Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag am 13. März 1990 [Reprint 2013 ed.] 9783110894431, 9783110119855

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Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag am 13. März 1990 [Reprint 2013 ed.]
 9783110894431, 9783110119855

Table of contents :
Zur Emeritierung von Ernst Steindorff
I. Gesellschafts- und Konzernrecht
Institutional ownership and the restructuring of corporations – With special reference to takeovers
Verfügungen über Mitgliedschaftsrechte
Minderheitenschutz bei der Ergebnisverwendung in der GmbH – Zur Neuregelung des § 29 GmbHG durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz
Zur gesellschaftsrechtlichen Treupflicht als richterrechtlicher Generalklausel
Abhängige Aktiengesellschaften aus rechtspolitischer Sicht – Eine Skizze
Effizienz als Maßstab für die Größe des Aufsichtsrats
Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft – Haftungsrisiken beim ,asset-stripping‘
Der Bezugsrechtsausschluß anläßlich eines ausländischen Beteiligungserwerbs
Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern
Der Verschmelzungsbericht nach § 340 a AktG - Gedanken zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts in Europa
Führungsstruktur und Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft nach dem Verordnungsvorschlag der Kommission vom 25. August 1989
Ein Umweltschutzdirektor in der Geschäftsführung der Großunternehmen?
Der Beirat der Personengesellschaft
Die Leistung der Bareinlage bei der Erhöhung des Kapitals von Aktiengesellschaften
Die ,Politik des Gesetzes‘ im Recht der Konzernhaftung - Plädoyer für einen sektoralen Konzerndurchgriff
Geschäftsrisiko und Unternehmenskooperation
Die Behandlung von Verbundeffekten bei Abfindungen nach den §§ 305 und 320 AktG
II. Bank- und Börsenrecht
Gesellschaftsrecht und Sparkassenrecht
Änderungen von Anleihebedingungen – Schuldverschreibungsgesetz, § 796 BGB und AGBG
Die Sicherheitenleihe – Kreditsicherungsinstrument oder Gläubigergefährdung?
Kollisionsrechtliche Betrachtungen zum Rembours beim Dokumentenakkreditiv
Internationaler Freihandel in Bankdienstleistungen
Probleme der Vereinigung öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute
Spekulation - Markt - Recht. Zur Neuregelung der Börsentermingeschäfte
III. Zivilrecht mit Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
Vermögensrecht – Skizze einer Vorlesung
Wirtschaftsklauseln
Gesamtunwirksamkeit und Teilgültigkeit rechtsgeschäftlicher Regelungen
Quo vadis AGB-Recht?
,Der gerechte Preis‘ – Preisfreiheit und rechtliche Instrumente der Preiskontrolle in der sozialen Marktwirtschaft
Rückwirkende Vertragsanpassung bei Dauerschuldverhältnissen?
Ziele des Haftungsrechts
Das Transparenzgebot als Kontrollmaßstab Allgemeiner Geschäftsbedingungen
Effizienz als Rechtsprinzip? – Überlegungen zum rechtspraktischen Gebrauch ökonomischer Argumente
Personalkosten als Schaden
Zur Eigenhaftung des GmbH-Geschäftsführers aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen
Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen wegen der Verletzung für den Vertragsinhalt wesentlicher vorvertraglicher Pflichten
Der Nachweis des Versicherungsfalles in der Diebstahlversicherung
Neue Wege der Produzentenhaftung im französischen Recht
Offene Fragen zu § 139 BGB – Vorteilsregel und ,Politik des Gesetzes‘
Das Transparenzgebot – ein neuer Oberbegriff der AGB-Inhaltskontrolle?
IV. Wirtschaftsverfassungs- und -verwaltungsrecht, Gewerblicher Rechtsschutz
Die Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand und die neue Sicht des Gesetzesvorbehalts
Werbeverbote für gesundheitsgefährdende Genußmittel
Schadensausgleich bei Verletzung gewerblicher Schutzrechte und bei ergänzendem Leistungsschutz
Zur Bindung der Tarifnormen an Grundrechte, insbesondere an das Grundrecht der Berufsfreiheit
Geschmacksmusterschutz für Kraftfahrzeugteile – Barriere für einen europäischen Binnenmarkt?
V. Deutsches und europäisches Kartellrecht
Die Kartellrechtspraxis zum ,Geheimwettbewerb‘
Europäische Fusionskontrolle nach dem Zigaretten-Urteil
Nationale Ausnahmeregelungen vom Recht der Wettbewerbsbeschränkungen als Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht?
Einige Bemerkungen über die Zukunft der Zweischrankentheorie
Zum Geheimnisschutz im Kartellverfahren
Das Überlebensrisiko des § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB in einer ,großen‘ Reform dieses Gesetzes
Aufgabenteilung zwischen den Wettbewerbsbehörden in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
Marktzugang und Monopolmißbrauch auf deregulierten Märkten
Die Bedeutung der Binnenmarktkonzeption für die Anwendung der EWG-Wettbewerbsregeln
Klagebefugnis und Beschwerdebefugnis verfahrensbeteiligter Dritter im europäischen und im nationalen Kartellrecht
VI. Europäisches und internationales Wirtschaftsrecht
Die Vereinheitlichung des gewerblichen Rechtsschutzes und der freie Warenverkehr im Europäischen Binnenmarkt
Gemeinschaftsrechtliche Informations- und Konsultationspflichten beim Betriebsübergang
Ein Vertragsrecht für Europa
Probleme der Rechtsangleichung zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes
Was bedeutet „self executing“? – Überlegungen zur Rechtsnatur des GATT im Blick auf einen GATT-Immaterialgüterschutz
Das Recht des internationalen Warenkaufs – Das Wiener Übereinkommen und die Standardvertragsbedingungen
Überlegungen zum künftigen Gesellschaftsrecht in der EG
Über die Verfassung des Binnenmarktes
Die Verwirklichung des Binnenmarktes und die Europäisierung des Produktsicherheitsrechts
Freizügigkeit und Bildungswesen in der Europäischen Gemeinschaft an der Schwelle zum gemeinsamen Binnenmarkt
Zur Anerkennung gleichwertiger Regelungen im Binnenmarkt der EG (Art. 100 b EWG-Vertrag)
Die „Mitteilung“ der Kommission: Ein Instrument der Normensetzung der Gemeinschaft?
Versicherungsmonopole und EWG-Vertrag
Kollisions- und europarechtliche Probleme des Arbeitnehmererfinderrechts
Some comments on Art. 5 of the EEC-Treaty
Sonderanknüpfungen von zwingendem Verbraucherschutzrecht und europäisches Prozeßrecht – Eine Studie unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Rechtsprechung zu Differenzeinwand und Börsentermingeschäftsfähigkeit
Die Sanierung von Kreditinstituten und die Angleichung des aufsichts- rechtlichen Sanierungsrechts in der Europäischen Gemeinschaft
Der europäische Rechtsstaat
Zur Harmonisierung des Urheberrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
Die Vollendung des Binnenmarkts der Europäischen Gemeinschaft als Rechtsetzungsprozeß
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Völkerrecht - Der Internationale Pakt von 1966 und sein Kontrollverfahren
Grundsatzfragen des Stahlquotenregimes
Bibliographie
Verzeichnis der Schriften von Ernst Steindorff

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Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag

Vote to Approve Merger, Sale, etc. Fair Price in Two-Tier Offers (Details omitted) "Poison Pill" Rights "Blank Check" Preferred Stand-Alone Proposal . . . Part of a Package (of Anti-Takeover Defenses) Differential Voting Power Authorize a Class of Common having Superior Voting Rights Over the Existing Common on Entitled to Elect a Majority of the Board

Oppose Oppose Approve Oppose

Oppose

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Richard M. Buxbaum

and promoters' interests, thus, the mutual fund is driven to support or at least not to obstruct an active takeover market, given the premia over stock market quotations these takeovers typically represent. In the case of the insurance company investing its premium income (in other words, not acting as manager of purposely pooled savings) this correlation of market value and short-term performance orientation is far less direct. Nevertheless, the same agency problems - i.e., the performance-driven compensation of its external and even its internal investment advisors and managers - apply pressure on these companies to take a similar aggressive stance on the takeover questions. The pension fund situation is slightly more complicated. The private pension funds are, overwhelmingly, pooled funds under trustee management. If the fund is permitted to invest in the particular employer's own stock, as is the case with the " E S O P " (Employee Stock Option Plan), it is of course subject to management - i. e., target company - pressure not only to eschew but actively to defend against hostile takeover activity42. A recent, highly controversial case involving the use of such an ESOP to ward off a takeover bid by issuing a blocking percentage of stock to it as its pension-investment fund, vividly illustrates this possibility43. If, however, the fund is a typical multi-employer (or even a singleemployer) pension vehicle, it is statutorily required to follow a prudently diversified portfolio strategy44, leading to investment in the equities of many firms and thus also to some of the same agent-related performance pressures. It is true that the actual trustees of the fund may be management-related persons sharing in general a target companyoriented perspective, but emerging normative rules, next described, are beginning to force a contrary, aggressive perspective even there. The public pension funds, finally, are in perhaps the most interesting situation so far as these perspectives are concerned. Their investment and portfolio practices generally are contracted out to investment advisors, sector portfolio by sector portfolio. These advisors are rewarded, indeed continued in office or not, primarily on the basis of the "performance" of the portfolio under their control; i. e., as in the case of the investment company, by the percentage of gain in market value as compared with the market and with their competitors' performance. Furthermore, as

See e.g., N.Y. Times, 2.1.1985, p.21, N . Y . Times, 20.4.1985, p.20. See Shamrock Holdings, Inc. v. Polaroid Corp., A.2d (Del. Ch. 1989); N . Y . Times, 24.2.1989, p. 17. 44 See Cummings, Purposes and Scope of Fiduciary Provisions Under the Employee Retirement Income Security Act of 1974, Vol. 31, Bus. Lawyer 15 (1975); Stein, Trust Law and Pension Plans, in Proxy Voting of Pension Plan Equity Securities 1 (D. McGill, ed., 1989). 42

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with the investment of insurance premium income, the projected investment income and capital gain is an important component both of the size of the employer's and employee's pension contribution and, more indirectly, of the level of current and projected pension payouts 45 . The one important countervailing consideration arises from the (diminishing) tendency of institutional investors to consider the exercise of the franchise connected with their investment portfolios as an unproductive chore, and to delegate it to their investment advisors. These may be employees of financial institutions which have other relationships with target companies, such as being their underwriters or lenders. As a result, these franchise wielders may be subject to conflicting pressures concerning both their voting and their tendering postures vis-à-vis potential or actual takeover situations. It has been argued that much if not all of the apparently paradoxical behavior of actual vote-casters, voting, e. g., for poison-pill defenses when it would be in the interest of the fund holding the stock in its portfolio to oppose them, can be explained by this kind of internal conflict of interests 46 . c) A third behavioral variable bears on this situation. As already suggested, the very size of these institutional savings dictates an investment policy that seeks to reflect existing markets rather than to outperform

45 See generally Ippolito, supra note 33, and the study of the different conflictual posture of public as against private pension fund asset managers in Langbein, "The Conundrum of Fiduciary Investing under ERISA," in Proxy Voting of Pension Plan Equity Securities, supra note 44, at 128. 44 For a review of these conflict of interests problems see Conard, "Fiduciary Obligation of the Asset Manager," in Proxy Voting of Pension Plan Equity Securities, supra note 44, at 86; and generally, Coffee, "Shareholders Versus Managers: The Strain in the Corporate Web," 85 Michigan Law Rev. 1 (1986). An evidentiary review of this issue (and the proposed strategies to avoid the danger) is found in Institutional Shareholder Services, Inc., ISS Corporate Ownership Manual (1989). One major operational problem is the present practices of leaving the exercise of the voting franchise to the investment managers as an unpaid chore; see Greenwich Associates, Large Corporate Pensions (1987). Indeed, according to a thorough English study, many United Kingdom institutional intermediaries simply do not exercise the franchise at all. See Confederation of British Industry, Working Party on Pension Fund Investment Management, Pension Fund Investment Management, Oct. 1987, p. 65. On the other hand, the growing importance attached to this aspect of institutional ownership is perhaps best expressed by the appearance of studies chronicling the exact exercise by the surveyed investment fund managers of specific votes on specific issues appearing on the ballot of specific firms. See, e. g., Investor Responsibility Research Center, Voting by Institutional Investors on Corporate Governance Issues in the 1987 Proxy Season (1987). A proposed "Shareholder Rights" Bill, S. 1244, introduced in the current session of the U. S. Congress, and intended to protect asset manager employees from these conflicts by requiring confidential proxy voting, is another indication of the public importance this issue has gained.

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them. Experience has shown that appropriate investment distribution by sectors, ranging from short-term government notes to illiquid real estate holdings, as well as within sectors, ranging in the case of equity investment from blue-chip market stalwarts to initial public (even prepublic) offerings of startup companies, is a critical feature of the overall portfolio strategy of large holdings47. By the same token, efforts to outperform any given market sector - especially listed equities - when a pool is so large as itself to be a market factor by its very act of investment or disinvestment, result in risks that may outrun available rewards over the long run - in short, a "gigantism" exaggeration of the random-walk theory48. Under these circumstances, the so-called index-fund investment strategy has become an increasingly important component of investment strategy, supported (one hopes) by appropriate financialfutures strategies. A major consequence of this development, however, is to lock the investor into the given market-weighted portfolio of equities, with trading occurring only at the margins to adjust these weights49. Under these circumstances, the Wall Street rule - selling the stock because of disagreement with management policies - no longer applies and the investor nolens volens becomes a voter, in confirmation of Hirshmanns's exit-voice-loyalty paradigm50. As a voter, the institutional investor not only has a need and a duty to express its concerns over operational issues, but an even more compelling need and duty to safeguard the one avenue to portfolio value improvement open despite, and consistent with, an index investment policy: the potential takeover bid. It is no digression from this narrative to recall that a stock's market value is a clearing price only, expressing "at the margin" today's willing seller's minimum requirement and vice versa. It says nothing about the price

47 See, e.g., Langbein/Posner, Market Funds and Trust-Investment Law, 1976 Am. Bar Research Journal 1 and 1977 Am. Bar Research Journal 1. 48 See, e.g., Pozen, Money Managers and Securities Regulation, Vol.51, NYU Law Rev. 923 (1976). For a critical view of the effort to create normative rules out of these still debatable economic research products, however, see Gordon/Kornhauser, Efficient Markets, Costly Information, and Securities Research, Vol.60, NYU Law Rev. 761 (1985). 49 There is much discussion and uncertainty about institutional turnover rates. The detailed review in Ruder, supra note 37, at 13, suggests that they continue to be high: as does the summary overview in Lowenstein, What's Wrong with Wall Street, 1988, ch. 3. According to data currently being compiled by the Council of Institutional Investors, however, the largest funds' turnover rates are quite low, due in large part to the mentioned index-investment strategies. 50 See Hirschmann, Exit, Voice, and Loyalty, 1970; and, specifically on the application to shareholder behavior, same, Essays in Trespassing, 1981, p. 218.

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needed to "clear the market;" i. e., to assume control51. Put another way, the market price is the price of a share shorn of control, and only through the existence of a separate market for control - takeover activity - can the share price come to approximate the value of the company to its hypothetical single or collectively acting owner 52 . Unlike the individual, personal investor, the institutional investor, and especially all institutional investors acting rationally if not concertedly, can see to it, through their collective power to keep this second market open, that control remains a collective asset shared by all owners. For all of these reasons, therefore, it is no surprise that institutional investment structurally correlates with liberal views of takeover activity, despite the aberrational support of antitakeover efforts occasioned by the opportunistic behavior of some of these institutions' agents. II. Political and Legal Responses to the Institutional Developments In the long run institutional investment represents a paradigmatic change in the factual and legal relationship of ownership, finance, and control. The classical assumptions are called into question: The emerging owners of publicly-held firms are large, powerful, and knowledgeable. Their emerging power and their already demonstrated capability to exercise it inevitably creates political responses from the organized sector of management. Especially public pension funds, whose creation and maintenance is a matter of governmental involvement, raise significant issues concerning their own internal governance, and the relation of that governance to their governance of firms. 1. Legal Framework

of Institutional

Investment

Norms of corporation law addressing the duties of collectively or individually acting shareholders are not unknown 53 , but are based on factual settings that stop well short of the specifically new element, the intermediate nature of institutional owners. More relevant are norms derived from the law of trusts and of agency, whether the legal form of the specific institutional owner is that of trustee or not. It is from the public law sector that a first effort to characterize the exercise of the franchise as an aspect of a trustee's duty to manage an asset under its control prudently has been generated. The Employee 51 See generally Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, Vol. 70, Virg. Law Rev. 549 (1984). 52 For a thorough analytical review of these difficult issues, see Kraakman, Taking Discounts Seriously, Vol.88, Colum. Law Rev. 891 (1988). 53 See, e.g., R. Clark, Corporate Law 389ff. (1986).

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Retirement and Income Security Act of 1978 ("ERISA") regulates the investment and control of private trusteed pension plans. The agency responsible for its implementation, the Department of Labor, in February of 1988 released a letter addressed to a party subject to its jurisdiction, the so-called Avon Letter54, which provided loose "guidelines" (the exact legal characterization and significance thereof is a matter of intensive debate) which made exactly this point, and strongly suggested that it would not be prudent for trustees subject thereto to vote shares under their control in favor of measures, such as poison pills, that might constrain the ability of the funds to realize full value on their investment. While the same rule does not automatically apply to the ESOP, funded with the employer corporation's stock and controlled by its management, this document undoubtedly has some impact upon the freedom of ESOP trustees to use their investment in the management-supportive role previously mentioned. At first the position of other agencies exercising similar powers over other sectors of the "trustee economy" was the same. Both the Office of the Comptroller of the Currency 55 and the SEC 56 went on public record during 1988 that they held a similar view of the duties of their sectoral institutions (e.g., the trust departments of national banks) and thus a similar view of the activist shareholder position. Recently, however, a slightly different tone is emanating from these agencies. Thus both the Chairman of the SEC 57 and even an official of the Treasury Department have reminded institutional owners of the costs of "short-termism." The latter agency's approach is of particular significance58: "The Administration has been giving a great deal of thought to how to support and encourage U. S. managers to take a long term view in their management decisions . . . There has been a great deal of discussion about the role of pension plans . . . ERISA is designed to give trustees and managers maximum flexibility within the constraints of their fiduciary obligations . . . Nevertheless, within the context of the current ERISA law, the Administration seeks to encourage a balanced time horizon investment approach by pension funds. For example, recently the Department of Labor and Treasury held a press conference to underline that pension funds are not required to

54 Letter of February 23, 1988, Pension and Welfare Benefits Administration, US Department of Labor, reprinted in Proxy Voting of Pension Plan Equity Securities, supra note 44, at 147. 55 Letter of November 23, 1988, Deputy Comptroller of the Currency, summarized in Institutional Shareholder Services, Inc., ISS Issue Alert No. 19, Jan. 1989, p. 1. 56 See McGrath, Remarks to the 1989 Mutual Funds and Investment Management Conference, March 13, 1989, p. 15 (SEC, News Release). 57 See Ruder, supra note 37, at p. 6. 58 Department of the Treasury, Treasury News, Speech by Dep. Sec'y McPherson, April 4, 1989, Relationships Between Pension Funds and Corporate Management, pp. 1, 4f.

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automatically tender when a tender offer exceeds the market price . . . (There) surely is no ERISA obligation to take a short term view . . . (Pension) plans . . . are in an ideal position to help assure that American management takes a balanced time horizon approach to running their companies . . . If a pension plan determines that generally a balanced time horizon view of corporate performance is likely to maximize the return for the participants and the beneficiaries, then the pension plan manager should undertake such a stragety."

For an administration dedicated to a liberal economic regime, and in addition requiring a substantial inflow of foreign investment capital to redress balance of payments problems (occasioned by a deficit-budget strategy), this is delicate stuff. That already this much is being said is an indication of the scope and strength of the countervailing forces developing in this debate. Whether the cited examples are the harbingers of specific legal rules concerning the delicate and fact-specific nature of a trustee's fiduciary duties in this field is doubtful, but they do suggest that legal rules may not in the future be the refuge for institutional investors faced with political challenges that they may be at present. 2. The Political Debate Over Institutional Activism "Pension systems . . . are emerging as the de facto owners of corporate America . . . Perhaps the greatest burden . . . (of this ownership) falls on the trustees of pension systems created for state and local government employees. These government officials find that they are in charge of . . . a $600 billion burden, which requires them, like it or not, to bear a substantial share of the responsibility for the course of the American economy 59 ."

While there were earlier exchanges, the pamphlet from which this excerpt is taken, published by an affiliate of The Business Council of New York State (self-proclaimed to be the state's largest broad-based business group) suggests the political strategy that can be expected to develop in the near future. It will question the need and the right of the trustees of pension funds, not only of public sector ones, to challenge the introduction by corporate management of forestalling (or at least of auction-deferring) defenses not only on the merit of the issues but on the legitimacy of the agents and, indeed, of the beneficiaries of these funds. Two more excerpts should suffice: "(The) movement among some public pension funds to reject any and all takeover defenses is informed not so much by economic considerations — as by the transfer of axioms which the funds' trustees have learned in the political and legal arenas, into the corporate arena. The very words used ('shareholder democracy,' 'one share, one vote,' or 'shareholder bill of rights') point to this explanation60."

59 The $600 Billion Burden, supra note 51, at p. 1 (emphasis partly supplied, partly in original). 60 Id. at p. 24.

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Richard M. Buxbaum "The pension benefits of public employees in New York State, for example, are defined benefits . . . and may not be impaired or reduced once earned. A superb rate of return on the pension funds' investments will not increase the benefits for retirees, and a poor one will not reduce them. Therefore, the 'beneficiaries' have no tangible 'interest' one way or another in whether the pension fund makes a few extra dollars on a takeover play 6 1 ."

The quoted commentator, as well as other writers, already have drawn the operational consequences from these characterizations: Institutional investors, as least of this type, should not oppose proposed defenses as shareholders or oppose their creation by a board of directors, and these investors should not engage in proxy solicitations for the election of directors nominated by them62. More generally, the operational consequence is the elimination or reduction of the voting power that otherwise would inhere in these blocks of shareholdings. They have also added one other powerful argument to support this line of thought, though one may ask in which direction the argument in fact runs. Increasingly, the funds are being not particular firm participations, but the economy as such: "They are buying into the American economy. If the American economy does well over the long term, so will the funds, and their beneficiaries . . . Sooner or later, the pension funds, and American corporations, are going to have to find ways to put their common interest together, to meet their common objective 63 .

So long as ownership was fragmented, the question of who owns the corporation, and who (therefore?) had the power to determine its path, could be avoided. Profit maximization, filtered through the discretionary power of the agents of large firms which themselves disposed of more power than classical welfare economic theory would allot them (though never over so much as their agents believed was needed for them to function effectively, let alone wished for them), was the modern version of a hand sufficiently invisible to provide the political legitimacy for this decisionmaking process 64 . The rise of a market for control - the takeover process - spelled the end of this accommodation; the rise of institutional ownership makes a new and perhaps more articulate accommodation that will provide legitimacy to these owners and to managers necessary.

Id. at p. 12. Id. at p. 29 ("The matter of board seats raises even more difficulties. Perhaps on the surface, the CII's idea . . . sounds simple enough. In practice, it raises a whole host of questions . . . " ) . « Id. at p. 31. 64 See generally Buxbaum, supra note 14. 61

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3. The Governance

of Institutional

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Investors

Uncertainty about the merits of the foregoing debate cannot obscure the fact that the beneficiary/owner of much of the private economy sector now has hired, or has suffered the hire, of two potentially conflicting agents: the holders of the legal titles to these firms, and the managers of the firms. The traditional ranking of owners and managers does not dispose of this conflict, since the current system by which each set of agents is invested with their respective powers is questionable as a matter of intention or expression of will, and the discretion vested in each by that questionable investiture in any event remains uncertain so long as the issues mooted under the Unternehmen an sich rubric remain unresolved. Three avenues to the resolution might be propounded: elimination of the franchise associated with institutional investment; legitimation of institutional owners through market choices; and legitimation through reformation of their own internal governance processes. a) While the management participants in the debate seem to be toying with the promises of the first approach, the vacuum it creates would be filled by an unknown and, I believe, unstable species of corporatist origin with problematical implications for even the internal aspects of firm governance, let alone for the external aspects of governmentindustry, -finance, and -labor relations. In any event, I leave this large issue unexplored here65. b) The approach to legitimation through market choices requires some differentiation of the institutional ownership spectrum. Two criteria seem important, both singly and in their interaction: the correspondence between the primary saver's investment with the institutional investor and the latter's investment portfolio; and the primary saver's right to move between institutional investment choices at meaningful (marketderived) value ascriptions. The spectrum, thus, can be seen to run from the voluntary investment in a listed investment company whose shares are themselves traded actively to the more or less mandated withholding of wages for investment by pension fund for the eventual payment of pension benefits that are based on but not necessarily correlated to the later aggregate value of that pooled investment. In between lie investments in a bank trust fund, whose exit is hostage to legal (contractual) constraints, or in an insurance company fund, with their exit hostage to the straight insurance component of the pool. 65 See Buxbaum, Juridification and Legitimation Problems in Enterprise Law, in Juridification of Social Spheres 241 (G. Teubner, ed., 1987).

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In the first, best case it is conceivable that among the choices of a competitively structured supply of investment opportunities could be the offering of a palette of "governance choices" (i. e., philosophies of how the institutional intermediary uses the various franchises arising from its investments) analogous to basic investment choices. Without pursuing this concept through the entire spectrum, however, I believe it possible to conclude that for reasons both of voluntariness and market valuation most investment channels are not good candidates for this approach to legitimation. In short, the pass-through or "voice" issue has to be considered. c) Franchise pass-through systems exist for traditional indirect stock ownership (the American nominee or street-name system or its German Depot counterpart)66, but cannot be directly transposed. One obstacle is the lack of direct correspondence between the legal title of the trustee and the equitable title of the beneficiary. A larger one is the technical problem of fitting a constantly shifting institutional portfolio to an equally fluid number of owners (of the institutional vehicle) whose individual investment levels are even volatile over time. At the most, therefore, either "guideline" voting, or voting for competitive slates of special agents with different franchise philosophies, is feasible. As in the case of the market exit option, the more voluntary and capable of valuation the investment, the easier would be the shaping of this option of voice. Indeed, it could be devised even for investment structures with legal or contractual exit constraints of the type previously mentioned. Even in the case of pension funds, the different levels of contributions could be matched with weighted voting based on past contributions or surrogates like years of service67. The difficult, though perhaps not intractable problem lies in the fact that the pooled investment is dedicated to a purpose (insurance payouts or pension benefit payouts) that does not distinguish, in its levels of benefits, between the different franchise power-exercise forms that split voting creates. Split voting by common agents for different beneficiaries of course is normal in traditional nominee systems, but there it leads simply to a collective, majoritarian policy line for the firm. Its consequences, to dissidents, are mitigated not only by exit possibilities at market prices, but by the fact that the original investment is fully 66 See generally Jennings/Buxbaum, Corporations - Cases and Materials, 5th ed. 1979, pp. 288 f. 67 The analogy to producers' cooperatives is close enough that voting procedures operationalized in that sector might be considered. See I. Packel, The Organization and Operation of Cooperatives 108 (4th ed. 1970); for an example, see Scott County Tobacco Warehouses, Inc. v. Harris, 214 Va. 508, 201 S. E. 2d 780 (1974).

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voluntary and involves only "surplus," not "essential" savings. This voluntarily assumed deference to a majority will cannot reasonably be transposed to the involuntary, especially the pension situation68. Rather, the pools themselves would have to be split. A likely outcome might be a profit-maximization pension pool dominated by older employees, and one for job protection with lower immediate returns, dominated by younger employees. If employee age, employee preferences, and investment augmentation all "mature" in linear fashion, the pressure to restock an underproducing pool would be small; under other assumptions, large. Either way, however, they would be expressed politically; i.e., through collective bargaining or legislative channels. This consequence would not discredit the legitimation experiment, but does point out the diminishing separability of private-sector firm governance from public-sector social governance in this arriving era of institutional ownership of firms. An alternative approach is to obtain from the employee sector a consent to the collective, majoritarian expression of franchise-exercise choices by the appropriate employee units. Union-run pension funds come close to this with workers' election of business agents69. I do not develop this scenario in its sectoral variations here, except to close with the obvious point that this alternative, too, leads to the mentioned systemic conclusion. In short, we have come to a juncture at which old issues about the basic organization of economic activity are due to be reopened, this time not as primary choices between liberal, mercantilist, corporatist, or socialist modes, but as tonal tendencies overlaying a liberal economic order marked by large economic units. To a European reader that conclusion should not be surprising.

See Buxbaum, supra note 65, at 260. A first step is the development of specialized intermediary institutions, with a heightened right of obtaining information from the corporate sector; see the recently enacted § 703 of the California Corporations C o d e concerning trustees' duty of disclosure of voting records to representatives of beneficiaries. 68

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Verfügungen über Mitgliedschaftsrechte WALTHER HADDING

I. Fragestellungen In der Bundesrepublik Deutschland sind unzählige Mitglieder an zivil- und handelsrechtlichen Gemeinschaften beteiligt, vor allem als Gesellschafter von Handelsgesellschaften ( O H G , KG, GmbH, AG, KGaA, eG, W a G ) . Daher liegt es nahe, daß in unterschiedlichen Zusammenhängen sich immer wieder die Frage stellt, ob und unter welchen Voraussetzungen sowie mit welchen Rechtswirkungen Verfügungen über einzelne Mitgliedschaftsrechte oder sogar die Mitgliedschaft insgesamt getroffen werden können. Entsprechend dem allgemeinen Grundbegriff der „Verfügung" geht es um Rechtsgeschäfte, die auf den Bestand eines Rechts unmittelbar einwirken, sei es daß ein Recht übertragen, inhaltlich geändert, belastet oder aufgehoben wird1. 1. Bei einzelnen Mitgliedschaftsrechten oder der Mitgliedschaft insgesamt kommt namentlich ihre Übertragung auf einen Erwerber in Betracht. Ein solcher rechtsgeschäftlich bewirkter Ubergang einzelner Mitgliedschaftsrechte oder der ganzen Mitgliedschaft wirft zahlreiche Fragen auf. Nur beispielhaft seien für die O H G und die K G genannt: Welche gegenwärtigen oder künftigen Mitgliedschaftsrechte kann der Gesellschafter auf einen Dritten übertragen? Angesichts der gesetzlichen Regelung (§§717 Satz 1 und Satz2 BGB, 105 Abs.2; 161 Abs.2 HGB), 1 Vgl. R G Z 9 0 , 395, 399; B G H Z 1 , 294, 304; 75, 221, 226; von Tuhr, Der Allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. I I / l , 1914, § 541 (S. 238 f.); Enneccerus/ Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Bearb. Bd. II, 1960, §14311; Lehmann/Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 16. Aufl. 1966, § 15 II 1 (S. 113); Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, §11, 5 a, b; Hadding, in: Studienkomm. z. B G B , 1.-3. Buch, 2. Aufl. 1979, §§135-137 A n m . I I l a ; Ernst Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 3.Aufl. 1982, §11 A I ; Hübner, Allgemeiner Teil des B G B , 1985, Rdn.232; Médiats, Allgemeiner Teil des B G B , 3. Aufl. 1988, Rdn.208; Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 8. Aufl. 1989, Rdn. 404-406. Siehe ferner Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 6. Aufl. 1983, § 18 II c (S. 311, 313), der freilich auch Verfügungen über ein „Rechtsverhältnis" für zulässig hält.

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die für nicht vermögensrechtliche Ansprüche die Übertragbarkeit ausschließt, wird hierzu das sogenannte Abspaltungsverbot und seine Reichweite erörtert 2 . Welche Wirkung hat die Vorausabtretung z. B. des Anspruchs auf das Auseinandersetzungsguthaben, wenn der Gesellschafter zwischenzeitlich seine gesamte Mitgliedschaft übertragen oder vererbt oder durch Zwangsvollstreckung verloren hat 3 ? Darüber hinaus ist zweifelhaft, unter welchen Voraussetzungen der Gesellschafter seine Mitgliedschaft insgesamt auf einen Dritten übertragen kann. Welche tatbestandlichen Anforderungen sind gegebenenfalls zu erfüllen? Ist §413 BGB anwendbar, weil ein „Recht" übertragen werden soll? Dann würde grundsätzlich die Einigung des bisherigen Gesellschafters und des Erwerbers (Abtretung) genügen, um den Ubergang der Mitgliedschaft herbeizuführen (§398 BGB). Oder müssen die übrigen Gesellschafter schon vom „Objekt" her ihr rechtsgeschäftliches Einverständnis erklären, weil bei der Mitgliedschaft nicht nur über „ein Recht" verfügt, sondern die gesamte „Rechte- und Pflichtenstellung" eines Beteiligten im Gesellschaftsverhältnis übergehen soll (sog. Vertragsübernahme; vgl. auch §§414, 415 BGB) 4 ? Können einzelne „Bestandteile" der Mitgliedschaft, z . B . ein bestimmter vermögensrechtlicher Anspruch oder ein bestimmtes Mitverwaltungsrecht, etwa die Geschäftsführungsbefugnis, vom Übergang auf den neuen Gesellschafter ausgenommen sein 5 ? 2. Entsprechende Fragen ergeben sich, wenn ein Treuhandverhältnis hinsichtlich einzelner Mitgliedschaftsrechte, z.B. bei der Sicherungsabtretung von Ansprüchen auf Gewinnanteile, oder hinsichtlich der Mit-

2 Vgl. dazu Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1/1: Die Personengesellschaft, 1977, § 1 4 I V (S. 220 f.); Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd.I, 1980, § 7 (S. 362, 372 f.); Soergel/H adding, Komm. ζ. BGB, 11.Aufl. 1985, §717 Rdn.6, 20ff.; MünchKomm.-Wmer, BGB, 2.Aufl. 1986, §717 Rdn.7, 9ff.; K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, §191114 (S.414f.). 3 Vgl. dazu BGHZ88, 205, 206/207 = NJW1984, 492 = WM 1983, 1235 = JZ1984, 99 = ZIP 1983, 1326 (Vorausabtretung des Anspruchs auf das Auseinandersetzungsguthaben vor Übertragung der Mitgliedschaft bei GmbH); zustimmend zitiert in BGHZ 97, 392, 394 = WM 1986, 719 = WuB VI E. § 829 ZPO 7. 86 (Messer) = NJW 1986, 1991 (betreffend Pfändung des Anteils am Vermögen einer GbR) sowie bestätigt und ergänzt in BGH WM 1988, 1747 = WuB II C. § 15 GmbHG 1.89 (Koller) = JZ 1989, 252 m. Anm. Münzberg = ZIP 1988, 1546 m. ausführl. Besprechungsaufsatz Marotzke, ZIP 1988, 1509 (betreffend GmbH). Siehe auch BGHZ 98, 48 = JZ 1987, 880 m. Anm. Ulmer = NJW-RR1987, 989 m. Besprechungsaufsatz Flume, NJW 1988, 161 = DNotZ 1988, 46 m. Besprechungsaufsatz Götte, DNotZ 1988, 603 = JR1988, 205 m. Besprechungsaufsatz Marotzke, JR1988, 184 = ZIP 1987, 1042 (Vermächtnis der Mitgliedschaft bei anderweitiger Vererbung des Anspruchs auf das Auseinandersetzungsguthaben bei KG).

* Vgl. für letztere Auffassung Hadding, in: Festschr. f. Reinhardt, 1972, S.249, 257. 5 Vgl. BGHZ 45, 221; Teichmann, NJW 1966, 2336; Ganssmüller, DB 1967, 891; Hadding, aaO (Fn.4), S.257.

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gliedschaft insgesamt, ζ. B. im Rahmen einer Sanierung, begründet werden soll6. 3. Neben der Übertragung kommt als Verfügung über einzelne Mitgliedschaftsrechte oder die Mitgliedschaft insgesamt die eine oder andere Art ihrer Belastung in Frage. Um mitgliedschaftlich gebundene Vermögensteile als Kreditsicherheit einzusetzen, wird z.B. ihre Verpfändung erwogen. Ahnlich wie bei der Übertragung sehen die Beteiligten sich vor die Frage gestellt, ob ζ. B. bei einer O H G oder KG eine Verpfändung oder Nießbrauchbestellung hinsichtlich einzelner Mitgliedschaftsrechte oder der gesamten Mitgliedschaft überhaupt rechtlich zulässig ist7. Nur wenn man die Mitgliedschaft insgesamt als ein übertragbares „Recht" qualifiziert, kann der Gesellschafter anscheinend ohne weiteres ein Pfandrecht (vgl. §1274 Abs. 2 BGB) oder einen Nießbrauch (§1069 Abs. 2 BGB) an ihr bestellen. Falls man die rechtliche Zulässigkeit allgemein oder unter bestimmten Umständen bejaht, bleibt zu klären, wie diese Verfügungen wirksam vorgenommen werden und welche Rechtsstellung der Pfandgläubiger oder der Nießbraucher im einzelnen erhält. Die rechtlichen Antworten hängen nach den gesetzlichen Vorschriften (vgl. nur §§ 1274 Abs. 1; 1069 Abs. 1 BGB) weithin von den Ergebnissen ab, die man zur Übertragbarkeit und zu den Anforderungen an eine wirksame Übertragung einzelner Mitgliedschaftsrechte oder der Mitgliedschaft insgesamt für zutreffend erachtet. II. Rechtssystematische Grundlagen 1. An dieser Stelle kann es selbstverständlich nicht die Aufgabe sein, auf alle möglichen Verfügungen über einzelne Mitgliedschaftsrechte oder die Mitgliedschaft insgesamt bei allen zivil- und handelsrechtlichen Gemeinschaften auch nur annähernd einzugehen. Hierzu sind überdies für bestimmte Gesellschaftsformen und Arten von Verfügungen manche detaillierten Stellungnahmen vorhanden8. Auffällig ist jedoch, daß bislang in der Rechtsprechung und Rechtslehre zu den anstehenden Fragen nur selten halbwegs einhellige Ergebnisse vertreten werden, auf denen 6 Vgl. zur Treuhand an Gesellschaftsanteilen Beuthien, ZGR1974, 26; John und Mühl, in: Hadding/U. H. Schneider (Hrsg.), Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit, 1979, S. 83 (Personengesellschaften) und S. 129 (GmbH); Soergel/H adding, aaO (Fn. 2), §719 Rdn.20; MünchKomm.-Mmer, aaO (Fn.2), §705 Rdn.72ff.; §717 Rdn. 11. 7 Vgl. zu Pfandrecht und Nießbrauch an der Mitgliedschaft in einer O H G oder KG: Hadding, in: Hadding/U.H. Schneider, aaO (Fn.6), S.37; zum Nießbrauch am O H G (KG)-Anteil: Ulmer, in: Festschr. f. Fleck (ZGR-Sonderheft 7), 1988, S.383. 8 Vgl. grundlegend Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965; ferner die Beiträge in: Hadding/U. H. Schneider (Hrsg.), Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit, 1979 (m. Nachw. bis 1978).

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die Praxis aller Beteiligten ohne allzu große Unsicherheit aufbauen könnte. Deshalb soll hier das Augenmerk allein darauf gerichtet werden, daß in diesem Problemfeld der Verfügungen über Mitgliedschaftsrechte nur dann einheitliche und überzeugende Lösungen erwartet werden können, wenn man sich allgemein dazu versteht, rechtssystematische Grundlagen des geltenden Zivilrechts zu beachten. Bei näherem Zusehen tritt nämlich zutage, daß man offenbar gerade bei Verfügungen über einzelne Mitgliedschaftsrechte oder die gesamte Mitgliedschaft nur allzu leicht geneigt ist, sich über zivilrechtliche Grundlagen hinwegzusetzen oder sie jedenfalls nicht hinreichend zu berücksichtigen. 2. Im Folgenden sollen als knappe Zusammenfassung diejenigen rechtssystematischen Grundlagen skizziert werden, die auch für Verfügungen über einzelne Mitgliedschaftsrechte und die Mitgliedschaft insgesamt maßgeblich bleiben sollten. (1 ) Das geltende Zivilrecht unterscheidet zwischen dem einzelnen „subjektiven Recht" und dem „Rechtsverhältnis", aus dem die einzelnen subjektiven Rechte und Rechtspflichten der Beteiligten hervorgehen9. Wenn man „subjektives Recht" und „Rechtsverhältnis" ineinssetzt, wird eine Unterscheidung aufgegeben, die - wie schon von Tuhr10 treffend bemerkt hat - „systematisch unentbehrlich" ist. Dann würden (Entstehungs-)Tatbestand : „Rechtsverhältnis" und Rechtsfolge : „subjektives Recht", d.h. Ursache und Wirkung, als identisch angesehen, die Gesamtheit und ein Bestandteil gleichgesetzt. Das würde jedem Bemühen um sachliche und logische Differenzierung widersprechen. (2) Das einzelne „subjektive Recht" und das „Rechtsverhältnis" als sein Entstehungstatbestand sind ferner von der „Stellung eines Beteiligten" im Rechtsverhältnis zu trennen, die in aller Regel mehrere subjektive Rechte und vor allem auch Rechtspflichten umfaßt". (3) Schließlich unterscheidet das geltende Zivilrecht ebenso zwischen dem einzelnen „subjektiven Recht" und einer „Such- oder Rechtsgesamtheit" („Inbegriff von Gegenständen", vgl. §260 BGB), die mehrere Sachen oder/und Rechte im Hinblick auf einen Zweck zusammenfaßt, z. B. ein Unternehmen. (4) Den genannten Unterscheidungen entspricht der Grundbegriff der „Verfügung" (vgl. eingangs), der nach geltendem Zivilrecht zugleich das 9 Vgl. Achterberg, Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung, Rechtstheorie 1978, 385; Emst Wolf, aaO (Fn. 1), §2 Β (S. 106) und §2 F (S. 155); Larenz, aaO (Fn. 1), §121 und II. •o AaO (Fn. 1), Bd. I 1910, §5 II (S. 125/126). 11 Vgl. Larenz, aaO (Fn. 1), § 12 III.

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Spezialitätsprinzip enthält: Ein Rechtsgeschäft kann als Verfügung nur „ein Recht" in seinem Bestand unmittelbar beeinflussen. Demnach ist eine Verfügung nur über „ein einzelnes subjektives Recht" möglich12. Hingegen kann nicht über ein „Rechtsverhältnis" (vgl. oben [1]) oder über die „Stellung eines Beteiligten" in einem Rechtsverhältnis (vgl. oben [2]) oder über eine „Rechtsgesamtheit" (vgl. oben [3]) eine Verfügung getroffen werden. 3. Im Recht der Schuldverhältnisse werden die dargelegten Unterscheidungen i. S. rechtssystematischer Grundlagen augenscheinlich allgemein anerkannt. So wird - um ein Beispiel vor Augen zu führen - bei der Veräußerung eines Unternehmens niemand die Unterscheidung zwischen dem Anspruch des Verkäufers auf den vereinbarten Kaufpreis nach §433 Abs. 2 B G B (einzelnes „subjektives Recht") und dem Kauf als Schuldverhältnis i. w. S. zwischen beiden Beteiligten („Rechtsverhältnis") leugnen. Der Anspruch auf den Kaufpreis (§433 Abs. 2 BGB) ist ferner nur ein Bestandteil der gesamten Stellung des Verkäufers, die noch andere Rechte und vor allem auch Rechtspflichten (vgl. insbesondere §433 Abs. 1 BGB) umfaßt. Der Kaufpreisanspruch des Verkäufers kann durch schuldrechtliche Verfügung abgetreten werden (vgl. § § 3 9 8 ^ 0 0 BGB). Soll hingegen jemand nach dem wirksamen Abschluß des Kaufvertrags in die gesamte Rechte- und Pflichtenstellung des Verkäufers eintreten, kann dies nicht durch eine Verfügung herbeigeführt werden; es bedarf vielmehr einer rechtsgeschäftlichen sog. Vertragsübernahme, d. h. eines dreiseitigen Rechtsgeschäfts zwischen den bisherigen Beteiligten des Schuldverhältnisses Kauf und dem Nachfolger in die Stellung des Verkäufers (vgl. § 305 BGB) 1 3 . Zur Erfüllung der Pflicht des Verkäufers, das kaufmännische Unternehmen zu verschaffen (entsprechend §433 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB), kann das Unternehmen als Sach- und Rechtsgesamtheit nicht durch nur eine Verfügung übertragen werden. Vielmehr sind rechtlich alle einzelnen Gegenstände (Sachen und Rechte, vgl. § 90 BGB) einzeln nach den jeweils für sie maßgeblichen Vorschriften zu übertragen (Spezialitätsprinzip). III. Die Tragweite der allgemeinen rechtssystematischen Grundlagen im Gesellschaftsrecht 1. Nach der bisherigen Darstellung muß es verwundern, daß im Bereich der zivil- und handelsrechtlichen Gemeinschaften die grundlegenden allgemeinen Unterscheidungen (vgl. oben II. 2.) ohne Not weithin aufgeVgl. die in Fn. 1 Angegebenen. Vgl. zur Vertragsübernahme insbesondere Pieper, Vertragsübernahme und Vertragsbeitritt, 1963. 12

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geben werden. Das gilt für die rechtliche Beurteilung von Verfügungen über einzelne Mitgliedschaftsrechte, namentlich aber bei „Verfügungen" über die Mitgliedschaft insgesamt. Um solche „Verfügungen" zu ermöglichen, wird insbesondere die Mitgliedschaft als solche kurzerhand zum „subjektiven Recht" erhoben14 und/oder als „Stammrecht" qualifiziert 15 . Dabei wird u. a. folgendes außer acht gelassen: In § 38 BGB wird für den Verein als Grundmodell aller körperschaftlich aufgebauten zivilrechtlichen Gemeinschaften klar zwischen der „Mitgliedschaft" insgesamt (Satzl) und den einzelnen „Mitgliedschaftsrechten" (Satz 2) unterschieden. In §717 BGB wird für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Grundmodell aller nicht körperschaftlich aufgebauten Personalgesellschaften die Unübertragbarkeit oder Ubertragbarkeit von einzelnen Ansprüchen der Gesellschafter „aus dem Gesellschaftsverhältnis" geregelt. In diesen Vorschriften ist mithin auch für die zivil- und handelsrechtlichen Gemeinschaften die Unterscheidung von einzelnen „Mitgliedschaftsrechten" (subjektives Recht) und „Gesellschaftsverhältnis" (Rechtsverhältnis) sowie der „Mitgliedschaft" insgesamt (Stellung eines Beteiligten im Rechtsverhältnis) als maßgebliche rechtliche Regelung enthalten. 2. Berücksichtigt man um der zu fördernden Rechtssicherheit willen diese rechtssystematischen Grundlagen, so entsteht zunächst Klarheit, was hier bei genauer rechtlicher Beurteilung allein den „Gegenstand" von Verfügungen bilden kann: Das Mitglied kann nur über einzelne übertragbare Mitgliedschaftsrechte verfügen, insbesondere einzelne vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis. Demgegenüber ist die Mitgliedschaft insgesamt als solche nach geltendem Zivilrecht (Spezialitätsprinzip) kein tauglicher Gegenstand von Verfügungen. Denn die gesamte Mitgliedschaft ist kein einzelnes subjektives Recht. Diese Feststellung bedarf angesichts des Diskussionsstandes einiger Erläuterungen: a) Die Mitgliedschaft ist die Stellung eines Beteiligten als Mitglied im Rechtsverhältnis zu der Gesellschaft und u. U. den anderen Gesellschaf14 Vgl. namentlich Wiedemann, aaO (Fn.8), S.39f. und passim (z.B. schon S.24; insbesondere S. 60/61); ders., aaO (Fn. 2), § 2 1 1 b) bb), S. 95; U. Huber, Vermögensanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 164 und passim (z.B. S.372 m. Fn. 11; S. 369 ff.: „Der Gesellschaftsanteil als übertragbares Recht"); Flume, aaO (Fn. 2), § 9 (S. 127); ders., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1/2: Die juristische Person, 1983, § 81; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 101 f.; K.Schmidt, aaO (Fn.2), §1913. 15 Vgl. U. Huber, aaO (Fn. 14), S. 163. Von „Stammrechten" in bezug auf den „Anteil am Gesellschaftsvermögen" ist die Rede in BGHZ98, 48 (weitere Fundstellen Fn. 3); vom „Stammrecht der Mitgliedschaft" in OLG Hamburg ZIP 1989, 298, 299. In BGHZ 97, 392, 394 (weitere Fundstellen Fn. 3) wird der „Anteil am Gesellschaftsvermögen" einer GbR gekennzeichnet als „das Wertrecht, das die zum Gesellschaftsanteil gehörenden Vermögensrechte repräsentiert".

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tern 16 . Sie umfaßt (aktuell) die Gesamtheit der einzelnen Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten, die durch Beteiligung an der Gründung oder den späteren Beitritt aufgrund des Gesellschaftsvertrags und kraft Gesetzes für das Mitglied aus dem Rechtsverhältnis zu der Gesellschaft und u. U. den anderen Gesellschaftern entstanden sind. Außerdem können aus dem Gesellschaftsverhältnis für das Mitglied (potentiell) fortlaufend neue Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten entstehen, wenn die jeweils erforderlichen Tatbestandselemente gegeben sind. Die Mitgliedschaft kann daher als aktuelle und potentielle Inhaberschaft der Gesamtheit von Rechten und Pflichten des einzelnen Mitglieds aus dem Rechtsverhältnis zu der Gesellschaft und u . U . den anderen Gesellschaftern qualifiziert werden. b) Unter den inzwischen vorliegenden Stellungnahmen in der Rechtsprechung und in der Rechtslehre kann somit nur denjenigen zugestimmt werden, die die Mitgliedschaft als „Stellung im Gesellschaftsverhältnis" beurteilen 17 . Soweit die Mitgliedschaft als „Rechtsverhältnis" und zugleich oder allein als „subjektives Recht" gekennzeichnet wird 18 , ist dazu kritisch folgendes festzustellen: (1) Die Mitgliedschaft ist nicht selbst ein Rechtsverhältnis, weil ein solches immer nur zwischen zwei oder mehreren Beteiligten (hier Mitglied und Gesellschaft sowie u. U. den anderen Gesellschaftern) bestehen kann. Es handelt sich vielmehr um die Stellung als Beteiligter dieses Rechtsverhältnisses, aus dem für das Mitglied Rechte und Pflichten entstanden sind und entstehen können, die insgesamt jene Stellung bilden. Die Mitgliedschaft kann nicht mit dem Rechtsverhältnis des Mitglieds zu der Gesellschaft und u . U . den anderen Gesellschaftern gleichgesetzt werden. Allerdings kann ohne das Gesellschaftsverhältnis selbstverständlich keine Mitgliedschaft bestehen; sie umfaßt aber nur die aus dem Rechtsverhältnis sich ergebende Stellung eines Beteiligten 19 .

16 Vgl. schon Hadding, aaO (Fn.4), S.255, 262; Soergel/Hadding, aaO (Fn.2), §705 Rdn.46; 12. Aufl. Bd. 1, 1988, §38 Rdn.2. 17 Vgl. z.B. Pieper, aaO (Fn. 13), S.69, 70; E.E. Hirsch, Leitfaden für das Studium des Handels- und Gesellschaftsrechts, 5. Aufl. 1970, § 3 8 1 (S. 227); Fabricius, Grundbegriffe des Handels- und Gesellschaftsrechts, 2. Aufl. 1971, S. 116; Marotzke, ZIP 1988, 1509: „Bündel von zum Teil sehr persönlichen Rechten und Pflichten". Siehe aus der Rechtsprechung BGHZ44, 229, 231 unten: „Erwerber als neue Vertragspartei", S. 232: „Anteil - mit allen Rechten und Pflichten"; BGHZ65, 79, 82; 81, 82, 84; 98, 48, 50: „Inbegriff seiner Rechtsbeziehungen aus dem Gesellschaftsverhältnis zu der Gesellschaft, zu deren Vermögen und zu den übrigen Gesellschaftern". 18 Vgl. vor allem die in Fn. 14 Angegebenen. 19 Nicht aus der Mitgliedschaft als Teilhabe an einem Verband „resultiert . . . das mitgliedschaftliche Rechtsverhältnis" (so K.Schmidt, aaO [Fn.2], § 1913a), sondern

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(2) Die Mitgliedschaft ist kein subjektives Recht; denn sie ist nicht ein einzelnes Recht des Mitglieds (wie etwa ein Anspruch auf einen Gewinnanteil oder ein Mitverwaltungsrecht, z.B. das Stimmrecht), sondern eine Gesamtheit mehrerer Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten. Wenn die Mitgliedschaft „eine Fülle von Rechten und Pflichten in einem Verband" vermittelt, also eindeutig eine Gesamtheit mehrerer Rechte und Pflichten ist, läßt sich nicht der Bereich subjektiver Rechte nach geltendem Zivilrecht „ganz offen um die Mitgliedschaft erweitern"20. Auch die Kennzeichnung als „ein in sich geschlossenes Rechtsinstitut"21 erlaubt es nicht, die Mitgliedschaft als ein subjektives Recht zu qualifizieren. Darüber hinaus umfaßt die Mitgliedschaft-wie schon gesagt - die Möglichkeit, daß für das Mitglied aus dem Gesellschaftsverhältnis neue Mitgliedschaftsrechte und/oder Mitgliedschaftspflichten entstehen. Aus einem einzelnen subjektiven Recht können aber, auch wenn man von einem „Mutterrecht" („Quellrecht", „Stammrecht") spricht22, keine anderen subjektiven Rechte („Tochterrechte", „Folgerechte") und erst recht keine Rechtspflichten ganz anderen und sehr unterschiedlichen Inhalts für den Rechtsinhaber (hier Mitglied) entstehen („fließen")23. Denn die Entstehungsgrundlage der einzelnen Rechte und Rechtspflichten der Beteiligten ist das Rechtsverhältnis (hier Gesellschaftsverhältnis), das entweder durch Rechtsgeschäft (hier Gesellschaftsvertrag, Beitritt i. S. von Aufnahmevertrag) oder kraft Gesetzes entstanden ist. 3. Aus den bisher vorgenommenen Unterscheidungen und Klarstellungen lassen sich für Verfügungen über Mitgliedschaftsrechte einige grundlegende Folgerungen herleiten. a) Wenn die Mitgliedschaft insgesamt stets mehrere (aktuelle und potentielle) einzelne Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten umfaßt, ist sie - wie dargelegt - eine Gesamtheit, nicht ein Gegenstand. Es ist nach geltendem Zivilrecht nicht haltbar, daß die Mitgliedschaft „als Gegenstand verselbständigt"24 oder ein „einheitlicher Rechtsgegenstand"25 („einheitliches Rechtsgebilde"26) sei. Dafür gibt es keinen umgekehrt aus dem Rechtsverhältnis zur Gesellschaft und u. U. den anderen Gesellschaftern entsteht die Mitgliedschaft als Stellung eines Beteiligten. 20 So aber Lutter, AcP180 (1980), 84, 102. 21 So K. Schmidt, aaO (Fn. 2), § 1913 b. 22 So Wiedemann, aaO (Fn. 8), S.39, 301; 296; U. Huber, aaO (Fn.14), S. 163; auch Staudingerl Coing, BGB, 12. Aufl. Bd. 1, 1980, §38 Rdn.3. 23 Vgl. aber Wiedemann, aaO (Fn. 8), S.296, 301; U. Huber, aaO (Fn.14), S. 163 f. 24 So Lutter, AcP180 (1980), 84, 98, 99. 25 So K. Schmidt, aaO (Fn. 2), § 19IV1. 26 So Teichmann, NJW1966, 2336, 2337; weitere Nachw. zur angeblichen Qualität der Mitgliedschaft als „einheitlicher Gegenstand" („selbständiges Rechtsgut") bei Hadding, aaO (Fn. 4), S. 251/252.

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gesetzlichen Anhaltspunkt. Ist aber die Mitgliedschaft insgesamt unbezweifelbar eine Gesamtheit von Rechten und Pflichten, sind nach dem Spezialitätsprinzip „Verfügungen" über sie nicht ohne weiteres möglich27. aa) Soweit bei den Personalgesellschaften (GbR, O H G , KG) ein Ubergang der Mitgliedschaft insgesamt, also der „Stellung im Gesellschaftsverhältnis", rechtsgeschäftlich herbeigeführt werden soll, kann dies nur durch eine sog. Vertragsübernahme bewirkt werden, d.h. durch rechtsgeschäftliche Vertragserklärungen grundsätzlich aller am Gesellschaftsverhältnis (als „Rechtsverhältnis") Beteiligten (§305 BGB) 28 . Im Ergebnis entspricht es auch einhelliger Auffassung, daß bei einem Gesellschafterwechsel in Personalgesellschaften die übrigen Gesellschafter in irgendeiner Weise ihr Einverständnis erklären müssen29. Befürwortet man freilich die „Abtretbarkeit" der Mitgliedschaft (als angeblich subjektives Recht; „Stammrecht"), so ist fragwürdig, aus welcher Regelung das in den §§413, 398 BGB gerade nicht enthaltene Erfordernis einer Zustimmung hergeleitet werden kann. Die hierzu angeführten Gründe (z.B. „Arbeits- und Haftungsgemeinschaft", „gegenseitiges Vertrauen", „höchstpersönlicher Charakter des Zusammenschlusses") gelten nicht allgemein bei allen Ausgestaltungen von Personalgesellschaften und vermögen daher nicht zu überzeugen 30 . bb) N u r so erklärt es sich auch, daß für den „Geschäftsanteil" bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (vgl. § 14 GmbHG), also für die Mitgliedschaft in einer solchen Gesellschaft, im Gesetz ausdrücklich u.a. die „Abtretbarkeit" vorgesehen ist (§15 Abs. 1 GmbHG). Wäre die Mitgliedschaft zumindest bei der G m b H ein ein27 Diese Problematik tritt ζ. B. bei Ulmer, aaO (Fn. 7), nicht ins Blickfeld. Bei einem Nießbrauch an einem Gesellschaftsanteil geht es weniger darum, das sog. Abspaltungsverbot als angebliche rechtsdogmatische Hürde zu überwinden, als vielmehr um die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes als geltendes Recht (vgl. § 1069 BGB); vgl. dazu schon Hadding, aaO (Fn.4), S.258ff.; ders., aaO (Fn. 7), S.40f., 67f. Bei diesen Überlegungen, die bemüht bleiben, die allgemeinen zivilrechtlichen Grundlagen zu wahren, handelt es sich nicht um eine „auf die mitgliedschaftlichen Vermögensrechte bezogene Ersatzkonstruktion", auf die „auszuweichen" empfohlen werde (so aber Ulmer, aaO [Fn. 7], S.384, 385 m. Fn.9, 389/390, 397 f.). Wenn als „Nießbrauchsgegenstand" bei dem propagierten „Anteilnießbrauch" die „Mitgliedschaft" angesehen wird, kommt man nicht so leicht über §1069 Abs. 2 BGB hinweg, wie Ulmer, aaO (Fn. 7), S.390 unter III. 1. meint. Auch wenn die Mitgliedschaft insgesamt im konkreten Fall durch Gesellschaftsvertrag oder Zustimmung der übrigen Gesellschafter übertragbar ist, wird sie doch nicht zu „einem Recht" i. S. von § 1069 BGB! 28

Vgl. dazu Pieper, aaO (Fn. 13), S. 191 ff. Vgl. B G H Z 1 3 , 179, 184; 24, 106, 114; B G H W M 1961, 303, 304 = BB 1961, 347; B G H Z 4 4 , 229, 231; 98, 48, 55. 30 Vgl. im einzelnen Hadding, aaO (Fn.4), S.256. 29

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zelnes subjektives Recht31, wäre die Vorschrift des § 15 Abs. 1 GmbHG insoweit überflüssig, weil sich die Abtretbarkeit der Mitgliedschaft in der GmbH als eines (angeblich) subjektiven Rechts schon aus §413 BGB ergeben würde! Diese rechtliche Beurteilung wird durch eine nur selten ins Blickfeld gerückte Stellungnahme des Bundesgerichtshofs eindrucksvoll bestätigt. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs 32 hat für den Fall der Pfändung des „Geschäftsanteils" einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer Offenen Handelsgesellschaft zum „Pfändungsobjekt" ausgeführt: „Den Begriff Geschäftsanteil' kennt das Gesetz bei Personengesellschaften nicht, wohl aber beispielsweise bei der GmbH. Bei ihr bedeutet .Geschäftsanteil' die - nach dem Betrage der übernommenen Stammeinlage bezeichnete (§14 GmbHG) - Gesamtheit der Rechte und Pflichten eines Gesellschafters. Dieselbe Bedeutung hat der Begriff, wenn er im Verkehr auf eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts oder eine offene Handelsgesellschaft angewandt wird. Auch dann bezeichnet er die Gesamtheit der Rechte und Pflichten eines Gesellschafters (Gesellschaftsanteil)." cc) Was der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs völlig zutreffend für die GbR und die OHG (damit auch für die KG) sowie für die GmbH dargelegt hat, gilt auch die die Aktiengesellschaft3*. Die Mitgliedschaft des Aktionärs ist seine Stellung im Rechtsverhältnis zu der AG, d. h. die Gesamtheit der gegenwärtigen und künftigen Rechte und Pflichten als Gesellschafter (vgl. §§11, 12 AktG). Im einzelnen umfaßt die Mitgliedschaft die vermögensrechtlichen Rechte und Pflichten sowie die Mitverwaltungsrechte des Aktionärs. Auch die Mitgliedschaft des Aktionärs ist also kein einzelnes subjektives Recht34. Um aber dem Liquiditätsinteresse des Aktionärs durch leichte Veräußerbarkeit der Mitgliedschaft entgegenzukommen, ist im Aktiengesetz nicht etwa nur ihre Abtretbarkeit (wie für die Mitgliedschaft bei einer GmbH in § 15 Abs. 1 GmbHG), sondern darüber hinaus ihre wertpapierrechtliche Verkörperung in einer Aktienurkunde vorgesehen worden (vgl. § 13 AktG). Dieser rechtstech31 Vgl. dazu Hachenburg/Schilling, Komm. z. GmbHG, 7. Aufl. Bd. 2, 1979, § 1 4 Rdn.4; Scholz/Winter, Komm. z. GmbHG, 7. Aufl. Bd. 1, 1986, § 1 4 Rdn.2 m.Nachw.; irrig hingegen Rdn. 7. 32 WM 1972, 81, 82 = BB1972, 10, 11 = MDR1972, 414 = LM Nr. 5 zu § 859 ZPO = NJW1972, 259 (nur Leitsatz). In diesem Sinne auch zutreffend K. Schmidt, JR1977, 177, 178: „... die Pfändung des .Anteils' ist in Wahrheit nichts als eine globale Pfändung derjenigen Ansprüche, die nach §717 S.2 BGB übertragbar, mithin auch pfändbar sind". Ebenso ausdrücklich für die Verpfändung. And. Ans. offenbar der II. Zivilsenat in BGHZ 97, 392, 394 (weitere Fundstellen Fn.3); Flume, aaO (Fn.2), §17111 (S.355). 33 Vgl. dazu Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl. 1981, §11. 34 Vgl. Hadding, Die HGB-Klausur, 1980, §17, 1.

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nische Weg erlaubt namentlich bei Inhaberaktien sachenrechtliche Verfügungen über die Aktienurkunden (als bewegliche Sachen), die sich wie stets bei Inhaberpapieren - auch auf die verkörperte Mitgliedschaft auswirken. An der rechtlichen Qualifizierung der Mitgliedschaft des Aktionärs ändert sich dadurch nichts. Vielmehr läßt erst die Differenzierung unter den einzelnen Mitgliedschaftsrechten des Aktionärs, insbesondere zwischen vermögensrechtlichen Ansprüchen und Mitverwaltungsrechten, eine nähere Klärung zu, welche Rechtsstellung etwa bei einer Verpfändung von Inhaber- oder Namensaktien der Pfandgläubiger erlangt35. b) In diesem Zusammenhang ergibt sich für die Rechtspraxis aus den getroffenen Feststellungen ein wichtiger Auslegungsmaßstab: Ist aufgrund wirtschaftlicher Betrachtung in einem konkreten Fall die „Mitgliedschaft" insgesamt zum ,Objekt' einer Verfügung in Gestalt einer Belastung gemacht worden (ζ. B. durch Verpfändung oder Nießbrauchbestellung), so bedeutet dies rechtlich gesehen, daß die Beteiligten das zivilrechtlich Zulässige erstrebten, nämlich eine Verfügung über sämtliche einzelnen übertragbaren Vermögensrechte, die für den Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis entstanden sind und noch entstehen werden36. Niemand wird ernstlich die Auffassung vertreten, daß ζ. B. bei einer Verpfändung oder Nießbrauchbestellung hinsichtlich der „Mitgliedschaft" in einer O H G oder K G die Belastung etwa auch die einzelnen Pflichten (Verbindlichkeiten) des Gesellschafters aus dem Gesellschaftsverhältnis erfassen könnte37. Ebensowenig kann dies für ««übertragbare Rechte aus dem Gesellschaftsverhältnis (vgl. §§717 Satz 1 B G B ; 105 Abs. 2; 161 Abs. 2 HGB) gelten. Denn Rechte, die nicht übertragbar sind, können nicht Gegenstand eines Pfandrechts oder eines Nießbrauchs sein (§§1274 Abs. 2; 1069 Abs. 2 BGB). Entsprechendes gilt für die Pfändbarkeit (vgl. §§851 Abs. 1 ZPO; 400, 413 BGB). Wenn gleichwohl von einer Verpfändung der „Mitgliedschaft" (des „Gesellschaftsanteils", des „Geschäftsanteils") oder der Bestellung eines Nießbrauchs an der „Mitgliedschaft" (oder ähnlich) gesprochen wird, so hat diese abkürzende Umschreibung den Vorzug, daß hierdurch in der Tat alle einzelnen (gegenwärtigen und künftigen) übertragbaren Vermögensrechte des Gesellschafters aus dem Gesellschaftsverhältnis von der Belastung erfaßt werden. Es wird die langwierige und möglicherweise unvollständige Aufzählung dieser Rechte bei der Bestellung dieser

35 Vgl. dazu näher Kraft/Hönn, in: Hadding/U. H. Schneider (Hrsg.), aaO (Fn. 6), S. 163 ff. 36 Vgl. Hadding, in: Hadding/U.H. Schneider (Hrsg.), aaO (Fn.6), S.40. 37 Insoweit zutreffend Marotzke, ZIP 1988, 1509, 1513/1514 m.Nachw. Fn.57.

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beschränkten Sachenrechte erspart. Das für Verfügungen geltende Spezialitätsprinzip und die Vorschriften der §§1274 Abs. 2; 1069 Abs. 2 B G B ergeben jedoch eindeutig den Umfang der Belastung: Nur die einzelnen übertragbaren Vermögensrechte werden erfaßt; andere Bestandteile der Mitgliedschaft sind von der Belastung ausgenommen38. Dem entspricht es, daß hinsichtlich einer Verwertung stets nur von einem Zugriff auf die übertragbaren Vermögensrechte des Gesellschafters, insbesondere den Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben oder Ansprüche auf Gewinnanteile die Rede ist39. So fährt auch der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in dem erwähnten Urteil40 fort: „Pfändet ein Gläubiger den Geschäftsanteil' des Gesellschafters einer Personengesellschaft, so pfändet er damit die Gesellschaftsrechte seines Schuldners, soweit sie pfändbar sind. Das ist nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes (§ 859 ZPO) ,der Anteil des Gesellschafters an dem Gesellschaftsvermögen'. Die Pfändung dieses Anteils ergreift ,die Ansprüche auf dasjenige, was dem Gesellschafter bei der Auseinandersetzung zukommt' (vgl. §717 BGB), also auf das Auseinandersetzungsguthaben". Entsprechendes gilt für die rechtsgeschäftliche Verpfändung der „Mitgliedschaft" oder Bestellung eines Nießbrauches an der „Mitgliedschaft". c) Schließlich kann von den systematischen Grundlagen her zu der eingangs erwähnten Fragestellung eine Antwort gefunden werden, welche Wirkung einer Vorausverfügung über einzelne künftige (übertragbare) Mitgliedschaftsrechte zukommt, wenn der Verfügende im Zeitpunkt der aktuellen Entstehung solcher vermögensrechtlichen Ansprüche selbst nicht mehr Gesellschafter ist, also die Mitgliedschaft insgesamt nicht mehr besteht oder auf einen anderen (Erwerber) unter Lebenden oder von Todes wegen übergegangen ist oder infolge von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung nicht mehr zur Disposition des Mitglieds steht. Die Übertragung künftiger oder bedingter Ansprüche i. S. des §717 Satz 2 B G B durch Vorausabtretung ist zwar zulässig und gegen abweichende Zwischenverfügungen über diese Ansprüche geschützt

38 Vgl. Hadding, in: Hadding / U . H . Schneider (Hrsg.), aaO (Fn.6), S.49ff., 72 ff., demgegenüber für eine „Aufteilung" der Verwaltungsrechte (trotz ihrer gesetzlichen Unübertragbarkeit!): Ulmer, aaO (Fn. 7), S. 393 ff. 39 Vgl. etwa Flume, aaO (Fn. 2), §1711 (S. 368): „Auch wenn die Verpfändung die Mitgliedschaft betrifft, so ist . . . Befriedigungsobjekt für den Gläubiger doch nur der Anspruch auf den Gewinnanteil und - nach Kündigung - auf das Auseinandersetzungsguthaben". Mit dieser zutreffenden Feststellung ist es schwerlich vereinbar, daß Flume zuvor (§ 9 Fn. 9 [S. 127]) meint, der Auffassung, daß es sich um ein Pfandrecht oder einen Nießbrauch an den einzelnen Rechten handelt, sei „nicht zu folgen". 40

Vgl. Fn. 32.

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(§ 161 B G B ; vorbehaltlich der §§404-406 BGB 4 1 )· Die Vorausabtretung geht aber ins Leere, wenn das „Rechtsverhältnis", aus dem die künftige Forderung entstehen soll, vor deren Entstehung beendet wird oder auf Seiten des Verfügenden auf einen anderen Beteiligten übergeht (z.B. durch sog. Vertragsübernahme oder Gesamtrechtsnachfolge). Sind künftige Ansprüche des Gesellschafters auf Gewinnanteile oder auf ein Auseinandersetzungsguthaben im voraus abgetreten worden, so muß im Zeitpunkt ihrer Entstehung die Mitgliedschaft dieses Gesellschafters als Stellung im Gesellschaftsverhältnis und damit die Rechtsgrundlage für diese Ansprüche noch bestehen. Ist hingegen die Mitgliedschaft des Gesellschafters, der die künftigen Ansprüche abgetreten hat, in seiner Person zwischenzeitlich weggefallen (z.B. durch Ubergang auf einen Erwerber), so können die Ansprüche nicht mehr für den (Voraus-) Abtretungsempfänger entstehen. Hierzu hat der Bundesgerichtshof42 zutreffend darauf abgestellt, daß das „Rechtsverhältnis, das die künftige Forderung begründen soll", im Zeitpunkt der Forderungsentstehung noch mit der Person des (Voraus-)Abtretenden bestehen muß. Diese Argumentation „erscheint" nicht nur „auf den ersten Blick bestechend" 43 , sondern sie entspricht geltendem deutschen Zivilrecht, wenn man seine rechtssystematischen Grundlagen ernst nimmt. Eine „Kritik" wird erst dann möglich, wenn man diese Argumentation als angebliches „Dogma vom ,Vorrang der Stammrechtsverfügung'" diskreditiert44. Hier wird erneut deutlich, welche verwirrenden Auswirkungen es hat, wenn die Mitgliedschaft insgesamt nicht als „Stellung im Rechtsverhältnis", sondern als ein „Stammrecht" angesehen wird, über das „Verfügungen" möglich sein sollen. Bei dem angesprochenen Problem geht es überhaupt nicht um den Vorrang einer von mehreren „Verfügungen"; vielmehr ist allein entscheidend, daß die Vorausverfügung über ein künftiges einzelnes Recht keinen Gegenstand erlangt und deshalb ins Leere geht, wenn der Verfügende im maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr Beteiligter des Rechtsverhältnisses ist, aus dem das Recht für ihn und damit z . B . für den Abtretungsempfänger entstehen sollte45. Entsprechendes gilt, wenn ein Vollstreckungsgläubiger des Gesellschafters den „Anteil an dem Gesellschaftsvermögen" hat pfänden lassen (§859 Abs. 1 ZPO), um den Weg einer Kündigung ζ. B. der GbR beschreiten zu können (§725 BGB). Eine solche Pfändung des „Anteils an dem

> Vgl. B G H NJW1982, 2371 = WM 1982, 690 zu II 2 a. B G H Z 8 8 , 205, 207 für Geschäftsanteil bei GmbH (weitere Fundstellen Fn.3). 43 So Marotzke, ZIP 1988, 1509, 1514. 44 Marotzke, ZIP 1988, 1509. 45 Der umfängliche Begründungsaufwand, mit dem Marotzke, aaO (Fn. 43) sich gegen dieses Ergebnis wendet, vermag nicht zu überzeugen. 4

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Gesellschaftsvermögen" überspielt eine vorherige Abtretung einzelner künftiger Ansprüche z. B. auf Gewinnanteile oder das Auseinandersetzungsguthaben46. Denn auch hier kann infolge der Pfändung des gesamten „Anteils an dem Gesellschaftsvermögen" kein einzelner vermögensrechtlicher Anspruch zur freien Disposition des Gesellschafters mehr entstehen. Die Figur eines angeblichen „Stammrechts" („Vermögensstammrecht" 47 oder „Gewinnstammrecht" 48 ) kann allenfalls zu der Fehlvorstellung verleiten, als sei in Gestalt der Mitgliedschaft oder des Anteils an dem Gesellschaftsvermögen ein „subjektives Recht" gegeben, über das „Verfügungen" möglich seien.

«· Vgl. B G H WM1988, 1747 (weitere Fundstellen Fn.3); ebenso schon Flume, aaO (Fn.2), §17111; MünchKomm.-Ulmer, §717 R d n . 3 5 a . E . ; Soergel/Hadding, aaO (Fn.2), §717 Rdn. 16. 47 So noch MünchKomm.-Ulmer, 1. Aufl., §717 Rdn. 35. 48 So seinerzeit Siebert, BB1956, 1126, um einen Nießbrauch zu ermöglichen; dagegen zutreffend Ulmer, aaO (Fn. 7), S. 399 f.

Minderheitsschutz bei der Ergebnisverwendung in der GmbH Zur Neuregelung des §29 GmbHG durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz G Ö T Z HUECK

Es ist ein recht spezielles Thema, zu dem hier einige Beobachtungen und Gedanken mitgeteilt werden sollen, freilich ein sehr aktuelles Thema, zugleich eines, das auch an Grundsätzliches rührt. Darum widme ich diese Ausführungen mit besonderer Freude Ernst Steindorff, dessen wissenschaftliches Werk sich durch die meisterhafte Verbindung von theoretisch tiefgehender Problemdurchdringung mit klarem Blick für praktische Relevanz und Aktualität auszeichnet. Ich denke dabei dankbar an viele Jahre freundschaftlich-kollegialer und persönlicher Verbundenheit, an Gedankenaustausch und viele wertvolle Anregungen in den gemeinsamen oder sich berührenden Interessengebieten. Durch Betrachtungen zu § 29 GmbHG mag der Wirtschafts- und Gesellschaftsrechtler Steindorff mehr angesprochen sein als der Europarechtler, doch ist nicht zu verkennen, daß wir hier - auch - eine Reaktion nationalen Rechts auf die europäische Rechtsangleichung im Bereich des Bilanzrechts vor uns haben und damit eine Fernwirkung der betreffenden EGRichtlinien im von ihnen nicht unmittelbar geregelten Bereich, ein im Zuge fortschreitender Rechtsangleichung häufig beobachteter Effekt. I. Grundlagen 1. Das Bilanzrichtlinien-Gesetz1 hat die gesetzliche Regelung der Ergebnisverwendung für die GmbH in § 29 GmbHG wesentlich umgestaltet. Ziel der Änderung war ausweislich der insoweit recht kargen Gesetzesmaterialien2 die Anpassung an das neue Bilanzrecht. Diese liegt allerdings auf zwei verschiedenen Ebenen mit durchaus unterschiedlicher Qualität: BiRiLiG vom 1 9 . 1 2 . 1 9 8 5 , BGBl. I S.2355. Vor allem Begründung zum RegE des BiRiLiG BT-Drucks. 10/317 vom 2 6 . 8 . 1 9 8 3 S. 70, 109, 112 f., 136 zur Neuregelung und zur Überleitung; ferner Bericht des Rechtsaussch. BT-Drucks. 10/4268 vom 8 . 1 1 . 1 9 8 5 S. 123f., 129ff., 150. 1

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Im wesentlichen technischen Charakter hat die nähere Festlegung des Gegenstands der Ergebnisverwendung durch Bestimmung der Verwendungsmasse in Angleichung an die nunmehr maßgebenden Begriffe und Positionen des Jahresabschlusses 3 . Hierher gehört vor allem die Ausrichtung auf den um Gewinn- bzw. Verlustvortrag ergänzten Jahresüberschuß in Abs. 1 Satz 1 bzw. in Satz 2 statt dessen auf den Bilanzgewinn, wenn die Bilanz gem. §268 Abs. 1 HGB unter Berücksichtigung teilweiser Ergebnisverwendung aufgestellt ist oder Rücklagen aufgelöst worden sind. Gleichfalls technisch bedingt ist auch noch in Satz 1 die Berücksichtigung zusätzlichen Aufwands infolge des Ergebnisverwendungsbeschlusses, denn dadurch wird nur den notwendigen Folgen für die Höhe der Körperschaftsteuer bei gespaltenem Steuersatz und gegebenenfalls auch für dividendenabhängige Rechte Dritter Rechnung getragen, falls der Beschluß hinsichtlich des Verhältnisses von Gewinnausschüttung und Thesaurierung von den bei Aufstellung des Jahresabschlusses zugrundegelegten Erwartungen abweicht 4 . Nicht wesentlich über technische Konsequenzen aus dem Bilanzrecht hinaus geht schließlich die Sonderregelung in Abs. 4 für Gewinnrücklagen aus Wertaufholungen und bestimmten bei der steuerlichen Gewinnermittlung gebildeten Passivposten. Zwar wird hier die Rücklagenbildung zu Lasten eines sonst ausschüttungsfähigen Gewinns erleichtert und damit auch materiell das Ergebnisverwendungsrecht gestaltet, doch bleibt das auf wenige ganz spezielle Vorgänge beschränkt als Folge bilanztechnischer Regeln in bezug auf Beträge, die nach altem Recht regelmäßig als stille Reserven gleichfalls einer Gewinnausschüttung entzogen gewesen wären 5 . In eine ganz andere Dimension führt hingegen der neu eingefügte Abs. 2 über den Ergebnisverwendungsbeschluß, der den wesentlichen Kern der Neuregelung des § 29 bildet. Anders als bei den zuvor genannten primär technisch-formellen Angleichungen handelt es sich dabei um eine gravierende materielle Änderung des Rechts der Ergebnis- bzw. Gewinnverwendung. Sie setzt an die Stelle des früher geltenden Vollauszahlungsanspruchs der Gesellschafter einen eingeschränkten Gewinnausschüttungsanspruch, der inhaltlich jeweils von einer einfachen Mehrheitsentscheidung über den Umfang der Gewinnausschüttung und Reservenbildung durch Gewinnrücklagen oder Gewinnvortrag beruht. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, auch ohne entsprechende Sat-

Übersicht bei G. Hueck in Baumbach/Hueck, GmbHG 15. Aufl. §29 Rdn. 10 ff. Näher Schulze-Osterloh, ZHR 150 (1986) S.550; allgemein G. Hueck in Baumbach/Hueck (Fn. 3) §29 Rdn. 17; Scholz/Emmerich, GmbHG 7. Aufl. §29 nF Rdn. 187. 5 Dazu Bericht des Rechtsaussch. (Fn.2) S. 123 f., 130 1. Sp. zur entsprechenden Regelung in §58 Abs. 2 a AktG; allgemein zu §29 Abs. 4 G. Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) §29 Rdn. 18ff.; Fischer/Lutter/Hommelhoff, GmbHG 12. Aufl. §29 Rdn.30f. 3 4

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Zungsbestimmung oder einstimmigen Gesellschafterbeschluß6 Gewinn teilweise, u . U . sogar ganz zur Eigenkapitalbildung durch Selbstfinanzierung zu verwenden. Das soll nach der Begründung des Gesetzes 7 einen Ausgleich dafür eröffnen, daß das Bilanzrecht des BiRiLiG die früher nach verbreiteter, wenn auch durchaus umstrittener Auffassung8 bei der GmbH mögliche, zumindest aber tatsächlich viel praktizierte Bildung stiller Reserven nunmehr durch strengere Bewertungsregeln9 weitgehend beschränkt. Die Neuregelung trägt damit zugleich auch dem Umstand Rechnung, daß die am Bild des Klein- und Mittelunternehmens zur Zeit der Schaffung des G m b H G um die Jahrhundertwende orientierte Vollausschüttung des erwirtschafteten Gewinns praktisch durch die Entwicklung schon lange überholt und mit modernen betriebswirtschaftlichen Erfordernissen nicht mehr vereinbar war. Die weite Verbreitung vom Vollausschüttungsgebot abweichender Satzungsbestimmungen, die typischerweise eine erhöhte Reservenbildung zum Ziel haben, macht das deutlich. Dabei sollten die Vorzüge einer solchen individuellen, sozusagen maßgeschneiderten Lösung ganz unabhängig vom Stand der gesetzlichen Regelung nicht gering geachtet werden. Sie ist auch unter der Geltung des reformierten §29 zulässig und ermöglicht die Anpassung an die besonderen Bedürfnisse der einzelnen Gesellschaft. Das ist gerade im Hinblick auf die nachfolgend zu besprechenden - und manche anderen - Probleme wichtig, angesichts derer auch weiterhin Satzungsregeln zur Konkretisierung der Ergebnisverwendung sehr zu empfehlen sind10. 2. §29 G m b H G gilt in der Neufassung durch das BiRiLiG uneingeschränkt für Gesellschaften, die seit dessen Inkrafttreten am 1.1.1986 durch Handelsregistereintragung als GmbH entstanden sind. Früher eingetragene sog. Altgesellschaften unterliegen im Grundsatz einer

6 So die freilich im einzelnen umstrittenen Voraussetzungen nach altem Recht, auch heute noch aktuell für Altgesellschaften, wenn und solange sie der Ubergangsregelung in Art. 12 § 7 GmbHG-AnderungsG i. d. F. des BiRiLiG unterliegen; dazu ausführlich Scholz/Emmerich (Fn.4) §29 Rdn. 79 ff.; G.Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) §29 Rdn.lOlff.; Scholz/Schmidt, G m b H G 7.Aufl. §46 Rdn.34; Hachenburg! Goerdeler/Müller, G m b H G 7. Aufl. §29 Rdn.42ff.; alle m . w . N . 7 Oben Fn.2. 8 Zum Meinungsstand nach altem Recht Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, G m b H G 14. Aufl. § 42 Rdn. 77 m. w. N.; ferner Scholz/Emmerich (Fn. 4) § 29 Rdn. 46 ff. m . w . N . ; K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986 S.881. ' Insbesondere §§279, 280 i. Vbdg. mit §§253, 254 H G B . 10 Der Gestaltungsrahmen ist weit und die Praxis sehr vielfältig; dazu ausführlich Hachenburg/Goerdeler/Müller (Fn.6) §29 Rdn.48ff.; Scholz/Emmerich (Fn.4) §29 Rdn. 87 ff.; - Regelungs- und Formulierungsvorschläge auch bei Hommelhoff/Hartmann/Hillers, D N o t Z 1986 S. 323 ff.; Hommelhoff/Priester, Z G R 1986 S. 509 ff.

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Übergangsregelung in Art. 12 § 7 GmbHG-ÄnderungsG 11 . Danach gilt die Neufassung des §29 im Ganzen nur unter bestimmten Voraussetzungen12 ohne weiteres auch für Altgesellschaften, im übrigen hinsichtlich Abs. 1 und 2 erst nach einer Uberleitung; hingegen sind der gegenüber Abs. 2 a. F. ohnehin unveränderte Abs. 3 sowie die oben erwähnte Sonderregelung des Abs. 4 von vornherein auf alle Gesellschaften anwendbar. Die Ubergangsregelung hat doppelte Funktion: Zum einen regelt sie in Abs. 1 für Altgesellschaften die Ergebnisverwendung übergangsweise, und zwar materiell übereinstimmend mit § 29 a. F., also i. S. einer Weitergeltung des früheren Vollausschüttungsgebots, jedoch in sachlicher und terminologischer Anpassung an das Bilanzrecht des auch für Altgesellschaften maßgebenden BiRiLiG. Zum anderen betreffen Abs. 2 und 3 die Überleitung der Altgesellschaften in das neue Recht der Ergebnisverwendung im Wege einer entsprechenden Satzungsanpassung, deren Vornahme einerseits durch eine Sperre des Handelsregisters für die Eintragung sonstiger Satzungsänderungen mittelbar erzwungen, andererseits durch eine einmalige Herabsetzung der für die Satzungsanpassung erforderlichen Beschlußmehrheit - einfache statt qualifizierter Mehrheit - erleichtert wird. II. Wertung 1. Die Neuregelung der Ergebnisverwendung ist in der Literatur auf vielfache, zum Teil recht dezidierte Kritik gestoßen13. Diese betrifft bei der Übergangsregelung des Art. 12 § 7 GmbHG-ÄnderungsG vor allem das unnötig komplizierte, zudem keineswegs eindeutig geregelte Überleitungsverfahren nach Abs. 2 im allgemeinen sowie im besonderen dort in Satz 2 die die Stellung der Minderheit gefährdende Möglichkeit einer Satzungsanpassung durch einfachen Mehrheitsbeschluß14. In der Tat hat sich alsbald ergeben, daß die praktische Durchführung auf Schwierigkeiten stößt und in vielen Einzelheiten nicht nur in der Literatur, sondern 11 Vom 4.7.1980, BGBl. I S. 836; Art. 12 § 7 eingefügt durch Art. 11 Abs. 2 BiRiLiG vom 19.12.1985, BGBl. I S.2355. 12 Dazu statt anderer G. Hueck in Baumbach/Hueck (Fn. 3) §29 Rdn. 96 f.; Fischer/ Lutter/Hommelhoff (Fn.5) § 2 9 Rdn. 58; beide m . w . N . ; nunmehr auch BGHZ Bd. 105 S. 206; danach ist der Kreis der nicht der Überleitung unterliegenden Altgesellschaften relativ weit zu fassen. 13 So vor allem Geßler, BB 1986 S.227; Emmerich in FS Seuß, 1987 S. 137; s. auch Scholz/Emmerich (Fn.4) § 2 9 Rdn.9ff., 162, 164; auch im übrigen finden sich in der sehr umfangreichen Literatur zu diesem Komplex im einzelnen zahlreiche kritische Äußerungen. - Literaturübersichten bei Scholz/Emmerich (Fn.4) § 2 9 Rdn. 160; G . H u e c k in Baumbach/Hueck (Fn.3) § 2 9 Rdn.2, 95. 14 Zu beiden Punkten statt vieler Geßler und Emmerich (beide Fn. 13).

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auch in der inzwischen vorliegenden Rechtsprechung der Instanzgerichte kontrovers behandelt wird15. Darauf soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. 2. An der Neuregelung des §29 selbst wird nicht selten gleichfalls die Gefährdung der Minderheitsinteressen kritisiert, die mit dem Ersatz des früheren Vollausschüttungsgebots durch den mit einem einfachen Mehrheitsbeschluß über Reservenbildung gekoppelten eingeschränkten Gewinnausschüttungsanspruch einhergeht16. Daß aus diesem Grund der Schutz der Gesellschafterminderheit gegenüber Benachteiligungen durch ungerechtfertigte Gewinnthesaurierung seitens der Mehrheit besonderer Aufmerksamkeit bedarf, ist evident und wird ungeachtet der sonstigen Bewertung der Regelung ganz allgemein betont; darauf ist anschließend (III.) einzugehen. Angesichts solcher Einmütigkeit über das Erfordernis eines wirksamen Minderheitsschutzes bedarf es an sich keiner allgemeinen Würdigung der an §29 n. F. geübten Kritik mehr. Lediglich zur Verdeutlichung der Ausgangslage erscheinen einige Bemerkungen angebracht. a) Mit dem Ubergang vom Prinzip der Vollausschüttung zur einfachmehrheitsabhängigen Reservenbildung hat der Gesetzgeber, wie oben bereits erwähnt, nicht nur das weitgehende Verbot stiller Reserven durch das BiRiLiG ausgeglichen, sondern er hat vor allem auch dem betriebswirtschaftlichen Erfordernis einer angemessenen Selbstfinanzierung im Interesse der Erhaltung und Fortentwicklung eines gesunden Unternehmens Rechnung getragen. Trotz etwas anderer Gewichtung in der Begründung zum BiRiLiG ist letzteres der allgemeine und eigentlich tragende Gesichtspunkt; er entspricht seit langem gesicherter Erkenntnis und hatte bereits 1939 in einem im Krieg nicht mehr verwirklichten Entwurf des Reichsjustizministeriums für ein neues G m b H G und vor allem dann in den Regierungsentwürfen von 1971 und 1973 für die gescheiterte sog. große GmbH-Reform, der heutigen Regelung ganz entsprechend, Ausdruck gefunden17. Die praktische Relevanz der Reservenbildung, aber auch die Schwierigkeiten ihrer Realisierung nach altem Recht, falls ohne entsprechende Satzungsbestimmung unter den Gesellschaftern keine volle Einigung erzielt werden konnte, macht die ausgedehnte und bis zuletzt kontroverse Diskussion hierüber eindrucksvoll 15 In zentralen Fragen gerade auch des Minderheitsschutzes klärend nunmehr B G H Z Bd. 105 S.206; dazu Hepting, BB 1989 S.393. 16 Auch dazu und zum Folgenden statt anderer Geßler und Emmerich (beide Fn. 13). 17 Ausführlich zu dieser Entwicklung Hachenburg/Goerdeler/Müller (Fn. 6) §29 Rdn. 3 ff.; Scholz/Emmerich (Fn.4) §29 Rdn.5ff.; Emmerich in FS Seuß, 1987 S.139f. m. w. N .

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deutlich18. In dem Widerstreit zwischen dem Interesse der Mehrheit, die Bildung unternehmerisch für erforderlich gehaltener Reserven gegen eine womöglich widerstrebende Minderheit durchsetzen zu können, und dem Interesse der Minderheit an einem sicheren Schutz vor Dividendenverkürzung durch ungerechtfertigte Reservenbildung seitens der Mehrheit hat der Gesetzgeber nunmehr dem ersteren den Vorrang gegeben. Im Hinblick auf das im Prinzip ganz offensichtliche allgemeine unternehmerische Erfordernis einer angemessenen Selbstfinanzierung (auch) aus Unternehmensgewinnen erscheint es konsequent, die Bestimmung hierüber in einer grundsätzlich am Mehrheitsprinzip ausgerichteten Gesellschaftsform der Mehrheit zu überlassen, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt. Allerdings muß sich diese gesetzgeberische Entscheidung auch daran messen lassen, welche Möglichkeiten bestehen, den nach den beiden gegensätzlichen Lösungsmodellen unterschiedlich zurückgesetzten Interessen, der Minderheit im einen, der Mehrheit im anderen Fall, gleichwohl jeweils hinreichende Berücksichtigung zu sichern. Dabei ist wesentlich, welche Chancen deren konkrete Durchsetzung hat, falls sich die jeweils andere Seite mißbräuchlich darüber hinwegsetzt. Hierfür mag zunächst die Feststellung genügen, daß die Schranken für die aus der Treuepflicht herzuleitende Erzwingung eines bestimmten Abstimmungsverhaltens einzelner Gesellschafter, erst recht einer ganzen (Minderheits-)Gruppe allgemein hoch anzusetzen sind und daß das gerade auch hinsichtlich der Zustimmung zu einem Beschluß über Reservenbildung unter Durchbrechung des Vollausschüttungsgebots nach § 29 a. F. bzw. Art. 12 §7 Abs. 1 GmbHG-ÄnderungsG für Altgesellschaften gilt19. Daraus ergibt sich, wie die bisherigen Erfahrungen bestätigen, daß nach dem Modell der Vollausschüttungspflicht eine von der Mehrheit für erforderlich gehaltene Reservenbildung gegen eine (auch nur kleine) widerstrebende Minderheit nur ausnahmsweise durchzusetzen ist, falls ihre Notwendigkeit im Unternehmensinteresse ganz unabweisbar ist; bloße Erforderlichkeit oder gar Zweckmäßigkeit würden keineswegs genügen, um die Abstimmungsfreiheit der widersprechenden Gesell-

Vgl. die in Fn. 6 Genannten m. w. N . " G. Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) §29 Rdn. 103; Scholz/Emmerich (Fn.4) §29 Rdn. 84 a. E.; gerade die darin liegende Schwierigkeit war wesentlicher Anlaß für die ausgedehnte Diskussion über die Anforderungen an eine Reservenbildung trotz Vollausschüttungsgebots, dazu oben Fn. 6; - allgemein zur Stimmpflicht kraft Treuepflicht Zöllner in Baumbach/Hueck (Fn.3) §47 Rdn. 76 a; G. Hueck ebendort §13 Rdn. 30; Scholz/ Schmidt (Fn. 6) §47 Rdn. 26, 31; Hachenburg/Ulmer, G m b H G 7. Aufl. §53 Rdn. 65; Rowedder/Koppensteiner, G m b H G , 1985 §47 Rdn. 17; Fischer/Lutter/Hommelhoff (Fn. 5) §14 Rdn. 10; alle m.w. N.; grundlegend schon Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963 S. 353 f. 18

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schafter zu durchbrechen. Hinzu kommt die Notwendigkeit der Durchsetzung in einem u . U . langwierigen Rechtsstreit. Das ist insgesamt ausgesprochen unbefriedigend, selbst wenn man auch noch andere rechtliche und tatsächliche Vorgehensweisen gegen sich ungerechtfertigt sperrende Gesellschafter in Betracht zieht bis hin zum Ausschluß aus wichtigem Grund als ultima ratio bei schwerer Schädigung der Gesellschaft. Dem steht freilich gegenüber, daß umgekehrt auch die Wahrung der Minderheitsinteressen gegenüber einem Mehrheitsmißbrauch beim nunmehr in § 29 n. F. verwirklichten Modell der Reservenbildung Probleme aufwirft. Die anschließend (III.) zu skizzierenden Instrumente des Minderheitsschutzes sind jedoch zumindest so weit entwickelt, daß die mehrheitsfreundliche Neuregelung des §29 schwerlich als gesetzgeberische Fehlleistung beurteilt werden kann, sondern doch eher positiv als Vollzug einer schon lange angebahnten Entwicklung20. b) Eher berechtigt mag die Kritik am Verzicht auf eine flankierende Gewährleistung von Mindestdividenden im Interesse der Minderheit sein. Eine solche war in allen oben erwähnten Gesetzentwürfen, so auch in § 42 h des RegE zum BiRiLiG vorgesehen, doch ist sie im Gesetzgebungsverfahren auf Empfehlung des Rechtsausschusses entfallen21. Allerdings konnte man auch daran zweifeln, ob die vorgeschlagene, am Vorbild des §254 AktG orientierte Regelung - Anfechtbarkeit des Ergebnisverwendungsbeschlusses unter bestimmten weiteren Voraussetzungen, wenn die Dividende 4 % nicht erreicht - zur Verallgemeinerung für die in der Praxis überwiegend mehr personalistisch gestaltete GmbH wirklich geeignet war; und bei rein kapitalistisch strukturierten GmbH kann man sie auch so zumindest als Orientierung bei der Bestimmung angemessener Mindestdividenden heranziehen22. Im übrigen aber hätte es nahegelegen, statt der bloßen Streichung eine flexiblere GmbHspezifische Lösung zu suchen23. III. Minderheitsschutz 1. Bei der Erörterung des Minderheitsschutzes im Rahmen der Ergebnisverwendung nach § 29 n. F. GmbHG steht mit Recht die Reservenbildung durch Mehrheitsbeschluß nach Abs. 2 ganz im Vordergrund. 20 Insoweit a. A. vor allem Emmerich in FS Seuß, 1987 S. 137; auch Geßler, BB 1986 S. 227, allerdings mehr mit Blick auf die Uberleitungsregelung. 21 Oben Fn. 2; zur Entwicklung im einzelnen die in Fn. 17 Genannten. 22 Dazu auch unten III, 2 bei Fn. 39. 23 Vielleicht in ähnlicher Richtung wie die allerdings neueren Vorschläge von Hommelhoff, Z G R 1986 S. 427 ff.

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Sicher sind hier am ehesten Differenzen unter den Gesellschaftern möglich, die dann auch die Gerichte beschäftigen werden. Doch sollte man darüber nicht ganz außer acht lassen, daß das Interesse der Minderheit an einer Gewinnausschüttung auch schon im Vorfeld der Ergebnisverwendung dadurch beeinträchtigt werden kann, daß die Beschlußfassung hierüber entgegen §42 a Abs. 2 GmbHG ungebührlich verzögert wird oder ganz unterbleibt. Gewiß spielt das im Vergleich zum Streit über die Reservenbildung die geringere Rolle und wird schon deshalb praktisch nur selten vorkommen, weil der Ergebnisverwendungsbeschluß typischerweise zusammen mit dem gleichfalls § 42 a Abs. 2 unterliegenden Beschluß über die Feststellung des Jahresabschlusses gefaßt wird, dessen Unterbleiben aus tatsächlichen wie rechtlichen Gründen höchst unwahrscheinlich ist. Immerhin ist die Verbindung beider Beschlüsse keineswegs notwendig24, und schon aus der Praxis nach früherem Recht sind durchaus Fälle unterlassener Gewinnverteilungsbeschlüsse bekannt. § 29 n. F. hat demgegenüber die Bedeutung des Ergebnisverwendungsbeschlusses als formelle Voraussetzung für die Entstehung des konkreten Anspruchs auf Gewinnauszahlung noch verstärkt und ihm zudem materiell die entscheidende Funktion für die Bestimmung der Ausschüttungshöhe zugewiesen. Den Möglichkeiten, gegebenenfalls auf eine Beschlußfassung hinzuwirken, kommt seither erhöhte Bedeutung zu. Dabei erweist sich einerseits das Minderheitsrecht des §50 G m b H G auf Einberufung einer Gesellschafterversammlung, ganz abgesehen von seiner Bindung an mindestens 1 0 % des Stammkapitals, als nur mäßig hilfreich, weil es keineswegs dann auch eine Beschlußfassung gewährleistet. Andererseits gehen die ohnehin nur äußerstenfalls eingreifenden Behelfe der Auflösungsklage nach § 61 GmbHG und des Austrittsrechts aus wichtigem Grund 25 regelmäßig weit über die Ziele einer an Gewinnausschüttung interessierten Minderheit hinaus und sind, zumal angesichts ihrer engen Voraussetzungen, auch nur selten als Druckmittel gegenüber einer beschlußunwilligen Mehrheit geeignet. Deshalb schenkt die neuere Literatur der Frage mehr Aufmerksamkeit, ob auch der einzelne Gesellschafter unabhängig von der Beteiligungshöhe einen - notfalls klagbaren - Anspruch auf Beschlußfassung hat. Im Gegensatz zur älteren Auffassung, die, freilich mehr mit Blick

24 Statt anderer G. Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) § 2 9 Rdn.38; Scholz/Schmidt (Fn.6) §46 Rdn. 10. 25 Allgemein dazu, auch zur Dividendenverweigerung als wichtigem Grund, statt anderer G.Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) Anh. §34 Rdn. 15ff., insbes. 16; Hachenburg/Ulmer (Fn. 19) Anh. §34 Rdn. 43 ff., 48.

Minderheitsschutz bei der Ergebnisverwendung in der GmbH

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auf die Bilanzfeststellung, derartige Ansprüche grundsätzlich ablehnte26, ist nunmehr die Tendenz zur Zuerkennung eines solchen Anspruchs jedenfalls hinsichtlich des Ergebnisverwendungsbeschlusses so eindeutig27, daß man das als h. M. bezeichnen kann. In den Einzelheiten gehen die Meinungen freilich auseinander. Ganz überwiegend wird ein klagbarer Anspruch des einzelnen Gesellschafters gegen die Gesellschaft als solche auf Fassung eines Ergebnisverwendungsbeschlusses angenommen. Dabei handelt es sich um einen Anspruch des Gesellschafters aus eigenem Recht, der seine Grundlage unmittelbar in dessen mitgliedschaftlichem Gewinnrecht, d. h. in dem aus der Mitgliedschaft fließenden allgemeinen Recht auf Teilhabe am Unternehmensgewinn nach Maßgabe des jeweiligen Jahresabschlusses hat 28 . Oft wird daneben, vereinzelt auch nur allein, ein Anspruch des einzelnen Gesellschafters gegen die sich weigernden Mitgesellschafter auf Mitwirkung bei der Beschlußfassung über die Ergebnisverwendung befürwortet; er wird als gleichfalls klagbarer Anspruch aus eigenem Recht auf die gesellschaftliche Treuepflicht gestützt 29 . Deshalb scheidet er in den eher seltenen Fällen einer rein kapitalistisch strukturierten GmbH gegenüber bloßen

26 Vgl. RGZ Bd. 49 S. 141, 145; auch BGHZ Bd. 26 S.25 (betr. OHG); A.Hueck in Baumbach/Hueck, GmbHG 13. Aufl. §46 A. 2 A; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970 S. 338. 27 Das zeigt allein schon ein Blick auf die neuere Kommentarliteratur: G.Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) §29 Rdn.39ff.; Schulze-Osterloh ebendort §42a Rdn.41; Zöllner ebendort §46 Rdn.8, 13; Fischer/Lutter/Hommelhoff (Fn.5) §29 Rdn.29, auch §46 Rdn.4 a.E.; Roth, GmbHG 2.Aufl. §29 A.5.2, §46 A.2.2; zu §29 a.F. bereits Hachenburg/ Goerdeler/Müller (Fn. 6) § 29 Rdn. 44 mit Rdn. 23 ff.; Rowedder, GmbHG, 1985 § 29 Rdn. 26 f.; für Bilanzfeststellung auch Hachenburg/Schilling, GmbHG 7. Aufl. § 46 Rdn. 7; - abl. Scholz/Emmerich (Fn.4) §29 Rdn.29ff. unter Hinweis auf Vorrang von §§50, 61 GmbHG, jedoch i. E. den vorausgehend Genannten angenähert in Fn. 33, Beschlußmitwirkung als Schadenersatz bei Treuepflichtverletzung; - ganz abl. aber Scholz/Schmidt (Fn. 6) §46 Rdn. 33; - ausführlich zum Ganzen unter Betonung der dogmatischen Grundlagen Zöllner, ZGR 1988 S. 392 ff., insbes. S. 416 ff. 29 Näher Zöllner, ZGR 1988 S. 392, 418 f.; ebenso teils ausdrücklich, teils aus dem Zusammenhang erkennbar die Ableitung bei der Mehrzahl der oben Fn. 27 Genannten; allgemein zum mitgliedschaftlichen Gewinnrecht statt anderer G.Hueck in Baumbach/ Hueck (Fn.3) §29 Rdn.48, §14 Rdn.l2ff.; Hachenburg/Goerdeler/Müller (Fn.6) §29 Rdn. 8. 29 Für Nebeneinander von Ansprüchen aus Mitgliedschaft gegen die Gesellschaft und aus Treuepflicht gegen die Mitgesellschafter G.Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) § 29 Rdn. 40, 41 ; Schulze-Osterloh ebendort § 46 Rdn. 20, 41 ; Zöllner ebendort § 46 Rdn. 8, 13; Fischer/Lutter/Hommelhoff (Fn.5) §29 Rdn.29 einerseits, §46 Rdn.4 a. E. andererseits; Hachenburg/Goerdeler/Müller (Fn. 6) §29 Rdn. 44 mit Rdn. 23, 25; wohl auch Roth (Fn. 27) §46 A.2.2, dazu §29 A.5.2; - nur für den letzteren Anspruch Hachenburg/ Schilling (Fn. 27) § 46 Rdn. 7; auch Scholz/Emmerich (Fn. 4) § 29 Rdn. 33, nur als Schadenersatz wegen Treuepflichtverletzung.

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Anlagegesellschaftern aus30. Im übrigen hat der Gesellschafter die Wahl zwischen dem Anspruch gegen die Gesellschaft als solche und demjenigen gegen die einzelnen Mitgesellschafter; letzterer kommt vor allem in Betracht, wenn die Beschlußfassung nur durch den Widerstand eines einzigen oder einiger weniger Gesellschafter gehindert wird; gegenüber einer größeren Gruppe ist er unzweckmäßig. Weitere Ansprüche, etwa gegen ein einzelnes Gesellschaftsorgan, hat der Gesellschafter hingegen nicht. Inhaltlich ist der Anspruch nach überwiegender Ansicht gegenüber der Gesellschaft auf Fassung eines Ergebnisverwendungsbeschlusses, gegen den einzelnen Mitgesellschafter auf Mitwirkung bei diesem gerichtet. Dementsprechend soll die Vollstreckung nach klageweiser Durchsetzung gem. § 888 ZPO erfolgen31. Dadurch soll die Entscheidungsfreiheit der Mehrheit bei der Beschlußfassung gewahrt werden; Ausnahmen werden dementsprechend nur vereinzelt in Betracht gezogen, falls kein Entscheidungsspielraum mehr besteht. Das greift jedoch zu kurz. Denn zum einen ist zu bedenken, daß so, von solchen auch noch streitigen Ausnahmen abgesehen, dem Gesellschafter zugemutet wird, notfalls mit Zwangsgeld gegen seine Gesellschaft bzw. seine Mitgesellschafter vorzugehen. Zum anderen bleibt diese Vorgehensweise umständlich und unsicher hinsichtlich des Erfolges. Deshalb ist dem Gesellschafter - übrigens durchaus im Sinne eines wirksameren Minderheitsschutzes - die Klage nicht nur auf Beschlußfassung als solche, sondern auf einen bestimmten Beschlußinhalt zuzugestehen und damit zugleich die Möglichkeit der Vollstreckung nach § 894 ZPO zu eröffnen32. Der einklagbare Beschlußinhalt ergibt sich aus §29 Abs. 1 und 3: die Gewinnausschüttung ist unter Berücksichtigung der durch Gesetz und Satzung vorgeschriebenen Ergebnisverwendung, gegebenenfalls auch eines zusätzlichen Aufwands i. S. von §29 Abs. 1 S. 1 bzw. eines entsprechenden Ertrags (Aufwandsminderung) zu berechnen und im Verhältnis der Geschäftsanteile oder nach abweichender Satzungsregelung auf die Gesellschafter zu verteilen. Dagegen entfällt hier in der Regel eine Reservenbildung nach Abs. 2, da der dafür vorausgesetzte Gesellschaf-

30 Zur unterschiedlichen Tragweite der Treuepflicht bei der GmbH in Abhängigkeit von der jeweiligen Struktur der Gesellschaft statt anderer G. Hueck in Baumbach/ Hueck (Fn.3) §13 Rdn. 21 ff., insbes. Rdn.23 m . w . N . 31 Vgl. Fischer/Lutter/Hommelhoff (Fn.5) §29 Rdn.29; Hachenburg/Goerdeler/ Müller (Fn. 6) § 29 Rdn. 44 mit Rdn. 23; Rowedder (Fn. 27) § 29 Rdn. 27; Roth (Fn. 27) § 29 A.5.2. 32 Dazu Zöllner, Z G R 1988 S.392, 416ff.; derselbe in Baumbach/Hueck (Fn.3) §46 Rdn. 8, 13; G. Hueck ebendort §29 Rdn. 41.

Minderheitsschutz bei der Ergebnisverwendung in der GmbH

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terbeschluß gerade nicht gefaßt worden ist; etwas anderes hat nur dann zu gelten, wenn insoweit ein Mehrheitswille feststeht, ζ. B. bezüglich des Mindestbetrages einer Gewinnrücklage, bei der nur über einen weitergehenden Betrag Uneinigkeit besteht. Der Beschlußinhalt ist somit ganz oder doch weitgehend objektiv bestimmbar. Nur soweit ausnahmsweise noch Beschlußteile fehlen sollten oder ihre genaue Berechnung zweifelhaft ist, sind sie vom Gericht nach billigem Ermessen analog §§315 ff. BGB zu ergänzen 33 . Da die Gesellschaftermehrheit jederzeit auch noch während des Prozesses den fehlenden Ergebnisverwendungsbeschluß fassen und dadurch den Rechtsstreit in der Hauptsache zur Erledigung bringen kann, läßt sich gegen die hier vertretene Lösung nicht einwenden, daß sie die Entscheidungsfreiheit der Mehrheit unzumutbar beeinträchtige. Dazu ist daran zu erinnern, daß ein Minderheitsgesellschafter die Beschlußfassung erst dann einklagen kann, wenn die Mehrheit sie in für ihn unzumutbarer Weise verzögert oder ganz unterlassen hat; auch er ist dabei an die Treuepflicht gebunden. 2. Praktisch viel bedeutsamer als die Beschlußerzwingung ist der Minderheitsschutz gegenüber ungerechtfertigt hoher Reservenbildung durch Mehrheitsbeschluß. Er ist, wie oben betont, zentrales und vielbehandeltes Thema bei der Erörterung der Ergebnisverwendung nach § 29 n. F.34 Darum mögen hier einige zusammenfassende Bemerkungen genügen. Mit dem Verzicht auf die noch im RegE zum BiRiLiG vorgesehene Gewährleistung einer Mindestdividende 35 hat der Gesetzgeber die Reservenbildung durch Gewinnrücklagen oder Gewinnvortrag im Ergebnis-

33 Zur Berechnungsweise G.Hueck in Baumbach/Hueck §29 Rdn. 41 mit Rdn. 14 ff., 22 ff., 51 ff.; zur Heranziehung von §§315 ff. BGB Zöllner wie Fn.32; dort auch zur wesentlich schwierigeren Problematik in dem allerdings praktisch unwahrscheinlichen Fall einer Klage auf Beschlußfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses; dazu ferner Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck (Fn. 3) §42 a Rdn. 20. - Allgemein zur Frage des einstweiligen Rechtsschutzes bei Klagen auf Beschlußfassung von Gerkan, ZGR 1985 S. 167ff., insbes. 179ff. 34 Aus der umfangreichen Literatur vor allem ausführlich m.w. N. Hommelhoff, ZGR 1986 S. 418 ff., mit Beiträgen zu einschlägigen Satzungsfragen von Hommelhoff! Priester, ZGR 1986 S. 463 ff. und Hommelhoff/Hartmann/Hillers, DNotZ 1986 S. 323 ff. zusammengefaßt in Hommelhoff/Priester, Bilanzrichtliniengesetz und GmbH, ZGR-Sonderausgabe 1986; ferner etwa Ehlke, DB 1987 S.671, 677f.; Liebs, DB 1986 S.2421, auch GmbHR 1986 S. 145; Renkl, DB 1986 S. 1108, 1109; Weltmann, DB 1986 S. 1861, 1862; Hartmann, Das neue Bilanzrecht und der Gesellschaftsvertrag der GmbH, 1986 S. 199 ff., insbes. 202f.; - in den Kommentaren insbes. G.Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) §29 Rdn. 29 ff.; Fischer/ Lutter/Hommelhoff (Fn. 5) §29 Rdn. 23 ff.; Roth (Fn.27) §29 A.2.4.3; Scholz/Emmerich (Fn.4) §29 nF Rdn. 189, 191; Scholz/Schmidt (Fn.6) §46 Rdn. 189, 191 f.; - sehr zurückhaltend dagegen Meyer-Landrut/Miller/Niehus, GmbHG 1987 § 2 9 Rdn. 10. 35

Oben II, 2, b.

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verwendungsbeschluß nach Abs. 2 besonders nachdrücklich in das freie unternehmerische Ermessen der Gesellschaftermehrheit gestellt. Schrankenlos ist diese Ermächtigung gleichwohl nicht; darüber besteht Einigkeit. Allerdings ist der Minderheitsschutz nunmehr ganz auf allgemeine Grundsätze verwiesen. So sichert die in § 29 Abs. 3 ausdrücklich geregelte Gleichbehandlung für alle Gesellschafter die gleichmäßige Berücksichtigung bei der Gewinnverteilung36. Das ist unproblematisch, hilft aber nicht weiter, wenn eine sachlich ungerechtfertigte Gevinnthesaurierung die Ausschüttung als solche beeinträchtigt oder verhindert. Insoweit ist die Bindung der Mehrheit an die Treuepflicht wichtig. Deren Schrankenfunktion bei der Ausübung von Mehrheitsmacht bildet hier die Grundlage für einen wirksamen Minderheitsschutz. Das ist im Prinzip allgemein anerkannt37; Schwierigkeiten bietet jedoch die Konkretisierung im einzelnen. Denn es geht ja nicht nur um den in der Literatur allenthalben hervorgehobenen Extremfall des gezielten Aushungerns der Minderheit durch jahrelanges Vorenthalten einer Dividende; das ist als Rechtsmißbrauch relativ leicht faßbar. Tatbestandlich viel problematischer und dabei praktisch wesentlich häufiger, zumindest wahrscheinlicher, sind Fälle mit weniger ausgeprägtem Mißverhältnis. Hier liegt es nahe, nach festen Anhaltspunkten für das „richtige" Verhältnis von Thesaurierung und Ausschüttung zu suchen. Dafür bietet sich zunächst eine Parallele zu § 254 Abs. 1 AktG an; sie wird jedoch von der h. M. vor allem in Hinblick auf die Streichung einer entsprechenden Regelung für die G m b H im Gesetzgebungsverfahren generell abgelehnt38. Demgegenüber sollte jedoch differenziert werden: eine entsprechende Anwendung, zumindest aber die Heranziehung als Maßstab, ist bei rein kapitalistisch strukturierten, insbesondere auf Anlegerinteressen der Gesellschafter ausgerichteten und damit AG-ähnlichen G m b H durchaus zu erwägen, ohne daß das eine weitergehende Geltendmachung treuwidrigen Mehrheitsmißbrauchs auszuschließen brauchte; auch die Streichung von §42 h RegE zum BiRiLiG steht dem nicht entgegen39. Dagegen ist die Heranziehung nicht möglich bei der zahlenmäßig freilich weit überwiegenden - personalistischen GmbH, die angesichts der stärkeren persönlichen Bindung und der auch im übrigen 36 Dazu statt anderer G. Hueck in Baumbach/Hueck (Fn. 3) §29 Rdn. 51 sowie zur Gleichbehandlung als allgemeinem Grundsatz §13 Rdn. 35 ff. m.w. N . 37 So die meisten der oben Fn. 34 Genannten; - allgemein zu dieser Schrankenfunktion, gerade auch als Minderheitsschutz G. Hueck in Baumbach/Hueck (Fn. 3) §13 Rdn. 21 ff., insbes. 25; Scholz/Winter, G m b H G 7. Aufl. §14 Rdn. 54ff.; beide m . w . N . 38 So Scholz/Emmerich (Fn.4) §29 Rdn. 190; Meyer-Landrut/Miller/Niehus (Fn. 34) §29 Rdn. 10; Hommelhoff, Z G R 1986 S.423; Ehlke, D B 1987 S.677. 39 G . H u e c k in Baumbach/Hueck (Fn.3) §29 Rdn.31; auch Zöllner ebendort Anh. §47 Rdn. 55.

Minderheitsschutz bei der Ergebnisverwendung in der G m b H

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dank größerer Variationsbreite vom Modell der A G abweichenden Ausgestaltung andere, flexiblere Maßstäbe für eine Mindestdividende oder die Zumutbarkeit von Opfern im Gesellschaftsinteresse erfordert. Einen bemerkenswerten Vorschlag für ein flexibleres, gleichwohl schematisiertes System der Beurteilung hat Hommelhoff entwickelt40; jedoch hat sich das aus ganz ähnlichen Gründen bisher nicht durchsetzen können41. So bleibt insgesamt doch nur die für die Feststellung von Treuepflichtverstößen typische Einzelfallbeurteilung des Verhaltens der Mehrheit im Verhältnis zur Minderheit nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit. Das führt hier zur Abwägung zwischen Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse an der Reservenbildung und Gesellschafterinteresse an einer Gewinnausschüttung unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse der betroffenen Gesellschaft. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen, der sich an einer verständigen kaufmännischen Beurteilung orientiert42. Eine danach bei Gesamtwürdigung kaufmännisch nicht gerechtfertigte Reservenbildung ist nur möglich, wenn alle Gesellschafter zustimmen, da darin ein entsprechender Dividendenverzicht liegt. Anderenfalls ist sie unzulässig. Wird ein entsprechender Ergebnisverwendungsbeschluß gleichwohl nur mit, sei es auch qualifizierter, Mehrheit gefaßt, so ist er wegen Treuepflichtverletzung entsprechend §243 Abs. 1 AktG anfechtbar43. Der so gewährte Minderheitsschutz gegen übermäßige Gewinnthesaurierung erscheint theoretisch durchaus angemessen. Praktisch werden sich für die Minderheitsgesellschafter freilich erhebliche Schwierigkeiten bei der Ermittlung der wesentlichen tatbestandlichen Voraussetzungen ergeben, auch wenn ihnen dafür das Auskunftsrecht nach §51 a G m b H G zustatten kommt. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Beweislage im Prozeß; zudem wird die Entscheidung über unternehmerische Fragen nicht ohne zeit- und kostenaufwendige Sachverständigengutachten auskommen. Vergleicht man jedoch diese Schwierigkeiten mit denjenigen für die Gesellschaftermehrheit, wenn sie unter der Geltung des früheren Vollausschüttungsgebots eine erforderliche Reservenbil-

40 Z G R 1986 S. 423 ff., insbes. 427 ff.; auch Fischer/ Lutterl Hommelhoff (Fn.5) §29 Rdn.25. "1 Dazu G.Hueck in Baumbach/Hueck (Fn.3) §29 Rdn.30; Scholz/Schmidt (Fn.6) §46 Rdn. 31; Eblke, D B 1987 S. 677f.; Liebs, D B 1986 S . 2 4 2 1 ; - e i n e andere Frage ist, ob die von Hommelhoff (Fn. 40) entwickelten Gedanken de lege ferenda richtungweisend sein können, s. oben bei Fn.23. 42 Zum Ganzen in Ubereinstimmung mit der h. M. näher G. Hueck in Baumbach/ Hueck (Fn. 3) § 29 Rdn. 32 ff.; Scholz/Emmerich (Fn. 4) § 29 nF Rdn. 191 f.; beide m. w. N . 43 Zur Anfechtung bei Treuepflichtverletzung statt anderer Zöllner in Baumbach/ Hueck (Fn. 3) Anh. §47 Rdn. 50 ff.

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dung gegen widerstrebende Minderheitsgesellschafter durchzusetzen hatte, so spricht doch, wie oben dargelegt 44 , viel für die Neuregelung des §29 GmbHG. Ein adäquater Minderheitsschutz ist möglich und kann trotz der genannten Schwierigkeiten bei sinnvoller Handhabung durchaus effektiv sein und nicht zuletzt auch eine präventive Wirkung entfalten.

44

Oben II, 2, a a. E.

Zur gesellschaftsrechtlichen Treupflicht als richterrechtlicher Generalklausel UWE HÜFFER

I. Grundlagen 1.

Einleitung

Die gesellschaftsrechtliche Treupflicht* ist ein Leitgedanke, der in der Rechtsprechung ständig wiederkehrt und auch im Schrifttum einen festen Platz einnimmt. Seine kaum zu überschätzende Bedeutung verdankt er der Tatsache, daß der Normbedarf der Gesellschaftsrechtspraxis vom Gesetzgeber nicht gedeckt wird und wegen der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse auch nicht gedeckt werden kann. Ihrer Funktion nach ist die Treupflicht also dasjenige Rechtsprinzip, dessen Konkretisierung es erlaubt, die fehlenden Einzelnormen zu gewinnen. Die besondere Perspektive, aus der die Treupflicht im Rahmen dieses Beitrags untersucht werden soll, geht auf eine Formulierung von Walter Stimpel zurück. Stimpel hat in einem gut zwanzig Jahre zurückliegenden Vortrag vor der Juristischen Studiengesellschaft in Karlsruhe über die gesellschaftsrechtliche Treupflicht ausgeführt1 : „Wir haben hier einen Fall, in dem sich durch eine Reihe von Einzelentscheidungen allmählich eine richterliche Generalklausel gebildet hat, die nun ihrerseits von Fall zu Fall der Konkretisierung bedarf und sich allmählich systematisch in Untergruppen aufzugliedern beginnt". Wenn man die nicht gänzlich problemfreie Vorstellung einer allmählichen Entwicklung von Richterrecht ausklammert2, trifft dieser Satz als Zustandsbeschreibung den Kern der Sache. 2.

Untersuchungsziel

Es ist reizvoll, wenn auch nicht einfach, das von Stimpel formulierte Thema aufzugreifen und zum Gegenstand näherer Überlegungen zu * Sie bildete den Gegenstand einer Gastvorlesung, zu der ich im Januar 1989 in Heidelberg eingeladen war; ich bedanke mich für Einladung und Diskussion. 1 In: Pehle/Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung (Jur. Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 87/88), 1969, S. 18; ähnlich Stimpel, in: Festschrift 25 Jahre B G H , 1975, S. 19. 2 Zu den revisionsrichterlichen Methoden der Rechtsfortbildung vgl. Hüffer, ZHR151 (1987), 396, 420 m . w . N .

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Uwe Hiiffer

machen. Sie sollen sich auf drei Fragen konzentrieren. Erstens geht es um die Basis der Treupflicht, genauer darum, ob sie ihre Grundlage in der rechtsgeschäftlich getroffenen Gründungs- oder Beitrittsentscheidung findet oder ob sie dem Gesellschafter ohne Rücksicht auf seine privatautonome Erklärung durch Rechtssatz auferlegt wird. Zweitens ist klärungsbedürftig, ob und wie die als Generalklausel verstandene Treupflicht aus dem Gesetz abgeleitet werden kann und welche Funktion ihr zukommt. Und schließlich stellt sich die Aufgabe, für die Konkretisierung der Generalklausel Leitlinien zu entwickeln, die ihrerseits für die Bildung von Einzelnormen wenigstens die Richtung vorgeben. Die damit skizzierten Fragestellungen sind sämtlich nicht neu3. Ein Uberblick über den bisherigen Diskussionsverlauf zeigt jedoch, daß über die Antworten kein Konsens besteht. Der Verfasser hofft, mit der Erörterung des vorgestellten Fragenkomplexes das Interesse von Ernst Steindorff zu gewinnen, der das Gesellschaftsrecht sowie benachbarte Gebiete durch eigene Beiträge (so etwa in den Festschriften für Fischer, für Kronstein und für Stimpel) und überdies durch seine langjährige Tätigkeit als Herausgeber der ZHR vielfältig gefördert hat. II. Entwicklung und Stand der Diskussion Die Rechtsprechung zur Treupflicht reicht bis in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurück4. Die wissenschaftliche Diskussion des Themas umfaßt mehr als fünf Jahrzehnte5. Die Bestandaufnahme kommt deshalb nicht ohne Vergröberungen aus. Wenn man das in Kauf nimmt, ergeben sich jedoch relativ klare Konturen. Zunächst sind vier thematische Schwerpunkte zu unterscheiden, die der vorgeschlagenen Problemgliederung allerdings nur teilweise entsprechen: Geltungsgrund der als Rechtssatz verstandenen Treupflicht; Abstufung der Pflichtenintensität nach fremd- oder eigennützigem Charakter des ausgeübten Rechts; Zustimmung zu Änderungen des Gesellschaftsvertrags als Sonderproblem; schließlich die Frage, ob es Treupflichten auch in der GmbH und 3 Monographisches Schrifttum aus jüngerer Zeit: Häuser, Unbestimmte „Maßstäbe" als Begründungselemente richterlicher Entscheidungen, 1981; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988; Worch, Treuepflichten von Kapitalgesellschaftern untereinander und gegenüber der Gesellschaft, 1983. 4 Erste Entscheidungen, die sich noch auf den Grundsatz von Treu und Glauben stützen: R G Warn. 1908, Nr. 511; R G L Z 1912, 545; R G JW1913, 29. 5 Erste größere Arbeiten: A.Hueck, in: Festschrift für Hübner, 1935, S. 72; Fechner, Die Treuebindungen des Aktionärs, 1942; A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Heft 7), 1947.

Zur gesellschaftsrechtlichen Treupflicht

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in der Aktiengesellschaft gibt und in diesem Rahmen die weitere Frage nach der vertraglichen Grundlage von Treubindungen der Gesellschafter untereinander. Im einzelnen ist zu diesen Punkten festzuhalten: (1) Die Judikatur praktiziert die Treupflicht, ohne sich zum Geltungsgrund näher zu äußern6. Anders das Schrifttum, das hier ein zentrales Thema findet. Die Auskünfte sind allerdings unterschiedlich. Während Alfred Hueck7 und Robert Fischer5 die rechtliche Grundlage der Treupflicht „in dem vom gegenseitigen Vertrauen getragenen Gemeinschaftsverhältnis" zwischen den Gesellschaftern fanden, erörtert das aktuelle Schrifttum drei Lösungen. Teils wird angenommen, die Treupflicht sei nichts anderes als die gesellschaftsrechtliche Verdichtung des allgemeinen Prinzips von Treu und Glauben (§242 BGB) 9 . Nach der Gegenthese soll sie aus der mitgliedschaftlichen Förderpflicht des § 705 BGB abgeleitet werden10. Die dritte Meinung will je nach Problemlage auf das eine oder das andere abstellen". Schließlich wird die Fragestellung auch als nicht weiterführend empfunden und von einer im Kern schon gewohnheitsrechtlichen Basis der Treupflicht gesprochen12. (2) Soweit es um die Intensität der aus dem Treugedanken ableitbaren Pflichten geht, gehören Ubersteigerungen, wie sie noch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts anzutreffen waren13, der Vergangenheit an. In der Judikatur des BGH 14 hat sich unter Zustimmung des Schrifttums15 6 Vgl. z.B. BGHZ44, 40, 41 f (OHG); BGHZ64, 253, 257f (KG); BGHZ65, 15, 18 f (GmbH-ITT); BGH WM 1988, 325, 329 (AG). 7 Der Treuegedanke im modernen Privatrecht (Fn. 5), S. 12 f. 8 In: Großkomm. HGB, 3.Aufl., Bd.III 1973, §105 Anm.31a (dort a.E. das im Text anschließende wörtliche Zitat). ' Schmiedel, ZHR134 (1970), 173 ff, 182; weithin auch die Kommentare zum BGB, vgl. z.B. Roth, in: MünchKomm. BGB, 2. Aufl., Bd. 11 1985, §242 Rdn. 117 und Staudinger/Keßler, BGB, 12. Aufl. 1980, Vorbem. zu §705 Rdn. 42. 10 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 ff; wohl auch H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 143. 11 Häuser, Unbestimmte „Maßstäbe" (Fn. 3), S. 176 ff; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn.3), S. 13 ff; Soergel/H adding, Komm. BGB, 11. Aufl., Bd. IV 3 1985, §705 Rdn. 58. 12 Ulmer, in: Großkomm. HGB, 4. Aufl., 12.Lfg. 1988, §105 Rdn.233 a.E. 13 Vgl. RGZ146, 76; RGZ146, 395; RGZ158, 254; dazu A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht (Fn.5), S. 14: „Hypertrophie des Treuebegriffs" sowie Ulmer, in: MünchKomm. BGB, 2. Aufl., Bd. III 2, § 705 Rdn. 181. Siehe auch die Zitate bei Schmiedel, ZHR134 (1970), 173. 14 Vgl. auch die erste Nachkriegs-Entscheidung des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone in OGHZ4, 66 f, 73. Neuere Entscheidungen: BGH NJW1986, 584 f; BGH NJW1986, 844; weitere Nachweise bei Stimpel, in: Festschrift 25 Jahre BGH, 1975, S. 19 Fn. 19. 15 Statt vieler: Soergel/Hadding (Fn. 11) §705 Rdn. 59; Ulmer, in: Großkomm. HGB (Fn. 12) § 105 Rdn. 239 f.

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Uwe Hüffer

die Unterscheidung zwischen gesellschaftsbezogenen und eigennützigen Mitgliedsrechten durchgesetzt. Während erstere durch die Treubindung zu Pflicht-Rechten werden, deren Ausübung durch das Gesellschaftsinteresse geleitet sein muß, ergeben sich in der zweiten Gruppe nur aus der Pflicht zur Rücksichtnahme Ausübungsschranken. Paradigma für das Pflichtrecht ist die Geschäftsführungsbefugnis, für das eigennützige Recht der Gewinnanspruch. Man wird feststellen können, daß die an dieser Unterscheidung orientierte Konkretisierung der Treupflicht das eigentliche Anliegen und die wesentliche Leistung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in den beiden ersten Jahrzehnten des B G H war. (3) Auch im dritten Punkt, also bei der Frage nach einer Zustimmungspflicht bei Vertragsänderungen, geht es darum, das Prinzip der Gesellschaftstreue durch Ableitung von Einzelpflichten zu konkretisieren. Dieser Anwendungsfall weist aber schon deshalb besondere Züge auf, weil es um die Änderung der Vertragsgrundlage der Gesellschaft selbst geht. Eine solche Zustimmungspflicht wird in der Rechtsprechung in Ausnahmefällen bejaht, nämlich dann, wenn die Vertragsänderung im Gesellschaftsinteresse erforderlich ist und sie dem widersprechenden Gesellschafter zugemutet werden kann16, so etwa, wenn die Rechtsstellung des geschäftsführenden Gesellschafters auf seinen durch eine Nachfolgeklausel begünstigten Erben im Wege lebzeitiger Gesellschaftsnachfolge übergehen soll, um für die Zukunft des Gesellschaftsunternehmens Vorsorge zu treffen17. Diese Judikatur findet im Schrifttum deutlich überwiegende18, wenn auch nicht ungeteilte19 Zustimmung. (4) Treupflichten im Recht der Kapitalgesellschaften sind seit der ITTEntscheidung20 für die GmbH 21 und seit einer Entscheidung des II. Zivil» B G H LM H G B §105 Nr. 8; B G H WM 1961, 301; B G H Z 64, 253, 257f; B G H WM 1985, 195 = WuB IIG. §§109, 119 H G B 1.85 (Pohle); B G H WM 1985, 256 = WuB II F. §§119, 161 H G B 1.85 (Hüffer); B G H WM 1987, 133 = WuB I I E . §119 H G B 1.87 (Hüffer). " B G H WM 1987, 133 (Fn.16). 18 Soergel/Hadding (Fn. 11) §705 Rdn.63; Ulmer, in: Großkomm. H G B (Fn. 12), §105 Rdn. 244 f; Zöllner, Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979, S. 25 ff. 19 Ablehnend Kollhosser, z . B . in: Festschrift für Westermann, 1974, S.275ff; grundsätzlich auch Flume, Allg. Teil des Bürgerl. Rechts, Bd. 11 (= Die Personengesellschaft), 1977, § 1 5 I V (S. 278, 280 f); Reuter, Z H R 1 4 8 (1984), 523, 542 f. 20 B G H Z 65, 15, 18 f; dazu zuletzt ausführlich Stimpel, A G 1986, 117 f mit Parallelfundstellen und Anmerkungen in Fn. 4. 21 Zur Rechtsprechung vor der ΙΤΓ-Entscheidung vgl. Stimpel aaO (Fn. 20); ferner die Zusammenfassung von Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 41 f sowie zur Entwicklung in 100 Bänden B G H Z : Raiser, in: Z H R 1 5 1 (1987), 422 ff.

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sénats von Anfang 1988 2 2 auch f ü r die Aktiengesellschaft im Grundsatz anerkannt. Die Einzelheiten sind jedoch weiterhin nicht voll geklärt. Das gilt schon f ü r die Begründung der Treupflicht zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, obwohl es insoweit keine Schwierigkeiten bereiten sollte, die Treupflicht aus dem Organisationsvertrag 23 abzuleiten, der zwischen den Gesellschaftern geschlossen wird (vgl. noch III 2). Streitig ist insbesondere die Frage nach der Grundlage der zwischen den Gesellschaftern bestehenden Treupflicht. Drei Ansätze sind denkbar und werden vertreten 24 : Die Treupflicht kann vertraglicher Natur sein 25 ; sie kann eine allgemeine Verhaltenspflicht im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B sein 26 ; und sie kann schließlich als Pflicht im Rahmen einer Sonderrechtsbeziehung eingestuft werden 2 7 , bei der sich allerdings wiederum die Frage stellt, ob sie vertraglicher oder außervertraglicher Natur oder ein Drittes sein soll. Innerhalb des vertraglichen Ansatzes sind wiederum drei Lösungskonzepte zu unterscheiden: Nach dem ersten wurzeln die Treupflichten in dem Organisationsvertrag der Gesellschaftsgründer, der die Entstehung der juristischen Person durch Registereintragung überdauert und nicht nur die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, sondern auch zwischen den Mitgliedern bestimmt 28 . Daneben begegnet zweitens die Vorstellung - wiederum mit Nuancen im einzelnen - eines neben der

22 BGH WM 1988, 325, 329. Ablehnend für das Verhältnis der Aktionäre untereinander zuvor BGHZ18, 350, 365; BGH JZ1976, 561 f (Audi/NSU) m.abl.Anm. Lutter sowie als Vorinstanz OLG Celle WM 1974, 1013. Die seit der Kali + Salz-Entscheidung (BGHZ71, 40, 44 ff) etablierte Beschlußkontrolle wird vom BGH ohne ausdrückliche Rückkoppelung zur Treupflicht praktiziert. Zum Schrifttum vgl. Hüffer, in: Geßler/ Hefermehl, Komm. AktG, 9.Lfg. 1984, §243 Rdn.47; seither Hefermehl/Bungeroth, ebd., 8. Lfg. 1984, vor §53 a Rdn.22; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, Einl. 1984, Rdn. 169; vgl. auch die folgenden Fußnoten. 23 Dazu Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, 7. Aufl., II. Bearbeitung 1985, §2 Rdn. 4; eingehend 'Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 63 ff. 24 Einen Uberblick bietet Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 46 ff. 25 Nachweise in Fn. 28-30. 26 So der Ansatz von Mertens, der die Mitgliedschaft als absolutes Recht nach §823 Abs. 1 BGB schützen will, vgl. namentlich seinen Beitrag in: Festschrift für Rob. Fischer, 1979, S. 461 ff. 27 Von einer „zivilrechtlichen Sonderverbindung" spricht Lutter, AcP180 (1980), 84, 122 ff; zur Sonderrechtsbeziehung (auch der Mitglieder untereinander) siehe K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, § 19III 1; ein Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern (Aktionären) nimmt auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd.I 1980, §2Ilb)bb), an. Differenzierend Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 63 ff, 67 ff (vertragliche Treupflicht zur GmbH; dagegen auf Gesetz beruhende organisationsrechtliche Sonderverbindungen zwischen den Gesellschaftern). 28 Ulmer, in: Hachenburg GmbHG (Fn. 23), §2 Rdn. 4 f; ähnlich ders., in: Festschrift für Werner, 1984, S. 911, 912; für die Beziehung Gesellschafter-GmbH auch Winter aaO (vor Fn.).

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juristischen Person herlaufenden zusätzlichen Gesellschaftsverhältnisses29. Und schließlich gibt es noch die Theorie der schuldrechtlichen Nebenabrede, nach der zwischen den Gesellschaftern einer GmbH obligatorische Bindungen bestehen können, die das korporationsrechtliche Verhältnis ergänzen30. Zusammenfassend kann zum gegenwärtigen Diskussionsstand festgehalten werden, daß über die Existenz von Treupflichten Einigkeit besteht, und zwar weitgehend auch für das Recht der Kapitalgesellschaften. Auch bei der praktischen Umsetzung des Rechtsgedankens durch die Formulierung bestimmter Verhaltenspflichten sind wesentliche Fortschritte erzielt worden. Nicht ausdiskutiert sind dagegen die grundsätzlichen Fragen nach der gesellschaftsvertraglichen Basis der Treupflichten und nach ihrer Grundlage im Gesetz. III. Mitgliedschaft und Treupflicht 1. Grundlagen a) Die Frage nach dem vertraglichen Fundament der Treupflichten bereitet heute Schwierigkeiten, weil man sie früher unterschätzt hat. Das hat wiederum zwei Ursachen. Die erste liegt im lange Zeit herrschenden unvollkommenen Verständnis der Gesamthandsgesellschaften. Solange man die Gesamthandsgesellschaft als die mit einem Sondervermögen ausgestattete Vertragsgemeinschaft der Gesellschafter einstufte31, konnte man als Subjekte der Treupflichtbeziehungen jedenfalls in erster Linie die Gesellschafter ansehen und die Grundlage wie selbstverständlich im Gesellschaftsvertrag finden. Nach heute herrschender und zutreffender Lehre ist die Gesamthandsgesellschaft jedoch eine als Personenverband strukturierte Wirkungseinheit und als solche, also unabhängig von den Gesellschaftern, das Bezugssubjekt für Rechte und Pflichten32. Damit stellt sich die Frage nach der Grundlage der Treupflicht schon für das 2 9 Personalistische GmbH als „Vertragsgesellschaft" (im Gegensatz zur „Satzungsgesellschaft") ihrer Mitglieder; vgl. Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970, S. 134 ff, 142 ff, 151 ff; Reuter, in: MünchKomm. B G B , 2.Aufl., B d . I 1984, §38 R d n . l . 30 So im jüngeren Schrifttum Verhoeven, GmbH-Konzern-Innenrecht, 1978, Rdn. 195 ff (Innengesellschaft bürgerlichen Rechts zwecks Förderung des GmbH-Unternehmens). 31 So die traditionelle Auffassung, vgl. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 61 ff; Wiedemann, Gesellschaftsrecht (Fn.27), § 5 1 2 vor a). 32 Grundlegend Flume, Die Personengesellschaft (Fn. 19), §§4 und 5; vgl. auch schon dens., ZHR136 (1972), 177,184 ff, 193 ff; ferner ζ. B. Soergel/Hadding (Fn. 11) § 705 Rdn. 43; Ulmer, in: MünchKomm. B G B , 2. Aufl., Bd. III 2 1986, § 795 Rdn. 43; Ulmer, in: MünchKomm. B G B , 2. Aufl., Bd. III 2 1986, § 705 Rdn. 127 ff, 130; ders., in: Großkomm. H G B (Fn. 12), § 105 Rdn. 41 f; zur Rechtsprechung vgl. Hüffer, Z H R 151 (1987), 396,397 ff.

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Recht der Personengesellschaften doppelt, was allerdings eine einheitliche Antwort nicht ausschließt. Es geht erstens um die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter zur Gesellschaft und erst in zweiter Linie um die Beziehungen der Gesellschafter untereinander33. b) Die zweite Ursache des nicht befriedigenden dogmatischen Entwicklungsstands ist darin zu finden, daß fnan Treupflichten für das Recht der Kapitalgesellschaften vor der ITT-Entscheidung 34 , also noch vor rund 15Jahren, verbreitet ablehnte35. Deshalb zog die Frage nach der Begründung solcher Pflichten nur wenig Interesse auf sich. Zudem wirkte sich der eben skizzierte frühere Entwicklungsstand des Personengesellschaftsrechts dahin aus, daß man auch für die Kapitalgesellschaft nach einem Vertragsband zwischen den Gesellschaftern suchte, die Vertragsbindung aber nicht oder nicht ohne weiteres finden konnte36. Man ging nämlich davon aus, daß sämtliche Rechtsbeziehungen auf die juristische Person zentriert seien. In diesem Sinne ist etwa formuliert worden, daß AG und GmbH als Zurechnungssubjekt jede direkte Verbindung zwischen den Gesellschaftern zerschneiden37. Der gegenwärtige Stand des Personengesellschaftsrechts führt jedoch zu der Überlegung, ob die Begründungsprobleme des Kapitalgesellschaftsrechts wirklich neu oder prinzipiell mit den entsprechenden Fragen bei O H G oder K G identisch sind. Zwar bestehen zwischen der Gesamthandsgesellschaft einerseits und der juristischen Person andererseits strukturelle Unterschiede. Hier wie dort geht es aber im Kern darum, ob der Gesellschaftsvertrag Treupflichtbeziehungen zur Gesellschaft und zwischen den Gesellschaftern begründen kann. 2. Treupflicht zur Gesellschaft Die Treubindungen der Gesellschafter zur Gesellschaft, auf die zunächst einzugehen ist, folgen jedenfalls für die Personengesellschaften aus dem Gesellschaftsvertrag38. Nach richtiger Ansicht39 gilt das auch Vgl. unten V 3 b). « B G H Z 6 5 , 15, 18 f (Fn.20). 35 Nachweise in Fn. 22. Gegen Treupflicht im Aktienrecht besonders auch A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht (Fn. 5), S. 14 f; siehe ferner die Literaturzusammenstellung bei Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 336 f Fn. 3 und 4. Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. auch Raiser, in: Z H R 1 5 1 (1987), 422, 430 ff. 36 B G H Z 1 8 , 350, 365; Meyer-Landrut, in: Großkomm. AktG, 3.Aufl., B d . I I 1973, §1 Anm.34; weitere Nachweise in Fn.26ff. 37 Immensa, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 271. 38 Soergel/ Hadding (Fn. 11) §705 Rdn.58; Ulmer, in: Großkomm. H G B (Fn. 12), §105 Rdn.233. 39 Siehe Nachweise in Fn. 23. 33

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dann, wenn es sich um eine A G oder GmbH oder eine andere juristische Person handelt. Denn die Satzung, auf der AG oder GmbH beruhen, entsteht ihrerseits nur durch den Organisationsvertrag der Gründer. Die Gründer schaffen also durch ihren vertraglichen Konsens die rechtsgeschäftliche Basis für die Gesellschaft als ZurechnungsSubjekt und zugleich für ihre Beziehungen zu diesem Subjekt 40 . Weil sie die Gesellschaft wollen, erstreckt sich ihr Konsens notwendig auch auf die Begründung von Mitgliedschaften und damit auf Treubindungen gegenüber der Gesellschaft. 3. Treupflichten zwischen den Gesellschaftern a) Mehr Schwierigkeiten bereitet es, die Basis für die Treupflicht zwischen den Gesellschaftern genau zu erfassen. Dabei steht ihre vertragliche Natur zwar für das Recht der Personengesellschaften zu Recht außer Streit41. Wenig geklärt ist jedoch, ob es sich auch dabei um organisationsrechtliche oder vielmehr um schuldrechtliche Vertragspflichten handelt. Die Frage stellt sich schon deshalb, weil der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaften nach der zutreffenden Theorie von seiner Doppelnatur42 auch schuldrechtliche Pflichten erzeugt. Soweit das angesprochene Problem überhaupt Beachtung findet, werden die Treupflichten zwischen den Gesellschaftern wohl als schuldrechtlich qualifiziert43. Daran ist richtig, daß zwischen ihnen obligatorische Pflichten bestehen können. Die Annahme, daß sie diesen Charakter notwendig haben, überzeugt dagegen nicht. Vielmehr ist nach dem Inhalt der jeweiligen Pflicht zu differenzieren. Sie ist als organisationsrechtlich einzustufen, wenn es gerade um die Wirkungseinheit selbst geht, dagegen als schuldrechtlich, wenn die Mitgliedsinteressen einzelner Gesellschafter betroffen sind. In die organisationsrechtliche Gruppe ist namentlich die sonst nicht einfach zu begründende Pflicht einzuordnen, einer Änderung des Gesellschaftsvertrags zuzustimmen44, etwa durch das Ausscheiden eines nicht mehr tragbaren bisherigen Gesellschafters45 oder durch die Übertragung der Rechtsstellung des persönlich haftenden Gesellschafters im Wege vorweggenommener Erbfolge zwecks Siche-

Klare Formulierung bei Ulmer, in: Festschrift für Werner, 1984, S.911, 912. Soergel/ H adding (Fn. 11), §705 Rdn.58; Ulmer, in: Großkomm. HGB (Fn. 12), §105 Rdn.233; ferner vor allem die auf §705 BGB abstellende Ansicht (Fn. 10). 42 K.Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn.27), § 5 9 I 2 c ; Soergel/H adding (Fn. 11), §705 Rdn.43; Ulmer, in: MünchKomm. BGB (Fn.32), §705 Rdn. 125 f. 43 Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 10 f. 44 Vgl. Nachweise in Fn. 16 ff. 45 BGH NJW1961, 724. 40 41

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rung des Gesellschaftsunternehmens 46 . Demgegenüber sollte die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die mitgliedschaftlichen Belange der Mitgesellschafter in die schuldrechtliche Kategorie eingereiht werden. Ein Beispiel dafür gibt das Verbot ab, sich auf Kosten anderer Gesellschafter bei der Liquidation Sondervorteile zu verschaffen 47 . Zusammenfassend: Die Kennzeichnung eines Rechtsverhältnisses als organisationsbezogen oder obligatorisch hängt nicht entscheidend davon ab, ob auf der Aktivseite des Rechtsverhältnisses die Gesellschaft oder ein Gesellschafter steht. Maßgeblich ist vielmehr der Inhalt des Rechtsverhältnisses selbst. b) Der vorgetragene Grundgedanke kann auch für das Recht der Kapitalgesellschaften fruchtbar gemacht werden. Die Meinungsvielfalt, die in der Frage nach Treubindungen der Gesellschafter untereinander insoweit besteht (vgl. (4) unter II), dürfte durch die Vorstellung mitbedingt sein, daß die Satzung als Organisationsvertrag keine Rechtswirkung zwischen den Verbandsmitgliedern erzeugen kann. Dem ist nicht beizupflichten. Die Satzung bestimmt nicht nur das Rechtsverhältnis zwischen Verband und Mitglied, sondern auch dasjenige der Mitglieder untereinander 48 . Die Eintragung in das Handelsregister und die damit einhergehende Entstehung der juristischen Person ändern daran entgegen früher verbreiteter Ansicht nichts Grundsätzliches 49 . Sie bewirken, daß die Aktivposition aus der Treubindung von der Vor-AG oder VorGmbH auf die juristische Person übergeht. Daß Treubindungen zwischen den Gesellschaftern deshalb untergehen, ist jedoch nicht tragfähig begründbar. Die Entscheidungen zur materiellen Beschlußkontrolle beweisen das Gegenteil: Die Prüfung, ob strukturändernde Mehrheitsbeschlüsse, vor allem eine Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsapsschluß50, erforderlich und verhältnismäßig sind51, schließt unausgesprochen die Feststellung ein, daß es eine Verpflichtung der Gesellschafter untereinander gibt, die Regelung ihrer Angelegenheiten am Gesellschaftsinteresse und am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszurichten.

B G H W M 1987, 133 = W u B I I E . § 1 1 9 H G B 1.87. B G H LM H G B § 1 4 2 Nr. 10; vgl. auch B G H Z 7 6 ; 352, 357 (GmbH) und B G H W M 1988, 325, 328 f (AG). 48 Scholz/H.Winter, G m b H G , 6 . A u f l . 1978/83, § 2 Rdn.5; Ulmer, in: Hachenburg G m b H G (Rdn.23), § 2 Rdn.4. 49 Schilling, in: Hachenburg G m b H G , 7. Aufl., Bd. II 1975, § 1 3 R d n . 6 f ; zuletzt Hueck, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl. 1988, § 1 3 Rdn.20. 50 B G H Z 7 1 , 40, 43 ff; B G H Z 8 3 , 319, 321 (genehmigtes Kapital); vgl. auch BGH W M 1988, 325, 327re.Sp. 51 Grundlegend dazu Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 35), S. 339 ff; zusammenfassend Hüffer, in: Geßler/Hefermehl (Fn. 22), §243 Rdn. 40 ff. 46

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Weil sich diese Verpflichtung auf die Satzung bezieht, ist sie organisationsrechtlicher Natur. Es muß hier nicht vertieft werden, ob es daneben, wie in der Personengesellschaft, auch schuldrechtliche Rücksichtspflichten geben kann. Durchgreifende Bedenken gegen ihre Bejahung dürften nicht bestehen. Im Ergebnis sind also die Treupflichten zwischen den Gesellschaftern durchgängig als Pflichten vertraglichen Ursprungs anzuerkennen. Wenn darüber in der Sache Einigkeit besteht, wird die terminologische Einkleidung des Resultats nachrangig. Am besten spricht man von Mitgliedspflichten52, weil jede Mitgliedschaft im Gesellschaftsvertrag wurzelt. Wegen der Mehrdeutigkeit des Begriffs weniger empfehlenswert ist dagegen die Eingliederung der Treupflichten in eine Sonderrechtsbeziehung53. IV. Treupflicht als Rechtssatz: Generalklausel 1. Funktion und Inhalt a) Mit der Feststellung, daß die Treupflichten in ihren verschiedenen Varianten sämtlich vertraglichen Ursprungs sind, ist die Frage nach ihrer rechtlichen Begründung erst teilweise beantwortet, und zwar, soweit es um die praktische Rechtsanwendung geht, erst zum kleineren Teil. Wenn man nicht zu bloßen Willensfiktionen Zuflucht nehmen will, muß man einen Schritt weitergehen und die Treupflicht auch als Inhalt eines Rechtssatzes anerkennen54. Dies zunächst in dem unproblematischen Sinne, daß die vertraglich übernommene Pflicht wegen der generellen Geltung von Verträgen zur Rechtspflicht wird. Dies ferner in dem Sinne, daß die Rechtsordnung den Beteiligten vorschreibt, wie sie sich vertragsgemäß zu verhalten haben, und überdies die Rechtsfolgen vertragswidrigen Verhaltens ordnet. Eine derartige rechtliche Begleitung und Unterstützung des Gesellschaftsvertrags ist notwendig, weil seine Regelung nicht bis in alle Einzelfragen des Rechtsverhältnisses vordringt, und die Konsensfähigkeit der Gesellschafter überfordert wird, wenn sie noch zu einer einverständlichen Regelung kommen sollen, nachdem in ihrem Verhältnis bereits Fehlentwicklungen aufgetreten sind. Die Verhältnisse im Gesellschaftsrecht liegen damit allerdings nicht prinzipiell anders als im allgemeinen Vertragsrecht, das etwa den Kaufvertrag der Parteien durch eine subtile Regelung für den Fall von Leistungsstörungen stabilisieren muß.

Ulmer, in: Großkomm. H G B (Fn. 12), §105 Rdn.233. Vgl. bei Fn. 27 und die Nachweise dort. 54 Stimpel, in: Pehle/Stimpel ( F n . l ) , S. 18; Ulmer, in: Großkomm. H G B (Fn. 12), §105 Rdn.233; darin zustimmend Schmiedel, Z H R 1 3 4 (1970), 173, 182. 52 53

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b) Die eigentliche Schwierigkeit der Treupflicht im Gesellschaftsrecht besteht darin, daß das Gesetz die Innenbeziehungen zwischen Gesellschaft und Mitglied und der Mitglieder untereinander nur rudimentär geordnet hat und eine auch nur der Idee nach vollständige Ordnung dieser Beziehungen wegen ihres komplexen Charakters, wegen ihrer Dauer und der damit verbundenen tatsächlichen Veränderungen weder möglich noch wünschenswert erscheint. Der Versuch, den Regelungsbedarf durch einzelne Rechtssätze zu erschöpfen, müßte deshalb fehlschlagen. Erforderlich ist statt dessen zunächst eine Norm, die den Beteiligten und der Judikatur die Richtung vorgibt, die es aber der Rechtsprechung überläßt, die benötigten Einzelrechtssätze durch Konkretisierung selbst zu entwickeln. Das ist die Funktion einer Generalklausel, die durch ihre Richtungsvorgabe Sachnorm, aber zugleich Ermächtigungs- oder Delegationsnorm ist55. Delegationsnorm ist die Generalklausel, weil sie es durch ihren Verzicht auf konkrete Regelung zur Aufgabe der Rechtsprechung macht, die erforderlichen Rechtssätze selbst zu finden. Eine solche Generalklausel läßt sich in verschiedener Weise formulieren. Dem bisherigen Diskussionsstand entspricht etwa folgende Fassung: Die Gesellschafter sind verpflichtet, in Ausübung ihrer im Gesellschaftsinteresse begründeten mitgliedschaftlichen Befugnisse diejenigen Handlungen vorzunehmen, die der Förderung des Gesellschaftszwecks dienen, und zuwiderlaufende Maßnahmen zu unterlassen. Bei der Ausübung eigennütziger Mitgliedsrechte sind die Schranken einzuhalten, die sich aus dem Verbot einer willkürlichen oder unverhältnismäßigen Rechtsausübung ergeben. Auf die mitgliedschaftlichen Interessen anderer Gesellschafter ist angemessen Rücksicht zu nehmen. 2. Die Generalklausel als

Rechtsfortbildungsergebnis

Die vorgeschlagene oder eine sinngleiche Generalklausel ist vom Gesetzgeber nicht normiert worden. Sie entspricht aber einer richterlichen Praxis, die fast bis zur Jahrhundertwende zurückgeht56. Das ist zunächst nur eine Tatsache. Ob sich aus der praktischen Übung auch eine Rechtsnorm entwickelt hat, ist weniger einfach zu beurteilen. Die Frage ist jedenfalls dann zu bejahen57, wenn die Prämissen richterlicher 55 Dazu Rittner, in: Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum des Zivilrichters (= Arbeiten zur Rechtsvergleichung, Heft 24), 1964, S.41; Schmiedel aaO (Fn. 54); Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 132 ff, 145 ff; Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des §242 BGB (Recht und Staat Heft 193/194), 1956, S. 10, 15. Vgl. auch Roth, in: MünchKomm. BGB (Fn.9), §242 Rdn. 113 ff (mit Beispielen). 56 Rechtsprechungsnachweise vor allem in Fn. 4, 6, 13 f, 16, 20, 22, 50. 57 Die Begriindungsalternative liegt in der Annahme einer schon gewohnheitsrechtlichen Bildung, vgl. Ulmer, in: Großkomm. HGB (Fn. 12), §105 Rdn.233a.E.

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Rechtsfortbildung erfüllt sind. Die Entwicklung der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht muß sich also als notwendig erweisen und im gesetzlich normierten Gesellschaftsrecht eine ausreichende Legitimationsbasis finden58. 3. Notwendigkeit

der Generalklausel

Die Frage nach der Notwendigkeit läßt sich weiter aufspalten. Fraglich ist erstens, ob die Generalklausel sachlich erforderlich ist. Die positive Antwort ergibt sich schon aus den Überlegungen zu ihrer Funktion (VI 1 b); sie bedürfen keiner nochmaligen Vertiefung. Zu klären bleibt aber zweitens, ob die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen den sachlichen Erfordernissen nicht schon genügend Rechnung tragen. Das ist die bis heute nicht ausgestandene Frage nach der Tragweite des § 242 BGB oder der mitgliedschaftlichen Förderpflicht des §705 BGB oder eines beide Rechtsgedanken umfassenden differenzierenden Lösungsansatzes (dazu [1] unter II). Weitgehend Einigkeit besteht darin, daß mit der mitgliedschaftlichen Förderpflicht allein nicht auszukommen ist59. Dieser Ansicht ist beizutreten; denn der Gesellschafter hat nicht nur Pflichtrechte, sondern auch eigennützige Rechte, und die Rücksichtspflichten im Verhältnis der Gesellschafter untereinander lassen sich ebenfalls nicht auf die Förderpflicht zurückführen. Wesentlich schwieriger ist die Frage nach der Tragweite des §242 BGB. Dazu muß zunächst festgehalten werden, daß die Diskussion infolge des von Alfred Hueck und Robert Fischer vorgestellten Begründungsansatzes60 nicht glücklich verlaufen ist. Denn das von ihnen postulierte vertrauensgetragene Gemeinschaftsverhältnis war mangels Normqualität für eine rechtssatzmäßige Begründung von vornherein nicht geeignet61 und hätte deshalb dem Prinzip von Treu und Glauben nicht entgegengesetzt werden dürfen. Außerdem liest sich das von Hueck und Fischer zusammengetragene Fallmaterial durchaus so, daß seine Lösung

58 Ulmer, Richterrechtliche Entwicklungen im Gesellschaftsrecht 1971-1985 (Heidelberger Forum Heft 45), 1986, S. 47 ff; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (Fn. 55), S. 257 (Ergebnis). 59 Soergel/Hadding (Fn. 11) §705 Rdn.58; Ulmer, in: MünchKomm. BGB (Fn.32), §705 Rdn. 182; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, Einl. 1984, Rdn. 169; zur Gegenansicht vgl. Fn. 10. 60 Vgl. Rdn. 7 und 8. 61 Zutreffend Hadding, GesRZ1984, 32, 39 (Rechtspflichten entstehen aus Vertrag oder Gesetz, nicht aber aus einem persönlichen Vertrauensverhältnis); Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 44.

Zur gesellschaftsrechtlichen Treupflicht

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auf der Basis des §242 BGB möglich gewesen wäre 62 . Die von mir in anderem Zusammenhang gestellte Frage, ob die Entwicklung, die der Rechtsgedanke des § 242 BGB genommen hat, im Gesellschaftsrecht voll zu Kenntnis genommen worden ist63, möchte ich deshalb verneinen. Ob der gesellschaftsrechtliche Normbedarf von § 242 BGB abgedeckt wird, entscheidet sich letztlich nicht an der (zu bejahenden) Frage nach der pflichtbegründenden Funktion des allgemeinen Prinzips, auch nicht an der etwas vordergründigen Unterscheidung von Haupt- und Nebenpflicht 64 . Maßgeblich ist vielmehr, ob die spezifisch gesellschaftsbezogenen Rechtsfolgen der Treupflichtverletzung in §242 BGB zwanglos Platz finden, und diese Frage kann in wichtigen Bereichen nicht positiv beantwortet werden. Erstens: Die Norm kann nicht erklären, daß und warum Ansprüche aus der Verletzung von Treupflichten nicht den Gesellschaftern, sondern der Gesellschaft zustehen, und das nicht ausnahmsweise, sondern, wie noch darzulegen, prinzipiell und in erster Linie. Zweitens: §242 BGB ist überfordert, soweit Eigenbelange der Organisation auf dem Spiel stehen, die über die Summe der Gesellschafterinteressen hinausweisen. Wenn man anerkennt, daß in der Gesellschaft als Rechtseinrichtung Interessen mitgeschützt werden, die nicht notwendig auch die Interessen der Gesellschafter sind65, also jedenfalls die Belange der Gläubiger, vielleicht auch das Interesse am Bestand lebensfähiger Gesellschaftsunternehmen 66 , bedeutet das den Abschied von der auf den Individualschutz ausgerichteten Norm des §242 BGB. Drittens: Die Pflicht, einer Änderung des Gesellschaftsvertrags gerade in strukturrelevanten Fragen zuzustimmen, kann dem § 242 BGB nicht ohne weiteres entnommen werden, weil damit die von der Norm vorausgesetzte Rechtsbeziehung selbst verändert wird. Das allgemeine Prinzip von Treu und Glauben erweist sich also gerade dann als nicht hinreichend leistungsfähig, wenn es um die für das Gesellschaftsrecht spezifischen organisationsrechtlichen Belange geht. Es ist auch nicht angezeigt, insoweit ersatzweise auf § 705 BGB zurückzugreifen. Zwar kann eingeräumt werden, daß diese Vorschrift

62 Vgl. auch A.Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, §13, der unter der Uberschrift „Treuepflicht" den größeren Teil der Darstellung dem Wettbewerbsverbot (§§112, 113 HGB) widmet. 63 H ü f f e r , in: Geßler/Hefermehl (Fn.22), §243 Rdn.49. 64 Insoweit nicht überzeugend Rob. Fischer, in: Großkomm. HGB (Fn. 8), §105 Anm. 31 a; auch nicht Stimpel, in: Pehle/Stimpel (Fn. 1), S. 18. 65 Verbreitet wird ein derart verstandenes Gesellschaftsinteresse bei personalistisch strukturierten Gesellschaften allerdings abgelehnt (vgl. Z.B.Joost, ZGR1984, 71, 76 ff). Das dürfte, ohne daß die Frage hier vertieft werden kann, nicht gerechtfertigt sein. 66 Skeptisch vor dem Hintergrund der bisherigen Judikatur Ulmer, Richterrechtliche Entwicklungen (Fn. 58), S. 32.

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den sachnäheren Anknüpfungspunkt ergibt67. Sie führt aber wegen ihrer den Vertragstyp nur beschreibenden Funktion 68 letztlich nicht weiter als die vertragliche Begründung der Treupflicht selbst69. 4. Gesetzliche

Ableitung

Die noch verbleibende Frage neh einer gesetzlichen Legitimationsbasis führt zunächst wiederum zu § 242 B G B und zu § 705 BGB. Daß diese Vorschriften der gesellschaftsrechtlichen Prinzipienbildung nicht genügen können, schließt nämlich nicht aus, auf sie als Teilelemente eines weitergreifenden Rechtsgedankens zurückzukommen. Nur ist dieser Ansatz von unnötiger Enge 70 . Die Treupflicht kann sich zusätzlich auf eine Reihe weiterer Rechtsgedanken und Vorschriften stützen. So zunächst auf ihren speziellen gesetzlichen Ausdruck im Wettbewerbsverbot der §§112, 113 H G B . Hinzuweisen ist weiter auf das Prinzip der Gleichbehandlung, das längst vor seiner Verankerung in §53 a AktG anerkannt war71 und dessen funktionale Vergleichbarkeit mit der Treupflicht auch diejenigen anerkennen, die dem Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung eine selbständige Bedeutung beimessen72, sowie auf das Verbot unzulässiger Verfolgung von Sondervorteilen in §243 Abs. 2 AktG 73 , schließlich auf die offene Formulierung des Anfechtungstatbestands in §243 Abs. 1 AktG; denn die dort angesprochene Gesetzesverletzung hat stets den Verstoß gegen Generalklauseln eingeschlossen74. Die Reihe ließe sich noch fortsetzen. Die gesellschaftsrechtliche Treupflicht, so bleibt festzuhalten, ist die gedankliche und sprachliche Zusammenfassung im Gesetz vorhandener Teilelemente. Damit ist nicht eine bloße Addition gemeint, sondern eine So Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 14. Zur erläuternden Funktion des §705 B G B (und der anderen Spitzenvorschriften des besonderen Vertragsrechts) vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 248. 69 An dieser Stelle wäre die Paraphrasen-Kritik von Flume, Die Personengesellschaft (Fn. 19), § 151 (S.261) gerechtfertigt. 70 Ähnlich K.Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn.27), § 2 0 I V 2 d ) . 71 B G H Z 3 3 , 175, 186; B G H Z 4 4 , 245, 256; Hüffer, NJW1979, 1065, 1068; Lutter, in: Festschrift für Ferid, 1978, S.599, 605 ff. 72 Hueck, in: Baumbach/Hueck (Fn. 49), § 13 Rdn. 35; für Gleichbehandlung als Unterfall der Treupflicht z . B . Meyer-Landrut, in: Meyer-Landrut/Miller/Niehus, G m b H G , 1987, §14 Rdn. 18; dagegen nicht mehr (anders Vorauflage) Fischer/Lutter/ Hommelhoff, Komm. G m b H G , 12. Aufl. 1987, § 14 Rdn. 14. 73 B G H Z 7 6 , 352, 357; B G H WM 1988, 325, 328 f; Hüffer, in: Geßler/Hefermehl (Fn.22), §243 Rdn. 112; Schilling, in: Großkomm. AktG, 3.Aufl., Bd.III 1973, §243 Anm. 21; Zöllner, in: Kölner Komm, zum AktG, 1970, §243 Rdn. 241. 74 Hüffer, in: Geßler/Hefermehl (Fn.22), §243 Rdn. 14 f; Schilling, in: Großkomm. AktG (Fn. 73), §243 Anm. 18 f; Zöllner, in: Kölner Komm, zum AktG, §243 Rdn. 69ff. 67 68

Zur gesellschaftsrechtlichen Treupflicht

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Verknüpfung und Fortführung von Einzelregelungen, die am Ende ein neues Prinzip ergeben. V. Treupflicht als Rechtssatz: Zur Bildung von Einzelnormen 1.

Grundlagen

Akzeptiert man die gesellschaftsrechtliche Treupflicht als Generalklausel des Richterrechts, so bleibt die Aufgabe, aus der Klausel Einzelnormen mit Tatbestand und Rechtsfolge zu entwickeln, die zur Entscheidung der verschiedenen Konfliktlagen geeignet sind. Wenn man den bisher besprochenen Vorgang, also die Entwicklung der Generalklausel aus den Teilelementen des Gesetzes, als Rechtsfortbildung erster Stufe bezeichnen will, wird mit ihrer Konkretisierung die Rechtsfortbildung zweiter Stufe erreicht. Soweit es um die Legitimität der Rechtsfortbildung geht, befindet sich die Judikatur hier auf ebenso gesichertem Boden wie bei der Konkretisierung der allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln. Insoweit kann man zwar streiten, ob dieser oder jener Satz des Richterrechts gelungen ist; aber die Kompetenz der Gerichte steht außerhalb ernsthaften Zweifels75. 2. Doppelzweck

der

Treupflicht

a) Weil die gesellschaftsrechtliche Treupflicht den Inhalt eines Rechtssatzes bildet, muß eine rational nachvollziehbare Konkretisierung von dem Zweck ausgehen, der dem Rechtssatz in seiner Bedeutung als Sachnorm zukommt. Wer den Diskussionsstand unter diesem Gesichtspunkt aufarbeitet, stößt zunächst wiederum auf die zitierten Äußerungen von Hueck und Fischer™. Sie haben ihre Aussage zum Gemeinschaftsverhältnis zwischen den Gesellschaftern, das vom gegenseitigen Vertrauen getragen sei, zwar als Aussage zum Geltungsgrund der Treupflicht formuliert und haben damit eine Position eingenommen, die so nicht überzeugen kann. Als Auskunft über den Zweck der Generalklausel enthält ihre Annahme jedoch einen richtigen Kern; denn so verstanden zielt sie darauf ab, die Treupflicht aus dem Zweck des Vertrauensschutzes sachlich zu rechtfertigen77.

75 Latenz, Methodenlehre (Fn.68), S. 276 ff; ders., NJW1965, l f ; F. Müller, in: Festschrift der Jur. Fakultät Heidelberg, 1986, S. 65, 68 ff (Ergebnis: S. 83); Himer, Richterrechtliche Entwicklungen (Fn. 58), S. 33. 76 Siehe Fn. 7 und 8. 77 In diesem Sinne, also als Angabe des Sachgrundes oder Zwecks, dürften auch BGHZ65, 15, 18 f (Fn.20) und BGH WM 1988, 325, 328 Ii. Sp. zu verstehen sein.

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U w e Hüffer

Einen anderen, in seiner Tragweite zunächst vielleicht nicht voll erkannten Aspekt hat Wolf gang Zöllner schon 1963 aufgezeigt78. Danach geht es bei der Treupflicht um das rechtliche Gegengewicht für die gesteigerten Einwirkungsmöglichkeiten, die Gesellschafter infolge ihrer Mitgliedsposition erlangen. Die Treupflicht wird also als Inbegriff von Verhaltensschranken verstanden. Folgt man diesem Ansatz, so kann man den Zweck der Treupflicht als Einwirkungskontrolle schlagwortartig charakterisieren. Dieser Gesichtspunkt hat in Rechtsprechung79 und Schrifttum80 in jüngerer Zeit zunehmend Bedeutung erlangt, ohne daß es bisher voll gelungen wäre, sein Verhältnis zur Hueck/Fischer-Formel zu definieren. b) Mit den Stichworten Einwirkungskontrolle und Vertrauensschutz sind die Zwecke der als Rechtssatz verstandenen Treupflicht richtig bezeichnet. Es gibt also nicht einen einzigen Zweck der Treupflicht, sondern einen doppelten Zweck. Nicht erforderlich ist aber, daß der Bruch einer Vertrauensbeziehung und der mißbräuchliche Gebrauch von Einwirkungsmöglichkeiten zusammentreffen, um Treupflichten zu aktualisieren. Ein solches Zusammentreffen ist zwar möglich, etwa dann, wenn der geschäftsführende Gesellschafter das Gesellschaftsunternehmen seines Vorteils wegen gezielt schädigt und gerade dadurch die Vertrauensbasis unter den Gesellschaftern zerstört81. Beide Aspekte haben aber auch isolierte Bedeutung. So kann sich der in der Einwirkungskontrolle liegende Zweck allein bewähren, wenn zwischen den Gesellschaftern nach der tatsächlichen Struktur des Verbands kein Vertrauensverhältnis besteht oder eine derartige Beziehung verlorengegangen ist82. Umgekehrt darf in der Verletzung von Rücksichtspflichten auch dann ein treuwidriges Verhalten gefunden werden, wenn damit keine nachteilige Einwirkung auf das Gesellschaftsunternehmen oder die Mitgliedsrechte anderer Gesellschafter verbunden ist. Für den Zweck der Einwirkungskontrolle ist noch die Frage nach dem Einwirkungsgegenstand zu beantworten. Einwirkungsgegenstand kann sowohl das Gesellschaftsunternehmen wie auch das Mitgliedschaftsrecht der anderen Gesellschafter sein. Dieser Aspekt hat also für die Treu-

Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 35), S. 339 ff. Vgl. die Nachweise in Fn. 77 und insbesondere die Entscheidungen zur Beschlußkontrolle seit B G H Z 7 1 , 40, 43 ff (zusammengestellt in B G H W M 1988, 325, 3 2 7 r e . Sp.). 78

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Zuletzt Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 16 ff und passim. Beispiele: B G H Z 3 1 , 295, 303 f; B G H N J W 1 9 8 6 , 584. 82 Auf den nicht selten fiktiven Charakter des Vertrauensverhältnisses zwischen den Gesellschaftern weist schon Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 35), S. 341, hin. 80

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Zur gesellschaftsrechtlichen Treupflicht

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pflicht zur Gesellschaft ebenso Bedeutung wie für die Treupflichten der Gesellschafter untereinander. Sein Anwendungsbereich ist damit erheblich breiter als der des Vertrauensschutzes 83 , weil ein vertrauensbezogenes Gemeinschaftsverhältnis nur unter den Gesellschaftern bestehen kann, soweit es überhaupt vorhanden ist. 3. Folgerungen aus dem Doppelzweck der Treupflicht: rechtsformiibergreifende Fragen a ) Welche rechtlichen Folgerungen sich für die Konkretisierung der Treupflicht aus ihrem Doppelzweck ableiten lassen, soll wenigstens exemplarisch aufgezeigt werden. Der zweckorientierte Ansatz erweist sich zunächst als fruchtbar, soweit es um den Anwendungsbereich der Treupflicht geht. Insoweit machen seit jeher die Kapitalgesellschaften Schwierigkeiten. So konnte der BGH den Bestand von Treupflichten zwischen den Aktionären erst in seiner Entscheidung vom 1.2.1988 anerkennen 84 , und zwar, wie schon in der ITT-Entscheidung 85 , mit dem für die Urteilsfindung nicht unbedingt relevanten Hinweis, daß die organisatorische Ausgestaltung der AG derjenigen einer Personengesellschaft nahekommen könne86. Wenn man den Doppelzweck der Treupflicht anerkennt, ergibt sich das zutreffende Ergebnis zwanglos aus einer funktionalen Bestimmung ihres Anwendungsbereichs. Das bedeutet: Treupflichten sind rechtsformübergreifend anzuerkennen, soweit die Mitgliedschaft in der Gesellschaft kontrollbedürftige Einwirkungsmöglichkeiten 87 begründet oder soweit nach der Realstruktur der Gesellschaft eine schutzbedürftige Vertrauensbeziehung besteht. In den Kapitalgesellschaften steht die Einwirkungskontrolle im Vordergrund. Die bislang entschiedenen aktienrechtlichen Fälle betreffen die Einwirkung auf die Mitgliedschaft, etwa ihre Verwässerung durch Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluß 88 ; es geht also um die Treupflicht der Aktionäre in ihrem Verhältnis zueinander. Ihre Anerkennung erlaubt es namentlich, die vom BGH praktizierte Beschlußkontrolle nach den Maßstäben der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit dogmatisch einzuordnen. Auch der von mir an 83 Deutlich für den Vorrang der Einwirkungskontrolle deshalb Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 16 ff. 84 BGH WM 1988, 325, 328. 85 BGHZ65, 15, 18 f (Fn.20). 86 Kritisch insoweit zur ITT-Entscheidung auch Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 44 f. 87 Allgemein zur funktionalen Methode Brem, in: St. Galler Festgabe zum Schweiz. Juristentag 1981, S. 87; Jahr, Schriften des Vereins für Socialpolitik n. F. Bd. 33 (1964), 14. 88 BGHZ71, 40, 43 ff; BGHZ83, 319, 321 (genehmigtes Kapital).

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Uwe Hüffer

anderer Stelle eingeführte Gedanke des institutionellen Rechtsmißbrauchs89 findet hier den richtigen Standort. Kontrollbedürftige Einwirkungen auf das Gesellschaftsunternehmen sind dagegen, von Konzernverhältnissen abgesehen, ein Problem der GmbH 90 . Das hat seinen Grund in der Weisungsabhängigkeit des Geschäftsführers (§§37 Abs. 1, 45 GmbHG), also in der divergierenden rechtlichen Ausgestaltung der Innenbeziehungen der beiden Kapitalgesellschaften. b) Als weiterführend erweist sich die am Doppelzweck der Treupflicht orientierte Betrachtung auch, soweit es um die Subjekte der Treubindungen geht, genauer: um die Rolle der Gesellschaft als Inhaberin von Ansprüchen aus der Verletzung von Treupflichten. Daß die Gesellschaft selbst Trägerin solcher Ansprüche ist, und zwar ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, wenn die nachteiligen Auswirkungen von Treupflichtverletzungen das Gesellschaftsunternehmen treffen91, ist mit der Denkvorstellung eines zwischen den Gesellschaftern bestehenden Gemeinschaftsverhältnisses nicht gut erklärbar. Dagegen trägt der Gedanke der Einwirkungskontrolle das notwendige Resultat. Etwa die OHG als die Berechtigte anzusehen, wenn Gesellschafter ihre Einwirkungsmöglichkeiten zum Nachteil des Vermögens der OHG nutzen, ist nur folgerichtig. Das gilt namentlich für Ansprüche aus der treuwidrigen Ausnutzung von Geschäftschancen für Privatzwecke 92 , aber auch für Forderungen wegen der schädlichen Auswirkungen eines treuwidrigen Widerspruchs gegen Geschäftsführungsmaßnahmen und findet schließlich in der speziellen Regelung des § 113 Abs. 1 HGB eine Bestätigung; danach stehen nämlich die aus einer Verletzung des Wettbewerbsverbots folgenden Ansprüche der Gesellschaft und nicht den Gesellschaftern zu. 4. Folgerungen aus dem Doppelzweck der Treupflicht: Vertragsänderungen bei Personengesellschaften a ) Die Lehre vom Doppelzweck bewährt sich nicht nur in der großen Linie rechtsformübergreifender Fragen, sondern auch im Detail. Das zu dokumentieren, eignen sich die nicht einfachen Probleme der Vertragsänderungen im Personengesellschaftsrecht am besten. Insoweit ist, wie schon eingangs betont, zunächst eine Pflicht widerstrebender GesellH ü f f e r , in: Geßler/Hefermehl (Fn.22), §243 Rdn.50. Eingehend Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 99 ff. 91 BGH NJW1987, 1637f (AG); BGH NJW1985, 1900 (Publikums-KG); zur GmbH vgl. Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 3), S. 86 ff, 306 ff mit Analyse der anders konzipierten ITT-Entscheidung auf S. 308 f; zur OHG Ulmer, in: Großkomm. HGB (Fn. 12), § 105 Rdn. 215, 251. Vgl. z.B. BGH NJW1986, 584f. 89

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schafter anerkannt, Vertragsänderungen in Ausnahmefällen zuzustimmen (vgl. [3.] unter II). Der Doppelzweck der Treupflicht erlaubt es, diese Fallgruppe weiter zu strukturieren. aa) Eine Untergruppe für sich bilden die Sachverhalte, in denen der Gesellschafter durch seine Weigerung, einer Vertragsänderung zuzustimmen, den gegenwärtigen oder künftigen Bestand des Gesellschaftsunternehmens in Frage gestellt, ohne sich dabei von hinreichend schutzwürdigen Eigeninteressen leiten zu lassen. Hierher gehört aus der jüngeren Rechtsprechung z.B. der Fall, daß der Gesellschaftsvertrag den Gesellschaftern Zinsen zusagt, die das Gesellschaftsunternehmen in der versprochenen Höhe nicht erwirtschaften und nicht verkraften kann93. Fälle dieses Typs sind strukturell dem treuwidrigen Widerspruch gegen Geschäftsführungsmaßnahmen vergleichbar; hier wie dort zeigt sich nämlich, daß auch durch das Unterlassen bestimmter Maßnahmen auf die Gesellschaft und ihr Unternehmen treuwidrig eingewirkt werden kann. bb) In eine zweite Untergruppe gehören die Fälle, in denen ein Gesellschafter untragbar geworden ist und deshalb aus der Gesellschaft ausgeschlossen oder jedenfalls von der Geschäftsführung entbunden werden soll94. Die Verpflichtung widerstrebender Gesellschafter, den jeweils geeigneten Maßnahmen zuzustimmen, ist hier auf den Zusammenbruch der Vertrauensbasis zurückzuführen. Es geht also primär um den Schutz der noch verbleibenden intakten Gemeinschaft. Zugleich zeigt sich, daß die beiden Funktionen der Treupflicht nicht als Gegensätze gedacht werden dürfen; denn vielfach, wenngleich nicht notwendig, ist die Vertrauensbasis gerade deshalb verlorengegangen, weil ein Gesellschafter zuvor die Förderung seines privaten Nutzens für wichtiger gehalten hat als die des gemeinsamen Zwecks. b) Das Thema Vertragsänderung und Treupflicht steht schließlich auch umgekehrt zur Diskussion, nämlich, ähnlich wie im Recht der Kapitalgesellschaften, bei der inhaltlichen Kontrolle vertragsändernder Mehrheitsbeschlüsse. Dabei handelt es sich um jene Sachverhalte, denen die bisherige Rechtsprechung mit dem sog. gesellschaftsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz beikommen will oder wollte95. Das bedeutet: " B G H WM 1985, 195 = W u B I I G . §§109, 119 H G B 1.85 (Pohle); B G H WM 1985, 256 = W u B I I F . §§119, 161 H G B 1.85 (Hüffer). B G H Z 3 1 , 295, 303 f; B G H NJW1986, 584. 95 Ständige Rechtsprechung des R G und B G H seit R G Z 9 1 , 166, 168; einschränkend, aber unter weitergehender Berücksichtigung der Treupflicht, die jüngeren Entscheidungen: B G H Z 7 1 , 53, 58 f; B G H Z 8 5 , 350, 355 ff; B G H NJW-RR1987, 285 f; vgl. die Ubersicht bei Brändel, in: Festschrift für Stimpel, 1985, S. 95 ff.

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Uwe Hiiffer

Gesellschaftsvertragliche Klauseln, nach denen eine Vertragsänderung durch Mehrheitsbeschluß erfolgen kann, werden zwar als gültig angesehen, aber einschränkend ausgelegt. Das gewünschte Ergebnis ist, daß die zwischen den Parteien streitige Vertragsänderung, etwa eine Beitragserhöhung, von der Mehrheitsklausel nicht gedeckt wird und deshalb ohne die Zustimmung des betroffenen Gesellschafters nicht wirksam ist. Inzwischen setzt sich im Schrifttum zu Recht die Ansicht durch, daß dieses Konzept weder hinreichend effizient noch dogmatisch fundiert ist und daher durch eine Beschlußkontrolle nach dem Vorbild der Kali+ Salz-Entscheidung96 abgelöst, jedenfalls aber ergänzt werden muß97. Wenn der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaft mehrheitliche Änderungen zuläßt, unterwirft er damit die Mitgliedschaft der Minderheit der Einwirkung durch die Mehrheit. Dieses Einwirkungsrecht bedarf der inhaltlichen Beschränkung durch die Treupflicht. VI. Fazit Zusammenfassend ergibt sich: Die Treupflicht ist in ihren sämtlichen Varianten eine Pflicht vertraglichen Ursprungs. Sie ist zugleich Inhalt eines Rechtssatzes, und zwar zunächst in Gestalt einer Generalklausel, die ihre Entstehung richterlicher Rechtsfortbildung verdankt; deren Basis liegt wiederum in der Summe einschlägiger Vorschriften und Grundsätze einschließlich des Gleichbehandlungsgebots. Die Generalklausel legitimiert ihrerseits die Bildung von Einzelnormen durch Konkretisierung. Die Einzelnormen sind an den Zwecken der Treupflicht auszurichten. Sie dient einem Doppelzweck, nämlich der Einwirkungskontrolle und dem Vertrauensschutz. Entgegen den ursprünglichen Vorstellungen über die Treupflicht geht es meistens um die Einwirkungskontrolle. Die am Doppelzweck der Treupflicht orientierte Betrachtung erlaubt namentlich die rechtsformübergreifende Bestimmung ihres Anwendungsbereichs. Nur sie läßt es ferner zu, auch und gerade die Gesellschaft als Subjekt von Treubindungen anzusehen. Im Recht der Personengesellschaften bewährt sich die Annahme eines Doppelzwecks namentlich, aber nicht nur, wenn es um die Änderung der Vertragsgrundlage geht.

B G H Z 7 1 , 40, 43 ff. Vgl. schon Hüffer, ZHR151 (1987), 396, 407 m . w . N . in Fn. 72; seither zur O H G Ulmer, in: Großkomm. H G B (Fn. 12), §109 Rdn.41ff; zur G m b H Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn.3), S. 135 ff. 96

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Abhängige Aktiengesellschaften aus rechtspolitischer Sicht Eine Skizze H A N S - G E O R G KOPPENSTEINER

I. Einführung 1. Die amtlichen Materialien zum deutschen Aktiengesetz von 1965 haben die Einführung einer Konzerngesetzgebung folgendermaßen begründet1. Leitbild tradierter aktienrechtlicher Regelungen seien Gesellschaften mit weitgestreutem Aktienbesitz. Dieses Leitbild sei rechtstatsächlich überholt. Heute habe man es überwiegend mit Gesellschaften zu tun, auf deren Geschicke ein Großaktionär, zumeist ein anderes Unternehmen, maßgebenden Einfluß ausübe und deren Geschäftsführung auf die Interessen dieses anderen Unternehmens ausgerichtet sei2. In diesen Gesellschaften bestimme der Aufsichtsrat überwiegend aus Vertrauensleuten der Konzernleitung oder des Großaktionärs zusammengesetzt - , statt zu überwachen, die Grundlinien der Geschäftsführung, und der Vorstand befolge, statt die Gesellschaft eigenverantwortlich zu leiten, Weisungen von einer Stelle außerhalb der Gesellschaft, die gesellschaftsrechtlich keine Verantwortung trage. Die Minderheitsaktionäre seien dann nicht in der Lage, eine nur den Interessen des Großaktionärs oder Konzerninteressen dienende Geschäftsführung und Gewinnverwendung nachhaltig zu verhindern. Den Gläubigern drohe die Gefahr, daß das ihnen haftende Vermögen der Gesellschaft zugunsten des herrschenden Unternehmens geschmälert, daß die Substanz der abhängigen Gesellschaft ausgehöhlt werde. Kein Gesichtspunkt der Rechts- und Wirtschaftsordnung gestatte es, den Vermögensinteressen eines Konzerns nur deswegen den Vorzug einzuräumen, weil sie quantitativ größer seien.

Vgl. Kropff, Aktiengesetz, 1965, 373 f. Dazu die statistischen Untersuchungen bei Ordelheide, BFuP 1986, 393 ff. Er stellt fest, „daß die Aktiengesellschaft als autonome Unternehmung . . . bei uns weitgehend der Vergangenheit angehört" und daß mindestens 4 0 % der G m b H mit 9 0 % des Kapitals konzernverbunden sind. 1

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Hans-Georg Koppensteiner

Diese Begründung halte ich auch heute noch für überzeugend. Sie kehrt in ganz ähnlicher Form in den Erläuterungen des Vorentwurfs einer Richtlinie zur Angleichung des Konzerngesellschaftsrechts wieder3. Hinzuzufügen sind zwei miteinander verschränkte Gesichtspunkte gesamtwirtschaftlicher Natur. Wie das Vorkommen von Paketzuschlägen im Aktienhandel lehrt, ist die einzelne Aktie als Bestandteil einer Schachtel- oder sogar einer Mehrheitsbeteiligung mehr wert als dieselbe Aktie in der Hand eines kleinen Aktionärs. Diese Situation begünstigt das Wandern kleiner Beteiligungen zu schon vorhandenen größeren und insofern die Konzentration. Volkswirtschaftlich positiv bewertet werden können solche Vorgänge aber allenfalls dann, wenn die Konzentrationskosten dem Zuwachs an unternehmerischem Potential äquivalent sind. Denn andernfalls würde internes gegenüber externem Wachstum diskriminiert und gleichzeitig die Verschlechterung von Marktstrukturen begünstigt. Daraus resultiert die rechtspolitisch heute kaum mehr umstrittene Forderung nach der Konzentrationsneutralität gesellschaftsrechtlicher Regelungen 4 . Konzernrechtliche Regelungen, die dafür sorgen, daß Minderheitsinteressen proportional ebenso geschützt werden wie solche der Mehrheit, daß Gläubigerinteressen in adäquater Weise Rechnung getragen wird, empfehlen sich somit nicht nur aus der Perspektive dieser Personengruppen, sondern auch aus Gründen der Gesamtwirtschaft. Letzteres gilt auch deshalb, weil die Diskriminierung der außenstehenden Anteilseigner auf eine suboptimale Allokation von Ressourcen hinausläuft, die der Konzernleitung Investitionen oder die Fortsetzung von Aktivitäten ermöglicht, die unter Marktbedingungen nicht stattfinden würden 5 . Unmittelbarer Anlaß der vorliegenden Überlegungen sind die unter den Regierungsparteien konzertierten Planungen für die Einführung eines österreichischen Konzernrechts 6 . Mit den Vorarbeiten ist eine Kommission beim Bundesministerium für Justiz beauftragt, deren Mitglied ich bin. Wie bei anderen Gesetzgebungsvorhaben auch spielt dabei schon existierendes deutsches Recht, wenn vielleich auch nur als verbesserungsbedürftiges Rohmaterial, eine erhebliche Rolle. Schon jetzt steht allerdings fest, daß eine Regelung in Anlehnung an die §§311 ff AktG in Osterreich wohl nicht rezipiert werden wird. Das hängt sicher damit 3 Vgl. EWG-Dokument III/1639/84 - DE 2,58 (im folgenden zitiert als „Konzernrichtlinie"). Der Vorschlag ist abgedruckt in ZGR 1985, 446 ff. Zu den Gründen gesetzgeberischer Zurückhaltung in den anderen Mitgliedstaaten der EG vgl. Lutter, ZGR 1987, 324, 340 ff. 4 Dazu zuletzt Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht und Konzentration, 1988, 7ff, 16£f. 5 Vgl. Kirchner, ZGR 1985, 214, 232. 6 Dazu Krejci, Empfiehlt sich die Einführung neuer Unternehmensformen?, Verhandlungen des 10. Osterreichischen Juristentages, Gutachten, 1988, 243 f; Nachweise bei Yanis, GesRZ 1987, 131.

Abhängige Aktiengesellschaften aus rechtspolitischer Sicht

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zusammen, daß diese Bestimmungen auch in Deutschland zunehmend als mißlungen eingeschätzt werden 7 . Von daher ist das folgende auch als Beitrag zur deutschen Reformdiskussion zu verstehen. Auf europäischer Ebene sind die konzernrechtlichen Arbeiten infolge eines fehlenden Grundkonsenses der Mitgliedstaaten ins Stocken geraten. So wird die Konzernrichtlinie, die noch das Weißbuch als Bestandteil des Programms zur Vollendung des Binnenmarktes erwähnt hatte 8 , derzeit nicht weiter verfolgt. Das wiederbelebte Projekt einer Europäischen Aktiengesellschaft 9 enthält im Unterschied zu früheren Entwürfen keine materiellkonzernrechtlichen Bestimmungen mehr, sondern begnügt sich mit einer Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten. Ob das aber auf die Dauer so bleiben wird, ist schon mit Rücksicht auf die konzernrechtlichen Bemühungen der Wissenschaft in wichtigen Mitgliedstaaten 10 nicht so sicher. Vielleicht können die hier vorgelegten Untersuchungen also auch auf dieser Ebene etwas Nützliches leisten. Steindorff hat immer wieder die gestaltende Aufgabe des Rechts betont 11 . Das dahinter stehende rechtspolitische Engagement ist evident. So hoffe ich, daß das folgende ihn interessieren kann. Ohne Steindorff wäre als Wissenschaftler nichts aus mir geworden. Seit jetzt fast 30 Jahren fühle ich mich ihm in großer Dankbarkeit verbunden. 2. Von der rechtstatsächlichen Seite her ist der Entwurf eines Regelungsgebäudes für aktienrechtlich relevante Uber-Unterordnungsverhältnisse von vornherein mit der Schwierigkeit belastet, daß die in Betracht zu ziehenden Sachverhalte ganz verschieden beschaffen sein können. So macht es zunächst einen erheblichen Unterschied, ob eine Unternehmensverbindung durch Erwerb eines Mehrheitspakets oder durch Aus-

7 Vgl. nur Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980, 705 f, 710; Kölner Kommentar - Koppensteiner, 2. Aufl., Vorb §311 Rdn. 17 ff, § 3 1 1 Rdn. 49 ff, jeweils m. w. N. 8 Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den europäischen Rat, 1985, Rdn. 144. 9 In alter Fassung abgedruckt bei Lutter, Europäisches Gesellschaftsrecht, 1979, 278 ff, im folgenden zitiert als SE-Statut; neueste Version in Memorandum der Kommission, Bulletin der EG, Beilage 3/88 (vgl. Kohlhepp, RIW 1989, 88). 10 Dazu der Sammelband von Hopt (Hrsg.), Groups of Companies in European Laws, 1982; ferner etwa Druey, ZSR 1980 II, 279, 280 ff; Lutter (Fn.3), 326 f mit zahlreichen w. N.; rechtsvergleichendes Material für den Bereich der EWG auch bei Koppensteiner (Fn.7), Vorb §291 Rdn. 49. 11 Vgl. etwa Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1985, 5: Recht sei zwar durch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedingt, habe diese aber nicht nur zu bestätigen, sondern zu gestalten. Die hier behandelte Frage ist wegen ihrer Bedeutung für die Allokation von Ressourcen und ihrer konzentrationspolitischen Aspekte übrigens eine „wirtschaftsrechtliche" i. S. von Steindorff.

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Hans-Georg Koppensteiner

gliederung eines Unternehmensteils in eine neu gegründete Gesellschaft entsteht 12 . Damit hängt zusammen das Vorkommen abhängiger Gesellschaften mit ganz verschiedener Mitgliederstruktur: Einmanngesellschaften, Gesellschaften mit einem beherrschenden Aktionär bei im übrigen weiter Streuung des Aktienbesitzes, Familiengesellschaften, Gemeinschaftsunternehmen. Auch der Grad der Zentralisierung von Entscheidungen in der Unternehmensverbindung ist äußerst abgestuft, von der beteiligungsverwaltenden Holding bis hin zu einem Konzern, in dem die Tochter Vorprodukte für das Mutterunternehmen herstellt oder in dessen Spartenorganisation eingegliedert ist13. Dabei ist zu beachten, daß es sich bei Zentralisierung und Dezentralisierung um dynamische Größen handelt, die sich im Zeitablauf verändern können. 3. Die Abgrenzung des Untersuchungsfeldes muß schon mit Rücksicht auf die räumlichen Möglichkeiten relativ eng ausfallen. Zunächst kann ich mich nur mit der Aktiengesellschaft befassen. Zwar besteht in Osterreich praktisch Einigkeit darüber, daß sich die kommende Konzerngesetzgebung auf die GmbH zu erstrecken hat 14 . Dabei geht die Tendenz sogar dahin, „allgemeine" Regelungen zu entwickeln 15 . Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit, in einer vorgelagerten Stufe zunächst einmal für die einzelnen Gesellschaftsformen zu untersuchen, wie einschlägige Regelungen aussehen könnten, und erst alsdann zu prüfen, was davon verallgemeinerungsfähig ist. Weitere Fragen, die hier nicht behandelt werden können, betreffen die Einbettung eines Schutzrechts für abhängige Gesellschaften in ein (viel weiter zu spannendes) Gesellschaftsrecht der verbundenen Unternehmen 16 , take-over-bids 17 , sowie die Probleme, die mit der Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung 12 Zu den Entstehungsmodalitäten einer Über-Unterordnungsverbindung vgl. Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988, 41; zu ihren Gründen, d.h. den Vorzügen der Unternehmensverbindung gegenüber dem Einheitsunternehmen etwa Lutter in Druey (Hrsg.), Das St. Galler Konzerngespräch, 1988, 225, 227 f; Kirchner (Fn. 5), 222 ff in Anlehnung an Pausenberger; Schneider, BB 1986, 1993. 13 Zur „Realstruktur der Konzerne" Wiedemann (Fn. 12), 11 ff; zur Spartenorganisation im Konzern Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 868 ff; Schwark, ZHR 142 (1978), 203, 225 ff; Huber, ZHR 152 (1988), 123, 156 ff; betriebswirtschaftliche Typisierungsbemühungen etwa bei Schef fier, DB 1985, 205 ff; Bleicher in Druey (Fn. 12), 55 ff; Zünd, ebenda, 78 ff. Vgl. auch Tbeisen, DBW 1988, 3 ff. 14 V^.Krejci (Fn.6),402f; Dorait, Zur Entwicklung eines österreichischen Konzernrechts, (noch) unveröffentlichtes Referat für den Osterreichischen Juristentag 1988, 3 f. 15 Dazu auch Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 865 ff. 16 Dazu Kropff (Fn. 1), 26ff; de lege ferenda K.Schmidt, (noch) unveröffentlichtes Referat für den 10. Osterreichischen Juristentag 1988, 25 ff. 17 Dazu etwa Immenga, Company Systems and Affiliation, International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XIII, Chapt. 7, 1985, 15 ff; Zäch (Hrsg.), Corporate Acquisitions and Takeovers in the USA, 1987; Schmitthoff /Goré/Heinsius, Übernahmeangebote im Aktienrecht, 1976; Behrens, ZGR 1975,433 ff; nach den Planungen für ein neues Österreich!-

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zusammenhängen 18 . Auszuklammern ist auch die Frage nach der konzerndimensionalen Ausweitung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer 19 . Dasselbe gilt hinsichtlich der Probleme, die Beteiligungsnahme, Ausgliederung und Konzernbildung auf der Ebene der Obergesellschaft aufwerfen 20 . Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieser Fragen fehlt auch im deutschen Recht. Es ist zweifelhaft, ob der derzeitige Diskussionsstand eine Kodifikation der Materie auf genügend verläßlicher Basis schon erlaubt. Schließlich beschäftigt sich der vorliegende Beitrag nur mit Uber-Unterordnungsbeziehungen auf nicht vertraglicher Grundlage, verzichtet also auf eine Erörterung der mit Unternehmensverträgen zusammenhängenden Reformprobleme 21 . Diese letzte Einschränkung ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn entgegen den Vorschlägen des SE-Statutes in seiner ursprünglichen Fassung und auch eines schweizerischen Gesetzesentwurfes 22 an der derzeitigen Gliederung des deutschen Konzernrechts festgehalten wird. Das ist zu empfehlen. Die Ablehnung dieser Unterscheidung im Ausland hängt mit dort anderen gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Gegebenheiten zusammen 23 . In Deutschland und Osterreich sind Unternehmensverträge demgegenüber von sehr erheblicher steuerrechtlicher Bedeutung und auch im Gesellschaftsrecht fest verankert. Die Konzernrichtlinie hat denn auch auf die sog. „organische Konzernverfassung" zugunsten der im deutschen Recht entwickelten Unterscheidung verzichtet. Hinzu kommt, daß eine Einheitslösung als Anknüpfungsbegriff wohl nur den des Konzerns verwenden könnte. Der Konzernbegriff ist de lege lata aber heftig umstritten; außerdem wird es wohl nicht gelingen, worauf zurückzukommen sein wird, ihn anwendungssicher zu definieren. Für sämtliche Beteiligte würde die Anwendung von Konzernrecht deshalb mit Unsicherheiten eines Ausmaßes belastet, das nicht tolerierbar erscheint. Ferner: Auch wenn kein Konzern, sondern bloße Abhängigkeit vorliegt, drohen Minderheitsaktionären und Gläubigern Gefahren, die in der unabhängigen Gesellschaft nicht gegeben sind. Auch in diesem Kontext sind daher besondere Regelungen konzernrechtlicher Natur erforderlich. Selbst wenn man also den vorher ange-

sches Börsegesetz (Salzburger Nachrichten vom 24.6.1989, 14) müssen sich öffentliche Ubernahmeangebote auf alle Aktionäre erstrecken. 18 Auch dazu Immenga, aaO, 25 ff; ferner etwa Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, 450 ff m.w.N. " Sie ist in Osterreich noch unterentwickelt; vgl. Krejci (Fn. 6), 235. 20 Dazu zusammenfassend Koppensteiner (Fn.7), Vorb §291 Rdn. 17ff. Monographisch Ebenroth, Konzernbildungs- und Konzernleitungskontrolle, 1987. 21 Sie werden an anderer Stelle erörtert. Vgl. FS Ostheim, 1990. 22 Vgl. Ruedin, SAG 1982, 99, 111 ff. 23 Dazu Gäbelein, GmbH Rdsch. 1988, 384, 385.

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führten Gesichtspunkt vernachlässigen wollte, wäre es immer noch höchst unzweckmäßig, das ganze Konzernrecht nur um einen Tatbestand herumzugruppieren. Im Einklang mit der Konzernrichtlinie sollte daher an differenzierten Ansätzen festgehalten werden24. 4. Überlegungen zum Inhalt einer Regelung für „faktische" Abhängigkeitslagen sollten m. E. von folgenden Prämissen ausgehen. a) Gesetzgebungsvorhaben in Osterreich werden auf der Grundlage eines Regierungsbeschlusses durchweg auf ihre „Europa-Verträglichkeit" hin geprüft. Die Vorarbeiten für ein neues Rechnungslegungsrecht sind ganz entscheidend vom deutschen BilanzrichtlinienG und insoweit von der 4. und 7. EWG-Richtlinie zur Angleichung des Gesellschaftsrechts geprägt worden. Demgegenüber scheint es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, europäische Entwürfe für ein Konzernrecht bloß wegen ihrer Provenienz als Vorbild österreichischer Gesetzgebungsbemühungen zu akzeptieren25. Denn Ob und Wie einer europäischen Konzerngesetzgebung sind derzeit ganz offen. Für einige Fragen gilt dies allerdings nicht26. Darauf sollte die österreichische Reformbemühung Rücksicht nehmen. b) Das zukünftige Recht faktischer Uber-Unterordnungsbeziehungen muß so beschaffen sein, daß der Schutz der Gesellschaft bzw. der mit ihr verknüpften Außenseiterinteressen nicht hinter dem zurückbleibt, was in der unabhängigen Gesellschaft gewährleistet ist. Dafür sprechen die Gründe, die eine Konzerngesetzgebung überhaupt tragen27. Zu den Postulaten der Gleichwertigkeit von Minderheitsinteressen, der Konzentrationsneutralität des Gesellschaftsrechts und der Unerwünschtheit eines Rechtszustandes, der eine suboptimale Allokation von Ressourcen fördert, kommt der weitere Gesichtspunkt, daß Konzernrecht auch der Insolvenzprophylaxe dienen kann, und daß der in Österreich langsam entstehende Kapitalmarkt an Beteiligungspapieren gestützt werden soll. Hierzu gehört ein adäquater Schutz von Kleinaktionären gegen die Gefahren der Konzernierung 28 . Eine weitere Begründung für dasselbe Ergebnis folgt aus dem teleologischen und systematischen ZusammenEbenso z . B . Kreja (Fn.6), 408f; vgl. auch K.Schmidt (Fn. 16), 23ff, 27ff. Das wird auch in Deutschland nicht anders gesehen. Vgl. Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 722. 26 Vgl. namentlich die Richtlinie des Rates über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen, ABl 1988 Nr. L 348/62, abgedruckt in ZIP 1989, 65 sowie den Kommissionsvorschlag für die 12. gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABl 1988 Nr. C 173/ 10. 17 Oben sub I 1. 28 Ebenso Dorait (oben Fn. 14), 4. 24

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hang zwischen dem Recht der Unternehmensverträge und faktischen Beherrschungssituationen. Im deutschen Recht - und für das zukünftige Österreichs ist nichts anderes zu erwarten - werden die Außenseiter einer durch Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag gebundenen Gesellschaft im großen und ganzen in zweckkongruenter Weise geschützt. Eine hinter diesem Standard zurückbleibende Regelung außervertraglicher Abhängigkeit wäre nicht nur wertungswidersprüchlich und systematisch verfehlt 29 , sondern würde auch dazu führen, daß die Vorkehrungen im Recht der Unternehmensverträge praktisch im wesentlichen konsequenzlos blieben 30 . Aus der Perspektive der Konzernleitung geht es dabei nämlich um Kosten. Von gesellschaftsrechtsfremden Motivationen abgesehen 31 , werden solche Kosten typischerweise nämlich nicht übernommen, wenn das erstrebte Ergebnis, nämlich die Einbeziehung des Unternehmens einer Gesellschaft in einen übergreifenden Unternehmensverbund, billiger zu haben ist. c) Andererseits entspricht es verbreiteter Meinung, daß faktische Konzerne wegen ihrer betriebswirtschaftlichen Vorteile und auch wegen der Macht der Tatsachen nicht unterbunden werden könnten, sondern hinzunehmen wären 32 . D e m kann nur im Ausmaß der Verträglichkeit der Forderung mit dem unter b) dargelegten Regelungsziel gefolgt werden. Was als Leitlinie der Auslegung des geltenden (deutschen) Rechts formuliert wurde 33 , sollte auch als Kriterium de lege ferenda außer Streit gestellt werden. Entscheidend sind nicht die Erfordernisse einheitlicher Leitung, sondern der adäquate Schutz der Außenseiter. Sollte sich beides als inkompatibel erweisen, bleibt der Weg in den Vertragskonzern. d) Die Realisierung des angestrebten Regelungsziels wird zu Vorschriften führen, die ganz unabhängig davon, wie man den „Eingriffstatbestand" faßt, mit rechtlich und wirtschaftlich einschneidenden Konsequenzen für alle Beteiligten verbunden sein werden. Das bedeutet, daß dem Erfordernis von Rechtssicherheit ein ganz besonderes Gewicht einzuräumen ist 34 . Die tatbestandlichen Voraussetzungen konzernrechtlicher Regelungen müssen daher, wenn irgend möglich, so gefaßt werden, daß ihre Anwendung auf konkrete Sachverhalte voraussehbar ist. 29 Zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts für die Exegese des geltenden Rechts namentlich Mestmäcker, F G Kronstein, 1967, 129, 146; vgl. auch Koppensteiner (oben Fn. 7), Vorb §311 Rdn. 10 ff. 30 Hierzu statt vieler Immenga, RabelsZ 1984, 48, 58. 31 Beispiel: Interesse an einem Gewinnabführungsvertrag aus steuerlichen Gründen. 32 So jedenfalls tendenziell etwa Wiedemann (Fn. 12), 60 f; Lutter (Fn.3), 330 ff; Flume, A G 1988, 88, 90; K.Schmidt, Z G R 1981, 455, 460; Dorait (Fn. 14), 4. 33 Koppensteiner (Fn.7), Vorb §311 Rdn. 15. 34 Tendenziell anders Dorait (Fn. 14), 8.

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e) Differenzierende Regelungen, z.B. für Einmanngesellschaften, für personalistische Gesellschaften oder Unternehmensverbindungen, die im Zuge eines Sanierungsvorhabens entstehen, werden dadurch nicht von vornherein ausgeschlossen. Doch ist von Sinn oder Unsinn des Regelungsinhaltes abgesehen, doch zumindest zu fordern, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen mit zureichender Sicherheit abgrenzbar bleiben.

II. Bestandsaufnahme Konzernrechtliche Reformüberlegungen können heute nicht mehr bei Null beginnen, sondern müssen sich zunächst der hierzu schon entwikkelten Vorschläge vergewissern. Die folgende Skizze hat auch den Zweck, jenen Informationen zu liefern, die meinen eigenen Vorstellungen35 nicht folgen wollen. 1. Adressat konzernrechtlicher Pflichten nach geltendem deutschen Recht sind durchweg nur Unternehmen. Die Konzernrichtlinie hat dies im wesentlichen übernommen. Änderungsvorschläge beziehen sich, soweit ersichtlich, nicht auf das Prinzip schlechthin, sondern auf Teilkomplexe. a) Mitteilungspflichten36 sollen in Zukunft jeden Aktionär treffen37. b) Gelegentlich wird vorgeschlagen, den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung (oder einschlägige Absichten) mit einer Verpflichtung zu verknüpfen, allen außenstehenden Aktionären ein Abfindungsangebot zu machen oder diese nach gesetzlichen Maßstäben abzufinden, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Erwerber Unternehmen ist oder nicht38. Sonst werden Abfindungspflichten als Folge einer Beteiligungsnahme aber allenfalls dann erwogen, wenn der Adressat Unternehmen ist und einen (qualifizierten) Konzern gebildet hat39.

Sub III. Entsprechend den §§20 ff dAktG. 37 Vgl. Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 670; Semler, Konzernrechtliche Überlegungen der deutschen Unternehmensrechtskommission, in Dorait (Hrsg.), Deutsches Konzernrecht, 1985, 163, 195; Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 3. Aufl. 1989, 126 f; Konzernrichtlinie Art. 3 ff; Informationsrichtlinie (Fn. 26), Art. 1, 4, allerdings nur für börsennotierte Gesellschaften. Ebenso der derzeit in Beratung befindliche Vorentwurf eines österreichischen Börsegesetzes. Vgl. Salzburger Nachrichten vom 24.6.1989, 14. 38 Vgl. Flume, Die juristische Person, 1983, 126f; Dorait (Fn. 14), 17f bei börsennotiertem Streubesitz, m. w. N.; vgl. auch Immenga (Fn. 17), 17 ff; Wiedemann, Minderheitenschutz und Aktienhandel, 1968, 51 ff; ders. (Fn. 12), 64ff; kritisch z.B. Semler (Fn. 37), 196. 39 Dazu unten bei Fn. 125. 35

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c) Manche meinen, die Haftung für nachteilige Einflußnahmen sei auf jeden Aktionär zu erstrecken40. Es sei nicht einzusehen, warum ein herrschender Aktionär eine Schädigung der Gesellschaft nur deswegen nicht auszugleichen brauche, weil er nicht als „Unternehmen" zu qualifizieren sei. SemlerM hat sich dafür ausgesprochen, wenigstens einen Abhängigkeitsbericht auch dann vorzusehen, wenn es sich bei der Herrschaftsperson nicht um ein Unternehmen handelt. Uberwiegend wird demgegenüber das Prinzip des geltenden Rechts für richtig gehalten42. d) Nach dem Kommissionsvorschlag einer Richtlinie für Einmanngesellschaften43 sollen besondere Haftungsvorschriften zu Lasten des Einmanngesellschafters einer GmbH 4 4 nur dann eingreifen, wenn dieser eine juristische Person ist. Das läuft auf eine Privilegierung natürlicher Personen und zwar auch dann hinaus, wenn diese als Unternehmen zu qualifizieren wären. Der Vorschlag deckt sich mit gewissen Tendenzen des im Anschluß an zwei neuere BGH-Entscheidungen 45 entstandenen Schrifttums46. 2. Zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen schlichter Abhängigkeit sind im wesentlichen die folgenden Reformvorschläge zu verzeichnen. a) Abhängigkeit wird im deutschen Recht 47 durch das Vorliegen beherrschender Einflußmöglichkeit definiert. Bei mehrheitlicher Beteiligung wird Abhängigkeit (widerlegbar) vermutet. Demgegenüber hat sich die Konzernrichtlinie 48 ebenso wie die Konzernbilanzrichtlinie 49 dafür entschieden, ein „Tochterunternehmen" stets dann anzunehmen, wenn - so der Kern der Regelung - ein Unternehmen über die Mehrheit der Stimmrechte bei der Gesellschaft verfügt oder die Möglichkeit hat, die 40 Kellmann, ZGR 1974, 220, 225 f; Würdinger, DB 1973, 45, 47 f, auch Unternehmensrechtskommission, 732 f; K. Schmidt (Fn. 32), 461; vgl. Kropff in Geßler/Hefermehl/ Eckart/Kropff, Aktiengesetz, 1976, Vorb §311 Rdn.24. 41 (Fn. 36), 197. 42 Vgl. etwa Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 670 ff, 733; Wiedemann in Hopt (Fn. 10), 21, 22; Semler (Fn.37), 196; Krejci (Fn.6), 408; vgl. Ulmer in Ulmer (Hrsg.), Probleme des Konzernrechts, 1989, 26, 36 f; Immenga (Fn.30), 70. 45 Fn.26. 44 Und einer AG, vgl. Art. 6 des Entwurfes. 45 B G H Z 95, 330, B G H GmbH Rdsch. 1989, 196. 46 Vgl. K.Schmidt, ZIP 1989, 545, 547 mit Hinweis auf ZIP 1986, 146; Wiedemann (Fn. 12), 84; ders., ZGR 1986, 656, 670 f; Rehbinder, AG 1986, 85, 99; Ziegler, WM 1989, 1077 ff. Antikritisch Kort, DB 1986, 1909, 1913 und (zurückhaltender) Emmerich, GmbH Rdsch. 1987, 213, 215. Ökonomische Begründung der Unterscheidung bei Easterbrook/ Fischel, 52 ChiLRev (1985), 89, 110 ff. 47 Vgl. auch § 15 Abs. 2 öAktG. 48 Art. 2. 49 Gleichsinnig der Entwurf eines österreichischen RechnungslegungsG.

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Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsorgans zu berufen oder abzuberufen 50 . Auf das Merkmal beherrschenden Einflusses wird verzichtet. Daneben arbeitet der Richtlinienvorschlag 51 - offenbar in Anlehnung an den „dirigeant de fait" des französischen Rechts 52 - im Kontext der Haftung im Unternehmensverbund mit dem Begriff des tatsächlichen Geschäftsführers 53 . Als tatsächlicher Geschäftsführer gilt jedes Unternehmen, das „mittelbar oder unmittelbar einen bestimmenden Einfluß" auf die Entscheidungsfindung der Leitungsorgane der Gesellschaft ausübt. Das ähnelt wiederum stark den in § 17 Abs. 1 dAktG enthaltenen Kriterien mit dem Unterschied allerdings, daß der Richtlinienentwurf auf tatsächliche Ausübung beherrschenden Einflusses, nicht nur auf dessen Möglichkeit abstellt 54 . Vereinzelt wird vorgeschlagen, auf das Abhängigkeitsmerkmal überhaupt zu verzichten 55 . D a Kellmann gleichzeitig aber jeden Herrschaftsträger, also nicht nur Unternehmen, haften lassen will, bezieht sich der Vorschlag eigentlich nicht mehr auf die Fortentwicklung des Konzernrechts, sondern auf die §§117/100 AktG. Sura schließlich56 spricht sich dafür aus, nicht auf Abhängigkeit, sondern auf eine „einflußrelevante Beteiligung" abzustellen. Eine solche soll bei Innehabung einer Sperrminorität (25 % ) vorliegen. Bei einer Beteiligungsquote von mehr als 5 0 % der Kapitalanteile sollen allerdings zusätzliche Rechtsfolgen eingreifen. Die Auffassungen von Kellmann und Sura haben, soweit ersichtlich, keine Gefolgschaft gefunden 57 . Immenga hat die Anknüpfungskriterien der Konzernrichtlinie gebilligt 58 . Nach überwiegender Auffassung verdient aber das Abhängigkeitskonzept des deutschen Rechts den Vorzug 59 . Im Vorfeld einer Regelung für abhängige Aktiengesellschaften sind Mitteilungspflichten über das Vorhandensein einer Beteiligung

50 Unterstützend Immenga (Fn. 30), 64 f; ähnlich Slongo, Der Begriff der einheitlichen Leitung als Bestandteil des Konzernbegriffes, 1980, 193; dazu Koppensteiner, SAG 1985, 74, 79 m. w. N. der Schweizer Diskussion; Einzelvergleich der Regelung im Richtlinienentwurf mit § 17 dAktG bei Maul, DB 1985, 1749, 1750. 51 Art. 9. 52 Dazu Junker, RIW 1986, 337 ff; Lutter (Fn.3), 358 ff m . w . N . 53 Billigung bei Immenga (Fn. 30), 66 ff; kritisch Böhlhoff/Budde, Journal of Comparative Business and Capital Market Law 1984, 163, 176. 54 Vgl. Maul, aaO. 55 Kellmann, ZGR 1974, 220, 226. 56 Fremdeinfluß und Abhängigkeit im Aktienrecht, 1980, 74 ff; 87; den., ZHR 145 (1981), 432, 447 ff. 57 Kritisch zu Sura namentlich Geßler, ZHR 145 (1981), 457 ff. 58 (Fn. 30), 64 ff. 59 Vgl. nur Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 732 ff: Einhelligkeit dahingehend, den „unstreitigen Bereich der schlichten Abhängigkeitsverhältnisse der Diskussion zugrunde zu legen und unter schlichten Abhängigkeitsverhältnissen die Beherrschungsmöglichkeit ohne einheitliche Leitung zu verstehen".

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angesiedelt. Abgesehen von der schon besprochenen Einbeziehung von NichtUnternehmen wird insoweit vorgeschlagen, die Mitteilungspflicht schon bei Innehabung von 10 % der Kapitalanteile eingreifen zu lassen und zusätzliche Informationspflichten mit anderen Kriterien als jenen der §§ 20 ff zu verknüpfen60. b) Die Verhinderung von Abhängigkeitslagen wird selten für erforderlich gehalten. Immerhin hat sich Immenga61 unter dem bezeichnenden Titel „Schutz abhängiger Gesellschaften durch Bindung oder Unterbindung beherrschenden Einflusses" dafür ausgesprochen, bei Vorhandensein von Abhängigkeit i. S. von § 17 dAktG dem herrschenden Unternehmen das Stimmrecht bei der „Bestellung der Mitglieder des Geschäftsführungsorgans" 62 zu versagen. Das O L G Hamm 63 hat Präventivschutz, allerdings als Äowzerweingangskontrolle, schon de lege lata dergestalt für möglich gehalten, daß, Vorhandensein von Minderheitsaktionären vorausgesetzt, die Wahl eines gewissermaßen neutralen Mitglieds in den Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft verlangt wird. Die Entscheidung ist nach geltendem Recht gewiß nicht haltbar64, kann aber auch als rechtspolitischer Vorschlag aufgefaßt werden. D o r a l i erwägt die gesetzliche Vinkulierung von Aktien, spricht sich aber dann doch mit Recht dagegen aus. Für „deutlich personalistische Aktiengesellschaften" wird die Einführung eines maßgeblich beteiligte Gesellschafter treffenden Wettbewerbsverbots empfohlen66. c) Im Rahmen eines an schlichte Abhängigkeit, faktischen Konzern und Vertragskonzern anknüpfenden Dreistufenmodells 67 sind folgende Verbesserungen des geltenden Rechts vorgeschlagen worden 68 . Einflußnahmen mit dem Ziel einer Strukturveränderung sollen unzulässig sein und zum Schadensersatz verpflichten, es sei denn, sie lägen im Interesse der abhängigen Gesellschaft. In anderen Fällen nachteiliger Einflußnahmen 60 Vgl. Art. 3 der Konzernrichtlinie, kritisch dazu Böhlhoff/Budde (Fn. 53), 164, 180 f; i. S. der Richtlinie Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 739; bei 10% beginnen auch die Mitteilungspflichten nach der einschlägigen Richtlinie (Fn.26) und nach dem österreichischen Börsegesetzentwurf (Fn. 17); für Beibehaltung der Schwelle in § 20 dAktG dagegen Dorait (Fn. 14), 17; Semler (Fn. 37), 196. 61 Z G R 1978, 269, 281 ff. 62 Bei der Aktiengesellschaft müßte dies wohl der Aufsichtsrat sein. « A G 1987, 38. 64 Nachweise dazu bei Koppensteiner (Fn. 7), Vorb §311 Rdn.27. 65 (Fn. 14), 16. 66 Zur (fehlenden) Möglichkeit der Verankerung eines solchen Verbots in der Satzung de lege lata Koppensteiner, aaO; tendenziell anders Becker, Z G R 1986, 383, 392 ff. 67 Dieses Modell grundsätzlich befürwortend K.Schmidt (Fn.32), 469; Claussen, A G 1983, 1, 12; zum Konzern unten sub 3. 68 Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 738 ff; der Vorschlag schließt an an Geßler, FS Flume II (1978), 55, 66.

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soll nur noch ein unmittelbarer Ausgleich legitimierend wirken 69 , wobei dessen Höhe nach manchen endgültig erst ex post zu ermitteln sein soll70. Hinzu kommen Beweislastregelungen zu Lasten des herrschenden Unternehmens, insbesondere der Vorschlag, bei nachteiligen Handlungen des Vorstandes eine Veranlassung seitens des herrschenden Unternehmens zu vermuten 71 . Die Konzernrichtlinie enthält durch die Anordnung von Schadensersatz demgegenüber ein Verbot jeder nachteiligen Einflußnahme 72 , das darüber hinaus auch noch mit der Möglichkeit sanktioniert wird, daß das Gericht alternativ oder kumulativ die Amtsenthebung von Mitgliedern des Leitungs- oder Aufsichtsorgans, die Korrektur schädlicher Maßnahmen oder Abfindunsgsverpflichtungen anordnet73. Allerdings ist nicht ganz klar, in welchem Umfang eine compensatio lucri cum damno vorgesehen werden soll. Beide Vorschläge arbeiten im übrigen mit dem schon de lege lata vorgeschriebenen Abhängigkeits- bzw. Sonderbericht 74 . Für das deutsche Recht wird die Ausdehnung des Berichts auf Beziehungen der Gesellschaft auch zu jenen Unternehmen vorgeschlagen, an denen der beherrschende Aktionär mit mehr als 25 %, bei Personenhandelsgesellschaften als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt ist. Auch die Konzernrichtlinie sieht die Erstellung eines jährlichen Sonderberichts vor, dessen Zweck darin besteht, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Gesellschaft und dem Mutterunternehmen sowie seinen übrigen Töchtern deutlich zu machen. Eine detaillierte Offenlegung von Einzelgeschäften oder Maßnahmen ist nur erforderlich, wenn eine wesentliche Abweichung vom übrigen Geschäftsverkehr der Gesellschaft, ein Nachteil oder ein besonderes Risiko vorliegt 75 . Der Bericht unterliegt - wie im deutschen Recht - der Prüfung durch den Abschlußprüfer 76 und muß - darin besteht der entscheidende Unterschied zur deutschen lex lata - jedem Aktionär zur

Dafür auch Semler (Fn.37), 197. Vgl. Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 715 f; K. Schmidt (Fn. 32), 464 f; dagegen Semler (Fn. 37), 216 f. 71 Dafür schon de lege lata Koppensteiner (Fn. 7), §311 Rdn. 6; überzeugende Kritik des Vorschlags, auf das Merkmal der Veranlassung überhaupt zu verzichten (Unternehmensrechtskommission, aaO, 712f), bei Semler (Fn.37), 2 1 5 f ; vgl. auch K.Schmidt (Fn. 32), 463 f. 72 Ähnlich Dorait (Fn. 14), 33, 37. 73 Art. 11; näher dazu Hommelhoff, FS Fleck, 1988, 125, 133 f; vgl. auch Unternehmensrechtskommission, aaO, 720 f; kritisch Wienke, Arbeitgeber 1985, 888, 889. 74 Ebenso für Osterreich de lege ferenda Dorait (Fn. 14), 37. 75 Einzelvergleich des Berichtsinhalts mit dem, was nach §312 dAktG erforderlich ist, bei Maul (Fn.50), 1751. 76 Zur Rechtslage bei fehlender Prüfungspflicht K r o p f f , FS Goerdeler, 1987, 259, 271 ff; umfassender den., ZGR 1988, 558 ff; für Bestellung eines Prüfers auf Antrag der Minderheit in diesem Fall Dorait (Fn. 14), 30. 69

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Verfügung gestellt werden 77 . Die Prüfung soll sich auch darauf erstrekken, ob Anhaltspunkte für einen Konzern vorliegen 78 . Wenn sich aus dem Bericht oder aus sonstigen Umständen ergibt, daß der Gesellschaft ein Nachteil entstanden ist, können die Aktionäre, ein Arbeitnehmervertreter79, u . U . auch Gläubiger der Gesellschaft80 eine Sonderprüfung verlangen. Der Sonderprüfer ist nicht identisch mit dem Abschlußprüfer, sondern wird von Amts wegen bestellt. Die Prüfungsmaßstäbe gehen über den „Vertretbarkeitsstandard" des §313 dAktG hinaus81. Weitergehend ist befürwortet worden, schon die Aufstellung des Abhängigkeits-/Sonderberichts nicht dem Vorstand, sondern dem Abschlußprüfer zu überlassen82 oder doch jedenfalls die Prüfung des Berichts einem von der Minderheit bestellten Prüfer anzuvertrauen 83 . Die Wirksamkeit der Prüfung soll auf anderem Wege dadurch verbessert werden, daß zwei Repräsentanten der Minderheit dem Aufsichtsrat angehören müssen und dort zum Abhängigkeitsbericht eigenständig Stellung zu nehmen haben84. Ein Verbot der Doppelmitgliedschaft in der Geschäftsleitung des herrschenden Unternehmens und dem Vorstand der Gesellschaft85 schließlich soll die Identifizierung des Vorstands mit den Interessen der Gesellschaft verstärken. Ein italienischer Gesetzesentwurf, der sich im übrigen an die in den §§311 ff dAktG enthaltenen Regelungen anlehnt, sieht vor, daß die Obergesellschaft und deren Geschäftsführer in der Insolvenz der Tochter haften, wenn diese sich als Folge der Abhängigkeitslage darstellt86. d) Bei einem Anteilsbesitz von 90 % ist schon nach geltendem (österreichischen und deutschen) Recht die Umwandlung mit der Folge möglich, daß den Minderheitsaktionären nur noch Abfindungsansprü-

77 Ablehnende Stellungnahme in Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 735 f; ebenso Semler (Fn.37), 221 ff; Böhlhoff/Budde (Fn.53), 177; Maul (Fn.50), 1752; skeptisch auch K r o p f f , ZGR 1988, 558, 568 ff; befürwortend dagegen wohl Hommelhoff (Fn. 73), 134; Immenga (Fn. 30), 70; Kirchner, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 3, 223, 244; Lutter, Mitbestimmung im Konzern, 1975, 159: „bedeutendste Fehlleistung des Gesetzgebers". 78 Unternehmensrechtskommission, aaO, 739; Geßler (Fn. 57), 466; Dorait (Fn. 14), 30, 36 für den qualifizierten Konzern; dazu auch K r o p f f (Fn. 76), 271 ff; weitergehend Hommelhoff, aaO, 138: Intensitätsvermerk; skeptisch K.Schmidt (Fn.32), 462. 79 Kritisch dazu Kolvenbach, DB 1986, 1973, 1974 f. 80 Einschränkend insofern Hommelhoff (Fn. 73), 139. 81 Näher dazu Hommelhoff, aaO, 136. 82 So der ursprüngliche Richtlinienvorschlag in Lutter, Europäisches Gesellschaftsrecht, 1979, 192, 204. 83 Vgl. Dorait (Fn. 14), 37. 84 Hommelhoff, in Druey (Fn. 12), 107, 123; ähnlich ders. (Fn.73), 139. 85 Dafür Hommelhoff (Fn. 84), 124 f. 86 Dazu V a n e t t i , ZGR 1989, 396, 412 ff mit Diskussion und w. N.

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che zustehen. Daran knüpfen Vorschläge an, auch den Außenseitern ein Initiativrecht einzuräumen 87 . Der Vorschlag entspricht geltendem französischen und belgischen Recht. Im Hinblick auf die Eingliederungsvoraussetzung nach §320 dAktG wird auch eine 95%-Grenze erwogen 88 . Andere wollen, wie schon erwähnt, ein Abfindungsrecht schon bei Entstehen einer Mehrheitsbeteiligung einräumen 89 . e) In der Einmanngesellschaft reduzieren sich die Probleme auf solche des Gläubigerschutzes. Bei bloßer Abhängigkeit 90 finden sich aber auch im internationalen Vergleich kaum Ansätze für die Verantwortlichkeit des Einmanns91. Die Reformüberlegungen zum deutschen Recht beruhen offensichtlich auf der Prämisse, daß die bei Vorhandensein von Minderheitsaktionären in Aussicht genommenen Regelungen auch zugunsten der Einmanngesellschaft gelten sollen und auch dort zieladäquat funktionieren 92 . Demgegenüber enthält der dem Ministerrat vorliegende Vorschlag einer Richtlinie betreffend Einmanngesellschaften 93 folgendes Konzept: Einmanngesellschaften sind, sofern von einer juristischen Person beherrscht, nur zulässig, wenn der Herrschaftsträger nicht seinerseits Einmanngesellschaft ist. Handelt es sich bei dem Alleingesellschafter um eine juristische Person, dann stehen den Mitgliedstaaten in haftungsrechtlicher Hinsicht im übrigen zwei Regelungsoptionen offen. Entweder ist anzuordnen, daß die Obergesellschaft unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, die während des Zeitraums eingegangen werden, in dem sie Alleingesellschafter ist, oder es muß ein Mindestkapital für die Einpersonengesellschaft eingeführt werden. Diese zweite Möglichkeit eröffnet der Richtlinienvorschlag allerdings nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, daß sowohl herrschende als auch beherrschte Gesellschaft kleine oder mittlere Gesellschaften i. S. von Art. 27 der Bilanzrichtlinie 94 sind. 3. Im Mittelpunkt weiterer Reformvorschläge steht der Begriff des Konzerns. 87 Konzernrichtlinie, Art. 39; Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 719 f; Semler (Fn. 37), 219; Dorait (Fn. 14), 29; K. Schmidt (Fn. 32), 469 f. 88 Unternehmensrechtskommission, aaO. 89 Sura (Fn. 56), 455 f; Immenga, FS Böhm (1975), 253, 263; Flume (Fn.38), 126; letzterer ohne Rücksicht darauf, ob die Beteiligung von einem Unternehmen oder einem NichtUnternehmen erworben wird. 90 Zu Konzernsachverhalten Dorait (Fn. 14), 38 ff. 91 Vgl. dazu die Ubersicht bei Lutter (Fn. 3), 354 ff; zum deutschen Recht Semler, FS Goerdeler, 1987, 553, 571 für die GmbH. 92 Vgl. aber immerhin die Debatte in Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 717 ff. 93 Oben Fn. 26. 94 78/660/EWG, ABl 1978 Nr. L 222/11.

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a) Nach geltendem deutschen und österreichischen Recht liegt ein Konzern dann vor, wenn zwei (oder mehrere) Unternehmen einheitlich geleitet werden. Das SE-Statut95 wollte sich dem anschließen. Nach dem Gesetzesvorschlag von Ruedin'*' ist ein Konzern dann anzunehmen, wenn mehrere Gesellschaften mit dem Ziel der Gewinnmaximierung des Ganzen geleitet werden. Doch liegt hier wohl nur ein Formulierungsunterschied vor97. Geßlern befürwortet eine gesetzliche Präzisierung einheitlicher Leitung i. S. von Wahrnehmung eines Entscheidungsbereichs der Unternehmenspolitik durch die Zentrale oder doch dessen Kontrolle99. Wegen der anerkannten Schwierigkeiten anwendungssicherer Eingrenzung dessen, was „einheitliche Leitung" ausmacht, sieht schon geltendes Recht im Falle der Abhängigkeit eine Konzernvermutung vor. Das SE-Statut möchte an dieser Regelung festhalten100. Das von der 7. EWG-Richtlinie zur Angleichung des Gesellschaftsrechts geprägte deutsche Konzernbilanzrecht enthält eine Regelung, die im praktischen Ergebnis auf eine Vermutung einheitlicher Leitung in Fällen (formalisierter) Abhängigkeit hinausläuft101. Umstritten ist, ob die Konzernvermutung als unwiderlegliche oder als widerlegliche augestaltet sein sollte. Im Konzernbilanzrecht wird der ersten Möglichkeit der Vorzug gegeben102. b) Maßnahmen zur Verhinderung oder wenigstens Kontrolle der Konzernbildung werden in verschiedenen Varianten diskutiert. Ein Verbot des Konzerns schlechthin faßt man dabei allerdings kaum mehr ins Auge'03. Verschiedentlich hat man sich aber für die Unzulässigkeit einheitlicher Leitung ohne eine sog. Konzernierungserklärung seitens des herrschenden Unternehmens ausgesprochen104. Demgegenüber wird Art. 223. (Oben Fn. 22), 106, 111. 97 Dazu Koppensteiner, SAG 1985, 74, 81. 98 In Lutter (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft, 1976, 275, 291. 99 Zustimmend Immenga (Fn. 30), 62. 100 Art. 223 Abs. 2; dazu Immenga, aaO, 59 ff; ebenso Ruedin, aaO und Druey, ZSR 1980 II, 279, 348 für die Schweiz. 101 §290 HGB; der Entwurf eines österreichischen Rechnungslegungsgesetzes enthält eine entsprechende Regelung. 102 Ebenso im allgemeineren Zusammenhang z.B. Druey, aaO; vgl. auch Slongo (Fn. 50), 183, 193; für Widerleglichkeit dagegen Ruedin (Fn.22), 107, 111. 103 Dagegen etwa Wiedemann (Fn. 12), 60 f; vgl. ferner Lutter (Fn. 3), 329; die Frage ist von der Sicherung schon der Unabhängigkeit der Gesellschaft zu unterscheiden, dazu oben 2 b. 104 Vgl Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 723; Geßler (Fn. 68), 65; ders. (Fn. 57), 467 f; vgl. auch Krejci (Fn. 6), 371; kritisch z. B. Sura (Fn. 56), 438; zur Konzernierungserklärung als eines Erfordernisses de lege lata ablehnend Koppensteiner (Fn. 7), Vorb § 291 Rdn. 29 m. w. N. gegen Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, 378 ff, 408 f. 95

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geltend gemacht, die Legitimität der Konzernbildung könne nicht allein von einer Entschließung des herrschenden Unternehmens abhängen, sondern müsse von der abhängigen Gesellschaft durch ihren Aufsichtsrat gebilligt werden105. Noch weitergehend meinen manche, die Konzernierung solle nur auf der Grundlage einer Satzungsänderung bei der abhängigen Gesellschaft zulässig sein106. Was zu geschehen hat, wenn der konzernlegitimierende Akt unterbleibt, ist wenig diskutiert. Neben dem Hinweis auf die Rechtswidrigkeit des Vorgangs, die mit entsprechenden Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen sanktioniert sei107, soll die Möglichkeit treten, das Bestehen eines Konzerns gerichtlich feststellen zu lassen108. Aktiv legitimiert soll jeder außenstehende Aktionär sein109. Im Erfolgsfall sind jene Rechtsfolgen vorgesehen, die auch mit der Konzernierungserklärung verbunden sind. c) Zum Schutz der Gesellschaft im bestehenden Konzern wird über das Verbot nachteiliger Veranlassung ohne Ausgleich hinaus vorgeschlagen, das herrschende Unternehmen zum Ausgleich von Verlusten der Gesellschaft entsprechend §302 dAktG zu verpflichten110. Zusätzlich soll der Gesellschaft bei Beendigung des Abhängigkeitsverhältnisses (nicht schon des Konzerns) eine Ausgleichszahlung in Höhe der Differenz zwischen ihren Ertragsaussichten bei Einbeziehung und bei Beendigung des Konzerns zu leisten sein111. Der im Konzern ohnehin problematische Abhängigkeitsbericht könne unter diesen Umständen entfallen112. d) Uber den Schutz der Gesellschaft hinaus werden auch Maßnahmen zum Schutz außenstehender Aktionäre diskutiert. Nach dem Gesetzesvorschlag von Ruedin soll die Minderheit das Recht haben, Abfindung zu verlangen113, und zwar grundsätzlich (Ausnahme: Erzwingbarkeit ios Vgl. Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 727; kritisch Sura (Fn. 56), 439 f; K. Schmidt (Fn. 32), 468; auch Geßler (Fn. 57), 469. 106 So Krejci (Fn. 6), 410 in Übernahme einer schon zum geltenden Recht vertretenen These; ähnlich Wiedemann (Fn. 12), 64, für Gesellschaften, die auf der Mitarbeit oder persönlichen Unterstützung der Gesellschafter aufbauen; für Personengesellschaften vgl. Ulmer (Fn. 42), 50 m. w. N.; kritisch zu Krejci - m. E. mit Recht - K. Schmidt (Fn. 16), 33 f. 107 Vgl. Krejci (Fn.6), 383 f. 108 Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 727; K. Schmidt (Fn. 32), 468; Geßler (Fn. 57), 468, SE-Statut, Art. 225; dagegen Sura (Fn.56), 442. 109 Anders demgegenüber der Entwurf eines österreichischen Konzernbilanzrechts: Innehabung von 5 % des Nennkapitals oder einer Kapitalbeteiligung von 10 Millionen S. 110 Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 723; kritisch Unternehmensrechtskommission, 729; K.Schmidt (Fn.32), 465; Schilling, ZGR 1978, 415, 421. 111 Unternehmensrechtskommission, aaO, 724; kritisch Unternehmensrechtskommission; 729ff; Sura (Fn.56), 442f. 112 Unternehmensrechtskommission, aaO, 723; kritisch dazu Sura, aaO, 441 f, 444 f; Flume, AG 1988, 88, 91: lex imperfecta. 113 Dafür auch Koppensteiner, ZGR 1973, 1, 19ff m. w . N .

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einer Verschmelzung seitens der herrschenden Gesellschaft) nach ihrer Wahl in Aktien der Mutter oder in bar. Andernorts wird eine Dividendengarantie bevorzugt114. Art. 228 des SE-Statutes wollte den freien Aktionären die Wahl zwischen Abfindung und Dividendengarantie lassen. Kirchner1,5 schließlich will eine Beteiligung der „Außenstehenden" am Konzerneffekt116 durch Beteiligung am Konzernerfolg realisieren. e) Weitere Reform Vorschläge beziehen sich auf den Schutz der Gläubiger konzernabhängiger Gesellschaften. So soll die in § 303 dAktG für das Ende eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages vorgesehene Regelung auch bei Beendigung eines faktischen Konzerns eingreifen117. Andere denken an eine Außenhaftung des herrschenden Unternehmens zugunsten von Tochtergläubigern118, wobei dem herrschenden Unternehmen teilweise der Nachweis gestattet werden soll, es habe die konzernunterworfene Gesellschaft in deren eigenem Interesse geführt119. f) Zwei Reformkonzepte wollen dem herrschenden Unternehmen als Folge des Konzernsachverhalts und als Gegengewicht zu den Maßnahmen zugunsten der abhängigen Gesellschaft (ihrer Außenseiter) besondere Rechte einräumen. Das herrschende Unternehmen soll weisungsbefugt120 und - spiegelbildlich zum Austrittsrecht der Minderheit - seinerseits imstande sein, die außenstehenden Aktionäre abzufinden121. 4. a) Ein Teil der Reformliteratur will unternehmensvertragsähnliche Rechtsfolgen erst dann Platz greifen lassen, wenn ein qualifizierter Konzern vorliegt122. b) Hinsichtlich der Rechtsfolgen werden, zum Teil in enger Anlehnung an Auslegungshypothesen zum geltenden Recht, all jene Punkte diskutiert, die schon im Kontext der Anknüpfung an den (einfachen) Kon114 Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 723; kritisch dazu Unternehmensrechtskommission, aaO, 728 f; K. Schmidt (Fn. 32), 469. 115 (Fn. 5), 232 f. » ' Dafür auch Kühler/Schmidt ( F n . 4 ) , 214; Dorait (Fn. 14), 5 f. 1 , 7 Unternehmensrechtskommission, aaO, 724; kritisch Sura (Fn. 56), 443. 118 Ruedin (Fn.22), 108, 113, SE-Statut, Art. 239; speziell dazu Langen, Z R P 1978, 10ff; kritisch Wiesner, Arbeitgeber 1985, 884, 885. 119 Ruedin, aaO; vgl. B G H Z 95, 330 - Autokran und die bei Koppensteiner in Rowedder, G m b H G , 2. Aufl. 1989, Anh. § 52 Rdn. 61 a nachgewiesene Anschlußliteratur. 120 SE-Statut, Art. 2 4 0 ; Ruedin, aaO, 109, 112. 121 Ruedin, aaO, 110, 112. 122 Dazu Lutter in Druey (Fn. 12), 229; Schilling (Fn. 110), 421 f; Kühler/Schmidt (Fn.4), 213; Dorait (Fn. 14), 28; K.Schmidt (Fn. 16), 26, 32ff; zum geltenden Recht nur Krieger, in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 1988, 753 ff m . w . N . ; Kropff (Fn. 76), 266 ff; Referate und dazugehörige Diskussionsberichte von HoffmannBecking und Koppensteiner in Ulmer (Fn. 42), 68 ff, 87 ff; kritisch ausdrücklich auch de lege ferenda Kropff (Fn.40), Vorb § 3 1 1 Rdn. 37; Geßler, D B 1973, 50, 51; ders. (Fn.68), 63 f; Immenga, E u R 1978, 242, 250 ff.

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zern begegnen: Verbot qualifizierter Konzernierung, bewehrt mit Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen123, Aufhebung des Verbots bei Zustimmung der Aktionäre mit satzungsändernder Mehrheit124, Verlustkompensation mit oder ohne Entlastungsmöglichkeit durch den Nachweis fehlender Kausalität qualifizierter Konzernierung, Abfindungs- und alternativ Ausgleichsansprüche der außenstehenden Aktionäre125. III. Vorschläge Die vorstehende Ubersicht zeigt, daß die Reformdiskussion eine Fülle denkbarer Ansätze auf der Tatbestands- und der Rechtsfolgenseite entwickelt hat. Die folgenden Überlegungen können diese Diskussion nur insoweit aufgreifen, wie dies zur Begründung des eigenen Konzepts erforderlich ist. 1. Ein relativ breiter Konsens hat sich - m.E. zu Recht - in zwei Punkten herausgebildet. a) Der erste betrifft eine Verbreiterung der schon im geltenden deutschen Recht enthaltenen Mitteilungspflichten126. M.E. ist es richtig, solche Pflichten nicht nur an Unternehmen, sondern an jedermann zu adressieren. Dafür spricht, daß vorhandene und potentielle Aktionäre auch dann an Informationen über Auf- und Abbau von Machtpositionen in der Gesellschaft interessiert sind, wenn der Herrschaftsträger kein Unternehmen ist. Zum zweiten ist zu berücksichtigen, daß Mitteilungspflichten sozusagen im Vorfeld konzernrechtlicher Kontrollen angesiedelt, diesen m. a. W. häufig auch zeitlich vorgelagert sind. Bis die Anwendung von Konzernrecht aktuell wird, kann deshalb aus einem Privataktionär leicht ein Unternehmen werden. Schließlich sind Mitteilungspflichten leicht erfüllbar. Auch das läßt sich dafür geltend machen, an die Qualifikation der Verpflichteten keine besonderen Anforderungen zu stellen. Fraglich ist allerdings, bei welcher Grenze die Mitteilungspflicht einsetzen und wie sie im übrigen gestaffelt werden sollte. Die §§20 ff dAktG knüpfen an Sperrminorität einerseits, an Mehrheitsbeteiligung andererseits an. Das beruht auf dem mit derartigen Positionen verbundenen Einfluß im Rahmen einer Satzungsänderung einerseits, auf der 123 Vgl. Semler (Fn.37), 188; Krejci (Fn.6), 408 f; Dorait (Fn. 14), 28; zur Situation de lege lata etwa Krieger (Fn. 122), 756 f; Koppensteiner (Fn. 7), §317 Rdn.l8ff; ders. in Ulmer (Fn.42), 87, 98 ff; Hoffmann-Becking in Ulmer (Fn.42), 68, 83 ff. 124 So - allerdings schon de lege lata - Emmerich/Sonnenschein (Fn. 37), 343 f. 125 Vgl. Kühler/Schmidt (Fn. 4), 213; K. Schmidt (Fn. 32), 465, 469; Dorait (Fn. 14), 28, 44ff; zum geltenden Recht Emmerich/Sonnenschein (Fn.37), 344, 347; Krieger (Fn. 122), 754 ff; kritisch Koppensteiner (Fn. 123), 90 ff. 126 Vgl. oben bei Fn. 37.

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Abhängigkeitsvermutung des §17 Abs. 2 andererseits. Der Sinn dieser Verknüpfungen ist auch heute nicht von der Hand zu weisen. Andererseits muß berücksichtigt werden, daß die Informationspflicht bei Veränderungen der Kapitalverhältnisse börsennotierter Gesellschaften nach der einschlägigen Richtlinie127 an andere Beteiligungsquoten anknüpft. M. E. gibt es keinen zureichenden Grund, die Schwellen der Mitteilungspflicht bei börsennotierten und anderen Gesellschaften verschieden auszugestalten. Ist dies richtig, dann empfiehlt es sich, auch im Gesellschaftsrecht mit denselben Regeln zu arbeiten. Nun stellt sich allerdings die Frage, ob gesellschafsrechtliche Bestimmungen mit Rücksicht auf den angeführten Ausbau des börsenrechtlichen Instrumentariums überhaupt noch erforderlich sind. Die Frage könnte dann wohl verneint werden, wenn nicht börsennotierte Aktiengesellschaften immer „close corporations" in dem Sinne wären, daß alle Gesellschafter einander kennen und auch über die Höhe der jeweiligen Beteiligungsquoten Bescheid wissen. Das ist aber wenig wahrscheinlich. Deshalb hat die Verankerung von Mitteilungspflichten auch im Gesellschaftsrecht durchaus einen guten Sinn. b) Weitgehende Einigkeit besteht ferner bezüglich der Einführung eines Rechts des herrschenden Unternehmens, ab einer bestimmten Beteiligungshöhe die noch außenstehenden Aktien gegen angemessene Abfindung zu erwerben, und eines korrespondierenden Anspruchs von Minderheitsaktionären, ihrerseits Abfindung zu verlangen128. Diesem Regelungsvorschlag läßt sich nicht entgegenhalten, daß er die Konzentration begünstige. Denn Gesellschaftsrecht ist weder bestimmt noch geeignet, Konzentrationsvorgänge generell zu verhindern. Aus dem zutreffenden Postulat der Konzentrationsneutralität von Gesellschaftsrecht läßt sich vielmehr nur ableiten, daß die Abfindung angemessen sein muß, weil sonst externes gegenüber internem Wachstum begünstigt würde129. Problematisch ist allerdings, bei welcher Grenze das Abfindungsrecht der Minderheit einsetzen sollte. Der Auffassung, die dies schon bei Entstehung einer Mehrheitsbeteiligung zulassen will130, sollte m. E. nicht gefolgt werden. Zwar lassen sich für diese Auffassung Argumente aus dem Postulat der Konzentrationsneutralität des Gesellschaftsrechts geltend machen131, aber doch nur mit der Maßgabe, daß es nicht gelingt, die Vermögensinteressen der außenstehenden Aktionäre auf andere Weise so zu schützen, daß sich das herrschende Unternehmen ihnen gegenüber Vgl. oben Fn.26. Oben II 2d. 129 Zum vorstehenden Koppensteiner (Fn. 113), 21 ff; Immenga, 253, 254ff; vgl. auch Kubier/Schmidt (Fn.4), 7ff, 210ff. 130 Oben Fn. 38 und Text dazu. 131 Vgl. Kiibler/Schmidt (Fn.4), lOOf, 214. 127 128

FS Böhm, 1975,

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keine ungerechtfertigten Vorteile verschaffen kann. Auch an die für einen Verschmelzungsbeschluß erforderliche Mehrheit anzuknüpfen132 empfiehlt sich nicht. Denn bei der Fusion verliert auch die Mehrheit ihre Aktien; eine formelle Diskriminierung zu Lasten der Minderheit findet nicht statt. Außerdem sind Aktien der Gesellschaft zu gewähren, in die verschmolzen wird. Der erstgenannte Gesichtspunkt trifft auch für die übertragende Umwandlung zu. Darin besteht wohl auch der Grund, daß die hier interessierende Regelung nach manchem nur dann eingreifen soll, wenn die Voraussetzungen einer Eingliederung nach § 320 dAktG (Innehabung von 95 % der Kapitalanteile) vorliegen. Für die österreichische Reformdiskussion kommt es dementsprechend darauf an, ob ein der Eingliederung entsprechendes Institut eingeführt werden wird oder nicht. Im erstgenannten Fall verdient wohl die 95%-Grenze den Vorzug. Sonst könnte an die 90 %-Voraussetzung des Umwandlungsrechts angeknüpft werden. Dafür spricht eine internationale Tendenz einerseits133, in sachlicher Hinsicht andererseits, daß als Nachfolgeunternehmen bei der übertragenden Umwandlung - anders als bei der Fusion jeder Rechtsträger, auch Ausländer, in Betracht kommt. Das paßt zu der Unbeschränktheit der Rechtsform herrschender Unternehmen im Konzernrecht und der Irrelevanz ihrer territorialen Zuordnung. 2. Der Schwerpunkt der geltenden Regelung für faktische Uber-Unterordnungsbeziehungen liegt in den §§311 ff dAktG. Der dort erfaßte Rechtsstoff muß auch im Zentrum jeder Reformüberlegung stehen. Solche Überlegung beginnt am besten mit der Suche nach den optimalen Anknüpfungen. a) Umstritten ist, ob konzernspezifische Rechtsfolgen mit Abhängigkeit, dem Vorliegen eines Konzerns oder gar eines qualifizierten Konzerns verbunden werden sollten134. Gegen die zweite und dritte dieser Möglichkeiten spricht, daß es bis heute nicht gelungen ist, die entscheidenden Begriffe so zu definieren, daß ihre Anwendung auf die in Betracht kommenden Sachverhaltslagen ohne ganz erhebliche Subsumtionsrisiken im Einzelfall möglich wäre. Das gilt in besonderem Maße für den Begriff des qualifizierten Konzerns. Eine der letzten Stellungnahmen zum Problem schließt nach Untersuchung aller in Betracht kommenden Möglichkeiten damit, es sei zu betonen, „welch große Unsicherheit in der Bestimmung des maßgeblichen Sachverhalts besteht" 135 . Hinzu kommt, Dafür Ruedin (Fn.22), 110, 112. Siehe oben bei Fn. 87. 134 Näher oben II 2-4. 135 Hoffmann-Becking (Fn. 123), 83; für Nachweise weiterer gleichsinniger Stellungnahmen oben Fn. 122. B G H D B 1989, 816, 820 stellt auf vollständige Übernahme der Leitung im finanziellen Bereich ab. 132 133

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was lange übersehen worden ist, daß schon eine einzige Maßnahme auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens Ertragsaussichten und Risikolage der abhängigen Gesellschaft in drastischer Weise so verändern kann, daß die von den §§311 ff dAktG vorausgesetzte Möglichkeit, das Verhalten des Vorstands der Gesellschaft mit dem des (sorgfältigen) Vorstands einer als unabhängig gedachten Gesellschaft zu vergleichen, entfällt136. Das paßt nicht zu den bisher vorgeschlagenen Definitionen des qualifizierten Konzerns137. Man könnte daran denken, diesem Befund durch eine entsprechende Ausdehnung des maßgeblichen Begriffs Rechnung zu tragen138. Aber das wäre notwendigerweise mit einer zusätzlichen Verdunklung des Begriffs verbunden. Denn dann würde erheblich, welche Maßnahmen im einzelnen geeignet sein sollen, die Rechtsfolgen des qualifizierten Konzerns auszulösen. Sollen es alle sein, deren Konsequenzen für die Entwicklung der Gesellschaft nicht genau übersehbar sind? Oder nur solche, die ein Existenzrisiko implizieren? Oder ist eine Mittellösung vorzuziehen und wie sollte sie aussehen? M. E. ist die Beantwortung dieser Fragen in Gestalt eines subsumtionsfähigen Rechtssatzes nicht möglich. Die soeben angedeuteten definitorischen Schwierigkeiten tauchen in (leicht abgeschwächter) Form auch im Zusammenhang des „einfachen" Konzerns auf. Schon die Grundlagen, namentlich die Frage, worin der Mindestgegenstandsbereich einheitlicher Leitung zu bestehen hat, ist äußerst kontrovers 139 . Vielfach wird eine präzise Abgrenzung von Konzernsachverhalten nach geltendem Recht überhaupt für unmöglich gehalten140. Dementsprechend betont man, der Ubergang in den Konzern sei „fließend", daher nicht leicht zu sagen, wann die Schwelle überschritten werde 141 . Die Schwierigkeiten würden nicht in ausschlaggebender Weise vermindert, wenn sich der als Auslegungshypothese zum geltenden Recht formulierte Vorschlag durchsetzen sollte, Koordination im finanziellen Bereich als ausreichende, zugleich aber auch notwendige Bedingung

Dazu Hoffmann-Becking, aaO, 80; Koppensteiner (Fn. 122), 89 f. Zu ihnen Hoffmann-Becking, aaO, 73; in Anknüpfung an Kropff FS Goerdeler, 1987, 259, 264. 138 So in der Tat Raiser, AG 1989, 185, 186 im Anschluß an U.Stein, ZGR 1988, 163, 186 ff. 139 Nachweise dazu bei Koppensteiner (Fn. 7), § 18 Rdn. 19. 140 Kropff (Fn.40), Vorb §311 Rdn.34; Semler (Fn.37), 187f; Zünd (Fn. 13), 79f; Sura (Fn. 56), 446 f; nur wenig optimistischer Immenga, EuR 1978, 242, 253 ff; vgl. auch Unternehmensrechtskommission (Fn. 7), 702 f; Wiedemann (Fn. 12), 67 ff. 141 Siehe z.B. Sura (Fn.56), 446f; Geßler (Fn.57), 458; Krejci (Fn.6), 304; Immenga (Fn. 17), 64 ff; ferner auch Unternehmensrechtskommission, aaO, 703: „Grauzone" . 136

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einheitlicher Leitung anzuerkennen 142 . Denn die Anforderungen, die an die konzernkonstitutive Zentralisierung des Finanzwesens im einzelnen zu stellen sind143, sind alles andere als geklärt 144 . Hinzu kommen - und das gilt für jede denkbare Fassung des Tatbestandes - besondere Schwierigkeiten der Tatsachenfeststellung im Einzelfall. Denn Leitungsstrukturen im Unternehmensverbund sind nichts Statisches, sondern können nach Gegenstandsbereich, Dichte und Art der Einwirkung im Zeitablauf fast nach Belieben variiert werden. Die damit verbundenen Möglichkeiten der „Tatbestandsvermeidung" liegen auf der Hand145. Daß das deutsche (und österreichische) Recht den Konzernbegriff dennoch schon so lange verwenden, ohne daß die Gerichte damit nicht fertig geworden wären, läßt sich deshalb wohl nur aus der Tatsache erklären, daß die Rechtsfolgen von solchen Sachverhalten de lege lata praktisch kaum ins Gewicht fallen146 und daher auch keine gerichtlichen Auseinandersetzungen ausgelöst haben. De lege ferenda trifft aber gerade dies nicht mehr zu. Denn es ist von vornherein klar, daß der für den Schutz der abhängigen Gesellschaft (auch) gewählte Anknüpfungsbegriff einschneidende Rechtsfolgen auslösen wird. Es ist nicht angängig, jedenfalls nicht empfehlenswert, solche Rechtsfolgen mit einem Tatbestand zu verknüpfen, der jedenfalls in den Randbereichen nicht anwendungssicher gemacht werden kann147. Das geltende Recht hat diese Schwierigkeiten erkannt und hilft sich daher in § 18 Abs. 1 Satz 2 dAktG mit einer an Abhängigkeit anknüpfenden Konzernvermutung. Soweit damit Rechtsfolgen gravierender Art verbunden werden, liefert die Vermutung m. E. keine befriedigende Lösung des Problems148. Würde sie als unwiderlegbare augestaltet, dann könnte der Regelungsansatz gleich im Begriff der Abhängigkeit gefunden werden. Soll die Vermutung, wie dies de lege lata zutrifft, dagegen widerlegbar sein, dann müßte angegeben werden können, wie solche Widerlegung im einzelnen auszusehen hat. Das aber wiederum ist nicht möglich, solange kein an feststellungsfähigen Tatsachen orientierter

142 Vgl. Koppensteiner (Fn.7), §18 Rdn.l7ff m.w.N.; in diese Richtung BGH GmbHRdsch. 1989, 196, 200. 143 Beispiel: „Nur" Zuteilung finanzieller Ressourcen oder auch zentrales „CashManagement" ? 144 Vgl. Koppensteiner, aaO, §311 Rdn. 103 f. 145 Gegen dieses Argument Geßler (Fn. 57), 467; vgl. aber die bei Semler, in: Unternehmer und Wirtschaftsprüfer mit dem Blick in die Zukunft, 1959, 49, 60 f zit. Äußerung des Instituts der Wirtschaftsprüfer: Der Nachweis einheitlicher Leitung hänge „nach den Erfahrungen der Praxis regelmäßig davon ab, ob die Konzernspitze den Konzernzusammenhang der Außenwelt gegenüber bejahen will oder nicht". 146 Dazu Koppensteiner (Fn. 7), § 18 Rdn. 9 ff. 147 Dazu auch oben bei Fn. 34. 148 Anders noch Koppensteiner (Fn. 113), 23.

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Begriff des Konzerns vorliegt149. Aus ähnlichen Gründen hilft es auch nicht viel, wenn einzelnen Aktionären oder einer Mindestminderheit das Recht eingeräumt werden soll, Konzernsachverhalte gerichtlich feststellen zu lassen150, oder wenn der Prüfer des Abhängigkeitsberichts beauftragt werden soll, nach Indizien für eine Konzernbildung zu suchen und über diese zu berichten151. Von dem Vorschlag, das Problem durch eine präzisere gesetzliche Fassung des maßgeblichen Begriffs zu „entschärfen"152, ist m. E. keine wirkliche Besserung zu erhoffen153. Geßler selbst nennt jedenfalls nur Kriterien, die als Interpretationsgesichtspunkte de lege lata schon lange bekannt sind, wobei Aussagekraft und Zweckmäßigkeit dieser Kriterien ganz unsicher geblieben sind. Eine grundsätzlichere Problematik ergibt sich aus der schon erwähnten Variationsbreite der in Betracht zu ziehenden Sachverhalte. Sie lassen sich mittels einer gesetzlichen Definition nur auf Kosten elementarer Anforderungen an Rechtssicherheit oder dadurch „bewältigen", daß das Regelungsproblem verfehlt wird. Aus den angegebenen Gründen und deshalb, weil die Gesellschaft in Wahrheit schon im Zustand der Abhängigkeit ihren „Status" ändert154, meine ich, daß eine Regelung, die den Begriff der Abhängigkeit in den Mittelpunkt zukünftiger Regelungen stellt, den Vorzug verdient. Dieser Begriff ist durch die mit einer Mehrheitsbeteiligung verbundene (sachgerechte) Vermutung in den praktisch wichtigsten Fällen relativ leicht handhabbar. Ob der Begriff der Mehrheitsbeteiligung an § 16 dAktG, an §244 Abs. 4 HGB in der Fassung des (österreichischen) Rechnungslegungsgesetzes oder an Art. 7 der Richtlinie zur Informationspflicht155 orientiert werden soll, bedarf noch näherer Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann156. Jedenfalls liegt hier aber ein Problem vor, dessen Lösung relativ einfach ist. Gewisse Schwierigkeiten der Feststellung von Abhängigkeit ergeben sich im Fall der sog. „Hauptversammlungsmehrheit"157. In diesem Zusammenhang könnte der Vorstand und/ oder der Abschlußprüfer nach dem Vorbild des Schweizerischen Entwurfs bei Vorhandensein einer Beteiligung von 40 % oder mehr zu entsprechenden Feststellungen oder Prüfungen verpflichtet werden. 149 Wie hier etwa Immensa (Fn. 17), 66; vgl. ferner Schilling, FS Hefermehl, 1976, 383, 402 f. 150 Vgl. oben bei Fn. 108. 151 Vgl. oben bei Fn. 78. 152 Oben bei Fn. 98. 153 Ebenso schon Flume, DB 1968, 1011, 1013. 154 Lutter (Fn.3), 348; ähnlich z.B. auch Wiedemann (Fn. 12), 40ff; Sura (Fn.56), 436 f, Unternehmensrechtskommission (Fn.7), 712, eindringlich BGHZ 80, 69, 74. 155 Oben Fn. 26. 156 Vgl. einstweilen Koppensteiner (Fn. 50), 76. 157 Dazu Koppensteiner (Fn. 7), § 17 Rdn. 36 m. w. N.

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Eine Klarstellung empfiehlt sich hinsichtlich der - de lege lata anerkannten158 - Möglichkeit mehrfacher Abhängigkeit159. Dagegen sollte der Abhängigkeitsbegriff des deutschen Rechts nicht grundsätzlich mit den unwiderlegbaren Vermutungen des Konzernbilanzrechts und der Konzernrichtlinie160 vertauscht werden. Konzernbilanz- und Konzernschutzrecht müssen nicht notwendigerweise mit denselben Anknüpfungen arbeiten161. Von der Natur des Regelungsproblems her gesehen, erscheint es in unserem Zusammenhang jedenfalls nicht als sinnvoll, die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung von vornherein auszuschließen162. Umgekehrt ist es erforderlich, daß auch Abhängigkeitslagen, die sich nach Rechnungslegungsrecht nicht als solche darstellen, erfaßt werden können. Daß solche Möglichkeiten existieren, wurde durch Hinweis auf die Hauptversammlungsmehrheit schon angedeutet. Abhängigkeit kann sich aber auch als Folge eines aus irgendwelchen Gründen nichtigen Unternehmensvertrages ergeben. Die Verwendung eines weiteren Anknüpfungsbegriffes in Gestalt des „tatsächlichen Geschäftsführers" 163 empfiehlt sich nicht. Der gegenteilige Regelungsvorschlag der Konzernrichtlinie164 hängt wohl stark mit dem Bedürfnis zusammen, neben Elementen des deutschen Rechts auch andere Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. In sachlicher Hinsicht würde nichts verbessert165. Der „tatsächliche Geschäftsführer" ist als gesetzliches Tatbestandsmerkmal nicht nur überflüssig, sondern wäre wegen seiner Verwandtschaft mit dem Konzern (Ausübung beherrschenden Einflusses) auch der daran geübten Kritik ausgesetzt. b) An dem Erfordernis des geltenden Rechts, wonach Abhängigkeit voraussetzt, daß das Subjekt beherrschenden Einflusses „Unternehmen" ist, sollte m. E. festgehalten werden. Wer diese Eigenschaft nicht hat, dessen Interessen laufen typischerweise parallel mit jenen der Gesellschaft. Darauf beruht die deutsche lex lata166 und diese Wertung erscheint auch heute noch überzeugungskräftig. Hinzu kommt, daß solche Rechtssubjekte, die als Folge der Möglichkeit beherrschenden Einflusses besonderen Regelungen unterworfen werden, auch die Möglichkeit haben sollten, der Anwendung dieser Regeln durch Abschluß eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages zu entgehen.

158 159 160 161 162 163 164 165 166

Dazu Koppensteiner, aaO, § 17 Rdn. 70 ff. Ebenso K. Schmidt (Fn. 16), 26. Zu ihnen oben II 3 a. Dazu Druey (Fn. 12), 101. Näher Koppensteiner (Fn. 50), 79. Vgl. oben bei Fn.52. Art. 9. Anders wohl Immenga (Fn. 30), 66 ff. Näher dazu Koppensteiner (Fn. 7), § 15 Rdn. 7 m. w. N .

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Dafür, daß Partner eines solchen Vertrages nur Unternehmen sein können, gibt es zusätzliche gute Gründe167. Der hier vertretenen Auffassung sollte nicht entgegengehalten werden, daß der Unternehmensbegriff zu unscharf sei. M.E. ist er durch die Rechtsprechung und die wissenschaftliche Diskussion seit Inkrafttreten des Aktiengesetzes zwischenzeitlich so genau entfaltet, daß wesentliche Anwendungsunsicherheiten eigentlich nicht mehr auftreten können168. Die Richtlinie betreffend Einmanngesellschaften 169 ist vom Ministerrat bisher noch nicht verabschiedet worden. Sollte dies geschehen, dann ist dies als Datum wohl auch für die österreichischen Reformbemühungen aufzufassen. Im Ergebnis bedeutet dies, daß natürliche Personen, die Alleingesellschafter mehrerer GmbHs oder AGs sind, also als „Unternehmen" zu qualifizieren wären170, gleichwohl nicht als solche behandelt werden. Ob das wirklich sinnvoll ist, sollte noch im einzelnen geprüft werden. Vor allem ist zu überlegen, ob in diesem Punkt nicht zwischen GmbH und AG unterschieden werden sollte. Die Richtlinie berücksichtigt das Haftungsbeschränkungsbedürfnis bei kleinen und mittleren Unternehmen 171 . Eine Privilegierung natürlicher Personen, die Alleingesellschafter einer AG sind, läßt sich jedenfalls in Deutschland und Osterreich daraus nicht zwingend ableiten. Die Realisierung der Richtlinie würde dieser Differenzierung wohl nicht entgegenstehen. 3. Überlegungen zu der Frage, wie eine AG wirksam gegen die Gefahren der Abhängigkeit geschützt werden könnte, sollten systematisch zwischen Vorhandensein einer Minderheit und Fehlen einer solchen entscheiden. Im zweitgenannten Fall reduzieren sich die rechtsinhaltlichen Probleme auf solche des Gläubigerschutzes. In rechtstechnischer Hinsicht entfällt gleichzeitig die Möglichkeit, die Minderheit als Sachwalter des Gesellschaftsinteresses einzusetzen. Wir beginnen mit der ersten Alternative, also solchen Gesellschaften, an denen Minderheitsaktionäre beteiligt sind. Sollen ihnen nicht Abfindungs- und/oder Ausgleichsansprüche schon bei Eintritt der Abhängigkeit gewährt werden172, 167 Vgl, Unternehmensrechtskommission (Fn.7), 670 ff. 168 Das schließt nicht aus, über die andere Frage nachzudenken, ob es eine Haftung jedes Gesellschafters (Aktionärs) bei schuldhafter Schädigung gibt oder geben sollte. Zur Unterscheidung beider Fragen namentlich K. Schmidt, zuletzt in ZIP 1989, 545, 546 ff; ferner etwa Stimpel, AG 1986, 117, 121, mit dem Vorschlag, den Schadensersatzanspruch bei qualifizierter Beherrschung als Verlustausgleichsanspruch zu pauschalieren. In aktienrechtlichem Zusammenhang handelt es sich dabei um die Frage nach Inhalt oder Reform der §§117 dAktG bzw. 100 öAktG, also um eine außerhalb des Konzernrechts zu lösende Problematik. 169 Oben Fn. 26. 170 Dazu Koppensteiner (Fn. 7), § 15 Rdn. 21 ff m. w. N. 171 Vgl. die Erwägungsgründe, KOM (88) 101 - endg. - Syn 135, 3 f. 172 Dazu oben 1 b, II 1 b.

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dann muß ein Konzept gefunden werden, das die abhängige Gesellschaft hinsichtlich ihrer Vermögens- und Ertragsinteressen zuverlässig so stellt, als wäre sie unabhängig. Anders formuliert: Das herrschende Unternehmen muß wirksam daran gehindert werden, sich Vorteile zu verschaffen, die der Minderheit vorenthalten werden 173 . a) Auf der Ebene der Pflichten der Beteiligten174 erscheinen keine grundsätzlichen Änderungen des nach den §§311, 317 dAktG geltenden Rechts erforderlich. Namentlich ist es nicht zu empfehlen, das Erfordernis einer Veranlassung aufzugeben. Die Verantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens für die Gestion der abhängigen Gesellschaft schlechthin ist unvereinbar damit, daß ein Weisungsrecht nicht existiert, daß die Gesellschaft von deren Vorstand vielmehr in „eigener Verantwortung" geleitet wird 175 . Allenfalls könnte man, wie schon geschehen176, überlegen, ob ein der abhängigen Gesellschaft zugefügter Nachteil im unmittelbaren Zusammenhang mit der Nachteilszufügung ausgeglichen werden müßte. M . E . gibt es auch dafür keine zwingenden Gründe. Die Bemessung des Ausgleichs ex post ist aus den von Semler angeführten Gründen 177 , aber auch deshalb abzulehnen, weil Nachteil und Ausgleich untrennbar mit den Maßstäben sorgfaltsgemäßen Vorstandsverhaltens zusammenhängen und diese sich wiederum nur an den im Entscheidungszeitpunkt beschaffbaren Informationen orientieren können 178 . Die Gegenauffassung von K. Schmidtm, der die Ausgleichsermittlung ex post als eine Art - sachgerechter - gesetzlicher Garantie deutet, verkennt, daß unerwartet günstige Entwicklungen dann auch den Ausgleich vermindern müßten. Außerdem wäre eine Vernebelung der den „Nachteil" präzisierenden Kriterien wohl kaum zu vermeiden. Auch halte ich es nicht für erforderlich, nicht einmal für zweckmäßig, „strukturverändernde" Einflußnahmen, die nicht im Interesse der abhängigen Gesellschaft liegen, von vornherein als unzulässig zu erklären. Einmal wird es kaum möglich sein, den Begriff der „Strukturveränderung" mit zureichender Präzision zu umschreiben. Zum zweiten ist es keineswegs so, daß die Konsequenzen von Maßnahmen dieser Art von vornherein nicht ausgleichsfähig wären 180 .

173 174 175

19. 176 177 178 179 180

Zu dieser Prämisse oben I 4 b. Zu ihnen Koppensteiner (Fn. 7), § 311 Rdn. 90 ff. Im Ergebnis wie hier Semler (Fn. 37), 215 f; vgl. auch Koppensteiner

(Fn. 113),

Nachweise in Fn. 69. Oben Fn. 175. Näher zu diesem Zusammenhang Koppensteiner (Fn. 7), §311 Rdn. 23, 63. Oben Fn. 32. Näher dazu Koppensteiner (Fn.7), §311 Rdn. 67, 86 ff m . w . N .

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Die Hauptschwierigkeit mit der derzeit geltenden Formulierung von Verhaltensstandards im Abhängigkeitsverhältnis besteht darin, daß das Vorliegen und Quantifizierung eines „Nachteils" sehr häufig nicht oder nur annäherungsweise bestimmbar ist. Daraus ergeben sich unkontrollierbare Verhaltensspielräume für das herrschende Unternehmen, die als Konsequenz der Interessenlage eine akute Gefährdung von Minderheitsinteressen mit sich bringen. Aber es ist nicht zu sehen, wie diese Schwierigkeit legislatorisch eliminiert werden könnte181. Verbesserungsvorschläge müssen daher darauf zielen, die Organe der abhängigen Gesellschaft so zu stärken, daß mit der Erfüllung der schon de lege lata bestehenden Pflichten gerechnet werden kann und daß Ungenauigkeiten in der Formulierung dieser Pflichten nicht systematisch zum Nachteil der Gesellschaft ausgenützt werden. Auch dadurch läßt sich allerdings nicht erreichen, daß die Minderheit an Synergiegewinnen beteiligt wird182. Ob das aber überhaupt erstrebenswert ist, muß nach wie vor als offen bezeichnet werden183. Dagegen muß über Ob und Abgrenzung eines (satzungsresistenten?) gesetzlichen Wettbwerbsverbots noch weiter nachgedacht werden. Für ein solches Verbot spricht, daß das herrschende Unternehmen „corporate opportunities" der Gesellschaft dann nicht ohne weiteres an sich ziehen könnte184. Doch hängt dies mit der viel grundsätzlicheren Frage nach dem Inhalt von Treupflichten unter Aktionären185, namentlich ihrer konzernspezifischen Ausformung zusammen. Unabhängig davon, wie diese Detailfrage beantwortet wird, läßt sich sagen, daß die effektive Durchsetzung der Pflichten des Vorstands einer abhängigen Gesellschaft die Entstehung jedenfalls qualifizierter Konzerne verhindern oder zumindest dafür sorgen würde, daß anderenfalls drohende Beeinträchtigungen der Gesellschaft im Verhandlungswege neutralisiert würden. Damit entfiele gesetzgeberischer Handlungsbedarf und damit die Notwendigkeit, ein wohl unlösbares Abgrenzungsproblem auf der Tatbestandsseite doch irgendwie „in den Griff" zu bekommen.

181 Deshalb ist der bei Kühler/Schmidt (Fn.4), 101, angedeutete Vorschlag, die grundlegenden Regelungselemente des von der deutschen Rechtsprechung entwickelten GmbH-Konzernrechts in das Aktienrecht zu übernehmen, selbst dann skeptisch zu beurteilen, wenn man seine Prämisse - Überlegenheit dieser Grundsätze gegenüber §§ 291 ff dAktG - als zutreffend unterstellt: Die fiduziarische Bindung der Mehrheitsmacht gibt noch keine Auskunft darüber, wann genau solche Bindung verletzt ist. 182 Vgl. oben bei Fn. 116. 185 Überlegungen dazu bei Koppensteiner (Fn. 7), §305 Rdn. 34 m. w. N.; vgl. aber auch Kühler/Schmidt (Fn.4), 214. 184 Vgl. B G H Z 89, 162, 165 ff und die bei Koppensteiner (Fn.119), Anh §52 Rdn. 28 nachgewiesene Literatur. 185 Zur Existenz solcher Pflichten B G H Z 103, 184, 194; Kölner KommentarLutter, 2. Aufl., Vorb § 53 a Rdn. 6 m. w. N .

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b) In diesem Zusammenhang kann wohl nicht empfohlen werden, dem herrschenden Unternehmen in der Hauptversammlung der Gesellschaft bei Aufsichtsratswahlen nach dem Vorschlag von Immenganb das Stimmrecht zu versagen. Zwar würde dieser Vorschlag die Probleme lösen. Er geht andererseits zu weit. Denn Abhängigkeit ist wesentlich darauf zurückzuführen, daß der mit „Repräsentanten" des herrschenden Unternehmens besetzte Aufsichtsrat den Vorstand der Gesellschaft bestimmt187. Also schießt es über das Ziel hinaus, wenn dem herrschenden Unternehmen jedes Mitspracherecht im Aufsichtsrat der Gesellschaft versagt werden soll. Als „mildere" Maßnahme kommt ein Entsendungsrecht der Minderheit und zwar bezüglich eines, besser aber von zwei Aufsichtsratsmitgliedern in Betracht188. Eine, vielleicht die Schlüsselfrage in diesem Zusammenhang richtet sich darauf, welche Stellung den Minderheitsvertretern im Aufsichtsrat im Kontext von Vorstandswahlen zukommen sollte. Ein Ablehnungsrecht wäre effektiv, geht aber wohl zu weit, wenn die betriebs- und gesamtwirtschaftlichen Vorteile von Synergieeffekten im Unternehmensverbund nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollen. Hommelhoff89 spricht sich auch gegen ein Stimmrecht der Minderheitsvertreter bei Vorstandswahlen aus. Diese Stellungnahme beruht aber auf der Mitbestimmungsregelung des (deutschen) MitbestG und ist daher für Österreich, wo es keine paritätische Mitbestimmung gibt, nicht aussagekräftig. Auch die Prämisse von Hommelhoff, das herrschende Unternehmen müsse aus Gründen effektiver Leitung des ' Unternehmensverbundes die Kontrolle über die Besetzung des Vorstands der abhängigen Gesellschaft haben, kann ich nicht für überzeugend halten. Faktische Konzerne sind nur legitim, soweit sie mit dem gleichen Recht aller Aktionäre vereinbar sind. M. E. sollten die Minderheitenvertreter daher auch bei Vorstandswahlen mitstimmen, Gegenstimmen im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung vermerkt werden. Die damit verbundene Publizität wird die Aufsichtsratsrepräsentanten des herrschenden Unternehmens vermutlich veranlassen, den Konsens mit der Minderheit zu suchen. Außerdem darf erwartet werden, daß sich ein öffentlich von der Minderheit abgelehntes Vorstandsmitglied stärker bemühen wird, seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Als weitere Maßnahme erscheint es im Anschluß an Hommelhoff empfehlenswert, Doppelmitgliedschaften im geschäftsleitenden Organ des herrschenden

186 187 188 189

Oben Fn. 61. Dazu Koppensteiner (Fn. 7), § 17 Rdn. 19 m. w. N.; vgl. ferner Sur a (Fn. 56), 437. Dafür auch Hommelhoff (Fn. 84), 123. AaO.

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Unternehmens und im Vorstand der Gesellschaft auszuschließen190. Denn sie eignen sich besonders dazu, die Gesellschaft auch ohne „Veranlassung" den Zwecken des herrschenden Unternehmens dienstbar zu machen191. c) Zu prüfen ist des weiteren, wie die Kontrolleffektivität des Aufsichtsrats gegenüber der laufenden Geschäftsführung des Vorstands im Abhängigkeitsverhältnis verbessert werden könnte. Zu denken ist zunächst an eine verbundspezifische Ausweitung zustimmungsbedürftiger Maßnahmen192. Das könnte sich etwa auf alle Rechtsgeschäfte der Gesellschaft mit dem herrschenden oder einem ihm verbundenen Unternehmen beziehen, ferner auf Maßnahmen, die die Unabhängigkeit des Vorstandes in Frage stellen, wie die Zentralisierung von Einkauf, Vertrieb, Forschung, Bankverbindungen, Datenverarbeitung, Cash-Management. Zusätzlich sollte eine Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat bezüglich aller Maßnahmen vorgesehen werden, die unter dem Einfluß des herrschenden Unternehmens vorgenommen oder unterlassen werden. Im übrigen stellt sich wiederum die Frage, ob den Minderheitenvertretern im Kontext zustimmungsbedürftiger Entscheidungen des Vorstands ein (gerichtlich kontrollierbares) Vetorecht eingeräumt werden sollte. Ich halte das für ernsthaft diskutierbar, zumindest aber für erforderlich, daß Gegenstimmen der Minderheitsvertreter in den Abhängigkeitsbericht mit aufgenommen werden. d) An diesem Bericht sollte im Einklang auch mit der Konzernrichtlinie festgehalten werden. Was zunächst den Berichtsinhalt betrifft, dürfte die von der Richtlinie in Aussicht genommene Lösung durch ihren Verzicht auf die Mitteilung sämtlicher Geschäfte und Maßnahmen, die auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens durchgeführt werden, informativer sein. Es verdient den Vorzug, daß der Bericht Umfang und Intensität der Beziehungen darstellen soll, die im Laufe des abgelaufenen Geschäftsjahres mittelbar oder unmittelbar zwischen der Gesellschaft und dem herrschenden Unternehmen bestanden haben. Billigenswert ist auch, daß in diesem Rahmen nur solche Maßnahmen im einzelnen anzuführen sind, die aus der Sicht der Gesellschaft besonderes Gewicht haben193. Daß dazu auch nachteilige Transaktionen zählen, wirft eine Problematik auf, die auch im deutschen Recht bis heute nicht gelöst ist. Aber mangels besserer Möglichkeiten wird man es dabei wohl sein

Skeptisch dazu Huber (Fn. 13), 130. Nachweise dazu bei Hoffmann-Becking (Fn. 123), 82. 192 In Osterreich gibt es im Unterschied zum deutschen Recht schon jetzt einen Katalog zwingender Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Aufsichtsrats; vgl. § 95 Abs. 5 öAktG. 193 Insgesamt wie hier Hommelhoff (Fn. 73), 135 f. 190 191

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Bewenden haben lassen müssen. Über die Vorstellungen der Richtlinie hinaus sollte, wie schon bemerkt, vorgesehen werden, daß solche Rechtsgeschäfte und Maßnahmen in den Bericht aufgenommen werden müssen, denen die Minderheitsvertreter nicht zugestimmt haben. Dem Vorschlag, schon die Aufstellung des Berichts einem Außenseiter aufzutragen 194 , sollte nicht gefolgt werden. Die Qualität des Berichts hängt entscheidend von den verfügbaren Informationen ab. Der Vorstand wäre zwar für verpflichtet zu halten, für eine entsprechende interne Dokumentation zu sorgen, hat aber in diesem Zusammenhang doch erhebliche Möglichkeiten der Informationsvermeidung. Ihm darf die Verantwortung für den Bericht daher nicht abgenommen werden. Problematisch ist demgegenüber, ob der Bericht, wie im deutschen Recht und auch nach der Konzernrichtlinie, vom Abschlußprüfer oder von einer anderen Person geprüft werden sollte, die entweder von der Minderheit oder vom Gericht bestellt werden könnte. Für den Abschlußprüfer spricht sein Informationsvorsprung, gegen ihn, daß er sich als Konsequenz seines Wiederbestellungsinteresses in einer Motivationslage befindet, die einer kritischen Prüfung des Berichts nicht günstig ist195. Der „Minderheitenprüfer" impliziert umgekehrte Risiken. Auch er ist an Wiederbestellung interessiert, so daß damit gerechnet werden muß, daß er kritischen Stellungnahmen der Minderheit im Aufsichtsrat möglicherweise mehr Gewicht zumißt, als von der Sache her angemessen ist. Die beste Lösung dürfte daher in der Tat darin bestehen, die Prüfung des Abhängigkeitsberichts einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anzuvertrauen. An der weiteren Prüfung des Berichts durch den Aufsichtsrat sollte schon deshalb festgehalten werden, weil sie eine zusätzliche Möglichkeit eröffnet, die Position der Minderheit - und damit die Realisierbarkeit der gesetzgeberischen Zielvorstellung - zu stärken. Den Minderheitsvertretern könnte nämlich, und das halte ich auch für zweckmäßig, das Recht eines Sondervotums eingeräumt werden, wenn sie mit dem Mehrheitsbericht nicht einverstanden sind196. Dieses Votum dürfte allerdings nicht in bloßer Ablehnung bestehen, sondern müßte eine begründete Stellungnahme enthalten. N u r dann wird der Bericht entsprechend aussagekräftig und außerdem verhindert, daß die Minderheitenvertreter ihre Möglichkeiten mißbrauchen. Letzteres ist aus Gründen wichtig, die mit der sogleich zu erörternden Sonderprüfung zusammenhängen. Eine solche Prüfung sieht schon §315 dAktG und die Konzernrichtlinie vor. Sie sollte möglich sein, wenn Vorstand, Prüfer oder Aufsichtsrat

194 195 I%

Oben bei Fn. 82. Dazu Koppensteiner (Fn. 7), §313 Rdn.3 m . w . N . Ähnlich Hommelhoff (Fn. 84), 123.

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oder die dort vertretenen Minderheitsrepräsentanten erklärt haben, daß die Gesellschaft in einer ihren Interessen abträglichen Weise geführt worden ist. Der Prüfer sollte - so auch die Richtlinie - jedenfalls auf Antrag eines Aktionärs bestellt werden. Ob das Antragsrecht darüber hinaus auch der Arbeitnehmerschaft und - unter zusätzlichen Voraussetzungen - auch Gläubigern der Gesellschaft zugestanden werden sollte, bedarf noch weiterer Prüfung. Sicher klarzustellen ist aber, daß der Prüfer des Abhängigkeitsberichts und der Sonderprüfer nicht identisch sein dürfen. Ob der nach der Konzernrichtlinie maßgebliche Prüfungsmaßstab197 gegenüber dem geltenden deutschen Recht den Vorzug verdient, halte ich für zweifelhaft198. Denn der Sonderbericht dient der Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen, eventuell anderer Maßnahmen. In diesem Zusammenhang kann es aber nur darauf ankommen, ob dem Vorstand der Vorwurf sorgfaltswidrigen Verhaltens gemacht werden kann. Umstritten ist die Frage, ob der Abhängigkeitsbericht den Aktionären ausgehändigt werden sollte199. Ich halte die dagegen vorgetragenen Gründe (Publizität von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, damit zusammenhängende Veranlassung, Berichtsbedürftiges nicht zu berichten) nicht für überzeugend. Der Inhalt des Berichts, wie vorgeschlagen, gibt kaum Anlaß, über Geschäftsgeheimnisse zu berichten, jedenfalls nicht über solche, deren Geheimhaltung legitim ist. Mit Rücksicht auf die empfohlene Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrates, der Aufwertung seiner Position, der Verbesserungen im Bereich von Prüfung und Sonderprüfung würde es sich ein Vorstand im übrigen gründlich überlegen, bevor er einen in wesentlichen Punkten unvollständigen Abhängigkeitsbericht vorlegt. e) Zu prüfen bleibt, ob über die vorgeschlagenen Regeln noch weitere Maßnahmen ins Auge zu fassen sind, namentlich solche, die in Art. 11 der Konzernrichtlinie vorgesehen sind200. Was die Untersagung der weiteren Erfüllung schädlicher Vereinbarungen sowie die Rückgängigmachung schädlicher Maßnahmen angeht, meine ich, daß eine besondere Regelung nicht erforderlich ist, weil die angestrebte Rechtsfolge nichts anderes darstellt als die im Rahmen der Schadensersatzverpflichtung notwendige Naturalrestitution. Die gerichtliche Amtsenthebung eines oder mehrerer Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans der Gesellschaft ist wohl nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, kommt aber nur als ultima ratio in Betracht und bedürfte hinsichtlich

197 198 199 200

Oben bei Fn. 75. Anders Hommelhoff (Fn.73), 136. Nachweise zu dieser Debatte oben Fn. 77. Dazu oben bei Fn. 73.

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ihrer Voraussetzungen sicher noch einer schärferen Fassung201. Zur Abfindungsfrage wurde schon an anderer Stelle Stellung genommen202. Sie ist m. E. deshalb zu verneinen, weil die vorgeschlagenen Sicherungen des Eigeninteresses der Gesellschaft ausreichend wirksam sein dürften. Wenn dies zutrifft, dann kann auch die Einführung einer obligatorischen Dividendengarantie nicht empfohlen werden. Sie würde nur ein Mißtrauen des Gesetzgebers in die Durchschlagskraft einer eigenen Regelung zum Ausdruck bringen. Dieselbe Inkonsistenz spricht gegen die Einführung einer „Ertragsaussichtenkompensation"203 bei Beendigung des Abhängigkeitsverhältnisses. Dagegen ist es aus Gründen der Umgehungsverhinderung erwägenswert, die für Einmanngesellschaften gewählte Haftungslösung204 auch auf andere Gesellschaften zu erstrecken. f ) Nicht geprüft wurde, ob und wie die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in das zukünftige Regelungsgebäude eingebaut werden können. Das hat seinen Grund darin, daß die Frage ohne grundsätzliche Überlegungen arbeitsverfassungsrechtlicher Natur nicht geklärt werden kann205. Bemerkt sei immerhin, daß minderheitenanaloge Rechte der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft den rechtstechnischen Vorteil hätten, eine Einheitslösung für Gesellschaften mit oder ohne Minderheitsaktionäre zu ermöglichen. Ob das auch in sachlicher Hinsicht gerechtfertigt ist, ist allerdings durchaus problematisch206. 4. Zu überlegen bleibt, ob es zweckmäßig ist, für besondere haltslagen auch besondere Regeln einzuführen.

Sacbver-

a) Für sog. personalistische Gesellschaften ist die Frage m. E. zu verneinen. Dafür spricht schon das wohl nicht überzeugend lösbare Abgrenzungsproblem. Des weiteren werden solche Sonderregeln hauptsächlich nur für den Fall diskutiert, daß ein Konzern oder gar ein qualifizierter Konzern vorliegt207. Eine Regelung, die wie die hier vorgeschlagene darauf hinzielt, schon die mit solchen Situationen verbundene Gefährdung der Gesellschaft zu neutralisieren, braucht aus dieser Sicht nicht modifiziert werden. Dazu Hommelhoff (Fn. 73), 134. Oben 1 b. 203 Oben bei Fn. 112. 204 Vgl. unten 4 b. 205 Zu den diesbezüglichen Diskussionen um den Vorschlag der sog. „Strukturrichtlinie" auf europäischer Ebene Kolvenbach, DB 1986, 2023, 2024 f m.w. N. 2« Fraglich ist z . B . schon, ob die Arbeitnehmer an der Erhaltung der Selbständigkeit der Gesellschaft im Regelfall überhaupt besonders interessiert sind. Die Vorstellung, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat als Sachwalter von Gläubigerinteressen aufzufassen, erscheint jedenfalls wenig attraktiv. 207 Für Nachweise oben Fn. 65. 201

202

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b) Auf Einmanngesellschaften paßt das vorentwickelte Konzept von vornherein nicht, weil es bei Fehlen einer Minderheit gegenstandslos wird. Allerdings ist die weitere Entwicklung der Rechtslage vermutlich durch den diesbezüglichen Richtlinienvorschlag der EWG-Kommission208 vorgeprägt. Sieht man davon ab, so müßte zunächst entschieden werden, ob der Einmanngesellschaft eigene Interessen zuzuordnen sind209. Je nachdem, wie diese Frage beantwortet wird, müßten Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaft selbst getroffen werden oder es würde genügen, sich mit Problemen der Gläubigersicherung zu beschäftigen. Letzteres ist m. E. richtig. Dann wäre zunächst zu prüfen, ob es den Gläubigern der Gesellschaft zugemutet werden kann, dem Ausfallrisiko über den Markt Rechnung zu tragen210. Bei - vermutlicher - Verneinung dieser Frage wäre als nächstes zu klären, ob Sicherungen erst im Konkurs der Gesellschaft oder früher eingreifen sollen211. Für letzteres ließe sich geltend machen, daß das herrschende Unternehmen in der Insolvenz der Gesellschaft selbst nicht mehr leistungsfähig sein kann. Ob das als Begründung einer jährlichen Verlustdeckungspflicht und eventuell einer zusätzlichen Liquiditätsgarantie aber ausreicht, muß doch bezweifelt werden. Dagegen spricht jedenfalls, daß sich diese Lösung doch sehr weit von den Prinzipien des geltenden Rechts entfernt. Mit der Lage bei Vorliegen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages, erst recht bei der Eingliederung nach den §§319 ff dAktG läßt sich die Situation nicht vergleichen, weil die Vorstandsverantwortlichkeit und die Regeln über Kapitalaufbringung und -erhaltung, wohl auch das Schädigungsverbot, auch bei der abhängigen Einmann-AG in Kraft bleiben. Daher scheint ein Ausbau der in Osterreich schon de lege lata gegebenen Ausfallhaftung im Konkurs212 zugunsten allerdings der Gesellschaft, nicht deren Gläubiger213, das Richtige zu treffen. Aber auch dann sollte dem herrschenden Unternehmen der Nachweis gestattet werden, daß die Insolvenz der Tochter nichts mit Entscheidungen des herrschenden Unternehmens zu tun hat.

Zu ihm oben II 2 e. De lege lata ist die Frage außerordentlich umstritten. Vgl. die Nachweise bei Wiedemann (Fn. 12), 87; bejahend für Osterreich Yanis (Fn. 6), 134; Krejci (Fn. 6), 280 ff; Jahomegg, GesRZ 1988, 179, 182 f; anders Koppensteiner, WB1 1988, 1, 3f; ders. in Rowedder, GmbHG, 2. Aufl. 1989, §43 Rdn.4a. 210 Dazu Kirchner (Fn. 5), 229 f; s. in diesem Zusammenhang auch Druey (Fn. 10), 364 ff: Ausschluß prinzipieller Konzernhaftung durch eine Erklärung der Konzernspitze mit hohen Publizitätsanforderungen; kritisch Roth, ZGR 1986, 371, 375 ff. 211 Rechtsvergleichender Uberblick bei Lutter (Fn. 3), 354 ff. 212 Dazu OGH JB1 1986, 713 - EUMIG; die Entscheidung wird besprochen bei Dorait (Fn. 14), 40 ff m.w.N. 2,3 Vgl. K. Schmidt, JZ 1985, 301, 306. 208

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In Ausgliederungsfällen wird wohl in aller Regel eine Einmanngesellschaft oder, was aus der Sicht der Gläubiger auf dasselbe hinausläuft, ein Gemeinschaftsunternehmen entstehen. Insofern decken Lösungen zum Gläubigerschutz bei der Einmanngesellschaft auch diese Sachverhaltslage mit ab. Unterschiedliche Regelungen für Gesellschaften mit und ohne Minderheitsbeteiligung sind deshalb nicht unproblematisch, weil mit dem Einsatz von Strohmännern gerechnet werden muß214. Die Differenzierung scheint indes durch die Entwicklung des europäischen Rechts vorgegeben. Umgehungsversuchen könnte im übrigen, wie schon angedeutet, durch eine Ausdehnung der Ausfallhaftung auf Gesellschaften mit Minderheitsbeteiligung Rechnung getragen werden. Bei Einhaltung der für solche Gesellschaften im übrigen geltenden Regeln dürfte der Entlastungsbeweis relativ leicht zu führen sein. c) Besonders heikel ist die Frage, was zu geschehen hat, wenn eine Mehrheitsbeteiligung im Zuge eines Sanierungsvorhabens erworben wird. Denn es erscheint klar, daß derartiges nicht stattfinden wird, wenn man dem Anteilserwerber die Hände bindet oder ihn unkalkulierbaren Haftungsrisiken aussetzt. Die Antwort könnte lauten, daß es der Gesellschaft, vertreten durch Vorstand und Aufsichtsrat, in diesem Fall erlaubt wird, durch Vertrag mit einem potentiellen Beteiligungskäufer sonst geltende Sicherungsinstrumente außer Wirksamkeit zu setzen. Als Mittel des Gläubigerschutzes könnte, jedenfalls für die Einmanngesellschaft, erwogen werden, Zulässigkeit und Inhalt eines solchen Vertrages von einer gerichtlichen Genehmigung abhängig zu machen.

2,4 Zu Abgrenzungsproblemen Emmerich 95, 330.

(Fn. 46), 219 ff im Anschluß an BGHZ

Effizienz als Maßstab für die Größe des Aufsichtsrats HAGEN LÜDERITZ

I. Der Aufsichtsrat in der öffentlichen Kritik Im November 1988 und in den folgenden Monaten wurde in den deutschen Medien ausführlich über große wirtschaftliche Schwierigkeiten der Co-op AG berichtet. Sie bestanden im wesentlichen in einer zu hohen Verschuldung, die bisher dem Aufsichtsrat, aber auch einigen der kreditgebenden Banken verborgen geblieben war. Daß dies so sein konnte, wurde begründet mit der unübersichtlichen, nicht offengelegten Konzernstruktur des Unternehmens. Zwar war es verständlich, daß der allgemeinen Öffentlichkeit die tatsächliche wirtschaftliche Lage der Co-op AG unbekannt geblieben war. Aber wie war es möglich, daß Aufsichtsrat und Banken - zumal die Co-op AG erst 1987 an die Börse geführt worden war - von der plötzlichen Schieflage des Unternehmens überrascht wurden? Franz Thoma}, der sich diese Frage ebenfalls stellte, kam in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Ohne Aufsicht und Rat" zu der folgenden, beunruhigenden Feststellung: „Ob Co-op, Neue Heimat, Klöckner, A E G oder welche Firmen man hier immer nennen könnte - in allen Fällen hat die Aufsicht versagt. Und selten wurde einer der nach außen hin so als unantastbar geltenden Aufsichtsräte zur Rechenschaft gezogen ein namhafter Konkursverwalter hat das in 150 Verfahren nur einmal erlebt. Die Räte raten und beaufsichtigen nicht. Ihre Berichte spiegeln vielfach Untätigkeit. Solange das so ist, wird es immer unangenehme Überraschungen geben."

Die· gleiche Zeitung2 führt dann im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Textilgruppe Girmes Anfang 1989 aus: „An erster Stelle ist da der Umstand zu nennen, daß das einst trotz schwieriger Branchensituation lange Jahre in höchstem Maße erfolgreiche und gewinnstrotzende Unternehmen zunächst unter den Augen eines inkompetenten Gefälligkeitsaufsichtsrats in Grund und Boden gemanagt werden k o n n t e . . . "

1 2

Süddeutsche Zeitung vom 2 4 . 1 1 . 1 9 8 8 , ebenso vom 2 8 . 2 . 1 9 8 9 . Vom 3 . 3 . 1 9 8 9 .

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Hagen Lüderitz

II. Möglichkeiten und Grenzen der Aufsicht Dieses generalisierend abwertende Urteil über die Tätigkeit von Aufsichtsräten ist sicher nicht das Ergebnis eingehender Untersuchungen. Es ist vielmehr Ausdruck eines allgemeinen Unbehagens. Es gibt viele kleinere Unternehmen, und hier insbesondere sogenannte Familiengesellschaften, in denen Aufsichtsrat oder Beirat ihre Pflichten und Rechte sehr ernst nehmen. Aber auch bei der Beurteilung der Tätigkeit von Aufsichtsräten in Großunternehmen 3 ist zu berücksichtigen, daß man nicht notwendigerweise von den vergleichsweise wenigen Fällen öffentlich bekannt gewordener mangelnder Aufsicht in einigen nicht so erfolgreichen Unternehmen auf eine ebenso mangelnde Aufsicht in allen anderen Großunternehmen schließen kann. Nicht übersehen darf man auch die rechtlichen und tatsächlichen Grenzen, die dem in den öffentlich diskutierten Krisenfällen immer wieder geforderten steuernden Eingreifen des Aufsichtsrats gesetzt sind. Dennoch scheint die Frage nicht unberechtigt, ob der im Gesetz für Großunternehmen vorgesehene zwanzigköpfige Aufsichtsrat, so wie er sich in der Praxis entwickelt hat, ein geeignetes und wirkungsvolles Berater- und Aufsichtsgremium sein kann. Dieser Frage soll im folgenden nachgegangen werden. Dabei geht es nicht um die Mitbestimmung im Aufsichtsrat, sondern um Fragen, die die Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter gleichermaßen und damit den Aufsichtsrat als Gremium betreffen. III. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats Die Aufsichtsräte der meisten Großunternehmen wurden 1988 neu gewählt. Eine Auswertung der Zusammensetzung der Anteilseignervertreter zeigt zunächst ein breites Spektrum der vertretenen Gruppierungen. Es gehören dazu Vertreter der Industrie, Banken, Versicherungen, Verbände, Aktionärsvereinigungen, aber auch Politiker, Wissenschaftler, Rechtsanwälte und ehemalige Vorstandsmitglieder. In zunehmendem Maße auch Vertreter ausländischer Unternehmen. Immer noch stark in der Minderzahl, aber mit ansteigender Tendenz: Frauen. Die Vertreter der Arbeitnehmerseite rekrutieren sich mit Ausnahme des Vertreters der Leitenden Angestellten aus den unternehmenszugehörigen Betriebsräten sowie aus regionalen und überregionalen Gewerkschaftsgliederungen. Es fällt auf, daß die Position des ersten stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats mehr und mehr von Angehörigen 3 Darunter werden hier Unternehmen verstanden mit mehr als 20000 Mitarbeitern (§7, Abs. 1, Ziff. 3 MitbestG).

Effizienz als Maßstab für die Größe des Aufsichtsrats

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der Belegschaft (in der Regel vom Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats) 4 und nicht mehr ausschließlich von Vorstandsmitgliedern der Gewerkschaft besetzt wird. Vertreter internationaler Gewerkschaftsverbände sind in den Aufsichtsräten, mit ein oder zwei Ausnahmen, nicht anzutreffen. Insgesamt zeigt die Zusammensetzung der Aufsichtsräte durchaus das Bestreben der Unternehmensleitung, der Anteilseigner sowie der Arbeitnehmer, fähige und für das einzelne Unternehmen besonders geeignete Persönlichkeiten als Aufsichtsräte zu gewinnen. Dennoch gibt es eine Reihe von Gründen, die es dem so zusammengesetzten zwanzigköpfigen Aufsichtsrat schwer, und in vielen Fällen nahezu unmöglich machen, die in ihn von der Öffentlichkeit sowie von Anteilseignern und Arbeitnehmern gesetzten Erwartungen zu erfüllen. IV. Interessenkonflikte Die Mitglieder im Aufsichtsrat verfolgen typischerweise eine Mehrheit von Interessen, das heißt von Interessen, die außerhalb des Unternehmensinteresses liegen. Dies gilt weniger für die Belegschaftsvertreter, es gilt aber für die Gewerkschaftsvertreter sowie für die Anteilseignervertreter. Die Verfolgung einer Mehrheit von Interessen bedeutet keineswegs, daß zwischen den verschiedenen Interessen ein Konflikt bestehen muß. Im Gegenteil, die Verfolgung anderer Interessen resultiert in zusätzlichen Kenntnissen und Erfahrungen, die im allgemeinen ein positives Auswahlkriterium für die Gewinnung von Aufsichtsratsmitgliedern sind. Dennoch können in vielfältiger Weise Interessenkonflikte auftreten, die sich auf die Tätigkeit des Aufsichtsrats und insgesamt auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb des Gremiums auswirken. Ebenso können und gegebenenfalls müssen bestehende Interessenkonflikte Umfang und Inhalt der Berichterstattung des Vorstands beeinflussen. Die Rechtsregeln, die in derartigen Fällen für das Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat maßgebend sind, sind von Lutter 1 erschöpfend dargelegt worden. Sie gehen davon aus, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit von Interessenkonflikten gesehen hat und bewußt keine bzw. nur wenige Regelungen zu ihrer Begrenzung vorgesehen hat. Die Lösung der auftretenden Probleme wird allgemein in einer vorausgesetzten Integrität der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder und Geheimhal4 Dies ist der Fall z.B. in den folgenden Unternehmen: BMW A G , Bosch GmbH, BASF A G , Siemens A G , Bayer A G , Hoechst AG. 5 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Auflage 1984.

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Hagen Lüderitz

tungsverpflichtungen gesehen. Vorgeschlagen werden auch spezielle Inkompatibilitätsregelungen 6 sowie eine Abgrenzung der verschiedenen Pflichten- (Interessen-)Kreise, um so geradezu begrifflich eine „Kollision" auszuschließen 7 . Erörtert werden auch Stimmrechtsverbote betroffener Aufsichtsratsmitglieder sowie Ausschluß von der Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen 8 . Tatsächlich beruhen diese Vorschläge möglicherweise auf einigen Annahmen, die so nicht oder nicht mehr zutreffen. 1. Es ist dies z . B . die „freie Verfügbarkeit" von Aufsichtsratsmitgliedern, die es den Unternehmen ermöglichen soll, bei ihrer Auswahl „Kollisionsfälle" zu vermeiden. Tatsächlich ist diese freie Verfügbarkeit, wie die zahlreichen Mehrfachmandate zeigen, nicht gegeben. Mit zunehmender Konzentration der Wirtschaft wird sich in dieser Hinsicht die Situation noch deutlich verschlechtern. Das gilt jedenfalls insoweit, als die Vorstandsmitglieder derartiger Großunternehmen, die sich auf vielfältigen wirtschaftlichen Gebieten betätigen, ein entsprechend großes Interessenkonfliktpotential aufweisen, sollten sie als Aufsichtsratsmitglied in einem nicht konzernverbundenen Unternehmen tätig werden. 2. Die Geheimhaltungspflichten, die zumal für die einzelnen Gruppierungen im Aufsichtsrat in unterschiedlicher Weise gelten 9 , sind in einem zwanzigköpfigen Aufsichtsrat ungeeignet, um Konfliktfälle, die durch Weitergabe von Informationen entstehen können, zu vermeiden. 3. Letztlich entscheidend ist aber das tatsächliche Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat: Der Aufsichtsrat ist in aller Regel in hohem Maße angewiesen auf die Informationsinitiative des Vorstands, die in entscheidendem Maße geprägt ist von der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat. Die Eigeninitiative des Aufsichtsrats zur Informationsbeschaffung ist aus mehreren Gründen beschränkt. Dazu gehören die zu starke Arbeitsbelastung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder, aber auch die Größe des Gremiums (dazu näher unten). Dieses Vertrauen wird nicht geschaffen durch „Integritätsbeschwörungen" oder durch rechtstheoretische Pflichtenabgrenzung zur begrifflichen Vermeidung von Kollisionsfällen, sondern durch das gemeinsame Bewußtsein einer weitgehenden Interessengleichheit. Entscheidend ist deshalb nicht eine definierte, sondern eine natürliche Interessengleichheit.

Lutter, Z H R 145 (1981), S. 234 ff. Werner, Z H R 145 (1981), S. 25 ff. 8 Hanau in Hanau/Ulmer, MitbestG (1981), §26, Rdn. 25 für Arbeitnehmervertreter während des Arbeitskampfes. 9 §394 AktG; vergi. Schmidt-Assmann / Peter Ulmer, Betriebsberater, Beilage 13 zu Heft 27/1988. 6

7

Effizienz als Maßstab für die Größe des Aufsichtsrats

117

V. Beispiele von Interessenkonflikten Relevante Interessenkonflikte bestehen dann, wenn Aufsichtsrat oder Vorstand Grund haben zu der Annahme, daß ein Mitglied des Aufsichtsrats in einer bestimmten Frage Interessen verfolgt, die mit dem Unternehmensinteresse nicht vereinbar sind. „Relevant" ist ein derartiger Konflikt nicht etwa deshalb, weil sich an sein Vorhandensein bestimmte Rechtsfolgen knüpfen (in den allermeisten Fällen ist dies nicht der Fall), sondern deshalb, weil er die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat sowie zwischen Aufsichtsrat und Vorstand beeinträchtigt. 1. Vertreter von Großunternehmen

in

Großunternehmen

Das Verhalten und die Leistung eines Unternehmens lassen sich in weitem Umfang individuell und insoweit „kollisionsfrei" beurteilen und damit beaufsichtigen. Anders sieht es allerdings häufig aus, wenn es um Marktstrukturen geht. Zu denken ist hier insbesondere an den Erwerb von Gesellschaften im Zuge einer zunehmenden Konzentration und Diversifikation. In diesen Fällen treffen sich die Interessen nicht nur in den traditionellen Märkten der Unternehmen, sondern in zusätzlichen Bereichen, die, soweit Marktstrukturen betroffen sind, auch den Lebensnerv von Unternehmen treffen können. Die Kollisionsbereiche multiplizieren sich, ohne häufig im einzelnen offenzuliegen oder nachweisbar zu sein. Das Problem taucht besonders auf bei Vertretern von Großunternehmen in Großunternehmen, also der typischen Aufsichtsratsstruktur. Besonders betroffen sind in diesem Rahmen auch die Vertreter der Banken, insbesondere soweit sie mit der Vermittlung von Unternehmenskäufen und -Verkäufen betraut sind. Diese Kollisionsfälle sind nicht mit „Integritätsappellen", „Verschwiegenheitspflichten" oder „Pflichtabgrenzung" zu lösen. In der Praxis werden diese und andere Kollisionsfälle dann eben auch so gelöst, daß der Aufsichtsrat in den betreffenden Fragen erst zu einem sehr späten Zeitpunkt informiert wird. Für die Erteilung von Ratschlägen ist da nur noch wenig Raum. Mit Interessenkonflikten besonderer Art befaßt sich das Kartellrecht: Besteht „Personengleichheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats, des Vorstands oder eines sonstigen, zur Geschäftsführung berufenen Organs von Unternehmen", so wird dies als Zusammenschluß betrachtet. Nach der im Entwurf der 5. GWB-Novelle enthaltenen Nr. 6 des §23, Abs. 2 GWB, wird ein Zusammenschluß auch bereits bei einem geringeren Umfang der Personengleichheit angenommen, soweit die Personengleichheit ausreicht, einen „wettbewerblich erheblichen Einfluß" auf das andere Unternehmen ausüben zu können.

118

Hagen Lüderitz

Der Kartellrechtsgesetzgeber geht davon aus (und betrachtet dies als gesellschaftsrechtlich zunächst einmal für zulässig), daß Aufsichtsratsmitglieder unter bestimmten Bedingungen nicht die Individualinteressen des Unternehmens, in dem sie Aufsichtsratsmitglied sind, wahrnehmen. Er geht vielmehr davon aus, daß sie entweder gemeinsame Interessen mehrerer Unternehmen oder Interessen eines anderen Unternehmens wahrnehmen. Es bleibt abzuwarten, ob diese neue Vorschrift geeignet ist, zu Lösungen der Interessenkonfliktproblematik etwas beizutragen. Unter anderem wird es darauf ankommen, welcher Umfang der Personengleichheit grundsätzlich, sozusagen per se, als kartellrechtlich unproblematisch angesehen werden kann. 2. Aufsichtsratsmandate

in

Konkurrenzunternehmen

Auch hier verschärft sich das Problem durch die zunehmende Konzentration und Diversifikation 9 ". Zwar sind die Fälle inzwischen seltener geworden, in denen derselbe Vertreter eines Unternehmens oder der Gewerkschaften in direkt miteinander konkurrierenden Unternehmen als Aufsichtsratsmitglied dient. Nach wie vor häufig ist aber dieselbe Gewerkschaft bzw. dasselbe Unternehmen (meistens eine Bank) in derartigen Unternehmen vertreten. Ein rechtliches Kollisionsproblem besteht in diesen Fällen zunächst einmal nicht, da das Aufsichtsratsmandat ein persönliches Mandat, und kein Unternehmens- oder Gewerkschaftsmandat ist. Es muß allerdings bezweifelt werden, ob diese rechtstheoretische Erkenntnis in allen Fällen auch dem praktischen Verständnis entspricht. Das Kartellrecht 10 scheint bereits in bestimmten Fällen von einer anderen Auffassung auszugehen. Auch ist es durchaus üblich, daß Unternehmen in ihrer Eigenschaft als Anteilseigner ab einer bestimmten prozentualen Beteiligung (in der Regel ab 10 %) ein Aufsichtsratsmandat beanspruchen. Die Mandate der Gewerkschaftsvertreter sind ebenfalls kraft Gesetzes den Gewerkschaften 11 und nicht einzelnen Personen zugewiesen. Gleiches gilt für die Gebietskörperschaften 12 . 91

In seiner Entscheidung DB AG/MBB vom 17.4.1989 (S.35) hat das BKartA zwischen den wichtigsten im Rüstungssektor tätigen Unternehmen „über die Vertretung in den Aufsichtsorganen eine Vielzahl personeller Verflechtungen festgestellt". Der Bundesminister für Wirtschaft gab den an dem Zusammenschluß beteiligten Unternehmen in seiner Entscheidung vom 6.9.1989 (S. 5) auf, „im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten dafür zu sorgen, daß Angehörige ihrer Führungs- oder Aufsichtsorgane oder andere Leitende Angestellte in den Führungs- oder Aufsichtsorganen anderer Unternehmen nicht vertreten s i n d . . . " 10 Das Kartellrecht rechnet Aufsichtsratsmandate in bestimmten Fällen allerdings den Unternehmen zu (§23, Abs. 2, N r . 4 u. 6 GWB). 11 §7, Absatz 2 MitbestG. 12 Vergi. Anmerkung 9.

Effizienz als Maßstab für die Größe des Aufsichtsrats

119

Schließlich werden im Konzernrecht die von der herrschenden Gesellschaft zu besetzenden Aufsichtsratsmandate durchaus als „Leitungsmandate" des herrschenden Unternehmens begriffen. All dies führt dazu, daß unabhängig davon, wie nun die rechtliche Einordnung der einzelnen Aufsichtsratsmandate zu erfolgen hat, sowohl die Öffentlichkeit als auch die Unternehmensleitung davon ausgehen müssen, in den einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats auch Repräsentanten ihrer Unternehmen bzw. Organisation zu sehen. Dies kann sich bewußt oder unbewußt auswirken auf Inhalt und Umfang der Berichterstattung von Unternehmen, in deren Aufsichtsräten Vertreter von Unternehmen oder Organisationen sitzen, die gleichzeitig in konkurrierenden Unternehmen vertreten sind. Diese beschränkte Berichterstattung ist kartellrechtlich zu begrüßen, unternehmenspolitisch verständlich, aber gesellschaftsrechtlich nicht immer unproblematisch. Auch hier besteht deshalb ein Bedarf nach neuen Lösungen. Es gibt viele weitere Fälle von Interessenkollisionen, wie zum Beispiel das Verhalten von Gewerkschaften in Tarifauseinandersetzungen 13 , die Durchsetzung parteipolitischer Zielsetzungen im Wirtschaftsunternehmen13a oder die mit der freien Mandatswahl der im Aufsichtsrat vertretenen Rechtsanwälte verbundenen möglichen Kollisionen. Allen diesen Fällen ist eines gemeinsam: Mehr als irgendwelche rechtliche Positionen können sie das Vertrauensverhältnis innerhalb und zwischen den einzelnen Gremien belasten. Die Folge ist, daß Aufsicht und Beratung nicht immer in dem erwarteten Maße stattfinden bzw. stattfinden können. Da, wie gezeigt wurde, die möglichen Kollisionsbereiche sich eher vergrößern als verkleinern, muß der bisherige Lösungsansatz, nämlich die Kollisionsbereiche im wesentlichen bestehen zu lassen (oder „wegzudefinieren") und durch Verhaltensregeln für die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder erträglich zu machen, neu überdacht werden. Bevor hierzu einige Lösungsvorschläge gemacht werden, soll noch ein weiterer Gesichtspunkt erörtert werden, der auf die Tätigkeit und Effizienz des Aufsichtsrats einen entscheidenden Einfluß hat: Dies ist die Mitgliederzahl des Aufsichtsrats.

Hanau in Hanau/Ulmer, a.a.O., §25, Rdn.97 u. §26, Rdn.25. So gab das LG Hamburg dem Antrag der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz statt, den Energieminister von Schleswig-Holstein, Günther Jansen, aus dem Aufsichtsrat der Hamburgischen Electrizitätswerke (HEW) auszuschließen. Der Grund war eine tiefgreifende, unlösbare Pflichtenkollision: Die HEW produzieren 79% ihres Stroms aus Kernenergie. Jansen ist erklärter Kernkraftgegner (SZ vom 26.9.1989). 13

,3a

120

Hagen Lüderitz

VI. Größe und Effizienz des Aufsichtsrats Für die Festlegung der Anzahl der Mitglieder im Aufsichtsrat eines Großunternehmens war vor allem der Gedanke bestimmend, die verschiedenen Gruppierungen der Arbeitnehmervertreter in einem ausgewogenen Verhältnis zu beteiligen14. Weniger berücksichtigt wurden die direkten und indirekten Auswirkungen der Größe des Aufsichtsrats auf die Effizienz dieses Gremiums. Dies war politisch möglicherweise verständlich, da es im Zeitpunkt der Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes in erster Linie um die Durchsetzung des Prinzips der Mitbestimmung ging. Nun, da dieses Prinzip sich im wesentlichen durchgesetzt hat, aber gleichzeitig öffentliche Kritik an der Effizienz von Aufsichtsräten geübt wird, ist es angebracht, einige Überlegungen anzustellen zur Auswirkung der Größe eines Aufsichtsrats auf dessen Effizienz. 1. Verantwortung Verantwortung ist dort am größten, wo sie individualisiert ist. Rechtlich wird dies im Aufsichtsrat so erreicht, indem die Verantwortung des Organs (Kollektiwerantwortung) durch eine Individualverantwortung ergänzt wird15. Aufgrund dieser rechtlichen Zuordnung der Verantwortung führt eine höhere Anzahl der Mitglieder im Aufsichtsrat zu einer größeren Anzahl von Individualverantwortungen und damit quantitativ zu einer „gesteigerten" Gesamtverantwortung. Ebenso wie bei der Bewertung einer „Gesamtschuld" aber „Zahlungsfähigkeit" und „Zahlungswilligkeit" zu berücksichtigen sind, müssen bei der Bewertung der Gesamtverantwortung „Verantwortungsfähigkeit" und „Verantwortungswilligkeit" berücksichtigt werden. Die Erfahrung zeigt, daß in einem Gremium mit 20 Personen diese Qualifikationen unterschiedlich verteilt sind und daß ab einer bestimmten Größe eher eine Verantwortungsverwässerung eintritt. Die Praxis hat hieraus insoweit Konsequenzen gezogen, als Aufsichtsräte Ausschüsse und Präsidien bilden und in einigen Fällen zumindest tatsächlich Einfluß und Verantwortung weitgehend an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats abtreten. Nicht nur wird die Aufsicht und Beratung weitgehend auf den Aufsichtsratsvorsitzenden verlagert, er muß gleichzeitig als zusätzliche Aufgabe die Führung des Aufsichtsrats übernehmen. Unter diesen Voraussetzungen kann das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden als Nebenamt zumindest bei Unternehmen, die sich in einer schwierigen wirtschaftliHanau in Hanau/Ulmer, a. a. O . , § 7, Rdn. 6. „ . . . die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder haben für die sorgfältige Wahrnehmung der dem Gesamtaufsichtsrat zustehenden Uberwachungs- und Entscheidungsfunktionen einzustehen." ( U l m e r in Hanau/Ulmer, a. a. O . , § 25, Rdn. 92 und Rdn. 119). H

15

Effizienz als Maßstab für die Größe des Aufsichtsrats

121

chen Lage befinden, nicht mehr wahrgenommen werden16. Die Gesamtverantwortung des Aufsichtsratsvorsitzenden wird tatsächlich zu einer weitgehenden Alleinverantwortung des Aufsichtsratsvorsitzenden. Diese Selbsthilfemaßnahmen sollten begleitet werden durch gesetzliche Regelungen, die unter Effizienzgesichtspunkten die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf die Hälfte, nämlich zehn, beschränkt. Diese Beschränkung ist, wie noch gezeigt werden wird, auch unter anderen Gesichtspunkten zweckmäßig. 2.

Beratung

Beratung des Aufsichtsrats ist sinnvoll in wichtigen unternehmenspolitischen Fragen. Diese Fragen bedürfen der eingehenden Erörterung, möglicherweise der wiederholten Diskussion. Das notwendigerweise formalisierte Verfahren in einem zwanzigköpfigen Aufsichtsrat eignet sich wenig für derartige Beratungen. Der Aufsichtsrat als Organ kann deshalb dieser Beratungsfunktion nicht gerecht werden; es kann auch dem Vorstand nicht zugemutet werden, daß er die Beratung in Anspruch nimmt17. In der Praxis wird auch hier häufig außerhalb von Aufsichtsratssitzungen der Rat einzelner Aufsichtsratsmitglieder gesucht. 3.

Mitglieder

Die Gewinnung von Mitgliedern für einen zwanzigköpfigen Aufsichtsrat erweist sich insbesondere auch auf der Anteilseignerseite als schwierig. Angebot und Nachfrage stehen hier offenbar nicht in einem ausgewogenen Verhältnis, und so kommt es häufig vor, daß viele Aufsichtsratsmitglieder mehrere Mandate neben ihrer im allgemeinen wichtigen Haupttätigkeit wahrnehmen müssen. Dies führt zu einer Arbeitsbelastung, die in vielen Fällen eine angemessene Wahrnehmung der Aufsichtsratsmandate nicht ermöglicht. Allein die Beschäftigung mit den dem Aufsichtsrat in regelmäßigen Abständen vorgelegten Planungen18 eines Unternehmens würde das Studium mehrerer Tage erfordern. Ein Zeitaufwand, den das einzelne, vielbeschäftigte Aufsichtsratsmitglied in der Regel nicht aufbringen kann. 16 Beispiel ist auch hier die Co-op AG, in der Hans Friedrichs den Aufsichtsratsvorsitz verbunden zumindest mit einer vorübergehenden Vollbeschäftigung übernahm. Ein Beispiel in umgekehrter Richtung ist die Krupp GmbH. Hier hat der Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank AG, Herrhausen, u. a. wegen zu großer zeitlicher Beanspruchung das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden abgelehnt. 17 Anders als die Berichtspflicht hegt die Inanspruchnahme von Beratung im Ermessen des Vorstands. 18 Dem Aufsichtsrat werden in der Regel vorgelegt: Langfristplanung, Jahresplanung, Sonderplanungen.

122

Hagen Lüderitz

4. Kosten Kein besonderer Gesichtspunkt der Effizienz des Aufsichtsrats sind zwar die Kosten. Bei den Überlegungen zur sinnvollen Größe des Aufsichtsrats darf aber, ein entsprechender Hinweis nicht fehlen. Die Kosten setzen sich zusammen aus den Aufsichtsratsbezügen sowie den Aufwendungen für die Organisation und die Teilnahme an den Sitzungen. Ohne auf die Höhe dieser Kosten im einzelnen einzugehen, wäre deren Reduktion durch eine Verringerung der Mitgliedszahl im Aufsichtsrat zumindest für die betroffenen Unternehmen vorteilhaft. VII. Zusammenfassung und Lösungsvorschläge Wir haben gesehen, daß die Größe des Aufsichtsrats einen unmittelbaren Einfluß auf die Effizienz dieses Gremiums hat. Die Möglichkeit des Auftretens von Interessenkonflikten wird deutlich vergrößert. 1. Verkleinerung des Aufsichtsrats zur Verringerung von Interessenkonflikten Das Bestehen von Konflikten ist im allgemeinen, abgesehen von definitorischen Schwierigkeiten, nicht immer erkennbar, es wird deshalb aber umso häufiger vermutet. Dadurch wird die vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb des Aufsichtsrats sowie zwischen Aufsichtsrat und Vorstand beeinträchtigt. Verhaltensregeln für die einzelnen betroffenen Aufsichtsratsmitglieder sind nicht geeignet, die Konfliktfälle zu beseitigen, bzw. angemessen zu regeln; ebenso wenig sind es allgemeine Inkompatibilitätsregeln, da sie zunächst einmal die genaue und sicher immer umstrittene Definition des Interessenkonflikts sowie den Nachweis seines Vorliegens verlangen. Spezielle Inkompatibilitätsregeln, wie z. B.: „keine gleichzeitige Wahrnehmung von Mandaten in Konkurrenzunternehmen", sind geeignet, in Einproduktunternehmen (z.B. Automobilunternehmen) die Konfliktfälle zu lösen. In einer zunehmend diversifizierten Wirtschaft ergeben sich aber wiederum die unüberwindbaren Definitionsprobleme, wie z.B.: reicht jede Konkurrenz, oder ist nur der Bereich betroffen, in dem das Schwergewicht der Tätigkeit liegt; welcher Bereich ist das, etc. Eine adäquate Lösung bzw. Begrenzung der Konfliktfälle kann deshalb nur in Regelungen bestehen, die von vornherein die Möglichkeit von Konfliktfällen reduzieren. Hier bietet sich eine Halbierung der Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder im Aufsichtsrat von Großunternehmen an. Der Aufsichtsrat würde dann aus 5 Anteilseignervertretern und 5 Arbeitnehmervertretern bestehen. Eine denkbare Gruppenzuordnung innerhalb der Arbeitnehmervertreter wäre: 2 Arbeiter, 1 Angestellter,

Effizienz als Maßstab für die Größe des Aufsichtsrats

123

1 Leitender Angestellter und 1 Gewerkschaftsvertreter. Die Aufteilung zwischen Arbeitern und Angestellten wird in Zukunft an Bedeutung verlieren, so daß diese Aufteilungsproblematik zu bewältigen sein sollte. Reduziert werden durch die Verringerung der Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder zunächst in erster Linie die Konfliktfälle auf der Anteilseignerseite. Dies ist sachgerecht, da es in erster Linie darum geht, die „verdeckten" Konfliktfälle zu reduzieren. Die erkennbaren, ja offen erklärten Interessenkonflikte, wie ζ. B. diejenigen der Gewerkschaften in Tarifauseinandersetzungen, können sachgerecht im Einzelfall gelöst werden. 2. Verkleinerung des Aufsichtsrats zur

Effizienzsteigerung

Eine Reduzierung der Anzahl der Mitglieder des Aufsichtsrats wird sich positiv auswirken auf Aufsicht, Beratung und Verantwortung, also auf die allgemeine Effizienz des Aufsichtsrats. Durch eine Reduzierung der üblichen vier Sitzungen pro Jahr 19 auf zunächst ζ. B. drei Sitzungen könnte die Arbeitsbelastung der Aufsichtsratsmitglieder weiter begrenzt werden20. Sinnvoll sind also organisatorische Maßnahmen zur besseren Wahrnehmung bestehender Rechte und Pflichten und nicht etwa, wie dies im Zusammenhang mit den Vorgängen bei der Co-op A G von betroffenen Aufsichtsratsmitgliedern gefordert wurde, eine Ausdehnung der Kontrollrechte des Aufsichtsrats21. Zu vertreten ist eine Reduzierung der Anzahl der Aufsichtsratssitzungen u. a. auch deshalb, weil die öffentliche Berichterstattung über Unternehmen zunehmend formalisiert und inhaltlich gesetzlich geregelt wird. Zu denken ist hier an den ab 1990 erforderlichen Weltabschluß 22 oder auch den für das Geschäftsjahr 1989 erstmals zu erstellenden Zwischenbericht 23 . Diese Unterlagen werden zum Teil Angaben enthalten, die bisher nur in Aufsichtsratssitzungen mitgeteilt wurden, jetzt aber öffentlich verfügbar sind.

§ 110. Abs. 2 AktG sieht lediglich zwei Pflichtsitzungen im Jahre vor. Gleichzeitig würde diese Aufwandsbegrenzung es Vertretern aus anderen Ländern der E G ermöglichen, in verstärktem Maße Aufsichtsratsmandate in deutschen Unternehmen wahrzunehmen. Dies wiederum führt zu einer verstärkten Integration des EG-Binnenmarkts sowie zu einer Verbreiterung der Rekrutierurfgsbasis für verantwortungsvolle und fähige Aufsichtsratsmitglieder. 21 Die Süddeutsche Zeitung vom 2 3 . 3 . 1 9 8 9 berichtet, daß der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Co-op AG, Veigel, festgestellt habe, daß das rechtliche Instrumentarium auch bei größter Gewissenhaftigkeit des Aufsichtsrats nicht ausreiche, Unternehmensschieflagen rechtzeitig zu erkennen und abzuwenden. Der Gesetzgeber müsse daraus Konsequenzen ziehen. 22 §23, Abs.2 E G H G B : Für das nach dem 3 1 . 1 2 . 1 9 8 9 beginnende Geschäftsjahr. 23 §§ 53 ff BörsenzulassungsVO. 19

20

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft Haftungsrisiken beim 'asset stripping'*

MARCUS LUTTER

I. Überblick 1. Das

Geschehen

Es gibt im Wirtschaftsrecht kleine Anlässe mit großen Folgen: Hätte ΙΤΓ gedacht, daß es mit der - aus seiner Sicht - „normalen" Konzernumlage den Grundstein für das deutsche GmbH-Konzernrecht legen würde1? Hätte der Vorstand der kleinen Hamburger Hafen- und Holz-AG wohl geahnt, daß er sich am Bau der Villa Holzmüller beteiligen würde2? Und konnte der Gesellschafter Heidemann wissen, daß er zwar mit seinen Autokränen Schiffbruch erleiden, dafür aber als Zimmermann des qualifizierten Konzerns in die Geschichte eingehen würde3? Auf der anderen Seite gibt es Fälle, die mit großem Getöse beginnen und versprechen, Rechtsgeschichte zu schreiben, dann aber wie ein Strohfeuer erlöschen. Dazu gehört das Verfahren Feldmühle Nobel AG, der einstigen Flick-Tochter: Die beiden Flick-Neffen hatten eine Sonderprüfung beantragt und waren mit diesem Begehren vom Amtsgericht Düsseldorf energisch abgewiesen worden4. Und damit gaben sie dieses Begehren ebenso auf wie ein laufendes Anfechtungsverfahren vor dem zuständigen Landgericht.

* Die Ausführungen beruhen zum Teil auf einer Anfrage aus der Praxis. 1 B G H Z 6 5 , 15 und dazu Rehbinder, ZGR1976, 386; Ulmer, NJW1976, 191; Wiedemann, JZ1976, 392; Stimpel, AG 1986, 117; zuletzt Lutter, in: Hommelhoff u.a., Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, ZGR-Sonderheft 6, 1986, S. 192 ff. 2 B G H Z 8 3 , 122 und dazu Martens, Z H R 1 4 7 (1983), 377 ff. sowie Lutter, FS Stimpel, 1985, S. 825 ff. mit allen Nachw. 3 B G H Z 9 5 , 330 und dazu u.a. Lutter, ZIP 1985, 1425; Rehbinder, AG 1986, 85; Stimpel, AG 1986, 117; Ulmer, AG 1986, 123; Semler, FS Goerdeler, 1987, S.551, 571 ff.; Wiedemann, ZGR1986, 656; Assmann, JZ 1986, 881 und 928. 4 ZIP 1988, 1970 und dazu Hirte, ZIP 1988, 953.

126

Marcus Lutter

Zur Erörterung der eigentlichen Probleme ist es vor den Gerichten daher nicht gekommen. Worum ging es? Flick - genauer: Die Friedrich Flick K G - hatte im Dezember 1985 seine 100% ige Beteiligung an der Feldmühle Nobel A G zu 98 % an eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bank A G (die „Alma-Beteiligungsgesellschaft mbH") und zu 2 % an die Baden-Württembergische Bank A G verkauft und per 31.12.1985/ 01.01.1986 dinglich übereignet. Diesem Vorgang waren monatelange Verhandlungen vorausgegangen, die in einem Angebot der Friedrich Flick K G vom 28.11.1985 und deren Annahme durch die Deutsche Bank A G für die Erwerber am 17.12.1985 endeten. Zum Vermögen der Feldmühle Nobel A G gehörten industrielle Beteiligungen (Feldmühle AG, Dynamit Nobel A G und Buderus) und Finanz-Beteiligungen, vor allem eine solche an der US-Corporation Grace und eine 10%ige Beteiligung an der Daimler-Benz AG. Schon in den Verhandlungen mit Flick war festgelegt worden, daß diese Finanzbeteiligungen umgehend von der Feldmühle Nobel A G veräußert werden sollten, anschließend ein Rumpfgeschäftsjahr gebildet, der Sonderertrag aus der Veräußerung der Finanzbeteiligungen an die neuen Aktionäre (Alma und Treuhänderin Baden-Württembergische Bank) ausgeschüttet und die so „leichter" gewordenen Aktien der Feldmühle Nobel A G an der Börse piaziert werden sollten. Exakt so geschah es dann auch. Die Flick-Neffen erwarben später Aktien der „geleichterten" Feldmühle Nobel A G und warfen dem Vorstand in der nächsten Hauptversammlung der nunmehr in Streubesitz befindlichen A G am 15.07.1987 vor, Beteiligungsvermögen der A G auf Veranlassung der Deutschen Bank unter seinem wirtschaftlichen Wert veräußert, mithin verschleudert und die A G auf diese Weise geschädigt zu haben; sie beantragten daher eine Sonderprüfung und fochten verschiedene Beschlüsse der fraglichen Hauptversammlung an. Der Vorstand der Feldmühle Nobel A G bestritt energisch jeden Gedanken an eine „Verschleuderung" der Beteiligungen und bestritt darüber hinaus, zum Zeitpunkt der Veräußerungen (Grace am 05./10.12.1985; Daimler am 17. / 18.12.1985) ein von der Deutschen Bank abhängiges Unternehmen gewesen zu sein und auf deren Veranlassung gehandelt zu haben. Damit endet das Geschehen. Ungeklärt blieb die Frage der angeblichen Veräußerungen „unter Wert"; ungeklärt blieben aber auch die Rechtsfragen. Und sie lauten u. a., also ohne jede Absicht, Vollständigkeit zu erreichen:

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

127

(1) War die Feldmühle Nobel A G damals ein von der Deutschen Bank abhängiges Unternehmen? (2) War die Veräußerung durch die Deutsche Bank veranlaßt oder mitveranlaßt? Wenn Mit-Veranlassung: Genügt das im Sinne der §§311 ff. AktG? (3) Unterstellt, die Beteiligungen seien unter Preis veräußert worden: Hat die Feldmühle Nobel A G dadurch einen Schaden erlitten, wo doch der ganze Differenzgewinn sofort an die Alleinaktionäre Alma und Baden-Württembergische Bank A G ausgeschüttet werden sollte und wurde? (4) Sollte auch das bejaht werden, hätte dann einer der „neuen" Aktionäre diesen Schaden der Feldmühle Nobel A G nach §§309, 317, 318 AktG für diese geltend machen können? 2. Das Problem Dieser soeben geschilderte Fall und seine Fragen wurden nicht entschieden. Er kann sich aber in ähnlicher Weise, wenn auch unter anderen Voraussetzungen wiederholen. Hier ging es um die durchaus nachvollziehbare Trennung einer A G von ihren „teuren", aber wenig rentierlichen Finanzanlagen; ein anderes Mal mag es schlicht um "asset stripping" gehen: Verkauf gerade der wichtigen unternehmerischen Töchter oder des wichtigen Grundbesitzes. Vorgänge solcher Art sind in den USA heute an der Tagesordnung 5 : Die Ubernahmepreise sind inzwischen so phantastisch6 und stehen oft so außerhalb jeden Verhältnisses zu den eigenen Ressourcen des Ubernehmers, daß überhaupt nur durch den Verkauf von Teilen des Unternehmens (übrigens oft schon vor dem Take-over-Kampf mit den Erwerbern festgelegt) und der Ausschüttung des Verkaufserlöses an den Erwerber die Rückzahlung des Kredites möglich ist, der von ihm zur Bezahlung der im Rahmen des Ubernahmeangebotes dann übernommenen Aktien aufgenommen worden war7. Die obigen Rechtsfragen sind also unmittelbar verkoppelt mit der Frage, wie sich das deutsche Aktienrecht - nur von ihm ist hier die Rede - zu Vorgängen dieser Art verhält.

Lutter/Wahlers, A G 1989, I f f . Im Falle Nabisco hat das Übernahmeangebot sage und schreibe 24Mrd. Dollar ausgemacht; vgl. Lutter/Wahlers, A G 1989, 2 (Fn. 17 u. 24). 7 Näher Lutter/Wahlers, aaO. - Auch hier wurde übrigens von der Deutschen Bank mit der Erwerberin die Veräußerung der Grace-Beteiligung schon vor dem Erwerb der Aktien von Flick festgelegt. 5

6

128

Marcus Lutter

3.

Strukturmaßnahmen

Nur am Rande sei erwähnt, daß in einer Aktiengesellschaft mit außenstehenden Aktionären eine Veräußerung von Gesellschaftsvermögen solchen Umfanges nie und nimmer durch den Vorstand oder die Verwaltung oder gar den Großaktionär allein veranlaßt und durchgeführt werden darf, sondern selbstverständlich als eine sog. Strukturmaßnahme der Zustimmung der Hauptversammlung der betreffenden A G mit satzungsändernder Mehrheit bedarf8. Hält sich die Verwaltung nicht daran, so kann jeder Aktionär auf Unterlassung klagen. Und das gilt naturgemäß auch, wenn die Verwaltung dieses Vorhaben in Einzelschritten verwirklicht, die je für sich den Charakter einer Strukturmaßnahme nicht erreichen: Es kommt dann auf eine zeitliche und gegenständliche Gesamtbetrachtung an9. II. Die Feldmühle Nobel A G ein damals von der Deutschen Bank abhängiges Unternehmen? 1. Überblick Die Feldmühle Nobel A G (damals noch eine KGaA) gehörte zu 100 % der Friedrich Flick KG, deren einziger Vermögensgegenstand sie war; diese ihrerseits gehörte praktisch zu 100 % dem persönlich haftenden Gesellschafter Dr. F. K. Flick (Dr. F.). In der Feldmühle Nobel A G und nicht etwa in der Friedrich Flick K G waren mithin die gesamten industriellen und unternehmerischen Beteiligungen von Dr. F. zusammengefaßt, nicht also in der KG. Dr. F. selbst hatte noch erhebliches, aber rein „privates", also nicht-unternehmerisches Vermögen. Damit ist bereits die Frage problematisch, ob die A G überhaupt von der K G bzw. Dr. F. persönlich im Sinne von § 17 AktG abhängig war. Und es ist weiter problematisch, ob sie statt dessen oder auch von der Deutschen Bank abhängig war; denn diese hatte das ihr von der K G gemachte Angebot auf Übernahme der Aktien durch ihre Tochter erst nach dem Verkauf von Grace und gleichzeitig mit der Veräußerung der Daimler-Beteiligung angenommen; und dinglich gingen die Aktien überhaupt erst auf ihre Tochter über, als Grace und Daimler längst veräußert waren. Die Deutsche Bank war also im Zeitpunkt der Ver8 B G H Z 8 3 , 122 (Holzmüller) und dazu Lutter, FS Stimpel, 1985, S. 825ff.; ders., ZHR151 (1987), 444, 452 ff. sowie ders., FS Fleck, 1988, S. 169 ff. je mit weiteren Nachw.; vgl. auch Martens, aaO. (oben Fn. 2). ' Vgl. die Nachw. in Fn. 8 und die gleichen Überlegungen zur sog. verdeckten Sacheinlage (gegenständliche Gesamtbetrachtung und zeitliche Erstreckung, vgl. Lutter, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 66 Rdn. 31 ff. sowie Lutter, FS Stiefel, 1987, S. 505 ff.).

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

129

käufe noch nicht (mittelbarer) Inhaber der Mitgliedschaften (Aktien) an der Feldmühle Nobel AG. Selbstverständlich handelte der Vorstand dieser AG nicht aus eigener Initiative, sondern auf den gemeinsamen „Wunsch" von Dr. F. und dem Vorstand der Deutschen Bank hin. Aber das mag ggf. für §117 AktG relevant sein; die Befolgung dieses „Wunsches" für sich begründet aber gewiß noch nicht das Merkmal der Abhängigkeit im Sinne von §17 AktG. 2. Abhängigkeit von der Flick KG? a) Die Feldmühle Nobel A G ist gewiß ein Unternehmen; und sie war damals dem bestimmenden Einfluß des Alleinaktionärs Flick K G ebenso gewiß ausgesetzt. Aber der Abhängigkeitsbegriff des AktG ist verkoppelt mit dem Begriff des herrschenden Unternehmens: Abhängig ist man im Sinne von § 17 AktG nur von einem herrschenden Unternehmen 10 . Und damit geht es um die Frage, ob die Flick K G im Sinne dieser Norm „Unternehmen" war. Die Frage mag merkwürdig genug erscheinen: Wieso soll eine im Handelsregister eingetragene und einige Milliarden D M „reiche" K G nicht Unternehmen sein?" Tatsächlich aber ist der Begriff des Unternehmens vom Gesetzgeber des AktG „erfunden" worden, um den „unternehmerischen Aktionär" vom „Privataktionär" zu trennen12. Hinter diesen Begriffen verbirgt sich - übrigens unstreitig der Gedanke, daß man bei „normalen" Aktionären davon ausgehen kann, daß sie „ihre" Gesellschaft in jeder Hinsicht und aus ganz naheliegenden egoistischen Gründen uneingeschränkt fördern, das Interesse am Wohlergehen der A G mit den Interessen aller ihrer Aktionäre also identisch ist13. Hat hingegen ein Aktionär noch weitere unternehmerische Interessen außerhalb der AG, ist er also im einfachsten Fall noch an einem anderen Unternehmen maßgeblich beteiligt, dann muß man fürchten, daß er das eine Unternehmen zugunsten des anderen benachteiligt: Die Vermutung einheitlicher und gemeinsamer Interessen aller Gesellschafter in der betreffenden AG besteht dann nicht mehr, die betreffende AG und ihre etwaigen anderen Aktionäre sind „gefährdet"14.

10 Näher dazu Koppensteiner, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 1 7 Rdn. 17 ff. und Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. z. AktG, 1973, § 1 7 Rdn. 18 ff. 11 Vgl. Zöllner, Zum Unternehmensbegriff der §§15ff. AktG, ZGR1976, Iff. 12 Zöllner, aaO., S. 7ff.; Koppensteiner, Kölner Komm. z. AktG (Fn. 10), § 1 5 Rdn. 7ff. und Geßler, aaO. (Fn. 10), § 1 5 Rdn. 17ff.; vgl. auch Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 3. Aufl. 1989, §2111, S.44ff. 13 Begründung zum RegE. des AktG 65 und Ausschußbericht zu §§20, 21 AktG bei Kropff, AktG 1965, S. 39 ff. und S. 373 f. 14 Lutter, NJW1973, 113 ff.

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Marcus Lutter

b) Über diese Struktur des Abhängigkeitsbegriffs besteht Einigkeit 15 . Und es besteht daher auch weitgehend Einigkeit, daß in diese Vorstellung die „reine" (Zwischen-)Holding wenig paßt 16 : Sie ist von der funktionalen Betrachtung her so „ungefährlich" wie der „Privataktionär"; denn sie hat keine anderen unternehmerischen Interessen als die Beteiligung in eben dieser einen AG. Bei der Auslegung kommt es mithin entscheidend darauf an, ob man dem formalen Aspekt unternehmerischer Organisation folgt - und dieses Merkmal wäre dann bei der Flick KG fraglos erfüllt - oder aber der funktionalen Betrachtung, die dann zu einer entsprechenden Restriktion des Begriffes hier, hingegen zu einer Erweiterung beim unorganisierten Privataktionär mit seinerseits mehrfacher Beteiligung führen muß17. Für die letztere Betrachtung sprechen viele gute Argumente. Das Gesetz hat nicht jeden Mehrheitsaktionär zum „herrschenden Unternehmen" erklärt; und es hat das bewußt getan, u. a. um die betroffene AG bei offenbar konfliktfreien Lagen von zusätzlichen Lasten (insbesondere §312 AktG: Abhängigkeitsbericht) freizustellen. Es hat die AG und ihre anderen Aktionäre aber auch nicht schutzlos gestellt: Immerhin ist § 117 AktG auf Fälle reiner Mehrheitsherrschaft zugeschnitten. c) Trotz dieser Systematik und ihrer im Grundsatz richtigen Abfolge sollte man auch die „eindimensionale" Holding als Unternehmen im Sinne von §§15 ff. AktG verstehen, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen muß man gerade auf solche Konstruktionen § 71 d Satz 2 AktG mit seinem Verbot wechselseitiger Beteiligungen anwenden; dort aber ist im Gesetzestext gerade vom „herrschenden" und „abhängigen" Unternehmen die Rede18. Darüber hinaus aber kann eine solche Holding jederzeit eigene Aktivitäten entfalten oder eine kleine andere Beteiligung hinzuerwerben und würde dadurch ständig vom „Unternehmen" zum „Nicht-Unternehmen" oszillieren; das wäre im Hinblick auf die Stabilität der gesetzlichen Ordnung eine besonders unangebrachte Rechtsfolge. Und schließlich vermittelt die Holding hier über die Feldmühle Nobel AG, die ihrerseits Unternehmen mit vielen Beteiligungsgesellschaften war (und ist), auch (mittelbaren) Einfluß auf diese vielen Enkel-Gesellschaften.

15

Geßler und Koppensteiner, wie Fn. 10 und Fn. 12 je mit weiteren Nachw. Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 1 5 Rdn. 35; Wiedemann/Martens, A G 1976, 197, 201. 17 Beispiel aus früherer Zeit: Quandt persönlich als Aktionär von BMW und I W K A ; dazu Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 15 Rdn. 32 mit weiteren Nachw. " Näher Lutter, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 71 d Rdn. 8 ff.; ders., ZHR151 (1987), 444, 452. 16

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Auch die „eindimensionale" Holding ist daher als Unternehmen anzusehen19. Damit war die Feldmühle Nobel AG ein von der Flick KG abhängiges Unternehmen. 3. Abhängigkeit von Dr. F. persönlich? Damit ist aber noch nicht entschieden, ob die Feldmühle Nobel AG nicht auch ein von Dr. F. persönlich abhängiges Unternehmen war. Würde etwa Siemens seine Beteiligung an Osram über eine „reine" Zwischenholding halten, so wären diese und Siemens Unternehmen im Sinne von §17 AktG; und da auch der mittelbare Einfluß nach dem ausdrücklichen Wortlaut von §17 AktG ausreicht und Siemens selbst vielfach anderweitig engagiert ist, wäre in einer solchen Konstruktion Osram ein von Siemens abhängiges Unternehmen. Auch hier steht damit die Unternehmenseigenschaft, diesmal die von Dr. F., zur Diskussion. Folgt man, wie es hier geschehen ist, im Grundsatz der funktionalen Argumentation, so kommt es auf die rechtliche Befindlichkeit von Dr. F. persönlich nicht an, nicht also auf die Frage, ob er seine übrigen Verhältnisse irgendwie handelsrechtlich o. ä. organisiert hatte. Entscheidend allein ist die Frage, ob er persönlich mehrfach unternehmerisch engagiert war, also insbesondere weiteren unternehmerischen Besitz neben seiner Beteiligung in der KG hatte. Und das war bis auf eine hier nicht interessierende, weil „schlafende" GmbH mit einem Stammkapital von DM 50 000,-, offenbar nicht der Fall. „Private" Güter aber hat jedermann - mehr oder minder. Das hat auch das Gesetz im Unternehmensbegriff gesehen. Diese privaten Güter sind also nicht „konfliktträchtig". Da also Dr. F. all seine industriellen und unternehmerischen Interessen über die KG in der Feldmühle Nobel AG konzentriert hatte, kann auch er persönlich nicht als „Unternehmen" im Sinne von § 17 AktG angesehen werden 20 . 4. Abhängigkeit von der Deutschen Bank? a ) Damit bleibt die Frage, wie die Deutsche Bank als „künftige" mittelbare Inhaberin (praktisch) aller Aktien der Feldmühle Nobel AG im damaligen Zeitpunkt zu beurteilen ist, also als am 5. Dezember die 19 Ebenso Geßler, aaO. (Fn. 10), §15 Rdn. 31 u. 32; Emmerich/Sonnenschein, aaO. (Fn. 12), §2111, 2.d), S.49; Ruwe, AG1980, 21; den., DB1988, 2037, 2041; a.A. BGH A G 1980, 342; OLG Saarbrücken, A G 1980, 26; Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 15 Rdn. 35 mit weiteren Nachw. 20 Im Ergebnis h.M.; vgl. BGHZ19, 334, 337 (VEBA-Gelsenberg) und dazu Lutter/Timm, BB1978, 836 sowie Emmerich/Sonnenschein (Fn. 12), §2111, S. 44 ff.; Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 15 Rdn. 30 ff.; Zöllner, ZGR1976,1 ff. und A G 1978, 40.

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Grace-Beteiligung und am 17. Dezember die Daimler-Aktien veräußert wurden, während die Feldmühle Nobel-Aktien erst am 18. Dezember schuldrechtlich und am 31. Dezember dinglich erworben wurden. Hier nun geht es überhaupt nicht um die Frage, ob die Deutsche Bank Unternehmen war und ist; darüber lohnt es nicht zu reden. Entscheidend ist vielmehr, ob die Deutsche Bank in bezug auf die Feldmühle Nobel AG damals schon, also zum Zeitpunkt der Veräußerung der Grace- und Daimler-Beteiligungen (mittelbar) herrschendes Unternehmen war. Es sieht so aus, als lohne es sich auch darüber nicht, viel zu reden. Denn fraglos war die Deutsche Bank damals, also zu Zeiten der Veräußerung der fraglichen Finanzbeteiligungen durch den Vorstand der Feldmühle Nobel AG, weder unmittelbar noch mittelbar Inhaberin der Mitgliedschaften, konnte damals also ihren Einfluß (noch) nicht auf dem für (Allein-)Aktionäre typischen Weg der Stimmrechtsausübung geltend machen. Auch hat sich inzwischen die zunächst umstrittene Auffassung21 durchgesetzt, daß wirtschaftlicher Einfluß allein keine „Abhängigkeit" im Sinne von § 17 AktG begründen kann. Die Diskussion hat sich sogar auf die Aussage hin verdichtet, daß mit „Herrschaft" im Sinne des §17 AktG überhaupt nur der durch Mitgliedschaft vermittelte Einfluß gemeint sei22. Folgt man dem, so kann von der Deutschen Bank als einem „herrschenden" Unternehmen in bezug auf die Feldmühle Nobel AG damals nicht die Rede sein23. b) Man sollte dennoch die Überlegungen hier nicht vorzeitig abbrechen; denn es wäre für den „Herrschafter" gar zu einfach, die mit der Herrschaft verbundenen Lasten im rechten Moment abzuschütteln oder erst nach den entscheidenden Maßnahmen aufzunehmen 24 . Der damalige Vorstand der Feldmühle Nobel AG wäre ja von sich aus nicht im Traume auf den Gedanken gekommen, die Beteiligungen an Grace und Daimler zu veräußern. Sein bisheriger „Chef" Dr. F. hat dieses Projekt zwar ausdrücklich mitgetragen, wollte es aber für sich - aus welchen 21 Zum einstigen Stand der Diskussionen vgl. einerseits Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit einer Aktiengesellschaft auf schuldvertraglicher und tatsächlicher Grundlage, 1978, und H. Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, andererseits Ulmer, ZGR1978, 457 ff. und Kohler, NJW1978, 2473, 2476 ff. 22 BGHZ90, 381 = WM 1984, 625, 628; Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 17 Rdn. 50 und Krieger, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4 (Aktiengesellschaft), 1988, §68 Rdn. 40 je mit allen Nachw. 23 Nach dem 0 1 . 0 1 . 1 9 8 6 war die Deutsche Bank ganz fraglos (mittelbar) herrschendes Unternehmen; und das ist von allen Beteiligten auch so gesehen und in einem Abhängigkeitsbericht der Feldmühle Nobel A G bzgl. des Rumpfgeschäftsjahres 1986 zum Ausdruck gebracht worden. 24 Wie es hier ja auch tatsächlich geschah - ob im Hinblick auf § 17 AktG oder aus anderen Erwägungen, sei ganz dahingestellt.

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Überlegungen auch immer - nicht. Die Deutsche Bank aber konnte die Aktien wohl aus steuerlichen Gründen überhaupt erst zum 31.12./ 01.01. dinglich erwerben, war aber doch und natürlich und völlig unbestritten der spiritus rector des ganzen Vorganges. Solche Situationen sind dem Gesellschaftsrecht aus anderen Bereichen durchaus vertraut. Man denke nur an den künftigen Aktionär im Zusammenhang mit der verdeckten Sacheinlage25, an verbotete Leistungen an den ehemaligen oder künftigen Aktionär oder das Darlehen eines künftigen Aktionärs 26 . Damit stellt sich die Frage, ob der künftige „Herrschafter " gleich einem existenten „Herrschafter" zu behandeln ist. Das ist tatsächlich jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich die Voraussetzungen der Herrschaft so konkret abzeichnen, daß sich ein „normaler" und „vernünftiger" Vorstand darauf einstellt, - so, wie er sich dem herrschenden Unternehmen in Kenntnis von dessen Machtmitteln gegenüber einstellt, und so wie es schließlich auch hier war. Noch einmal: Der Vorstand der Feldmühle Nobel A G wäre von sich aus niemals auf den Gedanken gekommen, diese Beteiligungen zu veräußern; das Konzept ist von der Deutschen Bank erarbeitet worden; und der Vorstand wußte, daß die Deutsche Bank selbst oder durch eine Tochtergesellschaft alle Aktien übernehmen wird, wenn der Startschuß zur Veräußerung gegeben wird: Dann gab es kein Zurück mehr. Nachdem der Vorstand der Feldmühle Nobel A G den definitiven „Wunsch" zur Veräußerung der Aktien von Grace und Daimler erhalten hatte, war ihm spätestens klar, daß die Deutsche Bank das Ruder übernommen hatte, und zwar auf dem Hintergrund künftiger und dann fraglos mitgliedschaftlicher Herrschaft. Und weshalb sollte man die Zeit vom 05.12. bis zum 31.12.1985 als Nicht-Herrschaft, die nach dem 01.01.1986 - als alles das, was die Deutsche Bank entwickelt hatte, bereits erledigt war - als Herrschaft ansehen? Weshalb also sollte man diese Zeit von 2 Wochen vor Annahme der Offerte und von 4 Wochen vor dem dinglichen Ubergang der Aktien von der Flick K G auf ' die Alma (Deutsche Bank) nicht bereits sub specie der bevorstehenden mitgliedschaftlichen Herrschaft betrachten? Der potentielle Konflikt am 05./ 10.12.1985 ist identisch mit dem am 01.01.1986. Und es liegt in der Tendenz der §§31 Iff. AktG, den mit ihnen intendierten Schutz der abhängigen A G auf die Zeit der faktischen, wenn auch noch nicht mitgliedschaftlich vermittelten Herrschaft vorzuziehen27.

Lutter, Kölner K o m m . (Fn.9), §54 R d n . 5 2 und § 6 6 R d n . 3 1 f f . Lutter, Kölner K o m m . (Fn. 9), § 57 Rdn. 40 und Rdn. 98. 27 Ausgehend von seinem weiten Herrschaftsbegriff bejaht Geßler, in: Geßler/ Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), § 1 7 Rdn. 59 „tatsächliche Verhältnisse" als Grundlage der Beherrschung; aber auch die sehr viel engere Ansicht von Koppensteiner 25

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Die Deutsche Bank war also schon zu Beginn der „Verkaufsaktion" herrschendes Unternehmen im Sinne der §§ 17, 311 ff. AktG. 5. Mehrfache Abhängigkeit f Nach den bisherigen Feststellungen ist die Feldmühle Nobel A G damals ein abhängiges Unternehmen sowohl von der Flick K G als auch von der Deutschen Bank AG gewesen. Das aber erscheint auf den ersten Blick problematisch. Denn Abhängigkeit von mehreren Unternehmen ist zwar durchaus möglich und anerkannt, betrifft aber (nur) den Fall der Koordination (koordinierten Herrschaft) unter den herrschenden Unternehmen 28 . Die Frage, ob es in Ausnahmefällen nicht auch mehrfache Herrschaft ohne besondere Koordination geben kann, ist theoretisch gewiß interessant, bedarf hier aber keiner Vertiefung. Denn die angesprochene Koordination unter den beiden Herrschaftern lag durchaus vor: Die Deutsche Bank hatte eine Option auf die Feldmühle NobelAktien und hat aus dieser Position heraus auch nachdrücklich agiert; die Flick KG aber war durch die Option gebunden, hatte die Veräußerungspläne der Deutschen Bank mit getragen und deren Handeln toleriert, mithin ersichtlich mit der Deutschen Bank kooperiert. Sie war dazu aber auch nach den getroffenen schuldrechtlichen Abreden verpflichtet: Hätte sie das Handeln der Deutschen Bank mit den ihr noch zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Mitteln zu verhindern versucht, so hätte sie mindestens ihre vorvertraglichen Pflichten aufgrund der Option, wenn nicht gar - nach Annahme des Angebotes durch die Deutsche Bank - ihre Vertragspflichten aus dem Aktienverkauf positiv verletzt. Kurz: Die Kooperation bestand und war sogar schuldrechtlich abgesichert.

III. Veranlassung im Sinne von §311 AktG Die zweite Frage nach der Veranlassung ist mit den obigen Ausführungen fast schon beantwortet. Denn der Plan zur Veräußerung ist von der Deutschen Bank entwickelt, auf ihren Wink hin in Gang gesetzt und von einigen ihrer Vorstandsmitglieder auch in den Verhandlungen mit den Käufern begleitet worden. Daß dies alles damals auch mitgetragen wurde vom - noch - formellen Gesellschafter Dr. F., ist hier von untergeordneter Bedeutung: Ohne das Startzeichen der Deutschen Bank (Kölner Komm., § 17 Rdn. 54) bejaht „psychologische Sonderumstände" offenbar dann als Herrschaftsmittel, wenn dieser Einfluß „sicher" ist: Das aber war hier gewiß der Fall. 28 BGHZ62, 193, 196ff.; 74, 359, 360; Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), §17 Rdn. 70 ff. und Krieger (Fn. 22), § 68 Rdn. 50 ff. je mit umfassenden Nachw.

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

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hätte weder der Vorstand der AG gehandelt noch Dr. F. Das aber genügt für das Merkmal der Veranlassung im Sinne von §311 AktG 29 . IV. Schaden der AG Unvergleichlich viel schwieriger als die soeben angesprochene zweite ist die dritte Frage zu beantworten: Hat die Feldmühle Nobel AG im Sinne von §317 AktG einen Schaden erlitten, selbst wenn sie zunächst einen Schaden erlitten hat30? Anders gewendet: Nimmt man einmal an, der Verkauf einer oder aller Finanzbeteiligungen sei tatsächlich unter Wert erfolgt, so bleibt doch der Einwand zu bedenken, der Mehrertrag wäre an die Deutsche Bank bzw. ihre Tochtergesellschaft gewiß auch ausgeschüttet worden, so daß nicht etwa die Feldmühle Nobel AG, sondern allenfalls die Deutsche Bank selbst als (mittelbare) Aktionärin geschädigt worden sei. 1. Unternehmerisches

Beurteilungsermessen

des veranlaßten

Vorstands

Diese Überlegungen wollen nicht näher auf die Frage eingehen, was in diesem Zusammenhang genau „Nachteil" der AG im Sinne von §311 AktG, was ihr „Schaden" im Sinne von §317 AktG ist. Wohl aber ist es von Gewicht, zu prüfen, ob dem veranlaßten Vorstand für die Festlegung des Kaufpreises der Finanzbeteiligungen ein unternehmerisches Beurteilungsermessen zukommt so, wie es im allgemeinen Handeln des Vorstands und vor allem beim Verkauf von Gegenständen ohne einen Marktpreis ganz selbstverständlich ist31. Man muß das annehmen. Denn die Veranlassung als solche wird vom Gesetz ja gerade nicht verboten oder gar diskriminiert; sie ist erlaubt. Nur, wo sie im Ergebnis vom vergleichbaren Geschäft eines sorgfältig handelnden unabhängigen Vorstands ohne solchen Einfluß negativ abweicht, ist sie nachteilig bzw. schädigend32. Das Gesetz verlangt vom Vorstand einer abhängigen nicht mehr als vom Vorstand einer unabhängigen Aktiengesellschaft, arg. § 31711 AktG; es will keine Sonderleistungen vom abhängigen Vorstand, sondern ein pflichtgemäßes Normalverhalten; das aber gibt dem unter-

29 Vgl. Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), §311 Rdn. 8 u. lOff. sowie Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn.10), §311 Rdn.90 u. 95ff. 30 Das „Weniger" in der Kasse der Feldmühle Nobel AG gegenüber dem „Mehr" ist zunächst einmal gewiß ein Schaden im „natürlichen" Sinne: Aber auch im Sinne von §317 AktG? 31 Vgl. Lutter, FS Stiefel, 1987, S.505, 528 f. sowie ders., Kölner Komm. (Fn. 10), § 5 7 Rdn. 16ff.; vgl. weiter Mertens, Kölner Komm. (2. Aufl.), § 7 6 Rdn. 10 und §93 Rdn. 29. 32 Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), §311 Rdn. 33 ff. und Kropff, aaO., §311 Rdn. 158.

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nehmerisch unabhängigen Vorstand naturgemäß einen nicht unerheblichen Spielraum. 2. Schaden Angenommen nun, die weiten Grenzen dieses Spielraums seien hier überschritten, die Veräußerungen aus Gründen der Zeit o. ä. überhastet und, wie man jetzt weiß, deswegen nachteilig getätigt: Ist es dann noch immer ein Schaden der AG? Zunächst war es unter dieser Prämisse gewiß ein Nachteil der AG; sie hätte - das Faktum unterstellt - mehr Geld in ihre Kasse bekommen. Und das ist stets der klarste und einfachste Nachteil für eine natürliche oder auch juristische Person. Fraglich ist also unter der hier angenommenen Prämisse nicht der „Grund"-Nachteil, fraglich ist vielmehr, ob dieser Nachteil (und der auf ihm beruhende Schaden des §317 AktG) nicht später entfallen ist. Zwei denkbare Einwände des herrschenden Unternehmens Deutsche Bank sind zu berücksichtigen: (1) Die AG stünde im jetzigen Zeitpunkt auch nicht besser da, wenn ihr ein höherer Kaufpreis zugeflossen wäre, da dieser zusammen mit den übrigen Gewinnen an die damaligen Aktionäre ausgeschüttet worden wäre. (2) Das herrschende Unternehmen bzw. seine Tochtergesellschaft hätte aber auch mit der AG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nach den §§291, 293 ff. AktG abschließen können; in diesem Fall hätte man als herrschendes Unternehmen kraft des Weisungsrechts aus § 308 AktG die abhängige AG zum ungünstigen Verkauf anweisen können, ohne zum Ausgleich der Nachteile daraus verpflichtet gewesen zu sein. a) Beide möglichen Einwände des herrschenden Unternehmens, also sowohl die hypothetische Dividendenzahlung wie die hypothetische Weisung im hypothetischen Organschaftsvertrag, weisen darauf hin, daß derselbe Schaden des abhängigen Unternehmens auch in anderer Weise hätte eintreten bzw. hätte herbeigeführt werden können. Dieser Aspekt hat Rechtsprechung und Literatur zum Recht des Schadens und seines Ersatzes vielfach beschäftigt, ist früher unter dem Stichwort der „überholenden Kausalität" behandelt worden und wird heute überwiegend unter dem Gesichtspunkt der „hypothetischen Ursachen" bzw. der „Reserveursachen" erörtert33. 33 Eingehend dazu Lange, Handbuch des Schuldrechts, Bd. 1 „Schadensersatz", Tübingen 1979, §4, S. 110ff.; Staudinger-Afe¿ic«5, 11. Aufl., §249 BGB Rdn.98ff.; Münchener Kommemar-Grunsky, 2.Aufl., vor §249 BGB Rdn. 78ff.; Soergel-Mertens, Komm, zum BGB, 11. Aufl. 1986, Vor §249 Rdn. 152 ff.

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

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Unter diesem Stichwort werden durchaus unterschiedliche Fälle angesprochen, die sich jedoch in homogenen Fallgruppen zusammenfassen lassen. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Frage, auf welche Weise bzw. durch wen veranlaßt der Schaden auch noch hätte eintreten können, wäre er nicht bereits eingetreten. Dabei kommen vor allem drei Varianten in Betracht: (1) Der Schaden wäre ohne Eingriff einer dritten Person auch entstanden (der beschädigte Pkw wäre später auf jeden Fall durch Hochwasser zerstört worden, das verletzte Bein hätte später als Raucherbein sowieso amputiert werden müssen); (2) der Schaden wäre durch eine dritte Person ausgelöst (der beschädigte Pkw wäre unweigerlich in eine von X veranlaßte Massenkarambolage verwickelt worden) oder (3) gar vom Geschädigten selbst herbeigeführt worden (der Geschädigte hatte das beschädigte Bild bereits zum Verbrennen vor den Kamin gelegt). Keine dieser drei Fallgestaltungen ist hier angesprochen. Aber: Es gibt darüber hinaus noch Fälle, in denen der - wie hier - rechtswidrig Schädigende den gleichen Erfolg (Schaden) auch durch rechtmäßiges Tun hätte herbeiführen können (sog. rechtmäßiges Alternatiwerhalten). Diese vierte und letzte Fallgruppe wird hier von den möglichen Einwänden des herrschenden Unternehmens angesprochen und bedarf allein der Erörterung. b) Ob ein solcher Hinweis auf eine gleiche Folge, veranlaßt durch ein völlig legales anderes Verhalten, beachtet werden muß, ist vielfach umstritten. Die Ansichten reichen von der allgemeinen Bejahung34 über die ebenso allgemeine Ablehnung35 bis zur Differenzierung nach dem Schutzzweck der verletzten Norm36. Dieser letzten Auffassung ist zu folgen, da sie dem Normenkonflikt durch Differenzierung gerecht wird und die den Schadensersatz stipulierende Vorschrift als Schutznorm ins Zentrum der Überlegung rückt. Eine schematische Freistellung bzw. Nicht-Freistellung von der an sich vorgesehenen Ersatzpflicht wird auf diese Weise vermieden.

34 So vor allem Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 59 ff.; Gotzler, Rechtmäßiges Alternatiwerhalten im haftungsbegründenden Zurechnungszusammenhang, 1977, passim; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT, 6. Aufl., §33111,2.; Münchener Kommenux-Grunsky, vor §249 BGB Rdn.90ff. 35 So vor allem Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl., §55 VI, 4. 36 So BGHZ96, 157, 173 mit umfangreichen Nachw. und BAG NJW1984, 2846, 2847 sowie Lange, aaO. (Fn.33), §4X11,5; Staudinger-^e¿¿c«í, aaO. (Fn.33), §249 BGB Rdn. 111; Soer%A-Mertens, aaO. (Fn.33), Vor §249 BGB Rdn. 160ff.

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aa) Die §§311 ff., 317 AktG sind geradezu klassische Vorschriften zum (mittelbaren) Schutz der Gläubiger einer abhängigen Aktiengesellschaft37. Gerade die §§311 und 317 AktG haben die Aufgabe, alle etwaigen ungünstigen Rechtsgeschäfte der abhängigen AG, die später nur schwer aufgedeckt werden können, möglichst zu vermeiden und jedenfalls spätestens bis zum Ende des Geschäftsjahres auszugleichen. Diesem Schutzzweck zugunsten der mittelbar geschützten Gläubiger würde ein real abgeschlossener Unternehmensvertrag mit seiner anderen, aber nicht minder wirksamen Form des Gläubigerschutzes (Verlustausgleichspflicht nach §302 AktG) durchaus gerecht, nicht aber ein nur gedachter Unternehmensvertrag. Denn für den Gläubiger der abhängigen AG ist es durchaus etwas anderes, ob die abhängige AG tatsächlich unter dem Schutz des §302 AktG steht und von dem herrschenden Unternehmen den Ausgleich jeden Bilanzverlustes verlangen kann, oder ob das so gerade nicht gilt. Ein herrschendes Unternehmen kann daher die mit einem Beherrschungsvertrag verbundenen „Privilegien" nur in Anspruch nehmen, wenn es einen solchen Vertrag auch abschließt und die damit verbundenen Rechtsnachteile auf sich nimmt. Es kann sich hingegen nicht später, wenn sich gezeigt hat, daß eine veranlaßte Maßnahme nachteilig war, auf die bloße Möglichkeit zum Vertragsabschluß berufen, um sich den Rechtspflichten aus der real gegebenen Situation zu entziehen. Daher bestimmt das Gesetz in §294 AktG auch, daß ein Organschaftsvertrag nur wirksam wird mit seiner Eintragung im Handelsregister. Auch das zeigt, daß die Vorteile eines solchen Unternehmensvertrages nur beansprucht werden können, wenn sein Bestehen auch nach außen dokumentiert ist. bb) Gleiche Überlegungen gelten für den Hinweis auf die sonst erfolgte Ausschüttung. Auch dieser Einwand zielt darauf ab, ein Verhalten aufzuzeigen, das auf rechtmäßige Art und Weise zu den gleichen Erfolgen geführt hätte. Aber auch hier steht der Schutzgedanke der Norm einer Berücksichtigung entgegen. Denn wenn ein höherer Ertrag erzielt worden wäre, wäre die Differenz zunächst einmal in das Vermögen der AG gelangt; der Schaden bei der AG wäre gerade nicht entstanden. Freilich wäre später (wahrscheinlich) die Dividende an den Alleinaktionär höher ausgefallen. Dieser Aspekt führt aber nicht dazu, daß ein Schaden der A G entfallen würde. Denn es ist allein Sache der Gesellschaft und ihrer für die jeweilige Maßnahme zuständigen Organe, wie sie mit ihrem Vermögen verfährt38.

37 Unstr., vgl. nur B G H Z 6 9 , 335, 336 f.; Amtl. Begr. zum AktG 65 bei Kropff, AktG 1965, S. 373 und 407; Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., § 721. 38 Zutr. weist Grunsky (Münchener Kommentar), Rdn. 85 vor § 249 BGB darauf hin, daß die Frage, wie der Geschädigte mit dem Mehrerlös umgegangen wäre, zu seiner

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Insbesondere ist es vollkommen üblich, daß eine AG Überschüsse an ihre Aktionäre ausschüttet. Das soll aber nicht zur Folge haben, daß damit der Schädiger entlastet wird. Daher gilt das gleiche auch dann, wenn in der A G das vom Gesetz für Ausschüttungen vorgesehene Verfahren (§§172, 174, 58 AktG) nicht eingehalten wurde. Wäre es anders, so könnte auf diese Weise praktisch jeder Fall einer verbotenen offenen oder verdeckten Gewinnausschüttung in den Rang des Rechtmäßigen erhoben, das Verbot der §§ 57, 58, 62 AktG beliebig unterlaufen werden allein mit dem Argument, daß die AG wohlhabend genug war, um die Ausschüttung auch korrekt und offen vorzunehmen. Eine solche Betrachtung entspricht nicht dem Gesetz39-40. Außerdem könnte eine ertragreiche AG, die stets ihren gesamten Bilanzgewinn an ihre Aktionäre ausschüttet, bei einer solchen Argumentation überhaupt nicht geschädigt werden. Denn nach der Verteilung des Bilanzgewinns stünde sie immer genau so da, wie sie auch ohne das schädigende Ereignis stehen würde. Und das gleiche würde für jede AG gelten, die einen Gewinnabführungsvertrag nach den §§291 ff. AktG wirksam geschlossen hat und mithin stets ihren gesamten Gewinn an den Vertragspartner abzuführen hat. Daraus erhellt, daß es von Rechts wegen dem Schädiger nicht zugute kommen kann, wie die geschädigte abhängige A G ihre Vermögensobjekte und Erträge verwendet hätte. 3. Verzicht der AG auf den Anspruch gegen das herrschende Unternehmen? Der somit aus § 3171 AktG begründete Anspruch gegen das Unternehmen Deutsche Bank - unterstellt, die Beteiligungen seien wirklich unter Wert veräußert worden - könnte schließlich durch einen Verzicht des Vorstands der abhängigen A G auf diesen Anspruch erloschen sein. Ein solcher Verzicht aber ist nur sehr eingeschränkt überhaupt zulässig. Wie die §§317IV, 309 III AktG zeigen, kann die geschädigte AG erst nach Ablauf von drei Jahren seit Entstehen des Anspruchs und dann auch nur auf ihn verzichten, wenn ein Sonderbeschluß der außenstehenden Aktionäre gefaßt wird.

für die Schadensersatzpflicht irrelevanten Privatsphäre gehört. Ebenso auch Mertens, Kölner Komm., 2. Aufl., §93 AktG Rdn.25. 39 Das zeigt auch § 62 II 1 AktG, wonach die Rückgewährpflicht einer unzulässigen Ausschüttung nur entfällt, wenn die Ausschüttung als Gewinn bezogen wurde und der Aktionär nicht wußte, daß er zum Bezug nicht berechtigt war. 40 Vgl. Lutter, Kölner Komm, (oben Fn. 10), §57 Rdn.5 und 14 sowie §62 Rdn. 17ff. und Hefermebl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), §57 Rdn. 4 u. 10 sowie §62 Rdn. 9 ff. je mit allen Nachw.

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V. Geltendmachung der Ansprüche durch jetzige Aktionäre der Feldmühle Nobel AG Damit bleibt noch als letzte und vierte Frage zu erörtern, ob die jetzigen Aktionäre der AG die oben festgestellten Ansprüche für die AG geltend machen können. 1. Zur Geltendmachung

berechtigte

Personen

Ein Schadensersatzanspruch der abhängigen AG gegen das herrschende Unternehmen aus §317 AktG kann von drei Personengruppen für die AG geltend gemacht werden, nämlich vom Vorstand der AG selbst - denn es sind Ansprüche der A G - , von jedem einzelnen ihrer Aktionäre (§ 317IV in Verbindung mit § 309IV AktG) sowie von jedem Gläubiger der AG, der bei ihr keine Befriedigung seiner Ansprüche findet. Hier geht es nur um die Geltendmachung der Ansprüche von einzelnen der jetzigen Aktionäre einer abhängigen AG. 2. Ausschluß der Klagebefugnis wegen Kenntnis vom Verkauf der Beteiligungen a) Gegen die vom Gesetz den Aktionären der geschädigten AG zunächst fraglos gewährte Prozeßstandschaft/Klagebefugnis für die AG und zur Leistung an sie könnte eingewandt werden, daß eine Geltendmachung dieses Anspruchs gerade durch die Aktionäre im vorliegenden Fall treuwidrig wäre, weil sie beim Erwerb der Aktien wußten, daß die fraglichen Beteiligungen aus dem Vermögen der AG bereits ausgeschieden waren41. Diese Offenlegung führt aber nur dazu, daß kaufvertragliche Ansprüche, etwa geschützt durch culpa in contrahendo, gegen den Veräußerer der Aktien (die Deutsche Bank bzw. ihre Tochtergesellschaft) ausscheiden. Nur in diesem Vertragsverhältnis entfallen aufgrund der ordnungsgemäßen Unterrichtung der Aktionäre etwaige Ansprüche. Rechtspositionen der AG werden von dieser Vereinbarung nicht betroffen und können, wie schon § 309 III AktG zeigt, auch gar nicht betroffen werden. Nur ein Anspruch dieser Gesellschaft wird aber von den Aktionären nach § 3 0 9 I V AktG geltend gemacht; eigene Ansprüche werden hiermit nicht verfolgt. Daher müssen sich die Aktionäre auch nicht entgegenhalten lassen, daß sie um den Verkauf der Beteiligungen wußten.

41 Insoweit waren die im Verkaufsprospekt (Börsenprospekt) für die Aktien der Feldmühle Nobel A G (neu) gegebenen Informationen klar und korrekt.

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b) Dieses Ergebnis wird durch den Sinn und Zweck des Klagerechts nach § 309IV AktG unterstrichen: Den Aktionären wurde das Recht zur Geltendmachung der Ansprüche der AG aus §§317 und 318 AktG zugewiesen, weil mit einer Geltendmachung eben dieser Ansprüche durch den Vorstand der abhängigen Aktiengesellschaft nicht gerechnet werden kann. Denn der Vorstand der abhängigen AG ist in aller Regel seinerseits von dem herrschenden Unternehmen abhängig. Hinzu kommt, daß er mit einer Klage gegen das herrschende Unternehmen oftmals zugleich Hinweise auf seine eigene Verantwortlichkeit nach §318 AktG geben müßte42. Gerade dieses Ziel, die Durchsetzung der Ansprüche der Gesellschaft in jedem Fall zu sichern, würde aber konterkariert, wenn allein die Tatsache, daß das herrschende Unternehmen den Vermögensbestand der AG den neu hinzukommenden Aktionären offenlegt, zum Verlust der Klagebefugnis führen würde. Demgemäß muß eine Geltendmachung des Anspruchs gegen das herrschende Unternehmen durch die Aktionäre immer dann möglich sein, wenn auch der Vorstand der abhängigen AG ihn geltend machen könnte. Die Aktionäre treten also gewissermaßen an die Stelle des in dieser Situation typischerweise funktionsunfähigen Vorstands43. Daher spielen Informationen, die sie bei Erwerb der Aktien erhalten haben, keine Rolle.

3. Ausschluß der Klagebefugnis mangels „Bedürfnis Denkbar wäre allerdings, daß die Aktionäre im vorliegenden Fall deshalb treuwidrig handeln, weil sie die auf §§317, 318 AktG gestützten Ansprüche der AG geltend machen, obgleich diese dem Schutz der Gläubiger und der Aktionäre dienen sollen, tatsächlich aber keine dieser beiden Personengruppen im konkreten Fall schutzbedürftig ist. Aktionäre sind als Mitglieder des Verbandes „Aktiengesellschaft" dieser gegenüber zur mitgliedschaftlichen Treue verpflichtet44, können aber nach Maßgabe der konkreten Situation in der betreffenden AG auch ihren Mitaktionären gegenüber zu mitgliedschaftlicher Treue verpflichtet sein45. Hier kommt nur der letztere Aspekt in Betracht. Denn Koppensteiner, Kölner Komm, (oben Fn. 10), §309 Rdn.30. Koppensteiner, aaO., §309 Rdn.30 u. 31; Geßler, in: Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), §309 Rdn.36. 44 RGZ158, 248, 254; näher dazu Lutter, JZ1976, 225 ff. und AcP180 (1980), 84, 102 ff. sowie Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 335ff.; ders., Kölner Komm. z. AktG, l.Aufl., Einl. Rdn. 160 ff. 45 BGHZ103, 184 und dazu Lutter, ZHR153 (1989), 446ff.; ders., JZ1976, 225 ff.; Th. Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, S. 246ff.; Wiedemann, GesellschaftsrechtI, 1980, S. 433; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1987, S.438. 42 43

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Marcus Lutter

Ansprüche der A G für diese gegen Dritte geltend zu machen, kann kaum gegenüber dieser A G treuwidrig sein, möglicherweise aber gegenüber dem der A G schuldenden Mitaktionär. a) Das Klagerecht der Aktionäre dient dazu, den als funktionslos gedachten Vorstand der A G zu substituieren. Daher kann ein treuwidriges Verhalten der Aktionäre nur dann angenommen werden, wenn sich auch der (aktuelle) Vorstand entgegenhalten lassen müßte, daß die Ansprüche aus §317 A k t G in dieser Situation nicht geltend gemacht werden können oder dürfen. Weder §317 A k t G noch sonst eine N o r m aus dem Bereich des Rechts der verbundenen Unternehmen aber setzen eine aktuelle Gläubigergefährdung voraus. Die Idee, die der gesetzlichen Regelung des faktischen Konzerns zugrunde liegt, ist eine andere: Das Vermögen der abhängigen A G soll erhalten bleiben. Daher müssen eventuelle Nachteile, die auf die Einbindung (Konzernierung) zurückzuführen sind, bis zum Ende des Geschäftsjahres ausgeglichen werden 46 . Das Gesetz schützt das Vermögen der abhängigen A G , nicht das der Aktionäre oder Gläubiger. Diese genießen Reflexschutz, sind aber nicht Subjekte der N o r m ; es geht, aus welchen Gründen auch immer, um die abhängige A G als selbständiges Rechtssubjekt. Diese Konzeption dient naturgemäß auch dem Gläubiger und dem Aktionär. Sie setzt aber nicht voraus, daß die Aktionäre im Moment der Geltendmachung des Anspruchs aktuell gefährdet sind: Das gilt, vernünftigerweise, nur für die Gläubiger und ihr Klagerecht, § 3 0 9 I V 3 A k t G . Auch kann der Anspruch erst nach Ablauf einer 5jährigen Verjährungsfrist nicht mehr durchgesetzt werden (§§317IV, 309 V AktG), ganz unabhängig von der Frage, wie sich die Vermögenslage der A G zwischenzeitlich entwickelt hat. b) Das Gesetz zeigt also in den §§311,317 A k t G bestimmte Verhaltensweisen auf, die in einem faktischen Verbund stets und immer unzulässig gegenüber der abhängigen A G sind, und sanktioniert sie mit Schadensersatzansprüchen. An §311 A k t G hat man sich auch zu halten, wenn die Geschäfte gut gehen und auch dann, wenn es sich um eine Einmann-AG handelt. N u r durch ein so generell gefaßtes Verbot kann erreicht werden, daß auf §317 A k t G gestützte Ansprüche auch real durchsetzbar bleiben. Denn weitere, von den Besonderheiten des Einzelfalls abhängige und zusätzliche Einschränkungen dieses Anspruchs würden dazu führen, daß das herrschende Unternehmen kaum noch mit Aussicht auf Erfolg verklagt werden kann. Dies aber könnte letztlich zu einer Erosion des gesetzlichen Systems führen, das bestimmte Verhaltensweisen eben

46 Koppensteiner, Kölner Komm, (oben Fn. 10), §311 Rdn. 1 und Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), §311 Rdn. 1 u. 35.

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

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nur im Vertragskonzern gestattet. Zwischen diesen beiden Konzernierungsformen muß ein Unternehmen wählen. Wählt es den faktischen Konzern, so impliziert dies, daß der Vermögensbestand der abhängigen Aktiengesellschaft per se erhalten werden muß und nur und ausschließlich in den vom Gesetz vorgesehenen Formen (z.B. förmliche Kapitalherabsetzung; Verteilung förmlich festgestellten Bilanzgewinns) gemindert werden darf. c) Die hier angestellten Überlegungen sehen die abhängige A G und ihre Interessen im Zentrum, den klagenden Aktionär als Instrument eben dieses Interesses. Dieser Sehweise könnte man geneigt sein, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. September 198547 entgegenzuhalten. In dieser Entscheidung wurde, anders als hier soeben vorgetragen, das konkrete Gläubigerinteresse ins Zentrum gerückt und die Frage, ob die betreffende Gesellschaft auch um ihrer selbst willen zu schützen ist48, ausdrücklich offengelassen49. Dennoch widerspricht die genannte Entscheidung nicht der hier vorgetragenen Auffassung. Anders als in der A G sind in der GmbH, wie auch der B G H in der genannten Entscheidung betont 50 , die jeweiligen Gesellschafter jederzeit berechtigt, in den Vermögensbestand der GmbH bis zur Grenze des §30 GmbHG (Kapital) einzugreifen; das Verhalten des herrschenden Unternehmens Deutsche Bank wäre also gegenüber eine abhängigen GmbH zulässig gewesen. Das aber macht den Unterschied in den Rechtsformen aus: Auch der Allein-Aktionär ist nach deutschem Aktienrecht strikt an das Verbot nachteiliger Eingriffe gebunden und wird nicht dadurch - mittelbar — entlastet, daß den späteren Aktionären die Klagebefugnis streitig gemacht werden könnte; es geht um die abhängige A G und ihren Bestand; der Rest ist Reflex und trifft daher den Alleinaktionär doppelt: als unmittelbar Pflichtigen aus §§311, 317 AktG und zugleich als Begünstigten des Reflexschutzes. Letzteres aber ist nur Teil-Grund, nicht Inhalt der Regelung.

BGHZ 95, 330 (Autokran). « So Ulmer, ZHR148 (1984), 391, 416ff.; a.A. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, Kommentar z. GmbHG, 15. Aufl. 1988, SchlußanhangI Rdn. 35 mit weiteren Nachw.; zum Stand der Debatte vgl. Lutter, in: Hommelhoff u. a., Entwicklungen im GmbHKonzernrecht, ZGR-Sonderheft6, 1986, S. 192, 210ff. mit weiteren Nachw. 4 9 BGHZ 95, 330, 345 f. 50 BGHZ 95, 330, 340. 47

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VI. Sonderregeln für eine „Teil-Liquidation"? 1. Die

Fragestellung

Letztlich könnte man erwägen, den ganzen damaligen Vorgang als eine Art Liquidation zu werten, für die dann die Bestandsschutzregeln der §§311 ff. AktG möglicherweise nicht mehr in gleicher Weise gelten: Im Falle der Liquidation verfügen die Anteilseigner frei und unbeschränkt über ihre Gesellschaft51. Das gilt insbesondere auch für die Art der Vermögensverwertung, über die sie frei beschließen können 52 . Fraglich ist also, ob gleiches auch im Falle einer „Teil-Liquidation" gilt, insbesondere also bei der Herauslösung und Versilberung eines ganz wesentlichen Teiles des Gesellschaftsvermögens. 2.

Stellungnahme

a) Im Falle der Liquidation einer Gesellschaft und bei der Entscheidung der Gesellschafter über die Verwertung des Vermögens der Gesellschaft kann tatsächlich ein irgendwie geartetes „Eigeninteresse" der zu liquidierenden Gesellschaft an ihrem Fortbestand oder am Erhalt ihres Vermögens nicht (mehr) ausgemacht werden 53 . Eine Haftung des herrschenden Unternehmens und der beteiligten Organe nach §§317, 318 AktG für Weisungen im Rahmen der Vermögensverwertung kann daher durchaus fraglich sein, insbesondere dann, wenn weder Minderheiten noch Gläubigerinteressen tangiert sind. Aber all das ist ganz anders, wenn die Gesellschaft fortbesteht. Das Gesetz läßt nirgends erkennen, daß die Aktionäre und die Organe einer abhängigen AG bei der Verfügung über wesentliche Vermögensteile der abhängigen Gesellschaft plötzlich an die gesetzlichen Regeln der §§311, 317, 318 AktG nicht mehr gebunden sein sollen. Im Gegenteil: Der umgekehrte Schluß liegt deutlich näher. Gerade wenn bedeutsame Teile des Gesellschaftsvermögens betroffen sind, muß sich das herrschende Unternehmen besonders dringlich an die Regeln der §§311, 317 und 318 AktG halten. Eine Privilegierung für das Herauslösen besonders großer Vermögensstücke, mit der Begründung, dann liege eine Teilliquidation vor, widerspricht diesem System. BGHZ103, 184, 190 f. mit Nachw. zum Stand der Diskussion. Umstritten ist hier, ob § 119 II AktG mit seinem Ausschluß der Hauptversammlung von Entscheidungen über Fragen der Geschäftsführung auch in Liquidationsverfahren zu beachten ist (vgl. dazu Kraft, Kölner Komm., l.Aufl., §268 Rdn.4 einerseits, Wiedemann, Großkomm. AktG, 3. Aufl., §268 Anm. 5 andererseits); das aber ist hier nicht die Frage; denn die Veräußerung der gesamten Finanzbeteiligungen ist nicht normale Geschäftsführung und bedarf daher auch in der Liquidation einer Entscheidung durch die Hauptversammlung (so auch Kraft, aaO., Rdn. 5). 53 Vgl. die Entscheidung BGHZ103, 184 (Linotype) und dazu Lutter, ZHR151 (1989), 446 ff. 51

52

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

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b) Der hier geschilderte Fall macht das besonders deutlich: Ein hoher Veräußerungserlös aus dem Verkauf des Beteiligungsbesitzes wäre für die abhängige AG von Vorteil gewesen, sieht man in diesem Zusammenhang erst einmal von der geplanten Ausschüttung des zusätzlichen Gewinns an das herrschende Unternehmen ab. Denn das Desinvestitionsinteresse der Gesellschafter legitimiert nur zur Herauslösung einzelner Vermögensstücke der abhängigen Gesellschaft; aber es führt nicht an den Regeln des Aktiengesetzes vorbei, also an der Berücksichtigung der Vorstandspflichten aus §93 AktG einerseits, den §§311, 317, 318 AktG andererseits. Die fortbestehende AG hat durchaus ein „Eigeninteresse" am Erhalt der nach §311, 317 AktG geschuldeten Summe. Von einem Wegfall des eigenständigen Unternehmensinteresses der abhängigen AG in bezug auf den abzuwickelnden Vermögensteil kann keine Rede sein. Vielmehr ist die abhängige AG als werbendes Unternehmen nach wie vor an der Durchsetzung ihrer Ansprüche interessiert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß auf „Weisung" des herrschenden Unternehmens gerade besonders wertvolle Vermögensobjekte in Geld umgesetzt wurden. c) Schließlich muß man auch bedenken, daß eine förmliche Liquidation mit ihrer breiten Publizität etc. nicht beschlossen worden ist. Daher ist es auch materiell richtig, wenn das Gesetz so lange auf der strikten Einhaltung seiner Regeln beharrt, als sich die Gesellschafter nicht öffentlich zur Liquidation ihrer Gesellschaft bekennen. Dann sind alle Dritten gewarnt und das Gesetz kann sich mit seinen Schutzregeln auf die Besonderheiten der Liquidation zurückziehen. „Doppelvorteile" - going concern und die Vorteile des Gegenteils, der Liquidation - sind von Gesetzes wegen nicht das Gemeinte.

VII. Haftung der beteiligten Verwaltungen 1. Vorstand des herrschenden

Unternehmens

Liegen die Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht des herrschenden Unternehmens vor, so haften nach §317111 AktG auf die fragliche Differenz auch diejenigen seiner gesetzlichen Vertreter (Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer), die den Vorstand der abhängigen AG zu den fraglichen und nachteiligen Verkäufen veranlaßt haben. 2. Vorstand der abhängigen AG a) Eher fraglich ist die Haftung auch der Vorstandsmitglieder der abhängigen AG. Denn nach dem Wortlaut des hier einschlägigen §3181 AktG ist Haftungsgrund die fehlende Angabe des Nachteils im Abhän-

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Marcus Lutter

gigkeitsbericht. Darum allein aber geht es nicht54. Eigentlich gemeint ist, daß der Vorstand seine Pflichten aus § 311 AktG verletzt hat, indem er jeweils nicht

- sorgfältig geprüft hat, ob der vom herrschenden Unternehmen veranlaßte Verkauf der Beteiligungen zu den von diesem festgelegten Preisen nachteilig ist; - diesen Nachteil dem herrschenden Unternehmen gegenüber nicht festgelegt und - auf Ausgleich bis zum Abschluß des Geschäftsjahres (Rumpfgeschäftsjahrs) gedrängt - sowie eben notfalls die entsprechenden Angaben darüber im Abhängigkeitsbericht gemacht hat, also insgesamt nicht mit den Formen und Mitteln des Gesetzes dafür gesorgt hat, daß der Nachteil seiner Gesellschaft ausgeglichen wird. Von einem solchen gesetzmäßigen Verhalten des Vorstands der abhängigen AG kann hier - unter den angenommenen Prämissen - ganz offenbar nicht die Rede sein. b) Nach §§ 93IV, 318 III AktG tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung beruht. Ein förmlicher Beschluß ist hier nicht gefaßt worden. Denkbar wäre aber, daß die formlose Billigung der Vorstandsmaßnahme durch den Quasi-Alleinaktionär einem Beschluß der Hauptversammlung hier gleichsteht. Das ist nicht der Fall; im Aktienrecht sind formlose oder gar konkludente Hauptversammlungsbeschlüsse gänzlich unbekannt 55 . De lege lata kann zwar der Alleinaktionär auf Förmlichkeiten der Einberufung zu einer Hauptversammlung verzichten 56 , muß aber die Regeln einer förmlichen Versammlung strikt beachten; andernfalls handelt es sich um einen Nicht-Beschluß 57 . Im übrigen: Soweit es hier um die Einhaltung der Berichtspflicht nach §312 AktG geht, hat die in §318111 AktG aufgeführte Enthaftungsregel keine praktische Bedeutung. Denn auch ein förmlicher Beschluß der Hauptversammlung der abhängigen AG kann ihren Vorstand nicht von dieser Pflicht zur Berichterstattung befreien, da diese Regel nicht dispo-

54 Dazu Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff Rdn. 2 ff. 55 Zöllner, Kölner Komm., l.Aufl., § 1 1 9 AktG Rdn.4. « Zöllner, aaO., §121 Rdn. 50 ff. 57 Zurückhaltend Zöllner, aaO., §241 AktG Rdn. 49 ff.

(oben

Fn. 10),

§318

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

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sitiv ist. Ein gleichwohl gefaßter Beschluß wäre nicht gesetzmäßig im Sinne des §318111 AktG 58 . c) Sämtliche damaligen Mitglieder des Vorstands der abhängigen AG haften also als Gesamtschuldner neben dem herrschenden Unternehmen der abhängigen AG auf Schadensersatz, soweit sie nicht je für sich nachweisen, die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers doch beachtet zu haben - ein kaum zu erbringender Nachweis, wenn doch die Überschreitung eines unternehmerischen Ermessens schon Voraussetzung des schädigenden Ereignisses selbst hier ist59. Selbst eine zwischenzeitliche Entlastung würde hieran nichts ändern, §120112 in Verbindung mit §§318IV und 309 III AktG.

VIII. Kontrollüberlegungen Hat man das alles so bedacht, die Herrschaft der Deutschen Bank über die Feldmühle Nobel AG im Dezember 1985 und ihre Veranlassung zum Verkauf der Finanzbeteiligungen bejaht, den Nachteil unterstellt und den Fortbestand des Schadens angenommen sowie die Klagebefugnis der neuen Aktionäre trotz ihrer Kenntnis und Information bestätigt, dann empfiehlt es sich doch einzuhalten für eine Kontrolle des Gesamtergebnisses. Denn was hier bisher vertreten wurde, führt zum Schutz der AG per se und vor allem zu ihrem Schutz vor und gegen den alleinigen Aktionär. Das mutet überraschend an und wie die fröhliche Urständ des „Unternehmens an sich"60. Tatsächlich führen plakative Formulierungen solcher Art aber nicht viel weiter. 1. Verdeckte

Gewinnausschüttungen

Vorgänge der hier erörterten Art - Veräußerungen durch eine Gesellschaft zu günstigen Bedingungen - finden nicht selten unmittelbar zwischen der AG und einem ihrer Aktionäre statt. In einem solchen Falle spricht man von einer sog. „verdeckten Gewinnausschüttung", genauer und besser im Sprachgebrauch des Aktiengesetzes von „verdeckter Einlagenrückgewähr" 61 . Solche Gestaltungen werden vom 58 Kropff, aaO., §318 R d n . 9 und Koppensteiner, Kölner Komm, (oben Fn. 10), §318 Rdn. 8. 59 Siehe oben sub IV, 1. 60 Zur Debatte um das „Unternehmen an sich" vor allem in den 20erJahren vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, §61,2., S. 300 ff. sowie Zöllner, Stimmrechtsmacht (oben Fn. 44), S. 67 ff. 61 Vgl. Lutter, Kölner Komm, (oben Fn. 10), §57 Rdn. 15 ff. sowie Hefermehl/ Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), §57 Rdn. 11 ff.

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Aktiengesetz mit Nachdruck mißbilligt und mit aller Energie verfolgt: Der betreffende Aktionär ist zur Rückeinlage nach § 62 AktG verpflichtet, der Vorstand haftet aus § 93 AktG persönlich auf die Differenz; die AG kann den Anspruch weder erlassen noch auf seine Geltendmachung verzichten; dem Aktionär ist jede Einrede und jede Aufrechnungsbefugnis genommen62. In diesen Zusammenhängen spielt es - im Gegensatz zum GmbH-Recht - überhaupt keine Rolle, ob die A G mit der verdeckten Ausschüttung den Bereich ihres Kapitals und ihrer gesetzlichen Rücklage tangiert; denn in der AG unterliegt das ganze Gesellschaftsvermögen der Sperre aus §§57, 58 V AktG: Ohne förmlichen Ausschüttungsbeschluß ist jedwede Leistung an den Aktionär causa societatis schlechthin verboten. Das ist unstreitig63. Und das alles gilt auch und gerade, wenn es sich um den Mehrheits- oder Alleinaktionär handelt: Das Gesetz trifft keinerlei Unterscheidung nach der Zahl der Aktionäre64. 2. Verdeckte im faktischen

Gewinnausschüttung Unternehmensverhund

Diese Rechtslage ändert sich, wenn der betreffende Aktionär, wie im hier erörterten Fall, herrschendes Unternehmen ist. Hier treten für Sachverhalte der soeben genannten Art (verdeckte Gewinnausschüttung bzw. Einlagenrückgewähr) an die Stelle der §§57, 58, 62 AktG die §§311 ff. AktG als leges speciales65. Die Besonderheit dieser Normen besteht aber nur darin, daß der Vorgang unter der Voraussetzung rechtzeitiger Leistung des Ausgleichs erlaubt ist; nicht aber soll die A G etwa schlechter stehen: Das zeigen die §§317, 318 AktG; sie treten mit erweiterter Rechtsfolge (Schadensersatz statt nur Rückeinlage) an die Stelle von §62 AktG. Es ist, sieht man diese Zusammenhänge richtig, überhaupt kein Grund ersichtlich, weshalb die Zahl der Aktionäre etc. bei §§311 ff., 317, 318 AktG eine Rolle spielen sollte, während sie bei den durch sie verdrängten Normen der §§57, 58, 62 AktG ohne jede Bedeutung ist.

Näher dazu Lutter, aaO., §62 Rdn. 4 ff., 28. Vgl. insbes. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 285; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, §10IV,2.; K.Schmidt, Z H R 1 4 7 (1983), 175; Lutter, aaO., §57 Rdn. 5 ff.; Hefermehl/Bungeroth, aaO., §57 Rdn. 4; Barz, Großkomm. AktG, 3. Aufl., §57 Anm. 3. 64 Vgl. dazu Lutter, FS Stiefel, 1987, S. 505, 527. 65 Lutter, Kölner Komm, (oben Fn. 10), §57 Rdn. 76 ff. und Koppensteiner, ibid., §311 Rdn. 107; Hefermehl/Bungeroth (oben Fn.61), §57 Rdn.64 und Kropff, ibid., §311 Rdn. 65; vgl. auch L G Düsseldorf, A G 1979, 290, 291. 62 63

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

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3. Zuwendung an Dritten Wird nun ein Vorgang der hier erörterten Art nicht im Verhältnis vom herrschenden Unternehmen zur abhängigen A G abgewickelt, sondern wie hier - durch gewollte oder ungewollte Zuwendung des Vorteils an einen Dritten, so kann wiederum nichts anderes gelten: Weshalb auch sollte hier die Zusammensetzung des Aktionärskreises für die Rechte der A G und die Pflichten ihrer Verwaltung von Bedeutung sein? Die §§31 I f f . AktG sollen ja u.a. auch alle Fragen danach, weshalb das herrschende Unternehmen eingreift und wohin der Vorteil fließt, obsolet machen 66 . Das herrschende Unternehmen, gleich ob Alleinaktionär oder nur Mehrheitsaktionär, soll entweder den Nachteil ausgleichen mit der Rechtsfolge: Beseitigung des rechtlichen Makels aus seiner Veranlassung oder eben Schadensersatz leisten. Der damit verbundene Bestandsschutz der abhängigen A G auch gegenüber ihrem Alleinaktionär ist hier ebenso gewollt wie im System der §§57, 58 V, 62 AktG 6 7 . Insofern enthalten die §§ 317, 318 AktG mit ihrer Pflicht zur Schadlosstellung der abhängigen A G keinerlei Besonderheit. 4. Unbilliges

Ergebnis?

Letztlich bleibt zu bedenken, daß auf diese Weise Personen (Aktionären) mittelbar Vermögensvorteile zukommen - Schadensersatzleistungen an die abhängige Aktiengesellschaft, die ggf. dann an sie ausgeschüttet werden können 68 - , auf die sie so keinen „Anspruch" haben. Man könnte also geneigt sein, das Ergebnis deswegen als unbillig, ja ungerecht anzusehen.

66 Dieser Aspekt ist nicht mit dem notwendigen Interesse des herrschenden Unternehmens an der nachteiligen Maßnahme zu verwechseln, vgl. dazu Koppensteiner, aaO., §311 Rdn.61; Kropff, aaO., §311 Rdn.34; Flame, Juristische Person, S. 122; K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1987, S. 727. Auch wenn der Vorteil hier den Käufern zukommt, war das eigene Interesse des herrschenden Unternehmens an schneller Abwicklung fraglos gegeben. 67 Die hier vertretene Auffassung deckt sich im Ergebnis, wenn auch gewiß nicht in der Begründung, mit einer Lehre, die eine strengere Achtung und Beachtung der Rechtsfigur der juristischen Person fordert (insbes. Wilhelm, Z H R 1 5 2 (1988), 333 ff. mit weiteren Nachw.). Und diese Auffassung entspricht ihrerseits der traditionellen Lehre und Rechtsprechung in Frankreich, welche die Autonomie der juristischen Person stets nachdrücklich betont hat (vgl. etwa Yves Guyon, Droit des Affaires I, 5. Aufl., Paris 1988, Rdn. 615) eine Lehre, die erst ganz kürzlich durch die Cour de Cassation im berühmten Fall Rozenblum vorsichtig etwas gemildert worden ist (Revue des Sociétés, 1985, 648). 68 Wie einstens die hohe Schadensersatzleistung des Bundes an die Lufthansa A G wegen des Bummelstreiks ihrer Beamten und Fluglotsen zu einer erhöhten Dividende an die Aktionäre geführt hat; vgl. Geschäftsbericht der Lufthansa A G für 1984, S. 31.

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Aber das trifft nach Lage des Gesetzes nicht zu. Dieses hat sich bewußt und betont -zum Schutz der abhängigen AG und nicht zum individuellen Schutz der Gläubiger 69 und Aktionäre entschlossen 70 . Die hier eintretende „Begünstigung" der neuen Aktionäre ist im Interesse der abhängigen A G gewollt; sie tritt daher auch ganz selbstverständlich ein, wenn ein Aktionär in Unkenntnis solcher Dinge zu schlechten Kursen veräußert und der „Neue" die Chance zufällig entdeckt. Seine „Prämie" ist im System des Gesetzes gewollt, kann also nicht unbillig sein; denn das Gesetz ist frei, auch durch solche „Lockmittel" ein bestimmtes und gewünschtes Ergebnis zu erzielen71. Man mag diesen Schutz der abhängigen A G für übertrieben erachten, de lege lata ist er gewollt und in die Systematik des Aktiengesetzes mit seinen §§57, 58 V, 62 AktG einerseits und ersatzweise seine §§311, 317, 318 AktG andererseits eingebunden. Das aber hat dann auch den gewiß großen Vorteil, daß die Aktiengesellschaft deutschen Rechts vor den Angriffen eines etwaigen Plünderers mit viel stärkeren Mauern geschützt ist als etwa eine US-Corporation 72 oder auch eine deutsche G m b H , deren Vermögen dem Zugriff ihrer Gesellschafter stets und jederzeit bis hinab zur Grenze des förmlichen Stammkapitals (§ 30 G m b H G ) offensteht73.

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Anders die Rechte der USA, die den Gläubiger (nur) individuell und ad hoc durch Zuerkennung eines Durchgriffsrechtes (piercing the corporate veil) schützen. Vgl. dazu näher Driike, Haftung einer Muttergesellschaft für Schulden ihrer Tochter nach USamerikanischem und deutschem Recht, Diss. Bonn 1989. 70 Dieser Individualschutz tritt mit den §§304—306 AktG erst im Vertragskonzern neben den fortbestehenden, wenn auch anders gearteten Schutz der Gesellschaft nach §§ 302, 303 AktG (Pflicht zum Verlustausgleich). 71 Ein klares Beispiel dieser Art sind die "punitive damages" des US-amerikanischen Rechtes; vgl. dazu Thümmel, RIW1988, 613 f. mit vielen Nachw. Solche "punitive damages" sind aber auch dem deutschen Recht jedenfalls de lege ferenda nicht mehr ganz fremd; vgl. etwa § 251 des Vorschlages für ein Insider-Gesetz des Arbeitskreises Gesellschaftsrecht (G. Hueck, Lutter, Mertens, Rebbinder, Ulmer, Wiedemann, Zöllner), Heidelberg 1976, S. 66 und S. 110 ff. 72 Dazu eingehend Lutter/Wahlers, AG 1989, 1 ff. 73 Dazu Lutter, Kölner Komm, (oben Fn.10), §57 Rdn.6; ders., FS Stiefel, 1987, S. 505, 525 ff.

Der Bezugsrechtsausschluß anläßlich eines ausländischen Beteiligungserwerbs KLAUS-PETER MARTENS

Probleme des Bezugsrechtsausschlusses sind nach wie vor vielfacher Streitgegenstand in der Praxis 1 . Zwar hat der Bundesgerichtshof in den Entscheidungen „Kali-Salz" 2 und „Holzmann" 3 wesentliche Fragen behandelt und auch wichtige Problemlösungen aufgezeigt. Wenn gleichwohl noch eine in vieler Hinsicht spürbare Rechtsunsicherheit besteht, dann deshalb, weil sich manche Erkenntnis des Bundesgerichtshofs zwischenzeitlich als nicht genügend tragfähig erwiesen hat und weil neues Fallmaterial entdeckt worden ist, das aus damaliger Sicht nicht vorhersehbar war. Unter diesem soeben genannten Aspekt ist vor allem das zunehmende Interesse deutscher Unternehmer nach Zugang und angemessener Präsenz auf den internationalen Kapitalmärkten hervorzuheben4. Eine solche Strategie läßt sich freilich nur dann realisieren, wenn das Bezugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen wird und die Gesellschaft somit in der Lage ist, über das neue Aktienkapital frei zu disponieren. Die damit verbundenen Vorteile sind augenscheinlich und brauchen somit nicht im einzelnen dargelegt zu werden. Soweit es nur um Kapitalschöpfung geht, somit keine weitergehenden Ziele verfolgt werden, ist darauf hinzuweisen, daß die Gesellschaft ihre Aktien ohne Bezugsrecht bei weitem ertragreicher realisieren kann als durch eine Emission mit Bezugsrecht. Der Grund dieses nicht unerheblichen Differenzbetrags liegt in dem relativ langwierigen Verfahren der Ausgabe von Bezugsrechtsaktien und dem deshalb erforderlichen Kursabschlag zugunsten der Emissionsbanken für das von ihnen übernommene Plazie-

1 Zuletzt L G Kassel, ZIP 1989, S . 3 0 6 (Mauser-Waldeck); dazu auch F A Z ν. 2 2 . 2 . 1 9 8 9 sowie ν. 1 3 . 4 . 1 9 8 9 . 2 B G H Z 71, S. 40; dazu Lutter, Z G R 1979, S. 401 ff. 3 B G H Z 83, S. 319; dazu Quack, ZGR 1983, S. 257 ff. 4 Vgl. dazu die Einführung der Bayer-Aktie an der Börse von Tokio, Handelsblatt v. 2 6 . 5 . 1 9 8 7 . Hinzuweisen ist auch auf die weit verbreitete Praxis, internationale Optionsanleihen unter Ausschluß des Bezugsrechts zu piazieren; dazu Scblede-Kley in: Busse v. Colbe-Großfeld-Kley-Martens-Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht (1987), S. 29 f.

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Klaus-Peter Martens

rungsrisiko. Allerdings erschöpft sich das „Vermögensopfer" der Gesellschaft nicht in diesem Kursabschlag, wenn sich alternativ die Chance einer Plazierung auf den internationalen Kapitalmärkten anbietet. Sodann kann die Gesellschaft ex Bezugsrecht gleichsam weltweit die günstigsten Plazierungschancen ausnutzen und damit u. U. einen „Zugewinn" erzielen, der auf dem inländischen Kapitalmarkt nicht erreichbar gewesen wäre. Aus dieser Sicht kann sich das Bezugsrecht als eine für die Gesellschaft teure Sperre vor dem internationalen Kapitalmarkt erweisen. Diese in ihrer grundsätzlichen Bedeutung bisher nicht hinreichend behandelte Gesamtproblematik soll nachstehend unter dem besonderen Aspekt eines ausländischen Beteiligungserwerbs und der damit verbundenen Finanzierung durch eine Emission auf dem zugehörigen Kapitalmarkt erörtert werden. Dabei geht es nicht nur um die erforderliche Kapitalschöpfung, sondern vor allem um eine flankierende Maßnahme zur Präsentation des Konzerns und zur Öffnung des ausländischen Kapitalmarkts für weitere, zukünftige Transaktionen zugunsten der Beteiligungsgesellschaft oder anderer Konzerngesellschaften. Diese besondere Problematik soll nachstehend hinsichtlich des Verfahrens der genehmigten Kapitalerhöhung sowie hinsichtlich der sachlichen Rechtfertigung eines entsprechenden Bezugsrechtsausschlusses behandelt werden. Einige Überlegungen zu etwaigen Schadensersatzansprüchen anläßlich eines rechtswidrigen Bezugsrechtsausschlusses werden diese Ausführungen ergänzen. I. Die Voraussetzung des Bezugsrechtsausschlusses im Rahmen einer genehmigten Kapitalerhöhung Gerade Auslandsakquisitionen lassen sich oftmals nicht plan- und termingerecht realisieren. Vielfach sind derartige Angebote weder vorhersehbar noch mit einer längeren Annahmefrist verbunden. Es kommt deshalb vor allem darauf an, daß die Gesellschaft in jeder Hinsicht flexibel ist und auch kurzfristig über entsprechende Kapitalreserven verfügen kann. Aus diesen Gründen ist nur eine genehmigte Kapitalerhöhung geeignet, einen derartigen Kapitalbedarf einzulösen. Freilich ist ein entsprechender Hauptversammlungsbeschluß, durch den das genehmigte Kapital gleichsam auf Verdacht zur Verfügung gestellt wird, in seiner Wirksamkeit nicht über jeden Zweifel erhaben. Rechtliche Stolpersteine hat der Bundesgerichtshof in seiner Holzmann-Entscheidung ausgelegt, die in der Praxis nicht immer gebührend beachtet werden. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zwar zu Recht an dem Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses festgehalten, dazu aber schon für den Beschluß der Hauptversammlung über das genehmigte Kapital eine konkrete Begründung für

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den Bezugsrechtsausschluß und entsprechende Berichtsgründe nach §§203 Abs. 2 Satz 2, 186 Abs. 4 Satz 2 AktG verlangt. Es sei unzulässig, die Ermächtigung ohne jeden konkreten Anlaß, gewissermaßen „auf Vorrat", mit einem Beschluß nach §202 Abs. 2 AktG zu verbinden5. Auf diese Weise ist die vom Gesetzgeber bezweckte Flexibilität der genehmigten Kapitalverwendung nicht unerheblich eingeschränkt worden. Da der Bundesgerichtshof zudem keine hinreichend präzisen Voraussetzungen für die inhaltliche Darstellung der den sachlichen Grund dokumentierenden Berichtsgründe statuiert, sich stattdessen relativ unbestimmter Formulierungen - „im Rahmen des Möglichen und im Interesse der Gesellschaft Vertretbaren" 6 - bedient hat, weist die Entscheidung für die Praxis ein spürbares Risikopotential auf. Bedenkt man die maximale Laufzeit eines genehmigten Kapitals von fünf Jahren und alle während dieses Zeitraums denkbaren Eventualitäten, alle prognostischen Unsicherheiten und unvorhersehbaren Entscheidungssituationen, dann erweist sich die Ansicht des Bundesgerichtshofs als eine theoretische Uberspannung der im AktG ohnehin nicht eindeutig fixierten Beschlußvoraussetzungen. Gerade die hiesige Thematik läßt erkennen, daß die konkrete Beschreibung eines besonderen Ausschlußgrundes oftmals gar nicht möglich ist. Wollte man deshalb die Ausübung des genehmigten Kapitals unter Ausschluß des Bezugsrechts verwehren, so wird der Gesellschaft die Beteiligungsfinanzierung mittels eigener Aktien generell unmöglich gemacht; denn das Alternatiwerfahren einer ordentlichen Kapitalerhöhung kommt wegen des geringen zeitlichen Dispositionsspielraums in den meisten Fällen nicht in Betracht. Diese vom Bundesgerichtshof nicht gebührend berücksichtigten Problemaspekte sind wohl deshalb vernachlässigt worden, weil es dem Bundesgerichtshof nicht gelungen ist, den Sinn und Zweck der Berichtspflicht bzw. des für den Ermächtigungsbeschluß erforderlichen sachlichen Grundes zu erhellen. Selbstverständlich - und auch vom Bundesgerichtshof zutreffend hervorgehoben - bedarf der Vorstandsbeschluß über die genehmigte Kapitalerhöhung und dem damit verbundenen Ausschluß des Bezugsrechts ebenso der sachlichen Rechtfertigung wie ein entsprechender Hauptversammlungsbeschluß im Rahmen einer ordentlichen Kapitalerhöhung7. Insofern wird der Aktionärsschutz in beiden Fällen in vergleichbarer Weise realisiert. Aus welchen Gründen

BGH2 BGHZ kritisch Hirte, ? BGHZ 1568; Timm, 5

6

83, S. 319, 322. 83, S. 319, 327; zustimmend Brandes, WM 1984, S.289, 297; wie hier Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 112 ff. 83, S.319, 321; Quack, ZGR 1983, S.257, 261; Semler, BB 1983, S. 1566, DB 1982, S.211, 215; Schilling, in: Großkomm, zum AktG, § 2 0 4 Anm.5;

Hirte (Fn. 6), S. 106 m. w. N. in Fn. 29.

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und in welchem Umfang dieser Aktionärsschutz anläßlich einer genehmigten Kapitalerhöhung noch verstärkt werden soll, wird in der Holzmann-Entscheidung nur in Umrissen erkennbar. Die wesentlichen Ausführungen erschöpfen sich in der Behauptung, daß eine Blanko-Ermächtigung darauf hinausliefe, den Abwägungsprozeß über den sachlichen Grund „zeitweise völlig auf die Verwaltung zu verlagern. Das würde der Tragweite einer solchen Entscheidung nicht gerecht und könnte die Möglichkeit, berechtigte sachliche Einwendungen gegen sie vorzubringen, mindestens für den Augenblick erschweren" 8 . Soweit damit Bedenken wegen einer etwaigen Beeinträchtigung des materiellen Interessenschutzes geäußert werden, sind diese in der Sache unbegründet. Dieser Interessenschutz wird durch die Schadensersatzpflicht der Gesellschaft wegen eines unwirksamen Bezugsrechtsausschlusses bzw. wegen der vereitelten Erfüllung des Bezugsrechts ausreichend gesichert9, durch diese Sanktionen auch schon präventiv gefestigt. Angesichts der relativ strengen Voraussetzungen, die der Bundesgerichtshof für den Ausschluß des Bezugsrechts verlangt, ist zu erwarten, daß der Vorstand zusammen mit dem Aufsichtsrat (§204 Abs. 1 AktG) nach dem Vorsichtsprinzip verfährt und somit den gebotenen Aktionärsschutz uneingeschränkt respektiert. Deshalb bedarf es keiner weitergehenden Sicherung durch eine Verschärfung der Beschlußvoraussetzungen. Freilich sieht §203 Abs. 2 AktG ausdrücklich eine Berichtspflicht nach § 186 Abs. 4 AktG vor10. Dieser Berichtspflicht kommt aber nicht die Funktion zu, den für den Bezugsrechtsausschluß erforderlichen konkreten Sachgrund zu dokumentieren; vielmehr geht es generell um die kompetenzrechtliche Bindung des Vorstands durch den von der Hauptversammlung beschlossenen allgemeinen Kapitalverwendungszweck 11 . Wird das Bezugsrecht nicht ausgeschlossen, so ist dieser Zweck eindeutig festgelegt: Angebot des neuen Kapitals zur Zeichnung durch die Aktionäre. Wird jedoch das Bezugsrecht ausgeschlossen, so kann der Vorstand im Rahmen der durch den sachlichen Grund gezogenen Grenzen in vielfacher Weise über das neue Kapital verfügen. Dieser Disposi-

BGHZ 83, S. 319, 322. Dazu unten III. 10 Nach Ansicht von Timm, DB 1982, S.211, 216; Lutter, BB 1981, S.861, 863 ff. sowie Hirte (Fn. 6), S. 120 ff. soll der Vorstand einen gesonderten Bericht vor Ausübung der ihm erteilten Ermächtigung erstellen und sodann einen der Anfechtungsfrist des § 246 AktG entsprechenden Zeitraum bis zur Beschlußfassung verstreichen lassen; dagegen u. a. Marsch, Die A G 1981, S.211, 214; Quack, ZGR 1983, S.257, 264; offengelassen in BGHZ 83, S.319, 327. Eine solche doppelte Berichtspflicht mag zwar geeignet sein, den Aktionärsschutz zu perfektionieren; sie läßt sich aber aus §203 Abs. 2 AktG nicht ableiten. » Ähnlich wohl Marsch, Die A G 1981, S.211, 213. 8

9

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tionsspielraum soll durch den Ermächtigungsbeschluß bzw. den damit verbundenen Ausschluß des Bezugsrechts konkretisiert werden, eingeengt oder aber umfassend überlassen werden. Auf diese Weise legt die Hauptversammlung die aus ihrer Sicht geeigneten Kapitalverwendungszwecke für die Zukunft in abstrakter Form fest. Dabei ist unerheblich, ob und in welcher Weise sich derartige Pläne schon verdichtet haben. Auch wenn der Vorstand bisher nur allgemeine Planvorstellungen hegt, muß er der Hauptversammlung derartige Konzepte schon in abstracto unterbreiten. Diese hat sodann darüber zu beschließen, so daß nunmehr der Vorstand das genehmigte Kapital auch nur für diesen Zweck verwenden darf. Diesem kompetenzrechtlichen Anliegen12 wird also schon dann entsprochen, wenn nur generell der für den Bezugsrechtsausschluß erforderliche Sachgrund berichtet und sodann zum Gegenstand des Ermächtigungsbeschlusses gemacht wird. Jenseits dieses kompetenzrechtlichen Zusammenhangs wird der Aktionärsschutz durch das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses anläßlich des Vorstandsbeschlusses über die Ausübung des genehmigten Kapitals geschützt. Die wesentlichen Vorzüge dieser Konzeption liegen im Vergleich zu der vom Bundesgerichtshof vertretenen Ansicht in der eindeutigen Unterscheidung der mit der Berichtspflicht einerseits und mit der sachlichen Rechtfertigung andererseits verbundenen Funktionen. Während der Bundesgerichtshof beide Erfordernisse einheitlich unter dem Aspekt des gebotenen Aktionärsschutzes gegenüber einem unverhältnismäßigen Bezugsrechtsausschluß zusammengefaßt hat, ist nach der vorstehend vertretenen Ansicht zwischen den Berichtsgründen i. S. einer Kompetenzbindung des Vorstands und den sachlichen Rechtfertigungsgründen zum Schutze gesetzlicher Aktionärsansprüche zu unterscheiden. Aufgrund dieser Unterscheidung erübrigen sich weitergehende Überlegungen über die erforderliche Konkretisierung der Berichtsgründe, über den Bestand der Planungsabsichten des Vorstands und über den Wahrscheinlichkeitsgrad der geplanten Maßnahme. Diese Umstände sind weitgehend spekulativer Art und entziehen sich somit der juristischen Bewertung. Deshalb ist auch die in der Holzmann-Entscheidung hervorgehobene Unterscheidung zwischen einer auf konkreten Anhaltspunkten beruhenden Zukunftsplanung einerseits und einer noch weitgehend unbestimmten Planungsabsicht andererseits allenfalls theoretisch verständlich, in der Praxis aber kaum nachvollziehbar. Es ist deshalb zu hoffen, daß sich dem Bundesgerichtshof alsbald die Gelegenheit bieten

12 Vergleichbar dem B G H Z 83, S. 122 ff.

rechtspolitischen

Anliegen

der

Holzmüller-Entscheidung,

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wird, diese in den Grundlagen und im Ergebnis mißglückte Rechtsprechung zu korrigieren. II. Die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses 1. Spätestens seit der Kali-Salz-Entscheidung des Bundesgerichtshofs besteht ein allgemeiner Konsens über das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung jeglichen Bezugsrechtsausschlusses13. Freilich ist im einzelnen zu bedenken, daß der Bundesgerichtshof dazu keine stringenten Voraussetzungen festgelegt, sondern sich eines offenen, flexiblen Beurteilungsmaßstabs bedient hat. Insbesondere ist nachdrücklich hervorzuheben, daß bisher kein abschließender Enumerativkatalog von Sachverhalten aufgestellt worden ist, in denen der Ausschluß des Bezugsrechts zulässig ist; vielmehr hat der Bundesgerichtshof lediglich exemplarisch einige derartige Konstellationen erwähnt und im übrigen auf die generelle Abwägung der widerstreitenden Gesellschaftsinteressen einerseits und der Aktionärsinteressen andererseits verwiesen14. Deshalb ist diese Rechtsprechung offen für zukünftige Entwicklungen, insbesondere für neuartige Finanzierungsverfahren. Seine allgemeinen Überlegungen hat der Bundesgerichtshof in der Formulierung zusammengefaßt, der Ausschluß des Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung sei nur zulässig, wenn er aus der Sicht im Zeitpunkt der Beschlußfassung auch bei gebührender Berücksichtigung der Folgen für die ausgeschlossenen Aktionäre durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt sei. Dabei seien um so strengere Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung zu stellen, je schwerer der Eingriff in die mitgliedschafts- und vermögensrechtliche Stellung der ausgeschlossenen Aktionäre wiege. Daraus hat namentlich Lutter die seitdem vielfach verwendeten Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entwickelt15. Die Prüfung muß also ergeben, daß - wie der Bundesgerichtshof formuliert hat - „das mit der Kapitalerhöhung verfolgte Ziel auf dem normalen gesetzlichen Weg, d.h. mit einem Bezugsrecht für alle Aktionäre, nicht erreichbar ist"16. Fällt diese Eignungsprüfung positiv aus, so sind sodann die widerstreitenden Interessen der Gesellschaft einerseits und der Aktionäre andererseits zu gewichten. Dabei kommt es entscheidend auf die konkrete Betroffenheit anläßlich der konkret geplanten Maßnahme an. Deshalb Dazu umfassend Hirte (Fn. 6), S. 20 ff. mit umfangreichen Nachweisen. BGHZ 71, S. 40, 45; bestätigt in BGHZ 83, S.319, 323. 15 ZGR 1979, S. 401, 403 ff. 16 BGHZ 71, S. 40, 44 unter Berufung auf Wiedemann in: Großkomm, zum AktG, § 186 Anm. 2 a, c, 12 b sowie Lutter in: KölnerKomm. zum AktG, § 186 Rdn. 49, 50. 13

14

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sind in diesem Zusammenhang vor allem der Übernahmepreis sowie die bisherige und zukünftige Verteilung der quotalen Stimmrechtsverhältnisse innerhalb der Gesellschaft zu berücksichtigen. Gelingt es der Gesellschaft einen Ubernahmepreis zu erzielen, der erheblich über dem noch vertretbaren Ausgabekurs der Bezugsrechtsaktien liegt, so ist auch dieser Entgeltvorteil ein nicht unerheblicher Bewertungsfaktor anläßlich der Abwägung der widerstreitenden Interessen. Ist im übrigen das Aktienkapital weit gestreut und wird auch durch die Übernahme kein spürbarer Aktionärseinfluß begründet, so wird auch das auf den Erhalt des proportionalen Einflusses gerichtete Aktionärsinteresse nicht berührt. Wird zudem die Aktie in einer großen Stückzahl an der Börse gehandelt, so bieten sich dem Aktionär genügend Erwerbschancen, so daß auch der Ausschluß des Bezugsrechts keine entgangenen Erwerbsvorteile zur Folge hat. Diese gleichsam idealtypisch dargestellten Zusammenhänge sollen verdeutlichen, daß jegliche Einheitsbetrachtung verfehlt ist, daß es vielmehr in allen Fällen darauf ankommt, in einem offenen Abwägungsprozeß die widerstreitenden Interessen zu gewichten und daraus Maßstäbe für die Beurteilung des konkreten Bezugsrechtsausschlusses zu entwikkeln. Dabei ist nicht zuletzt auch zu bedenken, daß der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und auch vielfach in der Literatur prononcierte Konflikt zwischen den Gesellschaftsinteressen einerseits und den Aktionärsinteressen andererseits ohnehin zu relativieren ist. Diese Konfliktbeschreibung vernachlässigt, daß die Aktionäre zugleich Träger des Gesellschaftsinteresses sind und daran auch entsprechend partizipieren. Auch wenn dieser Aspekt in der gegenwärtigen Diskussion über die Grenzen zulässigen Bezugsrechtsausschlusses offensichtlich verdrängt worden ist, so ist es doch gleichwohl bare Selbstverständlichkeit, daß der Aktionär auch und vor allem an der positiven Entwicklung seiner Gesellschaft interessiert ist. Aus dieser Sicht ist dieser Interessenkonflikt weniger dramatisch, als oftmals dargestellt wird. Deshalb ist es auch verfehlt, die Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses anläßlich einer Kapitalerhöhung gegen Bareinlage generell zu verneinen17. Richtig ist zwar, daß der Vorrang des Gesellschaftsinteresses anläßlich einer solchen Kapitalerhöhung nicht derart augenscheinlich ist wie im Falle einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage; denn grundsätzlich kann das benötigte Kapital auch von den eigenen Aktionären aufgebracht werden, während die benötigte Sacheinlage eben nur von dem Inferenten erworben werden kann. Es wird jedoch verkannt, daß sich die Kapitalerhö-

17 So aber Hirte (Fn.6), S.67 sowie Timm, DB 1982, S.211, 214 allerdings mit Einschränkungen in Fn. 50.

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hung gegen Bareinlage oftmals nicht in dem effektiven Kapitalzufluß erschöpft, sondern daß damit im Einzelfall auch weitergehende, nichtmonetäre Ziele verfolgt werden können, die nur unter Ausschluß des Bezugsrechts erreichbar sind. In diesem Zusammenhang wird nahezu ausschließlich auf die Einräumung von Belegschaftsaktien abgestellt18. Diesem Paradebeispiel kommt jedoch keine Exklusivbedeutung zu. Vielmehr eignet sich eine Kapitalerhöhung gegen Bareinlage auch in anderen Fällen für einen Ausschluß des Bezugsrechts, sofern die Gesellschaftsinteressen aufgrund des erwähnten Abwägungsprozesses die Aktionärsinteressen überwiegen. Diese Voraussetzungen können äußerstenfalls auch dann erfüllt sein, wenn keine über die Kapitalschöpfung hinausgehenden Ziele verfolgt werden, dieser Kapitalbedarf jedoch zur Finanzierung eines Beteiligungserwerbs ohne zeitlichen Verzug und ohne den mit dem Bezugsrechtsausschluß verbundenen Kursabschlag gedeckt werden muß. Freilich ist einzuräumen, daß derartige Voraussetzungen nur unter besonderen Umständen erfüllt sein werden. 2. Demgegenüber zeichnet sich die hiesige Konstellation einer Kapitalerhöhung zur Finanzierung eines ausländischen Beteiligungserwerbs durch zahlreiche Besonderheiten aus, die einen Ausschluß des Bezugsrechts nahelegen und, sofern keine gewichtigen Aktionärsinteressen entgegenstehen, auch rechtfertigen. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht davon auszugehen, daß eine solche Akquisition einen außergewöhnlichen Umfang aufweist und deshalb auch einen entsprechend umfänglichen Kapitalbedarf auslöst. Zudem ist zu berücksichtigen, daß es das Ziel der Gesellschaft ist, weltweit zu operieren und somit den Konzern als eine internationale Unternehmensgruppe zu entwickeln und in der Öffentlichkeit darzustellen. Deshalb soll die durch die Kapitalerhöhung bedingte Emission auch oder gar primär dazu dienen, durch eine internationale Plazierung das Standing der Gesellschaft hervorzuheben und dadurch die Unternehmensgruppe auf den internationalen Waren- und Kapitalmärkten zu präsentieren. Im einzelnen verfolgt die Gesellschaft über die Kapitalschöpfung hinaus folgende Zwecke. Zuvörderst soll durch die Plazierung des neuen Aktienkapitals auf dem ausländischen, dem erworbenen Unternehmen korrespondierenden Kapitalmarkt diese Akquisition für die Zukunft begünstigt werden. Diese Plazierung ist als flankierende Maßnahme zur Darstellung der neu eingetretenen Unternehmensgruppe und damit zur Erschließung dieses ausländischen Kapitalmarkts für zukünftige Kapitalmaßnahmen des Beteiligungsunternehmens oder der Unternehmensgruppe beabsichtigt. So wie dieses Beteiligungsunternehmen auf dem ausländischen Güter18

Dazu Hirte (Fn. 6), S. 61 m. w. N. sowie weitere Fallgestaltungen.

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markt als Bestandteil der Unternehmensgruppe dargestellt werden muß, ebenso sollen auch die ausländischen Kapitalanleger für das Beteiligungsunternehmen bzw. die Unternehmensgruppe erschlossen und auch für zukünftige Kapitalmaßnahmen gewonnen werden. Angesichts der engen Verzahnung von Güter- und Kapitalmarkt bedarf mithin der Beteiligungserwerb aus der Sicht der Gesellschaft der Ergänzung durch eine Präsentation der Unternehmensgruppe auf dem ausländischen Kapitalmarkt in Form einer umfänglichen, werbewirksam angelegten und zügig durchgeführten Aktienemission". Im engen Zusammenhang mit diesen soeben genannten Erwägungen steht die auf die Zukunft gerichtete Absicht der Gesellschaft, mit dieser Auslandsplazierung einen ersten Schritt auf dem Wege zur dortigen Börsenzulassung zu unternehmen 20 . Auch dieses Ziel ist wiederum hervorragend geeignet, den internationalen Standard der Unternehmensgruppe hervorzuheben. Vor allem aber eröffnen sich damit weitere Möglichkeiten der internationalen Kapitalschöpfung für die Unternehmensgruppe. Ein solches weltweit operierendes Gebilde muß eben auch weltweit an den wichtigsten Börsenplätzen präsent sein. Des weiteren ist ein allgemeines Interesse der Gesellschaft an einer Vergrößerung des Kreises ihrer Anteilseigner zu erkennen21. In der Literatur wird zwar verschiedentlich vertreten, daß das Bezugsrecht nicht deshalb ausgeschlossen werden darf, um durch die Vergabe neuen Kapitals Einfluß auf die Beteiligungsstruktur der Gesellschaft zu nehmen. Ein unmittelbar auf die Veränderung des Aktionärskreises abzielender Bezugsrechtsausschluß könne mangels Übereinstimmung mit dem Gesellschaftsinteresse nie in Frage kommen 22 . Sieht man davon ab, daß eine solche Behauptung wegen ihrer Absolutheit ohnehin fragwürdig ist, so sind auch im übrigen überaus zahlreiche Einwände zu erheben. Da zu dieser Gesamtproblematik schon in anderem Zusammenhang ausführlich Stellung bezogen worden ist23, ist lediglich auf wenige ergänzende Bedenken einzugehen. Unzutreffend ist offensichtlich die schroffe Gegenüberstellung von Gesellschaftsinteresse einerseits und Aktionärsinteresse andererseits. Richtig ist vielmehr, daß das Gesellschaftsinteresse keine von dem Aktionärsinteresse gänzlich losge-

" Solche kapitalmarktorientierten Aspekte werden auch von Timm, DB 1982, S. 211, 215 angesprochen, ohne freilich die hier behandelte Konstellation zu berücksichtigen. 20 Zu diesem Aspekt allgemein, allerdings nur im Hinblick auf den Bezugsrechtsverzicht Hirte (Fn. 6), S. 65. Vgl. jedoch oben Fn. 4. 21 Dazu Zindel, Bezugsrechte in der Aktiengesellschaft (1984), S.236f. 22 Hirte (Fn. 6), S.46. 23 Martens, Festschrift für R.Fischer (1979), S.437, 451 ff.

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löste Interessenqualität aufweist, sondern die Bündelung gemeinsamer Aktionärsinteressen darstellt. Es ist deshalb schon im Ansatz verfehlt, das Interesse an der konkreten Beteiligungsstruktur innerhalb der Gesellschaft ausschließlich auf das Aktionärsinteresse zu projizieren und das Gesellschaftsinteresse davon gänzlich auszublenden. Es gibt eben kein Gesellschaftsinteresse an sich, sondern nur ein objektiviertes, auf das Gesamtinteresse aller Aktionäre ausgerichtetes „Gemeininteresse". Daraus wird auch hinreichend deutlich, daß dieses Gemeininteresse weder das Interesse des Mehrheitsaktionärs noch das Interesse der etablierten Verwaltungsorgane ist. Es ist vielmehr die normative Klammer, die trotz aller Interessenunterschiede, die im Einzelfall zwischen den verschiedenen Gruppierungen bestehen mögen, das allen Aktionären gemeinsame Zweckprogramm festlegt. Auch in rechtstatsächlicher Hinsicht haben sich diese auf ein beteiligungsstrukturelles Neutralitätspostulat gerichteten Überlegungen weitgehend erledigt. Die nicht unbegründeten Vorbehalte gegenüber einer Überfremdung durch „unfreundlichen Beteiligungserwerb" haben inzwischen viele Gesellschaften veranlaßt, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen oder doch wenigstens entsprechende Überlegungen anzustellen24. Dafür bietet das Aktienrecht auch das geeignete Instrumentarium, wie sich z. B. aus der Regelung über die Einführung eines Höchststimmrechts (§ 134 Abs. 1 Satz 2 AktG) ergibt25. Deshalb kann sich in diesem Zusammenhang nur die Frage stellen, ob sich dazu auch das Bezugsrecht bzw. der Bezugsrechtsausschluß eignet. Diese Frage ist generell zu bejahen. Es gibt weder eine generelle Zweckbegrenzung des Bezugsrechtsausschlusses noch eine gesetzliche Exklusivität des gegen Überfremdungsgefahr gerichteten Instrumentariums; entscheidend ist also, ob sich der Bezugsrechtsausschluß im Einzelfall für diesen Zweck eignet, somit erforderlich ist und unter Betracht entgegenstehender Aktionärsinteressen auch verhältnismäßig ist, ob also der Abwägungsprozeß einen solchen zweckbedingten Bezugsrechtsausschluß zu rechtfertigen vermag. Die hiesige Problematik ist weniger dramatisch. Es geht um das generelle Interesse, den Kreis der Aktionäre zu erweitern, insbesondere durch Zeichnung ausländischer Kapitalanleger. Dieses Interesse ist jedenfalls generell sachlich berechtigt und kann deshalb im Einzelfall geeignet sein, einen Bezugsrechtsausschluß zu rechtfertigen, sofern ent-

24 Dazu ausführlich Otto, Ubernahmeversuche bei Aktiengesellschaften und Strategien der Abwehr, DB 1988 Beil. 12; Hauschka-Roth, Ubernahmeangebote und deren Abwehr im dtsch. Recht, Die A G 1988, S. 181. 25 Dazu B G H Z 70, S. 117 und zum Vergleich mit dem Bezugsrechtsausschluß B G H Z 71, S. 40, 45.

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gegenstehende Aktionärsinteressen angemessen berücksichtigt werden. Dadurch wird das Aktienkapital breiter gestreut, somit auch die Uberfremdungsgefahr nicht unerheblich eingeschränkt, aber vor allem Profil und Standing der Gesellschaft auf den Kapitalmärkten verbessert. Diese Zielsetzung liegt sicherlich auch im Interesse aller Aktionäre. Schließlich ist auch zu bedenken, daß eine solche Plazierung des neuen Aktienkapitals auf den internationalen Kapitalmärkten zu einer spürbaren Entlastung des nationalen Kapitalmarkts führen kann. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dadurch auch die Altaktionäre unmittelbar begünstigt werden, indem anders als bei einer Inlandsemission das neue Aktienkapital nicht zu einer Belastung des Börsenkurses führt, diese vielmehr neutral oder, insbesondere wenn die Auslandsplazierung ohne Schwierigkeiten gelingt, sogar positiv reagiert. 3. Resümiert man diese zahlreichen Interessenaspekte, dann gelangt man im Rahmen einer generalisierenden Betrachtungsweise zu dem Ergebnis, daß eine solche Auslandsemission jedenfalls dann einen für den Bezugsrechtsausschluß geeigneten sachlichen Grund bildet, wenn sie der Finanzierung und marktgerechten Präsentation eines ausländischen Beteiligungserwerbs dient. Mit dieser Feststellung ist freilich kein abschließendes Urteil über die Rechtmäßigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses im Einzelfall verbunden. Dazu bedarf es einer sorgfältigen Abwägung der unterschiedlichen Interessen. Dabei sind die unternehmenspolitische Bedeutung des Beteiligungserwerbs, der damit verbundene Finanzierungsbedarf und das Interesse an Präsenz auf dem ausländischen Kapitalmarkt einerseits sowie die individuelle Betroffenheit der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Altaktionäre andererseits zu berücksichtigen. Angesichts der normativen Beweglichkeit der zitierten Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ist mithin die Beurteilung ganz und gar auf die Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen. Freilich haben die vorstehenden Überlegungen die unternehmenspolitische Dringlichkeit und Vorteilhaftigkeit einer solchen Auslandsemission aus Anlaß eines ausländischen Beteiligungserwerbs erkennen lassen, so daß diesem Emissionsinteresse grundsätzlich ein eindeutiges Ubergewicht zukommt. Es bedarf mithin des Nachweises, daß durch den Bezugsrechtsausschluß wesentliche Interessen aller oder doch einzelner Aktionäre erheblich beeinträchtigt werden, um das Ubergewicht des von der Gesellschaft geltend gemachten Emissionsinteresses zu neutralisieren. In diesem Zusammenhang ist auch — wenn auch nur am Rande - zu bedenken, ob das Bezugsrecht in der Vergangenheit wiederholt ausgeschlossen worden ist oder ob der nunmehr geplante Bezugsrechtsausschluß eine einmalige Durchbrechung einer langjährigen Bezugsrechtsübung darstellt.

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Bejaht man die generelle Eignung einer solchen Auslandsemission als Rechtfertigungsgrund für einen etwaigen Bezugsrechtsausschluß, dann ist allerdings die vom Vorstand geplante Maßnahme hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihrer wirtschaftlichen Vorteile nur begrenzt nachprüfbar. In ähnlichem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof in der Kali-Salz-Entscheidung hervorgehoben, es könne nicht Aufgabe der Gerichte sein, die eigene wirtschaftliche Beurteilung nachträglich an die Stelle einer in freier unternehmerischer Verantwortung beschlossenen, sachlich abgewogenen Entscheidung zu setzen26. Damit wird den Organen zutreffend ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der wirtschaftlichen Dringlichkeit und der tatsächlichen Durchführbarkeit der geplanten Maßnahme konzediert. Danach bedarf es nur einer schlüssigen Darstellung des Gesamtkonzepts. Dazu gehört auch eine hinreichend gesicherte Prognose über die Plazierungschancen auf dem ausländischen Kapitalmarkt. Prognostische Unsicherheiten dürfen auch unter Betracht der Bezugsrechtsinteressen der Aktionäre vernachlässigt werden, sofern es sich dabei um einen vertretbaren Prognosespielraum handelt. Liegen hingegen relativ gesicherte Erfahrungen vor, daß das Aktienkapital auf dem ausländischen Kapitalmarkt nur zu einem geringen Teil gezeichnet wird und daß dieses Material alsbald auf dem nationalen Kapitalmarkt angeboten wird, dann liegt der Verdacht einer bloßen „Umweg"-Finanzierung und somit eines manipulativen Bezugsrechtsausschlusses nahe. Angesichts der zunehmenden Bedeutung des internationalen Kapitalmarkts und der Verflechtung der nationalen Kapitalmärkte ist jedoch zu erwarten, daß eine solche Auslandsemission jedenfalls jenen Unternehmen gelingen wird, die weltweit operieren und deshalb auch über ein weltweites Profil verfügen. Freilich bedarf es zugleich aller Anstrengungen der mit der Plazierung des Aktienkapitals betrauten Konsortialbanken. 4. Insgesamt ist festzustellen, daß es weder einen Enumerativkatalog geeigneter Ausschlußgründe noch strikte Ausschlußverbote gibt. Ob das Bezugsrecht im Einzelfall ausgeschlossen werden darf, kann nur unter Betracht der konkret berührten Interessen beurteilt werden. In dieser Hinsicht besteht auch kein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer Kapitalerhöhung gegen Bareinlage und einer solchen gegen Sacheinlage. Auch im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Bareinlage kann mithin das Bezugsrecht ausgeschlossen werden, sofern dafür gewichtige Gründe

26 B G H Z 71, S.40, 49ff.; ebenso Martens (Fn.23), S.447ff.; einschränkend hingegen Hirte (Fn. 6), S. 223, dessen Rückgriff auf das öffentlich-rechtliche Bauplanungsrecht aber offensichtlich abwegig ist; umfassende Kritik auch bei Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse und Gleichbehandlung beim Bezugsrechtsausschluß (1988), S. 16 ff., 23 ff.

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ersichtlich sind. In Literatur und Rechtsprechung wird dieser Abwägungsprozeß oftmals durch prononcierte Gegenüberstellung der Gesellschaftsinteressen einerseits und der Aktionärsinteressen andererseits zugespitzt. Dabei wird jedoch die latente Interessenübereinstimmung, insbesondere die Partizipation der Aktionäre in den nur durch Bezugsrechtsausschluß realisierbaren Vorteilen der Kapitalerhöhung verkannt. Vor allem aber ist es das Anliegen der vorstehenden Ausführungen darauf hinzuweisen, daß die deutschen Großkonzerne mehr und mehr darauf angewiesen sind, ihr Aktienkapital auf den internationalen Kapitalmärkten zu piazieren, daß sie daran aber weitgehend gehindert werden, sofern das Bezugsrecht nicht entsprechend flexibel gehandhabt wird. Das Bezugsrecht darf nicht zu einer Blockade der Kapitalemission auf den internationalen Kapitalmärkten führen. Eine solche Begrenzung des Emissionsverhaltens würde die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zunehmend beeinträchtigen. Angesichts der relativ geringen Eigenkapitalausstattung kommt es vor allem darauf an, den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt zu eröffnen und den dafür erforderlichen Dispositionsspielraum auch im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. III. Haftungsrechtliche Probleme eines unzulässigen Bezugsrechtsausschlusses Das Verfahren einer genehmigten Kapitalerhöhung können die Aktionäre mittels einer einstweiligen Verfügung 27 blockieren, sofern sie vor der Eintragung von der schon beschlossenen oder unmittelbar bevorstehenden Vorstandsentscheidung Kenntnis erlangen. Unterbleibt eine solche Intervention, so können die in ihrem Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre Schadensersatzansprüche geltend machen und dadurch den Bezugsrechtsausschluß einer gerichtlichen Entscheidung unterbreiten. 1. Schadensersatzansprüche

gegenüber der Gesellschaft

Derartige Ansprüche können sich aus der Verletzung des zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären bestehenden Mitgliedschaftsverhältnisses ergeben. Als Anspruchsgrundlage kommt § 2 8 0 B G B i. V. m. § § 2 0 3 , 1 8 6 Abs. 1 AktG in Betracht. Dieser Anspruch richtet sich primär gegen die Gesellschaft, die Schuldnerin des Bezugsrechts ist. Sofern dieses Bezugsrecht durch Organe der Gesellschaft verletzt wird, wird dieses Verhalten nach §31 B G B zugerechnet. Dafür ist allerdings 27

D a z u Lutter, B B 1981, S.861, 864 sowie Hirte (Fn.6), S . 2 0 7 Í .

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Voraussetzung, daß die entsprechenden Organmitglieder schuldhaft gehandelt haben28. Problematisch ist, in welchem Umfang ein solcher Schadensersatzanspruch äußerstenfalls anzuerkennen ist. Unbestreitbar ist, daß den Aktionären eine Entschädigung für das entgangene Bezugsrecht gebührt. Sofern keine konkreten Anhaltspunkte für eine abweichende Bewertung dieses Bezugsrechts ersichtlich sind, ist von dem in der Praxis üblichen Bezugsrechtswert auszugehen. Freilich steht der Gesellschaft der Nachweis frei, daß sie das Bezugsrecht aus wichtigen Gründen auf den geringstmöglichen Wert reduziert hätte, also den Ausgabekurs dem aktuellen Börsenkurs weitestgehend angenähert hätte. Eine solche Entschädigung für das entgangene Bezugsrecht entspricht im wesentlichen dem Vorteil, den die Gesellschaft durch die Ausgabe des Aktienkapitals ohne Bezugsrecht erlangt hat. Dieser Vorteil liegt in dem höheren Ausgabekurs. Ein weitergehender Schadensersatzanspruch könnte unter dem Aspekt in Betracht kommen, daß der Aktionär erst später von dem rechtswidrigen Ausschluß des Bezugsrechts erfährt und nunmehr geltend macht, er hätte das Bezugsrecht ausgeübt und mit den neuen Aktien an dem zwischenzeitlich gestiegenen Börsenkurs partizipiert29. Es geht mithin um die Frage, ob sich der Aktionär zur Bemessung seines Schadensersatzanspruchs auch auf die zwischenzeitlich positive Börsenkursentwicklung berufen kann. Eine solche an den aktuellen Börsenkurs anknüpfende Betrachtungsweise ist jedoch aus mehreren Gründen verfehlt. Unter haftungsrechtlichen Aspekten fehlt der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang. Zwar ist die haftungsausfüllende Kausalität zu bejahen; denn es kann unter normalen Umständen davon ausgegangen werden, daß der Aktionär sein Bezugsrecht ausgeübt und sodann an der positiven Börsenkursentwicklung partizipiert hätte. Es entspricht aber der heute überwiegend vertretenen Ansicht, daß eine solche Kausalitätsbetrachtung durch Aspekte einer normativen Zurech-

2 8 S o w e i t ersichtlich w i r d n u r v o n Hirte ( F n . 6), S. 238 ff. eine v e r s c h u l d e n s u n a b h ä n g i g e A u s g l e i c h s p f l i c h t bejaht. D a b e i ist allerdings unklar, o b sich diese A u s g l e i c h s pflicht gegen die G e s e l l s c h a f t o d e r nur gegen d e n d u r c h d e n B e z u g s r e c h t s a u s s c h l u ß begünstigten Mehrheitsgesellschafter b z w . externen D r i t t e n richten soll. A u c h diese A n s i c h t entfernt sich s o sehr v o n d e n positiv-rechtlichen G r u n d l a g e n , daß sie nur als subjektive W u n s c h v o r s t e l l u n g z u verstehen ist. 29 D a r a u f deutet die v o n Lutter, in: K ö l n e r K o m m . z u m A k t G , § 1 8 6 R d n . 36 geäußerte A n s i c h t hin, w e n n g l e i c h die d o r t i g e F o r m u l i e r u n g nicht eindeutig ist. D o r t w e r d e n lediglich allgemein die „ K o s t e n einer anderweitigen B e s c h a f f u n g " e r w ä h n t , o h n e daß der d a f ü r relevante Z e i t p u n k t - K a p i t a l e r h ö h u n g s b e s c h l u ß o d e r subjektive K e n n t n i s n a h m e - genannt w i r d .

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nung der Schadensfolgen ergänzt werden muß 30 . Danach müssen die Schadensfolgen dem Sinn und Zweck der verletzten Norm entsprechen. Verschiedentlich wird deshalb auch vom Schutzzweck der jeweiligen Norm und von einer Schadensbegrenzung durch diesen Schutzzweck gesprochen31. In dieser Hinsicht ist zwischen dem Bezugsinteresse einerseits und dem Anlageinteresse andererseits zu unterscheiden. Der Schutzzweck des § 186 Abs. 1 AktG ist ausschließlich auf den Schutz des Bezugsinteresses gerichtet. Dieses Bezugsinteresse umfaßt das Interesse des Einzelaktionärs an dem Fortbestand der bisherigen Beteiligungsstruktur sowie das Interesse an dem Werterhalt seines quotalen Vermögensanteils. In dieser Hinsicht besteht kein Anlaß für einen etwaigen Schadensersatzanspruch, sofern durch die Plazierung der neuen Aktien die bisherige Beteiligungsstruktur nicht berührt wird und ein solcher Ausgabekurs gewählt wird, durch den die Vermögensinteressen der übrigen Aktionäre nicht beeinträchtigt werden. Des weiteren kann man diesem Bezugsinteresse auch das Interesse des einzelnen Aktionärs an einem gegenüber dem Börsenkurs günstigeren Erwerbspreis für den Bezug der neuen Aktien zuordnen. Zwar enthält das Aktienrecht keine Verpflichtung für eine derartige Vergünstigung, so daß das zuständige Gesellschaftsorgan nach freiem Ermessen über den den Aktionären offerierten Ausgabekurs befinden kann. Es entspricht jedoch der aktienrechtlichen Praxis, daß dieser Ausgabekurs aus vielerlei Gründen niedriger bemessen wird, als es dem aktuellen Börsenkurs entspricht. Auf diese Weise bietet das Bezugsrecht den Aktionären einen nicht unerheblichen Vermögensvorteil. Dieser Vermögensvorteil entspricht dem schon wiederholt erwähnten Bezugsrechtswert 32 . Von diesem Bezugsrechtsinteresse zu unterscheiden ist das Anlageinteresse, das darauf gerichtet ist, langfristig an der Entwicklung des Vermögenswerts, insbesondere des Börsenkurses der Aktien zu partizipieren. Dieses Anlageinteresse kann der Aktionär, sofern die Aktien an der Börse gehandelt werden, jederzeit durch einen entsprechenden Erwerb befriedigen. Dazu bedarf es mithin nicht der Ausübung des Bezugsrechts; vielmehr steht dieses Anlageinteresse in seiner freien, jederzeit realisierbaren Entscheidung. Unterläßt er eine solche Entscheidung und nimmt er deshalb nicht an einer unverhofften positiven Börsenkursentwicklung teil, so kann er diesen „Verlust" nicht dadurch auf die Gesellschaft abwälzen, daß er sich auf das ihm angeblich zu

30 B G H Z 50, S. 304, 306; dazu Hagen, Festschrift für Hauß (1978), S.83; Medicus, JuS 1979, S. 333. 31 Dazu m. w. N. Grunsky, Münchener Kommentar zum BGB, 2. Aufl. (1985), vor § 2 4 9 Rdn.43ff. 32 Zur Berechnung und den Berechnungsmethoden Zindel (Fn. 21), S. 96 ff.

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Unrecht versagte Bezugsrecht beruft. Dieses generelle Anlageninteresse wird von dem Sinn und Zweck des Bezugsrechts nicht mehr erfaßt, sondern ist Ausdruck der freien Anlageentscheidung des einzelnen Aktionärs. Deshalb kann er einen solchen Schaden auch nicht auf der Grundlage des § 186 AktG liquidieren. Diese Überlegungen werden unter dem Aspekt der Grundsätze über die Kapitalerhaltung uneingeschränkt bestätigt. Nach den §§ 56 ff AktG ist es der Gesellschaft verwehrt, Kurssicherungsgarantien zugunsten einzelner Aktionäre zu übernehmen. Dadurch soll verhindert werden, daß das Vermögen der Aktiengesellschaft zur Risikominderung ihrer Aktionäre verwendet und auf diese Weise einer doppelten Risikolage ausgesetzt wird. Dieser Grundsatz muß auch bei der Bemessung entsprechender Schadensersatzpflichten berücksichtigt werden. Eine solche in den §§ 56 ff AktG angelegte Schadensersatzbegrenzung ist jedenfalls dann geboten, wenn der Aktionär in seinen Mitgliedsschaftsinteressen durch rechtswidriges Verhalten der Gesellschaft beeinträchtigt worden ist. Dann darf auch ein solcher Schadensersatz nicht zu einem wirtschaftlichen Ergebnis führen, das mit dem Verbot der Kurssicherungsgarantie des § 57 AktG unvereinbar ist. Anders ist hingegen dann zu entscheiden, wenn Rechte des Aktionärs verletzt worden sind, die auch jedem beliebigen Dritten zustehen, wenn mithin die Aktionärseigenschaft für die konkrete Rechtsverletzung unerheblich ist33. Insgesamt kann somit festgestellt werden, daß ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Bezugsrechts nach §§280 B G B , 203, 186 Abs. 1 AktG äußerstenfalls im Umfang des konkreten Bezugsrechtswerts in Betracht kommt. Dieser Umfang könnte noch nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung zu mindern sein. Es ist nämlich zu bedenken, daß dem Verlust des Bezugsrechts ein „Zugewinn" der Gesellschaft in Höhe des günstigeren Ausgabekurses entspricht und die Aktionäre auch daran partizipieren. Aber gerade wegen dieser „Stoffgleichheit" kommt eine solche Vorteilsanrechnung nicht in Betracht. Verlangen nämlich die Aktionäre Schadensersatz wegen des ihnen vorenthaltenen Bezugsrechts, so wird dadurch gerade jener Vorteil abgeschöpft, der der Gesellschaft wegen des günstigeren Ausgabekurses zugeflossen ist. Nach Abfluß dieser zur Erfüllung der Schadensersatzansprüche erforderlichen Geldmittel verbleiben der Gesellschaft keine anrechnungsfähigen Vermögensvorteile. Dieser Zusammenhang zwischen Schadensersatzansprüchen der Aktionäre und erlangten Vermögensvorteilen der Gesellschaft verdeutlicht auch, daß diese Schadenser-

33 Ebenso Hirte (Fn.6), S.241f. unter Berufung auf Martens, Die AG 1974, S.9, lOf. und Lutter, ZGR 1978, S.347, 368f.; vgl. dazu auch Klette, BB 1968, S. 1101, 1105.

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satzkonzeption nicht gegen §§ 56 ff. AktG verstößt. Das Vermögen der Gesellschaft wird dadurch in seinem ursprünglichen Bestand nicht berührt. Es werden lediglich die auf Kosten der Bezugsrechte der Aktionäre erworbenen Vermögensvorteile ausgekehrt34. 2. Schadensersatzansprüche gegenüber den

Organmitgliedern

Wirft somit ein gegen die Gesellschaft gerichteter Schadensersatzanspruch im Umfang des entgangenen Bezugsrechtswerts keine wesentlichen Probleme auf, so stellt sich die weitergehende Frage, ob derartige Ansprüche auch gegenüber denjenigen Organmitgliedern begründet sind, die an der Beschlußfassung über den Ausschluß des Bezugsrechts zustimmend teilgenommen haben. Soweit sich die Literatur bisher unmittelbar mit diesem Problem befaßt hat, wird zwar verschiedentlich eine entsprechende Verpflichtung dieser Organmitglieder bejaht, aber doch nur unter derart einschränkenden Voraussetzungen, daß solche Ersatzpflichten wohl nur von theoretischer Bedeutung sind. In diesem Zusammenhang wird mehrfach auf §266 StGB i. V. m. § 823 Abs. 2 B G B abgestellt35. Da der Veruntreuungstatbestand des §266 StGB ein Vorsatzdelikt ist, somit also eine vorsätzliche Mißachtung der gesetzlichen Bezugsrechte vorausgesetzt wird, kommt diese Anspruchsgrundlage wohl kaum ernsthaft in Betracht. Verschiedentlich wird im Zusammenhang mit den gegen die Gesellschaft gerichteten Ersatzansprüchen auf §823 Abs.2 B G B i . V . m . § 186 AktG hingewiesen36. Es könnte deshalb erwogen werden, diese Vorschriften auch unmittelbar gegenüber den schuldhaft handelnden Organmitgliedern anzuwenden. Dagegen bestehen jedoch durchgreifende Bedenken. Diese richten sich gegen die Qualifikation des § 186 AktG als eines Schutzgesetzes und gegen die Ausweitung der Normadressaten auf die handelnden Organmitglieder. § 186 AktG regelt ein mit der Mitgliedschaft verbundenes Einzelrecht, das Bezugsrecht, und ist deshalb Ausdruck eines besonderen Rechtsverhältnisses, also nicht eine Vorschrift 34 Vereinzelt wird vertreten, daß die Gesellschaft aus § 53 a AktG aufgrund des dort normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet ist, nach einem von einem einzelnen Aktionär erfolgreich betriebenen Schadensersatzprozeß auch den übrigen Aktionären in gleicher Weise Schadensersatz zu leisten - so Hirte (Fn. 6), S. 238; gegen eine solche Ausweitung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Martens, Die AG 1988, S. 118, 124 ff. 35 Blumenrohr, Die inhaltlichen Schranken des Bezugsrechtsausschlusses und der Begebung junger Aktien, Diss. München 1966, S. 120ff.; Hirte (Fn.6), S.245; Lutter, in: KölnerKomm. zum AG, §186, Rdn.66; Klette, BB 1968, S. 1101, 1103 f. 36 Wiedemann, in: Großkomm, zum AG, §186, Anm. 10; Lutter, in: Kölner Komm, zum AG, §186 Rdn.36; Baumbach-Hueck, AG, 13.Aufl., (1968), §186 R d n . l l ; Bernicken, Das Bezugsrecht des Aktionärs in rechtlicher und banktechnischer Hinsicht (1928), S. 99.

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zur Regelung des allgemeinen Rechtsverkehrs. Solche für ein Sonderrechtsverhältnis statuierten Vorschriften kommen jedoch nicht als Schutzgesetze i. S. des allgemeinen Haftungsrechts in Betracht37. §823 Abs. 2 BGB bezweckt hingegen den Schutz des allgemeinen Rechtsverkehrs, den der Gesetzgeber durch generelle Verhaltenspflichten in Form entsprechender Schutzgesetze konkretisiert hat. Vorliegend ist aber nicht der allgemeine Rechtsverkehr betroffen; betroffen sind vielmehr die besonderen Rechtsbeziehungen zwischen dem Aktionär und seiner Gesellschaft. Diese besonderen Rechtsbeziehungen unterliegen ebensowenig dem Deliktsrecht wie z. B. die im Kaufrecht normierten Rechte und Pflichten der Kaufvertragsparteien. Des weiteren ist zu bedenken, daß die Organmitglieder· ohnehin nicht Normadressaten des § 186 AktG sind.. Die Vorschrift richtet sich gegen die Gesellschaft, die das Bezugsrecht zu erfüllen hat und deshalb äußerstenfalls als „Verletzer" dieses Bezugsrechts in Betracht kommt. Daß dabei die Organmitglieder die handelnden Personen sind, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich, da deren Verhalten der Gesellschaft nach §31 BGB zugerechnet wird. Dieses der Gesellschaft zugerechnete Verhalten stellt aber seinerseits keinen selbständigen, von dem Gesellschaftsverhalten gesonderten Eingriffstatbestand dar, da § 186 AktG den Aktionärsschut? gegenüber der Gesellschaft intendiert. Soweit ersichtlich ist deshalb auch bisher in der Literatur nicht vertreten worden, daß die Organmitglieder den Aktionären auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §186 AktG wegen Verletzung ihres Bezugsrechts ersatzpflichtig sein können. Als weitere Anspruchsgrundlage . kommt § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Es ist allgemein anerkannt, daß das Mitgliedschaftsrecht als absolut geschütztes Recht i. S. des § 823 Abs. 1 BGB zu betrachten ist. Sofern dieses Recht also außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses durch Dritte verletzt wird, kann der Inhaber des Mitgliedschaftsrechts nach allgemeiner Ansicht in Literatur 38 und Rechtsprechung 39 von dem Verletzer Schadensersatz verlangen. Von diesem externen Eingriffstatbestand deutlich zu unterscheiden sind jedoch gesellschaftsinterne Maßnahmen, die zu einer Beeinträchtigung des Mitgliedschaftsrechts führen. Zur Regelung und Sanktionierung derartiger Maßnahmen sieht das

37

Soergel-Zeuner,

m. w. N.

Kommentar zum BGB, 11. Aufl. (1985). Vor §823 Rdn.34

38 Mertens, in: Münchener Kommentar zum BGB, 2. Aufl. (1986), §823 Rdn. 131; ders., in: KölnerKomm. zum AktG, 2. Aufl. (1989), §93 Rdn. 173; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften (1965), S. 39; Brondics, Die Aktionärsklage (1988), S. 83 m.w.N. 39 RGZ 100, S. 274, 278; 158, S.248, 255.

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Gesellschaftsrecht, in diesem Zusammenhang speziell das Aktienrecht, ein ausgefeiltes System von Zuständigkeiten, Kontrollmechanismen und Rechtsbehelfen vor. Insofern ist daran zu erinnern, daß dem Aktionär wegen eines unzulässigen Bezugsrechtsausschlusses unstreitig Schadensersatzansprüche gegenüber der Gesellschaft zustehen. Die in diesem Zusammenhang entscheidende Frage lautet, ob dieses gesellschaftsinterne Regelungssystem durch das allgemeine Haftungsrecht ergänzt oder auch nur überlagert werden darf oder ob das Gesellschaftsrecht, speziell das Aktienrecht, einen eigenständigen Ordnungsrahmen aufweist, der besondere Rechtsbeziehungen erfaßt und deshalb nicht durch das allgemeine Haftungsrecht korrigiert werden darf. Die weit überwiegende Ansicht in der Literatur verneint die Anwendung des Deliktsrechts auf die zwischen dem Aktionär und der Gesellschaft bestehende Sonderrechtsbeziehung, weil dieses Verhältnis durch gesellschaftsrechtsspezifische Regelungen geprägt und deshalb auch nur auf der Grundlage dieser Regelungen fortgebildet werden könne 40 . Der deliktsrechtliche Ansatz ist vor allem von Mertens entwickelt und in mehreren Beiträgen dargestellt worden 41 . Der Bundesgerichtshof hat in seiner berühmt-berüchtigten Holzmüller-Entscheidung diese Problematik nur mit wenigen, in ihrer Tragweite unklaren Bemerkungen angesprochen. Es heißt dort: „Wie jeder Aktionär hat der Kläger einen verbandsrechtlichen Anspruch darauf, daß die Gesellschaft seine Mitgliedsrechte achtet und alles unterläßt, was sie über das durch Gesetz und Satzung gedeckte Maß hinaus beeinträchtigt. Dieser Anspruch wird verletzt, wenn der Vorstand die Hauptversammlung und damit auch die einzelnen Aktionäre bei einer Entscheidung von der nach der Sachlage gebotenen Mitwirkung ausschließt. Will sich ein Aktionär hiergegen wehren, so braucht er sich nicht auf eine Klage gegen den Vorstand verweisen zu lassen, der zu den Gesellschaftern in keinen unmittelbaren Rechtsbeziehungen steht und deshalb von ihnen, abgesehen von den besonderen Voraussetzungen des §117 Abs. 1 Satz 2 AktG, nur unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung42 belangt werden kann (vgl. hierzu Mertens, AG 1978, 309 ff. und in Festschrift für Robert Fischer, 1979, S.460, 470). Denn wenn ein Vorstand aufgrund seiner Vertretungsbefugnis eigenmächtig nach außen tätig wird, ohne die Hauptversammlung, wie es seine Pflicht wäre, intern zu beteiligen, tut er dies als Organ der Gesellschaft. Es ist daher deren Sache, durch ihre Organe Abhilfe zu schaffen, den betroffenen Aktionären Genüge zu tun und dafür zu sorgen, daß ihre Mitgliedsrechte künftig nicht mehr verletzt werden 43 ."

« Wiedemann, Gesellschaftsrecht B d . I (1980), S.464; Brondics (Fn.39), S.89ff.; Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht (1988), S.53f.; Zöllner, Z G R 1988, S. 392, 430; ders., in: Baumbach-Hueck, GmbHG, 15. Aufl. (1988), §43 Rdn.3; ScholzSchneider, GmbHG, 7. Aufl. (1988), §43 Rdn.214f. «' Mertens, AcP Bd. 178 (1978), S.227, 242 ff.; ders., in: KölnerKomm. zum AktG, §93 Rdn. 172 ff.; ders., in: Hachenburg, GmbHG, 7. Aufl. (1979), §43, 105 ff. 42 Hervorhebung durch den Verf. « B G H Z 83, S. 122, 133 f.

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Wie ersichtlich geht es dem Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang vor allem um die Aktionärsklage gegenüber der Gesellschaft. Was die Verpflichtung des Vorstands betrifft, so wird nur pauschal auf das Deliktsrecht verwiesen, ohne daß erkennbar wird, unter welchen konkreten Voraussetzungen eine solche Haftung begründet ist. Freilich ist nicht ausgeschlossen, daß der Bundesgerichtshof durch seine Hinweise auf die Beiträge von Mertens eine gewisse Neigung für diese deliktsrechtliche Konzeption andeuten will. Geht man mithin von einem deliktsrechtlichen Schutz der Mitgliedschaft aus, dann ist zu bedenken, daß auch nach der von Mertens vertretenen Ansicht die Mitgliedschaft nicht in allen ihren Ausstrahlungen und Einzelrechten dem Deliktsrecht unterliegen soll, sondern nur dann, wenn die Mitgliedschaft als solche beeinträchtigt wird 44 , also - in der Formulierung des Bundesgerichtshofs - „bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre" 45 . Würde man hingegen den Deliktsrechtsschutz auf jedes denkbare, aus der Mitgliedschaft fließende Einzelrecht erstrecken, dann würde das gesamte Gesellschaftsrecht, in diesem Zusammenhang speziell das Aktienrecht, durch das Deliktsrecht überlagert werden und auf diese Weise die innerverbandliche Kompetenz- und Sanktionsordnung empfindlich gestört werden. Auch unter den dogmatischen Aspekten des Deliktsrechts wäre eine solche Ausweitung unvertretbar. Es ist unbestreitbar, daß § 823 Abs. 1 B G B nur einen selektiven Rechtsgüterschutz, nicht aber einen umfassenden Vermögensschutz bezweckt. Deshalb bedarf es stets einer inhaltlichen Einschränkung, sofern weitere ungeschriebene Rechtsgüter in den Schutz des § 823 Abs. 1 B G B einbezogen werden sollen. Auf diese Weise wird z . B . das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nur dann von § 823 Abs. 1 B G B erfaßt, wenn der Eingriff unmittelbar gegen das Unternehmen als solches gerichtet, also betriebsbezogen ist46. Ebenso bedarf es, sofern man überhaupt das Mitgliedschaftsrecht mit seinen innergesellschaftlichen Befugnissen und Rechten dem Deliktsschutz zuordnet, einer Einschränkung auf Eingriffe, die die Mitgliedschaft als solche und nicht nur einzelne mit der Mitgliedschaft verbundene Rechte berühren. Folgt man diesem Begründungsansatz, dann muß ein etwaiger Deliktsschutz des Bezugsrechts differenziert angelegt werden. Sofern das Bezugsrecht lediglich in seinem Bezugsrechtswert berührt wird, wird durch seinen Ausschluß lediglich dieses Einzelrecht verletzt, während die Mitgliedschaft als solche nicht beeinträchtigt wird. Diese Mit-

So z . B . in: KölnerKomm. zum AktG, §93 Rdn. 172. B G H Z 83, S. 122 l . L S . 46 B G H Z 29, S. 65, 74; 55, S. 153, 161; 69, S. 128, 139; umfangreiche Darstellung bei Mertens, in: MünchenerKomm. zum BGB, § 823 Rdn. 492 ff. 44

45

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gliedschaft bleibt in ihrem Vermögensbestand, sofern der Ausgabekurs dem inneren Wert der „alten" Aktien entspricht, uneingeschränkt erhalten und wird auch in ihrem kompetentiellen Beteiligungswert nicht beeinträchtigt, sofern das neue Kapital entsprechend gestreut wird und somit die bisherigen Stimmrechtsverhältnisse nicht verändert werden. Wird hingegen der Vermögenswert des „alten" Aktienkapitals durch einen zu niedrigen Ausgabekurs verwässert, dann könnte in der Tat jeder Aktionär geltend machen, daß seine Mitgliedschaft unmittelbar in ihrem Vermögenswert beeinträchtigt worden sei und deshalb ein deliktsrechtlicher Eingriff nach § 823 Abs. 1 BGB vorliege. Und ebenso könnten sich jene Aktionäre auf § 823 Abs. 1 BGB berufen, die vormals über eine Sperrminorität verfügt haben, die ihnen nunmehr durch die Plazierung des neuen Aktienkapitals und die damit verschobenen Stimmrechtsrelationen entgangen ist47. In diesem Fall ist zwar nicht der Vermögenswert ihrer Aktien ausgehöhlt worden, wohl aber ihr bisheriger Entscheidungseinfluß. Auch darin kann man einen strukturellen Eingriff in die Mitgliedschaft erkennen, der die Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB rechtfertigen könnte48. IV. Zusammenfassung Die Bezugsrechtsproblematik gewinnt angesichts der zunehmenden Bedeutung der internationalen Kapitalmärkte für die Emissionspolitik deutscher Unternehmen eine erneute Aktualität. War der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung bisher weitgehend konsolidiert, so ist für die Zukunft eine erhebliche Kontroverse über die Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses aus Anlaß internationaler Plazierungen des Aktienkapitals zu erwarten. Es wäre verhängnisvoll, wenn das Aktienrecht auf diese Herausforderung mit einer totalen Versagung des Bezugsrechtsausschlusses reagieren und somit Emissionen auf den ausländischen Kapitalmärkten blockieren würde. Freilich ist einzuräumen, daß nicht jegliche Anknüpfung an derartige Sachverhalte zu einer automatischen Ausschlußbegründung führen darf. Eine solche umfassende Freigabe des Aktienkapitals würde das Bezugsrecht erheblich beeinträchtigen und den Rechtsschutz der Aktionäre weitgehend entwerten. Auch in diesem Zusammenhang ist deshalb eine Kompromißlösung geboten. Es bedarf mithin auch in diesen Fällen einer substantiellen Begründung der Ausschlußinteressen und einer Abwägung mit den entgegenstehenden, konkreten Bezugsrechtsinteressen der Aktionäre. Zum Schadensausgleich in diesen Fällen vgl. Hirte (Fn. 6), S. 235 f., 247. Die vorstehenden Ausführungen stehen allerdings unter der Prämisse, daß man diesen deliktsrechtlichen Begründungsansatz anerkennt. 47 48

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Dabei kommt es vor allem darauf an, diesen Abwägungsprozeß offen und flexibel zu praktizieren. Unter Betracht des hier behandelten ausländischen Beteiligungserwerbs sprechen zahlreiche Gründe für einen Bezugsrechtsausschluß, sofern das Aktienkapital zur Finanzierung des Beteiligungserwerbs und zur Öffnung des dortigen Kapitalmarkts für weitere Emissionen piaziert werden soll.

Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern HANS-JOACHIM MERTENS

I. Typologie und maßgebliche Rechtsvorschriften Beratungsverträge, die Aktiengesellschaften und mitbestimmte G m b H mit ihren Aufsichtsratsmitgliedern abschließen, sind häufiger als man denkt und verdienen mehr öffentliches Aufsehen, als die Beteiligten davon zu machen pflegen. Der Inhalt solcher Beratungsverträge kann sehr verschieden sein. Typologisch lassen sich etwa unterscheiden: (1) allgemeine Beratungsverträge, die nicht auf ganz bestimmte Beratungsgegenstände beschränkt sind; es kann hier dem Vorstand oder dem Aufsichtsratsmitglied vorbehalten sein, Beratung immer dann anzufordern oder zu erteilen, wenn es der Vorstand oder das Aufsichtsratsmitglied für nötig hält. In bezug auf die Vergütung können solche Verträge vorsehen, daß diese sich nach dem tatsächlichen Ausmaß der Beratungstätigkeit richten soll, möglicherweise unter Berücksichtigung bestimmter Bemessungsregeln. Häufiger dürften in der Praxis allerdings Verträge sein, in denen weder der Beratungsgegenstand noch der Beratungsumfang präzise festgelegt sind, wohl aber eine jeweils für einen gewissen Zeitraum zu zahlende Vergütung in bestimmter Höhe vorgesehen ist; (2) bereichsspezifische Beratungsverträge, die bestimmte Beratungsthemen, möglicherweise auch bestimmte Beratungsmodalitäten, festlegen und (3) - wie ich formulieren möchte - ad hoc-Beratungsverträge, die zur Erfüllung eines konkreten Beratungsbedarfs der Gesellschaft in bezug auf eine bestimmte Fallsituation abgeschlossen werden. Gesetzlicher Ausgangspunkt für die Beurteilung der Gültigkeit von Beratungsverträgen, die das gesetzliche Vertretungsorgan der Gesellschaft mit einem Aufsichtsratsmitglied abschließt, ist § 114 AktG. Hiernach kann sich ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat durch einen Dienstvertrag, durch den ein Arbeitsverhältnis nicht begründet wird, oder durch einen Werkvertrag gegenüber der Gesellschaft zu einer Tätigkeit höherrangiger Art verpflichten. Der Vertrag bedarf der Zustimmung des Aufsichtsrats. § 114 AktG ist im Zusammenhang zu lesen mit § 113 AktG. Hieraus ergibt sich, daß den Aufsichtsratsmitgliedern für ihre Tätigkeit eine Vergütung nur unter der Voraussetzung gewährt werden kann, daß diese

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in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt worden ist. Weder darf sich also der Aufsichtsrat selbst eine Vergütung bewilligen, noch kann die Aufsichtsratsvergütung Gegenstand eines vertraglichen Aushandelns zwischen Aufsichtsratsmitgliedern und der Gesellschaft sein1. Nach §25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG gelten §§113, 114 AktG entsprechend auch für die mitbestimmte GmbH. Zweck des § 113 AktG ist es zu gewährleisten, daß allein die Aktionäre über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder für deren organschaftliche Tätigkeit entscheiden, womit zugleich für eine gewisse Publizität hinsichtlich der auf den Aufsichtsrat entfallenden Gesamtvergütung und für die Möglichkeit der Anfechtbarkeit entsprechender Hauptversammlungsbeschlüsse gesorgt wird. Dem Aufsichtsrat muß diese Entscheidung entzogen sein, weil die Vergütung nicht Gegenstand eines Insichgeschäfts sein darf; dem Vorstand darf die Entscheidung nicht zustehen, weil es dem kontrollierten Organ nicht zukommen kann, darüber zu befinden, ob und welche Vergütung den Angehörigen des kontrollierenden Organs gezahlt wird. Andernfalls wären die Aufsichtsratsmitglieder als Kontrolleure in einer unerträglichen Abhängigkeit von derjenigen Instanz, die sie zu kontrollieren haben. Insofern ist die Regelung des § 113 AktG zugleich Konsequenz und Gewährleistung des zwingend vorgegebenen Organisationsgefälles in der Aktiengesellschaft zwischen Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand 2 . Das besondere Gewicht, das der Gesetzgeber dieser Regelung beimißt, kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß die dem Gesetz zuwiderlaufende Zahlung von Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder in §93 Abs. 3 Nr. 7 AktG als qualifizierter Haftungstatbestand für Vorstandsund über § 116 AktG für Aufsichtsratsmitglieder normiert ist, bei dem die Ersatzpflicht bereits an die Zahlung der Vergütung anknüpft und keines sonstigen Schadensnachweises bedarf. Daß bereits in der Zahlung der Vergütung der Schaden liegt, ist übrigens entsprechend auch für das GmbH-Recht anzunehmen, zumal das MitbestG für Aufsichtsratsmitglieder der mitbestimmten GmbH in §25 Abs. 1 Nr. 2 ausdrücklich die Anwendung des §116 AktG anordnet, der seinerseits auf §93 AktG Bezug nimmt. Im Rahmen des § 43 GmbHG kann für die Inanspruchnahme der Geschäftsführer im Hinblick auf rechtswidrige Zahlungen der Gesellschaft an Aufsichtsratsmitglieder nichts anderes gelten.

1 Vgl. statt aller Geßler in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1973/74, §113 Rdn. 1; Kölner Kommentar-Mertens, 1. Aufl., § 113 Rdn.3 und 4. 2 Vgl. dazu Robert Fischer BB 1967, 859, 862.

Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

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II. Allgemeine Beratungsverträge 1. Subsumierbarkeit

unter §114

AktG?

a) Keine Anwendung von §114 AktG auf Verträge ohne konkretes Leistungs- und Entgeltprogramm Im folgenden sollen unter Zugrundelegung der anfangs dargelegten Typologie zunächst allgemeine ΒeratungsVerträge behandelt werden. Können solche Verträge überhaupt unter § 114 AktG fallen oder ist in dieser Vorschrift von vornherein nur an Verträge mit einem konkreten Leistungsprogramm und einem auf dieses Leistungsprogramm bezogenen Entgelt gedacht? M. E. ist letzteres anzunehmen. § 114 AktG soll es der Gesellschaft ermöglichen, sich der spezifischen beruflichen Expertise eines Aufsichtsratsmitglieds zu bedienen, und muß so ausgelegt werden, daß er nicht Tür und Tor für eine Umgehung des § 113 AktG eröffnet. Ein Vertrag nach § 114 AktG muß daher eine eindeutige Feststellung darüber ermöglichen, daß die vertraglich zu erbringende Leistung jenseits des Bereichs der Aufsichtsratstätigkeit liegt, was die Vereinbarung eines bestimmten Leistungsprogramms voraussetzt. Fehlt es an einer Spezifizierung der vom Aufsichtsrat zu erbringenden Leistungen und an einer Ausrichtung des Entgelts an diesen Leistungen, so ist der Vertrag als ein Umgehungsgeschäft zu würdigen und wegen Verstoßes gegen das in § 113 AktG liegende Verbot, dem Aufsichtsrat eine nicht von der Hauptversammlung beschlossene Sondervergütung zu gewähren, nichtig. Auch allgemeine Beratungsverträge, die keine feste und leistungsunabhängige Vergütung vorsehen, sondern dem Aufsichtsratsmitglied ermöglichen, tatsächlich erbrachte Leistungen nach bestimmten Regeln abzurechnen, dürften durch § 114 AktG von vornherein nicht gedeckt sein; denn die erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats kann nicht als Blankoscheck erteilt werden, sondern setzt voraus, daß dieser selbst eine konkrete Vorstellung von Leistungsumfang, Leistungsart und Höhe der Vergütung hat. b) Beratung außerhalb der

Aufsichtsratstätigkeit?

Aber selbst wenn man ein konkretes Leistungsprogramm und ein darauf bezogenes Entgelt nicht als unabdingbare Voraussetzungen eines Vertrages im Sinne des §114 AktG ansehen wollte, könnte diese Vorschrift allgemeine Beratungsverträge nicht abdecken; denn die Beratung des Vorstandes ist eine dem Aufsichtsrat von Amts wegen obliegende Aufgabe und steht daher nicht - wie dies §114 AktG verlangt außerhalb der Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds im Aufsichtsrat. Zwar hat der Aufsichtsrat keine von seiner Uberwachungsfunktion gänzlich abgelöste Beratungsfunktion; doch ist die Beratung wesentlicher und unverzichtbarer Teil der dem Aufsichtsrat obliegenden Kontrolle des Vorstands.

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Wie sich schon aus § 9 0 AktG ergibt, erstreckt sich die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats nicht nur auf abgeschlossenes, sondern auch auf laufendes und beabsichtigtes Verhalten des Vorstands. Insofern geht die Überwachung notwendig in die Diskussion mit dem Vorstand über3. Mit Recht sagt Lutter4: „Soll beabsichtigtes Verhalten überwacht werden, so kann die Aufgabe des Aufsichtsrats, der selber nicht geschäftsführend tätig werden kann und darf, vernünftigerweise nur in einer Erörterung des Komplexes mit dem Vorstand stehen. Und diese Erörterung, diesen Austausch von Argumenten, bezeichnet man üblicherweise als ,Beratung'." Ich selbst habe die Funktion des Aufsichtsrats in dieser Hinsicht in voller Übereinstimmung mit Lutter wie folgt umrissen: „Wenn er (der Aufsichtsrat) auch die Geschäftsführungsinitiative dem Vorst, zu überlassen hat, so muß seine Kontrolle doch bereits bei der Entscheidungsvorbereitung und nicht erst nach abgeschlossener Entscheidung einsetzen. Insofern ist der Aufsichtsrat nicht als Rechnungshof konzipiert, sondern als Forum kooperativer Kritik, das sich ein eigenes Urteil über die Gestaltung der Unternehmenspolitik zu bilden und seine Zielkonzeption mit dem Vorst, zu diskutieren hat." 5 c) Ausgliederung besonders intensiver Beratungstätigkeit aus der Aufsichtsratsfunktion? Entgegen einer unmittelbar nach Inkrafttreten des AktG 1965 von Karl-Heinz Lehmann aufgestellten These kann die Beratungstätigkeit 3 Im RegE zu §90 AktG war noch ausdrücklich eine Pflicht des Aufsichtsrats normiert, zu den Berichten Stellung zu nehmen. Die Bestimmung ist auf Vorschlag des Rechts- und des Wirtschaftsausschusses nur deshalb gestrichen worden, weil sie eine Selbstverständlichkeit enthalte. Vgl. Kropff, AktG, 1965, S. 120. 4 Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1984, S.6. 5 Vgl. Kölner Kommentar-Mertens a. a. O. Vorb. § 95 Rdn. 2. Ebenso beispielsweise Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl. 1989, §2111 Tz. 14: „Aufsichtsrat . . . institutioneller Ratgeber und Gesprächspartner des Vorstands im Sinne einer vorbeugenden Überwachung oder begleitenden Kontrolle"; Schiaus, AG 1968, 376: „Entgegen dem Gesetzeswortlaut liegen die Schwerpunkte der Tätigkeit des Aufsichtsrats gleichmäßig auf der Überwachung und der Beratung des Vorstandes. Der Vorstand unterbreitet dem Aufsichtsrat nicht nur den Jahresabschluß und die nach Satzung oder Aufsichtsratsbeschluß zustimmungsbedürftigen Geschäfte, sondern auch sonstige Fragen, die für die Gesellschaft von einschneidender Bedeutung sind. Er erwartet vom Aufsichtsrat nicht nur eine Beurteilung und Stellungnahme zu seinen eigenen Vorschlägen, sondern die konstruktivè Mitarbeit der Aufsichtsratsmitglieder, d. h. insbesondere Verbesserungs- und Alternatiworschläge, aber auch eigene Initiative in wichtigen Angelegenheiten. Dabei wird meist nicht der Gesamtaufsichtsrat, sondern ein Einzelmitglied - häufig der Aufsichtsratsvorsitzende - auf Grund seiner persönlichen Fähigkeiten und Erfahrungen tätig. Die Gesellschaft macht sich auf diese Weise die Kenntnisse ihrer Aufsichtsratsmitglieder auch

Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

eines Aufsichtsratsmitglieds

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a u c h d a n n n i c h t als eine außerhalb

des

A u f s i c h t s r a t s a m t s w a h r g e n o m m e n e F u n k t i o n gelten, w e n n sie n a c h d e m V e r t r a g e m i t einer Intensität w a h r g e n o m m e n w e r d e n soll, w i e sie für die Aufsichtsratstätigkeit selbst u n ü b l i c h ist 6 . D e r T h e s e Lehmanns Robert

Fischer*

sind i m J a h r e 1 9 6 7 sogleich Bernhardt7

entgegengetreten. Deren - überzeugende -

und

Ausführun-

gen h a b e n in der F o l g e z e i t keinen W i d e r s p r u c h m e h r gefunden. D a s H a u p t a r g u m e n t v o n Lehmann

ging dahin, daß der G e s e t z g e b e r

des A k t i e n g e s e t z e s 1 9 6 5 die E x i s t e n z e n t s p r e c h e n d e r S a t z u n g s b e s t i m m u n g e n ü b e r S o n d e r v e r g ü t u n g e n an Aufsichtsratsmitglieder für eine aus dem Rahmen

des Ü b l i c h e n herausfallende Tätigkeit

gekannt

haben

m ü s s e u n d mangels eines a u s d r ü c k l i c h e n V e r b o t s s o l c h e r B e s t i m m u n g e n d a v o n a u s z u g e h e n sei, d e r G e s e t z g e b e r n e h m e die bestehende P r a x i s hin. D e m g e g e n ü b e r h a b e n Bernhardt

u n d Fischer

d a r a u f hingewiesen, d a ß

bereits die Billigung s o l c h e r S o n d e r v e r g ü t u n g e n v o r d e m A k t i e n g e s e t z 1 9 6 5 nicht der R e c h t s l a g e e n t s p r a c h u n d d a ß i m übrigen § § 1 1 3 u n d 1 1 4 A k t G z u s a m m e n eine abschließende R e g e l u n g , mithin also d u r c h a u s eine Mißbilligung v o n S o n d e r v e r g ü t u n g e n enthalten, die in dieser R e g e lung n i c h t erfaßt w ü r d e n . Lehmann

berief sich w e i t e r darauf, daß der

A u f s i c h t s r a t n a c h d e r 2 . A l t e r n a t i v e des § 1 1 1 A b s . 2 Satz 2 A k t G für

außerhalb der Überwachungstätigkeit zunutze. Technische, kaufmännische, juristische und sonstige Beratung in diesem Rahmen ist also grundsätzlich noch Aufsichtsratstätigkeit und kann folglich nicht Gegenstand eines Vertrages gemäß § 114 AktG sein." Vgl. weiter auch Semler, Die Uberwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 93 ff.; Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4 Aktiengesellschaft, 1988, §29 Rdn. 31; Peltzer WM 1981, 341, 348; Geßler a.a.O. §111 Rdn.36. 6 Vgl. Karl-Heinz Lehmann (seinerzeit Chefsyndikus der Dresdner Bank) DB 1966, 1757 sowie in der von der Dresdner Bank herausgegebenen Broschüre „Aktienrechtsreform 1965", S. 51, der daraus die Zulässigkeit einer Ermächtigung des Aufsichtsrates durch die Satzung herleitete, einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern durch Beschluß eine Sondervergütung zu gewähren - und dies sogar als eine laufende Vergütung. Die Zulässigkeit einer Satzungsbestimmung, wonach der Aufsichtsrat oder seine Ausschüsse einzelnen ihrer Mitglieder für ihre in dieser Eigenschaft im Gesellschaftsinteresse ausgeübte besondere Tätigkeit laufende oder einmalige Sondervergütungen gewähren dürfe, bejaht auch M öhring/Schwartz/Rowedder/Haberlandt, Die Aktiengesellschaft und ihre Satzung, 2. Aufl. 1966, S. 315, 322. In der 3. überarbeiteten Aufl. der Broschüre der Dresdner Bank, nunmehr unter dem Titel „Aktienrecht und Mitbestimmung", 1976 von Lehmann/Heinsius wird die Behauptung der Zulässigkeit einer derartigen Satzungsbestimmung aber bereits nicht mehr aufrechterhalten. Hier heißt es, daß eine solche Satzungsbestimmung heute überwiegend für unzulässig gehalten werde, „weil das Gesetz in § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG bestimmt, daß die Vergütung in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt wird." Dies ist auch der Standpunkt der 5. Aufl. 1986 des nunmehr von Heinsius/Than/Willemer/Preusche/Gesang bearbeiteten Werkes. 7 8

BB 1967, 863. BB 1967, 859.

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bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige bestellen und diesen auch eine Vergütung zusagen könne. Daß sich durch diese Vorschrift die Zahlung einer Vergütung an Aufsichtsratsmitglieder für die Wahrnehmung von Sonderaufgaben rechtfertigen ließe, wird von Bernhardt und Fischer verneint. Darauf ist noch zurückzukommen. Hier geht es jedenfalls nicht um einen Fall des §114 AktG, und keinesfalls deckt §111 Abs. 2 Satz 2 AktG allgemeine Beratungsverträge ab. Die Gesichtspunkte, die gegen eine Anwendung von § 114 AktG auf eine besonders intensive Beratungstätigkeit durch ein Aufsichtsratsmitglied sprechen und auf denen die heute h. M. mit Recht aufbaut, hat Fischer a. a. O . überzeugend wie folgt dargelegt: - Der ganze Tätigkeitsbereich des Aufsichtsrats ist ein einheitlicher Aufgabenbereich, der nicht in zwei rechtlich verschiedene Bereiche der mehr oder weniger üblichen oder intensiven Tätigkeiten aufgespalten werden kann. - Das Aufsichtsratsmitglied trifft die Haftung für die volle Erfüllung dieses Aufgabenbereichs, auch soweit dazu im Einzelfall eine besonders intensive und umfangreiche Arbeitstätigkeit erforderlich ist. Die Behauptung eines Aufsichtsratsmitgliedes, ihm wäre die Erfüllung einer in den Bereich des Aufsichtsrats fallenden Aufgabe nicht zumutbar gewesen, weil sie einen unüblichen Arbeitseinsatz erfordert hätte, kann es von seiner organschaftlichen Verantwortlichkeit und Haftung nicht befreien. - Die Abgeltung einer Tätigkeit, deren Umfang sachlich bestimmt wird, erfährt bei Diensten höherer Art eine abschließende Regelung, wenn hierfür eine zahlenmäßig bestimmte Vergütung festgesetzt wird. In Fällen dieser Art kann nicht angenommen werden, daß eine solche Vergütung nur einen bestimmten Umfang der übertragenen oder übernommenen Tätigkeit umfaßt. Schon gar nicht kann sie durch eine laufende Vergütung aufgestockt werden. - Die gesetzliche Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Bewilligung von Aufsichtsratsvergütungen muß auch Sondervergütungen umfassen. Diese gesetzliche Regelung ist zwingend und steht nicht zur Disposition der Satzung. Hinzufügen läßt sich diesen Argumenten noch, daß sich eine Bestimmung des Maßes der einem Aufsichtsratsmitglied als solchem zumutbaren Tätigkeit dem Gesetz nicht entnehmen läßt. Der Umstand, daß viele Aufsichtsräte nicht mehr als viermal im Jahr tagen, manche gelegentlich sogar noch weniger, und daß das Aufsichtsratsmandat ganz überwiegend nebenamtlich ausgeübt wird, ändert nichts daran, daß jedes Aufsichtsratsmitglied die volle Verantwortung für die sachgemäße und umfassende Wahrnehmung der dem Aufsichtsrat nach dem Aktiengesetz obliegenden Aufgaben trägt. Bei guter Leitung der Gesellschaft und

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sachgemäßer Erfüllung der Berichterstattungspflicht durch den Vorstand mag, wenn auch die wirtschaftliche Lage des Unternehmens unproblematisch ist und weder Beteiligungserwerbs- oder größere Investitionsentscheidungen noch Personalentscheidungen für den Vorstand anstehen, der Arbeitsaufwand für den Aufsichtsrat relativ gering sein und auf wenigen Sitzungen im Jahr bewältigt werden können. Soweit diese Voraussetzungen nicht vorliegen oder wenn etwa die Gesellschaft in eine Krise gerät, kann das Aufsichtsratsamt zu einer höchst intensiven Beanspruchung führen, und das Aufsichtsratsmitglied, das sich dieser Beanspruchung entzöge, wäre ohne weiteres nach §116 AktG haftbar. Für den Aufsichtsratsvorsitzenden gilt ohnehin, daß er über die einzelnen Aufsichtsratssitzungen hinaus sich ständig intensiv mit der Beobachtung des Geschäftsganges im Unternehmen zu befassen hat.

d) Anwendung von § 114 AktG auf allgemeine Beratungsverträge unter Ausklammerung der Aufsichtsratstätigkeit? Es bleibt die Frage, ob man die allgemeinen Beratungsverträge dann als wirksam anerkennen könnte, wenn sie selbst vorsehen, daß sie nur eine außerhalb der Wahrnehmung des Aufsichtsratsamts liegende Beratungstätigkeit zum Gegenstand haben sollen. Aber auch gegen solche Verträge ist einzuwenden, daß ihnen ein konkretes Leistungsprogramm fehlt und daß sich der Aufsichtsrat bei seiner Zustimmung selbst ein Urteil darüber zu bilden hat, ob die vorgesehenen Beratungsleistungen außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit liegen. Eine Zustimmung, die sich abstrakt auf Beratungsleistungen erstreckt, die der Aufsichtsrat nicht im einzelnen kennt, reicht daher auch dann nicht aus, wenn die Vertragspartner abstrakt die Einhaltung des Gesetzes versprechen.

e) Ergebnis Fazit: Allgemeine ΒeratungsVerträge werden von §114 AktG nicht erfaßt; sie verstoßen gegen die als gesetzliches Verbot zu lesende Vorschrift des §113 AktG, wenn sie von der Hauptversammlung nicht gebilligt sind.

2. Zulässigkeit allgemeiner Beratungsverträge mit Zustimmung der Haupt- oder der Gesellschafterversammlung? Aber auch mit Billigung der Hauptversammlung sind sie in der Aktiengesellschaft nicht zulässig; denn schon aus dem grundsätzlich zwingenden und abschließenden Charakter der aktienrechtlichen Normen (§ 23 Abs. 5 AktG) folgt, daß es außer der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder entweder nach §113 AktG oder aber nach §114 AktG

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keine andere Möglichkeit einer Vergütung für sie gibt. Das Entgelt für einen vom gesetzlichen Vertretungsorgan mit einem Aufsichtsratsmitglied abzuschließenden allgemeinen Βeratungsvertrag läßt sich auch nicht als eine Aufsichtsratsvergütung behandeln, die von der Hauptversammlung durch einen Beschluß nach §113 AktG festgesetzt werden könnte. Das Entgelt, das kraft eines solchen Beratungsvertrages gezahlt werden soll, kann selbst dann nicht zur Vergütung für die Amtsausübung umqualifiziert werden, wenn die Beratungstätigkeit mehr oder minder in den eigentlichen Aufgabenbereich des Aufsichtsratsmitglieds fällt. Könnte der Vorstand mit Zustimmung der Hauptversammlung einen Beratungsvertrag mit einem Aufsichtsratsmitglied auf der Basis des § 113 AktG schließen, so hätte der Aufsichtsrat selbst keine Möglichkeit, von seiner Kompetenz nach §114 AktG Gebrauch zu machen. Eine kumulierte Anwendung der §§113, 114 AktG, an die im Hinblick auf solche Verträge gedacht werden müßte, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Eine unterschiedliche Vergütung für Aufsichtsratsmitglieder je nachdem, ob sie einen Beratungsvertrag mit der Gesellschaft geschlossen haben, und unabhängig von bestimmten Funktionen, die sie als Aufsichtsratsmitglieder wahrnehmen, ist auch mit dem Gebot der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder unvereinbar. In der mitbestimmten G m b H ist die Rechtslage nicht ganz so eindeutig, weil § 23 Abs. 5 AktG für eine GmbH auch dann nicht gilt, wenn sie dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt. Doch dürfte den §§113, 114 AktG auch ohne Heranziehung von §23 Abs. 5 AktG zu entnehmen sein, daß sie eine abschließende Regelung der Aufsichtsratsvergütung enthalten und damit auch einem entgeltlichen allgemeinen Beratungsvertrag mit Zustimmung von Gesellschafterversammlung und Aufsichtsrat im Wege stehen. III. Bereichsspezifische Beratungsverträge Verträge, die bereichsspezifisch bestimmte Beratungsthemen und -modalitäten festlegen, können prinzipiell durch §114 AktG gedeckt sein. Nur fragt sich, wie gewährleistet werden kann, daß sie den Bereich der dem Aufsichtsratsmitglied als solchem obliegenden Tätigkeit ausklammern. Bestimmte Sektoren der Unternehmensführung, die von vornherein sachlich der Aufsichtsratstätigkeit nicht zuzuordnen sind, kann es nicht geben; denn überall können Fragen der Unternehmenspolitik auftreten, die von so wesentlicher Bedeutung sind, daß der Aufsichtsrat kraft der ihm obliegenden Pflicht zur Kontrolle der Geschäftsführung auf ihre Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit nicht an ihnen vorbeigehen darf. Insofern läßt sich beispielsweise nicht sagen, daß Beratungsverträge im Bereich des Datenschutzes oder der Qualitätssi-

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cherung zulässig seien, nicht aber im Bereich der Unternehmensrevision oder Reorganisation eines defizitär arbeitenden Geschäftsbereichs. Vielmehr muß es darauf ankommen, daß die Leistungen, die in den Verträgen vorgesehen sind, vom Aufsichtsratsmitglied kraft seines Amtes nicht geschuldet werden. Die Abgrenzung solcher Leistungen von denen, die zur Aufsichtsratstätigkeit gehören, ist sicherlich nicht einfach9, zumal sie - wie oben in anderem Zusammenhang schon dargelegt - nicht danach erfolgen kann, welcher Zeitaufwand und welche Arbeitsintensität mit der Beratung verbunden ist und zumal ein Aufsichtsratsmitglied auch seine professionelle Expertise in den Dienst seiner Amtstätigkeit zu stellen hat, ohne dafür ein besonderes Entgelt beanspruchen zu können. Letzteres allerdings nur in gewissen Grenzen, die sich aus der Funktion und dem Verfahren des Aufsichtsrats sowie aus der Eigenart der dem Aufsichtsrat als Kollektivorgan obliegenden Kontrolltätigkeit ergeben. Zum einen nämlich nur insoweit, als es darum geht zu beurteilen, ob die Entscheidungen des Vorstands innerhalb der Grenzen seines pflichtmäßigen unternehmerischen Ermessens liegen, und gegebenenfalls auch Schritte - einschließlich der Beratung - zu unternehmen, um ihn nötigenfalls auf den Weg der Tugend zurückzubringen. Bei zustimmungspflichtigen Geschäften, wo der Aufsichtsrat sein eigenes unternehmerisches Ermessen gegen das des Vorstands setzen darf, muß das Aufsichtsratsmitglied seine besondere Expertise auch voll in die Entscheidungsfindung des Aufsichtsrats und in eine Diskussion des Aufsichtsrats mit dem Vorstand einbringen. Im übrigen ist das Aufsichtsratsmitglied aber weder berechtigt noch verpflichtet, sich kraft seines Amtes an der Geschäftsführung zu beteiligen. Zum anderen ist zu beachten, daß der Aufsichtsrat als Kollektivorgan handelt. Das Aufsichtsratsmitglied muß seine spezifische Expertise in die Entscheidungen des Organs oder eines Ausschusses als Untergliederung des Organs einfließen lassen; sie ist auch für die Frage von Bedeutung, ob ein Aufsichtsratsmitglied seine Kollegen auf einen möglichen Mißstand hinweisen oder sein Fragerecht ausüben muß, sei es innerhalb des Aufsichtsrats, sei es mit Hilfe eines weiteren Aufsichtsratsmitglieds 9 Insofern sind Versuche in der Kommentarliteratur, um diese Abgrenzung herumzukommen, nicht unverständlich, aber dennoch mit dem Gesetz keineswegs vereinbar. Das gilt für die Behauptung von Meyer-Landrut in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1971, § 114 Anm. 2, sei die Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds Gegenstand eines besonderen Vertrages, so spreche das dafür, daß sie außerhalb seines Amtes liege, ebenso wie für die These Geßlers a. a. Ο. § 114 Rdn. 11, erteile der Vorstand von sich aus einem Aufsichtsratsmitglied den Auftrag, so handele dieses stets außerhalb seiner Amtsfunktion. In Verbindung mit der unten unter V. erörterten These Geßlers, Hilfstätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds für den Aufsichtsrat könnten durch eine vom Aufsichtsrat festzusetzende Sondervergütung abgegolten werden, hebt diese Auffassung offensichtlich die §§113,114 AktG aus den Angeln. Vgl. demgegenüber BFH BStBl. 1966 III, 688, 690 und Kölner Kommentar-Mertens 1. Aufl., §114 Rdn.4ff.

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unmittelbar gegenüber dem Vorstand. Außerhalb seiner Pflicht, zu sachgerechten Entscheidungen und Überwachungsmaßnahmen des Aufsichtsrats beizutragen, braucht dagegen das einzelne Aufsichtsratsmitglied seine individuelle berufliche Sachkunde dem Vorstand nicht zur Verfügung zu stellen. Schließlich ist zu beachten, daß der Aufsichtsrat zwar gegen jeden ihm bekannt werdenden Mißstand einzuschreiten hat, daß im übrigen aber die Informationsbasis, die ihm nach § 90 AktG zur Verfügung steht, eine planmäßige und kontinuierliche Kontrolle nur in bezug auf Strategiefragen und im Hinblick auf besonders wichtige Entscheidungen ermöglicht. Daher bleibt insgesamt ein erheblicher Raum für die bereichsspezifische Beratungstätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds kraft seiner professionellen Expertise. Auch bei bereichsspezifischen Beratungsverträgen wird es allerdings erforderlich sein, die Beratungsgegenstände so zu individualisieren und die zu zahlenden Vergütungen so auf die zu erbringenden Beratungsleistungen zu beziehen, daß durch den Vertrag selbst ein vertretbares Verhältnis von Leistung und Gegenleistung gesichert wird. IV. Ad hoc-Beratungsverträge Der eigentliche und unproblematische Anwendungsbereich des §114 AktG ist bei den ad hoc-Beratungsverträgen außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit zu suchen. Auch im Hinblick auf solche Verträge ist jedoch anzunehmen, daß die Zustimmung des Aufsichtsrats nur auf der Basis der Leistungsbeschreibung und einer Entgeltsregelung erfolgen darf, die diesem eine eigene Urteilsbildung darüber ermöglicht, ob der Vertrag im Interesse der Gesellschaft liegt. V. Geltung der §§113, 114 AktG für den mit einem Aufsichtsratsmitglied vor seinem Eintritt in den Aufsichtsrat abgeschlossenen Beratungsvertrag? M. E. müssen die §§113, 114 AktG als zwingende und abschließende Regelung auch für Beratungsverträge gelten, die mit dem Aufsichtsratsmitglied bereits vor seinem Eintritt in den Aufsichtsrat abgeschlossen worden sind10. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob zwischen dem Abschluß des Beratungsvertrages und dem Eintritt in den Aufsichtsrat ein so enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, daß von einer Umgehung der §§113, 114 AktG auszugehen ist. Vielmehr bedürfen nach Sinn und Zweck des § 113 AktG Vergütungen an ein Aufsichtsratsmitglied, die zwar vor Antritt des Amtes vereinbart werden, aber bezogen auf Leistungen, die während der Amtszeit erbracht werden 10

Α. A. Geßler a. a. Ο. § 114 Rdn. 3.

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sollen, als Rechtsgrundlage einer Zustimmung des Aufsichtsrats nach §114 AktG. Mangels einer solchen Beschlußfassung muß das Vertragsverhältnis mit dem Eintritt des Vertragspartners in den Aufsichtsrat enden. In diesem Augenblick werden die Beziehungen des Aufsichtsratsmitglieds zur Gesellschaft kraft zwingenden Rechts dem Anwendungsbereich der §§ 113, 114 AktG unterworfen. Vorhergehende schuldrechtliche Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsratsmitglied können seine organschaftliche Position nicht entgegen zwingendem Gesetzesrecht verbessern; es muß vielmehr von Beginn seiner Amtszeit an den mit dem Amt verbundenen organschaftlichen Verpflichtungen unterliegen, wie sie alle Aufsichtsratsmitglieder gleichermaßen betreffen. Durch Verträge mit der Aktiengesellschaft, die es vor Antritt seines Amtes schließt, kann es sich von seinen organschaftlichen Pflichten nicht freistellen lassen. VI. Sondervergütung in bezug auf eine Hilfstätigkeit für den Aufsichtsrat? Nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG kann der Aufsichtsrat eines oder mehrere seiner Mitglieder mit bestimmten Prüfungsaufgaben betrauen. Aber auch darüber hinaus kann der Aufsichtsrat einem einzelnen Aufsichtsratsmitglied Aufträge zum Zwecke der Vorbereitung, Ausführung oder Überwachung der Ausführung von Aufsichtsratsbeschlüssen erteilen. Wie schon dargelegt, vertreten Bernhardt und Fischer die Auffassung, daß der Aufsichtsrat dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied eine Sondervergütung in derartigen Fällen nicht zugestehen kann. Ihr entscheidendes Argument ist auch insofern die alleinige Kompetenz der Hauptversammlung zur Festsetzung von Vergütungen für Aufsichtsratsmitglieder. Es sei - so Fischer11 - „mit dem Grundgedanken der aktienrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften nicht in Einklang zu bringen, daß dem Aufsichtsrat die Verfügungsbefugnis über die Bewilligung von Vergütungen an seine einzelnen Mitglieder übertragen wird. Auf diesem Wege ließe sich das Recht der Hauptversammlung, über die Höhe der Vergütungen für den Aufsichtsrat zu befinden, in einer Weise aushöhlen, die sich mit dieser der Hauptversammlung zustehenden Befugnis nicht vereinbaren läßt. Das wird besonders deutlich, wenn man berücksichtigt, daß für die Höhe der sog. Sondervergütungen keine Grenze gesetzt wird und daß darüber hinaus insoweit sogar laufende Vergütungen an die Aufsichtsratsmitglieder für zulässig gehalten werden. Die von der Hauptversammlung bewilligte Vergütung kann damit also zu einer leeren Form herabgemindert und der Vergütung in Form der sog. Sondervergütung die wesentliche Bedeutung beigelegt werden." " A.a.O.

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Demgegenüber hält es Geßler12 für zulässig, daß der Aufsichtsrat durch einen Beschluß einem Aufsichtsratsmitglied für eine spezifische Gutachten- oder Untersuchungstätigkeit eine Sondervergütung zusage. Für diesen Fall sei weder § 113 AktG noch § 114 AktG einschlägig. Ein entsprechender Auftrag des Aufsichtsrats könne sich allerdings nur auf eine ganz bestimmte Einzelmaßnahme beziehen; auch müßten die besonderen Dienste des Aufsichtsratsmitglieds auf einem vom Aufsichtsrats(-Ausschuß) gefaßten Beschluß beruhen und die zu begutachtende oder zu untersuchende Angelegenheit in den Kreis der vom Aufsichtsrat zu behandelnden Fragen gehören. Besondere Dienste in Form der Beteiligung an Ausschüssen, die relativ häufig tagen, können dagegen auch nach Geßler nur nach Maßgabe des §113 AktG, also aufgrund einer Festsetzung in der Satzung oder durch einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluß, vergütet werden. Geßler ist zuzugeben, daß es in manchen Fällen für ein Aufsichtsratsmitglied unzumutbar sein wird, eine spezifische Gutachten-, Untersuchungs- oder Beratungstätigkeit umsonst auszuführen, für die ein Dritter ein erhebliches Entgelt beanspruchen könnte. Gelegentlich mag es auch nicht opportun sein, wenn der Aufsichtsrat den Auftrag der Hauptversammlung unterbreitet, damit dieser eine Sondervergütung für das betreffende Aufsichtsratsmitglied beschließt. Gegen Geßler ließe sich sagen, daß manches dafür spricht, wenn sich die Gesellschaft in derartigen Fällen nicht an ein Aufsichtsratsmitglied, sondern an einen außenstehenden Dritten wendet, zumal dieser durchweg von Berufs wegen einer Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich der ihm aus der Gesellschaft mitzuteilenden Interna unterliegen wird. Andererseits sind Fälle gewiß nicht auszuschließen, in denen der Gesellschaft daran gelegen sein muß, den Auftrag zur Begutachtung, Untersuchung oder Beratung gerade einem ihrer Aufsichtsratsmitglieder zu erteilen, sei es weil dieses eine ganz besondere Sachkunde hat, sei es weil die Aufgabe einen besonderen Durchblick durch die Gesellschaft voraussetzt, den sich ein Außenstehender, der auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen ist, in dieser Form nicht verschaffen kann. Es sprechen demnach gewisse Opportunitätsgesichtspunkte für die Auffassung Geßlers. Dagegen aber steht das Argument Fischers, daß hiermit der Weg für eine Selbstbedienung der Aufsichtsratsmitglieder im gegenseitigen Einvernehmen eröffnet würde. In bezug auf die Festsetzung von Sondervergütungen für Aufsichtsratsmitglieder, die im Rahmen ihres Amtes mit einer besonderen Leistung betraut werden, läßt sich daher keine - im Wege der Rechtsfortbildung auszufüllende - Lücke des Gesetzes annehmen. Ein unerträglicher Rechtszustand für ein Aufsichtsratsmitglied -

12

A . a . O . § 1 1 3 Rdn. 18.

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kann sich daraus schon deshalb nicht entwickeln, weil es eine Tätigkeit, zu der es als Aufsichtsratsmitglied nicht verpflichtet ist, auch nicht aufgrund eines Aufsichtsratsbeschlusses zu übernehmen braucht. VII. Bekleidung von Beiratspositionen durch Aufsichtsratsmitglieder in der mitbestimmten GmbH In der mitbestimmten GmbH besteht oft neben dem Aufsichtsrat ein durchweg schon in der Satzung vorgesehener Beirat. Typischerweise gehören einem solchen Beirat Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseignerseite an, wobei es sich vielfach um Gesellschafter handelt13. Hier stellt sich die Frage, ob in Anwendung von §114 AktG Aufsichtsratsmitglieder dem Beirat nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates angehören dürfen. Da die Aufsichtsratsmitglieder bei der Beschlußfassung über die Zustimmung zu einem Vertrag der Gesellschaft mit ihnen kraft analoger Anwendung der §§34 BGB, 47 Abs. 4 G m b H G vom Stimmrecht ausgeschlossen sind14, könnte sich ein mitbestimmter Aufsichtsrat mit einiger Aussicht auf Erfolg dagegen wehren, daß die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseignerseite zugleich dem Beirat angehören. In der Tat liegt der Mitgliedschaft im Beirat durchweg ein geschriebener oder ungeschriebener Dienstvertrag zugrunde. Selbst wenn die Beiratstätigkeit unentgeltlich sein sollte, wäre sie einer Zustimmungspflichtigkeit nach §114 AktG nicht entzogen; denn diese Vorschrift bezieht sich nicht nur auf entgeltliche Verträge. Zweifel an der Anwendbarkeit von §114 AktG könnten sich vom Wortlaut dieser Vorschrift her allenfalls unter dem Gesichtspunkt ergeben, daß die Beiräte typischerweise außer gewissen Aufgaben der Repräsentation der Gesellschafter und der Mitwirkung an der Geschäftsführung Kontrollund Beratungsaufgaben wahrnehmen, die sich funktionell von der Uberwachungs- und Beratungstätigkeit des Aufsichtsrats nicht unterscheiden. Es fragt sich aber, ob die Berufung in eine derartige Beiratsposition in der G m b H überhaupt in den Anwendungsbereich des § 114 AktG fällt. M. E. ist dies aus folgenden Gründen zu verneinen. Anders als für die mitbestimmte Aktiengesellschaft gilt für die mitbestimmte G m b H nicht das Prinzip des §23 Abs. 5 AktG. Satzung oder Gesellschafterversammlung können zusätzliche Organe konstituieren und Mitgliedern dieser Organe auch eine Vergütung zusagen. Wenn § 25 MitbestG die entsprechende Anwendung von §114 AktG auf die mitbestimmte GmbH anordnet, so sollte damit über die Mitbestimmung im Aufsichtsrat und 13

Vgl. zu den Problemen eines derartigen Beirats Mertens, Festschrift Stimpel, 1985, S. 417. 14 Vgl. etwa Hoffmann, Der Aufsichtsrat, 2.Aufl. 1985, Rdn.501; Geßler a.a.O., §108 Rdn.29; Kölner Kommentar-Afertenj, l.Aufl., §108 Rdn.44.

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die Institution des Arbeitsdirektors hinaus nicht in die Organisationsfreiheit der GmbH-Gesellschafter eingegriffen werden. Da die Bestellung der Beiratsmitglieder auf der Satzung oder einem Beschluß der Gesellschafterversammlung beruht und nicht in den Bereich der Geschäftsführung fällt15, kommt auch der mit § 114 AktG hauptsächlich verbundene Zweck nicht zum Tragen, nämlich dem Exekutivorgan zu verwehren, über ungerechtfertigte Sonderleistungen der Gesellschaft an einen seiner Kontrolleure einen unsachlichen Einfluß auf diese auszuüben. In der Kompetenz der Gesellschafter liegende Berufungen in einem GmbH-Beirat sind daher trotz § 114 AktG und ohne die in dieser Vorschrift geforderte Zustimmung des Aufsichtsrats möglich. VIII. Rechtslage im Konzern Zur Rechtslage im Konzern ist festzuhalten, daß § 114 AktG nicht für Verträge gilt, die der gesetzliche Vertreter eines abhängigen Unternehmens mit einem Aufsichtsratsmitglied der herrschenden Gesellschaft oder der gesetzliche Vertreter des herrschenden Unternehmens mit dem Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft schließt. Insoweit kommt man um einen Umkehrschluß zu § 115 AktG nicht herum, wo die Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder im Gegensatz zu den Verträgen nach § 114 AktG eine konzernweite Regelung gefunden hat. Das Verbot des §113 AktG, Aufsichtsratsmitgliedern eine Vergütung zu gewähren, die nicht in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt ist, kann und muß dagegen so ausgelegt werden, daß es auch eine Vergütung umfaßt, die ein Aufsichtsratsmitglied von einem verbundenen Unternehmen erhält, soweit sie nicht durch einen zulässigen Beratungsvertrag mit diesem Unternehmen selbst gedeckt ist. Haben Beratungsverträge mit abhängigen Unternehmen Dienste des Aufsichtsratsmitglieds zum Gegenstand, die in den Bereich seiner Amtstätigkeit für die herrschende Gesellschaft fallen, so sind sie daher nach §113 AktG nichtig. Als nichtig sind - wie oben unter II. l.a) erörtert darüber hinaus Beratungsverträge anzusehen, die kein konkretes Leistungs- und Entgeltsprogramm formulieren. Diese aus §113 AktG zu entnehmende Wertung zieht nicht nur den Verträgen nach § 114 AktG eine für den Gesamtbereich des Konzerns geltende Grenze, sondern auch solchen Beratungsverträgen des Aufsichtsratsmitglieds mit einem seiner Gesellschaft verbundenen Unternehmen, das keine Aktiengesellschaft oder mitbestimmte GmbH ist.

15

Auch die gesetzliche Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer bezieht sich nicht auf den Bereich der in die Kompetenz der Gesellschafterversammlung fallenden Sozialakte; vgl. dazu Mertens A G 1981, 216.

Der Verschmelzungsbericht nach § 340 a AktG Gedanken zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts in Europa

RUDOLF NIRK

I. Einleitung Die Angleichung der nationalen Aktienrechte in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft durch Richtlinien des Ministerrates 1 hat am 9 . 1 0 . 1 9 7 8 zur Verabschiedung der Verschmelzungs-Richtlinie 2 geführt. Im Bereich des Aktienrechtes zog die Umsetzung dieser dritten EG-Richtlinie in innerstaatliches deutsches Recht 3 zahlreiche materielle Änderungen des nationalen Verschmelzungsrechtes nach sich 4 . So ist jetzt in § 340 a A k t G als vorbereitende Maßnahme der Verschmelzung bestimmt, daß die Vorstände der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften einen ausführlichen schriftlichen Verschmelzungsbericht zu erstatten haben. Das Gesetz sagt indessen nicht, welche Informationen dieser Verschmelzungsbericht inhaltlich enthalten muß. Die Vorstände stehen damit vor einer schweren Aufgabe. Beim B G H waren/sind drei bedeutsame Verfahren anhängig: Urteil vom 2 2 . 5 . 1 9 8 9 = N J W 1989, 2 6 8 9 ff. (Kochs Adler = O L G Hamm) 5 , Urteil vom 1 8 . 1 2 . 1 9 8 9 II Z R 2 5 4 / 8 8 (Altana = O L G Köln) und B G H II Z R 1 4 6 / 8 9 ( S E N =

1 Grundlage: Art. 54 Abs. 3 g EWGV. Allg. zum Zusammenwirken der EG-Organe im Rahmen von Rechtsetzungsverfahren vgl. Wagner-Wieduwilt, WM 1988, 597 ff. 2 Richtlinie 78/855/EWG, ABl. EG L 295/36 ff. = ZGR-Sonderheft 1, 2. Aufl. 1984, S. 113 ff. Diese regelt nur die Verschmelzung innerhalb eines Mitgliedsstaates. Um auch Verschmelzungen mit Gesellschaften aus anderen Mitgliedsstaaten zu ermöglichen, hat die Kommission dem Rat am 14.1.1985 den Vorschlag für eine 10. EG-Richtlinie vorgelegt; vgl. AG 1989, AG-Report R 114. 3 Verschmelzungsrichtlinie - Gesetz vom 25.10.1982, BGB1.I 1982, 1425 ff., auf der Grundlage von Art. 189 Abs. 3 EWGV. 4 Insbesondere die Neuregelungen und Ergänzungen in §§ 339-360 AktG. 5 Der Leitsatz des BGH lautet hierzu: „Ein Verschmelzungsbericht, in dem die Ausführungen zu dem Umtauschverhältnis auf die Darlegung der Grundsätze beschränkt werden, nach denen es ermittelt worden ist, entspricht nicht den vom Gesetz gestellten Anforderungen. Das folgt aus dem weitgefaßten Wortlaut des §340 a AktG und der Funktion des Verschmelzungsberichtes, den Verschmelzungsvorgang und seine Hintergründe für die außenstehenden Aktionäre transparent zu gestalten. Die Prüfung durch die Verschmelzungsprüfer (§ 340 b AktG) ist eine ergänzende Maßnahme, die zusammen

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Rudolf Nirk

OLG Karlsruhe ZIP 1989, 988). Der vorliegende Beitrag soll einen Uberblick über die bisherige Problemdiskussion geben und diese fortführen, indem er den Blick auf eine Bewertung und Abwägung des Gesichtspunktes richtet, der offenbar den Vorrang zu beanspruchen scheint: nämlich das Prognoseproblem im Rahmen des § 340 a AktG 6 .

II. Der Ausbau des Aktionärsschutzes 1. Das Zentralstück des neuen Verschmelzungsrechtes soll entsprechend den Vorgaben durch die Verschmelzungs-Richtlinie vor allem auf den Ausbau des Aktionärsschutzes, namentlich des der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft7, abzielen. Insbesondere für das Stadium der Vorbereitung8 der Verschmelzung wird die Rechtsstellung der Aktionäre gestärkt. Insoweit sind in dem völlig neu gefaßten § 340 AktG und den neu eingefügten §§ 340 a-340 d AktG Bestimmungen über den Inhalt des Verschmelzungsvertrages, eines schriftlichen Verschmelzungsberichtes, die Prüfung des Verschmelzungsvertrages durch unabhängige Prüfer, die entsprechenden Beschlüsse der Hauptversammlungen und die Offenlegungspflichten getroffen. Diese neuen Regelungen gehen zwar erheblich über das bisherige Recht hinaus, angeblich hat sich die Praxis aber schon früher in vielen Fällen nicht auf die Einhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen beschränkt9. 2. In §340 a AktG ist bestimmt, daß die Vorstände jeder der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften einen ausführlichen schriftlimit dem Verschmelzungsbericht und den weitergehenden Informationspflichten (§§340, 340 d AktG) den Schutz der außenstehenden Aktionäre so weit wie möglich gewährleisten soll. Da diese Auslegung der mit Art. 9 der Dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 9. Oktober 1978 wörtlich übereinstimmenden Vorschrift des §340 a AktG eindeutig ist, braucht dazu keine Vorabentscheidung des EuGH i. S. des Art. 177 EWG-Vertrag eingeholt zu werden" = NJW 1989, 2689; ZIP 1989, 980. 6 Zur Problematik der Prognosepublizität im Rahmen des §289 Abs. 2 Nr. 2 HGB (Berichterstattung über die voraussichtliche Entwicklung der Kapitalgesellschaft im Lagebericht) vgl. Sieben, in FS für Goerdeler, 1987, S.581, 589 ff. 7 Vgl. nur Priester, NJW 1983, 1459, 1460. So kommt vor allem die Nachprüfung des Umtauschverhältnisses der Aktien in einem den §§ 305, 306 AktG nachempfundenen „Spruchstellenverfahren" gemäß § 352 c Abs. 2 AktG nur für die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft in Betracht. Die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft können sich gegen einen zu hohen Umtauschkurs weiterhin mit der Anfechtung des HV-Beschlusses wenden. 8 Vgl. aber auch die nachträgliche Kontrolle nach §352c AktG. Zur deutschen Diskussion einer Verbesserung des Aktionärsschutzes generell durch nachträgliche gerichtliche Kontrolle des Umtauschverhältnisses mit daraus ggf. resultierenden Ausgleichsansprüchen vgl. Priester, aaO, m.w. N. in Fn. 34. 9 Vgl. etwa Priester, aaO, m. w.N.; Hoffmann-Becking, in FS Fleck, 1988, 105 ff

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chen Bericht zu erstatten haben, in dem der Verschmelzungsvertrag oder dessen Entwurf und insbesondere das Umtauschverhältnis rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden. Eine derartige Stellungnahme war im deutschen Recht bisher nicht vorgesehen; es genügte vielmehr, daß der Verschmelzungsvertrag in der Hauptversammlung vor Beginn der Verhandlung vom Vorstand mündlich erläutert wurde10. Eine gewisse Ähnlichkeit findet der nunmehr vorgesehene Verschmelzungsbericht in dem mit Umsetzung der zweiten EG-Richtlinie in § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG eingeführten Bericht des Vorstandes bei einem geplanten Ausschluß des Bezugsrechtes im Falle einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen. Die für diesen Bericht bestimmenden Kriterien11 werden von einem Teil der Rechtsprechung und Literatur auf den Verschmelzungsbericht nach § 340 a AktG sinngemäß angewendet12. 3. In letzter Zeit häufen sich Anfechtungsklagen, mit denen Aktionäre die Rechtmäßigkeit der mehrheitlich beschlossenen Verschmelzung bestreiten13. Es handelt sich um Anfechtungsklagen gegen die im Hinblick auf § 340 c AktG gefaßten Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung jeder Gesellschaft zum Verschmelzungsvertrag. Die klagenden Minderheitsaktionäre14 versuchen, die Anfechtung der Beschlüsse im wesentlichen mit einer Verletzung der Vorschrift über den Verschmelzungsbericht (§ 340 a AktG) und der Vorschrift über den Prüfbericht (§ 340 b AktG) zu rechtfertigen. Dabei hat die Wahl ihrer Strategie zur Folge, daß auch die Problematik des Rechtsmißbrauches eine große Rolle spielt. Es geht um die Beurteilung des Verhaltens von Aktionären oder Aktionärsgruppen, die durch gezielte Androhung und Erhebung von Anfechtungsklagen die Durchführung aktienrechtlicher Grundlagenentscheidungen blockieren und die dadurch entstehende Zwangslage der Gesellschaften ausnutzen, um sich ihre Anfechtungsklagen

10 §340 Abs. 3 Satz 4 a.F. AktG. Diese Pflicht besteht nach § 3 4 0 d Abs. 5 Satz 2 AktG auch weiterhin. 11 So besonders B G H Z 83, 319, 325 f. = NJW 1982, 2444 = BB 1982, 1134 mit abl. Anm. van Venrooy - „Philipp Holzmann". 12 Vgl. bisher vor allem O L G Hamm, AG 1989, 31; und aus dem Schrifttum: Priester, aaO, S. 1461; Bayer, AG 1988, 323, 327; der·,., WM 1989, 121, 122. 13 Vgl. etwa L G Bielefeld, DB 1988, 385 bzw. O L G Hamm, AG 1989, 31 = WM 1988, 1164 = DB 1988, 1842 = ZIP 1988, 1051 = EWiR §340 a AktG 2 / 8 8 , 1151 (Happ/ Brunkhorst) = Wuß II A. §245 AktG 1.88 (Teichmann); L G Köln, AG 1988, 145 = DB 1988, 524 bzw. O L G Köln, AG 1988, 1011 = WM 1988,1792 = DB 1988, 2449 = ZIP 1988, 1391 = EWiR §243 AktG 1/88, 1049 (Timm); L G Mannheim, A G 1988, 248 = EWiR § 340 a AktG 1/88, 949 (Weif Müller) = Wuß II A. § 340 a AktG 1.88 (Marsch-Barner) bzw. O L G Karlsruhe, ZIP 1989, 988 = B G H II ZR 146/89. 14 Vgl. z.B. O L G Köln, AG 1989, 101; dort besaß ein Kläger lediglich 10 von 95 000 Aktien der übertragenden Gesellschaft.

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„abkaufen" zu lassen15. Die Vermutung liegt nahe, daß der juristische Gehalt der bisher von Aktionären vorgebrachten Bedenken nur Mittel zu diesem Zweck war; deshalb wurden die Klagen teilweise mit Recht abgewiesen, weil der Einwand des Rechtsmißbrauches für begründet erachtet wurde16. III. Der Inhalt des Verschmelzungsberichtes 1. Die Anforderungen an den Inhalt des Verschmelzungsberichtes nach §340 a AktG sind äußerst umstritten. Im Vordergrund steht die These, daß der Verschmelzungsbericht „tatsächliche Angaben zur Bewertung der Gesellschaftsvermögen enthalten muß, die den Aktionär in die Lage versetzen, von sich aus - notfalls unter Mithilfe eines Fachkundigen - die Bewertungsgrundlagen für die Festlegung des Umtauschverhältnisses nachzuvollziehen"17. Es fragt sich, ob deshalb die Darlegung konkreter Bewertungszahlen erforderlich ist18 oder ob nicht vielmehr eine verbale Erläuterung des Umtauschverhältnisses den Anforderungen des Gesetzes genügt19. In dieser Hinsicht wird vor allem ins Feld geführt, daß eine Offenlegung konkreter Zahlen die Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden Unternehmen nachhaltig gefährden würde: Die Konkurrenz könne aus den Angaben gegebenenfalls „Anhaltspunkte dafür gewinnen, wo in der Vergangenheit Stärken und Schwächen der Unternehmensentwicklung gelegen haben und welche unternehmenspolitischen Folgerungen . . . hieraus für die Zukunft gezogen" worden seien20. Dagegen wurde zunächst eingewandt, daß man dem mit der Verschmelzungsrechtsnovelle verfolgten Anliegen einer Verbesserung des Aktionärsschutzes nicht gerecht werde, wenn sich der Verschmelzungsbericht in einer verbalen Darstellung der Methode der Ermittlung des

15 Vgl. dazu etwa die Äußerung von Lutter, in Wertpapier 1988, 192 und in FS „40 Jahre Der Betrieb", 1988, S. 193 ff.: „Ich nenne diese Aktionäre schlicht und einfach Räuber". Vgl. B G H 2 5 . 9 . 1 9 8 9 - II ZR 254/88 - Nichtannahmebeschluß. 16 Vgl. vor allem O L G Köln, AG 1989, 101 (bestätigt durch B G H Fn. 15); unzutreffend O L G Hamm, AG 1989, 31 (verneinend); dazu aus dem Schrifttum etwa noch Hansen, A G 1988, AG-Report R 32 ff.; Schiaus, AG 1988, 113; Martens, AG 1988, 118, 122; Becker, AG 1988, 223; Bayer, aaO; Hirte, BB 1988, 1469,1471 ff.; ders., DB 1989, 267 in Erwiderung auf die Darlegungen von H.N. Götz, DB 1989, 261 ff. (auf dessen Eigeninteresse Hirte zutreffend hinweist); Hommelhoff/Timm, AG 1989, 168; auch B G H NJW 1988, 1579, 1581 f. und B G H NJW 1989, 2689 ff. 17 18 19 20

Vgl. O L G Hamm, aaO. In diesem Sinne etwa O L G Hamm, aaO; O L G Köln, aaO; Bayer, aaO. So etwa L G Bielefeld, aaO; L G Mannheim, aaO; L G Frankfurt, aaO. Vgl. L G Mannheim, aaO.

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Umtauschverhältnisses erschöpfe21. Darüber hinaus sollen, wie bereits ausgeführt, für den Verschmelzungsbericht nach §340 a AktG sinngemäß die vom Bundesgerichtshof in der Holzmann-Entscheidung vom 19.4.1982, B G H Z 83, 319 für den Bericht des Vorstandes zur Begründung eines Bezugsrechtsausschlusses bei Kapitalerhöhungen (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG) aufgestellten Kriterien anzuwenden sein22. Ob diese Argumentation überzeugt, bedarf im folgenden näherer Betrachtung. Dessen ungeachtet scheint aber noch völlig unklar zu sein, wie anders als verbal im Verschmelzungsbericht nach §340 a AktG insbesondere die Umtauschrelation der Aktien „rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden" sollte, wie es diese Vorschrift verlangt. Der gegenwärtige Meinungsstand ist treffend dadurch gekennzeichnet, daß hier bisher offenbar niemand eine verbindliche Antwort zu geben vermag23. 2. Der Versuch, die inhaltlichen Anforderungen an den Verschmelzungsbericht des Vorstandes zu bestimmen, hat nach den Regeln juristischer Methodik beim Wortlaut des § 340 a AktG zu beginnen. Sodann fragt sich, welchen Aufschluß die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift gibt. Bei der systematischen Interpretation ist vor allem das Verhältnis zwischen § 340 a AktG und der bereits angeführten Berichtspflicht nach §187 Abs. 4 Satz 2 AktG problematisch. Zur Schaffung einer klaren und sicheren Beurteilungsgrundlage gehört schließlich die teleologische Auslegung des § 340 a AktG; insbesondere in dieser Hinsicht ist die Auffassung, der Verschmelzungsbericht des Vorstandes nach § 340 a AktG müsse mehr als eine verbale Erläuterung enthalten, sachlich schwerwiegender Kritik ausgesetzt. a) Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut des §340 a AktG. Dieser fordert kurzerhand einen „ausführlichen Bericht", in dem „der Verschmelzungsvertrag oder dessen Entwurf und insbesondere das Umtauschverhältnis der Aktien rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden" müssen. Kann danach gesagt werden, daß im Gesetz nicht zum Ausdruck kommt, welche Angaben der Bericht im einzelnen zu enthalten hat, so müßte anderweitig dargetan werden Z.B. O L G Köln, aaO. Vgl. Fn. 11. 23 Bezeichnend O L G Köln, aaO: „Der Senat hatte nicht zu entscheiden, welche Angaben im einzelnen der Verschmelzungsbericht . . . hätte enthalten müssen, um den in § 340 a AktG umschriebenen Erfordernissen zu genügen. Um dies zu ermitteln, wäre eine eingehende Kenntnis der Bewertungsfaktoren erforderlich, die das Gericht naturgemäß nicht hat. Es genügt daher die Feststellung, daß der vorliegende Prüfungsbericht, weil er sich ausschließlich auf die Darlegung von Bewertungsmethoden beschränkt, jedenfalls den gesetzlichen Erfordernissen nicht entspricht". Ahnlich Bayer, AG 1988, 328: „Die Einzelheiten . . . können hier nicht vertieft werden". 21

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können, daß §340 a AktG die Offenlegung konkreter zahlenmäßiger Berechnungsansätze verlangt, um den Aktionär unmittelbar in die Lage zu versetzen, die Ermittlung des Umtauschverhältnisses rechnerisch nachzuvollziehen. Es versteht sich von selbst, daß solche Anforderungen in abstracto nicht genau bestimmt werden können. Die denkbaren Alternativen sind äußerst vielgestaltig und lassen sich zusammenfassend kaum beschreiben. Die Forderung nach Offenlegung konkreter zahlenmäßiger Berechnungsgrundlagen liefe daher auf eine richterliche Rechtsfortbildung von Fall zu Fall hinaus. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Handhabung zwangsläufig zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen würde24. Es ist klar, daß dadurch das Rechtsinstitut der Verschmelzung zur Disposition gestellt wäre; denn jede Anfechtungsklage hält die Durchführung der Verschmelzung registergerichtlich in der Schwebe25. Eine legitime Rechtfertigung dafür gibt es nicht. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgteber auf diese Weise einem von ihm geschaffenen Instrument von vornherein die Effektivität rauben wollte. b) Wie sieht nun das Norm Verständnis des historischen Gesetzgebers aus? Dieser Versuch führt zunächst zu den Gesetzesmaterialien betreffend das deutsche Ausführungsgesetz und dann zur Entstehungsgeschichte der hier relevanten EG-Richtlinie selbst. aa) In der Begründung des Regierungsentwurfes wird im Zusammenhang mit § 340 a AktG auf die bei Erlaß des Gesetzes bereits bestehende „Praxis der deutschen Unternehmen" abgestellt und von deren Ubereinstimmung mit dem neuen Recht ausgegangen26. Zwar ist die Praxis der deutschen Unternehmen, die nach der Ansicht der Gesetzesverfasser dem neu eingeführten System bereits entsprach, in der obergerichtlichen Rechtsprechung für „unbehelflich" erklärt worden 27 . Nichts läßt indes

24 Die durch das Rechtsstaatsprinzip geforderte Bestimmtheit der Norm wird man sowohl auf die EG-Richtlinie selbst als auch auf das Ausführungsgesetz zu beziehen haben; vgl. dazu etwa Bleckmann, RIW 1987, 929, 931. 25 Vgl. §§345 Abs. 2 Satz 1, 352 a AktG, 127 FGG; vgl. dazu OLG Hamm, AG 1988, 246; dazu m. w. N. EWiR § 345 AktG 1/88 - Winkler; WuB II A. § 345 AktG 2.88 Emmerich. Als Ubergangs- oder Ersatzlösung bietet sich ggf. der Abschluß von Ergebnisabführungsverträgen an. 26 Vgl. BT-Drucks.9/1065, S. 14f.: „Die Richtlinie . . . legt den Schutz der Aktionäre vor die Beschlußfassung der Hauptversammlungen und die Verschmelzung und will dadurch weitgehende Offenlegungspflichten erreichen, so daß die Aktionäre in Kenntnis aller Umstände über die Verschmelzung abstimmen. Die Praxis der deutschen Unternehmen entspricht offenbar schon heute weitgehend diesem System, wie Veröffentlichungen im Bundesanzeiger beweisen". Ahnlich auch der an der Schaffung des §340 a AktG beteiligte Bonner Ministerialrat Dr. Ganske in DB 1981, 1551. 17 Vgl. OLG Köln, aaO; vgl. neuestens BGH NJW 1989, 2689, 2690.

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darauf schließen, daß vor Inkrafttreten des § 340 a AktG eine Praxis bestanden hat, nach der mehr als eine verbale Erläuterung erfolgt ist28. Die mündliche Erläuterungspflicht soll nach §340 a. F. AktG 1965 soweit gegangen sein, daß bezüglich des Umtauschverhältnisses der Aktien die Zeitwertbilanzen, die Berechnungsmethode und die Zahlen des Unternehmenswertes beider Gesellschaften, ihre Zukunftsaussichten sowie besonders wertmindernde oder werterhöhende Faktoren anzugeben waren. Dieser für in der Hauptversammlung zu erfragende29 Angaben gemachte Gesetzesvorbehalt bringt genügend zum Ausdruck, daß die freiwillige schriftliche Erläuterung früher sicher nicht so weit gegangen ist. bb) EG-Richtlinien bedürfen anders als EG-Verordnungen 30 prinzipiell der Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten31. Die jeweilige EG-Richtlinie kann aber zur Auslegung herangezogen werden, wenn es den Sinngehalt nationaler Rechtsvorschriften zu ermitteln gilt, die diese Richtlinie umsetzen32. Die Bestimmung in § 340 a AktG kann somit auch von der dem deutschen Gesetz vorgelagerten europäischen Meinungsbildung aus betrachtet werden. Soweit das Gesetz in § 340 a AktG einen „ausführlichen" schriftlichen Bericht verlangt, wurde zwar einer Empfehlung des Wirtschafts- und Sozialausschusses des Europäischen Parlamentes, das Wort „ausführlich" in der Richtlinie zu streichen33, nicht gefolgt. Daraus zu folgern, ein Verschmelzungsbericht mit verbaler Erläuterung würde mit § 340 a AktG nicht in Einklang stehen34, wäre aber sicher verfehlt. Denn sachlich schwerwiegender und sehr viel stärker wirkt, daß sich auf europäischer Ebene die Forderung nach Abgabe konkreter Zahlen gerade nicht durchsetzen konnte. Anders wäre es nicht recht verständlich, weshalb nur der dem Rat von der Kommission vorgelegte „Vorschlag" bezüglich des Berichtes der Verschmelzungsprüfer (§ 340 b AktG) eine Regelung enthielt, die die Angabe bestimmter Zahlen sowie

28 Vgl. auch Hirte, aaO; Geßler, AktG, 1989, Erläuterungen zu §340. Wegen der Bezugnahme der Gesetzesverfasser auf die Praxis der deutschen Unternehmen dürfte es sich hier im übrigen um eine revisible Rechtsfrage i. S. d. § 549 ZPO handeln. 29 Vgl. etwa Kraft in Kölner Komm, zum AktG, 1985, §340 Rdn. 14; Schilling in Groß-Komm. zum AktG, 3. Aufl. 1975, §340 Anm. 12; Barz, AG 1972, 1, 5. 30 Vgl. Art. 139 EWGV. 31 Dazu etwa Timmermanns, RabelsZ 48 (1984), S. Iff. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit von EG-Richtlinien vgl. vor allem Steindorff, AG 1988, 57 ff. 32 Vgl. z.B: Timmermanns, aaO, 34; Lutter, ZGR-Sonderheft 1, 2. Aufl. 1984, S. 45ff.; Zuleeg, ZGR 1980, 466, 478. 33 Vgl. WSA, ABl. EG C 88 v. 6.9.1971, S. 9. 34 So Bayer, AG 1988, 326.

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einzelfallbezogener Werte vorsah35. Aber nicht einmal dieser Vorschlag ließ sich verwirklichen. Vielmehr sind insoweit in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie lediglich verbale Angaben vorgesehen36. Daneben scheint kein Platz für eine stillschweigende Forderung nach mehr als einer verbalen Erläuterung. Aus dem Ziel der europäischen Integration können nicht von Fall zu Fall neue Anforderungen entwickelt werden, ohne daß man diesem Ziel entgegenwirkt. Es ist klar, daß dadurch die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechtes unzulässigerweise zur Disposition des nationalen Gesetzgebers gestellt würde37. c) Daß die Wiedergabe von Zahlen im Verschmelzungsbericht gemäß § 340 a AktG nicht verlangt wird, ergibt sich des weiteren als Folge einer systematischen Interpretation dieser Bestimmung. aa) In dieser Hinsicht ist § 340 a AktG zunächst im Zusammenhang mit den in §§131 Abs. 1, 340 b, 340 d Abs. 5 Satz 2, Abs. 6, 352 c AktG enthaltenen Regelungen zu sehen. Das Gesetz stellt insoweit zusätzliche Schutzinstrumente und Alternativen zur Verfügung, die insgesamt für einen ausreichenden Aktionärsschutz Sorge tragen dürften. Da ist in erster Linie die obligatorische Prüfung der Verschmelzung durch unabhängige Wirtschaftsprüfer zu nennen, die sich auf die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses erstreckt, mit einem entsprechenden Testat zu versehen und vor der Einberufung der Hauptversammlung auszulegen ist. Gerade die Bestätigung des Umtauschverhältnisses durch das Testat eines neutralen Sachverständigen wird dabei mit Recht als eine entscheidende Gewähr für die Aktionäre genannt38. Zumindest vermindert der Prüfungsbericht als zusätzliches Schutzinstrument das Schutzbedürfnis der Aktionäre in bezug auf den Verschmelzungsbericht. Die Prüfung und der Bericht der Verschmelzungsprüfer wären zudem überflüssig, wenn ohnehin alle wesentlichen Angaben schon im Verschmel-

35 Vgl. Art. 5 Ziff. 2 Abs. 3, BT-Drucks. 6/1027, S.4: „In ihrem Bericht müssen die Sachverständigen erklären, ob das Umtauschverhältnis der Aktien gerechtfertigt ist oder nicht. Diese Erklärung ist zumindest durch folgende Anhaltspunkte zu begründen: a) Das Verhältnis des Reinvermögens der Gesellschaft ermittelt auf der Grundlage der wirklichen Werte; b) das Verhältnis der Ertragswerte unter Berücksichtigung der Zukunftsaussichten; c) die Kriterien zur Bewertung des Reinvermögens und der Ertragswerte".

» Wie Fn.2. 37 Hierüber zu entscheiden, wäre gemäß Art. 177 EWGV letztendlich Sache des EuGH; vgl. in diesem Sinne ausführlich auch Keil/Wagner, ZIP 1989, 214. Revisionsrechtlich dürfte einer Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S. d. § 554 b ZPO zukommen, wenn dargelegt wird, daß voraussichtlich eine Vorabentscheidung des E u G H einzuholen sein wird, außer wenn hinreichende Gründe vorliegen, die die Einholung der Vorabentscheidung entbehrlich erscheinen lassen; vgl. BVerwG N J W 1988, 664 zu §132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; dazu auch Schiller, RiW 1988, 452, 456. 38

Vgl. L G Mannheim, AG 1988, 248, 251.

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zungsbericht des Vorstandes enthalten sein müßten. Daher muß auch ein Umkehrschluß aus § 3 4 0 b AktG zu der Auffassung führen, daß der Bericht i. S. des § 340 a AktG mehr als eine verbale Erläuterung nicht zu enthalten braucht. Von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis des § 340 a AktG ist sodann das in den §§131 Abs. 1, 340 d Abs. 6 AktG 39 vorgesehene Auskunftsrecht der Aktionäre. Unter Berufung auf diese Vorschriften folgt unmittelbar und logisch zwingend, daß der Verschmelzungsbericht des Vorstandes nach § 340 a AktG nicht alle, sondern nur einen Teil der Gesamtinformationen über das Verschmelzungsvorhaben zu enthalten braucht. Und schließlich die Vorschrift des § 3 5 2 c Abs. 1 Satz 2 AktG: Durch diese Bestimmung wird den Aktionären nicht nur ein zusätzlicher Schutz gewährt, indem sie ihnen ein effektives Mittel zur Wahrung ihrer Interessen im Falle der Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses zur Verfügung stellt40. Das Gesetz enthält insoweit aber auch eine klare Tendenz, die Verschmelzung durch Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten zu erleichtern41. Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist zu respektieren. Sie darf nicht durch eine extensive Handhabung des § 340 a AktG unterlaufen werden. Als Ergebnis bleibt danach festzuhalten, daß das Gesetz die Minderheitsaktionäre mit insgesamt ausreichenden Schutzmitteln ausgestattet hat. Für die richtige Handhabung des § 340 a AktG ist dieser Befund von erheblicher Bedeutung, da auch Einschränkungen der Privatautonomie am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen sind42. bb) Die vermeintliche Parallele zwischen der Verschmelzung (§340 a AktG) und dem Bezugsrechtsausschluß im Falle der Erhöhung des Grundkapitales einer Aktiengesellschaft (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG) wird im wesentlichen damit begründet, daß beides vergleichbare Eingriffe in 39 Nach §131 Abs. 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, auch betreffend die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbundenen Unternehmen, soweit die Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist. Gemäß § 340 d Abs. 6 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung, die über die Verschmelzung beschließt, Auskunft auch über alle für die Verschmelzung wesentlichen Angelegenheiten der anderen beteiligten Gesellschaften zu geben. 40 Im Falle zu niedriger Festsetzung des Umtauschverhältnisses können die antragstellenden Aktionäre der übertragenden Gesellschaft in einem den §§305, 306 AktG nachempfundenen „Spruchstellenverfahren" eine Barzuzahlung verlangen. 41 Im Wege der Anfechtung des Zustimmungsbeschlusses kann eine Uberprüfung des Umtauschverhältnisses von den Aktionären der übertragenden Gesellschaft nicht herbeigeführt werden, § 352 c Abs. 1 Satz 1 AktG. 42 Vgl. etwa Canaris, J Z 1987, 995. Zum Grundsatz der Ungebundenheit der Privatrechtssubjekte im Zivilrecht neuestens Zöllner, AcP 1988, 85, 95.

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die Beteiligungsstruktur der Gesellschaft darstellten; in beiden Fällen seien die Herrschafts- und Vermögensrechte der Minderheitsaktionäre gefährdet 43 . Von diesem Ausgangspunkt her sollen die in der HolzmannEntscheidung des Bundesgerichtshofes für den Bericht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG aufgestellten Maßstäbe auf den Verschmelzungsbericht nach § 340 a AktG sinngemäß anzuwenden sein44. Gegen diesen Standpunkt bestehen jedoch schwerwiegende Einwände, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: Im Rahmen des § 340 a AktG geht es um Angaben zur Bewertung von Gesellschaftsvermögen, während die in der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 19.4.1982 entwickelten Grundsätze Angaben des Vorstandes45 gegenüber der Hauptversammlung über die Gründe für den geplanten teilweisen oder vollständigen Bezugsrechtsausschluß betreffen. Dafür hat der Bundesgerichtshof verlangt, daß „die Verwaltung im Rahmen des möglichen und im Interesse der Gesellschaft vertretbaren wenigstens so viele Tatsachen mit den dazu angestellten Überlegungen aufzuzeigen hat, daß sich die Hauptversammlung ein Bild von der Stichhaltigkeit des Wunsches nach einer Ermächtigung gem. § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG machen kann" 46 . Bestehe jedoch ein legitimes Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft, so seien die Gründe für die gewünschte Ermächtigung des Vorstandes nur „soweit offen zu legen, wie es den Umständen nach ohne eine für die Gesellschaft schädliche vorzeitige Preisgabe schwebender Planungen möglich und auch notwendig ist, damit die Hauptversammlung eine ausreichende sachliche Grundlage für ihre Entscheidung hat" 47 . Über die Anwendung dieser Grundsätze auf die Vielzahl der denkbaren konkreten Fälle werden auf absehbare Zeit ganz gewiß noch unterschiedliche Auffassungen bestehen. Sicher kann nur gesagt werden, daß abstrakte Wendungen und die Aufzählung theoretischer Möglichkeiten nicht ausreichen 48 . Das Vorliegen gewisser Parallelen zwischen den Fällen des § 3 4 0 a AktG und des § 1 8 6 Abs. 4 Satz 2 AktG erscheint danach nicht als tragfähige Grundlage für eine analoge Anwendung der zu der letzteren Bestimmung aufgestellten Grundsätze. Die Verschmelzung ist ein wesentlich komplexerer Vorgang als die Maßnahmen, zu deren Durch-

« Vgl. OLG Hamm, aaO; Bayer, aaO. 44 Wie Fn. 42; außerdem - allerdings ohne Begründung - Priester, aaO. 45 Fall des §203 Abs. 2 Satz 2 AktG, daß der Vorstand ermächtigt ist, über den Ausschluß des Bezugsrechtes zu entscheiden. 46 Vgl. BGHZ 83, 319, 327 - Philipp Holzmann. 47 Vgl. BGH aaO. 48 Vgl. auch BGH, aaO; Timm, DB 1982, 211, 213 u. 215; Sturies, WPg 1982, 581, 585; Becker, BB 1981, 394, 395, der eine Darstellung „selbstverständlich in der gebotenen Kürze" verlangt.

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führung ein Bezugsrechtsausschluß notwendig sind. Für die Verwaltung der Gesellschaft ergibt sich hier viel eher das Problem, daß sie entweder zuviel aufdeckt, so daß die Konkurrenz unerwünschte Schlüsse ziehen kann, oder sie zuwenig aufdeckt, und eine etwaige Anfechtungsklage Erfolg hat, weil das Gericht die Angaben im Verschmelzungsbericht im Wege einer expost-Kontrolle für nicht ausreichend befindet. Diese Konsequenz läßt sich vermeiden. Denn im Rahmen des §340 a AktG stehen, wie im einzelnen ausgeführt, eine ganze Reihe weiterer Schutzinstrumente zur Verfügung. d) Die gesetzlich insgesamt zur Verfügung gestellten Schutzinstrumente führen zwangsläufig zu einer Verminderung der Schutzbedürftigkeit der Minderheitsaktionäre bezüglich der Angaben im Verschmelzungsbericht. Bei dieser Rechtslage stellt sich die Frage, wie man einerseits dem gegenläufigen legitimen Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaften49 und andererseits dem Ziel des Gesetzes, Hindernisse für eine Verwirklichung der Verschmelzung möglichst zu beseitigen50, gerecht werden kann. Daß entgegen der Formulierung im Regierungsentwurf nicht „alle" Umstände im Verschmelzungsbericht enthalten sein müssen, hinsichtlich derer eine Geheimhaltungsbefugnis nicht besteht, ist so evident, daß diese Auffassung, soweit ersichtlich, auch von niemandem ernsthaft vertreten wird51. Wesentlich schwieriger liegt die Frage, wie sich der Verschmelzungsbericht darüber hinaus anders als durch verbale Erläuterung praxistauglich ausgestalten läßt. Mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit wäre es nicht zu vereinen, wenn die inhaltlichen Anforderungen an den Bericht nicht mehr prognostizierbar wären. Soweit mehr als eine verbale Erläuterung verlangt wird, lassen sich die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht einfach dadurch umgehen, daß man es ablehnt, zu entscheiden, welche Angaben im einzelnen der Verschmelzungsbericht enthalten muß, um den in § 340 a AktG umschriebenen Erfordernissen zu genügen52. An konkreten Vorstellungen, wie denn eigentlich eine andere als verbale Erläuterung aussehen sollte, fehlt es. Es ist deshalb gar nicht gesagt, daß sich eine solche abstrakte Möglichkeit überhaupt realisieren läßt. So sind allgemeinverbindliche Bewertungsregeln bisher 49 Vgl. §§131 Abs. 3 Ziff. 1, 340 b Abs. 4 Satz 5 AktG, wonach die Erteilung von Auskunft verweigert werden darf, wenn anderenfalls der Gesellschaft ein nicht unerheblicher Nachteil zugefügt werden könnte. 50 Vgl. dazu Fn. 40. 51 Vgl. etwa O L G Köln, aaO: „weitgehende" Offenlegung; Bayer, aaO: neben den absoluten Zahlen der ermittelten Ertragswerte „wenigstens" auch die wichtigsten Einzelplanzahlen, damit die Bewertung „wenigstens im Ansatz" nachvollziehbar sei. 52 Ζ. B. O L G Köln, aaO; Bayer, aaO.

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weder vom Gesetzgeber noch von der Rechtsprechung entwickelt worden53. Zudem beruht die Feststellung der zu prognostizierenden Zahlen durchweg auf unsicheren Erwartungen, wobei zwangsläufig mehrere Datenkonstellationen denkbar sind. Trotz des Versuches der Ausschaltung von Unsicherheiten durch Einteilung des Planungszeitraumes in mehrere Phasen54 bleiben eine Reihe von Unwägbarkeiten, sei es genereller Art, z. B. unabsehbare konjunkturelle Entwicklungen, weit- und landespolitische Ereignisse, sei es unternehmensspezifischer Art, wie z. B. Konkurrenzsituation, Managementqualifikation, Finanzierungsverhältnisse oder Umweltschutz. Es ist daher gar nicht verwunderlich, daß bei der Beurteilung im Rahmen der Vorschau auf die künftige Entwicklung der einzelnen Unternehmen nur ein Teil der Daten als auf „richtig" oder „falsch" nachprüfbar bezeichnet wird und im übrigen stattdessen die lediglich subjektive Aussage „glaubwürdig" oder „unglaubwürdig" tritt55. Aber auch in bezug auf die vergangenheitsorientierten Informationen wird zutreffend gesagt, daß es wiederum nur eine Prognose darstellt, wenn auf der Basis von Zahlen aus der Vergangenheit auf die Zukunft geschlossen wird 56 . Wenngleich in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung von „Grundsätzen ordnungsmäßiger Prognosebildung" diskutiert wird 57 , bleibt festzuhalten, daß sich die oben beispielhaft genannten Determinanten des künftigen Unternehmenserfolges nur unvollständig aufzählen lassen und der Einfluß, den diese Bewertungsfaktoren auf die zu prognostizierenden Größen haben, unsicher bleibt. Daß aber eine möglichst

53 Vgl. etwa die Stellungnahme des Institutes der Wirtschaftsprüfer, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, HFA 2/1983, WPg 1983, 468; zur Prognoserechnung allgemein Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1988, S. 31, 38 ff., 57 ff. 54 Etwa nächstliegende, noch detailliert planbare Zukunft, z. B. 3 Jahre; Trenderwartungen und Ableitungen aus den Plänen der ersten Phase bis zum Planungshorizont, z. B. weitere 5 Jahre; fernstliegende Phase, für die i. d. R. eine Entwicklung des Erfolges auf konstantem Niveau angenommen wird; vgl. auch dazu die Stellungnahme HFA 2/1983, aaO. 55 Vgl. Sieben, aaO, S. 589 m. w. N.; aus der Betriebswirtschaftslehre etwa Union Européenne des Experts Comptables Economiques et Financiers (U. E. C.), Empfehlung zur Vorgehensweise von Wirtschaftsprüfern bei der Bewertung ganzer Unternehmen, Veröffentlichung der Kommission für Fachfragen und Forschung (KFF), TRC 1, 1980, S. 9: Nicht nachprüfbar und daher nur subjektiv zu werten sind danach alle Mengen- und Wertgrößen der Zukunftsplanung, die von noch eintretenden Voraussetzungen abhängen, wozu etwa zählen: Absatzpläne, Produktions- und Beschaffungspläne, Kosten- und Erlöspläne, Finanzierungs- und Liquiditätspläne im Rahmen von Mehrjahresplänen. 56 Vgl. Sieben, aaO, S.590 Fn.23. 57 Vgl. etwa Rückle, DB 1984, 65 ff.; Hagest/Kellinghusen, WPg 1977, 405 ff.

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vollständige Mitteilung aller den Unternehmenswert bestimmenden Faktoren und deren Auswirkungen auf den Erfolg im Verschmelzungsbericht den im Grunde anerkannten 58 Schutzinteressen der beteiligten Unternehmen zuwiderliefe, versteht sich von selbst. Als Alternative bliebe daher nur die beliebige Herausnahme einzelner Zahlen und Details aus dem Verschmelzungsbericht. Inwieweit aber ein Verschmelzungsbericht in derart relativierter Form überhaupt verwirklicht werden kann, erscheint mehr als zweifelhaft. Möglich und sinnvoll ist ein Verschmelzungsbericht ja nur dann, wenn er bei den Berichtsadressaten nicht zu einer Verwirrung, sondern zu einem Informationsgewinn führt und sein Inhalt einen gerichtlich nachprüfbaren Maßstab ergibt. Eine verbale Erläuterung des Verschmelzungsvertrages und insbesondere des Umtauschverhältnisses der Aktien muß daher als Maxime für die inhaltliche Ausgestaltung der Verschmelzungsberichte nach §340 a AktG genügen59. IV. Folgerungen aus BGH 22.5.1989 - Verschmelzungsbericht I Auch nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22.5.1989 60 wird die Diskussion über den Inhalt des Verschmelzungsberichtes nach §340 a AktG fortdauern 61 . Denn der BGH hat offen gelassen, welchen Anforderungen der Verschmelzungsbericht im einzelnen genügen muß. Bedauerlicherweise geht der II. Zivilsenat insbesondere auf die Frage, wie den Aktionären die geforderte Kenntnis „aller Umstände" vermittelt werden könnte, nicht ein62. Auch finden sich im Urteil keine Ausführungen darüber, ob die Darlegung konkreter Bewer-

Vgl. dazu Fn. 48; in diesem Sinne etwa Sieben, aaO, S. 592 m. w. N. in Fn. 36. Ebenso im Ergebnis Sieben, aaO, S. 593. Vgl. auch Geßler, aaO (Fn. 27), nach dessen Auffassung der Verschmelzungsbericht im Grunde überflüssig ist, weil der Verschmelzungsvertrag bereits „alles Notwendige" für die Verschmelzung enthalten müsse; die eigentliche Bedeutung des Verschmelzungsberichtes liege daher in der Angabe über „besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung der Unternehmen", wobei auf diese Schwierigkeiten, wenn man den Gesetzestext ernst nehme, nur „hinzuweisen" sei. 60 NJW 1989, 2689 = ZIP 1989, 980; Leitsatz siehe Fn.5. Zuvor hatte der BGH zum Verschmelzungsrecht als solchem eigentlich nur in 3 Entscheidungen Stellung nehmen können: BGHZ 65, 230, 233 (Anfechtungsklage gegen die übertragende Gesellschaft); BGH W M 1971, 1202 (Anfechtung der Verschmelzung nach Eintragung); BGH NJW 1988, 1579, 1580 - (Anfechtung eines Auflösungs-/Verschmelzungsbeschlusses) mit Anm. Timm. - Eine umfassende Rechtsprechungsübersicht gibt Heckschen, Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 1989; ders., Das Verschmelzungsrecht auf dem Prüfstand, ZIP 1989, 1168 ff. 61 Vgl. bis Redaktionsschluß bereits die Anm. Werner, WuB II A. §340 a AktG 3.89 sowie die Besprechung von Heckschen, ZIP 1989, 1168 ff. und ders., Anm. zu O L G Karlsruhe, WuB II A. zu §340 a AktG 2.89 und ZIP 1989, 988. 62 So ausdrücklich BGH NJW 1989, 2690. 58 59

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tungszahlen erforderlich ist oder nicht63. Im Ergebnis hilft daher auch die vorliegende Entscheidung des B G H nicht weiter, um die praktisch sehr wichtige Frage der Ausgestaltung des Verschmelzungsberichtes gemäß § 340 a AktG zu klären. O b in dem am 18.12.1989 - II ZR 254/88 - ergehenden Urteil (Altana X Götz) noch mehr gesagt werden wird, bleibt abzuwarten, ist jedoch kaum anzunehmen. Viel eher kann eine für die Praxis so bedeutsame Klärung durch die Revisionssache II ZR 146/89 - SEN - erwartet werden, weil dort die These des O L G Karlsruhe zur Uberprüfung steht, wonach der Verschmelzungsbericht so detailliert den Inhalt der Unternehmensbewertung offenlegen muß, daß seitens der Aktionäre eine sog. Plausibilitätskontrolle ermöglicht wird. Der Bericht müsse als weitere Informationsquelle dem Aktionär ermöglichen, sich nicht auf das Testat des Prüfers verlassen zu müssen. Der Aktionär als „Quasi-Verschmelzungsprüfer" P64 Das kann nicht die Konsequenz aus der allgemein anerkannten Ansicht sein, wonach die Verschmelzungsprüfung den Kern des Minderheitenschutzes darstellt65.

63 Solche Detailangaben werden neuerdings vom O L G Karlsruhe gefordert (ZIP 1989, 988 = WM 1989, 1134). Dagegen Werner, aaO (Fn.61); Heckschen, ZIP 1989, 1168, 1172 und ders. in WuB II. A. §340 a AktG 2.89 zu O L G Karlsruhe. 64 Vgl. Heckschen, aaO, 1172. Seiner kritischen Sicht ist zuzustimmen. Diese Abhandlung ist erst während der Drucklegung erschienen. 65 Vgl. statt anderer Nachweise: Möhring/Nirk/Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft, Rz. 776.

Führungsstruktur und Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft nach dem Verordnungsvorschlag der Kommission vom 25. August 1989 THOMAS RAISER

I. Die Einheitliche Europäische Akte vom 28. Februar 1986 und die darin enthaltene politische Willenserklärung, bis zum 31. Dezember 1992 den Binnenmarkt zu verwirklichen, hat auch der Harmonisierung des Gesellschaftsrechts neuen Auftrieb gegeben. Schon in der früheren Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften war das Gesellschaftsrecht wohl der Bereich des Privatrechts gewesen, in dem die Rechtsangleichung den größten Fortschritt erreicht und am tiefsten in die nationalen Rechte eingegriffen hatte. Auf der anderen Seite waren, wie man weiß, eine Reihe von wichtigen und ehrgeizigen Projekten steckengeblieben, darunter namentlich der Vorschlag für die 5. Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft und der Verordnungsvorschlag für das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft. Den ersten Entwurf für die Strukturrichtlinie hatte die Kommission bereits 1972 veröffentlicht1. 1983 war eine revidierte Fassung gefolgt2. Ihre Verabschiedung scheiterte jedoch an den unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedsstaaten vor allem darüber, wie die Unternehmensleitung organisiert und die Arbeitnehmer daran beteiligt werden sollten. Gegenwärtig wird, wie man hört, darüber wieder verhandelt. O b ein Durchbruch gelingen wird, ist jedoch noch nicht abzusehen. Der erste Entwurf für das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft von 19703 war bereits 19754 geändert worden, doch hatte die Kommission die Arbeit daran aus denselben Gründen seit 1982 suspendiert. Nach dem Erlaß der Einheitlichen Europäischen Akte

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ABl. Nr. C 131 S.49ff; BT-Drucks. VII/363. ABl. Nr. C 240 S. 2 ff; BT-Drucks. X/467. ABl. Nr. C 124 S. 1 ff; BT-Drucks. VI/1109. DOK.KOM (75) 150; BT-Drucks. VII/3713.

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forderte dann aber der Europäische Rat in Brüssel im Juni 1987 auf „die Anpassungen des Gesellschaftsrechts mit dem Ziel der Schaffung einer Gesellschaft europäischen Rechts rasch voranzutreiben" 5 . In einem Memorandum vom 15. Juli 19886 folgte die Kommission der Aufforderung, indem sie die Schwierigkeiten beschrieb und Lösungsvorschläge anbot7. Unter dem Datum des 25. August 1989 konnte sie nunmehr den zum zweiten Mal revidierten vollständigen Entwurf des Verordnungsvorschlags vorlegen 8 . Sie fügte einen erstaunlich ehrgeizigen Zeitplan bei, nach dem der Entwurf im Ministerrat bereits bis Oktober 1990 verabschiedet und sodann zum 1. Januar 1992 in Kraft treten soll9. Daß diese Fristen eingehalten werden können, erscheint wenig wahrscheinlich. Gelingt es aber überhaupt, auf der Grundlage des Entwurfs die Europäische Aktiengesellschaft nunmehr ins Leben zu rufen, so liegt darin ein gewaltiger Fortschritt. Denn das Statut wird dann nicht nur eine supranationale Rechtsgrundlage für grenzüberschreitende Großunternehmen schaffen. Es wird auch den Weg zeigen, auf dem bei der Strukturrichtlinie, also der Angleichung der nationalen Aktiengesetze voranzukommen ist. II. Der offensichtlichste Charakterzug des neuen Entwurfs ist seine Kürze. Während der geänderte Verordnungsvorschlag von 1975 284 Artikel und 4 Anhänge umfaßte, begnügt sich die Kommission jetzt mit 137 Artikeln, also weniger als der Hälfte. Zur Rechnungslegung, Prüfung und Publizität verweist der Text im wesentlichen auf die durch die 4., 7. und 8. Richtlinie geschaffene Rechtslage (Art. 101 ff.). Zum Konzernrecht wird auf das nationale Recht verwiesen (Art. 114). Im vorliegenden Zusammenhang interessiert vor allem, daß der Entwurf nunmehr auch auf Vorschriften zur betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer ganz verzichtet und insoweit schlicht auf die nationalen Gesetze Bezug nimmt10. Bei der unternehmerischen Mitbestimmung, dem offenkundig sensibelsten Punkt, konnte er allerdings nicht genauso verfahren. Statt dessen griff die Kommission zu dem erstaunlichen Trick, die Mitbestimmungsregeln aus dem Verordnungsvorschlag auszugliedern und in eine ergänzende Richtlinie mit lediglich 13 Artikeln zu verweisen, welche nach demselben Zeitplan verabschiedet Zitiert im Entwurf der Verordnung, K O M (89) 268 endg. S. 1. K O M (88) 320. 7 Uber die Stellungnahmen dazu berichtet Wiesner in A G 1989 R 2 . 8 K O M (89) 268 endg. ' aaO S. 149. 10 Art. 10 der ergänzenden Richtlinie zur Stellung der Arbeitnehmer. 5 6

Führungsstruktur und Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft 2 0 3

und in die nationalen Rechtsordnungen umgesetzt werden soll". Augenscheinlich hofft die Kommission, auf diesem Weg dem Erfordernis der Einstimmigkeit im Ministerrat ausweichen zu können und sowohl die gesellschaftsrechtlichen Regelungen wie die Mitbestimmungsvorschriften mit qualifizierter Mehrheit über die Bühne zu bringen. Den Verordnungsvorschlag stützt sie nunmehr anstatt wie bisher auf Art. 235 EWGV auf die Mehrheitsregel des Art. 100 a EWGV. Diese trägt wegen des ausdrücklichen Vorbehalts in Abs. 2 die Mitbestimmung jedoch nicht, so daß Einstimmigkeit unausweichlich war, wenn die Mitbestimmung in die Verordnung einbezogen blieb. Den Richtlinienentwurf konnte die Kommission hingegen, wie schon die Entwürfe für die Strukturrichtlinie, auf Art. 54 Abs. 3 g i. V. mit Abs. 2 EWGV stützen, wonach gleichfalls qualifizierte Mehrheit genügt. Ob das Verfahren zulässig ist, erscheint allerdings in hohem Maße fraglich. Es liegt nahe, darin ein nicht statthaftes Auseinanderreißen zusammengehörender Regelungskomplexe und zudem eine Umgehung des Art. 100 a Abs. 1 und 2 EWGV zu sehen. Falls es zum Streit darüber kommt, wird der Europäische Gerichtshof die Frage eines Tages zu entscheiden haben. Einstweilen eröffnet die Lösung einen immerhin vertretbaren Ausweg, welcher den politisch-taktischen Vorteil größerer Flexibilität und die Aussicht bietet, über den vorhersehbaren Widerstand einiger Mitgliedsstaaten hinwegzukommen. III. Es ist ausgeschlossen, in den Grenzen eines Festschriftenbeitrags auf die ganze Fülle der Regelungen einzugehen, die Gegenstand des Verordnungsentwurfs und der Richtlinie sind. Deshalb beschränke ich mich im folgenden auf die politisch wichtigsten und zugleich problematischsten Punkte, die Führungsstruktur und die Mitbestimmung. Vermutlich würde der hochverehrte Jubilar mit seinem stets wachen Blick für die wichtigen Strukturfragen bei der ersten Würdigung des sich abzeichnenden neuen Rechts nicht anders verfahren. Dabei ist der Blick zunächst isoliert auf die gesellschaftsrechtlichen Aspekte zu richten. Sie bilden den Rahmen, in den sich die Mitbestimmung einfügt. Aber ihre Eignung und Funktionsfähigkeit ist auch unabhängig von der Mitbestimmung allein unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen rechtlichen Organisation der Leitung von Großunternehmen zu würdigen, zumal, wie weiter unten auszuführen sein wird, die Mitbestimmungsrichtlinie auch mitbestimmungsfreie Leitungsorgane ins Auge faßt. Dabei geht es um den

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endg.

Veröffentlicht an derselben Stelle wie der Verordnungsentwurf K O M (89) 268

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Gegensatz zwischen dem sogenannten monistischen oder Verwaltungsratssystem, das neben der Hauptversammlung lediglich ein Führungsorgan kennt und in den Staaten des Common Law sowie in Frankreich beheimatet ist, und dem deutschen dualistischen oder Aufsichtsratssystem, nach dem die Unternehmensleitung auf zwei Organe, Vorstand und Aufsichtsrat verteilt ist. Der ursprünglich und auch noch der geänderte Entwurf der Verordnung von 1975 hatte sich zugunsten des deutschen Systems entschieden und nur das dualistische System vorgesehen, war aber, wie bereits angedeutet, gerade damit bei mehreren Mitgliedstaaten auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen. Schon der geänderte Vorschlag für die Strukturrichtlinie von 1983 wies demgegenüber eine beweglichere Konzeption auf. Zwar hielt er im Prinzip am Aufsichtsratssystem fest, gestattete den Mitgliedstaaten jedoch, den Unternehmen statt dessen auch die Wahl des Verwaltungsratssystems zu ermöglichen12. Der neue Verordnungsvorschlag für das Statut der SE entfernt sich nunmehr noch einen Schritt weiter von der ursprünglichen Lösung, indem er eine vollständig offene Alternative zwischen beiden Modellen anbietet. Nicht mehr die Mitgliedsstaaten, sondern die Gründungsgesellschaften können zwischen dualistischem und monistischem System wählen und die Entscheidung in der Satzung festlegen (Art. 61). Der Verordnungsentwurf definiert jedes Modell in einem Minimum von Vorschriften. Zur Kennzeichnung des Aufsichtsratssystems verwendet er nur vier, für das Verwaltungsratssystems sogar nur zwei gesonderte Artikel (Art. 62-67). Alle übrigen Vorschriften zu Amtszeit, Voraussetzungen der Mitgliedschaft, Vertretungsbefugnis, Zuständigkeit, Interessenkonflikt, Rechte und Pflichten der Organmitglieder, Abberufung sowie Haftung faßt er in gemeinsamen Regelungen für beide Modelle zusammen, ohne einen Unterschied zwischen ihnen zu machen (Art. 68-80). Auf diese Weise bringt er schon äußerlich zum Ausdruck, daß beide Modelle in allen wesentlichen Punkten übereinstimmend zu beurteilen sind. Um die Tragweite dieser Konzeption zu verstehen, ist es nötig, auf Einzelheiten einzugehen. Dabei setze ich die Kenntnis der deutschen Regelung an dieser Stelle voraus. Sie ist gekennzeichnet vor allem durch die strikte Inkompatibilität zwischen der Mitgliedschaft im Vorstand und im Aufsichtsrat (§ 105 AktG) und die sorgfältig durchgeführte Abgrenzung der Kompetenzen zwischen beiden Organen. Während der Vorstand nach § 76 AktG das Unternehmen unter eigener Verantwortung leitet, liegt in den Händen des Aufsichtsrats die Überwachung der Unternehmensleitung (§111 Abs. 1, 2 AktG). Eigene unternehmerische

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Art. 2 des geänderten Vorschlags der 5. Richtlinie (Fn.2).

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Maßnahmen trifft der Aufsichtsrat vor allem insofern, als er die Mitglieder des Vorstands bestellt und abberuft, den Jahresabschluß billigt und nach Maßgabe der Satzung oder eines eigenen Beschlusses bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig macht (§§84, 171 f, 111 IV AktG). Der Katalog der Zustimmungsgeschäfte erstreckt sich dabei üblicherweise, bei großen Unterschieden im einzelnen, auf Erwerb, Veräußerung und Belastung von Grundstücken, Errichtung von Neubauten, Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen, Unternehmenskäufe, Aufnahme und Gewährung von Darlehen sowie die Anstellung von leitenden Angestellten u. ä.13. Demgegenüber bringt der Verordnungsentwurf für das Statut der SE zwei wichtige Abweichungen: Zum einen schreibt er einen Mindestkatalog von Zustimmungsgeschäften verbindlich vor (Art. 72), überläßt es also nicht den Gesellschaften selbst, insoweit den Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats festzulegen. Zum zweiten sieht der Katalog durchaus anders aus als in der Bundesrepublik bisher üblich. Nach Art. 72 des Statuts gehören dazu: die Stilllegung oder Verlegung von Betrieben oder von erheblichen Betriebsteilen; wichtige Beschränkungen, Erweiterungen oder Änderungen der Geschäftstätigkeit; wichtige Änderungen der Unternehmensorganisation; der Beginn und die Beendigung einer für das Unternehmen wichtigen dauernden Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen sowie die Errichtung einer Tochtergesellschaft oder Holdinggesellschaft. Im Verwaltungsratssystem liegt die Unternehmensleitung demgegenüber in den Händen des Einheitsorgans Verwaltungsrat. Der Verordnungsentwurf sagt über ihn, daß er die Gesellschaft vertritt (Art 66). Ihm müssen mindestens drei Mitglieder angehören, die von der Hauptversammlung und nach Maßgabe des Mitbestimmungsstatuts von den Arbeitnehmern gewählt werden. Er selbst wählt einen Vorsitzenden und stellt eine Geschäftsordnung auf (Art. 66 Abs. 1). Die eigentliche Unternehmensleitung - die Geschäftsführung - kann der Verwaltungsrat jederzeit widerruflich an eines oder mehrere seiner Mitglieder delegieren (Art. 60 Abs. 2). Schließlich heißt es in dem Entwurf, daß die Zahl der geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats geringer sein muß als die Zahl der übrigen Mitglieder (Art. 66 Abs. 2 S. 2). Zur Kompetenzverteilung zwischen geschäftsführenden und anderen Mitgliedern folgt der einfache Rückgriff auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat: Die Durchführung der oben aufgezählten, der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürftigen Angelegenheiten darf im Verwal-

15 Vgl. Vogel, Aktienrecht und Aktienwirklichkeit, 1980, S. 212 ff; Bleicher/Leberl/ Paul, Unternehmungsverfassung und Spitzenorganisation. Führung und Überwachung von Aktiengesellschaften im internationalen Vergleich, 1989, S. 63.

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tungsratssystem nicht auf die geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats delegiert werden (Art. 72 Abs. 1 S. 2). Im Ergebnis folgt daraus für das Verwaltungsratssystem eine gesetzliche Unterscheidung zwischen geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Mitgliedern des Verwaltungsrats und eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen ihnen, welche sich mit der Zuständigkeitsverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat deckt. Im Erscheinungsbild der beiden Systeme bleiben nur geringfügige Unterschiede. Der wichtigste liegt im Fehlen der Inkompatibilität: die geschäftsführenden Direktoren bleiben Mitglieder des Verwaltungsrats und stimmen bei dessen Beschlüssen mit. Die Frage, ob Verwaltungsrats- oder Aufsichtsratssystem vorzugswürdig sind, hat die Wissenschaft seit den 70erJahren im In- und Ausland intensiv beschäftigt. Die Überlegungen wurden nicht allein durch die Entwürfe der E G für die Strukturrichtlinie und das Statut der SE und durch die Mitbestimmungsfrage ausgelöst, sondern auch durch Mängel, die in beiden Systemen beobachtet wurden. Kern der Kritik waren verbreitete Schwächen sowohl der Aufsichtsräte wie der nicht geschäftsführenden Mitglieder von Verwaltungsräten gegenüber mächtigen und selbstherrlichen Vorständen und Geschäftsführern, die sich in einem Mangel an effektiver Kontrolle niederschlugen. Die gewachsenen Anforderungen an Sachverstand, Spezialkenntnisse und Informationen hatten überall zu einem Gefälle zwischen zwei Typen von Verwaltungsmitgliedern geführt, professionalisierten hauptberuflichen Managern auf der einen und nicht professionellen, nur gelegentlich tätigen Mitgliedern auf der anderen Seite. Letztere zeigten sich nach persönlichen Voraussetzungen und Umfang ihrer Tätigkeit oft kaum in der Lage, häufig auch nicht willens, ein wirkliches Gegengewicht gegen das Management zu bilden. Die Erkenntnis führte sowohl in den Ländern des Board-Systems wie in der Bundesrepublik zur Forderung, die Stellung der Aufsichtsratsmitglieder und der nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder zu stärken. Unter der Voraussetzung, daß solches gelingt, setzte sich dann aber überall die Meinung durch, am herkömmlichen Modell festzuhalten. In Frankreich brach sich diese Auffassung schon im Gesellschaftsgesetz von 1966 Bahn, das grundsätzlich das traditionelle Verwaltungssystem französischer Prägung beibehielt, den Unternehmen aber immerhin die Möglichkeit einräumte, sich statt dessen zugunsten des Aufsichtsratssystems zu entscheiden14. Wie man weiß, wird davon bis heute kein Gebrauch gemacht. In Großbritannien kommt die Ansicht vielleicht am

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Art. 89 ff, 118 ff. Loi sur les sociétés commerciales vom 24.7.1966.

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klarsten im bekannten Bericht der Bulllock-Kommission von 1977 zum Ausdruck 15 . Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder führte darin aus: "This analysis of British company structure leads us to agree with Paul Davis, that once one begins to take account of corporative practice as well as corporate law, it no longer is clear that the U K system should be regarded as a one-tier rather than a twotier system. O f course there is no British equivalent to the requirement in West German law that companies should have a supervisory and a management board each with carefully defined powers. But in practice many large British companies and company groups operate a system where the functions of supervision and management are roughly devided between different levels of the organisation . . . The advantage of the British system is we believe, that it cannot be easily categorised. Within the framework of law, companies may mould their organisations to suit their individual needs, and a one-tier, two-tier or many-tiered system only operates where a company decides that such is the best form of structure for its efficient operation and management 1 6 . . .

Immerhin sprach sich eine Minderheit von drei Mitgliedern des Bullock-Committee dafür aus, das dualistische Modell entsprechend dem deutschen Recht auch in England einzuführen. Ihr Argument war jedoch nicht die optimale Organisation der Unternehmensleitung, sondern die angemessene Regelung der Mitbestimmung. Es handelte sich um die drei Kommissionsmitglieder, welche die Großindustrie repräsentierten, und sie befürchteten, eine Beteiligung von Arbeitnehmervertretern am einheitlichen Verwaltungsrat werde diesen einen zu starken Einfluß gewähren 17 . In den Vereinigten Staaten kommt dieselbe Einsicht vor allem in den Gesetzes- und Reformvorschlägen des American Law Institute von 1984 zum Ausdruck 18 . Dort heißt es: "§3.01 The management of the business of a publicly held corporation should be conducted by or under the supervision of such senior executives as may be designated by the board of directors in accordance with the standards of the corporation, . . . subject to the powers and functions of the board under § 3.02. §3.02 Except as otherwise provided by statute, the board of directors of a publicly held corporation should: (1) Elect, evaluate, and, where appropriate, dismiss the principal senior executives. (2) Oversee the conduct of the corporation's business with the view of evaluating, on an ongoing basis, whether the corporation's resources are being managed in a manner consistent with the principles of §2.01. (3) Review and approve corporate plans and actions that the board or the principal senior executives consider major, and changes in accounting principles and practices that the board or the principal senior executives consider material."

15 Report of the Committee of Inquiry on Industrial Democracy, London 1977. " S. 68 f. 17 Bullock-Report (Fn. 15), S. 177. 18 The American Law Institute, Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations. Tentative Draft No. 2, 1984, S. 61 ff.

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Überlegungen, ein Aufsichtsratssystem einzuführen, konnten in den USA nie Fuß fassen19. In Deutschland, empfahl demgegenüber vor allem die Unternehmensrechtskommission, an dem dualistischen System festzuhalten. In ihrem 1979 veröffentlichten Bericht 20 heißt es: „Fast einhellig war die Kommission der Meinung, daß der Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat sowohl aus gesellschaftsrechtlichen als auch aus mitbestimmungsrechtlichen Gründen der Vorzug gegenüber dem Board-System zu geben sei. Gesellschaftsrechtlich habe sich die Trennung der beiden Organe Vorstand und Aufsichtsrat trotz gewisser Schwächen im Ganzen bewährt und stelle eine Lösung dar, die den heutigen Anforderungen an eine erfolgreiche Unternehmensführung besser gerecht werde als das Board-System. Die institutionalisierte Funktionstrennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat erlaube eine klarere Abgrenzung der Verantwortungsbereiche und der Haftung. Die Initiative für die unternehmerische Betätigung liege beim Vorstand, die Kontrolle und Legitimation beim Aufsichtsrat... Demgegenüber wäre ein Übergang zum Board-System ein Rückschritt und würde de facto nur bedeuten, daß den Unternehmen die Ausdifferenzierung der Führungsstruktur selbst überlassen werde; denn in der Praxis komme man gar nicht umhin, zwischen "fulltime officers" und "outside directors" zu unterscheiden. Damit würden jedoch die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten verwischt. Der tatsächliche Einfluß der einen oder anderen Board-Mitglieder hänge dann von dem für Außenstehende nicht durchschaubaren Kräfteverhältnis innerhalb der Gesellschaft ab".

Es folgen Ausführungen zu den mitbestimmungsrechtlichen Vorteilen des dualistischen Modells. Ähnlich wie in dem Bullock-Komitee fand sich jedoch auch in der Unternehmensrechtskommission eine Minderheit, welche in entgegengesetzter Richtung votierte. Sie vertrat die Ansicht, ungeachtet der gesetzlichen Konzeption werde in der Praxis tatsächlich ein - wenn auch eingeschränktes - Board-System praktiziert. Dies habe sich durchaus bewährt. Werde daran festgehalten, so spiele es keine entscheidende Rolle, ob Vorstand und Aufsichtsrat formell getrennte Organe seien21. Das Bild, das sich aus den angeführten Zitaten ergibt, wird schließlich jüngst durch die großangelegte empirische Untersuchung von Bleicher, Leberl und Paul belegt22. Die Autoren befragten in den Jahren 1982 bis 1986 eine große Zahl von Vorstands-, Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmitgliedern in der Bundesrepublik, in den USA und in der Schweiz über die tatsächlich praktizierten Führungsstrukturen. Auch sie fanden

" Vgl. Eisenberg, The Structure of the Corporation, 1976, 149 ff, 177 ff; Conard, Corporations in Perspective, 1976, S. 355 ff, 368 ff. 20 Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, hrsgg. vom Bundesminister der Justiz, 1979, Rdn. 323 f, S. 176 f. 21 aaO Rdn. 226 S. 179. 22 Bleicher/Leberl/Paul, Unternehmungsverfassung und Spitzenorganisation. Führung und Überwachung von Aktiengesellschaften im internationalen Vergleich, Wiesbaden 1989.

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eine Konvergenz zwischen Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmodell. Auf der einen Seite beobachteten sie überall eine Ausdifferenzierung zwischen inside- und outside-Direktoren, Unternehmensführung und Überwachung, welche tendenziell und auf den ersten Blick zugunsten des Aufsichtsratssystems spricht. Andererseits stellten sie aber sowohl in deutschen wie in amerikanischen Unternehmen fest, daß die Notwendigkeit immer deutlicher hervortritt, Verbindungsglieder zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, inside- und outside-Direktoren herzustellen. In der Bundesrepublik wird die Kommunikation zwischen den beiden Organen in erster Linie über ihre Vorsitzenden vollzogen, in den USA übernimmt der Vorsitzende des Board und daneben ein mit Outsidern besetztes Audit Committee des Verwaltungsrats diese Rolle23. Dem Bedürfnis nach Koordination und Integration der verschiedenen Funktionen der Unternehmensleitung wird so gesehen eher der einheitliche Verwaltungsrat als das dualistische Modell gerecht. Aufgrund derartiger Ergebnisse ihrer Befragungen sehen Bleicher und seine Mitautoren die legislatorische Aufgabe vor allem darin, die aus Gründen der Arbeitsteilung und Spezialisierung notwendige organisatorische und funktionale Trennung zwischen Unternehmensleitung und Überwachung abzusichern, zugleich aber auch beide Funktionen miteinander zu verbinden. Es kommt auf die Ausgewogenheit beider Funktionen an, welche die Verfasser „durchaus mit einem Drahtseilakt" vergleichen24. Als das schwächere Glied erweist sich auch nach ihren Feststellungen indessen das Aufsichtsorgan, weshalb sie Vorschläge zu dessen Stärkung formulieren. Dazu gehört für die deutsche Praxis vor allem, anstelle einer expost-Kontrolle einen vorausschauenden „Dialog und Konsens über die generellen Ziele der Unternehmungspolitik" zwischen den beiden Organen herzustellen25. Die Autoren schlagen dazu eine grundsätzliche „Zieldiskussion" zwischen Vorstand und Aufsichtsrat vor, die über den routinemäßigen Dialog hinausreicht, strategische und operative Pläne sowie ethische und ökologische Fragen einbezieht und die Prämissen der Unternehmenspolitik und der strategischen Planung kritisch in Frage stellt. Im Hinblick auf die Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats führen sie aus, es mache wenig Sinn, die Kontrolle an unverbundenen Einzelgeschäften und rein juristisch, aber nicht unternehmenspolitisch relevanten Vorgängen festzumachen26. Es ist leicht zu erkennen, daß die vom Verordnungsentwurf für das Statut der SE verfolgte Konzeption genau auf dieser Linie liegt. Ange23 24 25 26

aaO aaO aaO aaO

S. 261 f. S. 265. S. 267. S. 267.

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sichts der auch für das Verwaltungsratssystem vorgesehenen Trennung von geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Mitgliedern kommt dem Unterschied zwischen monistischem und dualistischem System nur noch geringes Gewicht zu. Die Inkompatibilitätsregel des deutschen Rechts erweist sich als durchaus ambivalent, weil sie die Funktionentrennung und die damit verknüpfte Klarstellung der Verantwortungsbereiche zwar absichert, die Integration der an der Unternehmensleitung beteiligten Kräfte aber tendenziell eher behindert. Insofern ist kaum etwas dagegen einzuwenden, wenn der Entwurf beim Verwaltungsratsmodell darauf verzichtet. Vor allem aber wird der im Entwurf für beide Modelle übereinstimmende Katalog von zwingend vorgeschriebenen Zustimmungsgeschäften der Forderung gerecht, den Aufsichtsrat oder die nicht geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats als kritischen Gesprächspartner an der strategischen und operativen Unternehmensplanung zu beteiligen, anstatt ihnen lediglich einzelne juristisch, aber nicht unternehmenspolitisch wichtige Geschäfte zuzuweisen. Auch hinsichtlich der Personalkompetenz stimmen beide Modelle im wesentlichen überein, denn es läuft praktisch auf dasselbe hinaus, ob der Aufsichtsrat nach der deutschen Lösung die Mitglieder des Vorstands bestellt und abberuft oder ob der Verwaltungsrat die Unternehmensleitung an einige seiner Mitglieder delegiert und die Delegation jederzeit widerrufen kann. Im Ergebnis erweisen sich im Hinblick auf die optimale Lösung der gestellten Aufgaben demnach monistisches und dualistisches System als gleichwertig. Die im Verordnungsentwurf gefundene Lösung entspricht unter den gegebenen Umständen den Anforderungen, die sich dem Gesetzgeber stellen.

IV. Wenden wir uns der Mitbestimmung zu, so lohnt es sich, zunächst daran zu erinnern, daß der Verordnungsentwurf von 1975 allein das Aufsichtsratssystem kannte. Er sah vor, den Aufsichtsrat in drei gleiche Gruppen von Mitgliedern aufzuspalten, indem er neben die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer als dritte Gruppe Vertreter des öffentlichen Interesses stellte. Diese sollten aus neutralen, sowohl von den Aktionären und ihren Vereinigungen wie von Arbeitnehmern und Gewerkschaftern unabhängigen Experten bestehen. Für ihre Nominierung sah der Entwurf ein kompliziertes Verfahren vor, das in der Kooptation von seiten der anderen Aufsichtsratsmitglieder ausmündete27. 27

Art. 74 a, 75a,b, Entwurf 1975 (Fn.4).

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Es erstaunt heute im Rückblick niemand, daß sich dieses fortschrittliche, fast revolutionäre Muster, das auch über das deutsche Mitbestimmungsrecht hinausging, nicht durchsetzen ließ. Die neue, von der Kommission nunmehr gefundene Lösung ist sehr viel bescheidener. Tatsächlich verzichtet sie auf alle Versuche, strukturelle Änderungen einzuführen. Die Kommission schlägt in der das Statut ergänzenden Mitbestimmungsrichtlinie drei Alternativen vor. Nach dem ersten Modell müssen wenigstens ein Drittel und können nicht mehr als die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats oder des Verwaltungsrats von den Arbeitnehmern oder ihren Repräsentanten im Unternehmen bestellt werden. Zusätzlich gestattet der Entwurf aber auch ein Kooptationssystem nach holländischem Muster, wobei sowohl die Hauptversammlung wie die Vertreter der Arbeitnehmer der Bestellung eines vorgeschlagenen Kandidaten widersprechen können, wenn ein Grund dafür vorliegt. In einem solchen Fall hat eine staatliche Spruchstelle über den Widerspruch zu entscheiden28. Bereits dieses erste Modell faßt mehrere sehr verschiedenartige Fälle zusammen, denn wie jedermann weiß macht es einen grundlegenden Unterschied aus, ob ein Drittel oder die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats oder des Verwaltungsrats von den Arbeitnehmern bestellt werden. Auch zwischen dem Wahl- und dem Kooptationsverfahren sind die Unterschiede groß. Anzumerken ist schließlich, daß die Richtlinie einen Arbeitsdirektor als Vertreter der Arbeitnehmer im Vorstand oder unter den geschäftsführenden Mitgliedern des Verwaltungsrats nicht vorsieht; die Arbeitnehmervertreter eine Berücksichtigung auch im Management aber jedenfalls bei paritätischer Besetzung des Wahlorgans ohne weiteres durchsetzen können. Nach dem zweiten Modell werden die Arbeitnehmer von einem besonderen Organ vertreten. Die Zahl der Mitglieder sind nach Beratung mit den Arbeitnehmervertretern der Gründungsgesellschaften in der Satzung festzulegen. Der Arbeitnehmerrat hat nach dem Entwurf das Recht, vom Vorstand oder vom Verwaltungsrat mindestens einmal alle drei Monate über den Geschäftsverlauf der Gesellschaft und der von ihr beherrschten Unternehmen und ihre voraussichtliche Entwicklung informiert zu werden; ferner zusätzliche Berichte vom Vorstand oder vom Verwaltungsrat über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu verlangen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist; schließlich über alle Angelegenheiten informiert und dazu gehört zu werden, dessen der Aufsichtsrat nach Art. 72 zuzustimmen hat (Art. 5 der Richtlinie).

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Art. 4 der Richtlinie.

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Die dritte Alternative ist noch offener. Art. 6 der Richtlinie gestattet beliebige andere Mitbestimmungsmodelle, auf die sich Vorstand oder Verwaltungsrat der Gründungsgesellschaften und die Repräsentanten der Arbeitnehmer in diesen Gesellschaften durch Tarifvertrag einigen, sofern sie mir sicherstellen, daß die Arbeitnehmervertreter mindestens alle drei Monate über den Geschäftsverlauf und die voraussichtliche Entwicklung des Unternehmens informiert und zu den Entscheidungen, die nach Art. 72 der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, gehört werden. Der von der Richtlinie verlangte Mindeststandard der Mitbestimmung erschöpft sich demnach in regelmäßigen Informationen und Konsultation, nicht aber Mitentscheidung bei den strategischen Maßnahmen zur Unternehmensplanung und -politik. Kommt eine kollektivvertragliche Regelung nicht zustande, so gilt „ein Standardmodell nach dem Recht des Sitzstaates", das „der am weitesten fortgeschrittenen einzelstaatlichen Praxis zu entsprechen" hat und den Arbeitnehmern den dargelegten Mindeststandard der Mitbestimmung gewährleisten muß (Art. 6 Abs. 8 der Richtlinie). Wie man weiß ist die Mitbestimmung keine Frage ökonomischer oder organisationssoziologischer Rationalität, sondern der Ideologie und des politischen Machtkampfs. Würde die Kommission die Wahl zwischen den angebotenen Modellen den Unternehmen selbst überlassen, bestünde daher kaum Aussicht, die Richtlinie bei den Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Statt dessen mußte es für sie unter den gegebenen Umständen darauf ankommen, trotz der unterschiedlichen Standards im nationalen Recht die Zustimmung zu den vorgesehenen Regelungen möglichst jedem Staat schmackhaft oder doch annehmbar zu machen und im nationalen Ausführungsgesetz das Modell aufzugreifen, mit dem sich die jeweilige Regierungsmehrheit identifizieren kann. Nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie kann jeder Mitgliedsstaat für die Unternehmen, die ihren Sitz auf seinem Territorium haben, die Wahl zwischen den Modellen beschränken oder nur ein Modell zwingend vorschreiben. Nur soweit danach für die Gesellschaften noch ein Spielraum bleibt, kann sie das jeweils anzunehmende Mitbestimmungsstatut selbst bestimmen. Notwendig dazu ist gemäß Art. 2 Abs. 2 wiederum ein Tarifvertrag zwischen Vorstand oder Verwaltungsrat der Gründungsgesellschaften auf der einen und den Vertretern der Arbeitnehmer dieser Gesellschaft auf der anderen Seite. Wird keine Einigung erzielt, hat das Management zu entscheiden. Da keine SE gegründet werden kann, solange das Mitbestimmungsmodell nicht geklärt ist, heißt dies zugleich, daß jede Regelung darüber zugleich einer qualifizierten Mehrheit der Anteilseigner bedarf. Nach dem Gesagten bedarf es keiner weiteren Begründung, daß die drei in der Richtlinie vorgeschlagenen Modelle und die bei jedem Modell

Führungsstruktur und Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft 2 1 3

möglichen Varianten hinsichtlich des den Arbeitnehmern gewährten Einflusses auf die Unternehmensleitung bei weitem nicht gleichwertig sind29. Die Richtlinie verhindert die Harmonisierung des Mitbestimmungsrechts eher als daß es sie voranbringt. Der von ihr verlangte Mindeststandard an Information und Konsultation bleibt weit hinter dem zurück, was namentlich in den Niederlanden und in Westdeutschland geltendes Recht ist. Auf der anderen Seite ist offen, ob er für die konservative britische Regierung nicht noch immer zuviel verlangt. In dieser Lage wird man trotz aller offenkundigen Einwände die Ansicht der Kommission teilen müssen, daß die Annahme des Statuts einen Fortschritt bedeutet, selbst wenn die Mitbestimmung auf der Verlustliste bleibt30. Desgleichen ist der vorgesehene Mindeststandard der Arbeitnehmerbeteiligung im Hinblick auf alle Länder ein Fortschritt, die vergleichbare Regelungen bis jetzt nicht kennen. Auf der anderen Seite werden die Mitgliedsstaaten mit höherem Mitbestimmungsstandard nach aller Voraussicht den Vorbehalt des Art. 3 der Richtlinie nutzen, um auch für die europäischen Gesellschaften mit Sitz in ihrem Gebiet das für die nationale Industrie geltende Mitbestimmungsniveau zu sichern. Für die Bundesrepublik läuft dies auf die Übertragung des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 und, soweit Montanunternehmen in Betracht kommen, möglicherweise auch der Montanmitbestimmungsgesetze hinaus. Das nötigt letztlich zu der Frage, ob die Unternehmen die neue Rechtsform der SE zum Anlaß nehmen werden, der deutschen Mitbestimmung auszuweichen. Angesichts der Letztentscheidung der Vorstände und Hauptversammlungen der Gründungsgesellschaften ist eine Mitbestimmungsflucht gegen den Willen der Arbeitnehmervertretungen formalrechtlich möglich. Die Erfahrungen nach dem Inkrafttreten des Mitbestimmungsgesetzes von 1976, das ähnliche Befürchtungen ausgelöst hatte, die sich jedoch nur in wenigen Fällen realisierten, rechtfertigt jedoch die Erwartung, daß solches nicht geschehen wird. Sie wird bestärkt durch die erklärte Haltung der deutschen Industrieverbände, den künftigen europäischen Binnenmarkt nicht zum Abbau der Arbeitnehmerrechte nutzen zu wollen. Unter dem Aspekt der Organisationstheorie kann man fragen, welches Mitbestimmungsmodell am günstigsten ist, namentlich ob es besser ist, den Einfluß der Arbeitnehmer in die Unternehmensorgane einzubeziehen und auf diese Weise zu internalisieren oder an der externen Repräsentation und den damit verbundenen kollektiven Verhandlungs2 9 Zur Gleichwertigkeit s. Abeltsbauser, Funktionale Alternativen einer Europäischen Unternehmensverfassung, Diss. Florenz 1984. 30 So auch die gemeinsame Tendenz der zum Memorandum der Kommission angehörten Verbände; vgl. Wiesner aaO (Fn. 7).

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prozessen festzuhalten. Eine abstrakte Antwort darauf dürfte kaum möglich sein, zumal die Kriterien dafür nicht eindeutig sind. So muß man sich für die Bundesrepublik auch hier auf die Erfahrungen mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 beziehen. Sie sind offenkundig nicht schlecht. Jedenfalls ist kein öffentlicher Druck mehr zu erkennen, das Gesetz wegen nachweisbar negativer Folgen wieder rückgängig zu machen oder einzuschränken. Ökonomisch schließlich stellt sich die Frage, ob oder in welchem Ausmaß die verschiedenen Typen und Grade der Arbeitnehmerbeteiligung die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigen. Daß es bei einer überzogenen oder falsch organisierten Mitbestimmung dazu kommen kann, wird man kaum bestreiten können 3 '. Doch sind, wie man weiß, im Gefolge des Mitbestimmungsgesetzes vofi 1976 auch insoweit die dazu oft geäußerten Befürchtungen nicht eingetreten. Auf's Ganze gesehen führt dies zum Ergebnis, daß das Mißgeschick der E G bei der Harmonisierung des Mitbestimmungsrechts mehr politische und symbolische als wirtschaftliche Implikationen aufweist.

31 Vgl. Raiser, Marktwirtschaft und paritätische Mitbestimmung, Grundgesetz und paritätische Mitbestimmung, 1975.

1973;

den.,

Ein Umweltschutzdirektor in der Geschäftsführung der Großunternehmen? ECKARD R E H B I N D E R

I. Das Problem In mehreren Veröffentlichungen hat sich Ernst Steindorff mit der sozialen Verantwortung der Unternehmen befaßt. Nach seiner Auffassung bedeutet freie Wirtschaft, wie sie nach der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland gegeben ist, nicht, daß Freiheit zu willkürlichem Planen und Entscheiden mit allein dem Konkursrisiko existiert. Uber das Gesetzesrecht hinaus ergebe sich aus dem Verfassungsrecht, insbesondere aus Art. 14 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1 GG, eine unmittelbar wirksame Sozialverpflichtung der Unternehmen. Diese erschöpfe sich weder in der Gewinnmaximierung, noch im Bestehen des Wettbewerbs. Zum Inhalt der Sozialverpflichtung könnten Leistungen gegenüber Arbeitnehmern ebenso zählen wie die Rücksicht auf die Umwelt und die Einordnung in wirtschaftspolitische Zielsetzungen. Als Vorkehrungen zur Konkretisierung und Erfüllung der Sozialverpflichtungen nennt Steindorff insbesondere Rechenschaftspflichten in Form von Informationspflichten gegenüber der Öffentlichkeit und Belegschaft, aber auch Pflichten zur Rechtfertigung unternehmerischen Verhaltens gegenüber dem Vertragspartner, die zivilrechtliche Haftung und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Steindorff hat damit die zwei Typen von Instrumenten treffend bezeichnet, mit denen die soziale Verantwortung des Unternehmens aktualisiert werden kann: einmal Verhaltensbindungen, die inhaltliche Anforderungen an unternehmerisches Handeln stellen, zum anderen die Vertretung der betreffenden Interessen (die man als „diffuse", „soziale" oder „öffentliche" Interessen bezeichnen kann) im Unternehmen. Die Vertretung diffuser Interessen im Unternehmen hat sich dabei als die häufigere und wirkungsvollere Methode der Durchsetzung solcher Interessen erwiesen. Sie kann in der Form der Repräsentation, d. h. 1 Festschrift Raiser (1974), 632 ff.; Einführung in das Wirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1977, S.39ff.

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durch Wahl von Interessenvertretern in die Organe des Unternehmens oder in eine andere, im Unternehmen oder im Betrieb errichtete Institution, oder durch Zuweisung von Pflichtaufgaben an einen bestimmten Funktionsträger im Unternehmen, d. h. durch organisatorische Verselbständigung der betreffenden Unternehmensfunktion, erfolgen. Im Gegensatz zur Auferlegung materieller Verhaltensanforderungen erfolgt hier ein staatlicher Eingriff in die Binnenorganisation des Unternehmens. Durch „Organisationszwang" wird eine Repräsentation bestimmter diffuser Interessen angeordnet, oder es wird dem Unternehmen die Wahrnehmung einer Pflichtaufgabe durch Bestellung eines hierfür zuständigen Funktionsträgers aufgegeben. Das Repräsentationsmodell liegt der betrieblichen und Unternehmensmitbestimmung sowie der Institution des Arbeitsdirektors nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz zugrunde. Vielfach hat sich jedoch der Gesetzgeber, soweit er die Vertretung diffuser Interessen im Unternehmen für geboten hielt, für eine bloße organisatorische Verselbständigung entschieden. Auf der Ebene der Geschäftsleitung ist als - einziges Beispiel der Arbeitsdirektor nach §33 MitbestG zu nennen. Häufiger findet sich eine institutionalisierte Vertretung diffuser Interessen in Form der Zuweisung von Pflichtaufgaben an Funktionsträger im Unternehmen unterhalb der Ebene der Geschäftsleitung. Aufgrund zahlreicher öffentlichrechtlicher Gesetze im Bereich des Arbeits-, Gesundheits-, Umwelt-, Tier- und Datenschutzes sind die Unternehmen zur Bestellung von verantwortlichen Personen (Repräsentanten des Unternehmers) oder Betriebsbeauftragten verpflichtet, die spezifische diffuse Interessen im Unternehmen wahrzunehmen haben2. Zweck dieser Regelungen ist die Förderung eigenverantwortlicher Berücksichtigung der vom jeweiligen Funktionsträger vertretenen diffusen Interessen. Die Unternehmensbeauftragten sollen als Organe der Selbstverantwortung die Einhaltung der öffentlichrechtlichen Anforderungen sicherstellen und darüber hinaus eine gemeinverträgliche Entwicklung im Unternehmen auf freiwilliger Grundlage fördern. Dabei setzen die Gesetze auf allen Hierarchieebenen unterhalb der Geschäftsleitung bis in die untersten Stufen des technischen Linienmanagements an. Diese Funktionsträger, die man zusammenfassend als Unternehmensbeauftragte bezeichnen kann, sind zum Teil Repräsentanten des Unternehmers mit Vorgesetztenfunktion, zum Teil Betriebsbeauftragte in Linienposition, überwiegend aber Betriebsbeauftragte in Stabsposition. Die ihnen zugewiesenen Aufgaben lassen sich in die Überwachungs-, die Innovations- (oder Initiativ-), die Informations- und die Repräsentationsfunktion aufglie-

2

Vgl. dazu R. Weber, Der Betriebsbeauftragte, 1988; Rehbinder, ZGR1989, 305.

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dem. Dabei haben sie überwiegend keine eigenen Entscheidungsbefugnisse, sondern sind Organe der Entscheidungsvorbereitung mit bloßer Beratungsfunktion; einzelne Beauftragte, insbesondere die Repräsentanten, besitzen jedoch auch einen eigenen Entscheidungsbereich. Aus empirischen Untersuchungen ergibt sich, daß man die Erwartungen hinsichtlich der Wirksamkeit eigenverantwortlicher Erfüllung der sozialen Verantwortlichkeit des Unternehmens durch Unternehmensbeauftragte nicht zu hoch ansetzen darf. Insbesondere bei den umweltrechtlichen Betriebsbeauftragten hatte der Gesetzgeber neben der Uberwachungs- die Innovationsfunktion in den Vordergrund gestellt. Danach soll sich der Betriebsbeauftragte nicht nur auf die Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen und behördlichen Anforderungen beschränken, sondern soll den Anstoß für freiwillige Maßnahmen des Unternehmens zur Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes geben; dies kommt nicht nur in der gesetzlichen Aufgabenbeschreibung, sondern auch im Recht des Betriebsbeauftragten auf Anhörung vor umweltrelevanten Investitionsentscheidungen zum Ausdruck 3 . In der Praxis hat sich jedoch die Innovationsfunktion nicht in dem Maße durchgesetzt, wie es den rechtspolitischen Vorstellungen des Gesetzgebers entsprochen hätte4. Allerdings ist die Bewertung der praktischen Erfahrungen umstritten. In der Wirtschaft wird die praktische Bedeutung der Innovationsfunktion betont und auf deren fehlende Sichtbarkeit nach außen hingewiesen. In der Verwaltung geht man demgegenüber davon aus, daß die Mitwirkung an der Entwicklung, Einführung und Anwendung umweltfreundlicher Verfahren und die Mitwirkung an Investitionsentscheidungen deutlich hinter der Überwachungsfunktion zurücktreten und daß die Mitwirkung an der Entwicklung und Einführung umweltfreundlicher Produkte fast bedeutungslos ist; aber auch die Erfüllung der Überwachungsfunktion wird bemängelt. Das „organisatorische Dilemma" der umweltrechtlichen Betriebsbeauftragten 5 dürfte darin liegen, daß die Zusammenfassung von so unterschiedlichen Unternehmensfunktionen wie Selbstüberwachung und Innovation in einem einzigen Funktionsträger den betrieblichen Gegebenheiten widerspricht, da diese Unternehmensfunktionen in der Praxis nicht nur organisatorisch getrennt sind, sondern auch ganz unterschiedliche Strukturen aufweisen. Hinzukommt, daß der Betriebsbeauftragte über keine ausreichende Macht im Unternehmen verfügt und keiner dieser korrespondierenden Verantwortlichkeit unterliegt. Das ihm regelS. §§54, 56 BImSchG, §§21 b, 21 d W H G , §§ 11 b, 11 d A b f G . Vgl. Ulimann, Z f b F 1 9 8 1 , 992, 1004 f.; BP-Umweltschutzenquête 1986, S. 12, 15; dazu Rehbinder, Z G R 1 9 8 9 , 305, 346, 350. 5 Vgl. hierzu und zum folgenden Rehbinder, ZGR 1989, 305, 359 ff. 3 4

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mäßig eingeräumte Vortragsrecht verleiht formalen Verhandlungsmacht, aber keine formale Entscheidungs- oder auch nur Mitentscheidungsbefugnisse. Die organisatorische Plazierung unterhalb der Geschäfts- oder gar Betriebsleitung schließt den Betriebsbeauftragten weitgehend von strategischen Entscheidungen aus. Andererseits steht er als Inhaber einer Stabsposition auch dem Geschehen in der Produktion und in der Forschung und Entwicklung relativ fern. Im Hinblick auf diese - realen oder auch nur vermeintlichen - Defizite ist in neuerer Zeit vorgeschlagen worden, die umfassende Verantwortung des Betreibers gefährlicher Anlagen für (Anlagen-)Sicherheit und Umweltschutz durch ein Mitglied der Geschäftsleitung auch nach außen deutlich zu machen; entsprechend sollen die betreffenden Unternehmen verpflichtet werden, ein Mitglied der obersten Geschäftsleitung (des Vorstandes oder der Geschäftsführung) als „Umweltschutzdirektor" zu bestellen6. Hinter dieser Forderung steht einmal die Vorstellung, daß mit der Einrichtung eines Umweltschutzdirektors die Selbstverantwortung im Unternehmen für umweltfreundliche Entwicklung gestärkt werden könne. Durch die Bündelung der notwendigen Kompetenzen für die Gewährleistung von Sicherheit und Umweltschutz im Unternehmen will man aber auch Kompetenzen und rechtliche Verantwortung nach außen in der obersten hierarchischen Ebene des Unternehmens zur Deckung bringen. Es ist offensichtlich, daß sich diese Vorschläge von Modellvorstellungen haben leiten lassen, die der Institution des Arbeitsdirektors nach § 33 MitbestG zugrunde liegen. Es erscheint daher sinnvoll, der Frage nachzugehen, ob und in welchem Umfang dieses Modell auf den betrieblichen Umweltschutz übertragbar ist, insbesondere ob die mit dem Arbeitsdirektor gemachten praktischen Erfahrungen es rechtfertigen, im Interesse von Anlagensicherheit und Umweltschutz weitere Eingriffe in die Organisationsautonomie des Unternehmens hinsichtlich ihrer Leitungsorganisation vorzunehmen. II. Der rechtliche Regelungsrahmen 1. Modellvorstellungen Man kann davon ausgehen, daß eine rechtliche Regelung über den „Umweltschutzdirektor" sich in Anlehnung an § 33 MitbestG mit einer 6 Stellungnahme des Bundesrates zum RegEntw. eines Dritten Gesetzes zur Änderung des BImSchG, BT-Drucks. 11/4909, S. 37 Ziff. 36; Gegenäußerung aber der Bundesregierung, S. 45f.; Positionspapier der Industriegewerkschaft Metall „Umweltschutz im Betrieb", in IG Metall, Umweltschutz zwischen Reparatur und realer Utopie, 1988, S. 173, 175 ff.; Dreyhaupt, VDI-Nachrichten 35, 1987, S. 13; ders., Handelsblatt Nr. 206 vom 27.10.1987, S.8.

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knappen Formulierung begnügen wird, die mit der Bezeichnung „Umweltschutzdirektor" Funktion und Aufgaben des Stellenträgers nur andeutet und im übrigen Grundzüge seiner Eingliederung in die Geschäftsleitung regelt. Es ist die Frage, ob damit ähnliche Unklarheiten hinsichtlich der maßgeblichen Modellvorstellungen entstehen können wie beim Arbeitsdirektor nach § 33 MitbestG. Es ist umstritten, ob der Arbeitsdirektor - in Parallele zum MontanMitbestimmungsgesetz - als Vertreter von Arbeitnehmerinteressen in der Geschäftsleitung konzipiert ist oder ob es sich nur um die organisatorische Verselbständigung des Personal- und Sozialressorts handelt. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes7 läßt sich keine eindeutige Entscheidung gewinnen, da die Meinungen der beiden Koalitionsfraktionen in diesem Punkt divergierten 8 . Anhaltspunkte für die erstere Auffassung ergeben sich allein aus der gesetzlichen Bezeichnung als „Arbeitsdirektor", die man im Lichte der montanrechtlichen Tradition verstehen kann. Der zuständige Bundestagsausschuß hat jedoch das Repräsentationsmodell der Montan-Mitbestimmung ausdrücklich abgelehnt 9 . Dies spiegelt sich auch in den Vorschriften des §29 MitbestG über die Bestellung des Arbeitsdirektors wider. Man wird daher davon auszugehen haben, daß es sich lediglich um eine organisatorische Verselbständigung des Personal- und Sozialressorts handelt10. Der Arbeitsdirektor ist kein Organ der Mitbestimmung, wohl aber ist die Institutionalisierung des Arbeitsdirektors dahin zu verstehen, daß dieser im Rahmen der Sozialverantwortung des Unternehmens schwerpunktmäßig auch die Arbeitnehmerinteressen gegenüber der Geschäftsleitung wahrnehmen soll. Allerdings dürfte dieser Meinungsstreit für den Umweltschutzdirektor nur eine geringe Bedeutung haben. Der betriebliche Umweltschutz hat zwar Berührungspunkte mit der Arbeitssicherheit; auch läßt sich nicht bestreiten, daß Maßnahmen des Umweltschutzes Auswirkungen auf die Arbeitsplätze haben können. Jedoch ist der Umweltschutz primär ein Belang, der von außen an das Unternehmen herangetragen

Vgl. hierzu Leicht, Der Arbeitsdirektor, 1980, S. 41 ff. S. Begr. RegEntw., BT-Drucks. 7/2172, S. 17; Ausschußbericht, BT-Drucks. 7/4845, S. 9 f.; Stenografischer Bericht des Deutschen Bundestags über die 230. Sitzung vom 1 8 . 3 . 1 9 7 6 , insbes. S. 16000, 16010, 16068, 16080. ' A a O (Fn. 8). 10 BVerfGE 50, 290, 379; Leicht, aaO (Fn. 7), S . 5 2 f f . ; Rumpf, in: G K z. MitbestG, § 33 Rdn. 11. Daß der Arbeitsdirektor als Leiter des Personal- und Sozialressorts Weisungsbefugnisse gegenüber den Arbeitnehmern hat, spricht allerdings weder für noch gegen die eine oder andere Einordnung, da dies selbstverständlich auch für den Arbeitsdirektor nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz gilt, ohne daß dies seine Einordnung als Organ der Mitbestimmung gehindert hätte. 7

8

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wird, der sich aus der Systemumwelt des Unternehmens ergibt. Es kommt daher von vornherein wohl nur das Modell der organisatorischen Verselbständigung in Betracht. Insoweit gilt nichts anderes als bei den umweltrechtlichen Betriebsbeauftragten nach geltendem Recht. Die Besonderheit des Umweltschutzdirektors liegt nicht in seiner Funktion, sondern in seiner Stellung in der Unternehmenshierarchie und seinen hieraus abgeleiteten Befugnissen. 2. Aufgaben

und

Zuständigkeit

Mit der Bezeichnung „Umweltschutzdirektor" wird verdeutlicht, daß das betreffende Mitglied der Geschäftsleitung für den betrieblichen Umweltschutz zuständig sein soll. Damit ist nur eine allgemeine Umschreibung des Zuständigkeitsbereichs des Umweltschutzdirektors gegeben. Der genaue Zuschnitt seines Ressorts würde sich dann durch die Geschäftsordnung des Vorstands oder der Geschäftsführung ergeben, die nach Aktienrecht vom Vorstand selbst oder dem Aufsichtsrat, nach GmbH-Recht grundsätzlich von der Gesellschafterversammlung zu beschließen ist11. Allerdings ist es notwendig, dem Umweltschutzdirektor in quantitativer (Sachgebiet) und qualitativer (Maßgeblichkeit) Hinsicht einen Mindestbestand an Zuständigkeiten zu erhalten, der der Disposition der für die Geschäftsordnung zuständigen Organe entzogen ist. Im Anwendungsbereich des §33 MitbestG wird dieser Mindestbestand als „Kernbereich" bezeichnet, ohne daß es bisher gelungen wäre, allseits akzeptierte Maßstäbe zur Abgrenzung des Kernbereichs zu finden. In sachlicher Hinsicht ist man nicht über die Formulierung hinausgelangt, daß der Arbeitsdirektor im Schwerpunkt Zuständigkeiten in Personal- und Sozialfragen12 oder daß er wesentliche Zuständigkeiten in diesen Angelegenheiten besitzen müsse13. Hinsichtlich der „Tiefe" der Entscheidungsbefugnisse, d. h. der Maßgeblichkeit des Arbeitsdirektors, genügt eine zentrale Grundsatz- und Beratungskompetenz in der Unternehmensleitung nicht, vielmehr muß der Arbeitsdirektor Vorgesetzteneigenschaft unterhalb der Unternehmensleitung haben14. Welchen genauen Umfang die Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse „in der

11 §77 Abs. 2 AktG; zum GmbH-Recht: Zöllner, in Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl. 1988, §37 Rdn. 16. 12 BVerfGE 50, 290, 378; BGHZ 89, 48, 59; Hanau, ZGR1983, 346, 350 f.; Hanau/ Ulmer, MitbestG, 1981, §33 Rdn. 49; Spie/Piesker, Der Geschäftsbereich des Arbeitsdirektors, 1983, S. 76 ff. 13 Fitting/Wlotzke/Wißmann, MitbestG, 2. Aufl. 1978, §33 Rdn. 31, 32; Hoffmann, DB 1977, 17, 18. 14 Hanau/Ülmer, aaO (Fn. 12), §33 Rdn. 49; Martens, Der Arbeitsdirektor nach dem Mitbestimmungsgesetz, 1980, S.64f.; Säcker, DB 1979, 1925 f.

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Tiefe" haben müssen, bleibt freilich ebenfalls zweifelhaft. Andererseits ändert die Zuweisung von Pflichtaufgaben an den Arbeitsdirektor nichts an der Mitverantwortung anderer Vorstandsmitglieder und der Gesamtverantwortung des Vorstands. Solange der Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt wird und dem Arbeitsdirektor ein (nicht genau bestimmbarer) Kernbereich eigener Entscheidungskompetenzen verbleibt15, sind Mitentscheidungsrechte anderer Mitglieder der Geschäftsleitung oder Kompetenzen des Gesamtvorstands bei andere Ressorts berührenden oder für das Unternehmen insgesamt wesentlichen Entscheidungen nicht zu beanstanden16. Die Praxis zeigt, daß der Arbeitsdirektor innerhalb des Personalressorts einen großzügigen eigenen Entscheidungsbereich, der die Zuständigkeit für Zielvorgaben und Grundsätze einschließt, nur in Teilbereichen besitzt. Bei Entscheidungen von unternehmenspolitischer Bedeutung besteht im allgemeinen Gesamtverantwortung des Vorstands. Auch für Durchführungsmaßnahmen ist der Arbeitsdirektor nicht durchweg zuständig 17 . Im Bereich der Arbeitssicherheit, einen dem Umweltschutz verwandten Funktionsbereich des Unternehmens, besitzt der Arbeitsdirektor in etwa zwei Drittel der Fälle die Ressortzuständigkeit sowie auch die Zuständigkeit für die Durchführung von Maßnahmen, dagegen ist er nur in 38 % der Fälle auch für Zielvorgaben allein verantwortlich 18 . Insofern bestehen signifikante Unterschiede zur Praxis nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz 19 . Man wird davon auszugehen haben, daß die Abgrenzung des Kernbereichs des betrieblichen Umweltschutzes eher mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist als die des betrieblichen Personal- und Sozialwesens. Denn betrieblicher Umweltschutz bezieht sich auf die Produktion und Verfahrenstechnik, aber auch auf die Forschung und Entwicklung, die Investitionen (Umweltschutzinvestitionen und Investitionen mit potentiellen Umweltauswirkungen) und die Produktinnovation; er wirkt als Träger einer typischen Querschnittsaufgabe in die gesamte Betriebstätigkeit hinein. Angesichts der Komplexität und Querschnittsfunktion des betrieblichen Umweltschutzes erscheint es von vornherein ausgeschlossen, dem Umweltschutzdirektor eine Ressortzuständigkeit für den gesamten oder auch nur überwiegende Teile des betrieblichen

Vgl. zum Veto des Vorstandsvorsitzenden BGHZ 89, 48, 58 ff. Raiser, MitbestG, 2. Aufl. 1984, §33 Rdn. 19; Mertens, Kölner Kommentar zum AktG, §77 Rdn. 29; Fitting/Wlotzke/Wißmann, aaO (Fn. 13), §33 Rdn. 40; Leicht, aaO (Fn.7), S. 91. 17 Spie, Der Personalmanager im Vorstand, 1985, S. 202 ff. 18 Spie, aaO (Fn. 17), S.207; Spie/Piesker, aaO (Fn. 12), S. 156 f. 19 Vgl. Spie, aaO (Fn. 17), S.208ff.; Spie/Piesker, aaO (Fn. 12), S. 159ff. 15

16

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Umweltschutzes zuzuweisen. Sicherlich ist es möglich, dem Umweltschutzdirektor ein eigenes Ressort zu geben, das schwerpunktmäßig den „nachsorgenden" betrieblichen Umweltschutz (insbesondere also den Betrieb von Reinigungs- und Meßeinrichtungen) umfaßt20. Vielfach wird er aber nur über Vorbereitungs- und Beratungskompetenzen verfügen können, weil der Umweltschutz nur einen Annex (oder gar eine Restriktion) eines Sachgebiets darstellt, für das ein anderes Mitglied der Geschäftsleitung oder auch nur ein Sparten- oder Werksleiter zuständig ist. Das wird sich auch auf die Durchführung von Umweltschutzmaßnahmen auswirken. Aus dem Gesagten ergibt sich umgekehrt, daß der Umweltschutzdirektor oft zusätzlich mit anderen, „umweltschutzfremden" Aufgaben im Unternehmen betraut sein wird. Dies ist beim betrieblichen Umweltschutz von der Sache her sinnvoll und findet seine Grenze nur an einer Überlastung des Funktionsträgers 21 . Außerdem ändert die Institutionalisierung eines Umweltschutzdirektors nichts daran, daß in mehrere Ressorts berührenden oder für die Gesellschaft wesentlichen Fragen des Umweltschutzes (z.B. größere Investitionen) ein Vorstandsausschuß, dem allerdings der Umweltschutzdirektor angehören muß, oder der Gesamtvorstand entscheiden kann. Auch insoweit lassen sich mit Mitteln der Interpretation nur äußere Grenzen ausmachen - einerseits die Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung, für die Gesamtzuständigkeit gilt, andererseits ein Kernbereich an Alleinzuständigkeit des Umweltschutzdirektors - , jedoch verbleibt eine recht große Grauzone, innerhalb derer die Geschäftsordnung Festlegungen treffen kann. Von daher gewinnt die insbesondere im Rahmen der Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission 22 geführte Diskussion über die Wünschbarkeit einer gesetzlichen Fixierung des Zuständigkeitsbereichs des Arbeitsdirektors eine besondere Bedeutung. In der Kommission ist insbesondere die Frage diskutiert worden, ob eine Regelung notwendig ist, wonach das mit dem Personal- und Sozialwesen betraute Vorstandsmitglied diese Aufgabe grundsätzlich selbst wahrzunehmen habe und sie nicht delegieren dürfe. Der Forderung nach einer umfassenden eigenen Ressortzuständigkeit des Arbeitsdirektors wurde entgegengehalten, daß sich die Aufgaben mit besonderer Wichtigkeit für das Unternehmen nicht abgrenzen ließen und daß es nur darauf ankomme, daß das

20 Vgl. Gorges, Organisation im Umweltschutz, in: Heigl/Vogl/Schäfer, Hdb. des Umweltschutzes, 1977, Bd. 7, Teil M 2, S. 1 ff. 21 Vgl. Fitting/Wlotzke/Wißmann, aaO (Fn. 13), § 3 3 Rdn.42; Rumpf, aaO (Fn. 10), §33 Rdn.42. 22 Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, hrsg. vom BMJ, 1980, Rdn. 561-565, 568, 570.

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Vorstandsmitglied für seinen Zuständigkeitsbereich verantwortlich sei. In der Kommission blieb die Kompetenz des Arbeitsdirektors in vertikaler Hinsicht letztlich offen. Daran sollte das Gesetz auch beim Umweltschutzdirektor nichts ändern, da es kaum in der Lage sein dürfte, der Vielfalt der Umweltschutzanforderungen und Organisationsstrukturen der betroffenen Unternehmen Rechnung zu tragen23. Durch die in die gesetzliche Regelung eingebaute Flexibilität wird der Eingriff in die Binnenorganisation der Unternehmen erst erträglich. 3.

Bestellung

Eine § 33 MitbestG nachgebildete Regelung über den Umweltschutzdirektor würde die Frage offen lassen, ob seine Bestellung als Mitglied der Geschäftsführung Doppelfunktion - Mitglied der Geschäftsführung und Umweltschutzdirektor - hat, d. h. ob ihm zugleich mit der Bestellung als Vorstand das Ressort als Umweltschutzdirektor zu verleihen ist oder ob es sich nur um eine interne Ressortverteilung handelt24. Praktisch geht es hier um eine Kollision zwischen der Zuständigkeit des Aufsichtsrats und der Autonomie des Vorstands. Da aus praktischen Gründen Bestellung und Aufgabenzuordnung miteinander verbunden sein müssen, weil Mitglieder der Geschäftsleitung nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten immer nur für einen bestimmten Aufgabenbereich bestellt werden, dürfte es in der Tat sinnvoll sein, dem Aufsichtsrat diese Kompetenz zuzuweisen. Hierdurch erhielte der betriebliche Umweltschutz in mitbestimmten Aktiengesellschaften auch eine größere Legitimation, da das betreffende Mitglied der Geschäftsleitung das Vertrauen des Aufsichtsrats und damit auch regelmäßig das der Arbeitnehmerseite haben wird. Da der Aufsichtsrat in der A G ohnehin bereits nach geltendem Recht anstelle des Vorstands dessen Geschäftsordnung erlassen und die Ressortzuständigkeiten festlegen kann, wird man in einer derartigen Zuständigkeit keinen Eingriff in die eigenverantwortliche Leitung des Unternehmens seitens des Vorstands sehen können. In der mitbestimmten GmbH bleibt die Zuständigkeit für die Geschäftsordnung der Geschäftsleitung zwar bei der Gesellschafterversammlung und hilfsweise bei den Geschäftsführern. Der Zusammenhang zwischen Bestellung der Geschäftsführer, für die der Aufsichtsrat 23 Empirische Befunde zur Organisationsvielfalt in größeren Unternehmen bei Rancke, Betriebsverfassung und Unternehmenswirklichkeit, 1982, S. 204 ff. 24 Im ersteren Sinne die ganz h.M.; z.B. Fitting/Wlotzke/Wißmann, aaO (Fn. 13), §33 Rdn. 16; Rumpf, aaO (Fn. 10), §33 Rdn. 16; Ballerstedt, ZGR1977, 133, 147; Przybylski, Die mitbestimmungsrechtliche Bedeutung des Arbeitsdirektors nach dem MitbestG, 1976, 1983, S.87; im letzteren Sinne Meilicke, MitbestG, 1976, §33 Rdn. 12 f.; Hoffmann, DB 1976, 1233 f.

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zuständig ist (§31 MitbestG), und Aufgabenzuordnung sowie das Fehlen einer eigenverantwortlichen Leitung spricht jedoch auch hier für eine Kompetenzverlagerung auf den Aufsichtsrat. Würde man auch die nicht der Mitbestimmung unterliegende GmbH in die Verpflichtung zur Bestellung eines Umweltschutzdirektors einbeziehen, so müßte die Bestellungskompetenz aber in vollem Umfang bei der Qesellschafterversammlung liegen. Um die Zuständigkeiten klarzustellen, empfiehlt sich jedenfalls eine ausdrückliche gesetzliche Regelung. 4. Rechtsstellung im Unternehmen Der Umweltschutzdirektor ist ein „gleichberechtigtes Mitglied der Geschäftsleitung"-so würde das Gesetz inAnlehnung an§33 Abs. 1 Satz 1 MitbestG formulieren. Dem Umweltschutzdirektor müssen daher prinzipiell die gleichen Wirkungsmöglichkeiten in bezug auf die Unternehmenspolitik im allgemeinen und den betrieblichen Umweltschutz im besonderen eingeräumt werden wie den übrigen Mitgliedern der Geschäftsleitung25. Die dadurch gegebene Möglichkeit, die Belange des Umweltschutzes im Unternehmen - auch im Interesse der Allgemeinheit - zu vertreten, findet aber ihre Grenze an der Gesamtverantwortung der Geschäftsleitung für das Unternehmen. Dies drückt § 33 Abs. 1 MitbestG mit der Formulierung aus, die Tätigkeit des Arbeitsdirektors habe im „engsten Einvernehmen" mit den übrigen Vorstandsmitgliedern zu erfolgen. Auch wo kraft Geschäftsordnung keine Entscheidungskompetenz des Gesamtvorstands oder eines Vorstandsausschusses begründet ist, unterliegt der Umweltschutzdirektor der Einwirkung und Überwachung anderer Vorstandsmitglieder26. Die Institutionalisierung des Umweltschutzdirekters begründet keine Legitimation zu „einsamen Entscheidungen". Im Hinblick auf die Folgen von Umweltschutzentscheidungen für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens insbesondere bei Investitionen und der Einführung neuer Produkte erscheint es selbstverständlich, daß der Umweltschutzdirektor nicht nur andere Belange als die des betrieblichen Umweltschutzes bedenken muß, sondern auch in seiner täglichen Arbeit in die Gesamtverantwortung für das Unternehmen eingebunden ist. 5. Sonderprobleme bei der GmbH Die Nichtbeachtung der rechtsformspezifischen Unterschiede zwischen AG und GmbH im Mitbestimmungsgesetz hat zu zahlreichen, bis 25 Vgl. B G H Z 8 9 , 48, 59; Rumpf, aaO (Fn. 10), §33 Rdn.70; Hoffmann/Lehmann! Weinmann, aaO (Fn.13), §33 Rdn.23. 26 Vgl. Säcker, D B 1977, 1993; Spie/Piesker, aaO (Fn. 12), S.65f., 75.

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heute nicht recht gelösten Auslegungsproblemen geführt. Dies bezieht sich insbesondere auch auf den Arbeitsdirektor und würde auch für den Umweltschutzdirektor gelten, wenn der Gesetzgeber sich nicht entschlösse, mögliche Konflikte zwischen der Verfassung der GmbH und der Idee der Wahrnehmung diffuser Interessen durch einen besonderen Funktionsträger in der Geschäftsleitung durch eine ausdrückliche Regelung aufzulösen. Problematisch haben sich im Hinblick auf den Arbeitsdirektor insbesondere die Weisungsrechte der Gesellschafter nach dem Normalstatut der GmbH (§ 37, 45 GmbHG) erwiesen. Nach h. M. ist der Arbeitsdirektor in der GmbH an Weisungen der Gesellschafter gebunden27. Allerdings gilt dies im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichberechtigung immer nur im gleichen Umfang wie bei den übrigen Geschäftsführern. Sollen durch das grundsätzlich zu bejahende Weisungsrecht der Gesellschafter der GmbH die Funktionen des Umweltschutzdirektors nicht völlig ausgehöhlt werden, so muß es allerdings Grenzen für die Ausübung des Weisungsrechts geben. Hinsichtlich des Arbeitsdirektors wird diese Grenze vielfach erst dort gesehen, wo Weisungen derart flächendeckend und tiefgehend ausgeübt werden, daß eine eigenständige Vertretung des Personal- und Sozialwesens im Unternehmen nicht mehr möglich ist, der Arbeitsdirektor praktisch nur eine Marionette der Gesellschafter ist28. Diese bloße Mißbrauchsgrenze ist aber wohl zu weit gezogen. Man wird vielmehr darauf abstellen müssen, ob dem Umweltschutzdirektor aufgrund der Weisungen noch ein maßgeblicher Einfluß auf den Umweltschutz im Unternehmen verbleibt, ob er noch die Möglichkeit zu eigenverantwortlicher Geschäftsführung behält29. III. Wirksamkeitschancen und -grenzen 1. Rollenprobleme Mit der Institutionalisierung des Umweltschutzdirektors ist die Vorstellung verbunden, daß durch Bündelung aller notwendigen Kompetenzen für den Umweltschutz im Unternehmen auch die volle Verantwortung für die Beachtung der vom Staat normierten Rahmenbedingungen beim Umweltschutzdirektor liegt. Insoweit wird allerdings nur die normale Verantwortlichkeit des Vorgesetzten in Linie für die Einhal27 Fitting/Wlotzke/Wißmann, aaO (Fn.13), §33 Rdn.47; Hoffmann/Lehmann/ Weinmann, MitbestG, 1978, §33 Rdn.31; Baumann, ZHR142 (1978), 557, 565 ff.; Mertens, in Hachenburg, G m b H G , 6. Aufl., § 37 Rdn. 13, 16; a. M. Naendrup, AuR 1977, 225, 232 f. 28 Hommelhoff, ZHR142 (1978), 119, 139f.; Zöllner, ZGR1977, 319, 325f. 29 Leicht, aaO (Fn.7), S. 102.

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tung der umweltrechtlichen Regelungen akzentuiert. Hinsichtlich der Innovationsfunktion enthält eine Regelung über den Umweltschutzdirektor, die an die des Arbeitsdirektors anknüpft, keine verbindlichen oder auch nur nachvollziehbaren Verhaltensmaßstäbe. Man vertraut vielmehr im wesentlichen auf die Kraft von Intra-Rollen-Konflikten. Der Umweltschutzdirektor ist dem Unternehmensinteresse an Gewinnerzielung verpflichtet. Zugleich wird er durch die gesetzliche Aufgabenzuweisung für den Umweltschutz in die Pflicht genommen, auch wenn die Umweltbelange dem Interesse an Gewinnerzielung konträr sind. In bezug auf den Arbeitsdirektor hat man eine derartige Institutionalisierung eines IntraRollen-Konflikts fast einen „Geniestreich moderner Sozialordnung" genannt, um stark divergierende soziale Interessen zu harmonisieren30. Man geht davon aus, daß die doppelte Loyalität gegenüber beiden Interessen den Rollenträger dazu zwinge, nach vernünftigen Lösungen im Sinne eines insgesamt erträglichen Ausgleichs zu suchen. Andere meinen, daß der Arbeitsdirektor im Schnittpunkt unterschiedlicher Verhaltenserwartungen überfordert sei31. Diese These ist aber von der Mitbestimmungskommission und anderen empirischen Arbeiten hinsichtlich des Arbeitsdirektors nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz nicht bestätigt worden32. Für den Arbeitsdirektor nach §33 MitbestG - und entsprechend den Umweltschutzdirektor - ist zu beachten, daß er kein Repräsentant bestimmter diffuser Interessen mit eigener Klientel, sondern ein bloßer Funktionsträger ist. Hierdurch wird das Kollisionsproblem, freilich auf Kosten der Effektivität des Rollenträgers, entschärft. Bamberg u. a. haben dementsprechend für den Arbeitsdirektor nach dem Mitbestimmungsgesetz in einer empirischen Untersuchung33 festgestellt, daß seine Wirkungsmöglichkeiten weitgehend vom Verhalten der Unternehmensleitung abhängig sind, wenngleich ihm die Möglichkeit einer eigenen Rollendefinition bleibt34. Die beim Arbeitsdirektor zu beobachtenden informellen Gespräche zur Vorabklärung von sensiblen Fragen des Personal- und Sozialwesens und die frühe Information der Geschäftsleitung insgesamt über Probleme der Arbeitnehmer darf man gewiß auf das Erfolgskonto der Institutionalisierung der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen in der Geschäftsleitung verbuchen.

M. Lutter, Festschrift Coing, Band I, 1982, S. 565, 576. Meyer-Landruth, D B 1976, 387, 388; Lux, MitbestG, 1977, S. 190; vgl. Viehbahn, MitbestGespr. 1976, 102. 32 Mitbestimmungskommission, Mitbestimmung in Unternehmen, BT-Drucks. VI/ 334, S. 23, 50 f., 110; Tegtmeier, Wirkungen der Mitbestimmung der Arbeitnehmer, 1973, S. 101 ff. 33 Bamberg/Bürger/ Mahrkopf ! Martens/Tiemann, Aber ob die Karten voll ausgereizt sind - lOJahre Mitbestimmungsgesetz 1976 in der Bilanz, 1987, S. 191 ff. 34 AaO (Fn. 33), S. 209 ff., 213. 30

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Ob diese Erfahrungen freilich auf den Umweltschutzdirektor übertragbar sind, bleibt durchaus zweifelhaft. Seine formale Macht aufgrund Mitgliedschaft in der Geschäftsleitung, Geschäftsführungsbefugnis und Einwirkungsrecht auf die übrigen Ressorts entspricht grundsätzlich der des Arbeitsdirektors 35 . Aber reale Macht im Unternehmen hängt nicht nur von den Entscheidungs- und Mitwirkungsbefugnissen, sondern auch von einer Reihe anderer Faktoren ab, neben der Persönlichkeit des Betroffenen insbesondere auch von der Kontrolle „kritischer"Ressourcen im Unternehmen 36 . Und hier könnte es sich sehr wohl auswirken, daß zwar der Faktor Arbeit neben dem Faktor Kapital eine „kritische" Ressource darstellt, nicht jedoch der Umweltschutz, der - trotz gewisser Ansätze in Richtung auf eine ökologische Unternehmensführung - im allgemeinen immer noch als Restriktion der Unternehmenstätigkeit empfunden wird. Im Gegensatz zum Arbeitsdirektor, der trotz des Wahlmodus durchaus auf die Unterstützung der Arbeitnehmerschaft rechnen kann, wenn und soweit er deren Interessen vertritt 37 , verfügt der Umweltschutzdirektor in der Unternehmensorganisation über keine Machtbasis. Die von ihm vertretenen Interessen sind freischwebend ohne eigene Klientel. Zwar wird man nicht davon ausgehen können, daß der Umweltschutzdirektor den Konflikt zwischen auf die Wirtschaftlichkeit bezogenen Unternehmensinteressen und Umweltschutz in der gleichen Weise wie der ganze Vorstand zu lösen versucht 38 ; denn die Zuweisung des betrieblichen Umweltschutzes als Aufgabe nimmt diesen besonders in die Pflicht. Wohl aber wird es letztlich von der Einstellung des Unternehmens zum Umweltschutz sowie von der - persönlichkeitsbedingten - eigenen Rollendefinition des Umweltschutzdirektors abhängen, wie schlagkräftig dieser die Belange des Umweltschutzes im Unternehmen vertreten kann 39 . 2. Gefahren einer organisatorischen Verselbständigung des betrieblichen Umweltschutzes Wie bereits dargelegt, sieht sich die Forderung nach Institutionalisierung des betrieblichen Umweltschutzes in einem besonderen Funktionsträger mit der Tatsache konfrontiert, daß der betriebliche Umwelt35 Insoweit ist er immerhin in einer weitaus besseren Lage als die Betriebsbeauftragten nach den drei großen Umweltgesetzen, denen ein einigermaßen abgegrenztes eigenes Ressort ebenso wie Entscheidungsbefugnisse fehlen. 36 Vgl. Spie, aaO (Fn. 17), S.224, 232, 239. 37 Ostertag (Hrsg.), Arbeitsdirektoren berichten aus der Praxis, 1981, S. 53; Bamberg, u.a. aaO (Fn.33), S.209ff. 38 So aber bezüglich des Arbeitsdirektors Farthmann, BB1968, 473, 475; Przybylski, aaO (Fn.24), S.95f. 39 Vgl. Spie, aaO (Fn. 17), S.224 ff., bes. 232, 239.

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schütz eine Querschnittsaufgabe im Unternehmen ist, die eine Vielzahl von Funktionsbereichen des Unternehmens erfaßt. Von daher läßt sich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß die - bisher offenbar nicht in großem Umfang praktizierte 40 - Zusammenfassung des betrieblichen Umweltschutzes in einem Ressort letztlich zu einer Schwächung führen könnte, da die Vertreter der übrigen Ressorts geneigt sein könnten „abzudanken", weil die Verantwortung nunmehr beim Umweltschutzdirektor liegt. Nun muß man freilich sehen, daß die Gesamtverantwortung im Vorstand der Großunternehmer ohnehin nur eine rechtliche Maxime ist, die weitgehend auf dem Papier steht. Abgesehen von wirklich grundlegenden Entscheidungen werden die geschäftsleitenden Entscheidungen in Vorstandsausschüssen unter Mitwirkung nur einzelner Vorstandsmitglieder sowie ihrer Stäbe und der zuständigen Manager in Linie oder in der Sparte getroffen. Es geht also weniger um die Gesamtverantwortung im Vorstand als um die Frage, ob durch organisatorische Verselbständigung eine Verantwortungsverlagerung von den einzelnen Funktionsbereichen zum Umweltschutzdirektor erfolgt. Dies ist m. E. nur theoretisch denkbar, da im Hinblick auf die Qualität des betrieblichen Umweltschutzes als Querschnittsaufgabe eine volle Ressortverantwortlichkeit des Umweltschutzdirektors nur in begrenztem Umfang denkbar ist, er vielmehr oft nur Mitberatungs- sowie federführende Funktionen, d.h. nur Koordinationsfunktionen, haben kann und wird. Die Einrichtung eines Umweltschutzdirektors kann aber dazu beitragen, daß die Einheitlichkeit des betrieblichen Umweltschutzes bewußt gemacht wird und für die Entscheidung komplexer Konflikte zwischen auf die Gewinnerzielung oder Arbeitsplatzerhaltung bezogenen Unternehmensinteressen und den Belangen des betrieblichen Umweltschutzes den Leitern der einzelnen Funktionsbereiche ein kritischer Gesprächspartner zur Verfügung steht, der, obwohl an das Unternehmensinteresse gebunden, dem vorausschauenden Umweltschutz ein besonderes Gewicht zu geben vermag. Entgegen den Vorstellungen, die für die Forderung nach dem Umweltschutzdirektor Pate gestanden haben, sollte es weniger darum gehen, mit dem Umweltschutzdirektor einen Verantwortlichen für die Haftung nach außen wegen Verstößen gegen geltendes Umweltrecht zu institutionalisieren, sondern mehr darum, die Kräfte im Unternehmen zu stärken, die den Umweltschutz als eine Aufgabe auch für das Uberleben des Unternehmens ansehen.

40 Die Untersuchung von Rancke, aaO (Fn. 23), S. 211 nennt hinsichtlich der funktionalen Organisation der Zentralbereiche in größeren Unternehmen den betrieblichen Umweltschutz nicht besonders, so daß anzunehmen ist, daß der „Organisationsgrad" des betrieblichen Umweltschutzes unter 1 5 % liegt.

Der Beirat der Personengesellschaft DIETER REUTER

I. Der Beirat - ein Organ der Personengesellschaft? 1. Der derzeitige Meinungsstand Der Beirat ist seit Jahrzehnten - so eine einschlägige Monographie aus neuerer Zeit - „unentbehrlicher Bestandteil der kautelarjuristischen ,Trickkiste'" 1 . Teilweise dient er dazu, gesellschaftsexternes Ansehen und gesellschaftsexternen Sachverstand in die Gesellschaft zu integrieren; teilweise ersetzt er den Gesellschaften außerhalb der Rechtsform der AG den Aufsichtsrat mit dem Ziel der Bündelung der Kontrollbefugnisse und Kreationskompetenzen eines handlungsunfähigen Gesellschafterplenums; teilweise avanciert er gar zu einem multifunktionalen Gremium, das die Gesellschafter mehr oder weniger vollständig aus der Leitung des Gesellschaftsunternehmens verdrängt 2 . In der gesellschaftsrechtlichen Theorie ist das nicht unbemerkt geblieben, und so kann man selbstverständlich heute nicht mehr davon sprechen, der Beirat sei ein „weißer Fleck auf der juristischen Landkarte". Doch befaßt man sich ganz überwiegend mit dem Beirat der GmbH 3 . Und auch soweit man über die GmbH hinausgreift, ist der Beirat der GmbH typischerweise das Muster, das den Ausgangspunkt für die Diskussion über den Beirat von Unternehmen anderer Rechtsform liefert und ihre Ergebnisse weitgehend präjudiziert 4 . In der Tat ist die GmbH eine Rechtsform, die der Einführung eines Beirats kaum Widerstand entgegensetzt. § 52 GmbHG sieht sogar ausdrücklich die Möglichkeit vor, per Satzung nach aktienrechtlichem Vorbild neben den obligatorischen Organen Gesellschafterversammlung und Geschäftsführung einen Aufsichtsrat als drittes Organ zu errichten, das - wie im Aktienrecht - mit Gesellschaftern und/oder

Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, 1981, S. 1. Vgl. Voormann aaO (Fn.l), S. 8 ff. 3 Mertens, Festschrift für Stimpel, 1985, S. 417ff.; Baumbach/H neck/Zöllner, GmbHG, 14. Aufl. 1985, §45 Rdn. 13. 4 Großfeld/Brondics, Die AG 1987, 293 ff.; Hölters, Der Beirat der GmbH und GmbH & Co KG, 1979. 1

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Nichtgesellschaftern besetzt werden und - anders als der Aufsichtsrat der A G - mangels obligatorischer Kompetenzordnung im GmbH-Recht grundsätzlich mit beliebigen Zuständigkeiten ausgestattet werden kann5. Dementsprechend beschränken sich die Meinungsverschiedenheiten auf die Beantwortung der Frage, ob und ggf. inwiefern der „Selbstentmachtung" der GmbH-Gesellschafter durch die Satzung zugunsten eines (auch) von Nichtgesellschaftern besetzten Organs Grenzen gezogen sind. Z . T . erblickt man derartige Grenzen allein in den zwingenden Vorschriften des GmbH-Rechts 6 , z . T . darüber hinaus in einem sog. Grundsatz der Verbandssouveränität7, den ζ. B. Wiedemann in Anlehnung an §7711 des Regierungsentwurfs 1971 zu einem neuen GmbHG konkretisiert wissen will. Obwohl der dortige Katalog zwingender Gesellschafterkompetenzen nicht Gesetz geworden ist (und auch nicht Gesetz werden wird), soll sein Inhalt im Wege der Rechtsfortbildung und unter Rückgriff auf das allgemeine Prinzip des Gruppen- und Minderheitenschutzes in das geltende Recht übernommen werden können8. Für den Beirat der Personengesellschaft gibt es keine vergleichbar klaren dogmatischen Ansätze. Zwar herrscht im wesentlichen Einigkeit darüber, daß auch der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaft einen Beirat errichten kann. Die allgemeine Vertragsfreiheit im Personengesellschaftsrecht soll eine Ermächtigung nach Art des § 52 GmbHG ersetzen9. Wie weit diese Legitimation reicht, ist indessen durchaus unsicher. Ein Teil des gesellschaftsrechtlichen Schrifttums steht auf dem Standpunkt, die Problematik des Beirats in der Personengesellschaft sei im

5 Vgl. K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, S.828f.; Voormann aaO (Fn. 1), S.23f.; Großfeld/Brondics, Die AG 1987, 293 ff.; demgegenüber will Zöllner (aaO, Fn.3, § 4 5 Rdn. 13) im Beirat offenbar schon wegen des abweichenden Namens ein vom Aufsichtsrat zu sonderndes und nicht unter § 5 2 GmbHG fallendes anderes Organ sehen. M. E. ist dieser Ansatz mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren. Die Satzungsautonomie deckt nach § 45 abweichende Regelungen der Kompetenzordnung, nicht die beliebige Schaffung von Organen. Eine GmbH mit mehr als drei Organen gibt es (numerus clausus der Gesellschaftstypen !) im deutschen Recht nicht. Die Rede vom „Aufsichtsrat oder ähnlichen Organ" in § 82 II Nr. 2 GmbHG besagt nur, daß das fakultative dritte Organ i. S. des § 52 GmbHG nicht unbedingt Aufsichtsrat heißen und nicht unbedingt auf Aufsichtsratsfunktionen beschränkt sein muß. 6 Hennerkes/Binz/May D B 1987, 469, 474; Teubner ZGR1986, 565, 571; Hölters aaO (Fn. 2), S.22f. 7 Mertens aaO (Fn.3), S.417, 420; Voormann aaO (Fn. 1), S. 132ff.; grundlegend Wiedemann, Festschrift für Schilling, 1973, S. 105, 111 ff. 8 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 332 f. 9 So ausdrücklich Großfeld/Brondics, Die AG 1987, 293, 307; Hölters D B 1980, 2225, 2226.

Der Beirat der Personengesellschaft

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Prinzip die gleiche wie in der GmbH. Dem liegt ein restriktives Verständnis des personengesellschaftsrechtlichen Grundsatzes der zwingenden Selbstorganschaft zugrunde. Selbstorganschaft bedeutet danach lediglich ein jederzeitiges Recht der Gesellschafter zur Außenvertretung der Gesellschaft; die gesellschaftsvertragliche Schaffung von Organen mit verdrängenden internen Zuständigkeiten bleibt unberührt10. Abweichend von der Rechtslage des Beirats in der GmbH beurteilen die Rechtslage des Beirats in der Personengesellschaft diejenigen, die in der Konsequenz eines weiten Verständnisses der Selbstorganschaft die Personengesellschafter in Gesellschaftsangelegenheiten für zwingend allzuständig halten und deshalb die Möglichkeit von Organen der Personengesellschaft im Rechtssinne überhaupt leugnen". Danach kann der Beirat der Personengesellschaft nur entweder Gesellschafterausschuß (mit auf die Gesellschafter beschränkter Mitgliedsfähigkeit) oder ein (auch für Nichtgesellschafter offenes) „Drittgremium" sein, das als solches niemals eine verdrängende (Organ-), sondern stets nur eine konkurrierende (Bevollmächtigten-) Zuständigkeit zu erhalten vermag. In der Variante Gesellschafterausschuß stößt der Beirat auf die Schranken, die das Personengesellschaftsrecht der „Auslieferung" des einzelnen Gesellschafters an die Regelungs- und Entscheidungsmacht aller oder einzelner Mitgesellschafter zieht. In der Variante „Drittgremium" gilt zunächst, daß die Personengesellschafter - wie der Einzelkaufmann, der sich zu seiner Entlastung einen Beirat zugelegt hat - die auf den Beirat „übertragenen" Zuständigkeiten nach Belieben selbst wahrnehmen können, weshalb es nach z.T. vertretener Auffassung inhaltlicher Beschränkungen der Beiratsmacht nicht bedarf12. Indessen steht dieses Recht zum Selbsteintritt zwingend lediglich der Gesamtheit der Gesellschafter zu. Solange auch nur ein Gesellschafter auf der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung über die Zuständigkeiten des Beirats beharrt, ist es blokkiert. Wollen die übrigen Gesellschafter das ändern, so müssen sie den Beirat mit der dazu nach dem Gesellschaftsvertrag notwendigen Mehrheit abschaffen. Dadurch rückt die Stellung des Beirats der Personengesellschaft faktisch an die eines Organs heran, ist er doch in der Praxis gerade in den Fällen anzutreffen, in denen der Gesellschafterkreis die zur gemeinsamen aktiven Gestaltung des Gesellschaftslebens notwendige Homogenität nicht erreicht. Wer die Selbstorganschaft im Personengesellschaftsrecht nicht für ein rechtstechnisches Handicap, sondern für ein

Voormann a a O (Fn. 1), S. 130ff.; Wiedemann a a O (Fn. 7), S. 105, 110f. Flume, Die Personengesellschaft, 1977, S. 235 ff., 240 ff.; Nitschke, D i e körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, S . 2 7 4 f . ; H uff er Z G R 1 9 8 0 , 320, 322. 12 Flume a a O (Fn. 11), S. 239f.; H.Westermann, Handbuch der PersonengesellschaftenI, 3. Aufl. 1980 Rdn. 153 a. E. 10

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materielles Anliegen hält13, muß folgerichtig mit einer anderen Ansicht im Schrifttum die Kompetenzgrenzen des Beirats der Personengesellschaft relativ enger ziehen als die des Beirats der GmbH 14 . Schließlich gibt es eine mittlere Ansicht, die je nach Typus der Personengesellschaft unterschiedliche Anforderungen an ihre Beiratsverfassung stellen will: In der klassischen Personengesellschaft soll der Beirat mit Rücksicht auf den Einfluß des Prinzips der Selbstorganschaft weitgehenden Beschränkungen unterliegen, in der GmbH & Co KG dagegen im gleichen Umfang wie in der GmbH zulässig sein15. Ihr steht in der Sache auch der BGH nahe, der allerdings die maßgebliche Zäsur zwischen den normalen Personengesellschaften und den Publikumspersonengesellschaften anzusetzen scheint. Während er für die normale Personengesellschaft den Beirat als Träger von aus dem gemeinsamen Recht der Gesellschafter hergeleiteten Funktionen bezeichnet, beurteilt er den Beirat der Publikumspersonengesellschaft weitgehend in Analogie zum Aufsichtsrat der AG 16 . Freilich erschwert es die korrekte Einordnung des BGH, daß er den Organbegriff sehr undifferenziert benutzt17. 2. Kritik und eigener

Standpunkt

Die Darstellung der Meinungen weist das Verständnis der Selbstorganschaft als Schlüssel zur Beiratsproblematik aus. Es liegt in der gegenwärtigen Tendenz zur Nivellierung der Unterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften, daß man sich schwer damit tut, die zwingende Selbstorganschaft im Personengesellschaftsrecht noch sinnvoll zu erklären. Nach K. Schmidt ζ. B. ist das Prinzip der Selbstorganschaft nichts weiter als „ein Organschaftsmonopol der unbeschränkt haftenden Gesellschafter", das sich mangels Kapitalsicherung im Personengesellschaftsrecht aus dem Interesse an einer verantwortlichen Unternehmensleitung legitimiert18. Daß dies viel zu kurz greift, liegt auf der Hand. Erstens ist die Selbstorganschaft ein Prinzip nicht bloß des 13 Weil sie einen Beitrag dazu leistet, daß die Personengesellschaft personalistisch geprägten Zusammenschlüssen vorbehalten bleibt, vgl. Reuter GmbHRdsch 1981, 123 ff. Für die Gegenansicht (um größerer Stabilität der Personengesellschaft, insbesondere geringerer „Anfälligkeit gegen Personenwechsel in kritischen Situationen" willen) vgl. Reinhardt/Schultz, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1981, Rdn. 167 ff.

Großfeld/Brondics, Die AG 1987, 293, 307. Hölters DB 1980, 2225, 2227. 16 Vgl. einerseits B G H BB1968, 145 (auf der gleichen Linie B G H Z 3 6 , 292; B G H NJW1982, 1817); andererseits B G H Z 6 9 , 207ff.; B G H WM 1977, 1146ff.; 1983, 472f. (zusammenfassende Darstellung bei Hiiffer ZGR1980, 320, 322 ff.). 17 Vgl. zum Organbegriff Flume, Die juristische Person, 1983, S. 377; auch Hiiffer ZGR 1980, 320, 322; P. Ulmer, Festschrift für Werner, 1984, S. 917, 923. 18 K.Schmidt aaO (Fn.5), S.308, 310f. 14 15

Der Beirat der Personengesellschaft

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Handelsgesellschaftsrechts, sondern des Personengesellschaftsrechts (einschließlich der BGB-Gesellschaften ohne Unternehmensträgerschaft) schlechthin. Zweitens und vor allem aber besteht ein Zusammenhang mit den allgemeinen Grenzen der Privatautonomie. Das deutsche Zivilrecht kennt die Ermächtigung zum rechtsgeschäftlichen Handeln mit Wirkung für andere und zur Ausübung fremder Rechte durch die Betroffenen ausschließlich mit der Folge, daß eine konkurrierende Zuständigkeit des Ermächtigten entsteht; die privative Vollmacht gibt es - wie die ganz h. M. in Auseinandersetzung mit der abweichenden Ansicht von Müller-Freienfels19 anerkennt - nicht20. Wenn das Kapitalgesellschaftsrecht die Fremdorganschaft vorzieht, so hängt das mit der Eigenschaft der Kapitalgesellschaft als juristische Person zusammen, die vom historischen Gesetzgeber als überindividuelle, von der Gesamtheit der Mitglieder verschiedene Wirkungseinheit aufgefaßt worden ist21. Berühmt ist der Tadel Savignys für den „Hauptirrtum, der die Totalität der gegenwärtigen Mitglieder mit der Corporation identifiziert und daher mit einer unbedingten Gewalt über deren Rechte ausrüstet"22. Die Personengesellschaft dagegen ist vom historischen Gesetzgeber nicht als „Corporation" im Sinne Savignys konzipiert, sondern durchaus mit der Gesamtheit ihrer Mitglieder identifiziert worden23, so daß der zivilrechtliche Vorbehalt gegen die privatautonome Schaffung verdrängender Zuständigkeiten für Nichtmitglieder an sich voll durchschlägt. Fraglich kann nur sein, ob sich die Vorstellung des historischen Gesetzgebers nicht unter dem Druck einer gegenläufigen Praxis überlebt hat. Denn offenbar ist die Personengesellschaft längst auch zum Rechtskleid für überindividuelle, über ihre gegenwärtigen Mitglieder hinausweisende Wirkungseinheiten geworden; die Publikumspersonengesellschaft ist nur ein besonders spektakuläres Beispiel dafür. Tatsächlich ist Anpassung statt Widerstand die ganz überwiegende Reaktion der gesellschaftsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung24, jedoch zu Unrecht: Erst wenn der Gesetzgeber nicht mehr auf der Identität von Gesellschaftsund Gesellschafterinteressen beharrt, sind auch Rechtsprechung und

" Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955, S. 127 ff. MK-Thiele, BGB, 2. Aufl. 1984, §167 Rdn.88 mit Nachweisen. 21 Vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich I, 1899, S. 395; grundlegend aus neuerer Zeit Rittner, Die werdende juristische Person, 1973, S. 210 ff. 22 v.Savigny, System des heutigen Römischen Rechts II, 1840, S. 347. 23 Vgl. Fiume aaO (Fn. 11), S. 89 f. 24 Diese Anpassung äußert sich namentlich in der Entwicklung von Rechtsgrundsätzen, die den Unterschied zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften einebnen. Vgl. statt aller K.Schmidt aaO (Fn.5), S.58ff.; Wiedemann aaO (Fn.8), S. 143ff.; Lutter AcP 180, 84 ff. 20

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Schrifttum nicht mehr auf Widerstand festgelegt. Und genau daran fehlt es. Die z.T. noch in der jüngsten Zeit bestätigte Verschonung der Personengesellschaften von der Körperschaftsteuer, der Mitbestimmung und der Publizitätspflichtigkeit erklärt sich aus nichts anderem als aus der Identifikation des Interesses der Personengesellschaft mit dem gemeinsamen Interesse ihrer Gesellschafter. Die Gesellschaftssphäre gilt dem Gesetzgeber nach wie vor als Teil der Gesellschaftersphäre, so daß das Einkommen der Gesellschaft anteilig steuerpflichtiges Einkommen der Gesellschafter, ihr Eigentum anteilig unmittelbares und daher mitbestimmungsresistentes Eigentum der Gesellschafter, ihr wirtschaftlicher Status anteilig Status der Gesellschafter ist. Eine Rechtsordnung, die sich als solche ernst nimmt, kann nicht einerseits den Personengesellschaften die Nachteile der Körperschaftsteuer, der Mitbestimmung und der Publizitätspflichtigkeit wegen ausschließlicher Maßgeblichkeit der Gesellschafterinteressen ersparen und andererseits Bedenken gegen die „Selbstentmündigung" der Personengesellschafter durch die Schaffung verdrängender Zuständigkeiten für Nichtgesellschafter unter Hinweis auf die Maßgeblichkeit eines der Summe der Gesellschafterinteressen übergeordneten Gesellschafts- oder Unternehmensinteresses verwerfen25. Wer glaubt, zur Sicherung des Gesellschafts- oder Unternehmensinteresses angesichts unzureichender Kooperationsfähigkeit oder Unternehmensnähe der Gesellschafter der Hilfe von Fremdorganen zu bedürfen, darf nicht die Personengesellschaft, sondern muß eine Unternehmensform wählen, die - wie die A G oder die GmbH - als Rechtskleid einer die Gesellschafterinteressen transzendierenden Organisation (mit entsprechenden steuerrechtlichen, mitbestimmungsrechtlichen und publizitätsrechtlichen Konsequenzen) gedacht ist. Die GmbH & Co K G macht keine Ausnahme. Denn bislang nimmt die GmbH & Co K G uneingeschränkt teil an den steuerrechtlichen, mitbestimmungsrechtlichen und publizitätsrechtlichen Privilegien der Personengesellschaft, was bedeutet, daß sie in den Augen des Gesetzgebers ebenso wie die klassische Personengesellschaft lediglich Mittel zur Koordination der Interessen ihrer Gesellschafter ist. Entsprechend hat das Personengesellschaftsrecht u.a. durch die Abwehr von Fremdorganschaft darauf zu achten, daß die GmbH & Co K G nicht zu einer der GmbH gleichwertigen Organisationsform für überindividuelle Wirkungseinheiten und damit zu einem Instrument der sachlich nicht gerechtfertigten Inanspruchnahme rechtlicher Privilegien wird26. Dem steht nicht entgegen,

25 Zu diesem Zusammenhang vgl. auch Teubner GmbHRdsch 1981, 123, 127 ff. 24 Vgl. schon Reuter, Die AG 1986, 130, 136 f.

ZGR1986, 567 ff. Ferner

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daß die Satzung der Komplementär-GmbH Fremdorgane berufen kann. Es ist nicht dasselbe, ob das Fremdorgan in der GmbH oder in der K G angesiedelt wird. Das zeigt sich gerade am Beispiel des Beirats. Allein über die Ansiedlung in der K G lassen sich die Kosten des Beirats zu steuerlich voll abzugsfähigen Betriebsausgaben machen (§10 Nr. 3 KStG) 27 . Allein über die Ansiedlung in der K G entgeht man der Sperrwirkung, die das MitbestG richtiger Ansicht28 nach für Beiräte neben dem obligatorischen Aufsichtsrat der nach §4 MitbestG mitbestimmungspflichtigen Komplementär-GmbH errichtet. Die Rechtsprechung zur Publikumspersonengesellschaft mag insofern verdienstvoll sein, als sie klargestellt hat, daß entgegen zuvor verbreiteter Auffassung in der gesellschaftsrechtlichen Literatur die Schaffung von Ersatzformen der A G nicht von der personengesellschaftsrechtlichen Vertragsfreiheit gedeckt ist29. Ihre Konsequenz - Inhaltskontrolle statt Versagung der rechtlichen Anerkennung - ist jedoch allenfalls die halbe Lösung des Problems, verhindert sie doch nicht die ungerechtfertigte Inanspruchnahme der steuerrechtlichen, mitbestimmungsrechtlichen und publizitätsrechtlichen Vorzugsstellung der Personengesellschaft. Sie sollte deshalb keinesfalls das letzte Wort gewesen sein30. Das Plädoyer gegen Fremdorganschaft im Sinne von verdrängenden Zuständigkeiten externer Personen weist die Richtung für das Urteil über Zulässigkeit und Grenzen einer Beiratsverfassung in Personengesellschaften. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen dem als Gesellschafterausschuß konzipierten31 und dem auf Integration Außenstehender angelegten Beirat. In der ersten Variante geht es um die Schranken der Unterwerfung des einzelnen Gesellschafters unter die Entscheidungsmacht der Gesellschaftermehrheit oder gar -minderheit, in der zweiten um die Selbstentmündigung der Gesellschafter durch Begründung (faktisch) verdrängender Zuständigkeiten Dritter in Gesellschaftsangelegenheiten. Die Möglichkeit der Unterwerfung unter die Entscheidungsmacht anderer Personengesellschafter sehen die §§114, 125, 164, 170 H G B für die Geschäftsführung und die Vertretung ausdrücklich vor. Problematisch kann insoweit nur sein, ob und ggf. in

Hennerkes/Binz/May D B 1987, 467, 473 Fn.45. Hanau/Ulmer, MitbestG, 1981, §25 Rdn. 143; Scholz/K.Schmidt, GmbHG, 7. Aufl. 1986, §45 Rdn. 13; Säcker BB 1977, 846; Hommelhoff Z G R 1978, 119, 153. 29 B G H Z 6 4 , 238, 241 f. 30 Krieger, Festschrift für Stimpel, 1985, S.307ff. wendet sich u.a. mit dem Hinweis auf Mitbestimmung und Publizität gegen die gesetzliche Anerkennung der Publikumspersonengesellschaft (S. 328, 330 f.). Diese Argumente sprechen aber genauso gegen die richterrechtliche Anerkennung. 31 Der gar kein Organ ist, vgl. zutreffend Hiiffer Z G R 1980, 320, 322. 27 28

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welchen Grenzen auch Grundlagenentscheidungen und/oder die Ausübung von Informationsrechten dem Gesellschafterplenum entzogen und dem Gesellschafterausschuß zugeordnet werden können, ferner, inwieweit unabdingbare Individualrechte die Zuständigkeit des Beirats zwingend begrenzen. Die Selbstentmiindigung der Gesellschafter durch Begründung faktisch verdrängender Zuständigkeiten Dritter wirft dagegen einerseits auch im Hinblick auf Geschäftsführung und Vertretung Probleme auf, ist aber andererseits nicht nach allgemeingültigen Regeln, sondern lediglich aufgrund umfassender Würdigung der Einzelfälle festzustellen. Zu Recht (wenn auch mit Bezug auf die GmbH) hat Mertens darauf hingewiesen, daß neben dem Gewicht der dem Beirat übertragenen Kompetenzen die Revidierbarkeit der Entscheidungen durch die Gesellschafter und die „Nähe" der Beiratsmitglieder zu den Gesellschaftern eine ausschlaggebende Rolle spielen müssen32. Von einer Selbstentmündigung der Gesellschafter kann nicht die Rede sein, wenn die Homogenität der Gesellschafter und/oder das Stimmenquorum für ihre Beschlüsse den Selbsteintritt zur realistischen Möglichkeit stempelt. Ebenso muß z.B. erheblich sein, daß die Beiratsmitglieder der KG Gesellschafter der Komplementär-GmbH sind. Zwar sind die Gesellschafter der Komplementär-GmbH, die nicht zugleich Kommanditisten sind, im Verhältnis zur KG formal Dritte. Wirtschaftlich betrachtet, kommt aber ein so konzipierter Beirat der KG einem Gesellschafterausschuß so nahe, daß seine Zulässigkeit und seine Grenzen nicht wesentlich anders beurteilt werden können als die Zulässigkeit und die Grenzen eines Gesellschafterausschusses. Gewiß ist die Verweisung der Praxis auf den Einzelfall keine Ideallösung. Ein solches Vorgehen ist indessen stets unvermeidbar, wenn es gilt zu verhindern, daß ein gesetzlich verbotenes Ziel (hier: die Fremdorganschaft) zwar rechtstechnisch vermieden, jedoch im Zusammenwirken verschiedener, je für sich unbedenklicher Mittel de facto erreicht wird.

II. Die Kompetenzen des Beirats 1. Der Beirat als

Grundlagenorgan

Grundlage der Gesellschaft ist der Gesellschaftsvertrag. Demgemäß ist eine Grundlagenentscheidung die Änderung des Gesellschaftsvertrags. Gleichgestellt werden von der h. M. Entscheidungen, die - wie z.B. die Änderung des Unternehmensgegenstandes - ausnahmsweise

32

Mertens aaO (Fn.3), S.417, 420.

Der Beirat der Personengesellschaft

237

auch ohne förmliche Änderung des Gesellschaftsvertrags die Basis des Gesellschaftslebens verändern33. Ist ein Gesellschafterausschuß durch den Gesellschaftsvertrag zu solchen Entscheidungen berufen, so sind die Grenzen einer Durchbrechung des Einstimmigkeitsprinzips zu beachten. Diese Grenzen markiert erstens der sog. Bestimmtheitsgrundsatz, der richtiger Ansicht nach besagt, daß die Unterwerfung der Gesellschafter unter die Entscheidungsmacht der Mehrheit oder gar einer privilegierten Minderheit nur wirksam sein kann, wenn sie einen überschaubaren und in seinen Folgen abschätzbaren Umfang behält34. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, daß Gesellschafter- und Gesellschaftssphäre - anders als im Kapitalgesellschaftsrecht - nicht gegeneinander abgeschüttet sind, so daß die Mehrheits- oder gar Minderheitsherrschaft in der Gesellschaft zugleich eine Fremdbestimmung der Gesellschafter nach sich zieht35. Der Gesellschaftsvertrag kann dem als Gesellschafterausschuß konzipierten Beirat also nicht allgemein die Änderung des Gesellschaftsvertrags übertragen, sondern muß die Regelungsgegenstände in einer Weise benennen, die eine Unterwerfungserklärung im Bewußtsein ihrer Tragweite ermöglicht. Zu Recht ist der B G H davon ausgegangen, er müsse, um für die Publikumspersonengesellschaft die Zuständigkeit einer Gesellschafterminderheit zur Aufnahme von Gesellschaftern ohne betragsmäßige Grenze billigen zu können, auf die Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes im Recht der Publikumspersonengesellschaft verzichten36. Die zweite Grenze der Durchbrechung des Einstimmigkeitsprinzips errichtet der sog. Kernbereichsschutz. Entgegen K. Schmidt37 handelt es sich dabei um eine zwingende Grenze, nicht nur um eine solche, die unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes durch den Gesellschaftsvertrag beseitigt werden kann. Sinn des Kernbereichsschutzes ist nämlich, den Gesellschafter vor Veränderungen gegen seinen Willen zu schützen, die die Geschäftsgrundlage des Mitgliedschaftserwerbs in Frage stellen. Eben deshalb ist er auch kein Spezifikum des Personengesellschaftsrechts, sondern - wie § 53 III G m b H G belegt genauso im Kapitalgesellschaftsrecht anzutreffen. Richtig ist nur, daß die notwendige Zustimmung gleichsam vorweg erteilt und der Mehrheit

Vgl. auch Voormann aaO (Fn. 1), S. 35. » BGHZ48, 251, 253; K.Schmidt aaO (Fn.5), S.342ff.; Marburger NJW1984, 2252, 2254. 35 Vgl. auch Flume aaO (Fn. 11) S. 215 (der freilich Änderungen des Gesellschaftsvertrags durch die Mehrheit oder gar die Minderheit auch nach Maßgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht zulassen will). 36 BGHZ66, 82. 37 AaO (Fn.5) S.356f. 33

238

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bzw. privilegierten Minderheit eine Durchführungsbefugnis eingeräumt werden kann. Aber das erfordert mehr als eine Festlegung, die entsprechend dem Bestimmtheitsgrundsatz die Tragweite der Unterwerfung unter die Mehrheits- bzw. Minderheitsherrschaft vorhersehbar macht. Anlaß, Art und Ausmaß des Eingriffs in den Kernbereich müssen so bestimmt werden, daß er nicht mehr der Begründung, sondern allein noch des Vollzugs bedarf 38 . Unter den Kernbereichsschutz fällt neben der in § 53 III GmbHG angesprochenen Vermehrung der Leistungspflichten die Verminderung der Leistungsrechte, ferner z.B. der Verzicht auf den Gleichbehandlungsanspruch 39 . Grundsätzlich ebenso ist der Ausschluß eines Gesellschafters durch alle oder einen Teil seiner Mitgesellschafter zu beurteilen, obgleich der insoweit tragende Gedanke etwas abweicht. Zu Recht hat der BGH darauf hingewiesen, daß die zwingenden Rechte der (Minderheits-) Gesellschafter bis zur Nutzlosigkeit entwertet werden, wenn sie unter dem Damoklesschwert einer beliebigen Ausschließbarkeit ausgeübt werden müssen40. Demgemäß setzt der wirksame Ausschluß eines Personengesellschafters, soweit nicht das gesetzliche Ausschließungsrecht nach den §§ 140, 161 II HGB eingreift, die Fixierung des Ausschlußgrundes im Gesellschaftsvertrag voraus 41 . Soweit ein für externe Personen offener Beirat zum „Grundlagenorgan" berufen ist, will man ihn z.T. deshalb den gleichen Grundsätzen wie den Gesellschafterausschuß unterwerfen, weil ein solcher Beirat wie Flume sagt - nur „ex iure tertii", d. h. in Abhängigkeit von einem Rückhalt im Kreis der Gesellschafter existiert und regiert. Was der Beirat tut, soll danach den Gesellschaftern zugerechnet werden, die durch ihr Beharren auf der Zuständigkeit des Beirats den Selbsteintritt der Gesellschaftergesamtheit oder die Abschaffung des Beirats durch die Anderungsmehrheit verhindern. Eine derartige Betrachtungsweise wird indessen der typischen Interessenlage im Fall von Gesellschaften mit Beiratsverfassung nicht gerecht. Extern besetzte Beiräte, insbesondere solche mit Kompetenzen in Grundlagenfragen, werden nicht als verlängerter Arm der Gesellschaftergesamtheit oder eines Teils der Gesellschafter errichtet. Vielmehr sollen sie Gesellschaften die Handlungsfähigkeit sichern, in denen die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises eine sachgerechte Wahrnehmung der Gesellschaftsangelegenheiten durch alle

38 Ebenso Voormann aaO (Fn. 1), S. 105. Nichts anderes besagt auch die Rechtsprechung und Literatur zu § 53 III GmbHG, auf die K. Schmidt aaO (Fn. 5), S. 356 Fn. 71 sich beruft. 39 Vgl. dazu BGH NJW 1985, 974. 40 BGHZ81, 263, 266 f. 41 Einprägsame Gesamtdarstellung bei K.Schmidt aaO (Fn.5), S. 1083ff.

Der Beirat der Personengesellschaft

239

oder auch nur einige Gesellschafter nicht gewährleistet. Externe Beiräte mit Grundlagenkompetenz erfüllen also in der Regel die Funktion eines Vormunds handlungsunfähiger Gesellschaften, wobei der Gesellschaftsvertrag nicht selten zwecks Abwehr von Interventionen aus dem Gesellschafterkreis dessen Handlungsunfähigkeit künstlich verstärkt oder doch wenigstens auf mögliche Vorkehrungen zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit (Einführung des Mehrheitsprinzips und maßgeschneiderter Willensbildungsformen) bewußt verzichtet. Wenn Hunderte von Gesellschaftern ohne persönlichen Kontakt zueinander zu einer gemeinsamen Aktion finden müssen, um einen Selbsteintritt in Beratungszuständigkeiten oder gar die Abschaffung des Beirats zustande zu bringen, braucht der Beirat de facto keinen Rückhalt im Gesellschafterkreis. Tatsächlich besteht dann nicht eine demokratische oder oligarchische Gesellschafterherrschaft wie im Fall des als Gesellschafterausschuß konzipierten Beirats, sondern eine „Fremdherrschaft" 42 . Wer wie hier - den Standpunkt vertritt, daß die Personengesellschaft (normativ) mit der Summe ihrer Gesellschafter identisch ist und daher für ihr Verhältnis zur Außenwelt den gleichen Rechtsgrundsätzen unterliegt wie die Einzelperson, kann eine solche Entmündigung der Gesellschaft nicht hinnehmen. Vielmehr greift - wie im Fall der rechtsgeschäftlichen Selbstentmündigung der Einzelperson - § 1381 BGB ein. Anders mag es aussehen, wenn der Gesellschaftsvertrag die Grundlagenentscheidung durch eine Mehrheit an die Zustimmung eines externen Beirats bindet. Insoweit geht der Gesellschaftsvertrag von einer selbständig handlungsfähigen Gesellschaft aus. Der Beirat fungiert nicht als Vormund der Gesellschaft, sondern als Schiedsrichter zwischen der Beschlußmehrheit und der dissentierenden Minderheit. Denn sind sich sämtliche Gesellschafter einig, so können sie selbstverständlich ohne Rücksicht auf das im Gesellschaftsvertrag verankerte Zustimmungserfordernis den Gesellschaftsvertrag ändern43. Erst recht ist es unbedenklich, wenn der Gesellschaftsvertrag — was in der Praxis ebenfalls vorkommt - vor der Grundlagenänderung durch die Gesellschafter die Einholung des Votums des Beirats vorschreibt. Verfahrensvorschriften für die Willensbildung der Gesellschafter können - vorbehaltlich des Rechts der Gesellschafter zur einverständlichen Derogation - im Zusammenhang mit Grundlagenänderungen genauso angeordnet werden wie im Kontext schlichter Beschlüsse. Von dem Vorbehalt gegen die externe Vormundschaft über

42 Vgl. auch B G H N J W 1 9 8 5 , 972, 973. Inwieweit die dortige Annahme des BGH, die Gesellschafter hätten die Möglichkeit gehabt, die Entscheidungen des Beirats außer Kraft zu setzen, realistisch gewesen ist, läßt sich mangels entsprechender Angaben im Tatbestand des Urteils nicht nachprüfen. « Vgl. Flume aaO (Fn.5), S.237, 238.

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die Personengesellschaft zu unterscheiden ist die Frage, ob die eine oder andere Grundlagenentscheidung nicht schon wegen ihres höchstpersönlichen Charakters der Kompetenz eines Beirats entzogen ist. Diskutiert wird das namentlich für den Ausschluß eines Gesellschafters - sei es aus wichtigem, sei es aus im Gesellschaftsvertrag verankertem Grund 44 . Indessen ist nicht ersichtlich, weshalb der Vollzug (!) eines von Gesetz oder Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Ausschlusses zwingend Angelegenheit der Gesellschafter sein soll. Das Interesse des vom Ausschluß bedrohten Gesellschafters erfordert die Lösung nicht, weil die Berechtigung des Ausschlusses in jedem Fall der gerichtlichen Uberprüfung zugänglich ist. Den Gesellschaftern bleibt kraft zwingenden Rechts das Recht zur Kündigung bzw. zur Klage auf Auflösung der Gesellschaft aus wichtigem Grund. Da ihnen weitergehende Rechte nicht zugebilligt zu werden brauchen45, kann der Gesellschaftsvertrag sie auch der Ausübung durch einen Dritten anheimgeben. 2. Der Beirat als „Geschäftsführungsorgan " Der Beirat als „Geschäftsführungsorgan" wirft die Probleme des Beirats als „Grundlagenorgan" in einer abgeschwächten Intensität auf. Diese Abschwächung geht für den als Gesellschafterausschuß konzipierten Beirat so weit, daß die Probleme sich ganz erledigen. § 114 II H G B sieht die Möglichkeit der Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis auf einen Teil der Gesellschafter ausdrücklich vor; Gleiches gilt nach § 1251, II H G B für die Vertretungsbefugnis. Eine Grenze folgt nur daraus, daß §170 H G B die Vertretung der Personengesellschaft zwingend den persönlich haftenden Gesellschaftern vorbehält. Deshalb lassen sich zwar in der K G Geschäftsführungsbeiräte aus persönlich haftenden Gesellschaftern und Kommanditisten schaffen. Aber es kann nicht verhindert werden, daß statt des Beirats die Gesamtheit der persönlich haftenden Gesellschafter die K G nach außen vertritt. Problematisch bleibt der Beirat als „Geschäftsführungsorgan", soweit er extern besetzt ist oder doch nach dem Gesellschaftsvertrag extern besetzt sein kann. Denn auch insoweit erfüllt der Beirat typischerweise die Aufgabe, partielle Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu kompensieren. Der Unterschied zum „Grundlagenorgan" besteht nur darin, daß die Bevormundung der mit der Summe der Gesellschafter identischen Gesellschaft nicht schon bei der Definition, sondern erst bei der praktischen Verwirklichung des gemeinsamen Interesses einsetzt. Für die rechtliche Beurteilung fällt dieser Unterschied deshalb ins Gewicht, weil die Herr-

44 45

Voormann a a O (Fn. 1), S. 108. Baumbach/Duden/Hopt, H G B , 27. Aufl. 1987, §140 Anm. 1 B.

Der Beirat der Personengesellschaft

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schaft der Gesellschafter über den Gesellschaftsvertrag die Annahme einer mit § 138 BGB unvereinbaren Fremdherrschaft über die Gesellschaft blockiert. Die Mitglieder des Beirats sehen sich in der Gesellschaft einem Geschäftsherrn gegenüber, dessen Interesse sie nicht manipulieren können, sondern eine Vorgabe für ihre Tätigkeit ist. Soweit sie das Interesse verletzen, können auch einzelne Gesellschafter aufgrund entsprechender Mitwirkungsansprüche gegen die Mitgesellschafter die Ablösung von Beiratsmitgliedern oder gar die Abschaffung des Beirats überhaupt durchsetzen 46 . Wenn gleichwohl Zulässigkeitsbedenken bleiben, so deshalb, weil das Handelsrecht umfassende Vertretungs- und Geschäftsführungsmacht Dritter zum Schutz der Vertretenen ausweislich des §52 HGB allein mit der Maßgabe ihrer jederzeitigen freien Widerruflichkeit duldet. Man umgeht in unzulässiger Weise diese zwingende Wertung, wenn man den Vertretenen als eine handlungsunfähige bzw. lediglich unter der Bedingung pflichtwidrigen Handelns des Vertreters reaktionsfähige Einheit organisiert. Anders wäre es nur dann zu sehen, wenn der Beirat sich als (Fremd-) Organ in die Gesellschaft integrieren ließe. Wie die §§ 38 II GmbHG, 84 II AktG belegen, können Externe als Organmitglieder eine bis zur Grenze des wichtigen Grundes unentziehbare Position erhalten. Eben die Berufung Dritter zum Organ verwehrt aber das zwingende personengesellschaftsrechtliche Prinzip der Selbstorganschaft, das seinerseits mit der (postulierten) Identität von Gesellschaft und Gesellschaftergesamtheit im Personengesellschaftsrecht zusammenhängt. Allerdings ist ein Beirat in der Regel nicht mit hauptberuflich tätigen Personen besetzt, so daß sich die Geschäftsführungsbefugnis als eine Art Obergeschäftsführungsbefugnis darstellt, die sich in der Entscheidungskompetenz über vielfach katalogmäßig aufgelistete, besonders wichtige Angelegenheiten äußert. Soweit der Katalog den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genügt, d. h. das Handeln vorhersehbar macht, mag der Beirat als „Geschäftsführungsorgan" auch ohne strikte Abhängigkeit vom Vertrauen der Gesellschafter akzeptabel sein, genauso wie umgekehrt die Fähigkeit der Gesellschafter zur Ablösung der Beiratsmitglieder wegen Wegfalls der Vertrauensgrundlage die Anforderungen an Begrenzung und Vorhersehbarkeit der Beiratstätigkeit schrumpfen läßt. Aber als „bewegliche Schranke" ist die Wertung des § 52 HGB unzweifelhaft zu beachten.

3. Der Beirat als „Kontrollorgan " Nach h.M. ergibt sich aus den §§161 II, 105 II HGB, 713, 666 BGB ein kollektives Informationsrecht der nicht geschäftsführenden Perso46

Vgl. Flume aaO (Fn.5), S.238.

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nengesellschafter gegen die geschäftsführenden 47 . Dieses Recht ist nicht zwingend. Es kann daher (rechtlich oder faktisch) ausgeschlossen werden 48 . Erst recht ist nichts dagegen einzuwenden, daß der Gesellschaftsvertrag seine Ausübung durch einen Beirat vorschreibt, und zwar gleichgültig, ob der Beirat mit Gesellschaftern besetzt sein muß oder auch mit Nichtgesellschaftern besetzt sein kann. Durchaus anders stellt sich die Rechtslage dar, soweit die Kontrollbefugnisse des Beirats auch die individuellen Informationsrechte der Gesellschafter ersetzen sollen. Das außerordentliche individuelle Informationsrecht nach §11811 HGB bzw. nach §166111 HGB kann nämlich unstreitig nicht nur nicht abbedungen, sondern auch nicht eingeschränkt werden 49 . Die ordentlichen individuellen Informationsrechte nach § 1 1 8 1 HGB bzw. nach § 1 6 6 1 HGB sind zwar nachgiebiges Recht, woraus ganz überwiegend abgeleitet wird, ihre Ersetzung durch ein Informations- und Kontrollrecht des Beirats sei als Minus zum völligen Ausschluß erst recht zulässig 50 . Nach anderer, vor allem durch das 1980 geschaffene zwingende Informationsrecht des GmbH-Gesellschafters nach §51 a GmbHG beeinflußter Ansicht soll das individuelle Informationsrecht unter der Voraussetzung eines Informationsinteresses jedoch stets auch für den Personengesellschafter zwingend eingreifen 51 . Die Existenz eines Informations- und Kontrollrechts des Beirats kann sich danach nur insofern auf das individuelle Informationsrecht auswirken, als sie u . U . das Informationsinteresse entfallen läßt. Folgerichtig wird die Wirksamkeit des Ausschlusses des individuellen Informationsrechts davon abhängig gemacht, ob das Informations- und Kontrollrecht des Beirats ein funktionsfähiges Äquivalent für das individuelle Informationsrecht bietet. Dem Informationsinteresse der Personengesellschafter soll in diesem Sinne durch das Informationsrecht des Beirats genügt sein, wenn der Beirat - so heißt es etwa bei Voormann52 - „das Vertrauen der Gesellschafter besitzt, selber die Ordnungsgemäßheit der Geschäftsführung überwacht und die Information soweit wie erforderlich an die . . . Gesellschafter weiterleitet". Tatsächlich dürfte der letzteren Sichtweise die Zukunft gehören. Denn es ist mit einer auf Konsistenz verpflichteten Rechtsordnung schlechterdings unverträglich, daß der GmbH-Gesell-

47 Vgl. dazu K. Schmidt, Informationsrechte in Gesellschaften und Verbänden, 1984, S. 15 f. 48 Vgl. im einzelnen MK-Ulmer, BGB, 2. Aufl. 1986, § 713 Rdn. 7 ff. 49 OLG Hamm BB1970, 509; Baumbach/Duden/Hopt aaO (Fn.45), § 1 6 6 Anm. 3 A ; Schlegelherger/Martens, HGB, 5. Aufl. 1986, §166 Rdn. 46. 50 Mehring, Juristen-Jahrbuch 1966/67, S. 123, 125 f.; U.H. Schneider DB 1973, 953, 954. 51 Grundlegend K. Schmidt aaO (Fn. 47), S. 35 ff., 68 ff. 52 Voormann aaO (Fn. 1), S. 63.

Der Beirat der Personengesellschaft

243

schafter über ein weitergehendes Informationsrecht verfügen soll als der (typische) Personengesellschafter, ist doch die persönliche Betroffenheit des Gesellschafters durch das Gesellschaftsgeschehen in der Personengesellschaft intensiver als in der G m b H . Gewiß ist § 51 a G m b H G zu weit geraten. Daß die Vorschrift kein Informationsrecht ohne berechtigtes Informationsinteresse gewähren kann, ergibt sich wohl schon aus der Treuepflicht des Gesellschafters, die eine grundlose Belastung des Geschäftsablaufs der Gesellschaft verbietet. Aber mit dieser Einschränkung ist nicht daran vorbei zu kommen, daß § 51 a G m b H G als jüngere gesetzliche Wertung Konsequenzen für die Grenzen der Abdingbarkeit des individuellen Informationsrechts auch im Personengesellschaftsrecht nach sich ziehen muß. 4. Der Beirat als

„Kreationsorgan"

Nicht selten ist der Beirat durch den Gesellschaftsvertrag dazu berufen, den oder die Geschäftsführer der Gesellschaft zu bestellen und zu entlassen. Dagegen ist von Rechts wegen sicher dann nichts einzuwenden, wenn der Beirat ein Gesellschafterausschuß ist. Genauso wie der Gesellschaftsvertrag mehreren Gesellschaftern die Geschäftsführungsbefugnis vorbehalten kann, vermag er auch das Recht zur Verleihung der Geschäftsführungsbefugnisse einem Teil der Gesellschafter zuzuweisen. Freilich muß die Verleihung, um Verleihung gesellschaftsrechtlicher Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis zu sein, auf Mitgesellschafter (hinsichtlich der Vertretungsmacht sogar auf persönlich haftende Mitgesellschafter) beschränkt sein. Das Recht zur Berufung von Nichtgesellschaftern ist notwendig bloßes Recht zum Abschluß von Arbeitsverträgen und zur Erteilung (handelsrechtlicher) Vollmachten. Ebenfalls bedenkenfrei ist es, wenn der Gesellschaftsvertrag die Auswahl der Geschäftsführer aus dem Kreis der Gesellschafter einem externen Beirat überträgt. Die Gesellschafter unterwerfen sich dadurch im Hinblick auf ihre Tauglichkeit zur Führung des Gesellschaftsunternehmens dem Urteil (unparteiischer) Dritter. Auch insoweit gilt, daß die Gesellschaftergesamtheit sich einverständlich über das Votum des Beirats hinwegsetzen kann. Gegen offenkundig unsachliche Parteinahme des Beirats ist der benachteiligte Teil mindestens durch das Recht zur (Änderungs-) Kündigung bzw. zur Auflösungsklage aus wichtigem Grund geschützt. Soweit schließlich ein externer Beirat zur Berufung einer externen Geschäftsführung bestellt ist, wiederholt sich die Problematik des externen, gegenüber den Gesellschaftern faktisch unabhängigen Geschäftsführungsorgans 53 . Eine solche Regelung ist mit Rücksicht auf die Wer-

53

Vgl. dazu oben 2.

244

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tung des § 52 H G B jedenfalls dann nicht zulässig, wenn die Gesellschafter - wie das im Fall von Beiratsverfassungen regelmäßig zutrifft - nicht als durch ihre Gesellschafter handlungsfähige Einheit organisiert sind. Selbstverständlich (wenngleich in der Praxis keineswegs durchgängig berücksichtigt) ist, daß im Fall der GmbHG & Co KG der Gesellschaftsvertrag der KG nicht dem Beirat der KG die Zuständigkeit zur Bestellung der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH zu verschaffen vermag. Dazu ist allenfalls die Satzung der GmbH in der Lage. III. Die Pflichten der Beiratsmitglieder In der Vertragspraxis der Personengesellschaften stößt man vielfach auf die Regelung, der Beirat sei zur Kontrolle und Beratung der Geschäftsführung sowie überhaupt zur Erfüllung der ihm im Gesellschaftsvertrag übertragenen Aufgaben verpflichtet. Diese Regelung entspricht der Rechtslage nur, soweit der Beirat als Gesellschafterausschuß konzipiert ist. Dagegen kann der Gesellschaftsvertrag für die Mitglieder eines Beirats aus externen Personen keine Pflichten begründen. Dritte lassen sich nur über schuldrechtliche Verträge in die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks einbinden. Eben dadurch unterscheidet sich die Beteiligung von Nichtgesellschaftern im Personengesellschaftsrecht von derjenigen im Kapitalgesellschaftsrecht, wo über die Fremdorganschaft eine unmittelbare Teilhabe von Nichtgesellschaftern an den gesellschaftsrechtlichen Rechten und Pflichten erreichbar ist. Dabei handelt es sich nicht um eine praktisch bedeutungslose Frage des rechtlichen Etiketts. Vielmehr schneidet die fehlende Organmitgliedschaft der externen Beiratsmitglieder ζ. B. die Möglichkeit ab, daß sie wegen Pflichtverletzung von einzelnen Gesellschaftern im Wege der actio pro socio in Anspruch genommen werden können. Für entsprechende Ansprüche aktivlegitimiert ist ausschließlich die Gesellschaft, vertreten durch ihre vertretungsberechtigten Gesellschafter. Auch das unterstützt die schon mehrfach entwickelte These, daß der Beirat aus externen Personen die Organisation der Gesellschafter zu einer handlungsfähigen Einheit voraussetzt, also nicht dazu eingesetzt werden kann, einer ohnedem handlungsunfähigen Gesellschaft erst die Handlungsfähigkeit zu verschaffen. IV. Probleme der Beiratsorganisation 1. Die Zusammensetzung des Beirats Die Anforderungen an die Person der Beiratsmitglieder können im Gesellschaftsvertrag grundsätzlich beliebig festgelegt werden. Der B G H hat sich bereits mit einem Fall befassen müssen, in dem der Gesellschaftsvertrag einer GmbH & Co KG bestimmte, nicht zu den Gesell-

Der Beirat der Personengesellschaft

245

schaftern zählende Personen in den Beirat berufen hatte54. Erst recht kann der Gesellschaftsvertrag die Freiheit der Wahlgremien bei der Auswahl der Kandidaten beschränken, indem er z.B. Gesellschafter ausschließt und Qualifikationserfordernisse vorgibt. Die Zulassung von Nichtgesellschaftern wirkt sich allein auf die Rechtsnatur des Beirats (mit entsprechenden Folgen für die Zulässigkeit seiner Kompetenzen, die Durchsetzbarkeit seiner Pflichten u. ä. m.) aus. Bedenken werden in der Literatur freilich gegen Gestaltungen angemeldet, die die Wahl der Beiratsmitglieder in die Hände von Personen legen, die ihrerseits vom Beirat überwacht werden sollen. Insbesondere soll es - entgegen einer in der Praxis durchaus nicht selten anzutreffenden Gestaltung - ausgeschlossen sein, daß die geschäftsführenden Gesellschafter die zu ihrer Überwachung berufenen Beiratsmitglieder bestellen55. Als Begründung dient eine doppelte Analogie: Erstens soll die dementsprechende Inkompatibilitätsvorschrift des § 105 AktG einen rechtsformübergreifenden Rechtsgedanken enthalten56 und zweitens über ihren Wortlaut hinaus nicht nur die Personalunion zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten, sondern darüber hinaus den Einfluß der Kontrollierten auf die Person der Kontrolleure erfassen57. Gegen die erste - gleichsam horizontale - Analogie spricht, daß der Beirat der Personengesellschaft im Gegensatz zum Aufsichtsrat der AG ein schlichtes und überdies freiwilliges Gesellschaftsinternum ist. Da die Personengesellschaft überhaupt auf ein Aufsichtsgremium verzichten kann, kann das Recht sinnvollerweise allenfalls dann zwingende Auflagen für die Leistungsfähigkeit des Aufsichtsgremiums machen, wenn an dessen Existenz schutzwürdige Erwartungen unbeteiligter Dritter anknüpfen. Derartige schutzwürdige Erwartungen setzen aber zumindest voraus, daß die Existenz des Aufsichtsgremiums - wie das nach § 52 II GmbHG im Fall des Aufsichtsrats der GmbH der Fall ist - durch Eintragung ins Handelsregister, Bekanntmachung o.ä. öffentlich verlautbart wird. Die zweite - vertikale Analogie zu § 105 AktG, die Gleichstellung des Einflusses der Geschäftsführer auf die Zusammensetzung des Aufsichtsgremiums mit der Personalunion zwischen Geschäftsführung und Mitgliedschaft im Aufsichtsgremium, mag in den Fällen durchgreifen, in denen die Abhängigkeit der Mitglieder des Aufsichtsgremiums einseitig und nicht durch gesellschaftsvertragliche Vorgaben für die Auswahlentscheidung der Geschäftsführer beschränkt ist. Solche Verhältnisse gibt es indessen in der Praxis des Personengesellschaftsrechts nicht; Gesellschafter-

54 55 56 57

BGH WM 1970, 246. Voormann aaO (Fn. 1), S. 150. Hölters aaO (Fn.4), S.30. OLG Frankfurt DB 1987, 85.

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Geschäftsführer, die nicht wirksam kontrolliert werden wollen, pflegen Aufsichtsgremien insgesamt zu verhindern. Was es in der Praxis gibt, das sind wechselseitige Einflüsse von Beirat und Geschäftsführung auf ihre jeweilige Zusammensetzung. Diese sind indessen sicher nicht mehr durch die Analogie zu § 105 AktG zu erfassen, zumal für sie plausible Gründe angeführt werden können. Namentlich wo das Aufsichtsgremium kein reines Kontrollgremium, sondern zur Beratung der Geschäftsführung und zur Mitwirkung an wichtigen Geschäftsführungsangelegenheiten berufen ist, überlagert das Interesse an Kooperationsfähigkeit zwischen den Mitgliedern von Geschäftsführung und Aufsichtsgremium mehr oder weniger das Interesse an unabhängiger Kontrolle. Das Interesse an Kooperationsfähigkeit von Gesellschaftsgremien weist aber kooptationsähnliche Rekrutierungen ihrer Mitglieder nicht ab, sondern drängt auf sie, fördern sie doch die Homogenität und wirken dadurch Auseinandersetzungen entgegen. Den Ausgleich schaffen die individuellen Kontrollrechte der nicht geschäftsführenden Gesellschafter. Wie dargelegt, wächst das Informationsinteresse als Voraussetzung für die Ausübung der individuellen Kontrollrechte in dem Maße, in dem das Kontrollrecht des Beirats seine Tauglichkeit als äquivalenter Ersatz einbüßt. 2. Die Amtsperiode des Beirats Die Amtsperiode des Beirats richtet sich nach dem Gesellschaftsvertrag. Sieht dieser eine begrenzte Amtszeit vor, so stellt sich die Frage nach der Rechtslage, wenn die Amtszeit abgelaufen ist, ohne daß neue Beiratsmitglieder bestellt worden sind. Im Schrifttum wird dazu ζ. T. die Auffassung vertreten, die Zuständigkeiten des Beirats fielen hier - wie in sonstigen Fällen seiner Funktionsunfähigkeit - an die Gesellschafter zurück 58 . Tatsächlich entscheiden indessen nicht allgemeine Regeln, sondern maßgebend ist die (notfalls ergänzende) Auslegung des Gesellschaftsvertrags. Soweit der Beirat - sei es als Gesellschafterausschuß, sei es als extern besetztes Gremium — Handlungsunfähigkeit der Gesellschaftergesamtheit kompensieren soll, wird dem Sinn des Gesellschaftsvertrags die Fortdauer des Amtes über das Ende der Amtsperiode hinaus entsprechen. Soweit der Beirat ζ. B. vor allem externen Sachverstand für die Willensbildung der Gesellschaft fruchtbar machen soll, kann er nach Ende der Amtsperiode bis zur Neubesetzung ersatzlos wegfallen. Die in der Personengesellschaft ohnehin stets zum Selbsteintritt berechtigte Gesellschaftergesamtheit muß dann vorübergehend das Vakuum ausfül-

58 Hachenburg/Schilling, GmbH).

GmbHG, 7. Aufl. 1975, §45 Rdn.20 (für den Beirat der

Der Beirat der Personengesellschaft

247

len. Selbstverständlich hat die erläuternde Auslegung Vorrang vor der bloß ergänzenden, so daß die ausdrückliche Regelung unabhängig von ihrer Plausibilität verbindlich ist. V. Schluß Ernst Steindorff hat sich in seinen Beiträgen zum Gesellschaftsrecht stets als ein Vertreter der Auffassung erwiesen, die das Gesellschaftsrecht nicht als isoliertes, von dogmatischen Eigengesetzlichkeiten beherrschtes Rechtsgebiet sieht, sondern um Harmonie der gesellschaftsrechtlichen Aussagen mit denen der anderen Rechtsgebiete bemüht ist, die auf den gleichen sozialen Feldern rechtliche Ordnungsaufträge haben und erfüllen. Insbesondere hat er sich entschieden gegen Versuche gewandt, das Gesellschaftsrecht zu einem Instrument der Notwehr der Wirtschaft gegen sozialgestaltende Gesetzgebung zu machen59. Der Beirat der Personengesellschaft gehört zu den Techniken, die die Rechtsform der Personengesellschaft auch für Gesellschaftsstrukturen erschließen, die der körperschaftlichen Verfassung bedürfen und daher an sich in das Kapitalgesellschaftsrecht gehören. Er trägt so mit dazu bei, daß Mitbestimmung, Körperschaftsteuer und Publizität die einen Unternehmen belasten und die anderen nicht belasten, obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte die unterschiedliche Behandlung kaum zu begründen vermögen. Dieser Befund rechtfertigt es gewiß nicht, den Beirat im Personengesellschaftsrecht in Bausch und Bogen zu verwerfen, und zwar schon deswegen nicht, weil - auch darauf hat Ernst Steindorff aufmerksam gemacht60 - die Mitbestimmungs-, Steuer- und Publizitätsgesetzgebung von der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsfreiheit ausgeht. Wohl aber ist daran festzuhalten, daß Zulässigkeit und Grenzen des Beirats der Personengesellschaft sich nach personengesellschaftsrechtlichen Grundsätzen bestimmen müssen. Soweit daraus ein engerer Anwendungsbereich für den Beirat entsteht als vergleichsweise im Kapitalgesellschaftsrecht, ist das kein durch Analogien zum Kapitalgesellschaftsrecht zu behebender Fehler, sondern der von Rechts wegen gebotene Tribut an die Privilegien der Personengesellschaft.

59 Vgl. Steindorff, Festschrift für Ballerstedt, ZHR146, 336 ff. » Festschrift aaO (Fn. 59), S. 127, 129.

1975, S. 127ff.;

Steindorff/Joch

Die Leistung der Bareinlage bei der Erhöhung des Kapitals von Aktiengesellschaften H E L M U T SCHIPPEL

I.

In den vergangenen Jahren haben die Zahl der Aktiengesellschaften durch Neugründungen und Umwandlungen und der Kapitalzufluß in die schon bestehenden Aktiengesellschaften deutlich zugenommen. Diese Entwicklungen haben vielfältige Ursachen 1 , die alle dafür sprechen, daß sie, eine einigermaßen kontinuierliche Wirtschaftsentwicklung vorausgesetzt, in den nächsten Jahren andauern werden. Die Vergrößerung der Märkte, besonders gefördert durch die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes im Gebiet der europäischen Gemeinschaften, zwingt gerade die größeren, in der Rechtsform der Aktiengesellschaft organisierten Unternehmen zu ständiger Expansion. Ihr können sich auch kleinere Unternehmen häufig nicht mehr entziehen. Gesellschaftergruppen, vor allem Unternehmerfamilien, die bisher in der Lage waren, den eigenen Kapitalbedarf ihrer Unternehmen selbst aufzubringen, gelangen an die Grenze des ihnen Möglichen, erweitern sich zur Publikumsaktiengesellschaft und treten den Weg zur Börse an. II.

Das rechtliche Instrument für solche Kapitalbeschaffung ist die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen (§§182, 184-191 AktG) 2 . Für sie sieht 1 Ein Grund für die Zunahme der Aktiengesellschaften liegt auch darin, daß die andere Rechtsform für die Kapitalgesellschaft, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in den größeren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit romanischer Rechtstradition, in Frankreich, Italien, und Spanien nicht die Verbreitung gefunden hat wie in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist zunehmend zu beobachten, daß größere Gesellschaften mit beschränkter Haftung in Aktiengesellschaften umgewandelt werden, weil die A G die in den Nachbarstaaten bekanntere und angesehenere Rechtsform der Kapitalgesellschaft ist. 2 Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind im folgenden solche des Aktiengesetzes vom 6 . 9 . 1 9 6 5 (BGBl. I 1089) zuletzt geändert durch das Bilanzrichtliniengesetz vom 1 9 . 1 2 . 1 9 8 5 (BGBl. I 2355).

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Helmut Schippel

das Aktiengesetz seit 1937 im wesentlichen unverändert folgendes Grundmuster vor: Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft beschließt die Kapitalerhöhung (§182 Abs. 1 u. 2) und bestimmt die Höhe des Entgelts, für das die neuen Aktien erworben werden können (§182 Abs. 3). Das Recht zum Erwerb steht vorrangig denen zu, die bereits Aktionäre dieser Gesellschaft sind (§ 186). Soweit sie ihr Recht zum Bezug nicht innerhalb einer schon in der Satzung oder von der Hauptversammlung oder letztendlich vom Vorstand bestimmten Frist ausüben (§ 186 Abs. 1 Satz 2), werden die neuen Aktien Außenstehenden zum Erwerb angeboten. Der Vertrag, den die Erwerber der neuen Aktien mit der Gesellschaft schließen (Zeichnungsvertrag)3, ist im Gesetz weitgehend inhaltlich bestimmt (§ 185). Er ist notwendigerweise auflösend bedingt und wird unwirksam (§158 Abs. 2 BGB), wenn die Kapitalerhöhung nicht bis zu einem von der Hauptversammlung oder vom Vorstand bestimmten Zeitpunkt durch Eintragung ihrer Durchführung im Handelsregister wirksam geworden ist (§185 Abs. 1 Nr. 4, § 189). Da die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung voraussetzt, daß alle neuen Aktien wirksam gezeichnet worden sind (§188 Abs. 2 i. V. m. § 36 Abs. 2), eine teilweise Durchführung der beschlossenen Kapitalerhöhung also nicht wirksam werden kann, trägt dieses Verfahren immer das Risiko in sich, daß die Kapitalbeschaffung scheitert, wenn die neuen Aktien nicht rechtzeitig bei den Altaktionären oder auf dem Markt untergebracht werden können. III. In der Praxis wird deshalb nach diesem Grundmuster eigentlich nur bei Einmanngesellschaften und bei Gesellschaften mit einem kleinen Kreis von Gesellschaftern verfahren, die gleichzeitig mit dem Beschluß der Kapitalerhöhung alle neuen Aktien zeichnen, so daß die Anmeldung von Beschluß und Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals verbunden werden können (§188 Abs. 4). In fast allen anderen Fällen bedient sich die Praxis des seit der Schaffung des Aktiengesetzes 1965 in §186 Ab. 5 - wenn auch nur sehr kursorisch4 - geregelten mittelbaren Bezugsrechts, das die Kautelarjurisprudenz und die Rechtslehre schon unter der Herrschaft des Aktiengesetzes 1937 entwickelt haben5. Um die rechtzeitige Durchführung der Kapitalerhöhung zu gewährleisten, wird fingiert, die Gesellschaft hätte nur einen oder eine kleine Zahl von Dazu im einzelnen Lutter in Kölner Komm, zum AktG, Anm. 7 zu § 185. Lutter in Kölner Komm., Anm. 72 zu § 186. 5 Vgl. R G Z 144, 138 und im einzelnen v. Godin / Wilhelmi, Komm, zum AktG (1937), 1. Aufl. 1950, Anm. I Abs. 6 zu §153. 3

4

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Aktionären. Ein Kreditinstitut oder ein Konsortium von Kreditinstituten bietet der Aktiengesellschaft schon vor dem Beschluß der Hauptversammlung über die Kapitalerhöhung an, wie der einzige Aktionär oder die kleine Gruppe von Aktionären bei der Einmanngesellschaft oder der Gesellschaft mit wenigen Gesellschaftern alle neuen Aktien sofort zu beziehen und verpflichtet sich, diese Aktien den bezugsberechtigten Aktionären unverzüglich weiterzugeben. Das Bezugsrecht der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft wird also ersetzt durch den Anspruch gegen das Kreditinstitut auf unverzügliche Ubereignung der neuen Aktien an die Altaktionäre, die ihr mittelbares Bezugsrecht gegenüber dem Kreditinstitut form- und fristgerecht geltend gemacht haben6. Sie erhalten dieselbe Zahl neuer Aktien, die ihnen bei Einräumung eines unmittelbaren Bezugsrechts zustünden. Nur um die erschwerten Voraussetzungen des förmlichen Bezugsrechtsausschlusses (§ 186 Abs. 4) zu vermeiden, sieht das Gesetz die Einräumung des mittelbaren Bezugsrechts nicht als Bezugsrechtsausschluß an7. Materiell wird das Bezugsrecht der Aktionäre auf diese Weise natürlich ausgeschlossen. Soweit die Altaktionäre ihren Anspruch gegen das Kreditinstitut nicht ausüben, hat dieses mit den verbleibenden neuen Aktien ebenso zu verfahren, wie das die Gesellschaft nach dem Grundmuster der Kapitalerhöhung hätte tun müssen. Es hat diese Aktien zu besten Preisen auf dem Markt zu verkaufen. Es steht dabei aber nicht mehr unter dem Termindruck des §185 Abs. 1 Nr. 4, denn die Kapitalerhöhung ist bereits durch die Übernahme aller neuer Aktien durch das Kreditinstitut durchgeführt und die Durchführung ist durch Eintragung im Handelsregister bereits vor der Ausgabe der neuen Aktien an die bezugsberechtigten Altaktionäre bzw. vor der Veräußerung der so nicht absetzbaren Aktien auf dem Markt wirksam geworden8.

6 Wie später ausgeführt, bin ich der Auffassung, daß das mittelbare Bezugsrecht nicht nur einen Anspruch gegen das Kreditinstitut auf Abgabe eines dem regulären Bezugsrecht entsprechenden Verkaufsangebots beinhaltet. Der zwischen A G und Kreditinstitut geschlossene Emissionsvertrag gewährt dem Aktionär als Vertrag zugunsten Dritter den Anspruch, unter der Voraussetzung der ordnungsgemäßen Ausübung seines Bezugsrechts die Leistung der neuen Aktien unmittelbar von dem Kreditinstitut zu fordern (a. A. Lutter in Kölner K o m m . Anm. 83 zu § 186). 7 Der R e g E einer A k t G und eines E G A k t G , BT-Drucks. IV/171 folgte noch der entgegenstehenden Auffassung (§174 Abs. 5). Das wurde vom Bundestag geändert (Ausschußbericht zu B T - D r u c k s . IV/3296). 8 Hier sei eingeschaltet, daß die Praxis in den letzten Jahren noch einen Schritt weitergeht. Der Kapitalerhöhungsbeschluß unter Gewährung des mittelbaren Bezugsrechts nach §§ 182, 186 Abs. 5 wird mehr und mehr ersetzt durch die Schaffung genehmigten Kapitals (§§ 202 ff.), das es den Verwaltungsorganen der Gesellschaft erlaubt, unabhängig von der Hauptversammlung über den Zeitpunkt und die H ö h e der durchzuführenden Kapitalerhöhung den aktuellen Bedürfnissen der Gesellschaft und den Gegebenheiten des

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IV. Im Interesse der Gesellschaft und ihrer Gläubiger, aber auch im Interesse der Aktionäre und der Allgemeinheit, aus der heraus sich die künftigen Aktionäre rekrutieren, muß das Gesetz dafür Sorge tragen, daß die Gesellschaft bei der Durchführung einer Kapitalerhöhung ähnlich wie bei der Gründung einer Gesellschaft zu ihrem Geld kommt. § 188 Abs. 2 ordnet deshalb durch Verweisung auf § 36 Abs. 2, § 36 a an, daß die Durchführung der Kapitalerhöhung erst dann zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden darf, wenn auf jede neue Aktie der eingeforderte Betrag ordnungsgemäß eingezahlt ist (§ 54 Abs. 3) und, soweit er nicht bereits zur Bezahlung der bei der Kapitalerhöhung angefallenen Steuern und Gebühren verwendet wurde, endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht. Erfolgt die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen, nur hierüber wollen wir hier sprechen, muß der eingeforderte Betrag mindestens 1/4 des Nennbetrags der neuen Aktien und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als den Nennbetrag (§ 182 Abs. 3) auch den Mehrbetrag, und zwar den ganzen Mehrbetrag, nicht etwa nur 1/4 davon umfassen. Die Ausgabe der neuen Aktien zum Nennwert ist selten. Denn in den meisten Fällen ist der wirtschaftliche Wert oder die Vorstellung des Marktes vom wirtschaftlichen Wert des Unternehmens im Zeitpunkt der Kapitalerhöhung höher als dessen Grundkapital, das der Summe der Nennwerte aller seiner Aktien entspricht9. An diesem Mehrwert nehmen die neuen Aktionäre sofort teil. Diesen Mehrwert oder wenigstens einen Teil davon will die Gesellschaft bezahlt haben. Selbst wenn sie mit Rücksicht auf die Interessen ihrer Altaktionäre die Bezugskurse meist etwas unter dem aktuellen Börsenkurs ansetzt, wird insbesondere die Publikumsgesellschaft die neuen Aktien kaum jemals zum Nennwert, sondern regelmäßig zu einem höheren Wert, also mit einem Aufschlag, einem Agio ausgeben. Aus diesem vor der Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister einzubezahlenden Betrag dürfen nur die bei der Kapitalerhöhung angefallenen Steuern und Gebühren bezahlt werden. Im übrigen muß das Geld bis zur Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister ungeschmälert auf einem Konto der Gesellschaft verbleiben. Nur dann steht es im Zeitpunkt der Eintragung „zur freien Verfügung des Vorstands", wie das

Kapitalmarkts entsprechend zu entscheiden. Die Verwaltungsorgane entscheiden hier auch über die Einräumung des unmittelbaren oder mittelbaren Bezugsrechts (§ 203 A b s . 2 i. V. m. §186). ' Vgl. Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhöhung in den Aktien- und GmbH-Rechten der E W G , 1964, S.477, 478.

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vom Gesetz verlangt wird9". Notare und Registerrichter bemühen sich, die Eintragungen so vorzubereiten, daß sie in kürzester Zeit, in vielen Fällen sogar am Tage der Anmeldung selbst vorgenommen werden können. Dennoch verteuern die Beschaffung so großer Geldbeträge und ihre Bereitstellung wenn auch nur für einen oder wenige Tage die Kapitalerhöhung gerade dann erheblich, wenn der Weg des mittelbaren Bezugsrechts beschritten wird. Dazu kommt, daß das Kreditinstitut, welches die Gelder zur Verfügung stellt, seine Mindestreserve bei der Deutschen Bundesbank gegebenenfalls erhöhen muß10 und mit der Einzahlung unverzüglich Kapitalverkehrsteuer anfällt11. Deshalb sucht die Praxis nach Wegen, die Durchführung der Kapitalerhöhung zu verbilligen. Viele glauben, diesen Weg durch die Unterscheidung zwischen Bezugskurs und Ausgabekurs gefunden zu haben12. Das Grundmuster des Gesetzes kennt diesen Unterschied nicht. Wird den Aktionären ein unmittelbares Bezugsrecht gewährt, so beziehen sie die Aktien zu dem Kurs, der im Beschluß der Hauptversammlung über die Kapitalerhöhung festgesetzt worden ist. Liegt dieser Kurs über dem Nennbetrag, wird also die Zahlung eines Aufgelds beschlossen, ist dieses Agio vor Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung zur Eintragung im Handelsregister wie dargelegt voll einzubezahlen. Das Gesetz spricht hier davon, daß die Aktien „für einen höheren Betrag als den Nennbetrag ausgegeben werden" (§182 Abs. 3) oder von der „Ausgabe der Aktien für einen höheren als den Nennbetrag" (§36 a Abs. 1). In § 186 Abs. 5 verwendet es diese Formel nicht, sondern spricht von dem „für die Aktien zu leistenden Entgelt". Das wird als „Bezugskurs" bezeichnet, also als der Kurs, zu dem der Altaktionär die neuen Aktien beziehen kann, während man die in § 36 a Abs. 1 und § 182 Abs. 3 angesprochenen Größen „Ausgabekurs" nennt und damit den Kurs meint, zu dem die Gesellschaft die neuen Aktien dem zwischengeschalteten Kreditinstitut „ausgibt". Aus der unterschiedlichen Terminologie des Gesetzes wird geschlossen, daß beide Werte nicht identisch sein müßten. Uneinigkeit besteht jedoch darüber, wie weit sie auseinandergehen dürfen. Diejenigen, die auf diese Weise die Kosten der Kapitalerhöhung senken wollen, lassen es äußerstenfalls zu, daß die neuen Aktien an das Kreditinstitut zum Nennwert ausgegeben werden und das ganze Aufgeld erst bei der Weitergabe an die Altaktionäre bzw. beim Verkauf an bisher außenstehende Dritte eingezogen wird. Das hat zur Folge, daß als Voraussetzung * In der Rechtslehre bestritten, vgl. Roth, DNotZ 1989, 3 ff. 10 § 12 KWG. » §2 Abs. 1 Nr. 1 i. V.m. §22 Nr. 2, §27 KVStG; Einzelheiten dazu bei Wiedemann, WM 1979, 990, 991 f. 12 Wiedemann, WM 1979, 990 ff. mit ausführlicher Stellungnahme und Angabe der früheren Literatur.

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für die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister nur 1/4 des Nennbetrags der neuen Aktien einzuzahlen wäre, bei Durchführung der Kapitalerhöhung also das Aufgeld nicht zur Verfügung gestellt werden müßte. Diese Auffassung ist besonders eingehend von Wiedemann13 in seinem Aufsatz „Ausgabekurs und Bezugskurs beim mittelbaren Bezugsrecht" begründet worden. Ihm haben sich Happ und Lange im Formularkommentar Aktienrecht 14 und Krieger im Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts15 angeschlossen, die diese Meinung nun schon als herrschende bezeichnen. Lutter16 äußert sich im Kölner Kommentar wesentlich zurückhaltender, hat jedoch die Argumentation von Wiedemann noch nicht berücksichtigen können. Auch er geht davon aus, daß Ausgabekurs und Bezugskurs nicht gleich sein müssen. Der Bezugskurs darf aber nach seiner Meinung „nur insoweit über dem Ausgabekurs liegen, als damit - allein oder in Verbindung mit einer weiter vereinbarten Provision - eine echte Dienstleistung des Kreditinstituts angemessen abgegolten wird; ist das gesamte Entgelt zu groß, so liegt darin die Zuweisung von Vorteilen an das Kreditinstitut mit der Folge, daß die Regeln für das mittelbare Bezugsrecht nicht mehr gelten. Es handelt sich dann um einen - in dieser Form regelmäßig unzulässigen, weil nicht im Interesse der Gesellschaft liegenden - regulären Bezugsrechtsausschluß nach Abs. 3 u. 4." V. Es bleibt zu prüfen, ob der von Wiedemann und anderen gutgeheißene Weg oder die einschränkende Interpretation von Lutter dem Gesetz entsprechen oder ob vielleicht die ganze Unterscheidung zwischen Ausgabekurs und Bezugskurs fallengelassen werden muß. Die Rechtsauffassung der Registergerichte ist unterschiedlich. Ich kenne aus meiner Tätigkeit als Notar Gerichte, die der einen und solche, die der anderen Auffassung folgen. Rechtsprechung fehlt. Sie ist wohl auch so schnell nicht zu erwarten. In den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondere in den Verfahren vor dem Grundbuchamt und vor dem Registergericht, wo es um konstitutive Wirkung von Eintragungen geht, scheuen die Beteiligten erfahrungsgemäß den Streit. Gerade die hier besprochenen Fälle zeigen, daß schon Verzögerungen um wenige Tage zu erheblichen Aufwendungen führen können. Kann die

13 14 15 16

Siehe Fn. 12. Formularkommentar Aktienrecht, 22. Aufl. 1988, Anm.22 zu Form.11.02. Band 4 Aktienrecht 1988, § 5 6 Rdn.74. Anm.77 zu §186.

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Geschwindigkeit der Eintragung ins Register bei guter Vorbereitung und wohlwollender Zusammenarbeit noch einigermaßen gesteuert werden, so fehlt im Rechtsmittelverfahren in der Regel jeder solche Einfluß. Die Aufwendungen würden oft schon in wenigen Tagen die Vorteile einer für die Antragsteller günstigen Rechtsmittelentscheidung überwiegen und bald erheblich überschreiten. Diese Entscheidung kommt in solchen Fällen fast immer zu spät, so daß sich die Beteiligten in der Regel der Meinung des für sie zuständigen Registerrichters beugen. Eine Stellungnahme der Gerichte könnte wohl nur erreicht werden, wenn ein Musterverfahren mit kleinem Wert durchgeführt werden würde. Wiedemann setzt voraus, daß Ausgabekurs und Bezugskurs bei der Einräumung eines mittelbaren Bezugsrechts beliebig voneinander abweichen können. Er beruft sich auf die unterschiedliche Terminologie in §36 a Abs. 1, §182 Abs. 3 und in § 186 Abs. 5 und stellt, von den beiden unterschiedlichen Größen ausgehend, das Rechtsverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Kreditinstitut dem Rechtsverhältnis zwischen dem Kreditinstitut und dem bezugsberechtigten Aktionär gegenüber. Der Emissionsvertrag wird zwischen der Gesellschaft und dem Kreditinstitut geschlossen. Wiedemann weist darauf hin, daß schon durch diesen Vertrag die bezugsberechtigten Aktionäre über §328 BGB an der Emission beteiligt werden. Der Emissionsvertrag ist ein Vertrag zu Gunsten des Aktionärs. Er räumt ihm unmittelbar das Recht ein, die Leistung der neuen Aktien vom Kreditinstitut zu fordern unter der Voraussetzung, daß er sein Bezugsrecht form- und fristgerecht gegenüber dem Kreditinstitut ausübt, also selbst dann, wenn aus irgendeinem anderen Grund der Vertrag zwischen dem Aktionär und dem Kreditinstitut nicht zustande käme, z.B. das Angebot des Kreditinstituts gegenüber den Aktionären von Angestellten abgegeben wäre, die hierzu nicht ausreichend bevollmächtigt sind. Würde ein solcher Fehler innerhalb der Bezugsfristen nicht bemerkt, übt der Aktionär aber aufgrund eines solchen unzureichenden Angebots sein Bezugsrecht aus, so erwirbt er dennoch aus dem Emissionsvertrag den Anspruch gegen das Kreditinstitut auf Bezug der neuen Aktien. Rechtliches und wirtschaftliches Emissionsverhältnis können meines Erachtens nicht so scharf gegeneinander gestellt werden, wie das Wiedemann getan hat. Mit dem Emissionsvertrag wird der Aktionär von vornherein in die Emission eingebunden. Hier liegt aber meines Erachtens gar nicht die entscheidende Frage. Zweifelhaft bleibt nämlich, ob der Emissionsvertrag die Ausgabe der neuen Aktien an das Kreditinstitut zum Nennwert und ihre Weitergabe an den Aktionär zum Nennwert zuzüglich Agio oder an das Kreditinstitut zum Nennwert zuzüglich eines Agio, an den Aktionär aber zum Nennwert zuzüglich eines höheren Agio vorsehen kann. Vertraglich ist das konstruierbar. Ist es aber aktienrechtlich zulässig?

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Wiedemann stützt sich, wie schon ausgeführt, auf die unterschiedliche Terminologie des Gesetzes. Diese Formulierung des § 186 Abs. 5 stammt aus §171 Abs. 5 des Referentenentwurfes eines neuen Aktiengesetzes17 und ist von dort in § 174 Abs. 5 des Regierungsentwurfes 18 übernommen worden. Die Begründung des Regierungsentwurfes spricht vom Preis, den der Vorstand auch beim mittelbaren Bezugsrecht in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen habe und verweist auf die bisherige Übung 19 . Diese Ausführungen sind sehr wenig aussagekräftig. Sie können auch so gelesen werden, daß die Bekanntmachungen nach § 186 Abs. 5 und §186 Abs. 2 sich weitestgehend entsprechen sollen. Dann wäre das in Absatz 5 genannte Entgelt dem in Absatz 2 genannten Ausgabebetrag gleichzusetzen, obwohl der Gesetzgeber verschiedene Begriffe verwendet. Daß es auf die unterschiedliche Benennung so entscheidend nicht ankommen kann, beweist ein Blick auf § 150 Abs. 2 Nr. 2 des Aktiengesetzes in seiner alten Fassung, jetzt § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB 20 . Danach ist der Betrag, der bei der Ausgabe der Aktien . . . über den Nennbetrag der Aktien hinaus erzielt wird, als Kapitalrücklage auszuweisen. Die Gelder, die die Gesellschaft bei der Aktienausgabe als Aufgeld erhält, haben Eigenkapitalcharakter. Das gilt im Fall der Kapitalerhöhung im Wege des mittelbaren Bezugsrechts nicht nur für das Aufgeld, das das Kreditinstitut bezahlt, sondern unbestritten auch für das Agio, das das Kreditinstitut von den Aktionären mit dem Entgelt für die neuen Aktien im Sinn des § 186 Abs. 5 einfordert, wenn dieses Agio höher sein sollte als das, das vom Kreditinstitut schon im Zusammenhang mit der Durchführung der Kapitalerhöhung bezahlt wird, soweit es sich hier nicht um echte Provisionen für die Dienstleistungen handelt, die dieses Kreditinstitut im Zusammenhang mit der Emission der Gesellschaft erbringt. Die Formulierung in § 150 AktG a. F. ist älter als die in §186 Abs. 5. Sie ist schon in §130 Abs. 2 Nr. 2 AktG 1937 verwendet worden. Das beweist, daß das Gesetz das bei der Ausgabe von Aktien eingeforderte Aufgeld wenigstens seit 1937 mit unterschiedlichen Formulierungen anspricht. Aus diesen Abweichungen in der Formulierung kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf einen verschiedenen Sinngehalt geschlossen werden. Das gilt für die Auslegung der Gesetze von 1937 und 1965 gleichermaßen. Daß der Gesetzgeber bei der Formulie-

17 Referentenentwurf eines neuen Aktiengesetzes v. 7.10.1958, veröffentlicht vom Bundesverband der deutschen Industrie und der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Köln 1958. 18 Siehe oben Fn. 7. " Begr. zu §174 a.E. 20 Insoweit ohne sachliche Änderung vom Aktiengesetz ins Handelsgesetzbuch eingestellt durch das Bilanzrichtliniengesetz v. 19.12.1985, BGBl. I 2355.

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rung des § 186 Abs. 5 etwas anderes ansprechen wollte, als er damals in § 36 Abs. 2 ausgedrückt hat, ist der Gesetzgebungsgeschichte allein nicht zu entnehmen. Die hier angezogene Norm des §36 a Abs. 1 dient, wie §272 Abs. 2 Nr. 1 HGB zeigt, der Sicherung der Aufbringung des Eigenkapitals, also sowohl Interessen der Gesellschaft als auch Interessen ihrer Gläubiger und der Allgemeinheit, aus der bei den Publikumsaktiengesellschaften die Aktionäre kommen. Das Gesetz begnügt sich zunächst mit einer Teileinzahlung des Nennbetrags, macht jedoch mit Ausnahme der Versicherungsgesellschaften die weitere Kapitalbeschaffung davon abhängig, daß das ganze Grundkapital einbezahlt ist (§182 Abs. 4). Aufgelder müssen, wenn sie bei der Gründung oder bei der Kapitalerhöhung erhoben werden, sofort in voller Höhe einbezahlt werden. Das Gesetz mißt diesen Einzahlungen größte Bedeutung zu. Es macht die Entstehung der Gesellschaft (§37 Abs. 1) und die Wirksamkeit der Kapitalerhöhung (§ 188 Abs. 2, § 36 a Abs. 1, § 189) davon abhängig, daß die Einzahlungen geleistet worden sind. Das ist dem Registergericht bei der Anmeldung der Gesellschaft bzw. der Durchführung der Kapitalerhöhung nachzuweisen und vom Gericht zu prüfen. Sind die Einzahlungsnachweise nicht erbracht, kann das Registergericht dem Eintragungsantrag nicht stattgeben (§38). Die Gesellschaft kann also erst entstehen, die Kapitalerhöhung kann erst wirksam werden, wenn diese Zahlungen geleistet sind. Der Sicherung der Aufbringung des Eigenkapitals wird vom Aktiengesetz - nicht zuletzt wegen der schlechten Erfahrungen mit älteren, weniger rigiden Normen - eine sehr hohe Priorität eingeräumt. Das steht für das Grundmodell der Kapitalerhöhung gegen Einlagen außer Zweifel. Daß es bei der Kapitalerhöhung mit Einschaltung eines Kreditinstituts oder eines Konsortiums von Kreditinstituten anders sein sollte, erscheint kaum vorstellbar. Der anderen, jetzt vielfach schon als herrschend bezeichneten Auffassung liegen Gedanken der Kostenersparnis zugrunde. Das Kreditinstitut soll vor höheren Mindestreserven und Steuern, die Aktiengesellschaft vor höheren Geldbeschaffungskosten bewahrt werden. Einer der ehernen Grundsätze der Kautelarjurisprudenz sagt, daß bei einer Konkurrenz zwischen dem sichereren Weg und dem billigeren Weg stets dem sichereren Weg der Vorzug zu geben ist21. Kostengesichtspunkte können nur eine Rolle spielen, wenn

21 Zum sichersten Weg Rehbinder, Vertragsgestaltung, 1982, S.28 mit weiteren Nachweisen in Fn. 39, Haug, DNotZ 1972, 473 mit weiteren Nachweisen in Fn. 308; aus der Rechtsprechung RG, DNotZ 1933, 800; BGH 12.12.1957, VersR 1958, 124; 13.3.1958, VersR 1958, 329; 11.6.1959, BB 1959, 1079; 15.1.1962, DNotZ 1962, 263; 12.7.1968, MittBayNot 1968, 302; im Verhältnis zu Kostengesichtspunkten OLG Stuttgart v. 14.7.1980, BWNotZ 1981, 18; ähnlich OLG Zweibrücken v. 23.7.1980, Rpfleger

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sowohl ein billigerer Weg als auch ein aufwendigerer Weg begangen werden können, die sich unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht unterscheiden. Diese Regel beansprucht auch über die Vertragsgestaltung hinaus Geltung. Kostengesichtspunkte können die Auslegung des Gesetzes nicht beeinflussen, wenn die Rechtssicherheit darunter leiden würde. Nun wird natürlich vorgetragen, daß der Gesetzgeber das mittelbare Bezugsrecht nur dann dem Ausschluß des Bezugsrechts nicht gleichgestellt hat, wenn die neuen Aktien von einem Kreditinstitut übernommen werden, das vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen überwacht wird. Das mindert sicher das Risiko ganz erheblich. Es ist damit jedoch nicht jedes Risiko ausgeschlossen. In der Diskussion über die gesetzgeberische Gestaltung des mittelbaren Bezugsrechts hat Götz Hueck22 eingehend dargestellt, daß die ordnungsgemäße Durchführung des mittelbaren Aktienbezugs ganz entscheidend von der Sicherheit und Zuverlässigkeit des mit der Übernahme der Aktien betrauten Kreditinstituts abhängt, die zwar in aller Regel vorhanden sein wird, aber wie Erfahrungen vergangener Jahre zeigen, nicht immer vorhanden ist. Die Position der Altaktionäre ist im Fall der Einräumung eines nur mittelbaren Bezugsrechts im Vergleich zum unmittelbaren gesetzlichen Bezugsrecht schlechter. Ihre Sicherheit ist ungeachtet der großen Zuverlässigkeit der deutschen Kreditinstitute allein wegen der Einschaltung eines Dritten zwischen Gesellschaft und Aktionär gemindert, mag sich das auch bisher noch in keinem mir bekannten Fall ausgewirkt haben. Es geht hier nicht um die im Grunde unbestrittene Zuverlässigkeit der Kreditinstitute. Es geht um die Interpretation von Normen, die höchstmögliche Sicherheit anstreben und die deshalb aus Kostenüberlegungen nicht so ausgelegt werden dürfen, daß diese Sicherheit auch nur die geringste Einbuße erleiden kann. Ich halte es deshalb nicht für möglich, bei der Kapitalerhöhung nach §186 Abs. 5 dem Kreditinstitut, das die neuen Aktien übernimmt, einen anderen Kurs zu gewähren als den, zu dem die Aktionäre die Aktie vom Kreditinstitut übernehmen müssen und zu dem ihnen die Aktien zugeteilt worden wären, wenn die Gesellschaft ein unmittelbares Bezugsrecht eingeräumt hätte. Das schließt nicht aus, daß das Kreditinstitut seine Provisionen auf die Aktionäre umlegt. Dem Kreditinstitut steht für seine Dienstleistungen, die es im Zusammenhang mit der Ausgabe der neuen Aktien an die

1981, 34; vgl. auch Bengel in Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, Kostenordnung, 11. Aufl. 1987, Rdn. 48 zu §16; einschränkend Reithmann in Reithmann/Röll/Geßele, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, 5. Aufl. 1983, Rz. 35; ders. aber noch im hier dargestellten Sinn in DNotZ Sonderheft zum Deutschen Notartag 1965, S. 110. 22 Götz Hueck, Kapitalerhöhung und Aktienbezugsrecht, in Festschrift für Nipperdey 1965, Band I, S. 427, 436 ff.

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bezugsberechtigten Aktionäre und dem Verkauf der von diesen nicht in Anspruch genommenen Aktien auf dem Markt erbringt, ein Entgelt zu. Schuldner dieses Entgelts ist die Gesellschaft, die die Dienste des Kreditinstituts in Anspruch nimmt. Gesellschaft und Kreditinstitut können vereinbaren, daß das Kreditinstitut dieses Entgelt von denjenigen erheben soll, die die neuen Aktien erwerben. Das mag nach außen wie eine Erhöhung des Bezugskurses im Vergleich zum Ausgabekurs erscheinen, hat aber in Wirklichkeit mit dem Betrag, der bei Ausgabe der Aktien über den Nennbetrag hinaus erzielt wird und der Kapitalrücklage der Gesellschaft zuzuführen ist, nichts zu tun.

Die ,Politik des Gesetzes' im Recht der Konzernhaftung Plädoyer für einen sektoralen Konzerndurchgriff GUNTHER TEUBNER

I.

In der postautokranischen Phase des Konzernrechts scheint sich ein neuer Stil durchzusetzen: Durchgriff ist "out", gruppenspezifische Haftung ist "in" 1 . Konnte man vorher noch von einer gewissen Gleichwertigkeit von konzernspezifischer Haftung einerseits und Durchgriffshaftung andererseits ausgehen2, so hat sich die Lage inzwischen deutlich zuungunsten des Durchgriffs verschoben. Gesetzesnähe, tatbestandliche Präzisierung, konzerntypische Wertungen machen die konzernspezifische Haftung, die sich aus der gesetzlichen Regelung des Aktiengesetzes und dem richterrechtlichen Konzernrecht der GmbH und der Personengesellschaften unmittelbar herausentwickelt, der Diffusität, der generalklauselartigen Weite und der Ad hoc-Orientierung der Durchgriffshaftung offensichtlich so deutlich überlegen, daß die konzernspezifische Umorientierung der gesamten Haftung in diesem Bereich durchaus als realistische Alternative erscheint. In der Literatur werden diese Tendenzen ausdrücklich als Fortschritt verbucht: „Die Fortentwicklung des konzernrechtlichen Haftungssystems verdient den Vorzug vor einem Rückgriff auf die Durchgriffslehre, weil im kodifizierten oder judiziell entwickelten Bestand des Konzernrechts Wertungsgesichtspunkte spezifiziert sind, die der Rechtsfortbildung feste - oder doch festere Halterungen - geben" 3 .

1 So in der Tendenz B G H Z 9 5 , 330, 332 ff.; Rehbinder, Minderheiten- und Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern, A G 31 (1986), 85-99, 97; Assmann, Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern durch richterliche Rechtsfortbildung, J Z 19 (1986), 881-887, 928-938, 882 f.; Stimpel, Durchgriffshaftung bei der GmbH: Tatbestände, Verlustausgleich, Ausfallhaftung, in: Festschrift für Reinhard Goerdeler, 1987, 601-621, 613; Konzen, Arbeitsverhältnisse im Konzern, Z H R 1 5 1 (1987), 566-607, 570 spricht von einer „Wertentscheidung gegen die Durchgriffshaftung". 2 Vgl. die Systematik der Konzernhaftung bei Lutter, Die zivilrechtliche Haftung in der Unternehmensgruppe, Z G R 1 1 (1982), 245-275, 248 ff. 3 Rehbinder, (Fn. 1) 97; ähnlich K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, §91 V 3 b .

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Gunther Teubner

Wegen ihrer allgemein angenommenen Subsidiarität wird die Durchgriffshaftung mehr und mehr ins Hintertreffen geraten, je dichter die konzernspezifische Haftung ausgebaut wird4. Das Autokran-Urteil selbst äußert sich recht skeptisch gegenüber allgemeinen Durchgriffserwägungen, lehnt sie im Falle rücksichtsloser Mißachtung der Gläubigerinteressen ab und scheint sie auf Fälle der Vermögensvermischung beschränken zu wollen5. Und aus berufenem Munde kam auch schon der Vorschlag, die Durchgriffshaftung noch drastischer einzuschränken und sie nur noch dann anzuerkennen, wenn ein Vorstoß gegen die Vorschriften der Kapitalsicherung vorliegt6. Können diese Tendenzen jedoch vor der „Politik des Gesetzes" Bestand haben7? Gehen sie nicht implizit von einem Vorrang konzernrechtlicher Wertungen vor den spezifischen Wertungen der einschlägigen Haftungsnormen aus, ja blenden sie diese nicht sogar aus? Erlaubt die konzernspezifische Haftung ausreichende Differenzierungen nach Gläubigergruppen, Risikotypen und systematischen Wertungszusammenhängen der jeweiligen Norm? Ist nicht im Gegenteil die Konzernspezifität ein gravierender Nachteil, den man vermeiden muß, wenn es darum geht, die Konzerndimensionalität von Zurechnungs- und Haftungstatbeständen adäquat zu dem jeweiligen Wertungs- und Systemkontext der Haftungsnorm und das hieße eben, kontextrelativ und teilbereichsspezifisch, auszugestalten ? Steindorff hatte, als er erstmals 1973 die „Politik des Gesetzes" gegenüber der traditionellen teleologischen Auslegung profilierte8, eine 4 Zur Konkurrenz der Ansprüche aus Konzernhaftung und Durchgriffshaftung vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, 1969, 121 f., 197ff.; ders., Zehn Jahre Rechtsprechung zum Durchgriff im Gesellschaftsrecht, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, 581 ff.; ders., (Fn. 1) 97; K. Müller, Die Haftung der Muttergesellschaft für die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft im Aktienrecht, Z G R 6 (1977), 2-34, 26 ff; Lutter, (Fn. 2) 271 f.; ders., Die Haftung des herrschenden Unternehmens im GmbH-Konzern, ZIP 13 (1985), 1425-1435, 1426, 1432; Kubier, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1985, 316f.; K.Schmidt, Zum Haftungsdurchgriff wegen Sphärenvermischung und zur Haftungsverfassung im GmbH-Konzern, BB1985, 2074-2079, 2075 f.; ders., (Fn.3) § 9 I V 3 b; Lehmann, Das Privileg der beschränkten Haftung und der Durchgriff im Gesellschafts- und Konzernrecht, Z G R 1 5 (1986), 345-370, 364; KK-Koppensteiner, §317 AktG, 43 ff. 5 B G H Z 9 5 , 330, 333 f. - Autokran. Im Tiefbauurteil - B G H ZIP 1989, 440 - ist die Durchgriffsproblematik nicht angesprochen. 6 Stimpel, (Fn. 1) 613 ff.; kritisch dagegen Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht 1988, 36 f. 7 Steindorff, Politik des Gesetzes als Auslegungsmaßstab im Wirtschaftsrecht, in: 1. Festschrift für Karl Larenz, 1973, 217-244. 8 Steindorff, (Fn. 7) 217-244; ders., Wirtschaftsordnung und -Steuerung durch Privatrecht, in: Festschrift für Ludwig Raiser, 1974, 622-643; ders., Legal Consequences of State Regulation, 17 International Encyclopedia of Comparative Law, 1979, Ch. 11.

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durchaus vergleichbare Problemkonstellation vor Augen. Im Teerfarbenfall 9 kollidierten nach seiner Interpretation privatrechtliche „Sinnoder Strukturbegriffe" (konkret: der klassische Vertragsbegriff) mit der „qualitativen Besonderheit wirtschaftsrechtlicher Normen" (konkret: § 1 GWB). Steindorff sprach sich in solchen Konstellationen klar für einen Vorrang der „Politik des Gesetzes" aus: „Rechtliche Konstruktionen und ausgeformte Tatbestände treten in ihrer Bedeutung gegenüber der Politik eines Gesetzes zurück" 10 . Am Beispiel des Vertragsbegriffes in § 1 GWB, dessen Interpretation nicht „auf ausgefeilte oder auszufeilende, auf Erfahrungen aus der Vergangenheit beruhende Tatbestände, sondern auf das Ziel der Gesetzgebung" auszurichten sei, plädiert Steindorff für eine teilbereichsspezifische Relativität der Rechtsbegriffe, nämlich dafür, „gesetzliche Tatbestände unabhängig von dem Verständnis zu interpretieren, das sie in anderem Zusammenhang erfahren, und . . . solche Interpretation entsprechend dem Wandel der Sachverhalte zu ändern. Maßgeblich hierfür ist die Politik des Gesetzes" 11 . Mit der „Politik des Gesetzes" zielte Steindorff auf eine neue Methode der Rechtsanwendung, die auf einen säkularen Wandel der Rechtsfunktion reagiert: auf die Umstellung des Rechts von Erwartungssicherung auf Verhaltenssteuerung 12 . Genau auf diese Umstellung bezieht sich die Unterscheidung der „Politik des Gesetzes" von der teleologischen Interpretation 13 . Es geht nicht mehr nur darum, sich über Zweckerwägungen des Sinns einer N o r m zu vergewissern, sondern darum, eine „strukturelle Kopplung" des Rechts mit der regulatorischen Politik einerseits, mit den Besonderheiten des Regulierungsfeldes andererseits rechtsintern anzustreben 14 . Gegenüber einer solchen Deutung von Steindorffs » BGHSt 24, 45. 10 Steindorff\ (Fn. 7) 223, 230, 232. 11 Steindorff, (Fn. 7) 230f.; vgl. auch Mertens/Kirchner/Schanze, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1982, 169ff.; Rehbinder, (Fn.4) 1979, 581; Kühler, (Fn.4). 12 Steindorff, (Fn. 8) 1974: 624: „Streitschlichtungsfunktion" versus „Steuerungsfunktion". Zur Diskussion dieser Umstellung und ihrer Folgen für das moderne Recht vgl. Luhmann, Die Funktion des Rechts, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts, 1981, 35-52, 73 ff.; Willke, Entzauberung des Staates, 1983; die Beiträge in Teubner, Dilemmas of Law in the Welfare State, 1985; ders., Juridification of Social Spheres, 1987; Voigt, Recht als Instrument der Politik, 1986; Grimm/Maihof er (eds.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, 1988. 13 Was in der anschließenden Diskussion oft nicht ausreichend verstanden wurde, ζ. B. Futter, Auf der Suche nach der Politik des Gesetzes, in: Festschrift für Josef Esser, 1975, 37-54. 14 Dazu eingehend Teubner, Verrechtlichung - Begriffe, Merkmale, Grenzen, Auswege, in: F. Kübler (ed.), Verrechtlichung, 1984, 308 ff., 317 ff.; ders. Recht als autopoietisches System, 1989, 96 ff.; Willke, (Fn. 12) 1983; in Richtung auf eine Konkretisierung besonders hilfreich Kaufmann, Steuerung wohlfahrtsstaatlicher Abläufe durch Recht, in: Grimm/Maihofer (eds.), (Fn. 12) 71 ff.

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ursprünglicher Intention haben die achtziger Jahre mit ihren Schüben an „Verrechtlichung", „Deregulierung" und „Reregulierung" nur Nuancierungen und Verfeinerungen, nicht aber fundamentale Neuorientierungen gebracht. Gewiß wird man heute gegenüber dem bei Steindorff spürbaren Steuerungsoptimismus auf die Grenzen der Steuerung durch Recht verweisen, gegenüber der politischen Instrumentalisierung des Rechts auf die relative Autonomie von Recht, Politik und Regulierungsfeld, gegenüber unmittelbarer Zielorientierung und Folgenberücksichtigung auf eher indirekte, kontextuelle, reflexive Steuerungsformen des Rechts. Aber die Aufgabe bleibt gestellt, Rechtsentscheidungen mit der „Politik des Gesetzes" abzustimmen - in heutiger Formulierung: über politische und rechtliche Selbststeuerungsprogramme Bedingungen zu schaffen, die in die Selbststeuerung der Wirtschaft so eingreifen, daß sie die Richtungen und die Bedingungen der wirtschaftlichen Selbststeuerungsprogramme „treffen" können15. Die Konfliktlage im Konzernhaftungsrecht ist durchaus mit der kartellrechtlichen Konfliktlage, an der sich Steindorff orientierte, zu vergleichen. War es dort der klassische Begriff des Vertrages, der mit der Politik des Wettbewerbsgesetzes kollidierte, so treffen hier die gesellschaftsrechtlichen Begriffsbildungen auf diverse rechtspolitische Zwecke des Haftungsrechts. Also auch hier der heute geläufige Konflikt eines formalen Vertrags- und Organisationsrechts mit materialen Gehalten politischer Rechtssetzung16? - Nicht ganz. Denn so formal ist das Konzernorganisationsrecht wiederum nicht. In einem doppelten Sinne ist Konzernorganisationsrecht selbst politisches Steuerungsrecht. Indem es die Wahl von Verflechtungsformen an rechtliche Bedingungen knüpft, wirkt es auf die Kosten-Nutzen-Kalküle der wirtschaftlichen Akteure ein, steuert es selbst indirekt die Konzernstrategien, die über Rechtsform, Organisation und Zentralisierungsgrad entscheiden. Zugleich definiert das Konzernrecht die Grenzen von Markt und Organisation und (ko-)produziert damit neue Steuerungsobjekte, an die externe Regulierungen überhaupt erst anknüpfen können. Dies nötigt dazu, unsere Fragestellung in einen Policy-Konflikt umzuformulieren: Nicht mehr formales Organisationsrecht versus politisches Interventionsrecht, sondern Konzernrechtspolitik versus Haftungsrechtspolitik. Im folgenden sollen hierzu zwei Thesen entwickelt werden: (1) Die Regeln der konzernspezifischen Haftung sind der „Konzernrechtspolitik" derart verpflichtet, daß sie den unterschiedlichen Regulierungspolitiken von Haftungsnormen nicht ausreichend ge15 Luhmann, Grenzen der Steuerung, in: den., Die Wirtschaft der Gesellschaft, 1988, 324-349, 345 ff.; Kaufmann, (Fn. 14) 85 ff.; Teubner, (Fn. 14) 1989, 81 ff. 16 Pointiert bei Kühler, (Fn.4) 17ff„ 315ff.; Steindorff, (Fn. 7) 229ff.; ders., (Fn.8) 1974, 642.

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recht werden können. (2) Die traditionelle Durchgriffshaftung, die dieses Defizit korrigieren könnte, wiederum leidet - auch in ihrer Fassung gemäß der Normzwecklehre - an ihrer konzernunspezifischen Ausgestaltung, so daß nur eine ausgearbeitete Dogmatik des „Durchgriffs auf den Konzernverbund" der Politik des Gesetzes zum Durchbruch verhelfen kann. II. Die wohl gravierendste Diskrepanz von „Konzernrechtspolitik" und „Haftungsrechtspolitik" dürfte darin bestehen, daß beide die konzernspezifischen Gefahren, denen man mit Mitteln des Rechts gegensteuern will, völlig unterschiedlich wahrnehmen. Beide erfahren zwar gemeinsam die durch die Konzernierung veranlaßte Grenzverwischung zwischen Organisation und Markt, aber sie nehmen daran gänzlich unterschiedliche Probleme wahr, entsprechend verschieden definieren sie das Konzernphänomen und wählen konsequenterweise auch verschiedene dogmatische Konstruktionen. O b es sich um Haftungsnormen des Deliktrechts oder um Umweltrecht, Qualitätsrecht, Sicherheitsrecht handelt, stets geht es im Haftungsrecht um mehr als bloßen Schadensausgleich17. „Das Haftungsrecht hat eine über den Einzelfall hinausweisende Steuerungsfunktion" 18 . Regelmäßig ist das Ziel eine indirekte Verhaltenssteuerung durch Beeinflussung des KostenNutzen-Kalküls der Unternehmungen. Haftüngsrecht sucht auf indirekte Weise bestimmte gesellschaftliche Wirkungen zu erreichen (etwa: geringere Umweltbelastung, höhere Produktsicherheit), indem es auf die Kostenkalkulation der Unternehmen durch Erhöhung der Kosten bestimmter Verhaltensweisen (etwa: Emissionen, Organisation des Produktionsablaufes) einwirkt19. Dazu muß es in der Lage sein, das wirtschaftliche Selbststeuerungszentrum und sein Steuerungsprogamm „treffen" zu können, dessen Kosten-Nutzen-Erwägungen sich auf die fragliche Verhaltensweise und den gewünschten Erfolg auswirken20. 17 MK-Mertens, vor §823, 41 ff.; Soergel/Mertens, vor §249, 26 ff., so auch, wenngleich in geziemender Zurückhaltung und unter Bevorzugung des Ausgleichsgedankens Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, 421 ff., 423; Esser/Weyers, Schuldrecht II, 6. Aufl. 1984, §53, 4. 18 MK-Mertens, vor § 823, 46; vgl. auch Steindorff, Repräsentanten- und Gehilfenversagen und Qualitätsregelungen in der Industrie, AcP 170 (1970), 93-132, 109 ff. 19 Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, 1985, 88 ff.; Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 47ff.; ders., Produkthaftung und Produktsicherheit, ZHR152 (1988), 511-536, 512ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 1986, 85ff.; Bebrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, 174 ff. 20 Luhmann, (Fn. 15) 346 ff. Zum Zusammenhang von Konzernrecht und Ressourcenallokation vgl. Kirchner, Ansätze zu einer ökonomischen Analyse des Konzernrechts, JhrbNPÖ 3 (1984) 228, 231.

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Haftungsrechtlich besteht nun das Steuerungsproblem der Konzerne darin, daß gerade durch die Unternehmensverbindungen diese Kombination von wirtschaftlichen und politisch-rechtlichen Steuerungsmechanismen teilweise außer Kraft gesetzt wird. Politisch-rechtliches Steuerungsobjekt und wirtschaftliches Selbststeuerungszentrum driften auseinander, da nun die Konzernspitze oder der arbeitsteilige Verbund die wirtschaftliche Steuerung übernimmt21. Wegen der durch die Konzernierung geschaffenen „Risikointerdependenzen", wie es Ökonomen ausdrücken, „büßen die Einzelerfolge verbundener Unternehmen ihre Eignung als marktwirtschaftliche Steuerungsgrößen zum Teil ein" 22 . Durch die Konzernierung verliert die Einzelunternehmung ihren Charakter als Zurechnungszentrum für Kosten-Nutzen-Kalküle, Profitsteuerung und Transaktionskostenüberlegungen. Dennoch bleibt sie das Zurechnungszentrum für rechtliche Verhaltenspflichten wie für rechtliche Haftung. Weder ökonomische Anreize noch politisch-rechtliche Regulierungen können mehr klare Grenzen zwischen Markt und Organisation voraussetzen, in denen rechtsförmig verfaßte und personifizierte Organisationen als sozusagen vorgefertigte Empfänger für Steuerungssignale dienen. Stattdessen treffen die Steuerungssignale auf „Vernetzungen", auf eine diffuse, situativ wechselnde Empfangslage, die eine eindeutige Identifizierung des Steuerungsobjektes nicht mehr erlaubt, sondern Konzerngliedunternehmen, Konzernspitze, den Gesamtkonzern oder einen funktionalen Teilbereich zur Auswahl stellt. Entsprechend besteht das Problem für eine haftungsrechtliche Regulierung darin, in Situationen der Unternehmensverflechtung das „strategische Zentrum" überhaupt ausfindig zu machen oder es gar erst zu konstitutieren23. Die Schwierigkeiten sind also nicht so sehr dadurch bestimmt, daß das einzelne Konzerngliedunternehmen durch die Konzernierung „fremd-

21 Vgl. die historischen Untersuchungen zur Entwicklung der Konzerne und ihrer Beziehung zur Politik von Sapelli, Towards a Historical Typology of Group Enterprises, in: D. Sugarman/G. Teubner (eds.), Regulating Corporate Groups in Europe (im Erscheinen). 22 Ordelheide, Konzern und Konzernerfolg, 15 Wirtschaftswissenschaftliches Studium 1986, 495. Uber Erfahrungen bei Unternehmenszusammenbrüchen schreibt Ordelheide, 496: „In vielen Fällen, ζ. B. beim Wienerwaldkonzern, bei Esch-SMH oder jüngst bei DAL und Neue Heimat, wird berichtet, daß durch Ausnützen von Unternehmensverbindungen marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismen außer Kraft gesetzt wurden, wobei das Ausmaß der wirtschaftlichen Schäden noch dadurch erhöht wurde, daß die tatsächliche wirtschaftliche Situation von außen, ja selbst von den betroffenen Unternehmensleitungen aufgrund unzureichender Information nicht frühzeitig genug erkannt wurde." 23 Vgl. genauer Teubner, Unitas Multiplex: Konzernverfassung als Beispiel, in: ders., (Fn. 14) 1989, 149 ff., mit Nachweisen aus ökonomischer und soziologischer Literatur.

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bestimmt" ist und dadurch vorausgesetzte Steuerungsmotive verzerrt werden bzw. die Steuerungsimpulse ins Leere gehen. Die gravierende Problematik besteht darin, daß Steuerung jetzt mit arbeitsteiligen Verbünden und lose geknüpften Netzen anstelle klar profilierter korporativer Akteure rechnen muß. Die Besonderheit dieser Verbünde besteht zudem darin, daß sie meist nicht kompakt, sondern funktional spezifisch, daß sie oft nicht permanent, sondern nur ad hoc und von kurzer Dauer aufgebaut werden24. Entsprechend dringend braucht das traditionelle Unternehmenshaftungsrecht, wenn es seiner Steuerungsaufgabe in Bezug auf diese neuartigen Verbünde und transitorischen Netzwerke gerecht werden soll, ein ausreichend raffiniertes begriffliches Instrumentarium. Die traditionelle Durchgriffslehre mit ihren konspirativen Vorstellungen vom „Hintermann" kann dies sicher nicht liefern. Es liegt daher nahe, im Dienste des Unternehmenshaftungsrecht auf die ausgefeilte Dogmatik des eigentlichen Konzernrechts zurückzugreifen. Doch die Enttäuschung ist herb. Denn die in der Tat besonders in Deutschland hochentwickelte Konzernrechtsdogmatik hat ihr begriffliches Raffinement in eine ganz andere Richtung getrieben. Sie nimmt konzernspezifische Gefahren gerade dort wahr, wo sie für die haftungsrechtliche Steuerung am wenigsten wichtig sind: in der Gefährdung der Selbständigkeit der „abhängigen" Gesellschaft durch die Konzernspitze25. Vornehmlich auf diese Gefährdungslage sind die Instrumente des Konzernrechts ausgerichtet - und dies gilt auch für die interne Haftungsverfassung des Konzerns und damit zwangsläufig auch für den nur als deren Reflex konzipierten konzernrechtsspezifischen Gläubigerschutz26. Wenn die „Konzernrechtspolitik" aber nur darin besteht, der abhängigen Gesellschaft im Interesse außenstehender Gesellschafter und der Gläubiger ein Minimum an Autonomie zu garantieren oder im Falle der Beeinträchtigung für finanziellen Ausgleich zu sorgen, dann ist damit der „Haftungsrechtspolitik" wenig gedient. Denn deren Ziel ist es, das organisatorische Zentrum ökonomischer Selbststeuerung zu identifizieren, das mit politisch-rechtlichen Steuerungsimpulsen beeinflußt werden soll. Wäre die ursprüngliche vergleichsweise radikale Konzernrechtspolitik von 1965 erfolgreich gewesen, dann hätte man von einer gewissen Dazu Teubner, (Fn.9) 1989, 168 ff. Dazu etwa Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, 33 ff.; Rebbinder, (Fn. 1) 87; KK-Koppensteiner, vor §291 AktG, 5 ff. 26 Ulmer, Der Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern bei Fehlen von Minderheitsgesellschaftern, ZHR148 (1984), 391-427. Das Fehlen von Minderheitsgesellschaftern, auf deren Existenz der Reflex des Gläubigerschutzes angewiesen zu sein scheint, ist nur eines der sich daraus ergebenden Probleme, das sich aber inzwischen durch Autokran „erledigt" hat. Vgl. auch ders., Der Gläubigerschutz im GmbH-Konzern, WPg 39 (1986), 690; Staub/Ulmer, Anh. § 105, 79; Assmann, (Fn. 1) 882, 929; Rehbinder (Fn. 1). 24

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Koinzidenz von Konzernorganisation und Haftung durchaus sprechen können27. Mit einem sanktionsbewehrten Verbot der hybriden Form des faktischen Konzerns hatte man die Unternehmen zur klaren Trennung von Markt und Organisation zwingen wollen: entweder reale Marktautonomie der abhängigen Unternehmen oder deren Aufgehen in der Organisationseinheit des Vertrags- bzw. Eingliederungskonzerns. In beiden Fällen wäre ein einheitlicher korporativer Akteur als Steuerungsobjekt vorhanden gewesen, die Einzelunternehmung oder der Konzern. Aber schon der Gesetzgebungskompromiß verwässerte diese klare, wenn auch in ihren ökonomischen Durchsetzungschancen - siehe nichtrechtsfähiger Verein! - wenig aussichtsreiche politische Konzeption. Und selbst die abgeschwächte Form des Nachteilsausgleichs nach §§311 ff. AktG stieß in der Anwendungspraxis auf solche Schwierigkeiten, daß sie heute allgemein als Mißgriff gilt28. Heute ist die konzernpolitische Front deutlich zurückgenommen. Die juristische Abwehrschlacht wird nicht mehr gegen den faktischen Konzern geschlagen, sei es über dessen Illegalisierung, sei es über seine haftungsrechtlich motivierte Abdrängung in den Vertragskonzern. Vielmehr hat sich faktisch der faktische Konzern gegenüber dem Vertragskonzern auf ganzer Linie durchgesetzt29. Heute ist nur noch der qualifizierte Konzern, also ein extrem zentralisierter faktischer Konzern, im Visier. Für den Fall des qualifizierten Konzerns - und natürlich für den Vertrags- und Eingliederungskonzern - kann man entsprechend auch heute von einer gewissen Ubereinstimmung konzernrechtlicher und haftungsrechtlicher policies ausgehen. Konzernorganisatorisch steht das herrschende Unternehmen vor der Wahl, entweder auf die qualifizierte „Konzernherrschaft zu verzichten oder die Verlustrisiken der Tochter bis zur Beendigung der qualifizierten Konzernherrschaft zu tragen oder die Tochter zu liquidieren" 30 . In der Realität wird dies einen gewissen Steuerungsdruck in Richtung dezentralisierter Konzerne bewirken31, ein Ergebnis, das von Ökonomen und Wirtschaftshistorikern wegen der beobachteten Effizienzgewinne dezentralisierter Unternehmensgruppen

27 Dazu Balz, Einheit und Vielheit im Konzern, in: Festschrift für Ludwig Raiser, 1974, 287-338, 301 ff. 28 Vgl. Kropff, in: Geßler/Hefermehl, AktG, vor §§311, 11, 13ff.; K.K-Koppensteiner, vor §291 AktG, 57ff.; Sura, Fremdeinfluß und Abhängigkeit im Aktienrecht, 1980, 58 ff.; Wiedemann, (Fn.6) 22, 36f.; Ulmer, (Fn.26) 392; Assmann, (Fn.l), 882. Etwas aufgeschlossener, speziell in Bezug auf §312 AktG Lutter, in: Druey (ed.), Das St. Gallener Konzernrechtsgespräch, 1988, 139; Hommelhoff, Zum revidierten Vorschlag für eine EGKonzernrichtlinie, Z G R 1988, 125-150, 135. 29 Vgl. nur Wiedemann, (Fn.6) 28ff.; KK-Koppensteiner, vor §291 AktG, 13. » K. Schmidt, (Fn.4) 1985: 2078. 31 Lutter, (Fn.4) 1435.

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begrüßt werden dürfte32. Haftungspolitisch hat dies zugleich die positive Konsequenz, daß im Falle zentralistisch geführter Konzerne die Steuerungswirkungen des Haftungsrechts tatsächlich den Entscheidungsverbund „treffen" und als Verantwortungs- und Haftungsverbund finanziell verantwortlich machen - wenn auch nur indirekt, reflexartig und in den spezifischen Haftungsformen des Konzernrechts. Insofern bedeutet Autokran einen unbestreitbaren Fortschritt im Konzernhaftungsrecht und insofern ist auch die Ablösung der diffusen Durchgriffsgrundsätze durch konzernspezifische Haftungsregeln positiv zu bewerten. Das anscheinend so klare Bild trübt sich aber schon im Bereich des qualifizierten Konzerns. Die Abschwächung der harten Konzernzustandshaftung, zugunsten einer weicheren Konzernleitungshaftung 33 im Autokran-Urteil und zugunsten des Ausschlusses einer Zufallshaftung im Tiefbau-Urteil sind nicht nur konzernrechtlich bedenklich34, sondern insbesondere aus der Perspektive der Außenhaftung der Konzerne zu beanstanden. Der merkwürdige Kompromiß des B G H zwischen dem „reinen Treupflichtkonzept und der strengen Gefährdungshaftung" 35 ist nicht nur dogmatisch eine hybride Konstruktion, sondern auch rechtspolitisch verfehlt. Denn er erlaubt der Konzernspitze, sich mit dem Argument „ordnungsgemäßer Konzernleitung" oder wenigstens dem Argument der „Nicht-Ursächlichkeit der Konzernleitung für die Verluste" der Außenhaftung sogar im hochzentralisierten Konzern zu entziehen. Den schon geäußerten spezifisch konzernrechtlichen Einwänden soll hier ein haftungsrechtlicher Einwand hinzugefügt werden: Die Außenhaftung des Konzerns wird dadurch von internen Verhältnissen

Chandler, Strategy and Structure, 1966; der s., The Visible Hand, 1977; Williamson, The Modern Corporation: Origin, Evolution, Attributes, Journal of Economic Literature 19 (1981), 1537-1568; Jacquemin, Sélection et pouvoir dans la nouvelle économie industrielle, 1985. 33 Diese wird vertreten von Lutter, (Fn. 2) 267; ders., (Fn. 4) 1429, 1432; Fischer/ Lutter/Hommelhoff, G m b H G , 12. Aufl. 1987, Anh. §13, 18; ähnlich Rehbinder, ( F n . l ) 96. 34 B G H Z 9 5 , 330, 344 - Autokran; kritisch K.Schmidt, (Fn.4) 2078; Ehlke, Konzerninduzierter Haftungsdurchgriff auf die GmbH-Gesellschafter? Der Betrieb, 1986, 523-527, 526; Ulmer, Verlustübernahmepflicht des herrschenden Unternehmens als konzernspezifischer Kapitalerhaltungsschutz, A G 3 1 (1986), 123-130, 126ff.; ders., Gläubigerschutz im „qualifizierten" faktischen GmbH-Konzern, NJW1986, 1579-1586, 1583 ff.; Assmann, ( F n . l ) 932ff. Neuerdings relativierend, aber immer noch in der falschen Richtung das Tiefbauurteil B G H ZIP 1989, 440, das nicht mehr auf Ordnungsmäßigkeit der Konzernleitung abstellt, sondern auf deren Ursächlichkeit für den eingetretenen Verlust. Zur Kritik vgl. K. Schmidt, Verlustausgleichspflicht und Konzernleitungshaftung im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern, ZIP 10 (1989), 545-551, 550 f. 32

35 Stimpel, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Innenhaftung des herrschenden Unternehmens im GmbH-Konzern, A G 3 1 (1986), 117-123, 123.

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im Konzern abhängig gemacht, die vom Normzweck der Haftungsregeln her gesehen durchaus irrelevant sind. Wenn man den Einwand der „ordnungsgemäßen Konzernleitung" oder den der „Nichtursächlichkeit" durchgreifen läßt, wird man dann - unter der Voraussetzung, daß der Normzweck der einschlägigen Haftungsnorm es fordert - insoweit eine Außenhaftung unter anderweitig begründeten Durchgriffserwägungen zulassen müssen. Jedoch: Die langfristig problematischen Folgen von Autokran sofern die Praxis dem Vorrang von konzernspezifischer Haftung vor der Durchgriffshaftung folgt - liegen erst im Bereich einfacher faktischer Konzerne. Der heimliche Effekt von Autokran ist die haftungsmäßige Privilegierung „normaler" Konzerne. Das beherrschende haftungsauslösende Kriterium ist die extreme Zentralisierung, wie sie im qualifizierten Konzern vorliegt. Unterhalb dieser Zentralisierungsschwelle bricht der Konflikt zwischen Konzernrechtsprinzipien und Haftungsrechtsprinzipien nun in aller Schärfe auf. Denn hier wird in der Tat die Außenhaftung des Konzerns von dem für eine Haftungspolitik ziemlich irrelevantem Kriterium abhängig gemacht, ob im Einzelfall die Konzernspitze eine der Tochter nachteilige Maßnahme getroffen hat oder interne gesellschaftsrechtliche Treupflichten verletzt hat. Im Aktienrecht wird die Konzernhaftung von dem Vorliegen der Voraussetzungen der §§311, 317, 318 AktG abhängig gemacht. Folgt man der „Wertentscheidung gegen die Durchgriffshaftung"36, dann tritt eine „konzerndimensionale" Haftung erst dann ein, wenn eine nachteilige Maßnahme der herrschenden Gesellschaft nicht ausgeglichen ist und sämtliche anderen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Für das Arbeitsrecht etwa hat sich Konzen klar dafür ausgesprochen, die allgemeinen vermögensrechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Konzern auf diese „Vorgaben des Konzernrechts" zu beschränken37. In der Sache bedeutet dies ein Leerlaufen konzerndimensionaler Außenhaftung. Denn die Arbeitnehmer und sonstigen Gläubiger werden damit auf eine Haftungsregelung verwiesen, deren praktische Unwirksamkeit wie schon gesagt - unter Konzernrechtlern konsentiert ist38. Hinzukommt das hier betonte Auseinanderfallen der Regelungszwecke des Konzernrechts und der des Haftungsrechtes. Die Konzerndimensionali tät eines Haftungsanspruches wird nicht etwa, wie es sachgerecht wäre, davon abhängig gemacht, ob es dem Zweck der Haftungsnorm entspricht, nur das Einzelunternehmen oder auch die Konzernspitze, den

36 37 38

Konzen, (Fn. 1) 570. Konzen, (Fn. 1) 572, 582. Vgl. die Nachweise unter Fn. 28.

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Geamtkonzern oder einzelne Konzernteile in den Haftungsverbund einzubeziehen. Vielmehr kommt es auf den „Zufall" an, ob die Konzernspitze dem Tochterunternehmen ausgleichspflichtige Nachteile zugefügt hat. Wenn man sich dies vor Augen hält, kann man dann noch ernsthaft behaupten, es bedürfe „bei Vermögensansprüchen grundsätzlich keines speziellen Arbeitnehmerschutzes vor Konzernrisiken"39? Im GmbH-Recht sieht es nicht viel besser aus. Im faktischen GmbHKonzern wird konzerndimensional nur dann gehaftet, wenn eine Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht vorliegt, die über die analoge Anwendung der §§317 Abs. 4, 318 Abs. 4, 309 Abs. 4 AktG auch von externen Gläubigern geltend gemacht werden kann40. Auch hier die Merkwürdigkeit, daß man externe Haftung von Gesellschaftsinterna abhängig macht. Auch hier das Auseinanderfallen der Regelungszwecke von Konzernorganisation und Konzernhaftung. Wenn man also den neueren Tendenzen der Reduktion des Durchgriffs folgt, dann braucht die Konzernspitze im praktisch wichtigsten Fall des faktischen Konzerns nach den Regeln konzernspezifischer Haftung de facto keine Haftungsfolgen zu befürchten, auch wenn sie im Einzelfall das ökonomische Entscheidungs- und Zurechnungszentrum gewesen ist. Resultat ist zwar eine relativ hohe Kalkulationssicherheit der Konzernstrategie. Man kann sich auf die Haftungsfreiheit verlassen, wenn man den Konzern im Prinzip nur genügend dezentral organisiert. Aber für das Unternehmenshaftungsrecht wäre eine ziemlich unerträgliche Situation geschaffen. Der Grund dafür ist der nur indirekte, reflexartige Gläubigerschutz in der Haftungsverfassung des Konzerns. Während in den Fällen des Vertrags- und Eingliederungskonzerns und des qualifizierten faktischen Konzerns der Reflex zu einer durchaus sinnvollen Konvergenz von Konzernorganisation und Konzernhaftung führt, geht im faktischen Konzern der Reflex ins Leere. III.

So richtig es also ist, im Gegensatz zur konturenlosen Durchgriffshaftung eine konzernspezifische Ausgestaltung der Haftung zu fordern, so unsinnig ist es, die Konzernhaftung an die spezifischen Wertungen des Konzernorganisationsrechts zu binden. Wenn Haftungsnormen ihren gesetzlichen Steuerungszweck erfüllen sollen, so müssen sie das wirtschaftliche Selbststeuerungszentrum „treffen" können, was bei konzernierten Unternehmen entweder die Einzelgesellschaft oder die Konzernspitze oder der Verbund selbst oder ein Teilverbund sein kann. Ihnen ist n Konzen, (Fn. 1) 572. *> Vgl. nur BGHZ95, 330, 340.

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nicht mit dem reflexartigen Gläubigerschutz des Konzernrechts gedient, der nur dann eintritt, wenn im Innenverhältnis des Konzerns nachteilige Maßnahmen kompensiert bzw. gesellschaftsrechtliche Treupflichtverletzungen sanktioniert werden sollen. Die notwendige Spezialität der Konzernhaftung kann nach allem nur dadurch erreicht werden, daß sie sich von den idiosynkratischen Wertungen des Konzernorganisationsrechts freimacht und eine eigenständige Dogmatik des Konzernhaftungsrechts entwickelt. Diese sollte in der Lage sein, die traditionelle Anknüpfung der Haftung an die Rechtssubjekteigenschaft der unmittelbar betroffenen Konzerngliedgesellschaft sachgerecht zu modifizieren, wenn es der rechtlich verbindliche Steuerungszweck der einschlägigen Haftungsnorm verlangt. Das Haftungsrecht selbst muß mit einer „Theorie des Konzerns" ausgestattet sein, die der haftungsrechtlichen „Politik des Gesetzes" angemessen ist. Freilich wird es wenig Sinn machen, die komplizierte Zurechnungstechnik völlig aus dem Konzernrecht herauszuverlagern und es nun den Sonderrechtsgebieten, dem Umweltrecht, dem Recht der Produktsicherheit, dem Arbeitsrecht, dem Recht der Kredite etc. zu überlassen, wie man bei verflochtenen Unternehmen das geeignete Haftungssubjekt identifizieren soll. Das Problem ist nicht einmal so sehr, daß man dann mit einer Vielzahl von teilrechtsspezifischen Konzernbegriffen rechnen muß. Die Relativität der Rechtsbegriffe wäre keine besonders neuartige Erscheinung, auch nicht im Konzernrecht 41 . Vielmehr geht es um das Kumulieren von Fallerfahrungen, um die Vergleichbarkeit der Steuerungszwecke verschiedener Haftungsregelungen angesichts der überaus komplexen Konzernorganisation, die ihre dogmatische Konzentration in einem „Konzernhaftungsrecht" verlangen. Die Dogmatik des Durchgriffs jedenfalls die in der Fassung der Normzwecklehre 42 - ist im Prinzip schon die richtige sedes materiae. Aber kann sie der konzernierten „Macht der Tatsachen" und der korporativ vernetzten „Wirklichkeit des Lebens" gerecht werden?

41 Vgl. nur die eindringlichen Analysen von Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, 1980, 211 ff. zum Verhältnis Steuerrecht-Privatrecht und von Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem, 1981, 123 ff., zum Verhältnis Verbraucherrecht Privatrecht. Für unterschiedliche Konzeptualisierungen der Einheit/Vielheit im Konzern relativ zum betroffenen Rechtsgebiet - Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 1980, 769; ders., (Fn. 6) 26 ff.

42 Müller-Freienfels, Zur Lehre vom sogenannten „Durchgriff" bei juristischen Personen im Privatrecht, AcP 156 (1957), 522-543, 537; Schanze, Einmanngesellschaft und Durchgriffshaftung, 1975, 56ff., 102ff.; Staudinger/Comg, B G B , vor §21, 43; Hachenburg/Mertens, G m b H G , 7. Aufl. 1979, §13 A n h . I , 47 ff.; Rehbinder, (Fn.4) 1979, 582; Kubier, (Fn.4) 302; K.Schmidt, (Fn.3) § 9 1 1 3 .

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Eine ausgearbeitete Dogmatik des Konzerndurchgriffs liegt nicht vor 43 . Vielmehr hat die allgemeine Durchgriffslehre, die sich hauptsächlich an der Ein-Mann-Gesellschaft orientiert, eine Reihe von locker definierten Fallgruppen - Unterkapitalisierung, Vermögensvermischung, Sphärenvermischung - entwickelt44, die dann mehr oder weniger mühselig den Besonderheiten der Konzerne angepaßt werden müssen45. Dabei liegen oft Welten zwischen der mißbräuchlichen „Sphärenvermischung" des Ein-Mann-Gesellschafters und der planmäßigen „synergetischen" Integration von arbeitsteiligen Differenzierungen im Konzern 46 , die aber dennoch eine umfassendere Konzernhaftung rechtfertigen kann, wenn der Steuerungszweck der gesetzlichen Regelung gerade das Synergiezentrum erreichen soll. Allenfalls die Fallgruppe der „Fremdsteuerung", in der eine Gesellschaft zum Nachteil der Gläubiger anderen externen Interessen dienstbar gemacht wird, weist eine konzernspezifische Färbung - prompt natürlich unter Rückgriff auf die oben problematisierten Zwecke der Konzernorganisationspolitik - auf47. Hier aber ist wiederum die Rechtsprechung mehr als zurückhaltend48. Eine eher auf den Konzern zugeschnittene Durchgriffsbegründung hat versucht, am „Organstatus" der Konzernspitze in der Organisation der Tochtergesellschaft anzuknüpfen. Man denkt sich die Konzernspitze als ein Quasi-Organ der Tochtergesellschaft, entweder als negotiorum gestor49, als „Organmitglied" 50 oder als dirigeant de fait51 und unterwirft sie über diese Konstruktion der Organhaftung, die wiederum reflexartig auch den Gläubigern zugutekommt. Doch wird auch in diesen Konstruktionen die Konzerndimension eigentlich verfehlt. Die Konzern-

43 Ja die bisher gründlichste Untersuchung zum Außenrecht der Konzerne versucht gerade nicht, inadäquate Rechtsmodelle des Konzerns zu modifizieren, sondern bemüht sich, unter Beibehaltung traditioneller Konzernbilder, die Einzelnormen des Haftungsrechts drastisch umzuinterpretieren, Rehbinder, (Fn. 4) 1969. « Dazu Wiedemann, (Fn.6) 221 ff.; Kubier, (Fn.4) 300ff.; T. Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 1983, 201 ff.; MK-Reuter, vor §21, 3 3 - 3 8 ; K.Schmidt, (Fn.3) §91V. 45 Vgl. besonders Lutter, (Fn.2) 248 ff.; Schulze-Osterloh, Gläubiger- und Minderheitenschutz bei der steuerlichen Betriebsaufspaltung, Z G R 1 2 (1983), 123-161, 144ff.; K.Schmidt, (Fn.4) 2075f.; Stimpel, ( F n . l ) 601, 610; Wiedemann, (Fn.6) 18ff. 46 Vgl. die Diskussion einer konzernspezifischen Situation von Sphärenvermischung bei Lutter, (Fn. 2) 256 f. 47 Wiedemann, (Fn.6) 226 f.; Emmerich/Sonnenschein Konzernrecht, 2. Aufl. 1977, § 9 Β III 4; T. Raiser, (Fn.44) 206 f. 48 B G H Z 2 2 , 226, 230 ff.; B G H Z 6 8 , 312, 320 f. 49 Flume, Die juristische Person, 1983, 88 ff. 50 Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, 330 ff. 51 Art. 9 Nr. 1 Vorentwurf einer Europäischen Konzernrichtlinie, ZGR1985, 444, 452.

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spitze handelt nicht im Eigen- oder Fremdinteresse, sondern im Interesse des Konzernverbundes. Die Konzernspitze handelt nicht als „faktisches Organ" der Tochter, sondern, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, als Entscheidungsträger im Netzwerk des Konzerns selbst, wenn man so will, als „Konzernorgan" 52 . Erst dieser Bezug auf den Konzernverbund liefert die sachangemessene dogmatische Vorstellung für den Konzerndurchgriff und zugleich auch die genaueren Kriterien für die Zurechnung. Nicht „Fremdinteresse/Eigeninteresse" oder Verschulden eines faktischen Geschäftsführers gegenüber der Tochtergesellschaft sind ausschlaggebend, wenn es darum geht, Konzernhandeln über Haftungsnormen zu beeinflussen, sondern die genaue Prüfung der Frage, ob im Konzern für den einschlägigen Normzweckzusammenhang konkret eine ausreichend dichte Handlungsverflechtung vorlag, welche die Zurechnung auf den Verbund rechtfertigt. Die bisher am ehesten konzernbezogene Durchgriffsbegründung ist im „Mitgliedschaftsstatus" der herrschenden Gesellschaft in der Organisation der abhängigen Gesellschaft gefunden worden. Der Durchgriff wird entweder deliktisch über die Verantwortung der herrschenden Gesellschaft für die Mitgliedschaftsrechte begründet53, oder aber man stützt ihn auf die gesellschaftsrechtliche Treupflicht eines Mitglieds54. In beiden Fällen aber bleibt das Problem, daß man mit der Mitgliedschaft zwar die „causa" der Konzernierung, nicht aber den Konzernverbund selbst in den Griff bekommt. Allenfalls die Stellung der Mutter bei der Tochter! Deshalb die merkwürdigen semantischen Doppelformeln von „Mehrheits- oder Konzernverantwortung", die Gleichheit suggerierend zwanglos von einem Phänomen auf ein ganz anderes hinübergleiten. Deshalb auch die abenteuerliche Konstruktion einer „Treupflicht im Konzern aus Nicht-Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter", und dies nur um die für ein Verbundsdenken selbstverständliche Treupflicht im tiefgestaffelten Konzernverbund auch gegenüber Enkel- und Ur-UrEnkelgesellschaften zu begründen, weil und sofern Leitungsmacht besteht55. Warum sollte man nicht stattdessen unmittelbar Treupflichten 52 Zu dieser umstrittenen Konstruktion vgl. Bäh, (Fn. 27) 329 f.; Unternehmenskommission, 1980,1253,1260ff.; Lutter, Organzuständigkeiten im Konzern, in: Festschrift für Walter Stimpel, 1985, 825-854, 829 ff. Der Text folgt weitgehend der Konstruktion von Bälz, dehnt sie aber auf den faktischen Konzern aus. 53 Mertens, Deliktsrecht und Sonderprivatrecht - Zur Rechtsfortbildung des deliktischen Schutzes von Vermögensinteressen, AcP 178 (1978), 227-262, 243; ders., Die Geschäftsführung der GmbH und das ITT-Urteil, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, 461, 468 ff. 54 Wiedemann, (Fn.6) 34 ff. 55 Stimpel, (Fn.35) 119 f.; Paschke, Rechtsfragen der Durchgriffsproblematik im mehrstufigen Unternehmensverbund, A G 33 (1988), 196-206, 203, weiß dies Konstrukt als „tragfähige Grundlage" zu würdigen.

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als Pendant konzernrechtlicher Leitungsmacht entwickeln, die von vornherein auf die Besonderheiten der rechtlichen Organisationsform Konzern zugeschnitten sind56? Der Konzernverbund selbst - wohlgemerkt: nicht die Summe der Konzerngesellschaften, sondern das Netzwerk der Koordination unter den Konzerngesellschaften - läßt sich analytisch, empirisch und normativ von den Mitgliedschaftsbeziehungen der Muttergesellschaft in der Organisation der Tochtergesellschaft abheben. Sowohl das Ausmaß der Treuepflichten im Konzern als auch die Kriterien für eine Durchgriffshaftung sollten entsprechend in den einzelnen Merkmalen des Konzernverbundes identifiziert werden und nicht aus dem Mitgliedschaftsstatus der Muttergesellschaft im Verband der Tochtergesellschaft mühselig hergeleitet werden. Wenn man dagegen die Mitgliedschaft der Muttergesellschaft bei der Tochtergesellschaft zum tragenden Gesichtspunkt des Konzerndurchgriffs erheben will, dann wiederholt man nur die Widersinnigkeiten, die sich daraus ergeben, den Gläubigerschutz als „Reflex" des Konzerninnenverhältnisses auszugestalten. Auch hier würden die für das Haftungsrecht wenig relevanten Wertungen von innen nach außen „reflektiert". Mit gutem Grund gestaltet man doch auch sonst regelmäßig die Außenhaftung im Gesellschaftsrecht unabhängig von den Innenbeziehungen zwischen den Gesellschaftern oder dem Verhältnis der juristischen Person zu ihren Mitgliedern aus. Der Grund dafür ist, daß interne Pflichtmaßstäbe anderen Wertungsgrundsätzen gehorchen als Verhaltenspflichten eines gesellschaftsrechtlichen Gebildes nach außen. „Konzerndurchgriff" als eine spezielle Fallgruppe der allgemeinen Durchgriffslehre erscheint damit als die angemessene Antwort auf die Frage der Konzernspezifizität. Sie muß spezifisch konzernrechtliche Tatbestände entwickeln, ohne sich aber an die auf ganz andere Ziele gerichteten Wertungen des Konzernrechts zu binden. Abstimmung ja, Bindung nein! Schutz der abhängigen Gesellschaft in den Resten ihrer Entscheidungsautonomie und die Sicherung einer ausreichenden Kapitaldecke haben - dies muß man deutlich betonen - positive Reflexwirkungen für einen allgemeinen Gläubigerschutz. Damit ist aber noch nichts gewonnen, wenn die Steuerungsziele des Haftungsrechts eine effektive Beeinflussung des wirtschaftlichen Selbststeuerungszentrums in konzernierten Unternehmungen verlangen. Dabei geht es gar nicht einmal so sehr um die - von Rehbinder als heute „modisch gewordene"

56 Zur Diskussion um die „Konzerntreue" vgl. BGHZ65, 15; Wiedemann, Die Bedeutung der ITT-Entscheidung, JZ 13 (1976), 392-397, 396; Schneider, Konzernleitung als Rechtsproblem, BB 1981, 249-259, 256f.; Stimpel, (Fn. 1); Paschke, (Fn. 55) 202f.

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Tendenz ironisierte - differenzierte Behandlung von einzelnen Gläubigergruppen, die man gegenüber einer allgemeinen Gleichbehandlung von Gläubigern als Effekt der konzernspezifischen Haftung leichthändig vernachlässigen zu können glaubt 57 . In der Tat sollte es auch rechtlich einen Unterschied machen, ob Vertragsgläubige das besondere Haftungsrisiko marktmäßig internalisieren können (Risikozuschläge, Patronatserklärungen, Bürgschaften etc.) oder ob das Konzernrisiko auf Gläubiger aus gesetzlichen Schuldverhältnissen externalisiert wird, ohne daß diese "voice" oder "exit" ausüben können 58 . Aber die Differenzierung von Gläubigergruppen steht hier gar nicht im Vordergrund. Nicht „individuelle Schutzwürdigkeit" bestimmter Gläubiger ist das Problem, sondern die Frage, wie die vom Gesetzgeber beabsichtigte Steuerungswirkung von privatrechtlich ausgestalteten Haftungsnormen erreicht werden kann, wenn diese nicht mehr auf klar individualisierbare Unternehmen als Steuerungsobjekte, sondern auf mehr oder weniger dezentralisierte Unternehmensverbünde auftreffen. Haftungsdurchgriff auf den Konzernverbund selbst - dies also bezeichnete die angemessene dogmatische Formel für die konstruktive Begründung der Konzernhaftung, für die Definition ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen und ihrer Rechtsfolgen. Dies heißt aber nicht, aus der bloßen faktischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit Rechtsfolgen herzuleiten, wie ein beliebtes Gegenargument glauben machen will 59 . Denn der Konzern ist heute als hochdifferenziertes Rechtsgebilde etabliert, an das sich mancherlei Rechtsfolgen knüpfen 60 . Er ist eine besondere rechtlich anerkannte Organisationsform, eine „Korporation sui generis", die auch vom Recht als eigenständiges Objekt staatlicher Steuerungseinwirkungen und als eigenständiges Haftungssubjekt anerkannt werden sollte. Dies heißt auch nicht - und dies muß zur Abwehr von MißVerständnissen eigens betont werden - , daß schon die „konzernrechtliche Abhängigkeitslage Durchgriffsgrundlage" ist61. Vielmehr bleibt es im Prinzip bei der „Anerkennung der rechtlichen Selbständigkeit der Konzernglieder und Sicherung des Trennungsprinzips derart, daß die wirtschaftlichen Risiken zwischen Obergesellschaft und Tochtergesellschaft angemessen verteilt bleiben und nicht ständig zu deren Lasten verändert

Rehbinder, (Fn. 1) 97. Kirchner, Ökonomische Überlegungen zum Konzernrecht, ZGR14 (1985), 214-234, 229 f. 59 Z.B. Paschke, (Fn.55) 202. 60 Lutter, (Fn. 52) 826 ff. 61 So Paschke, (Fn.55) 199, zu Recht gegen K.Müller, (Fn.4) 26, der die bloße Konzernverbindung als ausreichend für eine generelle Durchgriffshaftung ansieht. 57 58

Die .Politik des Gesetzes' im Recht der Konzernhaftung

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werden" 62 . Also keine allgemeine Durchgriffshaftung im einfachen Konzern, sondern ihre Abhängigkeit von zwei Voraussetzungen: (1) haftungsmäßige Relevanz nicht der allgemeinen Konzernierung, sondern nur eines ganz spezifischen Handlungsausschnitts aufgrund der Normzweckbetrachtung der einschlägigen Haftungsnorm, (2) die konkrete Zuordnung dieses Handlungszusammenhangs zum Handlungssystem des Konzern-Netzwerks (und nicht bloß zum Handlungssystem der herrschenden oder der abhängigen Gesellschaft) 63 . Es geht also vor allem um die Konstellationen im faktischen Konzern, in denen die Obergesellschaft gerade den funktionalen Handlungsbereich zentralisiert hat, innerhalb dessen die haftungsrelevante Handlung stattgefunden hat 64 . Allgemeiner geht es um die haftungsrechtliche Erfassung von dicht geknüpften Handlungsnetzen innerhalb eines dezentralisierten Konzerns. Mit dieser Konstruktion würde man an die in der Literatur diskutierte Fallgruppe des „Durchgriffs aus Fremdsteuerung" anknüpfen, die von einem bestimmten Intensitätsgrad der Fremdbeeinflussung des abhängigen durch das herrschende Unternehmen an dessen Haftung begründen soll 65 . Demgegenüber aber würde die Neuerung darin bestehen, daß man im einfachen faktischen Konzern im Einzelfall zwei Voraussetzungen prüfen müßte. Erstens muß der Handlungszusammenhang identifiziert werden, dessen Steuerung von der einschlägigen Haftungsnorm intendiert ist. Zweitens muß dieser Handlungszusammenhang konkret vom arbeitsteiligen Verbund zweier oder mehrerer konzernierter Unternehmen erfaßt sein. Diese müssen im Einzelfall - wenn auch nur ad hoc, funktional spezifisch und vorübergehend - die Kooperationsdichte erreicht haben, die sonst für den qualifizierten Konzern gefordert wird. Dann und nur dann erscheint ein Durchgriff auf den (Teil-)Verbund gerechtfertigt. Die dabei auftretenden Abgrenzungsprobleme entsprechen exakt denen, die bei der Abgrenzung des qualifizierten Konzerns entstehen. Die hier vertretene Konzeption eines sektoralen Konzerndurchgriffs kann weitgehend an dem von Rehbinder eindrucksvoll entfalteten Konzernaußenrecht anknüpfen, das auf der Grundlage der Normanwendungslehre die Zurechnung auf die verschiedenen Rechtssubjekte im Konzern von Zweck- und policy-Erwägungen der einschlägigen Haf-

Lutter, (Fn. 2) 267. Vgl. auch zu einer so verstandenen Durchgriffshaftung im Konzern Teubner, (Fn. 14) 1989, 176 ff. 64 Vgl. als Spezialfall im Deliktsrecht Rehbinder, (Fn.4) 1969, 497 ff. 65 K.Müller, (Fn.4) 27ff.; Wiedemann, (Fn.6) 226; Lehmann, (Fn.4) 363ff.; KKKoppensteiner, §317 AktG, 44. 62 63

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tungsnorm abhängig macht66. Sie würde aber in zwei wesentlichen Punkten von Rehbinders Entwurf abweichen. Sie würde nicht die Differenzierung akzeptieren, daß soweit Sonderrecht der juristischen Person angewendet oder geschaffen wird, nicht mehr nach der Methode der Normanwendung entschieden werden soll67. Wegen der unterschiedlichen Wertungsgrundlage wird also hier für eine konsequente Durchführung des Normanwendungskonzepts plädiert68. Die hier vertretene Konzeption würde, zweitens, nicht die Verkürzung mitmachen, daß die Zurechnung nur entweder die Unter- oder die Obergesellschaft treffen kann. Sie würde vielmehr - alternativ oder kumulativ, je nachdem - die Zurechnung auf den Konzernverbund als dem arbeitsteiligen Zusammenwirken der Konzernglieder ermöglichen69. Sie würde damit Abschied nehmen von den vielen Hilfskonstruktionen und Fiktionen, die aufgewendet werden müssen, um eine Rechtssubjektivierung des Konzerns selbst zu vermeiden. Es mag der Sache förderlich sein, wenn man dabei deutlich macht, daß mit diesem Rechtssubjekt nicht die Summe aller Konzerngliedgesellschaften in ihrem Verbünde, sondern das eigenständige System der Koordination „zwischen" ihnen gemeint ist. Damit wird in Umrissen ein allgemeines Haftungsmodell sichtbar, das den zeitlich, sachlich und sozial unterschiedlich dicht geknüpften Entscheidungsnetzen in dezentral organisierten Unternehmensgruppen gerecht werden kann. Das Prinzip ist: Die Konzernaußenhaftung macht sich von den auf sie nicht zugeschnittenen Wertungen des Konzernbinnenrechts frei. Es löst sich zugleich von der zu einfachen Vorstellung des Durchgriffs auf dem „Hintermann", des Durchgriffs auf die Konzernspitze. Stattdessen erfaßt die Konzernaußenhaftung exakt nur diejenigen Handlungsbereiche im Konzern, die nach Konzernstrategie, "organizational chart" und tatsächlicher Entscheidungspraxis eng koordiniert sind. Ansonsten bleibt es im dezentralisierten Konzern bei der Trennung der Entscheidungsträger und Haftungsmassen. In der Sache müßte dies auf eine gesamtschuldnerische Haftung der in den konkreten Handlungszusammenhang integrierten Konzerngesellschaften hinauslaufen. Im dezentralen Konzern sind dann Durchgriffe auf die Konzernspitze dann und nur dann möglich, wenn gerade der haftungsmäßig relevante Handlungszusammenhang zentralisiert ist. Durchgriff auf den konkreten Handlungsverbund kann aber auch bedeuten, daß eine Teilgruppe

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Rehbinder, (Fn.4) 1969. Rehbinder, (Fn.4) 1969, 119ff.; ders., (Fn.4) 1979, 582f.; ders., (Fn. 1) 97. Vgl. auch die Kritik von Kühler, (Fn.4) 317. 68 Siehe auch Schanze, (Fn.42) 65ff.; Kühler, (Fn.4) 317. 69 Zur genaueren Begründung Teubner, (Fn. 14) 1989, 176 ff. 67

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der Tochtergesellschaften in die Haftung einbezogen wird, während die nicht involvierte Konzernspitze und andere nicht involvierte Sparten, Divisionen und Konzerngesellschaften von jeder Verantwortung freigestellt sind. Damit könnte das Haftungsrecht auf Tendenzen in der Konzernwirklichkeit reagieren, die auf eine Auflösung der Kompakteinheit der juristischen Formen und auf die positive und negative Folgenverantwortung dezentralisierter Konzerneinheiten hinauslaufen. Die konzernpolitisch angestrebte Folgenverantwortung der "profit centers" wäre dann um ihre gesellschaftliche Verantwortlichkeit komplettiert.

Geschäftsrisiko und Unternehmenskooperation HANNS U L L R I C H

I.

Die Zusammenlegung einzelner Tätigkeiten selbständiger Unternehmen zur gemeinschaftlichen Wahrnehmung gilt seit vielen Jahren als Strategie der Zukunft. Sie genießt kartellrechtliche Bevorzugung 1 , wenn nicht Immunität 2 und öffentliche Förderung 3 . Das wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum beschreibt und empfiehlt sie nachhaltig 4 . Die Rechtswissenschaft dagegen hat solche Unternehmenskooperation bis-

1 Vgl. § § 2 f f , insbes. § 5 b GWB und die Gruppenfreistellungsverordnungen der Kommission der EG für Spezialisierungsvereinbarungen (VO Nr. 417/85) und für Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (VO Nr. 418/85), abgedruckt in Bunte/Lauter, EG-Gruppenfreistellungsverordnungen, München 1988, S. 67, 73. 2 Vgl. die sog. „Deutsche Kooperationsfibel" des Bundesministers für Wirtschaft, Zwischenbetriebliche Zusammenarbeit: Chancen für den Mittelstand, Bonn 1976. Die alte Fassung vom 29. X. 1963 über „Zwischenbetriebliche Zusammenarbeit im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen" ist abgedruckt und erläutert bei Benisch, Kooperationsfibel, 4. Aufl. Bergisch-Gladbach 1973, S. 11; Die Bekanntmachung der Kommission der EG vom 29. VII. 1968 über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen, ist abgedruckt bei Bunte/Sauter, aaO S. 115. 3 Vgl. etwa § 6 Bay. Mittelstandsförderungsgesetz und die Nachw. zur Kooperationsvermittlung und -beratung in Deutschland bei Naujoks/Pausch, Kooperationsverhalten in der Wirtschaft, Göttingen 1977, 37ff; die Kooperationsförderung der EG durch Einrichtung eines „Büros für Unternehmenskooperation" mit EDV-gestützter Kooperationsvermittlung (19.Tätigkeitsbericht der EG 1985, N r . 3 1 7 mit B u l l - E G l l - 1985, Ziff. 2.1.19) und durch bevorzugte Berücksichtigung von Kooperationsvorhaben im Rahmen der Technologieförderungsprogramme (Nachw. bei Ullrich, Kooperative Forschung und Kartellrecht, Heidelberg 1988, S. 107 ff). 4 Vgl. nur Boehme, Innovationsförderung durch Kooperation, Berlin 1986; Staub, Die Unternehmenskooperation für Produktinnovation, Bern 1976; Straube, Zwischenbetriebliche Kooperation, Wiesbaden 1972; Rühle von Lilienstern, Kooperation, in Management-Enzyklopädie, 2. Aufl. Bd. 5, Landsberg 1983, S. 622 ff; ders., Planung und Organisation der Kooperation, in Theorie und Praxis der Kooperation, Tübingen 1972, 19; Knoblich, Zwischenbetriebliche Kooperation, ZfBw 1969, 497; Poeche, Zur Technik der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit, DB 1968, 1.

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Hanns Ullrich

lang nur am Rande als Kartellrechtsfrage 5 , allenfalls noch als gesellschaftsvertragliches Gestaltungsproblem 6 wahrgenommen. Dabei überwiegt das Vertrauen auf die Problemlösungskapazität namentlich des Rechts der BGB-Gesellschaft und der GmbH, im internationalen Rahmen neuerdings der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung7. Solche Zuversicht in den Gesellschaftsrechtsfrieden überrascht angesichts der Vielfalt der Kooperationsgegenstände und -gründe. Zwar können die Arbeitsgemeinschaften der Bauindustrie und die Konsortien des Anlagenbaus auf zum Teil traditionsreiche Musterverträge gegründet werden, welche die typischen externen Haftungs- und internen Leistungsrisiken erfassen und im Fall unzureichender individueller Zuordnung zu den Kooperationspartnern nach Anteilsregeln vergemeinschaften8. Die Größenstruktur der betroffenen Unternehmen verbürgt zudem die Solidität von Vertragsgestaltung und -praxis. Werbe- oder Vertriebsund Einkaufsgemeinschaften aber, Rationalisierungs- und Spezialisierungsabreden oder die Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung bergen schon ihrem Gegenstande nach Risiken des Mißerfolgs, die sich schwer durch die Kautelarpraxis einfangen lassen, falls die Beteiligten hier nun gerade auch mittelständische Unternehmen 9 - sie überhaupt

5 Vgl. einerseits befürwortend Benisch, aaO S. 70 ff; kritisch Emmerich, Kartellrecht, 5. Aufl. München 1988, 92 ff m.Nachw. 6 Vgl. vor allem Straube, Die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft als Rechtsform zwischenbetrieblicher Zusammenarbeit, Wien 1977; Müller-Guggenberger, Gesellschaft, Société und Groupement als Rechtsform zur Unternehmenskooperation, Baden-Baden 1976; Vertragsmuster für funktionale Kooperationen bei Benisch, aaO S. 461 ff; Lutz in Münchner Vertragshandbuch, Bd. 2, München 1987, S. 667 ff; zu Projektgemeinschaften vgl. Dorait/Grün/Nowotny, Die Rechtsform-Entscheidung in der Projektorganisation, Wien 1978; dies., Die Bedeutung der Rechtsform und ihrer Ausgestaltung für die Organisation von Entscheidungsprozessen, ZGR1981, 249; ferner u. Anm.8. 7 Vgl. etwa Ganske, Das Recht der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung, Köln 1988; Meyer-Landrut, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung, Stuttgart 1988; Abmeier, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und das nationale Recht, NJW1986, 2987. 8 Vgl. für die Bau-Arge Hochstein/Jagenburg, Der Arbeitsgemeinschaftsvertrag, Düsseldorf 1974, 19ff zu §4; Fahrenschon u.a., ARGE-Kommentar, 2. Aufl. Wiesbaden 1982, 25 ff zu §4; für Industrieanlagenkonsortien Hautkappe, Unternehmenseinsatzformen im Industrieanlagenbau, Heidelberg 1986, 136 ff; Lionnet, Liefer- und Leistungskonsortien - Rechtliche Zuordnung und Risiken, in Nicklisch (Hrsg.), Bau- und Anlagenverträge, Heidelberg 1984, 121. 9 Für sie ist die Kooperationsbegünstigung gedacht, ihr Anteil ist auch hoch, aber die Kooperationsneigung wächst mit der Unternehmensgröße und zwar um so stärker, je risikoreicher der Kooperationsgegenstand ist, vgl. Naujoks/Pausch, aaO S. 57; Ullrich, aaO S. 34 ff.

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ausreichend zu Rate ziehen10. Gerade solche Kooperationen jedoch sollen und werden zur Minderung der bei selbständiger Wahrnehmung der betreffenden Unternehmenstätigkeit anstehenden Risiken eingegangen11. Wird aber diese Risikominderung wirklich und wird sie durch Risikovergemeinschaftung erreicht? Zwei Beispiele mögen diese Frage rechtfertigen: (1) Zwei Unternéhmen der Unterhaltungselektronikindustrie mit Fertigungsstätten im In- und Ausland treffen eine Spezialisierungsabrede, wonach die Fertigung von einerseits Autoradios auf das Unternehmen A, andererseits von Fernsehgeräten auf das Unternehmen Β konzentriert werden soll, um Größenvorteile der Serienfertigung und Standortvorteile der jeweiligen Fertigungsstätten auszunutzen. Die wechselseitige Belieferung entwickelt sich jedoch einseitig. Zwar bezieht A, der die eigene Fernsehgerätefertigung eingestellt hat, seinen ganzen Gerätebedarf von B, kann aber an Β nur unbedeutende Mengen von Autoradios absetzen. Noch bevor Β nämlich seine eigene Autoradioproduktion stillgelegt hat, wächst die Nachfrage dergestalt, daß die eigene Fertigung von Β wieder rentabel wird. Umgekehrt haben sich die Kosten des Produktionsstandorts von A sehr ungünstig entwickelt. Der geringe Autoradioabsatz beim Partner stellt nun die Rentabilität der Autoradioproduktion von A überhaupt in Frage. Die Inbetriebnahme modernisierter Fertigungsstraßen für extrem hohe Stückzahlen, die zu hohen Kosten gerade erst aufgebaut wurden und deren Nutzung allein die Zukunft des Unternehmens A zu sichern vermöchte, wird unmöglich; die Aufbaukosten scheinen verloren12. (2) Ein Unternehmen C der Glasindustrie und das metallverarbeitende Unternehmen D vereinbaren die gemeinsame Entwicklung neuer Solarzellen dergestalt, daß C leistungsstarke Glaselemente, D temperatur10 N a c h Naujoks/Pausch, aaO S . 6 6 f f werden Kooperationen zu über 5 0 % formlos vereinbart und dies gerade in der mittelständischen Industrie. Die Aussage muß allerdings im Hinblick auf den breiten Kooperationsbegriff der Untersuchung relativiert und in Bezug zum Kooperationsgegenstand gesetzt werden. Kartellrechtlich relevante Kooperationen sind ohnehin schriftformpflichtig, § 34 G W B und zumindest anmelde-, wenn nicht genehmigungsbedürftig, § § 9 , 11 G W B .

" Vgl. Beniscb, aaO S . 9 3 ; Staub, aaO S . 5 2 ; Boehme, aaO S . 6 7 f f ; während bei Funktionskooperationen daneben vor allem Rationalisierungswirkungen eine große Rolle spielen (vgl. Naujoks/Pausch, aaO S. 68 ff), steht der Risikoteilungsgedanke bei Projektgemeinschaften ganz im Vordergrund, vgl. Hautkappe, aaO S. 96 ff. 12 In Anlehnung an „Kooperation bietet einseitiges Bild - Kosten bremsen Arbeitsteilung Grundig-Blaupunkt", SZ v. 1 3 . V I I . 1988, S. 2 9 (ferner: Bei Blaupunkt droht Kurzarbeit, SZ v. 27. I X . 1989, S. 32) und den Prym-Fall in Bundesverband der Deutschen Industrie ( B D I , Hrsg.), Kooperation in der Praxis, Köln 1981, S . 6 5 , 69 (Nolle, Erfahrungen mit einer Spezialisierungskooperation für Haushaltsnähmaschinennadeln).

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wechselbeständige Metallrahmen entwickeln soll. Der Vertrieb des Endprodukts soll jedem bei wechselseitiger Belieferung freistehen. Während C rasche Fortschritte macht, vermag D das Problem hitzebeständiger Abdichtung des Glas/Rahmenübergangs mit dem geplanten Mittelaufwand nicht zu lösen, kann sich aber zu einer Aufwandssteigerung auch nicht entschließen, da es das Vertrauen in den Erfolg der Innovation verloren hat. Die Expansion des Marktes für Solarzellen hat sich verlangsamt, andere Technologien erscheinen aussichtsreicher. C sieht durch die bei D aufgetretenen Verzögerungen seine eigenen Entwicklungsaufwendungen gefährdet. Um dem zu entgehen, entwickelt C selbst die Dichtungen, ist aber nun nicht mehr bereit, von D die temperaturwechselbeständigen Metallrahmen zu beziehen, die dieser seinerzeit zu hohen Kosten noch entwickelt hat, denn inzwischen sind C qualitativ und preislich überlegene Metallrahmen aus dem Ausland angeboten worden. Infolgedessen sieht C auch keinen Grund mehr, seinerseits D mit optischen Elementen zu beliefern 13 . Die Beispiele wurden gewählt, weil sie durch dynamische, nicht statische Risiken gekennzeichnet sind, wie sie bei Projektgemeinschaften auftreten und dort mit den Mitteln des Projektmanagements wenigstens eingedämmt werden können 14 . Darüber hinaus beziehen sie sich auf eine arbeitsteilige, nicht auf eine Unternehmensfunktionen zentralisierende Kooperation 15 mit der Folge, daß zum einen der gemeinsame Erfolg in der Hand des einzelnen Partners liegt, der die ihm zugewiesene Aufgabe selbständig erledigt und daß zum anderen wechselseitige Abhängigkeiten entstehen, bei denen eigene Fehlschläge zur Risikoverlagerung auf den Partner führen können. Diese Gefahr wiegt um so schwerer als es sich in beiden Fällen um eine enge und im ersten Beispiel auch um eine

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Beispiel in Abwandlung persönlicher Informationen des Verfassers. Dazu Kremer, Risiken bei Anlagenverträgen aus technischer Sicht, in Nicklisch, aaO S. 7; Swoboda, Risiken bei Auslandsbauverträgen aus ökonomisch-technischer Sicht, in Nicklisch, aaO S. 21; Simons, Vertragsrisiken und Risk Management bei Bau- und Anlagenverträgen in Nicklisch, aaO S. 61 ff; Ruesberg, Praxis des Project- und Multiproject-Management, 3. Aufl. Landsberg 1976. 15 Werbe- und Vertriebsgemeinschaften, bei denen Unternehmen die Werbe- und Vertriebsanstrengungen für gleiche Produkte zusammenlegen, bilden typische Beispiele. Leistungsschwächen der Partner (ζ. B. Produktfehler) können zwar das Gemeinschaftsinteresse gefährden, aber mehr als ein gewöhnliches Problem der Gesellschaftszweckbeeinträchtigung durch einen Gesellschafter wird kaum je vorliegen. Es sind allerdings auch engere Leistungszusammenhänge möglich, vgl. Müller, Deutscher Paketdienst G m b H Idee und Praxis einer Kooperation, in BDI (Hrsg.), aaO S. 59, 62. Arbeitsteilige Kooperation ist bei Aufspaltung von Herstellung und Vertrieb gegeben, vgl. B G H v. 4. III. 1982, NJW1983, 1188. 14

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existentielle Zusammenarbeit handelt16, bei der der Mißerfolg eines Partners und dessen etwaiges Ausscheiden nicht durch eine Neuverteilung von Aufgaben und Anteilen aufgefangen werden kann17. Im übrigen vereinfachen beide Beispiele die Wirklichkeit, in der die Risiken der Zusammenarbeit über den ein- oder wechselseitigen Erwerb gesellschaftsrechtlicher Beteiligungen gesteuert und mitgetragen18 oder doch durch gemeinsame Arbeits- und Lenkungsausschlüsse19 frühzeitig erkannt und abgewendet werden sollen. Die Wirksamkeit solcher Regelungen ist freilich erfahrungsgemäß zu begrenzt20 als daß sie die grundsätzliche rechtliche Ordnung der Geschäftsrisikotragung bei der arbeitsteiligen Unternehmenszusammenarbeit überspielen könnten. Diese rechtliche Ordnung soll bewußt nur für die beiden Beispielen gemeinsame Interessenkonstellation versucht werden. Wer bei Ernst Steindorff rechtswissenschaftlich zu arbeiten gelernt hat, hat vor allem erfahren, daß der Sachverhalt die Auffindung und die Bildung der Rechtsregel gerade wenn sie die Politik des Gesetzes aus- und nicht bloß Systematik weiterführen soll21 — begrenzt22.

II. Art und Umfang der Risiken, die Kooperationspartner gemeinschaftlich, für einander oder jeder für sich zu tragen haben, bestimmen sich nach Art und Reichweite der Leistungsbeziehungen, die sie miteinander 16 Empfohlen wird daher, Kooperationserfahrung auf peripheren Unternehmensfeldern zu sammeln und sie stufenweise auszubauen, vgl. Benisch, aaO S. 103 ff; Rühle von Lilienstem in Management-Enzyklopädie, aaO S. 624 ff; Poeche, aaO DB 1980, 5. 17 Wie bei Gütezeichen- und Werbegemeinschaften oder international streuenden Forschungsgemeinschaften innerhalb der EG-Technologieförderung oder der EurékaInitiative (Projekte Prometheus, Software-Fabrik etc.). 18 So in beiden dem 1. Beispiel zugrunde liegenden Fällen, Nachw. wie Anm. 12. 19 So bei allen höherstufigen, die Produktions- und Vertriebsplanung erfassenden Kooperationen, vgl. die Beispiele in BDI aaO. Die Verselbständigung kooperativer Funktionserfüllung in gemeinsamen Gesellschaften, meist einer GmbH, dient vor allem diesem Kommunikations- und Koordinationszweck und verändert nicht den Charakter von Kooperationen, die auf Arbeitsteilung aufbauen (gemeinsamer Vertrieb wechselseitig spezialisierender Unternehmen oder von arbeitsteilig zu schaffenden Innovationen). 20 Psychologische Faktoren und Informationsdefizite sowie Kompetenzregelungsschwierigkeiten gelten als Hauptursachen von Kooperationsfehlschlägen, vgl. Rühle von Lilienstern, aaO, Management-Enzyklopädie, S. 626 ff; Schubert/Kiiting, Unternehmenszusammenschlüsse, München 1981, 139 ff m. Nachw. 21 Steindorff, Die Politik des Gesetzes als Auslegungsmaßstab im Wirtschaftsrecht, Festschrift Larenz, München 1973, 217. 22 Klassisch: Zweckmäßigkeit im Wettbewerbsrecht, Frankfurt 1959; aber auch etwa Repräsentanten- und Gehilfenversagen und Qualitätsregelungen in der Industrie, AcP 170 (1970) 93; Sind Handelsgenossenschaften Kartelle? Heidelberg 1978 u.v.a.m.

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verbinden. Diese scheinen, da die Zusammenarbeit auf die gemeinsame Bewältigung unternehmerischer Teilaufgaben gerichtet ist, an deren Erfüllung die Gesellschafter dasselbe Interesse haben23, zunächst gesellschaftsrechtlicher Natur zu sein. Nach verbreiteter Auffassung jedoch unterstellt das Gesellschaftsrecht seinerseits solche Pflichten der Gesellschafter, die nicht auf Mitwirkung oder Teilhabe, sondern auf Sach- oder Dienstleistungen gerichtet sind, den Leistungsstörungs- und Gefahrtragungsregeln des allgemeinen und besonderen Vertragsrechts. Dies geschieht zum einen vielfach durch schlichte Qualifikation der Leistungsbeziehung als nicht gesellschaftsrechtlicher Herkunft. So werden Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters gerne außerhalb des Gesellschaftsvertrages angesiedelt, um sie im Interesse des Bestandes der GmbH vor Formzwängen und dem Untergang bei Ausscheiden des Gesellschafters aus der GmbH zu bewahren, mag dabei auch die wirtschaftliche Wechselbezüglichkeit von Gesellschaftszugehörigkeit und Leistungsbereitstellung verlorengehen 24 . Zum anderen wird auch dort, wo, wie bei der Personengesellschaft, jede causa societatis zu erbringende, dem Gesellschaftszweck dienende Leistung im Zweifel der gesellschaftsrechtlichen Beitragspflicht zugeordnet wird 25 , die Anwendung der allgemeinen Vertragsrechtsregeln über die Leistungsstörungen, also die §§ 320 ff, insbesondere 323 ff und bei Sachmängeln die §§ 459 ff, 53 7 ff, 633 ff BGB, empfohlen 26 . Das Beitragsrecht wird unter Gleichstellung mit dem Vertragsrecht vom Gesellschaftsrecht getrennt und erst dann wieder auf dieses zurückbezogen, wenn die Frage entsteht, ob die

23 Außer Betracht bleiben Zuliefer- und Vertriebsbeziehungen, die teils wegen ihrer Komplexität und der Mitwirkungspflichten der Gläubigerseite, teils schönfärberisch als „kooperativ" bezeichnet werden, tatsächlich aber allein auf synallagmatischen Rechtsverhältnissen beruhen. 24 Darstellung und Kritik bei Ullrich, Formzwang und Gestaltungsgrenzen bei Sonderrechten und Nebenleistungspflichten in der GmbH, ZGR1985, 235 ff m.Nachw. Soweit tatsächlich Nebenleistungen im Sinne von § 3 II GmbH-G angenommen werden, gilt, was im folgenden für die Beitragspflicht ausgeführt ist, vgl. etwa Hueck, in BaumbachHueck, GmbH-Gesetz, 15. Aufl. 1988, Rdn.48ff zu §3; Rittner in Rowedder, GmbHGesetz, München 1985, Rdn. 43 ff zu §3; Selbst Ulmer (Ulmer in Hachenburg, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 7. Aufl. 1975, Rdn. 76 ff zu § 3) folgt hier mit der Unterscheidung von vertragsrechtlichem Ausführungsgeschäft und gesellschaftsrechtlicher Nebenleistungspflicht der herrschenden Lehre. 25 Vgl. BGH v. 26. XI. 1979, NJW1980, 1744; v. 28. XI. 1977, NJW1978, 376 (Darlehensversprechen des Kommandisten in Publikums-KG). Tatsächlich diktiert das gewünschte Ergebnis hier wie schon bei der GmbH meist die Qualifikation, vgl. BGH v. 8. II. 1988, N J W 1 9 8 8 , 1729 (für die Genossenschaft). 26 Etwa K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, Köln 1986, 428ff; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, l.Teil, Personengesellschaft, Berlin 1972, 29ff für die zweigliedrige Personengesellschaft; ebenso Hueck, Recht der OHG, § 6, II, 3 (zit. nach 3. Aufl., Köln 1964).

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Leistungsstörung den Gesellschaftsbestand oder doch wenigstens den Verbleib des beitragsschuldigen Gesellschafters in der Gesellschaft zu gefährden geeignet ist. Das aber heißt im Grundsatz, daß die Maßstäbe für die in der Gesellschaft zu erbringenden Leistungen nicht dem dort vorausgesetzten Anforderungsprofil, sondern den für allgemeine Wirtschaftsverkehrsbeziehungen geltenden Regeln entnommen, ihre Verletzung aber - u. U. kumulativ - mit gesellschaftsrechtlichen Sanktionen, nämlich dem Verlust der Gesellschafterstellung, sanktioniert werden 27 . Folge dieser, übrigens von ihren Vertretern nur mit Zaudern vorgetragenen28, Lehre ist zunächst eine zu strenge Einstandspflicht jeden Kooperationspartners für die eigene Leistungsfähigkeit und das Leistungsinteresse der anderen Kooperationspartner (1.), sodann aber eine zweckwidrige Sanktionierung der Leistungsverfehlung und unangemessene Risikozuweisung (2., 3.). 1. Das Kooperationsmitglied, das seine Beitragsleistung nicht oder nicht rechtzeitig erbringt, haftet den übrigen Kooperationspartnern unter den Voraussetzungen der §§325, 326 BGB auf den Nichterfüllungsschaden oder erlaubt diesen den Rücktritt, sprich in der Gesellschaft die Kündigung. Das bedeutet, daß das Unternehmen, das in die Zusammenarbeit eintritt, um sich zu entlasten, tatsächlich das Geschäftsinteresse seines Partners mitübernehmen und seine eigene Leistung unter diesem Druck erbringen muß. Der zu ersetzende Schaden nämlich deckt das volle Leistungsinteresse des Kooperationspartners 29 , der an einer Kündigung zunächst kein Interesse haben, im übrigen dadurch auch seinen Schadensersatzanspruch nicht verlieren kann 30 . Tatsächlich würde die Kündi-

27 Bezeichnenderweise steht im Ausgangspunkt des Streits um die Anwendbarkeit der §§ 320 ff BGB nicht die Unangemessenheit des formalen Zug-um-Zug-Leistungsvorbehalts, deren Selbstverständlichkeit praktisch keinen Anlaß zum Meinungsstreit ließ, sondern lediglich die der Rückwirkung der Rücktrittssanktion, vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, München 1980, S. 164 ff m. Nachw.; vgl. insbes. zum Rücktritt RG v. 21.11.1912, RGZ78, 303, 305; v. 11.11.1913, RGZ81, 303, 305ff; v. 16.1.1917, RGZ89, 333, 335; v. 5.1.1925, R G Z 1 1 2 , 280, 283 ff. Die in §§325, 326 BGB angelegte Leistungsrisikoverteilung dagegen bleibt unangetastet. 28 Vgl. K.Schmidt, aaO S.43Iff zu Einschränkung der Mängelhaftung bei Sacheinlagen. 29 Vgl. BGH v. 8. II. 1962, NJW1962, 859; v. 4. III. 1982, NJW1983, 1188, 1189; Ulmer, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. München 1986, Rdn. 19 ff zu §708; Hadding, in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. Bd. 4, Stuttgart 1985, Rdn. 54 zu §705. 30 Das von §§325, 326 BGB geforderte Alternatiwerhältnis von Schadensersatz und Rücktritt knüpft an die Rückwirkung des Rücktritts an und muß mit deren Einschränkung entfallen, so wohl auch Soergel/Hadding, aaO Rdn. 45 zu §705, doch herrscht weithin Unklarheit, vgl. etwa Flume, aaO S. 31 ff; Ulmer, aaO Rdn. 21 zu § 706; anders von seinem Ausgangspunkt aus K. Schmidt, aaO S. 430 ff.

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gung zumeist eine unpraktikable, für den leistungspflichtigen Partner oft auch unangemessene Sanktion bilden, denn die eine oder andere Kooperationsseite, ja voraussetzungsgemäß sogar beide Seiten werden inzwischen ihr eigenes Unternehmen funktional auf die Kooperation umgestellt haben. Sie sind nicht mehr allein voll unternehmerisch funktionsfähig, sondern auf den Partner angewiesen und zumindest auf absehbare Zeit nicht in der Lage, dessen Ausfall auszugleichen. Dementsprechend wächst die Höhe des Schadens, wird aber auch seine Einbringlichkeit fragwürdig. Der Versuch, der Strenge und Unzweckmäßigkeit dieser Rechtsfolgen schon auf der Tatbestandsseite durch eine Milderung der Einstandspflicht für den Kooperationsbeitrag auszuweichen, bietet wenig Aussicht auf Erfolg. Zwar hat der Gesellschafter der BGB-Gesellschaft (wie auch der OHG und KG, §§ 105 II, 161 II HGB) sein Leistungsvermögen und die Leistungsverzögerung nur nach Maßgabe der Sorgfalt zu vertreten (§§325, 326 BGB), die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt (§708 BGB), doch gilt dieser Maßstab nicht allgemein. Die Vertragspraxis bevorzugt die Regelung des §276 BGB31 und Rechtsprechung wie vor allem die Lehre neigen zur Reduktion des § 708 BGB zu einer bloßen Auslegungsregel, nach der statt der diligentia quam in suis die allgemeine Sorgfalt stets geboten ist, wo Natur oder Inhalt des gesellschaftsrechtlichen Rechtsverhältnisses dies erfordern32. So mag, weil die Vorschrift für die GmbH nicht gilt, ihre Geltung auch in der diese stützenden BGB-Doppelgesellschaft und erst recht im die Beitragspflicht ausfüllenden Ausführungsgeschäft zurückgedrängt werden33. Die Kritik UlmersM, der richtigerweise auch allgemein Beitragspflichten den §§320 ff BGB zugunsten einer gesellschaftsrechtlichen Würdigung entziehen will35, läuft insoweit gegen den Strom der Zeit36. Es ist ja auch, weil die Entlastung eines Gesellschafters in der arbeitsteiligen Koopera-

31 Vgl. Mentz, in Münchner Vertragshandbuch Bd. 1, Gesellschaftsrecht, München 1985, Muster 1.7 (RA-sozietät) §10111; Muster 1.8 (ärztl. Gemeinschaftspraxis) §411, 14 III. Bei den anderen Vertragsmustern für gewerbliche BGB-Gesellschaften fehlt überraschenderweise eine Regelung des Sorgfaltsmaßstabs. 32 K. Schmidt, aaO S. 1313; zurückhaltend Soergel/Hadding, aaO Rdn.2 zu §708; Ulmer, aaO Rdn.3 zu §708. 33 Zwingend ist das freilich nur für echte Drittgeschäfte zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, vgl. Soergel/Hadding, aaO Rdn. 4 zu § 708. 34 Ulmer, aaO Rdn. 1 ff zu § 708. 35 Ulmer, aaO Rdn. 137 ff zu §705 (mit das. Rdn. 143 betr. §708); 19 ff zu §706 (mit das. Rdn. 21 betr. § 708). 36 Vgl. K.Schmidt, aaO S. 1311 ff m.Nachw.; Hoffmann, Die Fragwürdigkeit der Haftung für diligentia quam in suis, NJW1967, 1207; Schlechtriem, Vertragliche und außervertragliche Haftung, in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (Bundesminister der Justiz, Hrsg.), Köln 1981, Bd. II, S. 1591, 1622 ff.

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tion stets zu Lasten des anderen Kooperationspartners gehen muß, fraglich, ob dem Kooperationsziel mit einer durchgängigen Haftungsmilderung gedient wäre. Immerhin, im Kern enthält §708 B G B die rechtspolitisch richtige Einsicht, daß die Beziehungen der Gesellschafter untereinander und zur Gesellschaft gerade kein Rechtsverhältnis des allgemeinen Wirtschaftsverkehrs, sondern ein diesem vorgängiges Individualverhältnis bilden, zu dem sich die Gesellschafter zusammentun, um das gemeinsame Gesellschaftsunternehmen jeweils wie ein eigenes zu führen37. Die Unternehmenskooperation ist darüberhinaus dadurch besonders auf die Individualität der Partner zugeschnitten, daß diese durch sie ihr jeweils eigenes Unternehmen als (teilweise) gemeinsames betreiben. Deshalb sollte der § 708 B G B bei ihr wenigstens insoweit - und gegebenenfalls in Restriktion weitergehender, aber auslegungsfähiger Vertragsgestaltungen - zur Anwendung kommen, als der der Vorschrift zugrunde liegende Gedanke trägt. Dies gilt vor allem gegenüber den verschiedenen Ausformungen des Grundsatzes, der Schuldner, d.h. der beitragspflichtige Kooperationspartner, habe für seine allgemeine Leistungsfähigkeit stets einzustehen. Tatsächlich gilt die Einstandspflicht für anfängliches Unvermögen 38 , der allgemeine, objektive Fahrlässigkeitsmaßstab39 und die unbedingte Verbürgung für finanzielle Beschaffungsrisiken 40 immer nur nach Maßgabe des anspruchsbegründeten Vertrages. Dann aber können dem Partner einer Kooperation solche individuellen Leistungsschwächen, die sich, wie sachliche oder personelle Kapazitätsgrenzen 41 , aus dem Zuschnitt Ähnlich Ulmer, aaO Rdn. 1 zu §708. Dazu m.Nachw. Evans v.Krhek, Gleichstellung des anfänglichen Schuldnerunvermögens mit dem nachträglichen? AcP177 (1977) 35; Emmerich in Münchener Kommentar zum BGB, 2. Aufl. München 1985, Rdn. 53 ff zu §275; ders. das., l.Aufl. München 1979, Rdn. 43ff vor §275; Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. München 1987, §811. 39 Dazu Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, Köln 1963, 127 ff; ders., Haftungsrecht Bd.I, Köln 1976, 279 ff; Larenz, Schuldrecht Bd.I, aaO §20111; zur Differenzierung der Fahrlässigkeit nach der haftungsbegründenden Norm Huber, Zivilrechtliche Fahrlässigkeit, Festschr. E. R. Huber, Göttingen 1973, 253, 259 ff, 281 ff; ferner zum Ubernahmeverschulden von Caemmerer, Die absoluten Rechte des § 8231 BGB, Ges. Schriften Bd.I, Tübingen 1968, S.554, 577ff. 40 Dazu m.Nachw. Emmerich, Münchener Kommentar, aaO Rdn.53 zu §275, 8 zu §279; Coester-Waltjen, Die Bedeutung des §279 B G B für Leistungsstörungen, AcP183 (1983) 279; Medicus, Geld muß man haben - Unvermögen und Schuldnerverzug bei Geldmangel; AcP 188 (1988) 489, 508 ff. 41 Etwa die Struktur seiner FuE-Abteilung, die Auslegung seiner Fertigungskapazität u. ä. Hier zeigt sich im übrigen rasch, wie unbestimmt die Verpflichtung zur allgemeinen Leistungsfähigkeit ist, wenn sie nicht auf Person und Grundlage des konkreten Leistungsverhältnisses bezogen wird: Kapazitäten von Unternehmen sind beliebig ausweitbar, wirtschaftlich aber nur begrenzt sinnvoll. 37

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seines Unternehmens ergeben, auch dann nicht zum Schadenersatz verpflichtenden Vorwurf gemacht werden, wenn die Zusammenarbeit von Anfang an oder im Verlauf ihrer Entwicklung objektiv erkennbar weitergehende Kapazitäten erheischt42. So gewiß nämlich von den Beteiligten alle Sorgfalt bei der Ausführung ihrer Kooperationspflichten verlangt werden kann43, so verfehlt wäre es, Konstitutionsmängel der Partner über §§27511, 276, 279 BGB zum Haftungsgrund für Kooperationsfehlschläge zu erheben. Eine solche Haftung, die an Unternehmensdefizite eines Beteiligten eine Fürsorgepflicht für das integrale Geschäftsinteresse des anderen Kooperationspartners knüpft, wird kein Unternehmen auf sich nehmen. Sie widerspricht dem Sinn arbeitsteiliger Zusammenarbeit. Arbeitsteilung heißt hier, wechselseitige Aufgabenübertragung entsprechend der jeweils besseren Leistungsfähigkeit, heißt aber auch Vergemeinschaftung verbleibender Leistungsrisiken nach Maßgabe der individuellen Leistungsfähigkeit. Eine Arbeitsteilung, die mit der Aufgabenzuweisung die Übernahme einer unbedingten Einstandspflicht für den jeweiligen Leistungsbeitrag unabhängig davon verbindet, zwischen wem die Arbeitsteilung stattfindet, die also überindividuell verstanden wird, entspricht zwar makroökonomischen Verkehrsanforderungen, nicht aber den mikroökonomischen Bedingungen einer Unternehmenskooperation. Vielmehr liegen hier insoweit Partnerwahlrisiken vor44, deren Eintritt allenfalls die Fortsetzung der Kooperation unzumutbar machen kann, wenn die Erreichung des Kooperationszweckes nachhaltig gestört ist45. 2. Diese Festlegung der Leistungspflichtgrenzen bezeichnet nur einen Kernbereich der Haftungsfreiheit und auch diesen noch unscharf 46 . Vielfach wird der Kooperationsvertrag genauer bestimmen, welche Risi42 Offen muß hier das Verhältnis zu dem Grundsatz bleiben, daß der Gesellschafter nicht zu einer Erhöhung seiner Beitragsleistung verpflichtet ist, § 707 BGB. 43 Das gilt nicht nur für alle Verhaltensanforderungen an die Erfüllung sozialrechtlicher Treue- und Schutzpflichten (einschließlich etwa der Sicherheitsstandards beim Personalaustausch), sondern etwa auch für die Qualitätshaftung bei Kollegenlieferungen nach §§ 459 ff, 633 ff BGB. Die von Ulmer (wie Anm. 35) vorgeschlagene Anwendung des §708 BGB ebenso wie die von K.Schmidt befürwortete Haftungsmodifizierung (wie Anm. 28) sind nur bei der Erfüllung von Beitragspflichten des Gesellschafters aus dessen Bestand (Geräteüberlassung, Personalabstellung), nicht bei Beiträgen mit Beschaffungscharakter berechtigt. 44 Straube, aaO (wie Anm. 6) S. 85 ff versucht die Frage über eine Anfechtung des Gesellschaftsvertrages nach § 1 1 9 1 1 BGB wegen Irrtums über die Eigenschaften des Kooperationspartners zu lösen. 45 Entsprechend allgemeinen Kündigungsregeln, s. u. 3. 46 Vgl. zu Erfüllungsvorbereitungspflichten des Schuldners Emmerich in Münchener Kommentar, aaO Rdn. 41 ff zu §275; zur Feststellung des „Unvermögens", die der Frage nach dem „Vertreten müssen" vorausgeht Brehm, Der Begriff des Unvermögens -

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ken der Kooperationspartner zu vertreten hat, etwa durch Preis- und Mengenregelungen für Kollegenlieferungen47 oder durch Spezifizierung des erwarteten Leistungsaufwandes48. Das Problem solcher Pflichtenkonkretisierung ist ein doppeltes. Sie mag zwar die Risiken einzelner Pflichtverstöße zwischen den Kooperationspartnern verteilen, etwa Kostensteigerungen der einen oder anderen Seite durch die Begrenzung von Lieferpflicht oder Abnahmezwang zuordnen. Eine weitergehende Sanktionierung durch Schadensersatzpflichten jedoch wird sie kaum zulassen. Kooperierende Unternehmen werden nicht zusätzlich zum eigenen auch noch das Absatzinteresse des Partners übernehmen wollen. Wo es dennoch durch Schadensersatzklage liquidiert werden kann und wird, ist das Ende der Zusammenarbeit allemal eingeläutet49. Vor allem aber vermag eine solche Risikoordnung nur einmalige, leichte oder doch erkennbar vorübergehende Störungen aufzufangen, nicht aber die Funktionsfähigkeit der Kooperation als Dauerbeziehung zu gewährleisten. Jede anhaltende Leistungsstörung führt die arbeitsteilige Zusammenarbeit in ein schweres Dilemma. Das beitragspflichtige, aber nicht-fähige Unternehmen verliert die Vorteile der Kooperation (Sicherung der Absatzplanung etwa), bleibt ihr aber wegen der Bezugsabhängigkeit vom Kooperationspartner verhaftet. Der Kooperationspartner wiederum geht einer auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Bezugsquelle verlustig, ohne sich deshalb schon aus der Zusammenarbeit, die ihm Absatz sichert, lösen zu können50 oder auch nur zu wollen. Die Arbeitsteilung führt deshalb nur vordergründig zu einer Risikominderung durch Aufgabenausgliederung, in Wahrheit jedoch zu einer

Bemerkungen zum Wert der Dogmatik in der Jurisprudenz, JZ1987, 1089 m. Nachw. der von ihm angegriffenen, aber nicht widerlegten „neuen" Lehre. 47 Vgl. die unterschiedlichen Regelungsvorschläge für Kollegenlieferungen bei Benisch, aaO S. 510 ff (§4 Vertragsmuster D4.3: Verrechnungspreise mit Gewinnspanne und Kostenkorrekturen bei Bindung der Abnahmepflicht an Marktpreisgrenzen) und Lutz, Münchner Vertragshandbuch, aaO (§6 Vertragsmuster VIII5: Bezugspflicht bei Verweis auf eine erleichtert änderungsfähige Anlage); ferner zu dem hier bestehenden Konfliktstoff (der neben Preis- auch Mengenanpassungen betrifft) Richter, Probleme und Möglichkeiten der Spezialisierungskooperation, Köln 1965, 44 ff. 48 Dazu für Forschungs- und Entwicklungsleistungen Ullrich, Privatrechtsfragen staatlicher Forschungsförderung, Weinheim 1984, 82 ff. 49 Zutreffend erlaubt Ulmer in Hachenburg, aaO Rdn. 86 zu § 3 auch dem beitragsschuldigen und ersatzpflichtigen Gesellschafter die Kündigung bei Unzumutbarkeit weiterer gesellschaftsvertraglicher Inanspruchnahme. 50 Richtigerweise ist schon die Zurückhaltung des eigenen Leistungsbeitrages auch in der zweiseitigen Zusammenarbeit verwehrt, vgl. BGH v. 28. XI. 1955, LM Nr. 11 zu §105 HGB; v. 6. XI. 1958, WM 1959, 53, 54; Ulmer, aaO Rdn. 142 zu §705; H adding/ Soergel, aaO Rdn. 45 zu §705; vgl. aber o. Anm. 26. Der Grund dafür liegt bei der arbeitsteiligen Kooperation freilich weniger im Schutz des gemeinsamen Gesellschaftszwecks als im Vorrang der Kündigungsregelung, s. gleich im Text.

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Vergemeinschaftung des jedem Partner mit der ihm verbleibenden Aufgabe zugewiesenen „Restrisikos". Dieses wird ihm zwar zunächst entsprechend der Verteilung der Leistungsstärken in der Zusammenarbeit angesonnen, der Ausgleich der Folgen des Restrisikoeintritts aber kann ihm meist nicht bis zur vollen Höhe des Leistungsinteresses der anderen Partner abverlangt werden. In dieser Risikovergemeinschaftung liegt die Eigenart der Kooperation. Sie scheint allerdings, wo nicht schon vertraglich vorweggenommen, zunächst nur tatsächlicher Natur. Ihren rechtlichen Grund jedoch hat sie in der Diskrepanz zwischen dem (gesellschafts-) rechtlichen Umfang der Leistungspflichten des Kooperationspartners und der Wirksamkeit der für ihre Nichterfüllung bereitstehenden Sanktionen. Unverkennbar bleibt ja dem kooperierenden Unternehmen auch nach der Ausgrenzung unternehmensindividueller Kapazitätsdefizite noch ein weiter Verantwortungskreis für Leistungsstörungen, die mit dem Erfüllungsinteresse der Partner behaftet sind 51 , aber nicht ohne Aufgabe der Zusammenarbeit eingefordert werden können. Die Liquidation des Erfüllungsinteresses nämlich würde alle Vorteile der Kooperation mit einem Schlage aufzehren. Wer das Erfüllungsinteresse der Partner an seiner eigenen Leistung mitübernehmen muß, wird die Kooperation von vornherein scheuen oder ihre Fortführung aufgeben, weil die Entlastungswirkung der Arbeitsteilung außer Verhältnis zur Belastung durch die Tragung fremder Schäden gerät 52 . Spätestens hier wird deutlich, daß die arbeitsteilige Unternehmenszusammenarbeit sich auch nicht ohne weiteres durch die gesellschaftsrechtliche Umwandlung allgemeiner Leistungsstörungsregeln 53 bewältigen läßt. Zwar wird dabei durch Aufhebung des Gegenseitigkeitsprinzips und damit durch Trennung von Haftung und Gegenleistungsgefahr der Bestand der Zusammenarbeit zunächst außer Frage gestellt. Der Umfang

51 Nchw. wie Anm. 46. Nicht nachgegangen werden kann hier den umgekehrten Risiken, die für den Kooperationspartner bei Nichtabnahme eines Gesellschaftsbeitrages daraus entstehen können, daß er für die Annahmefähigkeit stets einzustehen hat (vgl. BGH v. 11. IV. 1957, BGHZ 24, 91, 96). Abgrenzungsprobleme bestehen hier zu einerseits § 324 BGB (dazu Flume, aaO S.31; Ulmer, aaO, Rdn. 143 zu §705, andererseits zu den §§325, 326 in den Fällen der Bezugspflicht. 52 Zum einen entspricht der Störung der Beitragsleistung stets schon ein eigener Schaden des beitragspflichtigen Unternehmers, zum andern ist der der Kooperation entstehende Schaden bei Haftung auf das Erfüllungsinteresse regelmäßig größer als der Schaden, den das Unternehmen bei Verzicht auf die Kooperation erleiden würde und schließlich stehen die eigenen Kooperationsgewinne in keiner direkten Relation zu der Höhe des beim Kooperationspartner eintretenden Erfüllungsschadens. 53 Dazu Ulmer, aaO Rdn. 142 ff zu §705 und 20 ff zu §706; Hadding/Soergel, Rdn. 45 zu §705.

aaO

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der H a f t u n g jedoch bleibt unverändert und damit auch die Gefahr, die der Kooperation immer dann erwächst, wenn individuelles Erfüllungsinteresse statt gemeinsamer Risikoausgleich gesucht wird. Lediglich Leistungsverzögerungen lassen sich durch die Verdrängung des §326 B G B zugunsten des §286 B G B auffangen. D e r Ausgleich nur des Verzugsschadens enthält eine angemessene Haftungsbegrenzung, weil sie einen behebbaren Kooperationsmangel korrigiert und nicht z u m Anlaß einer Alles-oder-Nichts-Forderung nimmt. 3. Freilich läßt sich der Bestand der Kooperation nicht einfach durch Sanktionsbeschränkung sichern. Dies zeigen nicht zuletzt die gesellschaftsrechtlich modifizierten Folgen nicht zu vertretender Leistungsstörungen. Der Verzicht auf die Anwendung des § 323 B G B nämlich, der diesem Ziel dienen soll, geht bei der arbeitsteiligen Kooperation ins Leere, weil die Ersatzlösung, die Minderung des Gewinnanspruchs 5 4 , regelmäßig nicht greifen kann. Die Kooperation verteilt keine Gewinne, diese werden allein aus dem eigenen Unternehmen gezogen. Tatsächlich erscheint solcher Sanktionsverzicht auch nicht durchweg sachgerecht. Gewiß sanktioniert die Befreiung von der „Gegenleistungspflicht" die Beitragsleistungsstörung durch weitere Gefährdung der gemeinsamen Zweckerreichung. Aber infolge der Arbeitsteilung trägt das kooperierende Unternehmen ohnehin schon zumindest einen Teil des Risikos der bei seinen Partnern auftretenden Leistungsstörung. Dieser trifft es unmittelbar in seiner Unternehmensplanung, weil eine Funktion, die es schon ausgegliedert hatte, wieder auf es zurückfällt und der mit der Arbeitsteilung erstrebte Rationalisierungseffekt gerade ausbleibt. D i e Folge ist, daß bei den Kooperationsbeteiligten die Bereitschaft zur Erfüllung ihrer Beiträge bei Ausbleiben der komplementären Beiträge der Partnerunternehmen oftmals drastisch sinkt. Die Kooperation nämlich verwandelt sich nunmehr in eine Einbahnstraße, auf der nur noch dem einen - vielleicht gar konkurrierenden - Unternehmen die Kooperationsvorteile zugeführt werden 5 5 . Die Verdrängung des §323 B G B durch das Gesellschaftsrecht ist daher weniger auf die Unangemessenheit seiner Rechtsfolge, die auf die Kündigung des Gesellschaftsvertrages hinausläuft, als auf die Automatik

54 Ulmer, aaO Rdn. 143 zu §705 und 21 zu §706; Hadding/Soergel, aaO Rdn.45 zu §705; auch schon Hueck, aaO §6113d (doch kommt eine ersatzweise Geldleistung in der Kooperation regelmäßig nicht in Betracht; der Gedanke paßt nur für den Ausgleich fehlgeschlagener Sacheinlagen); anders allenfalls bei besonderer Risikoübernahme, vgl. R G v. 27. IX. 1938, R G Z 158, 321, 327 ff. 55 Typischerweise bei arbeitsteiliger Forschung und Entwicklung, die einen Kenntnis- und Erfahrungsaustausch verlangt, dessen Einhaltung sich schwerlich erwarten läßt, wenn ein Partner mit seinem FuE-Anteil nicht mehr richtig vorankommt.

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zurückzuführen, mit der sie eintritt. §323 B G B beruht auf der Annahme der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, die das vertraglich autonom hergestellte Synallagma erlaubt. Zu dem gemeinsamen Zweck, der die Zusammenarbeit gesellschaftsvertraglich trägt, können die beteiligten Unternehmen aber mit wertmäßig durchaus unterschiedlichen, vielleicht gar nicht kommensurablen Leistungen beitragen, so daß die einzelne Leistungsstörung nicht automatisch, sondern nur nach Gewichtung der Leistungszusammenhänge und der Störung unter Unzumutbarkeitsgesichtspunkten zur Vorenthaltung auch der anderen Beitragsleistungen führen darf. In diesem Sinne muß die Kündigung der Kooperation Vorrang vor der Sanktionsautomatik des § 323 B G B besitzen. Dann mag bei der Prüfung der Kündigungsbefugnis entschieden werden, ob in concreto weniger einschneidende Folgen der von keinem Partner zu vertretenden Leistungsstörung möglich und angemessen sind56.

III. In der Tat bildet die Kündigung der Kooperation aus wichtigem Grund (§§ 723, 737 B G B ) nicht nur die unabdingbare Möglichkeit, sich von einem Kooperationspartner zu trennen, der seine Vertrauenswürdigkeit durch verschuldete Mängel bei der Erfüllung seiner Kooperationsbeitragspflicht verloren hat57, sondern überhaupt den Notausgang der Kooperationspartner bei Zweckstörungen in der Zusammenarbeit. I. Das gilt zunächst für Störungen aus der Gesellschaftersphäre, namentlich eben die unverschuldete nachträgliche Unmöglichkeit der Erfüllung wesentlicher Beitragspflichten58. Für die arbeitsteilige Zusammenarbeit von Unternehmen fällt dabei zweierlei ins Gewicht. Zum einen bedeutet die ausbleibende Beitragsleistung eines Partners für den anderen notwendigerweise sowohl eine Aufwandserhöhung als einen davon zu unterscheidenden - Vorteilsverlust59. Zum anderen wird der Kooperationszweck von den Beteiligten nur nach Maßgabe ihres eigenunternehmerischen Interesses gemeinsam verfolgt60. Abweichend vom gesetzlichen Leitbild der Personengesellschaft oder der GmbH geht es 56 Vgl. Ulmer, aaO Rdn. 8 zu §737; Heymann/Emmerich, Handelsgesetzbuch, Bd. 2, Berlin 1989, Rdn. 6 zu § 133 m. Nachw.; früher schon RG v. 3. VI. 1932, JW1933, 98; v. II. XII. 1934, RGZ46, 169, 180 ff (für die Ausschließung nach §140 HGB); kritisch neuerdings Scheifele, Der Ausschluß aus der Gesellschaft als ultima ratio? BB 1989, 792. 57 H adding/Soergel, aaO Rdn. 16 zu §723 Heymann/Emmerich, aaO Rdn. 9 ff zu § 133; Ulmer, Großkommentar HGB (Staub), Berlin 1933, Rdn. 27ff zu § 133. 58 Ulmer, aaO Rdn. 22 zu §705; H adding/Soergel, aaO Rdn. 16, 19 zu §705 je m. Nachw. 59 S. o. sub II 2. 60 Insoweit treffend schon RG v. 20. II. 1917, Warneyer, 1917, 453, 454.

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nicht um die Erhaltung eines Unternehmen, zu dessen Betrieb sich die Gesellschafter zusammengetan haben61, sondern um die arbeitsteilige Vergemeinschaftung betrieblicher Teilfunktionen im Interesse der Gesellschafterunternehmen. Dies zieht der Zumutbarkeit der Beteiligung an Risiken, die aus dem Bereich des Partnerunternehmens stammen, enge Grenzen. Die Grenzen, innerhalb derer das kooperierende Unternehmen seine Beitragspflicht zu erfüllen hat, sind freilich auch enger als diejenigen, die der Leistungspflicht bei gegenseitigen Verträgen gesetzt werden. Weder braucht es auf Dauer seinen Kooperationsbeitrag unter Verlust zu leisten62, noch ihn zur Erreichung des Kooperationszwecks zu erhöhen63, mag damit auch die Zusammenarbeit scheitern (§726 B G B , 2. Alt.). Ebensowenig muß es sich an die wirtschaftlich aussichtslose64 oder nur durch Änderung ihres Gegenstandes noch zu rettende Zusammenarbeit65 fesseln lassen. 2. Die Kündigung (oder gar Auflösung) der Zusammenarbeit kann der Gesellschafter sowohl bei gesellschaftsinternen wie gesellschaftsexternen Zweckstörungen als Notausgang benutzen 66 . Da sie meist zu einer ungleichen Risikobelastung führt, weil die Gesellschafterinteressen am Fortbestand der Zusammenarbeit nicht identisch sind, schafft die Kündigung leicht eine aleatorische Risikoverteilung, die der Korrektur über die Handhabung des Zumutbarkeitskriteriums bedarf67. a) Schwierigkeiten begegnet diese Zumutbarkeitskontrolle allerdings im weiten Anwendungsbereich des § 13 GWB 6 8 . Die etwas gedankenlos aus " Dazu Wiedemann, aaO, 103, 114 ff. Das am Gesellschaftsunternehmen ausgerichtete Leitbild der Personengesellschaft spiegelt sich deutlich in der Nichtanwendung der §§320-323 BGB und vor allem dem ultima ratio-Prinzip bei Kündigung, Ausschließung und Auflösung, s. o. Anm.56 und O L G Hamburg v. 20.111.1918, O L G E 3 6 , 271. 62 RG 11.XII.1912, JW1913, 265, 266; v. 20.11.1917, Warneyer 1917, 453, 454; vgl. aber BGH v. 20. III. 1968, WM 1968, 876 (vorhersehbare Verlustphasen eines Entwicklungsprojektes muß der Gesellschafter mittragen); v. 14. V. 1970, WM 1970, 962 (bloßer Interessenwegfall ist kein wichtiger Kündigungs- oder Auflösungsgrund). 63 §707 BGB, dazu RG v. 23. III. 1938, JW1938, 1522. 64 RG v. 28.1.1927, J W 1927, 1350; v. 3. V. 1927, J W 1927, 1684; O L G Hamburg v. 6. IV. 1918, O L G E 3 8 , 125; vgl. aber BGH v. 23. V. 1957, NJW1957, 1279 (nur vorübergehende Unmöglichkeit); im übrigen Ulmer, aaO Rdn. 5 zu § 726. 65 RG v. 11. XI. 1933, RGZ142, 212, 216; BGH v. 21. IV. 1980, WM 1980, 868; vgl. aber RG v. 4. VI. 1940, RGZ164, 129, 143 ff; BGH v. 12. VII. 1982, NJW1982, 2821. 66 Unverwertbarkeit des unternehmensgegenständlichen Patents und Rentabilitätsverlust durch Kriegseinwirkung führen jeweils zur Kündigung (Nachw. Anm. 63 und 64). Vgl. BGH v. 29.1.1968, WM 1968, 430: strenge Zumutbarkeitsprüfung bei ungleicher Vor- und Nachteilsverteilung der Auflösung der Gesellschaft. 68 §13 GWB betrifft nur die Zusammenarbeit aktueller oder potentieller Wettbewerber, also regelmäßig nicht die Kooperation von Komponentenherstellern unterschiedli-

296

Hanns Ullrich

der V e r o r d n u n g gegen M i ß b r a u c h wirtschaftlicher M a c h t s t e l l u n g e n v o m 2 . N o v e m b e r 1 9 2 3 ü b e r n o m m e n e V o r s c h r i f t 6 9 führt z w a r bislang ein Schattendasein, weil sie s o z u r ü c k h a l t e n d w i e ihre V o r g ä n g e r i n ausgelegt wird70,

doch

wird

damit

ganz

offensichtlich

die

gesetzgeberische

A b s i c h t 7 1 u n d das A n w e n d u n g s p o t e n t i a l des § 13 G W B v e r k a n n t . § 13 G W B stellt eine rein w e t t b e w e r b s p o l i t i s c h e S c h u t z v o r s c h r i f t dar, die es d e m k o o p e r i e r e n d e n U n t e r n e h m e n e r m ö g l i c h e n soll, der T e n d e n z z u r Selbstauflösung,

die jede Z u s a m m e n a r b e i t

zwischen

infolge des D r u c k s des A u ß e n w e t t b e w e r b s aufweist 7 2 ,

Wettbewerbern nachzugeben73.

D e m g e m ä ß erlaubt z w a r nicht, w i e d e r G e s e t z e s w o r t l a u t glauben m a c h t , jede unbillige E i n s c h r ä n k u n g der wirtschaftlichen

Bewegungsfreiheit

eines K o o p e r a t i o n s p a r t n e r s die K ü n d i g u n g - diese ist der B e g r ü n d u n g

eher Branchen. Soweit die Zusammenarbeit nach den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages freigestellt ist (Art. 85 III EWG-V mit den dazu ergangenen Gruppenfreistellungen) ist fraglich, ob § 13 GWB Anwendung findet; zu Recht bejahend Ritter, in Langen/Niederleithinger/Ritter/Schmidt, Kommentar zum Kartellgesetz, 6. Aufl. Neuwied 1982, Rdn. EG 4 zu § 13. 69 Dort hieß es in § 8, Abs. 1 : „Verträge oder Beschlüsse der in § 1 bezeichneten Art kann jeder Beteiligte fristlos kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt". Abs. 2: „Als wichtiger Grund ist es immer anzusehen, wenn die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Kündigenden, insbesondere bei der Erzeugung, dem Absatz oder der Preisgestaltung unbillig eingeschränkt wird". Dazu näher Klinger, Die aktuelle Bedeutung der Rechtsprechung des früheren deutschen Kartellgerichts, WuW1952, 375, 376 ff. 70 Vgl. trotz Hinweis auf die veränderte wettbewerbsrechtliche Ausgangslage grundsätzliche Zulässigkeit einst, grundsätzliche Unzulässigkeit jetzt der Kartelle lmmenga, in Immenga/Mestmäcker, Kommentar zum GWB, München 1981, Rdn. 9, 12 ff zu §13; Langen/Niederleithinger, u.a., aaO Rdn.5 zu §13; Dörinkel, in Müller-Henneberg/Schwartz, Gemeinschaftskommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 3. Aufl., 6. Lfg. Köln 1974, Rdn. 4 zu §13. 71 §8 des Regierungsentwurfes des GWB hatte die Kündigung von der Erlaubnis der Kartellbehörde abhängig gemacht, weil die zugelassenen Kartelle einen „die Wirtschaft fördernden Zweck" hätten und eine Kündigung „zu einer erheblichen Gefährdung des Kartells führen könnte" (BT-Drucks. 11/1158, abgedr. bei Müller-Henneberg/Schwartz, l.Aufl. Köln 1958, S. 1042 und 1082). Der Bundesrat hat diese Voraussetzung einer behördlichen Erlaubnis gestrichen, weil es dem „Grundgedanken des Gesetzes widerspricht . . . , Sprengungsversuche gegenüber Kartellen zu erschweren", Anlage 2 zu BTDrucks. 11/1158 (abgedr. das. S. 1129, 1133). Dem hat der Ausschuß für Wirtschaftspolitik zugestimmt (das. S. 1180). Damit war einer dem §8 KartellVO folgenden Auslegung der Boden entzogen. 72 Dazu Cox, Kartelle - Strukturanalyse, Wettbewerbswirkungen und die wettbewerbspolitische Behandlung, in Cox/Jens/Markert, Handbuch des Wettbewerbs, München 1981, 225, 236 ff; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Köln 1983, S. 99 ff. 73 Vgl. Anm. 71 und lmmenga in Immenga/Mestmäcker, aaO Rdn. 1 zu § 13; unklar Langen/Niederleithinger u.a. aaO Rdn. 1 zu §13; verfehlt Trautmann in MüllerHenneberg/Schwartz, Gemeinschaftskommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 4. Aufl. 8. Lfg. Köln 1984, Rdn. 1 zu §13.

297

Geschäftsrisiko und Unternehmenskooperation

der

Zusammenarbeit

Uberwindung

-,

immanent

wohl

aber

und

jede

unterliegt

nachfolgende

kartellaufsichtlicher Verschärfung

der

Beschränkungswirkung74. Solche n a c h t r ä g l i c h e B e s c h r ä n k u n g s v e r s c h ä r f u n g m a g v o n einer k o operationsinternen Lastenerhöhung oder organisatorischen

Positions-

v e r s c h l e c h t e r u n g kraft des M e h r h e i t s g r u n d s a t z e s 7 5 h e r r ü h r e n 7 6 o d e r auf v e r ä n d e r t e n M a r k t v e r h ä l t n i s s e n b e r u h e n 7 7 , m u ß aber erheblich genug sein, u m einen w i c h t i g e n K ü n d i g u n g s g r u n d bilden z u k ö n n e n 7 8 . W a n n dies a n z u n e h m e n ist, h ä n g t n u r v o r d e r g r ü n d i g v o n der Streitfrage u m die materielle W e r t u n g des g r u n d s ä t z l i c h e n K a r t e l l v e r b o t s u n d seiner A u s nahmen

ab. A u c h das V e r s t ä n d n i s

volkswirtschaftlich nicht,

der A u s n a h m e n

förderungswürdiger

als

Kooperationen79

diesen eine B e s t a n d s g a r a n t i e jenseits der bei ihrer

antizipierten M a r k t v e r h ä l t n i s s e

z u geben 8 0 .

Infolgedessen

Freistellung erlaubt

es

Gründung kommt

es

jedenfalls in den F ä l l e n der M a r k t v e r ä n d e r u n g 8 1 bei der Z u m u t b a r k e i t s -

74 Insoweit treffend die Regierungsbegründung zum Entwurf des GWB, aaO S. 1082; Dörinkel im Gemeinschaftskommentar, aaO Rdn. 4 zu § 13. 75 Zu dieser Möglichkeit Ulmer, aaO Rdn. 5 zu § 707. 76 §13 GWB erfaßt, wie Absatz 1 Satz 2, 2. Alternative zeigt, auch den internen Kartellorganisationszwang, freilich zu Unrecht, denn soweit dieser wettbewerbsbeschränkend wirkt, muß er von der Kartellbehörde bereits bei der Erlaubniserteilung geprüft werden. Im übrigen bildet er kein Problem des GWB, sondern des Gesellschaftsrechts und wird auch dort - Stichwort Gleichbehandlungsgebot, Treuepflichten - gelöst. Die Abstimmung von GWB und allgemeinem Gesellschaftsrecht in diesem Punkte ist allerdings über erste Versuche (A. Fischer, Die Kündigung nach §13 GWB im System der gesellschaftsrechtlichen Lösungsmöglichkeiten, Diss. Münster 1970, 160 ff) noch nicht hinausgelangt. 77 Dazu Klinger, aaO WuW1952, 378 ff; hierunter werden alle kartellexternen Änderungen der Verhältnisse gebracht, einschließlich Konjunkturänderungen (vgl. Immenga in Immenga/Mestmäcker, aaO Rdn. 11 zu §13 im Anschluß an eine entsprechende Äußerung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik, aaO S. 1181), doch geht das am Zweck der Vorschrift vorbei. Nur Änderungen der Wirtschaftsverhältnisse, die zu Änderungen der Wettbewerbsverhältnisse, also der Stellung der Wettbewerber zueinander (inund außerhalb des Kartells) führen, sind relevant. Ebenso kommen nur solche Verschlechterungen der Wirtschaftslage des Kündigenden in Betracht, die kartellbedingt sind. Ansonsten gelten die gesellschaftsrechtlichen Kündigungsgrundsätze und kann § 13 GWB von altem kartellorganisationsrechtlichem Ballast aus der Zeit des Kartellgerichts entrümpelt werden. 78 Störungen des Vertrauensverhältnisses gehören nicht zu den wichtigen Gründen im Sinne des § 13 (vgl. Anm. 77). 79 Vgl. Möschel, aaO S. 153ff; Emmerich, aaO S.92ff; J.Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2. Aufl. Stuttgart 1987, 114. 80 Vgl. §11IV Nr. 1 GWB; verfehlt Trautmann im Gemeinschaftskommentar, aaO Rdn. 1 zu §13. 81 Anders in den Fällen des §1312, 2. Alt. GWB, wo die sachlichen Gründe für die Ungleichbehandlung aus dem legitimen Kooperationszweck abzuleiten sind.

298

Hanns Ullrich

prüfung weder auf das Erhaltungsinteresse der Kooperation 82 noch darauf an, ob sich das kündigende Unternehmen darauf hätte einstellen können oder noch kann. Entscheidend ist allein die Veränderung der Wettbewerbsstellung, die es während und bei Verbleib in der Kooperation erfährt. Ist diese wesentlich und erkennbar nachhaltig, so wird die Beschränkung „unbillig" und ist die Kündigung gerechtfertigt. Auf eine existentielle Bedrohung oder eine Spekulation darüber, ob sich das weitere Unternehmensschicksal innerhalb oder außerhalb der Zusammenarbeit günstiger entwickeln würde83, kommt es nicht an. Hierüber entscheidet der künftige Wettbewerb, nicht die richterliche Einschätzung der Kartell- und Wirtschaftsentwicklung. Die Vorschrift stellt es den Unternehmen gerade frei, ihr Heil im Wettbewerb zu suchen84. b) § 13 G W B erfaßt weder alle Kooperationen noch alle diese treffenden externen Risiken. Die Erreichung des Kooperationszwecks kann durch technische Entwicklungen, organisatorische Veränderungen der Partnerunternehmen, durch staatliche Markteingriffe oder sonstige Ereignisse85 außerhalb des Einflußbereiches der kooperierenden Unternehmen in Frage gestellt, schlimmstenfalls unmöglich werden. Auch für diese Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der Unmöglichkeit stellt die Rechtsordnung vor allem Kündigung und Auflösung (726 B G B ) als Rechtsbehelf bereit86. Gesellschaftsrechtlichen Bemühungen, wenigstens die Veränderung der Geschäftsgrundlage durch eine Verpflichtung der Gesellschafter zur Anpassung des Gesellschaftsvertrages aufzufangen87,

82 Contra Immenga in Immenga/Mestmäcker, aaO Rdn. 9 zu § 1 3 ; Langen!Niederleithinger, u. a. aaO Rdn. 5 zu § 13. 83 So aber das Kartellgericht, vgl. Klinger, aaO WuW1982, 380 ff, 383 ff; Immenga/ Mestmäcker, aaO Rdn. 8 zu § 13. 84 Insoweit geht es nicht nur darum, daß die Unbilligkeit wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens „im Licht der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des G W B " zu ermitteln ist, vgl. etwa für § 2 6 Markert, in Immenga/Mestmäcker, aaO Rdn. 196 ff, 203 ff zu § 2 6 m.Nachw. Vielmehr zielt §13 GWB unmittelbar auf die Freisetzung des Selbstauflösungspotentials einer kartellarischen Kooperation. 85 Zu denken ist an Devisenkontrollen auf Exportmärkten oder Exportkontrollen im Heimatstaat, aber auch an die Einstellung öffentlicher Beschaffungsprogramme etc. 86 Vgl. Medicus, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 3. Aufl. Heidelberg 1988, S. 324 (Nr. 874). Die Verschuldensunabhängigkeit der Kündigungsgründe, denen jede Vertrauens- oder Vertragserschütterung genügt, einerseits und andererseits die Herkunft des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als Mittel zur Lösung einer unerträglich gewordenen vertraglichen Leistungsbindung, geben Medicus Recht. Er weist deshalb auch darauf hin, daß das ultima ratio-Prinzip der gesellschaftsrechtlichen Kündigung (s. o. Anm. 56) diese Zusammenhänge verdeckt. 87 Vgl. näher Westermann, Die Anpassung von Gesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, Festschrift Hefermehl, München 1976, 225; Horn, Neuverhandlungspflicht, AcP 181 (1981) 255, 271 ff; zum Streitstand K.Schmidt, aaO S. 100ff; zur Fallgruppendifferenzierung auch Ulmer, aaO Rdn. 190 ff zu § 705.

Geschäftsrisiko und Unternehmenskooperation

299

sind enge Grenzen gezogen. Die Rechtsprechung jedenfalls hat sich nur darauf eingelassen, wo Abhilfe durch eine den Betroffenen ohne weiteres zumutbare Änderung der Organisationsstruktur 88 oder durch ohnehin unausweichliche, negative Geschäftsmaßnahmen 89 geschaffen werden kann. Änderungen des Gegenstandes des gemeinsamen Unternehmens der Gesellschafter sind nur in ganz außergewöhnlichen (Kriegs-) Fällen erwogen worden 90 . Für die arbeitsteilige Zusammenarbeit selbständiger Unternehmen ist dies nicht vorstellbar 91 . Vertragsanpassungspflichten, die zu einer Erhöhung der Beitragspflichten führen, scheiden ohnehin aus92. 3. Insgesamt bleibt, wie schon bei den haftungsbegründenden Beitragsleistungsstörungen, der Eindruck, daß den kooperierenden Unternehmen auch bei von ihnen nicht zu vertretenden Störungen der Zusammenarbeit, namentlich bei externen Kooperationsrisiken, Rechtsbehelfe zur Verfügung gestellt werden, die keine angemessene, ihre individuell unternehmerischen und ihre gemeinsamen Interessen schützende Reaktion erlauben. Die Beteiligten können die Kündigung auch praktisch nur als „letztes Mittel" einsetzen, wenn die Fehlentwicklung der Zusammenarbeit bereits weit fortgeschritten ist93. Die Schneidigkeit der Sanktion verlangt eine hohe Eingriffsschwelle. Auch steht die Vielfalt der die Sanktion eröffnenden Sachverhalte außer Verhältnis zur praktischen Verfügbarkeit der Sanktion, denn diese läßt sich nicht entsprechend der Interessenverflechtung der Beteiligten moderieren. Entgegen dem ersten 88 Ulmer, aaO Rdn. 193 zu §705; BGH v. 1.XII. 1969, NJW1970, 706; v. 20.X. 1986, JZ1987, 95 m.Anm. Westermann; OLG Bremen v. 6. IV. 1972, NJW1972, 1952; ferner zur Zustimmungspflicht zum Gesellschaftsausschluß etwa BGH v. 28. IV. 1975, BGHZ64, 253; die Rechtsprechung läßt aber jeden sachlichen, auch persönlichen Grund zur Zustimmungsverweigerung genügen, vgl. RG v. 8. II. 1940, RGZ162, 388, 396; OLG Nürnberg v. 27. III. 1958, WM 1958, 710. 89 BGH V. 17. XII. 1959, NJW1960, 434 (Veräußerung des unrentablen Geschäftsbetriebes); v. 26.1.1961, LM Nr. 8 zu § 138 HGB (Ausscheiden illiquiden Mitgesellschafters); v. 5. XI. 1984, NJW1985, 974 (Aufhebung der Kapitalverzinsungspflicht für Kommanditeinlage); dagegen hat der BGH eine Verpflichtung zur Verlängerung des Gesellschaftsverhältnisses selbst für den Fall abgelehnt, daß die NichtVerlängerung zur Vernichtung erheblicher Vermögenswerte führt, BGH v. 7. XII. 1972, WM 1973, 990, 991 ff. 90 RG v. 4. VI. 1940, RGZ 164, 129, 143 ff; vgl. OLG Hamburg v. 20. III. 1918, OLGE36, 271. 91 Wohl käme eine vorgängige sanktionsfreie obligatio de negotiando im Sinne eines „miteinander reden müssens" vor der Kündigung in Betracht, zu eng daher Horn, aaO AcP 181, 274 ff. 92 Vgl. K.Schmidt, aaO S. 108 und die Zurückhaltung der Rechtsprechung selbst noch bei der Pflicht zur Erhöhung der Tätigkeitsvergütung der Geschäftsführer, BGH v. 10. VI. 1965, BGHZ44, 40; v. 6. VII. 1967, WM 1967, 1099. 93 Zur hohen Fehlschlagsquote bei Kooperationen (50% nach 5 Jahren Laufzeit) Schubert/Kiiting, aaO S. 141.

300

Hanns Ullrich

Anschein ähnlich verhält es sich bei den Mitwirkungspflichten zur Anpassung der Kooperation an veränderte Umstände. Diese sind auf die Wahrung eines gemeinsamen Gesellschafterunternehmens gerichtet. Im übrigen greifen sie nur ausnahmsweise und erst in extremis ein. Vonnöten ist stattdessen ein Sanktionsmechanismus, der gekoppelt mit einem „Frühwarnsystem" für drohende Kooperationsstörungen, eine rechtzeitige und abgestufte, die Schadensentwicklung aufhaltende Reaktion auf jede Veränderung innerhalb und außerhalb der Kooperation erlaubt. Diese nämlich muß sich, weil sie im Zeitablauf stattfindet, als arbeitsteilige Wahrnehmung unternehmerischer Teilfunktionen ständig dem Wandel der beteiligten Unternehmen und der betroffenen Märkte anpassen. Die Praxis versucht dies über die Organisation von Informations- und Lenkungsgremien zu gewährleisten94. Das Recht muß ihr dabei helfen. Dazu genügen am Leistungsvollzug ausgerichtete Berichts- und Mitwirkungspflichten, wie sie von manchen komplexen Dienst- und Werkverträgen her bekannt sind95 und wohl auch in Kooperationsverträge aufgenommen werden96, alleine nicht. Vielmehr muß, weil die Kooperation wesensgemäß die Unternehmensplanung aller Beteiligten bestimmt, die rechtzeitige und umfassende Information des Kooperationspartners über alle für den Kooperationszweck wesentlichen tatsächlichen, die beteiligten Unternehmen sowie die inneren und äußeren Verhältnisse der Zusmmenarbeit betreffenden Entwicklungen zur Pflicht erhoben und zweckentsprechend sanktioniert werden. Dies erlaubt die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, ihrer Legitimation entsprechend97, bei der Kooperation schon deshalb, weil sich bei ihr jedes beteiligte Unternehmen hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit, Geschäftsorganisation und -politik offenbaren und in Abhängigkeit von

Vgl. Anm. 19. Vgl. Nikiisch, Mitwirkungspflichten des Bestellers beim Werkvertrag, insbesondere beim Bau- und Industrieanlagenvertrag, BB 1979, 533; ders., Projekte über neue Technologien und Schiedsgerichtsbarkeit, Jhb. Prax. Schiedsgrichtsbarkeit 1987, 63, 67; Soergel, in Münchener Kommentar, 2. Aufl. Bd.3, l . H b d . , München 1988, Rdn. 139ff, 180 zu §631; für den Konsortialvertrag Hautkappe, aaO S. 129ff; für FuE-Verträge Ullrich, Privatrechtsfragen, aaO S. 87 ff. * Vgl. Benisch, aaO S.511 (Vertragsmuster D 4.3, §§3, 4). 97 Die Exponierung des eigenen Interesses, das sich dem Einflußbereich des Partners anvertrauen mehr als die gemeinsame Zweckförderung begründet die „Treuepflicht", vgl. jüngst noch treffend Wiedemann, Anmerkung zu B G H v. 1. II. 1988, JZ1989, 443, 447 ff; ders., Gesellschaftsrecht aaO S. 431 ff; abweichend Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP180 (1980) 84, 102ff; ferner K.Schmidt, aaO S.435ff; Ulmer, aaO Rdn. 181 ff zu §705. Es handelt sich um variierende, nicht alternative Begründungen. 94

95

Geschäftsrisiko und Unternehmenskooperation

301

der Leistungsfähigkeit, Geschäftsorganisation und -politik des anderen begeben muß98. Diese Informationspflicht mag dabei entsprechend dem Stellenwert der vergemeinschafteten Teilfunktion für die Geschäftsziele der beteiligten Unternehmen unterschiedlich weit reichen", muß aber in diesem Umfang sowohl die Verschleierung aufkommender Fehlentwicklungen der Beitragsleistung 100 wie unternehmenstaktisch oder -strategisch begründete Geheimsphären101 durchbrechen. Dies entspricht dem Schutzzweck der Informationspflicht und dem muß auch die Sanktion ihrer Verletzung entsprechen. Da sie dem Kooperationspartner die rechtzeitige Einstellung auf die Gefährdung des Kooperationszieles ermöglichen soll, die sein eigenunternehmerisches Interesse von ihm verlangt, ist die Sanktion auf den Ersatz des Schadens zu begrenzen, den er als Folge seines Vertrauens auf die ungestörte Entwicklung der Zusammenarbeit erleidet102. Eine derartige und derart bewehrte Informationspflicht bildet gewiß auch nur einen noch fallweise auszuarbeitenden Notbehelf zur Bewältigung von Kooperationsrisiken. Er kann andere Rechtsbehelfe auch keineswegs verdrängen. Vielleicht aber vermag er Konflikte und eintretende Schäden zu verringern. In jedem Fall wird die Informationspflicht die Anpassungsfähigkeit der Kooperation erhöhen, unter Umständen sogar dadurch zum Risikoausgleich beitragen, daß sie dem Partner den rechtzeitigen Selbsteintritt ermöglicht103. Die Durchsetzbarkeit einer solchen Informationspflicht wird um so besser sein, je früher ihre

98 Vgl. Richter, aaO S. 44 ff; Informations- und Kommunikationsbedarf und dessen Nichterfüllung als Ursache des Fehlschlags der Kooperation bildet ein Leitmotiv der Kooperationsbeispiele in BDI, Kooperation in der Praxis, aaO passim; Schubert/Rüting, aaO S. 140 ff; Rühle von Lilienstern, aaO, Management-Enzyklopädie S. 626 ff. 99 Die strategische Tiefe der Vergemeinschaftung von FuE oder der Werbung verlangt offenbar unterschiedlich weit reichenden Informationsaustausch zwischen den beteiligten Unternehmen. 100 Für solche zeitlichen oder kostenmäßigen Planabweichungen lassen sich die herkömmlichen Informations- und Mitwirkungspflichten bei Verträgen (vgl. Anm. 95) heranziehen. 101 Dies, weil die Crux der Koordination die bloße „Zusammenarbeit nach Vorschrift" ist, die erfolgt, sobald geschäftspolitische und kooperative Zielvorstellungen zu divergieren beginnen. 102 Nur so sind auch angemessene Schadenbegrenzungsmaßnahmen möglich, die vom Partner verlangt werden können, vgl. Lutter, aaO AcP180, 119 ff. 103 Entscheidet sich der Partner dafür, so hat zumindest ein Kostenausgleich gemäß §§713, 670 BGB zu erfolgen. Da dieser jedoch keinen Ersatz des ausgebliebenen Leistungsbeitrages darstellt, und andere Maßstäbe für die Bewertung des Selbsteintritts fehlen - die Leistungsbalance der Kooperation ist entfallen - , kann von einer Pflicht, solche Selbsteintrittsleistungen dem beitragspflichtigen Partner anzubieten, nicht ausgegangen werden.

302

Hanns Ullrich

Einhaltung angemahnt wird. Zu rechtlicher Zurückhaltung besteht insoweit kein Anlaß. Schließlich liegt hier der unerlässliche Ausgleich für den teilweisen Verzicht auf unternehmerische Autonomie, der die Zusammenarbeit erst erlaubt.

Die Behandlung von Verbundeffekten bei Abfindungen nach den §§ 305 und 320 AktG WINFRIED WERNER

I. Das Kali + Salz-Urteil des B G H vom 13. 7.1978' ist in die Judikatur als eine der bedeutenden rechtsfortbildenden Entscheidungen eingegangen. Daß ein Bezugsrechtsausschluß bei ordentlichen Kapitalerhöhungen nur zulässig ist, wenn er „aus der Sicht im Zeitpunkt der Beschlußfassung für die ausgeschlossenen Aktionäre durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist", wenn er also den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck wahrt, gehört seit dem Kali + Salz-Urteil zu den im wesentlichen unangefochtenen Grundsätzen für die Auslegung des §186 AktG 2 . Weniger zur allgemeinen Kenntnis gelangt sind die - in der amtlichen Sammlung nicht mit abgedruckten - Ausführungen, die der B G H in jener Entscheidung zu einigen Fragen der Unternehmensbewertung gemacht hat. Das Gericht vertrat die Auffassung, daß es sich bei der Unternehmensbewertung nicht um eine rechtliche Angelegenheit handele. Vielmehr unterliege es dem pflichtgemäßen Urteil der mit der Bewertung befaßten Fachleute, unter den in der Betriebswirtschaftslehre und der betriebswirtschaftlichen Praxis vertretenen Verfahren das im Einzelfall geeignet erscheinende auszuwählen3. In Anwendung dieser These auf den zu entscheidenden Fall gelangte der B G H zu dem Ergebnis, daß die in Rede stehende Bewertung, bei der der Unternehmenswert durch eine Verbindung von Substanz- und Ertragswert ermittelt worden war, betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entspreche und rechtlich nicht angreifbar sei. B G H Z 7 1 , 40 = WM 1978, 401 = D B 1978, 974 = BB 1978, 776 = A G 1978, 196. Paragraphenangaben ohne Gesetzeszusatz beziehen sich im folgenden auf das Aktiengesetz. 3 Das führte in Extremfällen dazu, daß ein Gericht vor unterschiedlichen Bewertungen stand, die sich im Verhältnis zueinander wie 5 6 : 1 0 6 verhielten; vgl. Koppenberg, Bewertung von Unterlagen 1964, 57; Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht 2. Aufl. 1987, 8, berichtet von einem Fall, in dem ein Gutachter sogar zu einem über lOOmal so hohen Wert wie ein anderer Gutachter kam. 1

2

304

Winfried Werner

Die Auffassung des B G H von der Maßgeblichkeit betriebswirtschaftlicher Bewertungsgrundsätze ist schon damals nicht unwidersprochen geblieben und wird heute allgemein differenzierter gesehen4. Lutter5 betonte seinerzeit, in der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre habe sich weitgehend die Auffassung durchgesetzt, daß die Auswahl unter den verschiedenen Bewertungsmethoden nicht nur unter dem technischen Gesichtspunkt mehr oder weniger großer Schätzungsgenauigkeit erfolgen könne, sondern sich nach dem Bewertungsanlaß zu richten habe. Je nach dem Zweck der Unternehmensbewertung könnten daher ein und demselben Unternehmen ganz verschiedene Werte beizumessen sein. Diese zweckgerichtete Auswahl unter den Bewertungsmethoden sei aber eine Rechtsfrage. Auch die weitere Grundfrage jeder Bewertung, ob nämlich der Ertrags-, der Substanz- oder ein Mittelwert der Schätzung zugrundezulegen sei, könne nicht rechtlicher Überprüfung entzogen werden. Schließlich sei auch noch ein weiterer Aspekt überlegenswert gewesen. In dem vom B G H entschiedenen Fall habe der Großaktionär nicht nur die in den ihm zugefallenen jungen Aktien verkörperten materiellen Werte erlangt, sondern auch seine Stellung in der abhängigen Gesellschaft verstärkt und damit sein gesamtes Aktienpaket möglicherweise erheblich aufgewertet. Dieser Machtzuwachs habe bei der Bewertung nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, jedenfalls nicht, solange das deutsche Recht Paketzuschläge nicht problematisiere. Das letztere Argument läuft auf die Frage hinaus, ob bei der Unternehmensbewertung die sog. Verbundeffekte zu berücksichtigen sind. Mit dieser Frage beschäftigt sich der vorliegende Beitrag, wobei die Untersuchung die Fälle der Abfindung von außenstehenden Aktionären nach den §§ 305 und 320 betrifft. Die Problematik hat aber über diesen Bereich hinaus grundsätzliche Bedeutung, da das geltende Recht weitere Abfindungsfälle kennt 6 und der die Take Over-Problematik betreffende Vorschlag der EG-Kommission für eine 13. gesellschaftsrechtliche Richtlinie vorsieht, daß derjenige, der eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Prozentsatz von Aktien einer Gesellschaft erwerben will, ab einem Schwellenwert von 33 ιλ % zur Abgabe eines Angebots verpflichtet sein soll, das sich auf a l l e Aktien der Gesellschaft erstreckt 7 .

4 5

Großfeld a a O (Fn.3), 8; Ränscb, A G 1984, 202 ff m w N . Lutter, Z G R 1 9 7 9 , 401 ff (415 ff).

6 Vgl. §§375, 388; ferner §§12, 15 U m w G . Die Problematik ist darüber hinaus auch für die Bemessung des Ausgleichs von Bedeutung, da Ausgleich und Abfindung grundsätzlich von gleichen Bewertungsmethoden auszugehen haben; vgl. Koppensteiner in Kölner Kommentar zum A k t G 2. Aufl. 1987, §304, Rdn.41. 7 Vgl. Art. 4 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags K O M (88) 823 - S Y N 1 8 6 .

Verbundeffekte bei Abfindungen nach den §§ 305 und 320 AktG

305

II. Was verstehen wir im einzelnen unter Verbundeffekten? Es sind Vorteile, die rechtlich verbundene Unternehmen durch den Verbund als solchen erzielen. Sie sind im Regelfall dadurch erzielbar, daß das Verbund-(zumeist Konzern-)Interesse dem Interesse der einzelnen zum Verbund gehörigen Unternehmen vorangestellt werden darf. Die Vorteile können hervorgerufen werden durch Rationalisierungsmaßnahmen, durch Verbesserung des Managements, durch neue Einschüsse, die ein herrschendes Unternehmen in ein abhängiges Unternehmen leistet, durch Steuervorteile, durch Kostenersparnisse - zumeist auf dem Personalsektor - und auch durch infolge des Verbundes gestiegene Chancen im Markt. Diese keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Auflistung zeigt, auf wie vielen ganz unterschiedlichen Ursachen Verbundeffekte beruhen können. Ebenso unterschiedlich sind die Stellen innerhalb eines Verbundes, bei denen die Effekte eintreten. Daß sie bei dem Unternehmen, über dessen Einzelinteresse sich die Verbundspitze hinwegsetzen darf, anfallen, ist vermutlich die Ausnahme. In der Mehrzahl der Fälle dürfte der Vorteil bei der Verbundspitze, bei einem in der Organisationsstruktur zwischengeschalteten Unternehmen oder bei einem sonstigen Konzernunternehmen entstehen, während das Unternehmen, durch dessen Einbeziehung in den Verbund der Vorteil entstanden ist und dessen außenstehende Aktionäre abzufinden sind, tendenziell eher benachteiligt wird. Dies ergibt sich aus der einfachen Überlegung, daß ein Beherrschungsbzw. Gewinnabführungsvertrag in vielen Fällen gerade deshalb abgeschlossen wird, weil sich das herrschende Unternehmen im Konzerninteresse genötigt sieht, einen nachteiligen Einfluß auf das abhängige Unternehmen auszuüben und Ausgleichspflichten nach §311 vermeiden möchte. Die Frage, ob Verbundeffekte bei Abfindung der außenstehenden Aktionäre zu berücksichtigen sind, ist somit in vielen Fällen mit der Frage identisch, ob bei Bemessung der Abfindungshöhe Vorteile zu berücksichtigen sind, die bei anderen Unternehmen eintreten und mit dem Wert der Anteile, deren Gegenwert die Abfindung darstellen soll, nicht nur nichts zu tun haben, sondern im Gegenteil mit Wertminderungen zusammenhängen können, die diese Anteile durch Maßnahmen erleiden, die das herrschende Unternehmen im Konzerninteresse vornimmt. III. Bei Prüfung der Rechtslage ist zunächst zu klären, ob die Beantwortung unserer Frage in die Zuständigkeit des Betriebswirts oder in die Kompetenz des Juristen fällt. M. E. ist ganz eindeutig der Jurist ange-

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sprochen. Der Betriebswirt kann zwar beurteilen, wie etwa vorhandene Verbundeffekte zu bewerten sind und welche Bewertungsalternativen im Einzelfall - je nach Art des Bewertungsanlasses - etwa bestehen können. Die Antwort auf die Frage, ob und bejahendenfalls nach welcher Bewertungsmethode die Verbundeffekte bei Abfindungen nach den §§ 305 und 320 als selbständige wertbildende Faktoren zu berücksichtigen sind, richtet sich dagegen - darin ist LutterGroßfeld9 und Ränsch10 zu folgen - an den Juristen; es handelt sich insoweit um die Beurteilung einer Rechtsfrage. Dies steht nur scheinbar im Gegensatz zu den Feststellungen des BGH in dem Kali + Salz-Urteil 11 . Dort ging es primär - mit einer später noch zu erörternden Ausnahme - um das Wie der Unternehmensbewertung, nicht um das Ob der Einbeziehung bestimmter werterhöhender Faktoren in die Wertermittlung. Soweit das Wie der Unternehmensbewertung betroffen ist, mag man die Vorrangigkeit betriebswirtschaftlicher Beurteilung anerkennen, obwohl Ränschn mit Recht einige Leitsätze aufgezeigt hat, die der Richter dem Betriebswirt dabei vorzugeben hat. Wo im Einzelfall der Bereich der rechtlichen Vorgaben beginnt und die betriebswirtschaftlichen Kompetenzen enden, kann zweifelhaft sein. Sicher befinden wir uns aber bereits im Bereich der rechtlichen Vorgaben, wo es darum geht, von mehreren betriebswirtschaftlich möglichen Bewertungsalternativen die dem Bewertungsanlaß gerecht werdende Alternative auszuwählen 13 . Relativiert ist die vorstehende Beurteilung, soweit nach ihr eine Vorrangigkeit der betriebswirtschaftlichen Betrachtung besteht, allerdings dadurch, daß auch die betriebswirtschaftliche Bewertungslehre Wandlungen unterworfen ist. Gerade die Entwicklung der vergangenen Jahre hat das gezeigt, indem der Substanzwert wissenschaftlich als Bewertungselement immer mehr hinter den Ertragswert zurückgetreten

8

Lutter aaO (Fn.5), 416 f. Großfeld aaO (Fn.3), 8 ff. 10 Ränsch aaO (Fn.4), 205 f. 11 A G 1978, 199. 12 Ränsch aaO (Fn.4), 205ff. 13 Das zeigen bereits die in Fn.3 erwähnten Bewertungsunterschiede, die sich bei Anwendung verschiedener Bewertungsmethoden ergeben. Es ergibt sich aber auch aus den betriebswirtschaftlich anerkannten unterschiedlichen Bewertungssituationen, also daraus, ob die Bewertung die Ermittlung des subjektiven Entscheidungs-(Grenz)Wertes für einen Interessenten oder des für mehrere Beteiligte verbindlichen Wertes, des sog. Einigungswertes, zum Gegenstand hat (vgl. hierzu Großfeld aaO (Fn.3), 1 9 f ; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung l . A u f l . 1976, 28ff. 9

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ist14. Der Richter muß das wohl oder übel mangels besserer eigener Fachkenntnisse ebenso hinnehmen, wie er in anderen Disziplinen - ζ. B. in der Medizin - auf den jeweiligen Stand von Forschung und Lehre angewiesen ist. O b die Betriebswirtschaft in Fragen der Unternehmensbewertung heute auf einem als endgültig zu bezeichnenden Erkenntnisstand angelangt ist, mag füglich bezweifelt werden, so daß Bewertungen, die heute richtig erscheinen, möglicherweise in Zukunft als unzutreffend angesehen werden. Das sind indessen Gegebenheiten, die ihren Grund in der im ständigen Fluß begriffenen Fortentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnis haben. Der Richter hat diese Entwicklung zu begleiten und kann ihre jeweiligen Resultate nur auf Schlüssigkeit und Plausibilität prüfen. Uber die rechtlichen Vorgaben hat er dagegen aus eigenem Sachverstand zu entscheiden, und die Beantwortung der Frage, ob und in welcher Form Verbundvorteile, die an irgendeiner Stelle der verbundenen Unternehmensgruppe nachträglich als Folge der Verbindung eintreten, Bewertungselemente darstellen, ist eine der wichtigsten rechtlichen Vorgaben.

IV. In Rechtsprechung und Literatur hat sich noch keine einheitliche Meinung darüber gebildet, ob Verbundeffekte bei der Bemessung von Abfindungen zu berücksichtigen sind. 1. Was zunächst die Rechtsprechung betrifft, so gibt es nur verhältnismäßig wenige Entscheidungen, die sich eingehend mit der Problematik befassen. Der B G H hat sich allerdings in dem Kali + Salz-Urteil 15 mit einem Teilaspekt befaßt, ohne ihn ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt der Verbundeffekte zu gewichten. Es ging dort darum, daß die beklagte Salzdetfurth A G (SAG) unter Ausschluß des Bezugsrechts das Grundkapital erhöht und die jungen Aktien der Wintershall AG und einer Tochtergesellschaft überlassen hatte, die dafür ihre Beteiligungen an der Kali + Salz A G in die SAG einbrachten. Der Wintershall-Konzern war seitdem mit über 70 % an der SAG beteiligt. Bei der SAG bestand ein hoher Verlustvortrag, und für die Beurteilung der Frage, ob die Sacheinlagen der Wintershall AG und ihrer Tochtergesellschaft richtig bewertet seien, war es deshalb von Bedeutung, in welcher Höhe die steuerlichen Vorteile, die aufgrund des Verlustvortrags zu erwarten waren, zu berücksichtigen seien. Die Sachverständigen hatten die Vor-

14 Gansweid, AG 1977, 334 ff (336 ff); WP-Handbuch 1985/86, 1073 ff; Stellungnahme HFA 2/1983 des Instituts der Wirtschaftsprüfer, Abschn. C (abgedr. in WPg 1983, 468 ff). 15 AaO (Fn. 1).

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teile nur insoweit bewertet, als der Verlustvortrag voraussichtlich von der SAG selbst hätte ausgenutzt werden können, wenn sie allein weitergeführt worden wäre. Der Kläger war demgegenüber der Auffassung, daß dieser Ansatz zu niedrig sei. Der BGH folgte indessen der Beurteilung der Sachverständigen, ohne deren Auffassung in Frage zu stellen, daß es nur darauf ankomme, inwieweit die SAG den Verlustvortrag ohne Hinzutreten der Wintershall AG und ohne Erwerb der Beteiligung an der Kali + Salz AG hätte ausnutzen können. Im Ergebnis bedeutete das, daß der BGH etwaige Verbundeffekte nicht berücksichtigte; die Entscheidung läßt allerdings nicht klar erkennen, ob er dieses Grundsatzproblem als solches gesehen hat. Keine klaren Schlüsse lassen sich auch aus einer Entscheidung des OLG Hamm 16 , die noch unter der Geltung des alten Aktiengesetzes ergangen ist, ziehen. Das OLG betonte zwar, daß die Umwandlung nach § 12 UmwG für die übernehmende Gesellschaft den Vorteil einer 100%igen Beteiligung an der von der Umwandlung betroffenen Gesellschaft gebracht habe. Auf der anderen Seite seien jedoch für die ausscheidenden Aktionäre Nachteile eingetreten u. a. dadurch, daß sie der Chance beraubt worden seien, so lange mit dem Verkauf ihrer Aktien zu warten, bis die übernehmende Gesellschaft bereit sein würde, die restlichen Aktien zu einem entsprechend erhöhten Kurs zu erwerben. Diese Nachteile dürften bei Berücksichtigung aller Umstände nicht höher veranschlagt werden als die Vorteile, die die Übernehmerin aufgrund der Umwandlung erhalte. Das Gericht habe außerdem die Pflicht, auch Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen. Bei Abwägung aller Umstände erscheine es gerechtfertigt, zu dem Börsenkurs einen Zuschlag von 32 % zu machen. Für die These, daß Verbundvorteile zu berücksichtigen seien, lassen diese Ausführungen nur wenig Raum. Klarer ist insoweit eine Entscheidung des OLG Hamburg vom 17.8.1979 17 . Dort ging es um die Abfindung, die den außenstehenden Aktionären im Zusammenhang mit dem Abschluß eines Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrags anzubieten war. Bei der abhängigen Gesellschaft bestand auch hier ein Verlustvortrag, und es entstand wie in dem Kali + Salz-Fall die Frage, in welcher Höhe die steuerlichen Vorteile, die aufgrund des Verlustvortrags erwartet wurden, zu berücksichtigen seien. Das OLG Hamburg lehnte es ab, Steuerersparnisse, die durch den Verbund entstehen würden, zu berücksichtigen und berief sich auf §305 Abs. 3 Satz 2 unter Hinweis darauf, daß nach dieser Vorschrift lediglich auf die Ertrags- und Vermögensverhältnisse der beherrschten

16 17

OLG Hamm, A G 1963, 218 ff (219 f). OLG Hamburg, A G 1980, 163 ff (165).

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Gesellschaft ohne Berücksichtigung von Verbundvorteilen der herrschenden Gesellschaft abzustellen sei. Auf derselben Linie liegt ein zeitlich etwas früher ergangener Beschluß des OLG Celle vom 4.4.197918. Das OLG betonte, daß für die Bemessung der Abfindung der Wert maßgebend sei, den die Aktien der außenstehenden Aktionäre ohne den Abschluß des Gewinnabführungsvertrags hätten; im konkreten Fall ging es allerdings nicht um positive, sondern um negative Verbundeffekte, die nach Auffassung des OLG die Barabfindung nicht nachteilig beeinflussen sollten. In einem Beschluß des OLG Düsseldorf vom 17.2.198419 wurde die Frage der Berücksichtigung von Verbundeffekterl zugunsten der außenstehenden Aktionäre zwar ausführlich behandelt, aber im Ergebnis offengelassen, weil die Abfindung selbst dann angemessen war, wenn die in jenem Fall in Rede stehenden Verbundvorteile zu berücksichtigen gewesen wären. In einem Beschluß vom 11.4.198820 befaßte sich das OLG Düsseldorf erneut mit der Problematik. Es handelte sich dort um eine Eingliederung, bei der nach Meinung der Antragsteller Steuervorteile durch Ausnutzung eines bei der eingegliederten Gesellschaft bestehenden Verlustvortrags entstehen würden. Das OLG war der Ansicht, seit dem Kali + Salz-Urteil des BGH habe sich ein Meinungswechsel vollzogen. Der Verlustvortrag könne nicht mit einem Rationalisierungs-, Verbundoder Synergie-Effekt verglichen werden, sondern stelle für einen unübersehbar großen Kreis von potentiellen Erwerbern einen Vorteil wegen der damit erzielbaren Steuervorteile dar und bilde u.U. einen wesentlichen Grund für den Erwerb einer solchen Unternehmung. In seinen weiteren, die einschlägigen steuerlichen Voraussetzungen m. E. nicht voll berücksichtigenden Ausführungen 21 führte das OLG sodann aus, es komme nicht darauf an, ob die eingegliederte Gesellschaft künftig selbst in der Lage sei, den Verlustvortrag durch eigene Gewinne auszunutzen. Der abweichenden Auffassung des OLG Hamburg 22 sei für den Fall der Eingliederung insoweit zuzustimmen, als es auf die konkreten Ersparnisse der aufnehmenden Gesellschaft - gemeint war die Hauptgesellschaft - nicht ankommen könne, weil diese Ersparnisse nicht zum Wert der eingegliederten Gesellschaft gehörten. Es sei also unbeachtlich, ob die Hauptgesellschaft die Steuervorteile schneller und mit einem höheren oder niedrigeren Betrag ausgenutzt habe, als ihn die Sachver-

18 19 20 21 22

OLG Celle, AG 1979, 230 ff (233). OLG Düsseldorf, WM 1984, 732 ff (734 f). OLG Düsseldorf, WM 1988, 1052 ff (1055 f). Vgl. § 15 Nr. 1 KStG i. V.m. § 10 d EStG. AaO (Fn.17).

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ständigen ermittelt hätten. Berücksichtigt werden dürften die Verlustvorträge nur mit dem Wert, der ihnen objektiv zukomme, losgelöst von den speziellen Verhältnissen der aufnehmenden Gesellschaft23. Von einem gewissen Interesse sind schließlich die Entscheidungen, welche die bei der Unternehmensbewertung erforderliche Prognose auf Vorgänge beschränkten, die am Bewertungsstichtag bereits erkennbar waren oder wenigstens bereits in ihren Wurzeln bestanden24. Klare Schlußfolgerungen für die Lösung unserer Problematik lassen sich aus diesen Entscheidungen allerdings nicht ziehen. Denn ob der Unternehmensverbund, über den die Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft am Bewertungsstichtag beschließt, als „Wurzel" künftiger Verbundeffekte anzusehen ist, kann durchaus fraglich sein. Das L G Dortmund25 hat mit Recht betont, nicht jede Entwicklung, die sich rückblikkend durch eine irgendwie geartete Kausalkette bis vor den Bewertungsstichtag zurückverfolgen lasse, habe am Bewertungsstichtag bereits in ihren Wurzeln bestanden und dürfe deshalb in die Bewertung einbezogen werden. Der B G H hat zwar in einem zu §738 B G B ergangenen Urteil ausgesprochen, es sei nicht ausgeschlossen, nachträglich gewonnene Erkenntnisse in der Weise für die Bewertung mit einzubeziehen, daß daraus Rückschlüsse auf den Wert der Gegenstände am Stichtag gezogen würden26. Damit hat er aber kaum sagen wollen, daß nur erwartete, konkret am Bewertungsstichtag jedoch noch in keiner Weise erkennbare, sondern erst nachträglich offenbar gewordene Verbundeffekte in die Bewertung einzubeziehen seien. 2. Anders als in der gegenüber Verbundeffekten zurückhaltenden Einstellung der Rechtsprechung sieht es in der Literatur aus. Hier bestehen durchaus kontroverse Auffassungen. Drukarczyk27 meint, die mit einer Abfindung verbundene Verdrängung der Minderheit sei willkürlich, wenn die gesamten Vorteile der zum Ausschluß der Minderheit führenden Maßnahmen der Mehrheit zugesprochen würden. Hiergegen könne man einwenden, der Mehrerfolg, über dessen Aufteilung zu entscheiden sei, trete erst als Konsequenz der Maßnahmen ein, die der Großaktionär nach Ausscheiden der

23 Tatsächlich stellte sich das OLG mit diesen Ausführungen m. E. in Gegensatz zu der Auffassung des OLG Hamburg aaO Fn. 17, zumal es einen objektivem Wert von Verlustvorträgen nicht gibt, die Werthaltigkeit vielmehr jeweils von den Einzelumständen abhängt. 24 OLG Düsseldorf, AG 1977, 168 ff; LG Hannover, AG 1979, 234 f; LG Dortmund, AG 1981, 236 ff; LG Berlin, AG 1983, 135 f; LG Frankfurt, AG 1983, 136 ff. 25 LG Dortmund, AG 1981, 236 ff (239). 26 BGH, WM 1981, 452 f. 27 Drukarczyk, AG 1973, 357ff (360f).

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Minderheit durchführe, weshalb diesem allein der Mehrerfolg zustehe. Es seien aber zwei Fälle zu unterscheiden: Sei das Ausscheiden der Minderheit notwendige Voraussetzung für die Durchführung der vorteilhaften Maßnahmen, so leiste die Minderheit einen Beitrag für das Entstehen der Mehrerfolge, und es sei deshalb billig, sie an diesen zu beteiligen. Bilde das Ausscheiden der Minderheit keine Voraussetzung für die Durchführung der vorteilhaften Maßnahmen, könne also der Großaktionär die Vorteile erzielen, ohne daß die Minderheit ausscheide, so wäre sie an den Mehrerfolgen anteilmäßig beteiligt, wenn nicht der Großaktionär sie durch unfaire Praktiken hieran hindere. Auch Gansweid28 spricht sich für die Berücksichtigung der Verbundeffekte zu Gunsten der Minderheit aus. Diese Effekte prägten fraglos die Wertvorstellungen des herrschenden Unternehmens. Es könne davon ausgegangen werden, daß die Verbundeffekte Gegenstand der Planungen auch des abhängigen Unternehmens seien. Wer daher den Unternehmenswert auf der Grundlage der Planungen der Gesellschaft ermittle, müsse die Verbundeffekte berücksichtigen. Das herrschende Unternehmen habe vollen Ausgleich für die ihm zufließenden Vermögenswerte zu leisten; das gelte für jeden Vorteil, der auf die Eingliederung des abhängigen Unternehmens zurückgehe, also auch für die Verbundeffekte. Daß auch Lutter29 sich für die Berücksichtigung der Verbundeffekte ausgesprochen hat, wurde bereits erwähnt 30 . Seine Stellungnahme bezog sich allerdings nicht auf den Fall einer Abfindung nach den §§305, 320, sondern auf die im Zusammenhang mit der Bewertung einer Sacheinlage zusammenhängenden, ähnlich gelagerten Probleme. Zu den Befürwortern einer Beteiligung der Minderheitsaktionäre an den Verbundvorteilen gehört auch Großfeld31. Ein freiwillig ausscheidender Gesellschafter handele normalerweise einen Preis aus, der den künftigen Kooperationsvorteil für den übernehmenden Gesellschafter widerspiegele. Dieser Maßstab sollte auch beim zwangsweisen Ausscheiden gelten, weil andernfalls der Ubernehmer aus konzentrationspolitischer Sicht zu billig erwerbe. Die Abfindungsregeln des Aktiengesetzes bezweckten ein „Aussteigen" zu angemessenen Bedingungen, nicht aber ein preiswertes Aufkaufen. Der gemeinsame Gewinn sei daher zwischen den Parteien entsprechend der Beteiligungshöhe zumindest zu teilen.

28 29 30

31

Gansweid. aaO (Fn. 14), 338 f. Lutter aaO (Fn. 5). Vgl. oben Ziff. I. Großfeld aaO (Fn.3), 123 ff; den. J Z 1981, 769 ff (772 f).

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Auf einer ähnlichen Linie liegen die Ausführungen von Matschken, der darauf hinweist, daß der Mehrheitsgesellschafter den von ihm erstrebten Vorteil ohne die Zustimmung des Ausscheidenden nicht erzielen könne. Dieser Reihe positiver Stellungnahmen stehen verschiedene Meinungsäußerungen gegenüber, die eine Berücksichtigung der Kooperationsvorteile bei der Bemessung der Abfindung ablehnen. Noch unter der Geltung des alten Aktiengesetzes hat sich Kropff3 geäußert. Für einen Minderheitenzuschlag werde geltend gemacht, im Wirtschaftsleben kaufe man einen lästigen Gesellschafter gelegentlich zu einem über dem Wert seiner Beteiligung liegenden Preis aus. Die Abfindung lästiger Gesellschafter sei aber frei vereinbart und bemesse sich nicht nach den für eine Auseinandersetzung - in Rede stand § 12 U m w G - maßgebenden Gesichtspunkten. Ablehnend ist auch die Stellungnahme von Winnefeld?*. Entscheidend für die Bemessung der Abfindung sei nicht der von dem Hauptgesellschafter erstrebte Vorteil, sondern der Wert, den die Aktienrechte der außenstehenden Aktionäre ohne den Abschluß des Gewinnabführungsoder Beherrschungsvertrags darstellten. Es komme daher auch nicht darauf an, welchen betriebswirtschaftlichen Nutzen der Abschluß des Unternehmensvertrags ermögliche. Ränsch}5 lehnt ebenfalls eine Berücksichtigung von Verbundvorteilen ab, soweit es sich nicht um Vorteile handele, die der Mehrheitsgesellschafter der Minderheit schon vor Eintritt des Tatbestandes, der den Zwang zur Unterbreitung eines Abfindungsangebots hervorrufe, aufgrund besserer Informationen oder unfairer Praktiken vorenthalten habe. Bei echten Verbundvorteilen handele es sich demgegenüber um eine unternehmerische Leistung der Gesellschaftermehrheit; die ausscheidende Minderheit habe an dem Zustandekommen dieser Zusatzgewinne nur insoweit einen Anteil, als sie sie durch ihr Ausscheiden erst ermögliche. Die Berücksichtigung echter Verbundvorteile scheitere auch daran, daß ihre Höhe nicht ermittelt werden könne. DieIdW-Grundsätze i b sprechen sich bei s u b j e k t i v e n Wertermittlungen aus der Sicht bestimmter Interessen zwar für die Berücksichti-

32 Matschke, Funktionale Unternehmensbewertung, Bd. II, Der Arbitriumwert der Unternehmung 1979, 203. 33 Kropff, D B 1962, 155 ff (158). Kropff geht mit Recht davon aus, daß dies nicht im Widerspruch zu der Regelung des § 738 B G B steht. 34 Winnefeld, D B 1975, 457 ff (459). 35 Ränsch aaO (Fn.4), 206 f. 36 AaO (Fn. 14).

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gung positiver und negativer Synergie-Effekte aus37. Wo es dagegen um Bewertungen geht, die unabhängig vom Willen der Subjekte stattfinden, soll dies nicht gelten. Die Grundsätze weisen vielmehr darauf hin, daß die positiven und negativen Synergie-Effekte zu den subjektiven Bestandteilen des Entscheidungswertes38 gehörten39. Auch Dörner betont, daß eine Einbeziehung von Synergie-Effekten in die Ausgleichszahlungen und in die Abfindung aus rechtlichen Gründen nicht geboten sei40. Schließlich lehnt auch KoppensteinerM die Berücksichtigung von Kooperationsvorteilen ab. Auf den Gleichbehandlungsgrundsatz lasse sich Gegenteiliges bei der Unternehmensbewertung nicht stützen; dieser Grundsatz besage nur, daß Aktionäre im Ausmaß des ihnen Gemeinsamen nicht unterschiedlich behandelt werden sollten. Ob und welche Verbundwirkungen eintreten, hänge nicht nur von den Möglichkeiten ab, die im Unternehmen des anderen Vertragsteils stecken, sondern auch und insbesondere von der Art und Weise, in der die Konzernführung ihre Befugnisse in Zukunft wahrnehme. Ins Gewicht falle auch, daß Verbundeffekte im Rahmen der §§311 ff keine Rolle spielten. Die §§ 304 f seien nicht von der Absicht getragen, die außenstehenden Aktionäre besser oder schlechter zu stellen als jene einer bloß abhängigen Gesellschaft. Zwischen diesen positiven und negativen Meinungsäußerungen stehen die Auffassungen von Meilicke41 und Hartmann/Hartmann43. Meilicke geht zwar grundsätzlich davon aus, daß Vorteile, die der Mehrheitsgesellschafter erziele, nicht zu berücksichtigen seien. Damit werde jedoch nicht gesagt, daß alle Vorteile, die der eingreifende Mehrheitsgesellschafter aus einer Fusion ziehe, nur ihm zuzurechnen seien. Bestehe ζ. B. die beste Verwertungsmöglichkeit eines unbebauten Grundstücks der Gesellschaft darin, für die Erweiterung eines benachbarten Betriebes des Mehrheitsgesellschafters verwendet zu werden, so solle dieser Vorteil nicht allein dem Mehrheitsgesellschafter zugerechnet werden. Fraglich sei, wie Rationalisierungsgewinne zwischen der Gesellschaft und dem Mehrheitsgesellschafter zu verteilen seien. Bei der Schätzung werde

AaO (Fn. 14), Abschn. C, 2 d (WPg 1983, 479). Zu dem Begriff vgl. die Hinweise in Fn. 13. » AaO (Fn. 14), Abschn. C, 11 (WPg 1983, 475). « WP-Handbuch 1985/86, 1068. 41 Koppensteiner aaO (Fn.6), §305, Rdn.34 und 48. 42 Meilicke, Die Barabfindung für den ausgeschlossenen oder ausscheidungsberechtigten Minderheits-Kapitalgesellschafter 1975, 51 ff und 78 ff. 43 Hartmann/Hartmann, FS Pleyer, 287 ff. 57 38

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nicht ohne weiteres eine hälftige Teilung, sondern eine Gewichtung insbesondere nach dem bei der Rationalisierung eingesetzten Kapital vorzunehmen sein. Soweit ein Verlustvortrag vorhanden sei, erscheine es gerechtfertigt, den vollen Vorteil des Vortrags demjenigen zuzurechnen, bei dem er vorhanden ist. Hartmann/Hartmann™ folgern aus dem Wortlaut des §304 Abs. 2 und seinem durch die Gesetzesbegründung belegten Zweck, daß einseitige Leistungsflüsse von der Obergesellschaft oder deren Konzernunternehmungen an die übernommene Gesellschaft deren außenstehenden Aktionären nicht zugute kommen sollen. Das bedeute aber nicht, daß latente Wertfaktoren der Untergesellschaft, die sich erst durch Schaffung des Unternehmensverbundes realisieren, nicht berücksichtigt werden dürften. Entscheidend müsse es darauf ankommen, daß diese Wertfaktoren allein dem übernommenen Unternehmen entspringen, während es unerheblich sei, daß diese Faktoren nur durch seine Integrierung in den Unternehmensverband wertsteigernd zum Tragen kommen.

V. 1. Dem Versuch einer Stellungnahme zu den divergierenden Meinungen muß m. E. eine Einengung des Begriffs der Verbundvorteile vorangehen. Von Interesse sind im Rahmen dieser Untersuchung nur die echten Verbundvorteile, d.h. Vorteile, die zu erzielen dem in den Verbund einbezogenen Unternehmen allein nicht möglich wäre, sondern die nur durch den Hinzutritt des abfindungsverpflichteten herrschenden Unternehmens Zustandekommen können. Nicht unter den hier relevanten Vorteilsbegriff fallen demgegenüber die unechten Verbundvorteile. Zu ihnen gehören Rationalisierungseffekte, die das abhängige Unternehmen bei sorgfältiger Leitung auch ohne Hinzutritt des herrschenden Unternehmens herbeiführen kann. Ebenso gehören in diese Gruppe Vorteile, die durch eine Verbesserung des Managements eintreten, wenn es zu den Aufgaben eines sorgfältig arbeitenden Aufsichtsrats gehört, das alte Management unabhängig von dem Verbund gegen ein neues auszutauschen. Steuerliche Vorteile des abhängigen Unternehmens aufgrund eines Verlustvortrages sind dann unechte Verbundvorteile, wenn die Gewinne, durch deren Verrechnung sie entstehen, unabhängig von dem Verbund erzielt wurden und im Rahmen der Ertragsvorschau prognostizierbar waren. Schließlich gehören zu den unechten Verbundvorteilen auch solche entgangenen Gewinne, die der Mehrheitsgesellschafter unter

44

Hartmann!Hartmann

aaO (Fn. 43), 298.

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Verletzung seiner Treupflicht der abhängigen Gesellschaft bis zum Eintritt des Verbunds vorenthalten hatte45. 2. Unechte Verbundvorteile nicht als Bewertungselemente bei Bemessung der Abfindung zu behandeln, besteht kein Anlaß. Sie gehören zu den bei Ermittlung des Ertragswertes der abhängigen Gesellschaft im Rahmen der Ertragsprognose zu berücksichtigenden Umständen. Wir haben es im Rahmen dieser Untersuchung daher nur mit den echten Verbundvorteilen zu tun. Dies vorausgeschickt ist zunächst zu prüfen, welche klärenden Fingerzeige das Gesetz zur Lösung unserer Streitfrage gibt. Zwei Hinweise sind beachtlich: a) Zum einen sind die §§305 Abs. 3 Satz 2 und 320 Abs. 5 Satz 5 von Bedeutung, nach denen die angemessene Barabfindung die Vermögensund Ertragslage der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlußfassung ihrer Hauptversammlung über den Uriternehmensvertrag bzw. die Eingliederung berücksichtigen muß. Der Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses ist mithin der Bewertungsstichtag, was darauf hindeutet, daß es auf die in diesem Zeitpunkt bestehenden bzw. zu prognostizierenden Werte ankommt und nicht auf künftige, noch nicht einmal in der Wurzel vorhandene Wertentwicklungen. Bemerkenswert, wenn auch nicht überzubewerten, ist dabei der Umstand, daß der Bewertungsstichtag zeitlich vor Entstehung des Verbundes liegt, da Unternehmensverträge und Eingliederungen erst mit ihrer Eintragung im Handelsregister wirksam werden 46 . b) Der zweite, wichtigere Hinweis besteht darin, daß eine Abfindung in Aktien nach den §§305 Abs. 3 Satz 1 und 320 Abs. 5 Satz 4 als angemessen anzusehen ist, wenn die Aktien in dem Verhältnis gewährt werden, in dem bei einer Verschmelzung auf eine Aktie der Gesellschaft Aktien der anderen Gesellschaft zu gewähren wären. Diese Aussage des Gesetzes nötigt zu einer Prüfung der Frage, ob bei der Ermittlung des Umtauschverhältnisses im Rahmen einer Verschmelzung Verbundvorteile zu berücksichtigen sind. Sollte die Frage zu verneinen sein, so wäre sie auch für die Abfindung in Aktien und - im Hinblick auf die Gleichwertigkeit der Abfindungsalternativen 47 - auch für die Barabfindung zu verneinen. Eine Betrachtung der Verhältnisse bei der Verschmelzung ergibt, daß dort bei der Festlegung des Umtauschverhältnisses Verbundvorteile 45 Zur Treupflicht des Mehrheitsgesellschafters gegenüber Minderheitsgesellschaftern vgl. die Linotype-Entscheidung des BGH, ZIP 1988, 301 ff. 46 §§294 Abs. 2 und 319 Abs. 4. 47 Koppensteiner aaO (Fn.6), §305, Rdn.27.

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nicht zu berücksichtigen sind. Die Verschmelzung führt dazu, daß aus mehreren Unternehmen ein einheitliches Unternehmen wird, dessen Vermögensmassen weder rechtlich noch tatsächlich getrennt sind. Vorteile, die durch die Verschmelzung entstehen, kommen daher diesem einheitlichen Unternehmen und seinen Aktionären zugute, ohne daß ermittelt werden könnte, welches der sich verschmelzenden Unternehmen zu der Entstehung der Vorteile im einzelnen beigetragen hat. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Verschmelzung durch Aufnahme oder durch Neubildung handelt, und ohne Rücksicht darauf, welches der Unternehmen bei einer Verschmelzung durch Aufnahme als aufnehmende Gesellschaft fungiert. Immer entsteht ein einheitliches Vermögen, dessen einzelne Bestandteile in bruchteilsmäßig nicht zu erfassender Weise zur Entstehung etwaiger Verbundvorteile beitragen. Das Umtauschverhältnis ist daher unter Zugrundelegung der Werte, die vor Wirksamwerden der Verschmelzung bestehen, zu ermitteln. Daß das Gesetz nichts anderes gemeint haben kann, ergibt sich auch daraus, daß die Wirkungen der Verschmelzung nicht sofort eintreten müssen, sondern, wie §341 Abs. 2 zeigt, auf einen künftigen Zeitpunkt bezogen werden dürfen. Selbst in einem solchen Fall ist die Umtauschrelation schon bei Abschluß des Verschmelzungsvertrages nach den in diesem Zeitpunkt bestehenden Wertverhältnissen festzulegen; eine Berücksichtigung nicht prognostizierbarer künftiger Wertentwicklungen ist nicht vorgesehen, und diese müssen verständlicherweise auch aus rein tatsächlichen Gründen außer Betracht bleiben. 3. Das Gesetz geht hiernach, wie die Verweisung auf die Verschmelzungsregeln erkennen läßt, davon aus, daß Verbundvorteile bei Bemessung der Abfindung nicht zu berücksichtigen sind, daß die außenstehenden Aktionäre also so gestellt werden, als ob der Abschluß des Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrags oder die Eingliederung nicht stattgefunden hätte. Allerdings ist zu fragen, ob die Gleichwertigkeit zwischen Aktien- und Barabfindung für sich allein ausreicht, um auch bei der Bemessung der Barabfindung Verbundvorteile außer Betracht zu lassen. Anlaß zu einer Prüfung dieser Frage kann die Überlegung sein, daß bei der Aktienabfindung der außenstehende Aktionär, der das Abfindungsangebot der herrschenden Gesellschaft annimmt, an Verbundvorteilen, die dem herschenden Unternehmen nachträglich zufallen, durch Erhöhung des Wertes seiner Aktien teilnimmt, während sich ihm bei der Barabfindung diese Teilnahmemöglichkeit nicht eröffnet. Hieraus ist indessen kein Argument für eine differenzierte Beurteilung von Aktien- und Barabfindung abzuleiten. Die Möglichkeit nachträglicher Wertveränderungen ursprünglich gleichwertiger Abfindungen liegt im Bereich der Spekulation. Wenn der Aktionär die Wahl zwischen

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Aktien- und Barabfindung hat, wie dies unter bestimmten Voraussetzungen bei der Eingliederung der Fall ist48, muß er deshalb eigenverantwortlich entscheiden, ob ihm die eine oder die andere Abfindungsart attraktiver erscheint. Aber auch im Falle des Abschlusses eines Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrags gilt nichts anderes. Zwar haben dort nicht die außenstehenden Aktionäre, sondern die Vertragspartner unter den Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 das Recht zu entscheiden, ob eine Bar- oder eine Aktienabfindung gewährt wird49. Die außenstehenden Aktionäre sind jedoch regelmäßig in der Lage, die ihnen durch die Barabfindung zufließenden Mittel zum Erwerb von Aktien des herrschenden Unternehmens - deren Zulassung zum Börsenhandel vorausgesetzt50 - zu erwerben. Da die Barabfindung häufig höher sein wird als der Börsenkurs, können sie sich u.U. sogar mit einer höheren Quote an dem herrschenden Unternehmen beteiligen, als ihnen dies im Falle einer Aktienabfindung möglich wäre. Auch im Fall einer Barabfindung müssen die Aktionäre daher eigenverantwortlich entscheiden, ob sie die ihnen zufließenden Mittel in Aktien des herrschenden Unternehmens oder in anderer Weise anlegen wollen. Da die Aktienrendite - selbst unter Berücksichtigung etwaiger Verbundvorteile - zumeist niedriger sein dürfte als die Rendite festverzinslicher Wertpapiere, wird die Entscheidung nicht selten zu Gunsten der letzteren ausfallen. 4. Verbundvorteile sind hiernach weder bei der Aktien- noch bei der Barabfindung zu berücksichtigen. Daß dies auch praktisch kaum anders sein kann, wird durch die Tatsache belegt, daß der Umfang etwaiger Verbundvorteile kaum ermittelt, ja noch nicht einmal geschätzt werden kann. Es liegt völlig in den Planungen des herrschenden Unternehmens, welche Konsequenzen es aus dem Verbund ziehen will. Jede zahlenmäßige Vorwegnahme des Ergebnisses dieser Planung wäre reine Spekulation, zumal keinerlei rechtliche Bindung des herrschenden Unternehmens an seine Planungen besteht. Ränsch hat außerdem mit Recht darauf hingewiesen, daß die zur Abfindung verpflichtete Gesellschaftermehrheit dem Bewerter die von ihr geplante Unternehmenspolitik kaum offenlegen werde51. Keinerlei genügend sichere Maßstäbe gäbe es auch für die Beantwortung der Frage, inwieweit spekulativ errechnete Verbundvorteile dem herrschenden Unternehmen oder der abhängigen Gesellschaft zuzuordnen wären. Daß Vorteile, die vorwiegend durch

§320 Abs. 5 Satz 3. So die h.M.; vgl. Koppensteiner aaO (Fn.6), §305, Rdn. 23 mwN. 50 Beyerle, AG 1980, 317 ff (320) weist mit Recht darauf hin, daß es sich bei den Konzernobergesellschaften in aller Regel um Unternehmen mit börsennotierten Aktien handele. 51 Ränsch aaO (Fn. 4), 207. 48

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eine Erhöhung des Kapitals der abhängigen Gesellschaft aus Mitteln des herrschenden Unternehmens entstehen, wohl ganz oder überwiegend dem letzteren zuzurechnen wären, leuchtet zwar ein; unter anderen tatsächlichen Voraussetzungen bestände dagegen eine so große Unsicherheit, daß jede Zuordnung willkürlich erscheinen müßte. Die Schwierigkeiten erhöhen sich dadurch, daß Verbundvorteile keineswegs bei dem abhängigen Unternehmen eintreten müssen, sondern sich, wie bereits erwähnt52, an irgendeiner Stelle des Verbundes niederschlagen können; zumeist liegt es in der Hand des herrschenden Unternehmens, den Ort des Eintritts der Vorteile zu bestimmen. y Der Blick für die Richtigkeit dieser Beurteilung wird häufig durch eine Verkennung der Interessenlage verstellt. Es verhält sich keineswegs so, wie hin und wieder behauptet wird53, daß dem herrschenden Unternehmen durch den Erwerb von Aktien derjenigen außenstehenden Aktionäre, die von dem Abfindungsangebot Gebrauch machen, Vermögenswerte in Gestalt nunmehr erzielbarer Verbundvorteile zufielen, die es auszugleichen gelte. Im Falle des Abschlusses eines Unternehmensvertrags ist das herrschende Unternehmen vielmehr in keiner Weise darauf angewiesen, daß die außenstehenden Aktionäre von dem Abfindungsangebot Gebrauch machen; manche Unternehmen sind sogar darauf bedacht, die Außenstehenden durch einen attraktiven Ausgleich zum Verbleiben in der Gesellschaft zu veranlassen. Die Abfindungssitution entsteht immer erst, wenn der Unternehmensvertrag bereits abgeschlossen ist. Die Abfindung ist also nicht Voraussetzung, sondern Folge des Vertragsschlusses. In seltenen Fällen mag es allerdings vorkommen, daß die qualifizierte Mehrheit, die zum Abschluß des Unternehmensvertrags erforderlich ist, nur dann zustande kommt, wenn ein Teil der Außenstehenden mit dem Großaktionär für den Abschluß stimmt. Für den Großaktionär ist es dann aber eine kaufmännische - nicht eine rechtliche - Frage, ob er der Minderheit ein zusätzliches Entgelt in Aussicht stellt, um sie für sich zu gewinnen. Bei der Eingliederung bestehen insofern abweichende Verhältnisse, als die Minderheitsaktionäre hier kraft Gesetzes aus der Gesellschaft ausscheiden und abgefunden werden müssen. Aber auch hier ist die Abfindung nicht Voraussetzung, sondern Folge der Eingliederung. Sie ist sogar insofern noch pointiertere Folge des Verbundes, als - anders als bei dem Abschluß eines Unternehmensvertrags - ein Zustandekommen der Eingliederung unter Zuhilfenahme von Stimmen der Minderheitsaktionäre ausgeschlossen ist. Nach der unzweideutigen Regelung des Geset52

Vgl. oben Ziff. II. Großfeld aaO

» So z.B.

(Fn.31), 773.

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zes54 muß die Hauptgesellschaft vielmehr selbst über mindestens 95 % der Aktien der einzugliedernden Gesellschaft verfügen. Hierauf beruht es, daß nur für die Beschlußfassung der Hauptgesellschaft, nicht aber für den Hauptversammlungsbeschluß der einzugliedernden Gesellschaft eine qualifizierte Mehrheit vorgeschrieben ist55. In fast allen Fällen erlangt also der Mehrheitsgesellschafter seine erhöhte Einflußmöglichkeit und die damit verbundenen Vorteile nicht durch eine Zuwendung oder gar ein Opfer der Minderheitsgesellschafter, sondern durch die Nutzung seiner eigenen bereits vorhandenen Mehrheit. Die Minderheit unter diesen Umständen an Vorteilen, die dem Mehrheitsgesellschafter zufallen, zu beteiligen, wäre nicht sachgerecht und - betriebswirtschaftlich gesprochen - auch durch den „Entscheidungswert" 56 , die die Aktien der Minderheit für den Mehrheitsgesellschafter haben, nicht gerechtfertigt. Die Vorteile sind kein „gemeinsamer Gewinn" 57 , sondern Gewinn des Mehrheitsgesellschafters. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß der Mehrheitsgesellschafter die Minderheit nicht freigiebig mit einer überhöhten Abfindung bedenken darf. Denn das Mehr, was er der Minderheit gibt, entzieht er seinen eigenen Anteilseignern, die die Beschlußfassung des Mehrheitsgesellschafters deswegen rechtlich angreifen könnten 58 , zumal es ihnen nicht zuzumuten ist, die Minderheitsgesellschafter des abhängigen Unternehmens zwar an den Verbundvorteilen teilhaben zu lassen, etwaige Verbundnachteile dagegen allein zu tragen. 6. Es bleibt noch der Hinweis Lutters zu betrachten, daß Verbundvorteile so lange zu berücksichtigen seien, wie das deutsche Recht Paketzuschläge nicht problematisiere 59 . Für die Annahme, daß die Abfindung durch einen Paketzuschlag zu erhöhen sei, ist indessen m. E. kein Raum. Paketzuschläge sind Preiserhöhungen, die ohne rechtliche Verpflichtung gewährt werden, wenn nicht einzelne Aktien, sondern Aktienpakete veräußert werden, mit deren Hilfe bestimmte rechtliche Positionen Mehrheitsrechte oder Sperrminoritäten - erlangt werden. Um solche Paketveräußerungen geht es hier nicht. Wie dargelegt, ist der Mehrheitsgesellschafter vielmehr bei Abschluß eines Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrags und erst recht bei Vornahme einer Eingliederung bereits im Besitz des Pakets, so daß die Aktien der außenstehen§320 Abs. 1. § 3 1 9 Abs. 1; eine qualifizierte Mehrheit ist nur für den Hauptversammlungsbeschluß der zukünftigen Hauptgesellschaft vorgeschrieben (§319 Abs. 2). 56 Vgl. dazu die Hinweise in Fn. 13. 57 A A Großfeld aaO (Fn.31), 773. 58 Vgl. hierzu den vom OLG Hamm entschiedenen Fall W M 1988, 1164 ff. 59 Lutter aaO (Fn.5), 418. 54

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den Aktionäre weder ein Paket darstellen noch eine paketbildende Funktion ausüben können; ihr Erwerb ist dem Mehrheitsgesellschafter u . U . sogar unerwünscht. Andere Verhältnisse mögen dann bestehen, wenn das Aktienpaket des Mehrheitsgesellschafters bei Abschluß eines Unternehmensvertrags ausnahmsweise noch nicht groß genug ist, um allein mit seiner Hilfe die für den Hauptversammlungsbeschluß erforderliche qualifizierte Mehrheit zu repräsentieren. Erhöht der Mehrheitsgesellschafter die Abfindung solchenfalls über das gesetzlich erforderliche Maß, um den Außenstehenden den Anreiz zu geben, mit ihm für den Unternehmensvertrag zu stimmen, so handelt es sich jedoch nicht um einen Paketzuschlag im technischen Sinne, sondern um eine rechtlich nicht erforderliche freiwillige Preiserhöhung, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. VI. Das Ergebnis der vorstehenden Überlegungen läßt sich wie folgt zusammenfassen : Unechte Verbundvorteile sind bei Bemessung der Abfindung zu berücksichtigen. Als unechte Verbundvorteile sind solche Vorteile anzusehen, die zwar erst nach Begründung des Verbundes durch Initiative des herrschenden Unternehmens entstehen, die das abhängige Unternehmen aber bei optimaler eigener Ausnutzung seiner Möglichkeiten auch ohne Zutun des herrschenden Unternehmens hätte erzielen können; zu ihnen gehören auch Vorteile, die ihm das herrschende Unternehmen durch Verstoß gegen seine Treupflicht vorenthalten hatte. Echte Verbundvorteile, die nur aufgrund des Verbundes entstehen und entstehen können, bleiben dagegen ohne Einfluß auf die Höhe der Abfindung, unabhängig davon, ob sie in dem abhängigen Unternehmen selbst oder in einem anderen Bereich des Verbundes anfallen. Solche Vorteile beruhen nicht auf Zuwendungen der außenstehenden Aktionäre, weil ein Erwerb ihrer Aktien durch das herrschende Unternehmen nicht Voraussetzung für das Entstehen des Verbundes, sondern dessen Folge ist. Sie sind auch kein „gemeinsamer Gewinn" der außenstehenden Aktionäre und des herrschenden Unternehmens, sondern Gewinn des letzteren, der nicht zu Lasten seiner Anteilseigner geschmälert werden darf.

II. Bank- und Börsenrecht

Gesellschaftsrecht und Sparkassenrecht CARSTEN PETER CLAUSSEN

Der Wissenschaft vom Gesellschaftsrecht und der gesellschaftsrechtlichen Praxis eröffnet sich ein neues Betätigungsfeld: die deutschen Sparkassen. In ihrer über 200jährigen Geschichte waren deutsche Sparkassen durchgängig öffentlich-rechtlich organisiert, wie dies ihrem Auftrag, ihrem Herkommen, ihrem Selbstverständnis und ihrer Eigentümerstruktur, also ihrer „Trägerschaft", entspricht. Ausnahmen von der öffentlich-rechtlichen Organisationsform finden wir nur bei den wenigen Freien Sparkassen, die nicht in kommunaler Bindung stehen; sie sind nach Stiftungs- und/oder Vereinsrecht-ähnlichem Satzungsrecht organisiert, jedenfalls ebensowenig wie die kommunalen Sparkassen nach dem Typenraster deutschen Gesellschaftsrechts. Gegenwärtig entwickeln sich erste Berührungspunkte zwischen Gesellschaftsrecht und Sparkassenrecht, veranlaßt von dem Gebot, neue Wege der Kapitalaufbringung zu eröffnen. Diese Begegnung zwischen Gesellschaftsrecht und Sparkassenrecht kann große Dimensionen annehmen, denn die Sparkassenorganisation in der Bundesrepublik verfügt über 580 Sparkassen, 11 Landesbanken und Bausparkassen und viele angeschlossene Wirtschaftsunternehmen, die sich auf ein Bilanzvolumen von rd. 1,4 Billiarden DM addieren und damit die wohl größte finanzwirtschaftliche Kraft in der Europäischen Gemeinschaft darstellen. Diese Organisation benötigt Eigenkapitalzufuhr und zwar mit den Instrumenten des privaten Gesellschaftsrechts. Dieser Gesichtspunkt wird hier behandelt und nur dieser Gesichtspunkt. Es gibt daneben andere Gesichtspunkte, deretwegen die Sparkassen dem Gesellschaftsrecht zugeführt werden sollten, nämlich aus Gründen der Befreiung der Sparkassen von Geschäftsbeschränkungen, aus Wettbewerbsgründen um ihre Region überschreitend fusionieren zu können - und aus Privatisierungsgründen. Diese Positionen werden hier nicht behandelt1. 1 Hierzu Burmeister, Ist die Unternehmensverfassung der Stadt- und Kreissparkassen als öffentliche Anstalten noch funktionsgerecht? FS Potthoff, 1989, S. 225-248; Tiedeken, Sparkassen- und Kommunen, in Sparkasse 1984, S. 162-163 und S. 286-291; Nierhaus, Sparkassen zwischen öffentlichem Auftrag und Wettbewerbsfunktion, in Sparkasse 1985,

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Die zukünftigen Eigenkapitalbedürfnisse werden die Sparkassen nicht mehr - wie in der Vergangenheit - aus einbehaltenen Erträgen befriedigen können. Vielmehr werden die Sparkassen ihre aus aufsichtsrechtlichen Gründen ansteigenden Eigenkapitalbedarfe - wie auch die sonstige Bankwirtschaft - von außen, und zwar von Dritten, einwerben müssen. Denn die öffentlich-rechtlichen Träger - die Kommunen, die Zweckverbände u. ä., denen bislang die Eigenkapitaltitel und damit die das Eigentum reflektierenden Stimmrechte zustehen - sind angesichts ihrer Haushaltslage oder aus anderen Gründen für Kapitalerhöhungen bei ihren Sparkassen nicht eingerichtet. Es ist also das Gesellschaftsrecht gefragt, speziell das Recht der Kapitalaufbringung, das Instrumentarium anzubieten, mit dem die Sparkassen ihre Eigenkapitalbedarfe decken können. Diese Kapitalaufbringung kann auf dreierlei Wegen stattfinden: I. durch Änderung der Rechtsform der Sparkassen, also durch Umwandlung in die AG, um mit Hilfe dieser Rechtsform auf dem organisierten Kapitalmarkt frisches Kapital aufzunehmen; II. durch Aufnahme von Genußscheinkapital; III. durch die Bildung von Stillen Gesellschaften zwischen kommunalen Sparkassen und Dritten gem. §§230-237 HGB. I. Reflexionen zur Sparkassen-AG Im folgenden wird zunächst untersucht, ob es rechtlich überhaupt möglich ist, die Rechtsform der AG den Sparkassen durch Landesgesetz zur Verfügung zu stellen. Wird diese Frage bejaht, geht es darum, ob ein solcher Rechtsformwandel sinnvoll ist, beurteilt ausschließlich aus der Perspektive, daß eine solche Sparkassen-AG Kapital an den Kapitalmärkten aufnehmen kann. Hier geht es also nicht darum, zu untersuchen, ob die gegenwärtige Rechtsform staatsrechtliche legitimiert 2 , ob sie wirtschaftlich optimal sei3, und ob die öffentlich-rechtliche Rechtsform S. 12-19; Zügel, Sparkassen zwischen Marktorientierung und öffentlichem Auftrag, in Sparkasse 1985, S. 129-133; ders. „Ist die öffentlich-rechtliche Rechtsform der Sparkassen noch zeitgemäß?" - Vortrag v. 13.1.1987 im Institut für Kredit- und Finanzwirtschaft der Ruhr-Universität Bochum (maschinenschriftliche Fassung); Hankel, Der staatlich-rechtliche Kreditsektor, Rechtsgutachten für das Wirtschaftsministerium des Saarlandes, 1987 (maschinenschriftliche Fassung); Hamer, „Warum nicht Sparkassen privatisieren?" FAZ ν. 28. 8.1985; dazu Berkenhoff „Sie wollen eine andere Sparkasse", in Kommunalwirtschaft 1985, S. 504. 2 Hierzu ausführlich Dirk Schmidt, Zur erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit der Sparkassen, in ZKW 1989, S. 48-52 und S. 98-102 m.w. Nachweisen. 3 Kritisch Zügel, vgl. Fn. 1 ; Burmeister, FS Potthoff, S. 226; vgl. aber die Wettbewerbsenquete von 1968; Einzelheiten hierzu in der positiven Einordnung bei Stern/ Burmeister, Die kommunale Sparkasse, 1972, S.21.

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der ökonomischen Bedeutung der Sparkasse entspricht. Diese Fragen werden kontrovers diskutiert, sie sind im Grunde politische, wirtschaftliche und praktische und keine gesellschaftsrechtlichen Fragen. Wer das angebliche Wachstumsdefizit der Sparkassen beheben will, wer die Produktpalette der Sparkassen ausweiten will 4 , muß andere Schritte ergreifen als die Rechtsform ändern, denn Aktienrecht ist branchen- und produktneutrales Organisationsrecht und Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsrecht. Wer die Sparkassen privatisieren will, behandelt ebenfalls eine andere Frage. Immerhin sind diese Fragen miteinander verwoben, und schon die Teilfrage des Rechtsformwechsels ausschließlich aus Kapitalaufbringungsgründen, wird erheblich diskutiert und ist umstritten, auch mit internationalen Vorbildern versehen5. In der Bundesrepublik gibt es wohl mehr Stimmen, die sich gegen einen solchen Rechtsformwechsel aussprechen als dafür 6 .

1. Zur rechtlichen

Zulässigkeit

Auch in Deutschland wäre ein Rechtsformwechsel einer kommunalen Sparkasse in die Rechtsform der AG zulässig 7 . Einschlägig ist Art. 28 Abs. 2 GG: „Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln". Dies ist die grundrechtliche Basis der kommunalen Selbstverwaltung und damit die Grundnorm über die Einrichtung einer Sparkasse. Den rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen diese Selbstverwaltung der Kommunen auszuüben ist, setzt der Landesgesetzgeber. Dies ist die verfassungsrechtliche Grundlage für den Landesgesetzgeber, das kommunale Sparkassenrecht zu gestalten. Diese Prädominanz der kommunalen Selbstverwaltung und ihrer eigenen Entscheidungskompetenz im Rahmen dessen, was der Landesgesetzgeber vorgibt - wobei er die Grenzen der Nichteinschränkung, das Aushöhlungsverbot u. ä. einzu-

So Burmeister, FS Potthoff, a.a.O., S.226. Z.B. ist in Dänemark durch Gesetz von Ende 1987 die Möglichkeit zum Rechtsformwechsel seit 1988 eröffnet, wovon lebhaft Gebrauch gemacht wird. 6 Geiger, zuerst in Kommunalwirtschaft 1978, S. 313-318; zuletzt Burmeister in FS Potthoff, 1989, S. 246 m. w. Nachweisen; Fischer, „Kommunale Sparkassen brauchen öffentliche Rechtsform", FAZ ν. 9.9.1985 Nr. 208. 7 Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1969, S.328; ders., Die öffentlichen Unternehmen, 1985, 2. Aufl., S. 76-87; Geiger, Kommunalwirtschaft 1978, S. 315; Schröder, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Bd. II, 1979, S. 149; unterscheidend zwischen der organisationsrechtlichen Lösung - die einen Rechtsformwechsel erlaubt - und der Funktion der Sparkassen, die einen Rechtsformwechsel nicht erlaubt, Burmeister, a. a. O., S. 232. 4 5

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halten hat - , ist nicht umstritten und von Urteilen von Verfassungsgerichten festgeschrieben8. Dem Landesgesetzgeber und dem kommunalen Träger sind verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt in ihrem Tätigwerden: Verfassungsrechtlich gilt, daß dem Staat, wenn er sich wirtschaftlich betätigt, zunächst die Rechtsformen des öffentlichen Rechts a priori offenstehen. Aber wenn es wirtschaftliche Vorteile für den Träger gibt oder es für die Zielerreichung geeigneter ist, dann steht auch dem Staat die privatrechtliche Gestaltungsform offen bis zu der Grenze, daß der Auftrag der Daseinsvorsorge nicht gefährdet werden darf. Innerhalb dieser Grenze ist der Träger eines der öffentlichen Hand gehörenden Unternehmens frei, dessen Rechtsform zu wählen9. Von diesem Recht der Wahl hat die öffentliche Hand seit den zwanziger Jahren umfangreichen Gebrauch gemacht. Der Weg der deutschen Energiewirtschaft einschließlich des Bergbaus, einzelner Verkehrsbetriebe, einiger ursprünglich staatlicher Banken belegt diesen Erfahrungshintergrund. Aus dieser grundsätzlichen Vorgabe ergeben sich zwei Konsequenzen: der Landesgesetzgeber muß die Rahmenbedingungen für einen solchen Rechtsformwechsel durch Landesgesetz vorgeben. Und zum zweiten: Änderungen der Rechtsform einer Sparkasse können nur von ihrem kommunalen Träger beschlossen werden. Den konkreten Beschluß, von einer durch den Landesgesetzgeber eröffneten Möglichkeit zur Rechtsformänderung Gebrauch zu machen, kann also kein anderer Verwaltungsträger als der kommunale Träger fassen, weil dieser Kernbereich der Selbstverwaltung ihm durch Art. 28 G G vorbehalten ist10. In der Ausübung eines solchen Wahlrechts dürfte die Gemeinde frei sein, in welcher Form sie ihre Sparkasse führen will, sofern der Landesgesetzgeber ihr die Möglichkeit der Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten bietet. Diese Aussage problematisiert Burmeistern, indem er die Aufgabe als die Rechtsform determinierend herausstellt in dem Sinne, daß nur eine öffentliche Aufgabe die öffentliche Rechtsform erlaube. Diese Position ist denkgesetzlich überzeugend, sie widerspricht aber der historischen Erfahrung: ursprünglich wurden Sparkassen als Teil und unmittelbar als staatliche Verwaltung betrieben. 1931 hat sie der

Z.B. BVerfG 1, S. 175. BGHZ 91, 86; OVG Lüneburg in NJW 1970, S.450; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 74 f.; Scholz/Pitschas, Gemeinwirtschaft zwischen Verwaltungsund Unternehmensstruktur, 1982, S. 129, 130. 10 BVerfGE 10, S.89 und 102; Bd. 38, S.281 und 299; Stern/Burmeister, Die kommunalen Sparkassen, 1972, S. 120 m. w. Nachweisen. " Burmeister, FS Potthoff, 1989, S.234. 8 9

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Gesetzgeber aus der staatlichen Verwaltung ausgegliedert und zu eigenständigen Anstalten umgewidmet12. Der damals genutzte Freiraum des Gesetzgebers sollte auch heute offenstehen. Wichtiger noch ist das Argument, daß ein etwa vom Landesgesetzgeber eingeräumtes Wahlrecht zur Nutzung durch die Kommunen offenstehen muß und nicht durch Grundsatzeinwendungen - zur Daseinsvorsorge wäre die öffentliche Rechtsform unerläßlich oder wegen verminderten öffentlichen Auftrages nur die Privatrechtsform erlaubt - außer Kraft gesetzt werden kann. Das Verwaltungsrecht erlaubt also die Freiheit der Wahl zwischen zwei Rechtsformen. Auch zivilrechtlich wäre ein Rechtsformwechsel zulässig, was ohne weitere Begründung einleuchtet. Denn umwandlungsrechtlich ist der Wechsel aus der öffentlich-rechtlichen Rechtsform in die privatrechtliche Form der AG in den §§ 385 a-385 c AktG vorgegeben. - Steuerrechtlich sind mit der Umwandlung keine gravierenden Steuernachteile verbunden, insbesondere erfolgt keine Aufdeckung stiller Reserven, der Umwandlungsvorgang löst auch keine Verkehrssteuern aus13. Das Ergebnis ist: ein Wandel von kommunalen Sparkassen in die Rechtsform der Aktiengesellschaft ist dann möglich, wenn der Landesgesetzgeber diese Alternativen durch Gesetz aufzeigt und der kommunale Träger von dieser Alternative Gebrauch macht14. 2. Existentielle

Merkmale

Voraussetzung für einen solchen Rechtsformwechsel ist, daß die existentiellen Kennzeichen der typischen Sparkasse erhalten bleiben. Denn der Grund für die angedachte Rechtsänderung ist der Zugang zum Kapitalmarkt und keine Struktur- und Geschäftsausrichtungsveränderung. Denn die vorhandene, in zwei Jahrhunderten bewährte Ausrichtung ist die „Geschäftsgrundlage" für eine Inanspruchnahme des öffentlichen Kapitalmarktes, weil die nachgewiesenen Stärken der Sparkassen die Lebens- und Ertragskraft15 - der Anlaß zur Bereitstellung des 12 Daß dies geschah, weil 1931 „der gesamte Sparkassensektor illiquide" war, sollte als Geschichtsklitterung nicht in einem deutschen Lehrbuch zum Bank- und Börsenwesen geschrieben sein; so aber Welcker in Bank- und Börsenwesen, 1981, Bd. 1, S.20. Bankgeschichte verläuft in differenzierteren Kategorien als Welcker seinen Lesern vorträgt. 13 Zöllner, Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., Vorbem. §362, Rdn.38. 14 Zustimmend im Ergebnis Dirk Schmidt in ZKW 1989, S. 102; wohl auch Geiger in Kommunalwirtschaft 1978, S. 315. 15 Von einer „strukturell bedingten... Ertragsschwäche der Sparkassen" kann man nicht reden; so aber Burmeister, FS Potthoff, 1989, S. 228. Wahrscheinlich ist der Sparkassensektor nach wie vor der ertragsstärkste im deutschen Bankgewerbe; vgl. Wettbewerbsenquete von 1968 und Bankenstrukturkommission - was hier als Aussage stehen muß und, als nicht zum Thema gehörig, nicht nachgewiesen werden kann. Diese Ertragsstärke ändert aber nichts daran, daß es Produktschwächen und damit Wettbewerbsschwächen gibt.

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nachgesuchten Kapitals ist. Etwaige Strukturveränderungen sind also gleichzeitig mit dem Einwerben von Kapitalmarktmitteln aus Anlegerschutzgründen nur denkbar, wenn damit erwiesene Schwachstellen abgearbeitet werden sollen und Positionen der Stärke nicht angerührt werden. Die wesentlichen existentiellen Kennzeichen sind neben anderen, nicht so präzisen Kennzeichen - und unter Vernetzung dieser Kennzeichen untereinander: a) die kommunale Bindung der Sparkasse an die sie tragende Gemeinde oder den sie tragenden Zweckverband b) das Regionalprinzip, also nur innerhalb eines vorgegebenen Wirkungskreises tätig zu sein c) die Anstaltslast und die Gewährträgerhaftung. Es ist zu fragen, wie diese existentiellen Kennzeichen bei einem Rechtsformwechsel in die AG erhalten bleiben können. Zu a): Kommunale Bindung „Kommunale Bindung" bedeutet alleinige Trägerschaft - sprich Eigentum und alleiniges Stimmrecht in dem geschäftspolitischen Entscheidungsgremium der Gewährträgerversammlung. Dies liegt i. d. R. bei der Gemeinde. Im Falle der Rechtsformänderung von der Anstalt in die AG kann diese kommunale Bindung bei einer Aktiengesellschaft auf zwei verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Wegen hergestellt werden: die gegenwärtige Rücklage wird in vinkulierte Namensaktien umgewandelt; der kommunale Träger erhält diese vinkulierten Namensaktien zugeteilt. Die Vinkulierung ist angezeigt, um eine unerwartete Veräußerung, sprich eine gemeindliche Privatisierung, auszuschalten 16 . - Diesen Aktien sollte ein erhöhtes Stimmrecht zustehen, um das angestrebte Ziel der fortdauernden Beherrschung zu erreichen und nicht bei jeder Kapitalerhöhung erneut zur Diskussion zu stehen. Mehrstimmrechtsaktien begegnen zwar den Zulässigkeitsbedenken aus § 12 Abs. 2 S. 1 AktG. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes, den der Landeswirtschaftsminister zu genehmigen hätte, nämlich daß „gesamtwirtschaftliche Belange" die Mehrstimmrechtsaktie erfordern, sprechen gute Gründe. Denn die Sicherung des Einflusses der öffentlichen Hand ist solch ein gravierender Grund17. Die Stimmenmajorität bleibt also auf diesem

16 Zur Durchsetzung von Vinkulierungsklauseln in Umgehungsfällen, Lutter, AG 1989, S. 109. 17 Zustimmend Zöllner, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 12, Rdn. 20; Baumbach/Hueck, AktG § 12, Rdn. 5; Würdinger, Aktienrecht, 4. Aufl., S. 71; Gessler, BB 1971, S. 1015.

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Wege bei dem kommunalen Träger. - Eine andere Möglichkeit wäre, die Gemeinde mit stimmberechtigten Namensaktien zu versehen und das neue Kapital mit dem Instrument der stimmrechtslosen Vorzugsaktie einzuwerben. Aber das hätte einen Kursabschlag von ca. 1 0 % für die Vorzugsaktie zur Folge, auch mit den ansteigenden Vorbehalten gegenüber der Vorzugsaktie zu kämpfen. Aus den Verwaltungsräten werden aktienrechtliche Aufsichtsräte, die Entsendungsrechte des kommunalen Trägers in diese Aufsichtsräte bleiben durch entsprechende Satzungsgestaltung gem. §101 Abs. 2 AktG unverändert. Allerdings ist zu bedenken, daß diese Aufsichtsräte weisungsgebundene Vertreter der entsendenden Kommune werden, wenn der Landesgesetzgeber die Weisungsbefugnis nicht aufhebt. Dies also wäre das aktienrechtliche Modell, wie die kommunale Bindung einer Sparkassen-AG hergestellt werden kann. Eine andere Alternative wäre, daß eine Landesgesetzgebung, die die Möglichkeit der Umwandlung von Sparkassen in die Rechtsform der Aktiengesellschaft eröffnet, hierbei die Aufrechterhaltung der kommunalen Bindung verpflichtend vorschreibt. Ein solches Landesgesetz müßte also vorsehen, daß die Rechtsform der Aktiengesellschaft den Sparkassen als Alternative zur Verfügung steht, wenn die Mehrheit der Stimmen beim kommunalen Träger verbleibt, darüber hinausgehend wohl auch, daß der Kommunalverband den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Vorsitzenden des Kreditausschusses stellt. Für dieses Konzept empfiehlt sich die Bezeichnung: Gesetzgebungsmodell. - O b eine solche Landesgesetzgebung in Bundesgesetzgebung eingreift, also mit einem solchen „Sparkassenrechtsformgesetz" von Landesgesetzgebern Aktienrecht geschrieben würde, was sie mangels Zuständigkeit nicht dürfen, ist eine interessante, aber wohl zu verneinende Frage, weil Branchenrecht geschaffen wird, nämlich Sparkassenrecht, und nicht über den Branchen stehendes Aktienrecht. Hier soll die Frage nicht vertieft werden. Ergebnis: Bei einer Rechtsformwahl ist die Anbindung der Sparkasse an die tragende Gemeinde mit aktienrechtlichen Mitteln herstellbar. Diese Erhaltung der Stimmenmehrheit in der Hand der Kommune ist aber juristisch und in der Praxis etwas qualitativ anderes als die öffentlich-rechtliche Bindung einer Anstalt an ihren Träger. Zu b): Das Regionalprinzip Das Regionalprinzip lautet: Förderung des Sparens und der Vermögensbildung im Geschäftsgebiet; Kreditversorgung der Wirtschaft des Geschäftsgebietes, unter Bevorzugung des Mittelstandes. Unter die Kategorie fällt auch die Versorgung ihrer heimischen Kundschaft mit ihren Sparkassendienstleistungen. Dieser Verpflichtung auf ihre Region ist das Ertragsoptimierungsprinzip nachgeordnet. Das Regionalprinzip

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ist nicht verzichtbar 18 . Dieses Regionalprinzip ist auch bei einer Rechtsformänderung in die Rechtsform der Aktiengesellschaft herstellbar, und zwar durch Satzungsbeschluß. In die Satzung kann eine Geschäftszweckbeschreibung nach § 23 Abs. 3 N r . 2 AktG des Inhaltes aufgenommen werden, daß diese Sparkassen-AG die Sparkassendienstleistung ζ. B. im Bereich des Landkreises XYZ zur satzungsgemäßen Aufgabe hat. Es ist auch eine negative Umschreibung des Regionalprinzips denkbar, etwa in der Form, daß die Eröffnung von Filialen und Niederlassungen außerhalb dieses Landkreises unzulässig ist; §23 Abs. 5 S. 2 AktG 19 . Die Grenze für solche Geschäftsgegenstandsbeschreibungen ist der Anspruch des Vorstandes - und die Notwendigkeit für diesen - auf Handlungsfreiraum zur eigenverantwortlichen Führung der A G nach § 76 Abs. 1 AktG 20 . Eine solche regionale Umschreibung des Geschäftszweckes in positiver wie in negativer Hinsicht schränkt aber weder die Autonomie noch die Gesamtverantwortung eines Vorstandes in unzulässiger Weise ein, noch weniger ist diese Umschreibung des Gegenstandes des Unternehmens ein Uberschreiten der Satzungsautonomie. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß eine Beschränkung des Gegenstandes des Unternehmens nach diesem Vorschlag nicht dazu führt, daß Rechtsgeschäfte nichtig sind, die im Widerspruch zu der in der Satzung festgelegten Unternehmensumschreibung stehen. Denn eine Ultra-Vires-Lehre, wie aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannt, gibt es im deutschen Aktienrecht ebensowenig wie in anderen deutschen Rechtsgebieten 21 . Aber ein Sparkassen-Vorstand, der im Gegensatz zu einer Satzungsbestimmung außerhalb seiner Region tätig wird, macht sich möglicherweise schadensersatzpflichtig und/oder verstößt gegen seine Dienstpflichten. Eine andere Lösung dieses Regelungsproblems „Regionalprinzip" wäre, daß der Landesgesetzgeber mit der Erlaubnis, daß Sparkassen die Rechtsform der AG wählen können, die Kondition verbindet, daß eben einer solchen Sparkassen-AG eine rechtsverbindliche Mustersatzung dem geltenden Recht nachempfunden - vorgegeben wird und in dieser Satzung das Regionalprinzip verankert ist. Eine solche Satzungsbestim-

18 Burmeister, FS Potthoff, 1989, S. 243; zum Regionalprinzip Stern, Die kommunalen Sparkassen im Lichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, FS Lehrinstitut für das Komm. Sparkassen- und Kreditwesen, 1978, S. 13 f.; Kirchhof, Die Rechtspflicht zur Übertragung von Zweigstellen, 1989, S. 20 f. 19 Vgl. Kraft, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., §23, Rdn. 82 u. 83. 20 Hierzu Mertens, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 76, Rdn. 4 und 5; Schröder, Geschäftsführungsrechte und Einwirkungsbefugnisse bei öffentlichen Unternehmen, in Zeitschrift f. öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, 1979, Bd. 2, S. 155. 21 Soergel/Schulze, Komm. z. BGB, 11. Aufl., Vorbem. §21 BGB, Rdn.21; Soergel/ Kegel, a. a. O., Vorbem. Art. 7 EG BGB, Rdn. 213.

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mung hätte zu lauten: „Gegenstand des Unternehmens ist die Versorgung des Stadtgebietes von . . . mit allen Dienstleistungen einer Sparkasse, nämlich . . Ergebnis: das Regionalprinzip, als eine räumliche Begrenzung des Tätigwerdens einer Sparkasse, ist mit aktienrechtlichen Mitteln im Falle eines Rechtsformwechsels zu erhalten und fortzuschreiben. Das gleiche gilt für die sachlichen Begrenzungen in der Sparkassentätigkeit, die sog. Geschäftsfeldbegrenzungen. Zu c): Die Anstaltslast und die Gewährträgerhaftung Nicht einfach zu lösen ist die Aufrechterhaltung der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung. Beides sind Institute des öffentlichen Rechts. Anstaltslast ist die Innenverpflichtung des Gewährträgers, seine Sparkasse zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben ordnungsgemäß instandzuhalten 22 , was konkret die Verpflichtung zum Ausgleich einer Unterbilanz bedeutet. Die Anstaltslast ist in einigen Bundesländern gesetzlich verankert - so in Rheinland-Pfalz in §3 des SparkassenGesetzes und in Schleswig-Holstein in § 4 des Sparkassen-Gesetzes - , in anderen Ländern gesetzlich nicht fundiert, sondern als öffentlich-rechtliche Rechtsnorm - mit langer Tradition - anerkannt 23 . Pendant der Anstaltslast, aber auf die Außenwirkung abgestellt, ist die Gewährträgerhaftung. Diese Verpflichtung bedeutet das Einstehenmüssen des Gewährträgers für die Verbindlichkeiten der Sparkasse, soweit Gläubiger aus dem Vermögen der Sparkasse keine Befriedigung finden. Gewährträgerhaftung heißt also Einstehenmüssen der Gemeinde für fremde Verbindlichkeiten. Insoweit besteht Funktionsgleichheit zwischen der Gewährträgerhaftung und der unbeschränkten persönlichen Haftung des Zivilrechts. Aber abseits von der Funktion gibt es erhebliche Unterschiede, die hier nicht alle aufgeführt werden können 24 . Stellt man auf die Funktion ab, so könnte die Lösung der gestellten Frage sein, Sparkassen in Kommanditgesellschaften auf Aktien umzuwandeln mit dem kommunalen Träger als dem persönlich haftenden Gesellschafter. Will man diesen Gedanken vertiefen, steht man zunächst vor der Fragestellung, ob eine juristische Person persönlich haftender Gesellschafter in einer KGaA sein kann, und noch dazu eine öffentlichrechtliche Rechtsperson. Es gibt immer wieder Stimmen, die eine AG 22 Schlierbach, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, in Kommunalwirtschaft, 1975, S. 447 f.; Ahlers, Die Anstaltslast bei den Gewährträgern von Sparkassen, Z K W 1974, S. 57. 23 Schlierbach, Handwörterbuch der Sparkassen, Bd. 1, 1982, S. 76. 24 So sind z.B. die Rechtsgrundlagen ganz verschieden: Die Gewährträgerhaftung wurde durch die 3. Reichsnot-Verordnung v. 6 . 1 0 . 1 9 3 1 eingeführt, daselbst Art. 1 §§1,2 Abs. 1 S. 1. Die persönliche Haftung folgt aus Vertrag oder aus gewählter Rechtsform.

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oder eine GmbH als Komplementär einer KGaA zulassen wollen 25 , überwiegend wird dies indessen abgelehnt26. Denn mit der Typenlehre von der KGaA steht eine juristische Person als Alleinhafter im Widerspruch. Deshalb sollte dieser Gedanke nicht weiter vertieft werden. Lösen kann diese Haftungsfrage nur die Idee der Patronatserklärung, wie sie seit 1974 im deutschen Bankrecht ihre Renaissance erlebt hat27. Bei einer Rechtsformänderung von der Anstalt in die AG nur eine fortdauernde Haftung der kommunalen Träger vorzusehen, wäre nicht sachgerecht. Noch weniger kann es mit einer Art moralischer Haftung sein Bewenden haben, weil dies dem Sparerschutzgedanken zuwiderliefe. Deshalb sollte eine an die Öffentlichkeit gerichtete Erklärung, dafür Sorge zu tragen, daß die Sparkasse stets in Zahlungsbereitschaft ist, abgegeben werden. Diese Lösung hat zumindest folgende Nachteile: einmal wird die Kommune nicht in ihrer Haftung begrenzt, zum anderen haben die Sparkassen die Mühsal, diese Form der fortdauernden Haftung zu verdeutlichen, zum dritten ist die Patronatserklärung nur eine temporär wirkende Verpflichtung, die später durch ein anderes Gläubigersicherungssystem ersetzt werden sollte. Zusammenhängend mit der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung ist die Aufsicht über die Sparkassengeschäfte. Denn wer aus einer Patronatserklärung haftet und zahlt, muß bestimmen können. Dieses Bestimmungsrecht umfaßt nicht nur die Personalien, sondern auch die Vorgabe von zulässigen und unzulässigen Rechtsgeschäften. Mit dem Aktienrecht könnte man solche Vorgaben umsetzen: Geschäftsbeschränkungen, die jetzt in den Mustersatzungen enthalten sind, könnten in die Aufsichtsautonomie des Aufsichtsrates nach § 111 AktG überführt werden oder auch - möglicherweise - in privatrechtlichen Mustersatzungen enthalten sein. Indessen erhielte die Aufsicht eine andere Dimension: Aus dem zwingenden Recht des Sparkassenrechtes würde privatautonome Entscheidungsmacht des Aufsichtsrates, in dem die kommunalen Träger über die Mehrheit verfügten. Ergebnis: bei einer Sparkassen-AG ließe sich eine unbeschränkte Haftung der kommunalen Großaktionäre durch die Übernahme des Patronats herstellen. Die hiermit innerlich verbundene Aufsicht des Gewährträgers - dann also des Patrons - ließe sich mit den aktienrechtlichen Instrumenten des Aufsichtsrates ausüben. Die daneben bestehende staatliche Aufsicht wäre als Kommunalaufsicht gestaltbar. Beides wäre ein Aliud gegenüber dem geltenden Recht.

25 So neuestens Hennerkes/May, BB 1988, S.483; mit Replik von Binz, B B 1988, S.2041. 26 Mertens, Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., §278 Rdn. 10-12. 17 Pulandt/Heinrichs, B G B , 44. Aufl., S. 786; Mosch, Patronatserklärungen, 1978.

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Eine Zusammenschau dieser kurzen und kursorischen Übersicht macht deutlich, daß die existentiellen Kennzeichen der Sparkassen auch bei einem Rechtsformwechsel aufrechtzuerhalten sind, aber nur unter Aufwendung von erheblicher gesellschaftsrechtlicher Phantasie und erheblichem Aufwand an Veränderungswillen. Solches Vorgehen begegnet Bedenken in zweierlei Richtung: zum einen stellt sich die Frage, ob eine derart umgestaltete Sparkassen-AG mit derart rechtlich neu fundierten, existentiellen Merkmalen noch eine Sparkasse ist, an der sich die Bürger der Region beteiligen wollen, weil sie diese Sparkasse kennen, oder ob dies etwas Neues, ihnen nicht Vertrautes ist. Die Frage so stellen, heißt sie zu beantworten: dies wäre eher eine neue Unternehmung, deren Bewährung in der Ungewißheit der Zukunft steht, also die daraus zu entwickelnde Aktie nicht frei von Risiken. Zum anderen stellt sich die Frage, ob. eine derart umstrukturierte Sparkassen-AG eine Aktiengesellschaft mit dem „Wesen" dieser Rechtsform im Sinne der Typenlehre 28 ist. Zwingen diese vielen existentiellen Kennzeichen nicht dazu, im Sinne einer rechtlichen Typizität von Formen des Gesellschaftsrechts, bei der kommunalen Sparkasse bei der Anstalt zu bleiben? Ist es nicht eine Uberstrapazierung der Privatautonomie, die Rechtsform AG in dièser Weise auf Anstaltsrecht auszurichten und in die Atypizität zu zwingen? Und dies nicht nur für ein Unternehmen, sondern möglicherweise flächendeckend mit Anwendungsmöglichkeit für einen großen Wirtschaftszweig. Ohne hier die Typenlehre vertiefen zu können, spricht doch vieles für eine Atypizität des Gesellschaftstyps „SparkassenAktiengesellschaft". Die Einzelnormveränderungen einer Sparkassen-AG wären so weitgehend, daß sie unseren gesellschaftsrechtlichen Grundprinzipien, die die AG ausmachen, widersprechen. Hinzukommt, daß es einfachere Lösungen der Kapitalaufbringungsfrage gibt als die Sparkassen-AG, nämlich die Genußschein- und/oder die Stille-Gesellschafts-Lösung- siehe unten. - Ein weiteres Argument ist, daß sich gesellschaftsrechtliche Entwicklungen in behutsamen Schritten vollziehen. So wenig wie sich eine o H G i. d, R. in die Rechtsform der A G wandelt, so wenig sollte der Schritt aus der Anstalt ohne behutsame Ubergänge gleich in die AG gewählt werden, zumal dann nicht, wenn solche behutsamen Ubergänge vorhanden sind.

28 Zur Debatte um das „Wesen" von einzelnen Rechtsformen, um Typengerechtigkeit und um das zulässige Maß von Umgestaltungen von Typusmerkmalen Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333; Engisch, Die Idee der Konkretisierung, in Recht und Rechtswissenschaft in unserer Zeit, S. 237; Radbruch, Klassenbegriffe und Ordnungsbegriffe im Rechtsdenken, S. 46 ff. ; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, S. 7 f.; Scheuerle, Das sog. Wesensargument im juristischen Begründen (Untertitel) in AcP 163 (1964), S. 429 ff.

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Diese Erwägungen führen zu dem Ergebnis, daß eine „Sparkassen AG" mit Aufrechterhaltung der existentiellen Sparkassenkennzeichen kein Modell für die Einwerbung von frischem Eigenkapital ist29. Diese Aussage gilt uneingeschränkt für Sparkassen des kleineren und mittleren Volumens. Für die - einigen wenigen - Großsparkassen, für die schon heute die oben dargestellten existentiellen Merkmale, wie die regionale Bindung, keine Essentiale darstellen und die nach Kapitalausstattung und Marktpositionierung die oben wiedergegebene Gewährträgerhaftung als rechtliches und wirtschaftlichen Benefiz hinter sich ließen, gelten nach den Grundsätzen über die ökonomische Analyse von Wirtschaftsrecht andere Ansätze. II. Die Aufnahme von Genußscheinkapital Wir erleben gegenwärtig die Renaissance des Genußrechts. Seit 1982 sind 26 Emissionen von Genußscheinen von 22 Emittenten an deutschen Wertpapierbörsen eingeführt worden mit einem Volumen von 3 Mrd. DM. Achtzehn Genußscheinemissionen sind von deutschen Kreditinstituten vorgenommen worden. Viele Landesbanken haben von diesen Kapitalmarkttiteln Gebrauch gemacht, auch einige Sparkassen; weitere Sparkassen bereiten solche Emissionen vor, sofern die sparkassenrechtlichen Voraussetzungen vom Landesgesetzgeber erlassen werden 30 . Denn das Kreditwesengesetz hat mit §10 i. d. F. v. 1.7.1985 die Möglichkeit eröffnet, mit diesen Kapitalmarkttiteln die Eigenkapitalbasis zu verstärken. Des Genußscheins rechtliche Position ist für die Gegenwart und überschaubare Zukunft 1) sowohl bankrechtlich, als auch 2) steuerrechtlich geklärt; 3) gesellschaftsrechtlich gibt es Akzeptanz sowohl in der Wissenschaft, als auch in Gesetzgebung und Praxis. Zu 1) §10 Abs. V KWG i. d.F. von 1984 gestattet Kreditinstituten, Eigenkapital in der Form von Genußrechten herzustellen. Die Entstehung dieser Vorschrift schildert Hammen3'; an die Hintergründe dieser Rechtsentwicklung erinnert Fischer, indem er den den Sparkassen ver29 Im Ergebnis zustimmend, aber mit anderer Begründung Burmeister, FS Potthoff, 1989, S. 238; nicht exakt zu unserer Fragestellung, aber an der Klassifizierung der Sparkasse als „Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge" festhaltend, BVerfG in: Die öffentliche Verwaltung, 1987, S. 819 und insoweit zust. 30 Stadtsparkasse Köln nach Handelsblatt v. 11.7.1988; Fischer, Der Genußschein, Anmerkungen aus Sparkassensicht, in: Der Langfristige Kredit, 1988, S.666. 31 Hammen, Zur bankaufsichtsrechtlichen Beurteilung von Genußrechtskapital nach dem novellierten Kreditwesengesetz; in Recht und Praxis der Genußrechte; Bd. 16 der Schriften zum deutschen und ausländischen Geld-, Bank- und Börsenrecht; 1987, S. 70 ff.

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weigerten Haftsummenzuschlag als ein „Opfer der Wende" 32 bezeichnet, also die Einführung des Genußscheinkapitals eine „Wiedergutmachung" hierfür. Diese Erwägungen sind nicht in die publizierten Motive 33 des Gesetzgebers eingegangen. § 10 V KWG schreibt vor, wie ein Genußschein beschaffen sein muß, um als Eigenkapital Anwendung zu finden: das Kapital muß eingezahlt sein; es muß voll am Verlust teilnehmen und darf erst zurückgefordert werden nach Befriedigung aller Gläubiger des Kreditinstitutes. Hieraus folgt eine gewinnabhängige Verzinsung. Die lange Laufzeit ist in § 10 Abs. V S. 1 Nr. 3 und 4 KWG geregelt. Daß keine Besicherung zulässig ist, ergibt sich aus dem Eigenkapitalcharakter. Der Bilanzausweis für Sparkassen nach der Sicherheitsrücklage ist dann die Folge der Eigenkapitalqualifizierung in § 10 Abs. V KWG. Näheres steht in der detaillierten Gesetzesvorschrift und der bisher erschienenen Literatur 34 ; offene Fragen sind bisher nicht erkennbar geworden. Bankrechtlich ist der Genußschein etabliert. Zu 2) Die Steuerrechtslage ist ebenfalls in der Praxis und im Umgang mit der Finanzverwaltung und -rechtsprechung unstreitig: Ist der Genußschein am Ertrag und nicht am Liquiditätserlös beteiligt, ist die Ausschüttung als Betriebsausgabe abzugsfähig 35 . Steuerschädlich ist also eine Teilnahme am Liquidationserlös. Dies ergibt sich aus § 8 Abs. 3 S. 2 KStG. Etwas Ahnliches wie eine schädliche Beteiligung am Liquidationserlös wird von der Finanzverwaltung in einer ewigen Laufzeit des Genußrechts gesehen36. Warum das so sein soll, ist bisher noch nicht richtig erklärt worden. Aber die Rechtslage ist von der Finanzverwaltung so festgeschrieben, und deshalb muß jeder Sparkassengenußschein eine feste Laufzeit oder Kündigungsrechte enthalten und darf keine ewige Laufzeit haben. Diese Steuerrechtslage ist zwar gegenwärtig eindeutig, aber nicht ohne intensives Nachdenken in die Zukunft fortzuschreiben. Denn deutsches Steuerrecht lebt von der Grundkonzeption, daß Eigenmittel nur aus

32 Fischer, Der Genußschein: Anmerkungen aus Sparkassensicht, in: Der Langfristige Kredit, 1988, S.604. » BT-Drucksache 10/1441 Ani.3 S.63; BT-Drucksache 10/2459ff.; vgl. auch Möschel, ZHR 149 (1985) S.206, 225. 34 Hammen, Fn.31, S. 72-81; Fischer, Fn.32, S. 606-609. 35 Neuestens Welter, Rechtsfragen der steuerlichen Behandlung von Genußrechten, in: Recht und Praxis der Genußrechte, Fn.31, S.49 m.w.N.; früher Claussen, in FS Werner, S. 88 m.w.N. 34 Ueiner, in JbFfSt 1986/87; ebenso Sarrazin in Steuerberater-Jahrbuch 1985/86, S. 147 f.

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versteuertem Gewinn bedient werden können. Die hier dargestellte Rechtslage bezüglich Ausschüttungen auf Genußrechte widerspricht diesem Grundkonzept - allerdings mit guten Gründen: diese Systemabweichung ist Tradition im deutschen Steuerrecht und über alle Einkommensteuerreformen festgeschrieben. Hinzu kommt, daß die oben dargestellte „Segnung der Wende" als eine im Streitfall gut begründete, einklagbare Bestandsgarantie für diese Steuerrechtslage durch den Gesetzgeber des KWG zu begreifen ist. Eine ernste Diskussion über eine Änderung der Steuerrechtslage findet deshalb mit Recht nicht statt37. Aber ein Restrisiko bleibt. Denn es ist ein Unterschied, ob nicht mehr als 18 Kreditinstitute etwa für 2 Mrd. DM Genußscheine emittieren wie die rechtstatsächliche Lage heute ist38 - oder ob 570 deutsche Sparkassen mit einer addierten Bilanzsumme in der Größenordnung von 850 Mrd. DM und mit einer Eigenkapitalpositionierung in der Größenordnung von an die 32 Mrd. DM sich dem Genußschein zuwenden. Wenn eine derart gewichtige Organisation mit traditionellem Gleichverhaltenskonzept Nutzen aus einer solchen, nicht ganz systemgerechten Gesetzgebung zieht, mag die Langfristdauer des bestehenden Rechtszustandes nicht gewährleistet sein. Zumindest ist dieser Gedankengang in die Erwägungen einzubeziehen, und zwar an vorrangiger Position. 7.U 3) Nirgends im Zivilrecht ist Freiheit grenzenlos - auch nicht im Gesellschaftsrecht, auch nicht im Genußscheinrecht. Dies gilt auch und vor allem dann, wenn, wie im Genußrecht, keine gesetzlichen Schranken diese Freiheitsräume eingrenzen. Deshalb werden die vom Gesellschaftsrecht offen gelassenen Freiräume in der Ausgestaltung von Genußscheinemissionsbedingungen eingegrenzt von den zivilrechtlichen Grundnormen wie §§134, 136, 242 BGB des Schuld-, insbesondere des Darlehensrechts, und den HGB-Vorschriften. Die nächste Eingrenzung folgt aus der Zweckbestimmung als Eigenkapital, der der Genußschein zu entsprechen hat, § 10 KWG. - Schließlich sind die Vorgaben des Marktes zu befolgen, also die Verkäuflichkeit eines solchen Titels muß gewährleistet sein: angemessener Nutzen und der Werterhalt der Anlage müssen geboten werden, eine faire Chance auf Wertzuwachs sollte der Anleger andenken können. Dies ist ordnungspolitisch korrektes und marktwirtschaftliches Rechtsverständnis vom Anlegerschutz, wie es Steindorff von Franz Böhm überkommen ist, und das etwas anderes ist als obrigkeitlicher, dilettantischer Interventionismus im Vermögensanlagegeschäft. - Werden diese Grundnormen eingehalten, hat das Gesell-

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Ähnlich wohl Welter, Fn.24. Claussen, Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, ZBB, 1989, Nr. 1 S.25f.

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schaftsrecht keine Probleme mit der Akzeptanz des eigenkapitalähnlichen Genußscheins39. Er kann problemfrei eingesetzt werden, sofern die aufsichtsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen sind. Wie geht es weiter? Was wird künftiges Europarecht über die gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung von Eigenkapitalgenußrechten verlangen - eine Frage, die Steindorff, der seinen erfolgreichen Weg in der Rechtswissenschaft von dem deutsch-amerikanischen Rechtsvergleich herkommend, zum Europarecht gegangen ist, am meisten an diesem Beitrag interessieren wird. Die Cook-Kommission 40 hat Vorgaben gemacht. Eine EigenkapitalRichtlinie wird sich hieraus entwickeln 41 . Klar ist, daß es künftig in Europa „Kernkapital" und „Ergänzungskapital" geben wird - „hartes" und „weiches" Kapital. Das „Kernkapital" ist in Art. 2, Abs. 1 a des Richtlinienvorschlages umschrieben als voll eingezahltes Stammkapital, unkündbares Vorzugsaktienkapital, sofern die Vorzugsdividende nicht kommulativ ist, und die „offen ausgewiesenen Reserven" - ohne weitere Spezifikation. Eine Ubereinstimmung mit dem Eigenkapitalbegriff des KWG besteht nicht. Genußrechte sind in dem EG-Vorschlag einer Eigenkapital-Richtlinie als Ergänzungskapital vorgesehen, aber zu 100% anrechenbar, Art. 3 Abs. 2. Die Merkmale dieses Eigenkapital-ergänzenden Genußrechtes sollen sein: a ) Mitwirkungsrechte in unternehmerischen Fragen werden weder von der Cook-Kommission, noch von § 10 KWG, noch von dem EGVorschlag, noch von sonstiger Seite als Eigenkapitalessentiale gefordert, weder für die Genußrechte noch für die Stille Gesellschaft. Es bleibt also bei dem Rechtsgedanken, den die Vorzugsaktie lehrt, nämlich daß das Nichtvorhandensein von Mitwirkungsrechten den Eigenkapitalcharakter nicht hindert.

39 Wie hier Hammen, Unzulässigkeit aktiengleicher Genußrechte? DB 1988, S.2554 m. w. N.; a. A. - aber nicht für den Spezialfall der Anwendung in der Kreditwirtschaft - Reuter, 55.DJT 1984, Β 26 f.; den., A G 1985, S. 107; den., FS Stimpel, S.652;

ders., NJW 1984, S. 1851; Hirte, ZIP 1988, S.482.

40 Konsultationspapier „Vorschläge für eine internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen" des Ausschusses für Bankenbestimmungen und -Überwachung bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vom Dezember 1987 (Dokument BS/87/80). Dieser Ausschuß für Bankenbestimmungen und -Überwachung setzt sich aus Vertretern der Zentralbanken und Bankenaufsichtsbehörden der Zehnergruppenländer (Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Niederlande, Schweden, Schweiz, USA) und Luxemburgs zusammen. 41 Die Eigenmittel-Richtlinie Bundesrat-Drucksache 212/88 - ist in Brüssel verabschiedet und liegt dem Europäischen Parlament seit 1989 vor. Nach Verabschiedung hat der Bundestag diese Richtlinien binnen 2 Jahren in deutsches Recht umzusetzen.

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b) Die Genußrechte sind am Verlust zu beteiligen, Art. 3 Abs. 2 lit. c des Vorschlags, was den Umkehrschluß trägt, daß die Ausschüttung gewinnabhängig sein muß. Die Ausschüttungsregelung kann starke Festzinselemente aufweisen, solange die Festzinselemente die Gewinnabhängigkeit nicht bis zur Unkenntlichkeit denaturieren. So ist es zulässig, die Genußscheinemission mit einem Festsatz auszustatten - der i. d. R. bis 1 % über dem Landeszinsfuß liegt - und der nur gezahlt wird, wenn der Bilanzgewinn oder das Jahresergebnis dies zuläßt. Dies würde sowohl nach K W G wie nach zukünftigem Europarecht ausreichend sein. Die Ausschüttung muß nicht mit der Ertragslage des Kreditinstitutes variieren. O b ein Verzicht auf varia1 ble Anpassung an der Ertragslage als „eigenkapitalgemäß" überzeugt, ist beim Genußrecht ebenso offen wie bei der Stillen Gesellschaft. Eine weitere Frage ist, ob bei ausgebliebener Gewinnausschüttung auf Genußscheinen eine § 140 II AktG entsprechende Kompensation anzudenken ist. c) Wird die Ausschüttung gewinnvariabel gestaltet, darf die Berechnungsbasis für die Gewinnanteilnahme nicht zum Nachteil der Genußscheininhaber veränderbar sein. Unverzichtbares Element jeder Genußrechtsbedingung ist also i. d. R. ein sog. Verwässerungsschutz, der dem gesetzlichen Bezugsrecht des Aktionärs von der Idee her entspricht. Dies muß nicht nur aus Gründen, den Gewinnanteil der Genußscheininhaber nicht zu vermindern, so sein, sondern auch aus Gründen der Typengerechtigkeit: jedes Eigenkapital nimmt an Veränderungen eben dieses Eigenkapitals teil. d) Nachrangigkeit ist ein weiteres Typusmerkmal, denn §230 H G B gilt nicht für Genußscheine. Die Nachrangigkeit folgt auch aus der steuerrechtlich intendierten Nichtteilnahme am Liquidationserlös und ist in Art. 3 Abs. 2 lit. d des Richtlinienvorschlags vorgeschrieben. Zwischen der Nachrangzusage in den Genußscheinbedingungen und einem Kündigungsrecht der Sparkasse besteht ein komplexes, noch nicht ausgelotetes Spannungsverhältnis. Die Cook-Kommission wollte überhaupt kein Kündigungsrecht. Mit dem Kündigungsrecht eng verbunden ist der Kündigungskurs. Eine Kapitalrückzahlung zu 100 oder einem anderen Emissionskurs ist einem Eigenkapitaltitel systemfremd. Wird der Genußschein öffentlich notiert, wäre eine Rückzahlung eben dieses Genußrechtes zum Emissionskurs ausgeschlossen. e) Zu allen vorstehenden und den hier offen gebliebenen Positionen wird die deutschrechtliche Umsetzung der EG-Richtlinie Vorgaben geben. Vieles hier Gesagte ist insoweit rechtspolitische Zukunftserwartung. Aber der Ansatz bleibt, wie hier beschrieben: völlig neue

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Ausgestaltungsmerkmale sind von der zukünftigen Europagesetzgebung nicht zu erwarten. III. Die Stille Gesellschaft Verglichen mit dem Genußschein ist die Stille Gesellschaft ein eher besser geeignetes gesellschaftsrechtliches Instrument der Kapitalaufbringung. Denn die Stille Gesellschaft sollte Chancen haben, in einer Umsetzungsgesetzgebung wohl unter die Kategorie „Eingezahltes Kapital" i. S. v. Art. 2.1.a. des EG-Richtlinienvorschlages zu fallen, weil rechtsdogmatisch die Stille Beteiligung ein Titel ist, der einen Anteil an einer Gesellschaft im Rechtssinne darstellt und nicht wie das Genußrecht ein Forderungsrecht 42 . Auch ist die Stille Gesellschaft ein vom geltenden deutschen Bankrecht anerkanntes Eigenkapital, § 10 Abs. 4 KWG. - Im Cook-Bericht ist der Stillen Gesellschaft zwar nur die Zustimmung als „weiches" Eigenkapital erteilt worden - Ergänzungskapital. - Die Stille Gesellschaft ist ausdrücklich für öffentlich-rechtliche Anstalten und Körperschaften geöffnet. - Steuerrechtlich ist geklärt, daß die Ausschüttungen der typischen Stillen Gesellschaften Betriebsausgaben sind43. Die Ausschüttung muß gewinnabhängig sein, in ähnlich weiter Spannbreite wie bei Genußrechten, §231 II H G B . Allerdings ist auch hier wohl die variable Gewinnausschüttung „§§231-232 HGB-gemäßer" als eine Festbedienung44. - Uber diese Detailkonditionierung der stillen Einlage - die Nachrangigkeit, die Kündbarkeit und die Laufzeit - wird die künftige Umsetzungsgesetzgebung Regeln vorgeben. Im Vergleich zum Genußrecht bleibt die rechtsdogmatische Andersartigkeit bedeutsam, gleichgültig wie stark das Genußrecht mit Eigenkapitalelementen angereichert wird, und andererseits wie sehr die Stille Gesellschaft sich dem langfristigen Kredit nähert und die Risikoferne für den stillen Gesellschafter ausgestaltet wird. Dies wird deutlich in der Bilanz der Sparkasse, das den stillen Gesellschafter aufnahm: sind die besprochenen Eigenkapitalelemente hinreichend deutlich - wie in §10 Abs. 4 KWG vorgeschrieben - ist der Bilanzausweis der Einlage des stillen Gesellschafters als Kapital „geboten" 45 . Dies gilt auch für Stille Gesellschaften, die an Gewinn und Verlust, nicht aber an der Substanz teilnehmen, hingegen ihre Andersartigkeit gegenüber einem Kredit « B G H Z 7, S. 378, 382; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1384 f., m . w . N . 43 Paulick/Blaurock, Die Stille Gesellschaft, Aufl. S. 345. 44 So gehen Baumbach /Duden! Hopt, H G B , 27. Aufl. in ihrer Kommentierung der §§231 und 232 H G B von „Gewinn- und Verlustanteilen" aus. 45 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl. 1988, §266 H G B , Rdn. 179.

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durch Nachrangigkeit unter Beweis stellen 46 . Ihr Bilanzausweis erfolgt dann bei Sparkassen mit dem Emissionsbetrag in die nächste Zeile nach der „Sicherheitsrücklage". - In die Emissionsbedingungen gehören dann Vorschriften über eine Verbriefung und über eine Handelbarkeit. Neben der direkten Handelbarkeit einer Sparkassen-Stillen Beteiligung gibt es die Möglichkeit, das Medium einer „Sparkassenbeteiligungs-AG" oder einer „Bürger-Sparkassen-AG" einzusetzen, die sich als stiller Gesellschafter bei der örtlichen Sparkasse - oder bei mehreren Sparkassen beteiligt. Dieser Weg bietet den Vorteil, daß dem Anleger eine klar geordnete „Sparkassen-Aktie" anstelle des unbekannten Titels „Sparkassen-Stille-Beteiligung" angeboten werden könnte. Weiterer Vorteil wäre, daß der Aktienmarkt einen Preis feststellen würde. - Eine solche „Sparkassenbeteiligungs-AG" verlangt schließlich nach Aussagen über eine Repräsentanz der stillen Gesellschafter im Verwaltungsrat der Sparkasse.

IV. Zusammenfassung Rechtstitel dieser Art können im Kundenkreis der Sparkasse piaziert werden. Dann muß in der Folgezeit die Marktpflege und das Marketing ernst genommen werden. Dann könnten Genußrechte und Stille Beteiligungen ein modernes Modell sein, das über Jahre helfen kann, den Eigenkapitalbedarf der Sparkassen zu decken und die Palette der in der Bundesrepublik Deutschland angebotenen Anlagetitel angemessen auszuweiten. - Dieses Modell entspricht dem Grundsatz, daß gesellschaftsrechtliche Entwicklungen in behutsamen Schritten anzugehen sind, daß sie den jeweils vorhandenen Bedürfnissen anzupassen sind und nicht der Entwicklung vorschnell vorweg eilen sollen. - Dies Modell folgt auch dem Grundsatz, keine Rechtskreise zu stören, die bewährt sind. Schließlich steht dem Modell nicht der Gedanke der „halbherzigen Privatisierung" entgegen, es ist auch keine unzulässige Kombination von privater Finanzierung mit öffentlich-rechtlicher Haftung, sondern die Übernahme einer klassischen Finanzierung: die Deutsche Reichsbank war, solange sie bestand - von 1871-1945 - , so finanziert und gesellschaftsrechtlich in dieser Weise strukturiert.

46 Zust. Westerfelhaus, BB 1988, S. 1177; wohl ähnlich K.Schmidt, ders., ZHR 140 (1976), S.475Í.

a.a.O., S. 1391;

Änderungen von Anleihebedingungen - Schuldverschreibungsgesetz, § 796 BGB und AGBG - * KLAUS J . H O P T

I. Das Schuldverschreibungsgesetz und seine Grenzen 1. Grundzüge

der Regelung von

Anleihen

Die Schuldverschreibung auf den Inhaber ist in §§ 793 ff BGB geregelt. Diese Regelung erfaßt das Verhältnis zwischen dem Schuldner (Aussteller) und den Gläubigern (Inhaber) und wird durch verschiedene Spezialbestimmungen bank-, börsen- und wertpapierrechtlichen Charakters, u. a. betreffend Zulassung zum Börsenhandel, Publizität und Prospekthaftung, ergänzt1. Auch das Verhältnis der Gläubiger untereinander ist außerhalb des BGB, allerdings gleichzeitig mit diesem2 im Schuldverschreibungsgesetz vom 4.12.1899 3 (im folgenden: SchVG) geregelt. Das SchVG sorgt für eine Mindestorganisation der Anleihegläubiger untereinander und für eine gemeinsame Interessenvertretung nach außen und stellt damit rechtlich eine Verbindung zwischen den verschiedenen Anleihegläubigern her, die sonst grundsätzlich nur wirtschaftlich bestünde. Diese rechtliche Verbindung bleibt zwar rudimentär im Vergleich zur gemeinsamen Organisation und Interessenvertretung

* Vortrag vor dem Banking Law Regional Committee Germany/Switzerland der International Bar Association in Frankfurt am 8.9.1989. Herrn Dr. Maier-Reimer, Frankfurt danke ich für wertvolle Hinweise aus der Praxis. 1 Nachweise ζ. B. bei Staudinger-Marburger, BGB, 12. Aufl., Berlin 1986, Vorbem. zu §§793-808 a Rdn.20ff. Aus dem B G B sind besonders zu nennen §§1187-1189 über die Sicherungshypothek und den Grundbuchvertreter bei Inhaberschuldverschreibungen. Börsenrechtlich relevant sind das BörsG mit der neuesten Änderung vom 11.7. 1989 BGBl. I S. 1412 und die BörsZulV vom 15.4.1987 BGBl. IS. 1234, beide in Baumbach-Duden-Hopt, H G B , 28. Aufl., München 1989, (14) BörsG und Schlußanhang, (15) BörsZulV. 2 §26 SchVG (Fn. 3). 3 RGBl. 1899, S.691 mit späteren Änderungen = BGBl. III 4134-1. - Vgl. für die Schweiz Art. 1156 ff O R über die Anleihensobligationen, und zwar Art. 1156 O R über den Prospektzwang, Art. 1157-1186 O R über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen, dazu BundesratsVO über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen vom 9.12.1949. Der Anleihensvertreter ist geregelt in Art. 1158 ff. Zur Ausgabe von Anleihen mit Grundpfandrecht und zum Pfandhalter vgl. Art. 860, 875-883 ZGB.

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Klaus J. Hopt

d e r A k t i o n ä r e u n d a n d e r e r gesellschaftsrechtlich f o r m i e r t e r K a p i t a l a n l e ger, zeigt aber d o c h einmal m e h r , d a ß ähnliche R e g e l u n g s p r o b l e m e f ü r alle Kapitalanleger, o b A n t e i l s i n h a b e r o d e r G l ä u b i g e r , bestehen 4 . Ein zentrales P r o b l e m d e r g e m e i n s a m e n O r g a n i s a t i o n ist das d e r Willensbildung u n t e r den beteiligten A n l e g e r n . Bei A n t e i l s i n h a b e r n f i n det sie in aller Regel in einer H a u p t - o d e r G e s e l l s c h a f t e r v e r s a m m l u n g statt u n d v o l l z i e h t sich in Beschlüssen, die grundsätzlich m i t M e h r h e i t gefaßt w e r d e n k ö n n e n . Rechtlich geht es dabei u m eine a u s g e w o g e n e Mitte zwischen Minderheitenschutz und Handlungsfähigkeit der G e s a m t h e i t , o h n e v o n e i n z e l n e n b l o c k i e r t u n d eventuell sogar e r p r e ß t z u w e r d e n 5 . F ü r A n l e i h e g l ä u b i g e r sucht das S c h V G diese M i t t e z w i n g e n d ( § 2 0 S c h V G ) wie folgt6: a) Gläubigerversammlung

mit

Mehrheitsbeschlüssen

Die Anleihegläubiger kommen in einer vom Schuldner auf seine Kosten einberufenen Gläubigerversammlung zusammen und fassen dort mit Mehrheit Beschlüsse, die unter bestimmten Voraussetzungen für alle Anleihegläubiger verbindliche Kraft haben (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 10 Abs. 1 SchVG). Die Versammlung kann zur Wahrnehmung der Rechte der Gläubiger einen gemeinsamen Vertreter für diese bestellen (§ 1 Abs. 2 SchVG). Der Schuldner ist für die in seinem Besitz befindlichen Schuldverschreibungen nicht stimmberechtigt (§ 10 Abs. 4 SchVG) 7 . Für Konkurs und Vergleich gelten Sonderregeln (§§18-19 a SchVG). b)

Minderheitenschutz

Der Minderheitenschutz wird durch verschiedene Kautelen gewährleistet: (1 ) Einberufung der Versammlung auf Verlangen einer Minderheit von 20 % oder des Gläubiger-

4 Dazu Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, München 1975; Schwark, Anlegerschutz durch Wirtschaftsrecht, München 1979. Zuletzt Assmann, Konzeptionelle Grundlagen des Anlegerschutzes, ZBB 1989, 49. 5 Aus akutem Anlaß nunmehr auch in Deutschland z. B. Lutter, Zur Abwehr räuberischer Aktionäre, Festschrift 40 Jahre Der Betrieb, Stuttgart 1988, S. 193. 6 Dazu die Kommentare von Ansmann, Schuldverschreibungsgesetz, München 1933; Koenige, Gesetz, betreffend die Gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen, 2. Aufl., Berlin 1922; Quassowski-Schmölder, Verordnung über die Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger, Berlin 1932. Ferner Heinemann, JW1933, 84; Hallier, HansRGZ 16 (1933) Abt. A Sp. 293; Barella, BB 1952, 764; Bruns, WM 1954, 147; Carl O. Stucke, Die Rechte der Gläubiger bei DM-Auslandsanleihen, Diss. Kiel, 1988: für Treuhandzertifikate eines Treuhänders statt Teilschuldverschreibungen des Emittenten (vergleichbar der Zertifikation ausländischer Effekten durch den Auslandskassenverein, ihrerseits ähnlich den amerikanischen ADRs), eine denkbar, aber wenig praktische Notlösung. 7 Das soll nach der Rechtsprechung nicht für einen Aktionär gelten, der die SchuldnerAG völlig beherrscht, RGZ148, 3 (14 f), 153, 52 (54 ff), krit. MüKo-Hüffer, BGB, 2. Aufl., München 1986, § 793 Rdn. 35. Das RG will aber Mißbräuche über das Merkmal „zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen" nach § 1 und eine Treupflicht gegen die gesetzlich eingerichtete Rechtsgemeinschaft der Gläubigergesamtheit erfassen. Das ist flexibler als der offenbar von Hüffer befürwortete Stimmrechtsausschluß.

Änderungen von Anleihebedingungen

343

Vertreters (§3 Abs. 2 SchVG), notfalls Durchsetzung durch Gericht (§4 SchVG), rechtzeitige Bekanntmachung der Einberufung und des wesentlichen Inhalts der Tagesordnung (§§6, 7 SchVG). (2) Erstellung und Zugänglichmachung eines genauen Gläubigerverzeichnisses spätestens vor der ersten Abstimmung als Voraussetzung für Gruppenbildung und Stimmrechtsabreden (§8 SchVG), Verhandlungsprotokoll (§9 SchVG) und Teilnahme· und Einsichtsrechte des Gläubigervertreters gegenüber der Schuldnergesellschaft (§15 SchVG). (3) Begründung von Verpflichtungen der Gläubiger zu Leistungen nur mit deren Einverständnis, nicht durch (Mehrheits-)Beschluß der Gläubigerversammlung (§ 1 Abs. 3 SchVG). (4) Besondere Voraussetzungen für die Aufgabe oder Beschränkung von Rechten der Gläubiger, insbesondere Zinssatzermäßigung und Stundung (§§11-13 SchVG) 8 . Zu diesen Voraussetzungen gehören: Zweckbegrenzung (nur zur Abwendung einer Zahlungseinstellung oder des Konkurses des Schuldners, § 11 Abs. 1 SchVG), qualifizierte Mehrheit (Dreiviertelmehrheit mit Quorum, § 11 Abs. 2-4 SchVG), Gleichbehandlung der Gläubiger (außer mit ausdrücklicher Einwilligung der zurückgesetzten Gläubiger, § 12 SchVG) und bei den einer Staatsaufsicht unterliegenden Schuldnern Bestätigung des Beschlusses durch die Aufsichtsbehörde (§13 SchVG). Dagegen ist weder eine Beschränkung der Beschlußgegenstände vorgesehen noch ist ein Katalog der möglichen Eingriffe wie ζ. T. in anderen Rechtsordnungen, etwa in der Schweiz, aufgestellt9.

c) Gläubigervertreter10 Bei Bestellung eines Gläubigervertreters (§ 1 Abs. 2 SchVG) gelten besondere Kautelen (§§14, 14 a SchVG). Die Gesellschafterversammlung muß, falls sie einen solchen Gläubigervertreter bestellt, zugleich mit der Bestellung den Umfang seiner Befugnisse bestimmen. Dazu gehört auch die Führung von Rechtsstreiten für die Gesamtheit der Gläubiger (§14 Abs. 4 SchVG). Eine verdrängende Vollmacht ist derart möglich, daß, soweit diese Vollmacht reicht, die Befugnis der einzelnen Gläubiger zur selbständigen Geltendmachung ausgeschlossen ist (§14 Abs. 2 SchVG) 11 . Zum Verzicht auf Rechte der Gläubiger ist der Gläubigervertreter nur aufgrund eines ihn hierzu im einzelnen Falle besonders ermächtigenden Beschlusses und nicht weitergehend als die Gläubigerversammlung selbst berechtigt (§14 Abs. 3 SchVG) 12 . Bei der Auswahl sollen bestimmte Interessenkonflikte vermieden werden, ζ. B. soll nicht als Vertreter bestellt werden, auf wen der Schuldner oder ein Gläubiger des Schuldners maßgeblichen Einfluß hat (§14a Abs. 1 Nr. 3 SchVG). Bestellung und Abberufung von Vertretern sind näher geregelt. Die Rechte und Pflichten eines Grundbuchvertreters nach §1189 BGB 1 3

8 Ein Erlaß der Hauptforderung ganz oder teilweise ist nur im Konkurs oder Vergleichsverfahren möglich, § 12 Abs. 3 ί. V. m. § 18 Abs. 6 und § 19 a SchVG. 9 Vgl. Art. 1170 Nr. 1-9 O R (Eingriffe in Gläubigerrechte); andere Eingriffe sind nur möglich, wenn sie in den Anleihensbedingungen vorgesehen sind, Art. 1173 OR, z.B. Auswechslung des Anleihensschuldners. 10 Vgl. Bruns, WM 1954, 147. 11 Eine solche Vollmacht kann nur unter denselben einengenden Voraussetzungen wie nach §§11 ff SchVG beschlossen werden (§14 Abs. 2 S.2 SchVG). Sie berührt nicht das Recht des einzelnen Gläubigers, Ansprüche gegen andere Personen als Schuldner, Gläubigervertreter oder Emissionsbank selbständig geltend zu machen, zutr. Ansmann, aaO, § 14 Anm. 7. Zur grundsätzlichen Unzulässigkeit einer verdrängenden Vollmacht s. u. IV 2 c (3). 12 Der Beschluß unterliegt §§11-13 SchVG (§14 Abs.3 S.2 SchVG). 13 Einzelheiten bei Staudinger-Scherübl, aaO, 12. Aufl. 1981, § 1189: rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter der jeweiligen Gläubiger; zur Rechtsstellung des Grundbuchvertreters auch Peter Moos, Die Vergleichsgläubigerhypothek (§93 VglO), Diss. Heidelberg 1965, S. 67 ff: Pfandhalter. Zur Schweiz s. o. Fn. 3.

344

Klaus J. Hopt

und eines aufgrund einer bei Ausgabe der Schuldverschreibungen verbindlich getroffenen Festsetzung bestellten Vertreters (sog. Vertragsvertreter) bleiben unberührt 15 .

2. Grenzen des sachlichen Geltungsbereichs, insbesondere bei Ausländsanleihen a) Sachlicher

Geltungsbereich

Das SchVG begrenzt seinen sachlichen Geltungsbereich selbst in mehrfacher Hinsicht: zum einen muß der Schuldner seinen Sitz im Inland haben, zum anderen müssen die Schuldverschreibungen im Inland ausgestellt sein und zum dritten sind Mindestbetrags- und -stückzahlgrenzen vorgesehen (Nennwert von DM300.000 und 300 Stück)16. Auf Schuldverschreibungen von Gebietskörperschaften findet das Gesetz überhaupt keine Anwendung, auf solche von Gemeinden oder Gemeindeverbänden nur nach Maßgabe der Landesgesetze17. Soweit das SchVG danach anwendbar ist, gilt es zwingend: Die dort der Gläubigerversammlung und dem Gläubigervertreter eingeräumten Befugnisse können durch Festsetzung in den Schuldverschreibungen nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden18. b)

Auslandsanleihen

Besonders einschneidend sind diese Begrenzungen des sachlichen Geltungsbereichs - schon vom Volumen her - für Auslandsanleihen, für die deutsches Recht gilt19, also insbesondere DM-Auslandsanleihen20. DM-Auslandsanleihen sind Anleihen ausländischer Emittenten, die in DM denominiert sind. Die erste DM-Auslandsanleihe wurde bekanntlich 1958 begeben. Nach dreißig Jahren hat die DM als Anleihewährung einen Anteil von 10,4% an der internationalen Emissionstätigkeit (1988), und das Volumen der umlaufenden DM-Auslandsanleihen

Vgl. RGZ117, 369 (372). §16 Abs. 1 SchVG, vgl. R G Z 1 9 , 211; 117, 369 (373). 16 §1 Abs. 1 SchVG. Zum späteren Unterschreiten dieser Grenzen § 2 SchVG. 17 §24 SchVG. 18 §20 SchVG. 19 In der Praxis der Auslandsanleihen dürfte bei der Rechtswahl das englische Recht dominieren. Das US-amerikanische Recht spielt zwar ebenfalls eine große Rolle, wird aber zumeist von amerikanischen Emittenten gewählt. Das deutsche Recht wird regelmäßig für DM-Auslandsanleihen, teilweise auch für andere Auslandsanleihen gewählt. 20 Zu den rechtlichen Aspekten Ungnade, BB 1975, 300. Mit der Aufhebung des mit einem wohlverstandenen Anlegerschutz nicht zu rechtfertigenden, international überholten und für den Finanzplatz Bundesrepublik schädlichen Genehmigungserfordernisses nach §§ 795, 808 a BGB ist in Bälde zu rechnen; RegE Gesetz zur Vereinfachung der Ausgabe von Schuldverschreibungen 24.8.1989. 14

15

Änderungen von Anleihebedingungen

345

beträgt DM 192,390 Mrd. (Juni 1989)21. DM-Auslandsanleihen zeichnen sich durch folgende Merkmale aus22: Inhaberschuldverschreibung nach §793 BGB, Geltung deutschen Rechts für die Beziehungen zwischen den Beteiligten (Emittent und Anleihegläubiger einerseits, Emissionsbanken andererseits), Führung des Konsortiums durch ein deutsches Kreditinstitut (mit eigener Rechtspersönlichkeit mit Sitz in Deutschland, auch ein solches in Auslandsbesitz bei Reziprozität) und Bestellung dieses Instituts zum Treuhänder für die Anleihegläubiger. Das gilt aber allenfalls phänotypisch, rechtlich zwingend ist dies nicht, insbesondere nicht die Verankerung im Inland. Vielmehr liegt dem die Erklärung der Deutschen Bundesbank zur Begebung von DM-Auslandsanleihen in der seit 1.5.1986 gültigen, ab 1.7.1989 geänderten Fassung23 zugrunde. Die Deutsche Bundesbank legt nach wie vor Wert darauf, daß der Markt für DM-Emissionen im Inland verankert bleibt (Verankerungsprinzip als zentraler Grundsatz der Erklärung). Dabei handelt es sich um bloße moral suasion, die allerdings in der Praxis durchweg beachtet wird24. 3. Gläubigerversammlung, bei Ausländsanleihen

Mehrheitsbeschlüsse und Gläubigervertreter als tatsächliches und rechtliches Problem

Das Problem der Mindestorganisation der Anleihegläubiger untereinander und der gemeinsamen Interessenvertretung nach außen stellt sich auch und erst recht bei Auslandsanleihen, wenn es gilt, die Gläubigerrechte gegenüber dem ausländischen Emittenten wirksam zur Geltung zu bringen25. In der Praxis geht es vor allem um die Möglichkeit von Änderungen der Anleihebedingungen ohne das Erfordernis der Zustimmung sämtlicher Anleihegläubiger, das praktisch unerfüllbar ist26. Die 21 Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Juli 1989, 16 (17) und August 1989, Statistischer Teil S. 57. 22 Than, Anleihegläubigerversammlung bei DM-Auslandsanleihen? Festschrift für Coing, Bd. II, München 1982, S.521. 23 Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank 1986, S. 119; jetzt Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Juli 1989, 16 mit Text (Senkung der Laufzeituntergrenze, Verzicht auf vorherige Anzeige). 24 Einzelne deutsche Kreditinstitute haben Versuche, sich davon zu distanzieren, sehr rasch wieder aufgegeben. 25 Rechtsvergleichend z.B. Delaume, Legal Aspects of International Lending and Economic Development Financing, New York 1967, p. 52 et seq.; Wood, Law and Practice of International Finance, London 1980, p. 228 et seq.; Conard, Fundamental Changes in Marketable Share Companies, Int. Ene. Comp. L. Vol. XIII Ch. 6, Tübingen 1972, S. 41—44; Lederer, Die Verwaltungs- und Kontrollbefugnisse der Obligationäre einer Aktiengesellschaft nach inländischem und ausländischem Recht, Marburg 1941. 26 Illustrativ jüngst das Beispiel Anleihe Union Bank of Finland Ltd. 1986. In § 8 dieser nachrangigen Anleihe hatte sich die Emittentin verpflichtet, keine dieser Anleihe gegenüber vorrangigen Anleihen aufzulegen. Da die amerikanische rating agency Moody's

346

Klaus J . Hopt

Notwendigkeit solcher Änderungen erweist sich in einer ganzen Reihe typischer Fallsituationen.

a) Sanierungsfälle Im Vordergrund stehen dabei die Sanierungsfälle 27 , in denen es im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten liegen kann, den Zinssatz zu ermäßigen oder Fälligkeitstermine hinauszuschieben. Selbst in solch klaren Fällen ist es erfahrungsgemäß praktisch unmöglich, die Zustimmung aller Anleihegläubiger zu erhalten, sei es daß sie erst gar nicht zu ermitteln sind, sei es daß sie einfach nicht aktiviert werden können, sei es daß ihre Repräsentanten, wie aus der Schweiz für Vermögensverwalter berichtet wird, aus Furcht vor Haftung oder aus anderen Gründen sich der Stimme enthalten.

b) Änderungen

des steuerlichen Umfelds

Zu denken ist ferner an Änderungen des steuerlichen Umfelds der Auslandsanleihe, z. B. Einführung einer Quellensteuer 28 , Änderung des Steuersatzes oder rechtliche oder tatsächliche Verschärfungen der Steuerpraxis (Kontrollmitteilungen, internationale Zusammenarbeit der Steuerbehörden u. a.) 2 9 . Dem sollte im gemeinsamen Interesse von Emittent und Anleihegläubigern entweder mit einem Sitzwechsel 30 oder besser mit der Ersetzung des alten Schuldners durch einen gleichwertigen neuen in einem anderen Staat begegnet werden können. Auch andere, die Auslandsanleihe nicht unmittelbar treffende steuerrechtliche Änderungen sind zu bedenken. So kommt es beispielsweise nicht selten vor, daß eine Banktochtergesellschaft den Erlös aus einer Anleihe als Einlage bei der Mutter hinterlegt und die Rechte daraus dem Treuhänder sicherungshalber abtritt. Im Einzelfall mag es sich jedoch später ergeben, daß eine Garantie der Mutterbank steuerlich günstiger ist als eine solche Sicherungsabtretung.

erstrangige und nachrangige Anleihen unterschiedlich bewertete, sollte diese Verpflichtung geändert werden. Obwohl es sich um eine Anleihe mit variablem Zinssatz handelte, die erfahrungsgemäß fast ausschließlich von Banken gehalten wird, war es offenbar nicht möglich, allgemeine Zustimmung zu erreichen. Die Emittentin behalf sich daraufhin mit einem in der Presse bekanntgemachten Vertrag mit der D T G zugunsten der jeweiligen Anleihegläubiger, wonach diese unabhängig vom Inhalt der Anleihebedingungen Rechte haben sollen wie nicht nachrangige Gläubiger. 27 Flessner, Sanierung und Reorganisation, Tübingen, 1982. Allgemeiner Meessen, Hrsg., Internationale Verschuldung und wirtschaftliche Entwicklung aus rechtlicher Sicht, Baden-Baden 1988. 28 In der jüngsten Praxis waren hier Änderungen bei Anleihen, die englischem Recht unterstehen, möglich, bei Anleihen unter deutschem Recht nicht, soweit nicht ausdrücklich ein Schuldnerwechsel vorgesehen war. Das ist einer unter einer ganzen Reihe von Wettbewerbsnachteilen des deutschen Rechts für internationale Anleihen und gehört in den größeren, dringlichen Problemkreis der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland. 2 9 Aktuell dazu die Forderungen Frankreichs im Zusammenhang mit einem völlig freien Kapitalverkehr in der E G . 30 In der Regel ist der (echte) Sitzwechsel, falls überhaupt gesellschafts- und steuerrechtlich zulässig ( z . B . unter bestimmten Voraussetzungen im Verhältnis zwischen den Niederländischen Antillen und den Niederlanden), jedoch aufwendig und wegen seiner weitreichenden sonstigen Konsequenzen wenig praktisch.

Änderungen von Anleihebedingungen

c) Änderungen

der Rechtsform,

Fusionen,

347

Konzemierungen

Unabhängig von finanziellen Schwierigkeiten oder steuerlichen Gegebenheiten mag es beim Emittenten zu Änderungen der Rechtsform, zu Fusionen oder Konzernierungen kommen, die Änderungen der Anleihebedingungen als wünschenswert erscheinen lassen.

d) Unzureichende

Flexibilität

der

Anleihebedingungen

Der Trend zur securitization in immer neuen Formen und die zunehmende Komplexität der Finanzierung führen nicht selten dazu, daß sich die Anleihebedingungen später als zu eng und zu strikt erweisen. So mag eine in der Anleihe vorgesehene Negatiwerpflichtung dem Emittenten im konkreten Fall eine für alle Beteiligten wünschenswerte Finanzierung - etwa die Gewinnung eines dringend notwendigen, aber nur gegen Sicherheiten oder wenigstens gegen Vorrang erhältlichen Finanzierungsbeitrags - versperren. Oder der Austausch von Sicherungssystemen wäre sinnvoll, etwa Ersetzung einer floating charge durch eine einfacher zu handhabende Negativklausel. Oder es mögen Umstände eintreten, die zwar rechtlich eine Kündigung vorsehen, aber im konkreten Fall keine Gläubigergefährdung darstellen. In einem Beispiel aus der Praxis sehen etwa die Anleihebedingungen eines halbstaatlichen Emittenten, der kraft Gesetzes vom Staat alimentiert wird, vor, daß die Gläubiger bei Wegfall der Alimentierungspflicht des Staates kündigen können; der Emittent soll nunmehr rechtlich verselbständigt werden, doch ist der Staat bereit, die Emission zu garantieren.

II. Ausdehnung des sachlichen Geltungsbereichs des Schuldverschreibungsgesetzes? 1. Ausdehnung de lege a) Entsprechende

Forderungen

zur

ferenda Schuldrechtsreform

Angesichts der offenkundigen praktischen Bedürfnisse scheint die Ausdehnung des sachlichen Geltungsbereichs des SchVG, zumindest die Erstreckung auch auf DM-Auslandsanleihen, auf den ersten Blick unproblematisch. In den Gutachten und Vorschlägen zur Überarbeitung des Schuldsrechts ist der Beschränkung des SchVG auf inländische Emittenten als nicht mehr zeitgemäß eine klare Absage erteilt worden31. b) Keine Ausdehnung

in toto

Eine einfache Ausdehnung des Geltungsbereichs des SchVG allgemein auch auf Auslandsanleihen scheidet jedoch aus. Manche Vorschriften 31 Koller, Wertpapierrecht, in BJM, Hrsg., Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II, Köln 1981, S. 1427 (1448). Rechtspolitisch umstritten ist, ob das SchVG entsprechend dem schweizerischen Recht (Art. 1157-1186 OR) in das BGB integriert werden soll, dagegen Koller, aaO. Für ein einheitliches Gesetz über die Schuldverschreibungen E. Ulmer, Das Recht der Wertpapiere, Stuttgart 1938, S. 115 f. Allgemein zu den Erfahrungen mit dem SchVG Bernstein, Uber Obligationärvertretung, Berlin 1935.

348

Klaus J. Hopt

passen nicht auf den internationalen Anleihenverkehr; einige würden, auf diesen angewandt, sogar die Regelungsbefugnis des deutschen Gesetzgebers überschreiten 32 . (1) So weist etwa §4 SchVG dem Amtsgericht, in dessen Bezirk der Emittent seinen Sitz hat, bestimmte Zuständigkeiten und Rechte bei Einberufung der Gläubigerversammlung zu. Nach § 5 SchVG ist die Aufsichtsbehörde, unter deren Aufsicht der Emittent eventuell steht, in dem Verfahren nach § 4 SchVG zu hören und hat eigene Verfahrensrechte, nach §13 bedarf ein die Gläubigerrechte einschränkender Beschluß der Gläubigerversammlung ihrer Bestätigung. Nach §6 SchVG ist die Einberufung im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Der deutsche Gesetzgeber könnte nicht die Zuständigkeit ausländischer Gerichte und Aufsichtsbehörden begründen, er kann insoweit nur auf ausländisches Recht verweisen. Dagegen könnte er unabhängig vom ausländischen Sitz des Emittenten bei hinreichender Auswirkung auf den deutschen Markt und die deutsche Währung, wie in der Regel bei Auslandsanleihen, die Zuständigkeit deutscher Gerichte und Aufsichtsbehörden vorsehen. (2) §15 SchVG gewährt dem Gläubigervertreter weitgehende, die Emittentin als Gesellschaft oder juristische Person berührende Rechte. So kann er an den Hauptbzw. Gesellschafterversammlungen der Emittentin teilnehmen und sich an den Beratungen beteiligen, er hat dieselben Rechte auf Mitteilungen wie die Anteilseigner der Emittentin, und vor allem muß die Emittentin ihm auf Verlangen laufend die Einsicht in ihre Bücher und Schriften gestatten und, soweit zur sorgfältigen Interessenwahrung nötig, alle Aufklärungen und Nachweise geben33. Die Erstrekkung auf ausländische Gesellschaften und juristische Personen wäre ein empfindlicher Eingriff in das ausländische Gesellschafts- und Unternehmensrecht34, der mit den Grundgedanken des deutschen IPR nicht vereinbar, wenn auch wohl nicht bereits völkerrechtswidrig wäre. Auf jeden Fall müßte damit gerechnet werden, daß eine soweit gehende Vorschrift unter dem jeweiligen ausländischen Gesellschaftsund Unternehmensrecht nicht anerkannt würde. (3) Schließlich enthält das SchVG Vorschriften konkurs-, straf- und allgemein öffentlichrechtlicher Art (§§ 18 ff, 22 f, 23 a ff SchVG). Wiederum wäre es ausgeschlossen, diese Vorschriften allgemein auf Auslandsanleihen zu erstrecken mit der Folge, daß in ausländisches öffentliches Recht hineinregiert würde. Die Erstreckung dieser Vorschriften auf DM-Auslandsanleihen mit der Folge der Zuständigkeit deutscher Gerichte und des Eingreifens deutscher Straftatbestände wäre dagegen nicht ausgeschlossen.

Wenn der deutsche Gesetzgeber im SchVG also an den Sitz des Emittenten anknüpft, so ist das gesellschafts- und konkursrechtlich durchaus sachgerecht. Es ist bezeichnend, daß das viel jüngere schweizerische Recht der Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen jedenfalls nach herkömmlicher herrschender Ansicht 35 seine Geltung 32 Zur extraterritorialen Rechtsanwendung (im Zusammenhang mit bond issues) Wood, loc. cit., p. 207 et seq.; allgemeinerer Überblick bei Engel, RabelsZ 52 (1988) 271. « Dazu Barella, BB 1952, 764 (765). 34 Vgl. im Zusammenhang mit Sitz- und Gründungstheorie Staudinger-Großfeld, aaO, Internationales Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 1981, Rdn.6ff, 14ff. 35 S.u. II3a.

Änderungen von Anleihebedingungen

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ebenfalls auf Inlandsanleihen (Sitz des Emittenten in der Schweiz) beschränkt. 2. Ausdehnung a) Keine

de lege lata

Insgesamtanalogie

Eine analoge Anwendung des gesamten SchVG auch auf Auslandsanleihen scheidet schon aus den de lege ferenda angestellten Überlegungen aus. In Betracht kommt allenfalls eine analoge Anwendung der Vorschriften über Gläubigerversammlung, Mehrheitsbeschlüsse und Gläubigervertreter. Auch dies ist in der Literatur im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden 36 . Die dafür vorgetragene Begründung aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte 37 ist zwar für sich zutreffend, wäre aber gegenüber einer teleologischen Argumentation aus den erst heute in dieser Breite und Relevanz aufgetretenen Bedürfnissen nicht unbedingt durchschlagend. Entscheidend erscheint vielmehr, daß eine solche weitreichende Analogie zu einem doch in vielerlei Hinsicht restriktiven, nun bald ein Jahrhundert alten Spezialgesetz mit einer Fülle von Einzelregelungen sachlich gar nicht wünschenswert wäre. Die DM-Auslandsanleihen würden damit in das Prokrustesbett eines Gesetzes gezwängt, das letztlich den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs bezüglich der Ausgestaltung der DM-Auslandsanleihen in mancherlei Hinsicht nicht entsprechen würde 38 . In gewisser Weise ähnelt diese Überlegung derjenigen bei Einführung der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung und ihrer

Than, aaO, S. 531 f. In der amtlichen Begründung heißt es zur Beschränkung auf inländische Schuldverschreibungen: „Das Rechtsverhältniß, das durch ausländische Werthpapiere begründet wird, unterliegt nicht oder doch nicht in seiner Gesammtheit den inländischen Gesetzen, und Maßnahmen oder Beschlüsse, die von inländischen Besitzern solcher Papiere auf Grund einer deutschen Rechtsvorschrift herbeigeführt würden, könnten im Auslande, wo regelmäßig ihre Wirkung sich zu äußern hätte, nicht auf Anerkennung rechnen. Überdies würde es in den meisten Fällen unmöglich sein, die Zahl der im Inlande befindlichen Stücke und demzufolge den zur Fassung eines Mehrheitsbeschlusses erforderlichen Betrag zu bestimmen." Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, X. Leg.Per., I.Session 1898-1900, 2. Anlageband (Reichstagsdrucksache Nr. 105) S.907 (908). 36

37

38 In der Praxis wird beispielsweise die bei Rechteeinschränkung festgelegte Zweckbegrenzung auf Sanierung (§11 Abs. 1 SchVG u. a.) als zu eng empfunden. Das Hauptargument, auch von schweizerischer Seite, ist aber die mangelnde Flexibilität der Gesetzesregelung. Vgl. für die Schweiz auch Widmer in Colloque Le droit du marché financier suisse, Genève 1987, p. 423, der befürchtet, daß dann der Schuldner für seine Umschuldung anstatt der Zustimmung sämtlicher schweizerischer Obligationäre nur die Zustimmung von zwei Dritteln aller Obligationäre bräuchte, was nicht wünschbar sei. Jedoch kann dies jnicht entscheidend sein. Wenn überhaupt Mehrheitsentscheidungen möglich sein sollen, dann kann dabei die Nationalität keine Rolle spielen.

350

Klaus J. Hopt

Herleitung entweder in Analogie zu den alten restriktiven Vorschriften des Börsengesetzes oder aus allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen der culpa in contrahendo und Vertrauenshaftung. Der Bundesgerichtshof und ihm folgend die h. L. haben sich anders als eine kleine Mindermeinung zu Recht gegen die erste Alternative entschieden39. b) Problematik

von

Teilanalogien

Auch Teilanalogien zu einzelnen Vorschriften des SchVG sind problematisch. Damit würden aus einem als Gesamtpaket konzipierten Gesetz einzelne Regeln herausgepickt. Eine Analogie etwa zu den Vorschriften über die Gläubigerversammlung oder über Mehrheitsbeschlüsse oder über den Gläubigervertreter und seine Befugnisse erschiene danach willkürlich, selbst wenn die einzelne Regelung auch für sich allein genommen Sinn macht. c) Relevanz des Schuldverschreibungsgesetzes de lege lata außerhalb seines sachlichen Geltungsbereichs Das bedeutet nicht notwendigerweise, dem SchVG jede Auswirkung auf Auslandsanleihen abzusprechen. Zum einen mögen sich nämlich die Emittenten im einen oder anderen Punkt auch bei der kautelarischen Ausgestaltung von Auslandsanleihen am SchVG orientieren. Zum anderen kann das SchVG je nach Umständen bei der Auslegung von Anleihebedingungen einer DM-Auslandsanleihe herangezogen werden, wenn diese einzelne Teile des SchVG entweder im Wortlaut oder durch Verweisung inkorporieren. Zum dritten und vielleicht wichtigsten ist es möglich, daß das SchVG im Rahmen einer Inhaltskontrolle nach AGB G ein gesetzliches Leitbild abgibt40. 3. Ausdehnung

durch internationalprivatrechtliche a) Schweizerische

Rechtswahl

Überlegungen

Ebenso wie in Deutschland gelten in der Schweiz die Vorschriften über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen nur für Anleihen, deren Emittent in der Schweiz seinen Wohnsitz oder eine geschäftliche Niederlassung hat (Art. 1157 Abs. 1 OR). Darüber scheint auch die bei einer Franken-Auslandsanleihe übliche, zulässige Wahl des schweizerischen Rechts nicht hinwegzuhelfen, führt doch eine solche 39 Rechtsprechung bei Baumbach-Duden-Hopt, aaO, Anh. § 177 a Anm. VIII2 C. Aus der Literatur Köndgen, Zur Theorie der Prospekthaftung, Köln 1983; Assmann, Prospekthaftung, Köln 1985. 40 Im einzelnen s.u. IV2c.

Änderungen von Anleihebedingungen

351

(globale) R e c h t s w a h l ihrerseits w i e d e r z u r A n w e n d u n g v o n A r t . 1 1 5 7 4 1 . Indessen liegen z w e i k a n t o n a l e Gerichtsurteile v o r , die aus d e r W a h l des s c h w e i z e r i s c h e n R e c h t s für eine A n l e i h e e n t n e h m e n w o l l e n , daß o h n e R ü c k s i c h t auf den Sitz des E m i t t e n t e n die V o r s c h r i f t e n d e r A r t . 1 1 5 7 ff O R ü b e r die G l ä u b i g e r g e m e i n s c h a f t A n w e n d u n g finden 4 2 . D a f ü r s p r e c h e n sich a u c h einzelne S t i m m e n in der L i t e r a t u r aus 4 3 . E i n e E n t s c h e i d u n g des B u n d e s g e r i c h t s d a z u gibt es bisher nicht.

b) Absage

nach

deutschem

Recht

D i e F r a g e stellt sich g a n z ähnlich n a c h d e u t s c h e m R e c h t . D i e n a c h A r t . 2 7 E G B G B zulässige freie R e c h t s w a h l für die D M - A u s l a n d s a n l e i h e bezieht sich ( n u r ) auf die S a c h v o r s c h r i f t e n des d e u t s c h e n R e c h t s 4 4 u n d d a m i t a u c h auf das S c h V G in t o t o , also m i t s a m t der d o r t v o r g e n o m m e n e n A b s t e c k u n g des sachlichen G e l t u n g s b e r e i c h s . D i e (globale) R e c h t s wahlklausel 4 5 b e w i r k t also n i c h t m e h r , als d a ß d e u t s c h e s R e c h t s o u n d in d e m U m f a n g gilt, w i e dieses es selbst vorsieht. Sie enthält mangels n ä h e r e r A u s g e s t a l t u n g u n d Klarstellung n i c h t o h n e weiteres eine k a u t e larische Ü b e r n a h m e aller o d e r einzelner V o r s c h r i f t e n des S c h V G ü b e r dessen sachlichen G e l t u n g s b e r e i c h hinaus. D i e Ü b e r l e g u n g , daß E m i t t e n t u n d Gläubiger einer D M - A u s l a n d s a n l e i h e bei W a h l des d e u t s c h e n

41 So die wohl noch h. L., ζ. B. Zobl, Vortrag vor dem Banking Law Regional Committee Germany/Switzerland der International Bar Association in Frankfurt am 8.9.1989, ThesenS. 8. 42 Cour de justice de Genève, 14.4.1983 (Dow Banking Corporation c. Banco Central de Costa Rica), Sem.Jud. 105 (1983) 406; ferner unveröffentlichtes Urteil der Cour de justice de Genève vom 8.12.1988 i. S. Ch. 43 Zimmermann, SJZ1972, 1 (4) und 74 (75) gegen Wolf, SJZ1972, 40; vgl. auch Aeschimann, Les obligations des intermédiaires: membres d'un syndicat d'émission, »brokers«, gérants de fortune, etc., in Colloque Le droit du marché financier suisse, Genève 1987, p. 401 (415 et s.) und Diskussion p. 422 et s.; ferner Merz-de Beer, Umfassendere Informationspflichten bei Notes-Emissionen, SAG 1987, 137 (144). 44 Vgl. An. 4 Abs. 2 EGBGB. 45 Formulierung aus der deutschen Praxis z. B. „Form und Inhalt der Teilschuldverschreibungen und der Zinsscheine sowie die Rechte und Pflichten der Anleihegläubiger, der Emittentin, der Treuhänderin, der Hauptzahlstelle und der in oder gemäß § 5 bestellten Zahlstellen sowie die Garantie bestimmen sich in jeder Hinsicht nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, die Verpflichtungserklärung unterliegt in jeder Hinsicht dem Recht von Alberta und dem dort geltenden Recht Kanadas; die Art und Weise der Bestellung und Verwertung von etwaigen Sicherheiten bestimmt sich nach dem Recht des Belegenheitsortes." § 13 Abs. 1 Anleihebedingungen Canterra Energy Ltd. Calgary 1986. Formulierungen aus der schweizerischen Praxis z. B. „Diese Anleihe unterliegt schweizerischem Recht." oder „Die Bestimmungen und die Form der Obligationen und/oder Coupons dieser Anleihe unterstehen schweizerischem Recht." oder „Für die Auslegung des Wortlautes der Obligationen, Couponbogen und/oder Coupons dieser Anleihe gilt schweizerisches Recht." Zobl, aaO, S. 7.

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Rechts genauso wie Emittent und Gläubiger einer rein deutschen Anleihe stehen wollen, reicht als Anhaltspunkt für eine entsprechende Auslegung der Anleihebedingungen 46 nach §§ 133, 157 BGB nicht aus. c) Kautelariscbe Ausgestaltung als Programm Dieses negative Ergebnis schließt nicht aus, im Rahmen des geltenden Rechts (unten III) die Anleihebedingungen im einzelnen so auszugestalten, daß den oben genannten Bedürfnissen Rechnung getragen wird. Dabei steht internationalprivatrechtlich grundsätzlich nichts entgegen, die materiellrechtlichen Vorschriften des SchVG in die Anleihebedingungen unmittelbar oder durch Verweisung zu integrieren. Auch die Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Streitentscheidung kann ohne weiteres prorogiert werden. Schwieriger ist die Frage, ob auch Einberufungs- und ähnliche Befugnisse deutscher Gerichte nach dem Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit wie etwa nach §4 SchVG privatautonom begründet werden könnten. Dasselbe gilt für die Frage, ob sich der ausländische Emittent freiwillig der Aufsicht der deutschen Aufsichtsbehörde unterstellen könnte. Die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde zum Erlaß von Verwaltungsakten kann dadurch nicht begründet werden, der Verwaltungsakt trotz Unzuständigkeit wäre nichtig. In der Praxis sind aber konsensuale Regelungsmethoden vorstellbar, die im Ergebnis zum gleichen Ziel führen.

III. Rechtsgrundlage und Möglichkeiten kautelarischer Gestaltungen 1. Die Rechtsgrundlage für kautelariscbe Gestaltung: Der Verpflichtungstatbestand und $ 796 BGB a) Zum Streit über den

Verpflichtungstatbestand

Vor der rechtlichen Erörterung konkreter Klauseln über die Flexibilisierung und spätere Änderbarkeit der Anleihebedingungen muß Klarheit über die Rechtsgrundlage kautelarischer Gestaltung herrschen. Das ist die alte Grundsatzfrage nach dem Verpflichtungstatbestand der Inhaberschuldverschreibung und im vorliegenden Zusammenhang nach den möglichen Einwendungen des Ausstellers (§ 796 BGB), insbesondere solchen aus dem Inhalt der Urkunde. Der dazu über viele Jahrzehnte geführte Theorienstreit lebt trotz dogmatischer Fortentwicklungen weiter, wenngleich sich die praktischen Ergebnisse der verschiedenen Mei-

« S.u. III 1 c a.E. und IV2b.

Änderungen von Anleihebedingungen

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nungen nur marginal unterscheiden 47 und der in § 794 BGB zum Ausdruck gekommenen Vorstellung des historischen Gesetzgebers, zumindest für die Inhaberschuldverschreibung gelte die Kreationstheorie, heute keine Bedeutung mehr zugemessen wird. Die aus der (heute so nicht mehr vertretenen) Kreationstheorie fortentwickelte Theorie vom mehr glie drigen Rechtsgeschäft48 sieht den Verpflichtungstatbestand im Skripturakt als Willenserklärung zusammen mit dem Begebungsvertrag. Die heute h. L. vertritt dagegen eine fortentwickelte Vertragstheorie, nach der es maßgeblich auf den Begebungsvertrag ankommt 49 . Beide Theorien, nicht nur wie überwiegend angenommen die Vertragstheorie, bedürfen der Ergänzung durch die Rechtsscheintheorie für die Fälle eines fehlerhaften Begründungsaktes 50 .

b) Leistungsversprechen des Ausstellers nur nach Maßgabe der Urkunde Unter all diesen Theorien richtet sich die Rechtsstellung des Gläubigers nach dem Leistungsversprechen des Ausstellers, und zwar nach Maßgabe der Urkunde. Der Aussteller hat es also in der Hand, Inhalt und Umfang der Gläubigerrechte in den Anleihebedingungen im einzelnen auszugestalten. Das gilt nicht nur für Art und Inhalt der versprochenen Leistung, etwa statt wie üblich Geldleistung auch andere Leistungen51, sondern auch für den Grad der Abstraktion des Leistungsversprechens, also statt des üblichen abstrakten Schuldversprechens nach § 780 BGB auch Angabe des Schuldgrunds, womit sich der Aussteller nach §796 BGB Einwendungen aus dem Kausalverhältnis auch späteren Gläubigern gegenüber erhält52. Somit steht auch grundsätzlich nichts entgegen, die versprochene Leistung von vornherein nur als befristet oder von einer Bedingung abhängig auszugestalten oder sie unter den

47

MüKo-Hüffer, aaO, Vor §793 Rdn.22, 27. MüKo-Hüffer, aaO, Vor § 793 Rdn. 29 im Anschluß an E. Ulmer, Das Rech: der Wertpapiere, aaO, S. 36 ff, 48 ff, speziell zur Inhaberschuldverschreibung S. 116; E. Ulmer, Der Einwendungsausschluß im einheitlichen Wechselgesetz, Festschrift für Raiser, München 1974, S. 225 (236); auch Huber, Einwendungen des Bezogenen gegen den Wechsel, Festschrift für Flume, Bd. II, Köln 1978, S. 83 (99). 49 Hueck-Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl., München 1986, §312; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl., München 1987, §6V: Begebungsvertrag als ein auf die Skriptur verweisendes Rechtsgeschäft; Baumbach-Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 16. Aufl., München 1988, WPR Rdn. 28 ff; Staudinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, Vorbem. zu §§ 793-808 a Rdn. 19. 50 Ebenda. 51 Z.B. Inhaberlagerschein, RGZ142, 150; Baumbach-Duden-Hopt, aaO, §424 Anm. 1 C. 52 Allgemeine Ansicht, z. B. Staudinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, §793 Rdn. 6; Palandt-Thomas, BGB, 48. Aufl., München 1989, §793 Anm. 2 a. 48

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Vorbehalt späterer Änderungen der Anleihebedingungen zu stellen. Jedenfalls theoretisch kann die Bedingung sogar eine Potestativbedingung sein, eine auflösende Wollensbedingung ist aber im Zweifel als Rücktrittsvorbehalt nach § 346 BGB anzusehen. Die Leistung kann von der Bestimmung durch eine der beiden Parteien oder durch einen Dritten abhängig gemacht werden (§§315 ff BGB). Das Recht auf Leistung kann dem Gläubiger unmittelbar oder nur mittelbar, sei es durch Vertrag zu seinen Gunsten nach §§ 328 ff BGB, sei es unter Einschaltung eines Vollrechtstreuhänders53, zugewandt werden. Entsprechendes gilt für Einschränkungen der Ausübung der Gläubigerrechte und für den Vorbehalt späterer Änderungen. Die Gläubigerrechte können also grundsätzlich auch in ihrer Ausübung verbunden und von Mehrheitsbeschlüssen einer späteren Gläubigerversammlung abhängig gestellt werden.

c) Einwendungen

„aus der Urkunde" und Auslegung

Bei all diesen Einschränkungen und Vorbehalten setzt aber ein wirksamer Verpflichtungstatbestand voraus, daß der Aussteller dem Gläubiger die Leistung in der Urkunde verspricht. Die Leistung muß also nicht nur - wie immer - bestimmt oder wenigstens bestimmbar ein, sondern muß sich „aus der Urkunde" ergeben, wie aus § 793 Abs. 1 S. 1 BGB und für Einwendungen ausdrücklich aus §796 2. Alt. BGB folgt. Art und Inhalt der Leistung, Leistungsmodalitäten, Befristungen, Bedingungen, Teilleistungen, Anderungsvorbehalte usw.54 müssen sich also aus dem Inhalt der Urkunde ergeben, sonst kann der Aussteller sie jedenfalls den späteren Gläubigern nicht entgegensetzen. Das gilt auch für den Fortbestand der Verpflichtung wie Erfüllung, Erlaß usw. Nur Erlöschenstatbestände, mit denen nach Natur (Typus) und Inhalt der in der Urkunde verbrieften Verpflichtung jeder rechnen muß, wie Ablauf der Vorlegungsfrist, Verjährung oder unverschuldete Unmöglichkeit bei einer verbrieften Stückschuld, sind als Inhaltseinwendungen anzusehen55. Dieses Erfordernis läßt sich auch nicht ohne weiteres durch die zulässige Angabe des Schuldgrunds in der Urkunde aushebeln. Vielmehr besteht, soweit die Frage überhaupt angesprochen wird, ganz überwiegend Einigkeit darüber, daß der Aussteller auch dann nur urkundliche Einwendungen geltend machen kann, nämlich solche, mit denen auf Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, München 1973, S. 94 ff. Vgl. RGZ 59, 374 (375) für den Inhaberlagerschein. 55 Beispiele von E. Ulmer, Das Recht der Wertpapiere, aaO, S. 121; auch S. 64: bei Versicherungsverhältnis z.B. Gefahrerhöhung oder schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalles. 53

54

Änderungen von Anleihebedingungen

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Grund der Angabe nach der Verkehrssitte jeder Inhaber rechnen muß 56 . Das sind alle Einwendungen, die sich allgemein kraft Gesetzes aus dem Grundverhältnis ergeben, nicht aber solche, die auf besonderen vertraglichen Abreden zwischen Aussteller und Erstbewerber beruhen57. Ausnahmsweise sollen trotz bloßer Pauschalverweisung auch derartige vertraglichen Abreden eingewandt werden können, wenn sie in solchen Verträgen üblich sind, wie ζ. B. eine Schiedsklausel58. Der gelegentlich anklingenden Überlegung, für Einwendungen aus dem Inhalt der Urkunde wegen § 796 B G B mehr an Explizität zu verlangen als für das Leistungsversprechen59, ist allerdings nicht zu folgen. Denn die Abgrenzung zwischen Anspruchsgrundlage und Einwendung ist eine praktische und von Rechtsordnung zu Rechtsordnung verschieden. Der eigentliche Grund für das Explizitätserfordernis ist die Verkehrsfähigkeit der Urkunde, und diese betrifft Leistungsversprechen und Einwendung gleichermaßen. Welche Risiken und Grenzen daraus für die kautelarische Gestaltung von Anleihen erwachsen, ist weiter unten zu untersuchen60. Damit hängt die Frage nach der Auslegung der Urkunde zusammen. Es ist anerkannt, daß sich die Auslegung von Inhaberschuldverschreibungen nach §§ 133, 157 B G B richtet 61 . Angesichts der Standardisierung im Rechtsverkehr handelt es sich jedoch bei den Anleihebedingungen um A G B mit der Folge, daß die Auslegungsgrundsätze für A G B anwendbar sind. Darauf ist später im Zusammenhang mit den durch das A G B G gezogenen Gestaltungsgrenzen zurückzukommen 62 . Aus diesen skripturrechtlichen Grundsätzen folgt, daß es keine generelle Antwort darauf geben kann, ob es besser ist, in einer DM56 Staudinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, § 796 Rdn. 7; MüKo-Hüffer, aaO, § 796 Rdn.6; wohl ohne Unterschied RGRK-Steffen, BGB, Berlin, 12. Aufl. 1978, §796 Rdn. 5. 57 Staudinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, §796 Rdn. 7; Palandt-Thomas, aaO, §796 Anm.3; RGRK-Steffen, aaO, §796 Rdn. 5. 58 So für eine Schiedsgerichtsklausel im Konnossement unter §§363 Abs. 2, 364 Abs. 2 H G B B G H Z 2 9 , 120 (123): „Jedenfalls muß der Empfänger alle die Bestimmungen des Frachtvertrages gegen sich gelten lassen, die nicht aus dem üblichen Rahmen der in Frachtverträgen vereinbarten Bedingungen herausfallen und die vernünftigerweise auf das Rechtsverhältnis zwischen Verfrachter und Empfänger angewendet werden können." Zustimmend Baumbach-Duden-Hopt, aaO, §364 Anm. 2 C ; Canaris, GroßKo-HGB, 3. Aufl., Berlin 1978, §364 Anm. 34; Schlegelberger-Hefermehl, HGB, 5. Aufl., München 1976, §364 Anm. 24. 59 Vgl. Staudinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, § 7 9 6 Rdn. 7 im Zusammenhang mit Prospekten. 60 S.u. I V I . 61 RGZ117, 379 (382); WarnR 1935 Nr. 1; B G H Z 28, 259 (263) = LM § 795 Nr. 1 m. Anm. Fischer (Harpen-Bonds); WM 1958, 1541; Apt/Pinner, Zur Auslegung von AnleiheSchuldverschreibungen, ausgestellt in deutscher und schweizer Währung, Berlin 1927. 62 S.u. IV2.

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Auslandsanleihe auf bestimmte Vorschriften des SchVG zu verweisen oder diese in den Text der Anleihebedingungen zu inkorporieren, und ob einzelne Teile des Anleihenkomplexes besser unter entsprechender Verweisung aus dem Text der Urkunde herausgenommen werden, also z. B. in separater Urkunde ein undertaking bzw. eine Verpflichtungserklärung der Emittentin63 oder eine Garantie64 oder wiederum Regeln über Gläubigerversammlung und Gläubigertreuhänder. Das ist keine bloße Frage der Praktikabilität und des besseren drafting, sondern zunächst einmal eine rechtliche Frage, nämlich ob eine solche Leistungsumschreibung nach §793 BGB überhaupt wirksam ist bzw. ob dann noch eine Einwendung aus dem Inhalt der Urkunde angenommen werden kann. 2. Zum Inhalt kautelariscber Gestaltung von Gläubigerversammlung und Gläubigervertretung Inhalt und Umfang seines urkundlichen Leistungsversprechens bestimmt der Aussteller in den allgemeinen Grenzen der Privatautonomie frei. Sofern nur dem skripturrechtlichen Erfordernis der Verbriefung in der Urkunde Rechnung getragen ist, haben die Gläubiger nicht mehr Rechte als durch die Anleihebedingungen eingeräumt. Soweit das Schuldverschreibungsgesetz nicht zwingend entgegensteht (vgl. §§1, 20 SchVG), was für DM-Auslandsanleihen nicht der Fall ist, kann der Aussteller also ohne weiteres eine Mindestorganisation der Anleihegläubiger untereinander und eine gemeinsame Interessenvertretung dieser Gläubiger nach außen vorsehen. Es folgt ein kurzer, sich an der Kautelarpraxis und am SchVG orientierender Uberblick über die in Frage kommenden Klauseln. Risiken und Grenzen dieser kautelarischen Gestaltungen sind erst anschließend (IV) zu prüfen. a) Bescbluß- und verfahrensrechtliche Klauseln Solche Klauseln können u. a. vorsehen bzw. regeln: - eine Gläubigerversammlung, die zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Gläubiger mit Wirkung für alle Anleihegläubiger der Gattung Beschlüsse trifft, 63 Verhältnismäßig selten, z. B. mit dem Inhalt einer Negatiwerpflichtung § 7 Anleihebedingungen General Motors Corporation 1986. 64 Gängige Praxis. Die Negatiwerpflichtung der Garantin wiederum wird häufig aus der Garantieurkunde herausgenommen und in einem separaten Dokument niedergelegt.

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- statt einer Gläubigerversammlung eine schriftliche Abstimmung der Anleihegläubiger, zu der die Treuhänderin (und Hauptzahlstelle) unter bestimmten Voraussetzungen die Anleihegläubiger aufzufordern hat und gemäß deren Ergebnis (z.B. bei Mehrheit der abstimmenden Anleihegläubiger unter einem Quorum von 10 % ) sie als Vertreterin (der Anleihegläubiger oder gegebenenfalls der Emittentin) zur Kündigung berechtigt ist65, - die Einberufung der Gläubigerversammlung durch den Schuldner nebst Voraussetzungen wie Bekanntmachung und Tagesordnung, Minderheitenrechte auf Einberufung, - die Durchführung der Gläubigerversammlung mit Teilnahmeberechtigung, Verhandlungsprotokoll, Gläubigerverzeichnis, - die Abstimmung in der Gläubigerversammlung mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit, notwendige Quoren, Stimmberechtigung des Schuldners für die in seinem Besitz befindlichen Schuldverschreibungen, - die Bestellung eines Gläubigervertreters zur Wahrnehmung der Rechte der Gläubiger, Inkompatibilitäten, den Umfang seiner Vollmacht bzw. Befugnisse, seine Pflichtenstellung, die Behandlung von Interessenkonflikten, seine Abberufung, - Einsichts- und Teilnahmerechte des Gläubigervertreters wie ein Gesellschafter gegenüber der Emittentin. b) Materiellrechtliche

Klauseln

Materiellrechtliche Klauseln, also solche über den möglichen Inhalt der Beschlüsse der Gläubigerversammlung und über die Befugnisse des Gläubigervertreters, können u. a. betreffen: - Zweckbegrenzungen wie Handeln zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Gläubiger, Rechteeinschränkungen zur Abwendung einer Zahlungseinstellung oder des Konkurses des Schuldners, - ausdrücklicher Ausschluß der Begründung von Leistungspflichten der Gläubiger, - rechtliche Voraussetzungen für Eingriffe in die Rechtsposition der Gläubiger, ζ. B. Zinssatzermäßigung und Stundung, - Verzicht ganz oder teilweise auf die Hauptforderung der Gläubiger in Konkurs und Vergleich oder auch außerhalb,

65 Vgl. § 8 Abs. 2, 3, §10 Abs. 1, 2, §11 Abs. 6 und bezüglich des Verfahrens §§13, 14 Anleihebedingungen Inhaber-Teilschuldverschreibungen Series D Euro-DM Securities Limited, St. Helier, Jersey, Kanalinseln 1986.

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- Gleichbehandlung der Gläubiger bzw. bestimmter Gläubigergruppen, - verdrängende Vollmacht des Gläubigervertreters66. c) Anleihetreuhänder,

trustee und

Vollrechtstreuhänder

Die Anleihebedingungen können - über die Bestellung eines Gläubigervertreters im Sinne des SchVG hinausgehend - die Ausübung oder sogar die Innehabung der Gläubigerrechte durch einen Dritten vorsehen: - Der Anleihetreuhänder''7 nach deutschem Recht, regelmäßig die Emissionsbank, übt Gläubigerrechte, soweit sie ihm übertragen sind68, zwar im eigenen Namen aus, aber ist im Zweifel nicht selbst Inhaber dieser Rechte. Dogmatisch handelt es sich dabei um die Ermächtigung nach §185 B G B zur Ausübung einer Forderung im eigenen Namen und um eine gewillkürte Prozeßführungsbefugnis. - Der angelsächsische trust ist ein Rechtsinstitut, zu dem es in seiner spezifischen Mischung zwischen Rechtsinhaberschaft und Pflichtenbindung des trustee zugunsten des beneficiary nach equity kein deutsches Äquivalent gibt. Durch die Anleihebedingungen kann die Stellung des Treuhänders jedoch nach Können und Dürfen im wesentlichen ähnlich gestaltet werden wie die eines trustee69. - Schließlich ist ähnlich wie bei der Vollrechtstreuhand bei der Publikumsgesellschaft denkbar und bei DM-Auslandsanleihen verbreitet, Gläubigerrechte dem Treuhänder selbst zu übertragen und den Anlegern nur eine schuldrechtliche Position gegenüber dem Treuhänder zu belassen693. Das ist herkömmlich z. B. der Fall bei über eine Finanzierungstochter aufgelegten DM-Auslandsanleihen; hier ist der Treuhänder Vertragspartner und Vollrechtsinhaber der Rechte aus einem Garantievertrag der Muttergesellschaft zugunsten der Anleihegläubiger. Neuerdings wird aber vereinzelt den Anleihegläubigern selbst ein Klagerecht gegen die Muttergesellschaft eingeräumt. Dazu ausführlich unten IV 2 c (3). Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, Frankfurt 1982, S. 413 ff. 68 Bei DM-Auslandsanleihen ist der Anleihetreuhänder in erster Linie Sicherheitentreuhänder. Außerdem schließt er für die Anleihegläubiger gegebenenfalls den Garantievertrag mit der Muttergesellschaft der Emittentin ab, und bei Vertragsverletzungen, namentlich der Negativklausel, sind ihm übertragen die Mahnung und die Entgegennahme, Sammlung und u. U. Feststellung der Wirksamkeit der Kündigungen mit Erreichen eines vorgesehenen Prozentsatzes. Die Kündigung selbst bleibt in aller Regel dem Anleihegläubiger vorbehalten. Schließlich hat der Anleihetreuhänder bei einem eventuellen Schuldnerwechsel die Belange der Anleihegläubiger zu wahren. 66

67

69 Ebenda S. 410 f. Trustees und bondholder representation cf. Wood, loc. cit., p. 214 et seq. " · S.u. I V 2 c (3).

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3. Unmittelbar wirkende Flexibilisierungs-, Änderungs- und Erlöschensklauseln Statt Eingriffe einer Gläubigerversammlung oder eines Gläubigervertreters vorzusehen, können die Anleihebedingungen die Rechtsstellung der Gläubiger auch unmittelbar durch Klauseln eingrenzen, die z.B. zur Vermeidung der mittelbaren Folgen von cross default-Bestimmungen das Leistungsversprechen flexibilisieren und direkt eingreifende Änderungs- und Erlöschenstatbestände vorsehen: - Flexibilisierung durch Einräumung von Rechten an den Schuldner (ζ. B. Recht der Emittentin zur vorzeitigen Kündigung70 etwa wegen Steueränderungen71 oder Recht, die Kündigung eines Anleihegläubigers durch ein Rückkaufangebot betreffend die gekündigte Teilschuldverschreibung hinfällig zu machen) oder an die Gläubiger (ζ. B. Kündigungsrecht statt automatischer Fälligstellung72, Hinfälligwerden oder Rückgängigmachung einer Kündigung) oder verdrängend73 an den Gläubigervertreter (ζ. B. Recht, dem Austausch einer Sicherheit zuzustimmen oder sonst Abweichungen etwa von einer Negativklausel oder von events of default bzw. Kündigungstatbeständen zuzulassen); - Einschränkung der Wirkung von Negativklauseln74 oder anderer Klauseln, die einen gläubigerschützenden Automatismus enthalten; ζ. B. soll der (in der Praxis häufige) Verstoß gegen eine Negativklausel nicht eo ipso Rechtsfolgen zeitigen, sondern erst nach einer (fakultati70 Wegen der Laufzeituntergrenze von zwei (früher fünf bzw. bei Privatplazierungen drei) Jahren für DM-Auslandsanleihen nach der Erklärung der Deutschen Bundesbank (s.o. I 2 b ) , ist eine solche Klausel aber nicht unproblematisch. 71 Z.B. §6 Abs.3, 4 Anleihebedingungen Arab Banking Corporation (B.S.O.) Manama Bahrain 1988. 72 Die Kündigungsgründe reichen nach englischer Praxis viel weiter als nach deutscher. Doch ist dann der Anleihetreuhänder in der Regel zur Kündigung „berechtigt, aber nicht verpflichtet". Diese Klausel bringt zwar willkommene Flexibilität, kann den Anleihetreuhänder aber in schwierige und haftungsträchtige Entscheidungssituationen bringen. Dieses Risiko läßt sich kautelarisch dadurch verringern, daß die Einholung bestimmter Erklärungen etwa eines Wirtschaftsprüfers vorgesehen oder möglich ist und der Anleihetreuhänder sich dann darauf verlassen kann. 73 S. u. IV 3 c (3). Wenn eine verdrängende Vollmacht hier möglich ist und eine andere Klausel die Rückgängigmachung einer Kündigung vorsieht, dann muß der Gläubigervertreter auch eine von einem einzelnen Anleihegläubiger bereits erklärte Kündigung rückgängig machen können. Anders unter § 14 Abs. 2 SchVG ζ. B. Ansmann, aaO, § 14 Anm. 9. 74 Zur Negativklausel (negative pledge clause) ζ. B. Merkel, Die Negativklausel Recht und Praxis einer schuldrechtlichen Sicherungsvereinbarung, Berlin 1985; Schneider, Die konzernweite Negativklausel, Festschrift für Stimpel, Berlin 1985, S. 887; Wood, loc. cit., London 1980, 6.2.

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ven) Abmahnung durch den Anleihetreuhänder und Verstreichen einer bestimmten Frist 75 ; - Einbau objektiver und subjektiver Erheblichkeitsschwellen; Beispiele: die Kündigung soll erst bei Erreichen einer Erheblichkeitsschwelle von z . B . 1076 oder 2 5 % 7 7 des ausstehenden Anleihebetrags wirksam werden; technischer event of default tritt erst ein bei objektiver Erheblichkeit78 (eine Klausel mit einiger Unbestimmtheit); oder ein Kündigungsrecht besteht nur bei einer nach Auffassung der Treuhänderin wesentlichen Pflichtverletzung der Garantin79 (Reduzierung der Unbestimmtheit der voraus genannten Klausel); - Möglichkeit der Änderung der Sicherheiten durch Austausch 80 , Freigabe81 oder Erweiterung; - Herausnahme beispielsweise einer Garantie aus den eigentlichen Anleihebedingungen und Verlagerung in einen eigenen Vertrag (im Fall der Garantie zwischen dem Garanten und dem Anleihetreuhänder einen Vertrag zugunsten der Anleihegläubiger), auf den in der Urkunde oder im Prospekt nur noch mehr oder weniger ausführlich verwiesen wird 82 ;

75 Z . B . Kündigungsrecht jedes Anleihegläubigers, falls „(a) die Emittentin mit der Zahlung von Zinsen oder Kapital länger als 30 Tage in Verzug ist, oder (b) die Emittentin irgendeine andere Verpflichtung aus diesen Anleihebedingungen verletzt und diese Verletzung 30 Tage nach Eingang einer entsprechenden schriftlichen Mahnung durch die Treuhänderin fortdauert," § 11 Abs. 1 Anleihebedingungen Van Ommeren Ceteco N . V. Rotterdam 1988. 76

1988.

Ebenda §11 Abs. 3 Anleihebedingungen Van Ommeren Ceteco N. V. Rotterdam

§ 12 Abs. 3 Anleihebedingungen Avis Financial Services B. V. Rotterdam 1987. Z . B . „nur, wenn durch das betreffende Ereignis eine erhebliche Beeinträchtigung der Sicherheit der Anleihegläubiger entsteht." §11 Abs. 2 Anleihebedingungen S H V Holdings N . V . Sint Maarten Niederländische Antillen 1982. 79 Z. B. Kündigungsrecht jedes Anleihegläubigers, falls „die Garantin eine ihrer Verpflichtungen aus der Garantie verletzt und diese Verletzung 30 Tage nach Zugang einer entsprechenden schriftlichen Mahnung durch die Treuhänderin fortdauert und diese Verletzung nach der vertretbaren Auffassung der Treuhänderin wesentlich ist," § 12 Abs. 1 (c) Anleihebedingungen Avis Financial Services B. V. Rotterdam 1987. 77

78

80 Z. B. § 9 Abs. 4, 5 Anleihebedingungen Fletcher Challenge Finance Netherlands B . V . Amsterdam 1988 mit § 7 und 8 der Garantie der Fletcher Challenge Limited Wellington. 81 Z . B . defeasence arrangements nach § 1 5 Anleihebedingungen Fletcher Challenge Finance Netherlands B . V . Amsterdam 1988 mit §11 der Garantie der Fletcher Challenge Limited Wellington. 82 Das Problem der Änderungen von Anleihebedingungen besteht hier zwar nur insoweit, als der Inhalt dieses Vertrags zum Gegenstand der Anleihebedingungen gemacht wird. Verweisen die Anleihebedingungen aber auf einen bestimmten Garantie- oder Sicherungsvertrag, dann ist damit grundsätzlich die in Bezug genommene Fassung gemeint, nicht beliebige später abgeänderte Fassungen. Durch die bloße Verlagerung von Anleihe-

Änderungen von Anleihebedingungen

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- Möglichkeit der Sitzverlegung für den Schuldner83; - Möglichkeit des Schuldnerwechsels bei entsprechender Sicherstellung der Gläubiger84 und gegebenenfalls Anpassung der Anleihebedingungen nach Ermessen der Treuhänderin 85 ; - Abänderung der Zahlungsmodalitäten, ζ. B. Zinssatzermäßigung und Stundung, bei Eintritt von im einzelnen umschriebenen Umständen; - sonstige Sanierungsbeiträge der Gläubiger, auch bezüglich der Hauptforderung; - besondere Erlöschenstatbestände, ζ. B. bei höherer Gewalt, staatlicher! Eingriffen, Zeitablauf, bestimmtem Verhalten des Gläubigers u. a. IV. Risiken und Grenzen kautelarischer Gestaltung 1. Anforderungen

des bürgerlichen

Rechts, insbesondere aus § 796 BGB

Die Maßgeblichkeit der Urkunde für Inhalt und Umfang des Leistungsversprechens nach §793 BGB und die entsprechenden Anfordebedingungen in ein eigenes Dokument oder in einen eigenen Vertrag ist also für das hier untersuchte Problem nichts gewonnen. Notwendig ist es vielmehr auch dann, entweder auf ein solches Dokument oder einen derartigen Vertrag in seiner jeweiligen Fassung zu verweisen oder sich doch bestimmte Änderungen vorzubehalten. Auch sonst kann der Vertrag ζ. B. wenn zugunsten der Anleihegläubiger eine Garantie hinausgelegt ist, nicht mehr ohne weiteres zwischen den Vertragsparteien geändert werden, vgl. §328 Abs. 2 B G B . Beispiele für eine ganz knappe Verweisung auf eine Garantie und für eine ausführliche Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts der Garantie in den Anleihebedingungen selbst bieten einerseits § 8 Anleihebedingungen Avis Financial Services B . V . Rotterdam 1987 mit Garantie der Avis Europe P L C Bracknell und andererseits § 9 Anleihebedingungen Fletcher Challenge Finance Netherlands B . V . Amsterdam 1988 mit Garantie der Fletcher Challenge Limited Wellington. S.o. 1 3 b . Diese Klausel ist weit verbreitet, so wenn die alte und die neue Emittentin Finanzierungstöchter der eigentlichen Schuldnerin sind, z. B. § 14 Anleihebedingungen Fletcher Challenge Finance Netherlands B . V . Amsterdam 1988; auch derart, daß etwa für den Fall einer Steuerrechtsänderung die Schuld der Mutter in einem Land von einer Tochter in einem anderen Land privativ, aber unter Einräumung einer Garantie der Mutter übernommen werden kann, vgl. Section 9 Loan Terms Arab Banking Corporation (B. S. C.) Manama Bahrain 1987 und (konkreter ausformuliert) § 13 Anleihebedingungen Arab Banking Corporation ( B . S . C . ) Manama Bahrain 1988. - Notwendig wäre dazu zwar eigentlich die Unterschrift der Tochter als der neuen Schuldnerin auf der Urkunde. Die dazu erforderliche, praktisch aber kaum mögliche oder doch sehr aufwendige Rückholung aller Urkunden kann mit einem Vertrag zugunsten Dritter, der den Anleihegläubigern ein eigenes Recht gegen die Tochter einräumt, ausgeräumt werden. Voraussetzung dafür ist aber, daß die Klausel über den Schuldnerwechsel dies vorsieht. Dann ist ein Austausch der Urkunden jedenfalls gegenüber alten Anleihegläubigern nicht nötig. 83 84

85 „Im Falle einer Schuldübernahme werden ferner diese Anleihebedingungen in einer die . . . als Treuhänderin der Anleihegläubiger nach Form und Inhalt zufriedenstellenden Weise angepaßt werden, um der Schuldübernahme durch die Neue Anleiheschuldnerin Rechnung zu tragen." § 9 Abs. 2 Satz 2 Anleihebedingungen Arab Banking Corporation ( B . S . C . ) Manama Bahrain 1987.

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rungen an das Vorliegen einer Einwendung aus dem Inhalt der Urkunde nach §796 BGB sind im Grundsatz bereits oben erörtert worden 86 . Daraus ergeben sich Wirksamkeitsrisiken auch für die kautelarische Gestaltung von Anleihen. a) Maßgeblichkeit des

Urkundentexts

Nach der oben gebrauchten Formel kommt es selbst bei Angabe des Schuldgrundes darauf an, daß sich die Einwendungen allgemein kraft Gesetzes aus dem Grundverhältnis ergeben. Diese Abgrenzung läßt sich über diesen konkreten, bei Anleihen nicht gebräuchlichen Fall hinaus für §§ 793, 796 BGB verallgemeinern: In der Urkunde selbst müssen Leistungsinhalt und -einwendungen so genau beschrieben werden, daß der typische Gläubiger alles Wesentliche dazu entweder schon im Text der Urkunde findet oder aus dem Gesetz entnehmen kann. Die ebenfalls oben erwähnte Rechtsprechung, daß bei Angabe des Schuldgrundes ausnahmsweise auch übliche Abreden, mit denen jeder rechnen muß, eingewandt werden können, läßt sich dagegen nicht ohne weiteres verallgemeinern. Was jeweils üblich ist, kann durchaus streitig sein. Die Üblichkeit hat vielmehr insoweit nur als Verkehrssitte im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB Relevanz. Für Anleihen bedeutet das konkret: Spätere Erwerber müssen schon nach dem Text der Urkunde ohne weiteres damit rechnen, z.B. daß die Anleihe durch Kündigung oder Auslosung vorzeitig fällig gestellt wird, daß es auf Grund einer Negativklausel zur nachträglichen Besicherung der Anleihe kommt wie umgekehrt, daß der Sicherheitentreuhänder im Rahmen seiner Befugnisse eine Sicherheit aufgibt87. Wenn die Bedingungen einer DM-Auslandsanleihe eine Gläubigerversammlung mit Mehrheitsbeschlüssen und einen Gläubigervertreter vorsehen und dazu auf einzelne Regeln im SchVG verweisen, dann ergibt sich das ebenfalls aus dem Text der Urkunde bzw. aus dem Gesetz, auf das verwiesen wird. Skripturrechtliche Grundsätze bereiten hier keine Probleme. b) Auslegung unter Heranziehung von außerhalb der Urkunde

Umständen

Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit das Leistungsversprechen (also Leistungsinhalt und -einwendungen), das in der Urkunde unmittelbar oder unter Verweis auf Gesetz niedergelegt ist, unter Rückgriff auf Umstände außerhalb der Urkunde ausgelegt werden kann. Das 86 87

S.o. I U I . Beispiele von Than, aaO, S. 533.

Änderungen von Anleihebedingungen

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wird vor allem für Emissionsprospekte praktisch. Nahm man früher an, daß diese nur dann für die Auslegung der börsengängigen Papiere herangezogen werden können, wenn in der Urkunde selbst auf sie Bezug genommen wird, hat sich heute die Erkenntnis durchgesetzt, daß auch das Leistungsversprechen in der Urkunde unter den besonderen Verhältnissen und Begleitumständen zur Zeit ihrer Ausgabe gesehen werden muß. Diese müssen also - und zwar gerade auch im Interesse des Verkehrs - berücksichtigt werden88. Solche Umstände sind z.B. ein Emissionsprospekt, eine Erklärung der Verwaltung der Emittentin bei der Ausgabe der Papiere in der Hauptversammlung oder gegenüber der Presse, Anlaß und Zweck für die Ausgabe der Papiere, Beurteilung der Papiere in der Wirtschaftspresse und in den maßgeblichen Wirtschaftskreisen u. a.89. Das gilt entgegen verbreiteter Ansicht90 auch für Einwendungen aus der Urkunde nach § 796 BGB, da, wie schon oben dargelegt, zwischen Leistungsinhalt und Einwendungen aus der Urkunde nicht sinnvoll unterschieden werden kann. Das bedeutet allerdings nicht, daß der Aussteller sich auf eine Einwendung, die nur aus dem Prospekt, nicht aber aus der Urkunde folgt, auch dann berufen könnte, wenn die Urkunde auf den Prospekt keinen Bezug nimmt. Denn insoweit geht es nicht mehr um die Auslegung der Urkunde, sondern um Gestaltung des Leistungsversprechens durch außerhalb der Urkunde abgegebene Erklärungen. Dies schließt §796 B G B aus. c) Emissionsankündigungen

und

Kurzfassungen

Damit ist auch die Grundlage gegeben für die Beurteilung von Emissionsankündigungen (tombstone ads) und von Kurzfassungen der Anleihebedingungen (information memoranda) ζ. Β. in Erklärungen der Verwaltung, in Kurzprospekten oder in Anleihespiegeln. Auch solche Umstände sind zur Auslegung des in der Urkunde angegebenen Leistungsversprechens heranzuziehen. Aber eben diese Auslegung muß ihre Grundlage in der Urkunde selbst finden. Dabei kann anders als für die Auslegung von (formbedürftigen) letztwilligen Verfügungen nicht einfach auf eine Andeutungstheorie91 rekurriert werden, denn es geht hier nicht nur um eine Frage der Form, sondern um die Zirkulationsfähigkeit

»» RGZ126, 1% (208); J W 1926, 1320 m.abl.Anm. Nußbaum; WarnR1935 N r . l ; B G H Z 2 8 , 259 (263f) = LM §795 N r . l m.Anm. Fischer (Harpen-Bonds); WM 1958, 1541; Stauelinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, §793 Rdn.9. 89 B G H Z 2 8 , 259 (264). 90 Staudinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, § 7 9 6 Rdn.7. »' B G H Z 80, 242; 86, 41 (47); Palandt-Edenhofer, aaO, §2084 Anm. 1 c.

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der Urkunde und den Verkehrsschutz der späteren Erwerber am Kapitalmarkt. Eine bloße Andeutung, die erst nachträglich im Prozeß verstanden wird, genügt nicht, vielmehr müssen die Dinge so beim Namen genannt werden, daß sie der typische Gläubiger am Kapitalmarkt versteht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Gläubiger die Urkunde typischerweise oder auch nur im Einzelfall zu Gesicht bekommt oder nicht. Denn das ist eine Frage der Börsenpraxis, die sich ändern kann. Entscheidend ist nach der Auffassung des Gesetzgebers die Umlauffähigkeit der Urkunde selbst. §§793, 796 B G B besagen selbst nichts gegen die Zulässigkeit von Emissionsankündigungen und Kurzfassungen. Diese sind vielmehr selbständig nach Börsen- und Kapitalmarktrecht und, solange dieses in Deutschland im Gegensatz etwa zum einschlägigen amerikanischen, englischen und französischen Recht unterentwickelt ist, nach dem allgemeinen zivil- und handelsrechtlichen Prospekt- und Auskunftsrecht 92 zu beurteilen. Eine Haftung für Emissionsankündigungen und Kurzfassungen allein wegen Verkürzung, etwa weil darin eine Negativklausel erwähnt wird, die in den Anleihebedingungen selbst nur eingeschränkt unter bestimmten Voraussetzungen besteht, scheidet danach aus. Haftungsvoraussetzung ist vielmehr Irreführung durch unrichtige oder unvollständige Angaben. Kurzfassungen sind, soweit nicht näher geregelt, nicht eo ipso unvollständig, sondern zulässige Hinweise auf den ausführlicheren Text. 2. Der Einfluß des AGBG Erstaunlicherweise ist von wenigen Ausnahmen abgesehen im Schrifttum bisher kaum näher Kenntnis davon genommen worden, daß die Anleihebedingungen - und zwar auch solche von DM-Auslandsanleihen und, soweit deutsches Recht anwendbar ist, Euro- und internationalen Anleihen - ganz unzweifelhaft Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des deutschen A G B G sind 93 . Die gelegentlich zu hörende Befürchtung, die damit heraufbeschworene Rechtsunsicherheit belaste den Anleihenmarkt gerade auch im internationalen Vergleich94 unvertretbar, ist verständlich, aber die Rechtslage de lege lata ist eindeutig. Verwender

Nachweise bei Baumbach-Duden-Hopt, aaO, § 349 Anm. 3, 4. Z.B. ausdrücklich Begründung, RegE BT-Drucks. 7/3919, S. 18; Ulmer-BrandnerHensen, A G B G , 5. Aufl., Köln 1987, §1 Rdn. 14, 19, §2 Rdn. 13 f; Baumbach-DudenHopt, aaO, (5) A G B G §1, Anm. 1 A; Staudinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, §793 Rdn. 9; Reuter, AG 1985, 104; Than, aaO, S.537. 94 So ist etwa in London keine Rede von einer möglichen Kontrolle der internationalen Anleihen nach dem Unfair Contract Terms Act. 92 93

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im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 AGBG ist grundsätzlich der Emittent, weil er es ist, der sich zu den Anleihebedingungen jedem Inhaber gegenüber verpflichtet und damit dessen Rechtsstellung bestimmt, also nicht, wie es in der Praxis manchmal scheinen mag, die Emissionsbanken, obwohl sie ihrerseits in der Regel einen Entwurf vorlegen und zumindest auf der Verwendung bestimmter Klauseln bestehen95. Der letztere Umstand ist vielmehr grundsätzlich erst unter § 1 Abs. 2 AGBG beim Merkmal der Individualabrede bedeutsam. Selbst wenn die Anleihebedingungen, wie angesichts der Einschaltung von Emissionsbanken regelmäßig, zum Gegenstand ausführlicher Verhandlungen gemacht werden, mag das zwar dazu führen, daß einzelne Klauseln als Individualabrede gelten, aber dadurch wird in aller Regel nicht schon der gesamte Anleihebedingungstext nach § 1 Abs. 2 AGBG der Geltung des AGBG entzogen. Das hat Rechtsfolgen, die bisher nicht hinreichend untersucht worden sind. a) Anforderungen an die Einbeziehung von AGB in den Vertrag, insbesondere Zugänglichmachung des Texts der AGB und mühelose Lesbarkeit An die Einbeziehung von AGB in den Vertrag stellt das AGBG weitreichende Anforderungen. Danach sind grundsätzlich alle drei Anforderungen des § 2 Abs. 1 AGBG - ausdrücklicher Hinweis, Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme vom Inhalt und Einverständnis der anderen Vertragspartei mit der Geltung der AGB - zu beachten. Diese Anforderungen stehen unabhängig neben den bereits oben behandelten skripturrechtlichen aus §§793, 796 BGB. Im Verkehr mit Kaufleuten gelten Sonderregeln. (1) Zunächst ist schon zweifelhaft, ob hier die Erleichterungen des §24 S. 1 Nr. 1 AGBG im Verkehr mit Kaufleuten gegenüber der Regel des § 2 AGBG eingreifen. Denn im Ergebnis werden die Anleihepapiere an das allgemeine Publikum vertrieben. Jedoch vollzieht sich die Anleiheemission in der heutigen Praxis zweistufig derart, däß die Emissionsbanken die Papiere übernehmen und die Anleger sie von ihrer Bank kauf- oder kommissionsweise erwerben. Für die erste Stufe ist somit §2 AGBG 95

Soweit die Emissionsbanken sich in den Anleihebedingungen ζ. B. als Zahlstellen, Treuhänder, Garanten u. a. gegenüber dem Emittenten oder den Anleihegläubigern eigene Rechte ausbedingen, können sie dagegen selbst als Verwender anzusehen sein. Daß in einem einzigen Vertrag teilweise die eine, teilweise die andere Partei Verwender ist, ist zwar ungewöhnlich, aber nicht ausgeschlossen. - Typischerweise Verwender sind die Banken dagegen, wenn sie als Hypothekenbanken ihre Anleihen ohne Zwischenschaltung eines Konsortiums an den Markt bringen, sowie bei internationalen Konsortialkrediten und Projektfinanzierungen; vgl. allgemein Hinscb-Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen, Berlin 1985.

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nach §24 S. 1 Nr. 1 AGBG nicht unmittelbar anwendbar. Für die zweite Stufe gelten für den Kauf selbst die AGB der Bank, während die Anleihebedingungen gewissermaßen Teil des verkauften Produkts sind, insoweit sie das Leistungsversprechen aus der Urkunde präformieren. Eine erneute Einbeziehung in den Vertrag unter Beachtung von § 2 AGBG soll deshalb nicht nötig sein96. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Pennoch bleibt ein Rest von Zweifel, ob in einem Fall, in dem von vornherein der Absatz an das nichtkaufmännische Publikum ins Auge gefaßt ist, die strengeren Voraussetzungen des § 2 AGBG durch die wenngleich keinesfalls in Umgehungsabsicht vorgenommene - Zwischenschaltung eines Kaufmanns aus dem Wege geräumt werden können. Bedenkt man den überaus weit gefaßten Begriff der Vertragsbedingungen 97 und die Teleologie der §§1, 2 und 24 AGBG, besteht ein gewisses Risiko, daß die Rechtsprechung anders entscheiden würde. (2) Auch wenn man somit die unmittelbare Anwendung von § 2 AGBG ablehnt, bleibt es jedenfalls zwischen Emittent und Emissionsbanken bei den allgemeinen Anforderungen an die Einbeziehung in den Vertrag. Danach bedarf es dann zwar nicht unbedingt eines ausdrücklichen Hinweises, aber die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme vom Inhalt und das Einverständnis der anderen Vertragspartei sind auch unter Kaufleuten notwendig 98 . Praktisch ist es so, daß die Freistellung von einem ausdrücklichen Hinweis nach AGBG hier ohne Bedeutung ist. Denn eines solchen Hinweises in der Urkunde auf weitere, nicht ohnehin schon in den Anleihebedingungen enthaltene Bedingungen, z . B . Garantien oder andere Sicherheiten, bedarf es schon nach §§ 793, 796 BGB. Andererseits ist die Notwendigkeit des Einverständnisses des Erwerbers mit der Geltung der AGB unproblematisch. Sie liegt typischerweise schon im Vertragsabschluß nach vorheriger Erfüllung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AGBG 99 . Dagegen kann das Tatbestandsmerkmal der Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme zu zusätzlichen Erschwernissen für die Anleihegestaltung führen. Begründung, aaO, S. 18; Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §2 Rdn. 14. Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §1 Rdn. 9 ff; Wolf-Hom-Lindacher, AGBG, 2. Aufl. 1989, §1 Rdn. 6 ff; Palandt-Heinrichs, aaO, AGBG §1 Anm.2; StaudingerSchlosser, aaO, 12. Aufl. 1983, §1 Rdn. 2 ff; Baumbach-Duden-Hopt, aaO, (5) AGBG §1 Anm. 1 Aa. 98 Baumbach-Duden-Hopt, aaO, (5) AGBG § 2 Anm. 2; Wolf-Horn-Lindacher, aaO, §2 Rdn. 61 ff; Palandt-Heinrichs, aaO, AGBG §2 Anm. 6; wohl auch Ulmer-BrandnerHensen, aaO, §2 Rdn. 79 ff. 99 Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §2 Rdn.61, 80; Wolf-Hom-Lindacher, aaO, §2 Rdn. 43, 62 ff; Palandt-Heinrichs, aaO, AGBG §2 Anm. 4, 6 b; Baumbach-Duden-Hopt, aaO, (5) AGBG §2 Anm. 1 C, 2 C. 96

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(3) Das Erfordernis der Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme bedeutet unter Nichtkaufleuten, daß die AGB dem Kunden zugänglich gemacht werden, d. h. unter Abwesenden in der Regel übersandt werden. Die Aufforderung, sich die AGB selbst zu besorgen100 oder in die Geschäftsräume des Verwenders zu kommen und sie dort einzusehen101 oder beim Verwender anzufordern102, genügt nicht. Die Ausnahme, die bei solchen Vertragspartnern gemacht wird, die beruflich häufig mit dem Vertragsmuster zu tun haben, ζ. B. Bauhandwerker und VOB 1 0 3 , ist hier nicht einschlägig, auch nicht bei häufigem Erwerb von Anleihen. Dieses Erfordernis der Zugänglichmachung des Textes der AGB würde - unter der Prämisse der unmittelbaren Anwendbarkeit des §2 AGBG - bedeuten, daß die wesentlichen Bedingungen in der Urkunde selbst stehen müssen, weil die Mitlieferung von außerhalb der Urkunde niedergelegten AGB praktisch ausscheidet. Damit würden der Separierung einzelner Komplexe der Anleihebedingungen in eigene Klauselwerke strengere Schranken gesetzt als nach den oben erörterten skripturrechtlichen Anforderungen der §§793, 796 BGB. So wäre es dann beispielsweise mit §2 Abs. 1 Nr. 2 AGBG unvereinbar, wenn in der Urkunde nur auf die Möglichkeit einer Gläubigerversammlung und von Mehrheitsbeschlüssen hingewiesen und hinsichtlich der Einzelheiten auf einen Prospekt verwiesen würde oder auf ein anderes separates Dokument außerhalb der Urkunde, das der Anleihegläubiger erst auf besonderes Verlangen einsehen oder zugesandt erhalten könnte. Diese Einschränkung gälte allerdings nicht bei einer Verweisung auf Gesetz, etwa auf SchVG. Diese zu starren, wenig praxisgerechten Folgen sprechen jedoch einmal mehr gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des §2 AGBG. (4) Unter Kaufleuten wird für die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme weniger verlangt. Die Zugänglichmachung des Texts der AGB ist nicht notwendig. Auch unter Kaufleuten ist aber erforderlich, daß der Kunde von dem Inhalt der AGB tatsächlich in zumutbarer Weise Kenntnis nehmen kann. Das bedeutet nach der Rechtsprechung, der die 100 Etwa im Buchhandel, Palandt-Heinrichs, aaO, A G B G § 2 Anm. 3 a. Auch Staudinger-Schlosser, aaO, § 2 Rdn.31; Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, § 2 Rdn.47; Wolf-HornLindacher, aaO, § 2 Rdn. 24. 101 AG Frankfurt, BB 1978, 524; Palandt-Heinrichs, aaO, A G B G § 2 Anm. 3 a; WolfHom-Lindacher, aaO, § 2 Rdn. 25. 102 LG Stuttgart in Bunte, Entscheidungssammlung zum AGB-Gesetz, Bd. I, Heidelberg 1982, § 2 Nr. 15, § 9 Nr. 25; LG München I, ZIP 1980, 992 (993); Wolf-HornLindacher, aaO, § 2 Rdn. 24. Insgesamt weniger streng Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, § 2 Rdn.47. 103 B G H Z 8 6 , 135 (138); Palandt-Heinrichs, aaO, A G B G § 2 Anm. 3 a; StaudingerSchlosser, aaO, § 2 Rdn. 32; Baumhach-Duden-Hopt, aaO, (5) A G B G § 2 Anm. 1 B; str.

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Kommentarliteratur gefolgt ist, daß die AGB für den Durchschnittskunden verständlich und insbesondere mühelos lesbar sein müssen104. Daran fehlt es bei übermäßigem Kleindruck 105 . Dieses Gebot der mühelosen Lesbarkeit auch unter Kaufleuten ist für Anleihen brisant, weil danach einerseits eine beliebige Verkleinerung des Satzspiegels unter dem AGBG ausscheidet, die Anleihebedingungen andererseits auf der Rückseite der Anleiheurkunde Platz finden müssen. Stellt man ausschließlich auf die erste Stufe der Emission ab, dann gibt es allerdings praktisch deswegen keine Schwierigkeiten, weil Emittent und Bank die Anleihebedingungen im Großtext haben. Gedruckt werden die Urkunden erst Monate später, wenn alles schon verhandelt ist. Ob dieser bequeme rechtliche Ausweg wirklich gangbar ist, bleibt jedoch auch dann fraglich, wenn man wie hier § 2 AGBG nicht unmittelbar anwendet. Vielmehr spricht manches dafür, auch unter § 24 S. 1 Nr. 1 AGBG jedenfalls mitzuberücksichtigen, daß die Anleihe nicht bei den Emissionsbanken verbleiben soll, und im Hinblick darauf mühelose oder doch jedenfalls noch zumutbare Lesbarkeit der späteren Urkunde zu verlangen. Geht man soweit, dann ist auch der weitere Einwand unbehelflich, daß der Anleger sich über die Anleihebedingungen in aller Regel nur aus dem Börsenprospekt oder über seine Bank informiert und die Urkunden, die beim Kassenverein liegen, selbst gar nicht zu Gesicht bekommt. Denn nach dem AGBG kommt es allein auf die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme (der AGB selbst) an, nicht darauf, ob der Anleger im konkreten Fall oder auch nur typisch von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Es wäre auch ein merkwürdiges Ergebnis, wenn danach zu unterscheiden wäre, ob der einzelne Anleihegläubiger im konkreten Fall seine Stücke über die Börse oder in einer Privattransaktion gekauft hat. Hier gewinnt dann die Möglichkeit der Verweisung auf einzelne Regeln des SchVG entscheidende praktische Bedeutung. Der Text dieses Gesetzes ist öffentlich zugänglich und braucht deshalb in der Urkunde selbst nicht vollständig mitgeliefert oder sonstwie zur Kenntnis gebracht zu werden. Eine solche Verweisung muß aber doch praktisch verständ-

104 BGH, NJW 1983, 2772 (2773), WM 1986, 769 (770); OLG Hamburg, BB 1987, 1703, OLG Saarbrücken, NJW-RR1988, 858; Wolf-Horn-Lindacher, aaO, §2 Rdn.27; Palandt-Heinrichs, aaO, AGBG §2 Anm. 3 c; tendenziell großzügiger Baumbach-DudenHopt, aaO, (5) AB GB §2 Anm. 2 Β und Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §2 Rdn.54: nicht „mühelos lesbar", sondern zu beanstanden erst, wenn „nur mit Mühe zu entziffern". 105 BGH, NJW 1983, 2272 (2773), WM 1986, 769 (770), OLG Saarbrücken, NJWRR1988, 858; Wolf-Horn-Lindacher, aaO, §2 Rdn.27; Baumbach-Duden-Hopt, aaO, (5) AGBG §2 Anm.2B.

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lieh sein. Das bedeutet, daß die wesentlichen Punkte der Regelung z.B. Gläubigerversammlung, Möglichkeit von Mehrheitsentscheiden, unfreiwillige Rechteeinschränkung, Gläubigervertreter u. a. - im Zusammenhang mit der Verweisung in der Urkunde selbst klar gestellt werden 106 . Das folgt schon aus dem allgemeinen Erfordernis der Verständlichkeit der AGB unter §2 AGBG, nicht erst aus §§3, 5 AGBG. Zur Verständlichkeit kann auch gehören, daß bei komplexen Klauseln und Verweisungen mit Uberschriften gearbeitet wird, die zwar selbstverständlich nicht den ganzen Klauselinhalt vorwegnehmen müssen und können, aber doch nicht irreführend verkürzen dürfen. b) Besondere Auslegungsgrundsätze für AGB Die kautelarische Gestaltung von Anleihebedingungen muß ferner die AGB-spezifischen Auslegungsgrundsätze in Rechnung stellen. Wie bereits erwähnt, richtet sich zwar auch für Anleihen die Auslegung grundsätzlich nach §§133, 157 BGB. Aber für alle AGB gilt der Grundsatz der objektiven Auslegung, also auch für Anleihen 107 . Mangels Angebots an einen bestimmten Kundenkreis ist Auslegungsmaßstab die Verständnismöglichkeit eines rechtsunkundigen Durchschnittskunden 108 . Da die Anleihe nach der Übernahme durch das Emissionskonsortium an das allgemeine Publikum abgesetzt werden soll, ist nicht der Horizont der Bank, sondern eben dieses Publikum maßgeblich. Dabei sind aber in der AGB verwandte Rechtsbegriffe im Sinne ihrer juristischen Fachbedeutung zu verstehen109. Ferner gilt die Unklarheitenregel (§5 AGBG) mit der Folge, daß die Anleihebedingungen im Zweifel zuungunsten des Emittenten bzw., falls im Einzelfall einmal die Emissionsbank als Verwender angesehen werden sollte, zu ihren Ungunsten auszulegen sind110. Schließlich sind Anleihebedingungen wie AGB sonst voll revisibel, da ihr Anwendungsgebiet über den Bezirk eines OLG hinausreicht111. Das gilt allerdings nicht für

Ebenso unter Hinweis auf §§3, 5 A G B G Than, aaO, S. 537. BGHZ28, 259 (265), Staudinger-Marburger, aaO, 12. Aufl. 1986, §793 Rdn.9. 108 BGHZ77, 116 (118); 79, 117 (119); und statt aller Palandt-Heinrichs, aaO, A G B G §5 Anm.3. 109 BGHZ5, 365 (367); DB 1969, 1146; OLG Stuttgart VersR 1983, 745. 110 Gegen einen Grundsatz der engen Auslegung (über die Unklarheitenregel und die objektive Auslegung hinaus) aber zutreffend die h. L. wegen der darin faktisch liegenden verkappten Inhaltskontrolle, Sambuc, N J W 1 9 8 1 , 313; Ulmer-BrandnerHensen, aaO, §5 Rdn. 30, 31; Baumbacb-Duden-Hopt, aaO, §5 Anm. 2; a. A. PalandtHeinricbs, aaO, §5 Anm. 5; Staudinger-Schlosser, aaO, A G B G §5 Rdn. 8, aber auch 17. 111 BGHZ28, 259 (263) im Anschluß an R G Z 1 1 7 , 379 (382); 146, 1 (3). 106

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ausländische A G B 1 1 2 , aber das sind Anleihebedingungen von D M - A u s landsanleihen wegen der Verweisung auf deutsches Recht nicht.

c) Probleme der Inhaltskontrolle, namentlich Mehrheitsbeschlüsse einer Gläubigerversammlung, spätere Abänderbarkeit von Anleihebedingungen und Gläubigervertreter- und Treuhänderklauseln Es bleibt die Inhaltskontrolle nach § § 9 ff A G B G . Diese entfällt entgegen einer in der Praxis verbreiteten Meinung nicht schon deswegen, weil die Rechtsstellung der Gläubiger an sich nur soweit reicht, wie sie in der Urkunde angegeben ist. D e r Sache nach besagt diese Meinung nämlich nichts anderes, als daß das urkundliche Leistungsversprechen selbst nicht der Inhaltskontrolle unterfallen könne. Rein bürgerlichrechtlich gedacht ist das richtig. A G B - r e c h t l i c h handelt es sich jedoch um ein Problem des § 8 A G B G . Danach unterliegt zwar die Leistungsbeschreibung, also die Beschreibung von Art, Umfang und G ü t e der geschuldeten Leistung, selbst nicht der Inhaltskontrolle. Das gilt jedoch nicht für alle Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen (essentialia negotii) einschränken, ändern, aushöhlen oder auch nur ausgestalten 113 . Sie unterliegen der Inhaltskontrolle. Dabei ist anerkannt, daß der Ausschluß der Inhaltskontrolle auf den engsten Kern der Leistungszusage zu beschränken ist 114 . D i e rechtliche Ausgestaltung der Leistungspflicht nach O b , Art und Weise oder Zeit und die Ausgestaltung der Haftung oder Gewährleistung sind also nicht kontrollfest, auch soweit der Leistungsgegenstand selbst betroffen ist 115 . Das ist beispielsweise für das Produkt Versicherung, das überhaupt erst durch die A V B konstituiert wird, heute ganz überwiegend anerkannt 116 . Gesetzlicher Kontrollmaßstab für A V B sind B G B und W G und, soweit diese schweigen, § 2 4 2 B G B und § 9 A G B G selbst 117 . F ü r die Anleihebedingungen bedeutet das, daß sie - außer in ihrem die essentialia des Leistungsverspreches betreffenden Kern - am Gerechtigkeitsgehalt und Schutzzweck des ' S c h V G und an § 2 4 2 B G B gemessen werden müssen. Das gilt namentlich für Konditionen- und Zinsanpassungsklauseln in Anleihebedingungen 1 1 8 .

»2 BGHZ49, 356 (362), DB 1986, 1063. 113 BGHZ100, 157 (173); Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §8 Rdn. 19, 20; BaumhachDuden-Hopt, aaO, AGBG § 8 Anm. 2 A. 114 Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §8 Rdn. 18. 1,5 Wolf-Horn-Lindacher, aaO, §8 Rdn. 10. 116 Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §8 Rdn. 25 ff; Wolf-Horn-Lindacher, aaO, §23 Rdn. 450 ff, 464; Palandt-Heinrichs, aaO, AGBG §8 Anm. 2 a. 117 Wolf-Horn-Lindacher, aaO, §23 Rdn.465; auch Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §8 Rdn. 29. 118 Ausdrücklich für Anleihebedingungen Ulmer-Brandner-Hensen, aaO, §8 Rdn. 14.

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Sodann ist zu überlegen, ob bei Anleihen schon die Inhaltskontrolle nach §§10, 11 AGBG oder nur die allgemeine nach §9 AGBG 119 eingreift. Ausgangspunkt ist wie schon oben zu § 2 AGBG die Zweistufigkeit der Emission. Auf der ersten Stufe greift wegen des Ersterwerbs durch die Emissionsbanken nach §24 S. 1 Nr. 1 AGBG nur §9 AGB. Auf der zweiten Stufe ist wiederum fraglich, ob außer den das eigentliche Kauf- bzw. Kommissionsgeschäft betreffenden AGB des jeweiligen Kreditinstituts auch die Anleihebedingungen, die die Schuldverschreibung ausformen, kontrolliert werden können. Das ist zweifelhaft, aber selbst wenn man zu §2 AGBG anderes entscheidet - jedenfalls wegen der unmittelbaren Auswirkungen der Anleihebedingungen auf alle späteren Inhaber nach der Teleologie des AGBG zu bejahen. Im folgenden sind aus der Vielzahl der für die hier behandelte Problematik einschlägigen Anleihebedingungen drei besonders wichtige herauszugreifen: (1) das Vorsehen einer Gläubigerversammlung, die mit Mehrheit beschließen kann (s.o. III2a, b); (2) die spätere Abänderbarkeit von Zinssatz und Zahlungstermin und von weiteren Anleihebedingungen (s.o. III2b, 3); und die Zuweisung der einzelnen Gläubigerrechte an einen Gläubigervertreter oder Treuhänder ohne und mit Ausschluß der eigenen Befugnisse der Gläubiger selbst (s.o. III2b, c). (1) Bedenken aus § 9 AGBG gegen Anleihebedingungen, die eine Gläubigerversammlung mit der Möglichkeit zu Mehrheitsbeschlüssen vorsehen, sind grundsätzlich nicht anzuerkennen. Für die Wirksamkeit spricht vor allem, daß das SchVG selbst dies für Inlandsanleihen unter den Voraussetzungen des § 1 SchVG sogar zwingend vorsieht. Die Ausgestaltung der Gläubigerversammlung und ihrer Mehrheitsbeschlüsse im einzelnen braucht sich indessen nicht sklavisch an die entsprechenden Vorschriften des SchVG zu halten, das ja nicht unmittelbar anwendbar ist und auch nicht mittelbar über die Inhaltskontrolle ohne weiteres zur Anwendung gebracht werden kann. Der Kautelarjurisprudenz verbleibt also genügend Spielraum z. B. für die Modalitäten der Einberufung, Durchführung und Abstimmung der Gläubigerversammlung, für die Stellung, Rechte und Pflichten eines von der Gläubigerversammlung zu bestellenden Gläubigervertreters und für andere beschluß- und verfahrensrechtliche Klauseln. Problematisch sind dagegen Anleihebedingungen, die für vom Geltungsbereich des SchVG nicht erfaßte Anleihen wie DM-Auslandsanleihen in der Ausgestaltung der Gläubigerversammlung und den Voraussetzungen für Mehrheitsbeschlüsse von Schutzgedanken des SchVG wesentlich abweichen. So wird z. B. auf die Zweckbestimmung solcher Beschlüsse „zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen" (§ 1 Abs. 1 1,9

So Than, aaO, S. 537 Fn. 36; ebenso, aber zweifelnd, Stucke, aaO, S. 261 f.

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SchVG) im Ergebnis nicht verzichtet werden können, weil sonst der Gläubigerversammlung die Wahrnehmung von Partikularinteressen zu Lasten der Minderheit ermöglicht würde120. Auch ein uneingeschränktes Stimmrecht des Schuldners für die in seinem Besitz befindlichen Schuldverschreibungen entgegen § 10 Abs. 4 SchVG würde der Inhaltskontrolle nicht standhalten, weil der Schuldner sonst allein oder zusammen mit willfährigen Gläubigern seine eigenen Verpflichtungen mit Mehrheitsbeschluß zu Lasten der Minderheitsgläubiger reduzieren könnte 121 . (2) Aus denselben Erwägungen ist auch die spätere Abänderbarkeit von Zinssatz und Zahlungstermin und von weiteren Anleihebedingungen mit der Inhaltskontrolle grundsätzlich vereinbar. Das gilt für unmittelbar wirkende Flexibilisierungs-, Änderungs- und Erlöschensklauseln122 ebenso wie für spätere Eingriffe der Gläubigerversammlung oder des Gläubigervertreters, ohne daß die Voraussetzungen des SchVG für solche Eingriffe genau übernommen werden müßten. Die Frage ist jedoch wiederum, welche Schutzgedanken der SchVG über die Inhaltskontrolle als auch für DM-Auslandsanleihen wesentlich angesehen werden müssen. Hier ist zunächst der Ausschluß der Begründung von Leistungspflichten der Gläubiger durch die Gläubigerversammlung oder den Gläubigervertreter gegen den Willen des einzelnen Gläubigers zu nennen (§ 1 Abs. 3 SchVG). Schon bei Anteilsinhabern sind Nachschußklauseln, die Beitragserhöhungen durch Mehrheitsbeschluß vorsehen, nur unter engen Voraussetzungen wirksam123, und bei Kapitalerhöhungen ist der einzelne Aktionär nicht gezwungen, sich zu beteiligen. Bei Anleihegläubigern, die - anders als beispielsweise in Frankreich 124 - auch durch das SchVG nicht gesellschaftlich zu einem gemeinsamen Zweck verbunden sind und kautelarisch auch nicht kündigungsfest verbunden werden könnten 125 , würde eine solche Klausel der

120 Vgl. Ammanti, aaO, § 1 Anm. 47 ff; Heinemann, J W 1 9 3 3 , 84 (85 f); auch R G Z 148, 3 (11 ff). 121 Die Problematik taucht auch bei Großaktionären der Schuldnergesellschaft auf, die aus der Verminderung der Anleihegläubigerrechte Vorteile für ihre Gesellschaft und Kursgewinne für ihre Aktien erwarten könnten. Dazu R G Z 148, 3 (12 ff) und schon die Befürchtung von von Strombeck, daß ein Großaktionär der Gesellschaft, der gleichzeitig einen bedeutenden Posten Obligationen besitzt, einen Mehrheitsbeschluß herbeiführen und damit der Minderheit Sicherheiten- und Zinsverzichte aufzwingen könne, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, X . Legislaturperiode, I. Session 1 8 9 8 - 1 9 0 0 , 2. Band (51. Sitzung) S. 1382 (1383, 1385).

S.o. III3. Ulmer, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 2. Aufl., München 1986 ( = M ü K o aaO), § 7 0 7 R d n . 5 . 122 123

124 Zur französischen société des obligataires ζ. Β. Horn, Anleihen, aaO, S . 4 2 I f f . 125

Than, aaO, S. 536.

Das Recht der internationalen

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Inhaltskontrolle nicht standhalten. Sodann ist die Gleichbehandlung aller Gläubiger ein unverzichtbares Element (§ 12 SchVG). Obwohl der Gleichbehandlungsgrundsatz im deutschen Privatrecht nur bereichsspezifisch wie etwa im Gesellschafts- oder Arbeitsrecht gilt, führt doch die Zusammenfassung aller Gläubiger in einer Gläubigerversammlung, die mit Mehrheit in die Rechte der einzelnen eingreifen kann, zur Aktualisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch hier. O b auch die anderen Voraussetzungen des SchVG für Eingriffe in Gläubigerrechte - ζ. B. nur zur Abwendung einer Zahlungseinstellung oder des Konkurses des Schuldners 126 und nur mit Dreiviertelmehrheit mit Q u o r u m (§11 SchVG) - unantastbar sind, ist nicht so eindeutig, sondern wäre anhand konkreter Fallgestaltungen und Bedürfnisse der internationalen Anleihepraxis zu ermitteln 127 . Schließlich wäre ein Verzicht auf die Hauptforderung durch Mehrheitsbeschluß außerhalb eines Konkurs- oder gerichtlichen Vergleichsverfahrens (wie nach §§ 12 Abs. 3 , 1 8 Abs. 6 , 1 9 a SchVG) ausgeschlossen; das entspricht auch der internationalen Praxis. (3) Auch gegen einen Gläubigervertreter oder Treuhänder (Anleihetreuhänder, trustee oder Vollrechtstreuhänder) 128 ist nach der Inhaltskontrolle grundsätzlich nichts einzuwenden. Das gilt insbesondere auch für einen Treuhänder, dessen Stellung kautelarisch einem angelsächsischen trustee angenähert wird, und für einen Vollrechtstreuhänder. Die Vorbehalte aus Anlegerschutzsicht, die teilweise in der Literatur gegenüber der Zulässigkeit der Vollrechtstreuhand für Publikumsgesellschafter erhoben worden sind 129 , haben schon im Gesellschaftsrecht keine Gefolgschaft gefunden und sind erst recht nicht auf die Vollrechtstreuhand für „Publikumsgläubiger" zu übertragen. Die Rechtsprechung schützt die Publikumstreugeber bei der Ermächtigungstreuhand nach dem inzwischen bereits in einer ganzen Reihe von Einzelentscheidungen 126 Vg]_ z u dieser erst von der Reichstagskommission eingefügten Einschränkung Stenographische Berichte, aaO, 3. Anlageband (Reichstagsdrucksache N r . 362) S. 2353; nach R G Z 75, 259 (268 f) und Ansmann, a a O , § 11 Anm. 2, soll die Gläubigerversammlung darüber völlig selbständig befinden können. 127 Vgl. aber den uneinheitlichen Befund bei Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, aaO, S. 446. 128 In der Euroanleihenpraxis für emittierende Gesellschaften kommt beides zusammen, Gläubigerversammlung und Treuhänder, häufig vor. In der US-Euroanleihenpraxis findet sich meist nur eine Gläubigerversammlung. Bei Emissionen von Staaten wird regelmäßig von beidem abgesehen. 129 Bälz, Z G R 1 9 8 0 , 1, der nur eine Ermächtigungs- oder unechte Treuhand nach § 185 B G B zulassen und diese zu einer organschaftlichen Publikumstreuhand ausbauen will. Dagegen die h. L., z. B. dazu Maulbetscb, Beirat und Treuhand in der Publikumspersonengesellschaft, Bonn 1984, S. 114 ff, 189 ff; Blaurock, Unterbeteiligung und Treuhand im Gesellschaftsrecht, Baden-Baden 1981; Baumbach-Duden-Hopt, aaO, § 1 0 5 Anm. 1 F , Anh. § 177 a Anm. VII 5 C .

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Klaus J. Hopt

a u s g e f o r m t e n G r u n d s a t z , den A n l e g e r n dürften aus der n u r mittelbaren Beteiligung keine N a c h t e i l e entstehen, soweit nicht aus der Z w i s c h e n schaltung eines T r e u h ä n d e r s unvermeidlich 1 3 0 . U n a b h ä n g i g d a v o n sind aber die E r f a h r u n g e n m i t T r e u h ä n d e r n gerade a u c h in der S c h w e i z , d e m klassischen L a n d der T r e u h a n d 1 3 1 , aus A n l e g e r s c h u t z s i c h t zwiespältig. Soll der T r e u h ä n d e r nicht w i e häufig bei deutschen

Publikumspersonengesellschaften

wirtschaftlich

eher

ein

Sachwalter d e r Initiatoren sein, d a n n ist rechtlich d a r a u f z u achten, d a ß d e r T r e u h ä n d e r n a c h A u s w a h l u n d Stellung unabhängig ist 1 3 2 , er z u m a l als V o l l r e c h t s t r e u h ä n d e r

für Anleihegläubiger 1 3 3

einer

angemessenen

P f l i c h t e n b i n d u n g unterliegt 1 3 4 u n d die nicht n u r bei der treuhand flikte135

auftretenden,

aber hier n o c h

dringlicheren

Vollrechts-

Interessenkon-

v e r n ü n f t i g geregelt sind.

F r a g l i c h k a n n n u r sein, o b w i r k s a m v o r g e s e h e n w e r d e n kann, d a ß d a n n die Befugnis der einzelnen G l ä u b i g e r z u r selbständigen G e l t e n d -

130 BGHZ 104, 50 (55); Rechtsprechungsübersicht bei Baumbach-Duden-Hopt, aaO, §105 Anm. 1 F, Anh. §177 a Anm.VIII5C. 131 Abgesehen von der nicht selten fragwürdigen Unabhängigkeit von Treuhändern versagt der Schutz durch Treuhänder oft gerade dann, wenn er am nötigsten wäre, etwa wenn bei notleidenden Anleihen der Kostenvorschuß für den Treuhänder nicht aufgebracht werden kann. Vgl. allgemeiner Guggenheim, Die Verträge der schweizerischen Bankpraxis, Zürich 1986, Kap. X X I : Das Treuhandgeschäft. 132 Die Praxis mancher Institute, als Anleihetreuhänder der emittierenden ausländischen (z. B. deutschen) Mutterbank die inländische (z. B. schweizerische) Hauptzahlstelle und Tochterbank zu wählen, ist unter diesem Aspekt rechtlich problematisch. Denn der Anleihetreuhänder ist Vertreter oder Treuhänder der Anleihegläubiger, die Hauptzahlstelle dagegen Vertreter bzw. Erfüllungsgehilfe des Schuldners. Es ist nicht recht vorstellbar, daß die Tochter die Mutter je in Verzug setzt. Die englische Praxis, in derartigen Fällen einen eigenen Wirtschaftstreuhänder einzuschalten, ist nicht nur transparenter, sondern auch unter dem Haftungsaspekt klar vorzugswürdig. Dasselbe gilt für den Interessenkonflikt, der dann entsteht, wenn die Bank einerseits wichtige Kreditgeberin des Emittenten, andererseits Emissionsbank und Anleihetreuhänderin ist. Auch eine unabhängige Treuhänderbank wird aber beispielsweise die Wahl zwischen der Zustimmung zur Änderung der Anleihebedingungen und der Erklärung der Kündigung nur ungern selbst treffen und in der Praxis einen Beschluß der Gläubigerversammlung herbeiführen. 133 Allgemeiner Coing, aaO, S. 62ff, 137ff; speziell zur Ausübung des Kündigungsrechts Than, aaO, S. 539. 134 Wood, loc. cit., p. 222 et seq.; vgl. auch RGZ 90, 211 für einen Gläubigervertreter näch SchVG und RGZ 117, 369 für einen Grundbuchvertreter nach §1189 BGB. 135 Vgl. die Sollvorschrift des § 14 a Abs. 1 SchVG (seit VO 24.9.1932, RGBl. I S. 447), speziell dazu Quassowski-Schmölders, aaO, §14a, S. 36 ff. Verbindlich und deutlich weitergehend dagegen z.B. die amerikanische section310 (b) Trust Indenture Act 1939, dazu und rechtsvergleichend Wood, loc. cit., p. 220. Ferner Horn, Das neue luxemburgische Recht der représentation fiduciaire für Obligationäre, Festschrift für Bärmann, München 1975, S. 493 (504 f). Allgemeiner G.H. Roth, Das Treuhandmodell des Investmentrechts, Frankfurt 1972. Zur Offenlegungspflicht bei Interessenkonflikten des Treuhänders im Prospekt Baumbach-Duden-Hopt, aaO, § 347 Anm. 4 A g.

Änderungen von Anleihebedingungen

375

machung ihrer Gläubigerrechte ausgeschlossen sein soll (no-action clause)136. Für die Zulässigkeit einer solchen aus dem Gesellschaftsrecht als Vertreterklausel bekannten Gestaltung spricht der Gedanke des § 14 Abs. 2 SchVG, wonach die Gläubigerversammlung eben dies beschließen kann. Ein solcher Beschluß kann auch erst nachträglich gefaßt werden und soll dann zur Folge haben können, daß bereits ausgesprochene Einzelkündigungen gegenstandslos werden137. Das Problem ist hier jedoch weniger ein solches der Inhaltskontrolle als der privatrechtlichen Möglichkeit überhaupt. Eine verdrängende Vollmacht ist dem allgemeinen Vollmachtsrecht unbekannt, stattdessen kommt nur eine Verpflichtung des Vollmachtgebers zur Unterlassung eigener Handlungen in Betracht. Das gilt erst recht für eine unwiderrufliche verdrängende Vollmacht138. Allerdings gibt es durchaus Ausnahmen, ζ. B. eine unwiderrufliche verdrängende Vollmacht des Erben an den Testamentsvollstrecker in Bezug auf einen vererbten Gesellschaftsanteil139. Auch die Abtretung des Fälligkeitskündigungsrechts ohne die Hauptforderung ist wegen der Akzessorietät dieses Gestaltungsrechts als eines bloßen Hilfsrechts nicht möglich140. Das soll allerdings nicht für Gestaltungsrechte gelten, die wie das Rücktritts- und Kündigungsrecht das ganze Schuldverhältnis betreffen141. Nicht nur in dieser Unterscheidung, sondern schon in der dogmatischen Begründung der Unabtretbarkeit liegen jedoch erhebliche Unsicherheiten142. Das gesellschaftsrechtliche Abspaltungsverbot, das auch die Einräumung einer verdrängenden Vollmacht nicht zuläßt, steht hier nicht entgegen, da es nur die Mitgliedschaft als Stammrecht und die davon nicht trennbaren einzelnen Mitgliedschaftsrechte betrifft143.

136 Zur no-action clause international z.B. Delaume, loc.cit., p.63 et sec.; Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, aaO, S. 444 ff. 137 Quassowski-Schmölders, aaO, §11, S. 19: Verzicht; Than, aaO, S.540 Fn. 43. 138 Dazu Flume, Das Rechtsgeschäft, Berlin, 3. Aufl. 1979, §53 Fn. 36; StaudingerDilcher, aaO, 12. Aufl. 1980, §137 Rdn. 8, §167 Rdn.9, §168 Rdn. 15; Liebs, AcP175 (1975) 1 (3, 41); a. A. Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, Tübingen 1955, S. 129 ff. Auch die Vollmacht des Grundbuchvertreters verdrängt nicht, die Gläubiger bleiben neben diesem verfügungsberechtigt, KGJ45, 275 (279). Ein Ausschluß der Verfügungsmacht ist nur als schuldrechtliche Verpflichtung möglich, die nicht eingetragen werden kann, Staudinger-Scherübl, aaO, 12. Aufl. 1981, §1189 Rdn. 18. 139 Ulmer, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (= MüKo), aaO, § 705 Rdn. 92. 140 BGH NJW1973, 1793; Palandt-Heinrichs, aaO, §401 Anm.2b, §413 Anm.3. 141 Ebenda. 142 Vgl etwa Scheyhing in Gernhuber, Hrsg., Handbuch des Schuldrechts Bd. 2, NörrScheyhing, Sukzessionen, Tübingen 1983, S. 233 ff. 143 Dazu Ulmer, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (= MüKo), aaO, § 717 Rdn. 7 ff, 16 ff; Baumbach-Duden-Hopt, aaO, §119 Anm.2E.

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Für die Frage hier ist zunächst zu berücksichtigen, daß es nicht um die Abtretung des Kündigungsrechts im Sinne einer Verselbständigung im Rechtsverkehr geht, sondern nur um eine Ausübungsbindung 144 , die in der Zusammenfassung der Ausübung der verschiedenen Gläubigerrechte in der Hand des Gläubigervertreters besteht. Für eine solche Ausübungsbindung sprechen gute Gründe. Wenn etwa die Nichtabtretbarkeit des Kündigungsrechts u. a. mit dem Interesse des Schuldners an der Untrennbarkeit begründet wird 145 , so geht hier das Interesse des Schuldners gerade umgekehrt und dringend auf einheitliche Ausübung durch den Gläubigervertreter. Aber auch die Gläubiger haben ein berechtigtes Interesse daran, daß das Kündigungsrecht einheitlich ausgeübt wird. So können etwa Einzelkündigungen über cross default-Klauseln in anderen Anleihen oder Kreditverträgen dazu führen, daß auch dort vorzeitige Fälligkeit eintritt und auf diese Weise eine sonst vielleicht noch mögliche Sanierung scheitert146. Vor allem aber ist sogar gesellschaftsrechtlich eine die Kommanditisten an der persönlichen Ausübung und an der Erteilung von Einzelweisungen hindernde Vertreterklausel grundsätzlich zulässig147. Problematisch sind dabei nur die Grenzen, z. B. keine obligatorische Gruppenvertretung im Kernbereich der Gesellschafterrechte, nicht für höchstpersönliche Gesellschafterrechte wie das Recht zum Ausscheiden aus der Gesellschaft, Wahrung unentziehbarer Informationsrechte148. Erst recht muß eine solche Vertreterklausel unter Anleihegläubigern zulässig sein, die keine Gesellschafter-, sondern nur Gläubigerrechte haben. Schließlich spricht hierfür auch der Umstand, daß die Rechte der Anleihegläubiger von vornherein nur mit dieser Ausübungsbindung begründet werden und rechtsdogmatisch nicht erst ein Gestaltungsrecht abgespalten, übertragen oder zur Ausübung überlassen zu werden braucht. Diese letztere Überlegung steht zwar, wie oben ausgeführt, nach §8 AGBG einer sich nunmehr anschließenden Inhaltskontrolle nicht entgegen, doch ergibt auch diese keinen anderen Befund: eine Vertreterklausel des obigen Inhalts kann wirksam auch in Anleihebedingungen vorgesehen werden. 3. Wirksamkeitsrisiken

nach internationalem

Privatrecht

Bei allen Anleihebedingungen für internationale Anleihen ist schließlich im Auge zu behalten, ob sie von der ausländischen Rechtsordnung, Vgl. BGHZ46, 291 (296) zur Vertreterklausel in der Kommanditgesellschaft. Scheyhing, aaO, S.234 Anm.23. Auch Than, aaO, S.539f. 147 BGHZ46, 291; Baumbach-Duden-Hopt, aaO, §164 Anm.2A. 148 BGHZ46, 291; Baumbach-Duden-Hopt, aaO, §164 Anm.2A; Heymann-Hom, HGB, Berlin 1989, § 161 Rdn. 59, § 164 Rdn. 16 ff; Maulbetsch, aaO, S. 161 ff. 144

145

Änderungen von Anleihebedingungen

377

etwa der des Sitzlandes des Emittenten, anerkannt werden wird 149 . So hat beispielsweise die frühere französische Rechtsprechung Klauseln über die Abänderbarkeit der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluß einer Gläubigerversammlung als gegen den französischen ordre public verstoßend und unwirksam angesehen 150 . Frankreich und viele andere westliche Industriestaaten haben aber inzwischen selbst nationale Vorschriften über die gemeinsamen Rechte der Anleihegläubiger 151 . Die Wirksamkeitsrisiken nach ausländischem internationalen Privatrecht sind also heute eher gering zu veranschlagen 152 , zumindest sofern sich die Anleihebedingungen in dem oben zur Inhaltskontrolle von AGB gezogenen Rahmen halten. V. Ausblick und Zusammenfassung 1. Notbehelfe

mangels

wirksamer

kautelarischer

Vorsorge

Die rechtliche Antwort, daß dem tatsächlichen Bedürfnis nach Änderbarkeit der Anleihebedingungen auch von DM-Auslandsanleihen kautelarisch weitgehend Rechnung getragen werden kann, gibt dort Steine statt Brot, wo eine wirksame kautelarische Vorsorge versäumt worden ist. Denn das SchVG ist, wie oben ausgeführt, weder unmittelbar noch analog anwendbar. Ausnahmsweise mag hier zwar schon die Auslegung der Anleihebedingungen 153 etwas anderes ergeben oder der oben beschriebene Ausweg der Begründung von unmittelbaren Rechten der Anleihegläubiger durch einen Vertrag zwischen der Emittentin und einem Treuhänder zu ihren Gunsten 154 und damit praktisch der Umschiffung einer Negativklausel und ähnlicher Bindungen gangbar sein, was allerdings nur eine Besserstellung, keine Schlechterstellung der Anleihegläubiger ermöglicht. Aber grundsätzlich bleibt die Emittentin darauf angewiesen, die Zustimmung aller Anleihegläubiger zu der Änderung herbeizuführen - eine nur theoretische Möglichkeit. Ausnahmen von diesem Einstimmigkeitserfordernis sind (abgesehen von den Sonderfällen des Konkurses, des Vergleichs und eines künftigen Reorganisationsverfahrens) nur in engen Ausnahmefällen denkbar, die hier nur noch kurz angedeutet werden sollen. Denkbar ist erstens, daß die später eingetretenen praktischen Bedürfnisse nach einer Änderung so stark sind, daß sich die Schuldnerin auf die 149 150 151 152 153 154

Delaume, loc. cit., p. 55 et seq.; Wood, loc. cit., p. 232. Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, aaO, S. 442. Rechtsvergleichende Hinweise s. o. Fn. 3, 25. Ebenso Than, aaO, S. 537. S.o. II2c, III 1 c, I V 2 b . S.o. Fn.26.

378

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Störung der Geschäftsgrundlage berufen kann. Die Grundsätze über die Geschäftsgrundlage gelten für alle schuldrechtlichen Verträge155, auch für abstrakte Verträge wie das abstrakte Schuldversprechen' 56 . Das muß auch für die Schuldverschreibung nach §793 BGB gelten, und zwar selbst dann, wenn man entgegen der h. L. die Schuldverschreibung als einseitiges Rechtsgeschäft ansehen wollte 157 . Auch § 796 BGB steht nicht entgegen, handelt es sich doch bei der Störung der Geschäftsgrundlage um eine gesetzliche Einwendung aus dem Inhalt der Urkunde ebenso wie beispielsweise Unmöglichkeit bei einer verbrieften Stückschuld 158 . Damit ist jedoch noch nicht viel gewonnen. Denn es käme nunmehr darauf an, für die einzelnen oben genannten praktischen Bedürfnisse nach einer Änderung festzustellen, ob diese so gravierend sind, daß von einer Störung der Geschäftsgrundlage gesprochen werden kann. Dazu ist hier nicht der Ort. Jedenfalls sind aber die Anforderungen an die Erheblichkeit der Störung und das Erreichen der Opfergrenze sehr streng, voraussehbare Entwicklungen sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, und die Risikoverteilung ist zumal angesichts des Umstandes, daß es sich hier um umlauffähige Kapitalmarktpapiere handelt, derart, daß es der Schuldnerin nur in seltenen Fällen gelingen wird, mit dem Einwand der Störung der Geschäftsgrundlage durchzukommen. Ein zweiter Ansatz könnte darin liegen, unter ganz besonderen Umständen eine Zustimmungspflicht der Anleihegläubiger zur Änderung der Anleihebedingungen zu bejahen. Beispiele bietet das Gesellschaftsrecht. Dort ist in der Rechtsprechung und wenngleich teilweise zurückhaltender in der Literatur anerkannt, daß z.B. Personengesellschafter eine Pflicht zur Zustimmung zu einer Gesellschaftsvertragsänderung haben können159. Dogmatisch wird diese teils aus der gesellschafterlichen Treuepflicht 160 , teils aus Wegfall der Geschäftsgrundlage 161 , teils

Statt aller Palandt-Heinrichs, aaO, § 242 Anm. 6 Β e. RGZ 144, 133 (137); BGH DB 1977, 301; Staudinger-J.Schmidt, aaO, 12.Aufl. 1983, §242 Rdn. 909. 157 So ausdrücklich Staudinger-]. Schmidt, aaO, 12. Aufl. 1983, §242 Rdn.908, aber mit dem Hinweis, daß sich bei einem einseitigen Rechtsgeschäft nicht alle Risiken wie bei einem Vertrag verwirklichen können. 158 S.o. IIIlc. 159 Z.B. Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, Karlsruhe 1979; Hueck, ZGR1972, 237; Baumhach-Duden-Hopt, aaO, §105 Anm. 2 G mit Rechtsprechung. 160 BGHZ98, 276 (279) unter Ausdehnung auf die personalistisch ausgestaltete GmbH. 161 BGH BB 1974, 1134 (Scheidung der Ehe der einer KG angehörigen Eheleute); dazu Reuter, ZGR1976, 88. 155

156

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379

aus beidem162 hergeleitet. Die Übertragung dieser Grundsätze auf die Anleihegläubiger ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Soweit das SchVG anwendbar ist, hat die Rechtsprechung eine Treuepflicht der einzelnen Anleihegläubiger gegen die gesetzlich eingerichtete Rechtsgemeinschaft der Gläubigergesamtheit anerkannt163. Soweit das SchVG nicht anwendbar ist, fehlt es zwar dann nicht nur an einer Verbands-, sondern auch einer gemeinschaftsrechtlichen Grundlage164. Aber wenn die Zustimmungspflicht unter Gesellschaftern wirklich eine gesellschaftsrechtlich-spezifische Ausprägung der Lehre vom Fortfall der Geschäftsgrundlage ist165, kann die durch sie für Ausnahmefälle eröffnete Flexibilität auch für Anleihen in Anspruch genommen werden. Ein dritter Ansatz bietet einzelfallmäßig und bisher nicht ausgeprägt § 242 B G B bei Verhaltensweisen von Anleihegläubigern, die nach allgemeinen Grundsätzen als gegen Treu und Glauben verstoßend angesehen werden müssen. Denkbar wäre dies etwa, wenn einzelne Anleihegläubiger eine Sanierungsaktion erpresserisch von anstößigen Sondervorteilen für sich selbst abhängig zu machen versuchen (Problemkreis der „lästigen" oder sogar „räuberischen" Anleihegläubiger)166 oder unter besonderen Umständen auch wenn eine kleine Minderheit das Angebot der auf eine Änderung angewiesenen Schuldnerin zur Abfindung bzw. zum Rückkauf ihrer Teilschuldverschreibungen nicht annimmt, um aus der Enge des Marktes zu profitieren und die Kurse hochzutreiben. 2. Folgeprobleme nach erfolgter Änderung der

Anleihebedingungen

Schließlich sei noch auf die Folgeprobleme hingewiesen, die bei einer tatsächlich erfolgten Änderung der Anleihebedingungen zu beachten sind. Zum einen fragt sich, ob eine Neuausgabe der Urkunden wertpa162 Westermann, Die Anpassung von Gesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, Festschrift für Hefermehl, München 1976, 225 (240). RGZ148, 3 (17). 164 Diese rechtliche Diskrepanz zwischen Anteilsinhaber-Anleger und Anleihegläubiger-Anleger ist unter dem Aspekt des Kapitalanlegerschutzes und kapitalmarktrechtlich gesehen rechtspolitisch und rechtsdogmatisch unbefriedigend. Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, aaO, S. 131, sieht das Problem, weist aber nur auf kautelarische Lösungswege hin. Pragmatische Ansätze zu ihrer Überwindung finden sich ζ. B. in B G H , WM 1987, 581, wo den Anlegern bei einem Warentermingeschäftssammeldepot (keine Gesellschaft, sondern nur parallele Verträge mit dem Treuhänder) eine Pflicht gegenüber den Mitanlegern zur Unterlassung von Insidergeschäften auferlegt und eine Drittschadensliquidation des Treuhänders zugelassen worden ist. 165 Westermann, aaO, S. 240. 166 Vgl. für Aktionäre Lutter, oben Fn. 5; für die Gläubigerbanken in internationalen Verschuldungsverhandlungen Diskussionsbemerkung Hopt in Meesen, Internationale Verschuldung, aaO, S. 100 ff.

380

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pier-, börsen- oder vertriebsrechtlich notwendig ist167. Die Praxis verfährt großzügig 168 und unternimmt entweder gar nichts oder denkt allenfalls an ein Uberstempeln des Ausstellervermerks. O b das börsenrechtlich ausreicht, mag dahinstehen. Vertriebsrechtlich darf jedenfalls keine Irreführung der späteren Erwerber möglich sein. Zum anderen kann die Änderung Auswirkungen auf Prospekte haben. Ohne das näher zu vertiefen, dürfte weder eine Pflicht zur Berichtigung der alten Prospekte noch eine Pflicht zur Ausgabe neuer Prospekte anzunehmen sein. Alte Prospekte dürfen aber jedenfalls nicht mehr unberichtigt hinausgegeben werden. Schließlich bleibt wie immer die Frage nach den Haftungsrisiken, die den Beteiligten bei solchen Änderungen erwachsen können, sei es daß sich später herausstellt, daß die Änderung mit Skriptur- oder AGB-rechtlichen Anforderungen unvereinbar war, sei es daß ein Gläubigervertreter oder ein Anleihetreuhänder für die Anleihegläubiger Rechte bei der Änderung ausgeübt oder nicht ausgeübt haben 169 . Zu strenge Haftungsmaßstäbe sind dabei für die Anleihegläubiger nicht unbedingt vorteilhaft, sondern können sogar kontraproduktiv sein, etwa wenn wegen des Haftungsrisikos die Kautelarpraxis zu einem "defensive drafting" gedrängt würde oder die Treuhänder, statt dringende, notwendige Entscheidungen selbst zu treffen, sich nur noch durch Beschlüsse einer einzuberufenden Gläubigerversammlung oder durch Einzelweisungen absicherten oder in Notsituationen sich zur Übernahme solcher Tätigkeiten erst gar nicht mehr bereit fänden. Zusammenfassung 170 I. Das Schuldverschreibungsgesetz

vom 4.12.1899

und seine

Grenzen

1. Das SchVG sorgt für eine Mindestorganisation der Anleihegläubiger untereinander und für eine gemeinsame Interessenvertretung nach außen. Das geschieht durch Einsetzung einer Gläubigerversammlung, die Beschlüsse mit Mehrheit fassen kann, durch Gewährleistung eines weitreichenden Minderheitenschutzes und durch die Möglichkeit, einen Gläubigervertreter zu bestellen. 2. Das SchVG beschränkt seinen sachlichen Geltungsbereich dreifach: der Schuldner muß seinen Sitz im Inland haben, die Schuldverschreibungen müssen im Inland ausgestellt sein, und es bestehen Mindestbetrags- und -stückgrenzen. Auf D M Auslandsanleihen ist das SchVG danach nicht anwendbar.

Vgl. Than, aaO, S . 5 3 4 f . So z. B. bei der kleinen Zahl von Schuldnerwechseln in Reaktion auf die Einführung der deutschen Quellensteuer, insbesondere Ersetzung von Schuldnern in den Niederländischen Antillen durch solche in den Niederlanden. 169 Zu Freizeichnungsklauseln für den Treuhänder in internationalen Anleihen Delaume, loc. cit., p. 57 et seq.; Wood, loc. cit., p. 226 et seq. Zum deutschen Recht stellt sich die bekannte Frage nach der Anwendbarkeit von § 11 N r . 7 A G B G . 170 Diese Thesen lagen den Teilnehmern der Frankfurter Tagung ( s . o . ) am 8 . 9 . 1 9 8 9 vor. 167

168

381

Änderungen von Anleihebedingungen

3. Gläubigerversamtnlung, Mehrheitsbeschlüsse und Gläubigervertreter sind auch und gerade bei Auslandsanleihen tatsächlich und rechtlich ein erhebliches Problem. Das zeigt sich vor allem in vier Fallgruppen: a) Sanierungsfälle, b) Änderungen des steuerlichen Umfelds, c) Änderungen der Rechtsform, Fusionen, Konzernierungen, d) unzureichende Flexibilität der Anleihebedingungen. II. Ausdehnung

des sachlichen

Geltungsbereichs des vom 4.12.1899

Schuldverschreibungsgesetzes

1. Die Ausdehnung des SchVG ist in der Diskussion um die deutsche Schuldrechtsreform de lege ferenda gefordert worden. Eine einfache Ausdehnung des Geltungsbereichs des SchVG auch auf Auslandsanleihen wäre jedoch nicht sachgerecht und würde teilweise auch die Regelungsbefugnis des deutschen Gesetzgebers überschreiten. 2. Erst recht problematisch ist eine Ausdehnung de lege lata. Eine Gesamtanalogie ist sicher ausgeschlossen. Mit Teilanalogien würden aus einem als Gesamtpaket konzipierten Gesetz einzelne Regelungen herausgegriffen. Dennoch kommt dem SchVG schon de lege lata auch für DM-Auslandsanleihen Bedeutung zu. Die kautelarische Ausgestaltung kann sich am SchVG orientieren und auf Regelungen daraus verweisen, das SchVG kann in diesem Fall für die Auslegung der Anleihebedingungen bedeutsam werden und - am wichtigsten - das SchVG kann im Rahmen der Inhaltskontrolle nach dem A G B G ganz oder im Detail ein gesetzliches Leitbild abgeben. 3. Eine Ausdehnung des SchVG durch internationalprivatrechtliche Rechtswahl entsprechend neueren schweizerischen Überlegungen dürfte nach deutschem Recht ausscheiden. III.

Rechtsgrundlage

und Möglichkeiten

kautelarischer

Gestaltungen

1. Zum Verpflichtungstatbestand lebt der über viele Jahrzehnte geführte Theorienstreit trotz dogmatischer Fortentwicklungen weiter (Theorie vom mehrgliedrigen Rechtsgeschäft und Vertragstheorie, beide ergänzt um die Rechtsscheinstheorie). Die Verpflichtung wird aber auf jeden Fall durch das Leistungsversprechen des Ausstellers, so wie es in der Urkunde verbrieft ist, abgesteckt. Als Inhaltseinwendungen sind nur solche „aus der Urkunde" zulässig (§§79311, 796 BGB). Die Auslegung der Urkunde richtet sich nach §§133, 157 B G B . Dabei können auch Umstände außerhalb der Urkunde bedeutsam werden (str.). 2. Zum Inhalt kautelarischer Gestaltung von Gläubigerversammlung und Gläubigervertreter ist nur ein kurzer Uberblick möglich. In Frage kommen a) beschluß- und verfahrensrechtliche Klauseln (z. B. über Einberufung, Durchführung und Abstimmung bei der Gläubigerversammlung oder über die Stellung und Bestellung eines Gläubigervertreters), b) materiellrechtliche Klauseln über den möglichen Inhalt der Beschlüsse der Gläubigerversammlung und über die Befugnisse des Gläubigervertreters (z. B. Zweckbegrenzungen, rechtliche Voraussetzungen für Eingriffe in Gläubigerrechte, Gleichbehandlung), c) Regeln über die Einsetzung eines Anleihetreuhänders, eines Vollrechtstreuhänders und eines trustee. 3. Erst recht sind unmittelbar wirkende Flexibilisierungs-, Änderungs- und Erlöschensklauseln möglich (z. B. Rechte des Schuldners zum Rückkauf oder der Gläubiger zur Rückgängigmachung einer Kündigung, Einschränkung der Wirkung von Nega-

382

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tivklauseln, Möglichkeiten zur Änderung von Sicherheiten, zur Sitzverlegung, zur Abänderung der Zahlungsmodalitäten, besondere Erlöschenstatbestände). IV. Risiken und Grenzen kautelarischer

Gestaltung

1. Anforderungen des bürgerlichen Rechts folgen insbesondere aus § 796 BGB. Danach müssen in der Urkunde selbst Leistungsinhalt und -einwendungen so genau beschrieben werden, daß der typische Gläubiger alles Wesentliche dazu entweder schon im Text der Urkunde findet oder aus dem Gesetz entnehmen kann. Das ist bei Emissionsprospekten, -ankündigungen und Kurzfassungen der Anleihebedingungen zu beachten. 2. Anleihebedingungen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des deutschen AGBG. Das ist ganz unzweifelhaft. Die Folgen sind bisher nur wenig ausgeleuchtet. a) § 2 A G B G stellt Anforderungen an die Einbeziehung von AGB in den Vertrag. Angesichts der heutigen zweistufigen Emissionspraxis gilt §2 A G B G jedoch wegen § 24 S. 1 Nr. 1 A G B G (Kaufleute) nicht unmittelbar (str.). Auch bei Verwendung von AGB gegenüber Kaufleuten bedarf es aber der Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme durch den anderen Teil. Für diese verlangt die Rechtsprechung Zugänglichmachung des Texts der AGB an Nichtkaufleute und mühelose Lesbarkeit auch unter Kaufleuten. Beides kann für Anleihen praktische Schwierigkeiten aufwerfen. b) Es gelten die besonderen Auslegungsgrundsätze für AGB. c) Das Problem der Inhaltskontrolle ist zwar bisher nicht gerichtsrelevant geworden, sollte aber bei der kautelarischen Gestaltung ernst genommen werden. Wegen der Zweistufigkeit der Emissionspraxis ist fraglich, ob bei Anleihen nur die allgemeine Inhaltskontrolle nach § 9 A G B G oder auch die Klauselverbote der §§10 und 11 AGBG in Frage kommen. Dies ist unabhängig von der Stellungnahme zu §2 A G B G und zugunsten von §§10 und 11 A G B G zu beantworten (str.). Im einzelnen zu überprüfen wären z. B. Klauseln über - Mehrheitsbeschlüsse der Gläubigerversammlung, - die spätere Abänderbarkeit von Zinssatz und Zahlungstermin und von weiteren Anleihebedingungen, - die Zuweisung der einzelnen Gläubigerrechte an einen Gläubigervertreter oder Treuhänder ohne und mit Ausschluß der eigenen Befugnisse der Gläubiger selbst. Solche Klauseln sind grundsätzlich zulässig. Sie sind ausnahmsweise unzulässig, wenn sie vom Schutzgedanken des SchVG wesentlich abweichen. 3. Wirksamkeitsrisiken nach internationalem Privatrecht (ausländischer ordre public) sind zu bedenken, aber ohne große praktische Relevanz. V. Ausblick 1. Mangels wirksamer kautelarischer Vorsorge ist - allerdings nur in sehr engen Grenzen - an einen Rückgriff auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage und an Zustimmungspflichten der Gläubiger aus Treu und Glauben zu denken. 2. Bei einer späteren Änderung von Anleihebedingungen können sich Folgeprobleme ergeben (Vermeidung der Neuausgabe der Urkunden, Auswirkungen auf Prospekte, Haftungsrisiken). 3. Insgesamt sind die deutschen skripturrechtlichen und AGB-rechtlichen Anforderungen an Anleihebedingungen ernster zu nehmen als bisher üblich. Bei sachgerechter Auslegung stellen sie jedoch keinen internationalen Wettbewerbsnachteil für den Finanzplatz Bundesrepublik dar, sondern eine lohnende Herausforderung an die Kautelarjurisprudenz.

Die Sicherheitenleihe: Kreditsicherungsinstrument oder Gläubigergefährdung? JOHANNES KÖNDGEN

I. Zur Bedeutung der Sicherheitenleihe"" 1. „Harte" und „weiche" Kreditsicherheiten Wer fremden Kredit sichert, lebt gefährlich. Allen optimistischen Prognosen zum Trotz muß der Sicherungsgeber gewärtig sein, dem Schuldner auf dem Weg in die Krise und dann meist bis zum bitteren Ende der Insolvenz zu folgen. Zu einem solchen Risikogeschäft wird sich niemand bereit finden, der mit der Sicherheitenbestellung nicht ein höchst eigenes Interesse verfolgt. Der Schlüssel zu diesem Eigeninteresse ist stets in der Beziehung des Sicherungsgebers zum Schuldner zu finden. Professionelle Sicherungsgeber wie Banken stellen sich gegen eine Risikoprämie als Bürgen oder Garantiegeber zur Verfügung. Unter Verwandten kann die Sicherheitenstellung eine Art Unterhaltsgewährung an den Schuldner bezwecken. Und im Konzernverband sichert die Konzernmutter mit der Kreditsicherung zugunsten der Tochter letztlich ihre eigene Reputation. Daß die Dogmatik der Kreditsicherung sich um dieses „Deckungsverhältnis" so gut wie überhaupt nicht kümmert, hat seine guten Gründe. Der Wert der Sicherheit für den Gläubiger liegt gerade in deren völliger Abstraktion vom Deckungsgeschäft1. Bestandskraft auch und gerade in der Insolvenz2, rasche und leichte Verwertbarkeit sind das Gütezeichen „harter" Kreditsicherheiten, die sich damit zugleich als „bankmäßige" Sicherheiten qualifizieren3.

s' Für wertvolle Hinweise aus der Bankpraxis danke ich Carsten-Peter Claussen. Zum bilanzrechtlichen Teil hat mein Mitarbeiter Alexander Busse Eigenes beigesteuert. 1 Vgl. am Beispiel der Bürgschaft Staudinger/Horn, Vorbem. 5 zu §§ 765-778. 2 Daß sich „der Wert einer Kreditsicherheit an ihrer Bewährung im Konkurs" mißt, betont Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 2. Aufl. 1988, Rdn. 1. 3 Zur Definition der „bankmäßigen" Sicherheit Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rdn. 2653. Noch enger - nämlich auf erststellige Grundpfandrechte und Wert-

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Wird dem Sicherungsgeber sein Risiko nicht durch eine angemessene Risikoprämie entgolten - Beispiel ist die Sicherheitenstellung durch einen Gesellschafter - , so wird ihm daran gelegen sein, das Risiko der Inanspruchnahme möglichst weit zu minimieren. Innerhalb der gesetzlichen Sicherungsrechte läßt sich dieses Ziel wenigstens teilweise durch Vereinbarung einer Bürgschaft auf Zeit erreichen4; eine unbefristete Bürgschaft kann der Bürge - unter allerdings sehr engen Voraussetzungen5 - kündigen6. Im übrigen hat die Kautelarjurisprudenz mit einiger Phantasie neue Gestaltungsvarianten „weicher" Kreditsicherheiten durchweg Personalsicherheiten - entwickelt. Die in der Praxis wohl dominierende Technik ist die sog. Patronatserklärung in ihren verschiedenen Spielarten7. „Weich" sind diese Konstruktionen in dem Sinne, daß sie den gerade im Kreditsicherungsrecht überragend wichtigen Bestimmtheitsgrundsatz absichtsvoll vermeiden. Ihr Sicherungswert liegt dann häufig weniger in einem einklagbaren Zahlungsanspruch als in der begründeten Aussicht, der Sicherungsgeber werde unter dem Druck des drohenden Reputationsverlustes seine Erklärung honorieren8. Patronatserklärungen gelten häufig nicht bestimmten oder doch bestimmbaren Kreditengagements, sondern stellen allgemeiner eine hinreichende Liquiditäts- oder Kapitalausstattung in Aussicht9. Dient die Liquiditätsgarantie dem Zwecke der Insolvenzverhinderung, so spricht man von einer Verlustdeckungszusage10. Solche Sicherungsmittel sind keine Kreditsicherheiten im technischen Sinne mehr. Regelmäßig besteht hier nämlich kein (unmittelbar verwertungsfähiger) Direktanspruch der Gläubiger der Tochtergesellschaft gegen die Muttergesellschaft; letztere

Wertpapiere beschränkt - ist der Kreis „harter" Sicherungen im Rahmen des § 18 KWG; vgl. Scholz/Lwowski, Das Recht der Kreditsicherung, 6. Aufl. 1986, S. 33. 4 Hierzu statt vieler Scholz/Lwowski aaO, Rdn. 357; Staudinger/Horn, §777 Rdn. 2 f. 5 Auch hierzu Scholz/Lwowski, Rdn. 366. 6 Hier gestattet die Rechtsprechung dem Sicherungsgeber ausnahmsweise eine Berufung auf Störungen im Deckungsverhältnis; vgl. BGH WM 1985, 1061 - Kündigung der Gesellschafter-Bürgschaft aus Anlaß des Ausscheidens aus der Gesellschaft. 7 Hierzu die materialreiche Arbeit von Axel Gerth, Atypische Kreditsicherheiten, 2. Aufl. 1980; zur Kautelarpraxis aaO S. 31 ff. Kürzere Information bei Scholz/Lwowski (Fn.3), Rdn. 372 f. 8 Zu den unterschiedlichen Verbindlichkeitsstufen der Patronatserklärungen vgl. die in voriger Fußnote Genannten. Formulierungsbeispiele bei Axel Gerth, aaO S. 34; vgl. auch Scholz/Lwowski; (Fn. 3), S. 405 f. 10 Zu dieser Gestaltungsform ausführlich Karsten Schmidt, Die isolierte Verlustdekkungszusage unter verbundenen Unternehmen, in: Festschr. f. Winfried Werner (1984), S. 777 ff.

Die Sicherheitenleihe

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ist schuldrechtlich nur ihrer Tochtergesellschaft verpflichtet11. Gesichert werden, m. a. W., nicht „die" Kredite, sondern „der" Kredit oder genauer: die allgemeine Kreditwürdigkeit des Sicherungsnehmers/ Schuldners; konstruktiv reduziert sich das Sicherungsgeschäft damit auf ein „Deckungsgeschäft". Das Versprechen, Liquidität bzw. Kapital zuzuführen, ist, wirtschaftlich betrachtet, auf seine Art nicht weniger konkursfest als die „harten" Kreditsicherheiten, nur daß es zu dem Effekt führt, bereits die Insolvenz als solche abzuwenden. Die Frage: Kreditsicherungsinstrument oder Gläubigergefährdung? stellt sich somit nicht. Wiederum gibt es jedoch auch hier „weiche" Techniken, die Kreditwürdigkeit des Sicherungsnehmers, sei es nur in engen zeitlichen Grenzen, sei es nur zu begrenzten Zwecken, sicherzustellen oder zu fördern. Während, wirtschaftlich betrachtet, die verbindlich versprochene Liquidität fast so gut wie aktuell verfügbare Liquidität ist, werden nunmehr dem in Schwierigkeiten befindlichen Sicherungsnehmer Sicherheiten nur „leihweise" zur Verfügung gestellt. Allein mit dieser „Sicherheitenleihe"12 beschäftigen sich die folgenden Überlegungen. 2. Erscheinungsformen

der

Sicherheitenleihe

Schon an diesem Punkt dürfte klar geworden sein, daß, wer Sicherheiten „leihweise" zur Verfügung stellt, sich auf ziemlich schwankendem juristischem Grund bewegt. Wenig Wunder daher, daß Sicherungsgeber wie sicherungsbedürftige Schuldner nur sehr zögernd sich dieses Instruments bedienen. In den neueren Fällen geht es durchweg um die von der Praxis sog. Bilanzhilfen. Deren Grundkonstellation ist relativ einfach. Ein Unternehmen möchte einen durch vorübergehende Schieflagen (ζ. B. unvorhersehbare Forderungsausfälle) bedingten einmaligen (d.h. durch künftige Gewinne kurzfristig wieder aufzufüllenden) Fehlbetrag in der Bilanz ausgleichen, um seine Kreditwürdigkeit nicht zu gefährden. Adressat solcher Ersuchen sind zumeist Gesellschafter des in Turbulenzen geratenen Unternehmens. Terminologisch darf diese sog. Bilanzhilfe nicht verwechselt werden mit dem handelsrechtlichen terminus technicus der

Vgl. Karsten Schmidt, aaO S.781. Der Terminus ist eine Prägung des Verf. Er darf nicht verwechselt werden mit dem bereits eingeführten bankwirtschaftlichen Begriff der Kreditleihe; darunter wird verstanden „die Übernahme von bestimmten bedingten oder unbedingten Zahlungsverpflichtungen (Haftungen) gegenüber Dritten durch ein Kreditinstitut (...), die gegen Provisionsberechnung im Auftrag eines Kunden (Kreditnehmer) erfolgt"; vgl. Obst/ Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen, 37. Aufl. 1982, S. 361. Hauptbeispiel ist der Avalkredit als Deckungsgeschäft einer Bankbürgschaft. 11

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Bilanzierungshilfe. Die einzige - und eher zufällige - Gemeinsamkeit beider Institute besteht darin, daß sie jeweils einer Verbesserung des Jahresabschlusses zu dienen bestimmt sind. Unter Bilanzierungshilfen versteht man im Handelsrecht die aus Gründen der Verstetigung des Jahresabschlusses eingeräumten Aktivierungswahlrechte nach § 269 und §274 Abs. 2 HGB 1 3 . Auch der Terminus „Bilanzhilfe" wird - leider - nicht ausnahmslos für Fälle von Sicherheitenleihe gebraucht, sondern kann auch die Zuführung von Eigenkapital bezeichnen. So hat 1988/89 eine deutsche Landesbank ihrer Hypothekentochter dergestalt Bilanzhilfe gewährt, daß sie auf eigene Forderungen gegen die Tochter verzichtete; der durch diese verdeckte Einlage erhöhte Beteiligungsansatz wurde zum nächsten Bewertungsstichtag wieder auf den ursprünglichen Wert abgeschrieben14. Bilanzhilfe durch Sicherheitenleihe hat, soweit ersichtlich, erstmals in einer Entscheidung des O L G Düsseldorf15 von 1986 forensische Bedeutung erlangt - einer aus der Serie von Prozessen, die den Zusammenbruch der Beton- und Monierbau A G (BuM) juristisch aufzuarbeiten hatten (im folgenden: BuM-Fall). BuM hatte 1978 einen Jahresfehlbetrag von rund 20 Mio. auszugleichen, um ihren Emissionskredit für eine bevorstehende Kapitalerhöhung nicht zu gefährden. Letztlich sollte dies durch die Realisierung von im Immobilienvermögen der BuM enthaltenen stillen Reserven geschehen. Da für diesen Bilanzausgleich aus eigener Kraft die Zeit nicht mehr reichte, sprangen der Hauptgesellschafter sowie die Hausbank (und - mit damals 4,16 % - Aktionärin) von BuM mit einer sog. Werthaltigkeitsgarantie ein: Erklärt wurde eine unbefristete (!) Garantie für Ausfälle bei den mutmaßlich uneinbringlichen Forderungen von BuM. Die Garantie durfte von BuM nicht vor der geplanten Veräußerung des Immobilienbesitzes eingefordert werden. BuM verpflichtete sich darüber hinaus, „zur vollständigen Rückführung der Garantie Immobilien ( . . . ) zu veräußern. Die Garantie reduziert sich, sofern und soweit aus der Veräußerung der Immobilien bei der BuM ein Gewinn in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Buchwert der Grundstücke . . . und dem Veräußerungserlös . . . entsteht".

15 Zu Einzelheiten vgl. Richter, Die Bilanzierungshilfen, in: Wysocki/SchulzeOsterloh, Handbuch des Jahresabschlusses in Einzeldarstellungen II/9, Rdn. 1 ff.; Matschke, in: Hofhauer/Kupsch, Bonner Handbuch der Rechnungslegung, §269 HGB, Rdn. 10 ff. 14 Schriftliche Auskunft v. 11.4.1989 an den Verf. 15 O L G Düsseldorf v. 6.11.1986, ZIP1987, 44 = EWiR § 5 7 AktG 1/87, 325 (Fleck); Vorinstanz war LG Düsseldorf WM 1986, 318 = EWiR §124 K O 1/86, 185 (v. Stehut), mit einigen zusätzlichen interessanten Sachverhaltsdetails.

Die Sicherheitenleihe

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Veräußert wurde der Grundbesitz erst nach Konkurseröffnung durch den Konkursverwalter 16 ; dabei wurden stille Reserven in einer Höhe realisiert, die den Höchstbetrag der Garantie deutlich überstiegen. Gleichwohl nahm der Konkursverwalter die Hausbank aus der Garantie in Anspruch: gewiß zu Recht, wenn es sich um eine „harte" Personalsicherheit handelte, aber möglicherweise zu Unrecht, wenn die Garantie nur eine Sicherheitenleihe beinhaltete. Im zweiten Fall, der die Gerichte beschäftigt hat17, war nicht der Sicherungsgeber, sondern das sicherungsbedürftige Unternehmen ein Kreditinstitut. Auch hier sollte eine (vermeintlich) nur vorübergehende bilanzielle Schieflage infolge uneinbringlicher Kreditengagements überbrückt werden; auch hier ging es nicht um die transitorische Sicherung „eines" Kredits, sondern „des" Kredits des Sicherungsnehmers, diesmal allerdings zu bankspezifischen Zwecken. Das Kreditinstitut - eine kleine Privatbank in der Rechtsform einer K G - hatte mangels entsprechender Jahresüberschüsse die uneinbringlichen Kreditforderungen nur zulasten des Kapitalkontos der persönlich haftenden Gesellschafter wertberichtigen können; nach § 10 KWG in Verbindung mit dem sog. Grundsatz I des Bundesaufsichtsamtes18 drohten der Bank damit aufsichtsrechtliche Konsequenzen, insbesondere eine Beschränkung des zulässigen Ausleihungsvolumens. Ähnlich wie im BuM-Fall verfiel man deshalb zur Auflösung der Wertberichtigungen auf den Gedanken, die uneinbringlichen Forderungen durch Besicherung so lange wieder „werthaltig" zu machen, bis die Bank die Wertberichtigungen endgültig, und zwar zulasten verdienter Erträge und sozusagen aus eigener Kraft 19 vornehmen konnte. Als Sicherungsmittel wurde jedoch keine Personalsicherheit gewählt; statt dessen stellte eine GmbH (deren einzige Gesellschafter die Ehefrauen der beiden Komplementäre der Privatbank-KG waren) Grundschulden zur Verfügung. In der Sicherungszweckerklärung war als „Sicherungsgrund" die Auflösung von Wertberichtigungen auf die uneinbringlichen Forderungen ausgewiesen; nach Wegfall dieses Sicherungszwecks 20 hatte die Bank die Grundpfandrechte wieder aus der

16 Dieser - vor allem konkursrechtlichen - Komplikation soll im folgenden nicht nachgegangen werden; vgl. dazu ausführlich O L G Düsseldorf, aaO, Urteilsgründe sub II, sowie Fleck, aaO S. 326. 17 O L G Hamburg v. 12.6.1987, ZIP 1989, 777ff.; die Annahme der Revision ist vom B G H (aaO) merkwürdigerweise mangels grundsätzlicher Bedeutung der Sache abgelehnt worden. Ein Parallelprozeß in dieser Sache ist O L G Hamburg v. 8.1.1987, KTS1987, 727. 18 Abgedruckt bei Bähre/Schneider, KWG-Kommentar, Anhang zu § 10 KWG. 19 Vgl. aber noch unten Fn. 30. 20 Die von den Parteien gebrauchten Formulierungen waren insoweit (möglicherweise absichtsvoll) vage.

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Haftung zu entlassen. Als die Wertberichtigungen ein Jahr später tatsächlich neu vorgenommen wurden, gab die Bank die Pfandrechte an die GmbH zurück - um ein weiteres knappes Jahr später in Konkurs zu fallen. Der Konkursverwalter focht die Haftentlassungen gem. §32 Ziff. 1 K O als unentgeltliche Verfügungen an. Waren die Grundschulden der Bank in der Tat nur „geliehen", dann durfte diese Konkursanfechtung im Prinzip keinen Erfolg haben. Sowohl in der BuM- wie auch in der Privatbank-Entscheidung verschwinden die dogmatischen Grundfragen um Zulässigkeit und Grenzen der Sicherheitenleihe hinter z.T. peripheren Sachverhaltsdetails21. Möglicherweise aus diesem Grunde haben die beiden Urteile bisher nicht die ihnen gebührende Resonanz gefunden. Diesen weißen Fleck auf der ansonsten durchaus gründlich vermessenen Landkarte des Kreditsicherungsrechts gilt es zu füllen. Dem Vorbilde Ernst Steindorffs nacheifernd, wollen wir uns dabei um eine breite, fächerübergreifende Perspektive bemühen und nicht nur den zivilrechtlichen, sondern auch den bilanz- und insolvenzrechtlichen Fragen ein Augenmerk widmen22.

II. Die Sicherheitenleihe als Problem des Bürgerlichen, des Bilanz- und des Konkursrechts 1. Die Kernfrage: Sicherheitenleihe im Spannungsfeld zwischen Parteiwillen und Gläubigerschutz Kreditsicherheiten - es ist schon gesagt worden - erweisen ihren Wert in der Insolvenz des Schuldners. Wie unsere beiden Ausgangsfälle mit 21 OLG Düsseldorf (Fn. 15) beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, ob die Buchgewinne mit der Konsequenz eines Erlöschens der Werthaltigkeitsgarantie auch noch vom Konkursverwalter von BuM realisiert werden konnten. O L G Hamburg ZIP 1989, 777 ff. hat der Klage des Konkursverwalters wohl nicht zuletzt deshalb stattgegeben, weil sich nach den Feststellungen des Gerichts die Vermögenslage der Bank im Zeitpunkt der Freigabe der Grundschulden tatsächlich verschlechtert hatte und deshalb für die Haftentlassung „kein wirtschaftlich gerechtfertigter Anlaß" bestand. 22 Aus Raumgründen unerörtert bleiben muß leider die - gleichfalls interessante bankaufsichtsrechtliche Seite des Privatbank-Falls: War die Bilanzhilfe ausreichend, um als Haftkapital i. S. v. §10 KWG zu gelten? Dazu hier nur so viel: Das Aufsichtsamt hat soweit dem Verf. bekannt - zur Problematik atypischer Sicherungsgeschäfte noch nicht öffentlich Stellung bezogen. Im - nicht ohne weiteres vergleichbaren - Fall einer Verlustdeckungsgarantie will das Amt eine Aktivierung der Garantie erst zulassen, „wenn der Garant tatsächlich aus seiner Garantie (...) in Anspruch genommen werden kann" (vgl. Reischauer/Kleinhans, KWG-Komm., Bd. I, 115/§ 26 a, Rdn. 17). Unbedenklich soll dagegen die Aktivierung (bzw. Nicht-Wertberichtigung) notleidender Forderungen sein, „wenn sich Garantieverbände des Genossenschaftssektors für solche Einzelforderungen verbürgen; es sollte sich hierbei um eine vollwertige selbstschuldnerische Bürgschaft handeln" (aaO).

Die Sicherheitenleihe

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gleicher Eindringlichkeit lehren, zwingt das Institut der Sicherheitenleihe zu einer Fragestellung, die die gewohnte kreditsicherungsrechtliche Perspektive geradezu auf den Kopf stellt: Ist es möglich, Kreditsicherheiten zu gewähren, die für den Sicherungsge¿>er konkursfest sind? Kann sich der Sicherungsgeber, ohne anerkannte Prinzipien des Gläubigerschutzes zu verletzen, im Zeichen der heraufdämmernden Insolvenz des Schuldners so ohne weiteres aus seinem Engagement lösen? Nichtakzessorische Kreditsicherheiten stehen - soweit sie nicht als Realsicherheiten dem sachenrechtlichen Typenzwang Genüge zu tun haben - unter dem Regime des freien Parteiwillens. Und da Partner der Sicherheitenleihe (ähnlich wie bei anderen „weichen" Kreditsicherheiten) einzig Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer, nicht aber die Gläubiger des letzteren sind, ist damit schon eine wichtige dogmatische Vorentscheidung gefallen: Die Gläubiger des sicherungsbedürftigen Schuldners sind an der Festlegung des Sicherungszwecks - Umfang der gesicherten Forderungen, zeitliche Dauer der Sicherung, sonstige inhaltliche Beschränkungen des Sicherungszwecks - in keiner Weise beteiligt. Mehr noch: Die Gläubiger des „Sicherheitenentleihers" sind selbst nicht Sicherungsnehmer und durch die Sicherheitenleihe nur reflexhaft begünstigt. Gläubigerinteressen sind damit zu „Drittinteressen" degradiert und haben für die Interpretation der Sicherungszweckvereinbarung unmittelbar keine Relevanz (vgl. aber noch unter 2 b). Daß die Parteien der Sicherheitenleihe andererseits Gläubigerinteressen vital affizieren, kann freilich ebensowenig in Frage stehen und ruft den Gedanken des Gläubigerschutzes auf den Plan. Bei der Sicherheitenleihe zum Zwecke der Bilanzhilfe braucht man nicht lange darüber nachzudenken, von welcher Seite den Gläubigern Gefahr droht. Die Bilanzhilfe führt, ihrem eigentlichen Zweck entsprechend, zu einer jedenfalls buchmäßigen 23 Verbesserung des Vermögensstatus. Dem Parteiwillen entspricht es andererseits, daß die Bilanzhilfe nur vorübergehenden Charakter haben und der Sicherungsnehmer die Sicherheit entweder überhaupt nicht oder doch nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen in Anspruch nehmen soll. Grundsätzlich stellt sich daher die Frage, inwieweit das Vertrauen der Gläubiger auf den Fortbestand der solchermaßen „geschönten" Vermögenslage des Schuldners Schutz verdient 24 . Zu diesem Schutz kann - so viel sei vorweggenommen - das Vertragsrecht offenbar nur wenig beitragen; die Gläubiger sind ja nicht Partei der

23

Vgl. aber noch den Text unter 2 a aa). Das Schutzproblem ist in den Ausgangsfällen (Fn. 15, 17) von beiden Gerichten zutreffend erkannt, allerdings unterschiedlich gelöst worden. 24

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Sicherheitenleihe (vgl. aber sub 2 b). Die Aufgabe des Gläubigerschutzes wird damit wesentlich dem Bilanzrecht (sub 3) sowie dem Delikts- und dem Konkursrecht (4) zufallen. 2. Rechtsnatur und Wirksamkeit des Sicherheitenleibvertrages a) Inhalt und Rechtsnatur des Vertrages Kernstück des Sicherheitenleihvertrages ist, wie bei jedem Sicherungsgeschäft, die Zweckvereinbarung. Sie entscheidet darüber, ob der Sicherungsgeber, wie bei den „harten" Sicherungsinstrumenten, das Schicksal der gestellten Sicherheit auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal des Schuldners verknüpft hat, oder ob die Sicherheit dem Schuldner nur vorübergehend zur Verfügung stehen und den Fährnissen einer eventuellen Insolvenz entzogen sein soll. Gläubigerinteressen spielen bei dieser Auslegungsfrage zunächst überhaupt keine Rolle; zu befragen sind die Vertragstexte mit Blick auf die wohlverstandenen Interessen von Sicherungsgeber und -nehmer. Das läßt sich an den beiden Ausgangsfällen anschaulich demonstrieren. aa) Im BuM-Fall hatte die Schuldnerin den Kreditrahmen bei ihrer Hausbank (der späteren Sicherungsgeberin) praktisch ausgeschöpft; eine weitere Liquiditätszufuhr - wäre sie auch nur sicherungshalber, etwa als „harte" Bankbürgschaft oder -garantie, versprochen worden - und damit eine Erhöhung des Kreditengagements lag keinesfalls in der Absicht der Bank. So wie die Dinge (nach Ansicht der Parteien) lagen, war BuM zur Pflege ihres Emissionskredits auf eine „harte" Kreditsicherheit auch gar nicht angewiesen. Bedarf bestand nur für eine vorübergehende Abdekkung des Bilanzverlustes zur Uberbrückung der Zeitspanne, die BuM für die Realisierung der in ihrem Immobilienvermögen ruhenden stillen Reserven benötigte. Nun hofft gewiß ein jeder Sicherungsgeber mit Inbrunst, daß es zum Sicherungsfall und damit zur Inanspruchnahme der gestellten Sicherheit nicht kommen werde. Zum Vertragsinhalt werden kann diese Erwartung aber nur ganz ausnahmsweise, nämlich wenn sie vom Vertragspartner akzeptiert worden ist. Das wird selbstverständlich niemals der Fall sein, wenn Vertragspartner des Sicherungsgebers ein auf „harter" Besicherung bestehender Kreditgeber ist. Anders bei der Sicherheitenleihe. Im BuM-Fall war in der Tat in einem früheren Vertragsentwurf der Parteien ausdrücklich vereinbart, daß die Werthaltigkeitsgarantie im Falle eines Konkurses keinen Bestand haben sollte: eine Klausel, die lediglich wegen bilanzrechtlicher Bedenken der Wirtschaftsprüfer aus dem Vertrag wieder gestrichen wurde, ohne daß sich deshalb am Parteiwillen, die Garantie für die Bank „konkursfest" auszugestalten, irgend etwas geändert hätte.

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Gestaltet eine Sicherungsabrede die Sicherheit für deren Geber tatsächlich konkursfest aus, so liegt der Verdacht nur allzu nahe, der ganze Vertrag sei nichts weiter als ein Scheingeschäft und darum sein Papier nicht wert. Dieser Verdacht hält näherer Uberprüfung nicht stand. Um einen Jahresfehlbetrag durch Auflösung von Wertberichtigungen rechtswirksam auszugleichen, bedarf es in jedem Fall eines ernstgemeinten Interzessionsversprechens; im BuM-Fall mußte die Bank sogar gewärtigen, aus ihrem Garantieversprechen doch noch zur Kasse gebeten zu werden - wenn nämlich keine Zahlungen auf die garantierten Forderungen erfolgten und auch die erhoffte Realisierung der Buchgewinne wider Erwarten fehlschlug. Damit ist bereits ein wichtiges vertragsrechtliches Strukturelement der Sicherheitenleihe herausgearbeitet. Weil die Sicherheitenleihe einerseits als bloßes Scheingeschäft sinnlos bliebe, die Sicherheit andererseits dem Konkurs entzogen sein soll, erhält der „Entleiher" mit der Sicherheit rechtlich mehr, als ihm wirtschaftlich nach dem auf eine vorübergehende Bilanzhilfe beschränkten Sicherungszweck gebühren soll. Diese,Konstellation ist bekanntlich typisch für die Rechtsfigur der Treuhand, und so scheint es gerechtfertigt, die Sicherheitenleihe als Überlassung einer Sicherheit zu treuen Händen zu charakterisieren. Diese Treuhandbindung geht über jene eines normalen Sicherungsnehmers weit hinaus: Der „Entleiher" ist nicht nur in der Verwertung des Sicherungsobjekts, sondern zusätzlich noch dadurch beschränkt, daß er es zum Sicherungsfall nicht kommen lassen darf oder sogar die Sicherheit vor Eintritt des Sicherungsfalles zurückgeben muß. Bei der zugunsten von BuM gegebenen Werthaltigkeitsgarantie bedurfte es einigen kautelarjuristischen Aufwandes, um diese gesteigerte Treuhandbindung in juristische Konstruktionen zu gießen. Die Garantie war unbefristet erklärt, und es galt, diese überschießende Rechtsmacht des Sicherungsnehmers (BuM) wieder auf den begrenzten Sicherungszweck - vorübergehende Bilanzhilfe zur Pflege des Emissionskredits von BuM - zurückzuschneiden. Realisiert wurde dies durch eine doppelte auflösende Bedingung: a) Die Garantie war von einer wirksamen Hauptversammlungsentscheidung für eine Kapitalerhöhung abhängig, b) Die Garantie wurde hinfällig in dem Maße, in dem die erwarteten Buchgewinne von BuM realisiert wurden25. Um diese zweite Bedingung nicht zu einer bloßen Wollensbedingung zu machen, wurde BuM zugleich eine Verpflichtung zur Realisierung der Buchgewinne auferlegt.

bb) Auch im Privatbank-Fall bestand nach der beiderseitigen Interessenlage kaum ein Zweifel, daß keine Beteiligung des Sicherungsgebers am Insolvenzrisiko in Gestalt einer harten Kreditsicherung, sondern nur 25 Allein wegen dieser Bedingung kam es nicht darauf an, ob der Konkursverwalter bei der Veräußerung der Immobilien zum Zwecke der Mehrung der Konkursmasse oder zur Abtragung der Garantie gehandelt hatte; so gegen O L G Düsseldorf (Fn. 15) zutr. Fleck, EWiR §57 AktG 1/87, 325 (326).

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eine Sicherheitenleihe zum Zwecke vorübergehender Bilanzhilfe beabsichtigt war26. Die sicherungsgebende GmbH war zwar (in einem vorjuristischen Sinne) ein der Bank „befreundetes" Unternehmen27 und als solches bereit, der Bank in der gegebenen bankaufsichtsrechtlich prekären Situation beizuspringen. Eine gesellschaftsrechtliche Verflechtung, insbesondere ein Konzernierungsverhältnis - in deren Konsequenz die GmbH sich für Wohl und Wehe der Privatbank hätte verantwortlich fühlen müssen - bestand jedoch zu keiner Zeit. Da außerdem die GmbH für die Stellung der Sicherheiten durch keinerlei Risikoprämie (z. B. eine Avalprovision) entschädigt wurde, sprach aus ihrer Sicht alles dafür, das eingegangene Risiko so gering wie möglich zu halten und insbesondere in eine Insolvenz der Bank nicht mithineingezogen zu werden. Aus der Sicht beider Parteien war auch eine „harte" Besicherung nicht vonnöten, da man zum Zeitpunkt der Vereinbarung wohl28 davon ausging, daß es sich lediglich um eine temporäre und von der Sicherungsnehmerin aus eigener Kraft durchzustehende Schieflage handele. Sicherungszweck war mithin - nicht anders als im BuM-Fall - eine vorübergehende Bilanzhilfe und nicht die endgültige Besicherung der aller Wahrscheinlichkeit nach uneinbringlichen Kreditengagements. Ebensowenig zielte der Sicherungszweck auf eine Besserstellung der Gläubiger der Bank; letztere wurden durch die Auflösung der Wertberichtigungen allenfalls reflexhaft begünstigt. Auch hier ist schließlich der Verdacht eines Scheingeschäfts nicht begründet: Die Grundschulden sollten tatsächlich die zur Wertberichtigung anstehenden Forderungen für begrenzte Dauer wieder werthaltig machen, das heißt: der Vermögensstatus der Bank sollte keineswegs nur buchmäßig, sondern real (wenn auch nur für vorübergehende Dauer) aufgebessert werden. Die Grundschulden sollten allerdings von der Sicherungsnehmerin (der Bank) zu keiner Zeit verwertet werden, standen letzterer also nur zu treuen Händen zur Verfügung. Konstruktiv wurde die Treuhandbindung in einer Weise realisiert, die auch bei „harten" Kreditsicherheiten bewährter Übung entspricht29: Auch ohne ausdrückliche Vereinbarung entsteht ein Rückgewähran-

26 Eine schulmäßige Auslegung der (im Wortlaut tatsächlich relativ unergiebigen) Vereinbarung auf der Basis der wohlverstandenen Parteiinteressen lassen beide Entscheidungen des O L G Hamburg in dieser Sache (oben Fn. 17) vermissen - offenbar weil man sich vom Modell „harter" Kreditsicherungen nicht lösen konnte. O L G Hamburg KTS1987, 727 (729 f.) begreift den Sicherungszweck der Gewährung vorübergehender Bilanzhilfe als bloßes „Motiv" der Sicherungsvereinbarung, da dieser Zweck „ausdrücklich in der schriftlichen Vereinbarung (hätte) festgelegt werden müssen" — eine bisher unbekannte Einschränkung zulässiger Vertragsauslegung!

Vgl. die Sachverhaltsangaben oben bei Fn. 17 ff. Der mitgeteilte Sachverhalt bietet keinen Anlaß für die Annahme des Gegenteils. « Vgl. B G H NJW1977, 247. 27

28

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spruch des Sicherungsgebers bereits mit Abschluß des Sicherungsvertrages, ist jedoch durch den Wegfall des Sicherungszwecks - regelmäßig: Tilgung der gesicherten Forderung, hier: Tilgung der Forderung oder Wiedervornahme der Wertberichtigung30 — aufschiebend bedingt. b) Wirksamkeitshindernisse

aus Gründen des Gläubigerschutzes

Die Gläubiger des Sicherungsnehmers sind, um es zu wiederholen, weder Partner noch Drittbegünstigte der Sicherheitenleihe und von dieser nur reflexhaft betroffen. Wenn somit ihre Interessen auch nicht in die Auslegung der Sicherungsabrede einfließen31, so bedeutet dies doch keineswegs, daß der Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes bei der vertragsrechtlichen Beurteilung der Sicherheitenleihe nichts zu suchen hätte. Die Gestaltungsfreiheit der Parteien hat ihre Grenzen, wo sie gegen gläubigerschützende Normen verstößt (§ 134 BGB) oder die Interessen der Gläubiger in sittenwidriger Weise mißachtet. aa) Als Verbotsgesetze, die durch den Sicherheitenleihvertrag verletzt sein könnten, kommen in erster Linie die - großteils straf- und bußgeldbewehrten (vgl. §§ 331 ff. H G B ) - handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften in Betracht (§§ 238 ff. HGB) 32 . Verstöße, die die Unwirksamkeit des Vertrages nach sich ziehen, werden aber nur selten begründet sein. Zunächst: Es ist ohne weiteres möglich, eine Sicherheitenleihe in vollem Einklang mit den Rechnungslegungsvorschriften zu verbuchen33. Und selbst wenn der Sicherungsnehmer tatsächlich vorschriftswidrig gebucht hat, besagt dies noch lange nicht, daß bereits der Sicherungsvertrag selbst auf einen Gesetzesverstoß gezielt hat. Schließlich: Nach wohl immer noch überwiegender Rechtsprechung34 muß das Verbotsgesetz sich gegen beide Vertragsparteien richten; bei der Sicherheitenleihe wird aber typischerweise nur der Sicherungsnehmer bilanzrechtswidrig handeln können. bb) Aussichtsreichere Perspektiven für den Gläubigerschutz scheint §138 BGB zu eröffnen. Die „illegitime Beeinträchtigung der Interessen 30 Ungeklärt blieb im Ausgangsfall, ob bereits jede von der Bank vorgenommene Wertberichtigung oder nur eine solche zulasten später erwirtschafteter Jahresüberschüsse den Sicherungszweck erledigen sollte. Diese Auslegungsfrage ist jedoch nur für die Frage der Sittenwidrigkeit des Vertrages (dazu sogleich) sowie der konkursrechtlichen Anfechtbarkeit einer „vorzeitigen" Rückgewähr von Belang; vgl. dazu noch unten, sub 4 b. 31 So aber dezidiert O L G Hamburg, ZIP 1989, 777 (779), wo zwischen Auslegungsund Wirksamkeitsproblem in keiner Weise differenziert wird. 32 Im Privatbank-Fall galten ergänzend die besonderen Rechnungslegungsvorschriften des KWG für Kreditinstitute. 33 Einzelheiten sogleich unter 3. 34 Vgl. B G H Z 7 8 , 263 (265); kritisch gegenüber dieser Rechtsprechung mit guten Gründen Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft (1983) S.22ff. sowie MünchKomm-Mayer-Maly, § 134 Rdn. 45.

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Johannes Köndgen

Dritter" ist in der Tat eine seit langem etablierte Fallgruppe sittenwidriger Rechtsgeschäfte35. Nachteil droht den Gläubigern dadurch, daß die vorübergehende Natur des dem Sicherungsnehmer/Schuldner im Wege der Sicherheitenleihe zugeführten Vermögensvorteils den Gläubigern selbst bei absolut korrekter Bilanzierung regelmäßig nicht erkenntlich wird; dies wiederum kann dazu führen, daß Gläubiger im Vertrauen auf den Fortbestand des bilanziell ausgewiesenen Vermögens dem Schuldner weiteren Kredit gewähren oder doch bisherigen Kredit belassen. Gleichviel, ob man einen solchen „Vertrag mit Lastwirkung gegenüber Dritten"36 an den immanenten Grenzen der Privatautonomie mißt37 oder ihn einer „externen" Sittenwidrigkeitskontrolle unterwirft: Die entscheidende Frage bleibt, ob der Vertrauensschutz zugunsten der Gläubiger von Rechts wegen so hoch rangiert, daß die privatautonome Verfolgung der Eigeninteressen der Kontrahenten zurücktreten muß38. Eine solche Präponderanz der Gläubigerinteressen ist für den Fall der Sicherheitenleihe grundsätzlich nicht anzuerkennen. Vertrauensschutz wird den Gläubigern nur im (relativ engen) Rahmen der Bilanzvorschriften gewährt. Im übrigen gibt es keinen Schutz des Vertrauens auf Kontinuität der Bilanzansätze im allgemeinen und der Ausstattung des Schuldners mit Kreditsicherheiten im besonderen. Das - über jeden juristischen Wirksamkeitszweifel erhabene - Beispiel der befristeten Kontokorrentbürgschaft zeigt, daß ein Abschreibungsbedarf für unsichere Forderungen von heute auf morgen eintreten kann. Die Schwelle zur Sittenwidrigkeit wird nach alledem mit einem Sicherheitenleihvertrag nur überschritten, wenn das Appeasement der Gläubiger vor dem Hintergrund einer ungesicherten wirtschaftlichen Prognose der oder doch ein Zweck des Sicherungsvertrages ist. Da die h. M. nach wie vor Kenntnis (bzw. fahrlässige Unkenntnis) der Parteien von den sittenwidrigkeitsbegründenden Umständen verlangt39, setzt dies voraus, daß die Parteien bei Vertragsabschluß mit einer Insolvenz des Sicherungsnehmers gerechnet haben (bzw. rechnen mußten) und die Sicherheitenleihe hauptsächlich als ein Manöver zur Konkursverschleppung angelegt haben. Hiernach wäre im BuM-Fall der Vertrag nur dann sittenwidrig gewesen, wenn die Parteien mit einer Realisierung der Buchgewinne nicht

Statt vieler MünchKomm-Mayer-Maly, §138 BGB Rdn.29. Formulierung von K.-P. Martens, Rechtsgeschäft und Drittinteressen, AcP 177 (1977), 113 ff. (136, 164 ff.). 37 So Martens, aaO S. 174 f. 38 So - allerdings mit Blick auf gänzlich andere Fallgruppen - die Fragestellung bei Martens, aaO. 39 Vgl. wiederum nur MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 BGB Rdn. 111 ff. 35

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Die Sicherheitenleihe

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ernstlich gerechnet hätten. Dann stellte sich allerdings auch die Frage, ob unter diesen Auspizien die Sicherheitenleihe nicht schon als Scheingeschäft wirkungslos ist. Im Privatbank-Fall ist die Vereinbarkeit des Sicherungsarrangements mit den guten Sitten erheblich prekärer. Wenn die Parteien den Zweck der Sicherheitenleihe für erledigt hielten, sobald die Privatbank imstande war, die - vermöge der Sicherheitenleihe aufgelösten Wertberichtigungen zulasten künftig erwirtschafteter Gewinne, also „aus eigener Kraft" neu zu bilden, dann war zwar auch damit nur eine auf Kontinuität des Vermögensstatus zielende Uberbrükkungsmaßnahme beabsichtigt. Der entscheidende Unterschied zu BuM liegt jedoch darin, daß die Bilanzhilfe hier eine bilanzielle Vorwegnahme erst noch zu verdienender Erträge bezweckte. Dagegen ließe sich einwenden, ein ordentlicher Kaufmann dürfe mit solchen künftig zu erwirtschaftenden Gewinnen selbst unter günstigen wirtschaftlichen Vorzeichen nicht rechnen. Daraus droht den Gläubigern freilich keine Gefahr. Der Sicherungsgeber muß bei dieser Vertragsgestaltung seine Sicherheit stehen lassen, bis der Sicherungsnehmer wieder Gewinne in der zur (Neu-)Vornahme der Wertberichtigungen erforderlichen Höhe einfährt. Der Sicherungsgeber zieht hier sozusagen ein Los auf die Ertragsentwicklung des Sicherungsnehmers. Erholt sich letzterer überhaupt nicht mehr, so muß der Sicherungsgeber am Ende sogar den Weg in die Insolvenz mitgehen. Ganz eindeutig fällt hingegen das Sittenwidrigkeitsverdikt aus, wenn dem Sicherungsnehmer eine Rückgabe der Sicherheit erlaubt sein soll, wann immer er dies betriebswirtschaftlich für zweckmäßig hält40. In dieser Lesart würde der durch die Bilanzhilfe zugeführte Vermögenswert nach Abzug der Sicherheit durch keinerlei Vermögenszufluß mehr substituiert; äußerstenfalls hätte es im Privatbank-Fall der Sicherungsnehmer sogar in der Hand gehabt, nach Scheitern der zu bankaufsichtsrechtlichen Zwecken geleisteten Bilanzhilfe sich in sein Los zu schicken und mit der Neuvornahme der Wertberichtigungen seine ganze Misere offenzulegen - mit der Perspektive einer baldigen Insolvenz. Mit einer solchen Scheinsanierung zulasten der Gläubiger wären die Grenzen zulässiger privatautonomer Betätigung zulasten Dritter definitiv überschritten. 3. Sicherheitenleihe

und Bilanzrecht

Wenn die Gläubiger des Sicherungsnehmers vom Vertragsrecht nur wenig Hilfe zu erwarten haben, das Konkursrecht andererseits erst zum 40 Nach dem veröffentlichten Sachverhalt beider Urteile (Fn. 30) ist diese Lesart der Verträge keineswegs ausgeschlossen.

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Zuge kommt, wenn das Schlimmste bereits passiert ist, dann fällt für die Effektuierung des Gläubigerschutzes dem Bilanzrecht eine führende Rolle zu. Daß die Handelsbilanz dem „Gläubigerinteresse auf Einblick in die Vermögens- und Verschuldungslage" zu dienen hat41, versteht sich auch ohne Rekurs auf den wirtschaftswissenschaftlichen Streit um die sog. Bilanztheorien42 so gut wie von selbst und ist jüngst durch das BiRiLiG in § 264 Abs. 2 H G B jedenfalls für Kapitalgesellschaften wieder festgeschrieben worden. Allerdings ist die bilanzielle Behandlung der Sicherheitenleihe wissenschaftlich kaum besser aufbereitet als deren zivil- oder konkursrechtliche Relevanz. Das beginnt schon bei der Ausgangsfrage: Wie sind gesicherte Forderungen in der Bilanz zu bewerten? a) Die Bewertung gesicherter

Forderungen

In der bilanzrechtlichen Standardliteratur beschränken sich Äußerungen zu diesem Fragenkreis zumeist auf wenige generelle Ausführungen wie: Forderungen seien grundsätzlich mit dem Nennwert zu aktivieren, und: Bei zweifelhaftem Forderungseingang sei eine Einzelwertberichtigung vorzunehmen43. Daher ist hier eine kurze Grundlegung angezeigt. Ausgangspunkt ist, daß Forderungen und die für letztere erhaltenen Sicherheiten aus Gründen der Bilanzwahrheit notwendigerweise eine Bewertungseinheit bilden. Das Verbot einer gesonderten (und damit doppelten) Aktivierung ist bei akzessorischen Sicherheiten geradezu selbstverständlich, hat aber seinen Sinn auch bei nichtakzessorischen Sicherheiten, da auch bei letzteren über die Sicherungsabrede eine schuldrechtliche Quasi-Akzessorietät hergestellt wird. Der Grundsatz der Bewertungseinheit läßt im übrigen die Methoden der Forderungsbewertung unberührt. Das heißt: In einem ersten Schritt ist der Wert der besicherten Forderung nach allgemeinen Grundsätzen unter Beachtung des Ausfallrisikos zu veranschlagen. Ergibt sich danach ein Abschreibungs- oder Wertberichtigungsbedarf, so ist in gleicher

41 Federmann, Bilanzierung nach Handelsrecht und Steuerrecht, 7. Aufl. 1987, S. 96. Zur „Schutz- und Informationsfunktion" des Jahresabschlusses auch Wöbe, Bilanzierung und Bilanzpolitik, 7. Aufl. 1988, S.42ff. 42 Zusammenfassung und praktisch-juristische Relevanz des Theorienstreits bei Federmann, aaO S. 93 ff.; Großfeld, Bilanzrecht (1978), §4. 43 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl. 1987, §253 Rdn. 490; Bölsenkötter, Die kurzfristigen Forderungen, in: Wysocki/ Schulze-Osterloh, Handbuch des Jahresabschlusses in Einzeldarstellungen, II/6 Rdn. 142; Kupsch, Das Finanzanlagevermögen ebend. II/3 Rdn. 174; Ettwein, in: Castan u.a., Beck'sches Handbuch der Rechnungslegung (1987) Β 215 Rdn. 17; Forster, in: WPHandbuch 1985/86, Bd.I, S.605f.

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Die Sicherheitenleihe

Weise eine - zunächst isolierte - Bewertung der Sicherheit vorzunehmen44. Erst in einem letzten Schritt wird dem Gesichtspunkt der Bewertungseinheit Rechnung getragen und der aus der isolierten Bewertung von Forderung und Sicherheit resultierende jeweils höhere Wert in der Bilanz angesetzt. Daraus folgt: Nur in dem Ausmaß, in dem der so ermittelte Wert der Sicherheit jenen der besicherten Forderung übersteigt, kann die Sicherheitenstellung eine Wertberichtigung von Forderungen verhindern oder reduzieren bzw. - bei nachträglicher Besicherung - eine Auflösung der Wertberichtigung ermöglichen. b) Die bilanzrechtliche

Behandlung der

Sicherheitenleihe

Schon unsere Überlegungen zur Sittenwidrigkeitsproblematik haben gezeigt, daß man bei der Bilanzhilfe zweckmäßigerweise zwei verschieden gelagerte Konstellationen unterscheidet: Die Bilanzhilfe mit begrenztem Risiko (des Sicherungsgebers) erledigt sich bereits durch eine kurzfristig und mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Verbesserung der Vermögenslage - etwa durch Kapitalherabsetzung und anschließende -erhöhung oder die Realisierung von stillen Reserven (BuM-Fall). Bei der Bilanzhilfe mit erweitertem Risiko ist die Rückgewähr der Sicherheit davon abhängig, daß der „Bilanzgewinn vor Wertberichtigung" zu einem späteren Bilanzstichtag die Wertberichtigung aus tatsächlich verdienten (ordentlichen oder außerordentlichen) Erträgen erlaubt. aa) Im BuM-Fall wurde die Werthaltigkeitsgarantie für die uneinbringlichen Forderungen unter den „sonstigen Vermögensgegenständen" aktiviert, die Wertberichtigungen blieben stehen45. Das scheint zwar unter dem Prinzip der Bewertungseinheit angreifbar, hatte hier jedoch den Vorzug größerer Bilanzklarheit für sich, weil es angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, daß die Forderungen bald endgültig abgeschrieben werden mußten, untunlich gewesen wäre, die Wertberichtigungen kurzerhand wegzufertigen. Die gesonderte Aktivierung der Garantie war andererseits aus dem Grunde empfehlenswert, weil sie in 44 Hierbei sind etwa die Kosten und Risiken der Verwertung des Pfandobjekts in Ansatz zu bringen. 45 Vgl. die Bilanz der Beton- und Monierbau AG zum 31.12.1977, abgedr. in Handelsblatt N r . 2 0 8 vom 7.11.1978, S.24f. In den Bilanzerläuterungen zum Titel „sonstige Vermögensgegenstände" war zusätzlich vermerkt: „Ferner sind hierunter Ansprüche der Gesellschaft aus einer Werthaltigkeitsgarantie Dritter in Höhe von . . . Mio. DM für in derselben Höhe abgewertete Forderungen enthalten. Durch noch zu realisierende Gewinne aus Grundstücksverkäufen und hilfsweise aus künftigen Jahresüberschüssen sollen die abgewerteten Forderungen ausgeglichen und entsprechend die Werthaltigkeitsgarantie abgebaut werden".

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ihrem Bestand nicht nur - wie eine „harte" Kreditsicherheit - von der Erfüllung der gesicherten Forderung abhängig war, sondern sich auch bei Realisierung der stillen Reserven reduzieren sollte. Auch daß diese Rechtsfolge in Form einer auflösenden Bedingung der Verpflichtung aus der Garantie geregelt war, stand deren voller Aktivierung nicht im Wege. Zwar war die Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts ziemlich hoch zu veranschlagen, und dies hätte nach allgemeinen Grundsätzen über die Aktivierung auflösend bedingter Forderungen zu einer erheblichen Abwertung führen müssen46. Nach der spezifischen Konstruktion der Sicherheitenleihe durfte hiervon jedoch abgewichen werden, weil die Resolutivbedingung unlösbar mit der Realisierung der sillen Reserven, sonach mit der Erledigung des Sicherungszwecks und letzten Endes mit einem (buchmäßigen) Vermögenszuwachs verknüpft war. Weil die Werthaltigkeitsgarantie die Realisierung der stillen Reserven im (bilanziellen) Ergebnis scheinbar vorwegnahm, ist allerdings von v.Stebut ein Verstoß gegen das Realisationsprinzip moniert worden 47 . Als Konkretisierung des allgemeinen Vorsichtsprinzips48 will der Realisationsgrundsatz (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbs. H G B ) verhindern, daß in der Bilanz Gewinne ausgewiesen werden, die noch nicht durch entsprechende Geldzuflüsse in Erscheinung getreten sind; auch die Wahrscheinlichkeit einer profitablen Veräußerung reicht hierzu nicht aus49. Bereits diese Definition weist aus, daß von einem Verstoß gegen das Realisationsprinzip im BuM-Fall nicht die Rede sein kann. Offenkundig war die Werthaltigkeitsgarantie gerade keine Vorwegnahme der erwarteten Buchgewinne aus der Veräußerung von Immobilien. Ließen sich nämlich die erhofften Buchgewinne (wider Erwarten) nicht realisieren, so blieb nach dem insoweit eindeutigen Vertragstext die Garantie aufrechterhalten. Anders gesagt: Das Risiko der Realisierung des Buchgewinns trug der Sicherungsgeber. Damit war bereits am Bilanzstichtag eine gesicherte Rechtsposition vorhanden und eine definitive Verbesserung der Vermögenslage eingetreten50.

Vgl. etwa Bolsenkötter (oben Fn. 43), Rdn. 37. ν, Stebut in seiner Anmerkung zur erstinstanzlichen Entscheidung des L G Düsseldorf, EWiR §124 K O 1/86, 185 f. 48 Vgl. Budde/Ihle, in: Beck'scher Bilanzkommentar (1986), §252 Rdn. 26; Sahner/ Schultzke, in: Küting/Weber (Hrsg.), Handbuch der Rechnungslegung (1986), §252 Rdn. 18. 49 Budde/Ihle aaO; grundsätzlich Leffson, Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, 6. Aufl. 1982, S. 225 ff. 50 Berechtigt hingegen der gleichfalls von v. Stebut (Fn. 47) erhobene Vorwurf, es sei gegen das Stichtagsprinzip (§252 Abs. 1 N r . 4 1.Halbs, und §242 Abs. 1, 2 H G B ) verstoßen worden, da die Sicherheitenstellung erst zwischen Bilanzstichtag und -aufstellung erfolgte. Nach dem Stichtag dürfen nämlich nur noch sog. wertaufhellende, nicht dagegen 46

47

Die Sicherheitenleihe

399

bb) Bei der Bilanzhilfe mit erweitertem Risiko (Rückführung der Sicherheit aus künftig verdienten Gewinnen) können sich zusätzliche Probleme stellen, wenn die Rückgabe der Sicherheit nicht über eine auflösende Bedingung, sondern einen schuldrechtlichen Rückübertragungsanspruch realisiert wird. Werden hier - wie im Privatbankfall geschehen - die gesicherten Forderungen unter Auflösung der Wertberichtigungen wieder als vollwertig behandelt, so ist - auch vor dem Hintergrund des Saldierungsverbots gem. §246 Abs. 2 H G B - eine Berücksichtigung der Rückgewährpflicht auf der Passivseite angebracht - hier freilich in Form einer Rückstellung (vgl. §249 Abs. 1 S. 1 H G B ) , da der Rückgewähranspruch durch die Erledigung des Sicherungszwecks aufschiebend bedingt sowie als am Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht anzusehen ist51. Ändert sich daran etwas, wenn nach der Sicherungsabrede die Rückgewähr davon abhängig ist, daß die Neuvornahme der Wertberichtigungen zulasten (künftiger) Jahresüberschüsse erfolgen kann? Die Passivierung von Verpflichtungen, die vertragsgemäß nur aus zukünftigen Gewinnen zu tilgen sind - exemplarisch der Forderungsverzicht gegen Gewährung von Besserungsscheinen - ist zumindest umstritten 52 . Doch bedarf diese Streitfrage hier keiner abschließenden Beantwortung. Selbst wenn man nämlich der in jüngerer Zeit vor allem von Jacob53 vertretenen Gegenansicht folgt, wonach die Passivierung gewinnabhängiger Verpflichtungen sich nach dem Grade der Wahrscheinlichkeit der Gewinnerzielung richtet, ändert dies in unserem Zusammenhang wenig. Die Aussichten des Sicherungsnehmers, die vorübergehenden Turbulenzen durchzustehen und wieder die Gewinnzone zu erreichen sind - um das mindeste zu sagen - recht ungewiß. Daher darf allenfalls in seltenen Ausnahmefällen von einer Wahrscheinlichkeit künftiger Gewinnerzielung ausgegangen werden.

mehr wertbestimmende Tatsachen (= nach dem Bilanzstichtag eintretende Ereignisse, die die am Stichtag bestehende objektive Situation verändern) Berücksichtigung finden. Vgl. zu dieser Unterscheidung Budde/Ihle (Fn. 48), § 252 Rdn. 22; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 6. Aufl. 1987, § 3 I V I ; auch B F H , Urt. v. 4.4.1973 I R 130/71, B F H E 1 0 9 , 55 = BStBl. 1973 II 485. 51 Zu dieser Voraussetzung vgl. Clemm/Nonnenmacher, in: Beck'scher Bilanzkommentar (oben Fn. 48), §249 Rdn. 43 ff. 52 Gegen Passivierungspflicht B F H (GrS) B F H E 132, 244, s u b C I 5 der Gründe; Clemm/Nonnenmacher, in: Beck'scher Bilanzkommentar (Fn. 48), §249 Rdn. 100, Stichwort „Zuwendungen"; Forster, in: WP-Handbuch 1985/86, Bd. II, S. 171, 183 f.; Hüttemann, Die Verbindlichkeiten, in: Wysocki/Schulze-Osterloh (oben Fn. 43), III/8 Rdn. 53 ff. Für Passivierung Jacob, BB 1986, 972 ff. 53 AaO.

400

Johannes Köndgen

4. Die Sicherheitenleihe in der Insolvenz des Sicherungsnehmers Auch die Sicherheitenleihe ist regelmäßig ein Sanierungsversuch allerdings ein recht kurzfristiger, und obendrein mit möglichst begrenztem Risiko für den Sicherungsgeber. Kommt es am Ende doch zur Insolvenz und hat der Sicherungsgeber sein Schäfchen noch rechtzeitig ins Trockene gebracht, so werden, wie die bisherigen Rechtsprechungsbeispiele lehren, Versuche von Gläubigern bzw. Konkursverwaltern nicht ausbleiben, auch auf lediglich „geliehene" Sicherheiten noch zuzugreifen. Im wesentlichen zwei Wege54 stehen hier zur Verfügung. a) Haftung des Sicherungsgebers nach §826 BGB Unter welchen Umständen eine Sicherheitenleihe gegen die guten Sitten verstoßen kann, ist bereits konkretisiert worden. Mit der von §138 BGB angeordneten Rechtsfolge ist allerdings den Gläubigern zunächst wenig gedient, da gerade bei „unsauberen" Geschäften das überlassene Sicherheitsobjekt rechtzeitig vor Konkursreife des Sicherungsnehmers zurückverlangt werden wird. Erleiden die Gläubiger jedoch infolge des konkursverschleppenden Manövers einen Schaden in Gestalt einer niedrigeren Quote, so ebnet die Sittenwidrigkeit des Arrangements den Weg zur Deliktshaftung nach §826 BGB. Subjektiv wie objektiv dürfte hier weitgehende Tatbestandskongruenz zwischen § 138 und § 826 BGB herrschen. Das heißt: Wo im Vertrag Vorsorge getroffen ist, daß die „geliehene" Sicherheit so lange stehen bleibt, bis sie durch einen künftigen Vermögenszufluß substituiert wird und dazuhin die Durchführung der Bilanzhilfe korrekt verbucht wurde, ist den Parteien auch deliktsrechtlich nichts anzulasten. Wo hingegen eine Konkursverschleppung (mit dem Resultat einer Schmälerung der Masse) auch nur für möglich gehalten wurde, nutzt es den Parteien - angesichts der bekanntlich stärk reduzierten Anforderungen an den subjektiven Tatbestand bei § 826 BGB 55 - letztlich nichts, wenn sie auf einen Sanierungserfolg gehofft haben. Freilich dürfen Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber hier nicht ohne weiteres tatbestandlich über denselben Kamm geschoren und als Mittäter zur Verantwortung gezogen werden. Die

54 Vernachlässigt werden hier Deliktsansprüche aus §823 Abs. 2 B G B wegen der Verletzung der handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften. Zwar können letztere, jedenfalls soweit sie straf- und bußgeldbewehrt sind, Schutzgesetzcharakter haben; die Ansprüche richten sich jedoch nicht an die eigentlich interessante Adresse, den Sicherungsgeber, da letzterer aus Tatbestandsgründen nur ausnahmsweise Anstifter oder Gehilfe des bilanzierungspflichtigen Sicherungsnehmers sein wird. 55 Statt vieler MünchKomm-Aiertenj, §826 Rdn.42ff., 61 ff.; Soergel/Hönn, §826 Rdn. 54 f., 63 ff.

401

Die Sicherheitenleihe

Haftung des Sicherungsgebers wird weitgehend auf den gleichen Wertungen beruhen, die auch die Haftung der Kreditbank wegen Konkursverschleppung durch Vergabe von Sanierungskrediten tragen; sie wird den Sicherungsgeber also regelmäßig nur dann treffen, wenn ihm eigensüchtiges Handeln vorzuwerfen ist56. Der Schadensersatzanspruch zielt auf die - zumeist schwer nachzuweisende 57 - Quotendifferenz und ist über die Konkursmasse abzuwickeln 58 . b) Konkursrechtliche Unwirksamkeit

der

Haftungsentlassung

War die Sicherungsvereinbarung sittenkonform und wirksam und hat der Sicherungsgeber vereinbarungsgemäß die „verliehene" Sicherheit wieder zurückerhalten, so kann ihm immerhin noch das Konkursrecht verbieten, sich solchermaßen der par conditio creditorum zu entziehen. aa) Da Sicherheitenleihe und Bilanzhilfe, allgemein gesprochen, häufig in einem gesellschaftsrechtlichen Kontext stattfinden 59 , sie zum anderen infolge ihrer Uberbrückungsfunktion als Kreditgewährung im weiteren Sinne zu begreifen sind, ist hier in erster Linie an die Grundsätze über die konkursrechtliche Behandlung kapitalersetzender Darlehen (§32 a GmbHG; §§ 129 a, 172 a H G B f zu denken. Hauptfrage ist, ob die in der Sicherheitenleihe liegende Kreditgewährung nach dem Auffangtatbestand des §32 a Abs. 3 G m b H G der Gewährung eines Darlehens gleichzuschätzen ist. Gemeinsam ist beiden Formen des Kredits ihre Finanzierungsfunktion für einen limitierten Zeitraum. Es unterscheidet sie dagegen, daß bei der Sicherheitenleihe dem Sicherungsnehmer kein Fremdkapital zugeführt wird - was nach manchen Autoren der gemeinsame Nenner für kapitalersetzende Gesellschafterleistungen ist61. Als maßgeblich zu erachten für den kapitalersetzenden Charakter ist richtigerweise die Finanzierungsfunk-

56

Zu Einzelheiten kann hier auf andere Arbeiten verwiesen werden; vgl. ausführlich zuletzt Canaris, Bankvertragsrecht, Bd. I, 3.Bearb. 1988, Rdn. 131 (mit Nachw.); Soergel/Hönn, §826 Rdn. 149 ff. 57 Vgl. zuletzt Karsten Schmidt, ZIP 1988, 1497 ff. (1502). 58 Heute ganz h. M., vgl. BGH ZIP 1986, 456 = WM 1986, 237. 59 Zur Erinnerung: Im BuM-Fall war die Sicherungsgeberin mit 4,16 % Aktionärin von BuM, im Privatbank-Fall waren die beiden einzigen Gesellschafterinnen der sicherungsgebenden GmbH die Ehefrauen der Komplementäre der Bank. In beiden Fällen sind allerdings die Grundsätze über kapitalersetzende Darlehen nicht zum Zuge gekommen bei BuM mangels unternehmerischer Beteiligung der Bank, im Privatbank-Fall, weil die Komplementäre der KG natürliche Personen waren (vgl. § 172 a HGB). 60 Zur sinngemäßen Anwendung der Grundsätze auf die Aktiengesellschaft BGHZ90, 381 (389 ff.). 61 Vgl. etwa Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl. 1988, §32 a Rdn. 28.

402

Johannes Köndgen

tion62. Das folgt zwanglos aus § 32 a Abs. 2 GmbHG und § 32 a K O , die jeweils die „mittelbare" Kreditgewährung, insbesondere durch Stellung von Sicherheiten seitens der Gesellschafter, der Darlehensgewährung gleichstellen63. Auch bei solchen indirekten Formen der Gesellschafterfinanzierung bleibt eigentlicher Adressat der Regelung der Gesellschafter und sind „dritte" Kreditgeber nur aus praktischer Notwendigkeit einbezogen. Jedenfalls im BuM-Fall, wo die Sicherheitenleihe den Emissionskredit von BuM fördern sollte, kann sonach die Finanzierungsfunktion der Bilanzhilfe nicht in Abrede gestellt werden und könnte lediglich durch die Kurzfristigkeit der Kreditgewähr (bei lediglich vorübergehendem Finanzbedarf) ausgeschlossen sein64; auch der Charakter der Bilanzhilfe als „echte" Vermögensleistung kann, wenn man denn nicht den Einwand des Scheingeschäfts provozieren will, schlechterdings nicht fraglich sein65. Ebenso sicher hat im Privatbankfall die Bilanzhilfe Finanzierungszwecken gedient, da die Leihe der Grundschulden dort bankaufsichtsrechtlich notwendiges (§10 KWG) Eigenkapital vertrat. Ernstlich zu bezweifeln wäre dort allenfalls, ob die strengeren Kapitalausstattungsvorschriften des K W G den konkursrechtlichen Kapitalersatzcharakter präjudizieren können. Die Rechtsfolgen der Gewähr kapitalersetzender Darlehen bedürfen allerdings - da der Gesetzgeber nur die Konstellation der Sicherung konkreter Darlehensgläubiger in Betracht gezogen hat (§§32 a Abs. 2 GmbHG, 32 a KO) 66 - für die Sicherheitenleihe geringfügiger Anpassung. Für die Bilanzhilfe durch Gewährung dinglicher Sicherungsrechte wäre die Rechtsfolge des § 32 a Abs. 1 S. 1 GmbHG - gesetzlicher Rangrücktritt der Gesellschafterforderung - nicht sachgerecht. Statt dessen empfiehlt es sich, die Rückgewähr der Sicherheit der Anfechtung gem. § 32 a K O (analog) zu unterwerfen bzw. den Rückgewähranspruch an der Einrede der Anfechtbarkeit scheitern zu lassen. Ist Bilanzhilfe durch Erteilung einer Garantie gewährt worden, so kann die anfechtbare Handlung in der Maßnahme liegen, die - materiellrechtlich - die Bedingung für das Erlöschen der Garantie bildete. Ist diese Maßnahme keine

62 So bei verdeckter Kreditsicherung bereits Scholz / K. Schmidt, GmbHG, 7. Aufl. 1986, § 32 a Rdn. 88; vgl. auch Fischer/Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 12. Aufl. 1987, § 32 a Rdn. 22 ff. 63 Einzelfälle bei Fischer/Lutter/Hommelhoff, §32 a Rdn. 56 ff.; BaumbachfHueck, Rdn. 65; Scholz / K. Schmidt, Rdn. 98 ff. Vgl. zur Kapitalersatzfunktion der - der Sicherheitenleihe benachbarten - „harten" Patronatserklärung Obermüller, Patronatserklärungen und kapitalersetzende Darlehen, ZIP 1982, 915 (919 f.). M Zu diesem Ausnahmetatbestand nur Baumhoch/Hueck, §32 a Rdn. 29 (m.w. N.). 65 So jedoch Fleck, EWiR §57 AktG 1/87, S.326. 66 Diese Besonderheit verkennt m. E. Obermüller (Fn. 63), der §32 a Abs. 2 GmbHG bedenkenlos auch auf harte Patronatserklärungen anwenden will.

Die Sicherheitenleihe

403

„Rechtshandlung" - so etwa, wenn sich die Bilanzhilfe durch auflösende Bedingung sozusagen automatisch erledigt - , dann bleibt nur die Lösung, die Garantie unmittelbar für die Masse zu reklamieren. bb) Sind die Voraussetzungen einer kapitalersetzenden Gesellschafterleistung tatbestandlich nicht gegeben67, so kann der Rückerstattung der Sicherheit im Zeichen der Krise allein dann gewehrt werden, wenn auf die Haftungsentlassung zu diesem Zeitpunkt (noch) kein Anspruch des Sicherungsgebers bestand. Ist letzterer nur aus Kulanz freigestellt worden, greift die Schenkungsanfechtung gem. § 32 Nr. 1 KO 6 8 .

Vgl. oben Fn. 59. So - allerdings auf der Basis fehlsamer Vertragsauslegung - die beiden Entscheidungen des OLG Hamburg im Privatbankfall (oben Fn. 17). Entsprach die Rückgabe der Grundschulden dagegen dem Vereinbarten, kam wegen der „Quasi-Angehörigeneigenschaft" der GmbH (vgl. dazu OLG Hamm ZIP 1986, 1478) die Absichtsanfechtung gem. § 31 Nr. 2 KO in Frage. Deren Voraussetzungen waren jedoch deshalb nicht erfüllt, weil es an einer Benachteiligung der Konkursgläubiger fehlte: die von der Bank freigegebenen Grundschulden hätten nämlich nach den Bedingungen des Sicherungsvertrages zur Befriedigung der Konkursgläubiger überhaupt nicht zur Verfügung gestanden. k7

68

Kollisionsrechtliche Betrachtungen zum Rembours beim Dokumentenakkreditiv WERNER LORENZ

I. Einführung und Ausgangsfall 1. In seinem Beitrag zur Festschrift für von Caemmerer hat Ernst Steindorff zu grundsätzlichen Fragen der Anknüpfung von Verpflichtungen aus Akkreditiven Stellung genommen1. Im Mittelpunkt stand die typische Konstellation einer „Vierecksbeziehung", bei der eine das Akkreditiv im Käuferland eröffnende Bank eine Korrespondenzbank im Lande des Verkäufers einschaltet, die das Akkreditiv nicht nur avisiert, sondern die entweder als Zahlstelle eingesetzt ist oder das Akkreditiv bestätigt. Die in jenem Beitrag vorgeschlagene Kollisionsnorm, die in solchen Fällen in Ermangelung einer Rechtswahl auch für die Verpflichtung der eröffnenden Bank das Recht am Geschäftssitz der Zahlstelle oder der bestätigenden Bank für anwendbar erklärt, konnte bereits damals auf internationale Zustimmung rechnen, wie das etwa zur gleichen Zeit bekannt gewordene Grundsatzurteil des englischen High Court of Justice im Falle Offshore International SA v. Banco Central SA gezeigt hat2. Die ratio decidendi dieser Entscheidung ist seitdem in einer Reihe wichtiger Urteile im anglo-amerikanischen Rechtskreis herangezogen und verfestigt worden. Herausragend ist ein Urteil des englischen Court of Appeal, ergangen unter dem Vorsitz seines langjährigen, um die Rechtsfortbildung besonders verdienten Master of the Rolls, Lord Den1 E. Steindorff, Das Akkreditiv im internationalen Privatrecht der Schuldverträge, Festschr. f. von Caemmerer (1978) 761-781. 2 [1976] 3 All E R 749 = [1977] 1 W . L . R . 399 ( Q . B . D . ) . Das Urteil, das sich auf kein einschlägiges Präjudiz stützen konnte, betraf die Eröffnung eines Akkreditivs durch eine spanische Bank. "Correspondent bank" war die Chase Manhattan in New York, die als "agent" für die spanische Bank gegen Vorlage der erforderlichen Dokumente Zahlung leisten sollte. Der Richter Ackner unterschied zwischen "source of the obligation", für die das spanische Recht maßgebend sei, während "all matters of performance" dem Recht von New York unterstünden, getreu der von Westlake inaugurierten Formel von der "closest and most real connection".

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ning: Zugunsten eines amerikanischen Maschinenexporteurs hatte dessen Vertragshändler in Kuwait der National Bank of Kuwait einen Akkreditivauftrag erteilt, worauf die Bank ein unwiderrufliches Akkreditiv eröffnete, das dem Begünstigten von der Bank of America in Miami avisiert wurde und das gegen Einreichung der Dokumente bei der North Carolina National Bank in Charlotte zahlbar gestellt war. In der Hauptsache ging es um die extraterritoriale Wirkung eines von dem Vertragshändler offenbar wegen rückständiger Provisionen gegen die Bank in Kuwait vor einem dortigen Gericht erwirkten einstweiligen Zahlungsverbots ("provisional attachment"). Dieses blieb ohne Wirkung auf die Verpflichtung aus dem Akkreditiv. Die Begründung begnügt sich nicht mit der Feststellung, als "proper law" der Verpflichtung der eröffnenden Bank sei das Recht am Ort der Zahlstelle zu erachten, weil zu diesem Recht die engste Verbindung bestehe. Es komme hinzu, daß dort auch die Forderung belegen sei: "A debt under a letter of credit is different from ordinary debts. They may be situate where the debtor is resident. But a debt under a letter of credit is situate in the place where it is in fact payable against documents 3 ." Das Urteil des englischen Court of Appeal steht für eine Tendenz, die sich auch in der amerikanischen und in der deutschen Rechtsprechung feststellen läßt, obwohl es an einschlägigen Begründungen oftmals mangelt und das kollisionsrechtliche Ergebnis eher intuitiv gefunden wird 4 . Ungewißheiten hinsichtlich des auf die vertraglichen Beziehungen im Rahmen von Akkreditivgeschäften anwendbaren Rechts ließen sich freilich durch eine stipulatio iuris vermeiden. Wenn dies, wie die Praxis zeigt, regelmäßig nicht geschieht, so liegt das an der offenbar weit verbreiteten Annahme, daß die Verweisung auf die von der Internationalen Handelskammer (Paris) formulierten Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive (ERA) eine solche Rechtswahl

3 Power Curber International Ltd. v. National Bank of Kuwait S . A . K . , [1981] 2 Lloyd's L.R. 394 = [1981] 1 W . L . R . 1233, 1240 per Lord Denning, M.R. (C. Α.). 4 Für die USA siehe die Rechtsprechungsübersicht bei M.Kurkela, Letters of Credit under International Trade Law: UCC, UCP and Law Merchant (Oceana Publications, Inc., 1985) 233 ff, insbes. J.Zeevi and Sons, Ltd. v. Grindlays Bank (Uganda) Ltd., 333 Ν. E. 2d 168 (Ct. of Appeals, New York, 1975); Investitions- und Handelsbank A. G. v. United California Bank International, 277 F.Supp. 1005 (U.S. District Ct., S.D. New York, 1968); Decor By Nikkei International, Inc. v. Federal Republic of Nigeria and Central Bank of Nigeria, 497 F. Supp. 893 (U. S. District Ct., S. D. New York, 1980); aus der deutschen Judikatur siehe insbes. LG Frankfurt 2.12.1975, IPRspr. 1975 Nr. 133 = NJW 1976, 1044 und OLG Karlsruhe 3 . 7 . 1 9 8 1 , IPRax 1982, 102; siehe ferner E.Jayme, Kollisionsrecht und Bankgeschäfte mit Auslandsberührung (1977) 10 ff sowie Reithmann/ Martiny, Internationales Vertragsrecht (4. Aufl. 1988) Rdn. 536 mit weiteren Nachweisen.

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entbehrlich macht5. Man braucht aber nur an den Abschluß der zur Erteilung des Akkreditivauftrags und der zum Bestätigungsersuchen erforderlichen Verträge oder an die im Zusammenhang mit der rechtsmißbräuchlichen Inanspruchnahme von Akkreditiven auftauchenden Fragen zu denken, um zu sehen, daß wichtige Probleme von den E R A nicht erfaßt werden. Die folgenden Ausführungen zu Ehren eines Gelehrten und geschätzten Kollegen, in dessen weite Gebiete umfassendem wissenschaftlichen Werk auch das internationale Privatrecht seinen gebührenden Platz gefunden hat, sollen dies belegen. 2. Die fortdauernde praktische Bedeutung des Kollisionsrechts für Akkreditiwerhältnisse läßt sich an einem Fall zeigen, welcher derzeit dem O L G Frankfurt vorliegt und der dem Verfasser Gelegenheit zu einer gutachtlichen Stellungnahme geboten hat6. Da nach dem sich in maßgeblicher Hinsicht widersprechenden Vortrag der Parteien die Gestaltung des der Entscheidung zugrundezulegenden Sachverhalts letztlich von der Beweiswürdigung durch das Gericht abhängen wird, mußte mit bestimmten Sachverhaltsalternativen operiert werden. Eine der sonach möglichen, kollisionsrechtlich besonders reizvollen Varianten dieses Falles soll im folgenden erörtert werden: Eine nach dem Recht der Cayman-Inseln gegründete Gesellschaft, die ihren Sitz in Madrid hat, hatte bei einer Electronic International Corporation mit Sitz im US-Bundesstaat Arizona einen größeren Posten Funksprechgeräte gekauft. Die Geräte waren, wie sich später herausstellte, letztlich für eine Firma bestimmt, die militärische Ausrüstungen für einen kriegführenden Staat am persischen Golf beschaffte. Die Käuferin hatte ihre spanische Hausbank beauftragt, für die Verkäuferin ein auf den Rechnungsbetrag in US-Dollar lautendes unwiderrufliches Akkreditiv zu eröffnen. In Ausführung dieses Auftrages kam es zur Einschaltung einer weiteren Bank. Fernschriftlich gab die spanische Akkreditivbank der First Interstate Bank of Arizona (FIAZ), einer Schwesterbank der First Interstate Bank of California (FICAL), die Eröffnung eines unwiderruflichen Dokumentenakkreditivs über US $3.635.700 im Auftrag ihres Kunden zugunsten der Electronic Inter-

5 Diese Feststellung ist unabhängig vom Streit um die Rechtsnatur der ERA, die man noch am ehesten als allgemeine Geschäftsbedingungen wird qualifizieren können. In diesem Sinne vor allem Canaris, Bankvertragsrecht I (3. Aufl. 1988) Rdn. 927. Als „Normengefüge eigener Art" ordnet E.Eberth, Festschr. f. Neumayer (1985) 199, 214 dieses Klauselwerk ein. Ihm folgend Eisemann/Schütze, Das Dokumentenakkreditiv im Internationalen Handelsverkehr (3. Aufl. 1989) 57-58. 6 FIRST INTERSTATE BANK OF CALIFORNIA X 1. BANCO ARABE ESPAÑOL S.A.; 2. ARESTRADE INTERNATIONAL GRAND CAYMAN LTD., OLG Frankfurt, 5. Zivilsenat (Az. 5 U 237/86).

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national Corporation bekannt und bat zugleich um dessen Avisierung und Bestätigung. Die Zahlungsklausel lautete auf "validity 3rd September 1984 at your counters". Aufwendungsersatz sollte drei Banktage vor Zahlung nach Prüfung der Dokumente durch FIAZ über die Bankers Trust Co. New York erfolgen. An Dokumenten forderte das Akkreditiv u. a. ein "beneficiary statement that goods are in conformity with the specification of the relative pro-forma invoice". Das Akkreditiv war von der Errichtung eines Garantieakkreditivs durch FIAZ zugunsten der Käuferin über 10% der Akkreditivsumme abhängig gestellt. Eine Rechtswahlklausel fehlte, aber es sollten die Uniform Customs and Practice for Documentary Credits (UCP 1974) zugrundegelegt werden. Der Sachverhalt, der bis hierher noch keine Besonderheiten aufweist, entwickelte sich nun aber in der hier angenommenen Variante wie folgt weiter: FIAZ erklärte sich fernschriftlich zwar zur Avisierung bereit, lehnte jedoch die Bestätigung des Akkreditivs ab. Daraufhin kam es in Madrid zu Gesprächen zwischen der Auslandsabteilung der spanischen Bank und einem örtlichen Repräsentanten der F I C A L . Da die Begünstigte offensichtlich auf eine Bestätigung des Akkreditivs durch eine amerikanische Bank Wert legte, war es das Ziel dieser Kontakte, eine solche Bestätigung zu erlangen. Der Repräsentant der F I C A L sagte eine entsprechende Prüfung zu. Zwei Tage später erklärte F I C A L in einem Fernschreiben ihrer kalifornischen Hauptstelle gegenüber der spanischen Bank die Bereitschaft zur Bestätigung des Akkreditivs. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet. Kurz darauf hatte auch FIAZ der spanischen Bank mitgeteilt, daß ihre Schwesterbank ("our affiliate") F I C A L gern bestätigen werde. In diesem Fernschreiben wurde auch auf eine nicht näher bezeichnete New Yorker Korrespondenzbank der spanischen Bank Bezug genommen ("your New York correspondent"). Dieses Telex beantwortete die spanische Bank mit dem kurzen Satz: "It is not our intention to ask for confirmation of said 1/c to a third bank." Dies wurde von FIAZ und deren Schwesterbank F I C A L dahin verstanden, daß die erwähnte New Yorker Bank nicht eingeschaltet werden sollte. Es erfolgte deshalb unmittelbar darauf die Bestätigung des Akkreditivs durch FICAL. Eine diesbezügliche Mitteilung will die spanische Bank freilich erst vier Wochen später erhalten haben. Inzwischen hatte FIAZ auch das gewünschte Garantieakkreditiv gestellt, worauf die spanische Bank das von ihr eröffnete Dokumentenakkreditiv gegenüber FIAZ für "fully operative" erklärte. Die von der Begünstigten eingereichten Dokumente wurden von FIAZ geprüft, gebilligt und mit Luftkurier der eröffnenden Bank übersandt. Diese teilte ihrer Auftraggeberin zunächst auch mit "documentos en orden", rügte aber einige Tage später gegenüber FIAZ Differenzen zwischen dem in den eingereichten Dokumenten und dem in der Proforma-Rechnung angegebenen Warenge-

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wicht und stellte die Dokumente zur Verfügung. FIAZ wies diesen Einwand sofort zurück, da die Proforma-Rechnung, die ihr unstreitig nicht vorgelegen hatte, nicht Bestandteil des Akkreditivs wäre. Eine Woche später brachte die spanische Akkreditivbank weitere Rügen vor, die auf das äußere Erscheinungsbild der Dokumente abhoben. FIAZ wies diese Rügen als verspätet zurück. Der Akkreditivbetrag wurde der Begünstigten von FIAZ ausbezahlt, nachdem F I C A L der FIAZ eine entsprechende Gutschrift erteilt hatte. Die Bankers Trust Co. New York, von der eröffnenden Bank gegenüber FIAZ anfänglich als Remboursbank benannt, hatte zuvor den Aufwendungsersatz abgelehnt. Nun erst stellte sich heraus, daß die Begünstigte nicht die verkaufte Ware, sondern nur wertlosen Schrott verfrachtet hatte. Die folgenden Erörterungen beschränken sich auf die Frage des Aufwendungsersatzes aus einem Rechtsverhältnis zwischen der Bestätigungsbank und der Akkreditivbank. Außer Betracht bleibt, daß die Bestätigungsbank auch von der Akkreditiv-Auftraggeberin gesamtschuldnerisch die Erstattung des Akkreditivbetrages verlangte, und zwar aus Delikt - gestützt auf das Vorbringen, sie habe in Ausnutzung einer wirtschaftlichen und personellen Verflechtung die Akkreditivbank aus sachfremden (grundgeschäftsbezogenen) Motiven zu einer pflichtwidrigen Nichterfüllung ihrer Akkreditiwerpflichtung verleitet. II. Vertragliche Beziehungen zwischen der Akkreditivbank und der Bestätigungsbank 1. Der Fall, daß bereits das Bestehen einer vertraglichen Beziehung zwischen der Akkreditivbank und der Bestätigungsbank - aus der Sicht des deutschen Rechts ein auf eine Geschäftsbesorgung gerichteter Werkvertrag - im Streit ist, dürfte wohl selten sein. Daß er nicht konstruiert ist, zeigt der dem O L G Frankfurt vorliegende Sachverhalt. Im deutschen internationalen Privatrecht gibt es seit dem 1.9.1986 eine Vorschrift, wonach „das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrages oder einer seiner Bestimmungen" nach dem Recht zu beurteilen ist, „das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre" (Art. 311 EGBGB) 7 . Das ist für das deutsche Recht keine Neuerung. Intertemporales Kollisionsrecht spielt deshalb praktisch keine Rolle; denn seit der bahnbrechenden Abhandlung von Wahl aus dem Jahre 1929 hat sich zunehmend der Gedanke von der selbständigen 7 Gesetz zur Neuregelung des internationalen Privatrechts vom 2 5 . 7 . 1 9 8 6 ( B G B l . I 1142). D i e zitierte Vorschrift entspricht dem Art. 81 des Europäischen Ubereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht vom 19.6.1980; siehe dazu W. Lorenz, IPRax 1987, 269 (274).

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Wirkung der Offerte und deren Bedeutung für die Bestimmung des Vertragsstatuts durchgesetzt, so daß „für die Frage, ob der Vertrag wegen des Mangels der Zugangserfordernisse der Erklärungen oder wegen eines Widerrufs nicht zustande gekommen ist, das Recht des offerierten Vertrages entscheidet, dem auch die Offerte untersteht" 8 . Wahl hatte freilich auch erkannt, daß die These vom statutbestimmenden Charakter der Offerte im vorkonsensualen Stadium einer Einschränkung bedarf, wenn es um die Frage geht, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person überhaupt als rechtsgeschäftliche Erklärung aufgefaßt werden kann 9 . Zur Vermeidung unbilliger Überraschungen und Härten sollte deshalb dem „Umweltrecht" der betroffenen Partei ein „Veto" zustehen, falls dieses - gemeint ist ihr Domizilrecht - entgegen dem Statut des offerierten Vertrages eine Bindung verneint. So beifallswert dieser Gedanke grundsätzlich ist, so schwierig ist seine Umsetzung in die Praxis. Das hat insbesondere die Diskussion um die Einbeziehung von allgemeinen Geschäftsbedingungen in Verträge mit Auslandsberührung gezeigt. Daß es bei schweigender Hinnahme von AGB nicht immer zur Sonderanknüpfung kommt, wenn das Recht des Verwenders und des Verwendungsgegners in der hier vorausgesetzten Weise divergieren, findet zunehmend Anerkennung, weil Handelsbrauch und die zwischen den Parteien bestehenden Gepflogenheiten eine differenzierende Beurteilung nahelegen können 10 . Auch wenn im konkreten Falle das besondere Problem der Einbeziehung von AGB keine Rolle spielt, kann es Situationen geben, die eine Rückausnahme zugunsten des Vertragsstatuts gebieten. Die europäische IPR-Vereinheitlichung und mit ihr Art. 31 II EGBGB gestatten solche flexiblen Lösungen, weil sie die Sonderanknüpfung davon abhängig machen, daß es nach den Umständen nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer Partei nach dem Vertragsstatut zu bestimmen.

8 E. Wahl, RabelsZ 3 (1929) 775 (800). Die weitere Entwicklung bis gegen Ende der fünfziger Jahre habe ich in einer rechtsvergleichenden Abhandlung in AcP 159 (1960) 193-235 im einzelnen dargestellt. Der neueste Stand der deutschen Rechtsprechung und Lehre ist trefflich erörtert bei Reithmann/Martiny (Fn. 4) Rdn. 141-146. 9 E. Wahl (Fn. 8) 800-801. Dies fand damals sogleich die Zustimmung von E. Rabel, RabelsZ 3 (1929) 752 (754) und M, Wolff, Internationales Privatrecht (1. Aufl. 1933) 75 und ders., Das internationale Privatrecht Deutschlands (3. Aufl. 1954) 123. Generell ablehnend zur Sonderanknüpfung H.Stoll, IPRax 1983, 52 (55), der den Schutz der sich passiv verhaltenden Partei durch das Vertragsstatut gewährleistet sieht, „jedenfalls wenn seine Sachnormen den Besonderheiten eines Auslandssachverhalts angepaßt werden". 10 Siehe dazu R.Hepting, RIW 1975, 457 (462^63); U. Drohnig, Festschr. f. F.A. Mann (1977) 591 (603-608); E.Jayme, ZHR 142 (1978) 105 (115, 121-122); H.Stoll, Festschr. f. Beitzke (1979) 759 (761-767). Zum neuesten Stand I.Schwenzer, IPRax 1988, 86-88.

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Der zur Diskussion gestellte Fall gibt zu solcher Differenzierung Anlaß; denn die Madrider Akkreditivbank hatte den Verhandlungskontakt zum örtlichen Repräsentanten der kalifornischen Bank aufgenommen, offensichtlich mit dem Ziel, die Bestätigung des Akkreditivs zu erlangen. Man mag in diesem Verhalten vielleicht noch keine Offerte erblicken, aber es ist zumindest eine Bewertung als Aufforderung, eine entsprechende Offerte zu machen, angebracht. Wenn nun in diesem vorvertraglichen Stadium das intendierte Rechtsverhältnis bereits klar umrissen und kollisionsrechtlich lokalisierbar ist, dann treffen die Billigkeitsgründe nicht mehr zu, die sonst dafür sprechen, derjenigen Partei, die sich auf eine ihr zugegangene Offerte ausschweigt, das „Veto" ihres Domizilrechts zu gewähren, wenn nach dem Statut des von ihr selbst angeregten Vertrages ein solches Schweigen als Zustimmung gewertet wird. Damit werden die auch sonst im Zivilrecht anerkannten Auslegungsmaßstäbe auf internationale Geschäftsbeziehungen übertragen: Der schweigende Adressat der Offerte muß sich nach Treu und Glauben eine Beurteilung durch das künftige Vertragsstatut gefallen lassen, wenn er sich selbst in zurechenbarer Weise in diesen Bereich begeben und beim Offerenten Vertrauen erweckt hat". 2. Auf das Rechtsverhältnis zwischen der eröffnenden Bank und einer bestätigenden Bank findet in Ermangelung einer Rechtswahl nach heute wohl unbestrittener Ansicht das Sitzrecht der Zweitbank Anwendung. Dafür spricht, daß dort der Schwerpunkt ihrer Geschäftsbesorgung für die Akkreditivbank liegt und auch ihre Verpflichtung dem Begünstigten gegenüber regelmäßig diesem Recht untersteht12. Im gegenwärtigen Fall bedeutet dies die Anwendung amerikanischen Rechts, genauer des kalifornischen Rechts. Im Fallrecht der amerikanischen Gerichte hat sich nun, ohne daß für Kalifornien Abweichungen feststellbar wären, eine Norm herangebildet, die nicht nur dem deutschen Juristen vertraut ist, sondern die man mit einiger Sicherheit sogar als einen allgemeinen Rechtsgrundsatz bezeichnen kann, der den entwickelten Rechtsordnungen gemeinsam ist: Eine "duty to speak" wird derjenigen Partei auferlegt, die eine andere Partei zur Abgabe einer bestimmten Offerte aufge-

11 In diesem Sinne schon W.Lorenz, AcP 159 (1960) 193 (215). Zustimmend F. Viseber, Internationales Vertragsrecht (1962) 150-151; H. Linke, ZVerglRWiss 79 (1980) 1 (42-44). 12 G.Kegel, Gedächtnisschrift f. R.Schmidt (1966) 215 (240); R.Eberth, RIW 1977, 522 (526); R.Schütze, WM 1982, 226 (228); Chr. von Bar, ZHR 152 (1988) 38 (53); Eisemann/Schütze (Fn. 5) 213 Fn. 43 mit weiteren Nachweisen. Zur insoweit parallelen Situation bei der indirekten Garantie im Recht der internationalen Bankgarantien, siehe J.Nielsen, ZHR 147 (1983) 145 (155) und A.Heldrich, Festschr. f. Kegel (1987) 175 (189-190).

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fordert hat13. Das schließt auch den Fall ein, in welchem ein Repräsentant des Angebotsempfängers die Initiative ergriffen hat14. Die Rechtsfolge ist "acceptance by silence." 3. Eine solche rechtsgeschäftliche Wertung des Verhaltens der spanischen Akkreditivbank wäre allerdings voreilig, wenn sie nicht deren gleichzeitige Verhandlungskontakte mit FIAZ, der Schwesterbank von FICAL, in diese Würdigung mit einbezöge. Auch FIAZ hatte, wie erinnerlich, fernschriftlich die Bereitschaft von FICAL zur Bestätigung des Akkreditivs mitgeteilt, hatte in diesem Zusammenhang aber noch auf eine nicht näher bezeichnete New Yorker Korrespondenzbank der Akkreditivbank Bezug genommen. Die Antwort an FIAZ, in welcher die Einschaltung einer „dritten Bank" abgelehnt wurde, war von FIAZ und FICAL freilich als Hinweis auf diese New Yorker Bank verstanden worden, so daß aus deren Sicht einer Bestätigung des Akkreditivs nichts mehr im Wege zu stehen schien. Berücksichtigt man noch, daß es daraufhin zur Errichtung des Garantieakkreditivs kam, nach dessen Empfang die eröffnende Bank ihr Dokumentenakkreditiv für "fully operative" erklärte, so fügt sich das in dieses Verständnis ein15. Unabhängig davon ist aber zu fragen, wie das Telex, das die Bestätigung durch eine „dritte Bank" ablehnte, auszulegen ist. Hält man diese Erklärung für unklar, weil sie mehrdeutig ist, so richtet sich deren Auslegung nach dem anwendbaren amerikanischen Recht, das für Fälle dieser Art eine „Unklarheitenregel" entwickelt hat, die in §206 des zweiten Restatement zum Vertragsrecht wie folgt formuliert worden ist:

13 Siehe dazu den Länderbericht über Amerika von I. R. Macneil, Acceptance by Silence, in: R.B. Schlesinger (Hrsg.), Formation of Contracts. A Study of the Common Core of Legal Systems II (1968) 1073 (1081-1085), wo das einschlägige Fallmaterial minutiös referiert und analysiert ist; siehe ferner E.A. Famsworth, Contracts (1982) §3.15 auf S. 146. Für das deutsche Recht: RG 2 6 . 1 . 1 9 2 1 , J W 1921, 393 N r . 2 und RG 3 . 6 . 1 9 2 1 , RGZ 102, 227 (229-230). Zur Qualität als allgemeiner Rechtsgrundsatz, siehe den Generalbericht von R. B. Schlesinger, aaO, I (1968) 134-135. Zu der vom Projekt der Cornell Law School zur Konkretisierung der allgemeinen Rechtsgrundsätze angewandten rechtsvergleichenden Methode W.Lorenz, JZ 1962, 269-275. 14 Laredo National Bank v. Gordon, 61 F. 2d 906, 907 (5th Cir. 1932): "It is true that, generally speaking, an offeree has a right to make no reply to offers, and hence that his silence is not to be construed as acceptance. But, where the relation between the parties is such that the offeror is justified in expecting a reply, the latter's silence will be regarded as acceptance." Das Gericht zitiert dafür u.a. Williston On Contracts, §§91, 91a. 15 Die "parol evidence rule", die dem materiellen Recht angehört, steht der Berücksichtigung solcher Umstände nicht grundsätzlich entgegen; siehe dazu E. A. Farnsworth (Fn. 13) §7.2 auf S.448 und Kessler/Gilmore/Kronman, Contracts - Cases and Materials (3. Aufl. 1986) 835-837.

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"In choosing among the reasonable meanings of a promise or a term thereof, that meaning is generally preferred which operates against the party who supplied the words or from whom a writing otherwise proceeds 16 ."

In § 1654 Civil Code of California findet sich eine inhaltsgleiche Norm, die in ihrer Formulierung zwar auf die Veriragsauslegung abstellt, deren Berechtigung jedoch auch für das vorkonsensuale Stadium anerkannt ist 17 . Auf den konkreten Fall angewandt, läßt sich sagen, daß die Unklarheit hätte vermieden werden können, wenn die eröffnende Bank in ihrem Fernschreiben auf das erneute, diesmal mittelbare Sich-Erbieten der F I C A L zur Bestätigung des Akkreditivs eindeutig geantwortet hätte, daß sie eine Einschaltung dieser Bank nicht mehr wünschte. 4. Die Vorinstanz, das L G Frankfurt, hatte die Klage der kalifornischen Bestätigungsbank bereits wegen Formunwirksamkeit des Bestätigungsauftrags abgewiesen 18 . In der Tat ist der Klägerin in diesem Falle ein (fern-)schriftlicher Auftrag von Seiten der eröffnenden Bank nicht erteilt worden. Die Aufforderung zur Bestätigung des Akkreditivs war vielmehr aufgrund der in Madrid geführten Verhandlungen vom Repräsentanten der Klägerin an deren Zentrale in Kalifornien weitergeleitet worden, deren erstes Sich-Erbieten als Offerte zu qualifizieren war. Die Prüfung, ob die Vereinbarung über die Bestätigung des Akkreditivs einer Form bedurft hätte, muß bei den Bestimmungen der E R A ansetzen, auf deren Fassung von 1974 die eröffnende Bank von vornherein verwiesen hatte. Aus den E R A 1974 läßt sich freilich keine Bestimmung über die Form der Verträge entnehmen, die zwischen einer eröffnenden und einer bestätigenden Bank geschlossen werden. Nicht einmal für das Rechtsverhältnis zwischen Akkreditiv-Auftraggeber und Akkreditivbank wird dies angeordnet. Auch die Revision der E R A von 1983 schweigt dazu 19 . Ein Formerfordernis könnte sich aber aus dem anwendbaren kalifornischen Recht ergeben, d. h. aus der dort geltenden Fassung des Uniform

16 Restatement of the Law (Second) Contracts, Vol.2 (1981) Chapter 9: The Scope of Contractual Obligations. 17 § 1654 Civil Code of California (Fassung von 1982): "In cases of uncertainty not removed by the preceeding rules, the language of a contract should be interpreted most strongly against the party who caused the uncertainty to exist." Zur Auslegung contra proferentem im amerikanischen Recht Ε.Α. Famsworth (Fn. 13) §7.11 auf S. 499-500 mit zahlreichen Nachweisen. 18 Siehe oben (Fn. 6) - Urteil vom 6.6.1986. " Text der ERA 1974 bei Canaris, Bankvertragsrecht (2. Aufl. 1981) Rdn.935; Text der ERA 1983 ebenda (3. Aufl. 1988) Rdn.935.

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Commercial Code (UCC), dessen Art. 5 eine umfassende Regelung der "Letters of Credit" enthält20: §5-104. Formal Requirements; Signing (1) Except as otherwise required in subsection (1) (c) of Section 5-102 on scope, no particular form of phrasing is required for a credit. A credit must be in writing and signed by the issuer and a confirmation must be in writing and signed by the confirming bank. A modification of the terms of a credit or confirmation must be signed by the issuer or confirming bank. (2) A telegram may be a sufficient signed writing if it identifies its sender by an authorized authentication. The authentication may be in code and the authorized naming of the issuer in an advice of credit is a sufficient signing.

Nach dieser Vorschrift des U C C muß ein "Letter of Credit" zweifellos schriftlich abgefaßt sein, ebenso wie auch die Bestätigung der Schriftform bedarf21. Für die Formbedürftigkeit der zugrundeliegenden Verträge zwischen dem Kunden und der eröffnenden Bank einerseits und dieser Bank mit der Bestätigungsbank andererseits folgt daraus freilich nichts. In der Literatur zu Art. 5 U C C wird zwar festgestellt, daß bei der Beauftragung einer Bank zur Eröffnung und zur Bestätigung eines Akkreditivs die Verwendung bestimmter Formulare gebräuchlich ist. Es wird aber zugleich betont, daß Art. 5 UCC in bezug auf die Gültigkeit eines solchen Vertrages in formeller Hinsicht keine zwingenden Vorschriften enthält22. Es ist auch nicht ersichtlich, daß sich ein solches Formerfordernis aus einer anderen Rechtsquelle ergeben könnte. In den Vereinigten Staaten ist seiner Zeit zwar das englische "Statute of Frauds" rezipiert worden, das eine Reihe von Verträgen nur bei Wahrung der Schriftform für klagbar ("enforceable") erklärt. Das hat auch Auswirkungen auf den U C C gehabt23, betrifft aber nicht die den "Letters of Credit" zugrundeliegenden schuldrechtlichen Beziehungen. Untauglich ist der Versuch, das Erfordernis der Schriftform aus einem (internationalen?) Handelsbrauch herzuleiten, auf den sich das klagabweisende Urteil des LG Frankfurt stützt. Bei Annahme eines solchen Handelsbrauches verwundert es nämlich, daß dieser noch nicht Eingang in die ERA gefunden hat. Allein dieser Umstand sollte zu denken geben. 20 Text in Uniform Laws Annotated (ULA) - Uniform Commercial Code, Vol. 2 A (Master Edition 1977 mit Pocket Part 1987); siehe ferner die Wiedergabe bei Eisemann/ Schütze (Fn. 5) 22-29. Der Hinweis auf §5-102(l)(c) in §5-104(1) betrifft den Fall, daß eine Urkunde, die materiell kein "Letter of Credit" ist, aber ausdrücklich als solcher bezeichnet ist; siehe dazu näher A. G. Nadel, 44 ALR 4th 172 (184). 22 White/Summers, Uniform Commercial Code (2. Aufl. 1980) 722. 23 So z.B. in §2-201(1) U C C betreffend Warenkäufe, wenn der Kaufpreis $500 oder mehr beträgt. Zur Bedeutung dieser Form im amerikanischen Vertragsrecht, siehe E.A. Farnsworth (Fn. 13) §6.2 auf S. 374ff und Kessler/Gilmore/Kronman (Fn. 15) 780-781.

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Tatsächlich verhält es sich so, daß in einem Teil der Literatur für die Erteilung des Akkreditivauftrages - also im Verhältnis des AkkreditivAuftraggebers zu seiner Bank- von einem Formerfordernis kraft Handelsbrauches ausgegangen wird24. In diesem Rechtsverhältnis hat die Schriftform gewiß ihre Berechtigung; denn hier handelt es sich darum, die Akkreditivbedingungen erstmals genau festzulegen. Die von der Internationalen Handelskammer empfohlenen Formulare, die in der Praxis überwiegend Verwendung finden, erfüllen die mit der Förmlichkeit verfolgten rechtspolitischen Zwecke der Abschluß- und Inhaltsklarheit. Die Formerfordernisse konzentrieren sich im übrigen ganz auf die Errichtung des "operative instrument"25. Ist das Akkreditiv einmal erstellt, so besteht kein vernünftiger Grund, den Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen Erstbank und Zweitbank der Schriftform zu unterwerfen. III. Behandlung von Dokumentenmängeln Zahlung durch eine hierzu ermächtigte Bank gegen Dokumente, die ihrer äußeren Aufmachung nach den Akkreditivbedingungen entsprechen, verpflichtet denjenigen, der die Ermächtigung erteilt hat, die Dokumente aufzunehmen und die zahlende Bank zu remboursieren (Art. 8 b ERA 1974 = Art. 16 a ERA 1983). Dabei kann es, wie der dem O L G Frankfurt vorliegende Sachverhalt zeigt, auch einmal so sein, daß neben der bestätigenden Bank (FICAL) eine dritte Bank (FIAZ) als Zahlstelle eingeschaltet wird26. Es ist dann angesichts der engen Verflechtung der beiden Banken, die der eröffnenden Bank nach den gepflogenen Verhandlungen bekannt war, nicht außergewöhnlich, daß die Zahlstelle die Dokumentenprüfung im Einverständnis mit der Bestätigungsbank für diese vornimmt und die Dokumente sogleich an die eröffnende Bank weiterleitet. Das erklärt auch, weshalb die Bestätigungsbank die Zahlstelle, so wie hier geschehen, remboursiert hat. Die Rüge nicht akkreditiv-konformer Dokumente muß rechtzeitig erfolgen. Die in Art. 8d ERA 1974 der eröffnenden Bank zugebilligte 24 So vor allem Canaris, Bankvertragsrecht I (3. Aufl. 1988) Rdn. 936, 937, der dieses Formerfordernis aber ausdrücklich auf den Antrag des Auftraggebers beschränkt, so daß seitens der Bank eine konkludente Annahme genügt. Ahnlich Eisemann/Schütze (Fn. 5) 84-85. Alle mit weiteren Nachweisen. 25 Siehe dazu statt aller B. Kozolchyk, Letters of Credit, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. IX Chapter 5 (1979) 92-99. 2 6 Es ist offenkundig, daß FIAZ trotz der Ablehnung der Bestätigung des Akkreditivs nicht lediglich als Avisbank gehandelt hat. Auch die eröffnende Bank hat FIAZ als Zahlstelle agieren lassen, wie insbesondere der gesamte Vorgang bei der Dokumentenrüge zeigt, die gegenüber FIAZ erfolgte. Es ist aber nicht Aufgabe einer bloßen Avisbank, die Dokumente zu prüfen. Siehe dazu Canaris (Fn. 24) Rdn. 973.

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„angemessene Zeit" zur Prüfung und Entscheidung über eine Reklamation konnte auch in den Verhandlungen, die zur Revision 1983 führten, nicht durch eine präzisere Angabe ersetzt werden, wie Art. 16 c ERA 1983 zeigt27. Kollisionsrechtlich ist deshalb zu fragen, ob es neben der vereinbarten Anwendung der ERA zulässig oder gar geboten ist, die Frist zur Rüge von Dokumentenmängeln durch die Heranziehung von Vorschriften aus dem anwendbaren Recht zu präzisieren. Der Gedanke berührt sich mit der „Datum-Theorie", liegt aber noch näher als die zuweilen erforderliche Berücksichtigung fremder lokaler Rechtsregeln als „Datum" im Rahmen des an sich anwendbaren Rechts28; denn hier geht es lediglich um die ergänzende Auslegung eines durch die Verweisung auf die ERA nur unvollständig geäußerten Parteiwillens. Die Kenntnis solcher speziellen Regeln ist einer Bank, die im internationalen Akkreditivgeschäft tätig ist, sicherlich auch zuzumuten. Der Uniform Commercial Code enthält in der auch für Kalifornien und Arizona geltenden Fassung eine konkrete Zeitgrenze: Sonach muß die eröffnende Bank innerhalb von drei Banktagen nach Ubersendung der Dokumente dieselben honorieren oder zurückweisen. Die Frist kann hinausgeschoben werden, wenn der Einreichende ("presenter") ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat (§5-112(1) UCC) 29 . Nun kann es nicht zweifelhaft sein, daß sich die Folgen einer Fristüberschreitung nach den ERA beurteilen, wenn die Parteien deren Geltung vereinbart haben. Das besagt aber noch nicht, daß mit der Unterstellung unter die ERA auch bezüglich der Rügefrist eine abweichende Regelung im Sinne von § 5-112(l)(b) U C C getroffen ist. Für diese Ansicht lassen sich einige Stimmen in der amerikanischen Literatur finden30. Bedenkt man

27 Die Vorstellungen darüber, was „angemessene Zeit" ("reasonable time") ist, gingen weit auseinander: 36 Stunden einerseits, 30 Tage andererseits; siehe dazu J. Nielsen, WM 1985, 153 Fn.24 und Eisemann/Schütze (Fn.5) 189-190. 28 Siehe dazu E.Jayme, Gedächtnisschrift f. A. A. Ehrenzweig (1976) 35 ff. 29 §5-112. Time Allowed for Honor or Rejection; Withholding Honor or Rejection by Consent; "Presenter" (1) A bank to which a documentary draft or demand for payment is presented under a credit may without dishonor of the draft, demand or credit (a) defer honor until the close of the third banking day following receipt of the documents; and (b) further defer honor if the presenter has expressly or impliedly consented thereto. (2) (3) "Presenter" means any person presenting a draft or demand for payment for honor under a credit even though that person is a confirming bank or other correspondent which is acting under an issuer's authorization. 30 Auto Servicio v. Compania Anonima Venezolana, 765 F. 2d 1306, 1309-1310 (5th Cir. 1985). Die Vorinstanz hatte "reasonable" mit "three days" identifiziert. In der

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noch die Schwierigkeiten, die sich auch bei der Revision 1983 der ERA bei dem Versuch einer Konkretisierung dieser Frist ergeben haben, so liegt der Schluß nicht fern, daß die Bestimmung dessen, was als "reasonable time" für die Dokumentenrüge zu erachten ist, den nationalen Rechtsordnungen vorbehalten bleiben sollte. IV. Rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme des Akkreditivs 1. In dem zum Ausgangspunkt genommenen Fall aus der internationalen Praxis ergibt sich weiter die von den ERA nicht geregelte Frage, ob eine Zweitbank, die auf eine rechtsmißbräuchliche Anforderung an den Begünstigten auszahlt oder, so wie hier geschehen, durch eine als Zahlstelle fungierende Schwesterbank auszahlen läßt, von der Erstbank Aufwendungsersatz verlangen kann. Wenn es generell richtig ist, auf das Rechtsverhältnis zwischen der eröffnenden und der bestätigenden Bank das Sitzrecht der letzteren anzuwenden (oben II.2.), so spricht viel dafür, den Einwand des Rechtsmißbrauchs ebenfalls nach diesem Statut zu beurteilen, zumal sich danach auch die Verpflichtung der bestätigenden Bank gegenüber dem Begünstigten richtet. Für den Rückgriff auf den deutschen ordre public (Art. 6 E G B G B ) hat sich auf diesem Gebiet bisher offenbar noch keine Notwendigkeit ergeben, weil nicht ersichtlich ist, daß anderwärts die an solches Verhalten anzulegenden Maßstäbe in anstößiger Weise hinter denen des deutschen Rechts zurückbleiben31. Materiellrechtlich festzuhalten ist zunächst, daß auch für amerikanische Gerichte der Grundsatz Gültigkeit hat, wonach ein "Letter of Credit" eine absolute, vom zugrundeliegenden Waren- oder Dienstleistungsvertrag unabhängige Verpflichtung begründet und Zahlung gegen Einreichung ordnungsgemäßer Dokumente zu leisten ist, ungeachtet Berufungsinstanz konnte die Frage offen bleiben, weil die einzig durchgreifende Rüge erst nach mehr als einem Jahr erhoben worden war, was ein unzulässiges Nachschieben von Gründen bedeutete. In Marino Industries Corp. v. Chase Manhattan Bank, Ν. Α., 686 F. 2d 112, 118 (2nd Cir. 1982) wurde obiter der Begriff "reasonable time" aus Art.8d UCP (=ERA) mit der Dreitagefrist des §5-112(l)(a) UCC gleichgesetzt. Ebenso im Ergebnis Morgan Guaranty Trust Co. v. Vend Technologies, 100 A. D. 2d 782, 474 N. Y. S. 2d 67, 68 (Supr. Ct. New York, App. Div., 1984). 31 Siehe dazu aber die Andeutung bei Chr. von Bar (Fn. 12) 54—55, der im übrigen auch eine Anwendung der Lehre Α. A. Ehrenzweigs von den "moral data" für erwägenswert hält. H. Coing, ZHR 147 (1983) 125 (139-144), der seine Ausführungen zu den verwandten Problemen der internationalen Bankgarantie mit einigen rechtsvergleichenden Hinweisen abschließt, gelangt zu dem Schluß, daß die Lehre vom Rechtsmißbrauch „keineswegs allgemein anerkannt" sei. Dem kann nach der fallrechtlichen Entwicklung zum "fraud in the transaction" in der amerikanischen Rechtsprechung, auf die Coing nicht näher eingeht, nicht zugestimmt werden. Für das amerikanische Recht ergibt sich, wie im Text weiter ausgeführt wird, ein anderes Bild.

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dessen, o b sich K ä u f e r u n d V e r k ä u f e r ü b e r die Q u a l i t ä t der gelieferten W a r e streiten 3 2 . G e s t ü t z t w i r d dies n i c h t n u r auf A r t . 9 E R A

(1974)33,

d e m n u n m e h r A r t . 1 7 E R A ( 1 9 8 3 ) e n t s p r i c h t , s o n d e r n v o r allem auf § 5 - 1 1 4 ( 1 ) U C C 3 4 . D i e V o r s c h r i f t ist für u n w i d e r r u f l i c h e

Akkreditive

z w i n g e n d e s R e c h t 3 5 . Sie enthält a u c h eine R e g e l u n g ü b e r die Z a h l u n g s pflicht der e r ö f f n e n d e n B a n k für den Fall v o n " f r a u d " auf seiten des B e g ü n s t i g t e n . D a die E R A dieses schwierige P r o b l e m n i c h t lösen, ist § 5 - 1 1 4 ( 2 ) U C C bei a m e r i k a n i s c h e m Schuldstatut also i m m e r h e r a n z u ziehen, w o b e i i m W e g e d e r U n t e r a n k n ü p f u n g auf diejenige F a s s u n g des U C C abzustellen ist, w e l c h e d e m a n w e n d b a r e n einzelstaatlichen R e c h t a n g e h ö r t 3 6 . D i e V o r s c h r i f t ist das E r g e b n i s einer langen fallrechtlichen E n t w i c k l u n g , an d e r e n A n f a n g ein n o c h h e u t e viel zitierter

"leading

32 Siehe statt vieler First Empire Bank New York v. Federal Deposit Ins. Corp., 572 F. 2d 1361, 1366 (9th Cir. 1978), certiorari denied 439 U. S. 919 (1978); H. Ray Baker Inc. v. Associated Banking Corp., 592 F. 2d 550, 553 (9th Cir. 1979), certiorari denied 444 U. S. 832 (1979); White/Summers (Fn.22) 712, 735. 33 First Commercial Bank v. Gotham Originals, Inc., 64 Ν. Y. 2d 287, 475 Ν. E. 2d 1255, 486 Ν. Y. S. 2d 715, 719 (Ct. of Appeals of New York, 1985). 34 §5-114. Issuer's Duty and Privilege to Honor; Right to Reimbursement (1) An issuer must honor a draft or demand for payment which complies with the terms of the relevant credit regardless of whether the goods or documents conform to the underlying contract for sale or other contract between the customer and the beneficiary . . . 35 White/Summers Uniform Commercial Code, Vol.2 (3. Aufl. 1988) 9, 27. « §5-114(2) UCC (2) Unless otherwise agreed when documents appear on their face to comply with the terms of a credit but a required document does not in fact conform to the warranties made on negotiation or transfer of a document of title (Section 7-507) or of a certified security (Section 8-306) or is forged or is fraudulent or there is fraud in the transaction: (a) the issuer must honor the draft on demand for payment if honor is demanded by a negotiating bank or other holder of the draft or demand which has taken the draft or demand under the credit and under circumstances which would make it a holder in due course (Section 3-302) and in an appropriate case would make it a person to whom a document of title has been duly negotiated (Section 7-502) or a bona fide purchaser of a certified security (Section 8-302); and (b) in all other cases as against its customer, an issuer acting in good faith may honor the draft or demand for payment despite notification from the customer of fraud, forgery or other defect not apparent on the face of the documents but a court of appropriate jurisdiction may enjoin such honor. Im Hinblick auf den hier zugrundegelegten Sachverhalt ist zu bemerken, daß Kalifornien den letzten Nebensatz in § 5-114(2)(b) UCC nicht übernommen hat, wonach ein zuständiges Gericht die Zahlung (auf Antrag des Akkreditiv-Auftraggebers) untersagen kann. Das betrifft, wie ersichtlich, aber nicht den Rembours einer bestätigenden Bank oder Zahlstelle gegenüber der eröffnenden Bank. Zur Geltung des §5-114 U C C in den Einzelstaaten der Union, siehe den Uberblick in Uniform Laws Annotated (ULA) - Uniform Commercial Code (Fn. 20) zu §5-114 UCC vor Note 1.

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case" aus New York steht, der 1941 entschieden wurde37. Alle der in §5-114(2) U C C angesprochenen Probleme sind in diesem bahnbrechenden Urteil bereits aufgeworfen und sind mittlerweile in einer eindrucksvollen Kette von Entscheidungen auch weithin gelöst. Dabei ragen folgende Fragen heraus: Wie ist "fraud in the letter" abzugrenzen von "fraud in the transaction"? Welche Intensität muß ein "fraud in the transaction" haben, damit zum (irrelevanten) schlichten Vertragsbruch eine Grenze gezogen werden kann? Auf den hier zur Diskussion gestellten Sachverhalt bezogen spielt insbesondere die weitere Frage eine Rolle, unter welchen Voraussetzungen trotz Vorliegens von "fraud in the transaction" eine Zweitbank als "holder in due course" zu erachten ist, so daß die eröffnende Bank nach § 5-114(2)(a) U C C Aufwendungsersatz zu leisten hat. Schließlich ergeben sich auch noch Beweislastprobleme. 2. Zunächst hat die Kasuistik der amerikanischen Rechtsprechung zum "fraud", die in §5-114(2) U C C Eingang gefunden hat, zu Auslegungsschwierigkeiten geführt. Unzweifelhaft bezieht sich die Vorschrift auf Papiere, die zwar in ihrem äußeren Erscheinungsbild keine Unregelmäßigkeiten erkennen lassen, die jedoch gefälscht sind, sei es bezüglich der Unterschrift ("forged"), sei es in bezug auf Änderungen in ihrem Inhalt ("fraudulent") 38 . Trotz der schon erwähnten New Yorker Grundsatzentscheidung von 1941 ist aber eine Zeitlang versucht worden, den Begriff "fraud in the transaction" in Einklang mit dem Trennungsprinzip zu bringen und nur solche Mängel als Ausnahme anzuerkennen, die sich in irgendeiner Weise auf die Urkunden beziehen39. Inzwischen hat sich aber die Ansicht durchgesetzt, daß §5-114(2) U C C mit dieser Formulierung auch Mängel einbeziehen wollte, die nur das Grundgeschäft (Valutabeziehung) betreffen und dieses als "fraudulent" erscheinen lassen40.

37 Sztejn V. J.Henry Schroder Banking Corporation, 177 Mise. 719, 31 N . Y . S . 2d 631 (Supr.Ct., Special Term N . Y . County, 1941): Klage eines Akkreditiv-Auftraggebers (Käufer) gegen die eröffnende Bank. Die über eine indische Zweitbank vorgelegten Dokumente wiesen akkreditivgerecht die Ware als Borsten aus, tatsächlich bestand die Lieferung aber aus Kuhhaar und anderen wertlosen Materialien. Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand die Frage, ob dieses Verhalten des Verkäufers, der möglicherweise mit der Zweitbank kolludiert hatte, als "fraud" zu qualifizieren war, um die Trennung der Akkreditiwerpflichtung von der Valutabeziehung (Grundgeschäft) aufzuheben, und ob die beklagte Bank von ihrem Kunden darüber rechtzeitig in Kenntnis gesetzt worden war. 38 White/Summers (Fn. 35) 58-65; siehe ferner die Note "Fraud in Transaction: Enjoining Letters of Credit during the Iranian Revolution", Harvard L. Ree. 93 (1980) 1003 Fn. 54 mit weiteren Nachweisen. 39 So z . B . in Shaffer v. Brooklyn Park Garden Apts., 250 N . W . 2d 172, 180 (Supr. Ct. of Minnesota, 1977). Kritisch dazu B.Kozolchyk (Fn.25) 119. 40 Siehe dazu Colorado National Bank v. Board of County Commissioners, 634 P. 2d 32, 39 (Supr. Ct. of Colorado, 1981); Harries Corp. v. National Iranian Radio &

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Mit dieser Zulassung einer Durchbrechung des Trennungsprinzips ergab sich die Notwendigkeit, die Fallgruppe "fraud in the transaction" von den Fällen der gewöhnlichen Leistungsstörungen des Kaufrechts ("breach of warranty") abzugrenzen. In dieser Hinsicht bestehen noch gewisse Unsicherheiten. Die Akzente werden unterschiedlich gesetzt wie so oft in der Rechtswissenschaft, teils objektiv, teils subjektiv. In Auslegung von §5-114(2) U C C finden sich Judikate, die stärker auf die objektive Schwere des Mangels im Grundgeschäft abstellen und "fraud in the transaction" dann annehmen, wenn der Begünstigte gegenüber seinem schuldrechtlichen Partner eine Vertragsverletzung begeht "of such an egregious nature as to vitiate the entire underlying transaction so that the legitimate purposes of independence of the bank's obligation would no longer be served"41. Andere Entscheidungen sind mehr der klassischen Definition des "fraud" im Common Law verhaftet, wonach "an element of intentional misrepresentation in order to profit from another" vorausgesetzt wird42. Relevanter "fraud in the transaction" erfordert nach dieser Ansicht die Verknüpfung von vorsätzlichem Vertragsbruch mit der absichtlichen Täuschung des Partners des Grundgeschäfts. Das Problem bedarf im gegenwärtigen Zusammenhang keiner weiteren Erörterung, weil ein Sachverhalt wie der hier vorliegende Lieferung von wertlosem Schrott statt der versprochenen Funkgeräte ohne Zweifel als "fraud in the transaction" einzuordnen ist43. 3. Der Einwand des "fraud in the transaction" setzt nach § 5-114(2)(b) U C C allerdings voraus, daß die Dokumente der eröffnenden Bank von einer Person präsentiert werden, die nicht "holder in due course" ist. Ist der Vorlegende hingegen "holder in due course", was nicht ohne weiteres mit einem gutgläubigen Erwerber im Sinne deutscher Rechtsvorstellungen gleichzusetzen ist, so muß auf die Papiere gezahlt werden.

Television, 691 F. 2d 1344, 1354-1355 (llth Cir. 1982); White/Summers (Fn.35) 61; B.Kozolchyk (Fn.25) 119, 125. 41 Colorado National Bank v. Board of County Commissioners (Fn.40). Weitere Nachweise bei M.A. DiSabatino, 25 ALR 4th 239, 247. 42 Typisch dafür West Virginia Housing Development Fund v. Sroka, 415 F. Supp. 1107, 1114 (U.S. Distr.Ct., W . D . Pennsylvania, 1976). 43 Insoweit besteht kein Unterschied zum Sztejn case (Fn. 37); siehe ferner United Bank Ltd. v. Cambridge Sporting Goods Corp., 41 N . Y . 2d 254, 360 Ν . E . 2d 943, 949 (Ct. of Appeals of New York, 1976): " . . . we hold upon the facts as established, that the shipment of old, unpadded, ripped and mildewed gloves rather than new boxing gloves as ordered by Cambridge, constituted fraud in the transaction within the meaning of subdivision (2) of section 5-114. It should be noted that the drafters of section 5-114, in their attempt to codify the Sztejn case and in utilizing the term 'fraud in the transaction' have eschewed a dogmatic approach and adopted a flexible standard to be applied as the circumstances of a particular situation mandate."

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Der Betrugseinwand ist dann unbeachtlich, da das Risiko eines fraudulosen Verhaltens des Begünstigten beim Akkreditiv-Auftraggeber liegt, der sich den Partner des Grundgeschäfts selbst ausgesucht hat, so daß dieses Risiko nicht Dritten überbürdet werden darf. Die Voraussetzungen, unter denen eine Zweitbank als "holder in due course" zu erachten ist, sind der Vorschrift des §3-302(1) U C C zu entnehmen, auf die in §5114(2)(a) U C C verwiesen wird. Geschützt wird sonach derjenige, welcher die Dokumente gegen Entgelt ("for value"), in gutem Glauben ("in good faith") und ohne Mitteilung vom Vorliegen eines Einwandes ("without notice . . . of any defense against or claim to it on the part of any person") aufgenommen hat44. Die zuletzt genannte Voraussetzung bedeutet keine Beschränkung der Bösgläubigkeit auf Fälle, in denen eine Bank positive Kenntnis vom "fraud in the transaction" seitens des Begünstigten hatte. Zwar macht nicht jeder Verstoß gegen übliche Sorgfaltspflichten, bei deren Beachtung Kenntnis vom zugrundeliegenden "fraud in the transaction" zu erlangen gewesen wäre, eine Bank bösgläubig. Kennt der "holder" den Einwand nicht positiv, so darf er sich doch einer Aufklärung nicht aus der Befürchtung, er könnte auf diese Weise bösgläubig werden, verschlossen haben. Insoweit entscheidet also ein subjektives Element besonders treuwidrigen Verhaltens und nicht allein der objektive Maßstab sorgfältiger Bankgepflogenheiten45. Die bloße Mitteilung eines Akkreditiv-Auftraggebers, daß das Grundgeschäft nicht mehr durchgeführt wurde und der (unwiderrufliche) "Letter of Credit" deswegen zu stornieren sei, verschafft deshalb noch keine ausreichende Kenntnis von einem "fraud in the transaction", weil damit nur die schlichte Nichterfüllung des Vertrages behauptet wird und nichts für ein betrügerisches Verhalten des Begünstigten spricht46.

44 Siehe dazu Banco Español de Credito ν. State Street Bank and Trust Co., 409 F. 2d 711 (1st Cir. 1969); Bank of Canton Ltd. v. Republic National Bank of N e w York, 509 F. Supp. 1310 (U. S. Distr. Ct., S. D . N e w York, 1980); R o m a n Ceramics Corp. v. Peoples National Bank, 714 F. 2d 1207 (3rd Cir. 1983). 45 Siehe dazu Corporacion Venezolana de Fomento v. Vintero Sales, 452 F. Supp. 1108, 1119 ( U . S . D i s t r . C t . , S . D . N e w York, 1978); Chemical Bank of Rochester v. Haskell, 411 Ν . E. 2d 1339, 432 Ν . Y. S. 2d 478, 480 (Ct. of Appeals of N e w York, 1980); Scarsdale National Bank & Trust C o . v. Toronto-Dominion-Bank, 533 F. Supp. 378 (U. S. Distr. Ct., S . D . N e w York, 1982). 46 So lag es in West Virginia Housing Development Fund v. Sroka, 415 F . S u p p . 1107 (U. S. Distr. Ct., W. D . Pennsylvania, 1976). Es fehlte nach Ansicht des Gerichts jeder Hinweis auf eine „intentional misrepresentation" des Begünstigten. Damit zu vergleichen ist Shaffer ν. Brooklyn Park Garden Apts., 250 N . W . 2d 172 (Supr. Ct. of Minnesota, 1977), w o angesichts eines glaubwürdig gemachten Widerspruchs zwischen den eingereichten Dokumenten und der tatsächlichen Lage des Grundgeschäfts an einem fraudulosen Verhalten des Begünstigten keine Zweifel mehr bestehen konnten. Siehe ferner United Bank Ltd. v. Cambridge Sporting G o o d s Corp., 41 N . Y . 2d.254, 360 Ν . E . 2d 943, 950

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4. Fragen der Beweislast kommt auf diesem Gebiet eine große Bedeutung zu. Ein deutsches Gericht hat sie in der zum Ausgangspunkt genommenen Fallkonstellation nach dem Recht zu beantworten, das für die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Erstbank und Zweitbank maßgebend ist; denn solche Regelungen haben einen materiellrechtlichen Gehalt. Die Geltung der lex causae für die Beweislast ist deshalb im deutschen Recht auch schon lange anerkannt47. Das IPR-Neuregelungsgesetz hat dies in Art. 32 III E G B G B noch einmal festgehalten. Es entspricht dies einer über den Kreis der an der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung beteiligten Staaten hinausreichenden Tendenz 48 . Wird darum gestritten, ob eine von der Erstbank Aufwendungsersatz begehrende Zweitbank "holder in due course" ist, so müssen bei der Beweislastverteilung im amerikanischen Recht zwei Themen voneinander getrennt werden: Zunächst geht es um den Beweis, daß gegen die Verpflichtung aus dem Akkreditiv eine durchgreifende Einwendung vorliegt. Das betrifft diejenigen Tatsachen, welche den "fraud in the transaction" ausmachen. Ist dieser Nachweis erbracht, so geht es um den guten Glauben der Zweitbank. Für das erste Thema ist nach allgemeiner Regel die Partei beweispflichtig, die eine solche Einwendung geltend macht. Sonach hat die Erstbank vollen Beweis dafür zu erbringen, daß der Begünstigte die Leistungsbeziehung im Grundgeschäft mit dem Akkreditiv-Auftraggeber in einer Weise gestört hat, die als "fraud in the transaction" zu qualifizieren ist49. Ist dieser Beweis geführt, so wird die für negotiable Papiere in § 3-307(3) U C C aufgestellte Regel auf "Letters of Credit" entsprechend angewendet: Wer sich darauf beruft, er sei "holder in due course", trägt die Beweislast dafür, daß er "in all respects" als solcher zu erachten ist. Eine Rembours begehrende Zweitbank muß deshalb nachweisen, daß sie die Dokumente aufgenommen und den

(Ct. of Appeals of New York, 1976), wo andererseits klargestellt wird, daß eine irgendwie geartete Teilnahme der Rembours fordernden Bank am "fraud" des Begünstigten nicht erforderlich ist, um "notice of the fraud" anzunehmen. 47 Siehe dazu statt aller D. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983) Rdn. 371 mit zahlreichen Nachweisen. 48 Als Beispiel sei dafür nur Art. 8 (8) Haager Konvention über das auf die Produkthaftpflicht anwendbare Recht vom 2.10.1973 genannt. Zur Entwicklung in den USA - Zuordnung von "presumptions" zum materiellen Recht - G. Kegel, Internationales Privatrecht (6. Aufl. 1987) 691. 49 Roman Ceramics Corp. v. Peoples National Bank, 714 F. 2d 1207, 1214 (3rd Cir. 1983): Die eröffnende Bank darf die Zahlung erst verweigern, wenn sie durch "clear, direct, precise and convincing evidence" dargetan hat, daß dem Anspruch jedwede tatsächliche Grundlage fehlt und daß der Anspruchsteller kein "bona fide claim to payment" hat; siehe ferner Bank of Canton Ltd. v. Republic National Bank of New York, 509 F. Supp. 1310, 1318 (U. S. Distr. Ct., S. D. New York, 1980).

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Wert bezahlt hat, ohne Kenntnis von dem zugrundeliegenden "fraud in the transaction" gehabt zu haben50. V. Außervertraglicher Erstattungsanspruch der Bestätigungsbank 1. Die bisherigen Erörterungen zum Ausgangsfall des OLG Frankfurt haben das Bestehen einer vertraglichen Beziehung zwischen eröffnender Bank und Bestätigungsbank angenommen. Es ist zuzugeben, daß die Auslegung der ausgetauschten Erklärungen, namentlich der fernschriftlichen (oben II.3.), die dieses Ergebnis mitträgt, nicht gänzlich zweifelsfrei ist. Deshalb besteht Anlaß, darüber nachzudenken, unter welchen Voraussetzungen eine Bank Aufwendungsersatz verlangen kann, die in der irrtümlichen Annahme, von der eröffnenden Bank mit der Bestätigung beauftragt zu sein, eine solche Bestätigung vornimmt und sodann Zahlung gegen Dokumente leistet oder, so wie im konkreten Falle geschehen, die Dokumente durch eine Schwesterbank aufnehmen läßt, ihr den Akkreditivbetrag zur Verfügung stellt und Zahlung an den Begünstigten veranlaßt. Fehlerfreie Prüfung der eingereichten Dokumente und Unkenntnis der rechtsmißbräuchlichen Inanspruchnahme des Akkreditivs durch den Begünstigten sind dabei zu unterstellen. Kollisionsrechtlicher Ausgangspunkt ist die nicht nur lege fori gebotene Qualifikation der Verpflichtungen aus der Akkreditiveröffnung und der Bestätigung des Akkreditivs als Gesamtschuld der beiden Banken51. Auch Art. 10 b ERA (1983) besagt dies nunmehr ausdrücklich, wobei freilich nur der Normalfall angesprochen wird, daß eine eröffnende Bank eine andere Bank zur Bestätigung „ermächtigt oder ersucht". Das Fehlen eines rechtswirksamen Geschäftsbesorgungsvertrages zwischen den Banken vermag die Entstehung einer Gesamtschuld indessen nicht zu hindern. Es genügt dazu, daß die von den Banken rechtsgrundunabhängig gegenüber dem Begünstigten eingegangenen Verpflichtungen auf die Befriedigung ein und desselben Leistungsinteresses gerichtet sind52. Dabei ist es denkbar, aber für die Annahme einer Gesamtschuld ebenfalls nicht hinderlich, daß diese Zahlungsverpflichtungen verschiedenen

50 Grundlegend dazu United Bank Ltd. v. Cambridge Sporting Goods Corp., 41 Ν. Y. 2d 254,360 Ν. E. 2d 943, 950 (Ct. of Appeals of New York, 1976); Banco Español de Credito v. State Street Bank and Trust Co., 409 F. 2d 711, 713 (1st Cir. 1969); Scarsdale National Bank & Trust Co. v. Toronto-Dominion Bank, 533 F. Supp. 378, 385-386 (U. S. Distr.Ct., S.D. New York, 1982). 51 Siehe statt vieler von Caemmerer, JZ 1959, 362; Canaris (Fn. 24) Rdn. 987. 52 M. Wandt, ZVglRWiss 86 (1987) 272 (292) weist in diesem Zusammenhang mit Recht auf das Beispiel des Schuldbeitritts hin, der zwischen Gläubiger und Beitretendem vereinbart wird.

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Rechtsordnungen unterstehen53. Die daraus für die Regreßbeziehungen unter den Gesamtschuldnern resultierenden Schwierigkeiten ergeben sich in dem hier erörterten Fall allerdings nicht; denn sowohl die Akkreditiwerpflichtung der Bestätigungsbank (FICAL) als auch die Verpflichtung der Eröffnungsbank richten sich nach amerikanischem Recht. Für die Bestätigungsbank ist dies grundsätzlich deren kalifornisches Sitzrecht, im konkreten Falle aber - was in der Sache jedoch keinen Unterschied machen wird - wohl eher das Recht von Arizona, weil die dortige Schwesterbank (FIAZ) als ihre Zahlstelle fungierte. Diese Bank wurde von der eröffnenden spanischen Bank nach der Ablehnung der zunächst erbetenen Bestätigung des Akkreditivs ebenfalls als Zahlstelle und nicht lediglich als Avisbank eingeschaltet. Dafür spricht schon die Zahlungsklausel des Akkreditivs und die nach Errichtung des Garantieakkreditivs erfolgte Mitteilung der eröffnenden Bank, daß das Dokumentenakkreditiv nunmehr "fully operative" sei. Nach der in der Einführung (oben I.) gesetzten kollisionsrechtlichen Prämisse bedeutet dies, daß sich auch die Akkreditiwerpflichtung der eröffnenden Bank nach dem Recht der als Zahlstelle eingesetzten Bank richtet. Schon vor dem IPR-Neuregelungsgesetz von 1986 war im deutschen internationalen Privatrecht zumindest in der Lehre die Ansicht vorherrschend, daß der gesetzliche Forderungsübergang der Rechtsordnung untersteht, die für das Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem leistenden Dritten maßgebend ist. Dieses sogenannte Zessionsgrundstatut, das auch als Kausalstatut bezeichnet wird, weicht nach dieser Meinung nur dann dem Recht, dem die erfüllte Forderung unterliegt (Forderungsstatut), wenn dies der Schuldnerschutz erfordert54. Die Reform hat die Herrschaft des Zessionsgrundstatuts als Grundregel in Art. 33 III 1 EGBGB übernommen, ihr aber einen zweiten Satz hinzugefügt: Das Zessionsgrundstatut soll auch Anwendung finden, „wenn mehrere Personen dieselbe Forderung zu erfüllen haben und der Gläubiger von einer dieser Personen befriedigt worden ist". Das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander ist umstritten55. Die Zweifelsfragen

53

Dies wäre der Fall, wenn die eröffnende spanische Bank weder FIAZ als Zahlstelle eingesetzt noch FICAL um Bestätigung des Akkreditivs ersucht hätte, diese Bank aber dennoch aufgrund eines Mißverständnisses dem Begünstigten das Akkreditiv bestätigt hätte. Dann richtete sich die Akkreditiwerpflichtung der eröffnenden Bank zweifellos nach ihrem spanischen Sitzrecht, während für die Verpflichtung der Bestätigungsbank deren kalifornisches Sitzrecht maßgebend wäre. 54 Siehe dazu statt aller Soergel/Kegel, Einführungsgesetz (11. Aufl. 1983) vor Art. 7 Rdn. 448-452 mit vielen Nachweisen. 55 Siehe dazu H.Stoll, Festschr. f. Müller-Freienfels (1986) 631, insbes. 633-635; M. Wandt (Fn. 52) 277-295. In der deutschen Diskussion wird die Regelung des schweizerischen Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) vom 18.12.1987 mit

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betreffen aber nicht den Fall der Befriedigung des Gläubigers durch einen von mehreren Gesamtschuldnern, welche Forderungen zu erfüllen haben, die demselben Statut unterliegen. Der Regreß des leistenden Schuldners gegen seinen Mitschuldner richtet sich dann nach dem Statut der von ihm getilgten Schuld56. 2. Es ist ein bekanntes Charakteristikum des anglo-amerikanischen Rechtskreises, dem die negotiorum gestio fremd ist, daß ungebetene Einmischung in fremde Schuldrechtsbeziehung nicht honoriert wird. Generell läßt sich sagen, daß ein Dritter als "officious intermeddler" regreßlos bleibt, wenn ihm kein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Zahlung einer fremden Schuld zur Seite steht57. Das ist aber nur die historische Grundregel, von der es heute viele Ausnahmen gibt. Die Lücke, die durch das Fehlen der negotiorum gestio entstand, ist nämlich zumindest teilweise durch die Lehre von der "equitable subrogation" gefüllt worden - ein Rechtsinstitut, das nicht dem klassischen Common Law entstammt, sondern billigkeitsrechtlichen Ursprungs ist. Sein Anwendungsbereich geht über die Fälle der Geschäftsführung ohne Auftrag, mit denen es sich nur zum Teil deckt, noch hinaus58. Nicht nur die Zahlung eines Dritten auf fremde Schuld, sondern auch die Leistung eines Gesamtschuldners ("joint debtor", "co-obligor") mit befreiender Wirkung für einen Mitschuldner wird mit der "doctrine of equitable Subrogation" bewältigt, wenn es um die Frage geht, ob dem Leistenden von Rechts wegen der Regreß zusteht ("legal subrogation"). In einem neueren Urteil des Supreme Court of California 59 , das auch für Arizona als repräsentativ gelten kann60, werden die Voraussetzungen der Subrogation wie folgt präzisiert: (1) Der Leistende hat die Zahlung zum

Recht stark beachtet, zumal die für den Rückgriff zwischen Schuldnern in Art. 1441 vorgesehene Kumulation von Forderungs- und Kausalstatut seiner Zeit schon von H.Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht (1931) 276 angeregt worden ist; siehe auch Message concernant une loi fédérale sur le droit international privé vom 10.11.1982, S. 165-166 und A.K. Schnyder, Das neue IPR-Gesetz (1988) 110. 5