkennt die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, überinterpretiert den Wortlaut des ebensowenig wie § 38 Abs. 2 S. 2 A k t G auf die neuen Sacheinlagevorschriften abgestimmten § 183 Abs. 3 A k t G und verstößt zudem in methodisch bedenklicher Weise gegen das Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung des umgesetzten innerstaatlichen Rechts. Zunächst zur Entstehungsgeschichte: Die Vorschrift des § 183 Abs. 3 S. 1 A k t G wurde im Rahmen der Umsetzung der KapRL neu geschaffen. N a c h der Vorläuferregelung in § 184 Abs. 3 S. 1 A k t G aF (Anmeldung des Kapitalerhöhungsbeschlusses) und § 188 Abs. 4 S. 1 A k t G aF (Anmeldung und Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung) war im Rahmen einer Kapitalerhöhung eine Prüfung der Sacheinlage nur notwendig, wenn das Registergericht Zweifel hatte, ob der Wert der Sacheinlage den Nennbetrag der dafür auszugebenden Aktien erreichte. 85 Da jedoch Art. 27 Abs. 2 S. 1 KapRL zwingend vorschreibt, daß vor der Anmeldung der Kapitalerhöhung eine sachverständige Prüfung vorzunehmen ist, mußten diese Regelungen des A k t G 1965 korrigiert werden. Im Rahmen der mit der inhaltlichen Änderung verbundenen Umstellung der Vorschriften 8 6 wollte der Gesetzgeber offensichtlich dem Vorbild der KapRL (Art. 27 Abs. 2 S. 3) folgen und die Einzelheiten der Prüfung durch einen Verweis auf die parallelen Gründungsvorschriften (Art. 10 Abs. 2 und 3) regeln. 87 Dieser Verweis ist jedoch gesetzestechnisch völlig mißlungen. 88 Denn verwiesen wurde allein auf § 33 Abs. 3 bis 5 A k t G (Person der Gründungsprüfer), § 35 A k t G (Information, Vergütung der Gründungsprüfer) und § 34 Abs. 2 und 3 A k t G (Prüfbericht, Einreichung beim Registergericht). Da somit § 34 Abs. 1 A k t G ausgespart wurde, fehlt jegliche Regelung zum Prüfungsgegenstand. Diese Lücke wird von der h M ebenfalls gesehen. 89 Fehlerhaft gingen jedoch zunächst HefermehllBungeroth davon aus, daß der Gesetzgeber mit der Neuregelung allein die bisherige fakultative Wertprüfung der Sacheinlage (§§ 184 Abs. 3, 188 Abs. 4 A k t G aF) durch die von der KapRL vorgeschriebene obligatorische 83

Lutter (Fn 4), § 183 Rn 52. Wiedemann (Fn 8), § 183 Rn 82; ihm folgend nunmehr Priester FS Luther 2000, S. 617, S. 622 ff. 85 Hefermehl/Bungeroth (Fn 20), § 183 Rn 84; vgl. weiter Wiedemann in Großkomm, 3. Aufl. 1971, § 184 Anm. 5; § 188 Anm. 6; Lutter in Kölner Komm, 1. Aufl. 1985, § 184 Rn 14, §188 Rn 16. 86 Dazu BegrRegE zu § 183 Abs. 3 AktG, BT-Drucks 8/1678 S. 1,18. 87 So ausdrücklich BegrRegE ebd. 88 So auch die hM: Krieger (Fn 38), § 56 Rn 41; Hefermehl/Bungeroth (Fn 20), § 183 Rn 91 („Wortlaut seltsam undeutlich"); vgl. auch Lutter (Fn 4), § 183 Rn 52; ebenfalls kritisch Wiedemann (Fn 8), § 183 Rn 82. 89 So auch Hefermehl/Bungeroth (Fn 20), § 183 Rn 91; Hüffer (Fn 4), § 183 Rn 16. 84

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Prüfung ersetzen, nicht jedoch den Prüfungsgegenstand ändern wollte. 90 Lutter und Hüffer haben sich dieser Sichtweise angeschlossen. 91 Dieses Mißverständnis resultiert offensichtlich daraus, daß in § 183 Abs. 3 S. 3 AktG - ebenso wie in § 38 Abs. 2 S. 2 AktG - formuliert ist, daß das Registergericht die Eintragung der Kapitalerhöhung (und zwar sowohl des Kapitalerhöhungsbeschlusses als auch die Durchführung der Kapitalerhöhung) 92 ablehnen kann, „wenn der Wert der Sacheinlage nicht unwesentlich hinter dem geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien zurückbleibt". Diese Formulierung wurde aus den Vorgängerregelungen der §§ 184 Abs. 3 S. 3, 188 Abs. 4 S. 3 AktG aF inhaltlich unverändert übernommen. Entgegen der hM folgt aus dem Wortlaut jedoch keine materielle Beschränkung der Prüfungs- oder Zurückweisungskompetenz des Registergerichts. Denn es ist unbestritten, daß ebenso wie bei der Gründung auch bei der Kapitalerhöhung das festgesetzte Aufgeld vom Aktienerwerber vollständig zu leisten ist (§ 188 Abs. 2 S. 1 iVm § 36a AktG). 93 Dies haben der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrats bei der Anmeldung zur Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung zu versichern (§ 188 Abs. 1, Abs. 2 iVm § 37 AktG). 94 Ebenso wie bei der Gründung ist aber auch das Prüfungsrecht des Registergerichts nicht auf die Einhaltung der Kapitalaufbringung im Gläubigerinteresse beschränkt; in gleicher Weise wie dort der zu enge Wortlaut des § 38 Abs. 2 S. 2 AktG im Wege einer teleologischen und systematischen Auslegung überwunden wird, stellt auch hier der zu enge Wortlaut des § 183 Abs. 3 S. 3 AktG keine Grenze für das Prüfungsrecht und die Prüfungspflicht des Registergerichts dar.95 Es wäre auch geradezu widersinnig, den Gegenwert des Agios zwar bei der Gründung mit zu berücksichtigen, dagegen bei der Kapitalerhöhung unberücksichtigt zu lassen - gerade hier wird doch der über dem geringsten Ausgabebetrag festgesetzte Mehrbetrag wirtschaftlich wirklich bedeutsam. 96 Ohne eine sachverständige Wertprüfung der Sacheinlage kann jedoch das Registergericht eine solche gebotene Prüfung der Kapitalerhöhung nicht vornehmen. Ebensowenig können sich die Altaktionäre durch Einsicht in den

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Hefermehl/Bungeroth (Fn 20), § 183 Rn 91; iE ebenso bereits Krieger (Fn 8), § 56 Rn 36. 91 Lutter (Fn 4), § 183 Rn 52; Hüffer (Fn 4), § 183 Rn 16. 92 Hefermehl/Bungeroth (Fn 20), § 183 Rn 93; Wiedemann (Fn 8), § 183 Rn 84. 93 Hüffer (Fn 4), § 188 Rn 5, 9; Lutter (Fn 4), § 188 Rn 27f. 94 Hüffer (Fn 4), § 188 Rn 3, 9; Lutter (Fn 4), § 188 Rn 33. 95 So iE auch Wiedemann (Fn 8), § 183 Rn 85, § 184 Rn 23; aA die hM: Hüffer (Fn 4), § 183 Rn 16,18, § 184 Rn 6, § 188 Rn 21 ; Krieger (Fn 3 8), § 56 Rn 55; Hefermehl/Bungeroth (Fn 20), § 183 Rn 92, 98; Lutter (Fn 4), § 183 Rn 52. Die zitierte abw. Entscheidung O L G Frankfurt/M A G 1976, 298, 303 ist dagegen ohne Aussagekraft, da sie noch vor der U m setzung der KapRL getroffen wurde. 96 Dies wird explizit auch von Lutter (Fn 4), § 183 Rn 52 zugestanden.

Transparenz und Wertprüfung beim Erwerb von Sacheinlagen

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beim Registergericht aufbewahrten Prüfungsbericht (§§ 37 Abs. 6 analog, 188 Abs. 5 AktG, 9 Abs. 1 HGB) 9 7 über den Wert der Sacheinlage informieren. Die Auslegung des § 183 Abs. 3 AktG durch die hM und die Anwendung der Vorschrift in der Praxis verstößt eindeutig gegen Art. 27 Abs. 2 iVm Art. 10 Abs. 2 der KapRL. 98 Denn die KapRL beschränkt sich gerade nicht auf die sachverständige Prüfung der realen Kapitalaufbringung und somit allein auf den Schutz der AG-Gläubiger, sondern verlangt im Interesse der Altaktionäre zusätzlich eine sachverständige Prüfung hinsichtlich eines festgesetzten Aufgelds (IV. 1.). Die Erkenntnis, daß der Gesetzgeber die Vorgaben der KapRL insoweit nur technisch unzulänglich in das Aktiengesetz umgesetzt hat, kann jedoch nur ein Zwischenergebnis darstellen. Weder aus dem Wortlaut der innerstaatlichen Regelung noch aus den Gesetzesmaterialien läßt sich auch nur ansatzweise erkennen, daß der Gesetzgeber von der KapRL bewußt abweichen wollte. Methodisch korrekt ist es," die Vorschrift des § 183 Abs. 3 S. 1 und 2 AktG richtlinienkonform dahin auszulegen, daß auch im Rahmen einer Kapitalerhöhung eine sachverständige Prüfung iSv Artt. 27 Abs. 2, 10 Abs. 2 KapRL stattzufinden hat, d.h. daß nicht nur festzustellen ist, daß der geringste Ausgabebetrag der neuen Aktien erreicht ist, sondern darüber hinaus, daß auch ein festgesetztes Aufgeld vom Wert der Sacheinlage abgedeckt wird. 100 Erfolgt die Eintragung der Kapitalerhöhung und stellt sich später heraus, daß die Sacheinlage den (vollen) Ausgabebetrag der neuen Aktien unterschreitet, dann ist es nicht ausgeschlossen, daß der Registerrichter nach den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts für Schäden haftbar gemacht werden kann. 101 97 Hefermehl/Bungeroth (Fn 20), § 184 Rn 50, § 188 Rn 89; Lutter (Fn 4), § 188 Rn 47; Hüffer (Fn 4), §188 Rn 19. 98 So zutreffend bereits Habersack (Fn 10), Rn 194 im Anschluß an H irte DB 1995, 1113, 1114; Meilicke DB 1996, 513, 514; ebenso Drinkuth Kapitalrichtlinie (Fn 10), S. 234; Bagel (Fn 7), S. 347. 99 Zur (vorrangigen) richtlinienkonformen Auslegung innerstaatlicher Vorschriften, die vom europäischen Recht herrühren: E u G H in st. Rspr.; zB Slg. 1984-1891,1909 Rn 26 (von Colson u. Kamann)\ Slg. 1990 I - 4135, 4158 Rn 8 ff (Marleasing)·, Slg. 1994 I - 3325, 3357 Rn 26 (Faccini Dori); vgl. weiter Zuleeg Z G R 1980,466 ff; Kirchhoff OB 1989, 2261 ff; Everting Z G R 1992, 376ff; Lutter JZ 1992, 593, 595ff; M. Schmidt RabelsZ 59 (1995), 569ff; Ehricke RabelsZ 59 (1995), 598ff; Schwab Z G R 2000, 445, 464 ff; siehe auch Pawlowski Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999, Rn. 363 f, 1052f, 1067 ff. 100 Wie hier auch Meilicke DB 1996, 513, 514; Drinkuth Kapitalrichtlinie (Fn 10), S. 234; Bagel (Fn 7), S. 347. 101 E u G H NJW 1992, 165, 166f (Francovich); E u G H N J W 1996, 3141, 3142f (MP Travel Line)·, E u G H N J W 1996, 1267, 1269f (Brasserie du Pêcheur)·, Β G H Z 134, 30, 36 ff = N J W 1997, 123, 124f (Brasserie du Pêcheur [i.E. verneint]); umfassend zur Pt-oblematik: Detterheck VerwArch 1994, 160 ff; Prieß N V w Z 1993, 118 ff; Ossenbühl DVB1 1992, 993 ff; Pieper N J W 1992, 2454 ff; Geiger DVB1 1993, 465 ff.

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Walter Bayer

V. Vorschläge der Regierungskommission Corporate Governance und Empfehlungen an den Gesetzgeber Die am 29. Mai 2000 vom Bundeskanzler eingesetzte Regierungskommission Corporate Governance hat sich nach intensiver Diskussion der Problematik gegen eine ausdrückliche gesetzliche Vorab-Informationspflicht im Falle der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals ausgesprochen.102 Sie schlägt vielmehr eine „zeitnahe (auch nachträgliche) schriftliche Berichterstattung entsprechend § 186 Abs. 4 S. 2 AktG vor. Der Bericht sei beim Handelsregister einzureichen und bekanntzumachen. Die Geheimhaltungsvorschriften der §§ 293 a Abs. 2 AktG, 8 Abs. 2 UmwG seien jedoch entsprechend anzuwenden.103 Diese - unter der Prämisse einer einstimmigen Beschlußfassung zustande gekommene - Kompromißregelung ist sicherlich eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Praxis, die über Kapitalerhöhungen gem. §§ 202 ff AktG im Regelfall nur in knappester Form im Anhang des Jahresabschlusses (§ 160 Abs. 1 Nr. 3 AktG) berichtet. Sie boykottiert jedoch ganz bewußt präventive Abwehrmaßnahmen der Aktionäre und kann daher im Ergebnis nicht überzeugen [dazu III. 2.b)]. Die Regierungskommission Corporate Governance schlägt weiterhin vor, die Wertprüfung nach § 183 Abs. 3 AktG nach dem Vorbild des § 52 Abs. 1 S. 1 AktG auszubauen; so sollen Sacheinlagen, die von Aktionären erbracht werden, die mit mehr als 10 % am Grundkapital der AG beteiligt sind, einer umfassenden Wertprüfung unterzogen werden.104 Dieser Vorschlag beruht auf der irrigen Annahme, daß nach der lex lata nur zu überprüfen ist, ob der geringste Ausgabebetrag der neuen Aktien erreicht ist. Aufgrund der verbindlichen Vorgabe der Artt. 27 Abs. 2, 10 Abs. 2 KapRL greifen die Uberlegungen der Kommission daher zu kurz. Dem Gesetzgeber ist vielmehr zu empfehlen, die KapRL gesetzestechnisch korrekt umzusetzen und sowohl im Rahmen der Gründung als auch im Rahmen der Kapitalerhöhung die Sacheinlageprüfung durch Sachverständige und Registergericht präzise anzuordnen. Darüber hinaus sollte bei Ausnutzen des genehmigten Kapitals im Interesse des Aktionärsschutzes eine VorabBerichterstattung gesetzlich angeordnet und auf diese Weise die bestehenden Kontrolldefizite beseitigt werden. Die aktuelle Praxis genügt jedenfalls nicht den Grundsätzen einer „good Corporate Governance".

102 Baums (Hrsg.) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rn 230. ' 103 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance (Fn 102), Rn 231. 104 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance (Fn 102), Rn 232.

Abfindungsklauseln nach dem Tod des Gesellschafters einer O H G und Pflichtteilsergänzungsansprüche KARLHEINZ BOUJONG

I. Einführung in die Problematik Der Bundesgerichtshof unterwirft in seiner neueren Rechtsprechung gesellschaftsvertragliche Abfindungsbeschränkungen unter Lebenden in zunehmendem Maße einer richterlichen Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle.1 In einem gewissen Kontrast dazu steht die großzügige Beurteilung von gesellschaftsvertraglichen Abfindungsklauseln, die beim Tode eines Gesellschafters eingreifen. Für diesen Fall hält der Bundesgerichtshof einen vollständigen Ausschluss der Abfindungsansprüche der weichenden Erben zugunsten der überlebenden Gesellschafter für zulässig.2 Diese Judikatur setzt der Bundesgerichtshof auch fort, seit er Abfindungsbeschränkungen unter Lebenden einer eingehenden Kontrolle unterzieht.3 Zu einer wertenden Betrachtung der Angemessenheit von Abfindungsbeschränkungen für den Todesfall gehört indessen auch die Frage nach Pflichtteilsansprüchen (§ 2303 BGB) und Pflichtteilsergänzungsansprüchen (§ 2325 B G B ) weichender Erben. Dieser Problematik soll hier im Blick auf Abfindungsklauseln in der O H G ohne Anspruch auf auch nur annähernd erschöpfende Behandlung nachgegangen werden. Dass eine solche Skizze dem Jubilar gewidmet wird, findet seine Rechtfertigung schon darin, dass sein durch eine Reihe von wissenschaftlichen Publikationen dokumentiertes Interesse von jeher auch den gesellschaftsrechtlichen Abfindungsbeschränkungen4 und den Verflechtungen zwischen Erb- und Gesellschaftsrecht5 gilt. ' Vgl. B G H Z 116,359,368 f; BGHZ 123,281; BGHZ 126,226,239ff; BGH NJW 1993, 2101,2102; Kritik an dieser Judikatur etwa bei Dauner-Lieb ZHR 158 (1994), 271 ff; Kainer ZHR 158 (1994), 292 ff; Sigle ZGR 1999, 659, 663 ff; s. auch K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997, § 5 0 IV 2c. 2 BGHZ 22, 186, 194f; BGHZ 50, 316, 318; BGH WM 1971, 1338f; zustimmend die hM, vgl. Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, § 131 Rn 120 mit Nachweisen zum Streitstand in Fn 265. 3 B G H Z 135, 387, 390. 4 Vgl. etwa Ulmer in FS Quack, 1991, S. 477 ff. 5 S. zB Ulmer ZGR 1972, 195 ff; den. NJW 1984, 1496 ff; den. in FS Schilling, 1973, S. 79 ff.

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Karlheinz Boujong

II. Ausscheiden des Erben aus der Gesellschaft nach § 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 H G B 1. Rechtsfolgen bei Fehlen einer

Abfindungsbeschränkung

Bei Personengesellschaften sind f ü r den Fall des Todes eines Gesellschafters verschiedene gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zulässig, die sich schlagwortartig mit den Begriffen Fortsetzungsklausel, (qualifizierte) Nachfolgeklausel und Eintrittsklausel umschreiben lassen. 6 Diese Klauseln lösen auch unterschiedliche erbrechtliche Rechtsfolgen aus. Rechtliche Komplikationen können auftreten, wenn der Wert der Gesellschaftsbeteiligung durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden am Nachlass „vorbeigesteuert" wird. a) N a c h § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 H G B nF hat der Tod des Gesellschafters einer O H G mangels abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelung sein Ausscheiden zur Folge. Seine Erben werden daher nicht Gesellschafter. Der Anteil des verstorbenen Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen wächst den verbliebenen Gesellschaftern im Verhältnis ihrer bisherigen Anteile an (vgl. § 105 Abs. 3 H G B iVm § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB). Den Erben steht nur der Anspruch auf das Abfindungsguthaben gegen die Gesellschaft zu (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB), das in den Nachlass des verstorbenen Gesellschafters fällt. 7 Wenn im Gesellschaftsvertrag keine Abfindungsbeschränkung vereinbart ist, wird der Abfindungsbetrag nach dem vollen wirtschaftlichen Wert (Verkehrswert) des Gesellschaftsanteils auf der Grundlage eines lebenden Unternehmens berechnet. 8 Da hiernach keine unentgeltliche Zuwendung und somit keine auch nur (gemischte) Schenkung vorliegt, ist f ü r einen Pflichtteilsergänzungsanspruch der Erben gegen die Gesellschaft oder die Gesellschafter kein Raum. b) Das gilt im Ergebnis auch für den Tod eines Gesellschafters in einer Zweipersonengesellschaft. Diese erlischt ohne Liquidation unter Ubergang des Gesellschaftsvermögens auf den allein verbliebenen Gesellschafter. Dieser hat die Erben des ausgeschiedenen Gesellschafters nach § 738 Abs. 1 BGB abzufinden. 9

6

Überblick über diese Klauseln bei Lorz (Fn 2), § 139 Rn 1, 2. B G H Z 91, 132, 135f; B G H Z 98, 48, 51; B G H Z 108, 187, 192; Lorz (Fn 2), § 131 Rn 42; von Gerkan in Röhricht/Graf von Westphalen, H G B , 2. Aufl. 2001, § 131 Rn 17. 8 B G H Z 17,130, 136; B G H Z 116, 359, 370; Lorz (Fn 2), § 131 Rn 63; Ulmer in MiinchKommBGB, 3. Aufl. 1997, § 738 Rn 26. 9 Lorz (Fn 2), § 131 Rn 43; Ulmer (Fn 8), § 730 Rn 10. 7

Abfindungsklauseln und Pflichtteilsergänzungsansprüche

2. Gründe für Abfindungsbeschränkungen;

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Mängel solcher Klauseln

Der Gesellschaftsvertrag kann für den Fall des Ausscheidens der Erben des Gesellschafters nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 H G B eine Kürzung oder den völligen Ausschluss des Abfindungsanspruchs vorsehen. 10 Derartige Abfindungsregelungen dienen legitimerweise dazu, die Liquidität der Gesellschaft zu schonen, die Berechnung der Abfindung zu vereinfachen und eine Verfügung über den Anteilswert auf den Todesfall zu ermöglichen. 11 Die Erben können sich auf Mängel von Abfindungskürzungen 1 2 berufen, 13 was insbesondere für allgemeine, nicht nur für den Fall des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 H G B geltende Beschränkungen von Bedeutung sein kann. Ist die Klausel - was selten der Fall sein wird - schon beim Abschluss des Gesellschaftsvertrages nichtig, steht dem Erben die volle Abfindung nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. 14 Tritt die Unwirksamkeit einer Beschränkung erst im Laufe des Gesellschaftsverhältnisses ein, weil der vereinbarte Abfindungswert (insbesondere bei einer Buchwertklausel) und der tatsächliche Anteilswert in einem für den Erben unzumutbaren Ausmaß divergieren, so ist die Abfindungshöhe nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung den veränderten Umständen anzupassen. 15

III. Fortsetzung der Gesellschaft ohne Erben unter Ausschluss von Abfindungsansprüchen 1. Kein Formzwang nach § 2301 Abs. 1 BGB Wenn die Gesellschaft vertragsgemäß nicht mit den Erben fortgesetzt wird und der Gesellschaftsvertrag einen nach hM zulässigen Abfindungsausschluss (vgl. oben unter II 1 a) enthält, können sich in erbrechtlicher, insbesondere in pflichtteilsrechtlicher Hinsicht Probleme ergeben. Es ist allerdings anerkannt, dass die Formvorschrift des § 2301 Abs. 1 BGB keine Anwendung findet, da es sich um eine gesellschaftsrechtliche Verfügung unter Lebenden (den Gesellschaftern) auf den Todesfall handelt. 16 Der Anteil des

10 Lange/Kuchinke Erbrecht, 5. Aufl. 2001, § 5 VI 3 a, b; Kollhosser in MünchKommBGB (Fn 8), § 516 Rn 73. 11 Ulmer (Fn 8), § 738 Rn 30; K. Schmidt (Fn 1), § 50 IV 2 b. 12 Vgl. die Entscheidungen in Fn 1. 13 Lange/Kuchinke (Fn 10), § 5 VI 3 b Fn 289. 14 B G H Z 116, 359, 375f; B G H NJW 1989, 2685, 2686. 15 B G H Z 123, 281, 284 ff; B G H NJW 1993, 2101, 2102. 16 K. Schmidt (Fn 1), § 45 V 2 b; Ulmer (Fn 8), § 738 Rn 49; im Ergebnis allg. Auffassung, vgl. etwa B G H WM 1971, 1338, 1339; Lange/Kuchinke (Fn 10), § 5 VII 3a Fn 286; Lorz (Fn 2), § 131 Rn 120. Die Frage, ob keine Schenkung oder aber eine zu Lebzeiten des

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verstorbenen Gesellschafters oder ein Abfindungsguthaben fällt daher nicht in den Nachlass, so dass insoweit nicht der ordentliche Pflichtteil (§ 2311 BGB) verlangt werden kann. 17 2. Schenkung des Erblassers an Mitgesellschafter als Voraussetzung für Pflichtteilsergänzungsansprüche der weichenden Erben a ) Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob die weichenden Erben gegen die begünstigten Mitgesellschafter des Erblassers Pflichtteilsergänzungsansprüche nach §§ 2325, 2329 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend machen können. Das setzt eine Schenkung des Erblassers an seine Mitgesellschafter voraus. § 2325 BGB verwendet den Schenkungsbegriff des § 516 BGB. 18 Erforderlich ist demnach, dass die Mitgesellschafter objektiv aus dem Vermögen des Erblassers bereichert sind und beide Seiten über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig waren. In der Frage, ob der den verbliebenen Gesellschaftern durch Anwachsung (vgl. oben unter II 1 a) zugeflossene Vermögenszuwachs entgeltlichen oder unentgeltlichen Charakter hat, herrscht Streit. b) Einseitige Ausschlüsse oder Beschränkungen des Abfindungsanspruchs, die nur zu Lasten der Erben einzelner Gesellschafter vereinbart werden, sind zwar nach ganz hM als Schenkung oder gemischte Schenkung unter Lebenden des betroffenen Gesellschafters an seine Mitgesellschafter zu qualifizieren. 19 c) Die Rechtsprechung 20 und ein erheblicher Teil des Schrifttums 21 verneinen aber eine entgeltliche Zuwendung, wenn zwischen allen Gesellschaftern (wechselseitig) Abfindungsansprüche für ihre Erben ausgeschlossen oder beschränkt sind. Die Entgeltlichkeit wird dabei vor allem aus der „aleatorischen" Natur der gesellschaftsvertraglichen Abmachung hergeleitet: jeder Gesellschafter erwerbe die gleiche Chance, am Anteil des verstorbenen MitErblassers vollzogene Schenkung (§§ 2301 Abs. 2, 518 Abs. 2 BGB) vorliegt, spielt daher nach der hier vertretenen Auffassung keine Rolle. 17 Soergel/Dieckmann BGB, 12. Aufl. 1992, § 2311 Rn 25; Schlegelherger/K. Schmidt HGB, 5. Aufl. 1992, § 138 Rn 66; K. Schmidt (Fn 1), § 45 V 2b; Lange/Kuchinke (Fn 10), § 5 VI 3 a Fn 286. 18 B G H Z 59, 132, 135; Β G H Z 116, 178, 180f: Einstufung der unbenannten Zuwendung unter Ehegatten als Schenkung. 19 Frank in MünchKommBGB, 3. Aufl. § 2325 Rn 16; Olshausen in Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1998, § 2 3 2 5 R n 3 1 . 20 B G H Z 2 2 , 1 8 6 , 1 9 4 ; B G H DNotZ 1966,620, 622; B G H N J W 1 9 8 1 , 1 9 5 6 , 1 9 5 7 ; offengelassen von B G H W M 1971, 1338, 1340f. 21 Olshausen (Fn 19), § 2325 Rn 33, 34 unter Betonung des Bestandschutzes der Gesellschaft; Lorz (Fn 2), § 131 Rn 120; K. Schmidt (Fn 1), § 45 V 2c; Klingelhöffer Pflichtteilsrecht, 1996, Rn 340; Ebenroth Erbrecht, 1992, Rn 519; Erman/Schlüter BGB, 10. Aufl. 2000, § 2311 Rn 6; Michalski OHG-Recht, 2000, § 131 Rn 63, 64.

Abfindungsklauseln und Pflichtteilsergänzungsansprüche

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gesellschafters zu partizipieren, gehe aber auch das gleiche Risiko ein, selbst vorzuversterben mit der Folge, dass seine E r b e n am Wert seines Anteils nicht beteiligt werden (Wagnisgeschäft). A u c h nach dieser Meinung fehlt es jedoch an der Entgeltlichkeit, wenn infolge sehr unterschiedlicher Lebenserwartung der verschiedenen Gesellschafter beim Vertragsschluss von einem groben Missverhältnis des Risikos auszugehen war. 2 2 D a n n liegt zumindest eine gemischte Schenkung vor.

IV. Entgeltliche Zuwendung bei allseitigem Abfindungsausschluss Eine Gegenmeinung, die im Schrifttum zunehmend Anhänger findet, lehnt den aleatorischen Charakter des allseitigen Ausschlusses (bzw. der Beschränkung) des Abfindungsanspruchs ab und geht von einer (teil-)entgeltlichen Zuwendung aus. 23 Diese Meinung stützt sich auf überzeugende Argumente und verdient Zustimmung.

1. Kein gegenseitiges

unentgeltliches

Wagnisgeschäft

Entgegen der überwiegenden Ansicht sind das Risiko des Anteilsverlustes der E r b e n beim Tod eines Gesellschafters und die Chance des eigenen Vermögenszuwachses beim Tod eines Mitgesellschafters bei

wirtschaftlicher

Betrachtungsweise nicht im Sinne von Leistung und Gegenleistung (do ut des) miteinander verknüpft. 2 4 Zwar wird sich jeder Gesellschafter auf den A b findungsausschluss nur im Hinblick auf die korrespondierenden Erklärungen seiner Mitgesellschafter einlassen. Aber diese Vorstellung bildet nur das Motiv für eine gemeinsame gesellschaftsvertragliche Nachlassregelung im Interesse der Bestandserhaltung der Gesellschaft. D e m Regelungsgehalt des allseitigen Abfindungsausschlusses wird daher das vorherrschende Verständnis eines gegenseitigen entgeltlichen Wagnisgeschäftes nicht gerecht. 2 5 D e r

Abfin-

22 BGH NJW 1981, 1956, 1957; Lange/Kuchinke (Fn 10), § 37 X 2i; Lorz (Fn 2), § 131 Rn 120; Micbalski (Fn 21), § 131 Rn 63. 23 Heckelmann Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1973, S. 76ff, 89; Huber Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 461 ff, 467; Frank (Fn 19), § 2325 Rn 16; Ulmer (Fn 8), § 738 Rn 49; Soergel/Dieckmann (Fn 17), § 2325 Rn 27; vgl. auch Kollhosser (Fn 10), § 516 Rn 74-76, der sich zwar gegen die Rechtsfigur des aleatorischen Geschäfts wendet, die Frage nach der Unentgeltlichkeit (und damit der Schenkung) aber durch Auslegung klären will, was eine für die praktische Rechtsanwendung wenig hilfreiche Verlagerung des Problems darstellt. 24 Allgemein zum Erfordernis der gegenseitigen Abhängigkeit der Leistungspflichten Β GHZ 15, 102, 105; Emmerich in MünchKommBGB (Fn 8), § 320 Rn 3. 25 Vgl. zum Ganzen die in Fn 23 Genannten, insbesondere die eingehenden Ausführungen von Heckelmann und Huber, jeweils aaO.

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dungsausschluss ist demnach mit der skizzierten Gegenmeinung als eine unentgeltliche Zuwendung an die begünstigten Mitgesellschafter einzustufen, die Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen kann. 2. Kein Vorrang des Bestandsinteresses der Gesellschaft vor der erbrechtlichen Zuordnung a) Die Verneinung solcher Ansprüche wird von der vorherrschenden Meinung mitunter auch darauf gestützt, dass es sich bei dem Abfindungsausschluss um eine Abrede mitgliedschaftsrechtlicher Art handele, die als integrierender Bestandteil des Gesellschaftsvertrages im Interesse des Fortbestandsschutzes auf eine ungeschmälerte Erhaltung des Gesellschaftsvermögens gerichtet sei. Das Recht des Pflichtteils und der Pflichtteilsergänzung, so wird geltend gemacht, müssten ihre Grenze da finden, wo die Gesellschafter den Bestand ihres Unternehmens über die erbrechtliche Zuordnung gestellt hätten. 26 Diese Auffassung, die auf einen Vorrang des gesellschaftsvertraglichen Abfindungsausschlusses vor den Wertungen des Pflichtteils(ergänzungs)rechts hinausläuft, kann nicht gebilligt werden. 27 b) Die mitgliedschaftsrechtliche Wurzel der Klausel ändert nichts daran, dass sie eine unter den Schenkungsbegriff des § 2325 BGB fallende Bereicherung der Mitgesellschafter des Verstorbenen bewirkt. 28 Diese Beurteilung wird auch vom Normzweck der Vorschriften über die Pflichtteilsergänzung gedeckt. Dieser ist darauf gerichtete, die zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehörenden nächsten Angehörigen (§ 2303 BGB) davor zu schützen, dass der Erblasser durch Schenkungen unter Lebenden den Pflichtteilsanspruch beeinträchtigt. 29 Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die strenge gesetzliche Ausgestaltung des Pflichtteils(ergänzungs)rechts beim Übergang von Personengesellschaftsanteilen zu erheblichen Liquiditätsproblemen führen kann. Dieser Umstand rechtfertigt es aber nicht, den Gesellschaftern die Befugnis einzuräumen, durch einen gesellschaftsvertraglichen Abfindungsausschluss die Anwendung des § 2325 BGB zu verhindern. Das verbietet schon der erwähnte Schutzzweck dieser Vorschrift. Das Pflichtteilsrecht (und damit auch

26

S. z.B. Rittner FamRZ 1961, 505, 510f; Olshausen (Fn 9), § 2325 Rn 34; B G H D N o t Z 1966, 620, 622; offengelassen in B G H W M 1971, 1338, 1340. 27 Ablehnend Frank (Fn 19), § 2325 Rn 16; Soergel/Dieckmann (Fn 17), § 2325 Rn 27; Heckelmann (Fn 23), S. 72 ff; kritisch auch Hey mann/Emmerich H G B , Bd 2, 2. Aufl. 1996, § 138 Rn 44, 49. 28 Soergel/Dieckmann (Fn 17): keine Uberlagerung des vermögensrechtlichen Zuweisungserfolges. 29 B G H N J W 1988, 821, 822.

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§ 2325 BGB) gehört zu den wesentlichen Strukturelementen des deutschen Erbrechts. 30 Die grundsätzliche Abdingbarkeit des § 738 BGB 31 stellt nicht auch § 2325 BGB insoweit zur Disposition der Gesellschafter. Dem Gesetz lassen sich auch keine Wertungen entnehmen, die im Interesse der Bestandserhaltung des Gesellschaftsunternehmens eine Aufweichung des strengen Pflichtteilsrechts gestatten. 32 Das zulässige rechtliche Instrument, um die Anwendung des § 2325 BGB zu verhindern, ist ein Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB. c) Unter der Herrschaft des geltenden Rechts der §§ 2303 ff BGB können Gesichtspunkte, die eine Reform dieser Vorschriften als berechtigt erscheinen lassen mögen, 33 nicht dazu herangezogen werden, den Schutz der Pflichtteilsberechtigten zu reduzieren. Eine derartige „Rechtsfortbildung" verbietet schon der eindeutige Wortlaut des Gesetzes, 34 vor allem des § 2325 BGB. Die gesetzgeberischen Wertentscheidungen, die dem Pflichtteilsrecht zugrunde liegen, dürfen nicht im Wege der Rechtsfortbildung und Auslegung modifiziert werden. So kann z.B. der Pflichtteilsergänzungsanspruch des weichenden Gesellschaftererben nicht davon abhängig gemacht werden, dass er zur Schaffung und/oder Mehrung des Erblasservermögens beigetragen hat. Im Gegenteil hat es die Rechtsprechung als ihre legitime Aufgabe angesehen, zum Schutze der Pflichtteilsberechtigten der Tendenz entgegenzutreten, dass in der Praxis die Grenzen verschoben werden, die das Pflichtteilsrecht der Testierfreiheit des Erblassers setzt. 35 3. Pflichtteilsrecht und Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG An der Schnittstelle zwischen der Testierfreiheit bzw. Verfügungsfreiheit des Gesellschafter-Erblassers und dem Pflichtteilsergänzungsanspruch der weichenden Erben sind auch die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieser Rechte zu beachten. Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als Individualrecht und Rechtsinstitut erstreckt sich auch auf die Testierfreiheit des Erblassers. 36 Das Pflichtteilsrecht beschränkt indes die Testierfreiheit. 37 30

Haas ZEV 2000, 249, 250 f. Ulmer (Fn 8), § 738 Rn 8. 32 Vgl. näher Kohl M D R 1995, 865, 870, 871. 33 Zur Reform des Pflichtteilsrechts vgl. etwa Henrich Testierfreiheit vs. Pflichtteilsrecht, 2000; Schlüter in FS 50 Jahre B G H , 2000, Bd. I, S. 1047ff. 34 BVerfGE 78, 20, 24; B G H Z 138, 321, 329. 35 B G H Z 116,167, 174f. 36 BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 99, 341, 350f; B G H Z 140, 118, 128; Jarass/Pieroth G G , 6. Aufl. 2002, Art. 14 Rn 91; die Verfügungsfreiheit über Eigentumspositionen wird von der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 G G ) geschützt; die Vertragsfreiheit fällt unter Art. 2 Abs. 1 G G (Jarass/Pieroth aaO, Art. 2 Rn 4). 37 BVerfG ZEV 2000, 399, 400; Papier in: Maunz/Dürig, GG, 31. Lfg. (Mai 1994), Art. 14 Rn 295. 31

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Das Recht der pflichtteilsberechtigten Angehörigen des Erblassers auf eine angemessene Beteiligung an seinem Vermögen genießt den verfassungsrechtlichen Schutz der Art. 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 GG. 38 Die Einzelausgestaltung des Pflichtteilsrechts ist jedoch verfassungsrechtlich nicht vorgegeben; der einfache Gesetzgeber hat nur die wesentlichen Strukturmerkmale des BGBErbrechts zu wahren. 39 Das geltende Pflichtteilsrecht der §§ 2303 ff BGB entspricht jedenfalls den verfassungsrechtlichen Vorgaben.40 Der Gesetzgeber kann aber das Pflichtteils(ergänzungs)recht in dem gekennzeichneten verfassungsrechtlichen Rahmen reformieren.

V. Pflichtteilsergänzung bei anderen gesellschaftsvertraglichen Gestaltungen 1. Qualifizierte

Nachfolgeklausel

Wenn aufgrund einer erbrechtlichen qualifizierten Nachfolgeklausel 41 im Gesellschaftsvertrag nur ein Gesellschafter-Miterbe den seiner Erbquote entsprechenden Teil der Beteiligung erhält, steht den übrigen Miterben an sich ein in den Nachlass fallender Abfindungsanspruch gegen den qualifizierten Nachfolger zu.42 Wenn aber der Abfindungsanspruch der nicht in die Gesellschaft einrückenden Erben im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen oder reduziert ist, empfängt der qualifizierte Nachfolger durch Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall eine unentgeltliche Zuwendung (Schenkung bzw. gemischte Schenkung). Der Nachfolger in den Gesellschaftsanteil ist daher Pflichtteilsergänzungsansprüchen der Miterben ausgesetzt.43 2. Rechtsgeschäftliche

Nachfolgeklausel

Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklauseln 44 sind grundsätzlich unwirksam. Eine Ausnahme gilt, wenn der für den Todesfall eines Gesellschafters bestimmte Nachfolger ein Mitgesellschafter ist und der Regelung im Gesell38

B G H Z 109, 306, 313; B G H Z 123, 368, 371; B G H Z 140, 118, 128; Papier (Fn 37), Art. 14 Rn 294, 295; Wendt in Sachs, G G , 2. Aufl. 1999, Art. 14 Rn 200; Jarass/ Pieroth (Fn 36), Art. 14 Rn 94; BVerfG ZEV 2000, 399f hält die Frage für noch nicht abschließend geklärt; vgl. aber auch BVerfGE 91, 346, 358ff; BVerfG FamRZ 1998, 153, 154; aA Wieland in Dreier, GG, Bd. I, 1996, Art. 14 Rn 59. 39 Papier (Fn 37), Art. 14 Rn 295; Haas ZEV 2000, 249, 250. 40 BVerfGE 91, 346, 359 f; BVerfG ZEV 2000, 399, 400. 41 Vgl. dazu K. Schmidt (Fn 1), § 45 V 4; Lorz (Fn 2), § 139 Rn 20f. 42 B G H Z 22,186, 193, 194; Soergel/Dieckmann (Fn 17), § 2311 Rn 27. 43 Huber (Fn 23), S. 467f; Heckelmann (Fn 23), S. 269f; Soergel/Dieckmann (Fn 17), § 2311 Rn 27, § 2325 Rn 30; Frank (Fn 19), § 2311 Rn 25, § 2325 Rn 16, 25. 44 Vgl. dazu Lorz (Fn 2), § 139 Rn 51 ff; K. Schmidt (Fn 1), § 45 V 5c.

Abfindungsklauseln und Pflichtteilsergänzungsansprüche

49

schaftsvertrag oder in sonstiger Weise zustimmt. Wirksam ist die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel ausnahmsweise auch dann, wenn der Erblasser mit dem vorgesehenen Nachfolger einen gesonderten Vertrag unter Zustimmung der Mitgesellschafter - falls nicht schon im Gesellschaftsvertrag enthalten - abgeschlossen hat. 45 Durch die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel wird der Anteil dadurch am Nachlass vorbeigeleitet, dass ihn der Erblasser schon zu Lebzeiten durch das Uberleben des Begünstigten aufschiebend bedingt an diesen abtritt, was, wenn keine Entschädigung vorgesehen ist, eine vollzogene Schenkung i. S. des § 2301 Abs. 2 B G B darstellt.46 Da die Mitgliedschaft unter Lebenden fortgesetzt wird, entsteht auch kein Abfindungsanspruch, der in den Nachlass fallen könnte. 47 Pflichtteilsberechtigte, die nicht in die Gesellschaft einrücken, können im Blick auf die Schenkung des Anteils Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2325 B G B ) gegen den Erben und subsidiär (§ 2329 B G B ) gegen den Nachfolger in den Anteil geltend machen. 48 Wenn der Anteilserwerber dem Erben ein Entgelt zu entrichten hat, greift § 2329 B G B nicht ein. 49 3. Eintrittsklausel a) Durch eine gesellschaftsvertragliche Eintrittsklausel kann für den Fall des Todes von Gesellschaftern zugunsten von Erben oder Nichterben ein schuldrechtlicher Anspruch auf Aufnahme in die Gesellschaft begründet werden. 50 Es handelt sich um einen berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall (§§ 328 Abs. 1, 331 BGB). 5 1 Mangels abweichender Vereinbarung erwerben die weichenden Erben mit dem Todes des Gesellschafters einen Abfindungsanspruch (§ 738 Abs. 1 Satz 2 B G B iVm § 105 Abs. 3 H G B ) als Nachlassgegenstand, da keine unmittelbare Rechtsnachfolge in den Gesellschaftsanteil stattfindet 52 und somit ein Ausscheiden i. S. des § 738 Abs. 1 Satz 1 B G B vorliegt.53 Hinsichtlich der Behandlung des Abfindungsanspruchs bestehen mehrere Gestaltungsmöglichkeiten (rechtsgeschäftliche Treuhandlösung, erbrechtliche Variante).54 45

V 5 c.

Zum Ganzen BGHZ 68, 225, 231 ff; Lorz (Fn 2), § 139 Rn 52; K. Schmidt (Fn 1), § 45

Lorz (Fn 2), § 139 Rn 52; s. auch Ulmer (Fn 8), § 727 Rn 38. Heckelmann (Fn 23), S. 267. 48 Heckelmann (Fn 23), S. 267f; Lorz (Fn 2), § 139 Rn 53; Ulmer (Fn 8), § 727 Rn 38; den. ZGR 1972, 195, 216 Fn 106; Soergel/Dieckmann (Fn 17), § 2325 Rn 31. 49 Heckelmann (Fn 23), S. 268; Soergel/Dieckmann (Fn 17), § 2325 Rn 31. 50 K. Schmidt (Fn 1), § 45 V 5a; Lorz (Fn 2), § 139 Rn 38ff. 51 Ulmer (Fn 8), § 727 Rn 42; Ebenroth (Fn 21), Rn 883. 52 Ulmer ZGR 1972, 195, 219. 53 Lorz (Fn 2), § 139 Rn 42; Tiedau NJW 1980, 2446, 2449. 54 Vgl. dazu näher etwa Lorz (Fn 2), § 139 Rn 43 ff; Ulmer (Fn 8), § 727 Rn 43 ff; K. Schmidt (Fn 1), § 45 V 5 a, b. 46 47

50

Karlheinz Boujong

b) Werden Abfindungsansprüche der Erben ausgeschlossen, kann das zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen gegen ohne Entgelt eintretende Miterben (§ 2325 B G B ) oder Dritte (§ 2329 B G B ) führen. 55 Das gilt nach den obigen Ausführungen (IV) auch für den Fall, dass der Ausschluss für den Tod jedes Gesellschafters vereinbart ist. Für die Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche der nicht in die Gesellschaft eintretenden Pflichtteilsberechtigten ist es ohne Bedeutung, ob der Ubergang des Gesellschaftsanteils des Verstorbenen sich erbrechtlich oder durch Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall vollzogen hat. 56

VI. Pflichtteilsergänzung als Milderung des Abfindungsausschlusses 1. Fristbeginn im Falle des § 2325 Abs. 3 BGB Nach § 2325 Abs. 3 B G B , der auch auf § 2329 B G B Anwendung findet, 57 bleibt eine für die Pflichtteilsergänzung relevante Schenkung unberücksichtigt, wenn zur Zeit des Erbfalls zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen sind. Würde diese Frist schon mit der gesellschaftsrechtlichen Vereinbarung über den Abfindungsausschluss beginnen wäre das für den Pflichtteilsberechtigten immer dann nachteilig, wenn der Tod des Gesellschafters mehr als zehn Jahre nach der Vereinbarung einträte. Der Bundesgerichtshof geht jedoch in seiner neueren Rechtsprechung davon aus, dass die Frist des § 2325 Abs. 3 B G B erst in Lauf gesetzt wird, wenn der Erblasser das Geschenk aus seinem Vermögen wirtschaftlich ausgegliedert hat. 58 Das ist nicht vor dem Tode des Erblassers der Fall. 59 2. Ergebnis Als Fazit wird man festhalten können, dass gesellschaftsrechtliche Abfindungsausschlüsse und -beschränkungen im Todesfalle eines OHG-Gesellschafters, wenn man das Pflichtteils(ergänzungs)recht mit in den Blick nimmt, im allgemeinen nicht zu unangemessenen Ergebnissen für die weichenden Erben führen werden. Das setzt freilich voraus, dass man in der Frage der sog. aleatorischen Geschäfte (vgl. dazu IV) von der bisher hM abweicht. 55 Lorz (Fn 2), § 139 Rn 47; Soergel/Dieckmann (Fn 17), § 2325 Rn 31; Ulmer (Fn 8), § 727 Rn 44 aE, 48 aE; Hey mann/Emmerich (Fn 27), § 139 Rn 71; Schlegelbergerl K. Schmidt (Fn 17), § 139 Rn 33; Tiedau N J W 1980, 2446, 2449 f. 56 Staub/Ulmer Großkommentar zum HGB, 3. Aufl. 1973, § 139 Anm 193. 57 B G H Z 98, 226, 229. 58 B G H Z 98, 226ff, 233; B G H Z 102, 289, 292. 59 Kohl MDR 1995, 865, 872 f; Frank (Fn 19), § 2325 Rn 25; Lorz (Fn 2), § 139 Rn 47; Soergel/Dieckmann (Fn 17), § 2325 Rn 32.

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft MATTHIAS CASPER

I. Einleitung Vorüberlegungen und Entwürfe über einen Zeitraum von gut 40 Jahren sind selbst bei juristischen Großprojekten selten, zumal dann, wenn wie beim Statut der Societas Europaea (SE) am Ende ein Regelungstorso von knapp 70 Artikeln das Licht der Welt erblickt. Die Geschichte dieser Entwicklung ist bekannt.1 Sie begann mit zwei Vorschlägen aus der Praxis 2 und der Wissenschaft,3 die zunächst in einen über 400 Artikel starken Entwurf für ein vollständiges europäisches Aktienrecht mündeten.4 Daß sich selbst bei einer umfänglichen europäischen Kodifikation spannende Fragen hinsichtlich der Verzahnung mit dem nationalen Recht ergeben, hat Peter Ulmer bereits in einer Stellungnahme zum ersten Entwurf aus dem Jahre 1970 belegt.5 Die sodann folgende Entwicklung (weitere Entwürfe folgten 1975,1989,1991 und 2001) 6 war von einer Entkoppelung der Mitbestimmungsfrage und einem Kundiger Überblick bei Lutter BB 2002, Iff; vgl. ferner Blanquet ZGR 2002, 20ff; ZGR 2002, 66 ff; Pluskat DStR 2001, 1483 f. 2 Tbibièrge Le statut des sociétés étrangères, in: Le statut de l'étranger et le Marché Commun, 57ème congrès des notaires de France tenu à Tours 1959, Paris 1959, S. 270ff, 360 ff. 3 Antrittsvorlesung von Pieter Sanders Vers une société européenne, Rev. soc. 1959, 1163 ff; deutsche Fassung: AWD 1960,1 ff. Sanders saß auch der ersten Expertengruppe vor, die 1966 einen nach ihm benannten Vorentwurf vorlegte; vgl. dazu Sanders AG 1967, 344 ff. 4 1. Entwurf vom 24.6.1970, AB1.EG Nr. C 124 v. 10.10.1970 = Beilage 8/70 zum Bulletin der EG; erster geänderter Vorschlag vom 30.4.1975, Beilage 4/75 zum Bulletin der EG = Lutter Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1984, S. 363 ff. 5 Ulmer Die Europäische Handelsgesellschaft (SE) im Schnittpunkt zwischen europäischem und nationalem Recht, in: Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft (Hrsg.), Probleme moderner Unternehmensführung, 1972, S. 259, 267ff; vgl. auch noch den aus einem Hamburger Seminar Ulmers hervorgegangenen Beitrag von Clement/Fortdran!Müller/Wanske AG 1972, 343 ff. 6 Geänderter Vorschlag vom 30.4.1975, Beilage 4/75 zum Bulletin der EG = Lutter Europäisches Unternehmensrecht, (Fn 4), S. 363 ff; Zweiter Entwurf aus dem Jahre 1989 (abgedruckt bei Lutter Europäisches Unternehmensrecht, 3. Aufl. 1991, S. 561 ff); Dritter Entwurf aus dem Jahre 1991 (abgedruckt bei Lutter Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 724 ff); Vierter Entwurf vom 1.2.2001, Rat der Europäischen Union, Dok. 1

Heinze

52

Matthias Casper

zunehmenden Regelungsverzicht auf europäischer Ebene gekennzeichnet. D e r letzte Entwurf im Frühjahr 2 0 0 1 / der unverändert in das SE-Statut Eingang gefunden hat, 8 gipfelt in einer Rumpfregelung, die außer den fünf Gründungsformen nur fragmentarische Vorgaben enthält. Die

beträchtlichen

Lücken sind durch das nationale Recht des Sitzstaates zu schließen. Deshalb ist die Societas Europaea nicht zuletzt von Ulmer

als „nationale A G im

europäischen Gewände" gebrandmarkt worden. 9 Der Inhalt des Statuts und der begleitenden Mitbestimmungsrichtlinie sind schon verschiedentlich dargestellt und ersten Analysen unterzogen worden. 1 0 Wenig Beachtung haben jedoch bisher die methodischen Konsequenzen aus der vielfachen und weitgehenden Verzahnung von europäischem und nationalem Recht und der damit verbundenen normativen Gemengelage 1 1 (dazu unter II.) gefunden. 12 Den damit zusammenhängenden Fragen soll im folgenden nachgegangen werden. Dabei ist zunächst die Auslegung der S E - V O zu streifen, um das Vorliegen einer Regelungslücke feststellen zu können (sub III.). Sodann steht vor allem die Frage in Rede, ob vor dem Rückgriff auf das nationale Recht eine Lückenfüllung durch Analogieschluß oder mittels Bildung allgemeiner Prinzipien des europäisches Gesellschaftsrechts in Betracht kommt (hierzu sub IV.). Weiterhin ist zu überlegen, ob bereits auf europarechtlicher Ebene ein Umgehungsverbot besteht (dazu sodann unter V.).

Nr. 14886/00 Limite SE 12 SOC 506, veröffentlicht unter http://register.consilium.eu.int/ pdf/de/00/st14/14886d0.pdf. 7 Vgl. oben Fn 6. 8 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 8.10.2001, AB1.EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, auch abgedruckt in: NZG 2002, Beilage zu Heft 1. 9 Ulmer F.A.Z. v. 21.3.2001, S. 30, der die Verschlankung des europäischen Regelungswerks insgesamt aber als positiv bewertet; Lutter AG 1990, 413, 414 spricht von 15 selbständigen Schiffen „mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und Farben, je nachdem welcher Heimathafen an seinem Schornstein vermerkt ist". 10 Lutter BB 2002, 1; Hirte NZG 2002, 1; Hommelhoff/Teichmann SZW 2002, 1; Bungert/Beier EWS 2002, 1; Blanquet ZGR 2002, 22; Schwarz ZIP 2001, 1847; Hommelhoff AG 2001, 279; Thoma/Leuering NJW 2002, 1449; Schulz/Geismar DStR 2001, 1078; Jahn/Herfs-Röttgen DB 2001, 631; Ulmer (Fn 9); zur Mitbestimmungsrichtlinie etwa Heinze ZGR 2002, 66ff; Pluskat DStR 2001, 1483; Herfs-Röttgen NZA 2001, 424; Ulmer F.A.Z. v. 28.4.2001, S. 23. 11 Hommelhoff AG 2001, 279, 285 spricht von einer kunstvoll aufgeschichteten Rechtsquellenpyramide; Wagner Der Europäische Verein, 2000, S. 46 von einem „mixtum compositum" (zu dem vergleichbaren Art. 6 des Entwurfs für ein Statut zum Europäischen Verein). 12 Erste Stellungnahmen bei Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 394ff; Brandt/Scheifele DStR 2002, 547; im übrigen muß man hierfür auf Stellungnahmen zu den älteren Entwürfen zurückgreifen, vgl. z.B. Lutter AG 1990, 413, 416ff; Raiser in: FS Semler, 1993, 277ff; Lindacher in: Lutter (Hrsg.), Europäische Aktiengesellschaft, 1976, S. 1 ff; Grote Das neue Statut der Europäischen Aktiengesellschaft zwischen nationalem und europäischem Recht, Diss. Göttingen 1990, S. 57 ff; Leupold Die Europäische Aktiengesellschaft unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Rechts, 1993, S. 19 ff sowie Thamm Die Europäische Aktiengesellschaft und das Problem der Lückenfüllung, Diss. Köln 1972, S. 20 ff.

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

53

Schließlich ist die Tragweite der in Art. 9 SE-VO vorgesehenen Generalverweisung ins nationale Recht zu untersuchen (sub VI.). Methodenrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Mitbestimmungsrichtlinie und des zu ihrer Umsetzung zu erlassenden nationalen Rechts sind nicht Gegenstand dieses Beitrages, insoweit sind neue Erkenntnisse nicht zu erwarten. Ebensowenig sollen Vorschläge an den deutschen Gesetzgeber unterbreitet werden, wie er ein SE-Ausführungsgesetz ausgestalten sollte.13

II. Die Hierarchie der Normquellen Primäre Rechtsquelle einer Gesellschaft ist ihr Gesellschaftsvertrag, soweit der Gesetzgeber die Satzungsautonomie nicht einschränkt. Art. 9 Abs. 1 lit. a und b SE-VO ordnen an, daß vorrangig die Verordnung gilt und die Satzung nur dann abweichen kann, wenn diese dies ausdrücklich zuläßt. Damit beansprucht die Verordnung Vorrang, übernimmt der Sache nach die rigide Satzungsstrenge aus § 23 Abs. 5 AktG und geht damit weit über das Maß an Beschränkung der Satzungsautonomie hinaus, das andere Mitgliedsstaaten kennen. 14 An dritter Stelle folgt das nationale Recht, da Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO bestimmt, daß von der Verordnung nicht oder nur teilweise geregelte Bereiche durch das nationale Aktienrecht des Sitzstaates ausgefüllt werden, wobei speziellen Ausführungsgesetzen Vorrang vor dem allgemeinen Aktienrecht zukommt. Inwieweit die Satzung der SE hiervon abweichen kann, bestimmt sich ebenfalls nach dem nationalen Aktienrecht. In Deutschland wird die Satzung infolge der Satzungsstrenge also erst an fünfter Stelle erneut als Rechtsquelle auf das Trapez gebracht. 15 Die Lückenfüllung des SE-Statuts ist damit gegenüber früheren Entwürfen erheblich vereinfacht worden. Sieht die SE-VO keine Regelung vor und hat sie die Regelungskompetenz nicht an den Satzungsgeber delegiert, so ist sofort auf das nationale Recht des Domizilstaates zurückzugreifen. Die Grundsätze, auf denen die Verordnung beruht sowie gemeinsame Rechtsregeln oder Grundsätze des Aktienrechts aller Mitgliedsstaaten, die in früheren Entwürfen zur Lückenfüllung herangezogen werden sollten,16 sind entfallen. Dies, nicht aber

15 Vgl. eingehend hierzu Ch. Teichmann Z G R 2002, 383, 409ff, 441 ff, 455 ff. Der insoweit bestehende Diskussionsbedarf würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. 14 Vgl. dazu 'Wiesner EuZW 1998, 619, 624; sowie die Länderberichte in Lutter/Wiedemann Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 152 ff. 15 Vgl. zur Normenhierarchie auch Brandt/Scheifele DStR 2002, 547, 554f; Bungert/ Beier EWS 2002, 1, 2; und Wagner (Fn 11), S. 47f, der sechs Normebenen unterscheidet, indem er noch zwischen zwingendem und dispositivem Recht sondert. 16 So Art. 7 Abs. 1 des Entwurfs von 1970/1975; Art. 7 Abs. 1 des Entwurfs von 1989; die Regelung in Art. 7 Abs. 1 des Entwurfs von 1991 entsprach schon im wesentlichen der heutigen Fassung; zur Entwicklung vgl. Völter Der Lückenschluß im Statut der Europä-

54

Matthias Casper

die weitgehende Lückenhaftigkeit der SE-VO, ist im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu begrüßen.17 Allgemeine Grundsätze, auf denen das Statut beruht, werden sich in der nun verabschiedeten Fassung ohnehin kaum noch finden lassen. Ebensowenig wird das zur Harmonisierung der nationalen Gesellschaftsrechte erlassene europäische Sekundärrecht ausdrücklich als Gegenstand der Lückenfüllung herangezogen.18 Da das gesellschaftsrechtliche Sekundärrecht der EG und ihm zugrunde liegende allgemeine Rechtsgedanken ohnehin bereits in das harmonisierte nationale Recht eingegangen sind, wäre der Gewinn eines solchen Vorgehens auch gering gewesen. Es hätte allerdings dazu geführt, daß neu geschaffenes Sekundärrecht schon vor dessen Umsetzung für die SE anwendbar gewesen wäre. Ob allerdings allgemeine Rechtsgrundsätze zur Lückenfüllung im Wege eines Analogieschlusses herangezogen werden können, wird noch näher zu untersuchen sein.19 III. Die Feststellung von Lücken mittels Auslegung Ob überhaupt eine Lücke vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung der SE-VO vollzieht sich autonom nach europäischem Recht. Angesichts der vielfältigen Vorüberlegungen zur Auslegung von europäischem Sekundärrecht20 und einer gefestigten Rechtsprechung des EuGH, 2 1 kann sich die nachfolgende Darstellung auf Besonderheiten bei der Auslegung der SE-VO beschränken.22 Die Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts vollzieht sich im Grundsatz nach dem auf Savigny zurückgehenden vierstufigen Auslegungskanon, wenn auch mit einer anderen Gewichtung.23 Der Wortlaut, dem in der Ausischen Privatgesellschaft, 2000, S. 82 ff mit Abdruck der j eweiligen Gesetzestexte. Nach dem Entwurf von 1970/1975 war ein Rückgriff auf nationales Recht sogar ausdrücklich ausgeschlossen; krit. dazu Ulmer (Fn 5) S. 267ff; Lindacher (Fn 12) S. lOf. 17 Demgegenüber plädiert Wolter (Fn 16), S. 101 ff, 242 ff dafür, in einem künftigen EPGStatut die Grundsätze aller nationalen Gesellschaftsrechte zur Lückenfüllung heranzuziehen; ähnlich zum Entwurf eines SE-Statuts auch noch Thamm (Fn 12) S. 46 ff. 18 Dies kritisiert z.B. Raiser (Fn 12) S. 282f. Allerdings wird an mehreren Stellen unmittelbar auf Regelungen im Sekundärrecht verwiesen, statt sie im Statut erneut zu wiederholen, so z.B. in Artt. 17 Abs. 2, 22 SE-VO. 19 Vgl. dazu unten IV 2. 20 Vgl. dazu etwa Zuleeg EuR 1969, 97; Bleckmann NJW 1982, 1177,1178 ff; ders. Europarecht, 6. Aufl. 1997, Rn. 537ff; Everting RabelsZ 50 (1986), 193, 210f; Schwarz Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 86 ff; Hommelhoff in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, 1999, S. 29, 32 ff; eingehend Anweiler Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 1997, S. 25 ff und passim. 21 Vgl. die Nachw. in Fn 24, 25, 33. 22 Speziell zur Auslegung der SE-VO vgl. auch Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 404 f. 23 Vgl. die in Fn 20 Genannten. Ferner ist eine starke Vermischung von Auslegung und Rechtsfortbildung zu beobachten, vgl. Anweiler (Fn 20) S. 38 f.

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

55

legungsmethodik des E u G H ein geringeres G e w i c h t als in kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen z u k o m m t , bildet zwar den ersten Zugriff für die Auslegung, 2 4 stellt allerdings selbst bei einer hinreichend klaren F o r m u lierung nicht zwingend eine Auslegungsgrenze dar. 25 D i e Verläßlichkeit der Wortlautauslegung

wird weiterhin

dadurch

relativiert,

daß

alle

Amts-

sprachen gleichrangig verbindlich sind. A u f zweiter Stufe steht die systematische Auslegung, die vom E u G H oft mit der teleologischen Auslegung in einem A t e m z u g genannt wird, 2 6 hiervon aber sauber zu unterscheiden ist. Gegenüber systematischen Erwägungen aus dem

gesellschaftsrechtlichen

Sekundärrecht 2 7 ist bei der Auslegung des SE-Statuts Vorsicht geboten, da dieses nicht auf die Harmonisierung der nationalen Rechte der Mitgliedsstaaten zielt, das über Art. 9 Abs. 1 S E - V O zur Anwendung gelangen soll. Deshalb läßt sich die systematische Auslegung nicht als Einfallstor für eine Prinzipienbildung fruchtbar machen, die über den eigentlichen Regelungsgehalt der auszulegenden Vorschrift hinausgeht. 2 8 D e n k b a r ist eine Prinzipienbildung allenfalls auf der E b e n e der Lückenfüllung, 2 9 nicht aber bereits im R a h m e n der Auslegung. Möglich ist die Heranziehung gesellschaftsrechtlichen Sekundärrechts im Wege der systematischen Auslegung nur insoweit, als der Inhalt einer im SE-Statut vorhandenen, unklaren und somit auslegungsbedürftigen Regelung zu bestimmen ist. 30 Zentrale Bedeutung k o m m t der teleologischen Auslegung zu. Mittels des Grundsatzes der binnenmarktfreundlichen Auslegung und des Effektivitätsgrundsatzes ( e f f e t utile) hat der E u G H bisher stets die Auslegungsalternative gewählt, die einer Rechtsvereinheitlichung am besten zugute kommt. 3 1 U b e r tragen auf die S E bedeutet dies, daß neben dem Z w e c k der jeweiligen Einzelnorm auch das Ziel, eine funktionsfähige supranationale R e c h t s f o r m bereitzustellen, bei der Auslegung zu berücksichtigen ist. 32

Vgl. etwa EuGH Slg. 1978, 611,619. Vgl. etwa EuGH Slg. 1960,1163, 1194. 26 Vgl. die Darstellung bei Blomeyer NZA 1994, 633, 634; Auweiler (Fn 20) S. 38f. 27 Zu systematischen Rückschlüssen aus dem Primärrecht, namentlich dazu, ob sich der Schutz von Gesellschaftern im europäischen Gesellschaftsrecht auf die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit zurückführen läßt, vgl. Schön RabelsZ 64 (2000), 1 ff. 28 So tendenziell aber Ch. Teichmann Z G R 2002, 383, 404, der von allg. Grundsätzen spricht, die im Wege der Rechtsanalogie zu gewinnen seien und sodann bei der Auslegung behilflich sein können. 29 Dazu noch sogleich unter IV 2. 30 Will man ζ. B. klären, ob der Begriff der Rechtshandlung in Art. 16 Abs. 2 SE-VO eng oder weit auszulegen ist, kann auf Artt. 7 Publizitäts-RL, 9 Abs. 2 EWIV-VO zurückgegriffen werden, die ein weites Verständnis nahelegen. Der Ubergang von systematischer Auslegung zur Prinzipienbildung ist allerdings fließend. 31 Vgl. die Darstellung bei Auweiler (Fn 20) S. 219ff. 32 Ebenso Ch. Teichmann Z G R 2002, 383, 405 f. 24

25

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Matthias Casper

Die historische Auslegung steht an vierter Stelle und wird vom EuGH nur selten herangezogen. 33 Die geringe Bedeutung hängt damit zusammen, daß die Protokolle im Rahmen der Beratung von Gesetzesvorhaben auf europäischer Ebene nicht veröffentlicht werden. Keine Bedenken bestehen hingegen, veröffentlichte Vorentwürfe zur SE zum Zwecke einer historischen Auslegung heranzuziehen. 34 Soweit ein bestimmter Punkt heute anders als in den Vorentwürfen geregelt ist, können hieraus Anhaltspunkte für die Auslegung und namentlich für das Vorliegen einer planwidrigen Lücke gewonnen werden. Sah Art. 7 Abs. 1 des Entwurfs aus dem Jahre 1989, ebenso wie der Entwurf von 1970/1975, noch die Heranziehung von allgemeinen Grundsätzen, auf denen die Verordnung beruht, vor, so kann aus dem Fehlen einer derartigen Regelung in Art. 9 Abs. 1 SE-VO der Umkehrschluß gezogen werden, daß ein derartiger Rückgriff nicht mehr gewollt ist. Ein Lücke liegt somit nur vor, wenn sich eine vorhandene Vorschrift nicht im Wege der so vorgenommenen Auslegung auf einen wertungsmäßig vergleichbaren Sachverhalt anwenden läßt.35

IV. Lückenfüllung durch Analogieschluß bzw. Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze? Hat man das Vorliegen einer Lücke im SE-Statut festgestellt, so ist vor einem Rückgriff auf das nationale Recht zu überlegen, ob eine Ausfüllung der Lücke mittels Analogieschlusses innerhalb des SE-Statuts in Betracht kommt.

1. Analogieschluß

innerhalb des europäischen

Sekundärrechts

Im Europarecht lassen sich zwei Formen des Analogieschlusses unterscheiden. Zum einen der aus den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen bekannte regelgeleitete Analogieschluß, 36 bei dem eine Lücke im Gesetz durch eine vergleichbare Regelung geschlossen wird. 37 Daneben findet sich in der Rechtsprechung des EuGH als weitere Form der Lückenfüllung

33 Vgl. etwa EuGH Slg. 1976,153,160; Slg. 1976,1639,1665; Slg. 1979,2693,2701 sowie die Darstellung bei Auweiler (Fn 20) S. 252 ff. 34 Ebenso Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 404. 35 Vgl. allg. dazu Canaris Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 71 ff, 148 ff m. weit. Nachw. 36 Ausdruck nach Langenbucher in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1999, S. 65, 77. 37 Bekanntestes Beispiel aus der Rechtsprechung ist die Entscheidung EuGH Slg. 1985, 3997 - Krohn; Darstellung der weiteren Rechtsprechung bei Anweiler (Fn 20) S. 309ff.

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

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die Anwendung von Rechtsprinzipien auf vergleichbare Fallgruppen. 38 Langenbucher spricht von einem prinzipiengeleiteten Analogieschluß. 39 Im Gegensatz zur regelgeleiteten Analogie wird die Lücke nicht durch die entsprechende Anwendung einer Regel geschlossen. Vielmehr wird ein vergleichbarer Sachverhalt interpretiert und in den Anwendungsbereich des Prinzips einbezogen. Voraussetzung für beide Formen der Analogie ist das Fehlen eines Analogieverbots. Ein solches kann auch auf europäischer Ebene aus anerkannten Grundsätzen, wie dem Gesetzesvorbehalt oder dem Gebot nulla poena sine lege, folgen. Für die SE-VO ist jedoch allein die Frage interessant, ob sich aus der Generalverweisung auf das nationale Recht in Art. 9 Abs. 1 SE-VO bzw. aus den zahlreichen Spezialverweisungen ein Analogieverbot ergibt. 2. Art. 9 Abs. 1 SE-VO als Analogieverbot? Der Einleitungssatz zu Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO könnte die Schlußfolgerung nahelegen, daß jede Form der Lückenfüllung durch Analogieschluß zugunsten des nachrangig anwendbaren nationalen Rechts zu unterbleiben habe. Hierfür könnte man auch ins Feld führen, daß allgemeine Grundsätze, auf denen das Statut beruht, anders als noch im Entwurf aus dem Jahre 1989, nicht mehr als Rechtsquelle in Art. 9 SE-VO genannt sind. Eine derartige Sichtweise greift jedoch zu kurz. Es ist zum einen bereits bei der teleologischen Auslegung der Verordnung darauf hingewiesen worden, daß deren Ziel auch die Schaffung einer funktionsfähigen, supranationalen Rechtsform ist. Diese Intention ist bei der Auslegung des Art. 9 SE-VO als möglichem Analogieverbot zu berücksichtigen. Die Funktionsfähigkeit des SE-Statuts wird aber nur dann beeinträchtigt, wenn Lücken innerhalb des Statuts überhaupt nicht oder nur mittels solcher Methoden geschlossen werden können, die für den Rechtsanwender mit einer Rechtsunsicherheit verbunden sind. Für die Reichweite des Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO als Analogieverbot ist deshalb zum einen danach zu differenzieren, ob die Analogie durch die entsprechende Anwendung einer anderen Vorschrift innerhalb des Statuts oder durch eine Prinzipienbildung erfolgen soll, zum anderen danach, ob die SE-VO zu dem lückenhaften Komplex überhaupt schon detaillierte Regelungen enthält. Was zunächst die Gewinnung von Rechtssätzen durch die Bildung allgemeiner Grundsätze des europäischen Gesellschaftsrechts anbelangt, so ist festzuhalten, daß dem Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO entgegensteht. Dies gilt 38 Als Beispiele mögen EuGH Slg. 1979, 461 - Hoffmann La Roche und EuGH Slg. 1989, 2859 - Höchst dienen; eingehende Darstellung bei Völter (Fn 16) S. 113 ff; Anweiler (Fn 20) S. 333 ff; ferner Schuhe ZEuP 1993, 442, 454ff. 39 Langenbucher (Fn 36) S. 79 unter Hinweis auf entsprechende Vorbilder im angelsächsischen Rechtskreis.

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Matthias Casper

sowohl für die G e w i n n u n g allgemeiner Rechtsprinzipien aus einem Vergleich nationaler Rechtsordnungen, wie auch für die Bildung von allgemeinen Prinzipien aus dem europäischen Sekundärrecht. Ein derartiges Analogieverbot ergibt sich außer aus einer historischen Exegese vor allem aus dem soeben genannten Aspekt der Rechtssicherheit. Jeder Prinzipienbildung ist ein expansiver Charakter zu eigen, 4 0 der mit einer Ungewißheit für die Rechtsanwendung verbunden ist. 41 Beiden Tendenzen steht Art. 9 S E - V O entgegen. A n dieser Stelle muß es mit der politisch gewollten Nationalisierung der S E sein Bewenden haben. M ö g l i c h ist deshalb allein eine regelgeleitete Analogie in solchen Bereichen, in denen die S E bereits Regelungen enthält. Soweit die S E vollständig auf Regelungen in einem bestimmten K o m p l e x verzichtet, oder wie bei den Vorschriften über die Organe nur rudimentäre Vorgaben enthält, fehlt es für eine regelgeleitete Analogie infolge der Auffangregelung in Art. 9 Abs. 1 S E - V O an einer planwidrigen Regelungslücke. D e n k b a r ist eine Analogie deshalb in erster Linie bei den detaillierten Gründungsvorschriften. Beispiele sind sogleich nach den Analogievoraussetzungen aufzuzeigen.

3.

Analogievoraussetzungen D i e Voraussetzungen für eine Analogie im europäischen Verordnungs-

recht sind mit denen in Deutschland vergleichbar. 4 2 Es bedarf neben einer planwidrigen Regelungslücke einer Vergleichbarkeit des geregelten mit dem ungeregelten Sachverhalt. Das Vorliegen einer L ü c k e setzt zunächst voraus, daß eine offene Frage nicht im Wege der Auslegung geklärt werden kann. Will man ζ. B . prüfen, o b nach Art. 20 Abs. 1 S E - V O ebenso wie nach Art. 32 Abs. 2 S. 1 S E - V O ein von beiden Gründungsgesellschaften gleichlautender Gründungsplan aufgestellt werden muß, so ergibt sich bereits aus einer Wortlautauslegung und einem systematischen Vergleich zu Art. 2 6 Abs. 3 S E - V O , daß auch bei der Gründung durch Verschmelzung ein einheitlicher Gründungsplan vorzulegen ist. Stößt man auf eine Lücke, so k o m m t der Planwidrigkeit eine besondere Bedeutung zu. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Art. 9 Abs. 1 S E - V O einer Planwidrigkeit nicht a priori entgegensteht. Voraussetzung ist zunächst, daß ein Bereich zumindest teilweise in der S E - V O geregelt ist, anderenfalls liegt von vornherein eine 40

S. 95.

Vgl. dazu Langenbucher

Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996,

41 Dies gilt zumindest solange, wie die Ausdehnung des Prinzips auf bisher nicht geregelte Sachverhalte noch nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestätigt worden ist. 42 Vgl. die abstrakte Formulierung in der Rechtssache Krohn: EuGH Slg. 1985, 3397, 4019: Lücke, Analogieverbot, Vergleichbarkeit; ähnlich die späteren Entscheidungen EuGH Slg. 1986,3477, 3510f-Klensch-, EuGH Slg. 1992 I, 4785, 4 8 3 2 i - A E B .

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

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gewollte L ü c k e vor. O b in einem teilweise geregelten Sachverhalt eine Planwidrigkeit der L ü c k e bejaht werden kann, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei ist maßgeblich danach zu fragen, ob der

europäische

Gesetzgeber den in Rede stehenden K o m p l e x abschließend auf europäischer E b e n e regeln wollte. Dagegen spricht vor allem das Vorhandensein einer Verweisung mit Auffangcharakter, wie in Art. 5 oder Art. 15 Abs. 1 S E - V O . Eine planwidrige Regelungslücke liegt erst recht dann vor, wenn das nationale R e c h t für bestimmte SE-spezifische Fragestellungen, wie etwa für die H o l ding-Gründung, keine Regelungen bereitstellt. Bei der Vergleichbarkeit der Sachverhalte ist maßgeblich danach zu fragen, o b Sinn und Z w e c k der vorhandenen Regelung auch in dem lückenhaften Bereich Sinn macht. Insoweit kann auf die allgemeinen Kriterien zurückgegriffen werden. 4 3 Letztlich bleibt n o c h zu klären, o b zur Ausfüllung einer L ü c k e im S E Statut auch das europäische Sekundärrecht im Wege des Analogieschlusses herangezogen

werden

kann.

Einem

derartigen

Vorgehen

steht

jedoch

grundsätzlich Art. 9 Abs. 1 S E - V O entgegen. Ausweislich der Erwägungsgründe wurde nur deshalb eine großzügige Verweisung ins nationale R e c h t in Erwägung gezogen, da dieses in Teilen bereits harmonisiert ist. Das europäische Sekundärrecht soll also über das harmonisierte nationale R e c h t und nicht im Wege eines europarechtlichen Analogieschlusses zur Anwendung k o m m e n . H i n z u k o m m t , daß auch der E u G H in seiner bisherigen R e c h t sprechung eine analoge Anwendung von Richtlinienvorschriften abgelehnt hat, da diese noch einer näheren Ausgestaltung durch den zur U m s e t z u n g berufenen nationalen Gesetzgeber bedürfen. Es fehlt also bereits wegen der unterschiedlichen Adressatenkreise von Richtlinie und Verordnung an einer Vergleichbarkeit. E i n e Analogie z u m europäischen Sekundärrecht ist deshalb nur dann möglich, wenn die S E - V O selbst in einem vergleichbaren Z u sammenhang auf eine der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien verweist, wie dies etwa in Artt. 17, 18 S E - V O der Fall ist. Das Instrument der teleologischen Reduktion ist - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung des E u G H bisher nicht aufgetaucht. Akzeptiert man jedoch einen regelgeleiteten Analogieschluß innerhalb des SE-Statuts, so spricht nichts gegen die Möglichkeit, eine zu weit greifende N o r m entsprechend zu reduzieren, da es sich bei der teleologischen Reduktion u m eine umgekehrte Analogie handelt. In beiden Fällen soll dem Gleichbehandlungsgrundsatz R e c h n u n g getragen werden. Beispielsfälle sind bisher aber noch nicht aufgetaucht.

43

Vgl. dazu für das deutsche Recht etwa Larenz Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 381 f.

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4. Ausgewählte

Anwendungsbeispiele

im Bereich der

Holdinggründung

Bedarf für eine Analogie wird nach dem bisherigen Diskussionsstand in erster Linie bei der Holdinggründung gesehen. So ist vorgeschlagen worden, Art. 25 Abs. 3 SE-VO auf die Holdinggründung analog anzuwenden.44 Danach kann ein Ausschluß des deutschen Spruchstellenverfahrens zur Verbesserung des Umtauschverhältnisses bei einer SE-Gründung durch Verschmelzung erreicht werden. Hintergrund ist die Überlegung, daß es nicht angängig ist, wenn nur den Gesellschaftern einer der an der Gründung beteiligten Gesellschaften die Möglichkeit eröffnet wird, die Barabfindung oder das Umtauschverhältnis noch nachträglich zu ihren Gunsten zu revidieren. Da auch bei der Holdinggründung vorab ein einheitliches Umtauschverhältnis festgelegt wird, besteht wie bei der Gründung durch Verschmelzung ein vergleichbares Bedürfnis, ein nur in einer nationalen Rechtsordnung vorhandenes Rechtsmittel zur Revision des Umtauschverhältnisses ausschließen zu können.45 Für eine Planwidrigkeit der Regelungslücke spricht, daß Art. 25 Abs. 3 SE-VO erst in der letzten Version des SE-Statuts eingefügt worden ist und deshalb das Erfordernis nach einer vergleichbaren Regelung bei der Holdinggründung übersehen worden ist.46 Nach Art. 18 bzw. Art. 37 Abs. 7 SE-VO bestimmt sich die Mehrheit, mit der die Hauptversammlung einer SE-Gründung durch Verschmelzung oder Umwandlung zustimmen muß, nach den entsprechend Art. 7 der Verschmelzungsrichtlinie harmonisierten nationalen Vorschriften. Erforderlich ist somit mindestens eine 2/3-Mehrheit, sofern nicht der Mitgliedsstaat eine höhere Mehrheit vorschreibt. § 65 des deutschen UmwG etwa sieht eine 3/4-Mehrheit vor. Demgegenüber fehlt eine derartige Verweisung für die Holdinggründung. Art. 32 Abs. 6 SE-VO spricht lediglich davon, daß die Hauptversammlungen der an der Gründung beteiligten Gesellschaften zustimmen müssen. Bleibe man hierbei stehen, so würde die einfache Mehrheit genügen, sofern sich nicht aus dem über Art. 15 Abs. 1 SE-VO bei der Gründung sekundär anwendbaren nationalen Recht eine andere Mehrheit ergibt. Es ist vorgeschlagen worden, Art. 18 SE-VO auf die Holdinggründung analog anzuwenden, da es sich bei dem dort fehlenden Verweis um ein Redaktionsversehen handele.47 Dem kann man zwar nicht Art. 15 Abs. 1 SEV O entgegenhalten, wonach für alle Gründungsfragen das nationale Recht

Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 437. Es steht zu erwarten, daß der deutsche Gesetzgeber von der in Art. 34 SE-VO vorgesehenen Ermächtigung Gebrauch machen wird und die Vorschriften über die Kontrolle des Umtauschverhältnisses und das Spruchstellenverfahren auch auf die Gründung einer SE als Holding ausdehnen wird. 46 So zutreffend Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 437. 47 Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 435. 44

45

D e r Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

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hilfsweise heranzuziehen ist.48 Gegen eine Analogie spricht aber sowohl das Fehlen einer Regelungslücke, als auch die erforderliche Vergleichbarkeit. Einer Lücke steht die in Art. 34 SE-VO enthaltene Ermächtigung an den nationalen Gesetzgeber entgegen, über die Vorgaben im SE-Statut hinausgehende Vorschriften zum Schutz der Minderheitsgesellschafter zu erlassen. Hinzu kommt, daß in Art. 31 Abs. 3 S. 2 des Entwurfes von 1991 noch ausdrücklich eine Inbezugnahme des Art. 7 der Verschmelzungsrichtlinie auch bei der Holdinggründung vorgesehen war. Für das Vorliegen eines Redaktionsversehens sind wegen der unterschiedlichen Sachverhalte keine Anhaltspunkte ersichtlich. 49 Gegen die erforderliche Vergleichbarkeit spricht folgender Aspekt: Beschließt die Mehrheit der Aktionäre eine Verschmelzung, so können sich die dissentierenden Gesellschafter dieser nicht entziehen. Bei einer Holdinggründung sind die Minderheitsgesellschafter hingegen nach Art. 33 SE-VO nicht verpflichtet, ihre Aktien in die neue Holding einzubringen. Sie können außenstehende Gesellschafter an der nun abhängigen nationalen Gesellschaft bleiben. Die in den nationalen Gesellschaftsrechten existierenden, wenn auch stark divergierenden Schutzinstrumente gegen eine beginnende Konzernierung müssen genügen, 50 da der europäische Gesetzgeber diesen Komplex ausweislich der Erwägungsgründe nicht regeln wollte. Eine ernste Gefahr droht den sich nicht am Umtausch ihrer Anteile beteiligenden Aktionären nur dann, wenn die künftige nationale Untergesellschaft nach Gründung der Holding zu einem Squeeze-Out berechtigt ist. Aber dann greifen wiederum nationale Schutzvorschriften und Rechtsschutzmöglichkeiten ein,51 so daß auch unter diesem Gesichtspunkt keine Analogie gerechtfertigt ist. Etwas anderes gilt aber für die Frage, ob und in welcher Frist der Gründungsplan und der Sachverständigenbericht, der auch bei einer HoldingGründung zu erstellen ist, den Aktionären zugänglich zu machen ist. Während bei der Gründung durch Verschmelzung über Art. 18 SE-VO das nach Art. 11 Abs. 1 der Verschmelzungsrichtlinie harmonisierte nationale Recht zur Anwendung gelangt, ist die Frage für die Holdinggründung mangels Verweisung ungeregelt. Hier spricht einiges für das Vorliegen einer Regelungslücke. Auch läßt sich insoweit nicht die unterschiedliche Struktur zwischen Holdinggründung und Verschmelzung anführen. Es liegt in beiden

48

Art. 15 Abs. 1 SE-VO stellt ebensowenig wie Art. 9 SE-VO ein Analogieverbot dar, s. bereits oben IV 2, 3. 49 Dafür aber Ch. Teichmann Z G R 2002, 383, 435; wie hier tendenziell auch Thoma/ Lettering N J W 2002, 1449, 1453. 50 Zur entsprechenden Diskussion in Deutschland vgl. etwa Kraft in: Lutter (Hrsg.), Holding-Handbuch, 3. Aufl. 1998, Rn. Β llOf; Thoma/Leuering NJW 2002, 1449, 1453, jew. m w N . 51 In Deutschland §§ 327b, 327c Abs. 2 und 3, 327f AktG.

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Fällen nahe, daß der Gründungsplan und der Bericht den Aktionären rechtzeitig vor der Hauptversammlung zugänglich gemacht werden muß. Dies spricht für eine analoge Anwendung des Art. 18 S E - V O . 5 2 Artt. 9 , 1 5 Abs. 1, 34 S E - V O stehen diesem Ergebnis nicht entgegen, da im nationalen R e c h t insoweit keine Vorgaben enthalten sind.

5.

Zwischenfazit D i e bisherigen Beispiele zeigen, daß eine regelgeleitete Analogie zwar

nicht aus methodischen Gründen von vornherein ausscheidet, ihr A n w e n dungsbereich aber begrenzt ist. Abgesehen von solchen Fallgestaltungen, in denen das nationale R e c h t zur Lückenfüllung nicht geeignet ist, lassen sich die meisten L ü c k e n im SE-Statut nur durch einen Rückgriff auf das nationale R e c h t lösen. B e v o r die hiermit zusammenhängenden Fragestellungen erörtert werden, soll zuvor aber noch gefragt werden, o b der Analogie unter dem Gesichtspunkt des Umgehungsverbots eine größere Bedeutung zukommt.

V. Umgehungsverbot In der deutschen Methodenlehre hat sich in neuerer Zeit zu R e c h t die Erkenntnis durchgesetzt, daß es eines eigenständigen Rechtsinstituts der Gesetzesumgehung nicht bedarf. Vielmehr läßt sich im Zivilrecht der Gefahr einer Gesetzesumgehung durch eine extensive teleologische Auslegung oder einen Analogieschluß begegnen. 5 3 F ü r das europäische Recht läßt sich bisher weder feststellen, daß sich bereits eine eigenständige Lehre von der Gesetzesumgehung etabliert hätte, 5 4 noch daß dafür kein Bedarf bestehe. Insbesondere aus verbraucherschützenden Richtlinien ist aber die Tendenz bekannt, ausdrückliche Umgehungsverbote in das jeweilige Sekundärrecht aufzunehmen. Derartige Regelungen fehlen in der S E - V O , o b w o h l sich dort Schutzvorschriften zugunsten von Gläubigern und Minderheitsgesellschaftern finden. T r o t z der bestehenden Unsicherheit über eine europarechtliche Lehre von der Gesetzesumgehung läßt sich für das SE-Statut festhalten, daß

Ähnlich Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 434 f mit Fn 195. Vgl. grundlegend A. Teichmann Die Gesetzesumgehung, 1962, S. 15ff, 67ff, 78ff; ebenso Ulmer in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 9. Aufl. 2001, § 7 Rn 4; dies bestätigend Sieker Umgehungsgeschäfte, 2001, S. 8 ff; im Grundsatz (nur Frage der Gesetzesauslegung) auch Flume Allgemeiner Teil - Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, § 17, 5, S. 350f; Medicas Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1997, Rn 660f; für ein eigenständiges Bedürfnis einer Lehre von der Gesetzesumgehung aber Mayer-Maly/Armbrüster in: MünchKomm. z. BGB, 4. Aufl. 2001, § 134 Rn 11 ff. 54 Ebenso Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 438f. 52

53

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

63

bei Anerkennung einer regelgeleiteten Analogie und der starken Betonung der teleologischen Auslegung in der Rechtsprechung des EuGH kein Bedarf für ein eigenständiges Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung besteht. Dies soll anhand der nachfolgenden Problematik verdeutlicht werden. Wird eine SE durch Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1, A r n . 17 ff SE-VO) gegründet, so sind zahlreiche Instrumente zum Schutz der Minderheitsaktionäre wie die Erstellung und Prüfung eines Verschmelzungsplanes und die Zustimmung der Hauptversammlung vorgesehen. Wer dieses Verfahren scheut, 55 kann statt dessen zunächst eine Tochter-SE gründen und sodann das wesentliche Vermögen der nationalen Mutter im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf die Tochter-SE übertragen. Denn nach Art. 36 SE-VO richtet sich die Tochtergründung allein nach den Schutzvorschriften des nationalen Rechts. In Deutschland läßt sich über die Anwendung der HolzmüllerGrundsätze oder eine Ausstrahlungswirkung des U m w G ein vergleichbares Schutzniveau erzielen. 56 In anderen Mitgliedsstaaten sind derartige nationale Schutzinstrumente, die über Art. 36 SE-VO als Auffanglösung herangezogen werden könnten, jedoch nicht vorhanden. Insoweit besteht also eine Umgehungsmöglichkeit. Einer Analogie der Verfahrensvorschriften nach Artt. 17 ff SE-VO scheint auf den ersten Blick die Tatsache entgegenzustehen, daß die Gründung einer Tochtergesellschaft im SE-Statut nur kursorisch geregelt ist und im übrigen mittels Spezialverweisung in Art. 36 SE-VO auf das nationale Recht verwiesen wird. Andererseits steht hier die Verweisung ins nationale Recht der Annahme einer Regelungslücke wegen der klaren Umgehungskonstellation nicht zwingend entgegen. Fraglich ist allerdings, ob hier eine analoge Anwendung der europarechtlichen Gründungsvorschriften auf den nationalen Sachverhalt der Einzelrechtsübertragung in Betracht kommt. Dies ist jedoch von daher unbedenklich, als die Schutzvorschriften in der SE-VO bei der Gründung ebenfalls noch nationale Gesellschaften verpflichten. Soweit die gestufte Gründung einer Tochtergesellschaft mit anschließender Übertragung der wesentlichen Vermögensgegenstände von der Mutter auf die SE-Tochter zur Umgehung der Verschmelzungsvorschriften geeignet ist, läßt sich dem also mit einer analogen Anwendung des Art. 17 Abs. 2 S. 1 SE-VO begegnen. Andererseits führt nicht jede Umgehungskonstellation zu einer Analogie, wie sich am nachfolgenden Beispiel verdeutlichen läßt: Erfolgt die Gründung einer SE durch Umwandlung einer nationalen AG in eine Tochter-SE oder

55 Vergleichbare Schutzvorschriften finden sich bei der Holdinggründung und der Gründung durch Umwandlung. 56 Vgl. dazu etwa Reichert in: Habersack/Koch/Winter (Hrsg.), Die Spaltung im neuen Umwandlungsrecht und ihre Rechtsfolgen, 1999, S. 25, 38ff; Dietz Die Ausgliederung nach dem UmwG und nach „Holzmüller", 2000, S. 241 ff sowie R. Leinekugel Die Ausstrahlungswirkungen des Umwandlungsgesetzes, 2000, passim, jew. mwN.

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wird eine H o l d i n g - S E gegründet, so bestimmt Art. 2 Abs. 2 bis 4 S E - V O , daß die jeweils erforderliche Mehrstaatlichkeit seit mindestens zwei Jahren bestehen muß. Demgegenüber ist bei der Gründung durch Verschmelzung eine derartige Zweijahresfrist in Art. 2 Abs. 1 S E - V O nicht vorgesehen. Dies macht auf den ersten B l i c k Sinn, da die beiden an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger zwingend in zwei verschiedenen Mitgliedsstaaten ihren Sitz haben müssen. D a es aber nach Art. 31 Abs. 1 S E - V O zulässig ist, mittels einer Verschmelzung durch Aufnahme eine 100 % i g e Tochtergesellschaft auf die M u t t e r zu verschmelzen, 5 7 die dann von einer nationalen A G zur S E wird, kann sich eine Umgehungssituation ergeben. 5 8 Sofern eine Tochtergesellschaft n o c h keine zwei J a h r e lang in einem anderen Mitgliedsstaat besteht, ist es möglich, mittels einer erst wenige Tage vor der Verschmelzung gegründeten ausländischen Tochtergesellschaft, die bisher keine ernsthafte Geschäftstätigkeit entfaltet hat, 5 9 eine Gründung durch Verschmelzung zu wählen, o b w o h l der Sache nach eine Gründung durch Umwandlung gewollt ist. U n t e r dem Gesichtspunkt der U m g e h u n g liegt es auf den ersten Blick nahe, Art. 2 Abs. 4 S E - V O hinsichtlich der Zweijahresfrist analog anzuwenden. Dagegen spricht allerdings das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. 6 0 A u f die Umgehungsmöglichkeit der Zweijahresfrist ist bereits in Stellungnahmen zu früheren Entwürfen hingewiesen worden. 6 1 Ferner ist hervorzuheben, daß es sich bei der Mehrstaatlichkeit u m ein formales Kriterium handelt, das keinen Gläubiger- oder Minderheitenschutz entfaltet. Seit der Relativierung der Mehrstaatlichkeit im E n t w u r f von 1991 durch Gleichstellung einer seit zwei Jahren bestehenden ausländischen Tochtergesellschaft mit zwei unabhängigen U n t e r n e h m e n in zwei verschiedenen staaten, ist die Berechtigung dieses Erfordernisses

ohnehin

Mitgliedszweifelhaft

geworden. Dies zeigt sich auch daran, daß es nach Gründung der S E unschädlich ist, wenn nunmehr alle Gesellschafter im Domizilstaat ansässig sind und die S E allein dort ihre Geschäftstätigkeit entfaltet. F ü r einen auf Umgehungsgesichtspunkte

gestützten

Analogieschluß

ist

deshalb

kein

Raum.

Schwer verständlich das ablehnende Petitum von Hirte NZG 2002,1, 3. Darauf weist Hirte NZG 2002, 1, 3 zu Recht hin, ebenso Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 412. 59 Nicht zu vertiefen ist hier die Frage, ob die Tochtergesellschaft in den Fällen der Art. 2 Abs. 2 bis 4 SE-VO einen nennenswerten Geschäftsumfang entfalten muß, um eine hinreichende Mehrstaatlichkeit bejahen zu können. 60 Im Ergebnis ebenso Ch. Teichmann ZGR 2002,383, 412f. 61 Abeltshauser EWS 1991, 58, 61; Hommelhoff AG 1990, 422, 423; Kallmeyer AG 1990, 103, 106; Trojan-Limmer RIW 1991,1010,1013. 57

58

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

65

VI. Die Reichweite der Verweisung in Art. 9 Abs. 1 lit. b und c S E - V O Bei Art. 9 Abs. 1 SE-VO handelt es sich nicht um eine Verweisung im Sinne des Internationalen Privatrechts.62 Vielmehr stellt die Vorschrift eine Form der Lückenfüllung dar, mit der der europäische Gesetzgeber auf seine Rechtssetzungskompetenz teilweise verzichtet. Das zur Ausfüllung der Lücken herangezogene Recht bleibt nationales Recht. 63 Bei der in Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO enthaltenen Verweisung handelt es sich um eine sog. dynamische Verweisung.64 Es wird also das nationale Recht in seiner jeweils gültigen Fassung angewandt. Im folgenden soll die Tragweite dieses europäischen Rechtsanwendungsbefehls, dem für die praktische Rechtsanwendung entscheidende Bedeutung zukommt, näher untersucht werden.65 Dabei sind zunächst Anwendungsbereich und Tatbestand des Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO und sodann die Reichweite der Verweisung ins nationale Recht zu untersuchen. Abschließend ist noch kurz der Umfang der in Art. 9 Abs. 1 lit. b SEV O kodifizierten Satzungsstrenge zu analysieren. Buchstabe a dieser Vorschrift bedarf keiner Vertiefung, da dem dort geregelten Vorrang des SE-Statuts nur klarstellende Bedeutung zukommt. 1. Anwendungsbereich und Tatbestand des Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO Die Anwendung des Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO setzt dreierlei voraus: Zum einen muß der Anwendungsbereich der SE-VO eröffnet sein. Zweitens darf als negatives Kriterium keine Spezialverweisung vorliegen, die einen Rückgriff auf die Generalverweisung in Art. 9 Abs. 1 SE-VO ausschließt. Drittens darf im SE-Statut keine abschließende Regelung enthalten sein. a) Sachlicher Anwendungsbereich Voraussetzung für das Eingreifen der Generalverweisung ist zunächst, daß die zu regelnde Fragestellung überhaupt in den potentiellen Anwendungsbereich des SE-Statuts fällt. Bei dessen Bestimmung ist danach zu fragen, was der europäische Gesetzgeber mittels eines Vollstatuts hätte regeln können. Innerhalb dieses potentiellen Anwendungsbereichs des SE-Statuts bewirkt

Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 396. So zutreffend etwa Leupold (Fn 12) S. 21; a.A. Grote (Fn 12) S. 52 f. 64 Brandt/Scheifele DStR 2002, 547, 553; allg. dazu Karpen Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 66 f, auch zu verfassungsrechtlichen Aspekten. Ob sich eine vergleichbare Problematik (Umgehung des Parlamentsvorbehalts) auch auf europäischer Ebene stellt, kann hier nicht problematisiert werden. 65 Art. 10 SE-VO, wonach die SE wie eine nationale AG des jeweiligen Sitzstaates zu behandeln ist, kommt demgegenüber nur klarstellende Bedeutung zu. 62

63

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Art. 9 Abs. 1 lit. c S E - V O , daß unmittelbar auf das nationale Recht des Sitzstaats zurückgegriffen werden kann, ohne daß das anwendbare R e c h t zunächst über die Grundsätze des internationalen Privatrechts zu bestimmen ist. 6 6 Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Begeht eine in Deutschland ansässige S E in Frankreich einen Wettbewerbsverstoß, der sich in erster Linie in Spanien auswirkt, so findet nicht etwa über Art. 9 Abs. 1 lit. c S E - V O deutsches Wettbewerbsrecht Anwendung, sondern es ist mittels des internationalen Wettbewerbsrechts zu bestimmen, ob spanisches oder französisches Wettbewerbsrecht Platz greift, da der Anwendungsbereich des SE-Statuts nicht tangiert ist. G e h t es hingegen um den Rechtsschutz von Minderheitsaktionären gegen gesetzes- oder satzungswidriges Verhalten, so bedarf es keines

Rückgriffs

auf den innerhalb der Mitgliedsstaaten

umstrittenen

Anknüpfungspunkt im internationalen Gesellschaftsrecht (Sitz- oder G r ü n dungstheorie), sondern das anwendbare Recht bestimmt sich unmittelbar nach Art. 9 Abs. 1 lit. c S E - V O . 6 7 Will man nun den potentiellen A n w e n dungsbereich des SE-Statuts bestimmen, so liegt es zunächst auf der Hand, daß alle klassischen gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen in den A n w e n dungsbereich des Art. 9 Abs. 1 lit. c S E - V O fallen. 6 8 Auszuscheiden haben dagegen Rechtsmaterien ohne gesellschaftsrechtlichen Bezug. D e r 20. Erwägungsgrund nennt beispielhaft das Steuerrecht, das Wettbewerbsrecht, den gewerblichen Rechtsschutz und das Insolvenzrecht. H i e r z u wird man auch das H a n d e l s - 6 9 und das Kapitalmarktrecht 7 0 zu rechnen haben. A u c h soweit es eines Rückgriffs auf die Regeln des internationalen Privatrechts bedarf, sind Schwierigkeiten bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts regel-

66 Es handelt sich bei Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO um eine reine Sachnorm- und nicht um eine Gesamtnormverweisung, d.h. das nationale Kollisionsrecht ist nicht mit in Bezug genommen, sondern soll vielmehr übergangen werden, vgl. Schwarz (Fn 20) Rn 1110; Brandt/Scheifele DStR 2002, 547, 549, 553; aA wohl Ch. Teichmann ZGR 2002, 383, 397f. 67 Selbst wenn man Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO als Gesamtnormverweisung qualifizieren würde, mit der Folge, daß zunächst auf das internationale Gesellschaftsrecht des Domizilstaates zurückzugreifen wäre, käme man wegen des in Art. 7 Abs. 1 SE-VO angeordneten Gleichlaufs von Satzungssitz und Sitz der Hauptverwaltung ebenfalls stets zur Anwendung des Rechts des Domizilstaates. 68 Ahnlich bereits v. Caemmerer in: FS Kronstein, 1967, S. 171, 195; Lindacher (Fn 12) S. 5 ff; Grote (Fn 12) S. 104 ff; großzügiger - allerdings ohne subsumierbares Ergebnis Brandt/Scheifele DStR 2002, 547, 550f. 69 Eine Ausnahme gilt allerdings für das in Art. 11 SE-VO ansatzweise kodifizierte Firmenrecht; zur Verzahnung mit dem nationalen Handelsrecht vgl. bereits Ulmer (Fn 5) S. 268. 70 Die in Art. 5 SE-VO enthaltene Spezialverweisung bezieht nur das nationale Wertpapierrecht mit in den Anwendungsbereich der SE-VO ein. Der Handel mit Aktien einer SE an der Börse unterliegt allein dem nationalen Kapitalmarktrecht, ohne daß es hierfür eines Rückgriffs auf Art. 9 Abs. 1 SE-VO bedürfte. Bei einem Listing an mehreren Börsen ist folglich das jeweilige nationale Kapitalmarktrecht kumulativ einzuhalten.

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mäßig nicht zu befürchten. Einen Grenzfall stellt das Konzernrecht dar. Insoweit stellt allerdings der 15. Erwägungsgrund klar, daß sich das anwendbare Recht nach dem für das beherrschte Unternehmen geltenden internationalen Privatrecht bestimmt, woraus man die Schlußfolgerung ziehen kann, daß das Konzernrecht bereits nicht mehr zum Anwendungsbereich des SEStatuts zählt. 71 b) Negatives Tatbestandsmerkmal: Kein Vorliegen einer Spezialverweisung Der Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO ist geringer, als er auf den ersten Blick erscheint, da innerhalb des Statuts zahlreiche Spezialverweisungen auf das Recht des Domizilstaates existieren, die der Generalverweisung im Wege der Spezialität vorgehen. 72 Vereinfachend läßt sich festhalten, daß Art. 9 SE-VO vor allem dann zur Anwendung kommt, wenn das SE-Statut gar keine Regelungen enthält. Als Beispiele für die Vorrangwirkung von Spezialverweisungen mögen Art. 5 und Art. 15 Abs. 1 sowie der bereits dargestellte Art. 18 SE-VO dienen. Für das gesamte Recht der Kapitalaufbringung und -erhaltung verweist Art. 5 SE-VO auf das nationale Recht des Sitzstaates. Ebenso verfährt Art. 15 Abs. 1 SE-VO, wonach auf den Gründungsvorgang vorbehaltlich der im Statut enthaltenen Regelungen das Recht des Sitzstaates Anwendung findet. Obwohl das SE-Statut auch die Gründung der SE erfaßt, bestimmt sich die Ausfüllung von Lücken 73 folglich nicht nach Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO, sondern allein nach Art. 15 Abs. 1 SE-VO. c) Positives Tatbestandsmerkmal: Keine abschließende Regelung im SE-Statut Schließlich findet Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO nur dann Anwendung, wenn das Statut keine abschließende Regelung enthält. Möglich bleibt der Rückgriff auf das nationale Recht aber auch, soweit das Statut eine Materie nur teilweise regelt. O b eine abschließende oder eine nur teilweise Regelung vorliegt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei ist danach zu fragen, ob die zusätzliche Anwendung des nationalen Rechts neben der europäischen Regelung praktikabel ist. Wenn zum Beispiel Artt. 20 ff SE-VO von einem

71

A.A. zur vergleichbaren Regelung im Entwurf von 1991 aber Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht, 1999, Rn 402; eingehend zur Konzernproblematik Maul Oie faktisch abhängige SE (Societas Europaea) im Schnittpunkt zwischen deutschem und europäischem Recht, 1998; Buchheim Europäische Aktiengesellschaft und grenzüberschreitende Verschmelzung, 2001. 72 Brandt/Scheifele DStR 2002, 547, 553. 73 Zur Frage, ob es eine rechtsfähige Vor-SE gibt, vgl. Kersting DB 2001, 2078, 2081 ff einerseits und Hirte N Z G 2002, 1,4 andererseits.

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Matthias Casper

Verschmelzungsplan sprechen, stellt dies eine abschließende Regelung dar. Ein Rückgriff auf die im Umwandlungsrecht enthaltenen Regelungen über Verschmelzungsverträge scheidet aus.74 Eine abschließende Regelung fehlt aber dann, wenn das SE-Statut den nationalen Gesetzgeber wie in Art. 34 SEVO ermächtigt, weitere Schutzvorschriften zugunsten von Minderheitsaktionären oder Gläubigern zu erlassen, oder wenn feststeht, daß sich die festgestellte Lücke durch Analogie innerhalb des SE-Statuts schließen läßt. 2. Tragweite der Verweisung ins nationale

Recht

Auf der Rechtsfolgenseite der durch Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO ausgelösten Verweisung stellt sich zum einen die Frage, ob auch ungeschriebene, von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsgrundsätze erfaßt sind. Zum anderen ist zu überlegen, ob bei der Auslegung der in Bezug genommenen nationalen Vorschriften ihre Funktion als europäische Ersatzregelung besonders zu berücksichtigen ist. Entsprechendes gilt für die zahlreichen Spezialverweisungen. a) Einbeziehung ungeschriebener Rechtsgrundsätze Man könnte mit Blick auf den Aspekt der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit meinen, daß Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO allein auf das geschriebene Recht verweist, da nur dieses den ausländischen Geschäftspartnern oder Minderheitsaktionären einer SE ohne Schwierigkeiten zugänglich ist. Auch die Formulierung „Rechtsvorschriften" in lit. c iii) könnte eine derartige enge Auslegung nahelegen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß zumindest nach kontinentaleuropäischem Verständnis auch richterliche Rechtsfortbildung, erst recht aber im Wege der Auslegung und Analogie gewonnene Rechtssätze noch zur Rechtsanwendung zählen und nicht eine eigene Rechtsquelle bilden. Dafür, daß die Generalverweisung und die zahlreichen Spezialverweisungen sich auch auf die von der Rechtsprechung vorgenommene Rechtsfortbildung erstrecken, spricht auch eine systematische Auslegung. So verwenden einige Spezialverweisungen wie etwa Art. 15 Abs. 1 SE-VO den Ausdruck „Anwendung des geltenden Rechts für Aktiengesellschaften". Eine unterschiedliche Tragweite der Verweisung in Art. 15 SE-VO gegenüber derjenigen der Artt. 5, 9, 18 SE-VO ist jedoch wenig naheliegend. 75 Dieses weite Ergebnis folgt auch aus einer teleologischen Auslegung. Der europä-

74 So zutreffend Ch. Teichmann Z G R 2002, 3 8 3 , 4 2 0 f mit Hinweis auf praktische Unterschiede. 75 Ebenso Hirte N Z G 2002, 1, 2; Ch. Teichmann Z G R 2002, 383, 397; Brandt/Scheifele DStR 2002, 547, 553; Leupold (Fn 12) S. 21; Grote (Fn 12) S. 43; offenlassend aber Schulz/Geismar DStR 2001, 1078, 1079; Ulmer F.A.Z. v. 2 1 . 3 . 2 0 0 1 , S. 30.

Der Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

69

ische Gesetzgeber hat sich bewußt für eine lückenhafte Regelung des Rechts der S E ausgesprochen. M i t der Generalverweisung will er sicherstellen, daß ein vollständiges Aktienrecht zur Verfügung steht, damit sich die S E in allen Rechtsfragen

als funktionsfähig

erweist.

In

den

zum

angelsächsischen

Rechtskreis zählenden Mitgliedsstaaten, in denen die Rechtsfortbildung eine erheblich größere Rolle spielt, würden sich anderenfalls erhebliche Lücken ergeben. E b e n s o erstreckt sich die Verweisung ins nationale R e c h t auch auf die dort entwickelten Auslegungsmethoden. Dafür spricht auch, daß anderenfalls den nationalen Gerichten ein Teil ihrer K o m p e t e n z entzogen würde. D e n n die zur Lückenfüllung herangezogenen Vorschriften bleiben nationales R e c h t und unterliegen somit der Auslegung durch die nationalen Gerichte und nicht durch den E u G H . F ü r die in Deutschland ansässige S E bedeutet dieses weite Verständnis des Art. 9 Abs. 1 lit. c S E - V O , daß ζ. B . auch die Holzmüller-Grundsätze oder die Lehre von der verdeckten Sacheinlage zur Anwendung k o m m e n . Handelt es sich bei dem in B e z u g genommenen nationalen R e c h t um harmonisiertes R e c h t , so kann es eine Rückkoppelung ins europäische Recht geben, indem bei der nationalen N o r m zu prüfen ist, o b sie richtlinienk o n f o r m umgesetzt worden ist bzw. o b die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, wie die Lehre von der verdeckten Sacheinlage, mit dem europäischen Sekundärrecht kompatibel sind. Besonderheiten daraus, daß der nationalen N o r m hier eine Hilfsfunktion für das Europarecht z u k o m m t , ergeben sich nicht. N u r innerhalb dieser Rückkoppelung ist der E u G H an der Auslegung des zur Lückenfüllung herangezogenen nationalen Rechts beteiligt. Soweit nicht harmonisiertes R e c h t als europäisches Ersatzrecht eingesetzt wird, obliegt dessen Auslegung allein den nationalen Gerichten. b) Auslegung des in B e z u g genommenen nationalen Rechts I m Grundsatz kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Auslegung des zur Lückenfüllung herangezogenen nationalen Rechts nach der jeweils dort entwickelten M e t h o d i k vorzunehmen ist. Es stellt sich allerdings die Frage, o b bei Zweifelsfragen eine europafreundliche Auslegung im Geiste des Statuts erforderlich ist. So wäre es etwa denkbar, unter mehreren Auslegungsalternativen diejenige zu wählen, die der Rechtslage in anderen Mitgliedsstaaten entspricht, u m so zu einer stärkeren Einheitlichkeit des Rechts der europäischen Aktiengesellschaft beizutragen. Ein Beispiel mag diese Fragestellung verdeutlichen: Bei der Auslegung des § 2 4 2 A k t G ist umstritten, ob diese Vorschrift eine materielle Heilungswirkung entfaltet oder nur eine Verfristung der Nichtigkeitsklage bewirkt. 7 6 A u ß e r in Osterreich (§ 196 ö A k t G ) 76 Vgl. eingehend zum Streitstand Hüffer in: MünchKomm. z. AktG, 2001, § 242 Rn 19f; Casper Heilung nichtiger Beschlüsse, 1998, S. 140ff: die h.M. geht zu Recht von einer materiell-rechtlichen Wirkung aus.

70

Matthias Casper

ist eine derartige materielle Heilungswirkung in den meisten anderen Rechtsordnungen der E G unbekannt. M i t B l i c k auf eine größere Rechtseinheit könnte man deshalb fordern, bei § 242 A k t G , soweit er zur Ausfüllung des nicht geregelten Beschlußmängelrechts

der S E herangezogen wird,

die

weniger weitgehende Auslegungsalternative zu berücksichtigen, da sie der Rechtslage in den anderen Mitgliedsstaaten näher käme. Einer derartigen gespaltenen Auslegung des nationalen Rechts, je nach dem, o b es auf eine nationale oder eine europäische Aktiengesellschaft Anwendung findet, ist jedoch nachhaltig zu widersprechen. Ein derartiges Vorgehen würde zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen. So müßte der nationale Rechtsanwender überlegen, o b die S E - k o n f o r m e Auslegungsalternative, wenn schon nicht stets überzeugend, so doch noch tolerabel ist. M i t der Verweisung in Art. 9 Abs. 1 lit. c S E - V O soll vielmehr das nationale Aktienrecht vollumfänglich in seiner jeweiligen Interpretation durch Rechtsprechung und Wissenschaft herangezogen werden. F ü r eine SE-spezifische

Auslegung

ist deshalb nur dort Raum, w o spezielle nationale Vorschriften - wie in einem zu erwartenden SE-Ausführungsgesetz - nur für die S E erlassen worden sind. c) Auslegung und Lückenfüllung der Satzung Was die Auslegung der Satzung der jeweiligen S E anbelangt, so könnte man aus der zweifachen Kompetenzzuweisung an den Satzungsgeber in Art. 9 Abs. 1 lit. b und lit. c iii) S E - V O auf den ersten Blick schlußfolgern, daß die Satzung auf der einen Seite mittels einer europarechtlichen Methodik, auf der anderen Seite mit den im nationalen R e c h t entwickelten Mitteln auszulegen ist, je nach dem, ob die konkrete Satzungsbestimmung von der europäischen oder der nationalen Ermächtigung G e b r a u c h macht. D e m ist jedoch Dreierlei entgegenzuhalten. Z u m einen fehlt es an einer europäischen M e t h o d i k zur Auslegung von Satzungen supranationaler

Rechtsformen.

Z u m anderen wäre eine gespaltene Auslegungsmethodik der Rechtssicherheit abträglich und zum dritten ergibt sich aus Art. 9 Abs. 1 lit. c S E - V O , daß die Methode zur Auslegung der Satzung dem Gesellschaftsrecht des jeweiligen Domizilstaates zugewiesen ist. D i e Auslegung der Satzung der S E und die Ausfüllung darin enthaltener Lücken richtet sich also allein nach nationalem Recht. 7 7

77 Zum deutschen Recht vgl. etwa Hachenburg/Ulmer GmbHG, 8. Aufl. 1989, § 2 Rn 142 ff; K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997, § 5 I 4, S. 93 ff, 99.

D e r Lückenschluß im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft

3. Umfang der Satzungsstrenge

71

nach Art. 9 Abs. 1 lit. b SE-VO

Der Satzung wird nur dort Gestaltungsspielraum zuerkannt, w o die Verordnung dies ausdrücklich zuläßt. Damit ist die Frage aufgeworfen, 7 8 ob die Satzung auch ergänzende Bestimmungen festlegen kann, wenn die SE-VO keine abschließende Regelung enthält, wie dies für das deutsche Aktienrecht in § 23 Abs. 5 S. 2 A k t G zugelassen wird. Eine derartige Kompetenzzuweisung läßt sich dem Statut aus zwei Gründen nicht entnehmen. Z u m einen ist die Formulierung in Art. 9 Abs. 1 lit. b SE-VO rigider als diejenige in § 23 Abs. 5 S. 1 AktG. Nach der europäischen Bestimmung ist dem Satzungsgeber die Regelungskompetenz grundsätzlich entzogen und quasi an einen Erlaubnisvorbehalt geknüpft. 7 9 Dieser wird aber auf europäischer Ebene nicht erteilt, sondern von einer Regelung im nationalen Recht abhängig gemacht. Es ist weiterhin zu berücksichtigen, daß das SE-Statut in weiten Teilen bewußt lückenhaft ist, da sich die Mitgliedsstaaten nicht einigen konnten. Die Ausfüllung dieser bewußten Regelungslücken ist durch Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO zunächst dem nationalen Recht und nicht dem Satzungsgeber zugewiesen. Folglich kann der Satzungsgeber erst dann tätig werden, wenn das nationale Recht ihm eine Regelungskompetenz zuweist, wie sich explizit aus Art. 9 Abs. 1 lit. c iii) SE-VO ergibt. 80 Für die in Deutschland ansässige SE bedeutet dies, daß nach § 23 Abs. 5 S. 2 A k t G ergänzende Regelungen nur dann möglich sind, wenn auch der deutsche Gesetzgeber nicht abschließend tätig geworden ist. Würde der deutsche Gesetzgeber beispielsweise das monistische Verwaltungssystem, das die SE schon aufgrund der Kompetenzzuweisung in Art. 38 lit. b SE-VO wählen kann, nicht weiter ausgestalten, 81 so könnte der Satzungsgeber die hierzu notwendigen Regelungen selbst treffen. 82

VII. Fazit Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, daß ein Regelungstorso wie das SE-Statut mit einer Lückenfüllung durch das nationale Recht zu einer in der praktischen Rechtsanwendung handhabbaren Größe

78

Offenlassend Hommelhoff A G 2001, 279, 287. Schwarz Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn 1096. 80 Eine Ausnahme bildet Art. 55 Abs. 1, 2. HS SE-VO. U m Kollisionen zu vermeiden, wird man davon ausgehen müssen, daß auch die Satzung keinen niedrigeren Prozentsatz für die Einberufung der Hauptversammlung durch eine Minderheit wie im nationalen Recht des Sitzstaates festsetzen darf. 81 Wozu man ihm allerdings nicht raten kann; vgl. näher zu verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten durch den Gesetzgeber Ch. Teichmann Z G R 2002, 383, 444 ff. 82 Bungen/Beter EWS 2002, 1,3. 79

72

Matthias Casper

wird.83 Damit bestätigt sich die Prophezeiung Ulmers aus dem Jahre 1972, wonach eine Verzahnung mit dem nationalen Recht selbst bei einer weitgehend europäischen Regelung unumgänglich ist. 84 Die methodenrechtlichen Konsequenzen aus den vielfachen Rückkoppelungen ins nationale Recht und der damit verbundenen normativen Gemengelage sind bei einem Rumpfstatut jedoch erheblich problematischer und bieten ein Eldorado für die Methodenlehre. Die hier vorgenommenen Überlegungen zur Methodik der Lückenfüllung im SE-Statut konnten nur ein erster Schritt auf dem erforderlichen Weg zu einer noch ausstehenden Methodenlehre des europäischen Gesellschaftsrechts sein.

83 Ob die SE auch ein Erfolg wird, wird sich erst ab Oktober 2004 sagen lassen, wenn die ersten europäischen Aktiengesellschaften gegründet werden können; abstrakter Vergleich zu bisherigen Formen von cross-border-mergers bei BungertlBeier EWS 2002, 1, 8 ff. 84 Ulmer (Fn 5) S. 267ff.

§ 130 HGB: Weitere Rechtsfortbildung im Recht der BGB-Gesellschaft? BARBARA

DAUNER-LIEB

Das seit langem heftig und kontrovers diskutierte, im Münchener Kommentar 1 glanzvoll dokumentierte Recht der Β GB-Gesellschaft ist bekanntlich durch zwei, sich ergänzende Grundsatzentscheidungen des B G H rechtsfortbildend wesentlich weiterentwickelt worden: 2 Sowohl der Übergang von der Doppelverpflichtungs- zur Akzessorietätstheorie und die damit verbundene grundsätzliche Unzulässigkeit von statutarischen Haftungsbeschränkungen zugunsten der Gesellschafter (entsprechend § 128 HGB) als auch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft (entsprechend § 124 HGB) bilden Marksteine der Fortbildung des Personengesellschaftsrechts. Schon die neueste problematische Entscheidung des B G H vom 21.01.2002 3 zeigt freilich, daß ein Abschluß der Entwicklung noch nicht erreicht ist. Es tauchen vielmehr naheliegender Weise Folgeprobleme auf, die zu der Frage führen, ob die vom B G H begonnene Rechtsfortbildung konsequenterweise noch weitergeführt werden kann oder gar muß, oder ob es an der Zeit ist, erst einmal konsolidierend innezuhalten. Darauf eine generelle Antwort geben zu wollen, wäre sicherlich vermessen. Vielmehr erscheint es notwendig, eventuelle weitere Schritte im Einzelfall besonders sorgfältig auf ihre Erforderlichkeit und Zulässigkeit abzuklopfen.

I. Ein solcher weiterer Schritt der Rechtsfortbildung könnte darin bestehen, nach Anerkennung der Akzessorietätstheorie nunmehr auch die Vorschrift des § 130 HGB, die bekanntlich im Recht der BGB-Gesellschaft kein Pen-

1

MünchKomm-BGB/Ulmer, 1. bis 3. Aufl. 1980 bis 1997. Β GHZ 142, 315 = DStR 1999, 1704 m. Anm. Goette und BGHZ 146, 341 = DStR 2001, 310 m. Anm. Goette-, dazu aus der kaum noch überschaubaren Literatur Dauner-Lieb DStR 1999, 1992; dies. DStR 2001, 356; Habersack BB 2001, 477; Hadding ZGR 2001, 712; Peifer NZG 2001,193,196; Reiff Ve rsR 2001, 515; K. Schmidt NJW 2001, 993; Ulmer ZGR 2000, 339; Η. P. Westermann NZG 2001, 289; Wiedemann JZ 2001, 661. 3 DStR 2002, 816 m. Anm. Goette. 2

74

Barbara Dauner-Lieb

dant hat, auf die (alle?) B G B - G e s e l l s c h a f t e n auszudehnen und damit - dies ist Inhalt und Rechtsfolge dieser Vorschrift - die persönliche unbeschränkte Haftung neu eintretender Gesellschafter auf Altschulden zu erstrecken. D e r Jubilar, dem diese Überlegungen in freundschaftlicher Verbundenheit und tiefer Bewunderung für einen das Gesellschaftsrecht prägenden Wissenschaftler gewidmet sind, hat diese Frage im R a h m e n seiner eindringlichen Analyse der Entscheidung B G H Z 146, 341 aufgegriffen und nachdrücklich mit dem Kernsatz bejaht, § 130 habe sich zu einem zentralen Bestandteil des auf dem Akzessorietätsprinzip beruhenden Haftungsregimes in O H G und K G entwickelt und sei daher auch auf die B G B - G e s e l l s c h a f t zu übertragen. 4 Das O L G H a m m ist dieser Auffassung gefolgt; 5 das O L G Düsseldorf ist ihr entschieden entgegengetreten. 6 Beide Entscheidungen betrafen Freiberuflersozietäten und damit - darauf wird z u r ü c k z u k o m m e n sein - einen K e r n bereich der Weiterentwicklung der B G B - G e s e l l s c h a f t . Eine Entscheidung des B G H liegt derzeit noch nicht vor; in seinen beiden bereits erwähnten Grundsatzentscheidungen wurde insoweit jeder Hinweis geradezu sorgsam vermieden. 7 Bemerkenswert ist, daß es im Fall des O L G H a m m um gesetzliche (Bereicherungs-) Verbindlichkeiten, im Fall des O L G Düsseldorf (und des O L G M ü n c h e n ) dagegen um vertragliche bzw. vertragsähnliche Verbindlichkeiten ging. I m übrigen war im Fall des O L G Düsseldorf letztlich gar nicht über die Anwendbarkeit des § 130 zu entscheiden, da kein Eintritt in eine bereits bestehende Sozietät vorlag; es ging vielmehr um eine N e u g r ü n dung, die in den Anwendungsbereich des § 28 fällt. Allerdings stellen sich dort ähnliche Probleme; außerdem haben die Gründe des O L G Düsseldorf einen gleich näher zu analysierenden Eigenwert. Sehen wir uns den Streitstand genauer an:

II. 1. Das O L G H a m m referiert zunächst zutreffend die bisher herrschende Lehre, die - im Einklang mit der Grundsatzentscheidung B G H Z 74, 2 4 0 8 eine persönliche Haftung des neu eintretenden Gesellschafters für Altver-

4 Ulmer ZIP 2001, 585, 598; zumindest im Ergebnis ebenso Habersack (Fn. 2) S. 482 und K. Schmidt (Fn. 2) S. 999; eher zögernd Hadding (Fn. 2), S. 740; Peifer (Fn. 2), 299; Westermann (Fn. 2) S. 294f.; a. A. Wertenbruch WuB II J. § 705 BGB 1.01, 820; Wiedemann (Fn. 2) S. 664. 5 OLG Hamm ZIP 2002, 527; ähnlich auch schon das OLG München NZG 2000, 477. 6 OLG Düsseldorf ZIP 2002, 619. 7 In der Literatur ist bereits zu recht mehrfach darauf hingewiesen worden, daß der BGH in BGHZ 146, 341, 358 von der akzessorischen Gesellschafterhaftung gemäß „§§ 128f. HGB" (nicht: ff.!) gesprochen hat. 8 Dazu weitere Nachweise bei MünchKomm-BGB/i//mer 3. Aufl. 1997, § 714, Rn. 65.

§ 130 HGB: Weitere Rechtsfortbildung im Recht der BGB-Gesellschaft?

75

bindlichkeiten mit dem Privatvermögen ganz überwiegend ablehnte; trotz auch insoweit fehlender gesetzlicher Regelung wurde im H i n b l i c k auf die sich aus § 736 Z P O

ergebende vollstreckungsrechtliche

Notwendigkeit

lediglich die Haftung mit dem Anteil des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen (was immer darunter zu verstehen sein m a g 9 ) und insoweit die Möglichkeit entsprechend beschränkter Verurteilung bejaht. 1 0 Dieser bisherigen Auffassung stehe, so ausdrücklich das O L G , nunmehr die Änderung der Rechtsprechung des B G H in der Entscheidung B G H Z 146, 341 v o m 2 9 . 1 . 2 0 0 1 entgegen. Aus der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der B G B Gesellschaft und der damit verbundenen gesetzlichen (akzessorischen) H a f tung der Gesellschafter analog § 128 folge ( „ d e m n a c h " 1 1 ) auch die persönliche unbeschränkte Haftung für die vor dem Eintritt eines Gesellschafters bereits begründeten Verbindlichkeiten; für den Ausschluß dieser Haftung sei daher eine besondere Vereinbarung mit dem Gläubiger erforderlich. Dabei stützt sich das O L G vor allem auf die bereits erwähnte Auffassung von Ulmer;12

ergänzt wird diese Argumentation unter Rückgriff auf

Habersack13

damit, daß ein Gesellschaftsgläubiger ohne die Regelung in § 130 damit belastet wäre, die im Zeitpunkt der Begründung seiner Forderung vorhandenen Gesellschafter zu bestimmen, was ihm vielfach kaum oder nur schwer und häufig nur unzuverlässig möglich wäre; er liefe Gefahr, daß der in Anspruch genommene Gesellschafter seine Mitgliedschaft zum fraglichen Zeitpunkt abstreite. 1 4 D u r c h die entsprechende Anwendung des § 130 würden demgegenüber verläßliche Haftungsstrukturen

im Rechtsverkehr

geschaffen;

gerade für die außerhalb des Handelsregisters agierende B G B - G e s e l l s c h a f t k o m m e diesem Aspekt besondere Bedeutung zu. Dies klingt konsequent und eindrucksvoll und ist sicher gut vertretbar. D e n n o c h bleiben Zweifel: 2. D e r erste betrifft bereits die referierte Kernaussage von Ulmer,

§ 130

bilde einen zentralen Bestandteil des auf dem Akzessorietätsprinzip beruhenden Haftungsregimes der Personenhandelsgesellschaften. M a n fragt sich sofort, weshalb sich aus der nunmehrigen Begründung der (grundsätzlich unstreitigen) Mithaftung der Gesellschafter neben der

Gesellschaft

' Die - schillernde - Formulierung erinnert (irreführend) doch wieder an §§ 725 BGB, 135 HGB; gemeint ist die Haftung (nur) mit dem Gesellschaftsvermögen, an dem der Gesellschafter als Gesamthänder beteiligt ist. 10 Der neu eintretende Gesellschafter wird nicht zur Zahlung, sondern zur Duldung der Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen verklagt und verurteilt, so daß sein Privatvermögen nicht tangiert wird; dazu Ulmer AcP 198 (1998), 113, 142f. m. w. N. 11 OLG Hamm (Fn. 5) S. 529 Ii. Sp. o. 12 Ulmer (Fn. 4). 13 Habersack BB 2001,477,482; ders. Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1997, § 180 Rn. 1 ff. 14 OLG Hamm (Fn. 5) S. 529 Ii. Sp. u.

76

Barbara Dauner-Lieb

(§ 128) für die während der Zugehörigkeit des Gesellschafters zur Gesellschaft begründeten Verbindlichkeiten Folgerungen für yl/iverbindlichkeiten ergeben sollen. Dabei dürfte es sich eher um eine selbständige Frage handeln, die daher auch unterschiedlich beantwortet werden kann; für ein notwendigerweise einheitliches Haftungsregime - persönliche unbeschränkte Haftung gleichermaßen in beiden Fällen - gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Dabei spielt m. E. eine entscheidende Rolle, daß es sich im Gegensatz zu § 128, der letztlich nur eine Selbstverständlichkeit ausspricht, bei § 130 im Ergebnis um ein überraschendes Gläubigergeschenk handelt, wird doch die wirtschaftliche Position des Gläubigers, die sich ohnehin schon durch die Einlageleistung des Eintretenden verbessert haben wird, durch die Ermöglichung des Zugriffs auf dessen Privatvermögen auch noch geradezu dramatisch aufgewertet, ohne daß Rechtfertigungen ohne weiteres erkennbar wären. Fraglich ist, ob hier die bereits erwähnte Argumentation von Habersack weiterhelfen kann, der meint, § 130 sei erforderlich, um den Kreis der Haftenden einfach und zuverlässig bestimmen zu können. Daran ist sicherlich so viel richtig, daß sich insoweit auch dem Handelsregister letzte Klarheit nicht entnehmen läßt. 15 Zu bedenken ist aber, daß Beweisschwierigkeiten, die ohnehin zum Risikobereich jedes Gläubigers gehören, im Fall wirklicher Notwendigkeit auch einfacher behoben werden könnten als durch die bequeme Anwendung des § 130; man denke nur an die unproblematische Möglichkeit, dem verklagten Gesellschafter die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß er im Zeitpunkt der Begründung der Forderung des Gläubigers (noch) nicht Gesellschafter gewesen sei. Der außerordentlich scharfen, unterschiedslos selbst dann greifenden Haftungsausweitung auf das Privatvermögen des Eintretenden, wenn Unklarheiten überhaupt nicht bestehen, bedarf es dafür nicht. Schon von daher begegnet die Auffassung des O L G Hamm erheblichen Bedenken. 3. Das O L G begründet die Auffassung, daß § 130 zum Grundmodell der Haftung in Personenhandelsgesellschaften gehöre und daher Geltung auch gegenüber der BGB-Gesellschaft beanspruche, in Anlehnung an Timm16 allerdings auch noch mit dem Hinweis auf die mit § 130 übereinstimmenden Regelungen in Art. 24 Abs. 1 E W I V - V O sowie in § 8 Abs. 1 S. 2 PartGG. 1 7 Dieser Hinweis ist also solcher natürlich nicht zu bestreiten; die zitierten Regelungen existieren in der Tat mit den angegebenen Rechtsfolgen. Fraglich ist jedoch ihr Stellenwert, gibt doch die Tatsache, daß in anderen Gesellschaftsformen als der BGB-Gesellschaft § 130 oder ähnliches gilt, nichts dafür her, ob dies auch bei der (fortentwickelten) BGB-Gesellschaft so sein

15 16 17

Habersack Großkommentar (Fn. 13) Rn. 2. Timm NJW 1995, 3209, 3216. O L G Hamm (Fn. 5) S. 529 re. Sp.

§ 130 H G B : Weitere Rechtsfortbildung im Recht der BGB-Gesellschaft?

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muß: Zwar vollzieht sich derzeit zweifellos eine erhebliche Annäherung der BGB-Gesellschaft an die O H G ; Identität besteht aber deswegen noch lange nicht. Dazu kommt, daß das Gesetz in gewissem Umfang (§ 105 Abs. 2 HGB!) von Wahlmöglichkeiten der Gesellschafter ausgeht, die überflüssig wären, wenn Normen, deren Geltung durch Rechtswahl herbeigeführt werden kann, bereits kraft entsprechender Analogie ohnehin gelten würden. Insofern führt auch der Begründungsansatz von Timm nicht recht weiter.

III. 1. Die Waagschale scheint sich daher zugunsten der entgegengesetzten Auffassung des O L G Düsseldorf 18 zu neigen. Sieht man sich dessen Entscheidung genauer an, begegnet freilich auch sie Zweifeln: Das O L G meint zunächst in etwas gewundener, nicht ganz leicht nachvollziehbarer Argumentation, (auch) die akzessorische Haftung setze Vertretungsmacht des handelnden Gesellschafters für die dadurch mitverpflichteten Gesellschafter voraus und daran fehle es notwendigerweise bei einem Gesellschafter, der im Zeitpunkt der Anspruchsbegründung (beim O L G Düsseldorf ging es um vertragliche Ansprüche) noch gar nicht Gesellschafter gewesen sei.19 Dies ist ebenso richtig wie banal, betrifft aber lediglich § 128, für den die Beschränkung auf die Verpflichtung der vorhandenen Gesellschafter selbstverständlich ist. Für eine Haftungsausdehnung kraft Gesetzes, wie sie § 130 bewirken würde, läßt sich daraus aber nichts entnehmen. Dem O L G könnte allerdings dann zugestimmt werden, wenn es - ganz im Sinne des gegen das O L G Hamm bereits Ausgeführten - daraus hinauswollte, daß sich aus der akzessorischen Haftung gemäß § 128 keine zwingenden Schlußfolgerungen für die Geltung auch des § 130 ableiten lassen; insoweit handelt es sich, wie bereits ausgeführt, in der Tat um je selbständige Fragen. 2. Schweres Geschütz fährt das O L G dann allerdings mit dem Argument auf, die Ausdehnung des § 130 auf BGB-Gesellschaften würde die unzulässige rückwirkende Änderung einer gefestigten Rechtsprechung zur BGBGesellschaft darstellen.20 Dies ist deswegen ein heikler Punkt, weil der B G H in seiner neuesten (freilich außerordentlich zweifelhaften, wenn nicht im Gesamtsystem der bisherigen Entscheidungen widersprüchlichen) Urteil vom 21.1.2002 2 1 ähnliche Skrupel angedeutet hat.22 Es ist auch ohne weiteres

18 19 20 21 22

OLG OLG OLG BGH BGH

Düsseldorf (Fn. 6). Düsseldorf (Fn. 6) S. 618 re. Sp. Düsseldorf (Fn. 6) S. 619 Ii. Sp. D S t R 2002, 816. (Fn. 21) S. 818 Ii. Sp. o.

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Barbara Dauner-Lieb

einzuräumen, daß die (nur schwer zu bewältigende) R ü c k w i r k u n g von Rechtsfortbildung 2 3 ein ungelöstes P r o b l e m darstellt, 2 4 das per se zur Vorsicht bei Rechtsfortbildungen allen Anlaß gibt. 2 5 Das Gericht trennt aber nicht ausreichend zwischen der Problematik der Zulässigkeit der Rechtsfortbildung als solcher und der Anschlußfrage ihrer (eventuellen) Rückwirkung. Beides ist jedoch streng zu unterscheiden: Zunächst geht es u m die vorrangige Frage, o b die beabsichtigte Rechtsfortbildung überhaupt zulässig ist. Insoweit ist auf der Basis der beiden Grundlagenentscheidungen des B G H die Frage zu stellen, o b ihre Komplettierung durch entsprechende A n w e n dung auch des § 130 unter Berücksichtigung der dafür maßgeblichen methodischen Kriterien wirklich erforderlich ist. Erst dann stellt sich die R ü c k wirkungsfrage. Sie wäre für die vorangehende Zulässigkeitsproblematik nur dann relevant, wenn die R ü c k w i r k u n g unvermeidbar wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall: So schwer es auch sein mag, die R ü c k w i r k u n g rechtssicher zu begrenzen, ist dies doch möglich; auch der B G H hat dies in seiner neuesten Entscheidung v o m 2 1 . 1 . 2 0 0 2 2 6 (partiell) anerkannt und vollzogen.

Wenn

- dies ist nach wie vor offen - die entsprechende Anwendung auch des § 130 für das Haftungssystem der B G B - G e s e l l s c h a f t unverzichtbar sein sollte, käme dem Rückwirkungseinwand daher keine eigenständige Bedeutung zu. 3. Etwas gewichtiger ist der auch in der Literatur 2 7 mehrfach artikulierte Gedanke, § 130 sei als handelsrechtliche Sondervorschrift zu verstehen, die sich nicht verallgemeinern lasse. 28 A b e r auch dieser Gedanke trägt deswegen nicht allzu weit, weil er zum einen die ratio der Vorschrift auch nur im Handelsrecht nicht zu erklären vermag, und weil zum anderen nicht deutlich genug wird, ob die insoweit zu beobachtende weitreichende Annäherung der B G B - G e s e l l s c h a f t an die O H G nicht letztlich zur ebenso weitgehenden A u f hebung der Abgrenzung zwischen B G B - G e s e l l s c h a f t einerseits und Personenhandelsgesellschaften andererseits führt, die damit ihre Bedeutung und Rechtfertigung verlieren könnte. N u r am Rande gestreift werden soll der auf Jauernig29

zurückgehende Einwand, wenn der B G H seine bisherige R e c h t -

sprechung - keine persönliche H a f t u n g des Eintretenden bei der B G B Gesellschaft 3 0 - habe aufgeben wollen, hätte er den G r o ß e n Senat anrufen

Vgl. dazu aber beispielhaft BGHZ 62, 216. Vgl. dazu Lieb Festschrift H. F. Gaul, 1997, 381 ff. 25 Daß diese Vorsicht bei so mancher Rechtsfortbildung der Vergangenheit sträflich außer acht gelassen wurde, dürfte kaum bestreitbar sein; um so größere Aufmerksamkeit ist heute geboten. 26 BGH DStR 2002, 816. 27 Ζ. B. von Wiedemann JZ 2001, 661, 664. 28 OLG Düsseldorf (Fn. 6) S. 619 Ii. Sp. o. 29 Jauernig NJW 2001, 2231. 30 Nachweise oben in Fn. 8. 23

24

§ 130 H G B : Weitere Rechtsfortbildung im Recht der BGB-Gesellschaft?

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müssen; denn die Zahl der Fälle, in denen - aus welchen Gründen auch immer - der Große Senat nicht angerufen, Rechtsänderungen (Rechtsfortbildungen) aber dennoch vollzogen wurden, ist allzu groß. Möglicherweise wird dieser Einwand aber dann doch eine Rolle spielen, wenn der B G H einmal über die entsprechende Anwendung des § 130 auf die fortentwickelte BGB-Gesellschaft sollte entscheiden müssen. Der bekannte horror pieni könnte dann in der Tat zur Verweigerung weiterer Rechtsfortbildung beitragen.

IV. 1. Die bisherigen Ausführungen haben erkennen lassen, daß weder dem pro (Hamm) noch dem contra (Düsseldorf) durchschlagendes Gewicht beizumessen ist. Die Entscheidung der Streitfrage muß daher genereller angelegt werden: Die Anerkennung von Rechtsfähigkeit und akzessorischer Haftung und damit die entsprechende Anwendung der §§ 124 Abs. 1 (und jetzt auch Abs. 2), 128 sind Teil einer sukzessiven Annäherung der BGB-Gesellschaft an die O H G , die vor allem auf Gläubigerschutzaspekten und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit einer entsprechenden einheitlichen Haftungsverfassung beruht. 31 Triebfeder war dabei die vom Gesetzgeber verkannte Tatsache, daß gläubigergefährdende Risiken notwendigerweise mit jedem unternehmerischen Handeln verbunden 32 und daher entsprechende Vorkehrungen letztlich bei jedem gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluß ohne Kapitalsicherung und damit auch bei der BGB-Gesellschaft jedenfalls dann auf diese Frage wird noch zurückzukommen sein - erforderlich sind,33 wenn es sich um eine sog. unternehmenstragende BGB-Gesellschaft handelt. Als problematisch, wenn nicht überholt erweist sich unter diesem Aspekt ganz generell die (historisch überkommene) Zweiteilung zwischen (handels-) gewerblicher und sonstiger unternehmerischer Tätigkeit, auf der auch die Unterscheidung zwischen Handelsgesellschaften und BGB-Gesellschaften (u. a.) beruht. So gesehen ist die Annäherung der rechtlichen Ausgestaltung der BGB-Gesellschaft an die O H G auf Uberwindung dieser Zweiteilung angelegt, wobei die Tragweite einer solchen Entwicklung dadurch noch

31

Zum Grundsatz der unbeschränkten Vermögenshaftung siehe nur B G H DStR 1999, 1704, 1705; dazu bereits Dauner-Lieb Unternehmen in Sondervermögen, 1998, S. 30ff. 32 Zur haftungsrechtlichen Eigenart unternehmerischer Betätigung Dauner-Lieb (Fn. 31) S. 20 ff.; das typische unternehmerische Risiko besteht im Kern darin, daß die angebotene Ware oder Dienstleistung vom Markt überhaupt nicht oder jedenfalls nicht zu mindestens kostendeckenden Preisen angenommen wird und infolgedessen die Erträge die Aufwendungen nicht decken. 33 Dauner-Lieb (Fn. 31) S. 520 ff., 553 ff.

80

Barbara Dauner-Lieb

wesentlich größer wird, daß angesichts der Einbeziehung gerade auch von Freiberuflersozietäten auch noch die überkommene und bis heute grundsätzlich beibehaltene Differenzierung zwischen Gewerbe und freiem Beruf tendenziell überwunden wird; denn nichts anderes als eine (bisher noch) punktuelle Unterstellung gemeinschaftlicher Ausübung freier Berufe unter ein handelsrechtliches Regime stellt die Anwendung der §§ 124,128 auch auf Freiberuflersozietäten dar. Aufschlußreicherweise betreffen ja beide O L G Entscheidungen Freiberufler. Damit geht diese Rechtsfortbildung letztlich weit über das bisherige Konzept des Gesetzgebers hinaus, der den Freiberuflern - unter grundsätzlicher Beibehaltung ihrer Sonderstellung - durch das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz die (ungeliebte und daher von den beteiligten Verkehrskreisen kaum angenommene) Partnerschaft zur Verfügung gestellt und damit eine Wahlmöglichkeit eröffnet hat, die durch die ganz anders motivierte Annäherung der BGB-Gesellschaft an die O H G möglicherweise in gewissem Sinn konterkariert wird. Ahnliches gilt für die durch die HGB-Reform eröffnete Wahlmöglichkeit zwischen BGB-Gesellschaften und O H G / K G gemäß § 105 Abs. 2: Auch sie verliert durch die Fortentwicklung der BGB-Gesellschaft jedenfalls für den Übergang von der BGB-Gesellschaft zur O H G an Sinn. 2. Diese, in dem hier zur Verfügung stehenden Rahmen nur angedeuteten allgemeineren Überlegungen lassen erkennen, daß es sich bei der Übertragung der §§ 124,128 H G B auf die BGB-Gesellschaft nur um ein Teilstück, einen Ausschnitt, aus denkbarer weiterer Rechtsfortbildung handelt. Damit könnten Bedenken gegen die entsprechende Anwendung auch noch des § 130 abgeschwächt werden; der Ausbau der Haftungsverfassung der BGB-Gesellschaft brauchte - ganz im Sinne von UlmerM - durch Übernahme des Gesamtkonzepts der §§ 128 ff., also einschließlich des § 130, nur noch abgerundet zu werden. Andererseits wäre - dies zu erkennen ist von großer Wichtigkeit - der Rechtfortbildungsprozeß damit aber noch immer nicht abgeschlossen. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang vielmehr an die heute merkwürdigerweise etwas in Vergessenheit geratenen weiterreichenden Reformvorschläge von Karsten Schmidt zur Neuregelung des Rechts der (unternehmenstragenden) BGB-Gesellschaft. 35 Sie zeigen, daß es mit der entsprechenden Anwendung der §§ 124,128 H G B allein nicht getan ist, sondern daß sich weitere drängende Fragen stellen. Genannt seien beispielhaft nur die sich aus Publizitätsgründen de lege ferenda ergebende Erforderlichkeit der Handelsregistereintragung auch der unternehmenstragenden BGB-Gesell-

34

Ulmer {Fn. 4). K. Schmidt in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Hrsg. vom Bundesminister der Justiz, Band III, 1983, 413 ff.; dazu kritisch und weiterführend Ulmer Z G R 1984,313. 35

§ 130 HGB: Weitere Rechtsfortbildung im Recht der BGB-Gesellschaft?

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schaft sowie die Frage nach der entsprechenden Anwendung auch des § 126 Abs. 2 HGB. Bereits diese Hinweise dürften für die Erkenntnis genügen, daß die Tendenz der Annäherung der (unternehmenstragenden) BGB-Gesellschaft an die O H G noch viele weitere, ganz grundsätzliche Fragen aufwirft, die alle sukzessive im Wege einer immer weiter vorangetriebenen Rechtsfortbildung zu beantworten, schwerlich angeht, zumal es sich dabei nicht nur um dogmatische Fragen handelt, die noch zur rechtsfortbildenden Kompetenz des Richters gehören könnten, sondern auch um dogmatisch nicht determinierte, rechtspolitische Fragen, die allein in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallen. Dazu dürfte auch und gerade § 130 gehören, dessen Tendenz zu überschießendem Gläubigerschutz bedenklich und daher zumindest überprüfungsbedürftig ist. Primär gefordert ist daher der Gesetzgeber, dem nicht allzu schnell rechtsfortbildend vorgegriffen werden sollte. 3. Versucht man, diesen kurzen methodischen Ausflug zusammenzufassen, so ergibt sich daraus das Postulat, die Rechtsfortbildung im Bereich des BGB-Gesellschaftsrechts nicht um geradezu jeden Preis weiter voranzutreiben, sondern auf unabdingbare Notwendigkeiten zu beschränken, deren Einbeziehung zwingend in der Konsequenz der bisherigen Entwicklung liegt. Diesen Kriterien vermag § 130 nicht zu genügen; seine eigene ratio ist zu diffus, um ohne weiteres auf die BGB-Gesellschaft übertragen werden zu können; seine Beschränkung auf die O H G bzw. (§ 173 HGB!) generell auf Personenhandelsgesellschaften bringt kaum Widersprüche im Vergleich zum neuen Haftungsregime der BGB-Gesellschaft mit sich und ist daher erträglich.

V. 1. Bei den Überlegungen zur eventuellen weiteren rechtsfortbildenden Haftungsausdehnung entsprechend § 130 kann nicht außer acht gelassen werden, daß der B G H in seiner bereits mehrfach gestreiften neuesten Entscheidung vom 21.1.2002 36 merkwürdigerweise plötzlich wieder restriktive Tendenzen hat erkennen lassen. Soweit es dabei um Rückwirkung und deren Zulässigkeit geht, ist dazu schon Stellung genommen worden. Darüber hinaus hat die Entscheidung für geschlossene Immobilienfonds als Ausnahme von den in B G H Z 142, 315 und 146, 341 aufgestellten Regeln aber eine Haftungsprivilegierung auch für zukünftig rechtsgeschäftlich neu begründete Verbindlichkeiten zugelassen. Dies entspricht einer Andeutung von Ulmer,37 die hier nicht vertieft werden kann. Solche Ausnahmen (wenn sie sich denn

36 37

BGH DStR 2002, 816. Ulmer (Fn. 4) S. 597 f. zu Fn. 114.

82

Barbara Dauner-Lieb

stringent begründen lassen sollten) werfen aber die Zusatzfrage auf, o b sie als Einstieg in die Differenzierung zwischen unternehmenstragenden und nicht unternehmenstragenden B G B - G e s e l l s c h a f t e n verstanden werden k ö n n e n / sollen. Eine solche Differenzierung würde bekanntlich erhebliche Schwierigkeiten bereiten und ist daher sehr umstritten. 3 8 Als Beispiel diene die Z u o r d nung von B G B - G e s e l l s c h a f t e n , die nicht auf D a u e r angelegt, sondern ausschließlich projektbezogen sind. Sie werden offenbar von einigen den nicht unternehmenstragenden Gesellschaften zugeordnet. 3 9 Dies überzeugt nicht, da damit eine Unterscheidung benutzt wird, die die Abgrenzung zwischen G e w e r b e und Handelsgewerbe betrifft 4 0 und damit für Differenzierungen zwischen verschiedenen Arten von B G B - G e s e l l s c h a f t e n nichts taugt. U n t e r dem Aspekt unternehmerischen Risikos läßt sich ein Unterschied ohnehin nicht feststellen, so daß der Begriff der unternehmenstragenden B G B - G e s e l l schaft auch von Betätigungen erfüllt sein kann, die nicht auf D a u e r angelegt sind. U n t e r diesem Aspekt lassen sich auch Ausnahmen für Immobilienfonds 4 1 (und - ebenfalls häufig genannt - Bauherrengemeinschaften 4 2 ) kaum begründen, da auch dort beträchtliche, gläubigergefährdende Risiken bestehen können, die die bisherige und erst recht die zukünftige Haftungsprivilegierung zweifelhaft erscheinen lassen. Ein wirklich tragfähiges Differenzierungskriterium (jenseits bloß ideeller Zwecksetzung) ist bisher offenbar noch nicht entdeckt worden. Allerdings ist grundsätzlich ohnehin nach wie vor zweifelhaft, ob es der Unterscheidung zwischen unternehmenstragenden und nicht unternehmenstragenden Gesellschaften überhaupt bedarf. Dafür wird vor allem immer wieder vorgebracht, daß insbesondere die neue, rechtsfortbildend entwickelte strenge Haftungsverfassung der B G B - G e s e l l s c h a f t auf Gesellschaften, die keine unternehmerischen Ziele verfolgten,

nicht

passe. 4 3 Dieses Postulat ist freilich bis heute nicht wirklich überzeugend begründet worden. 4 4 Sollte im übrigen - so das zentrale Begründungselement der Rechtsverkehr in diesen Fällen tatsächlich nicht von einer persönlichen Haftung der Gesellschafter ausgehen, dann spricht ja auch nichts dagegen, am Erfordernis einer vertraglichen Haftungsbeschränkung festzuhalten, wird sich doch dann der Vertragspartner darauf ohne weiteres einlassen. 4 5 Vor diesem Hintergrund erscheint die schwierige Unterscheidung zwischen unter-

38 Vgl. dazu nur K. Schmidt (Fn. 34) S. 501 ff.; Ulmer (Fn. 34) S. 323 ff.; ders. (Fn. 4) S. 592 ff.; Habersack (Fn. 13) S. 478 f.; Reiff NZG 2000, 281, 283 ff. 39 Ζ. B. von Habersack (Fn. 38). 4 0 Vgl. dazu nur MünchKomm-BGB/£//tfjer (Fn. 8) Rn. 30 (Arbeitsgemeinschaften) und 36 (Konsortien) vor § 705. 41 Dazu B G H (Fn. 21). 42 Siehe etwa Ulmer (Fn. 4) S. 598, Fn. 114. 43 Siehe nur Ulmer Z G R 2000, 339, 343 f. 44 Vgl. dazu etwa Dauner-Lieb DStR 2001, 356, 360f. 45 Siehe dazu Dauner-Lieb DStR 2001, 356, 361.

§ 130 H G B : Weitere Rechtsfortbildung im Recht der BGB-Gesellschaft?

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nehmenstragenden und nichtunternehmenstragenden BGB-Gesellschaften daher nicht als drängend. 2. Die Entscheidung des O L G Hamm berührt noch ein Problem, das zunehmend in die Diskussion geraten ist, nämlich die Frage, ob die persönliche Haftung mit dem Privatvermögen gemäß §§ 128,130 H G B auf vertraglich begründete Verbindlichkeiten begrenzt werden kann (wie dies der B G H für § 176 H G B versucht hat 46 ) oder aber auch gesetzliche, insbesondere deliktische Verbindlichkeiten umfaßt. Letzteres war bisher ganz herrschende Meinung, 47 wird neuerdings aber zunehmend zumindest teilweise in Frage gestellt. Dies beruht wahrscheinlich auf dem auch insoweit haftungsverschärfenden Ubergang von der bisher herrschenden Doppelverpflichtungstheorie, die aufgrund ihres konstruktiven Ansatzes eine Gesellschafterhaftung für gesetzliche Verbindlichkeiten nicht zu begründen vermochte, zur akzessorischen Haftung, die nach bisherigem Verständnis sämtliche Verbindlichkeiten, unabhängig von der jeweiligen Anspruchsgrundlage, umfaßt. Dazu kann hier nicht im einzelnen Stellung genommen werden. Wohl aber sei der Hinweis erlaubt, daß eine einheitliche Entscheidung bezüglich aller Arten von gesetzlichen Verbindlichkeiten gesellschaftsrechtlich nicht zwingend ist, so daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen zu werden braucht, nach Art der jeweiligen gesetzlichen Verbindlichkeit zu differenzieren. 48 Dies ist etwa der Ansatzpunkt derjenigen, die mangels Schutzbedürfnis die Haftung für deliktisch begründete Verbindlichkeiten aus §§ 128, 130 H G B herausnehmen wollen. 49 Für (vertragsnahe) Bereicherungsansprüche 50 sind solche Einschränkungen bisher allerdings zu recht nicht gefordert worden, so daß der Entscheidung des O L G Hamm 5 1 insoweit zugestimmt werden kann. 3. Die Entscheidung des O L G Düsseldorf 52 berührt insofern noch eine weitere, hochinteressante Frage, als es, wie bereits erwähnt, bei genauerem Zusehen gar nicht um einen Fall des § 130, sondern um einen solchen des § 28

4t

B G H N J W 1982, 883. Dazu nur Ulmer (Fn. 4) S. 597 m.w.N. 48 Die Sach- und Rechtslage hat sich insoweit nur umgekehrt: Während unter dem Regiment der Doppelverpflichtungstheorie versucht wurde, wenigstens einige gesetzliche Verbindlichkeiten, wie etwa Bereicherungsansprüche, in die Haftung einzubeziehen, geht es nunmehr darum, ob die im Ansatz umfassende akzessorische Haftung in bezug auf bestimmte Verbindlichkeiten eingeschränkt werden kann; zum früheren Rechtszustand Ulmer (Fn. 4) S. 597 zu Fn. 109. 49 Siehe zur Haftung für deliktische Verbindlichkeiten Altmeppen N J W 1996, 1017 sowie die Andeutung von Ulmer zu Gefährdungshaftungstatbeständen (Fn. 4) S. 597 zu Fn. 110. 50 Dazu MünchKomm-BGB/Ulmer (Fn. 8) § 714 Rn. 54ff. 51 O L G H a m m (Fn. 5). 52 O L G Düsseldorf (Fn. 6). 47

84

Barbara Dauner-Lieb

HGB ging: 53 Zu entscheiden war über die Altschuldenhaftung bei Neugründung, nicht bei Eintritt eines Gesellschafters in eine bereits bestehende Gesellschaft. Das OLG verneinte sie lapidar mit dem Hinweis darauf, daß § 28 tatbestandsmäßig nur dann erfüllt sei, wenn es sich um das Geschäft eines Einzelkaufmanns handele; davon könne bei Freiberuflern, die noch nicht einmal ein Gewerbe, geschweige denn ein Handelsgewerbe betrieben, keine Rede sein. Dies ist ebenso richtig wie voreilig, da es - ebenso wie bei § 130 - nicht um die unmittelbare, sondern nur um die entsprechende Anwendung des § 28 geht. Wenn - so könnte man argumentieren - die analoge Anwendung des § 130 auch auf (selbst Freiberufler-) Sozietäten möglich sein sollte, kann für § 28 schwerlich anderes gelten; eine Differenzierung zwischen gewerblich und freiberuflich tätigen BGB-Gesellschaften ist jedenfalls bei der entsprechenden Anwendung der §§ 124,128 (130) nicht erörtert worden; bei § 28 anders zu entscheiden, geht schwerlich an. Im übrigen hat das OLG aber nicht berücksichtigt, daß die entsprechende Anwendung des § 28 HGB auf BGB-Gesellschaften unter einem anderen, zusätzlichen Aspekt sehr viel dringender erscheint: Während nämlich die Altschuldenhaftung gemäß § 130, wie dargelegt, zumindest überwiegend als problematisches, weil kaum zu rechtfertigendes Gläubigergeschenk erscheint, ist die Haftungserstreckung des § 28 deswegen unter Gläubigerschutzerwägungen geradezu unabdingbar, weil der Gläubiger sonst auf die Pfändung des Anteils des Gesellschafters an der BGB-Gesellschaft als Bestandteil seines Privatvermögens gemäß §§ 725 BGB, 135 HGB beschränkt ist und damit den bei der Berechnung des Abfindungsanspruchs gemäß § 738 BGB vorrangig zu berücksichtigenden Neugläubigern nachsteht.54 Der BGH hat zwar neuerdings trotz gewichtiger Stimmen im Schrifttum den sich aufdrängenden Tendenzen zur Ausdehnung des Anwendungsbereich des § 28 eine herbe Abfuhr erteilt; 55 aber zum einen hat er dabei jegliches Problembewußtsein vermissen lassen; zum anderen betraf seine Entscheidung die entsprechende Anwendung des § 28 auf Kapitalgesellschaften, nicht dagegen - wie hier - auf BGB-Personengesellschaften. Gegenüber dem OLG Düsseldorf ist daher nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß es für die entsprechende Anwendung des § 28 auch auf (Freiberufler-) Sozietäten dringende, vollstreckungsrechtlich angelegte Gründe gibt, die über diejenigen, die möglicherweise die analoge Anwendung des § 130 rechtfertigten könnten, weit hinausgehen. Damit erweist sich das Verhältnis von BGBGesellschaft und OHG auch unter dem Aspekt des § 28, der ohnehin eine gesellschaftsrechtliche und daher im Gesetz falsch piazierte Vorschrift darDie entsprechenden Überlegungen des OLG stellen damit nur ein obiter dictum dar. Lieb Festschrift Westermann, 1974, 309; nunmehr zustimmend Canaris Handelsrecht, 23. Aufl. 2000, 159 m.w.N.; dazu auch MünchKomm-BGB/Mmer (Fn. 8) § 714 Rn. 66. 55 BGH JZ 2000, 109 m. krit. Anm. Lieb. 53 54

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stellt, als dringend regelungsbedürftig. Der Appell an den Gesetzgeber bzw. als notwendigem Vorbereiter - an die Wissenschaft, hier ein geschlossenes Reformkonzept zu entwickelt, das die dargelegten Streitfragen bewältigen kann, wird daher um so dringender.

VI. Kehrt man nach all diesen ergänzenden Überlegungen zur Ausgangsfrage nach der Ubertragbarkeit auch des § 130 H G B auf die BGB-Gesellschaft zurück, so ist das derzeitige Ergebnis, leider entgegen der bisherigen Auffassung des Jubilars, m. E. recht eindeutig: Zum einen ist die eigene ratio des § 130 zu diffus und zu dürftig, um auch noch weiter ausgedehnt werden zu können; zum anderen stellt die Annäherung der BGB-Gesellschaft (auch und gerade der Freiberuflersozietäten!) an die Personenhandelsgesellschaften einen so weitreichenden und umfassenden Rechtsfortbildungsprozeß dar, daß er vom (insoweit überforderten und wohl auch nicht mehr „zuständigen") Richter nicht beliebig weitergeführt, sondern einem neuen gesetzlichen Gesamtkonzept überlassen werden sollte. Ausnahmen, die vorgreifende richterliche Rechtsfortbildung rechtfertigen könnten, mag es geben; der Problembereich des § 130 H G B gehört nicht dazu.

Direktkontakte des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern MEINRAD

DREHER

I. Einleitung Geborener Ansprechpartner des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft ist der Vorstand. Nach § 90 A k t G hat daher der Vorstand dem Aufsichtsrat regelmäßig und bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zusätzlich ad hoc zu berichten. Das Aktiengesetz kennt aber auch gekorene Ansprechpartner des Aufsichtsrats, d.h. andere Personen, die als Informationsmittler in Betracht kommen. § 109 Abs. 1 Satz 2 A k t G bestimmt, daß der Aufsichtsrat „Sachverständige und Auskunftspersonen zur Beratung einzelner Gegenstände" bei seinen Sitzungen hinzuziehen kann. Ebenso regelt § 111 Abs. 2 Satz 2 A k t G , daß der Aufsichtsrat „für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige beauftragen" kann. In der Praxis sind förmliche Informationskontakte des Aufsichtsrats als Organ zu Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind, selten. In vielen Gesellschaften kommt es nach Auskunft von Aufsichtsratspraktikern jedoch zu gelegentlichen informellen Direktkontakten. Derartige Gelegenheiten bieten ζ. B. größere Unternehmensveranstaltungen, Hauptversammlungen oder Präsentationen des Vorstands im Aufsichtsrat. Immer wieder suchen aber auch einzelne Aufsichtsratsmitglieder ganz gezielt mit Wissen des Vorstands und des Aufsichtsratsvorsitzenden das Gespräch mit sachkundigen Unternehmensmitarbeitern oder - im Hinblick auf die Personalentwicklung ohne konkrete Informationsziele - mit Führungskräften der zweiten und dritten Leitungsebene. Derartige Kontakte gehen im Verhältnis zu leitenden Angestellten auf einer höheren Hierarchieebene des Unternehmens in der Regel vom Aufsichtsratsvorsitzenden oder aber von einzelnen, besonders engagierten Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseignerseite aus. Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten treten dagegen eher in Kontakt zu Mitarbeitern nachfolgender Hierarchiestufen. Nicht selten bestehen auch Konstellationen, in denen es zwangsläufig zu Kontakten von Aufsichtsratsmitgliedern mit dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern kommt, die dann auch zu Zwecken der Information oder der Beobachtung des

Meinrad Dreher

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Führungskräftereservoirs genutzt werden. Dies ist ζ. B. im Konzern der Fall, wenn ein Vorstandsmitglied und mehrere leitende Angestellte einer Obergesellschaft den Vorstand einer Tochtergesellschaft bilden und Mitglieder des Aufsichtsrats der Obergesellschaft zugleich im Aufsichtsrat der Tochtergesellschaft vertreten sind. Trotz dieser faktischen Gegebenheiten, die einen gewissen Bedarf der Praxis an gelegentlichem Kontakt mit „der Basis" signalisieren, geht die aktienrechtlich ganz herrschende Meinung bisher davon aus, direkte Informationskontakte des Aufsichtsrats zu Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind, seien im Hinblick auf den Regelungsgehalt des Aktiengesetzes unzulässig. Im folgenden ist vor diesem Hintergrund, daß ein nicht unerhebliches Auseinanderklaffen von Praxis und Lehre zu beobachten ist, zunächst nach den Gründen für die ablehnende Ansicht der bisher herrschenden Meinung (unten II.) und nach der Haltung der neuen Corporate GovernanceAnsätze (unten III.) zu Direktkontakten zu fragen. Im folgenden sind dann im einzelnen das Informationsrecht des Aufsichtsrats (unten IV.) und vor allem die bisher in diesem Zusammenhang fast vollständig vernachlässigte Personalkompetenz des Aufsichtsrats (unten V.) als Ansatzpunkte für Direktkontakte des Aufsichtsrats zu Unternehmensmitarbeitern der zweiten und nachfolgender Hierarchieebenen zu prüfen. Mit dem Untersuchungsgegenstand „Aufsichtsrat" knüpft der Beitrag an ein Thema an, das - neben zahlreichen anderen Fragen aus dem Gesellschaftsrecht sowie etlichen zusätzlichen Rechtsgebieten - schon früh die Aufmerksamkeit des Jubilars gefunden und seither behalten hat.1 Insoweit darf der vorliegende Beitrag auf sein Interesse hoffen.

II. Die tradierte Ansicht der Unzulässigkeit von Direktkontakten 1. Die Überwachungsaufgabe

des Aufsichtsrats als Ausgangspunkt

Der Aufsichtsrat ist Überwachungs- und Beratungsorgan 2 im Verhältnis zum Vorstand. Die Ausübung dieser Funktionen setzt voraus, daß der Aufsichtsrat über alle Sachverhalte informiert ist. Ansatzpunkt für Direktkontakte des Aufsichtsrats zu Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind, könnte daher sein, daß der Aufsichtsrat über die ihm vom Vorstand gegebenen Informationen hinaus nach Informationen sucht, um seine Aufgaben adäquat erfüllen zu können. Daher überrascht es nicht, daß die wenigen bisherigen aktienrechtlichen Stellungnahmen zu der Frage von Direkt-

1 2

Vgl. nur Ulmer Aufsichtsratsmandat und Interessenkollision, NJW 1980, 1603ff. Vgl. nur BGHZ 114, 127 und BGHZ 126, 340.

Direktkontakte des Aufsichtsrats zu nachgeordneten Mitarbeitern

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kontakten, die sich zu einer ablehnenden Meinung zusammenfügen, die Rechtsfrage allein ausgehend von § 111 Abs. 1 A k t G und im einzelnen sub specie der Gewährleistung ordnungsgemäßer Aufsichtsratsinformation nach §§ 90,109 Abs. 1 und § 111 Abs. 2 A k t G betrachten.

2. Das Informationsvermittlungsmonopol

des Vorstands

Zentral f ü r die Ablehnung von Direktkontakten des Aufsichtsrats zu Mitarbeitern der zweiten und nachfolgender Hierarchiestufen ist f ü r die aktienrechtlich herrschende Meinung § 90 A k t G . Daraus leitet sie ab, daß der Aufsichtsrat die Informationen, die er für seine Aufgabenerfüllung benötigt, allein vom Vorstand erhalten solle. 3 Die Rechtsprechung hatte sich zu der Frage, soweit ersichtlich, bisher nicht zu äußern. 4 Ausnahmen von dem Informationsvermittlungsmonopol des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat nach § 90 A k t G läßt die herrschende Meinung nur zu, wenn zu befürchten ist, daß der Vorstand den Aufsichtsrat nicht oder nicht zutreffend informiert. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Ausnahme gegeben ist, sind dabei umstritten. Nach einer Ansicht sollen bereits Zweifel an der Aufrichtigkeit des Vorstands 5 oder auf andere Weise nicht erreichbare Klarheit über interne Geschäftsvorfälle 6 genügen. Nach einer anderen Ansicht müssen schwerwiegende Verdachtsmomente gegen eine ordnungsgemäße Geschäftsführung des Vorstands 7 vorliegen. Eine erste Mindermeinung sieht dagegen im Rahmen von § 90 A k t G keine Möglichkeiten für den Aufsichtsrat, Berichte direkt von leitenden Angestellten der Gesellschaft zu erhalten. Sie verweist den Aufsichtsrat auf seine

3

Lippert Überwachungspflicht, Informationsrecht und gesamtschuldnerische Haftung des Aufsichtsrats nach dem Aktiengesetz 1965, Diss. Tübingen 1976, S. 83 ff., besprochen durch Ulmer Z H R 142 (1978) 89ff.; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1984, S. 98; Steinbeck Uberwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1992, S. 135. 4 Gelegentlich wird hier auf den Beschluß O L G Zweibrücken vom 28.05.1990 A G 1991, 70 = DB 1990, 1401 verwiesen. Dieser hat allerdings einen anderen Sachverhalt zum Gegenstand, nämlich intensive Direktkontakte eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds zu Geschäftspartnern der Gesellschaft mit dem Ziel, die Geschäftsbeziehung zu beeinflussen. 5 So Lippert (Fn 3) S. 83. 6 So Geßler in: Geßler/Hefermehl, Aktiengesetz, § 111 Rn 22; ähnlich Hoffmann/Preu Der Aufsichtsrat, 4. Aufl. 1999, Rn 258. 7 So Mertens in: Kölner Kommentar, Aktiengesetz, 2. Aufl., § 90 Rn 44; Hoffmann/ Becking in: Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 4: Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1999, § 29 Rn 24; Hüffer Aktiengesetz, 5. Aufl. 2002, § 90 Rn 11; Kindl Die Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, 1993, S. 45; Wellkamp Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionär, 2. Aufl. 2000, Rn 476; Brandi Ermittlungspflicht des Aufsichtsrats über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens „am Vorstand vorbei"?, ZIP 2000, 173, 175.

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Rechte aus §§111 Abs. 2 und 109 AktG. 8 Der Angestellte müßte danach als Sachverständiger bestellt, im Rahmen des dann weit verstandenen Einsichtsund Prüfungsrechts angehört oder als Auskunftsperson zur Beratung des Aufsichtsrats hinzugezogen werden. Umgekehrt sieht eine zweite Mindermeinung keine Bedenken, daß leitende Angestellte vom Aufsichtsrat als „Informationsgeber" herangezogen werden. 9 Es wird sogar für möglich gehalten, daß einzelne Aufsichtsratsmitglieder, nämlich Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, „um Informationsdefizite auf Arbeitnehmerseite a b zugleichen, zusätzlich zu der rechtlichen auf andere Unterrichtungsmöglichkeiten zurückgreifen". Hierzu sollen gerade auch persönliche Gespräche mit Unternehmensmitarbeitern gehören. 10

III. Die Frage von Direktkontakten im Lichte der Corporate Governance-Bewegung Die ordnungsgemäße Informationsversorgung des Aufsichtsrats und die Schaffung entsprechender Informationsordnungen sind besonders wichtige Themen der Corporate Governance-Debatte der letzten Jahre. 11 Teil dieser Debatte war auch die bessere Informationsversorgung des Aufsichtsrats im Wege von Direktkontakten zu Mitarbeitern der zweiten Hierarchiestufe. So wurde, wenn auch zu Unrecht, 12 gefordert, dem Aufsichtsrat qua lege direkte Auskunftsrechte gegenüber dem Leiter der Buchhaltung und des Controlling zu geben,13 oder das Recht des Aufsichtsrats, leitende Angestellte zu Sitzungen hinzuzuziehen, explizit gesetzlich zu regeln.14 Daher liegt die Frage nahe, ob und gegebenenfalls wie die zahlreichen Kommissionen, die Corporate Governance-Kodizes erstellt haben, den Zugriff des Aufsichtsrats auf Mitarbeiter der zweiten Führungsebene oder weiterer Hierarchiestufen regeln. Der „German Code of Corporate Governance ( G C C G ) " des sog. Berliner Initiativkreises vom 6. Juni 2000 sieht in der Informationsversorgung des 8 So Lutter (Fn 3) S. 100; Semler Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rn 172 und 174; von Schenk in: Semler (Hrsg.) A R H d b . 1999 E 134; Möllers Professionalisierung des Aufsichtsrats, ZIP 1995, 1725,1728. 9 Theisen Grundsätze einer ordnungsmäßigen Information des Aufsichtsrats, 2. Aufl. 1996, S. 10. 10 Köstler/Kittner/Zachert Aufsichtsratspraxis, 6. Aufl. 1999, Rn 430 und 473. 11 Vgl. dazu statt vielen Dreher Die Organisation des Aufsichtsrats in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, 1996, S. 33, 51 ff. m w N . 12 Vgl. dazu Dreher (Fn. 11) S. 55; Peltzer Corporate Governance aus der Sicht der deutschen Reformdiskussion in: Hommelhoff et al. (Hrsg.), Max Hachenburg Gedächtnisvorlesung 1998, veröff. 2000, S. 49, 60. 13 Vgl. die Nachweise zu dieser vor allem aus Kreisen der Politik erhobenen Forderung bei Seibert Aufsichtsrats-Reform in der 13. Wahlperiode, ZBB 1994, 349, 351 Fn 15. 14 So z.B. Baums Der Aufsichtsrat-Aufgaben und Reformfragen, ZIP 1995, 11, 17.

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Aufsichtsrats eine besonders wichtige Frage der Corporate Governance. 15 In diesem Zusammenhang geht er auch auf die Frage der Direktkontakte mit folgender Feststellung ein: „Ein direkter Informationsdurchgriff auf Mitarbeiter am Vorstand vorbei ist auf (schwere) Krisensituationen begrenzt und steht nur dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu." 16 Zu den „Kernprozessen" der „erfolgsorientierten Führungsprozesse" rechnet der Code auch „die personelle Besetzung des Vorstands". Zur Frage von Direktkontakten führt er in bezug auf diesen „Kernprozess" folgendes aus: „Um den Mitgliedern des Aufsichtsrats Gelegenheit zu geben, potentielle Kandidaten für ein Vorstandsamt systematisch kennenzulernen, schlägt der Vorstand regelmäßig Personen des engeren Kreises der Nachwuchskräfte für Präsentationen im Aufsichtsrat und seinen Ausschüssen vor." 17 Der „Code of Best Practice" der sog. Grundsatzkommission Corporate Governance vom Juli 2000 18 spricht die Frage eines Direktkontaktes weder im Hinblick auf die Informationsversorgung des Aufsichtsrats noch im Hinblick auf die Personalkompetenz des Aufsichtsrats an. Die Regierungskommission Corporate Governance hat in ihrem im Jahre 2001 vorgelegten Bericht 19 in bezug auf Direktkontakte des Aufsichtsrats lediglich die Frage erörtert, ob der Aufsichtsrat das Recht haben sollte, „bestimmte Gegenstände" durch Mitarbeiter der internen Revision untersuchen zu lassen. Die Kommission hat die Frage verneint, weil ein Kontakt des Aufsichtsrats zur internen Revision „am Vorstand vorbei zu Loyalitätskonflikten führen könnte" und die Möglichkeit nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG, einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats oder besondere Sachverständige zu beauftragen, zeige, daß „ein Zugriff des Aufsichtsrats auf vom Vorstand weisungsabhängige Arbeitnehmer im Regelfall nicht gestattet" sei.20 Am 17. Dezember 2001 hat die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex den Entwurf ihres Kodex vorgelegt. 21 Die Frage von Direktkontakten des Aufsichtsrats behandelt der Entwurf nicht. Unter V. 1.2 weist er lediglich darauf hin, der Aufsichtsrat „soll gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen". Bei dieser Formulierung ist es unter 5.1.2 der endgültigen Fassung des Kodex vom 26. Februar 2002 geblieben. Nr. I. 8. Code, abgedr. auch in A G 2001, 6 ff. Nr. II. 2. 8. Code, abgedr. auch in A G 2001, 6, 9. 17 Nr. I. 8. i.V.m. Nr. II. 1.6. Code (Fn. 16). 18 Diese „Corporate Governance-Grundsätze für börsennotierte Gesellschaften" sind i.d.F. v o m Januar 2000 abgedr. in A G 2000, 109 ff. Die Fassung v o m Juli 2000 ist auf der Internetseite des Deutschen Aktieninstituts zugänglich unter www.dai.de. 19 BTDrucks. 14/7515 Rn. 58, auch abgedr. in Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001. 20 Dieser Verweis auf § 1 1 1 A k t G kann schon deshalb nicht befriedigen, weil die K o m mission ihre Empfehlungen im übrigen gerade auch an den Gesetzgeber richtete. 21 A b r u f b a r im Internet unter www.bmj.bund.de. 15 16

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IV. Das Informationsrecht des Aufsichtsrats als Ansatzpunkt für Direktkontakte 1. Der Informationsbedarf des Aufsichtsrats von Aufsichtsrat zu Vorstand

und das Verhältnis

Bevor sich die Frage stellt, ob die bisher ablehnende Ansicht zu Direktkontakten von Aufsichtsrat und Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind, aktienrechtlich zwingend ist, ist zu klären, ob und woraus sich ein Bedarf für solche unmittelbaren Kontakte im Hinblick auf die Informationsversorgung des Aufsichtsrats ergeben kann. Ausgangspunkt hierfür ist die bereits angeführte Überwachungs- und Beratungsaufgabe des Aufsichtsrats. Sie erfordert seine ausreichende Informationsversorgung. Notwendig ist daher bei den vom Aufsichtsrat zu behandelnden Fragen „ein Informationsniveau, das demjenigen der Geschäftsleitung entspricht." 22 N u r auf der Basis eines gleichen Informationsstandes kann der Aufsichtsrat Geschäftsführungsvorgänge zutreffend beurteilen. Dies gilt insbesondere für Aufsichtsratsmitglieder, die zwar als solche qualifiziert sind, 23 aber keine besonderen Kenntnisse von dem Unternehmen und seinem Marktumfeld haben. Gerade für solche Aufsichtsratsmitglieder können Direktkontakte zu Unternehmensmitarbeitern notwendig sein, um über Vorstandsvorlagen sachkundig mitberaten zu können. Unabhängig davon kann die Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats diesen veranlassen, sich jenseits der Vorstandsvorlagen selbst ein Bild von den tatsächlichen Gegebenheiten zu machen und zusätzliche Informationen einzuholen. 24 Hinzu kommt, daß Direktkontakte zu Unternehmensmitarbeitern dem Aufsichtsrat die Gelegenheit geben, Informationen unabhängig vom „Filter" Vorstand zu erhalten. Unvollständige oder sogar fehlerhafte Informationen, die der Aufsichtsrat besitzt, lassen sich so korrigieren. 25 Außerdem erlangt der Aufsichtsrat auf diese Weise Informationen unmittelbar von denjenigen, um deren - oft völlig eigenständiges - Handeln es tatsächlich geht. 26 Aus

O L G Zweibrücken (Fn 4). Vgl. dazu Dreher Oit Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder, in: FS Boujong, 1996, S. 71 ff. sowie speziell im Hinblick auf sprachliche Anforderungen ders. Die Sprache des Aufsichtsrats, in: FS Lutter, 2000, S. 357ff. 24 Vgl. dazu für den Aufsichtsrat einer P u b l i k u m s - K G O L G Düsseldorf Z I P 1984, 825, 828 ff. 2 5 So auch die allgemeine Ansicht der jeweiligen Autoren, die Direktkontakte nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen zulassen. 26 Vgl. vor allem Saage Die Haftung des Aufsichtsrats für wirtschaftliche Fehlentscheidungen des Vorstands nach dem Aktiengesetz, D B 1973, 115, 117, der allerdings zu weit gehend für uneingeschränkte Informationsrechte des Aufsichtsrats gegenüber handelnden Personen eintritt. 22 23

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Direktkontakten des Aufsichtsrats mit derartigen Personen können sich daher wertvolle zusätzliche Informationen ergeben, die für die Entscheidungen des Aufsichtsrats wichtig sind und es ihm ermöglichen, Beratungsgegenstände weiterführend zu behandeln. Den Vorteilen einer vollständigen und direkten Information des Aufsichtsrats bei Direktkontakten können Nachteile gegenüberstehen. So wird verbreitet eingewandt, derartige Kontakte würden die Autorität des Vorstands untergraben. 27 In den Augen der Mitarbeiter müsse der Vorstand als ungeeignete oder nicht ausreichende Informationsquelle des Aufsichtsrats erscheinen, weil dieser sich - über den Vorstand hinweg - 2 8 direkt an die Mitarbeiter wende. Hinzu komme, daß Direktkontakte nicht nur das Verhältnis des Vorstands zu Mitarbeitern, sondern auch das Verhältnis von Aufsichtsrat zu Vorstand belasteten. Denn auch der Vorstand müsse das Mißtrauen spüren, das darin liege, wenn sich der Aufsichtsrat direkt an Mitarbeiter wende, die dem Vorstand nachgeordnet sind. Derartige Nachteile von Direktkontakten sind in der Tat denkbar. Allerdings treten sie nicht per se aufgrund von solchen Kontakten, sondern im Einzelfall nur deshalb ein, weil - wie bereits ausgeführt - 2 9 nach bisheriger Praxis offizielle Direktkontakte des Aufsichtsrats zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern eher selten sind. Die Tatsache aber, daß gelegentliche informelle Direktkontakte - auch mit Wissen von Vorständen durchaus gängiger Praxis entsprechen, zeigt gerade, welche Bedeutung Aufsichtsräte heute schon dieser Art der Informationsgewinnung beimessen und wie wenig derartige Kontakte - sensibel gehandhabt vorausgesetzt - die Vertrauensverhältnisse zwischen den Beteiligten belasten. In diesem Zusammenhang ist von erheblicher Bedeutung, daß es bei der Frage solcher Kontakte nicht um dauerhafte oder gar institutionalisierte Maßnahmen zur Gewinnung von Informationen „aus der Tiefe des Unternehmens" geht. Fraglich sind vielmehr ausschließlich gelegentliche Kontakte in vollem Wissen des Vorstands hiervon. Daß diese die Stellung des Vorstands tatsächlich beeinträchtigen, ist kaum zu unterstellen. Allerdings führen die Vertreter der ablehnenden Ansicht noch weitere Nachteile an, die mit Direktkontakten verbunden seien. Dies gelte zum einen für eine zusätzliche Arbeitsbelastung des Vorstands. Denn dieser müsse unter Umständen seine Sicht der Dinge darlegen, wenn die Information durch nachgeordnete Mitarbeiter aus der Sicht des Vorstands einer Korrektur

Vgl. z.B. Steinbeck (Fn 3) S. 135; Wellkamp (Fn 7) Rn 472 und Brandi (Fn 7) 175. Dies gilt unabhängig von der uneinheitlich beantworteten Frage, ob der Aufsichtsrat den Kontakt mit Mitarbeitern des Unternehmens zunächst nur über den Vorstand oder auch ohne diesen aufnehmen kann, vgl. dazu unten IV. 2. c. 29 S.o. I. 27 28

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bedürfe. 3 0 Außerdem sei der Wert der Informationen, die über D i r e k t kontakte mit Wissen des Vorstands zu erlangen seien, begrenzt. D i e M i t arbeiter stehen nämlich in Abhängigkeit v o m Vorstand. Sie würden daher keine Informationen weitergeben, die sie in Gegensatz zum Vorstand stellen könnten. 3 1 A u c h diese Einwände sind durchaus ernst zu nehmen. 3 2 I m Ergebnis belegen sie noch einmal die schon zuvor genannte notwendige Beschränkung der Informationserlangung durch D i r e k t k o n t a k t e des Aufsichtsrats auf ausschließlich gelegentliches und sensibel gehandhabtes Vorgehen. Insoweit ist der bisher verbreiteten Ansicht zu Direktkontakten in ihrer Zurückhaltung durchaus zuzustimmen. W o die G r e n z e n dieser Zurückhaltung liegen, kann jedoch eine Frage nicht nur der ohnehin subjektiv erfundenen Courtoisie im Verhältnis der Unternehmensorgane zueinander, sondern auch - was in der bisherigen Debatte u m D i r e k t k o n t a k t e nur eine nachrangige Rolle gespielt hat - der organschaftlichen Rechte des Aufsichtsrats sein.

2. Die gesetzlichen Durchbrechungen des Informationsvermittlungsmonopols des Vorstands zugunsten von Direktkontakten des Aufsichtsrats zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern a) M i t a r b e i t e r als Sachverständige des A u f s i c h t s r a t s n a c h § 111 A b s . 2 Satz 2 A k t G N a c h § 111 Abs. 2 Satz 1 A k t G kann der Aufsichtsrat „die B ü c h e r und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände ... einsehen und prüfen". I m nachfolgenden Satz 2 ist bestimmt, daß der Aufsichtsrat „damit auch einzelne Mitglieder oder für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige beauftragen" kann. Als Sachverständige sollen nach einer verbreiteten Ansicht in der Literatur auch „sachverständige Betriebsangehörige" in Betracht k o m m e n . 3 3 Diese Ansicht ist nur vor dem Hintergrund eines unkonturierten Sachverständigenbegriffs, wie er der Literatur zugrunde liegt, verständlich. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, daß der Sachverständige sowohl im Sinne von § 111 Abs. 2 Satz 2 A k t G als auch im Sinne von § 109 Abs. 1 Satz 2 A k t G nicht rechtstechnisch zu verstehen ist. A u f die Eigenschaft einer Vereidigung oder öffentlichen Bestellung kann es daher nicht ankommen. Allerdings will die Literatur bei § 109 Abs. 1 Satz 2 A k t G eine besondere Sachkunde hin-

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So ζ. B. Lutter (Fn 3) S. 98. So ζ. B. Steinbeck (Fn 3) S. 136. Vgl. zum Informationswert bei Direktkontakten schon Dreher (Fn 11) S. 55. So Mertens (Fn 7) § 90 Rn 44; Lutter (Fn 3) S. 100 bei b) aa) a.E.

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sichtlich des Beratungsgegenstands genügen lassen.34 Eine solche Sachkunde ist jedoch gerade Anlaß, von einer Person Auskunft zu einem Beratungsgegenstand zu erlangen. Mit dem Kriteriendoppel besondere Sachkunde bei Sachverständigen einerseits und Eignung zur Informationsgewinnung bei Auskunftspersonen andererseits kann es daher kaum gelingen, eine Abgrenzung zwischen Sachverständigen und Auskunftspersonen, die sowohl bei § 109 AktG wegen der Doppelnennung als auch bei § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG wegen der dort nicht genannten Auskunftspersonen erforderlich ist, vorzunehmen. In der Konsequenz wird es daher zum Beispiel als zulässig angesehen, ehemalige Mitglieder des Aufsichtsrats oder des Vorstands als Sachverständige oder als Auskunftspersonen zuzuziehen. 35 O b und welche - gegebenenfalls zum Sachverständigenbegriff des § 109 AktG unterschiedlichen - Kriterien die Sachverständigeneigenschaft bei § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG begründen, bleibt in der Literatur teilweise offen. 36 Nach anderer Ansicht soll es in Widerspruch dazu, daß bei § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG für Sachverständige lediglich eine spezifische Sachkunde gefordert wird, bei § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG darauf ankommen, daß der Sachverständige Gewähr für Verschwiegenheit bietet und seine Integrität zweifelsfrei gegeben ist.37 Der Gesetzgeber des AktG 1965 hat die Sachverständigen, die er bei §§ 109, 111 AktG im Blick hatte, nicht näher beschrieben. 38 Allerdings hat er in § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG die „Sachverständigen" den „Auskunftspersonen" gegenübergestellt. Damit hat er verdeutlicht, daß Sachverständige von Informationsmittlern abzugrenzen sind. Sachverständige müssen sich daher von Auskunftspersonen dahingehend abgrenzen lassen, daß sie als Externe Informationen auf der Grundlage von Objektivität und Neutralität geben. Diese Eigenschaften gründen in der Regel, aber nicht zwingend, auf einer besonderen beruflichen Verpflichtung auf diese Eigenschaften. Auskunftspersonen sind hingegen diejenigen, die ohne diese Anforderungen hinsichtlich Objektivität und Neutralität als Unternehmensexterne oder -interne dem Aufsichtsrat weiterführende Informationen geben können. Auch soweit Unternehmensmitarbeiter - wie wohl aufgrund ihrer beruflichen Befassung mit Aufgaben regelmäßig - in einer bestimmten Frage gemäß dem allgemeinen

34 So ζ. B. Geßler (Fn 6) § 109 Rn 13, der dagegen bei § 111 - aaO Rn 42 - davon ausgeht, daß der Sachverständige „der Gesellschaft fernsteht" und die Aufgabe hat, „Tatsachen durch Prüfung und Einsicht festzustellen"; Hüffer (Fn 7) § 109 Rn 5; Lippert (Fn 3) S. 85; ähnlich Mertens (Fn 7) § 109 Rn 14: „spezifische Fachkunde". 35 So Hüffer ebenda. 36 So z.B. bei Geßler (Fn 6) § 111 Rn 42ff.; Hüffer (Fn 7) § 111 Rn 12. 37 So Mertens (Fn 7) § 111 Rn 55 f. 38 Vgl. die Dokumentation des Gesetzgebungsverfahrens bei Kropff AktG 1965, S. 154 ff.

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Sprachgebrauch „sachverständig" sind, bleiben sie daher Auskunftspersonen. Sind Angestellte einer Gesellschaft infolge ihrer arbeitsrechtlichen Abhängigkeit vom Vorstand, ihrer Interessengebundenheit 39 und, sofern es um leitende Angestellte geht, infolge ihrer persönlichen Nähe zu den Vorstandsmitgliedern doch grundsätzlich nicht geeignet, dem Aufsichtsrat Informationen auf allein objektiver und neutraler Grundlage zu geben.40 b) Mitarbeiter als Informationsgeber im Rahmen des Einsichtsund Prüfungsrechts des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG Nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG kann der Aufsichtsrat „die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände ... einsehen und prüfen". Auch darin soll nach einer Literaturansicht 41 eine Rechtsgrundlage für Direktkontakte zwischen dem Aufsichtsrat und Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind, liegen. Denn das Einsichts- und Prüfungsrecht umfasse auch das Recht zur ergänzenden Befragung von Unternehmensmitarbeitern. Der Wortlaut von § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG spricht nur von einem Einsichts- und Prüfungsrecht. Ein Fragerecht ist nicht explizit geregelt. Die Begründung des RegE AktG 1965 schweigt zu der Frage. Die Rechtsprechung mußte sich mit ihr, soweit ersichtlich, noch nicht auseinandersetzen. Für andere gesellschaftsrechtliche Einsichts- und Informationsrechte ist allerdings anerkannt, daß über den Wortlaut der Regelungen hinaus ein Einsichts- oder Informationsrecht auch ein Auskunftsrecht umfassen kann. Dies gilt jedenfalls für das Einsichts- und Informationsrecht des Komplementärs nach § 118 Abs. 1 HGB 4 2 und für das persönliche Unterrichtungsrecht sowie Einsichtsrecht des Gesellschafters einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, der von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist, nach § 716 Abs. 1 BGB. 43 39 Dies führt Lippert (Fn 3) S. 85 trotz eines weiten Sachverständigenbegriffs zur Ablehnung von Mitarbeitern als Sachverständige i.S.v. § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG; ebenso i.E. Saage (Fn 26) 118 und Steinbeck (Fn 3) S. 133. 40 So im Ergebnis auch Lippert (Fn 3) S. 85. 41 Vgl. Lutter (Fn 3) S. 99; Mertens (Fn 7) § 111 Rn 21; Wellkamp (Fn 7) Rn 478; Steinbeck (Fn 3) S. 128. 42 Vgl. Hopt in: Baumbach/Hopt, H G B , 30. Aufl. 2000, § 118 Rn 7; B G H W M 1983, 910, 911; Koller in: Koller/Roth/Morck, H G B , 3. Aufl. 2002, § 118 Rn 3; Ulmer in: Staub, Großkommentar H G B , 4. Aufl. 1999, § 118 Rn 25; von Gerkan in: Röhricht/Graf von Westphalen, H G B , 2. Aufl. 2001, § 118 Rn 7; Martens in: Schlegelberger, H G B , 5. Aufl. 1992, § 118 Rn 14; Mayen in: Ebenroth/Boujong/Joost, H G B , 2001, § 118 Rn 13; für ein zusätzliches besonderes Auskunftsrecht zur Ausübung von Rechten aus der Gesellschafterstellung vgl. Ulmer aaO Rn 24ff.; Martens aaO Rn 15; K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997, § 4 7 V . 3. 43 So vor allem B G H W M 1983, 910, 911; Ulmer in MünchKomm BGB, 3. Aufl. 1997, § 716 Rn 9; H. P. Westermann in: Erman, BGB, 10. Aufl. 2000, § 716 Rn 1; Hadding in:

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Bei allen diesen Regelungen erfolgt die Ausweitung des Kontrollrechts zum Auskunftsrecht jedoch nicht generell. Voraussetzung ist vielmehr jeweils, daß die Wahrnehmung des gesellschaftsrechtlich im einzelnen bezeichneten Rechts den damit verbundenen Zweck nicht erfüllen würde, sei es, daß keine kontrollfähigen Unterlagen vorhanden sind, oder sei es, daß vorhandene Unterlagen lückenhaft bzw. widersprüchlich sind. Allein ein Bedarf für ergänzende Auskünfte, den der Inhaber eines auf Einsicht und Prüfung gerichteten Rechts geltend macht, vermag ein zusätzliches Auskunftsrecht daher selbst bei denjenigen gesellschaftsrechtlichen Kontrollrechten nicht zu begründen, bei denen ein zusätzliches ungeschriebenes Auskunftsrecht allgemein bejaht wird. Notwendig ist vielmehr jeweils eine Zweckverfehlung des gesetzlich begründeten Rechts im Falle seiner Geltendmachung. Entsprechendes muß dann auch im Falle des Einsichtsund Prüfungsrechts des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG gelten. Wortlaut wie Funktion der Regelung gebieten eine entsprechende Auslegung: Die im Gesetz vorgesehene Einsicht und Prüfung bezieht sich ausdrücklich nur auf körperliche Gegenstände bzw. auf hierüber vorhandene Unterlagen. Auch dient die Regelung nur der Ergänzung der Überwachung, die der Aufsichtsrat im Wege der Anforderung und Prüfung von Berichten nach § 90 AktG vornimmt. Die Einholung von - unter Umständen ergänzenden - Informationen und Auskünften ist daher regelmäßig Teil der ordnungsgemäßen Informationsversorgung des Aufsichtsrats nach den dafür bestehenden Regelungen. Auch im Rahmen des speziellen Prüfungs- und Einsichtsrechts nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG kann ein ergänzendes Auskunftsrecht des Aufsichtsrats daher nur unter den zuvor genannten, engen Voraussetzungen der Zweckverfehlung des eigentlichen Informationsrechts im Sinne einer ultima ratio-Lösung in Betracht kommen. c) Mitarbeiter als Auskunftspersonen des Aufsichtsrats nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG Als generelle Rechtsgrundlage, um Informationen direkt von Mitarbeitern einzuholen, die dem Vorstand nachgeordnet sind, bleibt daher für den Aufsichtsrat nur § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG. Ein solches Vorgehen ist allgemein anerkannt. 44 Es entspricht schon dem Wortlaut von § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG, der im Hinblick auf den Kreis der Auskunftspersonen 4 5 keine Einschränkungen enthält.

Soergel, BGB, 11. Aufl. 1985, § 716 Rn 8; Sprau in: Palandt, BGB, 61. Aufl. 2002, § 716 Rn 1; Keßler in: Staudinger, BGB, 12. Aufl. 1991, § 716 Rn 2; sowie weitergehend K. Schmidt (Fn 42) § 59 III 3 c. 44 Vgl. ζ. B. Steinbeck (Fn 3) S. 136; Semler (Fn 8) S. 99; Wellkamp (Fn 7) Rn 477. 45 Vgl. zu diesem Begriff oben IV. 2. a).

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Voraussetzung für die Einholung von Auskünften ist hier lediglich ein Informationsbedürfnis des Aufsichtsrats und die für möglich gehaltene Eignung des Mitarbeiters, zu einem Beratungsthema sachdienliche Auskünfte zu geben. Eine Abkehr von der Grundkonzeption der gesetzlichen Informationsordnung, nach der der Vorstand der primäre Informationsmittler des Aufsichtsrats ist, ist damit jedoch nicht verbunden. Daraus folgt, daß der Aufsichtsrat auch auf der Grundlage von § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG keine zweite selbständige und dauerhafte Informationsschiene am Vorstand vorbei anlegen darf. § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG regelt nur das Recht des Aufsichtsrats, Auskunftspersonen hinzuzuziehen. Für eine Pflicht der Mitarbeiter, vor dem Aufsichtsrat zu erscheinen und Auskünfte auf entsprechende Fragen zu geben, bildet § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG dagegen keine Rechtsgrundlage. Eine verbreitete Ansicht verweist auf eine „Ladung" der Mitarbeiter über den Vorstand. Nur bei einer Weigerung des Vorstands soll ein direktes Vorgehen durch den Aufsichtsrat möglich sein. 46 Diese Rechtsansicht läßt sich damit begründen, daß Erscheinen und Redepflichten von Mitarbeitern auch gegenüber dem Aufsichtsrat nur aus dem Arbeitsvertrag mit der Aktiengesellschaft abzuleiten sind. Nach §§ 78 Abs. 1, 112 AktG vertritt aber der Vorstand und nicht der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber den Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind. Allerdings ist bei § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG ganz überwiegend anerkannt, daß der Aufsichtsrat selbst Vertretungsmacht gegenüber den Sachverständigen besitzt. 47 Während § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG davon spricht, der Aufsichtsrat könne Sachverständige „beauftragen", geht § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG davon aus, Auskunftspersonen „können zugezogen werden". Nach Sinn und Zweck dieser Regelung muß die Entscheidung über die Zuziehung wie diejenige über die Beauftragung beim Aufsichtsrat selbst liegen und muß dieser die Zuziehung wie die Beauftragung dann auch selbst vornehmen können. 48 Anlaß für eine unterschiedliche Interpretation der Rechte des Aufsichtsrats bei § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG und bei § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG besteht im Ergebnis also nicht. Dies bedeutet, daß der Aufsichtsrat Mitarbeiter, die dem Vorstand nachgeordnet sind, auch direkt zuziehen kann. Ob er von diesem Recht Gebrauch macht oder die Mitarbeiter nur mittelbar zuzieht, indem er zur Vermittlung den Vorstand einschaltet, unterliegt allerdings seinem Ermessen.

46 Vgl. z.B. Lutter (Fn 3) S. lOOf.; Steinbeck (Fn 3) S. 136; Semler (Fn 8) Rn 172; Kindl (Fn 7) S. 44; Wellkamp (Fn 7) Rn 477. 47 Vgl. nur Hüffer (Fn 7) § 111 Rn 12 mwN. 48 Für eine Zuziehung durch den Aufsichtsrat selbst, wenn auch ohne Problematisierung, ζ. B. Hüffer (Fn 7) § 109 Rn 5.

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V. Die Personalkompetenz des Aufsichtsrats als Ansatzpunkt für Direktkontakte 1. Die notwendige Personalkenntnis des Aufsichtsrats im Hinblick auf die Gewinnung künftiger Vorstandsmitglieder Der Aufsichtsrat bestellt die Vorstandsmitglieder. Rechtsgrundlage dieser Personalkompetenz des Aufsichtsrats ist § 84 AktG. Um sie ausüben zu können, muß sich der Aufsichtsrat Kenntnis von möglichen Vorstandskandidaten verschaffen. Dies gilt nicht nur ad hoc im Falle einer plötzlich neu zu besetzenden Vorstandsposition. Grundsätzlich hat der Aufsichtsrat nämlich im Hinblick auf seine Personalkompetenz dauerhaft und vorausschauend das Führungskräftereservoir innerhalb 49 und außerhalb der Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Dies gilt erst recht, wenn ein Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG besteht, wonach die Besetzung von Positionen direkt unterhalb des Vorstands der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf. Da dem Gesamtaufsichtsrat die Beobachtung des Führungskräftereservoirs kaum möglich ist, obliegt die Aufgabe - je nach Organisation der Aufsichtsratstätigkeit - insbesondere dem Aufsichtsratsvorsitzenden, dem Aufsichtsratspräsidium oder dem Personalausschuß des Aufsichtsrats. Die Beobachtung potentieller Vorstandskandidaten in der eigenen Gesellschaft kann sich nicht auf die Entgegennahme entsprechender Einschätzungen durch den Vorstand beschränken. Personalkenntnisse „aus zweiter Hand" bilden für sich allein keine geeignete Grundlage bei den weitreichenden Entscheidungen über Vorstandsbesetzungen. Derartige Personalentscheidungen gelten zu Recht mit als die wichtigsten und schwierigsten Aufgaben des Aufsichtsrats. 50 Der Aufsichtsrat hat sich daher schon frühzeitig um Personalkenntnisse zu bemühen. Dabei ist die dem Vorstand nachgeordnete Führungsebene des Unternehmens schon deshalb mit einzubeziehen,

49 Vgl. z.B. von Braucbitsch Die Überwachung der Konzern- und Unternehmensführung durch den Aufsichtsrat - Erfahrungen und aktuelle Praxis aus der Sicht des A u f sichtsratsvorsitzenden, in: Theisen (Hrsg.) Der Konzern im Umbruch, 1998, S. 306: „... ein systematisch aufgebautes Bild der zweiten und dritten Leitungsstufe im Unternehmen"; Lutter (Fn 3) S. 101: „... breite Personalkenntnis auch und gerade bezüglich der Nachwuchskräfte im Unternehmen selbst"; Lutterl Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 3. Aufl. 1999, Rn 127: Verpflichtung, den Markt möglicher Führungskräfte vor allem auch im eigenen Unternehmen laufend genau zu beobachten." und aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht unter Berücksichtigung entsprechender Umfragen Meyer-Lohmann Der Aufsichtsrat der deutschen Aktiengesellschaft und seine neue Rolle im Prozeß der Unternehmensführung, Diss. St. Gallen, 1997, S. 195 f. 50 Vgl. nur Potthoff/Trescher Das Aufsichtsratsmitglied, 5. Aufl. 2001, S. 276ff.; Lutter/ Krieger (Fn 49) Rn 120.

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weil die grundsätzliche Offenheit der Vorstandspositionen auch für bisherige Unternehmensangehörige einen erheblichen Beitrag zur Motivation des Führungsnachwuchses leisten kann. 2. Direktkontakte des Aufsicbtsrats zu Führungskräften der Personalkompetenz des Aufsichtsrats

als

Ausfluß

Eine Personalkenntnis des Aufsichtsrats setzt mithin voraus, daß dieser beziehungsweise die für ihn insoweit handelnden Aufsichtsratsmitglieder in Kontakt mit den betreffenden Personen stehen. Diese Kontakte sind zu unterscheiden von den zuvor erörterten 51 Direktkontakten mit dem Ziel der Informationsgewinnung. Sie sind Ausfluß nicht der Informationsrechte des Aufsichtsrats, sondern seiner Personalkompetenz. Rechtsgrundlage der Direktkontakte ist mithin § 84 AktG. 5 2 Bemerkenswerterweise ziehen bisher aber selbst diejenigen, die den Aufsichtsrat ausdrücklich für verpflichtet halten, den Führungsnachwuchs im Unternehmen dauerhaft zu beobachten, 53 hieraus nicht die Konsequenz, eine Kompetenz des Aufsichtsrats zu Direktkontakten auf der Grundlage von § 84 A k t G festzustellen. Schon ihrer Natur nach liegt es fern, Maßnahmen des Aufsichtsrats in Ausübung der Personalkompetenz an das Handeln des gegenwärtigen Vorstands der Gesellschaft zu knüpfen. Der Vorstand der Gesellschaft kann daher von derartigen Direktkontakten durchaus wissen, er kann sie je nach dem Willen des Aufsichtsrats sogar vermitteln und organisieren, rechtlich zwingend ist dies alles jedoch nicht. Die Personalhoheit mitsamt den hierzu gehörenden vorbereitenden Maßnahmen wie der Beobachtung potentieller Vorstandskandidaten ist originäre und alleinige Aufgabe des Aufsichtsrats. Er ist dabei unabhängig vom Vorstand der Gesellschaft schon deshalb, weil seine Tätigkeit diesen gerade erst konstituiert. Problematisch erscheint allerdings, daß die Ausübung der Personalkompetenz von der Ausübung des Informationsrechts nur schwer zu trennen ist. Direktkontakte mit dem Ziel der Beobachtung und Beurteilung potentieller Vorstandskandidaten gehen zwangsläufig mit der Gewinnung von Informationen einher. Die Frage, wie Unternehmensmitarbeiter, die unter Umstän-

S.o.III. So schon Dreher (Fn 11) S. 55. 53 Siehe oben Fn 49; in manchen Stellungnahmen wird lediglich im Sinne von „praktischen Hinweisen" vorgeschlagen, der Aufsichtsrat solle darauf drängen, daß sich Mitarbeiter der oberen Führungsebenen dem Aufsichtsrat präsentieren, so etwa Hoffmann-Becking Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen einer Verbesserung der Arbeit des Aufsichtsrats, in: FS Havermann, 1995, S. 230, 237; Götz Die Überwachung der Aktiengesellschaft im Lichte jüngerer Unternehmenskrisen, A G 1995,337,348; German Code of Corporate Governance (Fn. 17). 51

52

Direktkontakte des Aufsichtsrats zu nachgeordneten Mitarbeitern

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den für eine Vorstandsposition in Betracht zu ziehen sind, Informationen geben und bewerten, ist nämlich ein wesentlicher Teil der Aufgabe der Personalbeobachtung. Personalkompetenz und Informationsrecht des Aufsichtsrats stehen grundsätzlich gleichrangig nebeneinander. Keine der beiden Rechtspositionen des Aufsichtsrats ist der anderen vorgelagert. Allein die Tatsache, daß die Ausübung der Personalkompetenz mit einem Informationsfluß verbunden sein kann, schadet daher nicht. Das Gegenteil hiervon müßte allerdings dann gelten, wenn die Wahrnehmung der Personalkompetenz des Aufsichtsrats die Grenzen, die ihm bei der Wahrnehmung des Informationsrechts gezogen sind, unbeachtet ließe. Denn dann würde die Personalkompetenz dem Informationsrecht vorgehen. Die zwei gleichrangigen Rechtspositionen sind daher im Sinne „praktischer Konkordanz" zum Ausgleich zu bringen. Die gemeinsame Schnittmenge von Personalkompetenz und Informationsrecht sub specie von Direktkontakten bilden die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Kontakte einerseits und ihre Begrenzung auf eine gelegentliche sowie die Interessen aller Beteiligten schonende Wahrnehmung andererseits. In diesem Rahmen besitzt der Aufsichtsrat daher eine eigene Kompetenz für Direktkontakte zu Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind, aus § 84 AktG. Diese Kompetenz geht zunächst rechtlich wesentlich weiter als die in der Literatur in diesem Zusammenhang - soweit ersichtlich - allein angesprochene 54 Kompetenz des Aufsichtsrats für Direktkontakte nach § 1 1 1 Abs. 4 Satz 2 AktG im Falle von Zustimmungsvorbehalten für die Besetzung bestimmter Positionen unterhalb des Vorstands. Die Kompetenz zu Direktkontakten aus § 84 AktG unterscheidet sich sodann aber auch wesentlich von der entsprechenden Kompetenz nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG. Diese ist in zweifacher Hinsicht eingeschränkt: sowohl sachlich im Hinblick auf die Beratungsgegenstände des Aufsichtsrats als auch zeitlich im Hinblick auf die Dauer der Aufsichtsratssitzung. Beide Begrenzungen haben im Rahmen von § 84 AktG bei der Wahrnehmung von Direktkontakten keine Bedeutung.

VI. Zusammenfassung 1. Die Frage, ob der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft mit Mitarbeitern des Unternehmens, die dem Vorstand nachgeordnet sind, direkt in Kontakt treten darf, wird bisher einseitig sub specie der Überwachungsaufgabe und des Informationsrechts des Aufsichtsrats betrachtet. Ausgeblendet bleibt damit, ob nicht auch die Personalkompetenz des Aufsichtsrats die Befugnis zu derartigen Direktkontakten begründet. 54

Und auch das nur in einer einzigen kurzen Stellungnahme, vgl. Lutter (Fn 3) S. 101.

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Meinrad Dreher

2. Im Rahmen von § 90 Aktiengesetz geht die herrschende Meinung davon aus, daß der Aufsichtsrat nur unter eng zu verstehenden Voraussetzungen eine Berichterstattung durch dem Vorstand nachgeordnete Mitarbeiter direkt bewirken kann. Eine Mindermeinung sieht dagegen überhaupt keine Möglichkeit, daß der Aufsichtsrat Informationen direkt von Mitarbeitern bezieht. 3. Die Frage, ob vermehrt Direktkontakte des Aufsichtsrats zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern mit dem Ziel einer besseren Informationsversorgung des Aufsichtsrats oder einer besseren Nachfolgeplanung bei der Besetzung von Vorstandsämtern möglich sein sollen, hat im Rahmen der Corporate Governance-Debatte kaum Beachtung gefunden. Von den Kodizes nähert sich der Frage lediglich der German C o d e of Corporate Governance des sog. Berliner Initiativkreises und dies mit großer Zurückhaltung. 4. a) Die speziellen Informationsrechte des Aufsichtsrats bieten durchaus Ansatzpunkte zur Aufnahme von Direktkontakten des Aufsichtsrats mit Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind. Das grundsätzlich gegebene Informationsvermittlungsmonopol des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat ist nämlich in mehrfacher Weise durch Regelungen durchbrochen, die Direktkontakte des Aufsichtsrats zu Mitarbeitern zulassen. Dies gilt entgegen verbreiteter Ansicht zwar nicht für die Beiziehung von Mitarbeitern als Sachverständigen im Sinne von § § 1 1 1 Abs. 2 Satz 2, 109 Abs. 1 Satz 2 A k t G , jedoch allgemein für die Zuziehung von Mitarbeitern als Auskunftspersonen nach § 109 Abs. 1 Satz 2 A k t G und, wenn auch äußerst eingeschränkt, für die Befragung von Mitarbeitern im Rahmen des Einsichtsund Prüfungsrechts des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG. Während hier ein Auskunftsrecht entgegen anderer Ansicht nämlich nur im Sinne einer ultima ratio bei andernfalls gegebener Zweckverfehlung des Informationsrechts besteht, kann der Aufsichtsrat dort Auskünfte bei Unternehmensmitarbeitern - wiederum entgegen einer verbreiteten anderen Ansicht - auch ohne Einschaltung des Vorstands direkt einholen. Eines Rückgriffs auf § 90 A k t G bedarf es im Hinblick auf diese Einzelbefugnisse des Aufsichtsrats zu Direktkontakten nicht. b) Die bisher gegen Direktkontakte des Aufsichtsrats zu Mitarbeitern, die dem Vorstand nachgeordnet sind, im Hinblick auf das Informationsrecht erhobenen Zulässigkeitseinwände, die sich auf das Vertrauensverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand einerseits und auf die Autorität des Vorstands im Verhältnis zu den nachgeordneten Mitarbeitern andererseits beziehen, betreffen lediglich die Frage der Ermessensausübung des Aufsichtsrats bei der rechtlich zulässigen Aufnahme und Durchführung derartiger Direktkontakte nach den genannten Einzelregelungen. In diesem Zusammenhang kommt den Einwänden allerdings durchaus Gewicht zu. Folge hiervon ist zunächst, daß Direktkontakte nicht den Zweck verfolgen dürfen, im Sinne

Direktkontakte des Aufsichtsrats zu nachgeordneten Mitarbeitern

103

einer zusätzlichen, quasi institutionalisierten Informationsschiene dauerhaft Informationen „aus der Tiefe des Unternehmens" zu schöpfen. Weiter sind rechtlich zulässige Direktkontakte nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sensibel im Hinblick auf die Wahrung der Interessen der Beteiligten vorzunehmen. 5. a) Zur Ausübung seiner Personalkompetenz aus § 84 AktG muß der Aufsichtsrat eigene Personalkenntnisse im Hinblick auf die künftige Besetzung von Vorstandsmandaten besitzen. Der Aufsichtsrat hat zu diesem Zweck auch die dem Vorstand nachgeordneten Führungskräfte im Unternehmen vorausschauend zu beobachten. Diese Aufgabe kann zum Beispiel auf den Aufsichtsratsvorsitzenden oder die Mitglieder des Personalausschusses übertragen werden. b) Die Gewinnung dieser Personalkenntnisse setzt Direktkontakte zu den entsprechenden Personen voraus. Rechtsgrundlage derartiger Kontakte des Aufsichtsrats zu Unternehmensmitarbeitern ist § 84 AktG. Die Tatsache, daß die Ausübung der Personalkompetenz zugleich mit einem Informationsfluß verbunden sein kann, schadet dabei nicht. Allerdings sind Personalkompetenz und Informationsrecht des Aufsichtsrats im Sinne einer „praktischen Konkordanz" dadurch zum Ausgleich zu bringen, daß auch Direktkontakte auf der Grundlage von § 84 AktG auf lediglich gelegentliche sowie die Interessen aller Beteiligten schonendste Wahrnehmung gerichtet sein müssen. Selbst dann geht die Kompetenz des Aufsichtsrats zu Direktkontakten mit Unternehmensmitarbeitern aus § 84 AktG jedoch wesentlich weiter als die Befugnis des Aufsichtsrats zu entsprechenden Kontakten auf der Grundlage des § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG.

Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht: Viel geschmähtes Relikt aus vergangenen Zeiten oder nützliches Finanzierungsinstrument? DIETER

FEDDERSEN

I. Einleitung Nach einer Phase relativer Ruhe gegen Mitte der neunziger Jahre ist das Aktienrecht seit einigen Jahren wieder zum Gegenstand reger Aktivität des Gesetzgebers geworden. Zu nennen sind aus jüngster Zeit etwa das Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (StückAG), das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), das Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (NaStraG) sowie das Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TransPuG). Die genannten Gesetze haben, auch und gerade in Kernbereichen des Aktienrechts, zu bisweilen tiefgreifenden und für Rechtspraxis und Rechtswissenschaft gleichermaßen bedeutsamen Änderungen geführt. So wurde den Unternehmen beispielsweise durch das StückAG die Option eröffnet, anstelle der bisherigen Nennbetragsaktien sog. unechte nennwertlose Stückaktien auszugeben. 1 Durch das KonTraG wurde - neben einer Vielzahl anderer Änderungen - die bis dahin bestehende Möglichkeit, aufgrund einer ministeriellen Sondererlaubnis Mehrstimmrechtsaktien auszugeben (§ 12 Abs. 2 S. 2 AktG), abgeschafft; darüber hinaus sind nach der ebenfalls durch das KonTraG eingeführten Änderung des § 134 Abs. 1 S. 2 AktG Höchststimmrechte jedenfalls bei börsennotierten Unternehmen künftig unzulässig. 2 Das NaStraG führte - wiederum neben einer ganzen Reihe weiterer Änderungen - zu einer weitgehenden Gleichstellung von Namensaktien und Inhaberaktien. 3 Das TransPuG schließlich diente u. a. der Verzahnung des Deutschen Corporate Governance Codex mit dem Aktienrecht. 4 1 BGBl. I 1998, S. 590. Demgegenüber sind „echte" nennwertlose Aktien, die einen prozentualen Anteil am Gesellschaftsvermögen verkörpern (sog. „Quotenaktien") auch künftig nicht zulässig. 2 BGBl. I 1998, S. 786. Vgl. aber zu beiden Änderungen die Übergangsregelung in § 5 EGAktG. 3 BGBl. 1 2 0 0 1 , S. 123. 4 BGBl. 1 2 0 0 2 , S. 2681.

106

Dieter Feddersen

Den hier herausgestellten Änderungen liegen, wie auch aus den entsprechenden Passagen der Gesetzesbegründungen hervorgeht, im wesentlichen zwei Motive zugrunde. Zum einen soll, etwa durch den Abbau von Stimmrechtsdifferenzierungen (Stichwort: „one share - one vote"), eine möglichst weitgehende Gleichbehandlung der verschiedenen Aktiengattungen hergestellt werden. Zum anderen soll die Transparenz des Unternehmens für Aktionäre und vor allem potentielle Anleger erhöht werden. Demgegenüber sind die jüngsten Änderungen an der, in den §§ 139ff. A k t G geregelten Vorzugsaktie im wesentlichen spurlos vorübergegangen. 5 Dies ist deshalb, wenn nicht überraschend, 6 so doch zumindest bemerkenswert, weil sich das Rechtsinstitut der Vorzugsaktie ohne Stimmrecht in den vergangenen Jahren - und zwar auch und gerade unter den Gesichtspunkten der Gleichbehandlung der Aktionäre und der Transparenz - zunehmender Kritik sowohl in der rechtswissenschaftlichen Literatur als auch von Seiten zahlreicher Analysten ausgesetzt sah, 7 und auch die praktische Bedeutung dieser Aktiengattung in jüngerer Zeit mehr und mehr zurückgeht. 8 Vor diesem Hintergrund bietet der vorliegende Beitrag Anlass und Gelegenheit, sich einmal der Frage zuzuwenden, ob die stimmrechtslose Vorzugsaktie heute nur noch ein „Relikt" 9 aus der Zeit der Entstehung des Aktiengesetzes darstellt, das vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen als ein wertpapierrechtliches Auslaufmodell 1 0 anzusehen ist, oder ob sie - etwa als Finanzierungsinstrument - nach wie vor ihre Berechtigung im Gefüge des deutschen Aktienrechts hat. Die nachfolgenden Ausführungen werden zeigen, dass bei der Beantwortung dieser Frage auch Gesichtspunkte aus der Corporate Governance-Diskussion zu berücksichtigen sind, die der verehrte Jubilar mit innovativen Vorschlägen begleitet hat. 11 In der Hoffnung, dass die folgenden Zeilen die kritisch-freundliche Aufnahme des Jubilars finden, sei diesem daher der nachfolgende Diskussionsbeitrag zugedacht.

5 Lediglich § 139 Abs. 2 A k t G wurde der Möglichkeit zur Ausgabe von Stückaktien angepasst. 6 Von Seiten einiger Analysten wird bereits seit geraumer Zeit die Abschaffung stimmrechtsloser Vorzugsaktien erwartet, vgl. etwa die F.A.Z. vom 28.06.1997 („Merck rechnet mit einer Abschaffung der Vorzugsaktien"). 7 Vgl. etwa DWS-Vorstandsmitglied Strenger in der Ausgabe 8/1997 der Zeitschrift „Finanzen", S. 30: „Sie gehören in die Mottenkiste." 8 Hierzu nachfolgend unter II. 2. 9 So ausdrücklich die Analysten von H S B C Trinkaus in der F.A.Z. vom 08.04.1998. Ähnlich auch D W S in der F.A.Z. vom 13.11.1997 („Nicht mehr zeitgemäß"). 10 So etwa die „Welt" vom 11.07.2000, S. 21. 11 Ulmer Die Aktionärsklage als Instrument zur Kontrolle des Vorstands- und Aufsichtsratshandelns, Z H R 163 (1999) 290ff.

Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht

107

II. D i e E n t w i c k l u n g der Vorzugsaktie 1. Geschichtlicher

Rückblick

Eine gesetzliche Regelung der Vorzugsaktie ohne Stimmrecht findet sich in Deutschland erstmals in den §§ 115 bis 117 des Aktiengesetzes von 1937, das hierbei maßgeblich auf zwei Regierungsentwürfe aus der Weimarer Zeit von 1930 und 1931 zurückgriff. 12 Ihre Einführung ist dann auch vor dem Hintergrund der damaligen wirtschaftlichen Situation Deutschlands nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sowie der Weltwirtschaftskrise zu sehen: Stimmrechtslose Vorzugsaktien wurden als notwendiges Instrument zur Unternehmensfinanzierung angesehen, durch das insbesondere auch ausländisches Kapital gewonnen und langfristig in den Unternehmen gebunden werden sollte. Die Vorteile dieser Aktienform wurden insbesondere darin gesehen, dass das Unternehmen anders als etwa bei einer Schuldverschreibung nur dann mit einer Zahlungspflicht belastet wird, wenn ein entsprechender Gewinn erwirtschaftet wurde. Gleichzeitig ermöglichte sie im Gegensatz zur Ausgabe von Stammaktien die Wahrung bestehender Machtverhältnisse und bot somit einen Schutz vor unerwünschter Überfremdung. Interessant ist dabei die Tatsache, dass man sich bei der Ausgestaltung dieser Aktienform offenbar von den in England und den USA bereits damals geläufigen „preference shares" bzw. „preferred stocks" inspirieren ließ. 13 1965 wurden die Regelungen der §§ 115 bis 117 A k t G 1937dann mit wenigen Änderungen in das neue Aktiengesetz übernommen. Die wohl bedeutendste dieser Änderungen lag in der Anhebung des zulässigen Gesamtnennbetrages der Vorzugsaktien auf die Hälfte des Grundkapitals der ausgebenden Gesellschaft. Seitdem gelten die heutigen §§ 139 bis 141 A k t G im Kern nahezu unverändert fort.

2. Wirtschaftliche

Bedeutung

Die Ausweitung der Möglichkeit, stimmrechtslose Vorzugsaktien auszugeben durch die Reform des Aktiengesetzes von 1965 wurde überwiegend als Überraschung angesehen, 14 hatte doch diese Aktiengattung unter der Geltung des A k t G 1937 nur eine ausgesprochen geringe Bedeutung erlangt. So verfügten im Jahre 1963 in Deutschland gerade einmal 20 börsennotierte Unternehmen über Vorzugsaktien, und noch zu Beginn der achtziger Jahre

12

Vgl. Kriebel A G 1963,175; Siebel Z H R 161 (1997) 629, 637. Eingehend zur Geschichte und Entwicklung der Vorzugsaktie Bezzenberger Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, 1991, S. 5ff., 35ff. 14 Vgl. etwa Kriebel A G 1963, 175, 176 zu dem entsprechenden Vorschlag des Wirtschaftsausschusses aus dem Jahr 1963. 13

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Dieter Feddersen

hatten von den damals gut 450 börsennotierten Unternehmen lediglich knapp 7 % Vorzugsaktien in den Handel gegeben.15 Gegen Mitte der achtziger Jahre stieg diese Zahl dann jedoch sprunghaft auf das Sechsfache an, so dass bereits im Jahre 1989 gut 17 % aller in Deutschland börsennotierten Gesellschaften zumindest auch Vorzugsaktien an der Börse hatten. 16 Die Bandbreite dieser Gesellschaften reichte dabei von unter der Kontrolle von Gebietskörperschaften stehenden Konzernen (ζ. B. RWE) bis hin zu mittelständisch geprägten Unternehmen. Es folgte eine Zeit der Blüte, die bis weit in die neunziger Jahre hinein reichte und an deren Ende sieben der Dax-30-Unternehmen und gar 28 der Dax-100-Unternehmen Vorzugsaktien ausgegeben hatten. 17 Eine erneute Kehrtwende in der Haltung gegenüber Vorzugsaktien ist nun wiederum seit einigen Jahren zu verzeichnen. Zahlreiche namhafte Aktiengesellschaften haben ihre Vorzugsaktien in der jüngsten Vergangenheit eingezogen, umgetauscht oder zurückgekauft bzw. planen gegenwärtig derartige Maßnahmen. Hierunter fallen u. a. die Deutsche Babcock, FAG Kugelfischer, Fielmann, Gerry Weber, GfK, Grohe, Herlitz, Kölnische Rück, Lufthansa, Metro, MLP, Puma, Sixt, RWE und SAP.18 Insgesamt sind heute von den im Dax-100 gelisteten Unternehmen nur noch 18 über Vorzugsaktien an der Börse vertreten. Mit ihren Vorzugsaktien selber werden im Dax-100 gar nur elf von ihnen notiert. 19 Interessanterweise befinden sich unter diesen Unternehmen drei der „Gewinner" des Jahres 2000. 20 3. Performance Weniger volatil als die wirtschaftliche Bedeutung der Vorzugsaktie hat sich im Laufe der Jahre das Verhältnis ihres Börsenkurses gegenüber dem der Stammaktien derselben Gesellschaft gezeigt. Allerdings waren auch hier je nach Unternehmen und Beobachtungszeitraum gewisse Schwankungen zu verzeichnen. So lagen die Notierungen von Vorzugsaktien in den Jahren 1982 und 1983 im Durchschnitt leicht über denjenigen der Stammaktien. Bei einigen Unternehmen, zu denen mit der Henkel A G auch das einzige mit Vorzugsaktien im Dax-30 vertretene Unternehmen gehört, wurden die Vorzüge sogar durchweg höher notiert als die entsprechenden Stammaktien.21 Knebel AG 1963,175, 176; Bezzenberger a.a.O., S. 35 ff. Bezzenberger a.a.O., S. 35 ff. 17 Vgl. F.A.Z. vom 08.04.1998. 18 Hillebrandt/Schremper BB 2001, 533. 19 Auffällig ist dabei, dass dies nur bei einem Unternehmen (Henkel) aus dem Dax-30 der Fall ist, während im M-Dax immerhin zehn Vorzugswerte vertreten sind. 20 Hierbei handelt es sich um die Aktien der Hugo Boss AG, der R H Ö N - K L I N I K U M A G und der Wella AG, vgl. „Finanzen" 01/2001, S. 40. 21 Jung/Wachtler AG 2 0 0 1 , 5 1 3 , 5 1 5 . 15

16

109

Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht

Bei der ganz überwiegenden Mehrzahl der Unternehmen jedoch hat sich im Laufe der Jahre gezeigt, dass Vorzugsaktien je nach Zins- und allgemeinem Börsenniveau durchschnittlich einen um etwa 1 0 - 3 0 % , in Einzelfällen auch bis zu 50 % niedrigeren Börsenkurs als die jeweiligen Stammaktien aufweisen. 2 2 D i e Vorzugsdividende wird daher v o m Markt ganz offenbar nicht als ein gleichwertiger Ersatz für das fehlende Stimmrecht angesehen.

III. Die Kritik an der Vorzugsaktie A u f der Suche nach den Gründen für die in den letzten Jahren stark zurückgehende Zahl von Gesellschaften mit Vorzugsaktien stößt man schon bald auf eine Vielzahl von Argumenten, die zum Teil auf die F u n k t i o n der Vorzugsaktie als Finanzierungsinstrument abstellen, zum Teil aber auch den mitgliedschaftsrechtlichen Charakter der Aktie in den Vordergrund stellen, und aus denen eine zunehmend kritische Haltung gegenüber dieser Aktienf o r m hervorgeht. Diese Argumente gilt es, zunächst im Einzelnen darzustellen. 1. Finanzierungsfunktion

der

Vorzugsaktie

Ein wesentliches Argument gegen die Beibehaltung der Vorzugsaktie ergibt sich nach Ansicht vieler U n t e r n e h m e n aus der zunehmenden Internationalisierung der Kapitalmärkte. D a auf internationaler E b e n e keine einheitlichen Vorgaben über die Ausgestaltung von Vorzugsaktien

existieren, 2 3

weichen die mit dieser A k t i e n f o r m verbundenen R e c h t e je nach Land und U n t e r n e h m e n mitunter erheblich voneinander ab. D i e damit verbundene mangelnde Transparenz ist geeignet, vor allem internationale Anleger von der Investition in ein Unternehmen, das sowohl Stamm- als auch Vorzugsaktien ausgegeben hat, abzuschrecken, da sie über den genauen Inhalt ihrer Rechte, insbesondere im Verhältnis zu den übrigen Aktionären häufig im Unklaren bleiben werden oder dies jedenfalls befürchten. 2 4 Ein weiteres Argument gegen Vorzugsaktien ergibt sich aus der gewachsenen Bedeutung von indexnachbildenden F o n d s , Indexzertifikaten und Indexaktien. 2 5 D i e A u f n a h m e eines Wertes in einen solchen F o n d s bzw. Index kann zu einer erheblich verstärkten Nachfrage im H i n b l i c k auf diesen Jung/Wachtler AG 2001, 513, 515; Reckinger AG 1983, 216, 221; Pellens/Hillebrandt AG 2001, 57, 58; Bezzenberger a.a.O., S. 38. 23 Vgl. aber Art. 33 Abs. 2 des dritten geänderten Vorschlags einer fünften Richtlinie vom 20.11.1991 (sog. „Strukturrichtlinie"), ABl. EG 1991 Nr. C 321, S. 9ff. Danach sollen, was § 139 Abs. 2 AktG bereits vorsieht, Vorzugsaktien nur bis zu einer Höhe von 50 % des gezeichneten Kapitals ausgegeben werden dürfen. 24 Pellens/Hillebrandt AG 2001, 57, 66. 25 Vgl. hierzu Pellens/Hillebrandt AG 2001, 57, 67. 22

110

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Wert und damit zu einer entsprechenden Kursbeeinflussung führen. Die schon bislang für D o w Jones-Indizes - und seit Juni 2002 auch für die Indizes der Deutschen Börse - geltende Regelung, wonach bei der Auswahl der Werte für einen bestimmten Index jede Aktie eines Unternehmen separat berücksichtigt wird, kann bei einem Unternehmen, das sowohl Stamm- als auch Vorzugsaktien ausgegeben hat, dazu führen, dass das Unternehmen im Fonds bzw. Index nicht berücksichtigt wird, weil die entsprechenden Größenkriterien zwar von allen Aktiengattungen zusammen, nicht aber auch von einer alleine erreicht werden. Schließlich tragen auch das in den vergangenen Jahren erheblich veränderte Anlageverhalten der Kapitalmarktteilnehmer und die deutlich erhöhte Risikobereitschaft dazu bei, dass den speziellen Merkmalen der Vorzugsaktien weniger Gewicht beigemessen wird: So geht es den Anlegern häufig weniger um eine stetige Rendite als vielmehr um möglichst hohe Kursgewinne. Auch sind im Hinblick auf mögliche Ubernahmen insbesondere Großanleger weniger an der Dividendenberechtigung als vielmehr an echten Mitspracherechten interessiert, die nur die Stammaktie vermittelt. 2. Die Vorzugsaktie als

Mitgliedschaftsrecht

Abgesehen von den soeben genannten Argumenten, die gegen ihre Eignung als Finanzierungsinstrument vorgebracht werden, sieht sich die Vorzugsaktie aber auch in ihrer Funktion als Mitgliedschaftsrecht Kritik ausgesetzt. Diese gründet sich zum einen auf die bereits angesprochenen Kursabschläge gegenüber den Stammaktien, die bei einigen Werten 50 % erreichen oder gar überschreiten: Die Rechtfertigung der hiermit verbundenen vermögensmäßigen Schlechterstellung der Vorzugsaktionäre selber wie auch der negativen Auswirkungen auf den Börsenwert des Unternehmens insgesamt seien den Anteilseignern gegenüber kaum noch zu rechtfertigen. 26 Kritik ruft zum anderen aber auch das, gemessen an ihrer Kapitalbeteiligung, überhöhte Stimmrecht der Stammaktionäre hervor. Hat etwa eine Gesellschaft Vorzugsaktien in der von § 139 Abs. 2 AktG maximal zugelassenen Höhe von 50 % des Grundkapitals ausgegeben, so reicht bereits eine 25 %ige Kapitalbeteiligung aus, um in der Hauptversammlung sämtliche Beschlüsse fassen zu können, für die Gesetz bzw. Satzung eine einfache Mehrheit vorsehen; satzungsändernde Beschlüsse sind in diesem Fall bereits bei einer Kapitalbeteiligung von 37,5 % möglich. Ein derartiges Ubergewicht an Einfluss der Stammaktionäre sei mit dem Gedanken der Aktionärsdemokratie unvereinbar. 27 26

Pellens/Hillebrandt A G 2001, 57. So bereits Kriebel A G 1963,175,176, im Hinblick auf das gleichgelagerte Problem bei den - inzwischen allerdings abgeschafften — Mehrstimmrechten. 27

Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht

3. Argumente aus der „Corporate

111

Governance"-Diskussion

In ähnlicher Form, wenn auch gleichsam in anderem Gewand, erscheinen einige der oben genannten Kritikpunkte nun in jüngster Zeit noch unter einem anderen Gesichtspunkt, und zwar den Grundsätzen der Corporate Governance. Angestoßen durch die Kritik insbesondere ausländischer Großinvestoren am Fehlen einheitlicher Regeln über die Corporate Governance deutscher Unternehmen, haben sich in den vergangenen Jahren gleich mehrere Kommissionen für die Erarbeitung entsprechender Modellgrundsätze gebildet.28 Den von ihnen vorgelegten Grundsätzen 29 liegen - bei allen Unterschieden in den Einzelheiten - im Kern die bereits in den OECD-Principles of Corporate Governance von 1999 enthaltenen Aussagen zugrunde. Im vorliegenden Zusammenhang sind dabei insbesondere die Forderungen nach einer Gleichbehandlung der Aktionäre („one share - one vote") und nach Offenheit und Transparenz der Unternehmen von Interesse.30 Vorzugsaktien erscheinen auf den ersten Blick gegenüber all diesen Forderungen in einem weniger günstigen Licht. Weder entsprechen sie vordergründig dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre, ist doch ihr Ziel gerade eine sowohl nach Stimmrecht als auch nach den Vermögensrechten differenzierende Behandlung der Anteilseigner, noch tragen sie zur Offenheit und Transparenz der Unternehmen für Aktionäre und außenstehende Dritte bei, da das Vorhandensein und die konkrete Ausgestaltung verschiedener Aktiengattungen einen erheblichen Informationsaufwand erfordern.31 Schließlich stößt unter Corporate Governance-Gesichtspunkten auch die Tatsache auf Kritik, dass die Stammaktionäre infolge der ungleichen Ver-

2 8 Hierbei handelt es sich von privater Seite um die „Grundsatzkommission Corporate Governance" und den „Berliner Initiativkreis German C o d e of Corporate Governance", von staatlicher Seite um die Regierungskommission „Corporate Governance - U n t e r nehmensführung - Unternehmenskontrolle - Modernisierung des Aktienrechts" und die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Codex. D e r Verfasser hatte die Ehre, und das Vergnügen, in der Grundsatzkommission Corporate Governance und der O E C D - R u n d e mitwirken zu dürfen. 2 9 Der Deutsche Corporate Governance C o d e x wurde am 2 6 . 0 2 . 2 0 0 2 der Offenlichkeit vorgestellt, vgl. Z I P 2002, 452. Vgl. aber auch den „ C o d e of Best Practice" der Grundsatzkommission Corporate Governance, abgedruckt in A G 2 0 0 0 , 1 0 6 . Die jeweils aktuelle Version ist unter http://www.corgov.de abrufbar. 3 0 Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die bislang vorgelegten Grundsätze zur Vorzugsaktie selber keine Aussage enthalten. Gegenstand sind - mit Abweichungen in den Einzelheiten - vielmehr die Themenkreise Leitungsfunktion, Aufsichtsrat, Interessenkonflikte, Transparenz und Rechnungslegung. 31 Wenngleich (auch) die Aktionärsstruktur eines Unternehmens für die Investitionsentscheidung von Bedeutung sein kann, darf indes nicht außer Acht gelassen werden, dass der Grundsatz der Transparenz unter Corporate Governance-Gesichtspunkten in erster Linie auf die wirtschaftlichen Grundlagen des Unternehmens bezogen wird.

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112

teilung von Kapitalbeteiligung und Stimmrecht bei Stamm- und Vorzugsaktien nicht die vollen ökonomischen Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen. 32

IV. Würdigung Vor dem Hintergrund dieser vielschichtigen und zum Teil grundsätzlichen Argumente gegen Vorzugsaktien scheint das vollständige Verschwinden dieser Aktiengattung aus der deutschen Aktienlandschaft - sei es aufgrund der Eigeninitiative der betroffenen Unternehmen, sei es aufgrund eines regulativen Eingriffs des Gesetzgebers - auf den ersten Blick nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Andererseits hat der Gesetzgeber, der in den vergangenen Jahren gleich mehrfach Gelegenheit gehabt hätte, etwa im Zusammenhang mit der Abschaffung der Mehrstimmrechte auch die Möglichkeit zur Ausgabe von Vorzugsaktien einzuschränken, von einer derartigen Maßnahme offenbar bewußt abgesehen. Aus diesem Grund soll nachfolgend untersucht werden, ob sich ungeachtet der vorstehend aufgezeigten Argumente gegen die Vorzugsaktie nicht doch auch Gründe finden lassen, die die Beibehaltung dieser Aktienform rechtfertigen. 1. Geeignetes

Finanzierungsinstrument?

Soweit es zunächst die gegen die Eignung der Vorzugsaktie als Finanzierungsinstrument vorgebrachten Einwände angeht, sind diese unbestreitbar von erheblichem Gewicht. Die Internationalisierung der Kapitalmärkte erfordert eine möglichst weitgehende Homogenität der gehandelten Produkte; die Existenz unterschiedlich ausgestalteter Arten von Aktien läuft dem tendenziell zuwider. Auch weisen die Börsenzulassungsvorschriften in den verschiedenen Ländern zum Teil beachtliche Unterschiede auf; erinnert sei in diesem Zusammenhang an die von zahlreichen deutschen Unternehmen vorgenommene Umstellung von Inhaberaktien auf Namensaktien, um den Gepflogenheiten der N e w York Stock Exchange zu entsprechen, an der ein unmittelbarer Handel von Aktien nur bei sog. „registered shares" erfolgt. Ebenso ist die Abschaffung von Vorzugsaktien, wenn allein ihre Existenz der Aufnahme der Aktien der betreffenden Gesellschaft in einen der bedeutenden Aktienfonds entgegensteht, nur allzu verständlich, ja möglicherweise sogar ein Gebot unternehmerischer Vernunft. Schließlich entspricht es auch dem allgemeinen

32

Pellens/Hillebrandt

A G 2001, 57, 61.

Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht

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Grundsatz von Angebot und Nachfrage, eine Aktiengattung, die aufgrund eines veränderten Anlageverhaltens der Kapitalmarktteilnehmer nicht oder nur schwach nachgefragt wird, gleichsam „aus dem Sortiment" zu nehmen. Ein wenig an Schwung verlieren indes jedenfalls die beiden erstgenannten Argumente, wenn man bedenkt, dass Vorzugsaktien an den beiden zentralen Finanzplätzen in London und vor allem N e w York, von denen die Internationalisierung ja gerade ausgeht, nach wie vor als bewährtes Finanzierungsinstrument genutzt werden. Vor allem aber dürften die genannten Erwägungen nicht auf alle Unternehmen gleichermaßen zutreffen: Nicht jedes Unternehmen strebt auf die internationalen Kapitalmärkte oder stellt ein begehrtes Ziel für internationale Anleger dar. Auch kommt bereits aufgrund ihrer jeweiligen Größe die weit überwiegende Mehrzahl aller Unternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft erst gar nicht für die Aufnahme in einen Fonds oder Aktienindex in Betracht. Insbesondere im Hinblick auf Familiengesellschaften und andere kleine und mittlere Unternehmen, denen die Rechtsform der Aktiengesellschaft durch das Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts 3 3 gerade schmackhaft gemacht werden sollte, verlieren die oben dargestellten Bedenken damit erheblich an Gewicht. Auch das genannte Anlageverhalten - welches im übrigen, jedenfalls soweit es die breite Masse der Privatanleger betrifft, erst seit einiger Zeit festzustellen ist - könnte sich aufgrund der unterschiedlichsten Umstände innerhalb kurzer Zeit wieder grundlegend und nachhaltig ändern. Dabei muss nicht auf so einschneidende Ereignisse wie die Terroranschläge in N e w York und Washington rekurriert werden. Als sehr viel naheliegender und wahrscheinlicher ist beispielsweise die Möglichkeit anzusehen, dass die wachsende Bedeutung von Aktien als ergänzende Anlage zur Alterssicherung ein weniger auf kurzfristige Gewinnmaximierung als vielmehr auf stetigen Wertzuwachs gerichtetes Anlageverhalten nach sich zieht. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang etwa auf die positiven Entwicklungen in den U S A , wo Aktien - nicht zuletzt aufgrund einer entsprechenden steuerlichen Förderung - mittlerweile ein wichtiges Element der Altersvorsorge darstellen. 34 Die oben dargestellten Argumente gegen Vorzugsaktien als Finanzierungsinstrument treffen daher weder auf alle Unternehmen gleichermaßen zu, noch müssen sie, soweit es das Argument des Anlageverhaltens betrifft, in gleichem Maße wie bisher auch in Zukunft gelten.

B G B l . 1 1994, S. 1961. Demgegenüber nehmen sich die Ansätze, Aktien in die Altersversorgung einzubeziehen, in Deutschland (vgl. etwa die Initiative von Bundesarbeitsminister Riester, Maßnahmen der privaten Altersvorsorge ζ. B. durch Aktien staatlich zu fördern) und Europa bislang eher schüchtern aus. 33 34

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Dieter Feddersen

D a r ü b e r hinaus k o m m t der Vorzugsaktie gerade in der ihr ursprünglich zugedachten F u n k t i o n als Finanzierungsinstrument im gegenwärtigen wirtschaftlichen U m f e l d potentiell wieder eine gewachsene Bedeutung zu, die möglicherweise noch nicht von allen betroffenen U n t e r n e h m e n in vollem U m f a n g erkannt worden ist. D i e Aktien einer Vielzahl

börsennotierter

U n t e r n e h m e n werden derzeit unterhalb ihres echten oder - bei Stückaktien „fiktiven" Nennbetrages gehandelt. Auch und gerade diese U n t e r n e h m e n haben zum Teil akuten Bedarf an einer Zufuhr von Eigenkapital. D a eine Ausgabe von Aktien unter pari nicht möglich ist (§ 9 Abs. 1 A k t G ) und die Bereitschaft, unter pari notierte Aktien zu einem höheren Emissionspreis zu zeichnen, verständlicherweise gering ist, ist eine Kapitalerhöhung in einer solchen Situation in aller Regel nicht erfolgversprechend. H i e r lässt sich durch die Ausgabe entsprechend attraktiv ausgestalteter Vorzugsaktien m ö g licherweise doch n o c h eine Nachfrage generieren und so die Zufuhr frischen Eigenkapitals erreichen. 3 5 Es kann somit festgehalten werden, dass Vorzugsaktien je nach G r ö ß e und wirtschaftlicher Situation des emittierenden Unternehmens einerseits sowie der angesprochenen Zielgruppe andererseits auch heute n o c h ein durchaus geeignetes und gegenüber Stammaktien unter Umständen sogar vorzugswürdiges Finanzierungsinstrument darstellen können.

2. Ungerechtfertigte

Ungleichbehandlung?

Kritik wird der Vorzugsaktie des weiteren aufgrund der wirtschaftlichen und vor allem aktienrechtlichen Schlechterstellung der Vorzugsaktionäre gegenüber den Stammaktionären derselben Gesellschaft entgegengebracht. In der Tat stellt insbesondere der Ausschluss des Stimmrechts eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsposition des Aktionärs dar, hat doch

der BGH das Stimmrecht als „das wichtigste mitgliedschaftsrechtliche waltungsrecht

des Aktionärs"

Ver-

bezeichnet. 3 6 A u c h der bei Vorzugsaktien in

aller Regel festzustellende Kursabschlag macht die Bedeutung des Stimmrechts für die Anleger deutlich. Indes lässt sich allein hieraus die fehlende Berechtigung des Rechtsinstituts der Vorzugsaktie nicht herleiten; insbesondere verbietet sich ein Vergleich mit den im Zusammenhang mit der Abschaffung von Mehrstimmrechtsaktien angestellten Überlegungen. Insoweit ist der Begründung zum Referentenentwurf des K o n T r a G zuzustimmen, in der es heißt:

„Die Einräumung von Einfluß ohne korrespondierendes Anteilseigentum entspricht [...] nicht den Erwartungen des Kapitalmarktes und schwächt 35

Dabei ist allerdings zu beachten, dass Vorzugsaktien nach dem Regelwerk Neuer Markt in diesem Börsensegment nicht zum Handel zugelassen sind. 36 BGHZ70,117,122.

Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht

115

die Eigentümerkontrolle. Dies ist anders zu beurteilen, wenn dem Markt eine eigene Aktiengattung (stimmrechtsloser Vorzugsaktien) mit gesetzlich umrissenen Rechten angeboten wird, die er auch entsprechend niedriger bewertet. "37 Gerade in dieser Überlegung liegt der Schlüssel für die aktienrechtliche Legitimation der Vorzugsaktien. Die mit ihnen verbundenen Nachteile werden nämlich durch das Faktum überlagert, dass mit ihrem Erwerb kein Überraschungseffekt verbunden ist: Die Erwerber von Stammaktien können vorab ohne Weiteres feststellen, ob die Gesellschaft auch Vorzugsaktien ausgegeben hat und welche vermögensrechtlichen Rechte diese gewähren. Ebenso weiß der Zeichner von Vorzugsaktien, worauf er sich bei ihrem Erwerb einlässt. Er ist nicht gezwungen, diese anstelle der Stammaktien zu zeichnen. Wenn er sich aber in Kenntnis der Tatsache, dass ihm seine Anteile keinen entsprechenden Stimmrechtseinfluss vermitteln, für die Vorzugsaktie entscheidet, dann ist kein Grund ersichtlich, hierin einen Verstoß gegen die Aktionärsdemokratie zu sehen, zumal ein wesentliches Element der Demokratie eben auch die Freiheit ist, von seinen Rechten keinen Gebrauch zu machen oder auf sie zu verzichten, und dem Vorzugsaktionär im Gegenzug ja auch eine gesonderte finanzielle Leistung gewährt wird. Im Gegenteil: Die bereits bei der Einführung der Vorzugsaktie angestellte Überlegung, zwischen sog. „Verwaltungsaktionären", die an den Entscheidungen der Gesellschaft teilnehmen wollen, und sog. „Finanzaktionären", deren Interesse in erster Linie finanzieller Art ist, zu unterscheiden, erscheint angesichts von zum Teil ausgesprochen unbefriedigenden Hauptversammlungspräsenzen heute aktueller denn je. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erweist sich die Vorzugsaktie keineswegs als ein undemokratisches, die Vorzugsaktionäre in ungerechtfertigter Weise benachteiligendes Instrument.

3. Verstoß gegen „ Corporate

Governance"?

Die unter dem Gesichtspunkt von Corporate Governance gegenüber Vorzugsaktien bestehenden Bedenken lassen sich allein mit diesen Überlegungen indes noch nicht vollständig ausräumen. Zwar ist auch hier ein wesentliches Motiv die Gleichbehandlung der Aktionäre, der mit dem Argument der autonomen Entscheidung des Zeichners Rechnung getragen werden könnte. Indes ist diese Forderung im Rahmen der Corporate Governance-Diskussion gleichsam eingebettet in die allgemeinere Forderung nach Transparenz und Offenheit der Unternehmen, die zwar - auch - im Interesse des einzelnen Aktionärs, darüber hinaus aber auch im Interesse des Rechtsverkehrs im 37

S. 27 der Begründung.

D i e t e r Feddersen

116

Allgemeinen erhoben wird. Dabei darf die insoweit geübte Kritik an der Vorzugsaktie allerdings nicht vordergründig so stark gewichtet werden wie andere Folgen schlechter Corporate Governance. Hierher rechnen etwa die z.T. schwerwiegenden Mängel von Emissionen am Neuen Markt, die noch nicht völlig aufgeklärten Ursachen des E N R O N - Z u s a m m e n b r u c h s 3 8 und andere negative Entwicklungen, von denen einige im Übrigen, zumal wenn sie auf schwerwiegenden Verstößen oder gar strafbaren Handlungen der geschäftsführenden Organe beruhen, auch bei Beachtung der Corporate Governance-Regeln über Unternehmenskontrolle eintreten können. Indes existiert auch insoweit eine Vielzahl denkbarer Möglichkeiten, um diese Interessen auch ohne die Abschaffung der Vorzugsaktien hinreichend zu berücksichtigen. So ließe sich etwa an Informations- und Berichtspflichten der Verwaltung bezüglich der Ausgabe bzw. Beibehaltung von Vorzugsaktien im Rahmen der jährlichen Hauptversammlung denken, die im übrigen auch heute schon durch das Fragerecht der Aktionäre zumindest faktisch abgesichert werden. Institutionelle Anleger haben ohnehin über entsprechende Informationssysteme, jedenfalls aber über die Satzung, die Möglichkeit, sich ein Bild über die Zusammensetzung des Aktienkapitals eines Unternehmens zu verschaffen. Der Grundsatz der Transparenz lässt sich, wenn man ihn dann durch die Existenz von Vorzugsaktien überhaupt gefährdet sieht, durch entsprechende Informationen und Berichte, deren Erteilung ggf. rechtlich abgesichert werden könnte, ohne Weiteres gewährleisten. 4. Weitere

Argumente

Über die bereits genannten Argumente hinaus lässt sich aber noch ein weiterer Grund finden, der für die Beibehaltung des Rechtsinstituts der Vorzugsaktie spricht. Hierbei ist in erster Linie ihre ebenfalls schon bei ihrer Einführung hervorgehobene Funktion als Instrument zum Schutz vor Ü b e r fremdung zu nennen. Dieser Gesichtspunkt hat insbesondere für Familiengesellschaften, in denen alle maßgeblichen Entscheidungen einem eng begrenzten Personenkreis vorbehalten bleiben sollen, nach wie vor unverändertes Gewicht. Darüber hinaus hat dieser Gedanke in jüngster Zeit - wenn auch in einer gegenüber seiner historischen Bedeutung leicht abgewandelten Form, unter dem Eindruck feindlicher Übernahmen erheblich an Aktualität gewonnen. So würde in dem bereits oben genannten - zugegebenermaßen wenig prak-

3 8 Diese Entwicklung ist umso bedauerlicher, als sie die oben genannten, positiven Erfahrungen mit Aktien als Instrument der Altersversorgung in erheblicher Weise negativ beeinflusst.

Die Vorzugsaktie ohne Stimmrecht

117

tischen - Fall einer Gesellschaft, deren Aktienbestand sich je zur Hälfte aus Stammaktien und Vorzugsaktien zusammensetzt, bereits eine Kapitalbeteiligung von 1 2 , 6 % , die sich in den Händen eines dem Unternehmen nahestehenden Großaktionärs befindet, ausreichen, um zu verhindern, dass der Erwerbsinteressent die angestrebte satzungsändernde Mehrheit erlangt. Aber auch in dem schon realistischeren Fall, dass der Anteil an Vorzugsaktien nur 20 % beträgt, wird die entsprechende Sperrminorität bereits bei einer Kapitalbeteiligung von 20,01 % erreicht. Zwar hat sich im Zusammenhang mit der neuen Initiative der E U - K o m mission zur Schaffung einheitlicher Regelungen für Unternehmensübernahmen erst jüngst eine Expertengruppe dafür ausgesprochen, dass die Hauptversammlung über Ubernahmeangebote nach dem Prinzip „one share - one vote" entscheiden sollte, so dass insoweit auch Vorzugsaktionären ein Stimmrecht zustehen würde. 3 9 O b und inwieweit diese Vorschläge letztlich Gesetz werden, bleibt indes abzuwarten, 4 0 zumal nach den jüngsten Entscheidungen des E u G H zur Frage der Zulässsigkeit sog. „Golden Shares" davon auszugehen sein dürfte, dass die §§ 139 ff. A k t G nicht in Widerspruch zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrages stehen. 41

V. Schlussbetrachtung und Ausblick Das weitere Schicksal der Vorzugsaktie in Deutschland wird in maßgeblicher Weise von der weiteren Entwicklung der Kapitalmärkte und den Vorgaben insbesondere im Zusammenhang mit der Übernahmegesetzgebung abhängen. Es hat sich aber gezeigt, dass die gegen die Vorzugsaktie als Finanzierungsinstrument vorgebrachten Einwände nur im Hinblick auf einen Teil der Unternehmen verfangen, wobei es sich insbesondere um Großunternehmen handelt, die auf die internationalen Kapitalmärkte streben. Bei einer Vielzahl von insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen, die vor-

Vgl. den Bericht in der F.A.Z. vom 16.01.2002 (S. 23). So wurde bereits wenige Wochen nach Veröffentlichung der Expertenvorschläge von internen Überlegungen der EU-Kommission berichtet, nationale Sonderregelungen, die die Übernahme von Unternehmen erschweren können, in bestimmtem Umfang auch künftig zuzulassen, vgl. die F.A.Z. vom 16.02.2002 (S. 40). 41 Vgl. EuZW 2002, 429ff. Anders als in den vom E u G H entschiedenen Fällen ergibt sich die dargestellte Machtposition der Vorzugsaktionäre nämlich nicht aus besonderen, zusätzlichen Rechten, über die nur ihre Aktiengattung verfügt. Sie beruht vielmehr allein darauf, dass satzungsändernde Beschlüsse erst ab einer bestimmten Beteiligungsschwelle möglich sind. Insoweit unterscheidet sich die Wirkungsweise der Vorzugsaktien daher nicht von derjenigen der Stammaktien. 39

40

118

Dieter Feddersen

wiegend den nationalen Aktienmarkt im Blick haben, verbleibt der Vorzugsaktie in ihrer Funktion als Finanzierungsinstrument hingegen je nach Lage des Falles nach wie vor ein eigenständiger und sinnvoller Anwendungsbereich. Auch die Benachteiligung der Vorzugsaktionäre in ihrer mitgliedschaftsrechtlichen Position erscheint vor dem Hintergrund, dass jeder Aktionär in der Entscheidung darüber, für welche Aktiengattung er sich entscheidet, frei ist, wohl nicht als ausreichend gewichtiger Grund für die bisweilen geforderte Abschaffung dieser Aktienform. Den - berechtigten - Forderungen nach einer möglichst weitgehenden Transparenz der Unternehmen für nationale und internationale Akteure kann durch vielfältige Maßnahmen, von denen hier nur einige angesprochen werden konnten, hinreichend Rechnung getragen werden. Sofern aber der Grundsatz der Transparenz gewahrt ist, spricht nichts dagegen, viele Blumen im Garten wachsen zu lassen. Sie müssen nicht alle dem vorgeschriebenen Rot oder Blau entsprechen, sofern der Aktionär ausreichend aufgeklärt wird über die mit der Wahl der Vorzugsaktie verbundenen Vor- und Nachteile.

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Inhaberin von Kennzeichenrechten K A R L - H E I N Z FEZER

I. Die Regelung der Markenrechtsfähigkeit im nationalen und europäischen Markenrecht

1. Die Inhaberschaft

an nationalen Marken nach ξ 7 MarkenG

Die Fähigkeit, Inhaber eines Markenrechts zu sein, war im Warenzeichengesetz (WZG) 1 nicht geregelt und wurde aus allgemeinen Grundsätzen abgeleitet.2 Im Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (MarkenG) 3 wird die Inhaberschaft an Marken erstmals normiert. Die Markenrechtsfähigkeit wird in der Vorschrift des § 7 MarkenG geregelt. Markenrechtsfähigkeit ist die rechtliche Fähigkeit eines Anmelders, Inhaber einer Marke zu sein. Die Vorschrift regelt die Markenrechtsfähigkeit nur hinsichtlich des durch die Eintragung eines Zeichens als Marke in das Markenregister entstehenden Markenschutzes (§ 4 Nr. 1 MarkenG). Die Markenrechtsfähigkeit hinsichtlich einer durch Benutzung und den Erwerb von Verkehrsgeltung entstehenden Marke (§ 4 Nr. 2 MarkenG), sowie einer durch notorische Bekanntheit entstehenden Marke (§ 4 Nr. 3 MarkenG) regelt das MarkenG nicht ausdrücklich. Die Regelung des § 7 Nr. 1 bis 3 MarkenG bedeutet grundsätzlich keine inhaltliche Änderung der Markeninhaberschaft. Inhaber einer angemeldeten oder eingetragenen Marke können natürliche und juristische Personen sowie mit Rechtserwerbsfähigkeit ausgestattete Personengesellschaften sein. Folge der Nichtakzessorietät der Marke im MarkenG ist es, dass zur Markenrechtsfähigkeit weder das Vorhandensein eines bestimmten Unternehmens des Markeninhabers noch eine allgemeine Unternehmenseigen-

1 Warenzeichengesetz vom 5. Mai 1936 (RGBl. II, S. 134), das das Gesetz zum Schutze der Waarenbezeichnungen vom 12. Mai 1894 (RGBl. S. 441) ablöste, in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 1968 (BGBl. I, S. 29). 2 S. zur Markeninhaberschaft Baumbach/Hefermehl Warenzeichengesetz, 12. Auflage, 1985, § 1 W Z G , Rn. 3 und zur Anmeldefähigkeit § 2 W Z G , Rn. 4 ff. 3 Gesetz vom 25. Oktober 1994 (BGBl. I, S. 3082), das am 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist.

120

K a r l - H e i n z Fezer

schaft des Markeninhabers gehört.4 Hinsichtlich der Markenrechtsfähigkeit ausländischer Personen und Personenvereinigungen verzichtet das MarkenG anders als noch das Warenzeichenrecht in § 35 Abs. 3 WZG auf die Voraussetzung der Gegenseitigkeit. 2. Keine Regelung in der Ersten

Markenrichtlinie

Die Erste Markenrichtlinie (MRL) 5 enthält keine verbindlichen Vorgaben für die Markenrechtsfähigkeit. Eine extensive Auslegung des § 7 Nr. 3 MarkenG, nach der etwa die Markenrechtsfähigkeit der GbR anzuerkennen ist, ist mit der MRL vereinbar. 3. Die Rechtsfähigkeit der Inhaber von nach Art. 5 GMV

Gemeinschaftsmarken

Gegenstand der Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMV) 6 ist das europäische Markenrecht, und zwar der Rechtsschutz der eingetragenen Gemeinschaftsmarken. Art. 5 GMV regelt die Inhaberschaft an Gemeinschaftsmarken. Nach dieser Vorschrift können Inhaber von Gemeinschaftsmarken natürliche oder juristische Personen einschließlich der Körperschaften des öffentlichen Rechts sein. Die Markenrechtsfähigkeit von Personengesellschaften ist nicht ausdrücklich geregelt. Die Vorschrift regelt im Einzelnen die Nationalität des Inhabers einer Gemeinschaftsmarke; das sind Angehörige eines Mitgliedstaates, Angehörige anderer Verbandsländer der PVU, Angehörige von Staaten, die nicht Verbandsländer der PVU sind, gleichgestellte Angehörige anderer Staaten und Staatenlose.

II. Abgrenzungen zur Markenrechtsfähigkeit 1.

Kennzeichenrechtsfähigkeit

Regelungsgegenstand des MarkenG ist nach § 1 MarkenG das gesamte Kennzeichenrecht. Das MarkenG regelt den Kennzeichenschutz der Marken (§ 1 Nr. 1 MarkenG), den Kennzeichenschutz der geschäftlichen Bezeich-

S. dazu näher Fezer Markenrecht, 3. Auflage, 2001, § 3 MarkenG, Rn. 66. Erste Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG) vom 21. Dezember 1988 (ABl. E G Nr. L 40 vom 11. Februar 1989, S. 1; berichtigt am 10. Juni 1989 Abi. Nr. L 159 S. 60). 6 Verordnung ( E G ) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20. Dezember 1993 (ABl. E G Nr. L 11 vom 14. Januar 1994, S. 1; geändert durch Verordnung ( E G ) Nr. 3288/94 vom 22. Dezember 1994, ABl. E G Nr. L 349 vom 31. Dezember 1994, S. 83. 4 5

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Inhaberin von Kennzeichenrechten

121

nungen (§ 1 Nr. 2 M a r k e n G ) und den Kennzeichenschutz geographischer Herkunftsangaben (§ 1 N r . 3 M a r k e n G ) . D i e Kennzeichenrechtsfähigkeit als die Fähigkeit, Inhaber eines Kennzeichens zu sein, ist im M a r k e n G nicht geregelt. Anders als bei der Rechtsinhaberschaft an den drei nach der E n t stehung des Markenschutzes zu unterscheidenden Kategorien der Registermarke (§ 4 Nr. 1 M a r k e n G ) , der Benutzungsmarke (§ 4 Nr. 2 M a r k e n G ) und der Notorietätsmarke (§ 4 Nr. 3 M a r k e n G ) , kann die Kennzeichenrechtsfähigkeit nicht mit der Markenrechtsfähigkeit im Sinne des § 7 M a r k e n G gleichgesetzt werden. D i e Rechtsinhaberschaft nach § 7 M a r k e n G gilt aber insoweit analog für alle geschützten Kennzeichen nach § 1 M a r k e n G , als nur markenrechtsfähige Rechtssubjekte im Sinne des § 7 M a r k e n G

Rechts-

inhaber von Kennzeichen im Sinne des § 1 M a r k e n G sein können. D i e Markenrechtsfähigkeit ist Mindestvoraussetzung der Kennzeichenrechtsfähigkeit. Aus den die einzelnen Kennzeichenrechte regelnden G e setzen k ö n n e n sich aber weitere und besondere Voraussetzungen der K e n n zeichenrechtsfähigkeit ergeben. So kann etwa Rechtsinhaber einer Firma, die der N a m e ist, unter dem ein Kaufmann im Handel seine Geschäfte betreibt (§ 17 Abs. 1 H G B ) und die nach den §§ 1 Nr. 2; 5 Abs. 2 Satz 1; 15 M a r k e n G als Unternehmenskennzeichen den Kennzeichenschutz einer geschäftlichen Bezeichnung genießt, nur ein Kaufmann nach den §§ 1 bis 7 H G B sein.

2. Markenverfügungsbefugnis

und

D i e Markenverfügungsbefugnis

Markenverwaltungsbefugnis und Markenverwaltungsbefugnis

grundsätzlich dem Markeninhaber als dem markenrechtsfähigen

steht

Rechts-

subjekt zu. D i e Markenverfügungsbefugnis und Markenverwaltungsbefugnis steht dann einem anderen als dem Markeninhaber zu, wenn der M a r k e n inhaber die Verfügungsmacht über das Vermögen, zu dem das Markenrecht gehört, fehlt. So steht die Markenverfügungsbefugnis und Markenverwaltungsbefugnis über ein zur Insolvenzmasse gehörendes Markenrecht nicht dem Schuldner, der Rechtsinhaber des zur Insolvenzmasse

gehörenden

Markenrechts bleibt, sondern dem Insolvenzverwalter nach § 80 Abs. 1 I n s O zu. 7 A u c h dem Testamentsvollstrecker, der im Interesse des E r b e n die Verfügungs-

und Verpflichtungsbefugnis

für den E r b e n

ausübt, steht

die

Markenverfügungsbefugnis und Markenverwaltungsbefugnis über ein z u m Nachlass gehörendes Markenrecht zu. 8 Bei der Treuhand, bei der zwischen Sicherungstreuhand und Verwaltungstreuhand zu unterscheiden ist, bestimmt sich die Markenverfügungsbefugnis und Markenverwaltungsbefugnis nach den Regelungen in dem Treuhandvertrag. 9

7 8 9

S. dazu Fezer Markenrecht, 3. Auflage, 2001, § 7 MarkenG, Rn. 44f. S. dazu Fezer Markenrecht, 3. Auflage, 2001, § 7 MarkenG, Rn. 17f. S. dazu Fezer Markenrecht, 3. Auflage, 2001, § 7 MarkenG, Rn. 21.

Karl-Heinz Fezer

122 3.

Markenanmeldefähigkeit

Von der Markenrechtsfähigkeit als der Fähigkeit, Rechtsinhaber einer Marke zu sein, ist die Anmeldefähigkeit als die Fähigkeit zu unterscheiden, die Anmeldung zur Eintragung einer Marke in das Markenregister beim Patentamt wirksam einreichen zu können. Die Markenanmeldefähigkeit verlangt Geschäftsfähigkeit des Anmelders als Wirksamkeitsvoraussetzung der Anmeldung. 1 0

III. Die Markenrechtsfähigkeit der Personengesellschaften und anderer Gesamthandsgemeinschaften 1. Die Regelung

des § 7 Nr. 3

MarkenG

Nach § 7 Nr. 3 MarkenG soll nur solchen Personengesellschaften die Markenrechtsfähigkeit zukommen, die mit der Fähigkeit ausgestattet sind, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen. Diese die Rechtsfähigkeit einer markenrechtsfähigen Personengesellschaft umschreibende Formulierung ist an der Regelung der Rechtsfähigkeit nach § 124 Abs. 1 H G B ausgerichtet. Der Gesetzgeber ging offenkundig von der Vorstellung aus, nur den Personenhandelsgesellschaften ( O H G , K G ) , sowie den Personengesellschaften, die das Gesetz den Personenhandelsgesellschaften gleichstellt (PartG; EWIV), komme Markenrechtsfähigkeit im Sinne des § 7 Nr. 3 MarkenG zu. So heißt es in der Gesetzesbegründung, 1 1 es könnten nur die einzelnen Gesellschafter zusammen, nicht aber könne die G b R als solche Rechtsinhaber eines Markenrechts sein. Fortschrittlicher erwies sich der Gesetzgeber der InsO, der die Insolvenzfähigkeit der G b R nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 I n s O anerkannte. Nach der Rechtslage im WZ G war die Markenrechtsfähigkeit der G b R nicht anerkannt. Die G b R als solche konnte keine Marke erwerben. Inhaber einer Marke konnten nur alle Gesellschafter gemeinsam als natürliche Personen sein, da ein Markenrecht nicht nur einem Rechtssubjekt, sondern zugleich mehreren Rechtssubjekten zustehen kann. 12 2. Personenhandelsgesellschaften

und gesetzlich gleichgestellte

Gesellschaften

Die O H G und die K G sind nach § 7 Nr. 3 MarkenG markenrechtsfähig. Die Personenhandelsgesellschaften sind zwar keine juristischen Personen, sie sind aber nach § 124 H G B insoweit mit Rechtsfähigkeit ausgestattet, als sie 10 11 12

S. dazu im Einzelnen Fezer Markenrecht, 3. Auflage, 2001, § 32 MarkenG, Rn. 3. Begründung zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581 vom 14. Januar 1994, S. 69. S. dazu Fezer Markenrecht, 3. Auflage, 2001, § 7 MarkenG, Rn. 46.

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Inhaberin von Kennzeichenrechten

123

unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen können. Auch die PartG, in der sich Angehörige freier Berufe, die kein Handelsgewerbe ausüben, zur Ausübung ihrer Berufe zusammenschließen (§ 1 Abs. 1 PartGG), ist markenrechtsfähig. Auf die PartG ist nach § 7 Abs. 2 PartGG die Vorschrift § 124 H G B entsprechend anzuwenden. Auch die Partenrederei als eine besondere Gesellschaftsform des Seehandelsrechts ist markenrechtsfähig. Zwar ist die Rechtsnatur der Partenrederei umstritten; 13 die Partenrederei kann aber nach fast einhelliger Auffassung Trägerin von Rechten und Pflichten sein. 14 Die stille Gesellschaft (stG), die ihrer Rechtsnatur nach eine Personengesellschaft in Gestalt einer Innengesellschaft ist, ist nicht markenrechtsfähig, da die stG als Innengesellschaft nicht Trägerin von Rechten und Pflichten sein kann. Da der Inhaber des Handelsgeschäfts als natürliche Person nach § 7 Nr. 1 MarkenG markenrechtsfähig ist, besteht auch kein Bedürfnis an der Markenrechtsfähigkeit einer stG. 3. Gesellschaft bürgerlichen Rechts a) Ablehnung der Markenrechtsfähigkeit der G b R in der Rechtsprechung des B G H In seiner Grundsatzentscheidung „Ballermann" vom 24. Februar 2000 lehnte der Wettbewerbssenat des B G H die Markenrechtsfähigkeit der GbR ab. Eine G b R könne als solche nicht Inhaberin einer eingetragenen Marke sein.15 Der B G H sah sich an den Gesetzeswortlaut und die Gesetzesbegründung gebunden, obwohl die herrschende Dogmatik im Gesellschaftsrecht dieses überkommene Verständnis von der Rechtsnatur der G b R überwunden hatte und die Anerkennung der Rechtsträgerschaft der G b R in verschiedenen Rechtsbereichen längst fortgeschritten war. Der B G H wird seine Rechtsprechung im Hinblick auf die jüngere Rechtsprechung des Gesellschaftsrechtssenats des B G H nicht aufrecht erhalten können. In seinem Grundsatzurteil vom 29. Januar 2001 anerkannte der Gesellschaftsrechtssenat die Rechtsfähigkeit der G b R als Außengesellschaft. 16 Es ist davon auszugehen, dass der „Ballermann"-Entscheidung nur eine kurze Geltungsdauer zukommen wird, und der B G H bei der nächsten sich ihm bietenden Gelegenheit die Markenrechtsfähigkeit der G b R anerkennen wird.

S. dazu K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Auflage, 2001, § 64,1 3, S. 1418f. Hans-OLG Hamburg O L G E 23, 91. 15 B G H G R U R 2000, 1028, 1030 - Ballermann; siehe dazu die Anmerkungen von Westermann LM Nr. 1 zu § 7 MarkenG; Ann Mitt. 2000, 503. 16 B G H N J W 2001,1056; bestätigt mit Urteil vom 18. Februar 2002 - Az.: II ZR 331/00; noch offengelassen, aber erkennbar in diese Richtung schon das Urteil vom 27. September 1999, B G H Z 142,315. 13 14

124

Karl-Heinz Fezer

b) Die Markenrechtsfähigkeit einer organisatorisch verselbstständigten GbR-Außengesellschaft Die Ablehnung der Markenrechtsfähigkeit einer GbR als solcher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anachronistisch und w i r d einem Reformgesetz z u m Markenrecht nicht gerecht. Die Markenrechtsfähigkeit der GbR folgt schon zwingend aus der Dogmatik zur Rechtsnatur der GbR als einem gesamthänderischen Rechtssubjekt sowie aus der fortschreitenden Anerkennung der Rechtsfähigkeit der G b R in anderen Rechtsgebieten. Zu verweisen ist auch auf die Europäisierung der Unternehmensgesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit w i e der EWIV, die markenrechtsfähig ist. Schon aus Gründen der Praktikabilität von Unternehmensgesellschaften in F o r m der G b R mit einer Vielzahl von Gesellschaftern und einem ständig wechselnden Gesellschafterbestand erscheint die Anerkennung der Markenrechtsfähigkeit der G b R geboten. Namentlich aus der Sicht eines europäischen Rechtsvergleichs und dem Gebot einer Rechtsvereinheitlichung, die eindeutig zur Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der Personengesellschaften tendiert, 1 7 erscheint die Anerkennung der Markenrechtsfähigkeit der G b R zwingend. Im europäischen Gesellschaftsrecht verstärkt sich die Tendenz, die Rechtspersönlichkeit der Personengesellschaft allgemein anzuerkennen. So billigt bereits das französische w i e auch das spanische Gesellschaftsrecht den der G b R entsprechenden Personengesellschaften Rechtspersönlichkeit zu. 18 Das schottische Recht behandelt die GbR als juristische Person. 1 9 Das italienische Recht anerkennt dagegen die Rechtsfähigkeit der GbR (società semplice), w i e aber auch allgemein der Personenhandelsgesellschaften nicht; 2 0 dieser Zustand w i r d jedoch namentlich in der italienischen Rechtsprechung z u m Teil nicht für interessengerecht erachtet. So w u r d e zumindest der O H G (società in nomo colletivo) die partielle Rechtsfähigkeit zuerkannt. 2 1 Eine Anerkennung der Markenrechtsfähigkeit der G b R ist auch im H i n blick auf die Inhaberschaft an einer Gemeinschaftsmarke geboten. Nach Art. 5 G M V werden den markenrechtsfähigen juristischen Personen solche Gesellschaften und andere juristische Einheiten, die nach ihrem Heimatrecht die Fähigkeit haben, im eigenen N a m e n Träger von Rechten und Pflichten jeder Art zu sein, Verträge zu schließen oder andere Rechtshandlungen vorzunehmen und vor Gericht zu stehen, gleichgestellt. Folge einer Nicht-

17 S. dazu aus rechtspolitischer Sicht schon Ahrens Die Warenzeicheninhaberschaft der BGB-Gesellschaft - eine rechtspolitische Skizze, in: Festschrift für Nirk, 1992, S. 1 ff. 18 S. dazu Art. 1842 Abs. 1 C C - société civile; Xavier O'Callaghan Muños Compendio de derecho civil Tomo II, 1991, 252f. -sociedad. 19 S. dazu Partnership Act 1890 (c 39), section 4 ( 2 ) - p a r t n e r s h i p . 20 S. dazu Trabucchi Institutioni di Diritto Civile, X X X V I , 1995, S. 352 f. 21 S. dazu Cass., 24 luglio 1989, η. 3498.

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Inhaberin von Kennzeichenrechten

125

anerkennung der Markenrechtsfähigkeit der GbR ist es, dass eine GbR nicht Inhaberin einer Gemeinschaftsmarke sein kann. Diese Rechtslage würde sich als eine Benachteiligung deutscher Markeninhaber in der Markenrechtspraxis der EU und als ein strategischer Standortnachteil des nationalen Markenregimes auswirken. Die als Folge des neuen Kaufmannsrechts mit Inkrafttreten des Handelsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 eingetretene Ausdehung des Anwendungsbereichs der Personenhandelsgesellschaften ( O H G , KG) gegenüber der GbR entschärfte die rechtstatsächliche Problematik, die nunmehr zwar von geringerer Bedeutung ist, aber weiterhin besteht. In der Markenrechtspraxis und namentlich in der Eintragungspraxis des Patentamtes sowie in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sollte schon gegenwärtig von der Markenrechtsfähigkeit der GbR ausgegangen werden. 22 Es erscheint aber zu weitgehend, jeder GbR als solcher die Markenrechtsfähigkeit unabhängig von ihrer organisationsrechtlichen Verselbständigung zuzuerkennen. Die Markenrechtsfähigkeit einer Gelegenheitsgesellschaft etwa im ursprünglichen Sinne des Art. 266 ff. A D H G B ist weder rechtsdogmatisch zwingend noch rechtspraktisch geboten. Auch die Rechts- und Parteifähigkeit einer GbR allgemein wird zu Recht von einer Identitätsausstattung der GbR abhängig gemacht. 23 Die Markenrechtsfähigkeit ist nur einer solchen GbR als Außengesellschaft zuzuerkennen, die als eine organisatorische Einheit verselbständigt ist. Organisationsrechtliche Verselbstständigung oder Identitätsausstattung der GbR sind vergleichbare Vokabeln für die die Rechtsfähigkeit der GbR legitimierende Personifikation. Als GbR markenrechtsfähig sind etwa Anwaltssozietäten, Ärztegemeinschaften, Bau-Arbeitsgemeinschaften (Arge) oder Einkaufsgemeinschaften. Die gemeinsame Anmeldung einer Marke zur Eintragung in das Markenregister durch mehrere Personen begründet zwar aufgrund eines gemeinsamen Zwecks, die Marke etwa einem Dritten zum Erwerb anzubieten, eine GbR, rechtfertigt aber als solche noch nicht die Annahme deren Markenrechtsfähigkeit.

22 So auch Starck Zur aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Markenrecht, MarkenR 2001, 89, 90; Wertenbruch Die Markenrechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft, DB 2001, 419; Habersack Die Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der GbR und der akzessorischen Gesellschafterhaftung durch den BGH, BB 2001, 477, 479; Schmieder Die Entwicklung des Markenrechts seit März 1999, NJW 2001, 2134; K. Schmidt Anmerkung zu B G H 24.02.2002 - IZR 168/97, JuS 2001, 507; zweifelnd wegen fehlender Registerfähigkeit der GbR Ann Mitt. 2001, 181. 23 So zutreffend P. Ulmer Die höchstrichterlich „enträtselte" Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ZIP 2001, 585, 594.

126

Karl-Heinz Fezer

4. Vorgesellschaft

und

Vorgründungsgesellschaft

Unter Vorgesellschaft (VorG) ist das Gesellschaftsverhältnis der Gründerorganisation einer juristischen Person zu verstehen, das zwischen der Errichtung der Gesellschaft und der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister besteht (Vor-GmbH, Vor-AG, Vor-Verein). Die Vorgesellschaft, die eine Gesellschaft sui generis darstellt,24 ist im Sinne des § 4 Nr. 3 MarkenG mit der Fähigkeit ausgestattet, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen. Eine VorG ist markenrechtsfähig. Der B G H hat die Namensund Firmenrechtsfähigkeit der VorG anerkannt.25 In der Eintragungspraxis des Patentamtes wird die Markenrechtsfähigkeit der VorG wie namentlich der Vor-GmbH nach wie vor nicht anerkannt. Das Patentamt verlangt die Anmeldung und Eintragung aller Gründergesellschafter als Markeninhaber. Diese mit der Rechtsnatur der VorG unvereinbare Eintragungspraxis sollte zumindest nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit allgemein und insbesondere der Markenrechtsfähigkeit der GbR geändert werden. Unter einer Vorgründungsgesellschaft ist das Gesellschaftsverhältnis zwischen den Gründergesellschaftern, die sich zur Gründung einer Gesellschaft als juristische Person verpflichten, vor der Errichtung der Gesellschaft zu verstehen (Gesellschaftsvorvertrag). Eine Vorgründungsgesellschaft ist markenrechtsfähig, und zwar in der Regel als GbR oder als Personenhandelsgesellschaft ( O H G , KG) entsprechend den Vorschriften der §§ Iff. HGB. 4.

Erbengemeinschaft

Die Erbengemeinschaft ist nach § 2032 B G B eine Gesamthandsgemeinschaft. Als Gesamthandsgemeinschaft ist die Erbengemeinschaft nicht anders als die GbR markenrechtsfähig.26 Zwar besteht ein wirtschaftliches Bedürfnis an der Markenrechtsfähigkeit bei der Erbengemeinschaft nicht in gleichem Maße wie bei der GbR, da der Mitgliederbestand bei der Erbengemeinschaft regelmäßig konstant und nicht wie bei der GbR als Unternehmensgesellschaft nicht selten einem häufigen Gesellschafterwechsel unterworfen ist. Die Markenrechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft erleichtert aber vor allem bei solchen Erbengemeinschaften, die aus einer Vielzahl von Erben bestehen und über einen längeren Zeitraum ein Unternehmen betreiben, den Erwerb eines Markenrechts. Es erscheint zudem sachgerecht, alle Gesamthandsgemeinschaften hinsichtlich der Markenrechtsfähigkeit gleich zu behandeln. Wenn

24 25 26

S. zur Vor-GmbH B G H Z 80, 129. B G H G R U R 1993, 404 - Columbus. Zustimmend Ann Mitt. 2000, Nr. 503, 504.

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Inhaberin von Kennzeichenrechten

127

eine Testamentsvollstreckung über den Nachlass angeordnet ist, dann bleibt die Markenrechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft bestehen; dem Testamentsvollstrecker steht die Markenanmeldefähigkeit, die Markenverfügungsbefugnis und die Markenverwaltungsbefugnis zu.

Nichtbefassungsbeschluß" und § 50 G m b H G WULF GOETTE

I. Einleitung In einer von dem Jubilar betreuten Dissertation 1 ist zu lesen, § 50 G m b H G lasse sich kein Anspruch der Minderheit „auf Fassung eines materiellen Beschlusses über die angekündigten Gegenstände entnehmen", die N o r m gewähre vielmehr allein ein „Recht darauf, daß eine Gesellschafterversammlung abgehalten und ein bestimmter Gegenstand zur Beratung

gestellt"

werde. Es entspricht in der Tat der im Schrifttum weithin vertretenen, 2 regelmäßig 3 allerdings nicht näher begründeten Auffassung, daß es die Minderheit - ohne, wie vertreten wird, Möglichkeit der A n f e c h t u n g 4 - hinnehmen muß, wenn die Mehrheit den nach § 50 Abs. 2 oder Abs. 3 G m b H G

„zur

Beschlußfassung angekündigten" Gegenstand von der Tagesordnung absetzt oder einen sog. „Nichtbefassungsbeschluß" 5 faßt. Diese herrschende Auffassung verwundert nicht nur angesichts des W o r t lauts des § 50 Abs. 2 G m b H G , der ausdrücklich der in § 50 Abs. 1 G m b H G genannten Minderheit der Gesellschafter das R e c h t gibt zu verlangen, es sollten bestimmte „Gegenstände zur Beschlußfassung der V e r s a m m l u n g " 6 -

1 Arnold Der Gewinnauszahlunganspruch des GmbH-Minderheitsgesellschafters, Köln, 2001, S. 221 f. 2 Vgl. z.B. Hachenburg GmbHG, 5. Aufl. § 50 Anm. 10 gegen seine frühere Ansicht, vgl. 3. Aufl. § 50 Anm. 11, 4. Aufl. § 50 Anm. 10; ebenso Hachenburg!Schilling a.a.O. 7. Aufl. § 50 Rdnr. 11; Feine Ehrenberg's Handbuch, Bd. 3, 3 S. 536 - in gewissem Widerspruch zu S. 512f.; Scholz/K.Schmidt GmbHG, 8. Aufl. § 50 Rdnr. 4; Scholz/Emmerich a.a.O. 9. Aufl. § 29 Rdnr. 35; Hueck FS Steindorff S. 45, 52; Hommelhoff FS Rowedder S. 171, 173; Schmiegelt Die Minderheitsrechte nach dem Regierungsentwurf für ein neues GmbHG, 1975, S. 16 f.; Binge Gesellschafterklagen gegen Maßnahmen der Geschäftsführer in der GmbH, 1994, S. 16f.; a.A. Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG, 16. Aufl. § 50 Rdnr. 20; Rowedder/Koppensteiner GmbHG, 3. Aufl. § 50 Rdnr. 9; Roth/Altmeppen GmbHG, 3. Aufl. § 50 Rdnr. 14; Habersack Die Mitgliedschaft - subjektives und sonstiges' Recht, 1996, S. 323 unter Hinweis auf dens. ZGR 1994, 354, 373; OLG Düsseldorf NZG 2001, 1085; vgl. ferner BGHZ 123, 15ff. 3 Ausnahme z.B. Scholz/K. Schmidt a.a.O. § 50 Rdnr. 4; früher Hachenburg a.a.O. 5. Aufl. § 50 Anm. 10. 4 S. Arnold a.a.O. S. 222; anders aber BGHZ 123, 15, 21. 5 Vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner a.a.O. § 50 Rdnr. 20. 6 Ähnlich § 45 Abs. 2 GenG; früher für die AG § 254 HGB a.F., jetzt § 122 sowie § 126

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also gerade nicht nur zur Beratung - angekündigt werden. Sie steht auch nicht in Einklang mit der Handhabung in der Aktiengesellschaft,7 nimmt dem Minderheitenrecht jede Durchschlagskraft 8 und führt selbst in den Fällen, in denen die Mehrheit treupflichtwidrig 9 vorgeht, zu Schwierigkeiten bei der Gewährung effektiven Rechtsschutzes. 10 Es erscheint deswegen geboten zu prüfen, ob dem Minderheitenrecht nach § 50 G m b H G wirklich nur eine derart geringe Bedeutung gegeben werden darf oder ob - und ggfs. in welchen Fallgestaltungen - ein Anspruch der Minderheit auf sachliche Beschlußfassung besteht; ist dies zu bejahen, würde sich in jedem Fall der Weg für eine - auch die materielle Rechtmäßigkeit umfassende - gerichtliche Prüfung der Entschließung der Gesellschafterversammlung eröffnen, weil entweder die überstimmte Minderheit oder die - z.B. nach § 47 Abs. 4 G m b H G von der Abstimmung ausgeschlossene - Mehrheit gegen den Beschluß auf dem Wege der Anfechtungsklage vorgehen könnte.

II. Mögliche Fallgestaltungen Kommt die Geschäftsführung der GmbH einem ordnungsgemäß 11 gestellten Verlangen von Gesellschaftern, die mindestens 1 0 % des Stammkapitals halten, nach und beruft sie entweder eine Gesellschafterversammlung mit den gewünschten Beschlußgegenständen 12 ein (§ 50 Abs. 1 GmbHG), ergänzt sie auf entsprechendes Verlangen die Tagesordnung nach § 50 Abs. 2 G m b H G oder geht die Minderheit befugtermaßen nach § 50 Abs. 3 G m b H G vor, können sich bei dem Zusammentreten der Gesellschafterversammlung unterschiedliche Situationen ergeben.

AktG; für den Verein § 37 BGB; vgl. dazu Wenck Die Einberufung der Generalversammlungen, 1914 . 7 Vgl. z.B. Großkomm.z.AktG/Werver 4. Aufl. § 122 Rdnr. 51; Großkomm.z.AktG/ M Ulbert a.a.O. Vor §§ 118 ff. Rdnr. 46,107; H Uff er AktG, 4. Aufl. § 122 Rdnr. 1, § 129 Rdnr. 19; Münch.Hdb.z. AG/Semler 2. Aufl. § 36 Rdnr. 46. 8 Vgl. z. B. Schopp GmbHR 1975, 126, 130: Selbsteinberufungsrecht „totlaufen lassen". 9 Vgl. die Einschränkungen, die K. Schmidt a.a.O. § 50 Rdnr. 4 gegenüber seiner wenig minderheitenfreundlichen Auffassung macht. 10 Zutreffend Binge a.a.O. S. 16; vgl. auch B G H Z 123, 15, 22 mit Hinweis darauf, daß der Minderheitsgesellschafter gegenüber einem Nichtbefassungsbeschluß mit einer Selbsteinberufung nichts erreichen würde, weil er abermals mit einem entsprechenden Vorgehen der anderen Gesellschafter rechnen müßte. 11 S. Verf. Die GmbH, 2. Aufl., 2002, § 7 Rdnr. 34ff. 12 Nichts anderes ist gemeint, wenn es in § 50 Abs. 1 heißt, der „Zweck" (und die Gründe) für das Einberufungsverlangen seien anzugeben, vgl. Hachenburg/Hiiffer GmbHG, 8. Aufl. § 50 Rdnr. 8; Scholz/K. Schmidt a.a.O. § 50 Rdnr. 15; ferner Wenck a.a.O. S. 150.

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1. D i e Gesellschaftermehrheit kann - sofern die Satzung entsprechende Regelungen über die Beschlußfähigkeit der Versammlung enthält -

u.U.

durch bloßes F e r n b l e i b e n 1 3 eine sachliche Befassung mit dem Anliegen der Minderheit verhindern. Diese ist dann gezwungen, zu einer weiteren Gesellschafterversammlung mit derselben Tagesordnung einzuladen, für die dann regelmäßig das für die Erstversammlung aufgestellte Teilnahmequorum nicht mehr gilt, so daß die Minderheit, wenn die anderen Gesellschafter abermals fernbleiben, für die Gesellschaft Beschluß fassen kann. D i e Mehrheit ist in diesem Falle, wenn sie mit dem Beschlossenen nicht einverstanden ist, auf die Anfechtungsklage 1 4 verwiesen; mit der Herbeiführung der Beschlußunfähigkeit in der Erstversammlung hat sie also nur eine zeitliche Verzögerung des Entscheidungsgangs bewirken, nicht jedoch verhindern können, daß über das Minderheitsverlangen sachlich - und mit der Möglichkeit anschließender gerichtlicher Kontrolle - befunden wird. 2. Erscheinen dagegen zu der Gesellschafterversammlung sowohl die zur Mehrheit als auch die zur Minderheit gehörenden Gesellschafter, sind verschiedene Vorgehensweisen denkbar. a ) D e r Versammlungsleiter kann den von der Minderheit auf die Tagesordnung gestellten Antrag zur Beratung und A b s t i m m u n g stellen. D a n n wird damit dem Anliegen der Antragsteller jedenfalls in formeller Hinsicht ordnungsgemäß R e c h n u n g getragen. Es geht dahin, eine Angelegenheit, welche von der Gesellschafterversammlung als dem zentralen Willensbildungsorgan 1 5 der Gesellschaft zu entscheiden ist, in demselben zur Beratung und Abstimmung zu stellen und sie nicht in den Händen der Geschäftsführer zu belassen, die sich bei ihrem Handeln möglicherweise von den W ü n s c h e n der Gesellschaftermehrheit leiten lassen. M e h r als daß die Entschließung von der Gesellschafterversammlung, die sich dabei an Gesetz und Satzung zu halten hat, getroffen wird, kann die Minderheit nicht verlangen; sie hat insbesondere grundsätzlich keinen Anspruch darauf, daß die Versammlung in ihrem Sinne Beschluß faßt. Etwas anderes k o m m t nur in Betracht, soweit ausnahmsweise eine positive Stimmpflicht besteht. 1 6 Dies oder sonstige Ver-

Vgl. ζ. B. O L G Dresden N Z G 2000, 782 ff. Bei - wie unterstellt - formell ordnungsgemäßem Vorgehen der Minderheit ist der naheliegende, zur Nichtigkeit führende Einwand nicht durchschlagend, es habe ein Unbefugter zur Versammlung eingeladen, vgl. Β G H Z 11, 231, 236 f.; B G H Z 87,1 ff.; B G H Z 139, 89; schon R G Z 92, 409 ff. 15 Vgl. B G H Z 135, 48, 53. 16 Vgl. dazu Baumbach/Hueck/Zöllner a.a.O. § 47 Rdnr. 76 a; ferner B G H , Urt. v. 19.11.1990 - II ZR 88/89, N J W 1991, 846; die Entscheidung B G H Z 123,15 erkennt eine solche Zustimmungspflicht - etwa für den Wahlvorschlag der Minderheit - nicht an, sondern fordert von der Mehrheit nur (irgend)einen das sachliche Anliegen erledigenden Beschluß. 13

14

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letzungen von Gesetz oder Satzung kann die Minderheit auf dem Wege der Anfechtungsklage geltend machen und erlangt durch die sachliche Beschlußfassung damit den Zugang zu einer gerichtlichen Kontrolle der Ausübung der Mehrheitsmacht. b) Demgegenüber ist der Minderheit nur ein beschränkte gerichtliche Kontrolle eröffnet, wenn die Mehrheit in der Gesellschafterversammlung die Reihenfolge der rechtzeitig angekündigten und damit zur Beratung und Abstimmung anstehenden Tagesordnungspunkte ändert und dadurch die von der Minderheit zur Beschlußfassung angekündigte Angelegenheit präjudiziert. 17 Denn dann kommt es zwar zu einem sachlichen Beschluß der Gesellschafterversammlung, dessen Rechtmäßigkeit auf dem Wege der Anfechtungklage gerichtlich überprüft werden kann; soweit er aber die Befassung der Gesellschafterversammlung mit dem Anliegen der Minderheit überflüssig macht oder es hinfällig sein läßt, führt auch ein erfolgreiches Anfechtungsverfahren nicht sogleich zum Ziel: Das Urteil hat nur die Kassation des präjudizierenden Beschlusses zur Folge, ohne vorherige Befassung der Gesellschafterversammlung mit dem Gegenstand kann das Gericht auch bei der Kombination von Anfechtung- und Beschlußfeststellungsklage ein bestimmtes Ergebnis nicht positiv feststellen. Möglich ist allein der Ausspruch, daß die Gesellschafterversammlung nicht beendet ist und zur Erledigung des von der Minderheit angekündigten Beschlußgegenstandes fortzusetzen ist.18 c) Dem steht es gleich, wenn im Falle einer ordnungsgemäßen Ersatzeinberufung nach § 50 Abs. 3 G m b H G der Geschäftsführer selbst eine - vorher abzuhaltende - Gesellschafterversammlung einberuft, in welcher ein Beschluß gefaßt wird, durch den das Minderheitsanliegen obsolet wird. 19 Wenn etwa die Minderheit die Abberufung des Geschäftsführers auf die Tagesordnung setzen läßt oder mit diesem Beschlußgegenstand selbst die Versammlung einberuft, nimmt eine vorher durchgeführte, von dem Geschäftsführer seinerseits ordnungsgemäß einberufene Gesellschafterversammlung, in der die Minderheit aus der Gesellschaft durch Ausschließungsbeschluß oder auf dem Wege der Zwangseinziehung entfernt wird, dem Abberufungsverlangen die Grundlage. Die - erfolgreiche - Anfechtung der Ausschließung oder Zwangseinziehung versetzt das Beschluß verfahren lediglich in den status quo ante, über die sachliche Berechtigung des Verlangens der Minderheit ist damit nicht entschieden. Das wäre anders, wenn es

17

Vgl. zur AG: Großkomm.z.AktG/Wemer a.a.O. § 122 Rdnr. 51. Vgl. in diesem Sinn B G H Z 123, 15 für die Korabination der Anfechtung des Absetzungsbeschlusses mit einem Feststellungsantrag auf Fortsetzung der Versammlung. 19 Vgl. O L G München BB 1956, 734 m. Anm. Gottschling G m b H R 1957, 105. 18

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der Mehrheit verwehrt wäre, auf dem beschriebenen Weg das von der Minderheit zur Beschlußfassung gestellte Anliegen faktisch zu unterlaufen. Ob der II. Zivilsenat 20 in diesem zuletzt genannten Sinn verstanden werden kann, ist nicht ganz zweifelsfrei, auch wenn es in der Entscheidung heißt, der Gesellschafter werde „durch die verspätete Einladung von Seiten des Geschäftsführers nicht rückwirkend zum Nichtberechtigten", so daß in der von ihm rechtmäßig einberufenen Versammlung wirksame Beschlüsse gefaßt werden können. Der Fall ist aber von der Besonderheit geprägt, daß auf der von dem Geschäftsführer einberufenen Versammlung Beschlüsse nicht gefaßt worden waren, die „überholende" Einberufung vielmehr wohl nur den Zweck hatte, die formale Berechtigung der Minderheit zur Ersatzeinberufung zu beseitigen. d) Jede inhaltliche Prüfung wird dann verhindert, wenn die Mehrheit auf dem Wege eines Geschäftsordnungsbeschlusses den von der Minderheit angekündigten Beschlußgegenstand von der Tagesordnung absetzt, wenn sie die Gesellschafterversammlung vertagt oder sogar ausdrücklich die „Nicht befassung" beschließt. Einen solchen Absetzungs- und Nichtbefassungsbeschluß hatte die Gesellschaftermehrheit in einem Fall 21 gefaßt, in welchem die Minderheit nach § 50 Abs. 2 GmbHG als Beschlußgegenstand die Wahl eines der beiden nach der Satzung der Gesellschaft notwendigen Aufsichtsorgane angekündigt hatte. Das Ergebnis dieses formalen Vorgehens war, daß die GmbH weder über das eine noch über das andere Kontrollorgan verfügte. Die um die Wahrnehmung ihres Mitgliedschaftsrechts gebrachte Minderheit wehrte sich, indem sie den Absetzungsbeschluß mit der Anfechtungsklage angriff und zugleich die Feststellung begehrte, daß die von ihr beantragte Wahl zulässig und in einer von der Geschäftsführung anzuberaumenden Gesellschafterversammlung durchzuführen sei. Der II. Zivilsenat hat beiden Anträgen entsprochen und damit zunächst der Vorstellung 22 eine Absage erteilt, die Minderheit müsse einen in dieser Lage gefaßten Absetzungs- oder Vertagungsbeschluß hinnehmen und können gegen ihn nicht mit der Anfechtungsklage vorgehen. Für begründet erachtet hat der Senat das Anfechtungs- wie das Feststellungsbegehren, weil die GmbH nach ihrer Satzung entweder des einen oder des anderen Aufsichtsgremiums bedurfte und der Absetzungs- und Nichtbefassungsbeschluß deswegen rechtswidrig war; m.a.W. hat der Senat in der entsprechenden, die nach der Satzung gebotenen Erfordernisse beiseite schiebenden Stimmabgabe einen Treupflichtverstoß erblickt. Generell auszusprechen, daß über einen auf Verlangen der Minderheit ordnungsgemäß nach § 50 GmbHG auf die Tagesordnung gelangten Gegenstand 20 21 22

Urt. v. 2 8 . 1 . 1 9 8 5 - II ZR 79/84, W M 1985, 563 ff. B G H Z 1 2 3 , 1 5 ff. Vgl. Arnold a.a.O. S. 222; wohl auch Schopp GmbHR 1975, 126, 130.

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sachlich abgestimmt werden muß, hatte der II. Zivilsenat bei der konkreten Fallgestaltung, in der nur die Durchführung der Wahl rechtmäßig sein konnte, keinen Anlaß. Deswegen wird von einem Teil des Schrifttums 23 das Urteil als ein nicht verallgemeinerungsfähiger Sonderfall eingeordnet, was zur Folge hat, daß die überfahrene Minderheit umständlich gegen den Absetzungsbeschluß vorgehen und zugleich auf die Feststellung antragen muß, daß über ihr Begehren in einer weiteren Gesellschafterversammlung sachlich zu befinden sei. Würde demgegenüber mit einer minderheitenfreundlicheren Auffassung 24 gefordert werden, daß über einen von der Minderheit zur Beschlußfassung angekündigten Gegenstand in jedem Fall materiell abgestimmt werden muß, wäre nicht nur der Zugang zu einer sofortigen inhaltlichen Prüfung des Beschlusses durch das Gericht gesichert, es wäre der Mehrheit schlechthin verwehrt, sich - von Rechtsmißbrauchsfällen abgesehen - einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Anliegen der Minderheitsgesellschafter zu entziehen. Zugleich würde die Rechtsunsicherheit vermieden, die sich ergibt, wenn nur im Falle einer treupflichtwidrigen Nichtbefassung die kombinierte Anfechtungs- und auf Fortsetzung der Gesellschafterversammlung gerichtete Feststellungsklage Erfolg hat. Gerade in Fällen einer verzögerten Entschließung über Jahresabschluß und Gewinnverwendung 25 oder wechselseitigen Ausschließungs- oder Abberufungsverlangen ist keinesfalls stets ein Treupflichtverstoß gegeben und demgemäß - mit der Folge großer Rechtsunsicherheit - das Ergebnis der Prüfung, ob die Mehrheit treupflichtwidrig von ihrem Stimmrecht Gebrauch macht, nicht ohne weiteres vorzusehen. e) Besonderheiten sind schließlich dann zu beachten, wenn die Minderheit einen Gegenstand zur Beratung und Beschlußfassung stellt, der eine gegen den Mehrheitsgesellschafter gerichtete Maßnahme - z.B. die Abberufung oder Ausschließung aus wichtigem Grund - betrifft. 26 In diesem Fall ist der betroffene Mehrheitsgesellschafter zwar teilnähme-, mit Rücksicht auf § 47 Abs. 4 G m b H G aber nicht stimmberechtigt. 27 Wollte man dem Mehrheitsgesellschafter vor Eintritt in die Tagesordnung gestatten, einen Absetzungs-, Vertagungs- oder Nichtbefassungsbeschluß zu fassen, hätte dies zur Folge, daß er es in der Hand hätte, auf diese Weise eine Beschlußfassung zu seinen Lasten zu verhindern, obwohl er nach § 47 Abs. 4 G m b H G aus gutem Grund, nämlich wegen der typischen Gefahr, daß er Repräsentativ Arnold a.a.O. S. 223 . Habersack ZGR a.a.O. S. 373. 25 Vgl. dazu etwa O L G Düsseldorf NZG 2001, 1085; eingehend Arnold a.a.O.; Hommelhoff¥S Rowedder; Hueck FS Steindorff, jeweils mit eingehenden Nachweisen.; ferner Zöllner ZGR 1988, 392, 416ff.; BGHZ 139, 299. 26 Vgl. z.B. BGHZ 139, 89. 27 S. Nachw. bei Verf. a.a.O. § 7 Rdnr. 43, 60. 23

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angesichts der Selbstbetroffenheit nicht zwischen seinen und den Interessen der Gesellschaft sachgerecht unterscheiden kann, schon von der Mitwirkung an der Beschlußfassung ausgeschlossen ist. Der Minderheit zuzumuten, den Nichtbefassungbeschluß in einem solchen Fall wegen treupflichtwidriger Stimmabgabe anzufechten, führt zu unangemessener Verzögerung und schafft keine endgültige Klarheit unter den Gesellschaftern. Vielmehr müßte auch hier nach der Kassation des Nichtbefassungsbeschlusses die Gesellschafterversammlung erneut zusammentreten und über die Ausschließung oder Abberufung entscheiden. Wenn der betroffene Gesellschafter den dann gegen ihn ergangenen Beschluß nicht hinnehmen will, ist er in keiner anderen Lage, als hätte sogleich die Minderheit mit ihrer Stimme Beschluß gefaßt. Rechtlos gestellt wird er dadurch nicht, weil er die gegen ihn beschlossene, vorläufig wirksame Maßnahme in jedem Fall auf dem Wege der Anfechtungsklage gerichtlich überprüfen lassen kann. Die offensichtliche N u t z losigkeit des Umwegs, der mit einem Absetzungs- oder Nichtbefassungsbeschluß und mit dem nachfolgenden Anfechtungsrechtsstreit über diese Entschließung verbunden ist, spricht auch in diesem Fall dafür, der Minderheit ein unentziehbares Recht darauf zu geben, daß über den von ihr auf die Tagesordnung gebrachten Beschlußgegenstand sachlich entschieden wird. Angesichts der bei solchen gesellschaftsinternen Maßnahmen zum Ausdruck kommenden tiefgreifenden Differenzen zwischen den Beteiligten wird sich, wie die Praxis zeigt, eine abschließende Entscheidung durch die Gerichte ohnehin nicht vermeiden lassen.

III. Zum Verständnis des § 50 GmbHG Die jetzige Fassung des § 50 G m b H G mit seinen in den Absätzen 1 bis 3 niedergelegten unterschiedlichen Befugnissen - Einberufungsverlangen, Ergänzung der Tagesordnung und Selbsteinberufung - entspricht schon derjenigen des I. Entwurfs. 28 Die sehr knapp gehaltene Begründung 29 schweigt zu der Frage, warum grundsätzlich allein der Geschäftsführer die Einberufung einer Gesellschafterversammlung zu veranlassen hat, sondern verhält sich im wesentlichen nur dazu, warum nicht jedem einzelnen Gesellschafter ein eigenständiges Recht, eine Berufung der Gesellschafterversammlung zu fordern, eingeräumt werden soll und auf welchem Wege einer Obstruktion des Geschäftsführers zu begegnen ist. In diesem Zusammenhang geht der Entwurf als selbstverständlich von der „Befugniß" der Gesellschafter aus, die Abhaltung einer Gesellschafterversammlung in Angelegenheiten der G m b H durchsetzen zu können. 28 29

Dort §51. S. 100.

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Treffend ist deswegen die Bewertung Brodmanns,30 die gesetzliche Regelung stelle sich als ein Kompromiß dar: Der Gesetzgeber erkenne die „dringenden Gründe" an, die für das eigenständige Entscheidungsrecht der Gesellschafter in dieser Frage sprechen, er sei andererseits aber bestrebt, möglichem Mißbrauch zu begegnen. Anders als etwa im Aktienrecht, im Vereins- oder im Genossenschaftsrecht 31 scheint er jedoch der Gefahr einer mißbräuchlichen Ausübung des Einberufungs- und Ankündigungsverlangens keine so große Bedeutung beigemessen zu haben, daß er, mehr als das - angesichts der typischerweise geringen Zahl von Gesellschaftern nicht sehr hohe - Quorum von 1 0 % des Stammkapitals als zu überwindende Hürde zu bestimmen, für erforderlich erachtet hat, zumal die Minderheit Gefahr läuft, mit den Kosten einer von ihr unnötigerweise einberufenen Versammlung belastet zu werden (§ 50 Abs. 3 Satz 2 G m b H G ) . Der in dem Referentenentwurf für die Änderung des G m b H G von 1969 3 2 vorgesehene Übergang zu einem jedem einzelnen Gesellschafter zustehenden Recht bei gleichzeitiger Einführung einer gerichtlichen Ermächtigung bei Verletzung dieser Befugnis nach dem Vorbild des § 45 Abs. 2 GenG hat sich bei der Novelle 1980 nicht durchgesetzt. Der Entwurfsbegründung - Entsprechendes gilt für die Beratungen im Reichstag 3 3 und für die im Gesetzgebungsverfahren erstatteten Gutachten der Preußischen Handelskammern und kaufmännischen Korporationen 3 4 ist nichts darüber zu entnehmen, wie die Gesellschafterversammlung mit einem nach § 50 G m b H G auf die Tagesordnung gesetzten Beratungs- und Beschlußgegenstand zu verfahren hat. Offensichtlich ging man jedoch als selbstverständlich davon aus, daß eine sachliche Befassung der Versammlung mit diesen Gegenständen stattzufinden habe, wobei zugleich nach § 50 Abs. 3 Satz 2 G m b H G darüber zu befinden war, ob die Gesellschaft oder der Minderheitsgesellschafter, der von seinem Selbsteinberufungsrecht Gebrauch gemacht hat, die Kosten der Zusammenkunft zu tragen hat. Für Hachenburg, der, soweit ersichtlich, seinerzeit als einziger diese Frage erörtert hat, stand jedenfalls bis zum Erscheinen der 5. Auflage seines Kommentars, also für einen Zeitraum von immerhin 35 Jahren, außer Frage, daß die Minderheit ein Recht auf sachliche Entscheidung über den angekündigten Beschlußgegenstand hatte. 35 GmbHG, 2. Aufl., 1930, § 50 Anm. 1. Früher § 254 H G B a. F., jetzt § 122 Abs. 3 AktG; § 37 Abs. 2 BGB; § 45 Abs. 2 GenG. 32 § 78; vgl. dazu auch Teichmann GmbH-Reform S. 59 ff., 68 f. 33 Vgl. Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 8. Legislaturperiode, 1. Session, 177. Sitzung (Bd. VI S. 4303ff.), 179. Sitzung (Bd. VI. S. 4341), 198. Sitzung (Bd. VII S. 4878 ff.) und 199. Sitzung (Bd. VII S. 4881 ff.). 34 Vgl. Ani. Β im Amtlichen Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 1891, S. 137ff., 147. 35 Vgl. 4. Aufl. § 50 Anm. 10: „Die Mehrheit der Gesellschafter kann daher auch nicht nach der Einberufung das Recht der Berufung der Gesellschaft dadurch vereiteln, daß sie 30 31

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Unter dem Eindruck des Falles, 36 daß die Geschäftsführung einen für die Gesellschaft günstigen Vertrag „ohne Befragung der Gesellschafter aus Rücksicht auf die Geheimhaltung gerade vor einzelnen Gesellschaftern" geschlossen hat, die Minderheit aber die Genehmigung dieses Vertrages verlangt, um auf diese Weise Kenntnis vom Vertragsinhalt zu erhalten, hat Hachenburg seine Auffassung geändert. 37 Er meint, die Mehrheit müsse in einem solchen Fall befugt sein, jeden sachlichen Beschluß über diesen Gegenstand abzulehnen, und verbindet dies mit der generellen Aussage, „das Recht auf Versammlung" sei „nicht das Recht auf materiellen Beschluß über die angekündigten Gegenstände". Will man unterstellen, daß es im Interesse der Gesellschaft liegt, jenen Vertragsinhalt vor einem Gesellschafter geheimzuhalten, weil - wie dies nunmehr in § 51 a Abs. 2 G m b H G für das grundsätzlich bestehende umfassende Auskunfts- und Einsichtsrecht bestimmt ist - zu besorgen ist, daß er die Information zu gesellschaftsfremden Zwecken und zum Schaden der G m b H verwenden würde, ist das von Hachenburg postulierte Ergebnis zweifellos richtig: Der Minderheitsgesellschafter hat kein Recht auf diese Information und darf sie sich auch nicht auf dem Umweg über die Geltendmachung seiner Befugnisse nach § 50 G m b H G verschaffen. Dabei handelt es sich aber allein um eine einzelfallbezogene Frage der mißbräuchlichen Ausübung dieses Minderheitsrechts; dem kann mit den üblichen Reaktionen auf treupflichtwidriges Verhalten begegnet werden, 38 ohne daß deswegen gleich das Initiativrecht der Minderheit auf Beschlußfassung generell verneint werden müßte. Hachenburg, dessen Sinneswandel alsbald Gefolgschaft im Schrifttum 3 9 gefunden und zur Herausbildung der heute als herrschend anzusehenden Meinung geführt hat, hat noch ein anderes Argument angeführt: Die Minderheit könne nach § 50 G m b H G „nicht mehr erreichen, als daß statt des Geschäftsführers die Gesellschafterversammlung darüber befindet, ob sie sich mit einem Antrag befassen will". 40 Diesen Gedanken hat Karsten Schmidt41 aufgenommen und als den tragenden G r u n d für die von ihm vererklärte, die Versammlung solle nicht stattfinden. Ebensowenig kann sie die Absetzung des Gegenstandes, den der Einberufer angab, von der Tagesordnung beschließen. Das Recht auf Versammlung ist das Recht auf Beschluß über die angekündigten Gegenstände. Die Mehrheit kann den Antrag ablehnen, aber sie muß über ihn befinden". 36 Hachenburg 5. Aufl. § 50 Anm. 10: „Die gegenteilige Ansicht der früheren Auflagen konnte gegenüber diesen aus den Bedürfnissen der Praxis folgenden Momenten nicht aufrechterhalten werden". 37 5. Aufl. § 50 Anm. 10. 38 Vgl. schon Hachenburg selbst 5. Aufl. § 50 Anm. 7; ferner Zöllner Oie Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 335 ff. 39 Vgl. nur Feine a.a.O. S. 536 m.w.N. 40 A.a.O. § 50 Anm. 10. 41 A.a.O. § 50 Rdnr. 4.

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Wulf Goette

tretene These ausgebaut, die Gesellschaftermehrheit sei - von treupflichtwidrigem Vorgehen abgesehen - zu einer sachlichen Befassung mit dem von der Minderheit auf die Tagesordnung der Gesellschafterversammlung gebrachten Anliegen nicht verpflichtet. Durch § 50 G m b H G werde nämlich nur die Situation hergestellt, die auch sonst bestehe, wenn eine Versammlung mit bestimmten Tagesordnungspunkten einberufen worden sei; auch dann seien die Gesellschafter Herren der Tagesordnung und könnten frei darüber entscheiden, ob sie sich mit einem bestimmten Gegenstand befassen wollten oder nicht. Letzteres ist zweifellos zutreffend, die Übertragung dieses Gedankens auf die im Falle des § 50 G m b H G bestehende Situation ist jedoch unpassend, weil entgegen der auf Hachenburg zurückgehenden Ansicht die Gestaltungen nicht vergleichbar sind. Bei einer „normalen" Gesellschafterversammlung, die von dem Geschäftsführer in Ausübung der ihm durch § 49 G m b H G übertragenen Befugnisse einberufen worden ist, entscheidet er als das die Gesellschafterversammlung vorbereitende Gesellschaftsorgan darüber, welche Tagesordnungspunkte angekündigt und damit zur Beratung und Beschlußfassung gestellt werden sollen. Daß die Gesellschafter als diejenigen, die den Willen der Gesellschafterversammlung als des zentralen Entscheidungsorgans der G m b H zu bilden haben, hierdurch nicht in der Weise gebunden werden können, daß sie über diese Punkte auch Beschluß zu fassen haben, versteht sich angesichts des funktionalen Verhältnisses von Gesellschafterversammlung und weisungsgebundenem Geschäftsführer von selbst. Dessen Befugnis, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen, beruht nicht darauf, daß er einen eigenen Willen hinsichtlich der von den Gesellschaftern zu treffenden Entscheidungen bilden dürfte; sie dient vielmehr lediglich der Vorbereitung der Willensbildung, wobei der Geschäftsführer als der mit dem Tagesgeschäft Vertraute nach der zutreffenden Vorstellung des Gesetzgebers besonders gut beurteilen kann, welche Fragen von den Gesellschaftern, u m deren in die G m b H investiertes Vermögen es letztlich geht, entschieden werden sollten. Die Gesellschafter sind jedoch nicht gezwungen, erst bei ihrem Zusammentreten darüber zu befinden, ob sie die angekündigten Tagesordnungspunkte beraten und über sie abstimmen wollen. N a c h § 50 Abs. 1 und 2 G m b H G , der entgegen dem landläufigen Verständnis sich nicht in seinem Charakter als Minderheitsrecht erschöpft, können sie - wenn sie sich einig sind oder zumindest das Q u o r u m von 1 0 % des Stammkapitals zusammenbringen - schon im Vorfeld der Einberufung bzw. rechtzeitig vor dem Zusammentreten der Versammlung ihrerseits initiativ 42 werden und die Ein42 Eben dies wird regelmäßig die Gesellschaftermehrheit schon - natürlich auf informellem Weg - tun, der von ihrem Willen abhängige Geschäftsführer wird dem nur in seltenen Fällen nicht entsprechen, so daß es für die Mehrheit eines förmlichen Vorgehens nach § 50

.Nichtbefassungsbeschluß" und § 50 G m b H G

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ladung zu einer Versammlung mit ihnen wichtig erscheinenden Gegenständen verlangen oder aber die Ergänzung der Tagesordnung um bestimmte Angelegenheiten fordern. Indem sie so vorgehen, üben sie mitgliedschaftliche Befugnisse aus und zwar nicht allein unter dem Gesichtspunkt eines Mehrheits-/Minderheitskonflikts, sondern vor allem im Sinne der Inanspruchnahme von Kompetenzen im Verhältnis zu dem Geschäftsführer als Organ der Gesellschaft. Da dieser - wie § 50 Abs. 3 GmbHG zu entnehmen ist - einem solchen Verlangen zu entsprechen hat, wird seine Unterordnung unter den Willen der Gesellschafter deutlich, die im übrigen jederzeit die Einberufungsinitiative des Geschäftsführers dadurch überspielen könnten, daß sie zu einer Universalversammlung ( § 5 1 Abs. 3 GmbHG) zusammentreten und auch über nicht angekündigte Gegenstände Beschluß fassen. Vergegenwärtigt man sich den qualitativen Unterschied zwischen einer Ankündigung der Tagesordnung durch den Geschäftsführer und einem Einberufungsverlangen von Gesellschaftern, die mit mindestens 10 % am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt sind, liegt die Annahme fern, die Gesellschafter, die die Einberufungs- oder Ankündigungsinitiative ergreifen, handelten insofern nur an Stelle des Geschäftsführers mit der Folge, daß die Mehrheit ohne weiteres die Tagesordnung ändern, vor allem einen Beschlußgegenstand absetzen könnte. § 50 GmbHG ist vielmehr weitergehend dahin zu verstehen, daß die Ausübung der in dieser Vorschrift genannten Befugnisse Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Rechte ist, die auch die übrigen Gesellschafter in der Weise zu achten haben, daß sie eine sachliche Befassung mit dem Gegenstand nicht auf eine Erörterung und Beratung beschränken, also eine materielle Beschlußfassung verweigern dürfen. Nach den im Gesetz deutlich gewordenen Vorstellungen des Gesetzgebers erhält im Sinne des von Brodmannn apostrophierten Kompromisses das dringende Interesse einer 10% des Stammkapitals repräsentierenden Minderheit, eine bestimmte Angelegenheit zur Beratung und Beschlußfassung zu stellen, Vorrang vor demjenigen der Mehrheit, mit Hilfe des typischerweise von ihr abhängigen Geschäftsführers ihren Willen ohne weitere Befassung der Gesellschafterversammlung durchzusetzen. Das Quorum von 10% kann natürlich nicht in jedem Fall querulatorisches oder sonst mißbräuchliches Vorgehen der Minderheit verhindern. Ihm ist mit dem üblichen Instrumentarium beizukommen. 44 Im Ergebnis gelangt man also gegenüber dem von der h. M. vertretenen Verständnis des § 50 GmbHG zu einer Umkehrung des Verhältnisses von GmbHG nicht bedarf und es den tatsächlichen Gegebenheiten durchaus entspricht, § 50 GmbHG als Minderheitsrecht zu beschreiben; die rechtliche Einordnung bleibt hiervon aber unberührt. 43 a.a.O. § 5 0 Anm. 1. 44

Vgl. z.B. Hachenburg

burg/Hüffer

5. Aufl. § 50 Anm. 7; Brodmann

a.a.O. § 50 Rdnr. 9; Rowedder/Koppensteiner

§ 50 Anm. 1 c); Hachen-

a.a.O. § 50 Rdnr. 5.

140

Wulf G o e t t e

Regel und Ausnahme: Während nach der überwiegenden Meinung die Gesellschaftermehrheit frei in der Handhabung eines Minderheitsverlangens ist und nur im Falle treupflichtwidrigen Verhaltens 45 sachlich über einen Beschlußgegenstand befinden muß, besteht nach der hier vertretenen Ansicht ein Anspruch der Minderheit auf materielle Beschlußfassung, der ausnahmsweise allein dann nicht durchgesetzt werden kann, wenn er mißbräuchlich oder sonst unter Verletzung gesellschaftlicher Treuepflichten geltend gemacht wird; dann wird die Minderheit nach § 50 Abs. 3 Satz 2 G m b H G obendrein mit den Kosten der Versammlung belastet werden.

IV. Zusammenfassung Wortlaut, systematische Stellung, der Zweck des § 50 G m b H G und die möglichst weitgehende Eröffnung der gerichtlichen Kontrolle der Ausübung der Mehrheitsmacht in der Gesellschafterversammlung sprechen dafür, entgegen der überwiegend vertretenen Ansicht der Gesellschafterminderheit, solange sie sich treupflichtgemäß verhält, das Recht zuzubilligen, daß über ein von ihr auf die Tagesordnung „zur Beschlußfassung" (§ 50 Abs. 2 GmbHG) gebrachtes Anliegen sachlich befunden wird. Dementsprechend ist ein „Nichtbefassungsbeschluß" oder die Absetzung des Punktes von der Tagesordnung von vornherein rechtswidrig; eine Umstellung der Tagesordnung, durch die der Beschlußgegenstand präjudiziert wird, ist nur dann zulässig, wenn dadurch die gerichtliche Kontrolle zu Lasten der Minderheit nicht verkürzt wird; 46 das wird nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen.

45 46

Vgl. erneut B G H Z 123, 15 ff. S. oben II. 2. b).

Scheinsozietäten als besondere Form der Scheingesellschaft BARBARA

GRUNEWALD

I. Das Phänomen der Scheinsozietät Die Scheinsozietät hat Konjunktur. 1 Den großen Praxen eilt der Ruf voraus, ein besonders umfassendes und weitreichendes Beratungsangebot bieten zu können. D a liegt es für Kanzleien mit weniger Gesellschaftern nahe, auf Briefkopf und Praxisschild nicht nur die Gesellschafter aufzuführen, sondern auch Angestellte oder als freie Mitarbeiter beschäftigte Freiberufler. 2 Es kommt auch vor, dass Gesellschafter zweier Sozietäten, die regelmäßig zusammenarbeiten, nach außen als eine Sozietät auftreten. Dies kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn die Sozietäten an verschiedenen Orten angesiedelt sind und damit eine Praxis an beiden Standorten am Markt aufgezeigt werden kann. 3

II. Die gesellschaftsrechtliche Einordnung 1. Keine Gesellschaft bürgerlichen

Rechts

Wie der Name „Scheinsozietät" schon sagt, geht man allgemein davon aus, dass nur scheinbar eine Sozietät vorliegt, in Wirklichkeit aber keine Gesellschaft gegeben ist. Dies trifft in der Regel auch zu. Denn der als Mitarbeiter oder als Angestellter beschäftigte Freiberufler soll gerade nicht Gesellschafter der Sozietät sein. Im Wesentlichen gleich liegt der Fall der zwischen mehreren Sozietäten vereinbarten Zusammenarbeit. Hier sollen die Mandate innerhalb der jeweiligen Sozietät bearbeitet und abgerechnet werden. Im Einzelfall werden allerdings Anfragen an die Partnersozietät verwiesen. Sofern die Zusammenarbeit der Sozietäten eine gewisse Intensitätsschwelle übersteigt, kann hier zwar die Bildung einer Dach-BGB-Gesellschaft gegeben sein. Aber

1 2 3

Kamps/Alvermann NJW 2001, 2121. Beispiel: BGH NJW 2001, 165. Kamps/Alvermann NJW 2001, 2121.

142

Barbara Grunewald

Zweck dieser Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist nicht die gemeinsame Berufsausübung in der Form einer gemeinsamen Beratung von Klienten, sondern die wechselseitige Empfehlung. Eine gemeinsame Sozietät liegt also gerade nicht vor. 2. Bestehen einer Scheingesellschaft bürgerlichen Rechts Damit stellt sich die Frage, ob der Eindruck, den Praxisschild und Briefkopf in den genannten Fällen auf die Personen machen, die sich an die Kanzlei wenden, den Realitäten entspricht. Geht - um die Fragestellung auf den Punkt zu bringen - ein (potentieller) Mandant davon aus, dass die auf dem Praxisschild / dem Briefkopf aufgeführten Personen Gesellschafter einer Sozietät seien oder hat er insoweit andere Vorstellungen? a) Scheinsozietäten als Vertragspartner des Mandanten und Vertreter der anderen Sozien Die Rechtsprechung steht auf dem Standpunkt, dass Personen, die auf einem Praxisschild oder Briefkopf persönlich genannt werden, den Eindruck erwecken, sie seien berechtigt, die anderen dort genannten Personen zu verpflichten und sie würden selbst durch ein entsprechendes Handeln dieser Personen im gleichen Umfang berechtigt und verpflichtet, und somit Vertragspartner der Mandanten der Sozietät. 4 Diese Sichtweise ist nur auf dem Boden der mittlerweile aufgegebenen sogen. Doppelverpflichtungstheorie verständlich. Diese besagte, dass ein Vertragsschluss im Namen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zugleich als Vertragsschluss auch im Namen der Gesellschafter zu verstehen sei. Eine entsprechende Vollmacht des geschäftsführenden Gesellschafters auch für die Gesellschafter persönlich wurde im Wege der Auslegung der Vollmacht zum Handeln für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts entnommen. 5 Von diesem Standpunkt aus ließe sich in der Tat sagen, dass derjenige, der wie ein Gesellschafter auf dem Briefkopf / dem Praxisschild geführt wird, einen entsprechenden Eindruck erweckt. Mit der Aufgabe der Doppelverpflichtungstheorie kann diese Sicht der Dinge nicht mehr aufrecht erhalten werden. Denn da nunmehr die Sozietät selbst und nicht mehr die Gesellschafter Vertragspartner des Mandanten werden,6 kann von einer entsprechenden Vorstellung nicht mehr ausgegangen 4 BGH NJW 2001, 165, 166; BGH NJW 1996, 2308, 2310; BGH NJW 1994, 2288; BGH NJW 1993,196,198; BGH NJW 1991, 49, 50; Odersky in FS Merz, 1992, S. 439,448 ff; Odersky AnwBl. 1991, 238, 242. 5 Umfassende Nachweise bei Ulmer ZI? 1999, 509, 511. 6 Allgemein zur Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts BGH NJW 2001, 1056; speziell zur Sozietät Hadding ZGR 2001, 712ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Grunewald in FS Peltzer, 2000, S. 129, 130.

Scheinsozietäten als besondere Form der Scheingesellschaft

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werden. Denn da die auf dem Praxisschild / dem Briefkopf aufgeführten Gesellschafter nicht mehr Vertragspartner werden, kann eine entsprechende Vorstellung in Bezug auf die mit aufgeführten Personen nicht angenommen werden. b) Die Scheinsozien als Gesellschafter Dem gegenüber wird die Ansicht vertreten, die Nennung einer Person auf dem Briefkopf oder dem Praxisschild erwecke den Eindruck, diese Person sei Gesellschafter.7 Dem ist entgegengehalten worden, dass dem Publikum durchaus bekannt sei, dass die in der Kanzlei tätigen Personen nicht alle Sozien seien.8 Dies mag zutreffen, besagt aber nichts über die Vorstellungen des Publikums in Bezug auf Personen, die im Briefkopf / auf dem Praxisschild genannt werden. Diese Personen werden gesondert herausgehoben. Bei ihnen handelt es sich nicht um beliebige in der Praxis tätige Freiberufler, bezüglich derer in der Tat nicht einfach angenommen werden kann, sie seien Gesellschafter der Sozietät. Auch ein Scheinsozius, der überhaupt nicht in der Kanzlei tätig wohl aber auf dem Praxissschild oder Briefkopf genannt ist (überörtliche wechselseitige Empfehlung), erweckt den Eindruck, Gesellschafter zu sein. In diesem Fall kann erst recht nicht gesagt werden, das Publikum gehe von einer anderen Form der Mitarbeit in der Kanzlei aus, da diese Personen vor Ort gar nicht tätig sind. Für die in einer Kurzbezeichnung einer Kanzlei genannten Personen wird man allerdings anders entscheiden müssen.9 Hier weiß das Publikum, dass es sich um den Namen der Kanzlei handelt und um sonst nichts. Sofern in der Namensliste keine natürlichen Personen mit diesem Namen aufgeführt werden, wird nicht der Anschein erweckt, es gebe Gesellschafter mit diesen Namen. Des Weiteren wird gesagt, das Publikum habe in Bezug auf die Interna der Sozietät gar keine Vorstellung und daher auch nicht die, dass die aufgeführten Personen Gesellschafter der Sozietät seien.10 Dies scheint in Anbetracht des geschilderten Werbeeffekts nicht überzeugend. Denn wenn es dem sogen. Publikum gleichgültig wäre, ob die aufgeführten Personen Sozien, Angestellte oder freie Mitarbeiter sind, könnte man dies auf Briefkopf und Praxisschild

7 B G H MDR 1996, 966; Henssler AnwBl. 2000, 213,215; zur Partnerschaftsgesellschaft Jawansky DB 2001, 2281, 2284; MünchKommBGB/i//mer, 2. Aufl. BGB, § 8 PartGG Rn 13. 8 Römermann in Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., § 8 Rn 34. 9 Siehe den Hinweis von Henssler AnwBl. 2000, 213, 215, der allerdings generell die Aufführung von freien Mitarbeitern und Angestellten auf Kanzleischild und Briefkopf für zulässig hält. 10 Römermann (Fn 8) § 8 Rn 34; ähnlich O L G München BB 2001, 592, 593, wo aber in Widerspruch dazu später gesagt wird, die auf dem Briefkopf aufgeführte Person erwecke den Eindruck, sie sei Partner und hafte daher nach Rechtsscheingrundsätzen.

Barbara Grunewald

144

zum Ausdruck bringen. Das ist aber gerade nicht der Fall. D i e Klienten w o l len zumindest teilweise von den Sozien als denjenigen beraten werden, die innerhalb der Sozietät eine besondere Stellung und ein besonderes Ansehen genießen. 1 1 A u f solche „Äußerlichkeiten" muss ein Mandant, der die Q u a lität der Beratungsleistung nur schwer beurteilen kann, vertrauen. Das genau ist ja auch der Grund, warum angestellte Freiberufler und freie Mitarbeiter bisweilen darauf drängen, als Sozien auf dem B r i e f k o p f / Praxisschild aufgeführt zu werden. H i n z u k o m m t , dass ein Sonderrecht für Freiberufler kaum zu begründen wäre. D a aber auch sonst im Geschäftsverkehr regelmäßig nur die Gesellschafter (und nicht die Angestellten) auf den Briefbögen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts genannt werden, liegt eine entsprechende Vorstellung der Klienten nahe. Etwas anderes gilt nur, wenn durch Zusätze klar gestellt wird, dass die genannte Person nicht Gesellschafter ist. 12 Zugleich wird auf diese Weise dem Interesse der Mandanten, zu wissen, wer ihnen gegebenenfalls haftet, Rechnung getragen. 13 D e n n nur die Annahme, wer auf Briefkopf oder Praxisschild auftritt, erwecke den Anschein, Gesellschafter zu sein, liefert die Basis einer entsprechenden Haftung. N a c h Aufgabe der D o p p e l verpflichtungstheorie ist diese Sicht die einzige plausible Begründung für die Haftung. Das soll nunmehr erläutert werden.

III. Folgen des gesetzten Rechtsscheins 1.

Haftung D a alle auf dem Briefkopf oder dem Praxisschild aufgeführten Personen in

zurechenbarer Weise den Anschein setzen, sie seien Gesellschafter

der

Sozietät, müssen sie sich gem. den allgemeinen Rechtsscheinregeln gegenüber gutgläubigen Dritten auch so behandeln lassen. 14 D a h e r haften sie gem. der nunmehr auch vom B G H zugrunde gelegten Akzessorietätstheorie unbeschränkt persönlich für alle Schulden der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. 1 5 11 Römermann (Fn 8) § 8 Rn 37 sagt, Scheinsozien würden von der Mandantschaft leichter angenommen. 12 Siehe den Fall B G H N J W 2001, 1056, 1061: Der Zusatz „Bauleitung" macht bei einer A R G E deutlich, dass der Betreffende nicht Gesellschafter ist. 13 Dieses Interesse wird allseits betont: Römermann (Fn 8) § 8 Rn 36; Graf v. Westphalen Handbuch des Sozietätsrechts, 2001, Β 598. 14 So B G H N J W 1990, 827, 829 für eine Sozietät von Steuerberatern; O L G München BB 2001, 592, 594 für die Partnerschaftsgesellschaft, nach dem zuvor widersprüchlich gesagt wurde, der nur auf dem Briefkopf Genannte erwecke nicht den Anschein, Partner zu sein, siehe auch B G H N J W 2001, 1056, 1061. 15 Überblick bei Grunewald Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2000, 1 A 104 ff; Hadding Z G R 2001, 712, 735; Ulmer Z G R 2000, 339ff; Zum Versicherungsschutz Zugehör Beilage zu ZAP 18/2001 S. 5 f.

Scheinsozietäten als besondere Form der Scheingesellschaft

145

Dieses Ergebnis ist als solches unstreitig, wird allerdings meist anders begründet. E s wird - unter Zugrundelegung der mittlerweile aufgegebenen Doppelverpflichtungstheorie - gesagt, der Scheinsozius werde nach Rechtsscheingrundsätzen von den anderen Sozien bei Vertragsschluss vertreten. 1 6 Dass diese Sicht nicht mehr überzeugt, wurde bereits dargelegt. F ü r die Partnerschaftsgesellschaft ist demgegenüber gesagt worden, dass eine Inanspruchnahme der Scheinsozien an § 15 H G B scheitere. 1 7 D e m kann nicht gefolgt werden. Zwar sagt § 15 A b s . 2 H G B , dass ein Dritter eine im Handelsregister eingetragene und bekannt gemachte Tatsache gegen sich gelten lassen muss. Dies gilt aber nur für einzutragende Tatsachen und dazu gehört die Aussage, dass eine Person nicht Partner ist, gerade nicht. 1 8 Zudem besteht Einigkeit darüber, dass § 15 Abs. 2 H G B nicht besagt, dass jeder spezielle Rechtsscheinträger (wie etwa eine Namensleiste auf einem Briefkopf oder einem Praxisschild) bedeutungslos wäre, wenn nur das Register richtig ist. 1 9 D a bekanntermaßen nur sehr selten Einblick in ein Register genommen wird, muss es auf den in aller Öffentlichkeit erzeugten Rechtsschein von Praxisschild und Namensliste ankommen. D e m entspricht, dass nach allgemeiner Meinung eine Berufung auf § 15 Abs. 2 H G B ausscheidet, wenn der Betreffende eine Firma verwendet, die andere Haftungsverhältnisse anzeigt als im Register eingetragen. 2 0

2. Vertretungsmacht

und

Geschäftsführungsbefugnis

A u c h in Bezug auf Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht müssen sich die Sozien und die Scheinsozien so behandeln lassen, als wären die Scheinsozien Gesellschafter und hätten daher Alleingeschäftsführungsbefugnis und Alleinvertretungsmacht. In der normalen B G B - G e s e l l s c h a f t kann allerdings nicht von der Gesellschafterstellung auf eine Alleingeschäftsführungsbefugnis und -Vertretungsmacht geschlossen werden. N a c h der dispositiven gesetzlichen Regelung von §§ 709, 714 B G B haben die Gesellschafter Gesamtgeschäftsführungsbefugnis und Gesamtvertretungsmacht. In der Praxis treten ganz unterschiedlich strukturierte Gesellschaften auf. F ü r die Sozietäten der Freiberufler gilt allerdings etwas anderes. In diesen Gesellschaften ist die Alleingeschäftsführungsbefugnis und Alleinvertretungsmacht 16 BGHZ 70, 247, 249; BGH NJW 1991, 1224, 1225; für eine Haftung ohne nähere Begründung auch Eichele BRAK-Mitt. 2001, 156, 158 Sieg WM 2002, 1432, 1436. 17 Lenz in Meilicke/Graf v. Westphalen/Hoffmann/Lenz, PartGG, 1995, § 25 Rn 58; Römermann (Fn 8) § 8 Rn 38. 18 Jawansky DB 2001, 2281, 2284,' 19 Baumbach/Hopt HGB, 30. Aufl. 2000, § 15 Rn 15; MünchKommHGB/£z'e¿> § 15 Rn 59; speziell zur Partnerschaftsgesellschaft Henssler in FS Vieregge, 1995, S. 361, 367 f; Jawansky DB 2001, 2281, 2284. 20 MünchKommHGB/Lieb (Fn 19) § 15 Rn 57 unter Hinweis auf BGHZ 62, 216.

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Barbara Grunewald

so verbreitet, dass allein die Nennung auf dem Praxisschild oder der Namensleiste des Briefbogens den Anschein erweckt, dass die betreffende Person Alleingeschäftsführungsbefugnis und Alleinvertretungsmacht hat. Daran müssen sich die Scheinsozien festhalten lassen.21

3. Hinweis nach § 32 Abs. 3 der anwaltlichen

Berufsordnung

(BORA)

Nach § 32 Abs. 1, 2 BORA hat ein Sozius, der aus einer Sozietät ausscheidet, das Recht, diejenigen Auftraggeber, mit deren Sachen er gerade befasst ist oder regelmäßig war, darüber zu befragen, wer künftig seine laufenden Sachen bearbeiten soll. Des weiteren darf er sein Ausscheiden allen Mandanten der Sozien bekannt geben und am Kanzleisitz einen Hinweis auf sein Ausscheiden anbringen. Nach Abs. 3 gilt diese Regel auch, wenn die berufliche Zusammenarbeit nicht in einer Sozietät erfolgte, der Ausscheidende aber als Sozius nach außen hervorgetreten ist. Die Erstreckung der Regelung von § 32 Abs. 1, 2 BORA auf Außensozien bereitet in der Praxis Schwierigkeiten, 22 da die Norm im Grundsatz das Mitteilungs- und Anfragerecht mit guten Gründen für ausscheidende Angestellte und freie Mitarbeiter nicht vorschreibt. Denn wenn diese Personen generell das Recht haben würden, die Mandanten, die sie gerade betreuen, oder für die sie regelmäßig tätig waren, zu befragen oder zu informieren, entstünde eine unliebsame Konkurrenz. 23 Für Angestellte und freie Mitarbeiter sowie sonstige Personen, die nach außen in Erscheinung treten, ordnet die BORA aber die Gleichstellung mit den Sozien an. Diese Regelung macht nur Sinn, wenn es um den Schutz der Mandanten geht. Denn diese können zwischen echten und Scheinsozien nicht unterscheiden. Da die Klienten in der Tat ein Interesse daran haben können, auch weiterhin von „ihrem Rechtsanwalt", jedenfalls wenn er in exponierter Stellung in Erscheinung getreten ist, betreut zu werden, hat die Regelung von § 32 Abs. 3 BORA durchaus ihre Berechtigung. 24 Allerdings kann die Bestimmung zur Folge haben, dass Angestellte und freie Mitarbeiter Mandate mitnehmen, ohne dass dies in dem Vertrag zwischen diesen Personen und der Sozietät vorgesehen wäre. Hier schlägt der im Außenverhältnis gesetzte Rechtsschein auf das Innenverhältnis durch. Man wird daher im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu dem Ergebnis kommen, dass für die Mitnahme der Mandate ein Ausgleich zu leisten ist.25 21 A A Römermann (Fn 8) § 32 Rn 46: Der handelnde Außensozius werde einziger Vertragspartner, die anderen Außensozien haften aber ebenfalls. 22 Siehe Staehle BRAK-Mitt. 2000, 86, 88. 23 Dazu, welche Rechte ein angestellter Rechtanwalt hat, der nicht Scheinsozius ist, LG Düsseldorf BRAK-Mitt. 1999,238,239. 24 Kritisch Römermann (Fn 8) § 32 Rn 46. 25 So auch Staehle BRAK-Mitt. 2000, 86, 88.

Scheinsozietäten als besondere F o r m der Scheingesellschaft

4. Veräußerung von Praxen mit Übergabe

der

147

Mandantenakten

Die Judikatur geht seit längerem davon aus, dass ein Vertrag über die Veräußerung einer Arzt-, Anwalts- oder Steuerberaterkanzlei, in dem sich der Veräußerer zur Ubergabe der Mandantenakten ohne Einwilligung der betroffenen Mandanten verpflichtet, deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt und die dem Veräußerer durch § 203 StGB auferlegte Schweigepflicht missachtet.26 Der B G H hat vor kurzem entschieden, dass ein Praxisveräußerungsvertrag, der die Ubergabe der Mandantenunterlagen ohne Einverständnis der Mandanten einschließt, dann nicht gegen die Schweigepflicht verstößt, wenn der Veräußerer eine Zeit lang als freier Mitarbeiter und Scheinsozius in der Kanzlei des Erwerbers tätig war. Gleiches soll auch dann gelten, wenn der Verkäufer, ohne nach der Veräußerung weiter in der Kanzlei tätig zu sein, nur als Scheinsozius fungiert.27 Denn - so das Urteil - mit einer solchen Veränderung müsse der Mandant rechnen. Diese Judikatur überzeugt zwar im Ergebnis, nicht aber in der Begründung. Es mag sein, dass der Mandant mit einer solchen Entwicklung rechnen muss. Aber rechnen muss er auch mit einer Veräußerung der Praxis des von ihm mandatierten Rechtsanwalts, ohne dass eine Scheinsozietät begründet wird. Geht man also davon aus, dass alle absehbaren Entwicklungen (Verkauf, Fusionen, Aufnahme neuer Sozien) von dem Einverständnis des Mandanten gedeckt sind - und für diese Annahme spricht viel 28 - , so kann es auf die Begründung einer Scheinsozietät nicht ankommen. Hält man dagegen eine Absicherung des Mandanten durch den von ihm ursprünglich gewollten Rechtsanwalt - und sei es auch nur dadurch, dass dieser die Kenntnisnahme eines Dritten im Zuge einer Zusammenarbeit gestattet hat - für erforderlich, so trägt dem allein die Vortäuschung einer Sozietät nicht Rechnung. 5. Nachweis von

Versicherungsschutz

Gem. § 44 b Abs. 4 S. 1, 2 W P O hat ein Wirtschaftsprüfer bei Bestehen einer Sozietät für die Partner einen Berufshaftpflichtversicherungsschutz gegenüber der Wirtschaftsprüferkammer nachzuweisen, der den Anforderungen entsprechen muss, die für Wirtschaftsprüfer gelten. Der B G H hat entschieden, dass diese Vorschriften nur für echte Sozien, also BGB-Gesell-

2 6 B G H Z 116, 268, 272; B G H W M 1995, 1357; B G H W M 1996, 22; B G H W M 1996, 1815; B G H W M 1 9 9 9 , 1 0 3 4 ; B G H N J W 2 0 0 1 , 2 4 6 2 . 27 Unter II 3 b der Gründe: „Das gleiche muss für den Fall gelten, dass der bisherige Kanzleiinhaber unter Fortbestand der (Außen) Sozietät - aus der Kanzlei ausscheidet und an seiner Stelle ein neuer Inhaber eintritt". Auch damit müsse der Mandant rechnen; zustimmend Härtung B B 2001, 1921, 1922; siehe auch umfassend Henssler/Kilian MDR 2001, 1274. 28 Ausführlich Messer in FS Brandner, 1996, S. 715, 720ff.

148

Barbara Grunewald

schafter, nicht aber für Scheinsozien gelten.29 Diese Judikatur ist nicht unproblematisch. Denn es kann kaum sein, dass Personen als Sozien ausgewiesen werden und entsprechend haften, aber entgegen den Erwartungen der Mandanten nicht wie Sozien versichert sind. Ein Verzicht auf den Nachweis des Versicherungsschutzes kann nur akzeptiert werden, wenn zugleich sicher gestellt ist, dass ein solcher Zustand nur vorübergehend anhält. Anderenfalls würden Scheinsozietäten gegenüber wirklichen Sozietäten bevorzugt. 6. Eintragungen

in ein

Berufsregister

Gem. § 38 Abs. 1 Nr. 2 d WPO sind Wirtschaftsprüfer verpflichtet, Name, Vorname, Berufe oder Firma und die Anschriften der beruflichen Niederlassung der Sozietätspartner, Namen der Sozietät und alle Veränderungen zum Berufsregister anzumelden. Diese Pflicht trifft nur echte, nicht aber Scheinsozietäten. Denn wie der BGH überzeugend ausführt, sollen die wahren Daten eingetragen werden, während die Eintragung einer Scheinsozietät das Register unrichtig machen würde. 30 Dass hierüber überhaupt Unklarheit bestehen konnte, zeigt, wie verbreitet die Fehlvorstellung ist, dass eine Scheinsozietät eine besondere Art der Sozietät sei.

IV. Wettbewerbsrecht Lange Zeit hatte die Rechtsprechung es als berufs- und wettbewerbswidrig angesehen, wenn durch einen entsprechenden Briefkopf / Praxisschild eine in Wahrheit nicht bestehende Sozietät vorgetäuscht wurde. 31 Das Außenverhältnis einer Sozietät, so der BGH, müsse dem Innenverhältnis entsprechen. Der Rechtsanwalt, und das gleiche müsste auch für andere FreiberuflerSozietäten gelten, dürfe nicht den Anschein erwecken, dass er sich mit anderen Rechtsanwälten zu einer Sozietät zusammen geschlossen habe, wenn dies in Wahrheit nicht der Fall sei, also nur eine Scheinsozietät vorliege. Sofern dies doch erfolge, liege ein Verstoß gegen das Verbot wettbewerbswidriger Werbung vor. Diese klare Linie könnte durch ein Urteil des BGH aus dem letzten Jahr verlassen worden sein. Darin wird gesagt, dass das Gericht die Aufnahme von Angestellten und freien Mitarbeitern in den Briefkopf schon bislang akzeptiert habe.32 Dies trifft insofern zu als, wie geschildert, in der Tat auf der NJW2001, 165, 167. NJW 2001, 165, 166. 31 BGH NJW 1991, 49, 50; BGH NJW 1993, 196, 198; BGH MDR 1996, 966. 32 BGH NJW 2001, 165, 167 unter Berufung auf Odersky AnwBl. 1999, 238, 242 und Härtung in Henssler/Prütting, BRAO, § 59 a Rn 97. 29

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Scheinsozietäten als besondere Form der Scheingesellschaft

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Basis der Doppelverpflichtungstheorie schon dann eine entsprechende Werbung gebilligt worden ist, wenn der betreffende Rechtsanwalt die Sozietät berechtigen und verpflichten konnte und für die Schulden der Sozietät haftete. Es ist aber erneut daran zu erinnern, dass mit der Aufgabe der Doppelverpflichtungstheorie diese Sicht der Dinge nicht mehr zutreffen kann. Des Weiteren wird in dem Urteil auf § 16 Abs. 7 S. 1 der Berufsordnung der Bundessteuerkammer (BOStB) hingewiesen. Nach dieser Bestimmung dürfen auf Briefbögen auch die Angestellten und freien Mitarbeiter aufgeführt werden. Eine ähnliche Regelung enthalten §§ 8 und 9 BORA. 3 3 Diese Bestimmungen besagen allerdings nicht, auf welche Weise auf die Zusammenarbeit hingewiesen werden darf. Sie lassen sich daher von ihrem Wortlaut her auch so verstehen, dass eine Klarstellung in Bezug auf den Status der Person zu erfolgen habe. 34 Das wäre problemlos möglich. Viele Sozietäten benennen auf ihren Briefbögen ihre sogenannten Off-Counsel persönlich. Genauso könnte in Bezug auf Angestellte und freie Mitarbeiter verfahren werden. Von der Satzungsversammlung gewollt war bei der Verabschiedung von § 8 B O R A aber wohl eine umfassende Freigabe. Es sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, Angestellte und freie Mitarbeiter ohne Offenlegung ihres Status auf Briefbögen und Praxisschildern zu führen. Hieraus wiederum soll folgen, dass ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot von § § 1 , 3 U W G bei der Benennung dieser Personen auf Briefkopf und Kanzleischild nicht mehr gegeben ist. Denn, so heißt es, berufsrechtlich erlaubtes Handeln könne nicht wettbewerbswidrig sein.35 Diese Sicht der Dinge scheint problematisch. Denn mit einiger Berechtigung lässt sich genau umgekehrt sagen, dass wettbewerbswidriges Verhalten verboten sei und auch nicht durch eine Satzungsversammlung der Freiberufler zu einem ordnungsgemäßen Verhalten umgemünzt werden könne. 36 Denn eine mögliche Irreführung wird auch nicht dadurch beseitigt, dass die Satzungsversammlung sie für nicht existent erklärt.

33 § 8 „Auf eine gemeinschaftliche Berufsausübung darf nur hingewiesen werden, wenn sie in einer Sozietät, in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) mit sozietätsfähigen Personen im Sinne des § 59 a B R A O oder in einer auf Dauer angelegten und durch tatsächliche Ausübung verfestigten Kooperation erfolgt". Zulässig ist auch der Hinweis auf die Mitgliedschaft in einer Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung; § 9 enthält eine vergleichbare Regelung für Kurzbezeichnungen. 34 Henssler AnwBl. 2001, 213, 215; im Ergebnis hält Henssler die Aufführung der Scheinsozien aber für nicht wettbewerbswidrig, da eine Differenzierung zwischen Partnern und freien Mitarbeitern nur Verwirrung stiften würde. 35 Feuerich/Braun BRAO, 5. Aufl. § 43b Rn 24; Härtung in Beck'sches Rechtsanwaltshandbuch, 1999/2000, H 2 44; Kamps/Alvermann N J W 2001, 2121, 2123; Römermann (Fn 8) § 8 Rn 31; Graf v. Westphalen (Fn 13) Β 601. 36 Siehe die Überlegung des O L G München BB 2001, 592, 594; Braun ZRP 1996, 394, 399; Ring Anwaltliche Werbung, 3. Aufl., Stichwort „Scheinsozietät".

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Barbara Grunewald

V. Zusammenfassung 1. Wer auf dem Briefkopf / Praxisschild einer Sozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ohne anderweitigen klarstellenden Zusatz aufgeführt ist, erweckt den Anschein, er sei Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Dies gilt nicht für Namen, die in der Kurzbezeichnung der Kanzlei aufgeführt sind, sofern sich diese Namen nicht auf einer Namensleiste wiederholen. Die Gesellschaft und der Scheingesellschafter müssen sich an diesem Rechtsschein festhalten lassen. Der Scheinsozius haftet daher wie ein Gesellschafter. Er hat Alleingeschäftsführungsbefugnis und Alleinvertretungsmacht nach Rechtsscheingrundsätzen. 2. Wer auf dem Briefkopf / Praxisschild einer Partnerschaftsgesellschaft ohne anderweitigen klarstellen Zusatz aufgeführt ist, erweckt den Anschein, er sei Partner. Es gilt insofern dasselbe wie bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Eintragung nur der wirklichen Partner im Partnerschaftsregister ändert daran nichts. 3. Ein ausscheidender Scheinsozius / Scheinpartner hat die Rechte nach § 32 BORA. 4. Bei der Veräußerung von Praxen mit Ubergabe der Mandantenakten liegt auch dann kein Verstoß gegen § 203 StGB vor, wenn die Mandanten dem nicht ausdrücklich zugestimmt haben. Mit einer solchen Entwicklung müssen Mandanten rechnen. Sie ist von ihrem Einverständnis mit der Anlage von Akten über ihren Fall gedeckt. Es kommt nicht darauf an, ob der Veräußerer Scheinsozius der auf den Erwerber übertragenen Kanzlei wird. y Es verstößt gegen § § 1 , 3 UWG, wenn auf Briefkopf, Praxisschild oder Namensleiste Personen aufgeführt werden, die nicht Gesellschafter / Partner der Sozietät sind, sofern dies nicht klargestellt wird.

Die Freistellung des Organwalters von seiner Haftung gegenüber der Gesellschaft MATHIAS

HABERSACK

I. Einführung 1. Die persönliche Haftung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat der A G ist wahrlich kein Thema nur der Theorie. Gesetzgeber 1 und Rechtsprechung 2 einerseits, die zunehmende Sensibilisierung der Aktionäre andererseits haben vielmehr dazu beigetragen, daß die genannten Organwalter mehr denn je mit ihrer persönlichen Inanspruchnahme wegen zu vertretender Pflichtverletzung zu rechnen haben. Für die Haftung des GmbHGeschäftsführers gilt dies schon lange. Angesichts dieser Entwicklung konnte es nicht ausbleiben, daß die in den U.S.A. seit geraumer Zeit verbreiteten Directors and Officers Liability Insurances auch in Deutschland zunehmend angeboten und nachgefragt werden. Die sich insoweit aufdrängende Frage, ob die verhaltenssteuernde Funktion der Haftung zum Wohl der A G und des Gemeinwesens beiträgt oder aber unternehmerische Verantwortung im Keim erstickt - eine Frage, die wiederum die rechtliche Beurteilung von D & O Versicherungen beeinflußt - , scheint für das deutsche Aktienrecht klar beantwortet: Eine Absicherung des Haftungsrisikos durch eine D & O-Versicherung sieht sich zumindest im Grundsatz selbst dann keinen Bedenken ausgesetzt, wenn die Kosten der Versicherung von der Gesellschaft übernommen werden oder, wie im Regelfall, die Gesellschaft den Versicherungs-

1 Vgl. namentlich die Ausweitung der Organwalterpflichten und die Änderung des § 1 4 7 AktG durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl. I, S. 786. 2 Von zentraler Bedeutung ist insoweit die in B G H Z 135, 244, 25Iff. im Grundsatz anerkannte Pflicht des Aufsichtsrats zur Geltendmachung von gegen den Vorstand gerichteten Ansprüchen der A G aus § 93 AktG (s. dazu im vorliegenden Zusammenhang Röhricht Z G R 1999, 445, 477; Sünner Z H R 163 [1999], 364, 369; Westermann Festschrift für Koppensteiner, 2001, S. 259, 276); zur Aufsichtsratshaftung s. ferner L G Bielefeld W M 1999, 2457 - Balsam; L G Dortmund A G 2002, 97 - Harpener/Omni II; zu den Verhaltenspflichten des Vorstands gegenüber der Gesellschaft sowie zu der auf § 823 Abs. 1 und 2 BGB gestützten Außenhaftung s. Hopt in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., 1992 ff., § 93 Rn. 72ff., 499ff. mit umf. Nachw.; aus der jüngeren Rechtsprechung etwa B G H ZIP 2002,213,214.

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Mathias Habersack

vertrag im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, aber zugunsten des Organwalters abschließt. 3 Auch Ziffer 3.8 des Deutschen Corporate Governance Kodex geht von der Zulässigkeit eines von der Gesellschaft zugunsten der Organwalter abgeschlossenen Versicherungsvertrags aus und regt allein die Vereinbarung eines „angemessenen Selbstbehalts" an.4 Dies deckt sich mit der Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance, für die die Zulässigkeit einer D & O-Versicherung „außer Frage" steht und nach deren Ansicht eine Prämienübernahme durch die Gesellschaft jedenfalls dann zulässig ist, wenn ein Selbstbehalt in Fällen grob fahrlässigen Verhaltens vorgesehen ist.5 N u n hat sich das Risiko persönlicher Haftung mit dem vorstehend skizzierten Befund keineswegs gänzlich erledigt. 6 Ungeachtet der zunehmenden Verbreitung von D & O-Versicherungen besteht vielmehr, wie im einzelnen unter II. darzulegen sein wird, weiterhin Raum und Anlaß für Freistellungsvereinbarungen, Verträge also, durch die sich eine Partei verpflichtet, die andere - im vorliegenden Zusammenhang den Organwalter - von etwaigen Schadensersatzverpflichtungen, sei es gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber außenstehenden Dritten, zu befreien. Die Vereinbarkeit derartiger Absprachen mit dem Aktien-, G m b H - und Mitbestimmungsrecht ist bislang allerdings nur vereinzelt thematisiert worden. 7 Dabei dominieren eindeutig diejenigen Stimmen, die die Freistellung des Organwalters durch Dritte als zulässig und wirksam ansehen; dies deckt sich mit der Beurteilung von D & O-Versicherungen durch die herrschende Meinung. Bei näherer Betrachtung zeigt sich indes, daß Freistellungsvereinbarungen durchaus mit gesellschafts- und mitbestimmungsrechtlichen Wertungen kollidieren können. Die Frage, ob und, wenn ja, inwieweit AktG, G m b H G und MitbestG derartigen Vereinbarungen Grenzen setzen, 8 ist deshalb zunächst eine solche

3

Näher zur Frage der Vereinbarkeit mit §§ 93 Abs. 4 S. 3, 116 AktG Baums Gutachten F für den 63. DJT, in: Verhandlungen des 63. DJT, Bd. I: Gutachten, 2000, S. F 237; Ihlas Organhaftung und Haftpflichtversicherung, 1997, S. 59ff.; Kästner A G 2000, 113, 118ff.; Vetter A G 2000, 453 f., 457 f.; Großkomm-//op£ (Fn. 2), § 93 Rn. 519; Hüffer Aktiengesetz, 5. Aufl., 2002, § 84 Rn. 16; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., 1986ff., § 84 Rn. 83; für die G m b H Zöllner, in: Baumbach/Hueck G m b H G , 17. Aufl., 2000, § 43 Rn. 74; aA Habetha Direktorenhaftung und gesellschaftsfinanzierte Haftpflichtversicherung, 1995, S. 183 f. - Allgemein zum Präventionsgedanken im Zivilrecht Schäfer, AcP 202 (2002), 397ff.; speziell im vorliegenden Zusammenhang Ulmer Z H R 163 (1999), 290, 297, 306 f., 318, 330. 4 Abgedruckt in ZIP 2002, 452 (454). 5 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rn. 75. 6 Zu den Gründen s. unter II. 2. 7 Näher zum Meinungsstand unter III. 8 Allgemeine Unwirksamkeitstatbestände, wie sie etwa in Betracht kommen, wenn der Organwalter gezielt von den Folgen einer Missachtung spezieller Verbotstatbestände (etwa

Die Freistellung des Organwalters von seiner Haftung

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der Organisationsverfassung der Kapitalgesellschaft, sodann aber auch eine solche des Verhältnisses zwischen Gesellschaftsrecht und schuldrechtlichen Vereinbarungen. Angesprochen sind mithin Fragen, die sich gleichermaßen im Zusammenhang mit der Enthaftung durch D & O-Versicherungen stellen, weshalb der vorliegende Beitrag auch im Sinne einer Überprüfung der herrschenden Meinung, der zufolge der Abschluß von D & O-Versicherungen aus Sicht des Gesellschaftsrechts unbedenklich ist, verstanden werden kann; darauf wird ganz am Ende noch einmal zurückzukommen sein. 2. Das Thema zum Gegenstand eines Beitrags zu Ehren von Peter Ulmer zu machen, bietet sich aus einer Reihe von Gründen an. So nimmt es, wie eingangs erwähnt, seinen Ausgangspunkt bei der Innenhaftung der Organwalter und damit bei einem Gegenstand, dessen Fortentwicklung für den Bereich der AG ganz wesentlich der - seinerzeit von vielen als wenig aussichtsreich empfundenen - Initiative des Jubilars zu verdanken ist. 9 Zudem dürfte der Frage nach der Zulässigkeit von Freistellungsvereinbarungen gewisse praktische Bedeutung in Fällen zukommen, in denen das Organmitglied seine Organstellung der Benennung durch einen Gesellschafter oder einer sonstigen der Gesellschaft nahestehenden Person verdankt; angesprochen sind mithin Fallgestaltungen, die, wenn auch in anderem Zusammenhang, auf das besondere Interesse Ulmers gestoßen sind. 10 Der zuletzt angesprochene Gesichtspunkt lenkt schließlich den Blick auf die mitbestimmte Gesellschaft, bei der nicht nur die Wahl der Vertreter von Gewerkschaften in den Aufsichtsrat angesichts der in § 16 Abs. 2 MitbestG vorgesehenen Wahlvorschlags der Gewerkschaften einer „Abordnung" nahe kommt, sondern durchweg und damit auch vorliegend die spezifischen Vorgaben und Wertungen des - vom verehrten Lehrer seit jeher gepflegten - MitbestG zu beachten sind. 11

im Zusammenhang mit der Kapitalerhaltung oder der Insolvenzantragspflicht) freigestellt werden soll, bleiben im folgenden außer Betracht; s. dazu Westermann in: Festschrift für Beusch, 1993, S. 871, 877ff. 9 Ulmer ZHR 163 (1999), 290ff., dessen Gesetzgebungsvorschlag sich sodann der Deutsche Juristentag (s. namentlich Beschlüsse III. 3. bis 8 der Abteilung Wirtschaftsrecht des 63. DJT, in: Verhandlungen des 63. DJT, Bd. II/l, 2000, S. O 73, 80ff.) und die Regierungskommission Corporate Governance (s. Baums [Fn. 5] Rn. 72 f.) angeschlossen haben. 10 Ulmer Zur Haftung der abordnenden Körperschaft nach § 31 BGB für Sorgfaltsverstöße des von ihr benannten Aufsichtratsmitglieds, in: Festschrift für Stimpel, 1985, S. 705. 11 Dazu Hanau/Ulmer MitbestG, 1981; Ulmer Die Anpassung der Satzungen mitbestimmter Aktiengesellschaften an das MitbestG 1976, 1980; ders. Der Einfluß des Mitbestimmungsgesetzes auf die Struktur von A G und GmbH, 1979; s. ferner dens. A G 1982, 300; dens./Stimpel in: Festschrift für Zöllner, 1998, Bd. I, S. 589 ff.

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Mathias Habersack

II. Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes 1. Anspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit haben nach § 257 S. 1 B G B all' diejenigen, die berechtigt sind, Ersatz für Aufwendungen zu verlangen und im Zusammenhang mit der Erledigung der ihnen übertragenen Aufgabe eine Verbindlichkeit eingegangen sind.12 Hierunter fallen neben dem Beauftragten (§ 670) und dem Geschäftsbesorger (§ 675 B G B ) insbesondere die Gesellschafter einer Personengesellschaft. Für die Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft ergibt sich dies aus §§ 110,161 Abs. 2 H G B , für diejenigen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus §§ 713, 670 B G B . Die Frage, ob die genannten Vorschriften des Gesellschaftsrechts auch auf unfreiwillig begründete Verbindlichkeiten anwendbar sind, ob also die Gesellschafter Befreiung auch von etwaigen Schadensersatzverpflichtungen verlangen können, soweit diese im Zusammenhang mit ihrem Tätigwerden für die Gesellschaft begründet worden sind, wird von der heute hM zu Recht bejaht. 13 Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Gesellschafter, dem die Inanspruchnahme aus § 128 S. 1 H G B droht, Anspruch auf Freistellung durch die Gesellschaft hat. 14 Berücksichtigt man zudem die sich aus § 426 Abs. 1 S. 1 B G B ergebende Verpflichtung der einstweilen verschonten Gesamtschuldner, den vom Gläubiger in Anspruch genommenen Gesamtschuldner entsprechend der jeweiligen Haftungsquote freizustellen,15 so zeigt sich, daß gesetzliche Freistellungsverpflichtungen im allgemeinen Zivilund Handelsrecht gang und gäbe sind. 2. Nun zeichnen sich die genannten Freistellungstatbestände allerdings durchweg dadurch aus, daß der Freistellungsgläubiger im Interesse des Freistellungsschuldners gehandelt hat und ihm im allgemeinen auch im Verhältnis zum Gläubiger der Verbindlichkeit, von der Freistellung begehrt wird, ein pflichtwidriges Verhalten nicht vorgeworfen werden kann. Demgegenüber sind die vorliegend interessierenden Freistellungsvereinbarungen dadurch gekennzeichnet, daß sie primär die sich aus §§ 93 Abs. 2 S. 1, 116 AktG, § 43 Abs. 2 G m b H G ergebenden, auf der Verletzung von Sorgfaltsoder Loyalitätspflichten basierenden Schadensersatzverpflichtungen der Organwalter gegenüber der Gesellschaft zum Gegenstand haben. 16 Sie sind

Ein weiterer gesetzlicher Befreiungstatbestand findet sich etwa in § 775 Abs. 1 B G B . Ulmer in: Staub, H G B , 4. Aufl., 1982ff., § 110 Rn. 28, ders. in: Münchener K o m m e n tar zum B G B , 3. Aufl., 1993ff., § 713 Rn. 15, jew. m w N . 12 13

Staub/Habersack (Fn. 13), § 128 Rn. 41 f. Von Bedeutung etwa bei der Mitbürgschaft, aber auch bei der Gesellschafterhaftung, soweit das Verhältnis der Gesellschafter untereinander betroffen ist (s. Staub/Habersack [Fn. 13], § 128 Rn. 47). 14

15

16 Zu darüber hinausgehenden, auch die Verletzung konkreter Verbotstatbestände betreffenden Vereinbarungen s. Westermann (Fn. 8) S. 877ff.

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damit funktional einer Haftpflichtversicherung vergleichbar, so daß sich die Frage stellt, ob für entsprechende Vereinbarungen angesichts der zunehmenden Verbreitung von D & O-Versicherungen überhaupt noch Raum und Bedürfnis besteht. Entgegen erstem Anschein wird man die Frage bejahen müssen. So gilt es zunächst zu bedenken, daß eine D & O-Versicherung lückenlosen Haftungsschutz nicht zu bieten vermag.17 Regelmäßig findet sich die Vereinbarung eines Selbstbehalts und eines Haftungshöchstbetrags, 18 ferner ein Ausschluß für die Vorsatzhaftung des Organwalters. Bisweilen wird zudem der Versicherungsschutz auf die Außenhaftung des Organwalters beschränkt, die sich aus §§ 93 Abs. 2, 116 AktG, § 43 Abs. 2 G m b H G ergebende, im vorliegenden Zusammenhang besonders interessierende Innenhaftung also vom Versicherungsschutz ausgenommen.19 Zu diesen der D & O-Versicherung eigenen Schutzlücken gesellt sich ein Problem, welches vor allem die Absicherung der Aufsichtsratsmitglieder der A G betrifft. Nach ganz hM handelt es sich nämlich bei dem Versicherungsschutz, wenn dieser, wie im Regelfall, durch die Gesellschaft als Versicherungsnehmerin zugunsten des Organwalters als versicherte Person erworben wird oder die Gesellschaft die vom Organwalter geschuldete Prämie übernimmt, um einen Vergütungsbestandteil. Dies aber bedeutet, daß die Einbeziehung der Aufsichtsräte nach § 1 1 3 Abs. 1 AktG eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf 20 - eine Hürde, die sich zumal in mitbestimmten Gesellschaften und in Gesellschaften mit einander blockierenden Gesellschaftergruppen wohl nicht ohne weiteres überwinden läßt.

17 Vgl. Dorait, in: Semler Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 1999, Rn. M 131; Lattwein NVersZ 1999, 4 9 ff.; ders./Krüger NVersZ 2000, 3 6 5 ff.; s. ferner die Musterbedingungen der D & O - P o l i c e des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., abgedruckt und erläutert bei Thümmel Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2. Aufl., 1998, Rn. 353 ff. 18 Dazu Baums (Fn. 3) S. F 237, der mit der Einführung einer Haftungshöchstgrenze sympathisiert. 19 Dorait (Fn. 17) Rn. M 131, dort auch zu der in Nr. 1.3 der Musterbedingungen (Fn. 17) vorgesehenen „Öffentlichkeitsklausel", wonach Innenhaftungsansprüche (nur) gedeckt sind, soweit sie nicht auf Weisung, Veranlassung oder Empfehlung einer versicherten Person, einer Tochter- oder Konzerngesellschaft oder deren Organmitgliedern geltend gemacht, d.h. auf Veranlassung der Hauptversammlung verfolgt werden; s. aber auch Thümmel (Fn. 17) Rn. 357 mit berechtigtem Hinweis darauf, daß diese Bestimmung für die A G unpraktikabel und mit Blick auf B G H Z 135, 244, 2 5 I f f . (dazu Fn. 2) unzumutbar sei; s. ferner Lattwein NVersZ 1999, 49, 51. 20 Hiiffer (Fn. 3) § 113 Rn. 2; Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4: Aktiengesellschaft, 2. Aufl., 1999, § 21 Rn. 29; Dorait (Fn. 17) Rn. M 125; Hoffmann/Preu Der Aufsichtsrat, 4. Aufl., 1999, Rn. 522; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 3. Aufl., 1993, Rn. 313. Dagegen mit beachtlichen Gründen Dreher Z H R 165 (2001) 293, 321 ff.; Lange Z I P 2 0 0 1 , 1 5 2 4 , 1526ff.; Mertens A G 2000, 447, 451.

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3. Besteht somit durchaus R a u m für Freistellungsvereinbarungen, so kann die Verpflichtung zur Freistellung von den sich aus §§ 9 3 , 1 1 6 A k t G ergebenden Schadensersatzpflichten nur von Dritten, nicht dagegen von der Gesellschaft selbst übernommen werden. Dies folgt schon daraus, daß die genannten Haftungstatbestände

nicht

abdingbar

sind, 2 1

die Verpflichtung

der

Gesellschaft, den Organwalter von seiner Innenhaftung freizustellen, aber auf einen Haftungsverzicht hinausliefe. 2 2 Speziell im Zusammenhang mit einer Freistellung des Aufsichtsrats k o m m t hinzu, daß die Gesellschaft bei Abschluß dieser Vereinbarung durch den Vorstand vertreten werden müßte, diesem es aber schwerlich gestattet sein kann, den Aufsichtsrat von den F o l gen einer unzureichenden Ü b e r w a c h u n g der Geschäftsführung zu

ent-

lasten. 2 3 Eine Freistellungspflicht der A G läßt sich deshalb allein für Fälle begründen, in denen sich der Vorstand oder Aufsichtsrat zwar einer A u ß e n haftung ausgesetzt sieht, mit dem haftungsbegründenden Verhalten aber nicht zugleich eine Haftung gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 A k t G einher geht; 2 4 just in diesen Fällen ist aber die Gesellschaft schon kraft Gesetzes zur Freistellung ihrer Organwalter verpflichtet. 2 5 D e r aktienrechtlichen Ausgangslage im Grundsatz vergleichbar ist diejenige im G m b H - R e c h t . Zwar geht die wohl h M davon aus, daß der H a f tungsmaßstab des § 43 Abs. 1 G m b H G jedenfalls insoweit, als es nicht um die Verletzung spezifischer Verhaltenspflichten im Gläubigerinteresse geht, abgeändert und die Haftung des Geschäftsführers zumindest auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden kann. 2 6 I m übrigen aber, d.h. soweit der Haftungsmaßstab nicht disponibel ist, ist eine Freistellung des Geschäftsführers von seiner Haftung gegenüber der Gesellschaft nur durch Dritte möglich. Entsprechendes gilt für die Mitglieder eines G m b H - A u f sichtsrats. 2 7

21 O L G Düsseldorf WM 1984, 1080, 1084; KölnKomm-Aferteni (Fn. 3) § 93 Rn. 4; Großkomm-Zfopi (Fn. 2) § 93 Rn. 23 ff.; H Uff er (Fn. 3) § 93 Rn. 1; zu Vorschlägen de lege ferenda s. Baums (Fn. 5) Rn. 71. 22 Für Unwirksamkeit einer entsprechenden Freistellungsvereinbarung denn auch KölnKomm-Mertens (Fn. 3) § 84 Rn. 81; Großkomm-Ho/« (Fn. 2) § 93 Rn. 517. 23 Hierauf abstellend Wettermann (Fn. 8) S. 886. 24 Zu solchen Fällen s. Baums (Fn. 3) S. 236; Dreher ZHR 165 (2001) 293, 311 f.; Großkomm-Hopt (Fn. 2) § 93 Rn. 516; KölnKomm-Aferterci (Fn. 3) § 84 Rn. 76ff.; Bastuck Enthaftung des Managements, 1986, S. 114f.; Ihlas (Fn. 3) S. 182ff. 25 KölnKomm-Afertem (Fn. 3) § 84 Rn. 76ff. mwN. 26 Näher Schneider in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl., Bd. 1, 2000, § 43 Rn. 184 ff.; s. dazu noch unter VII. 2. 27 Zur Haftung des fakultativen Aufsichtsrats, insbesondere zur Abdingbarkeit des sich aus § 52 Abs. 1 GmbHG iVm. § 93 Abs. 1 AktG ergebenden Haftungsmaßstabs s. Lutter/ Hommelhoff GmbHG, 15. Aufl., 2000, § 52 Rn. 19; zur Unabdingbarkeit der Haftung des obligatorischen Aufsichtsrats s. dies. § 52 Rn. 40.

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4. Zu den Personen, die sich den Organwaltern gegenüber zur Freistellung verpflichten können, zählen vor allem die Aktionäre der A G und die Gesellschafter der G m b H . So ist aus der Praxis der vormaligen Treuhandanstalt bekannt, daß sie den Aufsichtsratsmitgliedern der in ihrem Alleinbesitz stehenden Treuhandunternehmen Freistellung von auf leichter Fahrlässigkeit beruhenden Haftungsverpflichtungen gewährt hat. 28 Anlaß zur Übernahme einer Freistellungsverpflichtung mögen des weiteren die nach § 101 Abs. 2 AktG zur Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern berechtigten Aktionäre haben, ferner Gewerkschaften, soweit es um die Bestellung der von ihnen vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mitbestimmter Gesellschaften geht.29 Den beiden zuletzt genannten Fällen nicht fernstehend ist die verbreitete Praxis, „Repräsentanten" einschlägiger Großaktionäre in den Aufsichtsrat zu wählen. 30 Denkbar erscheint die Freistellung des weiteren in Fällen, in denen die Aktionäre oder Gesellschafter zerstritten sind und unternehmerische Entscheidungen, die den Vorstellungen einer Aktionärs- oder Gesellschaftergruppe zuwiderlaufen, von dieser tendenziell als pflichtwidrig angesehen werden. Die Gefahr einer gerichtlichen Verfolgung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Organwalter, mögen diese Ansprüche bestehen oder nicht, liegt hier auf der Hand, was wiederum bedeutet, daß es sich als notwendig erweisen kann, Organwalter durch Abgabe von Freistellungszusagen von der Niederlegung ihres Amtes abzuhalten. 5. Die bisherigen Ausführungen haben deutlich werden lassen, daß Freistellungsvereinbarungen im Aktienrecht vor allem zugunsten von Aufsichtsratsmitgliedern in Betracht kommen werden. Ursächlich hierfür ist zunächst das sich nach hM aus § 113 Abs. 1 AktG ergebende Erfordernis einer Zustimmung der Aktionäre zum Abschluß einer D & O-Versicherung zugunsten der Mitglieder des Aufsichtsrats. Hinzu kommt der in der Organisationsverfassung der AG begründete Umstand, daß die Aktionäre, die am ehesten als Freistellungsschuldner in Betracht kommen, unmittelbar allein die Mit-

28

S. dazu namentlich Westermann (Fn. 8) S. 873 und 887, dort (in Fn. 53) auch Hinweis auf die (m. E. aktienrechtlich kaum einzuordnende) Praxis der Treuhandanstalt, die von ihr bestellten Aufsichtsratsvorsitzenden zu bitten, die erforderlichen Anteilseignervertreter für den Aufsichtsrat zu rekrutieren und sich zu ihrer Bestellung als die Hauptversammlung zu betrachten. 29 Dazu auch Ulmer (Fn. 10) S. 709f., der zu Recht von einer Institutionalisierung des gewerkschaftlichen Einflusses auf die Führung von Großunternehmen spricht. 30 Beachte in diesem Zusammenhang auch das Konzernprivileg des § 100 Abs. 2 S. 2 AktG und dazu Hoffmann-Becking in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts (Fn. 20), § 30 Rn. 8. - Zur Frage der Haftung der abordnenden Körperschaft s. B G H Z 36, 296, 309f.; B G H Z 90, 381, 397ff.; Ulmer (Fn. 10), dort (S. 710f.) auch Hinweise zur rechtstatsächlichen Verbreitung sog. „Bankenvertreter" in den Aufsichtsräten von Großunternehmen.

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glieder des Aufsichtsrats bestellen und bisweilen ein manifestes Interesse an der Wahl, Abordnung oder Entsendung einer bestimmten Person haben. Angesichts der derzeitigen Praxis der Vergütung der Aufsichtsräte, die mit dem vielfach beklagten Mangel an geeigneten Persönlichkeiten kontrastiert, und mit Blick auf die zunehmenden Haftungsrisiken erscheint es deshalb vorstellbar, daß die Erwählten zur Übernahme des Amtes nur gegen Freistellung von ihrer Haftung gegenüber der Gesellschaft bereit sind. Anders ist die Ausgangslage hinsichtlich des AG-Vorstandes. Der Abschluß eines entsprechenden Versicherungsvertrags ist in keinem Fall Sache der Aktionäre, 3 1 so daß er, wenn dem Vorstand an einer entsprechenden Absicherung gelegen ist, zumindest im Zusammenwirken mit dem Aufsichtsrat zustande gebracht werden kann. Was die G m b H betrifft, so gilt es zu beachten, daß die Übernahme der Kosten einer D & O-Versicherung durch die Gesellschaft, sei es durch Abschluß des Versicherungsvertrags im Namen der Gesellschaft oder durch Erstattung der von den Organwaltern geschuldeten Prämien, der Zustimmung der Gesellschafter bedarf, 32 und zwar gleichgültig, ob es um die Absicherung der Geschäftsführer oder der Mitglieder eines etwaigen Aufsichtsrats geht. Insbesondere auf Gesellschafterebene bestehende Pattsituationen können deshalb dazu führen, daß der gesellschaftsfinanzierte Erwerb des Versicherungsschutzes unterbleibt und aus Sicht eines Gesellschafters die Notwendigkeit besteht, einen ihm gewogenen Organwalter durch Freistellung von Regreßansprüchen von der Niederlegung des Amtes abzuhalten. Für das weitere Vorgehen ergibt sich aus alledem, daß die Freistellung des Aufsichtsratsmitglieds in den Vordergrund zu stellen ist, wobei, der rechtstatsächlichen Bedeutung entsprechend, vor allem der Aufsichtsrat der A G interessiert. In einem zweiten Schritt soll das Leitungsorgan der Gesellschaft, mithin der Vorstand der A G und der Geschäftsführer der G m b H , in die Betrachtung einbezogen und gefragt werden, ob sich die hinsichtlich des Aufsichtsrats getroffenen Feststellungen hierauf übertragen lassen. Zu beginnen ist jedoch mit einem Überblick über den Meinungsstand.

31 Fraglich ist allein, ob hierzu nach § 112 A k t G der Aufsichtsrat berufen ist oder ob der Abschluß des Vertrags Sache des Vorstands ist; näher Dreher Z H R 165 (2001) 293, 321 f. mit zutr. Hinweis, daß bei Abschluß des Vertrags durch die Gesellschaft der Tatbestand des § 112 A k t G nicht erfüllt ist. 32 Scholz/Schneider (Fn. 26) § 43 Rn. 299 a.

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III. Die Beurteilung von Freistellungszusagen durch das Schrifttum 1. Die Frage der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Freistellung des Organwalters von dessen Haftung gegenüber der Gesellschaft ist bislang nur vereinzelt und zudem vor allem am Beispiel des Aufsichtsrats der AG erörtert worden; Rechtsprechung liegt, soweit ersichtlich, überhaupt nicht vor. Aus dem Kreis der wenigen Stimmen, die sich zur Problematik äußern, besonders hervorzuheben sind Lutter und Krieger. Sie halten es für unbedenklich, daß „Dritte, etwa der Großaktionär, den Aufsichtsratsmitgliedern eine Freistellung von ihrer Haftung zusagen", und verweisen in diesem Zusammenhang auf die seinerzeitige Praxis der Treuhandanstalt.33 Obschon die Autoren auf eine nähere Begründung ihres Standpunktes verzichten, haben sie doch das Meinungsbild ganz entscheidend geprägt: Namentlich Dorait und Hüffer34 halten die Freistellung von Aufsichtsräten für unbedenklich und berufen sich dabei auf Lutter/Krieger. Eine erste vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage findet sich, soweit ersichtlich, bei Westermann, der entsprechenden Vereinbarungen zwischen Aufsichtsräten und Aktionären im Grundsatz ablehnend gegenüber steht.35 Zur Begründung führt Westermann an, daß entsprechende Vereinbarungen der gebotenen objektiven und unvoreingenommenen Entscheidungsfindung innerhalb des Aufsichtsrats zuwiderliefen, müsse doch davon ausgegangen werden, daß „ein von einem bestimmten Dritten, meist einem Großaktionär oder einem verbundenen Unternehmen, von der möglichen Haftung gegenüber der Gesellschaft freigestellten Aufsichtsratsmitglied die Interessen und Richtigkeitsvorstellungen, die auf dieser Seite bestehen oder geäußert werden, in stärkerem als dem erlaubten Maß in seine Entscheidungen einfließen lassen" werde.36 Davon sei insbesondere dann auszugehen, wenn im Gesellschafterkreis tendenziell Meinungsverschiedenheiten über unternehmerische Fragen bestünden, ferner, wenn nur ein Teil des Gremiums, der in Streitfragen die Mehrheit vermittle, freigestellt würde. Die Ausführungen Westermanns münden in das Ergebnis, daß Freistellungszusagen im allgemeinen „als Untergrabung der Entscheidungsautonomie des Aufsichtsrats als verboten anzusehen [seien], wenn nicht aufgrund einer außergewöhnlichen Notsituation (wie sie bei den Treuhandunternehmen vorliegt) ohne eine solche Haftungserleichterung, die hier auch nicht ohne weiteres eine Verstärkung des Einflusses des Groß- oder Alleinaktionärs nach sich ziehen muß, 33 Lutter/Krieger (Fn. 20) Rn. 313; zur Praxis der vormaligen Treuhandanstalt s. bereits Fn. 28 sowie sogleich im Text. 34 Hüffer (Fn. 3) § 116 Rn. 8; Dorait (Fn. 17) Rn. M 87; wohl auch Tbümmel (Fn. 17) Rn. 331. - Die genannten Werke lassen im übrigen einen Hinweis auf den Beitrag Westermanns in der Festschrift für Beusch (dazu sogleich) vermissen. 35 Westermann (Fn. 8) S. 885 ff. 36

Westermann

(Fn. 8) S. 887.

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Mathias Habersack

Aufsichtsräte gar nicht qualifiziert besetzt werden können". 37 Weniger kritisch steht Westermann Freistellungsvereinbarungen zugunsten des Vorstands gegenüber; immerhin seien aber auch sie geeignet, das Gebot eigenverantwortlicher Leitung der Gesellschaft zu relativieren, weshalb sie der Rechtfertigung im Einzelfall bedürften. 38 All' dies soll offensichtlich auch dann gelten, wenn die Freistellungsverpflichtung nicht auf Maßnahmen beschränkt ist, die der Organwalter im Einverständnis mit dem Freistellenden trifft, sondern generell und umfassend übernommen wird; 3 9 darauf ist zurückzukommen. 2. Zieht man Bilanz, so scheinen zwar diejenigen Stimmen, die eine Freistellung des Aufsichtsrats durch Aktionäre für zulässig erachten, in der Mehrzahl zu sein. Auffallen muß indes, daß es diese vermeintlich herrschende Meinung durchweg an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit auf der Hand liegenden, im weiteren Verlauf dieser Untersuchung anzusprechenden Bedenken gegen bestimmte Varianten von Freistellungsvereinbarungen vermissen läßt, ferner, daß die meinungsbildende, namentlich von Dorait und Hüffer zustimmend aufgegriffene Äußerung von Lutter/Krieger allem Anschein nach durch die damalige Freistellungspraxis der Treuhandanstalt geprägt worden ist. Einer vorbehaltslosen Verallgemeinerung dieser Praxis stehen eine Reihe von Erwägungen entgegen. So erscheint es zunächst nicht ausgeschlossen, daß die Praxis der Treuhandanstalt ihrerseits aktienrechtlich bedenklich war. Darüber hinaus gilt es zu beachten, daß die Freistellung durch die Treuhandanstalt allem Anschein nach allein in Fällen anzutreffen war, in denen sie Alleinaktionärin war, und zudem sämtlichen Aufsichtsräten zugute kam. Fälle dieser Art verdienen aber möglicherweise eine andere Beurteilung als solche, bei denen die Freistellung durch einen nicht im Konsens mit den Mitaktionären handelnden Gesellschafter einer mehrgliedrigen AG erfolgt und zudem nur einzelnen Organwaltern zugute kommt. Und schließlich zeigt namentlich die Vorschrift des § 28 a S. 1 EGAktG, wonach die Vorschriften über herrschende Unternehmen und damit der Sache nach die konzernrechtlichen Bestimmungen des AktG auf die Treuhandanstalt nicht anzuwenden sind, daß das Aktienrecht sehr wohl auf vereinigungsbedingte Sondersituationen Rücksicht genommen hat und dies möglicherweise auch im vorliegenden Zusammenhang veranlaßt war. 40 57

Westermann (Fn. 8) S. 887. Westermann (Fn. 8) S. 882 ff. 39 Im Zusammenhang mit der Freistellung des Geschäftsführers spricht Westermann [(Fn. 8) S. 880] zwar entsprechende Beschränkungen an; im weiteren Verlauf seiner Ausführungen kommt er darauf jedoch nicht mehr zurück. 40 S. in diesem Zusammenhang auch § 1 der Ausführungsverordnung zum Gesetz zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt vom 2 0 . 1 2 . 1 9 9 4 (BGBl. I, S. 3913), wonach auch die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben nicht als herrschendes Unternehmen gilt. 58

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IV. Die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds 1. Was zunächst die Freistellung des Aufsichtsratsmitglieds betrifft, so hat die Stellungnahme bei dem aktienrechtlichen Grundsatz der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds anzusetzen. 4 1 Dieser aus § 111 Abs. 5 A k t G abzuleitende Grundsatz besagt zunächst, daß kein Aufsichtsratsmitglied Weisungen unterworfen ist. D a r ü b e r hinaus läßt sich ihm entnehmen, daß ein Vertrag, durch den sich ein Aufsichtsratsmitglied verpflichtet, seine Stimme nach Weisung eines anderen abzugeben, unwirksam ist. 4 2 Entsprechendes gilt für Stimmbindungsverträge und Vertragsstrafeversprechen des Aufsichtsratsmitglieds; sie sind unvereinbar mit § 111 Abs. 5 A k t G und deshalb unwirksam. 4 3 D e r Grundsatz der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit wird denn auch heute nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt; unmittelbar nach Inkrafttreten des M i t b e s t G anzutreffende Stimmen, denen zufolge das Prinzip der Weisungsfreiheit zu relativieren oder zumindest eine einklagbare Rechtspflicht zur Amtsniederlegung anzuerkennen sei, 44 haben sich nicht durchzusetzen vermocht und sind heute verstummt. Entspricht die Amtsführung nicht den Vorstellungen und W ü n s c h e n der Wähler oder des Entsendungsberechtigten, so steht es diesen frei, das Aufsichtsratsmitglied abzuberufen. In zutreffender Einschätzung der praktischen Gegebenheiten läßt es zwar die herrschende Meinung - durchaus zu R e c h t - zu, daß Aufsichtsratsmitglieder die Ansichten, W ü n s c h e und auch Empfehlungen ihrer Wähler zur Kenntnis nehmen und im R a h m e n ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen. 4 5 Dies gilt sowohl für die mitbestimmte als auch für die mitbestimmungsfreie A G , zumal sich bei letzterer der Aufsichtsrat zumindest historisch betrachtet als Ausschuß der Hauptversammlung verstehen läßt, der den Rechten und Interessen der Aktionäre innerhalb der

Organisationsver-

fassung der Gesellschaft z u m D u r c h b r u c h verhilft. Stets aber müssen sich externe Interessen im Konfliktfalle dem wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft unterordnen: Selbst das nach § 101 Abs. 2 S. 1 A k t G entsandte Aufsichtsratsmitglied hat den Belangen der Gesellschaft den Vorzug vor

41 Zu diesem Grundsatz etwa Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts (Fn. 20), § 33 Rn. 7f.; Lutter/Krieger (Fn. 20) Rn. 280; Raiser ZGR 1978, 391, 394 ff.; Säcker DB 1977, 1791, 1793. 42 KölnKomm-Mertens (Fn. 3) § 111 Rn. 90; Hoffmann-Becking und Lutter/Krieger jew. aaO (Fn. 41); speziell zum Aufsichtsrat der mitbestimmten AG Ulmer in: Hanau/ Ulmer (Fn. 11) § 25 Rn. 78 ff.; s. ferner für das nach § 101 Abs. 2 S. 1 AktG entsandte Aufsichtsratsmitglied BGHZ 36, 296, 306. 43 Großkomm-Oetker (Fn. 2) § 25 MitbestG Rn. 27; Raiser MitbestG, 3. Aufl., 1998, § 25 Rn. 122; Ulmer in: Hanau/Ulmer (Fn. 11) § 25 Rn. 79. 44 Schneider ZGR 1977, 339ff.; Tank AG 1977, 34, 38f. 45 Näher Raiser ZGR 1978, 391, 395 ff.; Westermann (Fn. 8) S. 885 f.; Ulmer in: Hanau/ Ulmer (Fn. 11) § 25 Rn. 80; KölnKomm-Mertens (Fn. 3) vor § 95 Rn. 10 f.; Lutter/Krieger (Fn. 20) Rn. 280.

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denen des Entsendungsberechtigten zu geben und seine Entscheidung am „Unternehmensinteresse" auszurichten.46 Das Aufsichtsratsmitglied darf zwar die Interessen seiner Wähler in die Beratungen einbringen. Der Willensbildungsprozeß innerhalb des Gremiums darf indes nicht beeinträchtigt werden, weshalb jegliche Bindung an die „repräsentierten" Interessen zu vermeiden und die Freiheit, auch gegen diese Interessen zu stimmen, zu wahren ist. 2. Die vorstehend getroffenen Feststellungen gelten nicht nur, aber in besonderem Maße für den Aufsichtsratsvorsitzenden einer mitbestimmten Gesellschaft. Dieser nämlich hat nach § 29 Abs. 2 S. 1 MitbestG für den Fall, daß eine Abstimmung Stimmengleichheit ergibt, bei einer erneuten, gleichfalls Stimmengleichheit ergebenden Abstimmung über denselben Gegenstand zwei Stimmen, so daß er es ist, der in einer Pattsituation den Ausschlag gibt. Mit Blick auf den Schutzzweck des MitbestG muß deshalb insbesondere in der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden jegliche Voreingenommenheit und Bindung vermieden werden. Dies gilt ungeachtet des Umstands, daß der - mit der Zweitstimme ausgestattete - Vorsitzende des nach § 7 MitbestG paritätisch besetzten Aufsichtsrats, wenn die nach § 27 Abs. 1 MitbestG erforderliche Mehrheit von 2/3 nicht erreicht wird, nach § 27 Abs. 2 S. 2 MitbestG von den Anteilseignervertretern gewählt wird: Soll nicht der Gedanke der Mitbestimmung zur Farce werden, muß gerade in der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden die Ausrichtung der häufig entscheidenden Stimmabgabe an dem „Unternehmensinteresse" als Inbegriff der in der Gesellschaft und in dem von ihr betriebenen Unternehmen zusammentreffenden Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit gesichert sein.47 Eine einseitige Bindung an die Interessen entweder der Anteilseigner oder der Arbeitnehmer stünde diesem Postulat diametral entgegen.

4 6 Β G H Z 36, 296, 306; B G H N J W 1980, 1629; Ulmer N J W 1980, 1603 ff.; Lutter/Krieger (Fn. 20) Rn. 280; Krieger Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 41 ff.; speziell für die mitbestimmte A G B G H Z 64, 325, 330f.; B G H Z 83, 106, 112f.; K ö l n K o m m Mertens (Fn. 3) vor § 95 Rn. 9ff.; Ulmer in: Hanau/Ulmer (Fn. 11) § 25 Rn. 93ff.; Großkomm-Oetfcer (Fn. 2) § 25 MitbestG Rn. 22. Raiser Z G R 1978, 391, 395ff. - Z u m Begriff des Unternehmensinteresses s. die Nachw. in Fn. 54. 4 7 Zur diesbezüglichen Verpflichtung des Aufsichtsrats der A G sowie zum Verbot, sich allein von Aktionärsinteressen leiten zu lassen, s. Ulmer in: Hanau/Ulmer (Fn. 11) § 25 Rn. 94, 96; K ö l n K o m m - M e r t e n s (Fn. 3) § 76 Rn. lOff., vor § 95 Rn. 9, § 116 Rn. 3; Lutter/ Krieger (Fn. 20) Rn. 303; Hüffer (Fn. 3) § 76 Rn. 12ff., § 116 Rn. 5, 8.

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V. Die Erstreckung des Postulats der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds auf Freistellungsvereinbarungen Ausgehend von dem im allgemeinen Schuldrecht angesiedelten Grundsatz der Relativität des Schuldverhältnisses erscheint es - zumindest auf den ersten Blick - keineswegs selbstverständlich, daß die Wirksamkeit von Freistellungsvereinbarungen durch aktienrechtliche Vorschriften tangiert wird. Man könnte sich vielmehr auf den Standpunkt stellen, daß es sich bei der Freistellungsvereinbarung um eine außerhalb der Organisationsverfassung und Willensbildung der AG angesiedelte schuldrechtliche Vereinbarung handelt, die (ausschließlich) nach ihren eigenen, mithin schuldrechtlichen Regeln zu beurteilen ist.48 Indes begegnet es allenthalben, daß Wertungen und Grundsätze des Gesellschaftsrechts auf schuldrechtliche Abreden durchschlagen und auf diese Weise der Privatautonomie Grenzen setzen. Zu erinnern ist dabei insbesondere an die - vorliegend nicht im einzeln nachzuzeichnende - Diskussion über Stimmbindungsvereinbarungen. 49 Sie läßt sich dahin gehend zusammenfassen, daß Stimmbindungsabreden zwischen Gesellschaftern im Grundsatz zulässig, solche zwischen einem Gesellschafter und einem außenstehenden Dritten dagegen zumindest nach der im Schrifttum herrschenden Ansicht im Grundsatz bedenklich sind. Begründen läßt sich letzteres damit, daß die Stimmbindung gegenüber einem Dritten einer nach § 717 S. 1 BGB unzulässigen - Stimmrechtsabspaltung gleichkommt, im Interesse der Satzungsautonomie und der Richtigkeitsgewähr der verbandsinternen Willensbildung eine Fremdsteuerung durch einen - der mitgliedschaftlichen Treupflicht nicht unterliegenden Dritten! - indes nicht hingenommen werden kann.50 Sind es somit spezifisch gesellschaftsrechtliche Gründe, die zumindest einer umfassenden Bindung des Gesellschafters durch einen außenstehenden Dritten entgegenstehen, so zeigt dies in aller Deutlichkeit, daß der eingangs erwähnte Grundsatz der Relativität gesellschaftsrechtlich nicht haltbar und zugunsten einer Ausstrahlung gesellschaftsrechtlicher Ordnungsprinzipien auf flankierende schuldrechtliche Abreden zu modifizieren ist.51

48 So im Zusammenhang mit Stimmbindungsvereinbarungen und deren Verhältnis zur mitgliedschaftlichen Treupflicht in der Tat Zöllner ZHR 155 (1991) 168,172 ff., dem zufolge es sich um einen schlichten Anwendungsfall der Eingehung kollidierender Verpflichtungen (entsprechend dem gewöhnlichen „Doppelverkauf") handelt; dazu sogleich. 49 Zusammenfassender Uberblick bei MünchKomm-i//mer (Fn. 13) § 717 Rn. 20ff., Habersack ZHR 164 (2000) 1, 8 ff. jew. mwN. 50 S. insbesondere Flume Die juristische Person, 1983, § 7 VI; H i i f f e r in: Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl., 1992ff., § 47 Rn. 75; ders. (Fn. 3) § 133 Rdn. 27; MünchKomm-Wwer (Fn. 13) § 717 Rdn. 24; weit. Nachw. bei Habersack ZHR 164 (2000) 1, 8ff. 51 Näher zur dogmatischen Herleitung Habersack ZHR 164 (2000) 1, 8ff., u.a. in Auseinandersetzung mit der erwähnten Position Zöllners (ZHR 155 [1991] 168, 172 ff.).

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Aber auch im Zusammenhang mit den vorliegend interessierenden Freistellungsvereinbarungen sind entsprechende Ausstrahlungswirkungen des Aktienrechts auf schuldrechtliche Vereinbarungen im Ergebnis anerkannt: Schon unter IV. konnte ausgeführt werden, daß das Prinzip der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats nicht nur die Erteilung von Weisungen (und, damit unmittelbar zusammenhängend, die Annahme, eine weisungswidrige Stimmabgabe des Aufsichtsrats sei unwirksam oder angreifbar) ausschließt, sondern darüber hinaus der Wirksamkeit entsprechender Verpflichtungen des Aufsichtsratsmitglieds entgegensteht. Insbesondere ist ein Vertrag, durch den sich das Aufsichtsratsmitglied verpflichtet, sein Stimmrecht nach Weisung eines Dritten auszuüben oder bei weisungswidriger Stimmabgabe das Mandat niederzulegen, unwirksam. Auch dies folgt aus der Uberlagerung des allgemeinen Zivilrechts durch zwingendes Aktienrecht, mithin letztlich aus der Erwägung, daß das Prinzip der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats nicht auf schuldrechtlichem Weg und damit durch die Bindung an einen wirksamen Vertrag unterlaufen werden darf.

VI. Folgerungen Angewandt auf die vorliegend interessierenden Freistellungsvereinbarungen erfordern die dargelegten Grundsätze eine differenzierende Betrachtungsweise. Unbedenklich sind entsprechende Abreden sicherlich insoweit, als sie die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder auch nicht mittelbar, nämlich auf schuldrechtlichem Weg, beeinträchtigen. Auf Bedenken müssen sie dagegen stoßen, soweit die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds und seine Unvoreingenommenheit in einer Weise in Frage gestellt werden, die über die - allgemein zulässige - Empfehlung seitens des Aktionärs hinausgeht und einer echten Bindung nahekommt. 1. Um mit einem extrem gelagerten Beispiel zu beginnen: Werden sämtliche Aufsichtsratsmitglieder durch den alleinigen Aktionär freigestellt und gelangen die Aufsichtsräte auch dann in den Genuß der Freistellung, wenn (was bei der Einpersonen-AG nicht eben häufig vorkommen wird) der freistellende Aktionär mit der fraglichen Maßnahme nicht einverstanden ist, so wird das Verfahren der Entscheidungsfindung nicht weiter tangiert.52 Hier

5 2 Nicht zu thematisieren ist die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage nach der Vereinbarkeit einer allseitigen und umfassenden Freistellung mit §§ 93, 116 A k t G ; ausgehend davon, daß die hM auch eine gesellschaftsfinanzierte D & O - Versicherung für zulässig hält, wird man auch entsprechende Freistellungsvereinbarungen im Grundsatz (und vorbehaltlich einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds) anerkennen müssen; zur Frage der Vorsatzhaftung sowie eines Selbstbehalts s. unter 5.

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zeigt sich im übrigen erneut, daß die - das Meinungsbild prägende - Stellungnahme von Lutter/Krieger," die ausdrücklich auf die dem soeben geschilderten Extremfall entsprechende Praxis der vormaligen Treuhandanstalt hinweist, der Komplexität der Problematik, wie sie sich am Beispiel der mehrgliedrigen AG, zumal der mitbestimmten, zeigt, nicht gerecht wird und sich schon deshalb nicht ohne weiteres verallgemeinern läßt. 2. Anders verhält es sich denn auch in dem schon erwähnten Fall, daß die Freistellung durch einzelne Aktionäre und zudem nur zugunsten des Aufsichtsratsvorsitzenden der mitbestimmten AG erklärt werden soll. Hier wird man es nicht von vornherein ausschließen können, daß der Aufsichtsratsvorsitzende, zumal wenn er den Verbleib im Amt von einer entsprechenden Freistellung abhängig gemacht hat, die Tatsache der Freistellung in die Entscheidungsfindung und das Abstimmungsverhalten einfließen läßt und deshalb seine Unabhängigkeit tangiert wird. Betroffen sind zunächst die Arbeitnehmervertreter und die von ihnen repräsentierten spezifischen Arbeitnehmerbelange. Sie würden, wenn eine faktische Bindung des Freistellungsgläubigers an die Wünsche und Vorstellungen des die Freistellung versprechenden Aktionärs bestünde, von vornherein in eine Minderheitsposition gedrängt. Dies aber liefe ungeachtet des von § 29 Abs. 2 S. 1 MitbestG gerade beabsichtigten leichten Übergewichts der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat dem Schutzzweck des MitbestG eindeutig zuwider: Die Erfüllung der dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats zukommenden Aufgabe der Vermittlung der im Aufsichtsrat repräsentierten widerstreitenden Interessen wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt, wäre der Vorsitzende seiner Autonomie beraubt und faktisch an die Interessen eines Aktionärs gebunden. Betroffen wären darüber hinaus die Anteilseignervertreter und damit die Interessen der Mitaktionäre des die Freistellung schuldenden Aktionärs, könnte doch nicht ausgeschlossen werden, daß sich das freigestellte Aufsichtsratsmitglied in Fällen, in denen die Aktionäre divergierende Vorstellungen und Absichten betreffend das Unternehmen haben, auf die Seite des Freistellungsschuldners schlägt und aus unsachlichen, nicht am Unternehmensinteresse orientierten Erwägungen heraus sein Gewicht in den Verhandlungs- und Abstimmungsprozeß wirft. Der zuletzt angesprochene Gesichtspunkt zeigt im übrigen, daß die Problematik mitnichten auf die Freistellung des Aufsichtsratsvorsitzenden beschränkt ist. Im Ausgangspunkt ähnlich zu beurteilen ist vielmehr die Freistellung des einfachen Aufsichtsratsmitglieds durch einen Aktionär oder von Bedeutung mit Blick auf die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der mitbestimmten AG - durch eine andere Person oder Institution, etwa eine Gewerkschaft. Es folgt dies schon daraus, daß auch die einfachen Mitglieder 53

Lutter/Krieger

(Fn. 20) Rn. 313.

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des Aufsichtsrats ihre Entscheidung am Unternehmensinteresse auszurichten haben. Speziell für die mitbestimmte AG kommt hinzu, daß jede Bindung an einen Teilausschnitt des in dem Begriff des Unternehmensinteresses verkörperten Beziehungs- und Interessengeflechts 54 auf die Einführung eines „Bänkeprinzips" hinausliefe und deshalb nicht die Anerkennung der Rechtsordnung finden kann. Auch die Befugnis eines jeden Mitglieds des Aufsichtsrats, die Vorstellungen seiner Wähler im Rahmen der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, vermag nichts daran zu ändern, daß für Loyalität mit den Wählern nur im Rahmen des Unternehmensinteresses Raum ist und es nicht zuletzt Aufgabe des Aufsichtsrates ist, das Unternehmensinteresse als Bezugspunkt aller Partikularinteressen ohne jegliche Voreingenommenheit und im vertrauensvollen Miteinander von Fall zu Fall zu definieren. 55 3. Freistellungsvereinbarungen haben freilich nicht zwingend und durchweg die beschriebene Gefahr der Voreingenommenheit des freigestellten Aufsichtsratsmitglieds zur Folge. Vielmehr wird man weiter nach der Reichweite der Freistellung differenzieren müssen. Soll die Freistellung nur hinsichtlich solcher Maßnahmen greifen, die das freigestellte Aufsichtsratsmitglied im Einverständnis mit dem Freistellenden ergreift, 56 wird der Vereinbarung im Rahmen der Entscheidungsfindung eine ungleich größere Rolle zukommen als in dem Fall, daß die Freistellung allgemein erfolgt und damit auch Maßnahmen erfaßt, die ohne Einverständnis oder gar gegen den Widerspruch des Freistellenden getroffen werden. 57 In dem zuerst genannten Fall kann davon ausgegangen werden, daß die Freistellungsvereinbarung in den Prozeß der Entscheidungsfindung des freigestellten Aufsichtsratsmitglieds einfließt und diesen dazu veranlassen wird, zumindest in Zweifelsfällen „auf Nummer sicher" zu gehen und im Sinne des Freistellenden zu votieren. Von der gebotenen Unvoreingenommenheit kann dann ersichtlich keine Rede mehr sein. Anders verhält es sich bei umfassender, unabhängig von dem Einverständnis des Freistellenden mit der fraglichen Maßnahme eingreifender Vereinbarung. Sie läßt dem freigestellten 54 Zum Begriff des Unternehmensinteresses s. - mit zum Teil sehr unterschiedlichen Deutungen - H ü f f e r (Fn. 3) § 76 Rn. 15; KölnKomm-Mertens (Fn. 3) § 76 Rn. 6f., 20; Raiser, in: Festschrift für Fischer, 1979, S. 561 ff.; "Wiedemann ebenda, S. 883 ff.; Ulmer in: Hanau/Ulmer (Fn. 11) § 25 Rn. 93 ff.; M Ulbert ZGR 1997, 129 ff. 55 Näher KölnKomm-Meriews (Fn. 3) vor § 95 Rn. 10 ff. 56 Von Bedeutung insbesondere im Rahmen der „präventiven Kontrolle"; s. dazu noch unter 5. 57 In diesem Sinne wohl auch Westermann (Fn. 8) S. 880, der für die (aus seiner Sicht nicht unbedenkliche) Freistellung eines Geschäftsführers durch einen Gesellschafter davon ausgeht, dass sie lediglich mit Blick auf Geschäftsführungsmaßnahmen erklärt wird, die im Einverständnis mit dem Freistellenden erfolgt sind; im Zusammenhang mit der Freistellung von Aufsichtsräten kommt Westermann (a.a.O., S. 885 ff.) auf diese Unterscheidung allerdings nicht mehr zurück.

Die Freistellung des Organwalters von seiner Haftung

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O r g a n w a l t e r n i c h t n u r r e c h t l i c h , s o n d e r n a u c h f a k t i s c h alle F r e i h e i t e n . A u c h w e n n d e r F r e i g e s t e l l t e i n s g e h e i m eine A r t „ D a n k e s s c h u l d " e m p f i n d e n m a g , geht diese d o c h n i c h t ü b e r die a k t i e n r e c h t l i c h o h n e h i n in K a u f g e n o m m e n e Abhängigkeit

des

Aufsichtsratsmitglieds

von

seinen

Wählern

hinaus.

N a m e n t l i c h die T a t s a c h e , d a ß das e n t s a n d t e o d e r g e w ä h l t e A u f s i c h t s r a t s m i t g l i e d , w e n n es die E r w a r t u n g e n des E n t s e n d e n d e n o d e r seiner W ä h l e r e n t t ä u s c h t , m i t seiner A b b e r u f u n g r e c h n e n m u ß , liegt in der N a t u r der A u f s i c h t s r a t s v e r f a s s u n g des A k t G . D i e n i c h t z u l e t z t aus d i e s e m G r u n d z u b e o b achtende „Fraktionsdisziplin"

zahlreicher Mitglieder mitbestimmter

Auf-

sichtsräte mag durch Haftungsfreistellungen n o c h verstärkt werden. A u c h a b g e s e h e n d a v o n , d a ß dieses P h ä n o m e n g l e i c h e r m a ß e n bei A b s c h l u ß einer D & O - V e r s i c h e r u n g z u g u n s t e n des A u f s i c h t s r a t m i t g l i e d s b e g e g n e t , s p r i c h t es als s o l c h e s n o c h n i c h t gegen die Z u l ä s s i g k e i t der E n t h a f t u n g . A k t i e n - u n d mitbestimmungsrechtlich

b e d e n k l i c h w i r d die E n t h a f t u n g v i e l m e h r

erst,

w e n n sie v o n d e m t a t s ä c h l i c h e n S t i m m v e r h a l t e n a b h ä n g i g g e m a c h t w i r d u n d dieses d a d u r c h m i t d e m W i l l e n des F r e i s t e l l e n d e n v e r k n ü p f t w i r d . 4. S i n d s o m i t u m f a s s e n d f o r m u l i e r t e , d. h. u n a b h ä n g i g v o n d e m E i n v e r ständnis des F r e i s t e l l e n d e n m i t der j e w e i l i g e n M a ß n a h m e e i n g r e i f e n d e F r e i stellungsvereinbarungen

aktien- und mitbestimmungsrechtlich

unbedenk-

lich, s o fragt sich, o b dies a u c h d a n n gilt, w e n n d e m F r e i s t e l l e n d e n f ü r d e n Fall, d a ß d e r F r e i g e s t e l l t e f ü r eine d e r E m p f e h l u n g des F r e i s t e l l e n d e n z u w i d e r l a u f e n d e M a ß n a h m e s t i m m t , das R e c h t z u r K ü n d i g u n g d e r V e r e i n b a r u n g e i n g e r ä u m t w i r d . K l a r ist z u n ä c h s t , d a ß eine s o l c h e K ü n d i g u n g allenfalls m i t W i r k u n g ex n u n c e r f o l g e n k a n n : D i e F r e i s t e l l u n g f ü r die b e r e i t s eingeleitete, v o m F r e i s t e l l e n d e n n i c h t g e w ü n s c h t e M a ß n a h m e k a n n d u r c h die K ü n d i g u n g der V e r e i n b a r u n g s c h o n d e s h a l b n i c h t in F r a g e gestellt w e r d e n , weil andernfalls die F r e i s t e l l u n g p r a k t i s c h v o m E i n v e r s t ä n d n i s des F r e i s t e l l e n d e n a b h ä n g i g u n d aus d e n g e n a n n t e n G r ü n d e n b e d e n k l i c h w ä r e . E i n R e c h t , die F r e i s t e l l u n g s v e r e i n b a r u n g u n t e r der g e n a n n t e n V o r a u s s e t z u n g m i t W i r k u n g f ü r die Z u k u n f t z u b e e n d e n , w i r d m a n h i n g e g e n a k t i e n u n d m i t b e s t i m m u n g s r e c h t l i c h z u t o l e r i e r e n h a b e n . Z u g e g e b e n sei, d a ß d e r F r e i s t e l l e n d e s e i n e n V o r s t e l l u n g e n u n d W ü n s c h e n u n t e r H i n w e i s auf das R e c h t z u r j e d e r z e i t i g e n K ü n d i g u n g d e r F r e i s t e l l u n g s v e r e i n b a r u n g gewissen N a c h d r u c k v e r l e i h e n k a n n . S o v e r h ä l t es sich n a m e n t l i c h in F ä l l e n , in d e n e n das A u f s i c h t s r a t s m i t g l i e d z u r Ü b e r n a h m e o d e r B e i b e h a l t u n g des A m t e s v o n der F r e i s t e l l u n g a b h ä n g i g g e m a c h t hat u n d d a m i t der F o r t b e s t a n d des A u f s i c h t s r a t s m a n d a t s m i t d e m F o r t b e s t a n d der F r e i s t e l l u n g s v e r e i n b a r u n g v e r k n ü p f t ist. I n d e s b e s t e h t das R i s i k o , bei E r g r e i f e n v o n d e n W ü n s c h e n d e r W ä h l e r o d e r des E n t s e n d e n d e n z u w i d e r l a u f e n d e n M a ß n a h m e n a b b e r u f e n z u w e r d e n , in j e d e m F a l l ; es w i r d s o w o h l v o m A k t i e n - als a u c h v o m M i t b e s t i m m u n g s r e c h t b e w u ß t in K a u f g e n o m m e n . B e d e n k t m a n weiter, d a ß die Ü b e r n a h m e e i n e r F r e i s t e l l u n g s v e r p f l i c h t u n g u n t e r V e r z i c h t auf ein R e c h t

zur

168

Mathias Habersack

jederzeitigen Kündigung der Vereinbarung letztlich auf eine Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf den Freistellenden hinauslaufen kann, so wird man eine mit dem Recht zur Kündigung versehene Freistellungsvereinbarung unter aktien- und mitbestimmungsrechtlichen Gesichtspunkten als unbedenklich ansehen müssen. 5. Unterliegen somit Freistellungsvereinbarungen zugunsten der Aufsichtsratsmitglieder, sofern sie nicht auf im Einverständnis mit dem freistellenden Aktionär getroffene Maßnahmen beschränkt werden, im Grundsatz keinen Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats, so erscheint es doch aus Gründen des allgemeinen Zivilrechts veranlaßt, die Freistellung auf fahrlässiges Verhalten des Freigestellten zu beschränken. Eine Freistellung auch für vorsätzliches Handeln des Freigestellten stünde dagegen nicht nur im Widerspruch zu § 276 Abs. 2 BGB. 58 Da eine entsprechende Freistellung dem Freigestellten die risikolose vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung der Gesellschaft und ihrer Aktionäre erlauben würde und damit letztlich den Freistellenden zu einer entsprechenden Anstiftung motivieren könnte, wäre sie zudem in ihrer Gesamtheit als sittenwidrig zu qualifizieren und damit unwirksam. 5 9 Eine darüber hinausgehende Beschränkung der Freistellungsverpflichtung auf Fälle einfacher Fahrlässigkeit ist dagegen weder aus Gründen des allgemeinen Zivilrechts noch aus Gründen des Aktien- und Mitbestimmungsrechts zu fordern: Zumal unter Geltung der business judgment rule, 60 die, soweit es, wie namentlich im Zusammenhang mit der Ausübung des Zustimmungsvorbehalts nach § 111 Abs. 4 AktG, um „Entscheidungen unter Unsicherheit" geht, 61 auch dem Aufsichtsrat zugute kommt, 6 2 beurteilt sich die Haftung bekanntlich danach, ob „die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewußtsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muß, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist". 63 Ob es überhaupt denkbar ist, das so formulierte unternehmerische Ermessen leicht fahrlässig zu überschreiten,

58 Die Vorschrift schließt zwar nur die vorgängige Freizeichnung durch den Gläubiger des Schadensersatzanspruchs; ihr Normzweck gebietet jedoch die entsprechende Anwendung auf Freistellungsabreden. 59 Vgl. Westermann (Fn. 8) S. 882. 60 S. für den Vorstand B G H Z 135, 244, 253; B G H ZIP 2002, 213, 214; näher Großk o m m - H o p t (Fn. 2) § 93 Rn. 81 ff. 61 Dazu Mutter Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994, S. 180; für den Vorstand Bastuck (Fn. 24) S. 69. 62 B G H Z 135, 244, 254f. 63 S. für den Vorstand B G H Z 135, 244, 253; für den Aufsichtsrat Mutter (Fn. 61) S. 178.

169

Die Freistellung des Organwalters von seiner Haftung

oder o b sich mit der Ermessensüberschreitung nicht zwangsläufig der Vorwurf

grober

Fahrlässigkeit

verbindet,

sei hier dahingestellt.

Jedenfalls

erscheint zumindest für die „präventive K o n t r o l l e " 6 4 der unternehmerischen Tätigkeit des Vorstands eine trennscharfe Unterscheidung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit ausgeschlossen, was wiederum bedeutet, daß zumindest insoweit die FreistellungsVerpflichtung

generell für jedwedes

fahrlässige Verhalten des Aufsichtsrats ü b e r n o m m e n werden kann. Was den Bereich der eigentlichen (nachträglichen) Uberwachungstätigkeit betrifft, so k o m m t dem Aufsichtsrat zwar ein Ermessen nicht z u ; 6 5 angesichts des allgemein und damit auch insoweit anzutreffenden fließenden Ubergangs zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit wird man jedoch einer auch grob fahrlässiges Verhalten einbeziehende Freistellungsverpflichtung die W i r k samkeit nicht absprechen können. D i e Vereinbarung eines Selbstbehalts schließlich mag sich zwar mit Blick auf die einer jeden Versicherungslösung immanenten moral-hazard-Problematik

anbieten; um ein

Wirksamkeits-

erfordernis handelt es sich dabei jedoch nicht. 6 6

VII. Die Freistellung des AG-Vorstands und GmbH-Geschäftsführers K ö n n e n nach den bislang getroffenen Feststellungen Freistellungszusagen zugunsten der Mitglieder des Aufsichtsrats 6 7 (nur) insoweit anerkannt werden, als sie eine Freistellungspflicht auch für den Fall vorsehen, daß der Freistellungsgläubiger

den Vorstellungen

und W ü n s c h e n

des

Freistellungs-

schuldners zuwider handelt, so bleibt zu fragen, o b Entsprechendes auch für das geschäftsführende O r g a n der Gesellschaft gilt.

So die Umschreibung in BGHZ 135, 244, 255. BGHZ 135, 244, 255; Kindler ZHR 162 (1998) 101,109ff.; « ¿ ¡ « τ NJW 1996, 552, 554; aA Dreher ZHR 158 (1994) 614, 621 f., 637ff.; Lutter ZIP 1995, 441, 442. 66 S. im Zusammenhang mit gesellschaftsfinanzierten (!) D & O-Versicherungen auch den Deutschen Corporate Governance Kodex und dazu bereits unter 1.1. 67 Und zwar auch derjenigen der abhängigen Gesellschaft: Zwar erfahren die Überwachungspflichten des Aufsichtsrats mit Abhängigkeit oder Konzernierung der Gesellschaft eine Inhaltsänderung (s. für den Vertragskonzern Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 2. Aufl., 2001, § 310 Rn. 21 f.; für die einfache Abhängigkeit und den einfachen Konzern Habersack ebenda, § 311 Rn. 81); dem Grunde nach bestehen sie jedoch fort. Anderes gilt allein für die Ausübung des Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG (s. Habersack a.a.O.; Kropff in: Münchener Kommentar zum AktG, Bd. 8,2001, § 311 Rn. 293; zum Vertragskonzern s. auch § 310 Abs. 3 AktG); eine hierauf beschränkte Freistellungsverpflichtung dürfte, wie sogleich im Zusammenhang mit dem Vorstand zu zeigen ist, an das Einverständnis des Freistellenden mit der jeweiligen Geschäftsführungsmaßnahme geknüpft werden. 64

65

170

Mathias Habersack

1. U m mit dem Vorstand der AG zu beginnen, so ist die Frage jedenfalls für die unabhängige AG zu bejahen, mithin insoweit, als der Grundsatz der eigenverantwortlichen und weisungsfreien Leitung der Gesellschaft Geltung beansprucht und der Vorstand zur unbedingten Rücksichtnahme auf die Belange der Gesellschaft verpflichtet ist.68 Anders wird man entscheiden müssen, soweit der Grundsatz des § 76 Abs. 1 AktG abbedungen und der Vorstand weisungsabhängig ist. Hiervon betroffen sind bekanntlich die beherrschungsvertraglich gebundene und die eingegliederte AG, bei denen das herrschende Unternehmen nach §§ 308, 323 AktG zur Erteilung auch nachteiliger Weisungen und der Vorstand zur Befolgung derselben verpflichtet ist. Zwischen beiden Extremen liegt die einfach abhängige oder konzernierte AG, bei der zwar der Grundsatz des § 76 Abs. 1 AktG uneingeschränkt gilt, der Vorstand aber nach § 311 AktG einer für die Gesellschaft nachteiligen Veranlassung durch das herrschende Unternehmen gegen Ausgleich der Nachteile nachgehen darf. 69 Insoweit ist entscheidend, daß das Verbot nachteiliger Einflußnahme - und mit ihm das an den Vorstand gerichtete Gebot zur Ausrichtung seines Handelns am Interesse der Gesellschaft außer Kraft gesetzt und der Vorstand zur Rücksichtnahme auf Partikularinteressen - eben diejenigen des herrschenden Unternehmens - berechtigt ist. Dies aber kann nur bedeuten, daß das herrschende Unternehmen die Freistellung des Vorstands von den sich aus §§ 93 Abs. 2, 318 Abs. 1 AktG ergebenden Haftungsrisiken 70 im Grundsatz davon abhängig machen kann, daß es mit dem Vollzug der Maßnahme einverstanden ist. Der Sache nach bedeutet dies eine Enthaftung des Vorstands in Fällen, in denen das herrschenden Unternehmen den Nachteilsausgleich zum wiederholten Male unterläßt und die nachteilige Maßnahme deshalb nur gegen sofortigen Nachteilsausgleich hätte vollzogen werden dürfen. 71

68

So im Grundsatz auch Westermann (Fn. 8) S. 883 ff. Näher dazu sowie zur Frage der Zulässigkeit des einfachen faktischen Konzerns Habersack (Fn. 67) § 311 Rn. 8, 10, 78 ff. 70 Dazu Habersack (Fn. 67) § 311 Rn. 78 ff., § 318 Rn. 4 ff.; H Uff er (Fn. 3) § 311 Rn. 48, § 318 Rn. 2 ff. 71 S. dazu neben den Nachw. in Fn. 70 noch Henze BB 1996, 489, 499. - Hiervon zu unterscheiden sind Maßnahmen, die einem Einzelausgleich nicht zugänglich und deshalb per se rechtswidrig sind, vom Vorstand also in keinem Fall vollzogen werden dürfen (s. Habersack [Fn. 67] § 311 Rn. 43, 58, 64 ff. mwN.). O b die Entscheidung des B G H in Sachen „Bremer Vulkan" (NJW 2001, 3622; dazu etwa Altmeppen ZIP 2001, 1837; Bitter W M 2001,2133; K. Schmidt N J W 2001, 3577; Ulmer ZIP 2001,2021) auch für die A G einen Abschied vom „qualifizierten faktischen Konzern" eingeleitet hat, kann für vorliegend interessierende Fragestellung dahingestellt bleiben. Selbst wenn man, was angesichts der Regelungssystematik der §§ 291 ff. AktG einerseits und der §§ 311 ff. AktG andererseits als nicht fernliegend erscheint, für das Aktienkonzernrecht vom Fortbestand der Lehre vom „qualifizierten faktischen Konzern" ausginge, hätte dies - eben wegen der Unbezifferbarkeit des Schadens - keine Schadensersatzhaftung des Vorstands gegenüber der A G zur 69

Die Freistellung des Organwalters von seiner H a f t u n g

171

2. Es bleibt die Frage einer Freistellung des GmbH-Geschäftsführers. Insoweit ist zwar die Ausgangslage eine andere als im Aktienrecht, ist doch der Geschäftsführer bekanntlich verpflichtet, Weisungen der Gesellschafter auszuführen. 72 Mit dieser Weisungsbindung einher geht wiederum die Enthaftung des Geschäftsführers. Voraussetzung sowohl für die Weisungsbindung als auch für die Enthaftung des Geschäftsführers ist allerdings eine zulässige Weisung, woran es nicht nur in den Fällen des § 43 Abs. 3 S. 1, 3 G m b H G , sondern insbesondere auch dann fehlt, wenn die Weisung nicht durch die Gesellschaftergesamtheit, sondern durch einen an der Gesellschafterversammlung vorbei agierenden (Mehrheits-)Gesellschafter erfolgt. 73 Im vorliegenden Zusammenhang kann dies nur bedeuten, daß Freistellungszusagen eines Gesellschafters den nämlichen Bedenken unterliegen wie solche eines Aktionärs: Soweit es an einer Festlegung des Unternehmensinteresses durch die Gesellschafter - sei es über die Satzung oder aufgrund eines Weisungsbeschlusses - fehlt, hat der Geschäftsführer das ihm insoweit verbleibende unternehmerische Ermessen mit Blick auf das Interesse der Gesellschaft, nicht dagegen mit Blick auf das Individualinteresse eines einzelnen Gesellschafters auszuüben. 74 Das Versprechen, den Geschäftsführer von den sich aus § 43 Abs. 2 G m b H G ergebenden Haftungsrisiken freizustellen, kann deshalb in der mehrgliedrigen G m b H nur unter der Voraussetzung anerkannt werden, daß es unabhängig von dem Einverständnis des Freistellungsschuldners mit der jeweiligen Maßnahme erteilt wird. Anders verhält es sich in der Einpersonen-GmbH. Bei ihr wird die Befugnis des alleinigen Gesellschafters, Wille und Interesse seiner Gesellschaft zu definieren, allein durch §§ 30 f. G m b H G und das Gebot, sich bestandsgefährdender Maßnahmen zu enthalten, begrenzt. 75 Im Rahmen dieser Befugnis muß es denn auch dem Gesellschafter gestattet sein, den Fremdgeschäftsführer insoweit von der Haftung aus § 43 Abs. 2 G m b H G freizustellen, als dieser pflichtwidrig handelt, mithin in Fällen, in denen sich der Geschäftsführer über eine verbindliche Weisung des Gesellschafters hinwegsetzt oder der Gesellschafter von seinem Weisungsrecht keinen Gebrauch macht. Ein praktisches Bedürfnis für entsprechende Vereinbarungen dürfte freilich schon deshalb nicht bestehen, weil der Geschäftsführer in den genannten Fällen von vornherein von der Haftung für fahrlässiges Verhalten freigezeichnet

Folge (näher zu den Rechtsfolgen Habersack [Fn. 67] Anh. II § 318 Rn. 28ff.). Obschon also der Vorstand insoweit uneingeschränkt auf das Interesse der abhängigen Gesellschaft verpflichtet ist, stellt sich bei Pflichtverletzung die Frage einer Freistellung gerade nicht. 72 Dazu sowie zu den Grenzen der Weisungsbefugnis Hachenburg/Mertens (Fn. 50) § 43 Rn. 69ff.; Scholz/Schneider (Fn. 26) § 37 Rn. 50ff., § 43 Rn. 95 ff. 73 Hachenburg/Mertens (Fn. 50) § 43 Rn. 71; Scholz/Schneider (Fn. 26) § 43 Rn. 97. 74 Näher Scholz/Schneider (Fn. 26) § 43 Rn. 44 ff. 75 S. die Nachw. in Fn. 71.

172

Mathias Habersack

werden kann, jedenfalls aber der Gesellschafter zum Erlaß der zunächst begründeten Schadensersatzverpflichtung befugt ist; 76 in beiden Fällen aber ist die Freistellung schon mangels einer Schadensersatzverpflichtung des Geschäftsführers gegenüber der G m b H entbehrlich. Es bleibt deshalb allein die Frage nach einer Freistellung im nicht disponiblen Bereich, mithin für verbotene Auszahlungen oder bestandsgefährdende Eingriffe. Insoweit sieht sich zumindest eine vom Einverständnis des Gesellschafters mit der jeweiligen Maßnahme abhängige Freistellungsverpflichtung gravierenden Bedenken ausgesetzt, liefe sie doch darauf hinaus, den Geschäftsführer, dem, wie nicht zuletzt § 43 Abs. 3 S. 3 G m b H G zeigt, die Funktion zukommt, die Gläubigerinteressen gegen Übergriffe durch die Gesellschafter zu verteidigen, auf die Seite des Gesellschafters zu ziehen und diesem den ungehinderten Zugriff auf Vermögen und Bestand der Gesellschaft zu ermöglichen.

VIII. Resümee Die Freistellung der Organwalter von ihren Schadensersatzverpflichtungen gegenüber der Gesellschaft ist, dies kann als wesentliches Ergebnis der obigen Ausführungen festgehalten werden, nicht schrankenlos möglich. Gesellschafts- und mitbestimmungsrechtliche Erwägungen, darunter insbesondere der Grundsatz der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats und der Bindung sämtlicher Organwalter an das Unternehmensinteresse, strahlen vielmehr auf die - die gesellschaftsrechtlichen Organisationsregeln ergänzenden - schuldrechtlichen Freistellungsvereinbarungen aus. Was zunächst die Freistellung der Aufsichtsratsmitglieder betrifft, so kann sie nicht von dem Einverständnis des Freistellenden mit der jeweiligen Maßnahme abhängig gemacht werden; 77 unbedenklich ist dagegen der Vorbehalt eines Rechts zur Kündigung der Vereinbarung mit Wirkung ex nunc. Entsprechendes gilt für den Vorstand der unabhängigen AG und für den Geschäftsführer der mehrgliedrigen G m b H . In der abhängigen A G ist es dagegen ohne weiteres möglich, die Freistellung auf Maßnahmen zu beschränken, die im Einvernehmen mit dem freistellenden Aktionär erfolgen. In der Einpersonen-GmbH schließlich besteht ein praktisches Bedürfnis für die Freistellung des Fremdgeschäftsführers allenfalls im Zusammenhang mit nach § 30 G m b H G verbotenen Auszahlungen und bestandsgefährdenden Eingriffen; insoweit schließen aber die Interessen der Gesellschaftsgläubiger und die Aufgabe des Geschäftsführers, den Gläubigerinteressen auch gegen den Willen des Alleingesellschafters Geltung zu verschaffen, eine vom Einverständnis des Frei-

76 77

Scholz/Schneider (Fn. 26) Rn. 184 ff. m w N . Zur Rechtslage bei Abhängigkeit der Gesellschaft s. Fn. 67.

Die Freistellung des Organwalters von seiner Haftung

173

stellenden abhängige Enthaftung aus. Alles in allem darf deshalb die Freistellungszusage nicht als Vehikel zur Einflußnahme auf den Organwalter mißbraucht werden. Dagegen darf der Freistellende die Rolle eines Versicherers einnehmen, was wiederum verdeutlicht, daß der herrschenden Ansicht insoweit zu folgen ist, als sie D Sc O-Versicherungen als unbedenklich ansieht.

Genehmigtes Kapital und Beteiligungserwerb Zu Informationsdefiziten, Rechtsschutzmöglichkeiten und Reformüberlegungen WILHELM

HAPP

Die Diskussion über die rechtlichen Erfordernisse und bestehenden Freiräume bei der Schaffung und Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss zum Zwecke eines Unternehmens- oder Beteiligungserwerbs kann nach wie vor als juristischer Dauerbrenner bezeichnet werden. Sie ist keineswegs durch die Siemens/Nold-Entscheidung des B G H 1 beendet worden. Mit ihr hat der B G H die rechtlichen Zügel gelockert und der Hauptversammlung für den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre „freiere Hand" 2 eingeräumt. Das hat auf der einen Seite zu Kritik und heftiger Ablehnung geführt 3 und selbstverständlich auch Zustimmung, insbesondere von Seiten der Praxis gefunden 4 . Zwischen Freunden und Gegnern der Siemens/Nold-Entscheidung stehen die Mahner. Diese begrüßen die Entscheidung einerseits, weil sie der durch die Holzmann-Rechtsprechung 5 entstandenen Gefahr entgegenwirkt, dass dem flexiblen Instrument des genehmigten Kapitals Einsatzmöglichkeiten genommen werden. Andererseits wird aber auch auf die Risiken hingewiesen, die sich etwa ergeben, wenn man das Siemens/Nold-Urteil als über die Möglichkeiten des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses bei börsennotierten Gesellschaften hinausgehende Abkehr vom Erfordernis sachlicher Rechtfertigung eines Bezugsrechtsausschlusses verstehen will.6 Zu diesen Mahnern gehört auch Ulmer, der in seinem Aufsatz über „Entwicklungen im Kapitalgesellschaftsrecht 1975 bis 1999" im Hinblick auf die „wenig realistischen" verbliebenen Sanktionen auf die Gefahren des Bezugsrechtsausschlusses für die betroffenen Aktionäre hingewiesen hat, die jedenfalls dann nicht auszuschließen sind, wenn es sich

B G H Z 136,133 ff. Henze BB 2001, 53, 54. 3 Vgl. insbes. Lutter ]Z 1998, 50ff.; ders. FS Zöllner, 1999, 363, 372 ff. 4 Vgl. Heinsms WuB II A. § 186 AktG 3.97; Bungert N J W 1998, 488ff.; Volhard AG 1998,397, 403. 5 B G H Z 83,122 ff. 6 Zu dieser Problematik vgl. etwa Röhricht Z G R 1999,472 ff.; Bungert (Fn. 4), 490; Volhard (Fn. 4), 403. 1

2

176

Wilhelm Happ

nicht um eine börsennotierte, sondern um eine geschlossene Gesellschaft handelt, wenn die Aktien der Gesellschaft nur einen engen Markt bilden oder die Gesellschaft infolge des Bezugsrechtsausschlusses in Abhängigkeit zu geraten droht. 7 Mit den nachfolgenden Ausführungen soll versucht werden, den Gedanken Ulmers nachzugehen und im Hinblick auf die fortbestehende Aktualität der Problematik einige Überlegungen zu Möglichkeiten der Verringerung bestehender Risiken anzustellen.

I. Die aktuelle Lage 1. Zur Praxis Die Praxis hat den durch die Siemens/Nold-Entscheidung eröffneten Freiraum vollen Umfangs ausgenutzt. Die Feststellung des Leitsatzes, dass „die Maßnahmen, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, ... der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben" werden müssen, hat dazu geführt, dass sich im Bericht des Vorstands, der gemäß §§ 203 Abs. 2 S. 2 , 1 8 6 Abs. 4 S. 2 A k t G „über den Grund" für den Ausschluss des Bezugsrechts vorzulegen ist, weitgehend nur die gleichen stereotypen und identischen Formulierungen finden, die überwiegend keine Eigenständigkeit erkennen lassen, sondern schlicht in der nicht näher kenntlich gemachten Wiedergabe einzelner Kernsätze aus den Entscheidungsgründen der Siemens/Nold-Entscheidung bestehen. Die Maßnahme, zu der der Vorstand ermächtigt werden soll, wird im Beschluss gekennzeichnet als „Erwerb von Unternehmen" oft auch „Sacheinlagen, insbesondere Unternehmen oder Beteiligungen an Unternehmen". Diese Maßnahme und der Grund dafür wird im Bericht „allgemein und abstrakt" in Formulierungen, wie etwa der folgenden bekannt gemacht: „Der Erwerb von Unternehmen gegen Ausgabe von Aktien ist eine liquiditätsschonende Gestaltung des Unternehmenskaufs, die den Veräußerern eines Unternehmens die Möglichkeit eröffnet, am Unternehmenserfolg der Gesellschaft zu partizipieren, und daher zu für die Gesellschaften vorteilhaften Erwerbspreisen führt. Die Natur von Unternehmenskäufen, die eine schnelle und diskrete Abwicklung erfordert, macht es erforderlich, die Verwaltung der Gesellschaft zum Bezugsrechtsausschluss zu ermächtigen, da die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung zum Zwecke des Bezugsrechtsausschlusses - abgesehen von den damit verbundenen Kosten - den zeitlichen Rahmen und die gebotene Vertraulichkeit vor Abschluss des Unternehmensverkaufvertrages sprengen würde. Mit

7

Ulmer ZGR 1999, 751, 764 f.

Genehmigtes Kapital und Beteiligungserwerb

177

dem genehmigten Kapital erhält der Vorstand eine moderne Akquisitionswährung an die Hand, die er auch in Zukunft - wie bereits in der Vergangenheit - zum weiteren externen Wachstum der Gesellschaft einsetzen wird." 8 Der Informationsgehalt derartiger Bekanntgaben, die man so oder ähnlich von großen und kleinen börsennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften im Bundesanzeiger lesen kann, 9 ist praktisch gleich Null. Das wird deutlich, wenn man die Berichte großer international tätiger börsennotierter Gesellschaften mit denen kleiner Unternehmen vergleicht. Hier wie dort finden sich die identischen und austauschbaren Formulierungen, deren „Informationsgehalt" nicht geringer würde, wenn man sie gänzlich unterließe. 10 Der Inhalt der Berichte unterscheidet auch nicht danach, ob das Bezugsrecht der Aktionäre bereits im Hauptversammlungsbeschluss ausgeschlossen oder ob, was die Regel ist, die Verwaltung dazu nur ermächtigt wird. Hin und wieder finden sich aber auch Veröffentlichungen, in denen der Vorstand im Bericht eine wirkliche auf die Gesellschaft bezogene Information gibt, nämlich die Information, dass zur Zeit keine konkreten Akquisitionsabsichten bestehen. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Information lässt sich auch nach der Siemens/Nold-Entscheidung nicht verneinen. Das Unterlassen derartiger Hinweise im Vorstandsbericht muss nicht stets bedeuten, dass beim Vorstand im Zeitpunkt der Einladung zur Hauptversammlung keine konkreten Absichten zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals existieren. In vielen Fällen mag sich hinter dem Schweigen des Berichtes der Umstand verbergen, dass sehr wohl konkrete Pläne bestehen, die die Verwaltung aber nicht offenbaren möchte. Die Tatsache, dass man im Bundesanzeiger häufig Mitteilungen über die Ausnutzung eines genehmigten

8 Einladung der JUMPtec Industrielle Computertechnik A G , B A n z Nr. 66 v. 04.04. 2001, S. 6097. 9 Vgl. z.B. B A n z Nr. 13 v. 1 9 . 0 1 . 2 0 0 1 , S. 749 (mit wortwörtlicher und ausdrücklich zitierter Wiedergabe der Kernsätze der Siemens/Nold-Entscheidung); vgl. ferner die Veröffentlichungen in: B A n z Nr. 1 7 v. 2 5 . 0 1 . 2 0 0 1 , S. 1105; B A n z Nr. 20 v. 3 0 . 0 1 . 2 0 0 1 , S. 1371; B A n z Nr. 32 v. 1 5 . 0 2 . 2 0 0 1 , S. 2371; B A n z Nr. 34 v. 1 7 . 0 2 . 2 0 0 1 , S. 2573f.; B A n z Nr. 35 v. 2 0 . 0 2 . 2 0 0 1 , S. 2653; B A n z Nr. 39 v. 2 4 . 0 2 . 2 0 0 1 , S. 316; B A n z Nr. 52 v. 1 5 . 0 3 . 2 0 0 1 , S. 4053; B A n z Nr. 55 v. 2 0 . 0 3 . 2 0 0 1 , S. 4492; B A n z Nr. 142 v. 0 2 . 0 8 . 2 0 0 1 , S. 16517; B A n z Nr. 193 v. 1 6 . 1 0 . 2 0 0 1 , S. 21905; B A n z 2 2 7 v. 0 5 . 1 2 . 2 0 0 1 , S. 24583; B A n z Nr. 231 v. 1 1 . 1 2 . 2001, S. 24843. 10 Zu welchen realitätsfernen Konsequenzen es in der Praxis führen kann, ergibt sich beispielsweise aus der Einladung einer nicht börsennotierten Gesellschaft, in der die Schaffung eines genehmigten Kapitals von € 30.000 (!) angekündigt wird, die im Hinblick auf die „internationale Praxis des Beteiligungs- und Unternehmenserwerbs und der Notwendigkeit die Kapitalerhöhung bei sich abzeichnenden Akquisitionsmöglichkeiten mit regelmäßig komplexen Transaktionsstrukturen im Wettbewerb der potentiellen Erwerbsinteressenten vor allem kurzfristig erfolgen müsse" (vgl. B A n z Nr. 13 v. 1 9 . 0 1 . 2 0 0 2 , S. 918).

178

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Kapitals liest, bei der die Eintragung der Durchführung nahe an der Beschlussfassung über die Ermächtigung liegt und der Sacheinleger aus dem Kreise der Aktionäre stammt, legt die Vermutung nahe, dass es nicht stets schützenswerte Geheimhaltungsinteressen sind, die den Vorstand veranlassen, sich auf die „allgemeine und abstrakte" Kennzeichnung der beabsichtigten Maßnahmen zurückzuziehen. Diese Praxis führt im Ergebnis dazu, dass bei der Schaffung genehmigten Kapitals zum Zweck des Erwerbs von Unternehmensbeteiligungen bei der Beschlussfassung über den Ausschluss oder die Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts generell keine Uberprüfung sachlicher Gründe mehr stattfindet, und zwar in vielen Fällen auch dort nicht, wo derartige Gründe in der Hauptversammlung diskutiert werden könnten und die besonderen Voraussetzungen von § 186 Abs. 3 S. 4 AktG nicht vorliegen.11 Ein mit satzungsändernder Mehrheit gefasster Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts, der auf der Grundlage der Bekanntmachung erfolgt, das genehmigte Kapital solle zum Erwerb von Unternehmen eingesetzt werden, mit den abstrakten Erläuterungen im Bericht des Vorstands, trägt in aller Regel im Sinne der Linotype-Entscheidung „seine Rechtfertigung in sich". 12 2. 7.UY Diskussion in der Wissenschaft Die Wissenschaft hat sich mit der Siemens/Nold-Entscheidung - noch? nicht abgefunden. Die umfangreichen und eingehenden Kommentierungen und Untersuchungen beispielsweise von Bayer13, Cabnu, Hirte15, Ekkenga16 zeigen, dass von einer einheitlichen Auffassung im Schrifttum noch nicht die Rede sein kann. Neue Nahrung hat die Diskussion zudem durch die Auseinandersetzung darüber erhalten, ob und inwieweit der Vorstand genehmigtes Kapital ohne Einschaltung der Hauptversammlung für Abwehrmaßnahmen bei einer drohenden feindlichen Übernahme gem. § 33 W p H G einsetzen darf.17

11 Auf die sich aus § 186 Abs. 3 S. 4 AktG für das genehmigte Kapital ergebenden Fragen soll hier nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu beispielsw. Schwark FS Claussen, 1997, 357, 366 ff. 12 B G H Z 76, 352,353. 13 Bayer Z H R 163 (1999), 505, 512 ff. 14 Cahn Z H R 163 (1999), 554 ff.; ders. Z H R 164 (2000), 113 ff. 15 Hirte in: Großkomm.AktG, 4. Aufl., 2001, § 203 Rn. 114 und 268 ff. m.w.N. 16 Ekkenga A G 2001, 567 ff. und 615ff. 17 Vgl. hierzu beispielsweise Bayer Aktionsrechte und Anlageschutz, in Hommelhoff/ Lutter/Schmidt/Schön/Ulmer, Corporate Governance, 137, 153 ff.

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3. Der Bericht der Regierungskommission

Corporate

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Governance

Bei ihren Beratungen und Überlegungen, ob und ggfs. inwieweit die Vorschriften des AktG über das genehmigte Kapital zu revidieren oder zu ergänzen sind, oder ob in den Corporate Governance-Kodex hierzu Empfehlungen aufgenommen werden sollen, hat sich die Regierungskommission Corporate Governance (im folgenden „Regierungskommission") u.a. mit dem Thema der Berichtspflicht und die Absicherung der Aktionäre gegen eine Verwässerung des Vermögenswertes ihrer Aktien bei Bezugsrechtsausschluss befasst. Die Regierungskommission hat sich nach eingehender Diskussion dagegen entschieden, bestehende Rechtsschutzdefizite durch die Einführung einer Vorab-Informationspflicht des Vorstands vor Nutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts der Alt-Aktionäre a b z u gleichen. Sie führt dazu in ihrem Bericht aus, dass mit einer solchen gesetzlichen Vorab-Informationspflicht die durch die Siemens/Nold-Entscheidung geschaffene „notwendige Flexibilität" weitgehend wieder entzogen würde. Vorzugswürdig erscheint der Kommission, die nachträgliche Berichterstattung „zu gestatten" und den Schutz der Alt-Aktionäre vornehmlich durch die Einführung einer Prüfung der Werthaltigkeit der einzubringenden Sacheinlage zu gewährleisten. Die Kommission befürwortet aber eine Ergänzung der §§ 202 ff. AktG um eine gesetzliche Pflicht des Vorstands zu „zeitnaher (auch nachträglicher) schriftlicher Berichterstattung" über die Nutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre. 18 Was hierunter im einzelnen zu verstehen ist, bleibt offen. Im Bereich des Schutzes der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre gegen eine Verwässerung des Vermögenswertes ihrer Aktien regt die Regierungskommission eine Berichtspflicht über die Nutzung analog §§ 293a Abs. 2 AktG, 8 Abs. 2 UmwG an 19 sowie eine besondere Sacheinlagenprüfung nach dem Vorbild der Nachgründungsregeln 20 .

II. Das Rechtsschutzproblem Der Ausgangspunkt des B G H in der Siemens/Nold-Entscheidung verdient mit Ulmer21 uneingeschränkte Zustimmung. Die Holzmann-Entscheidung hatte in der Tat die Gefahr begründet, dass dem flexiblen Instrument des genehmigten Kapitals wesentliche und spezifische Einsatzmöglichkeiten

Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 230. " Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 231. 20 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 232. 21 Ulmer (Fn. 7), 764. 18

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geraubt würden. 2 2 Es stellt sich aber die Frage, ob der Rechtsschutz der nach Beseitigung der Barrieren der Holzmann-Entscheidung und der damit weitgehend in Fortfall geratenen Möglichkeiten der Beschlussanfechtung noch verblieben ist, die Aktionäre die der Verwaltung im Ermächtigungsbeschluss einen „erheblichen Vertrauensvorschuss" 2 3 eingeräumt haben, gegen ein ihre Mitgliedschaftsrechte in rechtswidriger Weise beeinträchtigendes Verhalten angemessen sichern kann. Der B G H weist hierzu auf die Kontrolle des Handelns von Vorstand und Aufsichtsrat durch die Hauptversammlung hin, der der Vorstand über Einzelheiten seines Vorgehens auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung zu berichten hat, ferner die Möglichkeit der Schadenersatzpflicht bei Verletzung der Amtspflichten gemäß § 93 Abs. 2 A k t G , sowie die Möglichkeit einer Feststellungs-, oder - soweit noch möglich - einer Unterlassungsklage. 24 Ordnet man diese Möglichkeiten in der in Betracht zu ziehenden zeitlichen Reihenfolge und ergänzt sie noch um einige vom B G H nicht genannte Möglichkeiten, so stehen als Rechtsschutz folgende Varianten zur Diskussion: - die Kontrollmöglichkeit und -pflicht des Aufsichtsrates, - die Möglichkeit der Erhebung einer Feststellungs- oder - „soweit noch möglich" - einer Unterlassungsklage, - die Ermöglichung/Erleichterung der Erhebung einer der vorher genannten Klagen durch eine Vorab-Information des Vorstands, - eine „Wiedervorlage" in besonderen Fällen, - die Berichtspflicht gegenüber der Hauptversammlung und die Möglichkeit der Verweigerung der Entlastung, - eine Schadenersatzpflicht. Wie effektiv sind diese Kontrollmittel? 1. Zweifellos mit Abstand die wichtigste Sicherung der Aktionäre gegen eine rechtswidrige Beeinträchtigung ihres Bezugsrechts bei der Ausübung der Ermächtigung ist die Kontrolle durch den Aufsichtsrat, weil diese notwendiger Bestandteil der Kapitalerhöhung ist. Diese Kontrolle darf aber im Ergebnis nicht überschätzt werden. 2 5 Das gilt insbesondere in den Fällen, die der Bundesgerichtshof in seiner Siemens/Nold-Entscheidung vor Augen hat, bei denen „schnell und flexibel" gehandelt werden muss. Das schließt es häufig aus, auch den Aufsichtsrat frühzeitig mit Details in die Entscheidungs-

22 Vgl. auch Heinsius FS Kellermann, 1991, 115, 120ff.; den. WuB A. § 186 AktG 4.93, S. 1171 f.; Martens ZIP 1992, 1677, 1681 ff.; ders. ZIP 1994, 669ff.; Hirte Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986, S. 112 ff.; Röhricht (Fn. 6), 472 ff. 23 Hüffer AktG, 5. Aufl., § 203 Anm. IIa. 24 B G H Z 136, 133,140f. 25 Zu weitgehend wohl Singhof WuB II A. § 203 AktG 1.01, S. 178.

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findung einzubeziehen. Der Aufsichtsrat hat aufgrund der ihm vom Vorstand vorgelegten Berichte und Informationen zu entscheiden und ist zu eigenen Prüfungen und insbesondere Bewertungen regelmäßig nicht in der Lage, sondern muss sich auf das verlassen, was der Vorstand und seine Mitarbeiter und Berater ihm vortragen. Hinzu kommt, dass der Aufsichtsrat aufgrund seiner Aufgabenstellung in erster Linie das Unternehmensinteresse zu wahren hat, dem selbstverständlich auch bei der Ausübung des genehmigten Kapitals der Vorrang gebührt und dass nach der Kali + Salz-Entscheidung auch bei Konflikten mit Bezugsrecht der Aktionäre den Ausschlag geben muss. 26 Von der Natur der Sache her sind aber die Aktionäre eher geeignet, ihre Mitgliedschaftsrechte bei Konflikten zwischen Aktionärs- und Unternehmensinteresse einzubringen. Dies wird bei den Arbeitnehmervertretern auch dadurch unterstrichen, dass ihr persönliches Interesse mehr mit denen des Unternehmens verbunden ist als das der Aktionäre. Probleme stellen sich bei besonderen Beteiligungsverhältnissen aber auch, wenn der Aufsichtsrat auf der Anteilseignerseite überwiegend mit Vertretern eines Mehrheitsaktionärs besetzt ist. 2. Wie sieht es mit den Möglichkeiten aus, eine Pflichtwidrigkeit des Verhaltens der Verwaltung zum Gegenstand einer Feststellungs-, oder Unterlassungsklage zu machen? 27 Der B G H verweist dazu auf die HolzmüllerEntscheidung, in der er einen verbandsrechtlichen Anspruch des Aktionärs darauf anerkannt hat, dass der Vorstand die Aktionäre bei einer von ihnen mit zu entscheidenden Angelegenheit nicht übergehen wird. 28 Eine dieses Recht absichernde Unterlassungsklage scheitert in aller Regel - sieht man einmal von den Problemen der materiellen Begründung ab - an der Informationslage. 29 Wenn der Vorstand nicht verpflichtet ist, im Wege einer VorabBerichterstattung über die von ihm geplante, konkret bevorstehende Ausnutzung des genehmigten Kapitals zu informieren (dazu im folgenden zu Ziff. 3), kommt in den meisten Fällen, wenn der Vorstand schnell und flexibel handelt, eine Unterlassungsklage und ein diese absicherndes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu spät. Allenfalls in Fällen, in denen eine adhoc-Mitteilung nach § 15 W p H G zu erfolgen hat, wäre eine hinreichende Informationslage sichergestellt. 30 Worauf kann - wenn es für eine Unterlassungsklage zu spät geworden ist ein Feststellungsantrag gerichtet sein? Sicherlich nicht auf die Feststellung

26

B G H Z 71, 40,46. Hüffer AktG, 5. Aufl., § 203 Rn. 38; Habersack DStR 1998, 533, 537. 28 B G H Z 83, 122, 125, 133 ff. 29 Cahn (Fn. 14), 118; Ekkenga (Fn. 16), 576; Raiser Recht der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl., 2001, §20 Rn. 46. 30 Siehe auch Raiser (Fn. 29), § 20 Rn. 46. 27

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einer Schadenersatzpflicht von Vorstand und/oder Aufsichtsrat gemäß §§ 93, 116 AktG. Derartige Schadenersatzpflichten zieht der BGH zwar in Betracht. 31 Bei Schäden die unter diese Vorschriften fallen, handelt es sich aber um Schäden der Gesellschaft, die nur von dieser bzw. nach Maßgabe von § 147 AktG zu Gunsten der Gesellschaft geltend gemacht werden können 32 (dazu im folgenden zu Ziff. 6 lit. a) und die auch bereits deshalb nicht zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden können. Eigene Ansprüche, etwa aufgrund deliktsrechtlicher oder besonderer gesetzlicher Grundlagen können allenfalls zum Gegenstand einer Leistungsklage zwischen Aktionär und Organperson gemacht werden. Dann verbleibt nur eine Feststellungsklage, die auf Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse des Vorstands und/oder des Aufsichtsrats gerichtet ist.33 Auch ein derartiger Antrag kommt zu spät, wenn die Durchführung der Kapitalerhöhung eingetragen ist. Der weitergehenden Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen trotz Eintragung der Durchführung wegen eines Rechtsmangels - nämlich der Nichtigkeit der Beschlüsse von Vorstand und/oder Aufsichtsrat - die Kapitalerhöhung fehlerhaft ist,34 kann hier nicht nachgegangen werden. 3. Schon vor der Siemens/Nold-Entscheidung war im Schrifttum die Frage entstanden, ob der Vorstand nicht in einem ergänzenden Bericht vor Ausnutzung der Ermächtigung die Aktionäre über die nunmehr konkrete Planung der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss informieren müsse. Der BGH hatte diese Frage in der Holzmüller-Entscheidung ausdrücklich angesprochen, aber offen gelassen.35 Die Siemens/Nold-Entscheidung hätte dem BGH eigentlich Anlass geben müssen, sich konkret zu der Frage zu erklären, ob zum Ausgleich für den Verlust an Informationen vor der Beschlussfassung, etwa zur Erleichterung einer von ihm als zulässig bezeichneten Unterlassungsklage, ein Vorab-Bericht erstattet werden muss. Das hat der BGH nicht getan. 36 Eindeutig sind die Formulierungen im Urteil insoweit allerdings nicht. Sie haben aber Anlass gegeben, dass sich das Schrifttum ganz überwiegend auf die Seite der Ablehnung einer ergänzenden Berichterstattung gestellt hat und die Befürworter eindeutig in die Minderheit geraten sind. 37 Aus der Adidas-Entscheidung des BGH darf BGHZ 136,133,140 f. Habersack (Fn. 27), 537. 33 BGHZ 122, 342, 347 f.; BGHZ 124,111,115; BGHZ 135,244,247; H u f f er in: MünchKomm zum AktG, 2. Aufl., 2001, § 241 Rn. 102, 103. 34 Vgl. hierzu Zöllner AG 1993, 68ff.; Zöllner/Winter ZHR 158 (1994), 59ff.; Wiedemann in: Großkomm.AktG, 4. Aufl., 1995, § 189 Rn. 34 ff.; Hüffer AktG, 5. Aufl., § 189 Rn. 4 ff. m.w.N. 35 BGHZ 83, 319, 327. 36 Dies bedauert Lutter (Fn. 3), 52. 37 Zum derzeitigen Meinungsstand: Die ergänzende Berichterstattung lehnen ab Marsch AG 1981, 211, 214; Quack ZGR 1983, 257,264; Martens FS Steindorff, 1990,151,152ff.; Kubier/Mendelson/Mundheim AG 31

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geschlossen werden, dass der B G H 3 8 die Auffassung der Mehrheit im Schrifttum teilt. Das Landgericht Frankfurt hat in seiner sehr knapp gehaltenen Commerzbank-Entscheidung 39 ohne Eingehen auf das Schrifttum sich für seinen Standpunkt auf die Siemens/Nold-Entscheidung bezogen, aus der „unschwer entnommen werden (könne), dass insoweit die Rechtfertigung der getroffenen Maßnahmen nicht vorab zu erfolgen hat, sondern dass erst in der der Durchführung der Maßnahmen folgenden ordentlichen Hauptversammlung Rede und Antwort zu stehen ist". In der Tat lässt sich - von den noch darzustellenden Ausnahmen einmal abgesehen - eine Vorab-Informationspflicht dogmatisch nur schwer begründen, weil sie sich mit der Systematik der Gewaltenteilung zwischen den Rechten der Hauptversammlung, des die Geschäftsführung ausübenden Vorstands und dem diesen kontrollierenden Aufsichtsrat nur schwer vereinbaren lässt. Wenn dem Vorstand durch einen rechtmäßig zustande gekommenen Beschluss zwar keine Blankovollmacht, aber doch eine gehörige Portion „Vertrauensvorschuss" erteilt worden ist, dann müssen auch die Konsequenzen daraus gezogen werden. Dabei sollte weniger die Sorge vor Störmanövern einzelner Aktionäre eine Rolle spielen. Diese hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung wohl in Kauf genommen, wenn er auf mögliche Unterlassungsklagen hingewiesen hat. Der Fall der Commerzbank zeigt, dass die prozessualen und materiellen Hürden eines vor Einleitung der Hauptsache anhängig zu machenden Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz sehr hoch und nur wenig Chancen für eine Verhinderung der Eintragung des Ermächtigungsbeschlusses gegeben sind. Neben dem Problem

1990, 461, 463; Heinsius (Fn. 22), 123f.; Hefermehl/Bungeroth in: Geßler/Hefermehl, AktG, 1993,§203 Rn. 27; Ihrig WiB 1997,1181,1182; Bungen (Fn. 4), 491; Volhard( Fn. 4), 402 f.; Krieger Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, AG, 2. Aufl., 1999, § 58 Rn. 44; Cahn (Fn. 14), 118; Bosse ZIP 2001, 104, 106; Henze Aktienrecht, 5. Aufl. 2002, Rn. 1011; ferner Hüffer in seinem in der Hauptversammlung der Commerzbank ausgelegten Gutachten vom 13.03.2001, in dem er die in seiner Kommentierung zu § 203 Rn. 36ff. vertretene Auffassung revidiert, nun auch Hüffer AktG 5. Aufl. 2002, § 203 Rn. 37. Die ergänzende Berichterstattung befürworten: vor Siemens/Nold: Lutter BB 1981, 862; ders. in: Kölner Komm., 2. Aufl., 1995, § 203 Rn. 20; Timm DB 1982, 211, 215 f.; Sethe AG 1994, 342; H irte (Fn. 22), S. 120 ff.; Kimpler DB 1994, 767; Happ Aktienrecht, 1995, 11.09 Rn. 14, 40. «ach Siemens/Nold: Lutter (Fn. 3), 52; Hüffer AktG, 4. Aufl., 1999, § 203 Rn. 36; Meilicke/Heidel DB 2000, 2358; Hirte in: Großkomm.AktG, 4. Aufl., 2001, § 203 Rn. 86 m.w.N. und § 202 Rn. 40 ff. unter Hinweis auf die Kapitalrichtlinie der EG; ders. DStR 2001, 577, 578; Raiser (Fn. 29), § 20 Rn. 45. 38 BGHZ 144, 290, 294 f. 39 LG Frankfurt, Urt. v. 25.9.2000 - 3/1 0 129/00, ZIP 2001, 117,118.

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der Glaubhaftmachung von Verfügungsanspruch (dazu unten zu Ziff. 6) und Verfügungsgrund 40 bestehen auch nicht unbeträchtliche Kostenrisiken 41 , da § 247 AktG außerhalb einer Beschlussanfechtung keine Anwendung findet 42 . Das Schadenersatzrisiko aus § 945 ZPO ist ebenfalls beträchtlich. Mehr als die Sorge vor Störmanövern sprechen gegen eine ergänzende Berichterstattung Gesichtspunkte der Praktikabilität. Wann müsste der Vorstand auf der Grundlage der Planungen bzw. der geführten Verhandlungen unter Berücksichtigung eines Geheimhaltungsinteresses davon ausgehen, dass jetzt eine Phase erreicht ist, die eine Vorab-Berichterstattung erlaubt und damit auch erforderlich macht? Die Verpflichtungen zu einer ad-hoc-Mitteilung geben hierfür keinen geeigneten Maßstab. In vielen Fällen wird nur wenig Zeit zur Verfügung stehen, um einen Bericht noch so rechtzeitig vorbereiten, drucken und versenden zu können, dass ihm die gleiche Funktion zukommt wie bei der Vorbereitung einer Hauptversammlung. Da sich Termine nicht nennen lassen,43 würde in vielen Fällen der Bericht nur noch eine Pflichtübung sein, die den Aktionären unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung kaum noch eine reelle Chance zum Schutz vor drohenden oder angeblich drohenden Rechtsverletzungen geben könnte. Bestünde eine Berichtspflicht, wäre jedenfalls der Zeitraum, innerhalb dessen sie zu erfüllen wäre, so unbestimmt, dass sich hier ein neues Feld von Auseinandersetzungen eröffnen würde. Nachdem auch die Regierungskommission sich gegen eine gesetzliche Einführung einer Vorab-Informationspflicht des Vorstands ausgesprochen hat,44 muss die Streitfrage wohl als erledigt betrachtet werden. 4. Die Verneinung einer Vorab-Informationspflicht schließt es nicht aus, dass in besonders gelagerten Fällen ungeachtet des durch die Hauptversammlung bereits ausgeschlossenen Bezugsrechts oder der hierzu erteilten Ermächtigung der Vorstand verpflichtet ist, mit einer konkretisierten Planung erneut an die Aktionäre heranzutreten, jedoch nicht bloß durch eine Berichterstattung, sondern in der Form eines Beschlussvorschlags für eine - ordentliche oder außerordentliche - Hauptversammlung, die der ihr konkret zu offenbarenden und zu beschreibenden Durchführungsmaßnahme die ausdrückliche Zustimmung zu erklären hat. Es handelt sich hierbei um Fälle, die

Vgl. dazu Wiedemann in: Großkomm.AktG, 4. Aufl., 1995, vor § 182 Rn. 77. Vgl. dazu die Dornier-Entscheidung des OLG-Stuttgart zur Frage der Treuewidrigkeit einer zum Zwecke der Maximalisierung von Kostenrisiken vorgenommenen Anteilsübertragung auf eine vermögenslose GmbH (OLG Stuttgart, Urt. v. 8.10.1999 - 20 U 59/99, NZG 2000,490 ff.). 42 Vgl. Ulmer ZHR 163 (1999), 290, 338; a. A. Cohn (Fn. 14), 117. 43 Der Vorschlag einer Einmonatsfrist von Lutter in: Kölner Komm., 2. Aufl., 1995, § 203 Rn. 31, hat keine Zustimmung gefunden. 44 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 230. 40 41

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wegen der Schwere des Eingriffs in die Aktionärsrechte nicht mehr von der abstrakt erteilten Ermächtigung gedeckt sein können. Man mag sie als „Holzmüller-Fälle" bezeichnen, wie dies bereits geschehen ist. 45 Die Parallele zur Holzmüller-Problematik bietet sich deshalb an, weil die Ausnutzung der Ermächtigung durch den Vorstand als Geschäftsführungsmaßnahme 4 6 bezeichnet wird, auch wenn es sich um die Umsetzung eines ihm übertragenen Mandates handelt, das Strukturmaßnahmen zum Inhalt hat. Damit öffnet sich ein Diskussionsfeld, in dem im grundsätzlichen weitgehende Ubereinstimmung bestehen sollte und - wie bei der Holzmüller-Problematik allgemein - die Probleme in der Abgrenzung der einzelnen Fallgestaltungen liegen. D o r t wo beispielsweise die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals, das bis zu 50 % des Grundkapitals umfassen kann, zu fusionsähnlichen Sachverhalten führt, sollte es keinen Zweifel daran geben, dass die abstrakt erteilte Ermächtigung derartige Fälle nicht mehr umfassen kann und der Vorstand dies auch erkennen muss. Auch Maßnahmen zur Abwehr einer feindlichen Übernahme mögen zu diesen Fallgruppen gehören. 4 7 5. Eine Kontrolle der Hauptversammlung besteht nach der Siemens/ Nold-Entscheidung auch darin, dass der Vorstand gehalten ist „über die Einzelheiten seines Vorgehens auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft zu berichten und Rede und Antwort zu stehen. Ihn kann bei Verletzung der ihm obliegenden Pflichten die Entlastung verweigert werden". Nach dieser eindeutigen Aussage hat die Information über die Einzelheiten des Vorgehens des Vorstands „auf", also nicht vor der Hauptversammlung zu erfolgen. Damit hat das Urteil klargestellt, dass die Information nicht in Gestalt eines nachgeholten Berichtes im Sinne von § 186 Abs. 4 S. 2 A k t G mit Angabe der konkreten Einzelheiten und der sachlichen Rechtfertigung im Zusammenhang mit der Einladung zu erfolgen hat. Von den Einzelheiten erfahren also nur die in der Hauptversammlung erschienenen oder vertretenen Aktionäre, wenn nicht der Vorstand, - was vorkommt - freiwillig in der Einladung einen Bericht erstattet hat 4 8 oder durch sonstige Bekanntmachungen - etwa der Zulassung der neuen Aktien zum Börsenhandel - eine

Ekkenga (Fn. 16), 567, 575 f., 618. B G H Z 136, 133, 139; Hüffer 5. Aufl., § 202 Rn. 4; Lutter in: Kölner Komm., 2. Aufl., 1995, § 202 Rn. 10; Kindler ZGR 1998, 35, 52; Hirte in: Großkomm. AktG, 4. Aufl., 2001, § 2 0 2 Rn. 21. 4 7 Ebenso Riem ZIP 2000, 1509, 1514Í. 48 Vgl. hierzu beispielsweise die ausführliche Berichterstattung der A C G im BAnz v. 21.03.2001 Nr. 56, S. 4621. Dort wird detailliert der Bezugsrechtausschluss nach den Kriterien der Kali + Salz-Entscheidung gerechtfertigt. Dieser nachträgliche Bericht ist wie ein Bericht im Sinne von § 186 Abs. 4 S. 2 aufgebaut. 45

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Information erfolgt ist. 49 Schon hieraus ergibt sich eine sehr beschränkte Kontrollmöglichkeit, die noch dadurch verstärkt wird, dass ein Entlastungsbeschluss, der nur der einfachen Mehrheit bedarf, keiner sachlichen Rechtfertigung bedarf und bereits deshalb als Minoritätenschutz kaum geeignet erscheint. 50 6. Auch das weitere Kontrollmittel, nämlich die Heranziehung des Vorstands zum Schadenersatz, dürfte im praktischen Ergebnis wirkungslos sein. Lässt man einmal die Frage der wirtschaftlichen Durchsetzbarkeit eines auf Schadenersatz lautenden Titels gegen den Vorstand außer Betracht, etwa im Hinblick auf die mögliche Abdeckung des Haftungsrisikos durch eine D & O Versicherung, so stehen doch der materiellen Begründung und prozessualen Durchsetzung eines Anspruchs sehr hohe Hindernisse entgegen. a) Der B G H verweist in seiner Siemens/Nold-Entscheidung auf § 93 Abs. 2 A k t G als Anspruchsnorm. 5 1 Unter diese Anspruchsnorm fallen nur Schäden, die der Gesellschaft entstanden sind und die grundsätzlich nur von ihr geltend gemacht werden können. Dazu gehören auch sog. Doppel- oder Reflexschäden (Schäden der Gesellschaft, die eine Wertminderung der Aktien des Aktionärs bewirkt haben). 52 Schäden des Aktionärs wegen Verletzung seiner Mitgliedschaftsrechte, die nicht gleichzeitig Schäden der Gesellschaft sind, können nach dieser Vorschrift nicht durchgesetzt werden. b) Aus dem Hinweis des B G H auf § 93 Abs. 2 A k t G ergibt sich ferner, dass der Vorstand bei der Ausnutzung der Ermächtigung in „Erfüllung seiner Geschäftsführungspflichten" handelt. Damit kann er sich auf die Grundsätze der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung 5 3 berufen. Ausnahmen wie z. B. im Sonderfall der Ausnutzung genehmigten Kapitals zur Abwehr feindlicher Übernahmeversuche, bei denen es in der Regel an dem für das Eingreifen der business judgement rule erforderlichen Merkmal des „not interested" 5 4 feh-

49 Eine signifikante Verbesserung wird sich in dieser Hinsicht ergeben, wenn die Anregung der Regierungskommission umgesetzt wird und in das Gesetz eine Verpflichtung zu einer „auch nachträglichen" inhaltlich an § 186 Abs. 4 S. 2 AktG anlehnenden Berichterstattung aufgenommen wird (vgl. den Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 230). Gegen eine Beschränkung dieser Berichtspflicht entsprechend §§ 293 a Abs. 2 AktG, 8 Abs. 2 U m w G ist nichts einzuwenden (vgl. Bericht der Regierungskommission.Corporate Governance, 2001, Rz. 231). 50 Dagegen offenbar den Entlastungsbeschluss als ein effektives Kontrollinstrument erachtend Henze (Fn. 37) Rn. 1011. 51 B G H Z 136,133,140 f. 52 Vgl. nur B G H Z , 65, 15, 18 = NJW 1976, 191 m. Anm. Ulmer (ITT); B G H NJW 1988, 413, 414; Hüffer AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 19; Henze (Fn. 37) Rn. 583 m.w.N. 53 B G H Z 135, 244, 253. 54 Hopt in: Großkomm.AktG, 4. Aufl., 1999, § 93 Rn. 83; Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rn. 684.

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len dürfte, mögen dabei unberücksichtigt bleiben. Der Vorstand kann sich fast immer auf Gutachten durch Sachverständige stützen. Sein Handeln kann nur aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände beurteilt werden, die auch das Interesse der Gesellschaft an der Gewinnung neuer Aktionäre und der bei Ihnen eingeworbenen Sacheinlagen berücksichtigt sowie die konkrete Verhandlungssituation in die sich der Vorstand gestellt sah. c) Schadenersatzansprüche, die gemäß § 93 Abs. 2 A k t G gegen den Vorstand erhoben werden sollen, müssen vom Aufsichtsrat geltend gemacht werden. Der Aufsichtsrat hat aber gemäß § 204 Abs. 1 S. 2 A k t G an der Durchführung der Kapitalerhöhung mitgewirkt. Er scheidet deshalb, weil er Richter in eigener Sache wäre, als nachträglicher Kontrolleur aus. 55 Dann sind die Aktionäre aufgerufen nach Maßgabe der kaum praktikablen Vorschrift von § 147 A k t G die Rechte der Gesellschaft geltend zu machen. Es mag sein, dass sich in dieser Hinsicht in Zukunft Erleichterungen ergeben, wenn der Gesetzgeber auf der Grundlage der Erörterungen des 63. Juristentages, insbesondere der Vorarbeiten von Ulmer,56 die weitgehend von der Regierungskommission als Gesetzgebungsvorschlag übernommen wurden, 5 7 durch eine Novellierung von § 147 A k t G die Geltendmachung von Ersatzansprüchen als Minderheitenrecht erleichtert. 58 d) Keine Aussage hat der B G H in der Siemens/Nold-Entscheidung zu der Frage getroffen, wie es sich mit der Ersatzpflicht des Vorstands für Schäden der Aktionäre verhält, die nicht gleichzeitig - wie etwa im Falle einer Uberbewertung der Sacheinlage - einen Schaden der Gesellschaft darstellen. Dazu gehören Schäden wegen Stimmrechtsverwässerung, die sich ergeben können, wenn Aktionäre für die Geltendmachung bestimmter Rechte relevante Q u o ren durch die Kapitalerhöhung verlustig gehen. 59 Derartige Schäden sind nicht nur betragsmäßig schwer zu fassen (eine Naturalrestitution scheidet praktisch aus 60 ). Auch hinsichtlich der Anspruchsgrundlage, etwa der Mitgliedschaft, stellen sich schwierige dogmatische Fragen, auf die hier nicht

55 Unabhängig davon hat auch die ARAG/Garmenbeck Entscheidung dem Aufsichtsrat noch einen weiten Ermessensspielraum belassen, der - worauf Ulmer (Fn. 42) 320, zu Recht hinweist - noch einen weiten Spielraum für möglichst geräuschlose interne „Sanktionierung" belässt. 56 Ulmer (Fn. 42) 290 ff. 57 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 73. 58 Zur Aktionärsklage de lege lata und de lege ferenda vgl. Krieger Z H R 163 (1999), 343 ff. 59 Vgl. Martens (Fn. 22) 1692. 60 Cahn (Fn. 14) 143 ff. hat im einzelnen dargelegt, dass eine Naturalrestitution durch Rückabwicklung oder Ausgabe eigener Aktien, in aller Regel nicht in Betracht kommt; Habersack (Fn. 27) 537 hält sie für möglich.

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eingegangen werden kann.61 Mit der vielschichtigen und noch weitgehend ungeklärten Problematik der Mitgliedschaft als Anspruchsgrundlage für Ansprüche aus §§ 280, 249 BGB a.F., p W oder § 823 Abs. 1 BGB hat sich insbesondere Cahn befasst.62 Ubereinstimmung besteht nur insoweit, als für derartige Schäden nicht über den Umweg von § 823 Abs. 2 BGB auf § 93 Abs. 2 AktG als „Schutzgesetz" zurückgegriffen werden kann.63

III. Verbesserung des Rechtsschutzes? Die Überlegungen zu II. sollten zeigen, dass nach der bestehenden Gesetzeslage und der Rechtsprechung des BGH eine effektive Rechtskontrolle durch Aktionäre nach einer rechtsbeständigen Eintragung des Ermächtigungsbeschlusses in das Handelsregister nur noch eingeschränkt möglich, um nicht zu sagen wenig realistisch64 ist. Wenn das richtig ist und der Befund zutrifft, dass nach Siemens/Nold der „Bericht" in Gestalt informationsloser, stereotyper Leerformeln, die an die Stelle der vor Siemens/Nold im Anschluss an Holzmann verwendeten stereotypen Leerformeln65 getreten sind, aus einem Zuviel an Rechtsschutz ein Zuwenig hat werden lassen, stellt sich die Frage, mit welcher Therapie man einer solchen Diagnose begegnen könnte und sollte. Wenn man die Diskussion um die Problematik des Bezugsrechtsausschlusses beim genehmigten Kapital vor und nach Siemens/Nold verfolgt, wird eines klar, dass eine solche Therapie nicht monokausal angesetzt werden kann. Es bedarf vielmehr mehrerer Ansätze, um die im Räume stehenden Interessen einigermaßen angemessen ausgleichen zu können. Dabei wird man nicht umhin können, auch die Bedeutung des Bezugsrechts und die Notwendigkeit oder jedenfalls das Ausmaß sachlicher Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses (bei börsennotierten und/oder bei nicht-börsennotierten Gesellschaften) von der grundsätzlichen Seite auf den Prüfstand zu stellen und dabei der Frage nachzugehen, wo der Verlust an Rechtsschutz akzeptiert werden kann und wo nicht. Die Komplexität dieses Themas

61 Cahn (Fn. 14) 123ff.; zur Mitgliedschaft als „sonstiges Recht" vgl. ferner B G H Z 83, 122, 133 („Holzmüller"); B G H Z 110, 323 ff. („Schärenkreuzer"); Mertens in: Kölner Komm., 2. Aufl. 1996, § 93 Rn. 171 ff. m.w.N.; Dorait in: Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 1999, M 102; Hadding FS Kellermann, 1991, 91 ff. in der Besprechung von B G H Z 110, 323; Habersack Die Mitgliedschaft - subjektives und „sonstiges" Recht, 1996, S. 265 ff.; ders. (Fn. 27) 537. 62 Vgl. Fn. 41. 63 RGZ 115, 289, 296; R G Z 159, 211, 224; B G H A G 1979, 263; Mertens in: Kölner Komm., 2. Aufl., 1996, § 93 Rn. 169; Hüffer AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 19; Roth Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, S. 146. 64 Ulmer (Fn. 7) 764. 65 Vergleiche dazu Martens (Fn. 22), 1682.

Genehmigtes Kapital und Beteiligungserwerb

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sprengt den Rahmen eines Aufsatzes. Die nachfolgenden Überlegungen stellen deshalb nur Fragen, die als Versuch eines Abklopfens von Möglichkeiten verstanden werden sollen. 1. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Siemens/Nold Rechtsprechung nicht nur vor dem rechtstatsächlichen Hintergrund der Befreiung deutscher Unternehmen von Fesseln bei der Eingehung strategischer Unternehmensverbindungen 6 6 , sondern auch vor dem Hintergrund von Anfechtungsklagen zu verstehen ist, die vor Siemens/Nold geführt wurden von einer Anzahl i.d.R. nur atomistisch 6 7 beteiligter Aktionäre, denen Rechtsmissbrauch nicht nachzuweisen war. Eine Verschärfung der Voraussetzung der Anfechtungsbefugnis durch den Gesetzgeber und eine Erleichterung bei der Überwindung von Registersperren, würde deshalb ein begrüßenswerter Hintergrund sein, u m Rechtsschutz zu ermöglichen, w o er notwendig ist und insbesondere w o er noch effektiv sein kann, nämlich bei der Beschlussanfechtung. 68 Wenn die Empfehlung der Regierungskommission, f ü r eine auf die Verletzung von Informationspflichten gestützte Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses einen Mindestanteilsbesitz zu fordern 6 9 und bei der Anfechtung von Kapitalmaßnahmen nach dem Vorbild des § 16 Abs. 3 U m w G ein Freigabeverfahren einzuführen 7 0 , vom Gesetzgeber umgesetzt wird, wäre schon ein guter Schritt getan, auch wenn die Einführung eines generellen Q u o r u m s f ü r die Erhebung einer Anfechtungsklage effektiver wäre. 2. Lutter hat in seiner viel zitierten Urteilsanmerkung dem B G H u.a. vorgeworfen, er differenziere nicht zwischen börsennotierten und anderen Gesellschaften. Dieser Vorwurf ist in der Tat insoweit begründet, als der B G H bei dem Bemühen, der Praxis zu helfen und Schaden vom deutschen Kapitalmarkt abzuwenden, in seiner Begründung zu generalisierend geblieben und deshalb zu weit gegangen ist. Die tragenden Überlegungen des Urteils trafen auf die konkrete Gesellschaft zu, deren Beschluss angefochten war. 71 Sie treffen aber nicht für kleine, nicht an der Börse notierte Gesellschaften insbesondere nicht für Familiengesellschaften zu. Wie die Mehrheiten bei der Beschlussfassung großer Gesellschaften zeigen, gibt es dort in der Regel weniger Minderheiten, sondern „nur" einzelne Opponenten, 7 2 66

Röhricht in: Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997, 1998, 191, 220. Martens (Fn. 22) 1678; Henze (Fn. 37) Rn. 1009. 68 Hirte in: Großkomm.AktG, 4. Aufl., 2001, § 203 Rn. 60f. sieht demgegenüber einen effektiveren Aktionärsschutz in einer Verbesserung der Kontrolle des Verwaltungshandelns. 69 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 139. 70 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 153. 71 In diesem Sinne auch Röhricht (Fn. 66) 220. 72 Schockenhoff A G 1994, 45, 54. 67

190

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während in der Regel das Gros der Kleinaktionäre unabhängig von der Qualität der Vorstandsberichte bereit ist, für den Bezugsrechtsausschluss oder eine entsprechende Ermächtigung zu stimmen. Das ist bei kleinen Gesellschaften oft anders, wo es in der Tat häufig um Herrschaft und Kontrolle in der Gesellschaft ringende Mehrheiten und Minderheiten geht. Hier wird das Minderheitsinteresse durch die Siemens/Nold-Entscheidung nicht hinreichend geschützt. J. Löst man sich von generalisierender Betrachtung, dann bekommt auch das Thema des Informationsgehaltes des der Hauptversammlung zu erstellenden Berichtes eine andere Bedeutung. 73 U m nochmals auf das Beispiel Siemens zurück zu kommen: Dort gab und gibt es Sinn, mit dem genehmigten Kapital dem Vorstand abstrakt die Freiräume zu geben, die er für eine erforderliche Unternehmensführung und -erweiterung benötigt. In diesem und in vergleichbaren Fällen ist die Wiedergabe der von der Siemens/Nold-Entscheidung vorgegebenen „Leerformel" eigentlich nur wegen § 186 Abs. 4 S. 2 AktG eine Pflichtübung ohne jeglichen Informationsgehalt, weil das, was im Bericht gesagt wird, ohnehin jeder wissen sollte, der sich an einer börsennotierten großen Aktiengesellschaft beteiligt. Aber eines schickt sich nicht für alle. Soll es zulässig sein, dass auch die kleine Gesellschaft, in Anlehnung an den Formulierungsstandard der Praxis Leerformeln gibt, insbesondere wenn die Gesellschaft nicht an der Börse notiert ist und unter deren Volatilitäten zu leiden hat? Das in Fn. 10 genannte Beispiel einer Gesellschaft, die um die Schaffung eines genehmigten Kapitals in Höhe von € 30.000,00 bittet und dies im Bericht im Hinblick auf die „internationale Praxis des Beteiligungsunternehmenserwerbs und der Notwendigkeit der Kapitalerhöhung bei sich abzeichnenden Akquisitionsmöglichkeiten mit regelmäßig komplexen Transaktionsstrukturen im Wettbewerb der potentiellen Erwerbsinteressen begründet" gibt hierfür ein beredtes Beispiel. Etwas mehr Holzmann und etwas weniger Siemens/Nold wäre hier angebracht. Das vorstehende gilt insbesondere in den Fällen, wo der Griff zur Leerformel in Wirklichkeit bereits konkret bestehende Pläne des Vorstands der Hauptversammlung verbergen möchte. 74 Die Grundsätze der Kochs/AdlerEntscheidung wie auch der Altana/Milupa-Entscheidung 75 des B G H , dass Informationen so gestaltet sein müssen, dass sich die Aktionäre „ein Bild darüber machen können", ob der zu treffende Beschluss wirtschaftlich

73

Dazu Martens (Fn. 22) 1684. Ebenso Bungert BB 2001, 742, 743; Ekkenga (Fn. 16) 578 bejaht in derartigen Fällen die Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses. 75 Β G H Z 146, 288. 74

Genehmigtes Kapital und Beteiligungserwerb

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zweckmäßig ist und den gesetzlichen Anforderungen genügt,76 und dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft, der für eine Geschäftsführungsangelegenheit eine Entscheidung der Hauptversammlung verlangt, ihr auch die Informationen geben muss, die sie für eine sachgerechte Willensbildung benötigt, 77 müssen hier den Vorrang vor generellen Erwägungen der Siemens/NoldEntscheidungen haben, auch wenn die Abgrenzung im Einzelnen sehr schwierig ist. Vor diesem Hintergrund ist dem Urteil des Landgerichts München 78 zuzustimmen. Der Zweifel des L G München, ob eine Darstellung auf einer knappen halben Schreibmaschinenseite noch als Bericht im Sinne von § 186 Abs. 4 S. 2 AktG qualifiziert werden könne, ist zwar nach der Siemens/NoldEntscheidung unberechtigt, weil auch bei größerer Quantität der Darstellung abstrakter Grundsätze sich der konkrete Informationsgehalt nicht geändert hätte. 79 Dem Urteil kann aber dann zugestimmt werden, wenn der Vorstand - wie das Gericht meint - in der Lage war, im Bericht die dort nur abstrakt genannte „strategische Neuausrichtung" näher zu erläutern.80 Das L G München führt dazu aus, dies stehe auch in Ubereinstimmung mit der Siemens/ Nold-Entscheidung und hat damit das B G H Urteil in begrüßenswerter Weise interpretiert.81 4. Die Rechtsfragen die sich stellen, wenn der Vorstand trotz konkreter Planung die Hauptversammlung mit einem informationslosen Bericht um einen Vertrauensvorschuss bittet, müssen nicht nur unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter Informationen geprüft werden. Sie könnten auch Gegenstand weitergehender Überlegungen sein. Die Frage geht dahin, ob der Vorstand einer Gesellschaft in den hier in Betracht zu ziehenden Fallgestaltungen überhaupt die Schaffung eines genehmigten Kapitals vorschlagen darf, oder ob er nicht stattdessen den Weg einer ordentlichen Kapitalerhöhung beschreiten muss.82 Für den umgekehrten Fall, in dem der Vorstand der Hauptversammlung eine ordentliche Kapitalerhöhung vorschlägt, die Ausnutzungsfrist aber zu großzügig bemisst, ist anerkannt, dass hier ein Fall unzulässiger Typenvermischung vorliegt, der zur Anfechtbarkeit, möglicher-

Β G H Z 107,296,303. B G H v. 15.01.2001 - II ZR 124/99, ZIP 2001, 416. 78 Urteil des L G München v. 25.01.2000 - 5 H K O 12702/00, BB 2001, 748 f. 79 Anders insoweit Bungert (Fn. 74) 743. 80 Ebenso Bungert (Fn. 74) 743. 81 Anders hingegen Hirte, der meint, das L G München I widersetze sich dem BGH, Η irte, EWiR § 203 AktG 1/01, 507. 82 Diese Frage bejaht Penz ZGR 2001, 901, 907; Hirte in: Großkomm.AktG, 4. Aufl., 2001, § 202 Rn. 192 tendiert zur Bejahung, relativiert allerdings in § 203 Rn. 61; das L G Düsseldorf, AG 1999, 134 f. (Nordhäuser) hat die Frage ohne nähere Begründung verneint; Krieger (Fn. 37) § 58 Rn. 18 a. E. lässt sie offen. 76

77

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Wilhelm Happ

weise sogar zur Nichtigkeit des Beschlusses führt. 8 3 Diesen Gedankengang wird man nicht ohne weiteres übertragen können, weil von einer Typenvermischung keine Rede sein kann. D o c h sind Fälle denkbar, w o es einen Missbrauch der Verwaltung bei der Auswahl der in Betracht zu ziehenden Finanzierungsmaßnahmen oder einen Verstoß der den Aktionären gegenüber obliegenden Treuepflicht 8 4 darstellen kann, wenn sie die Hauptversammlung nicht über die konkreten Einzelheiten der Kapitalerhöhung abstimmen lässt, um auf diese Weise ohne die Kontrolle einer Beschlussanfechtung (die insbesondere im H i n b l i c k auf § 255 Abs. 2 A k t G gegeben ist) die Möglichkeiten des genehmigten Kapitals zu nutzen und das eigene Ermessen an die Stelle des Ermessens der Hauptversammlung zu setzen.

IV. Zusammenfassung 1. D i e Siemens/Nold-Entscheidung hat dazu geführt, dass sich die Praxis bei der Berichterstattung gemäß § 186 Abs. 4 S. 2 A k t G zur Begründung eines Bezugsrechtsausschlusses soweit er den E r w e r b von Beteiligungsrechten ermöglichen soll, weitgehend von Informationen gelöst und stattdessen zu informationslosen Standardformulierungen übergangen ist. 2. D i e durch die Siemens/Nold-Entscheidung bewirkte Einschränkung des Rechtsschutzes bei Anfechtungsmöglichkeiten des Hauptversammlungsbeschlusses wird nicht durch einen nachfolgenden äquivalenten

Rechts-

schutz ausgeglichen. D i e v o m B G H aufgezeigten anderen Möglichkeiten sind wenig realistisch. 3. Eine sachgerechte Verbesserung des Rechtsschutzes der Aktionäre lässt sich nur durch ein Zusammenwirken mehrerer Maßnahmen bewirken. D a z u gehören

eine gesetzliche

Einschränkung

der

Anfechtungsmöglichkeiten

sowie eine weniger generalisierende, die Besonderheiten der Fallgestaltungen mehr berücksichtigende Rechtsprechung.

83 KGJ 14, 26, Hefermehl/Bungeroth in: Geßler/Hefermehl, AktG, 1993, § 182 Rn. 55; LG Hamburg, Urt. v. 02.12.1993 - 4 1 2 0 4 0 5 0 162/93, AG 1995, 92 f. Anm. Bahr; Lutter in: Kölner Komm., 2. Aufl., 1995, § 182 Rn. 17 m.w.N. 84 Dies bejaht Penz (Fn. 82) 907.

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea Neue Denkanstöße für die „Corporate Governance"-Diskussion MARTIN

HENSSLER

I. Einleitung Als der Rat der Europäischen Union am 8. Oktober 2001 die Verordnung1 über die Europäische Gesellschaft (SE) und die ergänzende Richtlinie2 zur Beteiligung der Arbeitnehmer erließ, bestand aus deutscher Sicht wenig Anlass zum Jubel. Wo der dornenreiche Weg zur Societas Europaea (SE) letztlich enden wird, ob es wirklich gelingen wird, eine für deutsche Unternehmen praktikable Gesamtregelung zu finden, bleibt weiterhin Spekulation. Zankapfel war über vier Jahrzehnte 3 hinweg vor allem die Arbeitnehmermitbestimmung.4 Die von deutscher Seite artikulierte Sorge um eine „Flucht aus der Mitbestimmung" 5 stieß in den anderen Mitgliedstaaten auf wenig Verständnis.6 Zugleich wurde während der langwierigen Beratungen deutlich, dass das deutsche Modell der Mitbestimmung bis heute - 25 Jahre nach dem Inkrafttreten des MitbestG 1976 - für andere Industriestaaten nicht akzeptabel ist, es vielmehr eine derartige Diskrepanz gegenüber der Arbeitnehmerbeteiligung im Ausland aufweist, dass selbst Kompromisslösungen nur mühsam zu finden sind.7 Peter Ulmer, dem diese Zeilen anlässlich seines 70. Geburtstages in hoher persönlicher Wertschätzung und Anerkennung für seine vielfältigen Verdienste um die deutsche Rechtswissenschaft gewidmet sind, hat sich schon früh nach Inkrafttreten des MitbestG 1976 mit der Unternehmensmitbestimmung befasst 8 und sie auch in der Folgezeit wiederVerordnung (EG) Nr. 2157/2001 v. 8.10.2001, ABl. L 294/1 v. 10.11.2001. Richtlinie 2001/86/EGv. 8.10.2001 ABl. L 294/22 v. 10.11.2001. 3 Zur Geschichte der SE vgl. statt aller etwa jüngst Blanquet Z G R 2002, 20, 21 ff.; Heinze Z G R 2002, 66 ff.; Schwarz Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 1087 ff. 4 Vgl. nur Blanquet Z G R 2002, 20, 23, 27; Pluskat D S t R 2001, 1483. 5 Dazu etwa Heinze Z G R 2002, 66, 69 f.; ders. A G 1997,289,291; H opt Z G R 1992,265, 278; Kolvenbach D B 1988, 1837, 1840. 6 Pluskat D S t R 2001,1483. 7 Henssler Festschrift B G H , 2000, S. 387, 388. 8 Vgl. nur Ulmer Oer Einfluss des MitbestG auf die Struktur von A G und G m b H , 1979 sowie der von ihm mitherausgegebene Standardkommentar Hanau/Ulmer MitbestG, 1981. 1

2

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Martin Henssler

holt aus der Sicht des Gesellschaftsrechtlers kritisch durchdacht. 9 Es entspricht seinem wohltuend ausgewogenen, ebenso sachlichen wie wissenschaftlich präzisen Kommentierungsstil, dass bei aller gesellschaftsrechtlich geprägten Skepsis gegenüber einem extensiven Verständnis der Mitbestimmungsidee den sozialethisch fundierten Zielen der unternehmerischen Mitbestimmung stets Respekt gezollt wurde. 1 0 Es ist zu hoffen, dass die weitere Debatte um die S E in diesem Sinne von dem Jubilar geprägt wird. Die nunmehr verabschiedete Regelung der SE trägt überdeutlich die Züge des Kompromisses. Gegenüber den detaillierten Vorschlägen für ein Gesellschaftsstatut aus den 70er Jahren mit ca. 400 Artikeln 1 1 macht sich die verabschiedete Regelung wie eine Rumpfkodifikation aus. Erst die Ausklammerung weiter Bereiche - etwa die Abstinenz in konzernrechtlichen Fragen 1 2 sowie die Verlagerung wichtiger Sachentscheidungen von der supranationalen auf die nationale Ebene ermöglichten den europäischen Konsens. Die erzielte Einigung führt nicht zur ersehnten supranationalen Gesellschaftsform einheitlichen Erscheinungsbildes. Sie stellt vielmehr neben eine ständig wachsende nationale Rechtsformenvielfalt 1 3 in Europa eine Palette bislang unbekannter Gesellschaftsformen auf supranationaler Ebene. Die neuen Rechtsformen sind zudem mit den verschiedenen Mitbestimmungsmodellen zu kombinieren. Die Synchronisierung der neuartigen gesellschaftsrechtlichen Formen mit den hergebrachten Modellen des Mitbestimmungsrechts wird insbesondere die deutsche Jurisprudenz vor große Herausforderungen stellen. Die lange schwelende, im Gefolge des Inkrafttretens von Verordnung und Richtlinie neu entfachte Mitbestimmungsdebatte flankiert und ergänzt die unter dem Schlagwort „Corporate Governance" geführte Diskussion über Form und Reform der nationalen Vorstellungen von Unternehmensführung und -kontrolle. Die Suche nach der optimalen Funktionsweise und Kontrolle der Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften ist untrennbar mit den Strukturfragen im Bereich der Unternehmensmitbestimmung verknüpft. Nicht nur für die Societas Europaea handelt es sich um eine hochbrisante Thematik. Eng verflochten ist sie zudem mit der Debatte um die Strukturrichtlinie, 1 4 die

9 Ulmer Festschrift für Heinsius, 1991, S. 855ff.; Stimpel/Ulmer Festschrift für Zöllner, 1998, S. 590ff. 10 Vgl. Ulmer in Hanau/Ulmer MitbestG, Einl. Rz. 2. 11 Verordnungsvorschlag vom 30.06.1970, ABl. C 124/1 v. 10.10.1970; geänderter Vorschlag vom 30.04.1975, Dok. Kom. (75) 150. 12 Vgl. Hommelhoff A G 2001, 279, 281 f. 13 Vgl. etwa zu neuen Hybridgesellschaften wie der englischen L L P Kilian N Z G 2000, 1008. 14 Geänderter Vorschlag einer 5. Richtlinie des Rates über die Struktur der Aktiengesellschaft und der Befugnisse ihrer Organe vom 19.8.1983, Abi. C 240 v. 9.9.1983; erneut geändert durch Vorschlag vom 20.12.1990, ABl. C 7 v. 11.1.1991, S. 4; erneut geändert durch Vorschlag vom 20.11.1991, ABl. C 321 v. 12.12.1991, S. 9.

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas E u r o p a e a

195

eine Harmonisierung der Corporate Governance im Hinblick auf die Führungsstrukturen in Form eines einheitlichen Verwaltungsorgans bzw. einer Zweiteilung von Vorstand und Aufsichtsorgan 1 5 anstrebt. 16 Zwar hat die Regierungskommission Corporate Governance die Probleme rund um die Arbeitnehmermitbestimmung aus ihrer Untersuchung bewusst ausgeklammert. 17 Dies geschah indes mit ausdrücklichem Hinweis 1 8 auf den wissenschaftlichen Diskurs im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung bei der Societas Europaea. 19 Eingedenk der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Problematik hat die Wissenschaft für die SE neue Wege zu beschreiten, die übergreifende Innovationen jenseits der Lösung bloßer Detailprobleme liefern. Die SE, der eine große Zukunft in der Praxis nicht prophezeit wird, 20 könnte so auf theoretischer Ebene Motor einer nationalen und gesamteuropäischen Entwicklung werden.

II. Die Vielgestaltigkeit der Societas E u r o p a e a 1. „Flucht in die Verweisung" als

Regelungstechnik

Die Eigenarten, welche die SE in ihrer aktuellen Gestalt kennzeichnen, gehen auf eine eigentümliche Technik des Regelungspakets zurück. Zunächst springt die Aufteilung der verwandten Regelungsbereiche von Gesellschaftsstatut und Arbeitnehmermitbestimmung auf zwei verschiedene Regelungsvehikel ins Auge: Verordnung auf der einen, umsetzungsbedürftige Richtlinie auf der anderen Seite. Diese Technik der Aufsplitterung war bereits 1989 in das Kreuzfeuer der Kritik geraten, als sie erstmals zur Leitlinie des Regelungsvorschlages erhoben wurde. 21 Die Knappheit der Verordnung wird - als

15 Lutter Z G R 2000, 1, 18 unter Hinweis darauf, dass eine Harmonisierung in diesem Bereich überhaupt untunlich und eine Lösung über soft law der gesetzlichen Regulierung überlegen sei. 16 Dazu ausführlich etwa Abeltshauser Strukturalternativen für eine europäische U n t e r nehmensverfassung, 1990, 2 0 ff. et passim-, zur Uberschneidung der Problemkreise bei SE und Strukturrichtlinie ders. A G 1990, 289, 2 9 4 ff.; T. Raiser Festschrift für E. Steindorff, 1990, S. 2 0 I f f . 17 Baums (Hrsg.) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, S. 6; S. 4 6 Rn. 3. 18 Verwiesen wird auch auf die Innovationsbemühungen in den Niederlanden, wo der Sociaal-Economische Raad eine Änderung der sog. „structurregeling" vorgeschlagen hat (Sociaal-Economische Raad, H e t functioneeren en de toekomst van de Structuurregeling, Den Haag, 2001), vgl. Baums (Hrsg.) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, S. 6. 19 20 21

Baums (Hrsg.) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, S. 6. Vgl. nur Heinze Z G R 2002, 66, 94 f. Vgl. nur etwa Abeltshauser

A G 1990, 289, 291 ff.

196

Martin Henssler

zweite Besonderheit - durch ungewöhnlich häufige Verweisungen auf das nationale Recht des jeweiligen Sitzstaates erreicht. Stellungnahmen zu Kompromissen nicht zugänglicher Bereiche ließen sich so vermeiden; der großzügigen Anwendung der Verweisungstechnik ist letztlich das Zustandekommen der Regelung überhaupt zu danken. Unbefriedigende Konsequenz ist, dass gerade in den neuralgischen Fragen - wie der Kapitalaufbringung und -erhaltung 22 - ein einheitliches Modell fehlt. Die konkrete SE wird unter dem Regime mehrerer Normschichten stehen, die eine „kunstvoll aufgeschichtete Normpyramide aus Gemeinschaftsrecht, mitgliedstaatlichem Nationalrecht und gesellschaftsindividuellem Satzungsrecht" 2 3 bilden. Hieraus erhellt sich der einzigartige Charakter der SE: Die Societas Europaea mit einheitlichen Strukturen gibt es nicht, sondern stets eine eigentümliche Kombination nationaler und supranationaler Regelungen zu bislang unbekannten Gesellschaftsformen. 24 Lutter hat es mit einer assoziationsfrohen Metapher auf den Punkt gebracht: „Jede SE soll ein selbständiges Schiff mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und Farben sein, je nachdem welcher Heimathafen an seinem Schornstein vermerkt ist." 2 5 2. Rekombination

der unternehmerischen

Mitbestimmung

Die chamäleonhafte Vielgestaltigkeit des neuen „Flaggschiffes des europäischen Gesellschaftsrechts" 26 wird potenziert, sobald die unternehmerische Mitbestimmung ins Spiel kommt. Die Richtlinie zur Ergänzung des Statuts hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer verzichtet auf ein einheitliches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung und begnügt sich mit einer Kombination aus Verhandlungslösung (Art. 3 ff.) und nationalstaatlich zu schaffender Auffanglösung (Art. 7). a) Verhandlungslösung Die Richtlinie überlässt, den Vorschlägen der Davignon-Kommission 2 7 folgend, die Mitbestimmung in erster Linie der freien Verhandlung zwischen der Unternehmensführung und einem eigens zu konstituierenden Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer. Nach Art. 3 Abs. 4 der das Verhandlungs-

Vgl. Hommelhoff AG 2001, 279, 284f. Hommelhoff A G 2001, 279, 285. 24 Abeltshauser AG 1990, 289, 295f.; Hauschka A G 1990, 85, 102; Kallmeyer A G 1990, 193, 194; Lutter AG 1990, 413, 415ff.; Trojan-Limmer RIW 1991, 1010, 101 Iff. zum geänderten Vorschlag von 1991. 25 Lutter A G 1990,413,414. 26 Hopt ZIP 1998, 96, 99. 2 7 Abschlussbericht der Sachverständigengruppe „European Systems of Worker Involvement", 1997; vgl. dazu etwa Heinze ZGR 2002, 66, 70ff. 22 23

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea

197

gremium detailliert 28 regelnden Richtlinie werden Gremiumsbeschlüsse grundsätzlich mit absoluter Mehrheit gefasst; eine Zweidrittelmehrheit ist erforderlich, sobald eine „Minderung von Mitbestimmungsrechten" gebilligt wird, der Mitbestimmungsstandard also unter den höchsten der beteiligten Gesellschaften (Art. 3 Abs. 4 Satz 3) sinken soll. Die Hürde der qualifizierten Mehrheit entfällt, wenn die Mitbestimmung vor Gründung der SE nur eine Minderheit der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erfasste. Anknüpfend an die Entstehungstatbestände des Art. 2 der SE-Verordnung unterscheidet die Richtlinie zwischen der Verschmelzungs-SE - hier reicht eine Mitbestimmungsquote von 25 % - und der Holding- und Tochter-SE, bei der sich die Mitbestimmung auf zumindest 50 % der Belegschaften erstreckt haben muss. Strengere Regeln gelten bei der Gründung einer SE durch Umwandlung: U m einer wohlfeilen „Flucht aus der Mitbestimmung" vorzubeugen, verbietet Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie hier jede Absenkung des Mitbestimmungsstandard gegenüber dem status quo ante.29 Das besondere Verhandlungsgremium kann - ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit - gemäß Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie den Abbruch der Verhandlungen beschließen, mit der Konsequenz, dass zwar die Vorschriften des Sitzstaates über die betriebliche Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmern zur Anwendung kommen, nicht jedoch die Auffangregelung des Art. 7 der Richtlinie. Auf der Ebene der Unternehmensmitbestimmung greift dann somit kein Auffangnetz in Form eines Verweises auf das Recht des Sitzstaates, so dass die SE insoweit mitbestimmungsfrei bleibt. 30 Nach diesen Regeln - die auf die Umwandlungs-SE keine Anwendung finden 31 - ist eine Senkung des Mitbestimmungsstandards oder sogar der völlige Verzicht auf die Arbeitnehmerbeteiligung denkbar, wenn es der Unternehmensleitung gelingt, - etwa durch anderweitige Vergünstigungen - zwei Drittel der Arbeitnehmervertreter hierfür einzunehmen. Ist das jeweilige Mindestquorum für den höheren bisherigen Mitbestimmungsstandard nicht erfüllt, bedarf der Verhandlungsabbruch keiner qualifizierten Mehrheit. Verschmilzt etwa eine mitbestimmte deutsche A G mit einer großen spanischen SA zur SE mit Sitz in Deutschland, so gilt das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit nicht, wenn die deutsche AG weniger als 25 % der Gesamtbelegschaft stellt.

28 Vgl. dazu etwa Herfs-Röttgen N Z A 2001, 424, 426 f.; Herfs-Röttgen/Jahn DB 2001, 631, 634ff.; Pluskat DStR 2002,1483,1486f. 29 Zu den Vorbehalten bei der Gründung einer SE durch Umwandlung Herfs-Röttgen N Z A 2001, 424, 426; Pluskat DStR 2001, 1483, 1487; Heinz e A G 1997, 291. 30 Die Auffangsregelung gemäß Art 7 der Richtlinie nebst ihrer Konkretisierung im Anhang greift hier nicht, vgl. Art. 3 Abs. 6, Art. 7 Abs. 1 lit b. SE-RiLi. 31 Vgl. Pluskat DStR 2001,1483,1487.

198

Martin Henssler

b) Auffangregelung Gelingt - ohne dass die Verhandlungen nach Art. 3 Abs. 6 abgebrochen wurden - innerhalb des von Art. 5 bestimmten Zeitraums keine Einigung, so sieht Art. 7 SE-RiLi das Eingreifen der nationalstaatlich zu schaffenden Auffangregelung des jeweiligen Sitzstaates vor. Das gleiche gilt, wenn sich die Parteien unmittelbar auf die Geltung der Auffangregel verständigen. Inhaltliche Vorgaben für die einzelstaatlichen Vorschriften finden sich im Anhang der Richtlinie; die Anforderungen an die Regelung der Mitbestimmung sind in Teil 3 des Anhangs niedergelegt. Die Anwendbarkeit der Auffangregeln über die Mitbestimmung folgt der bekannten Abstufung: Anzuwenden ist sie, wenn sich die Mitbestimmung bei einer Verschmelzungskonstellation zuvor auf mindestens 25 % der Belegschaft erstreckt hatte, bei der Holding- und Tochter-SE erhöht sich das Quorum auf 50%. 32 Werden die Schwellenwerte nicht erreicht, so ist die Auffangregelung bei einem entsprechenden Entschluss des Verhandlungsgremiums gleichwohl anwendbar. 33 Bestanden unterschiedliche Formen der Mitbestimmung, so entscheidet das besondere Verhandlungsgremium, welche Beteiligungsform auf die SE Anwendung finden soll; die Mitgliedstaaten können Regeln für den Fall erlassen, dass ein solcher Beschluss unterbleibt. Wird eine deutsche paritätisch mitbestimmte AG mit einer englischen PLC zu einer SE mit Sitz in England verschmolzen, so greift folglich die englische Auffangregelung, sofern der Anteil der deutschen Belegschaft über 25 % lag. Die englische Auffangregelung müsste gem. Teil 3 des Anhangs so ausgestaltet sein, dass sie den deutschen Mitbestimmungsstandard wahrt und auf das eventuell gewählte Board-System überträgt. Unbefriedigend ist, dass die einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, für den Fall der Verschmelzung ganz auf die Auffangregelung zu verzichten, mit der Folge, dass eine SE überhaupt nicht eingetragen werden kann. 34 Das kann zu einer wenig integrationsfreundlichen Blockade für SE unter deutscher Beteiligung führen.

3.

Optionsmodell

Die Vielzahl der denkbaren Kombinationen nationaler und supranationaler, gesellschaftsrechtlicher und mitbestimmungsrechtlicher Lösungen ist schon nach diesem Modell kaum überschaubar. Gleichwohl kann es noch zu einer weiteren Komplikation kommen, da die Verordnung die freie Wahl zwischen einer monistischen oder dualistischen Organisation der SE eröffnet [vgl. Art. 38 lit. b) der Verordnung]. Eine SE, die ihren Sitz in

32 33 34

Vgl. A r t . 7 Abs. 2 lit a)-c). Art. 7 Abs. 2 lit. b - c , jeweils 2. Spiegelstrich. Vgl. dazu Erwägungsgrund 9 der Richtlinie.

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea

199

Deutschland nimmt, könnte danach für ein Board-System optieren, und zwar selbst dann, wenn in der zu gründenden SE qua Vereinbarung oder aufgrund der nationalen Auffangregelung Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer zu wahren sind. 35 Parallel zur Verordnung erlaubt auch die Richtlinie eine monistische oder dualistische Führungsstruktur, an der die Arbeitnehmer jeweils zu beteiligen sind. 36 So werden im Text von Richtlinie und Anhang stets alternativ „Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan" genannt. 37 Vergleichbare Probleme ergeben sich bei einer Verschmelzung auf eine SE mit Sitz in einem ausländischen Mitgliedstaat, wenn dieser Staat das BoardSystem schon bislang kennt und dieses auch in der konkreten Fallgestaltung der SE-Binnenorganisation zugrunde gelegt wird. Der EU-Mitgliedstaat muss dann über seine Auffangregelung die deutsche Mitbestimmung in das Board-System integrieren.

4. Flucht aus der

Unternehmensmitbestimmung?

Ad acta legen sollten die deutschen Arbeitnehmer die Sorge, über die europäische Aktiengesellschaft könne es zu einer verstärkten Flucht aus der deutschen Unternehmensmitbestimmung kommen. 3 8 Die Fluchtmöglichkeiten gehen nicht über den Gestaltungsfreiraum hinaus, der schon derzeit bei einer Fusion mit einer ausländischen Gesellschaft und anschließender Sitzwahl im Ausland bestand. Aus dem Umstand, dass die in § 1 Abs. 1 MitbestG genannten Rechtsformen solche des deutschen Rechts sind, folgt derzeit, dass Unternehmen mit Sitz im Ausland nicht unter das MitbestG fallen. Unterhält ein ausländisches Unternehmen Betriebe in Deutschland, so bleibt dies mitbestimmungsrechtlich bedeutungslos. 39 Geht man als Folge der Ceniros-Entscheidung 4 0 des E u G H davon aus, dass es die in Art. 43 E G V garantierte Niederlassungsfreiheit gebietet, eine inländische Niederlassung auch dann anzuerkennen, wenn das Unternehmen im Gründungsstaat gar keine Tätigkeit entfaltet, so könnte die deutsche Unternehmensmitbestimmung sogar durch rein formale Gründung im Ausland umsteuert werden. 4 1 Nach dem Recht der SE k o m m t eine Flucht aus der Mitbestimmung über eine

35

Hommelhoff A G 2001,279,282. Heime Z G R 2002, 66, 84 f. 37 Art. 4 Abs. 2 lit. g); Art. 7 Abs. 2 lit. g); Anh. Teil 3 lit. a) u. b). 38 Dazu auch Heime Z G R 2002, 66, 69 f. 39 Umgekehrt sollen gemäß der im Schrifttum überwiegend vertretenen Meinung die in ausländischen Betrieben deutscher Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer nicht bei der Berechnung des erforderlichen Quorums mitzuzählen sein (zum Ganzen vgl. Raiser MitbestG, 3. Aufl. 1998, § 1, Rn. 19ff.). 40 E u G H N J W 1999,2027. 41 Vgl. dazu die Vorlage des B G H DB 2000, 1114. 36

200

Martin Henssler

Verschmelzung auf eine im Ausland ansässige SE dagegen nur in Betracht, wenn in den beteiligten deutschen Unternehmen weniger als 25 % der Belegschaftsmitglieder der neuen Gesellschaft beschäftigt waren.

III. Mitbestimmung im Board-System? 1. Legislatorischer

Handlungsbedarf

In den Mitgliedsstaaten wird es mithin zu bunten Konglomeraten aus den heimischen aktienrechtlichen Vorschriften, den verschiedenen Mitbestimmungsmodellen und der heimischen Rechtskultur unbekannten Organisationsstrukturen kommen. Ein Ausschluss der Wahl des monistischen Systems verstieße gegen die Vorgaben der Verordnung. 42 Der deutsche Gesetzgeber kann daher nicht umhin, die Funktionsfähigkeit der Mitbestimmung auch für den Fall zu gewährleisten, dass eine SE mit Sitz in Deutschland für ein OneTier-System optiert. Die Schwierigkeiten liegen auf der Hand: Das in Deutschland praktizierte System der beim Aufsichtsrat angesiedelten Mitbestimmung ist fest in der Zweiteilung von Geschäftsführungs- und Kontrollorgan verwurzelt. Die Assoziation der Zusammengehörigkeit von deutsch geprägter, paritätischer Mitbestimmung und dualistischem System geht soweit, dass in Frankreich Vorbehalte gegen die Option eines dualistischen Systems allein wegen der Besorgnis bestanden, man würde damit gleichsam die Verpflichtung zu verstärkter Mitbestimmung auf sich nehmen. 43 2. Board-System

versus dualistische

Unternehmensverfassung

Der Vergleich der beiden Organisationsstrukturen, die Gegenüberstellung der jeweiligen Vorzüge und Nachteile ist traditioneller Bestandteil der Diskussion rund um die Corporate Governance. 4 4 Kein System, so lässt sich als Zwischenbilanz der bisherigen Diskussion festhalten, ist dem anderen gene-

Hommelhoff A G 2001, 279, 282. Eine solche Ermächtigung war in den geänderten Vorschlägen der Kommission von 1991 noch enthalten, vgl. dazu die Stellungnahme des Bundesrates in BT-Drucks. 488/89 Ziff. III. 5.; Trojan-Limmer RIW 1991, 1010, 1016. 43 Guyon Festschrift für Lutter, 2000, S. 83, 85. 44 Wiedemann Gesellschaftsrecht, Band I, 1980, S. 341 ff.; Mertens in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl. 1996, Vorb. § 95 Rn. 3; Bleicher/Paul Das amerikanische BoardSystem im Vergleich zur deutschen Vorstands-/Aufsichtsratsverfassung - Stand und Entwicklungstendenzen DBW 1986, 263 ff.; Bleicher/Lerberl/Paul Unternehmensverfassung und Spitzenorganisation, 1989; Hopt Z G R 2000, 779, 783 ff.; Β errar Die Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland im internationalen Vergleich, 2001, S. 202. 42

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea

201

rell überlegen. 45 Jedoch kann sich eines der Systeme für die konkreten Anforderungen eines Unternehmens als besser geeignet erweisen. Jüngste Vorfälle wie die Enron-Pleite oder auch Fehlentwicklungen in deutschen PublikumsAGs zeigen, dass die im angelsächsischen Rechtskreis häufig gestellte Frage, ob ein Mehr an Kontrolle überhaupt wünschenswert sei, ob nicht die Innovationskraft der Unternehmen hierunter unerträglich zu leiden habe, 46 sich selbst beantwortet. Eine effektivere Kontrolle ist unverzichtbar, es kann aus deutscher Sicht nur darum gehen, sie in unserem dichotomen Modell zu effektuieren und dabei zu berücksichtigen, dass ein Übermaß an Kontrolle zu Lasten der Innovationskraft gehen muss. 47 Eine Lösung, die - wie das französische Recht schon seit der Gesellschaftsrechtsreform des Jahres 1966 48 - den Unternehmen die Wahl zwischen beiden Systemen ermöglicht, erscheint damit als legislatorisches Optimum. Immer wieder ist der Ruf laut geworden, auch Deutschland solle den Aktiengesellschaften eine solche Wahlmöglichkeit einräumen. 49 Eingewandt wurde gegen das Optionsmodell stets, dass - gerade wegen des deutschen Mitbestimmungsansatzes - ein unverhältnismäßiger Regulierungsaufwand zu treiben wäre. 50 Lutter bezeichnet gar die Koordination von am Kontrollorgan ansetzendem Mitbestimmungsmodell und Board-System als schlechthin unmöglich, da die unmittelbare Mitbestimmung im Verwaltungsorgan gegenüber der Beteiligung am Aufsichtsrat ein aliud darstelle. 51 Richtig daran ist, dass jeder Versuch, eine Mitbestimmung auf der Ebene des Verwaltungsorgans zu realisieren, zu einer Wesensänderung der Mitbestimmungsmechanismen führen muss. Richtig ist auch, dass die dualistische Konzeption die erforderliche klare Abgrenzung der Aufgaben- und Verantwortungsbereiche, wie sie gerade für die paritätische Unternehmensmitbestimmung notwendig ist, besser gewährleistet als ein monistisches System. Es erscheint 45

Baums (Hrsg.) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, S. 63 f., Rn. 18; Dreher in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider (Hrsg.) Corporate Governance, 1996, S. 33, 59; Berrar Die Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland im internationalen Vergleich, 2001, S. 202; kritisch gegenüber dem deutschen System aus der Sicht des Auslandes etwa Chef fins Company Law, 1997, S. 62 Iff.; Edwards/Fischer in: Dimsdale/Prevezer (eds.) Capital Markets und Corporate Governance, S. 257ff., 279f. 46 Chef fins Company Law, 1997, S. 621 ff. 47 Corporate Governance and American Competitiveness March 1990: Statement of the Business Roundtable 46 Bus. Lawyer 241, 243 f. 48 Nun geregelt in Artt. L 2 2 5 - 1 7 f f . bzw. L 227-57ff. Code de commerce; vgl. etwa Guyon Festschrift für Lutter, 2000, S. 83, 84 f. 49 Von Rosen A G 2000 R 3; Hopt Z G R 2000, 779, 815; eine gewisse Sympathie für ein Optionsmodell lässt auch Baums Generalbericht auf dem Gemeinschaftssymposion von ZGR und ZHR am 1 9 . 1 0 . 2 0 0 1 in Frankfurt, S. 5 erkennen. 50 Baums (Hrsg.) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, S. 63 f., Rn. 18; Baums Generalbericht auf dem Gemeinschaftssymposion von ZGR und ZHR am 1 9 . 1 0 . 2 0 0 1 in Frankfurt, S. 5. 51 Lutter ZHR 159 (1995) 287, 297; ders. Z G R 2000, 1, 17.

202

Martin Henssler

indes nicht von vornherein unmöglich, die Mitbestimmung im Verwaltungsrat derart auszugestalten, dass sie funktionell der Mitbestimmung im Kontrollorgan zumindest ähnelt. 52 Hier liegt gerade die reizvolle Herausforderung, welche sich dem Arbeits- und Gesellschaftsrechtler stellt. Kann sich der Gesetzgeber ohnehin einer Regulierung der Mitbestimmung in einer monistischen SE nicht verweigern, so drängt sich außerdem eine generelle gesellschaftsrechtliche Neuregelung in F o r m eines Optionsmodells geradezu auf. Wegen der weitreichenden Auswirkungen f ü r die Beurteilung der Leitungsstrukturen auf nationaler Ebene wird die Reaktion des Gesetzgebers mit großer Spannung erwartet. 53

3. Funktion der deutschen paritätischen

Mitbestimmung

Das deutsche Modell der Unternehmensmitbestimmung knüpft mit gutem Grund nicht am Geschäftsführungsgremium, sondern an einem Kontrollgremium an. Diese A n k n ü p f u n g ist zwingende Folge der Funktion der Mitbestimmung, die sich durch die Leistung der Arbeitnehmer f ü r das Unternehmen legitimiert. Die berechtigten Belegschaftsinteressen, welche die Mitbestimmung verwirklichen sollen, richten sich gerade nicht auf die aktive Mitgestaltung der Unternehmenspolitik, sondern auf die Verhinderung von Fehlentscheidungen, welche die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer und ihre Lohnansprüche gefährden. Schon die Frage der Lohnpolitik ist keine originäre Aufgabe der Mitbestimmung, sondern über andere Schutzinstrumente, primär die Tarifautonomie und in Bezug auf die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit über die Betriebsverfassung (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) zu realisieren. Dass die Arbeitnehmer keinen unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftsführung haben können, ergibt sich aus dem Umstand, dass sie selbst als Vertragspartner in einem durch gegenläufige Interessen geprägten Austauschverhältnis mit dem Unternehmen stehen. Die Beteiligung der Arbeitnehmerseite auf der Managementebene wäre ein verfassungsrechtlich unzulässiger Eingriff in die durch Art. 12, 14 G G geschützte unternehmerische Entscheidungsfreiheit. 54 Die Auflösung der notwendigen Distanz zum Arbeitgeber würde den Arbeitnehmervertretern eine Verantwortung aufbürden, die sie weder schultern können noch wollen. So wie jeder Vorstand einer A G (§ 93 Abs. 2 S. 1 A k t G ) f ü r unternehmerische Fehlentscheidungen

52 Vgl. Berrar Die Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland im internationalen Vergleich, 2001, S. 203; Wunsch-Semmler Entwicklungslinien einer europäischen Arbeitnehmermitwirkung, 1995, S. 77f.; Abeltshauser Strukturalternativen für eine europäische Unternehmensverfassung, 1990, 26 f. zur Strukturrichtlinie. 53 Heinze Z G R 2002, 66, 84 f.; Hommelhoff A G 2001,279, 282. 54 Dazu Henssler Otto-Brenner-Stiftung (Hrsg.), Reform der Betriebsverfassung und Unternehmerfreiheit, S. 33 ff.

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea

203

grundsätzlich haftet, 55 müsste konsequenterweise auch der Arbeitnehmervertreter in die unternehmerische Mitverantwortung genommen werden, wenn Fehlentscheidungen darauf zurückzuführen sind, dass sich die Unternehmensleitung mit ihren sachgerechten Plänen gegenüber dem Betriebsrat nicht durchsetzen konnte. Rechtsprechung 56 und gesellschaftsrechtliches Schrifttum 57 betonen für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite, dass diese in mitbestimmten Aufsichtsräten den gleichen Haftungsrisiken unterworfen sind wie die Anteilseignervertreter. Paritätische Mitbestimmung im Sinne der deutschen Mitbestimmungsidee bedeutet damit „Parität in der Kontrolle". Die Ausrichtung auf Beteiligung in einem Kontrollgremium ist der Unternehmensmitbestimmung wesensimmanent. Eine Beteiligung an der Geschäftsführung liegt dagegen jenseits ihrer Zielsetzung. Gemäß § 33 MitbestG ist in das Vertretungsorgan eines mitbestimmten Unternehmens zwar ein Arbeitsdirektor als gleichberechtigtes Mitglied zu berufen. Anders als im Bereich des Montan-MitbestG (vgl. § 13), können die Arbeitnehmervertreter ihren Wunschkandidaten jedoch nicht durchsetzen. Vielmehr greift bei der Bestellung des Arbeitsdirektors ebenfalls das Zweitstimmrecht des von den Anteilseignervertretern gestellten Aufsichtsratsvorsitzenden (§ 29 Abs. 2 Satz 1 MitbestG). Für die KGaA wird aufgrund ihrer personalistischen Struktur gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 MitbestG auf den Arbeitsdirektor sogar ganz verzichtet. 4. Mitbestimmte

monistische

Systeme

in Europa

Die These, Beteiligung in Verwaltungsrat und Mitbestimmung im Aufsichtsrat seien dem Grunde nach wesensverschieden, findet ihre Bestätigung im Vergleich mit den anderen europäischen Rechtsordnungen. Die europäische Mitbestimmungslandschaft bietet ein buntes Bild: Mitbestimmung im Kontrollorgan, Mitbestimmung im Leitungsorgan, akribische gesetzliche

55 Der BGH hat in seiner ARAG/Garraenbeck-Entscheidung (BGH A G 1997, 377; kritisch Dreher JZ 1997, 1074; Horn ZIP 1997, 1129, 1135) eine recht strenge Überwachungsund Prüfungspflicht einschließlich einer Verpflichtung zu einer sorgfältigen Prozesskostenanalyse entwickelt. 56 In seiner „Hertie"-Entscheidung hat der BGH (BGHZ 85, 293, 295) formuliert: „[...] ist vorausgesetzt, dass ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können [...] Das gilt für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer und der Anteilseigner in gleicherweise [...]". 57 Vgl. Hoffmann-Becking in: MünchHdb AG, § 33, Rn. 46; Hommelhoff ZGR 1983, 551, 573; Hanau/Ulmer MitbestG, 1981, § 25, Rn. 118; Schwark Festschrift für Werner, 1984, S. 841, 850; H ü f f e r AktG, § 116, Rn. 3; einschränkend Henssler Festschrift BGH, 2000, S. 387, 414 ff.

204

Martin Henssler

Regulierung bis hin zu völliger gesetzgeberischer Abstinenz. 5 8 Die paritätische Mitbestimmung deutscher Prägung bleibt ein Unikat. 5 9 Die Implementierung von Mitbestimmung in ein Leitungsorgan steht vor der Aufgabe zu verhindern, dass operative Entscheidungsprozesse verlangsamt und die Gesellschaft in der Folge in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt wird. 60 O b der Gedanke der Parität angesichts dieser Prämisse überhaupt sinnvoll auf ein Geschäftsführungsorgan übertragen werden kann, bleibt diskussionswürdig. Die Mitbestimmungsmodelle jedenfalls, die in anderen Mitgliedstaaten unterhalb der Paritätsschwelle praktiziert werden, sind mit der paritätischen Beteiligung im Aufsichtsrat funktionell nicht zu vergleichen. Dies zeigt der Blick nach Frankreich, wo den Aktiengesellschaften die Wahl zwischen einer einstufigen oder einer dualistischen Führungsstruktur offensteht. Den Regelfall bildet dort die Entscheidung für ein einheitliches Verwaltungsorgan, allerdings sind es bezeichnenderweise zumeist große Unternehmen, die eine Zweiteilung präferieren. 61 Auf die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter wirkt sich die konkrete Option indes nicht aus. J e nachdem, für welches System die Gesellschaft optiert, werden die Arbeitnehmervertreter entweder in den conseil d'administration oder in den conseil de surveillance entsandt. Das französische Recht wertet demnach die Beteiligung in Verwaltungs- oder Kontrollorgan gleich und trifft auch bei der Anzahl der entsandten Arbeitnehmervertreter keine Unterscheidung. Verständlich ist diese Indifferenz nur vor dem Hintergrund, dass die französische Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in den Leitungsorganen der Gesellschaft von vorneherein nicht als gleichberechtigte Mitbestimmung angelegt ist. Die Beteiligung der Arbeitnehmer wird in Frankreich vornehmlich durch ein ausdifferenziertes System auf betrieblicher Ebene verwirklicht, in dessen Mittelpunkt das comité d'entreprise, der „Unternehmensausschuss" steht. 62 In den Leitungsorganen der Gesellschaft bleibt die Rechtsstellung der 58 Vgl. etwa den griffigen Uberblick bei Figge Mitbestimmung auf Unternehmensebene in Vorschlägen der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 74 ff. 59 Beachte aber das ebenfalls bei dem Aufsichtsorgan ansetzende Kooptationssystem für „große" Kapitalgesellschaften in den Niederlanden, das bisweilen als „faktisch paritätisch" {Hoffmann/Lehmann/Weinmann MitBestG, 1978, Einl. Rn. 104) oder als „quasiparitätisch" {Hanau/Ulmer MitBestG, 1981, Einl. Rn. 64 ) bezeichnet wird. Beachte hierzu insbesondere die Änderungsvorschläge des Sociaal-Economische Raad (Sociaal-Economische Raad, Het functioneren en de toekomst van de structuurregeling, Den Haag, 2001): An der Strukturregelung als solcher, d. h. an dem dualistischen System für Großunternehmen soll festgehalten werden, die Kooptation jedoch reformiert werden. Vgl. dazu etwa Geck Mitbestimmung durch Kooptation, 1996. 60 Hommelhoff A G 2001, 279, 282. 61 Guyon Festschrift für Lutter, 2000, S. 83, 85. 62 Körner Formen der Arbeitnehmermitwirkung - Das französische Comité d'entreprise, 1999, passim·, dies. N Z A 2001, 429, 430ff.; vgl. auch Kolvenbach Workers Participation in Europe, 1977, S. 29; Figge Mitbestimmung auf Unternehmensebene in Vorschlägen der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 83.

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea

205

Arbeitnehmervertreter dagegen schwach. Eine zwingend vorgeschriebene „Mitbestimmung" findet sich lediglich in Art. L 432-6 des Code du travail, wonach zwei Mitglieder des comité d'entreprise mit nur „beratender Stimme" („voix consultative") an den Sitzungen des Verwaltungsrates oder des Aufsichtsrates teilnehmen. 63 Uber diese letztlich auf die Rolle passiver Beobachtung beschränkte Mitbestimmung hinaus kennt das französische Recht (neben der strukturell anders gelagerten Regelung über die Beteiligung von Arbeitnehmern als Anteilseignern, Art. L 225-23 bzw. Art. L 225-71 Code de commerce) ohnehin nur eine optional statutarisch auszugestaltende Arbeitnehmerbeteiligung, vgl. Art. L 225-27 bzw. Art. L 225-79 Code de commerce; selbst bei dieser freiwilligen Form der Mitbestimmung limitiert das Gesetz die Anzahl der Arbeitnehmervertreter weit unterhalb der Schwelle reeller Einflussnahmemöglichkeit sowohl im conseil d'administration (vgl. Art. L 225-27) als auch im conseil de surveillance (vgl. Art. L 225-79 Code de Commerce) auf höchstens ein Drittel der Anzahl der übrigen Mitglieder des jeweiligen Organs. Auch in Luxemburg sind die Aktiengesellschaften in einem One-TierSystem verfasst. Die Organisationsstruktur der Luxemburger SA kennt zusätzlich zum Verwaltungsrat das collège de commissaires aux comptes, einen Rechnungsprüfungsausschuss. Da dieser Ausschuss als Kontrollorgan fungiert, wird er in der deutschen Literatur mit dem Aufsichtsrat verglichen, die französische Bezeichnung sogar mitunter als „Aufsichtsrat" übersetzt. 64 Das Gesetz vom 6. Mai 1974 führte eine Arbeitnehmermitbestimmung sowohl auf Ebene des Verwaltungsrates als auch auf Ebene des Rechnungsprüfungsausschusses ein,65 so dass auch in Luxemburg die Mitbestimmung im Verwaltungsorgan stattfindet. 66 Parität nach deutschem Vorbild kennt Luxemburg freilich nicht. Die Arbeitnehmervertreter stellen gemäß Art. 22 des Gesetzes ein Drittel der Verwaltungsratsmitglieder. 67 Immerhin aber sind die Arbeitnehmervertreter den übrigen Angehörigen des Verwaltungsrates 63 Vgl. auch Figge Mitbestimmung auf Unternehmensebene in Vorschlägen der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 83; Klinkhammer/Welslau Mitbestimmung in Deutschland und Europa, 1995, Rn. 479. 64 Hohloch/Schultheiß in: Hohloch (Hrsg.) EU-Handbuch Gesellschaftsrecht, Luxemburg, Rn. 219 ff. 65 Loi du 6 Mai 1974: Mémorial du Grand-Duché de Luxembourg, Series A, 10 Mai 1974, S. 620. Die Beteiligung am Rechnungsprüfungsausschuss wird durch die Entsendung eines unabhängigen Prüfers, der vom Verwaltungsrat einstimmig gewählt werden muss, durchgeführt, vgl. Figge Mitbestimmung auf Unternehmensebene in Vorschlägen der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 79. 66 FigS e Mitbestimmung auf Unternehmensebene in Vorschlägen der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 78. 67 Dazu auch Klinkhammer/Welslau Mitbestimmung in Deutschland und Europa, 1995, Rn. 4632 f.; Schintgen Jura Europae, Arbeitsrecht Band II, Luxemburg, Abschn. 50.50 Anm. 66.

206

Martin Henssler

rechtlich gemäß Art. 9 weitestgehend gleichgestellt68 und nur in der Haftung privilegiert.69 Die Scheu vor einer Teilhabe ohne Mitverantwortung, zu der die umfassende Rechtsposition unmittelbar im Leitungsorgan führt, wurde in Luxemburg also überwunden. Eine ähnliche Regelung, die ebenfalls eine rechtlich gleichberechtigte Arbeitnehmerbeteiligung zu einem Drittel im board of directors vorsieht, ist 1977 in Irland eingeführt worden.70 Es liegt auf der Hand, dass derartige Systeme nicht minder große Schwierigkeiten bei der Integration des deutschen Modells paritätischer Mitbestimmung haben werden als das deutsche Recht, selbst wenn im jeweiligen Gesellschaftsrecht die monistische Unternehmensverfassung seit jeher praktiziert wird. Die schwierige Aufgabe der Anpassung ist keineswegs dem deutschen Gesetzgeber vorbehalten: Eine SE, die - etwa aus der Umwandlung einer deutschen mitbestimmten AG entstanden - für die monistische Leitungsstruktur optiert, kann theoretisch in jedem Mitgliedstaat ihren Sitz nehmen.71 Auch Staaten, in denen das Board-System praktiziert wird, werden mit der Aufgabe konfrontiert, dieses System mit einem paritätischen Mitbestimmungsstandard zu versöhnen. Als einzige Hintertür bleibt Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie: Die für Spanien geschaffene Fluchtmöglichkeit72 entlässt die Mitgliedstaaten aus der Pflicht, für eine durch Fusion gegründete SE eine Auffangregelung für die Mitbestimmung zu schaffen - mit der Folge, dass eine SE, die zu keiner Verhandlungslösung gelangt ist, im betreffenden Mitgliedstaat nicht eingetragen werden könnte (Art. 12 Abs. 3 der Verordnung). 5. Das monistische System der SE-VerOrdnung Die Verordnung zwingt den nationalen Gesetzgeber zwar zur Einführung eines einheitlichen Verwaltungsorgans, lässt ihm aber zugleich einen weiten Spielraum bei der Ausgestaltung dieses Gremiums. Insbesondere kann der nationale Gesetzgeber eine nur für die SE geltende Regelung verabschieden, wenn das monistische System bislang unbekannt war. Zwingend ist für eine mitbestimmte SE lediglich, dass das Verwaltungsorgan aus mindestens drei Mitgliedern bestehen (Art. 43 Abs. 2 SE-VO) und dass zum Vorsitzenden 68 Schintgen in: Blanpain (Hrsg.), International Encyclopedia for Labour L a w and Industrial Relations, Vol. 8, Luxemburg, Rn. 486. 69 Schintgen in: Blanpain (Hrsg.), International Encyclopedia for Labour L a w and Industrial Relations, Vol. 8, Luxemburg, Rn. 486; ders. in: Jura Europae, Arbeitsrecht Band II, Luxemburg, Abschn. 50.50 Anm. 74. 70 71

Worker Participation A c t 1977. Vgl. auch Wiesner Z I P 2001, 397, 398.

72 Spanien fürchtete stets, die Verpflichtung zur Schaffung einer Auffangregelung hätte auch D r u c k in Richtung einer nationalen Mitbestimmungsregelung zur Folge gehabt, vgl. nur Herfs-Röttgen N Z A 2001, 424, 428.

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea

207

nur ein von den Aktionären bestelltes Mitglied gewählt werden darf (Art. 45 SE-VO). Von großer praktischer Relevanz dürfte ferner sein, dass alle Mitglieder des Verwaltungsgremiums zu allen diesem Organ übermittelten Informationen, faktisch also zu allen die Geschäftsführung betreffenden Fragen, Zugang haben (Art. 44 Abs. 2 SE-VO). Die Rechtsposition der Arbeitnehmervertreter geht in einem monistischen System damit über diejenige nach § 111 Abs. 2 AktG hinaus. Im übrigen ist es den nationalen Gesetzgebungsinstanzen freigestellt, welche Aufgaben sie den einzelnen Organmitgliedern zuweisen. Etwas überraschend spricht die Verordnung von der Möglichkeit, dass die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungsorgans von den Arbeitnehmern bestellt werden könnte (Art. 45). Dies liest sich, als hätte der Verabschiedung der Regelung die Vorstellung zugrunde gelegen, bei Übertragung der deutschen Unternehmensmitbestimmung auf die SE müsse das unitäre Verwaltungsorgan zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden. Die Vorstellung eines in Executive und Non-Executive Directors aufgeteilten Gremiums, bei dem nur die mit Kontrollaufgaben versehenen Mitglieder paritätisch von den Arbeitnehmern bestellt werden, wäre mit einem solchen Konzept nicht zu vereinbaren. Letztlich will Art. 45 SE-VO indes nur das Ubergewicht der Anteilseignerseite sicherstellen. Auch wenn der Chairman des Board nicht notwendig zugleich Chief Executive Officer sein muss,73 im angelsächsischen Schrifttum vielmehr anlässlich der aktuellen Corporate Governance Debatte z.T. ausdrücklich eine Trennung gefordert wird, 74 so kommt dem Vorsitzenden doch in allen großen Gesellschaften, die für eine Unternehmensmitbestimmung relevant sind, eine ausgesprochen starke Stellung zu. 75 Diese zentrale Machtposition soll nach der Verordnung in jedem Fall nur ein Anteilseignervertreter übernehmen können. Art. 45 S. 2 SE-VO, der im übrigen strenger ist als die Regelung in § 27 Abs. 2 Satz 2 MitbestG, 76 spricht daher nicht zwingend für eine paritätische Besetzung des Verwaltungsorgans bei einer nach deutschem Mitbestimmungsrecht verfassten SE.

Zu der früher üblichen Verbindung beider Ämter G. Mills On the Board, 1985, S. 113. Dazu Smerdon A Practical Guide to Corporate Governance, 1998, S. 28 f. 75 Dazu Cheffins Company Law, 1997, S. 609 f. 76 Nach dieser Vorschrift kann theoretisch auch ein Arbeitnehmervertreter zum Vorsitzenden gewählt werden, wenn die Anteilseignervertreter dies beschließen. 73 74

208

Martin Henssler

IV. Elemente eines Mitbestimmungsmodells für ein Board-System 1. Notwendigkeit

und Realisierbarkeit

der

Aufgabentrennung

A u f ein monistisches Verwaltungsgremium lässt sich die Mitbestimmung nach diesen Vorüberlegungen nur übertragen, wenn es dort zu einer Spaltung der Aufgaben im Sinne einer dualistischen Struktur des einheitlichen G r e miums k o m m t . D i e Möglichkeit zu einer derartigen Aufgabenteilung ist in Art. 43 Abs. 1 S E - V O , der den R a h m e n des gesetzgeberischen Spielraums vorgibt, angelegt und wird in Erwägungsgrund 14 der S E - V O offenbar auch ausdrücklich vorausgesetzt: „Die Wahl des Systems bleibt der S E überlassen, jedoch ist eine klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche jener Personen, denen die Geschäftsleitung obliegt, und der Personen, die mit der Aufsicht betraut sind, wünschenswert". Ein solcher Lösungsansatz kann sich auf zwei Entwicklungslinien berufen: Z u m einen ist die Trennung von Geschäftsführung und Kontrolle dem B o a r d - S y s t e m durchaus

geläufig;

unter dem Stichwort der Konvergenz der Systeme ist in der jüngeren Vergangenheit immer wieder die Tendenz angesprochen worden, durch eine Aufgabenteilung im B o a r d interne Kontrollmechanismen zu schaffen, die funktionell einer Spaltung in Vorstand und Aufsichtsrat stark ähneln. 7 7 I m angelsächsischen Rechtskreis wird über die Rolle von N o n - E x e c u t i v e D i r e c tors unter dem Blickwinkel der C o r p o r a t e Governance Diskussion sogar intensiv nachgedacht. D o r t haben verschiedene

Sachverständigengremien

Vorschläge zur R e f o r m des Board-Systems unterbreitet und etwa gefordert, dass jedem Verwaltungsgremium mindestens 1/3 N o n - E x e c u t i v e Directors angehören sollten, deren Unabhängigkeit in besonderer Weise sicherzustellen sei. 78 Ein durch eine strikte Aufgabentrennung geprägtes B o a r d - System könnte sogar die Stärken beider K o n z e p t e miteinander verbinden: F ü r das dualistische System spricht grundsätzlich, dass die strukturelle Trennung

von

Geschäftsführung und Kontrolle die Effizienz der Ü b e r w a c h u n g erhöht und die Unabhängigkeit der Kontrolleure sichert. 7 9 In einem einstufigen System können aufgrund der engen persönlichen Abhängigkeit der

Gremiums-

77 Siehe etwa nur Hopt ZGR 2000, 779, 783 ff.; T. Raiser Festschrift für E. Steindorff, 1990, S.201, 208 ff.; Barthelmess Der Aufsichtsrat im Spiegel des „Monitoring Model", 1987, S. 41 ff.; zuletzt ausführlich Davies ZGR 2001, 268 ff., der das Aufkommen des „monitoring board" in Großbritannien beschreibt, zugleich aber auch die Grenzen der Ubereinstimmungen aufzeigt. 78 Vgl. zum „Cadbury Report" (Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance, London 1992) aus dem Jahre 1992 und zum Report des „HampelCommittee" aus dem Jahre 1996 Smerdon A Practical Guide to Corporate Governance, 1998, S. 52ff.; Davies ZGR 2001, 268, 269f.; Cheffins Company Law, 1997, S. 602ff. 79 Cheffins Company Law, 1997, S. 602 ff.

Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea

209

mitglieder vielfältige Mechanismen greifen, die rein tatsächlich einer wirkungsvollen und strengen Kontrolle entgegenwirken. Umgekehrt wird der Informationsfluß in einem monistischen System meist besser sein, wie sich überhaupt die größere Intensität der Zusammenarbeit und die höhere Frequenz der Gremiensitzungen auch positiv auswirken kann. Gelingt die Aufgabentrennung und daran anknüpfend die Integration der Mitbestimmung in das Board, so kann sich dieses Modell für die Arbeitnehmervertreter sogar als besonders attraktiv erweisen, weil auch sie von der größeren Nähe zu den unternehmerischen Entscheidungsträgern und dem verbesserten Informationsfluß profitieren (vgl. Art 44 Abs. 2 S E - V O ) . U m die materielle Aufgabenteilung im Board als Ansatzpunkt der Mitbestimmung zu nutzen, kann zum anderen auf die Vorarbeiten zurückgegriffen werden, die im Rahmen der Diskussion um die Strukturrichtlinie geleistet wurden. 80 Hier wurde bereits der Versuch unternommen, durch die Auftrennung des Verwaltungsrats in geschäftsführende und nichtgeschäftsführende Mitglieder eine funktionale Gleichwertigkeit zum Aufsichtsratssystem herzustellen, um die Mitbestimmung im Board zu ermöglichen. 81 In Art. 21d Abs. 1 des Richtlinienvorschlages fand sich die Regelung, dass die nichtgeschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsorgans bis maximal zu einem Anteil von 50 % von den Arbeitnehmern bestellt werden könnten. Nach Abs. 2 der vorgeschlagenen N o r m hätte die nationale Umsetzungsvorschrift jedoch sicherstellen müssen, dass auch bei hälftiger Arbeitnehmerbeteiligung die Letztentscheidungskompetenz bei den Anteilseignervertretern verblieben wäre. 2. Eckdaten eines mitbestimmten

boards

Ein in sich geschlossenes Konzept einer paritätischen Mitbestimmung in einem einheitlichen Verwaltungsorgan lässt sich vorliegend angesichts der - infolge der Vielzahl der Gratulanten - verständlicherweise engen Umfangsbegrenzung nicht entwickeln. Jedoch lassen sich einige Eckdaten für ein mitbestimmtes Verwaltungsorgan festhalten: 1. Die paritätische Mitbestimmung kann - weil mit der Kontrollfunktion verbunden - nicht unmittelbar auf die Mitglieder eines Verwaltungsgremiums übertragen werden. Sie zielt auf „Parität in der Kontrolle", nicht dagegen auf Parität in der Geschäftsführung. 80 Vgl. insbes. Art. 21 a und 21 d des Geänderten Vorschlags einer fünften Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse ihrer Organe v. 1 9 . 8 . 1 9 8 3 , Abi. C 131 v. 1 3 . 1 2 . 1 9 8 3 , S. 16f. 81 Vgl. dazu Erwägungsgrund 7 des geänderten Richtlinienvorschlags; siehe insbesondere auch Abeltshauser Strukturalternativen für eine europäische Unternehmensverfassung, 1990, S. 198 ff.; 219.

210

Martin Henssler

2. Es bedarf einer Aufgabentrennung innerhalb des Verwaltungsorgans zwischen solchen Mitgliedern, denen die Führung der laufenden Geschäfte in eigener Verantwortung obliegt (Executive Directors) und solchen Mitgliedern, denen primär eine Kontroll- und Beratungsfunktion zukommt (NonExecutive directors). Art. 43 Abs. 1 der SE-Verordnung erlaubt eine solche Aufgabentrennung. 3. Die Aufgaben der für die Kontrolle zuständigen Non-Executive Directors sind in der Auffangregelung abschließend zu umschreiben, wobei das umfassende Informationsrecht aller Mitglieder durch Art. 44 Abs. 2 der SEV O vorgegeben ist. 4. Eine Übertragung des Paritätsgedanken auf das gesamte Verwaltungsgremium würde den Mitbestimmungsgedanken über das bisherige deutsche Modell hinaus erweitern. 5. Sachgerecht ist es, im Kreis der für die laufenden Geschäfte zuständigen Directors auf jede Arbeitnehmerbeteiligung zu verzichten, die Parität aber im Kreise der Non-Executive Directors vergleichbar der Regelung im MitbestG umzusetzen. Die Anzahl der Non-Executive Directors bedarf dementsprechend einer gesetzlichen Regelung. 6. Bei der Bewertung, ob eine dem deutschen MitbestG vergleichbare Parität realisiert wird, ist zu berücksichtigen, dass über das Zweitstimmrecht (§ 29 Abs. 2 MitbestG) des von der Anteilseignerseite bestimmten Aufsichtsratsvorsitzenden letztlich keine echte Parität vorgeschrieben wird. Ist etwa nach der Satzung die Zustimmung der Non-Executive Directors zu bestimmten Geschäftsführungsentscheidungen notwendig, so genügt es, wenn alle Anteilseignervertreter einschließlich des Vorsitzenden die Maßnahme befürworten. 7. Aufgrund ihrer erweiterten Informationsrechte werden die Arbeitnehmervertreter in dem hier vorgestellten durch Aufgabentrennung geprägten Board-System eine gegenüber dem derzeitigen Mitbestimmungssystem verbesserte Rechtsstellung erhalten. 8. Die Angleichung der paritätischen Mitbestimmung an das BoardSystem legt es nahe, deutschen Aktiengesellschaften künftig generell die Option zwischen einstufigen und zweistufigen Verwaltungsorganen zu eröffnen.

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr HARTWIG

HENZE

I. Einleitung Das Holzmüller-Urteil des B G H wird 21 Jahre alt. Diese Zahl bestimmte bis zum Jahre 1974 den Zeitpunkt im Leben eines Menschen, in dem er volljährig - sprich: von der Beschränkung seiner Geschäftsfähigkeit befreit wurde. Seit 1975 gewährt ihm das Gesetz bereits mit der Vollendung des 18. Lebensjahres dieses Reifezeugnis. Derartige Daten werden üblicherweise gebührend gefeiert. An Holzmüller ist das 18. Lebensjahr nahezu sang - und klanglos vorübergegangen, 1 und von der Vollendung des 21. Lebensjahres wird man ebenfalls - wie es aussieht - kaum Notiz nehmen - ganz im Gegensatz zu dem Wiegenfest unseres Jubilars. Ist dieser trotz der nahezu 50 Jahre, die zwischen seinem Lebensalter und dem des Holzmüller-Urteils liegen, jung, elastisch, schaffensfreudig und durchsetzungsfähig geblieben, ist er eine hoch geschätzte Persönlichkeit und allseits anerkannte Autorität, wirkt Holzmüller - folgt man manchen Ansätzen der Wissenschaft - alt, überholt, allenfalls noch im Grundanliegen, jedoch nicht mehr in seinen einschränkenden Kernsätzen akzeptabel, ja ist nahezu bis zur Unkenntlichkeit denaturiert. Sieht man sich die Meinungen vieler Praktiker an, sollte das Urteil am besten als Bastard von der Erdoberfläche verbannt werden. Vor einigen Jahren schien es so, als könne die Rechtsprechung in dem einen oder anderen Punkte eine - von der Praxis ersehnte - Klarstellung vornehmen. Das war aber - aus der Sicht des B G H - blinder Alarm. 2 So bleibt es vorerst weiter Wissenschaft und rechtsberatender Praxis vorbehalten, die Voraussetzungen und Grenzen der Zustimmungspflicht der Hauptversammlung zu einer Ausgliederung durch Singularsukzession auszuloten. Darüberhinaus hat die Diskussion u. a. die Fragen der Teilfusion, den Erwerb und die

1

Joost

ZHR 163 (1999), 164, Priester

ZHR 163 (1999), 187 und Reichert

in Haber-

sack/Koch/Winter (Hrsg.), Die Spaltung im neuen Umwandlungsrecht und ihre Rechtsfolgen, Z H R SH 68 (1999), S. 25 gedachten der Entscheidung nach dem Eintritt in ihr 17. Lebensjahr; Habersack BB 2002, 1 würdigte kürzlich die Entscheidung als 20jährige Dame. 2 B G H Z 146, 288 (Altana/Milupa); O L G Frankfurt/M., ZIP 1999, 842; LG Frankfurt/M., ZIP 1997,1698 bejahte die Holzmüller-Qualität des Falles.

212

Hartwig Henze

Veräußerung wesentlicher Beteiligungen oder Unternehmensbereiche, die Beteiligung Dritter an der bisher 1 0 0 % i g e n Tochtergesellschaft, den A b schluss von Unternehmensverträgen der Tochtergesellschaft mit Dritten, den Börsengang von Tochtergesellschaften und das Delisting erfasst. M i t dem vorliegenden Beitrag m ö c h t e ich zu einigen die Holzmüller-Entscheidung prägenden oder in ihr angesprochenen Gesichtspunkten eine kurze B e standsaufnahme aus der Sicht eines Richters vornehmen, der im Kindergartenalter des Urteils Mitglied des II. Zivilsenates geworden ist und seitdem - über einen Zeitraum von fünfzehn J a h r e n - die Diskussion um diese E n t scheidung verfolgt hat.

II. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes 1. Der Sachverhalt D e r Sachverhalt dieses U r t e i l s 3 sei kurz umrissen: Gegenstand der unternehmerischen Betätigung der M - A G waren die selbständigen Unternehmensbereiche des Holzhandels- und H o l z m a k l e r geschäfts sowie des Seehafenbetriebes W. Dieser stellte den wertvollsten Betriebszweig und den Kernbereich der Unternehmenstätigkeit der Gesellschaft dar. N a c h d e m die Hauptversammlung den satzungsmäßigen U n t e r nehmensgegenstand dahingehend neu gefasst hatte, dass die Aktiengesellschaft ferner berechtigt sei, andere U n t e r n e h m e n

zu

errichten und zu erwerben sowie sich an anderen U n t e r n e h m e n zu beteiligen und dass sie ihren Betrieb ganz oder teilweise solchen Gesellschaften überlassen könne, errichtete sie eine Tochtergesellschaft mit einem Grundkapital von 4,8 M i o D M und brachte satzungsgemäß den Seehafenbetrieb mit allen Aktiven und Passiven zum B u c h w e r t gegen Ü b e r n a h m e der ausgegebenen A k t i e n ein. D e r Kläger, A k t i o n ä r der M - A G , vertrat die Ansicht, zu dieser M a ß n a h m e sei die Zustimmung der Hauptversammlung der M - A G erforderlich gewesen. F e r ner müsse der Vorstand die Zustimmung der Hauptversammlung der O b e r gesellschaft zu allen M a ß n a h m e n in der Tochtergesellschaft einholen, für die mindestens eine Dreiviertelmehrheit erforderlich sei.

3

BGHZ 83, 122.

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

2. Die maßgebenden

213

Entscheidungsgründe

Die Urteilsgründe befassen sich mit zwei Gesichtspunkten: a) Unter welchen Voraussetzungen darf der Vorstand eine klassische Ausgliederung4 nur mit Zustimmung der Hauptversammlung vornehmen? Ist die Zustimmung eine innergesellschaftliche Angelegenheit oder berührt sie das Außenverhältnis ? b) Welche Auswirkungen hat die klassische Ausgliederung auf das Kompetenzverhältnis von Vorstand und Hauptversammlung? Wann ist die Hauptversammlung zuständig für Maßnahmen in der Tochtergesellschaft? a) Voraussetzungen zum Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung zur klassischen Ausgliederung Die Aussagen des Urteils beschränken sich auf den Fall der klassischen Ausgliederung, also die Übertragung von Teilen des Gesellschaftsvermögens auf eine andere Kapitalgesellschaft, an der die übertragende Gesellschaft hier: allein - beteiligt ist. • Die Entscheidung geht von dem aktienrechtlichen Grundsatz aus, dass die Gründung oder der Erwerb einer Tochtergesellschaft und ihre Ausstattung mit dem notwendigen Kapital zu dem gewöhnlichen Rahmen von Handlungen der Geschäftsführung gehören. Dieser Rahmen wird jedoch dann überschritten, wenn eine Maßnahme tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreift. Das wird dann als gegeben angesehen, wenn sich die Verlagerung von Gesellschaftsvermögen auf eine Tochtergesellschaft im Kernbereich der Unternehmenstätigkeit abspielt. Im konkreten Fall war diese Voraussetzung mit der Ausgliederung des Seehafenbetriebes W erfüllt, weil sie den wertvollsten Betriebszweig der M-AG erfasste und damit die Unternehmensstruktur von Grund auf änderte. 5 • Aus der Zuordnung der umschriebenen Maßnahmen zu dem Leitungsund Geschäftsführungsbereich des Vorstandes folgt, dass sie von dessen Vertretungsmacht umfasst werden, weil die Vertretungsmacht aufgrund audrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 82 Abs. 2 AktG) nicht beschränkt werden darf. Folgerichtig wird lediglich eine interne Pflicht des Vorstandes zur Vorlage an die Hauptversammlung angenommen, bei deren Verletzung die Wirksamkeit der Maßnahme nach außen nicht beeinträchtigt wird. 6

4 5 6

Zum Begriff vgl. Priester aaO (Fn. 1) S. 187. B G H Z 83, 122, 131 f. B G H Z 83, 122, 131 ff.

214

Hartwig Henze

• Die Vorlagepflicht wird auf § 119 Abs. 2 AktG gestützt. Nach dieser Vorschrift ist der Vorstand berechtigt, aber nicht verpflichtet, Fragen der Geschäftsführung der Hauptversammlung zur Entscheidung anzutragen. Dieses Ermessen soll sich dann auf Null reduzieren, wenn die Geschäftsführungsmaßnahme so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreift, dass der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe die Entscheidung ohne Beteiligung der Hauptversammlung in eigener Verantwortung treffen. 7 • Die Frage, ob der Vorstand durch eine Satzungsregelung zu derartigen im Kernbereich der Unternehmenstätigkeit liegenden Ausgliederungen ermächtigt werden kann, wird nicht entschieden. Der Senat stellt lediglich fest, dass der satzungsmäßig festgelegte Unternehmensgegenstand der M-AG einen solchen Fall der Ausgliederung deckte und Beteiligungen an anderen Unternehmen nach der Satzung schon geraume Zeit zu dem überkommenen Gesamtbild der M-AG gehörten. 8 b) Auswirkungen der klassischen Ausgliederung auf das Kompetenzverhältnis zwischen Vorstand und Hauptversammlung In der Verlagerung wichtiger Entscheidungen aus der Ober- in die Tochtergesellschaft wird eine Schwächung der Rechtsstellung der Aktionäre gesehen: 9 Dadurch verliere die Hauptversammlung die Möglichkeit, im Rahmen der ihr nach § 119 AktG vorbehaltenen Befugnisse den Einsatz des abgespaltenen Betriebskapitals, das Risiko seines Verlustes und die Verwendung seiner Erträge zu beeinflussen. Die Gesellschafterrechte im Tochterunternehmen übe - bei hundertprozentiger Beteiligung - der Vorstand der Obergesellschaft aus. Dieser unterliege bei der Verwendung des Jahresüberschusses praktisch keinen Beschränkungen. Es trete die Gefahr ein, dass der Vorstand die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre in der Obergesellschaft namentlich dadurch aushöhle, dass er Unternehmensverträge mit Dritten abschließe oder - beispielsweise durch Kapitalerhöhung - fremde Gesellschafter in die Tochtergesellschaft aufnehme. Damit könnten konkrete Vermögensverluste verbunden sein (Verlustausgleichspflicht der Tochter als herrschendem Unternehmen nach § 302 AktG; Bestandsgefährdung der Tochter als abhängiger Gesellschaft bei Verlusten des herrschenden Unternehmens; zu niedriger Ausgabekurs neuer Aktien bei Kapitalerhöhung in der Tochter mit der Folge der Verwässerung des Wertes der Beteiligungen). Der Schutz, den das Gesetz bei unmittelbarer 7 8 9

BGHZ83,122,131. BGHZ 8 3 , 1 2 2 , 1 2 9 f . BGHZ 83, 122, 136f., 140.

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

215

Entscheidung in der Obergesellschaft biete (§ 186 Abs. 1 AktG: Gewährung eines Bezugsrechts mit eingeschränkter Ausschlussmöglichkeit; Zustimmungspflicht der Hauptversammlung nach § 293 AktG), versage hier. Auch die Weiterübertragung des Gesellschaftsvermögens oder ein Auflösungsbeschluss seien in diesem Zusammenhang zu nennen. Der B G H sieht hier eine Regelungslücke des Gesetzes, die er in Anlehnung an die Systematik und die Wertungen des Aktiengesetzes schließt. Bei dieser Entscheidung erlegt er sich Beschränkungen auf: 10 • Die Entscheidung erfasst nur den Fall, dass der Vorstand den substanzund ertragsmäßig bei weitem wertvolleren Teil des Betriebsvermögens auf eine zu diesem Zweck errichtete 1 0 0 % ige Tochtergesellschaft übertragen hat und die Befürchtung besteht, Rechtsakte in der Tochter könnten Mitgliedschafts- und Vermögensrechte der Aktionäre der Obergesellschaft beeinträchtigen. Ferner hatte die Hauptversammlung der Obergesellschaft der klassischen Ausgliederung im entschiedenen Fall nicht zugestimmt. O b den Aktionären auch ein Schutz bei Zustimmung mit satzungsändernder Mehrheit zuzubilligen oder die Zustimmung von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen ist, hat der Senat offen gelassen. • Die Entscheidung erfasst nur die Kapitalerhöhung. Im übrigen wird offengelassen, welche Maßnahmen in der Tochtergesellschaft an die Zustimmung der Hauptversammlung der Obergesellschaft zu binden sind. Lediglich beispielhaft werden Unternehmensverträge, Kapitalerhöhungen, die Weiterübertragung des Gesellschaftsvermögens und der Auflösungsbeschluss aufgeführt. Satzungsänderungen wie Sitzverlegung, Firmenänderung oder Bindung des Vertretungsorgans an die Zustimmung des Aufsichtsrat bei bestimmten Geschäften nimmt er ausdrücklich davon aus. Die Aktionäre haben nach der Entscheidung grundsätzlich einen Anspruch darauf, bei grundlegenden, für ihre Rechtsstellung bedeutsamen Entscheidungen in der Tochtergesellschaft über die Hauptversammlung der Obergesellschaft so beteiligt zu werden, wie wenn es um eine Angelegenheit der Obergesellschaft selbst ginge. Darunter fällt eine in der Tochtergesellschaft in Aussicht genommene Kapitalerhöhung. Auch wenn der Vorstand das Bezugsrecht für die Obergesellschaft auszunutzen beabsichtigt, werden darin gegenüber der unmittelbaren Ausübung des Bezugsrechts in der Obergesellschaft oder der Zeichnung der Aktien in der Tochtergesellschaft durch die Aktionäre selbst Nachteile gesehen: • Die mit der zusätzlichen Verlagerung von Kapital aus der Obergesellschaft in die Tochtergesellschaft verbundene Schwächung der Aktionärsrechte und Stärkung der Machtposition des Vorstandes werde erweitert.

10

BGHZ83,122,138ff.

216

Hartwig Henze

• Es bestehe die Gefahr, dass der Vorstand auf die Ausübung des Bezugsrechts der Obergesellschaft zugunsten fremder Kapitalzeichner verzichte, so dass der mittelbare Einfluss und der Wert der Anteile der Aktionäre der Obergesellschaft verwässert werde. Fazit: Es müsse sichergestellt werden, dass die Aktionäre über die zusätzliche Kapitalverlagerung entscheiden könnten und ihnen der Schutz der materiellen Beschlusskontrolle für den Fall eines in Aussicht genommenen BezugsrechtsausschJusses zu Gute komme.11

III. Stellungnahme und Beurteilung nicht entschiedener Fragen 1. Erfordernis der Zustimmung zur durch die Hauptversammlung

Ausgliederung

Das Erfordernis der Zustimmung durch die Hauptversammlung ist unter mehreren Gesichtspunkten zu prüfen. a) Änderung des Unternehmensgegenstandes Stellt die Maßnahme eine Änderung des Unternehmensgegenstandes dar? Der B G H brauchte sich mit Einzelheiten dieser Problematik nicht zu befassen, weil die Satzung die Errichtung und das Betreiben des operativen Geschäftes durch eine Tochtergesellschaft ausdrücklich regelte.12 Für den Fall, dass die Satzung eine solche Regelung nicht enthält, ist im Schrifttum umstritten, ob die Ausgliederung eines Betriebsteiles und das Betreiben des damit verbundenen Geschäftes in der Tochter vom Unternehmensgegenstand der Mutter erfasst werden. Das wird mit der Begründung verneint, die mittelbare Unternehmensführung durch Beteiligungsgesellschaften sei qualitativ etwas anderes als die unmittelbare Unternehmensführung. Die im Rahmen von Ausgliederungen aufgewandten Investitionsmittel stünden nicht für die eigentliche Verfolgung des Unternehmensgegenstandes zur Verfügung. Deswegen dürfe der Vorstand eine Ausgliederung nur vornehmen, wenn ihn die Satzung dazu ermächtige.13 Dem wird entgegengehalten, dass diese Beurteilung auf einer isolierten Betrachtung der Vorstandstätigkeit in der Obergesellschaft beruht und den Umstand vernachlässigt, dass die Aktivitäten der Tochter geeignet sein könnten, den Unternehmensgegenstand der Mutter auszufüllen. Voraussetzung

11 12

13

Vgl. dazu grundlegend Β G H Z 71, 40, 44 ff. sowie B G H Z 136,133, 139ff. B G H Z 83, 122, 130. Krieger in Münchener Hdb. des GesR, Bd. 4 AG, 2. Aufl., § 69 Rn. 4 m.w.N. in Fn. 8.

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

217

sei, dass die Muttergesellschaft in den Entscheidungs- und Maßnahmenprozeß als Bestandteil unternehmerischer Betätigung eingebunden bleibe. 14 Der gegenteilige Standpunkt ließe unberücksichtigt, dass die Leitungstätigkeit in der O berges ellschaft zu einer wirtschaftlich einheitlichen unternehmerischen Betätigung führe. Er stehe außerdem zu der Ansicht in Widerspruch, dass der Unternehmensgegenstand der Tochtergesellschaft durch denjenigen der Muttergesellschaft begrenzt werde. 15 Diese Argumente überzeugen. Die Gegenansicht trägt der materiellen Identität des Unternehmensgegenstandes bei Mutter und Tochter nicht hinreichend Rechnung. Für den HolzmüllerFall folgt daraus, dass die Entscheidung, ob die Ausgliederung vom Unternehmensgegenstand gedeckt war, davon abhängig gewesen wäre, ob sich die M-AG im ausgegliederten Bereich als Führungsholding16 betätigt hat. Wäre das der Fall gewesen, hätte es einer Änderung des Unternehmensgegenstandes nicht bedurft. Bei Schaffung einer reinen Finanzholding wäre eine solche Änderung erforderlich gewesen. 17 b) Zuständigkeit für die Ausgliederung von Vermögensteilen durch Singularsukzession Die Gründung einer Tochtergesellschaft und die Übertragung von Vermögensteilen auf sie ist eine in den Zuständigkeitsbereich des Vorstandes fallende Maßnahme der Leitung und Geschäftsführung i.S.d. § 76 Abs. 1 AktG. 18 Diese Zuständigkeit ist zwingend. Die Satzung kann der Hauptversammlung zwar Kompetenzbereiche zuteilen, die über die gesetzlich bestimmten hinausgehen ( § 1 1 9 Abs. 1 AktG); sie dürfen aber keine Leitungs- und Geschäftsführungsfragen umfassen (§ 23 Abs. 5 AktG). 19 Die Regelung des § 119 Abs. 2 AktG, nach der die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur auf Verlangen des Vorstandes entscheiden kann, stellt das Entscheidungsverlangen in das Ermessen des Vorstandes. 20

14 Hommelboff Die Konzernleitungspflicht, 1988, S. 269f.; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1995, S. 378f.; Hübner FS Stimpel, 1985, S. 791, 794. 15 Mülbert aaO (Fn. 14) S. 379; Reichert in Habersack/Koch/Winter (Hrsg.) aaO (Fn. 1) S. 2 5 , 4 1 . 16 Zum Begriff vgl. Mülbert aaO (Fn. 14) S. 378. 17 Mülbert aaO (Fn. 14) S. 375 m.w.N. in Fn. 61; Koppensteiner in K K z. A k t G , 2. Aufl., Vorb. § 291 Rn. 25; Hommelboff aaO (Rn. 14) S. 47 und 268. 18 Mertens in K K z. A k t G , 2. Aufl., § 76 Rn. 51 m.w.N.; Reichert aaO (Fn. 1) S. 42 ff.; Joost aaO (Fn. 1) S. 164, 175; Priester aaO (Fn. 1), S. 187, 195; a.A. Koppensteiner aaO (Fn. 17) Vorb. § 291 Rn. 18 ff. (Erfordernis der Satzungsermächtigung); Hommelboff aaO (Rn. 14) S. 377ff. (Beschluß der Hauptversammlung). 19 Hüffer A k t G , 4. Aufl., § 119 Rn. 10; Eckardt in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, A k t G , § 119 Rn. 10; Mertens in K K z. A k t G , 2. Aufl., § 76 Rn. 51. 20 Vgl. insoweit B G H Z 146, 288 (Altana/Milupa).

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Ihr Sinn ist es, die Beschränkung der Zuständigkeit der Hauptversammlung, die in Abweichung von der früher gegebenen allgemeinen Zuständigkeit in das Gesetz Eingang gefunden hatte, auf die im Gesetz oder der Satzung ausdrücklich aufgeführten Fälle zu sichern und klarzustellen, dass die Hauptversammlung über Geschäftsführungsfragen nur noch nach Vorlage durch den Vorstand entscheiden darf. 21 Aus ihr kann daher keine Vorlagepflicht des Vorstandes hergeleitet werden. So verwundert es nicht, dass gerade dieser Punkt der Entscheidungsgründe auf breite Ablehnung gestoßen ist und andere Begründungsvorschläge unterbreitet worden sind, deren Einzelheiten jedoch ebenfalls umstritten sind. 22 Dem Begründungsansatz, es handele sich um eine Frage der Konzernbildungskontrolle, ist zu Recht entgegengehalten worden, dass die im Holzmüller-Fall aufgezeigte Gefahrenlage nicht auf das Konzernverhältnis beschränkt ist, sondern in noch stärkerem Maße in einem Abhängigkeitsverhältnis oder einem bloßen Beteiligungsverhältnis auftritt. 23 Eine andere Ansicht stellt auf eine Gesamtanalogie zu den Vorschriften ab, die für Strukturentscheidungen eine Hauptversammlungszuständigkeit regeln. 24 Dagegen spricht, dass diese Bestimmungen keine Auskunft über eine Kompetenzverschiebung in Geschäftsführungsangelegenheiten geben, wie sie der Ausgliederung zugrunde liegt. 25 Auch regeln sie einen unmittelbaren Eingriff in die Gesellschaftsstruktur, die Ausgliederung berührt hingegen die Struktur nur mittelbar. 26 In neuerer Zeit werden die an die klassische Ausgliederung zu stellenden Anforderungen an den Vorschriften des Umwandlungsrechts orientiert. Es gehe hier nicht um die Schaffung eines Umwandlungsvorganges, der das Analogieverbot des § 1 Abs. 2 U m w G entgegenstehe; vielmehr entfalte das Umwandlungsrecht eine Ausstrahlungswirkung auf die Ausgliederung durch Einzelrechtsübertragung, die einen Rückgriff auf einzelne seiner Bestimmungen zulasse.27 Dem kann man - angesichts der Austauschbarkeit der Vorgänge - 2 8

Geßler FS Stimpel, 1985, S. 771, 773. Vgl. die Übersichten bei Hüffer aaO (Fn. 19) § 119 Rn. 18; Mertens aaO (Fn. 18) § 76 Rn. 51 ff.; Koppensteiner aaO (Fn. 17) Vorb. § 291 Rn. 21 f.; Joost aaO (Fn. 1) S. 171 ff.; Priester aaO (Fn. 1) S. 194 f. 23 Zur Kritik des konzernrechtlichen Ansatzes und der Gesamtanalogie vergleiche Joost aaO (Fn. 1) S. 172 ff.; zur Kritik an der Gesamtanalogie vgl. ferner Reichert aaO (Fn. 1) S. 44 ff. 2 4 Vgl. §§ 179, 179a, 293 Abs. 2, 319 Abs. 1 und 2 AktG; §§ 13 Abs. 1, 65 Abs. 1 UmwG. 25 Joost aaO (Fn. 1) S. 173 und 175. 26 Reichert aaO (Fn. 1) S. 45. 27 Koppensteiner FS Zöllner, Bd. I, 1998, S. 302f.; Joost aaO (Fn. 1) S. 179 ff. unter Hinweis auf das vom Bundesverfassungsgericht postulierte Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (Fn. 51); Veil ZIP 1998, 361, 368; nicht gänzlich ablehnend auch Reichert aaO (Fn. 1) S. 46. 28 Vgl. zur Verwendung des Begriffs bei der auflösungsbedingten Übertragung BayO b L G 17.9.1998 ZIP 1998, 2002, 2004. 21

22

219

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

grundsätzlich sicher zustimmen. Folgen kann man dem Vorschlag aber nur, wenn das Aktienrecht, nach dem die Ausgliederung durch Singularsukzession zu beurteilen ist, den Zuständigkeitskatalog des § 119 AktG nicht unabdingbar abschließend regelt . 29 Auch wenn das so ist, könnte eine Ausstrahlungswirkung30 allein allerdings kaum die Kraft aufbringen, eine Kompetenzänderung zu bewirken. Eine abschließende Regelung trifft diese Vorschrift jedoch nicht, wie Geßler in einem Beitrag dargelegt hat: 31 Danach ist die Zuständigkeitsregelung des § 119 Abs. 1 und 2 AktG zwar zwingend; 32 sie stellt jedoch keine abschließende, auf künftige wirtschaftliche Entwicklungen und Gestaltungen starr anwendbare Regelung dar. Gestaltung und Ablauf wirtschaftlicher Prozesse werden im modernen Wirtschaftsleben nicht mehr vom sog. Einheitsunternehmen, sondern von der Aufteilung des Wirtschaftsprozesses auf verschiedene rechtlich selbständige Unternehmen bestimmt, die untereinander in konzernierter Form verbunden sind. Derartige Wirtschaftsabläufe entsprachen nicht der Vorstellung des historischen Gesetzgebers, an der sich die Zuständigkeitsordnung des § 119 AktG ausrichtet. Geßler spricht von einer Anschauungslücke, die für die Verwerfungen verantwortlich sei, die in dem Holzmüller-Urteil herausgearbeitet werden. Sie rechtfertigt eine vorsichtige und soweit erforderlich - den Gegebenheiten des Aktienrechts anzugleichende Heranziehung einzelner für die Ausgliederung durch Universalsukzession maßgebender Vorschriften des Umwandlungsrechts. Zu diesen Vorschriften des Umwandlungsrechts gehören diejenigen über die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Ausgliederung. 33 Die Heranziehung dieser Vorschriften wirft jedoch ein Problem auf: Eine Bagatellgrenze kennt das U m w G nicht. 34 Der B G H hat das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung jedoch von einem tiefen Eingriff in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse abhängig gemacht. Diese Voraussetzung sieht er dann als gegeben an, wenn die Vermögensverlagerung auf die Tochtergesellschaft den Kernbereich der Unternehmenstätigkeit der Muttergesellschaft betrifft und dadurch deren Unternehmensstruktur von Grund auf geändert wird. 35 Daran scheitert jedoch die Heranziehung der maßgebenden Vorschriften nicht. Die gesetzliche Wertung der Ausgliederung durch Universalsukzession als Struk-

29

Hüffer aaO (Fn. 19) § 119 Rn. 18.

Vgl. dazu Veil (Fn. 27) S. 367; auch - wenn auch einschränkend - Priester S. 197 f.; von Fernwirkung spricht Joost aaO (Fn. 1) S. 181 ff. 30

aaO (Fn. 1)

31 Geßler aaO (Fn. 21) S. 779; ihm folgend Hüffer aaO (Fn. 19) § 119 Rn. 18; a.A. Priester aaO (Fn. 1) S. 192; Aha AG 1997, 345, 356; hungert NZG 1998, 367, 368. 32 33 34 35

Vgl. § 23 Abs. 5 S. 1 AktG. §§ 125, 13, 65 UmwG. Zur Entwicklung der Frage der Bagatellgrenze vgl. Veil aaO (Fn. 27) S. 368f. B G H Z 8 3 , 122, 131 f.

220

Hartwig Henze

turmaßnahme beschränkt sich auf die bedeutenden Vermögensübertragungen. Der Verzicht auf die Festlegung einer Wesentlichkeitsgrenze erklärt sich einmal aus der Kritik des Schrifttums an dem Vorhaben des Referentenentwurfes, einer Minderheit von 10 % des Grundkapitals das Recht auf Verlangen der Ausgliederung zuzugestehen, zum anderen aus der Schwierigkeit, die Grenze für die Wesentlichkeit der Ausgliederung zufriedenstellend festlegen zu können. 36 Nachteile bringen diese Unterschiede nicht mit sich; denn jedes Unternehmen kann wählen, ob es die Ausgliederung nach Umwandlungsrecht oder im Wege der Singularsukzession durchführen möchte, weil nach der Intention des UmwG die Möglichkeit der klassischen Ausgliederung weiterhin erhalten bleibt. 37 Praktisch ist dadurch gewährleistet, dass sich die vom B G H postulierte Wesentlichkeitsgrenze in beiden Verfahrensarten gleich auswirkt. Das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung im Umwandlungsrecht kann demnach mit der dargelegten Einschränkung auf die klassische Ausgliederung übertragen werden. c) Mehrheitserfordernis bei der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung Der B G H äußert sich nicht dazu, welcher Mehrheit der Beschluss der Hauptversammlung über die Zustimmung zu einer klassischen Ausgliederung bedarf. Im Schrifttum besteht je nach Anknüpfungspunkt darüber Streit: Legt man das Gewicht auf den Geschäftsführungscharakter der Maßnahme, genügt die einfache Mehrheit.38 Sieht man den nachhaltigen Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre im Vordergrund, weil der Kernbereich der Unternehmenstätigkeit betroffen ist und damit eine Strukturänderung eintritt, ist eine qualifizierte Mehrheit in Form einer Dreiviertelmehrheit zu fordern.39 Das Umwandlungsgesetz wertet die Ausgliederung als Strukturmaßnahme und schreibt eine Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals vor (§§ 125, 65 Abs. 1 UmwG). Eine vergleichbare Wertung ist auch für die klassische Ausgliederung geboten: Zwar stellt der Vorgang in der Sache eine Geschäftsführungsmaßnahme dar. Da er aber mit einem nachhaltigen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre verbunden ist, weil er den Kernbereich der Unternehmenstätigkeit betrifft, erfüllt er die Voraussetzungen einer Strukturmaßnahme. Daher trifft auf ihn der Regelungsgehalt des § 65 Abs. 1

Veil aaO (Fn. 27) S. 368; vgl. auch Joost aaO (Fn. 1) S. 181 f. Begr.RegE UmwG, BT-Drucks. 12/6699, S. 77ff. - abgedruckt bei Ganske Umwandlungsrecht, 1994, S. 35,152. 38 Vgl. etwa Immenga, BB 1992, 2446, 2448; Koppensteiner AG 1995, 95, 96. 39 Mertens aaO (Fn. 18) § 76 Rn. 52; Tb. Raiser Recht der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl., § 16 Rn. 15; Priester aaO (Fn. 1) S. 199f. m.w.N.; Veil aaO (Fn. 27) S. 368. 36

37

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UmwG zu, so dass eine Beschlussmehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals erforderlich erscheint. Liegen die Voraussetzungen einer Änderung des Untemehmensgegenstandes oder einer Gesamtvermögensübertragung vor, ist nach der gesetzlichen Regelung eine Dreiviertelmehrheit vorgeschrieben, die durch Satzungsregelung nur erhöht werden darf. Das UmwG enthält eine entsprechende Regelung.40 Es ist zutreffend darauf hingewiesen worden, dass eine gewisse Nähe der klassischen Ausgliederung zur Änderung des Unternehmensgegenstandes bzw. zur Gesamtvermögensübertragung gegeben ist.41 Die Wertung des Umwandlungsrechts kann demnach auf die Ausgliederung durch Singularsukzession übertragen werden. d) Innen- oder Außenwirkung des Beschlusses? Der Senat führt in der Holzmüller-Entscheidung ausdrücklich aus, die Wirksamkeit einer Ausgliederung, der die Hauptversammlung nicht zugestimmt habe, werde im Außenverhältnis nicht berührt.42 Diese Auffassung ist konsequent, weil die Ausgliederung auf der Grundlage der aktienrechtlichen Regelung beurteilt wird. Danach ist sie eine Geschäftsführungsmaßnahme, die nicht kraft Gesetzes zur Strukturmaßnahme erhoben wird, sondern nach den Grundzügen des Gesetzes nur als solche zu werten ist. Diese Wertung kann jedoch die zwingende Regelung des § 82 Abs. 1 AktG nicht überspielen, so dass es bei den Beschränkungen des § 82 Abs. 2 AktG bleibt.43 Diese dem Aktienrecht immanente Wertung ist auch bei der Heranziehung der Rechsgedankens über das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung zu beachten. Die Wertung des Umwandlungsrechts, die zur Außenwirkung des Ausgliederungsbeschlusses führt, kann nicht unter Uberspielung zwingender aktienrechtlicher Vorschriften unbesehen in das Aktienrecht übertragen werden. Den Aktionären steht gegen die Gesellschaft lediglich ein Anspruch auf Unterlassung oder Rückgängigmachung der Ausgliederungsmaßnahme zu, dessen Geltendmachung allerdings nicht unangemessen verzögert werden darf. Der Möglichkeit, Schadenersatzansprüche gegen Vorstand und Aufsichtsrat zu verfolgen, kommt wenig Bedeutung zu, weil es in der Regel an einem relevanten Schaden fehlen wird.44

40 41 42 43

680. 44

§§ 179 Abs. 2, 179 a Abs. 1 AktG; § 65 Abs. 1 UmwG. Priester aaO (Fn. 1) S. 200. BGHZ 83,122,132. Vgl. u.a. Koppensteiner aaO (Fn. 17) Vorb. § 291 Rn. 22; K. Schmidt ZGR 1995, 675, Vgl. Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 12.

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e) Schwellenwerte bzw. Bagatellgrenze Die Zustimmungspflicht der Hauptversammlung ist für den Fall angenommen worden, dass so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensrecht eingegriffen wird, dass der Vorstand nicht annehmen könne, die Entscheidung ohne Mitwirkung der Hauptversammlung in eigener Zuständigkeit treffen zu können. Von einem derartigen Eingriff ist der B G H unter der Voraussetzung ausgegangen, dass die Ausgründung den wertvollsten Betriebszweig der Gesellschaft betrifft und somit den Kernbereich der Unternehmenstätigkeit berührt und die Unternehmensstruktur von Grund auf ändert. 45 Das hat im Schrifttum zu Überlegungen darüber geführt, welche Fallgestaltungen unter das Zustimmungserfordernis fallen können. Die Vorschläge reichen von 1 0 % der Bilanzsumme oder des Umsatzes über 20-25 % der Bilanzaktiva, 25 % des nach steuerlichen Teilwerten berechneten Vermögens und 10 bzw. 50 % des Eigenkapitals bis hin zu der Ansicht, es könnten nur krasse, in die Nähe der Vermögensübertragung geratene Fälle erfasst werden. 46 Ferner wird in Anlehnung an den „teleologischen Kern der umwandlungsrechtlichen Regelung" die Hauptversammlungs-Kompetenz dann als gegeben angesehen, wenn sich die Vermögensausgliederung unter Beteiligungserwerb als Auslagerung eines unternehmerischen Tätigkeitsbereiches darstellt, womit sich die schwierige Bestimmung einer wertmäßigen Bagatellgrenze erübrige. 47 Diese Wertungen werden dem Anliegen der Holzmüller-Entscheidung jedoch nicht gerecht. Als grundlegende Entscheidung im Sinne des Urteils kann jede Maßnahme angesehen werden, die ähnliche Wirkungen entfaltet, wie sie von den kraft Gesetzes zu Strukturmaßnahmen erhobenen Regelungen ausgehen. Das erfordert eine Wertung des jeweils zu beurteilenden Einzelfalles. Derartige Wirkungen können - wie das nach dem entschiedenen Sachverhalt der Fall war - von Betriebsteilen ausgehen. Ihre Ausgliederung setzt voraus, dass sie für sich allein als Unternehmen geführt und damit selbständig am Wirtschaftsleben teilnehmen können. 48 Diese Voraussetzung, die man auch als Auslagerung eines unternehmerischen Tätigkeitsbereiches umschreiben kann, 49 reicht jedoch nicht aus, um das Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung zu begründen. Der auszugliedernde Betrieb muß darüber hinaus für die Gesellschaft von überragender Bedeutung sein; denn nur dann

B G H Z 8 3 , 1 2 2 , 1 3 1 f. Vgl. die Ubersichten bei: Mecke Konzernstruktur und Aktionärsentscheid, 1992, S. 185 ff.; Reichert a a O (Fn. 1) S. 44 Fn. 65; Th. Raiser a a O (Fn. 39) § 16 Rn. 14. 47 Joost a a O (Fn. 1) S. 184. 48 Vgl.zu den Voraussetzungen B G H Z 145, 150, 156f.; auf den Teilbetrieb im steuerrechtlichen Sinne abstellend Priester a a O (Fn. 1) S. 196 m.w.N. in Fn. 44. 4 9 So Joost a a O (Fn. 1) S. 184. 45

46

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kann er den Kernbereich der Unternehmenstätigkeit der Gesellschaft betreffen. Eine solche Bezugsgröße muß erreicht sein, damit von einem tiefen Einschnitt in die Mitgliedsrechte der Aktionäre bzw. einem tiefen Eingriff in ihr im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse gesprochen werden kann. Diese Umstände setzen im Einzelfall Wertungen voraus, die schematisierende Ansätze verbieten. So kann man nicht feste Prozentsätze jeweils von der Bilanzsumme, dem Umsatz, den bilanzmäßigen Aktiven oder dem Vermögen, wie man es auch immer berechnen mag, zugrundelegen. Vielmehr ist eine auf den Einzelfall bezogene Wertung einer Vielzahl von Faktoren maßgebend. 50 Sie sind zutreffend als Anteil des auszugliedernden Betriebsteiles an Umsatz, Ertrag und Vermögen des von der Gesellschaft - oder, soweit ein Konzern gegründet wird oder bereits besteht, des von diesem - betriebenen Unternehmens umschrieben worden; zu Recht ist weiter die Bedeutung des Unternehmensteiles für das Kerngeschäft, dessen Image und für die langfristige Unternehmensstrategie hervorgehoben worden. Ferner kann es bedeutsam sein, ob die Beteiligung an der Tochter 100 % beträgt oder auch Dritte daran beteiligt sind. 51 Zutreffend wird auch darauf hingewiesen, dass der Hauptversammlung im Rahmen der Satzungsgestaltung vielfältige Möglichkeiten offenstehen, den Unternehmensgegenstand zu umschreiben und auf diese Weise der Handlungsrahmen, der dem Vorstand zur eigenverantwortlichen Geschäftsführung zur Verfügung steht, festgelegt werden kann. 5 2 Es ist daher konsequent, mit dem Holzmüller-Urteil der Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung als Regelfall nur der Änderung des Unternehmensgegenstandes oder der Gesamtvermögensübertragung nahekommende Fälle zu unterstellen. 53 Das kann im Einzelfall auch die Ausgliederung von Vermögensgegenständen sein, die das einzig nennenswerte Vermögen der Gesellschaft darstellen, ohne dass darin eine Gesamtvermögensübertragung i.S.d. § 179 a A k t G liegt. 54 Zusammenfassend wird man sagen können, dass in der Regel ein durchschnittlicher Anteil von weniger als 5 0 % an den bereits genannten Gradmessern und das Fehlen einer besonderen Bedeutung des auszugliedernden Betriebsteiles für das Kerngeschäft des Unternehmens, dessen Image und die langfristige Unternehmensstrategie eine Beteiligung der Hauptversammlung an der Ausgliederung nicht erforderlich machen. 5 5 Erst wenn dieser Wert 50 Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 8; Priester aaO (Rn. 1) S. 196; vgl. auch Reichert aaO (Fn. 1)S. 44 f., 72 f. 51 Vgl. V. Riegen Gesellschafterschutz bei Ausgliederungen durch Einzelrechtsnachfolge, 1999, S. 102 ff.; Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 8; Priester aaO (Fn. 1) S. 196; Reichert aaO (Fn. 1) S. 72 f. 52 Reichert aaO (Fn. 1) S. 44 f. 53 Hiiffer aaO (Fn. 19) § 119 Rn. 18; Reichert aaO (Fn. 1) S. 45. 54 Vgl. O L G München, AG 1995, 232, 233 (EKATIT Riedinger). 55 Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 8 geht von einer unteren Schwelle von einem Drittel aus.

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überschritten wird, kann sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren. Die an starren Kriterien orientierten Wertungen des U m w G können hier keine Berücksichtigung finden. f) Sachliche Rechtfertigung des Ausgliederungsbeschlusses Im Schrifttum wird ferner eine sachliche Rechtfertigung für den Ausgliederungsbeschluss verlangt. 56 Dem sollte nicht gefolgt werden. Für die Ausgliederung nach Umwandlungsrecht kann eine solche Forderung schon im Hinblick auf das dort geltende streng formalisierte Recht nicht erhoben werden. Daran fehlt es zwar bei der Ausgliederung durch Singularsukzession. Auch kann, wie bereits dargelegt, zur Konkretisierung des Unternehmensgegenstandes die Aufnahme einer Ermächtigungsklausel in die Satzung nicht befürwortet werden. Mit dem Merkmal der (Erforderlichkeit und) Verhältnismäßigkeit, die voraussetzt, dass die Ausgliederung durch Singularsukzession das angemessene und am besten geeignete Mittel zur Verfolgung überwiegender Gesellschaftsinteressen ist, wird jedoch, wie sich bei der Kapitalerhöhung immer wieder zeigt und wie für das genehmigte Kapital auch bereits in der Rechtsprechung dargelegt worden ist, 57 der unternehmerische Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum in zu starkem Maße eingeschränkt. Diesem unternehmerischen Anliegen kann nur dann angemessen Rechnung getragen werden, wenn der Zustimmungsbeschluss an dem Kriterium ausgerichtet wird, das für die Entscheidungen des Vorstandes maßgebend ist: Die Maßnahme muß sich am Unternehmenswohl orientieren, also im Interesse der Gesellschaft liegen. Das Interesse der Aktionäre an einer angemessenen Mitwirkung wird auf diese Weise ebenso berücksichtigt wie ein hinreichender Beurteilungs-, Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum des Vorstandes für die Geschäftspolitik in der Gesellschaft bzw. im Konzern. 2. Mediatisiemng

der

Aktionärsrechte

Der Grundsatz ist im Holzmüller-Urteil ausgesprochen: Die Aktionäre der Obergesellschaft haben einen Anspruch darauf, bei grundlegenden, für ihre Rechtsstellung bedeutsamen Entscheidungen in der Tochtergesellschaft über die Hauptversammlung der Obergesellschaft so beteiligt zu werden, wie wenn es um eine Angelegenheit der Obergesellschaft selbst ginge. 58 O b Entscheidungen in der Tochtergesellschaft für die Rechtsstellung der Aktionäre der Obergesellschaft von wesentlicher Bedeutung sind, hängt von zwei Gesichtspunkten ab. 56 Hirte Bezugsrechtsausschluß und Konzernbindung, 1986, S. 162 ff.; Wiedemann Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988, S. 57; Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 10. 57 B G H Z 136,133 - Siemens/Nold. 58 B G H Z 83, 122, 140.

Die

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a) Welche wirtschaftliche Stellung kommt der Tochter im Verhältnis zur Mutter oder im Konzern zu? O b der Tochtergesellschaft im Verhältnis zur Muttergesellschaft oder im Konzern eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zukommt, die den vom B G H ausgesprochenen Grundsatz zum Tragen bringt, hängt von den gleichen Kriterien ab, die für das Erfordernis der Zustimmung zur Ausgliederung maßgebend sind.59 Entscheidend ist der Zeitpunkt, in dem die Maßnahme in der Tochtergesellschaft zur Entscheidung ansteht. b) Von welcher Art bzw. Bedeutung sind die anstehenden Entscheidungen? Nicht jede Strukturentscheidung in der Tochtergesellschaft ist zustimmungspflichtig. Satzungsänderungen, die sich nicht oder nur unwesentlich auf die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Obergesellschaft auswirken, bedürfen keiner Zustimmung. Dazu gehören die Sitzverlegung, Firmenänderungen oder die Bindung des Vertretungsorgans an die Zustimmung des Aufsichtsrats bei bestimmten Geschäften. 60 Im Schrifttum werden weiter dazu der Formwechsel, die Kapitalherabsetzung 61 und eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln bei der Tochter 62 gerechnet. Auch Unternehmensverträge und Eingliederungen zwischen nachgeordneten Konzernunternehmen unterliegen keiner Zustimmungspflicht, soweit zwischen Mutter und Tochter kein Vertrags- oder Eingliederungskonzern besteht. 63 Verschmelzungen unter Tochtergesellschaften, Vermögensübertragungen auf eine Schwestergesellschaft sollen zustimmungsfrei sein, wenn eine 100%ige Beteiligung besteht oder der Einfluss der Mutter auf die übernehmende Tochter nicht wesentlich geringer ist als der auf die übertragende Gesellschaft. 64 Hingegen wird eine Zustimmungspflicht für Unternehmensverträge i.S.d. §§ 291 f. AktG angenommen, die mit Dritten abgeschlossen werden, 65 für die Übertragung des Vermögens einer Tochter i.S.d. § 179a AktG auf Dritte sowie die Auflösung einer Tochter. 66 Der Senat zählt ferner die Kapital-

Krieger aaO (Fn. 713) § 69 Rn. 33; Reichert aaO (Fn. 71) S. 72f. BGHZ 83,122,140f. 61 Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 37. 62 Lutter FS Stimpel, 1985, S. 825, 851. 63 Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 37. 64 Lutter aaO (Fn. 62) S. 851; Koppensteiner aaO (Fn. 17) Vorb. § 291 Rn. 46; Martens ZHR 147 (1983), 377, 424f. 65 Koppensteiner aaO (Fn. 17) Vorb. § 291 Rn. 47; Götz AG 1984, 85, 88; H. P. Westermann ZGR 1984, 352, 373, 376f.; Mecke Konzernstruktur und Aktionärsentscheid, 1992, S. 161 ff. 66 BGHZ 83, 122,140; zur Vermögensübertragung: LG Frankfurt, ZIP 1997,1698,1701; zur Auflösung a.A. H. P. Westermann aaO (Fn. 65) S. 373. 59

60

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erhöhungen gegen Einlagen dazu, und zwar auch dann, wenn die Obergesellschaft das Bezugsrecht in vollem Umfange ausüben soll. 67 Das Schrifttum folgt dem nur insoweit, als das Bezugsrecht der Mutter ganz oder teilweise ausgeschlossen oder nicht ausgeübt werden soll. Zusätzlich wird auch verlangt, dass durch die Nichtausübung des Bezugsrechts eine wesentliche Strukturveränderung auftritt wie etwa die Beseitigung der alleinigen Beteiligung oder eine grundlegende Veränderung der Mehrheitsverhältnisse. 68 Für das genehmigte Kapital wird die Zustimmung nur dann für erforderlich gehalten, wenn auch eine Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss ausgesprochen wird. Zutreffend wird jedoch darauf hingewiesen, dass der B G H konsequenterweise generell von einer Zustimmungspflicht ausgehen muß. 69 Der Senat verlangt für den Beschluss der Hauptversammlung dieselbe Mehrheit, die für eine entsprechende Maßnahme in der Obergesellschaft erforderlich wäre. 70 Auch die sonstigen Voraussetzungen (Vorstandsberichte, Bekanntmachungen usw.) sind gleich zu gestalten. In der Entscheidung ist offen geblieben, ob die aufgestellten Grundsätze auch dann gelten, wenn die Hauptversammlung der Ausgliederung zugestimmt hat, an der Tochtergesellschaft noch andere Gesellschafter beteiligt sind oder die Tochter auf andere Weise als durch Ausgliederung entstanden ist. 71 Das muss man bejahen. Die Zustimmung zur Ausgliederung lässt das Schutzbedürfnis der Aktionäre der Mutter für die später ergehenden grundlegenden, für ihre Rechtsstellung bedeutsamen Entscheidungen nicht entfallen. Welche Auswirkungen das Vorhandensein anderer Beteiligungen auf das Zustimmungserfordernis hat, muss im Einzelfall entschieden werden. Auf jeden Fall wird man es bei einer qualifizierten Mehrheitsbeteiligung oder bei einem Abstimmungsverhalten der beteiligten Gesellschafter verlangen müssen, das zu der erforderlichen qualifizierten Mehrheit in der Tochter führt. Die Art des Beteiligungserwerbs ist bedeutungslos. 7 2

B G H Z 83,122, 141 ff. Lutter FS H. Westermann, 1974, S. 347, 357 ff.; Hirte aaO (Fn. 56) S. 186; Timm Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, S. 174 f. 69 Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 40. 70 B G H Z 83,122 Leitsatz e. 71 B G H Z 83, 122, 140. 72 Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 34. 67

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IV. Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen Bei Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen müssen zwei Fragen unterschieden werden: 1. Bedürfen Handlungen, die auf eine mittelbare Unternehmensführung abzielen, einer ausdrücklichen Ermächtigung des Vorstandes in der Satzung oder werden sie von dem Unternehmensgegenstand, der den Tätigkeitsbereich der unmittelbaren Unternehmensführung umschreibt, erfasst (Erfordernis einer Konzernierungsklausel)? 2. Ist für den Erwerb und die Veräußerung von Beteiligungen (Veräußerung und Auflösung von Tochtergesellschaften) die Zustimmung der Hauptversammlung der Beteiligungsgesellschaft erforderlich? 1. Ermächtigung in der Satzung Nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG muss die Satzung den Gegenstand des Unternehmens bestimmen. Die Vorschrift verfolgt u.a. den Zweck, den Aktionären die Möglichkeit zur Festlegung des Unternehmensgegenstandes zu geben und sie auf diese Weise vor dessen Veränderung zu schützen. 73 Die dadurch bedingten Konkretisierungsanforderungen sind sachbezogen zu verstehen.74 Darüberhinaus wird die Ansicht vertreten, der Unternehmensgegenstand diene auch dazu, die organisatorische Ausrichtung des Unternehmens zu bestimmen. 75 Für das Erfordernis einer Regelung des Beteiligungserwerbs in der Satzung wird angeführt, die Unternehmensführung durch Beteiligungsgesellschaften sei qualitativ etwas anderes als die unmittelbare Unternehmensführung in der Einheitsgesellschaft, so dass die Satzung bestimmen müsse, ob die unternehmerische Tätigkeit durch Tochter- oder Beteiligungsgesellschaften ausgeführt werden dürfe.76 Dieser weit überwiegenden Ansicht im Schrifttum wird jedoch, wie schon in anderem Zusammenhang ausgeführt, entgegengehalten, sie betrachte die Tätigkeit des Vorstandes der Obergesellschaft isoliert und leugne, dass seine Aktivitäten in der Tochtergesellschaft zur Ausfüllung des Unternehmensgegenstandes der Muttergesellschaft geeignet sein könnten. Sie verkenne damit die allgemein akzeptierte konzerndimensionale Reichweite des Unternehmensgegenstandes der Obergesellschaft. 77 Dafür wird überzeugend ins Feld geführt, es

MünchKommAktG/Peniz 2. Aufl., § 23 Rn. 78; Geßler aaO (Fn. 21) S. 483. Kropff AktG, 1965 S. 43 f. 75 Groß A G 1994,266,269. 76 Koppensteiner aaO (Fn. 17) Vorb. § 291 Rn. 26; Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 4; Mertens aaO (Fn. 18) § 82 Rn. 15; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 179 Rn. 64 f.; ders. ZGR 1975, 385, 416. 77 Mülbert aaO (Fn. 14) S. 378 f. 73 74

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sei widersprüchlich, die Reichweite des Unternehmensgegenstandes der Tochter an demjenigen der Mutter auszurichten, dann jedoch zu leugnen, dass es sich dabei um eine eigene Tätigkeit der Mutter am Markt handele. Solange man der Obergesellschaft die Tätigkeit der Tochter zur Bestimmung der Grenzen des Unternehmensgegenstandes zurechne, sei es ohne Bedeutung, ob die Obergesellschaft den Unternehmensgegenstand in der eigenen Gesellschaft oder als Führungsholding mit unternehmerischer Leitungsfunktion ausübe. Folgt man dieser Argumentation, bedarf es in der Satzung zur mittelbaren Unternehmensführung keiner Ermächtigung (Konzernklausel). Folgt man der herrschenden Meinung, stellt sich die Frage, ob Vorgänge von wirtschaftlich unwesentlicher Bedeutung ausgenommen werden können. Das wird überwiegend bejaht, jedoch auch mit Rücksicht auf das Erfordernis der Rechtssicherheit verneint.78 Ferner soll der Beteiligungserwerb ausgenommen werden, der sich als bloßer Annex unternehmerischer Betätigung darstellt (Liquiditätsreserve, bei Banken: z.B. als Aktienemissionen verbliebene oder als Ablösung notleidender Kredite hereingenommene Beteiligungen).79 Der Streit wird dadurch entschärft, dass in der Regel sog. Ermächtigungsklauseln in den Satzungen enthalten sind. Auch das Konkretisierungserfordernis ist umstritten; um das Handlungsermessen des Vorstandes nicht zu drastisch einzuengen, sollte davon ausgegangen werden, dass eine allgemein gehaltene Ermächtigung zum Erwerb von Beteiligungen die Beteiligungsübernahme in jeder Form gestattet.80 Die Beteiligungsveräußerung bedarf grundsätzlich keiner Regelung in der Satzung. Dabei sind jedoch einige Aspekte zu beachten: Verbleibt nur eine als Finanzanlage geführte Beteiligung, bedarf das Halten dieser kapitalistischen Beteiligung der Ermächtigung in der Satzung. Möchte der Vorstand einen Teil einer Beteiligung veräußern, der zum Verlust einer qualifizierten Mehrheit führt, soll es erforderlich sein, einen Zustimmungsvorbehalt in die Satzung aufzunehmen.81 Das geht jedoch, wie aus § 291 Abs. 2 AktG entnommen werden kann, weit über die Intention des Gesetzes hinaus. In neuerer Zeit ist die Ansicht entwickelt worden, dass der Vorstand die in der Satzung genau vorgegebene bezweckte Unternehmenstätigkeit mit seiner Tätigkeit ausfüllen müsse. Tut er das nicht, liegt darin eine (Teil-) Aufgabe des Unternehmensgegenstandes, der als Satzungsänderung eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf. Allerdings wird eine Vorlagepflicht des Vorstandes nur für Fälle angenommen, die Erscheinung und

78 Bejahend u.a. Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 4; Timm AG 1980, 172, 180; ablehnend Koppensteiner aaO (Fn. 17) Vorb. § 291 Rn. 19. 79 Hommelhoff aaO (Fn. 14) S. 48 ff. 80 Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 5; Groß aaO (Fn. 75) S. 267f. 81 Timm aaO (Fn. 68) S. 135 ff.; Hommelhoff aaO (Fn. 14) S. 444 ff.

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Struktur der Gesellschaft wesentlich ändern.82 Insoweit kann auf die Ausführungen zur Frage der Schwellenwerte bei der Ausgliederung Bezug genommen werden. Enthält die Satzung eine Konzernierungsklausel, soll sie nicht nur den Erwerb, sondern auch die Veräußerung der Beteiligung umfassen. 83 2. Zustimmung

durch die Hauptversammlung

der

Obergesellschaft

Die Frage der Zustimmungspflicht der Hauptversammlung bei dem Erwerb von Beteiligungen wird überwiegend verneint,84 jedoch - mit unterschiedlichen Begründungsansätzen - auch bejaht.85 Der Senat hat ausgeführt, die Gründung oder der Erwerb einer Tochtergesellschaft und deren Ausstattung mit dem notwendigen Kapital seien gemeinhin zu dem gewöhnlichen Rahmen von Handlungen der Geschäftsführung zu rechnen.86 Diese Formulierung schließt nicht aus, dass nach der Vorstellung des Senates - er lässt eine Entscheidung ausdrücklich offen - 8 7 auch der Erwerb von Beteiligungen diesen gewöhnlichen Rahmen überschreiten und Gefahren heraufbeschwören kann, die ähnlich gestaltet sind wie bei der Ausgliederung, wenn der Erwerbsvorgang die Qualität aufweist, die der Ausgliederungsfall Holzmüller hatte. Werden also Umsatz, Ertrag und Vermögen in dem von der Muttergesellschaft betriebenen Unternehmen in ähnlicher Weise beeinträchtigt wie bei der Ausgliederung nach dem Modell Holzmüller, spielt sich das im Kerngeschäft ab, so dass Auswirkungen auf dessen Image und die langfristige Unternehmensstrategie eintreten, kommt der Beteiligungserwerb mit seiner Finanzierungsgestaltung in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen einer Änderung des Unternehmensgegenstandes oder einer Gesamtvermögensübertragung nahe, hat man sicherlich einen Holzmüller-Fall. Das kann insgesamt mit der Umschreibung zusammengefasst werden, dass unmittelbar der Obergesellschaft zugeordnetes Vermögen in eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung transformiert wird. 88 Mit den Worten der Urteilsgründe hieße das, dass die Rechtsstellung der Aktionäre der Obergesellschaft geschwächt wird, auch wenn sich sämtliche

82 Vgl. die Darstellung bei Lutter/Leinekugel ZIP 1998, 225, 226ff. m.w.N. zum Meinungsstand in Fn. 9 und 15; ferner Groß aaO (Fn. 75) S. 268 f. 83 Groß aaO (Fn. 145) S. 270. 84 Koppensteiner aaO (Fn. 17), Vorb. § 291 Rn. 26; Mertens aaO (Fn. 18) § 76 Rn. 51 f.; Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 7; Sünner A G 1983, 169ff.; Timm aaO (Fn. 68) S. 103; H. P. Westermann Z G R 1984, 352ff.;/oosi aaO (Fn. 1) S. 183. 85 Lutter FS H. Westermann (Fn. 68) S. 364ff.; Hirte aaO (Fn. 56) S. 158ff., 181; Mecke aaO (Fn. 46) S. 194 ff. 86 B G H Z 83,122,132. 87 B G H Z 83,122,138. 88 Mülbert aaO (Fn. 14) S. 371.

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Anteile in den Händen der Obergesellschaft befinden. Die Aktionäre können den Einsatz des ausgelagerten Wirtschaftspotentials, das Risiko seines Verlustes und die Verwendung seiner Erträge nicht mehr unmittelbar beeinflussen. Die Verwendung des in der Tochter erzielten Jahresüberschusses durch den Vorstand der Obergesellschaft unterliegt praktisch keinen Beschränkungen; wichtige Entscheidungen werden mit dem übergegangenen Wirtschaftsvermögen aus der Ober- in die Untergesellschaft verlegt. Durch den Abschluß von Unternehmensverträgen der Tochter mit einem Dritten oder durch Aufnahme fremder Gesellschafter im Wege der Kapitalerhöhung werden die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre in der Obergesellschaft vollends ausgehöhlt. Zugleich können damit konkrete Vermögensverluste verbunden sein. 89 Eine andere Frage ist es, ob sich die Finanzierung des Beteiligungskaufes in gleicher Weise wie die Ausgliederung auf das Kerngeschäft der Obergesellschaft und die Unternehmensstrategie auswirkt. Hier liegt offensichtlich das Bedenken derer, die eine Gleichschaltung des Beteiligungserwerbes mit der Ausgliederung nach dem Modell Holzmüller u. a. mit der Begründung ablehnen, bei dem reinen Bargeschäft verbinde sich eine spätere Mediatisierung der Mitverwaltungsrechte der Aktionäre hinsichtlich der Unternehmensteile nicht in gleicher Weise wie mit der Ausgliederung wesentlicher Unternehmensteile. 90 Zudem werden sich auch die übrigen Auswirkungen anders darstellen. Vermögen, Ertrag und Umsatz der Obergesellschaft werden nur geringe Änderungen erfahren, einer Änderung des Unternehmensgegenstandes oder einer Vermögensübertragung wird der Erwerb in der Regel nicht nahekommen. Daraus kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass im Tatsächlichen der Beteiligungserwerb die Qualität des Holzmüllerfalles regelmäßig nicht erreichen wird. Ist das wider Erwarten doch der Fall, gelten für die Beteiligung der Hauptversammlung die gleichen Grundsätze wie bei der Ausgliederung. Auch bei der Beteiligungsveräußerung ist das Erfordernis der Mitwirkung der Hauptversammlung im Schrifttum umstritten. 91 Der BGH hat die Weiterübertragung des Gesellschaftsvermögens der Tochtergesellschaft und deren Auflösung zu den zustimmungsbedürftigen Maßnahmen gezählt. 92 Das setzt jedoch die Holzmüller-Konstellation voraus. Denn nur durch diese Bezugsgröße können Veräußerung des Gesamtvermögens oder Auflösung

Vgl. BGHZ 83,122,136f. Vgl. u.a. Krieger aaO (Fn. 13) § 69 Rn. 7. 91 Bejahend LG Frankfurt, ZIP 1997, 1698; Lutter/Leinekugel aaO (Fn. 82) S. 230; dies. ZIP 1998, 805, 806; ablehnend Koppensteiner aaO (Fn. 17) Vorb. § 291 Rdn. 40 m.w.N.; Groß aaO (Fn. 75) S. 275. 92 BGHZ 83, 122,140. 89

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der Tochtergesellschaft die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre der Obergesellschaft überhaupt tangieren. An ein Zustimmungserfordernis kann man unter dieser Voraussetzung auch denken, wenn die Alleinbeteiligung um mehr als 25 % durch die Aufnahme von Dritten dezimiert wird. Denn dadurch verlieren die Obergesellschaft und ihre Aktionäre die Möglichkeit, Strukturentscheidungen herbeizuführen, die einer qualifizierten Mehrheit bedürfen. Das erschwert die Beherrschung der Tochtergesellschaft erheblich. Entscheidend kann nicht sein, dass die Veräußerung der Beteiligung nicht zu einer Wertminderung des Vermögens der Obergesellschaft führt. 93 Maßgebend ist vielmehr, dass die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte selbst in ihrer mediatisierten Form teilweise oder ganz nicht mehr möglich ist. Bei der genannten Teil - oder einer vollständigen Veräußerung der Tochtergesellschaft fließt der Obergesellschaft nur Vermögen in anderer Form zu. Das Kerngeschäft, das durch die Ausgliederung aus der Obergesellschaft - oder möglicherweise auch durch einen Beteiligungserwerb - von den Aktionären nur noch mittelbar beherrscht werden konnte, geht durch die Veräußerung nunmehr teilweise oder vollständig verloren. Dieser Eingriff ist noch schwerer als der erste, der wenigstens noch die mittelbare Ausübung der Mitgliedschaftsrechte ermöglichte. U m das einer Kontrolle zu unterwerfen, bedarf es der Beschlussfassung der Hauptversammlung. 94

V. Beschluss der Hauptversammlung über die Ermächtigung des Vorstandes zu Strukturmaßnahmen Im Schrifttum ist die Zulässigkeit von Hauptversammlung-Beschlüssen, mit denen der Vorstand ermächtigt wird, Maßnahmen zu treffen, die im Rahmen der ungeschriebenen Kompetenzen in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung fallen, weitgehend anerkannt. 95 Dem wird die Rechtsprechung ohne Bedenken folgen können, weil hier eine Anschauungslücke des Gesetzgebers gegeben ist, die von den Gesellschaften nach den Grundsätzen des Aktienrechts ausgefüllt werden kann. Da das Aktienrecht in bestimmten Fällen eine Kompetenzverlagerung von der Hauptversammlung auf den Vorstand zulässt, kann eine solche Verlagerung auch im Rahmen der ungeschriebenen Hauptversammlung-Kompetenzen vorgenommen werden. 96 93

So aber Groß aaO (Fn. 75) S. 275. I. E. ebenso Reichert aaO (Fn. 1) S. 68 ff. 95 Wiedemann aaO (Fn. 76) § 179 Rn. 77; Lutter/Leinekugel aaO (Fn. 82) S. 81 Iff.; Priester EWiR 1990, 220; Groß A G 1996, 111, 113; Grunewald A G 1990, 133, 136; M ecke aaO (Fn. 85) S. 206; Martens Z H R 147 (1983), 377, 393; beschränkt auf die Beteiligungsveräußerung Wollburg/Gehling FS Lieberknecht, 1997, S. 133, 135. 96 Zu den Einzelheiten vgl. Lutter/Leinekugel aaO (Fn. 91) S. 811 ff. 94

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Hartwig H e n z e

Zweifelhaft sind die Grenzen, innerhalb deren eine solche Ermächtigung erteilt werden kann. Vor Erlass der Siemens/Nold-Entscheidung97 hat sich das Schrifttum, soweit es sich überhaupt mit dieser Frage befasst hat, an den im Holzmann-Urteil 98 für das genehmigte Kapital aufgestellten Voraussetzungen orientiert.99 Dieses Prinzip soll im vorliegenden Zusammenhang weiter gelten.100 Für die Vorbereitung und den Inhalt des Ermächtigungsbeschlusses werden folgende Forderungen aufgestellt: Beschlussvorbereitung - Bekanntgabe des Gegenstandes der Tagesordnung (§ 124 Abs. 1 AktG) und Unterbreitung eines Beschlussvorschlages (§ 124 Abs. 3 S. 1 AktG), - konkrete Umschreibung des wesentlichen Inhaltes der Maßnahme und Bekanntgabe in dieser Form an die Hauptversammlung (§ 124 Abs. 2 S. 2 AktG), - Erstattung (und Auslegung in den Geschäftsräumen) eines schriftlichen Berichtes durch den Vorstand (Strukturbericht) mit Erläuterung der Gründe für die geplante Strukturmaßnahme und des ihr zugrundeliegenden unternehmerischen Konzeptes. Dieser Bericht müsse vollständig sein und die Aktionäre in die Lage versetzen, die geplante Strukturänderung gegenüber anderen Lösungsalternativen abzuwägen und insbesondere zu erkennen, ob und wie sich die Maßnahme auf ihre Mitgliedschaft auswirke, - bei Beteiligungsveräußerung: Präzisierung des Objektes und der Konsequenzen für Bilanz und Ertragskraft, - bei Beteiligungserwerb: finanzielles Limit für die Verwaltung, Bekanntgabe des Unternehmensbereiches der Verlagerung der Gesellschaftsaktivitäten, - bei Ausgliederung: Bekanntgabe der Tochter, der übergehenden Aktiva und Passiva und der Folgen für die künftige Bilanz und Struktur der Gesellschaft, - bei Umwandlungscharakter: Orientierung der Angaben am Umwandlungsbericht (§ 8 UmwG), - beim Börsengang: Mitteilung, welche Aktiengattungen zu welchem Mindestausgabekurs und mit welchen Konsequenzen für die Altaktionäre zum Handel zugelassen werden sollen.

97 98 99 100

B G H Z 136, 133. B G H Z 83, 319. Grunewald aaO (Fn. 95) S. 136; in der Sache auch Groß aaO (Fn. 95) S. l M f f . Lutter/Leinekugel aaO (Fn. 91) S. 814 ff. mit besonderem Hinweis in Fn. 91.

233

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

Beschlussinhalt - Ausgliederung / Schaffung einer Holding mit Bereichsgesellschaften·.

Fest-

legung der zu trennenden Unternehmensbereiche, Darlegung des U n t e r nehmenskonzeptes, in Aussicht genommene Umwandlungen in bedeutenden Tochtergesellschaften, - Aufnahme

Dritter

in Tochtergesellschaften:

Darlegung der Bewertungs-

kriterien, sachverständige Begutachtung als Auflage, - Fusion,

Unternehmensvertrag:

vgl. Regelungen der §§ 293 b A k t G , 9

UmwG, -

übrige

Fragen:

Erläuterung des unternehmerischen Konzeptes. K ö n n e n

derartige Konkretisierungen nicht gemacht werden, muss die Ermächtigung mangels Vorliegens eines Konzeptes unterbleiben. Vorratsbeschlüsse werden als unzulässig angesehen. Keine Häufung von Ermächtigungen, sondern

Sicherstellung

und

Vereinfachung

der

Durchführung

eines

bestimmten Konzeptes.

Beschlussfassung -

Auslegung der erforderlichen Unterlagen in der Hauptversammlung,

-

umfassende Erläuterung des geplanten Vorhabens,

-

Beschlussmehrheit v o n drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals,

-

Beschränkung des Zeitraums für die Ermächtigung auf ein J a h r bis zur nächsten Hauptversammlung,

-

keine Eintragung in das Handelsregister, aber Hinterlegung einer notariell beglaubigten Abschrift der Ermächtigung beim Handelsregister,

-

bei Durchführung der Strukturmaßnahme Offenlegung und Bekanntgabe bislang unbekannter Einzelheiten in der nächsten Hauptversammlung. D a z u ist grundsätzlich zu bemerken, dass es nur dann sinnvoll ist, die

Möglichkeit eines Ermächtigungsbeschlusses einzuräumen, wenn man diese Gelegenheit nicht durch ein U b e r m a ß an Anforderungen bereits im K e i m e erstickt. Letzteres tut man jedoch, wenn - wie das in dem Forderungskatalog geschieht - vielfach bis ins einzelne gehende Angaben verlangt werden und die Zulässigkeit eines Ermächtigungsbeschlusses kategorisch ausgeschlossen wird, wenn den geforderten Konkretisierungen (noch) nicht entsprochen werden kann. D i e Stellungnahme zu den aufgeführten Einzelheiten soll auf drei Kernpunkte beschränkt werden: -

D e r Forderung, die Erteilung der Ermächtigung auf den Zeitraum bis zur nächsten Hauptversammlung zu beschränken, ist zuzustimmen. Wenn das P r o j e k t n o c h nicht realisiert worden ist, hat der Vorstand die Gelegenheit zu ergreifen, die Entwicklung - soweit dem wohlverstandene G e h e i m haltungsinteressen der Gesellschaft(en) nicht entgegenstehen - darzulegen und erneut um die Erteilung einer Ermächtigung nachzusuchen. Dadurch

234

Hartwig Henze

ist zugleich gewährleistet, dass die Hauptversammlung über den Fortgang der Maßnahme angemessen unterrichtet wird. Ist das Vorhaben abgeschlossen, hat der Vorstand ohnehin in der nächsten Hauptversammlung einen Rechenschaftsbericht zu erstatten. - Dem Vorstand muss die Möglichkeit eingeräumt werden, Projekte entsprechend den Marktgegebenheiten und - entwicklungen rasch zu verwirklichen. Eine solche Zwangssituation kann auch bei einem so kurzen Zeitraum wie dem eines Jahres eintreten. Für diese Fälle muss es genügen, wenn er die Möglichkeiten der Realisierung abstrakt darlegt. Erforderlich ist jedoch, das in Aussicht genommene Unternehmenskonzept darzustellen. Es muss ihm aber ermöglicht werden, mehrere konzeptionelle Planungen nebeneinander in Aussicht zu nehmen, wobei es ihm überlassen bleiben muß, über die Realisierung nach den Marktentwicklungen im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens im Interesse der Gesellschaften) zu entscheiden. Bei Ausgliederungsvorhaben können konkretere Angaben zum Konzept verlangt werden, bei Erwerb oder Veräußerung von Beteiligungen oder der Aufnahme Dritter in Tochtergesellschaften wird schon aus Gründen der Geheimhaltung eine abstraktere Umschreibung geboten sein. Die Forderung, bei der Absicht eines Beteiligungserwerbes ein finanzielles Limit zu setzen, ist nur dann sinnvoll, wenn die Bemessung so ausfällt, dass das Projekt nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. - Eines schriftlichen Vorstandsberichtes bedarf es nicht. Es genügt zur sachgemäßen Unterrichtung der Aktionäre, dass entsprechend § 124 Abs. 2 S. 2 AktG das Unternehmenskonzept und die wesentlichen zu seiner Verwirklichung erforderlichen Einzelschritte dargestellt werden. 101

VI. Der Börsengang von Tochtergesellschaften Die Börsengänge der Tochtergesellschaften von Großunternehmen 102 haben in den letzten Jahren die Diskussion über einen Schutz der Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre in den Muttergesellschaften in Gang gesetzt.103 In einem Falle (Siemens/Infineon) kamen die Aktien aus dem Altbesitz der

Vgl. Hüffer aaO (Fn. 19) § 124 Rn. 11. Siemens: Infineon Technology A G ; Deutsche Telekom: T-Online International A G ; Commerzbank: comdirect bank A G . 103 Vgl. dazu zuletzt: Ebke FAZ ν. 2 . 5 . 2 0 0 1 (Nr. 101) S. 50; Fleischer ZHR 165 (2001), 513, 522 ff.; Fuchs in: Henze/Hoffmann-Becking, RWS-Forum 20 - Gesellschaftsrecht 2001, S. 259; Habersack W M 2001, 545; Hirte in: Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 202 Rn. 207 ff.; Becker/Fett W M 2001, 549; Lutter A G 2001, 349; Lüders/Wulff BB 2001, 1209; Trapp/Schick A G 2001, 381. 101

102

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

235

Muttergesellschaft, in zwei anderen Fällen (T-Online und Comdirect) wurden durch Kapitalerhöhungen neue Aktien geschaffen. Im Rahmen der Diskussion haben sich im "Wesentlichen drei Ansatzpunkte herauskristallisiert: 1. Kann ein Schutz durch Mitwirkungsrechte der Aktionäre in der Hauptversammlung der Muttergesellschaft gewährleistet werden? 2. Besteht ein Bezugs- oder Vorerwerbsrecht der Aktionäre der Muttergesellschaft? 3. Welche Vorstandspflichten bestehen bei der Ermittlung des Ausgabepreises ? Die nachfolgenden Ausführungen werden sich in erster Linie mit der Frage des Aktionärsschutzes nach den Grundsätzen der Holzmüller-Entscheidung befassen. Die anderen beiden Gesichtspunkte werden nur kurz gestreift. 1. Schutz der Aktionäre der Muttergesellschaft in der Hauptversammlung?

durch

Mitwirkungsrechte

Die unterschiedliche Herkunft der bei den Börsengängen begebenen Aktien macht im Ausgangspunkt eine Beurteilung nach unterschiedlichen Kriterien erforderlich. a) Kapitalerhöhung in der Tochtergesellschaft In den Fällen der Schaffung neuer Aktien durch Kapitalerhöhung sind die zur Mediatisierung der Aktionärsrechte entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Es liegen Kapitalerhöhungen gegen Einlagen vor, bei denen nach der Rechtsprechung des B G H eine Zuständigkeit der Hauptversammlung der Mutter bei Ausübung des Bezugsrechts sowohl durch die Obergesellschaft als auch durch Dritte gegeben sein kann.104 Hier ist der vom Senat offengelassene Gesichtspunkt von Bedeutung, wie es sich verhält, wenn das Bezugsrecht nicht von der Muttergesellschaft, sondern von Dritten ausgeübt und infolgedessen die Alleinbeteiligung der Mutter in eine Mehrheits-, Parioder Minderheitsbeteiligung umgewandelt wird. Im Schrifttum wird für diese Fälle ein Mitwirkungserfordernis der Hauptversammlung der Obergesellschaft bejaht. 105

B G H Z 8 3 , 1 2 2 , 1 4 1 ff. ios Vgl. die Nachweise Fn. 103, ferner bei Fleischer aaO (Fn. 103) Fn. 61 und Fuchs aaO (Fn. 103) Fn. 25 und 26. 104

236

Hartwig Henze

b) Beteiligungsveräußerung Die Aktien werden aus dem Portefeuille der Muttergesellschaft an die Börse gebracht. Insoweit greift zunächst einmal der Gesichtspunkt ein, dass in Höhe der veräußerten Anteile eine Ausübung der Mitgliedsrechte selbst in der mediatisierten Form nicht mehr möglich ist. Der Obergesellschaft fließt nur Vermögen zu, das nicht der ausgegliederten Form entspricht, das daher auch nicht mehr in mediatisierter Form beeinflusst werden kann. Ferner ist von Bedeutung, ob die alleinige Beteiligung der Mutter in eine einfache Mehrheits-, eine Pari- oder eine Minderheitsbeteiligung umgewandelt worden ist. Die Entscheidung beider Merkmale ist in Holzmüller offen geblieben. c) Zustimmungspflicht der Hauptversammlung wegen des Börsenganges? Im Schrifttum wird eine Zustimmung der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft unter dem Gesichtspunkt der ungeschriebenen Hauptversammlung-Kompetenzen bejaht. 106 Das ist durchaus gerechtfertigt, weil der Börsengang die Privilegierungen beseitigt, die das Aktiengesetz für kleine Aktiengesellschaften bereithält, Auswirkungen auf Publizität und Rechnungslegung eintreten, die Gesellschaft einem unbegrenzten Anlegerkreis zugänglich wird, was für sie im Hinblick auf Ubernahmen nicht ohne Gefahren ist, und für Gesellschaft und Aktionäre kapitalmarktrechtliche Rechtspflichten begründet. 107 Einer gesonderten Zustimmung durch die Hauptversammlung der Muttergesellschaft bedarf der Börsengang der Tochter jedoch nicht. Zwar wird die Stellung der Tochter gegenüber der Obergesellschaft dadurch gestärkt, dass sie nunmehr eigenständig den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen kann. Auch die Eigenständigkeit gegenüber der Obergesellschaft wird ausgeprägter. Der Einflussverlust, der dadurch bei der Mutter und ihren Aktionären eintritt, gewinnt jedoch neben den Nachteilen, die beide mit der Beteiligung von Dritten an der Tochter erleiden, keine gesonderte Bedeutung. 108

106 Baums/Vogel in: Lutter/Scheffler/Schneider (Hrsg.), Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 9.35, 9.55 und 9.57; Fuchs a a O (Fn. 103) S. 269f.; Vollmer/Grupp ZGR 1995, 459, 466; Lutter FS Zöllner, 1998, Bd. I, S. 363, 378 ff.; Lutter/Dry gala FS Raisch, 1995, S. 239, 240 f.; Lutter/Leinekugel a a O (Fn. 91) S. 805, 806; Picot/Land D B 1999, 570, 571. 107 Vgl. Fuchs a a O (Fn. 103) S. 270, der insbesondere das Insiderhandelsverbot, die adhoc-Publizität und Mitteilungspflichten über Erwerb und Veräußerungen wesentlicher Beteiligungen hervorhebt. 108 Vgl. zu den Einzelheiten Fuchs a a O (Fn. 103) S. 271.

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

237

d) Wesentlichkeitsgrenze Die vorstehend erörterte Zustimmungspflicht sowohl zur Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss der Obergesellschaft als auch zur Beteiligungsveräußerung kommt jedoch nach dem Holzmüller-Urteil nur dann zum Tragen, wenn so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingegriffen wird, dass der Vorstand der Muttergesellschaft nicht annehmen konnte, die Entscheidung ohne Mitwirkung der Hauptversammlung in eigener Zuständigkeit treffen zu können. Das erfordert im Einzelfall eine grundlegende Entscheidung, die in der Auslagerung eines unternehmerischen Tätigkeitsbereiches liegen kann. Das waren bei Siemens die Halbleiter-Aktivitäten, bei der Telekom das Internetgeschäft und bei der Commerzbank das Direktbankgeschäft. Der jeweilige Tätigkeitsbereich muss zu dem Kernbereich der Unternehmenstätigkeit der Obergesellschaft gehört haben, also von überragender Bedeutung für sie gewesen sein. Wie bereits ausgeführt, kommt als Bezugsgröße der Anteil des ausgegliederten Tätigkeitsbereich an Umsatz, Ertrag und Vermögen des von der Obergesellschaft - oder ihrem Konzern geführten Unternehmens in Betracht. Ferner sind die Bedeutung des Unternehmensteiles für das Kerngeschäft, dessen Image und die langfristige Unternehmensstrategie sowie die Nähe der Ausgliederungsmaßnahme zur Änderung des Unternehmensgegenstandes und zur Übertragung des Gesamtvermögens zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die New Economy, bei der die vorgenannten wirtschaftlichen Maßstäbe nicht besonders aussagekräftig sind, ist vorgeschlagen worden, eine strategische Aufteilung der Geschäftstätigkeit nach Geschäftseinheiten vorzunehmen und sie nach ihren Zukunftsaussichten zu bewerten, die ihnen im Unternehmen oder Konzern beigemessen wurden.109 Dieses im Grundsatz berechtigte Anliegen zeigt einmal mehr, dass nur die Bewertung des Einzelfalles zu sachgemäßen Ergebnissen führen kann.

2. Bezugs- oder Vorerwerbsrecht

der Aktionäre

der

Obergesellschaft?

Der B G H hat im Holzmüller-Urteil im Rahmen der Ausführungen zu der Mitwirkungskompetenz der Aktionäre der Obergesellschaft bei Kapitalerhöhungen in der Tochtergesellschaft erwogen, es müsse der Hauptversammlung der Obergesellschaft überlassen bleiben zu entscheiden, ob unter Ausschluss des Bezugsrechts dieser Gesellschaft ihren Aktionären in entsprechender Anwendung des § 186 Abs. 1 AktG ein Bezugsrecht eingeräumt werden solle. Sei das nicht gewollt, weil etwa Sacheinlagen geleistet werden

109

Fleischer aaO (Fn. 103) S. 527.

238

Hartwig Henze

sollten, bedürfe der Beschluss einer sachlichen Rechtfertigung.110 Diese Ausführungen sind zum Anlass genommen worden, den Aktionären der Muttergesellschaft ein - verlängertes - Bezugsrecht zuzusprechen. Soweit die für den Börsengang zur Ausgabe vorgesehenen Aktien dem Beteiligungsbesitz der Obergesellschaft entnommen werden, wird ihnen ein Vorerwerbsrecht zugestanden, das aus der Mitgliedschaft oder der Treupflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Mitgliedern hergeleitet wird.111 Diese Ausführungen sind teilweise unter Anerkennung der Motive für eine solche Konstruktion - 1 1 2 auf Ablehnung gestoßen. Sie beruhen auf konzerndimensionalen Überlegungen,113 die im Aktienrecht keine Stütze finden und die in der HolzmüllerEntscheidung nicht zum Ausdruck kommen. Dieses Urteil geht lediglich von einer Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung der Obergesellschaft aus, nicht aber von einem durchgreifenden Bezugsrecht ihrer Aktionäre.114 Treupflichten der Gesellschaft gegenüber den Aktionären bestehen zwar und sind auch in der Rechtsprechung des B G H anerkannt. Sie eröffnen jedoch nicht die Möglichkeit einer uneingeschränkten schematisierenden Anwendung; vielmehr muss im Rahmen der Abwägung der Interessen aller Beteiligten im Einzelfall oder in Fallgruppierungen stets geprüft werden, ob sie tauglich sind, eine bestimmte Rechtsfolge zu tragen. Insoweit ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Kleinaktionäre nicht ihrer Gesellschaft verbunden sind oder Kapital in ihre Gesellschaft investieren wollen, sondern dass sie schlichte Anlegerinteressen verfolgen und ihre Bindung regelmäßig über den Blick auf den Börsenkurs und die Dividende nicht hinausgeht.115 Gerade mit Rücksicht auf diesen Gesichtspunkt ist abzuwägen, ob die Interessen der Gesellschaft an dem ungehinderten Zugang zu dem Kapitalmarkt nicht den Vorrang vor dem Interesse eines Anlageaktionärs genießen, bevorzugt - in der Regel verbunden mit nachteiligen Kostenfolgen für die Gesellschaft - bedient zu werden, ohne dass er befürchten muss, bei vertretbar ermitteltem Ausgabekurs einen nennenswerten Vermögensnachteil zu erleiden.116

B G H Z 83, 1 2 2 , 1 4 3 f. Lutter A G 2000, 342, 343 f.; ders. A G 2001, 349, insbesondere 352 f. 112 Fleischer aaO (Fn. 103) S. 542. 113 Lutter FS H . Westermann aaO (Fn. 68) S. 374; ders.FS Stimpel, 1985, S. 825. 114 Zur Ablehnung eines Bezugsrechts aufgrund einer Durchgriffsquote vgl. Wiedemann aaO (Fn. 76) § 1 8 6 Rn. 67. 115 Ebke aaO (Fn. 103) S. 50 Spalte 4 unter „Funktion des Kapitalmarktes". Die andere Sicht der Dinge in dem einen oder anderen Senatsurteil (vgl. B G H Z 71, 40, 44 und 83, 122, 143) beruht auf einer zeitbedingten und nach Ablauf von über 20 Jahren jedenfalls teilweise überholten Ansicht. 116 Vgl. zur Ablehnung aufgrund sonstiger Überlegungen Fleischer aaO (Fn. 103) S. 543 ff.; Fuchs aaO (Fn. 103) S. 274ff. 110

111

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

239

3. Vorstandspflichten bei der Ermittlung des Emissionspreises Die Diskussion, die sich vor allem daran entzündet hat, dass die nach üblichen Erkenntnissen und Methoden ermittelten Ausgabepreise von den aufgrund einer überhitzten Börsensituation erzielten Spekulationspreisen erheblich übertroffen wurden, hat auch zu dem Vorschlag geführt, eine flexible Lösung der Problematik im Rahmen der Vorstandspflichten zu suchen. 117 Dieses Anliegen ist nur zu berechtigt, wie die spätere Entwicklung beim going public gezeigt hat: Die Ausgabekurse wurden nach Beruhigung der Börsen und einem Rückgang der Konjunktur in vielen Fällen im Handel gerade erreicht, in sehr vielen Fällen sogar deutlich unterschritten. Davon wurden auch die Werte erfasst, die in der ersten Zeit ihres Handels noch Höchstkurse erzielt hatten. Der Vorstand hat die Pflicht, von den in Betracht kommenden Preisfindungsverfahren - Festpreis-, Bookbuilding- und Auktionsverfahren - das der Marktlage angemessene Verfahren zu wählen und, soweit das noch möglich ist, bei drohenden Fehlentwicklungen einschließlich haussierender Börsenkurse korrigierend einzugreifen. 118 Ein Verstoß gegen diese Pflichten, für die der weitgesteckte Handlungsspielraum des Vorstandes i.S.d. A R A G Entscheidung des Senates 119 maßgebend ist, hat die vom Gesetz vorgegebenen Folgen: Abberufung aus dem Amt (§ 84 Abs. 3 A k t G ) und / oder Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz (§ 93 Abs. 2 AktG). 1 2 0

VII. Das Delisting Vor etwa einem Jahr hat ein Oberlandesgericht unter Berufung auf das Holzmüller-Urteil des B G H 1 2 1 und den DAT/Altana-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 122 entschieden, dass die Ermächtigung des Vorstandes einer A G , einen Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung (Antrag auf reguläres Delisting) zu stellen, eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf. 123 Es beruft sich auf den Wegfall - der Handelbarkeit der Geschäftsanteile, die dem Aktionär eine jederzeitige Veräußerung der Aktien ermögliche und durch den Freiverkehr nicht ausgeglichen werden könne Fleischer aaO (Fn. 103) S. 528ff. Wegen der Einzelheiten vgl. Fleischer aaO (Fn. 103) S. 528ff., insbes andere 536ff. 119 B G H Z 1 3 5 , 2 4 4 , 2 5 3 f. 120 Vgl. Ehke aaO (Fn. 103) S. 50 Sp. 5; Fuchs aaO (Fn. 103) S. 283; Habersack aaO (Fn. 103) S. 549; Busch/Groß A G 2000, 503, 507. 121 B G H Z 83,122. 122 BVerfGE 100, 289, 301 ff. 123 O L G München, 14. 2. 2001, A G 2001, 364, 365. 117

118

240

Hartwig H e n z e

und - der Verhaltenspflichten nach dem Börsen- und Wertpapierhandelsgesetz, insbes. andere der kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten (§§ 44 ff. BörsG) und der ad-hoc-Publizität (§15 WpHG), die den amtlichen oder geregelten Markt voraussetzten, der die wirtschaftlichen Interessen der Aktionäre massiv tangiere, weil er ihrer ursprünglichen Investitionsentscheidung entgegenstehe. Das mache die Entscheidung zur Grundlagenentscheidung, über die aufgrund ungeschriebener Zuständigkeit nur die Hauptversammlung befinden könne. Das Schrifttum folgt überwiegend dieser Ansicht, 124 wobei unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob der Beschluss einer einfachen Mehrheit, 125 einer drei-Viertel Mehrheit 126 oder einer neun-Zehntel Mehrheit bedarf. 127 Eine Satzungsänderung wird darin nicht gesehen, soweit die Börsenzulassung nicht in der Satzung verankert ist.128 Zur Begründung der ungeschriebenen - Hauptversammlungs-Kompetenz wird angeführt, der Gang an die Börse oder der vollständige Rückzug von der Börse sei schon immer, zumindest aber seit Einführung der Vorschriften über die kleine AG eine solch tiefgreifende Änderung in der Gesellschaft gewesen, dass der Vorstand sie nicht ohne Zustimmung bzw. Ermächtigung der Hauptversammlung betreiben dürfe. Andere Stimmen im Schrifttum haben sich gegen ein Beschlusserfordernis der Hauptversammlung ausgesprochen. Sie haben die Eigentumsqualität der Börsenzulassung verneint. Die Unterscheidung zwischen an der Börse zugelassener und nicht zugelassener (kleiner) A G ändere nichts daran, dass das Gesetz am Modell einer einheitlichen AG festgehalten habe. Weder das Gesellschaftsrecht noch die Voraussetzungen, unter denen das Kapitalmarktrecht die Börsenzulassung sehe, gäben Veranlassung, das (reguläre) Delisting als tiefen Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre und somit als Strukturmaßnahme zu werten. 129 Die Vorteile, die von der Zulassung einer Aktie an der Börse ausgehen, unterliegen nicht dem Schutz des Eigentums. Der Widerruf der Zulassung und dessen Betreiben durch die A G beeinträchtigen daher einen derartigen 124

Grupp Börseneintritt und Börsenaustritt, 1995, S. 146ff.; Lutter FS Zöllner, 1998, Bd. I, S. 363, 376; Lutter/Dry gala FS Raisch, 1995, S. 239, 241; Vollmer/Grupp Z G R 1995, 459, 465 f. 125 Vollmer/Grupp aaO (Fn. 124) S. 466; Lutter/Drygala aaO (Fn. 124) S. 241 zum going public. 126 Lutter aaO (Fn. 124) S. 363, 378; Hellwig Z G R 1999, 781, 799ff.; Lutter/Leinekugel aaO (Fn. 91) S. 805, 806; Streck A G 1998, 460, 462; Vollmer/Grupp Z G R 1995, 459, 475. 127 Grupp aaO (Fn. 124) S. 146. 128 Vgl. Lutter aaO (Fn. 124) S. 377; Wirth/Arnold ZIP 2000, 111, 115. 129 Groß Z H R 165 (2001), 141, 163 ff.; Mülbert Z H R 165 (2001), 105, 111 ff., 123 ff.

Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr

241

Schutz nicht. Abgesehen davon, dass die Folgen einer solchen Auffassung Entschädigungspflicht der Zulassungsstelle wegen eines hoheitlichen Eingriffs - unabsehbar wären, 130 folgt die Eigentumsqualität der Börsennotierung nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Verkehrswert als Untergrenze bei Abfindung und variablem Ausgleich im Unternehmensvertragsrecht. 131 Nach dieser Rechtsprechung wird das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum durch Art. 14 Abs. 1 G G geschützt. Dieser Schutz hat zur Folge, dass den Aktionären bei seiner Beeinträchtigung eine volle Entschädigung zu leisten ist, die nicht unter dem Verkehrswert liegen darf. Da der Verkehrswert i.d.R. mit dem Börsenwert identisch ist, darf er nicht ohne Berücksichtigung des Börsenwertes festgesetzt werden. Da der Verkehrswert die Untergrenze der wirtschaftlich vollen Entschädigung bildet, steht es mit der Eigentumsgarantie grundsätzlich nicht in Einklang, die Barabfindung im Spruchstellenverfahren mit einem niedrigeren Wert als dem Börsenwert zu bemessen. • Diese Überlegungen setzen als selbstverständlich voraus, dass die Aktie zum Handel an der Börse zugelassen ist, machen die erfolgte Zulassung jedoch nicht zum Bestandteil des Eigentumsschutzes. • Aus den Beschlussgründen ergibt sich, dass der Börsenkurs lediglich ein Referenzkurs zur Bemessung des Verkehrswertes ist. Dieser Kurs kann höher (z.B. infolge Kursmanipulation), aber auch niedriger sein als der Verkehrswert. • Das BVerfG führt ausdrücklich aus, dass Art. 14 Abs. 1 G G keine Entschädigung zum Börsenkurs, sondern zum wahren Wert, mindestens aber zum Verkehrswert verlangt. Daraus kann ohne weiteres die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Börsenwert vom Schutz des Eigentums nicht erfasst wird. Das Betreiben des Delisting kann also nicht mit der Begründung als schwerwiegender Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht gewertet werden, es greife in das Eigentum des Aktionärs ein. Die Schwere des Eingriffs i.S.d. Holzmüller-Entscheidung muss aus gesellschafts- und/oder kapitalmarktrechtlichen Bezügen hergeleitet werden. Als solche kommen in Betracht - eine höhere Fungibilität der Aktie bei Zulassung an der Börse als im freien Handel, - ein besserer Anleger- und damit Minderheitenschutz als bei nicht vorhandener Börsenzulassung,

130

Mülbert aaO (Fn. 129) S. 112f.

Vgl. dazu BVerfGE 100, 289, 301 ff. (DAT/Altana); BVerfG, ZIP 1999, 1804 (Hartmann & Braun). 131

242

Hartwig Henze

- Wegfall der Öffnung für ein breites Anlegerpublikum sowie Einschränkung der Handelbarkeit des Unternehmens (u. a. nach WpÜG). Die Gewährleistung einer höheren Handelbarkeit einer an der Börse zugelassenen Aktie im Vergleich zum freien Handel entspricht der Lebenserfahrung. Sie bringt dem Aktionär Vorteile bei der Zulassung und Nachteile beim Delisting. Die Erleichterung der Kapitalaufnahme (§ 186 Abs. 3 S. 4 AktG), der Ausschluss der Möglichkeit, das gesetzliche Recht von Vorstand und Aufsichtsrat zur Gewinnrücklagenbildung in der Satzung zu beschränken (§58 Abs. 2 S. 2 AktG) und die Abschaffung von statutarischen Höchststimmrechten bei börsennotierten Aktiengesellschaften stärken die Stellung der Gesellschaft und ihrer Verwaltung, nicht aber die der Minderheitsaktionäre. Die Börsennotierung bringt den Aktionären unter diesem Aspekt also Nachteile, das Delisting Vorteile. Die erhöhten Informations- und Publizitätspflichten für börsennotierte Gesellschaften stärken die Aktionärsstellung bei der Zulassung, schwächen sie jedoch beim Delisting. Mit der Zulassung öffnet sich die Aktiengesellschaften dem Anlegerpublikum; sie steht im Blickpunkt des öffentlichen Handels- und Marktgeschehens. Sie ist damit auch wesentlich größeren Gefahren ausgesetzt (ζ. B. Ubernahmen) als die nicht zugelassene Aktiengesellschaften. Auch hier sind die Bewertungsfaktoren für Zulassung und Delisting unterschiedlich. Wägt man diese Umstände gegeneinander ab, führt das zu dem Ergebnis, dass mit dem Delisting für die Aktionäre Vorteile und Nachteile verbunden sind. Selbst wenn man die Nachteile geringerer Fungibilität und des Wegfalls der Informations- und Publizitätspflichten nach dem Kapitalmarktrecht im Vergleich zu den aufgelisteten Vorteilen als schwerwiegender ansieht, kann man das - gemessen an den Anforderungen des Holzmüller-Urteils - kaum als tiefen Eingriff in die Aktionärsrechte ansehen. Von einer Maßnahme im Kernbereich der Unternehmenstätigkeit kann man sicher nicht ausgehen. Nach den Kriterien dieser Entscheidung ist danach eine Hauptversammlungs-Zuständigkeit für das Delisting nicht gegeben.132 Eine Zuständigkeit kann somit nur durch gesetzgeberische Maßnahmen begründet werden.

132

So zu Recht auch Mülbert aaO (Fn. 129) S. 124ff.; Groß aaO (Fn. 129) S. 160ff.

Organnachfolge" bei der Verschmelzung? MICHAEL

HOFFMANN-BECKING

I. Fragestellung Eine Gesellschaft, die auf eine andere bereits bestehende oder im Zuge der Verschmelzung gegründete Gesellschaft verschmolzen wird, wird durch die Verschmelzung aufgelöst und zugleich, ohne daß es noch einer Abwicklung bedarf, beendet. Alle im Außenverhältnis begründeten Rechte und Pflichten der übertragenden Gesellschaft bleiben bestehen; sie gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft über und werden von dieser als eigene Rechte und Pflichten fortgeführt. Wie verhält es sich aber mit den im Innenverhältnis begründeten und auf die gesellschaftsinterne Organisation bezogenen Befugnissen und Pflichten der Organe und Organmitglieder der übertragenden Gesellschaft? Mit dem Erlöschen der Gesellschaft erlöschen notwendig auch ihre Organe und deren Zuständigkeiten und enden die Ämter aller Organmitglieder. So kann zum Beispiel die Gesellschafterversammlung einer durch Verschmelzung erloschenen G m b H nicht mehr über die Ausschüttung eines im abgelaufenen Geschäftsjahr entstandenen, aber noch nicht verwendeten Gewinns der G m b H entscheiden, und ebenso können die Aufsichtsratsmitglieder einer durch Verschmelzung erloschenen A G nicht mehr über eine Erhöhung des Ruhegehalts ehemaliger Vorstandsmitglieder befinden. D a es die Gesellschaft nicht mehr gibt, gibt es auch keine Organe und keine Organwalter der untergegangenen Gesellschaft mehr. Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß § 25 Abs. 2 U m w G im Wege der Fiktion eine Ausnahme von dem notwendigen Erlöschen aller Organe und der Amter ihrer Organmitglieder bestimmt. Nach § 25 Abs. 1 U m w G haften die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der übertragenden Gesellschaft, die bei der Verschmelzung ihre Sorgfaltspflichten verletzt haben, auf Ersatz des Schadens, den die übertragende Gesellschaft, ihre Gesellschafter oder ihre Gläubiger durch die Verschmelzung erleiden. Für solche Ansprüche der übertragenden Gesellschaft sowie für weitere Ansprüche, die sich für oder gegen die übertragende Gesellschaft aufgrund der Verschmelzung ergeben, gilt nach § 25 Abs. 2 U m w G die übertragende Gesellschaft als fortbestehend. Durch die Fiktion des Fortbestandes des erloschenen Rechtsträgers soll, wie § 25 Abs. 2 Satz 2 U m w G ausdrücklich bestimmt, insbesondere verhindert werden, daß Ersatzansprüche des übertragenden gegen

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Michael Hoffmann-Becking

den übernehmenden Rechtsträger durch Vereinigung erlöschen. Am Erlöschen der Organe der übertragenden Gesellschaft und ihrer Kompetenzen ändert die Fiktion des § 25 Abs. 2 UmwG dagegen nichts. Es bleibt dabei, daß der übertragende Rechtsträger, weil er selbst erloschen ist, keine Organe mehr hat, die für ihn handeln könnten. 1 Die Geltendmachung der Ansprüche obliegt deshalb nicht dem früheren Vertretungsorgan des untergegangenen Rechtsträgers, also zum Beispiel dem Vorstand der übertragenden A G bei Ansprüchen gegen die übernehmende Gesellschaft oder dem Aufsichtsrat der übertragenden A G bei Ansprüchen gegen Mitglieder des vormaligen Vorstands der übertragenden AG, sondern die Ansprüche werden nach § 26 UmwG durch einen vom Gericht zu bestellenden besonderen Vertreter geltend gemacht. Nach herrschender Auffassung handelt der besondere Vertreter auch dann, wenn er Ansprüche des als fortbestehend geltenden übertragenden Rechtsträgers durchsetzt, nicht als dessen gesetzlicher Vertreter, sondern im eigenen Namen als Partei kraft Amtes. 2 Die Ausnahmeregelung der §§ 25, 26 UmwG widerlegt also nicht, sondern bestätigt im Gegenteil die vorstehende Feststellung, daß mit dem Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers rechtsnotwendig auch seine Organe mit ihren Kompetenzen und die Ämter der Organmitglieder erlöschen. Damit ist jedoch noch nicht geklärt, ob es auf der Seite des übernehmenden Rechtsträgers eine „Organnachfolge" im Sinne einer Nachfolge in die Kompetenzen der entsprechenden Organe des verschmolzenen Rechtsträgers geben kann. Diese Frage wird nicht durch § 20 UmwG beantwortet, denn sie betrifft nicht die Reichweite der in § 20 UmwG bestimmten Gesamtrechtsnachfolge des übernehmenden Rechtsträgers in das Vermögen des erloschenen Rechtsträgers. Die organisationsinternen Befugnisse und Entscheidungskompetenzen der Organe und Organwalter gehören nicht zur Summe der im Außenverhältnis begründeten Rechte und Pflichten, die zusammenfassend als Vermögen bezeichnet wird. O b eine analoge Anwendung von § 20 UmwG möglich und sachgerecht wäre, soll an dieser Stelle der Untersuchung noch offen bleiben. 3 Man könnte meinen, daß sich eine „Organnachfolge" ganz zwanglos und ohne besondere dogmatische Rechtfertigung nachweisen läßt. Wenn zum Beispiel der Geschäftsführer einer übernehmenden Gesellschaft einen auf diese übergegangenen Anspruch der verschmolzenen Gesellschaft gegen einen Schuldner geltend macht, handelt der Geschäftsführer, so könnte man

1 Lutter UmwG/Grunewald, 2. Aufl. 2000, § 26 Rn. 2; Kallmeyer IJmwG/Marsch-Barner, 2. Aufl. 2001, § 26 Rn. 2; Schmitt/Hörtnagl/Stratz UmwG/UmwStG/Siraiz, 3. Aufl. 2001, § 2 5 UmwG Rn. 28. 2 Lutter UmwG/Grunewald § 26 Rn. 15; Kallmeyer UmwGIMarsch-Barner § 26 Rn. 11; aA Widmann/Mayer UmwR/Vojj¿«s, Stand 1996, § 26 UmwG Rn. 41. 3 Dazu nachfolgend unter III.1.

,Organnachfolge" bei der Verschmelzung?

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meinen, anstelle des Geschäftsführers der nicht mehr handlungsfähigen verschmolzenen Gesellschaft und also aufgrund einer Art Rechtsnachfolge in dessen Organzuständigkeit. Diese Sichtweise ist aber nicht richtig. Der Geschäftsführer der übernehmenden Gesellschaft handelt nicht aufgrund einer übergegangenen Organzuständigkeit, sondern aufgrund seiner durch die Zuständigkeitsordnung der übernehmenden Gesellschaft originär begründeten Entscheidungskompetenz. Er ist für die Geltendmachung der Forderung zuständig, weil dies zum Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführung gehört, ganz gleich, ob die Forderung aus dem „Altvermögen" der übernehmenden Gesellschaft stammt oder durch die Verschmelzung auf sie übergegangen ist. Auch das folgende Beispiel zeigt, daß die Vorstellung eines Rechtsübergangs von Organkompetenzen im Zuge der Verschmelzung irreführend wäre: Durch die Verschmelzung einer Gesellschaft auf eine A G erwirbt die A G ein Vermögen hinzu, das die Größe und den Wert ihres „Altvermögens" weit übersteigt. Wenn nun bei der A G eine Ausgliederung oder Veräußerung des erworbenen Vermögensteils erfolgen soll und zu klären ist, ob der Vorstand darüber allein entscheiden kann oder der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf oder sogar nach „Holzmüller"-Grundsätzen die Entscheidung der Hauptversammlung einholen muß, ergibt sich die Antwort nicht aus einem Ubergang von Kompetenzen der Organe der verschmolzenen Gesellschaft, sondern ausschließlich aus der Kompetenzordnung der übernehmenden Gesellschaft. Eine „Organnachfolge" von Organen des übernehmenden Rechtsträgers in Kompetenzen der Organe des übertragenden Rechtsträgers im Sinne einer Rechtsnachfolge mit Wahrung der Identität der übergegangenen Organkompetenzen ist in der Tat rechtlich unmöglich. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß die bei der übertragenden Gesellschaft geltende Zuordnung der Kompetenzen in jedem Fall ohne Belang ist, wenn es darum geht, das bei der übernehmenden Gesellschaft zuständige Organ zu bestimmen. Sie ist sicherlich dann ohne Belang, wenn es um die Entscheidung neuer Sachverhalte geht, die mit Bezug auf das übergegangene Vermögen erst nach der Verschmelzung bei der übernehmenden Gesellschaft eingetreten sind. So kann man die Entscheidungskompetenzen in dem skizzierten Fall einer Ausgliederung oder Veräußerung des übergegangenen Vermögens nicht danach festlegen, welches Organ bei der übertragenden Gesellschaft zuständig gewesen wäre. Aber es gibt bei einer Verschmelzung nicht selten „unvollendete" gesellschaftsrechtliche Sachverhalte, die bei dem übertragenden Rechtsträger entstanden sind, dort aber wegen der Verschmelzung nicht mehr abschließend behandelt werden konnten. Man denke nur an die folgenden Beispiele: • Die Organmitglieder der übertragenden Gesellschaft sind bei dieser noch nicht für ihre zurückliegende Tätigkeit entlastet worden.

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• Die Anstellungsverträge mit den Mitgliedern des Geschäftsführungsorgans sollen nach der Verschmelzung aufgehoben oder geändert werden. • Die übertragende Gesellschaft besaß bislang nicht geltend gemachte Ersatzansprüche gegen Organmitglieder, die durch die Verschmelzung auf die übernehmende Gesellschaft übergegangen sind. • Der von den zuständigen Organen der übertragenden Gesellschaft festgestellte Jahresabschluß für das letzte Geschäftsjahr erweist sich als fehlerhaft und soll nach der Verschmelzung geändert oder neu aufgestellt und festgestellt werden. • Die Anteilseignerversammlung der übertragenden Gesellschaft hat fehlerhafte Beschlüsse gefaßt, gegen die Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklagen anhängig sind oder erst nach der Verschmelzung erhoben werden. In diesen und ähnlichen Fällen könnte es für die Bestimmung des oder der zuständigen Organe auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft rechtlich von Belang sein, welche Kompetenzregelung für den noch nicht abschließend geregelten Sachverhalt bei der übernehmenden Gesellschaft galt. N u r in diesem eingeschränkten Sinn soll nachfolgend der Frage nachgegangen werden, ob es eine „Organnachfolge" bei der Verschmelzung von Gesellschaften gibt. Zu diesem Zweck wird zunächst der Diskussionsstand zu den genannten Beispielsfällen wiedergegeben, um dann zu prüfen, ob sich eine allgemeine Regel für die Zuständigkeitsfrage in solchen Fällen begründen läßt.

II. Diskussionsstand in Literatur und Rechtsprechung Die Frage einer „Organnachfolge" bei Verschmelzungen wird meist nur punktuell bezogen auf jeweils eine einzelne Fallgruppe diskutiert. N u r Martens hat die Frage umfassender gestellt und im Hinblick auf mehrere Fallgruppen nicht abgeschlossener gesellschaftsrechtlicher Tatbestände untersucht, nämlich die Entlastung der Organmitglieder, die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder, die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen und den Fortbestand von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen. 4 Das letztgenannte Thema gehört allerdings genau besehen nicht in diesen Zusammenhang. Die Frage des Fortbestands oder Erlöschens von Unternehmensverträgen zwischen der übertragenden Gesellschaft und einem dritten Unternehmen ist ein Sonderproblem der Rechtsnachfolge in Verträge und wird deshalb im Schrifttum mit Recht im Zusammenhang mit der Gesamtrechtsnachfolge nach § 20 U m w G behan-

4

AG 1986, 57 ff.

.Organnachfolge" bei der Verschmelzung?

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delt.5 Auf die anderen von Martens behandelten Tatbestände wird nachfolgend eingegangen. 1. Entlastung der

Organmitglieder

Wenn die Verschmelzung nach Ablauf des Geschäftsjahres, aber vor der für die Entlastung zuständigen ordentlichen Gesellschafterversammlung der übertragenden Gesellschaft wirksam wird, können die Organmitglieder nicht mehr von einem Organ der übertragenden Gesellschaft für das abgelaufene Geschäftsjahr entlastet werden. Falls die Verschmelzung erst nach der ordentlichen Gesellschafterversammlung wirksam wird, erfolgt jedenfalls keine Entlastung mehr für den Zeitraum vom Beginn des neuen Geschäftsjahres bis zum Wirksamwerden der Verschmelzung. In der Praxis wird deshalb dem Berater häufig die Frage gestellt, ob und, wenn ja, durch welches Organ der übernehmenden Gesellschaft die noch ausstehende Entlastung der Organmitglieder der übertragenden Gesellschaft beschlossen werden könne. Gibt der Berater darauf die Antwort, nach dem Erlöschen der übertragenden Gesellschaft und ihrer Organe sei eine Entlastung nicht mehr möglich, reagieren die betroffenen Organmitglieder mit ungläubigem Kopfschütteln. Nicht selten beschließt dann die Gesellschafter- oder Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft die Entlastung der Organmitglieder der übertragenden Gesellschaft, ohne die Rechtsfrage zu problematisieren - und alle Beteiligten sind zufrieden. Ein Blick in Literatur und Rechtsprechung zeigt, daß die Möglichkeit einer Entlastung der Organmitglieder der übertragenden Gesellschaft durch ein Organ der übernehmenden Gesellschaft kontrovers beurteilt wird: Martens6 bejaht die Befugnis der Hauptversammlung der übernehmenden AG zur Entlastung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der übertragenden AG. Die Kompetenz der Hauptversammlung ergebe sich aus einer „Organnachfolge". Auch bei fehlender Verzichtswirkung der Entlastung von Organmitgliedern einer AG bestehe ein erhebliches Interesse der ehemaligen Organmitglieder an einem Entlastungsbeschluß. Der Sache nach handele es sich auch um eine „eigene Angelegenheit" der übernehmenden Gesellschaft, weil die Entlastung einen Zeitraum betreffe, der in den Jahresabschluß der übernehmenden Gesellschaft einbezogen wird. Nach welchen inhaltlichen Entscheidungskriterien die Hauptversammlung der übernehmenden AG zu entscheiden hat, läßt Martens offen und bemerkt dazu nur, die Entscheidung bedürfe „sorgfältiger Abwägung". Der Auffassung von Martens haben sich 5 Nachweise bei MünchHdb.AG/tfra-ger, 2. Aufl. 1999, § 70 Rn. 173 ff; Kallmeyer UmwG/Marsch-Barner § 20 Rn. 18 ff; Lutter UmwG/Grunewald. § 20 Rn. 34 ff; Vossius FS Widmann, 2000, S. 133 ff. 6 A G 1986, 57/58f.

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Marsch-Barner1 und Vossius8 angeschlossen, und sie wurde zuvor schon von Barz9 beiläufig vertreten. Dabei gehen Barζ und Marsch-Barner ebenso wie offenbar auch Martens folgerichtig davon aus, daß die Entlastung durch die Hauptversammlung der übernehmenden A G nur den Zeitraum betreffen kann, der in die Rechnungslegung der übernehmenden Gesellschaft einbezogen wird (arg. § 120 Abs. 3 AktG). Nach Meinung des O L G München 1 0 ist dagegen eine Entlastung nach dem Erlöschen der übertragenden Gesellschaft und der Beendigung der Organstellung von Vorstand und Aufsichtsrat nicht mehr möglich. Maßgebender Grund dafür sei, daß die zu beurteilende Tätigkeit ausschließlich an den Interessen des übertragenden Rechtsträgers auszurichten war und ein Organ des übernehmenden Rechtsträgers darüber „logischerweise" nicht befinden könne. Das O L G München folgt damit der Argumentation von GrunewaldAuch Grunewald lehnt eine Entlastung durch ein Organ des übernehmenden Rechtsträgers generell wegen des abweichenden inhaltlichen Maßstabs der Beurteilung ab. Auf die vor allem bei der Verschmelzung von Gesellschaften unterschiedlicher Rechtsform auftretende Frage, welches Organ der übernehmenden Gesellschaft gegebenenfalls zuständig wäre, geht Grunewald folgerichtig nicht mehr ein. Das Argument, ein Organ des übernehmenden Rechtsträgers könne „logischerweise" nicht über die an den Interessen des übertragenden Rechtsträgers orientierte Tätigkeit befinden, überzeugt nicht. Wenn man von dem Sonderfall der in §§ 25, 26 U m w G behandelten Ersatzansprüche absieht, hat niemand anderes als der übernehmende Rechtsträger darüber zu befinden, ob aus der Tätigkeit der Organmitglieder seines Rechtsvorgängers Ersatzansprüche entstanden sind, die mit der Verschmelzung übergegangen sind, und ob diese nunmehr geltend gemacht werden sollen. Dann muß der übernehmende Rechtsträger auch in der Lage sein, sich im Wege der Entlastung ein Urteil über die Amtsführung der Organmitglieder des übertragenden Rechtsträgers zu bilden, und zwar ganz gleich, ob die Entlastung nur eine rechtlich unverbindliche Billigung der Amtsführung enthält, wie dies bei der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat einer A G der Fall ist,12 oder die Entlastung einen Verzicht auf Ersatzansprüche aus bekannten Sachverhalten

7

Kallmeyer UmwG/Marsch-Barner § 20 Rn. 17. Widmann/Mayer Umwandlungsrecht/Vossius, § 20 U m w G Rn. 330. 9 Großkomm. AktG/Barz, 3. Aufl. 1972, § 120 Anm. 4 unter Bezugnahme auf Goerdeler JR 1959, 300. 10 A G 2001, 197/198 „HypoBank". Die Vorinstanz (LG München I DB 1999, 628/629) meint, die Entlastung der Organe der übertragenden Gesellschaft sei für die übernehmende Gesellschaft ohne Belang; da es keinen Vorstand und keinen Aufsichtsrat der früheren Gesellschaft mehr gebe, habe sich die Frage ihrer Entlastung erledigt. 11 Lutter UmwG/Grunewald § 20 Rn. 29. 12 Hüffer AktG, 5. Aufl. 2002, § 120 Rn. 11 f. 8

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bewirkt, wie dies bei den anderen Gesellschafts- und Verbandsformen der Fall ist. 13 Es bleibt die Frage, welches Organ des übernehmenden Rechtsträgers für die Entlastung der Organmitglieder des übertragenden Rechtsträgers zuständig ist. Wenn eine AG auf eine AG verschmolzen worden ist, kann dies nur die Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft sein. Aber wie ist es, wenn die übertragende und die übernehmende Gesellschaft eine unterschiedliche Organstruktur aufweisen, wenn z.B. bei einer übertragenden GmbH, die auf eine AG verschmolzen worden ist, die Entscheidung über die Entlastung der Geschäftsführer nicht der Gesellschafterversammlung, sondern einem besonderen Gesellschaftsorgan (Beirat, Verwaltungsrat, Aufsichtsrat) oblag? Ist es dann bei der übernehmenden AG Sache der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats, über die Entlastung der Geschäftsführer der übertragenden GmbH zu befinden? Zu dieser Fragestellung gibt es bislang, soweit ersichtlich, keine Stellungnahmen in Literatur und Rechtsprechung. 2. Aufhebung oder Änderung der Vorstands- und und Geltendmachung von Ersatzansprüchen

Geschäftsführerverträge

Mit der Verschmelzung endet die Bestellung jedes Organmitglieds der übertragenden Gesellschaft. Die Vorstandsmitglieder einer übertragenden AG verlieren ihre Amter ebenso wie die Geschäftsführer einer übertragenden GmbH. Ihre Anstellungsverträge gelten jedoch nach allgemeiner Meinung fort und verpflichten nunmehr die übernehmende Gesellschaft. 14 Welches Organ der übernehmenden Gesellschaft entscheidet nach der Verschmelzung über eine Aufhebung des Anstellungsvertrags gegen Gewährung einer Abfindung, und wer entscheidet über eine Änderung des Vertrags, insbesondere über eine Änderung der vereinbarten Versorgungsbezüge? Folgt man Hockemeier,15 so ergeben sich keine besonderen Zuständigkeitsprobleme, wenn der ehemalige Geschäftsleiter der übertragenden Gesellschaft mit der übernehmenden Gesellschaft die Aufhebung oder Anpassung seines Anstellungsvertrags vereinbart. Für die Gesellschaft sei dieser Vertragsschluß eine übliche Geschäftsführungsmaßnahme, zu der bei der AG die Vorstandsmitglieder und bei der GmbH die Geschäftsführer berufen seien. Da der ausscheidende Geschäftsleiter in der übernehmenden Gesellschaft zu

Baumbach/Hueck GmbHG/Zöllner, 17. Aufl. 2000, Rn. 26 zur GmbH. Lutter UmwG/Grunewald § 20 Rn. 28; Kallmeyer Umw Gl Marsch-Barner § 20 Rn. 13; ebenso schon zum alten Umwandlungsrecht BGH NJW 1989, 1928/1930; OLG Hamm NJW-RR 1995, 1317; Hockemeier Die Auswirkung der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf die Anstellungsverhältnisse der Geschäftsleiter, 1990, S. 28. 15 AaO S. 40. 13 14

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keiner Zeit eine Organstellung bekleidet habe, seien die für die Bestellung und Abberufung von Organen zuständigen Gremien - Gesellschafterversammlung und Aufsichtsrat - nicht zu beteiligen. Aber ist es wirklich ohne Belang, welches Organ auf der Seite der übertragenden Gesellschaft für die Vertragsaufhebung oder -anpassung zuständig gewesen wäre, wenn die Gesellschaft fortbestanden hätte, und welches Organ bei der übernehmenden Gesellschaft zuständig wäre, wenn es sich um ein eigenes Organmitglied handeln würde? Wenn die Vertragsänderung und Vertragsanpassung in jedem Fall Sache des geschäftsführenden Organs der übernehmenden Gesellschaft wäre, müßte dasselbe folgerichtig auch für einen Streit über die Kündbarkeit des Anstellungsvertrags und für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen ein früheres Organmitglied der übertragenden Gesellschaft gelten. Auch dabei handelt es sich, so könnte man meinen, um „übliche Geschäftsführungsmaßnahmen", die nichts mit den besonderen Zuständigkeitsregeln für die Behandlung von Organmitgliedern der übernehmenden Gesellschaft zu tun haben. Der B G H ist jedoch anderer Meinung. Er hat für den Fall der Verschmelzung einer Sparkasse auf eine andere Sparkasse entschieden, daß die übernehmende Sparkasse im Streit über den Fortbestand des Anstellungsvertrags eines Vorstandsmitglieds der übertragenden Sparkasse nicht durch ihren Vorstand, sondern durch den Verwaltungsrat vertreten wird. Das soll auch für die Vertretung gegenüber einem früheren Vorstandsmitglied gelten, das lediglich dem Vorstand der übertragenden und nicht mehr dem Vorstand der übernehmenden Sparkasse angehört hat. 16 In demselben Sinn hat der B G H zur Verschmelzung von zwei Genossenschaften festgestellt, daß die übernehmende Genossenschaft bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen ein Vorstandsmitglied der übertragenden Genossenschaft allein durch ihren Aufsichtsrat vertreten wird und daß dies auch dann gilt, wenn das ausgeschiedene Vorstandsmitglied niemals dem Vorstand der übernehmenden Genossenschaft angehört hat. 17 Das Genossenschaftsgesetz und die Sparkassengesetze der Länder enthalten dem § 112 AktG entsprechende Regelungen zur gesetzlichen Vertretung der Genossenschaft oder Sparkasse gegenüber den Vorstandsmitgliedern. Der B G H beruft sich deshalb in den beiden zitierten Entscheidungen auf seine Rechtsprechung zu § 112 AktG, wonach die Gesellschaft nicht nur gegenüber amtierenden, sondern auch gegenüber früheren Mitgliedern des Vorstands durch den Aufsichtsrat vertreten werden muß, um eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft sicherzustellen.18 In

16 17 18

BGH ZIP 1997,1674. BGH ZIP 1998, 508. BGH ZIP 1991, 796 und ZIP 1997, 1108.

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den entschiedenen Verschmelzungsfällen ging es allerdings nicht um eine Vertretung der übernehmenden Gesellschaft gegenüber ihren eigenen amtierenden oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern, sondern um die Vertretung gegenüber den ehemaligen Mitgliedern des Vorstands eines anderen, durch die Verschmelzung erloschenen Rechtsträgers. Aber auch für diesen Fall hält der B G H eine Vertretung durch den Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat des übernehmenden Rechtsträgers für erforderlich, um eine unbefangene, von sachfremden Erwägungen freie Vertretung zu gewährleisten. Im Rahmen der gebotenen typisierenden Betrachtung könne es auch nicht darauf ankommen, ob das Vorstandsmitglied des übertragenden Rechtsträgers noch dem Vorstand des übernehmenden Rechtsträgers angehört hat. Eine unbefangene Vertretung werde nämlich nicht allein dann in Frage gestellt, wenn der übernehmende Rechtsträger von gegenwärtigen oder früheren Kollegen des Vorstandsmitglieds vertreten wird, sondern eine solche Gefahr bestehe auch dann, wenn das Verhalten der amtierenden Vorstandsmitglieder von der Vorstellung beeinflußt werden könnte, eines Tages in eine ähnliche Situation zu geraten wie das frühere, im Streit mit dem übernehmenden Rechtsträger liegende Vorstandsmitglied. O b diese Begründung plausibel ist oder ob damit nicht die „typisierende Betrachtung" bei der ohnehin außerordentlich extensiven Anwendung des § 1 1 2 AktG zu weit getrieben wird, soll hier noch offenbleiben. 19 Wenn der B G H an seiner Rechtsprechung festhält, stellt sich die Frage, wie er entscheiden würde, wenn die beiden Verschmelzungspartner nicht über die gleiche Organstruktur verfügen. Wer vertritt zum Beispiel die übernehmende A G gegenüber den Geschäftsführern einer auf die A G verschmolzenen GmbH ohne Aufsichtsrat? Auch bei dieser Fallkonstellation kann man argumentieren, die amtierenden Vorstandsmitglieder der übernehmenden A G seien befangen, weil sie eines Tages in eine ähnliche Situation geraten könnten wie der im Streit mit der übernehmenden A G liegende frühere Geschäftsführer der verschmolzenen GmbH. Und wer vertritt eine übernehmende GmbH, die keinen für die Personalangelegenheiten zuständigen Aufsichtsrat besitzt, gegenüber den früheren Vorstandsmitgliedern einer auf die GmbH verschmolzenen AG? Handelt es sich zumindest in diesem Fall nur um eine „übliche Geschäftsführungsmaßnahme", für welche die Geschäftsführung der GmbH zuständig ist, oder muß damit die Gesellschafterversammlung befaßt werden, weil diese zuständig wäre, wenn es um die Vertretung der GmbH gegenüber einem ihrer Geschäftsführer ginge? Ersatzansprüche gegen ehemalige Aufsichtsratsmitglieder der übertragenden Gesellschaft sind vom Geschäftsleitungsorgan der übernehmenden Gesellschaft, also von Vorstand oder Geschäftsführung geltend zu machen.

19

Zur Kritik nachfolgend zu III.2.b.

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Das ist zweifelsfrei und gilt auch dann, wenn das ehemalige Aufsichtsratsmitglied der übertragenden Gesellschaft nunmehr dem Aufsichtsrat der übernehmenden Gesellschaft angehören sollte. Falls es jedoch um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Mitglieder des Geschäftsleitungsorgans der übertragenden Gesellschaft geht und die übernehmende Gesellschaft einen Aufsichtsrat besitzt, ergeben sich die vorstehend skizzierten Zuständigkeitsprobleme. Außerdem kann nach der Verschmelzung auf eine AG fraglich sein, ob die aktienrechtlichen Spezialvorschriften des § 93 Abs. 4 AktG und des § 147 AktG auch bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder der übertragenden Gesellschaft anzuwenden sind: Nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG kann eine AG erst drei Jahre nach der Entstehung des Ersatzanspruchs und nur mit Zustimmung der Hauptversammlung auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen. Für den Fall der Verschmelzung einer AG auf eine AG vertritt Grunewald.20 die Ansicht, § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG sei nicht anwendbar, da ein kollegialer Verzicht durch die Verwaltungsträger derselben Gesellschaft, dem die Norm entgegenwirken solle, nach dem Untergang der übertragenden Gesellschaft nicht mehr zu befürchten sei. Dagegen spricht sich Martens21 für eine Anwendung von § 93 Abs. 4 AktG aus. Diese Vorschrift müsse bei der übernehmenden AG ebenso wie bei der übertragenden AG gelten, denn es handele sich dabei um eine gesellschaftsrechtliche Bindung, die mit der Entstehung des Anspruchs verknüpft sei. Eine Anwendung von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG bei der übernehmenden AG auf Ersatzansprüche gegen Geschäftsführer einer übertragenden Gesellschaft anderer Rechtsform wird dagegen weder von Martens noch, soweit ersichtlich, von einem anderen Autor vertreten. Auch zu den Regeln des § 147 AktG über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder der AG wird im Schrifttum nur der Fall der Verschmelzung einer AG auf eine AG behandelt. Grunewald22 lehnt eine Anwendung von § 147 AktG ab, da es an einer Hauptversammlung der übertragenden AG nach ihrer Verschmelzung fehle. Dagegen befürwortet Martens23 die Anwendung der Klageerzwingungsrechte des § 147 AktG, weil es der „Kontinuität des unternehmerischen Verantwortungssystems" entspreche, daß sich die Organmitglieder der übertragenden AG

20 Lutter UmwG/Grunewald § 20 Rn. 29. Vgl. auch Mertens FS Lutter, 2000, S. 523/525 Fn. 8, der allerdings nur die Frage aufwirft, ob bei der übernehmenden A G etwa ein Vergleich oder Verzicht nur nach Maßgabe des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG möglich sein soll. 21 A G 1986,57/59f. 22 Lutter UmwG/Grunewald § 20 Rn. 2. Ebenso schon Großkomm. AktG/Schilling, 3. Aufl. 1975, § 355 Anm. 12. 23 A G 1986, 57/59.

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nach der Verschmelzung „weiterhin unter derselben, ihrer ehemaligen Organstellung entsprechenden Verfahrensregelung verantworten" müssen. Daraus folge nicht nur die Anwendung der Sonderregeln des § 93 Abs. 4 AktG, sondern auch die Anwendung der Minderheitsrechte des § 147 AktG zur Erzwingung der Geltendmachung. Das dafür erforderliche Quorum der Aktionäre bemesse sich nunmehr allerdings nach dem Grundkapital der übernehmenden Gesellschaft, so daß sich die erforderliche Zahl von Aktien erheblich erhöhen könne. 3. Änderung und Neufeststellung des Jahresabschlusses Es kann sein, daß der Jahresabschluß für das letzte Geschäftsjahr der übertragenden Gesellschaft bei Wirksamwerden der Verschmelzung noch nicht festgestellt oder vielleicht sogar noch gar nicht aufgestellt war. Ein solcher Fall ist möglich, weil die nach § 17 Abs. 2 UmwG vorzulegende Schlußbilanz der übertragenden Gesellschaft nicht notwendig auf den Schluß des letzten Geschäftsjahres aufgestellt werden muß; sie kann statt dessen als Zwischenbilanz ohne Einlegung eines Rumpfgeschäftsjahres auf einen früheren „unterjährigen" Stichtag aufgestellt werden. 24 Wenn also ζ. B. eine Zwischenbilanz zum 30. September des Vorjahres als Schlußbilanz verwendet wird, ist es möglich, daß die Verschmelzung in den ersten Monaten des neuen Geschäftsjahres wirksam wird, bevor der Jahresabschluß für das am 31. Dezember abgelaufene Geschäftsjahr festgestellt werden konnte und die Gesellschafter- oder Hauptversammlung Gelegenheit hatte, über die Verwendung des Jahresergebnisses zu beschließen. In einem solchen Fall stellt sich nicht die Frage einer „Organnachfolge" in die Kompetenzen der bei der übertragenden Gesellschaft für die Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses zuständigen Organe, sondern die Rechnungslegung der übertragenden Gesellschaft auf das Ende ihres letzten Geschäftsjahres kann ersatzlos entfallen.25 Der frühere Stichtag der Schlußbilanz markiert den Wechsel der Rechnungslegung; in dem Beispiel einer auf den 30. September aufgestellten Schlußbilanz werden demgemäß alle Geschäftsvorfälle der übertragenden Gesellschaft in der Zeit ab dem 1. Oktober bereits in der Rechnungslegung der übernehmenden Gesellschaft erfaßt.26 Auch die fehlende

24 Lutter OmvfG/Priester § 24 Rn. 13: Kallmeyer U m w G / W / M ü l l e r § 17 Rn. 17; Widmann/Mayer UmwR/Widmann, Stand 1997, § 24 Rn. 48, 70; Hoffmann-Becking FS Fleck, 1988, S. 105/108, 114. 25 Kallmeyer UmwG/Weif Müller § 17 Rn. 20; Priester BB 1992, 1594/1597Í; Budde/ Förschle Sonderbilanzen, 2. Aufl. 1999/ Budde/Zerwas Rn. H 56 S. 295; Schmitt/Hörtnagl/ Stratz UmwG/UmwStG///ömMg/ § 17 UmwG Rn. 72; anders Widmann aaO § 24 UmwG Rn. 13. 2 6 IdW-Stellungnahme HFA 2/1997, WPg 1997, 235/238.

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Verwendung des Ergebnisses des abgelaufenen Geschäftsjahres durch die Organe der übertragenden Gesellschaft schadet nicht. Das nicht verwendete Ergebnis der übertragenden Gesellschaft geht ein in die Ermittlung des Ergebnisses der übernehmenden Gesellschaft auf das Ende des dort laufenden Geschäftsjahres, und der Dividendenausfall für die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft kann bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses und dem Beginn der Gewinnberechtigung aus den als Gegenleistung gewährten Anteilen der übernehmenden Gesellschaft berücksichtigt werden. 27 Ein Kompetenzproblem kann sich dagegen in dem folgenden Fall ergeben: Die übertragende Gesellschaft hat eine mit der letzten Jahresbilanz identische Schlußbilanz aufgestellt und festgestellt. Diese Bilanz war jedoch fehlerhaft und ihre Feststellung deshalb nichtig. Kann sie durch die übernehmende Gesellschaft erneut aufgestellt und festgestellt werden und, wenn ja, welche Organe sind dafür zuständig? Denkbar ist auch, daß der - fehlerhafte oder fehlerfreie - letzte Jahresabschluß der übertragenden Gesellschaft durch die übernehmende Gesellschaft nach den für Bilanzänderungen geltenden Grundsätzen geändert werden soll, und auch hier lautet die Frage, ob eine Bilanzänderung nach der Verschmelzung überhaupt noch möglich ist und, wenn ja, durch welche Organe der übernehmenden Gesellschaft diese erfolgen müßte. Mit der Verschmelzung ist die zur Rechnungslegung berechtigte und verpflichtete Gesellschaft erloschen, und damit sind auch ihre für die Rechnungslegung zuständigen Organe entfallen. Da die Gesellschaft und ihre Organe nicht mehr existieren, kann man die Auffassung vertreten, daß eine Rechnungslegung über die Verhältnisse der Gesellschaft zum letzten Abschlußstichtag nicht mehr möglich ist und somit auch die Befugnis und die Verpflichtung zur Rechnungslegung mit dem Wirksamwerden der Verschmelzung erloschen und nicht auf die übernehmende Gesellschaft übergegangen sind. 28 Wenn man dieser Auffassung folgt, ist nach der Verschmelzung sowohl eine Neuaufstellung des fehlerhaften letzten Jahresabschlusses als auch eine Änderung des fehlerhaften oder fehlerfreien Abschlusses durch Organe der übernehmenden Gesellschaft von vornherein ausgeschlossen. Denkbar ist aber auch, daß im Fall eines fehlerhaften Abschlusses die nicht ordnungsgemäß erfüllte Verpflichtung zur Rechnungslegung mit der Gesamtrechtsnachfolge in alle Rechte und Pflichten nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangen ist und nunmehr von seinen Organen zu erfüllen ist. Auch öffentlich rechtliche Ver27 Hoffmann-Becking FS Fleck, S. 105/112; Pohl Handelsbilanzen bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 1995, S. 36. 28 In diesem Sinne Kallmeyer UmwG/ Weif Müller § 17 Rn. 20 und wohl auch Priester BB 1992, 1594/1598.

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pflichtungen - und um eine solche handelt es sich bei der Rechnungslegungspflicht - gehen mit der Verschmelzung auf die übernehmende Gesellschaft über. Anders ist es nur dann, wenn es sich um eine höchstpersönlich zu erfüllende Verpflichtung handelt, die nach ihrem Inhalt von der übernehmenden Gesellschaft nicht erfüllt werden kann. Die Verpflichtung zur Rechnungslegung trifft nach § 242 HGB den Kaufmann und ist, wenn es sich dabei um eine Gesellschaft handelt, durch die für die Gesellschaft handelnden Organe zu erfüllen. Innerhalb der Gesellschaft handelt es sich um eine persönliche Verpflichtung der betreffenden Organmitglieder, also im Falle der Aktiengesellschaft um eine Verpflichtung der dem Vorstand und dem Aufsichtsrat angehörenden natürlichen Personen. Aber das macht die Rechnungslegungspflicht der Gesellschaft nicht zu einer Verpflichtung, die nur höchstpersönlich erfüllt werden und deshalb nicht im Wege der Verschmelzung auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen könnte. Wenn man es deshalb für grundsätzlich möglich hält, daß die übernehmende Gesellschaft einen fehlerhaften Jahresabschluß der übertragenden Gesellschaft korrigiert und neu feststellt, 29 kann eine Verpflichtung zu einem solchen Vorgehen allerdings nur anerkannt werden, wenn die nachträgliche Rechnungslegung über die Verhältnisse der erloschenen Gesellschaft erforderlich ist, um negative Rechtswirkungen für die übernehmende Gesellschaft und ihre Gesellschafter zu vermeiden. Maßgeblich ist insbesondere, ob eine Korrektur des letzten Jahresabschlusses der übertragenden Gesellschaft erforderlich ist, um die Fehlerfreiheit der Folgebilanz der übernehmenden Gesellschaft zu gewährleisten. Wenn sich - was häufig der Fall sein wird der Fehler des Vorabschlusses durch eine Änderung bei der übernehmenden Gesellschaft in deren laufender Rechnung ausgleichen läßt und somit eine Folgewirkung des Mangels auf den folgenden Abschluß verhindert werden kann, erübrigt sich eine Korrektur des nichtigen Vorjahresabschlusses. 30 Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß es Fallkonstellationen gibt, in denen ein gewichtiges Interesse der übernehmenden Gesellschaft an einer Korrektur des letzten Jahresabschlusses der übertragenden Gesellschaft besteht und auch die bilanzrechtliche Zulässigkeit einer solchen Korrektur anzuerkennen ist. Dann ergibt sich auch für diesen Problemkreis die Kompetenzfrage: Welches Organ oder welche Organe der übernehmenden Gesellschaft sind für

29

So Widmann/Mayer Umwandlungsrecht/Widmann, Stand 1997, § 24 U m w G Rn. 13,

20. 30 Nach hM besteht selbst bei aufeinanderfolgenden Abschlüssen desselben Rechtsträgers keine Verpflichtung zur Neufeststellung des nichtigen Vorjahresabschlusses, wenn der Bilanzfehler durch eine Korrektur in der laufenden Rechnung des Folgejahres ausgeglichen werden kann (Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1997, § 256 Tz. 93; Kropff FS Budde, 1995, S. 341/357Í; vgl. auch MünchKomm. A k t G / H Uff er, 2. Aufl. 2001, § 256 Rn. 78 u. Kowalski A G 1993, 502/505).

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die Änderung oder Neuaufstellung und -feststellung zuständig? Ist es stets und allein das Geschäftsführungsorgan der übernehmenden Gesellschaft? 31 Oder sind bei einer übernehmenden AG entsprechend der gesetzlichen Regel des § 172 AktG Vorstand und Aufsichtsrat zuständig? Kommt es darauf an, ob es sich auch bei der übertragenden Gesellschaft um eine AG handelt? Falls die Feststellung des letzten Jahresabschlusses der übertragenden Gesellschaft nichtig ist, ist auch der auf den festgestellten Jahresabschluß beruhende Beschluß der Haupt- oder Gesellschafterversammlung der übertragenden Gesellschaft über die Verwendung des Bilanzgewinns ebenfalls nichtig (§ 253 Abs. 1 AktG), und aus der Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses folgt, daß die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft ihre letzte Dividende ohne Rechtsgrund bezogen haben. Wenn der fehlerhafte Abschluß durch Organe der übernehmenden Gesellschaft neu festgestellt wird, kann dadurch die Nichtigkeit des auf dem ursprünglichen Jahresabschluß beruhenden Gewinnverwendungsbeschlusses nicht ausgeräumt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn auch der neu festgestellte Jahresabschluß denselben Gewinnbetrag ausweisen sollte. Nach allgemeiner Auffassung muß nämlich der auf einem fehlerhaften Jahresabschluß beruhende Gewinnverwendungsbeschluß in jedem Fall wiederholt werden, also auch dann, wenn sich die Höhe des ausgewiesenen Gewinns bei der erneuten Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses nicht ändert.32 Eine Neufeststellung des nichtigen letzten Jahresabschlusses der übertragenden Gesellschaft mit Ausweis des identischen Bilanzgewinns würde also nicht ausreichen, um den letzten Gewinnverwendungsbeschluß der übertragenden Gesellschaft zu heilen und damit den Rechtsgrund für die ausgeschütteten Dividenden zu bestätigen, sondern es müßte außer der neuen Aufstellung, Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses auch erneut über die Gewinnverwendung beschlossen werden. Das aber ist nach herrschender Meinung nach dem Wirksamwerden der Verschmelzung nicht mehr möglich, und zwar weder handels- noch steuerrechtlich. 33 Folgt man dieser Auffassung, braucht man die Liste der Kompetenzfragen jedenfalls nicht mehr auf die Frage auszudehnen, welches Organ der übernehmenden Gesellschaft für einen Beschluß über die Verwendung des Ergebnisses der letzten Jahresbilanz der übertragenden Gesellschaft zuständig wäre.

So Widmann aaO Rn. 13, 20. Hüffer AktG, 5. Aufl. 2002, § 253 Rn. 4; Großkomm. AktG /Karsten Schmidt, 4. Aufl. 1996, § 253 Rn. 7; Kowalski AG 1993, 502/507; Kropff FS Budde, S. 342/353. 33 Widmann/Mayer Umwandlungsrecht/W¿¿OT!i&r Bd. llaaO, Rn 633; Haubold IPRax 2000, 375, 380 mit Fn 75. 30 Vgl. z.B. EuGH Slg. 1988, 1539 = NJW 1989, 1424; EuGH Slg. 1992,1-3990 = RIW 1994, 680; EuGH Slg. 1998,1-6511 = IPRax 2000, 210, 212 (Rn 15); Kropholler aaO, Art. 5 EuGVO Rn 5. 31 Schuck aaO Rn. 93 ff., 106 c. 32 Zum Gesellschaftsvertrag als Organisationsvertrag s. Ulmer Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, 3. Aufl. 1997, § 705 BGB Rn 125f.

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parteien bestünden. 33 In der Leitentscheidung zur Anwendbarkeit des Art 5 Nr. 1 E u G V Ü auf Gesellschaftsverträge aus dem Jahr 1992 („Powell Duffryn./.Petereit") heißt es sodann aber unmissverständlich, dass die Satzung einer A G ein Vertrag i.S. der Vorschrift ist.M Dass der Vertragsbegriff nicht auf Schuldverträge als reine Austauschverträge beschränkt ist, wird vor allem daraus deutlich, dass der E u G H entscheidend auf die zwischen den Aktionären bestehende „Gemeinsamkeit von Interessen im Hinblick auf die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks" abstellt.35 Da dieses Merkmal nicht nur auf die Satzung einer AG, sondern auf alle Organisationsverträge zutrifft, ist davon auszugehen, dass die EuGH-Rspr. zum Vertragscharakter von Aktionärspflichten sich auf die mitgliedschaftliche Pflichtenstellung des GmbH-Gesellschafters übertragen lässt.36 Der Organisationsvertrag der GmbH ist daher ein Vertrag i.S.d. Art. 5 Nr. 1 Buchst, a E u G W O . b) Konzernhaftung als Kehrseite der Leitungsmacht Mit dieser typologischen Einordnung der Organisationsverträge in die Begrifflichkeit des E u G V U ist freilich noch nicht entschieden, dass alle Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter vertraglicher Natur sind. Hierfür kommt es vielmehr darauf an, ob derartige Ansprüche ihre „Grundlage" im Gesellschaftsvertrag haben. 37 Im Hinblick auf die Konzerninnenhaftung ist deshalb zu prüfen, ob der hier bestehende Anspruch auf Verlustausgleich in der Mitgliedschaft (Gesellschafterstellung) des herrschenden Unternehmens in der abhängigen GmbH wurzelt. Legt man die herrschende Betrachtungsweise zugrunde, wonach im faktischen GmbH-Konzern das Verbot einer schädigenden Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft Ausfluss einer gesteigerten Treuepflicht des herrschenden Unternehmens gegenüber der abhängigen Gesellschaft und den Mitgesellschaftern ist,38 so scheint sich die Verortung der Verlustausgleichspflicht in der Mitgliedschaft geradezu anzubieten, da die Treuepflicht ja selbst aus der vertraglich begründeten Mitgliedschaft folgt. 39 Das Gleiche gilt

EuGH Slg. 1983, 987 Rn 13 = RIW 1983, 871 = IPRax 1984, 85, 87 r. Sp. EuGH Slg. 1992,1-1769 Rn 16 = NJW 1992,1671 = IPRax 1993, 32. 35 Rn 16 S. 2 der Urteilsgründe. 36 Zur Anwendbarkeit von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ auf gesellschaftsvertragliche Verpflichtungen in der GmbH s. z. B. Ph. Bauer Die internationale Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Klagen unter besonderer Berücksichtigung des EuGVU, 2000, S. 127, 128; Brödermann ZIP 1996, 491, 492ff.; Mankowski NZI 1999, 56, 57. 37 Vgl. EuGH Slg. 1983, 987 Rn 14 = RIW 1983, 871 = IPRax 1984, 85, 87. 38 Hachenburg/Ulmer GmbHG, 7. Lfg. 1994, Anh. § 77 Rn 73, 76 ff.; ferner etwa Scholz/ Emmerich GmbHG, Bd. 1, 9. Aufl. 2000, Anh. § 44 Rn 68 mit umfangr. Nachw. 39 Für eine vertragliche Qualifikation (i.S. des Art. 5 Nr. 1 EuGVU) von Ansprüchen aus Treuepflichtverletzung daher offenbar Lutter/Hommelhoff GmbHG, 15. Aufl. 2000, Anh. § 1 3 GmbHG Rn 90. 35

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für die Eingriffshaftung neuerer Prägung,40 die nach zutreffender Ansicht41 ebenfalls aus einer Treuepflichtverletzung folgt. Dennoch liegt eine vertragliche Qualifikation der Innenhaftung des herrschenden Unternehmens im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern nicht ohne weiteres auf der Hand. Zwar beruht die Haftung auf Verlustausgleich in dieser Konstellation auf der Gefahr einer Interessenkollision in der Person des beherrschenden Gesellschafters, der sich außerhalb der Gesellschaft noch anderweitig unternehmerisch betätigt.42 Mitgliedschaftlich verwurzelte Treuepflichten sind daher nicht nur der innere Grund,43 sondern auch jedenfalls ein tatbestandlicher Anknüpfungspunkt der Konzernhaftung44 wie der Eingriffshaftung nach Maßgabe der Entscheidung „Bremer Vulkan";45 der Fall des mehrstufigen Konzerns, bei dem das auf Verlustausgleich in Anspruch genommene herrschende Unternehmen nur mittelbar an der abhängigen GmbH beteiligt ist, soll dabei außer Betracht bleiben.46 Zu bedenken ist aber, dass jedenfalls der Konzernhaftungstatbestand darüber hinaus an die auf der Ebene der Geschäftsführung ausgeübte Leitungsmacht anknüpft,47 und sich zudem auf Verhaltenselemente stützt, die gerade gegen eine freiwillige Übernahme der Verlustausgleichspflicht sprechen.48 Fraglich erscheint daher, ob dieses Element des Konzernhaftungstatbestandes gegen eine vertragliche Qualifikation spricht, vor allem eingedenk der Rspr. des EuGH, wonach Art. 5 Nr. 1 EuGVXJ für „eine Situation (...), in der es an einer von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt", nicht in Betracht kam.49 Verstärkt werden diese Bedenken noch durch folgende Überlegungen: Haftungsgrund für den Verlustausgleich im innerkonzernlichen Verhältnis ist der objektive Missbrauch der GmbH durch ihren Unternehmensgesellschafter;50 ähnlich liegt es bei der Eingriffshaftung nach Maßgabe der EntBGHZ 149,10 - Bremer Vulkan. Ulmer ZIP 2001,2021,2026f. 42 So ausdrücklich BGHZ 122, 123, 127f.; auf die Unternehmenseigenschaft des Alleingesellschafters soll es nach der „Bremer Vulkan"-Doktrin offenbar nicht mehr ankommen, doch wird sie in aller Regel gegeben sein, s. Ulmer ZIP 2001, 2021, 2023. 43 Vgl. zur dahingehenden herrschenden Meinung soeben bei Fn 38. 44 Vgl. schon BGHZ 69, 334, 337; ferner BGHZ 122, 123, 126 (wo es mit Bezug auf das herrschende Unternehmen heißt, es sei „einer von ihnen", d. h. der Gesellschafter); BGHZ 148, 123; Lutter/Hommelhoff aaO, Anh. § 13 GmbHG Rn 17, 13: Konzernhaftung wegen „allgemeiner Treuepflichtverletzung durch mangelhafte Leitung (fehlerhafte Konzerngeschäftsführung)" . 45 BGHZ 149, 10 und hierzu nochmals Ulmer ZIP 2001, 2021, 2026f. 46 Hierzu Haubold IPRax 2000, 375, 380. 47 BGHZ 122, 123, Ls. b); vgl. im Vertragskonzern § 308 Abs. 1, 2 AktG. 48 Vgl. BGHZ 122, 123, Ls. a): Ausübung der Konzernleitungsmacht in einer Weise, die keine angemessene Rücksicht auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft nimmt. 49 Slg. 1998,1-6511 Rn 17 = IPRax 2000, 210, 212. 50 Hüffer aaO, § 302 AktG, Rn 8a unter Berufung auf BGHZ 122, 123. 40 41

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Scheidung „Bremer Vulkan". 51 Darin liegt der kennzeichnende qualitative Unterschied zur Haftung aus der Verletzung von Organpflichten nach § 43 GmbHG, die tatbestandlich allein auf der Ebene der Geschäftsführung angesiedelt ist.52 Die Konzerninnenhaftung schafft demgegenüber einen Ausgleich dafür, dass der herrschende, an zwei oder mehr Unternehmen beteiligte Gesellschafter durch die von ihm gestaltete Konzernorganisation und die einheitliche Leitung des Verbundes die Ursache dafür gesetzt hat, dass die klassischen Kapitalhaltungsregeln (z.B. §§ 57, 58 AktG; § 30 GmbHG) ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht werden. 53 Ist die Konzerninnenhaftung sonach auch eine Fortschreibung der zwingenden Kapitalerhaltungsregeln, so scheint es nahe zu liegen, die Verlustübernahmepflicht für die Zwecke der Dogmatik des innerstaatlichen deutschen Gesellschaftsrechts als gesetzliches Schuldverhältnis einzuordnen. 54 Das Gleiche gilt für die Eingriffshaftung neuerer Prägung. 55 Schon wegen der für die E u G W O maßgeblichen autonomen Auslegung (oben a) ist damit freilich noch nicht gesagt, dass Ansprüche auf Konzerninnenhaftung bzw. Eingriffshaftung außerhalb des Art. 5 Nr. 1 Buchst, a E u G W O stehen. c) Gesetzliche Sekundäransprüche als vertragliche Ansprüche i.S. des Art. 5 Nr. 1 Buchst, a E u G W O Für eine vertragliche Qualifikation spricht im Gegenteil entscheidend die Überlegung, dass der EuGH ganz selbstverständlich Art. 5 Nr. 1 EuGVU nie auf die vertraglichen Hauptleistungspflichten beschränkt hat, sondern den Gerichtsstand des Erfüllungsortes auch für Sekundäransprüche in Betracht gezogen hat, die an die Stelle nicht erfüllter vertraglicher Verpflichtungen treten; so z.B. im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch des Alleinvertriebshändlers nach belgischem Recht bei missbräuchlicher Vertragsauflösung durch den Hersteller, 56 ferner für den entsprechenden Anspruch des Handelsvertreters nach belgischem Recht. 57 Die Einbeziehung von Sekundäransprüchen liegt schon deshalb nahe, weil sie auch das europäische Vertragskollisionsrecht dem Vertragsstatut zuschlägt, Art. 10 Abs. 1 Buchst, e

51 Vgl. Β GHZ 149,10 Ls. 1: Vorwurf der fehlenden „angemessenen Rücksichtnahme auf die Eigenbelange der GmbH". 52 Für eine Wertungsparallele zu § 43 GmbHG aber Altmeppen ZIP 2001, 1837, 1843 f.; gegen ihn Ulmer ZIP 2001, 2021, 2025f. 53 Grundlegend Ulmer NJW 1986,1579,1584, auch unter Bezugnahme auf Mestmäcker Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 335. 54 Grundlegend K. Schmidt ZGR 1983, 513, 516ff.; zust. Hüffer aaO, § 302 AktG, Rn 4. 55 Vgl. BGHZ 149, 10 mit Ls. 1. 56 EuGH Slg. 1976, 1497 = NJW 1977, 490. 57 EuGH Slg. 1988, 1539 = NJW 1989, 1424 = IPRax 1989, 227; dazu Ph. Bauer aaO, S. 130.

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EVÜ 58 /Art. 32 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB. 59 Zwar ist das EVÜ für die Anknüpfung gesellschaftsrechtlicher Fragen nicht anwendbar (Art. 1 Abs. 2 Buchst, e des Ubereinkommens), doch erscheint der Gedanke verallgemeinerungsfähig, Sekundäransprüche dem Statut des Hauptanspruchs zu unterstellen und diese Wertungsparallele auch im Kompetenzrecht fortzuschreiben, schon um ein Auseinanderfallen der Gerichtsstände für Erfüllungs- und Schadensersatzklagen zu vermeiden. 60 Ähnlich wie ein Sekundäranspruch dienen auch der innerkonzernliche Verlustausgleich und die Eingriffshaftung neuerer Prägung der Sicherung primärer Leistungspflichten, hier: der Gesellschafterpflichten aus dem Gesichtspunkt der Kapitalaufbringung und -erhaltung. 61 Diese Hilfsfunktion des Verlustausgleichs wie der Eingriffshaftung gegenüber den primären Gesellschafterpflichten rechtfertigt es, die Gesellschafterinnenhaftung ebenso wie die primären Gesellschafterpflichten (gesellschafts-) vertraglich zu qualifizieren. 62 Die vertragliche Einordnung der Haftung findet so ihre Grundlage letztlich in der freien Willensentscheidung des herrschenden Unternehmens, Anteile an der abhängigen Gesellschaft zu erwerben 63 und in der Tatsache, dass eine konzernrechtliche Abhängigkeit stets auf einer Beteiligung am Kapital der abhängigen Gesellschaft beruht. 64 Die hier vertretene vertragliche Qualifikation der Konzerninnenhaftung und der Eingriffshaftung findet Bestätigung in der bisher vorliegenden deutschen Rspr. zur internationalen Erfüllungsortszuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Klagen. Anzuführen ist in diesem Zusammenhang zunächst ein Urteil des OLG Bremen aus dem Jahre 1997.65 Dort war über einen Anspruch auf Freigabe von Sicherheiten gegen das auslandsansässige herrschende Unternehmen zu entscheiden, den der Konkursverwalter einer deutschen GmbH aus §§ 32 a, 32 b GmbHG herleitete. Das Gericht stellte für die Einordnung der gesetzlichen Ansprüche aus §§ 32 a, 32 b GmbHG als

58 Römisches EWG-Ubereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980, BGBl. 1986, II, 810 i.d.F. des Dritten Beitrittsübereinkommens v. 29.11.1996, BGBl. 1999 II, 7; Textabdr. bei Jayme/Hausmann aaO (Fn 10), Nr. 70; aktuell hierzu Jayme/Kohler IPrax 2001, 501, 510 ff. 59 So EuGH Slg. 1988, 1539 Rn 15 = IPRax 1989, 227, 228; hierzu Mezger IPRax 1989, 207, 209. 60 So im Erg. auch Ph. Bauer aaO, S. 131. 61 Vgl. zu diesem Normzweck des Verlustausgleichs nochmals oben zu Fn 53. 62 Wie hier Ph. Bauer aaO, S. 131 f.; ebenso O L G Koblenz NZG 2001, 759, 760 zur Eigenkapitalersatzhaftung, Rev. unter BGH II ZR 56/01. 63 Wie hier Kulms IPRax 2000, 488, 491 ff.; weitergehend Hau IPRax 2000, 375, 380, der auch darauf abstellt, dass „der Aufbau des Konzernverhältnisses" vom herrschenden Unternehmen gewollt ist. 64 BGHZ 90, 381, 394 ff.; Hachenburg/Ulmer aaO, Anh. § 77 GmbHG Rn 126; grdl. Ulmer ZGR 1978, 457 ff. 65 RIW 1998, 63.

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vertragliche Ansprüche i.S. von Art. 5 Nr. 1 LugÜ 6 6 im Kern darauf ab, dass diese Ansprüche zwingend das Vorliegen eines Gesellschaftsvertrages voraussetzten. In die gleiche Richtung weist ein Urteil des O L G Jena aus dem Jahre 1998.67 In dem dort entschiedenen Sachverhalt klagte der Gesamtvollstreckungsverwalter einer deutschen GmbH zur Durchsetzung eines auf §§ 32 a, 32 b G m b H G gestützten Anspruchs gegen das herrschende Unternehmen mit Sitz in England. Im Anschluss an die soeben erwähnte Entscheidung des O L G Bremen ging auch das O L G Jena von der vertraglichen Natur dieser Ansprüche i. S. des Art. 5 Nr. 1 E u G V Ü aus.68 Besonders bedeutsam erscheint schließlich eine Entscheidung des 23. Zivilsenats des O L G München aus dem Jahre 1999, die die organschaftliche Sonderrechtsbeziehung zwischen einer deutschen GmbH und ihrem Geschäftsführer vertraglich i.S.d. Art. 5 Nr. 1 LugÜ 6 9 einordnete und dabei in einem obiter dictum auch die hier interessierenden Haftungsgrundsätze im qualifizierten faktischen Konzern dem Art. 5 Nr. 1 E u G V Ü unterwarf.70 Das O L G München geht somit ersichtlich davon aus, dass die von ihm angenommene Rechtfertigung für die vertragliche Natur der Geschäftsführerhaftung die Willensentscheidung des Geschäftsführers in Gestalt der Annahme seiner Bestellung - 7 1 auch für die vertragliche Einordnung der Konzerninnenhaftung ausschlaggebend ist. Dieser Willensentscheidung des Geschäftsführers entspricht im hier vorliegenden Zusammenhang die Willensentscheidung des herrschenden Unternehmens, gerichtet auf den Erwerb der Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft. 72 2. Lokalisierung des Erfüllungsortes Der Erfüllungsort i.S.d. Art. 5 Nr. 1 E u G V Ü war nach demjenigen Recht zu bestimmen, das nach dem Kollisionsrecht des erkennenden Gerichts auf den Vertrag - hier: den Gesellschaftsvertrag - anwendbar ist.73 Daran hat sich auch mit dem Inkrafttreten der E u G W O 7 4 nichts geändert. Dort ist nur für 66 Luganer Ubereinkommen ... (Fn 15). Das LugÜ ist im Wesentlichen textgleich mit dem EuGVÜ. 67 ZIP 1998,1496. 68 Insoweit zust. zu beiden Urteilen Ph. Bauer aaO, S. 133, dessen Bedenken hinsichtlich des Ergebnisses sich auf den hier nicht zu berücksichtigenden Aspekt gründen, dass in den beiden entschiedenen Sachverhalten ein mehrstufiger Konzern gegeben war. 69 Vgl. oben Fn 66. 70 OLG München IPRax 2000, 416, 417 (unter I 2 c der Entscheidungsgründe). 71 Vgl. OLG München IPRax 2000, 416, 417 (unter I. 2a der Entscheidungsgründe). 72 Ebenso Mankowski NZI 1999, 56, 57 f. 73 Vgl. zuletzt EuGH Slg. 1999, 1-6307 = NJW 2000, 719 (Ls.) = IPRax 2000, 399 mit Aufsatz Hau 354. 74 Oben Fn 10.

Gesellschafterinnenhaftung in der G m b H und internationale Zuständigkeit

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den Warenkauf und für Verträge, die Dienstleistungen zum Gegenstand haben, eine Zuständigkeit am Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung bestimmt (Art. 5 Nr. 1 Buchst, b E u G W O ) . 7 5 Nach deutschem IPR unterliegt die Konzerninnenhaftung dem Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft, 76 Gleiches gilt für die Gesellschafterinnenhaftung aus anderem Rechtsgrund. Gesellschaftsstatut ist hier - wie oben I. angenommen - das deutsche Recht. 77 In Ermangelung anderweitiger Satzungsbestimmungen sind mitgliedschaftliche Pflichten am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen.78 Damit ist für die Klage auf Konzerninnenhaftung oder Eingriffshaftung eine internationale Erfüllungsortszuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben. Für dieses Ergebnis spricht auch eine Abwägung der prozessualen Interessen des herrschenden Unternehmens und der abhängigen Gesellschaft. Denn die Gerichte am Sitz der abhängigen Gesellschaft stehen den tatsächlichen Auswirkungen der Ausübung der Leitungsmacht regelmäßig am nächsten. Hinzu tritt der Gleichlaufgedanke: Da das Sitzrecht der abhängigen Gesellschaft über die Konzerninnenhaftung bestimmt, ist es zweckmäßig, die dieser Rechtsordnung angehörigen Gerichte auch in der Sache entscheiden zu lassen. 79 Und schließlich ist zu bedenken, dass das herrschende Unternehmen in der hier vorausgesetzten Fallsituation dauerhaft und intensiv Einfluss auf die Leitung der abhängigen G m b H genommen hat und schon deshalb mit einer Gerichtspflichtigkeit am Sitz der abhängigen Gesellschaft rechnen muss. 80 3. Abgrenzung zur

Konzernaußenhaftung

Nach einem Urteil des O L G Düsseldorf aus dem Jahre 1995 soll für die Außenhaftung im qualifizierten faktischen Konzern analog § 303 AktG keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestehen.81 Art. 5 Nr. 1

75 Vgl. Kropholler IPR, 4. Aufl. 2001, § 58 III 2c, S. 576; für einen verordnungsautonomen Erfüllungsort auch bei Art. 5 Nr. 1 a E u G W O aber Junker RIW 2002, 569, 572 mit Nachw. 76 MünchKommBGB/ÄiW/er aaO, Rn 580; Zimmer IPRax 1998,187,188; implizit auch B G H Z 65,15. 77 Vgl. zu den unterschiedlichen Anknüpfungsmerkmalen nur MünchKommBGB/ Kindler aaO, Rn 258 ff. 78 MünchKommBGB//CiW/er aaO, Rn 477 mit Fn 1189; O L G München IPRax 2000, 416, 417 (unter I. 2c der Entscheidungsgründe). 79 Ebenso Hau IPRax 2000, 375, 380. 80 Der E u G H verlangte für die Eröffnung besonderer Zuständigkeiten nach Art. 5 ff. E u G V U generell, dass der Beklagte vernünftigerweise vorhersehen kann, vor welchem ausländischen Gericht im EuGVÜ-Raum er verklagt werden kann, vgl. E u G H Slg. 1992, 1-3967 Rn 18 = RIW 1994, 680. 81 O L G Düsseldorf IPRax 1998, 210 mit Aufsatz Ummer S. 187ff. und Aufsatz Goette DStR 1997, 503ff.; ebenso O L G Frankfurt/M. IPRax 2000, 525 mit Aufsatz Kulms S. 488ff.

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EuGVÜ soll nicht einschlägig sein, weil es nicht auf den vertraglichen Charakter der Rechtsbeziehung des Gläubigers der abhängigen Gesellschaft zu dieser, sondern auf den Charakter der Konzernaußenhaftung als gesetzliches Schuldverhältnis ankomme. Die Revision des klagenden Gläubigers der abhängigen Gesellschaft hat der II. Zivilsenat des B G H nicht zur Entscheidung angenommen. 82 Diesen Beschluss hat ein Mitglied des II. Zivilsenats Goette - mit folgendem „Leitsatz" versehen: Um „Ansprüche aus einem Vertrag" i.S. EuGVÜ Art. 5 Nr. 1 handelt es sich nicht, wenn das Klagebegehren auf die Haftungsgrundsätze im qualifiziert-faktischen GmbH-Konzern gestützt wird. Hat zwar das abhängige, nicht jedoch das herrschende Unternehmen seinen Sitz im Inland, sind die deutschen Gerichte zur Entscheidung eines auf dieser Haftungsgrundlage gestützten Begehrens international nicht zuständig.*0 Eine derart weitreichende Interpretation des Nichtannahme-Beschlusses ist indessen weder durch den Beschluss selbst, dessen Gründe zum Verständnis des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ nichts ergeben, noch durch die Entscheidung der Vorinstanz gerechtfertigt. Die Entscheidung des O L G Düsseldorf bezieht sich allein auf die Konzerrw«/?e«haftung, d.h. Sachverhalte nach Art der TBB-Entscheidung. 84 Dies wird schon aus dem Leitsatz deutlich, der die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 5 EuGVÜ für Klagen des Gläubigers einer vermögenslosen deutschen G m b H Co.KG gegen deren hundertprozentige französische Muttergesellschaft auch bei qualifiziert-faktischer Konzernführung verneint. 85 Aber auch Goette selbst setzt sich in seinem Beitrag mit der vertraglichen Natur der hier interessierenden Konzern¿w«e«haftung nicht auseinander; ihm geht es allein darum, dass der vertragliche Charakter des Anspruchs des Gläubigers gegen die abhängige Gesellschaft - hier: ein Abfindungsanspruch nach § 9, 10 KSchG - nicht den vertraglichen Charakter des „Durchgriffsanspruchs" gegen das herrschende Unternehmen bedinge. 86 Die angeführten Entscheidungen des O L G Düsseldorf und des B G H zur Konzernaußenhaftung ergeben daher für die hier untersuchte Frage nichts.

82

B G H v. 13.1.1997 - II ZR 304/95; eine Abschrift des Beschlusses liegt dem Verf.

vor. 83

DStR 1997, 503. Β G H Z 122, 123. 85 IPRax 1998, 210. 86 Goette DStR 1997, 503, 505. Auch insoweit ist Goette übrigens zu widersprechen: Es gibt keinen Anspruch „auf" Durchgriff, sondern der Durchgriff auf vertragsfremde Dritte hier: den Gesellschafter - ist ein Instrument der Anspruchsdurchsetzung; zur dogmatischen Einordnung als gesetzlicher Schuldbeitritt s. MünchKommBGB/ÄTiW/er aaO, Rn 635. 84

Gesellschafterinnenhaftung in der G m b H und internationale Zuständigkeit

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IV. Gerichtsstand der unerlaubten Handlung 1. Fremdsteuerung

der abhängigen Gesellschaft als unerlaubte

Handlung

Nach Art. 5 Nr. 3 E u G W O besteht für Klagen auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung ein internationaler Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses. Die Vorschrift entspricht - bis auf die vorliegend nicht interessierende Einbeziehung drohender Schäden - dem bisherigen Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ. Der Begriff der unerlaubten Handlung wurde vom E u G H in diesem Zusammenhang stets weit verstanden und erfasst „alle Klagen (...), mit denen eine Schadensersatzhaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ anknüpfen". 87 Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ entfaltet daher gegenüber dem in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ normierten Vertragsgerichtsstand eine Auffangfunktion. 88 Sieht man - entgegen der hier unter III. vertretenen Ansicht - die Grundlage der Konzernhaftung oder der Eingriffshaftung nicht in der rechtsgeschäftlich begründeten Gesellschafterstellung des herrschenden Unternehmens, sondern in einer fehlerhaften Konzerngeschäftsführung als vorwerfbares Verhalten, 89 so liegt die Einordnung als unerlaubte Handlung i.S.d. Art. 5 Nr. 3 E u G W O nahe. 90 Wenn Goette hiergegen einwendet, mangels Verschuldensabhängigkeit der Konzernhaftung 9 1 komme eine Einordnung als unerlaubte Handlung i.S. des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ nicht in Betracht, 92 so trägt dies nicht dem letzten Stand der Rechtsentwicklung zu dieser Vorschrift Rechnung. Schon im Wortlaut des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ ist von einer Beschränkung auf Fälle der Schadensersatzhaftung aus Verschulden keine Rede. Verkannt wird von Goette zudem, dass Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ ausdrücklich Handlungen einbezieht, „die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sind". Das Übereinkommen legte daher ersichtlich einen Begriff der unerlaubten Handlung zugrunde, der weit über die Tatbestände der §§ 823 ff. BGB hinausgeht. 93 Zu den unerlaubten Handlungen i.S. des 87 E u G H Slg. 1988, 5565 (Ls. 2) = N J W 1988, 3088 m. Anm. Geimer = IPRax 1989, 288 m. Anm. Gottwald 272; E u G H , EuZW 1999, 59. 88 Vgl. Gaudemet-Tallon Les Conventions de Bruxelles et de Lugano. Compétence internationale, reconnaissance et exécution des jugements en Europe, 2. Aufl., Paris 1996, Nr. 185: „catégorie residuélle". 89 Vgl. Lutter/Hommelhoff aaO, Anh. § 13 G m b H G Rn 24; w. Nachw. bei Maul A G 1998, 404, 407 m. Fn21. 90 So z.B. Maul A G 1998, 404, 407; hilfsweise auch MünchKommBGB/ATm^/er aaO, Rn 634. 91 Dies ist schon auf sachrechtlicher Ebene nicht unumstritten, vgl. Lutter/Hommelhoff aaO, Anh. § 13 G m b H G Rn 32: Konzernhaftung als Haftung aus vermutetem Verschulden. 92 Goette DStR 1997, 503, 505. 93 Vgl. nur Schack aaO Rn 290; dies gilt übrigens auch für § 32 Z P O , einem der Vorbilder für die Regelung des EuGVÜ, vgl. Thomas/Putzo Z P O , 24. Aufl. 2002, § 32 Z P O Rn 1 ff.

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Art. 5 Nr. 3 E u G V Ü zählen daher anerkanntermaßen auch eine Reihe von verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen, wie z.B. die spezialgesetzlich normierte Gefährdungshaftung, sachenrechtliche Beseitigungsund Unterlassungsansprüche und der Schadensersatzanspruch wegen Zwangsvollstreckung aus später aufgehobenen Titeln. 94 Da auch die Konzerninnenhaftung auf einen Ausgleich des beim Anspruchsberechtigten eingetretenen Vermögensnachteils abzielt, 95 beruht sie auf einem Schadensersatzanspruch i.S. der Vorschrift; ob die Konzernhaftung verschuldensabhängig ist oder nicht, hat hierbei keine Bedeutung. 96 Im Ergebnis deckt sich dies auch mit der Beurteilung der internationalen Zuständigkeit in Konzernhaftungsfällen durch den französischen Kassationshof: In einem Urteil aus dem Jahre 1990 hat das Gericht ohne weiteres eine internationale Zuständigkeit für die Beurteilung einer Konzernhaftungsklage gegen die italienische Muttergesellschaft wegen pflichtwidriger Leitung der abhängigen französischen Gesellschaft (fautes de gestion) bejaht. 97 2. Lokalisierung

des Ortes des schädigenden

Ereignisses

Die Lokalisierung des Deliktsortes ist immer dann problematisch, wenn die Tatbestandsmerkmale einer unerlaubten Handlung in verschiedenen Staaten verwirklicht worden sind. Auch die im Ausland vorgenommene Fremdsteuerung einer inländischen Gesellschaft ist ein derartiges Distanzdelikt: Die haftungsbegründende Handlung wird im Ausland - hier: am Sitz des ausländischen Gesellschafters - vorgenommen, der Erfolg, d. h. die Schädigung des Vermögens der abhängigen Gesellschaft, tritt im Inland - hier: am Sitz der Gesellschaft - ein. Für derartige Fallgestaltungen ist anerkannt, dass Deliktsort sowohl der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort) als auch der Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) ist: Es besteht die internationale Zuständigkeit der Gerichte beider betroffener Staaten; der Kläger hat insoweit ein Wahlrecht. 98 Dieses Wahlrecht kann der Insolvenzverwalter in der hier vorausgesetzten Fallsituation zugunsten der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausüben.

Einzelnachweise hierzu bei Thomas/Putzo/Hüßtege aaO, Art. 5 E u G W O Rn 10. Gleiches gilt für die Eingriffshaftung neuerer Provenienz, s. nur Ulmer ZIP 2001, 2021,2028. 96 Ebenso Zimmer IPRax 1998, 187, 190; Maul AG 1998, 404, 407; MünchKommBGB/ Kindler aaO, Rn 634; Thomas/Putzow/Hüßtege aaO, Art. 5 E u G W O Rn 10. 97 Cass. soc., 3.4.1990, Rev. soc. 1990, 625 („Montefibre") mit Anm. Guyon; hierzu auch Hannoun Le droit et les groupes de sociétés, Paris 1991, Nr. 156-3 S. 127; Reiner Unternehmerisches Gesellschaftsinteresse und Fremdsteuerung, 1995, S. 202 f. 98 Grundlegend EuGH Slg. 1976, 1735 Rn 15 ff. = NJW 1977, 493 = RIW 1977, 356; EuGH Slg. 1995,1-2719 = JZ 1995,1107 m. Anm. Gelmer = EuZW 1995, 765 m. Anm. Holl = IPRax 1997, 331 m. Anm. Hobloch 312; Kropholler aaO § 58 III 3 a, S. 578. 94

95

Gesellschafterinnenhaftung in der G m b H und internationale Zuständigkeit

319

V. Gerichtsstand der Niederlassung 1. Tochtergesellschaft

als

Niederlassung

Nach Art. 5 Nr. 5 E u G W O - die Bestimmung ist wortgleich mit dem früheren Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ - könnte der auslandsansässige Gesellschafter, i.d.R. die Muttergesellschaft, am Sitz der deutschen Tochtergesellschaft verklagt werden, wenn es sich bei dem Verlustausgleich aus Konzerninnenhaftung um eine Streitigkeit aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung handelte. Die rechtspolitische Rechtfertigung für den Niederlassungsgerichtsstand besteht darin, dass der Beklagte seine Geschäftstätigkeit von diesem Ort aus entfaltet hat und es deshalb unbillig wäre, wenn er den Kläger auf den möglicherweise fernen allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 E u G W O verweisen könnte." Wer es als Geschäftspartner nur mit einer inländischen Niederlassung eines ausländischen Unternehmens zu tun gehabt hat, dem soll der Gang zu den ausländischen Gerichten am Sitz der Hauptniederlassung erspart bleiben. 100 Nach der grundlegenden Begriffsbestimmung des EuGH in der Rs. „Somafer ./. Saar Ferngas" ist „mit dem Begriff der Zweigniederlassung, der Agentur oder der sonstigen Niederlassung (...) ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit gemeint, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist". 101 Abweichend vom handelsrechtlichen Niederlassungsbegriff, der nur rechtlich unselbstständige, räumlich getrennte Teile eines Unternehmens erfasst,102 kann eine Niederlassung im kompetenzrechtlichen Sinne auch am Sitz der rechtlich selbstständigen Tochtergesellschaft der ausländischen Beklagten bestehen.103 Zwar handelt die Tochtergesellschaft im Regelfall für sich selbst und nicht für die Muttergesellschaft und unterliegt auch in ihren täglichen Geschäften nicht deren Aufsicht und Leitung.104 Doch kann das Kropholler Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2002, Art. 5 E u G W O Rn 88. Schlosser EuGVÜ, 1996, Art. 5 EuGVÜ Rn 23. 101 EuGH Slg. 1978, 2183, 2193 Rn 12 = RIW 1979, 56; abschließende Entscheidung: O L G Saarbrücken RIW 1980, 796. 102 Vgl. statt aller Hachenburg/Ulmer aaO, § 12 GmbHG Rn 4; Ebenroth/Boujong/ Joost/Pentz HGB, 2001, § 13 HGB Rn 15 ff., 17. 103 Schlosser aaO, Art. 5 EuGVÜ Rn 23; ebenso zu § 21 ZPO O L G München WM 1975, 872 und hierzu Thomas/Putzo aaO, § 21 ZPO Rn 2. 104 Vgl. Fawcett Methods of Carrying on Business and Article 5 (5) of the Brussels Convention, Eur. L. Rev. 1984, 326, 337f. 99

100

320

Peter Kindler

Erscheinungsbild der Geschäftstätigkeit der Tochtergesellschaft - gerade im qualifizierten faktischen Konzern - auch ganz anders aussehen, so dass die Tochtergesellschaft abweichend vom Regelfall doch als Niederlassung i.S. des Art. 5 Nr. 5 E u G W O einzustufen sein kann. Eine derartige Fallgestaltung hat der E u G H in der Rs. „Schotte ./. Parfumes Rothschildt" mindestens implizit deshalb angenommen, weil es für die Schutzbedürftigkeit des Klägers nicht auf die interne Organisation zwischen inländischem und ausländischem Unternehmensteil ankomme, sondern die „Art und Weise, wie sich diese beiden Unternehmen im Geschäftsleben verhalten und wie sie sich Dritten gegenüber in ihren Handelsbeziehungen darstellen". 105 2. Auftreten im Geschäftsverkehr Die damit angesprochene Verhaltenskomponente des zuständigkeitsrechtlichen Niederlassungsbegriffs besteht - wie oben 1. wiedergegeben - darin, dass die Niederlassung auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt. Anhaltspunkte hierfür sind etwa Namensgleichheit, gemeinsame Geschäftsführung, aber auch schon gemeinsames Auftreten während der Vertragsverhandlungen oder der Vertragsdurchführung gegenüber Dritten. 106 Dieses Merkmal sah der E u G H in der Rs. „Schotte ./. Parfumes Rothschild" als erfüllt an. Zugrunde lag dort die eher atypische Fallgestaltung, dass die im EuGVU-Staat A ansässige Tochtergesellschaft in dem anderen EuGVÜ-Staat Β zwar keine unselbständige Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung im Wortsinne unterhielt, dort aber ihre Tätigkeiten mit Hilfe ihrer gleichnamigen Muttergesellschaft entfaltete; die Muttergesellschaft verhandelte und kontrahierte im Namen der Tochtergesellschaft. Hierdurch entstand der Eindruck, dass die Muttergesellschaft eine Außenstelle der Tochtergesellschaft sei; daher - so der E u G H - müsse sich der klagende Vertragspartner auf den so erweckten Anschein verlassen können und die Muttergesellschaft als eine „Niederlassung" der Tochtergesellschaft ansehen können. 107 Die Entscheidung bestätigte implizit den schon bisher für Art. 5 Nr. 5 E u G V Ü anerkannten Grundsatz, dass - umgekehrt - die Unternehmensspitze am Sitz ihrer Niederlassung (Tochtergesellschaft) verklagt werden kann. 108 Nach der „Schotte ./. Parfumes Rothschild"-Entscheidung kommt ein derartiger prozessualer Durchgriff jedenfalls unter folgenden Voraussetzungen in Betracht:

105 E u G H Slg. 1987,4905 Rn 16 = N J W 1988,625 = RIW 1988,136 m. Anm. Geimer 220 = IPRax 1989, 96 m. Anm. Kranke 81. 106 Thorn IPRax 1997, 98, 100; MünchKommBGB/.&W/