Mediation als rationaler Diskurs: Überpositive Legitimation der Mediation und Vergleich zum Gerichtsprozess am Maßstab der Alexyschen Diskurstheorie [1 ed.] 9783428542734, 9783428142736

Die rechtswissenschaftliche Arbeit widmet sich der interdisziplinären Grundlagenforschung der Mediation. Es handelt sich

124 100 3MB

German Pages 283 Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Mediation als rationaler Diskurs: Überpositive Legitimation der Mediation und Vergleich zum Gerichtsprozess am Maßstab der Alexyschen Diskurstheorie [1 ed.]
 9783428542734, 9783428142736

Citation preview

Schriften zur Rechtstheorie Band 275

Mediation als rationaler Diskurs Überpositive Legitimation der Mediation und Vergleich zum Gerichtsprozess am Maßstab der Alexyschen Diskurstheorie

Von Jonas Hennig

Duncker & Humblot · Berlin

JONAS HENNIG

Mediation als rationaler Diskurs

Schriften zur Rechtstheorie Band 275

Mediation als rationaler Diskurs Überpositive Legitimation der Mediation und Vergleich zum Gerichtsprozess am Maßstab der Alexyschen Diskurstheorie

Von Jonas Hennig

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Buch Bücher de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-14273-6 (Print) ISBN 978-3-428-54273-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84273-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die schriftliche Ausarbeitung der vorliegenden Untersuchung habe ich im Wesentlichen von Mai 2010 bis Dezember 2011 in Kiel, Hamburg und Berkeley vorgenommen. Das Promotionsvorhaben wurde mit einem Stipendium durch die Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gefördert. Die Mittel dazu stellte das Bundesministerium für Forschung und Bildung. Die Arbeit wurde im Oktober 2013 von der Juristischen Fakultät Kiel als Dissertation angenommen und mit summa cum laude bewertet. 2014 wurde sie mit dem Preis für herausragende Kieler Promotionen durch den Kieler Doctores Iuris e.V. ausgezeichnet. Zahlreiche Menschen haben mich auf diesem Weg in unterschiedlichster Weise unterstützt, wofür ich Dank sagen möchte: Größter Dank gilt meinem verehrten Doktorvater Professor Dr. Rudolf MeyerPritzl, den ich schon im Rahmen meines Studiums kennenlernen durfte und der meinem, nicht ganz gewöhnlichen und interdisziplinären Promotionsvorhaben von Beginn mit großer Begeisterung und Offenheit gegenüberstand. Ihre Kompetenz, aber auch Ihre offene menschliche Art waren mir eine große Hilfe bei der Anfertigung dieser Arbeit. In mehrfacher Hinsicht möchte ich auch Professor Dr. Dr. h.c. mult. Robert Alexy Dank sagen. Ihre Diskurstheorie bildet die Grundlage dieser Arbeit. Ihre Vorlesungen in der Rechtsphilosophie und der Methodenlehre haben meine eigene Methodik und Denkart in der Jurisprudenz jahrelang und nachhaltig geprägt. Ich danke Ihnen ebenfalls sehr für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Großer Dank gilt meinem ältesten Freund Hannes Reinhardt, der meine Dissertation maßgeblich durch sein Lektorat bezüglich orthographischer Fragen unterstützt hat. Besonderer Dank gilt auch meinem ehemaligen Lehrstuhlkollegen und Studienfreund Robert Mill, der mir mit größtem Engagement und brillanter sowie kritischer Art beim Endlektorat große Dienste erwiesen hat. Ebenso danke ich Diplom Psychologen und Mediator Heiner Krabbe sowie Rechtsanwältin und Mediatorin Cornelia Sabine Thomsen für die hervorragenden Mediationsseminare und damit verbundenen Einblicke in die Mediation. Ohne die so gewonnenen praktischen Erkenntnisse hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können. Auch und gerade, da wir in einigen diskurstheoretischen Fragen ganz unterschiedliche Ansätze vertreten, gilt ein großer Dank Dr. Carsten Bäcker, der mit seiner Dissertation „Begründen und Entscheiden“ über die alexysche Diskurstheorie eine

8

Vorwort

wichtige Grundlage auch für diese Arbeit legte. Auch für das hilfreiche Gespräch mit Dr. Bäcker bedanke ich mich. Ein riesiger Dank geht an meine Freunde und Mitstreiter Catharina Herzog, Dr. Fiete Kalscheuer, Dr. Rembert Graf von Kerssenbrock und Dr. Henrik Hanssen. Catharina, ich danke Dir für die sehr gute wissenschaftliche Zusammenarbeit und unsere Freundschaft, die ich nicht mehr missen will. Lieber Fiete, vielen Dank für die zahlreichen und fruchtbaren Diskussionen, die meine Arbeit stets vorangebracht haben. Rembert, was wären die vielen Tage im Hamburger Rechtshaus ohne Dich gewesen? Diese Zeit werde ich immer in bester Erinnerung behalten. Henrik, ich danke Dir, dass wir fast die gesamte juristische Ausbildung als Freunde und Kollegen gemeinsam bewältigt haben. Für den steten und intensiven juristischen Austausch, aber auch eine neue, ganz besondere Freundschaft, danke ich Jan-Christian Thum. Den notwendigen schöpferischen Abstand konnte ich auf meinen Roadtrips durch Europa mit meinem sehr guten Schulfreund Philipp Sievert gewinnen. Gratias tibi ago. Ein besonderer Dank für persönliche Unterstützung und schöne Kneipenabende geht schließlich an meine Freunde Lino Peters, Torben Roszak, Florian Knaack und Pascale Ackermann. Ein herzlicher Dank für die sehr gute und kollegiale Zusammenarbeit gilt auch meinen Kollegen beim juristischen Repetitorium Alpmann und Schmidt. Besonders hervorzuheben sind Frau Sabine Klimke und Herr Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Hamburg Olaf Klimke. Ohne Euch wäre Vieles nicht möglich gewesen! Großer Dank gilt auch den Rechtsanwälten Frank Müller und Thomas Müller. Vor allem aber möchte ich all meinen Kursteilnehmern in den von mir geleiteten Jahreskursen im Strafrecht danken. Ohne die inspirierende Abwechslung durch die Lehre wäre die Zeit der Dissertation nicht annähernd so bereichernd gewesen. Dank gilt auch Professor Dr. Stefan Smid und seinem gesamten Lehrstuhl, an dem ich viele Erfahrungen sammeln konnte und stets gerne während meines Studiums arbeitete. Herausragender Dank in mehrfacher Hinsicht gilt der Friedrich-Naumann-Stiftung. Die Theodor-Heuss-Akademie ist mir zu einem vertrauten Ort geworden, den ich immer mit meiner Promotionszeit und besonderen Begegnungen verbinden werde und an den ich noch oft zurückkehren möchte. Besonderer Dank gilt meinem Freund Ulf Soppa, mit dem ich mit viel Freude die Promovierendeninitiative der Stiftung leiten durfte. Hoch lebe die Wachholderstube! In diesem Zusammenhang möchte ich auch meinem Vertrauensdozenten der Stiftung Professor Dr. Frank Saliger von der Bucerius Law School Hamburg für die freundliche Unterstützung meinen Dank aussprechen. Schließlich danke ich der Stiftung für die Ermöglichung meines Forschungsaufenthaltes in Berkeley. Die großartige Zeit dort war nicht nur wissenschaftlich erkenntnisreich, sondern auch persönlich eine unschätzbar wertvolle Bereicherung. Dank gilt auch meinen Gasteltern in Berkeley Vicky und Michael Larrick, die mich mit größter Gastfreundschaft empfingen.

Vorwort

9

Großer Dank für Anerkennung, Zuspruch und persönliche Unterstützung gilt schließlich meiner gesamten Familie und Verwandtschaft, wobei Martin Siedentopf besonderer Dank gebührt. Der größte Dank gilt meinen Eltern Monika und Frank Hennig. Goethe sagte, Eltern sollen ihren Kindern Wurzeln und Flügel geben. Diese Aufgabe habt Ihr meines Erachtens auf großartige Weise gemeistert. Nicht nur die materielle Unterstützung während meines Studiums, sondern vor allem der herausragende persönliche Beistand in allen Lebensphasen, waren unersetzlich. Meinem Vater danke ich darüber hinaus für die schon früh vermittelte Fähigkeit, Dinge kritisch zu hinterfragen und unkonventionelle Wege zu gehen. Ohne Euch hätte ich diese Arbeit niemals schreiben können. Schließlich danke ich meiner Freundin Mona Hasenritter. Ohne diese Arbeit hätte ich Dich vermutlich nicht kennen gelernt, was ich mir heute nicht mehr vorstellen will. Danke für alles! März 2014 in Kiel/Hamburg

Jonas Hennig

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Einführung: Gegenstand, Relevanz und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Herkunft der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Universalität der Mediation: Weltweite Bedeutung und Anwendungsgebiete der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Überblick zum Stand der Mediation in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 4. Ziele und Relevanz der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Gang der Ausarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 A. Das Verfahren der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Begriff und Prinzipien der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Problem der Definierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Ursprung des Begriffs Mediation im Kontext von Alternative Dispute Resolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Einzelne Definitionsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 aa) Definitionsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 bb) Mediation nach dem Mediationsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 cc) Fazit zu den bestehenden Definitionsansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Gründe für das Fehlen einer umfassenden und präzisen Definition . . . . . . . 39 2. Normentheoretische Analyse der Mediationsgrundsätze zur Definitionsbildung 41 a) Die einzelnen Mediationsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Eigenverantwortlichkeit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (1) Freiwilligkeit als Unterfall der Eigenverantwortlichkeit . . . . . . . . . 43 (2) Eigenverantwortlichkeit bei der Konfliktregelung . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Neutralität des Mediators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 cc) Informiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 dd) Vertraulichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 ee) Die praktische Bedeutung der Mediationsgrundsätze zur Lösung von Grundfragen der Mediation am Beispiel des Caucus . . . . . . . . . . . . . . . 53 ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Begriff des Prinzips: Prinzipientheorie als theoretischer Rahmen . . . . . . . . . 56

12

Inhaltsverzeichnis c) Übertragung der Prinzipientheorie auf die Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Mediationsgrundsätze als Normen im Verfahrenssystem Mediation . . . 59 (1) Begriff der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (a) Trennung von Begriff und Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (b) Der semantische Normbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (2) Mediationsgrundsätze als Normen im Sinne eines semantischen Normbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Mediationsgrundsätze als Prinzipien im Verfahrenssystem Mediation . . 63 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Der Konflikt als Gegenstand der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4. Ergebnis: Zusammenführung der Untersuchung zu einer Mediationsdefinition. 71 II. Geltung der Mediationsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Interne Geltung: Faktischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Externe Geltung: Juristischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 III. Rolle des Mediators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 IV. Struktur der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Phase: Einführung und Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Initiierung, Einführung und Wertschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Mediationsregeln, Gesprächsregeln und Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . 80 c) Der Mediator als Vorprüfungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 d) Klärung der Kostenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 e) Mediationsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Phase: Themen- und Informationssammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Phase: Von den Positionen zu den Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Phase: Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Entwickeln von Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Bewertung und Auswahl von Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Chancen und Grenzen des mediativen Verhandelns . . . . . . . . . . . . . . . . 90 bb) Argumentation in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 cc) Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5. Phase: Abschlussvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 V. Methoden der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

B. Begründungsansätze der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I. Pragmatische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Entlastung der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Inhaltsverzeichnis

13

2. Ökonomische Betrachtung aus Parteisicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Monetäre Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Weite ökonomische Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Beschleunigungseffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Nachhaltige Befriedung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Friedensstiftende Nachhaltigkeitsmerkmale der Mediation . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Methode der umfassenden Sachverhaltsbetrachtung unter Berücksichtigung der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Überwindung rein strategischer und kontraproduktiver Vorgehensweisen 116 cc) Erweiterter Kreis der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 dd) Flexibilität: Keine formellen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 ee) Möglichkeit der umfassenden Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 ff) Vertraulichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 gg) Berücksichtigung von Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 hh) Eigenverantwortlichkeit der Parteien und damit einhergehende Akzeptanz des interessenbasierten Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Empirische Erhebungen zu nachhaltigem Frieden durch Mediation . . . . . . . 120 5. Schutz zwischenmenschlicher und wirtschaftlicher Beziehungen . . . . . . . . . . . 121 6. Fazit zur pragmatischen Begründungsdimension der Mediation . . . . . . . . . . . . 121 II. Gesetzliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Einführung und Abgrenzung zu anderen Diskurstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Alexys transzendentalpragmatisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Alexys empirisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Kritische Betrachtung der einzelnen Begründungsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Kritische Betrachtung des transzendentalpragmatischen Arguments . . . . . . 130 aa) Zu (TP 1) Notwendigkeit des Behauptens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Zu (TP 2) Regeln als notwendige Voraussetzungen der Möglichkeit von Behauptungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (1) Zu (TP 2.1) Anspruch auf Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (a) Performativer Widerspruch und Kernbedeutung des Begriffs der Behauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (b) Zum Begriff des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (2) Zu (TP 2.2) und (TP 2.3) Anspruch auf Begründbarkeit und Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

14

Inhaltsverzeichnis (3) Zu (TP 2.4) Ansprüche auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Ergebnis der Betrachtung des transzendentalpragmatischen Arguments . 141 b) Kritische Betrachtung des empirischen Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Betrachtung der empirischen Prämissen (E1) und (E 2) . . . . . . . . . . . . . 141 (1) Dauerhaftigkeitseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Erkennbarkeitseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (3) Unerheblichkeitseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Betrachtung der empirischen Prämisse (E 3) und (E 4) . . . . . . . . . . . . . 146 (1) Alleinherrschereinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Beherrschendeneinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (3) Kurzfristigkeitseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (4) Glaubenseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Grundsätzliche Einwände gegen das empirische Argument . . . . . . . . . . 150 (1) Einwand der Interessenrelativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (2) Moraleinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (3) Willküreinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4. Ergebnis der Begründungsschritte nach kritischer Würdigung . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Das Zwei-Ebenen-Modell Alexys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Idealer praktischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Realer praktischer Diskurs und Verhältnis zum idealen praktischen Diskurs 160 2. Das „Drei-Ebenen-Modell“ Bäckers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Diskursideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Diskursprinzipen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Tatsächlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Das „Drei-Ebenen-Modell“ als „Ein-Ebenen-Modell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Kritische Würdigung beider Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Konsensproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Richtigkeitsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Objektivitätsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Widerspruchsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Kriteriums- und Konstruktionsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 d) Abschließende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4. Modifikationsthese: Das Zwei Ebenen-Modell unter Einführung einer Vermittlungsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Die feststehenden Diskursprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Prinzip der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Prinzip der Teilnehmerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 cc) Prinzip der Zwanglosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Inhaltsverzeichnis

15

dd) Prinzip der sprachlich-begrifflichen Klarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 ee) Prinzip der empirischen Informiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 ff) Prinzip der Bereitschaft zum Rollentausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 gg) Prinzip der Vorurteilsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Vergleich mit dem reinen Zwei-Ebenen-Modell Alexys . . . . . . . . . . . . . . . . 181 c) Vergleich mit dem Bäckerschen Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 D. Der Juristische Diskurs als Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses . . 185 I. Juristische Fragen als praktische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Unbestimmtheitseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Einwand der geltenden Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Einwände gegen den rechtlichen Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Verteidigung des rechtlichen Anspruchs auf allgemeine praktische Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Alexys Modell des diskursiven Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Alexys zwei Aspekte des mit gerichtlichen Entscheidungen erhobenen Anspruchs auf Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Ergebnis zum rechtlichen Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit . 200 4. Zwischenergebnis zur zweiten These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 III. Spezifisch juristische Einschränkungen (Sonderfallthese im engeren Sinne) . . . . . 202 1. Der Begriff des juristischen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Bindung an Gesetz, Präjudiz und Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Bindung an das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Bindung an Präjudizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Bindung an die Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3. Einwände gegen den Diskurscharakter des juristischen Diskurses . . . . . . . . . . . 209 a) Die freie rechtswissenschaftliche Erörterung als Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Der Gerichtprozess als Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Einschränkungen durch die Prozesssituation im engeren Sinne . . . . . . . 211 (1) Begrenzung der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (2) Begrenzung der Teilnehmerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (3) Begrenzung der Zwanglosigkeit durch asymmetrische Rollenverteilung insbesondere im Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (4) Begrenzungen durch die Prozessordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (5) Ergebnis zu den Einschränkungen der Prozesssituation im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 bb) Einschränkungen durch Sachverhaltsreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

16

Inhaltsverzeichnis cc) Einschränkungen durch die Motivation der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (1) Trivialitätseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (2) Unkenntlichkeitseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (3) Das Überwiegen des strategischen Elements . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4. Ergebnis: Bestätigung der Sonderfallthese im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . 224 IV. Ergebnis: Bestätigung der Sonderfallthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Mediationskonflikte als praktische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Die erste bis dritte Phase der Mediation als Vorbereitung der Lösung praktischer Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Die vierte Phase als Argumentationsphase zur Lösung praktischer Fragen . 228 c) Denkbare Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 d) Bestätigung der ersten Unterthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Der Anspruch auf Richtigkeit in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Begründung des Richtigkeitsanspruchs in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Denkbare Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Unbestimmtheitseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) Die mangelnde Entscheidungsdefinität von Mediationsdiskursen . . . . . 237 c) Der Richtigkeitsbegriff in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 d) Bestätigung der Richtigkeitsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Der Mediationsdiskurs als nicht einschränkungsbedingter Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 a) Der Begriff des nicht einschränkungsbedingten Sonderfalls . . . . . . . . . . . . . 241 b) Keine Bindung an Gesetz oder sonstige Statute für das Mediationsergebnis. 242 c) Keine spezifischen Einschränkungen der Verfahrenssituation in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Die Teilnehmerschaft in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 bb) Der Faktor Zeit in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 cc) Zwanglosigkeit in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 dd) Die Phasen und Prinzipien der Mediation als nichteinschränkendes Spezifikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 d) Motivation der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 aa) Die Motivation der Parteien im Vorfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Die Motivation der Parteien in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 e) Bestätigung der Sonderfallthese der Mediation im engeren Sinne . . . . . . . . 251 4. Bestätigung der ersten Diskursthese der Mediation (Richtigkeitsthese) . . . . . . 251

Inhaltsverzeichnis

17

II. Zweite Diskursthese der Mediation: Idealthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Ideal-approximative Wirkung der Mediationsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Die Mediationsprinzipien der Freiwilligkeit und der Eigenverantwortlichkeit 252 b) Das Mediationsprinzip der Informiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) Fazit zur ideal-approximativen Wirkung der Mediationsprinzipien . . . . . . . 254 2. Ideal-approximative Wirkung der Mediationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Ideal-approximative Wirkung der Methode der Selbstbehauptung . . . . . . . . 254 b) Ideal-approximative Wirkung der Methode der Wechselseitigkeit . . . . . . . . 255 3. Ideal-approximative Wirkung sonstiger Wesensmerkmale der Mediation . . . . . 256 a) Förderung des subjektiv echten Interesses an Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Berücksichtigung einer wesentlichen Diskursregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 4. Die diskurstheoretische Rolle des Mediators als Hüter des Diskurses . . . . . . . . 258 5. Zusammenfassung anhand der Diskursprinzipien und Bestätigung der Idealthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 III. Einordnung der Mediation in ein diskursives Rechtsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 IV. Fazit zum Vergleich von Mediationsdiskurs und Gerichtsprozess . . . . . . . . . . . . . 261 F. Diskurstheoretische Legitimation der Mediation und Bestätigung der Diskurstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 I. Universelle, überpositive, diskurstheoretische Legitimation der Mediation . . . . . . 263 II. Bestätigung der Diskurstheorie durch Übertragung auf die Mediation . . . . . . . . . 264 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

Einleitung I. Einführung: Gegenstand, Relevanz und Ziel der Arbeit 1. Herkunft der Mediation Die Geschichte der Mediation1 im Sinne einer eigenverantwortlichen Konfliktbeilegung mit Hilfe eines neutralen und nicht entscheidungsbefugten Dritten in einer bestimmten Struktur2, ist noch jung. Wenn auch der Grundgedanke der Vermittlung durch einen Dritten bei Konflikten sich schon seit der Antike in verschiedenen Kulturen und Epochen wiederfindet,3 so kann doch in diesem Zusammenhang noch nicht von Mediation im heutigen Sinne gesprochen werden.4 Der Ausgangspunkt der Mediation findet sich vielmehr erst in den frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA.5 Damals vermittelten die Mediatoren Gerald W. Cormick und Jane McCarthy bei einem umfangreichen Bauvorhaben eines Staudamms am Snoqualmie River im US-Bundesstaat Washington, wobei es ihnen im Rahmen eines Modellprojektes gelang, mit zahlreichen Konfliktparteien eine akzeptierte Lösung für diesen schon lange andauernden Konflikt zu erarbeiten.6 Mit diesem Ereignis deutete sich erstens an, wie erfolgversprechend die Methode der Mediation zur Konfliktbeilegung sein kann, zweitens wurde das Verfahren in der Öffentlichkeit

1 Umfassend zur Geschichte der Mediation im heutigen Sinne Hehn, Entwicklung und Stand der Mediation – ein historischer Überblick, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (187 ff.), Rn. 33 ff. 2 Zum Begriff der Mediation siehe umfassend Kapitel A. I. 3 Diese Ursprünge untersuchen Duss-von Werdt, Homo Mediator, S. 19 ff.; ders., Die letzten 2500 Jahre der Mediation, in: Mediation – die neue Streitkultur, S. 115 ff.; Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (177 ff.), Rn. 3 ff.; vgl. ferner Haft, in: Handbuch Mediation, § 2, S. 69 (72 f.) Rn. 10 f. mit einer Aufzählung von bedeutenden Vermittlern von der Antike bis zur Weimarer Republik. 4 Anders aber Duss-von Werdt, Die letzten 2500 Jahre der Mediation, in: Mediation – die neue Streitkultur, S. 115 (117); Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (176), Rn. 1 f. 5 Dazu Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (187), Rn. 33; generell und umfassend zur Mediation in den USA Gottwald, Mediation in den USA, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 7 Rn. 1 ff.; Kulms, Alternative Streitbeilegung durch Mediation in den USA, in: Mediation, S. 403 ff. 6 Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (187), Rn. 36 f., der auch darauf hinweist, dass die Umsetzung der Vereinbarung in dieser Mediation aus anderen Gründen scheiterte. Zu diesem Mediationsprojekt ausführlich Cormick, The „Theory“ and Practice of Environmental Mediation, S. 24 ff.

20

Einleitung

bekannter und drittens kam es zu einem Schub für die Mediationspraxis.7 Gleichfalls in den siebziger Jahren wurde im Rahmen der zunehmenden Entwicklung der Alternative Dispute Resolution (ADR)8 eine bis heute wegweisende wissenschaftliche Grundlage für die Mediation geschaffen: das Harvard-Konzept, was unter anderem die Trennung von Positionen und Interessen und die Entscheidung auf der Basis objektiver Kriterien statuiert.9 Der Ausgangspunkt der Mediation ist also einerseits durch eine praktische Mediation, andererseits durch eine wissenschaftliche Grundlage, die bis heute Wirkung entfaltet, gekennzeichnet.

2. Universalität der Mediation: Weltweite Bedeutung und Anwendungsgebiete der Mediation Entsprechend dieser Ausgangslage hat diese Arbeit zum Ziel, auf der einen Seite einen wissenschaftlich-theoretischen Beitrag zu leisten, auf der anderen Seite der Praxis der Mediation so eine neue Legitimationsgrundlage zu geben. Die hier angestrebte Begründung der Mediation soll universell und überpositiv, also über die Grenzen der Nationalstaatlichkeit hinweg, auf das Verfahren der Mediation anwendbar sein. Zwei Gründe machen diese Universalität erforderlich. Erstens kann nur dies der Mediation als heute globales Verfahren gerecht werden. Längst ist Mediation nicht nur in den USA fest etabliert und aus der dortigen Praxis der Streitkultur nicht mehr wegzudenken.10 Vielmehr hat die Mediation innerhalb weniger Jahrzehnte als Konfliktlösungsverfahren globale Bedeutung erlangt. Sie wird heute nahezu weltweit praktiziert und befindet sich in einer wachsenden Entwicklung.11 Zweitens ist das Anwendungsgebiet der Mediation gleichfalls universell. So findet Mediation mittlerweile in nahezu allen Gebieten des menschlichen Zusammenlebens statt; eben in allen Bereichen, in denen Interessenkonflikte auftreten und ein Bedürfnis nach einerseits schneller und kostengünstiger Streitbeilegung und andererseits nachhaltiger Befriedung besteht. Als klassische Bereiche der Mediation sind Familienme-

7

Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (187), Rn. 36 f.; vgl. auch Weidner, Internationale Erfahrungen mit Umweltmediation, in: Studienbrief Umweltmediation, S. 135 (136 f.). 8 Zur Entwicklung und Einordnung der Mediation in den Kontext von ADR siehe umfassend Kapitel A. I. 1. a). 9 Zum Harvard-Konzept vgl. statt Vieler Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept. Heute werden auch andere wissenschaftliche Grundlagen der Mediation in den Fokus gerückt. Vgl. dazu Kessen/Zilleßen, Leitbilder der Mediation, in: Studienbrief Umweltmediation, S. 43 ff. 10 Gottwald, Mediation in den USA, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 7 Rn. 1; Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (190), Rn. 49. 11 Eine weitreichende Sammlung internationaler Studien zur Mediation bietet der Sammelband von Hopt/Steffek, Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, 2008.

I. Einführung: Gegenstand, Relevanz und Ziel der Arbeit

21

diation12, Erbmediation13, interne Wirtschaftsmediation innerhalb eines Unternehmens, externe Wirtschaftsmediation zwischen Unternehmen14, Mediation bei verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten15, Umweltmediation16, Mediation bei arbeits-17 oder sozialrechtlichen18 Konflikten sowie schließlich der Täter-Opfer-Ausgleich als Mediation im Strafrecht19 zu nennen. Über diese klassischen Bereiche hinaus lässt sich die Liste fast unbegrenzt fortsetzen. So gibt es etwa die Schulmediation20, Mediation im gewerblichen Rechtsschutz21, Mediation bei Miet- und Nachbarschaftskonflikten22, im Insolvenzrecht23, im Versicherungsrecht24 und im Gesund12 Ausführlich zur Familienmediation Diez/Krabbe/Thomsen, Familien-Mediation und Kinder; Mähler/Mähler, Familienmediation, in: Handbuch Mediation, § 19, S. 457 ff.; Fischer, Mediation im Familienrecht, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 13, S. 393 ff. Einer langen Tradition erfreut sich insbesondere die Scheidungsmediation. Wegweisend dazu Friedman, A guide to divorce mediation. Zur Problematik der Kinder bei Scheidungen wegweisend Haynes, Divorce Mediation – A practical Guide for therapist and counselors, S. 29 ff. 13 Ausführlich zur Erbmediation Siegel, Mediation in Erbstreitigkeiten, Berlin 2009. 14 Wegweisend zur Wirtschaftsmediation insgesamt Risse, Wirtschaftsmediation, München 2003. Siehe auch Risse/Wagner, Mediation im Wirtschaftsrecht, in: Handbuch Mediation, § 23, S. 553 ff.; zur Mediation bei Großunternehmen Klowait/Hill, SchiedsVZ 2007, S. 83 ff.; zur Mediation im Gesellschaftsrecht Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2008, S. 85 ff. 15 Ausführlich zur Umweltmediation Runkel, Umweltkonflikte sachgerecht lösen: Umweltmediation in Deutschland und den USA; Zilleßen, Umweltmediation, in: Handbuch Mediation, § 30, S. 729 ff. 16 Ausführlich zur Verwaltungsmediation Pitschas/Walther, Mediation im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess; Rapp, Mediation im Verwaltungsrecht, Tübingen 2004; Holznagel/Ramsauer, Mediation im Verwaltungsrecht, in: Handbuch Mediation, § 28, S. 683 ff.; ferner Seibert, NVwZ 2008, S. 365 ff.; ein Praxisbericht zur Verwaltungsmediation findet sich bei Ortloff, NVwZ 2006, S. 148 ff. 17 Ausführlich zur Mediation im Arbeitsrecht: Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Göttingen 2001; Ponschab/Dendorfer, Mediation in der Arbeitswelt, BB 2001, Nr. 2, S. 1 ff.; Griebe, Mediation in der Arbeitswelt, AE 2008, S. 253 ff.; Ponschab/Mauder/von Thun, Besser schlichten als richten: Mediation im Betrieb, NZA 2004, S. 12 ff.; Prütting, Mediation im Arbeitsrecht, in: Handbuch Mediation, § 21, S. 515 ff.; Prütting, Reichweite und Grenzen der Mediation im Arbeitsrecht, in: Deutscher Mediationstag 2009 Jena, S, 99 ff. 18 Ausführlich dazu Kilger, Mediation im Sozialrecht, in: Handbuch Mediation, § 29, S. 715 ff.; vgl. ferner Weitz, Gerichtsnahe Mediation in der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit, Frankfurt a.M. 2008. 19 Der Täter-Opfer-Ausgleich als Mediation im Strafrecht nimmt eine Sonderrolle ein. Die Literatur dazu ist kaum noch zu überschauen. Ein Überblick dazu bietet Kerner, Mediation beim Täter-Opfer-Ausgleich, in: Handbuch Mediation, § 33, S. 815 ff.; Empirische Ergebnisse eine Modellprojekts liefert Zanolini, ZStrR 2007, S. 395 ff.; ein Überblick anhand internationaler Forschungsergebnisse findet sich bei Rössner, BewHI 2009, S. 259 ff.; neuartig ist die gerichtliche Mediation in Strafvollzugssachen. Dazu Vogt/Schammler, FS 2009, S. 330 ff. 20 Instruktiv zur Schulmediation Böhmke, Konflikte lösen durch Schulmediation. 21 Ausführlich zur Mediation im gewerblichen Rechtsschutz Volpert, MittdtschPatAnw 2008, S. 170 ff; Chrocziel/von Samson-Himmelstjerna, in: Handbuch Mediation, § 27, S. 665 ff. 22 Dazu Kraus, GuT 2007, S. 279 ff.; Prell/Marx, DW 2005, Nr. 2, S. 42 ff.

22

Einleitung

heitswesen25, aber auch exotische Sonderfälle wie eine Orchestermediation26 können aus der Praxis berichtet werden. Die meisten der genannten Bereiche sind Gegenstand umfangreicher wissenschaftlicher Untersuchung. In dieser Arbeit ist es daher weder notwendig noch zweckmäßig, einzelne Felder der Mediation näher zu beleuchten. Diese Aufzählung zeigt allein ein Bild der mannigfaltigen Anwendungsbereiche und der universellen Einsatzmöglichkeiten von Mediation.

3. Überblick zum Stand der Mediation in Deutschland Der deutsche Rechtsraum zeichnet sich indes durch eine besonders rasante Praxisentwicklung und eine prosperierende, kaum noch zu überblickende Mediationswissenschaft aus. Daher bietet sich die Mediation, wie sie sich in Deutschland darstellt, als Grundlage für die Erarbeitung einer universellen und überpositiven Legitimationsgrundlage an. Freilich soll auch die internationale Entwicklung in den Blick genommen werden. Das Hauptaugenmerk wird in dieser Arbeit jedoch auf der Mediation in Deutschland liegen. Mediation hat sich in Deutschland innerhalb weniger Jahre von einem in der Öffentlichkeit nahezu unbekannten Verfahren zu einem zunehmend populären Konfliktbeilegungsinstrument entwickelt. Noch Mitte der 1990er Jahre beschränkte sich die Anzahl derjenigen, die eine Vorstellung davon hatten, was mit dem Begriff Mediation gemeint sein könnte, auf wenige Pioniere.27 Heute zeigt sich ein gegenteiliges Bild. Das umfangreiche Angebot durch Gerichte28, die Anwaltschaft29 und weitere Berufsgruppen30 sowie medienwirksame Verbandsarbeit führten dazu, dass das Verfahren der Mediation nicht nur rasant an Popularität gewonnen hat, sondern auch in umfangreichem Maße tatsächlich 23 Zur Mediation im Insolvenzrecht Rösch, Verhandlung und Mediation in der Insolvenz; Marburg 2009. 24 Vgl. dazu Wilhelm, Versicherungsrechtliche Schadensregulierung unter Einsatz mediativer Elemente, in: Handbuch Mediation, § 26, S. 637 ff. 25 Ausführlich dazu bisher Meurer, Außergerichtliche Mediation in Arzthaftungssachen. Hinzuweisen ist auch auf die Kieler Dissertation von Herzog, Mediation im Gesundheitswesen – Außergerichtliche Streitbeilegung in Arzthaftungssachen (Veröffentlichung voraussichtlich Ende 2014). 26 Krabbe/Kutz, „Orchester-Mediation“, ZKM 2007, S. 111 ff. 27 Gläßer, Institutionalisierung, Differenzierung, Professionalisierung – Mediation im Wandel, SchlHA 2010, S. 32 (32, 34). 28 Eine ausführliche Übersicht über die Modellprojekte der Gerichtsmediation in Deutschland findet sich bei von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 70 ff. 29 Mediation und Anwaltschaft ist ein viel und kontrovers diskutiertes Thema. Einführend dazu Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 1 Rn. 22 ff.; Friedrichsmeier, Der Rechtsanwalt als Mediator, in: Handbuch Mediation, § 34, S. 837 ff.; zum anwaltlichen Berufsrecht in der Mediation Henssler, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 3, S. 99 ff. 30 Es gibt mannigfaltige Ursprungsberufe des Mediators. Neben den Juristen sind Berufe mit wirtschaftlichem Hintergrund und vor allem Psychologen vertreten. Zu Letzterem Kempf, Der Psychologe als Mediator, in: Handbuch Mediation, § 35, S. 855 ff.

I. Einführung: Gegenstand, Relevanz und Ziel der Arbeit

23

durchgeführt wird.31 Ein Höhepunkt bezüglich der Öffentlichkeitswirkung ist ein Fernsehformat32, durch welches das Mediationsverfahren einem Massenpublikum zugänglich gemacht wird.33 Mit der wachsenden Verbreitung von Mediationsverfahren steigt auch die Professionalität der in diesem Feld tätigen Akteure.34 Zahlreiche Ausbildungsinstitute und zwei akkreditierte Masterstudiengänge35 belegen das stetig wachsende wissenschaftliche Interesse an konsensualer und eigenverantwortlicher Konfliktbeilegung. Mit dem Mediationsgesetz36 hat sich schließlich der Gesetzgeber zur Mediation bekannt. Die Worte der damaligen Justizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger bei der 1. Lesung des Entwurfs zum Mediationsgesetz sind deutlich: „Mediation als eine Methode, in geordneter und konstruktiver Weise mit Konflikten umzugehen, ist besonders geeignet, die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger für sich selbst und andere zu stärken. Deshalb wollen wir die Bürger ermuntern, ihre Streitigkeiten vornehmlich eigenverantwortlich zu lösen.“37

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht schon 2007 in einer für die Mediation fundamentalen Entscheidung betont: „Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“38 31 Eine ausführliche Übersicht über die tatsächliche Ausbreitung der Mediation in Deutschland sowie weltweit bietet der Sammelband von Hopt/Steffek, Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, Tübingen 2008. 32 Für die Sendung „Nachbarschaftsstreit“ siehe http://rtl-now.rtl.de/nachbarschaftsstreit.php (zuletzt aufgerufen am 29. 11. 2011) 33 Siehe dazu Gläßer, SchlHA 2010, S. 32 (34), die darauf hinweist, dass eine solche mediale Präsentation sinnvoll sein kann, wenn die Prinzipien der Mediation verdeutlicht werden. 34 Siehe dazu ausführlich Schlieffen, Professionalität, Profession und Mediation, in: Professionalisierung und Mediation, S. 1 ff.; Dauner, Mediation auf dem Weg zur Profession?, in: Professionalisierung und Mediation, S. 79 ff.; Trenczek, Professionalisierung von Mediatoren, in: Professionalisierung und Mediation, S. 99 ff.; Ortloff, Gerichtsmediation und die Folgen für die Professionalisierung der Mediation, in: Professionalisierung und Mediation, S. 119 ff.; für die Wirtschaftsmediation Ponschab, Professionalisierung der Wirtschaftsmediation, S. 121 ff.; einen Ausblick gibt Trossen, Die Zukunft und Professionalisierung der Mediation – Einbeziehung statt Ausgrenzung, in: Professionalisierung und Mediation, S. 169 ff.; Gläßer, SchlHA 2010, S. 32 ff. 35 Zu den Masterstudiengängen siehe http://www.rewi.europa-uni.de/de/studium/master/ mediation/index.html; http://www.fernuni-hagen.de/ls_schlieffen/mediation/ (beide zuletzt aufgerufen am 18. 02. 2014). 36 Zum Mediationsgesetz siehe Kapitel A. I. 1. b) bb). 37 http://www.bmj.de/SharedDocs/Infodienst/20110414_Bundestag_Mediation.html (zuletzt aufgerufen am 18. 02. 2014). 38 BVerfG, Beschluss vom 14. 02. 2007 – 1351/01, NJW-RR 2007, S. 1073 (1074).

24

Einleitung

Die Mediation prägt eine neue konsensuale, auf nachhaltige Befriedung von Konflikten gerichtete Streitkultur. Im Zentrum steht die Eigenverantwortlichkeit der Parteien und damit der Autonomiegedanke. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat die Mediation in Deutschland das Prädikat der Rechtsstaatlichkeit und mit dem Mediationsgesetz zudem einen rechtlichen Rahmen erhalten. Die Zeit der Erprobung der Mediation ist abgeschlossen – sie ist vielmehr neuer, aber integraler Bestandteil unserer Streit- und Rechtskultur. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie weltweit an Bedeutung in Praxis und Wissenschaft gewinnt. Dies lässt sich auch und gerade für Deutschland konstatieren.

4. Ziele und Relevanz der Arbeit Diese Arbeit ist aus der Beobachtung einer in dreifacher Hinsicht bestehenden Lücke, die sich bei der Analyse der wissenschaftlichen und praktischen Auseinandersetzung mit der Mediation offenbart, entstanden. Die erste Lücke ist in der mangelnden Systematisierung der bestehenden Begründungsansätze der Mediation zu sehen. Die Vorteile der Mediation stellen sich nur selten als fokussierte Begründungen der Mediation dar. Die Literatur erschöpft sich regelmäßig in der Aufzählung oder Untersuchung einzelner Vorteile der Mediation.39 Als Schlaglichter seien an dieser Stelle die Entlastung der Justiz40, ökonomische Effekte für die Medianten41, Beschleunigungseffekte42 und die Nachhaltigkeit43 bei einem eigenverantwortlichen, interessenbasierten Ergebnis44 genannt. Diese werden weitgehend ohne einen systematischen Zusammenhang, aber vor allem ohne danach zu fragen, welchen Begründungswert die einzelnen geltend gemachten Vorzüge aufweisen, vorgebracht. Das erste Ziel dieser Arbeit ist es daher, einen Beitrag zur Systematisierung der bestehenden Vorteile zu leisten und den jeweiligen Begründungswert zu hinterfragen. Die zweite, deutlich gravierendere Lücke ist das Fehlen einer überpositiven und universellen Legitimationsgrundlage des Mediationsverfahrens. Es lässt sich feststellen, dass die dynamische Debatte in der Wissenschaft die Herausforderungen der Mediation regelmäßig nur isoliert zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht.

39 Vgl. aber die Zusammenstellung von Metazielen der Mediation bei Breidenbach/Gläßer, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Spektrum der Mediationsziele, Kon:sens 1999, S. 207 ff.; sowie die umfangreiche und geordnete Sammlung von Vorteilen bei Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 75 ff. 40 Zur Entlastung der Gerichte siehe Kapitel B. I .1. 41 Zu ökonomische Betrachtung der Mediation siehe Kapitel B. I. 2. 42 Zu den Beschleunigungseffekten der Mediation siehe Kapitel B. I. 3. 43 Zur Nachhaltigkeit in der Mediation siehe Kapitel B. I. 4. 44 Siehe zu den Vorteilen des Mediationsergebnisses Kapitel B. I .4. a) hh).

I. Einführung: Gegenstand, Relevanz und Ziel der Arbeit

25

Zunehmend werden Einzelfragen, wie die Gerichtsnahe Mediation45, die Professionalisierung der Mediation46 oder etwa Vertraulichkeitsschwierigkeiten des Mediationsverfahrens47, vor allem aber einzelne Anwendungsgebiete der Mediation48, untersucht. Ohne Zweifel handelt es sich um Fragen von gewichtiger Bedeutung für die Entwicklung der Mediation. Die Frage nach ihrer Begründung rückt so jedoch in den Hintergrund. Einige der oben genannten Vorzüge sind durchaus verifiziert und weisen einen gewissen Begründungswert auf,49 sie stellen jedoch keine umfassende Begründung des Mediationsverfahrens dar. Diese Vorzüge sind mithin nicht hinreichend, um die Richtigkeit des Verfahrens zu begründen. Die aufgezeigte Lücke lässt sich mit der Frage nach der rationalen Legitimation des Mediationsverfahrens umschreiben. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Mediation, über die das Verfahren überpositiv legitimiert werden kann, besteht nicht. Dies verwundert aus drei Gründen. Erstens ist es dem Wesen der juristischen Methode doch immanent, nach der Legitimation zu fragen50 und sind es doch gerade Juristen, die sowohl die Praxis als auch die wissenschaftliche Debatte der Mediation dominieren. Zweitens ist es auch nicht so, dass die Legitimität der Mediation allein durch ihre Vorzüge zu einem unbestrittenen Faktum würde. Insbesondere in der Anwaltschaft bestehen in Teilen noch erhebliche Berührungsängste und Vorbehalte gegenüber dem Mediationsverfahren.51 Drittens hat die Mediation wie dargelegt eine praktische und wissenschaftliche Bedeutung erlangt, die nach einer entsprechenden Auseinandersetzung verlangt. Gottwald hat in einem anderen Zusammenhang bereits eindringlich auf das bestehende Legitimationsdefizit hingewiesen: „Auch wenn niemand den Wert der ADR-Entwicklung in den USA bezweifeln und abstreiten will, dass Mediation auf einem globalen Markt eine zweckmäßige Form der Konfliktbehandlung ist, so bleibt doch das Problem: Wie lässt sich die Legitimität so erhöhen, dass es nicht lediglich als amerikanischer Export empfunden wird?“52

Eine wichtige Legitimationsgrundlage ist mit dem Mediationsgesetz geschaffen worden. Die Legitimationswirkung durch ein Gesetz, also auf positiver Ebene, ist enorm. Die Legitimation, zumindest in der subjektiven Wahrnehmung, kann im 45

Vgl. statt Vieler hierzu die Dissertationen von von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, Tübingen 2008 und Weitz, Gerichtsnahe Mediation, Frankfurt 2008. 46 Siehe dazu die Literaturnachweise in Fn. 34. 47 Vgl. hierzu allein die Dissertationen von Hilber, Die Sicherung der Vertraulichkeit des Mediationsverfahrens, Hamburg 2006; Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, Berlin 2006. 48 Siehe dazu oben S. 23. 49 Ausführlich dazu Kapitel B. 50 Vgl. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 23. 51 Über die Kritik aus der Anwaltssicht vgl. Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 1 Rn. 35 ff. 52 Gottwald, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 7 Rn. 91; dem folgend Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 1 Rn. 36.

26

Einleitung

Sinne einer Macht des Faktischen auch durch einen Ausbau der Mediationspraxis in gewissen Grenzen vorangetrieben werden.53 All dies macht aber eine überpositive Legitimation oder zumindest eine tiefergehende Auseinandersetzung, die nach der Richtigkeit des Verfahrens selbst fragt, nicht entbehrlich. Langfristig kann die Mediation ihren weltweiten Erfolgskurs nur dann aufrechterhalten, wenn sie einen theoretischen Unterbau54 im Sinne eines philosophischen Substrats erhält. Wie festgestellt hat die Mediation schon jetzt global eine beträchtliche praktische und wissenschaftliche Bedeutung. Damit verlangt der Status quo eine diesem angemessene theoretische Analyse des Verfahrens. Mediation als konsensuale und ernsthafte Alternative zum obrigkeitlichen Urteil durch den Richter kann nur nachhaltig in die praktizierte Streitkultur etabliert werden, wenn eine umfassende Legitimation dieses Verfahrens gewährleistet ist. Die dritte Lücke ist schließlich der Mangel an einer umfassenden Diskursanalyse der Mediation.55 Die Frage, ob die Mediation einen Diskurs darstellt, ist bisher kaum behandelt worden. Die Antwort auf die Frage, welche diskurstheoretischen Bedingungen der Mediation zu Grunde liegen, ist im Wesentlichen unbeantwortet. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass die beiden letztgenannten Lücken in einem Zusammenhang stehen. Das zweite Ziel dieser Arbeit muss daher lauten, die erste umfassende diskurstheoretische Analyse der Mediation vorzunehmen und darüber die erste überpositive und universelle Legitimationsgrundlage des Verfahrens anzubieten. Diese Arbeit beansprucht dabei nicht, die aufgezeigten Lücken zu schließen, sondern lediglich einen Beitrag zur Schließung zu leisten und gleichzeitig einen Anstoß für einen daran anknüpfenden Diskurs zu geben. Für ein solches Vorhaben bietet sich die vielbeachtete Alexysche Diskurstheorie an, wie an späterer Stelle56 zu begründen sein wird. Um die Mediation auf Grundlage dieser Theorie zu analysieren, ist jedoch eine gewisse Vorarbeit zu leisten. Eine umfassende und präzise Begriffsbestimmung der Mediation ist notwendig. Dazu ist vor allem das Wesen der Mediationsgrundsätze Eigenverantwortlichkeit, Freiwilligkeit, Vertraulichkeit, Informiertheit und Neutralität zu klären. Eine normen53 Gottwald, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 7 Rn. 91 selbst geht es bei der Legitimation offenbar darum für einen strukturellen Ausbau eines hoch entwickelten ADR-Systems zu plädieren. Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 1 Rn. 36 hingegen appelliert im Kontext der fehlenden Legitimation an die Anwaltschaft sich der Mediation nicht zu verschließen, sondern sie fruchtbar zu machen. 54 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 145 weist daraufhin, dass eine umfassende Theorie und Philosophie des mediativen Verhandelns noch aussteht. 55 In einer kurzen Abhandlung weist Duss-von Werdt, Homo Mediator, S. 257 ff. auf einen Zusammenhang zwischen Diskurs und Mediation hin. Es handelt sich jedoch nicht um eine umfassende Analyse der Diskursbedingungen in der Mediation, wie sie in dieser Arbeit unternommen werden soll. Ganz anders als hier geht es dort primär um einen kulturphilosophischen und historischen Ansatz über Diskurs und Mediation. Der große Verdienst von Duss-von Werdt liegt vor allem in der geschichtlichen Untersuchung der Ursprünge der Mediation (vgl. Montada/Kals, Mediation, S. 2). 56 Siehe dazu Kapitel C. I. 2.

I. Einführung: Gegenstand, Relevanz und Ziel der Arbeit

27

theoretische Untersuchung dieser für die Mediation konstitutiven Grundsätze gibt es bisher nicht. Sie soll in dieser Arbeit mittels des theoretischen Rahmens der Prinzipientheorie vorgenommen werden. Nach der so aufgestellten Prinzipienthese der Mediation handelt es sich bei diesen Grundsätzen um Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten innerhalb des Verfahrenssystems Mediation. Dies zu begründen, ist ein erster Schwerpunkt der Arbeit im Rahmen der Darstellung des Mediationsverfahrens. Es folgt die oben angesprochene, bisher nicht bestehende Systematisierung der in der Literatur diskutierten Mediationsvorteile, wobei der jeweilige Begründungswert zu ermitteln ist. Bereits jetzt ist unverkennbar, dass diese Arbeit notwendig interdisziplinär57 ausgerichtet ist. Mediation selbst basiert auf den Erkenntnissen der Psychologie. Im Rahmen der Begriffsklärung ist auf das neue Mediationsgesetz einzugehen, also die aktuelle rechtliche und rechtspolitische Situation zu beleuchten. Bei der Systematisierung der Begründungsansätze ist unter anderem eine ökonomische Betrachtung der Mediation unverzichtbar. Die Verbindung von Diskurstheorie und Mediation als Herzstück dieser Dissertation ist ein Vorhaben im Bereich der Philosophie. Mit dieser Verbindung wird Neuland betreten, da eine Verbindung der Alexyschen Diskurstheorie mit der Mediation bisher nicht einmal angedacht wurde. Freilich ist der Alexyschen Diskurstheorie in dieser Arbeit zunächst losgelöst vom Mediationskontext Raum zu geben.58 Nur wenn die Alexysche Diskurstheorie bestätigt werden kann, ist sie taugliche Grundlage für eine diskurstheoretische Analyse und Legitimation der Mediation. Eine Auseinandersetzung mit der Kritik, bestehenden Gegenmodellen – insbesondere dem diskurtsheoretischen Modell Carsten Bäckers59 – sowie der Frage, ob eine Modifikation der Alexyschen Theorie möglich ist, ist damit in dieser Arbeit ebenfalls vorzunehmen. Um den diskurstheoretischen Vergleich zwischen Mediation und juristischem Diskurs zu ermöglichen, ist sodann eine kritische Auseinandersetzung mit der Sonderfallthese Alexys, nach der der juristische Diskurs ein Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses ist, geboten.60 Insbesondere sind die spezifischen juristischen Einschränkungen (Sonderfallthese im engeren Sinne) der Diskurssituation im Zivil- und Strafprozess in einem umfangreicheren Maße, als dies bei Alexy oder Bäcker zu finden ist, zu untersuchen. Enden soll diese Arbeit mit der Verbindung von Diskurstheorie und Mediation. Im Mittelpunkt stehen zwei in dieser Arbeit entwickelte Diskursthesen der Mediation. 57 Zur Interdisziplinarität der Mediation selbst Spörer/Frese, Interdisziplinarität, in: Handbuch Mediation, § 3, S. 81 ff. 58 Siehe dazu ausführlich Kapitel C. 59 Das Bäckersche Modell (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 117 ff.) ist noch jung, weshalb kaum eine kritische Auseinandersetzung in der Literatur vorliegt. Diese Dissertation ist die erste Arbeit, die sich ausführlich und kritisch mit dem Bäckerschen Modell beschäftigt. Siehe dazu Kapitel C. III. 2. 60 Zur Sonderfallthese siehe Kapitel D.

28

Einleitung

Die erste ist die Richtigkeitsthese, nach der der Mediationsdiskurs ein nicht einschränkungsbedingter Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses ist, in welchem praktische Fragen notwendig mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert werden. Nach der zweiten Diskursthese der Mediation, die als Idealthese bezeichnet werden soll, führen die Mediationsprinzipien, -methoden, -techniken und sonstigen Rahmenbedingungen der Mediation zu einer Annäherung des Mediationsdiskurses an den idealen Diskurs. Sie wird unter Rückgriff auf das in dieser Arbeit modifizierte Alexysche Zwei-Ebenen-Modell des allgemeinen praktischen Diskurses, insbesondere mit den in diesem Zusammenhang herausgearbeiteten Diskursprinzipien, untersucht. Es wird zu fragen sein, ob die Mediationsgrundsätze und Methoden praktische Instrumente sind, um im realen Diskurs eine Annäherung an den idealen Diskurs zu erreichen, ob sie also eine ideal-approximative Wirkung61 haben. Abschließend kann ein Vergleich zwischen Mediationsdiskurs und dem Diskurs in einem gerichtlichen Verfahren gezogen werden. Die Arbeit endet mit einer Synthese der vorangegangenen Untersuchungen. Ziel ist es, aus der diskurstheoretischen Analyse die überpositive, universelle Legitimation der Mediation zu gewinnen. Kann gezeigt werden, dass Mediation ein auf Richtigkeit abzielender, rationaler Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses ist, der sich zudem dem idealen Diskurs annähert, wäre eine zeitlose und überpositive Legitimationsgrundlage der Mediation geschaffen. Der Praxis der Mediation soll auf diese Weise nicht nur ein theoretisches Fundament, sondern auch ein brauchbarer Maßstab des alltäglichen Handelns an die Hand gegeben werden. Diese Verknüpfung soll aber nicht nur einen Mehrgewinn für die Mediation selbst darstellen, sondern vielmehr gilt es auch, eine reziproke Wirkung für die Alexysche Diskurstheorie zu erzielen. Ist diese im Bereich der Mediation, also in einem völlig neuen, sehr praxisnahen Kontext anwendbar, unterstreicht dies ihre Universalität sowie ihre praktische Bedeutung.

II. Gang der Ausarbeitung Der Gang der Ausarbeitung stellt sich wie folgt dar: Im ersten Kapitel (A.) wird das Verfahren der Mediation in seinen Grundzügen vorgestellt, insbesondere wird der Begriff der Mediation geklärt. Aufgabe ist es, über die bestehenden Definitionsansätze hinaus eine umfassende Mediationsdefinition zu entwickeln, um eine hinreichende Grundlage für die diskurstheoretische Analyse zu gewinnen. Dazu werden vor allem die Grundsätze der Mediation normentheoretisch analysiert. Dies ist der erste Schwerpunkt der Arbeit.

61 Zum Begriff der ideal-approximativen Wirkung von Diskursprinzipen siehe Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 139 f.

II. Gang der Ausarbeitung

29

Im zweiten Kapitel (B.) werden die bisherigen Begründungsmodelle der Mediation erfasst und auf ihren Begründungswert untersucht, wobei eine systematische Einteilung erfolgt. Im dritten Kapitel (C.) erfolgt eine kritische Auseinandersetzung sowie eine Modifikation der Alexyschen Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses. Dieser zweite Schwerpunkt der Arbeit ist notwendig, da die Diskurstheorie Alexys die Grundlage für die spätere diskurstheoretische Analyse der Mediation bildet. Im vierten Kapitel (D.) wird die vielbeachtete Sonderfallthese Alexys kritisch dargestellt, wobei ein Schwerpunkt auf der diskurstheoretischen Analyse des Gerichtsprozesses liegt. Im fünften Kapitel (E.) wird auf der Grundlage der Alexys die Mediation diskurstheoretisch analysiert. Im Rahmen der beiden Diskursthesen der Mediation wird untersucht, ob die Mediation ein Diskurs ist, in dem es notwendig um Richtigkeit geht, und in dem spezifische Bedingungen bestehen, die zu einer Annäherung an den idealen Diskurs führen. Zudem wird unter Rückgriff auf die Ergebnisse zur Sonderfallthese des juristischen Diskurses ein diskurstheoretischer Vergleich zwischen Mediation und Gerichtsprozess gezogen. Das daraus resultierende Legitimationsmodell der Mediation sowie die umgekehrte Wirkung für die Alexysche Diskurstheorie werden im sechsten Kapitel (F.) festgehalten.

A. Das Verfahren der Mediation Im ersten Kapitel werden die Grundzüge des Mediationsverfahrens dargestellt. Zunächst ist es notwendig, den Begriff der Mediation zu klären und in diesem Rahmen eine normentheoretische Analyse der Mediationsgrundsätze vorzunehmen (I.). Anschließend wird die Frage der Geltung der Mediationsgrundsätze behandelt (II.). Kurz soll sodann die Rolle des Mediators im Verfahren zusammengefasst werden (III.). Um später aufzeigen zu können, welche Elemente der Mediation als rationaler Diskurs eingeordnet werden können, folgt eine Darstellung der Struktur der Mediation, also eine Erläuterung der einzelnen Mediationsphasen (IV.). Ebenso werden die wichtigsten Mediationsmethoden vorgestellt (V.).

I. Begriff und Prinzipien der Mediation Der Begriff der Mediation ist bisher für eine diskurstheoretische Analyse und die mittlerweile weitreichende Praxis nicht hinreichend präzisiert. Dieses Problem der Definierbarkeit ist unter Behandlung bestehender Definitionsansätze in der Literatur und des deutschen Mediationsgesetzes in einem ersten Schritt zu untersuchen (1.). Darauf aufbauend soll eine hinreichend präzise Definition der Mediation entwickelt werden. In diese Definition werden alle anerkannten und der Mediation zugrundeliegenden Grundsätze, also Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit, Neutralität, Vertraulichkeit und Informiertheit, inkorporiert. Dazu wird die erste normentheoretische Analyse dieser Mediationsgrundsätze auf der Grundlage der Prinzipientheorie Alexys vorgenommen (2.). Es folgt eine kurze Darstellung zum Gegenstand der Mediation, dem Konflikt (3.). Anschließend werden die nun analysierten Mediationsgrundsätze mit den übrigen Definitionsmerkmalen unter Rückgriff auf bestehende Definitionsansätze zu einer Mediationsdefinition zusammengeführt (4.).

1. Problem der Definierbarkeit Das Verfahren der Mediation ist weder in der Wissenschaft noch in der Praxis einheitlich definiert. In der Literatur werden unterschiedliche Definitionen zu Grunde gelegt, die parallele Elemente aufweisen, aber auch Divergenzen offenbaren.

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

31

Eine Definition, die erstens allgemein anerkannt ist, zweitens umfassend und drittens präzise das Verfahren der Mediation beschreibt, ist nicht ersichtlich.1 Generell lässt sich sagen, dass diejenigen Definitionen, die sich allgemeiner Akzeptanz erfreuen und unter die nahezu jede stattfindende Mediation subsumiert werden kann, darunter leiden, dass sie das Mediationsverfahren nur grob skizzieren, also nicht hinreichend genau beschreiben. Fasst man eine Definition hingegen enger, was für eine diskurstheoretische Analyse und auch die Praxis der Mediation notwendig ist, kann dies dazu führen, dass sie an Akzeptanz einbüßt. Das Problem der Definierbarkeit der Mediation kann mithin in der Frage zusammengefasst werden, welche Definition möglichst viele der als Mediation bezeichneten Verfahren umfasst und gleichzeitig eine hinreichend konkrete Beschreibung der Mediation abgibt. Um dieses Problem zu erfassen, sind der Ursprung des Begriffs Mediation [a)], die bestehenden Definitionsansätze [b)] und die Gründe für das Fehlen einer umfassenden und allgemein anerkannten Definition [c)] zu untersuchen. a) Ursprung des Begriffs Mediation im Kontext von Alternative Dispute Resolution Der Begriff der Mediation stammt aus den USA2 und leitet sich vom Verb „to mediate“ ab, was mit „vermitteln“ übersetzt werden kann.3 Der lateinische Ursprung wird durch das Adjektiv „medius“ deutlich, was „in der Mitte stehend“ oder „sich zwischen zwei Seiten neutral verhaltend“, meint.4 Will man Mediation in einem Wort umschreiben, ohne den Anspruch einer umfassenden Definition zu erheben, so bietet sich das Wort „Vermittlung“ an.5 Mediation gehört zu den Verfahren, die unter dem aus den USA stammendem Akronym ADR zusammengefasst werden.6 ADR steht nach ganz überwiegender 1

Vgl. von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 16, der darauf hinweist, dass sich eine, über wenige Grundelemente hinausgehende Definition, als schwierig erweist. Ebenso Breidenbach, Mediation, S. 137, nach dem nur eine „Basisdefinition, der äußerst begrenzten Gemeinsamkeiten“ möglich sei. 2 Vgl. zur Geschichte der Mediation und ihren Ursprüngen in den USA Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (187 ff.), Rn. 33 ff. 3 Risse, Wirtschaftsmediation, § 1 Rn. 9; König, Jura, 2008, S. 416 (417). 4 Rüssel, JuS 2003, S. 380 (383); Menge-Güthling, Langenscheidts Lateinisches Großwörterbuch Lateinisch-Deutsch, S. 475; vgl. ferner zum Verb mediare König, Jura, 2008, S. 416 (417); ausführlicher zur griechischen und lateinischen Wortherkunft Duss-von Werdt, Homo Mediator, S. 26 ff.; Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (178), Rn. 6. 5 Vgl. König, Jura, 2008, S. 416 (417); Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 1 Rn. 1. 6 So auch Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381), die eine ausführliche Untersuchung der verschiedenen Begriffe vornimmt; Tochtermann, JuS 2005, S. 131 (131), der Mediation als populärsten Vertreter der ADR-Verfahren ansieht; König, Jura 2008, 416 (416 und 417 f.); Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in:

32

A. Das Verfahren der Mediation

Auffassung für Alternative Dispute Resolution.7 Mehrheitlich wird das Wort „Alternative“ als Abgrenzung zum staatlichen Gerichtsverfahren angesehen.8 Wählt man hingegen lediglich „Dispute Resolution“ als Oberbegriff9, wäre auch der staatliche Gerichtsprozess erfasst.10 Das heißt, dass die Bildung eines genus proximum von Mediation und Gerichtsprozess, nämlich Dispute Resolution, möglich ist. Alternative Dispute Resolution kann hingegen als genus proximum für Verfahren angesehen werden, die folgende drei Elemente aufweisen: Erstens handelt es sich um Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung, zweitens wird auf die autoritative Kraft einer richterlichen Entscheidung verzichtet, dazu korrespondierend wird drittens eine konsensuale Lösung des Konflikts angestrebt.11 Da das Mediationsverfahren eines der ADR-Verfahren darstellt,12 sind diese drei Elemente der ADRDefinition notwendig Teil der Mediationsdefinition. Hinreichend sind sie hingegen nicht, da ohne weitere Bestimmung keine Abgrenzung zu anderen ADR-Verfahren möglich wäre. Für eine Mediationsdefinition ist es daher notwendig, eine Abgrenzung zu den anderen ADR-Verfahren vorzunehmen.

Streitschlichtung, S. 19 f.; vgl. ferner Breidenbach, Mediation, S. 6 f.; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 13; Hehn, in Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (188), Rn. 38. 7 Schöpflin, JA 2000, S. 157 (163); Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381); Tochtermann, JuS 2005, S. 131 (131); König, Jura, 2008, S. 416 (416); Risse, Wirtschaftsmediation, § 1 Rn. 10; vgl. auch Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19 (19 Fn. 1); Cole, in: Goldberg/Sander/Rogers/Cole – Dispute Resolution, S. 19 ff. spricht von Appropriate Dispute Resolution. Bei dieser Übersetzung fällt das gerichtliche Verfahren auch unter den Begriff ADR. 8 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 13; König, Jura 2008, S. 416, (416); Tochtermann, JuS 2005, S. 131, (131); Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381). 9 Vgl. Cole, in: Goldberg/Sander/Rogers/Cole – Dispute Resolution, S. 19 ff.; sympathisierend Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19. 10 Breidenbach, Mediation, S. 5; ihm folgend von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 13; Fiss, 93 Yale L. J., S. 1075 (1075 ff.)., der darin eine unzulässige Banalisierung der Richtertätigkeit sieht. Der staatliche Gerichtsprozess würde ebenfalls unter den Begriff fallen, wenn man „Alternative“ im Sinne von „eines unter vielen Verfahren“ verwendet („one of many”), so Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19 (19); diese Ansicht ignoriert König, Jura 2008, S. 416 (416) Fn. 6; ebenso wäre der Gerichtsprozess erfasst, wenn man statt von Alternative Dispute Resolution von Appropriate Dispute Resolution spricht, so Cole in: Goldberg/Sander/Rogers/ Cole – Dispute Resolution, S. 19 ff. 11 Risse, Wirtschaftsmediation, § 1 Rn. 10; ihm folgend Tochtermann, JuS 2005, S. 131 (131) und König, Jura 2008, S. 416 (416); im Ergebnis auch Breidenbach, Mediation, S. 6 f. 12 Zu Recht weisen König, Jura 2008, 416 (416) und Risse/Wagner, in: Handbuch Mediation, § 23, S. 553 (580), Rn. 96 darauf hin, dass eine Gleichsetzung der Begriffe ADR und Mediation unzutreffend ist. Anders hingegen Schreiber, Obligatorische Beratung und Mediation, S. 34 f., der mit dem Verweis auf Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Mischformen und einem behaupteten Mangel an Begriffen, ADR in den USA und Mediation im deutschsprachigen Raum unzulässig gleichsetzt.

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

33

Die strukturelle Einteilung innerhalb von ADR sowie die genauen Grenzen von ADR werden unterschiedlich vorgenommen.13 Möglich, grundlegend und verbreitet ist eine Aufteilung in Negotiation, Mediation und Arbitration.14 Negotiation bezeichnet die auf eine befriedende Einigung abzielende Verhandlung zwischen zwei Konfliktparteien, die ohne die Unterstützung eines Dritten, also ohne einen Verhandlungsführer, auskommt.15 Im Gegensatz dazu wird bei der Arbitration ein Dritter hinzugezogen, der den Streit entscheidet.16 Es kann unterschieden werden zwischen nonbinding Arbitration, bei der der Dritte eine Entscheidung trifft, die die Parteien jedoch nicht befolgen müssen und binding Arbitration, bei der die Parteien sich im Vorfeld der Entscheidung eines Dritten unterwerfen.17 Die Autorität oder Entscheidungsbefugnis des Dritten folgt also nicht wie beim Richter aus der richterlichen Stellung schlechthin, sondern vielmehr aus einem freien Entschluss der Parteien, sich einer bestimmten Autorität für einzelne Sachfragen zu unterwerfen.

13 Vgl. zudem die Vorschläge bei Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19 (19 ff.); König, Jura 2008, S. 416 (416 ff.); Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381 ff.). 14 So das ursprüngliche ADR-Programm aus den USA, dazu und diesem folgend König, Jura 2008, S. 416 (416); Risse, Wirtschaftsmediation, § 1 Rn. 44; Seegers, Miteinander Reden statt Streiten, S. 27; hilfreich auch die ähnliche Einteilung bei Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381), der im Rahmen der assisted negotiation zwischen facilitation (Verhandlung mit Hilfe eines Dritten der aber, vergleichbar mit der sogenannten Moderation, keinerlei Einfluss auf die Parteien nimmt) mediation und arbitration unterscheidet; vgl. auch Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19 (19), der neben negotiation und mediation die Kategorie adjudication nennt, wozu auch der staatliche Gerichtsprozess gehört. Arbitration stellt dann eine Mischform dar; eine Übersicht zu diesen begrifflichen Fragen findet sich auch bei Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (188 f.), Rn. 38 ff. 15 Vgl. König, Jura 2008, S. 416 (416 f.); Schöpflin, JA 2000, S. 157 (157); Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19 (20); bei Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381) „unassisted negotiation“; zu den Hintergründen und der Bedeutung des Verhandelns als Schlüsselqualifikation siehe Steiner, Jura 2004, S. 531 (531 ff.). 16 Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381); Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19 (20); vgl. ferner König, Jura 2008, S. 416 (417). 17 Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381). Zur binding arbitration könnte auch das Schiedsgerichtsverfahren zählen. Ob dieses überhaupt den ADR-Verfahren zuzuordnen ist, ist umstritten. Dagegen könnte mit Blick auf die obige Definition sprechen, dass der Schiedsrichter eine autorative Entscheidung trifft, der sich die Parteien unterwerfen. So auch Risse, Wirtschaftsmediation, § 1 Rn 10 und § 15 Rn. 1; ihm folgend Tochtermann, JuS 2005, S. 131 (131). Gegen diese Ausklammerung aus dem ADR-Begriff spricht aber, dass die Parteien sich im Vorfeld freiwillig der Entscheidung zu Gunsten einer Befriedung unterordnen; daher zu Recht für eine Zuordnung zum ADR-Begriff König, Jura 2008, S. 416 (417); Rüssel, Jus 2003, S. 380 (381); Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19 (20).

34

A. Das Verfahren der Mediation

Neben den Hauptbereichen Negotiation, Arbitration und Mediation gibt es eine große Anzahl von Verfahren, die als Mischformen oder sogenannte Hybridverfahren bezeichnet werden.18 Bei der Mediation wird im Gegensatz zur Negotiation ein neutraler Dritter eingesetzt, der zur Unterstützung der Streitbeilegung das Verfahren leitet. Dieser hat jedoch anders als im Bereich Arbitration keinerlei Entscheidungsbefugnis. Die Autonomie und die konsensuale Lösung des Konflikts stehen damit stärker im Vordergrund. Mediation steht mithin zwischen Negotiation auf der einen Seite und Arbitration auf der anderen Seite.19 Die hier zu behandelnde Frage nach der Ursprungsdefinition von Mediation kann im Rahmen der strukturellen Einordnung innerhalb des ADR-Begriffs bereits beantwortet werden. Danach ist Mediation in diesem weiten Sinne ein Verfahren zur konsensualen Beilegung eines Konflikts zwischen mindestens zwei Parteien mit der Unterstützung eines neutralen Dritten, der selbst keine Entscheidungsbefugnis hat.20 Auf die in dieser Basisdefinition enthaltenen Merkmale kann bei der späteren Definitionsbildung zurückgegriffen werden. b) Einzelne Definitionsansätze Diese Definition ist weitgehend anerkannt und bereits hilfreich, aber nicht hinreichend präzise für die spätere diskurstheoretische Analyse. Insbesondere werden die Grundsätze der Mediation bis auf die Neutralität des Mediators nicht expliziert. Folglich sind weitere Definitionsansätze in den Blick zu nehmen.

18 Zu nennen sind vor allem Early Neutral Evaluation (dazu Risse/Wagner, in: Handbuch Mediation, § 23, S. 553 (583), Rn. 105 f.; Mini-Trial (dazu Risse/Wagner, in: Handbuch Mediation, § 23, S. 553 (580), Rn. 97 f.); High-Low-Arbitration (dazu Risse/Wagner, in: Handbuch Mediation, § 23, S. 553 (583), Rn. 103 f.); eine einführende Übersicht zu den Hybridverfahren bietet König, Jura 2008, S. 416, (419); Nolan-Haley, Alternative Dispute Resolution, S. 191 ff. 19 Zur Abgrenzung König, Jura 2008, S. 416 (416 ff.); Rüssel, JuS 2003 380 (381); ferner Sander, Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, S. 19 (19 f.). 20 Diese Grunddefinition wird von zahlreichen Autoren so oder ähnlich zu Grunde gelegt: Breidenbach, Mediation, S. 4 und 137; ders., Mediation – Komplementäre Konfliktbehandlung durch Vermittlung, in: Mediation für Juristen, S. 1, der allerdings das Neutralitätskriterium einschränkt („meist neutralen Dritten“); ihm folgend Schreiber, Obligatorische Beratung und Mediation, S. 15; teils genauer aber auch unter Bezugnahme auf Breidenbach Schöpflin, JA 2000, S. 157 (163); Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, 2. Aufl., § 1 Rn. 1 und 10; vgl. auch Brown/Marriott, ADR Principles and Practice, S. 127; bereits mit dem Hinweis, dass es ein „strukturiertes Verfahren“ sei und weiteren Definitionselementen Tochtermann, JuS 2005, S. 131 (131); Moore, The Mediation Process, S. 6; König, Jura 2008, S. 416 (417); Seybold, Mediation und gerichtliches Verfahren, S. 33; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 15.

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

35

aa) Definitionsansätze in der Literatur Bei Haft findet sich folgender Versuch: „Mediation ist die Unterstützung einer Verhandlung durch einen neutralen Helfer, der seine Tätigkeit als schlichte Dienstleistung begreift und ausübt.“21 Diese Definition bleibt hinter der obigen Definition zurück. Sie enthält keine Zielbestimmung der Mediation. Problematisch scheint ebenfalls, dass bis auf die Neutralität des Mediators keinerlei Grundsätze der Mediation inkorporiert sind. Vielmehr wird nahezu reduktionistisch betont, der Mediator begreife seine Tätigkeit als schlichte Dienstleistung.22 Für eine diskurstheoretische Analyse sowie die zunehmende Praxis der Mediation ist eine derart wertfreie Deskription des Mediationsverfahrens nicht ausreichend. In einigen Definitionen werden zwei weitere Aspekte ergänzt. Erstens wird Mediation als ein notwendig strukturiertes23 Verfahren beschrieben. Zweitens soll der Mediator nicht nur neutral, sondern auch entsprechend geschult sein,24 was der fortgeschrittenen Verbreitung und Professionalisierung25 von Mediation geschuldet sein dürfte. Einige Autoren ergänzen in ihrer Definition, dass die Inanspruchnahme des Streithelfers, also des Mediators, freiwillig erfolgt.26 Jedenfalls als Grundsatz der Mediation ist Freiwilligkeit anerkannt,27 weshalb die Freiwilligkeit als tragendes Element des Verfahrens auch Teil der Definition sein sollte. Zahlreiche Autoren beziehen sich auf die oben im Kontext des ADR-Begriffes herausgearbeitete Definition, die in ähnlicher Form insbesondere von Breidenbach

21

Haft, in: Handbuch Mediation, § 2, S. 69 (70), Rn. 1. Siehe jedoch die überraschende Deutung dieses Definitionsteils bei Haft, in: Handbuch Mediation, § 2, S. 69 (73), Rn. 11. 23 Tochtermann, JuS 2005, S. 131 (131); Moore, The Mediation Process, S. 6; König, Jura 2008, S. 416 (417); ausdrücklich gegen das Merkmal „strukturiert“ Breidenbach, Mediation, S. 137; zu Recht weisen Kessen/Troja, in Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (294) Rn. 1 auf den Wert der Strukturiertheit der Mediation durch die Phasen hin und folgen damit diesem Merkmal. Ausführlich zu den Phasen der Mediation Kapitel A. IV. 24 Seybold, Mediation und gerichtliches Verfahren, S. 33; Brown/Marriott, ADR Principles and Practice, S.127; ihm folgend Tochtermann, JuS 2005, S. 131 (131). 25 Zur Professionalisierung der Mediation ausführlich Schlieffen, Professionalität, Profession und Mediation, in: Professionalisierung und Mediation, S. 1 (1 ff.); Trenczek, Professionalisierung von Mediatoren, in: Professionalisierung und Mediation, S. 99 (99 ff.); Lenz, Professionalisierung der Mediation, in: Professionalisierung und Mediation, S. 141 (141 ff.); Trossen, Die Zukunft und Professionalisierung der Mediation, in: Professionalisierung und Mediation, S. 169 (169 ff.). 26 Steike/Volk, Verhandlungslehre und außergerichtliche Streitbeilegung, S. 77; Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381); Seybold, Mediation und gerichtliches Verfahren, S. 33. 27 Zum Grundsatz der Freiwilligkeit mit zahlreichen Nachweisen siehe Kapitel A. I. 2. a) aa) (1). 22

36

A. Das Verfahren der Mediation

zu Grunde gelegt wurde, der jedoch einschränkt, der Mediator sei lediglich „meist neutral“28. Koch, der sich auf Breidenbach beruft, verzichtet auf die Einschränkung des Neutralitätskriteriums und betont dafür, dass die Parteien die Lösung selbst, das heißt eigenverantwortlich erarbeiten.29 Auch der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit30 ist für die Mediation anerkannt, weshalb dieser ebenfalls Teil der Mediationsdefinition sein sollte. Von Bargen ergänzt die Definition von Breidenbach durch zwei andere Aspekte. Bei ihm heißt es: „Bei der Mediation handelt es sich im Grundsatz um ein Verhandlungsverfahren zwischen zwei oder mehr Parteien, die einen individuellen Konflikt dauerhaft lösen wollen und zu diesem Zweck einen externen, neutralen Dritten zu ihrer Unterstützung heranziehen[…].“ Das Verfahren wird durch die Parteien selbst bestimmt, die eigenverantwortlich, freiwillig und im Konsens handeln.“31 Damit wird deutlich, dass der Mediator eine externe, das heißt selbst nicht in den Konflikt involvierte Person sein muss. Zweitens wird das Ziel umfassender als dauerhafte Befriedung umschrieben. Dies geht wegen der temporären Komponente über den bloßen Konsensgedanken, der in der obigen Definition für Mediation im weiten Sinne anklingt, hinaus. Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit werden im Anschluss an die eigentliche Definition ebenfalls angesprochen. Aus der bisherigen Darstellung wird deutlich, dass es an einer einheitlichen und umfassenden Definition fehlt. Gleichzeitig ist anerkannt, dass die Mediation bestimmten Grundsätzen oder Prinzipien folgt. Diese Grundsätze, also Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit, Neutralität, Informiertheit und Vertraulichkeit werden nur zum Teil in die Definitionsansätze aufgenommen, obwohl erst durch sie hinreichend konkretisiert wird, was eine Mediation ist. Von Bargen liefert eine der umfassendsten Definitionen, wobei es sich bei seiner Darstellung eher um eine ausführliche Beschreibung des Verfahrens handelt als um eine klare Begriffsbestimmung. Zudem

28

Breidenbach, Mediation, S. 4; zum Grundsatz der Neutralität siehe Kapitel A. I. 2. a) bb). Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 1 Rn. 1 und 10: „Mediation ist die Einschaltung eines neutralen, allparteilichen Dritten in einem Konflikt, zu dem mindestens zwei Beteiligte gehören, um mit seiner Hilfe eine interessengerechte, einverständliche, durch die Beteiligten selbst herbeigeführte Lösung des Konflikts zu erarbeiten. Der Mediator […] als Verfahrensleiter hat keine Entscheidungsbefugnis.“; vgl. ferner König, Jura 2008, S. 416 (417); ähnlich Rüssel, JuS 2003, S. 380 (381), der von „selbstbestimmt“ spricht. 30 Zum Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit siehe Kapitel A. I .2. a) aa). 31 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 15; ähnlich die Definition bei von HoyningenHuene, JuS 1997, S. 352 (352), wobei aber wie bei der Definition nach Breidenbach explizit gemacht wird, dass der neutrale Dritte keine Entscheidungsbefugnis hat; ähnlich auch Seybold, Mediation und gerichtliches Verfahren, S. 33, der von „einvernehmlicher Streitbeilegung“ spricht. Eine recht ausführliche Definition, die sich jedoch in Details verliert liefert Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 19 f. 29

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

37

geht auch er nicht auf das Prinzip der Informiertheit und Vertraulichkeit in der Beschreibung des Verfahrens ein.32 bb) Mediation nach dem Mediationsgesetz In Deutschland ist nunmehr das Mediationsverfahren im Mediationsgesetz gesetzlich definiert und geregelt. Das Mediationsgesetz dient der Umsetzung der EGRichtlinie „über bestimmte Aspekte der Mediation bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten für Zivil und Handelssachen“ (Richtlinie 2008/52/EG)33. Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist in doppelter Hinsicht beschränkt. Räumlich in Bezug auf grenzüberschreitende Streitigkeiten (Art. 1 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie)34 und sachlich in Bezug auf Mediationen in Zivil- und Handelssachen.35 Die Richtline musste bis zum 21. Mai 2011 in deutsches Recht umgesetzt werden36, was nicht geschehen ist. Das deutsche Gesetz zur Förderung der Mediation trat verspätet am 26. 07. 2012 in Kraft37, geht aber inhaltlich deutlich über den von der Richtlinie

32

Auch von Bargen geht aber davon aus, dass diese Prinzipien in der Mediation gelten. Für die Informiertheit beispielweise siehe von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 35 ff. 33 Die Richtlinie ist unter www.Eur-lex.europa.eu abrufbar. Umfassend zur Richtlinie Probst, JR 2009, S. 265 ff.; Probst, SchlHA 2010, S. 40 ff.; Eidenmüller/Prause, NJW 2008, S. 2737 ff.; Graf-Schlicker, ZKM 2009, S. 83 ff.; Wagner, ZKM 2008, S. 36 ff.; zu den Auswirkungen auf das Handels- und Gesellschaftsrecht Wozniewski, NZG 2008, S. 410 ff.; zu den Auswirkungen auf das Baurecht Huhn, BauR 2009, S. 1648 ff. und 1817 ff.; zur rechtsvergleichenden Forschung zur Umsetzung der Richtlinie Steffek, ZKM 2009, S. 21 ff.; zur Sicht der Rechtsschutzversicherer Tögel/Rohlf, ZRP 2009, S. 209 ff.; lesenswert ist auch das Positionspapier der deutschen Wirtschaft zur Richtlinie (ZKM 2009, S. 147 ff.); zu den Ursprüngen der Richtlinie Pitkowitz, ZKM 2005, S. 68 ff.; Mähler/Kerntke, ZKM 2004, S. 151 ff.; Duve, AnwBl. 2004, S. 1 ff.; die Richtlinie wird auch in der US-amerikanischen Literatur wahrgenommen. Siehe dazu Noon, The corporate counsel‘ s guide to mediation, S. 8. 34 Zum räumlichen Anwendungsbereich der Richtlinie Eidenmüller/Prause, NJW 2008, S. 2737 (2738). 35 Art. 3 a S. 1 der Richtlinie definiert Mediation als „…strukturiertes Verfahren, unabhängig von seiner Bezeichnung, in dem zwei oder mehr Streitparteien mit Hilfe eines Mediators auf freiwilliger Basis selbst versuchen eine Vereinbarung über die Beilegung ihrer Streitigkeiten zu finden.“ Zu dieser Definition und insgesamt sachlichen Anwendungsbereich siehe ausführlich Eidenmüller/Prause, NJW 2008, S. 2737 (2738 ff.). 36 Vgl. Art. 12 der Richtlinie. 37 Die Geschichte des deutschen Mediationsgesetzes lässt sich wie folgt skizzieren: Nach der Verabschiedung der Richtlinie veröffentlicht das Bundesministerium im August 2010 den Referentenentwurf des „Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren außergerichtlicher Streitbeilegung“ (Ausführlich dazu Greger, ZRP 2011, S. 209 ff.). Es folgte die Stellungnahme des Bundesrates (BR-Drucksachen 60/11 und 60/11 (B)) sowie die anschließende Empfehlung (BR-Drucksachen 60/1/11). Im April 2011 fand die erste Lesung im Bundestag statt (BT-Drucksachen 17/5335, 17/5496), darauf folgte die Äußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates (BT-Drucksachen 17/5496). Im Mai 2011 gelangte der Gesetzesentwurf in den Rechtsausschuss des Bundestages (Umfassend zu alledem Paul, Mediationsgesetz – Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, ZKM

38

A. Das Verfahren der Mediation

geforderten Regelungsgehalt hinaus und beschränkt sich nicht auf grenzüberschreitende Streitigkeiten. Ob die ratio legis, also die Förderung der Mediation insbesondere durch Verankerung der Mediation „im Bewusstsein der Bevölkerung und der in der Rechtspflege tätigen Berufsgruppen“38, tatsächlich eintritt, bleibt abzuwarten. An dieser Stelle ist die Mediationsdefinition, die das Gesetz liefert, von Relevanz. § 1 Abs. 1 S. 1 MedG liefert eine Legaldefinition von Mediator und Mediation. Mediation ist demnach ein „vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem die Parteien mit Hilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben“39. § 1 Abs. 2 MedG definiert den Mediator und stellt klar, dass dieser die Parteien durch das Verfahren leitet, neutral ist und keine Entscheidungsbefugnis inne hat.40 Weitere Pflichten des Mediators, die der Sicherung der Neutralität und Informiertheit dienen, finden sich in §§ 2 und 3 MedG. Der Vertraulichkeitsgrundsatz findet sich ebenso im Mediationsgesetz wieder. § 4 MedG stellt klar, dass die Informationen in der Mediation grundsätzlich vertraulich sind und nur aus „vorrangigen Gründen der öffentlichen Ordnung“ offenzulegen sind.41 Damit folgt das Mediationsgesetz der in der Literatur und Praxis entwickelten, oben dargelegten Basisdefinition der Mediation.42 Es nimmt in der Definition des § 1 Abs. 1 MedG Bezug auf die Grundsätze Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit und Neutralität. Darüber hinaus widmet es sich den Grundsätzen der Informiertheit und Vertraulichkeit. Es werden also alle anerkannten Mediationsgrundsätze in Gesetzesform gegossen.43 Die allgemeine Akzeptanz der Mediationsgrundsätze wird mithin durch die Legislative nachhaltig bestätigt. Für den deutschen Rechtsraum ist 2011, S. 119 ff.); krit. zum Regierungsentwurf des Mediationsgesetzes von Seltmann, Der Regierungsentwurf eines Mediationsgesetzes, NJW 2011, S. 126. 38 ReE, BR-DruckSachen 60/11 v. 4. 2. 2011. 39 Das Gesetz unterscheidet in § 1 MedG weiter zwischen außergerichtlicher Mediation, gerichtsnaher Mediation (also Mediation während eines Gerichtsverfahrens außerhalb des Gerichts) und richterlicher Mediation (also Mediation innerhalb des Gerichts durch einen nicht entscheidungsbefugten Richter). Zur hier nicht zu vertiefenden Kritik des durchgehend richterlichen Bezugs bei einem eigentlich privatautonomen Verfahren vgl. umfassend Paul, ZKM 2011, S. 119 ff. 40 § 2 MedG konkretisiert die Aufgaben des Mediators. § 3 MedG widmet sich insbesondere der Mediation durch einen Anwalt. § 3 Abs. 5 verpflichtet den Mediator auf Nachfrage die Parteien über die fachliche Kompetenz im Bereich der Mediation zu informieren. § 5 MedG ist der Mediationsweiterbildung gewidmet. 41 Der generalklauselartige Begriff der öffentlichen Ordnung zur Durchbrechung des für die Mediation konstitutiven Vertraulichkeitsgrundsatzes ist bedenklich. 42 Zu dieser Basisdefinition der Mediation siehe oben Kapitel A. I. 1. a) am Ende. 43 Für die Praxis wichtig dürften zudem die Vollstreckungsregelungen von Mediationsvereinbarungen sein. Nach dem neu geschaffenen § 796 d ZPO ist es möglich die Mediationsvereinbarung für vollstreckbar erklären zu lassen. Bislang war dies nur über einen Anwaltsvergleich nach § 796 a ZPO möglich. Siehe dazu unten Kapitel A. IV. 5.

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

39

damit deutlicher als je zuvor, was Mediation ist und welchen Grundsätzen sie folgt. Eine gesetzliche und damit positive Legitimation des Mediationsverfahrens44 wird der bestehenden Praxis gerecht und verankert Mediation endgültig als nicht mehr wegzudenkendes Element der Streitkultur. Die Praxis des deutschen Rechtsraumes hat mit dem Mediationsgesetz einen wichtigen Fixpunkt erhalten und durch die gesetzliche Definition eine Orientierungshilfe neuer Qualität gewonnen. Auf gesetzlicher Ebene dürfte die Basisdefinition des § 1 Abs. 1 S. 1 MedG zunächst ausreichen. Allerdings ist zu konstatieren, dass das Gesetz, auch wenn es auf nahezu alle Bestandteile einer Mediationsdefinition, insbesondere die anerkannten Grundsätze der Mediation eingeht, doch keine vollständige und umfassende Definition anbietet. Es fehlt an einer Legaldefinition aus einem Guss, die alle Mediationsgrundsätze explizit als begriffskonstituierende Merkmale beinhaltet. § 1 Abs. 1 S. 1 MedG bleibt hinter einem solchen Anspruch zurück. cc) Fazit zu den bestehenden Definitionsansätzen Eine umfassendere und präzisere Definition bleibt somit für die hier angestrebte diskurstheoretische Analyse und für die Praxis der Mediation wünschenswert. Eine solche Definition ist das erste Ziel dieser Arbeit, wobei betont werden muss, dass hier nicht gefordert wird, eine solche gesetzlich zu implementieren. Vielmehr könnte eine umfassende und präzise Mediationsdefinition dazu dienen, der Praxis und der wissenschaftlichen Debatte eine begriffliche Grundlage anzubieten. Eine solche, die aufgrund der Präzision eine neue Qualität erreicht, sorgt für Klarheit und Struktur in der Diskussion und gibt allen Protagonisten eine hilfreiche Orientierung an die Hand. Um dieses erste Ziel der Arbeit zu realisieren, muss zunächst untersucht werden, weshalb es bisher an einer solchen Definition mangelt. Die Frage ist, ob es zwingende Gründe gibt, von einer solchen abzusehen. Ist dies zu verneinen, ist in einem zweiten Schritt anhand der genannten Grundsätze der Mediation eine solche Definition zu entwickeln und damit das Problem der Definierbarkeit zu lösen. c) Gründe für das Fehlen einer umfassenden und präzisen Definition Ein Grund für die bestehende Uneinheitlichkeit könnte die vergleichsweise junge Praxis der Mediation sein. Die Behauptung, der Begriff Mediation habe sich im allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch nicht verfestigt45, trifft heute mit Blick auf die vorangeschrittene Entwicklung der Mediation in Praxis und Wissenschaft und die damit einhergehende Popularität und Ausbildungsrelevanz nicht mehr zu.46 Naheliegender ist es, mindestens von der in der bisherigen Debatte in Wissenschaft und Praxis bestehenden und oben herausgestellten Basisdefinition auszugehen. 44 45 46

Siehe zur Legitimationswirkung durch das Mediationsgesetz Kapitel B. II. Schreiber, Obligatorische Beratung und Mediation, S. 34. Siehe dazu Einleitung.

40

A. Das Verfahren der Mediation

Nicht zu akzeptieren ist der Hinweis von Schreiber, der einen Mangel an Begriffen behauptet und Abgrenzungsschwierigkeiten verantwortlich macht.47 Er ist es auch, der noch im Jahr 2008 Mediation in Deutschland als Überbegriff für Verfahren ansieht, die in den USA unter ADR fallen.48 Die bisherige Darstellung zeigt, dass ganz überwiegend in der Literatur sehr wohl erfolgreich genauere Definitionen und Abgrenzungen gefunden werden. Mithin führen derartige Behauptungen zu weiteren Unsicherheiten und terminologischer Ungenauigkeit und sind zurückzuweisen. Dennoch kann die Unvollkommenheit der meisten Definitionsansätze nicht in Gänze von der Hand gewiesen werden. Ein weiterer Grund dafür ist darin zu sehen, dass die stetige Ausbreitung und Weiterentwicklung des Mediationsverfahrens als organische Entwicklung zu klassifizieren ist. Wird ein Verfahren auf diese Weise, das heißt bis zum Mediationsgesetz ohne rechtlichen Bezugspunkt weiterentwickelt, liegt es nahe, dass es zu unterschiedlichen Ausprägungen in der Praxis kommt. Folge ist, dass auch die Deskription eines solchen Verfahrens nicht einheitlich ausfallen kann. Hauptursache für die Uneinheitlichkeit dürfte sein, dass die Mediation interdisziplinär ausgeübt und wissenschaftlich behandelt wird. Trotz des regen und gewinnbringenden Austauschs zwischen Juristen, Psychologen und anderen Berufsgruppen, die das Mediationsverfahren betreiben,49 entstehen so verschiedene Ausprägungen der Mediation. Dies hat zur Folge, dass sich auch unterschiedliche Definitionen herausbilden.50 Hinzukommt, dass die Mediation mittlerweile in den unterschiedlichsten Bereichen angewendet wird.51 Es ist eine triviale Feststellung, dass beispielsweise eine Mediation zur Aufrechterhaltung langfristiger Wirtschaftsbeziehungen zwischen zwei weltweit operierenden Unternehmen Unterschiede zu einer Mediation zwischen zwei Schülern der Mittelstufe aufweist. Die bisher dargestellten Gründe sind bei der Begriffsklärung zu beachten. Entscheidend ist jedoch, dass in allen Mediationen, mögen auch die äußeren Formen voneinander abweichen, die anerkannten Mediationsgrundsätze zu Grunde liegen. Die Zurückhaltung, diese Grundsätze in die Mediationsdefinition aufzunehmen, ist zu überwinden. Die These Breidenbachs, es sei nur eine Basisdefinition „der äußerst 47 Schreiber, Obligatorische Beratung und Mediation, S. 15; eindrucksvoll zeigt Rüssel, JuS 2003, S. 380 (380 ff., insb. S. 383) bereits im Jahr 2003 das klare Abgrenzungen möglich sind. 48 Schreiber, Obligatorische Beratung und Mediation, S. 34. 49 Zur Interdisziplinarität siehe statt Vieler Spörer/Frese, Interdisziplinarität, in: Handbuch Mediation, § 3, S. 81 (81 ff.), Rn. 1 ff. 50 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 16; vgl. ferner Breidenbach, Mediation, S. 137. Zu weitgehend und nicht hilfreich ist die noch 1998 aufgestellte Behauptung Alexanders, Wirtschaftsmediation in Deutschland, S. 24 es könne nicht gesagt werden, etwas sei Mediation. 51 Zu den Anwendungsfeldern der Mediation mit zahlreichen Nachweisen siehe Einleitung; ein Überblick findet sich auch bei Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (933).

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

41

begrenzten Gemeinsamkeiten“ möglich, muss zumindest heute nicht mehr aufrecht erhalten werden. Vielmehr soll in dieser Arbeit erstens eine Definition entwickelt werden, die alle Grundsätze der Mediation beinhaltet, zweitens soll über eine normentheoretische Analyse geklärt werden, was unter Grundsatz zu verstehen ist. Ist diese Frage beantwortet, kann eine umfassende und zugleich präzise Definition der Mediation gefunden werden. Das Problem der Definierbarkeit kann nach der hier vertretenen These gelöst werden. Zwingende Gründe, die gegen diese These sprechen, existieren nicht.

2. Normentheoretische Analyse der Mediationsgrundsätze zur Definitionsbildung Eine Mediationsdefinition muss erstens den Anspruch erheben, möglichst viele der als Mediation bezeichneten Verfahren zu erfassen, zweitens das Mediationsverfahren möglichst umfassend und drittens möglichst präzise zu beschreiben. Um das erste Ziel zu erreichen, also möglichst viele Mediationen unter die Definition subsumieren zu können, muss explizit gemacht werden, dass die Grundsätze der Mediation keine strikten Regeln für den konkreten Mediationsablauf beinhalten, sondern einen Spielraum der verschiedenen Mediationsrichtungen zulassen. Dieses Ziel kann als Ziel der Akzeptanz der Definition beschrieben werden. Um das zweite Ziel zu erreichen, eine möglichst umfassende Definition zu formulieren, ist es erforderlich, alle allgemein anerkannten Grundsätze der Mediation, also Eigenverantwortlichkeit, Freiwilligkeit, Neutralität, Vertraulichkeit und Informiertheit, in sie zu integrieren. Anerkannt ist zumindest, dass die Mediation diesen Grundsätzen folgt52, womit dieses Ziel ohne große Verluste hinsichtlich des ersten Ziels der Akzeptanz durch Inkorporation der gennannten Grundsätze erreicht werden kann. Diese Grundsätze können als allgemeingültig in der Mediation beschrieben werden, weshalb im Folgenden vom Ziel der Allgemeingültigkeit gesprochen werden soll. Problematischer hingegen scheint das dritte Ziel, also der oben postulierte Anspruch auf eine inhaltlich möglichst präzise Definition. Dieser Anspruch steht im Spannungsfeld zum ersten Ziel der Akzeptanz, also der Möglichkeit, viele der als Mediation bezeichneten Verfahren unter den Begriff subsumieren zu können. Dieses Ziel, das als Ziel der Präzision bezeichnet werden soll, ist zudem aus zwei weiteren Gründen problematisch. Erstens ist die inhaltliche Reichweite einzelner Grundsätze bisweilen nicht hinreichend bestimmt. Für eine präzise Definition muss der Inhalt dieser Grundsätze als Bestandteil einer Definition jedoch zumindest näherungsweise geklärt werden. Zweitens – und dies wiegt wesentlich schwerer – ist völlig ungeklärt, was unter Prinzip oder Grundsatz überhaupt zu verstehen ist. Denn obgleich anerkannt ist, dass die Mediation verschiedenen Grundsätzen folgt, so werden diese 52 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (284), Rn. 98; zu den einzelnen Grundsätzen und ihrer Anerkennung siehe unten Kapitel A. I. 2. a).

42

A. Das Verfahren der Mediation

uneinheitlich in Praxis und Wissenschaft als Grundsätze53, oftmals als Prinzipien,54 aber auch als Strukturmerkmale,55 Postulate56 oder gar Regeln57 bezeichnet, ohne dass dabei der jeweilige Begriff geklärt wird. Die Begriffe werden vielmehr synonym verwendet, was zu terminologischer Ungenauigkeit führt. Die Frage, ob es sich bei diesen Grundsätzen um Normen handelt – und wenn dies zu bejahen ist – um welche Kategorie einer Norm, ist in der Mediationswissenschaft soweit ersichtlich nicht behandelt. Unabhängig davon, dass dies für eine präzise Definition zu klären ist, stellt es einen kaum tragbaren Zustand dar, dass die tragenden Grundsätze der Mediation bisher keiner normentheoretischen Analyse unterzogen worden sind. Damit sind die Ziele und Schwierigkeiten hinsichtlich der Definitionsbildung hinreichend skizziert. Zur Schließung der genannten Lücke und zur Erreichung der oben genannten Ziele soll in dieser Arbeit eine normentheoretische Analyse der Mediationsgrundsätze auf Grundlage der Prinzipientheorie Alexys vorgenommen werden. Nach der Prinzipientheorie Alexys gebieten Prinzipien, dass etwas in hohem Maße relativ bezogen auf die bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten umgesetzt werde.58 Daraus folgt die Klassifizierung als Optimierungsgebot.59 Im Gegensatz dazu legen Regeln, wenn sie erfüllt sind, eine genaue Entscheidung fest, was zu tun ist, enthalten also ein striktes Gebot oder Verbot.60 Der Transfer der Prinzipientheorie auf die Mediation lässt sich in folgender These, die als Prinzipienthese der Mediation bezeichnet werden soll, festhalten. Sie lautet: Bei den Grundsätzen der Mediation handelt es sich um Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten innerhalb des Verfahrenssystems Mediation.

Kann diese These begründet werden, trägt dies wesentlich zur Erreichung der drei oben genannten Ziele bei. Wird im Rahmen der Mediationsdefinition expliziert, dass es sich bei den Grundsätzen der Mediation nicht um strikte Regeln, sondern um Prinzipien, also 53

von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 17 ff. von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 17 ff.; Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (284), Rn. 98; König, Jura 2008, S. 416 (419); von Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 23. In dieser Arbeit wird bis zum Ergebnis der normentheoretischen Analyse ebenfalls in untechnischem Sinn von Prinzip und Grundsatz gesprochen. 55 Seybold, Gerichtliches Verfahren und Mediation, S. 33 ff. 56 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 18. von Bargen wechselt zwischen den Begriffen Grundsatz, Prinzip und Postulat. 57 Monatada/Kals, Mediation, S. 22; ebenfalls von Regeln sprechend für Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit auf der Homepage einer Mediationspraxis: www.mediation-beratung.de/mediation_regeln.html (zuletzt aufgerufen am 23. 11. 2011). 58 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75. 59 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f. 60 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120 spricht von einem „definitiven Gebot“. 54

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

43

Optimierungsgebote handelt, so ist es erstens möglich, den Spielraum, der bei den Mediationsgrundsätzen besteht, aufzufangen. Dies dient dem Ziel der Akzeptanz der Definition. Zweitens können gleichzeitig alle Grundsätze als Prinzipien in die Definition inkorporiert werden, was dem Anspruch an eine umfassende Definition gerecht wird. Dies dient dem Ziel der Allgemeingültigkeit der Definition. Drittens, und das ist entscheidend, wäre die ungeklärte Frage beantwortet, was unter Prinzip im Sinne der Mediation normentheoretisch zu verstehen ist. Dies dient dem Ziel der Präzision. Ließen sich auf diese Weise die angesprochenen Probleme lösen, sprächen gute Gründe dafür, die terminologischen Unterschiede zu beseitigen und für einen einheitlichen Prinzipienbegriff im Rahmen der Mediationsdefinition zu plädieren. Für die Übertragung der Prinzipientheorie auf die Mediationsgrundsätze ist zunächst der Inhalt der einzelnen Mediationsgrundsätze kurz vorzustellen [a)]. In einem zweiten Schritt ist der theoretische Rahmen, also die Prinzipientheorie selbst, darzulegen [b)]. Als Synthese dieser beiden Schritte kann diese sodann auf die einzelnen Mediationsgrundsätze übertragen werden [c)]. a) Die einzelnen Mediationsgrundsätze aa) Eigenverantwortlichkeit der Parteien Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Mediation kann durch folgende aufeinander aufbauenden Elemente definiert werden. Die Medianten treffen erstens die Entscheidung, ob sie überhaupt eine Mediation durchführen in Selbstverantwortung, was als Prinzip der Freiwilligkeit bezeichnet werden kann (1). Zweitens bestimmen die Medianten während der Mediation innerhalb gewisser Grenzen den konkreten Ablauf, also etwa die Dauer des Verfahrens und den Streitgegenstand (2). Drittens erarbeiten sie zum Ende der Mediation ihre Lösung eigenverantwortlich (3). (1) Freiwilligkeit als Unterfall der Eigenverantwortlichkeit Die Medianten entscheiden eigenverantwortlich, ob sie eine Mediation durchführen. Diese Eigenverantwortlichkeit bei der Entscheidung, die zunächst im Vorfeld der Mediation zu treffen ist, wird in der Literatur als „Prinzip der Freiwilligkeit“ bezeichnet. Freiwilligkeit ist als tragender Grundsatz der Mediation anerkannt.61

61

Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (284), Rn. 99 ff.; Breidenbach, Mediation, S. 272 ff.; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 18 ff.; Seybold, Mediation und gerichtliches Verfahren, S. 34 f.; Rüssel, Mediation in komplexen Verwaltungsverfahren, S. 88; Goldberg/Sander/Rogers/Cole, Dispute Resolution, S. 388 ff.; Koch in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 11 Rn. 1.

44

A. Das Verfahren der Mediation

Der Begriff der Freiwilligkeit ist in den verschiedenen Wissenschaftszweigen ein weites Feld,62 vorliegend ist jedoch allein von Relevanz, was unter Freiwilligkeit im Rahmen der Mediation zu verstehen ist.63 Freiwilligkeit meint, dass sich die Medianten ohne äußerlich wirkende Zwänge, also aus autonomen Motiven, für ein Mediationsverfahren entscheiden.64 Dies wiederum bedeutet nichts anderes, als dass sie die Entscheidung für eine Mediation eigenverantwortlich treffen. Wird eine Person zu einem Verfahren gezwungen, so handelt sie nicht eigenverantwortlich.65 Es wird deutlich, dass das Prinzip der Freiwilligkeit ein Unterfall des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit ist. Von zentraler Bedeutung ist, dass mit der Entscheidung, eine Mediation durchzuführen, kein Zwang entstehen darf, diese Entscheidung aufrechtzuerhalten. Ein späterer Zwang, die Mediation fortzusetzen, würde dem Prinzip der Freiwilligkeit ebenso widersprechen wie ein im Vorfeld auferlegter Zwang, eine Mediation zu beginnen.66 Sinn und Zweck der Freiwilligkeit als tragendes Prinzip der Mediation und Ausdruck der Privatautonomie67 ist es zum einen, eine echte, das heißt nachhaltige Befriedungswirkung zu erreichen. Dadurch, dass die Parteien sich freiwillig auf die Mediation einlassen, ist es wahrscheinlich, dass sie die selbst gefundene Lösung auch akzeptieren,68 so dass eine über den bloßen Rechtsfrieden hinausgehende Befriedungswirkung eintritt. Zum anderen entsteht bei einer freiwilligen Teilnahme eine bessere Verhandlungsatmosphäre,69 in der die Parteien offen und konstruktiver mitarbeiten als bei einem durch ein staatliches Gericht geleiteten Verfahren, an dem in der Regel mindestens eine Partei unfreiwillig teilnimmt.

62 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 18 macht zu Recht darauf aufmerksam, dass der Begriff Freiwilligkeit in verschiedenen Kontexten verschiedene Bedeutungsinhalte haben kann. Vorliegend geht es jedoch lediglich darum, wie der Begriff der Freiwilligkeit im Rahmen der Mediation zu verstehen ist. Umfassend dazu Wegener, ZKM 2006, S. 140 (141). 63 Vgl. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (269), Rn. 5, der in einem anderen Kontext zu Recht darauf hinweist, dass der Mediator in der Rolle des Mediators nicht immer auf die Standesregeln seines eigentlichen Berufes zurückgreifen darf. 64 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (284), Rn. 99 ff. 65 Ähnlich die Formulierung bei König, Jura 2008, S. 416 (420), die von autonomer Entscheidung spricht. 66 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (284), Rn. 99 ff.; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 18; mit Nachdruck Breidenbach, Mediation, S.272; vgl. auch Seybold, Mediation und gerichtliches Verfahren, S. 34. 67 Koch in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 11 Rn. 1; zur Privatautonomie siehe Kapitel B. II. 68 Siehe dazu Kapitel B. I. 4. a) hh). 69 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 18.

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

45

(2) Eigenverantwortlichkeit bei der Konfliktregelung Schließlich erarbeiten die Medianten die eigentliche Regelung ihres Konflikts in der Mediation selbst, sie sollen also auch beim Ergebnis ihre Rolle als „Herren des Verfahrens“70 behalten. Was aber ist unter Selbsterarbeitung zu verstehen? Die Frage, inwieweit sie ihre Lösung tatsächlich autonom finden, betrifft spiegelbildlich die Frage, welche Befugnisse hinsichtlich der Intervention der Rolle des Mediators zuzubilligen sind.71 Die Debatte bewegt sich zwischen den Parametern aktiv und passiv, wobei sich zwei Hauptströmungen72 oder Schulen gegenüberstehen. Nimmt der Mediator eine stärker aktiv akzentuierte Rolle ein oder erscheint er als bloßer Verwalter des Verfahrens und räumt damit der Eigenverantwortlichkeit mehr Gewicht ein? Diese kontroverse Frage betrifft primär das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Parteien73, daneben aber auch das Prinzip der Neutralität des Mediators74. Verschiedene Handlungsinstrumente sind denkbar. Nach der heute vorherrschenden und in Deutschland verbreiteten Lehre von der aktiven Mediation75 darf der Mediator erstens von sich aus auf eine Hinzuziehung von Personen hinwirken76, die zur Lösung des Konflikts beitragen könnten und zweitens stärker bei Machtgefällen intervenieren. Drittens kann er zumindest in Ausnahmefällen eigene Lösungsvorschläge einbringen77 oder die der Parteien bei realitätsfernen, emotionsverzerrten Vorstellungen kritisch hinterfragen. Letzteres entspricht der amerikanischen Vorstellung des Mediators als agent of reality.78 Viertens kann der Mediator den Parteien 70

So in anderem Zusammenhang Wesche, ZRP 2004, S. 49 (50). Vgl. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (285), Rn. 102. 72 Eine Darstellung der unterschiedlichen Positionen findet sich bei Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (285 ff.), Rn. 102 ff. 73 Ähnlich Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (286), Rn. 107; wenig nachvollziehbar ist die Vermischung bei von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 22 f. und S. 26 f. der die Problematik ohne den Zusammenhang aufzuzeigen einmal bei der Neutralität und dann bei der Eigenverantwortlichkeit behandelt. 74 Zum Grundsatz der Neutralität siehe Kapitel A. I. 2. a) bb). 75 Zur Lehre von der aktiven Mediation siehe Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (285), Rn. 104; Mähler/Mähler, Mediation in der Praxis, in: Mediation: Die andere Scheidung, S. 133; Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 26 ff.; vgl. dazu und zur amerikanischen Diskussion auch Breidenbach, Mediation, S. 151 f.; für eine Bewertung der unterschiedlichen Ansätze im Rahmen der Richter-Mediation siehe von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 31 f. 76 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (285), Rn. 104. 77 Bei eigenen Lösungsvorschlägen gilt Zurückhaltung, da sonst die Neutralität gefährdet sein könnte. Den Parteien muss in einem solchen Fall genug Raum gegeben werden, um die Vorschläge zu überdenken. Dann ist auch der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit gewahrt. So auch Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 27, vgl. auch S. 51; im Ergebnis auch von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 27. 78 Dazu Folberg/Taylor, Mediation. A Comprehensive Guide to Resolving Conflicts without Litigation, S. 247; Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (283 f.), Rn. 95 ff.; 71

46

A. Das Verfahren der Mediation

gegebenenfalls rechtliche oder tatsächliche Konsequenzen ihres Ergebnisses aufzeigen, was der amerikanischen Idee vom Mediator als enunciator gleichkommt.79 Üblich ist es, die Parteien aufzufordern, das Ergebnis rechtlich überprüfen zu lassen.80 Schließlich kann der Mediator darauf aufmerksam machen, wenn er das Ergebnis für eindeutig ungerecht hält.81 Üblicher und die Eigenverantwortung der Medianten stärker berücksichtigend ist es, diese aufzufordern, das Ergebnis selbst anhand von vorher durch sie aufgestellten Gerechtigkeitsmaßstäbe oder Fairnesskriterien zu überprüfen.82 Nach der Lehre von der passiven Mediation83, die heute in den Hintergrund getreten ist, verzichtet der Mediator auf den Einsatz dieser vier Handlungsinstrumente. Richtigerweise ist eine trennscharfe Aufteilung in diese Schulen jedoch nur schwerlich möglich; vielmehr handelt es sich es um eine graduelle Abstufung84, die jeder Mediator im Einzelfall entscheiden muss. Im Grundsatz agiert der Mediator nach der passiven Lehre als bloßer Verfahrensleiter.85 Seine Interventionsmöglichkeiten sind auf ein Minimum begrenzt, so dass das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit eine stärkere Umsetzung erfährt. Jedoch auch bei Anwendung der vier Handlungsinstrumente wird der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit im Sinne letztlich autonomer Entscheidung der Medianten beachtet.

Breidenbach, Mediation, S. 153; zur Bedeutung des agent of reality in der Wirtschaftsmediation siehe Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 41. 79 Gulliver, Disputes and Negotiations, S. 223 f. 80 Dies kann vor allem durch Beratungsanwälte in der Mediation geschehen. Ausführlich dazu Brandt/Becker, Stellung des beratenden Rechtsanwalts im Mediationsverfahren, FF 2006, S. 300 ff.; siehe weiter Ripke, Recht und Gerechtigkeit in der Mediation, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (169), Rn. 33 ff.; Friedrichsmaier, in: Handbuch Mediation, § 34, S. 837 (846), Rn. 46 ff. spricht von der „Notwendigkeit parteilicher Beratung in der Mediation“; ebenfalls die Bedeutung der Anwälte in der Mediation betonend von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 27 f.; zur praktischen Umsetzung Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 130 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 111 ff. 81 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 28; Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (287), Rn. 112 f. Eine generelle „Gerechtigkeitskontrolle“ durch den Mediator hingegen ist kritisch zu sehen. Siehe dazu Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (278), Rn. 62 f. Es ist jedoch bei einer funktionierenden Mediation nicht wahrscheinlich, dass die Parteien ein ungerechtes oder rechtlich nicht haltbares Ergebnis vereinbaren. Siehe dazu unten Kapitel A. IV. 4. b) bb). 82 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 126 f.; siehe auch mit weiteren Nachweisen unten Kapitel A. IV. 4. b) bb). 83 Cormick, The „Theory“ and Practice of Environmental Mediation, S. 24 ff. 84 Vgl. Breidenbach, Mediation, S. 149. 85 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (285) Rn. 104.

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

47

bb) Neutralität des Mediators Ebenfalls zu den anerkannten und tragenden Prinzipien der Mediation gehört die Neutralität des Mediators.86 Seine Legitimation gegenüber den Parteien gründet sich im Wesentlichen auf seinem neutralen Status.87 Der Mediationsgrundsatz Neutralität sollte daher Bestandteil der Mediationsdefinition sein. Der Neutralitätsbegriff kann in drei Elemente88 aufgespalten werden. Erstens die Neutralität im Verfahren, zweitens die Neutralität gegenüber den Parteien und drittens die Neutralität in Bezug auf den Streitgegenstand. Bezogen auf die Verfahrensneutralität sprechen andere von Allparteilichkeit statt von Neutralität.89 Fraglich ist, welcher Begriff den Vorzug verdient. Für den Begriff der Allparteilichkeit ließe sich anführen, dass der Mediator, der im Einzelfall Machtgefälle auszugleichen hat, in das Verfahren zu Gunsten einer Partei eingreifen muss und demzufolge schon begrifflich nicht neutral sein könne.90 Dann ist aber auch der Begriff allparteilich nur treffend, wenn der Mediator in einem ausgewogenen Verhältnis zu Gunsten der einen und zu Gunsten der anderen Partei interveniert. Dies dürfte nicht der Regelfall sein. Häufiger wird eine Partei insgesamt der anderen unterlegen sein, weshalb der Mediator zu Gunsten dieser häufiger eingreifen wird. Ein anderes, ebenfalls recht konstruiertes Argument für den Begriff der Allparteilichkeit ist, dass der Mediator bei Machtgefällen zugunsten des Verfahrens und nicht zugunsten einer Partei eingreife und deshalb als allparteilich zu bezeichnen sei.91 Richtig an den Überlegungen ist, dass es Situationen geben kann, bei denen der Mediator zu Gunsten einer Partei eingreifen sollte, um das Machtgleichgewicht und 86

von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 21. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (269), Rn. 9 und 14; Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 1 Rn. 26; Schlieffen/ Ponschab/Rüssel, Streitbeilegung und Mediation, S. 23 ff.; Breidenbach, Mediation, S. 169 ff.; Seybold, Mediation und gerichtliches Verfahren, S. 43 f.; König, Jura 2008, S. 416 (419); Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 57 ff.; jedenfalls heute nicht mehr zutreffend ist der Hinweis von Schwarzmann, MittBayNot 2001, 456 (457), der Begriff der Neutralität würde vorausgesetzt und oftmals nicht näher beleuchtet. Vgl. allein die Ausführungen bei von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 21; Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (269), Rn. 9; Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 1 Rn. 26; Breidenbach, Mediation, S. 169 ff.; für ein sehr ausführliche und Auseinandersetzung zur Neutralität des Mediators siehe Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, Tübingen 2008. 87 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (270), Rn. 10; Breidenbach, Mediation, S. 145; Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Streitbeilegung und Mediation, S. 23 f.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 62. 88 Vgl. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (271), Rn. 17 ff., der zwischen Neutralität im Verfahren und Neutralität der Person unterscheidet, wobei Letzteres die Unabhängigkeit in Bezug auf den Streitgegenstand einschließt; ihm offenbar folgend von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 22 ff. 89 Dulabaum, Mediation, S. 19; Montada/Kals, Mediation, S. 46 ff. 90 Vgl. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (271 f.), Rn. 24. 91 So Montada/Kals, Mediation , S. 46 ff.

48

A. Das Verfahren der Mediation

somit die Eigenverantwortlichkeit der Parteien sicherzustellen.92 Zweifehlhaft ist jedoch die Konsequenz, die auf begrifflicher Ebene in Form einer Abkehr des Neutralitätsbegriffs zu Gunsten des Allparteilichkeitsbegriffs gezogen wird. Wie oben gezeigt, ist die erste Begründung für Allparteilichkeit nicht treffend, da es nur wenige Mediationen geben dürfte, bei denen die Eingriffe des Mediators zu Gunsten beider Parteien in einem gleichwertigen Verhältnis steht. Eingriffe zu Gunsten einer Partei als Eingriffe zu Gunsten des Verfahrens zu werten und damit den Begriff der Allparteilichkeit zu begründen, ist möglich, aber konstruiert und nicht notwendig, wie Kracht93 zeigt, der zu Recht am Neutralitätsbegriff festhält: Wie kann aber der Mediator als neutral bezeichnet werden, wenn er zu Gunsten einer Partei in die Mediation eingreift? Wie kann eine Intervention neutral sein? Dies gelingt, wenn man bei der Frage, ob eine intervenierende Handlung des Mediators zu Gunsten einer Partei allein auf den Entscheidungsmaßstab abstellt. Es kommt darauf an, den Begriff der Entscheidung weit zu fassen.94 Folgende Situation kann dies illustrieren: Im Rahmen der Mediation fällt eine Partei der Anderen zum erneuten Male ins Wort ist und versucht, zahlreiche Redebeiträge des Konfliktgegners im Keim zu ersticken. Der Mediator könnte nun zu Gunsten der unterbrochenen Partei intervenieren oder die Situation noch eine Weile den Medianten überlassen. In beiden Fällen trifft er allerdings eine Entscheidung. Auch wenn er nicht eingreift, stellt dies eine Entscheidung dar. „Eine Nichtentscheidung einer Sache, stellt eine Entscheidung dar.“95 Intervention und Nichtintervention sind demnach beides Entscheidungen. Begrifflich möglich ist es, Entscheidungen zu treffen und gleichzeitig neutral zu sein. Folgt man dem, ist nicht mit jeder Intervention die Neutralität gefährdet. Ob die Neutralität gewahrt ist, lässt sich nun leichter ermitteln anhand der Kriterien, nach denen der Mediator seine Entscheidung fällt. Diese wiederum können die Parteien im Rahmen einer Mediationsvereinbarung im Vorfeld zum Verfahrensablauf mitbestimmen,96 was wiederum dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit Rechnung trägt. Es sprechen mithin gute Gründe dafür, mit Kracht im Rahmen der Mediationsdefinition von Neutralität zu sprechen97 und nicht von Allparteilichkeit. Neben der damit behandelten Verfahrensneutralität ist die Neutralität des Mediators gegenüber den Parteien als Personen98 erforderlich. Fälle, in denen diese 92

Siehe dazu auch oben Kapitel A. I. 2. a) aa) (2). Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (271), Rn. 19 ff. 94 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (271), Rn. 19 ff. 95 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (271), Rn. 19 unter Rückgriff auf Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 111 ff. 96 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (271), Rn. 22. 97 Wer sich als Mediator als allparteilich bezeichnet und nicht als neutral, fällt aber nicht aus dem Begriff der Mediation heraus. Inhaltlich entspricht dies dem Neutralitätsbegriff (Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (272), Rn. 22.). 98 Vgl. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (271), Rn. 17 ff., der zwischen Neutralität im Verfahren und Neutralität der Person unterscheidet, wobei Letzteres die Un93

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

49

Neutralität gefährdet sein könnte, sind variantenreich. Diese Fälle reichen vom Fall der Vorbefassung, bei denen der Mediator mindestens eine der Parteien schon vor der Mediation kennt, über das in Aussichtstellen eines späteren Mandats durch einen der Medianten, wenn der Mediator gleichzeitig als Rechtsanwalt tätig ist, bis zu persönlichen Anti- oder Sympathien des Mediators gegenüber einen der Medianten.99 Der dritte Teil des Neutralitätsbegriffs betrifft die Neutralität gegenüber dem Streitgegenstand.100 Der Mediator sollte also kein eigenes Interesse an einer bestimmten Lösung des Konflikts haben. Seine Neutralität ist nicht gefährdet, wenn er keinerlei Betroffenheit hinsichtlich des Konfliktgegenstandes aufweist. cc) Informiertheit Ebenfalls als tragender Grundsatz anerkannt ist die Informiertheit.101 Führt man sich eines der zentralen Ziele der Mediation, nämlich nachhaltigen Frieden, vor Augen, ist deutlich, dass grundsätzlich alle Informationen den Parteien gleichermaßen zugänglich sein sollten. Dies betrifft zum einen die tatsächlichen Umstände, zum anderen aber auch die Rechtslage. Gäbe es etwa einen gesetzlichen Anspruch eines Medianten, von dem aber nur der jeweils andere weiß oder wären Konflikthintergründe nur einer der Parteien bekannt, so würde die in der Mediation vereinbarte Regelung stets unter dem Damokles-Schwert der einseitigen und zurückgehaltenen Information stehen. Ein Mediant, der erst im Nachhinein vollumfängliche Informationen erhält, ist unter Umständen mit dem Ergebnis nicht mehr einverstanden. Der Frieden und die Nachhaltigkeit des Ergebnisses wären nachträglich gefährdet.102 Deswegen werden grundsätzlich alle Informationen, die der Mediator über tatsächliche Umstände, aber auch hinsichtlich der Rechtslage hat, nicht einseitig an eine der Parteien weitergegeben.103 Bei Fachwissen des Mediators ist genau darauf zu achten, dass dieser seinen neutralen Status wahrt.104 Der Anwaltsmediator105 kann abhängigkeit in Bezug auf den Streitgegenstand einschließt; ihm offenbar folgend von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 22 ff. 99 Vgl. die treffenden Beispiele hierzu bei Schwarzmann, MittBayNot 2001, 456 (457). 100 Montada/Kals, Mediation, S. 38; Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (272), Rn. 28. 101 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 35; vgl. auch Schlieffen in: Handbuch Mediation, § 1, S. 3 (22), Rn. 89; Vgl. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (287 ff.), Rn. 114 ff.; Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Streitbeilegung und Mediation, S. 31 f.; HoyningenHuene, JuS 1997, S. 352 (353). 102 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 35; vgl. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (287), Rn. 114. 103 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (287), Rn. 114. 104 Vgl. Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (288), Rn. 116 f. 105 Auch Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (288), Rn. 116 weist auch die Schwierigkeiten des Prinzips der Informiertheit im Falle des Anwaltsmediators hin.

50

A. Das Verfahren der Mediation

sich vorher mit den Medianten einigen, dass er grundlegende rechtliche Kenntnisse an alle Parteien weitergibt. Dann ergibt sich aus dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit, dass die Weitergabe von Informationen zulässig ist. Die Neutralität des Mediators wäre nicht in Zweifel gezogen, da er sich in den von den Parteien vorgegebenen Parametern bewegt. Auch eine umgekehrte Regelung ist möglich und die Parteien lassen sich einzeln oder gemeinsam rechtlich beraten.106 Zentrale Aufgabe des Mediators ist es aber vor allem, den Informationsfluss zwischen den Parteien zu fördern und Infomationsdefizite zu mindern.107 Dies kann eine Herausforderung sein, wenn die Medianten aus Angst vor Missbrauch durch die andere Partei zur Zurückhaltung von Informationen neigen.108 Teilweise wird in diesen Fällen für den sogenannten Caucus, also das Einzelgespräch zwischen Mediator und Mediant, plädiert.109 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Grundsatz der Informiertheit konstitutiv für die Mediation ist. Zum einen ergibt sich daraus, dass die Parteien grundsätzlich ihre tatsächlichen und rechtlichen Informationen offenlegen, zum anderen, dass der Mediator diesen Informationsfluss fördert und selbst Informationen nicht einseitig vergibt. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass es keine weitere strikte Regel zum Informationsfluss gibt.110 Vielmehr können die Parteien im Sinne des Prinzips des Grundsatzes der Eigenverantwortlichkeit in gewissem Rahmen Vereinbarungen treffen, wie mit Informationen umzugehen ist. Daraus und aus dem oben Gesagten lässt sich erkennen, dass eine Wechselwirkung zwischen den Grundsätzen der Informiertheit, der Neutralität und der Eigenverantwortlichkeit besteht. dd) Vertraulichkeit Zuletzt ist der Grundsatz der Vertraulichkeit ein wesensbestimmendes Merkmal der Mediation.111 Er steht in engem Zusammenhang zum Grundsatz der Infor106 Zur Rolle der Beratungsanwälte siehe Brandt/Becker, Stellung des beratenden Rechtsanwalts im Mediationsverfahren, FF 2006, S. 300 ff.; siehe weiter Ripke, Recht und Gerechtigkeit in der Mediation, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (169), Rn. 33 ff.; Friedrichsmaier, in: Handbuch Mediation, § 34, S. 837 (846), Rn. 46 ff.; zur praktischen Umsetzung Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 130 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 111 ff. 107 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (287), Rn. 116. 108 Dazu sogleich im Rahmen des Vertraulichkeitsgrundsatzes: Kapitel A. I. 2. a) dd). 109 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 37. Ausführlich zur Problematik der Einzelgespräche siehe sogleich Kapitel A. I. 2. a) ee). 110 In diese Richtung geht auch von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 36. 111 „In Theorie und Praxis ist der Grundsatz der Vertraulichkeit unbestreitbar ein tragender Grundsatz der Mediation.“ So Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1099), Rn. 22. Umfassend zur Vertraulichkeit in der Mediation ders, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1087 ff.), Rn. 1 ff.; hinzuweisen ist vor allem auf zwei jüngere Dissertationen in diesem Bereich: Hilber, Die Sicherung der Vertraulichkeit des Mediationsverfahrens, Hamburg 2006; Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren: das Spannungsfeld zwischen

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

51

miertheit: Der Erfolg der Mediation hängt wesentlich davon ab, ob die Parteien offen über ihre Interessen und Bedürfnisse sprechen und die damit verbundenen Informationen im Sinne einer offenen Kommunikation in die Mediation einfließen lassen.112 Dieses Ziel, welches sich im Grundsatz der Informiertheit niederschlägt, kann ohne den Vertraulichkeitsgrundsatz nicht erreicht werden. Eine offene Kommunikation im oben beschriebenen Sinne ist nicht möglich, wenn die Parteien die erhaltenen Informationen entweder in einem Gerichtsverfahren113 gegen den Informierenden verwenden oder außergerichtlich einsetzen und so einen Missbrauch der Informationen herbeiführen.114 Dies zu verhindern und damit die Mediation nicht nur zu fördern, sondern erst zu ermöglichen115, ist Aufgabe des Vertraulichkeitsgrundsatzes. Sowohl für den Mediator als auch für die Parteien gilt damit der Vertraulichkeitsgrundsatz. Für den Mediator gibt es gesetzliche Bestimmungen, auf die in dieser Arbeit nicht näher einzugehen ist. Erwähnt sei lediglich, dass nunmehr mit § 4 MedG eine allgemeine gesetzliche Vertraulichkeitsregelung für den Mediator geschaffen wurde.116 Ist der Mediator allerdings Rechtsanwalt, gilt die speziellere und weitergehende berufsrechtliche Regelung des § 43 a Abs. 2 BRAO.117 Eine ganz ähnliche

Privatautonomie und Verfahrensrecht, Berlin 2006; zu den Besonderheiten der Vertraulichkeit bei der gerichtlichen Mediation siehe von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 43 f.; für einen instruktiven Überblick siehe Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (289 ff.), Rn. 120 ff.; vgl. ferner zur Vertraulichkeit Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 32 ff; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 39 ff.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 29; Rapp, Mediation im Verwaltungsrecht, S. 19 ff.; Goldberg/Sander/Rogers/Cole, Dispute Resolution, S. 427 ff.; Groth/Bubnoff, NJW 2001, S. 338 ff. 112 Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1087 ff.), Rn. 1 f.; Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Mediation, S. 24. 113 Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1088 f.), Rn. 2; Mähler/Mähler, ZKM 2001, S. 4 (4); Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 32; ausführlich zur Frage der gerichtsfesten Vertraulichkeit in der Mediation Groth/Bubnoff, NJW 2001, S. 338 ff. 114 Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1087 ff.), Rn. 2; vgl. auch Weitz, Gerichtsnahe Mediation in der Verwaltungs- und Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit, S. 29. 115 Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1087 ff.), Rn. 3; Mähler/Mähler, ZKM 2001, S. 4 (6) bezeichnen die Vertraulichkeit daher als „Achillesferse“ der Mediation. 116 Auch schon vor dem Mediationsgesetz gab es berufsspezifische Vertraulichkeitsbestimmungen oder die Möglichkeit auf allgemeine Vorschriften insb. § 203 StGB zu rekurieren. Umfassend zu den Vertraulichkeitsbestimmungen für Mediatoren aus den verschiedenen Berufsgruppen Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 30 ff.; Hilber, Die Sicherung der Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 19 ff.; instruktiv Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1091 ff.), Rn. 9 ff. 117 Ausführlich dazu Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 30 ff. zu den strafrechtlichen Regelungen S. 33 ff.; Hilber, Die Sicherung der Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 19 ff.; für einen Überblick Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1091), Rn. 10.

52

A. Das Verfahren der Mediation

Regelung des Vertraulichkeitsschutzes gilt für den Notar mit § 18 BNotO.118 Zu beachten ist, dass je nach Berufsgruppe Zeugnisverweigerungsrechte im Strafprozess119, Zivilprozess120 und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren121 bestehen. Entscheidend ist jedoch, dass die Parteien die Vertraulichkeitsregelungen vor allem in Bezug auf das Verhältnis untereinander, aber auch in Bezug auf den Mediator mit diesem indiviualvertraglich ausdrücklich oder konkludent vereinbaren.122 Dabei besteht ein erheblicher Spielraum. So ist es etwa möglich für alle Beteiligten, Stillschweigen über sämtliche Angelegenheiten zu vereinbaren.123 Ebenso denkbar ist es, unterschiedliche Regelungen für Mediator124 und Medianten zu treffen.125 Diese können den individuellen Bedürfnissen der Parteien oder dem Sachgebiet des konkreten Falls126 angepasst sein. Für das Verhältnis der Medianten untereinander ist es beispielsweise möglich, alle in der Mediation ausgetauschten Informationen für vertraulich zu erklären oder nur solche, die erstmals in der Mediation bekannt wurden.127

118 Ausführlich dazu Hilber, Die Sicherung der Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 33 ff.; Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 35 ff. 119 Relevant ist hier vor allem § 53 I Nr. 3 StPO. Siehe dazu Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1113 ff.) Rn. 49 ff.; vgl. ferner Groth/ v. Bubnhoff, NJW 2001, S. 338 (339). Umfassend Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 139 ff. 120 Relevant sind hier vor allem die §§ 383, 384 ZPO. Umfassend dazu Hilber, Die Sicherung der Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 84 ff., insgesamt zum Vertraulichkeitsschutz für die Mediation im Zivilprozess S. 81 ff. für einen Rechtsvergleich mit den USA S. 151 ff.; siehe im Übrigen Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1108 ff.) Rn. 40 ff.; umfassend auch Oldenbruch, Vertraulichkeit im Mediationsverfaren, S. 93 ff.; vgl. ferner Groth/ v. Bubnhoff, NJW 2001, S. 338 (339). 121 Im Verwaltungsprozess gelten über § 98 VwGO die Regelungen der ZPO. Dies gilt auch für die §§ 383, 384 ZPO (Lang, in: Sodann/Ziekow VwGO, § 98 Rn. 108; Geiger, in: Eyermann VwGO, § 98 Rn. 9; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, § 98 Rn. 11). 122 Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1098 ff.), Rn. 21 ff. Eine umfassend ausgestaltet Muster-Vertraulichkeitsabrede findet sich bei Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 159 ff. 123 Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Mediation, S. 26; Groth/ v. Bubnhoff, NJW 2001, S. 338 (340). 124 Hier bestehen verschiedene Möglichkeiten. Einschränkungen können sich aus § 138 BGB oder prozessualen Normen ergeben. Hierzu Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1100), Rn. 24. Umfassend zu den vertraglichen Verschwiegenheitsregelungen für den Mediator Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 55 ff. 125 Dafür plädiert Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1099 f.), Rn. 23.Umfassend zur Vertraulichkeit zwischen den Medianten Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 65 ff. 126 So ergeben sich besondere Anforderungen an den Vertraulichkeitsgrundsatz bei Großverfahren. Dazu Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (291), Rn. 135 f. 127 Zu den Vor- und Nachteilen dieser Varianten siehe Hartmann, in: Handbuch Mediation, § 44, S. 1087 (1101 f.), Rn. 27.

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

53

Hier lässt sich sehr deutlich erkennen, dass der Vertraulichkeitsgrundsatz keine strikte Regel vorgibt, vielmehr in seinem Rahmen ein abgestuftes Regelprogramm zwischen den Medianten und dem Mediator normiert werden kann. Dies entspringt dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Parteien. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Vertraulichkeitsgrundsatz wie alle bisher behandelten Grundsätze konstitutiv für die Mediation ist. Zum anderen steht auch er in Wechselwirkung zu anderen Grundsätzen, insbesondere baut er auf dem Informiertheitsgrundsatz auf und erfährt seine konkrete Begrenzung erst durch die Parteien, also den Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz. ee) Die praktische Bedeutung der Mediationsgrundsätze zur Lösung von Grundfragen der Mediation am Beispiel des Caucus Es konnte bereits dargelegt werden, dass die Mediationsgrundsätze nicht nur wesensbestimmend für die Mediation sind, sondern auch, dass sie zueinander in einer Wechselwirkung stehen. Dies wird noch deutlicher, wenn man sich ihre praktische Bedeutung zur Lösung von grundsätzlichen Fragen der Mediation vor Augen hält. Eine der problematischsten Grundfragen der Mediation ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Einzelgesprächen.128 Einzelgespräche können dazu dienen, den Prozess der Mediation zu fördern. Gerade bei Familienkonflikten gibt es hochsensible, emotionale Themen, deren Artikulation den Konfliktparteien vor dem jeweils Anderen besonders schwer fällt.129 Es kann auch gewachsene Machtstrukturen geben, so dass sich eine Partei möglicherweise nicht in der Lage sieht, ihre Fragen vor der anderen Partei zu äußern.130 Mit dem Einzelgespräch kann die Kommunikation wieder in Gang gesetzt werden, die sich dann in der Mediation mit allen Beteiligten fortsetzt. Denkbar ist das sogenannte Caucussing grundsätzlich in allen Phasen der Mediation.131 Ob ein solches Einzelgespräch132, also ein Caucus zwischen Mediant und Mediator zu befürworten ist, ist primär am Maßstab der Mediationsgrundsätze zu be128

Zu Recht der Hinweis von Bargens, Gerichtsinterne Mediation, S. 37, dass die Frage der Einzelgespräche zu den „umstrittensten Problemen der Mediation überhaupt“ gehört. 129 Unabhängig von der Familienmediation treffen diese Aussage auch Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89 (90). Die Aussage in der Familienmediation seien Einzelgespräche weniger angezeigt, als in der Wirtschaftsmediation ist zurückzuweisen. So aber von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 37 f. 130 Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89 (89). 131 Gläßer/Kublik, Einzelgespräch in der Mediation, ZKM 2011, S. 89 (90). 132 Ausführlich zu Einzelgesprächen Gläßer/Kublik, Einzelgespräch in der Mediation, ZKM 2011, S. 89 ff.; bejahend auch Heussen, in: Handbuch Mediation, § 17, S. 407 (415), Rn. 37 der vorschlägt, dass der Mediator gleich zu Beginn das Angebot des Einzelgesprächs offeriert; Leiss, Einzelgespräche ein probates Mittel in der Mediation, ZKM 2006, S. 74 (77); Eidenmüller, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 2 Rn. 73 ff.; krit. aber nicht ablehnend Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (289), Rn. 121 f.; krit. auch Friedman, A guide to divorce mediation, S. 36 f.

54

A. Das Verfahren der Mediation

urteilen und damit erst jetzt, nach Darlegung all dieser Grundsätze, möglich. Anhand dieser Frage soll die praktische Wirkung der Mediationsprinzipien und ihr Zusammenspiel über das bisher Gesagte hinaus verdeutlicht werden. Erstens kann in doppelter Hinsicht der Vertraulichkeitsgrundsatz bei Einzelgesprächen betroffen sein. Zum einen ist der innere Zweck dieses Grundsatzes, eine offene Kommunikation zu gewährleisten. Eben dieser kann durch die räumliche Trennung der Medianten beim Caucus gefährdet sein. Gerade bei emotional geprägten Familienkonflikten ist es für ein wachsendes gegenseitiges Verständnis wichtig, die subjektiven Empfindungen des jeweils anderen zu erleben.133 Zum anderen könnte gerade das Einzelgespräch von den Medianten genutzt werden, um brisante Sachverhalte offenzulegen. Verspricht der Mediator im Vorwege, die Information vertraulich zu behandeln, ist aber der mitgeteilte Umstand für die andere Partei von großer Wichtigkeit oder sogar von strafrechtlicher Relevanz134, gerät der Mediator in einen Konflikt. Der Vertraulichkeitsgrundsatz ist möglicherweise in Gefahr und auch die Neutralität kann betroffen sein, wenn der Mediator mit der erhaltenen Information nicht umzugehen vermag. Zweitens besteht ein Spannungsfeld zwischen Einzelgespräch und dem Prinzip der Eigenverantwortung der Parteien. Durch den caucus wird der Mediator in der Regel zur bestinformierten Person des Verfahrens135 und muss entscheiden, gegebenenfalls in Absprache mit den Medianten, welche Informationen er an den jeweils anderen Medianten weitergibt. Für den Mediator besteht sogar das Risiko einer unterbewussten Selektion.136 Durch diesen Vorsprung des Mediators wird den Parteien objektiv ein Stück Eigenverantwortung genommen. Dies muss dem Mediator vor einem Einzelgespräch bewusst sein. Er sollte die Zustimmung zum Einzelgespräch daher unbedingt zuvor von allen Konfliktparteien einholen, um so der Eigenverantwortung der Parteien gerecht zu werden. Auch subjektiv, also im Erleben der Parteien wird die Eigenverantwortung beschnitten, da eine Mediation mit vielen Einzelgesprächen weniger transparent ist und sich eher als Erfolg des Mediators als der Parteien darstellt.137 Auch mit Blick auf die gleich noch anzusprechende Neutralitätsgefährdung gebietet es der Grundsatz der Eigenverantwortung, dass der Mediator sich bei den Medianten die ausdrückliche Zustimmung zu Einzelgesprächen einholt.138 Drittens ist das Prinzip der Informiertheit durch den Einsatz von Einzelgesprächen tangiert. Während grundsätzlich, wie oben dargelegt, eine ausgewogene In133 134 135

(90). 136

Vgl. Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89 (90 f). Diese Erwägung nennen auch Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89, 90. Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, S. 105; Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89

Vgl. Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89 (90). Gläßer/Kublik, Einzelgespräch in der Mediation, ZKM 2011, S. 89 (91). 138 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (289), Rn. 122; Heussen, in: Handbuch Mediation, § 17, S. 407 (415), Rn. 37. 137

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

55

formiertheit in der Mediation angestrebt wird, wird der Mediator durch die Einzelgespräche zur Partei des überlegenen Wissens139, was ihm einen sonst nicht vorgesehenen Machtvorsprung verschafft. Mit diesem muss der Mediator äußerst bedacht umgehen. Viertens besteht ein Spannungsfeld mit dem Grundsatz der Neutralität des Mediators.140 Die Partei, die nicht am Einzelgespräch teilnimmt, kann den Mediator und den Prozess nicht mehr verfolgen und jedenfalls subjektiv über den neutralen Status des Mediators in Zweifel geraten. Sie könnte die andere Partei verdächtigen, sie benachteiligende Sonderabreden treffen zu wollen, was sich negativ auf ihr Konfliktverhalten in der Mediation auswirken dürfte.141 Die objektive Gefahr des Einzelgesprächs ist die Möglichkeit des Manipulationsversuches selbst. In einem solchen konkreten Fall muss der Mediator die Manipulation offenlegen und missbilligen oder gegebenenfalls die Mediation abbrechen.142 Nach alledem lässt sich sagen, dass alle Mediationsgrundsätze bei Einzelgesprächen tangiert sind. Eine generelle Zulässigkeit oder Ablehnung des Caucus kann daraus nicht abgeleitet werden. Vielmehr muss der Mediator im konkreten Fall eine Abwägung vornehmen. In diese Abwägung sind erstens die Mediationsgrundsätze einzustellen. Er muss sich der Konsequenzen mit Blick auf diese Grundsätze bewusst sein und darauf achten, dass diese in ihrem Kern gewahrt sind. Zweitens sollte er die tatsächlichen Umstände in seine Entscheidung einbeziehen. Er muss sich also die Frage stellen, ob die Umstände – insbesondere das Konfliktverhalten der Parteien – ein Einzelgespräch erfordern. Die Berücksichtigung aller Mediationsgrundsätze und der tatsächlichen Umstände bei konkreten Entscheidungen des Mediators ist festzuhalten. Beides ist für die Übertragung der Prinzipientheorie auf die Mediation von Bedeutung. ff) Zusammenfassung Aus der Darlegung der Mediationsgrundsätze sind für die normentheoretische Analyse und die Definitionsbildung folgende wichtige Erkenntnisse festzuhalten: Erstens sind alle Mediationsgrundsätze, also Eigenverantwortlichkeit, Freiwilligkeit, Neutralität, Informiertheit und Vertraulichkeit, wesensbestimmend für die Mediation. Ohne sie ist die Mediation nicht denkbar. Sie sind alle allgemein anerkannt in Wissenschaft und Praxis. Dieser für die Mediation konstituierende Charakter spricht dafür, alle Grundsätze in die Mediationsdefinition aufzunehmen. Zweitens ist sehr deutlich geworden, dass sich die Reichweite der einzelnen Grundsätze aus einem Zusammenspiel der selbigen ergibt. Sie bilden neben den 139

(90).

Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, S. 105; Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89

140 Vgl. Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89 (91); Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (289), Rn. 122. 141 Vgl. Gläßer/Kublik, ZKM 2011, S. 89 (90). 142 Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (289), Rn. 122.

56

A. Das Verfahren der Mediation

tatsächlichen Umständen des Falls den Maßstab für Entscheidungen des Mediators, wie anhand der Einzelgesprächsproblematik deutlich geworden ist. Dies und die Wechselwirkung zwischen Eigenverantwortlichkeit und Neutralität oder Eigenverantwortlichkeit und Informiertheit und Vertraulichkeit werden für den Normcharakter der Grundsätze von Bedeutung sein. Aufbauend auf diesem Befund erfolgt die normentheoretische Analyse der Mediationsgrundsätze anhand der Prinzipientheorie Alexys, die zunächst isoliert zu vorzustellen ist. b) Begriff des Prinzips: Prinzipientheorie als theoretischer Rahmen Es ist weder möglich noch zielführend, in dieser Arbeit die umfassende Debatte, die über die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien geführt wird, nachzuzeichnen. Es soll lediglich ein Blick auf die Grundzüge dieser, vor allem in der Rechtsphilosophie und der Grundrechtsdogmatik geführten Diskussion geworfen werden. In diesem Rahmen ist die in ihrem Kern bereits umrissene Prinzipientheorie Alexys näher zu beleuchten. Bei der Unterscheidung von Regeln und Prinzipien geht es traditionell um die Unterscheidung von Rechtsnormen. Dworkin hat in seinem vielbeachteten Werk „Taking Rights Seriously“ den Grundstein für eine Normendifferenzierung nach Regeln und Prinzipien dargelegt.143 Dies hat eine noch im Fluss befindliche, bedeutende Diskussion ausgelöst, die vor allem durch die von Alexy entwickelte, auf Dworkin aufbauende Prinzipientheorie beherrscht wird.144 Bei der Frage, ob eine Norm als Regel oder als Prinzip klassifiziert werden kann145, werden verschiedene Unterscheidungsmerkmale diskutiert.146 Im angelsächsischen Rechtsraum wird zum Teil danach unterschieden, ob eine Norm eher generell gefasst sei, dann sei sie als Prinzip zu klassifizieren, oder ob sie einen engeren Anwendungsfall beinhalte, also individueller sei, was sie zu einer Regel mache.147 Weiterhin wird nach der Explizitheit des Wertungsgehalts148, der Be-

143

Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 22. Diese Theorie hat Alexy 1985 entwickelt (Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.); ergänzend dazu Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 ff.; zur Diskussion siehe vor allem Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 61 ff.; vgl. auch Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, S. 52 ff.; Afonso Da Silva, Grundrechte und gesetzgeberische Spielräume, S. 37 ff.; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 130 ff. 145 Auch hier herrschen terminologische Abweichungen, worauf Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 (218 Fn. 5) unter Verweis auf einige Beispiele hinweist. 146 Ein Überblick findet sich bei Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, S. 217 (218 f.). 147 Vgl. Raz, Legal Principles and the Limits of Law, Yale Law Journal 81 (1972), S. 823 (838). 148 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 50. 144

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

57

stimmbarkeit der Anwendungsfälle149 oder danach, ob es sich um Gründe für Regeln (dann Prinzip) oder eine Regel selbst handelt.150 Nach der Prinzipientheorie Alexys können Normen in Regeln und Prinzipien wie folgt unterteilt werden. Regeln sind Normen, die entweder erfüllt oder nicht erfüllt sind.151 Sind sie erfüllt, legen sie eine genaue Entscheidung fest, was zu tun ist, enthalten also ein striktes Gebot.152 Prinzipien hingegen legen auch im Falle ihrer Anwendbarkeit keine zwingende Entscheidung, was zu tun oder nicht zu tun ist, fest. Prinzipien als Normen innerhalb eines Rechtssystems gebieten, dass etwas in hohem Maße relativ bezogen auf die bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten umgesetzt werde.153 Daraus folgt die Klassifizierung als Optimierungsgebot.154 Durch die Alexysche Klassifikation erklärt sich das schon von Dworkin festgestellte Kollisionsverhalten von Prinzipien. Bei zwei im Einzelfall kollidierenden Prinzipien gibt es keine zwingende Entscheidung durch eines der Prinzipien, wie der Fall zu entscheiden ist.155 Die Prinzipien liefern Gründe für eine bestimmte Richtung. Je nach Fall kann eines der Prinzipien zurücktreten. Nach Dworkin gibt es demnach sogenannte nicht abschließend aufzählbare counter-instances (Gegenbeispiele), an denen deutlich wird, dass ein geltendes Prinzip im Einzelfall aufgrund eines anderen Prinzips zurücktreten muss.156 Dworkin folgert daraus die Dimension des Gewichts von Prinzipien.157 Gleichzeitig kann mit Alexy die Situation der Prinzipienkollision als Spannungslage beschrieben werden.158 Anders ist es bei zwei sich widersprechenden Regeln. In einem solchen Fall ist eine der Regeln ungültig, sofern nicht die eine Regel eine Ausnahme zu Gunsten der anderen beinhaltet.159

149 Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Rechtsfortbildung des Privatrechts, S. 51; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 456 ff. 150 Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Rechtsfortbildung des Privatrechts, S. 51; Larenz, Methodenlehre in der Rechtswissenschaft, S. 24; Raz, Legal Principles and the Limits of Law, Yale Law Journal 81 (1972), S. 823 (839); MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, S. 152 ff. 151 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. 152 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120 spricht von einem „definitiven Gebot“. 153 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75. 154 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f. 155 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 25. 156 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 25. 157 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 26. 158 Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 (223 oben). 159 Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 (220).

58

A. Das Verfahren der Mediation

Damit sind Regeln Normen, die im Falle des Vorliegens ihrer Voraussetzungen einen strikten Charakter aufweisen und eine bestimmte Entscheidung festsetzen.160 Prinzipien sind hingegen Optimierungsgebote, die im Kollisionsfall eine Spannungslage hervorrufen und keine bestimmte Festsetzung für den jeweiligen Fall beinhalten.161 Diese Unterscheidung führt dazu, dass Prinzipien und Regeln deutlich voneinander abgegrenzt werden können und das unterschiedliche Kollisionsverhalten adäquat erfasst wird. Daher soll hier der Unterteilung von Regeln und Prinzipien im Sinne Alexys gefolgt werden.162 Die übrigen oben angerissenen Unterscheidungsvorschläge zwischen Regeln und Prinzipien lassen sich aufbauend auf dieser Unterscheidung zudem als fruchtbare Ergänzung heranziehen. So ist einleuchtend, dass die Explizitheit des Wertungsgehaltes bei einer Regel üblicherweise stärker ausgeprägt ist als bei einem Prinzip. Ebenso sind Prinzipien regelmäßig genereller gefasst als Regeln; während eine Regel zu Festsetzungen führt, liefern Prinzipien als Nebenprodukt die Gründe für bestimmte Regeln.163 c) Übertragung der Prinzipientheorie auf die Mediation Bei der dargestellten Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien ging es um die abstrakte Unterscheidung von Normen. Alexy hat diese Unterscheidung auf Normen innerhalb des Rechtssystems angewendet und insbesondere für die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes ausgearbeitet.164 Mediation ist kein Rechtssystem, sondern ein Verfahrenssystem. Auch in einem solchen System können jedoch Normen existieren. Für die Übertragung der Prinzipientheorie auf die Me160

Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 (224 f.); Die Annahme Dworkins, Taking Rights Seriously, S. 23 nach dem Prinzipien nur dann vorliegen, wenn es sich um Normen handelt, die Gründe für individuelle Rechte liefern ist hingegen zurückzuweisen. Eine oben geschilderte Spannungslage kann auch und gerade in Bezug auf Gemeinschaftsgüter vorliegen. Mit Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 (223) ist diese Unterscheidung vielmehr als eine sinnvolle Ergänzung innerhalb der Klasse des Prinzips einzuordnen. 162 Kritisch zur Prinzipientheorie Günther, Der Sinn der Angemessenheit, S. 270; Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, S. 65; ähnlich wie Sieckmann auch Buchwald, Der Begriff der rationalen juristischen Begründung, S. 161; ebenfalls ähnlich Aarnio, Taking Rules Seriously, in: Law and the state i modern times, S. 180 (187); eine Entgegnung auf diese Kritik findet sich bei Alexy, Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 31 ff; einen neuen Ansatz stellt die Einbindung des Begriffs der Defeasibilty in die Prinzipientheorie dar. Dazu umfassend Wang, Defeasibility in der juristischen Begründung; darauf aufbauend Bäcker, Begründen und Entscheiden, 1. Aufl., S. 134 ff. 163 So auch Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 (225). 164 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. insb. S. 122 ff. 161

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

59

diation gilt es zu begründen, dass es sich bei den Grundsätzen der Mediation erstens um Normen innerhalb des Verfahrenssystems Mediation handelt [aa)] und zweitens, dass diese innerhalb der Klasse der Normen keine strikten Regeln darstellen, sondern Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten [bb)]. aa) Mediationsgrundsätze als Normen im Verfahrenssystem Mediation (1) Begriff der Norm Will man feststellen, ob die Mediationsgrundsätze Normen sind, ist zunächst ein bestimmter Normbegriff zu Grunde zu legen. Der Begriff der Norm ist nicht nur in der Jurisprudenz, sondern auch in der Soziologie, der Philosophie und nicht zuletzt den Sprachwissenschaften nicht endgültig geklärt.165 Es ist auch nicht Aufgabe dieser Arbeit, sich dieses Problems anzunehmen. Dennoch bleibt die Frage zu beantworten, welcher Normbegriff vorliegend Anwendung finden soll. (a) Trennung von Begriff und Geltung Kann etwas nur dann als Norm klassifiziert werden, wenn es in bestimmter Weise gilt, spräche dies für einen geltungsorientierten Normbegriff. Ohne Zweifel wird in dieser Arbeit die Frage zu beantworten sein, welche Form der Geltung den Mediationsgrundsätzen zukommt.166 Diese Frage muss aber nicht in den Normbegriff verlagert werden. Vielmehr scheint es sinnvoll, einen semantischen Normbegriff zu Grunde zu legen, bei dem die Frage nach der Geltung nicht in den Normbegriff inkorporiert wird. Der semantische Normbegriff unterscheidet strikt zwischen dem Begriff der Norm selbst und der Frage der Geltung einer Norm.167 Dies mag auf den ersten Blick verwundern168, da die Frage der Geltung generell bei Normen, als auch konkret bezogen auf die Mediationsgrundsätze von höchster Bedeutung ist. Wenn aber das Interesse an der Frage besteht, ob eine Norm gilt, so besteht ebenso ein Interesse an der Feststellung der Nicht-Geltung.169 Es muss der Satz möglich sein: „Diese Norm gilt nicht.“ Ein solcher Satz wäre nicht möglich, wenn die Frage der Geltung in den Normbegriff inkorporiert wäre. Sowohl bei der Rechtsnorm als auch im Kontext der Mediation sollte ein solcher Satz möglich sein, weshalb es zweckmäßig ist, in diesen 165 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 40 stellt zutreffend fest, dass um den Begriff der Norm Streit besteht, „der kein Ende nehmen will“. Ein kurzer Überblick zum Begriff der Norm findet sich m.w.N. bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 40 ff. 166 Siehe zur Geltung der Mediationsgrundsätze unten Kapitel A. II. 167 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 47. 168 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 47: „Die Entlastung des Begriffs der Norm von geltungstheoretischen Elementen hat auf den ersten Blick den Nachteil, dass das Universum der Normen stark übervölkert wird.“ 169 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 47.

60

A. Das Verfahren der Mediation

Bereichen den semantischen Normbegriff zu Grunde zu legen.170 Nicht nur in der Rechtsnormauslegung, sondern auch bei Analyse der Mediation ist oftmals die Reichweite einer einzelnen Norm von Relevanz. Der semantische Normbegriff hat den Vorteil, dass diese Frage behandelt werden kann, ohne von der Frage nach der Geltung der Norm belastet zu werden. Kommt es hingegen auf die Frage der Geltung an, kann diese Frage ebenfalls behandelt werden. Der semantische Normbegriff schließt geltungstheoretische Ansätze nicht aus; vielmehr schließen diese den semantischen Normenbegriff mit ein, denn wer sagt, dass etwas gilt, muss auch sagen können, was dieses „etwas“ ist.171 Dies wiederum leistet der semantische Normbegriff.172 Mit einem semantischen Normbegriff wird der Begriff der Norm nicht überlastet; gleichzeitig können bei der dann gesondert zu behandelnden Frage der Geltung einer Norm geltungsorientierte Ansätze fruchtbar gemacht werden. Aus den genannten Gründen soll an dieser Stelle zunächst ein semantischer Normenbegriff zu Grunde gelegt werden. Auf die Geltung der Mediationsnormen wird mit Hilfe der geltungsorientierten Ansätze zurückzukommen sein. (b) Der semantische Normbegriff Grundlage für einen semantischen Normbegriff ist die Unterscheidung zwischen Norm und Normsatz.173 Norm als vorrangiger Begriff174 ist der Bedeutungsinhalt eines Normsatzes.175 Ein Normsatz umfasst lediglich die sprachlichen Zeichen, mit denen eine Norm ausgedrückt wird.176 Identifikationskriterium einer Norm sind die deontischen Grundmodalitäten.177 Daher werden Normen üblicherweise durch sogenannte deontische Normsätze ausgedrückt, das heißt Sätze, die Worte wie „dürfen“, „verboten“ und vor allem „sollen“ beinhalten.178 Dabei gilt es zu beachten, dass imperative und indikative Sätze keine deontischen Sätze sind, gleichwohl aber Normsätze sein können. Solche Sätze können ohne Bedeutungsänderung zu einem deontischen Normsatz umformuliert werden.179 Diese abstrakte Unterscheidung 170

Speziell für die Rechtsnorm begründet dies Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 79 ff. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 50. 172 So explizit Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 50. 173 So explizit auch Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, S. 20, 108; dieser Terminologie folgend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 42. Im Übrigen gibt es zahlreiche, inhaltlich ähnliche Ansätze mit abweichender Terminologie. Dazu findet sich ein umfassender Überblick m.w.N. bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 42 in Fn. 10. Hervorzuheben ist an dieser Stelle lediglich, dass auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 4 einen artverwandten Normbegriff zu Grunde legt. 174 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 43; vgl. ferner Wright, Norm and Action, S. 102 f. 175 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 43; Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, S. 20 und 108. 176 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 54. 177 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 43 f. und ausführlich S. 182 ff. 178 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 45. 179 Dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 45 insb. Fn. 14. 171

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

61

kann am Mediationsgrundsatz der Eigenverantwortlichkeit beispielhaft aufgezeigt werden.180 Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit lässt sich in folgendem deontischen Normsatz ausdrücken: Die Medianten sollen ihren Konflikt in der Mediation eigenverantwortlich regeln.

Er lässt sich ohne Verlust des Bedeutungsgehalts in einen imperativen Normsatz gleichen Bedeutungsinhalts umformulieren: Medianten – regelt euren Konflikt eigenverantwortlich.

Ebenso ließe sich folgender indikativischer Satz bilden: Die Medianten regeln ihren Konflikt eigenverantwortlich.

Bei Letzterem kann der deontische Charakter und damit der Normcharakter nicht unmittelbar erkannt werden. Es könnte sich auch um eine bloß beschreibende Aussage181 handeln. Alexy weist jedoch zu Recht darauf hin, dass der Normcharakter, also die im Bedeutungsinhalt eingeschlossene deontische Modalität, auch aus dem Kontext erschlossen werden kann.182 Aus dem Mediationskontext ergibt sich beim letztgenannten indikativischen Satz, dass dieser nicht eine bloße Deskription beinhaltet, sondern einen Soll-Auftrag an die Medianten enthält. Nur der erste der Sätze ist also ein deontischer Normsatz. Der indikativische und imperative Normsatz enthält jedoch denselben deontischen Bedeutungsinhalt und kann in den ersten deontischen Normsatz umformuliert werden. Die hinter den Normsätzen stehende Norm besagt, dass die Medianten den Konflikt in der Mediation eigenverantwortlich regeln sollen. (2) Mediationsgrundsätze als Normen im Sinne eines semantischen Normbegriffes Aufbauend auf der theoretischen Unterscheidung zwischen Norm und Normsatz im Sinne eines semantischen Normbegriffes werden im Folgenden die einzelnen Mediationsgrundsätze in den Blick genommen und es wird ihr Normcharakter aufgezeigt. Die Mediationsgrundsätze lassen sich in drei Gruppen einteilen. Erstens gibt es die mediantenbezogenen Grundsätze Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit, zweitens bestehen die verfahrensbezogenen Grundsätze Informiertheit und Vertraulichkeit und drittens ist der mediatorenbezogenen Grundsatz der Neutralität anerkannt. 180 Zahlreiche Beispiele anhand von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG („Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.“) finden sich bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 42 ff. 181 Vgl. zum Begriff der Aussage und der strukturellen Parallele zwischen Norm und Normsatz einerseits und Aussage und Aussagesatz andererseits Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 46; Ross, Directives and Norms, S. 9 ff. und S. 34 ff. 182 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 44 f.

62

A. Das Verfahren der Mediation

Wie bereits bei der Darstellung der einzelnen Mediationsgrundsätze dargelegt, handelt es sich bei diesen Grundsätzen um anerkannte Wesensmerkmale der Mediation. Sie prägen gemeinsam den Begriff der Mediation und können sogar als für die Mediation konstitutiv bezeichnet werden. An dieser Stelle gilt es zu klären, ob es sich bei diesen Grundsätzen um Normen handelt. Dies wäre der Fall, wenn jeder dieser Grundsätze eine deontische Modalität enthält. Der mediantenbezogene Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit lässt sich, wie oben bereits dargestellt, in folgendem Normsatz ausdrücken: Die Medianten sollen ihren Konflikt in der Mediation eigenverantwortlich regeln.

Der deontische Bedeutungsinhalt dieses Satzes, mithin die darin enthaltene Norm, besagt, dass die Medianten den Konflikt eigenverantwortlich regeln sollen. Die Medianten sind in diesem Fall die primären Normadressaten, weshalb von einem mediantenbezogenen Grundsatz gesprochen werden kann. Der Mediator muss sicherstellen, dass diese tatsächlich eigenverantwortlich in der Mediation agieren. Er ist damit sekundärer Normadressat. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit bei Zugrundelegung eines semantischen Normbegriffes als Norm innerhalb des Verfahrenssystems Mediation zu klassifizieren ist. Für den Grundsatz der Freiwilligkeit lässt sich folgender Normsatz aufstellen: Die Medianten sollen ihren Konflikt in der Mediation freiwillig regeln.

Auch hier lässt sich die deontische Grundmodalität des Sollens als Norm identifizieren. Die Medianten sollen nicht aufgrund äußerer oder innerer Zwänge an der Mediation teilnehmen. Sie sind wiederum die primären Normadressaten. Sekundärer Normadressat ist der Mediator, der die Freiwilligkeit der Medianten überprüfen muss. Tertiärer Normadressat ist jeder Dritte. Gegenüber diesen enthält die Norm ein Verbot, Zwang gegenüber den potenziellen Medianten auszuüben.183 Auch der Grundsatz der Freiwilligkeit ist damit als Norm zu klassifizieren. Für die Grundsätze der Informiertheit und der Vertraulichkeit gilt das Gleiche. Folgende Normsätze lassen sich formulieren: In der Mediation soll ein freier Informationsaustausch stattfinden. Die Inhalte der Mediation sollen vertraulich behandelt werden.

183 Die Frage, inwiefern der Begriff der Freiwilligkeit in der Mediation mit den Begriffen der positiven und negativen Freiheit gedeutet werden kann, könnte zu einer genaueren Klassifikation möglicher Normadressaten führen. Die Beantwortung dieser Frage kann und muss in dieser Arbeit nicht geleistet werden.

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

63

Beide Grundsätze enthalten Gebote, stellen also Normen dar. Normadressaten sind Medianten und Mediator gleichermaßen.184 Daher lassen sich diese als verfahrensbezogene Normen qualifizieren. Der Grundsatz der Neutralität lässt sich endlich in folgendem Normsatz ausdrücken: Der Mediator soll sich in der Mediation neutral verhalten.

Adressat der darin enthaltenen Norm ist ausschließlich der Mediator. Festgehalten werden kann, dass die Grundsätze Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit, Neutralität und Informiertheit sowie Vertraulichkeit als Normen innerhalb des Verfahrenssystems Mediation zu klassifizieren sind. All diese Grundsätze können als Normsätze formuliert werden, beinhalten also eine Norm, die anhand einer deontischen Grundmodalität identifiziert werden kann. bb) Mediationsgrundsätze als Prinzipien im Verfahrenssystem Mediation Aufbauend auf diesem Befund ist der Frage nachzugehen, um welche Art von Normen es sich bei den Mediationsgrundsätzen handelt. Nach der hier aufgestellten Prinzipienthese der Mediation handelt es sich um Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten innerhalb des Verfahrenssystems Mediation.185 Es ist noch auf den zweiten Teil der alexyschen Prinzipiendefinition einzugehen. Nach dieser sind Prinzipien Normen innerhalb eines Rechtssystems, die gebieten, dass der jeweilige Gegenstand des Prinzips relativ bezogen auf die bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Umstände in möglichst hohem Maße umgesetzt werde.186 Der Bezug Alexys zum Rechtssystem ist für die hier zu behandelnde Frage, der Rolle der Grundsätze im Mediationsverfahren, nicht direkt übertragbar. Es ist nicht entscheidend, welche Rolle die Mediationsnormen in einem Rechtssystem spielen.187 Es kommt darauf an, ob sie Prinzipiencharakter im Verfahrenssystem Mediation aufweisen. In Bezug auf dieses System ist die Frage zu beantworten, ob es sich um Optimierungsgebote handelt. Die Prinzipienthese der Mediation kann damit noch konkreter gefasst werden. In ihrer konkreten Form lautet sie wie folgt: Bei den Mediationsgrundsätzen handelt es sich um Prinzipien innerhalb des Verfahrenssystems Mediation, die gebieten, dass der jeweilige Gegenstand des Prinzips relativ bezogen auf die mediativen und tatsächlichen Umstände in möglichst hohem Maße umgesetzt wird. 184

Siehe zum Grundsatz der Vertraulichkeit und Informiertheit oben Kapitel A. I. 2. a) cc) und dd). 185 Siehe oben Kapitel A. I. 2. 186 Siehe oben Kapitel A. I. 2. b). 187 Vgl. aber zur Frage der juristischen Geltung der Mediationsnormen unten Kapitel A. II. 2.

64

A. Das Verfahren der Mediation

Erstens müssten die Mediationsgrundsätze also etwas gebieten. Dieser Teil der Definition gründet sich auf den bereits zu Grunde gelegten Normbegriff. Es wurde bereits festgestellt, dass sich die Mediationsgrundsätze als deontische Sätze ausdrücken lassen, also Gebote beinhalten. Dies war ausschlaggebend für ihre Klassifizierung als Norm. Zweitens müsste es sich um Optimierungsgebote handeln. Die Klassifizierung als Optimierungsgebote188 folgt daraus, dass Prinzipien im Kollisionsfall eine Spannungslage hervorrufen und, anders als die Regel, die eine strikte Natur aufweist, keine bestimmte Festsetzung für den jeweiligen Fall enthalten.189 Zu klären ist, ob dies für die Mediationsgrundsätze zutrifft. Drittens müsste dieses Gebot relativ auf die mediativen Möglichkeiten ausgerichtet sein. Dort, wo Alexy mit rechtlichen Umständen die Einschränkung durch andere Rechtsnormen, insbesondere kollidierende Grundrechte meint, ergeben sich im Kontext der Mediation Einschränkungen durch kollidierende Mediationsprinzipien. Bei der Analyse der einzelnen Mediationsgrundsätze wurde bereits deutlich, dass sich die Reichweite des einzelnen Grundsatzes erst aus einem Zusammenspiel mit den anderen Mediationsgrundsätzen ermitteln lässt. Die Parteien können beispielsweise wegen des Grundsatzes der Eigenverantwortlichkeit einen weitreichenden Informationsfluss vereinbaren; ebenso können sie den Grundsatz der Informiertheit zumindest ein Stück weit beschränken. Dasselbe gilt für das Verhältnis des Grundsatzes der Vertraulichkeit zur Eigenverantwortlichkeit. Die Prinzipiengegenstände Vertraulichkeit und Informiertheit werden zwar in der Mediation optimiert. Im Einzelfall führen jedoch andere Mediationsprinzipien, insbesondere das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit zu einer Einschränkung. Sie werden daher nur relativ bezogen auf die mediativen Umstände, das heißt relativ bezogen auf die Wirkungskraft anderer Mediationsprinzipien optimiert. Es ist weder notwendig noch im Rahmen dieser Arbeit möglich, alle Wechselwirkungen der Mediationsgrundsätze aufzuzeigen. Folgendes Beispiel soll den bisherigen Befund aber weiter unterstützen: In einer Mediation liegt eine deutliche Dominanz des Medianten 1 (M1) gegenüber dem Medianten 2 (M2) vor. Damit eine nachhaltige Lösung gefunden wird, sollen aber beide Parteien in einem ausgewogenen Verhältnis zu Worte kommen. Aufgrund dessen muss der Mediator mehrfach zu Gunsten von M2 in die Mediation eingreifen.

In zweierlei Hinsicht werden jetzt die Mediationsnormen relevant. Erstens stellt sich die Frage, ob nicht die Eigenverantwortlichkeit sowohl von M1 als auch von M2 beschnitten wird. Zweitens ist fraglich, ob die Neutralität des Mediators verletzt ist, wenn er zu Gunsten von M2 interveniert. Die Mediationsnormen enthalten für diesen Fall kein striktes Gebot, was zu tun ist, also gerade keine Festsetzung im Sinne einer Regel. Es gibt nicht eine zwingende Entscheidung. Die Mediation lebt gerade davon, 188

Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f.; Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 (224). 189 Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 217 (224 f.).

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

65

nicht durch starre Regeln blockiert zu sein. Dennoch muss der Mediator in jedem solcher Einzelfälle entscheiden, wie er die unterschiedlichen Grundsätze zueinander in Bezug setzt und bezogen auf die konkrete Situation gewichtet. Die Mediationsnormen stehen also in der für Prinzipien typischen Spannungslage190 zueinander. Am obigen Beispiel wird ebenfalls deutlich, dass sie die oben schon beschriebene Dimension des Gewichts191 aufweisen. Die Mediationsnormen Neutralität und Eigenverantwortung strahlen auf die Entscheidungen des Mediators aus und ihnen kommt Gewicht bei der Entscheidung der Interventionsmaßnahme zu. Die Ausführungen zu den Mediationsgrundsätzen sowie das angeführte Beispiel zeigen, dass ihre Gegenstände in möglichst hohem Maße umzusetzen sind, ohne eine Festsetzung der Entscheidung zu beinhalten. Gleichzeitig stehen sie stets im Wechselspiel mit den jeweils anderen Mediationsgrundsätzen. Ergo stellen die Mediationsgrundsätze Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten relativ bezogen auf die mediativen Möglichkeiten, also relativ bezogen auf andere Mediationsprinzipien dar. Viertens müsste es sich nach der oben aufgestellten konkretisierten Prinzipienthese der Mediation bei den Mediationsgrundsätzen um Optimierungsgebote relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände handeln. Der relative Bezug auf die tatsächlichen Umstände ist für die Mediation unschwer zu begründen. Betrachtet sei zunächst der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit. Die Eigenverantwortlichkeit der Parteien gilt es, als Prinzipiengegenstand in der Mediation zu optimieren. Die Eigenverantwortlichkeit hat jedoch dort ihre Grenzen, wo die Parteien nicht mehr in der Lage sind, eigenverantwortlich Lösungen zu entwickeln und zu diskutieren. Je nachdem, ob der Mediator eher einen passiven oder aktiven Mediationsstil befolgt192, kann er stärker intervenieren. Eine solche Intervention kann zum Ausgleich von Machtungleichgewichten bei gestörter Verhandlungsparität erfolgen.193 Denkbar sind zumindest in der aktiven Mediation auch Lösungsanregungen, wenn die Parteien nicht in der Lage sind, selbst Vorschläge zu entwickeln.194 Auch könnte der Mediator dazu anregen, Dritte, etwa Sachverständige oder mittelbare Konfliktbeteiligte, in die Mediation zu integrieren.195 In all diesen Fällen wird den Parteien zu Gunsten der Erreichung einer nachhaltigen friedensstiftenden Konfliktregelung ein Stück Eigenverantwortlichkeit genommen. Dies bedeutet, dass aufgrund tatsächlicher Umstände eine Einschränkung erfolgt. Daher wird in der 190 Siehe zur Spannungslage bei kollidierenden Prinzipien mit Nachweisen oben Kapitel A. I. 2. b). 191 Siehe zur dimension weight der Prinzipien mit Nachweisen oben Kapitel A. I. 2. b). 192 Siehe zur aktiven und passiven Mediationslehre oben Kapitel A. I. 2. a) aa) (2). 193 Siehe zum Ausgleich von Machtungleichgewicht mit Nachweisen unter anderem Kapitel A. I .2. a) aa) (2). 194 Siehe zur Frage von Lösungsvorschlägen des Mediators mit Nachweisen oben Kapitel A. I. 2. a) aa) (2). 195 Zur Beteiligung Dritter in der Mediation siehe Kapitel B. I. 1. b).

66

A. Das Verfahren der Mediation

Mediation die Eigenverantwortlichkeit zwar optimiert, jedoch geschieht dies relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände. Dasselbe lässt sich für die Freiwilligkeit sagen. Eine Partei wird selten vollkommen frei von inneren und äußeren Zwängen sein. Die Freiwilligkeit kann daher nur soweit gehen, wie es die tatsächlichen Umstände zulassen. Freilich muss ein Mindestmaß an autonomer Entscheidungsqualität erhalten bleiben, die auch gefördert werden muss196, damit von einer Optimierung gesprochen werden kann.197 Das Prinzip der Neutralität des Mediators wird ebenfalls von äußeren Umständen beeinflusst. Wie oben erörtert, kann es auch notwendig sein, im Sinne der Neutralität von einer Mediation abzusehen.198 Der Mediator wird selten für die unterschiedlichen Positionen und Interessen der Parteien das exakt gleiche Verständnis aufbringen. Umso mehr muss er sich – soweit es die tatsächlichen Umstände zulassen – um eine Optimierung seiner Neutralität bemühen.199 Schließlich sind auch die Grundsätze der Informiertheit und Vertraulichkeit den Grenzen des Faktischen unterworfen. Eine vollkommen ausgeglichene und gleichzeitig hohe Informiertheit von allen Medianten und Mediator wird sich beispielsweise schon aus Zeit- und Kostengründen nicht immer realisieren lassen. Bezogen auf die Informiertheit und Vertraulichkeit stehen jedoch die Relativierungen bezogen auf andere Mediationsprinzipien, wie oben ausgearbeitet, stärker im Fokus. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass die Mediationsgrundsätze Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten sind. Es findet eine Optimierung der Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit der Medianten, der Neutralität des Mediators und der Informiertheit und Vertraulichkeit des Verfahrens statt. Alle diese Optimierungen sind relativ bezogen auf die mediativen und tatsächlichen Umstände. Der Kollisionsfall der widerstreitenden Mediationsprinzipien ist dann in Analogie zur alexyschen Prinzipientheorie durch Abwägung200 durch den Mediator als Hüter 196 Siehe dazu auch Kapitel A. V. und die dort behandelte, in der Mediation verwendete Methode der Selbstbehauptung. 197 Dies kann bei einer gesetzlichen Mediationspflicht bezweifelt werden. Für den deutschen Rechtsraum ist § 15 a EGZPO zu nennen, der die Landesgesetzgeber ermächtigt Vorschriften zu erlassen, die die Zulässigkeit eines Gerichtsverfahrens von der Durchführung eines obligatorischen Schlichtungsversuches abhängig machen. Siehe dazu ausführlich Schreiber, Obligatorische Beratung und Mediation, S. 108 ff.; Siegel, Mediation in Erbstreitigkeiten, S. 311 ff.; zu gesetzlichen Mediationspflichten- oder Anreizen im Ausland von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 19 Fn. 15; vgl. auch Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 22 f. 198 Siehe oben Kapitel A. I. 2. a) aa). 199 Primär steht die Neutralität wie oben dargelegt aber in einem Spannungsfeld zur Eigenverantwortlichkeit der Parteien, was durch den Bezug „relativ auf die mediativen Möglichkeiten“ in der Prinzipienthese der Mediation zum Ausdruck kommt. 200 Ob Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 141 ff. im Falle der Diskursprinzipien auch zur Abwägung gelangt wird nicht ganz klar. Der Gedanke der Abwägung kann nur mit einem Blick auf die Prinzipientheorie Alexys im Rahmen der Grundrechtsdogmatik dargelegt werden: Alexy hat gezeigt, dass Grundrechte sowohl einen Regel- als auch einen Prinzipiencharakter

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

67

der Mediationsprinzipien zu lösen. Das Feld der Abwägung ist ein weites. In dieser Arbeit kann es an dieser Stelle nur darum gehen, eine normentheoretische Analyse der Mediationsgrundsätze vorzunehmen. Wie im einzelnen Konfliktfall abgewogen wird, ist Sache des weiter zu führenden Mediationsdiskurses in Praxis und Wissenschaft. Es zeichnet sich ab, dass im Zweifel ein Vorrangverhältnis des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit gegenüber den Prinzipien Vertraulichkeit und Informiertheit besteht. Gleichzeitig ist erkennbar, dass alle Mediationsprinzipien einen unverletzlichen Kernbereich aufweisen. Findet keine Optimierung mehr statt oder führen tatsächliche Umstände zu einer vollständigen Nichtberücksichtigung des Prinzips, stellt dies eine Verletzung des Prinzips und damit einen Verstoß innerhalb des Verfahrenssystems Mediation dar. cc) Ergebnis Da der Begriff des Prinzips gerade keine strikte Festsetzung enthält, sondern einen Spielraum des Möglichen offeriert, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Mediationsdefinition erreicht. Die differierende Weite der Mediationsgrundsätze kann aufweisen und spricht daher vom Doppelcharakter der Grundrechte (Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. insb. S. 122 ff.). Aufbauend auf diesem damit (auch) bestehenden Prinzipiencharakter der Grundrechte kommt er zu einem Zusammenhang zwischen Prinzipientheorie und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100.) Um diesen nachvollzuziehen zu können, ist es zunächst erforderlich, einen kurzen Blick auf den Inhalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Grundrechtsdogmatik zu werfen: Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss ein Grundrechtseingriff stets geeignet und erforderlich sein, um das mit ihm verfolgte (legitime) Ziel zu erreichen. Der dritte Teil des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – diesen Begriff verwendet auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100) meint die Abwägung zwischen dem hinter dem Eingriff stehendem Grund (z. B. ein anderes Grundrecht) und dem Grundrecht, in das eingegriffen wird. Erst mit diesem Schritt wird festgestellt, ob der Eingriff verfassungsgemäß ist. Alexy zeigt, dass dieser Verhältnismäßigkeitsgrundsatz logisch aus dem Prinzipiencharakter der Grundrechte deduziert werden kann (Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 f.; nicht in dieser Deutlichkeit, aber bereits darauf hinweisend BVerfGE 19, 342 (348 f.); 65, 1 (44) wie Alexy erkennt.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, also die eigentliche Abwägung zwischen den Grundrechten, folgt aus „der Relativierung der rechtlichen Möglichkeiten“ (Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100) als Bestandteil der Prinzipiendefinition. Wenn ein Grundrecht mit Prinzipiencharakter mit einem anderen Prinzip (z. B. einem anderen Grundrecht oder einer Staatszielbestimmung) kollidiert, dann ist die rechtliche Möglichkeit der Verwirklichung dieses Grundrechts von dem gegenläufigen Prinzip, also in der Regel einem anderen Grundrecht, abhängig (Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100). Eine Abwägung ist die notwendige Folge aus der Kollisionslage der Prinzipien (Zur Abwägung im Sinne des Kollisionsgesetzes vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 101, 79 ff.). Genau diese Abwägung fordert aber auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne. Alexy zeigt so den Zusammenhang zwischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne und dem Prinzipiencharakter der Grundrechte auf. Für den Kontext der Mediation gibt es keinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es kann aber der wichtige Befund festgehalten werden, dass Prinzipien im Fall der Kollision notwendig eine Abwägung erfordern, will man eine Entscheidung der Kollisionslage herbeiführen.

68

A. Das Verfahren der Mediation

über den Begriff des Prinzips aufgefangen werden. Dies fördert das Ziel der Akzeptanz. Nimmt man alle Mediationsgrundsätze trotz der unterschiedlichen Gewichtung und Reichweite in die Mediationsdefinition auf, dient dies dem Ziel der Allgemeingültigkeit der Mediationsdefinition, da alle Mediationsprinzipien als Mediationsgrundsätze anerkannt sind. Nach der so begründeten Prinzipienthese kann in der Definition nunmehr klargestellt werden, dass es sich bei den Mediationsgrundsätzen um Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten handelt. Damit ist die normentheoretische Natur dieser Grundsätze geklärt. Dies dient dem Ziel der Präzisierung der Mediationsdefinition. Damit sind alle drei oben formulierten Ziele201 erreicht.

3. Der Konflikt als Gegenstand der Mediation Bevor die Ergebnisse in einer Definition zusammengeführt werden können, ist ein kurzer Blick auf den Gegenstand der Mediation, den Konflikt, zu werfen. Es ist weder notwendig noch möglich, in dieser Arbeit den Konfliktbegriff eingehend zu behandeln, geschweige denn den Begriff des Konflikts abschließend zu klären. Innerhalb der interdisziplinären Diskussion bestehen je nach Wissenschaft höchst umfangreiche und unterschiedliche Versuche, den Konfliktbegriff zu erfassen.202 In dieser Arbeit geht es ausschließlich darum, einen für die Mediation adäquaten Konfliktbegriff203 zu Grunde zu legen und einige grundlegende Unterscheidungen hinsichtlich des Konfliktbegriffs aufzuzeigen. Montada/Kals weisen bereits darauf hin, dass die umfangreiche wissenschaftliche Literatur über Konflikte nur partiell mediationsrelevant ist.204 Die erste grundlegende Unterscheidung ist diejenige zwischen einerseits intrapsychischen oder inneren Konflikten einer Person205 und andererseits sozialen Konflikten, also Konflikten zwischen mindestens zwei Akteuren. Innere Konflikte sind nicht Gegenstand der Mediation. Eine Mediation kann schon begrifflich nicht mit nur einer Person und dem Mediator durchgeführt werden.206 Damit sind für den Konfliktbegriff der Mediation lediglich die sozialen Konflikte, verstanden als Konflikte zwischen mindestens zwei Akteuren, relevant. Akteure können natürliche

201

Siehe oben Kapitel A. I. 2. Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 45 und S. 45 ff. für einen instruktiven Überblick dazu. 203 Zum Konfliktbegriff siehe Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 43 ff.; Breidenbach, Mediation, S. 46 ff.; die Definition des Konflikts bei Glasl, Konfliktmanagement, S. 14 f.; Montada/Kals, Mediation, S. 70. 204 Montada/Kals, Mediation, S. 70. 205 Siehe dazu Montada/Kals, Mediation (2001), S. 60; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 46; Schulz von Thun, Das „innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation, S. 18 ff. 206 Vgl. Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 46; Montada/Kals, Mediation, S. 60. 202

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

69

oder juristische Personen, wobei es dann auf die dahinterstehenden Personen ankommt, oder andere soziale oder wirtschaftliche Personengruppen sein.207 Das erste grundlegende Merkmal eines sozialen Konflikts ist die Uneinigkeit zwischen den Akteuren. Der Konfliktanlass ist die subjektiv wahrgenommene oder objektiv bestehende Unvereinbarkeit208 der Parteiansichten im weitesten Sinne. Sie kann sich mit Montada/Kals auf „Ziele, Ansprüche, Ansichten und Wertungen über Personen und Sachverhalte, Wertvorstellungen, moralische Normen, Rechtsnormen, Tätigkeiten, Maßnahmen, Selbstkonzepte, soziale Rollen, Anforderungen, Glaubensüberzeugungen, Pflichten und anderes mehr“209 beziehen. Die Liste der materiellen Konfliktinhalte ließe sich sowohl, was den Konfliktbegriff generell angeht, als auch bezüglich der Mediation fortsetzen. Diese Inhalte tragen aber nicht dazu bei, zu bestimmen, was ein Konflikt ist,210 sie machen lediglich die Vielfältigkeit der Erscheinungsformen von Konflikten deutlich. Kern der Mediation ist die Frage, wie die Interessen der Parteien gerecht in Ausgleich gebracht werden können. Sind sich die Parteien darüber im Vorfeld der Mediation vollkommen einig, werden sie keine Mediation durchführen. Bei einer Mediation sind sich die Parteien also hinsichtlich dieser Frage zumindest partiell uneinig. Diese Uneinigkeit kann mit Uneinigkeit aus subjektiver oder objektiver Unvereinbarkeit eines der genannten Felder resultieren211, beispielsweise hinsichtlich bestimmter Pflichten oder moralischer Vorstellungen. Die dritte grundlegende Unterscheidung betrifft die Frage, ab wann von einem Konflikt gesprochen werden kann. Teilweise wird in diesem Zusammenhang zwischen latenten und manifesten Konflikten unterschieden.212 Latente Konflikte sind Situationen, in denen die Akteure unterschiedliche Standpunkte haben, sich dies aber noch nicht in einem wechselseitigen Verhalten ausdrückt; bei manifesten Konflikten ist ein solches Verhalten in Erscheinung getreten.213 Um für den Mediationskontext zu ermitteln, wann von Konflikt gesprochen werden soll, ist zunächst die Situation im Vorfeld der Mediation zu betrachten. In dieser sind sich die Parteien, wie dargestellt, über bestimmte Fragen uneinig. Dies wird in mehr oder weniger starkem Ausmaß 207

Montada/Kals, Mediation (2001), S. 63; vgl. auch Glasl, Konfliktmanagement, S. 14. Montada/Kals, Mediation (2001), S. 65; dies findet sich in zahlreichen Konfliktdefinitionen wieder. Siehe etwa Luhmann, Soziale Systeme, S. 530 der von „kommunizierten Widerspruch“ spricht; Glasl, Konfliktmanagement, S. 14 f. die von „Unvereinbarkeiten im Denken, Vorstellen/Wahrnehmen und/oder Fühlen und/oder Wollen“ spricht; Dahrendorf, Konflikt und Freiheit, S. 72 der von „objektiven und subjektiven Gegensätzlichkeiten“ spricht. 209 Montada/Kals, Mediation (2001), S. 64 f. 210 Montada/Kals, Mediation (2001), S. 67. 211 Montada/Kals, Mediation (2001), S. 64 f. 212 Siehe dazu Glasl, Konfliktmanagement, S. 49 f. die zudem noch von extremen Konflikten bei der Ausübung von Gewalt spricht; siehe auch Dahrendorf, Konflikt und Freiheit, S. 72. Zu den neun Eskaltaionsstufen eines Konflikts ausführlich das Modell bei Glasl, Konfliktmanagement, S. 219 ff.; dazu Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 49 ff. 213 Vgl. Glasl, Konfliktmanagement, S. 49 f. 208

70

A. Das Verfahren der Mediation

kommuniziert, anderenfalls hätten sie nicht den Weg der Mediation beschritten. Damit könnte das Element Kommunikation Teil der Konfliktdefinition sein. Dies entspricht dem, freilich von der Mediation losgelösten, Konfliktbegriff bei Luhmann: „Von Konflikten wollen wir immer dann sprechen, wenn einer Kommunikation widersprochen wird. Man könnte auch formulieren: Wenn ein Widerspruch kommuniziert wird.“214 Allerdings offenbaren sich in der Mediation oftmals auch bis dahin nicht kommunizierte Uneinigkeiten. Für die zunächst schweigende Partei bestand die Problematik aber schon im Vorfeld. Dies spräche auf den ersten Blick dafür, den Konfliktbegriff nicht an den kommunizierten Widerspruch zu binden. Allerdings wird diese Uneinigkeit in der Realität und auch in der Realität der Mediation erst greifbar, wenn sie in irgendeiner Form, sei es verbal oder nonverbal, nach außen in Erscheinung tritt.215 Zutreffend arbeiten Montada/Kals drei Elemente heraus, die für den Konfliktbegriff hinzukommen müssen. Erstens muss mindestens ein Akteur die bestehende Uneinigkeit als Beeinträchtigung erleben216, zweitens erfährt dies die andere Partei217 und ist nicht bereit, ihre Position so zu verändern, dass die bestehende oder wahrgenommene Beeinträchtigung entfällt; und schließlich macht der erstgenannte Akteur den anderen verantwortlich für die Beeinträchtigung.218 Ein mediationsrelevanter Konflikt ist demnach eine Situation zwischen mindestens zwei Akteuren, wobei diese sich in einer bestimmten Frage, vor allem hinsichtlich der Frage einer gerechten Regelung, meist über einen Interessenausgleich objektiv oder subjektiv uneinig sind. Mindestens ein Akteur nimmt dies als Beeinträchtigung wahr, macht den anderen Akteur dafür verantwortlich, wobei dieser (zunächst) nicht bereit ist, entsprechende Änderungen vorzunehmen.219

214

Luhmann, Soziale Systeme, S. 530. Glasl, Konfliktmanagement, S. 15; treffend auch Montada/Kals, Mediation, S. 66: „Unvereinbarkeiten von Subjekten sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Entstehung von Konflikten.“ 216 Ist divergierende Position des Anderen für den Akteur völlig belanglos oder erfreut sich sogar an der dieser, entsteht kein Konflikt (Vgl. dazu Montada/Kals, Mediation (2001), S. 66; vgl. auch Montada/Kals, Mediation, S. 71). Ebenfalls das Kriterium Beeinträchtigung Glasl, Konfliktmanagement, S. 14 f.; dem folgend Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 48. 217 Anders Glasl, Konfliktmanagement, S. 14 f.; Zenk. Mediation im Rahmen des Rechts, S. 48. 218 Montada/Kals, Mediation (2001), S. 66 f.; vgl. auch Montada/Kals, Mediation, S. 73. 219 Dies entspricht in weiten Teilen der von Montada/Kals, Mediation, S. 67 entwickelten Definition. 215

I. Begriff und Prinzipien der Mediation

71

4. Ergebnis: Zusammenführung der Untersuchung zu einer Mediationsdefinition Zur endgültigen Definitionsbildung ist es erforderlich, die vorangegangenen Untersuchungen zusammenzuführen. Zunächst sind die Elemente der Definition, die im Rahmen der Einordnung von Mediation in den ADR-Kontext herausgearbeitet wurden, in die Definition einzufügen. Dort konnten bereits drei Teilstücke der Mediationsdefinition herausgearbeitet werden. Erstens ist der Streitgegenstand ein Konflikt. Zweitens gibt es mindestens zwei Streitparteien. Drittens leitet das Verfahren ein neutraler220 Dritter ohne Entscheidungsbefugnis.221 Es ließe sich zudem erwägen, ob das Merkmal außergerichtlich in die Definition eingeführt werden soll. Dafür spricht, dass Mediation ein privatautonomes Verfahren ist.222 Dagegen spricht, dass Mediation vor allem im Umfeld der Gerichte stattfindet, auch wenn sie dadurch natürlich nicht ihren Charakter als privatautonomes Verfahren verliert.223 Solange in der Definition klargestellt ist, dass der Mediator anders als der Richter keine Entscheidungsbefugnis hat, gibt es keinen Grund, das Merkmal außergerichtlich in die Definition mit aufzunehmen. Dies könnte vielmehr die unzutreffende Assoziation hervorrufen, Mediation würde nicht im Umfeld der Gerichte betrieben. Zudem können die Ergebnisse der normentheoretischen Untersuchung der Mediationsgrundsätze eingeführt werden. In dieser konnte dargelegt werden, dass die Grundsätze Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit der Medianten, Neutralität des Mediators und Vertraulichkeit und Informiertheit erstens anerkannt sind und zweitens, dass es sich bei diesen Grundsätzen um Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten relativ bezogen auf die mediativen und tatsächlichen Umstände handelt. Diese sind daher als Prinzipien in die Definition einzuführen. Schließlich wird die Definition, aufbauend auf den bisherigen Definitionen und dem Mediationsgesetz, um zwei weitere für die Mediation konstitutive Merkmale ergänzt. Zum einen handelt es sich bei der Mediation um ein strukturiertes Verfahren. Auf die Struktur des Mediationsverfahrens wird am Ende dieses Kapitels einge220

Dies ist wird über die Einführung des Grundsatzes der Neutralität als Prinzip in der Definition deutlich. 221 Siehe zu alledem oben Kapitel A. I. 1. a) am Ende. 222 Siehe dazu unten Kapitel B. II. 223 Die Terminologie zwischen außergerichtlicher, gerichtsnaher und gerichtsinterner Mediation war lange Zeit uneinheitlich. Ausführlich dazu von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 61 ff; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 101 ff.; mit dem Mediationsgesetz ist eine Klärung dieser rein terminologischen Frage zumindest für den deutschen Rechtsraum erfolgt. Das Gesetz unterscheidet in § 1 MedG weiter zwischen außergerichtlicher Mediation, gerichtsnaher Mediation (also Mediation während eines Gerichtsverfahrens außerhalb des Gerichts) und richterlicher Mediation (also Mediation innerhalb des Gerichts durch einen nicht entscheidungsbefugten Richter). Zur hier nicht zu vertiefenden Kritik des durchgehend richterlichen Bezugs bei einem eigentlich privatautonomen Verfahren vgl. umfassend Paul, ZKM 2011, S. 119 ff.

72

A. Das Verfahren der Mediation

gangen.224 Zweitens ist das Ziel der Mediation in die Definition aufzunehmen. Nun lässt sich eine Vielzahl denkbarer Vorteile der Mediation auch als Ziele der Mediation formulieren. So kann der Gesetzgeber das Ziel verfolgen, mit der Mediation die Gerichte zu entlasten225 oder die Parteien streben das Ziel einer beschleunigten Konfliktbeilegung226 oder Kostenreduktion227 an. Der Stichhaltigkeit und der Begründungswert dieser und weiterer Vorteile wird im zweiten Kapitel dieser Arbeit systematisch nachgegangen.228 Die genannten Vorteile sind auch keine unmittelbar verfahrensbezogenen Ziele, sie weisen vielmehr einen mittelbaren Charakter auf. Diese und weitere Vorteile in den Begriff der Mediation aufzunehmen, wäre daher verfehlt. Auch sind höhere Ziele, wie die Stärkung des Autonomiegedankens229 oder gesellschaftliche Veränderungen durch geändertes Konfliktverhalten230 nicht begriffsentscheidend für die Mediation. Ein anerkanntes Ziel der Mediation ist jedoch derart wesensbestimmend für das Verfahren selbst, dass dieses in die Definition mit aufzunehmen ist. Gemeint ist die Konfliktregelung zur Herstellung eines nachhaltigen Friedens.231 Darauf zielt die Mediation im konkreten Konflikt ab. Nach alledem ergibt sich folgende Mediationsdefinition: Mediation ist ein strukturiertes Verfahren (1) zur nachhaltigen Regelung und Befriedung (2) eines Konflikts (3) zwischen mindestens zwei Parteien (4) unter Leitung eines nicht entscheidungsbefugten Dritten (5). Es gelten die Grundsätze Freiwilligkeit (6) und Eigenverantwortlichkeit (7) der Parteien, Neutralität des Dritten (8) sowie Vertraulichkeit (9) und Informiertheit (10) jeweils als Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten232 (11).

Mit diesen elf Definitionsmerkmalen besteht eine Mediationsdefinition, die den oben genannten Zielen233 gerecht wird. Durch die Aufnahme der Grundsätze als Prinzipien im Gegensatz zu strikten Regeln hält sie einen Spielraum offen, was zur Akzeptanz der Definition auch mit Blick auf verschiedene Stile und Ausprägungen der Mediation beiträgt. Es werden alle anerkannten Merkmale und Mediationsgrundsätze in die Definition aufgenommen, weshalb die Definition das Prädikat umfassend und allgemeingültig verdient. Schließlich geht aus der Definition erst224

Siehe dazu Kapitel A. IV. Siehe dazu Kapitel B. I. 1. 226 Siehe dazu Kapitel B. I. 3. 227 Siehe dazu Kapitel B. I. 2. 228 Siehe dazu ausführlich Kapitel B. 229 So lautet eines der Metaziele bei Breidenbach/Gläßer, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Spektrum der Mediationsziele, Kon:sens 1999, S. 207 ff. 230 Eine umfassende Erörterung, orientiert an der amerikanischen Debatte, darüber welche unterschiedlichen Zielansätze Mediation darüber hinaus verfolgen kann, hat Breidenbach, Mediation, S. 119 ff. aufgestellt; siehe dazu auch Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 38 ff. 231 Zur nachhaltigen Befriedung der Mediation siehe unten mit Nachweisen Kapitel B. I. 4. 232 Zur Klarstellung ließe sich noch ergänzen, dass das Gebot der Optimierung relativ bezogen auf die mediativen und tatsächlichen Umstände bezogen ist. 233 Siehe oben Kapitel A. I. 2. 225

II. Geltung der Mediationsprinzipien

73

mals die normentheoretische Natur der Mediationsgrundsätze hervor, was erheblich zur Präzision des Begriffes Mediation beiträgt. Das Problem der Definierbarkeit ist damit gelöst. Der Begriff der Mediation ist im Sinne der dargestellten Definition für die Praxis und die in dieser Arbeit vorzunehmende diskurstheoretische Untersuchung hinreichend geklärt.

II. Geltung der Mediationsprinzipien Nunmehr ist auf die Frage der Geltung dieser Grundsätze in der Mediation zurückzukommen. Der semantische Normbegriff unterscheidet strikt zwischen dem Begriff der Norm selbst und der Frage der Geltung einer Norm.234 Aufbauend auf der Feststellung, dass es sich bei den Mediationsgrundsätzen um Normen im Sinne eines semantischen Normbegriffes handelt, kann jetzt die Frage gestellt werden, welche Form der Geltung den Mediationsprinzipien innerhalb des Verfahrenssystems Mediation zukommt. Es soll zwischen interner und externer Geltung differenziert werden. Bei der Frage der internen Geltung soll es darum gehen, ob die Mediationsgrundsätze innerhalb der Mediation faktisch gelten. Das Geltungskriterium ist also diesbezüglich faktischer oder soziologischer Art.235 Ein praktikables Geltungskriterium hat Ross entwickelt. Nach ihm soll maßgeblich sein, ob die Normen regelmäßig befolgt werden und es ein Gefühl der Bindung gibt.236 Bei der Frage der externen Geltung geht es darum, ob die Mediationsgrundsätze durch außerhalb der Mediation liegende Entitäten Geltung innerhalb der Mediation erhalten. Fraglich ist für diese Dimension der Geltung, welche Geltungskriterien heranzuziehen sind. Auf faktische Kriterien außerhalb der Mediation abzustellen, ist schon begrifflich schwer denkbar. Mediationsnormen als Mediationsnormen können nur innerhalb der Mediation tatsächlich befolgt werden. Denkbar ist für eine externe Geltung der Mediationsnormen jedoch nach einer juristischen oder ethischen Geltung zu fragen.237 Zu einer zum Teil ethischen Geltung der Mediationsnormen sei auf 234

Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 47. Derartige faktische oder soziologische Geltungsansätze finden sich etwa bei Ross, Directive and Norms, S. 82 ff.; Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 68 ff. 236 Ross, Directives and Norms, S. 82 ff., 93. Im Gegensatz zu dem hier verfolgten semantischen Normbegriff inkorporiert Ross die bei ihm empirisch gelöste Frage nach der Geltung, in den Normbegriff. Kritisch dazu zu Recht, Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 47. Fruchtbar bei der Frage der Geltung selbst bleibt der Ansatz von Ross dennoch und soll daher hier losgelöst vom Normbegriff verwendet werden. 237 Dieser dreigliedrige Geltungsbegriff wird auch von Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 49 f; Dreier, Recht Moral Ideologie, S. 194 ff. zu Grunde gelegt. Die dort als soziologisch bezeichnete Ebene entspricht der hier als faktische Ebene bezeichneten Geltungskategorie. Zum Verhältnis dieser drei Ebenen vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 50 Fn. 32. 235

74

A. Das Verfahren der Mediation

die später in dieser Arbeit vorzunehmende diskurstheoretische Begründung der Mediation verwiesen. Diese Begründung bezieht sich zwar nicht auf die einzelnen Mediationsnormen, sondern auf die Mediation insgesamt. Jedoch erhält die Mediation erst durch die Mediationsnormen ihre Gestalt. Insofern erstreckt sich diese Begründung notwendig auf die Mediationsnormen als Wesensmerkmale der Mediation. An dieser Stelle geht es bei der externen Geltung darum, ob die Mediationsgrundsätze Geltung durch ein juristisches Kriterium beanspruchen können. Damit sind die internen und externen Geltungskriterien aufgestellt. Ob diese erfüllt sind, lässt sich unter Rückgriff auf die bisherigen Ergebnisse bereits beantworten.

1. Interne Geltung: Faktischer Ansatz Zunächst soll aber die oben erläuterte interne Geltung der Mediationsprinzipien geprüft werden. Gelten die Mediationsnormen innerhalb der Mediation faktisch? Um diese Frage zu beantworten, soll eine Subsumtion unter das Modell von Ross, nach dem eine faktische Geltung eine tatsächliche Befolgung und ein Gefühl der Bindung voraussetzt, vorgenommen werden.238 Fraglich ist also, ob die Mediationsprinzipien in der Mediationspraxis tatsächlich befolgt werden. Zahlreiche Indizien sprechen für einen solchen Befund. Erstens werden die Mediationsprinzipien Eigenverantwortlichkeit, Freiwilligkeit, Neutralität des Mediators, Informiertheit und Vertraulichkeit von den in praxi tätigen Mediatoren als anerkannt dargestellt. Dies wurde bereits bei der Definitionsbildung konstatiert.239 Die Mediationsprinzipien wären sonst nicht in die oben aufgestellte Mediationsdefinition aufgenommen worden. Sie sind damit Leitfaden für die tatsächlich stattfindende Mediation. Maßstab hinsichtlich der Geltung kann dabei nur der Mediator sein, der für die Einhaltung aller Mediationsprinzipien eine Wächterfunktion erfüllt.240 Nicht zuletzt wurden alle genannten Mediationsprinzipien in das Mediationsgesetz aufgenommen, wobei sich der Gesetzgeber auf die bestehende Mediationspraxis stützte.241 Nichts anderes ergibt ein Blick in die Lehre. Die Beherrschung der Mediationsgrundsätze, nach der hier entwickelten Lösung also der Mediationsnormen, ist Kern der akademischen wie nicht akademischen Ausbildung zum Mediator.242 Es sei noch angefügt, dass die Gespräche mit anerkannten und führenden Mediatoren in 238 239 240

S. 64. 241

Ross, Directives and Norms, S. 82 ff., 93. Siehe oben Kapitel A. I. 2. a). Kracht, in: Handbuch Mediation, S. 267 (284), Rn. 98; Weitz, Gerichtsnahe Mediation,

Zu den Prinzipien der Mediation im Mediationsgesetz siehe oben Kapitel A. I. 1. b) bb). Kracht, in: Handbuch Mediation, S. 267 (284), Rn. 98 Fn. 43 weist darauf hin, dass es „einhellige Meinung“ ist, dass die Prinzipien Neutralität, Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit, Informiertheit und Vertraulichkeit in der Mediation gelten. 242

II. Geltung der Mediationsprinzipien

75

Deutschland diesen Eindruck bestätigen.243 Die tatsächliche Befolgung der Mediationsnormen als erstes Teilstück der Geltungskriterien einer Norm nach Ross kann mithin bejaht werden. Als zweites setzt Ross ein Gefühl der Bindung als Geltungskriterium voraus.244 Dieses Gefühl der Bindung kommt in der Mediationsdebatte durch die Akzeptanzbekundungen gegenüber den Mediationsgrundsätzen zum Ausdruck. Es wird über die Reichweite der Mediationsgrundsätze gestritten, über ihre grundsätzliche Wirkungskraft jedoch nicht. Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit der Parteien, Neutralität des Mediators sowie die Prinzipien Vertraulichkeit und Informiertheit sind die die Mediatoren verbindenden Grundsätze, die das Verfahren zu dem machen, was es ist. Wie bei der Definitionsbildung bereits hervorgehoben, sind die Mediationsprinzipien konstitutiv für die Mediation.245 Ein Gefühl der Bindung besteht evident, was eine empirische Analyse entbehrlich macht. Als Fazit ist festzuhalten, dass von einer faktischen Geltung der Mediationsprinzipien innerhalb der Mediation gesprochen werden kann. Einzelne Missachtung der Mediationsprinzipien sprechen indes nicht gegen die Geltung dieser Normen. Vielmehr zeigt die Möglichkeit der Missachtung der Normen ihre Geltungsbasis. Es kann nur etwas missachtet werden, wenn es gilt.246

2. Externe Geltung: Juristischer Ansatz Fraglich ist, ob neben dieser internen faktischen Geltung der Mediationsprinzipien im Verfahrenssystem Mediation auch eine externe Geltungsquelle der Mediationsprinzipien gefunden werden kann. Es kommt zunächst die juristische Geltung der Mediationsprinzipien in Betracht. Von der juristischen Geltung einer Norm kann mit Kelsen gesprochen werden, wenn die Normsetzung durch eine Autorität erfolgt, die wiederum durch eine höherrangige Norm dazu autorisiert ist.247 Für den deutschen Rechtsraum konnten die Mediationsprinzipien lange Zeit keine juristische Geltung beanspruchen, da es keine gesetzliche Grundlage der Mediation gab. Dies hat sich mit dem nun in Kraft getretenen Mediationsgesetz entscheidend verändert.

243 Ich danke an dieser Stelle vor allen Diplom Psychologe, Mediator und Mediationsausbilder Heiner Krabbe sowie Rechtsanwältin, Mediatorin und Mediationsausbilderin Cornelia Sabine Thomsen. 244 Ross, Directives and Norms, S. 82 ff., 93. 245 Siehe oben Kapitel A. I. 2. a) und c). 246 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 47; siehe zum semantischen Normbegriff oben Kapitel A. I. 2. c) aa) (1) (a). 247 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 200 ff.; die Einordnung als juristische Geltungstheorie stammt von Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 49. Vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 50 Fn. 32 zu Wesen und Bedeutung des juristischen Geltungsbegriffs auch im Vergleich zu den anderen Geltungstheorien.

76

A. Das Verfahren der Mediation

Wie oben erläutert, wurden alle Mediationsprinzipien im Mediationsgesetz verankert.248 Die Mediationsprinzipien gelten damit auch juristisch. Das bedeutet, dass ihre Geltung in der Mediation durch eine außerhalb der praktisch stattfindenden Mediation, das heißt externe Geltungsquelle begründet werden kann. Die Geltungsquelle ist eine juristische, nämlich die des Mediationsgesetzes. Ob die Geltung der Mediationsgrundsätze darüber hinaus auch überpositiv begründet werden kann, ist erst nach der diskurstheoretischen Analyse der Mediation zu beantworten. Kann durch diese das gesamte Verfahren der Mediation universell und überpositiv begründet werden, so bezieht sich diese Begründung notwendig auch auf die Mediationsprinzipien, da diese wie gesehen, schlechthin konstituierende Wesensmerkmale der Mediation sind.

III. Rolle des Mediators Aus dem bisher Gesagten ergeben sich die zentralen Aufgaben des Mediators249, die hier nur kurz resümiert werden sollen. Erstens ist der Mediator der Herr hinsichtlich des Prozesses (nicht oder nicht primär hinsichtlich des Ergebnisses250) und dient als Förderer der Kommunikation, er setzt die Phasen der Mediation um und strukturiert so das Verfahren, er wendet die Methoden der Mediation251 an und ermöglicht damit den Verfahrensrahmen.252 Zweitens ist er Garant für die Prinzipien der Mediation, das heißt er setzt diese praktisch um.253 Besonders hervorzuheben ist dabei das Prinzip der Neutralität. Der Mediator erfüllt die Funktion des neutralen Dritten und schöpft daraus seine Legitimation.254 Die Herstellung des Verfahrensrahmens durch den Mediator, die Funktion als Hüter der Prinzipien und als neutraler Dritter ergeben schließlich noch eine weitere Aufgabe: Diese ist es, den Parteien ein

248

Siehe oben Kapitel A. I. 1. b) bb). Ausführlich zur Rolle des Mediators Kracht, Rolle und Aufgaben des Mediators – Prinzipien der Mediation, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 ff.; siehe auch Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 56 ff. 250 Die Parteien entscheiden in der Sache selbst, wie sich aus dem Prinzip der Eigenverantwortung ergibt. Siehe dazu oben Kapitel A. I. 2. a) aa) (1). 251 Ausführlich zu den Methoden der Mediation siehe unten Kapitel A. V. 252 Ausführlich zur Gewährleistung des Verfahrensrahmens durch den Mediator Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (279 ff.), Rn. 70 ff.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 62 ff. 253 Kracht, in: Handbuch Mediation, S. 267 (284), Rn. 98; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 64. 254 Siehe oben mit Nachweisen Kapitel A. I. 2. a) bb). 249

IV. Struktur der Mediation

77

prozedural gerechtes oder faires Verfahren zu ermöglichen, also die Verfahrensgerechtigkeit herzustellen.255

IV. Struktur der Mediation Um zu untersuchen, ob Mediation einen rationalen Diskurs beinhaltet, ist es notwendig, die einzelnen Phasen der Mediation zu unterscheiden. Bei der späteren diskurstheoretischen Analyse wird sich zeigen, dass nicht alle Phasen den gleichen diskurstheoretischen Befund zulassen. Sowohl in der Praxis als auch in der Literatur gibt es verschiedene Ansätze der Phaseneinteilung.256 Verbreitet und plausibel ist eine Unterteilung der Mediation in fünf Phasen,257 die sowohl an dieser Stelle als auch für die spätere diskurstheoretische Analyse zu Grunde gelegt wird. Gleichzeitig wurde bei der Definitionsbildung gesagt, dass Mediation ein „strukturiertes Verfahren“ ist.258 Dies soll durch die folgende Darstellung des Ablaufs einer Mediation mit Inhalt gefüllt werden.

255

Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S 39; ausführlicher Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (171 f.), Rn. 42 ff.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 70 f.; die Bedingungen, die Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 ( (314), Rn. 66 nennen, dienen eben dieser Verfahrensgerechtigkeit. 256 Zu den Phasen der Mediation siehe Haft, Verhandlung und Mediation, S. 245 ff.; ausführlich Kessen/Troja, Die Phasen und Schritte der Mediation als Kommunikationsprozess, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (295 ff.) Rn. 4 ff.; für einen Kurzüberblick König, Jura 2008, 416 (420); vgl. ferner von Bargen, Gerichtinterne Mediation, S. 44 ff.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 44 ff.; Montada/Kals, Mediation, S. 220 ff.; Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 8 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 35 ff.; Schlieffen/ Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 22 f.; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 27 ff.; für einen praktischen Einblick Diez, Werkstattbuch Mediation, S 2 ff. 257 Für fünf Phasen: Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 9; Haft, Verhandlung und Mediation, S. 245 ff.; Mähler/Mähler, in: Mediation für Juristen, S. 13 (27); Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 35 ff.; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 29 f.; Montada/Kals, Mediation, S. 220 ff. gehen nunmehr auch von fünf Phasen aus, wobei die fünfte Phase anders als hier „Evaluation in der Praxis“ meint. Dies ist zwar wichtig, kann aber nur schwerlich als eigenständige Mediationsphase angesehen werden. Montada/Kals, Mediation (1. Aufl. 2001), S. 179 ff. verfolgten noch ein Sechs-Phasen-Modell; für sechs Phasen auch Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (295 ff.) Rn. 4 ff.; abweichende Terminologie und Einteilung in vier Phasen bei Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 22 f.; für neun Phasen Haynes, Fundamentals of Family Mediation, S. 1 ff. 258 Siehe oben Kapitel A. I. 4.

78

A. Das Verfahren der Mediation

1. Phase: Einführung und Vertragsschluss Die erste Phase259 der Mediation beginnt mit der Initiierung des Verfahrens und endet mit der Mediationsvereinbarung. Auf dem Weg dorthin gibt es jedoch einige zentrale Stufen, die im Folgenden kurz darzulegen sind. a) Initiierung, Einführung und Wertschätzung Die erste Phase beginnt mit der Initiierung des Verfahrens. Häufig tritt eine der Parteien an einen Mediator heran, und im Anschluss wird der Kontakt zur anderen Konfliktpartei durch den Mediator aufgenommen. Mit Blick auf das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit ist es jedoch vorzugswürdig, wenn alle Konfliktparteien gemeinsam an den Mediator herantreten.260 Ebenso, insbesondere bei Wirtschafts-, Verwaltungs-261 und Umweltmediationen262, ist vorstellbar, dass ein sogenannter äußerer Auftraggeber eine Mediation zwischen Dritten initiiert. Der äußere Auftraggeber kann etwa der Geschäftsführer eines Unternehmens oder ein Behördenleiter sein, der eine Konfliktlösung zwischen verschiedenen Mitarbeitergruppen wünscht.263 Ein solcher Auftraggeber ist in der Regel selbst nicht Konfliktpartei im Gegensatz zu den inneren Auftraggebern, also den späteren Medianten. In solchen Fällen, die in der Regel größeren Umfangs sind, finden im Vorfeld Vorgespräche statt, um hinreichend Informationen über den Konfliktstatus und die Erwartungen der einzelnen Konfliktparteien oder Konfliktgruppen zu sammeln.264

259 Umfassend zur ersten Phase Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (299 ff.), Rn. 11 ff.; Montada/Kals, S. 222 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 38 ff.; sehr praxisnah Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 96 ff. insb. S. 100 ff.; vgl. ferner von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 45; Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 22; König, Jura 2008, S. 416 (420). 260 Vgl. Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 22; besonders kritisch zur Kontaktaufnahme des Mediators zur nicht initiierenden Konfliktpartei Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (300), Rn. 13. 261 Zu den Phasen einer Verwaltungsmediation siehe umfassend Holznagel/Ramsauer, in: Handbuch Mediation, § 28, S. 683 (694 ff.), Rn. 24 ff. 262 Zu den Phasen einer Umweltmediation siehe umfassend Zilleßen, in: Handbuch Mediation, § 30, S. 729 (747 ff.) Rn. 64 ff. 263 Zilleßen, in: Handbuch Mediation, § 28, S. 729 (749) Rn. 69; vgl. zu derartigen Fällen Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (299 f.) Rn. 11. 264 Montada/Kals, Mediation, S. 222; vgl. auch Kessen/Troja, Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (299 f.) Rn. 11; zu den Vorbereitungsmaßnahmen bei größeren Verfahren siehe auch Zilleßen, in: Handbuch Mediation, § 30, S. 729 (748 ff.) Rn. 67 ff.; Holznagel/Ramsauer, in: Handbuch Mediation, § 28, S. 683 (694 ff.), Rn. 25 ff.; umfassend zur Vorbereitung einer Mediation Heussen, Die Organisation von Mediationsverhandlungen, in: Handbuch Mediation, § 17 S. 407 ff.; vgl. ferner Montada/Kals, Mediation, S. 222 ff.; Mähler/Mähler, in: Mediation für Juristen, S. 13 (27); Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 22; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 46 f.

IV. Struktur der Mediation

79

Entscheiden sich die Parteien für eine Mediation, informiert der Mediator diese über das Verfahren. Wichtig ist, dass der Mediator dabei über die Techniken der Mediation265 und kommunikative Kompetenz266 eine bestimmte Grundstimmung schafft. Es ist sowohl für den praktischen Erfolg in der Mediation als auch für die diskurstheoretische Analyse von Bedeutung, dass in der Mediation eine Atmosphäre geschaffen wird, die frei von Zwängen ist und gleichzeitig eine Wertschätzung der einzelnen Mediationsteilnehmer beinhaltet.267 Dies führt dazu, dass die Medianten in ihrer Eigenschaft als autonome268 Personen anerkannt werden. So stellen sich die Medianten in der Regel dem Mediator zunächst vor und umgekehrt.269 Auf diese Weise erfährt der Mediator etwas über die Konfliktparteien und den Konflikt. Gleichzeitig haben diese die Gelegenheit, sich ein Bild über den Mediator zu machen, was durchaus bis zu einem gewissen Grad persönliche Informationen enthalten darf. Medianten und Mediator treten mithin als individuelle Personen mit eigener Subjektsqualität auf. In der ersten Phase erklärt der Mediator den Ablauf, aber auch die der Mediation zugrundeliegenden Prinzipien.270 Er wird auf ihre „Selbst-Verpflichtung“, erstens dem jeweils Anderen zuzuhören, ihn verstehen zu wollen und zweitens ein gerechtes Ergebnis anzustreben, hinweisen, ebenso wie auf ihre Eigenverantwortlichkeit hinsichtlich des Ergebnisses.271 Der Mediator wird auch verdeutlichen, dass eine Teilnahme an der Mediation durchgehend freiwillig ist. Die Eigenverantwortlichkeit wird er schon an dieser Stelle hervorheben, da den Parteien von Beginn an klar sein muss, dass das inhaltliche Ergebnis der Mediation durch die Parteien selbst zu er265 Zu den Techniken der Mediation vgl. statt Vieler Schwingenheuer, Techniken der Mediation in Theorie und Praxis, S. 3 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 125 ff.; sehr eigenwillig ist die Darstellung bei Schweizer, Techniken des Mediators – Übersicht, in: Handbuch Mediation, § 14, S. 321 ff.; umfassend zur Kommunikation in der Mediation Dörrenbächer, Erfolgreiche Kommunikation, in: Handbuch Mediation, § 15, S. 363 ff. 266 Zu Recht weisen Kessen/Troja, in Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (300 f.) Rn. 14 darauf hin, dass dies nicht einfach ist und eine Abkehr von bestimmten in der Alltagssprache bekannten Mustern erfordert. Insbesondere sollte nicht bagatellisiert werden. Die Parteien sind ernst zu nehmen. Auch darf der Mediator nicht bewerten. Umfassend zur Kommunikation in der Mediation Dörrenbächer, Erfolgreiche Kommunikation, in: Handbuch Mediation, § 15, S. 363 ff. 267 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (300 f.) Rn. 14; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 100 spricht von „guter Arbeitsatmosphäre“; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 48. 268 Zur Stärkung der Autonomie siehe unten Kapitel B. I. 4. a) hh). 269 Vgl. dazu Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (300), Rn. 14. 270 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (301) Rn. 18; Montada/Kals, Mediation, S. 228; vgl. ferner von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 45; Schlieffen/Ponschab/Rüssel, S. 22; ungenau Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 47 der von einer „Vereinbarung der Mediationsprinzipien“ spricht. Diese Formulierung erweckt den falschen Anschein die Prinzipien seien disponibel. 271 Montada/Kals, Mediation, S. 228.

80

A. Das Verfahren der Mediation

arbeiten ist. Die Medianten werden die Gelegenheit bekommen, offene Fragen zu klären. b) Mediationsregeln, Gesprächsregeln und Rahmenbedingungen Zweitens werden in der ersten Phase regelmäßig mit den Parteien Mediationsregeln, also insbesondere Regeln für das Gespräch272 innerhalb der Mediation, festgelegt. Die Parteien entwickeln diese selbst273 oder erklären diese Gesprächsregeln zumindest selbst für verbindlich. Weist der Mediator später auf die Einhaltung der Regeln hin, werden sie die Intervention eher akzeptieren, da sie die Regeln selbst aufgestellt haben.274 Üblicherweise handelt es sich um Regeln, die einen respektvollen Umgang und so eine offene Gesprächsatmosphäre sicherstellen. Hinsichtlich der Details der Gesprächsregeln können bereits unterschiedliche Auffassungen der Medianten bestehen. Der daraus resultierende Konflikt kann dann als „Mediation in der Mediation“275 gelöst werden, bis sich die Medianten auf eine bestimmte Gesprächsregel geeinigt haben. Auf diese Weise erfährt der Mediator etwas über das Konfliktverhalten der Parteien und diese lernen anschaulich, wie Mediation funktioniert. Neben den Gesprächsregeln können verschiedenste Essentialia vereinbart werden. Vereinbarungen der Vertraulichkeit276 und der Möglichkeit von Einzelgesprächen277 sind geboten. Denkbar sind zudem Vereinbarungen zu Kündigungsmöglichkeiten, Vertragsstrafen, der Rolle von Beratungsanwälten oder Sachverständigen sowie Protokollierungen278 ; vor allem sind aber Dauer und Ort279 der Mediation zu klären.

272 Weitz, Gerichtsinterne Mediation, S. 47; Kessen, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 9 Rn. 4; Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 293 (301), Rn. 8. 273 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (301), Rn. 18; eine hilfreiche Formulierungshilfe für Praktiker zur Frage nach solchen Regeln, die die Medianten selbst entwickeln sollen, findet sich bei Dietz, Werkstattbuch Mediation, S. 104 f. 274 Dazu ausführlich mit Nachweisen siehe unten Kapitel B. I. 4. a) hh). 275 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (301), Rn. 18; ausführlich zum mediieren von Gesprächsregeln Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 85 ff. 276 Ausführlich zur Vertraulichkeit siehe oben Kapitel A. I. 2. a) dd). 277 Ausführlich zu Einzelgesprächen siehe oben Kapitel A. I. 2. a) ee). 278 Eine Aufzählung von denkbaren Regelungsinhalten findet sich bei Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 47, vgl. auch Dietz, Werkstattbuch Mediation, S. 102; auf die Klärung der Protokollfrage weisen auch Montada/Kals, Mediation S. 229 hin. 279 Montada/Kals, Mediation, S. 229 f.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 47; Dietz, Werkstattbuch Mediation, S. 102; ausführlich zum sogenannten Setting unter Einbeziehung eines praktischen Beispiels siehe Schlieffen, in: Handbuch Mediation, § 1, S. 3 (12 ff.), Rn. 30 ff.; vgl. auch Heussen, in: Handbuch Mediation, § 17, S. 407 (410), Rn. 11 ff.

IV. Struktur der Mediation

81

c) Der Mediator als Vorprüfungsinstanz Der Mediator gewinnt in der ersten Phase einen Eindruck über den Konflikt und die Konfliktparteien, sodass er nun prüfen kann, ob sich der Konflikt und die Medianten überhaupt als mediationsgeeignet erweisen.280 Fehlen ihm Informationen, wird er entsprechende Nachfragen stellen. Eine umfassende Analyse ist für eine gut vorbereitete Mediation unerlässlich.281 Ein methodisches Instrument dazu liefert die Arbeit mit Hypothesen.282 Der Mediator wird prüfen, ob die Konfliktparteien die notwendige Gesprächsbereitschaft mitbringen, grundsätzlich bereit sind, das in der Mediation notwendige Mindestmaß an Gesprächsregeln einzuhalten, keine unausgleichbare Machtstruktur vorliegt und eine gewisse Ergebnisoffenheit besteht.283 d) Klärung der Kostenfrage Üblicherweise wird der Mediator in der ersten Phase die Kostenfrage284 klären. Diese fallen je nach Art der Mediation, Umfang des Konflikts und Person des Mediators unterschiedlich aus, müssen den Parteien aber transparent dargelegt werden. Auch ist zu klären, wie hoch der Anteil für die einzelnen Konfliktparteien ausfällt. Auf die Frage der Kosten der Mediation und ob diese einen Vorteil des Verfahrens darstellen, ist an späterer Stelle285 zurückzukommen. e) Mediationsvereinbarung Anschließend wird in aller Regel zwischen Medianten und Mediator eine Mediationsvereinbarung286 in Form eines Vertrages geschlossen, die alle Essentialia – 280 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (300), Rn. 11;Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 47 f.; ausführlicher zu dieser Prüfung Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 38 f. 281 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (300), Rn. 11; Montada/Kals, Mediation, S. 222. 282 Ausführlich zur Arbeit mit Hypothesen, die in der gesamten Mediation stattfinden sollte Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 75 ff.; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 91 ff. 283 Vgl. Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 38 f.; dem folgend König, Jura 2008, S. 416 (421 f.). 284 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (301), Rn. 18; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 47; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 45; eine praktische Hilfe und dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit gerecht werdenden Eingangsformulierung zur Frage der Kosten bei Dietz, Werkstattbuch Mediation, S. 105; Umfassend Zur Kostenfrage siehe Horst, in: Handbuch Mediation, § 47, S. 1147 ff. Rn. 1 ff. zu den Kosten der gerichtsnahen Mediation Rn. 99 ff. zu den Kosten der gerichtsinternen Mediation Rn. 101 ff. 285 Zur Frage der Verfahrenskosten der Mediation und zur ökonomischen Betrachtung siehe unten Kapitel B. I. 2. 286 Montada/Kals, Mediation, S. 230 f.; Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (301); König, Jura 2008, S. 416 (420); von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 45;

82

A. Das Verfahren der Mediation

also etwa Kosten, Verfahrensgrundsätze, Parteien und die Person des Mediators – enthält. Der Mediator kann den Medianten auch die Gelegenheit einräumen, über die Mediationsvereinbarung noch einmal nachzudenken. Nachdem die Parteien alles Notwendige über das Verfahren der Mediation erfahren haben, können sie sich überlegen, ob sie sich tatsächlich für eine Mediation entscheiden. Diese freiwillige Entscheidung ist notwendige Voraussetzung der dann zu beginnenden eigentlichen Konfliktbearbeitung.

2. Phase: Themen- und Informationssammlung In der zweiten Phase287 schildern die Parteien den Konflikt aus ihrer Sicht und nennen diejenigen Themen, die sie in der Mediation regeln wollen.288 Das erste Ziel dieser Phase ist mithin die Erfassung und Strukturierung der Konfliktthemen.289 Gerade zu Beginn kann es zu emotionalen Erregungen kommen.290 Dies ist jedoch ein positiver Umstand. Die Gefühle werden nun nicht mehr zurückgehalten, sondern fließen in den Dialog ein. Die Gemüter können sich anschließend besser beruhigen, die Parteien lernen nicht nur die jeweils andere Sichtweise kennen, sondern erleben diese sogar.291 Zudem müssen sie ihre eigenen Gefühle nicht mehr verbergen. Gerade jetzt ist der Mediator gefragt, sich auf dem schmalen Grad zwischen emotionaler Katharsis und der Einhaltung der verabredeten Gesprächsregeln adäquat zu bewegen.292 Um das oben genannte Ziel dieser Phase – die Strukturierung der Konfliktthemen – unter diesen Bedingungen zu erreichen, muss der Mediator entsprechend geschult sein und drei Dinge beachten. Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 47; Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); ausführlich dazu Hess, in: Handbuch Mediation, § 43, S. 1053 (1059 ff.), Rn. 12 ff.; Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S. 11 ff. die zwischen Mediationsvereinbarung zwischen den Medianten und Mediatorvertrag zwischen Mediator und Medianten unterscheidet. Umfassend zur Vertragsgestaltung in der Mediation Koch, in: Mediation in der Anwaltspraxis, § 11 Rn. 1 ff. 287 Zur zweiten Phase siehe Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 45 f.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 48 ff.; König, Jura 2008, S. 416 (421); Haft, Verhandlung und Mediation, S. 246; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 11 ff. und S. 109 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 42 ff.; umfassend zur zweiten Phase Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 20 ff.; Montada/ Kals, Mediation, S. 232 ff.; vgl. ferner Schlieffen/Ponschab/Rüssel, Mediation und Streitbeilegung, S. 22 bei denen die Themensammlung offenbar der Beginn der „Hauptphase“ ist. 288 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 20. 289 Montada/Kals, Mediation, S. 232; Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); vgl. ferner Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 47; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 110. 290 Ausführlich zur Behandlung von Emotionen in der Mediation Montada/Kals, Mediation, S. 144 ff. 291 So schon der Autor in Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931). 292 So schon der Autor in Herzog/Hennig, Jura. 2011, S. 929 (931).

IV. Struktur der Mediation

83

Erstens muss er dafür sorgen, dass die Parteien den Konflikt aus ihrer ursprünglichen Sicht, ohne durch die andere Partei determiniert zu sein, schildern können; die Parteien sollen im Sinne des Neutralitätsprinzips nicht aus der Begrenzung der Schilderung des Anderen reagieren, sondern ihre Themen, Erlebnisse, Sichtweisen und Argumente frei hervorbringen.293 Dies gebietet auch das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit294 und wird wesentlich durch die Methode der Selbstbehauptung295 realisiert. Zweitens setzt die Strukturierung von Konfliktthemen voraus, dass der Mediator den Vortrag der Parteien, wenn notwendig, in neutrale Themengebiete transformiert.296 Dies geschieht durch die Technik des Zusammenfassens297 und vor allem des Paraphrasierens298. So kann er etwa die Aussagen der Parteien wiedergeben, dabei aber auf anklagende und aggressive Wortwahl verzichten.299 Es wird grundsätzlich lediglich das Thema aus den Anschuldigungen abgeleitet, ohne dass direkte Vorwürfe übernommen werden. Veranschaulichend dazu sei folgendes Beispiel erwähnt: Anschuldigungen wie „Du hast dich doch nie um Personalentscheidungen gekümmert“ können als Thema „Aufgabenverteilung bei Personalentscheidungen“ umformuliert werden.300 Drittens wird die Strukturierung der Konfliktthemen durch Visualisierung301 – in der Regel auf einer „Flip-Chart“ – realisiert, wobei sich der Mediator im Sinne des 293 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 20; dem folgend Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 49. Dies entspricht der Methode der Selbstbehauptung. Siehe dazu unten Kapitel A. V. 294 Dies übersehen Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 20; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 49. Beide argumentieren lediglich aus dem Neutralitätsprinzip heraus. 295 Siehe dazu unten Kapitel A. V. 296 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 21; zur praktischen Umsetzung dieser Umformulierungen Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 112 f. 297 Zur Technik des Zusammenfassens siehe Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 126; Diez, Werkstabbuch Mediation, S. 169. 298 Diese Technik wird auch als Reframen oder positives umformulieren bezeichnet. Dazu und zur Technik selbst siehe Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 131. Diese benutzen auf S. 67 die Bezeichnung „positives Umformulieren“ und weisen zu Recht darauf hin, dass es im Sinne der Methode der Selbstbehauptung (siehe dazu unten Kapitel A. V.) im Einzelfall auch geboten sein kann genau die Formulierung der Parteien zu übernehmen. Siehe zum Paraphrasieren auch Ripke, Paraphrasieren mit beidseitiger Situationsdefinition, ZKM 2000, S. 70 ff.; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 180 ff.; Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303 f.), Rn. 30 f. zu den umfangreichen Regeln des Paraphrasierens Rn. 31. 299 Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931). 300 Beispiele aus dem Kontext der Familien-Mediation finden sich bei Diez/Thomsen/ Krabbe, Familien-Mediation, S. 131 Rn. 371; Beispiele aus dem Praxisbericht einer Erbmediation bei Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 182 f. 301 Zu den verschiedenen Möglichkeiten der Visualisierung siehe ausführlich Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 183 ff.

84

A. Das Verfahren der Mediation

Prinzips der Eigenverantwortlichkeit bei den Parteien rückversichern wird, ob im Falle einer Umformulierung die Bezeichnung des Themas so aufgenommen werden darf.302 Gegebenenfalls wird mit der Technik des Partialisierens gearbeitet, wenn sich eine Aufteilung in Unterthemen anbietet.303 Anschließend werden gemäß dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit die Medianten entscheiden, in welcher Reihenfolge die einzelnen Punkte bearbeitet werden sollen.304 Zum Abschluss der Phase ist ihnen nun das Ergebnis des gemeinschaftlichen Dialogs sichtbar305, was in der Regel eine gewisse Wertschätzung durch den Mediator erfährt. All dies kann bereits zu einer Entspannung im Konfliktverhalten der Parteien führen. Das zweite Ziel dieser Phase ist es, gemäß dem Prinzip der Informiertheit möglichst viele Informationen über den Konflikt in den Dialog einzubringen.306 Dementsprechend bietet es sich in dieser Phase an, fachkundige Dritte oder Beratungsanwälte hinzuziehen.307 Mit der zweiten Phase ist nicht nur der Informationsfluss unter den Medianten belebt, sondern auch der Mediator hat einen tieferen Einblick gewonnen. Mediator und Medianten haben nach der zweiten Phase ein strukturiertes Bild über die Konfliktthemen, ein möglichst hohes Maß an tatsächlichen, gegebenenfalls auch rechtlichen Informationen und einen tiefergehenden Eindruck des Konfliktverhaltens. All dies ist Grundlage für die Hypothesen308, die der Mediator für den weiteren Verfahrensablauf aufstellen wird.

302

Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 23. Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 111 ausführlich zur Technik des Partialisierens S. 178 ff.; ebenso Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 133. 304 Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 24; König, Jura 2008, S. 416 (421); zur praktischen Umsetzung der Reihenfolgenbestimmung durch die Parteien siehe Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 113. 305 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 24. 306 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (302), Rn. 23, die auch von „Informations- und Themensammlung“ sprechen; Montada/Kals, Mediation, S. 222; Haft, Verhandlung und Mediation, S. 246 bezeichnet die Phase nur als „Informationsphase“; ebenso Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 48; zum Prinzip der Informiertheit siehe oben Kapitel A. I. 2. a) cc). 307 Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 50; zur Bedeutung von Beratungsanwälten in der Mediation Brandt/Becker, Stellung des beratenden Rechtsanwalts im Mediationsverfahren, FF 2006, S. 300 ff.; siehe weiter Ripke, Recht und Gerechtigkeit in der Mediation, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (169), Rn. 33 ff.; Friedrichsmaier, in: Handbuch Mediation, § 34, S. 837 (846), Rn. 46 ff. erwähnt die „Notwendigkeit parteilicher Beratung in der Mediation“; ebenfalls die Bedeutung der Anwälte in der Mediation betont von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 27 f.; zur praktischen Umsetzung vgl. Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 130 ff.; Diez/ Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 111 ff. 308 Umfassend zur methodischen Arbeit mit Hypothesen in der Mediation siehe Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 91 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 75 ff. 303

IV. Struktur der Mediation

85

3. Phase: Von den Positionen zu den Interessen In der dritten Phase309 geht es darum, die hinter den Positionen liegenden Interessen oder Bedürfnisse offenzulegen. Methoden, Prinzipien, Ziele und Vorteile der Mediation oszillieren um diese Phase mehr als um jede andere. Für den Erfolg einer jeden Mediation ist sie von entscheidender Bedeutung.310 Sie erfüllt vier wichtige Funktionen, um das Ziel der Mediation, nämlich nachhaltigen Frieden311, durch gerechten Interessenausgleich zu verwirklichen: Erstens ist es notwendig, die eigenen Interessen zu erkennen und frei äußern zu können, soll anschließend ein gerechter Interessenausgleich vereinbart werden. Ist dies möglich, stärkt dies die Autonomie des Einzelnen, was gleichfalls zu den Metazielen der Mediation zählt.312 Die Selbsterkenntnis der eigenen Interessen und Bedürfnisse und das daraus erwachsene Selbstbewusstsein ist der erste Schritt auf dem Weg zur gerechten Lösung;313 gleichzeitig entspricht dies der später zu erläuternden Methode der Selbstbehauptung314. Auch zeigt sich die Methode der umfassenden, tiefergehenden Sachverhaltsbetrachtung315 in der Mediation besonders in dieser Phase. Das Vertraulichkeitsprinzip sichert einen Raum, in dem eine entsprechende Bedürfnisartikulation möglich ist. Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit verlangt von den Parteien, die Interessenarbeit mit Hilfe des Mediators selbst durchzuführen. Zweitens dient die dritte Phase dem gegenseitigen Verständnis, also die Interessenlage des Anderen zu verstehen und zu respektieren.316 Praktisch umgesetzt wird 309 Der Grundgedanke, von den Positionen zu den Interessen zu gelangen, findet sich bereits im Harvard-Konzept. Siehe dazu Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept. Ausführlich zur Interessenphase in der Mediation siehe Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303); Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 115; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 46 ff.; Gläßer/Kirchhoff, Interessenermittlung, ZKM 2005, S. 130 ff.; siehe ferner Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 51 f.; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 46; Herzog/ Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); König, Jura 2008, S. 416 (421); Haft, Verhandlung und Mediation, S. 246 f., zur so möglichen Aufklärung eines Konflikts Monatada/Kals, Mediation, S. 234. 310 Daher bezeichnen sie Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303) Rn. 26 wohl als „Herzstück der Mediation“. Dem folgend von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 46 und der Autor selbst in Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931). 311 Siehe dazu Kapitel B. I. 4. 312 Breidenbach/Gläßer, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Spektrum der Mediationsziele, Kon:sens 1999, S. 207 ff.; Krabbe/Fritz, ZKM 2009, S. 136 (136). 313 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303), Rn. 26 sprechen in diesem Zusammenhang von Empowerment; vgl. auch Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 116 und S. 116 f. zu der Vielfalt der möglichen Interessen von „menschlichen Grundbedürfnissen“ über „Anerkennung“ bis zu „Gerechtigkeit“. 314 Siehe dazu Kapitel A. V. 315 Siehe dazu Kapitel B. I. 4. a) aa). 316 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303), Rn. 26 sprechen in diesem Zusammenhang von Recognition; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 116 spricht vom Ver-

86

A. Das Verfahren der Mediation

dies mit der Methode der Wechselseitigkeit.317 Während eine Konfliktpartei zunächst für die gegnerische Forderung oft wenig Verständnis hat, kann die Erklärung des dahinterstehenden Bedürfnisses zu einer Entspannung des Konflikts führen. Aufbauend auf dem nun wachsenden gegenseitigen Verständnis ist es Aufgabe des Mediators, die Parteien auf dem Weg zur Konfliktlösung zu begleiten, nicht ohne dabei zu versäumen, das bisher Erreichte entsprechend wertzuschätzen.318 Wer die eigenen Interessen und die des anderen kennt und respektiert, kann im Anschluss auf breiterer Basis Optionen für einen gerechten Interessenausgleich erarbeiten.319 Auch werden so gemeinsame Interessen oftmals erst deutlich. Drittens ist diese Phase von besonderer Bedeutung für die Hypothesen des Mediators hinsichtlich des weiteren Verfahrensablaufs und möglicher Lösungsansätze.320 Viertens, und das ist von fundamentaler Bedeutung, wird in der dritten Phase der Grundstein für eine Förderung späterer Rationalität gelegt. Aufbauend auf der Kommunikationswissenschaft, insbesondere der Erkenntnis, dass menschliche Kommunikation stets auf mehreren Ebenen stattfindet,321 findet eine Trennung zwischen Beziehungs- und Sachebene statt.322

stehen und Austausch der Interessen als „Wesensmerkmal der Mediation“; zum wachsenden gegenseitigen Verständnis in der dritten Phase siehe auch Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931). 317 Siehe dazu Kapitel A. V. 318 So schon der Autor in Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931). 319 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303), Rn. 28. 320 Ausführlich zur Arbeit mit Hypothesen, die in der gesamten Mediation stattfinden sollte Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 75 ff.; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 91 ff. 321 Siehe dazu statt Vieler das vielbeachtete quadratische Modell von Schulz von Thun, Miteinander Reden I, S. 25 ff. Demnach ist zwischen vier Ebenen einer Nachricht zu unterscheiden. Die erste Seite betrifft den Sachinhalt. Auf dieser inhaltlichen Ebene wird eine Sachinformation mitgeteilt. (Schulz von Thun, Miteinander Reden I, S. 25). Daneben steht die Ebene der Selbstoffenbarung des Erklärenden. Dieser offenbart sich bewusst oder unbewusst über die Sachebene hinaus ein Stück weit selbst. Der Erklärungsempfänger erfährt auf diese Weise etwas über den derzeitigen Zustand und/oder die Fähigkeiten, Werte und Anschauungen sowie das Selbstbild des Erklärenden. (Schulz von Thun, Miteinander Reden I, S. 26 f.). Die dritte Seite betrifft die interpersonale Ebene also die Beziehung zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger. Anhand der Formulierung und des Tonfalls kann der Empfänger eine Vielzahl von Informationen darüber gewinnen, wie der Erklärende zum Erklärungsempfänger steht, also wie er die Beziehung zwischen den beiden in einem bestimmten Punkt bewertet. Diese Seite kann somit auch als Teilaspekt der Selbstoffenbarung angesehen werden. (Schulz von Thun, Miteinander Reden I, S. 28). Die vierte Seite bezeichnet Schulz von Thun als Appell einer Nachricht. Was will der Empfänger also abgesehen von der Übermittlung der Sachbotschaft, die im Einzelfall völlig nebensächlich sein kann, durch die Nachricht auf Seiten des Erklärungsempfängers bewirken? Diese Seite kann dazu dienen eine bestimmte Handlung beim Empfänger der Nachricht zu veranlassen. (Schulz von Thun, Miteinander Reden I, S. 29). 322 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (305 f.), Rn. 36 ff.

IV. Struktur der Mediation

87

In der Mediation finden beide Ebenen eine vollumfängliche Berücksichtigung. Die persönliche Beziehungsebene oder Gefühlsebene323 zwischen Konfliktpartnern ist regelmäßig erheblich gestört. Dies führt dazu, dass der jeweils anderen Partei nicht adäquat zugehört wird, ihre Aussagen missverstanden werden, Vorschläge abgelehnt werden und Probleme auf der Beziehungsebene explizit oder unterschwellig, bewusst und unbewusst in die Erörterung einer Sachfrage störend hineinwirken.324 Die Grundlage für eine rationale Erörterung der Frage, wie ein gerechter Interessenausgleich und ein nachhaltiger Friede erreicht werden kann, ist massiv beeinträchtigt. An dieser Stelle ist der Mediator mit seiner gesamten kommunikativen Kompetenz, den erlernten Techniken und Methoden gefragt, die Parteien zu unterstützen diese beiden Ebenen voneinander zu trennen.325 Der Mediator wird zusammenfassen, welche Probleme er auf den jeweiligen Ebenen gehört hat und dann zunächst die Beziehungsebene mit den Medianten behandeln, wobei diese die Gelegenheit haben, ihre Gefühle, Verletzungen und Beziehungen zu schildern.326 Dies stärkt erstens das Selbstbewusstsein der Parteien und entspricht damit der Methode der Selbstbehauptung327, zweitens kann so gegenseitiges Verständnis wachsen, was der Methode der Wechselseitigkeit328 entspricht. Auch auf der Beziehungsebene können Bedürfnisse eingebracht werden; es entsteht Respekt, Empathie und neu geschaffenes Vertrauen, was die Grundlage bietet, Sachfragen rational ohne emotionale Befangenheit zu regeln329, die dortigen Interessen zu artikulieren, aber auch Lösungen für emotionale Bedürfnisse zu entwickeln. Der Mediator wird in der vierten Phase in besonderem Maße auf das diversifizierte Portfolio der Mediationstechniken330, vor allem die Technik des aktiven Zuhörens und Paraphrasierens331, aber auch auf die ausgefeilten Fragetechniken332 der Mediation zurückgreifen.

323

Umfassend zur Behandlung von Emotionen in der Mediation siehe Montada/Kals, Mediation, S. 144 ff. 324 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (305 f.), Rn. 37. 325 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (305 f.), Rn. 38 sprechen von der „Stunde des Mediators“. 326 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (305 f.), Rn. 38. 327 Siehe dazu Kapitel A. V. 328 Siehe dazu Kapitel A. V. 329 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (306), Rn. 38. 330 Zu den Techniken der Mediation vgl. Schwingenheuer, Techniken der Mediation in Theorie und Praxis, S. 3 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 125 ff.; sehr eigenwillig ist die Darstellung bei Schweizer, Techniken des Mediators – Übersicht, in: Handbuch Mediation, § 14, S. 321 ff.; umfassend zur Kommunikation in der Mediation Dörrenbächer, Erfolgreiche Kommunikation, in: Handbuch Mediation, § 15, S. 363 ff. 331 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303 f.), Rn. 30 f.; vgl. ferner Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 118; zum Paraphrasieren siehe oben bei der der zweiten Phase (Kapitel A. IV. 2).

88

A. Das Verfahren der Mediation

4. Phase: Optionen In der vierten Phase333 geht es nicht darum, die dargelegten Positionen zu erfüllen, sondern zu klären, wie die nun offen gelegten individuellen und gemeinsamen Interessen im Rahmen eines gerechten Interessenausgleiches befriedigt werden können.334 Diese Phase lässt sich in zwei Unterphasen aufteilen, erstens in die kreative Entwicklung von Optionen und zweitens in das Bewerten und Auswählen von Optionen.335 a) Entwickeln von Optionen Für das Entwickeln der Optionen ist die Kreativität der Medianten gefragt und die Fähigkeit des Mediators, diese zu aktivieren. Der Mediator wird dafür je nach eigenem Stil, Mediant und Anwendungsgebiet der Mediation verschiedene Kreativitätstechniken einsetzen. Kreativitätstechniken sind systematische und strukturierte Techniken, die das kreative Potenzial der Medianten abrufen sollen.336 Auf die einzelnen, ohnehin stark variierenden Ausgestaltungen wie Karten- und Zurufabfrage, Brainstorming und Analogien/Bisoziation337 muss in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Wichtig ist es aber, die anerkannten Grundsätze der Kreativitätsarbeit zu berücksichtigen. Nach diesen werden die vorgeschlagenen Ideen nicht den einzelnen Medianten zugeordnet, es findet auf keinen Fall zu dieser Zeit eine Bewertung statt und es dürfen zumindest auch realitätsferne, irrationale, das heißt

332 Zu den Fragetechniken in der Mediation siehe umfassend Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (307 ff.), Rn. 39 ff.; vgl. ferner von Schlippe/Schweitzer, Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, S. 137 ff. 333 Zur vierten Phase siehe Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (310 ff.), Rn. 46 ff.; Gläßer/Kirchhoff, ZKM 2007, S. 88 ff. und S. 157 ff.; vgl. ferner Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); König, Jura 2008, S. 416 (421); von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 46, Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 52, der jedoch insgesamt eine andere Einteilung vornimmt; Haft, Verhandeln und Mediation, S. 246 f.; Diez/Thomsen/Krabbe, FamilienMediation, S. 46 ff. die die Optionen zwar auch nach den Interessen, jedoch in derselben Stufe (Stufe 3) behandeln wollen; vgl. auch Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 120 ff. die zu Recht die Phase der Optionen neben den Interessen als „Herzstück der Mediation“ ansieht. 334 Ähnlich so schon der Autor in Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931). 335 Anders jedoch Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (310 ff.), Rn. 46 ff. und Rn. 66 ff., die darin zwei eigenständige Phasen erblicken und daher auch zu sechs statt fünf Phasen kommen. Da die Aufteilung in fünf Phasen wohl verbreiteter ist und es in beiden Abschnitten um Optionen geht, wird in dieser Arbeit von einer Phase mit zwei Unterphasen ausgegangen. Zu Recht weist Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 122 darauf hin, dass diese beiden Schritte durch eine Pause getrennt werden sollten. 336 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (310), Rn. 47. 337 Eine Erläuterung wichtiger Kreativitätstechniken findet sich bei Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (312 ff.), Rn. 57 ff.; umfassend und mit zahlreichen Beispielen versehen ist die Darstellung bei Greiter, Die Suche nach kreativen Lösungen, in: Handbuch Mediation, § 16, S. 381 ff.; vgl. auch die praktischen Hinweise bei Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 120 ff.

IV. Struktur der Mediation

89

phantasievolle Optionen eingebracht und auch gefördert werden.338 Betont werden muss, dass diese Unterphase nur als Zwischenstufe eines Prozesses dient, um gewohnte Denkmuster zu durchbrechen.339 Das Ziel des gerechten Interessenausgleiches und einer realistischen und nachhaltigen Lösung bleibt bestehen und wird in der nächsten Unterphase wieder aufgegriffen. Beim Entwickeln der Optionen dürfen aber Vorschläge eingebracht werden, die noch nicht realitätsnah sind oder zumindest auf den ersten Blick nicht realistisch erscheinen. Es hängt vom Stil des Mediators und dem Anwendungsgebiet der Mediation ab, wie weit zur Anregung der Kreativität zu vollkommen realitätsfernen Optionen, etwa im Sinne von „verrückten […] Zauberideen“340 angeregt wird. Bedenkt man, dass Mediation ein mittlerweile etabliertes, in Jahrzehnten im interdisziplinären Dialog wesentlich von Psychologen und Juristen ausgearbeitetes und praktiziertes Konfliktlösungsverfahren ist, ist dafür zu plädieren, zumindest mit derartigen Ausdrücken verstärkte Zurückhaltung zu üben. Sie könnten der öffentlichen Wahrnehmung der Mediation als rationales Konfliktlösungsverfahren schaden. Kreativitätstechniken dürfen zur Durchbrechung von Denkmustern den Bereich des Irrealen berühren. Sie dienen aber nicht der Gewinnung irrationaler Ideen. Im Gegenteil verfolgen sie lediglich die Anregung des Denkvermögens, um möglichst viele – auch zahlreiche realistische und dem Ziel des fairen Interessenausgleichs gerecht werdende – Optionen zu sammeln. b) Bewertung und Auswahl von Optionen Sind hinreichend Vorschläge gesammelt, wird die bis dahin zu Gunsten der Kreativität zurückgehaltene Bewertung nachgeholt. Es beginnt der zweite Teil der vierten Phase, der von höchster Bedeutung auch für die spätere diskurstheoretische Analyse ist. Die zentrale Frage ist, wie die in der zweiten Phase benannten Interessen in möglichst hohem Maße im Sinne eines gerechten Interessenausgleichs und eines nachhaltigen Friedens berücksichtigt werden können. Grundlage dafür sind die zuvor gesammelten Optionen. Maßgabe ist, dass die Interessen aller Parteien zu berücksichtigen sind341 und diese genug Zeit erhalten, eine Lösung zu finden und zu überprüfen.342 Für den praktischen Vollzug dieser Phase sind drei Aspekte von Be-

338 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (311), Rn. 55 f; vgl. auch Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 120 ff. 339 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (310), Rn. 47. 340 So der Ausdruck bei Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 120. 341 In der Praxis werden daher häufig die Visualisierungen der Interessen erneut in das Blickfeld der Parteien gerückt. Die Medianten können so überprüfen, ob bei einer diskutierten Lösung die eigenen Interessen und Bedürfnisse hinreichend berücksichtigt sind. Oftmals geht der Mediator bewusst mit den Parteien nochmals die einzelnen Interessen anhand einer Lösungsoption durch. Für diesen Praxishinweis danke ich Diplom-Psychologen, Mediator und Mediationsausbilder Heiner Krabbe. 342 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (314), Rn. 66.

90

A. Das Verfahren der Mediation

deutung. Erstens die Idee des Verhandelns in der Mediation [aa)], zweitens die Argumentation [bb)] und drittens der angestrebte Konsens [cc)]. aa) Chancen und Grenzen des mediativen Verhandelns In dieser Arbeit kann es nicht darum gehen, die unterschiedlichen Verhandlungskonzepte, die auch außerhalb des Mediationskontextes diskutiert werden, nachzuzeichnen. Es sei lediglich auf einige wichtige Grundunterteilungen und Grundananahmen hingewiesen, um so kurz den Begriff Verhandlung343 im Kontext der Mediation zu erhellen. Verhandeln kann erstens mit Haft in intuitives und rationales Verhandeln unterteilt werden, wobei Ersteres das alltägliche und unreflektierte Verhandeln meint.344 Unreflektiertes Verhandeln kann und darf bei Tätigkeiten, bei denen Entscheidungen von oder über Menschen getroffen oder gefördert werden, also insbesondere bei juristischen Tätigkeiten und der des Mediators, nicht im Vordergrund stehen; zudem ergibt sich bei unreflektiertem Verhandeln häufig ein festgefahrenes Positionendenken, was Grund für Scheitern von Verhandlungen, für Manipulationstechniken und von Zwang sein kann.345 Folglich muss vielmehr das rationale Verhandeln Maßgabe für die Mediation sein. Haft geht davon aus, dass diese Rationalität nicht durch ein spezifisches Verhandlungskonzept, sondern durch die Beherrschung verschiedener Verhandlungsfähigkeiten wie die Fähigkeit, im Verfahren strukturiert zu führen, kreative Fähigkeiten, Beherrschung der psychologischen Grundlagen des Verhandelns, Fähigkeit zum Umgang mit Macht und zur Abwehr von Manipulation erreicht werden kann.346 All dies ist der Rationalität einer Verhandlung dienlich und sollte daher auch vom Mediator beherrscht und eingesetzt werden. Diese Hinweise Hafts sind hilfreich, aber nicht hinreichend, um die vierte Phase der Mediation adäquat zu erfassen. Es ist genauer danach zu fragen, was rationales Verhandeln heißt und ob sich am Anschluss an dieses noch ein weiterer Prozess anschließen muss. Neben der Unterscheidung in intuitives und rationales Verhandeln können zweitens Verhandlungen über Konflikte, die auf Entscheidungen gerichtet sind, in 343

Zu Recht weist Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 145, dass es viel Literatur über den Weg zum Verhandeln in der Mediation gibt insbesondere die dritte Phase, aber nur wenig zum eigentlich mediativen Verhandeln. Zur Wahrnehmung des Begriffs Verhandeln im berufspraktischen Umfeld der Juristen siehe Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (98), Rn. 1 f.; eine ausführliche sozialpsychologische Untersuchung über das Verhandeln findet sich bei Klinger/Bierbrauer, Sozialpsychologie des Verhandelns, in: Handbuch Mediation, § 5, S. 109 ff.; zum kooperativen Verhalten als Grundlage des kooperativen Verhandelns siehe die anschauliche aber ungewöhnliche Arbeit von Schweizer, Kooperatives Verhalten – Alternative zum Rechtsstreit, in: Handbuch Mediation, § 6, S. 137 ff. 344 Haft, Intuitive und Rationale Verhandlung, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (98), Rn. 3. 345 Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (98), Rn. 4 ff. 346 Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (100), Rn. 12 „statt Rezepten sollten Kenntnisse erworben werden“.

IV. Struktur der Mediation

91

distributiv-kompetitives und integrativ-kooperatives Verhandeln unterteilt werden.347 Distributives Verhandeln lässt sich als kompetitives, das heißt wetteiferndes Verhandeln oder Streiten um Mittel und Ressourcen, oder aus spieltheoretischer Sicht348 als Nullsummenspiel (was der eine gewinnt, verliert der andere) beschreiben.349 Dies entspricht dem Feilschen auf dem Basar. Unter Einsatz von Manipulationstechniken wird ein zu hoch angesetztes Angebot gemacht, es gibt ein diametrales Gegenangebot, bis sich die Beteiligten im Sinne eines Kompromisses irgendwo dazwischen treffen oder die Verhandlungen abbrechen.350 Ob der Basar ein geeigneter Platz zur Preisbildung und Sicherung ökonomischer Vorteile ist,351 muss in dieser Arbeit nicht entschieden werden. Fest steht, dass er keine ernsthaften Argumente kennt352, ein Platz der Manipulation ist und schon deshalb kein Verhandlungsrahmen für die Mediation sein kann.353 Nachhaltige Befriedung und gerechter Ausgleich sowie kreative Lösungen sind so nicht zu erreichen. Dem gegenüber steht das integrativ-kooperative Verhandeln, dessen Zweck es ist, die unterschiedlichen Interessen der Parteien durch bestimmte Methoden und kreative Lösungen zu befriedigen.354 Als Methode kann die in der Mediationsliteratur viel zitierte „Erweiterung des Kuchens“355 gezählt werden, was nichts anderes be-

347

Vgl. Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (314), Rn. 68. Auf den Zusammenhang von Mediation und Spieltheorie soll hier nicht weiter eingegangen werden. Siehe dazu Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1217 (1227 f.), Rn. 64 ff.; umfassend Eidenmüller, Ökonomische und spieltheoretische Grundlagen von Verhandlung und Mediation, in: Mediation für Juristen, S. 31 ff.; Raiffa, Negotiation Analysis: insb. S. 53 ff und S. 81 ff. 349 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (314), Rn. 69. 350 Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (106 f.), Rn. 42 ff. 351 Vgl. dazu Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (106), Rn. 43. 352 Etwas zu weitgehend hingegen Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (106), Rn. 45 der behauptet „im Basar gibt es keine Argumente“. Zumindest werden beim typischem Feilschen Argumente vorgetragen. Sie werden aber häufig ohne einen ernstlichen Anspruch auf Richtigkeit vorgebracht. 353 Vgl. Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (106 ff.), Rn. 42 ff. der auf diese Nachteile des Feilschens auf dem Basar hinweist und betont dieser habe zu Recht einen schlechten Ruf. Folgerichtig müsste auch Haft diesen Rahmen als Mediationsrahmen ablehnen, was er aber nicht expliziert. Die positiven Aspekte, die Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (106 ff.), Rn. 47 ff. dem Basar abgewinnen will, sind ungenau und abzulehnen. Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (314) Rn. 69 stellen hingegen zu Recht, dass distributive Modell dem integrativen Modell als nachteilig gegenüber. 354 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315), Rn. 70 spricht vom integrativen Ansatz. Ein solcher setzt aber immer auch Kooperation voraus. Zum Begriff der Kooperation in diesem Kontext vgl. Haft, in: Handbuch Mediation, § 4, S. 97 (103), Rn. 28; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 52 spricht von integrativer und kooperativer Verhandlung; vgl. auch Mähler/Mähler, in: Mediation für Juristen, S. 13 (26); von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 16. 355 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315), Rn. 70; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 16; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 120. 348

92

A. Das Verfahren der Mediation

deutet, als eine möglichst umfassende Betrachtung des Sachverhalts356, so dass neue Optionen möglich sind; denkbar ist auch die Herstellung eines unmittelbareren Bezuges zu den vorher erarbeiteten Interessen über die Methode des Bridging357; ferner kann die unspezifische Kompensation, also Ersatzleistungen einer Partei, die in keinem direkten Zusammenhang zum Konfliktfall stehen358, genannt werden.359 Unter distributives Verhandeln lassen sich wohl auch weitere Methoden zählen, die weder notwendig in der Mediation stattfinden noch sich gegenseitig ausschließen, wie das Arbeiten mit dem BATNA-Modell (Best Alternative To Negotiated Agreement)360.361 Zusammenfassend kann das integrativ-kooperative Verhandeln als ein begünstigender Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Befriedung, weg von einer Nullsummensituation362, angesehen werden. An dieser Stelle ist die Rolle des Mediators363 im Verfahren erneut in den Blick zu nehmen. Es wurde bereits gesagt, dass es zu den anerkannten Aufgaben des Mediators gehört, Verfahrensgerechtigkeit herzustellen.364 Das gilt freilich auch in der vierten Phase. Daraus folgt die Aufgabe des Mediators, auch die Verhandlung als Prozess gerecht oder fair zu gestalten.365 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mediative Verhandlung eher rational als intuitiv ist, der Mediator also entsprechende spezifische Fähigkeiten besitzen und reflektieren muss. Gleichzeitig ist sie über verschiedene Methoden distributiv-kooperativ ausgerichtet, was einen friedensfördernden Charakter hat. Schließlich muss der Mediator auch beim Verhandeln Verfahrensgerechtigkeit herstellen. Damit sind wichtige Erkenntnisse für die Praxis und die diskurstheoretische Analyse zum mediativen Verhandeln fokussiert. Der erste Aspekt dieser Unterphase – also mediatives Verhandeln – ist damit abgeschlossen. 356

Siehe dazu Kapitel B. I. 4. a) aa). Dies dürfte dem bei Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 146 genannten Zitronenteilungsmodell entsprechen. 358 Dies ähnelt dem bei Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 146 f. genannten „GebenNehmen-Modell“, sowie dem „Kröten-Modell“, nach dem jeder etwas Unangenehmes akzeptieren muss. Letzteres ist nicht nur begrifflich fragwürdig, sondern scheint nur schwer mit dem Win-Win-Gedanken der Mediation vereinbar zu sein. 359 Zu diesen und weiteren Methoden Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315), Rn. 70; Grundlegend dazu Pruitt, Achieving Integrative Agreements, in: Negotiating in organizations, S. 35 ff. 360 Zum BATNA-Modell Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 146. 361 Eine Auflistung verschiedener Modelle findet sich bei Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 146 f. 362 Ähnlich Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315), Rn. 72. 363 Siehe dazu oben Kapitel A. III. 364 Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S 39; ausführlicher Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (171 f.), Rn. 42 ff.; die Bedingungen, die Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 ( (314), Rn. 66 nennen, dienen eben dieser Verfahrensgerechtigkeit. 365 Vgl. auch Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 145. 357

IV. Struktur der Mediation

93

bb) Argumentation in der Mediation Damit ist eine Frage jedoch noch nicht beantwortet. Das Verhandeln, auch das integrativ-kooperative Verhandeln, gibt noch keine direkte Erklärung dafür, wie die Medianten ermitteln, was ein gerechtes Ergebnis ist. Allein die Verfahrensgerechtigkeit sowie Methoden des Verhandelns geben noch keine Antwort auf diese Frage.366 Sie fördern eine Vielzahl von Optionen, schärfen den Blick für interessengerechte Lösungen und schaffen gegenseitiges Verständnis, aber sie beantworten nicht, welches Ergebnis ein gerechtes Ergebnis ist oder zumindest ein subjektiv von den Parteien als gerechtes oder richtiges Ergebnis angesehen wird. Es geht an dieser Stelle nicht um die Frage, was Gerechtigkeit367 schlechthin ist, sondern lediglich darum, wie die Parteien im konkreten Fall ermitteln, welche der gesammelten Optionen einen für sie gerechten Interessenausgleich darstellen könnte. Dies, und darauf weisen Kessen/Troja zu Recht hin, wird auch in der Mediation nicht allein durch Verhandeln beantwortet, sondern vor allem durch Argumentation.368 Da in der Mediation ein nachhaltiger Friede und damit auch ein gerechter Interessenausgleich angestrebt wird, muss nach dem Verhandeln oder im Rahmen des Verhandelns auch argumentiert werden. Der Austausch von Argumenten wird in der Mediation damit vor allem an dieser Stelle stattfinden. Klinger und Bierbrauer, die von „begrenzter Rationalität“ als Hindernis für das Verhandeln sprechen369, ist insofern zuzustimmen, als sich die Parteien oftmals erst durch bestimmte Methoden auf eine rationale, also vor allem kooperative Verhandlung einlassen. Gleichzeitig ist, und insofern sind Klinger und Bierbrauer zu ergänzen, auch das Verhandeln selbst nur begrenzt rational. Rationalität hinsichtlich eines Ergebnisses setzt zumindest auch Argumentation voraus. Eben diese findet in der Mediation in dieser Phase statt.

366 Dieses Problem mit einer abweichenden Begründung erkennen Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315), Rn. 72. 367 Zum Richtigkeit im Rahmen der Diskurstheorie siehe unten Kapitel C. III. 3. b). 368 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315 f.), Rn. 72. Damit ist eine wichtige Brücke zwischen Mediation und der Alexyschen Diskurstheorie geschlagen (Vgl. unten Kapitel C. I. und II.). Auch Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (316), Rn. 72 und vor allem Rn. 73 erkennen den Zusammenhang zwischen Argumentation in der Mediation und Diskurs, was ein kaum höher zu schätzender Verdienst ist. Leider versäumen sie es, diesen Zusammenhang näher zu untersuchen. Zur von ihnen angesprochenen Diskurstheorie gibt es keine weiteren Nachweise und auch keine Aussage darüber, welche Diskurstheorie gemeint ist. Dennoch ist der gedankliche Anstoß, vor allem der Hinweis, dass in der Mediation Argumentation im Sinne eines Diskurses stattfinden muss, äußerst wertvoll. Vgl. auch den Hinweis bei Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 90, der es als Vorteil der Mediation ansieht, dass die Parteien die „Argumente und Interessen“ der Gegenseite kennenlernen. 369 Klinger/Bierbrauer, in: Handbuch Mediation, § 5, S. 109 (115 f.), Rn. 19 ff.

94

A. Das Verfahren der Mediation

Dies wird noch deutlicher, betrachtet man die in der Praxis vielverwendete Mediationsmethode der Fairness- oder Gerechtigkeitsüberprüfung370 durch die Parteien.371 Die subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen der Medianten sollen über diese Methode bewusst zugelassen werden372 und im Rahmen einer „rationalen Auseinandersetzung“ in die Mediation einfließen.373 Die Medianten sollen sich selbst wieder steuern können, um rational und gelöst von ihren Emotionen zu agieren.374 Es wird zu Recht betont, dass die Mediation keinen allgemein gültigen, objektiven Gerechtigkeitsmaßstab aufstellt375, sie also keinem bestimmten Gerechtigkeitsbegriff376 folgt, vielmehr sollen die Parteien im Dialog377 ermitteln, wie ihre Interessen zu einem gerechten Ausgleich im konkreten Fall gebracht werden können. Es gelten diejenigen Kriterien, die aus Sicht der Parteien gerecht und objektivierbar sind.378 Diese Methode kann als Teil der vom Mediator zu gewährleistenden Verfahrensgerechtigkeit379 angesehen werden. Sie kann grundsätzlich in allen Phasen der Mediation angewendet werden; sie bietet sich aber vor allem in der vierten Phase an, da so vor dem Verhandeln bestimmte Gerechtigkeits- oder Fairnessmaßstäbe aufgestellt werden können, anhand derer sich im Anschluss an das Verhandeln vorläufige Optionen messen lassen müssen.380 Mögliche Prüfungsmaßstäbe sind etwa Anerkennung einer Leistung, Zukunftsabsicherung, ökonomische Umsetzbarkeit, Grad der Berücksichtigung beider Interessen, Erhalt von Werten und Beziehungen, 370 Zur strittigen Frage, ob der Mediator ein Überprüfungsrecht hinsichtlich Gerechtigkeit des vereinbarten Ergebnisses hat siehe oben beim Prinzip der Eigenverantwortlichkeit Kapitel A. I. 2. a) aa) (2). 371 Siehe dazu Ripke, Recht und Gerechtigkeit in der Mediation, § 7, S. 161 (172), Rn. 46 f.; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 126 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 89 ff.; Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (316), Rn. 74; umfassend zur Gerechtigkeitspsychologie in der Mediation Montada/Kals, Mediation, S. 105 ff. Montada/ Kals, Mediation, S. 131 betonen auch, dass „nachhaltige Konflliktlösungen eine Verständigung über die erlebten Ungerechtigkeiten erfordern und darüber, was denn gerechte Lösungen wären“. 372 Zu den subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteien Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (172), Rn. 46; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 126; Diez/Thomsen/ Krabbe, Familien-Mediation, S. 83 ff.; vgl. auch Montada/Kals, S. 111. 373 Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7 S. 161 (172), Rn. 46. 374 Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7 S. 161 (172), Rn. 46. 375 Dazu, dass es keinen objektiven, inhaltlichen Gerechtigkeitsmaßstab in der Mediation gibt siehe Montada/Kals, Mediation, S. 108; Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7 S. 161 (172), Rn. 47; Diez, Werkstattbuch, S. 126; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 36. 376 Auf einzelne Gerechtigkeitsbegriffe muss in dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Eine ausführliche Darstellung im Kontext der Mediation findet sich bei Montada/Kals, S. 107 ff. 377 An dieser Stelle soll bewusst noch nicht von Diskurs gesprochen werden. Ob die Mediation ein Diskurs ist, ist gerade zu untersuchen. Siehe dazu Kapitel F. 378 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (316), Rn. 74. 379 Zur Verfahrensgerechtigkeit siehe oben A. III. 380 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 127 f.

IV. Struktur der Mediation

95

Gewährleistung von gegenseitigem Respekt nach dem Konflikt sowie Prinzipien der Rechtsordnung.381 Grundsätzlich sollen die Parteien dazu ermuntert werden, unterschiedliche Maßstäbe zu akzeptieren382, dennoch ist die Frage, ob ein bestimmter Maßstab Anwendung finden soll, eine Frage, die die Medianten nur durch Argumentation ermitteln können. Deutlicher wird dies noch bei der Überprüfung. Ob eine potentielle Lösungsoption ein von den Parteien aufgestelltes Gerechtigkeitskriterium erfüllt, ist keine Frage des Verhandelns, es ist eine Frage, die die Parteien nur im Wege der Argumentation ermitteln können. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass ähnlich wie die Fairness- und Gerechtigkeitsüberprüfung auch dem Recht eine eigene Rolle in der Mediation gegeben werden kann, die insbesondere durch Beratungsanwälte wahrgenommen wird.383 Die Rolle des Rechts in der Mediation384 ist ein eigenes Thema, was hier nicht näher ausgeführt werden muss. Es sei nur darauf hingewiesen, dass das Recht für die Ergebnisse der Mediation äußere Grenzen, in Deutschland etwa in Form des § 138 BGB, aufstellt. Zwingendes Gesetzesrecht wird auch in der Mediation nicht disponibel. Auch gibt es Mediatoren, die zulassen, dass das Mediationsergebnis mit der hypothetischen rechtlichen Lösung verglichen wird.385 Bei alledem gilt es zu beachten, dass gerade die eigenverantwortlich erarbeitete Lösung, weitgehend frei von rechtlicher Determination, ein gewichtiger Vorzug der Mediation ist.386 Jedenfalls wird mit der Inkorporation des Rechts, also der Überprüfung des vorläufigen Ergebnisses anhand des Rechts, ebenfalls das Reich der Argumentation betreten.387 cc) Konsens Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vierte Phase mit der kreativen Lösungssuche beginnt, sich als kooperatives Verhandeln fortsetzt und schließlich zu rationaler Argumentation verdichtet. Am Ende dieses Prozesses sollte der letzte Aspekt dieser Phase stehen, der Konsens, wobei dieser von Stabilität und Nach381

Diese und weitere Kriterien bei Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 127. Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (172), Rn. 46 f. 383 Zur Bedeutung und Einführung von Beratungsanwälten in der Mediation Brandt/Becker, Stellung des beratenden Rechtsanwalts im Mediationsverfahren, FF 2006, S. 300 ff.; siehe auch Ripke, Recht und Gerechtigkeit in der Mediation, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (169), Rn. 33 ff.; Friedrichsmaier, in: Handbuch Mediation, § 34, S. 837 (846), Rn. 46 ff. spricht von der „Notwendigkeit parteilicher Beratung in der Mediation“; ebenfalls die Bedeutung der Anwälte in der Mediation betonend von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 27 f.; zur praktischen Umsetzung vgl. Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 130 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 111 ff.; vgl. ferner im Kontext der vierten Phase Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931). 384 Umfassend zur Rolle des Rechts in der Mediation Ripke, in: Handbuch Mediation, S. 161 ff.; vgl. ferner Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 130 ff. 385 Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (164), Rn. 15. 386 Ripke, in: Handbuch Mediation, § 7, S. 161 (165), Rn. 17 f. 387 Siehe dazu unten Kapitel D. I. und II. 382

96

A. Das Verfahren der Mediation

haltigkeit ist, wenn er durch die Kraft der Argumente getragen ist.388 Dabei sollte der Konsens den angelegten Gerechtigkeitsmaßstäben der Parteien genügen. Ziel ist eine konsensuale Regelung zu allseitigem Nutzen (sogenannte Win-Win-Lösung389), die die Interessen der Parteien berücksichtigt390 und auf gerechte Weise der nachhaltigen Befriedung391 des Konflikts dient.

5. Phase: Abschlussvereinbarung Erst wenn sich die Parteien auf eine Lösung geeinigt haben und eine Überprüfung auf deren Realisierbarkeit stattgefunden hat, ist das Ergebnis festzuhalten. Dazu wird in der fünften und letzten Phase der Mediation in aller Regel eine schriftliche Abschlussvereinbarung392 geschlossen, auf die hier nur kurz eingegangen werden soll. Üblicherweise handelt es sich bei der Abschlussvereinbarung, sofern es um justiziable Inhalte geht, um einen rechtlich bindenden Vertrag, gegebenenfalls mit notarieller Beurkundung, zwischen den Parteien; bei einer nicht justiziablen Einigung um eine informelle gemeinsame Erklärung.393 Die Abschlussvereinbarung kann von den Parteien mit Hilfe des Mediators oder durch den Mediator im Auftrag der

388

Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (316), Rn. 74. Zur Win-Win Situation mit entsprechender Gegenüberstellung zu anderen wie Verlierer/ Verlierer- und Verlierer/Gewinner-Situationen Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1217 (1226), Rn. 58 und 67; Montada/Kals, Mediation, S. 247; siehe auch Weitz, S. 43, von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 16; Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); Spörer/Frese, in: Handbuch Mediation, § 3, S. 81 (93), Rn. 64 f.; im Rahmen eines praktischen Falls Schlieffen, in: Handbuch Mediation, § 1, S. 3 (45), Rn. 201. 390 Zu Recht weisen Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (316), Rn. 74 in diesem Zusammenhang nochmals auf die Bedeutung der dritten Phase hin. Die Interessen der Medianten müssen dort genau ermittelt werden. Andernfalls ist auch kein Ergebnis möglich, in dem diese Interessen gerecht zum Ausgleich gebracht werden. 391 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 17; sehr deutlich zur gerechten und nachhaltigen Lösung auch Schweizer, in: Handbuch Mediation, § 14, S. 321 (359), Rn. 38; fair und gerecht bei Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 71 Rn. 169; Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 84 sprechen von einer „Versöhnungsfunktion“; Katzenmeier, ZZP 2000, S. 51 (69); Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 29 vgl. auch S. 43; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 36; Schneider, in: Mediation für Juristen, S. 171 (176). 392 Ausführlich zum Mediationsvertrag Ripke, Charakteristika eines guten Abschlussvertrages, Kon:sens 1999; S. 341 ff.; Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (316 ff.), Rn. 75 ff.; Seybold, Mediation und gerichtliches Verfahren, S. 60 ff.; Heussen, in: Handbuch Mediation, § 17, S. 407 (418 ff.), Rn. 51 ff.; vgl. auch Oldenbruch, Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren, S.11; Montada/Kals, Mediation, S. 274 ; siehe ferner Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S.53; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 151 ff.; Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931 f.); von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 46. 393 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (316), Rn. 76; eine Übersicht über die Formen der Vereinbarung findet sich bei Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 152. 389

V. Methoden der Mediation

97

Parteien und anschließender Überprüfung und Unterzeichnung stattfinden.394 Ganz im Sinne der Privatautonomie kann sie weitgehend frei gestaltet werden, sollte aber die Essentialia hinsichtlich der Konfliktpartner, der Mediation, den gefundenen Konsens, gegebenenfalls Übergangs- oder Nachmediationsklauseln enthalten sowie Datum und Unterschrift der Parteien.395 Verbreitet in der Mediation ist es, die Vereinbarung inhaltlich nach den Anforderungen des SMART-Moduls zu kreieren, also ein spezifisches (Specific), messbares (Measurable im Sinne von nachprüfbar), annehmbares (Achievable im Sinne von erreichbar und ausgewogen), realistisches (Realistic) und schließlich terminiertes (Timed) Ergebnis zu fixieren.396 Sollte sich eine der Parteien nicht an die Vereinbarung halten, kann auf Grundlage dieses Vertrages Klage erhoben werden. Nach dem, im Zuge des Mediationsgesetzes neu geschaffenen § 796d ZPO kann die Mediationsvereinbarung für vollstreckbar erklärt werden, also direkt aus dem Vertrag vollstreckt werden, was eine erhebliche Effizienzsteigerung ist. Bislang war dies nur über einen Anwaltsvergleich nach § 796a ZPO397 möglich.

V. Methoden der Mediation Abschließend ist auf zwei, die Praxis der Mediation prägende Methoden, die später bei der diskurstheoretischen Analyse von Bedeutung sein werden, einzugehen. Es handelt sich um die Methoden der Selbstbehauptung und der Wechselseitigkeit. Beide stammen aus dem Ursprungsland der Mediation, den USA, und wurden insbesondere von Jack Himmelstein, Gary Friedman und John Haynes entwickelt und über die Mediatorenausbildung nach Deutschland exportiert.398 Hier spielen sie mittlerweile eine zentrale Rolle in der Praxis der Mediation.399 Einer der führenden Ausbilder und Mediatoren in Deutschland, Heiner Krabbe, der derzeit als einer der 394 Zur Frage des Verfassers der Mediationsvereinbarung siehe Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (317), Rn. 78 ff.; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 152. 395 Ausführlich dazu Ripke, Kon:sens 1999; S. 341 ff.; Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (318.), Rn. 82; vgl. ferner Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931). 396 Zum SMART-Modul siehe Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, S. 293 (318 f.), Rn. 83 ff.; Ripke, Kon:sens 1999, S. 341 (341); vgl auch Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 152. 397 Ob eine gesonderte Vollstreckungsregelung im Rahmen des Mediationsgesetzes verabschiedet wird, war ungewiss. Siehe dazu Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2736 (2742); zum Anwaltsvergleich (§ 794 I Nr. 4b i.V.m. § 796a ZPO) in der Mediation siehe ausführlich Heussen, in: Handbuch Mediation, § 17, S. 407 (418 ff.), Rn. 57 a; zur Vollstreckbarkeit von Mediationsergebnissen vor dem Mediationsgesetz siehe umfassend Lörcher/Lörcher, in: Handbuch Mediation, § 45, S. 1119 ff. 398 Schriftlich sind diese Methoden soweit ersichtlich in der amerikanischen Mediationsliteratur nicht belegt, vielmehr wurden sie über die praktische Mediatorenausbildung nach Deutschland gebracht und erst hier schriftlich fixiert. Siehe dazu Diez/Krabbe/Thomsen, Familien-Mediation, S.83; vgl. ferner Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 83. 399 Diez/Krabbe/Thomsen, Familien-Mediation, S. 83 Fn. 1.

98

A. Das Verfahren der Mediation

spiritus rectores der deutschsprachigen Mediation bezeichnet werden kann, arbeitet nicht nur nach diesen Methoden, sondern lehrt diese auch umfassend bei der Ausbildung von Richtermediatoren und in der akademischen Mediationsausbildung.400 Trotz der enormen praktischen Bedeutung steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Methoden noch am Anfang.401 Wichtig ist, dass inhaltlich die Kernelemente dieser Methodik in der tatsächlich stattfindenden Mediation angewendet werden, unabhängig davon, ob der Mediator sie begrifflich mit „Methodik der Selbstbehauptung“ oder „Wechselseitigkeit“ in Verbindung bringt. Die Methode der Selbstbehauptung wird auch als Window 1, „das erste Fenster des Verstehens“, bezeichnet,402 wobei „Selbst-Verstehen“ der treffendere Begriff sein dürfte. Ihr liegt folgende typische Konfliktausgangssituation zu Grunde: Konfliktpartner agieren häufig irrational, weisen Anderen Schuld und Verantwortung zu403, haben Angst vor dem Konfliktpartner, sind emotional verletzt oder zumindest subjektiv der Auffassung, ungerecht behandelt worden zu sein. Die auf dieser Basis entwickelten Forderungen, das heißt Positionen404, sind häufig nicht mehr rational und zukunftsorientiert, sondern entspringen der beschriebenen Situation.405 All dies vereitelt die Fähigkeit, sich der wahren eigenen Interessen im Konflikt bewusst zu werden; wer diese aber nicht kennt, kann auch nicht einen gerechten Interessenausgleich erarbeiten.406 Die Fähigkeit, einen gerechten Interessenausgleich auf rationale Weise zu erarbeiten, ist beschädigt. Die Methode der Selbstbehauptung trägt maßgeblich dazu bei, diese Fähigkeit wieder herzustellen. Sie sorgt dafür, dass jeder Konfliktpartner Raum erhält, über seine Bedürfnisse nachzudenken, ohne dabei vom Konfliktpartner gestört zu werden.407 Der Mediator unterstützt den Medianten in seinem Selbstbewusstsein; er stärkt seine Autonomie, damit dieser seine im oben beschriebenen Sinne gebildeten Positionen hinterfragt und sich zunächst über seine wahren Interessen klar wird.408 Die Methode durchzieht alle Phasen der Mediation und erlangt insbesondere Be400 Für eine erste Einführung in diese Methodik im Rahmen eines Seminars der FernUniversität Hagen danke ich Diplom Psychologe Heiner Krabbe. Für tiefergehende Hinweise zu dieser Methodik, ebenfalls im Rahmen eines Mediationsseminars, danke ich Rechtsanwältin und Mediatorin Cornelia Sabine Thomsen. 401 Ausführlich zu diesen Methoden bisher nur Dietz, Werkstattbuch Mediation, S. 83 ff. und Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 67 ff. 402 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 83. 403 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 83. 404 Zum Übergang von Positionen zu Interessen in der Mediation siehe oben Kapitel A. IV. 3. 405 Dies meint wohl auch Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 83. 406 Vgl. Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 83. 407 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 84; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 67 Rn. 158. 408 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 84; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 67 f. Rn. 158 f.

V. Methoden der Mediation

99

deutung bei der Erarbeitung der Konfliktthemen,409 also der zweiten Phase der Mediation. Praktisch wird sie durch anerkannte Mediationstechniken umgesetzt. Insbesondere arbeitet der Mediator mit der ausdrücklichen Wertschätzung der Medianten410, dem aktiven Zuhören411, reflektiven Fragen412, Fokussieren, Partialisieren413 Paraphrasieren414 sowie der eigenständigen Visualisierung für jeden Medianten.415 Dass diese Techniken in jeder Mediation Anwendung finden, ist auch der Grund, warum gesagt werden kann, dass jede Mediation der Methode der Selbstbehauptung folgt, auch wenn dem Mediator dies nicht klar ist. Die Methode der Wechselseitigkeit oder auch Window 2, also das „zweite Fenster des Verstehens“416, baut auf dem Selbstverstehens- und Selbststärkungsprozess der Methode der Selbstbehauptung auf und lässt sich aus den Zielen der Mediation heraus verstehen. Wie oben schon herausgestellt, ist es Ziel der Mediation, ein gerechtes Ergebnis zur nachhaltigen Befriedung eines Konflikts zu finden.417 Eine faire und gerechte Lösung und damit ein nachhaltiger Friede ist nicht möglich, wenn die Parteien die Interessen und Bedürfnisse des Anderen nicht kennen, nicht verstehen und nicht akzeptieren.418 Die Methode der Wechselseitigkeit dient daher erstens dazu, gegenseitiges Verstehen und Verständnis der Parteien zu fördern, und zweitens, gegebenenfalls Gemeinsamkeiten herauszustellen.419 Dies unterscheidet die Me409

Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 84; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 67 Rn. 158. 410 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 84; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 68 Rn. 161; zur Wertschätzung der Medianten durch den Mediator siehe auch Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 46; Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (300), Rn. 14. 411 Zur Technik des aktiven Zuhörens siehe Kracht, in: Handbuch Mediation, § 12, S. 267 (283), Rn. 92; Eidenmüller, in: Anwaltspraxis Mediation, § 2 Rn. 72. 412 Zu den Fragetechniken in der Mediation siehe ausführlich Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (307 ff.), Rn. 39 ff.; vgl. ferner von Schlippe/Schweitzer, Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, S. 137 ff.; vgl. ferner Diez, Werkstattbuch Meditaion, S. 159. 413 Zum Fokussieren und Partialisieren Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 172 und S. 178; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 128 und S. 133. 414 Diese Technik wird auch als Reframen oder positives umformulieren bezeichnet. Ausführlich zum Paraphrasieren Ripke, Paraphrasieren mit beidseitiger Situationsdefinition, ZKM 2000, S. 70 ff.; Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303 f.), Rn. 30 f. zu den umfangreichen Regeln des Paraphrasierens Rn. 31; siehe auch Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 180 ff.; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 131. 415 Zu den einzelnen Techniken bei der Selbstbehauptung siehe Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 85; Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 68 Rn. 162. 416 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 86. 417 Siehe dazu mit Literaturnachweisen oben bei der vierten Phase (Kapitel A. IV. 4. am Ende), bei der Definitionenbildung (Kapitel A. I. 4.) sowie zur Nachhaltigkeit als Vorteil der Mediation unten Kapitel B. I. 4. 418 Vgl. Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 71 Rn. 169. 419 Diez/Thomsen/Krabbe, Familien-Mediation, S. 71 Rn. 170 ff.; Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 86 f.

100

A. Das Verfahren der Mediation

diation deutlich von der juristischen Konfliktlösung und ist eine der „wichtigsten Wirkungsweisen“ der Mediation.420 Auch diese Methode kann in allen Phasen, vor allem aber am Ende der dritten Phase, der Interessenermittlung, angewendet werden. Der Mediator wird dazu gezielt eine Auseinandersetzung des Medianten mit den visualisierten Interessen und Bedürfnissen des jeweils Anderen fördern.421 Die Kenntnis von tieferliegenden Interessen und Bedürfnissen, aber auch Ängsten des anderen führt häufig zu gegenseitigem Verständnis.422 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Technik des Perspektivwechsels hinzuweisen. Der Mediator kann die Parteien auffordern, sich in die Perspektive des Anderen oder eines Dritten hineinzuversetzen.423 Auch dies fördert das Verstehen und Respektieren des Konfliktpartners. Dies wiederum ist Voraussetzung für eine Berücksichtigung dieser Interessen in einem späteren Ergebnis, dem gerechten Interessenausgleich. Mit den Methoden der Selbstbehauptung und Wechselseitigkeit sind wesensbestimmende Methoden der Mediation und im Rahmen dieser auch die wesentlichen Techniken der Mediation dargetan.

420 Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 87; vgl. dazu auch Mähler/Mähler, in: Handbuch Mediation, § 19, S. 457 (475), Rn. 41 in Bezug auf den, der Wechselseitigkeit ähnlichen, Perspektivwechsel. 421 Vgl. Diez/Thomsen/Krabbe/, Familien-Mediation, S. 71 Rn. 171. 422 Vgl. Diez, Werkstattbuch Mediation, S. 87. 423 Vgl. zum Perspektivwechsel Mähler/Mähler, in: Handbuch Mediation, § 19, S. 457 (475), Rn. 40 f.

B. Begründungsansätze der Mediation Das Ziel dieser Arbeit ist die diskurstheoretische Analyse und die daraus abgeleitete Legimitation des Mediationsverfahrens. Wer ein solches neuartiges Begründungsmodell schafft, muss sich zunächst mit den bestehenden Begründungen der Mediation befassen. Diese sind bisher kaum systematisch erfasst. Die wissenschaftliche und rechtspolitische Debatte erschöpft sich zum großen Teil in der bloßen Nennung oder Behauptung bestimmter Vorteile der Mediation.1 Mittlerweile bestehen jedoch theoretische und vor allem empirische Studien, die einzelne Vorteile der Mediation zu belegen versuchen und sich auf diese Weise zu Begründungen der Mediation verdichten. Im Folgenden geht es darum, die bestehenden Begründungsansätze erstens zu systematisieren und zweitens Wert und Grenzen dieser Begründungsansätze aufzuzeigen. Dabei werden die Vorteile oder Begründungen in drei denkbare Dimensionen unterteilt. Auf der ersten Ebene werden psychologische, effizienzorientierte und ökonomische Aspekte behandelt. Diese Ebene soll als pragmatische Dimension bezeichnet werden (I.). Pragmatisch dient als Oberbegriff für individuelle Vorteile der Parteien oder der Justiz, seien es nun monetäre Aspekte, Zeitersparnisse oder persönliche Gründe. Der Begriff dient der Abgrenzung zu juristischen und philosophischen Begründungen. Auf einer zweiten Ebene wird betrachtet, wie sich die Mediation gesetzlich begründen lässt. Diese Ebene kann als gesetzliche Dimension bezeichnet werden (II.). Auf diesem Befund aufbauend ist die dritte Ebene in Ansatz zu bringen. Sie ist die Ebene der diskurstheoretischen, universellen und überpositiven Legitimation, die in dieser Arbeit an späterer Stelle2 entwickelt wird. Sie soll als überpositiv-universelle Dimension bezeichnet werden.

I. Pragmatische Dimension Die pragmatische Dimension umfasst eine Vielzahl von Vorteilen oder Begründungsansätzen der Mediation, die unterschiedlich gut verifiziert sind. Hierzu zählen die Entlastung der Justiz (1.), die ökonomische Betrachtung aus Parteisicht (2.), Beschleunigungseffekte (3.), die nachhaltige Befriedung (4.) sowie damit eng ver1 Eine ausführliche Aufzählung der Vorteile der Mediation findet sich bei Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 75 ff. 2 Siehe unten Kapitel E. und F.

102

B. Begründungsansätze der Mediation

knüpft der Schutz zwischenmenschlicher und wirtschaftlicher Beziehungen (5.). Zudem gibt es zahlreiche weitere Elemente der Mediation, die dem nachhaltigen Frieden dienen, aber auch eigenständig als Vorteile der Mediation aufgefasst werden können, wie die umfassende Sachverhaltsbetrachtung, der erweiterte Beteiligtenkreis, der informelle Rahmen, die Möglichkeit der umfassenden Regelung, die Vertraulichkeit des Verfahrens, die Berücksichtigung von Emotionen sowie die Eigenverantwortlichkeit der Parteien und die damit gesteigerte Akzeptanz gegenüber dem Ergebnis. All diese Begründungsansätze oder Vorteile gilt es im Folgenden kurz darzustellen, wobei zu beachten ist, dass einige auf der Hand liegen, andere aber nur über empirische Studien ernsthaft verifiziert werden können. Vor allem zur gerichtsnahen Mediation gibt es allerdings mittlerweile derartige Untersuchungen, die als Orientierungshilfe bei der Bewertung dieser Vorteile dienen können. Solche Untersuchungen werden bei der weiteren Entwicklung der Mediation auch künftig von Bedeutung sein sowie laufend aktualisiert und fortgesetzt werden müssen. Dies ist allerdings nicht Aufgabe dieser Arbeit, die eine empirische Untersuchung weder leisten kann noch will. Es geht es an dieser Stelle nicht darum, weitere empirische Studien vorzunehmen, noch detailliert die Methodik3 einzelner Untersuchungen zu hinterfragen. Vielmehr soll aufbauend auf dem bisherigen Forschungsstand4 eine Bilanz gezogen werden. Diese Bilanz erfüllt drei Aufgaben. Erstens sollen die bestehenden Vorteile, die in mannigfaltiger Wechselwirkung zueinander stehen, systematisiert werden. Zweitens soll gezeigt werden, ob nach dem bisherigen Kenntnisstand diese Vorteile als zutreffend und nicht als bloße Behauptung bezeichnet werden können. Drittens sollen die Grenzen und der Wert des jeweiligen Vorteils als Begründung für die Mediation aufgezeigt werden.

3 Zu den methodischen Fragen der empirischen Mediationsforschung Bastine/Wetzel, Familienmediation: Empirische Untersuchungen und Modellprojekte in Deutschland und Österreich, in: Mediation als Kooperation, S. 52 (93 ff.). 4 Soweit es um empirische Studien zur Mediation geht, kann bereits auf einige Dissertationen zurückgegriffen werden. Wegweisend vor allem von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 70 ff. Zudem maßgeblich heranzuziehen sind die Ergebnisse des ersten und umfassendsten Modellprojekts zur gerichtsnahen Mediation aus Niedersachsen. Dazu Zenk/Strobel/Hupfeld/ Böttger, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen – Die Evaluation eines Modellversuches; weiterführend Gottwald, in: Handbuch Mediation, Gerichtsnahe Mediation – Erfahrungen und Lehren aus dem Modellprojekt in Niedersachsen, S. 963 ff.; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts. Eine der umfangreichsten und jüngsten Zusammenstellungen zum internationalen Stand der Mediation findet sich im Sammelband Hopt/Steffek, Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen.

I. Pragmatische Dimension

103

1. Entlastung der Justiz Als Begründung für die Mediation wird regelmäßig die Entlastung der Gerichte angeführt.5 Es handelt sich um eine Begründung, die weder die Parteien noch die Mediation selbst betrifft, sondern ausschließlich auf die Effizienz des Justizsystems im Ganzen abstellt. Ob eine Entlastung der Gerichte durch die Mediation tatsächlich stattfindet, war und wird auch künftig Gegenstand empirischer Studien sein. Dabei stellt jede freie, erfolgreiche Mediation außerhalb der Gerichte, durch die ein Prozess abgewendet wird, freilich eine Entlastung der Gerichte dar. Die freie Mediation ist allerdings empirisch, jedenfalls in Deutschland, nur schlecht erfasst, weshalb die Reichweite der Entlastung diesbezüglich noch nicht bestimmt werden kann. Fraglich aber ist, ob die gerichtsnahe6 Mediation eine Entlastung der Gerichte bewirkt. Zunächst stellt die Mediation, insbesondere wenn sie durch Richtermediatoren durchgeführt wird, ein zusätzliches Angebot der Gerichte und damit eine Belastung dar. Eine aussagekräftige rechtsökonomische Analyse der gerichtsnahen Mediation streitet dennoch für den gegenteiligen Befund, mithin eine Entlastung der Gerichte.7 Bezugspunkt dieser Analyse ist das Modellprojekt „Gerichtsnahe Mediation“ in Niedersachsen8, das als eine der umfangreichsten, vielbeachtetsten und aussagekräftigsten empirischen Mediationsstudien in Deutschland gilt.9 Entlastungen der Justiz lassen sich aufgrund dieser Studie belegen. So ergeben betriebswirtschaftliche Untersuchungen basierend auf der Personalbedarfsberechnung, dass eine Mediation vor dem Landgericht fünf Mal und in Bezug auf die gesamte ordentliche Ge-

5

Gottwald, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 963 (980), Rn. 48 ff.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 77 ff.; Trossen, in: Handbuch Mediation, § 40, S. 987 (988), Rn. 3. 6 Der Begriff gerichtsnahe Mediation wurde beispielweise im Modellprojekt Niedersachsen bewusst gewählt um verschiedene Mediationsformen, die nach Rechtshängigkeit der Klage in der Sphäre des Gerichts angesiedelt sind, zu erfassen (Gottwald, in: Handbuch Mediation, S. 963 (964 Fn. 1). Die Mediation wird nicht vom gesetzlichen Richter, sondern je nach Projekt von Richtermediatoren oder auch Anwaltsmediatoren durchgeführt. Ausführlich zu den Strukturen der gerichtsnahen Mediation Gottwald, in: Handbuch Mediation, S. 963 (967 Fn. 10 ff.); Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 81 ff. 7 Spindler, Gerichtsnahe Mediation, Rn. 427 bezogen auf das Modellprojekt Niedersachsen. 8 Zu diesem Projekt Spindler, Gerichtsnahe Mediation; Gottwald, in: Handbuch Mediation, Gerichtsnahe Mediation – Erfahrungen und Lehren aus dem Modellprojekt in Niedersachsen, § 39, S. 963 ff.; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 93 ff.; ausschließlich zu diesem Projekt: Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts; Zenk/Strobel/Hupfeld/Böttger, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen – Die Evaluation eines Modellversuches. 9 Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 81; ähnliche Bewertung durch die damalige Justizministerin Niedersachsens Heister-Neumann in Zenk/Strobel/Hupfeld/Böttger, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen, S. 5; so und bezogen darauf auch Gottwald, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 963 (965), Rn. 3; eine Zusammenstellung nahezu aller Modellprojekte der gerichtsnahen Mediation in Deutschland bietet die Dissertation von von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 70 ff.

104

B. Begründungsansätze der Mediation

richtsbarkeit doppelt so schnell ist wie ein streitiges Verfahren.10 Dies führe auch zu einer Entlastung des einzelnen Richters, was je nach Instanz eine Zeiteinsparung bis zu 40 % etwa beim Landgericht und ca. 20 % bei erstinstanzlichen Zivilrechtssachen bedeute und mehr Zeit für andere, rechtlich komplizierte Verfahren eröffne.11 Quantitative Umfragen bei den Richtermediatoren, die die Dauer der Mediation als kürzer und die persönliche Arbeitsbelastung als geringer im Vergleich zum gerichtlichen Verfahren einschätzen, untermauern diese Analyse.12 Mit diesen zeitlichen Ersparnissen geht eine Reduktion der Personalkosten einher, die noch durch den Wegfall der im Gerichtsverfahren üblichen kostenträchtigen Beweisaufnahme verstärkt werden.13 Eine Reduktion von Kosten und Dauer der Mediation im Vergleich zum streitigen Gerichtsverfahren ist auch das Ergebnis der Gesamtschau zahlreicher internationaler Studien zur Mediation von Hopt/Steffek14, wobei sich dies auf die Parteien bezieht. Eine Entlastung der Justiz kann daraus jedoch ebenfalls gefolgert werden. Dies und die wegweisenden empirischen Untersuchungen zur gerichtsnahen Mediation in Niedersachsen sprechen dafür, dass durch die Etablierung der gerichtsnahen Mediation Zeit und damit auch Kosten eingespart werden, mithin das Justizsystem entlastet wird. Dies stellt einen gewichtigen Vorteil der Mediation und zugleich ein ökonomisches Zweckmäßigkeitsargument für die Mediation dar. Aus mehreren Gründen reicht dies allerdings nicht für eine umfassende Begründung der Mediation aus. Erstens handelt es sich lediglich um empirische Erkenntnisse anhand von Modellprojekten. Wandelten sich die ökonomischen Rahmenbedingungen, büßt das Argument möglicherweise an Geltungskraft ein. Zweitens beziehen sich die Studien nur auf die gerichtsnahe Mediation und decken damit nur einen Teilbereich ab. Entscheidend dürfte aber sein, dass mit einer Entlastung für das Justizsystem noch nichts über die Richtigkeit des Verfahrens gesagt ist. Es ist auch kein unmittelbarer Vorteil für die konfliktbetroffenen Parteien, wenn das Justizsystem entlastet wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach derzeitigem empirischem Kenntnisstand tatsächlich von einer begrüßenswerten Entlastung der Justiz durch die Mediation ausgegangen werden kann, dies aber nicht ausreicht, die Mediation als Verfahren an sich oder aus Parteisicht adäquat zu begründen.

10 Spindler, Gerichtsnahe Mediation, Rn. 422 ff.; dazu auch Gottwald, Handbuch Mediation, S. 980 Fn. 48. Bezogen auf das Modellprojekt Niedersachsen. 11 Spindler, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen – eine juristisch-ökonomische Analyse, Rn. 4; Gottwald, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 963 (980), Rn. 49 bezogen auf das Modellprojekt Niedersachsen. 12 Gottwald, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 963 (980) Rn. 50; Spindler, Gerichtsnahe Mediation, Rn. 422 ff.; anders werden nach dieser Untersuchung Fälle der Familiengerichtsbarkeit beurteilt (Spindler, Gerichtsnahe Mediation, Rn. 422 ff., 428 ff., 434 ff, 442 ff.). 13 Gottwald, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 963 (S. 980), Rn. 50. 14 Hopt/Steffek, Rechtsvergleich, Regelungsmodelle, Grundsatzprobleme, in: Mediation, S. 80; siehe dazu vor allem sogleich Kapitel B. I. 2.

I. Pragmatische Dimension

105

2. Ökonomische Betrachtung aus Parteisicht Häufig wird die Mediation als die für Parteien ökonomisch sinnvollere Alternative zum Gerichtsverfahren bezeichnet.15 Ob dies zutrifft, lässt sich in zwei Fragen unterteilen, denen gesondert nachzugehen ist. Erstens besteht die Frage, wie die unmittelbaren Verfahrenskosten der Mediation für die Parteien im Vergleich zum Gerichtsverfahren ausfallen [a)]. Zweitens kann danach gefragt werden, ob die Mediation insgesamt im Vergleich zum streitigen Prozess die ökonomisch sinnvollere Alternative ist. Bei dieser zweiten Frage sind über die unmittelbaren Verfahrenskosten hinausgehende Größen zu berücksichtigen, wobei zwischen rein monetärer Gesamtbetrachtung [b)] und weiter ökonomischer Gesamtbetrachtung [c)] zu unterscheiden ist. a) Verfahrenskosten Zunächst ist ein Blick auf die unmittelbaren Verfahrenskosten zu werfen. Häufig werden geringere Verfahrenskosten16 im Vergleich zum Gerichtsverfahren als Vorzug angeführt.17 Ob eine Mediation oder ein Gerichtsverfahren höhere Verfahrenskosten auslöst, ist vom Einzelfall abhängig. Dabei spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle. Auf der Seite der Mediation stehen die Kosten für den Mediator und eventuell weitere Gutachter- oder Rechtsanwaltsgebühren18. Alle genannten Faktoren bilden keine festen Größen. So kann es in der freien Mediation je nach Mediator und Mediationsfall große Abweichungen bei den Stundensätzen geben.19 Davon zu unterscheiden sind die Kosten bei der gerichtsinternen20 und gerichtsnahen21 Mediation. Zudem kommt es auf die Dauer der Mediation22 an. 15 Ausführlich zu den ökonomischen Aspekten der Mediation siehe Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 ff.; Winterstetter, Ökonomische Aspekte der Mediation, in: Handbuch Mediation 2002, § 20, S. 510 ff.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 76 ff. 16 Ausführlich dazu Horst, in: Handbuch Mediation, Die Kosten der Mediation § 47, S. 1147 ff. 17 Kostenersparnis als Vorzug: Horst, in: Handbuch Mediation, § 47, S. 1147 (1147), Rn. 1; unter Bezug auf zahlreiche rechtsvergleichende Studien Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 80; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 79 ff.; Risse, NJW 2000, S. 1614 (1618); Volkmann, Mediation im Zivilprozess, S. 145 ff.; Noon, The corporate counsel‘ s guide to mediation, S. 5 f.; so auch das Bundesverfassungsgericht BVerfG, Beschluss vom 14. 02. 2007 – 1351/01, NJW-RR 2007, S. 1073 (1074). 18 Zu den Gebühren der Parteianwälte in der Mediation Horst, in: Handbuch Mediation, § 47, S. 1147 (1163 f.), Rn. 91 ff. 19 Orientiert an den Gebühren von Anwaltshonoraren dürfte jedenfalls bei einer Mediation durch einen Anwalt ein Stundensatz zwischen 150 und 650 Euro (im Einzelfall mehr) im angemessenen Bereich liegen. So der Hinweis bei Horst, in: Handbuch Mediation, § 47, S. 1147 (1157), Rn. 50. 20 Zu den Kosten der gerichtsinternen Mediation Horst, in: Handbuch Mediation, § 47, S. 1147 (1164 f.), Rn. 101 ff. 21 Zu den Kosten der gerichtsnahen Mediation Horst, in: Handbuch Mediation, § 47, S. 1147 (1164), Rn. 99 f.

106

B. Begründungsansätze der Mediation

Auf der Seite des Gerichtsverfahrens stehen die Gerichtskosten selbst und sehr häufig umfangreiche Rechtsanwaltsgebühren. Diese Kosten sind zu Beginn in der Regel schlecht zu überblicken, da nicht feststeht, über welchen Zeitraum und über wie viele Instanzen der Prozess geführt wird.23 Schon nach diesen instruktiven Ausführungen ist deutlich, dass die pauschale Aussage, die Mediation sei hinsichtlich der Verfahrenskosten immer die günstigere Alternative, nicht zutreffend ist. Richtig ist lediglich, dass eine erfolgreiche und von Beginn an zeitlich überschaubare Mediation im Einzelfall deutlich günstiger ausfallen dürfte als ein mehrjähriger, über mehrere Instanzen geführter Prozess. Umgekehrt stehen die Mediationskosten ebenso im Raum, wenn die Mediation gescheitert ist und addieren sich mit den Kosten des notwendigen gerichtlichen Verfahrens.24 Fraglich ist, ob die Mediation regelmäßig eine in Bezug auf die Verfahrenskosten günstige Alternative zum Gerichtsprozess darstellt. Dies ist Frage der empirischen Forschung. Es ist weder möglich noch gewollt, in dieser Arbeit empirische Studien über die Kosten der Mediation zu erheben, noch einen umfassenden Vergleich aller bestehenden Untersuchungen vorzunehmen. Dies ist auch nicht notwendig. Mit dem rechtsvergleichenden Werk von Hopt/Steffek liegt eine aktuelle Zusammenstellung von internationalen Studien zur Mediation vor, die hinsichtlich Reichweite und Wissenschaftlichkeit ihres Gleichen sucht.25 Dieser Studienband berücksichtigt nicht nur den generellen Stand der Mediation, sondern untersucht auch die Kostenfrage. Die dort vorgenommene Gesamtschau aller international durchgeführten rechtstatsächlichen Studien ergibt in Bezug auf die Verfahrenskosten, dass Mediation in aller Regel das für die Parteien deutlich günstigere Verfahren im Vergleich zum Gerichtsprozess ist.26 Auch die bereits erwähnte wichtige nie-

22

Siehe dazu sogleich Kapitel B. I. 3. Zu durchschnittlichen Dauer von Prozessen mit Nachweisen siehe sogleich Kapitel B. I. 3. 24 Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 80. 25 „Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen“, Tübingen 2008. Die Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Justizministerium hat das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg im Jahr 2007 dazu beauftragt. Vgl. dazu Hopt/Steffek, Vorwort, in: Mediation, Die Studie diente als Grundlage für die Gesetzgebungsarbeiten des Mediationsgesetzes (Vgl. dazu das Geleitwort der damaligen Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries, in: Mediation, Geleitwort, V f.). 26 Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 80. Aus einer auch dort zugrunde gelegten niederländischen Studie ergibt sich etwa einerseits ein objektiver Kostenvorteil der Mediation als auch ein subjektives Moment. So entscheiden sich nach dieser Studie zwischen 61 und 69 % der Parteien gerade wegen geringerer Kosten für eine Mediation. Nur für 1 bis 3 % sprachen die Kosten gegen eine Mediation. Eine Zusammenfassung dieser Studie, die auch auf die Unterschiede der Kosten zwischen freier, gerichtsinterner und gerichtsnaher Mediation unterscheidet, findet sich bei Schmiedel, Mediation in den Niederlanden – Entwicklung und Praxis zwischen staatlicher Förderung und privater Regulierung, in: Mediation, S. 329 (394 f.). 23

I. Pragmatische Dimension

107

dersächsische Studie zur gerichtsnahen Mediation kommt zum Ergebnis einer Kostenersparnis.27 Für die in dieser Arbeit relevante Frage der Begründung der Mediation gilt damit Folgendes: Der Vorteil der Mediation betreffend die Verfahrenskosten lautet, dass Mediation in zahlreichen Fällen weniger Verfahrenskosten hervorruft als ein gerichtliches Verfahren und damit oftmals einen Kostenvorteil bietet. Dies ist ein hilfreicher ökonomischer Hinweis für diejenigen, die eine Mediation erwägen, macht aber eine Einzelfallprüfung nach den eben genannten Parametern nicht entbehrlich, da nicht gesagt werden kann, dass die Verfahrenskosten der Mediation immer niedriger sind als im Gerichtsverfahren. Erst die Einzelfallprüfung macht eine Kosteneinschätzung möglich. Eine generelle Begründung der Mediation lässt sich aus der Möglichkeit der Verfahrenskostenreduktion nicht ableiten. b) Monetäre Gesamtbetrachtung Bedeutsamer ist die Frage, ob und gegebenenfalls wann sich in der Mediation insgesamt, das heißt über die direkten Verfahrenskosten hinausgehend, ein ökonomischer Vorteil für die Parteien im Vergleich zum streitigen Gerichtsverfahren ergibt. Um dies zu ermitteln, ist eine Formel erforderlich, die alle relevanten Variablen berücksichtigt. Ein überraschenderweise wenig beachtetes, aber sehr vielversprechendes Modell hat Winterstetter entwickelt.28 Im Folgenden sind kurz die Eckpunkte des Modells darzulegen, um sodann auf die Ausgangsfrage dieses Kapitels zurückzukommen, um also zu fragen, welchen Wert dieses Modell als Begründung der Mediation hat. Winterstetter geht in seinem Modell vom System der Marktwirtschaft aus und unterstellt, dass alle Marktteilnehmer in der Regel eine Vielzahl von Zielen verfolgen, wobei diese Ziele in Bezug zur Frage gesetzt werden, ob das Gerichtsverfahren oder Mediation die sinnvollere Alternative ist.29 Bei dieser Frage legt er eine Methode zugrunde, in die alle Vorteils- und Nachteilskomponenten für die jeweilige Handlungsalternative, die sich in monetären Größen ausdrücken lassen, einfließen.30 Damit geht es ausschließlich um den ökonomischen Vergleich zwischen Mediation und Gerichtsverfahren. Für einen solchen Vergleich zweier Alternativen, die unterschiedliche Zahlungsströme in der Zukunft auslösen, dient die Barwertmethode

27 Spindler, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen, Rn. 427, dem folgend Gottwald, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 963 (980 f.), Rn. 50. Beide beziehen sich damit aber wohl primär auf Kostenersparnisse der Justiz (siehe dazu oben) und nicht die hier behandelte Frage des Kostenvorteils der Parteien. 28 Winterstetter, Ökonomische Aspekte der Mediation, in: Handbuch Mediation 2002, § 20, S. 510 ff. 29 Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, § 20, S. 510 (512), Rn. 10, 11. 30 Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, § 20, S. 510 (512), Rn. 11.

108

B. Begründungsansätze der Mediation

als rechnerisches Verfahren.31 Das Modell geht davon aus, dass ein „rationaler Entscheidungsträger eine Handlungsalternative dann als vorteilhaft ansehen wird, wenn der Barwert der erwarteten zukünftigen monetären Ein- und Auszahlung maximiert wird.“32 Ausgehend von diesem betriebswirtschaftlichen Rahmen schlägt er eine Strukturierung der erwarteten zukünftigen Ein- oder Auszahlungen jeweils für beide denkbaren Handlungsalternativen vor.33 Die Handlungsalternative zur Mediation ist dabei typischerweise das Gerichtsverfahren, möglich ist aber auch ein Konflikt ohne Rechtswegalternative.34 Folgende Struktur zur Festlegung der Zahlungsströme wird vorgeschlagen: Zahlungseingänge oder -ausgänge aufgrund der Hauptsache, externe Kosten des Verfahrens, interne Kosten des Verfahrens, Mehrwerte sowie Schäden, die nur aufgrund der jeweiligen Handlungsalternative entstehen können.35 Freilich bestehen in der Praxis hinsichtlich der einzelnen Zahlungsströme je nach vorhandenen Informationen gewisse Unsicherheiten, die das später errechnete Ergebnis ebenfalls als unsicheres Ergebnis erscheinen lassen können; dies wäre bei einer intuitiven Entscheidung aber ebenfalls zu berücksichtigen, wobei dann das Problem der Unsicherheit lediglich weniger transparent ist.36 Das Modell liefert damit eine handhabbare, rationale Methode, um im Einzelfall zu ermitteln, ob bei einer ökonomisch-monetären Gesamtbetrachtung die Mediation eine sinnvolle Alternative zu anderen Verfahren, insbesondere dem streitigen Gerichtsverfahren bietet. In dieser Arbeit geht es darum, zu fragen, welchen Begründungswert eine derartige ökonomische Betrachtung für die Mediation liefert. Die erste wichtige Erkenntnis ist, dass die Mediation nicht in jedem Einzelfall die ökonomisch sinnvollste Alternative darstellt. Andernfalls wäre das Berechnungsmodell überflüssig. Vielmehr zeigt das Modell, dass erst über eine Vielzahl von einzelnen Faktoren ermittelt werden kann, ob im Einzelfall die Mediation oder ein Gerichtsverfahren insgesamt ökonomisch sinnvoller ist. Das heißt, dass nicht jedes Mediationsverfahren ökonomisch begründet werden kann. Schon deshalb ist eine ökonomische Begründung der Mediation nicht hinreichend. 31 Der Barwert ist die Summe der auf den Zeitpunkt Null abgezinsten Aus- und Einzahlungen. Siehe ausführlich zur Barwertmethode Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, § 20, S. 510 (512), Fn. 13. Es wird zudem davon ausgegangen, dass sich die möglichen Barwerte der Handlungsalternativen und ihre Wahrscheinlichkeit gemäß der Gaußschen Normalverteilung verhalten. Siehe dazu Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, S. 510 (523), Rn. 65. 32 Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, § 20, S. 510 (513), Rn. 14. 33 Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, S. 510 (513), Rn. 18. 34 Winterstteter, in: Handbuch Mediation 2002, S. 510 (513), Rn. 15 ff. 35 Mit Beispielen zu den einzelnen Punkten Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, S. 510 (514), Rn. 20 ff. 36 So zutreffend auch Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, S. 510 (514 f.), Fn. 26 ff. Zur Frage, wie mit den Unsicherheiten mathematisch umzugehen ist, siehe Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, S. 510 (515), Fn. 28 ff.

I. Pragmatische Dimension

109

Die zweite wichtige Erkenntnis ist, dass es zahlreiche Fälle geben dürfte, in denen die Mediation aus ökonomischen Gesichtspunkten den Vorzug verdient, wie Winterstetter umfangreich an einem Beispiel37, welches eine typische Konfliktsituation zum Gegenstand hat, berechnet. Fraglich ist, welchen Wert dieses Argument für die Begründung der Mediation hat. Eine derartige ökonomische Betrachtung ist ein hilfreicher Begründungsansatz für die Mediation im Einzelfall und sollte daher auch bei der generellen Begründung der Mediation nicht unberücksichtigt bleiben. Insbesondere für den Kosten-Nutzen-Maximierer handelt es sich um ein überzeugendes strategisches Argument. Auf der anderen Seite fällt dieses lediglich in den Bereich der Zweckmäßigkeit. Es sagt nichts über die Richtigkeit dieses Verfahrens aus. Damit stellt die ökonomisch monetäre Betrachtung der Mediation einen begrüßenswerten und hilfreichen Beitrag auf dem Weg zur Begründung der Mediation dar, kann aber gleichzeitig keine hinreichende Begründung des Verfahrens, geschweige denn eine umfassende Legitimation bieten. c) Weite ökonomische Gesamtbetrachtung Eine weite ökonomische Betrachtung der Mediation nimmt Groß vor. Er sieht die monetäre Sichtweise lediglich als Teilaspekt der ökonomischen Betrachtung an38 und wirft zwei Fragen auf. Die erste Frage ist, welche Funktion Mediation im Gesamtfüge der Marktwirtschaft hat. Groß geht davon aus, dass Konflikte vor allem bei der Preisbildung zustande kommen und die Mediation die Funktion hat, die beteiligten Personen bei der Herstellung eines individuellen Gleichgewichtes zwischen Angebot und Nachfrage in Form von Preisbildung zu unterstützen.39 Zweitens fragt er, unter welchen Bedingungen die Mediation über die rein monetäre Betrachtung hinaus ein ökonomisch sinnvolles Handlungsinstrument für den Marktteilnehmer ist. Groß stellt einige Grundannahmen zusammen40, auf denen aufbauend, er herausstellt, unter welchen Bedingungen Mediation aus Sicht der individuellen Nutzenmaximierung sinnvoll ist.41 Eine Grundannahme ist, dass Bedürfnisse der Ursprung allen wirtschaftlichen Handelns sind.42 Weitere zentrale Annahmen sind, dass der Hintergrund eines Konfliktes regelmäßig ein unbefriedigtes Bedürfnis ist, dass menschliches Handeln auf individuelle Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet ist, jede Bedürfnisbefriedigung mit der Aufgabe von Möglichkeiten (Kosten) verbunden ist und jedem Handeln

37 38 39 40 41 42

Winterstetter, in: Handbuch Mediation 2002, S. 510 (515), Rn. 32 ff. Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1218, 1220), Rn. 2, 18. Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1222 f.), Rn. 37 f. Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1218, 1220), Rn. 40. Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1228), Rn. 70. Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1218 f.), Rn. 9.

110

B. Begründungsansätze der Mediation

unterschiedliche Handlungsalternativen zugrunde liegen.43 Bei Konflikten stellt Groß überzeugend die Handlungsalternativen zusammen: Sie reichen von Verhandlungen44 über Unterwerfung, Nichtstun bis zur Beschreitung des Rechtswegs. Diese vergleicht er jeweils mit der Mediation.45 Dabei wird auch herausgestellt, dass Mediation ökonomisch nicht immer sinnvoll ist, etwa wenn ein Konflikt durch ein bilaterales Gespräch, zum Beispiel in Form einer Verhandlung, ohne Verfahrenskosten geregelt werden kann.46 Groß nennt zielgenau die Bedingungen, unter denen eine Mediation als sinnvolle ökonomische Alternative in Betracht kommt: Dies ist der Fall, wenn bilaterale Verhandlungen nicht erfolgreich waren, die Konfliktregelung rechtlich nicht zwingend vorgegeben ist (Wahlmöglichkeiten), Vereinbarkeit mit dem Bedürfnisbefriedigungsprozess der Parteien besteht, an den ursprünglichen Bedürfnissen festgehalten werden kann, die Fähigkeit des Zusammenarbeitens besteht und erkennbar ist, dass auch für die Gegenseite Mediation nach den entsprechenden Parametern sinnvoll sein könnte.47 Darüber hinaus weist Groß zu Recht auf die eingeschränkte Substituierbarkeit der Mediation als Konfliktlösungsverfahren hin. Wie eingangs in dieser Arbeit beschrieben dienen zwar sowohl Gerichtsverfahren als auch Mediation der Konfliktlösung48 und damit der Bedürfnisbefriedigung. Jedoch zeigt die bisherige und die nachfolgende Darstellung, dass nur Mediation ein ganz umfangreiches Spektrum an Bedürfnissen von Kostenreduktion, Beschleunigung, Vertraulichkeit, Schutz von Beziehungen usw. zu erfüllen vermag und sich schon damit von den Bedürfnissen, die durch ein Gerichtsverfahren befriedigt werden, elementar unterscheidet.49 Daraus folgt die eingeschränkte Substituierbarkeit der Mediation. Fraglich ist in dieser Arbeit, welcher Begründungswert der weiten ökonomischen Betrachtung durch Groß zukommt. In erster Linie erfüllt diese Betrachtungsweise eine begrüßenswerte Klarstellungsfunktion. Sie macht deutlich, dass Mediation unter Gesichtspunkten der Kosten-Nutzen-Maximierung im weiten Sinne unter bestimmten, häufig vorliegenden Bedingungen eine ökonomisch sinnvolle Handlungsalternative darstellt. Der Wert dieser Analyse liegt vor allem in der Herausarbeitung dieser Bedingungen. Damit zeigt Groß auch auf, dass Mediation eine marktwirtschaftliche Funktion innehat. Er liefert mithin, ohne diesen Anspruch zu erheben, einen ökonomischen Begründungsansatz der Mediation. Diese Begründung kann als wertvoll bezeichnet werden, da Mediation bei Vorliegen der genannten Bedingungen gegenüber jedem Kosten-Nutzen-Maximierer als rationale Hand43 Diese und weitere Annahmen bei Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1218, 1220), Rn. 40. 44 Zu den Unterschieden zwischen Mediation und Verhandlung vgl. oben Kapitel A. I. 1. a). 45 Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1224 f.), Rn. 48 ff. 46 Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1225), Rn. 49. 47 Vgl. Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1228), Rn. 70. 48 Siehe oben Kapitel A. I. 1. a). 49 So im Ergebnis aber mit verkürzter Begründung Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1229 f.), Rn. 73.

I. Pragmatische Dimension

111

lungsalternative begründet werden kann. Gleichzeitig handelt es sich nicht um eine Begründung, mit der das Mediationsverfahren umfassend und überpositiv legitimiert werden kann. Erstens ist der Adressatenkreis auf den Kosten-Nutzen-Maximierer beschränkt.50 Zweitens – und das ist entscheidend – sagt sie noch nichts darüber aus, ob in der Mediation objektiv ein gerechter, das heißt richtiger Interessenausgleich angestrebt ist. Die Richtigkeit des Verfahrens lässt sich nicht allein aus der ökonomischen Sinnhaftigkeit heraus begründen. Die ökonomische Betrachtung von Groß verdient es jedoch, im Legitimationskanon der Mediation als echte Begründung und nicht als bloßer Vorteil der Mediation Eingang zu finden.

3. Beschleunigungseffekt Eine Mediation kann im Vergleich zum streitigen Verfahren einen Beschleunigungseffekt entfalten. Die Schnelligkeit des Mediationsverfahrens wird als klassischer Vorteil der Mediation genannt.51 Neben der bereits behandelten Entlastung der Justiz entfaltet dies auch einen Vorteil für die Parteien. Insbesondere in der jüngsten Entwicklung der Mediation in Deutschland knüpft die sogenannte Kurzzeit-Mediation52 an das Bedürfnis der schnellen Konfliktregelung an. Valide Vergleichszahlen liegen jedoch nur in begrenztem Ausmaß vor. Zur Dauer der Gerichtsverfahren gibt es zumindest in Deutschland relativ genaue Zahlen.53 Die Durchschnittsdauer für zivilrechtliche Verfahren erstreckt sich danach vom Amtsgericht von 4,4 Monaten54 bis zu 23,2 Monaten, wenn das Oberlandesgericht Berufungsinstanz ist.55 50 Groß geht vermutlich davon aus, dass jeder Kosten-Nutzen-Maximierer ist. Vgl. Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1218 (1223), Rn. 40. 51 Unter Bezug auf zahlreiche rechtsvergleichende Studien Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 80; Gottwald, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 963 (980), Rn. 49; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 77; Spindler, Gerichtsnahe Mediation, Rn. 1; Neuenhahn, NJW 2004, S. 663 (664); Härtel, JZ 2005, S. 753 ( 756 f.); Wegener, ZKM 2006, S. 140 (140); Volkmann, Mediation im Zivilprozess, S. 8; Schneider, in: Mediation für Juristen, S. 171 (176). Auch das Bundesverfassungsgericht geht von einer Beschleunigung aus, BVerfG, Beschluss vom 14. 02. 2007 – 1351/01, NJW-RR 2007, S. 1073 (1074). 52 In der Kurzzeitmediation soll der gesamte Mediationsprozess in ein oder zwei Sitzungen und insgesamt innerhalb von zwei bis acht Stunden bewältigt werden. Die Kurzzeitmediation folgt in Ablauf, verwendeten Methoden und geltenden Prinzipien im Grundsatz der Langzeitmediation. Es werden also weder Prinzipen als ungültig erklärt, noch einzelne Phasen der Mediation ausgespart. Siehe zu alledem Krabbe, ZKM 2004, S. 72 f., der von der „verdichteten Form“ der Langzeitmediation spricht. Ausführlich zur Kurzzeitmediation Krabbe, Kurz-Mediation – Die Kunst der Mediation in einer Sitzung, ZKM 2004, S. 72 ff.; Krabbe/Fritz, Gerichtsinterne Mediation – Der Faktor „Zeit“ (Teil 1 und 2), NVwZ 2011, S. 396 ff., S. 595 ff. 53 Vgl. dazu für Zivilsachen je nach Instanz: Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1, Rechtspflege, S. 28, 54, 70, 92. Ausführlich Rottleuthner/Rottleuthner, Die Dauer von Gerichtsverfahren, 1990. 54 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1, Rechtspflege, S. 28.

112

B. Begründungsansätze der Mediation

Für die Frage, wie lange im Vergleich dazu Mediation dauert, ist wieder auf die Studien zur Mediation im internationalen Kontext von Hopt/Steffek zurückzugreifen. Abermals kann es in dieser Arbeit nicht darauf ankommen, tiefergehend auf die dort dargebrachten Einzelstudien näher einzugehen. Vielmehr ist die Gesamtauswertung der zentralen Ergebnisse fruchtbar zu machen. Diese ergibt, dass Mediation den Parteien in der Regel die schnellere Variante im Vergleich zum Gerichtsverfahren bietet.56 Drei davon sind äußerst weitreichend und haben besondere Aussagekraft. Die erste ist die schon oben in Ansatz gebrachte Auswertung des Modellprojekts Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen57, nach der die ganz überwiegende Mehrheit (71,2 %) der befragten Richtermediatoren die Mediation als deutlich kürzer im Vergleich zum Gerichtsverfahren beurteilten.58 Zweitens liegt eine sehr umfassende niederländische Studie vor, nach der eine erfolgreiche Mediation eine Zeitreduktion von einem Drittel bis zur Hälfte der Dauer eines Gerichtsverfahrens mit sich bringt.59 Drittens zeigt eine englische Studie des National Audit Office für den Bereich des Familienrechts einen klaren Zeitvorteil der Mediation gegenüber dem Gerichtsverfahren von durchschnittlich 110 Tagen gegenüber 435 Tagen.60 Das Destillat der zentralen Mediationsstudien ist also, dass die Mediation regelmäßig einen deutlichen Beschleunigungseffekt für die Parteien entfaltet. Dabei gilt es jedoch zwei Einschränkungen zu beachten. Erstens birgt nicht jede Mediation einen Zeitvorteil. Insbesondere, wenn die Mediation scheitert, addiert sich die Dauer des Mediationsverfahrens zum dann in der Regel geführten gerichtlichen Verfahren61, weshalb die Erfolgsquote der Mediation62 von Bedeutung ist. Zweitens, und so räumen auch Hopt/Steffek ein, gibt es zu wenig aussagekräftige Zahlen über die durchschnittliche Dauer von Mediationsverfahren, da Angaben in der Regel auf spezifische Vergleichsgruppen oder Streitigkeiten beschränkt sind.63 Die Durch55 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1, Rechtspflege, S. 92; Für Landgerichte vgl. S. 54, 70. 56 Zu diesem Werk und seiner Aussagekraft hinsichtlich empirischer Mediationsstudien siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 57 Siehe zur Aussagekraft der Studie oben Kapitel B. I. 1. 58 Spindler, Gerichtsnahe Mediation, S. 151; in der Gesamtauswertung von Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 81 f. 59 Schmiedel, Mediation in den Niederlanden, in: Mediation, S. 390 ff. insb. 394; in der Gesamtauswertung von Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 80. 60 Siehe dazu Scherpe/Vollers, Mediation in England – Rechtlicher Rahmen und praktische Erfahrungen, in Mediation, S. 314 f. 61 Vgl. Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 80; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 78, Härtel, JZ 2005, S. 753 (757); Wassermann, NJW 1998, S. 1685 (1686). 62 Zur Erfolgsquote der Mediation siehe statt Vieler Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 77 ff. 63 Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 81.

I. Pragmatische Dimension

113

schnittszahlen in der Literatur64 bewegen sich von Maximaldauern bis drei Monaten65 und deutlich kürzeren Angaben bei der gerichtsnahen und gerichtsinternen Mediation, die oftmals von einer Sitzung in ca. 2 bis 3,5 Stunden ausgehen.66 Fest steht demnach nur, dass eine Mediation häufig einen schnelleren Weg als ein über mehrere Jahre und Instanzen geführter Prozess darstellt. Für diese Arbeit ist von Relevanz, welcher Wert dieser Feststellung als Begründung der Mediation zuzusprechen ist. Der Beschleunigungseffekt kann erstens nicht generell jede Mediation begründen, weil eine Beschleunigung durch die Mediation zwar regelmäßig erreicht wird, aber nicht notwendig für jede Mediation gilt. Dieser häufig erzielte Beschleunigungseffekt stellt jedoch ein wichtiges Argument für die Parteien dar und ist hilfreich, um die Mediation als effizientes Verfahrensmodell zu legitimieren. Für eine umfassende Legitimation reicht es nicht aus. Der Beschleunigungseffekt der Mediation fällt ebenfalls in den Bereich bloßer Zweckmäßigkeit. Über die Richtigkeit des Verfahrens und der Verfahrensergebnisse ist damit noch nichts gesagt. Die regelmäßig kurze Dauer der Mediation liefert mithin ein hilfreiches, empirisch gestütztes Argument für die Mediation, kann das Verfahren aber nicht umfassend legitimieren.

4. Nachhaltige Befriedung Als Vorzug und Ziel67 der Mediation gilt die Nachhaltigkeit des Ergebnisses, also die nachhaltige Befriedung des Konflikts.68 Während der Abschluss des Gerichtsverfahrens für den Einzelkonflikt formellen Rechtsfrieden herstellt, beansprucht die Mediation materiell, einen umfassenden und damit nachhaltigen Frieden zwischen den Parteien herzustellen.69 Damit geht es in der Mediation auch darum, zwischenmenschliche Beziehungen zu schützen.70 Dies wirkt sich auf die bisher behandelten Begründungsansätze aus. Versöhnen sich die Parteien durch die Mediation nachhaltig, werden Folgeprozesse vermieden. 64

Vgl. statt Vieler die Gesamtauswertung bei Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 81. Vgl. Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2008, 85 (87). 66 Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 81. 67 Siehe oben Kapitel A. I. 4. 68 von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 17; Schweizer, in: Handbuch Mediation, § 14, S. 321 (359), Rn. 38; Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 84 sprechen von einer „Versöhnungsfunktion“; Katzenmeier, ZZP 2000, S. 51 (69); Herzog/Hennig, Jura 2011, S. 929 (931); Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 29 und 90 vgl. auch S. 43; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 36; Schneider, in: Mediation für Juristen, S. 171 (176). Diese Einschätzung teilt auch das Bundesverfassungsgericht BVerfG, Beschluss vom 14. 02. 2007 – 1351/01, NJW-RR 2007, S. 1073 (1074). 69 Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 41; vgl. Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 84 die von „rechtstechnischer Streitbewältigung“ im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren und „Versöhnungsfunktion“ im Rahmen der Mediation sprechen; ähnlich auch Trossen, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 987 (988), Rn. 2. 70 Noon, The corporate counsel’s guide to mediation, S. 8 f. 65

114

B. Begründungsansätze der Mediation

Die Parteien lösen ihre Konflikte in der Mediation selbst. Dies führt zu einer Entlastung der Justiz, den Parteien entstehen keine weiteren Verfahrenskosten und sie wenden keine Zeit für weitere gerichtliche Konflikte auf. Fraglich ist nur, ob eine solche nachhaltige Befriedung durch die Mediation tatsächlich besteht. Um dieser Frage nachzugehen, lassen sich zwei Begründungswege beschreiten. Erstens lässt sich danach fragen, ob die Mediation Elemente und Prinzipien enthält, die es zumindest plausibel erscheinen lassen, dass eine nachhaltige Befriedung eintritt. Zweitens können empirische Untersuchungen eine Aussage darüber treffen, wie häufig die Parteien das Ergebnis als nachhaltige friedenstiftende Lösung bezeichnen. a) Friedensstiftende Nachhaltigkeitsmerkmale der Mediation Zunächst ist auf den ersten Begründungsweg einzugehen. Es lassen sich tatsächlich zahlreiche Wesensmerkmale der Mediation erkennen, die einem nachhaltigen Frieden förderlich sein dürften. Zu nennen ist die umfassende Betrachtung des Sachverhalts in der Mediation, die Überwindung rein strategischen Vorgehens, die Möglichkeit der umfassenden Regelung, die Vertraulichkeit in der Mediation, der besondere Umgang mit Emotionen sowie die Eigenverantwortlichkeit der Parteien und die damit gesteigerte Akzeptanz des Mediationsergebnisses. Im Folgenden geht es darum, auf diese Wesensmerkmale einzugehen und jeweils zwei Fragen zu beantworten. Die erste Frage lautet, ob durch das jeweilige Element die nachhaltige Befriedungswirkung gefördert wird. Zweitens geht es darum, zu klären, ob das jeweilige Element aus sich heraus unabhängig von der Förderung des nachhaltigen Friedens eine Begründung für die Mediation liefern kann. aa) Methode der umfassenden Sachverhaltsbetrachtung unter Berücksichtigung der Interessen Ein Vorteil ist, dass die Mediation der Methode der umfassenden Sachverhaltsbetrachtung unter Einbeziehung der Interessen der Parteien folgt.71 Damit unterscheidet sie sich fundamental von der juristischen Methode. Die juristische Methode ist reduktionistisch, das heißt es wird ein umfassender Lebenssachverhalt auf seine rechtlich relevanten Umstände reduziert.72 Besonders deutlich wird dies im deutschen Zivilrecht. Zivilprozessual gilt die Verhandlungsmaxime, das heißt die Parteien müssen den tatsächlichen Prozessstoff, den das Gericht in der Entscheidung zu

71 Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 85 für die Berücksichtigung der Interessen im Ergebnis siehe S. 88; Zimmer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland, S. 98; Eidenmüller, in: Konsensuale Streitbeilegung, S. 45 (49 f.); vgl. auch Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315), Rn. 70 die von „Kuchenerweiterung“ sprechen; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 16. 72 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 279 f.; umfassend zur juristischen Methode und den diskurstheoretischen Konsequenzen siehe unten Kapitel D.

I. Pragmatische Dimension

115

Grunde legt, beibringen.73 Die Parteien bestimmen also zumindest im Grundsatz den Sachverhalt. Geleitet werden sie dabei von den Voraussetzungen des materiellen Rechts, bringen also nur Umstände vor, die ihnen rechtlich nutzen. Abweichungen gibt es im Strafrecht. Strafprozessual gilt der Untersuchungsgrundsatz, welcher das Gericht nach § 244 Abs. 2 StPO dazu verpflichtet, den Sachverhalt umfassend zu untersuchen.74 Für die Schuldfrage kommt es aber dennoch darauf an, ob ein bestimmtes Verhalten unter eine gesetzliche Norm subsumiert werden kann. Es ist nur derjenige Teil des Sachverhalts für die Schuldfrage relevant, der Aufschluss darüber gibt, ob sich der Beschuldigte durch ein bestimmtes Verhalten strafbar gemacht hat. Dies entspricht der Reduktion auf anspruchsrelevante Umstände im Zivilrecht.75 In der Mediation hingegen wird versucht, den Konflikt ganzheitlich, das heißt mit allen Hintergründen und Interessen zu erfassen. Der Sachverhalt wird anders als in der juristischen Methodik nicht auf rechtliche Relevanz reduziert, sondern kann in umfassender Breite eingeführt werden.76 Fraglich ist, ob dies einen nachhaltigen Frieden fördert und ob die umfassende Sachverhaltsbetrachtung für sich genommen schon einen eigenständigen Begründungsansatz der Mediation zu liefern vermag. Es ist zumindest plausibel, dass eine umfassende Sachverhaltswürdigung den nachhaltigen Frieden zwischen den Parteien in stärkerem Maße fördert als eine Reduktion auf rechtlich relevante Umstände. Durch eine umfassende Sachverhaltsbetrachtung unter Einbeziehung von Hintergründen ist es eher möglich, die Sichtweise der anderen Partei zu verstehen.77 Auf der Basis gegenseitigen Verständnisses ist es naheliegender, dauerhaft friedfertig miteinander umzugehen. Zudem ist in der Mediation Raum für den gesamten Konflikt und nicht bloß einen aus diesem künstlich herausdestillierten Rechtskonflikt. Wenn für eine Partei bestimmte Teilaspekte eines Konflikts von Bedeutung sind, die rechtlich irrelevant sind, wird diese unter Umständen die rechtliche Lösung als unvollständig erleben. Dies ist eine schlechte Grundlage für nachhaltigen Frieden. Mit der Methodik der umfassenden

73 Zur Verhandlungsmaxime im Zivilprozess siehe Reichold, in: Thomas/Putzo ZPO, Einleitung Prozessuale Grundbegriffe, Rn. 1 ff.; Musielak, in: Musielak ZPO, Einleitung, Rn. 37 ff. 74 Zum Untersuchungsgrundsatz siehe Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner StPO, § 155 Rn. 2. 75 Im Strafprozess ist allerdings neben der Schuldfrage vor allem die Straffrage, also die Frage nach dem Strafmaß entscheidend. Um diese Frage zu beantworten findet eine weitergehende Sachverhaltswürdigung statt, die auch Hintergründe zu Tat und Täter in den Blick nimmt. Vgl. umfassend zu den Grundsätzen der Strafzumessung Fischer, StGB, § 46 Rn. 1 ff. 76 Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 85; Zimmer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland, S. 98; Eidenmüller, in: Konsensuale Streitbeilegung, S. 45 (49 f.); vgl. auch Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315), Rn. 70 die von „Kuchenerweiterung“ sprechen; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, S. 16. 77 Siehe dazu auch Methode der Wechselseitigkeit Kapitel A. V.

116

B. Begründungsansätze der Mediation

Sachverhaltsbetrachtung bietet die Mediation mithin ein erstes Element, was dem höheren Ziel der nachhaltigen Befriedung dient. Darüber hinaus dürfte die umfassende Sachverhaltsbetrachtung auch für sich genommen dem Bedürfnis der Parteien regelmäßig entgegenkommen. Diese wollen den Konflikt unter verschiedenen und nicht bloß rechtlichen Aspekten regeln. Eine umfassende Legitimation des Mediationsverfahrens ist darin nicht zu erblicken, wohl aber ein parteibezogener Vorteil der Mediation, der zu ihrer Begründung neben anderen herangezogen werden kann. bb) Überwindung rein strategischer und kontraproduktiver Vorgehensweisen Ein wichtiger Vorteil der Mediation ist insbesondere im Vergleich zum üblichen bilateralen Verhandeln die Überwindung rein strategischer, egozentrischer Verhaltensweisen der Medianten und die Unterbindung kontraproduktiver Vorgehensweisen durch den Mediator.78 Die Vertrautheit der Gesprächsatmosphäre, die objektivierenden Zusammenfassungen des Mediators, Gesprächsregeln, die Anreize, kooperativ miteinander umzugehen, den anderen zu respektieren, die umfassende Informiertheit und die gezielte Förderung des gegenseitigen Verstehens schaffen ideale Voraussetzungen für ein Parteiverhalten, was nicht strategisch auf den eigenen Vorteil bedacht ist und die kooperative Suche nach Lösungen fördert.79 Es ist plausibel, dass dies den nachhaltigen Frieden fördert, liefert gleichfalls einen gewichtigen Vorteil und dient letztlich der umfassenden Sachverhaltsbetrachtung und kann damit keinen über den dort festgestellten Begründungswert aufweisen. cc) Erweiterter Kreis der Beteiligten Ein weiterer Unterschied ist der Kreis der Beteiligten. Die Rolle der Parteien ist sowohl im Zivilprozess als auch im Strafprozess durch die Prozessordnungen streng festgelegt. Im Zivilprozess stehen sich Kläger und Beklagter und im Strafprozess Staatsanwaltschaft und Angeklagter gegenüber. Die strenge Parteiordnung folgt der Reduktion auf den rechtlich relevanten Sachverhalt. In der Mediation hingegen ist der Kreis der beteiligten Protagonisten nicht abstrakt geregelt, sondern kann konkretindividuell zwischen Mediator und Medianten bestimmt werden.80 Alle unmittelbar und mittelbar am Konflikt beteiligten Personen können unabhängig von der Frage, ob sie einen rechtlichen Anspruch geltend machen können oder wollen, in der Mediation beteiligt werden. Gerade bei umfangreichen oder langjährigen Familien- und Erbschaftsstreitigkeiten, aber ebenso bei Uneinigkeiten in einem Unternehmen 78

Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 83. Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 83; siehe ferner Kovach, Mediation, S. 201. Siehe zu alledem vor allem oben Phase 3 (Kapitel A. IV. 3.) und 4 (Kapitel A. IV. 4.) sowie Methoden der Mediation (Kapitel A. V.). 80 Zur Ermittlung der Beteiligten in der Mediation siehe Montada/Kals, Mediation (2001), S. 181 f.; Heussen, in: Handbuch Mediation, § 17, S. 407 (411), Rn. 16 ff. 79

I. Pragmatische Dimension

117

wurzeln Konflikte regelmäßig nicht primär in divergierenden Rechtsauffassungen. Um den Konflikt langfristig zu befrieden, kann es daher geboten sein, Personen an der Mediation zu beteiligen, die nur im Hintergrund am Konflikt beteiligt sind.81 Es dürfte zahlreiche Fälle geben, in denen eine nachhaltige Befriedung erst durch den erweiterten Beteiligtenkreis möglich ist. Die flexible und offene Beteiligtenerweiterung stellt mithin ein entscheidendes Element der Mediation zur Förderung der Nachhaltigkeit des Mediationsergebnisses dar. Unabhängig davon ist diese Flexibilität ein zweckmäßiger Vorteil aus Parteisicht. Damit liegt nur eine zweckrationale Begründung und keine umfassende Legitimation vor. dd) Flexibilität: Keine formellen Rahmenbedingungen Der durch die Prozessordnungen vorgegebene institutionelle Rahmen und die formale Vorgehensweise im Gerichtsprozess bilden einen zusätzlichen, deutlich spürbaren Unterschied zur Mediation. Die Mediation folgt zwar grundsätzlich den beschriebenen Phasen, aber sie ist im Ablauf flexibler und es ist genug Zeit vorhanden, den Konflikt tiefergehend in einer persönlichen Atmosphäre ohne eine distanzierte juristische Fachsprache im Rahmen der Prozessordnungen, entfernt von den Parteien zu behandeln.82 Es liegt nahe, dass dies die Nähe zum Verfahren und dem erarbeiteten Ergebnis fördert und damit auch die Nachhaltigkeit des Ergebnisses. Unabhängig davon dürfte es sich um einen aus Parteisicht nicht zu verachtenden Vorteil des Verfahrens handeln. ee) Möglichkeit der umfassenden Regelung In der Mediation besteht die Möglichkeit, eine umfassende Regelung zu treffen. Es können auf der einen Seite nichtrechtlich durchsetzbare Vereinbarungen schriftlich fixiert werden, zum anderen können Rechte und Pflichten rechtswirksam in einem Vertrag begründet werden.83 Entscheidender Vorteil ist, dass die Regelungen nicht am Streitgegenstand orientiert sind, sondern alle im Laufe der Mediation erzielten Ergebnisse dort fixiert werden können. Entsprechend der Methode der umfassenden Sachverhalts- oder Konfliktbetrachtung besteht also auch die Möglichkeit der umfassenden Regelung und Interessenberücksichtigung.84 81

Montada/Kals, Mediation (2001), S. 181 f. Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 85; Spindler, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen, Rn. 356. 83 Siehe zur Mediationsvertrag mit Nachweisen oben Kapitel A. IV. 5. 84 Siehe statt Vieler Eidenmüller, in: Konsensuale Streitbeilegung, S. 45 (49 f.), Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 85 und 88; Zimmer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland, S. 98; Schillinger, Mediation im Verwaltungsverfahren, S. 24; Katzenmeier, ZZP 2002, S. 51 (70). 82

118

B. Begründungsansätze der Mediation

Damit ist sichergestellt, dass entsprechend dem Parteiwillen alle konfliktrelevanten Felder einer Regelung zugeführt werden. Dies trägt zur Sicherung eines nachhaltigen Friedens bei und kommt davon unabhängig den Bedürfnissen der Parteien entgegen. ff) Vertraulichkeit Schließlich wird die schon oben im Rahmen der Prinzipien der Mediation behandelte Vertraulichkeit als Vorteil ins Feld geführt.85 Anders als das nach § 169 GVG grundsätzlich öffentliche Gerichtsverfahren86 schafft die Mediation einen geschützten Raum für die Parteien und den möglicherweise sensiblen Konfliktgegenstand. Dies kann bei Konflikten mit persönlicher Prägung, aber auch bei Wirtschaftsangelegenheiten für die Parteien einen erheblichen Vorzug ausmachen. Dieser Schutz kann dazu beitragen, dass externer Druck durch Dritte oder öffentlich Druck bei medial fokussierten Streitigkeiten sinkt.87 Es erscheint jedenfalls plausibel, dass dies im Einzelfall einen besseren Nährboden für nachhaltigen Frieden schafft. gg) Berücksichtigung von Emotionen Nicht zuletzt ist der Umgang mit Emotionen in der Mediation ein entscheidendes Wesensmerkmal dieses Verfahrens.88 Grundsätzlich ist in der Mediation ganz anders als im Gerichtsverfahren den Emotionen der Parteien bewusst ein Platz eingeräumt.89 Fraglich ist, ob dies den nachhaltigen Frieden zwischen den Parteien fördert. Zunächst kann gerade in der Mediation die emotionale Belastung sehr hoch sein, sogar eine Eskalation steht zu befürchten, da jede Partei mit der Sichtweise und den Emotionen des Konfliktpartners konfrontiert wird.90 Dies gilt umso mehr bei Familienkonflikten und im Falle des drohenden Scheiterns der Mediation.91 Auf der anderen Seite sinkt die emotionale Belastung der Parteien, wenn sie die Mediation erfolgreich abschließen, so dass sie nach dieser wieder friedfertiger mit85

Noon, The corporate counsel’ s guide to mediation, S. 6 ff.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 86; Volkmann, Mediation im Zivilprozess, S. 4; Ayad, IDR 2005, S. 123 (125). Zur Vertraulichkeit siehe oben Kapitel A. I. 2. a) dd). 86 Zum Öffentlichkeitsgrundsatz im Strafprozess siehe Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner StPO, § 169 GVG, Rn. 1 ff.; zum Öffentlichkeitsgrundsatz im Zivilprozess siehe Hüßtege, in: Thomas/Putzo ZPO, § 169 GVG, Rn. 1 ff. 87 Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 86; Volkmann, Mediation im Zivilprozess, S. 4; Ayad, IDR 2005, S. 123 (125). 88 Zum Umgang mit Emotionen in der Mediation siehe ausführlich Montada/Kals, Mediation, S. 144 ff. 89 Montada/Kals, Mediation, S. 144 f. mit zahlreichen Argumenten, weshalb es wichtig ist, in der Mediation Emotionen zuzulassen. Letztlich dient dies der dann oft erst möglichen Sachlichkeit. 90 Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 215. 91 Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 215.

I. Pragmatische Dimension

119

einander umgehen können.92 Dieser Effekt emotionaler Katharsis kann auch schon in der Mediation positiv wirken. Die Auswertung der Daten des schon mehrfach in Ansatz gebrachten niedersächsischen Modellprojekts belegen deutlich, dass die emotionale Belastung der Parteien in der Mediation geringer ist als im Gerichtsverfahren.93 Zurückzuführen ist dies auf die erlebte Verfahrensfairness und Transparenz; der eigene Einfluss auf das Verfahren führt zu einem persönlichen Kontrollerlebnis, was sich nachweisbar stressreduzierend und gesundheitsfördernd auswirkt.94 Darüber hinaus ist es ein Faktum, dass Konflikte mit mehr oder weniger starker emotionaler Belastung der Parteien verbunden sind. Diese wie im Gerichtsverfahren grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, führt nicht dazu, dass sie nicht mehr da sind. Im Gegenteil kann ihre Berücksichtigung in der Mediation im Ergebnis die Dialogfähigkeit stärken und die emotionale Belastung verringern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Berücksichtigung von Emotionen für die Parteien zunächst eine hohe Belastung auslösen kann, diese sich aber im Ergebnis regelmäßig als Vorzug des Verfahrens erweist, der im besonderen Maße den nachhaltigen Frieden fördert. hh) Eigenverantwortlichkeit der Parteien und damit einhergehende Akzeptanz des interessenbasierten Ergebnisses Zwei entscheidende Metaziele der Mediation, die eng miteinander verknüpft sind, sind noch zu nennen: Erstens die Stärkung des Autonomiegedankens durch die die eigenverantwortliche95 und konsensuale Konfliktbearbeitung.96 Zweitens die damit einhergehende Akzeptanz des interessenbasierten Ergebnisses.97 Die Parteien, die das Ergebnis eigenverantwortlich auf Grundlage ihrer Interessen erarbeitet haben, zeigen oftmals eine besondere Bereitschaft, die getroffene Vereinbarung umzusetzen.98 Sie erleben gerade aufgrund der Selbstkontrolle im Sinne des Prinzips der 92

Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 215. Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 215. 94 Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 216. 95 Ausführlich zum Prinzip der Eigenverantwortlichkeit siehe oben Kapitel A. I .2. a) aa). 96 Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 85 f.; Die Stärkung des Autonomiegedankens sehen Krabbe/Fritz, ZKM 2009, S. 136 (136) als Metaziel der gerichtsinternen Mediation an. Siehe dazu auch Breidenbach/Gläßer, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Spektrum der Mediationsziele, Kon:sens 1999, S. 207 ff. 97 Moore, The Mediation Process, 1996, S. 309 f.; Lörcher/Lörcher, in: Handbuch Mediation, § 45, S. 1119 (1121), Rn. 5; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 89; Sander, in: Streitschlichtung, S. 19 (29); Eidenmüller, in: Konsensuale Streitbeilegung, S. 45 (50); Holznagel, in: Mediation für Juristen, S. 147 (159); Härtel, JZ 2005, 753 (756); Schillinger, Mediation im Verwaltungsverfahren, S. 41. 98 Moore, The Mediation Process, 2.1996, S. 309 f.; Lörcher/Lörcher, in: Handbuch Mediation, § 45, S. 1119 (1121), Rn. 5; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 89; Eidenmüller, in: Konsensuale Streitbeilegung, S. 45 (50); Holznagel, in: Mediation für Juristen, S. 147 (159); Härtel, JZ 2005, 753 (756); Schillinger, Mediation im Verwaltungsverfahren, S. 41. 93

120

B. Begründungsansätze der Mediation

Eigenverantwortlichkeit das Verfahren als gerechter und transparenter.99 So ist es ihnen möglich, die in der Mediationspraxis viel beschworene Win-Win-Lösung100 zu erarbeiten. Auch die niedersächsische Studie zur gerichtsnahen Mediation belegt, dass die Parteien wegen der selbstverantwortlichen Mitwirkung, der Zwanglosigkeit und dem als gerecht empfundenen Verfahren das Ergebnis akzeptieren und umsetzen.101 In eine ähnliche Richtung gehen die Ergebnisse einer niederländischen Studie, die herausstellt, dass die Erfüllungsmoral nach Gerichtsverfahren deutlich schlechter ist als nach der Mediation.102 Umgekehrt dazu verhält sich das Ende des Gerichtsprozesses, welcher in der Regel mit einem Urteil oder einem Vergleich endet. Ein Urteil ist eine am Gesetz orientierte, mit richterlicher Autorität einseitig gefällte Vorgabe, wie der Konflikt zu lösen ist. Auch ein Vergleich, also ein Kompromiss, bei dem sich die Parteien unter dem Druck des Richters einigen, ist häufig an rechtlichen Einschätzungen orientiert und nicht im gleichem Maße eigenverantwortlich erarbeitet. Die zumindest in der Mediation angestrebte Win-Win-Situation steht der im Gerichtsprozess produzierten Unterteilung in Sieger und Verlierer gegenüber.103 Festzuhalten ist, dass die eigenverantwortliche und konsensuale Regelung des Konfliktes erstens einen eigenständigen Vorteil für die Parteien darstellt. Zweitens führt es zu einer erhöhten Akzeptanz des Ergebnisses, was ebenfalls ein eigenständiger Vorzug ist. Drittens führt dies wiederum zu einer Förderung des übergeordneten Ziels des nachhaltigen Friedens. b) Empirische Erhebungen zu nachhaltigem Frieden durch Mediation Damit sind zahlreiche Elemente der Mediation in den Fokus gerückt, die als eigenständige Vorteile der Mediation erscheinen und zugleich dem übergeordneten Ziel des nachhaltigen Friedens als dienlich erscheinen. Abschließend ist zu fragen, ob es empirische Belege für die Nachhaltigkeit von Mediationsergebnissen gibt. Die 99

Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 216 in Bezug auf die Auswertung des niedersächsischen Modellprojekts; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 85 der zu Recht darauf hinweist, dass dies ein Vorteil gegenüber dem Gerichtsverfahren aber auch gegenüber dem bilateralen Verhandeln darstellt; Goldberg/Sander/Roger/Cole, Dispute Resolution, S. 153 f. 100 Zur Win-Win-Lösung: Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1217 (1224 und 1227 f.), Rn. 44 und Rn. 67; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 90; Hehn, in: Handbuch Mediation, § 8, S. 175 (188), Rn. 37 weist daraufhin, dass der Gedanke der „Win-Win-Lösung“ sich bereits in den ersten wissenschaftlichen Abhandlungen der Konfliktlösung findet. Vgl. dazu ferner Amy, The Politics of Environmental Mediation, S. 34 f.; Susskind/Cruikshank, Breaking the Impass, S. 76. 101 Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 214. 102 Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 84; Schmiedel, Mediation in den Niederlanden, in: Mediation, S. 329 (389). 103 Groß, in: Handbuch Mediation, § 50, S. 1217 (1229.), Rn. 78; vgl. auch Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 89 f.

I. Pragmatische Dimension

121

empirischen Erhebungen zu dieser Frage sind nach wie vor als dünn zu bezeichnen. Aussagekräftige und umfassende Ergebnisse bieten jedoch abermals die Studien zum niedersächsischen Modellprojekt. Dort wurden Parteien sechs Monate nach Abschluss des Mediationsverfahrens im Rahmen einer quantitativen Untersuchung nochmals zu dem von ihnen geführten Mediationsverfahren, der Umsetzung der vereinbarten Regelung und der Beziehung zur jeweils anderen Konfliktpartei befragt.104 Über 87 % der Befragten stuften das erarbeitete Ergebnis als fair oder sehr fair ein und 81,5 % hielten es für praktikabel.105 Entscheidend ist aber, dass sogar über 93 % bestätigten, dass keine weiteren problematischen Konflikte mit der anderen Seite auftraten.106 Die empirischen Untersuchungen zur Nachhaltigkeit werden fortzusetzen sein und langfristig auch Prüfstein für die freie Mediation sein müssen. Die Studie aus Niedersachsen gibt derzeit aber immerhin einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Mediation tatsächlich ein höchst geeignetes Verfahren zur nachhaltigen Befriedung zwischen den Parteien ist.

5. Schutz zwischenmenschlicher und wirtschaftlicher Beziehungen Aus nahezu allen bisher genannten Begründungsansätzen, insbesondere der nachhaltigen Befriedung, folgt ein weiterer Vorzug der Mediation. Sie fördert den Schutz zwischenmenschlicher und wirtschaftlicher Beziehungen.107 Langfristige Beziehungsebenen können bei Konfliktsituationen besser durch eine vertrauliche, konsensuale, umfassenden Konfliktberarbeitung und Konfliktregelung geschützt werden. Der nachhaltige Friede als übergeordnetes Ziel dient dabei eben diesem Schutz. Dies gilt für langjährige Geschäftsbeziehungen sowie familiäre, nachbarschaftliche oder sonstige persönliche Bindungen.

6. Fazit zur pragmatischen Begründungsdimension der Mediation Es konnte gezeigt werden, dass zahlreiche Vorteile und positive Wirkungen der Mediation durch den derzeitigen Stand der empirischen Forschung bestätigt sind. Die Entlastung der Justiz durch gerichtsnahe Mediation ist belegt. Dies stellt einen kollektivistischen Begründungsansatz der Mediation dar. Ein individualistischer Begründungsansatz ergibt sich aus der ökonomischen Betrachtung der Mediation. 104 Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, S. 213; Zenk/Strobel/Hupfeld/Böttger, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen, S. 156. 105 Zenk, MedS. 213; Zenk/Strobel/Hupfeld/Böttger, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen, S. 156. 106 Zenk, S. 213; Zenk/Strobel/Hupfeld/Böttger, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen, S. 156. 107 Noon, The Corporate Counsel’s guide to mediation, S. 8 f.; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 90.

122

B. Begründungsansätze der Mediation

Aus Parteisicht ergeben sich unter bestimmten Bedingungen ökonomische Vorteile, die über eine Reduktion der Verfahrenskosten hinausgehen. Zudem entfaltet die Mediation regelmäßig einen Beschleunigungseffekt gegenüber dem Gerichtsverfahren. Eine ernsthafte Begründung lässt sich allerdings lediglich aus der weiten ökonomischen Betrachtung der Mediation ableiten, nach der unter bestimmten Bedingungen eine Mediation aus dem Aspekt der Kosten-Nutzen-Maximierung als rational bewertet werden kann. Diese Begründung ist hilfreich, aber wie oben dargelegt nicht hinreichend, da sie nichts über die Gerechtigkeit des Interessenausgleichs, mithin über die Richtigkeit der Verfahrensergebnisse und des Verfahrens selbst über den ökonomischen Kontext hinaus auszusagen vermag. Als Vorteil der Mediation wird schließlich der nachhaltige Friede angeführt. Es konnte dargelegt werden, dass in der Mediation zahlreiche Elemente enthalten sind, die diesem übergeordneten Ziel dienlich sind. Auch die empirischen Studien sprechen zudem dafür, dass tatsächlich nachhaltiger Frieden zwischen den Medianten durch die Mediation gefördert wird. Die nachhaltige Befriedung ist ein Kriterium mit materiellem Gewicht und Richtigkeitsbezug. Es handelt sich um einen entscheidenden Vorteil der Mediation, aus dem jedoch noch keine umfassende Begründung oder Legitimation des Verfahrens abgeleitet werden kann. Dies gilt auch für die weiteren hier dargestellten Vorzüge, wie die umfassende Sachverhaltsbetrachtung, die Förderung der Überwindung rein strategischer Vorgehensweisen, der erweiterte Beteiligtenkreis, der informelle Rahmen, die Möglichkeit der umfassenden Regelung, die Vertraulichkeit des Verfahrens, die Berücksichtigung von Emotionen und die Stärkung des Autonomiegedankens durch die Eigenverantwortlichkeit sowie die größere Akzeptanz des selbsterarbeiteten interessenbasierten Ergebnisses. In der später in dieser Arbeit anvisierten diskurstheoretischen Analyse wird auf den nachhaltigen Frieden und auch auf andere der eben genannten Vorzüge oder Wesensmerkmale der Mediation zurückzukommen sein.

II. Gesetzliche Dimension Die Frage, ob Mediation aus dem Gesetz heraus legitimiert werden kann, ist für den deutschen Rechtsraum mit dem Mediationsgesetz beantwortet. Die wesentlichen Wesensmerkmale der Mediation, die Stellung des Mediators und die Grundsätze der Mediation sind dort gesetzlich festgehalten. Unabhängig von der Kontoverse, ob im Mediationsgesetz umfassendere Regelungen hätten getroffen werden sollen, kann mithin festgehalten werden, dass das Verfahren der Mediation nun unmittelbar gesetzlich legitimiert ist. Für die Mediation im Strafrecht, also den Täter-Opfer-Ausgleich, ist dies mit § 46 a StGB schon länger der Fall.108 Auf die Frage, ob sich Mediation auch mittelbar aus dem Gesetz legitimieren lässt, muss daher in dieser 108

Siehe dazu Fischer, StGB, § 46 a Rn. 1 ff.

II. Gesetzliche Dimension

123

Arbeit nicht mehr vertiefend eingegangen werden. Es sei nur angemerkt, dass für das Zivilrecht eine intrazivilprozessuale Rechtfertigung vor allem der gerichtsnahen Mediation über § 278 Abs. 5 ZPO analog denkbar ist.109 Verfassungsrechtlich ist die Mediation als eigenverantwortliche Konfliktregelung Ausdruck der Privatautonomie110 und damit des Schutzbereiches von Artikel 2 Abs. 1 GG. Diesem Gedanken folgend hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die eigenverantwortliche Konfliktlösung im Wege der Mediation auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich den Vorzug vor der richterlichen Entscheidung verdient.111 Die Legitimation der gesetzlichen Dimension umfasst damit die unmittelbare und mittelbare einfachgesetzliche Legitimation und die durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte verfassungsrechtliche Legitimation. Freilich ist eine solch positive und auch demokratische Legitimation112 begrüßenswert und weist einen außerordentlich hohen Stellenwert für die Legitimation der Mediation auf. Sie legitimiert die Mediation in einem deutlich höheren Maße, als dies bei der pragmatischen Dimension der Fall ist. Andererseits ist die gesetzliche Dimension im Gegensatz zur pragmatischen Dimension auf die Geltungsdauer und das Geltungsgebiet begrenzt. Mit Blick auf die globale Praxis und die Universalität des Mediationsverfahrens verlangt die Mediation jedoch nach einer umfassenderen Begründung. Die Mediationswissenschaft und Mediationspraxis muss daher nach einer überpositiven und universellen Legitimationsgrundlage fragen. Einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage zu leisten, ist Aufgabe der nun folgenden Kapitel.

109 Ausführlich dazu Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 379 ff.; eine damit zusammenhängende, hier nicht zu erörternde aber hochstrittige Frage ist, ob die richterliche Mediatorentätigkeit eine Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt ist oder eine Aufgabe der Gerichtsverwaltung darstellt. Siehe statt Vieler die ausführliche Darstellung bei Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 212 ff.; ferner Hartmann, in Handbuch Mediation, § 44 S. 1087 (1094 f.), Rn. 17 ff. 110 Vgl. zur Mediation und Privatautonomie Eidenmüller, in: Anwaltspraxis Mediation, § 2 Rn. 39; Vgl. Hess, in: Handbuch Mediation, § 43, S. 1053 (1056), Rn. 4. 111 BVerfG, Beschluss vom 14. 02. 2007 – 1351/01, NJW-RR 2007, S. 1073 (1074); siehe dazu oben in der Einleitung. 112 Einen interessanten Zusammenhang zwischen Mediation und Demokratie diskutiert Duss-von Werdt, Homo Mediator, S. 242 ff.

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses I. Einführung und Abgrenzung zu anderen Diskurstheorien Alexy hat in seiner „Theorie der juristischen Argumentation“ eine umfassende1, bedeutende2 und normative3 Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses entwickelt.4 Inspiriert ist Alexy durch zahlreiche Diskurstheoretiker und (Sprach-) Philosophen, von denen hier nur ausschnittsweise Habermas5, Perelman6, Witt-

1 Sie kann in zweierlei Hinsicht als umfassend bezeichnet werden. Erstens stellt Alexy einen umfangreichen Katalog von Diskursregeln auf (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 361 ff.). Zweitens setzt sich Alexy im Vorfeld seiner Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses mit anderen zentralen Diskurstheorien (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 51 ff.; eine Einteilung verschiedener Ansätze findet sich auf S. 224 ff.) umfassend auseinander. 2 Die fundamentale Tragweite der Alexyschen Diskurstheorie lässt sich anhand von drei Merkmalen zusammenfassen. Erstens wird auf ihrer Grundlage eine internationale Debatte geführt, was schon die zahlreichen Übersetzungen der „Theorie der juristischen Argumentation“ zeigen. Diese zählt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 17 Fn. 2 auf. Zweitens gibt es bis heute eine kontroverse Debatte über Alexys Diskurstheorie, die Bäcker in seiner Dissertation „Begründen und Entscheiden“ behandelt und die in diesem Kapitel nur teilweise angerissen werden können. Eine wichtige Rezensionen findet sich bei Rüßmann, in: Rechtstheorie 10 (1979), S. 110 – 120. Diese und weitere nennt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 17 Fn. 3. Zentrale Arbeiten zur Diskurstheorie sind: Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie (1998); Engländer, Diskurs als Rechtsquelle? (2002); Hain, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Der Staat 40 (2001), S. 193 ff.; Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz (1991). Drittens wird die nachhaltige Bedeutung der Alexyschen Diskurstheorie anhand der steten Weiterentwicklung dieser Theorie deutlich. Hinsichtlich der Weiterentwicklung, die Alexy selbst vornimmt, sei auf sein Werk ”Diskurstheorie und Menschenrechte” hingewiesen. Eine bedeutende Weiterentwicklung, die auch in dieser Arbeit umfangreich berücksichtigt wird, ist die Arbeit Bäckers, der sich in seinem Werk „Begründen und Entscheiden“ nicht nur umfassend mit den Einwänden gegen Alexys Diskurstheorie (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 57 ff.) auseinandersetzt, sondern auch einen alternativen Entwurf anbietet. Die Arbeit Bäckers ist nunmehr auch in einer zweiten Auflage erschienen (Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl.). 3 So explizit Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 225. 4 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 221 ff., insb. S. 233 ff. 5 Alexys Auseinandersetzung mit der Konsensustheorie der Wahrheit von Habermas, die sich der Begründbarkeit normativer Aussagen widmet, findet sich bei Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 134 ff. 6 Alexys Auseinandersetzung mit der Argumentationstheorie Perelmans findet sich bei Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 197 ff.

I. Einführung und Abgrenzung zu anderen Diskurstheorien

125

genstein und Austin genannt seien7. Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, eine Rekonstruktion der Alexyschen Diskurstheorie zu leisten, und auch nicht, eine umfassende Auseinandersetzung mit der Kritik dieser Theorie vorzunehmen. Beides hat Bäcker in „Begründen und Entscheiden“ bereits im Jahr 2007 geleistet. Dies soll nicht heißen, dass damit die Debatte um die Alexysche Diskurstheorie abgeschlossen ist.8 Ganz im Gegenteil erhebt auch diese Arbeit den Anspruch, einen Beitrag zur Diskurstheorie zu leisten. Dieser soll aber nicht primär in einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Kritik und Weiterentwicklung der Theorie als solcher liegen, wie sie Bäcker vorgenommen hat, sondern vielmehr in einer Übertragung der Diskurstheorie auf einen neuen Kontext – den der Mediation. Diese Arbeit sieht sich damit in der Tradition der Alexyschen Schule, will aber die dortigen Erkenntnisse auf das in dieser Hinsicht unbewirtschaftete Feld der Mediation säen, um so sowohl Früchte für die Mediation als auch die Diskurstheorie zu ernten. Ganz ohne eine Darstellung der Alexyschen Diskurstheorie kommt aber diese Arbeit freilich nicht aus. Somit geht es in diesem Kapitel um eine Nachzeichnung der Alexyschen Diskurstheorie unter Berücksichtigung der Weiterentwicklungen, die so kurz wie möglich und so umfassend wie notwendig ist. Auch die wesentliche Kritik darf nicht ausgespart werden, da die Diskurstheorie das Fundament des Legitimationsmodells für die Mediation darstellen soll. Die Diskurstheorie darf daher nicht vorbehaltlos übernommen werden. Zunächst ist ein Blick auf die denkbaren Grundunterscheidungen diskurstheoretischer Ansätze zu werfen. Diskurstheorien lassen sich in empirische, analytische und normative Diskurstheorien einteilen.9 Eine Diskurstheorie kann als empirisch bezeichnet werden, wenn sie tatsächlich stattfindende Diskurse beschreibt, wenn es etwa um die Beschreibung oder Erklärung geht, inwiefern eine Gruppe bestimmter Diskursteilnehmer eine spezifische Klasse von Argumenten benutzt oder bestimmte Argumente in oder außerhalb dieser Gruppe unterschiedliche Wirkung haben.10 Eine Diskustheorie ist analytisch, wenn sie die logische Struktur der im Diskurs vorgebrachten oder denkbaren Argumente analysiert.11 Eine Diskurstheorie kann nach Alexy als normativ bezeichnet werden, wenn „in ihr Kriterien für die Rationalität von Diskursen aufgestellt und begründet werden.“12 7 Weitere Theoretiker, auf denen Alexy aufbaut, finden sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 44 f. 8 Alexy selbst geht offenbar von einer dynamischen Weiterentwicklung seiner Theorie aus (vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 49). Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 17 f. betont im Jahr 2007, dass ein Abschluss noch nicht gefunden ist und seine Arbeit nur ein Schritt auf dem Weg zu einem solchen Abschluss ist. 9 Diese Einteilung wählt Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 224 f. 10 Vgl. die Beispiele bei Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 224. 11 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 224 f. 12 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 225.

126

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Eben diesen Versuch unternimmt Alexy in seiner Theorie des allgemein praktischen Diskurses. Kann gezeigt werden, dass Mediation ein Diskurs ist, in dem es darum geht, diese Kriterien zu erfüllen, so ließe sich von einem rationalen Diskurs in der Mediation sprechen und diese sich so legitimieren. Ausschlaggebend für die Wahl der Alexyschen Diskurstheorie ist jedoch, dass es nach Alexy im allgemeinen praktischen Diskurs notwendig um Richtigkeit13 geht. Kann dies auch für den Diskurs in der Mediation gezeigt werden, wäre ein Legitimationsmodell geschaffen, auf dessen Grundlage die Mediation in Wissenschaft und Praxis auf festem Boden stünde.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy Aufbauend auf der in der „Theorie der juristischen Argumentation“ dargelegten Diskurstheorie begründet Alexy in seiner Ausarbeitung „Diskurstheorie und Menschenrechte“ ausführlich die Diskursregeln.14 Dort unternimmt er den Versuch, in zwei Schritten die Menschenrechte diskurstheoretisch zu begründen. Der erste Schritt ist die Begründung der Regeln des allgemeinen praktischen Diskurses, der zweite, über diese die Menschenrechte zu begründen.15 Vorliegend ist der erste Schritt von Relevanz. Die Begründung Alexys bezieht sich nicht auf alle von ihm aufgestellten Diskursregeln, die er in einem Katalog als Abschluss seiner „Theorie der juristischen Argumentation“ zusammenfasst,16 sondern nur auf die wichtigsten17 dieser Regeln, die Alexy als Vernunftregeln18 bezeichnet.19 Alexy klassifiziert seine Begründung als „schwach transzendentalpragmatisch“20. Transzendental sind nach Alexy Argumente, „die mindestens aus zwei Prämissen bestehen. Die erste Prämisse identifiziert den Ausgangspunkt des Arguments (…) und behauptet von diesem Ausgangspunkt, dass er in irgendeinem Sinne notwendig sei.“21 Die zweite Prämisse sagt, dass bestimmte Regeln notwendig sind, „wenn der 13

(136).

Vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127

14 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 ff. Grundzüge finden sich in den früheren Werken Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 417 ff. sowie Alexy, Eine diskurstheoretische Konzeption der praktischen Vernunft, in: Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 11 (18 ff.). 15 So auch die Feststellung Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 53. 16 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 361 ff. 17 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (130). 18 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 361 f. 19 So auch die Auslegung bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 50. 20 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 420; Vgl. zum Begriff des transzendentalpragmatischen Arguments auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 51. 21 Alexy, Diskurstheorie und Menschenechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (133).

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

127

als Ausgangspunkt gewählte Gegenstand möglich sein soll“22. Entscheidend ist die Conclusio, nach der diese Regeln notwendig gelten.23 Die Begründung der Geltung der Diskursregeln ist jedoch, wie auch Alexy zugesteht24, nicht rein transzendental, sondern wird gestützt durch die „empirische Tatsache“ der Interessenexistenz.25 Alexys Argument zur universalen Geltung von Diskursregeln soll entsprechend dem eben Gesagten in zwei Teilen26, einem transzendentalpragmatischen Teil und einem empirischen Teil, dargestellt werden.27

1. Alexys transzendentalpragmatisches Argument Alexys transzendentalpragmatisches Argument kann in folgende Schritte unterteilt werden,28 die im Folgenden genauer zu betrachten sind: (TP 1) Behauptungen sind in einem bestimmten Sinne notwendig.29 (TP 2) Es gibt bestimmte „Regeln als notwendige Voraussetzung der Möglichkeit von Behauptungen“30. (TP 2.1) „Wer etwas behauptet, erhebt [notwendig, J.H.] einen Anspruch […] auf Richtigkeit.“31

22

Alexy, Diskurstheorie und Menschenechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (133). Alexy, Diskurstheorie und Menschenechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (133). 24 Daher spricht Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 53 von einer „schwach transzendental pragmatischen Begründung“. Zur Diskussion, ob überhaupt noch von einer transzendentalpragmatischen Begründung gesprochen werden kann siehe Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 52 f.; im Wesentlichen zustimmend Hilgendorf, Zur transzendentalpragmatischen Begründung von Diskursregeln, Rechtstheorie 26 (1995), S. 183 (198); Engländer, Zur begrifflichen Möglichkeit des Rechtspositivismus, Rechtstheorie 28 (1997), S. 437 (451); ablehnend Atienza, Las razones del derecho, S. 190. 25 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 420. 26 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (133) geht von drei Teilen aus. Der erste Teil ist der transzendental-pragmatische Teil. Dieser sei von einem utilitaristischen Argumentationsteil zu unterscheiden (Teil 2), der wiederum von einer empirischen Prämisse (3. Teil) unterstützt sei (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 53). 27 Die Darstellung ist an diejenige von Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 54 ff. angelehnt. 28 Der Aufbau des Arguments orientierte sich im Wesentlichen an Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 54 der jedoch bei seiner Rekonstruktion auf den fünften Schritt des Arguments (hier TP 2.5) verzichtet. 29 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (139) macht deutlich, dass dies die erste Prämisse des transzendentalpragmatischen Arguments ist; siehe auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 54. 30 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (134); siehe auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 54. 31 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (135). Dies ist das Kernstück der Alexyschen Begründung der Diskursregeln. 23

128

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

(TP 2.2) „Der Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit impliziert einen Anspruch auf Begründbarkeit.“32 (TP 2.3) „Der Anspruch auf Begründbarkeit impliziert eine prima-facie-Pflicht, das Behauptete auf Verlangen zu begründen.“33 (TP 2.4) „Mit Begründungen werden, jedenfalls was das Begründen als solches anbelangt, die Ansprüche auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität erhoben.“34 (TP 2.5) „Wer sein ganzes Leben lang keine Behauptung […] aufstellt und keine Begründungen gibt, nimmt nicht an der allgemeinsten Form des Menschen teil.“35

Damit sind auch die Regeln des Behauptens in einem bestimmten existentiellen Sinne notwendig.36 Alexy hat drei Regeln aufgestellt, um die unter TP 2.4 aufgeführten Ansprüche auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität im Diskurs zu erfassen.37 Sie lauten: (1) „Jeder, der sprechen kann, darf an Diskursen teilnehmen.“38 (2) (a) „Jeder darf jede Behauptung problematisieren.“39 (b) „Jeder darf jede Behauptung in den Diskurs einführen.“40 (c) „Jeder darf seine Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse äußern.“41 (3) „Kein Sprecher darf durch innerhalb oder außerhalb des Diskurses herrschenden Zwang daran gehindert werden, seine in (1) und (2) festgelegten Rechte wahrzunehmen.“42

Dies sind drei der oben angesprochenen Vernunftregeln.43 Sie bringen nach Alexy „auf der Ebene der Argumentation die liberalen Ideen der Universalität und Autonomie zum Ausdruck.“44 Wenn diese gelten, gilt nach Alexy auch folgende Bedingung:

32

Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (136). Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (137). 34 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (138). 35 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (139). 36 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 54; dieser bezieht sich auf Gril, die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 139 der zu einer solchen Konklusion kommt. Vgl. zur Existenzialität Alexy, Menschenrechte ohne Metaphysik?, DZPhil 2004, S. 15 ff. 37 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239. 38 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239 f. und S. 361 f. 39 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239 f. und S. 361 f. 40 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239 f. und S. 361 f. 41 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239 f. und S. 361 f. 42 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239 f. und S. 361 f. 43 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 238 ff. nennt noch eine weitere Regel, die er als allgemeinste Regel der Begründung bezeichnet. Sie lautet: „Jeder Sprecher muss das, was er behauptet, auf Verlangen begründen, es sei denn, er kann Gründe anführen, die es rechtfertigen, eine Begründung zu verweigern.“ 44 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (131). 33

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

129

„Eine Norm kann in einem Diskurs nur dann universelle Zustimmung finden, wenn die Konsequenzen ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen eines jeden Einzelnen von allen akzeptiert werden können.“45

Mit den obigen Schritten ist der transzendentalpragmatische Teil des Arguments Alexys abgeschlossen. Wie Alexy jedoch selbst erkennt, folgt aus diesem Argument die Geltung der soeben dargestellten Vernunftregeln nur in „faktisch begrenztem“ Maß.46 Derjenige, der einen idealen Standpunkt einnimmt, für den Richtigkeit ein positiver Wert ist, wer also überhaupt ein überwiegendes Interesse an Richtigkeit mitbringt, weiß damit, welche Regeln er im Diskurs zu befolgen hat.47 Nur diese Personen befolgen aufgrund des transzendentalpragmatischen Arguments auch die Vernunftregeln des Diskurses.48 Wer dieses Interesse aber nicht teilt, muss diese nicht aufgrund des transzendentalpragmatischen Arguments befolgen.49 Wie auch diese Sprecher zur Befolgung der Vernunftregeln gelangen, ist im Folgenden darzulegen.

2. Alexys empirisches Argument Alexy präsentiert eine Lösung, die Bäcker in drei Prämissen dargestellt hat und die er als empirisch-utilitaristisch bezeichnet.50 In dieser Arbeit sollen diese Begründungsschritte Alexys als empirisches Argument51 bezeichnet werden und aufbauend auf Bäckers Darstellung in folgenden vier Prämissen dargestellt werden: (E 1) Es gibt Menschen, die ein überwiegendes Interesse an Richtigkeit haben und daher auf die Beachtung der Vernunftregeln im Diskurs Wert legen.52

45

Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (131). Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (142); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 55, 47 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (141). 48 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (141 f.); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 55. 49 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 55; Gril, Alexys Version einer transzendentalpragmatischen Begründung der Diskursregeln im Unterschied zu Habermas, ARSP 83 (1997), S. 206 (208). 50 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56. 51 (E 1) und (E 3) sind empirische Existenzbehauptungen. (E 2) und (E 4) folgen pragmatisch aus (E 1) und (E 3). Da es bei (E 2) und (E 4) aber auch um die bloße Existenz solcher Handlungen geht und nicht um Argumente für solches Handeln, sind (E 2) und (E 4) ebenfalls empirisch und nicht utilitaristisch. 52 Vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (142); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56. 46

130

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

(E 2) Bei Nichtbeachtung dieser Regeln durch andere Diskursteilnehmer leisten diese erheblichen Widerstand.53 (E 3) Langfristig ist die zumindest zum Schein vorgegebene Beachtung der Diskursregeln kostengünstiger als offen gegen den Widerstand vorzugehen.54 (E 4) Langfristig wird daher jeder wenigstens vorgeben, die Diskursregeln einzuhalten.55

Durch die empirische Argumentation gelangt Alexy zur objektiven Geltung der Diskursregeln im Diskurs.56 Damit ist Alexys Begründung der Diskursregeln skizziert.

3. Kritische Betrachtung der einzelnen Begründungsschritte Bei der nun folgenden Betrachtung der einzelnen Begründungsschritte kann auf die umfangreiche Ausarbeitung Bäckers zurückgegriffen werden, der sich mit der bestehenden Kritik an Alexys Diskurstheorie auseinandersetzt und auch Modifikationen an der Alexyschen Theorie vornahm. Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit und auch für ihren wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn nicht dienlich, diese Diskussion in dieser Breite erneut zu führen. Es soll lediglich kurz auf die wichtigsten Eckpunkte eingegangen werden. Die Diskurstheorie kann nur dann ein Fundament für die Mediation darstellen, wenn sie für sich überzeugend ist. a) Kritische Betrachtung des transzendentalpragmatischen Arguments aa) Zu (TP 1) Notwendigkeit des Behauptens Alexys erste Prämisse lautet, dass in einem bestimmten Sinne Behauptungen notwendig seien. Zur Begründung dieser Prämisse verweist Alexy auf die „allgemeinste Form des Menschen“57, also (TP 5). Das Behaupten sei demnach wesens53 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56; Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (142 f.). 54 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56. 55 So auch die explizite Folgerung Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 56, der zu Recht darauf hinweist, dass das obige Schema nicht deduktiv ist. (E 4) folgt nicht aus (E 1) bis (E 3). Dies setzte zumindest die Prämisse voraus, dass jeder, der kein objektives Interesse an Richtigkeit hat, zumindest seinen Nutzen maximieren will. 56 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143); vgl. ferner Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 420; dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56; zur Frage, welche Prämissen erforderlich sind, um die Geltung der Diskursregeln im Bereich des Handelns zu begründen, vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (147 ff.). 57 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (139). Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 238 stellt daneben noch einen weiteren Begründungsversuch vor, in dem er anführt, dass praktische Diskurse ohne Behauptungen nicht möglich seien. Dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 58.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

131

typisch für den Menschen. Wer niemals Behauptungen aufstellt, verweigere sich der allgemeinen Lebensform der eigenen Spezies.58 Bäcker hat gezeigt, dass diese Prämisse verteidigt werden kann und führt dazu drei zusätzliche Schritte ein. Zusammengefasst zeigt er auf, dass es nicht auf das Bestehen der allgemeinsten Form des Menschseins ankommt, sondern auf die „faktische Notwendigkeit für den Menschen, sich irgendwann zu verständigen.“59 Dazu sei es notwendig, Behauptungen aufzustellen, Begründungen vorzunehmen und Fragen zuzulassen.60 Daraus folgt, dass zumindest zu bestimmten Zeitpunkten eben diese Handlungen gegenüber anderen Diskursteilnehmern vorgenommen werden.61 Wie Bäcker erkennt, meint genau dies Alexy mit der Einführung der allgemeinsten Lebensform des Menschen.62 Bäcker gesteht ein, dass es nicht bewiesen ist, dass Menschen sich ohne Behauptungen, Begründungen und Fragen nicht verständigen können.63 Diese Annahme scheint jedoch nahezu sicher64, weshalb die erste Prämisse des transzendentalen Arguments aufrecht erhalten werden kann. bb) Zu (TP 2) Regeln als notwendige Voraussetzungen der Möglichkeit von Behauptungen Alexys zweite Prämisse lautet: (TP 2) Es gibt bestimmte „Regeln als notwendige Voraussetzung der Möglichkeit von Behauptungen“65.

Zweifel darüber, dass irgendwelche Regeln notwendige Voraussetzung der Möglichkeit von Behauptungen sind, bestehen kaum66, weshalb diese Frage nicht 58 Vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 139. Habermas, Diskursethik, in: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, S. 53 (112) formuliert noch eine stärkere These, indem er die Verweigerung als „existentielle Sackgasse“ bezeichnet, die auf Dauer zum Suizid führe. Ähnlich auch Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, in: Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 358 (414). Zur Bewertung dieser Thesen siehe Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (139) und Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 58 f. 59 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 60. 60 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 61. 61 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 61. Damit widerlegt Bäcker den Alternativlosigkeitseinwand von Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 142 f., der für diese Untersuchung nicht weiter relevant ist. 62 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 42; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 61 Fn. 110. 63 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 64. 64 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 64 nennt sie „höchst plausibel“. 65 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (134); siehe auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 54. 66 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (134); wohl zustimmend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 64.

132

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

weiter erörtert werden muss. Die entscheidende Frage ist, welche Regeln dies sind.67 Alexy betont dabei, dass der Erfolg des transzendentalen Arguments davon abhängt, dass diese oben genannten Regeln notwendig gelten.68 Dies ist der Fall, wenn (TP 2.1) bis (TP 2.4) zutreffend sind. Dies ist Gegenstand der folgenden Abschnitte. (1) Zu (TP 2.1) Anspruch auf Richtigkeit Alexy geht davon aus, dass der Begriff des Behauptens den Anspruch auf Richtigkeit impliziere.69 Die Prämisse lautet daher: (TP 2.1) „Wer etwas behauptet, erhebt [notwendig, J.H.] einen Anspruch […] auf Richtigkeit.“70

Dies ist der besonders heftig umstrittene71 Kern der Alexyschen Diskurstheorie, der auch für diese Arbeit von enormer Bedeutung ist. Kann später gezeigt werden, dass es sich bei der Mediation um einen allgemein-praktischen Diskurs im Sinne der Alexyschen Diskurstheorie handelt, dann geht es auch in diesem notwendig um Richtigkeit, sofern die obige Prämisse zutrifft. Ist diese Prämisse unzutreffend, so würde das Fundament der Diskurstheorie zusammenbrechen und damit auch ein wesentlicher Teil des anvisierten Legitimationsmodells der Mediation. Daher ist dieser Frage in dieser Arbeit ein gewisser Raum einzuräumen. Die Untersuchung der obigen Prämisse lässt sich in zwei Aspekte aufteilen. Alexy geht von einer „Kernbedeutung des Ausdrucks Behauptung“72 aus, die dazu führt, dass derjenige, der eine Behauptung aufstellt, notwendig einen Anspruch auf Richtigkeit erhebt. Dies begründet Alexy über die Figur des performativen Widerspruchs. Dies ist der erste Aspekt, den es zu beleuchten gilt. Der zweite ist der Begriff des Anspruchs, der im Kontext der Alexyschen Diskurstheorie zu erklären ist.73

67 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (134); ab diesem Schritt geht Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 65, einen anderen Weg als Alexy und wirft Alexy „argumentative Unstimmigkeit“ vor. Nach Bäcker folgt „aus der Voraussetzung, dass Behauptungen nur möglich sind, wenn irgendwelche Regeln des Behauptens gelten“, dass eben nur irgendwelche Regeln des Behauptens gelten, nicht aber, dass bestimmte Regeln notwendig gelten. Ob die von Alexy favorisierten, also bestimmten, Regeln notwendig gelten, soll in dieser Arbeit anhand der einzelnen Regeln erörtert werden. 68 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (134 f.): „Es darf keine Alternative zu ihnen geben.“ 69 Vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (135). 70 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (135). Dies ist das Kernstück der Alexyschen Begründung der Diskursregeln. 71 Ausführlich dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 66 ff. 72 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (135). 73 Ähnlich auch die Darstellung bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 66 ff.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

133

(a) Performativer Widerspruch und Kernbedeutung des Begriffs der Behauptung Alexy versucht zu zeigen, dass, wer die obige Prämisse bestreitet, einem performativen Widerspruch74 unterliegt. Ein performativer Widerspruch liege vor, wenn der explizit gemachte Inhalt einer Aussage dem mit der Behauptung implizit Vorausgesetzten widerspricht.75Alexys Beispiel dazu lautet wie folgt: „Ich behaupte, dass es regnet, und betone dabei, dass dies falsch ist.“76

Nach Alexy unterliegt der Sprecher einem performativen Widerspruch. Das Argument des performativen Widerspruchs ist heftiger Kritik77 ausgesetzt. Einige bezeichnen die Argumentation mit dem performativen Widerspruch als zirkulär.78 Auch Grils Einwand geht im Ergebnis in eine ähnliche Richtung. Kern seiner Kritik ist, dass Alexy lediglich erkläre, was nach hergebrachten Konventionen unter dem Begriff der Behauptung verstanden wird.79 Es könne aber mit jeder beliebigen Regel ein performativer Selbstwiderspruch konstruiert werden. Jeder Sprecher könnte willkürliche Regeln festsetzen, was getan werden muss, wenn eine Behauptung vorgenommen wird. Ein anderer Sprecher, der diese Regel nicht befolgt, unterläge einem performativen Widerspruch, wenn er eine Behauptung bei gleichzeitiger Nichtbefolgung der aufgestellten Regel äußert.80 Bei Gril findet sich folgendes Beispiel: Jeder Sprecher könne die Regel aufstellen, dass sich derjenige, der etwas behaupten will, verbeugen muss. Ein anderer Sprecher, der sich nicht verbeugt, während er eine Behauptung äußert, müsste sich dann vorwerfen lassen, er unterliege einem performativen Widerspruch.81 Zutreffend erkennt Bäcker, dass der performative Widerspruch als Argument keinen Wert hat, wenn Alexy subjektiv eine Festsetzung der Sprache in Bezug auf den Begriff des Behauptens vornimmt.82 Genau in diesem Vorwurf lässt sich die

74 Ausführlich zum performativen Widerspruch Hilgendorf, Zur transzendentalpragmatischen Begründung von Diskursregeln, Rechtstheorie 26 (1995), S. 183 (193 – 196). 75 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 67. 76 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (136). 77 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 145; Engländer, Diskurs als Rechtsquelle?, S. 44 ff.; Hain, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 206; ferner Hilgendorf, Zur transzendentalpragmatischen Begründung von Diskursregeln, Rechtstheorie 26 (1995), S. 183 (196); eine instruktive Zusammenfassung der Kritik findet sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 69 ff. 78 Engländer, Diskurs als Rechtsquelle, S. 44 ff.; vgl. auch Hain, Diskurstheorie und Menschenrechte, Der Staat 40 (2001), S. 193 (206). 79 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 145. 80 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 53 ff. 81 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 54. 82 Die Unterscheidung Feststellung und Festsetzung findet sich in diesem Kontext bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 73.

134

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

soeben dargestellte Kritik zusammenfassen.83 Dann läge ein willkürlicher Akt vor und der Kern der Alexyschen Diskurstheorie, nämlich der notwendige Anspruch auf Richtigkeit, könnte nicht aufrechterhalten werden. Nimmt Alexy jedoch eine objektive Feststellung84 vor, in Bezug darauf, was unter dem Begriff des Behauptens notwendig zu verstehen ist, ist das Argument des performativen Widerspruchs verteidigt. Eine willkürliche Festsetzung wie in Grils Beispiel liegt nicht vor. Indem Gril dieses Beispiel Alexy entgegensetzt, verkennt er gerade, dass Alexy nicht eine absurde Verknüpfung mit dem Begriff des Behauptens vornimmt, sondern zumindest analysiert, was im allgemeinen Sprachgebrauch Gültigkeit besitzt.85 Damit liegt eine Feststellung und gerade keine willkürliche Festsetzung86 vor. Fraglich ist aber, ob der Begriff des Behauptens notwendig den Anspruch auf Richtigkeit beinhaltet, oder ob lediglich sprachliche (veränderbare) Konventionen festgestellt werden. Dies führt zur Frage, ob es notwendige Sprachregeln gibt.87 Nur wenn es notwendige Sprachregeln gibt, kann es auch eine „Kernbedeutung des Begriffs des Behauptens“ geben, wie von Alexy vertreten. Es können drei verschiedene Positionen umrissen werden.88 Die erste extreme Position lautet: (P 1) Es gibt keine notwendigen Sprachregeln, sondern lediglich sprachpragmatische Festsetzungen, Konventionen.89

Eine solche Position ließe sich Gril zuschreiben, wenn er Alexy vorwirft, dieser würde lediglich erklären, was unter dem Begriff des Behauptens nach allgemeinen Konventionen verstanden wird.90 Die dazu vertretene Gegenposition lautet: (P 2) Es gibt notwendige Sprachregeln. 83

Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 71. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 73. 85 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 73. 86 Zum gegenteiligen Ergebnis bezüglich der Alexyschen Diskurstheorie gelangt offenbar Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz, S. 216. 87 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 74. 88 Zu den Positionen Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 74 f. 89 Indes ist noch eine extreme Position denkbar. Diese würde jegliche Sprachregel als willkürlich bezeichnen. Eine solche stellt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 74 zur Diskussion. 90 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 74 geht indes zu weit, wenn er unterstellt, Gril würde von willkürlich festgelegten Sprachregeln ausgehen. Richtig ist, dass Gril die Existenz notwendiger Sprachregeln bestreitet. Zwischen notwendigen und willkürlichen Sprachregeln gibt es jedoch die Möglichkeit, auf konventionell hergebrachten Sprachregeln abzustellen, wie es Bäcker selbst vertritt. Es ist anzunehmen, dass auch Gril den konventionellen Sprachgebrauch nicht als willkürlich bezeichnet, nur weil er im Kontext des performativen Widerspruchs das oben genannte Extrembeispiel der Willkür anführt. 84

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

135

Ist diese Auffassung zutreffend, kann es auch eine Kernbedeutung des Begriffs des Behauptens geben und das Argument des performativen Widerspruchs aufrechterhalten werden. Dann folgt aus dem Behaupten notwendig ein Anspruch auf Richtigkeit. Nur wenn (P 2) zutrifft, kann die transzendentale Prämisse (2.1) und damit der Kern der Alexyschen Diskurstheorie verteidigt werden. Folgenden Versuch einer dritten, vermittelnden Position vertritt Bäcker: (P 3) „Es gibt relativ notwendige Sprachregeln.“91

Bäcker geht davon aus, dass es in der Praxis der Sprache Konventionen gibt, die irgendwann festgelegt wurden und die sich im Laufe der Zeit als richtig erwiesen haben.92 Diese Konventionen könnten empirisch festgestellt werden und solange gegen sie nicht argumentativ vorgegangen würde, gelten diese auch.93 Die Bedeutung eines Begriffs wird also relativiert auf die derzeitige Erkenntnis und Sprachpraxis. In Bezug auf diese bestehende Praxis seien es aber notwendige Regeln.94 So gelangt Bäcker zu dem auf den ersten Blick verwunderlichen Zusammenhang zwischen Relativität und Notwendigkeit.95 Das erste Argument gegen Bäckers Position lautet, dass er als verdeckte Prämisse die notwendige Argumentation einführt. Bäcker schreibt: „Diejenigen Sprachregeln, deren Geltung empirisch festgestellt werden kann, weisen solange notwendige Geltung auf, wie an ihnen nicht begründet gezweifelt werden kann.“96 Die Veränderbarkeit von Sprachregeln setzt also auch bei Bäcker Begründung, das heißt Argumentation notwendig voraus. Mit der Relativität der Sprachregeln behauptet Bäcker eben diese Veränderbarkeit von Sprachregeln. Dies steht im Widerspruch zu Bäckers Auffassung, die Sprachregel für Behauptung sei nicht schlechthin, sondern nur relativ notwendig. Wie oben gesehen, umschließt die Sprachregel für Behaupten einen Anspruch auf Richtigkeit. Wollte man also den Begriff des Behauptens ändern, und nach Bäcker ist dies notwendig möglich, müsste man Behauptungen mit einem Anspruch auf Richtigkeit aufstellen. Das heißt, man müsste mit einem Anspruch auf Richtigkeit den Anspruch auf Richtigkeit verneinen. Dies ist ein performativer Widerspruch. Bäcker stellt außerdem dar, dass Alexy schon selbst einräumt, dass Wahrheit und Richtigkeit notwendig „relativ auf eine Praxis“97 bezogen seien.98 Dies ist jedoch keine Relativierung, da Alexy hier lediglich behauptet, dass die von ihm als not91 92 93 94 95 96 97 98

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 75. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 75 f. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 76. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 75. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 75. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 76 (Hervorhebung eingefügt). Alexy, Recht und Richtigkeit, in: The Reasonable as Rational, S. 3 (12). Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 76.

136

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

wendig bezeichnete Sprachpraxis tatsächlich existiert. Es lassen sich zwei Argumente für Alexys These anführen. Erstens ist die Existenz einer Sprachpraxis, die falsch und richtig kennt, fundamentale Bedingung des Menschseins.99 Alexy führt aus: „Wir könnten zwar versuchen, die Kategorien der Wahrheit, der Richtigkeit und der Objektivität zu verabschieden. […] Der Preis wäre nicht nur hoch. Er bestünde in einem gewissen Sinne aus uns selbst.“100 Bäckers Gegenargument lautet, dies sei „düster“; Alexy nähere sich damit der von Habermas und Apel vertretenen „existenziellen Sackgasse“ und Selbstmordthese an.101 Die Behauptung, dies sei düster, trifft allerdings auch im Alexyschen Sinne zu. Daher ist Bäckers Einwand kein Gegenargument. Was könnte ein besseres Argument sein als der Verlust von Wahrheit und Richtigkeit und damit des Menschseins? Zweitens spricht Folgendes gegen Bäckers These: Bäcker geht von historisch gesetzten Sprachnormen aus. Ein kompetenter Sprecher darf sich nur innerhalb dieser Normen bewegen. Die Verbindung von Sprachpraxis und Sprachnormen ist schlechthin notwendig, während die von Sprachnormen zu alternativen Sprachnormen nach Bäcker relativ sei.102 Der Schwachpunkt dieser Sichtweise wird deutlich, wenn man den Fall betrachtet, in dem für eine bestimmte Situation noch keine Sprachnorm für einen kompetenten Sprecher existiert. In einem solchen Fall wäre der kompetente Sprecher völlig frei. Es wären also keine Argumente für die Festsetzung für die Sprache (etwa durch ein richterliches Urteil) möglich. Für diesen Fall müsste man sagen, dass es keine Rationalität, auch keinen Anspruch auf Richtigkeit, also auch keine Argumente geben kann. Bäcker müsste also konsequenterweise auch behaupten, dass ein Anspruch auf Richtigkeit selbst zumindest in solchen Fällen nicht nur relativ gilt, sondern nur willkürlich ist. Dadurch vertritt er genau das, was er zuvor an Gril kritisiert hat. Mit den genannten Argumenten ist mit Alexy an der Notwendigkeit von Richtigkeit über den Begriff des Behauptens festzuhalten und Bäckers Position zurückzuweisen. (b) Zum Begriff des Anspruchs Wesentlich unproblematischer ist die Klärung des Begriffs des Anspruchs im Rahmen der Diskurstheorie. In diesem Punkt ergibt sich auch keine nennenswerte Kritik. Mit Blick auf das Ziel der Arbeit ist vorliegend nur kurz dazulegen, was mit Anspruch im Rahmen der Alexyschen Diskurstheorie gemeint ist.103 99

Alexy, Recht und Richtigkeit, in: The Reasonable as Rational, S. 3 (12). Alexy, Recht und Richtigkeit, in: The Reasonable as Rational, S. 3 (12). 101 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 76. 102 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 77. 103 Ausführlich zum Begriff des Anspruchs Alexy, Recht und Richtigkeit, in: Festschrift Aarnio, S. 3 (4); dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 78 f. 100

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

137

Alexy unterscheidet zwischen persönlichen oder subjektiven Ansprüchen auf der einen Seite und objektiven oder offiziellen Ansprüchen auf der anderen Seite, die beide ausschließlich von Individuen mit Subjektsqualität104 erhoben werden können.105 Seine Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf das Erheben von Ansprüchen im juristischen Diskurs.106 Erstere seien Ansprüche, die eine Person erheben will, dies aber nicht muss.107 Mit objektiven Ansprüchen hingegen sind Ansprüche gemeint, die ein Teilnehmer im Rechtssystem als Teilnehmer notwendig erheben muss.108 Dies lässt sich auf den Kontext der Theorie des allgemein-praktischen Diskurses übertragen. Wer also an einem Diskurs teilnimmt, erhebt als Diskursteilnehmer notwendig einen objektiven Anspruch auf Richtigkeit.109 (2) Zu (TP 2.2) und (TP 2.3) Anspruch auf Begründbarkeit und Begründungspflicht Aus (TP 2.1) gehen nach Alexy (TP 2.2) und (TP 2.3) hervor. Sie lauten: (TP 2.2) „Der Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit impliziert einen Anspruch auf Begründbarkeit.“110 (TP 2.3) „Der Anspruch auf Begründbarkeit impliziert eine prima-facie-Pflicht, das Behauptete auf Verlangen zu begründen.“111

Hinsichtlich (TP 2.2) ist lediglich zu sagen, dass damit kein Anspruch auf gute Gründe, sondern ein Anspruch auf irgendwelche Gründe gemeint ist.112 Erst wenn überhaupt keine Gründe angeführt werden, ist eine Behauptung „notwendig fehlerhaft“113. Mit (TP 2.2) stellt Alexy klar, dass keine permanente Begründungspflicht besteht, sondern nur wenn eine Begründung verlangt wird.114 104

Vgl. Alexy, Recht und Richtigkeit, in: Festschrift Aarnio, S. 3 (4). Alexy, Recht und Richtigkeit, in: Festschrift Aarnio, S. 3 (4). 106 Alexy, Recht und Richtigkeit, in: Festschrift Aarnio, S. 3 (4). 107 Alexy, Recht und Richtigkeit, S. 3 (4). 108 Vgl. Alexy, Recht und Richtigkeit, S. 3 (4). 109 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 79. 110 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (136). 111 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (136). 112 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (137). 113 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (137). 114 Hain, Diskurstheorie und Menschenrechte, Der Staat 40 (2001), S. 193 (205) meint, dass eine Begründungspflicht nicht schon aus dem bloßen Erheben eines Anspruchs folge. Es sei eine zusätzliche Norm erforderlich, die dies vorschreibt. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 81 f. widerlegt diesen Einwand zutreffend: Es ist widersprüchlich im Sinne von (TP 2.1) einen Anspruch auf Begründbarkeit zu erheben und dann keine Begründung zu liefern. Gibt ein Sprecher an, dass er seine Aussage vor niemanden begründen werde, so erhebt schon keinen Anspruch auf Begründbarkeit. 105

138

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

(3) Zu (TP 2.4) Ansprüche auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität Schließlich ist auf Prämisse (TP 2.4), in der Alexy herausstellt, auf welche Weise eine Begründung im Diskurs notwendig zu erfolgen hat,115 einzugehen. Sie lautet: (TP 2.4) „Mit Begründungen werden, jedenfalls was das Begründen als solche anbelangt, die Ansprüche auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität erhoben.“116

Alexy spaltet seine Begründung hinsichtlich (TP 2.4) in drei Teile auf. Er nennt Aussagen, die den drei genannten Ansprüchen widersprechen und die nach Alexy fehlerhaft sind und damit die notwendige Richtigkeit der drei Postulate zeigen sollen.117 Für die Gleichberechtigung wird folgende Aussage angeführt: (TP 2.4.1) „Für mich ist der Grund G, den ich für meine Behauptung anführe, natürlich kein guter Grund; du solltest angesichts deiner geringen Intelligenz G aber als guten Grund für diese Behauptung akzeptieren.118

Das Postulat der Zwanglosigkeit begründet Alexy über die Fehlerhaftigkeit folgenden Satzes: (TP 2.4.2) „Wenn dich meine Gründe nicht überzeugen, wirst Du entlassen.“119

Das Postulat der Universalität folgt schließlich aus der Fehlerhaftigkeit folgenden Satzes: (TP 2.4.3) „Wenn wir A, B und C von unserer Diskussion ausschließen und deren Einwände vergessen, werden wir uns davon überzeugen können, dass der von mir angeführte Grund G ein guter Grund ist.“120

Die Begründungen von Alexy überzeugen auch ohne eine Spezifizierung Alexys, warum diese Aussagen fehlerhaft sind. Es handelt sich um performative Widersprüche, was am Beispiel von (TP 2.4.3) deutlich gemacht werden soll: Wer an Diskursen teilnimmt, erhebt, wie oben ausgearbeitet, notwendig einen Anspruch auf Richtigkeit im Diskurs. Damit setzt er auch implizit voraus, dass er nicht kategorisch und ohne Begründung von anderen Diskursteilnehmern angeführte Gründe aus dem Diskurs ausschließt. In dem obigen Satz widerspricht der Sprecher aber explizit diesem implizit Vorausgesetzten. Damit liegt ein performativer Widerspruch vor. Bisher hat sich Alexy nicht eindeutig zu dieser Frage geäußert, es

115

Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 83. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (138). 117 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (138); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 84. 118 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (137). 119 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (138). 120 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (138). 116

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

139

spricht jedoch Einiges dafür, dass auch er von performativen Widersprüchen ausgeht.121 Zu (TP 2.4.) soll lediglich auf zwei Einwände122, die wesentlich sind, kurz eingegangen werden. Der erste Einwand könnte lauten, dass Begründen, anders als in der von Alexy dargebrachten Argumentation, nicht notwendig auf einer kommunikativen Ebene stattfindet.123 Dieser Einwand kann mit Alexy über den „Respekt vor der Autonomie“124 des einzelnen Diskursteilnehmers ausgeräumt werden. Von großer Bedeutung auch für die spätere Übertragung auf die Mediation ist Alexys genauere Ausführung dieses Einwands. Diese gelingt über zwei Stufen: Erstens ist die auf Argumenten beruhende, das heißt kommunikative „Interesseninterpretation, -gewichtung und -modifikation“125 notwendig, will man einen richtigen und deshalb gerechten Interessenausgleich.126 Zweitens ist es für diese Ziele notwendig, den anderen Diskurspartnern im Diskurs respektvoll entgegenzutreten.127 Damit ist die notwendig kommunikative Struktur des Begründens hinreichend verteidigt.128 Der zweite Einwand geht zum Teil konkreter auf die einzelnen Postulate Alexys ein. Engländer behauptet erstens, dass es auch andere Wege der Begründung gebe, die gerade nicht mit den Alexyschen Postulaten vereinbar seien. So könnte ein Begründungsmodell lauten, dass der jeweilige Sprecher anführt, er verfüge über „einen privilegierten Zugang zur Wahrheit“129, weshalb sein Standpunkt richtig sei. Dies widerspräche den Ansprüchen auf Gleichberechtigung und Universalität.130 Zweitens wehrt sich Engländer gegen die von Alexy angenommene „Kernbedeutung des Begriffes Behaupten“ und bezeichnet diese als nicht transzendental, 121 Legt man Alexys Verständnis vom performativen Widerspruch zu Grunde, so ist davon auszugehen, dass er auch bei den drei obigen Aussagen von performativen Widersprüchen ausgeht, auch wenn er dies nicht explizit macht (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 84 Fn. 226). 122 Die Darstellung der Einwände baut dabei auf Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 85 ff. auf. 123 So der Einwand von Tugendhat, Zur Entwicklung von moralischen Begründungsstrukturen im modernen Recht, in: Argumentation und Recht, S. 1 (6) nach dem nicht „Alles Begründen wesensmäßig kommunikativ ist“. Es ist davon auszugehen, dass er damit „nicht notwendig kommunikativ“ im oben beschriebenen Sinn meint. 124 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 407 f. 125 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 410. 126 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 410. 127 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 410, spricht von „ernst nehmen“. 128 Vgl. zu einem ähnlichen Einwand Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 145 f., der Alexy eine fehlende Begründung für (TP 2.4) vorwirft. Dieser Einwand ist mit dem oben Gesagten beseitigt. Weiterführend zu Grils Einwand und der notwendig dialogischen Struktur von Diskursen siehe Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 85 ff. 129 Engländer, Diskurs als Rechtsquelle, S. 56. 130 Engländer, Diskurs als Rechtsquelle, S. 56.

140

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

sondern sieht diesen allenfalls als Explikation dessen an, was sich als „historisch kontingente Regeln des Behauptens“131 etabliert hätten. Überraschend ist, dass Bäcker dieses Vorbringen Engländers nennt, sich aber zunächst nicht weiter damit auseinandersetzt132 und erst als Einwand gegen das Universalitätspostulat Alexys erörtert. Immerhin steht die Vorstellung Engländers (historisch kontingente Regeln) doch dem von ihm favorisierten Bezug relativ auf die bestehende Sprachpraxis sehr nah.133 Die Nähe zwischen Bäcker und Engländer ist aber vielmehr im kritischen Verhältnis gegenüber (TP 2.1), also der Frage nach der Kernbedeutung des Begriffs Behauptens zu sehen. Beide geben die hier und von Alexy vertretene transzendentale Dimension auf und beschränken sich auf Feststellungen der gegenwärtigen Sprachpraxis. Dieser Problemkreis ist in dieser Arbeit bereits oben abschließend behandelt und dargelegt worden, weshalb der von Bäcker vorgeschlagene Bezug relativ auf Sprachpraxis abzulehnen ist.134 Daher muss es nun darum gehen, sich dem ersten Einwand Engländers – dem Einwand „der privilegierten Erkenntnis“ – zu stellen. Dieser lässt sich vor allem als Kritik von (TP 2.4) verstehen.135 Wer meint, er verfüge über einen gegenüber Anderen, in irgendeiner Form höherwertigen Zugang zur Wahrheit, kommt ohne Begründungen in der Sache aus und kann auf dieser Basis auch im Diskurs auf die von Alexy postulierten Ansprüche der Gleichberechtigung und Universalität verzichten. Er könnte genau die von Alexy als fehlerhaft bezeichneten Sätze wie (TP 2.4.1) in den Diskurs einbringen. Bäcker spitzt diese Überlegungen zu, indem er ausführt, dass eine solche Person auch ganz auf Verständigung verzichten könnte,136 was voraussetzte, dass diese eine gegenüber allen anderen Menschen privilegierte Erkenntnis annimmt. Der Einwand Engländers ist ein sehr schwacher Einwand. Erstens gibt es nur wenige, die sich auf eine privilegierte, für Andere unüberprüfbare Erkenntnismöglichkeit berufen, zweitens würden sie, worauf noch im Rahmen des empirischen Arguments zurückzukommen sein wird, mit einer solchen Position auf Widerstand stoßen. Engländer scheint selbst

131

Engländer, Diskurs als Rechtsquelle, S. 55. Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 88 f., der auch nicht deutlich zwischen diesen beiden Einwänden Engländers unterscheidet. 133 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 90. 134 Siehe oben Kapitel C. II. 3. a) bb) (1) (a). 135 Er lässt sich auch als Kritik von (TP 2.3) auffassen. Nach (TP 2.3) besteht eine prima facie-Pflicht, das Behauptete auf Verlangen zu begründen. Derjenige, der einen privilegierten Zugang zur Wahrheit von sich behauptet, wird schlicht auf dieses Privileg verweisen (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 89). Aber auch dieser Verweis auf „Autoritäten und Offenbarungen“ ist eine Begründung im Sinne von (TP 2.3). (Anführungen aus Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (137)). Für (TP 2.3) reichen irgendwelche Gründe aus, es müssen keine Guten sein. Somit ist ein Einwand gegen (TP 2.3) entkräftet. All dies erkennt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 89. 136 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 89. 132

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

141

kritisch zu einem Modell der privilegierten Erkenntnis zu stehen137 und auch Bäcker betont zu Recht, dass wohl heute niemand ernsthaft ein solches Modell verteidigen will.138 cc) Ergebnis der Betrachtung des transzendentalpragmatischen Arguments Mit der vorangegangenen Darstellung konnte das transzendentalpragmatische Argument Alexys verteidigt werden. Es wurde gezeigt, dass, wer ihm widerspricht, entweder eine transzendentalpragmatische Prämisse nicht berücksichtigt (TP 5) oder einen performativen Widerspruch begeht. b) Kritische Betrachtung des empirischen Arguments Die Betrachtung des empirischen Arguments Alexys kann kürzer ausfallen. Anders als beim transzendentalpragmatischen Argument gibt es nicht nur weniger Kritik, auch ist der Erhalt der idealen Dimension nicht von diesem Teil des Arguments abhängig. aa) Betrachtung der empirischen Prämissen (E1) und (E 2) Die ersten beiden empirischen Prämissen (E1) und (E2)139 lauten wie folgt: (E 1) Es gibt Menschen, die ein überwiegendes Interesse an Richtigkeit haben und daher auf die Beachtung der Vernunftregeln im Diskurs Wert legen.140 (E 2) Bei Nichtbeachtung dieser Regeln durch andere Diskursteilnehmer leisten diese erheblichen Widerstand.141

(E 1) enthält genau genommen zwei Prämissen. Danach gibt es erstens Menschen mit einem überwiegenden Interesse an Richtigkeit. Zweitens würden diese auf die Einhaltung der Vernunftregeln142 im Diskurs Wert legen. In (E 2) wird behauptet, dass diese Menschen erheblichen Widerstand leisteten, würden die Vernunftregeln von anderen Diskursteilnehmern verletzt.

137 Vgl. Engländer, Zur begrifflichen Möglichkeit des Rechtspositivismus, Rechtstheorie 28 (1997), S. 437 (452). 138 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 89. 139 (E 1) und (E 2) werden von Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 55 f., S. 93 in einem Schritt (U 1) zusammengefasst. 140 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56; vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (142). 141 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56; vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (142 f.). 142 Zu den Vernunftregeln siehe oben Kapitel C. II. 1.

142

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Es lassen sich vier Einwände unterscheiden. Der erste Einwand soll Dauerhaftigkeitseinwand genannt werden. Er betrifft die Frage, ob es dauerhaft Menschen mit einem Interesse an Richtigkeit gibt.143 Wäre dies nicht der Fall, verlöre die Diskurstheorie ihre zeitlose Geltungskraft und ihre Geltung endete in dem Zeitpunkt, in dem es keine Menschen mehr mit einem überwiegenden Interesse an Richtigkeit gäbe. Der zweite Einwand betrifft die Frage, ob ein Verstoß gegen die Vernunftregeln überhaupt von denjenigen Diskursteilnehmern, die ein Interesse an Richtigkeit haben, bemerkt würde.144 Er soll als Erkennbarkeitseinwand bezeichnet werden. Der dritte Einwand stammt von Alexy selbst und betrifft die Frage, ob es eine hinreichend große Zahl von Menschen mit einem Interesse an Richtigkeit gibt.145 Wäre dies nicht der Fall, so könnte es für den Nutzenmaximierer, der den Diskurs strategisch und nicht auf Richtigkeit gerichtet führen will, günstiger sein, entgegen von (E 2) keinen Widerstand gegen die Gruppe der an Richtigkeit Interessierten zu leisten, da diese zu klein und folglich zu schwach ist, auf die Einhaltung der Diskusregeln effizient hinzuwirken.146 Ihr Interesse an Richtigkeit wäre für den Nutzenmaximierer unerheblich, weshalb dieser Einwand als Unerheblichkeitseinwand bezeichnet werden soll. (1) Dauerhaftigkeitseinwand Die Frage, ob es dauerhaft, also auch in Zukunft Menschen mit einem Interesse an Richtigkeit gibt, ist bedeutsam, da die Diskurstheorie im Falle einer verneinenden Antwort um ihren zeitlosen Charakter147 entreichert würde. Der Nutzenmaximierer ohne Interesse an Richtigkeit könnte in einer hypothetischen Zukunft, in der es keine Menschen mehr mit einem Interesse an Richtigkeit gibt, diese qua ihrer Nichtexistenz aus seinem Kosten-Nutzen-Kalkül streichen.148 Was in der Zukunft sein wird, lässt sich nicht empirisch ermitteln.149 143

Dieser Einwand stammt von Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 149; auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 94 behandelt diesen Einwand, nennt ihn aber Zukunftseinwand. 144 Dieser Einwand wurde erstmals in ähnlicher Form von Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 149 vorgebacht. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 95 orientiert sich an Grils Terminologie und bezeichnet diesen als Wahrscheinlichkeitseinwand. 145 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 422 f. 146 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 422 f.; vgl. auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 96 f. 147 Dies wird übersehen von Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 94, der diesem Einwand (bei ihm Zukunftseinwand) eine untergeordnete Rolle beimisst. 148 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 149; dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 94. 149 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 94.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

143

Es ist jedoch plausibel, dass der Nutzenmaximierer sich darüber Gedanken macht, ob eine solche Zukunft wahrscheinlich ist.150 Es ist gerade das Wesen des Nutzenmaximierers, Zukunftsszenarien mit Blick auf den eigenen Vorteil zu entwerfen. Wird er dazu kommen, dass eine solche Zukunft unwahrscheinlich ist, wird er auch den Widerstand der an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmer in sein Kalkül aufnehmen. Dann wäre der Dauerhaftigkeitseinwand entkräftet. Wird er jedoch davon ausgehen, dass es in einer nahen Zukunft niemanden mehr gibt, der an Richtigkeit interessiert ist, könnte er dazu übergehen, den Diskurs offen strategisch zu führen, ohne ein Interesse an Richtigkeit auch nur vorzugeben. In diesem Fall würde der Dauerhaftigkeitseinwand das empirische Argument Alexys zu Fall bringen. Also ist es relevant, diese Frage zu erörtern. Ein äußerst fruchtbarer Ansatz ist die von Bäcker vorgenommene Übertragung des Perelmanschen Beharrungsprinzips.151 „Le fait présume le droit – die Gegebenheit besitzt die Rechtsvermutung“152 ist die Kernaussage dieses Prinzips für den rechtlichen Kontext. Diese Rechtsvermutung kann nur durch Gegenbeweis widerlegt werden.153 Überträgt man dies auf die hier zu erörternde Frage, besteht eine Vermutung dafür, dass es auch in Zukunft, mithin dauerhaft, Menschen mit einem Interesse an Richtigkeit gibt. Dies wird auch der Nutzenmaximierer annehmen, solange sich ihm keine Beweise für eine Änderung der Tatsachenlage bieten. Da solche Beweise nicht geführt werden können, ist der Dauerhaftigkeitseinwand abgewehrt.154 Dies ist auch kein Sein-SollensSchluss, da es nicht um die Frage geht, ob es künftig Menschen ohne Interesse an Richtigkeit geben soll, sondern ob es sie geben wird. (2) Erkennbarkeitseinwand Der Erkennbarkeitseinwand betrifft die Frage, ob die an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmer einen Verstoß gegen die Vernunftregeln durch andere Diskursteilnehmer überhaupt bemerkten.155 Damit wird die Prämisse (E 2) angegriffen, nach der eben jene an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmer Widerstand gegen derartige Verstöße leisteten. Wie sollen sie aber Widerstand leisten, wenn sie den Verstoß gar nicht als solchen identifizieren können? Dieser ursprünglich von Gril156 vorgebrachte Einwand kann nicht ohne einen Vorgriff auf Alexys Unterscheidung zwischen idealem und realem Diskurs entkräftet 150 151 152

(92). 153

(92). 154

Diese Frage lässt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 94 offen. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 94 f. Perelman, Fünf Vorlesungen über die Gerechtigkeit, in: Über die Gerechtigkeit, S. 85 Perelman, Fünf Vorlesungen über die Gerechtigkeit, in: Über die Gerechtigkeit, S. 85

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 95. Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 149. 156 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 149; dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 95 der von Wahrscheinlichkeitseinwand spricht. 155

144

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

werden. Mit dieser Unterscheidung ist es jedoch leicht, dem Erkennbarkeitseinwand zu begegnen. Die Vernunftregeln des Diskurses werden in realen Diskursen regelmäßig verletzt, was auch Alexy nicht bestreiten würde. Diese Regeln stellen ein Ideal dar, das im tatsächlichen Diskurs durch bestimmte Vorkehrungen nur näherungsweise, nie aber vollkommen erreicht werden kann.157 Mit (E 1) ist für die reale Ebene mithin nicht die in jedem Fall gewährleistete Einhaltung der Vernunftregeln des Diskurses158 gemeint, sondern nur der Anspruch, diese Regeln möglichst optimal zu verwirklichen.159 Sie stellen ein Ideal dar. Berücksichtigt man diese Unterscheidung zwischen idealem und realem Diskurs, muss der Einwand umformuliert werden: Es wäre zu fragen, wie die an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmer Widerstand leisten sollen, wenn sie nicht erkennen, dass andere Diskursteilnehmer nicht einmal den Anspruch erheben, die Vernunftregeln, die die Ansprüche auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität normieren, zu verwirklichen.160 Diese Frage stellt sich aber nicht mehr als Erkennbarkeitseinwand, da ein Diskursteilnehmer, der nicht einmal den Anspruch auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität erhebt, auf jeden Fall von einem an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmer entlarvt würde. Dieser an Richtigkeit Interessierte könnte dann Widerstand leisten wie in (E 2) beschrieben. Nur kleinere Verstöße würden eventuell im realen Diskurs nicht bemerkt werden. Die völlige Missachtung des Ideals in Form der eben genannten Ansprüche aber ist ein evidenter Verstoß und Evidenzen fallen auf.161 Der Erkennbarkeitseinwand ist damit beseitigt. (3) Unerheblichkeitseinwand Der dritte Einwand problematisiert die Situation, in der die Anzahl der an Richtigkeit interessierten Menschen so gering ist, dass diese für den Nutzenmaximierer eine nur schwache Gruppe darstellen. Es könnte in einer solchen Situation für den Nutzenmaximierer günstiger sein, den an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmern offen entgegenzutreten und nicht im Sinne von (E 3) zumindest vorzugeben, einen Anspruch auf Richtigkeit zu erheben.162 Weder Alexy noch Bäcker räumen diesen Einwand aus. Alexy vermag es, den Einwand zumindest ein Stück 157

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 241. Zur hier nicht weiter relevanten Frage betreffend eines Verstoßes gegen die Argumentationslastregeln vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 96. 159 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 95 und ausführlich S. 97 f., wo Bäcker auch eine leichte Abänderung von (E 1) wohl eher zur Klarstellung des oben Gesagten vornimmt. Auf diese Abänderung kann hier verzichtet werden. 160 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 95. 161 Abgeschwächter geht Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 96 f. davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Bemerken „zumindest sehr hoch, wenn nicht gewiss“ sei. 162 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 422 f.; vgl. auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 96 f., der von Geringfügigkeitseinwand spricht und von Ähnlichkeiten mit dem Wahrscheinlichkeitseinwand (hier Erkennbarkeitseinwand) ausgeht. 158

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

145

weit abzuschwächen. Er betont, dass es ausreiche, wenn der Nutzenmaximierer von einer hinreichend großen Gruppe von an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmern ausgehe, es müsse aber nicht tatsächlich eine derart große Gruppe bestehen.163 Wie lange gehen die Nutzenmaximierer von dieser Situation aus? Bäcker versucht nicht, dem Einwand etwas entgegenzusetzen, sondern „notiert“ lediglich ein Abschwächen der Voraussetzungen des Alexyschen Arguments mit dem Hinweis darauf, dass es sich um eine empirische Frage handle, „über die sich streiten“ ließe.164 Dies verwundert in mehrfacher Hinsicht. Erstens handelt es sich eben um empirische Prämissen und auch die anderen beiden Einwände kreisen um Empirie und konnten dennoch ohne empirische Erhebungen geschwächt oder gänzlich entkräftet werden165, wie die bisherige Darstellung und auch die Arbeit Bäckers gezeigt hat. Zweitens liegt eine Entkräftung dieses Einwands, die Bäcker in anderem Kontext erkannt hat, relativ nah. Auch hier kann das Perelmansche Beharrungsprinzip166 fruchtbar gemacht werden. Der Nutzenmaximierer geht aufgrund einer hinreichend großen Gruppe von an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmern derzeit davon aus, dass es nicht kostengünstig ist, gegen diese vorzugehen, und erhebt daher (mindestens zum Schein) einen Anspruch auf Richtigkeit im Diskurs. Ähnlich wie bei der Entkräftung des Dauerhaftigkeitseinwands spricht auch hier eine allgemeine Vermutung des Gegebenseins dafür, dass es auch künftig eine hinreichend große Anzahl geben wird, solange keine guten Gründe für das Gegenteil vorgebracht werden. Solche sind nicht ersichtlich. Davon muss auch der Nutzenmaximierer ausgehen. Es ist also nicht absehbar, dass der Nutzenmaximierer künftig von einer zu vernachlässigenden, schwindend kleinen Gruppe von an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmern ausgeht. Freilich beseitigt die Vermutung des Gegebenseins den Unerheblichkeitseinwand nicht vollständig und es bleibt eine, allerdings erträgliche Instabilität.167 Diese Restinstabilität wohnt dem an Richtigkeit orientierten System inne und entfaltet eine Appellwirkung an diejenigen tatsächlichen Diskursteilnehmer, die ein echtes Interesse an Richtigkeit haben. Sie wissen, dass dieses Interesse nicht von allen ernsthaft geteilt wird und dass sie sich für die Stärkung ihres Richtigkeitsinteresses einsetzen müssen. Im Kontext des an Richtigkeit orientierten demokratischen Verfassungsstaates findet diese Erkenntnis im folgenden berühmten Satz Böckenfördes Ausdruck: „Der

163

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 423. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 97. 165 So konnte Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 94 ff. dem Dauerhaftigkeitseinwand (bei ihm Zukunftseinwand) und dem Erkennbarkeitseinwand (bei ihm Wahrscheinlichkeitseinwand) überzeugend begegnen. 166 Siehe oben Kapitel C. II. 3. b) aa) (1). 167 Größere Bedenken äußert offenbar Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 423, der auch von einer „instabilen Bedingung“ spricht. 164

146

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

[…] Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“168. Aufgefordert ist daher der freie Bürger, Demokratie mit Leben zu füllen und zu verteidigen. Dieser Appell lässt sich übertragen auf alle tatsächlichen Diskurse, eben gerade aufgrund der oben beschriebenen Unsicherheit. Der Appell richtet sich an alle an Richtigkeit orientierten Diskursteilnehmer: Das Gelingen des tatsächlichen Diskurses (zur Annäherung an den idealen Diskurs169) ist von den an Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmern abhängig. Damit ist nicht eine bestimmte Position gemeint, die für richtig gehalten wird, sondern generell die Position, Diskurse mit einem Anspruch auf Richtigkeit zu führen. Dieser Appell entspringt der nicht zu vermeidenden Unsicherheit des Unerheblichkeitseinwandes. bb) Betrachtung der empirischen Prämisse (E 3) und (E 4) Die empirischen Prämissen (E 3) und (E 4) in Alexys Argument170 lauten: (E 3) Langfristig ist die zumindest zum Schein vorgegebene Beachtung der Diskursregeln kostengünstiger, als offen gegen den Widerstand vorzugehen.171 (E 4) Langfristig wird daher jeder wenigstens vorgeben, die Diskursregeln einzuhalten.172

Im Folgenden soll möglichst kurz und aufbauend auf die Erkenntnisse Alexys und Bäckers173 gezeigt werden, dass die verschiedenen, im Wesentlichen von Gril eingebrachten Einwände entkräftet werden können. Gegen (E 3) lassen sich vier Einwände unterscheiden, die alle geltend machen, dass es eben nicht für jeden kostengünstiger sei, vorzugeben, die Diskursregel zu beachten.174 (1) Alleinherrschereinwand Kern des Alleinherrschereinwandes175 ist, dass es für einen solchen kostengünstiger sein könnte, mit Gewalt sein Herrschaftsinteresse durchzusetzen und

168 Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Recht, Staat, Freiheit, S. 92 (112). 169 Zum Verhältnis zwischen realen und idealen Diskurs siehe sogleich Kapitel C. III. 170 Warum diese Prämissen den „Kern“ des empirischen Arguments darstellen sollen, wie es Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 98 formuliert, ist nicht ersichtlich. Vielmehr stehen die Prämissen gleichwertig nebeneinander. 171 Vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56. 172 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56. 173 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 98 ff. 174 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 98. 175 Die treffende Umschreibung stammt von Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 98.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

147

folglich auf Diskurse gänzlich, jedenfalls aber auf Beachtung der Vernunftregeln des Diskurses, zu verzichten.176 Dieser Einwand geht fehl, wie Alexy bereits mit einer historischen Betrachtung zeigt. Auch Diktatoren bemühen sich um argumentative Legitimation ihrer Herrschaft, da sie davon ausgehen müssen, dass es eine gewisse Anzahl an Untertanen mit einem Interesse an Richtigkeit gibt.177 Dabei ist auch für Alexy selbstverständlich, dass diese argumentative Grundlage in der Regel äußerst schlecht und propagandistisch ist.178 Entscheidend ist aber, dass überhaupt argumentiert wird. Alexy bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt, dass „die Maximierung des individuellen Nutzens […] in die Argumentation und damit in den Bereich der Diskursregeln“ führt.179 Zumindest zum Anschein wird auch der in Wahrheit menschenverachtende Despot gegenüber seinem Volk argumentieren, also Behauptungen im Sinne von (TP 2.1) aufstellen. Dies führt über das transzendentalpragmatische Argument, wie oben ausführlich begründet, dazu, dass ganz im Sinne von (TP 2.4) der Anspruch auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität gegenüber den Untertanen erhoben wird. Damit wird zumindest die Beachtung der wesentlichen Diskursregeln vorgegeben.180 Damit ist der Alleinherrschaftseinwand zu Fall gebracht. Es bleibt aber die Gefahr, dass auf der argumentativen Ebene irrationale und menschenverachtende Argumentationslinien geführt werden, jedoch ist auch deutlich, dass das diskursive Verfahren „die beste, wenn nicht die einzige, Möglichkeit [ist], die Gefahr irrationaler Entscheidungen möglichst gering zu halten“181. (2) Beherrschendeneinwand Dazu kommt ein von Alexy dargestellter Fall, in dem eine Herrschaftselite nur interne Diskurse führt, aber die untergebene Schicht ausschließlich mit Gewalt unterdrückt.182 Er soll als Beherrschendeneinwand bezeichnet werden. Die diskursive Natur des Menschen183 könnte die Herrschaftselite dann innerhalb des Herrschaftskreises befriedigen, sodass auf den Diskurs mit den Untertanen verzichtet

176 Vgl. dazu Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 148. 177 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143). 178 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143). 179 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143). 180 Siehe dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 100. 181 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 102. 182 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 423 f. 183 Ähnlich Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 424, der die „allgemeinste Lebensform des Menschen“ anführt. Anders auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 101, der von „Verständigung“ spricht; ausführlich zu dieser Begriffswahl Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 57 – 64.

148

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

werden könnte.184 Damit ist aber auch dieser Einwand, wie Alexy zutreffend feststellt, geschwächt. Dann nämlich finden zumindest partikulare Diskurse innerhalb der Herrscherschicht statt, womit die Möglichkeit besteht, dass diejenigen, die ein Interesse an Richtigkeit haben, für die Beachtung der Vernunftregeln des Diskurses und damit gegen die gewaltsame Unterdrückung der Untertanen eintreten.185 Diesbezüglich ist wiederum entscheidend, dass es eine hinreichend große Zahl von Menschen mit einem Interesse an Richtigkeit gibt186, damit diese wirkungsvoll auf die Durchsetzung dieses Ideals bestehen können. Dann kann der nicht an Richtigkeit interessierte Teil der Herrschaftselite nicht länger eine Verletzung der Ansprüche auf Gleichberechtigung, Universalität und Zwanglosigkeit gegenüber den Untertanen durchsetzen. Da es auf die Wirkungskraft derjenigen, die an Richtigkeit interessiert sind, ankommt, ist an dieser Stelle auf den oben im Rahmen des Unerheblichkeitseinwandes formulierten Appell zu verweisen: Wer den Anspruch auf Richtigkeit im Diskurs erhebt, sollte auch für dieses Ideal eintreten und werben. (3) Kurzfristigkeitseinwand Ein weiterer Einwand Grils ist der Kurzfristigkeitseinwand, nach dem es Situationen gebe, in denen der Alleinherrscher keine langfristige Herrschaft plane und sich vielmehr kurzfristig unter Anwendung von Gewalt ohne jeden Diskurs selbst bereichern möchte; vom erlangten Reichtum könne dieser dann in einem Exil fern von den Unterdrückten leben.187 Dieser Einwand ist nur dann relevant, wenn es stimmt, dass man kurzfristige Herrschaft ohne jede argumentative Grundlage, also ohne jede auch noch so schlechte Behauptung realisieren kann. Dafür kann weder Gril noch die Geschichte selbst soweit ersichtlich ein treffendes Beispiel anführen.188 Grils Behauptung ist damit nicht substantiiert. Damit ist der Kurzfristigkeitseinwand nicht plausibel und bringt das Gelingen der empirischen Argumentation Alexys nicht in ernsthaft in Gefahr.

184 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 424; vgl. ferner Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 101. 185 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 424 f. 186 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 424; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 101. 187 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 148. Damit macht Gril ganz eindeutig klar, dass er vom Ziel der kurzfristigen Ausbeutung durch den Alleinherrscher ausgeht. Weshalb Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 102 behauptet, Gril verrate nicht, um welche Ziele es dem Alleinherrscher in seinem Beispiel gehe, bleibt unklar. 188 Auf eine ausführlichere Behandlung kann in dieser Arbeit verzichtet werden. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 102 f. macht noch weitere Ausführungen gelangt aber zum selben Ergebnis. Siehe Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 103 zu der Entgegnung eines weiteren hier zu vernachlässigenden Einwandes.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

149

(4) Glaubenseinwand Der letzte relevante Einwand soll als Glaubenseinwand bezeichnet werden. Kern des Einwandes ist die Überlegung, dass eine Person mit einer extremen Glaubensvorstellung, die das Ziel verfolgt, alle Andersgläubigen auszurotten, das Argument der Kosten-Nutzen-Maximierung ohnehin ignoriere.189 Einem solchen Menschen gehe es gar nicht darum, den individuellen Nutzen zu maximieren, weshalb dieser nicht über dieses Argument dazu bewegt werden könne, zumindest vorzugeben, die Vernunftregeln des Diskurses einzuhalten.190 Gril spricht in diesem Zusammenhang vom „religiösen Fanatiker“191. Diesen Begriff hat auch Bäcker übernommen.192 In dieser Arbeit soll aus Klarstellungsgründen vom Glaubenseinwand gesprochen werden, da der Begriff Religion assoziiert, es müsse sich um eine Person handeln, die an eine bestimmte Gottheit glaubt. Der Einwand ist aber genau so denkbar bei einer Person, die aufgrund irgendeiner Glaubens- oder Wahnvorstellung, völlig unabhängig vom Glauben an eine Gottheit, der Überzeugung ist, es ginge in ihrem Leben allein darum, die Nichtgläubigen zu eliminieren. Eine solche Person will nach Grils Einwand nicht den individuellen Nutzen maximieren und kann daher nicht über die Kosten-Nutzen-Maximierung zur Einhaltung des Diskursideals bewegt werden. Einer solchen Person gehe es nicht um das eigene Leben, sondern ausschließlich um das Glaubensziel.193 Dabei verkennt Gril den Kern des Nutzenmaximierungsgedankens. Der Nutzen besteht für eine solche Person in der Ausrottung Andersgläubiger. Er wird sich damit die Frage stellen, wie dieses Ziel erreicht werden kann.194 Auch der Extremist verfolgt ein Ziel, welches er bestmöglich erreichen will. Dieses Interesse an Nutzenmaximierung gilt auch und gerade für den Glaubensextremisten. Über diese Frage, welches das beste Mittel ist, wird er in den Diskurs mit seinen Glaubensbrüdern treten. Der Bereich des Behauptens und Argumentierens ist damit betreten. In diesem Diskurs gilt wieder die transzendentale Prämisse (T 2), über die man zur Geltung der Vernunftregeln des Diskurses gelangt.195 Damit ist Grils Einwand widerlegt. Das Problem ist, dass die betreffende Person nur an dem sehr exklusiven Diskurs seiner Glaubensbrüder teilnimmt.196 Wird dort tatsächlich nur über das wirksamste 189

Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 148. Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 148. Ähnlich auch die Zusammenfassung Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 104, der aber ebenfalls den von Gril erhobenen Einwand im Wesentlichen ablehnt. 191 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 147 f. 192 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 104. 193 Vgl. Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 148. 194 Ähnlich auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 105, der von einer Abwägung des besten Mittels spricht. 195 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 105. 196 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 105 spricht von einem partikularen Diskurs. 190

150

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Mittel der Ausrottung diskutiert, hieße dies, dass zwar innerhalb dieses Diskurses die Diskursregeln beachtet würden, nicht aber gegenüber den Andersgläubigen. In diesem Diskurs ist jedoch die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es weniger extremistische Diskursteilnehmer gibt, die von der Ausrottung Andersgläubiger absehen. Gerade der religiöse Fanatiker, den Gril und Bäcker im Sinne haben, wird sich nämlich in aller Regel damit begnügen, Andersgläubige zu missionieren. Damit wäre der partikulare Diskurs verlassen und die extremistische Glaubensgruppe müsste den Andersgläubigen mit Argumenten für ihre Glaubensauffassung begegnen. Folglich wäre ein umfassender Diskurs geschaffen, in dem wiederum das transzendentalpragmatische Argument Alexys, also die Geltung des Diskursideals im Sinne der Vernunftregeln des Diskurses greift. Damit ist auch dieser Einwand erheblich geschwächt. Eine gewisse Unsicherheit bleibt für die Situation des partikularen Diskurses, in dem ausschließlich über die Art der Ausrottung der Andersgläubigen diskutiert wird. Diese Unsicherheit ist aber gering und daher erträglich. Ihr kann zudem wieder mit dem oben formulierten Appell197 entgegengetreten werden. Sollte auch nur einer der Diskursteilnehmer in dieser Gruppe ein echtes Interesse an Richtigkeit haben, so sollte er im Sinne dieses Appells auch dafür eintreten und gegen eine Ausrottung und für eine Öffnung des Diskurses gegenüber den Andersgläubigen plädieren. cc) Grundsätzliche Einwände gegen das empirische Argument Kann auch die letzte Prämisse (E 4) verteidigt werden, so ist die Alexysche Begründung der Diskursregeln bestätigt und steht als tragfähiges Fundament für die Übertragung auf die Mediation bereit. Es gibt jedoch Einwände, die sich gegen das empirische Argument insgesamt richten. Die vierte und letzte Prämisse ist die Konklusion198 des empirischen Arguments199. Da es um Einwände geht, die sich gegen das empirische Argument insgesamt richten,200 sollen zur besseren Nachvollziehbarkeit noch einmal (E 3) und (E 4) aufgeführt werden: (E 3) Langfristig ist die zumindest zum Schein vorgegebene Beachtung der Diskursregeln kostengünstiger, als offen gegen den Widerstand vorzugehen.201 (E 4) Langfristig wird jeder wenigstens vorgeben, die Diskursregeln einzuhalten.202

197

Siehe oben Kapitel C. II. 3. b) aa) (3). So auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 106. 199 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107. 200 Ähnlich auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107. 201 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56. 202 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56. 198

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

151

(E 4) folgt aber nicht logisch im Sinne einer Deduktion aus den anderen Prämissen, da jedenfalls die Prämisse fehlt, dass alle ein Interesse an Nutzenmaximierung haben.203 Es lassen sich drei Einwände, die wiederum von Gril vorgebracht werden, unterscheiden. Der erste Einwand greift das Fehlen dieser Prämisse auf und behauptet, dass damit die Geltung der Diskursregeln vom jeweiligen Interesse der Adressaten abhängig sei, die Diskursregeln aber keine notwendige Geltung, wie hier und von Alexy vertreten, beanspruchen könnten.204 Dieser Einwand Grils205 soll im Sinne der Terminologie Bäckers206 als Einwand der Interessenrelativität bezeichnet werden. Der zweite Einwand behauptet, dass Alexy allenfalls die objektive, nicht aber eine subjektive Geltung der Diskursregeln für den Einzelnen begründen kann und daher für eine moralische Verpflichtung nicht brauchbar sei.207 Dieser Einwand soll als Moraleinwand208 bezeichnet werden. Der dritte Einwand macht geltend, dass aufgrund der empirischen Prägung der Alexyschen Begründung von Diskursregeln der Richtigkeitsbegriff willkürlich sei. Er soll daher als Willküreinwand209 bezeichnet werden.210 (1) Einwand der Interessenrelativität Der Einwand der Interessenrelativität besagt, dass derjenige, der weder ein Interesse an Richtigkeit noch an eigener Nutzenmaximierung hat, nicht zur Vorgabe der Beachtung der Diskursregeln gelangt.211 Dass nicht jeder ein Interesse an Richtigkeit hat, ist selbstverständlich. Es fehlt aber auch die Prämisse in Alexys Argumentation, dass jeder ein Interesse an Nutzenmaximierung hat.212 Gril ist zuzugeben, dass die Vorgabe der Einhaltung der Diskursregeln nur dann greift, wenn die betreffende

203

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107. Vgl. Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie; siehe auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107, der zu Recht darauf hinweist, dass dieser Einwand nicht nur auf die fehlende Prämisse abzielt, sondern das Argument insgesamt als unbrauchbar hinstellen will. 205 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 150. 206 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107. 207 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107. 208 Etwas missverständlich hingegen die Bezeichnung Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 109 der von Objektivitätseinwand spricht. Der Einwand bezieht sich gerade darauf, dass nur die objektive und nicht die subjektive Geltung der Diskursregeln begründet werde. 209 Eine etwas abgeschwächte Terminologie wählt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107 und 113, wenn er von Beliebigkeitseinwand spricht. 210 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 148 f. 211 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 150. 212 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107. 204

152

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Person ihren Nutzen maximieren will.213 Bäcker löst dieses Problem, indem er die Kritik aufnimmt und folgende abgewandelte Prämisse vorschlägt: „Langfristig gesehen wird jedenfalls derjenige, der ein Interesse an Nutzenmaximierung hat, wenigstens vorgeben, die Diskursregeln zu beachten.“214

Bäckers Schlussfolgerung aus dieser Abänderung ist jedoch überraschend. Er behauptet, dass der Einwand der Interessenrelativität zu einer Präzisierung des utilitaristisch-empirischen Arguments beitrüge.215 Problematisch an der Modifikation Bäckers ist, dass die Begründung der Diskursregeln sich nur noch auf die Personen bezieht, die entweder ein Interesse an Richtigkeit haben oder als Nutzenmaximierer zu klassifizieren sind. Ob es eine dritte Gruppe von Menschen gibt und ob diese, aus welchen Gründen auch immer, zumindest zur Vorgabe der Beachtung der Diskursregeln gelangen, lässt Bäcker216 offen und behandelt diese Frage nicht weiter. Ziel der Diskurstheorie ist jedoch eine universelle Geltung und nicht nur eine partikulare. Diesem Ziel wird die Modifikation Bäckers nicht gerecht, da sie sich nur auf Personen mit Richtigkeitsinteresse oder Nutzenmaximierer bezieht und gleichzeitig expliziert, dass eine weitere Gruppe zumindest möglich ist. Bäcker selbst will die Frage, ob es diese Gruppe gibt, offenbar weder bejahen noch verneinen. Für diese laut Bäcker mögliche Gruppe wird nicht begründet, dass die Einhaltung der Diskursregeln zumindest vorgegeben wird. Fraglich für die hier zu schaffende stabile diskurstheoretische Grundlage ist, ob Bäckers Modifikation überhaupt notwendig ist. Dies ist aus folgenden Gründen nicht der Fall: Die Frage, ob es eine hinreichende Zahl von Personen mit einem echten Interesse an Richtigkeit gibt, wurde bereits oben hinreichend erörtert. Die Personen, die ein solches Interesse nicht teilen, haben jedenfalls ein Interesse, irgendeinen Nutzen zu maximieren. Da der Begriff des Nutzens sehr weit verstanden werden kann, was offenbar auch von Alexy intendiert ist, ist nicht von einer dritten Gruppe, bestehend aus Personen ohne Interesse an Richtigkeit und ohne Interesse an irgendeiner Nutzenmaximierung auszugehen. Es hat auch niemand dargelegt, dass es eine solche Gruppe gibt217, womit wieder das Perelmansche Beharrungsprinzip fruchtbar gemacht werden kann. Solange nicht dargelegt wird, dass es eine solche Gruppe gibt, ist von deren Nichtexistenz auszugehen. Bäckers Modifikation, die explizit macht, dass weitere Gruppen möglich sind, ohne auch nur im Ansatz zu erläutern, wie diese beschaffen sein sollen, ist daher nicht notwendig. Der oben dargelegte Einwand der 213 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 150; ihm folgend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 107 f. 214 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 108. 215 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 108. 216 Siehe Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 108 Die „Notwendigkeit der Beachtung der Diskusregeln für die Personen ohne Interesse an Richtigkeit oder an Nutzenmaximierung [ist] noch nicht dargetan“. 217 Dies gesteht auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 108 zu.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

153

Interessenrelativität Grils ist daher entkräftet218 und führt auch nicht zu einer Modifikation, wie Bäcker sie vornimmt. Es sei an dieser Stelle aber betont, dass die beiden damit festgestellten Gruppen – Nutzenmaximierer und Personen mit echtem Interesse an Richtigkeit – nicht starr sind, es Überschneidungen und Wechsel von der einen zur anderen Gruppe geben kann. Solche Wechselkandidaten könnten etwa als eine dritte Gruppe bezeichnet werden, was aber für die Diskurstheorie unerheblich ist, da für beide Gruppen zumindest die Vorgabe der Diskursregeln begründet werden kann. (2) Moraleinwand Der zweite Einwand, der als Moraleinwand bezeichnet werden soll, macht geltend, dass die Diskursregeln vom Nutzenmaximierer, der subjektiv kein Interesse an Richtigkeit aufweist, bloß äußerlich beachtet werden, da dies für ihn am kostengünstigsten ist.219 Dies ist, wie auch Alexy zugesteht220, zutreffend: Eine moralische, das heißt subjektive Geltung der Diskursregeln ist damit für den Nutzenmaximierer, oder wie Bäcker schreibt, für den Utilitaristen221, nicht begründet. Fraglich ist, welche Konsequenzen dieser Verzicht auf die moralische Dimension der Diskurstheorie für diese Arbeit hat. Ist die Diskurstheorie, die eine subjektive Geltung nur gegenüber denjenigen Diskursteilnehmern entfaltet, die ein echtes Interesse an Richtigkeit teilen, als Grundlage für die Mediation wertlos? Ist sie generell zusammengebrochen, da sie keine moralische, subjektive Geltung gegenüber dem Nutzenmaximierer erzeugt? Alexy, der die Theorie des allgemein-praktischen Diskurses, wenn auch zunächst losgelöst vom rechtlichen Kontext entwickelte, musste eine entsprechende Frage für die Übertragbarkeit auf das Recht beantworten. Damit stehen vier Fragen im Raum. Erstens: Taugt die Diskurstheorie als Moraltheorie? Dies braucht in dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt zu werden, dürfte aber nach den bisherigen Ausführungen zu verneinen sein.222 Es sei angemerkt, dass 218 Dieser Einwand wird von Gril, Möglichkeit der praktischen Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 150 noch weiter zugespitzt. Eine tiefergehende Auseinandersetzung ist hier aufgrund des eigentlichen Ziels der Arbeit weder notwendig noch möglich. Eine kurze Auseinandersetzung befindet sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 108 f. 219 Dieser Einwand stammt ebenfalls von Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 150; dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 109 f. 220 Vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143) in Bezug auf Machiavelli, Der Fürst, S. 72 ff.; zu alledem Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 110. 221 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 109 f. 222 Wohl auch Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143): „Die hier vorgetragene Begründung zielt nur auf eine objektive Geltung der Diskursregeln ab“; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 110 f. beantwortet diese Frage

154

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

eine moralische Geltung der Diskurstheorie zumindest partikular, nämlich gegenüber allen Diskursteilnehmern mit einem echten Interesse an Richtigkeit, besteht. Die moralische Geltung ist aber nicht notwendige Folge für alle Diskursteilnehmer. Für den Nutzenmaximierer entfaltet sie lediglich objektive Geltung.223 Es kann festgehalten werden, dass die Diskurstheorie als Moraltheorie lediglich partikulare Geltungskraft entfaltet. Die zweite Frage lautet: Ist die Diskurstheorie als solche aufgrund des Verzichts auf die moralische Dimension gescheitert? Wäre dies zu bejahen, so erübrigten sich die nächsten Fragen. Diese Frage ist in dieser Arbeit zu beantworten, da im Fall einer positiven Beantwortung die Diskurstheorie kein tragfähiges Fundament für eine Übertragung auf die Mediation darstellte. Die dritte Frage lautet: Ist die Diskurstheorie aufgrund des Verzichts auf die moralische Dimension zumindest ungeeignet für eine Übertragung auf das Recht? Diese Frage soll in dieser Arbeit nur kurz ausgeführt werden, da diese bereits überzeugend beantwortet wurde und sie mit Blick auf das Ziel dieser Arbeit keine entscheidende Rolle spielt. Die vierte Frage lautet: Ist die Diskurstheorie aufgrund des Verzichts auf die moralische Dimension zumindest ungeeignet für eine Übertragung auf das Verfahren der Mediation? Diese Frage wurde freilich bisher nicht gestellt und auch nicht beantwortet; ihre Beantwortung ist für diese Arbeit gleichwohl unerlässlich. Zur zweiten Frage, ob die Diskurstheorie generell aufgrund des Verzichts auf die moralische Dimension gescheitert ist, hat sich Gril mit einem vernichtenden Urteil geäußert. Er ist der Auffassung, mit dem Verzicht auf die moralische Dimension sei die Alexysche Diskurstheorie gescheitert. Er will einen Widerspruch in der Alexyschen Diskurstheorie selbst entdeckt haben.224 Auf der einen Seite beruhe die Diskurstheorie auf dem Konzept der Autonomie, nach dem jeder Diskursteilnehmer das Recht der anderen Diskursteilnehmer, selbst zu beurteilen was richtig sei, zu achten habe.225 Auf der anderen Seite werde dem Nutzenmaximierer durch diejenigen, die ein echtes Interesse an Richtigkeit haben, mit Schäden gedroht, wenn dieser nicht zumindest objektiv die Einhaltung der Diskursregeln vorgäbe.226 Diese Annahme Grils geht fehl. (E 2) geht lediglich von der empirischen Annahme aus, dass Menschen mit einem Interesse an Richtigkeit, Widerstand leisteten, wenn an-

nicht, deutet aber an, dass die Diskurstheorie ohne das utilitaristisch-empirische Argument als bloße Moraltheorie tauglich wäre. 223 Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143) sagt, es ließe sich auch von „institutioneller Geltung“ sprechen. 224 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 150 spricht von „theorieimmanenten Spannungen“. 225 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 151. 226 Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie, S. 151; mit diesem Problem hat sich auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 111 f. beschäftigt.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

155

dere nicht einmal die Beachtung der Diskusregeln vorgeben würden.227 Es ist nicht die Rede vom Aufbau eines Drohpotenzials gegenüber den Nutzenmaximierern. Diese haben vier verschiedene theoretisch mögliche Optionen. Sie können erstens offen gegen die Diskursregeln verstoßen, was sie aber aufgrund der eigenen KostenNutzen-Rechnung, also autonomen Gründen, nicht tun werden.228 Die zweite Möglichkeit besteht darin, die Einhaltung der Diskusregeln zumindest vorzugeben. Drittens können sie sich, wie oben bereits angedeutet, dem Lager der an echter Richtigkeit interessierten Diskursteilnehmer anschließen, was dann sogar zu einer subjektiven Geltung der Diskursregeln führte. Oder sie können viertens einen diskurstheoretischen Diskurs über die Diskursregeln führen.229 Damit besteht eine doppelte Autonomie. Die erste autonome Entscheidung ist diejenige, eine dieser vier Optionen frei zu wählen. Grils Kritik setzt an, wenn sich der Diskursteilnehmer gegen die letzten beiden Optionen, also gegen das echte Interesse an Richtigkeit und gegen den Diskurs darüber entscheidet. Dann sei der Diskursteilnehmer wegen des Drohpotenzials gezwungen, die zweite Option zu wählen, also die Einhaltung der Diskursregeln zumindest vorzugeben. Dies ist aber unzutreffend. Er kann auch offen im Sinne der ersten Option mit den Diskusregeln brechen. (E 3) sagt lediglich, dass er dies aus eigenem Antrieb nicht tun wird, weil er dann mit Widerstand, vermutlich im Sinne einer diskurstheoretischen Auseinandersetzung mit den richtigkeitsinteressierten Diskursteilnehmern, rechnet und diese Auseinandersetzung für ihn kostenungünstig ist.230 Sie ist aber nicht bedrohlich im Sinne eines vernichtenden Schadens. Die Entscheidung für die Vorgabe der Einhaltung der Diskusregeln bleibt autonom, weshalb von doppelter Autonomie gesprochen werden kann. Grils Einwand, die Diskurstheorie sei in sich von Spannungen getragen oder widersprüchlich, ist damit entkräftet. Die Diskurstheorie beruht gerade auf der Autonomie des Einzelnen.231 Damit kann kurz auf die dritte oben aufgeworfene Frage eingegangen werden: Ist die Diskurstheorie aufgrund des Verzichts einer notwendig moralischen Geltung gegenüber allen Diskursteilnehmern ungeeignet für eine Übertragung auf das Recht? Zweifel an der Geeignetheit bestünden, wenn das Recht eine innere, also subjektive Rechtstreue verlangte. Dies ist aber nicht Gegenstand des Rechts, sondern der Moral. Das Recht verlangt lediglich, sich äußerlich an die vorgegebenen Gesetze zu halten.232 Wie oben ausgeführt, ist die Diskurstheorie nicht widersprüchlich und begründet genau diese objektive Geltung der Diskursregeln und ist damit aussichts227 So auch der Beginn der Widerlegung Grils durch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 111, dessen weiterführende Hinweise auf den strafrechtlichen Begriff der Drohung ebenfalls überzeugend sind. 228 Vgl. auch die Begründung Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 111 f. 229 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 112. 230 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 112. 231 So im Ergebnis auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 112. 232 Ähnlich Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 110, der der von „äußeren Verhaltensverpflichtungen“ spricht.

156

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

reicher Kandidat, eine objektive Geltung der vorgegebenen Gesetze des Rechts233 zu begründen. Nun ist der für diese Arbeit entscheidenden vierten Frage Aufmerksamkeit zu schenken. Sie lautet: Ist die Diskurstheorie aufgrund des Verzichts auf die moralische Dimension zumindest ungeeignet für eine Übertragung auf das Verfahren der Mediation? Nach dem oben vorgebrachten Zweifel an der universellen Tauglichkeit der Diskurstheorie als Moraltheorie, oder anders gesagt, ihrer bloß partikularen Tauglichkeit als Moraltheorie, ergäbe sich ein Problem für die Übertragung auf die Mediation, wenn die Mediation ihrerseits wie die Moral ein subjektives, also echtes Interesse an Richtigkeit verlangte. Verlangt die Mediation notwendig ein subjektives, also echtes Interesse an Richtigkeit von den Medianten oder reicht eine objektive Geltung der Diskursregeln und damit eine Vorgabe des Interesses an Richtigkeit aus? Um diese Frage beantworten zu können, ist ein Blick auf das Primärziel der Mediation zu werfen. Dieses ist eine nachhaltige Befriedung des Konflikts durch einen möglichst gerechten Interessenausgleich.234 Dies wird für die spätere Bestimmung des Richtigkeitsbegriffes in der Mediation noch bedeutsam sein. Es ist aber schon an dieser Stelle deutlich, dass die Mediation mehrere Mechanismen beinhaltet, damit die Medianten dieses Ziel aus eigener Überzeugungskraft, also subjektiv verfolgen. Dazu gehört, dass durch den Ablauf und die angesprochenen Methoden gegenseitiges Verständnis gefördert werden sollen. Die Parteien sollen gerade durch ihre eigenverantwortliche, also autonome Position ein Ergebnis finden, was sie tatsächlich als richtig, also gerecht für den anderen und sich selbst empfinden. Anders als im Recht setzt die Mediation gerade auf das Innere der Medianten und nicht die bloße Befolgung von Gesetzen oder Urteilen. Diese Ausrichtung der Mediation ließe vermuten, dass eine Diskurstheorie nur dann auf die Mediation übertragbar ist, wenn sie es vermag, die Diskursregeln, im Kern das Interesse an Richtigkeit, auch subjektiv für die Diskursteilnehmer zu begründen. An eben dieser subjektiven moralischen Geltung bestehen, wie eben ausgeführt, für die Alexysche Diskurstheorie Zweifel. Es konnte nur eine partikulare subjektive Geltung festgestellt werden. Im Folgenden wird dargelegt, warum auch eine bloß objektive Vorgabe des Interesses an Richtigkeit für die Mediation ausreicht. Dies lässt sich an einem Extrembeispiel gut belegen und veranschaulichen: Ehefrau F und Ehemann M befinden sich in einer Scheidungsmediation. F strebt zumindest nach der zweiten Phase der Mediation ein auch für M gerechtes Ergebnis an. Insbesondere wünscht sie sich wegen des gemeinsamen Sohnes S, für den ein gemeinsames Sorgerecht bereits festgelegt wurde, einen friedvollen Umgang mit M. F selbst ist die vermögendere der beiden Eheleute. Da M sie im Haushalt stets 233 Zur Übertragung der Diskurstheorie auf das Recht, also zur Sonderfallthese siehe unten Kapitel D. 234 Siehe oben Kapitel A. I. 4. und Kapitel B. I. 4.

II. Begründung der Diskursregeln nach Alexy

157

entlastet hat, hält sie es für gerecht, wenn er einen angemessenen Vermögensausgleich erhält. F zeigt ein subjektives Interesse an Richtigkeit. Sie legt auch in prozeduraler Hinsicht in der Mediation Wert auf die Beachtung der Diskursregeln der Vernunft. M hingegen will nur seine Interessen in möglichst hohem Maße verwirklichen. Er begehrt einen Vermögensausgleich und Teilhabe am Sorgerecht. Der Vermögensausgleich soll dabei so hoch wie möglich sein. Für ihn ist subjektiv unerheblich, ob dieser gerecht ist. Auch wenn F überbelastet würde und er eine Ungerechtigkeit erkennen würde, so ist ihm dies recht, solange er einen hohen Ausgleich erhält. M hat damit subjektiv kein Interesse an Richtigkeit. Er ist vielmehr reiner Nutzenmaximierer. Hinzukommt kommt der Mediator als Korrektiv, neutraler Dritter und Wächter über die Einhaltung der Mediationsprinzipien. Fraglich ist nun, ob unter diesen Voraussetzungen eine Mediation sinnvoll stattfinden oder ob aufgrund des fehlenden subjektiven Interesses an Richtigkeit bei M eine Mediation nicht funktionieren kann. Wäre dies zu bejahen, so wäre die Alexysche Diskurstheorie, die nur eine partikulare subjektive Geltung begründet, nicht geeignet für eine Übertragung auf die Mediation. An dieser Stelle reicht es aus, zu erkennen, dass M als Nutzenmaximierer im Sinne der Diskurstheorie Alexys die Einhaltung der Diskursregeln zumindest vorgeben wird. Er wird zumindest ein Interesse an Richtigkeit vorgeben, weil er keinen Konsens mit F und keine Akzeptanz durch den Mediator erfahren würde, wenn er offen einen Satz ausspricht wie: „Ich möchte den maximalen Vermögensausgleich von F, egal wie ungerecht dies auch ist.“ Ein solcher Satz wäre ein offener Bruch mit dem Diskursideal und den Mediationszielen. M kann lediglich versuchen, den Vermögensausgleich in die Höhe zu treiben, indem er Begründungen anführt. Dies können auch schlechte Begründungen sein. Er könnte etwa ausführen: „Du hast mich stets emotional so verletzt, dass du nun auch zahlen sollst.“ Unabhängig von der Frage, ob dies tatsächlich gerecht und konsensfähig ist, würde er damit den Bereich der Argumentation betreten und zumindest einen Anspruch auf Richtigkeit erheben. Darauf aufbauend kann eine Mediation stattfinden und ein tatsächlich gerechtes Ergebnis gefunden werden. Damit können an dieser Stelle drei Befunde festgehalten werden: Erstens kann eine Mediation auch funktionieren, wenn ein Mediant subjektiv kein Interesse an Richtigkeit hat, sondern ganz im Sinne der Alexyschen Diskurstheorie ein solches nur aufgrund seines eigenen Kosten-Nutzen-Kalküls objektiv vorgibt. Dass dabei noch von einem autonomen Verhalten gesprochen werden kann, wurde oben dargelegt. Damit steht die nur partikulare subjektive Geltungskraft der Diskurstheorie einer Übertragung auf die Mediation nicht entgegen. Im Gegenteil deutet dies an, was später genauer darzulegen ist, dass über den Nutzenmaximierungsgedanken Mediation auch möglich ist, wenn kein echtes Interesse an Richtigkeit besteht.

158

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Zweitens ist bereits erkennbar, dass in der Mediation die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass zumindest nach der dritten Phase ein echtes Interesse an Richtigkeit besteht. Wie genau Ablauf, Mechanismen und Prinzipien der Mediation zu einer Annäherung an dieses Diskursideal führen, ist allerdings erst Gegenstand des letzten Kapitels, in dem die eigentliche Übertragung auf die Mediation stattfindet. Der dritte sich andeutende Befund, beinhaltet, dass die Diskurstheorie sich gerade wegen ihres Verzichts auf die notwendig subjektive Geltung der Diskursregeln für alle Diskursteilnehmer auch in tatsächlichen Diskursen wie dem der Mediation als praxisfest und anwendbar erweist. (3) Willküreinwand Damit kann der letzte Einwand Grils gegen das empirische Argument erörtert werden. Dieser ist bereits überzeugend durch Bäcker widerlegt worden235, weshalb diesbezüglich eine kurze Zusammenfassung angezeigt ist. Nach dem Einwand Grils sei der Richtigkeitsbegriff der Alexyschen Diskurstheorie willkürlich auswechselbar.236 Dies könne sich so darstellen, dass Diskursteilnehmer die Befolgung des Willens einer bestimmten Gottheit als richtig vertreten. Ein Nutzenmaximierer würde, wenn er zu einer in Wahrheit nichtgläubigen Minderheit gehört, dann die Einhaltung der Glaubensgebote vorgeben, da dies für ihn kostengünstiger sein könnte.237 Zutreffend hat Bäcker diesen Einwand Grils, der sich als Verständnisfehler herausstellt, widerlegen können. Das empirische Argument schließt nicht aus, dass ein weitsichtiger Nutzenmaximierer auch andere Kriterien, wie etwa eine andere vorherrschende Glaubensauffassung, in sein Kosten-Nutzen-Kalkül einstellt.238 Wie Bäcker richtig erkennt, ist damit aber noch nichts über die Richtigkeit dieser religiösen Gebote dargetan; der Zusammenhang zwischen Richtigkeit und argumentativer Begründung findet sich im transzendental-pragmatischen Argument und nicht im empirischen Teil.239 Bäcker bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Mit dem utilitaristischen-empirischen Argument kann nicht jede These über moralische Richtigkeit verteidigt werden, sondern überhaupt keine.“240 Der Willküreinwand Grils geht damit fehl.

235 236 237 238 239 240

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 113. Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S. 148 f. Gril, Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus diskurstheoretischer Sicht, S, 149. Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 113. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 113. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 113.

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

159

4. Ergebnis der Begründungsschritte nach kritischer Würdigung Nach alledem konnten das transzendentalpragmatische Argument und das empirische Argument Alexys unter Würdigung der wesentlichen Einwände241 verteidigt werden. Damit wurde zumindest eine objektive Geltung der Diskursregeln der Vernunft begründet. Ebenso konnte prima facie eine Übertragbarkeit der Diskurstheorie auf die Mediation begründet werden.

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs In dieser Arbeit geht es um eine diskurstheoretische Analyse der Mediation und damit auch um die Einordnung dieses Verfahrens in ein Diskursmodell. Zwei zentrale Modelle stehen sich gegenüber. Zum einen das Zwei-Ebenen-Modell Alexys, zum anderen die als „Drei-Ebenen-Modell“ bezeichnete Alternative Bäckers. Beide werden im Folgenden dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen. Aufbauend auf der Kritik ist zu fragen, ob die Einführung einer Vermittlungsstufe in das Zwei-Ebenen-Modell möglich ist (Modifikationsthese). Eine solche Grundlegung erlaubt es später zu untersuchen, inwieweit die Mediation den Anforderungen einer solchen Vermittlungsstufe gerecht wird.

1. Das Zwei-Ebenen-Modell Alexys Alexy unterscheidet zwei Ebenen des Diskurses, den idealen, das heißt in jeder Hinsicht vollkommenen Diskurs und den realen, also den in keiner Hinsicht vollkommenen Diskurs.242 a) Idealer praktischer Diskurs Bei Alexy findet sich eine umfassende Definition des idealen Diskurses. Sie lautet wie folgt: Der ideale praktische Diskurs ist definiert durch die Suche einer Antwort auf praktische Fragen „unter den Bedingungen unbegrenzter Zeit, unbegrenzter Teilnehmerbereitschaft und vollkommener Zwanglosigkeit im Wege der Herstellung vollkommen sprachlich-begriff-

241 Zur umfassenden Kritik Weinbergers, die zum großen Teil die hier schon abgehandelte Aspekte berührt, siehe vor allem Weinberger, Basic Puzzels of Discourse Philosophy, S. 172 ff. Gegen diese Kritik zu Recht Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 177 ff. 242 Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Rechtssystems, in: Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, S. 30 (35).

160

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

licher Klarheit, vollkommener empirischer Informiertheit, vollkommener Fähigkeit und Bereitschaft zum Rollentausch und vollkommener Vorurteilsfreiheit.“243

Ein solcher Diskurs ist, wie auch Alexy erkennt, tatsächlich nicht durchführbar.244 b) Realer praktischer Diskurs und Verhältnis zum idealen praktischen Diskurs Eine umfassende Definition des realen Diskurses lautet: „Reale praktische Diskurse sind dadurch definiert, dass unter den Bedingungen begrenzter Zeit, begrenzter Teilnehmerschaft und begrenzter Zwanglosigkeit mit begrenzter sprachlich-begrifflicher Klarheit, begrenzter empirischer Informiertheit, begrenzter Fähigkeit zum Rollentausch und begrenzter Vorurteilsfreiheit die Antwort auf eine praktische Frage gesucht wird.“ 245

Im Vergleich zur Definition des idealen Diskurses ergibt sich also eine Umkehrung von vollkommenen in begrenzte Bedingungen.246 Auch wenn es in der obigen Definition nicht expliziert wird, soll die Prozedur des realen Diskurses nach Alexy unter Beachtung der Diskursregeln stattfinden.247 Damit sind ausnahmsweise die gesamten Diskursregeln Alexys248 und nicht nur die Vernunftregeln des Diskurses gemeint.249 Diese sollen freilich auch Beachtung finden im idealen Diskurs.250 243 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (113); vgl. auch die Ausführungen zu allen vier Problemen bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 118 ff. 244 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, S. 114; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129 wiederholt diese Feststellung in ähnlichen Worten: „Die Durchführung des idealen Diskurses ist unmöglich“; „Es gibt keinen idealen Diskurs“. 245 Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Rechtssystems, in: Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, S. 30 (35); eine andere Definitionen von realen Diskursen findet sich bei Zimmermann, Multideontische Logik, Prozedurale Rechtstheorie, Diskurs, Rechtstheorie 30 (1999), S. 311 (321). Nach diesem sind reale Diskurse mit unbegrenzter Zeit und Zwanglosigkeit möglich, was unzutreffend ist (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 121 Fn. 408). 246 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 121. 247 Vgl. dazu das Modell bei Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs S. 109 (123 f.) und die darauf bezogene Auswertung Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 121 f. Diese Auswertung muss an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden. Es reicht aus festzuhalten, dass nach Alexy die Diskursregeln Beachtung finden sollen im realenpraktischen Diskurs. Alexy verzichtet auf eine Explikation in der Definition, da er die Diskusregeln als Normensystem betrachtet, „dessen Gegenstand die Einhaltung der in den Definitionen angeführten Bedingungen ist“ (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 122 f.). 248 Diese finden sich bei Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 361 ff. 249 Diese Intention Alexys wird überzeugend von Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 122 Fn. 411 dargelegt. Es wäre nicht zielführend dies in dieser Arbeit nochmals nachzuzeichnen. 250 Vgl. Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (113), wo es heißt: „Deshalb setzt der Begriff des in jeder Hinsicht idealen Diskurses voraus, dass seine

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

161

Einziger Unterschied zwischen realem und idealem Diskurs ist damit die Begrenztheit der Bedingungen.251 Im realen Diskurs wird der Begriff der Richtigkeit in vierfacher Hinsicht relativiert: „im Hinblick auf (1) die Diskursregeln, (2) das Maß ihrer Erfüllung, (3) die Teilnehmer und (4) auf Zeitpunkte.“252 Das prozedurale Ergebnis des realen Diskurses ist lediglich diskursiv möglich.253 Diese vier Relativierungen lassen Alexy von einer relativen prozeduralen Richtigkeit im Bereich des realen Diskurses sprechen.254 Fraglich ist, wie sich diese beiden Ebenen zueinander verhalten. Auf der ersten Ebene steht der reale Diskurs. Diesem auf einer zweiten Ebene übergeordnet findet sich der ideale Diskurs, der den Diskursteilnehmern als regulative Idee dient, also als Maßstab oder theoretisch anzustrebendes Ziel.255 Damit sind die Grundzüge des realen Diskurses, des idealen Diskurses und das Verhältnis beider zueinander bestimmt.

2. Das „Drei-Ebenen-Modell“ Bäckers Bäcker entwirft ein Alternativmodell zu Alexys Zwei-Ebenen-Modell des Diskurses und bezeichnet dieses in der hier primär zugrunde gelegten Erstauflage als „Drei-Ebenen-Modell“256. Die erste Ebene in Bäckers Modell ist die des Diskursideals, die zweite die der Diskursprinzipien und die dritte bezeichnet Bäcker als die Ebene der tatsächlichen Diskurse.257 In der Zweitauflage ändert Bäcker die Terminologie. Zunächst bezeichnet er sein Modell als „eindimensionales Modell des Diskurses“258. Desweiteren unterscheidet er nunmehr zwischen „optimalen Diskurs“ und „tatsächlichem Diskurs“.259 In dieser Arbeit soll zunächst Bäckers Erstwerk zu Grunde gelegt werden, um später zu den Änderungen Stellung beziehen zu können.

Teilnehmer alle Diskursregeln vollkommen erfüllen.“ Weitere Nachweise, zu diesem Befund finden sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 122. 251 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 123. 252 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (124). 253 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (124); dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 123. 254 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (124 f.). 255 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (122); Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Rechtssystems, in: Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, S. 30 (35); siehe auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 126. 256 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 127 ff. 257 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 127; Bäcker, Die Diskurstheorietische Notwendigkeit der Flexibilität im Recht, S. 102, hat zunächst eine abweichende Terminologie verwendet. Zur Begründung der terminologischen Änderungen vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 127 Fn. 431. 258 Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl., S. 127. 259 Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl., S. 127.

162

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

a) Diskursideal Bäcker geht, im Gegensatz zu Alexy, nicht von einem fest definierten idealen Diskurs, sondern von einem bloßen auswechselbaren Diskursideal aus.260 Das Diskursideal ist nur eine Vorstellung, wie die Menschen sich den idealen Diskurs vorstellen261 und welches im tatsächlichen, unvollkommenen Diskurs ermittelt wird.262 Damit erreicht das Diskursideal bei Bäcker keine eigenständige ideale Ebene im Sinne Alexys idealen Diskurses.263 b) Diskursprinzipen Auf der zweiten Ebene führt Bäcker die Diskursprinzipien ein, um damit einen praxistauglichen Maßstab für die tatsächlichen Diskurse zu gewinnen. Bäcker setzt sich in diesem Teil seiner Arbeit zunächst grundsätzlich mit der Unterscheidung von Regeln und Prinzipien auseinander264, worauf an dieser Stelle nicht mehr eingegangen werden muss, da eine entsprechende Auseinandersetzung im Kontext der Mediationsprinzipien265 erfolgte. Entscheidend ist aber die Einordnung der Alexyschen Diskursregeln durch Bäcker als Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten.266 Dass es bei sich den Diskursregeln der Vernunft um Prinzipien handelt, deutet auch Alexy bereits an.267 Die Diskursregeln der Vernunft268 hat Alexy in einem Katalog von 28 Regeln und Formen des praktischen Diskurses zusammengestellt.269 Er spricht von „Regeln und Formen des allgemein praktischen Diskurses“270, womit sich diese auf den realen und idealen Diskurs beziehen.271 Legt man zugrunde, dass die Diskursregeln also auch im realen Diskurs gelten, lässt sich ermitteln, dass es sich bei diesen Regeln um Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten handelt: Es ist nicht zu übersehen, dass einige der von Alexy aufgestellten Regeln, insbesondere aus

260

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129. Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129 „Alexys Begriff des idealen Diskurses kann daher nicht mehr leisten, als die Bedingungen einer Welt zu beschreiben, in der ein Diskurs nach unseren Vorstellungen perfekt wäre.“ 262 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144 f. vgl. auch S. 150 und 151. 263 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 130 Fn. 446. 264 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 130 ff. 265 Siehe oben Kapitel A. I. 2. b). 266 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 139 f. 267 Alexy, Diskurstheorie und Rechtssystem, Synthesis Philosophica 5 (1988), S. 299 (307). Siehe auch unten Kapitel C. III. 4. b). 268 Siehe oben Kapitel C. II. 1. 269 Siehe dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S.361 ff. 270 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 361. 271 Mit zahlreichen weiteren Nachweisen bei Alexy Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 122. 261

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

163

der Klasse der Vernunftregeln272, im realen Diskurs nicht vollständig erfüllt werden können, da eine solche Erfüllung ideale Bedingungen voraussetzt.273 Alexy sagt über die Vernunftregeln, dass sie einen „idealen Charakter praktischer Vernunft“ aufweisen, „der sich in ihrer nur approximativen Realisierbarkeit niederschlägt“274. An folgendem Beispiel275 lässt sich diese Feststellung verdeutlichen: Eine Vernunftregel lautet: „Jeder der sprechen kann, kann an Diskursen teilnehmen.“276 Dies betrifft die unbegrenzte Teilnehmerschaft als Bedingung des idealen Diskurses.277 Legte man dies als Regel im Sinne strikter Befolgung für den realen Diskurs fest, so würde diese Regel stets gebrochen werden. Das Nichtvorliegen der idealen Bedingungen, unter denen eine vollständige Erfüllung dieser Regel möglich wäre, ist gerade Wesensmerkmal für den realen Diskurs. Daher können insbesondere die Vernunftregeln278 im realen Diskurs nicht vollständig, sondern immer nur „annäherungsweise“ oder „approximativ“279 erfüllt werden,wie Alexy selbst feststellt.280 Legt man die im ersten Kapitel im Kontext der Mediationsprinzipien herausgearbeitete normtheoretische Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien zu Grunde281, liegt eine solche Übertragung auch im Bereich der Diskursregeln nahe. Bäcker hat diese zutreffend vorgenommen: Prinzipien zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht vollkommen, aber doch näherungsweise oder approximativ erfüllt werden können.282 Damit lässt sich mit Bäcker das Ergebnis festhalten, dass es sich bei den Alexyschen Diskursregeln, wenn sie wie die Vernunftregeln nur approximativ erfüllbar sind, um Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten handelt.283 Insbesondere die in den Vernunftregeln zum Ausdruck kommenden Forderungen nach „Gleichberechtigung, 272 Zu den Vernunftregeln siehe oben Kapitel C. II. 1.; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation; S. 238 ff. und S. 361 f. 273 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 203; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 139. 274 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239. 275 Dieses und weitere Beispiele finden sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 139. 276 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 240. 277 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 139. 278 Vgl. zu den in dieser Arbeit nicht weiter relevanten anderen Regeln und ihre Erfüllbarkeit im realen Diskurs, insbesondere den Begründungsregeln Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 140. 279 So die Terminologie bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 140. 280 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 241; zustimmend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 140. 281 Siehe oben Kapitel A. I .2. b). 282 Vgl. Alexy, zum Begriff des Rechtsprinzips, S. 204; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 140 f. 283 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 141. Zu betonen ist, dass die Vernunftregeln im idealen Diskurs per defintionem vollkommen erfüllt sind. Ob man daher für den idealen Diskurs von einem Regelcharakter sprechen sollte (so offenbar Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 141 Fn. 510) muss hier nicht entscheiden werden.

164

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Zwanglosigkeit und Universalität“284 können nur im idealen Diskurs vollkommen erfüllt sein, sind im realen Diskurs285 aber als Prinzipien zu verstehen, die nur approximativ erreicht werden können.286 Bäcker führt in seinem Modell die Diskursprinzipien als Bindeglied zwischen Diskursideal und dem tatsächlich durchgeführten Diskurs ein.287 Die Diskursprinzipien gebieten die optimale Erfüllung der idealen Bedingungen relativiert auf die tatsächlichen Umstände und die konkurrierenden Diskursprinzipien.288 Allerdings steht im Bäckerschen Modell der Inhalt der Diskursprinzipien nicht fest, da er anders als Alexy ja gerade keinen feststehenden idealen Diskurs hat, sondern nur ein auswechselbares Diskursideal.289 c) Tatsächlicher Diskurs Die Beschreibung des tatsächlichen Diskurses ergibt sich plausibel bereits aus dem bisher zum Bäckerschen Modell Gesagten. Dieser entspricht im Wesentlichen dem realen Diskurs im Alexyschen Sinne.290 Im tatsächlichen Diskurs geht es darum zu erreichen, dass dieser „möglichst weitgehend dem über die Diskursprinzipien vermittelten Diskursideal entspricht.“291 Immer wenn die Gegenstände der Diskursprinzipien im tatsächlichen Diskurs relativ auf die Umstände und die anderen Diskursprinzipien möglichst weitgehend erfüllt sind, ist das anzustrebende Ziel für den tatsächlichen Diskurs erreicht.292 Damit ist das „Drei-Ebenen-Modell“ Bäckers dargelegt. d) Das „Drei-Ebenen-Modell“ als „Ein-Ebenen-Modell“ Der Vergleich zwischen idealem Diskurs bei Alexy und dem Diskursideal bei Bäcker zeigt sehr deutlich, dass bei Bäcker keine verschiedenen Ebenen im Sinne von ideal und real vorhanden sind. Bei Alexy ist der ideale Diskurs definiert durch 284

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239. Dies wäre die Terminologie des Zwei-Ebenen-Modells nach Alexy. Bäcker würde vom tatsächlichen Diskurs sprechen. Inhaltlich besteht kein Unterschied. Zur Frage warum Bäcker den Begriff des tatsächlichen Diskurses wählt siehe Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 127 Fn. 431. 286 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 142. 287 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 141. 288 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 142 f.; ähnlich wie oben eine Übertragung des von Alexy entwickelten Rechtsprinzips auf die Prinzipien der Mediation erfolgte, hat Bäcker den Begriff des Rechtsprinzips auf den des Diskursprinzips vorgenommen. Die Diskursprinzipien Bäckers würde Alexy als Maximierungsgebote bezeichnen (Vgl. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 80 Fn. 37; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 141 Fn. 511). 289 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129 und 159 f. 290 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 127 Fn. 431 und S. 143 ff. 291 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144. 292 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 146. 285

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

165

unerfüllbare ideale Bedingungen. Er kann unstreitig niemals durchgeführt werden und erreicht dadurch einen idealen Charakter.293 Daher nimmt der ideale Diskurs bei Alexy eine eigene Ebene, nämlich die des Idealen und zugleich Unerreichbaren ein. Gegensätzlich verhält es sich beim Diskursideal nach Bäcker. Dies erreicht gerade keine ideale eigenständige Ebene. Es ist lediglich durch das, was sich der tatsächliche Diskursteilnehmer als Ideal vorstellt294, gekennzeichnet und kann überprüft und verändert werden.295 Es ist der Unvollkommenheit des tatsächlichen Diskurses ausgesetzt. Der ideale Diskurs Alexys ist in Bäckers Konzeption nur eine mögliche Variante, aber nicht notwendig das einzig vorstellbare Diskursideal.296 Es dient nicht als Kriterium der Richtigkeit einer im Diskurs ermittelten Norm.297 Conclusio ist, dass das Diskursideal nicht als eigenständige Ebene bezeichnet werden kann.298 Das Diskursideal wird aus der Ebene des tatsächlichen Diskurses ermittelt. Diese Ebene des tatsächlichen Diskurses ist, wie nachfolgend weiter ausgeführt wird, die einzige Ebene im Bäckerschen Modell. Fraglich ist, ob die Diskursprinzipien eine eigene Ebene darstellen. Sie dienen zwar, der nicht zu unterschätzenden Aufgabe für den tatsächlichen Diskurs ein handhabbares Instrument zur Verbesserung des Diskurses bereit zu stellen, werden aber auch aus Sicht des tatsächlichen Diskurses orientiert am Diskursideal und der Situation des tatsächlichen Diskurses ermittelt.299 Über die Diskursprinzipien soll die Diskurssituation im tatsächlichen Diskurs optimiert werden, was laut Bäcker eine langwierige Ermittlung nach sich zöge, wobei er ein Regelwerk „mit typisierten Standards“ für sinnvoll hält.300 Dieses müsse immer wieder für Verbesserungen offen sein.301 Auch diesbezüglich befindet sich Bäcker eindeutig auf dem Boden des tat-

293 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, S. 114; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129 wiederholt diese Feststellung mehrfach in ähnlichen Worten: „Die Durchführung des idealen Diskurses ist unmöglich“; „Es gibt keinen idealen Diskurs“. 294 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129 „Alexys Begriff des idealen Diskurses kann daher nicht mehr leisten, als die Bedingungen einer Welt zu beschreiben, in der ein Diskurs nach unseren Vorstellungen perfekt wäre.“ 295 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129, 144 und vor allem 152. 296 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 130 Fn. 446. 297 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129. 298 Die Ansicht, dass es sich um eindimensionales Modell handelt, teilt nunmehr auch Bäcker (Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl. S. 127; ferner Bäcker, Recht als institutionalisierte Vernunft?, ARSP 97 (2011), S. 346 (356 Fn. 52). An dieser Stelle möchte ich mich für das sehr freundliche und ergebnisreiche Gespräch mit Dr. Carsten Bäcker in Kiel bedanken, in dem er auch die Konzeption seines Modells näher erläuterte. 299 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144 f. 300 Vgl. dazu ausführlich Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144 ff. insb. dort Fn. 521. 301 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144 („…die einmal ermittelte Lösung bis auf weiteres gilt.“ (Hervorhebungen eingefügt).

166

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

sächlichen Diskurses. Mithin stellen auch die Diskursprinzipien keine eigenständige Ebene dar.302 Die dritte Ebene ist schließlich der tatsächliche Diskurs selbst, aus dem heraus das Diskursideal und die Diskursprinzipien ermittelt werden.303 Damit ist die dritte Ebene des tatsächlichen Diskurses nach der Bäckerschen Konzeption in Wahrheit die erste und einzige Ebene. Diese Klarstellung war notwendig, um das Bäckersche Modell richtig zu erfassen. Eine solche Klarstellung hat Bäcker nunmehr in seiner zweiten Auflage in ähnlicher Weise selbst vorgenommen. Die dortige Bezeichnung als eindimensionales Modell304 ist daher zu begrüßen. In der von Bäcker geänderten Terminologie unterteilt er nun zwischen dem optimalen Diskurs und dem tatsächlichem Diskurs.305 Der Begriff des optimalen Diskurses soll nach Bäcker seinen Ausgang im Begriff des Diskursideals finden und so das relativistische Gegenstück zum idealen Diskurs darstellen. 306 Er liege vor, wenn in einem Diskurs die Diskursprinzipien optimal befolgt werden.307 Damit verdeutlicht Bäcker den relativistischen Charakter seines Modells. In der Sache bleibt es bei dem oben erläuterten eindimensionalen Modell.

3. Kritische Würdigung beider Modelle Zur späteren Einordnung der Mediation in ein Diskursmodell ist es nun erforderlich, eine, zunächst vom Mediationskontext losgelöste kritische Würdigung des Alexyschen und des Bäckerschen Modells vorzunehmen. Im Rahmen des Alexyschen Zwei-Ebenen-Modells stellen sich im Wesentlichen vier Probleme: Das Konstruktions-, das Konsens-, das Kriteriums- und das Richtigkeitsproblem.308 Die Frage an dieser Stelle ist, ob diese Probleme im Rahmen des Zwei-Ebenen-Modells gelöst werden können, oder ob das konkurrierende Modell Bäckers eine bessere Antwort auf diese Probleme zu geben vermag. Möglich ist auch, dass keines der beiden Modelle in Reinform übernommen werden kann und eine Modifikation für die hier anvisierten Zwecke vorzunehmen ist. Dies zu klären, ist Aufgabe der nun folgenden Erörterung.

302

So Bäcker explizit in der Zweitauflage: Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl., S. 127 Fn. 439. 303 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144 f. und 152. 304 Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl., S. 127. 305 Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl., S. 127. 306 Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl., S. 127. In dieser Arbeit soll daher auch weiter der Begriff des Diskursideals zu Grunde gelegt werden. Auf einer gesonderte Auseinandersetzung mit dem Begriff des optimalen Diskurses kann verzichtet werden. 307 Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl., S. 127. 308 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (113).

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

167

a) Konsensproblem Das Konsensproblem besteht darin, dass auch im idealen Diskurs Alexys keine Garantie besteht, dass ein Konsens erzielt wird oder ein erzielter Konsens nicht endgültig oder definitiv ist.309 Dies ist auf die „diskursresistenten“, „anthropologischen“ Unterschiede der Menschen, die auch im idealen Diskurs bestehen könnten, zurückzuführen.310 Das heißt, es steht nicht fest, ob Menschen – selbst unter idealen Bedingungen – nicht Unterschiede aufweisen, die sich der Diskurssituation entziehen, sodass sich widersprechende Positionen selbst im idealen Diskurs vertreten werden können.311 Menschen sind unterschiedlich und individuell. Würde man in der idealen Dimension vom Gegenteil ausgehen, müsste man Individualität und Unterschiedlichkeit als etwas „nicht-ideales“ stigmatisieren und eine Welt der Gleichheit begründen. Dies kann nicht gewollt sein und widerspräche den Grundfesten der Alexyschen Diskurstheorie, die die Autonomie des Einzelnen respektiert. Die Richtigkeit der Diskurstheorie trifft das Konsensproblem allerdings nicht, da nicht der Konsens, sondern die Prozedur maßgeblich für das Richtigkeitskriterium der Diskurstheorie ist.312 Im Rahmen der unten näher zu erörternden Konzeption der absolut-prozeduralen Richtigkeit Alexys wird darauf zurückzukommen sein. Umgekehrt führt das Ein-Ebenen-Modell Bäckers zu einem völligen Verzicht auf den Konsensgedanken und damit zu einer „sehr starken Relativität“ der Diskursergebnisse, wie Bäcker selbst erkennt.313 Der diskursive Konsens als Richtigkeitskriterium geht mit diesem Verzicht verloren.314 Der gänzliche Verzicht auf den Konsens ist damit nicht nur ein schmerzlicher Nachteil der Bäckerschen Konzeption, sondern auch wenig überzeugend zur Überwindung des Konsensproblems. Bestehen Schwierigkeiten, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie in der Alexyschen Konzeption der Konsens, so besteht eine überzeugende Überwindung des Problems nicht darin, das an sich hochwertige und systemtragende Ziel der einzig richtigen Antwort, also des Konsenses, aufzugeben. Mithin ist die Bäckersche Konzeption nicht geeignet, dem Konsensproblem adäquat zu begegnen.

309 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (115); zum Konsensproblem siehe auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 118. 310 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (115). 311 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (115). 312 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (119); krit. dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 119. 313 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 148. 314 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 150.

168

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

b) Richtigkeitsproblem Der wichtigste Aspekt, um die Konzeption des Zwei-Ebenen-Modells zu erfassen, ist das Richtigkeitsproblem, welches sich unterteilen lässt: Erstens in das Objektivitätsproblem und zweitens in das Widerspruchsproblem.315 aa) Objektivitätsproblem Das Objektivitätsproblem lässt sich mit folgendem Satz Alexys erfassen: „Wenn alle einem Satz zustimmen, bedeutet dies nicht, dass er richtig oder wahr ist, denn alle können sich irren.“316 Das Objektivitätsproblem macht also eine unzulässige Gleichsetzung der Zustimmung aller (Konsens) und der Wahrheit oder Richtigkeit geltend.317 Dieses Problem kann im Rahmen des Zwei-Ebenen-Modells gelöst werden. Nach Alexys Diskurstheorie ist nämlich nicht der Konsens, sondern die durchgeführte Diskursprozedur der Grund für die Richtigkeit eines Diskursergebnisses.318 In anderen Worten ließe sich sagen, dass Richtigkeit nicht über das Ziel, sondern über einen bestimmten Weg zu diesem Ziel garantiert wird. Voraussetzung dafür ist die bestehende Urteilsfähigkeit319 der Diskursteilnehmer, wobei das Ergebnis auch durch die subjektiven Eigenheiten dieser geprägt sein kann, gleichzeitig aber Objektivität aufgrund der diskursiven Überprüfung gewährleistet ist.320 Bäcker behauptet, in seinem Modell würde das Objektivitätsproblem „noch weiter zurückgedrängt“ werden, da in tatsächlichen Diskursen ohnehin keine vollständige Objektivität erreicht werden kann; möglich sei lediglich ein Ergebnis, das je nach eingespeistem Diskursideal und den daraus folgenden Diskursprinzipien so 315

Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (118); siehe dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 119; Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (118) nennt zudem noch ein drittes Problem, welches er als „Problem des Begriffs der Richtigkeit“ bezeichnet, das aber nur daraus resultiert, dass der Begriff der Richtigkeit mit Kriterien aufgeladen sei, was zu einer Verwischung zwischen den Begriffen Richtigkeit und Kriterien der Richtigkeit führen könnte. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ernstzunehmendes Problem, weshalb keine weiteren Ausführungen erforderlich sind. Diesen Standpunkt teilt auch Alexy. 316 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (119) in Bezug auf Weinberger, Logische Analyse als Basis der juristischen Argumentation, in: Metatheorie juristischer Argumentation, S. 159 (188). 317 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (119). 318 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (119); scheinbar krit. dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 119. 319 Von der grundsätzlichen Urteilsfähigkeit der Diskursteilnehmer ist mit Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (120) auszugehen. Schon Kant geht davon aus, dass auch und gerade der einfache Mensch in der Lage ist „was gut, was böse, was pflichtmäßig oder pflichtwidrig“ ist (Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, AA IV, S. 385 (403 f.); siehe dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 119 Fn. 397. 320 Vgl. Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (121); dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 119 f.

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

169

objektiv ist, wie es unter den bestehenden Umständen sein kann.321 Dieses Eingeständnis gilt aber auch für die realen Diskurse bei Alexy, in denen ebenfalls keine vollkommene Objektivität erreicht werden kann. Mithin lässt sich auch bezüglich des Objektivitätsproblems kein Vorzug im Bäckerschen Modell finden. bb) Widerspruchsproblem Das Widerspruchsproblem ist das zweite mit dem Richtigkeitsbegriff verknüpfte Problem und baut auf dem Konsensproblem auf. Ausgangspunkt ist, dass sich die These, „dass es auf jede praktische Frage nur eine einzig richtige Antwort“322 gebe, mit der These, dass es auch in idealen Diskursen möglich sei, zwei widersprechende Normen als richtig zu erkennen und zu bezeichnen, wiederspricht.323 Alexy lehnt zu Recht die These, es gebe auf jede praktische Frage nur eine einzig richtige Antwort, als bloße Fiktion ab.324 Trotz der Aufgabe der These, es gebe nur eine richtige Antwort auf jede praktische Frage, kann im Zwei-Ebenen-Modell an der absoluten Richtigkeit im idealen Diskurs festgehalten gehalten werden. Dies gelingt Alexy über die Konzeption der „absoluten prozeduralen Richtigkeit“325. Alexy begründet seine Konzeption der absoluten prozeduralen Richtigkeit, indem er die einzig richtige Antwort im idealen Diskurs nur als „regulative Idee“ im Sinne eines „anzustrebenden Ziels“ einführt.326 Zu Recht geht er davon aus, dass „die regulative Idee absoluter prozeduraler Richtigkeit und mit ihr die Vorstellung des idealen Diskurses“327 eine notwendige Voraussetzung des gelungenen Argumentierens im realen Diskurs ist.328 Die These, es gebe auf praktische Fragen nur eine einzig richtige Antwort, behält Alexy also abgeschwächt als regulative Idee im idealem Diskurs bei; verzichtete man auf diese Konzeption, so hätte der Begriff der Richtigkeit „keinen absoluten prozeduralen, sondern nur einen relativ prozeduralen Charakter.“329

321

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 149. Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (121). 323 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (121). 324 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (122). 325 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (123); siehe zu alledem auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 120. 326 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (122); Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Rechtssystems, in: Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, S. 30 (35); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 126. 327 Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Rechtssystems, in: Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, S. 30 (35). 328 Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Rechtssystems, in: Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, S. 30 (35); dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 125 f. 329 Alexy, Diskurstheorie und Rechtssystem, Synthesis Philosophica 5 (1988), S. 299 (304); Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (123). 322

170

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Die Frage, ob mehrere Antworten gleichberechtigt als wahr oder richtig nebeneinanderstehen können, führt in den Wahrheitsbegriff. Eine vertiefte Diskussion dazu ist weder zielführend noch leistbar in dieser Arbeit. Zusammenfassend lässt sich vielmehr sagen, dass die Richtigkeit im Alexyschen Modell, verstanden als diskursive Richtigkeit, über die Beibehaltung der einzig richtigen Antwort als regulative Idee, zu einer absolut prozeduralen Richtigkeit führt. Diese Konzeption Alexys weist einen für die Richtigkeit in der Diskurstheorie bedeutenden formal-prozeduralen Charakter auf. An dieser Stelle kann ein zusätzlicher Grund vorgetragen werden, weshalb an der Konzeption der absolut prozeduralen Richtigkeit im idealen Diskurs festgehalten werden sollte. Dabei geht es um die materielle Wertigkeit dieser Konzeption. Die Frage, die Alexy nicht stellt, ist, ob die Konzeption einer einzig richtigen Antwort auf praktische Fragen überhaupt einen materiellen Mehrwert darstellt. Geht man von der einzig richtigen Antwort als regulative Idee aus, bedeutet dies notwendig auch, den Konsens als regulative Idee im idealen Diskurs anzusehen. Freilich ist, wie oben dargelegt, nicht der Konsens in Form einer Antwort, sondern die Prozedur nach den Diskursregeln das „eigentliche Richtigkeitskriterium der Diskurstheorie“.330 Das heißt aber nicht, dass der Konsens gar keinen eigenen Wert hat. Er weist einen materiellen Charakter von enormer Wirk- und Überzeugungskraft auf. Der Konsens zwischen zwei oder mehreren Diskursteilnehmern bezogen auf eine praktische Frage, sei es im idealen oder realen Diskurs, hat eine friedensstiftende Wirkung, solange es sich um einen wirklichen Konsens handelt, der von allen Diskursteilnehmern tatsächlich als richtige Antwort auf die praktische Frage angesehen wird und eigenverantwortlich ermittelt wurde. Diese materielle Wirkkraft des Konsenses als friedensstiftendes Produkt unter den Diskursteilnehmern ist ein weiterer Grund, weshalb der Konsens und damit eben auch die einzig richtige Antwort als regulative Idee im idealen Diskurs beizubehalten ist. Alexy hält an dieser Konzeption der einzig richtigen Antwort als regulative Idee fest und benötigt dafür den Konsens als eine Art notwendiges Zwischenziel. Dieser Argumentation wurde oben gefolgt. Zu ergänzen ist, dass auch der Konsens einen eigenen materiellen Wert hat, der gleichfalls dafür spricht, an der Konzeption absolut-prozeduraler Richtigkeit festzuhalten. Auf diese Weise kann dem Widerspruchsproblem adäquat begegnet werden. Hinzu kommt, dass aufgrund des realen Diskurses das Widerspruchsproblem331 tatsächlich weitgehend gelöst wird. Zwei sich widersprechende Ergebnisse müssen in diesem nicht mehr als richtig, sondern können als diskursiv möglich bezeichnet werden.332 Hier wird deutlich, dass das Zwei-Ebenen-Modell Alexys erst durch die Wechselwirkung zwischen idealem und realem Diskurs ein in sich geschlossenes System ergibt. 330

Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (120). Siehe oben Kapitel C. III. 3. b) bb). 332 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (124); dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 123. 331

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

171

Bäcker begegnet dem Widerspruchsproblem auf andere Weise. Ganz im Gegensatz zur Einführung der regulativen Idee und dem Konzept absolut prozeduraler Richtigkeit räumt er ein, dass es in tatsächlichen Diskursen häufig dazu kommen kann, dass zwei unvereinbare Normen Ergebnis eines Diskurses sind.333 Bäcker geht davon aus, dass eine einzig richtige Antwort unmöglich ist, da alle Diskursergebnisse ohnehin nur relativ in Bezug auf das jeweilige Diskursideal richtig sein können.334 Der Vorzug des Bäckerschen Modells könnte darin gesehen werden, dass mit diesem zumindest transparent ist, dass das Widerspruchsproblem besteht. Das Problem selbst wird damit nicht gelöst, es wird nur der Anspruch aufgegeben, es zu lösen. Aber auch der Vorzug der Transparenz existiert nicht, da dieses ehrliche Eingeständnis erstens auch für den realen Diskurs bei Alexy gilt335 und zweitens im idealen Diskurs die Konzeption der einzig richtigen Antwort nur regulative Idee ist. Wesensmerkmal des Bäckerschen Modell ist die vollständige Aufgabe des Idealen und eine vollkommene Relativierung. Dies expliziert Bäcker mit folgendem Satz: „Die mögliche Widersprüchlichkeit diskursiv möglicher Antworten ist Teil des Konzepts“336. Das Bäckersche Modell überwindet das Problem damit nicht, sondern führt es für den hohen Preis extremer Relativierungen in das Konzept ein. c) Kriteriums- und Konstruktionsproblem Damit bleibt die Frage zu klären, ob der ideale, nicht durchführbare Diskurs nach Alexy oder das auswechselbare Diskursideal Bäckers ein besserer Maßstab für den realen Diskurs ist. Dies berührt vor allem das Kriteriumsproblem, aber auch das Konstruktionsproblem. Das Konstruktionsproblem ergibt sich daraus, dass die tatsächlich existierenden Diskursteilnehmer die oben aufgeführten idealen Bedingungen im Alexyschen Modell nicht erfüllen können. Damit diese den Bedingungen vollkommener sprachlicher Klarheit, Rollentauschfähigkeit usw. im hypothetischen idealen Diskurs gerecht werden, muss man für diesen von „idealen oder konstruierten“ Teilnehmern ausgehen.337 Bäcker spricht von der Überwindung des Konstruktionsproblems in seinem Modell; freilich ist dies im Ein-Ebenen-Modell, in dem stets von tatsächlichen, also unvollkommenen Diskursteilnehmern ausgegangen wird, kein Problem.338 In Alexys 333

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 149 f. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 150. 335 Dies gesteht auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 149: „Dieser weite Bereich der diskursiven Möglichkeit [gemeint ist das Widerspruchsproblem also die Möglichkeit zwei sich widersprechender Normen als Diskursergebnisse] ist eine starke Schwäche tatsächlicher wie realer Diskurse.“ (Hervorhebungen eingefügt) 336 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 150. 337 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (114). 338 Ausführlich Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 148. 334

172

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Zwei-Ebenen-Modell ist die Annahme der konstruierten Diskursteilnehmer aber ebenfalls erträglich. Erstens gibt es auch dort den realen Diskurs, in dem diese Anforderungen gerade nicht bestehen, und zweitens ist das Festhalten an idealen Diskursteilnehmern als Voraussetzung einer gedachten idealen Ebene wiederum nur regulative Idee. Das Kriteriumsproblem lässt sich in der Frage zusammenfassen, wie der ideale Diskurs als Maßstab der Richtigkeit verwendet werden kann, wenn es per definitionem unmöglich ist, einen solchen durchzuführen.339 Es ist sowohl von Alexy340 und Bäcker341 als auch in dieser Arbeit unbestritten, dass ideale Diskurse nicht durchführbar sind. Aufbauend auf diesem Problem geht es jetzt darum zu klären, ob der ideale Diskurs dennoch sinnvoller Maßstab für den realen Diskurs sein kann. Alexy argumentiert im Rahmen des Kriteriumproblems, dass das Ergebnis eines realen Diskurses nur überprüft werden kann mit der Frage, ob dieses Ergebnis „das Ergebnis eines idealen Diskurses sein könnte.“342 Möglich ist daher nur eine „approximative“343, das heißt näherungsweise Erfüllung der Anforderungen des idealen Diskurses.344 Dies ist ein wichtiger Schritt zur Lösung des Kriteriumproblems und damit der Frage, wie der ideale Diskurs Maßstab für den realen Diskurs sein kann. Eine nur approximative Erfüllung ist ebenso wie die Idee des konstruierten Diskursteilnehmers hinzunehmen. In Bäckers Modell stellen sich das Kriteriums- und das Konstruktionsproblem nicht, da es keinen idealen, nicht durchführbaren Diskurs, sondern nur tatsächlich unvollkommene Diskurse kennt.345 Bäcker geht sodann zum hier schon oben behandelten Richtigkeitsproblem über und behauptet, der ideale Diskurs tauge nicht als Richtigkeitskriterium.346 Im Modell Bäckers dient hingegen das bloß relative Diskursideal als Kriterium der Richtigkeit.347 Damit liegt kein geeigneteres Richtigkeitskriterium vor als im Zwei-Ebenen-Modell. Relative Richtigkeit heißt nichts anderes, als dass eine Abhängigkeit vom Diskursideal, welches im tatsächlichen, unvollkommenen Diskurs gebildet wurde, besteht.

339

Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (116). Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (116). 341 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 129. 342 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (116). 343 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (117). 344 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (117); siehe dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 119. 345 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 149. 346 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 149. 347 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 149. 340

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

173

d) Abschließende Betrachtung Folgendes kann festgehalten werden: Es ist zumindest möglich, am idealen Diskurs festzuhalten und mit Alexy einzugestehen, dass im realen Diskurs wegen der Nichtdurchführbarkeit des idealen Diskurses nur eine hypothetische Richtigkeitskontrolle stattfinden kann. Mit der Konzeption absolut-prozeduraler Richtigkeit kann den genannten Problemen im Zwei-Ebenen-Modell begegnet werden, wohingegen das Bäckersche Modell den Anspruch an einen idealen Richtigkeitsmaßstab aufgibt. Bäcker akzeptiert von vornherein die Relativität eines tatsächlichen Diskurses.348 Er betont selbst zu Recht, dass sein Modell damit bescheidenere Ansprüche erhebt.349 Die Bescheidenheit liegt in dem Verzicht auf die ideale Ebene. Ihm ist zuzugestehen, dass sich bestimmte behandelte Probleme mit diesem Verzicht gar nicht mehr stellen oder einfach akzeptiert werden. Es kann aber nur schwerlich von einer Überwindung350 dieser Probleme gesprochen werden. Vielmehr ist die Reduktion auf Eindimensionalität der tatsächlichen und damit unvollkommenen Diskurse eine Kapitulation vor den Schwierigkeiten einer idealen Ebene. Bäcker nennt dennoch weitere Vorteile, die er als Argumente zur Rechtfertigung seines Modells heranzieht. Dazu gehört die normtheoretische Erfassung von Diskursregeln als Prinzipien, der Verzicht auf den idealen Diskurs351 sowie der rein formale Charakter seines Modells.352 Nach der hier vertretenen Auffassung liegt in dem rein formalen Charakter nicht der „vielleicht größte Vorteil“353 des Modells, wie Bäcker meint, sondern die bedeutendste Schwäche. Bäcker betont selbst: „Entscheidend für die materialen Aussagen darüber, was ein Diskurs ist, und damit darüber, was diskursiv möglich ist, ist letztlich nur das Diskursideal.“354 Dieses ist aber im Modell Bäckers nicht bestimmt. Es wird in unvollkommenen Diskursen ermittelt, es ist gerade nicht ideal, sondern austauschbar, womit Bäcker die Relativität der Ergebnisse tatsächlicher Diskurse und der menschlichen Erkenntnisfähigkeit unterstreichen will.355 Ein Diskursideal, was von vornherein nicht den Anspruch erhebt, eine echte ideale Ebene zu verkörpern, kann keinen überzeugenden Maßstab für die Richtigkeit von Diskursprozedur und Diskursergebnis bieten. Der rein formale Charakter führt dazu, dass das Bäckersche Modell keine feste Aussage darüber treffen kann, was einen

348

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 148, S. 150, S. 151. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 150. 350 So aber die Überschrift bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 148. 351 An dieser Stelle wird sehr deutlich, dass Bäcker auch schon bei der Abfassung von „Begründen und Entscheiden“ von einem „Ein-Ebenen-Modell“ ausgegangen ist. 352 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 147. 353 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 151. 354 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 151. 355 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 151. 349

174

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

guten Diskurs ausmacht.356 Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Mediation diskurstheoretisch zu legitimieren. Ohne einen idealen Diskurs gibt es keinen relevanten Prüfstein, an dem der reale Diskurs in der Mediation gemessen werden könnte. Ein austauschbares Diskursideal ist keine hinreichende Grundlage. Sinn und Zweck der Diskurstheorie losgelöst von der Mediation kann zudem auch darin gesehen werden, feststellen zu können, wie reale Diskurse verbessert, also dem idealen Diskurs angenähert werden können und ob sie diskursiv richtige Ergebnisse produzieren; dann aber bedarf es auch einer idealen Ebene. Freilich lässt sich über den rein formalen Charakter des Bäckerschen Modells relativ auf das Diskursideal und die bestehenden Umstände eine „optimierte relative Richtigkeit“357 erzeugen.358 Dies reicht aber nicht aus. Als Schwäche problematisiert Bäcker zu Recht die Unbestimmtheit des Diskursideals, die das Spiegelbild des eben behandelten rein formalen Charakters seines Modells ist.359 Bäcker greift etwas überspitzt den eben vorgebrachten Einwand, „alles könne als Diskursideal“360 eingesetzt werden, auf. Bäcker meint jedoch, dass, wer diesen Einwand erhebe, übersehe, dass nur das als Diskursideal eingesetzt werden kann, was unseren Vorstellungen vom Diskursideal entspricht.361 Er spricht von „historisch-kontingenter Idealvorstellung“362. Offenbar besteht hier ein Zusammenhang zu der Begründung der Diskursregeln relativ bezogen auf die Sprachpraxis,363 den Bäcker jedoch nicht expliziert. Es ist aber sehr deutlich, dass derselbe Relativismus stattfindet. Bäcker bezeichnet „diese weitreichende Relativität der diskursiven Ergebnisse“ als einen wichtigen „Schritt zur Rationalisierung menschlicher Erkenntnis“.364 Damit würde sich das Problem der Unbestimmtheit des Diskursideals zum Vorteil der Erkenntnis der Relativität selbst wandeln.365 Gegen diese Argumentation lassen sich erhebliche Einwände vorbringen. Erstens ist die Klarheit über die Relativität kein Vorzug, der nur dem Bäckerschen Modell innewohnt. Für den realen Diskurs im Zwei-Ebenen-Modell ist ebenso deutlich, dass nur eine relative Richtigkeit erreicht werden kann.366 Es ist transparent, dass der ideale Diskurs nicht tatsächlich durchgeführt werden kann. Wird dieser ideale 356 Dies gesteht Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 152 ff. und vor allem S. 159 ff., explizit ein. Er spricht von der nicht mehr als „partikularen Geltung“ eines Diskursideals (S. 152) und der „offenen Klasse der Gegenstände der Diskursprinzipien“ (S. 159). 357 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 151. 358 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 151. 359 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 152 ff. 360 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 152. 361 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 152. 362 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 152. 363 Siehe oben Kapitel C. II. 3. a) bb) (1) (a). 364 Beide Anführungen aus Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 154. 365 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 154. 366 Siehe oben Kapitel C. III. 1. b).

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

175

Diskurs zu einem auswechselbaren Diskursideal, das aus dem tatsächlichen und unvollkommenen Diskurs heraus festgelegt wird, geht die Relativierung zu weit. Dies zeigen gerade die von Bäcker vorgebrachten historischen Beispiele. Er nennt die Ablehnung des Frauenwahlrechts, das Züchtigungsrecht der Lehrer und den Antisemitismus.367 All dies war nach Bäcker diskursiv möglich, ist aber heute diskursiv unmöglich.368 Bäcker will darin den Vorteil, über sein Modell, genauer über die veränderten Diskursideale, geschichtliche Entwicklungen erklären zu können, erkennen.369 Der Preis dafür in Form der Relativität ist hoch. Alexy selbst hat diese Problematik am Beispiel der Sklaverei erörtert. Nach seinen und den hier zugrunde gelegten Diskursregeln beruht Sklaverei auf einem diskursiv unmöglichen Urteil, ist also diskursiv zwingend durch die Diskursregeln ausgeschlossen.370 Bezogen auf den europäischen und amerikanischen Kolonialismus sowie die Antike haben jedoch die dort geführten realen Diskurse ein gegenteiliges Ergebnis erzeugt. Fraglich ist, ob dies ein systemimmanenter Widerspruch in Alexys Theorie ist.371 Fest steht, dass es in Bäckers Modell einen derartigen Widerspruch nicht gibt.372 Dort ist die Sklaverei bei einem entsprechend historisch gewachsenen Diskursideal möglich. Allein das eingespeiste Diskursideal ist entscheidend. Es drängt sich die Frage auf, ob nicht damit das Bäckersche Modell vor einem viel größeren Problem, nämlich dem der Wertfreiheit als Problem des vollkommenen Relativismus steht. Auch kann dem unterstellten Widerspruch in Alexys Modell begegnet werden. Alexy geht davon aus, dass das notwendige Ergebnis eines rational-praktischen Diskurses über die Sklaverei selbst im Alten Rom zum Ergebnis käme, dass es sich um Unrecht handelt.373 Alexy stellt klar, dass nicht die Umstände des tatsächlichen Diskurses (Gesellschaft des alten Roms), sondern die Diskursregeln auch zu diesem Zeitpunkt ein diskursiv notwendiges Ergebnis vorgeben (Ungerechtigkeit der Sklaverei), der reale Diskurs aber aufgrund der Umstände noch nicht zu diesem Ergebnis gelangt ist.374 Damit ist der Widerspruch hinreichend entkräftet. Bäcker versucht auch diesbezüglich, weitere Einwände zu erheben. Er wirft die Frage auf, wie die richtigen Diskursergebnisse erkannt werden sollen, wenn nicht im tatsächlichen Diskurs.375 Der ideale Diskurs als regulative Idee und damit die Konzeption absolut-prozeduraler Richtigkeit gibt eine Antwort auf diese Frage. Diese Konzeption konnte oben bereits verteidigt werden.

367

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 152. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 152. 369 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 152. 370 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 256. 371 So Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 80; ihm folgend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 153. 372 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 153. 373 Alexy, Law, Discourse and Time, in: ARSP-Beiheft 64 (1995), S. 101 (107). 374 Vgl. Alexy, Law, Discourse and Time, in: ARSP-Beiheft 64 (1995), S. 101 (107). Siehe dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 153. 375 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 153 f. 368

176

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Ein letzter in dieser Arbeit aufzugreifender Einwand gegen das Alexysche Modell ist der Vorwurf der Unklarheit. Bäcker behauptet, Alexy erwecke durch die Gegenüberstellung von absolut-prozeduraler Richtigkeit im idealen Diskurs und relativ-prozeduraler Richtigkeit im realen Diskurs den Eindruck, es gebe im idealen Diskurs keine Relativierungen.376 Solche gebe es jedoch laut Bäcker auch im idealen Diskurs bei Alexy aufgrund der oben angesprochenen diskursresistenten menschlichen Verschiedenheiten.377 Die Möglichkeit diskursresistenter Unterschiede bei den idealen Diskursteilnehmern muss jedoch nicht als Relativierung hervorgehoben werden, sondern drückt sich in der „absoluten Richtigkeit als prozedurale Richtigkeit“ aus, wie Bäcker selbst zugesteht.378 Bäcker nimmt an, dass diese Konzeption zumindest möglich ist.379 Alexy stellt gerade heraus, dass es sich um eine lediglich prozedurale Richtigkeit handelt. Bedenkt man, dass der ideale Diskurs zudem regulative Idee ist, ist es nicht erforderlich, eine Relativierung gesondert hervorzuheben, wie es Bäcker aber vorschlägt.380Auch der Einwand der Unklarheit ist damit zurückzuweisen. Die Grundkonzeption des Zwei-Ebenen-Modells konnte damit verteidigt werden. Für die Praxis der realen Diskurse bleibt lediglich problematisch, dass der ideale Diskurs als regulative Idee wenig handhabbare, praxistaugliche Kriterien liefert. Wie gesehen, ist dafür keine vollkommene Relativierung, wie Bäcker sie vornimmt, erforderlich, gleichwohl bleiben Konkretisierungen wünschenswert. Dazu soll eine Vermittlungsstufe zwischen idealem und realem Diskurs eingeführt werden. Wird eine solche in das Zwei-Ebenen-Modell eingesetzt, kann anhand dieser besser beantwortet werden, wie weit sich ein realer Diskurs an den idealen Diskurs annähert oder entfernt. Die Funktion der Diskurstheorie als Prüfstein realer Diskurse lässt sich so stärken. In dieser Arbeit ließe sich bei einer solchen Vermittlungsstufe fragen, inwiefern Mediation die Aufgabe einer solchen Vermittlungsstufe erfüllt. Um diese im Zwei-Ebenen-Modell einzuführen, kann auf die normentheoretische Erfassung der Diskursregeln als Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten nach Bäcker zurückgegriffen werden. Bei Bäcker heißt es: „Die näherungsweise erfüllbaren Diskursregeln, insbesondere die Vernunftregeln, sind keine Regeln, sondern Prinzipien.“381 Höchst überraschend ist, dass Bäcker auf diesen Vorteil nur kurz eingeht und ihn als eher technischen, weniger wichtigen Vorteil bewertet.382 Dabei ist die normentheoretische Erfassung der Diskursregeln als Prinzipien die wohl bedeutendste und innovativste Neuerung der Bäckerschen Konzeption. Durch die Diskursprinzipien ist es möglich, basierend auf einer klaren normentheoretischen 376 377 378 379 380 381 382

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 124. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 125. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 125. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 125 Fn. 424. Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 125, 127 ff. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 147. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 147.

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

177

Basis ein praxistaugliches Instrument für den realen (tatsächlichen) Diskurs bereitzustellen. Dieser kann über die Diskursprinzipien dem Diskursideal angenähert werden. Dies ist ein bedeutender Vorteil gegenüber dem Alexyschen Modell, das mit dem idealen Diskurs einen wenig fassbaren Maßstab für den realen Diskurs bietet. Da Bäcker jedoch kein Diskursideal festlegt und ein rein prozedurales, rein formales und relativistisches Modell zu Grunde legt, kann er auch keine konkreten Diskursprinzipien ermitteln. Damit verliert die Einführung von Diskursprinzipien in seinem Modell viel von ihrem Wert. Anders verhielte es sich, würde die Idee des Diskursprinzips in das Zwei-Ebenen-Modell Alexys eingebettet werden. Dann bleiben die genannten Vorteile dieses Modells erhalten, ohne den hohen Preis der Relativierungen in Bäckers Modell in Kauf nehmen zu müssen. Nach diesem Fazit soll im Folgenden eben dieses Vorhaben verwirklicht werden.

4. Modifikationsthese: Das Zwei Ebenen-Modell unter Einführung einer Vermittlungsstufe Aus all dem folgt die Vorzugwürdigkeit des Zwei-Ebenen-Modells schon allein aus diskurstheoretischer Argumentation. Das Ziel dieser Arbeit ist zudem die überpositive und universelle Legitimation der Mediation auf diskurstheoretischer Basis. Dazu ist ein Modell mit einem idealen Diskurs und einer absolut prozeduralen Richtigkeitskonzeption geeigneter als ein Modell, welches auf unvollkommenen Diskursen beruht und immer nur eine relative Richtigkeit zu proklamieren weiß. Das Zwei-Ebenen-Modell Alexys kann allerdings nicht ohne eine wichtige Modifikation zu Grunde gelegt werden. Es leidet weiterhin daran, dass der ideale Diskurs nicht durchführbar ist und dem realen Diskurs nur als regulative Idee dient. Damit besteht ein hypothetisches Richtigkeitskriterium für den realen Diskurs, aber es mangelt an Vorgaben zur konkreten Verbesserung der Diskurssituation. Will man reale Diskurse, das heißt unvollkommene Diskurse, verbessern, bietet das Alexysche Modell keine hinreichende praktische Anleitung dazu. Der ideale, nicht durchführbare Diskurs ist zwar als regulative Idee bereits eine für den realen Diskurs relevante Leitidee, aber sie ist nicht hinreichend konkret. Die in dieser Arbeit präsentierte Modifikationsthese geht davon aus, dass eine Preisgabe der idealen Ebene, wie sie Bäcker in seinem Modell favorisiert, nicht notwendig ist. Notwendig und zugleich hinreichend ist eine Modifikation des ZweiEbenen-Modells in dem Sinne, dass zwischen realem und idealem Diskurs eine Vermittlungsstufe eingeführt wird. Diese besteht aus den Diskursprinzipien, die wiederum aus dem idealen Diskurs abgeleitet werden. Durch die Diskursprinzipien wird dem realen Diskurs ein hinreichend konkreter Maßstab gegeben und damit ein handhabbares Instrument zur Verbesserung der realen, stets unvollkommenen Diskurse. Verbesserung meint dabei, dass die realen Diskurse optimiert werden. Sie können per definitionem nicht zu einem idealen Diskurs werden und bleiben stets unvollkommen. Die Geltung der Diskursprinzipien im realen Diskurs, also die

178

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Geltung von Optimierungsgeboten, die aus dem idealen Diskurs abgeleitet werden, führt jedoch dazu, dass sich der reale Diskurs dem idealen Diskurs annähert. Insofern kann mit Bäcker von einer ideal-approximativen Wirkung der Diskursprinzipien gesprochen werden.383, 384 Welche Prinzipien ergeben sich aus dieser Konzeption für den realen Diskurs? Dazu ist nochmals ein Blick auf die Definition des idealen Diskurses zu werfen. Der ideale praktische Diskurs ist definiert durch die Suche einer Antwort auf eine praktische Frage „unter den Bedingungen unbegrenzter Zeit, unbegrenzter Teilnehmerbereitschaft und vollkommener Zwanglosigkeit im Wege der Herstellung vollkommen sprachlich-begrifflicher Klarheit, vollkommener empirischer Informiertheit, vollkommener Fähigkeit und Bereitschaft zum Rollentausch und vollkommener Vorurteilsfreiheit.“385

a) Die feststehenden Diskursprinzipien Damit ergeben sich relativ auf die tatsächlichen Möglichkeiten und relativ auf die jeweils anderen Diskursprinzipien bestimmte Diskursprinzipien, die im realen Diskurs umgesetzt werden sollen.386 Bei der nun folgenden Darstellung dieser Prinzipien sind zahlreiche Parallelen zu Prinzipien und Techniken in der Mediation augenscheinlich, auf die aber erst später eingegangen wird. aa) Prinzip der Zeit Freilich kann ein realer, also in jeder Hinsicht unvollkommener Diskurs nicht endlos geführt werden. Er ist notwendig einer zeitlichen Begrenzung unterworfen, die es im idealen Diskurs nicht gibt.387 Dort gibt es unbegrenzt viel Zeit. Damit ergibt sich für den realen Diskurs folgendes Prinzip: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, möglichst viel Zeit für den Diskurs einzuräumen.

383

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 140. Die normentheoretische Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien muss an dieser Stelle nicht erneut geführt werden, da dies bereits oben im Kontext der Mediationsprinzipien geschehen ist. Siehe oben Kapitel A. I. 2. b). 385 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (113); vgl. auch die Ausführungen zu allen vier Problemen bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 118 ff. 386 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144, der feststehende Diskursprinzipien im Rahmen seines Modells freilich ablehnt, aber erwähnt, welche Diskursprinzipien sich im Alexyschen Modell ergeben müssten. 387 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 125. 384

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

179

bb) Prinzip der Teilnehmerschaft Während im idealen Diskurs die Teilnehmerschaft unbegrenzt ist, ist in einem realen Diskurs schon aus praktischen Gründen immer nur eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern möglich. Da sich die Diskursprinzipien jedoch aus dem idealen Diskurs ableiten, gilt für den realen Diskurs folgendes Prinzip: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, möglichst vielen Personen die Teilnahme am Diskurs zu ermöglichen.388

cc) Prinzip der Zwanglosigkeit Völlige innere und äußere Zwanglosigkeit wird realiter nicht erreicht werden können. Es kann jedoch eine Menge dafür getan werden, die Zwanglosigkeit und damit Eigenverantwortung und Autonomie des Einzelnen zu stärken. Für die Situation des realen Diskurses ergibt sich aus dem idealen Diskurs, in dem völlige Zwanglosigkeit herrscht, folgendes Prinzip: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, eine möglichst weitgehende Zwanglosigkeit aller Diskursteilnehmer zu gewährleisten.

dd) Prinzip der sprachlich-begrifflichen Klarheit Während sich im idealen Diskurs die Diskursteilnehmer schon aufgrund ihrer idealen Eigenschaften immer sprachlich-begrifflich vollkommen klar ausdrücken, kann dies im realen Diskurs nur als Prinzip formuliert werden. Gegenstand des Prinzips, den es zu optimieren gilt, ist die sprachlich-begriffliche Klarheit. Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, eine möglichst weitgehende sprachlich-begriffliche Klarheit der Diskursteilnehmer zu erreichen.

ee) Prinzip der empirischen Informiertheit Während der ideale Diskursteilnehmer in vollkommenem Maß über alle die jeweiligen praktischen Fragen betreffenden Informationen verfügt, kann dies schon wegen der begrenzten menschlichen Geistestätigkeit im realen Diskurs niemals erreicht werden. Die Diskurssituation nähert sich jedoch dem idealen Diskurs an, wenn alle Diskursteilnehmer möglichst weitgehend alle empirisch verfügbaren Informationen betreffend die praktische Frage vor und während des Diskurses erhalten. Demnach gilt folgendes Prinzip:

388 Vgl. dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2. Aufl., S. 147 der das Diskursprinzip der Teilnehmerschaft beispielhaft in ähnlicher Weise formuliert.

180

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, allen Diskursteilnehmern möglichst viele der verfügbaren Informationen betreffend die jeweilige praktische Frage zur Verfügung zu stellen.

ff) Prinzip der Bereitschaft zum Rollentausch Der ideale Diskursteilnehmer weist eine vollkommene Bereitschaft zum Rollentausch auf. Im realen Diskurs hingegen ist der Diskursteilnehmer in seiner eigenen Rolle verhaftet und er ist selten bereit, sich in Person und Position der anderen Diskursteilnehmer hineinzuversetzen. Es ergibt sich folgendes Prinzip: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, eine möglichst weitgehende Bereitschaft der Diskursteilnehmer zum Rollentausch zu verwirklichen.

gg) Prinzip der Vorurteilsfreiheit Der ideale Diskursteilnehmer ist ohne Vorurteile gegenüber den anderen Diskursteilnehmern und deren Positionen. Im realen Diskurs lässt sich augenscheinlich ein gegenteiliges Bild zeichnen. Der reale Diskursteilnehmer ist unvollkommen und bewusst und unbewusst mit Vorurteilen belastet. Dies führt häufig zu wenig konstruktiv geführten und konfliktträchtigen Diskursen. Es gibt jedoch zahlreiche Möglichkeiten, in realen Diskursen steuernd einzugreifen, um so Vorurteile abzubauen und einer Überprüfung zu unterziehen. Es ergibt sich folgendes Prinzip: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, eine möglichst weitgehende Vorurteilsfreiheit der Diskursteilnehmer zu fördern.

Damit ist die Modifikationsthese dargelegt. Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Das diskurstheoretische Modell dieser Arbeit enthält zwei Ebenen. Die erste ist der ideale, das heißt in jeder Hinsicht vollkommene Diskurs, die zweite ist der unvollkommene reale Diskurs. Neu an diesem Modell ist die Einführung einer Vermittlungsstufe zwischen den beiden Ebenen. Diese Stufe beinhaltet die Diskursprinzipien, die sich aus dem idealen Diskurs ableiten, und dient der konkreten Verbesserung der Diskurssituation im realen Diskurs. Über die Geltung der Diskursprinzipien im realen Diskurs nähert sich dieser der Situation im idealen Diskurs an. Es gelten die Prinzipien der Zeit, der Teilnehmerschaft, der Zwanglosigkeit, der sprachlich-begrifflichen Klarheit, der empirischen Informiertheit, der Bereitschaft zum Rollentausch und der Vorurteilsfreiheit. Die Vermittlungsstufe kann auch als handhabbarer Prüfstein für jeden realen Diskurs eingesetzt werden. Dazu ist der reale Diskurs auf Geltung und tatsächliche Durchsetzung der Prinzipien zu untersuchen. Je effektiver und besser die Prinzipien umgesetzt werden, desto weiter ist die Annäherung an den idealen Diskurs. Für den Diskurs in der Mediation wird die Vermittlungsstufe eben diese wertvolle Aufgabe des konkreten Prüfungsmaßstabes erfüllen. Diese Prüfung ist Gegenstand des letzten Kapitels.

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

181

b) Vergleich mit dem reinen Zwei-Ebenen-Modell Alexys Das in dieser Arbeit präsentierte Modell orientiert sich an dem Zwei-EbenenModell Alexys und löst zugleich durch die Einführung der Diskursprinzipien in Form der Vermittlungsstufe ein bedeutendes praktisches Problem des Zwei-Ebenen-Modells. Mit der vorangegangenen Darstellung beider Modelle liegen die Unterschiede auf der Hand und müssen an dieser Stelle lediglich kurz genannt werden. Durch die Vermittlungsstufe sind eine handhabbare, insbesondere hinreichend konkrete Anleitung sowie ein Prüfstein für reale Diskurse entstanden. Die normentheoretische Basis, also die Prinzipientheorie, stammt auch aus dem Alexyschen Werk, der diese jedoch in einem ganz anderen Kontext, nämlich der Grundrechtstheorie fruchtbar gemacht hat.389 Der Begriff des Diskursprinzips besteht allerdings auch schon in Ansätzen bei Alexy, wobei er einen Zusammenhang zur Rechtsetzungsprozedur herstellt.390 Teilweise spricht Alexy auch von „Diskursregeln“, womit normentheoretisch betrachtet sowohl Regeln als auch Prinzipien gemeint sein können.391 Diejenigen Diskursregeln, die er als „ideale Regeln“392 bezeichnet, sind diejenigen, die jedenfalls im realen Diskurs nur näherungsweise erreicht werden können393 und damit Prinzipiencharakter aufweisen.394 Anders als in dieser Arbeit hat sich Alexy allerdings nicht genauer zum Begriff und Gegenstand des Diskursprinzips geäußert und auch keinen expliziten Kontext zum Zwei-Ebenen-Modell hergestellt.395 Dies ist mit Einführung der Modifikationsthese geschehen. c) Vergleich mit dem Bäckerschen Modell Die Unterschiede des Bäckerschen Modells zum Zwei-Ebenen-Modells Alexys sind kongruent zu dem hier präsentierten Modell. Da mit der Modifikationsthese die Bäckersche Idee der Diskursprinzipien aufgegriffen wird, ließe sich vermuten, dass zumindest die Diskursprinzipien bei Bäcker und in dieser Arbeit hinsichtlich Inhalt und Funktion gleich sind. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr unterscheiden sie sich fundamental; lediglich die normentheoretische, an Alexy orientierte Basis ist sehr ähnlich. Durch die Einführung der Diskursprinzipien in das Zwei-Ebenen-Modell 389

Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. Alexy, Diskurstheorie und Rechtssystem, Synthesis Philosophica 5 (1988), S. 299 (307). 391 Alexy, Eine diskurstheoretische Konzeption der praktischen Vernunft, in: Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 11 (15 Fn. 24); Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (130 Fn. 12); dazu mit weiteren Nachweisen Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 162 f. 392 Alexy, Theorie des praktischen Diskurses, S. 52. 393 Vgl. Alexy, Theorie des praktischen Diskurses, S. 52. 394 Aufgrund dieser Ansätze kommt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 163 zu Recht zu dem Schluss, dass „der Begriff des Diskursprinzips im Sinne der normentheoretischen Unterscheidung von Regeln und Prinzipien keinen Fremdkörper in Alexys Diskurstheorie darstellt.“ 395 Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 162. 390

182

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

erhalten diese aber sowohl einen anderen Inhalt als auch eine weitergreifende Funktion als im eindimensionalen Modell Bäckers. Der Inhalt ist vorgegeben durch den idealen Diskurs, das heißt über die Bedingungen des idealen Diskurses werden die Gegenstände der Diskursprinzipien abgeleitet. Damit wird das Problem der Unbestimmtheit der Diskursprinzipien, das Bäcker unter dem Titel „die offene Klasse der Gegenstände der Diskursprinzipien“396 erörtert, überwunden. In Bäckers Modell ist der Inhalt der Diskursprinzipien nicht bestimmt. Er richtet sich nach dem Diskursideal, das aber austauschbar ist und lediglich im unvollkommenen tatsächlichen Diskurs festgelegt wird.397 Damit ist auch die Funktion der Diskursprinzipien eine weitergehende. Bei Bäcker wird der tatsächliche Diskurs durch die Diskursprinzipien dem Diskursideal angenähert. Letzteres ist aber im rein formalen Modell, wie schon mehrfach dargelegt, austauschbar und nur über einen tatsächlichen, also unvollkommenen Diskurs festgelegt.398 Im hier präsentierten Modell dienen die Diskursprinzipien der Annäherung an den idealen Diskurs, der im Sinne Alexys als regulative Idee feststeht. Es kann festgehalten werden, dass mit der Einführung der Diskursprinzipien als Vermittlungsstufe im Zwei-Ebenen-Modell zum einen der Inhalt der Diskursprinzipien ein anderer ist als im eindimensionalen Modell, zum anderen diese eine weitergehende Funktion erfüllen und schließlich das Problem der Unbestimmtheit der Diskursprinzipien überwunden ist. Das Optimierungsproblem hingegen stellt sich sowohl im Bäckerschen als auch in dem in dieser Arbeit favorisierten Modell. Es lässt sich in der Frage zusammenfassen, wie der Gegenstand eines Diskursprinzips relativ auf die gegebenen Umstände und die möglichweise konfligierenden Gegenstände anderer Diskursprinzipien optimiert werden kann.399 Es geht also um die ganz praktische Frage, wie ein Prinzip im realen Diskurs im Verhältnis zu den anderen Prinzipien und den situativen Gegebenheiten vollzogen wird. Wann geht welches Prinzip vor? Welche tatsächlichen Umstände rechtfertigen eine begrenzte Optimierung? Dies kann nach Bäcker nur über tatsächliche Diskurse ermittelt werden, wobei sich dann wiederum das Problem stellt, dass mehrere sich wiedersprechende Antworten im Diskurs entstehen können.400 Die Frage, wie der Vollzug der Optimierung stattfinden soll, setzt jedoch voraus, dass es nur eine Antwort gibt. Diesbezüglich geht Bäcker davon aus, dass außerdiskursive Entscheidungen über die Optimierung zu treffen sind.401 396

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 159. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144 f., 159; siehe ausführlich oben Kapitel C. III. 2. a). 398 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 159. 399 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 158. 400 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 158. 401 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 158. 397

III. Verhältnis von realem und idealem Diskurs

183

Für das hier vertretene Modell betrifft das Optimierungsproblem einerseits die Diskursprinzipien, anderseits die realen Diskurse. Der ideale Diskurs und auch das jeweils eingespeiste Diskursideal bei Bäcker verlangen für sich genommen noch keine Optimierung. Damit ist deutlich, dass die Diskursprinzipien zwar aus dem Diskursideal oder idealen Diskurs abgeleitet werden, sie aber erst für den realen Diskurs relevant werden. Damit ist aber das Optimierungsproblem auch für das hier vertretene Modell noch nicht gelöst: Es besteht weiter die Frage, wie der jeweilige Gegenstand eines Diskursprinzips relativ bezogen auf andere Diskursprinzipien und die tatsächlichen Umstände zu optimieren ist. Diese betrifft den realen Diskurs und ist weder über den idealen Diskurs noch über die Diskursprinzipien, die sich ja erst aus dem idealen Diskurs ergeben, festgelegt. Drei grundlegende Möglichkeiten sind denkbar, um das Optimierungsproblem für den realen Diskurs zu lösen. Erstens ist eine außerdiskursive Entscheidung darüber möglich.402 Dies entspricht einer Festsetzung, die regelt, welches Prinzip in welchen Fällen anderen Prinzipien vorgeht und welche äußeren Umstände unter bestimmten Bedingungen bestimmte Prinzipien zurückdrängen. Es entstünde ein kaum überschaubares, einzelfallorientiertes Regelwerk.403 Die zweite Möglichkeit, das Optimierungsproblem in den Griff zu bekommen, ist ein diskurstheoretischer Diskurs oder Diskurs im Diskurs.404 Inhalt des Diskurses ist die Frage, wie sich die jeweils konfligierenden Prinzipien oder konfligierenden Umstände im realen Diskurs im jeweiligen Einzelfall zueinander verhalten. Für diesen realen Diskurs gelten dann ebenso die Diskursprinzipien abgeleitet aus dem idealen Diskurs. Das Ergebnis dieses realen diskurstheoretischen Diskurses produziert aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen realen, also unvollkommenen Diskurs handelt, allerdings nur ein relativ richtiges Diskursergebnis. Es muss in neuen realen Diskursen hinterfragt werden dürfen.405 Zum Beispiel, weil neue Erkenntnisse vorliegen oder weil neue Diskursteilnehmer das Ergebnis in Frage stellen. Die dritte Möglichkeit ist die der Abwägung. Notwendig dazu ist eine generelle Abwägungsformel, deren Variablen aus den jeweils konfligierenden Diskursprinzipien und den tatsächlichen Umständen besteht.406 Mit der Frage der Abwägung407 ist ein Themenfeld betreten, was kaum umfangreicher und problematischer sein könnte. Der Rahmen und das Ziel dieser Arbeit lassen es nicht zu, die Abwä402

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 158. Siehe dazu auch Bäckers Vorschlag, ein Regelwerk für die „Gesamtheit der Ergebnisse der Anwendungen der Diskursprinzipien auf eine bestimmte gegebene Diskurssituation in ein Regelwerk zu fassen“ (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 144). 404 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 166. 405 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 154, der davon für das Diskursideal in seinem Modell ausgeht. 406 Vgl. im Kontext der Grundrechte Alexy, Die Gewichtsformel, in: Gedächtnisschrift für Sonnenschein, S. 771 (783 ff.). 407 Zur Abwägungslehre Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 79 ff. 403

184

C. Die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses

gungslehren zu vertiefen. Es soll aber festgehalten werden, dass eine Abwägungsformel, die die Diskursprinzipien und tatsächliche Umstände in Verhältnis setzt, ein denkbares Mittel ist, um das Optimierungsproblem zu lösen. Neben diesen drei grundlegenden Möglichkeiten können diese auch miteinander kombiniert werden. So könnte eine Abwägung stattfinden und dessen Ergebnis festgesetzt werden, so dass dann eine außerdiskursive Entscheidung über eine spezifische Optimierungsfrage vorliegt. Zudem kann über die Abwägung ein Diskurs stattfinden. Damit ist eine hinreichende Anzahl an Ansätzen vorgestellt, wie das Optimierungsproblem für die realen Diskurse praktisch gelöst werden kann.

D. Der Juristische Diskurs als Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses Bevor die eigentliche Übertragung der Diskurstheorie auf die Mediation erfolgt, ist ein Blick auf die Sonderfallthese Alexys zu werfen, die das Verhältnis vom allgemeinen praktischen Diskurs zum juristischen Diskurs zum Gegenstand hat. Die Auseinandersetzung mit der Sonderfallthese ist aus zwei Gründen auch in dieser, nicht auf den juristischen Diskurs, sondern auf den Diskurs in der Mediation fokussierten Arbeit notwendig. Erstens geht es sowohl bei der Sonderfallthese Alexys als auch in dieser Arbeit um die Frage, wie sich ein spezifischer Diskurs zum allgemeinen praktischen Diskurs verhält. Die Frage, in welchem Verhältnis ein spezifischer Diskurs zum allgemeinen praktischen Diskurs steht, wurde bisher nur für den juristischen Diskurs im Rahmen der Sonderfallthese erörtert. Die dortigen Erkenntnisse und die angewandte Methodik können für die Frage dieser Arbeit, nämlich die Frage, wie sich der Mediationsdiskurs zum allgemeinen praktischen Diskurs verhält, wichtige Grundlage sein. Denn auch hier geht es darum, einen spezifischen Diskurs ins Verhältnis zum allgemeinen praktischen Diskurs zu setzen. Zweitens soll in dieser Arbeit nicht nur das Verhältnis der Mediation zum allgemeinen praktischen Diskurs, sondern auch zum juristischen Diskurs geklärt werden. Dabei ist auch zu klären, ob einer dieser Diskurse dem idealen Diskurs näher steht. Schon deshalb ist der juristische Diskurs in den Blick zu nehmen. Dies macht eine Betrachtung der Sonderfallthese unverzichtbar. Auf eine umfassende Auseinandersetzung mit der Sonderfallthese ist in dieser Arbeit allerdings zu verzichten. Erstens ist eine solche Auseinandersetzung in der Literatur bereits in umfangreichem Maß erfolgt1, zweitens ist es nicht das primäre 1 Die aktuellste und wohl umfassendste Rekonstruktion und Kritik findet sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 185 ff. Die enorme Wirkkraft der Sonderfallthese spiegelt sich in der vielfältigen Auseinandersetzung in der weltweiten Literatur wider. Eine gelungene Zusammenfassung der verschiedenen Positionen findet sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 191 ff. Unter Bezugnahmen auf diese Darstellung seien im Folgenden die wichtigsten Befürworter und Gegner der Sonderfallthese genannt. Zu den wichtigsten Befürwortern gehört MacCormick, der Alexys Sonderfallthese ausdrücklich zustimmt (MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, S. 282). In eine ähnliche Richtung geht Peczenik, Legal Reasoning as a Special Case of Moral Reasoning, Ratio Iuris 1 (1988), S. 123 ff. In der deutschsprachigen Literatur schließt sich Visser’t Hooft, Zur praktischen Rationalität in der Rechtsprechung, in: Rechtsprechungslehre, S. 213 (213), sowohl MacCormick als auch Alexy an und bezeichnet die juristische Argumentation als „Sonderfall der allgemein praktischen Vernunft“. Gleichfalls Zustimmung erhält Alexy von Kriele, Recht und praktische Vernunft,

186

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Ziel dieser Arbeit, eine Kritik oder Rekonstruktion der Sonderfallthese zu erstellen, sondern lediglich die Klärung der oben aufgeführten Fragen, deren Ausgangspunkt nicht der juristische Diskurs, sondern der Mediationsdiskurs ist. Unter Zugrundelegung dieser Ausgangslage folgt die Darstellung der Sonderfallthese. Die Sonderfallthese Alexys lautet: „Der juristische Diskurs ist ein Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses.“2

Dies begründet Alexy über drei weitere Thesen: (1) Gegenstand juristischer Diskurse sind praktische Fragen, das heißt solche, in denen es darum geht, „was zu tun oder zu unterlassen ist oder getan oder unterlassen werden darf.“3 (2) Diese praktischen Fragen werden „mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert.“4 (3) Um einen Sonderfall handelt es sich, weil juristische Diskussionen unter bestimmten Einschränkungen stattfinden.5

Gegen alle drei Thesen lassen sich Einwände erheben. Im Folgenden werden die einzelnen Thesen der Sonderfallthese bei gleichzeitiger Auseinandersetzung mit den wichtigsten Einwänden behandelt.

S. 33 f., der den juristischen Diskurs als Sonderfall des „allgemeinen ethischen Diskurses“ ansieht. Der prominenteste und zugleich unentschlossenste Kritiker der Sonderfallthese ist Habermas, der zunächst die Sonderfallthese unter Verweis auf die strategischen Elemente eines Gerichtsverfahrens ablehnt (Habermas, Theorie der Gesellschaft und Sozialtechnologie, in: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?, S. 142 (200 f.)). Später expliziert Habermas hingegen seine Zustimmung und sieht die „juristische Argumentation in allen ihren institutionellen Ausprägungen als Sonderfall des praktischen Diskurses“ an (Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, S. 62 f. Fn. 63). Mittlerweile lehnt er sie mit neuer, schwer nachvollziehbarer Begründung wieder ab. Im Kern behauptet Habermas, die Sonderfallthese ordne das Recht auf irreführende Weise der Moral unter (Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 286). Auf andere Weise kompliziert ist die Kritik Günthers, die eine hier nicht näher zu erläuternde Debatte zwischen Günther und Alexy hervorgerufen hat (vgl. dazu Günther, Critical Remarks on Robert Alexys „Special-Case-Thesis“, Ratio Iuris 6 1993, S. 143 ff. und Alexy, Normenbegründung und Normanwendung, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 52 ff.). Wichtige Kritiker sind zudem Neumann (dazu vor allem Neumann, Juristische Argumentationslehre) und Hilgendorf (dazu vor allem Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz), auf die im Folgenden zurückzukommen sein wird. Eine eindeutig ablehnende Haltung nimmt Kaufmann ein, der im Wesentlichen mit Eigenheiten des Strafprozesses argumentiert und davon ausgeht, dass dieser strategisch ausgerichtet ist und eben nicht auf Richtigkeit abzielt (Kaufmann, Läßt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs fassen?, in: Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, S. 15 (21); ferner ders, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 96 f.). 2 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 32. 3 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263. 4 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263. 5 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263.

I. Juristische Fragen als praktische Fragen

187

I. Juristische Fragen als praktische Fragen Der erste schon von Alexy berücksichtigte Einwand lautet, dass es in juristischen Diskursen nicht um praktische Fragen gehe. Praktische Fragen sind Fragen, in denen es darum geht, „was zu tun oder zu unterlassen ist oder was getan oder unterlassen werden darf“6. Um diese Fragen zu beantworten, wird in Diskursen argumentiert, es werden also normative Aussagen begründet.7 Folglich ist Alexys erste These zutreffend, wenn in juristischen Diskursen eine Argumentation stattfindet, die auf die Lösung praktischer Fragen bezogen ist. Dagegen ließe sich einwenden, dass sich ein Teil der juristischen Praxis, aber auch der Rechtswissenschaft überwiegend mit deskriptiven Tätigkeiten und nicht mit der Begründung normativer Aussagen befasse.8 Alexy nennt exemplarisch rechtshistorische, rechtssoziologische, aber rechtstheoretische Untersuchungen sowie Beschreibungen des geltenden Rechts und Prognosen über künftige Rechtsprechung.9 Dieser Einwand ist in zweifacher Hinsicht nicht stichhaltig. Erstens dürften die eben genannten Tätigkeiten nicht gänzlich ohne normative Begründungen zur Lösung praktischer Fragen auskommen, sie sind also nicht rein deskriptiv.10 Zweitens kann nicht bestritten werden, dass es neben diesen Feldern auch juristische Argumentation rein normativer Prägung gibt, über die praktische Fragen beantwortet werden.11 Dies gilt für die Wissenschaft, aber auch die praktische Tätigkeit von Juristen. Bei der Begründung eines Urteils als Teil der judikativen Tätigkeit, bei der rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Debatte in der Gesetzgebung im legislativen Kontext sowie bei der Ermessensentscheidung einer Behörde im Rahmen exekutiven Handelns12 geht es immer um die Beantwortung praktischer Fragen durch juristische Argumentation. Bäcker führt zudem die Arbeit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ins Feld und verallgemeinert treffend: „Immer, wenn es um die Gewichtung oder Abwägung von Interessen geht, die rechtlich beurteilt werden sollen, werden mit juristischen Argumenten praktische Fragen entschieden.“13 Nach dem bisher Gesagtem ist der juristische Diskurs ein besonders deutliches Beispiel für einen Diskurs, in dem praktische Fragen über normative Argumentation 6

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263. Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263. 8 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263. 9 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263. 10 Anders offenbar Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 195. 11 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S, 263 f. 12 Das Beispiel der behördlichen Ermessensentscheidung stammt von Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 195. 13 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 195 f. 7

188

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

beantwortet werden. Jedenfalls steht fest, dass es in juristischen Diskursen auch um die Beantwortung praktischer Fragen geht.14 Der ersten These Alexys ist folglich zuzustimmen.

II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs Problematischer ist die zweite These Alexys, die er als Anspruchsthese15 bezeichnet. Danach werden die praktischen Fragen juristischer Diskurse mit einem Anspruch auf Richtigkeit erörtert. Der Richtigkeitsbegriff ist allerdings deutlich enger als im allgemeinen praktischen Diskurs. „Es wird nicht beansprucht, dass die behauptete, vorgeschlagene oder als Urteil verkündete normative Aussage schlechthin vernünftig ist, sondern nur, dass sie im Rahmen der geltenden Rechtsordnung vernünftig begründet werden kann.“16 An dieser Stelle ist auch in dieser Arbeit eine genaue Auseinandersetzung geboten, um später den Vergleich zum Richtigkeitsbegriff in der Mediation ziehen zu können. Alexy verteidigt die zweite These mit vier Argumenten. Erstens beruft er sich darauf, dass empirisch nachweisbar in juristischen Diskursen Begründungen vorgetragen werden.17 „Wer etwas begründet, beansprucht, dass seine Begründung stichhaltig ist und deshalb seine Begründung richtig ist.“18 Dies ist, wie oben bei der Erörterung der Begründung der Diskursregeln für den allgemeinen praktischen Diskurs festgestellt wurde, zutreffend.19 Das empirische Argument ist damit eine wichtige Stütze für die zweite These Alexys. Das zweite Argument bezieht sich auf das positive Recht. Jedenfalls der Richter ist an Recht und Gesetz gebunden und muss seine Entscheidungen üblicherweise, also auch in anderen Rechtsordnungen als der deutschen, begründen.20 Dieses Argument lässt sich auch auf die juristische Ausbildung und die wissenschaftliche 14 So auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 264; ihm folgend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 198; sehr deutlich Weinberger, Grundlagenprobleme des Institutionalistischen Rechtspostivismus, in: Institution und Recht, S. 173 (264), der die erste These als „selbstverständlich und banal“ bezeichnet; krit. hingegen der Meterologieeinwand von Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 86 f.; diesem folgend Grabowski, Sonderfallthese – Ist Critique and Interpretation, Rechtstheorie 34 (2003), S. 371 (378). Auf diesen Einwand muss in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden. Vgl. aber die treffende Entgegnung bei Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 484 sowie Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 197 f. 15 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265. 16 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 264. 17 Ausführlicher dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265. 18 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265. 19 Siehe oben Kapitel C. II. 3. a) bb) (1) (a). 20 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265. Siehe auch die dortigen Nachweise zur richterlichen Begründungspflicht.

II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs

189

Auseinandersetzung ausdehnen. So ist auch der Jurastudent sowie der Rechtswissenschaftler stets dazu angehalten, das Gesetz mit den Auslegungscanones zu interpretieren. Diese Orientierung am Gesetz wird insbesondere bei der Wortlautauslegung deutlich. Sowohl der Richter, der ein Urteil schreibt, als auch der Student, der einen juristischen Streitstand in einer Klausur darlegt, sowie der Wissenschaftler, der einen Aufsatz über ein neues Gesetz verfasst, erhebt den Anspruch auf Richtigkeit der dargebrachten Position und orientiert sich dabei am Gesetz. Wie schon oben bei der Begründung der Diskursregeln deutlich gemacht, ändert sich dieser objektiv vermittelte Anspruch auf Richtigkeit nicht dadurch, dass die jeweilige Person subjektiv nicht von ihrer Position überzeugt ist und lediglich aus irgendwelchen strategischen Gründen die jeweilige Position vertritt.21 So kommt es häufig vor, dass Studenten aus (vermeintlichen) Vorteilen für die Bewertung einer Klausur der herrschenden Meinung folgen, auch wenn sie subjektiv von der gegenteiligen Ansicht überzeugt sind. In der Niederschrift erheben sie dennoch objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit. Beim zweiten Argument geht es nur darum, dass in juristischen Diskursen Begründungen auch anhand des Gesetzes vorgetragen werden. Das dritte Argument Alexys ist der performative Widerspruch.22 Alexys Beispiel ist ein Urteil mit folgendem Tenor: „Herr N. wird, obwohl hierfür keine guten Gründe sprechen, zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt.“23 Auch dieses Argument ist stichhaltig, da ein solches Urteil nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich fehlerhaft wäre,24 eben gerade weil kein Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird. Das vierte Argument Alexys hat die größte Überzeugungskraft und besteht in der Explikation folgender Evidenz: In rechtlichen Diskussionen geht es regelmäßig um Richtigkeit. „Der Anspruch auf Richtigkeit für die Praxis des juristischen Begründens und Entscheidens ist konstitutiv.“25 Alexy bezeichnet dies allerdings als Vermutung26 und Bäcker spricht von einer bloß rechtssoziologischen Behauptung27. Es lassen sich jedoch zahlreiche Beispiele für diese These anführen. So geht es in der Urteilsbegründung darum, zu begründen, warum ein Urteil richtig ist.28 Anwälte und Parteien im Zivilprozess erheben zumindest objektiv, ebenso wie Staatsanwalt und Strafverteidiger im Strafprozess, den Anspruch auf Richtigkeit der dargebrachten rechtlichen Auffassung. Nichts anderes gilt für die in wissenschaftlichen Beiträgen vorgebrachten Ansichten. 21

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265. Dies erkennt zutreffend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 199. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 266 expliziert nicht, dass es sich bei seinem Argument um einen performativen Widerspruch handelt. 23 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 266. 24 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 266 f. 25 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 267. 26 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 267. 27 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 199. 28 Vgl. dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 267. 22

190

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Trotz dieser vier Argumente werden gegen diese zweite These drei wesentliche Einwände geltend gemacht. Erstens der Unbestimmtheitseinwand, zweitens der Einwand der geltenden Rechtsordnung und drittens der Einwand des unvernünftigen Gesetzes. Alle drei Einwände werden im Folgenden kurz dargestellt.

1. Unbestimmtheitseinwand Der erste Einwand ist der Unbestimmtheitseinwand von Hilgendorf.29 Dieser macht geltend, dass Alexys Begriffe „richtig“ und „vernünftig“ unbestimmt seien. Dieser Einwand geht weitgehend fehl. „Richtig“ oder „vernünftig“ ist nach Alexy nur, was im Diskurs gerechtfertigt werden kann.30 Damit liegt ein zumindest formalprozeduraler und gleichzeitig hinreichend bestimmter Richtigkeitsbegriff vor. In zweierlei Hinsicht kommen auch materielle Gesichtspunkte zum Tragen, die Auswirkungen auf den Unbestimmtheitseinwand haben. Zum einen ist die Situation vor dem Diskurs von den Diskursteilnehmern materiell geprägt.31 Zum anderen weisen die Diskursregeln selbst einen materiellen Anteil auf.32 Diese Gesichtspunkte stehen in einer Wechselwirkung zueinander. Zum ersten Gesichtspunkt führt Alexy aus: „Ausgangspunkt des Diskurses bilden die zunächst gegebenen, das heißt faktisch vorhandenen normativen Überzeugungen, Wünsche und Bedürfnisinterpretationen sowie die empirischen Informationen der Sprecher.“33 Dieser Ausgangspunkt ist also zum einen materieller Natur, zum anderen für jeden Diskurs unterschiedlich, so dass sich aus Letzterem tatsächlich eine materielle Unbestimmtheit ergibt.34 Das Ergebnis des Diskurses ist aber nicht abhängig von

29 Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz, S. 114; ähnlich Braun, Diskurstheoretische Normenbegründung in der Rechtswissenschaft, Rechtstheorie 19 (1988), S. 238 (259). Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 199 bezeichnet diesen Einwand als „eher formal“. 30 So kann nach Alexy ein Ergebnis nur dann Anspruch auf Richtigkeit erheben, wenn die Begründung dafür den Diskursregeln genügt (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 35). Ein Entscheidung ist nach Alexy vernünftig, wenn sie in einem praktischen Diskurs vernünftig ist (vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 350). Alexy verwendet de Begriffe „richtig“ und „vernünftig“ also weitgehend synonym. Zu diesem Befund kommt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 200; ähnlich auch Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz, S. 114. 31 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 35; in Bezug darauf siehe auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 200 f. der in diesem Zusammenhang von einem „materialen Gehalt“ spricht 32 Vgl. Alexy, Probleme der Diskurstheorie, S. 112; zustimmend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 201; ähnlich Tugendhat, Zur Entwicklung von moralischen Begründungsstrukturen im modernen Recht, in: Argumentation und Recht, S. 1 (10). 33 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 35. 34 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 201.

II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs

191

diesen materiellen Einspeisungen, sondern von den Diskursregeln.35 Diese sind jedoch hinreichend bestimmt. Deutlich wird dies durch die von Alexy getroffene Unterscheidung zwischen diskursiv notwendigen und diskursiv unmöglichen Diskursergebnissen36 : Die Diskursregeln „schließen zwar aus der Klasse der möglichen normativen Sätze einige (als diskursiv unmöglich) aus, die zu diesen Sätzen kontradiktorischen Sätze werden damit durch sie (als diskursiv notwendig) gefordert.“37 Ein Diskursergebnis ist mithin diskursiv unmöglich, wenn es mit den Diskursregeln nicht vereinbar ist.38 Korrelat dieser Argumentation ist eine Beseitigung des Unbestimmtheitseinwands: Die unbestimmte materielle Ausgangslage vor dem Diskurs trifft aufgrund der Diskursregeln nicht die Richtigkeit des Diskursergebnisses. Oben wurde bereits angesprochen, dass es noch einen zweiten materiellen Gesichtspunkt gibt, der mit der eben genannten materiellen Ausgangslage vor dem Diskurs in einer Wechselwirkung steht. Gemeint ist der materielle Gehalt der Diskursregeln. Wenn die Diskusregeln nämlich die materielle Unbestimmtheit der Ausgangslage vor dem Diskurs auffangen, dann müssen auch die Diskursregeln einen gewissen materiellen Anteil aufweisen.39 Auch Alexy geht von der Zulässigkeit oder sogar Notwendigkeit eines „moralischen Gehalts“ der Diskursregeln aus.40 Dies wiederum spricht ebenfalls gegen die Unbestimmtheit. Eine gewisse Unbestimmtheit bleibt jedoch, nämlich für alle diskursiv bloß möglichen Diskursergebnisse. Dies hat nach Alexy den Vorteil, dass nicht einseitig festgesetzt wird, was richtig ist, sondern die einzelnen Diskursteilnehmer jedenfalls im realen Diskurs zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können.41 Damit wird nochmals der prozedurale Charakter der Diskurstheorie unterstrichen. Der Rest an Unbestimmtheit ist hinzunehmen und birgt den Vorteil der Nicht-Festsetzung.

2. Einwand der geltenden Rechtsordnung Der zweite Einwand stammt ebenfalls von Hilgendorf und macht geltend, dass der Begriff der Richtigkeit im juristischen Diskurs immer auf die jeweils geltende 35

So auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 201 unter Verweis auf Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 35. 36 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 201. 37 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 35. Zur Formalsierung dieses Satzes siehe Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 201. 38 So die treffende Zusammenfassung bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 201. 39 Vgl. Tugendhat, Zur Entwicklung von moralischen Begründungsstrukturen im modernen Recht, in: Argumentation und Recht, S. 1 (10) und noch deutlicher Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 201. 40 Alexy, Probleme der Diskurstheorie, S. 112. 41 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 36; dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 202.

192

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Rechtsordnung relativiert wird,42 was ja Alexy selbst hervorhebt.43 Bestimmte rechtlich richtige Ergebnisse könnten für bestimmte Personen moralisch unrichtig sein, wobei er das nicht mehr aktuelle Beispiel der Wehrpflicht und das wohl zeitlose Beispiel der Zulassung der Abtreibung ins Feld führt.44 Die Frage, ob Recht und Moral unterschiedliche Antworten auf einzelne Fragen geben können oder ob ein Zusammenhang zwischen Recht und Moral besteht, führt in die tiefgehende Problematik des Rechtsbegriffes und die Streitfrage zwischen Rechtspositivismus und Nichtpositivismus.45 Es ist weder zielführend noch möglich noch notwendig, diese Frage in dieser Arbeit zu behandeln. Hier reicht es aus zu wissen, dass jedenfalls für das positive Recht gesagt werden kann, dass es eine Vielzahl von Fällen gibt, in denen das Recht im Vergleich zu bestimmten moralischen Standpunkten abweichende Antworten gibt. Hilgendorf hält dies für ein Dilemma46 und verkennt damit den prozeduralen Charakter der Diskurstheorie. Aus diskurstheoretischer Sicht handelt es sich, wie Alexy und Bäcker47 bereits herausstellen konnten, keinesfalls um ein Dilemma. Oben wurde bereits gesagt, dass es in realen Diskursen48 vorkommen 42 Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz, S. 114 ff.; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 206 nennt den Einwand daher wohl „Relativitätseinwand“, was aber zu Verwirrung führen kann, da der Relativitätseinwand schon in der Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses eine große Rolle spielt. 43 Vgl. auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 351: Die Vernünftigkeit der juristischen Argumentation ist deshalb stets in dem Umfang, in dem sie durch die Gesetze determiniert wird, relativ auf die Vernünftigkeit der Gesetzgebung.“ 44 Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz, S. 115. 45 Zu einem Überblick über die Grundpositionen Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 15 ff. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die Radbruchsche Formel, die in zwei Teile unterteilt werden kann. Der erste Teil, der als Unerträglichkeitsformel bezeichnet wird (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 209 Fn. 120 m.w.N.) lautet wie folgt: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive […] Recht, auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ‘unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“ (Radbruch, Gesetzliches Unrecht, S. 89). Der zweite Teil wird als Verleugnungsformel bezeichnet und lautet: „Wenn Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht nur ’unrichtiges Recht’, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.“ (Radbruch, Gesetzliches Unrecht, S. 89). Die Radbruchsche Formel findet sich auch in der nichtpositivistischen Menschenrechtskonzeption Alexys wieder (Siehe Alexy, Law, Discourse and Time, S. 104). Diskurstheoretisch ließen sich die von der Radbruchschen Formel ins Visier genommen unrechtmäßigen Auswüchse des positiven Rechts, vermutlich als diskursiv unmögliche Ergebnisse bezeichnen. Eine umfassende Darstellung der Radbruchschen Formel ist in dieser Arbeit weder angezeigt noch möglich. Es sei aber auf die Arbeit von Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, hingewiesen. 46 Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz, S. 115. 47 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 207. 48 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 207 expliziert bei dieser Aussage nicht, dass es sich um reale Diskurse handelt, was daran liegen könnte, dass es bei ihm keine idealen Diskurse

II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs

193

kann, dass es mehrere diskursiv mögliche Antworten gibt. Diese können sich auch widersprechen. Dies gilt freilich auch dann, wenn diese Diskurse moralische Fragen zum Inhalt haben. Gerade weil in Diskursen darüber, was moralisch richtig ist, unterschiedliche Ergebnisse hervorgebracht werden können, ergibt sich die Notwendigkeit des positiven Rechts, welches Ge- und Verbote für den Einzelnen bestimmt.49 In bestimmten Bereichen setzt das Recht eine von mehreren im allgemeinen praktischen, realen Diskurs diskursiv möglichen Antworten als vom Recht gefordert fest.50 Man bräuchte das Recht nicht, wenn schon der reale Diskurs stets eine Antwort auf die Frage, was richtig ist, geben könnte. Damit wird Hilgendorfs Dilemma erst dann relevant, wenn das Recht eine Handlungsanweisung trifft, die im allgemeinen praktischen Diskurs als diskursiv unmöglich anzusehen ist oder einer diskursiv notwendigen Handlungsanweisung widerspricht.51 Dieses Dilemma führt abermals in den oben schon erwähnten Streit um den Rechtsbegriff, der in dieser Arbeit nicht geführt werden kann und soll. Das Dilemma steht aber auch nicht der Sonderfallthese entgegen. Der Einwand der geltenden Rechtsordnung bringt mithin aus diskurstheoretischer Sicht die Sonderfallthese nicht zu Fall, sondern weist vielmehr auf Probleme hin, die den schwierigen Zusammenhang zwischen Recht und Moral betreffen.

3. Einwände gegen den rechtlichen Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit Schließlich werden Einwände vorgebracht, die geltend machen, der rechtliche Anspruch auf Richtigkeit sei etwas ganz anderes als der Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit. Am deutlichsten in diese Richtung geht der Einwand des unvernünftigen Gesetzes, den Neumann vorbringt.52 Neumann bezweifelt nicht, dass ein Richter in seinem Urteil einen Anspruch auf Richtigkeit erhebt, geht aber davon aus, dass es sich dabei nicht um einen Anspruch auf praktische Richtigkeit handelt.53 Es geht wiederum um den von der Rechtsordnung statuierten Rahmen. Ein Urteil müsse in Bezug auf die Rechtsordnung „stimmig“ sein, um vernünftig zu sein, nicht aber die „sachliche Stimmigkeit des Diskurses“ teilen.54 Wenn ein Urteil auf einem unvernünftigen Gesetz beruht, so handele es sich um eine entsprechend unvergibt, sondern nur die eine Ebene der tatsächlichen Diskurse. Zur Problematik, ob auch im idealen Diskurs mehrere widersprechende Ergebnisse entstehen können siehe oben Kapitel C. III. 3. b) bb). 49 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 257; ihm folgend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 207. 50 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 207. 51 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 208. 52 Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 87 ff. 53 Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 87. 54 Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 87.

194

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

nünftige Entscheidung, die aber rechtlich vernünftig wäre.55 Hingegen geht Alexy davon aus, der rechtliche Anspruch auf Richtigkeit sei ein Sonderfall des allgemein praktischen Anspruchs auf Richtigkeit; somit sei der juristische Diskurs ein Sonderfall des allgemein-praktischen Diskurses.56 Aus mehreren Gründen ist in dieser Arbeit nur eine kurze Auseinandersetzung mit diesem Einwand sinnvoll. Erstens kennt der in der Mediation geführte Diskurs die Einschränkungen des juristischen Diskurses in Form der Bindung an das positive Recht nicht, weshalb sich der Einwand des unvernünftigen Gesetzes für die Mediation nicht stellt. Zweitens liegt bereits eine umfassende Debatte zu diesem Einwand vor.57 a) Verteidigung des rechtlichen Anspruchs auf allgemeine praktische Richtigkeit Alexys Widerlegung erfolgt in zwei Schritten. Der erste Schritt ist der Entwurf eines Modells, das als diskursives Rechtsmodell bezeichnet werden kann. Der zweite Schritt besteht aus den zwei Aspekten des rechtlichen Anspruchs auf Richtigkeit, die Alexy zur Verteidigung der Sonderfallthese vorgebracht hat. aa) Alexys Modell des diskursiven Rechtssystems Alexys Modell des diskursiven Rechtssystems setzt zunächst voraus, eine Frage zu beantworten, die auch diese Arbeit stellt. Es geht um die Frage, wie eine Gesellschaft soziale Konflikte58 lösen will. In dieser Arbeit rücken drei Konfliktlösungsmöglichkeiten in den Fokus: erstens die Mediation, zweitens eine rechtliche Lösung über die damit verbundenen rechtlichen Institutionen und drittens der allgemein praktische Diskurs. An dieser Stelle der Arbeit geht es nur um die letzten beiden Varianten, damit später der Vergleich zur ersten Variante, der Mediation, gezogen werden kann. Wer auf den allgemeinen praktischen Diskurs als Konfliktlösungsinstrument setzt, steht vor dem oben ausgeführten Erkenntnisproblem.59 Dies heißt, dass in realen Diskursen mehrere Antworten diskursiv möglich sein können und es ebenso möglich ist, dass sich diese widersprechen. Die Lösung eines sozialen Konflikts kann 55

Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 88; in diese Richtung auch Braun, Diskurstheoretische Normenbegründung in der Rechtswissenschaft, Rechtstheorie 19 (1988), S. 238 (258), der den juristischen Diskurs im Verhältnis zum allgemeinen praktischen Diskurs als aliud bezeichnet; dem folgend Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit, S. 109. 56 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 264. 57 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Nachwort, S. 429 ff.; hinzu kommt die umfangreiche Auseinandersetzung bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 210 ff. mit Neumanns Einwand. 58 Zum Konfliktbegriff im Kontext der Mediation siehe oben Kapitel A. I. 3. 59 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 211.

II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs

195

jedoch nicht anhand einer widersprechenden Regel erreicht werden.60 Eine Lösung im Sinne eines Konsenses ist erforderlich. Es ließe sich vermuten, dass daher der allgemeine praktische Diskurs als realer Diskurs kein taugliches Konfliktlösungsinstrument ist. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil liefert der Diskurs im Sinne der Diskursregeln die Basis jeder Konfliktlösung. Es bedarf aber eines zusätzlichen Elements, um sicherzustellen, dass es am Ende eine Entscheidung darüber gibt, wie der Konflikt gelöst wird. An dieser Stelle gabelt sich der Weg zwischen Mediation und institutionalisiertem Rechtssystem. Beides sind Wege, um aufbauend auf dem allgemeinen praktischen Diskurs eine Entscheidung des Konflikts herbeizuführen. Sie beide können das zusätzliche Element im eben genannten Sinne liefern, also dafür Sorge tragen, dass eine Lösung für den Konflikt bereitgestellt wird. Der Weg der Mediation sei an dieser Stelle nur kurz angedeutet: Die Mediation bringt die Konfliktparteien zurück in einen, aufgrund des Konflikts oftmals zuvor beendeten Diskurs. Dieser Diskurs folgt einer bestimmten Struktur und bestimmten Prinzipien und endet damit, dass die Parteien im Falle des Gelingens der Mediation eine Norm zur Lösung des Konflikts selbst aufstellen. Der Weg des Rechts begegnet der mangelnden Entscheidungsdefinität realer praktischer Diskurse auf andere Weise. Auf der Grundlage, dass es mehrere diskursiv mögliche Antworten geben kann, setzt das Recht, sofern dies zur Steuerung und Konfliktlösung notwendig ist, eine Norm fest, nach der der Konflikt entschieden wird.61 Es ließe sich behaupten, dass eine solche Norm eine außerdiskursive, ein Stück weit irrationale Festsetzung ist, die ermöglicht, dass praktische Fragen, die im realen Diskurs divergierend beantwortet werden können, entschieden werden.62 Dies könnte dafür sprechen, dass Neumanns Einwand berechtigt ist, also tatsächlich der Anspruch auf Richtigkeit im allgemeinen praktischen Diskurs ein ganz anderer ist als der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs, da in Letzterem Urteile erzeugt werden, die auf Grundlage der außerdiskursiv festgesetzten Norm und nicht aufgrund der allgemeinen Vernunft begründet werden. Das vierstufige Alexysche prozedurale Rechtsmodell kann jedoch dem Einwand Neumanns Einiges entgegenhalten. Grundlage des Modells sind Erwägungen Alexys, die danach fragen, wie die eben angesprochenen Rechtsnormen erzeugt und angewendet werden. Alexys Argumentation lässt sich wie folgt zusammenfassen63 : Erstens werden im demokratischen Verfassungsstaat Rechtsnormen durch ein institutionalisiertes Gesetzgebungsverfahren produziert.64 In diesem wird bereits dem „Ideal diskursiver 60 Aarnio/Alexy/Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation, S. 53; dem folgend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 212. 61 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 212. 62 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 212. 63 Orientiert an der Darstellung bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 212 f. 64 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 500.

196

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Rationalität so weit wie möglich“65 Rechnung getragen. Das heißt die Rechtsnormerzeugung ist für sich schon rational und diskursiv und damit keine bloße außerdiskursive Festsetzung. Neumanns Einwand ist damit schon zum Teil beseitigt. In einem zweiten Schritt analysiert Alexy die Rechtsanwendung. Auch diese erfordert diskursives Handeln, da aufgrund der Vagheit der Sprache und aufgrund der Tatsache, dass der Gesetzgeber nicht jede Rechtsfrage antizipiert durch eine Rechtsnorm beantworten kann, also nicht für jeden Fall von vorneherein eine Lösung im Recht festgelegt ist.66 Es ist also ein Diskurs notwendig, um die offenen Fragen zu beantworten. Mit Alexys Worten ergibt sich die „Notwendigkeit […] des juristischen Diskurses“67 aus eben dieser Lücke des Gesetzgebungsverfahrens. Die offen gebliebenen Fragen werden im juristischen Diskurs durch ein institutionalisiertes, gerichtliches Verfahren in möglichst rationaler Form beantwortet.68 Auch hier gilt das „Ideal diskursiver Rationalität“69. Damit ist auch die Rechtsanwendung rational und diskursiv. Alexys zutreffendes Gesamtergebnis erlaubt die Einstufung des Rechts als „notwendiges Medium der Realisierung praktischer Vernunft“70. Daraus folgt, dass der juristische Diskurs in seiner Gesamtheit von der Rechtserzeugung bis zur Rechtsanwendung „ein notwendiges Element realisierter diskursiver Rationalität ist“71. Auf dieser Grundlage hat Alexy das Vier-Stufen-Modell des Rechts entwickelt.72 Die vier Stufen sind „(1) der allgemeine praktische Diskurs, (2) das Gesetzgebungsverfahren, (3) der juristische Diskurs und (4) das Gerichtsverfahren.“73 Auf der ersten Stufe werden im allgemeinen praktischen, realen Diskurs74 praktische Fragen erörtert. Hier gibt es keine juristischen Einschränkungen im Sinne der Sonderfallthese, sondern es gilt die Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses. Dasjenige, was dort nicht beantwortet wird, wird im Gesetzgebungsverfahren, also auf zweiter Stufe entschieden.75 Auf dieser Stufe gelten die Diskursprinzipien auf staatlicher Ebene.76 Rationalität und Diskursivität und damit der Anspruch auf allgemeine 65

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Nachwort, S. 430. Alexy, Diskurstheorie und Rechtssystem, S. 308. 67 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 500. 68 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Nachwort, S. 430. 69 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Nachwort, S. 430. 70 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Nachwort, S. 431. 71 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Nachwort, S. 431. 72 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 213 ff. 73 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 499 f.; eine ausführliche Darstellung des Modells findet sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 213. 74 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 213 der auf Grundlage seiner Diskurstheorie vom „tatsächlichen Diskurs“ spricht. 75 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 213 f./insb. 214 Fn. 151 m.w.N. zur Einordnung dieser Stufe bei Alexy. 76 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 214; ferner Alexy, Diskurstheorie und Rechtssystem, Synthesis Philosophica 5 (1988), S. 299 (307). 66

II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs

197

Richtigkeit sind also gegeben. Aufgrund der Vagheit der Sprache, der Nichtvorhersehbarkeit von tatsächlichen Sachverhalten und der Abstraktheit von Gesetzen77 werden durch die Gesetze nicht alle Fragen, die später in Erscheinung treten, antizipiert beantwortet. Daher gibt es die dritte und vierte Stufe, wobei diese im Sinne der Sonderfallthese den Einschränkungen des auf der zweiten Stufe erschaffenen Rechtssystems unterliegen.78 Für sie gelten die spezifischen, in der Sonderfallthese genannten Einschränkungen. Es wird also nicht nach der „schlechthin vernünftigsten Lösung“, sondern nach der „im Rechtssystem vernünftigsten Lösung gesucht“.79 Auch hier handelt es sich um einen realen Diskurs, weshalb sich widersprechende Ergebnisse möglich sind.80 Wie oben erläutert, bedarf es jedoch für die Lösung des konkreten sozialen Konflikts einer Entscheidung. Diese liefert die vierte Stufe in Form des Gerichtsverfahrens, das mit einem Urteil abschließt.81 Es sei angemerkt, dass das Modell dazu dient, eine bestehende, schematische Grundstruktur aufzuzeigen, die freilich in praxi an einigen Stellen durchbrochen wird.82 Erwähnenswert ist, dass Alexy auf der vierten Stufe alle Verfahren verorten will, die der „sekundären Erzeugung individueller Normen“ dienen.83 In der Mediation produzieren die Parteien selbst eine Norm, die darüber entscheidet, wie der konkrete soziale Konflikt gelöst wird, mithin eine individuelle Norm. Diese ist aber gerade keine aufgrund des Rechtssystems entwickelte Norm. Allerdings kann in der Mediation auch keine Norm errichtet werden, die dem Recht widerspricht. Es darf zum Beispiel kein sittenwidriges Ergebnis im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB beschlossen werden. Es wird bei der diskurstheoretischen Analyse der Mediation darauf zurückzukommen sein, ob die Mediation in das Vier-Stufen-Modell eingeordnet werden kann. An dieser Stelle aber sollte nur gezeigt werden, dass mittels des Alexyschen Modells der Einwand Neumanns ein Stück weit entkräftet werden kann. Es konnte gezeigt werden, dass es einen vierstufigen juristischen Gesamtdiskurs gibt, der dem Ideal der Rationalität folgt. Damit ist der Einwand Neumanns bereits entschärft.

77

Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 214. Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 500; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 214. 79 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 308. 80 Das in dieser Arbeit abgelehnte Modell Bäckers würde von tatsächlichem Diskurs sprechen. Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 214 f. 81 Siehe dazu mit Nachweisen die Ausführungen zum diskursiven Rechtsmodell in Kapitel D. II. 3. a) aa). 82 Zu den Durchbrechungen vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 215. 83 Alexy, Ota Weinbergers Kritik der diskurstheoretischen Deutung juristischer Rationalität, in: Institution und Recht, S. 143 (155 Fn. 37). 78

198

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

bb) Alexys zwei Aspekte des mit gerichtlichen Entscheidungen erhobenen Anspruchs auf Richtigkeit Alexy selbst erkennt jedoch, dass der Einwand des unvernünftigen Gesetzes damit noch nicht vollständig beseitigt ist.84 Er nennt den Fall, in dem das höchste Gericht eines Staates ein eindeutig unvernünftiges Gesetz für strikt anwendbar erklärt hat.85 Dieses Gesetz ist auf Basis des allgemein-praktischen Diskurses ein diskursiv nicht mögliches Ergebnis. Es liegt also außerhalb der diskursiven Rationalität. Im Falle der Anwendung durch die unteren Gerichte bewegten sich diese folglich außerhalb dessen, was im allgemeinen praktischen Diskurs möglich ist.86 Auf den ersten Blick ließe sich vermuten, dass Neumanns Einwand daher zutrifft und der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs, insbesondere derjenige im Gerichtsverfahren, ein ganz anderer sein kann als der im allgemeinen praktischen Diskurs. Neumann würde behaupten, im geschilderten Fall würde die Anwendung des Gesetzes dem juristischen Anspruch auf Richtigkeit genügen, wohingegen er dem allgemein-praktischen Anspruch auf Richtigkeit widerspräche. Alexy gesteht zu, dass in einem solchen Fall „die diskursive Rationalität der juristischen Argumentation“87 begrenzt ist.88 Zutreffend zeigt er allerdings auf, dass damit die Sonderfallthese nicht widerlegt werden kann. Alexy legt im Wesentlichen89 zur Verteidigung der Sonderfallthese „zwei Aspekte des mit gerichtlichen Entscheidungen erhobenen Anspruchs auf Richtigkeit“ dar.90 Der erste Aspekt meint, dass eine gerichtliche Entscheidung mit Blick auf das positive Recht richtig begründet ist, unabhängig vom Inhalt des positiven Rechts.91 Dieser Anspruch ließe sich mit Bäcker auch als Anspruch auf Gesetzmäßigkeit

84

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 431. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432. 86 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432 f. 87 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432. 88 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432. 89 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432, liefert noch einen weiteren Grund, den er als trivial bezeichnet. Er lautet, dass es gerade Inhalt der Sonderfallthese ist, dass die juristische Argumentation begrenzt ist. Nur wenn es zuträfe, dass alle Fälle durch strikte Subsumtion unter die Gesetze gelöst werden können, wäre die Sonderfallthese widerlegt, da es dann keinen Raum für juristische Diskurse gäbe und es auf die Frage, ob ein Gesetz unvernünftig oder vernünftig ist niemals ankäme (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432). Wie bereits oben ausgeführt, gibt es jedoch mehrere Gründe, die es unmöglich machen, dass jeder Fall antizipiert geregelt wird, weshalb es immer Lücken und damit Raum für juristische Diskurse gibt (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432). 90 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432. 91 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 432; ähnlich MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, S. 103: „Legal decisions must make sense in the world and they must make sense in the context of the legal system“; siehe auch m.w.N. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 218 Fn. 166. 85

II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs

199

umschreiben.92 In diesem Anspruch erschöpft sich jedoch nicht der Anspruch auf Richtigkeit im Recht. Ein zweiter Aspekt kommt hinzu und dieser ist hinsichtlich der Widerlegung Neumanns entscheidend. Er bezieht sich darauf, dass das angewendete, positive Recht selbst gerecht oder vernünftig ist.93 Nach Alexy sind „in dem mit gerichtlichen Entscheidungen erhobenen Anspruch beide Aspekte enthalten“94. Wenn es zutrifft, dass auch der zweite Aspekt im Anspruch auf Richtigkeit in gerichtlichen Entscheidungen enthalten ist, ist Neumanns Einwand des unvernünftigen Gesetzes widerlegt. Alexy führt zur Begründung folgenden Tenor eines Strafurteils an: „Herr N. wird, was auf einem ungerechten Gesetz beruht, zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.“95

In einem solchen Tenor ist zweifelsfrei der erste Aspekt gewahrt. Die Entscheidung kann anhand des geltenden Rechts begründet werden. Der zweite Aspekt hingegen, also der Anspruch auf Richtigkeit bezüglich des geltenden, angewendeten Rechts, wird nicht gewahrt.96 Dennoch kann eine solche Entscheidung in einer Rechtsordnung durchaus gelten, wenn das ungerechte Gesetz ebenfalls gilt.97 All dies könnte zunächst für Neumanns Einwand vorgebracht werden. Der genauere Blick zeigt aber, dass gerade der obige Extremfall die Sonderfallthese Alexys zu stützen vermag. Die Entscheidung ist nämlich, auch wenn sie rechtlich gilt, rechtlich „nicht perfekt“98, sondern rechtlich fehlerhaft. Gerade weil aber diese Fehlerhaftigkeit feststellbar ist, ist die Sonderfallthese zutreffend. Die diskursive Rationalität hat im vorgebrachten Fall also tatsächlich keine Auswirkungen auf den Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen, aber „sie bildet die Grundlage für ihre Fehlerhaftigkeit“.99 In einem juristischen Diskurs kann gerade aufgrund der diagnostizierten Fehlerhaftigkeit die Entscheidung angegriffen werden. Mit diesem Argument zeigt Alexy deutlich, dass der mit einer gerichtlichen Entscheidung erhobene Anspruch auf Richtigkeit zwar ein Sonderfall des Anspruchs auf allgemeine praktische Richtigkeit ist, er aber nicht etwas völlig anderes ist. Gerade bei strikter Anwendung eines unvernünftigen Gesetzes offenbart sich, dass eine rechtlich fehlerhafte Entscheidung vorliegt, die in einem juristischen Diskurs, der das unvernünftige Gesetz zum Inhalt hat, angegriffen werden kann. Die 92

Dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 218 und ausführlich S. 216 f. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433. 94 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433, der damit zu dem Ergebnis kommt, dass gerichtliche Entscheidungen beanspruchen „als rechtliche Entscheidungen“ (damit sollen beide Aspekte umfasst sein) richtig zu sein. 95 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433. 96 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433. 97 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433. 98 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433. 99 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433. 93

200

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

diskursive Rationalität und eben nicht der reine Anspruch auf Gesetzmäßigkeit, der oben als erster Aspekt genannt wurde, prägen damit die juristische Argumentation. Aufgrund dieser Geltung der diskursiven Rationalität in der juristischen Argumentation ist der Anspruch auf Richtigkeit im Recht nicht etwas völlig anderes als der allgemeine praktische Anspruch auf Richtigkeit. b) Ergebnis zum rechtlichen Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit Mithin konnte über die beiden Aspekte des mit gerichtlichen Entscheidungen verbundenen Anspruchs auf Richtigkeit und dem Modell eines diskursiven Rechtssystems Neumanns Einwand vollständig beseitigt werden. Der Anspruch auf Richtigkeit im Recht beinhaltet den Anspruch auf Gesetzmäßigkeit, aber auch auf Vernünftigkeit. Letzterer ist ein Sonderfall des allgemein praktischen Anspruchs auf Richtigkeit.100 Damit sind Einwände gegen den Anspruch auf allgemeine Richtigkeit im Recht widerlegt.101 An dieser Stelle wäre eine noch tiefergehende Betrachtung des Begriffs der Richtigkeit im Recht möglich und eine Erörterung des Zusammenhangs von Recht und Moral. Beides hat Alexy insbesondere in dem Werk „Begriff und Geltung des Rechts“ ausgeführt, wo er drei Argumente, das Unrechtsargument102, das Richtigkeitsargument103 und das Prinzipienargument104 fokussiert. Aus Sicht Bäckers ist 100

Zum selben Ergebnis mit abweichender Begründung kommt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 252. Vgl. dazu auch den alternativen Begründungsvorschlag Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 236 ff. 101 Neumann, Wahrheit statt Autorität, in: Die Sprache des Rechts, Bd. 2, S. 369 (378), hat seine Meinung mittlerweile offenbar geändert. Dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 252 Fn. 326. 102 Das Unrechtsargument geht vom Bestehen des Anspruchs auf Richtigkeit im Recht aus und dient lediglich dazu, die Folgen dieses Anspruchs zu verteidigen (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 221 Fn. 179). Vgl. zum Unrechtsargument und seiner Funktion Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 108. Mit Blick auf den Rechtsbegriff siehe zum Unrechtsargument Engländer, Zur begrifflichen Möglichkeit des Rechtspositivismus, S. 455 ff. 103 Das Richtigkeitsargument Alexys in ausführlicher Form lautet: „Sowohl einzelne Rechtsnormen als auch einzelne rechtliche Entscheidungen als auch Rechtssysteme im Ganzen erheben notwendig einen Anspruch auf Richtigkeit.“ (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 64). Dies hat erstens die qualifizierende Folge, dass Rechtssysteme, die diesen Anspruch erheben, aber nicht erfüllen, „rechtlich fehlerhafte Rechtssystem“ sind (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 64), und zweitens die klassifizierende Folge, dass Normensysteme, die diesen Anspruch nicht einmal erheben, gar keine Rechtssysteme sind (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 64). Alexy begründet diese These mit zwei Beispielen. Das erste Beispiel stellt eine fiktiven Verfassungsartikel dar und lautet: „X ist eine souveräne, föderale und ungerechte Republik“ (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 65). Das zweite Beispiel stellt einen fiktiven Urteilstenor dar lautet: „Der Angeklagte wird, was eine falsche Interpretation des geltenden Rechts ist, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt“ (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 68). Beide Sätze seien technisch, moralisch und konventionell fehlerhaft; entscheidend aber sei,

II. Der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs

201

dass sie einen performativen Widerspruch aufweisen (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 65 ff.). Auf diese Weise begründet Alexy die Richtigkeitsthese. Kritisch dazu Neumann, Neuere Schriften zur Rechtsphilosophie, Philosophische Rundschau 28 (1981), S. 189 (213); Engländer, Diskurs als Rechtsquelle, S. 46, die insbesondere bezogen auf das zweite Beispiel keinen begrifflichen Fehler, sondern vielmehr einen Verstoß gegen soziale Konventionen sehen. Eine besonders umfangreiche und kritische Auseinandersetzung mit dem Richtigkeitsargument findet sich bei Bulygin, Alexy und das Richtigkeitsargument, in: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit, S. 19 ff. Siehe dazu auch die Entgegnung Alexys: Alexy, Bulygins Kritik des Richtigkeitsarguments, in: Normative Systems in Legal and Moral Theory, S. 235 ff. Eine übersichtliche Darstellung der strittigen Fragen findet sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 223 ff., der dem Richtigkeitsargument ebenfalls kritisch gegenüber steht. 104 Die These des Prinzipienargument ist, „dass der Richter auch im Offenheitsbereich des positiven, also des gesetzten und wirksamen Rechts rechtlich gebunden ist, und zwar auf eine Weise, die eine notwendige Verbindung von Recht und Moral herstellt“ (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 119). Damit streitet die These für den nichtpositivistischen Ansatz Alexys, also einen notwendigen Zusammenhang zwischen Recht und Moral. Um diese These zu begründen, stützt sich Alexy auf die normentheoretische Natur von Prinzipien. Prinzipien sind nach Alexy „abwägungsfähig und -bedürftig“ (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120). Aus dieser Ausgangslage heraus entwickelt Alexy drei weitere Thesen, die den Zusammenhang von Recht und Moral begründen sollen. Die erste These ist die Inkorporationsthese, nach der jedes zumindest „minimal entwickelte Rechtssystem“ notwendig über Prinzipien verfügt (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 121). Die zweite These ist die Moralthese, die davon ausgeht, „dass die notwendige Anwesenheit von Prinzipien im Rechtssystem zu einem notwendigen Zusammenhang zwischen Recht und irgendeiner Moral führt“ (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 127). Diese begründet Alexy damit, dass bei Zweifelsfällen Prinzipien zu berücksichtigen sind, um den Anspruch auf Richtigkeit gerecht zu werden. Unter diesen ließen sich stets solche finden, die zu irgendeiner Moral gehörten. Alexy nennt Vertrauensschutz, Umweltschutz, aber auch das Prinzip der Rassentrennung als Beispiele (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 128). Die dritte These Alexys ist die Richtigkeitsthese, nach der „ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Recht und der oder einer richtigen Moral“ besteht (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 129). Alexy bringt also, wie er selbst sagt, das Prinzipienargument im Rahmen des Richtigkeitsarguments zur Anwendung. Das Ergebnis ist die Richtigkeitsthese (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 130). Alexy beschreibt dazu den Fall, dass ein Richter seine Entscheidung etwa auf einem Grundprinzip des Grundgesetzes, etwa der Menschenwürde oder des Rechtsstaates trifft. Dies heißt, dass er seine Entscheidung aufgrund eines inhaltlichen moralischen Prinzips trifft (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 130). Im konkreten Einzelfall muss der Richter also diese relativ auf den Fall optimieren (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 130). Es handelt sich also um einen Rechtsfall, in dem der Richter sein auf Prinzipien basiertes Abwägungsergebnis mit inhaltlich „moralischen Argumenten“ begründet (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 131). An dieser Stelle stellt Alexy den Zusammenhang zum Richtigkeitsargument her: Nach diesem wird, wie oben gesehen, mit jeder rechtlichen Entscheidung ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben. Wie am eben beschriebenen Fall deutlich wird ist darin ein Anspruch auf „moralische Richtigkeit“ inkorporiert (Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 131). Um die Richtigkeitsthese vollends zu begründen, also der These, dass es einen notwendigen Zusammenhang zwischen Recht und der oder einer richtigen Moral gibt, führt Alexy Folgendes aus: Gerade weil der Anspruch auf Richtigkeit einen Anspruch auf Begründbarkeit voraussetze, erhebe der Richter in seinem Urteil auch einen Anspruch, dass dieses auf eine „begründbare und deshalb richtige Moral“ gestützt ist. Eine ausführliche Rekonstruktion und Kritik des Prinzipienarguments im Zusammenspiel mit dem Richtigkeitsargument m.w.N. findet sich bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 229 ff.

202

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

etwa die oben dargestellte Argumentation Alexys zur Widerlegung Neumanns nicht ausreichend, weshalb er versucht, eine weitergehende Begründung aus den eben genannten Argumenten abzuleiten.105 In dieser Arbeit ist auf eine tiefergehende Betrachtung des Begriffs der Richtigkeit im Recht zu verzichten. Der Diskurs in der Mediation und nicht der juristische Diskurs ist Kernuntersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Der Begriff der Richtigkeit im Recht spielt für den Diskurs in der Mediation aber gerade keine entscheidende Rolle. Der juristische Diskurs ist überhaupt nur Gegenstand dieser Arbeit, um später einen Vergleich zwischen diesem und dem Mediationsdiskurs ziehen zu können. Für diesen Vergleich ist die bisherige Auseinandersetzung über den Begriff der Richtigkeit im Recht hinreichend.

4. Zwischenergebnis zur zweiten These Mit der Widerlegung des Unbestimmtheitseinwandes, des Einwandes der geltenden Rechtsordnung sowie des zuletzt diskutierten Einwandes gegen den rechtlichen Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit kann der zweite Teil der Sonderfallthese bestätigt werden.

III. Spezifisch juristische Einschränkungen (Sonderfallthese im engeren Sinne) Die dritte These der Sonderfallthese oder auch Sonderfallthese im engeren Sinne besagt, dass der juristische Diskurs aufgrund spezifischer Einschränkungen einen Sonderfall im Vergleich zum allgemeinen praktischen Diskurs darstellt. Sie lautet: Um einen Sonderfall handelt es sich, weil juristische Diskussionen unter bestimmten Einschränkungen stattfinden.106

Mit Einschränkungen meint Alexy die Bindung an das geltende Recht.107 Dies entspricht dem ersten Aspekt des zuvor diskutierten, mit gerichtlichen Entscheidungen verbundenen Anspruchs auf Richtigkeit im Recht. Während der zweite Aspekt den Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit oder Vernünftigkeit zum Inhalt hatte, ist mit dem ersten Aspekt der Anspruch auf Gesetzmäßigkeit gemeint. Eben dieser entspricht der Bindung an das geltende Recht. Mit geltendem Recht meint Alexy „Gesetz, Präjudiz und Dogmatik“108.

105 106 107 108

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 235 ff. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 262. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 498; Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 253.

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

203

Gegen die Sonderfallthese im engeren Sinne wird eingewandt, dass die spezifischen Einschränkungen dem juristischen Diskurs den Diskurscharakter nähmen.109 Ob dieser Einwand gerechtfertigt ist, kann nur beantwortet werden, wenn der Begriff des juristischen Diskurses geklärt ist.

1. Der Begriff des juristischen Diskurses Der Begriff des juristischen Diskurses bei Alexy erscheint auf den ersten Blick in voneinander abweichender Weise in zweierlei Kontexten. Erstens bezeichnet Alexy in seinem oben erläuterten diskursiven Rechtsmodell110 die dritte Stufe als juristischen Diskurs, während die erste Stufe der allgemeine praktische Diskurs ist, die zweite die Gesetzgebung und die vierte Stufe die des gerichtlichen Prozesses.111 Damit ließe sich vermuten, dass der Gerichtsprozess kein Teil des juristischen Diskurses ist. Im hier primär relevanten Kontext versucht Alexy jedoch, eben dies zu begründen.112 Bäcker zeigt im Ergebnis zu Recht auf, dass es sich nur um eine scheinbare Widersprüchlichkeit handelt.113 Wie oben dargestellt, bezwecken das Gesetzgebungsverfahren und der Gerichtsprozess, die mangelnde Entscheidungsdefinität realer praktischer Diskurse zu überwinden. Sie dienen als außerdiskursive Entscheidungsmechanismen; gleichzeitig bewegen sich die Entscheidungen auf beiden Stufen grundsätzlich im Rahmen dessen, was vorher als diskursiv möglich ermittelt wurde.114 Trotz ihrer Funktion als außerdiskursive Entscheidungsstufen spielt juristische Argumentation, also der juristische Diskurs auf beiden Stufen eine Rolle.115 So muss jedenfalls in modernen Rechtsordnungen beim Gesetzgebungsverfahren die Bindung an die Verfassung beachtet werden, was juristische Argumentation erfordert.116 Für den Gerichtsprozess gilt freilich die Bindung an das geltende Recht, was dem besagten Anspruch auf Gesetzmäßigkeit entspricht. Auch dies erfordert juristische Argumente. Damit strahlt der juristische Diskurs auf die zweite Stufe der Gesetzgebung und besonders deutlich auf die vierte Stufe des Gerichtsprozesses aus. Fasst man diese Ausstrahlungswirkung als Teil des Begriffes eines juristischen Diskurses auf, löst sich die scheinbare Widersprüchlichkeit in der Alexyschen Terminologie auf.117 Die Stufen der Gesetzgebung und des Gerichtsprozesses müssen dann im diskursiven Rechtsmodell lediglich als Entscheidungs109

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263 und ausführlich S. 269 ff. Siehe oben Kapitel D. II. 3. a) aa). 111 Explizit Alexy, Ota Weinbergers Kritik der diskurstheoretischen Deutung juristischer Rationalität, in: Institution und Recht, S. 143 (153). 112 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 269 ff. 113 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 254. 114 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 254. 115 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 255. 116 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 254. 117 So im Ergebnis zu Recht auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 254. 110

204

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

stufen definiert werden.118 Die dort stattfindende juristische Argumentation hingegen ist Teil der dritten Stufe, also Teil des juristischen Diskurses. Damit ist die juristische Argumentation im Gerichtsprozess Teil des juristischen Diskurses. Daher erklärt sich, warum Alexy zu begründen versucht, dass auch der Gerichtsprozess ein Diskurs ist und gleichzeitig in seinem diskursiven Modell zwischen Gerichtsprozess und juristischem Diskurs terminologisch unterscheidet. Ebenso gut und deutlich leichter zugänglich ist der Vorschlag Atienzas, der zwischen einem juristischen Diskurs im engeren Sinne, womit nur die dritte Stufe gemeint sein soll, und einem juristischen Diskurs im weiteren Sinne, womit auch die juristische Argumentation im Gesetzgebungsverfahren und im Gerichtsprozess umfasst ist, unterscheiden will.119 Damit ist inhaltlich dasselbe vorgetragen wie zuvor nur verbunden mit einer zusätzlichen terminologischen Unterscheidung. Bäcker behauptet, dass für diese Unterscheidung kein Bedarf besteht.120 Dem ist nicht zuzustimmen, da durch Atienzas Terminologie weitere Klarheit geschaffen wird, wie die Alexysche Terminologie des juristischen Diskurses zu verstehen ist. Es ist daher zu untersuchen, ob erstens die juristische Diskussion außerhalb des Prozesses, wie etwa eine universitäre rechtswissenschaftliche Diskussion, und zweitens, ob die juristische Argumentation im Rahmen eines Gerichtsprozesses Diskurscharakter hat. Zuvor ist aber zu klären, was unter der Bindung an Gesetz, Recht und Präjudiz zu verstehen ist.

2. Bindung an Gesetz, Präjudiz und Dogmatik Dabei ist jeweils danach zu fragen, welche diskurstheoretische Bedeutung die Bindung an das Gesetz, die Präjudizien oder die Dogmatik hat. Dies ist von entscheidender Bedeutung auch für diese Arbeit, da alle drei Bindungen nicht oder kaum in der Mediation gelten. a) Bindung an das Gesetz Die Bindung des juristischen Diskurses an das Gesetz ergibt sich weitgehend aus dem bisher zum diskursiven Rechtsmodell Gesagten. Die juristische Argumentation auf der zweiten Stufe, also dem Gesetzgebungsverfahren, ist an die Verfassung, also ein Gesetz gebunden. Nicht alles kann durch die Gesetze der zweiten Stufe antizipiert geklärt werden, weshalb offene Fragen auf der dritten Stufe in Form des juristischen Diskurses erörtert werden; dieser ist wiederum an den Gesetzen ausgerichtet.121 118

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 254. Atienza, Las razones del derecho, S. 191; dazu auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 254. 120 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 254. 121 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 255; siehe oben Kapitel D. III. 3. a) aa). 119

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

205

Wäre dies nicht der Fall, handelte es sich um einen allgemeinen praktischen Diskurs.122 Trotz der Bindung an die Gesetze ist der juristische Diskurs als realer Diskurs nicht entscheidungsdefinit, weshalb auf vierter Stufe im Gerichtsprozess von „mehreren juristisch diskursiv möglichen“123 Antworten eine zur Entscheidung erhoben wird.124 Die dort stattfindende Argumentation ist, wie soeben dargelegt, Teil des juristischen Diskurses und damit an die Gesetze gebunden, wobei damit sowohl einfache Gesetze, als auch die Verfassung gemeint sind. Die Bindung des juristischen Diskurses und des Gerichtsverfahrens an die Gesetze ist, wie sich also aus dem diskursiven Rechtsmodell ergibt, diskurstheoretisch notwendig.125 b) Bindung an Präjudizien Alexy geht von einer Bindung der Rechtsprechung an Präjudizien aus. Ob eine solche tatsächlich besteht, hängt von der Rechtsordnung ab. Es lassen sich zwei Kategorien für die Begründung der Bindung an Präjudizien unterscheiden. Die erste Begründung trägt Alexy vor. Sie kann als rechtlich-zweckmäßige Begründung bezeichnet werden. Er führt Vorhersehbarkeit, Sicherung des Vertrauens und das Bedürfnis, gleiche Fälle gleich zu behandeln, als Gründe an, wobei er selbst betont, dass diese nicht zu zwingender Bindung an Präjudizien führen, sondern lediglich dazu, dass diese im Konfliktfall mit dem Interesse an Richtigkeit abgewogen werden müssen.126 Rechtssicherheit als Kernaspekt der präjudiziellen Bindung geht der Bindung an Richtigkeit und Vernunft damit nach.127 Eine andere Begründung für die Bindung an Präjudizien liefert Bäcker. Sie kann als diskurstheoretisch-zweckmäßige Begründung bezeichnet werden. Durch die Bindung an Präjudizien würde die Auswahl der juristisch diskursiv möglichen Antworten weiter eingegrenzt und daher der Funktion der Rechtsprechung im diskursiven Rechtsmodell, also der Überwindung mangelnder Entscheidungsdefinität des realen juristischen Diskurses, weiter Genüge getan.128 Die mangelnde Entscheidungsdefinität muss jedoch nicht zusätzlich über Präjudizien eingegrenzt werden. Das Gerichtsverfahren als solches reicht aus. Damit ist die Begründung für

122

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 255. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 255. 124 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 255; siehe oben Kapitel D. III. 3. a) aa). 125 So wohl auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 307; explizit Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 257. 126 Alexy, Law, Discourse and Time, ARSP-Beiheft 64 (1995), S. 101 (108 f.) („predictability, protection of trust, and treating equel cases alike”). Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Bindung an die verfassungsrechtliche Rechtsprechung rechtlich wie auch diskurstheoretisch nur schwer verzichtbar ist (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 257). 127 Ähnlich Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 256 Fn. 355. 128 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 255. 123

206

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Präjudizien nicht zwingend, führt also nicht zu diskurstheoretischer Notwendigkeit129 und weist daher ebenfalls nur Zweckmäßigkeitscharakter auf. Festzuhalten ist, dass die Bindung an Präjudizien, abhängig von der Rechtsordnung, schon rechtlich nicht immer besteht und auch diskurstheoretisch nicht notwendig ist. In beiden Feldern lassen sich jedoch gute Gründe der Zweckmäßigkeit anführen. c) Bindung an die Dogmatik Zuletzt widmet sich Alexy der Bindung an die juristische Dogmatik. Der Begriff der juristischen Dogmatik ist nicht abschließend geklärt.130 Von Interesse in dieser Arbeit ist, (1) was sinnvollerweise unter Rechtsdogmatik verstanden werden kann und (2) welche diskurstheoretische Bedeutung diese hat. An dieser Stelle ist es sinnvoll, mit Alexy zunächst von dem wohl überwiegend verwendeten Wortgebrauch auszugehen und juristische Dogmatik als die von Juristen „tatsächlich betriebene Rechtswissenschaft im engeren und eigentlichen Sinne zu verstehen“131. Auf dieser Grundlage ist eine Konkretisierung des Begriffes vorzunehmen. Alexy betrachtet dazu zunächst einen weiten Begriff der Rechtsdogmatik und sodann engere Begriffe, um schließlich unter Berücksichtigung beider eine diskurstheoretisch geeignete Definition der Rechtsdogmatik aufzustellen. Der weite Begriff Rechtsdogmatik kann in die Beschreibung des geltenden Rechts als deskriptiv-empirische Tätigkeit, die begrifflich-systematische Analyse als logisch-analytische Tätigkeit sowie das Lösen problematischer Fälle als normativpraktische Tätigkeit unterteilt werden.132 Die engeren Begriffe sehen die Rechtsdogmatik als die begriffliche, systematische oder logische Analyse des Rechts an133, beziehen sich also lediglich auf die letzten beiden Funktionen des weiteren Begriffs der Rechtsdogmatik. Diese Beschreibung ist Ausdruck der Begriffsjurisprudenz, auf die Alexy explizit zurückgreift.134 Er ermittelt anhand dieser engeren Begriffe, vor allem in Bezug auf Windscheid,135 folgende drei Aufgaben der Rechtsdogmatik: „(1) Die logische Analyse der juristischen Begriffe, (2) die Zusammenfassung dieser Analyse zu einem System und (3) die Verwendung der Ergebnisse dieser Analyse zur Begründung juristischer Entscheidungen.“136 Die intensive Auseinandersetzung mit Begriffen, 129

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 255. So auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 307. 131 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 307 unter Bezug auf Radbruch. 132 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 308 m.w.N. auch zu abweichenden Unterteilungen. 133 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 310. 134 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 310. 135 Vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, S. 110 f. 136 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 311. 130

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

207

Logizität und dem Begriff des Systems sind Kennzeichen der Begriffsjurisprudenz. Sie wirkt bis heute fort und ist seit jeher vehementer Kritik ausgesetzt. Auch Alexy widmet sich der Kritik der Begriffsjurisprudenz, wobei er allerdings nur einen Ausschnitt betrachtet. Unter Bezug auf Jhering137 sei Kern der Kritik, dass mit Mitteln der Begriffsjurisprudenz, also der logischen und begrifflichen Analyse des Rechts, kein zusätzlicher normativer Gehalt ermittelt werden könne.138 Alexy gesteht ein, dass die logische Bearbeitung des geltenden Rechts „alleine nicht ausreicht, um Normen und Entscheidungen zu begründen“139. Er geht davon aus, dass es im juristischen Diskurs erforderlich und vernünftig ist, „begrifflich-systematische Argumente“ neben anderen, „insbesondere allgemein praktischen Argumenten“ zu verwenden.140 Damit folgt Alexy nicht dem engen Begriff der Rechtsdogmatik. Er bekennt sich zwar zur Begriffsjurisprudenz insoweit, dass er ihre Methode im juristischen Diskurs für erforderlich oder sinnvoll hält, wendet sich aber gegen eine ausschließliche Anwendung ihrer Methode, indem er dieser nur einen Platz neben allgemein praktischen Argumenten einräumt. Anschließend stellt er fünf Bedingungen auf, die der Begriff der Rechtsdogmatik erfüllen soll: „Eine Rechtsdogmatik ist (1) eine Klasse von Sätzen, die (2) auf die gesatzten Normen und die Rechtsprechung bezogen, aber nicht mit ihrer Beschreibung identisch sind, (3) untereinander in einem Zusammenhang stehen, (4) im Rahmen einer institutionell betriebenen Rechtswissenschaft aufgestellt und diskutiert werden und (5) normativen Gehalt haben.“141 Damit ist der Begriff der Dogmatik definiert.142 Offen ist die Frage, welche diskurstheoretische Bedeutung die Dogmatik für den juristischen Diskurs hat. Dies kann beantwortet werden, wenn generell, also unabhängig von diskurstheoretischen Aspekten, geklärt wird, welche Funktionen die Dogmatik erfüllt. Eine umfangreiche Auflistung der Dogmatikfunktionen findet sich bei Alexy. Er nennt „(1) die stabilisierende143, (2) die Fortschritts-144, (3) die Entlas137

Vgl. Jhering, Der Geist des Römischen Rechts, 3. Teil, S. 311 f. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 311. 139 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 312. 140 Beide Anführungen aus Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 312. 141 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 314. 142 Auf eine noch tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Dogmatik kann und soll in dieser Arbeit verzichtet werden. Vgl. aber zur Art der Sätze in der juristischen Dogmatik Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 315 ff.; zur Verwendung dogmatischer Sätze S. 320 ff. 143 Die stabilisierende Funktion meint, dass aufgrund der institutionellen Betreibung der Dogmatik bestimmte Lösungen praktischer Fragen festgehalten werden können und damit verfügbar sind und immer wieder verwendet werden können (ausführlich dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 326 ff.). 144 Die Fortschrittsfunktion stellt wie die Stabilisierungsfunktion auf den institutionellen Betrieb der Dogmatik ab. Durch diesen können dogmatische Fragen in einem höheren Maße differenziert und überprüft werden, was zu einem Fortschritt der Dogmatik führen kann (ausführlich dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 328 f.). 138

208

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

tungs-145, (4) die technische146, (5) die Kontroll-147, und (6) die heuristische148 Funktion.“149 Nach Alexy sei die Stabilisierungsfunktion sowie die Kontrollfunktion aus allgemein-praktischen Gründen zur Erfüllung des Universalisierbarkeitsprinzips erforderlich.150 Die heuristische Funktion hält er aus den selben Gründen für wünschenswert und hält die Dogmatik insgesamt für vernünftig.151 An dieser Stelle ist nicht ganz klar, ob Alexy daher auch für die Einführung einer Dogmatik im allgemeinen praktischen Diskurs eintreten will. Davon ist nicht auszugehen. Ausgehend vom Kontext ist es naheliegender, dass Alexy die diskurstheoretische Bedeutung der Funktionen der Rechtsdogmatik ausschließlich für den juristischen Diskurs beschreibt. Auch wenn, wie oben gesehen, in juristischen Diskursen notwendig auch ein Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit erhoben wird, so gilt doch ebenfalls ein Anspruch auf Gesetzmäßigkeit und damit ein spezifisch juristischer. Das diskursive Rechtsmodell zeigt auf, dass die Stufe des Gerichtsprozesses erforderlich ist, um die mangelnde Entscheidungsdefinität realer Diskurse zu überwinden. Damit liegt ein weiteres Spezifikum des juristischen Gesamtdiskurses vor. Um diesen Spezifika gerecht zu werden, ist das Mittel der Dogmatik nach Alexy erforderlich. Gleichfalls ist damit deutlich, dass die Funktionen der Rechtsdogmatik nicht auf alle Fälle des allgemeinen praktischen Diskurses übertragen werden können. Festzuhalten ist, dass die Rechtsdogmatik und ihre zum Teil unbestreitbaren positiven Funktionen nur für den juristischen Diskurs und seine spezifischen Anforderungen gelten können. An späterer Stelle macht Alexy dies auch deutlich, wenn er schreibt: „Insgesamt kann die Verwendung dogmatischer Argumente nicht nur als eine den Grundsätzen der Diskurstheorie nicht widersprechende, sondern darüber hinaus als eine den besonderen Situationen des juristischen Diskurses und der von ihr geforderten Art der Argu145

Aus der Stabilisierungs- und Fortschrittsfunktion resultiere die Entlastungsfunktion. Durch die fortschreitende und gesicherte Dogmatik müssten bestimmte Fälle nicht immer wieder erneut diskutiert werden (ausführlich dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 329 f.). 146 Die technische Funktion soll gewährleisten, dass bestimmte Grundbegriffe, Rechtsinstitute usw. begrifflich und systematisch erfasst werden können und so ein Gesamtsystem entstehe (ausführlich dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 330 f.). 147 Die Kontrollfunktion gewährleistet, dass logische Vereinbarkeit dogmatischer Sätze zum einen, zum anderen Vereinbarkeit der mit den dogmatischen Sätzen begründeten Urteilen kontrolliert werden (ausführlich dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 322 f. und S. 331 f.). 148 Die heuristische Funktion ist die vielleicht bedeutendste Funktion und ist eng mit der Fortschrittsfunktion verknüpft. Durch die zahlreichen in der Dogmatik gesammelten Lösungen und Muster kann derjenige, der sich erstmals mit juristischen Fragen generell oder einer bestimmten juristischen Frage beschäftigt auf diese zurückgreifen. Damit offenbaren sich ihm Lösungen, an die er unter Umständen selbst nicht gedacht hätte (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 332). 149 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 326. 150 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 333. 151 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 333.

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

209

mentation angesehen werden.“152 Damit ist klar, dass Alexy die Funktionen der Rechtsdogmatik ausschließlich für den juristischen Diskurs behandelt. Zu Recht weist Alexy darauf hin, dass die Dogmatik auch im juristischen Diskurs nicht uferlos sein darf. Sie kann nur dann vernünftig sein, wenn eine „Rückkoppelung an die allgemeine praktische Argumentation nicht verloren geht“153. Damit ist auch die diskurstheoretische Bedeutung der Dogmatik (für den juristischen Diskurs) hinreichend geklärt. Lediglich für die Stabilisierungs- und Kontrollfunktion spricht Alexy von Erforderlichkeit für den juristischen Diskurs.154 Naheliegender erscheint es, auch diese Funktionen lediglich als vernünftig oder zweckmäßig anzusehen. Jedenfalls sind nicht alle dogmatischen Sätze für den juristischen Diskurs diskurstheoretisch notwendig.155 Die Dogmatik entfaltet damit eine ähnliche Bindungswirkung wie die Präjudizien, abhängig davon, welche Bedeutung man den einzelnen Funktionen zuweist. Jedenfalls erreicht sie in ihrer Gesamtheit nicht die Bindungswirkung des Gesetzes. d) Zusammenfassung Damit ist die diskurstheoretische Bedeutung und Bindungswirkung von Gesetz, Präjudizien und der Dogmatik für den juristischen Diskurs dargelegt. Die Bindung des juristischen Diskurses und des Gerichtsverfahrens an die Gesetze ist, wie sich also aus dem diskursiven Rechtsmodell ergibt, diskurstheoretisch notwendig und entfaltet die stärkste Bindungswirkung.156 Die Bindungswirkung der Präjudizien für den juristischen Diskurs ist diskurstheoretisch nicht notwendig, es lassen sich jedoch gute Gründe der Zweckmäßigkeit157 anführen. Die Dogmatik ist jedenfalls in ihrer Gesamtheit ebenfalls nicht diskurstheoretisch notwendig, jedoch gleichfalls zweckmäßig für den juristischen Diskurs, solange ein Bezug zur allgemeinen praktischen Vernunft hergestellt ist.

3. Einwände gegen den Diskurscharakter des juristischen Diskurses Damit kann der Frage nachgegangen werden, ob die spezifisch juristischen Einschränkungen des juristischen Diskurses, die über die Bindung an Gesetz, Prä152

Alexy, Theorie der juristischen Augmentation, S. 334. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 334. 154 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 334. 155 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 257. 156 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 257. 157 Zu einem leicht abweichenden Ergebnis gelangt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 257, der Präjudizien als „nur schwer verzichtbar“ einstuft und damit diesen eine stärkere Bindungswirkung als der Dogmatik zuweist. Dagegen spricht, dass zumindest ein Teil der Funktionen der Dogmatik mit Alexy als erforderlich angesehen werden könnten. 153

210

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

judiz und Dogmatik hinausgehen, dem juristischen Diskurs den Diskurscharakter nehmen. Kann dies verneint werden, ist die Sonderfallthese verteidigt. Es kann zwischen freien rechtswissenschaftlichen Erörterungen, die Alexy als die „freiste Form der juristischen Diskussion“158 bezeichnet, und dem Gerichtsprozess unterschieden werden.159

a) Die freie rechtswissenschaftliche Erörterung als Diskurs Wesensmerkmal der freien rechtswissenschaftlichen Erörterung sei es, dass jeder Sprecher beansprucht, dass jeder, der „sich an der geltenden Rechtsordnung orientiert“ 160, dieser Aussage zustimmt.161 Es geht also um die Begründung normativer Aussagen, bei denen notwendig ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird. Dabei gilt der oben ausführlich dargelegte zweigliedrige Richtigkeitsbegriff des juristischen Diskurses. Der darin enthaltene Anspruch auf Gesetzmäßigkeit entspricht der Orientierung an der Rechtsordnung. Gerade dies ist die Einschränkung, die Alexy mit der dritten Sonderfallthese für den Fall der freien rechtswissenschaftlichen Erörterung im Auge hat.162 Es gibt also im Vergleich zum allgemeinen praktischen Diskurs eine Beschränkung auf den Diskussionsgegenstand Recht163, aus dem der modifizierte Anspruch auf Richtigkeit folgt. Es besteht jedoch keine Einschränkung der Diskurssituation. Die oben ausgearbeitete Modifikationsthese zeigt, dass im Zwei-Ebenen-Modell die Diskursprinzipien aus dem idealen praktischen Diskurs abgeleitet werden und den Maßstab für den realen praktischen Diskurs bilden. Diese Diskursprinzipien können in der freien rechtswissenschaftlichen Erörterung genauso gut oder schlecht befolgt werden wie in jedem anderen realen allgemeinen praktischen Diskurs. Die Argumentation findet also unter einschränkenden Bedingungen statt, es wird aber stets auf eine „vernünftige Argumentation“ Bezug genommen“.164 Alexy hebt zudem hervor, dass gerade in der freien rechtswissenschaftlichen Erörterung in besonderem Maße auf Gegenargumente eingegangen würde, womit er den Diskurscharakter unterstreicht.165 Damit handelt es sich bei der freien rechtswis-

158

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 269. Auf eine begriffliche Trennung zwischen Diskurs und Diskussion kann hier verzichtet werden. Siehe dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 258 f. Ausreichend ist die Unterscheidung zwischen der freien rechtswissenschaftlichen Erörterung und des Gerichtsprozesses. 160 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 269. 161 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 269. 162 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 260. 163 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 260 der von inhaltlicher Einschränkung spricht. 164 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 269. 165 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 269 Fn. 20. 159

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

211

senschaftlichen Erörterung um Diskurse166, die ganz im Sinne der dritten Sonderfallthese, allerdings den Einschränkungen im oben genannte Sinne unterliegen. b) Der Gerichtprozess als Diskurs Wesentlich komplizierter, aber auch wesentlich bedeutender ist die Frage, ob der Gerichtsprozess ebenfalls als Diskurs aufgefasst werden kann. Wesentlich komplizierter ist diese Frage, weil der Gerichtsprozess zahlreichen Einschränkungen unterliegt, die, ganz anders als bei der freien rechtswissenschaftlichen Erörterung, die Diskurssituation selbst betreffen. Wesentlich bedeutender ist die Frage, da erstens der Gerichtsprozess als wichtigster Fall der juristischen Diskussion in Erscheinung tritt und zweitens in dieser Arbeit gerade der Gerichtsprozess mit der Alternative der Mediation diskurstheoretisch zu vergleichen ist. Drei wesentliche Einwände gegen den Diskurscharakter eines Gerichtsprozesses können unterschieden werden. Der erste Einwand macht geltend, dass spezifische Einschränkungen des Prozesses selbst, die etwa aus den Prozessordnungen folgen, dem juristischen Diskurs den Diskurscharakter nähmen. Er betrifft also die Prozesssituation im engeren Sinne und damit auch die Diskurssituation im engeren Sinne. Der zweite Einwand betrifft die Sachverhaltsreduktion im Sinne der juristischen Methode, die zu einer Verkürzung des inhaltlichen Spektrums eines Gerichtsprozesses führt. Der dritte Einwand geht auf die Motivation der Parteien ein, denen es häufig, wenn nicht sogar regelmäßig, „nicht um ein richtiges oder gerechtes Urteil, sondern ein für sie vorteilhaftes Urteil geht“167. Dieser Einwand betrifft die Diskurssituation im weiteren Sinne. Im Folgenden ist zu untersuchen, ob diese drei Einwände zutreffend sind oder widerlegt werden können. Können sie widerlegt werden, ist die Sonderfallthese bestätigt. aa) Einschränkungen durch die Prozesssituation im engeren Sinne Der erste Einwand betrifft die Prozesssituation in engerem Sinne. Es lassen sich vier Aspekte unterscheiden: erstens der im Gerichtsverfahren herrschende Zeitdruck, zweitens die begrenzte Teilnehmerschaft168, drittens die asymmetrische Rollenverteilung insbesondere im Strafprozess169 und viertens die Beschränkungen der Prozessordnungen.170 166 Zum selben Ergebnis gelangt Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 269 der es zu Recht für erforderlich hält, die rechtswissenschaftliche Erörterung als Diskurs zu bezeichnen; diesem zustimmend allerdings unter Zugrundelegung des in dieser Arbeit abgelehnten eindimensionalen Modells Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 260. 167 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270. 168 Diesen Aspekt nennt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 262 als tatsächlichen Umstand, der die Beschränkungen der Prozessordnungen rechtfertigen soll. 169 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270. 170 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270.

212

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Es kann nicht bestritten werden, dass diese spezifischen Bedingungen in Gerichtsverfahren herrschen und sie die Diskurssituation zumindest verändern. Die Frage ist aber, ob diese Spezifika dem Gerichtsverfahren den Diskurscharakter nehmen. Alexy selbst nennt diese Einschränkungen, beschäftigt sich aber sodann nahezu ausschließlich mit der Frage, ob die Motivation der Parteien den Diskurscharakter in Frage stellt.171 Auch Bäcker bringt ohne genaue Trennung der Aspekte lediglich eine kurze Darstellung. Dies verwundert, da Zeitdruck, eine stark begrenzte Teilnehmerzahl und eine asymmetrische Rollenverteilung eindeutig mit den, aus dem idealen praktischen Diskurs abgeleiteten Diskursprinzipien172 in einem Spannungsfeld stehen. (1) Begrenzung der Zeit Das in dieser Arbeit aus dem idealen Diskurses, ermittelte Diskursprinzip der Zeit lautet wie folgt: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände und die anderen Diskursprinzipien, möglichst viel Zeit für den Diskurs einzuräumen.

Der im Gerichtsverfahren herrschende Zeitdruck führt damit zu einer Entfernung vom idealen Diskurs. Das heißt aber nicht, dass das Diskursprinzip verletzt ist. Die Einschränkung eines Diskursgegenstandes, hier der Zeit, bedeutet gerade nicht, dass das Diskursprinzip nicht erfüllt ist.173 Entscheidend ist, ob der Diskursgegenstand, hier also der zeitliche Rahmen, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten optimiert wird.174 „Die tatsächlichen Möglichkeiten“ sind im Falle des Gerichtsprozesses durch die Notwendigkeit einer möglichst zügigen Entscheidung determiniert.175 An der Notwendigkeit möglichst schneller Gerichtsentscheidungen kann nur schwer gezweifelt werden. Damit führen die tatsächlichen Rahmenbedingungen des Prozesses, hier das Bedürfnis einer schnellen Entscheidung, dazu, dass die Optimierung des Zeitrahmens in einem Gerichtsprozess nicht besonders weit geht. Sie findet aber dennoch statt. So gibt es zahlreiche Regelungen, die eine Erweiterung des Zeitrahmens vorsehen, wie die Überprüfung eines Gerichtsurteils, zusätzliche Vorbereitungszeit176, zusätzliche Zeit für Sachverständigengutachten oder neue Beweisermittlung. Dass dennoch Zeitdruck herrscht, ist den tatsächlichen Umständen des Prozesses, also dem Bedürfnis nach schnellen Entscheidungen geschuldet. Diese Umstände werden in der Artikulation der Diskursprinzipen durch den Einschub „Optimierung hinsichtlich der tatsächlichen Umstände“ erfasst. Das Diskursprinzip Zeit ist also 171 172 173 174 175 176

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270 f. Siehe oben Kapitel C. III. 4. a). Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 261. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 261. Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 261. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 261.

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

213

auch im Gerichtsprozess trotz des Zeitdrucks erfüllt. Der Diskurscharakter des Gerichtsprozesses entfällt damit nicht wegen des dem Gerichtsprozess immanenten Zeitdrucks. Was aber gerade für den späteren Vergleich mit der Mediation festgehalten werden muss, ist die weite Entfernung vom idealen Diskurs. Die Optimierung des zeitlichen Rahmens entfaltet im Gerichtsprozess wegen des primären Bedürfnisses einer schnellen Entscheidung nur eine schwache Wirkung. (2) Begrenzung der Teilnehmerschaft Der zweite oben genannte Aspekt ist die im Gerichtsprozess stark begrenzte Teilnehmerzahl. So werden im Zivilrecht Rechtsstreitigkeiten grundsätzlich auf ein Zwei-Personen-Verhältnis heruntergebrochen.177 Fraglich ist, ob das Diskursprinzip der Teilnehmerschaft178 verletzt ist. Es lautet: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, möglichst vielen Personen die Teilnahme am Diskurs zu ermöglichen.

Damit das Diskursprinzip erfüllt ist, muss die Anzahl der Teilnehmer relativ auf die tatsächlichen Umstände optimiert sein. Das heißt, es müssen erstens tatsächliche Umstände vorliegen, die die massive Begrenzung der Teilnehmerschaft rechtfertigen. Gleichzeitig muss es Anhaltspunkte dafür geben, dass auch im Gerichtsprozess versucht wird, eine zumindest hinreichende Anzahl von Teilnehmern zu gewährleisten. Nur dann kann von einer Optimierung der Teilnehmerzahl relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände gesprochen werden. Weder Alexy noch Bäcker179 widmen sich dieser nicht unerheblichen Fragestellung. Die Begrenzung der Teilnehmerschaft zeigt sich besonders deutlich im Zivilrecht, weshalb die Problematik anhand dieses Rechtsgebietes erörtert werden soll. Jedenfalls das deutsche materielle Zivilrecht verlangt eine Reduktion tatsächlicher Sachverhalte in Zwei-Personen-Verhältnisse. Dies spiegelt sich in der Prozesssituation wider. Als tatsächlicher Umstand, der die begrenzte Teilnehmerschaft rechtfertigt, müsste also das materielle Recht und die dazu etablierte zivilrechtliche Dogmatik angeführt werden. Wie oben dargestellt, entfaltet die Dogmatik jedoch für den juristischen Diskurs nur eine schwache Bindungswirkung. Sie ist zudem nur dann vernünftig, wenn eine Rückkoppelung an die allgemeine praktische Vernunft besteht und sie sich nicht in ihrem Selbstzweck verliert. Ob die künstliche Reduktion eines Sachverhaltes auf Zwei-Personen-Verhältnisse in jedem Fall als vernünftig bezeichnet werden kann, ist fraglich.

177

Siehe dazu auch oben Kapitel B. I. 4. a) cc). Siehe oben Kapitel C. III. 4. a) bb). 179 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 262, nennt die begrenzte Teilnehmerschaft lediglich als tatsächlichen Umstand, der die Beschränkungen der Prozessordnungen rechtfertigen soll. 178

214

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Dies sei an folgendem Beispiel illustriert: Nachbar N1 streitet mit Nachbar N2 über die Frage, ob ein Überbau des N1 auf das Grundstück des N2 zulässig war. N2 stört sich nicht weiter an dem Überbau, geht sogar im Geheimen davon aus, dass dieser rechtlich zulässig war180, etwa weil es eine entsprechende vertragliche Abrede gab. Dennoch klagt N2 gegen N1, da eine generationenübergreifende Fehde zwischen der Familie des N2 und der des N1 schon seit Jahren andauert. Diese beruht auf einem Streit der Väter von N1 und N2. Im Gerichtsprozess werden freilich nur N1 und N2 als Grundstückseigentümer geladen. Die eigentlichen Protagonisten des Konflikts spielen rechtlich keine Rolle, ebenso wie die gesamte Vorgeschichte. Es ließen sich etliche solcher Beispiele anführen, die verdeutlichen, dass die Reduktion auf die rechtlich relevanten Teilnehmer oftmals nur schwerlich als vernünftig bezeichnet werden kann. Die Anforderungen des materiellen Rechts und der zivilrechtlichen Dogmatik fordern jedoch eben dies. An dieser Stelle ist allein fraglich, ob dadurch das Diskursprinzip der Teilnehmerschaft verletzt ist. Damit eine Verletzung verneint werden kann, müsste es erstens Gründe geben, die hinter der Dogmatik und dem materiellen Recht stehen und eine Reduktion der Teilnehmer rechtfertigen. Zweitens müsste es Anhaltspunkte dafür geben, dass zumindest versucht wird, eine hinreichende Teilnehmerzahl zu ermöglichen. Beides kann bejaht werden. Es lassen sich drei tatsächliche Gründe, die die Begrenzung der Teilnehmerschaft rechtfertigen, anführen: (1) das Bedürfnis nach einer Entscheidung, (2) Rechtsklarheit und (3) die notwendige Abstraktheit von Gesetzen. Wie oben schon erläutert, besteht generell das Bedürfnis nach einer Entscheidung bei rechtlichen Auseinandersetzungen. Das Bedürfnis einer Entscheidung ist bezogen auf das Beispiel allerdings kein starker Grund, da eine Entscheidung über den Überbau im eigentlichen Sinne gar nicht begehrt wird. Mit Rechtsklarheit ist gemeint, dass das Recht transparente und klar verständliche Regelungen anbieten muss. Dies ist durch die Aufteilung in Zwei-Personen-Verhältnisse nach dem Schema Anspruchsberechtigter und Anspruchsgegner gewährleistet. Es ist rechtlich kaum möglich, in jedem gerichtlich zu entscheidenden Fall die eigentlichen Protagonisten eines Konflikts ausfindig zu machen, insbesondere wenn diese gar kein Interesse an einer gerichtlichen Auseinandersetzung haben. Es kann im obigen Beispiel nicht in rechtliche Regelungen gefasst werden, dass die Väter von N1 und N2 ihren Konflikt in einem Diskurs austragen. Statt von Rechtsklarheit ließe sich also auch von Praktikabilität sprechen. Mit dem Erfordernis der Rechtsklarheit eng verbunden ist das Erfordernis der Abstraktheit von Gesetzen. Gesetze sind notwendig in schwachem oder stärkerem Maß abstrakt, um möglichst viele Lebenssachverhalte zu erfassen. Aus der Abstraktheit folgt auch die Reduktion der Teilnehmerschaft. Die Gründe dafür, dass in bestimmten 180 Freilich erhebt er objektiv im Gericht einen Anspruch auf Richtigkeit seiner Position. Dies reicht wie oben [Kapitel C. II. 3. a) bb) (1)] im Rahmen der Diskurstheorie erörtert aus. Siehe aber auch sogleich zum Problem der egoistischen Motivation der Parteien [Kapitel D. III. 3. b) cc)].

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

215

Fällen über einen Konflikt oder eine bestimmte Frage auch andere Personen als der mögliche rechtliche Anspruchsberechtigte und Anspruchsgegner diskutieren sollten, sind zu vielfältig, um in abstrakten Normen erfasst werden zu können. Damit stehen hinter den materiell-rechtlichen Regelungen und der Dogmatik tatsächliche Umstände, die als rechtfertigende Gründe für eine Reduktion der Teilnehmerschaft angeführt werden können. Mithin ist die erste Voraussetzung dafür, dass das Diskursprinzip der Teilnehmerschaft nicht verletzt ist, gegeben. Es liegen tatsächliche Umstände vor, die eine Einschränkung rechtfertigen. Die zweite Voraussetzung lautete, dass es auch für den Gerichtsprozess Mechanismen geben muss, die relativ bezogen auf die eben genannten Einschränkungen eine möglichst hohe Anzahl von Teilnehmern gewährleisten. Der Diskursgegenstand Teilnehmerschaft muss also überhaupt Berücksichtigung finden. Diese Möglichkeiten sieht das Gesetz vor. An dieser Stelle sei exemplarisch die Beiladung genannt. Hinzu kommen Zeugen und Sachverständige, die zwar nicht durchgehend am Gerichtsprozess teilnehmen und erst recht nicht entscheiden, aber doch so am Diskurs beteiligt werden, dass ihr Wissen zur Begründung eines richtigen Urteils verwendet werden kann. Damit ist das Diskursprinzip der Teilnehmerschaft im Gerichtsprozess nicht verletzt. Es muss aber festgehalten werden, dass die Optimierung aufgrund der tatsächlichen Umstände abermals nur sehr schwache Wirkung entfaltet. Die Teilnehmerschaft ist stark eingegrenzt aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die einen Gerichtsprozess ausmachen. Die Diskurssituation ist damit weit entfernt vom idealen Diskurs. (3) Begrenzung der Zwanglosigkeit durch asymmetrische Rollenverteilung insbesondere im Strafprozess Fraglich ist, ob das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit durch die asymmetrische Rollenverteilung im Prozess verletzt ist.181 Das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit lautet: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände und die anderen Diskursprinzipien, eine möglichst weitgehende Zwanglosigkeit aller Diskursteilnehmer zu gewährleisten.

Mit asymmetrischer Rollenverteilung ist die Verfahrensherrschaft und alleinige Entscheidungsbefugnis des Richters gemeint. Aufgrund dieser kann für das Gerichtsverfahren nicht von einem zwanglosen Diskurs gesprochen werden. Ebenso sind die Diskursteilnehmer keineswegs gleichberechtigt.182 Insbesondere im Strafprozess ist der Angeklagte in aller Regel höchst unfreiwillig und nur unter Durch181

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270. Die mangelnde Gleichberechtigung hebt auch Engländer, Diskurs als Rechtsquelle?, S. 147 hervor. 182

216

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

setzung staatlichen Zwanges am Prozess beteiligt. Abgeschwächt gilt dies unter Umständen auch für den Beklagten im Zivilprozess. Zwang ist im Strafprozess aber auch im Einzelfall in zivilrechtlichen Verhandlungen das wesensbestimmende Element. In eine ähnliche Richtung geht auch die Kritik Neumanns, der die Stellung des Richters als unvereinbar mit der Situation eines realen Diskurses hält183 und Kaufmanns184, der aufgrund der Verfahrensherrschaft des Richters dem Strafprozess den Diskurscharakter abspricht. Die asymmetrische Rollenverteilung widerspricht damit auf den ersten Blick in besonders deutlicher Weise dem Diskursprinzip der Zwanglosigkeit. Wenn das strafrechtliche Gerichtsverfahren ausschließlich auf Zwang gegenüber dem Angeklagten beruht, würde dies dem Strafprozess den Diskurscharakter nehmen. Damit wäre die Sonderfallthese zumindest für den Strafprozess nicht aufrecht zu erhalten. Der Strafprozess wäre damit kein Diskurs. Es ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, die Frage zu beantworten, ob das Strafrecht und die Strafprozessordnung noch zeitgemäß sind. Es geht nur um die Frage, ob das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit für den Gerichtsprozess noch erfüllt ist. Dies kann über die oben bereits in Ansatz gebrachte Notwendigkeit gerichtlicher Entscheidungen bejaht werden. Ohne die Verfahrensleitung und Entscheidungsbefugnis des Richters könnten keine gerichtlichen Entscheidungen gefällt werden.185 Die Notwendigkeit von Entscheidungen ergibt sich aus dem diskursiven Rechtsmodell Alexys.186 Dies ist der tatsächliche Umstand, der es rechtfertigt, dass im Falle des Gerichtsprozesses Zwang angewendet wird. Das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit ist aber nur dann nicht verletzt, wenn es zudem Regelungen gibt, die den Zwang durchbrechen. Nur dann kann von einer Optimierung der Zwanglosigkeit relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände gesprochen werden. Solche Regelungen stellen Normen zur Ablösung eines Richters wegen Befangenheit und zur Möglichkeit der Entscheidungsüberprüfung dar.187 Damit hat dieser keine absolute Verfahrensleitung also keine absolute Zwangsgewalt. Die Auswirkungen dieser Optimierung sind allerdings aufgrund der tatsächlichen Umstände eines Gerichtsprozesses, also der Notwendigkeit von Entscheidungen, extrem schwach. Die Optimierung der Zwanglosigkeit ist gerade im Strafprozess fast, aber eben nicht vollkommen, bedeutungslos. Damit ist das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit im Gerichtsverfahren nicht verletzt. Gleichzeitig ist der Prozess sehr weit von der Situation eines idealen Diskurses entfernt. 183

Vgl. Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 84. Kaufmann, Lässt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen?, in: Dogmatik des Strafverfahrens, S. 15 (22): Es sei „wesentlich, dass der Austausch der Argumente herrschaftsfrei geschieht“. Kaufmann will jedoch nicht die Notwendigkeit der Verfahrensherrschaft des Richters abstreiten, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass durch diese kein Diskurs zustande kommen kann. 185 Vgl. dazu Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 261 Fn. 360 der die richterlicherliche Verfahrensherrschaft für „unabdingbar“ hält. 186 Siehe oben Kapitel D. II. 3. a) aa). 187 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 261. 184

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

217

(4) Begrenzungen durch die Prozessordnungen Die letzte oben zu behandelnde Einschränkung der Prozesssituation im engeren Sinne ist die Beschränkung durch die Prozessordnungen. Diese sind aber bereits mit den zuvor erörterten Einschränkungen abgehandelt. Die Prozessordnungen beinhalten gerade die Regelungen zu zeitlichen Begrenzungen, zur Begrenzung der Teilnehmerschaft und statuieren die asymmetrische Rollenverteilung im Prozess. Es wurde dargelegt, dass diese Regelungen die Diskursgegenstände relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände, also die mit dem Prozess verbundenen Bedürfnisse, optimieren. Damit ist eine gesonderte Betrachtung der Prozessordnungen obsolet. (5) Ergebnis zu den Einschränkungen der Prozesssituation im engeren Sinne Die Einschränkungen sind in den Prozessordnungen statuiert und führen zu einer Begrenzung der Teilnehmerschaft, der Zeit und zur asymmetrischen Rollenverteilung im Prozess. Diese wiederum führen zu einer weiten Entfernung vom idealen Diskurs.188 Keines dieser Spezifika bewirkt jedoch die Verletzung eines Diskursprinzips. Vor allem Letzteres ähnelt im Ergebnis den Schlussfolgerungen anderer Autoren.189 Alexy sieht die Prozessordnungen als Möglichkeiten an, Entscheidungen innerhalb „des diskursiv Möglichen“ herbeizuführen.190 Dem ist zuzustimmen. Die oben erörterten Einschränkungen werden allerdings sowohl von Alexy als auch von Bäcker als deutlich weniger problematisch angesehen191 als in dieser Arbeit. Eine andere Frage ist, ob die Prozessordnungen als vernünftig bezeichnet werden können.192 Es konnten Probleme angeführt werden, die verdeutlichen, dass die Prozessordnungen oftmals nicht den besten Weg zur Erörterung strittiger Fragen bereitstellen. Sie führen dazu, dass Personen, die etwas zu den strittigen Fragen und Hintergründen sagen sollten, von der Teilnahme ausgeschlossen sind, basieren auf Zwang, um dem Bedürfnis nach Entscheidungen gerecht zu werden, und enthalten auch deshalb Regelungen, die zeitlichen Druck auf alle Beteiligten ausüben. Mit Blick auf die Bedürfnisse des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere die Notwendigkeit einer Entscheidung, mögen große Teile dieser Regelungen vernünftig sein. 188

Dies räumt in abgeschwächter Form auch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 267 ein. Vgl. auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271. Beide kommen aber erst nach Erörterung weiterer Einschränkungen, insbesondere der Motivation der Parteien, zu dieser Feststellung. 189 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 261 f. „Die Prozessordnungen können zumindest im Grundsatz als Ergebnis der Anwendungen der Diskursprinzipien auf die tatsächlichen Bedingungen des Prozesses […] angesehen werden.“ Nach Habermas, Faktizität und Geltung, S. 288, sichert das Verfahrensrecht „in zeitlicher, sozialer und sachlicher Hinsicht den institutionellen Rahmen für freigesetzte Kommunikationsabläufe“. 190 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 350. 191 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 350. 192 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271.

218

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Aufgrund der massiven Einschränkungen und der daraus folgenden, besonders weiten Entfernung vom idealen Diskurs sollte der Gerichtsprozess aber als ultima ratio aufgefasst werden. Alexy hingegen behauptet, die Vernunft der verschiedenen Prozessarten „darf nicht einfach mit dem Hinweis darauf, dass die Freiheit des Diskutierens eingeschränkt wird, verneint werden“193. Ein Hinweis auf die Einschränkungen der Freiheit des Diskutierens wurde jedoch eindringlich mit dem soeben Gesagten ausgesprochen. Die Schlussfolgerung lautete dennoch ganz im Sinne Alexys nicht, dass dies automatisch zu einer Beurteilung der Prozessordnungen als unvernünftig führt. Eine andere Schlussfolgerung steht vielmehr im Vordergrund: Die Diskurssituation des Gerichtsverfahrens ist so weit vom idealen Diskurs entfernt, dass dieser als Konfliktlösungsinstrument nur ultima ratio sein kann und darf. Nur wenn eine Entscheidung nicht anders herbeigeführt werden kann, sind die massiven Einschränkungen der Diskursfreiheit hinnehmbar. Ein solch kritisches Bild teilt Alexy wohl nicht. Zur Beurteilung der Prozessordnungen sei entscheidend, „ob angesichts des Entscheidungsbedarfs die durch Regeln des Prozesses normierten Einschränkungen eine hinreichende Chance dafür bieten, dass Ergebnisse zustande kommen, die auch unter idealen Bedingungen zustande gekommen wären“194. Er führt an, dass das Argumentieren gegeneinander und die intensive Vertrautheit des Richters mit den Gründen für oder gegen eine Entscheidung für die heutige Struktur der Prozessordnungen sprächen.195 Diese positive Einschätzung kann mit Blick auf die zuvor genannten Auswirkungen der Einschränkungen nur schwerlich geteilt werden. Sicherlich ist die Beurteilung auch von Norm zu Norm unterschiedlich und bleibt damit Gegenstand der freien rechtswissenschaftlichen Erörterung.

bb) Einschränkungen durch Sachverhaltsreduktion Eine mit den Einschränkungen der Prozesssituation im engeren Sinne eng verbundene Problematik ist die Einschränkung durch die juristische Methode im Sinne der Reduktion des Sachverhaltsgeschehens auf rechtlich relevante Umstände. Fraglich ist, ob diese Methode, die im gerichtlichen Verfahren angewendet wird, dem gerichtlichen Verfahren den Diskurscharakter nimmt. Mit gerichtlichen Entscheidungen über einen Konflikt ist, wie oben ausgearbeitet196, notwendig der Anspruch auf allgemeine praktischen Richtigkeit und der Anspruch auf Gesetzmäßigkeit verbunden. Dies sind die zwei Aspekte des mit gerichtlichen Entscheidungen verbundenen Anspruchs auf Richtigkeit. Aus Erstem 193 194 195 196

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271 Fn. 22. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271 Fn. 22. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271 Fn. 22. Siehe oben Kapitel D. II. 3. a) bb).

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

219

folgt eine Rückkoppelung an die allgemeine praktische Vernunft, aus Letzterem ein Bezug zur ratio der Gesetze. Aus diesen beiden Bezügen lässt sich ableiten, dass eine gerichtliche Entscheidung beansprucht, friedenstiftend und gerecht zu sein. Wie kann jedoch eine Entscheidung über einen Konflikt friedenstiftend und gerecht sein, wenn die juristische Methode es verlangt, sämtliche rechtlich nicht relevante, aber oftmals für die konfliktbeteiligten Personen entscheidende Geschehnisse auszuklammern? Auch diese Reduktion zeigt deutlich, dass das Gerichtsverfahren197 eine weite Entfernung vom idealen Diskurs darstellt. Eine Verletzung eines Diskursprinzips ist aber entsprechend der obigen Argumentation auch hier nicht gegeben. cc) Einschränkungen durch die Motivation der Parteien Als problematisch wird die Frage eingeschätzt, ob die Motivation der Parteien dem Gerichtsprozess den Diskurscharakter nimmt.198 Alexy fokussiert dieses Problem, indem er herausstellt, dass es den Parteien im Prozess oftmals nicht um ein „richtiges oder gerechtes Urteil, sondern um ein für sie vorteilhaftes Urteil geht“199. Dies kann nicht bestritten werden. Im Mittelpunkt dürften in der Regel die Durchsetzung der individuellen Interessen der Parteien stehen.200 Gestritten wird über die diskurstheoretischen Konsequenzen dieses Befundes. Verliert der Gerichtsprozess aufgrund der Motivation der Parteien seinen Diskurscharakter? Diese Frage ist für diese Arbeit von fundamentaler Bedeutung, da auch die Mediation ein unzweifelhaft interessenbasiertes Verfahren ist. Spricht man dem Gerichtsverfahren aufgrund der Interessenprägung den Diskurscharakter ab, könnte dies ein Indiz dafür sein, dass das Gleiche für den Mediationsdiskurs gilt. Mehr als ein Indiz wäre es allerdings nicht, da der Begriff des Interesses im Mediationskontext möglicherweise abweicht und vor allem der Umgang mit Interessen im Mediationsverfahren ein gänzlich anderer ist. Die bloße Gegenwärtigkeit von Interessen widerspricht auch nach Alexy nicht dem Diskurscharakter, vielmehr sollen diese sogar im allgemeinen praktischen Diskurs einen Platz haben.201 Im Prozess geht es gerade „um die praktische Frage, wie der Konflikt der widerstreitenden Interessen gelöst werden soll.“202 197

Diese Einschränkung gilt für den freien rechtswissenschaftlichen Diskurs weniger stark, da dort auch andere als rechtlich relevante Argumente angeführt werden können. Insbesondere rechtspolitische Argumente können Teil einer freien rechtswissenschaftlichen Erörterung sein. 198 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 262; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270. 199 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270. 200 So auch schon Neumann, juristische Argumentationslehre, S. 85; insoweit diesem noch zustimmend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 262. 201 Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 262 ff. insb. 264; vgl. auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 408.

220

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

Die Gegner der Sonderfallthese argumentieren auch nicht, dass aufgrund der Interessen der Diskurscharakter des Gerichtsprozesses verloren ginge, sondern aufgrund der Art des Umgangs mit diesen. Es wird behauptet, dass aufgrund der Motivation, nur die eigenen Interessen ohne Rücksicht auf andere durchsetzen zu wollen, der Gerichtsprozess ein strategisches Duell ist und keinen Diskurs darstellt.203 Erstaunlicherweise ordnet Alexy zunächst den Gerichtsprozess nicht eindeutig als Diskurs ein: „Die verschiedenen Arten des Prozesses scheinen sich deshalb [gemeint ist die Motivation der Parteien] weder ohne weiteres als Diskurs, noch ohne weiteres als strategisches Handeln qualifizieren zu lassen.“204 Daraus leitet er eine „Zwischenstellung des Prozesses“ ab, die es zwar ausschließt, den Prozess „einfach als Diskurs zu bezeichnen“, die aber andererseits bedeutet, dass der Prozess „nicht ohne Bezugnahme auf den Begriff des Diskurses theoretisch erfasst werden kann“.205 Dies begründet Alexy mit folgender von der Erörterung der Diskursregeln bekannten und zutreffenden Argumentation: Die Parteien im Prozess „geben zumindest vor, dass ihre Argumente so beschaffen sind, dass sie unter idealen Bedingungen Zustimmung finden würden.“206 Es kommt also nicht auf die subjektive strategische Intention an, sondern auf den objektiv erhobenen Anspruch auf Richtigkeit. Dieser diskurstheoretischen Argumentation wurde bereits im ersten Teil dieser Arbeit bei der Begründung der Diskursregeln zugestimmt. Alexys Fazit lautet, dass zur theoretischen Erfassung der Argumentation im Prozess „die Diskurstheorie daher nicht nur geeignet, sondern erforderlich“207 ist. Damit kommt es nach Alexy für die Einordnung als Diskurs entscheidend darauf an, dass zumindest objektiv ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird. Zu untersuchen ist, ob dies ausreicht. Ist dies der Fall, kann die Sonderfallthese bestätigt werden. Dieses Ergebnis wird (1) durch den Trivialitätseinwand Hilgendorfs und (2) durch den Unkenntlichkeitseinwand Neumanns angegriffen. Beide wenden sich gegen die Sonderfallthese und wollen begründen, dass das gerichtliche Verfahren keinen Diskurs darstellt. Ein dritter hier entwickelter Einwand problematisiert das starke Überwiegen der strategischen Motivation anhand eines Vergleichs mit dem allgemeinen praktischen Diskurs (3).

202

Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 264. Wichtigster Vertreter dieser Ansicht ist Habermas, Theorie der Gesellschaft der Sozialtechnologie, S. 200 f., der das gerichtliche Verfahren nicht als Diskurs, sondern als Disput einordnet. „Der Disput als Mittel der strategischen Verwirklichung dieser durch Rollenverteilung definierten Ziele ist kein Diskurs. Das Ziel der Parteien sei „nicht die Wahrheitsfindung, sondern eine für sie günstige Entscheidung eines Streitfalls.“ Vgl. aber oben Fn. 1 des Abschnitts D. zu den unterschiedlichen habermasschen Beurteilungen der Sonderfallthese. Vgl. auch Engländer, Diskurs als Rechtsquelle, S. 146, und ferner Kaufmann, Lässt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen?, in: Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, S. 15 (22). 204 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270. 205 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271. 206 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271. 207 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271. 203

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

221

(1) Trivialitätseinwand Der Trivialitätseinwand macht geltend, dass der Gehalt der Sonderfallthese aufgrund der eben dargelegten Alexyschen Argumentation nur noch darin bestehe, „dass auch im juristischen Kontext mit dem Anspruch auf Vernünftigkeit argumentiert wird. Da dieser Anspruch aber mit dem Vorbringen eines Arguments fast immer verbunden sein dürfte, wird die Sonderfallthese trivial.“208 Dem kann entgegnet werden, dass gerade wegen der Prozesssituation im engeren Sinne209 und der Motivation der Parteien dem Gerichtsverfahren der Diskurscharakter abgesprochen wird. Wenn aber im Prozess, wie soeben als zutreffend festgestellt wurde, trotz der Motivation und trotz der Prozesssituation im engeren Sinne ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird, so „unterwerfen sich die argumentierenden Parteien den Diskursregeln“.210 Damit ist die Sonderfallthese keineswegs trivial, sondern kann begründen, dass in der besonderen Situation des gerichtlichen Verfahrens Diskursregeln befolgt werden. (2) Unkenntlichkeitseinwand Der zweite Einwand Neumanns in Form des Unkenntlichkeitseinwandes macht geltend, dass der Unterschied zwischen Diskurs und strategischem Handeln nahezu unkenntlich gemacht werde, wenn das „strategisch geschickte Vorgeben konsensfähiger Argumente“ für die Einordnung als Diskurs ausreicht.211 Damit sagt er nichts anderes, als dass das bloße objektive Erheben des Anspruchs auf Richtigkeit bei subjektiv strategischer Motivation den Diskursbegriff zu sehr verwässert. Er will ein Exklusivitätsverhältnis zwischen strategischem Handeln einerseits und diskursivem Handeln andererseits begründen.212 Ein solches existiert jedoch, wie schon bei der Erörterung der Diskursregeln begründet wurde, nicht. Ein Diskurs kann auch dann stattfinden, wenn subjektiv strategisch als Nutzenmaximierer vorgegangen, aber objektiv der Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird. Bei der Erörterung der Diskursregeln wurde festgestellt, dass es Diskursteilnehmer gibt, die ein überwiegendes Interesse an Richtigkeit haben. Das wiederum veranlasst den reinen Nutzenmaximierer dazu, die Diskursregeln zumindest objektiv vorzugeben, da dies strategisch im Sinne des Kosten-Nutzen-Kalküls günstiger ist, also offen gegen die Diskursregeln vorzugehen und damit Widerstand derjenigen mit

208

Hilgendorf, Argumentation in der Jurisprudenz, S. 118. Siehe oben Kapitel D. III. 3. b) aa). 210 So die treffende Argumentation bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 263. 211 Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 85; zustimmend Kaufmann, Lässt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen?, in: Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, S. 15 (22). 212 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 262. 209

222

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

echtem Interesse an Richtigkeit hervorzurufen.213 Aufgrund dessen erhebt auch der Kostennutzenmaximierer zumindest objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit.214 Eine trennscharfe Unterscheidung von Diskurs und Strategie ist daher schon auf dem Feld des allgemeinen praktischen Diskurses nicht angezeigt. Sobald auch nur ein Diskursteilnehmer neben dem Interesse an Richtigkeit auch oder ausschließlich ein eigennütziges subjektives Interesse verfolgt, gleichzeitig aber objektiv den Anspruch auf Richtigkeit erhebt, dürfte wegen des strategischen Elements nach Neumann nicht mehr von einem Diskurs gesprochen werden. Als Beispiel sei eine naturwissenschaftliche Debatte genannt, in der ein Wissenschaftler eine Theorie vorträgt, um persönliche und finanzielle Vorteile zu erlangen. Dies verschweigt er möglicherweise. Jedenfalls wird er seine Theorie mit einem Anspruch auf Richtigkeit vortragen. Die fachliche Debatte über die Richtigkeit der Theorie kann nicht schon deshalb aus der Klasse der Diskurse ausgesondert werden, weil der Protagonist in Wahrheit nicht in Gänze von der Richtigkeit der Theorie überzeugt ist und primär finanzielle Interessen verfolgt. Zum selben Ergebnis gelangt Alexy, wenn er betont, dass eine strikte Trennung von Diskurs und strategischem Vorgehen der „Vielzahl von Erscheinungen, die nicht eindeutig als das eine oder andere klassifiziert werden können“ nicht gerecht wird.215 Der Neumannsche Unkenntlichkeitseinwand ist daher zurückzuweisen. Eine strikte Trennung von strategischem Handeln und Diskurs erscheint unmöglich, zumindest ist sie unzweckmäßig. (3) Das Überwiegen des strategischen Elements Für den Prozess stellt sich jedoch die Problematik, dass die wohl ganz überwiegende Anzahl der Prozessbeteiligten es auf ihren eigenen Vorteil im Sinne der Kostennutzenmaximierung abgesehen haben und gerade kein echtes Interesse an gerechtem Interessenausgleich aufweisen.216 Fraglich ist, ob dieses quantitative Überwiegen des strategischen Elements dazu führt, dass der Prozess nicht mehr als Diskurs angesehen werden kann. Die Problematik wird deutlich, setzt man sie in den Kontext der Begründung der Diskursregeln für den allgemeinen praktischen Diskurs. Wie eben schon argumentiert, wird für den allgemeinen praktischen Diskurs angenommen, dass es Diskursteilnehmer gibt, die ein überwiegendes Interesse an Richtigkeit haben. Das wiederum veranlasst den reinen Nutzenmaximierer dazu, die Diskursegeln zumindest objektiv vorzugeben, da dies strategisch im Sinne des Kosten-Nutzen-Kalküls günstiger ist, also offen gegen die Diskursregeln vorzugehen 213 Vgl. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 (143); Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56; siehe ausführlich oben Kapitel C. II. 3. b) bb). 214 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 56; siehe ausführlich oben Kapitel C. II. 3. b) bb). 215 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270; Alexy zustimmend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 263. 216 Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 264.

III. Spezifisch juristische Einschränkungen

223

und damit Widerstand derjenigen mit echtem Interesse an Richtigkeit hervorzurufen. Wenn im Gerichtsprozess fast alle Parteien kein echtes Interesse an einem gerechten Urteil und damit gerechtem Interessenausgleich haben, läge zunächst der diskurstheoretische Schluss nahe, dass es für diese keinen Grund gibt, objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit zu erheben. Wer sollte, wenn fast alle Parteien nur den eigenen Vorteil im Auge haben, Widerstand gegen offen strategisches Handeln leisten? Es ist offensichtlich, dass der Richter das ausgleichende Rationalitätsmoment217 im Gerichtsprozess ist, was die Parteien unabhängig von ihrem subjektiven Interesse dazu zwingt, objektiv eben diesen Anspruch zu erheben.218 Dass der Richter diese Rolle innehat, ist, wie gesehen, den Prozessordnungen geschuldet. Die dort statuierte Verfahrensleitung des Richters stellte keine Verletzung der Diskursprinzipen dar. Wie an dieser Stelle deutlich wird, ist sie sogar im Gerichtsprozess notwendig, um sicherzustellen, dass die Parteien objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit219 erheben. Damit sichert die Rolle des Richters den Diskurscharakter des Gerichtsprozesses.220 Das quantitative Überwiegen des strategischen Elements hinsichtlich der subjektiven Motivation der Parteien nimmt damit dem Gerichtsprozess nicht den Diskurscharakter.

217

Ähnlich die Wortwahl bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 264, der von interessenneutraler Entscheidungsinstanz spricht. 218 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270. 219 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270, bezeichnet den Anspruch auf Richtigkeit aufgrund der für den Diskurs konstituierende, Bedeutung als Erfolgsbedingung. Später ergänzt Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 435, dass es sich ebenfalls um eine Spielbedingung handelt. Diese Frage muss in dieser Arbeit nicht vertieft werden. Vgl. dazu aber Habermas, Faktizität und Geltung, S. 288, der Urteil und Urteilsbegründung als das Ergebnis eines „Argumentationsspiels“ versteht. Diese Einschätzung dürfte zu weit gehen. Zu Spielbedingungen siehe im Übrigen Grabowski, Sonderfallthese – Ist Critique and Interpretation, Rechtstheorie 34 (2003), S. 371 (379); dazu zu Recht kritisch Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 265. 220 Die diskurstheoretische Rolle des Richters wird unterschiedlich beurteilt. Zu einem ähnlichen Ergebnis wie hier gelangt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 264 f., der ebenfalls herausstellt, dass der Unterschied zwischen allgemein-praktischem Diskurs und Gerichtsprozess erstens in der Motivation der Parteien, denen es in der Regel nicht um Interessenausgleich geht, sondern um die „Optimierung der eigenen Interessen“ und zweitens in den Prozessordnungen besteht. Er geht davon aus, dass die subjektiv strategisch geprägte Situation der Parteien durch die Prozessbedingungen (insbesondere den Richter) in ein „diskursives Korsett gesteckt“ wird. Ebenso kommt Habermas, Faktizität und Geltung, S. 283, zum Ergebnis, dass die Parteien aus der richterlichen Perspektive unabhängig von ihrer Motivation Beiträge zu einem Diskurs liefern, der der richterlichen Urteilsfindung diene. Die Verfahrensleitung des Richters wurde in dieser Arbeit bereits oben problematisiert und es wurde festgestellt, dass keine Verletzung der Diskursprinzipien vorliegt, da seine Autorität mit Blick auf die Ziele des Prozesses notwendig sind. Die damit aber verbundene weite Entfernung vom idealen Diskurs wurde jedoch ebenfalls herausgestellt. Zu weit hingegen geht Neumann, Zur Interpretation des forensischen Diskurses, S. 417, der den Parteien aufgrund ihrer Stellung, die Funktion einer „austauschbaren Informationsquelle“ zuweist (zustimmend Engländer, Diskurs als Rechtsquelle?, S. 146).

224

D. Juristischer Diskurs als Sonderfall des praktischen Diskurses

4. Ergebnis: Bestätigung der Sonderfallthese im engeren Sinne Nach alledem kann die dritte Unterthese der Sonderfallthese oder Sonderfallthese im engeren Sinne bestätigt werden. Es konnte gezeigt werden, dass aufgrund der Prozesssituation im engeren Sinne und der Motivation der Parteien der Diskurs des Gerichtsprozesses in der Regel weit entfernt von der Situation eines idealen Diskurses ist. Die Diskursprinzipien sind jedoch nicht verletzt. Damit ist auch der Gerichtsprozess ein Diskurs.

IV. Ergebnis: Bestätigung der Sonderfallthese Damit kann auch die Sonderfallthese insgesamt bestätigt werden.221 In juristischen Diskursen geht es erstens um praktische Fragen. Zweitens werden diese mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert. Dieser Anspruch auf Richtigkeit umfasst den Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit und Gesetzmäßigkeit. Die Einschränkungen im Gerichtsprozess sind erstens in der durch die Prozessordnungen hervorgerufenen Begrenzung der Teilnehmerschaft, der Begrenzung der Zeit und der mit Zwang verbundenen Stellung des Richters zu sehen. Zweitens ist die Motivation der Parteien ein besonderes Merkmal des Diskurses im Gerichtsprozess. All diese Einschränkungen führen nicht dazu, dass dem Gerichtsprozess der Diskurscharakter genommen wird, er ist vielmehr ganz im Sinne Alexys ein Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses; dieser jedoch ist, wie gezeigt werden konnte, in mehrfacher Hinsicht besonders deutlich vom idealen Diskurs entfernt. Aufgrund dieser Ausgangslage ist im Folgenden eine diskurstheoretische Analyse der Mediation vorzunehmen und sodann der Vergleich zum juristischen Diskurs222 zu ziehen.

221

Zum selben Ergebnis unter anderer Schwerpunktsetzung und zum Teil abweichender Begründung gelangt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 267 f. 222 Wie gezeigt wurde, müssen normative Aussagen im juristischen Diskurs nicht als schlechthin vernünftig, sondern nur als vernünftig im Rahmen der Rechtsordnung begründet werden (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 272). Die Frage, wie im Rahmen der Rechtsordnung vernünftig begründet wird, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Es sei insoweit auf Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 273 ff. verwiesen. Zum Verhältnis des allgemeinen praktischen Diskurses zum juristischen Diskurs siehe Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 269 ff.

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation Das folgende Kapitel hat die diskurstheoretische Analyse der Mediation zum Gegenstand. Die Verbindung der Alexyschen Diskurstheorie und der Mediation ist das Herzstück der Arbeit und soll die Grundlage für eine bisher fehlende, überpositive und universelle Legitimationsgrundlage des Mediationsverfahrens bieten. Die bisher in der Literatur nicht bestehende Verbindung dieser Diskurstheorie und der Mediation ist die Synthese der vorangegangenen Untersuchungen. Die Ausführungen zum Verfahren der Mediation1 sowie die Bestätigung der Alexyschen Diskurstheorie2 sind notwendige Grundlegung, um die diskurstheoretische Analyse der Mediation vorzunehmen und nachvollziehen zu können. Auch das Zwei-EbenenModell des Diskurses, das in dieser Arbeit modifiziert3 wurde, sowie die vertiefende Betrachtung der Sonderfallthese Alexys4 sind notwendige Voraussetzung, um in diesem Kapitel einen Vergleich zwischen Mediationsdiskurs und juristischem Diskurs ziehen zu können. Zuerst wird die erste Diskursthese der Mediation, nach der der Mediationsdiskurs ein nicht einschränkungsbedingter Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses ist, in dem notwendig ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird, untersucht (I.). Die erste These kann auch als Richtigkeitsthese bezeichnet werden. Die zweite Diskursthese der Mediation geht davon aus, dass die Mediationsprinzipien, -methoden, -techniken und sonstigen Rahmenbedingungen zu einer Annäherung des Mediationsdiskurses an den idealen Diskurs führen (II.). Sie kann auch als Idealthese bezeichnet werden. Sie ist unter Rückgriff auf das in dieser Arbeit modifizierte Zwei-Ebenen-Modell des allgemeinen praktischen Diskurses zu begründen. Im Anschluss daran wird die Frage aufgeworfen, ob das Verfahren der Mediation in das diskursive Rechtsmodell Alexys eingeordnet werden kann (III.), um abschließend einen Vergleich zwischen Mediationsdiskurs und dem Diskurs in einem gerichtlichen Verfahren ziehen zu können (IV.).

1 2 3 4

Siehe oben Kapitel A. Siehe oben Kapitel C. III. 4. Siehe oben Kapitel C. III. 4. Siehe oben Kapitel D.

226

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese Die erste Diskursthese der Mediation lautet: Der Mediationsdiskurs ist ein Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses.

Dies ist zutreffend, wenn es in Mediationsdiskursen (1) um praktische Fragen geht und (2) diese Fragen zumindest in bestimmten Phasen der Mediation mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert werden. Es handelt sich (3) um einen nicht einschränkungsbedingten Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses, wenn anders als im juristischen Diskurs keine signifikanten Einschränkungen der Diskurssituation vorliegen. Wie bei Alexys Sonderfallthese können drei Unterthesen zur Begründung der ersten Diskursthese der Mediation aufgestellt werden. Diese lauten wie folgt: (1) Gegenstand von Mediationsdiskursen sind praktische Fragen, das heißt solche, in denen es darum geht, „was zu tun oder zu unterlassen ist oder getan oder unterlassen werden darf.“5 (2) Diese praktischen Fragen werden mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert. (3) Um einen nicht einschränkungsbedingten Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses handelt es sich, weil sich der Mediationsdiskurs von anderen allgemeinen praktischen Diskursen durch bestimmte Spezifika unterscheidet, die jedoch die Diskurssituation nicht einschränken.

1. Mediationskonflikte als praktische Fragen Praktische Fragen sind Fragen, in denen es darum geht, „was zu tun oder zu unterlassen ist oder was getan oder unterlassen werden darf“6. Um diese Fragen zu beantworten, wird in Diskursen argumentiert, es geht also um die Begründung normativer Aussagen.7 Damit ist die erste Unterthese, nach der praktische Fragen Gegenstand von Mediationsdiskursen sind, zutreffend, wenn in der Mediation zumindest auch Argumentation stattfindet, die auf die Lösung praktischer Fragen bezogen ist. Sowohl beim Prozess als auch bei der Mediation geht es um die Frage, wie ein Konflikt widerstreitender Interessen gelöst werden kann. Es geht also darum, wie sich die Parteien in Zukunft in einem bestimmten Bereich, insbesondere im Umgang miteinander, verhalten sollen, was sie tun müssen und was sie tun dürfen. All dies sind praktische Fragen. Antworten darauf findet jedoch anders als im Prozess nicht 5 So Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263 im Kontext der Sonderfallthese zum juristischen Diskurs. 6 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263. 7 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 263.

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

227

ein Richter, sie werden vielmehr von den Medianten selbst gefunden. Die praktische Frage, wie der konkrete Konflikt gelöst wird, ist die Leitfrage der gesamten Mediation. Fraglich ist, ob auch in allen Phasen normative Begründungen abgegeben werden, ob also der Austausch von Argumenten zur Lösung dieser praktischen Frage stattfindet. Dies für die Mediation zu begründen, ist aufwendiger als für den juristischen Diskurs. Die Beantwortung dieser Frage macht eine diskurstheoretische Betrachtung der einzelnen Mediationsphasen erforderlich. a) Die erste bis dritte Phase der Mediation als Vorbereitung der Lösung praktischer Fragen In der ersten Phase8 schildern die Medianten in der Regel den Konflikt. Der von der Mediation intendierte Schwerpunkt liegt also hier in der bloßen Deskription. Oftmals werden allerdings bereits zu diesem Zeitpunkt Argumente vorgetragen. Je nachdem, wie aktiv der Mediator seine Rolle versteht9, wird er versuchen, die Parteien zunächst zu einer Beschreibung des Konflikts zu bewegen. Im Übrigen geht es in der ersten Phase primär um Informationen über den Mediationsprozess durch den Mediator sowie Vereinbarungen über den Mediationsablauf, etwaige Gesprächs- und Kostenregeln.10 Mithin kann in der ersten Phase Argumentationsaustausch stattfinden11, er ist aber grundsätzlich nicht vorgesehen. In der zweiten Phase12 sammeln die Medianten einzelne Konfliktthemen. Üblicherweise tragen die Medianten, obwohl von der Mediation nicht vorgesehen, Positionen vor, die sie bereits argumentativ begründen. Der Mediator wird mit den verschiedenen Techniken der Mediation, insbesondere dem Neutralisieren oder Paraphrasieren13, versuchen, daraus Themenfelder abzuleiten, um diese dann zu visualisieren. Es geht also auch in dieser Phase nicht primär um Argumentation. Sinn und Zweck der zweiten Phase ist, den Konflikt für Mediator und Medianten überschaubar zu machen und zu strukturieren. Diskurstheoretisch ist in der Themensammlung also bereits eine Sammlung praktischer Fragen zu sehen. Jedes einzelne Konfliktthema stellt eine praktische Frage dar. Die erste Phase dient damit der Festlegung der Diskursthemen zur Vorbereitung einer geordneten Argumentation und einer strukturierten Auseinandersetzung.

8 9

(2). 10

Ausführlich zur ersten Phase mit zahlreichen Nachweisen siehe oben Kapitel A. IV. 1. Zur Lehre von der aktiven und passiven Mediation m.w.N. siehe oben Kapitel A. I. 2. a) aa)

Siehe oben Kapitel A. IV. 1. Argumentativer Austausch kann allerdings bereits im Rahmen einer „Mediation in der Mediation“ stattfinden. Siehe zur „Mediation in der Mediation“ Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (301), Rn. 18; siehe auch oben Kapitel A. IV. 1. 12 Ausführlich zur zweiten Phase siehe oben Kapitel A. IV. 2. 13 Zur Technik des Paraphrasierens mit Nachweisen siehe oben Kapitel A. IV. 2. 11

228

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

In der dritten Phase versucht der Mediator, mit den Medianten die hinter den Themen liegenden individuellen Interessen zu ermitteln.14 Während sich der Gerichtsprozess auf die unmittelbar rechtlichen Interessen bezieht, legt die Mediation einen lebensnäheren und umfassenderen Interessenbegriff zu Grunde. Die Interessen in der Mediation können weitgefächert sein, von emotionalen Interessen über Gerechtigkeitsbedürfnisse bis hin zu materiellen Interessen. Wer die praktische Frage, wie ein gerechter Interessenausgleich zwischen zwei widerstreitenden Parteien gelöst werden soll, beantworten will, muss sich zunächst über seine wahren Interessen klar werden und sollte auch die Interessen des Gegenübers kennen. Eben darum geht es in der dritten Phase, wobei vor allem die Methode der Wechselseitigkeit zur Erreichung dieses Ziels dient.15 Dies ist aus Sicht der Mediation notwendige Voraussetzung für eine nachhaltige Konfliktlösung. Aus diskurstheoretischer Sicht ist dies notwendig, um die praktische Frage, wie das Ergebnis des Interessenausgleichs mittels Argumentation gefunden werden soll, zu beantworten. Wer seine und die Interessen des Gegenübers nicht kennt, kann nicht sinnvoll argumentieren, wie ein Interessenausgleich stattfinden soll. Es ist festzuhalten, dass es in den ersten drei Phasen der Mediation bereits möglich ist, dass ein Argumentationsaustausch stattfindet, dieser bildet jedoch nach der Konzeption der Mediation nicht den Schwerpunkt. Vielmehr dienen diese dazu, die Selbsterkenntnis, die Erkenntnis über den Konflikt und den Konfliktpartner zu fördern und so eine strukturierte und sachliche Auseinandersetzung mit einzelnen praktischen Fragen vorzubereiten. b) Die vierte Phase als Argumentationsphase zur Lösung praktischer Fragen In der vierten Phase, der Optionenphase, geht es darum, wie die nun offen gelegten individuellen und gemeinsamen Interessen befriedigt werden können, also wie die praktische Frage nach einem gerechten Interessenausgleich zu beantworten ist.16 In einem ersten Schritt werden Optionen entwickelt.17 Es ist üblich, dass im Rahmen von Kreativtechniken die Medianten auch zu unrealistischen Vorschlägen aufgefordert werden, um den Blickwinkel auf den Konflikt zu erweitern.18 Im Vordergrund stehen freilich Vorschläge, die auch realisierbar sind. Der Mediator wird im Sinne der Methode der Selbstbehauptung dafür Sorge tragen, dass jede Partei zunächst ohne Bewertung durch den anderen Medianten ihre Vorschläge vorbringen kann. 14

Ausführlich zur dritten Phase mit zahlreichen Nachweisen siehe oben Kapitel A. IV. 3. Ausführlich zur dritten Phase siehe oben Kapitel A. IV. 3. Zur Methode der Wechselseitigkeit mit zahlreichen Nachweisen siehe oben Kapitel A. V. 16 Ausführlich zur vierten Phase mit zahlreichen Nachweisen siehe oben Kapitel A. IV. 4. 17 Siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel A. IV. 4. a). 18 Siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel A. IV. 4. a). 15

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

229

In einem zweiten Schritt werden die Optionen bewertet und ausgewählt.19 Der Mediator ist lediglich für die Gesprächsstruktur zuständig. Je nach Stand der bis dahin gewachsenen Kommunikationskultur tauschen die Medianten ihre Argumente zu den einzelnen Lösungsvorschlägen in einer weitgehend freien und vom Mediator zugelassenen direkten Diskussion aus.20 Der Mediator wird darauf achten, dass jeder Mediant auch und gerade die Vorschläge des Anderen betrachtet. Bedenken und Darlegungen für oder gegen eine bestimmte Option werden von den Medianten geäußert. Diskurstheoretisch ist dies nichts anderes als der Argumentationsaustausch zu konkretisierten praktischen Fragen. Die praktische Frage ist jeweils, ob die Lösungsoption dazu geeignet ist, den Konflikt nachhaltig zu befrieden und beidseitig die Interessen der Medianten zu erfüllen. Bedenken sind ablehnende Argumente. Darlegungen für eine bestimmte Option sind für die Option streitende Argumente. Damit steht fest, dass im Rahmen dieser Phase argumentiert wird. Dieser Befund soll an dieser Stelle weiter verdeutlicht und vertieft werden. Das erste Argument ist das Abwägungsargument. Für den juristischen Diskurs wurden der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die damit einhergehende Abwägung von Interessen angeführt, um zu begründen, dass es in juristischen Diskursen um die Entscheidung praktischer Fragen aufgrund von Argumentation geht.21 Dies lässt sich in abgewandelter Form auch für die Mediation sagen. In der Mediation werden die Interessen jeder Partei, unter der Maßgabe, eine nachhaltige Befriedung zu erreichen, ins Verhältnis zueinander gesetzt. Ein Konsens über die Erfüllung der Interessen bei gleichzeitiger Befriedung des Konflikts erfordert eine Abwägung, in die die Interessen und die tatsächlichen Umstände mit einfließen. Die Abwägung von Interessen anhand normativer Argumentation findet also auch in der Mediation statt. Das zweite Argument ist das Argument der Wertvorstellung. Montada/Kals haben gezeigt, dass die Medianten oftmals Begründungen aus einer grundlegenden Wertvorstellung heraus vortragen.22 Folgendes Beispiel kann dies veranschaulichen: In einer Familienmediaton geht es um die praktische Frage der Erziehung der Kinder. Ein religiöser Mediant könnte ein Argument für eine bestimmte Erziehungsmethode ausschließlich mit den Grundsätzen seiner Religion begründen. Er bringt also Argumente, die aus seiner subjektiven Wertvorstellung resultieren. Diese Argumente haben für einen nichtreligiösen Medianten nur eine geringe oder gar keine Überzeugungskraft. Nach Montada/Kals ist es Aufgabe des Mediators, der zu Grunde liegenden Wertvorstellung des Medianten einen Platz in der Mediation einzuräu19

Siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel A. IV. 4. b). Bei hochstrittigen Parteien, die im Laufe der Mediation noch nicht vollständig zu einer friedlichen und respektvollen Kommunikationskultur gefunden haben, wird dieser Austausch primär über den Mediator vollzogen werden. 21 Zum Abwägungsargument im Rahmen der Sonderfallthese Alexys siehe mit Nachweisen oben Kapitel D. I. 22 Montada/Kals, Mediation (2001), S. 126 f. 20

230

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

men.23 Der religiöse Mediant wird also aufgefordert, darzulegen, warum er auf der Grundlage seiner Wertvorstellung, im Beispielsfall einer bestimmten Religion, argumentiert. Die Mediation wird dabei nicht auf die praktische Frage ausgedehnt, ob die Religion die richtige Religion ist, sondern bleibt bei der praktischen Frage, welche Methode der Kindererziehung angewendet werden soll. Der nichtreligiöse Mediant kann aber unter Umständen die Argumentation des religiösen Medianten besser nachvollziehen, wenn er die Bedeutung der Religion für den Anderen erkannt hat. Zumindest aber zeigt dies, dass in der Mediation eine nicht nur oberflächliche Argumentation stattfindet, sondern eine solche, die die hinter den Argumenten stehende Wertvorstellung offenlegt. Die normativen Überzeugungen als häufiger Quell der Argumentation können also einen Platz in der Mediation finden. Auch dies zeigt, dass in der Mediation normative Argumentation zur Lösung praktischer Fragen vorgetragen wird. Das dritte Argument soll als Erweiterungsargument bezeichnet werden. Je nachdem, wie komplex Lösungsoption und Konflikt sind, kann in der Mediation eine fachliche Überprüfung von außen stattfinden. So kann es erforderlich sein, dass ein Jurist prüfen muss, ob die Lösungsoption überhaupt rechtlich möglich ist. Auch Sachverständigengutachten werden im Einzelfall hinzugezogen, um etwa zu ermitteln, ob die Option tatsächlich umgesetzt werden kann.24 Dies zeigt, dass die Mediation auch zu einer Überprüfung der vorgebrachten Argumente führt und die Parteien Gelegenheit bekommen, weitere Argumente von Dritten zur Bewertung der entwickelten Lösungsoptionen zu erhalten. Die Beiträge Dritter können also zur Argumentation der Medianten verwendet werden, die so die Lösungssuche für eine praktische Frage optimieren. Das vierte Argument ist das Überprüfungsargument. Es wurde ausführlich dargelegt, dass die Parteien mögliche Optionen in der Mediation anhand von vorher durch sie festgelegten Fairness- oder Gerechtigkeitsmaßstäben überprüfen können.25 Ob ein solches Kriterium erfüllt ist, stellt eine normative Frage dar, die nur durch Argumentation beantwortet werden kann.26

c) Denkbare Einwände Zwei Einwände könnten an dieser Stelle vorgebracht werden. Der erste Einwand kann als Deskriptionseinwand bezeichnet werden. Ein solcher macht geltend, dass in der Mediation lediglich Situationen geschildert werden. Ein Teil der Mediation ist, wie gesehen, überwiegend deskriptiv. Dies ändert aber nichts daran, dass zumindest 23

Montada/Kals, Mediation (2001), S. 126 ff. und S. 131. Zu Beratungsanwälte und Sachverständigen mit zahlreichen Nachweisen siehe oben Kapitel A. I. 2. a) aa) (2) und Kapitel A. IV. 4. b) bb). 25 Siehe dazu oben die Ausführungen zur vierten Phase in Kapitel A. IV. 4. b) bb). 26 So schon oben ausführlich bei Phase vier in Kapitel A. IV. 4. b) bb); siehe im Übrigen Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (315 f.), Rn. 72. 24

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

231

auch Argumentation stattfindet. Der Deskriptionseinwand kann mithin der Mediation nicht ihren normativ argumentativen Charakter nehmen.27 Ein zweiter Einwand, der als Emotionsweinwand bezeichnet werden soll, könnte geltend machen, dass sich die Medianten nicht mit Argumenten, sondern mit Gefühlen begegnen. Es ist zutreffend, dass in der Mediation Platz für Emotionen ist und diese zwischen den Medianten ausgetauscht werden können.28 Dies ändert aber nichts daran, dass gleichfalls Argumente vorgetragen werden. Zudem kann sich eine Begründung auch auf ein Gefühl beziehen. Es ist eine andere Frage, ob es sich dabei um eine gute Begründung handelt; die Klassifizierung als Begründung verliert sie dadurch jedenfalls nicht. Im Übrigen werden die Debatten in der vierten Phase der Mediation, gerade weil Emotionen vorher einen Raum erhalten haben, überwiegend nicht emotionsbelastet sein. Festzuhalten ist, dass in der vierten Phase über das Abwägungsargument, das Argument der Wertvorstellung, das Überprüfungsargument sowie das Erweiterungsargument verdeutlicht werden kann, dass die Parteien zumindest auch mit Argumenten und aus normativen Überzeugungen heraus die Lösung einer praktischen Phase suchen. d) Bestätigung der ersten Unterthese Damit kann die erste Unterthese bestätigt werden. In der Mediation geht es um die Lösung praktischer Fragen. Um diese zu lösen, findet vor allem in der vierten Phase der Mediation zumindest auch ein normativer Argumentationsaustausch der Parteien statt. Dieser wird in den ersten drei Phasen vorbereitet, wobei auch hier bereits ein Austausch von Argumenten möglich ist. Die Antwort auf die praktische Frage, wie der Konflikt zu lösen ist, wird in der letzten Phase der Mediation festgehalten.

2. Der Anspruch auf Richtigkeit in der Mediation Die zweite Unterthese soll als Richtigkeitsthese im engeren Sinne29 bezeichnet werden und macht geltend, dass die praktischen Fragen in der Mediation mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert werden. Im Folgenden ist also zu begründen, dass die Medianten notwendig einen Anspruch auf Richtigkeit erheben.

27 Vgl. dazu die parallele Problematik im Rahmen der Sonderfallthese Alexys in Kapitel D. I. 28 Siehe dazu oben mit Nachweisen Kapitel A. IV. 2. 29 Anders die Terminologie bei Alexy im Zusammenhang der Sonderfallthese. Dort heißt die zweite These Anspruchsthese (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265). Siehe dazu oben Kapitel D. II.

232

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

a) Begründung des Richtigkeitsanspruchs in der Mediation Ein erstes Argument zur Stützung dieser These ist das Begründungsargument, das aus Alexys Argumentation im Zusammenhang mit der Sonderfallthese Alexys auf die Mediation übertragen werden kann. Das Begründungsargument macht geltend, dass in der Mediation Begründungen vorgetragen werden. Alexy führt im Zusammenhang der Sonderfallthese aus: „Wer etwas begründet, beansprucht, dass seine Begründung stichhaltig ist und deshalb seine Begründung richtig ist.“30 Wie schon bei der Begründung für den allgemeinen praktischen Diskurs dargelegt wurde, ist dies zutreffend. Wer Begründungen vorträgt, erhebt notwendig einen Anspruch auf Richtigkeit.31 An dieser Stelle muss daher lediglich geklärt werden, dass in der Mediation Begründungen vorgetragen werden. Während beim juristischen Diskurs dazu auf den Richter abgestellt werden konnte, ist dies beim Mediationsdiskurs nicht möglich. Der Mediator verfasst kein Urteil. Ihm fehlt gerade die Entscheidungsbefugnis. Der Mediator hat keine Begründungen zu liefern. Es ist daher ausschließlich auf die Medianten abzustellen. Dass in der Mediation Begründungen von den Medianten vorgetragen werden, wurde bereits ausführlich bei der Frage, ob der Mediationsdiskurs praktische Fragen zum Gegenstand hat, dargelegt.32 Es konnte gezeigt werden, dass die Parteien in der Mediation Abwägungen treffen, aus ihrer Wertvorstellungen argumentieren und ihre Argumentationsgrundlage über Dritte erweitern. All dies zeigt, dass sie Begründungen vortragen, die für oder gegen eine bestimmte Option sprechen. Maßstab ist dabei der gerechte Interessenausgleich und eine dadurch anvisierte Befriedung des Konflikts. Sollte eine Partei in der Mediation subjektiv lediglich beabsichtigen, ein für sie vorteilhaftes Ergebnis zu erzielen, und kein Interesse an einem gerechten Ergebnis haben, ist dies, wie bei der Erörterung des allgemeinen praktischen Diskurses33 und der Sonderfallthese34 dargelegt, unschädlich. Sie wird zumindest objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit erheben. Auf die Tatsache, dass die Mediation mit Methoden und Techniken arbeitet, die ein subjektives, also echtes Interesse an einem gerechten Interessenausgleich fördert, ist bei der Begründung der zweiten Diskursthese der Mediation zurückzukommen. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass in der Mediation Begründungen vorgetragen werden, was notwendig dazu führt, dass zumindest objektiv ein Anspruch auf Richtigkeit von den Medianten erhoben wird. Ein zweites Argument zur Begründung der Richtigkeitsthese ist das oben schon vorgebrachte Überprüfungsargument. Am Ende der vierten Phase wird den Parteien häufig die Gelegenheit gegeben, eine favorisierte Option oder das gesamte Mediationsergebnis anhand vorher aufgestellter Fairness- oder Gerechtigkeitsmaßstäbe zu 30

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265; siehe dazu auch oben Kapitel C. II. 3. a) bb) und Kapitel D. II. 32 Siehe oben Kapitel E. I. 1. b). 33 Siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel C. II. 3. a) bb) (1). 34 Siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel D. II. 31

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

233

überprüfen.35 Wer sich bereiterklärt, Optionen und Ergebnisse anhand von Fairnesskriterien im Diskurs zu überprüfen, macht seinen Willen zu einem gerechten und damit richtigen Ergebnis deutlich. Ein solches Verfahren führt zudem dazu, dass die Parteien stets darauf achten müssen, sich an den aufgestellten Kriterien zu orientieren. Sie sind im Diskurs dazu angehalten, im Sinne eines gerechten Interessensausgleichs zu argumentieren. Der Mediator kann diese subjektive Bindungswirkung, die sich auf das objektive Verhalten der Parteien auswirkt, durch Hinweise auf die Kriterien noch stärken. Die Parteien fühlen sich zudem in einem starken Maß an die Kriterien gebunden, da sie sie selbst erarbeitet haben. Dieses Argument hat die stärkste Durchschlagskraft und ist gleichfalls ein mediationsspezifisches Argument. Die Überprüfung anhand von Fairnesskriterien in der Mediation zeigt sehr deutlich, dass die Mediation notwendig auf die Suche eines gerechten Interessenausgleichs ausgerichtet ist und die Medianten sich an diesem Maßstab auch in ihrer Argumentation orientieren müssen. Das dritte Argument zur Begründung des Richtigkeitsanspruchs in der Mediation lässt sich aus der alexyschen Argumentation zur Sonderfallthese übertragen. Es ist das Argument des performativen Widerspruchs.36 Alexys Beispiel ist ein Urteil mit folgendem Tenor: „Herr N. wird, obwohl hierfür keine guten Gründe sprechen, zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt.“37 Wie oben dargelegt, ist dieses Argument stichhaltig, da ein solches Urteil nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich fehlerhaft ist,38 eben gerade weil kein Anspruch auf Richtigkeit in diesem Urteil erhoben wird. Fraglich ist, ob es auch für die Mediation fruchtbar gemacht werden kann. Zweifel bestehen, da es in der Mediation überhaupt kein Urteil gibt, was begründet werden müsste. Es lässt sich aber auf die Argumentation zwischen den Medianten, die vor allem in der vierten Phase stattfindet, übertragen. Folgendes Beispiel vermag dies zu illustrieren: Ein Mediant bringt bei der Frage, ob eine bestimmte Option in das Mediationsergebnis aufgenommen wird, folgende Forderung vor: „Ich möchte, dass wir Option X in unser Mediationsergebnis aufnehmen, obwohl dies den Frieden zwischen uns massiv gefährdet und dies für alle Beteiligten außer mir extrem benachteiligend ist.“ Explizite Aussage dieses Medianten ist die Forderung einer ihn übervorteilenden und damit den Frieden gefährdenden, ungerechten Maßnahme. Weil er sich jedoch vorher auf die Mediation und damit das Ziel des gerechten Interessenausgleichs eingelassen hat, ist die implizite Aussage, dass alle geforderten Maßnahmen, also auch diese Maßnahme, diesem Ziel entsprechen. Deutlicher wird der Widerspruch in folgender Umformulierung seiner Forderung: „Gerecht wäre es zu einem für uns ungerechten Ergebnis zu kommen.“ Er 35 Siehe zur Überprüfung der Medianten anhand von Fairness- und Gerechtigkeitsmaßstäben oben Kapitel A. IV. 4. b) bb). 36 Dies erkennt zutreffend Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 199. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 266 expliziert nicht, dass es sich bei seinem Argument um einen performativen Widerspruch handelt. 37 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 266. 38 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 266 f.

234

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

erhebt also implizit den Anspruch auf Gerechtigkeit, den er explizit negiert. Gerechtigkeit ist in der Mediation ein richtiger Interessenausgleich im Sinne aller Parteien. Am deutlichsten lässt sich der performative Widerspruch also so formulieren: „Ich fordere die Option X und die Option X ist kein richtiger Ausgleich unserer Interessen.“ Unterstellt, ein Mediant würde sich zu einer solchen Aussage dennoch hinreißen lassen, was übrigens auch für die Parteien des Gerichtsprozesses denkbar wäre, wäre die moralische Fehlerhaftigkeit dieser Aussage für den Mediator und andere Medianten evident erkennbar. Aufgrund dieser Erkennbarkeit der Fehlerhaftigkeit wird der Anspruch auf Richtigkeit gerade zum beherrschenden Maßstab der Mediation.39 Jeder Mediant, der eine solche Aussage trifft, wird im Diskurs entlarvt, was zum Abbruch de)r Mediation durch die anderen Medianten oder den Mediator führen wird. Damit kann über die Figur des performativen Widerspruchs auch für den Mediationsdiskurs begründet werden, dass ein Anspruch auf Richtigkeit notwendig erhoben wird. Ein mediationsspezifisches Argument ist schließlich das Mediatorenargument, das die Funktion des Mediators als Prüfungsinstanz in den Vordergrund rückt. Wie im ersten Kapitel ausgeführt, ist es Aufgabe des Mediators, die Mediationsgeeignetheit des Falls und die Mediationsbereitschaft der Parteien zu überprüfen.40 Stellt der Mediator im Vorfeld fest, dass eine Partei keinerlei Interesse an einem nachhaltigen Frieden und gerechten Interessenausgleich hat und die Mediation nur zur Durchsetzung eigener Positionen missbrauchen will oder beabsichtigt, ein Verfahren hinauszuzögern, wird er von einer Mediation absehen. Solche mediationsungeeigneten Parteien erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit und sind daher vom Mediationsdiskurs ausgeschlossen. Dies trägt zur Sicherung des Richtigkeitsanspruchs in der Mediation bei. Die Funktion des Mediators als Prüfungsinstanz lässt sich nicht nur auf die Parteien, sondern auch das Mediationsergebnis ausdehnen. Erkennt der Mediator, dass die Parteien ein extrem ungerechtes Ergebnis festhalten, etwa weil ein starkes Machtgefälle herrscht und ein Mediant den anderen in der Mediation unterdrückt, selbst wenn er dabei objektiv noch einen Anspruch auf Richtigkeit erhebt, so wird der Mediator ebenfalls von einer Mediation absehen. Festzuhalten ist, dass der Mediator wesentlich dazu beiträgt, dass die Parteien dazu angehalten sind, zumindest objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit zu erheben und zudem ein gerechtes Ergebnis zu vereinbaren. Auch dies stützt die Richtigkeitsthese.

39

So argumentiert, freilich nicht im Kontext der Mediation, Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433; siehe dazu ausführlich oben Kapitel D. II. 3. a) bb). 40 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (300), Rn. 11;Weitz, Gerichtsnahe Mediation, S. 47 f.; siehe dazu mit weiteren Nachweisen oben Kapitel A. IV. 1. c).

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

235

Das letzte Argument zur Begründung der Richtigkeitsthese ist das Inkorporationsargument des Rechts. Es wird stets betont, dass in der Mediation Ergebnisse vereinbart werden, die gerade nicht der vom Gesetz vorgesehenen rechtlichen Lösung entsprechen. Es ist einer der Vorteile der Mediation, nicht den starren Bindungen des Gesetzes zu unterliegen.41 Das heißt aber nicht, dass jedes denkbare Ergebnis zwischen den Parteien im Sinne unbegrenzter Privatautonomie verabredet werden kann. Das Recht setzt äußere, sehr weit gesteckte Grenzen, innerhalb derer sich das Mediationsergebnis befinden muss. In Deutschland sind § 138 BGB und § 134 BGB als zentrale Normen zu nennen. Ein Mediationsergebnis darf also weder sittenwidrig sein noch gegen ein Verbotsgesetz verstoßen. Die Rolle des Rechts in der Mediation ist nicht Gegenstand dieser Arbeit und würde den thematischen Rahmen überdehnen. Für das Inkorporationsargument des Rechts reicht es hingegen aus, festzuhalten, dass ein Mediationsergebnis bestimmten Mindeststandards, die durch zentrale Normen wie § 138 BGB rechtlich gesichert werden, entsprechen muss. Dies trägt dazu bei, dass Mediationsergebnisse dem Anspruch auf Richtigkeit genügen müssen. Abstellend auf die schon angesprochene Prüfungsfunktion des Mediators hat dieser sicherzustellen, dass derartige Ergebnisse nicht vereinbart werden können. Es sei bereits angemerkt, dass die Grenze des § 138 BGB für ein Mediationsergebnis ein primär akademisches Problem ist. Im Übrigen werden die Parteien in einem funktionierenden Mediationsdiskurs einen gerechten Interessenausgleich anstreben und damit ohnehin kein sittenwidriges Ergebnis vereinbaren.42 Es ist festzuhalten, dass zum einen mediationsspezifische Argumente wie das Mediatorenargument und das Überprüfungsargument angeführt werden können, um die Richtigkeitsthese zu unterstützen. Zum anderen konnten Argumente aus der Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses wie das Argument des performativen Widerspruchs und das Begründungsargument ins Feld geführt werden, wobei für die Stichhaltigkiet des letzteren lediglich erforderlich war, darzulegen, dass in der Mediation Begründungen vorgetragen werden. Mit dem Inkorporationsargument des Rechts ist schließlich das fünfte Argument zur Begründung der Richtigkeitsthese dargebracht. b) Denkbare Einwände Die Richtigkeitsthese der Mediation wurde erstmals in dieser Arbeit entwickelt und begründet, weshalb es bisher keine Auseinandersetzung mit dieser in der Literatur gibt. Es sollen an dieser Stelle aber denkbare Einwände diskutiert werden. Sollten sich keine zwingenden Einwände finden lassen, kann die Richtigkeitsthese im engeren Sinne bestätigt werden. Es sei bemerkt, dass sich für die Richtigkeitsthese der Mediation geringere Einwände stellen als für den juristischen Diskurs. Die 41

Siehe oben mit Nachweisen Kapitel B. I. 4. a) insb. aa). Für einen in eine ähnliche Richtung gehenden Hinweis aus der Praxis danke ich Rechtsanwältin und Mediatorin Cornelia Sabine Thomsen, die deutlich macht, dass Parteien, die sich ernsthaft auf eine Mediation einlassen, auch kein sittenwidriges Ergebnis vereinbaren. 42

236

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

Mediation ist nicht der Bindung an das Recht, also der Bindung an Gesetz, Präjudizien und Dogmatik, unterworfen, weshalb sich der Einwand der geltenden Rechtsordnung nicht stellt. aa) Unbestimmtheitseinwand Der erste denkbare Einwand soll als Unbestimmtheitseinwand bezeichnet werden und lässt sich aus der von Hilgendorf vorgebrachten Kritik zur Sonderfallthese43 ableiten. Hilgendorf macht geltend, dass die Begriffe „richtig“ und „vernünftig“ bei Alexy zu unbestimmt seien. Gemeint ist, dass die Richtigkeit der Diskursergebnisse zu unbestimmt sei, was der unbestimmten materiellen Ausgangslage vor dem Diskurs geschuldet sei.44 „Ausgangspunkt des Diskurses bilden die zunächst gegebenen, das heißt faktisch vorhandenen normativen Überzeugungen, Wünsche und Bedürfnisinterpretationen sowie die empirischen Informationen der Sprecher.“45 Diese divergieren von Sprecher zu Sprecher und sind somit unbestimmt. Die Richtigkeitsthese der Mediation verwendet ebenfalls den Begriff „richtig“. Im Zuge der obigen Argumentation wurde zudem auch der Begriff „gerecht“ verwendet. Auch in der Mediation gehen die Medianten mit ganz unterschiedlichen und individuellen Bedürfnissen, Wünschen, Informationen und normativen Überzeugungen darüber, was richtig ist, in die Mediation. Auch in der Mediation besteht also eine materiell unbestimmte Ausgangslage. Um diesen Einwand zu wiederlegen, ist ein Blick auf die Widerlegung des Unbestimmtheitseinwands im Rahmen der Sonderfallthese zu werfen. Dieser konnte über zwei Schritte entkräftet werden. Erstens konnte eine hinreichend formal-prozedurale Bestimmtheit festgestellt werden: Diskurstheoretisch „richtig“ oder „gerecht“ ist nur das, was im Diskurs gerechtfertigt werden kann.46 In einem zweiten Schritt wurde festgestellt, dass die materiell unbestimmte Diskursausgangslage durch den materiellen Gehalt der Diskursregeln im Sinne einer Wechselwirkung aufgefangen wurde.47 Lediglich für die Klasse der diskursiv möglichen Antworten, also mit den Diskursregeln vereinbarten Antworten, bleibt eine gewisse Unbestimmtheit. Innerhalb dieser Klasse kann, zumindest diskursiv, nicht festgesetzt werden, welches die Antwort ist, nach 43

Siehe mit Nachweisen oben Kapitel D. II. 1. Siehe mit Nachweisen oben Kapitel D. II. 1. 45 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 35. 46 So Alexy für die Begriffe „richtig“ und „vernünftig“: Nach Alexy kann ein Ergebnis nur dann Anspruch auf Richtigkeit erheben, wenn die Begründung dafür den Diskursregeln genügt (Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 35). Eine Entscheidung ist nach Alexy vernünftig, wenn sie in einem praktischen Diskurs vernünftig ist (Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 350). Alexy verwendet de Begriffe „richtig“ und „vernünftig“ also weitgehend synonym (Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 200). 47 Siehe ausführlich mit Nachweisen oben Kapitel D. II. 1. 44

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

237

der zu handeln ist. Dies ist jedoch hinzunehmen und dem prozeduralen Charakter der Diskurstheorie geschuldet. Diese mangelnde Entscheidungsdefinität wird im Bereich des Rechts durch die Festsetzungen im Gerichtsprozess gelöst.48 Die Frage an dieser Stelle ist, ob diese Widerlegung des Unbestimmtheitseinwands auch für die Mediation gilt. Durch den materiellen Gehalt der Diskursregeln wird die unbestimmte materielle Ausgangslage vor dem Mediationsdiskurs aufgefangen. Damit ist der Unbestimmtheitseinwand im Wesentlichen entkräftet. Allerdings gibt es in der Klasse der diskursiv möglichen Antworten in der Mediation keine Festsetzung darüber, nach welcher Antwort gehandelt wird. Dies kann als das Problem der mangelnden Entscheidungsdefinität im Mediationsdiskurs bezeichnet werden und ist im Folgenden zu behandeln. bb) Die mangelnde Entscheidungsdefinität von Mediationsdiskursen Finden die Medianten keinen Konsens, was in der Klasse der diskursiv möglichen Antworten denkbar ist, gibt es keine Festsetzung einer Antwort durch einen Dritten. Der Umgang mit der Klasse der diskursiv möglichen Antworten in der Mediation ist damit ein anderer als im Recht. Im Rahmen des diskursiven Rechtsmodells konnte gezeigt werden, dass insbesondere der Gerichtsprozess dazu dient, die mangelnde Entscheidungsdefinität realer Diskurse zu überwinden.49 Aus der Klasse der diskursiv möglichen Antworten wird eine Antwort in Form des Urteils ausgewählt. Diese Festsetzung beendet den Diskurs über die Frage der Lösung der widerstreitenden Interessen im Prozess. Eine solche Festsetzungsstufe existiert in der Mediation nicht. Ein Mediator würde das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Parteien verletzen, würde er einen von mehreren durch die Parteien entwickelten Lösungsansätze auswählen und zu einem Urteil erheben. Erfolgte eine solche Festsetzung, könnte begrifflich nicht mehr von einer Mediation gesprochen werden. Das Problem der mangelnden Entscheidungsdefinität der Mediationsdiskurse besteht damit unter zwei Voraussetzungen. Erstens gibt es nach der vierten Phase der Mediation mehrere diskursiv mögliche Antworten. Zweitens können die Parteien keinen Konsens darüber erzielen, welche dieser in Betracht kommenden Antworten, oder um die Terminologie der Mediation zu bleiben, welche dieser Lösungsoptionen, ausgewählt werden soll, um den Konflikt zu lösen. Dieses Problem lässt sich als Einwand formulieren, der wie folgt lautet: Zwar erheben die Parteien einen Anspruch auf Richtigkeit, jedoch führt dieser nicht notwendig dazu, dass die Medianten sich in der Klasse der diskursiv möglichen Antworten auf eine richtige Antwort einigen. Dies entspricht dem Problem der mangelnden Entscheidungsdefinität realer Diskurse. Die Mediation bietet im Falle der Nichteinigung kein Instrument der Festsetzung auf eine richtige Antwort. Er48 Siehe dazu die Ausführungen zum diskursiven Rechtssystems Alexys in Kapitel D. II. 3. a) aa). 49 Siehe oben mit Nachweisen Kapitel D. II. 3. a) aa).

238

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

möglicht ein Diskurs mehrere richtige Antworten, die sich sogar widersprechen können50, ließe sich sagen, dass die Ergebnisse nicht bestimmt genug sind. Dieser Einwand kann in mehrfacher Hinsicht zurückgewiesen werden. Erstens ist die Festsetzung einer von mehreren diskursiv möglichen Antworten im Diskursmodell des Rechts durch das Urteil eines Gerichtsprozesses gesichert.51 Die Mediation kann im Gegensatz dazu als rein diskursiv bezeichnet werden. Sie kennt keine Festsetzung und zahlt dafür den Preis, im Falle des fehlenden Konsenses für eine von mehreren diskursiv möglichen Antworten, keine dann zu befolgende Handlungsanweisung bieten zu können. Dies ist aber in realen Diskursen hinzunehmen. Zum einen entspricht es dem konsensualen Charakter der Mediation, der zu Gunsten der Eigenverantwortung der Parteien keinen Konsens garantieren kann. Zum anderen entspricht es dem prozeduralen Charakter der Diskurstheorie. Bei der Erörterung der Idealthese wird darauf zurückzukommen sein, welche Prinzipien, Techniken und Methoden der Mediation die Erzielung eines Konsenses jedoch begünstigen können. Die mangelnde Entscheidungsdefinität führt also nicht dazu, dass der Diskurscharakter entfällt. Vielmehr führt gerade der rein diskursive Charakter der Mediation dazu, dass keine Entscheidungsdefinität garantiert werden kann. Ebenso ändert sich auch nichts daran, dass die Parteien einen Anspruch auf Richtigkeit erheben. Im Falle der fehlenden Einigung gelingt es ihnen lediglich nicht, sich auf eine von mehreren richtigen, das heißt diskursiv möglichen Antworten zu einigen. Wie dann die praktische Frage des Konflikts beantwortet werden soll, betrifft die Frage, welche Funktion die Mediation im Diskursmodell des Rechts einnimmt. Auf diese Frage ist an späterer Stelle zurückzukommen.52 Hier ist festzuhalten, dass keine zwingenden Einwände der Richtigkeitsthese der Mediation entgegenstehen. Die Parteien erheben, wie begründet werden konnte, insbesondere in der vierten Phase der Mediation notwendig einen Anspruch auf Richtigkeit. c) Der Richtigkeitsbegriff in der Mediation Die vorangegangene Begründung gibt Anlass, einen wichtigen Unterschied zwischen Mediationsdiskurs und juristischem Diskurs in den Blick zu nehmen. Es ist zu klären, wie sich der Richtigkeitsbegriff der beiden Diskurse unterscheidet. Oben wurde dargelegt, dass der Anspruch auf Richtigkeit im Recht den Anspruch auf 50 Zum Widerspruchsproblem mit entsprechenden Nachweisen siehe oben Kapitel C. III. 3. b) bb). 51 Siehe zum diskursiven Rechtssystem Alexys mit zahlreichen Nachweisen oben Kapitel D. II. 3. a) aa). Wie dort dargelegt, ist natürlich der Gerichtsprozess ein juristischer Diskurs. Nur im Rahmen des gesamten diskursiven Rechtsmodells kann von außerdiskursiver Festsetzung gesprochen werden. 52 Siehe unten Kapitel E. IV.

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

239

Gesetzmäßigkeit, aber auch auf allgemeine praktische Richtigkeit beinhaltet.53 Der Richtigkeitsbegriff der Mediation ist erstens nicht zweigeteilt, sondern eindimensional und zweitens deutlich weiter als der Richtigkeitsbegriff im Recht. Eine Zweiteilung liegt nicht vor, weil das Mediationsergebnis der Medianten nicht unter dem Anspruch der Gesetzmäßigkeit steht. Es steht lediglich unter dem allgemeinen praktischen Anspruch auf Richtigkeit. In der Mediation finden die Medianten also eine Lösung, die sich nicht notwendig am Recht orientiert. Die Lösung, die das Gesetz für den Fall vorgesehen hätte, kann abweichen von der von den Medianten entwickelten Vereinbarung. Gerade dieser Anspruch der Gesetzmäßigkeit führte dazu, dass im Rahmen der Sonderfallthese zu klären war, ob nicht der Anspruch auf Richtigkeit im juristischen Diskurs etwas ganz anderes ist als der Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit. Die Kritiker, die diese These vertreten, konnten widerlegt werden.54 Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Richtigkeitsbegriff im juristischen Diskurs gerade aufgrund der Bindung an Gesetz, Präjudiz und Dogmatik55 ein engerer ist. Die Rolle des Rechts ist aber auch in der Mediation nicht bedeutungslos. Für jede Mediation gilt, dass kein Ergebnis vereinbart werden kann, das rechtlich unzulässig ist. Es darf, wie oben dargestellt, kein gegen § 134 BGB verstoßendes Ergebnis beschlossen werden. Dies bedeutet aber nicht, dass das Mediationsergebnis der rechtlichen Lösung entspricht. So ist es denkbar und auch üblich, dass bei einer Scheidung nach rein rechtlichen Gesichtspunkten ein anderes Ergebnis erzielt würde, als würden die Scheidungsfolgen in der Mediation vereinbart. Dem Mediationsergebnis sind lediglich sehr weite, äußere, rechtliche Grenzen gesetzt. Es reicht an dieser Stelle aus, festzustellen, dass die weiten Grenzen, die das Recht jeder Vereinbarung zwischen natürlichen und juristischen Personen setzt, nicht rechtfertigen können, von einem Anspruch auf Gesetzmäßigkeit des Mediationsergebnisses zu sprechen. Vielmehr ist es gerade das konstitutive Wesen der Mediation, dass das Mediationsergebnis sich gerade von der vom Recht vorgesehenen Lösung unterscheidet. Diese Flexibilität ist einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Mediation und dem gerichtlichen Verfahren.56 Ebenso ist es möglich, dass die Parteien das von ihnen anvisierte Ergebnis in der Mediation zum Beispiel durch externe Parteianwälte in Vergleich zur hypothetischen rechtlichen Lösung setzen.57 Ein solcher Vergleichsmaßstab mag dazu führen, dass die Parteien im Einzelfall ihr Ergebnis der rechtlichen Lösung annähern. Eine solche 53 Zum selben Ergebnis mit abweichender Begründung kommt Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 252. Vgl. dazu auch den alternativen Begründungsvorschlag Bäckers, Begründen und Entscheiden, S. 236 ff. 54 Siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel D. II. 3. 55 Siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel D. II. 3. a) bb). 56 Siehe ausführlicher oben Kapitel B. I. 4. a) dd). 57 Zu Rolle der Beratungsanwälte mit zahlreichen Nachweisen siehe oben Kapitel A. IV. 4. a) bb).

240

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

Beziehung des Rechts ist jedoch keineswegs zwingend in der Mediation, sondern lediglich eine Möglichkeit. Selbst wenn diese genutzt wird, dient das Recht lediglich als Orientierungshilfe und nicht als verbindliche Vorgabe für das Mediationsergebnis. Mithin kann nicht von einem Anspruch auf Gesetzmäßigkeit in der Mediation gesprochen werden. Damit bleibt nur der allgemein praktische Anspruch auf Richtigkeit. Aufgrund der konkreten praktischen Frage ist damit jedoch mit einem „richtigen“ Ergebnis ein Ergebnis des gerechten Interessenausgleichs gemeint. Zwar geht es sowohl im Gerichtsprozess als auch in der Mediation darum, einen Konflikt widerstreitender Interessen durch einen gerechten Interessenausgleich zu lösen.58 Der Gerichtsprozess legt dabei einen engeren Richtigkeitsbegriff zu Grunde, der zwar auch den Anspruch auf allgemeine praktische Richtigkeit beinhaltet, aber eben auch dem engen Anspruch der Gesetzmäßigkeit folgt. Allerdings steht der Richtigkeitsbegriff in der Mediation unter einem besonderen Leitmotiv. Dieses Leitmotiv ist es, erstens die bestehenden Interessen zu befriedigen, zweitens dies in gerechter Weise zu erreichen, um drittens nachhaltig den Konflikt zu lösen und Frieden zwischen den Parteien herzustellen. Bei praktischen Fragen, die einem Interessenkonflikt gewidmet sind, dürfte dies vom Begriff der allgemeinen praktischen Richtigkeit59 umfasst sein. Dieses Leitmotiv lässt sich verkürzt als Motiv des nachhaltigen Friedens bezeichnen. Dieser Begriff des Friedens ist nicht gleichzusetzen mit dem Begriff des Rechtsfriedens in der Jurisprudenz. Der juristische Begriff des Rechtsfriedens meint nur, dass die konkrete rechtliche Frage beantwortet wird. Das Verhältnis der Parteien kann jedoch und wird sogar im Regelfall nach der juristischen Auseinandersetzung zerrüttet oder zumindest belastet sein. In der Mediation hingegen wird ein Ergebnis gesucht, das tatsächlich Grundlage einer friedvollen Beziehung der Parteien ist. Für den juristischen Bereich kann von einem formellen Frieden im Sinne des Rechtsfriedens gesprochen werden, wohingegen die Mediation einen materiellen Frieden, das heißt umfassenden Frieden anstrebt.60 Wie kann die Mediation einen solchen umfassenden Frieden erreichen? Ein erster Grund liegt in der diskursiven Natur der Mediation. Die Parteien erarbeiten selbst einen Konsens im Diskurs und als Diskursteilnehmer, weshalb sie das Ergebnis auch

58 Vgl. für den Gerichtsprozess Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 264 f.; für die Mediation siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel A. I. 4. 59 Auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Begriffen Richtigkeit und Wahrheit kann und muss in dieser Arbeit verzichtet werden. 60 Vgl. auch Hopt/Steffek, in: Mediation, S. 84 die von „rechtstechnischer Streitbewältigung“ im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren und „Versöhnungsfunktion“ im Rahmen der Mediation sprechen; ähnlich auch Trossen, in: Handbuch Mediation, § 39, S. 987 (988), Rn. 2; siehe oben mit weiteren Nachweisen in Kapitel B. I. 4.

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

241

nachhaltig akzeptieren.61 Dies wird im Falle eines belastenden Urteils durch den Richter nur selten der Fall sein. Zweitens entwickeln sie in der dritten Phase der Mediation, der Interessensammlung, regelmäßig Verständnis für die Sichtweise des Anderen. Auch die bereits behandelten Methoden der Selbstbehauptung und Wechselseitigkeit führen dazu, dass die Parteien in aller Regel ein echtes Interesse an gerechtem Interessenausgleich für ein friedvolles Miteinander finden wollen. Dieser Befund wird im Rahmen der sogleich folgenden Darlegung der Idealthese noch weiter gestützt werden. d) Bestätigung der Richtigkeitsthese Es konnte mit mehreren Argumenten begründet werden, dass in der Mediation praktische Fragen mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert werden. Der in der Mediation zu Grunde gelegte Richtigkeitsbegriff entspricht im Wesentlichen dem Richtigkeitsbegriff im allgemeinen praktischen Diskurs, wobei der nachhaltige Friede und der gerechte Interessenausgleich das Leitmotiv ausmacht. Er ist damit deutlich weiter als im juristischen Diskurs.

3. Der Mediationsdiskurs als nicht einschränkungsbedingter Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses Schließlich ist die die dritte Unterthese, die auch als Sonderfallthese der Mediation bezeichnet werden kann, in den Blick zu nehmen. Kann sie bestätigt werden, ist die erste Diskursthese der Mediation insgesamt begründet. Sie lautet: Die Mediation ist ein nicht einschränkungsbedingter Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses.

Dies kann begründet werden, wenn nicht jeder allgemeine praktische Diskurs eine Mediation ist, andererseits keine spezifischen Einschränkungen der Diskurssituation in der Mediation notwendig sind. a) Der Begriff des nicht einschränkungsbedingten Sonderfalls Die Einordnung des juristischen Diskurses als Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses liegt in den spezifischen Einschränkungen des juristischen Diskurses, insbesondere den Besonderheiten im Gerichtsprozess begründet. Der Gerichtsprozess ist ein realer, allgemein praktischer Diskurs, der jedoch wegen der Bindung an Gesetz, Präjudiz und Dogmatik, aber vor allem wegen der diskursiven 61

Siehe oben mit zahlreichen Nachweisen Kapitel B. I. 4. a) hh).

242

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

Einschränkungen der Prozesssituation und der Motivation der Parteien als Sonderfall zu bezeichnen ist.62 Stellt ein bestimmter Diskurs einen Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses dar, gehört er zur Klasse des allgemeinen praktischen Diskurses, weist jedoch spezifische Einschränkungen der Diskurssituation auf. Ein nicht einschränkungsbedingter Sonderfall gehört ebenfalls zur Klasse des allgemeinen praktischen Diskurses, es liegen jedoch keine spezifischen Einschränkungen der Diskurssituation vor, sondern lediglich nicht-einschränkende Spezifika, die ein Unterscheidungsmerkmal zu irgendwelchen anderen allgemeinen praktischen Diskursen darstellen. Damit besteht zwischen einem Sonderfall und einem nicht einschränkungsbedingten Sonderfall ein qualifizierender, jedoch kein klassifizierender Unterschied. Die Sonderfallthese der Mediation ist leichter zu begründen als die Sonderfallthese des juristischen Diskurses. Es ist lediglich darzulegen, dass in der Mediation keine spezifischen Einschränkungen der Diskurssituation vorliegen. Gelingt eine solche Darlegung, stellt die Mediation einen nicht einschränkungsbedingten Sonderfall des realen allgemeinen praktischen Diskurses dar. Kann diese These bestätigt werden, hieße das, dass sowohl der juristische Diskurs als auch der Mediationsdiskurs zur Klasse des allgemeinen praktischen Diskurses gehören, der Mediationsdiskurs jedoch keine erheblichen spezifischen Einschränkungen aufweist. b) Keine Bindung an Gesetz oder sonstige Statute für das Mediationsergebnis Eine spezifische Einschränkung des juristischen Diskurses stellt die Bindung an Gesetz, Präjudiz und Dogmatik dar.63 Dies ist die erste Einschränkung des juristischen Diskurses, die es erforderte, diesen als Sonderfall zu bezeichnen. Wie bereits oben im Rahmen des Richtigkeitsbegriffes der Mediation herausgearbeitet, besteht eine solche Bindung in der Mediation nicht.64 Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass das Gesetz bestimmte Vereinbarungen, also auch Mediationsvereinbarungen, generell für unzulässig erklärt. Zum einen werden in einer funktionierenden Mediation ohnehin kaum unzulässige, etwa nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrige Ergebnisse erzielt.65 Zum anderen gelten diese Einschränkungen für alle privatautonom getroffenen Vereinbarungen, ob sie nun in irgendeinem realen praktischen Diskurs oder in einer Vertragsverhandlung oder einem Vergleich geschlossen wurden. Werden in einem allgemeinen praktischen Diskurs Antworten auf praktische Fragen ermittelt und diese sodann als konkrete Handlungsanweisungen vereinbart, gelten 62

Siehe dazu ausführlich mit zahlreichen Nachweisen Kapitel D. III. Siehe ausführlich oben insbesondere zur unterschiedlichen Bindungswirkung von Gesetz, Präjudiz und Dogmatik Kapitel D. III. 2. 64 Siehe ausführlich oben Kapitel E. I. 2. c). 65 Siehe oben Kapitel E. I. 2. a). 63

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

243

die allgemeinen gesetzlichen Einschränkungen. Diese Einschränkung besteht aber eben nicht nur für die Mediation, sondern auch für jeden anderen Diskurs und auch für das bloße Aushandeln ohne Anspruch auf Richtigkeit. Diese Einschränkungen stellen mithin keine Mediationsspezifika dar. Es ist gerade das Wesen der Mediation, Lösungen entwickeln zu können, die – im Rahmen des gesetzlich Zulässigen – von der vom Gesetz anvisierten Lösung abweichen. Auch das Mediationsgesetz ändert daran nichts. Es definiert zwar die Mediation und nennt auch die Prinzipien des Verfahrens, all dies betrifft aber nicht die inhaltliche Ausgestaltung des Mediationsergebnisses, sondern die Verfahrenssituation. Ob die Mediationsprinzipien und die Ausgestaltung der Verfahrenssituation es rechtfertigen, die Mediation als nicht einschränkungsbedingten Sonderfall zu bezeichnen, ist sogleich Gegenstand der Untersuchung. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass in der Mediation hinsichtlich des Mediationsergebnisses keine spezifischen Bindungen an das Gesetz oder sonstige Statuten vorliegen, die es rechtfertigten, von Einschränkungen wie beim juristischen Diskurs zu sprechen. c) Keine spezifischen Einschränkungen der Verfahrenssituation in der Mediation Weitere spezifische und massive Einschränkungen des juristischen Diskurses konnten hinsichtlich der Prozesssituation dargelegt werden.66 Durch die Prozessordnungen wird die Zeit und die Teilnehmerschaft begrenzt, wobei dies unter Zwang durchgesetzt wird. Es wurde festgestellt, dass dies nicht zu einer Verletzung der Diskursprinzipien der Zeit, der Teilnehmerschaft und der Zwanglosigkeit führt, wohl aber zu einer Entfernung vom idealen Diskurs.67 Diese Einschränkungen können dem Gerichtsprozess nicht den Diskurscharakter nehmen, machen es aber notwendig, diesen als einschränkungsbedingten Sonderfall eines allgemeinen praktischen Diskurses zu bezeichnen. aa) Die Teilnehmerschaft in der Mediation Zunächst ist ein Blick auf die Teilnehmerschaft in der Mediation zu werfen. Für die Mediation gibt es keine starren Regeln, die festlegen, wer Teilnehmer einer Mediation ist. Vielmehr ist es möglich, alle Personen zu beteiligen, die unmittelbar oder mittelbar zu einer nachhaltigen und befriedenden Lösung beitragen können.68 Damit besteht ein erheblicher Unterschied zur Prozesssituation, in der lediglich der enge Kreis der prozessual vorgesehenen Verfahrensbeteiligten am Diskurs teilnimmt. 66 67 68

Siehe ausführlich mit Nachweisen oben Kapitel D. III. Siehe ausführlich mit Nachweisen oben Kapitel D. III. Zu dem Teilnehmerkreis der Mediation siehe oben Kapitel B. I. 4. a) cc).

244

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

Freilich ist aus praktischen Gründen eine unendliche Zahl von Teilnehmern auch in der Mediation nicht möglich. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Mediation um einen realen Diskurs und nicht einen idealen, also nicht durchführbaren, dafür aber vollkommenen Diskurs handelt. Dass in der Mediation reale, das heißt unvollkommene Bedingungen herrschen, führt aber nicht dazu, dass es sich um einen einschränkungsbedingten Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses handelt. Um zu ermitteln, ob ein solcher Sonderfall vorliegt, ist zu fragen, ob in der Mediation im Vergleich zu anderen realen allgemeinen praktischen Diskursen ein besonderes Maß spezifischer Einschränkungen besteht. In der Mediation bestehen hinsichtlich der Teilnahme keine spezifischen Einschränkungen; vielmehr wird eine möglichst umfassende Teilnahme verschiedener Konfliktbeteiligter gefördert. Ob dies eine Annäherung an den idealen Diskurs darstellt, ist unter Rückgriff auf das Diskursprinzip der Teilnehmerschaft im Rahmen der Idealthese, der zweiten Diskursthese der Mediation, zu erörtern. An dieser Stelle reicht es aus, festzustellen, dass keine spezifische Einschränkung des Teilnehmerkreises besteht. Damit spricht weiterhin alles dafür, die Mediation als nichteinschränkungsbedingten Sonderfall des realen allgemeinen praktischen Diskurses zu bezeichnen. bb) Der Faktor Zeit in der Mediation Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Sonderfallthese wurde die diskurstheoretische Bedeutung des im Gerichtsprozess herrschenden Zeitdrucks erörtert. Es wurde begründet, dass dieser einer der Faktoren ist, die dazu führen, dass der Gerichtsprozess einen einschränkenden Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses darstellt. Eine Verletzung des Diskursprinzips der Zeit konnte aber verneint werden.69 Als Begründung für die Mediation wurde angeführt, dass diese oftmals schneller durchgeführt werden kann als ein gerichtliches Verfahren.70 Das Bedürfnis nach einer schnellen Entscheidung besteht also auch im Bereich der Mediation. Die schnellere Durchführung einer Mediation meint jedoch nicht, dass die Mediation selbst schnell und unter Zeitdruck durchgeführt wird, sondern lediglich, dass sie oftmals früher angesetzt werden kann als ein Prozess in einem überlasteten Gerichtsbezirk. In der Mediation selbst gilt kein Beschleunigungsgrundsatz und es weist auch nichts darauf hin, dass ein spezifischer Zeitdruck herrscht. Vielmehr ist es Ziel der Mediation, allen konfliktrelevanten Fragen, damit allen relevanten praktischen Fragen, hinreichend viel Zeit einzuräumen. Freilich steht auch in einer Mediation nicht unbegrenzt viel Zeit wie im idealen Diskurs zur Verfügung. Im Vergleich zu anderen realen Diskursen, insbesondere im Vergleich zum Gerichtsprozess, herrscht 69 70

Siehe ausführlich mit Nachweisen oben Kapitel D. III. 3. Siehe ausführlich mit Nachweisen oben Kapitel B. I. 3.

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

245

jedoch kein spezifischer Zeitdruck. Damit liegt auch hinsichtlich des Faktors Zeit kein einschränkendes Spezifikum vor. cc) Zwanglosigkeit in der Mediation Eine besondere diskurstheoretische Problematik im Gerichtsprozess stellt, wie dargelegt, der dort herrschende Zwang unter der Verfahrensführung des Richters dar. Eine Entfernung vom idealen Diskurs konnte dargelegt werden, gleichzeitig wurde aber eine Verletzung des Diskursprinzips der Zwanglosigkeit verneint.71 Der im Gerichtsprozess bestehende Zwang stellt eine spezifische Einschränkung der Diskurssituation dar, die es notwendig macht, den juristischen Diskurs als einschränkenden Sonderfall zu bezeichnen. In der Mediation liegt bezüglich des Zwangs eine diametral andere Situation vor. Die Teilnahme an der Mediation ist erstens freiwillig72 und zweitens müssen die Parteien den Konflikt eigenverantwortlich73 lösen, das heißt selbst Antworten auf die im Raum stehenden praktischen Fragen finden. Sie können die Mediation jederzeit verlassen. Ob diese Zwanglosigkeit, die aus den Mediationsprinzipien der Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit folgt, eine Annäherung an den idealen Diskurs zur Folge hat, ist Gegenstand der zweiten Diskursthese der Mediation, der Idealthese. Ausreichend an dieser Stelle ist es, festzustellen, dass kein den realen Diskurs einschränkender Zwang in der Mediation besteht. dd) Die Phasen und Prinzipien der Mediation als nichteinschränkendes Spezifikum Fraglich ist, ob der Ablauf der Mediation in Form von bestimmten Phasen und die Prinzipien der Mediation die Diskurssituation einschränkende Spezifika darstellen. Wäre dies der Fall, wäre die dritte Unterthese nicht zutreffend. Ohne Frage handelt es sich sowohl bei den Phasen als auch den Mediationsprinzipien um spezifische Eigenschaften der Mediation, die den Mediationsdiskurs von anderen realen Diskursen unterscheiden. Wenn die Spezifika die generelle Diskurssituation des realen Diskurses jedoch nicht einschränken, stellt die Mediation einen nicht einschränkungsbedingten Sonderfall des realen allgemein praktischen Diskurses ganz im Sinne der hier vorgeschlagenen These dar. Die Mediationsprinzipien Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit, Informiertheit und Vertraulichkeit führen nicht zu einer Einschränkung der Diskurssituation. Vielmehr treten zahlreiche Schnittmengen zu den Diskursprinzipien hervor. So wird 71

Siehe oben Kapitel D. III. 3. b) aa) (3). Ausführlich zum Prinzip der Freiwilligkeit als Unterfall der Eigenverantwortlichkeit siehe oben Kapitel A. I. 2. a) aa) (1). 73 Ausführlich zum Prinzip der Eigenverantwortlichkeit siehe oben Kapitel A. I. 2. a) aa) (1). 72

246

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit in der Mediation durch das Prinzip der Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit gestützt. Das Diskursprinzip der empirischen Informiertheit steht dem Mediationsprinzip der Informiertheit offensichtlich sehr nah. Die Frage, ob die Mediationsprinzipien zu einer Annäherung an den idealen Diskurs führen, ist Gegenstand der Idealthese. Hier ist nur relevant, dass die Mediationsprinzipien zwar Spezifika der Mediation sind, diese jedoch nicht zu einer Einschränkung der Diskurssituation führen. Es deutet sich vielmehr das Gegenteil an. Ähnlich verhält es sich mit den Phasen in der Mediation. Wie oben ausführlich dargelegt74, findet zwar ein argumentativer Austausch und damit ein Diskurs primär erst in der vierten Phase statt, jedoch dienen die anderen Phasen dazu, eine gedeihliche Diskurssituation und den Konsens als angestrebtes Diskursziel zu fördern. Es kann nicht die Rede davon sein, dass es sich dabei um spezifische Einschränkungen der Diskurssituation handelt. Die mediationsspezifische Strukturierung in Phasen dient vielmehr dem Gelingen des realen allgemeinen praktischen Diskurses in der Mediation. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es spezifische Wesensmerkmale der Mediation gibt, diese aber die Diskurssituation nicht einschränken, weshalb nicht wie beim juristischen Diskurs von einem Sonderfall, sondern von einem nicht einschränkungsbedingten Sonderfall des allgemein praktischen Diskurses zu sprechen ist. d) Motivation der Parteien Allerdings könnte die Motivation der Parteien in der Mediation ein einschränkendes Spezifikum darstellen, welches dazu führt, dass die Diskurssituation eingeschränkt ist und daher eine Einordnung als Sonderfall oder sogar als Nicht-Diskurs vorzunehmen ist. Für den Gerichtsprozess musste davon ausgegangen werden, dass es den Parteien im Prozess oftmals nicht um ein „richtiges oder gerechtes Urteil, sondern um ein für sie vorteilhaftes Urteil geht“75. Es konnte aber dargelegt werden, dass selbst dieser Befund dem Gerichtprozess trotz seiner strategischen Anteile nicht den Diskurscharakter nimmt. Fraglich ist an dieser Stelle erstens, wie sich die Motivation der Parteien im Vorfeld einer Mediation darstellt, und zweitens, wie in der Mediation mit dieser Motivation umgegangen wird. Im Rahmen der Sonderfallthese zum juristischen Diskurs wurde dargelegt, dass die bloße Gegenwärtigkeit von Interessen nicht dem Diskurscharakter widerspricht, vielmehr sollen diese sogar im allgemeinen prakti-

74 75

Siehe oben Kapitel E. I. 1. b). Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270.

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

247

schen Diskurs einen Platz haben.76 Das bloße Vorliegen von Interessen kann also auch der Mediation nicht den Diskurscharakter nehmen. aa) Die Motivation der Parteien im Vorfeld Zur Frage der Motivation der Parteien im Vorfeld lassen sich lediglich Vermutungen äußern, die durch empirische Untersuchungen, die im Rahmen dieser Arbeit weder angezeigt noch möglich sind, bestätigt werden könnten. Mit Sicherheit kann auch ohne empirischen Nachweis davon ausgegangen werden, dass die Motivation der Parteien unterschiedlich ist. Es wird diejenigen geben, die zu einer Mediation überredet werden, denen es aber nicht oder nur sekundär um ein gerechtes und friedensstiftendes Ergebnis geht; die also primär ein für sich vorteilhaftes Ergebnis anstreben. Es liegt jedoch nahe, dass zahlreiche Parteien, die wissen, was Mediation bedeutet, auch ein Interesse an einer insgesamt gerechten und befriedenden Lösung haben. Immerhin wissen sie, dass die Mediation dazu dient, nachhaltigen Frieden zu finden und einen gerechten Interessenausgleich durch einen gemeinsam entwickelten Konsens anzustreben.77 Sie werden auch wissen, dass Mediation Kommunikation miteinander notwendig voraussetzt. Wer um diese Umstände weiß und sich auf eine Mediation einlässt, dürfte regelmäßig ein gewisses Interesse an einem gerechten Interessenausgleich haben. Damit stellt sich die Ausgangslage der Parteimotivation im Vorfeld der Mediation deutlich diskursfreundlicher dar als im Gerichtsprozess. Wer den Weg zu den Gerichten geht, will entweder keine konsensuale Einigung erzielen oder ist bei einem solchen Versuch gescheitert. Er möchte keine weiteren Kommunikationsversuche unternehmen, sondern hofft regelmäßig auf ein für ihn günstiges Urteil. Dies gilt gleichermaßen für den Straf- und Zivilprozess. bb) Die Motivation der Parteien in der Mediation Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass eine strategische, nicht an Richtigkeit interessierte Motivation im Einzelfall vor der Mediation besteht. Fraglich ist, welche diskurstheoretischen Auswirkungen dies hat. Dies ist anhand der Frage zu erörtern, wie mit der Motivation der Parteien in der Mediation umgegangen wird. Es wurde sowohl für den allgemeinen praktischen Diskurs78 als auch den Gerichtsprozess79 sowie die Mediation80 dargelegt, dass das Desinteresse an einem 76

Vgl. Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 262 ff., insb. 264; vgl. auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 408. 77 Siehe oben Kapitel A. I. 4. und B. I. 4. 78 Vgl. oben Kapitel C. II. 3. a). 79 Siehe oben Kapitel D. II. 3. a) bb). 80 Siehe oben Richtigkeit in der Mediation und dem Argument des performativen Widerspruchs Kapitel E. I. 2. a).

248

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

gerechten Interessenausgleich oder der subjektive Wille, ein Ergebnis durchzusetzen, was ausschließlich die eigenen Interessen bedient, aber evident als unrichtig oder ungerecht erscheint, nicht zu einer Abkehr vom objektiven Anspruch auf Richtigkeit führt. Die Parteien erheben zumindest objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit. Sollten sie selbst diesen im Einzelfall negieren, würde die Fehlerhaftigkeit ihrer Aussagen für den Mediator und die anderen Medianten erkennbar werden, was zeigt, dass die Mediation selbst, ebenso wie der Gerichtsprozess, auf Richtigkeit ausgerichtet ist.81 Aus diesen Gründen kann also der Diskurscharakter der Mediation nicht entfallen. Dem ließe sich entgegenhalten, dass doch gerade in der Mediation gefordert ist, die eigenen subjektiven Interessen offenzulegen. Dies ist zutreffend, kann allerdings nicht mit der Offenlegung einer einseitigen ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedachten Strategie verglichen werden. In der dritten Phase der Mediation geht es lediglich darum, dass die Parteien ihre subjektiven Bedürfnisse, Wünsche und Interessen offenlegen. Diese Interessen müssen bekannt sein, damit sie später in Form des Mediationsergebnisses in gerechten Ausgleich gebracht werden können. Es geht also keinesfalls darum, über Ausübung von Macht und Strategie diese vollumfänglich durchzusetzen. Vielmehr ist es Ziel der dritten Phase, einen Diskurs vorzubereiten, der ohne die Information des subjektiven Interesses nicht geführt werden könnte. Fraglich ist allerdings, welche diskurstheoretischen Konsequenzen entstehen, wenn das strategische Element den diskursiven Richtigkeitsanspruch überwiegt, wenn also fast alle Akteure kein Interesse an einem gerechten, sondern lediglich an einem für sie vorteilhaften Ergebnis haben. Für den allgemeinen praktischen Diskurs wurde angenommen, dass es Diskursteilnehmer gibt, die ein überwiegendes Interesse an Richtigkeit haben. Das wiederum veranlasst den reinen Nutzenmaximierer dazu, die Diskursregeln zumindest objektiv vorzugeben, da dies strategisch im Sinne des Kosten-Nutzen-Kalküls günstiger ist, als offen gegen die Diskursregeln vorzugehen und damit den Widerstand derjenigen mit echtem Interesse an Richtigkeit hervorzurufen.82 Für den Gerichtsprozess folgte aus diesem Befund eine besondere Problematik. Da für den Gerichtsprozess nämlich davon ausgegangen werden musste, dass die wenigsten Parteien ein echtes Interesse an einem gerechten Urteil und damit gerechtem Interessenausgleich haben, lag zunächst der diskurstheoretische Schluss nahe, dass es für diese keinen Grund gibt, objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit zu erheben.83 Diese Vermutung konnte aber über die Rolle des Richters widerlegt

81 82 83

Siehe oben Kapitel E. I. 2. a). Siehe dazu das empirische Argument mit Nachweisen oben Kapitel C. II. 3. b). Siehe dazu oben mit Nachweisen Kapitel D. III. 3. b) cc) (3).

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

249

werden. Der Richter stellt das ausgleichende Rationalitätsmoment84 im Gerichtsprozess dar, was die Parteien unabhängig von ihrem subjektiven Interesse dazu zwingt, objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit zu erheben.85 In der Mediation gibt es keinen Richter. Der Mediator ist gerade nicht entscheidungsbefugt und kann die Parteien damit auch nicht kraft seiner Entscheidungsbefugnis dazu zwingen, einen solchen objektiven Anspruch auf Richtigkeit zu erheben. Damit liegt der Schluss nahe, dass es kein ausgleichendes Rationalitätsmoment in der Mediation gibt. Überwiegt hinsichtlich der Motivation der Parteien das strategische Element und kehren sie dies nach außen, könnte der Diskurscharakter der Mediation entfallen. Träfe dies zu, könnte die Sonderfallthese der Mediation nicht in dieser Form aufrechterhalten werden. Es lassen sich jedoch zahlreiche Argumente gegen eine solche Annahme finden. Erstens wurde oben ausgeführt, dass in aller Regel schon im Vorfeld der Mediation ein subjektives, das heißt echtes Interesse an einem gerechten, also richtigen Mediationsergebnis in Form eines fairen Interessenausgleiches besteht. Dies zeigt bereits, dass ein Überwiegen des strategischen Elements nicht wahrscheinlich ist. Wenn davon auszugehen ist, dass für jeden allgemeinen praktischen Diskurs eine hinreichende Anzahl von Personen mit einem echten Interesse an Richtigkeit besteht, muss dies erst recht für die Mediation gelten. Zweitens wurde ebenso begründet, dass im Falle der Offenlegung des Interesses an einem rein auf den eigenen Vorteil bedachten Ergebnis ohne Rücksicht auf die Frage, ob dies insgesamt gerecht ist, der Mediator und die anderen Medianten diesen fehlenden Richtigkeitsanspruch bemerken und reagieren.86 In einem solchen Fall wird in der Regel schon der andere Mediant nicht bereit sein, die Mediation unter diesen Voraussetzungen fortzuführen. Das ausgleichende Rationalitätsmoment in der Mediation ist also nicht der Richter, sondern die Kontrolle durch die anderen Medianten. Sobald ein Mediant ein Interesse an Richtigkeit in Form eines gerechten Interessenausgleichs hat, wird er diesen auch von den anderen Medianten einfordern. Diese müssen zumindest objektiv diesen Ansprüchen genügen, da die anderen Medianten sonst von einer Mediation absehen werden. Ein weiteres ausgleichendes Rationalitätsmoment stellt der Mediator dar. Er hat zwar keine Entscheidungsbefugnis und muss auch kein Urteil wie der Richter begründen, er kann aber bei Mediationsungeeignetheit der Parteien87 von einer Mediation absehen. Nimmt er wahr, dass bei Parteien nicht einmal im Ansatz ein In84 Ähnlich die Wortwahl bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 264, der von interessenneutraler Entscheidungsinstanz spricht. 85 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 270; ausführlich dazu siehe oben Kapitel D. III. 3. b) cc) (3). 86 Siehe dazu oben Kapitel E. I. 2. a) Ähnlich argumentiert, freilich nicht im Kontext der Mediation, Alexy, Theorie der juristischen Argumentation – Nachwort, S. 433; siehe dazu ausführlich oben Kapitel D. II .3. a) bb). 87 Siehe oben Kapitel A. IV. 1. c).

250

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

teresse an einem richtigen Ergebnis, also einem gerechten Interessenausgleich oder nachhaltigen Frieden besteht, wird er den Medianten dies mitteilen. Er hat nicht dieselbe formelle Autorität wie der entscheidungsbefugte Richter, gleichwohl entscheidet der Mediator, ob die Parteien überhaupt die notwendige Diskursbereitschaft, also die Bereitschaft, nach einem gerechten Ergebnis zu suchen, mitbringen. Drittens verfügt die Mediation in mehrfacher Hinsicht über Elemente, die ein echtes Interesse an Richtigkeit fördern. Zum einen haben die Parteien in der Mediation Gelegenheit ihre Emotionen zu zeigen. Dies hat oftmals eine kathartische Wirkung, die es ermöglicht, im Anschluss rationaler nach einem richtigen, also gerechten Ergebnis zu suchen.88 Zweitens führt die Sichtbarkeit der Emotionen des Anderen häufig zu größerem Verständnis für den Konfliktpartner und neuen Einsichten, auch zu Reue über vergangenes Fehlverhalten.89 Wenn dies in der Mediation stattfindet, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass eine Partei im Anschluss subjektiv nur noch ein für sie vorteilhaftes Ergebnis anstrebt. Die Einbeziehung von Emotionen dient damit bezogen auf die gesamte Mediation einer größeren Rationalität. Das subjektiv echte Interesse an einem gerechten Interessenausgleich wird eindeutig gefördert. Dasselbe gilt für die in der Mediation verwendeten Methoden der Selbstbehauptung90 und der Wechselseitigkeit91. Die Selbstbehauptung des Medianten wird mit Unterstützung des Mediators in der gesamten Mediation gestärkt. Zunächst geschieht dies schon dadurch, dass dem Medianten überhaupt zugehört wird, zweitens kann er in der zweiten Phase der Mediation, der Themensammlung, die für ihn relevanten Themen benennen und schließlich seine wahren Bedürfnisse in der dritten Phase nicht nur finden, sondern auch artikulieren.92 Wer diese Stärkung erfahren hat, hat in aller Regel die Größe, sich für einen rationalen Diskurs über ein gerechtes Ergebnis zu öffnen. Eine solche Person hat kein Verlangen, aus verletztem Stolz oder anderen Eitelkeiten ein bloß für sich vorteilhaftes Ergebnis anzustreben. Die Methode der Selbstbehauptung führt also dazu, dass die meisten Medianten nicht nur objektiv, sondern sogar subjektiv einen Anspruch auf Richtigkeit erheben, das heißt ein subjektives, echtes Interesse an einen gerechten Interessenausgleich verfolgen. Gleiches lässt sich für die Methode der Wechselseitigkeit sagen. Die Medianten beschäftigen sich vor allem in der dritten Phase mit den Wünschen und Interessen des Gegenübers. Dies weckt in vielen Fällen Verständnis für die andere Seite, die vorher oftmals mangels Informationen überhaupt nicht bestand. Wer Verständnis für den 88

Dazu und zur Rolle der Emotionen in der Mediation mit Nachweisen siehe Kapitel B. I. 4. a) gg). 89 Siehe dazu auch Kapitel B. I. 4. a) gg). Vgl. zudem auch die Methode der Wechselseitigkeit. Siehe dazu oben Kapitel A.V. mit Nachweisen. 90 Ausführlich zur Methode der Selbstbehauptung siehe oben mit Nachweisen Kapitel A. V. 91 Ausführlich zur Methode der Wechselseitigkeit siehe oben mit Nachweisen Kapitel A. V. 92 Ausführlich zur zweiten und dritten Phase siehe oben Kapitel A. IV. 2. und 3.

I. Erste Diskursthese der Mediation: Richtigkeitsthese

251

Konfliktpartner entwickelt, wird nicht nur objektiv, sondern subjektiv einen gerechten Interessenausgleich anstreben. Es hat sich gezeigt, dass der Umgang mit der Motivation der Parteien in der Mediation über die Einbeziehung von Emotionen, der Methode der Selbstbehauptung und der Methode der Wechselseitigkeit dem Diskurs in höchstem Maße zuträglich ist. Es ist nicht nur so, dass davon auszugehen ist, dass in einer Mediation das strategische, rein auf den eigenen Vorteil bedachte, Vorgehen nicht überwiegt, sondern vielmehr, dass ein echtes Interesse an gerechtem Interessenausgleich und damit an Richtigkeit vorherrscht. Während für den Gerichtsprozess primär begründet werden musste, warum zumindest objektiv ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird, der regelmäßig subjektiv aber nicht verfolgt wird, kann für die Mediation gesagt werden, dass sie über zahlreiche Wesensmerkmale und Methoden verfügt, die ein subjektives echtes Interesse an Richtigkeit fördert. Die Motivation der Parteien in der Mediation stellt damit kein die Diskurssituation einschränkendes Spezifikum dar. Vielmehr dürften die Ausgangslage und die Methoden der Mediation regemäßig die Rationalität des Diskurses fördern. Inwiefern dies auch zur Begründung der zweiten Diskursthese der Mediation, der Idealthese, herangezogen werden kann, ist sogleich zu untersuchen. e) Bestätigung der Sonderfallthese der Mediation im engeren Sinne Mit der vorangestellten Untersuchung ist die Sonderfallthese der Mediation (im engeren Sinne) begründet. Es liegen keine die Diskurssituation spezifischen Einschränkungen in der Mediation vor, die es rechtfertigten, die Mediation als einschränkungsbedingten Sonderfall eines allgemeinen praktischen Diskurses zu bezeichnen. Eine Mediation ist allerdings gekennzeichnet durch bestimmte Phasen, Prinzipien und Methoden. Diese Spezifika schränken die Diskurssituation jedoch nicht ein, weshalb die Mediation als nicht einschränkungsbedingter Sonderfall des realen allgemein praktischen Diskurses einzuordnen ist. Umgekehrt lassen sich die Mediationsspezifika nur in der Mediation finden, weshalb nicht jeder allgemeine parktische Diskurs eine Mediation ist.

4. Bestätigung der ersten Diskursthese der Mediation (Richtigkeitsthese) Mithin konnten alle Unterthesen der Richtigkeitsthese der Mediation, ihrer Sonderfallthese, begründet werden. In einer Mediation werden danach praktische Fragen mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert. Der Diskurs unterliegt zwar bestimmten Spezifika, die jedoch die Diskurssituation nicht einschränken oder der Mediation gar den Diskurscharakter nehmen. In diesem Sinne stellt die Mediation einen nicht einschränkungsbedingten Sonderfall des realen praktischen Diskurses dar.

252

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

II. Zweite Diskursthese der Mediation: Idealthese Die zweite Diskursthese der Mediation geht davon aus, dass die Mediationsprinzipien, -methoden und sonstigen Rahmenbedingungen der Mediation zu einer Annäherung des realen Mediationsdiskurses an den idealen Diskurs führen. Sie kann auch als Idealthese bezeichnet werden. Sie lautet: Die Mediation verfügt über Prinzipien, Methoden und weitere Rahmenbedingungen, die zu einer Annäherung an den idealen Diskurs führen.

An dieser Stelle sei die Definition des idealen Diskurses wiederholt: Der ideale praktische Diskurs ist definiert durch die Suche einer Antwort auf eine praktische Frage „unter den Bedingungen unbegrenzter Zeit, unbegrenzter Teilnehmerbereitschaft und vollkommener Zwanglosigkeit im Wege der Herstellung vollkommen sprachlich-begrifflicher Klarheit, vollkommener empirischer Informiertheit, vollkommener Fähigkeit und Bereitschaft zum Rollentausch und vollkommener Vorurteilsfreiheit.“93

Die Idealthese der Mediation kann nur unter Rückgriff auf das in dieser Arbeit modifizierte Zwei-Ebenen-Modell des allgemeinen praktischen Diskurses begründet werden. Aus diesem konnten sieben Diskursprinzipien94 abgeleitet werden.

1. Ideal-approximative Wirkung der Mediationsprinzipien Der erste Teil der Idealthese proklamiert, dass die Mediationsprinzipien zu einer Annäherung an den idealen Diskurs führen. Ist dies zutreffend, kann die Wirkung der Mediationsprinzipien als ideal-approximativ beschrieben werden.95 a) Die Mediationsprinzipien der Freiwilligkeit und der Eigenverantwortlichkeit Die Mediationsprinzipien der Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit verlangen, dass relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände und die anderen Mediationsprinzipien ein möglichst hohes Maß an Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit der Parteien in der Mediation zu gewährleisten ist.96 Im Vergleich dazu lautet das oben herausgearbeitete Diskursprinzip der Zwanglosigkeit wie folgt: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, eine möglichst weitgehende Zwanglosigkeit aller Diskursteilnehmer zu gewährleisten. 93

Alexy, Probleme der Diskurstheorie, S. 113. Siehe dazu ausführlich oben Kapitel C. III. 4. a). 95 So die Terminologie bei Bäcker, Begründen und Entscheiden, S. 140 f. im Kontext der Diskursprinzipien. 96 Siehe oben Kapitel A. I. 2. c) bb). 94

II. Zweite Diskursthese der Mediation: Idealthese

253

Es wird deutlich, dass die Mediationsprinzipien Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit dem Diskursprinzip der Zwanglosigkeit entsprechen. Eine zwanglose Teilnahme ist eine freiwillige Teilnahme. Wer ohne Zwang im Mediationsdiskurs agiert, handelt im Diskurs eigenverantwortlich. Wie im ersten Kapitel dargelegt, gelten die Mediationsprinzipien Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit in der gesamten Mediation. Ihr Vorhandensein und die tatsächliche Befolgung dieser Normen sind konstitutiv für die Mediation. Damit gilt das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit in der Mediation, es firmiert lediglich unter anderem Namen. Gilt in einem realen Diskurs das Prinzip der Zwanglosigkeit, bedeutet dies, dass der Diskursgegenstand Zwanglosigkeit relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände optimiert wird. Dies wiederum trägt dazu bei, dass sich ein solcher realer Diskurs dem idealen Diskurs auf dem Feld der Zwanglosigkeit annähert. Damit haben die Mediationsprinzipien Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit, die dem Diskursprinzip der Zwanglosigkeit entsprechen, eine ideal-approximative Wirkung. b) Das Mediationsprinzip der Informiertheit Das Mediationsprinzip der Informiertheit verlangt, dass relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände und die anderen Mediationsprinzipien ein möglichst hohes Maß an Informiertheit der Parteien zu gewährleisten ist.97 Im Vergleich dazu lautet das Diskursprinzip der empirischen Informiertheit wie folgt: Es ist geboten, relativ bezogen auf die tatsächlichen Möglichkeiten und die anderen Diskursprinzipien, allen Diskursteilnehmern möglichst viele der verfügbaren Informationen betreffend die jeweilige praktische Frage zur Verfügung zu stellen.

Zwischen dem Diskursprinzip der empirischen Informiertheit und dem Mediationsprinzip der Informiertheit bestehen erhebliche Schnittmengen. Das Mediationsprinzip der Informiertheit meint, dass die konfliktrelevanten Informationen relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände in möglichst hohem Maß unter den Parteien geteilt werden. Diskurstheoretisch sind damit alle Informationen gemeint, die zur Antwort auf die konkrete praktische Frage nach gerechtem Interessenausgleich und nachhaltiger Befriedung nützlich sein könnten. Es soll ein freier Informationsfluss zwischen den Medianten herrschen und kein einseitiger Informationsvorsprung ausgenutzt werden können. Das Diskursprinzip der empirischen Informiertheit verfolgt dasselbe Ziel. Die Diskursteilnehmer sollen mit möglichst vielen empirisch nachweisbaren Informationen versorgt werden, die die konkrete praktische Frage des jeweiligen Diskurses betreffen. Wer informiert ist, kann die Stichhaltigkeit von im Diskurs vorgebrachten Argumenten besser überprüfen. Er kann zudem Argumente oder Einsichten entwickeln, die ohne die Informationen nicht möglich sind. Dies gilt für die Mediation ebenso wie für jeden anderen allgemeinen praktischen Diskurs. Mit dem Media97

Siehe oben Kapitel A. I. 2. c) bb).

254

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

tionsprinzip der Informiertheit gilt damit in der Mediation im Wesentlichen das Diskursprinzip der empirischen Informiertheit, lediglich mit einem konkreten Bezug auf den zu mediierenden Konflikt. Das heißt, dass der Diskursgegenstand der Informiertheit in der Mediation optimiert wird. Korrelat dieses Befundes ist damit, dass das Mediationsprinzip der Informiertheit zu einer Annäherung an den idealen Diskurs führt; es hat also ebenfalls ideal-approximative Wirkung. c) Fazit zur ideal-approximativen Wirkung der Mediationsprinzipien Die zentralen Mediationsprinzipien Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit entsprechen dem Diskursprinzip der Zwanglosigkeit. Ebenso gilt in der Mediation das Prinzip der Informiertheit, welches dem Diskursprinzip der empirischen Informiertheit nahekommt. Damit stellen drei tragende Mediationsprinzipien zugleich Diskursprinzipien im Mediationsdiskurs dar. Das heißt, dass im realen Diskurs der Mediation bei effektiver Beachtung dieser Prinzipien eine Annäherung an eine ideale Diskurssituation erfolgt, dass diesen Prinzipien also eine ideal-approximative Wirkung zuzuschreiben ist.

2. Ideal-approximative Wirkung der Mediationsmethoden Fraglich ist, ob neben den Mediationsprinzipen auch bestimmte in der Mediation verwendete Methoden zu einer Annäherung an eine ideale Diskurssituation führen. In Betracht kommen die Methode der Selbstbehauptung und die Methode der Wechselseitigkeit. a) Ideal-approximative Wirkung der Methode der Selbstbehauptung Die Methode der Selbstbehauptung führt dazu, dass die Medianten in der gesamten Mediation durch den Mediator gestärkt werden. Ihnen wird zugehört, es wird ihnen Raum gegeben, ihre Themen vorzutragen, aber auch ihre Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren. Der Mediant gewinnt durch diese Methode verlorenes Selbstvertrauen zurück und es können gestörte Verhandlungsparitäten ausgeglichen werden.98 Dies zeitigt in zweifacher Hinsicht diskurstheoretische Auswirkungen. Zum einen entspricht es einer von Alexys spezifischen Diskursregeln, die einfordert, dass jeder Diskursteilnehmer seine Wünsche und Bedürfnisse in den Diskurs einbringen darf. Darauf ist sogleich bei der Erörterung der diskurstheoretischen Wirkung weiterer Mediationsmerkmale, hier der Wirkung der dritten Phase der Mediation, zurückzukommen.99 98 99

Ausführlich zur Methode der Selbstbehauptung mit Nachweisen siehe oben Kapitel A. V. Siehe unten Kapitel E. III. 3. a).

II. Zweite Diskursthese der Mediation: Idealthese

255

Zweitens führt die Methode der Selbstbehauptung zu einer tatsächlichen Optimierung der Zwanglosigkeit. Wer selbstbewusst im Diskurs auftreten kann und den Verfahrensschutz des Mediators genießt, wird sich gegenüber Zwängen durch die anderen Medianten eher als resistent erweisen. Emotionale, wirtschaftliche oder sonstige Druckausübung und damit Zwang wird zu Gunsten diskursiven Verhaltens zurückgedrängt. Gleichzeitig weiß der Mediant darum, dass der Mediator diesen Verfahrensschutz auch den anderen Medianten gewährt. Er ist sich bewusst, dass der Mediator darauf achtet, den Parteien eine ausgewogene Beteiligung am Diskurs zu ermöglichen. Er wird sich daher zurückhalten, Zwang auszuüben und die Mediation zu diktieren. Freilich gibt es stets Medianten, die eben dies versuchen. Der Mediator wird dies jedoch nicht durchgehend zulassen und als ultima ratio sogar von der Mediation absehen. Die Methode der Selbstbehauptung trägt mithin dazu bei, dass die Medianten erstens Zwängen von anderen Beteiligten nicht so schnell erliegen und zweitens gehalten sind, auch selbst diskursiv und nicht unter der Ausübung von Zwang in der Mediation zu agieren. Mithin unterstützt die Methode der Selbstbehauptung ein effektives Mittel zur Verwirklichung des Diskursprinzips der Zwanglosigkeit. Vollkommene Zwanglosigkeit wie im idealen Diskurs kann im realen Diskurs der Mediation nicht erreicht werden, eine ideal-approximative Wirkung der Methode der Selbstbehauptung ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. b) Ideal-approximative Wirkung der Methode der Wechselseitigkeit Auch die Methode der Wechselseitigkeit100 entfaltet diskurstheoretische Wirkung. Im Rahmen der Wechselseitigkeit werden die Medianten gezielt durch den Mediator dazu bewegt, sich mit dem anderen Medianten, also dem Diskurspartner auseinanderzusetzen. Dies stellt ein effektives Instrument zur Verwirklichung des Diskursprinzips der Vorurteilsfreiheit101 dar. Wer die Wünsche und Bedürfnisse des Anderen kennt, über diese nachdenkt und Hintergründe zum Verhalten der Sichtweise im Diskurs erfährt, wird Vorurteile abbauen. Der Mediator verwendet die Methode der Wechselseitigkeit, um derartige Effekte wie gegenseitiges Verständnis und Abbau von Vorurteilen hervorzurufen. Diskurstheoretisch leistet die Methode der Wechselseitigkeit einen Beitrag zur Annäherung an den idealen Diskurs. In Bezug auf das Diskursprinzip der Vorurteilsfreiheit hat sie ideal-approximative Wirkung. Dabei bleibt es jedoch nicht. Die Methode der Wechselseitigkeit entpuppt sich auch als praktisches Mittel, einen Beitrag zur Verwirklichung des Diskursprinzips des Rollentauschs zu leisten. Eine Technik im Rahmen der Wechselseitigkeit ist es, 100 101

Ausführlich zur Methode der Wechselseitigkeit mit Nachweisen siehe oben Kapitel A. V. Siehe zum Diskursprinzip der Vorurteilsfreiheit Kapitel C. III. 4. a) gg).

256

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

die Medianten konkret aufzufordern, sich in die Rolle des Anderen oder eines Dritten hineinzuversetzen.102 Gegenseitiges Verständnis kann mit einem derartigen Perspektivwechsel entstehen. Der daraus folgende diskurstheoretische Befund erscheint jedoch noch bedeutsamer. Es zeigt sich, dass im realen Diskurs der Mediation eine Technik im Rahmen der Wechselseitigkeit angewendet wird, die zu einer konkreten Annäherung an den idealen Diskurs beiträgt. Damit hat die Wechselseitigkeit auch mit Blick auf das Diskursprinzip des Rollentauschs eine ideal-approximative Wirkung.

3. Ideal-approximative Wirkung sonstiger Wesensmerkmale der Mediation Neben den Mediationsprinzipien und Mediationsmethoden lassen sich weitere Wesensmerkmale der Mediation ausmachen, die zu einer Annäherung an den idealen Diskurs beitragen. a) Förderung des subjektiv echten Interesses an Richtigkeit Besonders hervorzuheben ist die Motivation der Parteien und der Umgang mit dieser in der Mediation. Dies wurde oben bereits umfangreich im Rahmen der ersten Diskursthese der Mediation erörtert.103 Dort wurde festgehalten, dass in der Mediation Mechanismen bestehen, die dazu führen, dass in der Regel von Parteien nicht nur objektiv ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird, sondern, dass sie auch subjektiv ein echtes Interesse an einem richtigen Ergebnis, das heißt einem gerechten Interessenausgleich haben. Dies konnte über drei Wesensmerkmale der Mediation begründet werden. Erstens wird den Parteien insbesondere zu Beginn der Mediation der Raum für ihre Emotionen gegeben. Wer Emotionen im geschützten Raum der Mediation ausleben durfte, ist im Anschluss geeigneter und offener für eine sachliche Auseinandersetzung104, mithin einen rationalen Diskurs. Zweitens kann die Methode der Selbstbehauptung erneut in Ansatz gebracht werden. Wer seine eigenen Interessen formulieren darf und wem zugehört wird, fühlt sich wahr- und ernstgenommen.105 Unter diesen Bedingungen besteht regelmäßig ein geringeres Bedürfnis, den Anderen herabzuwürdigen. Der Weg zu einem echten, subjektiven Interesse der Medianten an einem gerechten Ergebnis wird geebnet. Drittens kann erneut die Methode der Wechselseitigkeit herangezogen werden. Wer mit den Wünschen und Bedürfnissen des Anderen konfrontiert wird, wird angeregt über diese nachzudenken und sich auch in die Rolle des Gegenübers hin102

Siehe dazu mit Nachweisen oben Kapitel A. V. Siehe oben Kapitel E. I. 3. d). 104 Siehe dazu mit Nachweisen oben Kapitel A. IV. 2. Siehe ferner Kapitel B. I. 4. a) gg). 105 Siehe dazu mit Nachweisen Kapitel A. V. (Methode der Selbstbehauptung) und Kapitel A. IV. 2. 103

II. Zweite Diskursthese der Mediation: Idealthese

257

einzuversetzen; auf diese Weise entwickelt er regelmäßig Verständnis für das Gegenüber.106 Der Ausdruck des gegenseitigen Verständnisses ist zu Beginn einer Mediation in der Regel nicht vorstellbar, gleichzeitig wichtige Grundlage für eine nachhaltige Konfliktlösung. Spätestens nach einem solchen Prozess ist es den Medianten wichtig, ein Ergebnis zu finden, das auch für den Anderen akzeptabel ist.107 Das Begehren eines eigensüchtigen Vorteils unter bloßer Vorspiegelung des Interesses an Richtigkeit wandelt sich zu einem subjektiven Interesse an einem richtigen Ergebnis. Auf dieser Grundlage beginnt die diskursive Suche nach einem solchen Ergebnis, also einem, welches das Prädikat „gerechter Interessenausgleich“ verdient. Es zeigt sich, dass die Mediation in mehrfacher Hinsicht das echte subjektiv getragene Interesse an einem richtigen Ergebnis fördert. Im idealen, also vollkommenen Diskurs teilen alle Diskursteilnehmer dieses Interesse. Für den realen Diskurs der Mediation wird nicht erreicht werden können, dass stets alle Mediationsteilnehmer ein echtes Interesse an Richtigkeit mitbringen oder entwickeln. Nach dem oben Gesagten zeigt sich jedoch, dass die Mediation ein überaus taugliches Verfahren darstellt, dieses Interesse zu fördern. Auch dies bringt sie dem idealen Diskurs ein Stück näher. b) Berücksichtigung einer wesentlichen Diskursregel Des Weiteren weist die dritte Phase der Mediation, also die Interessensammlung als Herzstück des Verfahrens108, eine ideal-approximative Wirkung auf. Dies zeigt ein Blick auf eine elementare Diskursregel Alexys. Sie lautet: „Jeder darf seine Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse äußern.“109

Ganz im Sinne dieser Diskursregel sind die Parteien in der dritten Phase gefordert, eben diese Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren. Damit findet sich eine elementare Diskursregel als konstitutive Phase der Mediation wieder. Die Umsetzung der dritten Phase der Mediation dient damit der Befolgung einer Diskursregel, die im idealen Diskurs ohnehin befolgt würde, im realen Diskurs durchgesetzt werden muss. Damit trägt auch das Bestehen der dritten Mediationsphase zur Annäherung an den idealen Diskurs bei.

106

Siehe oben mit Nachweisen Kapitel A. V. und Kapitel A. IV. 3. Vgl. Kapitel A. V. und Kapitel A. IV. 3. 108 Kessen/Troja, in: Handbuch Mediation, § 13, S. 293 (303) Rn. 26; ausführlich zur dritten Phase mit zahlreichen Nachweisen siehe Kapitel A. IV. 3. 109 Alexy, Die juristische Argumentation als rationaler Diskurs in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, S. 118. 107

258

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

4. Die diskurstheoretische Rolle des Mediators als Hüter des Diskurses Schließlich ist die diskurstheoretische Rolle des Mediators zu untersuchen. Der Mediator nimmt selbst nicht unmittelbar als Diskursteilnehmer am Mediationsdiskurs teil. Wie sich schon aus dem Prinzip der Neutralität ergibt, legt der Mediator keine eigenen Argumente, keinen eigenen Standpunkt und auch keine normative Bewertung dar. Insbesondere hat er keine Entscheidungsbefugnisse und macht grundsätzlich keine Lösungsvorschläge.110 All dies ist im Sinne des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit Aufgabe der Parteien. Sie führen den Diskurs. Damit nimmt der Mediator eine diametral andere Rolle ein als der entscheidungsbefugte und der Begründungspflicht unterworfene Richter. Eine Mediation ohne Mediator ist nicht möglich; seine Rolle als neutraler, nicht entscheidungsbefugter Dritter ist konstitutiv für die Mediation. An dieser Stelle ist nach seiner diskurstheoretischen Bedeutung zu fragen. Diese ist, wie im Folgenden darzulegen ist, fundamental. Es ist Aufgabe des Mediators, die Mediationsphasen durchzuführen, die Mediationsprinzipien einzuhalten und die Mediationsmethoden der Selbstbehauptung und der Wechselseitigkeit anzuwenden. Wie im Vorangegangenen ausführlich begründet wurde, haben die Mediationsprinzipien und die Mediationsmethoden ideal-approximative Wirkung, führen also zu einer Annäherung an den idealen Diskurs. Inwieweit dies in der konkreten Mediation gelingt, ist abhängig vom Mediator. Er ist damit nicht nur Leiter des Diskurses, sondern auch Hüter des Diskurses. Setzt er die Phasen der Mediation um, beachtet er die Mediationsprinzipien und arbeitet mit den Mediationsmethoden, folgt daraus die Annäherung an den idealen Diskurs. Versagt er hingegen bei dieser verantwortungsvollen und schwierigen Aufgabe, ist er umgekehrt für eine Entfernung vom idealen Diskurs verantwortlich. Der Mediator nimmt damit eine diskurstheoretische Schlüsselrolle im Mediationsdiskurs ein. Ergänzend kann noch angeführt werden, dass der Mediator zur Verwirklichung eines weiteren bisher nicht im Kontext der Mediation behandelten Diskursprinzips beiträgt. Das Diskursprinzip der sprachlich-begrifflichen Klarheit verlangt, dass relativ bezogen auf die tatsächlichen Umstände eine möglichst weitgehende sprachlich-begriffliche Klarheit der Diskursteilnehmer zu erreichen ist.111 In der Mediation drücken sich die Medianten unter anderem aufgrund der emotional aufreibenden Situation häufig unklar aus. Der Mediator sorgt durch Nachfragen und die Technik des Zusammenfassens für Klarheit im Diskurs. Dies trägt zum besseren Verstehen der Medianten untereinander bei. Diskurstheoretisch bedient der Mediator damit das Diskursprinzip der sprachlich begrifflichen Klarheit. 110 Selbst bei einem Verständnis der aktiven Mediation sollten Lösungsvorschläge des Mediators eine Ausnahme sein. Zum Unterschied zwischen aktiver und passiver Mediation siehe oben Kapitel A. I. 2. a) aa) (2). 111 Siehe mit Nachweisen zum Diskursprinzip der sprachlich-begrifflichen Klarheit oben Kapitel C. III. 4. a) dd).

II. Zweite Diskursthese der Mediation: Idealthese

259

5. Zusammenfassung anhand der Diskursprinzipien und Bestätigung der Idealthese In der jungen und praxisorientierten Mediationswissenschaft war bisher nicht klar, dass mit der Mediation ein Verfahren entwickelt wurde, mit dem eine Annäherung an den idealen Diskurs in realen, also unvollkommenen Diskursen erreicht werden kann. Eben dies konnte aber in dieser Arbeit begründet werden. Die Ergebnisse aus der ersten und insbesondere der zweiten Diskursthese sollen im Folgenden zusammengefasst werden, wobei deutlich wird, dass alle Diskursprinzipien in der Mediation Berücksichtigung finden. Erstens wird dem Diskursprinzip der Zeit Rechnung getragen. In der Mediation wird dem Konflikt auf flexible Art und Weise hinreichend Zeit eingeräumt. Ein mediationsspezifischer Zeitdruck besteht nicht.112 Zweitens findet das Diskursprinzip der Teilnehmerschaft Berücksichtigung.113 In der Mediation besteht anders als im Gerichtsprozess die Möglichkeit, alle konfliktrelevanten Parteien durchgehend oder partiell zu beteiligen. Drittens gilt in der Mediation das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit in Form der Mediationsprinzipien Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit.114 Das Diskursprinzip der Zwanglosigkeit wird zudem wesentlich durch die Anwendung der Methode der Selbstbehauptung verwirklicht.115 Viertens entspricht das Diskursprinzip der empirischen Informiertheit weitgehend dem Mediationsprinzip der Informiertheit und es wird angepasst an die konkrete Situation und die Ziele der Mediation umgesetzt.116 Fünftens wird das Diskursprinzip des Rollentauschs durch Anwendung der Methode der Wechselseitigkeit und Durchführung der dritten Mediationsphase verwirklicht.117 Dies gilt sechstens auch für das Diskursprinzip der Vorurteilsfreiheit.118 Schließlich führen neben anderen Wesensmerkmalen der Mediation die Methoden der Selbstbehauptung und Wechselseitigkeit dazu, dass die Medianten ein echtes subjektives Interesse an einem richtigen Ergebnis, das heißt einem gerechten Interessenausgleich suchen. All dies begünstigt eine Annäherung an den idealen Diskurs, wobei dem Mediator eine entscheidende Schlüsselrolle als Hüter des Diskurses zukommt. Er ist für die 112 113 114 115 116 117 118

Ausführlich siehe oben Kapitel E. I. 3. c) bb). Ausführlich siehe oben Kapitel E. I. 3. c) aa). Siehe oben Kapitel E. III. 1. a). Siehe oben Kapitel E. III. 2. a). Siehe oben Kapitel E. III. 1. b). Siehe oben Kapitel E. III. 2. b) und 3. a). Siehe oben Kapitel E. III. 2. b) und 3. a).

260

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

Anwendung der Mediationsprinzipien und Methoden verantwortlich und damit für die Annäherung an den idealen Diskurs. Nicht zuletzt trägt er durch seine Nachfragen und Zusammenfassungen dazu bei, das Diskursprinzip der sprachlich-begrifflichen Klarheit zu verwirklichen. Es konnte begründet werden, dass in der Mediation alle Diskursprinzipien berücksichtigt werden, wobei insbesondere den Mediationsprinzipien und den Mediationsmethoden eine ideal-approximative Wirkung zukommt. Mit der Mediation liegt ein realer, also unvollkommener Diskurs vor, der jedoch so ausgestaltet ist, dass eine Annäherung an den idealen Diskurs stattfindet. Die zweite Diskursthese der Mediation in Form der Idealthese ist damit bestätigt.

III. Einordnung der Mediation in ein diskursives Rechtsmodell Aufbauend auf der bisherigen diskurstheoretischen Analyse ist die Frage zu beantworten, ob die Mediation in das diskursive Rechtsmodell Alexys119 eingeordnet werden kann. Dazu ist zunächst der Fall in den Blick zu nehmen, in dem die Medianten keinen Konsens im Diskurs erzielen. In einem solchen Fall des fehlenden Konsenses kann die Mediation nicht abgeschlossen werden. Dies zeigt die mangelnde Entscheidungsdefinität realer Diskurse, die auch für die Mediation gilt. Die Mediation hält, wie oben dargelegt, eine ganze Apparatur von Mitteln zur Konsenserzielung im Diskurs bereit, kann den Konsens aber nicht garantieren. Der Konflikt bleibt also ungelöst und muss in das Diskursmodell des Rechts zurückgeworfen werden. Dort ist eine Entscheidungsdefinität durch die vierte Stufe, also das Urteil am Ende eines Gerichtsprozesses, garantiert. Das diskursive Rechtsmodell mit der Stufe des Gerichtsprozesses dient gerade dazu, die mangelnde Entscheidungsdefinität realer Diskurse zu überwinden.120 Aus diesem Befund lässt sich die Funktion der Mediation im Diskursmodell des Rechts ableiten. Die Mediation nimmt eine Ergänzungsfunktion ein. Ein Konflikt kann auch von vornherein über die vierte Stufe des Diskursmodells des Rechts, also den Gerichtsprozess, gelöst werden. Die Mediation ist also nicht notwendig, um einen Konflikt zu lösen. Sie ist aber aus zahlreichen Gründen sinnvoll. Die Gründe, warum eine Mediation sinnvoll ist, wurden im zweiten Kapitel umfangreich systematisiert.121 Warum sie diskurstheoretisch den Vorzug verdient, ist Gegenstand der soeben ausgeführten Idealthese.122 Es ist jedoch auch deutlich, dass sie keinen 119 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Nachwort, S. 430 f.; siehe dazu ausführlich mit weiteren Nachweisen Kapitel D. II. 3. a) aa). 120 Siehe oben mit Nachweisen Kapitel D. II. 3. a) aa). 121 Siehe oben Kapitel B. 122 Siehe oben Kapitel E. III.

IV. Fazit zum Vergleich von Mediationsdiskurs und Gerichtsprozess

261

Konsens und mangels einer Urteilsgarantie keine Entscheidungsdefinität garantieren kann. Die Mediation ist rein diskursiv. Nur im Diskursmodell des Rechts ist eine Entscheidung durch den Gerichtsprozess garantiert. Da Konflikte in der Regel eine Antwort darüber, wie der Konflikt praktisch gelöst werden kann, verlangen, kann die Mediation nicht das einzige Konfliktlösungsverfahren darstellen. Es ist wahrscheinlich, dass in der Mediation diskursiv ein Konsens erzielt wird, aber er ist nicht garantiert, weshalb die Mediation notwendig nur eine Ergänzungsfunktion zum gerichtlichen Verfahren einnehmen kann und dieses nicht ersetzt. Die Mediation ist damit nicht notwendiger Bestandteil des diskursiven Rechtsmodells, gleichwohl aufgrund der umfangreich begründeten Annäherung an den idealen Diskurs eine diskurstheoretisch sinnvolle Ergänzung dieses Modells.

IV. Fazit zum Vergleich von Mediationsdiskurs und Gerichtsprozess Nach dieser diskurstheoretischen Analyse des juristischen Diskurses, insbesondere des Gerichtsprozesses und des Mediationsdiskurses werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Folgenden zusammengefasst. Eine wichtige Gemeinsamkeit ist, dass sowohl der Gerichtsprozess als auch die Mediation zur Klasse der realen allgemeinen praktischen Diskurse gehören. In beiden werden praktische Fragen mit einem Anspruch auf Richtigkeit diskutiert. Die praktische Frage ist in beiden Fällen, wie in einem Konflikt der Ausgleich der widerstreitenden Interessen auf gerechte Art und Weise zu lösen ist. Der Mediationsdiskurs ist als realer Diskurs nicht entscheidungsdefinit. Lediglich im diskursiven Rechtsmodell kann über den Gerichtsprozess eine Entscheidung garantiert werden. In der Klasse der diskursiv möglichen Antworten ist dies jedoch eine außerdiskursive Festsetzung.123 Die Unterschiede sind qualifizierender Art. Der erste Unterschied lässt sich im Richtigkeitsbegriff verorten. In der Mediation gilt ein weiter Richtigkeitsbegriff. Wie schon bei der ersten Diskursthese der Mediation erörtert und im Rahmen der Idealthese vertieft, führen die Mediationsprinzipien und die Methoden der Selbstbehauptung und Wechselseitigkeit regelmäßig zu einem echten, subjektiven Interesse an gerechtem Interessenausgleich und gegenseitigem Verständnis. Auf dieser Grundlage erarbeiten die Parteien einen von ihnen im Sinne der Eigenverantwortlichkeit akzeptierten Konsens. Dieser ist Grundlage für einen materiellen Frieden und nicht bloß formellen Rechtsfrieden. Ein solcher Frieden als Ziel der Mediation prägt ihren Richtigkeitsbegriff.

123

Siehe oben Kapitel D. II. 3. a) aa).

262

E. Diskurstheoretische Analyse der Mediation

Im Gerichtsprozess und allen juristischen Diskursen muss eine Entscheidung nicht „schlechthin vernünftig“ sein, sondern nur im Rahmen der geltenden Rechtsordnung begründet werden.124 Dieser Richtigkeitsbegriff umfasst zwar mittelbar auch den Begriff der allgemeinen praktischen Richtigkeit125, ist aber wegen der Gesetzesbindung im Ergebnis deutlich enger. Im juristischen Diskurs wird zudem regelmäßig lediglich objektiv ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben. Der zweite Unterschied wurde umfassend im Rahmen der Sonderfallthese der Mediation im engeren Sinne dargelegt. Der juristische Diskurs unterliegt spezifischen Einschränkungen der Diskurssituation, weshalb er als einschränkungsbedingter Sonderfall zu bezeichnen ist. Der Mediationsdiskurs weist ebenfalls Spezifika auf, die jedoch nicht zu einer Einschränkung des Diskurses führen. Die Mediation ist rein diskursiv und bildet einen nicht einschränkungsbedingten Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses. Der dritte Unterschied besteht darin, dass, wie ausführlich im Rahmen der Idealthese begründet werden konnte, zahlreiche Mediationsprinzipien, Mediationsmethoden sowie weitere Wesensmerkmale der Mediation zu einer deutlichen Annäherung an den idealen Diskurs führen. Dies konnte für den juristischen Diskurs nicht festgestellt werden, der vielmehr zahlreiche Einschränkungen der Diskurssituation mit sich bringt. Auf Grundlage dieses Fazits kann im nächsten und abschließenden Kapitel dieser Arbeit ein diskurstheoretisches Legitimationsmodell der Mediation festgehalten werden. Ebenso sind Rückschlüsse auf die Diskurstheorie Alexys, die aus der diskurstheoretischen Analyse der Mediation folgen, festzuhalten.

124 125

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 264. Siehe ausführlich oben mit Nachweisen Kapitel D. II. 3.

F. Diskurstheoretische Legitimation der Mediation und Bestätigung der Diskurstheorie I. Universelle, überpositive, diskurstheoretische Legitimation der Mediation Aufgrund der vorangegangen Untersuchungen kann gesagt werden, dass die Mediation ein rationaler Diskurs ist. In diesem diskutieren die Medianten praktische Fragen mit einem Anspruch auf Richtigkeit. Die Mediation enthält zahlreiche Mechanismen, die dazu führen, dass diese nicht nur objektiv einen Anspruch auf Richtigkeit erheben, sondern dass sie regelmäßig subjektiv einen Anspruch auf Richtigkeit verfolgen. Der Begriff der Richtigkeit bleibt auch im Rahmen der Mediation rein prozedural. Das heißt, richtig ist das, was die Parteien als gerechten Interessenausgleich zur nachhaltigen Befriedung im Diskurs als Diskursteilnehmer ermitteln. Weder die Mediation noch die Diskurstheorie legen einen weitergehenden inhaltlichen Richtigkeitsbegriff zu Grunde. Dies entspricht der in der Mediation fokussierten subjektiven Berücksichtigung der Parteimaßstäbe.1 Zudem konnte begründet werden, dass die Mediation eine Diskurssituation schafft, die zu einer Annäherung an den idealen Diskurs führt. Das Korrelat der Begründung der Richtigkeitsthese und Idealthese der Mediation ist die überpositive und universelle Legitimation dieses Verfahrens. Ein realer praktischer Diskurs, in dem ein Anspruch auf Richtigkeit erhoben und regelmäßig subjektiv verfolgt wird und der gleichzeitig eine derart große Vielzahl von Spezifika bereithält, die zu einer Annäherung an den idealen Diskurs führen, ist ein begründetes, das heißt legitimes Konfliktlösungsverfahren. Dies erfüllt zwei Funktionen: Erstens ist der Praxis damit eine feste Basis gegeben, eine theoretische Grundlage, die die Tätigkeit des Mediators und das Agieren der Medianten im Mediationsdiskurs legitimiert. Zweitens soll es jeden in der Praxis tätigen Mediator anregen, das Ideal des Diskurses in der real stattfindenden Mediation stets im Blick zu halten. Die Praxis erhält also einen diskursiven und handhabbaren Maßstab, der frei ist von aufoktroyierten materiellen Gerechtigkeitsbegriffen. Die Legitimation ist überpositiv, weil sie nicht vom Maßstab eines Mediationsgesetzes abhängt. Die in dieser Arbeit begründete Legitimation des Mediationsverfahrens gilt für alle in der Praxis stattfindenden Mediationen, unabhängig davon, ob es Gesetze zur Mediation gibt oder nicht. Freilich ist eine gesetzliche Legiti1

Siehe dazu mit Nachweisen oben Kapitel A. IV. 4. a) bb).

264

F. Diskurstheoretische Legitimation der Mediation

mation, wie sie in Deutschland mit dem Mediationsgesetz nunmehr existiert, zu begrüßen. Die Mediation ist aber nicht abhängig von dieser. Sie ist überpositiv über die Diskurstheorie legitimiert. Die Legitimation ist in doppelter Hinsicht universell. Zum einen ist sie nicht an eine Mediation in einem bestimmten Anwendungsbereich gebunden. Die diskurstheoretische Analyse orientiert sich vielmehr am Grundmuster der Mediation und der Methodik, wie sie jeder Mediation zu Grunde liegt. Zum anderen ist sie universell, weil sowohl Mediation als auch Diskurstheorie nicht in den engen Grenzen eines Nationalstaates stattfinden. Beides überwindet die Nationalstaatlichkeit, womit auch von Globalität gesprochen werden kann. Es ist hervorzuheben, dass aus der hier vertretenen überpositiven und universellen Legitimität der Mediation keine Illegitimität des Gerichtsprozesses folgt. Vielmehr wurde in dieser Arbeit der Alexyschen Sonderfallthese gefolgt. Die dortigen einschränkenden Spezifika sind nicht von der Hand zu weisen und es konnte begründet werden, dass die Mediation eine ernstzunehmende, in vielen Fällen vorzugswürdige Alternative darstellt. Gleichzeitig kann aber nur im Rechtssystem eine Entscheidung durch ein Urteil garantiert werden. Schon daraus folgt die oben dargelegte Ergänzungsfunktion der Mediation. Sie kann und will den Gerichtsprozess nicht ersetzen, sondern neben diesem als Möglichkeit der Konfliktlösung einen Platz behaupten.

II. Bestätigung der Diskurstheorie durch Übertragung auf die Mediation Mit der in dieser Arbeit vorgenommenen diskurstheoretischen Analyse am Maßstab der Alexyschen Diskurstheorie entfalten sich nicht nur positive Wirkungen für die Mediation, sondern in ganz erheblichem Maße auch für die Diskurstheorie Alexys. Drei wesentliche Vorzüge hat die Alexysche Diskurstheorie im Rahmen der Untersuchung offenbart. Erstens konnte gezeigt werden, dass diese Theorie, insbesondere über das Zwei-Ebenen-Modell des Diskurses und den daraus ableitbaren Diskursprinzipien, einen praktisch anwendbaren Maßstab zur Beurteilung und Überprüfung real stattfindender Diskurse bereithält. Über sie kann festgestellt werden, ob spezifische Kommunikationsgeschehen als Richtigkeitsdiskurse eingestuft werden können. Zudem kann, insbesondere über die hier eingeführte Unterscheidung zwischen einschränkungsbedingtem und nicht einschränkungsbedingtem Sonderfall, ermittelt werden, wie nah ein solcher Diskurs dem idealen Diskurs steht. Die Funktion dieser Theorie als Überprüfungsmaßstab hat nach der Sonderfallthese Alexys damit einen weiteren Anwendungsbereich, nämlich den der Mediation erhalten. Die zweite wesentliche Erkenntnis für die Alexysche Diskurstheorie ist ihre legitimierende Wirkung. Kann festgestellt werden, dass ein Kommunikationsgeschehen ein Richtigkeitsdiskurs ist, und kann dieser zudem als ideal-approximativ

II. Bestätigung der Diskurstheorie

265

eingestuft werden, so kann daraus, wie hier für die Mediation, eine universelle und überpositive Legitimationswirkung abgeleitet werden. Drittens weist das Gesamtsystem der Diskurstheorie des Rechts einen ordnenden Charakter auf. Alexy hat bereits die Einordnung des Gerichtsprozesses in das Diskursmodell des Rechts vorgenommen. In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass auch die Funktion eines ganz anderen Konfliktlösungsverfahrens im Rahmen dieses Modells ermittelt werden kann. Viertens und abschließend unterstreicht die Anwendbarkeit der Diskurstheorie im recht neuen und sehr praxisnahen Kontext der Mediation ihre Universalität sowie ihre praktische Bedeutung.

Literaturverzeichnis Aarnio, Aulis: Taking Rules seriously, in: Law and the State in modern Times. Proceedings of the 14th IVR World Congress in Edinburgh, Maihofer, Werner/Sprenger, Gerhard, ARSPBeiheft 42, Stuttgart 1990, S. 180 – 192. Aarnio, Aulis/Alexy, Robert/Peczenik, Aleksander: Grundlagen der juristischen Argumentation, in: Methatheorie juristischer Argumentation, Alexy, Robert/Krawietz, Werner (Hrsg.), Berlin 1983, S. 180 – 192. Afonso Da Silva, Virgilio: Grundrechte und gesetzgeberische Spielräume, Baden-Baden 2003. Albrecht, Britta: Mediation im Arbeitsrecht – Individualarbeitsrecht und Betriebsverfassungsrecht, Göttingen 2001. Alexander, Nadja Marie: Wirtschaftsmediation in Deutschland – Möglichkeiten anhand internationaler, insbesondere australischer, Erfahrungen, Tübingen 1998. Alexy, Robert: Begriff und Geltung des Rechts, 2. Aufl., Freiburg, München 1994. ¢ Bulygins Kritik des Richtigkeitsarguments, in: Normative Systems in Legal and Moral Theory. Festschrift für Carlos E. Alchourron und Eugenio Bulygin, Garzon Valdes/Krawietz, Werner u.a (Hrsg.), Berlin 1997, S. 235 – 250. ¢ Die Gewichtsformel, in: Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, Jickeli, Joachim/ Kreutz, Peter/Reuter, Dieter (Hrsg.), Berlin 2003, S. 771 – 792. ¢ Die juristische Argumentation als rationaler Diskurs, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, Alexy, Robert/Dreier, Ralf (Hrsg.), S. 113 – 122. ¢ Diskurstheorie und Menschenrechte, in: Recht, Vernunft, Diskurs, Alexy, Robert (Hrsg.), Frankfurt a.M., S. 127 – 164. ¢ Diskurstheorie und Rechtssystem, Synthesis Philosophica 5 (1988), S. 299 – 310. ¢ Eine diskurstheoretische Konzeption der praktischen Vernunft, in: Rechtssystem und praktische Vernunft, Alexy, Robert/Dreier, Ralf (Hrsg.), ARSP-Beiheft 51, Stuttgart 1993, S. 11 – 29. ¢ Idee und Struktur eines vernünftigen Rechtssystems, in: Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, Alex, Robert/Dreier, Ralf/Neumann, Ulfried, ARSP Beiheft 44, Stuttgart 1991, S. 30 – 44. ¢ Law, Discourse and Time, ARSP-Beiheft 64 (1995), S. 101 – 110. ¢ Menschenrechte ohne Metaphysik?, DZPhil 2004, S. 15 – 24. ¢ Normbegründung und Normanwendung, in: Recht, Vernunft, Diskurs, Alexy, Robert (Hrsg.), Frankfurt a.M. 1995, S. 52 – 70. ¢ Ota Weinbergers Kritik der diskurstheoretischen Deutung juristischer Rationalität, in: Institution und Recht. Grazer Internationales Symposium zu Ehren von Ota Weinberger, Koller,

Literaturverzeichnis

267

Peter/Krawietz, Werner/Strasser, Peter (Hrsg.), Rechtstheorie Beiheft 14, Berlin 1994, S. 143 – 157. ¢ Probleme der Diskurstheorie, in: Recht, Vernunft, Diskurs, Alexy, Robert (Hrsg.), Frankfurt a.M. 1995, S. 109 – 126 ¢ Recht und Richtigkeit, in: The Reasonable as Rational. Festschrift für Aulis Aarnio, Krawietz, Werner/Summers, Robert S./Weinberger, Ota/von Wright, Georg Henrik, Berlin 2000, S. 3 – 19. ¢ Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Elemente einer juristischen Begründungslehre, Alexy, Robert/Dreier, Ralf (Hrsg.), S. 217 – 233. ¢ Theorie der Grundrechte, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2001. ¢ Theorie der juristischen Argumentation – Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 2001. ¢ Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Prinzipien und Elemente im System des Rechts, Schilcher, Bernd/Koller, Peter/Funk, Bernd-Christian, Wien 2000., S. 31 – 52. Amy, Douglas J.: The Politics of Environmental Mediation, New York 1987. Apel, Karl-Otto: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik. Zum Problem einer rationalen Begründung der Ethik im Zeitalter der Wissenschaft, in: Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, Apel, Karl-Otto (Hrsg.), Frankfurt a.M. 1973, S. 358 – 435. Atienza, Manuel: Las razones del derecho. Teorias de la argumentacion juridical, 2. Aufl. Madrid 1993. Ayad, Patrick: Alternative Streitbeilegung/Alternative Dispute Resolution. The Use of Incentives to settle in English Civil Procedure, IDR 2005, S. 123 – 134. Bäcker, Carsten: Begründen und Entscheiden – Kritik und Rekonstruktion der alexyschen Diskurstheorie des Rechts, Baden-Baden 2008. ¢ Begründen und Begründen und Entscheiden – Kritik und Rekonstruktion der alexyschen Diskurstheorie des Rechts, 2. Aufl., Baden-Baden 2012. ¢ Die diskurstheoretische Notwendigkeit der Flexibilität im Recht, in: Objektivität und Flexibilität im Recht. Tagungen des jungen ForumsRechtsphilosophie, Bäcker, Carsten/Baufeld, Stefan (Hrsg.), ARSP-Beiheft 103, Stuttgart 2005, S. 96 – 110. ¢ Recht als institutionalisierte Vernunft?, ARSP 97 (2011), S. 346 – 359. Bargen, Jan Malte von: Gerichtsinterne Mediation – eine Kernaufgabe rechtsprechender Gewalt, Tübingen 2008. Bastine, Reiner/Wetzel, Antje: Familienmediation. Empirische Untersuchungen und Modellprojekte in Deutschland und Österreich, in: Mediation als Kooperation, Petermann, Franz/ Pietsch, Katharina (Hrsg.), Salzburg 2000, S. 52 – 103. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Entstehung der Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Recht, Staat, Freiheit, Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Böckenförde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.), Frankfurt a.M. 2006, S. 92 – 114. Böhmke, Frank: Konflikte lösen durch Schulmediation, Kronshagen 2005.

268

Literaturverzeichnis

Borowski, Martin: Grundrechte als Prinzipien. Die Unterscheidung von prima facie – Position und definitiver Position als fundamentaler Konstruktionsgrundsatz der Grundrechte, BadenBaden 1998. Brandt, Editha/Becker, Markus A.: Stellung des beratenden Rechtsanwalts im Mediationsverfahren, FF 2006, S. 300 – 304. Braun, Carl: Diskurstheoretische Normenbegründung in der Rechtswissenschaft, Rechtstheorie 19 (1988), S. 238 – 261. Breidenbach, Stephan: Mediation – Komplementäre Konfliktbehandlung durch Vermittlung, in: Mediation für Juristen: Konfliktbehandlung ohne gerichtliche Entscheidung, Köln 1997, S. 1 – 11. ¢ Mediation: Struktur, Chancen und Risiken von Vermittlung im Konflikt, Köln 1995. Breidenbach, Stephan/Gläßer, Ulla: Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Spektrum der Mediationsziele, Kon:sens 1999, S. 207 – 212. Brown, Henry J./Marriott, Arthur L.: ADR principles and practice, 2. Aufl., 1999. Buchwald, Delf: Der Begriff der rationalen juristischen Begründung. Zur Theorie der juridischen Vernunft, Baden-Baden 1990. Buligyn, Eugenio: Alexy und das Richtigkeitsargument, in: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz, Aarnio, Aulis/Paulson Stanley/Weinberger, Ota (Hrsg.), Berlin 1993, S. 19 – 24. Canaris, Claus-Wilhelm: Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz entwickelt am deutschen Privatrecht, 2. Aufl., Berlin 1983. Chrocziel, Peter/von Samson-Himmelstjerna, Friedrich R.: Mediation im Gewerblichen Rechtsschutz, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 27, S. 665 – 680. Cormick, Gerald W: The „Theory“ and Practice of Environmental Mediation, 2 Environmental Professional 1980, S. 24 – 33. Dahrendorf, Ralf Gustav: Konflikt und Freiheit. Auf dem Weg zur Dienstklassengesellschaft, München 1972. Dauner, Friedrich: Mediation auf dem Weg zur Profession?, in: Professionalisierung und Mediation, Schlieffen von, Katharina (Hrsg.), München 2010, S. 79 – 89. Dendorfer, Renate/Krebs, Thomas: Konfliktlösung durch Mediation bei Gesellschafterstreitigkeiten, MittBayNot 2008, S. 85 – 92. Diez, Hannelore: Werkstattbuch Mediation, Köln 2005. Diez, Hannelore/Thomsen, Cornelia Sabine/Krabbe, Heiner: Familien-Mediation und Kinder: Grundlagen, Methoden, Techniken, Köln 2005. Dörrenbächer, Peter: Erfolgreiche Kommunikation, Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 15, S. 363 – 380. Dreier, Ralf: Recht, Moral, Ideologie: Studien zur Rechtstheorie, Frankfurt a.M. 1981. Dulabaum, Nina L.: Mediation: das ABC – Die Kunst, in Konflikten erfolgreich zu vermitteln, 4. Aufl., Weinheim 2003.

Literaturverzeichnis

269

Duss-von Werdt, Joseph: Homo Mediator – Geschichte und Menschenbild der Mediation, Stuttgart 2005. ¢ Die letzten 2500 Jahre der Mediation, in: Mediation – die neue Streitkultur: kooperatives Konfliktmanagement in der Praxis, Geißler, Peter/Rückert, Klaus (Hrsg.), Wien 1999, S. 115 – 132. Duve, Christian: Brauchen wir ein Recht der Mediation? – Zur Zukunft rechtlicher Rahmenregelungen für die Mediation in Deutschland und Europa, AnwBl. 2004, S. 1 – 6. Dworkin, Ronald: Taking Rights Seriously, Cambridge 1978. Eidenmüller, Horst: Ökonomische und spieltheoretische Grundlagen von Verhandlung/Mediation, in: Mediation für Juristen, Breidenbach, Stephan/Henssler, Martin (Hrsg.), Köln 1997, S. 31 – 55. ¢ Verhandlungsmanagement durch Mediation, in: Mediation in der Anwaltspraxis, Henssler, Martin/Koch, Ludwig (Hrsg.), 2. Aufl., Bonn 2004, § 2, S. 49 – 98. ¢ Vertrags- und verfahrensrechtliche Grundfragen der Mediation: Möglichkeiten und Grenzen privatautonomen Konfliktmanagements, in: Konsensuale Streitbeilegung. Akademisches Symposium zu Ehren von Peter F. Schlosser aus Anlass seines 65. Geburtstages, Breidenbach, Stefan/Coester-Waltjen, Dagmar/Heß, Burkhard/Nelle, Andreas/Wolf, Christian (Hrsg.), Bielefeld 2001, S. 45 – 99. Eidenmüller, Horst/Prause, Matthias: Die europäische Mediationsrichtlinie – Perspektiven für eine gesetzliche Regelung der Mediation in Deutschland, NJW 2008, S. 2737 – 2743. Engländer, Armin: Diskurs als Rechtsquelle? Zur Kritik der Diskurstheorie des Rechts, Tübingen 2002. ¢ Zur begrifflichen Möglichkeit des Rechtspositivismus. Eine Kritik des Richtigkeitsarguments von Robert Alexy, Rechtstheorie 28 (1997), S. 437 – 485. Esser, Josef: Grundsatz und Norm in der richterlichen Rechtsfortbildung des Privatrechts: rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpretationslehre, 3. Aufl., Tübingen 1974. Eyermann, Erich: Verwaltungsgerichtsordnung Kommentar, 13. Aufl., München 2010 (zit. Bearbeiter: Geiger, Harald) Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 58. Aufl., München 2011. Fischer, Ulrike: Mediation im Familienrecht, in: Mediation in der Anwaltspraxis, Henssler, Martin/Koch, Ludwig (Hrsg.), 2. Aufl., Bonn 2004, § 13, S. 393 – 455. Fisher, Roger/Ury, William/Patton, Bruce M.: Das Harvard Konzept – der Klassiker der Verhandlungstechnik, 23. Aufl., Frankfurt a.M. 2009. Fiss, Owen: Against Settlement, 93 Yale Law Journal 1984, S. 1075 ff. Folberg, Jay/Taylor, Alison: Mediation. A Comprehensive Guide to Resolving Conflicts without Litigation, San Francisco/Washington/London 1984. Friedman, Gary J.: A guide to divorce mediation, New York 1993. Friedrichsmeier, Hans: Der Rechtsanwalt als Mediator, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/ Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 34, S. 837 – 853.

270

Literaturverzeichnis

Geiger, Theodor: Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., Berlin 1987. Glasl, Friedrich: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater, 6. Aufl., Stuttgart 1999. Gläßer, Ulla: Institutionalisierung, Differenzierung, Professionalisierung – Mediation im Wandel, SchlHA 2010, S. 32 – 36. ¢ Mediation und Beziehungsgewalt, Frankfurt Oder 2008. Gläßer, Ulla/Kirchhoff, Lars: Interessenermittlung, ZKM 2005, S. 130 – 133. ¢ Lösungsfindung Teil 1, ZKM 2007, S. 88 – 91. ¢ Lösungsfindung Teil 2, ZKM 2007, S. 157 – 160. Gläßer, Ulla/Kublik, Johanna: Einzelgespräch in der Mediation, ZKM 2011, S. 89 – 92. Goldberg, Stephen B./Sander, Frank E.A./Rogers, Nancy H./Cole, Sarah Rudolph: Dispute Resolution: Negotiation, Mediation, and Other Processes, 5. Aufl., 2007. Gottwald, Walther: Gerichtsnahe Mediation – Erfahrungen und Lehren aus dem Modellprojekt in Niedersachsen, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 39, S. 963 – 986. ¢ Mediation in den USA, in: Mediation in der Anwaltspraxis, Henssler, Martin/Koch, Ludwig (Hrsg.), 2. Aufl., Bonn 2004, § 7, S. 203 – 252. Grabowski, Andrzej: Sonderfallthese – Ist Critique and Interpretation, Rechtstheorie 34 (2003), S. 371 – 392. Graf-Schlicker, Marie Luise: Die EU-Richtlinie zur Mediation – zum Stand der Umsetzung, ZKM 2009, S. 83 – 87. Greger, Reinhard: Die Reglementierung der Selbstregulierung – zum Referentenentwurf eines Mediationsgesetzes, ZRP 2010, S. 209 – 213. Greiter, Ivo: Die Suche nach kreativen Lösungen, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 16, S. 381 – 406. Griebe, Thomas: Mediation im Arbeitsleben – Sichtweisen eines anwaltlichen Beraters, AE 2008, S. 253 – 258. Gril, Peter: Die Möglichkeit praktischer Erkenntnis aus Sicht der Diskurstheorie. Eine Untersuchung zu Jürgen Habermas und Robert Alexy, Berlin 1998. ¢ Alexys Version einer transzendentalpragmatischen Begründung der Diskursregeln im Unterschied zu Habermas, ARSP 83 (1997), S. 206 – 216. Groß, Jürgen: Ökonomische Aspekte der Mediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/ Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 50, S. 1217 – 1230. Groth, Klaus-Martin/v. Bubnoff, Daniela: Gibt es „gerichtsfeste“ Vertraulichkeit bei der Mediation, NJW 2001, S. 338 – 342. Gulliver, Philip H.: Disputes and Negotiations. A Cross- Cultural Perspective (Studies on law and Social Control), New York 1979. Günther, Klaus: Critical Remarks on Robert Alexys „Special-Case-Thesis“, Ratio Iuris 6 (1993), S. 143 – 156.

Literaturverzeichnis

271

¢ Der Sinn der Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht, Frankfurt a.M. 1988. Habermas, Jürgen: Diskursethik – Notizen zu einem Begründungsprogramm, in: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt a.M. 1983, S. 53 – 125. ¢ Theorie der Sozialtechnologie? Eine Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann, in: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?, Habermas, Jürgen/Luhmann, Niklas (Hrsg.), Frankfurt a.M. 1971, S. 142 – 290. ¢ Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt a.M. 1995. ¢ Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1994. Haft, Fritjof: Verhandlung und Mediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 2, S. 69 – 79. ¢ Verhandlung und Mediation: Die Alternative zum Rechtsstreit, München 2000. Hain, Karl-Eberhard: Diskurstheorie und Menschenrechte. Eine kritische Bestandsaufnahme, in: Der Staat 40 (2001), S. 193 – 219. Härtel, Ines: Mediation im Verwaltungsrecht, JZ 2005, S. 753 – 763. Hartmann, Christoph: Sicherung der Vertraulichkeit, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/ Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 44, S. 1087 – 1117. Haynes, John M.: Fundamentals of Family Mediation, New York 1994. ¢ Divorce Mediation – A practical Guide for therapist and counselors, New York 1981. Hehn, Marcus: Entwicklung und Stand der Mediation – ein historischer Überblick, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 8, S. 175 – 195. Henssler, Martin: Anwaltliches Berufsrecht und Mediation, in: Mediation in der Anwaltspraxis, Henssler, Martin/Koch, Ludwig (Hrsg.), 2. Aufl., Bonn 2004, § 3, S. 99 – 147. Herzog, Catharina/Hennig, Jonas: Mediation – Aufbruch in eine neue Streitkultur, Jura 2011 , S. 929 – 936. Hess, Burkhard: Rechtsgrundlagen der Mediation, in: Mediation in der Anwaltspraxis, Henssler, Martin/Koch, Ludwig (Hrsg.), 2. Aufl., Bonn 2004, § 43, S. 1053 – 1086. Heussen, Benno: Die Organisation von Mediationsverhandlungen, in: Mediation in der Anwaltspraxis, Henssler, Martin/Koch, Ludwig (Hrsg.), 2. Aufl., Bonn 2004, § 17, S. 407 – 431. Hilber, Marc: Die Sicherung der Vertraulichkeit des Mediationsverfahrens, Hamburg 2006. Hilgendorf, Eric: Argumentation in der Jurisprudenz. Zur Rezeption von analytischer Philosophie und kritischer Theorie in der Grundlagenforschung der Jurisprudenz, Berlin 1991. ¢ Zur transzendentalpragmatischen Begründung von Diskursregeln, Rechtstheorie 26 (1995), S. 183 – 200. Holznagel, Bernd: Mediation im Verwaltungsrecht, in: Mediation für Juristen, Mediation für Juristen –Konfliktbehandlung ohne gerichtliche Entscheidung, Köln 1997, S. 147 – 160.

272

Literaturverzeichnis

Holznagel, Bernd/Ramsauer, Ulrich: Mediation im Verwaltungsrecht, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 28, S. 683 – 713. Hopt, Klaus J./Steffek, Felix: Mediation – Rechtsvergleich, Regelungsmodelle, Grundsatzprobleme, in: Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, Hopt, Klaus J./ Steffek, Felix (Hrsg.), Tübingen 2008, S. 3 – 94. Horst, Peter M.: Die Kosten der Mediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 47, S. 1147 – 1171. Hoyningen-Huene, Dagmar: Mediation – eine Alternative zum gerichtlichen Verfahren, JuS 1997, S. 352 – 354. Huhn, Martin: Die europäische Mediationsrichtlinie – keine Hilfe für die Beteiligten an Baukonflikten (Teil 1), BauR 2009, S. 1648 – 1655. ¢ Die europäische Mediationsrichtlinie – keine Hilfe für die Beteiligten an Baukonflikten (Teil 2), BauR 2009, S. 1817 – 1818. Jhering, Rudolf: Der Geist des Römischen Rechts, 3. Teil, 3. Aufl., Leipzig 1877. Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Kants gesammelte Schriften, Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Bd. IV, Berlin 1911, S. 385 – 611. Katzenmeier, Christian: Zivilprozess und außergerichtliche Streitbeilegung, ZZP 2002, S. 51 – 92. Kaufmann, Arthur: Lässt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen?, in: Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens. Beiträge anlässlich des Colloquiums zum 65. Geburtstag von Gerhard Kielweins, Jung, Heike/Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Köln 1989, S. 15 – 24. ¢ Das Verfahren der Rechtsgewinnung. Eine rationale Analyse, München 1999. Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre: Einleitung in die rechtswissenschaftliche Problematik, Studienausgabe der 1. Aufl., Matthias Jestaedt (Hrsg.), Tübingen 2008. Kempf, Eberhard: Der Psychologe als Mediator, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 35, S. 855 – 876. Kerner, Hans-Jürgen: Mediation beim Täter-Opfer-Ausgleich, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 33, S. 815 – 834. Kessen, Stefan/Troja, Markus: Phasen und Schritte der Mediation als Kommunikationsprozess, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 13, S. 293 – 319. Kessen, Stefan/Zilleßen, Horst: Leitbilder der Mediation, in: Studienbrief Umweltmediation – Eine interdisziplinäre Einführung, Förderverein Umweltmediation (Hrsg.), Bonn 1999, S. 43 – 59. Kilger, Hartmut: Mediation im Sozialrecht, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 29, S. 715 – 727.

Literaturverzeichnis

273

Klinger, Edgar/Bierbrauer, Günter: Sozialpsychologie des Verhandelns, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 5, S. 109 – 135. Klowait, Jürgen/Hill, Michael: Corprate Pledge – Königsweg zur Implementierung der Mediation in der Wirtschaft?, SchiedsVZ 2007, S. 83 – 87. Koch, Hans-Joachim/Rüßmann, Helmut: Juristische Begründungslehre, München 1982. Koch, Ludwig: Vertragsgestaltung in der Mediation, in: Mediation in der Anwaltspraxis, Henssler, Martin/Koch, Ludwig (Hrsg.), 2. Aufl., Bonn 2004, § 11, S. 323 – 356. ¢ Einführung, in: Mediation in der Anwaltspraxis, Henssler, Martin/Koch, Ludwig (Hrsg.), 2. Aufl., Bonn 2004, § 1, S. 23 – 48. König, Diana: Mediation – eine Schlüsselqualifikation, Jura 2008, S. 416 – 422. Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger: Verwaltungsgerichtsordnung, 17. Aufl., München 2011. Krabbe, Heiner: Kurz-Mediation – Die Kunst der Mediation in einer Sitzung, ZKM 2004, S. 72 – 78. Krabbe, Heiner/Fritz, Roland: Gerichtsinterne Mediation – Der Faktor „Zeit“ (Teil 1), NVwZ 2011, S. 396 – 400. ¢ Gerichtsinterne Mediation – Der Faktor „Zeit“ (Teil 2), NVwZ 2011, S. 595 – 598. Krabbe, Heiner/Kutz, Angelika: „Orchester-Mediation“, ZKM 2004, S. 111 – 116. Kracht, Stefan: Rolle und Aufgabe des Mediators – Prinzipien der Mediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 12, S. 267 – 292. Kraus, Mario H.: Um des lieben Friedens willen – Mediation in der Berliner Wohnungswirtschaft – ein Praxisbericht, GuT 2007, S. 279 – 283. Kriele, Martin: Recht und praktische Vernunft, Göttingen 1979. Kulms, Rainer: Alternative Streitbeilegung durch Mediation in den USA, in: Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, Hopt, Klaus/Steffek, Felix (Hrsg.), Tübingen 2008; S. 403 – 481. Larenz, Karl: Methodenlehre in der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., Berlin 1983. Leiss, Myrto: Einzelgespräche – ein probates Mittel in der Mediation, ZKM 2006, S. 74 – 78. Lenz, Christina: Professionalisierung der Mediation, in: Professionalisierung und Mediation, Schlieffen von, Katharina (Hrsg.), München 2010, S. 141 – 150. Lörcher, Gino/Lörcher, Thorsten: Durchsetzbarkeit von Mediationsergebnissen, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 45, S. 1119 – 1133. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984. MacCormick, Neil: Legal Reasoning and Legal Theory, Oxford 1978. Machiavelli, Niccolo: Der Fürst, Zorn, Rudolf (Hrsg.), 6. Aufl. Stuttgart 1978.

274

Literaturverzeichnis

Mähler, Gisela/Mähler, Hans-Georg: Mediation in der Praxis, in: Mediation: Die andere Scheidung, Duss-von Werdt, Joseph/Mähler, Gisela/Mähler, Hans-Georg (Hrsg.), Stuttgart 1995, S. 129 ff. ¢ Mediation eine interessengerechte Konfliktregelung, in: Mediation für Juristen, Breidenbach, Stephan/Henssler, Martin (Hrsg.), Köln 1997, S. 13 – 29. ¢ Familienmediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 19, S. 457 – 494. Mähler, Hans-Georg/Kerntke, Wilfried: Initiativen der EU – Verhaltenskodex und Richtlinenvorschlag, ZKM 2004, S. 151 – 155. Menge-Güthling, Hermann: Langenscheidts Lateinisches Großwörterbuch LateinischDeutsch, 26. Aufl., Berlin 2001. Meurer, Christina: Außergerichtliche Mediation in Arzthaftungssachen, Berlin 2008. Meyer-Goßner, Lutz: Strafprozessordnung Kommentar, 53. Aufl., München 2010 (zit. Bearbeiter: Meyer-Goßner, Lutz). Montada, Leo/Kals, Elisabeth: Mediation – Ein Lehrbuch auf psychologischer Grundlage, 1. Aufl., Weinheim 2001. ¢ Mediation – Ein Lehrbuch auf psychologischer Grundlage, 2. Aufl., Weinheim 2007. Moore, Christopher M.: The Mediation Process: Practical Strategies for Resolving Conflict, 3. Aufl., 2003. ¢ The Mediation Process: Practical Strategies for Resolving Conflict, 2. Aufl., 1996. Musielak, Hans-Joachim: Kommentar zur Zivilprozessordnung, 6. Aufl., München 2008 (zit. Bearbeiter: Musielak, Hans-Joachim). Neuenhahn, Hans-Uwe : Mediation – ein effizientes Konfliktlösungsinstrumnet auch in Deutschland, NJW 2004, S. 663 – 665. Neumann, Ulfrid: Juristische Argumentationslehre, Darmstadt 1986. ¢ Wahrheit statt Autorität. Möglichkeit und Grenzen einer Legitimation durch Begründung im Recht, in: Die Sprache des Rechts, Bd. 2: Recht verhandeln, Argumentieren, Begründen und Entscheiden im Diskurs des Rechts, Lerch, Kent D., Berlin 2005, S. 369 – 384. ¢ Neuere Schriften zur Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, Philosophische Rundschau 28 (1981), S. 189 – 216. Nolan-Haley, Jacqueline M.: Alternative Dispute Resolution, 3. Aufl., 2008. Noon, Gary P.: The corporate counsel’s guide to mediation, 2010. Oldenbruch, Hannah: Die Vertraulichkeit im Mediationsverfahren: das Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und Verfahrensrecht, Berlin 2006. Ortloff, Karsten-Michael: Gerichtsmediation und die Folgen für die Professionalisierung der Mediation, in: Professionalisierung und Mediation, Schlieffen von, Katharina (Hrsg.), München 2010, S. 119 – 120. Osterkamp, Thomas: Juristische Gerechtigkeit. Rechtswissenschaft jenseits von Positivismus und Naturrecht, Tübingen 2004.

Literaturverzeichnis

275

Paul, Christoph: Mediationsgesetz – Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, ZKM 2011, S. 119 – 121. Peczenik, Aleksander: Legal Reasoning as a Special Case of Moral Reasoning, Ratio Juris 1 (1988), S. 123 – 136. Perelman, Chaim: Fünf Vorlesungen über die Gerechtigkeit, in: Über die Gerechtigkeit, Perelman, Chaim (Hrsg.), München 1967, S. 85 – 163. Pitkowitz, Nikolaus: Der Mediations-Richtlinienvorschlag der EU: Gleichstellung der Mediation im Gerichtsverfahren, ZKM 2005, S. 68 – 71. Pitschas, Rainer/Walther, Harald: Mediation im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Frankfurt 2008. Ponschab, Reiner: Professionalisierung der Wirtschaftsmediation, in: Professionalisierung und Mediation, Schlieffen von, Katharina (Hrsg.), München 2010; S. 121 – 126. Ponschab, Reiner/Dendorfer, Renate: Mediation in der Arbeitswelt – eine ökonomisch sinnvolle Alternative, BB Beilage 2001, Nr. 2, S. 1 – 8. Ponschab, Reiner/Mauder, Sebastian/von Thun, Frank: Besser schlichten als richten: Mediation im Betrieb, NZA 2004, S. 12 – 19. Prell, Ingrid/Marx, Ansgar: Gestörte Mietverhältnisse – Mediation ein Weg für nachbarschaftliches Zusammenleben, Die Wohnungswirtschaft 2005, Nr. 2, S. 42 – 43. Probst, Martin: Mediation und Recht – Zur Umsetzung der EU-Mediationsrichtlinie, JR 2009, S. 265 – 269. ¢ Die Umsetzung der EU-Mediationsrichtlinie – was bringt das neue Mediationsgesetz?, SchlHA 2010, S. 40 – 43. Pruitt, Dean G.: Achieving Integrative Agreements, in: Negotiating in organizations, Bazerman, Max H./Lewicki, Roy J., 1983, S. 35 – 50. Prütting, Hanns: Verfahrensrecht und Mediation, in: Mediation für Juristen – Konfliktbehandlung ohne gerichtliche Entscheidung, Köln 1997, S. 57 – 73. ¢ Reichweite und Grenzen der Mediation im Arbeitsrecht, in: Deutscher Mediationstag (Jena 2009), Jena 2009, S. 99 – 117. ¢ Mediation im Arbeitsrecht, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 21, S. 515 – 531. Radbruch, Gustav: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: Gustav Radbruch Gesamtausgabe, Bd. 3, Kaufmann, Arthur (Hrsg.), Heidelberg 1990, S. 83 – 93. Raiffa, Howard: Negotiation Analysis: The Science and Art of Collaborative Decision Making, Cambridge 2007. Rapp, Daniel: Mediation im Verwaltungsrecht: Möglichkeiten der Integration mediativer Elemente in das Wiederspruchsverfahren, Tübingen 2004. Raz, Jospeh: Legal Principles and the Limits of Law, Yale Law Journal 81 (1972), S. 823 – 854. Ripke, Lis: Recht und Gerechtigkeit in der Mediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/ Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 7, S. 161 – 174. ¢ Paraphrasieren mit beidseitiger Situationsdefinition, ZKM 2000, S. 70 – 72.

276

Literaturverzeichnis

¢ Charakteristika eines guten Abschlussvertrages, Perspektiven und Prinzipien der Mediation, Kon:sens 1999, S. 341 – 343. Risse, Jörg: Wirtschaftsmediation, München 2003. ¢ Wirtschaftsmediation, NJW 2000, S. 1614 – 1620. Risse, Jörg/Wagner, Christof: Mediation im Wirtschaftsrecht, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 23, S. 553 – 587. Rösch, Matthäus: Verhandlung und Mediation in der Insolvenz, Marburg 2009. Ross, Alf: Directives and Norms, London 1968. Rössner, Dieter: Was bringt Mediation im Strafrecht?, BewHi 2009, S. 259 – 267. Rottleuthner, Hubert/Rottleuthner-Lutter, Margret: Die Dauer von Gerichtsverfahren, BadenBaden 1990. Runkel, Sabine: Umweltkonflikte sachgerecht lösen: Umweltmediation in Deutschland und den USA, Bochum 1996. Rüssel, Ulrike: Schlichtungs-, Schieds- und andere Verfahren außergerichtlicher Streitbeilegung – Versuch einer begrifflichen Klarstellung, JuS 2003, S. 380 – 383. ¢ Mediation in komplexen Verwaltungsverfahren, Baden-Baden 2004. Rüßmann, Helmut: Rezension: Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, in: Rechtstheorie 10 (1979), S. 110 – 120. Saliger, Frank: Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, Heidelberg 1995. Sander, Frank E. A.: Dispute Resolution within and outside the Courts – An Overview of the US Experience, in: Streitschlichtung, rechtsvergleichende Beiträge zur außergerichtlichen Streitbeilegung, Bundesanzeiger, Gottwald, Walther/Strempel, Dieter (Hrsg.), Köln 1995, S. 19 – 30. Scherpe, Jens M./Vollers, Birthe: Mediation in England – Rechtlicher Rahmen und praktische Erfahrungen, in: Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, Hopt, Klaus/ Steffek, Felix (Hrsg.), Tübingen 2008, S. 259 – 325. Schillinger, Heike: Mediation im Verwaltungsverfahren?, Konsensuale Streitbeilegung im Spannungsfeld von Bürgerpartizipation und Rechtsstaatsprinzip, Tübingen 2003. Schlieffen, Katharina von: Professionalität, Profession und Mediation, in: Professionalisierung und Mediation, Schlieffen von, Katharina (Hrsg.), München 2010, S. 1 – 13. ¢ Propädeutikum zum Handbuch Mediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 1, S. 1 – 67. Schlieffen, Katharina von/Ponschab, Reiner/Rüssel, Ulrike/Harms, Torsten: Mediation und Streitbeilegung, Verhandlungstechnik und Rhetorik, Berlin 2006. Schlippe, Arist von/Schweitzer, Jochen: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, 10. Aufl., Göttingen 2007. Schmiedel, Liane: Mediation in den Niederlanden – Entwicklung und Praxis zwischen staatlicher Förderung und privater Regulierung, in: Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, Hopt, Klaus/Steffek, Felix (Hrsg.), Tübingen 2008, S. 329 – 399.

Literaturverzeichnis

277

Schmitt, Carl: Die Hüter der Verfassung, 4. Aufl., Berlin 1996. Schneider, Jochen: Mediation im Wirtschaftsrecht, in: Mediation für Juristen, Breidenbach, Stephan/Henssler, Martin (Hrsg.), Köln 1997, S. 171 – 182. Schöpflin, Martin: Verhandeln und Mediation, JA 2000, S. 157 – 164. Schreiber, Alexander: Obligatorische Beratung und Mediation – ein Verfahrensmodell für die außergerichtliche Streitbeilegung im Rahmen des § 15a EGZPO, Berlin 2007. Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander Reden I, Hamburg 2007. ¢ Das „Innere Team und situationsgerechte Kommunikation, Augsburg 2000. Schwarzmann, Johannes: Ethische Dilemata – Verhandlung als Frage der Moral, MittBayNot 2001, 456 – 463. Schweizer, Adrian: Kooperatives Verhalten – die Alternative zum (Rechts-)streit, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 6, S. 137 – 160. ¢ Techniken des Mediators, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 14, S. 321 – 362. Schwingenheuer, Yasmine Lee: Techniken der Mediation in Theorie und Praxis, Norderstedt 2008. Seegers, Robert: Miteinander Reden statt Streiten – Mediation: Die Zukunft der Konfliktlösung, 2001. Seibert, Max-Jürgen: Mediation in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Erfahrungen und Überlegungen zu einer alternativen Streitbeilegung, NVwZ 2008, S. 365 – 370. Seltmann, Julia von: Der Regierungsentwurf eines Mediationsgesetztes, NJW-Spezial 2011, S. 126. Seybold, Jan: Mediation und gerichtliches Verfahren – Leistungspotenziale von Mediation und zivilgerichtlichem Verfahren im Vergleich, Hamburg 2009. Sieckmann, Jan-Reinard: Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, BadenBaden 1990. Siegel, Ruth Chr.: Mediation in Erbstreitigkeiten – Die Vorzüge eines interessenbasierten Verfahrens für die Lösung familieninterner Konflikte mit erbrechtlichem Bezug, Berlin 2009. Sodan, Helge/Ziekow, Jan: Verwaltungsgerichtsordnung Großkommentar, 3. Aufl., BadenBaden 2010 (zit. Bearbeiter: Lang, Heinrich). Spindler, Gerald: Gerichtsnahe Mediation in Niederachsen: eine juristisch rechtsökonomische Analyse. Abschlussbericht im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Justiz und des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, Göttingen 2006. Spörer, Thomas/Frese, Christian: Interdisziplinarität, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/ Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 3, S. 81 – 95. Steffek, Felix: Mediation in Europa und der Welt – Rechtsvergleichende Forschung zur Umsetzung der Mediationsrichtlinie, ZKM 2009, S. 21 – 25. Steiner, Thomas: Verhandeln – eine Schlüsselqualifikation, Jura 2004, S. 531 – 536.

278

Literaturverzeichnis

Steike, Jörn/Volk, Daniel: Verhandlungslehre und außergerichtliche Streitbeilegung, München 2007. Susskind, Lawrence/Cruikshank, Jeffrey: Breaking the Impass. Consensual Approaches to Resolving Public Disputes, New York 1987. Thomas, Heinz/Putzo, Hans: Zivilprozessordnung Kommentar, 32. Aufl., München 2011 (zit. Bearbeiter: Reichold, Klaus, und Hüßtege, Rainer). Tochtermann, Peter: Alternative Dispute Resolution – Einführung in die alternative Streitbeilegung, JuS 2005, 131 – 135. ¢ Unabhängigkeit du Unparteilichkeit des Mediators, Tübingen 2008. Tögel, Rainer/Rohlff, Daniel: Die Umsetzung der Mediations-Richtlinie – Erwartungen der Rechtsschutzversicherer, ZRP 2009, S. 209 – 212. Trenczek, Thomas: Professionalisierung von Mediatoren, in: Professionalisierung und Mediation, Schlieffen von, Katharina (Hrsg.), München 2010; S. 99 – 118. Trossen, Arthur: Die Zukunft und Professionalisierung der Mediation – Einbeziehung statt Ausgrenzung, in: Professionalisierung und Mediation, Schlieffen von, Katharina (Hrsg.), München 2010, S. 169 – 183. ¢ Integrierte Mediation, in: in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 40, S. 987 – 1005. Tugendhat, Ernst: Zur Verwirklichung von moralischen Begründungsstrukturen im modernen Recht, in: Argumentation und Recht, Hassemer, Winfried/Kaufmann, Arthur/Neumann, Ulfried (Hrsg.), ARSP-Beiheft 14, Wiesbaden 1980, S. 1 – 20. Visser‘t Hooft, Hendrik Philip: Zur praktischen Rationalität in der Rechtsprechung, in: Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln 1986, S. 213 – 227. Vogt, Melanie/Schammler, Anja: Gerichtliche Mediation in Strafvollzugssachen, FS 2009, S. 330 – 339. Volkmann, Judith: Mediation im Zivilprozess: rechtliche Rahmenbedingungen für ein gerichtsinternes Mediationsangebot, Frankfurt a.M. 2006. Volpert, Marcus: Mediation – eine Alternative zum streitigen Verfahren auch im Gewerblichen Rechtsschutz?, MittdtschPatAnw 2008, S. 170 – 176. Wang, Peng-Hsiang: Defeasibility in der juristischen Begründung, Baden-Baden 2004. Wassermann, Rudolf: Neue Streitkultur?, NJW 1998, S. 1685 – 1686. Wegener, Susanne: Spezifische Anforderungen der Gerichtsnahen Mediation, ZKM 2006, S. 140 – 143. Weidner, Helmut: Internationale Erfahrungen mit Umweltmediation, in: Studienbrief – Eine interdisziplinäre Einführung, Förderverein Umweltmediation (Hrsg.), 1999, S. 135 – 163. Weinberger, Ota: Basic Puzzels of Discourse Philosophy, Ratio Iuris 9 (1996), S. 172 – 181. ¢ Grundlagenprobleme des Institutionalistischen Rechtspositivimus und der Gerechtigkeitstheorie, in: Institution und Recht. Grazer Internationales Symposium zu Ehren von Ota Weinberger, Koller, Peter/Krawietz, Walther/Strasser, Peter (Hrsg.), Rechtstheorie Beiheft 14, Berlin 1994, S. 173 – 284.

Literaturverzeichnis

279

¢ Logische Analyse als Basis juristischer Argumentation, in: Methatheorie juristischer Argumentation, Alexy, Robert/Krawietz, Werner (Hrsg.), Berlin 1983, S. 159 – 232. Weinberger, Ota/Weinberger, Christiane: Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979. Weitz, Tobias Timo: Gerichtsnahe Mediation in der Verwaltungs- und Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit, Frankfurt a.M. 2008. Wesche, Steffen: Robert Alexys diskurstheoretische Menschenrechtsbegründung, Rechtstheorie 30 (1999), S. 79 – 93. ¢ Zwangsschlichtung oder Schlichtungsanreiz, ZRP 2004, 49 – 52. Wilhelm, Mark: Versicherungsrechtliche Schadensregulierung unter Einsatz mediativer Elemente, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 26, S. 637 – 664. Windscheid, Bernhard : Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 9. Aufl., Frankfurt 1906. Winterstetter, Bernhard: Ökonomische Aspekte der Mediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 1. Aufl., München 2002, § 20, S. 510 – 525. Wozniewski, Harald: Die neue Mediationsrichtlinie der EU in der Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, NZG 2008, S. 410 – 413. Wright, Georg Henrik: Norm and action – a logical enquiry, London 1963. Zanolini, Veio: Erste Erkenntnisse zur Mediation im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht, ZStrR 2007, S. 395 – 418. Zenk, Kati: Mediation im Rahmen des Rechts – Eine Herausforderung für die Justiz, BadenBaden 2008. Zenk, Kati/Strobl, Rainer/Hupfeld, Jörg/Böttger, Andreas: Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen. Die Evaluation eines Modellversuches, Baden-Baden 2007. Zilleßen, Horst: Umweltmediation, in: Handbuch Mediation, Haft, Fritjof/Gräfin von Schlieffen, Katharina (Hrsg.), 2. Aufl., München 2009, § 30, S. 729 – 751. Zimmer, Gerald: Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme im Lichte US-amerikanischer Erfahrungen, Frankfurt a.M. 2001. Zimmermann, Ernst: Multideontische Logik, Prozedurale Rechtstheorie, Diskurs, Rechtstheorie 30 (1999), S. 311 – 327.

Sachwortverzeichnis Abschlussvereinbarung 96 f. Agent of reality 45 Alleinherrschereinwand 146 f. Alternative Dispute Resolution 31 ff. Anspruch – auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität 138 ff. – Begriff des 136 f. Arbitration 33 f. Argumentation 93 f., 228 f., 238 f. Asymmetrische Rollenverteilung 215 ff. Befriedung 113 ff. Beherrschendeneinwand 147 Bereitschaft zum Rollentausch 160 f., 180 Beschleunigungseffekt 111 ff. Bindung – an Gesetz 204 f. – Dogmatik 206 f. – Präjudizien 205 f. Caucus 53 ff. Dauerhaftigkeitseinwand 142 f. Definition ¢ Mediation 71 ff. Definitionansätze der Mediation 34 ff. Diskurs – Gerichtsprozess als 211 ff. – idealer praktischer 159 – juristischer 185 ff. – Mediations- 225 ff. – Mediator als Hüter des 258 f. – realer praktischer 160 f. – tatsächlicher 164 Diskursideal 162 Diskursprinzipien 162 ff., 178 ff. , 252 f. Diskursregeln 126 ff., 257 Diskurstheorie – Einführung 124 ff. – nach Alexy 126 ff. – nach Bäcker 161 ff.

Diskursthese der Mediation – erste 226 ff. – zweite 252 ff. Diskursvives Rechtsmodell 194 ff., 260 f. Dogmatik 206 ff. Drei-Ebenen-Modell 161 ff. – als „Ein-Ebenen-Modell“ 164 ff. Eigenverantwortlichkeit 43 ff., 119., 252 f. – bei der Konfliktregelung 45 ff. – Freiwilligkeit als Unterfall der 43 f. Einwand – der geltenden Rechtsordnung 191 ff. – der Interessenrelativität 151 ff. Emotionen 118 f., 231, 251 Empirische Informiertheit 179, 253 Empirisches Argument 129 f. – Kritische Betrachtung des 130 ff. Erkennbarkeitseinwand 143 f. Erweiterter Kreis der Beteiligten 116 f. Externe Geltung 75 f. Flexibilität 117 Freiwilligkeit 43 ff. Frieden 113 ff. Friedenstiftende Nachhaltigkeitsmerkmale 114 ff. Geltung der Mediationsprinzipien 73 ff. Gerichtsprozess 211 ff., 261 f. Gesamtbetrachtung – monetäre 107 ff. – weite ökonomische 109 ff. Gesetzliche Dimension 122 f. Gesprächsregeln 80 f. Glaubenseinwand 149 ff. Grenzen mediativen Verhandelns 90 ff. Hüter des Diskurses 258

Sachwortverzeichnis

281

Ideal-approximative – Wirkung der Mediationsprinzipien 252 ff. – Wirkung der Methode der Selbstbehauptung 254 f. – Wirkung der Methode der Wechselseitigkeit 255 f. Idealer praktischer Diskurs 159 f. Idealthese der Mediation 252 ff. Informiertheit 49 f., 179 f., 253 Initiierung 78 ff. Interesse an Richtigkeit 246 ff., 256 f. Interessen 85 ff., 114 f., Interessenrelativität 151 ff.

Neutralität 47 ff. Nicht einschränkungsbedingter Sonderfall 241 ff. Norm 59 ff. – semantischer Normbegriff 60 f. Normentheoretische Analyse der Mediationsgrundsätze 41 ff. Notwendigkeit des Behauptens 130 f.

Juristischer Ansatz 75 f. Justiz 103 ff.

Performativer Widerspruch 133 ff., 233 Positionen 85 ff. Praktischer Diskurs – idealer 159 f. – realer 160 f. Prinzip – Begriff des 56 ff. – der Bereitschaft zum Rollentausch 180, 255 f., 259 – der empirischen Informiertheit 179 f., 253 f., 259 – der sprachlich-begrifflichen Klarheit 179, 260 – der Teilnehmerschaft 179, 259 – der Vorurteilsfreiheit 180, 255, 259 – der Zeit 178, 259 – der Zwanglosigkeit 179, 252, 259 Prinzipientheorie 56 ff. – Übertragung auf die Mediation 58 ff. Problem der Definierbarkeit 30 ff. Prozessordnungen 217 Prozesssituation im engeren Sinne 211 ff.

Konflikt 68 ff. Konsens 95 Konsensproblem 167 f. Konstruktionsproblem 171 ff. Kosten 105 f. Kriteriumsproblem 171 ff. Kurzfristigkeitseinwand 148 f. Legitimation der Mediation 121 f., 263 f. Mediation – Begriff 30 ff., – Begründungsansätze 101 ff. – Definition 71 ff. – diskurstheoretische Analyse 225 ff. – Legitimation 121 f., 263 f. – Methoden 97 ff., 254 ff. – Phasen 77 ff., 245 f. – Struktur 77 ff. Mediationsdiskurs – als nicht einschränkungsbedingter Sonderfall 41 ff. – Vergleich zum Gerichtsprozess 261 f. Mediationsgesetz 37 ff., 75 f., 122 f. Mediationsprinzipien 43 ff., 252 ff. Mediator 76 f., 258 Modifikationsthese 177 ff. Moraleinwand 153 ff. Motivation – im Gerichtsprozess 246 ff. – in der Mediation 256 f.

Objektivitätsproblem 168 f. Optionen – Bewertung und Auswahl 89 ff. – Entwickeln 88 f.

Realer praktischer Diskurs 160 Richtigkeit – im juristischen Diskurs 188 ff. – in der Mediation 231 ff. Richtigkeitsproblem 168 ff. Richtigkeitsthese 226 ff. Rollentausch 180, 255 f., 259 Rollenverteilung 215 ff. Sachverhaltsreduktion 218 f. Selbstbehauptung 97 ff., 254 f., 259

282

Sachwortverzeichnis

Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses 185 ff. – nicht einschränkungsbedingter 241 ff. Sonderfallthese 185 ff. – im engeren Sinne 202 ff. Strafprozess 215 ff. Strategisches Element 222 f. Struktur der Mediation 77 ff. Tatsächlicher Diskurs 164 Teilnehmerschaft – im Gerichtsprozess 213 ff. – in der Mediation 116, 243 f. – Prinzip der 179 Themensammlung 82 ff. Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses 124 ff. Transzendentalpragmatisches Argument 127 ff.

Überpositiv 263 f. Unerheblichkeitseinwand 144 ff. Universell 263 f. Unkenntlichkeitseinwand 221 f. Verfahrenssystem Mediation 59 ff. Vermittlungsstufe 177 ff. Vertragsschluss 78 ff. Vertraulichkeit 50 ff., 118 Vorprüfungsinstanz 81 Vorurteilsfreiheit 180, 255, 259 Wechselseitigkeit 97 ff., 255 f., 259 Wertschätzung 78 Widerspruchsproblem 169 ff. Willküreinwand 158 Zwanglosigkeit 179, 215 f., 245, 252 f., 259