Die Theologie der Schöpfung bei Luther 9783666551123, 9783525551127

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Die Theologie der Schöpfung bei Luther
 9783666551123, 9783525551127

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David Löfgren · Die Theologie der Schöpfung bei Luther

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Die Theologie der Schöpfung bei Luther

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VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Band 10

© Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1960. Einbandzeichnung: Christel Steigemann. Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen 7647

Dem Gedächtnis meiner Eltern

EINLEITENDES

VORWORT

Obgleich das intensive Eindringen in die Gedankenwelt Martin Luthers ganz allgemein dazu beigetragen hat, die Einsicht zu vertiefen, daß in der modernen Theologie — für die ja eine gewisse Beziehungslosigkeit zum gewöhnlichen Erleben des Menschen ebenso charakteristisch ist wie ein manchmal nicht zu verbergender Mangel an Konkretion —• der erste Glaubensartikel in verhängnisvoller Weise der Stellung beraubt wurde, die er bei dem Reformator innehatte1, und obschon dem Schöpfungsgedanken bei Luther in Verbindung mit vor allem historischen Darstellungen seiner Gesetzesauffassung immer wieder aufmerksame Beachtung geschenkt worden ist, vermißt man dennoch den Versuch einer monographischen Darstellung der Theologie der Schöpfung bei Luther 2 . Die Aufgabe dieser Arbeit war es nun, den Schöpfungsgedanken und dessen biblische Begründung in seiner Bedeutsamkeit für die theologische Gesamtanschauung des Reformators zu untersuchen. Die Untersuchung ist also in keiner Weise von dem Gedanken geleitet, eine Gesamtdarstellung der Theologie Luthers zu geben, sondern möchte nur erhellen, wie durchgehend wichtig das, was Luther unter „Schöpfung" versteht, für sein ganzes theologisches Denken ist. Zweifelsohne könnte schon eine rein historisch-genetische Untersuchung von Luthers Theologie des ersten Artikels viele wertvolle Gesichtspunkte im Blick auf die Probleme der systematischen Theologie unserer Tage erbringen 3 . Obwohl es methodisch nicht angeht, bei einer solchen Untersuchung dem historischen Problem des Verhältnisses zwischen jüngerem und älterem Luther, zwischen dem Reformator und der Scholastik keine Beachtung zu schenken, soll doch auf solchen Fragen nicht das Hauptgewicht liegen, sondern der Versuch unternommen werden, Luther aus sich selbst, von seinem eigenen Ansatz, seinen eigenen Voraussetzungen her zu verstehen. Die Aufgabe ist also weniger eine genetische als vielmehr eine systematische, wenn beabsichtigt ist, immanent die Struktur von Luthers Schöpfungsgedanken nachzuzeichnen und dessen organische Verbindung mit seinen übrigen theologischen Grundgedanken zu erkennen. Was die Methode angeht, so steht diese Arbeit also ganz in der Tradition der schwedischen Lutherforschung, nämlich sich auf ein konkretes historisches ProG. Wingren, Skapelsen odi lagen, S. 37; dt. Schöpfung und Gesetz, S. 33 f. Torgny Bohlin, Den korsfäste skaparen, kann nidit als eine Untersuchung des ersten Artikels bei Luther betrachtet werden. Siehe hierzu audi unten Kap. V, 2, S. 109. 3 Schon v o r 20 Jahren hat G. Wingren betont, daß die besonders in unserer theologiegesdiichtlichen Situation so wichtige Aufgabe der historischen Untersuchung des Schöpfungsgedankens bald in Angriff genommen werden müsse. Siehe Wingren in S v T K 1940, S. 322 bis 339. 1

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Einleitendes V o r w o r t

blem zu konzentrieren und es unter einem umfassenden aber doch zugleich mit der Sache selbst in organischem Zusammenhang stehenden Gesichtspunkt zu bearbeiten. Natürlich ist eine solche Methode immer in Gefahr, der Versuchung zu allzu straffer Systematisierung des lebendigen historischen Stoffes zu erliegen, doch ist auf der anderen Seite die auf dem Kontinent vorherrschende Neigung, das Lutherstudium den Kirchengeschichtlern zu überlassen auch nicht ganz glücklich zu nennen; bei all den vielen wertvollen Einzeluntersuchungen, die dort angestellt werden, verschwindet die organisch-systematische Fragestellung oft leicht aus dem Gesichtsfeld. Um die Gefahren, die in den beiden methodischen Extremen der heutigen Lutherforschung liegen, zu umgehen, soll der systematische Aufbau der Disposition vom historisch vorgegebenen Material selbst bestimmt sein, also eine Disposition aufgestellt werden, die es erlaubt, die Unebenheiten und Ungereimtheiten, die etwa zwischen den verschiedenen Phasen von Luthers Theologie auftreten mögen, innerhalb des gegebenen systematischen Rahmens in ihrer eigenen Profilierung hervortreten zu lassen4. Natürlich muß die Verwirklichung der Absicht, die Methode ganz vom Gegenstand der Untersuchung bestimmen zu lassen, auf gewisse Schwierigkeiten stoßen, da Luther selbst nie eine abgeschlossene Darstellung seiner Theologie der Schöpfung gegeben hat — wenn man einmal von seiner Auslegung des ersten Artikels und der Genesis absehen will. Jedenfalls ist der Schöpfungsgedanke nicht in derselben Weise das ständig wiederkehrende Generalthema wie etwa die Lehre von der Rechtfertigung. Auch wenn der Gedanke von Gott als dem Schöpfer immer vorausgesetzt ist, wenn Luther auf sein großes Anliegen, die Rechtfertigung allein aus Glauben, zu sprechen kommt, so ist es doch nicht einfach, gerade aus solchen Texten Stellung und Tragweite des Schöpfungsgedankens genau zu erhellen. Um ein genaues Bild davon zu erhalten, muß man sich Luthers Aussagen über den Menschen, die Welt, den Sündenfall, das Böse, die Kirche, die Gnadenmittel, Christus usw. zuwenden. Aber das erscheint schon rein arbeitsmäßig als ein Ding der Unmöglichkeit, da man so ja Luthers gesamtes theologisches Schaffen durchforschen und darstellen müßte. Nun mein e ich allerdings, daß Luther selbst einen Fingerzeig gegeben hat, wie dieses methodische Problem gelöst werden könnte, wie also eine solche Untersuchung nicht nur wissenschaftlich möglich, sondern auch systematisch ergiebig wird. Um einen theologischen Denker historisch recht zu verstehen, ist man ja nicht allein darauf angewiesen, ihn nur im Zusammenhang seiner Zeit, seiner Vorgänger und Nachfolger zu verstehen, sondern er erschließt sich dem historischen Erkennen noch von einer andern Seite, die ihn vor allem systematisch-theologisch interessant ma cht, von daher nämlich, daß er selbst Anspruch erhebt, Ausleger 4 Jede Untersuchung von Luthers Theologie, die ihren Ausgangspunkt nur bei einem oder einigen Texten nimmt, wird mit Notwendigkeit mangelhaft. H. 0stergaard-Nielsens Behauptung „Will man Luthers Theologie verstehen, so muß man sie im Lichte seiner gesamten reformatorisdien Tätigkeit sehen" (Scriptura sacra et v i v a vox, S. 141) ist ganz zuzustimmen, seine eigene Unterscheidung zwischen dem reformatorischen und dem vorreformatorischen Luther ist jedoch in gewisser Weise eine bedenkliche Konstruktion, in der bestimmte Gedanken und Texte ausgelassen worden sind, um seine Thesen zu bestätigen.

Einleitendes V o r w o r t

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einer konkreten Schrift zu sein. Eben diese Beziehung Luthers zur Heiligen Schrift zu beleuchten, kann die rein historische Untersuchung von Luthers Schöpfungsdenken auch für die systematisch-theologische Arbeit fruchtbar machen. Diese Feststellung ist aber vor allem aus methodischen Gründen wichtig. Luthers Anschauung vom inneren Zusammenhang der biblischen Bücher wie auch der Glaubensartikel und ihres Inhalts ist bestimmt von einem heilsgeschichtlichen Grundgedanken, den er aus der Heiligen Schrift gewonnen hat und der sein ganzes theologisches Denken durchzieht. Am Anfang des Großen Genesiskommentars grenzt sich Luther folgendermaßen nach zwei Seiten hin ab : Das jüdische Verständnis des Schöpfungsberichtes istfalsch, weil es diesen nicht im Licht der Christusoffenbarung und des zweiten Artikels sieht, und der griechische Schöpfungsbegriff (insbesondere der des Aristoteles) muß verworfen werden, weil er sich nicht mit dem biblischen Gedanken von der Erschaffung aus dem Nichts vereinbaren läßt; denn die Annahme der Existenz einer ewigen Materie widerstreitet diesem wie auch dem einer Vervollkommnung der Schöpfung, ja steht in direktem Gegensatz zum dritten Artikel, insofern für Gott als den Schöpfer aus dem Nichts und den Creator Spiritus, der jetzt und hier handelt, kein Platz bleibt. Einen ähnlichen Mißgriff lassen sich nach Luthers Ansicht auch einige scholastische Ausleger der Genesis zuschulden kommen, wenn sie die Schöpfung nicht als ein fortwährendes Geschehen, sondern als einen am Anfang abgeschlossenen Akt und infolgedessen die Welt nur als Resultat dieses einmaligen Aktes verstehen5. Ein richtiges Verständnis des ersten Artikels muß also nach Luther Gottes Handeln im Anfang, sein Handeln in Christus, durch den er die gefallene Schöpfung wieder aufrichtete, und die Vollendung seines Schöpfungswerkes am Jüngsten Tage zusammensehen, d. h. der erste Artikel wird nur dann recht ausgelegt, wenn er in eins gesehen wird mit den beiden andern. Die drei Glaubensartikel sind nämlich für Luther nichts anderes als eine Zusammenfassung der biblischen Heilsgeschichte. Es nimmt somit nicht wunder, wenn Luther gerade die biblischen Bücher, bei deren Auslegung er die heilsgeschichtliche Perspektive besonders stark hervortreten ließ, als die wichtigsten betrachtet, nämlich die Genesis und die Psalmen, das Johannesevangelium und die paulinischen Briefe. Auffallenderweise finden sich in den Auslegungen Luthers zu diesen Büchern auch die meisten Hinweise auf die Schöpfung. Das Kriterium dafür, ob ein biblisches Buch wirklich Gottes Offenbarung ist, ist nicht — wie man erwarten könnte —, daß es die Rechtfertigungslehre in ihrer paulinischen Form enthält, sondern daß es Zeugnis gibt vom ganzen christlichen Glauben, d.h. von allen drei Glaubensartikeln in ihrer inneren Beziehung zueinander. Wir haben also eine Konzentration auf diese Schriften unternehmen können und sind dabei u.a. von folgenden Äußerungen Luthers geleitet gewesen. In den Scholien zur Genesis (1519—1521) heißt es, die Genesis sei aller biblischen Bücher „fundamentum et fons tocius sacrae scripturae"; Gn 1 enthalte „tocius scripturae Summam", denn darin finde man die ewige Menschwerdung 5

WA 42, 3, 15—25,10 (Gn 1,1—6).

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Einleitendes V o r w o r t

des Sohnes, danach die Abtötung des alten Menschen und das Leben des Auferstandenen, d. h. des neuen Menschen6. Die Auslegung des Schöpfungsberichtes geschieht also bei Luther im Lichte des zweiten und dritten Artikels, ohne daß er dabei die besonderen Konturen des jeweiligen Glaubensartikels verwischt haben will 7 . Daß Luther das Α. T. vor allem als Zeugnis der göttlichen Heilsgeschichte versteht, wird auch besonders an seinem Verständnis des Psalters ersichtlich. „Summa, wiltu die heiligen Christlichen Kirchen gemalet sehn mit lebendiger Farbe und Gestalt, in einem kleinen Bilde gefasset, so nim den Psalter fur dich, so hastu einen feinen, hellen, reinen Spiegel, der dir zeigen wird, was die Christenheit sey. Ja du wirst auch dich selbs drinnen, und das rechte Gnothiseauton finden, Dazu Gott selbs und alle Creaturen." 8 Was Luther in der Genesis und im Psalter, den beiden für ihn wichtigsten Büchern des A. T., findet, ist also nicht die Idee der universalen Christusgeschichte9, sondern die Erkenntnis Gottes, der Welt und des Menschen oder besser: das Zeugnis vom konkret-aktualen Heilshandeln Gottes in Christus. Die Bedeutung Christi für den konkreten Menschen hat damit zu tun, daß er Skopus, Mitte und res der ganzen Schrift ist, so wie er auch die Mitte der Glaubensartikel ist10 : Im Α. T. als der, durch den die Welt geschaffen wurde und der kommen sollte, um die gefallene Schöpfung zu erlösen, im Ν. T. als der, der gekommen ist und kommen wird, um die Schöpfung zu vollenden und die Lebendigen und die Toten zu richten. Wenn Luther die Genesis „fast eyn euangelisch buch" nennt11, meint er damit, daß das Christuszeugnis in ihr nicht vom konkret-historischen Christusereignis getrennt ist, sondern auf dieses hinweist, wie auch andererseits das Christuszeugnis im Ν. T. nie vom Α. T. isoliert ist, sondern sich als dessen Erfüllung versteht12. Im Ν. T. betrachtet Luther das Johannesevangelium und die paulinischen Briefe als gleichwertig, sie sind „der rechte Kern und Mark unter allen Büchern", denn hier finde man „gar meisterlich ausgestrichen, wie der Glaube und Christus . . . Sund, Tod und Hölle überwindet, und das Leben Gerechtigkeit und Seligkeit gibt. Weichs die rechte Art ist des Evangelii" 13 . Die Disposition der Abhandlung soll also bestimmt sein von dem heilsgeschichtlichen Geschehen, das Luther in der Schrift entdeckt; d.h. die drei großen Themenkreise sollen „Schöpfung und Leben", „Fall und Tod", „Wiederherstellung und Vollendung" sein. Die Berechtigung zu einer solchen Disposition ergibt sich aus der Tatsache, daß Luther sich nie einseitig nur der paulinischen Theologie verpflichtet wußte oder nur eine Theologie des zweiten Artikels treiben « W A 9, 3 2 9 , 2 — 1 4 . 7 W A 5 4 , 6 5 , 23—76, 28 (Von den letzten Worten Davids 1543). 8 W A D B 1 , 9 9 , 2 4 f f . ; 105, 5 ff. 9 Vgl. H. Bornkamm, Luther und das Alte Testament, S. 212. 1 0 W A 40/1, 441, 29—33 (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 3 , 1 3 ) . 1 1 W A D B 8 , 1 2 , 32. 1 2 W A 1 0 / 1 , 1 , 1 7 , 4 ff. (Kirdienpostille 1522). 1 3 W A D B 6 , 1 0 , 1 2 ff. (Vorrede zum N T 1522). Luther hat Johannes über die Synoptiker gestellt, er sei „der höhest und furnemest Evangelist": W A 33, 3 5 3 , 1 . Siehe audi J . A t k i n son, Luthers Einschätzung des Johannesevangeliums (Lutherforschung heute. Referate und Berichte . . . Berlin 1958, S. 49—56).

Einleitendes Vorwort

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wollte, sondern daß er die ganze Schrift als Einheit sah14 und damit auch eine Einheit zwischen den drei Glaubensartikeln, die für ihn nichts anderes waren als eine Zusammenfassung der ganzen biblischen Offenbarung, gewahrt wissen wollte16. Wenn Luther aber die drei Artikel dergestalt in organischem Zusammenhang zueinander sieht, ist dabei das integrierende Prinzip nicht etwa einer der drei Artikel, sondern Gottes jet^t und hier geschehendes Handeln als Schöpfer, Erlöser und Vollender. Alle theologischen Aussagen werden also in unauflöslicher Verbindung gesehen mit Gottes Heilshandeln am konkreten Menschen und seiner Welt. Der äußere Rahmen der Disposition drückt also nicht nur etwas spezifisch Luthersches aus; dies liegt aber im Inhalt dieses Rahmens. Luthers Glaubensbegriff muß vom heilsgeschichtlichen Aspekt her gesehen werden, den er in Übereinstimmung mit der älteren theologischen Tradition in der Bibel gefunden hatte und den er nie zugunsten einer paulinischen Rechtfertigungslehre aufgehoben wissen wollte. Aber andererseits hat man es bei Luther auch nicht bloß mit einem heilsgeschichtlichen Aufriß im traditionellen Sinne zu tun, ja er durchbricht dieses Schema sogar, insofern er in seiner ganzen Theologie einzig daran interessiert ist, was der lebendige Gott jets^t tut, wie er am konkreten Menschen handelt; dieses Aktualitätsmoment hängt natürlich mit seiner Rechtfertigungslehre organisch zusammen, muß aber aufs engste im Zusammenhang mit seinem Schöpfungsglauben und seiner Theologie des ersten Artikels gesehen werden. Hauptquellen für diese Untersuchung waren — wie schon erwähnt — seine Auslegungen der Genesis, des Psalters, des Johannesevangeliums und der paulinischen Briefe; neben diesen fanden jedoch auch andere Schriften Berücksichtigung, besonders die reformatorischen Hauptschriften der zwanziger Jahre, die Predigten über gewisse Synoptikertexte wie auch einige Disputationen der dreißiger Jahre. Die Tischreden wurden als Belegmaterial sehr sparsam herangezogen und nur dann als Zitat benutzt, wenn sie für einen sonst reich bezeugten Gedanken eine besonders prägnante Formulierung boten. Bei der Benutzung nicht ganz gesicherter Texte wurden die Regeln quellenkritischer Vorsicht beachtet. Wenn nicht nur die WA-Stelle, sondern auch der Titel und die Jahreszahl einer zitierten Schrift erscheint und bei der Auslegung von Bibeltexten die Stelle mit angegeben wurde, soweit dies alles möglich war, geschah das natürlich vor allem, um dem Leser eine genauere Kontrolle zu bieten, andererseits aber auch, um künftigen Lutherforschern den Weg zu Aussagen Luthers über eine bestimmte Bibelstelle zu erleichtern. 14 W . v. Loewenidis Untersuchung, Luther und das Johanneische Christentum (FGLP 7. R., Bd. IV), München 1935, betont den paulinischen Akzent in Luthers Johannesauslegung. C. Stange, Der johanneische Typus der Heilslehre Luthers im Verhältnis zur paulinisdien Rechtfertigungslehre (Studien der Luther-Akademie, 17. H.), Gütersloh 1949, betont, „daß die Reformation Luthers nicht seiner — erst spät, im K a m p f e gegen Rom gewonnenen — Deutung von Rom 1 , 1 7 ihre Entdeckung verdankt, sondern seinem unermüdlichen und tiefdringenden Studium der ganzen Heiligen Schrift", und dabei seien f ü r ihn die johanneischen Schriften von besonderer Bedeutung gewesen: ib. S. 49. E. Ellwein hat neulich zu zeigen versucht, wie das typisch johanneische Denken in Luthers Auslegung des Johannesevangeliums einen völlig klaren Widerhall gefunden hat: s. ders., Die Christusverkündigung in Luthers Auslegung des Johannesevangeliums (KuD 6. Jg., 1960, S . 3 1 — 6 8 ) . 15

S. u. Kap. V , l , Anm. 4 f.

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Luthers Genesisauslegungen wurden alle herangezogen, aber da nicht alle quellenkritisch gleich zuverlässig sind, mußte in der Auswahl mit Behutsamkeit vorgegangen werden. Dies betrifft vor allem Luthers allererste Genesisauslegung, die nur in Form von Nachschriften der Studenten erhalten ist, dazu teilweise überarbeitet von Poliander. Diese Vorlesung — Luther erwähnt sie übrigens einmal 153916 — wurde wahrscheinlich nur vor einem engeren Kreis von Schülern und Freunden gehalten, wobei die Datierung zwischen der Zeit der ersten Galaterbriefvorlesung (1517/18) und der zweiten Psalmenvorlesung (1519—1521) schwankt17. Es handelt sich hierbei zumeist um knappe Notizen, von denen, obschon sie den untrüglichen Stempel Lutherscher Gedanken tragen, nur mit Vorsicht Gebrauch gemacht werden darf. Ein klareres Bild von Luthers Genesisauslegung erhält man aus seinen Predigten über das erste Buch Mose aus den zwanziger Jahren. Als besonders zuverlässig können hier wohl die Rörerschen Nachschriften gelten, deren hoher Wert als Quelle anerkannt ist, und die deswegen auch in besonderer Weise bei der Arbeit herangezogen wurden. Leider sind aber gerade diese Predigten oft außerordentlich kurz zusammengefaßt. Am 31. Mai 1535 beschloß Luther seine Vorlesung über den 90. Psalm — die übrigens eine der bedeutsameren Quellen für das Verständnis seiner Schöpfungstheologie ist — mit der Ankündigung, er wolle sich für den Rest seines Lebens und seiner akademischen Wirksamkeit der Auslegung der Bücher Mose widmen 18 . Noch in derselben Woche soll sich Luther an die Auslegung von Gn 1 gemacht haben, und aus den Nachschriften und Abschriften dieser Vorlesung entstand nach und nach, was man den Großen Genesiskommentar nennt. Mit Ausnahme der Unterbrechungen, die durch Krankheit oder anderweitige öffentliche Verpflichtungen bedingt waren, gab sich Luther beinahe bis zu seinem Lebensende, also nahezu zehn Jahre, der Arbeit über das Buch Genesis hin. Als Vorlage für seine Vorlesungen dienten ihm seine früheren Notizen und Predigten über das erste Buch Mose; Luther las lateinisch, jedoch — wie das bei ihm üblich war — mit eingestreuten deutschen Bemerkungen, Worten und Sätzen. Daß aus diesem Kommentar der ältere Luther spricht, braucht dessen Quellenwert nicht unbedingt zu vermindern. Ein Vergleich mit der frühen Genesisvorlesung und den Genesispredigten läßt nämlich keine erheblichen theologischen Unterschiede hervortreten19. Daß der Große Genesiskommentar für die LutherW A 50, 519, 26 (Von den Konziliis und Kirchen). P. Meinhold, Die Genesisvorlesung Luthers und ihre Herausgeber ( F K G G 8. Bd.), Stuttgart 1936, S. 141 ff. 1 8 » . . . et ita reliquum vitae, quod Dominus mihi dabit, in Mose explicando consumam. Quia enim Moses fons est, ex quo Prophetae sancti et Apostoli quoque sapientiam divinam Spiritus sancti beneficio hauserunt . . . " : W A 40/III, 484, 2 0 — 2 3 ; vgl. ib. 5 9 4 , I f f . : „Postea suscipiam praelegendam Genesim, ut operemur quidquam et ita in verbo et opere dei moriamur." 1 9 P. Meinhold glaubt beim älteren L. ein Zurücktreten der mystischen Elemente gegenüber den auch beim jungen L. vorfindlichen nominalistischen feststellen zu können: a.a.O., S. 150. E. Seeberg meint, daß beim jungen Luther das Präsentische in der Erlösung betont wird, beim älteren aber das Zukünftige. Siehe E. Seeberg, Studien zu Luthers Genesisvorlesung, S. 75. Aber weder Meinhold noch Seeberg meinen, einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem jungen und dem älteren Luther feststellen zu können. 16

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forschung weithin ungenütztes Brachland ist, hängt nicht nur mit dem erklecklichen Umfang, sondern auch mit der ziemlich umstrittenen Brauchbarkeit des Werkes als authentischer Quelle für das theologische Denken Luthers zusammen. Doch enthält der Kommentar zuviel typisch Luthersches, als daß er als Quelle völlig außer acht gelassen werden dürfte 20 . Nur der erste Teil des Kommentars erschien noch zu Luthers Lebzeiten. Der mühsamen Editionsarbeit nahm sich vor allem der langjährige Freund und Mitarbeiter Luthers, Veit Dietrich, der Reformator Nürnbergs, an. Daß V. Dietrich und die übrigen Herausgeber sich dabei nicht immer ganz sklavisch an den Wortlaut der Vorlesung gehalten haben, ist u.a. von P. Meinhold nachgewiesen worden 21 . Dagegen können aber die Gründe, die P. Meinhold zur Untermauerung seiner These von dem großen theologischen Abstand zwischen Luther und V. Dietrich angab, nicht mehr als ganz haltbar angesehen werden. P. Meinhold versucht ja nachzuweisen, daß die angeblich mehr von Melanchthon bestimmte Theologie Dietrichs auf den Text des Genesiskommentars abgefärbt habe 22 . In seiner großen biographischen Arbeit über Veit Dietrich hat aber kürzlich B. Klaus zeigen können, daß Dietrich Luther theologisch viel näher gestanden hat, als Meinhold annehmen zu dürfen glaubt. Außerdem macht es die Arbeit von B. Klaus sehr wahrscheinlich, daß Veit Dietrich, obwohl er nicht als theologische Größe zu bezeichnen ist, ja vielleicht gerade deswegen, weil er nie mit dem Anspruch selbständigen theologischen Denkens hervorgetreten ist, große Qualifikationen für diese Editionsarbeit besaß, ganz abgesehen davon, daß Dietrich von seinen Zeitgenossen als einer der treuesten Lutherschüler angesehen wurde und Luther selbst ja den ersten Teil des Dietrichschen Kommentarwerkes gutgeheißen hat 23 . 20 Siehe hierzu auch die von K. Aland angeführte Literatur zur quellenkritisdien Frage des Genesiskommentars in seinem Hilfsbuch zum Lutherstudium, Gütersloh 1956, S. 110 f. 21 P. Meinhold glaubt dadurch „Abmilderungen oder Umdeutungen ursprünglicher Lutherscher Ideen und theologische Anschauungen, die Melanchthons Theologie entsprechen, feststellen zu können: s. P. Meinhold, a.a.O. S. 370. 22 Melandithonische Vorstellungen könnten rationalistische Argumente für Gottes Dasein (WA 4 2 , 1 9 f.) sowie Andeutungen über die natürliche Unsterblichkeit der Seele (ib. 33 ff.) u. ä., die im Genesiskommentar jedoch sehr spärlich vorkommen, sein. 23 B. Klaus, Veit Dietrich. Leben und Werk (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns X X X I I . Band), Nürnberg 1958. Siehe bes. zu den rein historischen und biographischen Ausführungen zum Verhältnis von L. und D . :

D . mit L. auf der Coburg 1530, S. 63—87, D . als Hausgenosse L.s im Schwarzen Kloster und seine Tischredensammlung, S. 88 ff., und D.s Tätigkeit als L.s Amanuensis, S. 96—124. Die theologischen Positionen sind in folgenden Punkten ausführlich dargelegt: Charakteristische Einzelfragen zur Theologie D.s in ihrem Verhältnis zur Theologie L.s und Melanchthons, S. 312—330 (s. bes. zum Problem des Synergismus S. 313 ff., der Frage der Notwendigkeit der guten Werke S. 316 ff. und der Abendmahlslehre S. 321 ff.). Zu D.s Edition der Genesisvorlesung L.s finden sich die biographischen Angaben auf S. 17, über die Fortsetzung der Arbeit durch Michael Roting und Hieronymus Besold auf S. 303. Uber die Beurteilung der Arbeit D.s durch die Zeitgenossen und durch die gegenwärtige Kritik S. 345—347, 428 und 433 f.

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Einleitendes V o r w o r t

Sicherlich entbehrt P. Meinholds Skepsis nicht einer gewissen Berechtigung, sie dürfte aber wohl kaum dazu zwingen, auf den Großen Genesiskommentar als Quelle für die Theologie Luthers gänzlich zu verzichten — was wohl auch kaum die Absicht Meinholds gewesen sein kann. Seine Untersuchung ist in gewissen Teilen vielleicht weniger von philologischer, quellenkritischer Skepsis als vielmehr von dem Trend der älteren Generation der Lutherforscher geleitet gewesen, Argumente zu sammeln für die These, daß eigentlich nur der jüngere Luther das eigentlich Reformatorische biete, beim älteren aber rekatholisierende Tendenzen zu verzeichnen seien24. Die größere Unbefangenheit, die sich nun unter den Lutherforschern, was die Anwendung des Großen Genesiskommentars anbelangt, geltend macht, rührt wohl von der Entdeckung her, daß sich darin eben viele Gedanken finden, die Luthers theologische Gesamtanschauung in ein helleres Licht rücken, Gedanken also, die offensichtlich von Luther selbst, nicht aber von seinen Schülern stammen25. Man sieht die Hand der Editoren, aber man hört die Stimme Luthers26. Zum Schluß sei hier all denjenigen herzlicher Dank gesagt, die die Abfassung dieser Arbeit in irgendeiner Weise gefördert haben. Ein Decennium lang durfte ich als Lernender von der Arbeit der Professoren und Dozenten an der Theologischen Fakultät der Universität Lund profitieren. Professor Dr. Ragnar Bring war es zuerst, der mich zur systematischen Theologie hinführte und mein Interesse gerade für die reformatorische Theologie weckte. In einem seiner systematischen Seminare habe ich die zwei ersten Kapitel dieser Abhandlung vorlegen können und schulde nun hier für die positive und anregende Kritik, die mich damals nötigte, vieles noch einmal besser durchzudenken, aufrichtigen Dank. Der großen Mühe, mich auf der langen Wegstrecke bis zur Fertigstellung dieser Arbeit beratend zu begleiten, hat sich Professor Dr. Gustaf Wingren unterzogen; besonders ihm, der die ganze Abhandlung im Manuskript durchgelesen hat, verdanke ich wertvolle Hinweise. Mit Bewunderung erwähne ich hier die überlegene Großmut, mit der er mich zu leiten verstand; immer dem Schüler die Freiheit lassend, immer mehr fragend und zum selbständigen Denken ermutigend als dirigierend, hat er mit wissenschaftlicher Vornehmheit die eigene überlegene Sachkenntnis auf dem Gebiet meiner Abhandlung mir gegenüber nie zur Bevormundung, wohl aber zur Erziehung zum sachgemäßen Denken angewandt. 2 4 Schon E. Seeberg 1932 (s. bes. S. 105 f.) hatte zur Vorsicht hinsichtlich der formalen Gestalt des Kommentars gemahnt, seinen sachlichen Inhalt dagegen positiv bewertet. P. Meinhold, der den Genesiskommentar vom jungen Luther her beurteilt, muß zugeben, „daß die Genesisvorlesung doch auch viel edites Material enthalten muß, das nur durch den Bearbeiter teils zerstört, teils umgedeutet worden ist. Überraschend deutlich haben, und zwar bis in die Formulierungen hinein, sich in der bearbeiteten Vorlesung auch die Konzeptionen und religiösen Motive des Luther der Psalmen und Römerbriefvorlesung erhalten": P. Meinhold 1936, S. 399. 25 Neuerdings u. a. B. Lohse, Ratio und fides in der Theologie Luthers, S. 55, und E. Thestrup Pedersen, Luther som Skriftfortolker, S. 395, Anm. 2, und G. Heintze, Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium, S. 48, Anm. 30. 2 8 Vgl. die positive Beurteilung des Genesiskommentars bei J . Pelikan in seiner Einleitung zu Bd. I der amerikanischen Ausgabe von Luthers Werken, Saint Louis 1958, S. X I I .

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Die von ihm und Professor i. V., Dozent Dr. Gunnar Hillerdal geleiteten Seminare in theologischer Ethik, an denen ich eine Reihe von Jahren teilnehmen durfte, waren für mich stets lehrreich und anregend. Außer diesen meinen Universitätslehrern sei hier auch der langjährigen Studiengemeinschaft mit Dozent Dr. Olof Sundby Erwähnung getan, der ich so viel verdanke — nicht zuletzt wegen der vielen fruchtbaren theologischen Gespräche, die wir miteinander führen konnten. Wer schließlich den Nestor der Lundenser Theologie, den allseits hochverehrten Bischof Professor Dr. Gustaf Aulén kennt, kann wohl ermessen, wieviel es für mich bei der Abfassung dieser Arbeit bedeutete und welche Dankbarkeit ich darüber empfinde, gerade ihn zum aufmunternden, erfahrenen, väterlichen Freund und Gesprächspartner gehabt zu haben. In Dankesschuld stehe ich gegenüber dem Schwedischen Institut für kulturellen Austausch mit dem Ausland für das Dänische Staatsforschungsstipendium, durch das mir ein viermonatiger Studienaufenthalt in Kopenhagen und Aarhus ermöglicht wurde. Der Kontakt mit den Lehrern der beiden theologischen Fakultäten Dänemarks, insbesondere aber die Gespräche mit Professor Dr. K. E. Skydsgaard, Kopenhagen, und Professor Dr. R. Prenter, Aarhus, waren sehr lehrreich für mich. Schon im Jahre 1951 hatte ich durch ein vom Weltrat der Kirchen gewährtes Stipendium die Möglichkeit, ein ganzes Sommersemester lang an der Universität Göttingen die kontinentale systematische Theologie kennenzulernen. Im Sommersemester 1958 bot sich mir durch das von der hiesigen theologischen Fakultät gewährte Pfannenstillsche Reisestipendium wieder die Möglichkeit zu einem zweimonatigen Besuch in Deutschland, diesmal an der Universität Erlangen. Der Zugang zur reich ausgestatteten theologischen Seminarbibliothek, der Besuch der Vorlesungen und Seminare wie auch der persönliche Kontakt mit den Professoren, von denen ich hier vor allem P. Althaus, W. Künneth, W. von Loewenich und W. Maurer erwähnen möchte, waren mir eine große Hilfe beim Zurechtfinden in der kontinentalen Lutherforschung. Außerordentlich großzügige Gastfreiheit während meiner Erlanger Zeit durfte ich im Hause von Professor Dr. W. Joest genießen; dafür, für alle Freundlichkeit und für die mannigfaltigen wertvollen Hinweise, die er mir nach dem Durchlesen der zwei ersten Teile des Manuskripts dieser Arbeit geben konnte, weiß ich ihm großen Dank. Den Studienfreunden von der Lunder Universitätsbibliothek und den Teilnehmern an den Seminaren in Dogmatik und Ethik sei für alle Freundschaft und die vielen anregenden Gespräche während der verflossenen Jahre gedankt. Aus der Vielzahl dieser Freunde seien hier nur die herausgehoben, die in den letzten Wochen und Monaten mir die schwere Last des Korrekturlesens und Zitateprüfens in aufopfernder Weise tragen halfen: teol. lie. und fil. mag., Pastor Bengt Hallgren; teol. kand., Pastor Staffan örneskans; teol. kand., Pastor Jan Jansson; teol. kand. und fil. mag. Sven Sandström; teol. und fil. kand., Pastor ArvidWikerstâl; teol. stud. Lars Gunnar Carlberg und teol. kand. und fil. mag., kyrkoherde Bertil Lindberg. Für die zeitraubende und mühselige Arbeit der Übertragung des schwedischen Manuskriptes ins Deutsche habe ich vor allem Frau Dr. phil. Christiane Boehncke-

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Einleitendes V o r w o r t

Sjöberg, die diese mit großer Sachkenntnis besorgte, zu danken. Beim Übersetzen von einzelnen Abschnitten waren mir auch teol. stud. H. D. Rappmann, Lund, und Pfarrer A. Winter, Gelsenkirchen, eine große Hilfe. Wertvolle theologische Hinweise wurden mir von meinen beiden deutschen Freunden und Lunder Stipendiaten, den Vikaren Friedrich Duensing und Sören Widmann, bei der Durchsicht der Übersetzung gegeben. Den Bibliothekaren der hiesigen Universitätsbibliothek meinen Dank für alle Hilfsbereitschaft, sachkundigen Rat und großes Verständnis gegenüber etwaigen Bücherwünschen zu sagen, möchte ich nicht versäumen. Besonders verpflichtet weiß ich mich der Firma Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen, die sich als Verlag meiner Doktorarbeit angenommen hat. Diese Verpflichtung empfinde ich vor allem gegenüber Dr. Arndt Ruprecht, der beim Durchlesen des Manuskripts und beim Aufstellen des Sach-, Bibelstellen- und Personenregisters mir so sachkundig half. Ich möchte diese Arbeit dem Gedächtnis meiner Eltern widmen, die den Abschluß des Ganzen leider nicht mehr erleben durften. Ihre beständige, liebevolle Fürsorge werde ich nie vergessen. Last but not least richtet sich mein Dank an meine liebe Frau Brita, deren treue, nie ermüdende Fürsorge für unsere Familie gerade in den letzten beiden Jahren der intensiven Arbeit für mich die größte Hilfe und Stütze war. L u n d , im März 1960

David Löfgren

INHALT Einleitendes Vorwort

7 A. S c h ö p f u n g u n d L e b e n

Kapitel I : Die Schöpfung Gottes

21

1. Creatio ex nihilo 2. Creare semper novum facere 3. Creatura bona

21 37 45

Kapitel II : Der Mensch Gottes

61

1. Dominus mundi 2. MandatumDei 3. Vita aeterna

61 79 89

Β. Fall und Tod Kapitel III : Der Fall des Menschen

97

1. SicutDeus 2. Abusus

97 105

Kapitel I V : Die Macht des Bösen

115

1. Culpa et poena 2. Mundus et diabolus 3. Lex peccati et mortis

115 125 141

C. W i e d e r h e r s t e l l u n g u n d V o l l e n d u n g Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung 1. Verbum et 2. Deus nudus et vestitus 3. Deus absconditus et revelatus Kapitel V I : Versöhnung und Vollendung 1. Opus Dei alienum et proprium 2. Deus incarnatus et crucifixus 3. Creatio ex nihilo Bibelstellen Personenregister Sachregister Literatur

fides

163 163 193 225 241 241 255 272 309 313 316 325

Α. SCHÖPFUNG UND L E B E N

„Prima ratio haec est, quod non credunt Deum esse creatorem coeli et terrae. Si enim crederent, se esse Dei creaturam et Deum esse creatorem, nunquam opponerent ei merita seu opera . . . creatura ex nihilo est: ergo nihil sunt omnia, quae creatura potest, si scilicet creatori opponantur, qui dedit ei esse." WA 43,178, 39—179,2 (Großer Genesiskommentar 1535—1545 Gn 21,17).

KAPITEL I

Die Schöpfung Gottes 1. C r e a t i o e x n i h i l o „Creatura ex nihilo est: ergo nihil sunt omnia, quae creatura potest." 1 So drückt Luther in seinem Großen Genesiskommentar (1535—45) seine Überzeugung aus, daß die Schöpfung eine Tat dessen ist, der vor und unabhängig von der Kreatur existiert und daß sie alles von ihm, der das Leben in sich selbst hat, empfangen muß. Dieser zentrale Grundgedanke Luthers, der ja auch in seiner Rechtfertigungslehre Ausdruck findet, soll uns in diesem ersten Kapitel beschäftigen. Zuerst aber seien die Themen aufgeführt, die im Folgenden eingehend dargelegt werden sollen, die aber schon hier erwähnt werden, weil sie für das Verständnis des Aufbaus unserer Untersuchung von Bedeutung sind. Luthers Theologie der Schöpfung beginnt nicht bei der Darstellung des Schöpfers, sondern beim konkret Geschaffenen. Hier nimmt der Mensch eine besondere Stellung ein. Ihm ist nicht nur das Leben, sondern auch die Offenbarung Gottes gegeben. Vom Schöpfer weiß der Mensch nur, weil sich Gott, indem er fortwährend schafft, in seinem Werk fortwährend kundtut. Vom Menschen kann man theologisch nur in Beziehung zu diesem Schaffen und Sich-Offenbaren Gottes sprechen, aus dem auch die Gerechtigkeit des Menschen entspringt. Der Mensch ist aber auch gefallen und die ganze Schöpfung durch den Fall des Menschen unter Gottes Zorn geraten. Er ist nicht so, wie Gott ihn haben will, und seine Ungerechtigkeit spiegelt sich in dem Kampf, der sich in der ganzen Schöpfung zwischen Gut und Böse, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Zorn und Liebe, Leben und Tod abspielt. Gott hat, um seine Schöpfung zu erhalten und sie zu ihrem Ziel zu führen, den gefallenen Menschen unter den Zwang des Gesetzes gestellt. Die Erlösung bedeutet aber Befreiung von Gesetz und Tod, und davon handelt das Evangelium von Jesus Christus, das dem Menschen die neuschaffende Liebe Gottes offenbart. Gott wird deshalb dem konkreten Menschen als der in Gesetz und Evangelium, Liebe und Zorn Gegenwärtige offenbar. Schöpfung und Erlösung dürfen nach Luther nicht gleichgesetzt werden. Gott ist der Urheber alles übrigen; er schenkt also allen Menschen Leben und Bewahrung schon vor der Offenbarung des Evangeliums. 1

WA 43,178,39—179,2 (Gn21,17).

22

Kapitel I : Die Schöpfung Gottes

Schöpfung und Erlösung dürfen aber auch nicht voneinander isoliert betrachtet werden. Der Gott des Zornes bzw. des Gesetzes und der Gott der Gnade bzw. des Evangeliums ist der Schöpfer Himmels und der Erde, und Zorn und Gnade begegnen deshalb nicht unabhängig von der Schöpfung, sondern gerade in ihr. Der beständig schaffende Gott wird also nur in der Einheit von Schöpfer und Erlöser offenbar, aber Luthers Theologie fängt mit der Lehre von der Schöpfung an, weil für ihn die Erlösung nicht Befreiung von der Schöpfung, sondern ihre Wiederherstellung und Vollendung bedeutet. Gottes Gegenwärtigkeit in der Schöpfung und die damit zusammengehörige Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium, die wir im dritten Teil unserer Abhandlung (C) unter dem Gesichtspunkt Wiederherstellung und Vollendung betrachten werden, läßt sich nicht ohne Rücksicht auf den in den beiden ersten Teilen (A und B) unserer Abhandlung dargestellten Zusammenhang zwischen Schöpfung und Fall bzw. Leben und Tod verstehen. Als theologischer Begriff enthält das Wort „Schöpfung" zwei verschiedene Bedeutungen2. Entweder bezeichnet es eine Tat Gottes (creare), oder auch das Resultat dieser Tat, d. h. ein Produkt des Schaffens (creatura), das als etwas anderes als Gott und sein Handeln betrachtet werden kann3. Diese Gegenüberstellung von Gott und Kreatur ist aber in der Geschichte der Theologie auf verschiedene Weise gelöst worden4. In diesem ersten Kapitel werden wir, um eine vorläufige Antwort auf die Frage nach Luthers Auffassung von Ursprung, Wesen und Bestimmung der ganzen Schöpfung Gottes zu bekommen, zunächst untersuchen, wie Luther dieses Problem zu bewältigen versuchte. Der Mensch, der ja für 2

Siehe F. Alin, Studier öfver Schleiermachers uppfattning af det evangeliska skapelsebegreppet (LUA, N.F., AFD 1, Bd. 4, Nr. 4), Lund 1909, S. 1. 3 Wenn E. Hirsch von der „Zweisinnigkeit" des Wortes „Schöpfung", dessen „sensu passivo" und „sensu activo" spricht, schließt er sich einer alten scholastischen Distinktion an, die auch Luther beachtet (vgl. J. Altenstaig, Lexicon Theologicvm, Antverpiae, 1576, Sp. 74 b). Hirsch hat damit auf eine rein terminologische Problematik hingewiesen, die in der modernen Theologie leicht übersehen wird: Hirsch, Schöpfung und Sünde (BsTh Bd. 1), Tübingen 1931; siehe auch Biblisch-Theologisches Handwörterbuch zur Lutherbibel etc., hrsg. v. E. Osterloh und H . Engelland, Göttingen 1954, S. 318. 4 In der kontinentalen „Theologie der Ordnungen" wurde die Schöpfung nur als ein Produkt betrachtet; man legte sich auf eine für Luther falsche Alternative fest. Aber auch die Kritiker dieser Theologie waren oft an dieselbe falsche Alternative gebunden. Siehe z.B. die Analyse der „Theologie der Ordnungen", die A. Runestam in SvTK 1937, S. 123—144 gibt, ohne sich jedoch selbst von der rein terminologischen Schwäche des Denkens der Ordnungstheologie freizumachen. Auch in der modernen Theologie, wo eine lebhafte Diskussion über den „personalen" bzw. den „ontischen" Charakter der Gottesrelation im Gange ist, hat man — indem man sich auf Luther beruft — einerseits die Betrachtung der Schöpfung als einer Handlung Gottes, und andererseits die Betrachtung der Schöpfung als eines Produkts, isoliert. Im ersten Fall betont man den „aktualen" oder „personalen" Zug im Schöpfungsgedanken, im letzten Fall den „substantiellen" oder „ontischen". Keiner Richtung ist es indessen gelungen, den eigentlichen Intentionen Luthers gerecht zu werden, daß die Schöpfung f ü r ihn sowohl Akt wie auch Sein ist. Wenn die Aktualisten zu einer gewissen Spiritualisierung des Schöpfungsgedankens kommen, so kann man bei den Substanzdenkenden einen Ansatz zu einer für Luther fremden statischen Betrachtungsweise vermerken. Siehe hierzu D. Bonhoeffer, Akt und Sein. Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie (Theol. Bücherei, Bd. 5. Syst. Theol.), München 19562.

1. Creatio ex nihilo

23

Luther die Krone der Schöpfung ist, findet dann erst im nächsten Kapitel eine eingehendere Behandlung. Der Begriff „creatio ex nihilo" eignet sich besonders gut als Einführung in diese Problematik. Er führt uns aber auch direkt in die Mitte von Luthers Theologie der Schöpfung, mit der wir uns in der folgenden Darstellung eingehender zu beschäftigen haben. Am Schluß der Abhandlung werden wir aber auch Gelegenheit haben, auf den Begriff creatio ex nihilo zurückzukommen; erst wenn wir dann abschließend die Ergebnisse unserer Untersuchung überblicken, können wir auch die zentrale Bedeutung dieses Begriffes recht einschätzen. Wie wir sahen, stellt Luther gelegentlich die Kreatur in ihrem Gegensatz zur Souveränität Gottes dar; Gott ist nicht wie die Kreatur, die ganz abhängig von dem ist, der „solus est et solus ex nihilo fecit omnia" 6 . Wie wir in Teil C deutlicher sehen werden, tritt für Luther die Souveränität Gottes nicht in seiner Erhabenheit über die Schöpfung, sondern in seiner handelnden und liebenden Gegenwart in der Schöpfung hervor. Gottes Souveränität wird also in seine Schöpfungsmacht gelegt. Die Schöpfung ist Ausdruck der Liebe Gottes, denn er braucht nicht zu schaffen; weil Gott der völlig Souveräne ist, kann er tun und lassen, was er will®. Wollen und Können ist bei ihm ein und dasselbe. Gott allein hat freien Willen (liberum arbitrium), denn weder Unvermögen noch Zwang schränken sein Handeln ein 7 . Luther begründet also Gottes Souveränität nicht in einer philosophischen Idee vom höchsten Sein, sondern in dem Zeugnis der Heiligen Schrift von Gott als dem höchsten Willen : „Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen was er will" (Ps 115,3) 8 . Das Schaffen (creare) wird deshalb nicht nur als das Hervorbringende, sondern auch als das Befehlende, Formende und Lebenspendende verstanden, und 5 W A 39/11, 340, 20 (Die Promot. Disp. von Hegemon 1545). „Denn Gott ist nicht geschaffen oder gemacht wie w i r Menschen geschaffen sind, sondern ist von ewigkeit, niemand hat jme sein Wort, rede und gespreche etc. gegeben, was er ist, das ist er von jm selbr von ewigkeit, was aber wir sind, das haben wir von jme, und nicht von uns, er aber, Gott, hat alles von jme selber": W A 46, 5 4 4 , 1 6 — 2 0 (Auslegung Joh 1—2 1537 Kap. 1 , 1 Dr.). 6 „Ea enim potest et facit (sicut Psalm, canit). Omnia quae vult in coelo et in terra": W A 1 8 , 6 3 6 , 2 9 ff. (De servo arbitrio 1525). Gottes Aseität ist also nicht Eigenschaft, sondern Schöpfermacht. In der Auslegung zu Ps. 90 in Enarratio Psalmi 1534/35 heißt es (zu Vers 2): „Substantia et Maiestas et essentia divina omnibus proprieratibus, quae possunt colligi ex divinitate: Est eternus, immortalis, beatus, sapiens, potens, quia aliunde nihil accepit, non est, ,qui prior sibi' (Rom 1 1 , 3 5 ) , solus est sibi etc. . . . Dicit montes,natos' et terram et omnia etc., significat quasi proprietatem et conditionem creationis. Non utitur vocabulo ,creavit', ,fecit'. Scilicet significat ipsum egressum Creaturae ex nihilo in aliquid" : W A 4 0 / 1 1 1 , 5 0 8 , 1 1 — 5 0 9 , 1 1 (Hs). 7 „Sequitur nunc, liberum arbitrium esse plane divinum nomen, nec ulli posse competere quam soli divinae maiestati": W A 18, 6 3 6 , 2 7 ff. (De servo arbitrio 1525). Wenn Luther den Willen des Menschen als „geknechtet" bestimmt, so hängt das also damit zusammen, daß Wille und Freiheit Gottes in Aseität und Allmacht Gottes begründet sind. Siehe R. Bring, Kristendomstolkningar, Lund 1950, S. 251, und L. Haikola, Studien zu Luther und zum Luthertum ( U U A 1958,2), Uppsala, Lund 1958, S. 73. 8 Siehe H. Bornkamm, Luther und das Alte Testament, Tübingen 1948, S. 54—68, und H.-W. Krumwiede, Glaube und Geschichte in der Theologie Luthers ( F K D G Bd. II), Göttingen 1952, S. 27.

24

Kapitel I : Die Schöpfung Gottes

die Relation der Schöpfung zu ihrem U r s p r u n g ist somit nicht die Relation der W i r k u n g zu ihrer U r s a c h e ; zwischen G o t t als „ U r s a c h e " und der Schöpfung als „ W i r k u n g " steht i m m e r ein „ N i c h t s " , das jede Kausalitätsrelation in g e w ö h n lichem Sinne ausschließt. F ü r L u t h e r steht die Schöpfung in Relation z u m Schöpfer als dem höchsten Willen, der den K r e a t u r e n aus d e m Nichts Form, Ordnung u n d Leben

gibt9.

D e r A u s d r u c k „ e x n i h i l o " ist ja an sich kaum biblisch, o b w o h l der Gedanke der Schöpfung aus d e m N i c h t s s o w o h l i m Alten, als a u c h i m N e u e n T e s t a m e n t reichlich bezeugt ist 1 0 . Seine dogmengeschichtliche B e d e u t u n g und A u s p r ä g u n g erhielt der A u s d r u c k während des ersten christlichen Jahrhunderts d u r c h die T h e o l o g i e der A p o l o g e t e n 1 1 . D i e W e l t w a r nicht — wie die Gnostiker glaubten — das W e r k eines bösen Gottes, sondern die Schöpfung des g u t e n E r l ö s e r g o t t e s aus d e m N i c h t s 1 2 . D i e v o n der griechischen Philosophie beeinflußten

Theologen

lehnten zwar den gnostischen Dualismus ab, nahmen aber statt dessen an, daß die W e l t v o n E w i g k e i t her sei. Theophilus v o n Antiochia u. a. hatten daher Anlaß, gegen einen solchen Schöpfungsbegriff (Origines) zu betonen, ,,δτε εξ ουκ τά πάντα (ο &εός) εποίησεν"13.

δντων

N a c h Irenaeus g e h ö r t e es zur christlichen L e h r e ,

daß die W e l t allein aus G o t t u n d sonst „ a u s d e m N i c h t s " h e r v o r g e g a n g e n sei 1 4 . A u g u s t i n g e h ö r t e zu den T h e o l o g e n , die diesen Gedanken weitergeführt haben 1 6 . » W A 4 0 / I I A , 5 0 8 , 5 — 5 0 9 , 1 (Enarratio Psalmi 1534/35 Hs P s 9 0 , 2 ) . Siehe hierzu audi Η. Lindroth, Katolsk och evangelisk kristendomssyn (UUÂ 1933, 2), Uppsala 1933, S. 167. 10 In der Vulgata kommt der Ausdruck an sich nur einmal vor, nämlich im 2.Makk 7,28: „Peto, nate, vt aspicias ad caelum Sc terram, & ad omnia quae in eis sunt: & intelligas, quia ex nihilo fecit illa Deus, &hominum genus"; im N T findet sich der Gedanke an mehreren Stellen ausgedrückt, u . a . in Rom 4, 17 und H e b r l l , 3 . Hierzu siehe J . Brinktrine, Die Lehre von der Schöpfung, Paderborn 1956, S.30—33, 1 1 Das lateinische Begriffssymbol „ex nihilo" und seine griechische Variante „ef ουκ όντων" kann mit völliger Sicherheit erst zu einer Zeit nachgewiesen werden, wo dualistische griechische Spekulationen zuerst einem jüdischen und dann einem diristlichen Sdiöpfungsgedanken zu widersprechen und ihn zu beeinflussen beginnen, d.h. als sich eine Vermischung des ursprünglichen, von einem Willensakt her orientierten Schöpfungsgedankens mit einem vom Naturverlauf von Ursache und Wirkung her orientierten in der Theologie geltend macht: siehe W. Dilthey, Weltanschauung und Analyse des Menschen (Gesammelte Schriften Bd. I I , Leipzig und Berlin 1914), S. 4. 1 2 Die interessanteste Gestalt ist hier Marcion, der, obwohl er Gottes souveräne Liebe so stark betonte, aus der biblisch-christlichen Tradition ausbrach, indem er leugnete, daß der Gott des Heils derselbe wie der der Schöpfung sei. Siehe A. Nygren, Den kristna kärlekstanken genom tiderna, Teil I I , Stockholm 1947 2 , S. 116 ff. (dt. Eros und Agape, Gütersloh 1956 2 , S. 247 ff.). Den Gegensatz zwischen Apologeten und Gnostikern gerade vom Schöpfungsgedanken her betr., siehe G. Wingren, Frälsningens Gud sasom skapare och domare (SvTK 1940, S. 322—339), wo u.a. betont wird, daß das Verleugnen des biblischen Schöpfungsbegriffs eine Verunreinigung audi des christlichen Liebesbegriffs bedeutet. „Schöpfung, Gesetz und Erlösung weisen gegenseitig aufeinander hin und machen zusammen einen Gedanken aus . . . (Ubers.): ib. S. 339. 1 3 Theophili Episcopi Antiocheni. Ad Autolycum I I , 10 (Corpus Apologetarum Christianorum V I I , ed. Theod. von Otto. Jena 1861, S. 278 if.). 14 Irenaeus, Adversus Haereses II, 14. Siehe auch hierzu G. Wingren, Människan och Inkarnationen enligt Irenaeus, Lund 1947, S. 25 ff. (engl. Man and the Incarnation, EdinburghLondon 1959, S. 3 ff.). 1 5 Augustinus, Confessiones X I , 5 und X I I , 7. Siehe audi J . Brinktrine 1956, S. 33 ff.

1. Creatio ex nihilo

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Ein Jahrtausend später kann also Martin Luther auf eine alte kirchliche Tradition zurückgreifen, die glaubt, daß Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen hat. Wie wir in der folgenden Darstellung feststellen werden, steht Luther in vieler Hinsicht besonders Augustin nahe. Durch seinen Gegensatz zur griechischen Philosophie entfernte sich Luther aber auch von seinem Lehrmeister, der ja in seinem theologischen Denken biblischen und neuplatonischen Gedankenstoff verschmolzen hatte. Dies zeigt sich auch in der Auffassung des ex-nihilo-Gedankens. Während er bei Augustin von einem neuplatonischen Schöpfungsbegriff geprägt ist — das Nichts, woraus Gott schafft, ist nicht mit dem Willen Gottes identisch, sondern eine Art böses Prinzip —, wird dagegen bei Luther das Nichts identisch mit dem souveränen Willen Gottes : Gott schafft alles übrige aus sich selbst; sein Schöpferwille ist der einzige Grund der Kreatur. Luther setzt aber auch „ex nihilo" als eine Sicherung gegen das aristotelische Weltbild ein, das jeden Gedanken an ein unablässiges Schaffen letztlich ausschließt16. Die Welt ist für Luther kein Schiff, das gebaut ist, um dann von selbst zu fahren; das „nihil" der Welt, aus welchem sie hervorgegangen ist, liegt also nicht irgendwo in der Vergangenheit, sondern ist das, woraus jede neue Kreatur, jeder neue Mensch bei seiner Geburt hervortritt; ja sogar jeder Augenblick und jede Stunde werden von Gott stets von neuem geschaffen17. Der Schöpfungsbegriff hat damit bei Luther eine teilweise andere Bedeutung erhalten als bei den meisten früheren Vertretern des ex-nihilo-Gedankens; er ist aktual verstanden. Nicht nur Luthers Kosmologie und Anthropologie, sondern auch seine Hamartologie und Soteriologie können von diesem aktualen Charakter des Begriffes „creatio ex nihilo" her ihre Beleuchtung finden. 16

Die Konsequenz der Weltbetrachtung des Aristoteles ist nach Luther, daß die Welt ewig ist: WA 42,3,30—4,15 (Gn 1,1). Wenn Aristoteles lehrt, daß der Mensch in Ewigkeit derselbe bleibt, nimmt er — meint Luther — den Beweis hierfür nur aus der seelenlosen N a t u r : WA 10/1,1,567ff. (Kirchenpostille 1522). Aristoteles zieht also vom Besonderen ausgehend, allgemeine Schlüsse, die Wirklichkeit aber ist — meint Luther — aus Individualitäten aufgebaut, und die scholastische Ontologie gerät daher mit dem biblischen Schöpfungsgedanken in Widerstreit, der davon ausgeht, daß jedes Geschöpf unmittelbar vor Gott steht: WA 18, 673,13—33 (De servo arbitrio 1525). Eine philosophische Bestimmung der Wirklichkeit neigt nach Luther dazu, der Schöpfung Eigenschaften zu verleihen, die allein dem Schöpfer zukommen. Da aber Gott allein alles in der H a n d seiner Allmacht hält, „mus zu jeder zeit etwas mercklichs geschehen sein", d. h. ein konkretes Geschehen zu einem konkreten Zeitpunkt, aus dem allgemeine Schlüsse nicht gezogen werden können: WA 50,383,1 —385,35 (Vorrede zu Historia Galeatii Capellae 1538). Wäre die Wirklichkeit einheitlich, so daß man durch die Erkenntnis des Teils den Schluß auf das Ganze ziehen könnte, so wäre der Mensch kraft seiner Erkenntnis der souveräne Herr der Schöpfung. Nun kann das aber nicht geschehen, meint Luther, weil der Mensch nicht ein Concreator Gottes, sondern nur sein Cooperator ist: WA 47, 857,35 (Pred. am Michaelistage 1539). Das Wesen Gottes und das des Menschen ist also nicht etwas, das man ohne Weiteres von der äußeren Wirklichkeit herleiten kann, da die Schöpfung und Gott nicht identisch sind und der Mensch etwas anderes als z.B. das Tier ist: vgl. W.Link, Das Ringen Luthers um die Freiheit der Theologie von der Philosophie (FGLP IX, 3), München 1940, S. 141 und 209 f. Siehe hierzu auch unten Kap. V, 2. 17

S. Kap. 1,2, Anm.4 und 5.

26

Kapitel I : Die Schöpfung Gottes

So sagt Luther in einer seiner älteren Predigten, daß man zwischen drei „nihil" unterscheiden kann: dem leeren Nichts (nihil proprio vocabulo), dem Falschen (falsum) und dem Bösen (malum). Der Gegensatz des ersten Nichts ist das wahre Sein (ens), das zweite Nichts steht dem Wahren (verum) gegenüber, und das dritte dem Guten (bonum). Gottes Tat zum Heil des Menschen kann in allen drei Bedeutungen als eine „creatio ex nihilo" bezeichnet werden18. Die Schöpfung aus dem Nichts kann also einmal Erschaffung und zum anderen Erlösung bedeuten. Schöpfung und Erlösung sind beide als eine „creatio ex nihilo" aufgefaßt. Wichtig ist außerdem zu bemerken, daß die Schöpfung „im Anfang" hier wie im Großen Genesiskommentar19 ganz undualistisch aufgefaßt wird. Das ist um so bemerkenswerter, als diese frühe Predigt augustinisch-neuplatonische Ausdrücke verwendet. Gottes Schöpfermacht wird also nicht so aufgefaßt, als konkurriere sie mit einer anderen Seinsmacht; „nihil" ist nicht der negative Gegenpol Gottes, sondern nur Ausdruck der Freiheit und Souveränität Gottes, der allein Schöpfung und Heil bewirkt20. Es kommt hier der gleiche Gedanke zum Ausdruck wie im Großen Genesiskommentar: „creatura ex nihilo est: ergo nihil sunt omnia, quae creatura potest."21 18

WA 4,595—602 (Pred. über das Evang. des 2. Pfingstfeiertages Joh3,16). Siehe besonders ib. 600,23—601,3. In welchem Jahr diese Predigt gehalten worden ist, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, doch dürfte der Zeitpunkt um etwa 1516 liegen. Zwar begegnen uns hier Luthers Gedanken — wie oft bei dem jüngeren Luther — in einem neuplatonisdi-augustinischen Sprachkleid, doch ist hier der Inhalt auf eine originelle Weise von einem biblisdien Realismus geprägt. Vgl. Georg Buchwald, Luther über die Welt als „Mitwirkerin Gottes" (Luther, Mitteilgn. derLuthergesellsch., 23. Jg., Gütersloh 1941, S. 49—73). 19 Vgl. WA 42,6, 24—29 ( G n l , l ) . 20 „Hunc igitur filium nobis natum, nobis datum, nostrum fecit Deus pro nobis . . . Ad quid igitur dédit ista tria? Audi: ut non pereat, sed habeat vitam aeternam . . . " : WA4,600, 19—23. 21 WA 43, 179,1 (Gn 21,17). „Creare" heißt bei Luther teils erschaffen und ordnen, teils bewahren und erretten von der Verwüstung und Zerstörung des Geschaffenen. Es kann sowohl dem Gedanken der „creatio ex nihilo", als auch dem Gedanken der Schöpfung aus dem Chaos Ausdruck verleihen. Als die Erde nodi nicht „geschmückt", sondern „Tohu et Bohu" (wüst und leer) war, war sie nodi ein „nihil". „Tohu pro nihilo ponitur ut terra Tohu sit, quae simpliciter in se inanis sit": WA42,6,31—8,8 ( G n l , 2 ) . Wie wir auch unten deutlicher zeigen werden, ist Luthers Schöpfungsbegriff nicht prinzipiell dualistisch. Nur dem Sünder ist Verwüstung und Tod ein Feind: vgl. unten Anm. 26. Es tritt dann die Frage auf, ob Luther im Gegensatz zur modernen alttestamentlidien Exegese steht, die ja nunmehr das „dualistische" Element im A.T. stark betont; die Schöpfung wird ja als Jahwes Überwindung der feindlichen Chaosmädite, des Wassers bzw. der Wüste, und Gott als der Schöpfer des Lebens und der Fruchtbarkeit aus dem feindlichen Chaos beschrieben. Siehe hierzu J. Pedersen, Israel I—II, Sjœleliv og Samfundsliv, Kobenhavn 19342, S. 366 ff. Man darf aber nicht übersehen, daß Jahwes Tat der Weltschöpfung nicht nur ein Datum der Vergangenheit ist, sondern audi in einem aktuellen Bezug zu seinem gegenwärtigen Heilshandeln steht: siehe R. Rendtdorff, Die theologische Stellung des Schöpfungsglaubens bei Deuterojesaja (ZThK 51. Jg., 1954), S. 12 f. Daß im AT Jahwes Heilshandeln mit dem Sündenfall zusammenhängt, wird aber in der modernen Exegese nicht immer klar ausgesprochen; nicht immer sieht man, daß der Gegensatz Leben und Tod im AT mit dem Gegensatz Gesetz und Chaos zusammenhängt. Was nicht geordnet ist, ist „nihil", d. h. es ist dem Gesetz Gottes nicht entsprechend, es ist wie Lüge im Verhältnis zur Wahrheit, wie das Ungeordnete im Verhältnis zur Ordnung. In diesem Sinne ist Chaos einmal das „nihil",

1. Creatio ex nihilo

27

Die Präposition „ex" bezieht sich nun aber auch nicht auf eine Materie, die etwa neben Gott bestünde und aus welcher die Schöpfung hervorgegangen wäre. In seiner Auslegung von Gen 1 betont Luther, daß Gottes Schöpfung „aus dem Nichts" kommt, d. h. daß nichts anderes als Gottes guter Wille im Anfang steht. Es ist aber interessant, zu beobachten, wie Luther in seiner Genesisauslegung auch betont, daß die Erschaffung der Welt ein doppelter Vorgang war22; zuerst wurde die Materie erschaffen; aus dieser trat dann die Ordnung oder Form hervor (das Schmücken). Die Materie hat kein Gestaltungsvermögen, sondern wird von Gottes Schöpfungsmacht aus ihrer Formlosigkeit herausgerufen. Auch die Form wird „ex nihilo" geschaffen; auch die ungeordnete Welt (Chaos) ruht also in Gottes Willen; sie ist in sich selbst ein „Nichts". Ehe die Erde „geschmückt" wird, ist sie „wüst" und „leer", und solange dieser Zustand herrscht, ist sie weder ein „beinahe Nichts" (Augustin), noch ein selbständiges Sein (Lyra), sondern ruht in Gottes Schöpferwillen, der sie allmählich mit Form und Leben erfüllt, und steht so in einem Übergangsstadium von etwas Totem und Inaktivem zu etwas Aktivem und Lebendigem23. Pflanzen und Tiere existieren deshalb vor ihrer Erschaffung nicht unabhängig in der Erde, die sie hervorbringt; sie ruhen in Gottes Willen und sind ein Nichts, bis Gottes Schöpferruf erschallt und Ordnung und Gestalt aus der Erde hervorbringt24. „Nihil" bezeichnet also nicht eindeutig ein leeres Nichts. Der Erdkloß, aus dem geschaffen wird, und zum anderen ein Feind, der selbst geschaffen ist. Das Heilshandeln Gottes hat also die Unterwerfung der widerspenstigen Kreatur unter das Gesetz zum Zwedc, und kann so audi als eine Schöpfung aus dem Chaos betrachtet werden. Gott wird also als der souveräne Schöpfer aller Dinge betrachtet. Vgl. hierzu J.Pedersen 19342, S. 338 und 367 f. Die alttestamentliche Verbindung des Schöpfungsglaubens mit dem Heilsglauben hebt also nicht, wie H . Ringgren meint, die Vorstellung von einer „creatio ex nihilo" auf. Siehe H . Ringgren, Art. in SBU II, Stockholm 1952, Sp. 1158—1161, und H . Ringgren, Är den bibliska skapelseberättelsen en kulttext? (Svensk exegetisk arsbok X I I I . Jg. 1948, S. 9—21). — Audi wenn die genetische Frage der Originalität des alttestamentlichen Schöpfungsgedankens in der modernen Exegese die Frage nach dessen systematischer Einheit überschattet hat, so ist sie doch nicht ganz aufgegeben. Somit will G. v. Rad das „monistische" Element im alttestamentlidien Schöpfungsglauben aus ägyptischen Quellen herleiten und das „dualistische" als ursprünglicher erklären: siehe G. v. Rad, Das theologische Problem des alttestamentlidien Schöpfungsglaubens (BZAW 66. Jg. 1936, S. 138—147), H . Gunkel, der einer älteren Exegetentradition angehört, betont dagegen, daß der Gedanke der Weltschöpfung aus einem feindlichen Chaos dem jüdischen Gottesbegriff des frei schaffenden Schöpfers eigentlich nicht entspricht: H . Gunkel, Schöpfung und Chaos . . . , Göttingen 1895, S. 7. Das dualistische Element wird zwar nicht von Gunkel übersehen, aber doch nicht verabsolutiert; es wird als Leihgut außerjüdisdier Stoffe zur Ausmalung eines prinzipiell monistischen Schöpfungsglaubens verstanden. In Verbindung mit dem aktuellen Heilshandeln Gottes spielt also das dualistische Element zwar eine große Rolle, aber es geht hier nicht um einen prinzipiellen Dualismus, sondern um ein Handeln innerhalb der Schöpfung Gottes. G. Lambert will somit auch das Vorhandensein von „quelques éléments traditionnels des cosmogonies antiques" im AT nicht verneinen, sagt aber, daß „on y trouve en même temps affirmé avec toute la clarté desirable, tout d'abord qu'il f u t un temps où seul Jahvé Dieu existait, ensuite que tout ce qui est en dehors de Dieu a reçu l'être de sa toute-puissance": G.Lambert, La création dans la Bible (NRTh 83e Année, Tome L X X V 1953, S. 252—281), S. 266. 22 28

WA 42,6,30—8,7 ( G n l , 2 ) . Ib. 6,31—7,8.

24

Ib. 36ff. ( G n l , 2 0 ) .

28

Kapitel I : Die Schöpfung Gottes

aus welchem Gott den Menschen schafft, ist nicht ein Stück Mensch, der Embryo des Menschen, zu welchem er in Gottes Hand geformt wird, sondern ein „nihil" 25 . Das „nihil" drückt also den Gedanken aus, daß es keine Ordnung und kein Leben gibt, wo Gottes Wort nicht erschallt. Der Gegensatz zum Leben ist deshalb nicht Auslöschen, sondern „Tod". Was die Schöpfung bedroht, ist kein Zurückversinken in das leere Nichts, sondern wird „hostem et mortem certissimam, nempe aquam" genannt 26 . Das Böse und Lebensbedrohende existiert also nicht, ehe die Kreatur geschaffen ist; der Sündenfall ist so für Luther die notwendige Voraussetzung für den Tod bzw. die Zerstörung der Schöpfung. Der Fall geschieht im Aufruhr gegen den Schöpfer; Luthers Schöpfungsdenken ist so gesehen nicht prinzipiell dualistisch. Alles, was gegen Gott streitet, muß selbst eine Schöpfung Gottes sein. Nur Gott kann eine andere Existenz setzen, und was geschaffen ist, ist deshalb nie unabhängig von Gottes Willen27. Weiter darf die Erschaffung der Welt nicht als ein mechanischer Prozeß betrachtet werden. Gott macht nicht aus einem gewissen Rohmaterial ein fertiges Produkt, wie etwa ein Schmied aus einem Eisenstück einen Pflug schmiedet. Das Erschaffen ist für Luther vielmehr ein organischer Prozeß, es ist Geburt und Wachstum. Den biblischen Schöpfungsbericht legt Luther sehr konkret aus: so wie im Frühjahr Bäume und Pflanzen aus der dunklen, leblosen Erde sprießen, so wächst am Schöpfungsmorgen organisches und unorganisches Leben aus der „ungeschmückten" und „ungeordneten" Erde hervor; das Erschaffen der ersten Menschen ist für ihn dasselbe organische Geschehen wie die Geburt eines Kindes 28 . Daß die Schöpfung der Welt als Geburt und die Geburt einer Kreatur als Schöpfung aufgefaßt werden, hängt systematisch mit dem Gedanken zusammen, daß sie beide ihren Ursprung in der Wirksamkeit des Schöpferwillens haben, durch welchen die Schöpfung aus dem „Nichts" Leben und Form gewinnt. Die Erde und die Menschen sind nicht einmal Material für das, was aus ihnen und durch 25

Ib. 63,25—33 ( G n 2 , 7 ) . „Hoc opus sibi piacere bis dicit propter nos, qui sic ei sumus curae, ut etiam confirmet nos futurum, ut huius operis, quod tam sollicite aedificavit, etiam posthac magnam sit habiturus curam et afìuturus ac prohibiturus sit hostem et mortem certissimam, nempe aquam": WA 42,27,10—13 ( G n l , 1 0 ) . „Sic Esaias inquit cap. 34. ubi minatur vastitatem orbi terrarum: ,Extendetur super eam regula tohu et perpendiculum bohu', hoc est, ita vastabitur, ut neque homines, ñeque iumenta relinquantur, ut domus sint vastae et omnia confusa et perturbata. Sicut Ierusalem postea per Romanos et Roma per Gothos vastata est, adeo ut non possint celeberrimae veteris urbis vestigia ostendi": ib. 6 , 3 8 — 7 , 8 . 27 W A 10/1,1,183, 5—10. Zum antagonistischen Gegensatz zwischen Schöpfung und Schöpfer, der immer unter der Voraussetzung des Falls hervortritt, s. Kap. IV. 28 „Dicit montes .natos' et terram et omnia etc., significat quasi proprietatem et conditionem creationis. N o n utitur vocabulo ,creavit', ,fecit'. Scilicet significat ipsum egressum Creaturae ex nihilo in aliquid. Sicut ex homine, bestia aliud corpus, sie montes etc. Incredibilis est iste egressus omnium creaturarum. N o n ibi faber, materia, quae paretur, ubi resecetur. Sed terra ex aqua et mari, Arbores ex terra, [pro] prietate quam ex nihilo. Verius videntur nasci quam formari. Videtur mihi sigificare, quod in Genesi: ,Dixit et facta sunt' WA 40/111,509,8—510,2 (Enarratio Psalmi X C 1534/35 H s V. 2); vgl. audi ib. 534,22—26 (Dr). 26

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sie geschaffen wird, denn auch ihre eigene Form und Existenz ruht letztlich „im Nichts", d.h. im Willen Gottes29. Der menschliche Gedanke kann — meint Luther — nie bis hinter den Anfang dringen, sondern ist notwendigerweise an das Geschehen in der Zeit gebunden. Der Ursprung der geschaffenen Welt ist deshalb für die menschliche Vernunft ein Geheimnis. Vor dem Beginn der Zeit öffnet sich dem Gedanken das leere Nichts. Außerhalb der Zeit ist „merissimum nihil"30. 2 9 Jeder Gedanke einer Wesenskontinuität zwischen Schöpfung und Schöpfer ist damit ausgeschlossen; der Ursprung der Schöpfung aus dem Sdiöpfer hat nichts mit Emanation zu tun. „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden" (Gn 3,19). Alles Leben wird aus dem Nichts geschaffen und also in eine Wirklichkeit hineinversetzt, die schon vorliegt, noch ehe es selbst existiert. Das Zurückkehren alles Lebens zum Ursprung ist zwar kein direktes Zurückkehren zum Gott des Lebens, aber andererseits auch keine Rückkehr zum leeren Nichts; es bedeutet, daß es unter Gottes „Zorn" gerät: s. u. Kap. IV, 3. 3 0 Luthers Zeitbegriff ist als ein Schutz gegen eine metaphysische Spekulation über Gott ausgestaltet. Unser Verstand ist an die Zeit und das konkrete Geschehen in ihr gebunden, und deshalb ist es sinnlos, darüber zu spekulieren, was Gott z.B. tat, ehe er die Welt schuf. Gott begegnet uns nur dadurch, daß er die Zeit schafft und in ihr wirkt und hier seine Offenbarung Form gewinnen läßt, ohne jedoch selbst in ihr gebunden zu werden. Siehe WA 42,9,21—31 ( G n l , 2 ) und WA 4,433,35—38 (Dictata super Psalterium 1513— 1516 P s l 3 8 , 1 [ 1 3 9 , 1 ] ) : „Probat primo providentiam Dei omnia nosse quoad loca, quia in altitudine, in profunditate et altitudine ubique est. Sicut supra probavit earn extendi ad omnia tempora, presentía, preterita, futura, ita hic ad omnia loca, sursum, deorsum et in latus." Vgl. WA ÌO/1,1,183, 5—10: „(óλόγος) lest sich nitt ynn der tzeytt noch creatur begreyffen, ssondern schwebt ubir tzeytt und creatur, ja tzeyt und creatur werden und fahen dadurch an . . . Was nit tzeyttlich ist, das muss ewig seyn, unnd was keyn anfang hatt, muss nit tzeytlich seyn, und was nit creatur ist, muss gott seyn; denn ausser gott und creatur ists nichts odder keyn wessen" (Kirchenpostille 1522 J o h l , 3 ) . Der jüngere Luther ist offenbar von Augustins Zeitauffassung beeinflußt. So kann man z . B . in „Dictata super psalterium" (1513—16) eine gewisse Spannung zwischen einem heilsgeschichtlichen Verständnis des Alten Testaments und einem von der augustinischen Zeitphilosophie gefärbten mystisch-spekulativen Verständnis bemerken: s. z . B . WA 4,344,7,ff. und 350,10. F. Blanke hat Material vorgebracht, das auf diesem Punkt die Beeinflussung des jungen Luther von Augustin bestätigt. Siehe dessen Miszellen zu Luther I, Zeit und Ewigkeit beim jungen Luther (ZSystTh 4 . J g , 1926/27, S. 235—239). F. Blanke meint aber auch in der Abendmahlslehre des älteren Luther dieselbe spekulative Zeitauffassung erkennen zu können, gibt jedoch keine Belege hierfür. — Es sind immer wieder Versuche unternommen worden, aus Luthers „spekulativer" Zeitauffassung verschiedene theologische Grundgedanken zu erklären. So hat z . B . K . H o l l Luthers Rechtfertigungslehre von hier aus zu erklären versucht (Gesammelte Aufsätze I, Tübingen 1921, S. 124), Erdmann Schott das Verhältnis zwischen Gesetz und Evangelium (Fleisch und Geist, Leipzig 1928, S. 79), Werner Eiert das transzendentale Subjekt des Gläubigen (Morphologie des Luthertums I. Theologie und Weltanschauung des Luthertums. München 1952 2 , S. 17 und 72ff.), sowie W. Koehler den Präfigurationsgedanken (Dogmengeschichte als Geschichte des christlichen Selbstbewußtseins. Das Zeitalter der Reformation. Zürich 1951, S. 113 ff.). Auch wenn die spekulative Zeitauffassung des ganz jungen Luther gelegentlich auch später wiederkehrt, darf man doch nicht übersehen, daß sie hier dodi ein völlig andersgeartetes Gepräge hat. Luther betont nun, daß Gott für den Menschen nur in der Zeit existiert, und daß jede Aussage über Gott, die den Zeitfaktor ausschließt, als Spekulation und Abgötterei betrachtet werden muß. Bereits in der Römerbriefvorlesung 1515/16 kann man wenigstens ein Abstandnehmen von jener Metaphysik feststellen, die Gott und die Welt unabhängig vom Zeitfaktor zu verstehen sucht. Gott wird von dem her verstanden, was er

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Wenn also die Schöpfung nicht als ewig, sondern als ein zeitliches Geschehen zu verstehen ist, so ist doch für Luther die Zeit keine bloße Gedankenkategorie31. Zwar bedingen Schöpfung und Zeit einander gegenseitig, weil Gott beide aktual gibt; wenn aber die Zeit nur ein Teil der Ewigkeit und die vergängliche Kreatur nur eine in den ewigen Strom der Zeit eingebettete Substanz wäre, würden Schöpnun in der Schöpfung wirkt, und die Geschöpfe von dem her, was sie werden sollen, d. h. von der Eschatologie her: WA 56,371,2ff.; 28 ff. Gott führt seine Schöpfung einem Ziel entgegen, zu welchem sie bestimmt ist. An die Stelle des Zeit-Ewigkeit-Schemas tritt also der Gedanke der Treue in Gottes Handeln in der Schöpfung und in der Heilsgeschichte: s. z.B. WA 56,295,24ff. Gottes Handeln in der konkreten Geschichte und der Gedanke an Gott als den himmlischen Vater, der auf eine persönliche Weise in einer Beziehung zur Schöpfung steht, gewinnt somit mehr und mehr Eingang bei Luther, ohne daß jedoch der Gedanke von Gott als dem über alle Zeit Erhabenen, Ewigen aufgegeben würde. Der zeitlose Gott wird nun nicht mehr gegen den zeitlichen Menschen ausgespielt, sondern er wird der „absolute" Gott, dessen Ratschluß der Mensch erst im „lumen gloriae" kennenlernen darf. Siehe hierzu unten Kap. V, 3. Luthers Interesse für konkrete Geschichte und ein persönliches Gottesbild kann vielleicht so verstanden werden, daß das augustinisdie Element bei Luther dem occamistischen gewichen ist. So z. B. F. Kattenbusch, Deus absconditus bei Luther (Festgabe für Julius Kaftan, Tübingen 1920), S. 209, sowie W. Koehler 1951, S. 144f. Vgl. dagegen K.Holl, Gesammelte Aufsätze Bd.l, Tübingen 1921, S. 123 und 244. Wenn sich Luther von Augustin entfernt, geschieht das jedoch nicht immer völlig bewußt. Es ist deshalb wahrscheinlicher, daß Luther ganz einfach vom biblischen Schöpfungsrealismus beeinfluißt worden ist, wo ja der Gegensatz zwischen Zeit und Ewigkeit eine nahe Beziehung zwischen Schöpfung und Schöpfer nicht ausschließt; das Heil des Menschen ist nicht seine Erhöhung über die Zeit, sondern Gottes Handeln in der konkreten Zeit und Geschichte des Menschen. Wenigstens besteht bei dem älteren Luther kein Gegensatz zwischen dem Gedanken der Zeitlosigkeit Gottes und dem Gedanken, daß sich Gott immer in der Gesdiichte offenbart; im Glauben blickt der Christ der Vollendung des Schöpfungswerkes entgegen, das bei Gott schon jetzt bereitet ist: „Es ist bey unserm Herr Gott eben als sey es geschehen. Es kumpt gewisslich": WA 44,300,29f. (Gn 37, 30—33). Noch deutlicher geht das aus Luthers Predigten 1523 über das 1. Mosebuch hervor: „Es ist vor Gott eyn kurtze zeyt, eben als weren sie itzunnd geschehen, darumb ist eytel new ding da unnd gehet diser anfang noch ymerdar. Auffs ander den anfang soll man auch auffs eynfeltigst verstehen, das da nichts gewesen ist weder stunde, tag noch zeit. Und das ist auch ein hoher verstand, das der zeyt kein zeyt gewest, und doch gott gewesen ist, darum ist göttlichs und ewigs leben vil ein ander ding, dann dis leben itzund ist, das ymmer geet von tag zu nacht. Darumb wenn man daran hangt, kan man nicht gedencken, was ewikeyt ist; vor Got ist der anfang der weit ya so nahe als das ende, tausent jar als eyn tag, und Adam, der am ersten geschaffen ist, als der letzt mensch, der da geborn wird werden; dann er sieht dy zeit also an, wie des menschen auge zway dinge, die weyt von eynander synd, yn eym augenplick zusamen bringt": WA 12,444,20—445,5. 31 Daß Luthers Zeitbegriff in gewissem Sinne ein Vorgreifen der apriorischen Anschauungsformen Kants sei, wird von P. Meinhold behauptet; siehe ders., Luthers philosophische und geschichtstheologische Gedanken (Blätter f. deutsche Philosophie Bd. 10, Berlin 1937, S. 56—73), S. 64 ff. Bei Luther liegt die Betonung immer auf dem äußeren Mittel als Träger von Gottes Offenbarung und nicht auf der Zeit als Anschauungsform. Gott zeigte sich „vielleicht" Adam ohne „Verkleidung", kann Luther sagen, uns offenbart er sich jedoch nur in Wort und. Tat, d.h. auf eine für uns faßliche Weise, die jedoch das Wesen seiner Majestät um unserer sündhaften Natur willen verbirgt, die Gott nicht von Angesicht zu Angesicht schauen kann. Die Schöpfung wird Larve und Maske für Gottes Hervortreten. Siehe hierzu auch unten Kap. V, 2. Anthropomorphe Aussagen über Gott sind deshalb notwendig (WA 42,11,19—14,42 G n l , 2 f . ) und die Allegorie wird abgewiesen mit derselben Motivierung (WA 42,15,32 ff. Gn 1,3).

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fung und Gott so voneinander getrennt sein wie Zeit und Ewigkeit, wie das Endliche vom Unendlichen, oder aber die Zeit wäre nur eine Art Eigenschaft oder Form des Geschaffenen 32 . Wenn Luther sagt, daß Gott ewig und die Schöpfung zeitlich ist, meint er deshalb nur, daß ebenso wie die Schöpfung ihre Form und ihr Leben aus Gottes Hand empfängt, sie von ihm auch ihre Zeit erhält, um damit in einer nahen Verbindung zu ihm zu stehen. Daß das Erschaffen immer als ein Geschehen in der Zeit gedacht werden muß, d.h. als ein Geschehen mit einem Anfang und einem Ende, hebt also nicht auf, daß es als ein unablässiges göttliches Handeln und damit als Gottes Gegenwart gedacht werden kann. Die Zeit ist so gesehen nicht etwas Ruhendes, z.B. eine Kategorie, über die man mehr oder weniger verfügen kann, und die Schöpfung ist deshalb nicht etwas in sich selbst Ruhendes, sondern etwas Bewegliches und Vorwärtsschreitendes, das seinem Ziel dadurch zugeleitet wird, daß Gott den Akt wie auch das Sein der Schöpfung gibt 33 . Gottes Schöpfungstat ist also ein Prozeß und hat eine Geschichte; die Kreatur ist daher nicht als die Spiegelung eines ewigen Seins, sondern als Gottes konkretes Handeln in der Geschichte aufgefaßt. Die Zeitlichkeit der Schöpfung scheidet die letztere deshalb nicht vom ewigen Schöpfer. Wenn Luther seine Anschauung über die Schöpfung darlegt, befindet er sich nicht, wie z. B. Augustin, im ontologischen Schema der griechischen Philosophie 34 , sondern im biblischen Schöpfungsrealismus und legt diesen biblischen Schöpfungsglauben aus, indem er die Schöpfung als ein unablässiges Handeln Gottes in der Geschichte auffaßt 35 . So bei P. Meinhold 1937, S. 64. WA 10/1,1,183, 5—10, zitiert oben, Anm. 30. 84 Augustin ist nämlich bereits am eigentlichen Ausgangspunkt vom Ontologiebegriff der griechischen Philosophie mit seinem Gegensatz zwischen Zeit und Ewigkeit bestimmt, versucht dies allerdings später auch mit dem biblischen Schöpfungsrealismus zu harmonieren (dem ja die Gegenüberstellung von Zeit und Ewigkeit fremd ist); vgl. zu Augustin: K . Staritz, Augustins Schöpfungsglaube dargestellt nach seinen Genesisauslegungen, Diss. Breslau 1931, besonders S. 65 ff., und G. Nygren, Das Prädestinationsproblem in der Theologie Augustins (StTh 12), Diss. Lund 1956, S. 290; zum Verhältnis Augustin und Luther in diesem Punkt: J . H a a r , Initium creaturae Dei, Diss. Greifswald, Gütersloh 1939, S. 13 ff. Luthers Kritik an Augustin im Genesiskommentar (1535—45) ist also letztlich eine nicht immer bewußte Auseinandersetzung zwischen einem biblisch-realistischen und einem platonisdi-idealistischen Schöpfungsgedanken; siehe z . B . W A 4 2 , 4 f . ( G n l , l ) . Vgl. audi oben Anm. 30. 32 33

3 5 WA 42,4 ff. (Gn 1,1). Vgl. auch die Auslegung von G n 2 , 2 1 , wo es heißt: „ Q u o d igitur A d a m sexto die est conditus, quod adducta sunt ad eum animalia, quod audivit praecipientem Dominum de arbore scientiae boni et mali, item, quod immisit ei Dominus somnum, haec omnia manifestum est, quod ad tempus et ad animalem vitam pertinent. Ideo necesse est istos dies intelligi veros dies, contra opinionem sanctorum P a t r u m " : WA 42,92,9—14. Luthers Argumentation darf natürlich nicht als ein biblizistisches Festhalten am Wortlaut der Schrift gegenüber jeder anderen Erfahrung, sondern muß als ein Versuch verstanden werden, den biblischen Sdiöpfungsrealismus gegenüber einem spekulativen und idealistischen Schöpfungsgedanken zu bewahren. D a s Hauptgewicht liegt auf dem aktualen Schaffen Gottes: s. z . B . W A 4 2 , 9 4 , 1 7 — 1 8 ( G n 2 , 2 1 ) ; vgl. auch unten, K a p . 1,2, S. 14 ff. Jede andere philosophische oder theologische Theorie führt für Luther letzlidi entweder dazu, daß sich Gott nicht um die Welt kümmert, oder auch dazu, daß Gott nicht existiert: W A 4 2 , 9 2 , 3 9 — 9 3 , 1 3 ( G n 2 , 2 1 ) . Hierzu s.u. K a p . 1,3. Die Gebundenheit der Schöpfung an die Zeit, die bedeutet, daß die Welt und alles in

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In Luthers Auslegung des 90. Psalms 36 wird somit in wuchtigen Worten — und das erinnert an Augustin — die Nichtigkeit alles Erschaffenen in dieser Zeit dargestellt 37 . Daß Luther hier augustinisch klingende Ausdrücke verwendet, bedeutet aber nicht, daß er die Vergänglichkeit des Lebens der Unvergänglichkeit des Schöpfers entgegensetzt und daß er die Trostlosigkeit dieses Lebens aus dessen Gefangensein in der Zeit herleitet. Für Luther kommt immer die Misere des Lebens v o m Gefangensein in der Sünde. Er denkt hier nicht an die v o n Gott gesetzte Distanz zwischen ihm und der Schöpfung, sondern an den Gegensatz zwischen Leben und Tod; die Schöpfung ist nicht als ein Stück Ewigkeit dargestellt, sondern sie ist heben, konkretes Leben und konkrete Zeit. Das Leben ist deshalb so kurz und der T o d deshalb so erschreckend, weil der T o d das gute Leben bzw. die gute Schöpfung Gottes trifft; der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf ist für Luther ein anderer als der zwischen Zeit und Ewigkeit, denn die Zeit ist damit gegeben, daß Gott aktual schafft38. Damit wird etwas anderes neben Gott gesetzt; weil alle Zeit in Gottes Schöpferhand gesammelt ist, wird Gottes Schöpfungstat nur in einer bestimmten Zeit gegeben; wenn Gott etwas schafft, gibt er auch der Kreatur ihre „Stunde". D i e Kreatur ist deshalb zwar nicht identisch mit Gott, aber sie ist auch nicht ganz eigenständig 39 . ihr notwendigerweise in ein Geschehen hineingestellt sind, in dem Gott der Handelnde ist, erhält somit ihre Bedeutung für Luthers aktualen Schöpfungsbegriff; weil die Zeit nicht an und für sidi existiert, sondern nur deshalb, weil Gott sie gibt, ist Gott der aktuale Schöpfer meiner Welt und meiner Geschichte. Hierzu s. u. Kap. 1,2. 36 WA 40/III, 484—594 (Enarratio Psalmi XC 1534/35). 37 Das Thema der Auslegung ist „Media vita in morte sumus" und seine Variation „Calamitates, miseria, brevitas vitae, angores conscientiae afflictae, desperatio, mors temporalis, mors aeterna". Die Stimmung Luthers ist hier pessimistisch, dodi klingt ein heller Grundton seines Schöpfungsglaubens auf. Das Leben eines Menschen ist, auch wenn es hundert Jahre währt, als Zeit betrachtet, nur ein „punctum mathematicum", das schnell verschwindet, doch ruht auf der anderen Seite das Leben des Menschen in des Schöpfers Hand, der uns aus unserer Nichtigkeit neuschafft (WA 40/III, 572,21—25 Ps 90,12). In W. Elerts Kommentar zu dieser Schrift wird nur das Düstere in Luthers Lebensauffassung hervorgehoben und von da aus deren Grundakkord Gesetz—Evangelium verstanden; siehe W. Eiert 1952, S. 17. 38 „Philosophi: Praeteritum abiit, futurum non venit, quam das Nunc": WA40/III, 524,11 f. (Ps90,4 Hs). Der Gedanke wird im Drude von 1541 weiter durchgeführt: „hoc totum tempus, cum recte considero, sic abiit, ac si hoc die essem natus, verum enim est, quod Philosophi dicunt: Praeteritum abiit, futurum non venit, Igitur de omni tempore nihil habemus, quam quod nunc est, Reliqua non sunt, quia aut abierunt aut nondum venerunt"? ib. 525,13—16 (Dr). Vgl. auch ib. 557,Iff. (Ps90,9 Hs). 39 „Den also gnau hats Gott gefasset und alles abgemessen, das ehr alle gedancken und werde in seiner hand haben will, das es nit forth kommen kan, es komme dan die stunde, die von Gott darzu bestimpt ist ...": WA 33,404,37ff. (Wochenpredigten über Joh 6—8 1530—32). „ . . . Also hats Gott gemacht, das alle dieng in der weit soll seine zeit und Stunde haben, ein feines, freies Stundlein hat ehr allem dieng dohin gesetzt ..." : ib. 405, 12 f. „ ... omnia humana studia, Consilia et opera habent certum et definitum tempus..." : WA 20,58,5 f. (Vorlesung über den Prediger Salomo 1526 Kap. 3,1). Für Luthers ethische Anschauung erhält dieser Zeitbegriff eine große Bedeutung: im Ergreifen des Augenblicks wird der Mensch Gottes Cooperator. Siehe G. Wingren, Luthers lära om kalleisen, Lund 1948 2, S. 223—241 (dt. Luthers Lehre vom Beruf = FGLP, R. X, Bd. III, München 1952, S. 135—146).

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Die Beziehung zwischen Gott und der Kreatur wird von Luther in das Wort verlegt: „Ergo in principio et ante omnem creaturam est verbum, et est tarn potens verbum, quod ex nihilo facit omnia."40 Gott bedient sich also zwar keiner Materie, schafft aber doch durch etwas: „Solo verbo quod, proferì, ex nihilo facit coelum et terram."41 Das schöpferische Wort Gottes ist das einzige „Instrument" und „Mittel" des Schöpfers; es gibt, was es aussagt; es ist nicht nur Selbstmitteilung, sondern auch das wunderbare Geben von etwas Neuem. Daß die Welt „von und zu Christus" geschaffen ist, spielt — wie wir sehen werden — eine große Rolle bei Luther, besonders in seiner Anthropologie. Schon hier mag aber darauf hingewiesen werden, wie Luther den „logos" des Johannesprologs und das „dabar" des Genesisberichts zusammenschaut42. Das göttliche Wort ist nicht nur Bezeichnung, sondern es vermittelt auch die Sache, die es bezeichnet. Was für den Menschen auseinanderfällt, ist beim Schöpfer eines : Wort und Tat 43 ; Imperativ und Indikativ fallen bei Gott zusammen; Gottes Worte sind Realitäten, denn Gott „ruft dem, was nicht ist, daß es sei" (Rom 4,17b). Er spricht nicht, wie der Mensch, nur grammatikalische Worte, sondern wahre Realitäten. Das, was beim Menschen nur den Klang eines Wortes hat, ist bei Gott also die Sache selbst. Wenn Gott spricht, ist auch die Sache schon vorhanden44. 40

41 WA 42,14,6 f. (Gn 1,3). Ib. 13,31 ff. Siehe z.B. ib. 13,17 und 15,4—13. „Denn sie wollen alle beide, Mose und Johannes, anzeigen, wo mit, und durch welch werckzeug, oder woraus Gott solch gros werck, die gantze Welt, gemacht habe. Aber, Da ist kein Rüstzeug, kein Holtz noch Stein, Lauter nichts ist da, daraus die Welt geschaffen ist, Sondern allein durchs Wort ist alles gemacht. Das Wort aber ist nicht gemacht, Sondern es ist bey Gott im anfang, da er alles machet, wie Mose hie saget: ,Gott sprach, es werde' dis und das etc. Durchs Wort (sagt er) ists alles worden. N u kan ausser der Creatur bey Gott nichts sein, das nicht Gott selber ist, Darum mus das Wort Gott selber sein": WA 54, 56,12—20 (Von den letzten Worten Davids 1543). Luthers Wortbegriff ist also am Gedanken an Gott als den Schöpfer orientiert. Das Wort darf nicht mit der Bibel, der Christusoffenbarung oder der Predigt gleichgesetzt werden. Selbstverständlich kann Luther das Wort auf diese begrenzen, doch ist es wichtig, daß man den größeren Zusammenhang sieht, in welchen Luthers Wortauffassung hineingestellt ist: das Wort als Schöpfermacht, das Wort, das alles schafft und alles erhält, das Wort als Gottes lebendige Stimme zu allen Zeiten, das Wort, das allem Leben und Nahrung gibt. Siehe z.B. WA 17/11, 191,8—12 (Fastenpostille 1525 Mt 4,Iff.). P. Meinhold, der dies auch hervorhebt, verwandelt indessen Luthers Wortbegriff zu einer Art Wortmetaphysik. Siehe die neulich erschienene Untersuchung Meinholds, Luthers Sprachphilosophie, Berlin 1958. 42

43 In der Kirchenpostille 1522 kommt dies bei der Auslegung von Joh 1,1—14 deutlich zum Ausdruck: Die Welt ist durch Gottes Wort geschaffen (WA lO/'I, 1,182,15), das nicht mit dem identisch ist, der es spricht (ib. 183,13), aber es hat sein Wesen von dem, von welchem es ausgeht (ib. 183,23ff.); Gott ist deshalb in allen seinen Worten ein und derselbe (ib. 184,1), und sein Wort ist nicht „eyn lediger wind odder schall ssondernn bring mit sich das gantz wessen gotlicher natur" (ib. 186,15 f.), denn „Qualis quisque est, talia loquitur" (ib. 187,14), „unnd wer das wortt hatt, der hatt die gantze gottheyt" (ib. 188,7 f.). 44 „ . . . denn das menschlich wort bringt nit wessenlich oder die natur des hertzen mit sich, ssondern nur bedeutlich, odder alss eyn tzeychen, wie das holtz- odder golltbild nit mit sidi bringt das menschlich wessen, das es bedeuttet. Aber die ynn gott bringt das wortt nit alleyn das tzeychen und bild, ssondern auch das gantz wessen mit sich und ist ebensso

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Löfgren, Schöpfung

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Bereits in Luthers Randbemerkungen zu den Sentenzen des Petrus Lombardus (1509/10) finden sich ähnliche Gedanken46. Das göttliche Wort ist Träger der Sache, die es aussagt, „verbum ponitur pro re"4e. In den Operationes in Psalmos (1519—1521)47 und später im Großen Genesiskommentar (1535—1545) findet sich diese Argumentation wieder48. Luther sieht die Schöpfung erfüllt von Gottes „Wort", von „Heiliger Schrift", von Gottes „lebender Sprache", so daß Blumen und Tiere in Gottes Grammatik „Worte" sind49, denn „verba dei res sunt, non nuda vocabula"50. Von hier aus wird es verständlich, warum Luther immer „das Wort" so stark betont; es ist grundsätzlich als ein schöpferisches Wort verstanden, ein Wort, das gibt, was es aussagt. Die Schöpfung durch das Wort bedeutet demnach, daß alles durch und zu Christus — dem Wort—geschaffen ist (Kol 1,16 b), durch ihn, der das Wort und damit die Gabe Gottes an den Menschen ist51. Interessant ist aber, daß für Luther die Schöpfung gleichzeitig als eine Tat der ganzen Trinität immer festgehalten wird52. Er kann demnach sagen, daß die Dinge vom Vater „ausgesprochen" voller gott, alss der, des bild oder wort es ist" (ib. 188,9—14). „Deus enim, quando dicit, facit, homo, quando facit, dicit" : WA 9, 330, 18 f. (Scholia in libr. Gn 1519/21). „ . . . verba Dei res sunt, non nuda vocabula": WA42,17,23 ( G n l , 5 ) . „ . . . quod aput nos vox sonat, id apud Deum res est": ib. 17,18. 45 WA 9,65,40; 67,25.30f. (Randbem. zu P. Lombardus 1510/11). 44 Ib. 66,1 f. Die Vorstellung von Gottes Geist ist ebenso realistisch gedacht: Gott schafft durch seinen Geist und schafft damit unseren Geist: „spirare est spiritu — et spiritum facere." Als Parallele hierzu heißt es vom Wort: „Dicere est verbo — et verbum facere": ib. 67,26 f.; 32 f. Vgl. W. Jetter, Die Taufe beim jungen Luther (BhistTh Bd. 18), Tübingen 1954, S. 142. 47 WA 5,136,38—138,13 (Operationes in Psalmos 1519—21). 48 WA 42,13,1—25 ( G n l , 3 ) . 48 WA23,105,24—28 (Dass diese Wort Christi . . . 1527). Blumen und Tiere sind Worte in Gottes Grammatik: WA 42,37,5—9 (Gn 1,20). Wenn Luther deshalb davon spricht, daß etwas „das Wort für sich hat", denkt er nicht so sehr an die Übereinstimmung mit dem Buchstaben der Bibel, sondern an den Einklang mit Gottes Absicht und Willen, der sich kundtut, indem Gott spricht, d.h. schafft. Vgl. H.-W. Krumwiede 1952, S. 57. 50 WA 42,17,23 ( G n l , 5 ) . Das Wort ist also nicht nur ein „Zeichen", sondern auch ein „Anzeichen" für die Gegenwart der Realität, die das Wort aussagt. Vgl. E. Seeberg, Studien zu Luthers Genesisvorlesung (BFChrTh 36.Bd., I.H.), Gütersloh 1932, S. 88. 51 WA 42,14,32—15,17 ( G n l , 3 ) . Christus als das ungeschaffene Wort, durch welches und in welchem alles geschaffen ist, ist ein oft wiederkehrender Gedanke bei Luther, nicht nur im Großen Genesiskommentar und in den Predigten über Joh 1—4, sondern auch in Luthers Disputationen, s. z.B. WA 39/11, 93,8; 100,25ff. (Die Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540). Der Gedanke findet sich auch bei dem jüngeren Luther, u.a. in der Römerbriefvorlesung 1515/16: „In filio sint omnia et facta per ipsum omnia": WA 57, 78,11 (Gl. Rom 8,32). Christus als der Herr aller Dinge (ib. 111,18), dessen Herrschaft die Welt Untertan ist (WA 31/1,471,30—472,2: = Scholae in ps. X X I I I — X X V 1513—16), hat aber auch mit Christi Erlösungswerk zu tun: s.u. Kap. VI,2. Man beachte, daß Luther zwischen dem menschlichen Wort und Christus als dem ungeschaffenen Wort unterscheidet: „Christus ut homo loquitur ut nos, Maiestatis dicere est facere": WA 40/11,231,5 f. (Enarrano Psalmi 1532). 52 Siehe WA 10/1,1,182,15—22 und 183,13—28 (Kirchenpostille 1522 Joh 1,1—14), WA 30/III, 86,1—15 (Die Schwabacher Artikel 1529), ib. 160,7—17 (Die Marburger Artikel 1529), ib. 178,2—12 (Ein Bekenntnis christl. Lehre . . . 1530), WA42,10,11—22 (Gn 1,2), WA 46,544,3—7 (Ausi, des 1. und 2.Kap. Joh 1537—38 Joh 1,1), WA 54,

1. Creatio ex nihilo

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sind, ihre „Existenz" durch den Sohn, oder das Wort des Vaters haben, und daß zu ihnen sich der Heilige Geist gesellt, der das Erschaffene „sieht und gutheißt"53. Wir werden unten (Teil C) wieder Gelegenheit haben, diese Gedanken von der Wirksamkeit der Dreieinigkeit in der Schöpfung aufzugreifen. Schon hier wollen wir aber betonen, daß sie für das Verständnis von Luthers Theologie der Schöpfung von Bedeutung sind. Auf der einen Seite will Luther der Ökonomie in Gottes Handeln Ausdruck verleihen, d.h. sagen, daß das Handeln Gottes mit einem bestimmten Ziel geschieht und daß es deshalb die Form einer Art Differenzierung annehmen muß. Aber vor allem liegt ihm daran, die Einheit in Gottes Handeln zu betonen. Gott ist in seinem Handeln immer der Eine, obwohl seine Taten viele sind64. Mit einem von Bonaventura geliehenen Bild versucht Luther das klarzumachen : Es ist, wie wenn sich jemand kleidet und ihm von zwei anderen geholfen wird, man ist selbst dabei wirksam, und doch geschieht das Ankleiden nicht ganz ohne Mithilfe55. Somit darf die Schöpfung nicht nur als eine Tat des 48,4—7 (Von den letzten Worten Davids 1543) und WA 21,521,31—35 (Crucigers Sommerpostille 1544, Rom 11,33—36). Es geht hier darum, daß Luther Augustins „immanente" Trinitätslehre aufgreift (opera trinitatis ad extra sunt indivisa). Vgl. WA 42, 37, 25—34 (Gn 1,20) und Augustinus, De Genesi ad litteram, 11/6,40. Weil Luther die in der modernen Theologie übliche Gegenüberstellung von Gott als Schöpfer, und Gott als Erlöser, nicht kennt, ist f ü r ihn der Schöpfer Christus und Christus der Schöpfer; Christus offenbart Gottes Namen; er ist als Erlöser, wie es in dem bekannten Lutherchoral heißt, „der Herr Zebaoth". Vgl. WA 34/1, 20, 6.14 (Predigten 1531), WA 45, 279—289 (Predigten 1537) und WA 46, 550, 20—23. Siehe auch unten Anm. 55, Kap. 1,2, Anm.6, sowie WA 23, 533,14,14 ff. (Auslegung von Sacharja 1527). Vgl. F. K. Schumann, Wort und Gestalt (Glaube und Forschung Bd. 13), Schwelm 1956, S. 233 f. Gegenüber einer nur ökonomischen Auffassung der Trinitätslehre, bei der die Schöpfung dem Vater, die Erlösung dem Sohn und die Heiligung dem Geist zugeteilt wird, erbietet also Luthers „immanente" Trinitätslehre ohne Zweifel ein wertvolles Korrektiv. Vgl. auch Schumanns Aufsatz „Die Einheit der drei Artikel des christlichen Glaubens", in: Um Kirche und Lehre, 1936, S.225—243, und die Hinweise dort auf Luther. 53

WA 42,37,25—34 ( G n l , 2 0 ) . Luthers Trinitätslehre ist in der Lutherforschung allzu wenig beachtet worden, da die Tendenz vorherrscht, alle Aussagen Luthers zu „christologischen" oder „existenziellen" zu machen. Für Luther ist es aber widersinnig, auf diese Weise einen Glaubensartikel über den anderen zu erhöhen, denn die Ordnungsfolge der Artikel ist vom Heilshandeln Gottes und nicht von der „Erfahrung" des Menschen bestimmt. Vgl. G. Wingren, Skapelsen och lagen, Lund 1958 (dt. Schöpfung und Gesetz, Göttingen 1960). Während beim jungen Luther die traditionelle Lehre von der Dreieinigkeit noch vorhanden ist (s. z.B. WA 1, 20 ff. Pred. 1514), tritt bei dem reiferen Luther eine heilsgeschichtlidie Betrachtungsweise immer mehr in den Vordergrund. Siehe z.B. WA 12, 447—452 (Pred. des Jahres 1523 über Gn 1) sowie die Texte, die E. Hirsch im Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, Berlin und Leipzig 1937, S. 16—22, anführt. 55 „Solch hoch ding ettlicher massen zu begreiffen, geben die Doctores, sonderlich Bona ventura ein grob gleidinis. Als wenn drey Jungfrawen, einer unter sich, ein Kleid anzögen, Da sie alle drey das Kleid angriffen und der dritten anzögen, und die dritte selbs auch mit gleich zu griffe, Da zihen alle drey das Klaid der dritten an, Und wird doch allein die dritte mit dem Kleide angezogen und nicht die andern zwo, Also sol man hie verstehen, das alle drey Personen, als ein Einiger Gott die einige Menscheit geschaffen und mit dem Sone vereiniget habe, in seine Person, das allein der Son Mensch sey, und nicht der Vater, noch Heiliger Geist. Eben so sol man auch verstehen die Taube, so des Heiligen geists Person an sich nimpt, und die stimme, so des Vaters Person an sich nimpt. Item die 54

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Vaters betrachtet werden, sondern auch des Sohnes und des Heiligen Geistes, und was Christus, der inkarnierte Logos, ausrichtet, bezeichnet nicht nur etwas Neues, sondern auch eine Kontinuität, weil er ja schon bei der Erschaffung der Welt tätig war: die creatio Gottes hat in Christus-Logos Anfang und Ende, Ursprung und Ziel; Christus kommt nicht in eine fremde, sondern in seine eigene Welt als Erlöser. Er ist aber selbst auch etwas Neues, der neue Mensch, der die erste Welt und den ersten Menschen vollenden soll; er ist, wie wir unten (II, 3) sehen werden, das „himmlische" Bild, zu dessen Ebenbild der Mensch geschaffen wurde. Und wenn Luther den Geist mit der Schöpfung verbindet, hat er nicht nur daran Interesse, die Einheit im Gottesbild zu betonen, sondern er will auch gleichzeitig den Gedanken aufrechterhalten, daß der Schöpfer der Geist des Lebens bzw. der fortwährend gegenwärtige Lebensspender ist. „Nam Spiritus sancti officium est vivificare." 56 Der Vater schafft, sagt Luther, durch den Sohn (das Wort) Himmel und Erde und alles, was darauf wohnt, um damit allem ein Ziel zu geben; und über allem „brütet" der Heilige Geist, um derjenigen Kreatur Leben zu spenden (vivificaret), der er Seele und Ordnung geben will (animanda et ornanda)57. Der Schöpfer ist also nicht nur eine „Person" in einer transzendenten Gottheit, sondern er ist der zugleich persönlich beständig handelnde und mystisch-ungreifbar gegenwärtige Gott 58 , von welchem die ganze Schöpfung ihre Form, ihre Ordnung und ihr Leben hat — vom Vater als dem Schöpfer, vom Sohn als dem Mittler und vom Geist als dem Geber aller guten Gaben 59 . Von dieser Anschauung der Trinität führen zu fast allem in Luthers Denken Verbindungslinien. Nur von hier aus wird z.B. Luthers Anschauung von Gottes Allgegenwart und Allwirken wie auch seine Schrift- und Sakramentsauffassung begreiflich60. Luthers „immanente" Gottesvorstellung, seine Erkenntnis der feurigen Zungen am Pfingstage, darin des Heiligen geists Persone offenbart wird. Item der Wind, Und was man mehr vom Heiligen geist Predigt, das er thu in der Christenheit oder Heiligen Sdirifft": W A 5 4 , 6 0 , 3 1 — 6 1 , 6 (Von den letzten Worten Davids 1543). „Tota trinitas operata est incarnationem filii, sicut duae puellae tertiam induunt, ipsa simul esse induente": W A 39/11, 9 5 , 1 9 ff. (Die Disp. de divin. et humanitate Christi 1540). 5 6 Siehe A. Siirala, Gottes Gebot bei Martin Luther (Schriften der Luther-AgricolaGesellsch. X I , Kuopio-Helsinki), Diss. Helsinki 1956, S. 192 ff., und unten Kap. 1 , 2 , Anm. 5 3 — 5 5 . 5 7 W A 42, 8 , 2 1 — 3 0 (Gn 1 , 2 ) . 5 8 Vgl. F . K . S c h u m a n n 1956, S. 2 3 6 : „Dieses Sichbezeugen Gottes in dem, was sein Wort und seine Tat ist, dieses sich bezeugende Mit-Sein Gottes mit dem, was sein Wort und sein Werk ist, ist Gottes Geistsein." 5 9 „Est alta materia de trinitate, vulgo incomprehensibilis. Sed hic locus egregie depingit trinitatem. N a m omnium creaturarum essentia, forma et usus a Deo est: E x Deo, quia creator; per Christum, quia mediator; in Spiritu Sancto, quia omnia in ilio nobis donant u r " : W A T i 3 , 4 3 7 , 3 0 ff. (1537). G0 Siehe R. Brings Beitrag „Luthersk bibelsyn", in: En bok om Bibeln, Lund 1948, besonders S. 258 f. (deutsch Luthers Anschauung von der Bibel = Luthertum 3, Berlin 1951, S. 35 f.), wo Bring in Übereinstimmung mit Luther den schaffenden Charakter des Wortes hervorhebt und dieser dann auf den Inkarnationsgedanken bezogen wird ( S . 2 7 7 f . ) . Luthers Anschauung von der Realpräsenz Christi im Abendmahl wird nicht begreiflich, ehe man nicht diese Linie von Gottes „allgemeinem" Wirken in der Schöpfung zu seinem „besonderen" Wirken in den Offenbarungszeichen gezogen hat. Hierzu s.u. Kap. V.

2. Creare semper novum facere

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Einheit in Gottes Handeln als Schöpfer, Erlöser und Vollender, entspringt also nicht einer allgemeinen Vorstellung v o n dem, was rechtmäßig zu Gottes Gottheit gehört, sondern sie wird v o n dem her verstanden, was G o t t tut, wenn er ex nihilo schafft bzw. seine Schöpfung an ihr Ziel führt.

2. Creare semper novum facere „ Z e i t und stund und creatur haben angehaben, deus in tempore creavit, non in m o m e n t o . " 1 So drückt Luther seine Überzeugung aus, daß G o t t nicht nur der Urheber der Welt, sondern auch der unablässig schaffende G o t t ist; „creare est semper n o v u m f a c e r e " 2 , und die Schöpfung darf deshalb nicht als eine abgeschlossene Gottestat betrachtet werden: „ G o t t schaffts doch t e g l i c h . " 3 Dieser „aktuale" Z u g in Luthers Schöpfungsdenken hängt zunächst mit der bereits berührten Auffassung v o n der Zeit z u s a m m e n 4 ; G o t t schafft noch heute, indem er die Zeit gibt 5 . W e n n Luther den ersten Glaubensartikel als ein BekenntWA 12,245,38 (Predigten 1521 Gn 1,1). Vgl. auch unten Anm. 7. „Impossibile est ulla perseverantia creaturae, nisi assidue accipiat magis ac magis: inde enim dicunt acuti quidam, quod conservatio rei sit eius continuata creatio. Sed creare est semper novum facere, ut etiam patet in rivulis, radiis, calore, frigore, maxime dum sunt extra suum principium. Quare et spirituali calori id est amori dei, in animabus opus est continuata conservatio (donee absorbeantur in suum principium divinum) ac per hoc et augmentum, etiam si verum esset, quod essent perfectae, licet extra deum esse nec pervenisse et esse perfectum sint contraria": WA 1,563,6—13 (Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute 1518). 3 „Das Gott creator heist, das ist ein vnerforschlich ding, vnd Gott schaffts doch teglich . . . Das sindt lauter wunderwerck! Gott ist in der creatur, die wirckt vnd schafft er": WATi 5,17,10—21 (1540). 4 WA 12,245,38 (Predigten 1521 Gn 1,1). Gegen Augustin und Hilarius macht Luther geltend, daß Gott die Welt nicht in einem einzigen Augenblick, sondern während einer Folge von Tagen geschaffen hat: WA 14,106,28 f. (Pred. über das l.Buch Mose 1523/24), WA24,19—31 (Pred. über das l.Buch Mose 1527), WA 12,440,3—6 (Pred. des Jahres 1523) und WA 42,4,26—31; 52,23 f.; 91,22ff.; 91,36—92,2. 5 Fast immer, wenn Luther davon spricht, wie Gott am Anfang Himmel und Erde schuf, kommt er auf Gottes aktuales Schaffen zu sprechen. „Credo quod opera deus fecerit in singulis diebus, non uno momento . . . Sicut videbis die sexto, sicut adhuc videmus solem ferri per totum diem, non subito ascendere nec subito cadere . . . Sicut et videmus herbas, arbores, animantia fruetum producere, sed paulatim compiere per longum tempus, ut simplex maneat intelligentia, ut videas quoque creaturam, ut non est a se, ita non agere per se neque producere ne folium quidem etc.": WA 14,106,28—35 (Pred. über das l.Buch Mose 1523/24). „Nun ist es also vor unsern äugen, das er ymer dar macht und schafft. Darumb gleich als wenn eyn mensch ein bild macht, so ist es nit volendt, weyl er nodi daran arbeit; also yst auch Gottes werck nit ehe volkomen, dann wenn es gemacht ist, dann also ist es yn der gantzen weit, das Gott teglich ymmer dar schafft, wiewol er alle menschen auf ein mal köndt machen": WA 12, 441, 2—7 (Pred. des Jahres 1523). „Wir sehen teglich für äugen, das noch ymerdar allerley geschaffen wird": WA 24,61,21 (Pred. über das l.Buch Mose 1527). Aus diesem Grunde muß auch Augustins These von der Erschaffung der Welt in einem Augenblick abgewiesen und dagegen mit aller Kraft festgehalten werden, „ . . . das Got alle ding thu, schaff und wirck, wie der Text auch wil" · WA 12, 441, 25—442, 1 (Pred. 1523). 1

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nis zu dem jetzt wirkenden Schöpfer auslegt, so meint er also, daß alles Geschehen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart und Zukunft, als Ausdruck des göttlichen Schaffens verstanden werden muß®. Gottes Schöpferwort fliegt, so sagt Luther, wie ein „Pfeil" durch die Geschichte und erfüllt sie dadurch mit Leben und Inhalt, oder geht wie ein „Pflug" über die Erde und macht sie fruchtbar 7 . Mit Augustin kann Luther von Gott als dem Zeitlosen sprechen. Weil Gott über die Begrenzung der Zeit erhaben ist 8 , gibt es bei ihm kein Früher oder Später 9 . Alle Zeit ist für Gott wie ein Augenblick. Weil bei Gott der erste und der letzte Augenblick im Strom der Zeit in einem ewigen Jetzt gegenwärtig sind 10 , ist für ihn alles in einem Augenblick geschaffen11. „ E s ist vor Gott eyn kurtze zeyt eben als weren sie itzunnd geschehen.. . darumb ist eytel new ding da unnd gehet diser anfang noch ymerdar." 1 2 Für Gott ist jeder einzelne schon am Anfang geschaffen, da, als Gott sprach: „Werde!", und es ward. Aber für den Menschen, den Geschaffenen, ist der Anfang erst von seiner Existenz in der aktualen Zeit und dem hiesigen Raum gegeben, und deshalb muß die Schöpfung als ein Hervorquellen von lauter Neuem, und Gottes Schaffen als etwas ständig Geschehendes, das sich auf dem Weg vom Anfang zum Ende befindet, betrachtet werden 13 . ' S.u. Anm. 17; vgl. hierzu WA 12,441,25—442,8 (Pred. des Jahres 1523) und WA54, 67,1—29: „Hieraus folget gewaltiglidi und unwiderspredilidi, das Gott, der das Voltk Israel aus Egypten und durchs rote Meer gefuret . . . sey eben der Gott und kein ander, denn Jhesus von Nasareth, Marien der Jungfrawen Son, den wir Christen unsern Gott und Herren nennen . . . Ist der Himel durchs Wort gemacht, so ist auch alle ander Creatur dadurch gemacht . . . Ist nu alles durch jn gemacht, und on jn ist nichts gemacht, wie der text eller vier, Mose, David, Johannis und Pauli, da stehen, So mus, unter dem, das sie alles heissen, begriffen und nicht ausgeschlossen sein die ausfurt aus Egypten, und was mehr in dem Volck Israel gesehen ist, J a alles, was allenthalben von anfang der Creaturn geschehen ist, noch jmer geschieht und hinfort geschehen wird": WA 54,67,1—29 (Von den letzten Worten Davids 1543). 7 „ ,Fiat herba.' Hoc ponit contra terram rüdem et informem et ornat eam iam bestiis omnibus et gramine, Merck hie, wie unser herr got pflügt, Nempe er sagt nur ein wort, Hat ein grossen pflüg, der heist dixit. So gehts und wechst alles. Sic ipse colit terram": WA 42, 27,1—4 ( G n l , 9 Veit Dietrichs Handschrift). „Ego, si meam personam spectes, sum quiddam novum, quia ante annos sexaginta nihil fui; sic mundus iudicat. Sed Dei aliud est judicium, nam coram Deo sum generatus et multiplicatus statim in principio mundi, quia hoc verbum . . . .faciamus hominem' me quoque creavit. Quidquid enim Deus voluit condere, hoc tum, cum diceret, condidit. Non subito nostris oculis apparuerunt omnia. Sicut enim sagitta, aut globus, qui ex bombarda mittitur (nam in hoc maior celeritas est), uno quasi momento ad metam dirigitur et tarnen per certum intervallum mittitur: Ita Deus per verbum suum currit ab initio usque ad finem mundi": ib. 57, 34—42 (Gn 2,1). 8 „Est enim simpliciter extra temporis rationem": ib. 58,2 (Gn 2,1). • „Non enim apud Deum sunt prius et posterius, citius aut tardius, sed omnia sunt eius oculis praesentia": ib. 57,42—58,2 (Gn2,1). 10 WA 14,116,16—117,4 (Pred. über das l.Buch Mose 1523/24). 11 WA 24, 61, 32—67, 9 (Pred. über das l.Buch Mose 1527). 12 WA 12,444,20ff. (Pred. des Jahres 1523). 13 S.o. Anm.7 und WA 46,559,35—561,5 (Auslegung des 1. und 2.Kap. Johannis 1537—40 Dr Kap. 1,3).

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Die Erschaffung der Welt ist also die Erschaffung meiner aktualen Welt, und die Erschaffung Adams die aktuale Erschaffung des Menschen, die hier in der Zeit geschieht14. So, wie der Genesisbericht Gottes Schaffen „am Anfang" in den Rhythmus der Zeit, in dessen Wechsel zwischen Tag und Nacht, Licht und Dunkel setzt, so lebt für Luther die Schöpfung auch heute noch im Rhythmus der Zeit, weil Gott immer noch schafft15. Wie in der Genesis von der Erschaffung des Tages vor allem anderen berichtet wird, ebenso muß — meint Luther — der Schöpfer mit seiner Zeit voraus sein, wenn unsere Wirklichkeit etwas anderes als ein Nichts werden soll18. Daß Luther den Zeitpunkt für den Beginn der Welt gerade auf etwa 6000 Jahre vor seiner Zeit zurückverlegt, hängt mit seinem zeitgeschichtlich bedingten Weltbild zusammen und bedeutet keineswegs — wie ja auch in Luthers Erklärung des ersten Artikels ausgedrückt wird —, daß sie nun als ein fertiges Resultat vorliegt17. Noch ist Gottes Tat nicht abgeschlossen, sagt Luther, weil die Dinge und 14 Das hebräische Wort „Adam" ist nicht nur ein Eigenname, sondern bedeutet auch der Mensch: „Adam significar hominem": WA 42,231,22 (Gn4,18). Die Urgeschichte ist für Luther also nicht nur initium, sondern audi principium. Vgl. E. Gerstenmaier, Die Kirche und die Schöpfung, Berlin-Leipzig 1938, S. 127, Anm. 1, und S. 129. S. Siléns Theorie, daß nicht nur in der Orthodoxie, sondern auch bei Luther der Gegensatz zwischen einem kosmologisdien und einem soteriologisdien Motiv in der Menschenauffassung mit einer Scheidung zwischen einer historischen und einer existenzanalytischen Auffassung des Genesisberichts zusammenhänge, berücksichtigt nicht, daß es Luther doch auf eine ganz andere Weise als der Orthodoxie gelungen ist, dem Gedanken des aktualen Schaffens Gottes Ausdruck zu verleihen. R. Josefson kritisiert auch S. Silén mit Recht. Seine Kritik geht allerdings von der Rechtfertigungslehre aus und stellt fest, daß, falls Silén recht hat, Luthers Rechtfertigungslehre ein moralistisches Element enthalten würde. Ein einfacherer Weg, Siléns Konstruktion zu Fall zu bringen, wäre, auf den aktualistischen Zug in Luthers Schöpfungsauffassung hinzuweisen. Da fällt auch neues Licht auf den Zusammenhang zwischen Schöpfung und Erlösung in Luthers Denken. Siehe S. Silén, Den kristna människouppfattningen intill Schleiermacher. Diss. Uppsala, Stockholm-Uppsala 1938, besonders S. 42 f. und 124 f., und R. Josefsons Besprechung in SvTK, Jg. 15, 1939, S. 71—82. 15

WA 12,444,20—445,5. „ . . . wenn er (Gott) auffhöret, so ist alle Creatur nichts mehr, Und ob es sdion anfehet und wechset, . . . doch nicht sein ende erlanget das es volkomen wird, so ist es auch nichts. Summa. Es mus alles Gottes sein, das, wo er nicht anfehrt, da kan nichts sein noch werden, wo er auffhöret, da kan nichts bestehen": WA21,521,17—21 (Epistel am Sonntag Trinitatis Rom 11,33—36 Crucigers Sommerpostille 1544). „Igitur sentio Mosen voluisse significare initium temporis, ut sit in principio idem, ac si dicat: Eo tempore, cum nullum esset tempus, seu cum inciperet mundus, sic incepit, ut coelum et terra primum a Deo crearentur ex nihilo in forma rudi, non sic exculta, ut nunc sunt. Quanquam non ita diu iacuerunt inculta, sed statim primo die cepta sunt ornari luce": WA 42, 9, lOff. (Gn 1,2). 17 „Ich glaub an got den vatter almechtigen schöpffer hymels und der erden, was ist das? Antwort. Ich glaub das mich got geschaffen hatt sampt allen creaturen, mier leyb und seel, äugen oren und alle gelider, vernunfft vnd alle synn gegeben hat vnd noch e r h e l t . . . auss lauter veterlidier gütlicher gütte . . . " : WA 30/1,247,16—248,10 (Der kleine Katechismus 1529). Derselbe, der am Anfang aus dem Nidits geschaffen hat, schafft also jetzt aus dem Nichts. Aus der Hand des Schöpfers empfängt der Mensch sein Leben und alles, was dazu gehört; die ganze Schöpfung ist von Gottes fortwährendem Schaffen abhängig: WA 12,441,25—442,8 (Pred. des Jahres 1523), vgl. oben Anm. 5. — In Luthers Schöpfungsbegriff spielen nicht nur die Genesis-Berichte, sondern auch deren Interpretation durch Paulus (u. a. in Rom 5) eine große Rolle. Luther faßt den Inhalt der 16

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Menschen, die in der Zukunft hervortreten sollen, noch nicht geschaffen sind. Die Zeitgebundenheit der Schöpfung hat also zur Folge, daß man sie nicht als etwas Ruhendes betrachten darf18; sie ist durch Bewegung und Entwicklung gekennzeichnet; und weil Bewegung an sich ja ein Ausdruck für etwas Unvollendetes und damit Unvollkommenes ist19, kann die Vollendung nicht nur als eine kontinuierliche Entwicklung von etwas Vorhandenem gesehen, sondern muß auch als ein ständiges Schaffen von neuen Dingen und Wesen betrachtet werden20. ersten Kapitel der Genesis bis hin zur Schilderung der Sintflut als ein zeitliches, dagegen aber nicht als ein eindeutig historisches Geschehen auf; die Theologie spricht deshalb von der Welt und den Dingen in ihr, wie sie jetzt sind: WA 42,67,11—14 (Gn2,8). Was vor der Sintflut geschehen ist, weiß zwar nur Gott allein, er hat uns aber doch gewisse allgemeine Züge darin wissen lassen, wie z.B., daß die Welt einen Anfang gehabt hat und aus dem Nichts geschaffen ist, WA 42,3,22—29 ( G n l , l ) , und daß das Paradies der Zustand ist, in dem man gerade wie Adam im Paradies frei von Sünde, Tod und allem Übel ist: WA 42,67 f. (Gn2,8). Die aktuale Deutung der Schöpfung bedeutet also nicht ein Aufgeben der heilsgeschiditlichen Perspektive, sondern besagt nur, daß der konkrete Mensch in das göttliche Heilshandeln einbezogen ist und wird. Siehe hierzu auch unten Kap. 11,1. 18 Luther nennt Augustin und Hilarius als Vertreter der Ansicht, daß die Erde in einem Augenblick geschaffen sei, WA 42,91,23 (vgl. auch oben Anm. 4); daß Gott aber zu Adam vor der Erschaffung Evas spricht, setzt ja voraus — meint Luther —, daß eine Zeitspanne verflossen ist, ehe alles fertig geschaffen war, ib. 91,36 ff. (Gn2,20). „Credo quod opera deus fecerit in singulis diebus, non uno momento, sed operando per totum diem, donee compleretur dies. Sicut videbis die sexto, sicut adhuc videmus solem ferri per totum diem, non subito ascendere nec subito cadere, licet ista solis ambulatio sit miraculum in uno die etc. Sicut et videmus herbas, arbores, animantia fruetum producere, sed paulatim compiere per longum tempus, ut simplex maneat intelligentia, ut videas quoque creaturam, ut non est a se, ita non agere per se neque producere ne folium quidem etc. Etiam si sol et luna non creata fuissent, tarnen fuisset dies et nox, ut supra vides": WA 14, 106, 28—107,23 (Pred. über das l.Buch Mose 1523/24 Rörer). Luthers Betonung, daß die Schöpfung während einer gewissen Anzahl Tage geschehen ist, hat somit mit seiner Anschauung von der Bewegung der Schöpfung hin zur Vollendung zu tun. Vgl. hierzu R. Prenter, Die Einheit von Schöpfung und Erlösung. Zur Schöpfungslehre K.Barths (Besprechung von Barth, Dogmatik III, 1, in: ThZ 2. Jg. 1946, S. 161—182), S. 146,166 f. 18 „Opera dei non sunt perfecta, donec ad perfectionem perveniant": WA 12,441,33 (Pred. des Jahres 1523 Roth). Ebenso wie audi ein Kind nicht auf einmal fertig ist, sondern erst nach neun Monaten geboren wird und dann vom Knaben zu einem Jüngling und schließlich zu einem erwachsenen Mann heranwächst, so ist audi Gottes Schöpfungstat nicht auf einmal abgeschlossen (ib. 440,22—26 Dr). Vgl. hierzu, was Luther schon in den Dictata (1513—16) sagt: „Non enim fecisse satis est et quiescere, sed secundum philosophiam motus est actus imperfectus, semper partim acquisitus et partim acquirendus, semper in medio contrariorum et simul in termino a quo et ad quem consistens. Quod si in uno fuerit tantum, iam nec motus est. Vita autem presens est motus quidam et phase, id est t r a n s i t u s . . . " : WA4,362,35—363,1 (Ps 118,121 [119, 121]). Das „Wachsen" wird audi unten wieder aufgegriffen, s. bes. u. S. 191 ff. 20 So schon in „Dictata super Psalterium" (1513—16) W A 4 , 3 5 0 , 1 5 f . : „ . . . proficere est nihil aliud, nisi semper ineipere. Et ineipere sine proficere hoc ipsum est deficere. Sicut patet in omni motu et actu totius creature." Siehe auch ib. 321,25—29: „Et unusquisque est in gradu suo quem habet, ad eum quem nondum habet, sed querit. Quia, ut diximus supra, gradus in quo sumus, est velut litera eius, ad quem imus: qui est finis primi et initium futuri. Sicut Christus finis Synagoge et initum Ecclesie, ita omnis virtus, omnis actus, omnis scientia et intelligentia" ( P s l l 8 , 2 8 [119,28]).

2. Creare semper n o v u m facere

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Alles Geschaffene kommt und geht, steigt und sinkt im Fluß der Zeit, solange es auf dem Weg zur Vollendung ist21. Dieses Steigen und Sinken hat nichts mit dem Spiel des Zufalls zu tun, sondern hängt damit zusammen, daß Gott jedem Ding und Wesen seine bestimmte Zeit gibt. Nur in ihrem Eingebettetsein in den Strom der Zeit hat die Kreatur teil am Leben; wenn sie stirbt, ist ihre Zeit dahin; dann fällt sie zusammen; weil aber der Schöpfer gegenwärtig ist, gibt es immer noch Leben und Zunahme, Wachstum und Mehrung22. Gerade diese Bewegung und Entwicklung hebt Luther in seiner Genesisauslegung ausdrücklich hervor: zuerst „Nichts", dann das „Formen" von Himmel und Erde, daraufhin das Hervorquellen des „Lebens" (Pflanzen, Fische, Vögel und Säugetiere) sowie schließlich des Menschen. Die Entwicklung ist also sowohl qualitativ als auch quantitativ; qualitativ deshalb, weil nicht alles auf einmal vollkommen und nicht gleich, sondern verschieden und individuell geschaffen ist; quantitativ deshalb, weil die Schöpfung dadurch weitergeht, daß neue Geschöpfe die Erde erfüllen. Dies hat nichts mit einer der Schöpfung selbst innewohnenden Kraftentfaltung zu tun, sondern beruht auf dem „Segen" des Schöpfers und darauf, daß Gott ständig damit fortfährt, seiner Schöpfung Leben und damit Mehrung zu schenken23. Man könnte hier einwenden, daß Luther den Unterschied zwischen „creare" und „conservare" übersehen hat. Nichts spricht indessen für eine solche Annahme. Im Großen Genesiskommentar heißt es, daß die ersten Menschen „non nati sed creati sunt, idque immediate a Deo ipso" 2 4 . Es heißt aber „apud Deum idem est creare et conservare" 25 . „Creatio" und „generatio" sind also für Luther in gewissem Sinne identisch. Gott wirkt durch eine feste Ordnung der Schöpfung, ohne an sie gebunden zu sein; als Schöpfer kann er immer etwas Neues und Unerwartetes geschehen lassen26. Gott hat nämlich die Welt nicht geschaffen und sie dann sich selbst überlassen, etwa wie ein Baumeister ein Haus baut und sich dann nicht mehr um sein Werk kümmert, oder wie ein Schiffsbauer ein Schiff baut, um das Steuern dann anderen 2 1 Dieser Gedanke findet sich, wenn auch noch nicht völlig ausgebildet, bereits in den Dictata (1513—16): „Temporalia enim sicut fluvius veniunt et abeunt, ascendunt et descendunt, crescunt et decrescunt, incipiuntur et finiuntur. Unus edificai, alter destruit: omnia enim ex lite et amicitia constant et desistunt. N o n sic eterna": WA 4,351,35—38 (Ps 118,94 [119,94]), 2 2 Siehe oben S.30ÍT. Vgl. G. Wingren 1948 2 , S . 2 2 9 und 234 (dt. 1952, S.139 und 141). 2 J Siehe z . B . Luthers Auslegung von Gn 1,6—10 und 14—19: WA 42,17,42—27, 15; 30,16—36,16. 24 WA 42,247,34 ff. Siehe audi G. Rost, Luthers Schöpfungsglaube und Geschichtstheologie (Luth. Rundblick 6. Jg., 1958, S. 4). 2 5 Ib. 233,24 f. (Gn 22,13). 2 8 „Sed ut aliquid dicamus de proposita quaestione, illud miminerimus, quod scriptura sancta usitatum Deo esse ostendit, ut per Angeli aut ministri alicuius vocem producat ea, quae non erant, aut ea, quae existunt, multiplicet. A d verbum Mose hominis manat aqua ex petra, coturnices sparguntur per castra. Si Deus unam coturnicem habet, centena millia aut innúmeras habet. Sic sumit quinqué panes, et cibat quinqué millia" : WA 43,233, 29—35 (Gn 22,13). Vgl. die in dieser Hinsicht mit Luther äußerst kongeniale Auslegung von Gn 1,6—10 und 14—19 bei D. Bonhoeffer 1955 3 , S. 30 und 33.

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zu überlassen. Gott der Schöpfer „bliebt dabey und erhelt alles, wie er es gemacht hat, sonst würde es weder stehen noch bleiben können"27. Die Erhaltung der Schöpfung (conservatio) ist also Gottes Werk, geschieht indessen nicht ohne deren eigene Beteiligung und Mitwirkung. Die Vermehrung hängt mit der Beschaffenheit der Kreatur zusammen: das organische Leben hat gegenüber dem anorganischen Leben eine größere „Freiheit" und kann daher in die Mitarbeiterschaft des Gebärens einbezogen werden28. Aber dies geschieht auf Grund von Gottes Schöpferwort, ohne das weder Gebären noch Leben möglich wäre. Aus diesem Grunde sieht Luther auch keinen größeren Unterschied zwischen „creatio" und „generatio", denn Gott, der aus einem Erdkloß den ersten Menschen geschaffen hat, schafft auch heute noch, nämlich durch die Eltern29. Die Schöpfung des Menschen bzw. das Gebären geschieht kraft des Schöpfungsbefehls, d. h. des heute noch gegenwärtigen Schöpferwortes, dessen Wirksamkeit nicht davon abhängig ist, daß das Geschaffene sich dessen bewußt ist, daß Gott durch die Kreatur als Mittel und Mitarbeiter (cooperator) eine neue Kreatur schafft30. Geburt und Wachstum sind also Schöpfung, Gottes beständige Schöpfung „ex nihilo"31. „Conservatio creaturae" beruht demnach nicht auf einer der Schöpfung innewohnenden Kraft, sondern geschieht nach Luther dadurch, daß Gott die Welt „benedicat" oder „sustentât", d.h. es wird ausgedrückt, daß Gottes Relation zu seiner Schöpfung eine persönliche Beziehung ist32; der Begriff „creare semper novum facere" bewahrt sowohl den Gedanken an Gottes „Freiheit" wie den an seine „Treue" gegenüber der Schöpfung, d.h. der Schöpfer läßt die Schöpfung das verbleiben, wozu er sie geschaffen hat; dadurch, daß Gott ständig Neues schafft, nimmt er sich als göttlicher Wille und göttliche Tat seiner Schöpfung an33. Schon der junge Sentenzkommentator Luther betont: „Est enim conservare idem quod continue creare."34 Luthers Polemik gegen alle Vorstellungen von einem immanenten Vermögen zur eigenen Entwicklung des Geschaffenen (und damit auch gegen die Vorstellung der Mitwirkung des Menschen bei der Erwerbung der W A 46, 5 5 8 , 2 0 — 5 5 9 , 1 6 (Ausi, des 1. und 2. K a p . Johannis 1 5 3 7 — 3 8 J o h l , 3). Vgl. D.Bonhoeffer 1955 3 , S. 36 ff. 2 9 „ N a m qui ex gleba formavit hominem, idem adhuc hodie creat homines ex sanguine Parentum": W A 4 2 , 9 5 , 3 2 ff. ( G n 2 , 2 1 ) . 3 0 „Adam autem cogitur servire Deo ad generationem" : W A 4 2 , 2 1 4 , 3 7 (Gn4,ll). „Opus generationis est creatura Dei bona et sancta est enim et Deo benedicente . . . A c mansit etiam in natura corrupta generatio, sed accessit illud venenum Diaboli, pruritus carnis et foeda libido . . . H a e c omnia non creationis . . . , sed peccati et maledictionis, quae est ex peccato": W A 4 2 , 1 7 7 , 3 — 1 5 . Die Zeugung geschieht durch Gottes Wort, das auch die übrige Schöpfung erhält, W A 4 2 , 9 5 , 1 — 3 4 ( G n 2 , 2 1 ) , und daß der Mensdi dabei in Gebrauch genommen wird, verringert keineswegs den Charakter der Geburt als Wunder: W A 4 2 , 9 5 und 97. 27

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W A 2 4 , 6 1 , 2 1 (Über das 1. Buch Mose 1527 Gn 2 , 1 ) . W A 2 0 , 4 8 5 , 2 6 (Pred. des Jahres 1526 Rörer). Vgl. hierzu U . M a n n , Ethisches und Ontisches in Luthers Theologie (KuD 3. Jg. 1957) S. 192 f., und W. Joest, Sein und Akt (Studium generale 8. Jg. 1955) S . 6 9 1 . 3 3 Siehe W A 2 0 , 4 8 5 , 2 6 ff. (Pred. des Jahres 1526), sowie die Auslegung von Johl,3 in W A 4 6 , 5 5 8 , 1 5 — 5 6 1 , 5 (Ausi, des 1. u. 2. Kapitels Johannis 1 5 3 7 / 3 8 Dr). 3 4 W A 9 , 6 6 , 2 9 — 3 4 (Randbemerkungen Luthers zu P. Lombardus 1 5 1 0 / 1 1 ) . 31

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2. Creare semper novum facere

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Seligkeit) hängt offensichtlich nicht nur mit seinem sehr früh entwickelten aktualistischen Schöpfungsbegriff, sondern auch mit seinem personalen und voluntativen Gottesbegriff systematisch zusammen: „Gott der Vater hat das geschöpf aller Creaturen durch sein Wort angefangen und volbracht und erhelt es auch noch fur und fur durch dasselbige, bleibet so lange bey seinem Werck, das er schaffet, so lange bis er wil, das es nimer sein s o l . . . denn gleich wie on alle unser zuthun und vermögen wir von jm geschaffen werden, also können wir auch durch uns selbs nicht erhalten werden." 35 Schon beim jungen Luther liegt die Auffassung der erhaltenden Kraft des schaffenden Wortes vor 36 und kehrt dann unaufhörlich in seinen späteren Schriften wieder37. Besonders pointiert zeigt sie sich in Luthers Predigten über J o h 1—4 38 und im Großen Genesiskommentar 39 . Der „Pflug", der die Erde fruchtbar macht und bewirkt, daß Bäume und Pflanzen aus ihr hervorwachsen, heißt „dixit" und ist Gottes lebendige Rede 40 . Die im Keim wohnende Kraft 41 sowie die Ordnung in Natur 42 und Universum 43 — dies alles bewirkt die Gegenwart des Schöpferwortes, das regiert und erhält. Weil Gott der Geber sein will, kann kein Vermögen und keine Kraft der Kreatur das Schöpferwort ersetzen44. Das Schöpferwort ist kein Substrat, das zur Natur gehört, und der Schöpfungsgedanke kann deshalb nicht mit einer „philosophischen" Beschreibung der Welt konkurrieren, weil er eine Dimension der Wirklichkeit öffnet, die jene weder geben kann noch darf: er setzt die Welt in Relation zu ihrem Ursprung und Ziel (causa efficiens et finalis). Die Erklärung des Philosophen, daß z.B. ein Huhn durch seine Körperwärme lebende Kücken aus den Eiern ausbrüten kann, ist — sagt Luther — eine ganz andere als die eines Theologen, wenn er dies als ein Wunder der Geburt bzw. der Schöpfung beschreibt. Nur als Totalitätsbetrachtung ist für Luther — worauf wir unten näher eingehen werden — die philosophische Erklärung verwerflich 48 . Für den Schöpfungsglauben ist Fruchtbarkeit der Segen des Schöpfers, denn er betrachtet das Geschehen als etwas, das unserer Kontrolle und unserem Einfluß völlig entzogen ist. Wenn wir segnen, sagt Luther, wünschen wir einem anderen etwas Gutes, aber wir können ihm das, was wir wünschen, nicht geben. Gottes Segen aber, der auf der Schöpfung ruht, ist das Wohlwollen Gottes, das nicht nur guten Willen, sondern auch Gabe und Frucht enthält: Gottes Segen gibt, was Gott wünscht 46 . Die Entbehrung des lebenspendenden Segens Gottes ist daher Entbehrung der Fruchtbarkeit, sie ist nicht Leben, sondern Tod 4 7 . Deshalb ist das Leben für Luther 3 e WA 9 , 6 6 , 2 — 4 und 66,30 ff. WA 46,558,29—35. Vgl. ib. 560,4—7. Siehe z.B. WA 57,(3), 101,3—4 (Hebräerbriefvorlesung 1517 Sdì. H e b r l , 3 ) . 38 WA 46,538 4 0 WA 4 2 , 2 7 , 1 ff. (Gn 1,10 V. Dietrichs Hs). ff. 3» WA 42—44. 41 Ib. 27,35 f. (Dr). 42Ib.27,38. 43 WA 43,233,22—234,11 (Gn 22,13). 44 WA 42,35,22—29 ( G n l , 1 4 ) . 45 Ib. 40,5—12 (Gn 1,22). Vgl. hierzu audi unten Kap. 1,3, Anm. 39, und Kap. II und V,2. 46 WA 42,40,15—18. 47 Ib. 70,30—71,14. Luther legt hier die Schilderung vom Baum des Lebens aus, von welchem die ersten Menschen ewige Jugend holen sollten, solange sie lebten. In Veit Dietrichs Handschrift heißt es nur zusammenfassend: „Lignum vitae puto fuisse, quo Adam 33

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auch nie ein Naturverlauf, auch nicht das Spiel des Zufalls, sondern die wunderbare Tat der göttlichen Vorsehung48. Wo Gott nicht Leben spendet, droht der Kreatur Tod und Untergang. In Luthers Schöpfungsglauben wird deshalb das kreatürliche Leben als eine Wanderung durch das Rote Meer gesehen, wo Gott die Mächte des Todes zurückhält, und das Leben der Kreatur durch die gewaltige Kraft seines Wortes erhält. Die schmale Wand, die Zerstörung und Vernichtung zurückhält, ist nach dem Fall der Schöpfung sehr dünn. Wie die Wassermassen das mächtige Heer der Ägypter wegschwemmten, so kann auch das Leben des Menschen weggeschwemmt werden, wenn Gott sein allmächtiges Wort zurückzieht49. Weil Gott das Leben ebenso bewahrt, wie die Israeliten mitten im Roten Meer, steigt der Lobgesang des Schöpfungsglaubens zu ihm auf, der alle Dinge mit seinem kräftigen Wort trägt (Hebr 1,3)50. Solange man „im Wort" lebt, kann man mitten unter fremden Mächten vor dem Untergang bewahrt werden. Fall und Zerstreuung treten erst dann ein, wenn man Gott nicht die Ehre gibt und so die Zurückziehung des Wortes bewirkt51. Die Erhaltung durch das göttliche Wort erstreckt sich auf alle Geschöpfe; die Schöpfung Gottes ist universal, und die Verheißung dieser Erhaltung umfaßt alle Völker; Gott ist der Schöpfer aller Menschen52. Die Gegenwart des Wortes bedeutet, daß Gott selbst unablässig handelnd gegenwärtig ist, um Segen und Leben zu geben. Deshalb kann Luther auch von der Erhaltung als von dem Werk des Creator spiritus sprechen. In Psalm 64,15 wird Gott „Sadai" genannt (Luther leitet das Wort von = Brust her, und sustinuisset vitam sicut nos sustinemus vitam pane, hoc est, quotidianum cibum, da mit er sidi erhallten solt haben, das das ander gewedis nur ein genesch gewesen wer. Arbor vitae s. corporalis" (ib. 70,1—4). Im gedruckten Text wird der Gedankengang weitergeführt: „Sed videamus corpora nostra. Unde est ea vis, ut pañis comestus calore naturali coquatur et vertatur in sanguinem, unde postea totum corpus confirmatur et augetur. Affer totos caminos ignis, hoc tarnen non poteris, ut ex pane sanguis fiat, quod tenuis calor, qui est in nostris corporibus, potest. Nihil igitur miremur hanc arborem, arborem vitae fuisse, sic volente, piantante et faciente Domino . . . Haec corruptionem iudicantur afferre, aut saltem mutationem aliquam, qua tandem homo naturaliter esset corruptus. Sed huic naturali ordinationi Deus curavit remedium per arborem vitae, ut homo sine ullo virium decremento longam et sanam vitam viveret in perpetua iuventa": WA42,70,36—71,14 (Gn 2, 9). Man beachte, als wie nahe zusammengehörig alles Leben betrachtet wird. Gott reicht dem Menschen den Segen des Lebens durch das Brot. Wie eine Blume welkt und stirbt, so altert und stirbt der Mensch, wenn für ihn Gottes benedictio corporalis (unten Anm. 52) zu Ende geht. 48 WA 42,27,31—40 (Gn 1,11). 49 Ib. 26,14—28 ( G n l , 9 ) . Die Wiederaufrichtung der Schöpfung dagegen geschieht gegen einen feindlichen 'Widerstand. Auf diesen Gesichtspunkt werden wir unten zurückkommen. 50 WA 57(3), 101,4—14 (Hebräerbriefvorlesung 1517). 51 WA 7,600,10—18 (Magnificat 1521) und 53,447,27 ff. (Von den Juden und ihren lügen 1543). Vgl. auch H . Bornkamm 1948, S. 64—66. 52 „Haec enim non sunt signa illius immutabilis gratiae, sed sunt benedictiones seu benevolentiae signa omnium creaturarum" : WA 42,227,41 f. (Gn 4,16). Luther unterscheidet also zwischen einer benedictio aeterna, spiritualis oder specialis einerseits, und einer benedictio temporalis, corporalis oder generalis andererseits. Siehe hierzu F. Lau, Das Heil des Volkes und das Evangelium (Theologia Militans 13) Leipzig 1937.

3. Creatura bona

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übersetzt es mit Lebensspender), weil er allem Nahrung und Leben gibt, so wie eine Mutter ihr Kind stillt: „das ist des heyligen geysts eygen werck und namen, der do heist der lebendmacher und ernerer psa. 103." Für Luther ist das Leben des Menschen niemals dem biologischen bzw. animalischen Leben gleichgesetzt; das Schenken des Lebens geschieht bereits in der äußeren Schöpfung, erfährt jedoch seine Vollendung erst in der Sendung des heiligenden Geistes von Pfingsten 53 . Die Fülle des Lebens ist dem Menschen in Gottes Willen, in seinem Wohlgefallen oder Segen aufbewahrt. Wenn der Geist die Schöpfung nicht liebte, wenn Gottes Wohlgefallen nicht auf ihr ruhte, könnte sie nicht bestehen. Nun aber hat Gott die Schöpfung nicht verlassen, sondern er liebt sie und hat sein Wohlgefallen an ihr. Deshalb ist er auch in ihr gegenwärtig, um jedes Ding nach seiner Art zu beleben, zu bewegen und es zu bewahren 54 . So heißt es in den Genesispredigten 1523/24: „Haec est tertia persona. Aeterna voluntas seu beneplacitum, quo approbantur et conservantur omnia. Et est spiritus sanctus, qui omnia vivificat tenens et conservane." 65 Für Luthers Anschauung der conservatio ist seine Auslegung von Gn 2,2 (Gott ruht am siebenten Tage) bezeichnend. Er verneint zunächst, daß die Ruhe ein Ideal sei, denn das Wesen der Schöpfung ist Bewegung, nicht Ruhe; deshalb ist es des Menschen Auftrag zu arbeiten; weil aber Gott als Erhalter beständig wirkt, hört er nach sechs Tagen nicht zu schaffen auf; das Ruhen Gottes ist nur ein Zeichen dafür, daß es innerhalb der Bewegung und der Arbeit des kreatürlichen Lebens auch eine Grenze gibt, die dem Menschen um einer anderen Bewegung, einer anderen „Arbeit" willen, gesetzt ist: der Hinwendung zu Gott in Lobgesang und Gebet, bzw. des Hörens des Wortes Gottes vom ewigen Leben. Gott ist „semper actuosus"; deshalb steht auch die Schöpfung nicht still; sie wird ihrer Vollendung entgegengeführt; Stillstand ist nämlich Tod und Vernichtung; jene Bewegung der Schöpfung wird so für Luther ein Zeichen dafür, daß Gott noch unablässig wirksam ist56.

3. C r e a t u r a b o n a Wir haben bisher hauptsächlich von Gottes Schöpfungshandeln (creare) gesprochen. Es taucht nun indessen die Frage auf, ob Luther nicht noch weitere Aussagen über das Verhältnis von Schöpfung und Schöpfer macht, als die, daß 53 WA 8,16—20,29 (Deutsche Auslegung des 67. (68.) Psalmes 1521). Luther fährt dann damit fort, von der Offenbarung des Geistes, der Erlösungstat Gottes als von etwas Lebenspendendem zu sprechen. Die Offenbarung des Geistes wird nicht nur als das Verleihen von Erkenntnis, sondern vor allem als das Schenken der Gottesgemeinschaft und damit des rechten Lebens verstanden. Vgl. Luthers Exegese der Nikodemusstelle in Joh 3,8, w o die Wiedergeburt des Geistes mit dem Wunder in der Schöpfung verglichen wird: WA 46, 21,10—32,16 (Auslegung des 3. und 4. Kap. Joh 1538 Dr). 54 WA 42,38,7—10. 55 WA 2 4 , 3 0 , I f f . ; vgl. auch WA 42,37,25—34; 1 4 , 1 0 1 , 6 — 1 1 . 2 3 f f . sowie 10/1, 1,185, 20—186,8 (Kirchenpostille 1522). 58 WA 42, 57, 5 ff., 17—26 (Gn2, 2) und 6 0 , 3 — 6 1 , 3 2 (Gn 2, 3). Vgl. auch WA 57 (3), 158,1—17 (Hebräerbriefvorlesung 1517 Kap. 4,4). Siehe auch unten Kap. 11,3.

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die Schöpfung von Gott in unablässigem Wirken geschaffen wird. Bei der Beantwortung dieser Frage werden wir nicht nur einige Aussagen Luthers heranziehen, die nur selten oder nie Beachtung gefunden haben, sondern auch eine systematische Gesamtschau mit Hilfe der schon gewonnenen Ergebnisse dieses Kapitels geben können, so daß dieser Abschnitt einen Abschluß und eine Zusammenfassung des ganzen Kapitels bildet. Wenn wir oben bestritten haben, daß Luther die Schöpfung als ein fertiges Produkt betrachtet, war die Spitze gegen einen statischen Schöpfungsgedanken gerichtet, der der conservatio creaturae als einem aktualen Schaffen keinen Ausdruck zu verleihen vermochte. Hier werden wir nun auch sehen, daß die Aktualität des Schaffens keine Aufhebung des Seins-Charakters der Schöpfung bedeutet; daß sie sowohl Akt wie Sein ist. Erstens muß hier unterstrichen werden, daß für Luther das Leben des Menschen Gottes Gegenwart in der gesamten Schöpfung schon vor dem Menschen und unabhängig von ihm zur Voraussetzung hat. Gottes Relation zur Welt fängt also nicht mit dem Menschen an, sondern erfährt in ihm seinen Höhepunkt 1 . Jene schaffende Gegenwart Gottes hebt nicht die Distinktion Schöpfer — Schöpfung auf, sondern hat zur Voraussetzung, daß Gott das Leben in sich selbst hat und daß deshalb die gan^e Schöpfung von ihm Leben empfangen muß. Das Sein und das Gut-Sein der Schöpfung werden hier in eins gesehen. Gerade als etwas anderes als Gott ist die Schöpfung gut; aber das Gut-Sein der Schöpfung kommt von Gott, von seinem Ansehen, seinem Urteil über das, was aus seinem Schöpferwort hervorgegangen ist: „Gott sah, daß alles gut war" (Gn 1,4). Vergleicht man Luthers verschiedene Auslegungen dieses Wortes in Gn 1,4. 10. 21. 25 und 31, ist es interessant zu beobachten, wie dieser Ausdruck gerade mit der Schöpfung durch Geist und Wort verbunden bzw. auf die Erhaltung bezogen wird 2 . Solange Gottes Wohlgefallen auf der Schöpfung ruht, ist alles gut und ge1

Wenn G. Wingren sich davor sdieut, die Schöpfung der Welt vor die des Menschen zu stellen, so hängt das mit einer bewußten Betonung der Luthersdien „aktualen" und „personalen" Seite im Sdiöpfungsbegriff zusammen; siehe Wingren 1958, bes. S. 42 (dt. 1960, bes. S. 38 f.). Bei Luther gilt jedoch die Schöpfung „in Christus" nicht nur dem Menschen, sondern der ganzen Schöpfung, ohne daß dabei die besondere Stellung des Menschen verleugnet wird. Luther denkt sich ja (wie Wingren übrigens auch hervorhebt), daß nicht nur der Mensch, sondern die ganze Schöpfung von der Strafe des Falls getroffen wird, ohne daß jedoch damit die besondere Schuld des Mensdien verdunkelt würde. Vgl. hierzu Kap. II und IV. Gottes Beziehung zur Sdiöpfung ist für Luther nicht nur ein personales IdiDu-Verhältnis, weil er ja auch in der Welt der Dinge, die er schafft, begegnet. Vgl. dagegen Κ. E. Logstrup, Den erkendelsesteoretiske Konflikt mellem den transcendental-filosofiske Idealisme og Teologien, Diss. Kßbenhavn 1942, bes. S. 90. Logstrups Hinweise auf Luther zeichnen sich durch großen Scharfsinn aus, doch ist eine gewisse Beeinflussung durch die „personalistische" Lutherdeutung F. Gogartens bemerkbar. Die Gefahr einer Verabsolutierung des Personalen tritt auch bei Logstrups Schüler H . 0stergaard-Nielsen zutage: s. dessen Buch Scriptura sacra et viva vox. Diss. Kobenhavn 1958 (FGLP 10. R., Bd. X), München 1957, sowie die Kritik von 0 . - N . bei D. Löfgren, Verschiedene Tendenzen in der neueren Lutherforschung (KuD 1959, S.78ff.). 2 WA 12,450,1—8: „Die dritt person aber wird heymlich yn den worten angezeygt, wie wir gesagt haben, da er spricht ,Gott sähe das liecht fur gut ane', das ist, er hat ein wolgefallen darin, dann es ist bey Got ein lust und wolgefallen an dem gewest, das er

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ordnet. Das, was die Kreatur gut macht, sind nicht ihre Eigenschaften, sondern der Wille Gottes, der die Schöpfung prägt: daß Gott schafft bzw. gibt, ist gut, und daran ist Luthers Gedanke vom Gut-Sein der Schöpfung orientiert3. Nun meint Luther aber auch, daß ebenso wie alles Leben in der Schöpfung von Gott geschenkt ist, es ihr von ihm auch genommen werden kann, wenn es nämlich unter Gottes Zorn gerät. Gott hat Leben und Tod in seiner Hand4. Dies ist der Grund dafür, daß Luther sich dagegen wendet, Wesen und GutSein der Schöpfung nur in ihr Sein, ihre inhärente Natur oder ihr eigenes Vermögen zu verlegen. Eine solche Auffassung liegt besonders nahe, wenn man die Schöpfung nur als ein Produkt oder Resultat des Schaffens beschreibt6, oder wenn man die Grenze zwischen Schöpfung und Schöpfer wie zwischen Zeit und Ewigdurdi das wort gemacht hat, welchs nit anders ist, dann das Got die creatur erhebt, wie er sye gemacht hatt, und yhn bey stehet. Das wirt eygentlich dem heyligen geist zugerechnet, das er sey das leben und erhebung aller ding. Darumb die schrifft also von yhm redt, das er sey das band, das da al creaturn halt und allen yr ubung und Wirkung geb" (Pred. des Jahres 1523). WA 14,100,37—101,27: „,Vidit creata esse bona.' Hic est spiritus sanctus. Hic enim non dixit, sed vidit, ehr hatte seinen lust, fraude und wolgefallen darinnen, id quod est spiritus sanctus, qui omnia vivificat, tenet, conservât. Vides deum sua bonitate omnia creasse et ad bonitatem et utilitatem ordinasse, ad lucem, ad charitatem, ad fructum, ad esum, ad potum, ad conservationem etc. ut in omnibus ipsius et potentia et bonitas magnificetur" (Pred. über das l.Budi Mose 1523/24 Gn 1, 4 Roth). Vgl. auch ib. 105, 7—18 ( G n l , 10). WA 24, 39,21—27: „Den jhenigen, so das schmecken, das Moses sagt ,Gott sähe es für gut an' etc., denen ist nütz darnach zu trachten und richten, die sind es, die Gott erkennen ynn den Creaturen, das sie sagen müssen: Ey wie ein freuntlicher feiner Gott ist das, ist er doch nichts denn eytel süssickeit und gute, das er uns also speiset, erhelt und erneeret. Diese sehen nichts anders an den Creaturen denn das Gott dran sihet, Er sihet aber nichts dran denn gutes, darümb haben sie alle lust und freude darvon" (Über das l.Buch Mose 1527 Kap. 1). WA 24,40,1 f.: „Qui autem cum adfectu hoc intelligunt, ii vident omnia esse valde bona" (In Genesin Declamationes 1527 Kap. 1). Vgl. auch WA 24, 59,16—21: „Das ansehen haben wir oben gehört, ist Gottes wolgefallen und lust, so er an Creaturen hat: Denn er hat es fort bestetigt, wie ers angefangen hat. Also das nicht allein Adam befohlen ist kinder zu zeugen, sondern auch bey Gott für gut angesehen, das es yhm wolgefallet und nach ymmer so gehen muss. Darümb sollen wirs auch als Gottes werck ansehen und für gut halten." Ib. 30, I f f . : „Haec est tertia persona. Aeterna voluntas seu beneplacitum, quo approbantur et conservantur omnia. Es est spiritus sanctus, qui omnia vivificat tenens et conservans." Siehe audi ib. 14,101, 6 ff., WA 10/1,1,185, 20 ff. (Kirchenpostille 1522) sowie W A 4 2 , 3 7 , 2 5 f f . und 38,7ff. ( G n l , 2 1 ) . 3 „ . . . totum bonum nostrum Deo ascribendum . . . " WA 18, 614, 21 (De servo arbitrio 1525). Vgl. auch WA 42, 79, 33 (Gn 2,16). 4 „Habent omnes vitam, Sed quotusquisque est, qui sentit earn esse donum Dei, qui pro ea Deo gratias agit et petit earn conservan?": WA 40/III, 585, 32—586,18 (Enarratio Psalmi X C 1541 Ps 90,16). „Ergo quod ad vitam creatum erat, morti iam destinatur, idque Deo irascente . . . " : ib. 516, 22 f. (Ps 90, 3). 5 G. Wingren hat die modalistische Tendenz in dem „Resultatdenken" der modernen Theologie kritisiert: s. Gott und Mensch bei Karl Barth (StTh 1/1—2, Lund 1947, gedr. 1948), „Ordet" hos Barth (SvTK 1948) und Teologiens metodfrlga, Lund-Malmö 1954 (dt. Die Methodenfrage der Theologie, Göttingen 1957). In Anschluß an Wingren hat dann auch G. Hillerdal nicht nur die dialektische Theologie, sondern auch gewisse Vertreter der kontinentalen Lutherdeutung kritisiert: s. ders., Gehorsam gegen Gott und Menschen, Diss. Lund. Stockholm-Lund-Göttingen 1954. Die Frage ist aber, ob man nidit auf beiden Seiten einseitig jeweils etwas betont hat, das zwar bei Luther vorhanden ist, bei diesem jedoch zusammen mit dem andern als eine Einheit hervortritt.

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keit zieht®. Daß Luther Gott als einen gebenden, wollenden und unablässig handelnden Schöpfer auffaßt, bedeutet jedoch nicht, daß der Schöpfung jede Selbständigkeit abgesprochen worden ist; weil die Kreatur ihr Leben und ihr GutSein aus Gottes Wort bzw. aus dem Creator Spiritus hat, wird sie zwar nicht als etwas nur Ontisches oder Natürliches (in der Bedeutung „erklärlich" und „faßbar"), aber auch nicht als ein bloß persönlich-aktuales Handeln Gottes verstanden 7 . Das Gut-Sein der Schöpfung kommt ja nicht nur darin zum Ausdruck, daß Gott sie liebt, sondern auch darin, daß sie selbst Gott preist und ihm die Ehre gibt: „Vides deum sua bonitate omnia creasse . . . ut in omnibus ipsius et potentia et bonitas magnificetur." 8 Die Besonderheit der guten Kreaturen im Verhältnis zum Schöpfer ist also, daß durch jene, „quod conditae sunt ad declarandam auctoris gloriam" 9 , das Lob des Schöpfers zum Ausdruck kommt. Gott ist nämlich dem Geschaffenen ein Gott, der gepriesen werden will. „Non est Deus eius Deus, quod nihil est. Nullus et nemo non adorant Deum, et Deus non régnât super eos." 10 Wenn Gott „ex nihilo" schafft, tut er es also, um gepriesen zu werden; die Eigenart und das Gutsein der Kreatur besteht demnach darin, daß sie den Schöpfer preist. Es ist interessant zu beobachten, daß Luther dies von der gesamten Schöpfung und nicht nur vom Menschen sagen kann. Auch aus der stummen und gestaltlosen Materie, die in Gottes Willen ruht, schafft Gott sich Anbetung 11 . Der Lobpreis der Schöpfung ist ein Ausdruck für die Freiheit und Souveränität Gottes, der allein in sich selbst Leben besitzt. Die Freiheit der Kreatur dagegen besteht nur darin, daß sie sich widerstandslos von Gottes Schöpferhand formen und ihn den Schöpfer-aus-dem-Nichts sein läßt 12 . Die Schöpfung tritt für Luther in ihrem „besonderen" Sein und damit in ihrem vollen Gut-Sein erst dann hervor, wenn sie erkennt, daß Gott ihr Ursprung und Ziel ist; wer Gott nicht kennt und bekennt, ist deshalb nicht gut und kann auch nicht selbst die Schöpfung recht erkennen 13 . Die Omnipotentia Dei wird also von Luther stark betont; sie wird aber nicht als Allkausalität, sondern als Schöpfermacht aufgefaßt. Nicht nur der Gedanke der Souveränität Gottes, sondern auch der Gedanke von Gott als dem persönlich wirksamen Willen stehen hinter Luthers bekannten Gedanken in De servo arbitrio (1525), die ja die Notwendigkeit (necessitas), mit welcher alles hier in der Welt geschieht, hervorheben. Im Grunde polemisiert Luther gegen den necessitas-Begriff der Scholastik. Luthers Gedankengang ist an der Vorstellung 6 H . W. Schmidt war der erste, der K. Barths Zeit—Ewigkeits-Schema, und zwar von Luthers Anschauung her, kritisiert hat. Siehe ders., Zeit und Ewigkeit, Gütersloh 1927. Barths spezielle Variante des Zeit—Ewigkeit-Schemas ist aber nicht wie das der Scholastik in eine räumliche, sondern in eine kognitive Gedankenstruktur eingefügt. Vgl. G. Wingren, 1947, S. 27ff.; 1948, S. 249—267 und 1954, S. 47—71 (dt. 1957, S. 36—55). 7 Siehe F. K. Schumann 1956, S. 242. Zur Frage ontisch-personal kehren wir unten Kap. V , 1 zurück. 8 WA 14,101,24—27 (Pred. über das l.Buch Mose 1523/24 G n l , 4 ) . 9 WA 24, 47, 7 (Pred. über das l.Buch Mose 1527 Dr. G n l , 2 7 ) . 10 11 WA 43,479, 25—30 (Gn 26, 24—25). Vgl. D. Bonhoeffer 19553, S. 19. 12 Vgl. P. Althaus, Luther und die politische Welt (SLG H . 9) Weimar 1937, S. 12, mit den dort angeführten Hinweisen auf Luther. 13 WA 24, 59,16—21; 39,18—33; 40,1 f., WA 14,105, 7—18; 100, 17; 101, 27.

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von der freien Gegenwart Gottes in der Schöpfung orientiert; Gott ist in ihr gegenwärtig als Geist und Wort. Die Problemstellung der Scholastik ist dagegen von einer rationalistischen Betrachtungsweise bestimmt. Man stellt sich die Schöpfung als ein gottgeschaffenes Produkt vor nach dem Schema: Ursache und Wirkung. Es erhebt sich in diesem Falle das Problem, wie man den Gedanken der Souveränität Gottes mit dem der Selbständigkeit und Verantwortung des Geschaffenen vereinbaren kann14. Wenn Luther die necessitas betont, setzt er die Kreatur in Beziehung zu Gott als dem Wort und dem Geist und kann so nicht nur der Abhängigkeit der Schöpfung und ihrer nahen Beziehung zum Schöpfer, sondern auch der Besonderheit und Verantwortung der Kreatur gegenüber dem Schöpfer Ausdruck verleihen. Die Gesetzmäßigkeit der Natur erklärt sich somit nicht daraus, daß Gott etwa zu ihrer Substanz gehört. Die Kontinuität zwischen Natur und Gott wird teils auf das Wort verlegt, das hervorbringt, und teils auf den Geist, der lebendig macht und erhält. Gott ist im Verhältnis zu seiner Schöpfung frei, er geht nicht substanziell in sie hinein, sondern steht als schaffender Wille dem Geschaffenen gegenüber. Er ruft durch sein Wort die Schöpfung aus dem Nicht-Sein heraus und bleibt ihr durch seinen Geist und sein Wohlgefallen nahe. Gott und Kreatur sind — so gesehen — nicht miteinander identisch und auf der anderen Seite nicht getrennt. Daß für Luther ein dualistisches Schöpfungsdenken ausgeschlossen ist, ergibt sich aus seiner Auffassung der conservado als eines ständig neuen Schaffens. Gottes gute Schöpfung ist nicht nur in der Vergangenheit vorhanden, sondern geschieht jetzt: „creare est semper novum facere." Als vom Schöpfer geschaffen und erhalten hat also die Kreatur ihre Existenz in Gott und ist nur so gut. Wie wir unten (Kap. IV) deutlicher sehen werden, gilt dies auch „nach dem Fall". Wenn die Kreatur (z.B. im Gebären) vom Schöpfer „in Gebrauch genommen" wird, arbeitet sie mit ihm zusammen (cooperatio); sie hat dabei immer eine Funktion, die weder durch eine ihr innewohnende Qualität noch durch ihre Sündhaftigkeit bestimmt ist; „duae res sunt, Creator et creatura Dei" 15 ; Gott und die Kreatur sind nicht absolute Gegensätze, wenn auch nicht identisch 16 ; die Distan£ zwischen Gott und Kreatur liegt nicht so sehr in ihrer ontologischen Beschaffenheit als in dem Widerstreit des Geschaffenen gegen seine gottgewollte Unterordnung unter den Schöpfer 1 4 Siehe hierzu H. Olsson, Det dubbia necessitas-begreppet i skolastiken och Luthers kritik därav (Till Gustaf Aulén, Lund-Stockholm 1939, S. 2 7 9 — 3 1 0 ) ; zum Verhältnis Luther—Scholastik siehe R. Bring, Dualismen hos Luther. Diss. Lund 1929, bes. S. 254— 3 6 1 ; zu Luther allein siehe D.Bonhoeffer 1955®, bes. die Auslegung von Gn 1, 3 auf S . 2 1 ff., und zu Thomas allein P. E. Persson, Sacra doctrina (StTh Lundensia 15), Diss. Lund 1957, S. 92—166. 1 5 W A 18, 6 0 6 , 1 1 ff. (De servo arbitrio 1525). 1 6 Der „Antagonismus" zwischen Gott und Teufel spielt dagegen in Luthers Denken eine große Rolle: s. u. Kap. IV, 2. 1 7 Die von K . Barth beeinflußte Lutherforsdiung ist sich nicht immer ganz klar darüber geworden, daß es sich hier nicht um einen manichäisdien Dualismus handelt. Siehe z.B. E. W o l f s Rezension von Hillerdal 1954 (DLZ 79. Jg., Berlin 1958, Sp. 390—394). Wenn

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Löfgren, Schöpfung

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Kapitel I : Die Schöpfung Gottes

Ein pantheistiscbes Schöpfungsdenken, das eine ununterbrochene Kontinuität oder Identität zwischen dem Schöpfer und seinem Werk annimmt, verneint Gott als Herrn der Schöpfung. Daß die Welt von und zu Gott ist, bedeutet für Luther keinesfalls, daß sie dasselbe wie Gott sei. Wenn man die Aktualität der Schöpfung einseitig betont, wird creatura identisch mit creare. Das Resultat des Schaffens wird völlig von der Handlung verschlungen, wenn die Schöpfung nur von dem Gesichtspunkt des unablässigen Handelns Gottes her verstanden wird. Daß die Schöpfung ganz von Gottes Schaffen abhängig ist, daß sie durch das Wort und den Geist geschieht, bedeutet für Luther aber nur, daß sie von Gott ist 1 8 . Der Lebensstrom, der vom Schöpfer ausgeht, kann nämlich unterbrochen werden, ohne daß deshalb der Schöpfer zu existieren aufhört, und er kann gesteigert werden, ohne daß Gott dadurch mehr würde, als er zuvor war 1 9 . Eine pantheistische Schau ist bei Luther deshalb nicht möglich, weil er die Schöpfung nie als nur ewig in sich ruhende Natur versteht und das Geschehen in ihr nie auf die Identität zwischen Schöpfung und Schöpfer zurückführt, sondern immer sowohl die Abhängigkeit wie auch die Verantwortung der Kreatur Gott gegenüber betont; die Geschichte wird also nicht nur als ein Reflex des Handelns Gottes und Gott nie als der Urheber des Bösen verstanden. Durch das Wort bewirkt Gott die Ordnung der Natur und das Geschehen der Geschichte, so daß die Schöpfung Gottes von lauter Wundertaten gefüllt wird 2 0 . Die Auffassung, Gott habe die Schöpfung ins Leben gerufen und sie sei nun seiner nicht mehr bedürftig und sich selbst überlassen, wird der vollen E h r e des Schöpfers nicht gerecht. Gott hat sich nämlich nie von seiner Schöpfung zurückder Antagonismus auf diese Weise abgeschwächt wird, gerät man leicht in eine falsche Scheidung zwischen Schöpfer und Schöpfung. Tendenzen in dieser Richtung kann man außer bei E.Wolf (siehe a.a.O. Sp.390f.) auch bei H.-W. Krumwiede (siehe dens., 1952, bes. S. 110 und 116) sowie, wenn auch nicht so markant, bei D. Bonhoeffer (19553, S. 26) feststellen. Siehe weiter unten Kap. IV, 2. 18 „Omnium creaturarum esse, agere et posse ex dei verbo esse docet Moses": WA 14, 108,19 f. 19 » . . . denn er ist Gott, und in jme ist das Leben, so nicht sterben kan noch stirbet. Darumb machet er auch einen unterscheid zwischen diesem Sdiöpffer und allen andern, die etwas machen . . . Was da lebet und bleibet, das hat sein leben und wesen von jme . . . Dieser Meister aber stirbet nidit, denn er ist gewesen und wird bleiben vor und nach allen Creaturen und er erhelt sein werck on unterlas, so lange er wil, und gibt und nimet das leben, wem er wil, denn da ist eitel leben": WA 46, 561,21—32 (Ausi, des 1. u. 2.Kap. Joh. 1534—38 Kap. 1,4). 20 „Ergo virtute divina fit, ne aquae in nos grassentur, et adhuc hodie usque in finem mundi miraculum illud nobiscum Deus facit, quod in rubro mari fecit cum populo Israel" : WA 42, 26, 18—20 (Gnl,9). Vgl. ib. 329 (Gn 7,11—12). Die ganze Schöpfung ist darin, daß sie so wunderbar ist, die Wirkung des allmächtigen Wortes. „Haec igitur sunt miracula Dei, in quibus omnipotentia verbi cernitur . . .": ib. 19, 32 f. (Gn 1,6). „Omnipotens igitur verbi vis et virtus est, quod totam creaturam sic conservât et gubernat" : ib. 57,25 f. (Gn 2,1). Vgl. ib. 38,30 ff. (Gn 1,21). Durch das Wort sind die Naturgesetze wirksam, und durch das Wort können sie wieder außer Kraft gesetzt werden. „Quare ista communia non negamus, quod dicunt: Omne grave deorsum et omne leve sursum. Hoc tantum dieimus, ista sic creata esse et conservan verbo, verbo tarnen etiam adhuc hodie mutari posse, sicut illa tota natura tandum immutabitur" : ib. 23, 30—34 (Gnl,6).

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gezogen. Eine deistisch-statische Schöpfungsauffassung würde Gott nicht im vollen Sinn Schöpfer sein lassen, denn sie übersieht, daß es zu Gottes eigentlichem Wesen gehört, ständig Neues zu schaffen, daß Gottes aktuales Schaffen sein „opus proprium" ist 21 . Ein statisches Verständnis der Schöpfung, das für das Schaffen Gottes von Neuem keinen Raum hat, findet Luther nicht nur bei Aristoteles, sondern auch bei dem Juden, der hartnäckig an der Beschneidung und den Buchstaben des Gesetzes festhält und dem, weil er Gottes neues Handeln in Christus nicht entgegennimmt, der Glaube an den lebendigen Gott fehlt. Auf der anderen Seite ist es auch falsch, meint Luther, an Christus zu glauben, gleichzeitig aber zu verleugnen, daß Gott zuvor in der Geschichte durch die Beschneidung und das Gesetz gehandelt hat. In beiden Fällen handelt es sich um eine statische Schöpfungsauffassung, die Gott zu etwas anderem als dem jetzt lebenden und wirksamen Herrn der Schöpfung und der Geschichte und die Schöpfung zu einer mit dem handelnden Gott konkurrierenden Größe macht22. Auf derselben Linie liegt Luthers Kritik am arianischen und am mohammedanischen Schöpfungsbegriff. Die äußerste Konsequenz jener von Luther bekämpften Anschauungen ist, daß Gott zum unbewegten Beweger wird 23 . Luther bezeichnet die Gesetzmäßigkeit, in der die Schöpfung lebt, als einen Ausdruck für die „Treue" Gottes gegenüber seiner Schöpfung, und dieser Begriff läßt sich unschwer mit dem Gedanken an Gottes Freiheit vereinen. Gott ist durch die Ordnung und das Gesetz der Schöpfung nicht gebunden, denn er ist kein unbewegter Beweger; er fährt nämlich nicht nur immer fort, die gleichen Lebewesen und Dinge zu schaffen und die Welt mit diesen zu füllen 24 , sondern schafft auch Neues. Der bedeutsamste Ausdruck hierfür ist für Luther die neue Schöpfung in Christus, d. h. der Gedanke vom „Deus incarnatus", der Gedanke, daß Gott nicht nur damit fortfährt, dieselben Arten von Geschöpfen zu schaffen, sondern daß 2 1 „Videmus quottidie nasci fructus et animalia, quod opus est dei proprium" : W A 14, 1 1 6 , 1 6 f. 2 2 W A 1, 205, 30—34 (Die sieben Bußpsalmen 1517, Ps 1 0 2 , 2 8 ) und W A 23, 85, 3 — 1 2 (Daß diese Worte Christi „das ist mein leib" . . . 1527). Vgl. H.-W. Krumwiede 1952, S. 49. 23 Siehe W A 39/11, 3 8 8 , 2 7 — 3 8 9 , 2 8 : „Turce et Judei dicunt, se credere in istum Deum qui creavit coelum et terram. Sed articulum de incarnatione non credunt, quod Deus sit factus homo. Ergo facilius est credere articulum de creatione, quam de incarnatione. R. Lutherus: Propositio est non difficultate, sed de volúntate. Papa, Turce, Judei de volúntate dubitant, quod virgo sit mater. Bene possent credere, sed nolunt. Judaei credunt, quod volunt. Est apud eos fides voluntatis non difficultatis . . . " (Die Promotionsdisputation v o n Petrus Hegemon 1545). Siehe audi den einleitenden Abschnitt zu den Genesis-Vorlesungen 1535—45 in W A 42, 3, 15—5, 32, sowie die Auslegungen von Joh 1 , 2 in W A 46, 552, 29— 5 5 8 , 1 2 (Ausi, des 1. und 2. Kap. Joh 1537—38). 24 „Ordo naturae" ist zwar der natürlichen Vernunft nicht völlig verborgen: „dividamus rationem in duas partes, superiorem et inferiorem . . . superiorem autem, qua speculamur seu contemplamur ea, qua extra politiam et oeconomiam sunt, et ad religionem p e r t i n e t . . . sed tantum discimus et contemplamur": W A 42, 132, 14—21 (Gn 3 , 1 4 ) . Daß aber die Ordnung von der menschlichen Vernunft nicht ganz durchdrungen werden kann, hängt mit jenem ständigen Schaffen neuer Dinge und mit der Bewegung in der Schöpfung zusammen; deshalb ist es nach Luther unmöglich, eine theologia naturalis im Stil des Thomismus zu entwickeln. Siehe W A 42, 47, 3 6 f f . (Gn 1, 26) und ib. 94, 3—8 (Gn 2, 21); vgl. audi ib. 94, 29—95, 34.

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er auch ein neues Wort sagen und damit eine völlig neue Kreatur schaffen kann 26 , ein Gedanke, der später in Zusammenhang mit Luthers Anthropologie und Christologie näher ausgeführt werden soll. In Luthers Theologie der Schöpfung findet man also eine Abgrenzung gegen Entgleisungen in verschiedene Richtungen, die entweder eine Identität oder eine falsche Distanz zwischen der Schöpfung und dem Schöpfer herstellen. E s wird hierbei auch deutlich, daß Luther kein Interesse daran hat, eine „philosophische" Erklärung der Welt zu geben, sondern daß er nur die totale Abhängigkeit der Kreatur vom Herrn des Lebens bzw. ihre totale Verantwortung vor ihm hervorheben will 26 . Weil die Schöpfung nicht nur ihren Ursprung, sondern auch ihre Ordnung und ihr Ziel in Gott hat, der die Welt „ynn seiner hand gewaltiglich helt" 2 7 , kann sie zwar nicht als ein fertiges Produkt oder als ein vollkommener, in sich selbst ruhender Kosmos betrachtet werden 28 , aber der Gedanke, daß die Schöpfung Gottes etwas anderes als der Schöpfer ist, und der Gedanke der Verantwortung und Besonderheit der Kreatur wird damit nicht aufgegeben. Die Grenze, die Luther zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung zieht, wird also positiv von Gottes Schöpfermacht hergeleitet. Gott tut, was er allein tun kann: er schafft und stellt damit die Schöpfung vor sein Angesicht. Negativ wird die Grenze andererseits von dem Unvermögen der Schöpfung her bestimmt: sie kann nicht schaffen. Die Potentialität der Kreatur ist nur „passiv", d.h. die Kreatur ist klar und deutlich etwas anderes als Gott und bleibt doch immer der Schöpferkraft bzw. der Gegenwart Gottes bedürftig 29 . 25 „Deus . . . non cessavit, sed operatur, non tantum conservando creaturam, sed etiam mutando et novando creaturam. Nec . . . abstinuisse Deum a novis ordinibus condendis" : WA 42, 58,25—28 (Gn 2,2). 28 Siehe G. Rost 1958, S. 5 f. 27 „ . . . Wie keine Creatur widder yhr wesen nodi krafft von yhr selbs habe und nicht ynn yhrer macht ist, wie lang sie weren und bleiben sol, sondern hat alles sein Ordnung von Gott, wie lang er wil, das es weren sol, Das wir yhe sehen, wie Gott die gantze weit ynn seiner hand gewaltiglich helt, das sich nichts regen kan denn was und wenn er wil": WA 24, 41, 30—35. 2 8 W. Joest 1955, S. 689. 29 Die Vermehrung ist Gottes „Segen" bzw. eine „eingepflantzte natur" : WA 24, 46, 29 (Über das l.Buch Mose 1527 Dr. Gn 1, 23). Vgl. auch WA 14, 109, 17—23 (Roth) und WA 10/11,276, 21—31 (Vom ehelichen Leben 1522) „ . . . das idi eyn manss bild sey . . . ist eyn eyngepflanzte natur. (Gott) schaffet dass (die Menschen) müssen (Mann oder Weib) seyn . . . schafft, das sie sich müssen mehren . . . es ist nicht wilkore hierynnen" (ib. 24—31). Die Aktualität in Gottes Schaffen steht bei Luther also in keinem Gegensatz zu der Potentialität, in welcher die ganze Schöpfung Gottes ruht. P. Aithaus hat daher von Luther her in diesem Punkt seiner Kritik an K. Barth ganz redit. Siehe K. Barth und H. Barth, Zur Lehre vom Heiligen Geist (ZZ, Bh. 1), München 1930, S. 40 ff., und P. Althaus, Grundriß der Dogmatik, II. Teil (Grundrisse zur evangelischen Theologie, H. 1), Gütersloh 19493, S. 50 f. Gegen beide kann man einwenden, daß sie nicht wie Luther selbst vermocht haben, dem Gedanken der passiven Potentialität der Schöpfung Ausdrude zu verleihen. Siehe z.B. Luthers Auslegung von Gn 2,7, wo es (den Menschen betreffend) u. a. heißt: „Sed vere est sicut lutum in manu figuli, positus in mera potentia passiva, et non activa" : WA 42, 64, 33 f. Vgl. auch (die Materie betreffend) bereits in den Randbemerkungen zu Augustini Opuscula 1509: „Nam illud quod in comparatione: Ecce hic intelligitur quae sit sententia b. Augu-

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Das Verbindungsglied zwischen Gott und Kreatur ist im „Wort" bzw. Geist gegeben und diese Begriffe können deshalb von keiner nur „aktualen" oder „ontischen" Kategorie ersetzt werden. Erstens besagt Luthers Wort- und Geistbegriff, daß Gott die Schöpfung einsetzt, daß er sie hervorbringt und erhält, ohne jedoch in ihr aufzugehen; zweitens ist er Ausdruck des zugleich aktual-personalen und ontisch-sachlichen Charakters seines Schöpfungsdenkens, und drittens ist er auch Ausdruck für das völlig unmögliche Unterfangen, das Schöpfungsdenken in ein kosmologisches, dem menschlichen Gedanken begreifliches, geschlossenes System einzuordnen. Wenn nämlich Gottes Relation zur Welt nur ontisch wäre, wäre er nicht der himmlische Vater, wenn sie nur personal wäre, nicht der Schöpfer des Kosmos ; Gott steht für Luther als das schaffende Wort auch in Relation zu dem, was sich seiner nicht bewußt ist. Jede andere Kategorie als die des Wortes und des Geistes ist mit dem Lutherschen Schöpfungsgedanken unvereinbar. Es ist nicht Luthers Interesse, die natürliche Wirklichkeit des Menschen philosophisch zu erklären, sondern er will sie theologisch interpretieren ; er tut das, indem er die erlebbare Wirklichkeit in Beziehung zu ihrem Ursprung und Ziel in Gott setzt. Gott hat seiner Schöpfung eine Bestimmung gegeben, die stini de materia prima, quia est nihil aliud nisi ipsum inchoari sive fieri: quod jam it ad esse et hoc dicit Aristoteles de potentia i. e. materia ad actum i. e. formam ire" : WA 9, 13, 10—13; ib. 22, 34 f. Vgl. die Auslegung von G n l , 2 in WA 42, 7, 23—8, 7 mit Luthers Randbemerkungen zu P. Lombardus in WA 9, 65, 29ff.: „Facta est ergo illa materia: Unde b. Aug. Ii. 1. Gn. 15. aperte asserit materiam non esse informem creatam, sed formatam licet eam prius origine et non tempore velit informem fuisse, sicut ex voce verbum, cum tarnen simul sint vox et verbum." Ib. 36, 39ff.: „Scientia quippe dei et praescia: Quicquid est in homine vel creaturis, est in deo esse simpliciter concedendum. Alias creaturae non essent vestigium et imago dei." Die Kreatur ist wie der Ton in des Schöpfers H a n d (Jes 64, 7): WA 42, 64, 23 f., 34ff. (Gn 2, 7). Sie kann nicht selbst schaffen: WA 14, 97ff. (Predigten 1523/24 Rörer G n l , 11—13); ib. 106, 32—35: „Sicut et videmus herbas, arbores, animantia fructum producere, sed paulatim compiere per longum tempus, ut simplex maneat intelligentia, ut videas quoque creaturam, ut non est a se, ita non agere per se neque producere ne folium quidem etc. Gott schafft alles in allen, und wir schaffen gar nichts." Siehe auch WA 57(3), 219, 21 ff. (Hebräerbriefvorlesung 1517. Sch. zu H e b r l 0 , 5 ) und WATi 5, 449, 5 f. (1544): „Die ganze Welt könnte nicht ein Gliedmaß oder Blättiin schaffen." Vgl. auch die Zitate in E. Jonas, Die Kanzelberedsamkeit Luthers nach ihrer Genesis, ihrem Charakter, Inhalt und ihrer Form. Berlin 1852, S. 126 u. 129. Da die creatura ihr Wesen nicht aus sidi selbst hat, muß Gott sie ständig schaffen und erhalten, d.h. das tun, was die Schöpfung selbst nicht vermag: WA 42,53,32—54,30 (Gn 1,28). „Wir sind je gar nichts mit allen unsern Gaben, wie groß sie auch sein mögen, wenn Gott nicht stets über uns hält": WATi 6, 24, 35 ff. (Aurifaber). „Derhalben darf niemand hoch einher rühmen und prangen mit seiner Gerechtigkeit, Frommheit, Weisheit und andern Gaben, so er hat; sondern er demütige s i d i . . . " : ib. 25,12—14. Luther verknüpft hier auch das Unvermögen der Schöpfung, zu schaffen mit der Rechtfertigung, bei der ja auch Gott allein das vermag, was wir nicht können: den neuen Menschen des Glaubens zu schaffen. Hierzu s. u. Kap. V. „Creare solius Dei opus est": WA 39/11, 322, 22 f. (Die Prom. disp. von G . M a j o r und J. Faber. 1544). Vgl. WA 14, 97ff. und WA 46, 558ff.; 600, 35ff.: „Nu gebüret aber dieser Titel (Creator), wie gesaget, keinem Engel oder einiger Creatur, das durch sie alles geschaffen sey, sondern alleine dem einigen, warhafftigen Gott." Vgl. WA 39/11, 357, 4 f. (Die Promotionsdisputation von P. Hegemon 1545). „Wol ist es auch Gottes werck, das der mensch natürlich geborn wird. Denn ja kein mensch von jm selbs künd ein herlin odder bluts tröpflin machen . . . " : WA 41,164, 33 ff. (Pred. des Jahres 1535 Ps 110, 3 Dr.).

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Kapitel I : Die Schöpfung Gottes

schon „von Anfang" gegeben war, und die „in der Vollendung" verwirklicht werden soll, die aber schon in der aktualen Offenbarung Gottes erfahren werden kann 30 . Luthers Schöpfungstheologie steht allerdings im Rahmen einer ganz bestimmten Welt- und Naturauffassung, die mehr dem Mittelalter als der Neuzeit angehört 3 1 . Seine Theologie der Schöpfung schließt natürlich die Überzeugung ein, daß die Welt einen Anfang gehabt hat, betrachtet diesen Anbeginn aber nicht als etwas „Natürliches". Schöpfung „am Anfang" und Schöpfung im Jetzt, das ist für Luther das große Wunder, das völlig Unerklärliche; sie ist für ihn als etwas, was der Mensch nicht selbst tun kann, definiert32. 80 Jede Wissenschaft muß „ihre eigenen Termini benutzen", WA 42,35 ff. (Gnl,14), und kommt dann nicht in Konflikt mit den anderen Wissenschaften, WATi 5,25,34 f. Luther hat natürlich ein ganz besonderes Weltbild und eine besondere Kosmologie, dodi wird der Schöpfungsgedanke bei Luther nicht einer „natürlichen" Welterklärung gleichgesetzt, sondern weist jeder solchen Welterklärung ihre Grenze zu, indem er sich nur über das äußert, was sich der Mensch selbst weder nehmen noch ergründen kann. Der Schöpfungsgedanke ist auf das Zeugnis der Offenbarung des lebendigen Gottes gegründet und äußert sich im Glauben an die Wahrheit dieses Zeugnisses. Daß der Schöpfungsgedanke auch die Uberzeugung einschließt, daß die Welt einen Anfang hat, darf also nicht zu dem Mißverständnis führen, daß er mit der zeitgenössischen Auffassung, wie sich dieser Anfang konkret gestaltet hat und wann er eingetroffen ist, gleichzusetzen ist. Luthers Reaktion auf Aristoteles' Weltanschauung, die ja die Scholastik in hohem Grad geprägt hat, muß u.a. als eine Reaktion gegen eine die Christusoffenbarung ausschließende Betrachtung verstanden werden. Hierzu s. u. Kap. V, 2. 81 Luther hat nirgends eine systematische Darstellung seiner Anschauung über das Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaft gegeben, weil diese Frage zu seiner Zeit noch kein aktuelles Problem war. Es besteht daher kein Anlaß, daß wir hier näher auf diese Frage eingehen. Luthers Intentionen dürften indessen dazu führen, daß man unter Bejahung des naturwissenschaftlichen Weltbildes der Gegenwart am Schöpfungsglauben festhält. — Zum Problem des christlichen Schöpfungsgedankens und moderner Naturwissenschaft gibt es nun eine beinahe unübersehbare Literatur. Dorthin gehört vor allem Arthur Titius' monumentales Werk: Natur und Gott, Göttingen 1931 2 , das der bisher umfassendste Versuch ist, sowohl den Schöpfungsglauben als auch die Naturwissenschaft in ihrer Eigenart zu verstehen und sie audi miteinander zu konfrontieren. Einen konzentrierteren und auch in jeder Hinsicht aktuelleren Uberblick über das Problem bietet Karl Heim in seinen drei Büchern: Der christliche Gottesglaube und die Naturwissenschaft, Tübingen 1949, weiterhin Die Wandlung im naturwissenschaftlichen Weltbild, Hamburg 1951, sowie Weltschöpfung und Weltende, Hamburg 1958 2 . Alle drei Bücher finden sich in „Der evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart". Einen Versuch, mit Hilfe einer rein logisdien Begriffsanalyse Naturwissenschaft und Sdiöpfungsansdiauung zu konfrontieren, wie sie im ausgehenden 19. Jh. in der lutherischen Theologie gewisser Teile des Nordens gedeutet worden sind, unternimmt T. Simonsson in seiner Untersuchung: Face to Face with Darwinism, Diss. Lund 1958. 32 „Das Gott creator heist, das ist ein vnerforsdilich ding, vnd Gott schaffts doch teglich . . . Das sindt lauter wunderwerck! Gott ist in der creatur, die wirckt vnd schafft er. Aber wir achtens nicht vnd suchen dieweyl secundas vnd philosophicas causas; damit lernt man den artickel nymmer mehr redit de creatione": WATi 5,17,10—23 (1540). Siehe auch WATi 4,481,35—482,12 (Die Sammlung Khummer, 1530—40), ib. 482,25 ff., WATi 2,368,39 f. (Konrad Cordatus 1531), WATi 4,482,15 (Die Sammlung Khummer, 1530—40), WATi 5,17,20 f. (Joh. Mathesius 1540), WA 38,53,22 ff. (Summarium über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens 1531—33 Ps 104) und WATi 6,20—47.

3. Creatura bona

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Luthers Wunderbegrìff ist somit ganz u n d gar am Schöpferwort orientiert 3 3 . Wunder ist für ihn nicht das, was m a n g e w ö h n l i c h als W u n d e r ansieht, ein Mirakel, sondern das ständige Neuschaffen durch das W o r t Gottes. D e s h a l b ist es nicht als ein Widerspruch z u verstehen, w e n n Luther auf der einen Seite über die W u n d e r der N a t u r nur zutiefst staunen kann, u n d auf der anderen Seite jeden Glauben a n Wunder ablehnt 3 4 . V o r allem braucht man sich aber v o n hier aus nicht auf sein geringes Interesse an den Wunderberichten der E v a n g e l i e n z u versteifen 3 5 . Luther unterscheidet nicht nur z w i s c h e n Schöpfungs- u n d Erlösungswunder, sondern z w i s c h e n Wunder u n d Mirakel. D a s darf man nicht vergessen, w e n n man seine „religiöse Naturauffassung" m i t seiner „eschatologisch-christlichen" Wunderbetrachtung kontrastiert 3 6 . Luther kann zwar z w i s c h e n Wunder i n der Natur u n d Wunder der S ü n d e n v e r g e b u n g unterscheiden, aber beide g e h ö r e n d o c h für i h n auch zusammen. W e n n Luther nicht nur G o t t e s „außerordentliches" H a n deln, sondern auch das „ g e w ö h n l i c h e G e s c h e h e n " i n Wachsen u n d Blühen auf die Wundertat des Schöpfers zurückführt, so hängt das zunächst damit zusammen, daß die S c h ö p f u n g s c h o n als g u t e S c h ö p f u n g etwas d e m Schöpfer g e g e n ü b e r Begrenztes ist 3 7 . Für Luther ist es v o m S c h ö p f u n g s g l a u b e n her unrichtig, z w i s c h e n 83 „Denn wenn gleydi die wunder werde Christi nicht weren und wyr nichts davon wüsten, hetten wyr dennoch noch genug an dem wortt, on wildis wyr nicht künden das leben haben": WA 12,260,19ff. (Ep. S.Petri gepred. und ausgel. 1523). WA46,558,35 (Auslegung des 1. und 2. Kap. Joh 1537—38). 34 Siehe P. Althaus 1949 3 , S. 40—47, sowie seine Literaturhinweise S. 46. 35 G. Ebeling hat darauf hingewiesen, wie bei Luther die geistliche Auslegung dazu führt, daß Jesu Krankenheilungen von geringerer Bedeutung als seine Austeilung der Sündenvergebung wird, daß dies aber nur eine „Radikalisierung" bedeutet, die nicht vom Konkreten wegführt. G. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik (FGLP R. X, Bd. I), München 1942, S. 451 f. Luthers geringes Interesse f ü r das biologische Heilen hängt gewiß mit seiner Konzentration auf das Geschehen der Rechtfertigung zusammen, das mit der Gesundheit des äußerlich-biologischen Lebens nicht identifiziert werden kann. Das Wort ist für Luther indessen nicht nur Offenbarungsmittel, sondern audi Schöpfungsmittel. Wort—Glaube—Leben hängen f ü r Luther zusammen. Das Wort Christi schafft — das will Luther betonen — nicht hauptsächlich mirakulöse Gesundheit, sondern den heilenden Glauben, in dem man „vor Gott" lebt: WA 37,135,6—30. 38 P. Althaus 19493, S.40ff., H.Thielicke, Das Wunder (ThBl 1939, S.33ff., 81 ff., 118ff.), F.K.Schumann 1956, S.226—257, und Η.E.Hengstenberg, Das Band zwischen Gott und Schöpfung, Paderborn 1940. 37 „Maxima Dei miracula etiam in minimis rebus cernuntur velut in piro maturo; quod ante medium annum maturitatis suae in extremis apieibus sedit radicum, qui a ramis, in quibus, quantum distant!": WATi 2, 368, 39ff. (1531). Vgl. auch WA 42,94, 29ff.; 95, 25ff.; 95,32ff. (Gn2,21); WA46, 558,20—36 (Ausi, des 1. und 2.Kap. Joh 1537—38). Siehe auch Jonas 1852, S. 135 f., mit dort angeführten Zitaten. Völlig irreführend ist, was Johannes von Walter (im Anschluß an R. Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte. Die Lehre Luthers, Leipzig 1920 3 , S. 198, Anm. 1) sagt, daß „für Luther letzten Endes der Wunderbegriff entfällt": v. Walter, Die Theologie Luthers, Gütersloh 1940, S. 142. Da kommt W. von Loewenich der Wahrheit näher mit seiner Formulierung: „Hier schimmert ein Wunderbegriff hindurch, der nun dodi das .Wunder' als religiösen Namen für Begebenheit nimmt. Das Charakteristische für das Wunder ist nicht das .Übernatürliche' als solches, sondern das Handeln Gottes, und sei es auch im .Natürlichen' " : v. Loewenich, Luther als Ausleger der Synoptiker (FGLP R. X, Bd.V), München 1954, S. 250.

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einem natürlichen und einem übernatürlichen Bereich in der Wirklichkeit zu unterscheiden, denn für ihn existiert überhaupt kein Geschehen, das nicht irgendwie göttliches Handeln, d.h. Ausdruck für Gottes souveränes Schaffen und Wirken ist. Luther polemisiert deshalb gegen die, die an Mirakeln interessiert sind, aber keinen wirklichen Schöpfungsglauben haben. Der natürliche Mensch, der nicht an den rechten Schöpfer glaubt, verwundert sich, wenn Gott etwas Außerordentliches geschehen läßt, ist aber für das wunderbare Handeln Gottes im gewöhnlichen, „natürlichen" Geschehen blind38. Der Unterschied, den der Heide zwischen Natur und Wunder sieht, beruht darauf, daß er nicht an den Schöpfer glaubt, dessen opus proprium es ist, unablässig durch sein Wort Leben zu schenken, sondern daß er Gott beherrschen will. Für den Christen besteht das Wunder aber gerade im Allergewöhnlichsten : an dem teilzuhaben, was er sich selbst nicht geben kann, nämlich am gottgeschenkten Leben. Der Christ sieht im Glauben den Schöpfer überall verborgen gegenwärtig als schaffendes Wort und lebenspendenden Geist. Von diesem Standpunkt aus besteht eine ununterbrochene Kontinuität in allem Geschehen. Weil Gott alles schafft, besteht in gewissem Sinne kein Unterschied zwischen Natürlichem und Geistigem, denn Gott wirkt alles in allen39. Die Grenze zwischen Natur und Wunder ist für Luther keine andere, als die zwischen Schöpfer und Schöpfung. Wunder ist alles, was Gott tun kann und die Menschen nicht tun können. Was Gott tut, ist das dem Geschöpf Unerklärliche und Unmögliche, das es sich nicht selbst nehmen kann: Gottes gnädige Gegenwart als Lebensspender40. 38

D a ß man nicht immer die Wundertaten der göttlichen Güte sieht, beruht nach Luther auf der Verblendung durch den Teufel, bzw. auf der Viefalt der W u n d e r ; was tagtäglich geschieht, verliert allmählich an Interesse u n d ist nichts Merkwürdiges mehr: „Huius gravissimi mali quae es causa? N i m i r u m sancta nostra Caro, Mundus et Diabolus. Fastidimus praesentia ultra modum. N a m verum est, quod dicitur: O m n e rarum carum, cilescit quotidianum. Item illud Poëtae: Minuit praesentia f a m a m . Sumus ditiores Patriarchis, quod ad ipsam revelationem attinet. Sed ipsi maiore in pretio etiam minorem revelationem habuerunt et f u e r u n t t a n q u a m amatores sponsi. N o s autem sumus ille impinguatus, incrassatuo et dilatatus servus, quia abundamus verbo eoque nimis opulenter obruimur" : W A 42, 2 6 1 , 1 — 8 . Vgl. auch ib. 94, 29 ff. u n d 95, 25 ff. ( G n 2 , 2 1 ) . 39 In dem Interesse f ü r Heilige, W u n d e r w e r k e u n d Mirakel sieht Luther den Teufel wirksam, um das Interesse der Menschen v o n Gottes wirklichen Wundern in allem „gewöhnlichen" Geschehen abzulenken. D e r Teufel ist Gottes „Affe", der durch falsche W u n d e r und durch Blendwerk zum Abfall v o m Schöpfungsglauben zu locken sucht: W A 37, 451—461 (Pred. des Jahres 1534 Rörer M t 8 , 1 f.). 40 I n dem heilsgeschichtlichen Ausblick, den Luther zu J o h 1,5 in seinen Predigten über J o h l — 2 (1537—38) unternimmt, heißt es u . a . : „Zuletzt, d a der H e r r Christus selber k a m , der das Leben u n d das redite Liecht w a r der Menschen . . . mit großer gewalt predigte . . . dazu seine Lere mit Wunderzeidien gestetigte u n d todten aufferweckete, d a scheine ja auffs sterckeste das Liecht in der finsternis": W A 46,565,36—566,2. Predigt und W u n d e r t a t gehören f ü r Luther zusammen. D a s W u n d e r dient dazu, Gottes Gegenw a r t zu bekräftigen und ist zugleich diese Gegenwart. Siehe z.B. ib. 686, 3—10 (Joh 1,32). W u n d e r läßt G o t t „in der Kirchen . . . thun . . . das er ehre, lob u n d preis wil d a r v o n haben . . . Die Mirakel sollen dazu dienen, das wir den wahrhafftigen G o t t erkennen. Wie denn audi die Wunderwerdt, so der H e r r Christus thet, offenbareten seine herrlidikeit, das man inen gleubete, J o h a n . 2. denn es waren Göttlidie M i r a k e l " : W A 16,103, 26—32 (Pred.

3. Creatura bona

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Luthers Wunderbegriff hängt aber auch mit der Auffassung von Gott als dem in der Schöpfung sich Offenbarenden zusammen; damit, daß eine Grenze zwischen Gott und Schöpfung gesetzt ist, wird Gott als der Wunderbare offenbart. Offenbarung kann aber nur in der Unterordnung der Kreatur unter den Schöpfer erfahren werden. Solange die Schöpfung den Schöpfer aufnimmt, wird er gepriesen ; erst so ist sie Gottes gute Schöpfung, creatura bona, und Gottes Wille und Absicht mit seiner Schöpfung erschließen sich erst dann, wenn er Leben schenkt und sich somit als hingebende Liebe offenbart41. über das 2. Buch Mose 1524—27 Kap. 7,1). Prinzipiell kann jeder Christ solche Wunder tun; hierzu rechnet Luther auch das Zungenreden. Ist Christi Predigt aber einmal durch Wunder bestätigt worden, so sind Wunder eigentlich überflüssig. Insoweit Gott auch weiterhin fortfährt, Wunder zu tun, geschieht das, damit sein Name geehrt werden soll, und um in einer bestimmten konkreten Situation zu helfen, wo keine gewöhnlichen Mittel zureichen: WA 10/III, 144, 13—146, 22 (Pred. des Jahres 1522 M k l 6 , 1 4 ) . Wenn deshalb Luther sagen kann, daß es ein größeres Wunder als das Heilen des Taubstummen durch Christus ist, daß wir täglich hören, sehen und sprechen (WA 46, 493,19 ff. = Pred. des Jahres 1538 Mk 7,31 ff.) oder daß größer als das Speisungswunder Gottes schaffende Erneuerung in der Natur ist, wo er ständig Gras und Früchte wachsen läßt (WA 20, 459, 19—34 = Pred. des Jahres 1526 Mk 8 , 1 ff.), dann liegt hierin teils eine Polemik gegen Heiligen- und Mirakelverehrung, teils das Hervorheben des wunderbaren Handelns Gottes in allem Geschehen, und schließlich auch der Gedanke, daß das Wunder die Bestätigung des Christusgeschehens ist. Luther denkt im letzteren Falle sakramental (vgl. unten Kap. V , l ) : Gott ist zum Heil und Leben gegenwärtig; das äußere Geschehen des Wunders ist ein Zeichen der göttlichen Gegenwart (Zeichen, signum) und die eigentliche Gegenwart Gottes in einem äußeren Geschehen. Das Wunder gibt also nichts anderes, als was auch die Predigt gibt. Wenn man das Wunder vom Wort isoliert, hat es nichts mit Christus zu tun, ebenso wie das Abendmahl, wenn es vom Wort getrennt ist, nicht mehr Abendmahl ist. Vgl. unten Kap. V, 1. Gottes ununterbrochene Schöpfertat begegnet dem Menschen in dem Schöpferwort, das dem Menschen das Leben darreicht. Deshalb kann sich Luther das Christusgeschehen nicht als etwas nur Geistiges denken, aber audi nidit den Naturverlauf als etwas nur Materielles. Luther ist ja auch nicht die urchristliche Vorstellung fremd, daß das Abendmahl einen rein körperlidhen Segen spendet. Siehe R. Prenter, Spiritus Creator. Diss. Kopenhagen 1946 2 , S. 278—291 (dt. München 1954, S. 270—284), sowie R. Prenter, Die Realpräsenz als die Mitte des christlichen Gottesdienstes (Gedenkschrift für W. Eiert, Berlin 1955, S. 307—319). Das Speisungswunder werden alle, die an Christus glauben, erfahren: WA 27, 276, 16ff. (Pred. Mk 8,1 ff. 1528 Rörer). „Gott könnte uns wol ohn all unser Arbeit und Mittel ernähren, aber er will die H a n d aufthun, dass man sehen soll, er sei ein reicher Herr; und ist doch Alles ein wunderlich Werk Gottes, dass wir müssen sagen, wir haben Alles von ihm" : WATi 6,26,16—19 (Aurifaber). Deshalb gibt sich der Christ damit zufrieden, daß er Gottes Güte durch gewöhnliche äußere Mittel erhält, obwohl er weiß, daß Gott in einer Notsituation audi auf eine unerwartete und „wunderbare" Weise retten kann. „Sic enim patres, cum haberent certam promissionem, tarnen non neglexerunt media, sed sua industria et ingenio usi sunt in cavendis periculis . . . Sic posset Deus Ecclesiam regere per Spiritum sanctum sine ministerio, sed non vult hoc immediate facere . . . Sic filios potuisset facere absque Adam . . . Sed Postea dixit: .Crescite et multiplicamini' . . . Sic in aliis actionibus omnibus communis vitae" : WA 44, 648,17—36 (Gn 46, 28). 41

Wenn Luther von Gott als der causa efficiens et finalis spricht, ist der Grundgedanke ein völlig anderer als z.B. bei Thomas, der ja im Schema Ursache—Wirkung denkt, und dadurch in Schwierigkeiten mit dem biblischen Inkarnationsgedanken gerät. Wie P.-E. Persson aufgezeigt hat, fällt es Thomas schwer, dem Gedanken des Herabsteigens, der Entäußerung und der Hingabe Gottes in seinem System Ausdruck zu verleihen. P.-E. Persson

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Nicht alle Geschöpfe sind einander ähnlich; wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, muß Luthers Theologie der Schöpfung auch von der besonderen Stellung des Menschen im allgemeinen Zusammenhang der Schöpfung verstanden werden; denn gerade mit diesem Geschöpf hat Gott seinen Willen mit àtt ganzen Schöpfung verknüpft. Der Mensch ist der Herr der Schöpfung, dem Gottes Gebot und Wort anvertraut und die Verheißung des ewigen Lebens gegeben sind. Wenn der Mensch gut ist, ist auch die übrige Kreatur gut; wenn er schlecht ist, wird auch die übrige Kreatur schlecht, und wie der Fall so gehen auch die Wiederherstellung und Vollendung der ganzen Schöpfung über den Menschen, weil Gott gerade ihm die Offenbarung einer neuen Schöpfung und eines vollendeten Lebens gegeben hat. Die übrige Kreatur dagegen bekommt ihre Aufgabe in ihrer Funktion als „gradus ascendendi in cognitionem Dei et creatoris" 42 , und wird deshalb erst dann recht verstanden, wenn sie nicht nach dem, was sie in sich selbst ist, sondern von der Bestimmung des Menschen in Gott, von der eschatologischen Ausrichtung der Schöpfung her, beurteilt wird 43 . Nur der Mensch steht also Gottes offenbartem Willen unmittelbar gegenüber, dem Willen, der nicht rational greifbar ist, weil er sich ihm als der Wille des „wunderbaren" Schöpfers erschließt, des Gottes, der auch ein Herr über ein unsichtbares Reich ist, das zwar nicht nur überweltlich ist, das sich aber vom Geschehen in der sichtbaren Welt her nicht ganz erfassen läßt 44 . Die geistige oder unsichtbare Welt ist das Ziel und die Bestimmung der körperlichen oder sichtbaren; dorthin strebt sie, von ihrer Existenz zeugt alles, was in der sichtbaren Welt geschaffen ist. Da auch der Mensch zu der sichtbaren Welt gehört und ihre Begrenzung teilt, kann nicht einmal er, der doch die vornehmste aller Kreaturen ist, eine zusammenhängende und vollständige Beschreibung der ganzen Wirklichkeit geben45. Die Schöpfung ist nur ein „Schatten" der wahren Wirklichkeit. Sie ist nur eine „figura", ein „Hindeuten" auf das Unsichtbare46. Der junge Luther unterscheidet zwischen der Schöpfung als „res" und als „signum" 47. Beim älteren Luther kehrt derselbe Gedanke wieder: „Also siehestu, 1 9 5 7 , S. 229. Bei Luther w i r d die Inkarnation als ein tatsächlich neues Eingreifen Gottes, eine wirkliche Neu-schöpfung, ja als das größte aller Wunder betrachtet, „das die Göttliche Maiestat sich so tieff herunter gelassen, das sie uns armen Madensedcen gleich ist w o r den . . . " : W A 46, 625, 7 f . (Ausi, des 1. und 2. K a p . J o h 1 5 3 7 — 3 8 ) . Siehe auch die ganze Auslegung v o n J o h 1 , 1 4 , ib. 6 2 4 , 1 8 — 6 3 1 , 1 6 . Vgl. hierzu unten K a p . V I , 2. 4 2 W A 4 , 6 4 3 , 15 f. (Sermone aus den J a h r e n c. 1 5 1 4 — 2 0 ) . Vgl. zu dieser Predigt G . Buchwald 1 9 4 1 . 4 3 W A 56, 371 f. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 8 , 1 9 ) . Vgl. auch W A 42, 35, 25 f. (Gn 1 , 1 4 ) und W A 40/1, 4 1 1 , 1 2 ff. (Galaterbriefkommentar 1 5 3 5 ) . 4 4 W A 3 9 / 1 , 1 7 5 , 2 4 ff. (Disp. de homine 1536). 4 5 D e r Mensch kann in sich selbst nur zu Teilen der ganzen Wahrheit kommen, Teilen, die nur in ihrem Zusammenhang gültig sind. Siehe B. Lohse, R a t i o und Fides ( F K D G 8), Göttingen 1 9 5 8 , S. 76, und G . Wingren 1958, S. 34 (dt. 1 9 6 0 , S . 3 1 ) . 4 6 » . . . omnis experientia loquitur in rebus visibilibus, que tarnen sunt figura et umbra huius, que est Veritas": W A 4, 343, 28 f. (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 — 1 6 ) . 4 7 „Quia hinc discitur, quod omnis creatura visibilis est parabola et plena mystica eruditione, secundum quod sapientia dei disponit omnia suaviter et omnia in sapientia

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das die Creatur zweierley weise anzusehen ist, ut Res et Signum, das sie ettwas für sich selbs ist, von Gott geschaffen, und auch gebraucht wird etwas anders zu zeigen oder zu lernen, das sie selbst nicht ist. Der Rauch ist ein Res, ein ding für sich selbs, und doch auch ein zeichen eines dinges, das er nicht ist. Sondern zeiget und offenbaret dasselbe, nemlich, das Feur." 48 Die geschaffenen Dinge haben also eine unterweisende Funktion; die Welt ist Gottes Schöpfung und Träger von Gottes Willen gegenüber dem Menschen; die geschaffenen Dinge sind vergänglich, aber sie weisen auf das, was unvergänglich ist, hin 49 . Die Welt ist nicht Ziel in sich selbst, sondern Träger des göttlichen Wortes und Willens ; dieser Wille begegnet aber vollständig nur in dem Herrn des himmlischen Reichs, zu dem Gott den Menschen führen will; hier ist er nämlich realisiert, in dem Herrn, der das Wort ist und gibt — Jesus Christus ; er ist „finis omnium et centrum" 50 . Jene Gedanken vom figuralen Charakter der Schöpfung, die man hauptsächlich beim jungen Luther; findet, kommen aber auch in seinen späteren Schriften vor 51 . Beim jungen Luther haben sie gelegentlich eine neuplatonische Färbung, doch wird die Schöpfung für ihn niemals eine Scheinwelt, die allen Handelns des Schöpfers bar ist. Der Wille Gottes und die Ewigkeit liegen für Luther nicht in der Brust des Menschen begraben. Er ist kein Ewigkeitswesen, das kraft einer innewohnenden Ewigkeitssubstanz sich von der zeitlichen Welt hin zu der Ruhe in Gott erhebt. Und die übrige Schöpfung ist nicht die Spiegelung einer höheren Ideenwelt; das kreatürliche Leben ist jedoch nicht an und für sich ein Hindernis, sondern ganz im Gegenteil ein Mittel zur Gottesgemeinschaft und Gottesoffenbarung. Sowohl beim älteren als auch beim jüngeren Luther will die figurale Deutung der Schöpfung den Gedanken unterstreichen, daß „alle gottis werck und creaturn eytel lebendig tzeychen und wort gottis sind" 52 , daß der Wille Gottes in dieser Welt offenbart wird, indem Gott schafft. Somit wird die Schöpfung von Gottes „Wort" und „Predigt", von „Unterweisung" und „Hinweisen" auf Gottes Willen erfüllt 63 . Weil für Luther demnach „Animalia creata sunt, ut discamus ab facta sunt. Omnisque creatura dei verbum dei est, ,quia ipse dixit et facta sunt'. Ergo creaturas inspicere oportet tanquam locutiones dei. Atque ideo ponere cor in res creatas est in signum et non rem ponere, que est deus solus. Ex operibus enim istis invisibilia dei intellecta conspiciuntur Ro. 1": WA 3, 560, 34—561, 5 (Dictata 1513—16). 48 WA 54, 62, 37—63,2 (Von den letzten Worten Davids 1543). 49 „Quia omnia opera creationis et veteris legis signa sunt operum dei, que in Christo et suis sanctis facit et faciet, et ideo in Christo illa pacta tanquam signa omnia implentur: nam omnia illa sunt transitoria significantia ea, que sunt eterna et permanentia ..." : WA 3, 368,18—21 (Dictata 1513—16). 50 „Christus finis omnium et centrum, in quem omnia respiciunt et monstrant" : ib. 368, 22 f. Vgl. audi oben Anm. 49 und WA 6,115 f. (Tessaradecas consolatoria prolaborantibus et oneratis 1520). 51 Siehe W A 5 2 , 2 5 6 , 2 8 — 3 2 (Hauspostille 1544), WATi 5,17,10 und unten Anm.52—55. 52 WA 7, 650, 27 (Auf das überchristl. etc. Buch Bocks Emsers Antwort. 1521). 53 Die Schöpfung ist Gottes Wort, in Weisheit geschaffen und erfüllt von dieser Weisheit. Sie predigt daher von dem, der spricht — Gott: WA 3, 560, 34—561,5 (Dictata 1513—16). Sie ist deshalb audi nidits Totes und Stummes; in der Schöpfung kann man wie in einem gewaltigen Bilderbuch lesen, das voll von Illustrationen der gewaltigen Worte und Taten Gottes ist: WA 48, 201,5—9 (Sprüche aus dem N T 1546). Die ganze

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Kapitel I : Die Schöpfung Gottes

eis D e u m c o g n o s c e r e et timere" 5 4 , u n d für ihn die S c h ö p f u n g ein einziges großes Bilderbuch m i t Beschreibungen v o n G o t t e s A b s i c h t u n d Willen m i t seiner Welt ist, so k o m m t damit auch der G e d a n k e z u m Ausdruck, daß die S c h ö p f u n g die G ü t e des Schöpfers abbildet b z w . v o n i h m zeugt, damit er dadurch v o n seinem Werk gepriesen w e r d e ; sie erhält ihr eigenes Gut-Sein u n d ihre A u f g a b e nur i n ihrer Begrenzung, d . h . darin, daß sie Gottes S c h ö p f u n g ist u n d deshalb nicht v o n der Majestät ihrer eigenen G r ö ß e u n d Macht, sondern v o n G o t t u n d seinem Willen spricht, v o n dem, der über allem Geschaffenen steht, u n d alles d e m Ziel seiner B e s t i m m u n g zuführt 5 5 . Schöpfung spricht zum Menschen und ermahnt ihn, sie in Gebrauch zu nehmen : WA 46, 494,11 (Pred. des Jahres 1538). Jesus ist in dieser Hinsicht das große Vorbild. Er ging mit offenem und dankbarem Sinn durch die Schöpfung seines himmlischen Vaters, die ihm zu einem Gleichnis und einer Predigt von Gott wurde: WA 27, 349, 15 (Pred. des Jahres 1528). „All blumlein und voglein haben das Euangelium am hals geschrieben et illa docent: wie ein abgottischer tropff bistu qui servis Mammonae": WA 29, 551,7—9 (Pred. des Jahres 1529). Die Vögel, die die Güte des Schöpfers besingen, sind des Menschen Lehrmeister: WA 32, 462, 26 f. (Wodienpred. über Mt 5—7 1530—32). 54 WATi 2,299,23 f. (Conrad Cordatus 1531). 55 „ . . . in diesem elenden Leben (hat) Gott in vielen Creaturen die Auferstehung der Todten entworfen und abgemalet . . . " : WATi 4,141, 26 (Lauterbach 1538). Der Wechsel zwischen Sommer und Winter ist ein Bild des Gerichts und der Gnade Gottes und soll daran hindern, den Tod zu fürchten und der manichäischen Irrlehre zu verfallen, die sagt, daß die Welt von einem bösen Gott geschaffen ist. WA 31/1,447,12—20. Vgl. audi WA 49, 433, 25 (Pred. des Jahres 1544) und WA 49, 428, 20; 431, lOff. „Ibi vides, quod Deus istis coecis hominibus pingit exemplum fortissimum resurrectionis mortuorum. Ex korn fit ein grosser, dicker eidienbaum, facis tua manu": ib. 725,15ff. Vgl. auch WA 34/11, 124,29; WA 37,161,28; ib. 159,22; 49,725,18; 725, 38 f.; 726,34 und 728,9 (Pred. des Jahres 1544). Gott hat „Vergebung der Sünden audi darein gesteckt, als nehmlidi, dass man vergebe, zu gut halte und verschone auch den Feinden, Weib und Kindern, Gesinde und denen, die uns erzörnet und beleidiget haben . . . " : WATi 1, 395, 23ff. Vgl. ib. 472, 30 ff., WATi 2,136,14 (1532) und 3, 135, 33 f. Siehe hierzu G. Wingren 1948 2 , S. 20 (dt. 1952, S. 20). Bereits in der Welt der Natur begegnet dem Menschen also die Offenbarung von Gottes Güte. Das Evangelium ist in der Schöpfung Gottes „abgemalt", genauso wie sein Zorn; bereits in der Welt der N a t u r begegnen also Gottes Gesinnung und Wille dem Menschen, die in Christus enthüllt sind. Siehe WA 49,222 (Pred. 1541), WA 19,226,16—28 (Auslegung des Propheten Jona 1526) sowie WA 3, 647, 2 f . (Dictata 1513—16 Ps 83).

K A P I T E L II

Der Mensch Gottes 1. D o m i n u s m u n d i Der Mensch ist eine besondere Kreatur Gottes, er ist zum Bilde Gottes (imago Dei) geschaffen. Die Gottebenbildlichkeit ist ein „opus Dei singulare" und kann in drei Sätzen zusammengefaßt werden: Der Mensch ist geschaffen, 1. um in Gemeinschaft mit seinem Nächsten über die Welt zu herrschen (dominus mundi), 2. um in Vertrauen auf Gott allein unter der Forderung und Leitung des göttlichen Gebotes zu stehen (mandatum Dei) und 3. erst im ewigen Leben (vita aeterna) die Vollendung der Gottebenbildlichkeit zu empfangen 1 . Damit ist auch die Gliederung dieses Kapitels gegeben. In jedem von diesen drei Sätzen ist ein wesentlicher Teil der Natur und Bestimmung des Menschen als von Gott geschaffenem Wesen zum Ausdruck gebracht, und keiner vermag allein das auszusagen, was in dem anderen liegt. Nun aber ist der konkrete Mensch als „natürlicher" Mensch Adams Kind und ein Sünder, ein gefallener Mensch, dessen Gottebenbildlichkeit im Sündenfall verlorengegangen ist; imago Dei ist deshalb für ihn, wie Luther gelegentlich sagt, eine „res incognita" 2 . Luthers Menschenauffassung ist jedoch nicht nur am „natürlichen" Menschen orientiert, er spricht auch von „Ursprung" und „Bestimmung" des Menschen; der Mensch ist eine Kreatur, die von Gott geschaffen und deshalb „ursprünglich", „in sua substantia" oder „naturaliter" gerecht ist 3 , bzw. ein Geschöpf, dessen Bestimmung es ist, seine Vollendung erst im ewigen Leben zu empfangen4. 1 W A 42, 4 6 , 1 1 ( G n l , 2 6 ) . „ . . . homo est creatura Dei, carne et anima spirante constans, ab initio ad imaginem Dei facta, sine peccato, ut generaret et rebus dominaretur, nec unquam moreretur": W A 39/1,176, 7 (Disp. de homine 1536). „Esse eum factum in animam viventem, non simpliciter, sicut alias bestias, sed in animam excellenter viventem, propterea quod ad imaginem Dei est conditus": W A 42, 6 5 , 1 8 ( G n 2 , 7 ) ; vgl. ib. 6 5 , 4 0 . 2 Ib. 46, 4 ff. (Gn 1,26), ib. 47, 3 1 ; 48, 32 ff. 3 Ib. 4 7 , 8 . Vgl. W A 39/1,108, 14 (Disp. de iustificatione 1536): „substantialis imago mutabiliter creata." W A 1 4 , 1 1 1 , 2 6 (Predigten über das erste Buch Mose 1523/24): „Ista rectitudo erat in homine naturalis." 4 „Habuit igitur Adam duplicem vitam: animalem et immortalem, sed nondum revelatum plane sed in spe" : W A 42, 43, 7 (Gn 1,26). Vgl. ib. 6 1 , 1 0 (Gn 2 , 3 ) und W A 3 6 , 6 6 4 , 3 4 . Adam w a r „justus, rectus, intellectu praestanti, volúntate recta, et tarnen imperfecta": W A 42, 87, 5 f. ( G n 2 , 1 7 ) .

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Kapitel II : D e r Mensch Gottes

Die Gottebenbildlichkeit ist somit nicht identisch mit gewissen natürlichen Eigenschaften des konkreten Menschen, sondern muß von der heilsgeschichtlichen Perspektive her, die nicht nur Schöpfung und Fall, sondern auch Wiederherstellung und Vollendung in sich einschließt, verstanden werden. Heilsgeschichte bedeutet aber für Luther nicht nur Epochen der Vergangenheit bzw. Zukunft. Weil Gott sich als der aktuale Schöpfer offenbart, sind Ursprung und Ziel auch im konkreten Menschen gegenwärtig. Wenn Luther den Menschen von dem her, was er ohne Gottes Gnade ist (peccator), und dem, was er durch Gottes Heilshandeln wird (iustus) betrachtet, so wird die Rechtfertigung sola fide als eine kurze Zusammenfassung dessen gesehen, was der konkrete Mensch „coram Deo" ist: „breviter hominis definitionem colligit, dicens, Hominem iustificari fide."5 Luthers Vorstellung vom Menschen des Ursprungs bzw. der Gottebenbildlichkeit darf aber mit seiner Vorstellung des gerechtfertigten Menschen nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden, denn der konkrete Mensch ist zwar im Glauben iustus und in die Vollendung einbezogen, aber er ist doch gleichzeitig, im Unterschied zum Menschen des Ursprungs noch peccator. Und der Mensch des Ursprungs ist zwar nicht peccator, aber doch nicht vollkommen. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Menschen des Ursprungs und dem gerechtfertigten Menschen (novus homo) gibt es doch. Ihre Gerechtigkeit ist eine Gabe Gottes, sie ist eine „iustitia aliena" ; die „rectitudo" des Menschen ist nicht mit einer konkreten Beschaffenheit, die empirisch festzustellen ist, gleichzusetzen. Die Eigenschaften des Menschen sind für Luther immer „bloße Reflexe von Bezeichnungen für Gottes Tun" 6 . Vor Gott hat der Mensch kein „eigenes" Aussehen, könnte man vielleicht sagen; er hat nur im Glauben eine „Aussicht" 7 . Die Frage wird dann, wie denn die ursprüngliche Gottebenbildlichkeit bzw. die rectitudo des konkreten Menschen beschrieben werden können. Die menschliche Erkenntnis der Gottebenbildlichkeit ist •— sagt Luther — zwar unvollkommen, aber im Glauben an das Evangelium fängt eine Wiederherstellung des im Falle verlorengegangenen Imago an 8 , so daß man doch „aliquo modo" wissen kann, „quae iusticia, sanctitas, imago dei" sei 9 . Das Wort Gottes offenbart dem konkreten Menschen die ursprüngliche, von Christus realisierte Gerechtigkeit, und die Menschenbetrachtung, die sich von hier aus ergibt, steht bei Luther zwar immer im Vordergrund, schließt aber doch die heilsgeschichtliche Betrachtung des Menschen nicht aus. Für Luther spielen Ursprung und Vollendung eine weit größere Rolle, als man in der modernen Lutherforschung angenommen hat10. Luther will nur nichts von einer bloß „formalen" Erkenntnis des Ursprungs bzw. W A 39/1, 176, 34 (Disp. de homine 1536). « W. Link 1940, S. 102. G. Gloege, Der theologische Personalismus als dogmatisches Problem (KuD 1. J g 1955, S. 26—41), S. 26. 8 W A 42, 4 8 , 1 1 : „per Euangelium agitur ut imago illa reparetur." » W A 4 5 , 1 6 3 , 7 — 4 0 (Predigten des Jahres 1537); vgl. W A 14, l l O f . und W A 2 4 , 4 9 f f . 1 0 So z.B. R.Hermann, Luthers These „Gerecht und Sünder zugleich", Gütersloh 1930, und Torgny Bohlin, Den korsfäste Skaparen. Förhallandet skapelse — frälsning i Luthers teologi mot bakgrund av skolastiskt tänkande. Diss. Uppsala, Stodcholm-Uppsala 1952, S. 78 fi. 5

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1. D o m i n u s mundi

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d e r V o l l e n d u n g w i s s e n 1 1 ; d i e noêtische F r a g e (d. h . d i e F r a g e n a c h d e r E i n s i c h t des k o n k r e t e n M e n s c h e n i n G o t t e s W i l l e n u n d H a n d e l n ) schließt f ü r i h n j e d o c h die heilsgeschichtliche F r a g e n i c h t a u s (d. h . die F r a g e , w a s G o t t auf G r u n d d e r O f f e n b a r u n g f ü r d e n k o n k r e t e n M e n s c h e n tatsächlich g e t a n h a t , t u n w i r d u n d b e s t ä n d i g tut) 1 2 . L u t h e r s T h e o l o g i e d e r S c h ö p f u n g ist i n d e m S i n n e a n t h r o p o z e n t r i s c h , d a ß d e r M e n s c h d e r H ö h e p u n k t des S c h ö p f u n g s w e r k e s ist, d a ß d i e S c h ö p f u n g d e m M e n s c h e n ü b e r l a s s e n w i r d : „ O m n i a p r o p t e r n o s creata s u n t . " 1 3 Sie k ö n n t e a b e r a u c h — w i e w i r i m v o r i g e n K a p i t e l s c h o n a n g e d e u t e t h a b e n — als „ k o s m o z e n t r i s c h " bez e i c h n e t w e r d e n , n ä m l i c h i n d e m Sinne, d a ß d e r M e n s c h i n e i n e n Zusammenhang h i n e i n g e s c h a f f e n ist, v o n d e m er selbst ein T e i l ist. S o w o h l d e r u r s p r ü n g l i c h e w i e a u c h d e r gefallene M e n s c h s t e h t i m m e r i n einer u n a u f l ö s l i c h e n R e l a t i o n z u d e r Welt, d i e i h n u m g i b t . W i e G o t t d e m M e n s c h e n das L e b e n i m H e r r s c h e n ü b e r d i e W e l t g i b t , so läßt er i h n — w i e w i r u n t e n , K a p . I V , s e h e n w e r d e n — i n seiner G e b u n d e n h e i t a n sie s t e r b e n . Weil f ü r Luther aber Anthropologie nicht einfach die Lehre v o m Menschen in R e l a t i o n z u r W e l t u n d z u d e n D i n g e n ist 1 4 , s o n d e r n v o r allem die L e h r e v o m M e n 11 „Nam materialem et formalem causam solum tum Politiae, tum Oeconomiae norunt, finalem autem et efficientem causam non norunt . . . " : WA 40/III, 202,30 f. (In X V Psalmos graduum 1532/33 1540 Ps 127,1); vgl. auch W A 4 2 , 9 3 , 5 f f . (Gn2,21); 102, 18 ff. (Gn 2,23); 365,35ff. (Gn 9,12—16); WA 43,19 ( G n l 8 , 9 ) und WA 40/11, 327,17 ff. (Enarratio Psalmi LI 1532). 12 Siehe hierzu W. Joest 1955, S. 690. 13 WATi 3, 322,10. Vgl. R. Prenter, Skabelse og G e n W n g . Kobenhavn 1951/53, S.215 (dt. Schöpfung und Erlösung, Göttingen 1958/60, S. 231). 14 Siehe B. Hägglund, Theologie und Philosophie bei Luther und in der occamistischen Tradition. Luthers Stellung zur Theorie von der doppelten Wahrheit (LUA N.F., Abt. 1, Bd. 51, Nr. 4), Lund 1955. Wenn Luther die philosophische Menschenbeschreibung nicht akzeptiert, so hängt das mit seinem Schöpfungsbegriff zusammen. Ist der Mensch etwas, das noch geschaffen wird, und hat er somit seine Bestimmung in etwas nodi nicht Gegebenem, so ist das Leben und seine Vollendung von Anfang bis Ende eine Gabe Gottes; da gibt es auch keine Qualität im Menschen, die zum Gegenstand der Bestimmung seines eigentlichen Seins werden könnte (siehe hierzu unten Kap. II, 3). Auf der anderen Seite besteht nach Luther keinerlei Anlaß, Grenzen zu setzen, inwieweit Gott in seiner Schöpfung seinen Willen und seine Bestimmung mit der Schöpfung „abzubilden" vermag (s. o. Kap. 1,3, S. 58 ff.). Etwas ganz anderes ist, daß das Geschaffene seine Bestimmung nie selbst verwirklichen kann. Siehe z.B. WATi 4,6, 3 f.: „ . . . das natürliche Recht lehret, wie man sich in diesem Leben halten soll, beide gegen Gott und Menschen." Dagegen sagt Luther nicht, daß der Mensch tatsächlich das, was er weiß, audi verwirklichen will; nur wer den rechten Willen hat, handelt auch recht. In der modernen Theologie geht man aber oft davon aus, daß Erkenntnis auch ein redites Handeln prädisponiert. Die Dominanz der Erkenntnisfrage in der modernen Theologie, daß man fragt, wie man wissen können soll, was Gott und der Mensch ist, spielt bei Luther nicht dieselbe Rolle. Luther polemisiert nidit nur gegen diejenigen, die etwas von Gott und seinem Willen zu wissen glauben, sondern vor allem gegen diejenigen, die glauben, etwas gegen ihn zu vermögen. Siehe WA 39/11,14ff. (Die Disp. über Joh 1,14 1539). Die Philosophie betrachtet den Mensdien von der Selbstbeobachtung ausgehend, während die Theologie vom Offenbarungswort über den Mensdien ausgeht, so wie Gott ihn sieht. Erstere kann auf natürliches Verstehen bauen und ist insofern wertvoll, sie kann jedoch nicht letztere ersetzen. Siehe R. Prenter 1951/53, S.214—223 (dt. 1958/60, S.231—236). Vgl. L.Haikola, Studien . . . 1958, S.19 bis 40, sowie E. Schott 1928, S. 26—34, mit Quellenhinweisen.

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Kapitel II: Der Mensch Gottes

sehen in Relation zu Gott, weil sie theologische Anthropologie ist, setzt er zwar der rein philosophischen Beschreibung des Menschen bestimmte Grenzen, aber er billigt ihr doch •— wie wir sehen werden — einen bestimmten Platz innerhalb der theologischen Betrachtung zu. Daß der konkrete Mensch überhaupt die Frage nach sich selbst, nach seinem Ursprung und seinem Ziel stellt, ist somit für Luther ein Zeichen dafür, daß der Mensch eine Kreatur ist, die sich von anderen Lebewesen unterscheidet und sich über sie erhebt. Die richtige Antwort auf diese Frage ist in der göttlichen Heilsoffenbarung gegeben, die klarmacht, was Ursprung und Ziel des Menschen tatsächlich ist, daß er nämlich der Mensch Gottes ist15. Auch wenn Luthers Anthropologie somit gewisse ontologische Züge enthält, ist sie doch mit dem ontologischen Schema der scholastischen Anthropologie nicht gleichzusetzen. Eine wertvolle Untersuchung zu dieser Frage bietet R. Johannesson; besonders wertvoll ist seine Darlegung des Unterschiedes zwischen Thomas und Augustin in dieser Hinsicht. Bei Thomas ist die Betrachtungsweise metaphysisch-ontologisch. Das Wesen des Menschen wird definiert, indem seine Eingliederung in der Stufenordnung des Seins beschrieben wird; bei Augustin ist das Ziel des Menschen von seiner psychologisch gedachten Ausrichtung auf Gott hin bestimmt; er ist mit dem Streben und der Sehnsucht nach Gott als seinem Lebensziel geschaffen18. Im Unterschied zu diesen beiden sieht Luther das Wesen des Menschen weder in seiner psychologisch gegebenen Ausrichtung auf Gott, noch in seiner metaphysisch-ontologisch verstandenen Natur. Seine Bestimmung ist in Gottes im Wort offenbarten Ratschluß verlegt, in Gottes Willen und Intention mit dem Menschen, und kann deshalb nicht nur von seiner konkreten Beschaffenheit her definiert werden. Schon in der Römerbriefvorlesung (1515/16), bei der Auslegung von Rom 8,19 (vom ängstlichen Harren der Kreatur auf die Erlösung), hat Luther somit seine Auffassung des Unterschiedes zwischen einer philosophischen und einer theologischen Naturbetrachtung angedeutet. Erstere fragt nur nach dem Wesen und den Eigenschaften der Schöpfung, wie sie in sich selbst sind, letztere nach deren Ziel in Gott. Erstere fragt, was die Schöpfung ist, letztere, was sie werden soll. Da aber die Schöpfung nicht von ihrer konkreten Beschaffenheit her zu bestimmen ist, sondern von Gottes Intention mit ihr (d. h. von dem her, was sie ursprünglich war bzw. noch werden soll), ist die philosophische Betrachtung, als Totalitätsbetrachtung gemeint, falsch 17 . Wenn Luther von Adam sagt, er sei „justus, rectus, intellectu praestanti, volúntate recta, et tarnen imperfecta"18, so meint er, daß Adam noch im Zustand der Unschuld lebte, in welchem er ewiges Leben und Befreiung von der Möglichkeit des Falls erben konnte: „Adam enim fuit in tali statu in quo poterai fieri immortalis (erat enim sine omni peccato) et ex puerili gloria in immortalem vitam transferri, 15

WA 42, 94, 6 f. (Gn 2, 21). R. Johannesson, Person och gemenskap enligt romerskt-katolsk och luthersk grundaskädning. Diss. Lund, Stockholm 1947, S. 56 f. u. 116 f. 17 WA 56, 371,1—372,26. 18 WA 42, 87, 5 f. (Gn 2,17). 16

1. Dominus mundi

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in qua non posset posthac peccare. Poterai edam ab ista innocentia puerili ruere in maledictionem, peccatum et mortem, sicut accidit."19 Adam war also im Paradies noch nicht ganz fertiggeschaffen; auf der anderen Seite war seine „kindliche Unschuld" schon „etwas". Er war „samt allen Kreaturen" geschaffen und seine Existenz damit vom Leben in der Schöpfung Gottes geprägt. Gott allein verwirklicht seine Intention mit dem Menschen, aber dies geschieht nicht außerhalb oder unabhängig vom Dominium des Menschen. Luthers Menschenauffassung ist also „theozentrisch" orientiert, aber sie kann ohne Rücksicht auf die besondere Stellung, die der Mensch unter allen anderen geschaffenen Lebewesen einnimmt, und die ja in gewisser Hinsicht rein phänomenologisch zu bestimmen ist, nicht beschrieben werden20. Der Mensch ist für Luther zugleich „natura" und „nihil"21. Als „natura" denkt sich Luther den Menschen allerdings nicht als eine absolute Substanz gegenüber Gott, denn er ist ja in allem von Gott als Schöpfer und Erlöser abhängig. 19

Ib. 84,38—85,2. Der Ausdruck „theozentrisch" ist besonders in der Lunder Lutherforschung zu einer Leitidee geworden, womit man das für Luthers Christentumsanschauung Eigenartige aufzuspüren versucht hat. Siehe z. B. A. Nygren, Urkristendom odi reformation. Skisser till kristendomens idéhistoria, Lund 1932, S. 109: „Luthers Bedeutung in der Geschichte des Christentums hängt vor allem damit zusammen, daß bei ihm die theozentrische Tendenz durchgebrochen und das alles Beherrschende geworden ist" (Übers.). Luthers Kampf gegen den römischen Katholizismus wird als ein Angriff gegen die „egozentrische" Religion angegeben, die den Menschen in den Mittelpunkt des religiösen Verhältnisses gestellt hat, und Luthers Neuansatz ist dadurch charakterisiert, daß er nun statt dessen „Gott in das Zentrum stellt" (Ubers.): ib. S. 122. Dies darf selbstverständlich nicht bedeuten, daß Luther sich fürchtet, den Menschen in das Zentrum der theologischen Betrachtung zu stellen. Das Entscheidende ist, wie man Gott bzw. den Menschen zueinander in Beziehung setzt. Eine für Luthers Denken sinnvolle Bedeutung erhält der Begriff „theozentrisch", wenn er mit dem Schöpfungsgedanken verknüpft wird, wie es R. Bring in bezug auf das Schulderleben tut. Das Theozentrische liegt darin, daß der Mensch, wie Bring sagt, „in sein Eigenes kommt, das wird, wozu er zutiefst bestimmt ist" (Übers.): R. Bring 1929, S. 230, Anm. 79. Daß Gott der absolute Wille ist, bedeutet also nicht, daß der Wille des Menschen eine Nullität sei: R. Bring, Ordet, samvetet och den inre människan (Ordet och tron. Till Einar Billing pa hans sextioarsdag. Stockholm 1931, S. 36—75), S. 41—43,54—67, sowie die Anmerkungen dort auf S. 64 f. und S. 72. Die „Theozentrizität" in Luthers Theologie muß also näher qualifiziert werden. Luthers Theologie ist nicht theozentrisch, weil der Mensch etwa nichts ist, sondern deshalb, weil Luther Gottes Tat in den Mittelpunkt rückt, d.h. das Herabsteigen des Schöpfers in die Schöpfung, die etwas anderes als der Schöpfer ist und daher ihre Bestimmung nicht selbst verwirklichen kann. Daß der Mensch im Schulderleben der Rechtfertigung erfährt, daß er vor Gott ein „Nichts" ist, schließt also nicht aus, daß Gott ihn dazu geschaffen hat, um vor ihm etwas zu sein, und Luthers theozentrische Christentumsanschauung schließt infolgedessen nitht eine positive Bestimmung des Menschen aus. 20

21 „Vere enim et proprio nihil est (homo) . . . " : WA 18, 752, 3 f. (De servo arbitrio 1525). „ . . . voluntas et natura . . . non est nihil": ib. 709, 16. „qua homo aptus est rapi spiritu et imbui gratia Dei, ut qui sit creatus ad vitam vel mortem aeternam, recte diceretur; hanc enim vim, hoc est, aptitudinem, seu ut Sophistae loquuntur dispositivam qualitatem et passivam aptitudinem et nos confitemur, quam non arboribus neque bestiis inditam esse, quis est qui nesciat? neque enim pro anseribus (ut dicitur) coelum creavit" : ib. 636, 17—22.

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7647

Löfgren, Schöpfung

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Kapitel II : Der Mensch Gottes

Daß er vor Gott „nihil" ist, bedeutet aber keineswegs, daß er nicht „natura" sei22. Luthers eigentümliche Terminologie muß zunächst von seiner Polemik gegen die scholastische Menschenauffassung her verstanden werden. Er polemisiert also nicht gegen eine philosophische Betrachtung des Menschen als solche, sondern gegen eine theologische Definition des Menschen, die die Natur des Menschen nur von der rein philosophischen Betrachtung her bestimmt, die den· Menschen als ein coram Deo eigenständiges Geschöpf, als ein Geschöpf, das seine Gerechtigkeit selbst bzw. mit Hilfe der göttlichen Gnade verwirklichen konnte, betrachtet. Für Luther wird die am Kreuz Christi gegenwärtige souveräne Liebe Gottes verleugnet, wenn man durch gute Werke und das Verdienst der Heiligen das zu erreichen sucht, was nur Gott allein kann, und er sucht deshalb mit seiner Rechtfertigungslehre, in der ja die Alleinwirksamkeit Gottes stark hervorgehoben wird, den Semipelagianismus und die Verdienstreligiosität der Römischen Kirche ins Wanken zu bringen. Luthers theologische Leistung in dieser Hinsicht kann jedoch nicht gebührend gewürdigt werden, wenn man nicht darauf achtet, wie Luther die Natur des Menschen „vor dem Fall" bestimmt. Luthers Rechtfertigungslehre als Ausdruck seiner theozentrischen Grundanschauung kann von dem Unterschied her, der bereits in der ursprünglichen Schöpfung zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung vorliegt, beleuchtet werden. Auch der Mensch des Ursprungs ist nach Luther nicht imstande, seine Gerechtigkeit selbst zu verwirklichen. Gottes Souveränität in der Rechtfertigung des gefallenen Menschen bedeutet deshalb, daß der Mensch vor Gott wie ein Bettler stehen muß, daß Gott als der Schöpfer aus dem Nichts empfangen werden muß, d. h. als der, der er von Anfang an gewesen ist23. Der Mensch des Ursprungs bzw. der sola fide gerechtfertigte Mensch, der seine Gerechtigkeit von Gott empfängt, verbleibt doch immer etwas äußerst Konkretes, das weder mit Gott noch mit der Welt zu identifizieren ist 24 . Vor Gott ist er ein Nihil, 2 2 W A 1 8 , 7 5 2 f . ; vgl. R. Bring 1 9 2 9 , S. 283, und 1 9 4 8 2 , S. 278 (dt. 1 9 5 1 , S. 36). D e r Mensch fährt immer damit fort, etwas zu sein, solange ihn Gott schafft. Nicht einmal der Fall hebt das a u f : W A 1 8 , 7 0 9 , 1 4 f ï . „Non potest non esse, cum sit creatura Dei, . . . : ib. 7 1 0 , 1 8 . A l s o kann die iustificatio des gefallenen Menschen nicht, abgesehen v o n dem, was er als Schöpfung ist, ausgedrückt w e r d e n : „Cor humanum, voluntas humana sunt necessaria ad iustificationem, sie müssen auch darbey sein . . . " : W A 3 9 / 1 , 2 1 4 , 2 6 f . (Prom. disp. v o n Palladius und Tilemann 1537). Dies bedeutet aber nicht, daß der Mensch als „natura" seine Erlösung selbst zustande bringen k a n n : „sed non sequitur: Ego habeo cor, ergo Deus me justificat, quia nihil vere necessarium est ad justificationem praeter fidem": ib. 2 1 4 , 2 7 f . Gott handelt aber immer mit dem Menschen, so w i e er ist, d.h. als eine geschaffene, wirkende und wollende Person: „Igitur oportet prius adesse personam, quae credat": ib. 7 0 , 2 (Disp. über Daniel 4 , 2 4 1535). G o t t allein verwirklicht die Bestimmung des Menschen, doch geschieht dies nicht abseits v o m Menschen: „Qui creavit te sine te, non salvabit te sine te . . . sed illud non justificat": W A 39/1, 2 0 9 , 1 4 — 1 7 (Prom. disp. v o n Palladius und Tilemann). Siehe hierzu auch S. Lerfeldt, Den kristnes kamp. Mortificatio carnis. En Studie i Luthers teologie. Diss. K o b e n h a v n 1949.

Siehe das Motto zu Teil 1, oben S. 19. Die Einheit mit Christus im Glauben ist so geartet, daß sie immer noch ein Vorbild „per differentiam specificam" ist; solange man Mensch ist, geht das Formen nach Gottes „Bild" weiter, ist man auf dem Weg, „imago Christi" zu werden; man lebt mit dem Ziel 23

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1. D o m i n u s mundi

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aber als Geschöpf unter anderen Geschöpfen hat er eine ganz besondere Natur. Nur so wird es für Luther möglich, die Rechtfertigung des konkreten Menschen sola fide als sowohl ein Zurückgeben der ursprünglichen Gottebenbildlichkeit des Menschen wie auch als einen Anfang seiner Vollendung zu betrachten: „Hoc autem nunc per evangelium agitur, ut illa imago reparetur."25 Auf diese Frage zurückzukommen, werden wir unten Gelegenheit haben. Hier müssen wir zunächst auf die am Anfang gestellte Frage nach der Bedeutung des imago-Begriffes eingehen. Zur Gottebenbildlichkeit des Menschen gehört also erstens die Herrscherstellung, die der Mensch in der Welt einnehmen soll. „Homo constitutus est dominus rerum, ut in illis libere dominaretur."26 Der Mensch ist nicht wie ein Stein und nicht wie ein Tier27, sondern zu Gottes Ebenbild geschaffen; ihm ist befohlen, vor Augen, einst mit ihm ganz eins zu werden. Vgl. E.Hirsch 1931, S. 45 und S. 94 f., A n m 3 6 a ) . Auch in der Rechtfertigung wird der Mensch also als etwas anderes neben Gott betrachtet: „Justificado ergo nostra nondum est completa. Est in agendo et fieri. Es ist nodi ein baw . . . nos foveri in sinu Dei tanquam initium creaturae novae, donee perficiamur in resurrectione a mortuis." Siehe hierzu unten Kap. VI. Das „Aktuale" in Luthers Schöpfungsdenken bedeutet deshalb nicht, daß der Mensch lediglich ein Reflex der Wirkung Gottes sei. Siehe unten Kap. IV. Für Luther ist jedoch Ontologie nicht lediglich Phänomenologie, wie es f ü r die Existentialisten aus M. Heideggers Schule der Fall ist. Dessen Ontologie betr. siehe M. Heidegger, Sein und Zeit (Jahrbuch f. Philosophie und phänomenologische Forschung Band 8, Halle 1927, Seite 1—438), sowie E. Schott, Die Endlichkeit des Daseins nach Martin Heidegger (Greifswalder Studien zur Lutherforschung und neuzeitlichen Geistesgeschichte 3), Berlin-Leipzig 1930. Siehe auch G. Wingrens Kritik an R. Bultmann in Teologiens metodfrlga, Lund 1954 (deutsch Göttingen 1955). Daß Luthers Begriffsmaterial grundsätzlich theologisch orientiert ist, zeigt G. Ebeling, Die Anfänge von Luthers Hermeneutik (ZThK 48. Jg. 1951, S. 172—230), S. 191; dies darf aber nicht so gedeutet werden, als wäre es ohne ontische Elemente. Besonders in Luthers Abendmahlslehre wird dies sichtbar. Siehe E. Schott, Luthers Anthropologie und seine Lehre von der manducatio oralis in wechselseitiger Beleuchtung (ZsystTh 9. Jg. 1931/32, S. 585—602). Hierzu s. auch unten Kap. V, 1—2. 85

WA 42,48, 11 (Gn 1,26). WA 18,671,35 f. (De servo arbitrio 1525). Siehe auch ib. 672,10—15 und oben Amn. 1. 27 WA 36, 239, 20ff. (Predigten 1532 Dr). WA 18, 754, 36 f. (De servo arbitrio 1525); 636, 22. Gott bläst den Mensdien eine „lebende Seele" ein. WA 4, 342,1 f. (Dictata 1513— 1516) und WA 42, 64, 39 ff. (Gn2,7). Luther zieht die traduzianische Auffassung von der Menschenseele vor (daß sie bei der Geburt von den Eltern auf die Kinder übertragen wird), wenn er den Zusammenhang des Menschen mit dem gefallenen Adam unterstreichen will (s. u. Kap. IV,2), betont jedoch im übrigen, daß die Seele „ex nihilo" geschaffen ist: WA 39/11, 341,7—342,22 (Prora, disp. Hegemon 1545) und WA 47, 55, 35—56, 4 (Ausi, des 3. und 4. Kap. Joh 1538—40), sowie G. Ljunggren, Synd och skuld i Luthers teologi. Uppsala-Stockholm 1928, S. 431. Das f ü r unseren Zusammenhang Wichtige ist indessen, daß Luther den Menschen auf Grund seiner Seele vom Tier unterscheidet: „Esse eum factum in animam viventem, non simpliciter, sicut alias bestias . . . " : WA 42,65, 18 f. Gn 2,7). Er schafft ihn zu einem „höheren" Leben (vita aeterna = similitudo) : WA 40/III, 513, 8—514,7 (Enarratio Psalmi X C 1534/35 P s 9 0 , 2 ) . Das „höhere" Leben des Mensdien und sein Vorzug vor den Tieren kann zuweilen auf seinen Vernunftgebrauch bezogen werden: WA 4, 255,18 f. (Dictata 1513—15), WA 39/1,175, 9ff. (Disp. de homine 1536) und WA 18,741,1 f. (De servo arbitrio 1525), auf den „Intellekt": WA 42, 85,10 (Gn2,17), oder die „ratio": WA 42, 61,11—13; 63,21—26; 65, 27f.; 65, 9ff.; 66,18 f.; 71, 39—72,4; 72,13—17 und WA 43,285,25—30, oder auf die Einheit zwischen Leib und Seele: WA 42, 65,25—36 (Gn2, 7). In einem Tischgespräch von 1540 heißt es: „Haec autem hominis 26

5*

68

Kapitel II : Der Mensch Gottes

gegenüber der übrigen Kreatur frei zu sein 28 , bzw. über sie zu herrschen29; wenn dies im Auftrag Gottes und in Gemeinschaft mit seinem Mitmenschen geschieht, ist das Herrschen Ausdruck des Gehorsams bzw. der cooperario des Menschen mit Gott und damit Ausdruck seiner Gottebenbildlichkeit 30 . Die Ausübung der schöpfungsmäßigen Bestimmung des Menschen in Relation zu Gott und zur Mitschöpfung gehört also zu seiner Gottebenbildlichkeit; diese darf zwar mit einer gewissen Qualität oder Ausstattung des konkreten Menschen nicht identifiziert werden, kann aber außerhalb seiner konkreten Beschaffenheit nicht beschrieben werden. Gott hat den Menschen geschaffen, damit er im Verhältnis zu anderen Geschöpfen etwas ganz Bestimmtes sei und hat ihn deshalb auch mit bestimmten Gaben ausgestattet, weil er etwas ganz Bestimmtes mit ihm wollte : „Illud maxime hic observandum, quod homo non creatur ut aliae creaturae, quanquam numeretur inter alias. Quia Deus ex Consilio praemeditato dicit ,faciamus hominem ad' etc. . . . quae verba sunt consilii bedachten, quibus antea usus non est."31 Das Besondere des Menschen liegt in Gottes „besonderem Ratschluß", seiner „besonderen Überlegung" beschlossen, den Menschen ein „höheres" Leben zu geben, ein Leben, das sich schon in seiner Freiheit gegenüber der übrigen Kreatur äußert32, einer Freiheit, die schon durch das rein äußerliche „Aussehen" des Menschen zum Ausdruck kommt 33 , die aber beim konkreten Menschen mit jenem nicht zu identifizieren ist, weil es alles Gaben sind, die zwar von Gott gegeben sind, die aber vom Menschen immer mißbraucht werden 34 . excellit propter tres causas animas brutas: 1. quia nulla creatura vivens disputât de Deo quam homo. 2. et nulla habet sermonem quam homo. 3. nulla gubernat alias animas quam anima hominis: WATi 5, 56, 5—8. Die Gabe des Sprediens wird auch in WATi 1, 565,22 betont. Da der Mensch nicht aus Instinkt handelt wie die Tiere, sondern nach einer vernünftigen Überlegung, kann er zwischen Recht und Unrecht unterscheiden: WATi 1, 267, 22 (1533). Luther kann auch den aufrechten Gang des Menschen hervorheben: WA 42, 65, 22 ff. (Gn 2, 7), sein Feiern des Sabbats bzw. seine Anbetung Gottes und sein Hören auf das Wort Gottes: ib. 61 (Gn 2, 3). 28 WA 42, 36—43,6 ( G n l , 2 6 ) , ib. 47 f.; 62, 1—25 (Gn 2, 3) und 80, 21 ff. (Gn 2,16). 29 „ . . . simpliciter omnia animalia, imo terra cum omnibus terra nascentibus subiicitur Adae, quem Deus vocali mandato et expresso constituit regem super totam creaturam animalem": ib. 49, 23 ff. ( G n l , 2 6 ) . „Homo consti tutus est dominus rerum, ut in illis libere dominaretur" : WA 18, 671, 35 (De servo arbitrio 1525). „Hic régnât et est dominus . . . " : ib. 672,10. 30 WA 39/1,108, 5—15 (Disp. de iustificatione 1536). 31 WA 14,110,1—4 (Pred. über das l.Buch Mose 1523/24 Gn 1,26). 32 WA 42,63, 15 ff. (Gn 2, 7). Vgl. auch ib. 61, 28; 65, 25 sowie WA 45,16, 6 (Pred. des Jahres 1537). 33 Siehe oben Anm. 27. In diesem Lichte muß die Erklärung zum 1. Artikel des Glaubensbekenntnisses verstanden werden: „mir Leib und Seele, Augen und Ohren und alle Glieder gegeben . . . " : WA 30/1,183, 31 ff. und ib. 247, 15ff. Vgl. oben Anm. 30. 34 Einen guten Überblick über Luthers anthropologische Terminologie geben: E. Schott 1928, H . Bornkamm, Äußerer und Innerer Mensch bei Luther und den Spiritualisten (Imago Dei. Festsdirift für O.Krüger, Gießen 1932, S. 85—110) sowie L. Haikola, Studien . . . 1958, S.24—55. Zum imago-Begriff siehe: F . K . Schumann, Imago Dei (Festschrift für Krüger 1932, S. 167—180), F. K. Schumann, Zur Frage der theologischen Antropologie (Um Kirche und Lehre, Stuttgart 1936, S. 116—131 sowie S. 78—99) und Ph. Bachmann, Der Mensch als Ebenbild Gottes (Festschrift für L. Ihmels, Tübingen 1921, S. 273—279).

1. D o m i n u s m u n d i

69

E s ist a l s o w i c h t i g , d a ß m a n s i c h h i e r d i e d o p p e l t e B e d e u t u n g d e r v o n L u t h e r benutzten T e r m i n i klarmacht, die m i t L u t h e r s U n t e r s c h e i d u n g zwischen

dem,

w a s m a n eine p h ä n o m e n o l o g i s c h - s c h ö p f u n g s m ä ß i g e u n d eine heilsgeschichtlichi n t e n t i o n a l e B e t r a c h t u n g des M e n s c h e n n e n n e n k a n n , Der

M e n s c h ist

vom

phänomenologischen

ä u ß e r e r " M e n s c h 3 6 . A l s innerer

Aspekt

zusammenhängt35.

her zunächst

„innerer

und

M e n s c h ist e r „ G e i s t " , er h a t eine d e m G e i s t l i c h e n

z u g e w a n d t e Seite. A l s G o t t d e n e r s t e n M e n s c h e n s c h u f , blies e r i h m n ä m l i c h d e n G e i s t seines L e b e n s e i n 3 7 ; d e r G e i s t g e h t v o n G o t t a u s u n d d r ü c k t d e n G e d a n k e n v o m U r s p r u n g des M e n s c h e n i m C r e a t o r S p i r i t u s aus. E b e n s o w i e alles L e b e n , s o ist d e r M e n s c h n i c h t als e t w a s R u h e n d e s , s o n d e r n als e t w a s B e w e g l i c h e s g e -

35 A. Phänomenologischer sondersgeartetes Verhältnis

oder schöpfungsmäßiger Aspekt zu Gott, Welt und Mitmensch:

des Menschen,

d.h.

sein

be-

Geist

1. (spiritus) = der innere Mensch = der vertrauende Mensch in Relation zu Gott; jeder Mensch hat einen „ G o t t " . Fleisch 1. (caro) = der Mensch als Totalität von Seele und Leib (anima et caro) = der äußere Mensch; jeder Mensch hat ein „dominium". innerer Mensch

{

äußerer Mensch

{

des Me'nschen {

Geist 2. (identisch mit Seele, ist deren Ì _ das „Haus" für Gottes Wort Richtung „nach oben") j und den Glauben. Vernunft

(ratio)

= leitet den Leib (caro) bzw. den äußeren Menschen in

seinem „dominium". Seele (anima) = der Mensch als wollendes und denkendes Lebewesen. Wille bzw. das C o r = der Mensch als Person.

B. Intentionaler oder heilsgeschichtlicher Aspekt des Menschen, positiven bzw. negativen Verhältnis zu Gottes Bestimmung mit Geist Fleisch

Geist

3. 2.

d. h. der Mensch in ihm:

seinem

= der von Gottes Geist geleitete Mensch, spiritualis, novus oder iustus homo. = der Mensch, der nicht von Gottes Geist geleitet ist. Entspricht peccator, carnalis, vetus oder iniustus homo.

und Fleisch

=

simul iustus et peccator.

Diese Zusammenstellung der Begriffe dient nur dazu, ein vereinfachtes und übersichtliches Bild davon zu geben, wie Luther sie anwendet. Eine eingehende Analyse ihres Zusammenhanges mit Luthers Distinktion „Glaube — W e r k e " , „innere — äußere Gerechtigkeit" (iustitia actualis et iustitia civilis) gibt R . Bring in seiner Untersuchung: Förhallandet mellan tro och gärningar inom luthersk teologi (Acta Academiae Aboensis, Humaniora I X , 1, Helsingf o r s - A b o 1933/34), S. 1 — 2 6 0 (dt. Das Verhältnis von Glauben und Werken in der lutherischen Theologie = F G L P X / V I I , München 1955). 3 6 Zum eigentlichen Ausdruck s. Bring 1933/34, S. 166 ff. (dt. 1955, S. 111 ff.), sowie ders., Coram D e o — coram hominibus ( S v T K J g . 6, 1930, S. 1 7 1 — 1 8 4 ) , wo auch der Zusammenhang mit anderen Begriffen, z . B . homo spiritualis — homo politicus, homo coram Deo — homo coram hominibus usw. gegeben wird. Siehe auch R . Josefson, ö d m j u k h e t och tro. En Studie i den unge Luthers teologi. Stockholm-Uppsala 1939, S. 95 ff. 37

Siehe oben Anm. 27 und unten Anm. 38.

70

Kapitel II : D e r Mensch Gottes

dacht. B e i m M e n s c h e n ist diese B e w e g u n g aber erweitert, er ist zu einem geistigen, einem wirkenden u n d w o l l e n d e n L e b e w e s e n geschaffen 3 8 . A l s innerer M e n s c h ist der paradiesische M e n s c h dadurch gekennzeichnet, daß er i n K o n f o r m i t ä t mit G o t t u n d seinem Willen lebt; er setzt seine Zuversicht auf G o t t u n d e m p f ä n g t damit sein L e b e n v o n i h m i n v o l l k o m m e n e r Sorglosigkeit 3 9 . Seine Freiheit ist aber nicht A u t o n o m i e sondern H a r m o n i e mit G o t t u n d seinem Willen, u n d dies äußert sich u. a. darin, daß er seinen G o t t anbetet u n d i h m die Ehre gibt 4 0 . W e n n der M e n s c h nicht auf G o t t vertraut, ist die ursprüngliche Gottesrelation zerstört; er vertraut dann auf etwas anderes, aber als innerer M e n s c h m u ß er immer nach etwas suchen, w o r a u f er vertrauen kann, er hat immer einen Gott. W e n n es nicht der wahre G o t t ist, so ist es ein I d o l , ein A b g o t t 4 1 . A l s äußerer M e n s c h hat A d a m nicht nur einen Leib, w i e die Tiere, sondern auch eine denkende Seele; er ist nicht, w i e die E n g e l , nur Seele, sondern ein „ m i x t u m animai ex brutali et angelica natura" 4 2 , er ist Seele und Leib, anima et caro, u n d damit s o w o h l aus der allgemeinen S c h ö p f u n g als etwas Einzigartiges ausgesondert als auch in Z u s a m m e n h a n g mit ihr gesetzt 4 3 . A l s äußerer M e n s c h (Leib u n d Seele) steht er in Relation zur seelenlosen Natur (Erde, Tier, Pflanze), s o w i e zur seelenhaften Wirklichkeit, der er selbst angehört (Mitmenschen). D e r M e n s c h ist also — man könnte sagen — zweidimensional, er steht immer i n Relation zu G o t t u n d 38 „(Deus dicat) Haec est imago mea, qua vivitis, sicut Deus vivit": WA 42, 47,15 f. (Gn 1,26). Siehe audi H . Lammers, Luthers Anschauung vom Willen. Ein Beitrag zu seiner Anthropologie (Neue deutsche Forschungen, Bd. 37), Berlin 1935, S. 55 f. Hauptsächlich von der Römerbriefvorlesung und De servo arbitrio her hebt Lammers hervor, daß bei Luther das Wesen des Menschen als wollendes Wesen dadurch zum Ausdruck kommt, daß er in Freiheit arbeitet und wirksam ist. Dies geht auch aus Luthers Verständnis des Schöpfungsbefehls hervor: „ . . . das er nit müssig gieng, gab yhm gott zu schaffen, das paradeys zu pflantzen, bawen und bewarenn. Wilchs weren eytell frey werck gewesen . . . " : WA 7, 31, 24 ff. (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520). 39 „Ita Adam et Heua florentes innocentia et Iustitia originali, pieni securitate propter fiduciam in Deum tarn benignum, deambularunt nudi, tractantes verbum et mandatum Dei, et benedicentes Deum, sicut in die sabbato decet": WA 42,108,28—31 (Gn 3,1). „Sed ipse eum format ad imaginem sui, tanquam participem Dei, et qui fruiturus sit requie Dei": ib. 63, 30 f. (Gn 2,7). 40 WA 42,64, 77—65, 36 (Gn 2, 7). 41 WA 30/1,133, 25ff.: „Sihe dieser hat auch einen Gott, der heisset Mammon, das ist gelt und gut, darauf! er alle sein hertz setzet, Weichs auch der aller gemeynest Abgott ist auff erden. Wer gelt und gut hat, der weys sich sicher, ist frölich und unerschrocken, als sitze er mitten ym Paradis, . . . Also audi wer darauff trawet und trotzet, das er grosse kunst, klugheit, gewalt, gunst, freundschafft und ehre hat, Der hat audi einen Gott, aber nicht diesen rechten einigen Gott." Und ib. 133,1: „Ein Gott heisset das, dazu man sich versehen sol alles guten und Zuflucht haben ynn allen nöten" (Der Große Katechismus 1529). 42 „Dignum autem admiratione est consilium Dei in creando homine, quem cum condidisset ad animalem vitam et actiones corporales, addidit tarnen potentiam intellectivam, quae in Angelis quoque est, ut sit homo mixtum animal ex brutali et angelica natura": WA42, 85, lOff. (Gn 2,17). 43 „Homo est creatura Dei, carne et anima spirante constans, ab initio ad imaginem Dei facta, sine peccato, ut generaret et rebus dominaretur, nec unquam moreretur" : WA 39/1, 176, 7 (Disp. de homine 1536). Vgl. WA 42, 65, 18 (Gn 2, 7).

1. Dominus mundi

71

seinem dominium, oder aber dreidimensional, wenn man das dominium in Mitmenschen und Dinge aufteilt. Vom heilsgeschichtlichen Aspekt her betrachtet, ist der Mensch als eine von Gott geschaffene Kreatur gut, als gefallener aber böse. Im paradiesischen Zustand ist er durch Konformität mit Gottes Willen, freie Beherrschung der Schöpfung und Liebe zu den Mitmenschen gekennzeichnet. Nach dem Fall wird er infolge seiner verdunkelten Erkenntnis Gottes und seines Willens von der Gebundenheit an die Schöpfung sowie von Lieblosigkeit und Eifersucht gegenüber seinem Nächsten und Haß gegen Gott bestimmt. Es beginnt der Streit zwischen spiritus und caro44. Das Zentrum im Menschen wird von Luther auf den Willen verlegt. In der Definition des Willens trifft sich die heilsgeschichtliche Bestimmung des Menschen mit seiner Charakterisierung als innerer und äußerer Mensch, so daß der Kampf zwischen Gut und Böse bzw. spiritus und caro im Willen des Menschen ausgetragen und durch die Richtung seines Willens bzw. vom Gegenstand seines Willens her bestimmt wird; weil Gut und Böse gleich große Möglichkeiten haben, ihn zu beeinflussen, fällt in bezug auf den Willen die vom rein Phänomenologischen her gemachte Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen fort. Da er ein mit Willen ausgerüstetes Geschöpf ist, kann das Zentrum des Menschen auch das Herz (cor) genannt werden. Luther grenzt damit seine phänomenologische Betrachtung gegen eine philosophische Anthropologie ab, die das Zentrum des Menschen in seinen Verstand (ratio) verlegt45. Luther bedient sich auch der paulinischen, „trichotomischen" Aufteilung des Menschen in Leib, Seele und Geist (l.Thess 5,23)4e. Leib und Seele machen somit 44 Siehe oben Anm. 39—41, WA 13, 68 fi. (Praelectiones in prophetas minores 1524 ff.) und WA 42,199, 22 (Gn 4, 7). 45 „Herz" (cor) ist wenigstens beim älteren Luther gleichbedeutend mit „Person", „Glaube", „Gemüt". Vgl. W. von Loewenidi 1954, S. 244, Anm. 11, mit dort angeführten Belegstellen, sowie J. von Walter 1940, S. 59; es ist als das geistige Zentralorgan des Menschen etwa wie die mittelalterliche synteresis verstanden. S. Normann, der mit Recht behauptet, daß der synteresis-Gcdanke in Luthers Jugendschriften vorkommt, wird zu Unrecht von L. Pinomaa angegriffen, der von einer Vermischung der phänomenologischen und intentionalen Aspekte des Mensdien her argumentiert. Siehe Normann, Viljefrihet og forutbestemmelse i den lutherske reformasjon inntil 1525. Diss. Oslo 1933, S. 94 ff., und L. Pinomaa, Der existentielle Charakter der Theologie Luthers (Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Se. B, Vol. XL VII 3), Helsinki 1940, S. 51 f. Luthers synteresis-Begriff will nur den Gedanken der Person als eines einheitlichen Wesens ausdrücken. Das „Hertz" ist als das Zentrum in der rein phänomenologischen Struktur des Menschen, das ihn zu einem wollenden Wesen macht. Im „Herzen" des Menschen kreuzen sich Inneres und Äußeres; hier ist der Mensch nie vom Inneren und Äußeren getrennt. Das Herz ist der Sitz des Willens und ist daher nicht gegenüber Gott selbständig, so daß es nicht wie die römische Synteresis als an der Erlösung mitwirkend betrachtet wird; nur der Geist Gottes schafft deshalb das reine (neue) Herz, d.h. den guten Willen, der Gott gehorcht: WA 52, 560, 32—40 (Hauspostille 1544 Mt 5,18); vgl. Lammers 1935, S. 33ff. 48 In der Auslegung zu Hebt 4,4 sagt Luther, daß der Mensch ebenso wie Noahs Arche dreigeteilt ist: der sinnliche, der vernünftige und der geistliche Mensch. Jeder dieser Teile hat eine „Ruhe" und eine „Unruhe", die ihrerseits zweigeteilt sind: eine äußere und eine innere: WA 57(3), 158,18 ff. Und bei der Auslegung von Hebr 4,12 wird „corpus" oder „caro" als die unterste Fähigkeit des Mensdien, und „spiritus" als die höchste bezeichnet, wodurch er für das Göttliche empfänglich ist, und schließlich „anima" als das, was zwischen

72

Kapitel II : Der Mensch Gottes

gemeinsam den äußeren Menschen aus, während der Leib allein nur die animalische Seite des Menschen ist, der „Vorhof", durch welchen er sich mit Hilfe seiner fünf Sinne in der Welt des Sichtbaren orientiert 47 . In dieser Hinsicht unterliegt der Mensch denselben Bedingungen wie die Tiere, aber außerdem hat er auch einen Intellekt, der ihn über das rein animalische Dasein erhebt 48 . Er handelt nicht wie die Tiere nur aus Instinkt 49 , sondern aus einem vernünftigen Erwägen dessen, was recht oder unrecht ist50. Luther faßt aber Vernunfterkenntnis niemals als eine Garantie für richtiges Handeln auf 51 , Die Vernunft (ratio) wird so beim äußeren Menschen das leitende Prinzip. Sie ist Ausdruck für die eine Seite der Seele des Menschen (intellectus), sie ist das Licht und der Führer des Leibes (corpus), sie ist das Lebensprinzip des äußeren Menschen in seiner körperlichen Existenz, das Licht, das den Menschen als dominus mundi in der Welt der sichtbaren Dinge leiten soll. Die andere Seite der Seele, der Geist (spiritus), ist seine Ausrichtung auf Gott und die Welt der unsichtbaren Dinge; der Geist ist also seiner Natur nach identisch mit der Seele, übt aber eine „höhere" Funktion als die Vernunftseite der Seele aus, er ist das „Haus", wo Gottes Wort und der Glaube wohnen und er stellt somit den edelsten „Teil" des Menschen dar52. den beiden vorigen steht: ib. 163,12ff. — In der Magnificatauslegung (1521) heißt es: „Die schrifft teilet den mensdien ynn drey teil, da S.Paulus l.Thessal. ult sagt: Gott der ein got des frids ist, der mache euch heilig durch und durch, alszo das ewer gantzcr geist und seele und leip unstreflich erhalten auff die zukunfft unszers herrnn Jhesu Christi" : WA 7, 550, 20ff. Dies ist also die phänomenologische Einteilung; hierauf folgt nun die heilsgeschichtliche : „Und ein iglidis diesser dreier sampt dem gantzen menschen wirt audi geteylet auff ein ander weiss ynn zwey stuck, die da heißen geist und fleisch, wilch teilung nit der natur, ssondernn der eygenschaff ist, das ist, die natur hat drey stuck : geist, seel, leip, und mugen alle sampt gut oder boss sein daß heißt denn geißt und fleysch sein, davon itzt nit zu reden ist . . . " : ib. 550,23 ff. Vgl. auch WA 56, 476, 5 ff. und 480, 18 ff. (Römerbriefvorlesung 1515/16); WA 2, 510, 2ff.; 585,25ff. (Galaterbriefkommentar 1519), WA 57(3), 197, 6ff.; WA 7, 551 f. (Magnificat 1521). 47 WA 57 (3), 197, 6—25 (Hebräerbriefvorl. 1517/18 Kap. 9,2). 48 „Ex hoc loco disce, quid sit intellectus. Quia etsi omnes homines non sint sine intellectu, tarnen dicuntur hic Judei et carnales equus et mulus sine intellectu, quia solum sensibilia mediantur et volunt, non autem invisibilia et spiritualia" : WA 3, 173, 34 ff. (Dictata super Psalterium 1513—16); ib. 176,16ff.; vgl. audi WA 4, 79,12ff. (Dictata 1513—16). 49 „Iuresconsulti non proprie definiunt ius naturae, quod hominibus et bestiis commune est, quia necesse est in iure naturali diustingui hominem tanquam dominum a ceteris bestiis, et est ei tribuendum aliquid excellentius. Rectius igitur loquerentur, si dicerent aliud ius naturae brutale, aliud rationale. Secundo ius non est apud bestiam, sed tantum in homine, ergo non proprie vocant ius naturae. Quia ius est, quod debet fieri . . . defendere enim fit sua sponte, et est ipsa natura": WATi 1,267, 22—268,1. „Ita haec descriptio tam copiosa nequaquam otiosa est. Non enim sumus nati proci, muli, trunci, stipites, sed erecto vultu ad sydera, et indidit Deus homini animam rationalem, intelligentum discrimen honestorum et turpium, ut, quae in aliis bona sunt, agnoscat, et ipsis honorem deferat": WA 43, 285, 25—28 (Gn 23, 5 f.). 50 „ . . . Sumus homo rationalis, Ein vernunfftig thier": WA 34/11, 497,12. " WA 4, 593, 8—16 (Sermone 1514—20). 52 „Das ander, die seele, ist eben derselbe geist nach der natur, aber dodi inn einem andernn werck. Nemlidi ynn dem, alsz er den leyp lebendig macht und durch ynn wircket . . . Unnd ist sein art nit die unbegriflichen ding zu fassen, szondernn was die vornunfft erkennen unnd ermessen kan. Unnd ist nemlidi die vornunfft hie das liecht ynn diessem

1. D o m i n u s mundi

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D a s O b j e k t d e r V e r n u n f t (ratio) ist d i e s i c h t b a r e W e l t . I n d i e s e m S i n n v e r w e n d e t d e r j u n g e L u t h e r a u c h d e n G e g e n s a t z c o r p u s — spiritus. S p i r i t u s ist das G e s i c h t , das G o t t z u g e w e n d e t , c o r p u s d e r R ü c k e n , d e r d e m G e s c h a f f e n e n z u g e k e h r t ist. A n s t a t t c o r p u s — spiritus k ö n n e n a u c h m e n s — sensus als g l e i c h b e d e u t e n d e B e griffe a n g e w a n d t w e r d e n 5 3 . W e i l a b e r d e r M e n s c h i m m e r als w o l l e n d e s W e s e n w i r k s a m ist, k a n n d e r W i l l e als d i e W u r z e l des g a n z e n M e n s c h e n b e t r a c h t e t w e r d e n 5 4 , u n d w e i l d e r M e n s c h i m m e r i n einer k o n k r e t g e g e b e n e n S i t u a t i o n h a n d e l t , i n w e l c h e er d u r c h seinen W i l l e n i n seiner Totalität h i n e i n v e r s e t z t ist, w i r d sein H a n d e l n i n dieser H i n s i c h t i m m e r „ p r a k t i s c h " b e s t i m m t ; a u c h w o er sich n u r „ t h e o r e t i s c h " b e m ü h t , ist er als T o t a l i t ä t ( t o t u s h o m o ) v o n s e i n e m W i l l e n b e s t i m m t 5 5 . W e i l d e r M e n s c h als w o l l e n d e s G e s c h ö p f i n jeder S i t u a t i o n u n d i n j e d e m A u g e n b l i c k seines D a s e i n s auf eine g e w i s s e A r t i m V e r h ä l t n i s z u G o t t , M i t m e n s c h e n u n d d e n D i n g e n e t w a s will, ist er n i e als ein n e u t r a l e r Z u s c h a u e r z u b e t r a c h t e n 5 6 . E r s t w e n n d e r M e n s c h seine V e r a n k e r u n g i n G o t t , i n d e m , das ü b e r i h m ist, g e f u n d e n h a t , k a n n er sich a u c h r i c h t i g n a c h u n t e n , d e r S c h ö p f u n g z u w e n d e n 5 7 . B e i m j u n g e n L u t h e r ist d e r R a t i o b e g r i f f n o c h n i c h t g a n z klar a u s g e b i l hausse, unnd wa der geyst nit mit dem glawben, als mit eynem hohem liecht erleudit, diss liecht der vornunfft regiert, so mag sie nimmer on yrthum sein": WA 7, 550, 35—551,8 (Magnificat 1521). Die Seele ist also dem Leib übergeordnet, aber sie ist ihrerseits dem Geist untergeordnet, der allein das Mysterium Gottes fassen kann; die Seele ist identisch mit der Vernunft und kann deshalb nicht das ergründen, was „über" dem Menschen ist, sie ist deshalb immer von Gott und seinem Geist abhängig. Siehe hierzu W. Maurer, Von der Freiheit eines Christenmenschen. Zwei Untersuchungen zu Luthers Reformationsschriften 1520/21, Göttingen 1949, S. 96 f. mit Belegstellen aus der Magnificatauslegung 1521. 53 „Mens nostra est facies nostra, sensus autem est dorsum nostrum. Quia per sensum vertimur ad creaturas, per mentem ad Deum. Si autem mentem etiam ad creaturas vertimus, tunc avertimus faciem a Deo et dorsum ei vertimus": WA 3,149, 28 f. (Dictata 1513—16). „Notandum itaque, quod corpus nostrum est dorsum, quod ad mundum et temporalia vertimus, spiritus autem est facies, que sursum ad deum tendit et festinat semper" : WA 3, 396,17 f. (Dictata 1513—16). 54 WA 5, 37,19ff. (Operationes in Psalmos 1519—21). 55 Bereits in den Randbemerkungen zu P. Lombardus wird die Einheit des Menschen als Person stark hervorgehoben. In der ersten Psalmenvorlesung taucht der Begriff totus homo auf. Der Mensch wird nicht in einem qualitativen Sinne in einen höheren und einen niedrigeren Teil aufgespalten, sondern der ganze Mensch ist als gefallen böse, und der ganze Mensch ist als geschaffen gut. Er ist nicht, wie man sich in der Mystik und in der Scholastik vorgestellt hat, aus Geisteskräften zusammengesetzt. Seele und Leib werden nicht als Geist und Materie voneinander getrennt. Vom phänomenologisdien Gesichtspunkt her ist der Gegensatz zwischen Leib (caro) und Seele (spiritus) nicht dualistisch: C. Stange, Die Unsterblichkeit der Seele (Studien des Apologetischen Seminars Wernigerode, H . 12), Gütersloh 1925, S. 135. Vom Intentionalen her ist der Gegensatz antagonistisch; aber der ganze Mensch wird dann gelenkt, von caro bzw. spiritus geprägt: wenn der Mensch von Gottes Geist regiert wird, ist er ganz spiritus, und wenn er vom Teufel regiert wird und irdische Idole anbetet, ist er ganz caro: P. Meinhold 1937, S. 66 f. 56 Vgl. L. Haikola, Studien . . . 1958, S. 38 f., der diesen Zug in Luthers Anthropologie mit seinem nominalistisdien Hintergrund in Zusammenhang setzen will. 57 „Quia tota merces est visio, et quoniam deus non est salutaris nisi iis, qui faciem ad eum vertunt, et dorsum ad temporalia. Qui autem in temporalibus querunt salutem, volunt deum sibi facere salutare dorsi sui, quia faciem ad temporalia et dorsum ad deum vertunt, cum duobus dominis serviri non possit": WA 3, 236,12ff. (Dictata 1513—16).

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Kapitel II : D e r Mensch G o t t e s

det. Eine gewisse negative Wertung (Rücken!) ist noch vorhanden58. Gehen wir noch weiter zurück zu Luthers Randbemerkungen zu Petrus Lombardus (1510/11) finden wir dieselbe negative Wertung der Funktion der Vernunft gegenüber Gott59. Dies hat E. Hirsch als ein Zeichen dafür aufgefaßt, daß sich das „reformatorische" Element bereits bei dem sehr jungen Luther finden läßt. Dieser Schluß ist aber nicht eindeutig und notwendig60. Luther verbindet aber schon hier auf eine charakteristische Weise Vernunft (ratio) und Willen (voluntas) miteinander61. In Luthers ersten Vorlesungen über den Psalter (1513/16) kommt dies noch stärker zum Ausdruck: der Vernunft darf keine Bedeutung bei der Verwirklichung der Gotteserkenntnis beigemessen werden ; wenn auch der Philosoph zur Gotteserkenntnis kommen zu können glaubt, ist es doch nicht sicher, daß er Gott recht ehren kann, denn ratio und voluntas können auseinandergehen, und dann handelt es sich nicht mehr um eine wirkliche Gotteserkenntnis; weil der Wille des natürlichen Menschen in die Irre geht, wenn er nicht vom Geist Gottes geleitet wird, ist die natürliche Gotteserkenntnis keine rechte Gotteserkenntnis62. Einen Ansatz zu einer nicht nur negativen Bestimmung der ratio findet man zwar in Luthers Römerbriefvorlesung (1515/16), wo sich die neue Wirklichkeitsauffassung und damit ein neuer Offenbarungsbegriff in Luthers Auseinandersetzung mit der scholastischen Tradition herausschälen63. Aber erst in De votis monasticis iudicium (1521) ist die Auffassung des späteren Luther klar ausgebildet. Die Vernunft soll im irdischen wirksam sein; deshalb widerstreitet das Mönchtum der Vernunft ; wer sich vom Leben in der Welt abwendet, entzieht sich etwas, das zu seinem Wesen als Mensch gehört ; wer in die Klosterzelle flieht, anstatt sich die Erde Untertan zu machen, gebraucht seine Vernunft nicht gemäß dem Willen Gottes64. 5 8 Vgl. audi ib.: „Qui autem faciem in dies ipsos vertit et dorsum ad deum, estimât quod sint aliquid": W A 4 , 1 4 9 , 2 9 f . (Dictata 1513—16). 5 8 Vgl. B. Lohse 1958, S. 26. 90 Siehe O. Scheel, Martin Luther II, Tübingen 1930 3 , S. 450. Vgl. dagegen E. Hirsch, Lutherstudien, Bd. 2, Gütersloh 1954, S. 9—35. 6 1 B. Lohse 1958, S. 29. 6 2 B. Lohse 1958, S. 32—34. Lohse findet eine neue Nuance in Luthers Anschauung über die ratio in unmittelbarer Nähe der Stelle, w o E. Vogelsang Luthers neue Auffassung v o n der Iustitia Dei sehen will. Siehe B. Lohse 1958, S. 35, sowie E. Vogelsang, Die Anfänge von Luthers Christologie nach der ersten Psalmenvorlesung ( A K G Bd. 15), Berlin-Leipzig 1929, S.40ÎÏ. Lohse will deshalb die Bedeutung der christlichen ratio bei Luther hervorheben. Siehe hierzu D. Löfgren, Rez. v o n B. Lohse 1958 (ThLZ 83. Jg., 1958, Sp. 867—870). 8 3 Es heißt hier, daß man, wenn man die Wirklichkeit in ihrem innersten Grund kennenlernen will, den Blick vom „Wesen" der Dinge, d. h. von der Metaphysik abwenden muß, die den Zeitfaktor ausschließt und die Dinge so zu verstehen sucht, wie sie in der Zeit nie verstanden werden können; um ihre wahre Natur kennenzulernen, muß man den Blick dem zuwenden, was die Dinge werden sollen, d. h. der eschatologisdien Vollendung der Dinge : W A 56, 371, 2 ff. (Römerbriefvorlesung 1515/1516). In der Disputation De homine (1536) findet sich dieser Gedanke nodi klarer ausgeführt (in den Thesen 36—38): „Sicut et tota creatura, nunc subiecta vanitati, materia Deo est ad gloriosam futuram suam formam. Et qualis fuit terra et coelum in principio ad formam post sex dies completam, id est, materia sui. Talis est homo in hac vita ad futuram formam suam, cum reformata et perfecta fuerit imago Dei": W A 39/1,177, 5—10. M W A 8, 629, 72—640, 23 (De votis monasticis Martini Lutheri iudicium 1521). Vgl. W A T i 5 , 4 5 2 , 3 9 ff.

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In Luthers zweiter Vorlesung zum Galaterbrief (1531) kommt dieser Gedanke noch deutlicher zum Ausdruck. Im Verhältnis zu Gott wird zwar die ratio immer nur ein Ausdruck für den pervertierten (gefallenen) Menschen, aber eine richtige Anwendung der Vernunft ist möglich, wenn man „quaeret communem utilitatem"65. Gelegentlich weist Luther sogar auf Christus als Vorbild hin, der in seiner Predigt ja auch an die vernünftige Überlegung des Menschen appellierteββ. Gehen wir zu Luthers Disputation De homine (1536), finden wir, daß' die ratio deutlich auf die Ausrichtung des Menschen auf das Äußere-Irdische bezogen ist; sie ist „optimum rerum" für dieses Leben®7. Daß man aber nicht immer das tut, von dem man evident einsieht, daß man es tun sollte, hängt immer damit zusammen, daß voluntas und ratio nicht konform sind 68 ; weil der Mensch ein Geschöpf ist, dessen Existenz immer gesichert werden muß, wird ratio immer von voluntas bzw. von den Affekten, die den Willen reizen, bestimmt 69 ; der Mensch steht nämlich im Zusammenhang mit der allgemeinen Schöpfung, die vor und unabhängig vom Menschen in Gottes Hand ruht, und wird so notwendig immer zugleich praktisch und theoretisch ausgerichtet70. Die Affekte sind aber nicht nur etwas Negatives. Sie können auch als „die Jakobsleiter" bezeichnet werden, auf welcher der Mensch zu Gott aufsteigt. Der Gedanke ist aber nicht, daß der Mensch eine psychologisch gedachte Fähigkeit besitzt, zu Gott aufzusteigen, sondern daß Gott mit dem konkreten Menschen in seiner besonderen Beschaffenheit handelt71. 65

WA 40/1, 410,9ff. (Galaterbriefvorlesung 1531). „Das ist Christi antworth. Er schilt nicht wider, gibt sye nidit wider dem Tewfel, sunder wil sie vom teuffei füren und audi in die vornunfft herunder fuhrn, also das die vornunfft muss bekennen, es sey wi er sage . . . Das vorstehet alle vornunfft. Dan es haben audi die heiden gesagt: Concordia parvae res crescunt, Discordia vel maximae dilabuntur": WA 9, 598, 16 ff. (Pred., gesammelt von Poliander 1519—21). · ' „Et sane verum est, quod ratio omnium rerum res et caput et prae caeteris rebus huius vitae optimum et divinum quiddam sit. Quae est inventrix et gubernatrix omnium Artium, Medicinarum, Iurium, et quidquid in hac vita sapientiae, virtutis et gloriae ab hominibus possidetur. Ut hinc merito ipsa vocari debeat differentia essentialis, qua constituatur homo, differre ab animalibus et rebus aliis. Quam et scriptura sancta constituit talem dominam super terram, volucres, pisces, pecora, dicens: Dominamini. Hoc est, ut sit Sol et Numen quoddam ad has res administrandas in hac vita positum. Nec earn Maiestatem Deus post lapsum Adae ademit rationi, sed potius confirmavit" : WA 39/1,175,9—21 (Disp. de homine 1536). 68 „Quare homo huius vitae est pura materia Dei ad futurae formae suae vitam": ib. 177, 3 f . „Verba legis dicunt: Tu debes, non dicunt: potes. A debere ad posse non valet consequential ib. 180, 9 f . Siehe auch R. Bring 1929, S. 273 ff. M WA 18, 762,10 f.; WA 19, 206, 7 ff. Vgl. H . Olsson, Grundproblemet i Luthers socialetik I. Diss. Lund 1934, S. 150ff., sowie R. Josefson, Den naturliga teologiens problem hos Luther (UUÄ 1943,4), S. 54. 70 WA 42, 138, 15—21 (Gn 3,14). 71 In den früheren Schriften Luthers sind die Ausdrücke „die Füße des Affekts" und „Jakobsleiter" durchaus üblich. Siehe z.B. WA 4, 598, 34—599,1 : „Sic enim habent creaturae maximam cooperationem ad amandum Deum, dummodo non ibi sistitur. Sic ascendens scalam non ideo premit gradus, ut ibi quiescat. Sic nostri pedes sunt suavitates et affectus in creaturis, qui cum sic signantur, non debent ibi quiescere, ne forte ruat, sed ascendere in Deum", WA 3, 332, 22: „pedes sunt affectiones, quae per gratiam dei leves 89

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Kapitel II : Der Mensch Gottes

Durch die theoretische Seite der Vernunft gewinnt der Mensch eine gewisse abstrahierende Erkenntnis von der übrigen Schöpfung, so daß er Ursache und Wirkung gewissermaßen herleiten kann und ihm damit die Möglichkeit gegeben ist, die Gesetzgebundenheit und weise Einrichtung der Schöpfung zu erforschen und sich somit die Welt Untertan zu machen 72 . Die Vernunft ist Gottes besondere Gabe an den Menschen73, die ihn von den Tieren unterscheidet 74 , und somit konstitutiv für sein Humanum 75 . Durch seine ratio soll der Mensch nämlich über die Schöpfung herrschen76. Mit ihrer Hilfe kann er Tage und Monate zählen 77 und der souveräne Meister aller Künste und Wissenschaften sein78. Durch die Vernunft hat Gott das natürliche Gesetz und die Erkenntnis aller Dinge dieser Welt dem Menschen eingepflanzt und ihm befohlen, sie sich Untertan zu machen 79 ; der Mensch hat immer ein dominium, das ihm anvertraut und seiner Gerichtsbarkeit überlassen ist 80 . Im Urzustand war die Vernunfttätigkeit ganz mit dem Willen Gottes verbunden, so daß der Mensch in allem Gottes Schöpfungsbefehl gehorchte und tatsächlich über die Welt herrschte. Die ratio war richtig, und der Wille, wodurch seine schöpfungsmäßige Natur zum Ausdruck kam, war gut 81 . Er war Imago Dei, denn er verhielt sich als innerer und äußerer Mensch richtig, indem er Gott pries fiunt et alacres" und WA 5, 529,10: „affectus animi et motus cordium". Vgl. audi WA 3, 100,4; 117,24; 402,34, WA56,425,11; 57 (1), 211,13 fi. In seinen späteren Sdiriften verwendet Luther dieselben Bilder, um gegen die Scholastiker zu polemisieren, die mit der Vernunft zu Gott emporklettern wollen. Vgl. hierzu G. Buchwald 1941, S. 67—70. 72 WA 42, 47, 39—48, 5 ( G n l , 2 6 ) . Zur „ratio" gehört auch das Gedächtnis, das die Erfahrung zusammenbindet, ihr Kontinuität verleiht und verhindert, daß sie in Reflexe und in unzusammenhängende Impulse, in verschiedene Richtungen, zerfällt. An das Gedächtnis wird audi das Gewissen geknüpft, eine Wirksamkeit der ratio als sowohl Gedächtnis, Affekt und Reflexion: WA 42,46,5 ( G n l , 2 6 ) und 127,9—129, 18 (Gn3,8). Siehe G.Jakob, Der Gewissensbegriff in der Theologie Luthers (BhistTh 4), Tübingen 1929, Y. Alanen, Das Gewissen bei Luther (Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Β X X I X , 2 ) , Helsinki 1934, sowie L. Haikola, Studien . . . 1958, S. 38. 73 WA 39/1,175, 9ff. (Disp. de homine 1536) und WA 18, 741,1 f. (De servo arbitrio 1525). 74 WA 42, 34, 37ff.; ib. 357,14ff. und 43, 285, 25 ff. 75 WA 10/1,1,207,6 (Kirchenpostille 1522). 79 F.. Lau, „Äußerlich Ordnung" und „Weltlich Ding" in Luthers Theologie (Studien z. syst. Theol. H.12), Göttingen 1933, S.44—48, und H . Olsson 1934, S. 65 ff. 77 WA 42, 33,16 ff. und 34, 23 ff. ( G n l , 1 5 ) . 78 WA 39/1,175,9 ff. (Disp. de homine 1536). 79 WA 40/III, 221 f. „Conditae ergo sunt politia, Oeconomia, leges scriptae in cordibus hominum. Natura autem non potest obedire istis donis . . . " : ib. 223, 1 ff. (In XV. Psalmos graduum 1532/33 Ps 127,1 Hs). 80 „Quare Spiritus sanctus illa non curat, tantum approbat tum leges, tum artes illas tanquam puldierrimum et nobilissimum huius vitae thesaurum et dicit: Haec omnia sunt mea creatura": ib. 222, 25—29 (Dr.). 81 WA 42, 106, 23 (Gn3,1). Dies hebt Luther im Genesiskomnientar hervor, indem er sagt, daß Adam Gott „kannte", was jedoch nicht so gedeutet werden darf, als hätte Adam Gott tatsächlich „begriffen". Denn für Luther kann gleiches nur von gleichem verstanden und begriffen werden; Mensch und Gott sind aber nicht gleich. Siehe z.B. WA 42, 364, 30ff. (Gn9,12—16) und WA 18,784,9ff. (De servo arbitrio 1525).

1. D o m i n u s mundi

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u n d die E r d e bebaute 8 2 . Seine B e s t i m m u n g als G o t t e s M e n s c h w u r d e damit erfüllt, daß er auf der E r d e lebte 8 3 , u n d hier seinen Platz i n der S c h ö p f u n g , m i t den Tieren u n d den Pflanzen unter sich, u n d den N ä c h s t e n an seiner Seite hatte 8 4 . D i e E r d & gehört also i n g e w i s s e m Sinne d e m M e n s c h e n ; sie ist für i h n geschaffen u n d i h m anvertraut. G o t t gibt d e m M e n s c h e n sein d o m i n i u m u n d dadurch sein Leben, ja ehe n o c h der M e n s c h geschaffen wird, ist G o t t da u n d bereitet i h m einen Platz, w o er bauen u n d w o h n e n kann. E r schmückt sie u n d überläßt es d e m M e n schen, über alles, was darauf ist, z u herrschen 8 5 . D e r Garten E d e n war als eine s c h ö n e u n d prächtige „ W o h n u n g " fertig eingerichtet u n d bereit, v o m M e n s c h e n i n Gebrauch g e n o m m e n z u werden, der Schöpfer ist v o r d e m M e n s c h e n (priusquam), u m i h m sein d o m i n i u m darzureichen 8 6 . D e r Garten war der „ k ö n i g l i c h e Sitz" A d a m s , sein „ S c h l o ß u n d Tempel", v o n w o aus er sich die E r d e Untertan machen u n d sein d o m i n i u m hüten u n d b e w a c h e n sollte 8 7 . D i e Tiere w u r d e n zu i h m gebracht, daß er sie kennenlerne u n d i h n e n N a m e n g e b e , daß er über sie walte u n d sie bewahre 8 8 . D i e Herrscherstellung des M e n s c h e n wird proklamiert, u n d sein D o m i n i u m wird empfangen, i n d e m G o t t i h m befiehlt, darüber z u herrschen; i m Paradies k o m m t diese Herrscherfreiheit des M e n s c h e n darin z u m Ausdruck, daß er sogar durch sein bloßes Wort, d. h. i n v o l l k o m m e n e r Beherrschung der Kreatur, regiert 8 9 . 82 WA 42,44,10—43, 6 (Gn 1, 26) u.a. Stellen. Siehe auch Haikola, Studien . . . 1958, S 41, Anm. 74. 83 84 WA 42, 41, 6ff. (Gn 1,24). Ib. 49,18—53, 28 ( G n l , 2 6 f . ) . 85 „Hic vides, quantum curam Deus suscipiat pro homine creato. Primum condidit terram ceu domum, in qua viveret: Deinde alia, quae necessaria indicabat ad vitam, ordinavit: Tandem condito homini dedit donum generationis": ib. 54, 33—36 ( G n l , 2 9 ) . „Postquam absolvit Deus opera, loquitur more fatigati, quasi dicat: Ecce omnia optime paravi, coelum paravi ceu tectum, pavimentum terra est, possessio et opes sunt animalia cum omni apparatu terrae, maris et aëris . . . Ipse autem Dominus horum Homo est conditus, ut habeat cognitionem Dei et usum creaturarum, quem volet pro suo arbitrio, cum summa securitate, iusticia, sapientia": ib. 55, 30—35 ( G n l , 3 1 ) . 86 » . . . consideramus curam et benignitatem divinam pro nobis, quod domicilium tarn elegans futuro homini instruit, priusquam homo sit conditus, et cum postea homo creatur, paratam et instructam domum inveniat, inquam a Deo deducitur et iubetur frui omnibus diviciis tarn amplae domus . . . ut istis omnibus opibus fruatur pro neccessitate sua gratis, tantum ut homo ex ista liberalitate agnoscat Dei bonitatem, et vivat in timore Dei": WA42, 29, 27—36 ( G n l , l l ) . Luther verknüpft dann Gottes allem vorangehende Gnade in der Schöpfung mit dem Gedanken, daß Christus den Seinen die himmlischen Wohnungen bereitet. In beiden Fällen hat Gott schon das bereitet, was nur er tun kann: ib. 29, 39 ff. 87 Ib. 77,23—28 (Gn2,15). 88 WA 14,125,27—126,17 (Pred. 1522/23 Rörer Gn2,19). Daß Adam die Tiere „kennenlernt", bedeutet, daß er seine Eigenart entdeckt, daß er unter den Tieren nicht seinesgleichen hat, bzw. sich seiner Herrscherstellung bewußt wird. Vgl. WA 40/III, 223, 29—33 (In X V Psalmos graduum 1532—33). Aber der Mensch braucht seinesgleichen. Deshalb wird das Weib geschaffen, die die Mitregentin und die Gehilfin des Mannes wird. 89 „Uno verbo, imo nutu etiam ursos et leones fugasset Adam": WA 42, 78, 31 f. (Gn 2, 15). Das Handeln des Menschen in der Welt ist indessen nicht wie das Schaffen Gottes, sondern die Schöpfung verbleibt abhängig von Gottes Schaffen: „Non enim nos sumus, qui generamus filios, qui gubernamus uxores et familiam, sed Dominus" : WA 40/III, 223, 27 f. (In X V Psalmos graduum 1532—33). Nach dem Fall hat das Herrschen des Menschen

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Kapitel I I : D e r Mensch Gottes

Gerade diese Vorstellung vom Menschen als dominus mundi begegnet uns auch in Luthers Katechismen, in denen er ja den Menschen mit „allen Creaturen" zusammensieht. Zum Menschen als Geschöpf gehören natürlich in erster Linie das Leben, der Leib, die Seele und alle Sinne, aber er wird dabei nie von seiner Umgebung, seinem dominium, abstrahiert : Essen und Trinken, Kleider, Beruf, Weib, Kind, Verwandte, Haus und Hof, gute Regierung, Friede, Sicherheit usw. sind alles Gaben Gottes an den Menschen in der Welt, in die er als dominus mundi eingesetzt ist 90 . Der Mensch kann sich also nicht selbst sein Dominium nehmen; seine Herrschaft wird recht verwirklicht nur in Gemeinschaft mit Gott und dem Mitmenschen ; er ist in seinem Menschsein nie allein ; ebenso wie er selbst ein Geschöpf Gottes aus dem Nichts ist, so ist auch seine Herrschaft etwas, das er von Gott und in Gemeinschaft mit anderen ständig empfangen muß 81 . Damit werden der Freiheit des Menschen bestimmte Grenzen gesetzt, die gerade mit der Beschaffenheit des Menschen zusammenhängen, daß er die Bedingungen der übrigen Kreatur teilt, d.h. daß er sein Leben aus Gottes Hand empfangen muß, daß er Gottes Mensch ist. Nur so ist er gerecht, d. h. sein Gutsein ist keine ihm innewohnende Qualität, die in einem „höheren" Teil in ihm (in der Vernunft oder der Seele) als Gegensatz zu dem „niedrigeren" Teil (etwa den Sinnen oder dem Leib) begründet wäre. Luthers anthropologische Bestimmungen dürfen also nicht so gedeutet werden, als könnte man das Besondere des Menschen in etwas, das er selbst „besitzt", beschreiben, sondern wollen nur den Gedanken ausdrücken, daß der Mensch schon hier im Leben in Gemeinschaft mit dem Schöpfer steht, der den Menschen als dominus mundi gebrauchen will 92 . seine Selbstverständlichkeit und Freiheit verloren; ein Widerstand ist eingetreten, der verursacht, daß der Mensch nun Gewalt, Macht und List anwenden muß : WA 42, 77 f. (Gn 2,15); vgl. unten Kap. IV,3. 90 Siehe WA 30/1,183,31—184,23 (Der Große Katechismus 1529) und 247, 15 ff. (Der Kleine Katechismus 1529). 91 „Das meine und glaube ich, daß ich Gottes Geschepfe bin . . . Also das man aus diesem artikel lerne, das unser keiner das leben, noch Alles was itzt erzelet ist und erzelt mag werden, von yhm selbs hat noch erhalten kan . . . weil uns das alles, so wir vermügen, . . . teglidi von Gott gegeben . . . wird": WA 30/1,183, 32—184,36. „Creatio ex nihilo seu immediata" und „creatio continuata" werden also im ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses zusammengefaßt und miteinander verbunden. Siehe W. Eiert 1952 2 , I. S. 396, und E. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften (Einführung in die ev. Theol. Bd. VIII), München 1946 2 , S. 69, und E. Schlink, Die Verborgenheit Gottes des Schöpfers nach lutherischer Lehre (Theologische Aufsätze. Karl Barth zum 50. Geburtstag. München 1936, S. 202—221), S. 203. 92 Nach Fertigstellung unserer Abhandlung ist B. Hägglunds Untersuchung „De homine. Människouppfattningen i äldre luthersk tradition (StThLundensia Bd. 18) Lund 1959 erschienen. Hier wird Luthers Anthropologie mit der altlutherischen Tradition verglichen. Die heilsgeschichtliche Perspektive ist gewahrt. Man vermißt aber eine systematisch durchdachte Analyse der Luthersdien Gedankens vom Menschen als dominus mundi: „Die Gottebenbildlichkeit besteht nach Luther nicht im ,dominium', das der Mensch über die Schöpfung besaß, sondern in seiner inneren und äußeren Vollkommenheit" (Ü'oers.), S. 80. Hägglunds Ausklammerung des Herrschens des Menschen aus der Gottebenbildlichkeit hat dann zur Folge, daß die iustificatio auch als eine reale Gerethtmachung mit für Luther fremden psychologischen Kategorien beschrieben werden muß, um nicht als etwas nur Inneres aufgefaßt zu werden.

2 . M a n d a t u m Dei

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Im nächsten Abschnitt dieses Kapitels werden wir nun näher sehen, wie Luther diese Zwischenstellung des Menschen zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und der übrigen Schöpfung bestimmt. Hier wird nun auch der heilsgeschichtliche oder intentionale Aspekt des Menschen klarer hervortreten.

2. M a n d a t u m D e i Wir haben bisher den Menschen nur von der Bewegung des Schöpfers zum Menschen her betrachtet ; Gott hat ihn geschaffen, ausgerüstet und mit einer Herrschaft betraut. Es muß nun aber noch ein zweiter Zug in Luthers Auffassung vom Menschen behandelt werden: die Bewegung des Menschen zu Gott; Gott versieht den Menschen mit Gaben, und der Mensch preist deshalb seinen Schöpfer. Diese beiden Momente gehören eng zusammen. Der Mensch ist Gottes Ebenbild und preist ihn daher als ein freies Geschöpf und nicht wie ein Stock oder ein Stein1, indem er über die Welt der Dinge herrscht. Diese Freiheit ist jedoch nicht absolut, denn seine Herrscherstellung ist ihm von dem gegeben, der über ihm steht; er übt eine verliehene Macht aus ; das Herrschen ist ihm befohlen. Er steht nämlich unter dem Gebot Gottes (mandatum Dei) 2 , und existiert deshalb nicht an und für sich wie etwa Gott; denn wäre dies der Fall, wäre ja der Unterschied zwischen Schöpfer und Schöpfung aufgehoben. Die Freiheit des äußeren Menschen bezeichnet somit nur die rechte Relation des Menschen zu der unfreien Schöpfung und kann deshalb nicht als eine analogia entis, sondern eher als eine analogia relationis bezeichnet werden3. Der Mensch ist nur dann so beschaffen, wie ihn Gott haben will, wenn er in Freiheit über der unfreien Schöpfung und unter dem absolut freien Schöpfer steht, der dem Menschen das Leben gibt, indem er ihn unter sein Verbum oder Mandatum stellt4. Das Gebot faßt Luther also als ein schöpferisches Wort oder einen Befehl, in welchem der Mensch seine rechte Relation zu Gott und der Mitschöpfung erhält. Die Aufgabe des Gebotes ist somit in seiner befehlenden, anweisenden und begrenzenden Funktion letztlich lebensfördernd8. In Luthers Auslegung des Siehe oben Kap. II, 1, Anm. 27. „ . . . et fiunt Adam et H e v a rectores terrae, maris et aëris. Committitur autem eis hoc dominium non solum Consilio, sed etiam expresso mandato: W A 42, 49, 20 ff. (Gn 1,26). 3 D.Bonhoeffer 1955 s , S. 43. 4 Der Mensch kann also seine schöpfungsmäßige Bestimmung nicht verwirklichen außer in Relation zu Gott, der Welt und dem Nächsten. Der Mönch glaubt, Gott anzubeten, entflieht aber dem Nächsten und dem freien Herrschen über die Welt und damit letztlich auch Gott und seinem Gebot; der Tyrann herrscht über seine Untertanen, verachtet jedoch den Nächsten und damit Gottes Willen, er herrscht damit nicht mehr über das Geschaffene, sondern ist an es gebunden. S. u. Kap. 111,2. 6 „Praecepta dei non ideo scripta sunt, ut tantum discas, sed ut etiam secundum ea vivas": W A 30/1, 5 , 1 4 f . (Pred. 1528 Rörer). Sünde ist der Gegensatz zu dem Willen Gottes, der in Gottes mandatum zum Ausdruck kommt, das ja zeigt, was die Absicht Gottes ist und was der Mensch sein soll. Der Mensch kann nicht positiv bestimmt werden, ohne daß man Gottes mandatum dabei berücksichtigt: „Quin et hoc officium habet (lex), ut testificetur justitiam fidei, simulque ostendat, qualis creatura ante peccatum fuimus et 1

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Schöpfungsberichts kommt dies klar zum Ausdruck. Das Verbot, v o m Baum der Erkenntnis zu essen, wird als ein Erinnerungszeichen der besonderen Freiheit des Menschen empfunden; der paradiesische Mensch sollte nicht „sicut Deus", sondern „imago Dei" sein, d.h. dadurch, daß er Gottes mandatum gehorsam war, empfing er auch sein Leben und gab Gott dafür die Ehre 6 . Gottes Gebot wird also nicht als eine Art ewiges, unveränderliches Gesetz aufgefaßt, das der menschlichen Vernunft in einer für jede Zeit gegebenen Form und in einem immer verpflichtenden Inhalt als ewige Wahrheit einsichtig gemacht werden kann. Denn nach Luther sollte der paradiesische Mensch keine Einsicht in Gottes universellen, absoluten Willen haben; dieser Wille ist verborgen und öffnet sich nur in konkretem Handeln, in dem Ausgerichtetsein des Menschen zu Gott, zur Erde und zum Nächsten. Durch den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen wird der Mensch an seine Gebundenheit an Gottes offenbarenden Willen erinnert 7 . Der Mensch des Ursprungs besitzt zwar eine vollkommene Erkenntnis Gottes, eine völlige Beherrschung der E r d e und der Tiere und eine vollkommene Liebe zu seinem Mitmenschen, aber Gottes absoluter Wille bleibt ihm verborgen 8 . Das Verbot, von dem Baume zu essen, bedeutet, daß der Mensch G o t t die Ehre nur dann gibt, wenn er sich von Gott unterweisen läßt bzw. Gottes Willen nur in der konkret gegebenen Situation und den Forderungen, die sie stellt, gehorcht®. Der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen wird deshalb Adam und seinen Nachkommen als eine Kirche und ein Tempel gegeben, wo sie Gottes Wort hören und ihren Schöpfer für ihr Leben preisen und ihm danken sollten 10 . Hier sollten sie sich im Gehorsam gegen Gottes mandatum oder verbum üben 1 1 ; das W o r t Gottes war für Adam zugleich Evangelium und Gesetz 12 . Adam besitzt also keine theoretische Einsicht in Gottes Willen, und mit seiner Vernunft (captu humano) kann er deshalb sein Leben und ewiges Heil („vita vel salus aeterna") nicht fassen, sondern m u ß diese durch Gottes Offenbarung empfangen 13 . post peccatum futuri sumus" : WA 39/1, 204, 3 ff. (Die Prom.disp. von Palladius et Tilemann 1537). Das Gesetz offenbart das rechte Leben des Menschen: „ . . . mihi reuelatum mandatum quod erat ex natura et fine suo ad vitam" : W A 56, 69,1 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 7,10). Siehe auch P. Althaus, Gebot und Gesetz (BFChrTh Bd. 46, H . 2), Gütersloh 1952, S. 12 und 20. β S. u. A n m . 9 f f . 7 WA 18,672, 11—29 (De servo arbitrio 1525); W A 4 2 , 1 1 6 , 1 2 — 2 9 ( G n 3 , l ) . Vgl. L. Haikola, Usus legis ( U U Ä 1958, 3), S. 81 ff. 8 Siehe L. Haikola, Studien . . . 1958, S. 10, 3 6 f . und 41 f. mit Belegstellen. 9 W A 42, 73, 16—34 (Gn 2,9). 10 Ib. 7 3 , 3 5 — 4 2 ( G n 2 , 9 ) ; 80, 19—34 ( G n 2 , 1 6 f . ) . 11 Ib. 71, 8—38 (Gn 2,9); 7 3 , 4 — 4 2 ( G n 2 , 9 ) ; 7 9 f . ( G n 2 , 1 6 f . ) . 12 „Hoc verbum erat Adae evangelium et lex, erat eius cultus, erat servitus et obedientia, quam poterat Deo in ista innocentia praestare": WA 4 2 , 1 1 0 , 1 8 ff. (Gn 3,1); vgl. E. Seeberg 1932, S. 75. Das Unterscheiden zwischen Gesetz und Evangelium hat also seinen heilsgeschichtlichen Ort nach dem Fall. Vgl. H . J. Iwand, Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre (TheolEx H . 7 5 ) , München 1941, S. 27 ff. 13 WA 1 8 , 6 6 3 , 1 9 ; 784,1—16 (De servo arbitrio 1525). „Ad hunc modum natura incorrupta, quae Dei noticiam veram habuit, tarnen habuit verbum seu praeceptum, quod esset supra intellectum Adae et credi oporteret": WA 4 2 , 1 1 6 , 1 2 ff. ( G n 3 , l ) . Das Geschaffene ist als Träger von Gottes Gebot aufgefaßt: W A 10/1, 2,176,15 f. (Advents-

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Luther spricht im Großen Genesiskommentar von drei verschiedenen Gesetzen, einmal von dem Gesetz, das Gottes eigener guter Wille ist (mandatum Dei), zum anderen von dem Gesetz der Sünde und des Todes (lex peccati et mortis), das nach dem Fall aufkam, und schließlich von dem natürlichen Gesetz, der lex naturae14. Im ersten und letzten Fall handelt es sich um die helle Seite in Luthers Gesetzesbegriff, das Gesetz, das noch nichts von dem drohenden Klang des Falls in sich trägt15, das zwar nicht identisch mit dem Evangelium ist, aber den Menschen doch in seine rechte Stellung im Zusammenhang mit Gott und der Schöpfung einsetzt und ihm Frieden, Ordnung, Gerechtigkeit und Leben anbietet16. Das mandatum ist überall und zu allen Zeiten gegeben, Gottes Gebot ist universal und macht alle Menschen vor ihrem Schöpfer verantwortlich; es ist das Sprechen des liebevollen und guten Schöpferwillens, vor den der Mensch als Gottes Kind gestellt ist, wenn er in seinem dominium sein Leben aus Gottes Hand empfängt, das Gebot, das Glaube und Gehorsam fordert von allen Menschen17. „Mandatum dei vide, qui vult te amplecti filium, ac jubet, ut credas."18 Glaube postille 1522) und WA 32, 495, 29—496, 2 (Wochenpredigten über Mt 5—7 Dr 1532 Kap. 7,12): „Bistu ein handwercks man, so findestu die Bibel gelegt jnn deine werckstat, jnn dein hand, jnn dein hertz, die dich leret . . . das du nirgend hin sehen kanst, da dirs nicht unter äugen stoße . . . wenn du es hören wilt." Vgl. audi WA 14,618,4 (Deuteronomium 1523/24). Gottes Wille ist in dem Sinne „verborgen", daß er nicht durch nur theoretische Erkenntnis, sondern nur im Glauben recht verwirklicht werden kann, d. h. wenn man nach Gottes Willen fragt, ohne zugleich nach dem Verdienst zu fragen. Vgl. dagegen H . Bandts mehr intellektualistischen Glaubensbegriff in: Luthers Lehre vom verborgenen Gott (ThA Bd. VIII), Berlin 1958, besonders S. 174 f. 14 E. Seeberg 1932, S. 75 f. Die Termini praeceptum, mandatum, lex und gebott werden von Luther wechselweise für dieselbe Sache verwandt. Siehe A. Siirala 1956, S. 26, Anm. 19. 15 A. Runestam, Viljans frihet och den kristliga friheten. En undersökning i Luthers teologi, Uppsala 1921, S. 214. 16 Das Gesetz ist also kein Mittel, um zu Gott aufzusteigen: „Adam non accepit hoc praeceptum, ut iustificaret eum": WA 14,122,17 f. (Pred. über das l.Buch Mose 1523—24). „Adam non iustificatus est per hoc mandatum" : ib. 123,16. Das Gebot kann ohne die persönliche Gemeinschaft mit seinem Geber nicht verwirklicht werden; das Gesetz ist für Luther nie ein abstraktes Prinzip oder eine abstrakte Lebensregel: „ . . . usitatum praeceptum est: Spectandum, non quis, sed quid dicat": WA 42, 318, 5 (Gn6,22). „Ergo haec Regula retinenda est summo studio, ut spectemus, non quid mandetur, sed quis mandet": ib. 318, 34 f. Vgl. A. Siirala 1956, S. 25 f. Mandatum Dei gibt also das rechte Verhältnis des Menschen zu Gott an, daß er ihn den Schöpfer sein läßt. Und dies ist für Adam weder eine Leistung, noch etwas Schweres: „Improprie id est, non recte et incommode dici tur, quod per legem ad impossibilia obligamur. Cum Adam primum conditus esset, non solum ei lex possibilis, sed etiam iucunda erat. Hanc obedientiam, quam requirebat lex, summa volúntate ac laetitia animi praestabat, et quidem perfette": WA 39/1, 364, 9—13 (Die erste Disputation gegen die Antinomer 1537). Durch das Gebot gibt Gott dem Menschen seinen Willen und seine Bestimmung kund: WA 39/1, 175, 30—37 (Die Disp. de homine 1536). Und wer willig dem Gebot gehorcht, ist gerecht und lebt in vollkommener Konformität mit Gottes Willen: ib. 364,13. 17 „Una est lex, quae transit per omnia sécula . . . omnibus relinquit ullum ab initio usque in finem . . . haec sola, quam spiritus dictât in cordibus omnium sine intermissione": WA 2, 580,18—23 (Galaterbriefkommentar 1519 Kap. 6,14). 18 WA 43,28, 31 f. (Gn 18,13 f.). Vgl. WA 14,618, 4 (Deuteronomium 1523/24): „In hoc praecepto primo est descripta fides." „Einen got haben, das ist einen haben, von dem er sidi vorsieht, in allem guthen gefordert, in allem boszen geholffen werden, das wil der

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Löfgren, Sdiöpfung

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und G e h o r s a m ist also gleichbedeutend damit, daß m a n getrost der Fürsorge des Schöpfers vertraut, daß m a n i h m die E h r e gibt, daß m a n sein W o r t v o r A u g e n hat 1 9 , aber dieses Wort ist ein W o r t , „ q u o d esset supra intellectum", ein schöpferisches Wort, das gibt, w a s es fordert 2 0 . A d a m s G e h o r s a m v o r d e m G e b o t des göttlichen Willens w i r d also nicht als eine Leistung aufgefaßt; er bedeutet nur K o n f o r m i t ä t m i t G o t t e s g u t e m W i l l e n b z w . mit der Forderung des ersten Gebotes, das „das gantze hertz des m e n s c h e n u n d alle Zuversicht auff G o t t allein u n d niemand anders" begehrt 2 1 . D i e Forderung des ersten G e b o t e s nach Glauben darf aber nicht nur als eine innere H i n g a b e des M e n s c h e n an G o t t gedeutet werden. E i n e n G o t t z u haben bedeutet, daß man i n allem seinem G o t t ausgeliefert ist, „ v o n d e m er sich vorsieht, i n allem g u t h e n gefordert, i n allem b o s s e n geholffen [zu] werden" 2 2 . G l a u b e n ist somit etwas so praktisch Handgreifliches w i e das Arbeiten, u n d w i e das Herrschen über die S c h ö p f u n g o h n e Furcht u n d „lauther i n allen d i n g e n gelassen stehen" 2 3 . Glaube wird also nicht nur als Vergebungsglaube, sondern immer zugleich als Schöpfungsglaube verstanden, daß wir „ o m n i a bona nostra ex D e o habemus" 2 4 . D e n n „ G o t t alleine . . . g i b t uns leib, leben, essen, trincken, narung, gesundheit, schütz" 2 5 , alles D i n g e , d i e „ k e i n e creatur keines selbs machen" kann, d e n n w e n n G o t t es auf E r d e n nicht w a c h s e n ließe, hätte m a n kein Brot auf den T i s c h z u setzen 2 8 . einige warer got selbst sein, und auch ist": WA 1,250, 4ff. (Eine kurze Erklärung der zehn Gebote 1518). „Und solchen glauben foddert Gott von uns jm ersten gebot: Ego sum dominus deus tuus": WA 37, 562, 28 f. (Pred. 1534 J o h 4 , 4 7 f f . ) . 19 S. o. Anm. 16 und WA 39/11, 196, 4—15 (Die Prom.disp. von H . Schmedenstede 1542) und WA 42,110,17ff. ( G n 3 , l ) . Vgl. auch ib. 81,16 ff. (Gn2,17). 20 WA 42,116,12 (Gn 3,1). Vgl. WA 18, 671, 31—672, 6 (De servo arbitrio 1525). 21 WA 30/1,134, 19 (Der große Katechismus 1529). Siehe audi oben Anm. 18 f., sowie WA 7, 26 f. (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520), WA 6, 206, 7—209, 5 (Von den guten Werken 1520), WA 18, 726 (De servo arbitrio 1525), WA 46, 458, 9—12 (Pred. 1538). Die Bedeutung des 1. Gebots betreffend siehe R. Bring 1929, S.230ff.,294 und 358, P.S.Watson, Let God be God! An Interpretation of the Theology of Martin Luther, London 1947, S. 43 und 183 (dt. Um Gottes Gottheit, Berlin 1952, S. 61 und 250), V. Vajta, Die Theologie des Gottesdienstes bei Luther, Diss. Lund, Stockholm-Lund-Göttingen 1952, S. 3 ff., sowie A. Siirala 1956, besonders S. 27 ff. 22 WA 1,250, 4 f. (Eine kurze Erklärung der zehn Gebote 1518). Vgl. WA 30/1,132, 34 ff. (Der große Katechismus 1529). 23 WA 1,254,17 (Eine kurze Erklärung der zehn Gebote 1518). Der Glaube fordert daher den ganzen Menschen: H . Iwand 1941, S. 38. 24 WA 1,75,26 f. Der Grund dafür, daß Gott fordert, liegt also darin, daß er aktual schafft und damit allen Mensdien Leben gibt: WA 16,432,19—433,22 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524—1527 Kap. 20,2). Siehe O.Gühloff, Gebieten und Schaffen Gottes in Luthers Auslegung des 1. Gebotes, Diss. Göttingen 1939, S. 11: „Im 1.Gebot steht Gott als Schöpfer vor dem Menschen." Weil Gott der Schöpfer ist, fordert er Glauben und Vertrauen von seinen Geschöpfen, die alle unter der Forderung des ersten Gebots stehen: WA 14, 618,4 ff. (Deuteronomium 1523/25 Kap. 6,16). 25 WA 30/1,135, 28—136, 3 (Der große Katechismus 1529). Siehe auch G.Törnvalls Darstellung in: Andligt odi världsligt regemente hos Luther, Diss. Lund 1940 (dt. Geistliches und weltliches Regiment bei Luther = F G L P X / I I , München 1947), wo hervorgehoben wird, welchen hervorragenden Platz gerade dem Gedanken der geschaffenen Welt in Luthers Bestimmung des Gottesverhältnisses zuteil geworden ist. S. dort bes. S. 11 ff. 26 WA 30/1, 204, 5—9 (Der große Katediismus 1529).

2. Mandatum Dei

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Um an diese seine Abhängigkeit vom Schöpfer erinnert zu werden, wird der Mensch wie die Tiere gezwungen, seine Arbeit zu unterbrechen, um die rein äußeren Bedürfnisse an Ruhe und Nahrung zufriedenzustellen27. Auch hier wirkt Gottes mandatum, Gottes begrenzender und ordnender Wille. Er billigt es dem Menschen nie zu, in seinem Herrschaftsbereich irgendeine Freistätte zu finden, wo Gott ihm nicht mit seinen Gaben zuvorkommt und damit Forderungen stellt und seinen Willen offenbart; wohin man sich auch wendet, stößt man auf Gottes mandatum, und die Begrenzung des Menschen hängt so gesehen bereits mit der animalischen Seite seines Lebens (vita animalis) zusammen, in dem er jetzt lebt, das aber mit dem ewigen Leben (vita spiritualis) vertauscht werden soll28. Weil also der Mensch immer sein Leben von Gott empfängt, werden an ihn auch immer Forderungen von Gott gestellt und ist er verpflichtet, dem Geber zu danken, ihn zu loben, ihm zu gehorchen und zu dienen29. In dieser Hinsicht ist er an Gott gebunden. Über sein dominium ist er aber gesetzt, um in Freiheit zu wirken30, ja als freies und vernünftiges Wesen soll er sogar über „seynen eygen leyp regiern"31. Weil dem Menschen von Gott befohlen ist, als ein „homo rationalis" frei über die Welt zu herrschen32, kann sein Gehorsam Gott gegenüber nur in Kontakt mit der konkreten Wirklichkeit in seinem dominium verwirklicht werden33. Hier begegnen ihm die Gebote, die von Gottes Schöpfungsbefehl ausgehen34, „hominum praecepta", die „ex ilia lege, qua ordinavit hominem super omnes creaturas", fließen35. 27

WA 42, 42, 37ff. ( G n l , 2 6 ) . Ib. 43, 7—11. Die Unterscheidung vita animalis — vita spiritualis, aus l K o r l 5 , 4 4 f . geholt, wird mit Gn 2,7 verknüpft im Gedanken vom Adam als „anima vivens" und Christus als „spiritus vivificans" : ib. 42, 20 ff.; 65, 25 ff. Im Paradies hatte „Adam duplicem vitam: animalem et immortalem, sed nondum reulatam plane sed in spe": ib. 43, 7 f. „Esse aliam vitam post hanc vitam . . . " : ib. 61,10; WA 36,664, 34 (Pred. 1532). „Idque sic, ut tarnen homo habeat carnem et ossa, et non sit mere spiritus, sicut Angeli sunt" : WA 42, 65, 35 f. 28 Vgl. die Erklärung des kleinen Katediismus zum 1. Glaubensartikel. 30 WA 42,107, 29ff. ( G n 3 , l ) . Siehe auch WA 18,638, 5—11 (De servo arbitrio 1525), wo es u.a. heißt: „doceamus, ut homini arbitrium liberum non respectu superioris, sed tantum inferioris se rei concedatur". Vgl. auch G. Wingren 1948 2 , S. 25 (dt. 1952, S. 23), u. a. Stellen, wo dieser Gedanke hervorgehoben wird. 31 WA 7, 30, 11—30 (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520), WA 6, 205, 11 ff. (Von den guten Werken 1520), ib. 243, 19—250, 16 und WA 18, 654,1—20 (De servo arbitrio 1525). 32 WA 39/11, 304,5 (Die Prom.disp. von G. Major und J. Faber 1544), 83 Dies ist ein Grundgedanke in: Von den guten Werken 1520. Siehe bes. WA 6, 243, 19—259,16. 34 G. Törnvall 1940, S. 53—57 (dt. 1947, S. 57—60). 35 WA 27,361, 18 (Pred. 1528). Die menschlichen Gesetze fließen also nicht aus der menschlichen Vernunft als einer in sich selbst ruhenden Größe, sondern kommen aus Gottes aktueller Schöpfermacht, je nach den Forderungen der Situation und dem Bedürfnis des Individuums: „Iura non fecerunt sapientiam humanam, sed econtra est creatura dei. Creatio est prior omnibus artibus": WA 40/III, 221, 6ff. (In XV. Ps graduum 1532/33). Siehe G. Rost 1958, S. 7. Gerade diesen Gesichtspunkt vermißt man in B. Lohses im übrigen verdienstvoller Untersuchung des Ratiobegriffs bei Luther: s. D. Löfgren, Rez. von Lohse 1958. 28



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Kapitel II : D e r Mensch Gottes

Es ist Luthers großer Beitrag in der Geschichte der christlichen Ethik, daß er sozusagen die Begrenzung Gottes auf den sakralen Raum durchbrochen und auf Gottes Gegenwart in der reichen Wirklichkeit der ganzen Schöpfung hingewiesen hat. Da alles Gottes Welt ist, kann man keinen Unterschied zwischen heilig und profan aufzeigen; der Schöpfungsglaube fügt also alles in das Gottesverhältnis ein und kann selbst nicht in etwas anderem enthalten sein. Die Freiheit und das Leben des Menschen liegen bereits in seiner Existenz als Geschöpf; sie ist aber eine Freiheit in Gott und ein Leben aus Gott. Weil das Gebot unablässig in das Herz des Menschen geschrieben wird, muß es aktuell gehört werden, um als ein lebendiges Wort empfangen zu werden. Nur so wird alles Handeln des Menschen mit dem des Schöpfers verknüpft, in den Dienst des Lebens und der Erhaltung gestellt36. Luther klagt deshalb die Papisten und Schwärmer an, sie hätten keinen rechten Schöpfungsglauben, weil sie gerade dieses Gebot Gottes verleugnen37. In seinem dominium stößt das Ich des Menschen immer auf ein Du, einen anderen Menschen, und damit einen anderen konkreten Willen. Der Gehorsam gegen Gottes mandatum verhindert, daß diese beiden Größen in Konflikt kommen38. Die „goldene Regel" (Mt 7,12) ist für Luther die Grundregel des natürlichen Gesetzes39. Von dieser „lex naturae" kann ja Luther sagen, daß sie im Herzen des Menschen geschrieben steht, so daß, wenn ihn eine Forderung von außen her trifft, er sie gleich verstehen und akzeptieren kann40. Die Vernunft ist somit zwar die „principalis pars hominis" bzw. die „differentia essentialis", die den Menschen von den Tieren unterscheidet41, aber sie ist immer an Gottes beständige Offenbarung gebunden. Der Mensch ist also nicht geschaffen, um allein und mit natürlichen Rechten ausgerüstet zu leben, sondern er ist zur Gemeinschaft bestimmt, um sein W A 32, 325, 36—326, 26 (Wodienpredigten 1532 Dr. Mt 5, 7 f.). W A 40/1, 347, 14—348, 5 (Galaterbriefvorlesung 1531 Hs Gal 3,3), W A T i 1, 573, 31 f. Siehe auch W . Eiert 1 9 5 2 2 , I, S. 398 ff., und G. Wingren 1958, S. 33—36 (dt. 1960, S. 30—33). 3 8 Diese Seite der Lutherschen Sozialethik ist von F. Gogarten stark hervorgehoben worden. Siehe Gogarten, Die Schuld der Kirche gegen die Welt. Jena 1928. Sie wird aber bei Gogarten in einen für Luther fremden Personalismus ausgeweitet. 3 9 „ . . . praecipuum mandatum sit diligere deum et secundum simile sit primo. D a hat er gefasst, was man predigen, leren, fassen kan bey heiden, Jiiden" : W A 36, 3 3 8 , 2 9 (Predigten 1532 Mt 22, 34 fi.). „Et lex naturae est, quisque habet deum, qui defendat se. Item quaecunque volueris etc. si volo, ut mihi benefiat, sic econtra. Sic in ein geschrieben in naturalem legem" : W A 3 4 / 1 1 , 1 7 2 , 1 ff. (Predigten 1531 Lk 1 0 , 2 3 ff.). H. Olsson hat auf eine bahnbrechende Weise den lex-naturae-Begriff bei Luther untersucht. Siehe ders., 1934, bes. S. 19 ff. A . Siirala 1956 gibt eine ausführliche Darstellung des ganzen Gesetz-Begriffes mit reichlichen Zitat- und Literaturhinweisen. 4 0 » . . . w o es nicht natürlich ym hertzen geschrieben stünde, müst man lange gesetz leren und predigen, ehe sichs das gewissen an neme. Es mus es auch bey sich selbs also finden und fulen, Es würde sonst niemand keyn gewissen machen": W A 18, 80, 35—38 (Wider die himmlischen Propheten 1525). Vgl. auch W A 50, 471, 22 ff. (Wider die Antinomer 1539). 4 1 „Recta ratio est principalis pars hominis et merito vocatur differentia essentialis, quod discernit hominem a pecudibus: W A 3 9 / 1 , 1 8 0 , 1 6 f . (Die Disp. de homine 1536); vgl. ib. 1 7 5 , 1 4 t. 38

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Leben zu empfangen, indem er die Dinge so braucht, daß auch dem Nächsten gedient wird42. „Denn es ist ein jeder Mensch umb des andern willen geschaffen und geboren."43 Weil das natürliche Gesetz absolute Hingabe an den Nächsten verlangt44, ist die Isolierung des Mönchs von dem gewöhnlichen irdischen Leben eine Flucht vor dem Gehorsam des göttlichen Gebotes und streitet gegen die Bestimmung des Menschen als „animai sociale"45. Eheverbot ist Bedrohung des rein „natürlichen" Lebens, das eine Gabe Gottes ist, und letztlich Ausdruck für Lieblosigkeit; denn nur, wo Menschen miteinander im gegenseitigen Dienst leben, werden sie erhalten. Deshalb darf dem Menschen nichts ursprünglich Menschliches fremd sein46. 42

„Deus non creavit, ut homines soli sint, sed instituit magistratum, ut homo homini serviat . . . " : WA 29, 237,1 f. (Predigten 1929 Mt 26, 60 f.). 43 WA 21, 346, 21 (Crucigers Sommerpostille 1544). 44 Siehe H . Rückert, Luthers âskldning om Guds fördoldhet (SvTK Jg. 28, 1952, S. 229 bis 238). 45 „Deinde dicebat de homine, quod esset animal sociale, et quod societas homini esset iucundissima, et solitudo et monastica vita contra naturas esset hominis corrupti et incorrupt!, ut Deus dicit: Non est bonum esse solum. Nodi hatt der Teuffel die monche erdacht contra Deum et naturam. Mönch est Graecum μονάχος, ein einzelner. Anachoretae illi primum in Syria ortum acceperunt, biss zu letzt grosse conuent draus worden seind, viventes sine proprio, omnia possidentes, sed ipsi dicunt: Res nostrae sunt ordinis, non ordinatorum. Pulcherrima profecto elusio!": WATi 4,394,9ff. (1539). Die Mönchsfrömmigkeit ist also letztlich Eigenliebe und deshalb sind die Mönchsorden gegen Gottes Ordnungen. Judas, der den bequemen Weg dem Leiden mit seinem Herrn vorzog, ist deshalb „pater Monachorum": WA 29, 237, 3 ff. (Pred. 1529 Mt 26, 60 f.). „Ideo Monachi et tota Pontificis factio soli sunt, qui regiam vitam degunt, siquidem labores, negocia, pericula relinquunt aliis. Ipsi in ocio fruuntur commodis suis": WA 42,159, 4ff. (Gn 3,19). Die Mönche sind auf Grund ihrer Verachtung des mandatum Gottes „fabricatores deorum" : WA 13, 229,11 ff. (Praelectiones in prophetas minores 1524 flg). Seinen erdichteten Gott zum Abgott machen (WA 30/1,135,10 = Großer Katediismus 1529 und WA 10/1,1,240,22; 241, 17 = Kirchenpostille 1522), bedeutet, daß man ein Zerrbild des wahren Gottes in seinem Herzen trägt (WA 18, 706, 15 f. = De servo arbitrio 1525), d.h. man vertraut dabei nicht auf den wahren Gott, sondern auf einen fingierten Gott und ein Idol (WA 14, 587, 28 ff. = Deuteronomium Mosi cum annotationibus 1525 Dr. Kap. 4,3). Siehe hierzu auch unten Kap. III. 48 „Ibi decet me esse hominem, et humani a me nihil alienum putare, ut ille inquit apud Comicum, multo magis vero Christianum, et moveri communibus malis et interitu tot corporum et animarum. Et Christus ipse praecipit φιλοατοργίαν cum ait: ,Estote miséricordes, sicut pater vester coelestis misericors est', et Paulus Romanorum 12: ,necessitatibus sanctorum communicantes'": WA 44, 188, 25—30 (Gn 35, 8). Luther kehrt also die ganze mittelalterliche Vorstellung der Ehelosigkeit als eines höheren Weges zur Seligkeit völlig um. Die Unfruchtbarkeit ist für Luther eine Folge des Sündenfalles, und das Natürliche und Richtige ist, daß die Menschen heiraten und Kinder zeugen. Denen, die zur Ehe nicht geschickt sind, gibt Gott eine besondere Gabe, christlich und ehrbar ohne Ehe leben zu können: WA 24, 53,16—55,17 (Ober das l.Buch Mose Pred. 1527 G n l , 2 8 ) . In der Ehe soll die persönliche Gemeinschaft zwischen den Menschen verwirklicht werden; Eva wird geschaffen, damit sie im Gehorsam gegenüber Gottes gemeinschaftsbewahrendem mandatum Adam zur Hilfe sein kann. Und zu diesem mandatum gehört das Zeugen von Kindern; im Urzustand ist dies nicht mit selbstsüchtiger Lust befleckt, sondern geschieht in Reinheit und persönlicher Gemeinschaft: WA 42, 87,11—90, 9 (Gn 2,18). Siehe hierzu auch O. Sundby, Luthersk äktenskapsuppfattning, Diss. Lund 1959, S. 13—109.

Kapitel II : D e r M e n s c h G o t t e s

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N u r w e n n der M e n s c h i n G e m e i n s c h a f t m i t anderen lebt, k a n n er a u c h l e r n e n , d i e D i n g e , die er ja nicht selbst schaffen kann 4 7 , recht z u b r a u c h e n 4 8 , d. h. sie n i c h t z u v e r e h r e n u n d sein V e r t r a u e n darauf setzen 4 9 . D i e a u g u s t i n i s c h e D i s t i n k t i o n „ u t i - f r u i " k a n n v o n L u t h e r g e l e g e n t l i c h d a z u v e r w e n d e t w e r d e n , diese G e b u n d e n heit des M e n s c h e n an d e n N ä c h s t e n u n d seine g l e i c h z e i t i g e Freiheit v o n d e n D i n g e n z u b e t o n e n 5 0 . R e i c h t u m u n d G ü t e r sind L e i h g a b e n v o m S c h ö p f e r , der d e m M e n s c h e n f ü r seine V e r w a l t u n g R e c h e n s c h a f t abverlangt 6 1 . W e i l das G e s e t z d e m M e n s c h e n ins H e r z g e s c h r i e b e n ist, w i r d er i n allem G o t t v e r a n t w o r t l i c h . D a s rechte L e b e n i n der W e l t ist also n i c h t nur e i n e F r a g e n a c h d e m v e r n ü n f t i g e n G e b r a u c h der D i n g e , s o n d e r n i m m e r a u c h eine F r a g e des g e r e c h t e n G e b r a u c h s , w e i l G o t t i m m e r G l a u b e und L i e b e verlangt. D e s M e n s c h e n G e h o r s a m ist nur d a n n v o r h a n d e n , w e n n er sich v o m G o t t der L i e b e u n t e r w e i s e n 47

WA 20, 58,21—59, 22 (Annotationes in Ecclesiasten 1532) und WA 33, 404, 9—412, 12 (Wochenpredigten über Joh 6—8 1530 Hs). 48 „Sic sumus constituti rerum domini, ut possimus eis uti in praesens, sed non possumus eas nostris curis et studiis regere. Nemo potest aliquid suis studiis efficere in posterum. Qui enim futurorum incertus est, quomodo de futuris consistuere poterit? Vult ergo Deus nos uti creaturis, sed libere, utut ille obtulerit, sine tempore, sine modo et hora a nobis praescriptis. H a e c enim sunt in manu Domini, ut non putemus in manu nostra esse uti rebus, quando velimus, si ille non det. H i n c dicit Ecclesiasticus : ,Deus relinquit hominem in manu consilii sui', sed addidit praecepta, secundum quae sua Consilia et actiones regat" : WA 20, 58,37—59, 22 (Annotationes in Ecclesiasten 1532). 49 „ . . . Trawen und brauchen sind zweyerley. Trawen gehört allein Gott zu, brauchen gehöret der Creaturn z u " : W A 31/1, 114,10—16 (Auslegung des 118. Psalms 1529—30). „Sic omnes creaturas dedit Deus ad utilitatem et usum, non ad cultum et religionem" : W A 4 0 / 1 , 1 7 6 , 1 6 f f . (Galaterbriefkommentar 1535). 50 Vgl. unten K a p . I I I , 2. Wer die Schöpfung mißbraucht, sucht sein eigenes Leben zu sichern und vergißt, daß der Mensdi zu einer Gemeinschaft geschaffen ist, die zerstört wird, wenn jeder nur das Seine sucht: W A 56, 305, 6 ff. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 5,4). „Omnis homo naturam scire desiderat, sed male / Deinde fit consuetudo eam diligendi et ita induratur cor ad verbum creatoris revocantis ab affectu creature. Tunc sequitur incredulitas" : W A 57 (3), 150,7 ff. (Hebräerbriefvorlesung 1517 Kap. 3,13). Siehe auch WA 4, 604,13—30 (Sermone 1514—20), WA 3, 582, 34ff. (Dictata 1513—16), W A 20, 4 9 5 , 2 9 f f . (Pred. 1526 Mt 6, 24 ff.), W A 25, 77, 33 (Vorl. über Titus u. Philemon 1527). „Davon haben auch unsere Schul Theologen gesagt, so solchs von ferne gesehen, und nennen zweierley Liebe, Amorem concupiscentiae und amiciciae, und S. Augustin nennet sie U t i et Fruì, Etliche (spricht er) lieben Gott aus gutem willen, Etliche aber umb jres nutzes willen, Das ist Amor concupiscentiae und heisst auff Deudsdi eine H u r n liebe, welche einen andern liebet umb ires büberey willen, Jenes aber (amor amicitiae) ist eine rechtschaffene liebe, als die recht Ehliche liebe oder die natürliche liebe zwischen Eltern und kindern, da eines dem andern das beste gönnet und sein lust und freude daran hat, wenn es jm wolgehet, Also sind alhie auch zweierley Liebhaber, Etliche, die da dencken, wo sie nur möchten der straffe und pein entlauffen, so fragten sie nichts darnach, Gottes name und sein Reich bliebe, wo es wolte: Das ist eine schalcks liebe, wie ein Dieb, so sich f ü r m Galgen furcht . . . " : W A 46,90, 3—14 (Das X V I . K a p . S. Joh 1539 Dr. Joh 16,24). Jesus, der uns gezeigt hat, was -redite Liebe ist, war kein Asket, der sidi gewöhnlicher menschlicher Gemeinschaft entzog: WA 4 5 , 1 1 8 , 1 1 f. (Predigten 1537 Lk 7, 36ff.). „ H i et similes loci scripturae indicant nobis, quomodo alieni esse debemus a pravo creaturarum usu": WA 29, 393, 28 f. (Predigten 1529 Lk 16,19 ff.). „Es ist nicht ssunde, das mans habe, aber das ander müssen darben, hoc est peccatum" : ib. 394,10 f. 51

WA 36, 317, 28—35 (Predigten 1532 Lk 16, 9).

2. Mandatum Dei

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läßt und ihm so die E h r e gibt 6 2 . I n diesem Sinne haben das Gebot der Liebe und das erste G e b o t des Dekalogs denselben Inhalt, sie sind beide Ausdruck für jenes Gesetz, aus dem letztlich alle anderen Gesetze fließen und das besagt, daß der Mensch G o t t die E h r e geben soll 5 3 . „ L i b e r u m arbitrium in externis" realisiert sich also i m Gebrauch der menschlichen ratio, so wie Gottes mandatum das vorgeschrieben hat, d . h . in der Hinwendung nach unten, der E r d e zu, i m Gebrauch v o n Gottes Gaben in der Schöpfung bzw. in der Liebe zum Nächsten. Weil also der Ursprung und das Ziel des Menschen bzw. Gottes Wille mit dem Menschen sich nicht aus den Dingen an sich herauslesen lassen, braucht der Mensch immer eine Kirche, in der das W o r t und der Wille Gottes dem Menschen gesagt werden, ein W o r t , das ihn ständig an seinen Schöpfer und Vollender erinnert. Das mandatum Gottes setzt zwar die Freiheit des Menschen im Äußeren voraus, bindet ihn aber zugleich an G o t t als Ursprung und Ziel aller Dinge. Das mandatum Dei erhält seinen konkreten Inhalt in dem Gebrauch der D i n g e und dem Dienst am Nächsten, aber Gehorsam diesem Gebot gegenüber wird nur dann verwirklicht, wenn der Mensch „im W o r t " lebt und sich darin übt. D a s mandatum Gottes treibt die ersten Menschen zur Arbeit, 5 2 Gerade Gottes Gegenwart in der Schöpfung macht diese gut und begehrenswert, doch muß man zwischen dem Geschaffenen und dem Schöpfer, zwischen Gottes Larven und Gott selbst unterscheiden und nicht das Geschaffene, sondern den Schöpfer anbeten und ehren. Gott hat alles geschaffen, damit es ihm die Ehre gebe. Deshalb weist alles Geschaffene von sich fort und auf den Schöpfer hin: WA 3, 560, 34 ff. (Dictata 1513—16). „Animalia creata sunt, ut discamus ab eis Deum cognoscere et timere. Hinc dicit Christus: Estote prudentes sicut serpentes etc. An non aliquid magnum in hoc nobis significavit, quod cuculus parentem suum vorat, die grassmucken? Quod semel per fenestram meam respiciens vidi. Significat autem, quod falsi doctores veros opprimunt" : WATi 2, 299,23 ff. (1531). „All blumlein und voglein haben das Euangelium am hals geschrieben et illa docent: ,wie ein abgottischer tropff bistu qui servis Mammonae'": WA 29,551,7fF. (Predigten 1529 Mt 6, 24 ff.) „Sed lingua sol singen und mit freuden dancken. Sic aures serviant proximo mit freuden et deo. Qui sic uteretur, esset in deo letus. Sed diabolus impedit ista omnia, imo invertit, ut abutamur gott zu lestern, proximo zu schaden, nobis in condemnationem. Ideo canit .Hephethah', thut dich ein mal auff. Si oculos et aures, so wurde uns das korn anreden: Sis letus in deo, es, trinck et utere me et servi proximo. Idi wil die boden füllen. Sic vaccae egrediuntur, ingrediuntur, si non mutus, audirem: Letamini, wir bringen buter, kes, esset, trincken, date aliis. Sic Gallinae: wollen eier legen. Item aves: leti sitis, wollen vogel hecken. Sic libenter audio grunnire porcos, quia afferunt braten, wurst. Omnes creaturae nobiscum loquuntur. Sic omnes cogitare debent: Ego utar ilio, quod dedit deus, et aliis dabo etc.": WA 46, 494,11—22 (Pred. 1538 Mk 7, 31 ff.). Der rechte usus civilis des Gesetzes wird somit nicht nur eine Frage des rechten Gebrauchs der Vernunft, sondern an Gott und sein Schaffen gebunden und der Mensch unter dem Gesetz immer zum Glauben aufgefordert. Vgl. G. Wingren 1958, S. 75 (dt. 1960, S. 69). 5 3 S. o. Anm. 18 und L. Haikola, Usus . . . 1958, S. 95. Luther war sich bewußt, daß sein Gesetzesbegriff von einem anderen Freiheitsbegriff als dem seiner Gegner geprägt war: WA 19, 206,1—5 (Der Prophet Jona ausgelegt 1528 Kap. 1,5). Aber er weiß sich damit in Einklang mit der Schrift. Die Handlungen, nach denen der Mensch einst beurteilt werden soll, sind nicht die, welche er um seiner eigenen Frömmigkeit oder Gerechtigkeit willen ausgeführt hat, sondern die, welche um Gottes bzw. des Nächsten willen gewirkt worden sind: WA 17/11,100, 20 und ib. 99,19 (Fastenpostille 1525). Siehe auch W. Joest, Gesetz und Freiheit, Göttingen 1956 2 , S. 165—169 und 176—185, wo Luthers Anschauung mit der des Neuen Testaments verglichen wird.

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Kapitel II : Der Mensch Gottes

um die Erde zu bestellen, es lockt sie aber auch wieder zur Sabbatsruhe und zum Gottesdienst54. Der Mensch ist geschaffen, um tätig zu sein: „Nolebat Adamum et Evam otiosos esse deus."55 Gott gab aber dem Menschen auch als ein Erinnerungszeichen an ihre Freiheit von der Erde den Sabbattag. Einen Tag in der Woche soll der Mensch auf Gottes direkte Anrede hören, der Lobgesang zu Gott aufsteigen und der Mensch von seinem Werktag ausruhen56, ebenso wie Gott selbst am siebenten Tage als ein Zeichen seiner Schöpferfreiheit ruhte57. Anbetung wie auch das Herrschen ist das Adelszeichen des Menschen und Ausdruck seiner Freiheit unter dem mandatum des Schöpfers58. Auch wenn Adam nie gefallen wäre, hätte er den siebten Tag geheiligt, seine Nachkommen darin unterwiesen und mit ihnen darüber gesprochen, seinem Schöpfer gedankt, ihn gepriesen und angebetet59. Dadurch, daß sich der Mensch „mit dem Wort beschäftigt", verwirklicht sich seine persönliche Gemeinschaft mit Gott, von dem das Wort ausgeht, und in 54

WA 42, 60—62, 22 (Gn 2,3). WA 9, 333,2ff. (Pred. Luthers gesammelt von J. Poliander 1519—21); vgl. ib. 395, 29—35 und WA 42, 78, 26ff. (Gn 2,15). 56 WA 42, 19—34 (Gn 2,16). 57 „Adae igitur in Paradiso post Ecclesiam etiam Oeconomiae administrado est demandata Ideo autem Ecclesia primo instituitur, ut ostendat Deus hoc quasi signo, hominem ad alium finem esse conditum, quam reliqua animantia. Quia enim instituitur verbo Dei, certum est, quod sit conditus immortalem et spiritualem vitam, ad quam raptus seu translatus esset Adam sine morte, postquam in Eden et reliqua terra ad sacietatem et tamen sine molestia vixisset": WA 42, 79, 20—26 ( G n 2 , 1 6 f . ) ; vgl. ib. 61, 3—42 (Gn2,3). Ebenso falsch wie es von Luthers Standpunkt her ist, die Ruhe zu einem idealen Zustand zu machen, ist es audi, die Arbeit zum Ideal erheben zu wollen. Daß nach dem Fall die Mühe der Arbeit auftritt und zu einem notwendigen „remedium peccati" wird, schließt den Segen in der Arbeit — daß sie befohlen und deshalb gut ist — nicht aus. Das Böse liegt „im Herzen" des Menschen, und nicht in der Arbeit als soldier. Audi nach dem Fall ist die Arbeit eine Übung darin, Gott die Ehre zu geben (WA 42,159,1—160, 27, Gn 3, 17—19), und zielt darauf hin, den äußeren Menschen mit dem inneren konform zu machen (WA 7, 30,11—30 = Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520). Siehe auch WA 6, 205,14—206,7 (Von den guten Werken 1520), ib. 243 ff. und WA 24, 63, 25—32 (Predigten über das l.Buch Mose 1527 Gn 2,1—3). 55

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WA 42, 60 f. (Gn 2,3). Ib. 60, 5—19. Anbetung ist also nicht mystisches Sich-Versenken, denn Gott befiehlt das „exercitium verbi", welches ein Auftrag zur Aktivität ist: ib. 61, 28. Siehe audi den ganzen Zusammenhang ib. 60,13—61,32. Der Sabbat ist um des Menschen willen verordnet, damit er sidi in Gehorsam übe und im Glauben wachse: ib. 71, 39ff. (Gn2, 9); 72,13 ff. Vgl. audi WA 43, 28, 31 f. (Gn 18,13 f.) und WA 10/Ί, 1,714,12 ff. (Kirchenpostille 1522 Mt 2,1—12). Die Anbetung und der Lobgesang des Menschen haben also ihren Grund in Gottes Sdiöpfungstat, in dem, was Gott getan hat und tut, noch ehe sidi der Mensdi des Gebers bewußt wird. Der Gottesdienst kann deshalb, obwohl er etwas Befohlenes ist, nidit als eine Leistung von Seiten des Menschen aufgefaßt werden. „Nu ist lob nidit anders denn bekennen die wolthatt von gott empfangen, unnd dieselbigen nit uns, ssondern alleyn yhm tzuschreyben und wider heymtragen" : ib. 715, I f f . Siehe auch WA 7, 553,12 ff. (Magnificat 1521). Gott ist zwar groß an sidi (in seiner Aseität) und braucht den Lobgesang des Menschen nicht, durch den Lobgesang wird er aber groß audi „ynn unszerm erkentniss und empfindung" (ib. 7, 554,10f.); im Lobgesang läßt man alle Götzen fahren und bekennt sidi zum lebendigen Gott: WA 31/1, 235, I f f . (Der 117.Psalm ausgelegt 1530). Siehe hierzu V. Vajta 1952, S. 270—295. 59

3. V i t a aeterna

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diesem Wort liegen Leben und Bewahrung nicht nur für dieses Leben, sondern auch für das ewige, denn wer mit Gott spricht und sein Wort hört, „derselbe ist gewißlich unsterblich". Die Sabbatruhe deutet an, daß der Mensch nicht nur von Gott, sondern auch ihm bestimmt ist, daß er nicht nur einmal, sondern auf ewig lebt, daß seine Freiheit erweitert werden soll. „Die Person Gottes, der da redet, und das Wort zeigen an, daß wir solche Kreaturen sind, mit denen Gott bis in Ewigkeit und unsterblicher Weise reden wolle." 60 Damit sind wir nun zu Luthers dritter Bestimmung des Menschen als imago Dei gekommen : der Mensch ist zu ewigem Leben (vita aeterna) geschaffen.

3. V i t a a e t e r n a In Gott liegt nicht nur der Ursprung, sondern auch das Ziel des Menschen. Gott ist der Grund der Wesensbestimmung des Menschen. Was das Wesen des Menschen ist, läßt sich mit dem konkreten Menschen als Ausgangspunkt nicht sagen, weil dieser ja gefallen und seiner Bestimmung verlustig gegangen ist 1 . Wie Luther sagen kann, daß das Gutsein des Ursprungs etwas für uns Unbekanntes ist, weil wir es im Fall verloren haben2, so kann er auch sagen, daß das Wesen des Menschen uns unbekannt ist, weil es etwas noch nicht ganz Gegebenes ist. Auch bei den ersten Menschen war die Vollendung noch nicht gegeben, sondern ihnen nur ein Ziel gesetzt3. Von diesem Ziel her allein ist es möglich, von der wahren „Natur" des Menschen zu sprechen4. Weil das Eigentliche beim Menschen, die Fülle im „Sein" und „Leben", noch nicht gegeben ist, kann der Fall nicht nur als der Verlust von etwas ursprünglichem betrachtet werden, sondern auch als ein Verlust des erst im eigentlichen bzw. zukünftigen Leben gegebenen Wesens des Menschen5. 60 „ . . . Deus nobiscum loquitur etiam sermone nostro et lingua humana. Seit Deus hanc vitam momentaneam esse. Cur autem loqueretur nobiscum, et sic quidem, ut nostra lingua utatur, si non in perpetuum viveremus? . . . Ubi igitur et cum quocunque loquitur Deus, sive in ira, sive in gratia loquitur, is certo est immortalis. Persona Dei loquentis et verbum significant nos tales creaturas esse, cum quibus velit loqui Deus usque in aeternum et immortaliter" : W A 43, 481, 27—35 (Gn 26, 24 f.). 1 W A 42, 46 (Gn 1 , 2 6 ) ; ib. 86 ( G n 2 , 1 7 ) und 124 ( G n 3 , 7 ) . 2 Ib. 50 ( G n l , 2 6 ) . 3 „Quod igitur Deus dat verbum, quod praecipit exercitium verbi quod mandat sabbati sanctificationem, et cultum suum, Haec omnia arguunt, restare vitam post hanc vitam, et hominem esse conditum non ad corporalem tantum vitam sicut reliquas bestias, sed ad aeternam vitam, sicut Deus, qui haec mandat et instituit, aeternus est": W A 42, 61, 28—32 (Gn 2,3). Siehe im Großen Genesiskommentar u.a. W A 42, 3 4 f . ( G n l , 1 4 ) , 41 f. (Gn 1, 26), 47 f. (Gn 1 , 2 6 ) 6 0 — 6 6 ( G n 2 , 3 — 7 ) , 8 3 , 3 3 — 8 4 , 1 4 (Gn 2 , 1 7 ) , 88, 3 0 f f . (Gn 2 , 1 8 ) , 9 1 , 5 — 2 1 (Gn 2, 20) 9 7 , 3 5 — 9 8 , 6 (Gn 2, 21), 121 (Gn 3, 6), 134 f. (Gn 3 , 1 3 ) , 1 4 3 , 4 — 7 ( G n 3 , 15), 1 4 7 — 1 5 0 (Gn 3 , 1 5 f.), 159 (Gn 3 , 1 9 ) , 164 (Gn 3, 20) und 176 (Gn 3, 24). Vgl. auch Luthers Auslegung des 90.Psalms 1534/35 ( W A 40/III, 485ff.). 4 Dies wird von Magda Stomps betont; siehe Stomps, Die Anthropologie Martin Luthers (Phil. Abh. IV), Frankfurt 1935, besonders S. 14 und 18 ff. 5 Der konkrete Mensch ist deshalb keine in sich selbst ruhende Größe (vgl. oben Kap. II, 2, Anm. 35) und kann deshalb audi nicht seine Erlösung selbst erwerben: W A 39/1,118, 17—120, 4 (Disp. de iustificatione 1536).

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Kapitel II : Der Mensch Gottes

Der Mensch ist ja ein Ewigkeitswesen, er ist „creatus ad vitam vel mortem aeternam"e. Damit ist ihm eine Bestimmung gegeben, die er selbst nicht verwirklichen kann, die aber schon in diesem Leben durch Gottes Selbstmitteilung erfahren werden kann. In Gemeinschaft mit Gott ist der Mensch eigentlich schon unsterblich, aber die Erfüllung wird nicht in diesem Leben gegeben, nur die Verheißung. Der Mensch ist also nicht unsterblich in gewöhnlichem Sinne, aber auch nicht sterblich. Der konkrete Mensch ist ein Ewigkeitswesen, dessen Tragödie es ist, sterben zu müssen7. Schöpfung und ewiges Leben bilden somit die Klammer, in welche die ganze Heilsgeschichte hineingestellt wird. Diese Klammer umgreift aber auch den Fall des Menschen und die Wiederaufrichtung durch das Evangelium bzw. das Härterwerden des Gesetzes und die Wiedergutmachung durch Christus. Doch spannt sich über alles von Anfang bis Ende Gottes schaffende und lebenspendende Tat8. Schon beim konkreten Menschen sind Leben und Tod auf einmal gegenwärtig; sie sind zugleich etwas Zukünftiges und etwas Gegenwärtiges, und die Heilsgeschichte ist somit nicht nur als eine Aufeinanderfolge von Epochen, sondern als Gottes Gegenwärtigsein unter konkreten Menschen aufgefaßt. Das Eschaton ist genauso wie der Ursprung zugleich etwas Gegenwärtiges, wie auch bestimmt durch das „noch nicht"9. β WA 18, 636,16ff. (De servo arbitrio 1525); WA 42, 61,10: „Esse aliam vitam post hanc vitam . . V g l . ib. 43, 7; 87, 5 ff., WA 36, 664, 34 und WA 39/1,176, 5. 7 Dies ist der Grundgedanke in Luthers Auslegung des 90.Psalms (1534/35), W A 4 0 / I I I , 489—496. 8 Luther verbindet im Großen Katechismus die Erklärungen zum ersten und zum zweiten Glaubensartikel mit folgenden Worten: „Denn da sehen wir, wie si A der vater uns gegeben hat sampt allen creaturen und auffs aller reichlichste ynn diesem leben versorget, on das er uns sonst auch mit unaussprechlichen ewigen gutern durch seinen Son und heiligen geist überschüttet, wie wir hören werden": WA 30/1,185, 24—28. Derselbe Gott, der im gepredigten Wort dem inneren Mensdien die Vergebung der Sünden und die Verheißung des ewigen Lebens darreicht, reicht also audi im täglichen Brot dem äußeren Mensdien leiblichen Segen und Leben. „Deus habet duplicem benedictionem: Corporalem pro hac vita spiritualem pro aeterna vita": WA40/1, 395, 23ff. (Galaterbriefkommentar 1535 Kap. 3,10). „Duplicem salutem ponit manifeste: deus verus, qui generali salute salvat omnes homines, Christus mediator, qui aeterna salute salvat, quae etiam est a deo, sed per Iesum Christum": WA 26, 37, 9ff. (Vorl. über den 1. Timoteusbrief 1528 Kap.2,5). • Die bekannte Diskussion zwischen C. Stange und P. Althaus war durch eine gewisse Unklarheit in der Bestimmung dieses Verhältnisses zwischen Heilsgeschichte und Heilsgegenwart charakterisiert. Stange vertrat dabei die Meinung, daß nur der Gläubige, der schon jetzt ins Eschaton einbezogen ist, ewiges Leben empfängt, während die Ungläubigen im Tode vernichtet werden. Althaus wies demgegenüber auf Aussagen bei Luther hin, die von einem ewigen Gericht Gottes sprachen. Für Luther bedeutet diese Fragestellung eine falsche Alternative. Stange hat darin recht, daß ewiges Gericht und ewiges Leben schon im Glauben empfangen werden. Althaus hat aber audi recht, wenn er unterstreicht, daß „Tod" nicht identisch mit dem biologischen Sterben ist. Siehe C. Stange: Studien zur Theologie Luthers I, Gütersloh 1928, S. 287—344, und: Das Ende aller Dinge, Gütersloh 1930; P. Althaus, Unsterblichkeit und ewiges Sterben bei Luther (Studien d. Apologet. Seminars in Wernigerode, H . 30), Gütersloh 1930, und: Die letzten Dinge, Gütersloh 1956®, S. 110; die Diskussionsbeiträge von beiden in ZsystTh 1925, 1928 und 1932.

3. Vita aeterna

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Zwar kann Luther zuweilen die leiblichen und geistigen Fähigkeiten des Menschen zu seiner Gottebenbildlichkeit rechnen10, doch ist zumindest beim älteren Luther dann immer deren Funktion nach unten, d. h. das Moment der Herrschaft über die Erde in der imago-Dei-Vorstellung stillschweigend vorausgesetzt11. Was den Menschen von den Tieren unterscheidet, ist vor allem seine Bestimmung zum ewigen Leben12. Schon seit Tertullian hatte man in der altkirchlichen Tradition zwischen imago und similitudo, zwischen Vernunftsanlage und Vollkommenheit unterschieden13. Luther führt aber diese beiden Ausdrücke zusammen, so daß sie dasselbe bedeuten, nämlich die iustitia originalis des Menschen14 ein Ausdruck, den die Scholastik geprägt hatte und den auch Luther verwendet15. Luther wehrt sich gegen eine Betrachtung des Menschen als eines fertigen Resultates, das nicht mehr Gottes unablässigem Schaffen unterworfen ist, weil er die Gottebenbildlichkeit nicht von Gott, der sie beständig schenkt, losgelöst denken kann. Imago Dei bedeutet für Luther, daß der Mensch in Gemeinschaft mit Gott ais dem Geber lebt. Die „ratio illuminata", „vera notitia Dei", „voluntas rectissima", alles Fähigkeiten, die den guten Menschen des Ursprungs auszeichnen, äußern sich vor allem in der Hinwendung des Menschen zu Gott und seiner Gemeinschaft mit ihm bzw. Gottes Hinwendung zum Menschen und seiner Gemeinschaft mit ihm16. Die Gottebenbildlichkeit ist also etwas Ursprüngliches und darf nach Luther nicht als etwas Akziden10

Siehe WA 4, 314,16ff. (Dictata 1513—16) und K. A. Meissinger, Der katholische Luther, München 1952, S. 121. 11 R. Josefson 1943, S. 20. Vgl. jedoch WA 42, 34 f., wo die mathematische Begabung des Menschen als ein Zeichen seiner Unsterblichkeit angegeben wird. Wir haben es hier möglicherweise mit einer redaktionellen Entstellung des Textes zu tun, wie E. Seeberg 1932, S. 45 ff., audi angenommen hat. 12 „Et tarnen magno Consilio hoc agit Moses, ut distinguât hominem a reliquis animantibus, ideo quia futurum erat, ut post animalem vitam esset homo particeps spiritualis et aeternae vitae": WA 42, 91,16—18 (Gn2,20), ib. 66,15 ff. (Gn2,7) und WA 39/11, 367, 12ff. (Promdisp. von Petrus Hegemon 1545). 13 F.K.Schumann 1936, S. 117. Man unterschied zwischen imago = öVX bzw. ε'ικών (Vernunftanlage) und similitudo = ΓΠ721 bzw. δμοίωοις (Vollkommenheit).

Siehe zu der

ganzen Frage (im N.T.): J. Jervell, Imago Dei, Göttingen 1960. 14 Den Unterschied zwischen katholischer und lutherischer Anschauung betreffend, siehe F. K. Schumann 1936, S. 118, und Schumann 1956, S. 251 ff. 15 WA 42, 45 f. (Gn 1,26). Siehe M.Stomps 1935, S. 23. 1β „Quare imago Dei . . . fuit res longe praestantissima et nobilissima . . . intellectus fuit purissimus, memoria optima et voluntas sincerissima . . . fuit enim in Adam ratio illuminata, vera noticia Dei, et voluntas rectissima ad diligendum Deum et proximum": WA 42, 46,16—47,34 ( G n l , 2 6 ) ; vgl. ib. 86 (Gn2,17) und 124 (Gn 3, 7). Die Gemeinschaft mit Gott ist im Urzustand von Unschuld und Vertrauen gekennzeichnet. Die Gemeinschaft mit dem Nächsten wird dann von Spontaneität gekennzeichnet, denn der Mensch braucht nicht über ein rechtes Handeln lange nachzudenken, weil er nicht gezwungen ist, in der Wahl zwischen zwei verschiedenen Handlungen die zu wählen, die ihm selbst oder der Gemeinschaft am meisten nützt: WA 24, 51, 30—57,21 (Über das l.Buch Mose Pred. 1527 G n l , 2 8 ) . Die iustitia originalis äußerte sich also in einem rechten Erkennen der Liebe Gottes, und dem, was er ausrichtet, in Friede und Eintracht zwischen allem Geschaffenen und in der Furchtlosigkeit vor Tod, Krankheit und allerhand Bösem: ib. 71, 29—76,17 (Gn 2, 16.17) und WA 42, 86 (Gn 2,17).

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Kapitel II : D e r Mensch Gottes

tielies in der Substanz des Menschen bzw. als ein „donum superadditum" betrachtet werden 17 . Der Baum des Lebens war den ersten Menschen gegeben, damit Gott ihnen davon ständige Jugend und Gesundheit schenke. „Haec autem arbor vitae . . . fuisset ceu Pharmacum, quo vita et vires conservarentur perpetuo in summo vigore." 18 Der Baum war aber nur für dieses Leben gegeben. Das ewige Leben (vita aeterna) sollte eine besondere, eine neue Gabe Gottes sein. Nachdem Adam ein langes Leben auf dieser Erde gehabt hätte, wäre er, wenn er nicht gefallen wäre, in ein neues und herrlicheres Leben versetzt worden, das vollkommener als das vorhergehende gewesen wäre. Durch den Baum des Guten und Bösen besaß Adam aber eine „Kirche", in der Gottes Wort verkündigt und ihm Verheißungen für die Zukunft gegeben wurden. Das paradiesische Leben war also nur ein Vorgeschmack auf das ewige Leben; weil aber Gott schon in diesem Leben mit dem Menschen spricht, und das gehorsame Hören auf Gottes Rede Leben und Gerechtigkeit bedeutet, ist er in gewisser Hinsicht schon unsterblich; weil Gott mit Adam spricht „necessario fuit: esse aliam vitam post hanc vitam . . ." 19 . Luther unterscheidet zwar zwischen physischem und geistlichem Leben genauso, wie er auch zwischen innerem und äußerem Menschen unterscheidet, aber bereits im äußeren Leben des Menschen sieht er Gott wirksam: „In den guttern gibt er das seyne, ym ansehen und gnaden gibt er sich selb ; in den guttern empfehet man seyne hand, aber in der gnaden ansehen empfehet man sein hertz, geist, mut und willen." 20 Das natürliche Leben wird also nicht als ein neutrales Material für das geistliche Leben verstanden, sondern als schon in sich selbst von der Gegenwart Gottes erfüllt betrachtet 21 . Hier liegt der systematische Zusammenhang von Luthers 17

»Ergo imaginem Dei sic intelligo: Quod Adam earn in sua substantia habuerit, quod non solum Deum cognovit et credidit eum esse bonum, sed quod etiam vixerit plane divinam, h.e., quod fuerit sine pavore mortis . . . , contentus gratia Dei": W A 4 2 , 4 7 , 8—11 (Gn 1,26). „ . . . iusticiam non fuisse quoddam donum, quod ab extra accederet separatum a natura hominis: Sed fuisse vere naturalem, ita ut natura Adae esset diligere Deum, credere Deo, agnoscere Deum etc. . . . sicut enim natura oculi est videre, ita natura rationis et voluntatis in Adamo fuit nosse Deum, fidere Deo, timere Deum": ib. 124, 4—12 (Gn 3,7). 18 Ib. 70, 22 fi. 18 Ib. 6 1 , 1 0 f . ; WA 36, 664, 34 (Pred. 1532). Siehe auch oben S. 88/89. 20 WA 7, 571, 5ff. (Das Magnificat 1521). Vgl. i b . 5 7 0 , 3 3 f f . 21 Der Glaube an den Schöpfer ist nichts Leichtes, er ist ebenso schwer wie der Glaube an die Torheit des Kreuzes. Die Schwierigkeit beruht indessen nicht auf Gott, sondern auf dem Bösen, das auf Grund des Falls den Menschen daran hindert, Gott die Ehre zu geben. Wer sich zum Schöpfer bekennen will, muß sich deshalb unter das Kreuz stellen lassen. Siehe E. Schlink 1936, S. 217 f. Das Erleben des Wunders der Schöpfung ist dasselbe wie das, was einst in der Auferstehung gesdiehen wird: WA 43, 374, 22—25 (Gn 25,17); man erfährt, daß Gott der Schöpfer ist, der aus dem Nichts schafft, daß er das Leben unter dessen Gegensatz gibt: WA 2, 685, 20—686, 8. Siehe unten Kap. VI, 1. Die Engel sind Geschöpfe aus dem Nichts, die ohne Sünde am ewigen Leben teilhaben werden: WA 39/11, 342,17 f. (Prom.disp. Petrus Hegemon 1545). Der Mensch aber ist gefallen. Deshalb kann er nicht am ewigen Leben teilhaben, ehe er nicht mit dem zweiten Adam eins geworden ist, mit Christus, der die Schöpfung wiederaufrichtet und zugleich vollendet. Imago Dei

3. Vita aetema

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Schöpfungsgedanken mit seiner Rechtfertigungslehre; wenn die iustitia Dei als Gottes Gabe betrachtet wird, dann kann auch die Auffassung vom Handeln Gottes in der Schöpfung nicht am Gedanken des Menschen als eines Gott gegenüber Selbstschaffenden orientiert, sondern muß auf den Gedanken der lebensspendenden Gottestat hin ausgerichtet sein. Gottes opus proprium in der Schöpfung und in der Erlösung ist es deshalb für Luther, Gnade, Leben und Seligkeit z u geben2·2.

Das ewige Leben kann deshalb als eine Fortsetzung der schon hier im Leben realisierten Gottesgemeinschaft verstanden werden. Es bedeutet aber auch eine Erhöhung und Vollendung des „natürlichen Lebens": „restituamur etiam supra illam primam Adae creationem."23 Schon jetzt ist der Mensch im Glauben an Gott auf dem Weg zur Fülle des Lebens24. „Darümb kan man das wort ,seele' nicht besser deudschen denn ,das leibliche leben' odder ,ein menschen, der da lebet ym leiblichen leben'. Also ist Adam yns natürliche leben gemacht, Christus aber, der ,der letzte Adam ist', spricht Paulus, ,yns geistliche leben' (l.Kor 15,45)."25 Das Leben des konkreten Menschen im Glauben an Christus ist nicht ganz dasselbe wie die iustitia originalis, denn er ist vom Tod bedroht. Aber der Glaube führt doch zum Gutsein und zur Erkenntnis des Ursprungs zurück: daß der Mensch Gottes gutes Geschöpf sein soll, das von Gott geliebt und deshalb auch zur vollbedeutet, sagt Luther bei der Auslegung von G n l , 2 6 , daß der Mensch „wie Gott" ist, daß er „sich nach ihm richtet" und „ist wie er". Als Imago Dei ist er von Gott erfüllt. Christus hat aufs neue gezeigt, was diese Gottebenbildlichkeit bedeutet. Durch sein Leben (ohne Sünde) und seinen Tod (ohne Schuld) hat er die Bestimmung des Menschen gezeigt: WA 24, 49—51, 25 (Über das l.Buch Mose. Pred. 1527, Gn 1, 24—27). Siehe unten Kap. VI, 2. Das jetzige Leben ist ein Leben, in dem man zur Gleichheit mit Christus geschaffen wird, um dann die Vollendung des ewigen Lebens zu empfangen, wo es keine Versuchung, Sünde und keinen Tod mehr geben wird. Siehe hierzu Kap. VI, 3. 22 Luther polemisiert oft gegen die, welche die geringe Schöpfung herabsetzen und auf weltliche Macht und Größe vertrauen, die doch ohne Gott nichts sind: „ . . . wir sehen es nit fur ein sondere ehr an, dass wir Gottes Creatur sind. Aber das einer ein fürst und grosser herr ist, da sperret man äugen und maul auff, So dasselbe doch nur ein menschliche Creatur ist, Wie es Petrus nennet (IPetr 2,13) und ein nachgemachet ding, Denn so got nit zuvor keme mit seiner Creatur, wurde man keinen fursten machen können, und dennoch klammert alle menschen darnach, als sey es ein kostlich, gros ding, so ess doch hie vil herrlicher und grosser ist, Das ich Gottes werck und Creaturlin bin. Darumb solten knecht und magd und Ider man solcher hohen ehr sich annehmen und sagen: Ich bin ein mensch, das ist je ein höher titel denn ein furste sein, ursach: den fursten hat Gott nicht gemacht, sonder die menschen. Das ich aber ein mensch bin, hat Gott allein gemacht": WA 45,14,18—15,6 (Pred. 1537 Lk22,19). 23 WA 42, 54,16 (Gn 1, 28). In der Vollendung ist die Möglichkeit des Falls ausgeschlossen: „ . . . et ex puerili gloria in immortalem vitam transferri, in qua non posset posthac peccare . . . " : WA42, 84, 39—85,1 (Gn2,17). 24 WA 17/1, 169, 20 ff. (Pred. 1525 Joh8,46ff.). Nach M.Stomps soll für Luther die Vollendung in der „Glückseligkeit" (beatitudo, visio Dei) liegen. Natürlich verwendet Luther diese gebräuchlichen Ausdrücke, doch sind sie als Ausdruck für die ihm eigentümliche Anschauung weniger geeignet als der Begriff „vita aeterna". Siehe Stomps 1935, besonders S. 11 und 34, wo der terminologische und sachliche Unterschied zwischen der Scholastik und Luther nicht beachtet wird. 25 WA 24, 68, 10—13 (Über das l.Buch Mose 1527 Gn2,7).

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Kapitel II : Der Mensch Gottes

endeten Gottesgemeinschaft im ewigen Leben bestimmt ist 28 . Christus, der Inkarnierte, der Anfang, Mitte und Ziel der ganzen Schöpfung ist, kann zwar nicht zu etwas anderem addiert werden, denn alles ist ja von ihm und zu ihm geschaffen27 er bedeutet aber auch etwas Neues, ist mehr als Adam im Paradies. Adam war schon als Gottes Geschöpf imago Dei, aber er war auch geschaffen, um dem „himmlischen Bilde", um Christus gleich zu werden, der die Auferstehung und das Leben ist und der allein verwirklicht hat, was in der imago Dei liegt 28 . Christus ist „imago Dei essentialis" 29 ; im Glauben auf ihn wird die Neugeburt des „alten" (gefallenen) Menschen vollzogen, indem man zur Gleichheit mit ihm geformt wird, d. h. man kehrt im Glauben zum Ursprung zurück und wird damit gleichzeitig in die Vollendung, zu der man geschaffen ist, einbezogen30. Da Christus allein (und nicht Adam) den vollen Sinn der „imago Dei" verwirklicht hat, ist das Leben in Christus die Bestimmung und Vollendung des Menschen. Das Neue in Christus, das, was es bei Adam noch nicht gab, ist die volle Realisierung des ewigen Lebens, d. h. die Auferstehung und der Sieg über die Macht der Versuchung. Christi Herrschaft ist größer als die des paradiesischen Menschen31. Christus ist nicht nur Urbild wie Adam sondern der Herr des Lebens, in dem das Ziel des Menschen in Gott aufbewahrt ist, bzw. das inkarnierte Wort der Liebe Gottes, das den Menschen zur Gleichheit mit sich formt32. Christus ist und gibt das ewige Leben ohne die Möglichkeit des Falls und damit die Vollendung der Schöpfung Gottes33. Dieser Zusammenhang führt uns aber zuerst zur Wirklichkeit des Falls. Wer sein Leben aus Gottes Hand nicht empfangen will, betet das Geschaffene an und mißbraucht es so in der Eigenliebe. Er wird dann „imago Diaboli" anstatt „imago Dei". Durch den Fall des Menschen ist der Tod in die Welt hineingedrungen; deshalb seufzt und sehnt sich die Kreatur, die vom gefallenen Menschen mißbraucht wird, sehnt sich nach der Wiederherstellung und Vollendung der Schöpfung 34 ; die Seele des Menschen ist „ein wartendes odder harrendes ding worden, als spreche er Aller meiner seele wesen und leben ist nicht anders gewesen, denn ein blosses warten und Gotes harren" 35 . 26 A . Siirala weist mit Recht darauf hin, daß sich „begreifen" im Sprachgebraudi Luthers nicht in den Alternativen „intellektualistisch-existentialistisch" einfangen läßt, sondern auf die ganze Erfahrung des Menschen bezogen ist. Siehe Siirala 1956, S. 71 f., Anm. 59. Deshalb berührt auch der Fall, ebenso wie die Wiederaufriditung des gefallenen Menschen, nicht nur einen inneren, geistigen Teil von ihm, sondern den ganzen Menschen: s. z.B. W A 6 , 356, 3 f f . (Ein Sermon von dem neuen Testament . . . 1520), sowie unten Kap. IV, 3, Anm. 87. 27 W A 46, 560, 4—562, 3 (Ausi, des ersten und zweiten Kap. Joh 1, 3. 4). 2 8 W A 39/11,19, 2 f. (Die Disp. über Joh 1, 4 1539). 2» W A 39/11, 296, 22—297, 3 (Die Prom.disp. von G. Major und Joh. Faber 1544). 30 „Fides Christi affert remissionem et mortificationem peccatorum per Spiritum sanctum, Qui veterem hominem cum suis concupiscentiis et crucifigit et rénovât ad imaginem Dei": W A 39/11, 236, 3—6 (Die Prom.disp. v o n H. Ropp und Fr.Badiofen 1543). Siehe 3 1 W A 42, 48, 30 f. (Gn 1,26). audi unten Teil C. 3 2 W A 56, 55 f. (Römerbriefvorlesung 1515/16) und W A 42, 163, 32—37 ( G n 3 , 1 9 ) . 3 3 S. o. Anm. 23. 3 4 W A 41, 3 0 7 f f . (Pred. 1535 R ö m 8 , 1 9 f . ) . 35 W A 18, 5 1 9 , 1 3 f f . (Die sieben Bußpsalmen. Zweite Bearbeitung 1525); vgl. auch ib. 5 1 9 , 2 8 .

Β. FALL UND TOD

„Adam war wol also geschaffen, das er Gott ehnlich war . . . Da weis er von keinem zorn, sunde noch unglueck, sondern sihet und fuelet eitel leben, fride und alle gnuege . . . Aber da der Teuffei kam, der . . . verderbet das bilde . . . keret das wort umb und malets also fuer: Meinstu, das war sey, das Gott dein lieber Vater sey und so gnedig und gut meine, wie du wehnest? Hette er dich lieb, so lies er dich von diesem bawm auch essen, Aber er hat sorge, du moechtest zu klug und jm gleich werden . . . Da verleuret er das bilde, das Gott gemalet hat, und bildet sich nach dem bild, das der Teuffei gemalt h a t . . . Da war doch das bilde gar zubrochen, Und folget auch das leben dem selben g l e i c h . . . Und wie jm zuvor Gottes wort war eitel leben, so ists jm jtzt eitel gifft und tod." WA 37, 454,15—37 (Predigten des Jahres 1534 Mt 8,13).

K A P I T E L III

Der Fall des Menschen 1. S i c u t D e u s Durch die Versuchung kam der Fall des Menschen und durch den Fall der Tod in die Welt. Der Tod ist aber nicht nur das biologische Sterben, sondern ein Entbehren des lebenspendenden Wortes für den konkreten Menschen, der deshalb mitten im Leben vom Tod umfangen ist; „media vita in morte sumus" 1 . Versuchung bedeutet einen Angriff auf das Wort : „Caput tentationis sit dubitare, an Deus hoc dixerit.. ," 2 Solange sich Adam ans Wort Gottes hielt, hatte er Leben und Gerechtigkeit, aber mit der Entfernung vom Wort bzw. mit dem Ungehorsam gegenüber Gottes mandatum traten Tod und Ungerechtigkeit ein3. Der Tod stammt aus dem Inneren des Menschen, aus seinem fehlgeleiteten Vertrauen und seiner falschen Willensausrichtung 4 , erweist sich aber auch als ein äußeres Verderben. Die Sünde ist Willensaufruhr (sicut Deus) bzw. Mißbrauch von Gottes Gaben im Dominium des Menschen (abusus), aber auch Gefangensein unter einer bösen Macht, die infolge von Adams Fall in die ganze Welt eingedrungen ist und nun über die Menschheit herrscht: „von Adam, do henget uns an das reich des leidigen Teuffels, welcher ist unser herr, und ist uns allda angeboren der Tod, die Sünde und ewige Verdammnis und des Teuffels reich." 5 Der konkrete Mensch kann dieser Macht der Sünde nicht entfliehen; als äußerer und innerer Mensch wird er immer versucht und getötet, hat aber auch einen aktiven Anteil am Ereignis des Falls, der noch heute geschieht, nämlich als „ein betriegnis und subtiliter list allen denen, die ynn guten wercken sich üben und from düncken . . ." e . Die Sünde und der Fall äußern sich erstens als Aufruhr gegen Gott, als ein WieGott-sein-Wollen. Das Wesen des Sündenfalles ist, wie Luther in der Schrift gegen Latomus sagt, Vatermord (parricidium) 7 . Wenn der Mensch aber nicht mehr im Gehorsam gegen Gott Hüter der Dinge und Diener seines Nächsten sein will, betet er das Geschaffene an und mißbraucht es somit in Eigensucht, er lebt „ex rapto" 8 , was aber Mißbrauch von Gottes Gaben bedeutet. Die Versuchung hat also auch immer zugleich eine sodale Auswirkung, der Fall bedeutet Aufruhr und Mißbrauch. 1 3 5 7

7

S.o. Kap. 1,1, Anm.37. Ib. 120, 30—121,16. W A 47, 15, 27 (Pred. über Joh 3 1538). W A 8, 63, 23 (Latomus 1521). 7647

Löfgren, Schöpfung

2 4 6 8

WA 4 2 , 1 1 5 , 6 ; 1 1 6 , 1 8 . Ib. 124, 40. W A 18, 487, 8 (Die 7 Bußps. 1525). W A 43, 372, 32; 373, 3.

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Kapitel I I I : Der Fall des Menschen

In diesem Kapitel wollen wir zunächst diese Seite des Sündenbegriffs bei Luther darlegen und sparen die ausführlichere Darstellung der Auffassung Luthers von der Macht des Bösen für das nächste Kapitel auf. Um die Aktualität des Falles zu verstehen, muß man sich zunächst an das erinnern, was wir im vorigen Kapitel zeigten, daß nämlich der Mensch als ein Geschöpf Gottes immer unter der Forderung Gottes steht. Ebenso wie Gott aktuell schafft, indem er spricht (dicere est facere) 9 , so gebietet er, indem er schafft (schaffen heißt gebieten)10. Weil der Mensch aber von den aktualen Forderungen Gottes nichts wissen will, sondern sie leugnet, indem er unabhängig von Gott leben will, ist seine Sünde nicht als eine Folge der mangelhaften Erkenntnis des Menschen, sondern im Gegenteil dadurch verursacht, daß der Mensch mehr wissen will, als was Gott ihm im Wort offenbart, und mehr sein will, als ihm Gott zu sein aufgetragen hat u . Der Fall ist also durch den Menschen verursacht, durch ihn, dem Gottes Offenbarung anvertraut ist. Die anderen Lebewesen und Geschöpfe sind ohne Schuld. Dies tritt u.a. in Luthers Unterscheidung zwischen dem Tod der unschuldigen Tiere (innocens creatura) und dem Tod der bösen Menschen zutage. Während die Tiere sich des Todesschreckens nicht bewußt sind, weil sie „exordinatione Dei" sterben, und der Tod deshalb für sie etwas Natürliches bzw. ein nur zeitliches Übel ist, ist der Tod des Menschen als eine Bedrohung des ewigen Lebens und eine auf Gottes Zorn beruhende Strafe etwas Unnatürliches und mit Schrecken Verbundenes12. Ebenso wie der Friede im Herzen, im Inneren des Menschen als das Paradies, so wird die Todesunruhe als die Hölle, als das verlorene Paradies des Menschen betrachtet13. Die Todesunruhe ist für Luther ein Zeichen dafür, daß der Mensch 10 WA 12, 328, 16 (Ep. S.Petri . . . 1523 » WA 40/11, 231, 5 f. IPetr 2,13—17). „Tametsi enim omnes homines ,notitiam quandam naturalem habent, animis ipsorum insitam', qua naturaliter sentiunt alteri faciendum esse, quod quis velit sibi fieri (Quae sententia et similes, quas legem naturae vocamus, sunt fundamentum humani juris et omnium bonorum operum), tamen adeo corrupta et caeca est vitio diaboli humana ratio, ut illam cognitionem secum natam non intelligat aut, si etiam admonita verbo Dei intelligat, tamen scienter (tanta est potentia Satanae) earn negligat et contemnat" : WA 40/11, 6 6 , 3 4 — 6 7 , 1 4 (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 5,14). Die Vernunft des Menschen ist aus dem Fall ganz gewiß nicht unbesdiädigt und unverändert hervorgegangen, aber notitia hominis wird immer als conditio sine qua non für die Einsicht in seine Schuld gesehen. Luther wendet sich mit Entschiedenheit gegen die Vorstellung, als ob Unwissen, soweit es nicht willentlich ist, etwas mit Schuld zu tun hätte; für ihn besteht das Wesen der Erbsünde nicht in der Ignoranz, sondern in der Arroganz. Siehe weiter hierzu unten Kap. IV, 2 und G. Ljunggren 1928, S. 388—428. 11

12 »Ergo ostendit hominem esse conditum ad immortalitatem, quod non deberet mori. Hoc significat terribilis ille horror mortis": WA 39/11,367,11 ff. (Die Prom.disp. von P.Hegemon 1545). Siehe audi WA40/11,485,13 (Ennaratio Psalmi 1534/35 P s 9 0 ) und ib. 487, 13—19; 513,19—28; 536, 25 f. 13 „Dolores mortis et inferni pro eodem ego habeo. Infernus enim est pavor mortis, id est sensus mortis": WA 5, 4 6 3 , 2 2 f f . (Operationes in Psalmos 1519—21). Vgl. G.Ljunggren 1928, S . 4 2 2 f . , und C.Stange, Luthers Gedanken über die Todesfurcht (Greifswalder Studien z. Lutherforschung und Geistesgesch. 7), Berlin 1932, S. 30 f. E. Gerstenmaier 1938 behauptet einen inneren Zusammenhang zwischen der Betonung der Todesangst bei Luther und Augustins berühmtem Wort: „fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum donee requiescat in te" (S. 113ff.).

1 . Sicut Deus

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aus seiner Bestimmung herausgefallen ist. Er fragt daher zu Recht nach der Befreiung von der Knechtschaft des Todes, der sein Leben in Gott und auf Gott hin bedroht14. Nur so wird ihm die Erkenntnis gegeben, daß er Mensch ist, d.h. ein Wesen, das darauf angewiesen ist, sein Leben aus Gottes Hand zu empfangen und deshalb von ihm „aus dem Nichts" geschaffen werden muß15. Der natürliche Mensch fragt aber nur nach dem, was er selbst tun kann, und bleibt deshalb in Todesunruhe, in der falschen Weisheit der teuflischen Versuchung (sapientiae tentatio) gefangen 16 . Wenn die Lebensverbindung mit Gott geleugnet wird, kann der Mensch aber nur wie das gemähte Gras verdorren und sterben. Die Folge des Falls ist also nicht Verlust der Erkenntnis als eines formalen Vermögens, sondern Verlust der Lebensgemeinschaft mit Gott; sie ist Verlust des Ursprungs des Menschen in Gott und deshalb Tod 17 . Gerade in diesen Zusammenhang — den des Lebens und des Todes — muß die Bestimmung, die Luther der Situation des Menschen als eines geschaffenen und gefallenen Wesens gibt, eingefügt werden. Luther unterscheidet also zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung einerseits und der Schöpfung und dem Fall andererseits. Der geschaffene Mensch ist durch das im Wort gesetzte Gehorsamsverhältnis zum Schöpfer bestimmt, eine „Distanz" die Leben bedeutet; er ist geschaffen, d.h. er kann nicht wie Gott selbst schaffen, sondern nur Leben empfangen. Demgegenüber muß die Distanz unterschieden werden, die durch den Aufruhr, den Fall des Menschen von diesem selbst hervorgerufen wurde, eine Distanz, die Tod bedeutet, weil der Mensch sich gegen Gott auflehnt und versucht, das zu sein, was er als geschaffenes Wesen nie sein kann, nämlich sein eigener Schöpfer. Der Fall bedeutet jedoch nicht, daß der Mensch sofort stirbt, sondern besagt nur, daß der Mensch ganz in und aus sich selbst zu leben sucht, er ist also in die Gewalt des Todes und des Teufels hineingezogen. Die aufrührerische Selbstherrlichkeit bedeutet, daß man aus Gottes Gnade nicht leben will; dies bedeutet aber, daß man schon in gewissem Sinne tot ist, denn „wo menschen krafft eingeht, da geht gottis krafft auss" 18 . Der Fall ist so gesehen auch nicht nur ein Urereignis in der Geschichte, sondern ein weiterwirkendes, aktuelles Geschehen. Geschichte ist nämlich für Luther genau so wie die Schöpfung Gottes nicht eine in sich selbst ruhende Größe. Sie ist deshalb auch nicht an und für sich böse, sondern nur der Ort und die Zeit, in welchen die Sünde sich ereignet19. Ebenso wie die Schöpfung Adams, auch die Schöpfung W A 1 8 , 6 0 2 , 7 — 1 0 (De servo arbitrio 1525), ib. 626, 26. W A 40/11, 362, 28, vgl. W A 7 , 1 4 1 , 31 (Assertio omn. art. 1520). 1 6 W A 4 2 , 1 2 1 , 1 6 (Gn 3, 6). 1 7 W A D B 5 , 3 , 3 4 ff. (Praefatio in V T 1529). „Das gras abgeschlagen odder gebrochen, verleurt seinen ursprung, das ist der einfliessende safft und feuchtigkeit, und wird dürr und wird gut fewerwerck, also sind wir alle ynn Adam durch den teufïel geschlagen und beraubet unsers Ursprungs, das ist Gottes": W A 18, 509, 36—39 (Die 7 Bußps. 1525 Ps 78, 33). 1 8 W A 7, 586, 23 (Das Magnificat 1521). 1 β H. Thielicke, Geschichte und Existenz, Gütersloh 1935, S. 20, und E. Gerstenmaier 1938, S. 118. 14

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Kapitel III : D e r Fall des Menschen

jedes konkreten Menschen in sich einschließt, so ist auch der Fall Adams der Fall aller. Luthers Auslegung des urgeschichtlichen Geschehens ist ja in dem Sinne aktualisierend, daß er den nun lebenden Menschen im Schöpfungsbericht wiedererkennt. Wie Gott die ersten Menschen aus dem Nichts schuf, so läßt er nun neue Menschen in die Welt hinein gebären. Ebenso wie der Fall im Paradies geschehen ist, so geschieht er auch heute noch im Zusammenhang mit der guten Schöpfung, nämlich darin, daß sich der Mensch von Gott, seinem Lebensspender, abwendet 20 . Luther unterscheidet somit auch beim konkreten Menschen zwischen dem guten, unablässigen Schaffen Gottes und der gefallenen Natur des Menschen. Schöpfung und Sünde sind also nie identisch; die aus dem beständigen Schaffen Gottes hervortretenden Geschöpfe sind also gut21, doch geschehen nach dem Falle das Schaffen Gottes und die cooperario des Menschen immer im Zusammenhang der Sünde und des Todes, so daß der konkrete Mensch nie von der Auswirkung des Falles und Todes unberührt ist22. Die Versuchung geschieht durch den Teufel, den gefallenen Engel. Wie wir im nächsten Kapitel eingehender aufzeigen werden, ist jener aber kein selbständiges Prinzip neben Gott. Auch der Teufel ist ursprünglich von Gott geschaffen, er ist böse, aber nur als gefallenes Geschöpf kann er seine Bosheit ausüben23. Luthers Teufelsvorstellung schließt in sich das Verständnis der Sünde als einer von außen her kommenden verderbenden Macht (Tod und Teufel gehören deshalb zusammen) wie auch das Verständnis des Bösen als Aufruhr des Willens, der eine unausweichliche Schuld bedeutet24. Als eine unüberwindliche kosmische Macht sind der Fall und das Böse vom Menschen nicht ganz zu erfassen, denn könnte man das Böse theoretisch klarlegen, würde man es auch aus eigener Kraft bewältigen können; dann wäre der Mensch kein Sünder mehr und das Böse nicht mehr Gottes Zorn und Strafe. Die ersten Menschen waren ja rechtschaffen, nicht weil sie selbst von Gut und Böse wußten, sondern nur weil sie ihr Leben und damit Gottes Offenbarung empfingen. Indem auch der gefallene Mensch nicht nach theoretischer Erkenntnis des Bösen, sondern nach Befreiung von der Macht des 2 0 „Non autem sentiemus soli Adamo haec ita accidisse. Singuli facimus eadem ..." : W A 4 2 , 1 3 1 , 1 5 f. (Gn 3,10). „Omnes ergo dicimur ,Adam*, i. e. homines": W A 1 4 , 1 2 5 , 1 7 (Pred. über das l . B u d i Mose 1523/24 Rörer G n 2 , 1 7 ) . „Darumb auch die schrifft dem ersten menschen und uns allen einen namen gibt, das, was mensch ist, alles Adam heisset von diesem ersten Adam . . . W i r sind Adam und bleiben Adam" : W A 24, 7 5 , 2 6 — 3 2 (Über das l . B u d i Mose . . . 1 5 2 7 Gn 2,16). Vgl. auch den ganzen Zusammenhang in W A 4 2 , 1 3 0 f. (Gn 3 , 1 0 ) , w o Adams Erschrecken mit dem Erschrecken eines jeden Sünders v o r Gottes Gericht parallelisiert wird. Der Zusammenhang mit Adam ist also nicht nur ein biologischer, sondern auch ein wesensmäßiger, denn jeder Mensch ist wie Adam unmittelbar zu Gott. Vgl. L. Haikola, Studien . . . 1958, S. 74 f., und H. Obendiek, Der Teufel bei Martin Luther (Furche-Studien 4), Berlin 1931, S. 63, 6 5 , 6 6 und 171.

„Naturalia sunt integra": W A 40/1,293, 7. W A 18, 669 f. (De servo arbitrio 1525), ib. 710, 3 1 — 3 1 1 , 1 9 . „Deus non agit mala, sua autem omnipotentia agit omnia; ergo ut reperit hominem, ita agit": W A T Ì 4 , 642, 34 fi. (1540). 2 3 W A 4 2 , 1 8 f. (Gn 1, 6), ib. 1 0 6 — 1 1 4 ( G n 3 , l ) . 24 Siehe hierzu R. Hermann 1930 und unten Kap. IV. 21

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Bösen fragt, wird ihm ganz offenbar, daß er das Böse tut und ungerecht ist, weil er das, was Gott ihm schon angeboten hat, nicht entgegengenommen hat25. Gerecht ist der Mensch also nur, weil er sein Leben von Gott mit Dankbarkeit empfängt. Gerechtigkeit und Leben gehören deshalb in gewisser Hinsicht zusammen. Weil für Luther die Gerechtigkeit der ersten Menschen (iustitia originalis) mitgeschaffen und eins mit ihrem Leben war und der Verlust der iustitia originalis notwendigerweise Tod bedeutet, kritisierte Luther die scholastische Lehre von der Erbsünde, weil jene den Fall nicht in den Verlust von etwas „Natürlichem", sondern in den Verlust einer akzidentiell gedachten „Übernatur" verlegte. Das Leben und die Gerechtigkeit wurden also als zwei verschiedene Dinge voneinander getrennt und die Natur des Menschen als eine selbständige Größe betrachtet. Der Mensch kann zwar nur durch Gottes Gnade die vervollkommnende Übernatur zurückgewinnen, aber die Erlösung wird dadurch nicht als eine Wiederherstellung des „Natürlichen" und auch nicht als eine totale Neuschöpfung des ganzen Menschen durch Gott, sondern als ein Zusammenwirken zwischen dem freien Handeln des Menschen und dem Gottes betrachtet 26 . Nach Luther bedeutet solche Auffassung eine Verringerung der unausweislichen Schuld des Menschen, sie ist ein typisches Produkt menschlichen Hochmuts, der von sich glaubt, gegen Gott das ausrichten zu können, was Gott dem Menschen im Wort zu geben gewählt hat 27 . Die Situation des nun lebenden Menschen ist also in gewissem Sinne dieselbe wie die Adams. Er ist geschaffen und wird bewahrt, und in dieser Situation ist er zwar nicht vollkommen geschaffen, aber auf dem Weg zur Vollkommenheit im ewigen Leben 28 . Er ist gefallen, hat sich von Gott abgewendet und ist deshalb auf dem Weg zum Tod und zum Gericht und geht des Lebens verlustig. Was Luther aber vor allem einschärfen will, ist, daß die Situation des Menschen nach dem Fall ganz umgewandelt wird. Der konkrete Mensch ist ein zusammengesetztes Wesen, das sowohl das Leben (auf Grund des fortgesetzten Schaffens und Sich-Offenbarens Gottes) als auch den Tod (auf Grund des Falls) in sich trägt 29 . Er ist sowohl zum Guten wie zum Bösen geneigt, weil er das Gebot Gottes in seinem Herzen trägt, gleichzeitig aber auch eine Neigung, sich gegen Gott aufzulehnen 30 . Er 25

W A 42,84 (Gn 2,17), 109,25—32 (Gn 3,1) und 123,35 (Gn 3,7). Siehe hierzu R. Prenter 1951/53, S. 163 (dt. 1958/60, S. 186), D.Bonhoeffer 1955 s , S. 97, sowie S. Silén 1938, S. 122 f. 26 Zur sdiolastischen Lehre siehe H.Lindroth 1933, S. 140ff., und S. Silén 1938, S. 116. 27 „Darauss folgett, das die Papisten nit anders von der natur reden unnd glewben, denn als were sie nodi unuorruckt, wie sie fur dem fall ynn Adam war, glewben nitt, das sie ynn sunden gantz vorterbet und gottis feynd sey": WA 10/1,1, 4 7 2 , 1 — 3 (Kirchenpostille 1522). 28 WA 3 9 / 1 , 2 3 4 , 9 — 1 5 (Die Prom.disp. von Palladius und Tilemann 1537), WA 42, 5 4 , 1 5 f. (Gn 1,28) und 85 ( G n 2 , 1 7 ) . 29 „Homo est animal compositum vita et morte, voluptate et tristitia . . . Cum enim in vita sunt omnia mixta, iuncta, confusa iuxta Ecclesiasten: Vanitas vanitatum, super omnia vanitas, et tempus flendi": WATi 4, 546, 6 ff. (1543). Siehe auch WA 13, 68, 3 (Praelectiones in prophetas minores 1524 ff.), WA 56, 312,1—18 (Römerbriefvorlesung 1515/16 R o m 5 , 1 4 ) und L.Haikola, Studien . . . 1958, S. 7 4 f . 30 „Es ist mit dem naturlichen liecht wie mit allen andernn gelieden und krefften des menschen; wer tzweyffelt daran, das der mensch sey durch das ewige wort gottis ge-

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Kapitel I I I : Der Fall des Menschen

besitzt also nichts Eigenes, sondern ist in seinem verkehrten Willen ganz u n d gar „fleischlich", d . h . ungerecht u n d böse. E r kann sich aber nicht mit einem H i n w e i s auf die Schwachheit i m Fleisch entschuldigen, w e i l er i m m e r etwas anderes, als G o t t i h m offenbart, will. D e r M e n s c h ist v o r G o t t immer verantwortlich31. Luther verlegt also das B ö s e nicht in einen niederen Teil des Menschen, sondern es umfaßt u n d bestimmt den ganzen gefallenen Menschen. S o kann v o m totalen Gesichtspunkt her gesehen der M e n s c h entweder ganz Fleisch (caro) oder ganz Geist (spiritus) sein; d . h . der M e n s c h ist entwedergan^ gut oder^iz«^ böse. Dieser „ t o t u s - h o m o " - A s p e k t hindert Luther daran, in ein metaphysisch-dualistisches Unterscheiden zwischen Geist u n d Materie b z w . z w i s c h e n einem höheren geistig e n u n d einem niederen körperlichen T e i l des M e n s c h e n abzugleiten 3 2 . Für Luther ist deshalb nur die g o t t b e f o h l e n e H a n d l u n g gut, hinter der der ganze M e n s c h steht, d . h . sein Wille (voluntas), sein Herz (cor) oder seine G e sinnung (Gemüt). Wer G o t t i n seinem H e r z e n kennt, will i h n kennen u n d i h m vertrauen; w e r aber sich selbst statt G o t t ins Zentrum setzt, empört sich, i n d e m er d e m Willen G o t t e s nicht gehorcht. A u s d e m imago-dei-Menschen wird s o ein imago-diaboli-Mensch 3 3 . D i e s aber hat zur F o l g e , daß er aus d e m Machtbereich des Lebens i n den Machtbereich des T o d e s gerät 3 4 . schaffen ynn allen seynen krefften wie alle andere ding? und ist gottis creatur. Aber dennoch ist keyn guttis ynn yhm, das ist (wie Moses sagt Gn 6) : alle seyn gedancken unnd synn mit allen krefften sind nur dem bössen geneygt. Darumb wie warlich das fleysdi ein creatur gottis ist, so ists dodi nit tzur keuscheit, ssondern tzur unkeuschheyt geneygt. Wie warlich das hertz gottis creatur ist, sso ists doch nit tzur demutt, tzur liebe des nehisten ssondern tzu dem hohmut und seyn eygen liebe geneygt und thut auch nach solcher neygung, wa yhm nit mit gewallt wirt geweeret. Alsso audi das naturlich liecht, wie wol es wessentlich sso hell ist, das es weyss, es soll nur guttis gethan werden sso ists doch sso vorkeret, das es nymmer recht trifft, was do gutt ist, ssondernn was yhm gefeilt, das heyst es gutt und feilt denn drauff, sdileusst freuelich, seyn erwelltiss gutt sey tzu thun, sso feret es eynhynn und folgt ymer dem boessen fur das gutt": WA 10/1,1,204, 10—205,3 (Kirchenpostille 1522 J o h l , 4 ) . 31 » . . . per carnem totum hominem significan, per spiritum aeque totum, atque hominem inferiorem et exteriorem seu novum et veterem non distingui iuxta differentiam animae et corporis, sed iuxta affectus": WA 2,588, 30—32 (Galaterbriefkommentar 1519 Kap. 5, 19 f.), vgl. WA 57 (2), 77,18—79,2 (Galaterbriefvorlesung 1516/17) und WA 42,199,21 ff. (Gn 4, 7). 32 WA 56, 351,23—352, 20 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Kap. 7,17). „Habita enim volúntate bona totus homo bonus est": WA 3, 25, 20 (Dictata 1513—16). Siehe hierzu E. Schott 1928. 33 „Ergo imaginem Dei sic intelligo . . . quod fuerit sine pavore mortis et omnium periculorum, contentus gratia Dei . . . Nunquam sumus securi in Deo, terror et pavor etiam in somnis nos exercent. Haec et similia mala sunt imago Diaboli, qui ea nobis impressit": WA 42, 47, 8—22 (Gn 1, 26). „Der mensdi mus ein bilde sein entwedder Gottes odder des Teuffels, Denn nach wilchem er sich richtet, dem ist er enhlich": WA 24, 51,13 f. (Über das l.Buch Mose 1527 G n l , 2 7 ) . Siehe das Motto zu Teil B, oben S. 95. Vgl. audi WA 47,42, 24—43, 13 (Ausi, des 3. und 4.Kap. Joh. J o h 3 , l l ) , WA 42, 110, 38—112, 35 (Gn 3,1) und WA 17/1, 46, 8 (Pred. 1525 Rörer Lk 8, 4). 34 WA 42,46,28 f. (Gn 1,26); 68, 33 ff. (Gn 2,8). „Da war doch das bilde gar zubrochen, Und folget audi das leben dem selben gleich . . . Und wie jm zuvor Gottes wort war eitel leben, so ists jm jtzt eitel gifft und tod." Siehe das Motto oben S. 95.

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Für den Prozeß des Falls verwendet Luther etwas variierende Ausdrücke35. In der Römerbriefvorlesung (1515/16) nennt er vier „Stufen" des Falls: zuerst die Undankbarkeit gegenüber dem Schöpfer (ingratitudo), dann die Eitelkeit, die sich in Eigenliebe äußert (vanitas), drittens die Verblendung, in der man sich von Gott abwendet (excaecatio) und schließlich der bewußte Aufruhr und Haß gegen Gott (error erga Deum)36. In allen diesen vier Stufen, die man sich nicht zeitlich voneinander getrennt vorstellen darf, tritt die einheitliche Grundstruktur in Luthers Auffassung vom Fall hervor: Der Mensch versucht etwas anderes als Mensch zu werden37. Er emanzipiert sich von Gottes Wort und strebt nach Gott und seinem Willen ohne Rücksicht auf das, was Gott in seinem Wort und Gebot offenbart hat38. Der Fall bedeutet also zunächst einen totalen Umschwung in der Beziehung des Menschen zu Gott. Er strebt danach, allein zu sein, d.h. nichts über sich oder neben sich zu haben. Er strebt danach, unbegrenzt, d. h. allmächtig, sein eigener Schöpfer zu werden39. Ebenso, wie der Teufel Gott im Himmel sein will, so versucht er den Menschen, damit er vom Wort abweiche und sein Leben nicht durch das Wort entgegennehme40. Der Versucher greift das Wort an, weil der Mensch hier den Grund seiner Sicherheit in Gott hat. Der eigentliche Lebensnerv des Menschen wird angegriffen : die im ersten Gebot befohlene Zuversicht zum Schöpfer und Lebens spender41. Da aber der Mensch immer etwas haben muß, worauf er vertrauen kann, bedeutet der Angriff des Teufels auf das Wort, daß er den Menschen versucht, seiner Zuversicht einen anderen Gegenstand als Gott und sein Wort zu erwählen. Dies ist aber Hochmut (superbia) und schließt in sich Eigenliebe (amor sui) und Begierde Siehe hierzu audi die ausführliche Darstellung bei M. Stomps 1935, S. 63 f. W A 5 6 , 1 7 8 f. (Römerbriefvorlesung 1515/16). 37 „ . . . arbor ideo videbatur delectabilis, quia prudentes faceret. Hoc enim Diabolus in Omnibus tentationibus solet, ut, quanto homo a verbo discedit longius, tanto videatur sibi doctior et sapientior": W A 4 2 , 1 2 0 , 36 f. (Gn 3, 6), vgl. ib. 110. 3 9 Ib. 73, 2 0 — 3 4 (Gn 2, 9). Sowohl das Gute als auch das Böse kommt also letztlidi von der unausweichlichen Relation des Menschen zum mandatum oder verbum Dei. 3 9 „ . . . Immo vellet se esse deum et deum non esse deum": W A 1 , 2 2 5 , 1 f. (Disputado contra scholasticam theologiam 1517). „Quam blasphemum igitur est dicere, Se ipsum esse sui ipsius Deum, creatorem seu generantem, tam blasphemum est suis operibus iustificari" : W A 39/1,48, 28 ff. (Die Doktorpromotion von Weller und Medier 1535). 4 0 W A 4 7 , 1 1 8 , 2 8 — 3 6 (Ausi, des 3. und 4 . K a p . Joh. 1538—40 J o h 3 , 1 9 ) , W A 4 2 , 1 1 7 , 1 8 — 1 2 0 , 2 1 ( G n 3 , 1 — 5 ) . „ . . . Gen. 1. homo positus sit rerum dominus, ut per rationem ea disponat, quae sunt sese inferiora, pro suo arbitrio . . . Quia non licet hominem sese regere supra se, ubi solius dei est regere: hoc enim ipso arrogat sibi sedem dei cum Lucifero, et cum A d a m vult aequalis esse deo . . . Sic mandavit dominus . . . Et prorsus nihil ibi geritur nisi verbo domini praevio": W A 1 1 , 2 8 7 , 1 — 1 9 (M. Lutheri ad Brismannum epistola 1523). 4 1 „Praecipua autem vis Sathanae posita est in oppugnando et delendo verbo ac doctrina, quae continetur in primo praecepto, eam petit acerrime. Itaque danda est opera ante omnia, ut doctrinam veram et certam habeamus de Deo, ibi tum vera reformatio et ordinano Ecclesiarum instituí potest": W A 4 4 , 1 6 9 , 25—29 (Gn 35, 2). Siehe auch W A 47, 26, 3 — 1 2 (Ausi, des 3. und 4. Kap. Joh. 1538 Joh 3, 8). 35

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( c o n c u p i s c e n t i a ) 4 2 : „ D i c t u m est d e superbia, q u o m o d o p r o h i b i t a sit s u b p r i m o p r a e c e p t o , e o q u o d i n i t i u m peccati sit superbia." 4 3 D e r H o c h m u t äußert s i c h i m m e r i n A r r o g a n z u n d G l e i c h g ü l t i g k e i t des M e n s c h e n g e g e n ü b e r G o t t e s G e b o t e n u n d i n seiner A b n e i g u n g , die S ü n d e b e i i h r e m rechten N a m e n z u n e n n e n w o d u r c h er s t ä n d i g n a c h einer f r o m m e n E n t s c h u l d i g u n g f ü r d i e e i g e n e e g o i s t i s c h e B e g i e r d e s u c h t : „ H a e c est natura peccati excusare s e . " 4 4 W e l c h e Begriffe L u t h e r z u r B e s c h r e i b u n g des A u f r u h r s g e g e n G o t t a u c h v e r w e n d e t , der G e d a n k e ist d o c h letztlich i m m e r der, d a ß der M e n s c h e t w a s anderes z u w e r d e n v e r s u c h t als das, w o z u G o t t i h n geschaffen hat. W e n n m a n d i e E i g e n l i e b e ( a m o r sui) als eine f ü r L u t h e r t y p i s c h e B e s t i m m u n g d e s G e g e n s a t z e s zur G e r e c h t i g k e i t des M e n s c h e n a n g e g e b e n hat 4 5 , w a r m a n sich n i c h t i m m e r darüber i m klaren, d a ß sie f ü r L u t h e r i m m e r auf etwas gerichtet ist, das außerhalb des Menschen liegt. E r f a ß t sie n i c h t nur als G e s i n n u n g auf, s o n d e r n als B e w e g u n g h i n z u einer falschen Lebensgrundlage46. W e n n Gottes G e b o t beiseite g e s c h o b e n wird, rückt das e i g e n e I c h i n s Z e n t r u m , u n d das „ I c h " b e d e u t e t i n d i e s e m Z u s a m m e n h a n g e t w a s g a n z anderes, als w a s G o t t d e n M e n s c h e n z u sein b e f o h l e n hat. W e n n m a n „ s i c h s e l b s t " sucht, d a n n m i ß a c h t e t m a n G o t t e s I n t e n t i o n , sein rechtes L e b e n , m a n setzt sich ein falsches Ziel47.

W e n n der M e n s c h „ i n c u r v a t u s i n s e " ist, w i r d s o m i t

42 Siehe A. Hamel, Der junge Luther und Augustin, Gütersloh 1934, S. 99, sowie N . Nüjgaard, O m Begrebet Svnd hos Luther. Studier i Luthers Antropologi indtil 1522, Kobenhavn 1929, S. 63. 43 W A 1 , 518,13 f. (Decern praecepta 1518). Diese Grundsünde ist wie die Wurzel, die den ganzen Baum verdirbt. Bereits in den beiden Sermonen D e triplici bzw. duplici iustitia von 1518 (WA 2, 41 fï. und ib. 143 ff.) wird diese Grundsünde mit der Gerechtigkeit Christi kontrastiert, die die ganze Person gut macht. Vgl. audi in den Dictata 1513—16: » . . . cupiditas est radix et prima gravitas (cordis), ex qua pullulât ira, invidia, superbia, malitia, dolus . . . " : W A 3, 48,18 ff. 44 WA 39/11, 276 (Die Prom.disp. v. Fabricius u. Rapagelanus 1544). „Hoc est autem duplex peccatum, stare, defendere . . . , seipsum justificare, postquam peccavit suam iniquitatem statuere . . . i.e. negare deum et idolum fingere sibi": W A 3,15,35—16,1 (Dictata 1513—16. Ps 1,1); vgl. ib. 2 8 , 1 0 f . ; 331,4—10. „Adam non vult agnoscere peccatum, sed purus et mundus haberi v u l t " : W A 4 2 , 1 3 2 , 3 0 ( G n 3 , 1 2 ) . „Cain . . . negans reiicitur et desperat. Idem iudicium quoque manet nostros Cainitas, Pontífices, Cardinales et Episcopos, qui cum noctu diuque Consilia caedium animo versent, tarnen etiam dicunt, sicut Pater ipsorum: Nescio": ib. 204,1—5 ( G n 4 , 9 ) . „Es ist nicht menschlich, wen man böses thut und es darzu noch verleugknet . . . sondern es ist gahr teuffelisdi . . . " : WA 47,118, 8ff. (Ausi, von Joh. 1538—40 Joh 3,19). In unserem täglichen Leben erfahren wir, wie „der H e r r mus unrecht haben, und der knecht will sein im Hause H e r r und die Magdt Fraue. Also will der Teuffei Gott im himmel sein . . . Gott aber soll droben unrecht sein . . . " : ib. 118,28—31. 45

W. Jetter 1954, S. 170, M . S t o m p s 1935, S. 34 f., 80 f., und G. Dahlbäck, Den gamia odi den nya människan i Lars Levi Laestadius' teologi. Diss. Lund 1950, S. 92 ff. 46 WA 18, 710,11 (De servo arbitrio 1525). 47 D a ß Luthers theozentrisdie Glaubensauffassung, im Gegensatz zum Semipelagianismus und zur Verdienstreligiosität der katholischen Kirche, jeden Gedanken an religiösen Egoismus ausschließt, ist von der Lunder Motivforschung stark betont worden. Siehe z.B. A. Nygren 1947 2 , S. 532 f. (dt. 1956 2 , S . 5 6 3 f . ) sowie G. Dahlbäck 1950, Literaturangaben in Anm. 52, S. 93. Wenn die Lunder Theologie angeklagt worden ist, daß sie f ü r die Frömmigkeitsfrage, „wie man erlöst werden bzw. das Ziel seiner Bestimmung erreichen kann", kein Interesse habe, so antwortet sie, sagen die Kritiker, mit dem Hinweis darauf,

2. A b u s u s

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die im Gebot gesetzte Beziehung des Menschen zu Gott und der Mitschöpfung nur zum Mittel seiner Begierde. In allem, was er tut, sowohl in seiner Funktion als dominus mundi bzw. seiner Stellung als Mitmensch als auch in seinem Gottesdienst, im Weltlichen wie im Geistlichen, in seiner Frömmigkeit wie in seinem Beruf will der Mensch absolut, „sicut Deus", werden 48 . Die Wurzel der Eigenliebe ist der falsche Glaube, der dem himmlischen Vater zuvorzukommen sucht; statt Gott zu lieben und ihm zu gehorchen, macht man Gott zu einem Ding unter anderen Dingen, dessen man sich bemächtigen und das man beherrschen kann; Gott wird etwas Geschaffenes und nicht der Gott der Liebe, mit dem man in einer persönlichen Gemeinschaft steht49. Damit ist der Mensch nicht mehr Gottes Kind, sein Abbild. Wenn der Mensch in seiner Eigenliebe, seiner Begierde und seinem Hochmut danach strebt, absolut und souverän wie Gott zu werden, verliert er seine Gottebenbildlichkeit und wird „ein bilde des Teuffels"50.

2. A b u s u s Begierde (concupiscentia), Hochmut (superbia) und Eigenliebe (amor sui) bedeuten für Luther nicht nur eine Pervertierung der Beziehung des Menschen zu Gott, sondern seiner Beziehung auch zur Mitschöpfung. Daß der Mensch „incurvatus in se" ist, wird von Luther nicht lediglich als Aufruhr gegen Gott als ein metaphysisches Wesen, sondern als Ungehorsam gegen Gott als den in der menschlichen Gemeinschaft bzw. der Ausübung des Herrscherauftrages gegenwärtigen Schöpfer und Gebieter verstanden. Es gibt für Luther keine abstrakte,, keine beziehungslose Sünde, weil — wie wir gesehen haben — der Fall des Menschen Ungehorsam gegen das Wort Gottes ist, das dem Menschen schon in seinem daß die Frage falsch gestellt sei und eine „egozentrische" Religiosität vertrete. Siehe hierzu G. Aulén, Lundensisk teologisk tradition ( S v T K Jg. 30 1954, S. 229—245), S.236. Vielleicht hätte der Gegensatz zwischen den Vertretern der Lunder Theologie und ihren Kritikern in diesem Punkt bedeutend reduziert werden können, wenn man sich klargemacht hätte, daß zumindest bei Luther ein Unterschied zwischen dem eigentlichen und dem uneigentlichen Ich vorliegt. Das wahre Menschsein kann nach Luther nur im W o r t verwirklicht werden, d.h. wenn man mit Christus, dem vollen und ganzen Menschen, eins wird, mit ihm, der in dem Sinne selbstlos war, daß er sidi entäußerte und gehorsam war bis zum Tode am Kreuz. Vgl. unten Kap. VI, 2. 4 8 „ . . . hominem describit incurvatum in se adeo, v t non tantum corporalia, Sed et spiritualia bona sibi inflectat et se in omnibus querat" : W A 56, 356, 5 f. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 8, 3). Siehe auch E.Schott 1928, S. 8 ff., und M.Stomps 1935, S. 80 bis 87. Zum Ausdrude „in se curvatus" siehe K . Thieme, Die sittliche Triebkraft des Glaubens, Leipzig 1895, S. 1 1 3 , Anm. 1. Außerhalb des Menschen gibt es immer etwas, worauf er vertraut, audi wenn er sich selbst liebt, weil der Mensch das Leben nicht in sidi selbst besitzt. „Ein krummer geist ist des fleisches und Adams geist, der ynn allen dingen sich selbs beuget": W A 18, 504, lOf. (Die 7 Bußps. 1525). Siehe auch ib. 7 0 8 , 1 9 f f . (De servo arbitrio 1525). Dies ist ein Grundgedanke bei H. 0stergaard-Nielsen 1957. „Der mensch mus ein bilde sein entwedder Gottes odder des Teuffels, Denn nach wildiem er sidi richtet, dem ist er enhlich": W A 24, 5 1 , 1 3 f. (Über das l.Buch Mose 1527 Gn 1, 27). 49 50

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Kapitel III : Der Fall des Menschen

dominium begegnet 1 ; der Fall kann dann nicht bloß als eine falsche Gesinnung des Menschen, sondern muß immer in Zusammenhang mit dem Vergehen gegen die menschliche Gemeinschaft bzw. der ungerechten Ausübung des Herrscherauftrages verstanden werden 2 . Wer Gottes mandatum nicht gehorcht bzw. Gott nicht als seinen Schöpfer und Lebensspender preist, dem muß sich das eigene Leben als eine nur menschliche Leistung darstellen 3 ; sein Dominium wird dann als etwas verstanden, was er ohne Rücksicht auf den Nächsten behalten oder aber auch zur Erwerbung von Verdiensten vor Gott und den Menschen gebrauchen kann. Entweder wird dann das Geschaffene als ein Abgott 4 , oder auch Gott als etwas Geschaffenes angesehen, worüber man verfügen kann. Wer nicht mit Gottes Augen sieht, leitet alles nur vom Zusammenhang des Sichtbaren ab und bleibt allein mit seiner kurzsichtigen Vernunft. Aufruhr und Mißbrauch, Legalismus und Antinomismus, Abgötterei und Menschenverachtung werden von Luther als verschiedene Auswirkungen derselben Ursünde des Menschen verstanden, der ohne das Wort nicht mehr zwischen Gut und Böse, zwischen Schöpfer und Schöpfung recht unterscheiden kann. Wer nicht über seinem „dominium" und unter Gottes „mandatum" steht, wer „aequalis Deo" sein will5, sündigt nicht nur gegen die drei ersten Gebote Gottes, die Glauben und Vertrauen fordern, sondern auch gegen die in der 3weiten Tafel aufgestellte Forderung nach Liebe und Fürsorge, in welcher man sich der Mitschöpfung zuwenden soll6. Anstatt das weiterzugeben, was er empfängt, klammert sich der Mensch an die Gaben. Je mehr Gaben Gott über den Menschen ausschüttet, desto größer wird seine Undankbarkeit, seine Überheblichkeit und Lieblosigkeit 7 . Wie übel wäre 1 So andeutungsweise schon in Luthers Hebräerbriefvorlesung 1517/18: WA 57(3), 150, 5—151,18 (Hebr 3,13). 2 Siehe H.-W. Krumwiede 1952, S. 108. 3 „Das ist vitium humanae naturae, quod non putat creationem et dona, sed vult ein feci draus machen; sed sol heissen: Ego accepi, Dominus dedit; N o n : homo fecit": WA 40/ III, 223, 5ff. (In X V Psalmos graduum 1532/33 Ps 127,1). 4 „Hanc sapientiam mundus non habet, ideo non potest discernere Deum a larva": WA 40/1,174, 14 f. (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 2, 6); vgl. auch E. Brunner, Der Mensch im Widerspruch. Die christliche Lehre vom wahren und vom wirklichen Menschen, Zürich 1941 3 , bes. S. 80—86, wo das Gutsein der Schöpfung an sich betont wird; ferner Luthers Auslegung von Jesu Versuchung (Mt 4): WA 17/1,65, 36—66, 3 (Pred. 1525 Mt 4,1 ff.) und WATi 1, 350, 18—351, 4. 5 „ . . . eo quod Gen. 1. homo positus sit rerum dominus, ut per rationem ea disponat, quae sunt sese inferiora, pro suo arbitrio. N a m in his non est situs cultus dei et fiunt tam ab impiis quam piis. Dispersa sunt haec omnibus gratuito bonis et malis, ut dicit Matth. 6. Sed cum superioribus agere, id est cum deo, non permisit deus unquam nec permittit. Sed quicquid hic fieri debet, hoc debet non nisi certo et expresso mandato dei fieri, eo quod nesciat homo per se ea, quae supra se sunt, Hoc est, quid deus velit, nisi suo verbo sese revelarit . . . Quia non licet hominem sese regere supra se, ubi solius dei est regere: hoc enim ipso arrogat sibi sedem dei cum Lucifero, et cum Adam vult aequalis esse deo": WA 11, 287,1—15 (M. Lutheri ad Brismannum epistola 1523). 6 WA 42, 265, 39—268, 27 (Gn 6,1). 7 „ . . . quanto pluribus donis quisque ornatus est, tanto etiam magis superbiat" : ib. 264, 34 f. (Gn 6,1); ib. 264, 34 f. ( G n 6 , l ) . Die Sünde der Engel und die der „ersten Welt", ja die Sünde der von Gott begabtesten Menschen zu allen Zeiten ist Hochmut über Gottes

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das Leben, sagt Luther, wenn Gott damit aufhörte, uns alles Gute zu geben; doppelt so übel ist es aber, weil wir, wo Gott uns nun so viel Gutes gibt, dennoch die Gaben nur mißbrauchen8. Die soziale Unordnung in der Welt des Falls hat ihren Grund nicht im Geber oder in den Gaben, sondern in dem aufrührerischen Hochmut des Menschen9. Auch im Verhältnis zu den Dingen und zum Mitmenschen ist also Sünde nicht als bloß tragisches Verhängnis, sondern immer als aktiver Aufruhr im Mißbrauch des Herrscherauftrages des Menschen verstanden. Ein gutes Beispiel hierfür bietet Luthers Auslegung des Berichts vom Turmbau zu Babel (Gen 11). Für Luther handelt es sich hier um dasselbe Geschehen wie beim Fall der ersten Menschen und beim ersten Brudermord (Gen 4). Die Nachkommen Kains suchen unter Führung Nimrods die Weltherrschaft mit Gewalt zu erzwingen. Der Gebrauch von Gewalt ist, betont Luther, dem Menschen nach dem Fall von Gott ausdrücklich befohlen zum Schutz und Erhaltung einer äußerlichen Ordnung und des Friedens auf der Erde. Nimrod suche aber mit Gewalt in ein fremdes Gebiet einzudringen und mißbrauche damit die Gewalt, indem er die totale Macht zu erobern versuche. In Babylon errichtet er einen Staat und beginnt den Turm zu bauen. Auch die Baukunst ist an und für sich nichts Böses, aber ihr Mißbrauch richtet sich gegen die Souveränität Gottes, sie ist Ausdruck der maßlosen Expansionslust des Menschen geworden. Die Menschen sündigen also nicht, indem sie ihre Fähigkeit und ihr Wissen gebrauchen, sondern indem sie sich Gott, der mit der Forderung seines Willens in der Wirksamkeit ihrer Hände und Gedanken in der Welt gegenwärtig ist, verschließen. Wenn es von Gott in der Turmbaugeschichte heißt: „da fuhr der Herr hernieder" (Gen 11,5), so bedeutet das nicht, daß Gott erst so unter den Menschen gegenwärtig wurde, denn er war die ganze Zeit dagewesen; es bedeutet nur, daß er erst da in seinem Zorn für sie wirklich wurde, und dies äußert sich darin, daß soziale Unordnung auftritt, daß Gott die Menschen zerstreut und einander entfremdet. Der Versuch der Menschen, sich eine uneingeschränkte Herrschaft zu verschaffen, ist also zum Scheitern verurteilt, weil sie sich gegen den Herrn des Lehens erheben. Einheit und Einigkeit existieren nur in Gott, der alles in der Hand seiner Allmacht hält. Jeder Versuch des Menschen, die Dinge ohne Rücksicht auf Gottes Schöpfer willen zu gebrauchen, bedeutet deshalb Mißbrauch und damit Zerstörung und führt zu immer neuen Katastrophen10. Interessant ist, hier zu bemerken, daß Luther die alttestamentliche Babelturmgeschichte von der Zerstreuung der Menschen mit dem neutestamentlichen Pfingstbericht verknüpft. Kains Geschlecht wird zerstreut, aber den von ihm Unterdrückten wird die Verheißung einer neuen Einheit durch die Ausgießung des Heiligen Geistes und die Gründung der Kirche gegeben. Während Gaben: „Hoc est peccatum originale, quod non novimus nec possumus recte uti magnis et excellentibus donis Dei" : ib. 264, 35—40. Gottesfurcht, Glaube, Demut, Gott die Ehre geben und das Geschaffene redit zu brauchen führt Luther also als die Forderungen Gottes zusammen, die mit dem Leben des Menschen gegeben sind, die aber niemand in sich selbst erfüllen kann. 8 W A 42, 265, 39—266, 4 (Gn 6 , 1 ) . 8 W A 34/1, 566, 2—570, 18 (Pred. 1531 Lk 1, 46). 1 0 W A 42, 400, 26—420, 38 (Gn 10 f.).

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Kapitel III : D e r Fall des Menschen

Aufruhr und Mißbrauch der Menschen Zorn und Zerstreuung in die Welt bringen, beginnt der Glaube an Christus die Aufrichtung einer neuen Einheit11. Schon in den Dictata (1513—1516) hat Luther diesen Zusammenhang zwischen Zersplitterung und Mißbrauch angedeutet; wenn das Geschaffene an die Stelle des Schöpfers tritt, wird die Hinwendung zum Geschaffenen ebenso vielfältig, wie es für die Begierde Objekte gibt, und wo solche Begierde nach dem Geschaffenen überhand nimmt, werden die Menschen selbst zerstreut; man verliert sich in der Vielfalt 12 . Wenn man seine Kräfte allzusehr anspannt, um seine Existenz zu sichern, verbraucht man sich selbst, oder aber man gibt auf und resigniert, läßt alles gehen, wie es will. Wenn man zu viel von sich selbst hält (securitas), gelangt man schließlich dahin, gar nichts von sich zu halten (desperatio)13. Beim älteren Luther ist diese Auffassung auf eine charakteristische Weise von seinem Gegensatz zur mittelalterlichen Theologie geprägt. Hinter der abususVorstellung Luthers liegt gewiß die augustinische Distinktion uti — frui; doch wird sie bei Luther allmählich von dem neuplatonischen Beiklang befreit, den sie bei Augustin gehabt hatte14. Der reifere Luther betont stärker, daß der Gebrauch der Dinge unter ein göttliches Gebot gestellt ist, das nicht nur wirklich gehört werden, sondern gerade in der Gemeinschaft mit anderen verwirklicht werden muß, weil Gott seine Befolgung schon in den irdischen Zusammenhängen fordert bzw. in die Bestimmung des Menschen als dominus mundi hineingelegt hat. Bei Augustin dagegen überwiegt der Gedanke des Gebrauchs der Dinge (uti) als Mittel für das Genießen Gottes (frui) 15 , d.h. die Relation des Menschen zur Schöpfung wird seinem Streben nach Glück untergeordnet; weil der Mensch bei Augustin ursprünglich allein und nicht in einem Verhältnis zur Mitschöpfung gedacht ist, erhält das Leben in der Welt seine Bedeutung nur als Durchgangsstadium zum Leben in Gott. Gott ist hier nicht — wie bei Luther — der in den irdischen Zusammenhang Hinabgestiegene, der dem Menschen schon in dessen Existenz als geschaffenem Wesen begegnet. Augustin leugnet zwar nicht den biblischen Schöpfungsgedanken, aber Gott ist für ihn nicht der in der Situation des Menschen gegenwärtige Schöpfer, der den Menschen aktual Leben gibt und Dienst an anderen fordert, sondern der Mensch muß erst zu einer höheren Stufe aufsteigen, auf der ihm Gott begegnet16. Luther gibt zu, daß Augustine Ansatz richtig ist, wenn dieser „Gebrauch" von „Mißbrauch" unterscheidet17, doch setzt er die Distinktion in eine größere Perspektive hinein : Die Liebe zu Gott bzw. der Glaube an Gott kann nicht in einer Ib. 4 1 4 , 1 0 — 4 1 5 , 30 ( G n l l , l — 4 ) . W A 3, 361, 2 5 — 3 0 (Dictata 1 5 1 3 — 1 6 Ps 62/63). Vgl. M.Stomps 1935, S. 65 und 68. 13 M. Doerne, Praktischer Schöpfungsglaube nach Luther (Luther. Mitteilgn. d. Lutherges. 25. Jg. 1954, S. 24—40), S. 29. 1 4 A . N y g r e n 1 9 4 7 2 , S. 3 1 1 — 3 2 0 und 527—539 (dt. 1 9 5 6 2 , S. 395—402 und 559—564). 1 5 Ib. S. 3 1 7 — 3 2 0 und 544. Vgl. unten Anm. 44. 1 8 Auch beim jungen Luther, w o die Schöpfung bisweilen als Leiter zu Gott hinauf bezeichnet wird, ist der Gedanke nicht — wie bei Augustin — vom Gedanken an das Streben des Menschen nach Glück geprägt, sondern von der Vorstellung, daß Gott immer durch äußere Mittel mit dem Menschen spricht und handelt. S.o. K a p . 1 , 3 , S . 5 8 f f . " W A 4 6 , 9 0 , 3 ff. (Das X V I . Kap. S . J o h . 1 5 3 8 ) . 11

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individualistisch aufgefaßten Freiheit vom Geschaffenen verstanden werden, denn Gott begegnet ja dem Menschen bereits als „äußerem" Menschen. Indem der Mensch über sein Dominium herrscht, steht er in der Gemeinschaft mit anderen und in einem von Gott gegebenen Auftrag. Hier — und nicht außerhalb dieses Auftrags — trifft ihn Gottes mandatum, das nie eine passive Freiheit von den geschaffenen Dingen, sondern immer ein aktives Gebrauchen dieser Dinge in einer inneren Freiheit gebietet. Der Mißbrauch ist also eine Verdrehung der in der Schöpfung gegebenen Beziehung des Menschen zu den Dingen und besteht darin, daß sich der Mensch prinzipiell allein denkt und sich nicht in einer unauf löslichenBeziehung zu Gott und der Welt sieht. Ist also Luthers Terminologie ganz von Augustin geprägt, so ist ihr Sachgehalt doch offensichtlich weitgehend ein anderer 18 . Die Einstellung des Menschen zu den Dingen hängt also mit seiner Haltung gegenüber dem Gebot der Nächstenliebe zusammen. Luther kann deshalb den Abusus-Gedanken verwenden, um den Fall als eine Verdrehung der ursprünglichen Reinheit der Kreatur zu verdeutlichen; man muß, sagt er, zwischen „res" und „abusus" unterscheiden, denn „res in se sunt bonae" 19 . Weil Gott allein Herr über die Güter ist, verfügt der Mensch nicht in Freiheit über sie, sondern muß im Gebrauch der Dinge Gott die Ehre geben, und nicht „deus drüber sein" 20 , d.h. er darf die Dinge nicht zum Mittel seiner eigenen selbstherrlichen Zwecke machen, sondern soll sie in Gemeinschaft mit anderen recht gebrauchen, d. h. er muß immer bereit sein, sie freiwillig an andere, die Not leiden und Hilfe benötigen, weiterzugeben. Wo sich aber jeder selbst am nächsten steht, wird der Nächste als ein 18

Siehe A. Nygren 1947 2 , S. 533 (dt. 1956 2 , S. 563 f.), der den Unterschied zwischen Augustin und Luther darin sieht, daß ersterer Eros nur „sublimiert", Luther aber völlig damit gebrochen habe. Der Unterschied könnte auch so ausgedrückt werden, daß Luther energischer als Augustin betont hat, daß der Mensch zur Gemeinschaft mit anderen geschaffen ist, und daß sein Lebensziel in Gott deshalb nicht außerhalb dieser Gemeinschaft verwirklicht werden kann. R. Holte hat in seiner kürzlich erschienenen Abhandlung „Beatitudo odi Sapientia", Diss. Uppsala 1958, gegen Nygren betont, daß das Lebensziel des Menschen von Augustin nicht individualistisch aufgefaßt ist, siehe bes. S. 274—277. Holte gibt aber selbst zu, daß bei Augustin die Nächstenliebe und der Gebrauch der Dinge (uti) der Gottesliebe (frui) untergeordnet und nur ein Mittel für diese geworden ist, siehe bes. S. 276. 19

WA 56, 375, 17 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 8, 20); WA 20, 661,1—663, 4 (Vorl. über den 1. Johannesbrief 1527 Rörer). „Potentia, sapientia, opes, iusticia, sanctitas sunt insignia Dei dona, et tarnen his abutitur mundus contra Dei regnum. Haec an non extrema malicia est. Memineris autem non damnari regna, non principatus, non alia dona. Non enim sequitur: Regna mundi pugnant contra Christi regnum, ergo sunt mala per se, Sicut non sequitur, ferrum, quo latus domini in cruce apertum est, non fuisse bonam creaturam. Sed est constituenda differentia inter creaturam seu rem et abusum. Creatura bona est, etsi in abusu sit. Oritur enim abusus non ex re, sed ex pravo animo. Sic iustitia civilis, iura ipsa, artes, studia sunt res sua natura bonae, sed abusus est malus, quod mundus his donis abutitur contra Deum": WA 40/11, 203,13—23 (Enarratio Psalmi 1532 Ps 2, 2 Dr.). 20 WA 11,128,13—30 (Pred. 1523 Lk 16,19ff.). WA 27, 205, 5—8: „Servire deo est obedire eius voluntati, quae dicit, ut serviamus proximo et diligamus ut nos. Haec cognitio et fides feilt diviti qui putat se deum suorum bonorum, non cognoscit se a deo habere et aliis in commodum." (Pred. 1528 Lk 16, 1 ff.) WA 29, 354, 10 f.: „Es ist nicht ssunde, das mans habe, aber das ander müssen darben, hoc est peccatum" (Pred. 1529 Lk 16,19 ff.).

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Kapitel III : Der Fall des Menschen

Ding unter anderen Dingen betrachtet, d. h. : man dient ihm nicht, sondern beherrscht ihn21. Je mehr Gott gibt, desto mehr klammert sich der Mensch an das Geschaffene : „ubi multae divitiae, ibi dieb22." Wo Gott etwas Gutes gibt, wuchern Vermessenheit und Verachtung gegenüber anderen23. Aber Mangel an Nächstenliebe ist Brudermord. Daß Hochmut (superbia) und Neid (invidia) beim Menschen des Falls unzertrennlich sind, zeigt sich schon bei Kain, der ja seinem Bruder keinen Vorzug gönnt24. Wenn man den Nächsten nicht als Bundesgenossen unter Gottes mandatum betrachtet, wird Besitzen, das Anhäufen von Gütern zum Maßstab, nach dem man alles beurteilt. Wenn Juden, Heiden und Papisten glauben, Reichtum sei ein Zeichen für Gottes besonderes Wohlwollen und Armut ein Zeichen für seinen Unwillen, machen sie Gott nur zur imago hominis25. Wenn alles vom Gesichtspunkt des Verdienstes aus betrachtet wird, macht man Gott zu einem Stück Schöpfung. Für die Nächstenliebe ist dann wenig Platz hier auf Erden; in allem setzt der Mensch sich selbst auf den ersten Platz, vertraut nur auf sich selbst und seine eigenen Kräfte26. Der rechte Friede zwischen den Menschen kann nicht dort herrschen, wo das „beneplacitum Dei", Gottes Wohlgefallen, nicht empfangen und gepriesen wird; nur als Gottes vertrauensvolle Kinder sind die Menschen sowohl mit Gott als auch mit den geschaffenen Dingen und miteinander „zufrieden"27; in diesem Vertrauen ist es auch möglich, „das sich einer tröste und las im wolgefallen, wie ubel es im gehet"28. Die Menge des Eigentums, das ihm anvertraut ist, darf dann nie zum Maßstab für Gottes Liebe werden, denn Schöpfungsglaube ist Vertrauen auf den Gott, der seine Gaben frei ausstreut, ohne zuerst nach dem Verdienst zu fragen: „Gott hats geschaffen unnd spricht es sey sein segen, wem es werden kan." 29 Der „Mensch des Wohlgefallens", der in Dankbarkeit alles aus Gottes Schöpferhand entgegennimmt, ist frei von der Gebundenheit der Idolatrie des Geschaffenen und ist damit in der Solidarität der Nächstenliebe an seine Mitschöpfung gebunden; er kann alles, was er besitzt, im Dienst an anderen weitergeben und auch in den Tagen der Entbehrung seinen Schöpfer preisen, er kann — wie Luther es drastisch ausdrückt — „etiam ex dreck gold machen"30. Wer sich in Einklang mit Gottes Willen befindet, hat Frieden im Her22 WA 3 6 , 3 1 0 , 1 1 (Pred. 1532 Lk 16,1). A. Siirala 1956, S. 336. WATi 4 , 6 1 7 , 2 1 ff. (1540). 24 W A 2 4 , 1 2 5 , 2 5 — 1 3 5 , 2 7 (Über das l.Budi Mose 1527 G n 4 ) ; vgl. W A 4 2 , 1 8 8 f f . (Gn 4,4). 25 J . Hetkel, Lex diariatis (Abh. der Bayerischen Akademie der Wissensch. N.F., H. 36), München 1953, S. 33, mit dort angeführten Belegen. 29 WA 46,457, 2—458,19 (Pred. 1538 L k l 6 , 1 9 f f . Rörer). 27 WA 17/1, 499, 22—500, 7 (Pred. 1525 L k 2 , l Rörer), WA 32, 285, 7 fi. (Pred. 1530 Rörer), WA 23, 745, 1—11 (Pred. 1527 L k 2 , 1 0 f . ) , WA 4 9 , 2 9 1 , 1 (Pred. 1543 L k 2 . l l Rörer), ib. 292, 1—9. Siehe auch die Definition von „Wohlgefallen" in Luthers Randbemerkungen zu Lk 2 , 1 4 : WADB 6 , 2 1 6 (1522) und 217 (1546). 2 8 WA 29, 678, 20 (Pred. 1529). 29 W A 4 1 . 2 9 5 , 31—32 (Pred. 1535 Lk 16,19ff. Rörer). 30 WA 47, 867,1 ff. (Pred. 1539 L k 2 , 1 4 Rörer), WA 10/1,1, 9 0 , 1 2 — 9 2 , 1 2 (Kirchenpostille 1522 L k 2 , 1 4 ) , WA 36, 405, 18—406, 3 (Pred. 1532 L k 2 , 1 5 Rörer), ib. 406, 9 und WA 37, 239, 30. 38 (Pred. 1533 L k 2 , 1 0 Rörer). 21

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zen: „cor equale est in omnibus rebus." 31 Er ist nämlich in Einklang mit seinem rechten Mensch-Sein, denn „Non est homo qui non habeat statum. Certe non inter lupos vivís, sed inter homines: Thu vleis et servi proximo, ne beleidige an gut, ehr" 32 . Die spielerische, freie, offene und zuversichtliche Betrachtung des Daseins, die man bei dem Kind findet, ist Vorbild: „Nemo novit tam bene artem suam ut puelli: 1. essen, trincken, schlaffen, thun der matri in schos et faciunt suum officium. Non faciunt aliud officium quod nesciunt, die sind unser Spiegel."34 Und wenn so der Mensch gegenüber den Dingen frei ist, wird nicht nur Gott die Ehre gegeben, sondern erschließt sich dem Menschen auch das Gutsein der ganzen Schöpfung34. Der Mensch des Falls dagegen weiß nicht, daß „habere et servire différant" 35 . Er faßt alle Schranken vor der eigenen, ungehemmten Expansionslust als etwas Böses auf. Gottes mandatum wird als eine unerfüllbare Forderung empfunden, als ein Ausdruck für Gottes Neid, Haß und Zorn und nicht für seinen guten, liebevollen Willen. Statt dem Nächsten zu helfen, vergleicht er sich und sein Eigentum mit dem, was über ihm undihm zur Seite steht. Gott und der Mitmensch werden somit nicht in der Offenheit, Freiheit und Einigkeit der Liebe, sondern in der Verschlossenheit, Unfreiheit und Zwietracht des Hasses betrachtet. Die Forderungen Gottes und des Nächsten sind Bedrohungen des selbstsüchtigen Sicherheitsbedürfnisses des Menschen. Anstatt unter Gott und neben dem Nächsten zu stehen und zu dienen, sucht er sich ohne sie zu erhalten oder aber sie zu beherrschen36. Dies zeigt sich u.a. in der Begierde des geschlechtlichen Lebens (libido)37. Die ungehemmte Sexualität heißt für Luther verleugnen, daß der Mitmensch eine Schöpfung Gottes ist, mit dem man in der Gemeinschaft der persönlichen Hingabe stehen sollte. Der gefallene Mensch hat seinen Nächsten im Fall verloren und sucht ihn nun wiederzugewinnen, indem er ihn beherrscht. Gott schuf den Menschen als Mann und Weib zu gegenseitigem Dienen. „Die Welt aber kehrets um, W A 1 1 , 2 2 4 , 8 (Pred. 1523 L k 2 , 1 2 f f . Rörer). W A 29, 690, 5 f. (Pred. 1529 Rörer). 33 Ib. 690, 7 f. 34 „Cum deus habet gloriam, tota creatura fit amica. Sonst all Creaturen sind uns gram": W A 4 5 , 3 5 3 , 3 3 f . (Pred. 1537 L k 2 , 1 3 Rörer). Man muß zwischen Schöpfer und Schöpfung unterscheiden lernen, weil das Geschaffene etwas aktiv Böses sein kann (z.B. der Nächste, der betrügt): W A 30/III, 220, 1 4 f f . (Von Ehesachen 1530), bzw. weil das Geschaffene schöpfungsunfähig ist, d. h. nicht den rechten Sicherheitsgrund besitzt und deshalb nicht v o r dem Tod bewahren und das ewige Leben schenken kann: W A 1 5 , 2 9 9 , 1 — 1 6 (Von Kaufshandlung und Wucher 1524). Während S. Lerfeldt (1949, S. 61 ff.) nur das erstere betont und damit einen dualistisch gefärbten Gegensatz zwischen Schöpfer und Schöpfung herbeiführt, betont H.-W. Krumwiede (1952, bes. S. 42 ff.) nur das letztere und läuft Gefahr, das Verhältnis der Schöpfung zu Gott als das Verhältnis des Profanen zum Heiligen zu betrachten. 3 5 W A 2 0 , 4 9 4 , 41 f. (Pred. 1526 Mt 6 , 2 4 f f . ) ; vgl. auch W A 1 5 , 6 7 7 , 4 (Pred. 1524 Mt 6, 24 ff.). 3 4 W A 24, 86, 6—89, 26 (Über das l.Buch Mose 1 5 2 7 Gn 3, 6) und ib. 90, 2 4 — 3 5 (Gn 3, 7); vgl. D.Bonhoeffer 1955 3 , S. 99 ff. 3 7 W A 24, 91, 7—92, 33 (Gn 3,7). 31

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Kapitel III : D e r Fall des Menschen

missbrauchet der Weiber zur Unzucht, der Männer Schutz zur Tyrannei." 38 Der gefallene Mensch ordnet also sowohl Gott wie den Nächsten in die Welt der Dinge ein, er sucht sie zu beherrschen, statt sie zu lieben und ihnen zu dienen39, und die Dinge, die recht gebraucht Gottes gute Gaben und Zeugnisse von Gottes Liebe sind, über welche er frei verfügen sollte, werden Idole, an welche sein Herz gebunden und von Schrecken erfüllt wird 40 . Der „imago-Dei-Mensch" ist von eitel Güte umgeben, der „imago-Diaboli-Mensch" lebt in Schrecken vor all dem, was ihn umgibt, denn er hat keine richtige Sicherheit, weder über noch unter sich, noch an seiner Seite. Er ist selbst das Maß und der Herr aller Dinge geworden und nicht das Kind des himmlischen Vaters, ist in seiner eigenen Welt ausgestoßen, um vergebens nach seiner verlorenen Sicherheit, seinem verlorenen Paradies zu suchen41. Wir sehen also, daß Luthers Verständnis der Gebote der zweiten Tafel nie von seinem Verständnis der Gebote der ersten isoliert betrachtet werden kann. Von hier aus muß man auch Luthers Kritik an den sozialen Mißständen seiner Zeit verstehen. Die vernünftige Überlegung in gesellschaftlichen Fragen darf niemals von den aktuell verkündigten Geboten Gottes isoliert werden. Es gibt für Luther keine ein für allemal festgelegte Grenze zwischen „Geistlichem" und „Weltlichem", weil Gottes Wille ja nur in konkreten Situationen erkennbar ist und deshalb Gerechtigkeit nie als ein äußeres Imitieren von bestimmten Lebensnormen, sondern als Gehorsam gegenüber dem unausweichlichen mandatum Gottes, das den Menschen in die rechte Beziehung zu Gott, Mitmenschen und Dingen einsetzt, zu verstehen ist. Mißbrauch kann somit nicht nur darin bestehen, daß man sich Eigentum aufhäuft, sondern auch darin, daß man auf Eigentum verachtet. Die Mönche, die aus der Mühe und Unruhe der Welt in die Sicherheit der Klosterzelle fliehen, mißbrauchen auch Gottes Gaben. Das Mönchtum ist nicht eine Einrichtung Gottes, sondern eine Schöpfung des Teufels42, denn die imitatio bei den Mönchen ist Verleugnung der vocatio in die gewöhnliche Menschengemeinschaft. Wer die Mönchskutte anzieht, schließt sich von Gott und seinem Willen aus, der dem Menschen begegnet, wenn er die Dinge gebraucht43. Weil kein Mensch leben kann, wenn er nicht das empfängt, was Gott ihm durch andere Menschen in der 3 8 W A T i 1, 4, 2 ff. (1531); vgl. D.Bonhoeffer 1955 3 , S. 9 3 — 1 0 1 , w o in Übereinstimmung mit Luther betont wird, „daß f ü r den Fall der Überschreitung der Grenze gegen den Schöpfer die Überschreitung der Grenze innerhalb der Schöpfung zusammenfallen müsse . . . Das Sichvergreifen am Baum der Erkenntnis mußte zugleich ein Sichvergreifen am anderen Menschen werden." 3 9 Siehe H. 0stergaard-Nielsen 1957, bes. S. 6 2 — 1 2 5 . 4 0 W A 27, 343, 12 (Pred. 1528 M t 6 , 2 4 f f . ) , W A 36, 314, 2 2 f . (Pred. 1532 Lk 16, 9 Rörer) und W A 4 2 , 1 2 , 2 1 — 3 1 (Gn 1, 2). 4 1 Ib. 4 7 , 8 — 2 2 (Gn 1 , 2 6 ) ; vgl. auch ib. 1 2 8 , 3 4 ff. (Gn 3 , 8 ) und oben Kap. III, 1, Anm. 33. 42 W A 1 0 / 1 , 1 , 3 1 7 , 1 2 — 3 1 8 , 6 (Kirchenpostille 1522 Joh 21, 20) und W A 10/III, 274, 1 7 — 2 7 5 , 1 2 (Pred. 1522 Lk 16, I f f . ) . 4 3 W A 34/11, 47, 3 — 1 4 (Pred. 1531 Mt 7 , 1 6 Rörer), W A 33, 454, 3 1 — 3 6 (Wochenpredigten 1530—32 Joh 7 , 4 1 Dr.), W A 32, 517, 25—36 (Wodienpredigten 1 5 3 0 — 3 2 Mt 7, 16—20 Dr.), W A T i 4, 2 3 7 , 1 7 f. und ib. 223, 6—17. Siehe ferner zu den Begriffen „imitatio" und „vocatio" bei Luther: G. Wingren 1 9 4 8 2 , S. 1 8 4 — 1 9 6 (dt. 1952, S. 1 1 3 — 1 2 0 ) .

2. Abusus

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Schöpfung darreicht, werden die, die selbst nicht arbeiten wollen, nicht nur auf ein einseitiges Empfangen dessen hingewiesen, was andere Menschen durch ihre Arbeit ausrichten; wer die Welt asketisch verachtet, um dadurch selig zu werden, entflieht auch „consortia hominum", was aber „spiritualis est abusus mundi" 44 . Die strengen Worte, die Jesus bei der Aussendung seinen Jüngern (Mt 10,7 ff.) mit auf den Weg gibt, müssen nicht als eine Mahnung verstanden werden, deren buchstäblichen Inhalt man nachahmen soll. Christus, der das rechte Dienen gezeigt hat, will hier nur eine Warnung an die Diener des Wortes aussprechen, sich nicht durch „affectu pecuniae, gloriae, rerum" an die Dinge binden lassen, d.h. das Predigen soll „sine affectu et studio gloriae" geschehen45. Besitzlosigkeit ist nicht von Gott befohlen und der Priester, der nicht sich selbst sondern anderen dient, ist ebenso wie jeder ehrliche Arbeiter seines Lohnes wert46. Die Wurzel des Bösen liegt also nicht in der eigentlichen ontologischen Beschaffenheit der Dinge, sondern in dem bösen Herzen des Menschen und in dem dadurch bestimmten Mißbrauch. Es ist für Luther unmöglich, die Grenze zwischen Gut und Böse innerhalb der Dinge aufzurichten, weil alles von Gott geschaffen und dazu bestimmt ist, in Übereinstimmung mit Gottes in jeder konkreten Situation und in der schöpfungsmäßigen Bestimmung des Menschen gegebenem Befehl empfangen und gebraucht zu werden. Sünde ist so gesehen nicht der Verstoß gegen einzelne moralische Regeln oder gegen eine objektive, vom Gottesverhältnis des konkreten Menschen unabhängige Weltordnung, sondern der Ungehorsam gegen die in Gottes Geboten verkündigten Befehle, die den Menschen Leben darreichen, Befehle, die schon mit der Lebensexistenz des Menschen als Ebenbild Gottes und Herrn der Schöpfung gegeben sind. Weltlichkeit und Geldhunger sind genau wie Asketismus und Weltverschlossenheit der Gegensatz zu Weltoffenheit und Dienstbereitschaft, die Gott befohlen hat; sie sind dieselbe „jüdische Gier", die den Meister verrät und als solche eine Sünde „ad mortem"47. Hier auf Erden muß man immer in gewisser Beziehung Schätze sammeln, sonst könnte ja niemand mit gutem Gewissen sein Haus und Heim versehen, und der Fürst nicht für seine Untertanen Vorräte sammeln48. „Bonum et Malum non salvat, sed usus boni et mali." 49 Hinter dem Mißbrauch sieht Luther also letztlich die böse Macht der Versuchung wirksam, die das gute Verhältnis des Menschen zu Gott, der Welt und dem Nächsten zerstören will. In sich selbst ist der Mensch in die Herrschaft des 4 4 „Peccant ergo, qui sic fugiunt mundum, ut fugiant consortia hominum. Item qui creaturas Dei spernunt, non edunt carnem, non gestant talem vestem, hi utuntur creaturis Dei, ut per illas velint salvi fieri. Sed hic spiritualis est abusus mundi": W A 20, 661, 3 7 — 6 6 2 , 2 5 (Vorl. über den 1. Brief des Joh. 1527). 4 5 W A 38, 496, 1 9 , 2 7 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538 Dr.). 4 8 Ib. 496, 2 1 — 2 7 . 4 7 W A 52, 746, 5 — 1 7 (Hauspostille 1545 Mt 26, 47—50); vgl. W A 17/1, 350, 5 — 1 1 (Pred. 1525 Mk 14, 34). 4 8 W A 27, 2 0 3 , 1 1 — 1 4 (Pred. 1528 Lk 1 4 , 1 6 Rörer). 4 9 Ib. 2 0 6 , 2 (Pred. 1528 Lk 16 Rörer); ib. 2 0 5 , 1 9 : „Rodt tragen und linwad ist kein sund, sed hofïart drinnen treiben und den andern verseumen, hoc peccatum"; ib. 206, 1 : „Non facit miseria salvum. Alioqui monachi."

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Löfgren, Schöpfung

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Kapitel III : D e r Fall des Menschen

Satans einbezogen, die ihm zum Gericht wird 60 . Wenn der Mensch die Gotteskindschaft verliert, erfüllt Gott selbst nicht mehr, was er fordert; sein mandatum wird dann zum Gesetz der Sünde und des Todes. Damit steht der Mensch im Reich des Tötens und des Sterbens, das sich als eine unentrinnbare Macht, die ihn beherrscht, erweist51. Daß Gott noch immerfort schafft und gebietet, ist gut ; das Böse ist ein Gift, das vom Versucher kommt52. Der Beruf und das Amt des Menschen sind als Gottes Befehle verstanden und also gut, weil sie der Gemeinschaft dienen; der Träger des Amtes (die Person) dagegen ist immer böse bzw. vom Teufel versucht, sein Amt zu mißbrauchen53. Haben wir bisher hauptsächlich die soziale Unordnung behandelt, und sie in eine direkte Beziehung zur Versuchung und zum Fall des Menschen gesetzt, wollen wir nun im nächsten Kapitel auch die Folge des Falls, die sich auch als psycho-physische Entartung äußert, betrachten. Damit gehen wir gleichzeitig auf eine sehr schwierige Frage ein, nämlich das Machtmoment in Luthers Hamartologie im Verhältnis zum Schuldgedanken — eine Frage, die ihre endgültige Beantwortung erst im letzten Kapitel dieser Abhandlung finden wird. 5 0 W A 10/III, 3 3 9 , 4 — 8 (Pred. 1522 Mt 16, 24); siehe auch H. Obendiek 1931, S. 187. Die Menschen des Falls sind „Söhne des Teufels" (diaboli filii): W A 17/1,137, 5 (Pred. 1525 Lk 1 1 , 1 4 ff. Rörer). Ihr Handeln wird ein Ausdruck f ü r das, worauf sie sich verlassen. Ihre Handlungen werden deshalb auch als gut oder böse beurteilt, je nachdem die Person beschaffen ist, die sie ausgeführt hat — ob sie ein Kind des Satans oder ein Kind Gottes ist: W A 9 , 1 3 0 , 9 f . (Ausi, und Deutung . . . 1 5 1 8 ) ; vgl. Obendiek 1931, S. 186. 5 1 Wort und Sakrament werden deshalb als Angriffshandlungen Gottes gegen das Gesetz und den Teufel betrachtet: W A 12, 47, 3. 7 (Das Taufbüchlein verdeutscht 1523), ib. 603, 8 — 1 0 (Pred. 1523 Lk 15, 8ff.), W A 1 1 , 1 9 4 , 1 9 — 2 4 (Pred. 1523 Mt 22, I f f . und ib. 1 9 5 , 1 9 — 2 7 . Hierzu s.u. Teil C. 5 2 W A 42, 177, 8 f f . (Gn 4 , 1 ) ; vgl. ib. 144, 38—146, 5. 53 W A 2 7 , 4 3 , 26—34 (Pred. 1528).

K A P I T E L IV

Die Macht des Bösen 1. C u l p a e t p o e n a In seiner Untersuchung des Sündenbegriffs bei Luther betont G. Ljunggren, daß Luthers Hamartologie von einem ungewöhnlich intensiven Ringen mit dem Problem der Schuld' her verstanden werden muß, und stellt fest, daß Luther zwischen dem sittlich Bösen (peccatum oder vitium) und dem psycho-physischen Übel (malum) unterscheidet1. Ljunggren hat überzeugend dargelegt, wie die Sünde nach Luther — weil sie etwas ethisch Böses ist •— ihre Wurzel ganz und gar in der falschen Willensrichtung des Menschen hat. Dagegen vermißt man bei Ljunggren eine befriedigende Antwort auf die Frage, weshalb das Böse nach Luther auch als Strafe die ganze Schöpfung in ihrer Totalität trifft und insofern nicht nur als soziale Unordnung, sondern auch als psycho-physisches Übel auftritt. Für Luther ist es klar, daß nur der Mensch, der sündigt, Gott in Schuld gegenübersteht. Was das Problem der Schuld rein gedanklich so schwierig macht, ist eher die Tatsache, daß das Übel sowohl als rechtmäßige Strafe als auch als unschuldiges Leiden trifft2. Das Böse hat zwar, wie wir im vorigen Kapitel feststellen konnten, seinen Grund im Unglauben des Menschen und ist insofern etwas ethisch Böses („peccatum" oder „infidelitas"). Die böse Macht manifestiert sich aber nicht nur in der falschen Willensrichtung des Menschen, sondern auch in der übrigen Schöpfung. Das Böse ist nämlich zugleich Schuld (culpa) des menschlichen Willens und Strafe (poena) des göttlichen Zorns, sowie die Crux, durch welche die Wiederaufrichtung der gefallenen Schöpfung durch Christus geschieht. Die Problematik in diesem Kapitel bringt uns zwar dem Thema des dritten Teils unserer Abhandlung nahe, soll aber zunächst nur von den eigenartigen Kategorien des lutherschen Sündenbegriffs her dargelegt werden. In der Römerbriefvorlesung (1515—1516) sagt Luther, daß Gott keinen verurteilt, der nicht gesündigt hat, und daß, wer sündigt, zwar notwendigerweise mit 1 G. Ljunggren 1928, S. 387. Ljunggren weist in weitem Umfang auf den Großen Genesiskommentar hin; in diesem Zusammenhang u.a. auf W A 42, 59 und 87. Daß Ljunggren dennoch die mannigfachen Aussagen des Genesiskommentars über den „dinglichen" Charakter des Bösen nicht beachtet hat, hängt damit zusammen, daß er die Gerechtigkeit des Menschen als eine nur „innere" Wirklichkeit betrachtet. Vgl. R . Brings Kritik von Ljunggren (SvTK 1930, S. 1 7 1 — 1 8 4 ) . 2

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G. Ljunggren 1928, S. 414 ff.

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Kapitel IV: Die Macht des Bösen

Schuld beladen ist, aber nicht gezwungenerweise sündigt 3 . Ungefähr zehn Jahre später wird dies in De servo arbitrio (1525) gegenüber Erasmus noch stärker betont. Der Mensch sündigt nicht aus Zwang (coacte), sondern aus Notwendigkeit (necessitas immutabilitatis)4. Luther unterstreicht also, daß die Schuld nicht von dem ethisch verstandenen Bösen (peccatum) losgelöst werden darf. Doch ist besonders in De servo arbitrio unverkennbar, daß Luther auch mit einem anderen Problem ringt. Sünde und Schuld sind nicht nur ethische Wirklichkeiten, sondern auch feindliche Mächte, denen man nicht entrinnen kann. Diese Betonung sowohl des ethischen Charakters der Schuld als der Sklaverei des Menschen unter ihr muß von Luthers Streben her verstanden werden, zwei scheinbar völlig unvereinbare Motive miteinander zu verbinden, nämlich erstens den Gedanken, daß die Sünde den Charakter eines bewußten Aufruhrs des Willens (actio), und zweitens, daß sie zugleich den Charakter eines unausweichlichen Leidens (passio) hat5. Wenn Luther somit den Gedanken von der Notwendigkeit der Sünde mit dem Gedanken von deren Freiwilligkeit verbindet, will er aber vor allem die nominalistische Vorstellung vom Bösen als einem Willkürakt Gottes überwinden 6 . Daß Luther hierbei von seinem aktualen SchöpfungsbegrifF geleitet wird, darf nicht durch die Tatsache verschleiert werden, daß er mit seiner Terminologie immer noch der mittelalterlichen Theologie verhaftet ist. So spricht er, in Übereinstimmung mit Augustin, von „Erbsünde" und „Erbschuld". Luther betrachtet also die Sünde als etwas Erbliches, doch ist sie für ihn nicht mit dem psychophysischen Verderben identisch 7 . Hatte man die Erbsünde zuvor meistens als Natursünde betrachtet, so macht Luther geltend, daß die Sünde gerade in ihrer Eigenschaft als Natursünde auch Persott-Sünde ist 8 . Schon seit Tertullian und Ambrosius hatte man zwischen der Sünde als einer vererbten Korruption der Natur (natura vitiata) und der durch die Schwäche der Natur aktualisierten Sünde unterschieden, die ihrerseits verursacht, daß der konkrete Mensch mit Schuld (reatus) vor Gott steht9. Augustin rechnet daher auch mit einer vererbten Verderbtheit (vitium). Diese Verderbtheit konkretisiert sich in der bösen Begierde (concupiscentia), die ihrerseits auch Strafe (poena) für die Sünde ist. Sünde und Schuld bedingen einander also gegenseitig. Adams Schuld (peccatum originale) führt für ihn einen Zustand des Angeklagtseins (reatus) mit sich; die Schuld wird mit der Begierde (concupiscentia) bestraft, die ihrerseits zu neuen sündigen Handlungen (peccata actualia) führt: peccatum reatus concupiscentia -> peccatum. Vor dem Fall hatte Adam freien Willen (liberum arbitrium), der ihn mit Hilfe der Gnade (adjutorium gratiae) davon abhielt, zu sündigen (posse non peccare). Im Fall verlor Adam sowohl das liberum arbitrium als auch das adjutorium gratiae, was seinerseits zur Folge hatte, daß er das Gute nicht mehr tun konnte (non posse non peccare). Adam wurde also nach dem Fall W A 56, 385, 32—386, 5 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 8, 28). W A 1 8 , 6 3 4 , 2 1 — 3 6 (De servo arbitrio 1525). 5 Siehe G. Ljunggren 1928, bes. S. 374, Anm. 6. 8 Ib. S.383. 7 Ib. S. 414 und R.Hermann 1930, S . 3 3 f f . , sowie L. Haikola, Studien . . . 1958, S. 69. 8 E. Schott, Die zeitliche und die ewige Gerechtigkeit, Berlin 1955, S. 29. Siehe audi W A 5 1 , 3 5 1 , 1 — 1 2 (An die Pfarrherrn wider den Wucher . . . 1540) und W A 46, 39, 20— 9 S. Silén 1938, S. 99—102. 4 0 , 1 2 (Das X V I . Kap. S. Joh. 1538 Dr.). 3

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1. Culpa et poena

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gezwungen, zu sündigen, doch wird der Aktualsünde durch den Gedanken der Konkupiszenz als einer Strafe und zugleich eines willensmäßigen Bejahens der bösen Handlungen eine einigermaßen befriedigende ethische Motivierung zuteil. Augustin denkt indessen in Resultatkategorien, was ja auch völlig mit seinem Schöpfungsbegriff übereinstimmt: die Schöpfung ist zu einem gewissen Zeitpunkt geschehen, und die Welt wird als ein abgeschlossenes Ganzes betrachtet10. In Analogie hierzu bedeutet der Fall, daß die Menschen nach Adam eine Masse der Verderbtheit (massa perditionis) darstellen. Der konkrete Mensch erbt durch die Geburt sowohl die Schuld (reatus), als auch die Strafe (poena = concupiscentia), die ihrerseits Aktualsünden zur Folge hat und die Schuld (culpa) persönlich aktuell macht: reatus oder concupiscentia peccata actualia -> culpa. In der Erbsündenlehre der Spätscholastik verlagerte sich das Hauptgewicht auf die mit Resultatkategorien betrachtete psycho-physische Depravation (vitium) und die hierdurch bedingten Aktualsünden: vitium peccata actualia -> culpa. Damit ging indessen nicht nur der augustinische Ansatz zu einer ethischen Motivierung der Schuld verloren, sondern es wurde auch der Machtcharakter der Schuld und des Bösen durch die Identifizierung der Sünde mit gewissen äußeren Tatsünden abgeschwächt. In der nominalistischen Theologie war man somit der Auffassung, daß der Mensch des Ursprungs im Fall der Gnade (donum superadditum) verlustig ging, und dadurch in seine Ausgangslage zurückfiel, die er vor seiner verdienstvollen Ausnutzung der Kräfte der Natur und dem Empfangen der vervollkommenden Zusatzgabe (oder Gnade) innegehabt hatte. Die Folgen des Falls wurden daher nicht als eine totale Verderbtheit des ganzen Menschen, sondern nur als der Verlust der als eine Qualität verstandenen Gnade aufgefaßt. Das Böse beim gefallenen Menschen wird nicht als Gefangenschaft, sondern als eine Eigenschaft, eine durch den Verlust der Gnade bedingte Schwächung der an sich guten menschlichen Natur definiert. Die Natur des Menschen bleibt nach dem Fall eigentlich ethisch neutral; nur durch die Zustimmung des Willens werden die durch Schwachheit bedingten Tatsünden mit Schuld behaftet. Während Augustin die (ererbte) Schuld des konkreten Menschen betont hatte, hebt der Nominalismus seine (ererbte) Schwäche, vom Schema Natur — Übernatur ausgehend, hervor. Die Schuld und das Böse werden hierdurch etwas Unergründliches, das gänzlich in der göttlichen Willkür liegt. Die Schuld konnte nämlich schwerlich mit dem persönlichen Schuldbewußtsein des konkreten Menschen in Zusammenhang gebracht werden, und die Frage, weshalb Gott seine Gnade zurückzieht, blieb unbeantwortet. Während Augustin die ethische Verantwortung des Individuums nachzuweisen versucht hatte, betonte der Nominalismus vor allem die eigene Leistungsfähigkeit des Menschen zur Erwerbung der verlorengegangenen Gnade. Die Erlösung stellt man sich dann auch im Natur — Übernatur-Schema vor. In der Taufe wird die Schuld der Erbsünde getilgt, während die psycho-physische Depravation in Form einer verzeihlichen Neigung zur Sünde (fomes peccati) bestehenbleibt. Eine Tendenz, den konkreten Menschen zu entschuldigen, ist also die Folge. Erst 10

Siehe oben Kap. I.

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Kapitel IV: Die Macht des Bösen

mit der willigen Zustimmung zur sündigen Handlung tritt wirkliche Sünde und Schuld auf. Indem sich der Mensch der kirchlichen Ordnung unterstellte, war er des Zugangs zum Beistand der Gnade sicher; die Kirche unterschied, welche Sünden tödlich (mortalia), und welche läßlich (venialia) waren, und sie sprach durch ihre Bußinstitution Strafe für begangene Sünden bzw. deren Erlassung zu11. Luther reagiert nun gegen die traditionelle Auffassung von der Erbsünde und ihr Unvermögen, den Gedanken der Sünde als Strafe (poena) mit dem der Sünde als Schuld (culpa) richtig zu verbinden, indem er in Übereinstimmung mit Augustin vor allem den persönlichen Charakter der Sünde betont, ohne deren Charakter einer unvermeidlichen Schuld zu vernachlässigen. Er lehnt sowohl die scholastische Lehre von der Begierde als nur einer Neigung zur Sünde (fomes peccati), als auch die übliche Distinktion zwischen tödlichen (mortalia) und läßlichen (venialia) Sünden ab12. Dies hängt u.a. mit dem aktualen Zug in seinem Schöpfungsgedanken zusammen. Weil die Schöpfung kein fertiges Resultat ist, sondern Gott immer aufs neue Dinge und Menschen schafft, wird der Urzustand weder als eine metaphysische Wirklichkeit gesehen, noch im Natur — ÜbernaturSchema betrachtet. Der Mensch steht dem göttlichen Handeln unmittelbar gegenüber. Die Schöpfung und der Sündenfall geschehen heute13. Jeder Mensch ist durch das ständige Handeln des Schöpfers immer vor die Forderung des guten Willens Gottes (mandatum Dei) gestellt, und ist deshalb ohne Entschuldigung, wenn er sündigt14. Da Gottes guter Wille dem Menschen nur in einer konkret gegebenen Situation begegnet, sündigt der Mensch nicht auf Grund einer Unordnung, die als ein böses Resultat vorliegt, sondern immer gegen Gottes ihm verkündigten Willen. Damit entfernt sich Luther nicht nur vom Sündenbegriff der Scholastiker, sondern auch von dem Augustine, der ja mit Resultatkategorien gearbeitet hatte. Gegen Augustin und die Nominalisten setzt Luther seine aktuale Sündenauffassung; d.h. für ihn sind die Sünde, wie auch das Leben und die Gerechtigkeit ein Geschehen, sie existieren für den konkreten Menschen nur „in 1 1 Siehe hierzu J. Müller, Die christliche Lehre von der Sünde. 1—2, Breslau 1839—1844, G. Ljunggren, Det kristna syndmedvetandet intill Luther, Uppsala 1924, S. 150—348, G. Ljunggren 1928, S. 1—53, sowie Ν. E. Anrup, Augustinus' lära om arvsynden. Diss. Lund 1943. 1 2 Diese Sündenauffassung Luthers tritt in ihrem Gegensatz zur Scholastik bereits in der Römerbriefvorlesung 1515/16 ( W A 56) hervor und wird später immer schärfer betont. Siehe Resolutiones Lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputatis 1 5 1 9 ( W A 2, 388 ff.). Vgl. audi Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X . novissimam damnatorum 1520 ( W A 7, 91 ff.), Rationis Latomianae confutado 1521 ( W A 8, 36 ff.), De votis monasticis 1521 ( W A 8, 564 ff.), Enarratio Psalmi LI 1532 ( W A 40/11, 315 ff.), sowie Die 4. Thesenreihe über Rom 3, 2 8 , 1 5 3 6 ( W A 39/1, 84 ff.). 1 3 Siehe H. H. Pflanz „Erbsünde" bei Luther (Luther. Mitteilgn. d. Luthergesellsch. 19. Jg. 1937, S. 97—112), S. 102 ff., mit Belegen. Vgl. dagegen N . P . W i l l i a m s , der in seiner großen Arbeit „The Ideas of the Fall and of Original Sin", London 1927, bes. S. 423—437, Luthers Sündenauffassung wie audi die der Scholastik lediglich als „Decline of Augustinism" bezeichnet. 1 4 Siehe oben Kap. II, 2. Wenn man also meint, die Erbsünde sei nur ein Mangel an der richtigen Beschaffenheit des Willens (priuatio Iustitiae in Volúntate), so hieße das, „der Lauheit Tür und Tor öffnen": W A 56, 3 1 3 , 1 8 — 2 4 (Römerbriefvorlesung 1515/16); vgl. ib. 312, 2—5.

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actu"15. Weil Gottes Wille ihm nicht in einem objektiven, ein für allemal gegebenen Gesetz begegnet, bedeutet der Fall daher auch nicht ein Vergehen gegen eine objektive Weltordnung. Da Gottes Wille dem Menschen nur in einer konkret gegebenen Situation begegnet und das Gesetz als die zu aller Zeit lebendige Sprache Gottes hervortritt, kann die Schuld nicht auf einen Schaden in der universalen Ordnung bezogen werden. Sie ist der Ungehorsam gegen Gottes allzeit ordnenden Willen, und das Böse kann dann nicht auf dem Übel beruhen, sondern umgekehrt beruht das Übel auf dem Bösen. Erhellend für diese Unterscheidung zwischen dem Bösen (Schuld) und dem Übel (Strafe) ist Luthers Auseinandersetzung mit dem Sündenbegriff der Scholastik, in der Schrift gegen Latomus (1521)1β. Luther wird von Latomus einer falschen Auffassung von den guten Werken beschuldigt, wenn er geltend macht, daß keine menschliche Tat vor Gottes Richterstuhl als gerecht gelten kann. Latomus will den traditionellen scholastischen Unterschied zwischen vitium (Schwäche) und malum (Böse) aufrechterhalten. Luther antwortet, daß die Begierde (concupiscentia) nicht — wie die Scholastiker meinen — nur als ein „Zunder" für die Sünde (fomes peccati), sondern als die eigentliche Hauptsünde (peccatum seu corruptio naturae) angesehen werden muß17. Die Sünde ist, sagt Luther, eine Finsternis, die über allen Kindern Adams ausgebreitet ist, und die guten Werke des Menschen können nie diese Schuld zunichte machen und den "Ungehorsam des Menschen gegenüber Gott sühnen. Latomus verringert den Ernst der Sünde, wenn er den Fluch des Falls auf menschliche Schwäche anstatt auf menschliche Schuld zurückführt. Nicht die Schwäche macht den Menschen schuldig, sondern die Schuld macht den Menschen schwach18. Für Luther ist die Konkupiszenz — und hier stimmt er mit Augustin überein — angeboren. Doch faßt Luther sie nicht als eine biologische Schwäche oder einen Naturschaden im Menschen auf, sondern sie ist das aktiv Böse, das die ganze Person des Menschen beherrscht. Der Ursprung des Bösen liegt also nicht in einer ererbten Schwäche (denn sonst könnte die Sünde nicht ethisch böse werden), sondern in der ererbten Ungerechtigkeit des Menschen. Daß Luther sich nicht immer des Abstandes zwischen seiner Auffassung und der Augustins bewußt ist, hat seinen Grund darin, daß er sich an Augustins Intentionen hält, wenn dieser dem Gedanken des doppelten Charakters der Sünde als Schuld und Macht Ausdruck zu verleihen sucht. Mit gewissem Recht sagt Luther deshalb (in der Schrift gegen Latomus), daß man den augustinischen Sündenbegriff von dem paulinischen her verstehen muß. Was Paulus peccatum nennt, bezeichnet Augustin als vitium. Wenn sich Luther dem augustinischen Gedanken der Erbsünde anschließt, so will 1 5 G. Ljunggren 1928, S. 385 f. Weil v o r Gott kein Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besteht ( W A 42, 57 f., siehe auch oben Kap. I), stehen alle Menschen „in Adam" mit Schuld v o r dem Riditerstuhl Gottes. 1 6 W A 8 , 4 3 ff. (Rationis Latomianae confutano 1521). 1 7 Ib. 89—108. Diesen Gedanken, der in der päpstlichen Bannandrohungsbulle als ketzerisch verworfen wurde, hat Luther audi in Assertio . . . 1520 ( W A 7 , bes. S. 1 0 3 — 1 1 0 ) und in Grund und Ursach . . . 1521 ( W A 7, 308ff.) verteidigt. Zu Luthers Umgestaltung des Begriffs concupiscentia siehe H. J . Iwand 1941, S. 22. 1 8 W A 8, 82, 32—83, 30 (Rationis Latomianae confutado 1521).

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er hierdurch die Unvermeidlichkeit der Schuld betonen, indem er die scholastische Auffassung kritisiert, wo der augustinische Ausdruck vitium etwa nur einen Schaden in der psycho-physischen Konstitution des Menschen bedeutet; statt dessen — meint Luther -— muß vitium als die unausweichliche Macht der Sünde (d.h. das paulinische „peccatum") verstanden werden, die auf Grund des Ungehorsams und Unglaubens über den Menschen und sein Dominium herrscht, weil er sie immer bejaht19. Führt Luther somit die augustinische Lehre von der Erbsünde gegen die Spätscholastik ins Feld20, so hat er dabei nicht nur das Schuld- und Machtmoment in der augustinischen Lehre von der Erbsünde sich zu eigen zu machen verstanden, sondern ist auch über Augustin hinausgegangen, indem er dessen Sündenbegriff in seine eigene, von der paulinischen Theologie bestimmte aktuale und persönliche Gottesvorstellung eingeordnet hat21. Luther beschreibt zwar den Urzustand in Übereinstimmung mit der früheren Tradition als ein goldenes Zeitalter, das endgültig verlorengegangen ist, doch scheint es nur, als vermöchte er die üblichen Resultatkategorien nicht zu umgehen. Sie erfüllen nämlich bei ihm eine ganz bestimmte Funktion. Der Fall bedeutet, daß die große Überlegenheit und besondere Ausrüstung des Menschen in verschiedener Hinsicht verlorengegangen und nun alles in der Schöpfung verdorben ist. Doch versteht Luther die Verderbtheit nicht nur als etwas, was einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten und damit als ein böses Resultat in der Welt vorhanden ist, sondern die Verderbtheit ist ein immerwährendes Geschehen in das jeder Mensch durch sein Handeln und durch sein Leben in der Welt sozusagen „in actu" miteinbezogen wird. Und weil der Sündenfall für Luther (genau wie die Schöpfung) ein fortdauerndes Geschehen ist, wird die Kreatur immer verdorbener und die eigene Zeit immer die schlimmste aller Zeiten; der Mensch des Falls geht einem ständig größeren Verderben entgegen22. Daß die Menschen böse sind, und 19 „Summa responsionis Lutherianae et confutationis Latomianae est haec. Si peccatum in locis Apostoli Pauli citatis probari potest, non esse vere et proprie peccatum, ruit Lutherus" (ib. 97, 27—29). „Ulterius ad caput dissensionis venimus: A n tale peccatum seu, ut tu vis, infirmitas, natura seu vel sola misericordia ignoscente non sit contra deum et legem eius . . . Ego pro me habeo Pauli vocabulum . . . Tu habes (ut videres tibi) patres, qui asserant non esse contra deum et legem eius natura" (ib. 101, 3 8 — 1 0 2 , 3 ) . Vgl. auch dieselbe Argumentation in W A 42, 8 2 , 1 6 f. (Gn 2 , 1 6 f.), w o es u. a. heißt: „Sic enim peccato originali loquuntur, ac si non sit culpa, sed tantum poena." 2 0 E. Gerstenmaier sagt sogar, daß die Grundlage der lutherischen Sündenlehre diejenige Augustins sei: Gerstenmaier 1938, S. 120. 2 1 „Igitur frontes istas meretricias contemnamus et Augustinum cum Paulo iungamus, quod hic peccatum, ille vitium vocat. Vitium autem scimus id esse, quod culpam et reprehensionem habeat arguique dignum sit, etiam in rebus corporalibus" : W A 8 , 9 1 , 1 — 4 (Rationis Latomianae confutano 1521). 2 2 Die Verderbtheit ist kein plötzlich eigetretener Zustand, sondern eine andauernde Entwicklung, die sich immer mehr von der Reinheit des Ursprungs entfernt: W A 42, 260, 3 4 — 2 6 1 , 1 5 (Gn 5, 29). Ihr Ende erfährt diese Degeneration im Untergang der Welt und im Jüngsten Gericht (s. u. Anm. 28). Der „dingliche" Charakter des Urzustands wie auch des Falls braucht nicht wie bei O. Zöckler als naturalistisdie „Ungeheuerlichkeiten" aufgefaßt zu werden. Siehe O. Zöckler, Die Lehre vom Urzustand des Menschen, Gütersloh 1879, S. 19—26.

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immer schlimmer werden, hängt mit ihrem bösen Herzen zusammen23. Aber, betont Luther, wenn Adam nicht gefallen wäre, würde nicht nur der Mensch, „gezieret mit allerlei Erkenntniss und Weisheit", sondern auch die übrige Kreatur viel schöner gewesen sein24. Nach der Sintflut wurde die Schöpfung noch mehr entstellt. Der Sündenfall führt also auch eine rein psycho-physische Verderbtheit mit sich. Weil die Menschen ihr Leben nicht richtig gebrauchen, sind nicht nur ihre Herzen böser, sondern ist auch ihr Lebensalter kürzer als in den Tagen der Patriarchen geworden26. „Post peccatum omnia sunt mutata in deterius."26 Die Sünde hat Gottes Schöpfung „müde" gemacht27, so daß sie schlechter und schlechter, häßlicher und häßlicher, schwächer und schwächer wird28. Die Degeneration ist indessen keine eigengesetzliche Erscheinung, sondern hängt mit dem bösen Herzen des Menschen zusammen. „Quod crescentibus peccatis etiam crescunt poenae." Die Strafe trifft, wie wir im dritten Abschnitt dieses Kapitals deutlicher sehen werden, nicht immer genau nach dem Maße der Schuld. Nur der Mensch leidet unter dem ethisch Bösen und damit unter der Schuld der Sünde. Das psycho-physische Übel trifft aber die ganze Schöpfung, weil der Mensch in der gesamten Totalität bestraft werden soll, in welche er als dominus mundi gestellt ist: „Nam in bestiis manet creatio seu natura, sicut condita est. Non lapsae sunt per peccatum sicut homo . . . Quod autem poenam peccati etiam bestiae tulerunt et simul cum homine per Diluvium sunt perditae, ideo factum est, quia Deus voluit hominem simpliciter perdere, non solum corpore et anima, sed etiam cum posessionibus et dominio, cum quo erat conditus."29 Die Entartung geschieht gradweise; zuerst wird die Erde durch Dornen und Disteln, dann durch Unwetter, Frost, Erdbeben usw. verdorden30. Dies gilt auch für die physische Konstitution des Menschen. Früher konnten Frauen in jüngerem Alter Kinder gebären als heute und waren außerdem viel fruchtbarer. Durch „Fressen und Saufen" hat der Mensch selbst dazu beigetragen, seinen Körper, der doch Gottes gute Schöpfung ist, zu verderben31. Daß die Sonne nicht mehr so klar scheint, wie am Morgen der Schöpfung, und daß Unkraut und schädliche Tiere das Leben des Menschen verdüstern, ist, sagt Luther, ein Zeichen der göttlichen Strafe32. Die gesamte Welt des Falls ist nach Luthers Auffassung zu einer Offenbarung des göttlichen Zornes über die Sünde des Menschen geworden: „Non tantum in Templis igitur audimus arguì nos peccati: Omnes agri imo pene tota W A 20, 406, 3 1 — 3 4 (Predigten 1526). W A T i 4, 1 4 1 , 2 2 (1538), Vgl. auch W A T i 1, 574, 2 8 f f . und W A 42, 27, 2 4 f f . ( G n l , 11). 25 W A 40/III, 5 6 0 f f . ; vgl. audi W A 4 4 , 1 2 , 28—29 (Gn 3 1 , 1 0 — 1 6 ) . 2 8 W A 42, 59, 30 (Gn 2 , 2 ) . 2 7 W A 32, 231, 2 f. (Predigten 1530). 2 8 „Hodie experimur frequentiores calamitates frugum quam prioribus temporibus. Mundes enim de die in diem magis dégénérât": W A 4 2 , 1 5 4 , 1 0 f f . (Gn 3 , 1 7 f f . ) . „Quare calamitates Adae impositae mediocres fuere prae nostris. Quo enim mundus magis vergit ad finem, eo magis obruitur poenis et calamitatibus" : ib. 155, 30 ff. 2 9 W A 42, 302, 41 ff.; 303, 5 ff. ( G n 6 , 1 1 ) . „Coram Deo" gibt es keine Notwendigkeit; die Schuld v o r Gott ist deshalb nicht vom psycho-physischen Übel verursacht, denn „Necessaria physice sunt, iudicio et conspectu humano. Sed coram Deo non sic, ibi sunt proi b i t a . . . " : W A 39/1, 2 3 1 , 2 5 f f . (Die Prom.disp. von Palladius und Tilemann 1537). 3 0 Ib. 153, 38 ff.; 1 5 5 , 1 9 f f . ( G n 3 , 1 7 f f . ) . 31 W A 47, 7 0 3 , 1 2 ; 8 2 7 , 1 2 (Predigten 15 3 9). 3 2 W A 4 2 , 1 5 6 , I f f . (Gn 3 , 1 7 f f . ) . 23 24

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Kapitel I V : Die Macht des Bösen

creatura plena est talibus Concionatoribus admonentibus nos de peccato nostro et ira Dei per peccatum excitata."33 Da die Welt zusammen mit dem Menschen in das Verderben gestürzt worden ist, begegnet also nun der Mensch, wenn er in der Welt handelt, nicht nur Gottes Güte und Segen, sondern auch seinem Zorn und Fluch. „Nichts geringere und Verächters ist denn ein dürr blad, das auff der erden ligt, da alle Würmlein drüber lauffen und sich nicht eins steublins erweren kan . . . wenn das stündlin kompt, sol sich fur seim Rauschen furchten ros, man, Spies, hämisch, könig, fursten, gantz heers kraft und alle macht und solche trotzige . . . Und solchs Bladts rausschen sol uns die weit zu enge machen und unser zorniger Gott werden."34 Ob die Schöpfung als etwas Gutes oder nur als ein Übel empfunden wird, hängt jedoch ganz vom Herzen des Menschen ab; ist nämlich sein Herz auf den Willen Gottes ausgerichtet, so erkennt er auch, daß alle Kreatur dazu da ist „ut discamus ab eis Deum cognoscere et timere"35, ja, die äußere Schöpfung kann für den, der glaubt, sogar zum Hinweis auf Christus werden, daß er sieht „crucem Christi esse descriptam et depictam digito dei in omnibus creaturis"36. Auch beim konkreten Menschen nimmt die Sünde nach und nach zu. Da sie in einer Beziehung zur falschen Willensrichtung des Menschen steht, nimmt die Macht der Sünde über den Menschen mit dessen Entwicklung zu einem höheren Bewußtsein und zu einem ausgeprägteren Willen zu. Der Säugling (infans) und das Kleinkind (puer) stehen zwar de facto unter dem Gericht, doch machen sie sich nicht in ebenso hohem Grad des Unglaubens schuldig, wie ein Erwachsener (adultus), wenn dieser seine Gotteszuversicht durch das Streben nach einer falschen Sicherheit in den geschaffenen Dingen ersetzt37. Es ist also unverkennbar, daß Luther sich von den üblichen Resultatkategorien freigemacht hat und sie durch Aktualitätskategorien zu ersetzen sucht, die einer ethisch verstandenen Schuld entsprechen. Soweit dies geschieht, vermag Luther auf eine ganz andere Weise die Schuld des Menschen ethisch relevant zu machen und gleichzeitig die Strafe der Sünde in die gesamte Schöpfung zu verlegen. Ib. 156, 24if.; vgl. audi ib. 29, 8; 1 5 3 , 1 sowie 41, 3 0 9 , 1 0 . 1 9 f f . (Predigten 1535). W A 19, 226, 16—28 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526 Kap. 2,4). Vgl. audi W A 24, 2 3 , 1 4 f i . (Über das l.Buch Mose 1527). 35 W A T i 2, 299, 23 f. (Sammlung Cordatus 1531). 3 6 W A 3, 6 4 7 , 2 f. (Dictata 1 5 1 3 — 1 6 ) . Der Gedanke kommt in verschiedenen A b w a n d lungen auch in Luthers späteren Schriften vor. Siehe z.B. W A 34/11,18 ff. (Pred. 1531); W A 31/1, 4 4 7 , 1 2 — 2 0 (Der 147.Psalm ausgelegt 1532); W A 37, 1 5 9 , 2 2 (Pred. 1533); ib. 1 6 1 , 2 8 ; W A 49, 222 (Pred. 1 5 4 1 ) ; ib. 4 2 8 , 2 0 f f . (Pred. 1544); ib. 431, lOff.; 4 3 3 , 2 5 f f . ; 7 2 5 , 1 5 — 7 2 6 , 9 (Pred. 1545); W A 54, 9 6 , 1 9 — 2 2 (Von den letzten Worten Davids 1543) sowie W A T i 2, 3 1 3 , 1 3 f. (1531) und W A T i 4 , 1 4 1 , 26 (Lauterbadi 1538). 37 W A 3 7 , 1 5 9 , 8 — 1 6 1 , 1 3 (Predigten 1533). Die Tendenz in der modernen Theologie, die Begegnung zwischen Gott und Mensch in das menschliche Bewußtsein zu verlegen, ist Luther fremd. Selbstverständlich ist die Gottesgemeinschaft nicht vom Bewußtsein isoliert, aber sie ist nicht von ihm abhängig. Luther betrachtet das Bewußtsein des gefallenen Menschen nicht als eine Bedingung, sondern eher als ein Hindernis für die rechte Gottesbeziehung. Vgl. K.Brinkel, Die Lehre Luthers von der Fides infantium bei der Kindertaufe (ThA Bd. VII), Berlin 1958, bes. S . 1 2 8 , A n m . 4 4 f . , und S . 9 3 — 9 7 . Siehe audi unten Kap. V, 1, S. 190 ff. 33

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Wie wir gesehen haben, tritt der Aktualitätszug in Luthers Schöpfungsgedanken besonders in seinen beiden Katechismen klar zutage. Man kann in diesem Zusammenhang aber auch Luthers Genesisauslegungen und besonders den Großen Genesiskommentar nennen. Zu Gn 2,8 f. sagt Luther, daß der Garten Eden im Paradies nach dem Fall völlig von der Erde vertilgt wurde. Damit ist auch der Zustand der Freiheit von Sünde, Tod und Verderben, in welchem die Menschen des Paradieses gelebt hatten, verschwunden38. Zu G n l , 2 8 heißt es, daß die ersten Menschen des göttlichen Segens und der Gottebenbildlichkeit verlustig gegangen sind. Um dieses näher zu definieren, sagt Luther, daß ja nicht die Fruchtbarkeit des Menschen, sondern nur die Freiwilligkeit dieses seines Handelns verlorengegangen ist, und der Verlust der rechten Gotteszuversicht bedeute nur, daß der Mensch auf das eigene Handeln und dessen Resultate angewiesen ist; damit sei die Lust bzw. die Unlust bestimmend geworden, so daß er nun Gottes verkündigtem mandatum nicht freiwillig gehorche39. Zur Auslegung vonGn2,17 heißt es wohl zuerst, daß die Erbsünde Verstand und Willen verdunkelt hat, dann wird das aber näher als Ungehorsam gegen Gott, die Verzweiflung des Gewissens und der Verlust des Wortes Gottes erklärt. Luther wendet sich hier auch ausdrücklich gegen die oberflächliche Sündenauffassung der Scholastik, wo die Sünde als fleischliche Begierde (Konkupiszenz) betrachtet wird. Der Fall bedeutet, daß der ganze Mensch gefallen ist und in seinem Aufruhr des Gotteswortes und damit der persönlichen Gottesgemeinschaft und des ewigen Lebens beraubt wird 40 . Und zu Gn 3,6 sagt Luther, daß alle — ebenso wie die ersten Menschen — zum Aufruhr (praesumptio) versucht werden. Gott befiehlt, dem Wort zu glauben und darauf zu vertrauen; nun aber läßt der Mensch das Wort fahren und baut seine Zuversicht auf sich selbst und seine eigenen Gedanken. „Denn es ist alles so abgemalet, wie er feret mit allen menschen, die er [der Teufel] angreifft." 41 Der Zusammenhang zwischen der Sünde des ganzen Menschengeschlechts und der Sünde des Einzelnen ist für Luther also nicht kausal, ebensowenig wie die Beziehung des Schöpfers zur Schöpfung nicht kausal, sondern aktual ist. Jeder Mensch ist geschaffen und kann deshalb auch nicht der Forderung des Schöpfers entfliehen. Deshalb ist jeder Mensch ein Sünder, wenn er diese Forderung nach Glauben, nach dem freien Herrschen über die Erde und dem liebevollen Dienst am Mitmenschen vernachlässigt42. Zwar spricht Luther im Anschluß an Augustin von Erbschuld, doch wird die ererbte Schuld nicht akut, solange nicht der Mensch gegen Gottes mandatum verstößt. Existiert auch die Schuld als eine Macht schon vor und unabhängig von dem konkreten Menschen, ebenso wie die Schöpfung schon vor ihm und unabhängig von ihm existiert, so hat doch die Schuld ihre Kraft (stimulus) nur in der Begegnung zwischen Gottes aktueller Forderung und dem Handeln des ein38 39 40 41 42

WA WA WA WA S.o.

42, 67, 31—41 (Gn2, 8). 24, 51, 30—52, 22 (Über das l.Buch Mose 1527 Gn 1, 28). 42, 86,17—87, 7 (Gn 2,17). 24, 87, 25ff. (Über das l.Buch Mose 1527 G n 3 , 6 ) . Anm. 29 und Kap.III.

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Kapitel IV: Die Macht des Bösen

zelnen in der Schöpfung, wo Gott ebenfalls schon vor und unabhängig vom Verdienst des Individuums seine guten Gaben frei ausstreut43. Weil die ganze Menschheit unter Gottes Zorn steht, der wie eine anklagende Macht (culpa) und wie ein keimendes Verderben (poena) wirkt 44 , sind sowohl die Entartung, die sich in Form von Schwäche oder Unordnung äußert, als auch die Schuld Zeichen für die Macht des Bösen; doch darf die Verderbtheit nicht mit der Erbsünde (peccatum oder vitium) identifiziert werden45. Da zwischen dem von der Unordnung verursachten Übel (malum) und dem auf Grund der aktuellen Sünde des Menschen verursachten Bösen (peccatum) keine kausale Verbindung besteht, kann die Sünde nicht auf der psycho-physischen Verderbtheit des Menschen beruhen. Damit will Luther natürlich nicht sagen, daß der konkrete Mensch tatsächlich ohne Sünde leben könnte, sondern er will nur den ethischen Charakter der Sünde betonen und festhalten, daß sie nicht auf Grund der Störung in einer objektiven Ordnung, sondern auf Grund der Störung der persönlich aufgefaßten Gottesbeziehung geschieht. Der Mensch steht vor Gott immer mit einer persönlichen Schuld. Das Böse ist für Luther nicht wie für die frühere Tradition eine Eigenschaft, sondern eine Gefangenschaft, die der Mensch willig bejaht, und weil er das tut, ist er mit Schuld beladen46. Ist er aber gefangen, so bedeutet das, daß er sich nicht selbst befreien kann', diese Sklaverei bedeutet Tod, denn wer sündigt und so seine Zugehörigkeit zur Welt des Falls und zum Bösen willig bejaht, entfernt sich von dem lebenspendenden Wirkungskreis des göttlichen Schöpfungswortes, und fällt damit unter Gottes Zorn und Gericht47. In den geschaffenen Dingen herrscht an sich kein Mangel, sagt Luther zu Gen 1,30, denn aus ihnen erhält man — trotz der Sünde — Nahrung und Leben. Es gibt für alle genug. Die Unordnung und die Not kommen vom Unglauben, der wie eine dem Wort feindliche Macht wirkt; diese Macht hindert den Menschen daran, von der guten Schöpfung Gottes in Freiheit Gebrauch zu machen48. Wenn die Sünde auf der Schwäche und der Unordnung beruhte, so würde das Böse nur ein nihil negativum und nicht etwas positiv Böses sein, das sich aktiv gegen Gottes Willen auflehnt. Die Schöpfung ist 4 3 „Erbsünde . . . ist nichts anders denn aine darbunng der erbgerechtigkait . . . Und haist darumb eine erbsiinde, dss wir sie nicht gethan haben . . . Denn gleich wie ein sun die veterlichen güter, so er nit gewunnen hat, erblichen und myt recht besitzet, Also ist er audi verpflicht, nach art der selbigen erblichen gerechtikait die sdiuld nach tod seins vaters gelassen, zu betzallen, dieweyl er die veterlichen güter besitzt und ynne hat, denn wer den nutz wil haben, der tregt auch billich den schaden, Also gehets hye auch zu mit der erbsünd, die wir nit gethan haben, sonder unser eitern, die müssen wir audi mit helffen tragen und zalen": W A 17/11, 282, 15—28 (Festpostille 1527). Siehe auch unten Kap. IV, 3. 4 4 Von der Macht der Sünde und nicht von ihrer Strafe befreit Christus deshalb den Gläubigen. Obwohl der Gläubige dem Angriff des Todes ausgesetzt ist, braudit er ihn nicht zu fürchten, denn dem Tod ist die Macht genommen. Die Sünde wirkt Schuld nur in ihrer „Substanz", d.h. als willensmäßiger Aufruhr, nicht aber in ihrer „Qualität", d.h. als Leiden: W A 8, 91, 3 5 — 9 2 , 1 1 (Latomus 1521). 4 5 L. Haikola, Studien 1958, S.86. 4 6 R.Josefson, Bibelns auktoritet, Stockholm 1953, S . 1 2 7 . 4 7 H. Obendiek 1931, S . 6 7 und 69. 4 8 W A 24, 59, 6 — 1 0 (Über das l.Budi Mose 1527 Gn 1, 30).

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also nicht böse, weil Gott sie etwa verlassen hätte, sondern weil der Mensch Gott verlassen hat. Weil die Sünde nicht ein Verwirken des Geistes, sondern Feindschaft gegen den Geist ist, lehnt Luther auch das scholastische Natur — ÜbernaturSchema ab. Dort liegt nämlich die einzige Bosheit des natürlichen, konkreten Menschen darin, daß er seit Adams Fall nicht mehr den Geist Gottes besitzt. Luther betrachtet stattdessen den Willensaufruhr des Menschen als eine feindliche Macht, die sich positiv gegen Gott auflehnt 49 . Daß der Mensch unter dem Zwang zu sündigen steht — um nun schließlich an die einleitungsweise angedeutete Diskussion zwischen Luther und Erasmus anzuknüpfen —, bedeutet also nicht, daß der Mensch auf Grund des Falls in einem rein physischen Zwang steht, sündigen zu müssen, sondern daß er auch in der falschen Einstellung des Unglaubens Gottes Schöpfung und rechtmäßiges Eigentum ist, der unter der Forderung des Schöpfers nach Glauben und Zuversicht steht und deshalb in seinem Unglauben gegen Gottes verkündigten Willen sündigt und sich unentschuldbar macht. Der aktuale Zug in Luthers Sündenauffassung hat also die Aufgabe, auch das Schuldmoment zu betonen. Daß Luther damit nicht das Machtmoment aufgegeben hat, haben wir bereits angedeutet. Ebenso wie der konkrete Mensch in dem Augenblick, wo der Lebensfunke entzündet wird, an Gottes Segen teilhaben darf, so steht er nun auf Grund des Falls gleichzeitig unter dem Fluch, der ihn als eine feindliche Macht bedroht. „Sicut igitur vita divino et certo Consilio conceditur, Sic etiam mors est opus irae Dei, qui vertit creaturam hanc in contritionem et protrudit ex vita in mortem." 50

2. M u n d u s e t d i a b o l u s Der Mensch des Falls ist in eine Welt der Sünde und des Todes einbezogen, die vom Fürsten des Bösen, vom Teufel, regiert wird. Die Welt (mundus) und der Teufel (diabolus) sind für Luther Mächte, die sich Gottes Willen widersetzen und sowohl im Menschen als auch in der übrigen Schöpfung wirksam sind. Was das dominium des Menschen sein sollte, erscheint nun als eine ihm feindlich gesinnte Macht. Wie der Aufruhr (sicut Deus) und der Mißbrauch (abusus), so zeigen sich auch die Folgen der Sünde (poena und culpa) in dem Verhältnis des Menschen zur Welt, die nun auf Grund des Aufruhrs und Mißbrauchs sich als ein 48

Audi der gefallene Mensch ist also eine Schöpfung Gottes. Er hat zwar keinen guten Rest in sich, an den die Offenbarung anknüpfen könnte; aber er ist audi keine bloße Negation, kein leeres Nichts, sondern eine Kreatur, die ihrer Bestimmung der Ebenbildlidikeit Gottes beraubt wird (privatio), weil sie ständig im Aufruhr gegen Gott steht und seine Gaben mißbraudit. Damit wird er etwas positiv Böses, ein Ebenbild des Teufels: s.o. Kap.III,2. Die Sündenauffassung des jungen Luther betreffend s.u. Kap. IV, 2, Anm. 3, sowie die aus terminologischem und systematischem Gesichtspunkt interessante Analyse bei F.Brunstäd, Gesammelte Aufsätze und kleinere Schriften, Berlin 1957, S. 125 ff. 50 WA 40, 518,17ff. (Ennaratio Psalmi X C 1534/35 Dr. V.3). Die Gebundenheit des Menschen an die Sünde rührt daher, daß er seine an Gott gebundene Freiheit verloren hat: ib. 535, 22—536, 17 (V.6).

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Kapitel I V : D i e Macht des B ö s e n

diabolisches Gebilde (mundus et diabolus) erweist. Der Mensch ist also in eine Welt und ein Reich einbezogen, die von der Umklammerung durch den Tod gezeichnet sind. Daß die Wurzel des Bösen jedoch im Menschen als Person und nicht in den geschaffenen Dingen liegt, betont der reifere Luther sowohl gegenüber dem Spiritualismus der Schwärmer, als auch gegenüber dem Asketismus der Mönche1. Aber schon der junge Luther hatte unterstrichen, daß das Böse darauf beruht, daß sich Gottes gute Schöpfung gegen den Schöpfer auflehnt (inoboedientia)2. Auch wenn der junge Luther das Böse nicht ausdrücklich als eine feindliche Macht verstand, sondern gelegentlich dazu neigte, die Sünde als ein „nihil" aufzufassen3, so findet sich doch bereits bei ihm die später so bedeutungsvolle Unterscheidung zwischen der guten (geschaffenen) Welt und dem bösen (gefallenen) Menschen4. Christus ist, so heißt es in der Hebräerbriefvorlesung (1517), der Ursprung aller Welten und Zeiten5. Gott will nur das Gute. Er hat den Menschen in diese „durch Christus" geschaffene Welt hineingestellt, damit er dort ein Mitbürger (secularis) sein sollte6. Die Welt hat die Bestimmung, das dominium des auf die Vollendung wartenden Menschen zu sein. Durch den Fall wird der Mensch dieser Bestimmung der Welt nicht mehr gewahr. Die Welt wird zu einem „Hindernis" und zu einer „Gefahr". In den neutestamentlichen Schriftauslegungen des jungen Luther über die Stillung des Sturmes auf dem Meer (Mt 8,23 ff.) und das Gleichnis vom Fischnetz (Mt 13,47) wird somit die Welt als ein gefährliches Meer dargestellt7, über welches der Mensch fahren muß, um das ewige Reich zu erreichen; auch in den alttestamentlichen Schriftauslegungen dieser Zeit wird die Welt in Übereinstimmung hiermit „mundus allegorice et confusio prosperitatis et adversitatis" genannt 8 ; sie ist voll von „Versuchungen" und „Gefahren" in Form von „desyderium carnis", „desyderium oculorum", „ambitio saeculi" und „superbia" etc. 9 Aber auch in Luthers späteren Schriftauslegungen, wo die allegorische Auslegungsmethode zurücktritt, finden wir dieselbe Vorstellung. Zwar ist die geSiehe z . B . WA 1 O/III, 30—40 (Pred. 1522). W. Jetter 1954, S. 163—166. 3 „quia peccatum originale est Nihil seu privatio": WA 9,73, 31 (Randbemerkungen Luthers 1510/11); „quia peccatum non est aliquid, sed negat aliquid. Bonum enim et malum differunt sicut ens et nihil" : ib. 5 6 , 1 3 f. Siehe auch ib. 73,6—10. 4 WA 4, 533,12—20 (Praelectio in üb. Iudicum 1516 flg). 57(3), 98, 21 f. (Hebräerbriefvorlesung 1517 K a p . 1,2) und WA 2,459, 4 (Galaterbriefkommentar 1519): „seculum non sit malum." Ib. 4 5 9 , 1 7 : „sed per eos qui in ipso sunt, aut bonum aut malum appellatur." 5 WA 57(3), 98, 21 f. (Hebr 1, 2) WA 4, 533, 12—20 (Praelectio in libr. Iudicum 1516 fig·)· « WA 57(3), 9 8 , 2 7 f. (Hebr 1, 2). 7 WA 4,624, 2 f i . (Sermone ca. 1514—1520), WA 1,128, 2 0 f f . (Sermone 1514—17), ib. 1 2 9 , 2 8 f f . ; vgl. auch die Predigt über Petri Fischzug ( L k 5 , I f f . ) : WA 15,640, 16ff. (Predigten 1524). 8 WA 4, 189, 29 ff. (Dictata 1513—16 Ps 103 [104]): „ . . . opera creationis . . . est possessione Christi . . . per eum facta." WA 3 , 5 7 0 , 3 0 ff. ( P s 7 7 [ 7 8 ] ) : „Mare enim est Mundus allegorice et confusio prosperitatis et adversitatis. Et per medium illarum duxit sanctos Apostolos et martyres patres nostros in coelestia regna." Vgl. auch ib. 224, 35 ff. 9 WA 4, 533,12—21 (Praelectio in liberum Iudicum 1516 flg.). 1

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schaffene Welt gut, doch ist sie auch voller Gefahren und Eitelkeit 10 . Hier wird aber auf eine ganz andere Weise auch die Macht der Welt, die sich in der Beziehung des Menschen zu den Dingen zeigt, hervorgehoben. „Die Welt" ist also in Luthers Sprachgebrauch auch ein personhafter Begriff, der nicht nur die äußere Schöpfung, sondern auch die böse Macht bezeichnet, die den Menschen daran hindert, seine Bestimmung zu erreichen. Diese böse Welt tritt in Erscheinung, wo man es am allerwenigsten erwartet, und ist am mächtigsten, wo Gottes Schaffen am größten ist. In Jesu Wehruf „Weh der Welt der Ärgernisse halben" (Mt 18,7) ist „die Welt" nicht nur der „Herr omnes, der gemeine Pöbel, die mit groben Sunden beladen sind", sondern „. . . . Welt heißet die besten, so in der weit sindt, als . . . die fhurer des volcks, die viel anhangs haben . . . " u . Wo die Welt am großartigsten ist, ist sie nämlich in doppeltem Sinne böse12. Es ist daher erklärlich, sagt Luther in der Kirchenpostille (1522), daß Herodes, der ja an und für sich ein „prechtiger man" war und wußte, wie man sich hier in dieser Welt zu benehmen hat, dennoch zum „τύπος doctorum pharisaicae iustitiae" wird; in seiner Selbstherrlichkeit verwirft er das Wort, d.h. Christus, der allein der rechte Herr der Welt ist. Die „herodische Heiligkeit" will kein Geschenk entgegennehmen; sie stützt sich in allem auf ihre eigene Vortrefflichkeit und Klugheit und kommt so in Gegensatz zum schöpferischen Wort und Willen 13 ; bei Paulus finde man bestätigt, daß das Böse besonders bei frommen, weisen und gelehrten Menschen gesteigert wird, denn je mehr man vom Schöpfer empfängt, desto größer werden die Lockungen der Welt und desto größer die Macht der Bosheit im Menschen14. Schwäche und Not können dagegen dazu beitragen, den Menschen in gewissem Sinne von dieser bösen Welt zu befreien. Die Feindseligkeit der bösen Welt bekommen besonders die Christen zu spüren, da die feindlich gesinnte Welt ja zu der in Christus geschaffenen Welt in einem Gegensatz steht: „je größer und heller das Licht des Euangelii ist, je böser die Welt ist." 15 Wer Gottes Willen gehorchen will, kann daher dem Angriff des Bösen in der Welt des Falls nicht entgehen·, weil Gut und Böse ineinander verflochten sind, 10

WA 34/11, 147, 14—148, 7 (Predigten 1531 Rörer Mk 7, 31), WA Ti 1 , 5 4 4 , 3 1 ff. (1530), WATi 3, 175,1 ff. und WATi 4, 106, 30 f. (1538). 11 WA 47, 264, 33—265, 3 (Mt 18—24 in Predigten ausgelegt 1537—40). 12 „ . . . ubi mundus est optimus, ibi dupliciter nequam est" : WA 40/1, 96, 22 f. (Galaterbriefkommentar 1535). 18 WA 9, 502, 16 (Predigten 1519—21 Poliander); W A 1 0 / 1 , 1 , 6 0 2 (Kirchenpostille 1522); ib. 630. Die „herodische" Heiligkeit findet sich audi im Papsttum, w o man Christus verrät, indem man in der sichtbaren Welt Garantien für die eigene Seligkeit sucht: ib. 623, 17ff. und 7, 238, 5—240, 10 (Sermon 1521). 14 WA 40/1, 95, 28 ff. (Galaterbriefkommentar 1535); ib. 96, 22 f. 15 WATi 6, 50, 7 f. (Aurifaber). Der Kampf zwischen Gut und Böse bewirkt, daß das Böse in seinem Angriff gegen das Gute schlechter, das Gute dagegen dadurch besser wird: „ . . . omnis persecutor sibi plus nocet et eum quem persequitur, plus promovet" : WA 4, 2 7 5 , 3 9 f . (Dictata super Psalterium 1513—16 Ps 117 [118]). „Drumb sein vns vnsere adversarii sehr nutz, wenn sie meinen, sie thun vns schaden": WATi 5 , 2 1 5 , 2 8 f. (1542/43 Kaspar Heydenreich). Vgl. auch WA 50, 600, 10 (Von den Konziliis und Kirchen 1539), WA 14, 694, 30 (Deuteronomion Mosicum annotationibus 1525) und WA 30/11, 370, 7 (Widerruf vom Fegefeuer 1530).

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Kapitel I V : D i e Macht des B ö s e n

können sie vom Menschen nicht unterschieden werden; sie sind Mächte, die gegeneinander kämpfen; die Frontlinie geht durch die gan^e Schöpfung hindurch, und das gefährliche Meer der Welt wogt am meisten im eigenen Herten des Menschen16. Die Welt (mundus) ist also für Luther die dämonische Macht, die zu Aufruhr und Mißbrauch lockt, und zugleich der Gegenstand dieser Versuchung; sie ist Gottes gute Schöpfung und gleichzeitig Gottes Feind. Die Welt betrügt und wird betrogen, sie ist Gefahren ausgesetzt, und selbst eine Gefahr11. Hier begegnen wir dem, was man besonders in der schwedischen Lutherforschung Luthers „Dualismus" zu nennen pflegt. Gott steht zu dem Bösen in einem Gegensatz wie zu einer bösen Macht, die seine Absicht mit der Schöpfung zu durchkreuzen sucht. Das Böse ist aber keine rein metaphysische Größe, sondern nimmt sowohl im Menschen als auch in der übrigen Schöpfung Gestalt an. Die Bedeutung dieses Dualismus für das Verständnis von Luthers Gottesbild und Versöhnungslehre wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Gustaf Aulén betont, der viele bisher dunkle Stellen in Luthers Theologie einleuchtend zu erklären vermochte und auch auf die folgende Forschergeneration befruchtend gewirkt hat. Luthers Dualismus muß nach Aulén als eine Wiederaufnahme des urchristlichen Kampfmotivs angesehen werden, das in der späteren christlichen Geistesgeschichte in der forensischen Versöhnungstheorie des Mittelalters mit dem lateinischen, auf einem monistisch-ontologischen Schema aufgebauten Versöhnungsmotiv ringt 18 . Durch Ragnar Brings Lutherabhandlung von 1929 sind die Bedeutung und der Inhalt dieses dualistischen Motivs, vor allem in Luthers Ablehnung des römischen meritum-BegrifFs, aufgezeigt worden. In einer Anzahl neuerer Lutheruntersuchungen wurde auch das dualistische Motiv nicht zuletzt bei der Beschreibung von Luthers Regimentenlehre hervorgehoben worden 19 . Hier stehen an und für sich nicht Luthers ungewöhnlich konkrete dämonologische Vorstellungen zur Diskussion. Ihr Vorhandensein ist wohl von niemand bestritten worden. Wie auch der deutsche Lutherforscher Harmannus Obendiek in seiner Abhandlung (1931) über Luthers Dämonologie festgestellt hat, ist „der Teufel" als ein integrierender Bestandteil in Luthers Gesamtanschauung anzusehen20. R. Bring hat, ausgehend vom Kampf zwischen Gott und Teufel — u. a. auch gegenüber Arvid Runestam und Torsten Bohlin — nachzuweisen versucht, daß Luthers dualistische Gottesvorstellung in De servo arbitrio (1525) mit der mehr monistischen seiner anderen Schriften nicht unvereinbar ist. Wenn Gott in De servo arbitrio sowohl als der Urheber wie als der Bekämpfet des Bösen dargestellt 18

WA 1, 129, 28 ff. (Sermone aus den Jahren 1514—1517). WA 17/1, 318,11 f. (Predigten 1525); WATi 2, 327, 3 und 645, 3; WATi 4, 405, 8 und 577, 30; WATi 3, 292,28 (1533) und 6 4 4 , 4 0 (1538). 18 Siehe G. Aulén, Den kristna gudsbilden, Stockholm-Uppsala 1941 2 , S. 208—214 (dt. D a s christliche Gottesbild in Vergangenheit und Gegenwart. Eine Umrißzeichnung, Gütersloh 1930, S. 208—216); ders., Den kristna försoningstanken. Huvudtyper och brytningar, Stockholm-Lund 1930, und ders., Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens (ZsystTh 8. Jg. 1930, S. 501—538). 19 Siehe R. Bring 1929, G.Törnvall 1940 (dt. 1947), G.Wingren 1948 2 (dt. 1952), V. Vajta 1952 und G. Hillerdal, Gehorsam . . . 1954. 20 H . Obendiek 1931. 17

2. Mundus et diabolus

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wird, muß das dualistische Motiv keineswegs bedeuten, daß die Einheit im Gottesbild abgeschwächt wird21. Wie dieser Gedanke sich in Luthers Versöhnungslehre auswirkt, werden wir in Kapitel VI sehen. Zunächst erhebt sich die Frage, ob dieser Dualismus nicht bedeuten muß, daß Gott der Urheber der Sünde ist. Wenn einige Lutherforscher solche Fragen angesichts der vermeintlich hervorragenden Stellung des dualistischen Motivs in der Totalanschauung Luthers gestellt haben, hat man u.a. auf die hervorragende Rolle des oben (Kap. IV, 1) dargelegten Schuldgedankens Luthers hingewiesen. In den nordischen Ländern haben vor allem Osmo Tiililä und Sigfrid von Engeström die Bedeutung des „dualistischen" Motivs bei Luther zugunsten des „Schuldmotivs" herabmindern wollen. Beide machen zu Recht geltend, daß das Schuldmotiv nicht restlos durch das Kampfmotiv ersetzt ist, haben aber nicht die innere Einheit zu sehen vermocht, die gerade zwischen dem Schuld- und dem Kampfmotiv bei Luther besteht22. In der kontinentalen Lutherforschung polemisieren vor allem die von Karl Barth beeinflußten Lutherforscher gegen die Betonung des Dualismus in der nordischen Lutherforschung. Gott und Mensch stehen — meint man — nur in der Dimension des Glaubens in einer Beziehung zueinander und Gottes Wille begegnet dem Menschen deshalb nur im Evangelium; das Böse wird also nicht als eine Gott feindlich gesinnte Macht verstanden, da es bereits von Christus besiegt ist. Das Böse wird als eine Projizierung des Unglaubens betrachtet, und ist eigentlich seinem Wesen nach Nichtigkeit. Luther wird von einem christologisch-monistischen Schema her gedeutet, wobei es indessen einige Schwierigkeit bereitet, Luthers Aussagen über den „dinglichen" und machterfüllten Charakter des Bösen in dieses Schema hineinzupressen23. Sowohl die Christokraten als auch die Vertreter des Schuldmotivs in der Lutherforschung haben aus Luthers Anschauung Bruchstücke ausgewählt, und diese gegen andere Teile ausgespielt, ohne sich jedoch der Mühe zu unterziehen, nach dem systematischen Zusammenhang zu fragen, in den sie eingeordnet sind. Sowohl der Schuldgedanke, als auch der Gedanke von Christus als dem Herrn aller Dinge, spielen für Luthers Gesamtanschauung eine große Rolle. Doch stehen sie nicht in Gegensatz zu dem Gedanken der Macht des Bösen. Unsere besondere Aufgabe ist es nun, darzulegen, inwieweit Luthers Schöpfungsgedanke neues 2 1 A. Runestam 1921 und Torsten Bohlin, Gudstro och Kristustro hos Luther, Stockholm 1927, S . 2 7 1 — 3 1 1 . Vgl. dagegen R.Bring 1933, wo dii Freiheit und der Glaube nicht als etwas Psychologisch-Vorhandenes betrachtet werden, das der Mensch hat, sondern als etwas, das ihm vom Schöpfer gegeben wird. 2 2 S. v. Engeström, Luthers trosbegrepp med särskild hänsyn tili försanthallandets betydelse ( U U Â 1933, 3), Uppsala 1933, sowie ders., Förlätelsetanken hos Luther och i nyare evangelisk teologi, Stockholm-Uppsala 1938; ferner O. Tiililä, Das Strafleiden Christi (Annales Academiae Scientiarum Fennicae Bd. X L V I I I , 1), Helsinki 1941. 2 3 Siehe W.Berge, Gesetz und Evangelium in der neueren Theologie (Aufsätze und Vorträge z. Theol. und Rel.wiss. H . 2 ) , Berlin 1958, S.43, A n m . 2 7 9 . J.Heckel ist ein typischer Vertreter derjenigen Lutherforscher, die einseitig geltend machen, daß „Welt" nur ein personhafter Begriff ist, und die deshalb das Böse nicht als eine feindliche Macht, sondern nur als „Nichtigkeit" verstehen. Vgl. K . Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/3, 1, ZollikonZürich 1959, S. 192—206, wo eine solche Betrachtungsweise einer „dualistischen" und „verdinglichten" Auffassung des Bösen entgegengehalten wird. Siehe J.Heckel 1953, S . 3 4 .

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Löfgren, Schöpfung

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Kapitel I V : D i e Macht des B ö s e n

Licht in diese gerade augenblicklich in der Lutherforschung so heftig erörterte Frage des „Dualismus" bei Luther bringen kann. Wir stellten am Anfang dieses Abschnittes fest, daß das Böse in der Begegnung des Menschen mit der Welt hervortritt, und daß letztere dadurch ein personenhafter Begriff wird. Die böse Welt ist für Luther eigentlich nichts anderes als das Hervortreten der Aufruhrmacht. Die feindliche Welt ist aber nicht nur die seelische Welt, sondern konkretisiert sich auch in dem Übel der physischen Welt, sie tritt nicht nur in der ethisch-personalen, sondern auch in der ontisch-dinglichen Dimension auf und ist somit nicht nur etwas Inneres, sondern auch etwas Äußeres. Sowohl als innerer wie auch als äußerer Mensch bekommen nämlich alle die gottfeindliche Macht des Bösen zu spüren 24 . „Das Reich der Welt" ist für Luther die Herrschaft des Bösen über die gan^e Schöpfung, ein „saeculum malitiae", das sich gegen alles Gute richtet, das Gott gibt 25 . Der „Fürst" oder das „ H a u p t " des Bösen, und dessen Reich, die böse Welt, „regnum diaboli" oder „corpus diaboli" 2 6 , nehmen nicht nur im bösen Menschen, sondern auch in der übrigen Schöpfung konkrete Form an. 24 Siehe z . B . WA 1 4 , 1 1 1 , 7 — 9 (Predigten über das l.Budh Mose 1523/24) und 37,36, 2—10 (Predigten 1533). Verlust der iustitia originalis bedeutet daher nicht nur Verlust des ewigen Lebens; der Mensch verliert auch sein dominium und begegnet dem T o d daher schon hier in der Welt in Form eines sozialen und psycho-physischen Verderbens. T o d und Welt versklaven den Menschen und berauben ihn seiner Gottebenbildlichkeit. 2 5 WA 40/1, 94, 4 ff. (Galaterbriefvorlesung 1531 H s G a l 1,4), ib. 9 7 , 7 . Vgl. dagegen W. Koehler 1951, S. 187. Wo der ontische Zug in der Sündenauffassung verwischt wird, macht sich eine Tendenz bemerkbar, das dualistische Motiv abzuschwächen, das ethische auszuweiten und Gesetz und Gottes guten Willen zusammenzuführen; wo das Ontische auf Kosten des Ethischen betont wird, entfernen sich Gesetz und Gottes guter Wille voneinander, oder aber das dualistische Motiv schwächt den Gedanken der Souveränität Gottes ab. Luther sieht indessen im Gesetz sowohl Gottes guten Willen als auch eine böse, feindliche Macht wirksam. Er kennt nicht die falsche Alternative ethisch böse oder ontisch böse und hat Gesetz und Gottes Willen weder miteinander identifiziert, noch sie voneinander getrennt. Vgl. unten K a p . IV, 3 und die Analyse u. a. der Bedeutung des dualistischen Motivs für die Bestimmung des Verhältnisses Gesetz—Evangelium in der modernen Theologie bei W.Berge 1958, S.43. Wenn Luther von allerhand Plagen und Übeln, Gefahren und Mängeln, von Krieg und Schwertern, Pestilenz, Unglück und Verfolgung spricht, hat das Böse, wie H . Obendiek feststellt, einen mehr dinghaften Charakter. Einen mehr personhaften Charakter erhält die „Welt", wenn Luther von Papst, Kaiser und den Fürsten als den Dienern des Bösen spricht. D a Gott der Schöpfer aller Dinge ist, steht er in einer Beziehung zu allem Geschaffenen, zum Inneren wie zum Äußeren. Durch die äußere Schöpfung gelangen Gottes Gesetz und Wille zum Menschen. Dort ist aber auch der Teufel, der Geist des Aufruhrs wirksam, der den Menschen verführt und ihn von Gottes Willen und Gesetz fortlockt. D a s Böse tritt daher sowohl im „Personalen" als audi im „Dinglichen" auf. Die geschaffenen Dinge stehen ohne eigenes Verschulden im Dienst des Bösen und können deshalb als reiner als der Mensch bezeichnet werden, und das Böse geht nur zu Lasten der willensbegabten Kreatur, die sich gegen Gott und seinen Willen auflehnt. Aber der K a m p f zwischen Gut und Böse wird nicht nur im Innern des Menschen, in seiner „personhaften" Beziehung zu Gott ausgetragen. D a s Böse trifft ihn in der Totalität, in welche er als geschaffenes Wesen hineingestellt ist. D a s Böse begegnet dem Menschen deshalb nicht nur im geistlichen Bereich, sondern an jedem Punkt des Daseins, wo Gott schafft und befiehlt: s. H . Obendiek 1931, S . 2 1 4 f . 2 e „ . . . mundum esse regnum Satanae, ubi praeter naturalem caccitatem agnatam ex carne etiam nequissimis spiritibus regnantibus super nos in ipsa caecitate induramur et

2. M u n d u s et diabolus

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Wenn die Welt „semper et in omnibus est contrarius Christo", ist sie vom Teufel besessen 27 und steht dann im Widerspruch zu der „per Christum" geschaffenen Welt, dem dominium des Menschen. Hier handelt es sich also nicht um eine Welt, über die der Mensch herrscht, sondern ganz im Gegenteil um eine Welt, von der er beherrscht wird. Der Mensch ist in seinem Verhältnis zu dieser Welt nicht frei, sondern wird selbst ein Teil von ihr. Er steht aber mit dieser Welt auch im Gegensatz zur ewigen Welt, zu Gottes unsichtbarem Reich. In Luthers Galaterbriefvorlesung (1531) wird die Welt — im Unterschied vom kommenden, dem ewigen Zeitalter — als „praesens seculum" oder „regnum diaboli" bezeichnet 28 . Weil die Welt der Bosheit des Teufels unterworfen und ausgeliefert ist, der in der ganzen Welt durch Unkenntnis, Verachtung, Haß, Lästerung und Ungehorsam gegen Gottes Wort und Taten regiert, beherrscht sie den Menschen 29 . Der Teufel ist der Herr dieser Welt (Princeps mundi bzw. Deus huius seculi) 30 . Er ist nicht nur die Personifikation des Bösen, sondern auch dessen eigentlicher Urheber, ein Totschläger und ein Vater der Lüge. Alles was er sagt, das befolgt die „Welt" als die gehorsame Tochter des Teufels. Alles Böse und aller Wahn kommen von der Macht, die der Teufel hier in der Welt besitzt 31 . Die gute Schöpfung ist Gottes Eigentum, wenn aber der Teufel sie in Besitz nimmt, wird sie die Stätte der bösen Macht 32 . Der böse Geist ist ein Fürst, der in der Welt als in seinem eigenen Reich oder Haus wohnt, so daß der Mensch sich in einer fremden Herberge befindet 33 . daemoniacis nec iam humanis tenebris tenemur" : WA 18,658, 13 ff. (De servo arbitrio 1525). Siehe audi WA 3, 532, 22 (Dictata 1513—16) und WA 1,706, 15 f. (Ausi, des 109. [110.] Psalms 1518): »[Des Teufels] cörper ist die weit." " WA 3, 480, 35 (Dictata 1513—16). 2 8 WA 4 0 / 1 , 9 7 , 2 (Galaterbriefvorlesung 1531 Rörer H s ) . Siehe H . O b e n d i e k 1931, S. 57 f., vgl. auch oben Anm. 10 f. 2 9 WA 40/1, 94,14—20 (Galaterbriefkommentar 1535). Der Einbruch des neuen Zeitalters mit Christus bedeutet weder, daß der „alte" Äon (das Gesetz des Todes) zu wirken aufgehört hat, nodi daß der „neue" Äon (der Endsieg des göttlichen Willens und das ewige Leben) restlos hereingebrochen ist. Luthers Denken in Äonen hindert ihn ganz im Gegenteil daran, das Verhältnis zwisdien dem Bösen und Gottes Willen, zwischen Gesetz und Evangelium und zwischen Gott und Teufel als ein Verhältnis zwischen zwei formal gleichwertigen Erscheinungen mit nur verschiedenem Inhalt zu betrachten. So bedeutet z . B . das neue Zeitalter bei Luther nicht, daß der Mittler Christus den Mittler Moses ersetzt, sondern daß Christus etwas vollkommen Neues bringt, ohne jedoch unmittelbar das Alte aufzuheben. 3 0 So auch in WA 50, 473, 34—37 (Wider die Antinomer 1539). Zum dämonologischen Hintergrund des Dualismus bei Luther siehe R. Bring 1929, S.31—66. Luther war nicht abergläubisch, sondern im Gegenteil gegen jede Art von Aberglauben kritisch eingestellt: W. Eiert 1952*, S. 397. 3 1 WA 40/1,96 (Galaterbriefkommentar 1535). „Mundus nunquam sui est dissimilis. Huius princeps Sathan est, quo impulsore ducitur ad quaevis mala, est enim regnum tenebrarum, quod non potest non odisse lucem" : WA 13, 8 9 , 1 — 3 (Praelectiones in prophetas minores 1524 flg.). 3 2 Siehe H . O b e n d i e k 1931, S.53—58. 3 3 WA 12, 394, 24—29 (Epistel S.Petri gepredigt und ausgelegt l . B e a r b . 1523).

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Kapitel IV : Die Macht des Bösen

Die Teufelsvorstellung Luthers kann aber nicht als ein prin2ipieller Dualismus bezeichnet werden, denn das Böse wird nicht so aufgefaßt, als existiere es unabhängig von Gottes Schöpfermacht 34 . Im Gegensatz zu Gott kann der Teufel nicht schaffen35. Luthers pessimistische Weltanschauung und seine Betonung der totalen Sündenverderbnis wurde von seinen Gegnern als Manichäismus verstanden, weshalb Luther diese Auffassung ausdrücklich zurückweist 36 . Im Gegenteil! Bei Luther ist der Teufel ein Ausdruck dafür, daß etwas ursprünglich Gutes böse geworden ist 37 , und die zerstörenden Mächte der Welt und des Teufels haben deshalb neben Gottes Schöpfungshandeln keine eigene Potenz, sondern werden als völlig abhängig von der Wirkung betrachtet, die von Gottes Schöpfermacht ausgeht. Luzifer wollte wie Gott werden, d.h. das besitzen, was ihm als geschaffenem Wesen nicht zukam 38 . E r war ursprünglich ein gutes Geschöpf Gottes 39 , das wie die übrige Kreatur durch Gottes Wort geschaffen war 40 . V o r dem Fall war er der größte Engel, nun ist er der größte Teufel 4 1 . Aus Gottes edelstem Ebenbild ist Gottes größter Feind geworden 42 . Der Aufruhr des Teufels, daß er sicut Deus werden wollte, ist der Abfall des Geschaffenen vom Schöpfer. Beim Menschen zeigt sich das, wie wir bereits gesehen haben, im Aufruhr gegen Gott und im Mißbrauch der Mitschöpfung 43 , bei der übrigen Schöpfung in der Entartung; aus „generare" wird „degenerare" 44 . Die teuflische Macht des Bösen konkretisiert sich aber vor allem in dem Streben des Menschen, sich vom Schöpfer loszulösen45. Ist der Teufel geschaffen, so ist denn auch seine Macht nicht so total wie Gottes Macht 46 . E r kann nicht schaffen, sondern nur Gott „imitieren", was 34 R.Bring 1929, S. 1—30, sowie H.Obendiek 1931, S.39. Obendiek zieht es deshalb vor, nicht von einem dualistischen, sondern von einem „antithetischen" Zug in der Theologie Luthers zu spredien (S. 37 ff. und S. 240). Dies ist jedoch ein allzu formaler und schwacher Ausdruck. 35 „Denn ob seine gewalt wol gros ist, so ist sie doch nicht infinita, unmeslich, als Gottes . . . [es] ist dem Teufel viel dinges unmöglich, als todten . . . lebendig machen . . . [er kann] nicht fruchtbar machen . . . nicht rechtschaffene Wunder und Mirackel thun" : WA 16,130,6—12 (Predigten über das 2.Buch Mose 1524—27). 38 WA 40/111,516, 25—517,26 (Ennaratio Psalmi X C Dr. 1541 Y.3). 37 WA 21, 519,16—34 (Crucigers Sommerpostille 1544 Rom 11, 33—36). 38 WA 1, 269,10 (Zwei deutsche Fastenpredigten von 1518). ,e WA 31/1, 338, 1—5 (Die ersten 25 Psalmen auf der Koburg ausgelegt 1530). 40 WA 15, 800,20—23 (Predigten des Jahres 1524). 41 Siehe Anm. 39. 42 WA 51, 396, 5—11 (An die Pfarrherrn wider den Wucher zu predigen, Vermahnung 1540). 43 WA 11, 287, 1—15 (M.Lutheri ad Brismannum epistola 1523). 44 WA 44,12, 26—13,17 (Gn 31,14—16). 45 WA 41, 488, 25—28 (Predigten des Jahres 1535), WA 25,456,26 f. (Predigten über das 3. und 4. Buch Mose 1527/28), WA 37,286, 27 (Predigten des Jahres 1534) und WA 15, 473, 2—4 (Predigten des Jahres 1524). 48 H.Obendiek 1931, S.39 ff. Siehe auch WA 18,709f. (De servo arbitrio 1525), wo Luther u.a. die bekannten Bilder vom Pferd und Reiter und vom Wirt und den Weinfässern gebraucht, um auszudrücken, daß Gott nicht die Bosheit schafft, sondern nur über der bösen Kreatur steht. Vgl. hierzu G.Ljunggren 1928, S.435f. sowie WA 39/11, 173, 4—6: „Erant bona, quae fecit, sed . . . in corrupta natura accessit. Homo erat ad agnitionem Dei creatus, non ut dubitaret de Deo . . ( D i e Disp. von Joh.M. Scotus 1542).

2. Mundus et diabolus

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zu Tod und Verderben, d. h. zum Gegenteil von Schöpfung und Leben führt. Nur mit Gottes Erlaubnis kann der Teufel seine Macht ausüben47. Die Bosheit ist für Luther jedoch nicht nur Schein, sondern geschieht „impulsu Diaboli" 48 . Weil aber der Teufel zwar von Gott geschaffen ist, aber in seinem Aufruhr sich gegen den Schöpfer auflehnt, kann Gott nicht als der Urheber des Bösen betrachtet werden; die Sünde des Menschen und die böse Macht stehen in Gegensatz zu Gottes gutem Willen 49 . Deshalb stehen zwei feindliche Willen einander entgegen: der Wille Gottes und der des Teufels; zwei feindliche Welten, die Welt Gottes und die des Teufels. Und da die gottfeindliche Willensmacht Gottes Bestimmung für seine Schöpfung durchkreuzt, steht sie auch im Gegensatz zu Gottes Verheißung des ewigen Lebens. Der Teufel wird deshalb in Luthers Theologie auch zur Personifikation der gegenwärtigen, ihres Ewigkeitsgehaltes (d.h. des ewigen Lebens und der vollkommenen Gerechtigkeit) beraubten Zeit, die im Gegensatz zum kommenden Zeitalter steht, wo es keine Versuchung, nichts Böses und keinen Tod mehr geben wird. Der Teufel darf also nicht als eine von Gottes Allmacht unabhängige Seinsmacht, sondern muß als ein Ausdruck für die Unnatur der ganzen gefallenen, gottfeindlichen Kreatur aufgefaßt werden. Der Mensch ist Gottes rechtmäßiges Eigentum, das nun von fremden Herren, den Verderbensmächten des Gesetzes50, des Zornes51, der Sünde62, des Todes53 und der Hölle 54 beherrscht und bedroht wird. Diese bösen Mächte sind alle wirkliche Feinde Gottes und seines Willens ; sie sind damit auch „in der Welt" und „als Welt" Feinde des geschaffenen Menschen, jedoch Gottes souveränem Schöpferwillen untergeordnet55. Gott und Teufel kämpfen gegeneinander um den Menschen, der somit in einen Machtkampf einbezogen ist. Weil dieser Kampf zwischen Gott und Teufel sowohl die Gefangenschaft des Menschen unter der Macht des Bösen als auch die Ohnmacht des Bösen im Ver4 7 Wenn der Teufel versucht, Gott nachzuahmen, wird das Resultat ein völlig anderes als wenn Gott handelt, nämlich eine Entstellung der Schöpfung, das Gegenteil von dem, was Gott mit ihr wollte: Wahn und Verderben. Als Gott den Menschen schuf, schuf der Teufel einen Mönch, der »taugt weder zum Kirchen- noch weltlichen oder häuslichen Regiment": W A T i 4,223, 6 . 1 9 ff. 23 f. (1539). » . . . wo Gott eine Kirche bawet, da setzet der Teufel eine Capell daneben" : W A 3 3 , 4 5 4 , 3 4 ff. (Wochenpredigten über Joh 6—8 1530—32). Siehe audi W A 32, 5 1 7 , 2 6 — 3 6 (Wochenpredigten über Mt 5—7 1530/32), W A 34/11, 47—48, 18 (Predigten 1531) sowie W A 4 2 , 1 1 1 , 1 2 f f . (Gn 3 , 1 ) . 4 8 „Natura est bona, sed accidentalia sunt peccatum et fors, quae erumpunt in naturam; illa non sunt bona. Ideo Johannes inquit: Quae condita sunt, ut discernât naturam ab eis, quae accesserunt impulsu Diaboli": W A T i 5 , 4 1 0 , 7 f f . (aus verschiedenen Jahren). Siehe audi oben Anm. 31. 49 G. Ljunggren 1928, S. 430 f. 50 W A 34/11, 4 5 5 , 1 4 f. (Predigten des Jahres 1531). 5 1 „Sic David erat praepotens et dives, tarnen quia norat, se esse sub ira Dei, peccato et morte et potestate Diaboli: Quid prosunt mihi, cogitât, omnes opes totius mundi, siquidem mihi non benedicunt, nec adferunt vitam et salutem aeternam": W A 4 3 , 2 5 1 , 6 — 9 ( G n 2 2 , 16 c—18). Vgl. auch W A 40/1, 514, 7—515, 5 (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 3,22). 5 2 Ib. 2 6 3 , 4 0 8 (Gal 2 , 1 8 ) . 53 W A 2 5 , 2 4 3 , 33—36 (Vorlesung über Jesaia 1527—29 Jes 38, 6—10). 5 4 W A ΙΟ/III, 66, 3 f. (Predigten des Jahres 1522). 5 5 Siehe die Zusammenstellung audi von anderen Bezeichnungen für das Böse bei H. Obendiek 1931, S. 213—216.

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Kapitel I V : Die Macht des Bösen

hältnis zu Gott dem Schöpfer bezeichnet, wäre es der Sache nach vielleicht geeigneter, diesen „Dualismus" bei Luther als ein „Kampfmotiv" oder ein „antagonistisches Motiv" zu bezeichnen. In der Schrift De servo arbitrio (1525), wo das Motiv voll ausgebildet ist56, wird es ja auf eine charakteristische Weise gerade mit dem Gedanken der Allmacht des Schöpfers verknüpft57. Daß es sich bei Luther auch nicht um eine periphere volkstümliche Teufelsvorstellung, sondern um ein konstitutives Element in seiner Gesamtanschauung handelt, wird offenbar, wenn man die Aussichtslosigkeit des Versuchs einsieht, Luthers Denken, wenigstens in De servo arbitrio, ohne Rücksicht auf das antagonistische Motiv deuten zu wollen58. Beim jungen Luther tritt der Antagonismus zwar nicht so stark hervor, doch findet sich schon hier und nicht nur in seinen späteren Schriften der Gedanke des Gegensatzes zwischen „corpus Babylonicum" und „corpus Christi", der Gedanke des Kampfes zwischen „den Kindern des Fleisches" (oder „des Teufels") und „den Kindern Gottes" (oder „des Geistes"), zwischen „dem Samen der Schlange" (oder „den Kindern der Welt") und den „Kindern der Verheißung" (oder „der wahren Kirche") 59 . Der erste Grundgedanke bei der Anwendung des antagonistischen Motivs ist, daß die Geringen und die Niedrigen hier in der Welt von den Großen und Starken immer verachtet und zertreten werden, daß die vernünftige Berechnung, die sichtbare Ergebnisse erwartet, immer im Gegensatz zum Glauben steht, der sich an das unansehnliche Wort hält, das deshalb in seiner „infirmitas" gerade von der vernünftigen Berechnung verachtet wird, von der „Welt", die Unglück und Schwäche nicht ertragen kann®0. Wenn Erasmus Luther anklagt, daß er durch das Betonen des Wortes allein der Einheit und der äußeren Ordnung der Kirche schade, antwortet Luther (in De 5 8 In De servo arbitrio erscheint das antagonistische Motiv an u.a. folgenden Stellen: W A 1 8 , 6 2 6 , 2 1 ff.; 627, 3 4 f f . ; 635, 7 f f . ; 638, 9 f f . ; 6 7 5 , 3 6 f f . ; 7 4 3 , 3 1 f f . ; 7 5 0 , 3 3 f f . ; 782, 30 ff. 5 8 Siehe R. Bring 1933. " Siehe W . Eiert 1 9 5 2 2 , S. 3 8 9. 5 » W A 4, 4 2 , 1 7 ff. (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 — 1 6 ) , ib. 131, 31 ff. und 273, 31 ff., W A 40/1, 527, 7 (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 3 , 2 3 ) , W A 42, 142 f. (Gn 3 , 1 5 ) , 2 1 3 f. ( G n 4 , 1 0 ) , 229 f. ( G n 4 , 1 7 ) , 234 ( G n 4 , 2 3 ) , 237 ( G n 4 , 2 4 ) , 254 f. (Gn 5, 21—24) und 380 ( G n 9 , 2 0 — 2 2 ) . Siehe auch G.Rupp, The Righteousness of God, London 1953, S. 329—343; P. Meinhold 1937, S. 61, sowie ders. 1936, S. 4 1 7 f., und H.Obendiek 1931, S. 250. 80 Die Welt aber und was in der Welt sicher dahin lebet, kann das Unglück nicht ertragen: W A T i 6 , 4 9 , 27 f. „ . . . gottes wortt tregt nichts, denn das creutz. des will niemant" : W A 10/11, 124, 35 ff. (Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papsts und der Bischöfe 1522). „Si volumus Christiani esse, tum habemus istum leidigen Teufel zum gast. Externe facit schaden per gladium et postea per Rottas interne, per pseudofratres qui usw.": W A 3 6 , 4 1 8 , lOff. (Predigten 1532 1 Joh 4 , 1 6 — 2 1 ) . Die Aufruhrsmacht des Bösen fürchtet das Leiden, und deshalb sagt Luther oft, daß der „Teufel das Kreuz flieht": W A 6, 5 8 7 , 9 ff. (Von den neuen Eckischen Bullen und Lügen 1520), W A 7 , 6 4 2 , 20—22 (Auf das überchristlich usw. Buch Bocks Emsers A n t w o r t 1521), ib. 680, 11, und daß „die Welt vor dem Leiden flieht" bzw. nur „gute Tage haben will": W A 2 4 , 1 0 3 , 2 8 — 1 0 5 , 2 1 (Über das l.Buch Mose 1527 Gn 3 , 1 7 f f . ) . „Denn es bleibt jmer im hertzen, dass wir nicht wollen gar nichts sein": W A 37, 4 6 , 1 7 (Predigten 1533). „Niemant wil nichts seyn odder mögen, yderman gefellet yhm selb wol, daher denn aller yammer, unfrid unnd krieg auff erdenn kompt: W A 10/1, 1, 88, 22—89, 2 (Kirchenpostille 1522 Lk 2 , 1 — 1 4 ) .

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servo arbitrio), daß Gottes Wort eine Wahrheit sei, die letztlich immer lebenserhaltend wirke und deshalb nicht verschwiegen werden dürfe, auch wenn man wie Christus für seine Treue zur Wahrheit des Wortes leiden müsse. Ein Christ trägt das Kreuz niemals vergebens. Wer Gottes Wort mit Füßen tritt, verliert die lebenerhaltende persönliche Gemeinschaft mit Gott — und damit auch das ewige Leben. Für Luther gibt es hier in dieser Welt keine Instanz, die über Gottes schaffendem und lebenspendendem Wort steht. Erasmus habe statt Gottes Willen die Vernunft zur höchsten Wertungsnorm gemacht; er stelle das Leistungsvermögen des Menschen über das Wort, das allein „venit mutaturus et innovaturus orbem, quoties venit" 61 . Steht der Mensch nicht in allen Dingen vor Gott als der demütig Empfangende, erhält die Vernunft eine dämonische selbstschöpferische Aktivität®2. Sie wird des Teufels Braut, die schon im Anfang von ihm besessen war, und „ym paradis wolle Gott werden und greyff nach der ehre, die hie Gott Christo alleyne zueygent" 63 . Die Vernunft, die sich mehr um Frieden und Ruhe als um die Wahrheit, d.h. Gottes Wort, bemüht, verursacht einen Aufruhr, der verheerender ist als ein Lehrstreit, nämlich Ungehorsam gegen Gottes Willen. Wer nicht leiden will, ist von der „Welt" beherrscht, und geht der Vollendung des Lebens verlustig, die Christus dem gefallenen und vom Übel geplagten Menschen schenken will64. Der Aufruhr nimmt den Menschen in der Dämonie der Kreaturvergötterung gefangen, indem er einer kreatürlichen Sache wie Gott dient 65 ; dagegen schenkt der Gehorsam gegenüber Gottes Willen dem Menschen die rechte Zuversicht, die allein vom Tod errettet. Der Aufruhr gegen Gottes Willen bedeutet Gemeinschaft mit dem Teufel. Ebenso wie Christus das „Haupt" der Gläubigen ist, so ist der Teufel das der Ungläubigen 66 . Entweder gebraucht der Mensch seine Vernunft, seine Kräfte und sein Eigentum in der Gemeinschaft des Dienens und damit im Gehorsam gegenüber Gottes Willen oder aber in Lieblosigkeit und damit im Dienst des Teufels 67 . Die Christusgemeinschaft aber ist für Luther nichts anderes als der Gehorsam gegen die im mandatum Dei befohlene Gotteszuversicht und das Gebot der Nächstenliebe. Wahre oder falsche Zuversicht, Glaube oder Unglaube — das ist die einzige Alternative, mit welcher Luther für jeden Menschen zu jeder Zeit rechnet. Entweder steht man im Gehorsam 6 1 W A 18, 626,20 ff. (De servo arbitrio 1525). Den K a m p f mit dem Fürsten dieser Welt vermeiden, bedeutet die Kraft und die Wahrheit des Wortes Gottes verleugnen, denn wo man des Gotteswortes verlustig geht, da verliert man audi das Leben. Es ist besser, für die Wahrheit zu leiden, als die Gemeinschaft mit ihm zu verlieren, der aus dem Nichts schaffen kann: ib. 626, 34—627, 20. Derselbe Gedanke findet sich bereits in der Schrift gegen Latomus: „Seditio, qua corpora vastantur, timetur, at seditio, quae vastat animas, defenditur . . . " : WA 8, 50,14 f. „Nunquam minus est metuenda seditio, quam dum verbum dei docetur. Deus enim, qui deus pacis est, tum praesens est": ib. 19—21. 6 2 W A 18,205, 29—31 (De servo arbitrio 1525). Vgl. H.Obendiek 1931, S. 174. e s WA 20, 230, 23—24 (Predigten 1526). 64 H . Obendiek 1931, S. 251 f. 9 5 Vgl. die interessante Analyse des dämonischen Wesens bei G. Wünsch, Evangelische Wirtschaftsethik, Tübingen 1927, S.175. · · WA 17/1,123, 18—22 (Predigten 1525). 6 7 WA 6 , 4 0 , 1 8 — 2 4 (Sermon von dem Wucher 1520), WA 37,128, 4 (Predigten 1533 L k 16,9), WA 9, 381, 5—8 (Predigten Luthers gesammelt von Joh.Poliander 1519—21) und WA 15, 787, 28—29 (Predigten 1524).

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Kapitel I V : Die Macht des Bösen

gegen das Wort auf Gottes Seite und muß dann durch die Starken hier in der Welt Verfolgung leiden, oder aber man steht im Gehorsam gegen die Weisheit der Welt im Gegensatz zu Gottes Willen 68 . Der Mensch kann deshalb nicht — und das ist der zweite Hauptgesichtspunkt des antagonistischen Motivs •— als neutraler Beobachter des Kampfes zwischen den beiden Reichen stehen. Die Schöpfung enthält keine Adiaphora, kein neutrales Gebiet, wo nicht der Kampf tobt. Die gesamte Schöpfung ist die Walstatt, wo Gott und Satan um die Herrschaft kämpfen 69 . Der einzige Unterschied, der zwischen dem Menschen und der übrigen Schöpfung besteht, ist der, daß der Mensch in gewissem Sinne selbst die Seite wählt, auf welcher er stehen will, während die Dinge keine Wahl haben. Aber auch die Wahl des Menschen hat Gottes Wort zur Voraussetzung. Da der Mensch Geschöpf ist, besitzt er nicht die Freiheit, sein Schicksal in eigene Hände zu nehmen, sondern er ist darauf angewiesen, daß ihm Gott durch sein Schöpferwort Leben gibt und ihn in Gemeinschaft mit sich aus der Gefangenschaft unter dem Teufel herausruft. Die Knechtschaft hat ihren Grund im Unvermögen des Menschen, sich selbst das Leben zu geben. Nicht der Umgang mit den Dingen in der Welt, sondern seine durch den falschen Gebrauch der Dinge verursachte Lebensimpotenz fesselt den Menschen70. Nicht das Leiden und die Not an sich können den Menschen knechten71. Der absolute Gegensatz liegt deshalb weder zwischen den guten Dingen und dem bösen Menschen, noch zwischen dem Menschen und dem Teufel, oder zwischen der Schöpfung und dem Schöpfer, sondern vielmehr zwischen Leben und Tod bzw. zwischen dem Schöpfer und der bösen Macht des Aufruhrs, die in der gesamten Schöpfung wirksam ist. Diese Macht, die selbst geschaffen ist, bekämpft Gott, um die ganze Gewalt über die Welt der Schöpfung in die Hand zu bekommen 72 . Wo die Frontlinie letztlich verläuft, läßt sich dann in einem konkreten Augenblick unmöglich bestimmen, „denn Gotts zeichen und der Engel warnunge sind gemenget mit des Satans eingeben und zeichen wie die wellt denn werd ist, das es wust unternander gehe und nichts unterschiedlich erkennen kan" 73 . Im antagonistischen Motiv hat Luther eine einfache Formel für das vielschichtige Wesen des Bösen gefunden: ebenso wie Gott den Menschen durch sein Wort zu sich lockt, so lockt ihn der Teufel, indem er das Wort verdreht, dazu anreizt, gegen C8 W A 1 5 , 6 7 1 , 2 8 — 3 1 (Predigten 1524). „ . . . quod non tantum de Ecclesia Christi psalmus intelligendus est, sed de omni omnium saeculorum populo dei, qui semper habuit suos seductores et persecutores . . . duas et contrarias hominum generationes, quarum altera suis viribus, altera gratiae dei nititur . . . " : W A 5, 1 2 6 , 1 8 — 2 3 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 — 2 1 Ps 5 , 1 ) . 6 9 W A 8 , 5 0 4 , 3 5 f. (Vom Mißbrauch der Messe 1521). 70 G.Ljunggren 1928, S. 29. 7 1 „ . . . homo cum vacat spiritu Dei, non quidem violentia, velut raptus abtorto collo, nolens facit malum, quemadmodum fur aut latro nolens ad poenam ducitur, sed sponte et libenti volúntate facit": W A 1 8 , 6 3 4 , 2 3 f i . (De servo arbitrio 1525). 72 Der Mensch selbst kann das Böse nicht ausrotten, es aber daran hindern, in seinem Herzen „ein Nest zu bauen": W A T i 6, 5 1 , 1 7 . 2 9 f f . (versch. Jahre). Siehe auch H.Obendiek 1931, S. 184. 73 S. u. Anm. 87.

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Gottes Gebot zu handeln, das Feuer der Sünde im Menschen anzündet, die Sünde in das Herz wirft und damit den Menschen in die Sünde hineintreibt 74 . Die konkrete Seite der Sünde ist dann gleichzeitig Ausdruck für die Macht des Teufels und die des Wortes Gottes, das einerseits vom Teufel bekämpft wird, und andererseits auch selbst gegen diesen kämpft; das Wort ist also nicht etwa bloß Buchstabe oder Gesetzessammlung .oder objektive Lehre, sondern Gottes konkreter Wille, wie er dem Menschen in dessen Leben in der Welt — wo er von der Güte des Schöpfers umgeben ist — und im gepredigten Wort begegnet, das dem angefochtenen Menschen die Vergebung der Sünden darreicht 75 . Das regnum Dei invisibile konkretisiert sich in allem, was Gott schafft und erhält, in der äußeren Ordnung und im äußeren Frieden, wie auch in der inneren Sicherheit und Zuversicht und im Geben und Empfangen der menschlichen Gemeinschaft; Gott verläßt seine Schöpfung nicht, sondern ist, solange die Welt besteht, mit seiner Güte selbst in ihr gegenwärtig. Das regnum diaboli dagegen konkretisiert sich im Mißbrauch und in der Unordnung, im Aufruhr und in der Lieblosigkeit, in Krankheit, Schwäche und Not. Gott und Satan bekleiden sich beide mit dem Geschaffenen ohne jedoch direkt darin aufzugehen 76 . Gottes Wort ist die Gegenwart des Schöpfers in der Welt, und durch dieses Wort empfängt der Mensch zugleich sein Leben und das Gebot des göttlichen Willens77. Der Teufel lockt zum Ungehorsam gegen das Wort und zum Mißbrauch der Schöpfung, wo immer dem Menschen Gottes 74

Siehe H.Obendiek 1931, S. 67 mit Belegstellen. WA 34/11,281, 7 f. (Predigten 1531). 7e Die Welt ist die Walstatt, wo zwei Willen, nämlich 1. das regnum Dei invisibile und 2. das regnum Diaboli, miteinander kämpfen. Ersteres konkretisiert sich in Wachstum und Leben, in Gemeinsdiaft und Friede in der cooperatio des geistlichen und weltlichen Regimente Gottes, letzteres in einem sozialen Verderben, d. h. im Mißbrauch der an und für sich guten Schöpfung (abusus) sowie in der Ursache des Mißbrauchs, nämlich im Hochmut (superbia), selbst Schöpfer sein zu wollen, wie auch in biologischer Zersetzung (in biologischem Verfall), d.h. in Krankheit und Schwäche, die strafen und töten. Vgl. oben Kap. III sowie — Luthers Regimentenlehre betreffend — G.Törnvall 1940 (dt. 1947). Audi Krieg, Pest und Hungersnot sind demnach für Luther konkrete Erscheinungsformen der Bosheit des Teufels. Diese mehr „dinglichen" wie auch die „personalen" Konkretionen des Bösen sind indessen nicht Geschöpfe des Teufels, sondern Träger des göttlichen Zorns. Gott zieht sein schaffendes und bewahrendes Wort zurück, um statt dessen das Gesetz des Todes und des Zorns den Menschen strafen zu lassen. Gegen dieses Gesetz, das im Teufel und in der Welt wirkt, und an die, die das Leben nicht aus sich selber besitzen, ist das verbum Dei gerichtet, das gibt, wovon es spricht: „Non est verbum de lege et praecepto, sed gratiac verbum, apponit verbum servandi, dictum est, non sicut dicitur de servanda lege, sed de pugna . . . verbum pugnat contra mortem . . . et contra id verbum omnia pugnant, mundus, infernus et diabolus. Quando ira ostenditur, iram eius non possum effugere . . . " : WA 15, 475,3—8 (Predigten 1524). Vgl. auch unten Kap. IV, 3. 75

77 Wenn man das verbum Gottes nicht in der totalen Schöpfung, sondern nur in der Kirche wirksam sehen kann, so kommt das daher, daß der Schöpfungsgedanke verwässert worden ist. Eine Tendenz in dieser Richtung findet sich in der Lutherforschung um Ernst Wolf, der in seiner Kritik der „Eigengesetzlichkeit der Kulturgebiete" in eine entgegengesetzte Gefahr gerät: die Welt wird als etwas Neutrales und nicht als die Walstatt des Kampfes zwischen Gott und Satan betrachtet: s. E.Wolf, Luthers Erbe? (EvTheol 1946, S. 82—114), ders., Noch einmal Luthers Erbe (ib. S. 310—312), ders., Zur Selbstkritik des Luthertums (ThZ 3. Jg., 1947, S. 123—149).

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Kapitel I V : D i e Macht des B ö s e n

Wille und Wort begegnen. Die Kreaturen sind Gottes „Larven", aber der Teufel hat auch seine „Larven". Gott und Teufel sind beide gleich2eitig in der Kreatur gegenwärtig 78 . Luther will also mit dem antagonistischen Motiv betonen, daß das Gute in der Welt des Falls nur in einem ständigen Kampf gegen das Böse existiert; er will den zu gleicher Zeit ethischen und ontischen Charakter des Bösen ausdrücken; es ist also ein Motiv, das sich mit dem aktualen Zug in Luthers Anschauung von Schöpfung und Fall wohl vereinen läßt; es sorgt dafür, daß das Böse ebensowenig wie das Gute etwas Ruhendes wird. Andererseits weiß Luther wohl, daß das Böse eine komplizierte Wirklichkeit ist, die man nicht auf eine einfache Formel bringen kann; es gibt keine im voraus bestimmten Grenzen zwischen Gut und Böse. In der Welt des Falls tobt der Kampf zwischen Gott und Satan, ohne daß man sicher bestimmen könnte, wo dieser Kampf ausgetragen wird, oder wer gerade die Macht besitzt. Der Kampf wogt hin und her. Einmal hat der eine, dann wieder der andere die Übermacht 79 . Da das Böse nie ruht, kann der Teufel die verschiedenartigsten Gestalten annehmen. Und da auch das Gute nie ruht, wird es von Gott dauernd geschenkt und vom Teufel dauernd bedroht. Das Geschehen steht nicht still, sondern erhält durch den Kampf zwischen Gott und Satan seine Bewegung. Der Teufel sucht zu vernichten und zu töten, während Gott Neues schafft und Leben schenkt 80 . Überall, wo Gottes schaffendes und lebenspendendes Wort ertönt, muß der Satan weichen. Die Kreaturen, die aus Gottes Wort hervorgehen, werden zu kämpfenden Soldaten, die eingesetzt werden, um dem Teufel einen aktiven streitbaren Widerstand zu bieten. „Sunt enim omnes creaturae exercitus Dei atque militant quaeque pro sua conditione. Arbores proferunt fructus et folia, terra herbas et frumenta etc. ; quae si posset Satan, impedirei omnia. Ideo omnes creaturae sunt milites Dei." 81 Weil aber auch der Teufel das Geschaffene und das Geschehen in seinen Dienst nehmen kann, um Gott Widerstand zu leisten, kann Luther sagen: „Peccatum enim exercitum habet totum mundum, deinde nos ipsos. Adversarii enim sunt arma peccati . . . Contra peccatum pugnare est adversus diabolum, mundum et seipsum pugnare . . ." 82 Einen der biblischen Belege für diesen Gedanken des streitbaren Widerstands der Schöpfung gegen den Teufel findet Luther in Gn 2,1, wo es heißt, daß Gott Himmel und Erde mit ihrem ganzen „Heer" (hebräisch: JOS) vollendet hat. Der Herr Zebaoth (der Gott der Heerscharen) gibt durch sein Schöpferwort der Kreatur den Befehl, gegen den Tod und damit für das Leben zu kämpfen 83 . Nach 78 Siehe G. Wingren 1948 2 , S.7 und 89—171 (dt. 1952, S. 13 und 61—95) mit reichlichen Belegen. 79 Ib. S. 93; dt. S. 62. 80 „Diabolus non potest restituere visum, quia est destructor. Ergo non ibi adfuit diabolus, sed Deus": W A 39/11, 282, 33 f. (Die Promotionsdisp. von Th. Fabricius . . . 1544). Siehe audi R. Bring 1929, S. 30. 81 Siehe WATi 1, 313, 26 ff. (1530) sowie WA 57(3), 76, 16 (Hebräerbriefvorl. 1517 Hebr 12, 4), ferner WA 3 1 / 1 , 1 4 7 , 1 0 (Ausi, des 118.Psalms 1529—30). 82 83 WA 57(3), 76, 13—17 (Hebr 12,15). WA 42, 5 6 , 1 7 Gn 2 , 1 ) .

2. M u n d u s et diabolus

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dem Sündenfall gehört die Welt beiden Herrschern und kann den Frommen zum Guten und den Bösen zum Bösen dienen84. Der antagonistische Zug in Luthers Theologie drückt also die Überzeugung aus, daß der Kampf zwischen Gut und Böse nicht auf einer über den konkreten Menschen und dessen dominium erhabenen Ebene, sondern in der Welt der Schöpfung, von welcher der Mensch ein Teil ist, ausgefochten wird. Die Feinde Welt und Teufel sind wirkliche, lebenvernichtende Mächte, die als Welt und in der Welt konkret Gestalt annehmen und dort den Menschen verderben und töten85. Gegen Sünde kämpfen bedeutet deshalb, wie Luther so oft sagt, gegen „Teufel, Welt und sich selbst" kämpfen86. Das ganze Leben des Menschen ist von diesem Kampf geprägt. Die Rettung liegt darin, daß Gott fortwährend schafft und damit seine Befehle gibt. Wenn Gott aber auch das Licht der Schöpfung nicht gänzlich vom Schatten des Falls verdunkeln läßt, so kann doch der Mensch nicht aus eigener Kraft zwischen dem Licht Gottes und Luzifers unterscheiden. Er lebt im Zwielicht87. Der Schöpfung muß daher von Gott ein neuer Anfang gegeben werden, sie muß aufs neue geschaffen werden; dem Menschen muß ein neues Herz geschenkt werden, das nicht nur auf Gottes Wort hört, sondern ihm auch willig gehorcht, und die übrige Schöpfung, die unter der Bosheit des Mißbrauchs seufzt und ängstlich der Befreiung harrt (Rom 8), muß von der Sklaverei unter der Macht des Bösen befreit werden88. Da die ganze Schöpfung nun ihrem Tod entgegengeht und selbst nicht schaffen kann, liegt die Rettung nicht in dem, was das Geschaffene, sondern in dem, was Gott ausrichten kann, um dem lebenauslöschenden Wüten der Feinde Einhalt zu gebieten; die Welt wird „übernatürlich regiret" durch das Wort Gottes in seiner konkreten Form des weltlichen und geistlichen Regiments, das Gott hier in der Welt gegen die Macht des Teufels führt 89 . Indem Gott zu schaffen und damit zu gebieten und zu befehlen fortfährt, regiert er den äußeren Menschen. In seinem Wort reicht er dem inneren Menschen die Verheißung des 84 W A 2 4 , 6 0 , 2 1 (Über das l . B u d i Mose 1527 G n 2 , l — 3 ) . Luther unterscheidet zwischen „Heerschar des Himmels" (milicia coeli), d.h. Himmelskörpern, und „Heerschar der Erde" (milicia terrae), d. h. Menschen, Tieren und Pflanzen. Wenn der Teufel, der ein gefallenes Geschöpf Gottes ist, die übrige Sdiöpfung zu verderben sucht, wird auch diese böse; doch schafft Gott seine „Heerschar", „ut stent in milicia et sine fine pugnent contra Diabolum pro nobis, et contra homines, dum nobis serviunt ac nobis prosunt" : WA 42,56, 22—32 (Gn 2 , 1 ) . Siehe auch WA 14,116, 26 ff. sowie WA 5, 213, 1 ff.: „ . . . omnis creatura mihi adversatur . . . simul nullius creaturae habet solatium, sed quicquid aspexerit adversatur sibi. Creatura enim cum Creatore suo agit . . . "

WA 4 1 , 1 1 8 , 2 7 — 1 1 9 , 7 (Predigten 1535 Ausi, des llO.Psalms V. 1 Dr.). « S. o. Anm. 82. 8 7 „Denn Gotts Zeichen und der Engel warnunge sind gemenget mit des Satans eingeben und zeichen": WA 2 3 , 1 1 , 3 4 f . (Vorrede zu Joh. Lichtenbergers Weissagung 1527). 8 8 „Sed peccatum causa extitit, cur multa Deus aliter faceret. Ac in extremo die longe maior totius creaturae mutatio et renovatio erit, quae, sicut Paulus dicit, Rom 8. propter peccata nunc vanitati est subiecta" : WA 42, 58, 40ff. (Gn 2, 2). 89 „Wie ein K n a b von zwölf Jahren hundert O clisen auf der Weide hütet, also wird die Welt auch übernatürlich regiret": WATi 4, 248,18—20 (1539). „ Q u a e C e s a r ordinat serviunt ad pacem, das hilfft zu dem schaden nicht, in quem diabolus nos coniecit": WA 45, 2 5 3 , 1 2 f. (Predigten 1537). 85 8

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K a p i t e l I V : D i e M a c h t des B ö s e n

ewigen Lebens und schenkt ihm dereinst Befreiung von den Tyrannen Sünde, Tod und Teufel 90 . Für den gefallenen Menschen führt jedoch immer der Weg zum ewigen Leben durch den Tod 91 . Damit sind wir zum dritten Hauptgesichtspunkt des antagonistischen Motivs bei Luther gekommen. Der Satan steht nicht nur im Widerstreit zu Gott. Er ist auch nicht nur Gott untergeordnet. Mit all dem Bösen, das die Aufruhrmacht des Bösen zustande bringt, steht er im Dienst des göttlichen Willens. Ebenso wie der Tod, der die Lebensflamme auslöscht, der Gegensatz von Gottes Lebensspenden ist, so ist das Wort, das dem Menschen in der Welt des Falls begegnet, gleichsam die Kehrseite der göttlichen Verheißung des ewigen Lebens. Gottes Wort und Wille zeigen sich nun dem Menschen des Falls als ein hartes Gesetz, das nicht die rechte Zuversicht und Seligkeit schafft. Auch wenn Gottes Wort und Wille verurteilen und töten, werden der Macht des Bösen Schranken gesetzt. Da die lebenzerstörende Macht des Bösen nur im Geschaffenen auftritt, ist sie letztlich dem allmächtigen Schöpfer unterstellt und nicht einmal der Tod, der Gegensatz des Lebens, kann also Gottes guten Willen mit seiner Schöpfung aufheben. Dieses Gesetz hat für den Menschen des Falls nicht die lebenspendende Kraft des Gebotes Gottes92. Doch setzt es teils durch seine Härte schützende Schranken, teils bahnt es gerade durch seine tötende Funktion Gottes Neuschöpfung den Weg. Gott ist mächtiger als Sünde, Tod und Teufel. Letztlich dienen die bösen Mächte des Verderbens — wenn auch dem, der gerade mitten im Kampf steht und unter dem Bösen leidet, verborgen — Gottes Absichten. Gott ist ein „creator semper ubique actuosus" 93 ; er „wil den zaum auss seiner handt nit lassen, wil allain ein herr sein über himel und erden, todt, hell, teüffel und über all crea turn" 94 . Im folgenden Abschnitt wird diese Auffassung Luthers von Gottes Souveränität im Verhältnis zum Bösen näher untersucht werden. Hier stellen wir nun zum Schluß zusammenfassend fest, daß das antagonistische Motiv bei Luther keineswegs im Gegensatz zu Gottes Souveränität steht, sondern im Gegenteil diese unterstreicht. Ferner drückt es den Charakter des Bösen als einer gottfeindlichen Macht aus und steht nicht im Gegensatz zu der Vorstellung, daß das Böse auch ethische Schuld des einzelnen ist. Der Zusammenhang des Antagonismus mit dem Schöpfungsgedanken zeigt, daß das Böse teils (von unten her gesehen) auf dem Aufruhr des Menschen und teils (von oben her gesehen) auf Gottes Zorn beruht. W A 56, 8 1 , 1 6 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Gal 8,21). S. u. K a p . V , 1. W A 42, 187, 36ÍÍ. (Gn 4, 4). S. u. K a p . V I , 1. 9 2 W A 8, 70, 3 2 — 3 5 (Rationis Latomianae c o n f u t a d o 1 5 2 1 ) . Vgl. auch ib. 7 1 , 1 2 — 1 6 und unten K a p . I V , 3. 9 3 W A 18, 753, 14 ff. (De servo arbitrio 1 5 2 5 ) . W e n n G o t t das Böse nicht zuließe, hätte es keine Macht: W A 3 7 , 1 3 4 , 22 ff. (Predigten 1 5 3 3 M k 7, 31 ff.). Vgl. W A 4 2 , 1 0 8 , 3 4 ( G n 3 , 1 ) , ib. 1 0 9 , 2 1 und 1 1 4 , 1 2 — 1 5 . Luther drückt das auf verschiedene Weise aus: „ G o t t zieht sich zurück": W A 4 2 , 2 6 9 — 2 7 0 ( G n 6 , 1 f.), „ G o t t läßt dem Teufel R a u m " : W A 3 1 / 1 , 1 4 7 , 1 4 (Ausi, des 1 1 8 . P s a l m s 1 5 2 9 — 3 0 ) , „ G o t t zieht seine H a n d ab": W A 37, 4 2 7 , l O f f . (Predigten 1534). Vgl. W A 24, 83, 13 f . : „Denn der Teuffei ist ein gewaltiger geist, Gott hat yhm nicht geweret, das er mit leiblichem ding umbgehet . . . " (Über das l.Budi Mose 1 5 2 7 K a p . 3 , 1 ) . Vgl. weiter H. Obendiek 1 9 3 1 , S . 4 2 f. 90 91

94

W A 1 2 , 5 8 7 , 8 (Predigten über J o h 3, V . 1 ff. 1523).

3. Lex peccati et mortis

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Letztlich ist auch das Böse Gott unterstellt, ein Mittel in seiner Hand, zur Regierung der Welt. Durch das Böse straft Gott die Unbußfertigen und erzieht die Gläubigen. Mundus und diabolus sind deshalb für Luther nicht nur Objekte, sondern auch Produkte und Organe des Zornes Gottes95. Daß Luther die Macht und Notwendigkeit der Sünde so stark betont, findet seine Erklärung im Schöpfungsgedanken. Es gibt nichts Böses, das unabhängig vom immerdar wirksamen Schöpfer existieren kann. Da sein Schöpfungs- und SündenbegrifF von Tat- und Kampfkategorien her bestimmt ist, kann Luther, ohne die ethisch verstandene Schuld zu verringern, das Böse als eine unentrinnbare Macht geltend machen, die gegen Gottes Willen in der ganzen Schöpfung regiert 96 . Auf diese Frage werden wir im folgenden (u. a. unten, Kap. VI, 3) Gelegenheit haben zurückzukommen.

3. L e x p e c c a t i et m o r t i s In der Welt des Falls wirkt Gottes Wille nicht nur als ein gebendes Gesetz (mandatum Dei), das für den Menschen Leben und Gerechtigkeit und für die ganze Schöpfung Ordnung und Gesundheit bedeutet, sondern auch als ein forderndes und verurteilendes Gesetz (lex peccati et mortis), das als Anklage und Tod dem Menschen einen zuvor unbekannten Widerstand oder „stimulus" entgegensetzt, der ihn daran hindert, über die Welt frei zu herrschen, dem Nächsten willig zu dienen, dem Schöpfer die Ehre zu geben und die Vollendung im ewigen Leben zu erwarten1. Weil der gefallene Mensch unter dem Gesetz des Zornes Gottes steht, ist er mit seinem ganzen dominium der Herrschaft des Todes unterworfen. Er allein ist schuld am Fall, uuu deshalb ist auch er allein der Unnatur des Todes ausgesetzt. Für die Tiere ist der Tod wohl mit Schmerzen verbunden und deshalb etwas „zeitlich Böses". Sie sterben jedoch — wie wir schon gesehen haben — nicht auf Grund des Falls, sondern „ex ordinatione Dei". Im Gegensatz zum Menschen sind Tiere und Pflanzen nicht zu ewigem Leben geschaffen. Der Tod gehört für sie zu der vom Schöpfer eingesetzten Ordnung. Der Mensch dagegen erlebt den Tod als Zorn Gottes und eine göttliche Strafe. Der Tod des Menschen ist nicht ein Erlöschen, sondern eine Macht des Verderbens, die ihm wegen seines Aufruhrs gegen das Gebot Gottes angreift 2 . Gottes guter Schöpferwille, der der ganzen Schöpfung Ordnung und Gesundheit und dem Menschen ein Leben in Gerechtigkeit hier auf Erden und dann die Vollendung „in vita aeterna" schenkt, 9 5 T. Harnack, Luthers Theologie I, München 1 9 2 7 2 , S. 251. Vgl. auch H. Obendiek 1 9 3 1 , S.41—51. 96 Vgl. G. Wingren 1948 2 , S. 129 (dt. 1952, S. 82) und E. Thestrup Pedersen, Schöpfung und Geschichte bei Luther (StTh Vol. III, Fase. I, M C M X L I X , S.5—33), S . 9 f . 1 W i r stellen hier also nicht die Frage nach dem „Gebrauch" (usus) des Gesetzes, sondern nach dessen „Kraft" (stimulus). Siehe z.B. W A 8, 91, 35—92, 11 (Rationis Latomianae confutano 1521), ib. 92, 7 und 93, 3—7. Vgl. auch W A 4 2 , 2 5 6 , 29 f. (Gn 5, 21—24). 2 Siehe u.a. W A 40/III, 4 8 5 , 1 3 — 2 5 (Enarrano Psalmi X C Dr. 1541); ib. 4 8 7 , 1 3 — 4 8 9 , 2 0 ; 5 1 3 , 1 9 — 3 0 ; 536, 2 3 — 2 7 (Ps 90, 7). Vgl. oben Kap. I, 1, A n m . 2 9 .

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Kapitel I V : Die Macht des Bösen

wird im Fall durchkreuzt; die Liebe wird in Zorn verwandelt, und dies hat Unordnung, Krankheit, Ungerechtigkeit und Tod zur Folge3. Daß der Mensch des Falls ungerecht ist, bedeutet, wie wir gesehen haben (Kap. III), daß er sowohl als innerer wie auch als äußerer Mensch tathaft gegen Gottes mandatum verstößt. Luther versteht aber die Ungerechtigkeit des Menschen nicht bloß als eine böse Gesinnung oder innere Qualität, sondern als eine Bedrohung der ganzen Existenz des Menschen. Weil das malum nicht nur beim ungerechten Menschen, sondern auch in der seelenlosen Schöpfung in Form von Schwäche, Mangel und Unordnung, auftritt, begegnet die Verderbnis in der übrigen Schöpfung — die ex ordinatione Dei sterblich ist — dem Menschen als eine Bedrohung seines Lebens, und wird deshalb zusammen mit der Bosheit des Menschen von Luther im Begriff Tod zusammengefaßt. Das „weltliche" Wesen des Menschen, seine Sünde und Ungerechtigkeit führen dazu, daß er, wie die übrige Schöpfung, aber gegen den ursprünglichen Willen Gottes, sterben muß4. Damit ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der Sterblichkeit der seelenlosen Kreatur und der des Menschen gegeben. Der Mensch steht nun unter dem 3 WA 42, 161, 30—42 (Gn 3,19). „[Der Teufel hat] die Göttliche creatur gar zu nicht gemacht und da hin bracht, das wir müssten von Gott verworffen ewig sterben und verderben, Denn was von Gott gescheiden ist, das ist schon ewig verdorben und verloren" : WA 37, 36, 7—10 (Predigten 1533 Dr.). 4 G. Ljunggren deutet völlig richtig darauf hin, daß Sünde, Tod und Teufel die Zusammenfassung des Bösen in der Welt des Falls darstellen: G.Ljunggren 1928, S.416. Er bleibt jedoch bei Luthers Anschauung der Depravation des Menschen stehen. Es liegt zweifelsohne etwas Richtiges in der Beobachtung G.Wingrens, daß der soziale Verfall bei Luther stärker hervortritt als bei den Kirchenvätern. Dagegen darf man nicht wie Wingren die Sdilußfolgerung ziehen, daß Luther — im Unterschied zu Irenaeus — am Gegensatz zwischen Leben und Tod nicht interessiert sei: s. G.Wingren, Predikan. En principiell Studie, Lund 1949, S. 121 f. (dt. Die Predigt, Göttingen 19592, S.116f.), und ders. 1958, S. 60 ff. (dt. 1960, S. 55 ff.). Möglicherweise könnte man sagen, daß der Akzent bei Luther auf die soziale Verderbnis fällt, wenn er vom Menschen in seiner Beziehung zu anderen Menschen spricht. Wie wir gesehen haben, steht für Luther der Mensch aber auch in einer Beziehung zur seelenlosen Schöpfung, zu seinem dominium. Bei Luther ist es nicht nur so, daß die Schuld zum Tod führt, sondern die Schuld ist bereits Tod, und dies zeigt sich in der Relation des Menschen zu den Dingen, die ja vergänglich sind. Der Tod ist für den Menschen nicht lediglich Auslöschen, sondern ein Zustand, in dem das Gesetz der Sünde und des Todes herrscht und der gefallene Mensch — wie auch die von Natur sterbliche Schöpfung — im Sterben begriffen ist. In Analogie hierzu bedeutet die Befreiung von der Schuld des Menschen, daß das Leben allmählich wiederkehrt. Deshalb findet sich auch der Gegensatz Leben und Tod (worauf G. Aulen in seiner Rezension von G. Wingren 1958 [dt. 1960] in SvTK 1959, S. 344—349, kürzlich hinwies) nicht nur bei den Kirchenvätern, sondern — wenn auch anders ausgeführt — auch bei Luther. Aulén macht u. a. auf den Umstand aufmerksam, daß Vergebung bei Luther „Leben und Seligkeit" bedeute, daß die Rechtfertigung als eine Neuschöpfung und daß der Tod als eine Verderbensmacht betrachtet werde, von der Christus befreit. — Damit ist jedoch nicht gesagt, daß es in Luthers Anwendung des Gegensatzes Leben—Tod nicht auch Nuancen gäbe. Bei ihm sind auf eine im Unterschied zu den Kirchenvätern besondere Weise Zorn, Gesetz und Tod miteinander verbunden. Schon die Depravation bei dem jetzt lebenden Menschen, der in einem Gegensatz zu Gott und seinem liebevollen Willen steht, bedeutet Tod; dieser wird als eine Verderbensmacht und nicht nur als eine Krankheit betrachtet. Vgl. auch oben Kap. IV, 2. Das Zusammenkoppeln von Tod und Gesetz hebt sogar den Schuld- und Machtcharakter der Sünde nodi mehr hervor.

3. Lex peccati et mortis

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Gesetz des Zornes Gottes und die übrige Schöpfung wird wegen des gefallenen Menschen vom Fluch getroffen. Sie steht aber nicht in gleicher Weise wie der Mensch unter dem Gericht. Der in Gottes Gebot geforderte Gehorsam macht gerade den Tod des Menschen zu etwas Unnatürlichem und Schrecklichem. Allein der Mensch ist ungerecht, und wenn er stirbt, gibt gerade das göttliche Gebieten dem Tod seine Kraft (stimulus). Im Sprachgebrauch Luthers entspricht deshalb der Begriff Gerechtigkeit eher dem lateinischen „rectitudo" als dem lateinischen „iustitia". „Gerecht sein" bedeutet am rechten menschlichen Sein oder der rechten Existenz teilhaben, d. h. daß der Mensch hier auf Erden unter dem Herrn des Lebens steht und die volle Lebensgemeinschaft mit ihm im ewigen Leben erwartet5. Der Gerechtigkeit verlustig gehen bedeutet in Analogie hierzu, daß der Mensch nicht nur eine gewisse gerechte Gesinnung, sondern auch das gerechte Leben verliert, das diese Gesinnung trägt. Dies ist letztlich einer der Gründe, derentwegen Luther, wie wir gesehen haben, die scholastische Lehre von der iustitia originalis nicht akzeptieren kann, wo die Gerechtigkeit als eine Übernatur betrachtet wird, die die Natur vervollkommnet, und wo der Fall nicht als ein Verlust des Lebens, sondern nur als ein Verlust der Übernatur verstanden wird. Da Adam durch den Verlust der iustitia originalis die rechte Gottesgemeinschaft verliert, geht er auch seiner Bestimmung zum ewigen Leben, das ja schon „hier im Leben" angefangen hatte, verlustig. Die Gottesgemeinschaft und die Gerechtigkeit des Menschen sind „connaturalia". Daß der Mensch des Falls ungerecht ist, und daß er des Lebens verlustig geht, wird also von Luther nicht als zwei verschiedene Gedanken aufgefaßt, weil für ihn bereits im Begriff Gerechtigkeit der Gedanke des von Gott gegebenen Lebens enthalten ist. Da der im Gesetz ausgedrückte Wille Gottes keine objektive, ein für allemal gegebene Ordnung ist, die von Gottes Schöpfungshandeln abstrahiert werden kann, sondern nur dort zutage tritt, wo Gott schafft und Leben, Ordnung und Gerechtigkeit durch seinen Befehl hervorbringt, ist die Gerechtigkeit nicht als menschliche Gesetzerfüllung aufgefaßt, sondern als ein Zustand, in dem Leben, Ordnung und Gerechtigkeit geschenkt werden. Der ungerechte Mensch ist kein „nihil", sondern befindet sich zusammen mit der gefallenen Schöpfung unter dem Fluch des Todes und des Sterbens, er lebt in einer Welt der Sünde und des Todes, wo er erfährt, wie ihm die Gerechtigkeit und das Leben geraubt werden. Das Böse ist eine feindliche Macht, die den Menschen bedroht, wenn er sein Leben in der Welt des Falls zu bewahren sucht, eine Macht, die ihn der Gerechtigkeit und der Gottebenbildlichkeit, und damit auch des äußerlichen Lebens beraubt6. Ebenso wie die Aufruhrsmacht des Bösen (mundus und diabolus) ist der Tod kein absoluter Feind, sondern erhält seine Kraft (stimulus) aus Gottes GesetIm Urteil des Gesetzes tritt der Teufel als eine anklagende Macht (diabolus) auf und wandelt das Gebot um, so daß es als ein Gesetz und eine Macht des Verderbens, die den Menschen versklavt, anstatt ihn zu befreien, erscheint. Das, was dem Teu5 „ .Deus creavit hominem rectum', ista rectitudo erat in homine naturalis . . . w i r hetten die erbgereditigkeit gehabtt, si non fuisset lapsus Adam . . . : W A 1 4 , 1 1 1 , 2 6 — 2 9 (Predigten über das 1. Budi Mose). 6 W A 40/1, 580, 2 1 — 5 8 1 , 10 (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 4, 6).

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fei und seiner Bösartigkeit die Kraft gibt, ist aber zugleich der im Gesetz ausgesprochene Wille Gottes. In den Erscheinungsformen des Bösen in der Welt des Falls kann Luther daher auch die Wirksamkeit des im Gesetz ausgedrückten souveränen Gotteswillens sehen. Die Welt ist dem Menschen als Tätigkeitsfeld gegeben. Das Leben in dieser Welt ist die Form, in der er sich üben soll, als das Ebenbild des Willens Gottes zu leben und die Vollendung im ewigen Leben zu erwarten. Der gefallene Mensch sieht aber in der Welt kein Objekt mehr, in dem ihm Gottes guter Wille begegnet, so daß er seinem Schöpfer willig gehorchen und ihn in Dankbarkeit preisen könnte ; sein dominium ist nur Welt geworden, d. h. er lebt nicht mehr in einem freien Herrschen und Dienen; er empfängt nicht mehr alles mit Dankbarkeit aus Gottes Hand und erwartet auch nicht von Gott die Vollendung im ewigen Leben. Ringsum begegnet der Mensch einem Widerstand und einer Feindschaft, die ihn an die Welt des Falls binden. Das bedeutet aber nicht, daß Gottes Schöpfungsbefehl aufgehoben ist, sondern nur, daß der Mensch nunmehr gezwungen wird, in der Welt des Falls Gottes Geboten zu gehorchen. Durch die Arbeit seiner Hände und den vernünftigen Gebrauch der Dinge dieser Welt empfängt auch der gefallene Mensch seinen Lebensunterhalt. Um überhaupt leben zu können, muß auch der böse Mensch am Empfangen und Geben der menschlichen Gemeinschaft teilhaben. Das Herrschen und Dienen des Menschen geschieht nun aber in Unfreiheit und unter Zwang. Für den imago-Dei-Menschen war das Leben leicht und froh. Für den imago-DiaboliMenschen ist es eine schwere Last. Gerade dieser Zwang beraubt den Menschen des Lebens und der vollkommenen Gerechtigkeit. Daß also in Luthers Auslegung des Sündenfalls der Zwang, der nach dem Fall in die Welt gekommen ist, gleichzeitig als Ausdruck für die Ungerechtigkeit des Menschen und für das Strafgericht Gottes betrachtet wird, kommt daher, daß er sowohl die Schöpfung als auch den Fall ins Wort verlegte. Verderben und Tod rühren daher, daß das mandatum Dei nicht mehr als das schöpferische Wort empfangen wird, sondern als ein Gesetz, das verurteilt und tötet. Dornen und Disteln erschweren dem Mann das Bestellen der Erde, in Schmerzen gebiert die Frau ihr Kind, der Nächste ist nicht mehr der willige Helfer, sondern der neidische Feind, und Gott selbst erscheint dem Menschen des Falls nicht mehr als der gute himmlische Vater 7 . Gott ist noch der rechte Herr der Schöpfung, aber ihr Widerstand knechtet und tötet und beraubt damit den Menschen seines von Gott gegebenen Lebens und seiner gottgeschenkten Gerechtigkeit. Aus dem mandatum Dei, das gibt, was es fordert, ist eine lex peccati et mortis geworden, die straft und tötet 8 . Deshalb steht der Mensch nicht mehr unter dem Segen und der Gerechtig7 Nicht die Arbeit an sich, wohl aber der mit der Arbeit verknüpfte Zwang ist eine Sündenstrafe. Siehe u.a. W A 42, 7 8 , 2 1 ff. ( G n 2 , 1 5 ) , 7 9 , 3 — 8 ( G n 2 , 1 6 ) und 1 5 2 , 1 8 f f . (Gn 3,17). Die Härte des Gesetzes tritt erst nach dem Fall zutage: ib. 103, 32 ( G n 2 , 2 i ) . 8 W A 8, 91, 3 5 — 9 2 , 1 1 ; 9 2 , 7 ; 9 3 , 3 — 7 . Vgl. Aithaus' Distinktion zwischen „Gebot" und „Gesetz" oder „verbum proprium" und „vcrbum alienum", welche ungefähr den von Luther gebrauchten Begriffen „mandatum Dei" und „lex peccati et mortis" entsprechen: P. Althaus 1952.

3. Lex peccati et mortis

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keit Gottes, sondern wird verflucht und als ungerecht erklärt9 und aus seinem dominium, wo Gott ihm mit seinem guten Willen begegnen sollte, ist nun eine feindliche Welt geworden, die den Menschen seiner freien Herrscherstellung beraubt10. Der Mensch wird unter dem Gesetz der Sünde und des Todes in ein unaufhörliches Ringen ums Leben einbezogen, das nicht endet, bevor er im leiblichen Tod seiner Herrschaft über die Welt völlig beraubt wird. Die Macht des Todes wird also nicht erst im biologischen Sterben, im Zurücksinken zur Erde erfahren, sondern schon in der Begegnung mit Gottes Gesetz in den natürlichen Ordnungen dieses Lebens. Die Macht des Todes wird schon in der Mühe der Arbeit und im Schmerz des Gebärens erfahren. Diese Strafen sind aber mit einer Verheißung verbunden. Nur der Teufel ist zum ewigen Tode verurteilt: „Das sind die drey straffe, auff die sunde gelegt: eine grewliche auff die schlangen und zwo tröstliche auff den man und weib."11 Der Tod ist für Luther keine bloße Negation des Seins, sondern ein Zustand, der herrscht, wo Gottes Zorn dem Menschen begegnet12. Ebenso wie das Leben eine Gabe ist, die schon jetzt geschenkt ist, aber erst im ewigen Leben vollkommen gegeben wird, so ist auch der Tod ein Verderben, das schon jetzt in der Furcht des Menschen als ein Vorgeschmack des Jüngsten Gerichts und ewigen Todes erlebt wird. Das Gesetz treibt den Menschen, in der Welt leben zu müssen und dort den tödlichen Schlag des göttlichen Zorns zu empfangen, so daß er sagen muß : „Omnis creatura mihi adversatur"13. * Vgl. D. Bonhoefier 1955 3 , S. 96 f., wo im Anschluß an Luther der Charakter des Falls als ein Geschehen betont wird. 10 WA 42, 215, 41— 216,13 ( G n 4 , l l ) . „Gegen ihren Willen" trägt die Schöpfung die Strafe für Adams Sünde: ib. 214,15—24 (Gn2,11). Der Mensch ist an Leib und Seele gefallen: ib. 78, 21 (Gn2,15), und wird gestraft an „gut, leib und seel": WA 24,138, 27 f. (Über das l . B u d i Mose 1527 G n 4 , l l ) . „Die Strafe" wird doch nicht der „Person" Adams, sondern der „Erde" auferlegt: WA 42, 152, 25—28 (Gn3,17) und 214,16 f. ( G n 4 , l l ) , und tritt nun in deren Widersetzlichkeit hervor: ib. 157, 24—160,23 (Gn3,17—19) und 216,15—31. Die Person Adams wurde auf Grund der Verheißung vom Befreier — dem Samen des Weibes — bewahrt: ib.214,27f. ( G n 4 , l l ) . Kains Geschlecht und der Teufel werden dagegen auf ewig verdammt: ib. 214, 32—217, 27 ( G n 4 , l l ) . Vgl. WA 24,130,27 f. 11 WA 24, 105, 21 f. (Ober das 1. Buch Mose 1527 Gn 3,17 f.). Siehe audi WA 42,141— 164 (Gn 3,15—19). Weil die Forderung des göttlichen Gebotes nadi Glauben und die nadi Werken ein und dieselbe ist (vgl. oben Kap. II und L. Haikola, Studien 1958, S. 99, ebenso A. Siirala 1956, S. 258 f.) und weil nadi Luthers Auffassung der Gottesdienst des Menschen in seiner Isolierung von den „weltlichen" Dingen nicht geschehen kann, dient er auch dem Bösen nicht abseits von den Dingen und dem Leben in der Welt; deshalb tritt audi die Strafe nicht nur im geistlichen Leiden des Schulderlebens, sondern auch im Äußeren, wo Gott befiehlt und der Mensch zum Ungehorsam versucht wird, in Erscheinung. In der Begegnung von Gottes gutem Willen, der in der Schöpfung konkretisiert ist, mit dem aufrührerischen Willen des Menschen wird so das Gebot in ein hartes Gesetz verwandelt, das dem Menschen nicht Leben und Segen, sondern einen immer mehr zunehmenden Tod und eine immer größer werdende Verdammnis einbringt. 12 WA 42,162 f. (Gn 3,19). Vgl. dagegen den mehr philosophischen Niditigkeitsbegriff des jungen Luther: WA 9, 76, 9ff. (Randbemerkungen Luthers zu Petrus Lombardus 1510 bis 1515), wo die Sünde als Nichts ( = das Fehlen der Gnade) bestimmt wird. Eine Vergrößerung oder Zunahme des Todes ist dann ausgeschlossen. 15 WA 5,213,1 (Operationes in Psalmos 1519—1521). Vgl. auch WA 40/III, 485,13 f.; 487,13. 27ff.; 513,19—28; 37, 36, 3—10 und unten Kap. VI, 3. 10

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Löfgren, Schöpfung

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Der Fall bedeutet also nicht, daß Gottes Gebot aufgehoben wird14, sondern daß die Freiheit und Herrscherstellung des Menschen gegenüber der Kreatur erschüttert ist15. Gottes mandatum, das Leben, Friede und Ordnung gebietet, erhält in der Welt des Falls die Funktion eines schonungslosen Gesetzes, doch ist Gott der Schöpfer auch in der Erhärtung des Gesetzes in der Welt gegenwärtig18, ja die menschlichen Gesetze, die das äußere Leben der Menschen schützen, sind, wenn sie auch noch so schwach und unvollkommen sind, doch Ausdruck des göttlichen Schöpferwillens17. Ihre Härte kommt von der Ungerechtigkeit des Menschen und weckt eine Sehnsucht nach Befreiung von ihrem Zwang18. Ohne das zwingende Gesetz würde die Welt jedoch in ein Chaos hineinstürzen, der zerstörenden Macht des Bösen wäre freier Spielraum gegeben und das Böse würde total werden. Dann würde nicht mehr Gott, sondern der Satan Herr sein. Der Widerstand, der den Menschen des Lebens und der Gerechtigkeit beraubt, ist sozusagen die Kehrseite des Gesetzes der göttlichen Liebe, ebenso wie der Fluch das Gegenteil von Segen, und der Tod das Gegenteil von Leben ist. Das, was an und für sich als etwas Gutes gegeben ist, wird auf Grund der Bosheit des Menschen übel. Doch keine Bosheit dieser Welt kann Gottes Schöpfermacht entbehren und zunichte machen. Der Mensch hat gewählt, allein und souverän zu sein, Gott aber hat gewählt, ihm durch die Dinge und den Nächsten das Leben zu geben. Der Zwang in der Welt des Falls läßt also sowohl Gottes guten Schöpferwillen als auch seinen richtenden Zorn gegenwärtig werden. Weil der Mensch dazu geschaffen ist, das Leben vom Schöpfer und in der Begegnung mit dem Nächsten und den Dingen zu empfangen, gebietet Gott dem Vorwärtsdrängen des Bösen Halt, indem er sein Schöpfungswerk seinem Ziel entgegenführt19. Die Übertretung von Gottes mandatum führt Schuld mit sich gegen den Herrn des Lebens : Adam ist des Todes schuldig. „Sic lapsus Adae fuit a vita in mortem a sanitate in morbos."20 Schuld und Tod gehören deshalb zusammen. Sie treffen den 14 W A 46, 687, 26—32 (Ausi, des 1. und 2. Kapitels Johannis 1537—38 Kap. 1 , 3 0 f.), W A 37, 668, 3—28 (Predigten 1534 Von der heil. Taufe). 1 5 Siehe die Auslegung zu Gn 3 , 1 , wo sich Eva (im Paradies) noch nicht v o r der Schlange fürchtet, weil sie noch „Herrscherin" der Welt ist: W A 24, 83, 22—28 (Über das l.Buch Mose 1527 Kap. 3,1). 1 0 Siehe die Darstellungen mit ausführlichen Belegstellen bei H. Olsson 1934, S. 84—92, G. Törnvall 1940, S. 2 1 6 — 2 2 7 (dt. 1947, S. 185—193), G. Wingren 1948 2 (dt. 1952, S. 77 bis 86) sowie A . Siirala 1956, S. 178—266. 1 7 Siehe H. Olsson 1934, S. 2 1 — 5 1 , und G. Wingren 1958, S. 127 (dt. 1960, S. 1 1 7 f.) u. ö. 1 8 Die Spiritualisten und Schwärmer werden von Luther nicht in ihrer eschatologischen Erwartung der Vollendung, w o das Gesetz und die Gewalt aufgehoben sind, wohl aber in ihrem Streben verworfen, in der Welt der Sünde ohne äußeren Zwang Ordnung und Gerechtigkeit schaffen zu wollen. Siehe die Darstellung der Sdiwärmerkritik Luthers in W.Maurers kurzer, jedoch klärender Schrift Luther und die Schwärmer (Schriften des theologischen Konvents Augsburgischen Bekenntnisses, H. 6, S. 7—37, Berlin 1952). 1 9 W A 43, 374, 30—35 ( G n 2 5 , 1 7 ) ; vgl. W A 42, 256, 3 4 f f . (Gn 5, 21—24). 2 0 W A 4 2 , 1 6 1 , 30 (Gn 3 , 1 7 — 1 9 ) . „Seit quidem Deus pecasse Adamum et esse reum mortis": ib. 130, 34 (Gn 3 , 1 0 ) . „Hic commovetur conscientia Adae vero stimulo legis . . . Hic Adam . . . in media morte et medio inferno fuit": ib. 1 3 1 , 2 6 — 3 1 (Gn 3 , 1 1 ) . „Sic lapsus Adae fuit a vita in mortem a sanitate in morbus" : ib. 161, 30 (Gn 3 , 1 7 — 1 9 ) .

3. Lex peccati et mortis

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Menschen in seiner Totalität als äußeren und inneren Menschen, so daß er auf allen Seiten vom Gesetz der Sünde und des Todes umgeben ist, das ihn des Lebens und der Gerechtigkeit Gottes beraubt. Wohin er sich auch wendet, kann er dem tödlichen Schlag des göttlichen Zorns nicht entgehen. Zwar will er weiterleben (weil nämlich der Tod Unnatur ist), kann es aber dennoch nicht, ohne unter dem Zwang zu stehen. Nicht selbst leben zu können, und dennoch gezwungen zu werden, dem Tod entgegenzuleben, das ist nun das Los des Menschen. Er entfernt sich vom Leben, wenn er von Gott flieht, und greift notwendigerweise danach, wenn er es aus Angst vor dem Tod bewahren will. Mitten im Aufruhr verbleibt Gott der Souveräne; der Mensch aber ist „desertus a Deo ac sibi relictus", und doch kann er nicht ohne Gottes Hilfe weiterleben und sich selbst in der Welt des Falls behaupten21. Ständig versucht er, das durch das gezückte Schwert des Todes bewachte Paradies zurückzuerobern, vergebens trachtet er, sich selbst auf der Erde zu erhalten, aus der er durch Gottes Schöpferwillen hervorgegangen ist, und wohin er um der Sünde willen wieder zurückkehren muß. Überall sucht er sein Leben zu bewahren, stößt aber ständig auf das göttliche Gesetz, das ihn richtet und vernichtet. „Quod fugiens Deum, non effugerit Deum." 22 Wenn Luther sagt, daß der Mensch im Fall sein Leben verliert, meint er also teils, daß die endgültige Bestimmung, die Gott dem Menschen zugedacht hat, durchkreuzt wird, und teils, daß der Mensch bereits jetzt dem tödlichen Schlag des Zornes Gottes ausgesetzt ist. Für den Menschen des Ursprungs war Leiden und Tod etwas Unbekanntes. Für den Menschen des Falls bedeuten beide eine aktive Feindschaft, die ihm bereits jetzt in Form von Schmerz, Furcht, Haß, Neid, Krankheit, Not und Schwäche begegnet und die einst im leiblichen Tod total wird. Der gefallene Mensch ist im Sterben begriffen. Dem Menschen des Glaubens wird dagegen durch das Evangelium die Reinheit des Ursprungs und damit auch die Verheißung des ewigen Lebens wiedergeschenkt, und er darf in der Auferstehung an der Vollendung der Schöpfung teilhaben. „Expectamus igitur iam restitutionem omnium rerum, non solum animae, sed corporis quoque, quod ipsum melius et nobilius in ilia die habituri sumus quam in Paradiso fuit." 23 Erst dann sind sowohl Schuld als auch Strafe beseitigt. Die Befreiung von der Schuld der Sünde, d. h. der Bedrohung durch das Gesetz, das den Menschen der Gerechtigkeit beraubt, geschieht in der Lebensgemeinschaft mit Christus schon jetzt, und die Befreiung von der Strafe der Sünde, d. h. der äußeren Macht des Todes, erst allmählich, indem der Mensch in Tod und Auferstehung völlig Christi Erniedrigungs- und Herrlichkeitsleib einverleibt wird. Der Tod des Menschen ist daher — genau wie Christi Tod —• mit sowohl physischem wie auch psychischem Leiden W A 18, 7 0 8 , 1 9 (De servo arbitrio 1525) und W A 4 2 , 1 3 0 , 30, 3 2 — 1 3 1 , 22 (Gn 3 , 1 0 ) . W A 4 2 , 1 2 9 , 35—130, 7 (Gn 3 , 9 ) . Siehe audi D. Bonhoeffer 1 9 5 5 s , S. 117ÍÍ. 23 W A 42, 7 6 , 2 1 ff. ( G n 2 , 1 2 ) . Vgl. auch W A 44, 374, 32 ( G n 2 5 , 1 7 ) sowie ib. 7 6 9 , 1 2 f f . (Gn 4 9 , 1 1 f.). Da das Leben des Menschen die Funktion seiner im W o r t gegebenen Gottesbeziehung ist, kann es also von dessen Verlust nicht unberührt bleiben. W o Gott mit seinem schöpferischen Wort ist, da ist auch Leben und Gerechtigkeit, und w o Gott mit diesem W o r t nicht ist, da ist Ungerechtigkeit und Tod: vgl. W . Joest 1955, S. 693 f. Für Luther ist also das „personhafte", d.h. das vom Wort her bestimmte Gottesverhältnis nicht nur etwas Inneres oder Geistliches: s. A . Siirala 1956, S. 326. 21

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verbunden. Der Mensch in der Welt des Falls lebt, im Gegensatz zu Christus, der ohne Schuld getötet wurde, kein völlig gerechtes Leben, sondern ein Leben, das vom Gesetz der Sünde und des Todes gezeichnet ist, durch das er mit Recht gerichtet und getötet wird; er befindet sich in einem ständigen Lauf (cursus) dem Tod entgegen24. Luthers Ringen mit dem Problem der Sünde (peccatum) und des Übels (malum) findet seinen Niederschlag in einer für seine Gesamtanschauung äußerst bedeutungsvollen Unterscheidung. Die Gerechtigkeit, die der Mensch unter dem Druck der lex peccati et mortis verwirklicht, ist keine vollkommene Gerechtigkeit, die vor Gott bestehen kann, sondern nur eine äußere, von der menschlichen Vernunft bestimmte Gerechtigkeit, die höchstens das äußere Zusammenleben der Menschen regeln kann, so daß eine gewisse äußere Ordnung gesichert wird. Diese äußere Gerechtigkeit (iustitia externa), die also vor Menschen (coram hominibus) gilt, kann in der Welt des Falls nie mit der in Gottes mandatum geforderten vollkommenen, inneren Gerechtigkeit (iustitia interna), die vor Gott (coram Deo) gilt, identisch werden25. Da das Gesetz eine das eigene Vermögen des Menschen übersteigende Forderung nach Gerechtigkeit und nach einem Leben in persönlicher Gemeinschaft und vollkommener Liebe enthält, kann diese nur als eine Gabe Gottes verwirklicht werden2®. Wo das ursprüngliche Verhältnis zum Gott des Lebens gestört ist, gibt aber das Gesetz des göttlichen Willens nicht mehr, was es befiehlt, sondern klagt nur den Menschen an und stellt ihn mit Schuld vor Gott (coram Deo). Coram hominibus gelingt es ihm jedoch, gewisse Forderungen nach äußerer Gerechtigkeit notdürftig aufrechtzuerhalten27. Um leben zu können, ist der gefallene Mensch dazu gezwungen, mit Hilfe seiner Vernunft dem äußeren Vordringen des Bösen Einhalt zu gebieten (iustitia externa). Dies macht ihn aber nicht gerecht vor Gott. Die äußere Gerechtigkeit kann nur die dem Leib, nicht aber die der Seele anhaftenden Sünden heilen. Es verhält sich damit, sagt Luther, wie wenn man einem Fieberkranken Wasser gibt, um seinen Durst zu stillen, dem Fieber aber freien 2 4 „ N a m etsi vitam, quam hic vivimus, non volumus appellare mortem, tarnen profecto aliud nihil est quam perpetuus cursus ad mortem . . . Ita postquam vita haec per peccatum infecta est, non amplius potest proprie dici vita propter peccatam et peccati poenam: mortem. Statim enim ab utero matris mori incipimus": W A 4 2 , 1 4 6 , 2 1 — 2 6 (Gn 3 , 1 5 ) . Der gläubige Mensch befindet sich dagegen in einem Ubergang (transitus) vom Tod zum Leben: W A 2 , 4 1 4 , 1 4 f . (Resolutiones Lutherianae . . . 1519). Vgl. auch W A 3 9 / 1 1 , 2 6 3 , 7 — 1 1 (Prom.disp. Th. Fabricius und Stanisi. Rapagelamus 1544), ib. 265, 10—13 und W A 4 7 , 1 1 2 , 3 1 — 1 1 4 , 35 (Ausi, des 3. und 4. Kapitels Johannis 1 5 3 8 — 4 0 J o h 3 , 1 8 ) . 2 5 G. Ljunggren 1928, S. 422. Luther verwendet variierende Ausdrücke für die verschiedenen Gerechtigkeiten: iustitia externa oder philosophica, rationis, legis, carnalis und civilis; iustitia interna oder spiritualis, aeterna, cordis und fidei: s. E . Schott 1955, S. 30. 2 9 Bereits in den Randbemerkungen zu Petrus Lombardus 1 5 1 0 / 1 1 macht Luther geltend, daß das Gesetz vom Menschen des Falls nicht erfüllt werden kann: „ . . . non debet intelligi quod legem implerit per opera secundum legem, quia sic nunquam est impleta nec potest impleri": W A 9, 88, 7 — 1 2 . Einige Jahre später heißt es: „Quia in peccato moritur, quia non diligit quod vult Deus ex toto corde, sed invitus facit, non est voluntarius eius in lege Domini, ergo etsi opere implet mandatum, non tamen corde" : W A 1, 67, 2 7 — 3 0 (Sermone 1 5 1 4 — 1 7 ) . Siehe auch G. Ljunggren 1928, S. 24 f. 27

Ib. 1928, S. 24 f.

3. Lex paccati et mortis

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Lauf läßt. Der innere Schaden, der die ganze Person verdirbt, ist eine tödliche Krankheit, die der Mensch nicht aus eigenen Kräften heilen kann, denn sie besteht ja gerade darin, daß er das nicht besitzt, was nur Gott allein geben kann : das vollkommen gerechte Leben28. Weil also innere und äußere Gerechtigkeit auseinanderklaffen, geht der Mensch nicht dem ewigen Leben und der Vollendung der Gottesgemeinschaft entgegen, die er schon im Gehorsam gegenüber Gottes mandatum besitzt. Der Tod tritt an die Stelle des Lebens. Das Gesetz, das den Menschen in der Welt der Sünde trifft und seine Schuld (culpa) und Verderbtheit (poena) offenbart, hindert ihn daran, nun vor Gottes Angesicht (coram Deo) zu leben. Denn dieses Gesetz offenbart nicht Gottes guten Willen, der Leben schenkt, sondern Gottes Zorn und Gericht, die den Menschen für ungerecht erklären und töten29. Der Tod und die Ungerechtigkeit rühren also daher, daß das Gesetz des guten Willens Gottes (mandatum Dei) auf Grund der Sünde zu einem Gesetz der Sünde und des Todes (lex peccati et mortis) verwandelt wird, das nicht gibt, was es fordert, sondern schuldig spricht und tötet30. In der Welt des Falls, wo Gottes mandatum verkannt wird, trifft der Tod in Form von Verderbtheit und Ungerechtigkeit den Menschen und dieser Tod erhält seine Kraft aus dem Gesetz der Sünde und des Todes31. Diese Auffassung Luthers vom Bösen (malum) hat — ebenso wie seine Auffassung von der Sünde (peccatum)32 — ihren Ursprung in der Bemühung um die augustinische und paulinische Theologie, die Luther beide auf eine charakteristische Weise miteinander verbindet. In Augustins Schrift De spiritu et littera (verf. ungefähr 412) stieß Luther auf eine interessante Auslegung des Pauluswortes in 2. Kor 3,6 : „Littera occidit, spiritus autem vivificai". Karl Bauer hat die These aufgestellt, daß die Beschäftigung mit gerade dieser Schrift Luther aufs neue den Ausdruck „iustitia Dei" in Rom 1,17 lesen und verstehen ließ33. Wie es sich damit auch verhalten mag, hat Luther hier jedenfalls einen Ausdruck gefunden, zu dem er später immer wieder zurückkehrt: „Lege operum dicit deus, fac quod iubeo, lege fidei dicitur deo, da quod iubes". Bei Augustin geht es ja eher um ein hermeneutisches Prinzip, die geistliche bzw. buchstäbliche Deutungsmethode, mit der Augustin Paulus auslegt; für Luther dagegen handelt es sich um die Frage nach 29 So schon in einem Sermon von 1516, wo zwar die Terminologie nodi traditionell ist, Luther jedoch bereits deutlich zeigt, daß die äußeren Werke nicht Gradmesser der Schuld sind, die ja der ganzen Person gilt: W A 1, 67, 4—30. 2» G. Ljunggren 1928, S. 29. 3 0 Siehe oben Kap. IV, 2, Anm. 76 und 92. Das Gesetz lehrt wohl, was man tun soll, aber daraus folgt nicht, daß man es tun kann: W A 47, 3 4 8 , 1 6 — 2 1 (Mt 18—24 in Predigten ausgelegt 1537—40 Mt 19, 22). 3 1 Das Gegenteil von diesem Geschehen des Todes ist das Wadisen des Glaubens oder des Wortes: dort gibt Gott seine Gemeinschaft oder sein „Bild", d.h. Christus, dort ist der Geist und das Wort des Lebens, und dort müssen Tod und Teufel weichen: W A 37, 459, 26—461, 18 (Predigten 1534 Mt 8,13). 3 2 Siehe die Thesen zu den Disputationen gegen die Antinomer (1537): W A 39/1, 342— 358. Vgl. S. v. Engeström 1938, S. 59. 33 K . Bauer, Die Wittenberger Universitätstheologie und die Anfänge der Deutschen Reformation, Tübingen 1928, S. 33.

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der Kraft des göttlichen Gesetzes: außerhalb der Gottesgemeinschaft kann der Mensch die Forderungen des Gesetzes nicht verwirklichen, sondern steht in seiner mangelhaften Gesetzeserfüllung vor dem Gericht, denn nur in der Gottesgemeinschaft gibt Gott die Erfüllung dessen, was er in seinem Gesetz fordert34. Im Urzustand gab es — wie wir gesehen haben — keinen Unterschied zwischen äußerem Leben (vita animalis), d. h. dem Gehorsam gegenüber Gottes Gebot, über die Welt zu herrschen bzw. dem Nächsten zu dienen, und dem inneren Leben (vita spiritualis), d.h. an Gottes Hilfe und seine Verheißung des ewigen Lebens zu glauben. Der Mensch konnte sowohl im Verhältnis zu den Dingen als auch zum Nächsten und zum Schöpfer Gottes mandatum erfüllen. Weil Gottes mandatum gibt, was es fordert, gelingt das Handeln des Menschen gegenüber Gott und der Mitschöpfung 35 . Mit dem Fall ist indessen die ursprüngliche Einheit zwischen innerem und äußerem Leben (bzw. Gerechtigkeit) verlorengegangen. Würde der Mensch des Falls Gottes mandatum gehorchen, wäre er sowohl coram Dei als auch coram hominibus gerecht und würde in einer vollkommenen Gemeinschaft mit Gott leben und damit auch am ewigen Leben teilhaben36. Nun kann er aber zwar eine gewisse notdürftige Gerechtigkeit im Äußeren verwirklichen, geht aber dennoch des ewigen Lebens verlustig, da er die innere Gerechtigkeit nicht verwirklichen kann37. Sein äußeres Handeln wird in der Welt des Falls nicht mit gutem Erfolg gekrönt, weil er nun mit seiner nur unvollständigen äußeren Gerechtigkeit unter einem Gesetz der Sünde und des Todes steht, das nicht gibt, was er befiehlt. Die Freude am Gesetz (lex iucunda) ist dem Menschen verlorengegangen 38 und die Freiheit im Handeln ist verschwunden, weil sich nun der Erfolg seines Handelns nicht spontan einstellt. Im Gegenteil ist es nun so, daß wer sich am meisten an34 Augustinus, De spiritu et littera, c. 13. Vgl. K . B a u e r 1928, S. 3 2 f . , sowie G. Ebeling 1951, S. 185 ff. G. Ebeling versucht, Luther mit Hilfe der Existenzanalyse zu interpretieren: „Es ist also hier die Verschiedenheit des Selbstverständnisses unter Gesetz und Gnade angerührt, nicht jedodi die Verschiedenheit technischer Auslegungsmethoden": ib. S. 183. 33 W A 42, 65 ff.; siehe audi ib. 33 fiF.; 4 9 , 8 f f . ; 1 1 0 , 1 8 f.; W A 2 4 , 6 7 , l f f . und 2 0 f f . Iustitia originalis bedeutet also nicht, daß der Mensch durch seine guten Werke vollkommene Gerechtigkeit erworben hätte, sondern daß seine Gerechtigkeit, die ihm v o n Gott gegeben ist, darin ihre Bestätigung findet, daß er gute Werke tut: W A 1 8 , 6 7 5 , 20—680, 20 (De servo arbitrio 1525). Vgl. L. Haikola, Usus . . . 1958, S. 113. Die Gerechtigkeit kann vom Menschen nicht geleistet werden, weil sie eins mit dem Leben ist, das er von Gott empfangen muß. J e mehr sich der Mensch anstrengt, gerecht zu werden, desto schlechter wird er, denn da steht er nicht als der Empfangende v o r Gott: W A 39/1, 204, 34 ff. (Die Promotionsdisputation von Palladius und Tileman 1537). 3« W A 42, 46, 1 9 — 2 7 ; 106, 4 f f . ; 1 0 7 , 1 4 f f . ; 1 9 8 , 2 8 — 3 1 ; W A 40/1, 430, 3 f. Hs; 430, 14 Dr. 37 W A 4 0 / 1 , 4 2 8 , 1 6 (Galaterbriefkommentar Dr. 1535 und ib. 430, 3—6 Hs 1531 Rörer). 3 8 „Cum Adam primum conditus esset, non solum ei lex possibilis, sed etiam iucunda erat . . . Sed quod nunc post lapsum est impossibilis, non sua, id est legis, sed nostra culpa fit, non est culpa obligantis, sed peccantis, quare ista v o x : Lex urget nos ad impossibilia . . . " : W A 39/1, 3 6 4 , 1 — 1 5 ; vgl. ib. 1 1 8 f f .

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strengt, vor Gott gerecht zu werden, aus seinem Handeln das geringste Ergebnis erzielt. Die bösen Menschen erreichen in der Welt des Falls oft größere Erfolge als die guten, weil die ursprüngliche Verbindung zwischen der inneren und der äußeren Gerechtigkeit zerstört ist 39 . Daß die Erfüllung der göttlichen Gebote schwer geworden ist, kommt von der Sünde, um deretwillen Gottes mandatum ein Gesetz der Sünde und des Todes geworden ist 40 . Dies bedeutet natürlich nicht, daß Gottes Forderungen für das Handeln des gefallenen Menschen in der Welt ihre Gültigkeit verloren haben. Auch die „irdische" oder „zivile" Gerechtigkeit ist ein Ausdruck für die Forderung des göttlichen Willens. Jetzt haben die Menschen aber auch an den Sünden der anderen Menschen Anteil41. Man muß daher zwischen Sünden gegen besseres Wissen (ignorantia facti), und Sünden mit Verstand und Willen (ignorantia adfecta) oder Sünden aus Trägheit und Bequemlichkeit (ignorantia supina seu crassa) unterscheiden42. Auf dem Gebiet der äußeren oder zivilen Gerechtigkeit entstehen auf Grund des Falls immer Situationen, in denen der Mensch aus Unkenntnis falsch handelt und Unschuldige für die Schuld anderer leiden müssen43. Die Forderung des mandatum Dei nach vollkommener Liebe hat also nicht zu gelten aufgehört; da aber die Macht des Bösen in der Welt des Falls wirkt, bevor der einzelne Mensch zur Forderung Stellung nimmt, kann sein Handeln nicht die freie Willigkeit der vollkommenen Gerechtigkeit erreichen. Luther polemisiert deshalb gegen die scholastischen Theologen, die die Sünde nur auf die äußeren Handlungen (peccata actualia) beziehen, weil das Böse hierbei nicht als ein Zustand (peccatum habitúale) betrachtet wird, der über den Menschen herrscht. Ehe der Mensch die vollkommene Gerechtigkeit erleben darf, muß er zuerst aus seiner Zugehörigkeit zum Machtbereich der universalen Schuld befreit werden. Deshalb macht Luther immer geltend, daß für den Menschen des Falls der Tod vor dem Leben und die Sünde vor der Gerechtigkeit kommt: „Ordo rei est, quod mors et peccatum est in natura ante vitam et iustitiam." 44 Da der Mensch aber gleichzeitig überall Gottes Forderungen begegnet, ist er ohne Entschuldigung, wenn er auf Grund der Macht des Bösen tatsächlich nicht mit der vollkommenen Willigkeit zur Gerechtigkeit zu handeln vermag. Auch wer unter großer Selbstüberwindung gute Werke tut, steht — weil ja sein Handeln nicht frei ist — mit Schuld coram Deo, obwohl er coram hominibus gepriesen wird. Denn wer dem Gesetz nicht 3 » Siehe L . H a i k o l a , U s u s . . . 1958, bes. S. 113—116, und Studien 1958, bes. S . 8 0 — 8 6 mit Belegstellen. 4 0 Vgl. den Zusammenhang mit Kapitel 111,1—2 und IV, 1: Der Aufruhr des Menschen (sicut Deus) bedeutet also zunächst eine Korruption des Individuums (äußere und innere Gerechtigkeit gleiten auseinander); der Aufruhr äußert sich dann immer im Mißbrauch der Schöpfung und des Nächsten (abusus), was eine soziale Korruption (Abgötterei, Geiz, Zersplitterung, H a ß , Neid, Unordnung usw.) bewirkt. U m der Sünde des Aufruhrs und des Mißbrauchs willen steht der Mensch mit Schuld (culpa) vor Gott und wird von der Strafe (poena) getroffen, die sich sowohl als geistige (infirmitas spiritualis) wie auch als körperliche Schwäche (infirmitas corporalis) zeigt. 4 1 W A 42, 489 f. (Gn 1 2 , 1 8 f.). 4 2 Siehe u.a. W A 42, 486 sowie G.Ljunggren 1928, S.388ff., 396, 4 0 0 und 405 mit Belegstellen. 4 3 W A 42, 635. 4 4 Vgl. oben Kap. IV, 2.

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willig gehorcht, muß sterben45. Der Tod schwebt also auf Grund des Falls über der Menschheit und ist als Gottes Strafe unausweichlich. Der Tod trifft also den Menschen als eine zeitliche und als eine ewige Strafe. Hier können wir nun an das anknüpfen, was bereits in den beiden vorangegangenen Abschnitten dieses Kapitels angedeutet wurde. Durch die ewige Strafe geht der Mensch der Vollendung (vita aeterna) verlustig, durch die zeitliche Strafe wird er von „infirmitas spiritualis" (Kleinmut und Verzweiflung), sowie „infirmitas corporalis" (Schwäche, Krankheit usw.) betroffen46. Die biologische und soziale Verderbtheit in der Welt des Falls steht zwar, wie wir bereits gesehen haben, in keinem direkt kausalen Verhältnis zum Aufruhr undMißbrauch des Menschen.47 Tatsächlich hindern sie jedoch das freie Handeln des Menschen und bewirken, daß die universale Schuld ihre tötende Macht ausübt, sobald man vor Gott und seinen Befehlen steht48. Das Übel darf also zwar nicht zum Gradmesser der individuellen Schuld gemacht werden, doch hat der Mensch in der Welt 4es Falls am stellvertretenden Leiden teil, das aber bei ihm immer Kleinmut und Verzweiflung hervorruft 49 . Da also die Einheit zwischen äußerer und innerer Gerechtigkeit in der Welt des Falls verlorengegangen ist, schwebt nun die drohende Gefahr des Todes über der ganzen Schöpfung. In seiner Auslegung zu Gen 3,19 sagt Luther, daß der Teufel durch seinen Betrug den Menschen der vollkommenen Gerechtigkeit beraubt, und ihn dadurch getötet habe50. Erst mit Christus — dem zweiten Adam — komme die vollkommene Gerechtigkeit, und damit das Leben, zu den Kindern Adams zurück. Wer an Christus glaube, kehre zu dem zurück, wovon Adam abfiel. „Denn das ist one zweiffei der hoechste Artickel des glaubens, darynne wir sprechen : Ich gleube an Gott vater almechtigen, schoepffer hymels und der erden, Und wilcher das rechtschaffen gleubt, dem ist schoen geholffen und ist widder zu recht bracht und dahyn komen, da Adam von gefallen ist. Aber wenig sind yhr, die so weit komen, das sie voelliglich gleuben, das er der Gott sey, der alle ding schafft und macht, Denn ein solch mensch mus allen dingen gestorben seyn, dem guten und bösen, dem tod und leben, der hell und dem hymel und von hertzen bekennen, das er aus eygnen krefften nichts vermag." 51 Das Evangelium trägt Christi unvergängliches Leben und Gerechtigkeit zu dem gefallenen Menschen und gibt ihm damit das, was das Gesetz nicht geben kann : ewiges Leben und Seligkeit, d. h. Gerechtigkeit coram Deo, Lebensgemeinschaft mit Gott und damit auch Rettung vom Tod 52 . 4 5 W A 2, 4 9 8 , 1 5 — 5 0 0 , 1 6 (Galaterbriefkommentar 1 5 1 9 Gal 2, 19). Die Sünde wird hier von einer Position aus beschrieben, w o die Schuld gesteigert und zugleidi überwunden worden ist; dies hebt aber nicht den Ausgangspunkt auf: daß die Forderung und die Schuld universal und allgemeingültig sind: vgl. R.Hermann, Zu Luthers Lehre von Sünde und Rechtfertigung (SgV 200/201), Tübingen 1952, S.9. Nicht die Unkenntnis von der Menschwerdung in Christus, sondern das Urteil des Gewissens macht die Heiden des Todes sdiuldig. Mit der Verkündigung des Evangeliums wird nicht nur die Forderung, sondern audi der innere Widerstand des Menschen größer: s. G.Ljunggren 1928, S . 3 9 4 und 395, Anm. 2. 4 6 L. Haikola, Studien . . . , S. 77, Anm. 21. 4 7 G. Ljunggren 1928, S. 4 1 0 ff. 48 W A 4 4 , 1 6 9 , 2 1 4 9 Hierzu s.u. Kap. V I , 3 . ff. 5 0 W A 42, 163. 5 1 W A 2 4 , 2 6 — 3 3 (Über das 1. Buch Mose 1527). s 2 Siehe W A 10/III, 400, 4—401, 20 (Betbüchlein 1522). Hier wird die Erlösung von der dritten Bitte des Vater-Unsers her in Gebetsform dargestellt, und die empfangene K r a f t zur Ausdauer in dem unausweichlichen Leiden hervorgehoben.

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Die Christgläubigen werden, wie Luther sagt, zu „hymmlischen Menschen", die in Tod und Auferstehung gleichgestaltet mit Christus vor Gott stehen63. Luthers Auffassung von peccatum und malum hängt also mit seinem Schöpfungsgedanken zusammen: die gesamte Schöpfung steht unter dem Gesetz des göttlichen Willens, das jeden Menschen unmittelbar vor Gott stellt. Der Tod und das Leiden sind etwas Böses, ein Zeichen von Unnatur. Als eine Auswirkung des göttlichen Gesetzes sind sie jedoch andererseits nicht von Gott losgelöst. Diesen Gedanken nimmt Luther auch in der Schrift gegen Latomus (1521) auf: das Böse dürfe nicht als eine Substanz im aristotelischen Sinne, d.h. als etwas, was aus eigener Kraft subsistiert, betrachtet werden, sondern müsse eher als eine Substanz (wenn man nun überhaupt dieses Wort verwenden soll) in quintilianischem Sinne, d. h. als die bestimmende Tendenz oder Kraft in etwas Subsistierendem, aufgefaßt werden. Das Wesen oder die Substanz des Bösen ist also nie etwas Absolutes, weil es nicht vom Schöpfer getrennt ist54. Der gefallene Mensch lebt notwendigerweise in einer Welt, in der Unordnung und Krankheit herrschen. Das Böse darf jedoch nicht als eine (in aristotelischem Sinne) böse Substanz, sondern eher als eine Tendenz in der guten Schöpfung Gottes, sich von Gott emanzipieren zu wollen, betrachtet werden. Nur die willensmäßige, „innere" Verderbtheit und bewußter Aufruhr, d. h. Unglaube, schließen von der persönlichen Lebensgemeinschaft mit Gott aus, und die „äußere" Verderbtheit, die auf Schwäche oder Mangel beruhende Widerspenstigkeit in der Schöpfung ist deshalb zwar Ausdruck für die Macht des Bösen aber nicht ohne weiteres Ausdruck für den Sieg des Bösen55. Dem Übel, das augenscheinlich völlig blind und unberechenbar zuschlägt, kann man deshalb hier auf Erden nicht entgehen, sondern muß es im Glauben an Gottes Barmherzigkeit, die einmal völlig das Feld beherrschen wird, geduldig getragen. Da es den Menschen daran hindert, so spontan zu handeln, wie Gottes Wille es eigentlich fordert, schwebt das Gesetz der Sünde und des Todes über der Schöpfung, dem man daher trotz aller menschlichen Anstrengungen nicht entfliehen kann. Der Gerechte muß mit dem Ungerechten leiden56. Wenn Gott im Zorn sein Wort und seine Gnade zurückzieht, trifft der Tod in seiner ganzen Schwere Gottes an und für sich gute Schöpfung. Und wenn sich Gott in Barmherzigkeit seiner Schöpfung zuwendet, kehren das Leben und der Segen wieder zurück57. Wer sich jedoch im Leiden an das verbum Dei hält, ist in das Kraftfeld der bewahrenden und wiederaufrichtenden Gnade Gottes einbezogen. Im Äußeren geht er schließlich wie alle Kinder Adams unter, im Inneren verbleibt er jedoch von der Zerstörung des Bösen bewahrt, denn im Glauben ist er bereits mit dem Herrlichkeitsleib Christi vereint, während sein eigener Leib noch die Leiden des Erniedrigungsleibes Christi in der Welt der Sünde und des Todes teilt. Solange der Mensch hier auf Erden lebt, wird er nie ganz vom Gesetz der Sünde und des Todes frei. Das Gesetz kann nicht die vollkommene Gerechtigkeit schaffen, sondern nur eine W A 24, 50, 29—34 (Ober das l . B u d i Mose 1527). W A 8, 88, 9—36 (Rationis Latomianae confutado 1521). . 5 5 Ib. 89, 2 5 — 9 1 , 23. Vgl. W A 7, 231, 4 (Quaestio, utrum opera faciant ad iustificationem 1520). 5 6 W A 8, 66, 3—69, 33 (Rationes Latomianae confutatio 1521). 5 7 Ib. 68, 4 0 — 6 9 , 1 . 53 54

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gewisse äußere Ordnung aufrechterhalten. Das Evangelium von Christus — dem neuen Menschen und dem neuen Leben — wird in eine Welt hineinverkündigt, die unter dem Gesetz der Sünde und des Todes steht. Christus ist „dominus exercituum", der mit seinem „Mund" bzw. seinem lebenspendenden Wort Sünde und Tod bekämpft, um den Menschen vom Tode zu erretten58. Das Evangelium befreit aber — wie wir im nächsten Teil deutlicher sehen werden — nicht gleich von der Macht des Gesetzes über den Leib, sondern nur von dessen Macht über das Gewissen. Im Äußeren teilen daher alle Menschen das Schicksal des gefallenen Adam. Sie stehen zusammen mit der geschaffenen Welt unter dem Fluch des Gesetzes und des Todes. Wenn die Strafe die ganze Schöpfung trifft, obwohl allein der Mensch mit Schuld behaftet ist, geschieht das ja, weil der Mensch in seiner Totalität, als innerer und als äußerer Mensch, gestraft werden soll. Wer sich der Welt entzieht, um der Strafe zu entfliehen, entzieht sich zwar Gottes Befehl und Willen, der dem Menschen im äußeren Leben begegnet, aber der Strafe entgeht er nicht. Wenn sich jemand kein Weib nimmt, sagt Luther, und sein Brot nicht unter Arbeit und Mühe ißt, nimmt Gott die Strafe, die für den Leib bestimmt war, und legt sie auf die Seele, was schlimmer als leibliche Strafe ist. Das „Widerspiel", sagt Luther, will Gott haben, denn dadurch wird der Mensch gezwungen, als Empfangender vor Gott zu stehen; das kann er in der Welt des Falls aber nicht, ohne zugleich auf Gottes Zorn und Gericht zu stoßen59. Weil der Tod nicht unmittelbar in seinem ganzen Umfang eintritt, wiegt sich der Mensch in falschen Hoffnungen ein. Luther hebt das u. a. bei der Auslegung von Ps 90,12 hervor: „Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen . . ." Das Schlimmste, das dem Menschen zustoßen kann, ist nicht das Strafgericht Gottes, sondern die Verhärtung des Herzens, die den Menschen daran hindert, seine Schuld zuzugeben. Die Unlust des Menschen zu sterben ist ein Zeichen dafür, daß der Tod Unnatur ist. Das Widerstreben, im Tod eine gerechte Strafe zu sehen, ist jedoch ebenso Unnatur 60 . Der Weg zu rechtem Schuldbekenntnis führt über das beiden und Sterben. Die Strafe trifft bereits, ehe sich die volle Einsicht der Schuld in ihrer ganzen Tragweite eingestellt hat. Ebenso wie Gottes Güte in der Schöpfung dem Menschen begegnet, schon ehe er sich dessen deutlich bewußt ist, trifft ihn auch Gottes Zorn, noch ehe die Schuld völlig erkannt und bekannt ist. Weder die Güte der göttlichen 5 8 W A 8 , 1 2 , 2 9 — 1 4 , 1 0 ; ib. 1 3 , 2 5 f f . Es ist „ein krigisdi wort": ib. 1 3 , 1 1 . Vgl. W A 41, 118, 2 7 — 1 1 9 , 7 (Luthers Auslegung des 110. Psalms, V. 1 Dr.). 5 9 Zum Menschen gehören (1) „bona externa": Geld, Haus und Heim, Dienstvolk u.a., (2) „bona media" oder „bona corporis et persona": Gesundheit, Glieder, Schönheit, R u f , Ehre usw., sowie (3) „bona spiritualia scilicet et interna": Weisheit (scientia), Tapferkeit und Tugend (virtus), Güte (charitas) und Glaube (fides): W A 4, 590, 1 1 — 2 7 (Predigten 1514—20). A l l dies Gute wird auf Grund des Mißbrauchs durch den Menschen von Gottes Strafgericht getroffen: W A 42, 303, 5 — 1 9 ( G n 6 , l l ) . In der Welt des Falls ist der Zorn daher — ebenso wie das Gebot im Umgang mit den Dingen — etwas Unausweichlidies. „So wil Gott das Widderspiel haben": W A 24, 1 0 4 , 1 9 f . (Über das l . B u d i Mose Gn 3, 7—19). «» W A T i 6, 52, 3 ff.; 53, 2 4 f f .

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Liebe noch die Strafe des göttlichen Zorns begegnen dem Menschen unabhängig von den Dingen in der Welt. Das Gute ist auf Grund des menschlichen Aufruhrs böse geworden. Im selben Maße, wie der Mensch (imago Dei) böse wird (imago Diaboli), erscheint Gottes guter Wille (mandatum Dei) als ein hartes Gesetz (lex peccati et mortis), das die Herrschaft des Menschen (dominium) in eine Welt der Sünde und des Todes (mundus) verwandelt, wo der Mensch geknechtet und bestraft wird. Und ebenso wie das Leben nun geschenkt und einst in seiner ganzen Fülle gegeben werden wird (vita aeterna), so hat auch das Gericht bereits jetzt begonnen: die Strafe wird hier und jetzt zugemessen und trifft in ihrer ganzen verheerenden Schwere im leiblichen Tod 61 . Der Strafe der Sünde —• dem Tod — kann daher der Mensch nie entgehen. Deren Ursache aber — seine eigene Schuld — schiebt er von sich62. Daß sich der Mensch des Falls entschuldigt, zeugt davon, daß er seine Schuld in gewisser Hinsicht einsieht: „Qui non intelligunt, id est intelligere nolunt." 63 Die Not in der Welt kommt vom Unglauben des Menschen 64 , und der rechte Glaube muß sich deshalb nicht nur im Preisen des Schöpfers, sondern auch im Sündenbekenntnis und in willigem Leiden zeigen. Wenn der Mensch aber die Schuld nicht auf sich nehmen und die Strafe willig tragen will, beweist er nur, daß er nicht an Gott glaubt 65 . Wenn er im Geschaffenen und in der äußeren Gerechtigkeit Sicherungen sucht, entflieht er der Strafe und dem Gericht, wird jedoch noch tiefer in den Aufruhr gegen den Schöpfer und in die Mißachtung des göttlichen Willens hineingezogen 66. 61 Das Gesetz hat seine Kraft in der Schuld, die über dem Menschen des Falls mit seinem mißbrauchten Leben bzw. seiner mangelnden Gerechtigkeit schwebt. Im Evangelium wird die Unzulänglichkeit der äußeren Gerechtigkeit offenbart: WA 18, 782,13 ff. (De servo arbitrio 1525); WA 39/1, 84, 14ff. (Die 4.Thesenreihe über Rom 3,28 1536). Die Kraft des Evangeliums wird im Glauben erfahren indem die Schuld ausgetilgt wird, die Strafe jedoch bestehen bleibt: WA 56, 372, 27—374,21 (Römerbriefvorlesung 1515/16). 62 Ib. 226, 26—227,16 (Rom 3,4). 63 WA 3,154 f. (Dictata 1513—16). Das eigentliche Verderben steckt nicht in einem gewissen Teil des Menschen, sondern umfaßt den ganzen Menschen, der nicht als Empfangender vor Gott stehen will. „Der verdorbene Same" darf deshalb bei Luther nicht als ein organischer Fehler beim konkreten Menschen betrachtet werden, denn — so sagt Luther — man muß „distinguere inter peccatum originale et creaturam": WA 42,177, 2ff. (Gn4,1), 43,140, lOff. (Gn 21,1—3) und WA 40/11, 380, 11 ff. (Enarratio Psalmi LI 1532 H s V.7), ib. 381, I f f . und 383,2ff. Siehe H . H . P f l a n z ' Kommentar hierzu, 1937, S.105f. Erbsünde ist für Luther nicht Natursünde, sondern Personsünde, d.h. daß man als Person mit Schuld vor Gott steht und deshalb von der unausweichlichen Macht des Todes getroffen wird. „Denn wo nicht Sünde were, so were auch kein Tod da" : WA 22, 284, 27 (Crucigers Sommerpostille 1544). Es ist gerade diese Macht der Sünde, die der natürliche Mensch zu akzeptieren verweigert. „Peccatum radicale, capitale et vere mortale est incognitum hominibus in universo mundo": WA 39/1, 84,10 (Die 4. Thesenreihe über Römer 3,28 1536). Er will den Schöpfer nicht kennen, der ihm das Leben gibt: WA 40/III, 223, 5 ff. (In X V Psalmos graduum 1532/33 Ps 127,1 H s Rörer). 64 „Es faelt [fehlet] nit an guetern sonder allain an dem glauben . . . Aber das nun die leuet also not leiden, das macht allain der unglaub": WA 10/III, 230, 5 ff. (Predigten 1522). ω Die Schuld liegt darin, daß der Mensch nicht glaubt, obwohl Gott beständig zu glauben befiehlt: L. Haikola, Studien 1958, S. 90, 97, und WA 24,131,14—132, 23 (Gn 4,5—7). 66 „Der Sünder weiß nicht was ihm gebricht und stehet dieweil sicher in anderer Starke, und Trost sein selbs oder der Creaturen": WA 1,160 f. Diese Unwissenheit ist indessen das

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Kapitel I V : Die Macht des Bösen

Die Furcht des Menschen vor dem Tod (metas mortis) zeigt, daß Gott den Menschen zu ewigem Leben geschaffen hat (significatio alterius et melioris vitae) ®7. Baut der Mensch seine Zuversicht auf das Geschaffene, das ebenso wie der Mensch sterben muß, hat er einen falschen Gott — denn ein Gott ist doch einer, der Leben und Bewahrung geben bzw. vom Tod erretten soll. Nach Luthers Meinung sagt daher sogar die Vernunft an sich, daß man nach einem allmächtigen Gott suchen muß, der vom Tod erretten kann. Wenn das Gericht den Menschen im Äußeren erreicht, muß es in seinem Gewissen einen Widerhall wecken, der Gott recht gibt 68 . Im Genesiskommentar (1535—1545) wird Adams Erschrecken vor dem Gericht Gottes als eine Flucht vor Gottes rufender Stimme, als das Entfliehen des vom schlechten Gewissen geplagten Menschen weg vom Gesetz Gottes in die Schöpfung hinein, beschrieben. Adam und Eva glauben sich anfangs zwischen den Bäumen im Lustgarten sicher (inter arbores se tutos credant). Dies ist jedoch eine falsche Sicherheit. Der Mensch merkt bald, daß ihn der Tod rings umgibt (nihil sentit nec videt quam ipsam mortem); der Schreck lähmt seine Handlungskraft (ut non solum nihil facere, sed ne cognitionem aliquam instituere possit); er versucht allerlei Auswege, dem Gericht zu entgehen (omnes vias tentât), und flieht in den Garten weg von Gott (fugit sine fine a Deo) 69 . Weil aber Gottes Zorn Adam überall in der Schöpfung begegnet, findet er auch hier keine Sicherheit. Auch in der Schöpfung stößt er auf seinen Richter, dem er zu entfliehen sucht, und wird so vom Gesetz des Zorns getroffen. Deshalb erschrecken alle Kinder Adams vor dem Rascheln des Laubs wie vor einem scharfgeschliffenen Schwert. Was an und für sich ungefährlich ist, wird nun Gegenstand der Furcht 70 . Der Schreck, der im Paradies entstand, gehört nun zur Natur des gefallenen Menschen und kann bei dem geringsten Anlaß den Menschen überfallen, weil er unter der lex peccati et mortis steht. „Der Tod stößt unter Augen." 71 Der Mensch des Falls hat gewählt, Wissen des schlechten Gewissens: „Non potest fugere a conscientia propria": W A 3 , 2 3 1 . »Quia enim mors naturae intolerabilis est . . . peccatum non vult esse peccatum . . . Adam non vult agnoscere peccatum . . . " : W A 4 2 , 1 2 7 f. W e r nichts von seiner Schuld wissen will, trägt seine äußere Gerechtigkeit zur Schau, wenn er sich Gott nähert: „Itaque conantur id tegere . . . sed (ut) videantur boni et iusti": W A 42, 126, 38—127, 4 (Gn 3, 7). Die Klugheit des Fleisdies erwählt nämlich das, was ihrem eigenen Vorteil dient, und meidet das, was dem allgemeinen Besten frommt, und gehorcht damit nicht Gottes mandatum, sondern hat sich selbst zum Zweck und Ziel: W A 56, 3 6 1 , 5 — 1 8 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Kap. 8, 7). „Adam non vult agnoscere peccatum, sed purus et mundus haberi vult": 42, 132, 30 ( G n 3 , 1 2 ) . Vgl. W A 18, 487, 32—488, 2 (Die 7 Bußpsalmen 1525). Dies Erschrecken v o r Gott und seinem W o r t gehört zur Konkupiszenz, sie ist „ynn der haut gewachssen und angeboren" : ib. 4 8 7 , 1 f. «7 W A 39/11, 3 6 6 , 7 — 3 6 7 , 1 9 (Die Promotionsdisp. von P.Hegemon 1545). ββ „Habet quidem aliqua ex parte naturaliter cognitionem peccati. Nam lex est Uli naturaliter inscripta et impressa": ib. 3 6 7 , 1 — 4 . „Ideo autem interrogat [Deus] eum [Adamum], ut ipse suo testimonio convincatur, quod peccaverit": W A 4 2 , 1 3 0 , 35 f. (Gn 3 , 1 0 ) . Vgl. ib. 128, 34—129, 8 (Gn 3, 8) sowie W A 18, 684, 7 (De servo arbitrio 1525). «» Siehe W A 4 2 , 1 2 7 ff. (Gn 3, 8). 70 W A 4 2 , 1 2 7 (Gn 3, 7), ib. 135 (Gn 3 , 1 3 ) und W A 1 9 , 2 2 6 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526). 71 W A 31/1,146 (Auslegung des 118. Psalms 1529—30), W A 50, 226 (Die Sdimalkaldischen Artikel 1537); vgl. audi W A 1 8 , 4 8 7 , 1 f.

3. Lex peccati et mortis

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allein zu sein, im Todesgrauen entdeckt er aber, wenn nicht schon vorher, daß er einsam ist — und daß Einsamkeit Tod bedeutet. In der Angst vor dem Tod schmeckt der Mensch des Falls bereits jetzt von der Pein der Verdammnis und der Hölle 72 . Dem Tod gegenüber kann sich der Mensch auf zweierlei Weise verhalten. Er kann sich verteidigen, seine Schuld leugnen. Er kann aber auch erkennen, daß er zu Recht getötet wird 73 . Im ersten Fall flieht er vor dem Tod, damit aber auch vor dem Schöpfer. Im letzteren Fall flieht er zum Richter, damit aber auch zum Herrn des Lebens, der selbst in Christus für Adams Kinder eingetreten ist „und noch teglich fur uns stehet", wie Luther es in „Vom Abendmahl Christi" (1528) sagt: Christus „hat fur uns arme sunder gelidden. . . und sitzet zur rechten hand Gottes, des allmechtigen Vaters, ein Herr über alle herren, könig über alle könige und über alle Creaturn ym hymel, erden und unter der erden, über tod und leben, über sunde und gerechtigkeit." 74 Der Mensch des Falls sieht nicht, daß die Liebe Gottes sich hinter dem Zorn verbirgt, und daß die Flucht in die Schöpfung nur zum Konflikt mit den Geboten führt, die den Menschen wieder zu seinem Ausgangspunkt unter Gottes Zorn zurückwerfen. Die ganze Welt wird ihm in der Flucht zu eng (totum mundum angustiorem esse). Es öffnet sich kein Ausweg, es gibt keine Türe zur Freiheit vor dem Gericht, keinen sicheren Zufluchtsort vor dem Tod. Je weiter der Mensch flieht, desto mehr nähert sich Gott mit der Frage: „Adam, wo bist du?" 7 5 Gott ist — sagt Luther — Licht, Weisheit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Güte, Macht, Fröhlichkeit, Friede, Seligkeit und Leben. Von ihm verlassen zu sein, bedeutet daher von all dem verlassen zu sein, was Gott ist und gibt, und das „Widerspiel" zu erleben: Tod, Finsternis, Torheit, Lüge, Sünde, Bosheit, Schwachheit, Traurigkeit, Verwirrung, Anfechtung, Verzweiflung, Verdammnis und allerlei Elend und Trübsal 76 . Mit Adams Sünde ist der Zorn Gottes und der Tod in die Welt eingedrungen, d.h. das Gegenteil von Gottes Liebe und Güte 77 . Das Menschenleben ist nun nicht mehr ein Übergang (transitus) oder ein Schreiten (cursus) vom irdischen zum himmlischen Leben, sondern von Ungerechtigkeit zum Tod 78 . Sowohl der Tod, welcher dem Menschen schon jetzt begegnet, als auch der, welcher einst im leiblichen Tod begegnen wird, sind Ausdrücke für Gottes Zorn über die Sünde. In diesem Sinne ist Gott die „causa efficiens et finalis" nicht nur des Lebens, sondern auch des Todes 79 . Vgl. oben Kap. III, 1, Anm. 13. W A 42, 133 f. (Gn 3,13). Vgl. M. Stomps 1935, S. 56 f. 74 W A 26, 502, 2 1 — 3 4 (Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis 1528). 75 W A 42, 128 (Gn 3, 8), W A 19, 3 0 6 , 1 7 — 2 1 (Der 112. Psalm gepredigt 1526). 76 W A 5, 602. Siehe die Auslegung des 2. Psalms, V . 3 f . in W A 40/11, 207—226 (Enarratio Psalmi 1532). " W A 46, 561, 33—562, 3 (Ausi, des 1. und 2.Kapitels Johannis 1537—38); W A 42, 1 6 1 , 3 0 , zit. oben S. 146. 78 „Nam etsi vitam, quam hic vivimus, non volumus appellare mortem, tarnen profectu aliud nihil est quam perpetuus cursus ad mortem": W A 42, 146, 2 2 f . ( G n 3 , 1 5 ) . Vgl. 9, 375, 17 (Pred. Luthers gesammelt von Joh. Poliander 1 5 1 9 — 2 1 ) . Siehe auch oben Anm. 24. 79 Dies ist der Grundgedanke in W A 40/III, 513—522, 9 (Enerratio Psalmi X C 1534/35 Hs Rörer V . 3 ) . 72

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Kapitel I V : Die Macht des Bösen

Die Rettung vom Tod liegt daher keinesfalls im Geschaffenen oder in dem, was der Mensch selbst ausrichten kann, sondern ist in die Hand des allmächtigen Schöpfers gelegt. Ebenso wie dem Menschen das Leben nur in der Unterordnung unter Gottes mandatum geschenkt wird, so empfängt er den Tod in der Sklaverei unter der lex peccati et mortis. Die Rettung vor dem Tode gründet sich nicht auf einen guten Rest im Menschen, auf eine gute Veranlagung oder einen guten Willen, denn die Schöpfung hat gegen den Schöpfer keine „vis efficax" aufzustellen. Die Rettung vor dem Tod liegt ganz und gar in dem, was Gott tun kann, um dem gefallenen Menschen die Gerechtigkeit und das Leben wiederzugeben 80 . Das Paradies ist verloren, und „die erste Welt" ging in der Sintflut unter. Ein Rest wird jedoch in „die zweite Welt" hinübergerettet. Gott verläßt seine Schöpfung nie 81 . Nach dem Sündenfall wird die Verheißung vom Samen des Weibes gegeben, der den Kopf der Schlange zertreten wird, und nach der Sintflut wird der Bogen der Verheißung an den Himmel gespannt. Der Christ lebt in der „dritten Welt", d. h. zwischen der Sintflut und dem Jüngsten Gericht. Daß er dennoch lebt, wenn auch im Schatten des Todes, ist nicht sein, sondern Gottes Verdienst, der was er geschaffen hat, nie verläßt sondern zur Vervollkommnung führt, zu Christus — der neuen Schöpfung —, der das Licht „der dritten Welt" ist 82 . Das Böse ist jedoch nunmehr etwas Unausweichliches. Unter den Menschen stellen sich Unfriede und Lieblosigkeit ein: sie töten einander. In der „zweiten Welt", der Welt des Falls wird Blut vergossen und bei den Tieren kommt Furcht vor dem Menschen auf. Die Flucht vor dem Tod ist Unnatur und rettet keinen. Luther sieht jedoch gerade in den Folgen des Falls den Ausgangspunkt für die Wiederaufrichtung der gefallenen Schöpfung. Der Tod ist nicht nur Strafe, sondern auch remedium83. Gottes mandatum ist zu einer lex peccati et mortis geworden. Der Cherubim an der Pforte ist, so sagt Luther, das Gesetz, das tötet und der Macht des Todes zugleich eine Grenze setzt. Daß der Mensch unter dem Gesetz der Sünde und des Todes steht, ist ein Zeichen dafür, daß Gott seine Schöpfung nicht verlassen hat 84 . Er ist nur mit seinem Zorn und seiner Anklage da, aber unter seinem Zorn ist ja seine Liebe verborgen. 80 W A 18, 6 3 6 , 1 6 — 2 2 (De servo arbitrio 1525). Die äußere oder „philosophische" Gerechtigkeit repräsentiert eine Güte, die mit der Schöpfung und dem Leben gegeben und deshalb wie alles Geschaffene in sich selbst gut ist, die aber, wenn man in ihr Rettung sucht, böse wird: s. die Auslegung von Rom 8, 28 in der Römerbriefvorlesung 1515/16 (WA 56, 3 8 1 , 1 2 — 3 8 3 , 2 4 ) . Vgl. auch W A T i 6 , 1 2 5 , 15—25 (Aurifabers Sammlung aus versch. Jahren). 81 W A 42, 7, 30—8, 2 (Gn 1, 2), ib. 153 ff. (Gn 3 , 1 8 f.) und 261, 9—15 (Gn 5,29). 82 W A 46, 562, 34—563, 32 (Auslegung des 1. und 2.Kapitels Johannis 1537—38). 83 Gott wirkt also das Böse (1) um der Strafe willen und (2) um den Menschen wieder aufzurichten: s. H.H.Pflanz 1937, S.105. Gottes Gesetz in der Welt des Falls ist also sowohl (1) Organ für den Zorn Gottes, der tötet, als audi (2) die Schöpferkraft seiner Liebe, welche die Schöpfung am Leben erhält. Bis an den Jüngsten Tag wird Gott damit fortfahren, den Menschen im Tod zu strafen und in der Geburt zu bewahren: W A 40/III, 520, 24—522, 23 (Enarratio Psalmi X C Dr 1541 V.3). 84 „Also wil Cherubim hie heissen die predigt des gesetz Gottes, das hat neben sich ein glentzends fewrigs schwerd, das ist ein streng urteil Gottes, das da schrecklich ist dem gewissen": W A 2 4 , 1 2 0 , 26 ff. (Über das l.Buch Mose 1527 Gn 3, 24).

3. L e x peccati et mortis

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So beginnt, sagt Luther, mitten in Zorn und Strafe, die vom Ungehorsam verursacht sind, Gottes Gnade und Barmherzigkeit zu leuchten. Auch unter der Bedrohung durch den ewigen Tod enthüllt Gott sein väterliches Herz, zeigt auf die Hilfe und verspricht Sieg und Wiederaufrichtung 85 . Der Schöpfer ist und verbleibt in seiner Liebe der Souveräne, dessen Willen nicht einmal die verderbende Macht des Todes und Zornes zunichte machen kann; „servavit tarnen Deus etiam in hac poena suum morem" 8 6 ; Gottes Zorn richtet sich gegen den Urheber der Sünde, den Teufel. Mit Adam und Eva spricht er Worte der Barmherzigkeit. Obwohl sie nun von der Strafe getroffen werden, dürfen sie dennoch an der Hoffnung teilhaben, nicht (wie der Teufel) auf ewig verdammt zu werden. Hiervon handelt das Evangelium — das Gesetz des Glaubens ; es schenkt, was das Gesetz der Sünde und des Todes nicht zustande bringen kann: die Wiederherstellung der Schöpfung und das vollkommene ewige Leben 87 . 8 5 „ H i c enim incipit ex media ira, quam peccatum et inobedientia excitavit, elucere gratia et misericordia": WA 42,141, 36ff. (Gn 3,15). Siehe auch WA 24, 97,19—98, 3 (Gn 3 , 1 5 f.). „ D a s gehet ein ander wort an . . . das wort des lebens, davon sie wider lebendig werden": ib. 97, 31; 98, 21. „ N u gehet Gottes wort nicht vergeblich noch one frucht abe, Darumb mus es A d a m sampt dem weibe widder gebracht und geholet haben": ib. 110, 9 f f . (Kap. 3 , 1 7 ff.). 8 6 WA 42, 264, 16 (Gn 6 , 1 ) . 8 7 WA 24, 98, 13—99, 29 (Gn 3,14). „ S o hat nu Adam diese wort gefasset und so gedacht: das redet Gott, der leugnet nicht, so haben wir ja zu hoffen auff einen menschen, wilcher den schlangen kopff zutretten sol . . . das ein aufferstehung und ander leben nach dem tod geben sol . . . das kein mensch durch seine werck fur Gott gerecht werde, D a r z u auch, das kein Muensdi oder Nonnen stand seliglich ist . . . " : ib. 99,12—23. Adam war, zur Gleichheit mit Christus, dem neuen Menschen geschaffen. Christus ist deshalb der Spender der iustitia coram Deo und der vita aeterna: WA 56, 317, 14—318,10 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 5 , 1 4 f.). D a dem Menschen die besondere Bestimmung gegeben ist, über der übrigen (sterblichen) Schöpfung zu stehen, erhält sein wahres Sein seinen eigentlichen Ausdruck nicht in der äußeren Gerechtigkeit, sondern in der wiedergewonnenen Einheit zwischen innerer und äußerer Gerechtigkeit, die ja Gemeinschaft mit Gott und Vollendung dieser Gemeinschaft im ewigen Leben bedeutet. Luther kann dabei gleichzeitig den Todescharakter des Falls, d.h. den Verlust der vollkommenen Gerechtigkeit und des ewigen Lebens und den Lebenscharakter der Schöpfung, d.h. die zwar unzulängliche, wohl aber vom Schöpfer gegebene Güte des äußeren Lebens und der äußeren Gerechtigkeit geltend machen. Er vermeidet damit die Aufteilung des Menschen (und der übrigen Schöpfung) in „teils — teils" und spricht statt dessen von „sowohl — als a u d i " ; das „simul iustus et peccator" des gerechtfertigten konkreten Menschen bedeutet somit, daß er schon als Sünder oder als Sterbender Gottes Vergebung und damit Leben und Seligkeit empfangen darf. Dieses Leben (vita aeterna) wird aber hier nicht „in re", sondern „in spe" empfangen, weil es erst nur Wiederherstellung und nicht Vollendung bedeutet. Die Neuschöpfung des Menschen fängt schon im Glauben an das Evangelium an, aber dieses neue Leben steht nodi unter der Spannung von Gesetz und Evangelium.

C.WIEDERHERSTELLUNG UND VOLLENDUNG

„Denn zu gleich, als ym anfang aller Creaturn er die weit auß nichts schuff, davon er schepffer und almechtig heysset, ßo bleibt er solcher art zu wircken unvorwandelt, unnd sein noch alle seine werck biß anß ende der weit alsso gethan, das er auß dem, das nichts, gering, voracht elend, tod ist, etwas, kostliches, ehrlich, selig und lebendig macht, Widderumb alleß was etwaß, kostlich, ehrlich, selig, lebendig ist, zu nichte, gering, voracht, elend und sterbend macht. Auff wilche weiße kein Creatur wirken kan, vormag nit auß nicht machen icht. Alßo das sein äugen nur ynn die tieffe nit ynn die hohe sehen." WA 7, 547,1—9 (Das Magnificat verdeutschet und ausgelegt 1521).

KAPITEL V

Offenbarung und Wiederherstellung 1. V e r b u m et f i d e s Die Erweckung des Glaubens durch das Wort des Evangeliums bedeutet für Luther nicht, daß Gott erst jetzt zum Menschen spricht, sondern daß die im Fall verlorengegangene Lebensverbindung des Menschen mit Gott durch das Hören des Wortes von Christus aufs neue geknüpft wird. In dieser Hinsicht sind Glaube (fides) und Wort (verbum) für Luther ein neuschöpferisches Handeln Gottes am konkreten Menschen1, der bereits als gefallenes Geschöpf unter der Wirkungskraft des Gesetzes steht, das aber ein Wort des Zornes, des Gerichtes und der Verdammnis Gottes bedeutet: „wie jm zuvor Gottes wort war eitel leben, so ists jm jtzt eitel gifft und tod . . ." 2 In diesem letzten Teil unserer Abhandlung soll also Luthers Theologie der Schöpfung von einem ganz bestimmten Blickwinkel her betrachtet werden, nämlich Luthers Verständnis der Situation des gefallenen Menschen als eines vom Wort Gottes als Gesetz und Evangelium angeredeten Geschöpfes, dem die Offenbarung und die Versöhnung Gottes zuteil wird, damit er ein neues Geschöpf bzw. in die Wiederherstellung und Vollendung der Schöpfung Gottes einbezogen werde. Daß wir die folgende Darstellung auf zwei Kapitel verteilen, wobei das eine die Offenbarung, das andere die Versöhnung behandelt, bedeutet jedoch nicht, daß Offenbarung und Versöhnung als zwei völlig verschiedene Dinge anzusehen wären. Da der Mensch von Gott geschaffen und zur Gottesgemeinschaft bestimmt ist, müssen Offenbarung und Versöhnung als ein einheitliches Handeln Gottes als des Schöpfers betrachtet werden3. Der tiefste Inhalt der Offenbarung ist das Versöhnungswerk Christi. Gott offenbart sich hier, um den Menschen über sein Versöhnungswerk aufzuklären und ihn ihm einzugliedern. Liegt also die Einheit von Offenbarung und Versöhnung im Schöpfungshandeln Gottes beschlossen, so beruht ihre Verschiedenheit dagegen auf der heilsgeschichtlichen Perspektive, die zwar bei Luther vom Schöpfungsgedanken und Aktuali1 „Nam si quaeras ex Christiane), quodnam sit opus, quo dignus fiat nomine Christiano, nullum prorsus respondere poterit nisi auditum verbi Dei id est fidem" : W A 57 (3), 222, 5 ff. (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 HebrlO, 5). 2 W A 37, 454, 36 f. (Predigten 1534 Mt 8 , 1 3 ) . 3 Eine Untersuchung des Versöhnungsgedankens vom Sdiöpfungsaspekt her sieht R. Bring als wünschenswert an: R.Bring 1931, S.72.

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Kapitel V : O f f e n b a r u n g u n d Wiederherstellung

tätsaspekt her gewissermaßen durchbrochen wird, der aber bei der Beschreibung von Gottes Handeln doch eine bleibende Bedeutung zukommt. Die im Wort dargereichte Liebesoffenbarung in Christus ist somit zunächst nur die Wiederherstellung der ursprünglichen, in Gottes Wort immer geforderten Ausrichtung des Menschen auf Gott und die Mitschöpfung, während die Versöhnung als die Vollendung der Schöpfung Gottes durch Christi Überwindung des Bösen und stellvertretendes Leiden betrachtet wird, als ein Handeln Gottes, das dem Menschen erst im Evangelium offenbart wird, das er aber schon unterm Gesetz schmeckt und in welches er erst in seinem eigenen Sterben ganz einbezogen wird 4 . Offenbarung und Versöhnung sind also beide ein für allemal in Christus geschehen, vollziehen sich aber auch in jedem konkreten Menschen, der auf das Wort hört und in ihm lebt 5 . Die Offenbarung ist das Evangelium einer verwirklichten Gerechtigkeit und damit eine durch die Liebe Gottes gewirkte Befreiung von der 4

Vgl. Luthers Definition des Glaubens bzw. das 2. Hauptstück im Großen Katechismus (1529): „Denn durch diese erkentnis kriegen wir lust und liebe zu allen gepoten Gottes, weil wir hie sehen, wie sich Gott gantz und gar mit allem das er hat und vermag, uns gibt zu huelffe und stewer, die zehen gepot zuhalten: Der vater alle creaturn, Christus alle sein werck, der Heilige geist alle seine gaben. Das Sey itzt genug vom glauben . . . die Summa davon . . . was sie yn der schriflfb lernen, hieherziehen und ymmerdar yn reicherm verstand zunemen und wachssen. Denn wir haben doch teglidi, so lang wir hie leben, daran zupredigen und zu lernen" (WA 30/1, 192,25—34). Das 2. Hauptstück ist also f ü r Luther eine Zusammenfassung der in der Bibel enthaltenen christlichen Lehre oder Offenbarung Gottes. Aber diese enthält f ü r ihn nicht nur die paulinische Rechtfertigungslehre, sondern audi die johanneisdie Vorstellung vom Wort Gottes als dem „Leben" des Menschen. „Fides itaque Est Consummatio et abbreuiatio et Compendium salutis. Siquidem verbum abbreuiatium Est non nisi fides. Vnde probemus? Quia Verbum breuiatum Nulli est tale, nisi intellectual sit esse tale. Sed non nisi fide intelligitur. Ergo fides Est vita et viuum Verbum abbreuiatum" : WA 56, 409, 4—8 (Römerbriefvorlesung 1515/16). Vgl. audi unten Anm. 6. 5

„Im ersten Artikel von der Schepffung haben wir gelernet, wie uns Gott erstlich geschaffen und alle creaturn gegeben hat etc. Aber dieser Artikel (2. Art.) leret uns nu, wie wir widderumb eine newe Creatur sind worden, nach dem wir gar verdorben und umbbradit sind nach der ersten schepffung durch den leidigen Teuffei, der uns betrogen hat durch seine lugen und die Goettliche creatur gar zu nidit gemacht und da hin bracht, das wir muesten von Gott verworffen ewig sterben und verderben, Denn was von Gott gesdieiden ist, das ist sdion ewig verdorben und verloren, D a r u m b gleuben und bekennen wir jnn diesem Artikel, daß wir aus dem verderben und sterben widderbracht und widder geschaffen sind ynn ein new ewig leben, da zu wir zuvor audi geschaffen waren, aber durch Adams fall verloren haben, U n d das das geschehen sey durch den lieben Sohn Jhesum Christum, der fuer uns sein blut vergossen und dem Vater darinn gehorsam gewest und uns geliebet hat, das er uns aus der helle radien und Teuffels gewalt erloesete und uns jns himelisdie ewige leben setzete. Und ist f u r w a r ein wunderbarlidi ding, das es unsert halben so leicht sol zu gehen, U n d soldi trefflich gros werck ausgericht sol werden allein durchs Wort und den Glauben . . . " : WA 37, 36, 3—20 (Pred. 1533 zu Torgau Dr.). „Also sind nu ihene Tyrannen und Stockmeister alle vertrieben und ist an yhre stad getretten Jhesus Christus, ein H e r r des lebens, gereditickeit, alles guts und selickeit, und hat uns arme veri orne menschen aus der helle radien gerissen, gewonnen, frey gemadit und widderbracht yn des Vaters huid und gnade und als sein eigenthumb unter seinen schirm und schütz genomen, das er uns regiere durch seine gereditickeit, Weisheit, gewalt, leben und selickeit" : WA 30/1, 186, 22—28 (Der Große Katechismus 1529).

1. V e r b u m et fides

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Verdammnis durch das Gesetz, die Zusage der Sündenvergebung, die Gnade Gottes und die Verheißung des ewigen Lebens. Und die Versöhnung durch Christus ist zwar einmal geschehen, aber sie soll nicht „philosophisch" verstanden werden, sondern als der von Gott auferlegte Tod des Menschen, dessen Frucht nur dann empfangen wird, wenn das Wort des Lebens gleichzeitig gepredigt und entgegengenommen wird bzw. wenn das Wort der Offenbarung von Christus den Menschen wiederherstellt6. Zwei Fragen werden uns im folgenden beschäftigen. Die eine ist die Frage nach dem Verhältnis des „jungen Luther" zum „älteren Luther"7. Wenn man zwischen der „Theologie des Wortes" des älteren und der „theologia crucis" des jüngeren Luther eine Spannung zu entdecken glaubte, übersah man oft, daß der aktuale Schöpfungsgedanke beim jungen wie auch beim älteren Luther eine große Rolle spielt. In der Erlösungslehre des jungen Luther liegt die Betonung zweifellos stärker auf dem menschlichen Leiden und der Demut des Glaubens (wobei das Menschliche und Existentielle in der Glaubenserfahrung stärker hervorzutreten scheint) als auf dem Glauben als Schöpfung des verkündeten Wortes (wobei die omnipotentia Dei stärker betont zu werden scheint). Die Unterschiede, die sich hier nachweisen ließen, und die im nächsten Kapitel eingehender behandelt werden sollen, erhalten jedoch ganz andere Proportionen, wenn man sie im Lichte des systematischen Zusammenhanges sieht, der, mit dem Schöpfungsgedanken als Ausgangspunkt, zwischen Luthers OfFenbarungs- und VersöhnungsbegrifF besteht, wenn man nämlich den für Luthers Theologie der Schöpfung grundlegenden Gesichtspunkt beachtet, daß der Mensch durchs Gesetz in einer unaus6 „Sihe, dieser vorstand ist eynfelltig und besserlich, wie S.Paulus die lere des Euangelij pflegt tzu nennen doctrinam pietatis, eyn lere, die den mensdien gnadreych machet . . . Wie man nu Christus wort ausslegt, da er sagt: Ich bynn das leben, alsso soll man ditz auch aussiegen, gar nichts von dem leben der creaturn ynn gott aufi philosophisch, ssondernn widderumb wie gott ynn unss lebe und seyniss lebens unss teylhafftig madie, das wyr durch yhn, von yhm, und ynn yhm leben; denn das ist audi nit tzu leugnen, das durch yhn audi das naturlidi leben besteht, das audi die unglewbigen von yhm haben, alss Paulus sagt Act. 17 [V. 28] : Wyr leben ynn yhm und schweben ynn yhm und wessen ynn yhm und sind seyner artt. Ja, das naturlidi leben ist eyn stuck vom ewigen leben und eyn anfang, aber es nympt durch den todt seyn end, darumb, das es nit erkennet und ehret den, von dem es herkompt, dieselb sund schneydet es ab, das es muss sterben ewiglidi. Widderumb die da glewben und erkennen den, von dem sie leben, sterben nymmermehr, ssondern das natürlich leben wirt gestreckt ynns ewige leben, das es den todt nymmermehr schmeckt, wie er sagt Joh. 8 : Wer meyn wort hellt, der wirt den todt nymmer schmecken, und Joh. 11 : Wer ynn mich glewbt, ob er schon stirbt, sso wirt er leben. Diss und dergleychen wirt wol vorstanden, sso man Christum recht erkennet, wie er den todt ertodet und das leben widderbracht hatt": WA 10/1, 1,199,17—200,12 (Kirchenpostille 1522 Joh 1,4). 7

Unter dem „jüngeren" Luther verstehen wir Luthers Schriften 1515—1520. Um das Verhältnis zwischen dem „vorreformatorischen" und dem „reformatorischen" Luther bestimmen zu können, muß man zuerst genau wissen, was Luther reformieren wollte. Die vielerörterte Frage, wann die reformatorische Entdeckung stattfand, läßt sich schwer lösen und soll hier auch nicht aufgegriffen werden. Aber soviel kann doch gesagt werden, daß ebensowenig wie eine systematische Behandlung Luthers einer gründlichen exegetischen Analyse einzelner Schriften entraten kann, sie andererseits ebensowenig die systematische Zusammenschau entbehren kann: vgl. hierzu D.Löfgren, Besprechung von Bizer, Fides ex auditu, 1958 (Lutheran World Vol. 5, 1959, S. 414—416; dt. in LuthRs).

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Kapitel V: Offenbarung und Wiederherstellung

weichlichen Beziehung zu Gott steht8, zu ihm, der durchs Gesetz in beständigem Kampf gegen die aufrührerische Macht des Falles Ordnung und Frieden gibt und mitten im Tode durch die Offenbarung des Evangeliums ewiges Leben schenkt 9 . Gerade durch eine getrennte Darstellung des Offenbarungs- und Versöhnungsbegriffs hoffen wir, diesen Zusammenhang deutlich machen zu können. In engerem Zusammenhang mit dieser Frage muß die Frage des Verhältnisses zwischen der omnipotentia Dei und der Selbstverantwortung des Menschen betrachtet werden. Die Kritik, die heute vor allem von römischer10 und gelegentlich auch von lutherischer Seite11 gegen die starke Betonung der omnipotentia Dei bei Luther vorgebracht wird, bleibt oft bei der Frage stehen: wenn Gott in der Erlösung allein wirksam wird, wie verhält es sich dann mit der Selbstverantwortlichkeit des Menschen? Luther selbst mußte u.a. in seiner Auseinandersetzung mit Erasmus zu dieser Frage Stellung nehmen. Das Problem rührt u.a. von der falschen Voraussetzung her, daß Gottes Allmacht zu der Aktivität des Menschen im Gegensatz stehen muß, oder daß die Rechtfertigung sola fide aufgegeben werden muß, wenn man die Luthersche Auffassung von der omnipotentia Dei mit der Betonung der menschlichen Verantwortung in Übereinstimmung zu bringen sucht12. Für Luther erlebt der Mensch sich selbst als verantwortlich gerade dadurch, daß er in einer unausweichlichen Beziehung zu Gott steht. Nicht, indem er das freie Handeln des Menschen betont, sondern nur, indem er die Erlösung als eine Neuschöpfung durch Gott auffaßt, versucht Luther, die Freiheit des Menschen zu bestimmen. Im folgenden werden wir verschiedentlich Anlaß haben, hierauf zurückzukommen. Die Unausweichlichkeit Gottes beruht zunächst auf seiner Gegenwart in der Kreatur. Die Gottheit von ihren irdischen Erscheinungsformen (larvae) zu unterscheiden, ist jedoch eine Kunst, die Gott selbst durch sein Wort den Menschen des Falles lehren muß, indem er ihn mit seinem Geist und seiner Gnade erfüllt13. Dies geschieht in der Begegnung des „inneren" Menschen mit Gott, so wie er sich in Christus offenbart. Der Mensch unter dem Gesetz sieht auf Grund der 8 Siehe G . T ö r n v a l l 1940, S. 183—190, und A.Siirala 1956, S . 3 1 0 f f . Daß Gott der Schöpfer ist, bildet die Voraussetzung des Glaubens und nicht umgekehrt: W A 2 3 , 1 5 3 , 1 2 (Dass diese W o r t Christi . . . 1527 Dr.). Andererseits ist der rechte Schöpfungsglaube kein vorbereitendes Stadium des Christusglaubens, sondern eins mit diesem: W A 50, 42, 10—43, 31 (Vorrede zu Ambrosius Mibanus . . . 1536). 9 S.u. Kap. VI, 1. 1 0 So z.B. M.-J.Congar, der an das Problem von einer zentralen Fragestellung her herangetreten ist, nämlich der der Christologie. Seine Beurteilung ist jedoch bestimmt von einem Lutherbild, an dem eine einseitige Betonung des Göttlichen bei Christus hervortritt: s. ders., Le Christ, Marie et l'Église, Paris 1952, S. 32 ff., 48 ff., und ders., Regards et Réflexions sur la Christologie de Luther (Das Konzil von Chalkedon, Würzburg 1954, Bd. III, S. 457—486). 1 1 S. von Engeström, A r v e t f r â n Α. Ritsdll i den svenska teologien (Nordisk teologi. Till R. Bring, Lund 1955, S. 187—209). 1 2 Siehe F.-R. Refoulé, Lutherska problem i svensk teologi (Lumen 1959, S. 69—97) sowie M. de Paillerets, Biskop Auléns nattvardstolkning (Lumen 1958, S.49—56). 13 „Ideo universa creatura eius est larva. Ideo scientia nostra, ut discernamus divinitatem a larva, hoc non facit mundus": W A 40/1,174, 3 f. (Galaterbriefvorlesung 1531 Hs Rörer Gal 2 , 6 ) .

1. Verbum et fides

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Sünde in der Welt des Falles nicht, daß Gott der himmlische Vater, die Welt das Tätigkeitsfeld Gottes bzw. das dominium des Menschen und daß der Mensch der Erbe des ewigen Lebens ist. Erst in der Begegnung mit Christus lernt also der Mensch des Falles sich selbst (Kap. V, 1), die Welt (Kap. V, 2) und Gott (Kap. V, 3) recht erkennen. Er lernt, zwischen Schöpfer und Schöpfung, Liebe und Zorn, Innerem und Äußerem, Form und Inhalt, Geistigem und Weltlichem, Buchstaben und Geist, Gesetz und Evangelium, Erde und Himmel recht zu unterscheiden. Christus begegnet dem Menschen immer im „Wort", das im Glauben empfangen werden soll, und dieses Wort ist nicht lediglich das geschriebene oder verkündigte Wort der Schrift, sondern Gottes Mitteilung seiner selbst zu allen Zeiten, durch welche er dem Menschen seinen Willen kundtut. Das Luthersche sog. Formalprinzip (sola scriptura) und Materialprinzip (sola fide) dürfen also nicht als rationale Prinzipien verstanden werden; sie sind von Luthers aktualem Schöpfungs- und Offenbarungsbegriff her zu deuten. Das Offenbarungswort wird nämlich grundsätzlich als ein Schöpfungswort Gottes verstanden14, es ist Gottes mandatum, das hier wieder begegnet, das Wort Gottes, welches — indem Adam geschaffen und dazu eingesetzt wurde, Ebenbild und Mitarbeiter Gottes ?u sein — ihm einmal befahl, über die Erde zu herrschen, dem Mitmenschen zu dienen und den Schöpfer zu preisen, und ihm zum anderen die Verheißung der Vollendung im ewigen Leben gab. In der Christusoffenbarung wird also dem Menschen das Wort des gerechten Lebens und der Wiederaufrichtung geschenkt15, und dieses Wort enthält somit — 14 „Igitur quod alii virgam istam interpretantur potestatem inflexibilem, apparet quidem, sed re vera non est aliud quam idem seil, ipsum evangelium seu verbum Dei. Nulla enim potestate alia regit Christus Ecclesiam quam verbo, sicut scriptum est: .Verbo Domini celi firmati sunt*, etc.": WA 57 (3), 108,15—109,2 (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 Hebr 1, 8). »Igitur cum sermo Dei sit supra omnia, extra omnia, ante omnia, post omnia ac per hoc ubique, impossibile est posse effugere aliquo": ib. 162, 2 if. (Hebr 4,12). 15 »Er sey das lebendige brot vom hymel. Also muss man nicht so fast achten auff die werck zeichen und wunder Gottes (wie die blinde vernunfft thut), als auff die wort Gottes ynn den selben, wie der glaube thut": WA 17/11,132, 26—29 (Fastenpostille 1525 IKor 10,4). „Denn das wort, das er hat ym hertzen, neeret und erhellt yhn, auch an ( = ohne) essen und trincken . . . Denn nicht das brod sondern das wort Gottes neeret audi den leyb natuerlich, wie es alle ding sdiafft und erhelt Ebre. 1 (V. 3)": ib. 191, 8—12 (Mt 4, Iff.). Wer Christi Gegenwart im Wort und Sakrament verleugnet, der verleugnet, daß die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist (Gn 1) und daß das Wort Fleisch geworden ist (Joh 1): WA 23, 91, 10—32 (Dass diese Wort Christi . . . 1522 Dr.). „Das sind die drey person und ein Gott, der sich uns allen selbs gantz und gar gegeben hat mit allem, das er ist und hat. Der Vater gibt sich uns mit hymel und erden sampt allen creaturen, das sie dienen und nuetze sein muessen. Aber solche gäbe ist durch Adams fall verfinstert und unnuetze worden, Darumb hat darnach der son sich selbs auch uns gegeben, alle sein werck, leiden, Weisheit und gereditickeit geschenckt und uns dem Vater versunet, damit wir widder lebendig und gerecht, audi den Vater mit seinen gaben erkennen und haben moechten. Weil aber solche gnade niemand nuetze were, wo sie so heymlich verborgen bliebe, und zu uns nicht komen kuendte, So kompt der heilige geist und gibt sich auch uns gantz und gar, der leret uns solche wolthat Christi, uns erzeigt, erkennen, hilfft sie empfahen und behalten, nuetzlich brauchen und austeilen, mehren und foddern, Und thut dasselbige beide, ynnerlich und eusserlich: Ynnerlich durch den glauben und ander geistlich gaben": WA 26, 505, 38—506, 9 (Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis 1528). „Denn der Glaube ist ein Goettlidi Werck, so

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

k ö n n t e m a n s a g e n — s o w o h l ein r ü c k b e z ü g l i c h e s o d e r restituierendes als a u c h ein v o r a u s w e i s e n d e s o d e r eschatologisches E l e m e n t , es g i b t d e m M e n s c h e n eine G e r e c h t i g k e i t u n d ein L e b e n , d i e A d a m besessen, a b e r v e r l o r e n h a t , u n d es v e r h e i ß t i h m etwas, w a s A d a m n o c h n i c h t besaß, w a s er a b e r e r h a l t e n h ä t t e , w e n n er n i c h t gefallen w ä r e 1 6 . N u n ist a b e r das W o r t f ü r L u t h e r a u c h V e r m i t t l e r des Geistes, d e s s e l b e n Geistes, d e r d e n M e n s c h e n e r s c h u f , C r e a t o r Spiritus. D a ß das W o r t C h r i s t u s s c h e n k t u n d d a ß es d e n G e i s t s c h e n k t ist d a h e r i n g e w i s s e m S i n n e ein u n d dasselbe, d e n n i n C h r i s t u s ist d e r G e i s t G o t t e s eine n e u e V e r e i n i g u n g m i t d e m M e n s c h l i c h e n eing e g a n g e n . C h r i s t u s ist d e r z w e i t e A d a m , d e r n e u e M e n s c h o d e r „ d a s h i m m l i s c h e B i l d e " , u n d w o das W o r t a u s g e h t u n d i m G l a u b e n e m p f a n g e n w i r d , da tritt d e r C h r i s t u s - M e n s c h als eine l e b e n d i g e S c h ö p f u n g des Geistes h e r v o r 1 7 . D a d e r Gott von uns erfoddert, aber er mus jn auch selber uns geben, den wir koennen von uns auch selbs nicht gleuben": WA 33, 29, 36—40 (Wochenpredigten über Joh 6—8 1530 ff. Joh 6, 29). „Haec est consolatio nostra, quod deus loquetur . . . Quando dominus loquitur, so wirfft er ein konigreich oder 4 hin weg. Dum loquitur, totus orbis fremit. Oriente et occidente sole loquitur deus, crescentibus frugibus et germinantibus hominibus bestiisque ist unsers herr Gots sprach. Non est vox ut in instrumentis vocalibus, sed dictum et factum ist eins; quando ein ding spricht, so sthets da . . . Hoc est dictum ad conterendos impios et consolandos nos: quando venit, so ist kein aufhören": WA 40/11, 229, 9—230, 7 (Enarratio Psalmi II 1532 H s V. 5). „Wenn der Priester teuffet, oder Absolvirt, und spricht, Im namen des Vaters, und des Sons, und Heiligen geists. Diese wort allesampt sind Gottes gesdiepff und werck in unserm munde (so wol als wir selbs und was wir haben), Und ist keines unterschiedlich, des Vaters allein, oder des Sons allein, oder des Heiligen geists allein, Sondern aller dreyer Person, des Einigen Gottes einerley geschepff" : WA 54, 62, 22—27 (Von den letzten Worten Davids 1543). Vgl. auch hierzu im Großen Genesiskommentar u.a. WA 42,14f. und 17f. (Gn 1, 3). 16 Siehe Luthers Auslegung von G n l , 2 6 im Großen Genesiskommentar: „Hoc autem nunc per Euangelium agitur, ut imago illa reparetur . . . ut ad illam et quidem meliorem imaginem reformemur, quia in vitam aeternam vel potius in spem vitae aeternae per fidem, ut vivamus in Deo et cum Deo, et unum cum ipso sumus, sicut Christus dicit. Neque vero ad vitam solum renascimur sed etiam ad iusticiam... Sed haec iusticia in hac vita incipitur tantum, neque potest in hac carne esse p e r f e c t a . . . hoc quoque fit per Euangelium, ut conferatur nobis Spiritus sanctus, qui resistit in nobis incredulitati . . . Ad hunc modum incipit imago ista novae creaturae reparari per Euangelium in hac vita, sed non perficitur in hac vita. Cum autem perficietur in regno Patris . . . fiet etiam, ut omnes creaturae aliae magis nobis sint subiectae, quam in Paradiso Adae fuerunt . . . " (WA 42,48,11—31). „Hanc corporalem vitam exceptura erat spiritualis vita, in qua nec uteretur cibis corporalibus nec alia, quae in hac vita soient, faceret, sed viveret angelicam et spiritualem vitam . . . Ideo Paulus dicit: ,Primus homo factus est in animan vivantem' [ l K o r 15, 45], hoc est, vivit vitam animalem, quae indiget cibo, potu, somno etc. Sed .secundus renovabitur in spiritum vivificantem', hoc est, erit spiritualis homo, ubi redibit ad imaginem Dei. Erit enim similis Deo in vita, iusticia, sapientia etc." (ib. 49, 8—16). Vgl. die Auslegung derselben Stelle in WA 24, 50, 22—51, 25 (Ober das l.Buch Mose 1527), wo zwischen Adam als dem „yrrdisch" und Christus als dem „hymmelisch bilde" unterschieden wird. Vgl. audi WA 20, 364, 38—365,5 (Predigten 1526 Joh 20,19 Rörer). 17

Der Zusammenhang zwischen der Schöpfung durch das Wort und den Geist, Christi Taufe, in welcher der Geist Gottes sich auf den Menschen Christus herabsenkte, und der Teilhaftigkeit des Christen an diesem Geschehen tritt deutlich hervor in einer Predigt von 1544 über Mt 3,1: „Deus coelos fecit per verbum etc. Sic spiritus sanctus est Creator . . .

1. Verbum et fides

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Mensch zum Ebenbild Christi geschaffen ist, empfängt er im Wort und Geist das, was zu sein und zu werden ihm bestimmt war — imago Dei 18 , und der Inhalt des Wortes ist also grundsätzlich von einem christologischen Aspekt her bestimmt; im Wort lernt man nämlich Christus — den gnädigen Gott und den wahren Menschen kennen, der über die IVeit herrscht bzw. die Vollendung im ewigen Leben erben darf19. Unterzieht man die christologische Grundstruktur des Lutherschen Wortbegriffes vom Gesichtspunkt des Menschenbildes des Glaubens einer näheren Betrachtung, so wird deutlich, daß die Vereinigung von Wort und Glauben in dem konkreten Menschen sein Christuswerden bedeutet, d.h. das Wort und der Glaube gehören als das Göttliche und das Menschliche bei Christus zusammen20. Nun sind bei Luther Wort- und Sakramentsbegriff ja nicht voneinander zu trennen21. Das Wort wird sakramental verstanden und das Sakrament als Wort, als lebendige Anrede Gottes, denn beide sind Vermittler des Geistes Gottes oder Christi an den Menschen. In dieser Hinsicht ist die Taufe das erste Sakrament, weil es Anfang und Ende, Tod und Auferstehung Christi, bedeutet. Schon dem jungen Luther ist sie: 1. das Sakrament der Wiedergeburt, das den Menschen in die Gemeinschaft mit Christus hineinstellt, 2. Gottes eigenes Werk, durch welches ein neues Geschöpf entsteht und somit 3. nicht so sehr eine Wesensänderung als eine durch Christus vermittelte Ortsveränderung bzw. Erneuerung der Sicht bewirkt22. Beim älteren Luther wird die Taufe auf eine ähnliche Weise definiert: sie ist 1. Hoc dictum nach der geschieht, ut scias, quod historia sit semel facta visibiliter et non cesset usque ad novissimum diem. Textus dicit clare, quod lohannes vidit, sed fit quotidie adhuc, quod videndum oculis fidei. Tum coelum apertum. Der thut sich nicht zu, bis extremus dies. Es ist nodi heutigs tags der Himel offen über die gantze weit. Hoc notandum, quod non cessarit historia, ut dicitur de Davide et aliis. Hoc fecit . . . Si vides baptisari infantem, Sacramentum, Absolutionem, ministerium, quod fit secundum regnum Christi, die: coelum est apertum, patris vox sonat, filius stat in aqua . . . Ubi Christus est, da stehet der himel offen. Seimus: Christus baptisat, administrât Sacramenta, absolviret . . . " : WA49, 309, 9—310,15 (Predigten 1544 Mt 3). 18 Auf das Vorkommen des Bildmotivs bei Luther hat G. Wingren 1949, S. 99 ff. (dt. 1959 2 , S 97ff.), hingewiesen, der u.a. eine von Rörer aufgezeichnete Predigt aus dem Jahre 1534 zitiert, in der es heißt: „Bildet er sich in uns per Euangelium, sicut etiam uns fur gebildet per Christum, qui est das lebendig wort . . . " : WA37,452,4. Vgl. auch: „Haec mea imago, sicut creavi Adam, ut mein bild im hertzen eius, ut ego in Maiestate. Er trug und hette mein bild, et donec habuit, erat lieb kind. Sic quando nos redit fassen und von tag zw tag je ehnlicher und gleicher ei werden, hic incipit 2. Kor. 3. Hic bildet sich, wie er ist, wir sollens fahen et in cor trucken, ut jhe mher i. e. ut agnoscamus, quomodo affectus erga nos": ib. 453,1—6. Vgl. ferner WA 24, 18, 26—29 (Über das erste Buch Mose . . . 1527 Vorrede); ib. 20, 21—29; 50,29—51,9 ( G n l , 2 7 ) . 19

WA 10/1,1, 222,16—223, 6 (Kirchenpostille 1522 J o h l , 9); WA 40/1, 229,15—25 (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 2,16). 20 » . . . wort und glawbe tzusamen, ynn eyniss vorpunden, wie gott und mensch ynn eynem Christo ist eyn person": WA 10/1,1,618,13ff. (Kirchenpostille 1522 Mt2,12). 21 Vgl. P. Althaus, Die christliche Wahrheit II, Gütersloh 1948, S.334 und 337. 22 W. Jetter 1954, S.223f. Vgl. auch ib. S. 192,196 f., 207 ff., wo der Zusammenhang von Wort und Taufe beim jungen Luther hervorgehoben wird. Daß es hier um das schöpferische Wort geht, kommt aber bei J. nicht ganz klar zum Ausdruck.

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„divinum opus, non excogitatum ab hominibus", 2. „nova generado", durch welche der Mensch 3. „ad futuram et aeternam vitam" geführt wird 23 . Wenngleich sich in der Auffassung der Taufe beim jungen und beim älteren Luther unterschiedliche Nuancen beobachten lassen, merkt man doch beiderorts, daß die sakramentale Bedeutung der Taufe deutlich von Gottes Wort und Handeln in Christus bestimmt ist. In der Hebräerbriefvorlesung (1517/18) sagt Luther somit, Christus sei das „sacramentum", durch welches „ein neuer und lebendiger Weg" (via nova et viva) für den Menschen zu Gott bereitet ist. Durch den Glauben wandert der Mensch auf dem Weg, den Christus gebahnt hat, in Gottes Himmel hinein. Christus ist vorangegangen und hat Sünde und Tod aus der Hölle vertrieben, und dies wiederholt sich oder wird „ausgeteilt", wenn der konkrete Mensch das Wort hört und annimmt24. Und in der Römerbriefvorlesung (1515/16) wird Christus als das „Zeichen", in welchem der Mensch seine Bestimmung wiederfindet, verstanden25. Christus ist „sacramentum" für den inneren und „exemplum" für den äußeren Menschen, er ist also nicht nur ein menschliches Idealbild, sondern das Ebenbild Gottes, das Gottes Absicht und Willen mit dem Menschen offenbart. Man kann daher nur bei dem sakramental wirkenden Christus Gottes Gedanken über und seine Absicht mit den Menschen kennen lernen2®. Die Funktion Christi als sacramentum drückt also für Luther immer aus, daß Gott durch Christus den Menschen nicht nur darüber aufklärt, wie er sein müßte, sondern daß er durch seine Gnade und Liebe die Möglichkeit zur Gottesgemeinschaft selbst geschaffen hat. Christus ist nicht nur gerecht, er ist die von Gott dem Menschen geschenkte Gerechtigkeit, denn in ihm ist Göttliches und Menschliches unlösbar vereint27. 23 W A 4 7 , 6 5 3 , 2—5 (Predigten 1539). Während bei dem jungen Luther der Gedanke an die Taufe als das Tor zum Christenleben vorherrscht, wird bei dem älteren Luther die Taufe immer deutlicher als der Weg (des Kreuzes) aufgefaßt, den man stets zu wandern hat, man soll immer wieder „in die Taufe Kriechen". Vgl. W . Jetter 1954, S. 170. 24 W A 57(3), 222, 28—223, 23 (Hebr 1 0 , 1 9 ) . 2 5 Schon hier findet man andeutungsweise den Gedanken von Christus als dem Ebenbild Gottes. Aber die Darstellung ist nodi ganz von der traditionellen mittelalterlichen Terminologie bestimmt. Christus ist noch nicht, wie es dann später ausgedrückt wird, „das hymmelisch bilde" ( W A 24, 50, 22—51, 25 [1527]) oder ganz einfach „des Vatters ebenbild" ( W A 52, 342, 19 [Hauspostille 1544]) oder „imago Dei" bzw. „imago novae creaturae" (vgl. oben Anm. 16), sondern ein „exemplar" oder Urbild. Die Bedeutung des Begriffes „exemplar" wird von H. Thimme und E. Seeberg eingehend erläutert. Nach Thimme ist der exemplar-Gedanke vom exemplum-Gedanken zu unterscheiden: s. ders., Christi Bedeutung f ü r Luthers Glauben, Gütersloh 1935, bes. S. 19 ff. Nach E. Seeberg wird das exemplar sogar als die „Idee" Christus verstanden, d.h. ein „produktives Urbild", „das schöpferische, das uns neu macht und umgestaltet": s. ders., Luthers Theologie II: Christus, Wirklichkeit und Urbild, Stuttgart 1937, bes. S. 461. Was Luther in der Römerbriefvorlesung hier allein deutlidi machen will, ist der den Menschen erlösende Zusammenhang zwischen dem sakramental verstandenen Christus und dem gefallenen Adam. 28

W A 57(1), 175, 5 ff. (Römerbriefvorlesung 1 5 1 5 — 1 6

Rom 6, 3). Vgl. auch 5 6 , 3 1 7 ,

20 ff. 27 W A 45, 300, 1 4 f f . (Predigten 1537 Dr. Kol 1 , 1 8 — 2 0 ) , W A 50, 5 8 7 f f . (Von den K o n ziliis und Kirchen 1539). Vgl. H. Olsson 1934, S 136.

1. V e r b u m et fides

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Die beim älteren Luther so stark betonte Behauptung, daß, was von Christus ausgesagt wird, auch für den konkreten Menschen als im Wort geschenkte Möglichkeit gilt, läßt sich also im Ansatz schon beim jüngeren Luther verspüren28. Wenn sie beim jungen Luther nur vom Sakrament bzw. gelesenen Wort und nicht vom gepredigten Wort her ausgeformt ist, so wird doch auch hier das Einpflanzen des „Wortes" — d. h. Christi — in das Menschenherz bzw. die gläubige Entgegennahme von Seiten des Menschen immer als die Wirkung des Geistes oder als eine Art fortgesetzter Inkarnation Christi verstanden29. Für die Vorstellung von der sakramentalen Gegenwart Christi wird der Gedanke der Präexistenz des Logos insoweit von Bedeutung, als das äußerliche Zeichen des Sakraments, ζ. B. das Wasser der Taufe, genau wie alles Irdische „von und zu Christus" geschaffen ist. Wenn es nun in der Taufhandlung zum „Bild" für den sakramental verstandenen Christus dient, nimmt jener im Wasser Gestalt an und macht dasselbe in seiner Funktion zu einem Bild seiner selbst und damit zu einem lebendigen, wirkenden Wort, dem Gott sich verpflichtet hat30. Das Geschaffene wird eine Maske (larva) oder ein Mittel (medium) für Gottes Offenbarung, es schildert oder „bezeichnet", was Christus ist und bedeutet, und dieser ist daher eins mit diesem Äußerlichen31. Die Funktion des Sakraments ist somit die gleiche wie die Funktion Christi während seines Erdenlebens, es ist Gottes Rede und Offenbarung, das ZumMenschen-Kommen seines Wortes durch die äußerliche Schöpfung. Der Mensch empfängt, was das Sakrament bezeichnet, und wird mit Christus vereint, er wird durch das Zeichen des Sakraments „gezeigt" und „bewegt" 32 , und damit auch „eingeleibt" mit Christus33, d. h. die Taufe stellt Christi Tod und Auferstehung dar und macht das Taufgeschehen zu einem Christusgeschehen34. In dieser Hinsicht besteht also kein prinzipieller Unterschied zwischen der Funktion der Taufhandlung und des gepredigten Wortes35. Wie die Predigt E. Hirsch 1954, S . 3 0 f . Den Zusammenhang des Abendmahls mit der Christologie und dem Inkarnationsgedanken deutet R. Josefson an: s. ders., Luthersk nattvardsuppfattning, in: En bok om kyrkan, Lund 1943, S. 338—349 (dt. Lutherische Abendmahlsauffassung, in: Ein Buch von der Kirche, Göttingen 1952, S. 373—385). 3 0 W A 27, 56, 4 ff. (Predigten 1528). Wiedertaufe ist deshalb Zweifel an Gottes Schöpfermacht: W A 2 6 , 165, 2 f f . (Von der Wiedertaufe . . . 1528). 3 1 W A 42, 6 6 7 , 1 7 ff. (Gn 17, 22). 3 2 W A 2, 748 (Ein Sermon vom Sakrament des Leichnams Christi und von den Brüderschaften 1519). 3 3 „Wir wissen, wan er wird offenbart werden, sso werden wir yhm gleych seyn ( l j o h 3 , 2 ) " : ib. 747, 3 9 f . ; vgl. 743 f. und 746. 3 4 „Sicut ergo in Christo res se habet, ita et in sacramento": W A 6, 5 1 1 , 34 (De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium, 1520). Vgl. W A 1 8 , 1 8 6 f. (Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament 1525). Siehe auch E. Metzke, Sakrament und Metaphysik . . . (Lebendige Wissenschaft H. 9), Stuttgart-Aalen 1948, S. 9 f . 3 5 Die Bedeutung des Inkarnationsgedankens f ü r den Wortbegriff läßt sich bereits in Dictata super Psalterium 1 5 1 3 — 1 6 verspüren. Siehe z.B. W A 3 , 1 5 7 , 2 8 — 3 0 (Ps 28), ib. 350, 17—22 (Ps 59) und W A 4 , 1 0 1 , 1 4 f. (Ps 94). 28 29

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

Christus „malt", so ist die Taufe eine vox corporalis36. Wenn die Handlung der Taufe ausgeführt wird, ist der Geist Gottes in diesem „Zeichen" wirksam (so wie er das ja auch bei Christus war) als ein Zeichen des göttlichen Wohlgefallens an dem Getauften. Und daher gibt das „Zeichen" der Taufe das, was „bezeichnet" wird. Christus ist im Zeichen der Taufe gegenwärtig für den, der es empfängt 37 . Die Taufe ist sakramental in dem Sinne, daß sie Christus offenbart und dadurch zu dem Tor wird, durch welches die Menschen in das Christenleben eintreten38 bzw. „zu Christo . . . komen" 39 , und dies Offenbarwerden setzt sich fort in der christlichen Erziehung und dem christlichen Nächstendienst 40 . Die Taufe ist also ein fortdauerndes göttliches Handeln und als solches ein „Wort", das den Blick des Menschen auf den Punkt des Daseins richtet, in dem Gott „corporaliter" wohnt 41 . Gott verweist uns auf Christus als auf „den richtigen Weg", den wir selbst gehen müssen, um zu ihm zu kommen 42 ; aber dieser Weg ist nicht unsere Leistung, sondern die erlösende Gegenwart des Geistes Gottes in einem Wort, dessen Hörer der Mensch ist, der so durch dieses Christus selbst empfängt. Die sakramentale Bedeutung der Taufe liegt ganz und gar in ihrer christologischen Grundstruktur begründet43. Genau wie in bezug auf die Taufe lassen sich nun auch in der Abendmahlsauffassung des jungen und des älteren Luther verschiedene Nuancen aufspüren. In seinen früheren Schriften wird die Gemeinschaft (communio) mit Christus stärker hervorgehoben, während in den späteren die Sündenvergebung in den Mittel36

WA 20, 387, 6 f. (Predigten 1526). Vgl. R. Josefson, Wort und Zeichen. Luther und Barth über die Taufe (KuD 2. Jg., 1956, S. 218—227), S. 220 ff. 37 WA 20, 388, 31 f. 38 S. o. Anm. 23. 39 WA 51,237 (Auslegung des 101. Psalms 1534—1535 V. 4). 40 WA 41, 211,14—215,3 (Predigten 1535 Dr. P s l l 0 , 4 ) . 41 „Si volumus invenire deum coeli et terrae, caveas ab omnibus cogitationibus, quod coelum, terram creaverit, sed in Christo inveniemus eum, quia placuit divinitatem in ,plenitudinem divinitatis' etc. Die gantze Gottheit ist weg genomen von Son, mond, himel, erden et omnibus etc. et ,habitat in eo corporaliter'. Extra Christum non est salus": WA 40/11, 305, 3—8 (Enarratio Psalmi II 1532 Hs Ps 2,12). 42 WATi 6, 27, 42—28,4 (Aurifaber). Vgl. WA 25, 386, 28 (Vorlesungen über Jesaia 1527—29); 16, 143, 34ff. (Predigten über das 2.Buch Mose 1524—1527 Kap. 9); W A 4 0 / III, 337, 11 (In X V Psalmos graduum 1532/33 H s Ps 130, 4). 43 Da Christus Gott und Mensch war, sind „elementum", „verbum" und „mandatum" gleich notwendig als „partes sacramenti": WA 39/1, 168,12 (Die Disputation contra missam privatam 1536); ib. 142,15. Wenn Luther die augustinische Formel „accedit verbum ad elementum et fit sacramentum" verwendet, so meint er nicht das Wort der Verheißung, sondern die Einheit der „Worte der Einsetzung" und „Worte des Zeichens", d. h. die Taufe ist teils ein äußerliches Offenbarungsgeschehen „ym Namen des Vaters und des Sons und des Heiligen Geistes", teils Gehorsam gegenüber dem Befehle Gottes: s. ib. 142,17 und WA 30/1,214ff. (Der Große Katechismus 1529); vgl. R. Josefson, in: KuD 1956, S. 220. Wenn Luther daher einmal die Worte der Einsetzung und ein anderes Mal das Wort der Verheißung betont, so wird damit die gleiche einheitliche Auffassung ausgedrückt, daß nämlidi die Taufe bzw. die Predigt des Evangeliums ein in äußerlichen Mitteln geschehendes inneres göttliches Schöpfungshandeln ist. Siehe z.B. WA 18, 136,9—23 (Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament 1525); ib. 193,19—25.

1. V e r b u m et fides

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punkt rückt. In beiden Fällen handelt es sich jedoch um Christusoffenbarung44. Das Sakrament ist das Kommen des Wortes und die Sendung des Geistes, die Gottes Gnade dem Christen gibt 45 . Das Abendmahl ist genau wie die Taufe ein Geschehen und als solches „Zeichen" und „Zeugnis" dessen, daß die, welche hier die Sündenvergebung im Brot und Wein empfangen, Eigentum Gottes sind, und daß ihnen hier angeboten wird, im Glauben die Gnade und den Geist Gottes zu empfangen46. Somit handelt alles von der schöpferischen Kraft von Wort und Geist, durch welche der im Geschehen des Abendmahls „bezeichnete Wille" Gottes in das Dasein des konkreten Menschen als eine für ihn gegenwärtige Realität eintritt, genau wie das bei Christus geschah. Taufe und Abendmahl sind also beide als Vermittler von Christus-Geist-Wort an den Menschen aufgefaßt, und wenn also das Sakrament als „Wort" verstanden wird, so wird das gepredigte Wort, da ja auch dieses das Christusgeschehen vermittelt, sakramental verstanden. Die Predigt hat somit nicht die Aufgabe, den Menschen zum Empfang des Abendmahls nur vorzubereiten, sondern sie schenkt dasselbe wie das Sakrament der Taufe und des Abendmahls, nämlich die Einheit mit Christus und Vergebung der Sünden47. Nun ist ja allgemein bekannt, daß der junge Luther nicht die gleiche klar ausgesprochene Auffassung von dem sakramentalen Charakter des mündlichen Wortes (viva vox) hat wie der ältere48. Beim jungen Luther handelt es sich um die christologische Struktur des Sakramentes und des gelesenen Schriftwortes. Es fragt sich jedoch, ob hier, wie behauptet wurde, ein prinzipieller theologischer Unterschied im Wortbegriff des jüngeren und des älteren Luther vorliegt. Wie beim jungen Luther Schriftauffassung und Christologie eng zusammengehören49, so ist auch beim älteren Luther, ob er nun davon spricht, daß das Wort „leuchtet", „malt" 4 4 „Alsso ist diss sacrament yn brott und weyn empfahen nit anders dan eyn gewiss tzeychen empfahen disser gemeynsdiafft und eyn leybung mit Christo und allen heyligen . . . " : W A 2 , 743, 2 0 f f . (Ein Sermon vom Sacrament . . . 1519). „Darumb, wer von diesem bedier trinckt, der trinckt warhafftig das rechte blut Christi und die Vergebung der sunden odder den geist Christi" : W A 26, 468, 39 ff. (Vom Abendmahl Christi . . . 1528). Siehe audi die Darstellung bei G. Aulen, För eder utgiven. En bok om nattvardens offermotiv, Stockholm 1956, S. 88—99, sowie E. Sommerlath, Der Sinn des Abendmahls, Leipzig 1930, S. 106. 4 5 H. 0stergaard-Nielsen will scharf zwischen der Gegenwart Christi als des Inkarnierten und des Heiligen Geistes unterscheiden: s. ders. 1957, S. 184. Vgl. dagegen R. Prenters Kritik in seiner Besprechung von 0stergaard-Nielsen 1 9 5 7 in S v T K Jg. 35, 1959, S. 175—179, und unten Anm. 95. 4 8 » . . . Denn newe testament ist verheissung, ia viel mehr, sdienckung der gnaden und Vergebung der sunden, das ist das redit Euangelion etc.": W A 2 6 , 4 6 8 , 3 2 f f . (Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis 1528); ib. 468, 3 9 f f . (zit. oben Anm. 44). 4 7 W A 15, 491, 3. 17 (Predigten 1524) und 4 0 / 1 , 2 1 9 , 3 5 . (Galaterbriefvorlesung 1531 Hs Gal 2 , 1 6 ) . 4 8 So z.B. betont bei H. 0stergaard-Nielsen 1957, aber auch bei E. Bizer, Fides ex auditu. Eine Untersuchung über die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes durch Martin Luther, Neukirchen 1958. Zu dem gesamten Problem des Christus praesens bei Luther und in der modernen Theologie vgl. T. Aukrust, Forkynnelse og Historie. En Studie i sp0rsmälet om Kristi realpresens, Bergen 1956, bes. S. 75 f. Vgl. auch unten Kap. VI, 2. 4 9 G. Ebeling 1942, S. 449, und E. Vogelsang 1929.

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oder „austeilt", dessen christologische Struktur vorausgesetzt, wenn er sagt, daß das Wort das verwirklicht und schafft, wovon es redet, d.h. den sakramental verstandenen Christus „schenkt"60. Keinerlei Gewicht wird auf die Weihe oder persönliche Qualität des Pfarrers gelegt 61 ; es wird immer vorausgesetzt, daß das, was Gott damals in der Geschichte in Christus als „sacramentum" ausführte, gleichbedeutend ist mit dem, was er nun im konkreten Menschen durch das sakramentale Wort ausführt™. Wie beim jungen Luther so wird auch beim älteren Christus als „exemplum" betont, aber hier doch immer zusammen mit seiner Funktion als „sacramentum", d. h. als Offenbarer des Willens Gottes für jede Zeit und jeden Menschen, gesehen63. Der ältere Luther lehnt zwar betonter die spiritualisierende Vorstellung, daß Christus dem Menschen „durch Nachdenken" zugänglich werde, ab und betont, daß er „durch die Predigt" offenbart werde54, aber bereits 1519/20 ist für Luther die Form der Predigt sakramental, weil ihr Inhalt sakramental ist, denn die „Historiae Euangelicae" sind „sacramenta" oder „sacra 50 WA 9,440, 2—10 (Predigten 1519—1521 Poliander Mt 1,1 ff.); WA 11,192, 22—24 (Predigten 1523 Rörer Mt 9 , 1 ff.). Luthers Unterscheidung zwischen dem Wort Gottes durdi „publicum ministerium" (Eltern und Lehrer) und durch den Heiligen Geist in „revelatio interna" (s. z.B. WA 42, 321) wird unbegreiflich, wenn man sie von seiner Christologie isoliert. Bezeichnend sind folgende Worte: „Sicut hodie, qui docent Evangelium, non ipsi simpliciter Doctores sunt, sed Christus in eis loquitur et docet": WA 42,194, 19—20 (Gn 4, 6); vgl. ib. 293, 6—13 ( G n 6 , 5 f . ) . 51 Die donatistische Forderung der Heiligkeit des Sakramentsverwalters für die Gültigkeit des Sakramentes wird also nicht durch einen Hinweis auf den „character indelebilis" des Amtsträgers abgelehnt, sondern durch Hinweis auf die eigene Kraft des schöpferischen Wortes: WA 26,163, 15ff. (Von der Wiedertaufe 1528). Seine Front, vor allem gegen Karlstadt, Schwenckfeld und Zwingli, hat Luther besonders in: Vom Abendmahl Christi 1528 (WA 26, 261 ff.), Bekenntnis 1528 (WA 26, 506) sowie im Großen und Kleinen Katechismus festgelegt. Das Abendmahl als „Ereignis" wird betont von P. Sdiempp, Das Abendmahl bei Luther (EvTh 1935, S. 284—330), während H . 0stergaard-Nielsen das Abendmahl als einen „Bund = persönliche Gemeinschaft" mit Christus betont: s. ders. S. 173. Beides findet sich bei Luther und gehört von der Christologie her eng zusammen. T. Aukrust 1956 bezeichnet die „Tatsachenbehauptungen" des römischen Traditionalismus und Sakramentalismus als eine ganz andere Art, den Christus praesens aufzufassen, als das lutherische „punctum mathematicum der existentiellen Entscheidung", geht jedoch von einer Mißdeutung sowohl Luthers als auch Roms aus. Der Unterschied zwischen Rom und Luther liegt vielmehr in ihrer verschiedenartigen Christologie. Hierzu s. P. E. Persson, Romerskt och evangeliskt, Lund 1959 (dt. Römisch-katholisch und evangelisch, Göttingen 1960). 52 Siehe E. Thestrup Pedersen, Luther som Skriftfortolker . . . Diss. Kübenhavn 1958, gedr. 1959, S. 134 f. 53 „Das ist der leidige, greuliche teuffei, per quem das liebe Euangelium submersum. Qui legerunt hoc Euangelium: ,Hic est filius', dixerunt: was gehet mich das an? ist vor 1000 Jaren geschehen": WA 34/1, 29, 14—30,3 (Predigten 1531). Vgl. WA 48, 31, 4ff.: „Die heilige Schrift ist Gottes wort, geschrieben und (dass ich so rede) gebuchstabet und in buchstaben gebildet, Gleidi wie Christus ist das ewige Gottes wort in die menschheit verhüllet" (Sprüche aus dem AT 1541 P s 2 2 , 7 Rörer). Da das Wort Geist und Leben ist, muß es ständig ausgeteilt und empfangen werden: ib. 213,286, 5—13 (Sprüche aus dem N T 1542 lTim 4,13); WA 27, 352, 3 (Predigten 1534 L k 2 2 , 7 f f . Rörer). Der Hunger nach dem Wort nimmt zu, je mehr man davon erhält: WA 22,379,4—7 (Crucigers Sommerpostille 1544 Kol 1, 3—14). 54 WA 29, 274, 2—16 (Predigten 1529 Rörer).

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signa", durch welche Gott in dem Gläubigen „quiquid ille historice désignant" verwirklicht (efficit)55. Möglicherweise könnte man sagen, daß Luthers reformatorischer Durchbruch eine stärkere Betonung des kerygmatischen Charakters des Evangeliums bedeutet, das in Wort und Sakrament enthalten ist. Das gepredigte Wort soll den Menschen nicht lediglich zum Empfang der Sakramente bereiten, sondern Glauben an den in Wort und Sakrament gegenwärtigen Christus erwecken. Das aber kann für Luther auch dadurch geschehen, daß man das Wort liest. Man darf nicht vergessen, daß dem jungen Luther seine reformatorische Entdeckung gerade aus einer intensiven Beschäftigung mit dem geschriebenen und gelesenen Wort erwuchs5®. Daß es dann später zu seinen Zeitgenossen als ein verkündigtes Wort hinausgehen mußte, lag u. a. daran, daß diese zum großen Teil des Lesens nicht kundig waren und daher keine andere Möglichkeit besaßen, das reine Evangelium zu empfangen. Kennt Luther somit keinen prinzipiellen Unterschied zwischen gesprochenem und gelesenem Wort, weil beide für ihn genauso sakramental wie Taufe und Abendmahl sind (da sie beide Träger des inkarnierten Wortes sind)57, so dürfen doch wenigstens für den reiferen Luther Taufe und Abendmahl nicht von der Predigt isoliert werden, weil sie genauso wie das geschriebene Wort als die Verkündigung Christi (Evangelium) zu dem gefallenen Menschen kommen58. Die Hauptsache ist jedoch für Luther immer, daß das Wort nie losgelöst von seinem „usus" oder „prauch" gesehen wird, so daß das Werk Gottes in Christus nicht zu einer bloßen historischen Notiz ohne Beziehung zu der tatsächlichen Situation des empfangenden und hörenden bzw. lesenden Menschen als dem Geschöpf Gottes wird, denn ohne das sakramental verstandene Wort geht man der Offenbarung in Christus und damit seiner Bestimmung verlustig 59 . Luther kommt deshalb oft darauf zurück, daß Gott uns das Wort geschenkt hat, damit seine Werke nicht unbekannt und unwirksam verbleiben sollten. Das Werk Christi ist geschehen und läßt sich nicht wiederholen, aber seine Gaben sollen „ausgeteilt" und „entgegengenommen" werden 60 . Das verkündigte Wort macht W A 9, 440, 2 — 5 (Predigten 1 5 1 9 — 1 5 2 1 ) M t 1 , 1 ff. Poliander). Siehe z.B. W A 54, 186, 3 ff. (Luthers Vorrede zum 1. Bande der Gesamtausgaben seiner lat. Schriften 1545). Vgl. U . M a n n 1957, S. 176. 5 7 Vgl. die Darstellung bei G. Wingren, Die Sakramente und die Predigt als Träger des fleischgewordenen Wortes (Festschrift f ü r A . Köberle, Hamburg 1958, S. 3 7 5 — 3 8 6 ) . 5 8 „Ergo Christus semel uno opere nos redemit, sed uno usu non distribuit: tradit per medium l a v a d i r i in baptismo, per medium comedendi in altari, per medium consolandi fratres, legendi in libro ut undique esset diffusus fructus passionis": W A 26, 4 1 , 3 f f . (Vorl. über l . T i m . 1528). 5 9 Weil „der teuffei die hertzen so verblend und besitzt, das sie solch gesetz nicht allzeyt fulen, drumb mus man sie sdireyben und predigen, bis G o t t mituirke und sie erleuchte, das sie es ym hertzen fulen, wie es y m w o r t lauttet": W A 18, 80, 3 8 — 8 1 , 3 (Wider die himmlischen Propheten . . . 1525). Das Evangelium zu hören ist nichts anders, denn sein Licht und Sehen v o n Christus zu empfangen: W A 10/1, 1, 2 0 7 , 1 2 — 2 0 9 , 15 (Kirchenpostille 1 5 2 2 J o h l , 1 — 1 4 ) . Vgl. W A 12, 2 5 9 f. (Epistel S . P e t r i , l . B e a r b . 1523). 6 0 Sowohl Schöpfung wie Erlösung werden im Großen Katechismus 1 5 2 9 als ein Geschehen, das jetzt „ausgeteilt" wird, betrachtet, und in dieser Hinsicht als ein W e r k des Geistes angesehen: W A 30/1, 188, 9 — 1 7 . 55

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jedoch Christus nicht gegenwärtig, sondern es offenbart, wo der Glaube es als Wort Gottes entgegennimmt, daß er schon gegenwärtig ist, wo das Wort ist. Das Wort ist das „Zepter", mit dem Christus die ganze Welt regiert 61 . Das Wort wandert daher durch die Welt 62 und sammelt in seiner glaubenschaffenden Funktion die Christus-Treuen zu einer Kirche, in der Gott und Mensch sich begegnen, so wie in Christus Göttliches und Menschliches vereinigt war, auf daß Gott in allem verehrt und angebetet werden möge 63 . Adventus Christi ist, heißt es in der Kirchenpostille (1522), „seyn predigen und leuchten" 64 , und schon 1516 wird in einer Predigt betont, daß das Evangelium sei „nihil aliud nisi annunciatio operum Dei : praedicat enim ea, quae Deus operatur" 65 , und wenn Luther in der Einleitung zu seiner Übersetzung des N.T. (1522) sagt, das Evangelium sei „eyn gutte meher und geschrey ynn alle wellt erschollen durch die Apostell" 66 , meint er also, daß die Christusoffenbarung nur dann zu allen kommen kann, wenn das Wort stets aufs neue ausgeteilt wird, um damit jederzeit und von einem jeden Menschen entgegengenommen werden zu können67. Der sakramentale Charakter des Wortes hängt also mit dessen christologischer Grundstruktur zusammen. Was in Christus geschah, geschieht auch da, wo das Wort ist. Es erhebt sich nun die Frage: was geschah in Christus, was ist der Inhalt des Wortes ? Hiermit nun kommen wir als %weites zum restituierenden Element des Wortes. F. Kattenbusch sagt in einem Aufsatz (1931) über Luthers Abendmahlsauffassung, es habe ihn erstaunt, daß Luther nicht den biblischen „Bild"-Begriff ausgenutzt habe: Adam als imago Dei zum Ebenbild Christi geschaffen68. Daß Luther den biblischen Begriff imago Dei expressis verbis verwendet, haben wir schon gezeigt 69 . Außerdem stimmt die oben dargestellte Auffassung Luthers von Christus als „signum" mit dem Bild-Gedanken ganz überein. Christus ist der zweite Adam, Gottes Sohn und der Mensch des „Wohlgefallens" oder des „guten Willens" Gottes (vgl. G n l , 3 1 und L k 2 , 1 4 ; 3,22), dessen Aufgabe es ist, „in hac vita restituere genus humanum in amissam illam innocentiam" 70 . Dies wird vielleicht am deutlichsten in Luthers Auffassung von der Taufe sichtbar 71 . In der Taufe beginnt ein neues „Schöpfungswerck" heißt es im „Sermon von dem Sakrament der Taufe" (1519)72. Gott „hebet von stund an dich new zu 62 Ib. 196 (Ps 110, 4). W A 4 1 , 1 2 4 (Predigten 1535 Ps 110, 2). W A 8 , 1 2 , 1—26 (Deutsche Auslegung des 67. [68.] Psalms 1521 V. 10). 64 W A 10/1, 1, 2 2 5 , 1 6 (Kirchenpostille 1522 Joh 1 , 1 1 ) . Vgl. ib. 2 2 5 , 1 ff. 65 W A 1 , 1 1 1 , 21 f. (Sermone aus den Jahren 1 5 1 4 — 1 7 Ps 19, 2). 60 W A D B 6, 4, 4 f. (Protokoll und handschriftliche Einträge P r o v 3 1522). 67 W A 41, 41 ff. (Predigten 1535). 68 F. Kattenbusch, Luthers Idee der Konsubstantiation im Abendmahl (Forsch, z. K i r chengesch. und z. christl. Kunst, Leipzig 1931), S. 77. 09 „ . . . Er sey des Vatters ebenbild . . . " : W A 52, 3 4 2 , 1 9 (Hauspostille 1544 Joh3,35; 14, 9 f.). Siehe auch oben Anm. 16—18 und 25 und Kap. II. 70 W A 39/1, 375, 4—7 (Die erste Disputation gegen die Antinomer 1537). Vgl. unten Kap. VI, 2, Anm. 61. 71 Hinsichtlich des Verhältnisses von Luthers Verständnis der Taufe und dem der Scholastik s. K . Brinkel 1958, S. 88. 72 W A 2, 729, 26—34 (Sermon von dem Sakrament der Taufe 1519). 61

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machen, geust dyr eyn seyn gnad und heyligen geyst, der anfahet die natur und sund zu todten und zu bereyten tzum sterben und auffersteen am jüngsten tag" 7 3 ; und, fährt Luther fort, „da her vorsteht man auch, warumb die Christen heyssen ynn der schrifft die kinder der barmhertzickeit, eyn volck der gnaden und menschen des gutigen willen gottis, darumb das sie angefangen durch die tauff reyn tzu werden . . . wie die tauff mit yrem tzeichen aussweysset" 74 . Wenn die Taufe geschieht, wird also Christus als ein „Bild" der Absicht Gottes mit dem Menschen „gemalt", so daß der Mensch vor Gottes „signum" steht, d.h. sie schenkt ihm Gemeinschaft mit dem Herrn Christus und kleidet ihn mit seiner Gerechtigkeit 76 . Das Geschehen der Taufe ist der Anfang der Wiedergeburt 76 , der neuen Schöpfung 7 7 , in welcher der Schaden des Falls (peccatum originale) getilgt wird (tollitur) 78 ; „per baptismum ad vitam spei, seu potius ad spem vitae restituimur"79. Dasselbe gilt auch für das Geschehen des Abendmahls und der Predigt. Im Abendmahl gibt Gott, der im Äußerlichen vom Morgen der Schöpfung an bis zur Auferstehung der Toten am jüngsten Tage erschafft und Leben schenkt, dem innerlichen Menschen das Brot des ewigen Lebens 80 . Und von der Verkündigung heißt es : „Gottes wort [hat]... Adam sampt dem weibe widder gebracht und geholet" 81 . Das Predigtamt ist eingesetzt, um den Menschen von der Macht des Bösen zu befreien und zu Gott zu ziehen, „eine newe wellt schaffet [der Prediger] . . . ein ewiges schoenes paradles, da Gott selbs gerne ynne wonet" 82 . Wie W. Jetter gezeigt hat, läßt sich dieser Charakter des Wortes bzw. Sakramentes als Einsetzung Gottes, durch die Gottes neuschaffendes Heilswerk geschieht, im Ansatz schon beim jungen Luther feststellen. Das Wort der Schrift bereitet also für Luther nie den Sakramenten den Weg, es ist selbst ein Sakrament83. Es ist ein Vermittler des 74 Ib. 732, 28—33. Ib. 730, 26 ff. W A 34/1, 95, 2—96, 6 (Predigten 1531). Die Taufe ist deshalb das Sakrament der Rechtfertigung. Siehe Torgny Bohlin 1952, S. 252 ff., S. Lerfeldt 1949, S. 175 ff., und R. Josef son, Luthers lära om dopet, Stockholm 1944, S. 57. 78 W A 4 1 , 1 6 4 , 32—167, 20 (Predigten 1535 Dr Psll0,3). 77 W A 4 5 , 1 7 3 , 21 f. (Predigten 1537) und 5, 90, 9 f. (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 — 1 5 2 1 Ps 3 , 6 ) . Die Bedeutung der Sakramente als Mittler des „initium novae creaturae" wird hervorgehoben von J . H a a r 1939, S. 42 ff. 7 8 W A 39/1,110, 27 (Die Disputation de iustificatione 1536). 7» W A 4 2 , 1 4 6 , 27 f. ( G n 3 , 1 5 ) . Vgl. W A 30/1,220, 22 (Der große Katechismus 1529). 8 0 R.Prenter 1 9 4 6 2 , S. 285 (dt. 1954, S . 2 7 6 f . ) . 81 W A 2 4 , 1 1 0 , lOff. (Über das 1. Buch Mose 1527 Kap. 3 , 1 7 f f . ) . 8 2 W A 31/1, 199, 27—34 (Der 82. Psalm ausgelegt 1530). 8 3 W. Jetter 1954, S. 65. Während E. Troeltsch, O. Ritsehl und H. Böhmer die in ihrer Intention „antikatholische" Sakramentsauffassung des jungen Luther in Gegensatz zu der „katholisierenden" des älteren Luther stellen, betont W . Jetter im Anschluß an E. Seeberg die Einheit zwischen dem jungen und dem alten Luther. Diese Einheit ist jedenfalls deutlich in der Auffassung des Sakraments als einer Schöpfungshandlung durch äußere Mittel: vgl. W. Jetter, S. 114, Anm. 1. Jetter zeigt deutlich beim jungen Luther seine eigenartige Auffassung der aktuellen Gegenwart Gottes in den Gnadenmitteln auf: ib. S. 184. Damit dürfte auch O. Ritschis These von einem vorreformatorisch-eschatologisch-futurischen und einem nadireformatorisch-präsentischen Glaubensverständnis bei Luther widerlegt sein. Vgl. H . B a n d t 1958, S. 52. 73

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Evangeliums, dessen neuschaffende Wirkung darin besteht, daß es Leben und Gerechtigkeit zurückgibt84. Die Neuschaffung durch das Wort ist jedoch nicht als etwas nur Innerliches aufgefaßt, sondern als eine Erneuerung des ganzen Menschen. Das Innerliche und das Äußerliche können zwar bei dem konkreten Menschen auf Grund der Macht der Sünde in diesem Leben niemals ganz in Einklang gebracht werden, aber in seinem Wort schenkt Gott dem Menschen Christus, ihn, der die vollkommene Gerechtigkeit ist, in welcher sowohl Glaube wie Liebe beschlossen sind85. Er schenkt somit dem Menschen, was dieser in sich selbst nicht besitzt, das gerechte Leben, zu dem er geschaffen ist, das er aber in der Welt des Falls nicht selbst zu verwirklichen vermochte. Das Wort treibt damit den Feind des Menschen, den Teufel, sowohl „spiritualiter" als auch „corporaliter" aus88. Im Wort werden nämlich Gottes Gabe und Anspruch offenbart, so daß der Mensch sein wahres Sein als etwas sieht, von dem er abgefallen ist und in das er wieder eingesetzt werden muß87. Die Form des Wortes ist sowohl „imputado" wie „vocatio"; durch das Wort wird der Mensch zu Leben und Gemeinschaft mit Gott „gerufen", so wie die Welt im Anfang durch den Ruf Gottes geschaffen und dem Menschen Christi Gerechtigkeit geschenkt wurde, damit er Gottes Ebenbild werde88. 84 W. Jetter betont in bezug auf den jungen Luther: Die Sakramente „tun ihr Werk und kommen zum Ziel mit der ganzen neuen Schöpfung, wie sie jetzt schon in der Kirche da ist. Hier geschieht das neuschaffende Heilswerk, das Gott dem Sohn anvertraut hat, und hier gerät es wie all sein Werk wohl": W. Jetter 1954, S. 184. In Luthers Hebräerbriefvorlesung (1517/18) heißt es: „A Deo enim vivo disceditur, dum a verbo eius disceditur, quod est vivum et omnia vivificans, imo Deus ipse, ideo moriuntur. Qui non credit, est mortuus": WA 57(3), 148,12—14 H e b r 3 , 1 2 . Vgl. in Operationes in Psalmos 1519—21: „Euangelium autem vivificat et veritatem facit in hominibus": WA 5,544,6 (Ps 19, 2), desgleichen auch mehrfach im Genesiskommentar 1535—45, u.a. WA 42, 48, 11 ff. (Gn 1,26) und ib. 54,15 (Gn 1, 28). 85 Wort und Tat gehören also zusammen, denn in seinem Wort offenbart Gott sein Handeln in der Schöpfung. „Denn also thut Gott mit uns, das er uns beyderley furlegt: Sein Werck und sein Wort": W A 2 3 , 1 8 9 , 2 3 f . (Daß diese Wort Christi . . . 1527 Dr). 86 WA 37, 317,16 (Predigten 1534 L k l l , 14ff.). Vgl. WA 26, 505, 38—506, 9, zitiert oben Anm. 15. Dies ist möglich, da Christus den Teufel besiegt hat: WA 36, 400, 37; ib. 402,4 (Predigten 1532). Vgl. audi WA 38, 471, 8 ff. (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538) und WA 49, 356,12 (Predigten 1544). 87 „Siehe, wenn nu das liecht, die vornunfft, der allte dunckel, tod ist, finster, unnd ynn eyn new liecht vorandert worden, sso muss denn audi yhm folgen und vorandert werden das gantz leben und alle krefft des menschen": WA 10/1,1,233, 7 (Kirchenpostille 1522 Joh 1,1—14). „Gott . . . gibt das wort für die seele und das werde fur den leib": W A 2 3 , 189, 34ff. (Dass diese Wort Christi . . . 1527 Hs). Gottes Gebote werden also im Glauben entdeckt als etwas, dem der Mensch in seinem Handeln in der Welt bereits unterworfen ist. Vgl. G. Wingren 1958, S. 73 (dt. 1960, S. 67). 88 „Denn wenn Gott den glawben schaffet im Menschen, so ists jah so eyn gross werde, als wenn er hymel und erden widder schaffet": WA 12, 270, 22 f. (Ep. S.Petri gepred. 1523 l P e t r l , 5 ) . „Pater facit in corde imaginem, qualis ipse est, quae est filius, deinde habet ein mut, hic est spiritus sanctus. Iam nos credimus unum tantum creatorem esse, ergo unus deus est. Deus creasse dicitur in scripturis per verbum suum et per spiritum ..." : WA 17/1, 280, 25ff. (Pred. 1525 Joh 3, I f f . Roth). Luther denkt sich dies Heilshandeln Gottes durch sein Wort als eine Schöpfung Gottes „ex nihilo". Luther verknüpft also G n l , l und Rom 8,26 miteinander. „ . . . quamquam revera nihil différât creatio et recrea-

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Daher kann Luther sagen, wer recht an Gott als den Schöpfer glaube, „dem ist schoen geholfen, und er ist zu recht bracht und dahyn kommen, da Adam von gefallen ist" 89 . Das Bild Gottes, das in Adam verlorenging, ist in Christus offenbart und verwirklicht, damit wir es anziehen und ihm gleich werden mögen. Christus ist das „himlisch bilde", das vollkommene Bild Gottes und damit auch der Wiederhersteller der ganzen Schöpfung90. „Da kombt nu Jhesus Christus, Gottes sson, und hebt die creatur wider auff, die der teuffei durch die sund sso verterbet hat und bringt sie wider zurecht." 91 Die ursprüngliche Reinheit der Schöpfung kommt also von Christus, der allein gerecht ist, und im Glauben an ihn wird der Mensch ein „novus homo, qui secundum deum creatus est in justicia et sanctitate veritatis, iuxta psal. 51 [V. 12] cor mundum crea in me, deus" 92 . Das Evangelium schafft das reine Herz, das auf Gott vertraut, und öffnet damit auch die Augen für den Willen Gottes in det ganzen Schöpfung. Daß das Wort dem Menschen Leben schenkt, bedeutet also erstens, daß die innere Lebensverbindung mit Gott wiederhergestellt wird, wodurch er mit der vollkommenen imago Dei vereint wird. Dies aber schließt, wie wir sahen, nicht nur ein, daß Gott im Inneren geehrt wird, sondern auch, daß der Mensch im Äußeren zu seinem ursprünglichen Leben zurückkehrt, daß er in seiner Ganzheit im Verhältnis zu Gott, zu den Dingen und zum Nächsten „Frieden" findet93. Das Gesetz hemmt nur das Böse im Äußeren und verwirklicht somit nur eine äußere Gerechtigkeit, es hat nur Ansprüche an den Menschen. Das Evangelium dagegen hält ein Geschenk für ihn bereit. Es ist ein „gesegnetes" Wort, das schenkt, was es fordert. Wenn Gott Christus als den wahren Menschen proklamiert, als das tio, cum utraque ex nihilo operetur, et omnis creatura sit opus manuum dei . . . Quid ergo est annuntiari opera manuum dei nisi docere, veterem hominem crucifigi et novum indui, mori Christo et resurgere cum Christo . . . " : W A 5, 544, 9 — 1 4 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 — 1 5 2 1 Ps 19, 2). Vgl. W A 1, 183, 3 9 f f . (Die sieben Bußpsalmen Ps 38 1 5 1 7 ) sowie weiter unten K a p . V I , 3. Bereits in Luthers „Scholia in librum Genesis" ( 1 5 1 8 ) w i r d dies zum Ausdruck gebracht bei der Auslegung v o n G n 1. Die Arbeit des ersten Tages bezieht sidi auf die Rechtfertigung: „Nihil itaque restât, nisi quod spiritus domini incubât super faciem aquarum . . . Tandem dicit deus ,fiat lux', p r o qua orabat spiritus, idest novus homo": W A 9, 3 3 1 , 3 — 8 (Gn 1 , 1 ) . U n d im Genesiskommentar 1 5 3 5 — 4 5 kehrt dieser Gedanke u . a . in folgendem Zusammenhang w i e d e r : W A 43, 386, 3 2 f f . und ib. 3 8 7 , 1 8 f f . (Gn 25, 21 b) ; W A 4 4 , 4 7 2 , 30 ff. (Gn 42, 6 b. 7). W A 1 2 , 4 3 9 , 1 8 f. (Predigten 1 5 2 3 Einl. zu G n P r e d . ) . S. o. A n m . 69. „Sic Christi officium est . . . in hac v i t a restituere genus humanum in amissam illam innocentiam . . . " : W A 39/1, 375, 4 f. (Disputatio prima contra Antinomos 1537). 9 1 W A 4 5 , 1 8 , 5 (Predigten 1537). 9 2 W A 2, 6 1 4 , 28 (Galaterbriefkommentar 1 5 1 9 D r Gal 6 , 1 5 ) . 9 3 S . u . K a p . V I , 2, A n m . 6 1 . Dasselbe Thema in Luthers Predigt über L k 2 , 1 4 1530 ( W A 32, 2 8 1 ff.). Vgl. audi W A 46, 5 6 1 , 37 ff. (Auslegung des ersten und zweiten Kapitels Johannis J o h l , 4 ) , w o die Wiederherstellung als Zurückgeben des Lebens, zu dem der Mensch geschaffen sei, charakterisiert w i r d , und W A 42, 242, 4 1 (Gn 4, 26), w o gesagt w i r d , daß die Aufrichtung durch das W o r t auch Trost in äußerer Not bedeute, sowie W A 8, 378 ff. (Evangelium v o n den zehn Aussätzigen 1 5 2 1 Lk 1 7 , 1 5 ) , w o „das Wiederkommen" bezeichnet w i r d als das Gott die Ehre geben durch ein „willig, gleichmütig, gelassen stehen". 88

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sacramentum, in d e m G o t t die Ehre g e g e b e n wird, schenkt er die Gerechtigkeit, w e l c h e Christus für alle e r w o r b e n hat 9 4 , u n d macht damit die G l ä u b i g e n z u E b e n bildern seines Sohnes 9 5 . I n Christus ist indessen auch etwas vollendet, was der V o l l k o m m e n h e i t A d a m s fehlte. Christus ist das H a u p t der neuen Schöpfung, er hat die dämonische Macht der V e r s u c h u n g ü b e r w u n d e n u n d d e m M e n s c h e n das verlorene L e b e n i n der G e meinschaft mit G o t t erworben. W i e Christus w e r d e n bedeutet also, ein ganzer u n d wahrer M e n s c h werden, der v o n den T o t e n auferstehen wird, u m hinfort nicht mehr z u fallen. D a s Einzigartige bei Christus, das i h n v o m konkreten M e n schen unterscheidet, ist, daß G o t t u n d M e n s c h in seiner Person ganz vereinigt sind 9 8 . D a s W o r t ward Fleisch; Schöpfer u n d S c h ö p f u n g sind eins. Christus ist daher A n f a n g , Mitte u n d E n d e der ganzen S c h ö p f u n g 9 7 . D u r c h u n d für dieses Wort, das in der Christusoffenbarung hervortritt, ist auch der M e n s c h geschaffen 9 8 , u n d alles, w a s der M e n s c h i m Fall verloren hat, wird durch dies sakramentale Wirken des W o r t e s zurückgegeben, durch „das grosse Sakrament", die Inkarnat i o n Christi 9 9 . D e r Gedanke, daß Ursprung u n d Ziel des M e n s c h e n i n Christus offenbart u n d verwirklicht sind, bedeutet deshalb nicht nur, daß m a n das W o r t hört oder passiv empfängt, sondern auch, daß Christus als sacramentum er94 »Hoc est artis, transilire a meo peccato ad iustitiam Christi, das idi so gewiss weiss, das Christi frumkeitt mein sei . . . in huius nomine sum baptisatus, sacramenta accipio, catechisor, der nimbt sich unser an . . . " : WATi 2, 65, 8—13 (1532). Vgl. WA 51, 282,29— 283,13 (Der 23. Psalm über Tisch ausgelegt Rörer Dr 1536 V. 3). 85 „ . . . deus facit omnes sanctos suos conformes fieri imagini filii sui . . . " : WA 3, 46, 32 (Dictata 1513—16 Ps 4). Luther unterscheidet hier einen dreifachen adventus Christi: (1) im Fleische, (2) im Geiste und (3) in der Herrlichkeit: WA 4, 344,5—15 (Ps 118 [119], 76). Der reformatorische Luther bezeichnet die Rechtfertigung sola fide als den zweiten adventus, d.h. den im Geiste, und die Rechtfertigung bedeutet deshalb nicht eine „iustitia formalis seu activa, qua Deus est iustus et peccatores iniustosque punit", sondern „iustitia dei, non qua deus iustus est, sed qua induit hominem, cum iustificat impium". Siehe K.Bauer 1928, S. 35. Es handelt sich also hier nicht um zeitlich voneinander zu trennende Epochen, sondern eher um ein heilsgeschichtliches Handeln am konkreten Menschen, wodurch das Gesetz und damit die formale Betrachtung durchbrodien wird. Hierzu s. u. Kap. V, 2. 96 „Creatura est in vetere lingua id, quod creator creavit et a se separavit, sed haec significatio non habet locum in creatura Christo. Ibi creator et creatura unus et idem est" : WA 39/11, 105, 4—7 (Die Disputation de divinitate et humanitate Christi 1540). Vgl. auch ib. 29, 31 ff.; 94,19—38; 110,19 f. 67 WA 46,560, 34 (Auslegung des 1. und 2. Kap. Joh. 1537 J o h l , 3 ) . 98 „ . . . i n filio sint omnia et facta per ipsum omnia": WA 57(1), 78, 11 (Römerbriefvorlesung 1515—16 Rom 8,32). „.Durch den glauben mercken wir, das die Welt durch GOTTES wort gemadit ist, das alles, was man sihet, aus nichts worden ist [Hebr 11,3].' Wil sagen: wir mercken, das durch Christum, der des Vaters Wort und Weisheit ist, die weit gemacht ist, und das der Vater durch denselben fur und fur das unsichtbare und, da nichts ist, herfur bringet, das es sichtbar und etwas wird, U t ex invisibilibus visibilia fierint . . . nicht als ein Zuseher, sondern ist gleicher Schoepffer und Mitwircker gewesen, und wird alles durch jn noch regieret und erhalten bis zum ende der weit, denn er ist aller creaturn anfang, mittel und ende" : WA 46, 560,16—34 (Auslegung des ersten und zweiten Kapitels Johannis Joh 1,3 1537). e * „Sacramentum hoc magnum est, quod angelo paranympho desponsata est filio Dei humana natura in b. Virginis persona": WA 3, 128, 29f. (Dictata 1513—16 Ps 18,6). Vgl. W. Jetter 1954, S. 176 f.

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neuernd wirkt, weil er selbst der verherrlichte, vollkommene Mensch, der Herr der Schöpfung ist. Genau wie er am Schöpfungswerk mitwirkte, so wirkt er auch jetzt am Erlösungswerk mit. Er zeugt von Gottes Schöpfermacht und übt sie aus. Daher auch gehört die „explicado" des Wortes, seine Austeilung und sein Ausgehen, zum Wesen des Wortes. Christus ist also nicht als Urbild und Idealbild, sondern als Erlöser gegenwärtig in der Verkündigung des Wortes und wirkt so selbst die Erneuerung, wenn er im Glauben entgegengenommen wird. Der Inhalt des Wortes und die Situation des Hörers sind so eng miteinander verbunden, daß sie sich nicht trennen lassen. Erst in der Form der Anrede oder Austeilung wird das Wort Gottes zu dem, was zu sein es bestimmt ist, erst in ihr tritt sein „proprium", seine lebenspendende Kraft, hervor, und erst in der Situation des Hörens oder der Entgegennahme wird auch der Mensch das, wozu er bestimmt ist, wird sein „proprium" offenbart. Der Inhalt des Wortes ist also das „Ein-Leib-werden" des Menschen mit Christus100, das „proprium verbi" ist das „proprium hominis", d. h. Gemeinschaft mit Gott durch Befreiung von der Verdammnis des Gesetzes, der Sünde und des Todes101. Das Evangelium und der Glaube werden deshalb mit der Auferstehung Christi verbunden, d.h. mit dem Verherrlichten Christus, der jetzt zu den Menschen als Erlöser kommt. „Wenn man wil das Evangelium predigen, so muss es kurtz umb sein von der aufferstehung Christi." 102 Denn „Christus dividit resurrectionem per verbum, Sacramentum baptismi et altaris" 103 . Das Hören des Wortes von Christus bedeutet aber zunächst Empfang der Verheißung der Auferstehung, und das Evangelium nur die Botschaft von Christus als dem Wiederhersteller des gefallenen Menschen. Was Christus getan hat und was er durch das Wort jetzt unablässig tut, gehört also zwar eng zusammen, ist aber nicht beides identisch. Daß bei Luther vom Schöpfungsgedanken aus Verbindungslinien nach verschiedenen Richtungen verlaufen, hängt jedoch gerade mit dessen Bezogenheit auf den Inkarnationsgedanken zusammen104. Wie Schöpfung und Fall für Luther Ereignisse sind, die unablässig vor sich gehen, so ist auch die Inkarnation ein Wiederherstellungsgeschehen, das jetzt in, mit und unter dem Schöpfungs1 0 0 Die Inkarnation Christi ist ein sacramentum, dessen Inhalt es ist, daß Gott sich f ü r alle Menschen hingibt. So ist audi der sakramentale Inhalt der Predigt f ü r den konkreten Menschen, daß er darin empfängt, was Christus f ü r alle getan h a t : s. R. Frick, Luther als Prediger (Lutherjahrbudi Jg. 2 1 , 1 9 3 9 , S. 35 f., 54 f., 58 f. und 7 1 ) . 1 0 1 „Evangelium propria definitione est promissio de Christo quae libérât a terroribus legis, a peccato et morte" : W A 39/1, 3 8 7 , 2 (Die erste Disputation gegen die Antinomer 1537). 102 W A 12, 2 6 8 , 19 (Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt 1. Bearbeitung 1 5 2 3 IPetr 1 , 3 ) . 1 0 8 W A 2 7 , 1 1 9 , 1 7 (Predigten 1528). 1 0 4 Luthers Lehre v o n Gesetz und Evangelium ist somit aus seiner Christologie in ihrem Zusammenhang mit dem Sdiöpfungsgedanken entwickelt und kein selbständiges Gebäude, in welchem die Christologie und der Schöpfungsgedanke bloße Inventaríen sind: vgl. E. Thestrup Pedersen 1 9 5 9 , S. 1 1 7 . Andererseits sind weder die Christologie noch der Sdiöpfungsgedanke selbständige Prinzipien, sie stehen vielmehr miteinander in engem Zusammenhang durch den Gedanken v o n Christus als dem Wiederaufrichter der Schöpfung.

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g e s c h e h e n v o r sich geht. Christus ist der Auferstandene u n d daher der lebendige Herr, der jetzt i m Wort erneuernd i n der S c h ö p f u n g wirkt 1 0 5 . W i e Christi menschliche u n d göttliche Natur, so ist auch das Offenbaren des Wortes m i t d e m Neuschaffen des Geistes G o t t e s unlöslich verbunden 1 0 6 . G e n a u w i e das W o r t u n d der Geist in Christi Menschlichkeit g e g e n w ä r t i g sind, so sind sie es auch in der Predigt, der T a u f e u n d d e m A b e n d m a h l als d e m O r g a n des Wortes, das Christus u n d den Geist offenbart, welcher bei d e m H ö r e n d e n den Glauben schafft, der i h n vorausgreifend mit Christi Auferstehungsleben verbindet 1 0 7 . A u c h Luthers E k k l e s i o l o g i e kann gerade v o n diesem S c h ö p f u n g s - u n d Inkarnationsgedanken her verstanden werden. W i e Christus auf E r d e n wandelte u n d den M e n s c h e n das W o r t G o t t e s predigte, so geht er auch i n der V e r k ü n d i g u n g einher u n d streut das W o r t aus. A u s dieser V e r k ü n d i g u n g wird durch den Geist G o t t e s die Kirche geschaffen, u n d aus ihr erwächst so das neue G o t t e s v o l k , die neue Welt, in welcher G o t t i n allem geehrt wird. D i e Kirche wird also dadurch k o n stituiert, daß die Verkündigung des E v a n g e l i u m s v o n Christus i n ihr erklingt u n d dadurch der Schöpfer-Geist i n ihr wirkt 1 0 8 ; das E v a n g e l i u m ist daher die Erfüllung des G e b o t e s G o t t e s u n d damit das Wiederherstellungsmittel für die gefallene S c h ö p f u n g , u n d die Kirche ist ganz u n d gar die S c h ö p f u n g Gottes oder die S c h ö p f u n g des Wortes u n d des Geistes, die unaufhörlich heranwächst, w o das W o r t erklingt, u n d die Christi „ B i l d " Gestalt w e r d e n läßt, w o der Geist wirkt 1 0 9 . ios D¡ e s wird in der Lehre von der communicatio idiomatum bei Luther ersichtlich. Diese Lehre wird von R. Prenter und T. Bohlin abgelehnt als ein dem Luthersdien Glaubensbegriff fremdes Lehngut: s. T. Bohlin 1927, S. 215, R. Prenter 1951/53, S. 357ff. (dt. 1958/60, S. 325 ff.), sowie seinen Artikel „Kristologi" in N T U II, Sp.476. H.Olsson 1934, G.Wingren 1949 (dt. 1959 2 ), R. Bring 1950 sowie Torgny Bohlin 1952 betonen dagegen stark die rein systembauende Bedeutung der Lehre von der communicatio idiomatum bei Luther. Der Ausdruck kommt jedoch nicht häufig vor, sondern wird durch andere Begriffe ersetzt. Er steht aber in einem klaren Zusammenhang mit Luthers Sdiöpfungsgedanken und Offenbarungsbegriff und darf auch nicht von seiner Dreieinigkeitslehre isoliert werden, in der es sich ebenfalls um eine Art „communicatio" handelt. S.o. Kap. I, S. 34 ff., sowie unten Kap. V,2, S. 214 f. 108 „Goth gibt uns von ersten das worth, damit er uns erleuchtet, darnach den H . Geyst, der in uns wircket unnd den glawben anzcundt": WA 9,632,32 (Predigten 1519—1521 Poliander Lk 1,26 ff.). 107 Siehe R. Prenter 1946 2 , S. 204 ff. (dt. 1954, S. 199ff.). 108 „Drumb in einer ¡glichen Pfarre, do die kinder getaufft werden und das Euangelium geprediget wirdt, auch Christus den menschen abgemahlet, das sie ihnen auffnehmen, da ist die kirche" : WA 47, 246, 26 ff. (Matth 18—24 in Predigten ausgelegt 1537—1540 Mt 18,5). 109 Luthers Kirchenauffassung orientiert sich also am schöpferischen Wort, d. h. an Christi Gegenwart in der Einheit von Wort und Schöpfergeist: s. z.B. WA 3, 258, 38 (Dictata super Psalterium 1513—16 Ps 44, 3 [45]), WA 11, 408,12ff. (Grund und Ursach 1523), WA 50, 593, 8—14 und ib. 629, 28 ff. (Von den Konziliis und Kirchen 1539). Im Genesiskommentar wird dies sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: „Ecclesia enim est filia, nata ex verbo, non est mater verbi": WA42, 334,12 (Gn 7,16—24). Ganz im Sinne Luthers sagt H.Besoldus in seiner Vorrede zum IV. Teil der Ausgabe der Genesisvorlesungen Luthers von dem Charakteristikum der Kirche im Unterschied zur Welt: „Sie haben das Dixit nicht, das ist Pater, so haben sie das Fiat nicht, das ist Filius" (WA 44, X X X I I ) , und

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Die Kirche steht deshalb immer in Gegensatz zu der Welt des Falks. Während es in dieser Welt „immer schlechter" wird 110 , wird es im Gegensatz dazu in der Kirche in gewissem Sinne „immer besser", denn dort ist Gott in seinem offenbarenden Wort und seinem lebenspendenden Geist, um den Menschen zu seinem rechten Ursprung zurückzuführen 111 . Die Kirche ist deshalb nicht nur der Ort für das Zeugnis von Christus, sondern selbst in ihrer Funktion ein Zeuge vom wahren Menschen. Die Kirche ist sowohl Volk Gottes als auch Wort Gottes, weil sie unaufhörlich den Glauben schafft und dadurch dem Menschen die Einheit mit Christus verleiht. Der Glaube ist die Inkarnation des Wortes und des Geistes bei dem konkreten Menschen, wodurch dieser gerechtfertigt wird112. Der Glaube und das Wort gehören also in der Kirche zusammen als Göttliches und Menschliches bei Christus113. Der Glaube ist der „usus" der Inkarnation, ihre „explicado", ihre Bedeutung „pro me" 114 , und die Kirche ist deshalb in ihrer Gesamtheit genau wie jeder Christ als ein lebendiges Wort anzusehen, das von Christus zeugt, und als ein Organ für die Schöpferkraft des Geistes116. Dieses Zeugen von Christus in der Kirche macht den Luther sagt selbst, daß Adam und Eva, da sie das offenbarte Wort Gottes besaßen, auch den Heiligen Geist hatten und daher die erste Kirche waren: WA 42, 72, 13—73, 15 (Gn 2, 9). S.o. Kap.IV. 111 „Creavit et dedit mihi vitam, animam, corpus et omnia bona, Christus hat midi gebracht ynn sein herrschaft per suum corpus, Et spiritus sanctus sanctificat me per verbum et Sacramenta, quae sunt in Ecclesia, et perfecte nos in extremo die sanctificabit" : WA 30/1, 94,15—19 (Predigten 1528 über den 3. Art. Rörer). 112 WA 50, 629, 28—632, 20 (Von den Konziliis und Kirchen 1539). 113 WA10/1,1,618,11—14 (Kirdienpostille 1522 Mt 2,12). 114 E. Thestrup Pedersen 1959, S. 140—143. 115 Luthers Kirchenbegriff wurde innerhalb der Lutherforschung sehr verschieden beurteilt. K . H o l l 1921, S.245—325, P.Althaus, Communio Sanctorum (FGLP I.R., Bd.I), München 1929, S. 23 f., und F.Kattenbusch, Die Doppelsdiichtigkeit in Luthers Kirchenbegriff, Gotha 1928, S. 203 f., betonen die Konzentration des Kirchenbegriffs auf die Kirche als „Personengemeinschaft" im Gegensatz zu einer äußeren objektiven Organisation, während E. Kohlmeyer, Die Bedeutung der Kirche für Luther (ZKG Bd.XLVII, N . F . X , 1928, S. 466—511), bes. S. 478 ff., dagegen den Kirchenbegriff bei Luther direkt von der Gottesoffenbarung als Inkarnation des Wortes her bestimmt sein läßt. Sich diesem teilweise anschließend, sieht M. Doerne, Gottes Volk und Gottes Wort (Lutherjahrbuch Jg. 14, 1932, S. 61—98), bes. S. 66—75, die Kirche bei Luther als eine lediglich eschatologische Schöpfung des Wortes Gottes; die Kirche ist also hier in der Zeit ganz verborgen. E. Seeberg, Luthers Theologie I, Göttingen 1928, S. 164 ff., findet bei Luther einen doppelten Kirchenbegriff, die äußere institutionelle Kirche, die auch die Unfrommen einschließt, und die innere, die Kirche der wahrhaft Glaubenden; nur die letztere ist verborgen. In allen diesen Fällen wird aber die Kirche als etwas aufgefaßt, in dem man sich Gott gegenwärtig denkt, im Gegensatz zu etwas, worin er niât gegenwärtig ist, z.B. der Natur, dem Äußeren, dem Institutionellen oder dem Zeitlichen. H . Olsson, Kyrkan sâsom uttryck för Luthers gemenskapstanke (SvTK 1935, S. 49—71) und Kyrkans synlighet och fördoldhet enligt Luther (En bok om kyrkan 1943, S. 306—326; dt. „Sichtbarkeit und Verborgenheit der Kirche nach Luther", in: Ein Buch v. d. Kirche, 1951, S. 338—360) gelingt es in ganz anderer Weise, den Zusammenhang des Kirchengedankens mit dem Schöpfungsgedanken herauszuarbeiten: s. bes. 1942, S.359. V. Vajta 1952, s. bes. S.253—269, verbindet auf überzeugende Weise die verschiedenen Motive des Kirchenbegriffes bei Luther mit seiner Recht-

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

Zeugen nicht gerecht, bahnt jedoch dem Leben einen Weg in die Welt des Falls hinein. Es hieße Luther gröblich mißverstehen, wollte man den „passiven" Charakter seiner Rechtfertigungslehre als Ausdruck einer kirchlichen Passivität auslegen. Der Glaube ist die Entgegennahme von Gottes Werk am Menschen, aber er macht den Menschen nicht zum Betrachter eines göttlichen Handelns, sondern bedeutet vielmehr das Geschaffenwerden des Menschen zum „Bilde Gottes", in dem Gott und seine Werke sich widerspiegeln; der Mensch des Glaubens ist selbst ein signum und Zeuge Gottes in der Welt des Falls. Durch das fertigungslehre, ohne diese vom Schöpfungsgedanken zu isolieren. Luthers Kirchengedanke ist also vor Wort (und Sakrament) her bestimmt, welches als schöpferisches Wort wirkt und den Menschen, der bereits unter der Herrschaft des Zornes Gottes steht, zum Dienst für Gott unter dem Zepter seiner Liebe befreit. Alle Menschen sind, auch wenn sie das Wort nicht hören, larvae Dei. Der Christ ist durch die Taufe außerdem „verbum Dei minister", Kind Gottes, Widerschein seiner Liebe. Um der Ordnung willen werden etliche ausgewählt, um der Gemeinde öffentlich das Wort zu verkündigen. Aber prinzipiell sind alle Christen als getaufte und in Christus einverleibte (s. z . B . WA 45, 661,24—663, 15 = Das X I V . und X V . Kapitel S.Johannis Joh 15,4) Träger dessen, was im Genesiskommentar das „duplex officium sacerdotis" genannt wird, d.h. „Primum, ut vertat se ad Deum et oret pro se et pro suo populo, Secundum, ut vertat se a Deo ad Homines per doctrinam et verbum": WA 42, 275,11 ff. ( G n 6 , 3). Das ministerium verbi ist also bei Luther nicht institutionalistisdi, sondern inkarnationalistisch gedacht: s. auch WABr 9, 610, 47—55 (Luther an Nikolaus v. Amsdorf 1542). Wo auch immer ein Christ im Gehorsam des Wortes Gottes steht, da ist auch Christus. Wo man aber dieses ministerium verbi aufhebt, sündigt man gegen den Heiligen Geist und läßt den Mächten des Aufruhrs und der Zerstörung freien Lauf: WA 42, 275, 16 ff. (Gn 6, 3). Da das Wort nicht in die Mauern der Kirche oder die Deckel der Bibel eingeschlossen noch an gewisse Menschen gebunden, andererseits aber auch nicht mit einer menschlichen Gemeinschaft identisch, sondern das lebendige Wort ist, das allen Leben schenkt (s. WA 12, 259, 8—260, 21 = Epistel S.Petri gepredigt und ausgelegt. Erste Bearbeitung 1523) und da das Wort „ein Bild" Gottes oder Christi ist (s. WA 10/1,1,187ff. = Kirchenpostille 1522 Joh 1,1—14), tritt es im äußeren Geschehen hervor und nimmt darin Gestalt an. Dieses Äußere aber besteht nicht nur aus den Sakramentszeichen in der Kirche, sondern auch aus den vielen verschiedenen larvae des weltlichen Regiments. Dort leben die verschiedenen Glieder der Kirche im Dienst am anderen. Die Kirche ist jedoch gleichzeitig etwas anderes als das weltliche Regiment, sie ist die neue Schöpfung, die Vollendung der Schöpfung, in der die Einheit, die im Fall zerrissen wurde, nicht nur wiederhergestellt, sondern auch vollendet ist; sie ist also audi eine eschatologische Größe. Erst mit der Auferstehung der Toten wird die Mannigfaltigkeit aufgehoben, in welcher Christus heute unter den Menschen lebt und wirkt. „Vita spiritualis est una: quia omnia unit, scilicet omnes sanctos in unum, omnia membra in unum etc. Sed vita mundi est multiplex, quia dispergit et multos facit . . . Et tot sunt vite in mundo, quot obiecta concupiscente" : WA 3, 361,26—29 (Dictata super Psalterium 1513—16 Ps 62 [63], 5, 6). Die Kirche geht hinaus zu den Menschen und dient ihnen, wie Christus ihnen diente. In ihrem Zusammenhang mit Christus liegt die Universalität der Kirche hier in der Zeit beschlossen: WA 1 8 , 6 2 9 , 1 7 f f . (De servo arbitrio 1525); vgl. WA 5 , 4 5 1 (Operationes in Psalmos 1519—1521). Ihre Sukzession ist „sucsessio fidelium", so schon in WA 4,169, 31 (Dictata super Psalterium 1513—16 Ps 103 [104]); vgl. WA 2, 194,5—8 (Resolutio Lutheriana super propositione X I I I de potestate papae 1519). Der Zusammenhang des Kirchengedankens mit dem Schöpfungsgedanken wird besonders deutlich in Luthers Predigt inTorgaul544 (WA 49,588ff.). Dieser Zug des Lutherschen Kirchenbegriffes wird nur als einer unter allen anderen Aspekten dieses Begriffes angedeutet bei G. Rupp 1953, S. 310—328, und W. Pauck, The Heritage of the Reformation, Boston 1950, bes. S. 31.

1. V e r b u m et fides

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Geschenk der Hoffnung auf das ewige Leben werden nämlich des Menschen Gebet, Lobgesang und Dankbarkeit erweckt 116 ; er wird getrieben, Christus zu dienen und dadurch von ihm zu zeugen 117 , und indem Christus und der Mensch somit nicht nur im Glauben, sondern auch in der Liebe vereint werden 118 , wenn immer sie in Gebet und Arbeit des Menschen eine Person werden, werden die Forderung und die Gabe des Gebotes erfüllt, wird der Mensch zum Mitarbeiter Gottes, der nicht von meritum und Verdienst spricht, weil Gott selbst im Gehorsam seines Wortes gegenwärtig ist u e . Christus inkarniert sich also im inneren Vertrauen und Glauben des Herzens und in äußeren konkreten Werken. In diesem Sinne ist jedem Menschen das Wort anvertraut, damit es an die anderen weitergegeben werde, an jeden Stand und jedes Amt 120 , denn „Gottis dienst ist nit an eynss oder tzwey werck gepunden, auch nit ynn eynen odder tzween stend gefasset, ssondernn ynn alle werck und alle stendt geteyllet"121. Nur wenn „die geystliche krafft" des Wortes auf diese Weise „getrieben" wird, kommt es zur rechten „Übung" und kann unter den Menschen „wachsen"122. Die Werke des Christen werden also nicht als Bedingung für die Erlösung angesehen, sondern als eine „Frucht" des Geistes, aber diese Frucht ist nur die Weise des Menschen, in der rechten oder ursprünglichen Beziehung zu Gott und der Mitschöpfung zu leben; der Wille Gottes begegnet ihm ja niemals unabhängig von der Forderung, dem Nächsten zu dienen und sich die Kreatur dienstbar zu machen. Der Glaube des Menschen ist ganz Gottes Werk, aber Gott bedient sich immer der menschlichen Zunge und des menschlichen Ohrs123. Der Christ steht bei der 118 WA 7, 550,5 ff. (Das Magnificat 1521). Maria ist „das aller furnhemist exempel der gnaden gottis" (ib. 569,19) oder deren vornehmster „Zeuge" (ib. 568, 21 ff.; 569, 31 ff.). 117 Dies ist der Grundgedanke in dem Sermon vom heiligen Leichnam und von den Bruderschaften 1519 (WA 2, 742—758). Die „Passivität" des Christen ist Begegnung mit dem Schöpfer und darum audi Bewegung. Vgl. W. Joest 1951, S. 26. 118 „ . . . iustitia fidei est divinitas, illa suscipit opera tamquam humanitatem et fiunt una persona, ut in Christo divinitas et humanitas . . . Sic hie fides sola iustificat et longe antequam opera veniunt. Sic Christus antea longe dei filius. Per fidem solam fis filius dei, quando vero fit homo i. e. nimpt die werck an, facta fides ein rechter euserlicher mensdi: WA 27,127,17—24 (Predigten 1528 Rörer). 119 Das Wort vereinigt sich mit der Seele, so wie das Feuer das Eisen durchglüht: WA 7,24, 33 (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520). „ . . . sumus pars Ecclesiae, quae certum mandatum habet orandi. Non igitur indignitatem tuam: sed mandatum Dei intueberis . . . " : WA 43, 84,1—3 (Gn 19,21—22). „Sic cum oramus, sumus ipsi quoque Prophetae . . . nec opus est, ut futuri eventus nobis revelentur": ib. 136, 38 f. (Gn20,17—18). „Ideo positi sumus ad varia offitia administranda, ut simus adiutores, seu .cooperatores D e i ' " : ib. 81, 21 f. (Gn 19,18—20). „ . . . sed divinae maiestati placuit hominum ministerio et opera uti: Ut scilicet ostenderet mirabilem et divinam suam potentiam in creaturis suis, quas non voluit esse ociosas": ib. 68, 22 ff. (Gn 19,14). „ . . . non enim vult Deus gubernare nos secundum voluntatem secretam: sed regulatam et patefactam verbo": ib. 82,19 ff. (Gn 19,18—20). „Dei enim mandatum est, ut facias tuum offitium et ipse per te vult operari": ib. 82, 39 f. (Gn 19,18—20). 120 WA 41, 211,14 f. (Predigten 1535 Dr. Ps 110). 121 WA 10/1, 1,413,7ff. (Kirchenpostille 1522 Lk 2, 36,37). 122 WA 14, 22, 32—23, 6 (Die ander Epistel S.Petri 1523/24 2Petr 1, 10). 123 Vgl. oben Kap. II.

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Kapitel V : Offenbarung u n d Wiederherstellung

Entgegennahme des Evangeliums im Glauben nicht einem neuen Gebot gegenüber, sondern entdeckt nur den rechten Inhalt des mandatum Gottes 124 . Er 2eugt nur von dem „Bild" — Christus —, durch das und zu dem er geschaffen ist 125 . Der Mensch ist also in seinem Glauben wie auch in seinem Unglauben immer aktiv. Und das entspricht ganz der Aktivität des Wortes als Gesetz und Evangelium. Die Aktivität des Unglaubens ist die der Werkgerechtigkeit (Gesetzesgerechtigkeit), der Wille, seine Gerechtigkeit unter Umgehung des Wortes zu leisten und die Schöpfung zum Götzendienst zu mißbrauchen. Die Aktivität des Glaubens bedeutet, Gott die Ehre zu geben, indem man die Gerechtigkeit im Wort entgegennimmt und die Schöpfung auf rechte Weise gebraucht (Gerechtigkeit des Evangeliums, des Glaubens). Der Glaube ist also Gott als dem Schöpfer der Gerechtigkeit gegenüber „passiv" in dem Sinne, daß der die Gabe Gottes empfängt, er ist aber aktiv in dem Sinne, daß er von dieser Gabe erfüllt wird und in ihr lebt. Denn durch den Glauben wird Christus im Herzen des Menschen geboren, damit er Gott die Ehre geben soll 126 . Die glaubenschaffende Funktion des Wortes ist also nicht von der werkeschaffenden zu trennen. Diese beiden Funktionen gehören mit zu dem restituierenden Moment 127 . Hier aber rückt nun das eschatologische Element des Wortes in den Blickpunkt. Die Inkarnation des Wortes, seine kirchenschaffende Funktion, hebt — wie wir sahen — den Abstand zwischen Geschöpf und Schöpfer, Gesetz und Evangelium, Innerem und Äußerem nicht auf. Genau wie Adam nicht zu einem vollkommenen Leben geschaffen war, sondern dazu, vollkommen zu werden, so wird dem konkreten Menschen, der das Evangelium hört, das Versprechen des ewigen Lebens geschenkt128. Die Erneuerung in der Taufe ist daher nicht Endziel sondern 124 Dies ist der Gedanke hinter Luthers Worten, daß die guten Werke des Christen „zaychen und sigel" sind, daß seine „frumkeit" „recht schaffen sey": WA 10/1,2,318,12—23 (Sommerpostille 1526 Lk6,36—42); WA 10/III, 278, 3—8 (Predigten 1522 Lk 16, Iff.); WA 40/1, 578, 23 (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 4, 6). 125 „Der glauben muss heraus und muss bekennet und drauff beharret sein, sonst verschwindt der glaub wider; den es giltt nicht, wie die Priscillianisten lereten: Domi, in ecclesia fateri, coram tyrannis negare. Drumb heisst hie confessio: Totius vitae perseverantia . . . " : WATi 5, 20, 29—21, 2 (Matthesius 1540). „reliquiae ceu seminarium servatae sunt, per quas etiam gentes an Christi cognitionem venerunt. Ita Ecclesia semper conservata est divinitus in Mundo per eum, qui Serpentis caput contri vit": WA 42, 424, 16 ff. (Gn 11, 10); s. audi ib. 423, 19 ff. Das Handeln des Christen in der Welt ist als „Übung" eindeutig „Nachfolge Christi", d.h. von Gottes eigenem Handeln getragen und von dem, der vorausgegangen ist, bestimmt. Die Werke des Christen sind also nicht nur Symbolfunktionen oder Reflexe von Christi Handeln, sondern dadurch, daß man von Christus Zeugnis ablegt, wird man f ü r seinen Nächsten in gewissem Sinne ein Christus. 128 H . 0stergaard-Nielsens strenge Alternative (s. ders. 1957, S. 15): entweder aktive Gerechtigkeit (d.h. die der Egozentrizität) oder aber passive Gerechtigkeit (d.h. die des Glaubens), ist nicht ganz falsch, aber 0stergaard-Nielsen vergißt, daß der Mensch nach Luther eigentlich immer aktiv ist. Vgl. dazu G. Wingren, Predikan, S. 153 (dt. Die Predigt, S. 142 f.) und WA 40/1, 610, 15 ff. (Galaterbriefkommentar Dr. 1535 Gal 4, 9), WA 9, 519, 23 ff. (Predigten 1519—1521 Poliander) und unten Kap. VI, 3. 127 „Das erster stuck" ist das Erwecken des Glaubens, „das ander stuck" das Erschaffen der Werke der Liebe: WA 10/1,1,100, 8 (Kirchenpostille 1522); ib. 12,12; 14,13; 75,11 ff. Siehe hierzu H . Ivarsson, Predikans uppgift. Diss. Lund 1956, S. 114ff. 128 WA 42, 49 f. (Gn 1,26).

1. Verbum et fides

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Anfang·2*, das Abendmahl ein freudiger Vorgriff auf das Gastmahl im Himmel130 und die Predigt „ein Wort des Glaubens, eine verborgene Weisheit, ein Verstand der Geringen"131. Die Kirche soll daher in der Welt des Falls nicht regieren, sondern nur Christus verkündigen und dadurch den Menschen dienen und das Gesetz der Sünde und des Todes bekämpfen, indem sie vom Auferstehungsleben zeugt132. Was Gott so durchs Wort in der Kirche im Herzen des Menschen schafft (agit), läßt er verborgen sein133. Die Gerechtigkeit des Christen ist eine fremde und sein Leben ein ^ukünftiges, das an dem, der glaubt, einmal ganz offenbart werden wird 134 ; er ist hier im Leben „simul iustus et peccator"135, er steht immer unter dem Wort der Ermahnung, und das Wort hört somit in dieser Zeit nie auf, gleichzeitig Schaffen und Gebieten zu sein136; es offenbart einmal den alle Grenzen sprengenden Charakter des Zukünftigen, zum andern den Übergangscharakter des Gegenwärtigen, denn in der Verkündigung enthüllt es in dem Maße, in welchem es Glauben schafft, daß es Christus ist, der in uns leidet, daß Gottes „eigentliches" Werk in seinem „ f r e m d e n " vor sich geht, und die Rechtfertigung allein aus dem Glauben verleiht somit nicht den vollkommenen Besitz der Gerechtigkeit vor Gott, sondern meint nur ein Gott-recht-Geben in seinem Gericht über den ungerechten Menschen des Falls, der in Gemeinschaft mit Gott Leben und Sündenvergebung besitzt und damit die Kraft, die sich in Schwachheit offenbart13'. Glaube und ewiges Leben gehören für Luther zwar eng zusammen, aber Glaube ist doch keine Erhebung des Menschen auf eine höhere Ebene, sondern umgekehrt sein Verbundenwerden mit seinem Ursprung und Ziel, d.h. sein hoff120 Im Sermon von dem Sacrament der Taufe 1519 ( W A 2, 727—737) ist die Erneuerung der Taufe esdiatologisch gefaßt. Die Taufe ist gleichzeitig Rechtfertigung und Erneuerung. Diese Auffassung wird nicht dadurch aufgehoben, daß Luther in seiner Auseinandersetzung mit den Schwärmern Ende der zwanziger Jahre die Taufe als eine für das ganze Leben verpflichtende Aufgabe betont: s. K.Brinkel 1958, S. 58. 130 U . M a n n 1957, S.200. 131 „ . . . Christus locutus est de celo et futura vita, cum non solum superent omnem intellectus altitudinem, sed eciam omnem desiderii latissimam capacitatem. Igitur testimonium Domini verbum fidei, sapiencia abscondita, intellectus parvolorum est" : WA 57 (3), 139,7—10 (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 Hebr 3, 5). 132 H . Obendiek 1931, S. 251. 133 W A 57 (3), 237, 17 (Hebr 11, 8). 134 W A 56, 290, 30—291, 14 (Römerbriefvorlesung 1515—16 Rom 4, 7). 135 „Sic homo Christianus simul iustus et peccator, Sanctus, prophanus, inimicus et filius Dei est": W A 40/1, 368, 2 6 f . (Galaterbriefkommentar Dr. 1535 Gal 3,6). 136 Die Christiana opera sind „opera post fidem . . . fructus fidei" : W A 29, 492,20 f. (Predigten 1529 Lk 16, I i i . ) . Dem Glauben entspringen mit Notwendigkeit Werke wie dem Baum die Frudit: W A 17/1, 376, 14 (Predigten 1525 Lk 16,1 ff.). Das Interessante aber ist, daß der Frucht-Gedanke nicht im Gegensatz zur Parainese steht. An den Ermahnungen, gute Werke zu tun, wird ausdrücklich festgehalten, u. a. mit der Begründung „ut scias, das du dester frischer hin an ghest": W A 17/1, 378,13. Da Gebieten und Schafifen im Handeln Gottes zusammengehören, wie Gühloff gegen Holl betont (s. Gühloff 1939, S. 30), schafft Gott, indem er befiehlt, auch die Möglichkeit des Glaubens. In einer Welt ohne Forderungen kann der Glaube nämlidi nicht existieren. Solange Gottes Schaffen vor sich geht, ist der Mensch daher simul iustus et peccator. Erst wenn er am Jüngsten Tage fertiggeschaffen sein wird, ist er nur iustus (s.u. Kap. VI, 3). 137 E.Thestrup Pedersen 1959, S.156.

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

nungsvolles Erwarten der Vollendung. Der Geist des Menschen ist also nicht als etwas nur Menschliches gedacht, mit dem sich der Geist Gottes verbindet, und der Geist (oder die Gnade) Gottes ist nicht als etwas aufgefaßt, was im Gegensatz zur Schöpfung steht; der Glaube bedeute vielmehr die Wiederherstellung der Schöpfung. E s handelt sich also nicht um eine völlige Distanz, noch um totale Identität; Schöpfung und Erlösung gehören nur im Stadium der Vollendung des Schöpferwerkes ganz zusammen 138 . Im Wort und Glauben empfängt der Mensch jedoch einen Vorgeschmack des ewigen Guten, das Gott ihm einst schenken wird. Die Gemeinschaft mit Christus im Wort und Glauben ist eine unio, die dem Menschen ihrem Wesen nach erst im zukünftigen Leben enthüllt werden wird. E r besitzt nur den „Namen des Herrn", unter dem jener selbst verborgen gegenwärtig ist 139 , d.h. er hat seine Güter nicht 138 „Schöpfung, Erhaltung und Weltregierung ist etwas anderes als Heil, Erlösung und Vollendung, aber beide dodi Gottes allmächtiges Handeln": F.Brunstäd 1957, S. 121. Vgl. G. Wingren 1958, S.43, Anm.4 (dt. 1960, S.39, Anm.70). Von dieser Auffassung ausgehend, wird es unmöglich, wie K.Barth alle Aussagen zu Heilsaussagen zu machen, aber ebenso unmöglich wird es auch, wie H. Lindström (Om människovärdet. Bidrag tili en kristen anthropologi, Stockholm 1951), alle Aussagen zu Aussagen über das Schöpfungswerk zu machen. Schöpfung und Erlösung sind für Luther in gewissem Sinne nicht identisch. „So unterscheide man nu vleissig unter der schoepffung, die erst geschehen, und unter der newen geburt, die uns widerbringt, was wir nach der schoepfung verlorn haben . . . " : WA 46,622,38 ff. (Auslegung des 1. und 2.Kap. Johannis 1537—38 Joh 1,13). Andererseits sind sie in gewisser Hinsicht eins: » . . . soldier unterscheid machet nicht Gottes kinder." Die Einheit ist eschatologisch: „Dieser unterscheid hoeret mit diesem leben auff . . . " : ib. 623, 4 ff. Luthers Ethik läßt sich also nur in eschatologisdier Ausrichtung ganz begreifen; im Glauben ist der Mensch schon jetzt in die Endvollendung einbezogen: vgl. B. Wiegand, Das Problem einer materialen Ethik bei Luther. Inauguraldiss. Münster 1937, S. 60. Aber nur indem man Gott als im weltlichen Regiment gegenwärtig betrachtet, kann man es vermeiden, die Eschatologie zu einem Anhang der verschiedenen Glaubensartikel zu machen, ohne Beziehung zu ihrem Zentrum in Christus als dem, der von der Schöpfung her dazu bestimmt ist, den Menschen des Falls wiederaufzurichten, der unter dem Gesetz steht und erst in der Auferstehung am Jüngsten Tage den Glauben mit dem Schauen vertauschen darf. In Christus ist die Betrachtung des Gesetzes nur durchbrochen, aber nicht aufgehoben. Weil aber die Begegnung mit Gott bereits in der von Zeit und Raum bestimmten Existenz stattfindet (s. z.B. WA 39/11,112,17—21 = Die Disputation de divinitate et humanitate Christi 1540), bedeutet der Glaube nicht Empfang des ewigen Lebens, sondern nur einen neuen Ausblick, er darf niemals Abgeschlossenheit vom „profanen" Leben bedeuten: s. G. Wingren, Kyrkan odi kalleisen (En bok om kyrkan, S. 384—395; dt. „Kirche und Beruf", in: Ein Buch v. d. Kirche, S.423—435). Glaube bedeutet eine Schärfung des Blicks für die Bedürfnisse des Nächsten und die Machtlosigkeit der geschaffenen Dinge. Dieser Gedanke, auf den wir unten zurückkommen, findet einen klaren Ausdruck in Von den Konziliis und Kirchen 1539 (WA 50, 509ff., s. bes. S.627,1—17) u.a. Er läßt sich auch durdi die scholastische Formel ausdrücken: „Gott zerschlägt nicht die Natur", „quod Joseph describitur plenus diaritate et affectibus naturalibus ac fraterna benevolentia . . . Quia fides et Spiritus sanctus non corrumpit, aut destruit naturam, sed corruptam et destructam sanat et reparat. Manent itaque naturalissimi adfectibus in parentibus, fratribus, uxoribus, qui non tolluntur per gratiam, sed excitantur" : WA 44, 493, 3—9 (Gn 42, 22—24). „Vidimus autem ante aliquot annos fanaticos spiritus conari eiusmodi άπά&ειαν invenehere in Ecclesiam": ib. 493, 16 f.; s. auch WA 32, 536ff. (Wochenpredigten 1530/32 über Mt 5—7). 139

WA 4, 409,17 (Dictata 1513—16 Ps 123 [124]).

1. V e r b u m et fides

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„in re", sondern im Glauben und in der Hoffnung140. Für Luther ist Glaube deshalb niemals lediglich Freude über Gottes in der Schöpfung bewiesene Güte bzw. das Gott-recht-Geben des Sünders, sondern auch die Hoffnung auf eine Vollendung, eine Bewegung vom Sichtbaren hinweg zur Erfüllung des Versprechens des nie Geschauten, zur vollkommenen unio mit Christus. Der Mensch des Glaubens, der so in der Begegnung mit dem Wort geschaffen wird, empfängt dann nicht nur Gottes Werke im Wort, sondern sieht ihn auch in dem konkreten nackten irdischen Leben. Diese neue Wirklichkeitsauffassung des Glaubens (zu der wir im nächsten Abschnitt zurückkommen) wird zwar von dem Punkt aus bestimmt, an welchem man sich auf dem Wege von Gottes opus alienum et proprium, vom Gesetz zum Evangelium, vom Zorn zur Liebe Gottes, befindet141, das Evangelium aber nicht als ein neues Gesetz verstanden, sondern als ein schöpferisches Wort, welches das Herz des Menschen umwandelt, so daß die lex peccati et mortis (Kap. IV, 3) durchbrochen und das mandatum Dei (Kap. II, 2) erfüllt wird, und der Mensch sich also willig den Forderungen unterwirft, die ihm im Äußeren begegnen. Weil die Elemente des Abendmahls kein Stück geheiligter Materie sind, sondern nur offenbaren, was sich nicht trennen läßt: die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem bei Christus, sieht der Glaube Christus nicht nur im gepredigten Wort, in der inneren Entgegennahme des Glaubens gegenwärtig, sondern auch in den unbedeutenden Werken, die im Gehorsam gegen das Wort Gottes ausgeführt werden und durch welche das Leben in die Welt fließt142. Der Glaube ist schöpferisch in dem Sinne, daß er in allem dem Willen Gottes gehorcht; er ist nicht durch die K.te&tuz gebunden, sondern herrscht über sie; er sucht nicht das eigene Beste, sondern dient. Der Glaube entdeckt, daß des Menschen rechtes Ich und wahre Freiheit sich nur im Gehorsam gegenüber den göttlichen Geboten, denen alle Menschen unterworfen sind, deren tiefster Inhalt und willigeBejahung j edoch erst in Christus offenbart werden, verwirklichen lassen, denn in Christus sieht man, daß Freiheit Dienst ist, daß gute Werke und verantwortungsvolle Handlungen nicht der eigenen Ehre des Menschen dienen sollen, sondern der Ehre Gottes, im Gehorsam gegen ein göttliches Wort und Gebot143. Ib. 147, 23 (Ps 101 [102]). Dies ist die Voraussetzung f ü r Luthers Lehre von der sog. manducado indignorum. Siehe hierzu E.Metzke 1948, S . 3 3 f f . 1 4 2 Dies wird betont bei C. J . Munter, Het Avendmaal bij Luther. Diss. Groningen 1954. Siehe auch W A 7, 38, 6 — 1 2 : „Aus dem allenn folget der beschluss, dass eyn Christen mensch lebt nit ynn yhm selb, sondern ynn Christo und seynem nehstenn, ynn Christo durch den glauben, ym nehsten durch die liebe: durch den glauben feret er über sich ynn gott, ausz gott feret er widdcr unter sich durch die liebe, und bleybt doch ymmer ynn gott und gottlicher liebe, Gleych wie Christus sagt Johan. 1 (V. 5 1 ) : ,Ihr werdet noch sehen den hymell offen stehn, und die Engell auff und absteygenn ubir den Sun des menschenn' " (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520). Vgl. W A 5 6 , 4 1 6 , 3 1 — 4 1 7 , 26 (Römerbriefvorlesung 1 5 1 5 — 1 6 Rom 10, 6), ib. 9 2 , 1 5 — 2 9 (Rom 9 , 1 6 ) und R.Hermann, Das Verhältnis von Rechtfertigung und Gebet nach Luthers Auslegung von Rom 3 in der Römerbriefvorlesung (ZsystTh 1925/26, S. 603—647), S . 6 2 6 f . 140

141

1 4 3 W A 26, 204, 6 ff. (Unterricht der Visitatoren 1528 ff.), W A 16, 44, 29 (Predigten 2. Mose 1524—27) und W A 19, 239, 30 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526). Siehe auch unten Kap. VI, 3.

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

Von einem gewissen Punkt aus gesehen, gehören deshalb Luthers Ethik und seine Christologie eng zusammen. Das rechte menschliche Handeln hat bei Luther stets nur ein einziges Ziel: den Menschen in Gottes Welt wirken zu lassen, um ihn dadurch in sein Offenbarungswerk einzubeziehen144. Dazu werden wir im nächsten Abschnitt mehr zu sagen haben. Hier wollen wir nur abschließend betonen, daß der Glaube als ein göttliches Handeln aufgefaßt wird, in dem der Mensch schon hier nicht nur das rechte Bild von Gott besitzt, sondern auch selbst zum Bilde Gottes geformt werden soll. Trotz seiner Polemik gegen die guten Werke betrachtet Luther also das gehorsame Handeln des Menschen als die Form, in welcher der Glaube lebt. Dem Gott, der erschafft, indem er „befiehlt", „statuit", „mandat", „vult", entspricht immer der Gehorsam des Menschen, dessen rechtes Verhalten „audire", „adorare", „benedicere" und „servire" ist145, denn Gott hat den Menschen zum Gehorsam seinem mandatum gegenüber geschaffen und dies ist es ja, was den Menschen zu „etwas" — zum Ebenbild Gottes — macht. Die Gebote Gottes sind also schöpferisch und haben letztlich nur die Formung des Menschen, d. h. seinen Glauben und willigen Gehorsam zum Ziel. Der Glaube und das Handeln des Menschen können deshalb zwar nie als Voraussetzung für Gottes Gnadenhandeln betrachtet werden, sondern die Voraussetzung für das Gnadenhandeln Gottes ist, daß er als Schöpfer in Gesetz und Evangelium wirkt. Im Glauben wirkt das Wort nur sein „eigentliches Werk", im Unglauben sein „fremdes", und Gott wird also nicht erst durch den Glauben des Menschen im Wort gegenwärtig, sondern er ist es schon im Unglauben, der dann allerdings den Menschen der eigentlichen Kraft und Frucht des göttlichen Werkes beraubt146. Glaube ist somit auch nicht einfach gleich subjektivem Bewußtsein. Wenn das der Fall wäre, würde die erleuchtende Funktion der Offenbarung das Gottes1 4 4 W A 5 6 , 2 4 8 , 5 — 2 4 9 , 1 8 (Römerbriefvorlesung 1515/16 R o m 3 , 1 9 f.). W e n n der Glaube willig dem Gesetz gehorcht, w i r d das Gesetz der Sünde und des Todes wieder zu dem, was es zu sein bestimmt w a r , mandatum Dei. Das bedeutet nicht, daß die Reihenfolge Gesetz— Evangelium aufgegeben würde. Die ethische V e r a n t w o r t u n g des Menschen w i r d nicht dadurch gerettet, daß man das Gebot aus dem Evangelium ableitet, wie Heintze glaubt. Siehe hierzu D . L ö f g r e n , A Barthian Luther (Lutheran W o r l d V o l . V I , 1 9 5 9 , S. 2 0 7 — 2 1 0 ; dt. LuthRs). Das Evangelium erfüllt das Gebot: „Luther kennt ein Gebot, das nicht mehr vernichtende Anklage, sondern freundlich mahnende Weisung ist . . . " : W . Joest 1 9 5 1 , S. 78. Die Behauptung, Luthers Offenbarungsbegriff sei christozentrisch, darf also nicht bedeuten, daß Gottes Offenbarung nur in dem historischen Jesus und dem W o r t v o n ihm gegeben ist, sondern daß G o t t in ihm voll offenbart w i r d als der in aller Wirklichkeit Gegenwärtige: W A 46, 522, 38 f. (Predigten 1 5 3 8 Lk 2 , 1 0 ) . U n d daß Luthers Offenbarungsbegriff theozentrisch ist, darf nicht bedeuten, daß die Offenbarung etwas lediglich „Transzendentes" oder „Inneres" sei, sondern daß sie als Gottes W e r k im konkret Menschlichen hervortritt. Die Distinktion zwischen göttlich und menschlich darf nicht mit der zwischen innerlich und äußerlich gleichgesetzt werden. 1 4 5 „ . . . deus statuit nihil audire nisi per hunc" : W A 40/III, 5 3 , 4 (In X V Psalmos G r a duum 1532/33 Hs. Ps 1 2 1 , 1 ) . „Et mandatur ei adoratio . . . " W A 40/11, 5 9 3 , 1 2 — 5 9 4 , 1 (Praelectio in psalmum 45 1 5 3 2 Hs V. 12). „ . . . tarnen deus pater vult serviti sibi in isto rege": W A 40/11, 2 8 2 , 1 0 f . (Enarratio Psalmi II 1 5 3 2 Hs V . l l ) . Vgl. W A 40/1, 602, 5 f f . : „ . . . deus non vult cognosci nisi per Christum, quia f u n d a v i t promissionem in semen, quod erat benedictum" (Galaterbriefvorlesung 1 5 3 1 Hs Gal 4 , 8 ) . 1 4 β Siehe G. Wingren 1948 2 , S. 198 ff. (dt. 1952, S. 121 ff.).

1. Verbum et fides

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Verhältnis konstituieren. V o r d e m wissens- u n d g e f ü h l s m ä ß i g e n Charakter des Gottesbewußtseins steht das Wort, welches das B e w u ß t s e i n ebenso w i e alles, w a s es enthält, schafft, u n d das persönliche Sein des M e n s c h e n ist somit nur teilweise sein bewußtes Ich, i m übrigen aber sein geschöpf liches Werden 1 4 7 . D e r M e n s c h kann deshalb nicht kraft seines Bewußtseins G o t t e m p f a n g e n u n d fassen 1 4 8 , weil dieses nur dadurch existiert, daß G o t t es erschafft, sondern die F o r m des Christusglaubens ist die v o n G o t t mit d e m L e b e n jedes M e n s c h e n g e g e b e n e B e z i e h u n g zur Mits c h ö p f u n g u n d sein Inhalt die gnädige G e g e n w a r t des Geistes G o t t e s in jener 1 4 9 . Erst in diesem Glauben besitzt der M e n s c h die erlösende Gemeinschaft mit G o t t , u n d erst durch diesen Glauben wird er wirklich Mensch. Seine Humanität -— w e n n m a n darunter latente Eigenschaften u n d M ö g l i c h k e i t e n versteht ·— ist aber für das Gottesverhältnis nicht konstituierend. D a g e g e n ist G o t t e s in allem Erschaffenen v e r b o r g e n e u n d i m W o r t offenbarte G e g e n w a r t für die Humanität des M e n s c h e n konstituierend 1 5 0 . D i e s läßt sich u. a. an Luthers A u f f a s s u n g v o n der Kindertaufe beobachten. W i e bekannt, meint Luther, daß das Kind, w o es u m die N o t w e n d i g k e i t des Glaubens 147 R.Hermann, Die Rechtfertigung und der evangelische Glaube (ZsystTh Jg. 18, 1941, S. 286—361), S.353f. Vgl. schon in WA 9,22, 30 ff. (Randbemerkungen zu Augustin 1509). 148 Die Sünde besteht für Luther also nicht darin, daß die Erkenntnis des Menschen zu sdrwach und gering ist, um die Majestät Gottes fassen zu können (vgl. WA 25,237 = Vorlesung über Jesaia 1527—29, Scholia 1532—34 Jes 37,16—19), sondern in der Selbstsucht des Menschen: WA 10/Ί, 1,204,17ff. (Kirchenpostille 1522 Joh 1, 4). 149 H . Obendiek 1931, S. 86. Siehe z.B. WA 26,149, 13 (Von der Wiedertaufe an zwei Pfarrherrn). 150 Die Betonung des Wortes in der dialektischen Theologie führt trotz ihrer Reaktion gegen den Idealismus nicht von dessen Bewußtseinstheologie weg; die konkrete Wirklichkeit, in welcher der Mensch steht, ist von göttlichen Geboten entblößt. Weil das rechte Handeln nur vom bewußten Glauben bestimmt wird, vermag man sich nicht von seiner Abhängigkeit von dem Personbegriff des Idealismus freizumachen. W. Gottschick, R. Seeberg und O. Ritsehl, die in der idealistischen Tradition stehen, deuten genau wie ihre Kritiker den Glauben von seinem Bewußtseinscharakter her: s. K.Brinkel 1958, S. 121. Zur Kritik des Wortbegriffs der dialektischen Theologie im Vergleich zu dem der Reformatoren s. Th. Siegfried, Das Wort und die Existenz. Eine Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie I: Die Theologie des Wortes bei Karl Barth, Gotha 1930, S.31ff., 47 ff., 91 ff., 108 ff., und A. Sannwald, Der Begriff der Dialektik und der Anthropologie. Eine Untersuchung über das Ichverständnis in der Philosophie des deutschen Idealismus und seiner Antipoden (FGLP 3. R., Bd. IV), München 1931. Ebensowenig wie dieser Persönlidikeitsbegriff dem Gedanken eines göttlichen Handelns unter Umgehung des menschlichen Bewußtseins Ausdruck zu verleihen vermag, kann er den Gedanken eines geistigen Wachstums des Menschen ausdrücken, weil man an die Vorstellung gebunden ist, das Selbstbewußtsein entspringe der „ontologischen Selbstgewißheit der Idee". Vgl. M. Horstmeier, Die Idee der Persönlichkeit bei J. H . Fichte und Chr. H . Weisse (Studien z. systemat. Theol. H . 4 ) , Göttingen 1930, S. 103. Luthers Persönlichkeitsbegriff ist vom Schöpfungsgedanken her bestimmt, er spricht von „dreyerley leben": (1) „Ain Kind das in der wiegen ligt, das lebt in got, wiewol es wenig empfindet, (2) Item wenn wir schlaffen, so leben wir auch und wissen nit wie, (3) Das drit, das wir gewiss wissen das wir leben und wissen dodi nit wie. Darumb so got hie auf erden in dem engen kercker (das da kaum ain halb leben ist) mit uns handelt, da wir nit fülen wie wir leben, ey, vil meer kan ers thun dort im hymel, da es weit und prait ist und da das recht leben ist, Also das wir nit künden ain gewiss zil stecken und regel setzen, das wir mügen wissen wie sy leben, dieweil die wansinnigen auch leben und wissen nit wie": WA 1 O/III, 269, 2—10 (Predigten 1522 Lk 10, 38ff.).

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geht, keine Ausnahme bilde. Auch von dem kleinen Kind hat man sich vorzustellen, daß es glauben muß, um erlöst zu werden151. Aber, so mag man hier fragen, kann denn das kleine Kind glauben, da es doch kein Bewußtsein hat? Diese Frage wird in einer neuen Untersuchung von K. Brinkel gestellt. Er zeigt, daß Luthers hartnäckiges Festhalten an der „fides infantium" 152 davon herrührt, daß er den Glauben nicht als lediglich subjektives Bewußtsein versteht, sondern als die Schöpfung Gottes durch seinen gnädigen Anruf, durch den das Kind mit dem Gott vereint wird, der noch vor jeglicher menschlichen Anstrengung im Wort gegenwärtig ist; allmählich jedoch wird das Kind sich der göttlichen Offenbarung bewußt163. Bei Brinkel wird aber nicht ganz deutlich, daß dieses Verständnis des Glaubens mit Luthers Auffassung des Menschen als eines Wesens, das in gewissem Sinne wachsen soll, zusammenhängt. Das Bewußtsein, das der natürliche Mensch unabhängig von Gott zu besitzen vermeint, ist also keine Voraussetzung, sondern eher ein Hindernis für den Glauben164. In Luthers Verständnis der „fides infantium" wird deutlich, in welch enger Verbindung er Schöpfungswerk und Heilswerk sieht. Erlöst-Werden ist, sich von Gott zum Ebenbild seiner selbst formen lassen, und Glaube ist dementsprechend, Gott handeln lassen, von ihm in den Prozeß der Menschwerdung hineingeführt werden. Wenn Luther betont, daß „Regnum coelorum est solum credentium, regnum coelorum est parvulorum, Ergo parvuli credunt"165, so meint er nicht, daß das Kind vor der Taufe rein und unschuldig sei. Auch das kleine Kind muß getauft werden, denn schon im Mutterleib „schläft" es in der Sünde166 und muß daher zum Leben „geweckt" werden durch das Wort Gottes, das die Gabe Gottes in der Taufe ist; es tritt also erst ins Leben durch das Angeredet-Sein in der Taufe, durch welche es in die Gemeinschaft mit Gott hineingerufen wird 157 . Die Gabe der Taufe verwandelt das Kind nicht in seiner „Substanz", sondern setzt es in die Lebensgemeinschaft mit dem Gott hinein, der sowohl sein Bewußtsein als auch seinen Glauben schafft. Die Taufe ist also ein Geschehen, das aufs engste mit der Menschwerdung zusammenhängt. Das „Wachsen des Wortes und der Glaube" machen also das Wachsen des Menschen aus. Das Geschehen der Taufe dauert daher durch das ganze Leben hindurch an, denn die Gabe Gottes in der Taufe ist etwas, was mit des Menschen aktivem und bewußtem Gottvertrauen (fiducia) wachsen soll, jedoch erst darin vollendet wird, daß Gott im Glauben (fides) des Menschen dessen Inneres (cor) 1 5 1 „Wie wol es audi ein falsche und frevel rede ist, das die junge kinder nicht gleuben oder unwirdig sind": W A 5 4 , 4 3 1 , 1 6 f . Vgl. audi W A 44, 719, 34ff., w o Luther betont, daß die kleinen Kinder „virtute promissionis salvantur, et accipiunt spiritum sanctum . . . " 1 5 2 Luthers grundlegende Gedanken zur Kindertaufe finden sich zusammengefaßt in W A 2 6 , 1 4 4 ff. (Von der Wiedertaufe 1528). 1 5 3 „ . . . kan hie der glaube on zuthun der vernunfft bleyben, dass sie es nicht gewar wird, warumb sollt er nicht auch anfahen ynn den kindern, ehe die vernunfft drumb etwas weys?": W A 17/11, 86, 6 ff. (Fastenpostille 1525 Mt 8 , 1 ) . 1 5 4 W A 57 (1), 208, 23 ff. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 10, 6); W A 17/11, 8 7 , 1 5 ff. (Fastenpostille 1525 Mt 8, 1 ff.). 1 5 5 W A 48, 7 0 8 , 1 4 — 1 6 (Neue Tischreden. Gothaer Hs). 1 5 8 K.Brinkel 1958, S.77. 1 5 7 Ib. S. 76 f.

2. Deus nudus et vestitus

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mit seinem Wort (verbum) ganz verbindet158. Brinkel betont, daß die Kindertaufe für Luther ganz mit Christi Einsetzung übereinstimmt, weil sie als eine Neuschöpfung sich in völliger Übereinstimmung mit der in der Schöpfung gegebenen Ordnung befindet, daß Gott nämlich das Leben schenkt vor der eigenen Anstrengung des Menschen159. Dies jedoch gehört gerade mit dem Wachsen des Menschen zusammen. Der Mensch entsteht nicht durch Verwirklichung seiner selbst und durch Entfaltung irgendwelcher ihm innewohnender Kräfte, sondern dadurch, daß er Gott das Handeln mit sich überläßt und dann aktiv in dieses Handeln einbezogen wird 160 . Das Kind steht im Anfang der Menschwerdung, sein Glaube ist voll und ganz „donum Dei" 161 . Der Christ befindet sich in einem Schöpfungsprozeß, in dem der Glaube des Menschen sich zu einer „vivax quaedam et indubita opinio", „oboedientia" oder „fiducia" entwickelt; er ist nicht mehr wie beim Kind einzig „donum Dei", sondern auch des Menschen aktives Ausgerichtetsein auf Gott. Luther denkt nicht eigentlich psychologisch, sondern inkarnatorisch-heilsgeschichtlich-eschatologisch, und der Glaube des Kindes wird von ihm also als die „fides ecclesiae", die immer vom Geist Gottes geschaffen wird, verstanden162. Der Glaube wird also nicht durch eine Qualität des Menschen konstituiert, sondern durch ein schöpferisches Handeln Gottes am ganzen Menschen (wobei das Bewußtsein zwar nicht ausgeschaltet, aber nicht zur Bedingung wird). In dem Maße, in welchem das Bewußtsein als eine psychologische Realität vorliegt, ist es Schöpfung Gottes. Der Glaube ist aber demzufolge nicht identisch mit dem Inhalt eines gewissen Bewußtseins. Er ist von Gott-geführt-Sein bzw. Gott-die-Ehre-Geben, indem man ihn den Schöpfer und Herrn sein läßt163.

2. D e u s n u d u s et v e s t i t u s Luther spricht gelegentlich von dem „verhüllten" Gott (Deus vestiuts seu involutus) im Unterschied zu dem „unverhüllten" Gott (Deus nudus). Da Gott der Schöpfer aller Menschen ist, werden sie alle Gegenstand seiner allgemeinen Offenbarung (cognitio generalis Dei). Daß aber dieser Gott, der überall in der Schöpfung gegenwärtig ist, der Vater Jesu Christi ist, „weis kein Menschlich vernunfft etwas von" 1 . Nur durch die besondere Offenbarung Gottes im Evangelium (propria et vera cognitio Dei) erhält der Mensch das innerliche Vertrauen, in welchem er von seinem Fall aufgerichtet und in die Christusgemeinschaft eingesetzt wird, in der er das rechte Bild von Gott hat und ihn als den Geber alles Guten ansieht2. W A 4, 695, 34 ff. (Predigten 1514—20). K.Brinkel 1958, S . 7 3 . Vgl. auch F.Frey, Luthers Glaubensbegriff, Leipzig 1939, S.61—73. 1 6 0 Ib. 1958, S. 87. 1 8 1 Ib. S. 127. 1 6 2 Ib. S . 3 1 . 1 6 3 W A 8 , 6 f. (Deutsche Auslegung des 67. [68.] Psalmes 1521 V.5). 1 W A 46, 669, 39 (Ausi, des 1. und 2. Kap. Joh 1537/38 Joh 1 , 1 8 ) . 2 W A 40/1, 607, 2 6 — 6 0 8 , 1 2 (Galaterbriefkoramentar 1535 Dr. Gal 4, 8). Vgl. audi W A 2 0 , 4 9 8 f. (Predigten 1526 Lk 7, 11 ff.), W A 3 6 , 3 2 7 , 12 (Predigten 1532 Lk 7 , 1 1 ff.), ib. 3 2 8 , 1 2 ff. 158 159

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Löfgren, Schöpfung

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„Darumb koennen auch allein die Christen hievon reden, beide, was da sey die wesentliche Gottheit in jr selbs, dazu auch, wie er von aussen, in seinen Creatura sich erzeige und was er im sinn habe gegen den Menschen." 3 Der Christ lernt also zwischen dem „verhüllten" Gott, der sich an die Schöpfung gebunden hat, und dem „unverhüllten" Gott, der in seiner Majestät unerreichbar ist, unterscheiden. Er sieht Gott als den Verhüllten in der Schöpfung gegenwärtig, und der Glaube bedeutet deshalb auch ein neues Verhältnis des Menschen zur Mitschöpfung 4 . Der Glaube weiß, daß „dieweyl Gottess lere ist von himel, So wechst sie nicht In unsern gertten" 5 , d. h. er akzeptiert, daß Gott selbst im Wort ist als der Offenbarer des rechten Wesens und Zieles der Schöpfung®. Des Menschen Dienst am Nächsten und seine Herrschaft über die Dinge sind also immer von dem Offenbarungshandeln Gottes bzw. dem „Licht des Wortes" bestimmt7. Ist der Schöpfer also überall der verhüllte Gott, der seinen Willen durch äußere Mittel kundtut, so ist er doch nicht als der in Christus dem Glauben offenbarte Gott überall zu finden, sondern offenbart sich „selbst" nur in einem „besonderen" Zeichen. Die neue Weltbetrachtung des Glaubens ist also sowohl durch die Freiheit und die Gegenwart Gottes in der Schöpfung bestimmt, und der Glaube weiß deshalb, daß, wer ohne die Leiter des Wortes zu Gott hinaufzuklettern versucht, herabstürzt, niedergedrückt von der göttlichen Majestät, die unverhüllt sich nicht fassen läßt 8 . Die Christusoffenbarung im Wort und Zeichen ist somit etwas Exklusives, andererseits handelt Gott nicht nur in ihr, sondern tut in vielen verschiedenen Verkleidungen seinen Willen kund. Daß Gott dem Menschen zu allen Zeiten nur in einem bestimmten „verbum externum" begegnet, in welchem er seinen Gottesdienst verrichten konnte, und daß der Mensch, wenn er dieses Zeichen verwirft, entweder nach dem „unverhüllten" Gott oder nach etwas Geschaffenem greift und damit ein Idol verehrt, hängt einmal mit dem Gedanken zusammen, daß Gott der Herr der Geschichte ist, der sich immer in einem äußeren Geschehen offenbart und durch ein solches spricht, und zum anderen mit dem Gedanken, daß der Mensch Gottes Kind und cooperator sein sollte, der aber, wenn dieses Geschehen nicht von der Konformität seines Herzens mit Gott her bestimmt wird, im Äußeren nur dem fordernden Gott des Gesetzes und des Zornes begegnet 9 . 3 W A 2 1 , 5 1 0 , 5 — 8 (Crucigers Sommerpostille 1 5 4 4 [ 1 5 3 1 ] R o m 1 1 , 3 3 — 3 6 ) , ib. 509, 11—30. 4 „Quo enim sanctior quis est, et quo propius Deum cognoscit, hoc magis intelligit et adficitur creaturis": W A 43, 2 7 6 , 1 8 ff. ( G n 2 3 , 1 . 2 ) . „Qui autem cognoscit Deum, etiam creaturam novit, intelligit et amat. Quia divinitatis vestigia sunt in creatura" : ib. 2 7 6 , 2 7 f . 5 W A 45, 379, 22 f. (Viel fast nützlicher P u n k t 1 5 3 7 ) ; W A 46, 759, 3 2 — 7 6 0 , 2 (Auslegung des 1. und 2. K a p . J o h 1537/38 Dr.). 6 S. o. K a p . II, 2 und unten K a p . V , 3. 7 Besonders bei der Auslegung v o n Lk 7 , 1 1 ff. kommt Luther auf den Gedanken zurück, daß der Mensch G o t t als seinen Retter und H e l f e r aus allen Nöten, als Geber aller guten Gabe im Wort e r f ä h r t : s. W A 20, 498, 2 — 5 0 1 , 28 (Predigten 1 5 2 6 Lk 7 , 1 1 ff.), W A 29, 5 5 3 , 2 — 5 5 8 , 7 (Predigten 1 5 2 9 L k 7 , 1 1 ff. Rörer) und W A 36, 327, 9 — 3 2 9 , 2 4 (Predigten 1 5 3 2 Lk 7 , 1 1 ff. Rörer). 8 W A 4 2 , 1 1 , 1 9 — 3 0 (Gn 1 , 2 ) . 9 „Unus et idem Deus ab initio mundi variis modis per fidem in eundem Christum cultus est. Certum est, A d a m e t H e v a m in semen mulieris promissum, (id est), in Deum promissorem

2. Deus nudus et vestitus

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D a s Verhältnis z w i s c h e n allgemeiner u n d besonderer Offenbarung ist also v o m „ H e r z e n " des M e n s c h e n bestimmt. Andererseits darf Gottes Verhülltsein nicht als subjektive E m p f i n d u n g des Glaubens betrachtet werden, sondern es hängt mit der i n der S c h ö p f u n g g e g e b e n e n B e g r e n z u n g des M e n s c h e n zusammen, daß er G o t t e s Willen nur i n seiner B e z i e h u n g z u den D i n g e n u n d M i t m e n s c h e n e m p f a n g e n u n d i h m g e h o r c h e n kann (Kap. II). In seiner kürzlich erschienenen A b h a n d l u n g über Luthers Schriftauslegung sagt E . Thestrup Pedersen, Luther habe G o t t e s Verhülltsein als eine erst nach d e m Fall des M e n s c h e n eingetretene Offenbarungsweise G o t t e s verstanden; er b e t o n e die vermittelnde B e d e u t u n g des Ä u ß e r e n auf G r u n d seiner Frontstellung g e g e n den Gottesbegriff der Philosophie, welcher zu „speculatio maiestatis" führe u n d den M e n s c h e n v o r den unverhüllten G o t t stelle, den er auf Grund der Sünde nicht

credidisse": WA 39/11, 187, 4—7 (Die Disp. von H . Schmedenstede 1542). „Frustra igitur credunt Iudaei in Deum promissorem Messiae, qua fide olim recte credebant patres eorum. Frustra Turcae et gentes aliae credunt in Deum creatorem mundi, dum nesciunt, eum esse promissorem vel exhibitorem seminis, imo blasphémant, eum non esse patrem Christi unigeniti filii" : ib. 188,17—21. „Nach dem er nu alle Creaturen erschaffen h a t . . . ist er allenthalben und doch nirgend; denn ich kann ihn nicht fassen noch ergreifen ohn das Wort durch meine Gedanken; da aber lasset er sich gewiss finden, dahin er sich gebunden hat. Die Jüden funden ihn zu Jerusalem bei dem Gnadenstuel, Exodi am 25. Cap., wir im Wort und Glauben, in der Tauf und Sacrament; in der Majestat aber ist er nirgend zu finden. Und ist ein grosse Gnade gewesen im alten Testament, da sich Gott an einen gewissen Ort gebunden hat, da er sich hat lassen finden . . . " : WATÍ4, 611, 22—612,6 (1540). „Sepe audistis, quod prophetae, quando loquuntur de deo, de nullo loquuntur quam suo. Ideo saepe inculco propter speculationes Theologorum ut Mahometis, Turcarum, Papistarum, qui putant se agere cum deo per suas cogitationes. Cum postea legerent similes voces in prophetis, putant prophetas speculistas et trahunt sic verba ad suam phantasiam. Das ist Teufel. Ipsi Iudei habuerunt suum deum inclusum, ut sic dicam, in suo propiciatorio, Templo. Ilium colebant, de ilio loquebantur, hoc cognito, quod nullus deus, nisi qui in Ierusalem; postea potuerunt dicere; Iste deus, qui habitat in finito, ipse solus dominus in caelo et terra, creator omnium. Sic locuti prophetae non de eo extra tabernaculum propiciatorium, sed dixerat: hie habitabo, hie focus et caminus meus. Hoc ideo, quia in hoc psalmo [Ps 130J non allegatur tabernaculum et propiciatorium, sed loquitur simpliciter ad deum, non punit Papam, Mahometem. Ideo trahe psalmum in suum tempus. Sicut hodie non de deo, cum deo loquimur nisi in nostro propiciatorio, templo, i. e. Christo, qui est ,gnadstuel'. Extra eum nihil scire, audire, discere de deo": W A 4 0 / I I I , 335, 10—336, 1 (In X V Psalmos graduum 1532/33 Hs Ps 130,1). Wenn die Schwärmer das äußere Wort verachten und von einem unmittelbaren Empfang des Geistes reden, so bedeutet das eine Flucht vor der göttlichen Wirklichkeit, die in Brot und Wein begegnet, in geschriebenen Buchstaben wie auch im Leben unter andern Menschen in der Mannigfaltigkeit der Schöpfung, wo Gottes Gebote dem Menschen begegnen: WA 34/11,156, I f f . (Pred. 1541 M k 7 , 31 ff. Rörer) und WA 37, 136,8—28 (Pred. 1533 Mk 7, 31 ff. Rörer). Das Evangelium weiß deshalb nichts von irgendeiner Weltflucht: WA 29, 528,1 ff. (Predigten 1529 Lk 10, 23 ff. Rörer). Für den, der das Wort und den Glauben hat, ist darum alles möglich: WA 20,385,1—26 (Predigten 1526 Mk 16,14ff.). Aber der Teufel lockt beständig mit einer „höheren" geistlichen Erkenntnis: ib. 386, 1—387, 39 (Mk 16, 1). Im Unterschied zum christlichen Zeichen (der Taufe) sollte das jüdische Zeichen nach Gottes Verordnung für die Juden gültig sein bis zum Kommen Christi. Daran weiter festzuhalten bedeutet darum Nachahmung, Gesetzesfrömmigkeit, heißt an das Äußere nur gebunden sein und nicht durch dieses Äußere Freiheit erlangen: WA 27, 2, 26—5, 7 (Predigten 1528 Lk 2, 21). 13*

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ertragen kann10. Wie nun kann Luther einerseits den Deus nudus bzw. die unvermittelte Gottesgemeinschaft als etwas ursprünglich Gutes, das verlorengegangen ist, hervorheben, dann aber wieder als etwas Verbotenes und nunmehr Unerträgliches ? Wie wir (in Kap. III) gesehen haben, meint Luther ganz im Gegensatz zu Thestrup Pedersens Behauptung, daß Gott sich niemals als ein Deus nudus gezeigt habe, sondern daß gerade Adams Griff nach dem unmittelbaren Schauen byv. dem „unverhüllten" Gott seinen Fall im Paradiese verursachte. Wenn es auch an einer Stelle im Genesiskommentar heißt, daß Gott sich vor dem Fall „möglicherweise" unverhüllt zeigte, so ist doch völlig klar, daß Luther immer davon ausgeht, daß die Form der Offenbarung „verbum eius et opera eius" ist, d. h. nicht einmal „vor dem Fall" war Gott unverhüllt in dem Sinne, daß der Mensch Gottes verborgenen und unvermittelten Willen zu fassen vermochte11. Es ist allerdings wahr, daß Luther, wie Thestrup Pedersen auch betont, häufig auf die Gnade hinweist, die darin liegt, daß Gott „vestitus seu involutus" ist, da ja der gefallene Mensch den Anblick der unverhüllten Majestät Gottes nicht zu ertragen vermöchte. Thestrup Pedersen übersieht aber, daß Luther Adams Fall als ein Umgehen des Wortes Gottes versteht. Adam ging der „imago Dei" verlustig, als er versuchte, „sicut Deus" zu werden, d. h. bereits hier auf Erden ohne „das Wort" zu leben, indem er ein unvermitteltes Gottesverhältnis zu verwirklichen und damit die für diese Zeitlichkeit gültige Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf aufzuheben versuchte. Thestrup Pedersen vermengt zwei verschiedene Gedanken bei Luther: den, daß Gott sich nach dem Fall als der in seinem „Zorn" verborgene oder verhüllte Gott der Liebe offenbart, und den, daß Gott vor me nach dem Fall in irgend etwas „Äußeres" gehüllt war12·. Im vorliegenden Abschnitt behandeln wir zunächst den Gedanken des Hervortretens Gottes im Äußeren. Auf den Gedanken der Verborgenheit Gottes im Zorn kommen wir im nächsten Abschnitt zurück und entwickeln ihn schließlich eingehend im letzten Kapitel. Gott ist also in seiner allgemeinen wie auch in seiner speziellen Offenbarung stets „vestitus seu involutus"; Luther sieht Gott als den in der Geschichte verE. Thestrup Pedersen 1959, S . 9 3 . Siehe W A 4 2 , 1 1 , 1 9 — 2 7 (Gn 1, 2). 1 2 „Aperuit nobis in paradyso oculos Satan, nunc omnis labor in eo nobis est, ut eos iterum claudamus et ob tur emus" : W A 42, 6 7 2 , 1 3 f. (Gn 17, 23—27). „O miseram divinitatem, quam nobis per peccatum Satan circumdedit . . . " : ib. 647, 25 (Gn 1 7 , 1 0 . 1 1 ) . „Nam Deo et eius verbo non obedire, est Satanae obedire": ib. 456, 22 f. (Gn 12,4a). „Wenn bey uns Gottes w o r t nicht ist, so sind wir im reich des Teufels und sind junge Teufel und Teufels kinder . . . Aber w e r Gottes w o r t hat, der ist ein junger Gott": W A 1 6 , 1 0 7 , 1 4 — 1 7 (Predigten über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 — 2 7 Ex 7, 2). „Und das liecht müssen w y r so lang haben und daran hangen bys an den Jüngsten tag. Darnach werden w y r des worts nicht mehr dürfen, wie man das natürlich liecht auslesdiet wenn der tag anbricht": W A 14, 30, 22—25 (Die ander Epistel S.Petri und eine S.Judas 2.Petr 1 , 1 9 ) . „Denn wir jnn diesem leben nichts mehr davon haben, on das er dis sein Liecht anzuendet als jnn dem finstern keller, nemlich das Wort, daran wir uns halten und jmer im glauben fort faren muessen, bis so lang wir dorthin komen, da es eitel ewige, helle klarheit sein wird": W A 46, 68, 8 — 1 2 (Das X V I . Kap. S. Joh. geprediget und ausgeh 1538 Joh 1 6 , 1 5 ) . 10 11

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borgen gegenwärtigen und handelnden Gott, der mystischer Kontemplation oder intellektueller Spekulation nicht erreichbar ist13. Allein diese Tatsache 2eigt den inneren Zusammenhang zwischen Schöpfung und Erlösung, erstem und zweitem Glaubensartikel. Man könnte deshalb sagen, daß dieser Zusammenhang in Luthers Schöpfungsgedanken oder in dem „theozentrischen" Zug seines Offenbarungsbegriffs begründet ist14. Die Omnipotentia Dei, Gott als Herr der Geschichte, bindet die Gotteserkenntnis an die Selbstmitteilung Gottes und ist die Voraussetzung dafür, daß er in der Erlösung alleinwirksam ist. Wie wir bereits sahen, bedeutet dies jedoch nicht, daß der Mensch in Gottes Heilswerk untätig bleibt. Zwar hat man sich die Erlösung nicht als durch ein Zusammenwirken der natürlichen Kräfte des Menschen und der Gnade Gottes geschehend zu denken, doch ist sie andererseits auch nicht etwas, was abseits vom Menschen und seiner Beziehung zur übrigen Schöpfung vor sich geht. Dies zeigt sich auch in Luthers Christologie (s. bes. u. Kap. VI, 2). Man könnte deshalb ebensowohl sagen, daß der Zusammenhang zwischen Schöpfung und Erlösung oder zwischen dem ersten und dem zweiten Glaubensartikel in Luthers Christologie oder in dem „christozentrischen" Zug seines OfFenbarungsbegriffes begründet ist15. Luthers Auffassung der allgemeinen Gegenwart Gottes in der Schöpfung könnte dann als ein Ausdruck von Luthers im Inkarnationsgedanken wurzelnder Auffassung der Gnade Gottes angesehen werden, daß die äußere Schöpfung nie 13 »Sic Esaias dicit se vidisse Dominum in amplissima veste, quia Deus in absoluta seu intuitiva visione non potest pingi nec cerni. Ideo tales figurae Spiritui sancto placent et opera Dei proponuntur, quae apprehendamus. Talia sunt, quod condidit coelum et terram, quod misit Filium, quod per Filium loquitur, quod baptisat, quod per verbum a peccatis absolvit. Haec qui non apprehend«, is Deum nunquam apprehendet: WA 42,12, 35—13, 7 (Gn 1, 2). „Ergo fanaticum est, sine verbo et involucro aliquo de Deo et divina natura disputare . . . N a m qui vult tutus esse et sine periculo in tantis rebus versari, is simpliciter se intra species, signa et involucra ista divinitatis contineat, qualia sunt verbum eius et opera eius. N a m in verbo et operibus se nobis ostendit": ib. 11,19—25 (Gn 1,2). 14 Die „Theozentrizität" kann verschieden definiert werden. R. Josefson führt drei Momente an: (1) Die Gotteserkenntnis ist gebunden an Gottes Selbstmitteilung, (2) Die Erlösung ist Gottes Tat, (3) Gottes Tun ist nicht bestimmt durch menschliche Wünsche (Antieudämonismus) : R. Josefson 1944, S. 28—30; vgl. ders., Den naturliga teologiens problem (UUÄ 1943,4), Uppsala-Leipzig 1943, S. 343. In seiner Dissertation 1929 sagt R.Bring: „Die theozentrische Haltung des Menschen, in der er ein .neuer Mensch' ist, ist dadurch gegeben, daß er unter der Herrschaft Gottes steht, die egozentrische Haltung dadurch, daß er unter der Herrschaft des Teufels steht" (S.23). „Es stehen also einander gegenüber zwei grundverschiedene Haltungen, die theozentrisdie und die egozentrische . . . Das Rechtfertigungsgeschehen, kann man sagen, besteht darin, daß der Mensch von Gott bezwungen wird, so daß sein Gottesverhältnis bestimmt wird nicht von seinem Ich, sondern von Gott . . . der Glaube besteht in einem neuen Gottesverhältnis, und das ist gegeben in der Spontaneität, die Gottes Herrschaft über die Menschen zur Voraussetzung hat" (S. 22 Übers.). 15 Vor allem die skandinavische Lutherforschung hat den „theozentrischen" Zug betont, während man auf dem Kontinent, vor allem im Kreis um Ernst Wolf, den „christozentrischen" oder, im Anschluß an die Kategorien der dialektischen Theologie, „christologischen" Zug in Luthers Theologie betont. In beiden Fällen geht man davon aus, daß Luthers Theologie ihr Zentrum in der Glaubenserfahrung des Christen, die jede andere Betrachtung ausschließt, hat.

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der göttlichen Gegenwart beraubt wird, weil Gott der im Wort und im Glauben inkarnierte ist. Da Christus für Luther Mittelpunkt und Ziel der Schöpfung ist, hat die äußere Schöpfung mit Christus und der Rechtfertigung zu tun. Christus wird zum Paradigma, nach welchem der Glaube Gott, die Welt und den Menschen neu deutet. Es ist aber wichtig, sich zweierlei vor Augen zu halten: einmal, daß diese neue Weltbetrachtung nach Luther nur dem Glauben eigen ist, und zum andern, daß sie nicht kurzerhand ausschließliche Richtigkeit gegenüber der anderen „falschen" Betrachtungsweise des Unglaubens beanspruchen darf. Die beiden Wirklichkeitsauffassungen dürfen also nicht direkt gegeneinander ausgespielt werden, denn auch die des Unglaubens ist in gewissem Sinn richtig, und Schöpfung und Erlösung sind deshalb auch nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Der Inhalt dieser Behauptung soll hier nunmehr dargelegt werden. Der Gedanke der Gegenwart Gottes in seinem Offenbarungswerk steht bei Luther primär im Gegensatz zur Spekulation des Menschen, der „gen himel fladdert und Gott jnn der Maiestet suechet und forschet, wie er im himel regiere . . ." l e . Weil Gott sich somit nie in der Hoheit und Ehre seiner unverhüllten Majestät, sondern als ein Deus vestitus offenbart, handelt Gott im Evangelium auf der eigenen Ebene der Schöpfung; er kommt in Christus als ein Deus in carne involutus zum Menschen. Wo Gott handelt, wird geschaffen, wo geschaffen wird, geschieht Offenbarung in diesem Geschaffenen; in Christus führt Gott aber ein besonderes Werk aus und läßt damit eine besondere Offenbarung seines Willens stattfinden. Gott ist in Christus nicht nur „vestitus", er ist „in carne". Darum ist nur in Christus, sagt Luther, „für uns" die rechte Erkenntnis Gottes zu finden17, denn Gott „wil nicht leyden, das ein yegklicher wolte sonderlich hynauff klettern in den hymel.. ," 18 . Daß Gott in Christus ist, bedeutet indessen nicht lediglich eine neue Erkenntnis; denn weil Gott bei dem konkreten Menschen gegenwärtig wird und ihn zur Gleichheit mit Christus umschafft, wird die Christusoffenbarung auch als ein Geschehen verstanden, worüber der Mensch nicht selbst verfügen kann, sondern was über den Menschen verfügt. Das gleiche läßt sich nun auch von Gottes allgemeiner Offenbarung durch das Gesetz sagen. Im Gegensatz zur Christusoffenbarung ist sie nichts Naturgegebenes, sondern folgt aus dem Handeln Gottes in seiner Schöpfung, und gerade diese Beziehung zwischen allgemeiner und besonderer Offenbarung bei Luther deutet an, daß es nicht möglich ist, sein Offenbarungsverständnis einzig mit Hilfe genereller Begriffe wie „theozentrisch" bzw. „christozentrisch" zu beschreiben19. Daß Gott auch in Christus „verhüllt" ist, bedeutet also nicht eine Aufhebung der oben (Teil A) dargestellten Auffassung von Gott als dem vor allem anderen W A 37, 43, 6 f f . (Predigten 1533 2. Artikel). W A 25, 236, 35—237, 39 (Vorl. über Jesaia 1527—29 Jes 37, 16—19). „Aber wen wirs hetten begreiffen können, so hette ehr nicht durffen von himmel kommen und es uns offenbaren": W A 4 7 , 1 7 8 , 32 ff. (Ausi, des 3. und 4. Kap. Johannis 1539 Joh 3, 32). 1 8 W A 52, 500, 3 2 f . (Hauspostille 1544 Mt 9, 1—8); ib. 3 4 2 , 1 3 f f . 1 9 Der Mensch kann also nicht über das Gesetz oder das Evangelium verfügen, sondern wird durch sie Gegenstand des Handelns Gottes. Vgl. hierzu A. Siirala 1956, S . 2 0 6 , Anm. 101 und S. 208, Anm. 109. 16

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wirkenden Schöpfer, der sich offenbart, indem er Leben und Ordnung schenkt, sondern setzt diese gerade voraus. Nur so wird es möglich, die innere Einheit von Schöpfung und Erlösung recht zu bestimmen. Zwar ist Gott im Himmel20, aber dadurch, daß er sich offenbart, wird — sagt Luther — der Himmel auf die Erde herniedergebracht21. Gott und die Welt sind also dem Glauben nicht zwei ganz getrennte Seinsgrößen, die es miteinander in Beziehung zu setzen gilt. Da aber Luther andererseits nicht pantheistisch über das Verhältnis von Schöpfer und Schöpfung denkt, sondern Gott in der Schöpfung als Geist und Wort wirksam sieht (Kap. I), und da Gott unteilbar ist, handelt es sich sowohl in seiner „allgemeinen" wie in seiner „besonderen" Gegenwart um die Gegenwart des Geistes Christi oder des Wortes. Wenn Luther sagt, daß Gott nicht „überall gleich zu fassen ist"22, sondern nur in ihm gegenwärtig ist, der das lebendige Wort Gottes ist, und in dem der Schöpfung ihr Ziel (telos), d.h. Christus, offenbar wird, so setzt das voraus, daß Gott überall in der Welt wirken muß, um in Christus erkannt werden zu können, genau so wie die Sonne scheinen muß, um erforscht werden zu können23. Wo Gott nicht handelt, ist nur der unerkannte unverhüllte Gott24. Verhüllt ist Gott aber in seiner gesamten Schöpfung gegenwärtig, und Gottes Wille kann deshalb nicht aus dem Inneren des Menschen erfahren werden25. Schon als „Weltperson" oder „homo politicus" hat der Mensch also, ohne sich dessen stets bewußt zu sein, durch die göttliche Offenbarung teil am Willen Gottes, so daß er weiß, „wie man sich im Haushalten, in und gegen der Oberkeit und Unterthanen schicken sol"26. Dies ist also eine Erkenntnis, die ihren Ursprung darin hat, daß Gott alle Menschen schafft 20 „Denn Gott wonet jnn einem liecht, da niemand zu komen kan [lTim 6,16] sondern er mus zu uns komen, doch jnn der latern verborgen . . . Niemand hat Gott jemals gesehen, der Son jnn des Vaters hertz hats uns offenbart [ J o h l , 18]. Und zuvor Moses spricht: Kein Mensch kan mich sehen und leben" [Ex 33, 20] : WA 50,273, 34 ff. (Die drei Symbola 1538). 21 „Wenn gott sich offenbarn will, sso ist der hymell nahe und alle ding. Gott ist an allen enden, darff sich nit herablassen vom hymell, ist bald geschehen eyn solch gesicht, das er wahrhafftig ym hymell sey und doch auffs aller nehist gesehen werd, on alle scherffen odder wandell der synnen: WA 10/1, 1, 268,16—269,2 (Kirchenpostille 1522 Apg 6,8—14). 22 Vgl. E.Metzke 1948, S.42—50 mit Belegstellen. 23 „So ist abermal beschlossen, niemand sihet nichts, kein vernunfft verstehet nichts, wo das wort nicht leucht, wilchs ist das lebendige liecht, das da scheinet ynn alle ort der weit ynnen und aussen, zeitlich und ewig": WA 17/11,321,14—17 (Festpostille 1527 J o h l , 1—14). Siehe auch H.W.Beyer, Gott und die Geschichte nach Luthers Auslegung des Magnificat (Lutherjahrbuch Jg. 21, 1939, S. 110—134), S. 115 f. 24 „Quare . . . sentiamus Deum ante conditionem mundi fuisse incomprehensibilem in sua essentiali quiete, Nunc autem post creationem esse intra, extra et supra omnes creaturas . . . " : WA 42, 9, 26—29 (Gn 1,2). „Quia extra illud initium creaturae nihil est quam nuda essentia divina et nudus Deus . . . Nobis videtur, quod incipiat dicere, quia non possumus progredì ultra principium temporis. Sed quia Ioannes et Moses dicunt, esse Verbum in principio et ante omnem creaturam, necesse est, semper id fuisse in Creatore et in nuda essentia Dei": ib. 14, 28—35 (Gn 1, 3). 25 R. Bring 1948 s , S, 260 (dt. 1951, S. 15). 2t WA 50, 452, 21 f. (Etliche Fabeln aus Äsop 1530), WA 43, 514, 5—26 (Gn 27,11—14) und WA 44, 648, 27—36 (Gn 46, 28). Siehe audi A. Siirala 1956, S. 263, und H . Lindström 1951, S. 81.

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und erhält und als Mitarbeiter in seinen Dienst nimmt, und daher läßt sich sehr wohl denken, daß der Christ in dieser Hinsicht vom Heiden lernen kann und umgekehrt 27 . Gott ist immer der Schöpfer und offenbart sich so auch abseits vom inneren Glauben und Gehorsam des Herzens. Aber hier zeigt sich auch ein Unterschied. Die allgemeine Gegenwart Gottes für alle verleiht nur eine gewisse Erkenntnis vom äußeren Wesen der Schöpfung, sie gibt keine Auskunft über ihr telos. Die äußere Schöpfung vermag nicht an und für sich dem Menschen eine rechte Vorstellung vom „Angesicht" Gottes zu vermitteln; weil der Mensch sich nicht selbst zu Gott erheben kann, um sozusagen über der Schöpfung den Willen seines „Wohlgefallens" oder seiner „unverhüllten Majestät" (voluntas substantialis, beneplaciti, voluntas seu nuda Maiestas) zu suchen, offenbart sich „Gott selbst" (Deus ipse) in den Dingen, die er schafft28. Die Einheit von Schöpfung und Schöpfer bzw. Schöpfung und Erlösung ist also nicht rational, sondern von Gott bewirkt und deshalb nur als ein Werk Gottes im Herzen des Menschen erkennbar. Obgleich der Mensch somit nur durch die besondere Offenbarung oder im Glauben eins wird mit dem Willen Gottes und seine Gegenwart in der äußeren Schöpfung recht versteht, ist doch Gott schon vor dem Glauben überall gegenwärtig. Natur und Geschichte sind für Luther Gottes „Masken" (larvae Dei), die sein wirkliches Antlitz (facies) verbergen. Außerhalb seiner „besonderen" Offenbarungszeichen, in denen der Glaube geschaffen wird, zeigt sich Gott jedoch als verdammendes Gesetz und zerschmetternder Zorn. Durch Gottes allgemeine Offenbarung im Gesetz wird doch der äußere Mensch erleuchtet und geführt. Der innere Mensch (das Gewissen oder Herz) dagegen irrt im Dunkeln umher, einzig geführt von der Offenbarung, die das Gesetz schenkt. Wohl werden durch die „Masken", durch die Gott die Welt regiert 29 , alle in seinen Dienst gestellt, aber es wissen damit noch lange nicht alle um den rechten „Gottesdienst", in welchem das lebendige Wort zum „Herzen" spricht und darin die rechte Ansicht von Gott, und damit die rechte, schöpfungsgemäße Aufsicht über die Dinge und die tröstliche Aussicht auf die ewige Zukunft des Menschen bewirkt 30 . Durch seine allgemeine Gegenwart und Offenbarung übt Gott sein weltliches Regiment in der gefallenen Welt aus und schafft „zeitlichen und vergenglichen friede recht und leben" ; durch seine besondere Gegenwart oder Offenbarung übt er sún. geistliches Regiment aus und schafft ewige Gerechtigkeit und ewiges Leben31. 2 8 W A 42, 294, 36 ff. (Gn 6, 5). W A 50, 4 5 2 f f . (Etliche Fabeln aus Äsop 1530). Zum larva-Gedanken siehe u.a. W A 1 6 , 2 6 2 , 3 5 f f . (Predigten über das 2.Buch Mose 1 5 2 4 — 2 7 Ex 1 3 , 1 8 ) , W A 17/11,192, 28 ff. (Fastenpostille 1525 Mt 4 , 1 ff.), W A 23, 8, 36 ff. (Vorrede zu Joh. Lichtenbergers Weissagung 1527) und W A 40/1,174, 3 (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 2, 6). 3 0 Siehe W A 42, 9 ff. (Gn 1 , 2 ) . 3 1 W A 30/11, 554, 1 2 — 1 6 (Eine Predigt, daß man Kinder . . . 1530). Luthers Regimentenlehre, die in der neueren Lutherforschung lebhaft diskutiert wird, muß also sowohl vom Schöpfungs- wie vom Inkarnationsgedanken her verstanden werden. Eine gute Zusammenfassung des augenblicklichen Standes der Forschung zur Frage der Regimentenlehre bei Luther sind H. Bornkamm, Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie ( A R G Jg. 49, 1958, S. 26—49), und O. Sundby, Luthers regementslära i den aktuella debatten (Ny K y r k l i g Tidskrift Jg. 28, 1959, S. 126—140). 27

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Geistliches und weltliches Regiment sind jedoch nicht identisch mit der konkreten Obrigkeit oder der Kirche. Der verherrlichte Christus ist als das Wort Gottes Herr über beide Regimente, und wo letztlich die Grenze verläuft, ist außerhalb des Glaubens an Christus verborgen. Die Einheit liegt in dem verherrlichten Christus, der Wort von Ewigkeit ist, und in dem die beiden Regimente in eins zusammengefaßt sind32. Solange der Mensch in der Zeit lebt, gilt für ihn noch die Grenze, die so entscheidend ist, daß ihr Überschreiten alles zerstört; um der Erhaltung und Erlösung des Menschen willen muß sie beibehalten werden. Im weltlichen Regiment soll das Gesetz herrschen, im geistlichen das Evangelium; nur so führen die beiden ihr opus proprium aus 33 . Da Gott durch das Gesetz auch abseits der Herzen handelt, ist der Glaube keine Vorbedingung dieser Offenbarung für alle. Gott ist incognito mitten unter den Menschen in ihrem Stand und Beruf, aber in der besonderen Offenbarung durch das Evangelium offenbart Gott, daß die Kirche ebenso wie die Obrigkeit tatsächlich larvae für Gottes Wort an den Menschen sind34, daß seine gesamte Lebensexistenz als innerer und äußerer Mensch an Gott gebunden ist, welcher, indem er schafft, dem Menschen mit seinen Geboten entgegentritt, die also „nata et concreata, non data, Inuenta, non tradita, viua non scripta" sind35, und da Gott somit selbst durch sein Wort in der Geschichte handelt, kommt gerade der fromme Versuch einer Flucht in die Übergeschichte einem Sprung ins Leere gleich 36 . Weil es also Gott ist, der dem Menschen bereits durch das Gesetz des weltlichen Regiments begegnet, ist es nicht ganz zutreffend, wenn H.-W. Krumwiede sagt, daß die Schöpfungsordnungen zwar dem Teufel entzogen seien (da Gott ja das Böse bekämpft, indem er in ihm seinen Willen offenbart), daß sie jedoch Ordnungen „ohne Gott" seien37. Luther hat nach Krumwiede die äußere Schöpfung „entheiligt" ; auch scheint er zu meinen, daß Gottes Gesetz und Evangelium nur im geistlichen Regiment zu finden seien. Das weltliche Regiment wird damit fälschlich als „der Bereich geschichtlichen Handelns, in dem Gott sich nicht offenbart, sondern verborgen hat", aufgefaßt 38 . Wenn Krumwiede durch das Gegensatzpaar „verborgen" und „offenbar" die grundsätzliche Verschiedenheit des weltlichen vom geistlichen Reich bezeichnen will, zerreißt er sogar Christus, indem er ihn nur insoweit für das weltliche Regiment zuständig sein läßt, als die Christen darin Dienst zu leisten haben39. Er hat damit ebenso wie E. Thestrup Pedersen das dialektische Verhältnis der beiden Begriffe „involutus" bzw. „absconditus" nicht hinreichend berücksichtigt. Gott schenkt durch das Gesetz im weltlichen Regiment nicht das ewige Leben, sondern nur eine äußere Ordnung und Frieden in dieser Zeit; das Evangelium darf W A 46, 733, I f f . (Ausi, des 1. und 2 . K a p . Joh 1538 J o h 2 , 1 3 f f . ) . Ib. 733, 8 ff., 734, 18 ff. 34 Eine „politia" gab es im Urständ nicht, dagegen aber Gottes Gebot und „oeconomia". Das „Schwert" bzw. der Gebrauch von Gewalt in den Ordnungen ist das Neue nach dem Fall: s. A . S i i r a l a 1956, S . 2 5 1 , A n m . 2 5 0 . 3 5 W A 5 6 , 1 9 9 , 2 2 f . (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 2 , 1 1 ) ; s. auch die Belege bei A . S i i r a l a 1956, S. 238 ff. 3 8 Siehe H. Lindroth 1947, S. 192, und E. Thestrup Pedersen 1959, S. 1 1 1 . 37 H.-W. Krumwiede 1952, S. 20 u. 28 . 38 Ib. S. 35 . 39 Ib. S. 36 ff. 32

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deshalb dem äußeren Menschen nicht als ein neues Geset% gepredigt werden. Für Luther wirkt das Gesetz, das den Menschen erschafft und erhält, bereits im weltlichen Regiment, wenn das Evangelium erklingt und den Glauben erweckt. Das Evangelium ist ein Wort, das den inneren Menschen den tiefsten Sinn des Gesetzes lehrt, d. h. es „zeiget nicht zeitliche guter, dadurch man dieses leben erhalte, denn solchs hat die vernunfft vorhin alles einen iglichen gelerei, Sondern das wil es leren, wie wir sollen komen zu jenem leben, und heist dich dieses lebens brauchen . . . doch das du wissest wo du bleiben und leben sollest, wenn solchs auffhoren mus" 40 . Das Evangelium weist also hin auf das Ziel der Schöpfung und lehrt den Menschen, sich ihrer in Freiheit zu bedienen. Das Gesetz in seinem primus usus haben alle, aber nicht alle verstehen seinen rechten Inhalt. Daher richtet Gott „legis ministerium" (den zweiten Gebrauch des Gesetzes) auf, um die Sünde zu entdecken, die den Menschen daran hindert, das Gesetz recht zu erfüllen41. Es verhält sich jedoch nicht so (wie Krumwiede glaubt), daß das Gesetz, das Ordnung schenkt (lex naturae), in der Hand des Menschen ist und das Gesetz zum Gericht (lex spiritualis) in der Hand Gottes42. Es handelt sich in beiden Fällen um Gottes Gesetz und um ein göttliches Offenbarungshandeln. Daß Krumwiede zu diesem Fehlschluß kommt, dürfte damit zusammenhängen, daß er, wenn Luther von Offenbarung spricht, nur an bewußte Erkenntnis denkt. Die Offenbarung Gottes vermag aber für Luther gegebenenfalls das Handeln des Menschen zu bestimmen, ohne daß er selbst weiß, warum er so oder so handelt. Gott ist ja der verhüllte Schöpfer, der in allen alles wirkt 43 . Für Luther bedeutet die allgemeine Offenbarung deshalb zunächst, daß Gott selbst durch das Gesetz die Welt erhält 44 ; er gebraucht dabei den Menschen als W A 32, 304, 2 7 — 3 2 (Wochenpred. über M t 5 — 7 1 5 3 0 — 3 2 ) . „Lex omnibus est communis, sed non omnes sentiunt eius v i m et effectum, nihilominus sive homines convertantur sive non, tarnen docenda est lex. In hoc enim instituit Deus legis ministerium, ut revelet et ostendat peccatum; qui ea tanguntur, tanguntur; wen's trifft, den triffts": W A 3 9 / 1 , 4 0 4 , 1 6 — 2 0 (Die erste Disp. gegen die Antinomer 1 5 3 7 ) . 42 H.-W. Krumwiede 1952, S.65—67. 4 3 Denselben Fehler wie H . - W . K r u m w i e d e begeht G. Heintze, Luthers Predigt v o n Gesetz und Evangelium (FGLP, 10. R., Bd. X I ) , München 1 9 5 8 . 4 4 „Quid est regnum Dei? Nihil aliud est, quam sicut ipse v i v i t et regnat" : W A 30/1, 4 7 , 2 7 (Katechismuspredigten 1 5 2 8 Rörer). „Denn Gott ist ein milder, reither herr, der w i r f f t gros Gold, Silber, Reichtum, Herschafften Koenigreiche unter die Gottlosen, als were es sprew oder sand. A l s o w i r f f t er audi unter sie hohe vernunfft, Weisheit, sprachen, Redekunst, das seine lieben Christen lauter kinder, narren und bettler gegen sie anzusehen sind": W A 5 1 , 2 4 2 , 1 5 — 1 9 (Ausi, des 1 0 1 . Ps 1534/35 Ps 1 0 1 , 5). „ G o t t aber mus der oeberst und nehest sein, der solchen ring oder cirkel erhalte w i d e r den Teuffei, und alles thu in allen Stenden, ja in allen creaturen": W A 5 0 , 6 5 2 , 7 f f . (Von den Conciliis und Kirchen 1539). D a die Eltern und die Obrigkeit v o n Gott als dem Herren eingesetzt sind, bleibt G o t t auch das handelnde Subjekt in den natürlichen und sozialen Ordnungen der W e l t : W A 2 4 , 4 4 , 2 0 — 4 5 , 1 3 (Über das l.Buch Mose 1 5 2 7 G n 1 , 1 9 ) und W A 4 2 , 2 5 , 1 4 — 3 7 ( G n 1, 9). U m „Eigengesetzlichkeit" in der üblichen Bedeutung des Wortes handelt es sich also hier nicht, da Gott ja gleichzeitig gedacht w i r d als in den Ordnungen im K a m p f gegen das Böse stehend: W A 18, 307, 5 f f . (Ermahnung zum Frieden . . . 1 5 2 5 ) ; W A T i 1, 3, 1 1 — 2 4 ( 1 5 3 1 ) . Siehe auch E.Thestrup Pedersen 1 9 5 0 , S . 1 8 . 40

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Werkzeug, und ein Werkzeug ist ja nie etwas Unabhängiges oder Eigenständiges. Gott ist also auch Subjekt des Gesetzes in seinem ersten oder zivilen Gebrauch. Gottes allgemeine Offenbarung ist aber nur ein Regiment des Gesetzes für diese Welt. Das Evangelium, das dem Menschen das ursprüngliche, unvergängliche Leben zurückgibt, hebt daher zwar das Gesetz nicht auf, sondern es durchbricht und vollendet das Gesetz. Luther vermag also dem Unterschied der Regimente Ausdruck zu verleihen, ohne jedoch deshalb den Gedanken aufzugeben, daß sie in der Hand Gottes, des Schöpfers, Erhalters und Vollenders verbunden sind. Im weltlichen Regiment wird der Mensch in ein Funktionsverhältnis zu Gott gestellt, im geistlichen Regiment aber in ein Ak^eptationsverhältnis. Zwischen diesen beiden besteht ein unauflöslicher innerer Zusammenhang 45 . Das Evangelium läßt den Menschen erfahren, daß Gott über das Erschaffen und Erhalten hinaus ihn als sein gutes Geschöpf akzeptiert und zu freier Kindschaft und Mitarbeit beruft, und ferner, daß er, solange er nicht von Gott akzeptiert ist, zwar Gott und seinen Forderungen nicht entrinnt, aber den willigen Gehorsam schuldig bleibt. Weil Gott im weltlichen Regiment allen Menschen gegenwärtig ist, steht wie der Heide so auch — in einer Hinsicht — der Christ unter dem Zorn und sind beide für ihr Leben und ihre Tätigkeit in der Welt auf Gottes allgemeines Offenbarungshandeln angewiesen. Beide stehen nämlich unter dem Gesetz des göttlichen Willens, der die Schöpfung erhält. Der Christ besitzt daher keine höhere Erkenntnis Gottes als eines metaphysischen Wesens oder der Schöpfung in ihrer immanenten Struktur. Die „höhere Erkenntnis" des Christen bezieht sich auf die rechte Verbindung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment, die rechte Einschätzung Gottes als des Schöpfers und Erlösers und daher auch das angemessene Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung. Der Heide ist im Unterschied zum Christen nicht nur als äußerer, sondern auch als innerer Mensch allein durch das Gesetz bestimmt und erfüllt deshalb nicht den eigentlichen Inhalt des Gesetzes; er ist zwar der Forderung und dem Bedürfnis unterworfen, sich selbst zu behaupten, aber versteht und empfängt alles nicht als Gaben von Gott. Wenngleich er dadurch gezwungen wird, in gewissem Umfang dem Nächsten zu dienen und über die Schöpfung zu herrschen, so geschieht dies nicht zur Ehre Gottes ; er verehrt damit nur Gottes irdische Verhüllung anstatt Gott 4 6 ; ratio und lex werden also vom Evangelium isoliert und zur Werkgerechtigkeit mißbraucht. Der Mensch sucht sein Heil aus eigener Kraft ohne die Offenbarung durch das Evangelium und versucht damit, sein Leben in der Welt auf der Ebene einer eigenen Allmacht einzurichten. Daran denkt Luther, wenn er davor warnt, Gott in seiner unverhüllten Majestät abseits seiner irdischen Verkleidung zu suchen 47 . Gleich Adam reißt man dann die Gottebenbildlichkeit an sich und versucht zu sein „sicut Deus". 45

U . M a n n 1957, S.186. WA 56, 176, 26 ff. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 1,19) und ib. 325, 1—21 (Rom 6, 6). Vgl. W A 2, 537, 22 ff. (Galaterbriefkommentar 1519 Gal 4, 8), WA 17/1, 6 5 , 1 0 (Predigten 1525 H s Rörer Mt 4, 1 ff.), ib. 66, 2; 192,1—13 (Pred. 1525 Rörer Mk 16, Iff.), W A 20, 2 7 2 , 1 6 — 2 4 (Pred. 1526 Mt 4 , 1 ff.), ib. 276,15 und W A 17/11,192, 3. 28 ff. (Fastenpostille 1525 Mt 4 , 1 ff.). 47 WA 16,113, 9—119, 5 (Pred. über das 2.Buch Mose 1524—27 Ex 7, 3). 46

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Kapitel V : Offenbarung u n d Wiederherstellung

Die Unterscheidung „Deus nudus et vestitus" schützt also den Gedanken der 48 Gottes in seinem Offenbarungshandeln . Es bleibt nun aber die Frage offen, wie Luther diese Beziehung der allgemeinen Offenbarung Gottes zur Christusoffenbarung genauer bestimmt. Die „natürliche Theologie" bei Luther ist ein umstrittenes Kapitel innerhalb der Lutherforschung. Wie R. Josefson aufgezeigt hat, liegt Luthers Ausgangspunkt nicht in der römischen Unterscheidung einer „theologia naturalis" von einer „theologia revelationis", sondern in seiner reformatorischen Grundanschauung, d. h. der Lehre von der Rechtfertigung sola fide49. Diese ist aber —· wie wir angedeutet haben — kein rationales Prinzip, sondern hat ihre Voraussetzung gerade in Luthers Unterscheidung zwischen Gottes „allgemeiner" und „besonderer" Offenbarung 50 . Die Offenbarung in Christus schenkt zwar keine Vervollständigung des „natürlichen" Erkenntnisinhalts der Vernunft, aber wenn Luther gelegentlich Vernunft und Offenbarung als zwei unversöhnliche Feinde einander gegenüberstellt, bedeutet dies nicht, daß Vernunft und Offenbarung bei Luther als zwei völlig verschiedene religiöse Prinzipien bezeichnet werden müssen. Zieht man diesen Schluß, so werden Vernunft und Offenbarung leicht als zwei einander gänzlich ausschließende Faktoren bei den Menschen aufgefaßt. Bei Luther findet sich ratio als böses Prinzip nur dort, wo sich der Mensch und damit auch seine ratio gegen Gott auflehnt. Eine Vernunft, die keinen Gott hat, gibt es nach Luther nicht. Für ihn lautet die Frage letztlich: Was bestimmt die Ausrichtung der Vernunft, was lenkt des Menschen Vernunft und Willen, Gott oder Satan, d.h. der in Christus offenbarte Liebeswille Gottes oder die selbstsüchtigen Wünsche des Menschen? Unausweichlkhkeit

Der Unterschied zwischen der cognitio legalis des Heiden und des Christen liegt deshalb nicht in der Vernunft, sondern besteht darin, daß der Heide zwar die Gebote der zweiten Tafel, welche die Nächstenliebe und die Herrschaft über die Dinge befehlen, einigermaßen erkennt, während er die Gebote der ersten Tafel, welche den Götzendienst verbieten und die Anbetung des wahren Gottes befehlen, gar nicht befolgt 51 ; aber man sollte doch nicht unterlassen, zu beachten, daß Luther niemals sagt, den Heiden fehle überhaupt die göttliche Offenbarung; ihnen fehlt nur „primae tabulae donum, nempe verum Deum et certum eius cultum" 52 . Auch der Unglaube steht beständig dem Handeln Gottes in seiner Schöpfung gegenüber und besitzt daher ein gewisses Maß an Einsicht in das Gesetz und in bezug auf den Schöpfer 53 . Die Heiden wissen, daß es einen Gott gibt, daß er Himmel und 48 Man kann also zwar von einer Offenbarung Gottes schon vor Christus reden, aber dies ist dann nicht die Offenbarung seiner Gnade. Luther unterscheidet deswegen zwischen „Deus absconditus" und „Deus praedicatus" oder zwischen „Verbum Dei" und „Deus ipse". Hierzu s.u. Kap. V, 3 und W A 18, 685,25 ff. (De servo arbitrio 1525), ferner WA 39/1, 244, 29—246, 33 (Die Prom.disp. von Palladius und Tilemann 1537). 49 R. Josefson, Den naturliga teologien . . . 1943, S. 11. 50 Vgl. F.Brunstäd 1957, S. 120. 51 WA 40/III, 83, 28—33 (In X V Psalmos graduum 1540 Dr Ps 122,1). 52 Ib. 83, 30 f. 53 WA 56,197, 6—199, 4 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 2,12), W A 1, 502,16—25 (Decern praecepta . . . 1518 Mt 7 , 1 2 ) , WA 7, 205, 17 (Eine kurze Form der zehn Gebote

2. Deus nudus et vestitus

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Erde geschaffen hat, daß er gerecht ist und die Gottlosen straft54. Da ihnen jedoch der rechte Gottesdienst und damit „Gott selbst" fehlt, leben sie unter dauernder Ungewißheit hinsichtlich Gottes Gedanken über sie und darüber, was er ihnen tatsächlich zu schenken bereit ist und was er tun will, um sie von der Sünde, Tod und Teufel zu befreien. In ihrem Innern herrscht das Gesetz. Es fehlt ihnen das Wort des Evangeliums 55 . Der natürlichen Vernunft fehlt auch niemals die (wenn man so sagen darf) formale Gotteserkenntnis, „das man frum seyn soll und gott dienen", sondern die materiale Gotteserkenntnis, „wie unnd warynn man soll frum werden odder gott dienen". Aber dieser Mangel ist kein Mangel göttlicher Offenbarung, sondern beruht auf der Gefangenschaft des Menschen in der Sünde66. Da Gott als Schöpfer beständig seinen Willen kundtut, hat es niemals ein Volk gegeben, das so gottlos gewesen wäre, daß es nicht irgendeine Art Gottesdienst eingerichtet hätte57. Aber nur wer das Wort Gottes besitzt, kann den wahren Gott verehren. Die Vernunft, die nicht vom Evangelium Gottes erleuchtet ist, kennt nur den Gott des Gesetzes und besitzt nicht die wahre, erlösende Offenbarung, die den gefallenen Menschen aufrichtet58. Sowohl Gesetz wie Evangelium sind also revelatio. Aber das letztere ist die Erfüllung und der rechte Inhalt des ersteren in dem Sinne, daß es die restitutio hominis bewirkt, in der Gott in Wahrheit erkannt und verehrt wird. Luthers Ausspruch: „Aber die Vernunnft bleibet bey der ersten erkentnis Gottes, so aus dem Gesetz herkoemet, und redet gar tunckel davon" 59 , bedeutet also nicht, daß ratio und Offenbarung zwei gänzlich verschiedene Dinge wären, sondern daß die ratio beim Menschen durch den Unglauben ein falsches Vorzeichen, eine falsche Ausrichtung (an Christus vorbei) erhält. Der Unglaube pervertiert die Vernunft und damit ihr Verständnis von Gott und der Welt; das Evangelium als Schöpferwort schenkt dem Menschen „Gott selbst". Der wahre dreieinige Gott ist nur in Christus „eusserlich zu finden und anzutreffen"60; dort, wo dieser verkündigt wird, ist die angemessene Erkenntnis Gottes angeboten und wird die rechte, „natürliche" Vernunft geschaffen. Eine Gotteserkenntnis der Vernunft, die in etc. 1520), ib. 208, 22; 2 1 4 , 1 2 , W A 1 0 / 1 , 1 , 2 4 0 , 2 3 (Kirchenpostille 1522 J o h l , 1—14), W A 18, 80, 33—38 (Wider die himmlischen Propheten . . . 1525), ib. 80, 18. 35 ff.; 8 1 , 1 8 , W A 16, 380, I f f . (Unterrichtung, Wie sich die Christen in Mosen sollen schicken 1525 Rörer), ib. 4 4 7 , 2 6 — 3 9 (Predigten über das 2.Buch Mose 1 5 2 4 — 2 7 Ex 20, 5), ib. 5 1 2 , 2 5 — 3 1 (Ex 2 0 , 1 4 ) , W A 34/11, 1 7 2 , 1 ff. (Predigten 1531 Lk 10, 23 Rörer), W A 46, 668, 9 f. und 3 1 — 3 6 (Auslegung des 1. u. 2. Kap. Joh 1537—38 D r J o h l , 18) und W A 50, 3 3 1 , 1 — 3 6 (Ein Brif d. Mart. Luthers. Wider die Sabbather etc. 1538). 5 4 W A 40/1, 607, 29 £. (Galaterbriefkommentar 1535 D r Gal 4, 8). 5 5 W A 16, 4 3 , 1 0 — 1 9 (Predigten über das 2. Euch Mose 1 5 2 4 — 2 7 Ex 3, 6), ib. 4 4 , 1 1 f. und W A 14, 6 4 8 , 1 3 (Deuteronomion Mosi cum annotationibus 1525 D t 1 3 , 1 ) . Vgl. W A T i 6, 56—62 (Aurifaber). 5 6 W A 10/1,1, 2 0 5 , 4 — 2 1 (Kirchenpostille 1522 Joh 1 , 1 — 1 4 ) und ib. 2 0 6 , 1 5 . 5 7 W A 30/1,134, 35 ff. (Der Grosse Catechismus 1529). 5 8 W A 1 6 , 4 3 , 1 0 — 1 9 (Predigten über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 — 2 7 Ex 3, 6) und W A 19, 206, 7—207, 13 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526 Jona 1, 5). 5 8 W A 46, 669, 22 f. (Predigten über das 1. und 2. Kap. Joh 1537—38 Joh 1 , 1 8 ) . 60 W A 38, 374, 31 ff. (Eine einfältige Weise zu beten . . . 1535).

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Kapitel V : Offenbarung u n d Wiederherstellung

Gegensatz zum Wort gerät, ist also ein Zeichen von Unnatur61. Wenn man aber des natürlichen Menschen Mangel an Gotteserkenntnis als das „Natürliche" betrachtet, wozu die besondere Offenbarung zukommt als etwas nur Geistliches, wird die Offenbarung zum Vermittler nicht der Gegenwart des lebendigen Gottes, sondern einer Art übernatürlicher, gewöhnlicher „gesunder" Vernunft unzugänglicher Erkenntnis. Die Offenbarung wird somit von Luther nicht einfach als eine Feindin der Vernunft angesehen, sondern vielmehr als das Erschaffen der Vernunft; die falsche Gottesverehrung der Werkgerechtigkeit hat also ihren Ursprung nicht in der Vernunft, sondern in der Sünde, für die der Mensch, wie wir oben sahen (Kapitel III und IV), letztlich selbst verantwortlich ist, und die cognitio legalis des konkreten Menschen steht deshalb zwar in einem bestimmten Verhältnis zu der Erkenntnis, die Gott durch seine allgemeine Gegenwart in der Schöpfung jeweils gewährt; da aber das Gesetz erst im Glauben an das Evangelium seine Erfüllung findet, erfährt der Mensch erst in der Begegnung mit diesem den rechten, d. h. den geistlichen Inhalt des Gesetzes, „Gott selbst" und das rechte Verständnis der Schöpfung62. Die Souveränität Gottes verhält sich zur Vernunft des Menschen also nicht in der Weise, daß sie sie ausschlösse; sie restituiert vielmehr die Vernunft. Luthers Kritik der Vernunft ist daher nicht einzig von seiner Betonung der göttlichen Offenbarung als der Feindin der Vernunft her aufzufassen, und Luthers Kritik der scholastischen Theologie kommt nicht einfach daher, daß diese die Vernunft höher schätzt als Luther, sondern von dem Unvermögen der Scholastik, der Wirklichkeitsauffassung der biblischen Offenbarung Ausdruck zu verleihen, welche die Welt als das Tätigkeitsfeld Gottes ansieht, den Menschen als zum Ebenbilde Gottes geschaffen und das Böse als Auflehnung gegen den Willen Gottes und Mißbrauch der guten Schöpfung versteht. Luthers Kritik an der Scholastik ist in diesem Punkt bestimmt von seiner aus der Schrift geschöpften Auffassung der Gegenwart der Allmacht Gottes in aller Wirklichkeit vor und unabhängig von der Vernunft des Menschen, aber nicht unbedingt über und im Gegensatz zu der Vernunft. Weil er Vernunft und Offenbarung nicht in der Art der Scholastik voneinander trennt bzw. miteinander verbindet, wird nicht nur die Frage der Anknüpfung für die Offenbarung Gottes im Menschen, sondern auch das Problem der Verantwortung des Menschen bei Luther anders gelöst. Die Vernunft wird nicht als etwas Zeitloses und Unzerstörbares, Gott selbst nicht als ein „ens separatum a creaturis . . . intra se contemplane creaturas" und der Mensch nicht als ein auf der Leiter der Vernunft zu Gott Hinaufsteigender aufgefaßt63, und die Offenbarung wird nicht als „das ganz Andere", das ohne Beziehung zu gewöhnlicher menschlicher Erfahrung ist, gedacht. Für Luther liegt der Anknüpfungspunkt nicht irgendwo im Menschen, sondern im Schöpferwort, 6 1 „Sonst, w o es nicht naturlich ym hertzen geschrieben stünde, müst man lange gesetz leren und predigen, ehe sichs das gewissen an neme": W A 18, 80, 3 5 f f . (Wider die himmlischen Propheten . . . 1525). 6 2 W A 1 0 / 1 , 1 , 1 2 , 4—18, 3 (Kirchenposulle 1522. Ein klein Unterricht). 63 W A 1 8 , 6 2 1 , 2 5 — 6 2 5 , 1 8 (De servo arbitrio 1525) und W A 4 3 , 2 4 0 , 2 3 ff. ( G n 2 2 , 1 6 b ) . Vgl. auch F.Brunstäd 1957, S . 1 1 6 f .

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das dem Menschen das Gesetz ins Herz schreibt und, indem es ihn nicht nur auf eine bestimmte Weise handeln läßt, sondern ihm auch die Gnade Gottes im Evangelium offenbart, ihn durch den Empfang der Offenbarung Gottes zu einer recht verantwortlich handelnden Person in seiner Beziehung zu den Dingen, dem Nächsten und Gott macht. Luthers Offenbarungsbegriff tritt also klar hervor, wenn man ihn gegen die völlig anders verstandene Wirklichkeitsauffassung der Scholastik hält 64 . Einen bedeutenden Beitrag in dieser Richtung leistet bereits Torgny Bohlin in seiner Abhandlung „Den korsfäste Skaparen" 65 . Während die Scholastik die Beziehung zwischen Gott und der Welt nach Bohlin räumlich oder lokal auffaßt, denkt Luther zeitlich oder geschichtlich. Da Gott für Luther nicht der über das Geschehen in der Welt Erhabene, sondern der in der Geschichte immerwährend Handelnde ist, müsse die Erlösung die Verwirklichung der Ewigkeit in der Zeit bedeuten. Für Luther sei deshalb Christus der „gekreuzigte Schöpfer". Das Kreuz sei also die Mitte der Geschichte, von wo aus Licht sowohl rückwärts über die Zeit seit Beginn der Schöpfung geworfen werde wie voraus über die gegenwärtige Zeit. In seiner Darstellung beschäftigt Bohlin sich jedoch mehr mit der Frage einer bei Luther vorhandenen und im Gegensatz zur Scholastik stehenden Lehre eines in der Offenbarung Gottes am Kreuz in der „Mitte der Geschichte" verwirklichten Eschaton als mit der Frage nach den Motiven der Lutherschen Auffassung von der Gegenwart Gottes „mitten in der Geschichte". Damit zwängt Bohlin Luther in ein einer gewissen modernen Exegese entlehntes und Luther fremdes Gedankenschema hinein. Gottes Gegenwart im Glauben wird wie im Schema der „realized eschatology" aufgefaßt und nicht als ein verborgenes Offenbarungshandeln Gottes. Andererseits aber tritt der Wert der Bohlinschen Arbeit klar hervor, wenn man seine Darstellung von Luthers Auffassung der realen Gegenwart Gottes in der Schöpfung mit der Behandlung dieser Frage in der älteren Lutherforschung vergleicht. Deren geringes Interesse und mangelhaftes Verständnis für Luthers Schöpfungstheologie machte es ihr unmöglich, seine Gedanken über Gottes Allgegenwart recht zu beurteilen und in seine Gesamtschau einzuordnen66. 64 „Daruemb solten die Schullerer nicht disputiren, ob ein Mensch aus jm selber wisse, das ein Gott sey? wie sie es denn dafuer gehalten haben und Gott erkennen wollen nach dem Gesetz, so in aller menschen hertzen geschrieben ist. Aber man solt fragen, wie man Gott erkennen moedite nach der warheit und gnade und nicht nach dem Gesetze, denn dasselbige erkenntnis findet sich selbs alzu seer, wenn man in schrecken oder sonst in todesnoeten ist, aber Gott erkennen an seiner gnade, das ist: vom himel offenbart, und sonst den Menschen gar verborgen gewesen": W A 46, 670, 2—9 (Predigten über 1. und 2 . K a p . Johannis 1537—38 Joh 1 , 1 8 ) . 65 Torgny Bohlin 1952. 8 9 R.Seeberg meinte, in Luthers Gottesanschauung verschiedene, miteinander unvereinbare Grundelemente unterscheiden zu können. Er unterschied erstens einen „metaphysischen" Grundzug: Gott als Allkausalität, der unbegreifliche absolute Gott. In Gegensatz dazu stellte er den „religiösen" Grundzug: den in Christus offenbarten Gnadenwillen des himmlischen Vaters. Als drittes fand er bei Luther ein „praktisch-weltanschauliches" Element: Gott als wirkender Wille in den weltlichen Ordnungen: s. R. Seeberg 1933 4 , S. 198. Es sind also die drei „lumina" bei Luther, die Seeberg in dieser Weise interpretiert. Wir

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

W ä h r e n d der letzten J a h r z e h n t e führte jedoch, wie u . a . Bohlins B u c h zeigt, eine vertiefte Beschäftigung m i t L u t h e r s Schöpfungsdenken zu einem neuen V e r ständnis der zentralen religiösen Bedeutung der Gedanken L u t h e r s über G o t t e s G e g e n w a r t in der Schöpfung 6 7 . Diese neue A u s w e r t u n g der Schöpfungstheologie L u t h e r s g r e n z t sich bewußt gegen die D e u t u n g des L u t h e r s c h e n Schöpfungsgedankens ab, welche die „ O r d n u n g s t h e o l o g i e " der dreißiger J a h r e unseres J a h r hunderts in Deutschland gab. Diese faßte die Schöpfung häufig als etwas Statisches und nicht als Gottes unablässiges Handeln auf. Soweit m a n G o t t e s G e g e n w a r t in der Schöpfung betonte, geschah das oft, u m das aktuelle historische G e schehen u n d damit auch eine bestimmte politische Ideologie zu legitimieren. D a bei w u r d e die unausweichliche V e r a n t w o r t u n g des Menschen als eines Geschöpfes G o t t e s — daß er nämlich letztlich z u m Bilde Christi geschaffen w a r d — v e r schleiert 6 8 . G o t t e s Verhältnis zur Schöpfung dachte m a n sich, genau wie in der scholastischen T h e o l o g i e , äußerst deistisch. F ü r L u t h e r jedoch ist der G o t t der E r l ö s u n g schon als Schöpfer gegenwärtig, u n d der M e n s c h kann dann weder zu ihm hinaufsteigen n o c h seiner V e r a n t w o r t u n g hier unten entfliehen, da er in aller Wirklichkeit, a u c h in dem B ö s e n , das er selbst verursacht, u n d in d e m Übel, dem er nicht entrinnen kann, v o r G o t t steht. D a ß G o t t , w e n n er allmächtig ist, a u c h allgegenwärtig sein m u ß , ist ja n u r eine logische Schlußfolgerung ; es „steht i m Herzen des Menschen geschrieben", sagt L u t h e r in D e servo arbitrio ( 1 5 2 5 ) 6 9 .

Ist aber G o t t überall, so m u ß er logisch ge-

kommen hierauf unten ausführlicher zurück in Kap. V, 3. E. Hirsch dagegen meint, eine größere Einheitlichkeit in Luthers Gottesbild aufzeigen zu können. Zwar unterscheidet auch er mehrere Linien in Luthers Gottesbild, einerseits den Gedanken der Freiheit des allmächtigen Schöpfers und andererseits den Gedanken der Notwendigkeit seiner Liebe, aber er zeigt audi, wie diese beiden Linien zusammengehören in dem Gedanken von Gott als dem unbedingten Willen und der lebendigen Person: E.Hirsch, Luthers Gottesanschauung, Göttingen 1918, S.12. Hirsch geht also aus von dem von Seeberg sog. „religiösen" Grundzug und macht ihn zum beherrschenden Zug in Luthers Gottesbild. Sicher haben beide, Seeberg und Hirsch, richtiges gesehen. Aber es bleibt doch die Frage, wie Luther den Gedanken von Gott als dem Schöpfer aller Dinge faßt. E. Schlink meint, Luthers Denken sei an diesem Punkt durch Unklarheiten und Vieldeutigkeiten gekennzeichnet: E. Schlink 1946 2 , S.68. F.Brunstäd dagegen möchte, gerade vom Schöpfungsbegriff ausgehend, die Einheit in Luthers Gottesbild wieder deutlich machen: s. Brunstäd 1951, S.32. Die frühere Lutherforschung hat in zu geringem Maße auf die eigenartige Ausformung von Luthers Gottesbegriff geachtet, daß nämlich der allmächtige Gott gerade auf Grund seiner Schöpfermacht in der Geschichte gegenwärtig ist. 07 Schon seit den dreißiger Jahren hat ein neues Interesse am Schöpfungsdenken bei Luther die Lutherforsthung besonders auch in Skandinavien bestimmt. Jedodi weder dort noch auf dem Kontinent hat die vom Lutherstudiuni angeregte systematische Theologie in nennenswertem Umfang diese rein historischen Untersuchungen ausgewertet. Dagegen besteht der Vorwurf von Neis Ferré (1939), die schwedische Lutherforsdiung habe den Schöpfungsgedanken in Luthers Theologie außer acht gelassen, nicht länger zu Recht: s. ders., Swedish Contributions to Modern Theology, London und New York 1939, S. 231. 6 8 Als abschreckendes, freilich für die „Ordnungstheologie" nicht ganz repräsentatives Beispiel für ein autonomistisches Mißverständnis der Theologie der Ordnungen sei genannt: A.Deutelmoser, Luther, Staat und Glaube, Jena 1937. Vgl. hierzu W.Künneth, Politik zwischen Dämon und Gott, Berlin 1954, S. 75 ff. 6 9 WA 18,719, 21—35 (De servo arbitrio 1525).

2. Deus nudus et vestitus

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sehen auch im Bösen sein. Diese Konsequenz konnte die von aristotelischer Philosophie bestimmte Scholastik nicht ziehen, weil sie von einer formalen Betrachtung von Gott als dem höchsten Sein ausging, dessen Hoheit nur in seiner DistanΖ zur Schöpfung liegt. Der Gottesbegriff der aristotelischen Philosophie baut nur auf den Bedingungen auf, die für die Dinge gelten, d. h. Grund und Ursache, Überund Unterordnung, Zeit und Raum usw. 70 . Die Theologie, die in den Kategorien dieser Philosophie denkt, steht nach Luther im Gegensatz zu Gott, so wie dieser sich uns in der Heiligen Schrift zeigt, wo er dargestellt wird als der, welcher in seinem Herabsteigen in die Schöpfung gewählt hat, allmächtig zu sein. Eine Theologie, die der Christusoffenbarung treu sein will, muß daher nach Luther auf der Hut sein vor dem „Licht", das in der allgemeinen Gotteserkenntnis leuchtet, welche die Philosophie besitzt. Diese Wirklichkeitsauffassung versucht den unverhüllten Gott zu fassen, begegnet dann aber nur dem „zornigen" Gott. Eine bekannte Stelle in Luthers Magnifikatauslegung (1521) ist in dieser Hinsicht sehr aufschlußreich. Es heißt hier zuerst, daß Gott, der allein alle Macht und Kraft hat und daher alles in allen wirkt, „ein wirckende macht und stettige tettigkeit, die on unterlasz geht ym schwanck und wirckt", ist71. Sowohl hier wie in De servo arbitrio (1525), wo ja das Allmachtsmotiv wie bekannt auf die Spitze getrieben wird 72 , begegnet Luthers spezieller Schöpfungsbegriff, der in eine ganz bestimmte, durch seinen Schöpfungsgedanken geformte Wirklichkeitsauffassung eingebaut ist und von ihr getragen wird. Wie wir im nächsten Abschnitt dieses Kapitels ausführlicher zeigen werden, hängt Luthers Prädestinationsgedanke intim mit seinem Schöpfungs- und Inkarnationsgedanken zusammen. In der Magnifikatauslegung (1521) tritt das womöglich noch deutlicher hervor. Da Gott der Allerhöchste ist und nichts und niemand über ihm steht, heißt es, kann er nicht nach oben oder zur Seite schauen, sondern muß den Blick mit Notwendigkeit nach unten richten 73 . Gott ist somit zwar über die Schöpfung erhaben, steht aber als Schöpfer und Erlöser immer in Beziehung zu seiner Welt und ist daher in ihr gegenwärtig als die Majestät der persönlichen Allmacht. Ebenso wie Gott nur in seiner Beziehung zum Menschen sich als Gott erweist, so wird nun auch der Mensch zu dem, was Gott mit ihm beabsichtigte, nur in der Begegnung mit Gottes persönlicher Gegenwart in seiner Offenbarung 74 . Der Deus-involutus-Begriff ist also in erster Linie vom Gedanken der Souveränität Gottes her zu verstehen, aber jene Souveränität ist vom Gedanken an den in seiner Schöpfung verborgen gegenwärtigen Gott, der den Menschen zur Verantwortung vor sich ruft, ausgeformt. 70 „Creaturae voluntati caussa et ratio praescribitur, sed non Creatoris voluntad, nisi alium illi praefeceris creatorem": WA 18, 712, 3 7 f . (De servo arbitrio 1525); vgl. ib. 784, 17—34. „Necessaria physice sunt, iudicio et conspectu humano. Sed coram Deo non sic, ibi sunt prohibita . . . " : WA 39/1, 231, 25—28 (Die Prom.disp. von Palladius und Tilemann 1537). Beziigl. Thomas von Aquin s. P.-E.Persson 1957, S. 92—151. 71 WA 7, 574, 3 ff. 29 if. (Magnificat 1521). 72 WA 18, 718, 21; 746, 4 f. (De servo arbitrio 1525). 73 74 WA 7, 547 f. Vgl. F.Brunstäd 1957, S . 1 3 4 f .

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Löfgren, Schöpfung

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Kapitel V: Offenbarung und Wiederherstellung

Der Deus-involutus-Begriff hängt aber auch mit Wort und Glauben, d.h. im Grunde mit Luthers Christologie, mit dem Deus in carne involutus seu investitus zusammen. Wenn Luther deshalb sagt, daß Christus genau wie Gott nicht an Zeit und Raum gebunden sei75, darf dies nicht als theologisch unsauberer Identitätstrick empfunden werden. Wie tief begründet dieser deutliche Zusammenhang zwischen Luthers Vorstellung von der allgemeinen Gegenwart Gottes in der Schöpfung und seiner Christologie ist, wird besonders in den Abendmahlsschriften Luthers deutlich. Daß Gott in Christus nicht nur „wesentlich", sondern „selbst" oder „leibhaftig" gegenwärtig ist76, daß Gott in Christus inkarniert ist, wird in engem Zusammenhang mit Christi Sieg über den Teufel gesehen. Christus hat im Gegensatz zu Adam die Macht der Versuchung besiegt, er griff nicht nach der „unverhüllten" göttlichen Majestät, sondern er war dem Wort gehorsam. Er erlag nicht der Versuchung und überwand so den Tod und erhielt teil an der Vollendung, der „visio Dei", an der ja auch Adam teilhätte, wäre er nicht gefallen. Damit wurde Christus durch seinen Gehorsam dem Wort gegenüber selbst eins mit dem Wort Gottes und kann somit dort sein, wo das ewige Wort selbst ist. Menschliches und Göttliches sind in ihm eine Vereinigung eingegangen, die der Vollendung der Gottebenbildlichkeit gleichkommt, die Adam geschenkt worden wäre, falls er die Probe bestanden und nicht selbst nach dem unverhüllten Gott gegriffen hätte. Christus ist deshalb als der verherrlichte Herr der Schöpfung der Allgegenwart Gottes teilhaftig und damit als Dominus mundi in der Schöpfung allgegenwärtig77. Der Zusammenhang des Deus-involutus-Begriffs mit der Christologie bedeutet, daß Gott immer bei den Menschen gegenwärtig ist, um als der in Christus gegenwärtige souveräne Gott der Erlösung erkannt zu werden, ohne daß die ethische Verantwortung des Menschen dadurch irgendwie aufgehoben wird. Denn der Gott, der in der Geschichte gegenwärtig ist und sein Gesetz allen Menschen offenbart, wird also erst im Glauben an Christus in Wahrheit offenbart als der Deus 75

WA 23, 133, 25 f. und 135, 3—11 (Dass diese Wort Christi . . . 1527), ib. 137, 20—30. Ib. 140,1—3. 25. 77 „Das ist des leidigen Teufels hoffart, darob er in Abgrund zur Hellen v e r w o r f e n ist, das er in die goettliche Majestet wolt greiffen, U n d nodi darob den Menschen gerne wolt mit jm zu fall bringen und stuertzen, wie er am anfang im Paradis gethan, auch die Heiligen und Christum selbs damit angefochten hat, da er ;n auff des Tempels spitzen stellet etc." : W A 21, 519, 29—34. Christus war aber in seiner Versuchung dem Wort Gottes gehorsam: W A 17/1, 64 f. Er hat dem Fürsten dieser Welt nicht gehorcht: WATi 1, 351, 7—35. Er ist deshalb unschuldig gestorben, wurde aber dadurch „stercker denn zuvor": WA 17/1, 78, 33—79,17. „Sed haec passio contingit Christiano, ut Adam wol sterb, ut in ilio ostendatur potentia verbi et fidei . . . Haec scripta, ut naturam fidei discamus, ne desperemus in medio tribulationis . . . Christi passio tractetur pro sacramento, das nur zu gut ist geschehen" : ib. 73,13—74, 6. Vgl. auch ib. 79, 2 9 — 8 0 , 1 4 : „Haec scripta sunt, ut videamus eum nos tueri in medio inimicorum, si sinit crucifigi, melius est, mox potest ex morte eripere, quosdam servat in vita, wenns die gantze weit verdrösse, scilicet ut praedicent euangelium etc. ut videamus eum per mortem dominium factum esse mortis et vitae, ut qui in morte sint, non moriantur, et qui in vita sunt, eciam si moriantur, tarnen non morientur, ,sive vivimus sive morimur, domini sumus' [Rom 14, 8], certi sumus nos dei esse sive in vita sive in morte, in sinu et manu eius sumus etc." 76

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vestitus. Das aber bedeutet nicht, daß der Mensch aufhört, in Freiheit und Verantwortung zu handeln, sondern daß er im Gegenteil nun erst wirklich frei und verantwortlich wird, denn jetzt beginnt er im Glauben an Christus so zu werden, wie Adam nach Gottes Willen sein sollte. Das Evangelium schenkt nicht nur etwas Neues, es erfüllt auch das bereits Gegebene — das Gesetz. Da Christus der in aller Wirklichkeit gegenwärtige Deus involutus ist, ist er auch der in allem Menschlichen Gegenwärtige. Daher schließt der Glaube eigenen menschlichen Willen im Gehorsam gegenüber Gottes mandatum nicht aus, sondern weist diesem nur seine rechte Aufgabe zu. Die Begegnung mit dem Evangelium bedeutet also nicht eine Aufhebung der Herrschaft über die Dinge und des Dienstes am Nächsten unter den Bedingungen des Gesetzes, sondern eine Befreiung zu dieser Herrschaft und diesem Dienst. Der Glaube wird hier in der Zeit niemals etwas lediglich Geistliches, sondern bleibt an das geschichtlich Konkrete gebunden, da nur in ihm Gott dem Menschen mit seinem Willen begegnet als ein Deus involutus seu vestitus. Luther wehrt sich allerdings gegen die erasmische Vermessenheit, die Gott das zudiktiert, was er nach menschlicher Vorstellung sein sollte. Das Göttliche ist nach Luther nicht an eine allgemein menschliche, allen offenbare Wahrheit gebunden, sondern an das Handeln Gottes, wie es dem Menschen in einer konkreten Situation mit der Forderung unbedingten Gehorsams begegnet, und das ethische Handeln des Menschen ist somit immer an die Forderung Gottes gebunden und Gott deshalb in seinem Handeln keinem wie auch immer gearteten Vorverständnis des Menschen von Gut und Böse verpflichtet; Gott hat immer mehrere Möglichkeiten, während der Mensch nur eine einzige besitzt. Gott ist niemandem etwas schuldig, da er allein aller Dinge Grund und Voraussetzung ist, der Mensch aber immer an Gottes Befehl gebunden bleibt78. Dem Unglauben mag Gottes Allmacht als göttliche Willkür erscheinen, für den Glauben dagegen ist sie gerade Ausdruck der gnädigen Zuwendung der göttlichen Majestät in Christus, durch welche die Ordnung des Gesetzes, d.h. die einzige dem natürlichen Menschen bekannte Ordnung, durchbrochen wird 79 . Der Schöpfergott ist für Luther nicht der nominalistische Gott der Willkür (Deus exlex), sondern der biblische, im Naturablauf und historischen Geschehen Gegenwärtige, der im Glauben als der persönlich Handelnde offenbar wird 80 . Während also Luther das Problem der ethischen Verantwortung des Menschen vom Gedanken an Gott als den Gebieter und Schöpfer her löst, wird es bei Erasmus von einem deistisch gefärbten Gottesbild her gelöst. Gott wird zu einem 78 W A 1 8 , 6 2 0 , 2 0 — 2 7 (De servo arbitrio 1525) und ib. 685, I f f . ; 7 2 9 , 1 5 f f . Vgl. E.Hirsch 1918, S . 2 4 f f . 79 A. Runestam und Torsten Bohlin bewerten den Gedanken der omnipotentia Dei generalis in De servo arbitrio mehr negativ. Runestam konstatiert sogar einen „ganz neuen", „irreligiösen" und „naturalistischen" Gottesbegriff: s.ders. 1921, S . 6 7 und 70. Vgl.T.Bohlin 1927, S. 274. 8 0 Siehe z.B. in der Auslegung von Ps 1 2 7 , 1 : „Verum igitur est, quod vulgo dicitur: Homo proponit, Deus autem disponit. Et quod Salomon dicit Prover. 1 6 : ,Cor hominis disponit viam suam, sed Domini est dirigere gressus eius'": W A 40/111, 209, 26 ff. (In X V Psalmos graduum Dr 1540 Ps 1 2 7 , 1 ) .

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machtlos „schlafenden" Abgott, der es dem Menschen überläßt, seine natürlichen Kräfte frei anzuwenden, und der sich dann erst am Jüngsten Tag aus seinem Schlummer erhebt, um die Menschen für ihre Handlungen zur Verantwortung zu ziehen81. Da die Allmacht Gottes nach Luther nicht als die Transzendenz seiner Majestät verstanden wird 82 , sondern als sein immer tätiges Gegenwärtigsein, ist der Mensch immer gefordert. Nur dem Menschen, der recht an Gottes Allmacht glaubt, ist es möglich, den Gedanken der necessitas Gottes sowohl mit der Erfahrung der persönlichen Begegnung mit Gott als auch mit der ethischen Verantwortung des Menschen zu vereinigen 83 , denn er erlebt Gott als Person und Schöpfermacht zugleich, indem er selbst in die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem einbezogen wird. Weil nach Luther der Mensch zwar als der „cooperator Dei" 84 dazu bestimmt ist, in Gemeinschaft mit Gott zu leben und also mehr zu sein als „truncus et lapis" 85 , aber diese Vereinigung mit Gott nicht selbst verwirklichen kann, wendet er sich mit äußerster Eindringlichkeit gegen eine Definition der menschlichen Freiheit, die Gott zum Zuschauer (spectator) des Menschen und des Weltablaufs degradiert86, und bezeichnet die omnipotentia Dei in der Erlösung als die Verwirklichung dessen, was Gott schon in der Schöpfung mit seinem Werk vorhatte (Kap. I und II), was aber durch den Fall zunichte gemacht wurde (Kap. III und IV) und nur durch eine Neuschöpfung Gottes wieder hergestellt werden kann (Kap. V). Gott, der in einer unauflöslichen Beziehung zu seiner gesamten Schöpfung steht87, wird also in der besonderen Offenbarung in Wahrheit erkannt, damit der Mensch und damit auch die Welt wieder ins Lot kommen88. Während Luther sich in De servo arbitrio mehr dem Machtmoment zuwendet und das ethische Moment dadurch in den Hintergrund zu rücken scheint, wird in seinen Abendmahlsschriften deutlich, worauf er letztlich hinzielt. Daß der überweltliche „Deus nudus" in seiner Majestät als ein „Deus involutus" in der Schöpfung „verborgen" gegenwärtig ist, bedeutet also erstens, daß er „ein ubernatuerlich unerforschlich wesen, das zu gleich ynn eym iglichen koernlin gantz und gar und dennoch ynn allen und über allen und ausser allen Creatum sey . . ," 8 9 ; es sei deshalb „. . . ein vnterscheid vnter seiner (Gottes) gegenwertickeit vnd deinem greiffen Er ist frey vnd vngebunden allenthalben, wo er ist . . ." 90 Zum anderen 8 1 W A 18, 7 0 6 , 1 5 — 7 0 7 , 1 1 (De servo arbitrio 1525). Siehe auch H. 0stergaard-Nielsen 1957, S. 81 f. 8 2 Siehe W . L i n k 1955 2 , S . 2 1 2 . 83 W A 18, 635; 7 2 0 f f . ; 747 (De servo arbitrio 1525). 8 5 Ib. 754, 37. 84 Ib. 754, 5 f. 8 6 „Denn das wortlin ,Mechtig' sol hie nit heyssen ein stillrugende macht, wie man v o n einem zeytlidien kunige sagt ehr sey mechtig ob er schon still sitzt vnd nichts thut, Szondern ein wirckende macht vnd stettige tettigkeit, die on vnterlasz geht y m schwanck vnd wirckt": W A 7, 574, 2 7 — 3 0 (Magnificat 1521). Siehe auch W A 18, 750, 8 (De servo arbitrio 1525). 8 7 Hierzu s. auch W . Eiert 1952 2 , S. 386 f. 8 8 D . h . man erkennt: „Nos per nos ipsos non esse factos nec vivere nec agere quicquam sed per illus omnipotentiam" : W A 18, 718, 21 f. (De servo arbitrio 1525). 89 W A 26, 339, 34—38 (Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis 1528). e» W A 2 3 , 1 5 0 , 3 ff. (Dass diese W o r t Christi . . . 1527 Hs).

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aber ist Gott wirklich in der Schöpfung, ganz unabhängig davon, wie der Glaube ihn erfährt. Der Glaube macht also Gott nicht überall gegenwärtig, sondern gegenwärtig „für mich" 91 . In bezug auf die „wesentliche Gegenwart" bestehe „kein vnterscheid vnter meynem tisch vnd des Herrn tissch" 92 . Luther führt dann in diesem Zusammenhang mehrere Beispiele dafür an, daß die Bibel nicht annimmt, Gott begäbe sich von einem Ort zu einem anderen, sondern daß er für den Glauben dort hervortritt, wo er bereits ist. Er tritt nicht plötzlich in die Schöpfung ein, sondern erfüllt als Schöpfer alles mit seiner Gegenwart. Was aber für Gott gilt, das gilt nun auch für den verherrlichten Christus: Er ist „schon bereyt an allen enden" 93 . Das andre, die Gegenwart für mich ereignet sich nur, „wenn er sein wort dazu thut" 94 . Ohne Gottes „Wort" wäre die Wirklichkeit stumm. Aber wo das „Wort" ist, da ist auch Gott. „Darumb das ein anders ist, wenn Gott da ist, vnd wenn er dir da ist" 95 . Christus ist also in aller Wirklichkeit gegenwärtig, jedoch ist er gegenwärtig „für mich" nur, wenn er als ein persönliches „Wort" kommt (das nicht nur Forderungen an mich erhebt, sondern mir Hilfe und Trost schenkt). Es ist also wichtig, sich klar darüber zu sein, daß der Gott, der durch seine Geschöpfe, seine „larvae" die Welt regiert 96 , der „einen koenig durch den andern, einen herrn durch den andern abstosset und andere auffsetzt. . ," 97 , der somit der Herr der Geschichte ist, ohne den nichts geschieht — daß dieser Gott für Luther kein anderer ist, als der in Christus offenbarte Gott, der seine Schöpfung regiert und ihrer Bestimmung entgegenführt. „Die Historien sind nichts anderes denn anzeigung, gedechtnis und merckmal Goettlicher werck und urteil, wie er die weit, sonderlich die Menschen, erhelt, regiert, hindert, foerdert, straffet und ehret, nach dem ein iglicher verdienet, Boeses oder Gutes." 98 Die Vorstellung von der Welt als Gottes „Mummerey darunter er sich verbirgt und ynn der wellt so wunderlich regiert und rhumort", ist in engem Zusammenhang mit dem Gedanken an Gott als den in Christus Herabgestiegenen ausgeformt 99 . Bezeichnend ist Luthers Antwort an die Schwärmer auf ihre Frage, wie es Christus möglich sei, gleichzeitig im Himmel und im Brot des Abendmahls Zu sein. Gott, der „über leib, über geist, über alles" ist, kann doch „gantz und gar ynn allen creaturn und ynn einer iglichen besondern sein, tieffer, ynnerlicher, gegenwertiger denn die creatur yhr selbs ist . . ." Wir dürfen daher Gott nicht „nach vnserm duckel" beurteilen „vnd meinen, er sey ein schuster odder tageloner". Gott ist etwas völlig anderes als das Geschaffene. „Er macht ia nichts denn durch sein wort, Gn 1. Joh. 1. das ist seine gewalt, Vnd seine gewalt ist nicht ein 9 2 Ib. 1 4 8 , 1 8 f. 83 Ib. 1 4 6 , 1 1 — 3 2 . Ib. 1 5 0 , 1 3 f. 95 Ib. 1 5 0 , 1 3 f . Ib. 1 5 0 , 1 4 . 9 6 W A 40/1,175, 3 ff. (Galaterbriefvorlesung 1531 Hs Rörer Gal 2, 6). Hier wird audi das weltliche Regiment (regnum seu imperium) in die omnipotentia Dei generalis einbezogen. 97 W A 19, 360, 9 f. (Der Prophet Habakuk ausgelegt 1526 Hab 1, 3). 68 W A 50, 384, 2—6 (Vorrede zu Historia Galeatii Capellae 1538). 99 W A 15, 3 7 3 , 1 6 (Der 127.Psalm ausgelegt an die Christen zu Riga in Liefland 1524 Ps 1 2 7 , 1 ) . Siehe audi W A 17/11,192, 28 ff. (Fastenpostille 1525 Mt 4, 1 ff.), W A 4C/1,173, 2 4 — 1 7 4 , 2 0 (Galaterbriefkommentar 1535 Dr Gal 2, 6), W A T i 1 , 1 0 0 , 2 7 — 1 0 1 , 6 Í1532 V. Dietrich) und W A 2 3 , 1 3 6 , 35 (Dass diese W o r t Christi . . . 1527 Hs). 81

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beyl axt, segen odder feylen, da durch er wircke, sondern er selbs, Ist nu seine gewalt, vnd geist allenthalben vnd ynn allen dingen auffs aller ynnerlichst, eußerlichst, durch vnd durch gegenwertig, so . . . /mus er/ freylich dabey sein, sol ers machen vnd erhalten." Gott und Christus lassen sich also in ihrem äußerlichen Hervortreten nicht trennen, und Schöpfung und Erlösung werden aufeinander bezogen. Der Glaube bedeutet, daß man die Gegenwart des dreieinigen Gottes in der Schöpfung entdeckt, aber daß diese Entdeckung Gottes Werk ist100. Hier nun sei an das erinnert, worauf bereits in Kap. I hingewiesen wurde, daß nämlich Luthers eigenartig komplexes Verständnis des ersten Artikels von seiner Trinitätslehre bestimmt ist. Mit Augustin hält sich Luther an die Formel „opera trinitatis ad extra sunt indivisa" 101 . W o immer Gott etwas tut (erschafft, erlöst oder vollendet) sind alle drei Personen der göttlichen Majestät am Werk. Nur in der Gottheit selbst muß 2wischen den drei Personen unterschieden werden 102 . In ihrem äußeren Hervortreten aber sind sie eins. Der Sohn und der Heilige Geist wirken in der Schöpfung genau wie der Vater, und der Geist und der Vater in der Erlösung ebenso wie der Sohn, und die Vollendung ist ebenso das Werk des Sohnes und des Vaters wie das des Geistes. Daß dies weder einen bewußten noch einen unbewußten Modalismus bedeutet, hat R. Prenter gegen K . Holl und R. Seeberg gezeigt 103 . Schöpfung und Erlösung werden nie auseinandergerissen und deshalb gerät Luther auch nie in Gefahr, den ersten und dritten Artikel einer isolierten totalen Christologie unterzuordnen, wenngleich die Rechtfertigungslehre für ihn immer der theologische Mittelpunkt bleibt. Wenn Luther die traditionelle Reihenfolge der drei Glaubensartikel beibehält, so hat das seinen Grund darin, daß für ihn der Erlöser schon als Schöpfer in der Kreatur gegenwärtig ist ; Gott hat, sagt Luther, sich selbst in die Schöpfung hineinbegeben, die ganze Dreieinigkeit ist darin, und nur indem Gott dadurch immer wieder in seine Schöpfung neuschaffend eingreift, werden seine Weisheit, Gewalt, Reichtum, Gericht, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit dem Menschen offenbar 104 . Zwar bleibt Gottes Gegenwart immer unsichtbar bzw. verborgen; er ist „ein Richter über alle Götter" 1 0 5 ; was er aber ist und wirkt, begegnet dem Menschen nur in sichtbaren Mitteln und Ordnungen 106 . Aus dem oben Gesagten kann man zwei Folgerungen ziehen: (1.) Luthers Festhalten an der traditionellen Dreieinigkeitslehre ist fest verankert in seinem aktualen Offenbarungsbegriff und kein bloßes Anhängsel an ihn; der Gedanke, daß Gott sich der Schöpfung ja nur bedient, um mit dem Menschen zu handeln, wird mit Ib. 137, 20—139, 3. Vgl. unten Anm. 103. Siehe z . B . WA 54, 57, 35 f. (Von den letzten Worten Davids 1543 IChron 17,17). Siehe H . Bornkamm 1932, S.86. 1 0 2 Siehe z . B . WA 49, 239,1—11 (Predigten 1541 Hs Rörer J o h 1,14). 1 0 3 R . Prenter 1946 2 , S. 182—193 (dt. 1954, S. 177—187). 1 0 4 „Omnia sua, etiam trinitatem indidit Deus suae creaturae": WATi 3,135, 32 f. (1533). Siehe audi WATi 1,395,8 ff.; 396, 22ff. (1530), WA 12, 4 4 7 , 2 2 f f . (Predigten 1523. Einführung in l.Buch Mosi), WA 54, 57,9—65, 37 (Von den letzten Worten Davids 1543 IChron 17, 17) und WA 7, 578, 8—15 (Magnificat 1521). Vgl. auch H . W . B e y e r 1939, S. 127 f. 1 0 5 WA 31/1,191, 31 (Der 82.Psalm 1530 Ps 82,1). 1 0 6 „Summa was Gott ynn uns thuet und wircket, wil er durch solch eusserliche Ordnung wircken": WA 30/1, 215, 36 f. (Der Große Katechismus 1529). 100

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der Trinitätslehre in systematische Verbindung gesetzt107. Weiter (2.) läßt sich nun die Schöpfung von diesem Gebrauch her auf sgvei Arten beschreiben, einmal als „absolute", d.h. wie sie an sich, unabhängig von Gottes Gebrauch ist, und zweitens als „relative", d. h. wie Gott sich ihrer bedient, um mit dem Menschen in Verbindung zu treten108. Für Luthers Verständnis des Verhältnisses zwischen Theologie und Philosophie wird diese Distinktion — wie wir gleich sehen werden — von großer Bedeutung. Schon der junge Luther verficht den späterhin oft wiederholten Gedanken, alle Irrlehren rührten letztlich davon her, daß es am rechten Glauben daran fehle, daß die Welt Gottes Schöpfung sei109. Aber auch in einer Tischrede aus der Mitte der dreißiger Jahre kommt derselbe Gedanke zum Ausdruck: „In seinen Creaturen erkennen wir die Macht seines Worts, wie gewaltig das sey." Die Päpstlichen hätten kein rechtes Verständnis für die Schöpfung, für das Wunder der Geburt und des Wachstums. Erasmus z.B. „siehet die Creaturen an wie die Kuhe ein neu Thor". Ja, Luther glaubt geradezu, einen direkten Zusammenhang zwischen der Reformation und einem neuen Weltverständnis (das man „Gottes Gnaden, seine herrlichen Werk und Wunder in der Schöpfung" entdeckt) feststellen zu können. „Wir . . . sind jetzt in der Morgenröthe des künftigen Lebens, denn wir fahen an wiederum zu erlangen das Erkenntniss der Creaturen, die wir verloren haben durch Adams Fall." 110 Auch hier denkt Luther offensichtlich wieder an den Zusammenhang von Schöpfung und Christologie. Wer im Glauben mit Christus vereinigt ist, sieht die Dinge anders an als der, dem der rechte Glaube fehlt111. Wir haben also feststellen können, daß es für Luther einen direkten Zusammenhang zwischen Glauben und Weltbetrachtung gibt112. Um die Schöpfung recht kennenlernen zu können, muß man erst Gott, seine eigentliche Absicht mit der Schöpfung kennengelernt haben: „quo propius Deum cognoscit, hoc magis intelligit etadficitur creaturis. . . Qui autem cognoscit Deum, etiam creaturam novit, intelligit et amat. Quia divinitatis vestigia sunt in creatura."113 Von welcher theologischen Wichtigkeit diese neue Wirklichkeitsbetrachtung für Luther ist, läßt sich aber genauer verdeutlichen, wenn man seine Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Philosophie hier mit in Betracht zieht. Wir stellten bereits fest, daß Luther eine Betrachtung der Welt, welche die Dinge von dem ausgehend zu verstehen sucht, was sie an sich und ohne Beziehung zu ihrer Bestimmung sind, nicht verwirft, und daß er auch die Vernunft nur verurteilt, wenn sie sich in falscher Richtung bewegt und die Schöpfung statt des Schöpfers 107 W A 43, 276, 29—42 (Gn 2 3 , 1 ) . „Es ist aber alles geredt darumb, das wir unterschiedsich drey Personen in der Einigen Gottheit gleuben und erkennen, Und ia nicht die Person mengen, noch das Wesen trennen": W A 54, 63, 2 9 f f . (Von den letzten Worten Davids 1543 IChron 1 7 , 1 7 ) . 1 0 8 Ib. 61, 24—37. 1 0 9 W A 4, 602, 20 ff. (Sermone 1514—20). 1 1 0 W A T i 1, 574, 8 ff. (etwa 1530). 1 1 1 W A 7, 21, I f f . (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520). Siehe auch A.Siirala 1956, S. 3 1 5 ff., und S. v. Engeström, Tro odi erfarenhet (Ordet och tron. Till E. Billing pa hans 60-ârsdag, Stockholm 1931, S. 76—92), S. 91 f. 1 1 2 Siehe auch W A T i 4, 2 0 8 , 1 9 f . und ib. 210, I f f . (1538). 1 1 3 W A 43, 2 7 6 , 1 9 f. und 27 f. ( G n 2 3 , 1 . 2 ) .

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verehrt. Hierzu sind nun noch einige weitere Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen. In der Disputation De homine (1536) sagt Luther, daß „philosophi nihil sciunt de creatore Deo et homine de gleba terrae facto"114. Diese Spitze richtet sich deutlich gegen die Anhänger der aristotelischen Philosophie, und dasselbe ist der Fall, wenn Luther in einer Tischrede von 1540 seine Besorgnis darüber äußert, daß man die „Philosophia", die „non intelligit res sacras . . ., zu hartt in die theologia" vermische115. Er wendet sich vor allem dagegen, daß die Theologie in einen von der Philosophie bestimmten Rahmen für ihr Wirken gezwängt werden soll. Der Horizont, in dem allein hier sachgemäß gedacht werden kann, ist für Luther durch den Gegenstand der Theologie gegeben, d. h. durch das in der Schrift mitgeteilte Zeugnis vom Handeln Gottes in der Geschichte. Hiermit kann der Philosoph, als einer, der, im Gegensatz zum Theologen, die Dinge und die Geschehnisse ja nur so sehen kann, wie sie an sich sind, d. h. wie sie sich ohne ihre Beziehung zu Gottes Offenbarung in Christus darstellen, bloß soviel erkennen, wie dem Menschen unter dem Gesetz möglich ist. Luther lehnt also eine Vermischung von theologischer und philosophischer Betrachtungsweise ab, indem er von der Anwendung von Kategorien Abstand nimmt, die der Christusoffenbarung fremd sind116. Das heißt aber ganz bestimmt nicht, daß der Theologe es mit einer ganz anderen Wirklichkeit zu tun habe als der Philosoph, als bewegten sie sich in prinzipiell verschiedenen Erfahrungsbereichen oder Wirklichkeiten117. Es handelt sich ja in beiden Fällen um menschliche Denkaktivität innerhalb von Gott gesetzter objektiver Bedingungen118. Luthers geistesgeschichtliche Leistung darf deshalb auch nicht als die Schaffung eines neuen Weltbildes verstanden werden119, sondern besteht vielmehr in seinem Bemühen, der Wirklichkeits- und Geschichtsauffassung der biblischen Offeniii W A 39/1, 179, 33 (Die Disputation de homine 1536). W A T i 5 , 2 5 f f . und ib. 25, 31 ff. (1540). K l a r ausgeführt im Genesiskommentar, z.B. bei der Auslegung von Gn 1, 14 ( W A 42, 30,16—36,16. 1 1 7 Ib. 33, 34—34, 12. 1 1 8 H.-W. Krumwiede zeigt, wie bei Luther die vernunftgemäße Aufhellung der Lebenszusammenhänge neben der Glaubensaussage, daß Gott der Geber allen Lebens ist, ganz selbstverständlich stehen kann, und daß keine nur denkbare Erweiterung menschlichen Wissens diesem Glauben seine Wahrheit nehmen kann: ders. 1952, S. 109. Krumwiede bleibt aber in der traditionellen Auffassung des Gegensatzes zwischen Vergänglichem (weltliches Regiment) und Unvergänglichem (geistliches Regiment) stecken. Er sieht nicht, daß Luthers Theologie mit der griechischen Auffassung (Unvergängliches und Vergängliches sind wie Idee und irdische Wirklichkeit voneinander geschieden) gebrochen hat. 1 1 9 Zu Luthers Weltbild s. W . Eiert 1 9 5 2 2 , S. 355—456, zu Luthers Naturauffassung ib. S . 3 5 5 — 4 0 6 und H.Bornkamm, Luthers geistige Welt, 1953 2 , S. 199—217, zu Luthers Geschichtsdenken s. ib. 2 1 8 — 2 4 1 , ders. 1948, S . 5 4 f f . , H. Lilje, Luthers Geschichtsansdiauung. Diss. Zürich 1932, J.Müller-Bardorf, Geschichte und Kreuz bei Luther (Schriftenreihe der Luthergesellsch. 11, 1938), H . H . P f l a n z , Geschichte und Eschatologie bei Martin Luther (Deutsche Theologie 5), Stuttgart 1938, E. Kohlmeyer, Die Geschichtsbetrachtung Luthers ( A R G Jg. 37, 1940, S. 150 ff.), G.Hillerdal, Luthers Geschichtsauffassung (StTh Vol. 7, 1954, S 28—53), ders., Prophetische Züge in Luthers Geschichtsdeutung (StTh Vol. 7, 1954, S. 105—124), E. Thestrup Pedersen 1950, und H.-W. Krumwiede 1952. 115

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barung Ausdruck zu verleihen120. Das Neue bei ihm ist, daß er die Theologie nicht ohne weiteres harmonisch in das allgemeine Wissenschaftssystem seiner Zeit eingeordnet hat, das auf der aristotelischen Metaphysik, Ontologie, Erkenntnistheorie und Psychologie aufgebaut war121. In der Scholastik hatte man nach Luthers Ansicht die Philosophie dergestalt zur „Magd" der Theologie gemacht, daß man in ihr das adäquate Mittel sah, den Inhalt der Offenbarung darzustellen. Das Ergebnis war notwendigerweise eine völlige Verobjektivierung und Formalisierung, so daß Gott als der in aller Wirklichkeit Neuschaffende verleugnet wurde. Die Zusammengehörigkeit von Theologie und Philosophie, die Luther durchaus gewahrt sehen möchte, kann deshalb nicht in einer Unterordnung der Theologie unter die Philosophie und ihre Denkmittel bestehen, sondern nur so verwirklicht werden, daß beide um ihre spezifische Dimension und Aufgabe wissen und einander zu dienen versuchen 122 . Wenn für Luther die Philosophie — zumindest die seiner Zeit — sich in der Sphäre einer statisch-räumlichen Denkweise bewegt, so muß die Theologie sich in einer Sphäre perspektivischen Geschichtsdenkens bewegen. Der Fehler der scholastischen Theologie war ihre Abhängigkeit von einer Philosophie, die durch eine immanente Analyse des Wesens des Daseins nicht nur definieren wollte, was die Schöpfung an sich ist, sondern auch, welcher Art das ontologische Verhältnis Gottes zu seiner Schöpfung sei (analogia entis)123. Dadurch wurden Gottes Beziehung zur Welt und der Sinn und das Ziel des Daseins keineswegs vom Wunder der Inkarnation, d.h. von der Offenbarung in Christus, von Gottes neuschaffendem Eingreifen in die Geschichte bzw. vom Evangelium her bestimmt, sondern von einer rein phänomenologisch angelegten Betrachtungsweise, nämlich von den letztlich vom Gesetz bestimmten Daseinsbedingungen der Dinge und des Menschen her. Der Mensch unter dem Gesetz kennt nur die ethische und räumlich-zeitliche Sphäre, während der Mensch unter dem Evangelium noch eine andere Dimension des Daseins kennt, in der Gott und der Mensch sich von einem anderen Ausgangspunkt her begegnen als dem, der für die Beziehung des Menschen zu den Dingen und dem Mitmenschen gilt. Im Evan120 H.-W. Krumwiede 1952, S. l l l f . , meint sogar: „Man könnte ihn (Luther) für den Bereich der Geschichte neben die großen Naturforscher der Renaissance stellen, wenn er von den neuen Ansätzen aus zu einer umfassenden Konzeption gekommen wäre und auf genuine Schüler in dieser Disziplin nicht Jahrhunderte hätte warten müssen." Krumwiede vergißt jedoch, daß in gewisser Hinsicht Luthers Größe eben darin liegt, daß er nicht eine überzeitliche, immergültige Lösung gegeben hat, sondern sich mit einer Lösung begnügt hat, wie sie seiner Zeit entsprach. 121 Siehe P. Meinhold 1937, S.56, und E.Schlink, Weisheit und Torheit (KuD 1. Jg., 1955, S. 1—22). Eine gute Ubersicht zu diesen Fragen gibt B. Hägglund 1955, der audi Luther mit dem Occamismus vergleicht. 122 „Es mus alles ettwas hoehers seyn, denn regule grammatice sind, was den glauben soll gruenden": W A 18,157, 23 f. (Wider die himmlischen Propheten . . . 1525). „Aber die Sprachen machen fur sich selbs keinen Theologen, sondern sind nur eine Hülfe": WATi 1, 524, 38 f. (etwa 1530). „Den die grammatica soll eine dienerin und nicht Richterin sein in der heiligen schriefft": W A 4 7 , 29, 6 f . (Auslegung des 3. und 4.Kap. Joh 1538—40 Joh 3, 8). „Sicut igitur Philosophus suis terminis utitur, ita etiam Spiritus sanctus utitur suis": W A 42, 3 5 , 4 0 f. (Gn 1,14). „Grammatica quidem necessaria est et vera, sed ea non debet regere res, sed servire rebus": ib. 599, 6ff. (Gn 1 6 , 1 3 . 1 4 ) . 123 Siehe hierzu E.Przywara, Analogia entis. Metaphysik. 1. Prinzip, München 1932.

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gelium ist das Gesetz durchbrochen und damit die nur räumlich-zeitliche bzw. phänomenologische Betrachtungsweise durch die heilsgeschichtliche ersetzt124; denn in der Begegnung mit dem Deus praedicatus (coram Deo) ist der Mensch des Glaubens mit Christus frei in dem Sinne, daß die Bedingungen des Gesetzes nicht mehr dieselbe Gültigkeit besitzen. Im Verhältnis zu den Mitmenschen (coram hominibus) und beim Gebrauch der Dinge ist das Gesetz jedoch nicht völlig aufgehoben, weil nämlich der Glaube noch nicht mit dem Schauen vertauscht ist, d. h. weil Gott dem Menschen noch als der verborgene oder verhüllte Gott und damit niemals abseits der Tätigkeit des Menschen in der Schöpfung begegnet. Die Offenbarung des Evangeliums (durch welche die Aufgabe der Theologie gegeben ist) schenkt also etwas Neues in dem Sinne, daß der Mensch im Evangelium sieht, wozu die Welt und er selbst wirklich geschaffen sind: er soll Gottes freies Kind sein, das als cooperator Dei über die Welt herrscht, dem Nächsten dient und Gott als Herrn der Geschichte preist. Der Mensch unter dem Gesetz kann zwar sehen, daß das Tier keine Geschichte hat, daß nur er die Tage zählt, bewußt und verantwortlich lebt; auch dem Menschen unter dem Gesetz ist offenbar, daß die Welt des Menschen kein Reich der Freiheit im Gegensatz zur Unfreiheit in der Natur ist, daß er an objektive Notwendigkeiten gebunden ist, denen er sich nicht entziehen kann : Kleider und Nahrung, Haus und Herd, Zeugung und Gemeinschaft125. Hier ist Philosophie im weitesten Sinne vonnöten126. Daß aber alles von Gott befohlen und gegeben ist, das sieht der Mensch unter dem Gesetz nicht klar, weil er unter dem Gesetz nicht nur genötigt und gezwungen ist, tätig zu sein, sondern sich auch gleichzeitig im Aufruhr gegen Gottes Gnade befindet, weil er nicht — wie Luther z. B. in der Erklärung zum ersten Artikel sagt — Gott, der all dieses gibt, dankt, ihn lobt, ihm dient und gehorcht127. Erst im Licht des Evangeliums zeigt sich die Schöpfung als Gabe, Reichtum, Güte und Gnade Gottes, die, frei geschenkt, auch frei gebraucht sein will 128 . Aber Gott hat ja seine 1 2 4 Vgl. oben Kap. II, S. 66—79. Luthers „Transzendentalismus", daß man Gott nur im Glauben hat, so daß „alleine das trawen und gleuben des hertzens machet beide Gott und abeGott" ( W A 30/1, 133, 4), darf dodi nicht wie bei R. Seeberg, E. Seeberg und P. Meinhold als ein philosophisches Prinzip bei Luther aufgefaßt werden, sondern eher als eine phänomenologische Bestimmung innerhalb der theologischen Gesamtschau: s. V. Vajta 1952, S. 16, Anm. 43. Zur Frage des Verhältnisses von Ontologie und Aktualismus in der modernen Theologie s. die interessante Analyse von G. Stammler, Ontologie in der Theologie? (KuD 4. Jg., 1958, S. 143—175). 1 2 5 Krumwiede 1952, S. 109. 1 2 6 Stammler 1958, S. 168. 1 2 7 Siehe audi W A 10/1, 1, 86, 23—88, 14 (Kirchenpostille 1522 Lk 2 , 1 — 1 4 ) . 1 2 8 „Gott, gleich wie er sich mit Allem, das er ist und hat, ja die göttliche Dreifaltigkeit in alle Creaturen verkrochen und versteckt hat, also hat er die Vergebung der Sünden auch darein gesteckt, als nehmlich, dass man vergebe, zu gut halte und verschone auch den Feinden, Weib und Kindern, Gesinde und denen, die uns erzörnet und beleidiget haben, ja audi dem Viehe und unvernünftigen Thieren, dass man ihr verschonen muss. Daher er auch den Zunamen hat, dass er sei langmüthig und von grosser Geduld, der uns unser Feile, ja wol grosse, grobe Wacken, Gebrechen und Sünde zu gute halten kann, da wir sie nur •erkennen und bekennen, und um Vergebung in Christo bitten. Denn er kann allein Geduld mit den Leuten haben, sintemal er der allerfrömmeste und gütigste ist. Aber bei den Leuten ist das höheste und schärfeste Recht, darum es audi das grösste Unrecht und Ungerechtigkeit ist": W A T i 1, 395, 22—396, 6 (1530), ib. 4 7 2 , 3 — 4 7 3 , 9 , W A T i 2 , 1 3 6 , 1 4 f . (1532) und

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Gaben schon immer allen Menschen gegeben; so ist auch die Notwendigkeit der philosophischen oder phänomenologischen Betrachtungsweise letztlich vom Standpunkt des Glaubens aus ein Ausdruck der Gegenwart Gottes in der Schöpfung. Die Blindheit der Philosophie besteht in einer Art Kurzsichtigkeit den Dingen und dem Menschen gegenüber, sie kann nicht deren göttliche Zweckbestimmung erkennen; doch ist dies eine durch das Gesetz notwendig gegebene Verkürzung der Betrachtungsweise, die nicht einfach einen Mangel bedeutet, sondern paradoxerweise geradezu conditio sine qua non für das Leben des von Gott abgefallenen Menschen ist; Gott will in seiner erhaltenden Gnade ja auch ihn leben lassen, und so muß er ihm eine Möglichkeit schaffen, auch so zu leben, als ob es keinen Gott gäbe. Aber wenn diese „Kurzsichtigkeit" dann zum Hindernis für das Evangelium wird, indem der Mensch seine „kurzsichtige" Schau der Dinge zum absoluten Maßstab erhebt, der der perspektivisch-heilsgeschichtlichen Schau des Glaubens das Recht bestreitet, wird sie zum Ausdruck des Unglaubens129. Während die Philosophie also nur eine rein phänomenologische Beschreibung der Kreatur zu geben und ihre Wesensbegründung in Christus und im Evangelium nicht zu sehen vermag, ist die Theologie eine Wissenschaft, welche die gleiche Wirklichkeit in Beziehung zu Christus als dem Sinn und Ziel aller Dinge setzt. „Non est quaestio de creatione, sed unde accipit et unde venit, de ilio quaestio est", bemerkt Luther einmal kritisch in einer theologischen Disputation, als diese in eine rein phänomenologische Betrachtungsweise abzugleiten drohte130. Wenn es ans Innerste der Theologie geht, steht das Wort über allen Naturgesetzen131. Das aber bedeutet nicht, daß der Theologe die „principia pulcherrima rerum artium" verachten soll132. Denn wie alle Menschen ist auch der Theologe der Forderung unterworfen, die Dinge mit Hilfe der ihm von Gott verliehenen Gaben erkennen und gebrauchen zu lernen. Anders handeln hieße Gott versuchen133. In seiner Wissenschaft ist der Theologe von äußeren Dingen wie Grammatik und Logik abhängig, aber seine Wissenschaft legt die Offenbarung aus, die etwas anderes ist als eine rein phänomenologische Beschreibung der Wirklichkeit. In der Theologie muß die im Evangelium geschenkte materiale Erkenntnis, daß der Mensch aus Gott alles empfangen muß und seine Bestimmung nicht erreicht hat, bevor er nicht mit der „imago coelestis", d. h. dem auferstandenen Christus, vereinigt worden ist, immer ihre Berücksichtigung finden, d. h. die Wirklichkeitsdeutung der Theologie soll der alle Raum und Zeit sprengenden Macht Christi bzw. des Evangeliums Ausdruck verleihen. W A T Ì 3 , 1 3 5 , 3 3 — 1 3 6 , 2 . Siehe auch F . L a u 1937, S.15, sowie R . H e r m a n n , Zur Frage: Vorsehungs- und Heilsglaube bei Luther (ZsystTh J g . 16, 1939), S. 202 f. und 211.

ΐ2β W A T i

4j

20, 21 ff. (1538).

WA 39/11, 362, 8 ff. (Die Promotionsdisputation von Petrus Hegemon 1545). 1 3 1 „ Q u a r e ista communia non negamus, quod dicunt: Omne grave deorsum et omne leve sursum . . . H o c tantum dicimus ista sic creata esse et conservari verbo, verbo tarnen etiam adhuc hodie mutari posse, sicut illa tota natura tandem immutabitur" : WA 42, 23, 30—34 (Gn 1,6). 1 3 2 WA 42, 21,15—18 (Gn 1, 6). 133 G.Wingren 1948 2 , S.147 (dt. 1952, S.92). 130

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Luther durchbricht und zerschlägt also in revolutionierender Weise bisher unangefochtene theologische Denkformen 134 ; er vertritt — geistesgeschichtlich gesehen — einen teilweise neuen Denkweg, eine neue Ontologie, die den biblischen Schöpfungs- und Inkarnationsgedanken Ausdruck zu verleihen versucht135. Vergleicht man Luthers Auffassung mit der Scholastik, wird wenigstens deutlich, warum sich für Luther die Theologie nicht mehr einfach einem allgemeinen metaphysischen Weltanschauungsrahmen harmonisch einfügen ließ, sondern daß sie als etwas dargestellt werden mußte, das jegliche objektivierende Betrachtungsweise sprengt, ohne daß dabei die historische Konkretion leiden durfte. Die auffallende Rücksichtnahme auf das historisch Konkrete in der Theologie Luthers, die letztlich seinem wichtigen Anliegen : der Klarlegung der Bedeutung Christi als des Offenbarers des wahren Gottes in der Geschichte, dient, wird ganz besonders deutlich, wenn wir jetzt abschließend einen Blick auf Luthers Schriftauffassung werfen13®. Wenn Luther gegen die allegorisierende Auslegung der Schrift polemisiert, wie sie ihm in den zu seiner Zeit üblichen exegetischen Nachschlagewerken begegnete, beruht das somit vor allem darauf, daß seiner Ansicht nach die allegorische Methode dem historischen und wörtlichen Sinn des Schriftwortes nicht gerecht wurde 137 . Die Allegorie ging davon aus, daß der geistliche Inhalt der Schrift einer „geistlichen" Auslegung bedürfe, da das „Historische" etwas Vergangenes sei, von dem der Mensch durch den unüberbrückbaren Abgrund von Zeit und Raum getrennt sei. Für Luther dagegen ist die Schrift in dem Sinne „historisch", daß rechtes Schriftverständnis aus der Betrachtung (meditatio) dessen erwächst, was wirklich in ihr steht, d. h. geschichtlicher Ereignisse, die in einem realen inneren Zusammenhang mit der Situation des jetzigen Lesers stehen138. Es ist also nicht Sache des Lesers, nur nach subjektiven Erfahrungen oder einem tieferen „geistlichen" Inhalt in der Schrift zu suchen, denn die Schrift ist nicht nur Vehikel für historische Ereignisse und menschliche Ideen bzw. zu1 3 5 G.Stammler 1958, S . 1 5 8 f f . E.Sdilink 1955, S.20. Mehrere Forscher haben darauf hingewiesen, daß Luthers Hermeneutik historisch ausgerichtet war. Man braucht jedoch in dieser Beziehung nicht so weit zu gehen wie F.Kattenbusch, der Luther zu dem ersten modernen Empiristen in der Geschichte der Bibelauslegung machen will: s. ders. 1920, S. 112. W. Niggs Hinweis, daß Luthers Geschichtsinteresse auf einer ganz anderen Ebene lag als das des modernen Historikers, behält seine Gültigkeit: s. ders., Die Kirchengeschichtsschreibung. Grundzüge ihrer historischen Entwicklung, München 1934, S. 43. Obgleich Luther f ü r seine Zeit bedeutende historische Kenntnisse besaß (s. E.Schäfer, Luther als Kirchenhistoriker, Gütersloh 1897, S . 8 7 ) und diese Kenntnisse für seine reformatorische Leistung nicht ganz unwichtig waren (K.Bauer 1928, S . 8 1 f.), so ist doch H.Lilje darin beizustimmen, daß Luther schwerlich eine direkt positive Bedeutung f ü r die Entwicklung der Profangeschichte zukommt (Lilje 1932, S. 17). Luthers Leistung liegt auch nicht eigentlich auf geschichtsphilosophischer Ebene, wie H.-W. K r u m wiede das nachzuweisen sucht (s. ders. 1952), sondern in dem historisch konkreten Ansatz seiner Schriftauslegung, was E. Thestrup Pedersen in seiner kürzlich erschienenen ausführlichen Analyse der Schriftauffassung Luthers (1959) aufgezeigt hat. 134

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1 3 7 M. Stomps 1935, S. 14. „Das Euangelion darffs keyns leyblichen rawmes noch stat, da es bleybe, Es will vnd mus ym hertzen bleyben": W A 18, 3 2 3 , 1 5 f. (Ermahnung zum Frieden . . . 1525). 1 3 8 Siehe die interessante Analyse von Glauben und Erfahrung bei H. 0stergaard-Nielsen 1957, S. 1 2 5 — 1 6 0 .

2. Deus nudus et vestitus

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fällige Erfahrungen und geistliche Gefühle, gleichgültig, ob diese nun eine Bedeutsamkeit für die Situation des Lesers haben oder nicht, sondern der rein „historische" Sinn der Schrift ist das in ihr geschilderte Geschehen, in dem Gott als der Herr der Geschichte handelt und so das τέλος der Welt des Menschen, d. h. Christus und die geistliche Welt offenbart139. Durch die allegorische Auslegung wird in Luthers Augen der Mensch und nicht Christus zum einzigen Ausleger der Schrift140. Weil Gott für Luther ein Deus involutus ist und daher nur in der äußeren konkreten Geschichte hervortritt, ist der Ausleger der Schrift immer an das gebunden, was wirklich geschrieben steht, an den „sensus historicus" der Schrift141. Für Gott aber ist ja gerade kennzeichnend, daß er nicht an eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort gebunden ist. Gott ist Geist, der in Christus neuschaffend hervorgebrochen ist. Dieser ist daher neuschaffend gegenwärtig bei dem, der heute die Aussagen der Schrift liest oder die mündliche Predigt, das Zeugnis von Christus, hört. Da Christus der Herr der Schrift ist, spricht sie vom Menschen und der Welt so, wie sie in ihrer Beziehung zum Creator Spiritus sind, der sie geschaffen hat und noch in ihnen wirkt, sie ist das Zeugnis von deren Bestimmtsein durch das Christusgeschehen, von seiner verborgenen Gegenwart zu aller Zeit und an jedem Ort. Daß Luther in den Patriarchengeschichten sein eigenes religiöses Erleben der Gnade Gottes wiedererkennt und die Schrift von der geistigen Situation seiner eigenen Zeit her auslegt, so daß die Väter vom Wunder der Rechtfertigung und der Neuschaffung Gottes in der Geschichte Zeugnis ablegen, kommt daher, daß die Bibel für Luther ihren „historischen" Gehalt von ihrem Zusammenhang mit dem Handeln Gottes in Christus erhält, das durch das Lesen der Schrift und das Hören der Predigt aktuell an den konkreten Menschen vermittelt werden soll. Die Bibel spricht vom Menschen, wie er zu jeder Zeit ist — d. h. von der geschaffenen und gefallenen Welt — und was Gott in Christus für ihn ist; sie enthält die aktuelle Botschaft für jede Zeit und jeden Menschen. Die Aufgabe des Exegeten und des Verkündigers ist deshalb von diesem Gesichtswinkel aus dieselbe: den in diesem Sinne „historischen" Zusammenhang aufzuzeigen, der zwischen der biblischen Geschichte und der Geschichte des konkreten Menschen besteht142. Die Schrift ist Dienerin einer „Sache", und diese Sache ist die Christusoffenbarung, und wenn der Theologe diese „Sache" wiedergibt, gibt er den 1 3 9 W A 5, 22, 22—23, 35 (Operations in Psalmos 1 5 1 9 — 2 1 ) und ib. 42, 2 8 ; vgl. Luthers Unterscheidung zwischen geistlidiem und weltlichem Regiment in W A 52, 2 6 8 , 1 — 2 1 (Hauspostille 1544 Lk 24, 36—47). 1 4 0 Siehe Luthers Predigt am Ostermontag 1534 in W A 37, 363 ff. (Lk 24, 27 ff. Rörer). 1 4 1 W A 7, 650, 2 1 — 2 4 (Auf das überchristlich usw. Buch Bocks Emsers A n t w o r t 1521), W A 20, 685 (Vorl. über den 1. Brief des Joh 1527), W A 23, 92, 25—28 (Dass diese W o r t Christi 1 5 2 7 Hs), ib. 224, W A 42, 3 6 7 , 1 7 f. ( G n 9 , 1 2 — 1 6 ) , ib. 5 6 8 , 1 5 ff. (Gn 15, 7), W A 43, 1 4 5 , 2 8 f. (Gn 21, 8) und 668, 22 (Gn 30, 9 — 1 1 ) . 1 4 2 Siehe Luthers Auslegung v o n Gn 5, 2 1 — 2 4 in W A 42, 252, 22—258, 28. Vgl. seine K r i t i k der unhistorischen Allegorie ib. 223 f., 235, 240 und 247. Zur Frage des Verhältnisses zwischen Exegese und Hermeneutik siehe die neuerschienene Untersuchung von E. Wölfel, Luther und die Skepsis, Diss. Erlangen (FGLP, R. 10, Bd. 12), München 1958.

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Kapitel V : Offenbarung u n d Wiederherstellung

„sensus historicus" der Bibel wieder 143 . Die Sachgemäßheit der Auslegung entspricht genau ihrem Vermögen, die Sache (res) in der Schrift (verbum) zu übermitteln144. Weil man nach Luther unter Umgehung der Sache, welche das Wort enthält und vermittelt, nur dem „unverhüllten" Gott begegnet146, ist seine Schriftauffassung somit christozentrisch in dem Sinne, daß sie eine Schriftauslegung zu vermeiden sucht, die menschlicher Spekulation freien Lauf läßt und die von der Bibel selbst gegebene Auffassung Gottes als eines Deus in carne involutus umgeht146. Luthers Kritik an der Schriftauffassung der Schwärmer und des Erasmus fußt auf der Einsicht, daß alle Dinge und Ereignisse unmittelbar zu Gott sind und deshalb nicht von dem lebendigen Gott isoliert, in sich selber ruhend, betrachtet werden dürfen, sondern in ihm ihren Beziehungspunkt haben. Die Einsicht des Menschen in den Inhalt der Schrift läßt sich dann weder durch ein Sammeln einer Menge historischer Tatsachen in der Bibel noch durch ein Abstrahieren von dem geschichtlich Faktischen verwirklichen. In beiden erwähnten Fällen betrachtet der Mensch sich als Herr und Meister der Geschichte. Der Mensch muß vielmehr versuchen, in der Schrift das zu finden, was sie durch die Schilderung historischer Berichte über die Situation des Menschen und der Welt vor Gott aussagt. Gott spricht durch die geschichtlichen Ereignisse, die in der Bibel geschildert werden, und offenbart dem Glauben den wirklichen Inhalt der Geschichte, indem er die Welt in Beziehung zu ihrem Ziel in Christus als dem Wiederhersteller der sich nach Befreiung sehnenden Kreatur setzt147. Für Luther war es also nicht genug, daß man von Ursprung und Ziel sprach, ohne daß beide sich in sinnvoller Weise auf die konkret-aktuelle Situation des Menschen beziehen ließen. Das Ziel, auf das die Welt und der Mensch gerichtet sind, ist zwar jetzt und hier noch nicht ganz sichtbar148, aber es ist doch schon jetzt und hier da, indem Gott wirkt, und nicht etwas bloß Zukünftiges. Dieses Ziel der Schöpfung wird im Glauben entdeckt, weil ja Gott sich im OfFenbarungsgeschehen am einzelnen Menschen als die in seinen Geschöpfen gegenwärtige und allein wirksame causa efficiens und finalis erweist. Die Schöpfung ist so gesehen nichts anderes als Gottes Wort, sie ist erfüllt von Gott und Überbringerin seines Wortes. Die Schöpfung ist nicht Gott-los weil sie 1 4 3 „Igitur in omni expositione primo subiectum considerari debet, hoc est, videndum est, de qua re agatur. Hoc postquam factum est, deinde verba, si ita fert grammatices ratio, ad rem ducenda sunt, et non res ad verba": ib. 195, 6—9 (Gn 4 , 7 ) ; vgl. ib. 358. 1 4 4 Luther denkt hier sowohl an das Schöpfungswort wie an das fleisdigewordene Wort (Christus): s. z.B. im Großen Genesiskommentar W A 4 2 , 1 3 , 1 2 — 3 8 (Gn 1, 3) und 17, 15—23 (Gn 1, 5). 1 4 5 „Quia extra illud initium creaturae nihil est quam nuda essentia divina et nudus Deus": W A 42, 14, 28 f. (Gn 1, 3). 1 4 8 „Denn was seyn ankunfft auss der schriift nicht hatt, das ist gewisslich vom teuffei selbst. Alle werck gottis, ssonderlich die tzur selickeytt gehören, sind ynn der schrifft ordentlich gesetzt unnd angetzeygt, das niemant sich entschuldigen kan": W A 8, 4 9 1 , 1 4 — 1 7 (Vom Mißbrauch der Messe 1521). 1 4 7 W A 56, 371, 2—373, 21 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 8 , 1 9 ) . 1 4 8 S. u. K a p . V , 3 , S. 237 f.

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nie Wort-los ist; sie ist Gott-abgewandt, aber doch immer durch Gottes Gegenwart in ihr bestimmt. Sie ist nicht vollkommen, sondern unterwegs zu ihrer Vollendung, befindet sich noch im „transitus". Daher ist auch die Schrift selbst nicht vollkommen und liefert keine geschlossene Erklärung der Welt. Aber sie zeigt dem Menschen seinen rechten Ursprung bzw. den Weg zu seiner Bestimmung und lehrt ihn, daß der Weg auf Grund der Sünde in der Welt durch die enge Pforte des Kreuzes gehen muß. Genau wie das Kreuz mitten in der Welt der Geschichte und der Natur steht, so ist die Schrift, die vom Kreuz zeugt, an die Geschichte gebunden, d. h. an das, was Gott „für uns" tut. Gott selbst ist am Kreuz und verwirklicht das Ziel aller Dinge, indem er auf der Ebene der Schöpfung die Begegnung zwischen Göttlichem und Menschlichem verwirklicht. Unter der larva des Kreuzes ist Gott in der Geschichte des Menschen als ein verkleideter Gott gegenwärtig. Dorthin muß der Mensch durch die Offenbarung des Evangeliums geführt werden, d.h. die Wirklichkeit muß von ihrem τέλος in dem in Christus gegenwärtigen, sündenvergebenden und aufrichtenden Gott her verstanden werden. Die Schrift, die Gottes Offenbarung in Christus wiedererzählt, ist ein Buch wie alle anderen Bücher, und doch auch wieder himmelweit verschieden von ihnen durch ihren Inhalt: Christus149, der Anfang und Ende der Schöpfung und der Geschichte ist, und der somit keine geistige, verborgene Wahrheit, die auf die Wirklichkeit angewendet werden kann, sondern der gerade die causa efficiens et finalis aller Wirklichkeit ist. Diese Überzeugung ist es, die u.a. Luthers Auseinandersetzung mit Erasmus in De servo arbitrio zugrunde liegt. Während Erasmus davon ausgeht, daß die Schrift letztlich eine dunkle und unklare Schrift ist, meint Luther, daß die Schrift vom Blickpunkt des Christuszeugnisses her einen völlig „historisch" richtigen und klaren Inhalt habe. Des Erasmus Unterscheidung zwischen dem, was zu wissen notwendig ist (quaedam scitu necessaria) und dem, was zu wissen weniger notwendig ist (quaedam non necessaria)150, bedeutet für Luther eine Leugnung des innersten Wesens der Offenbarung. Nicht alles in der Schrift ist Christus-Offenbarung, d.h. nicht alles ist Evangelium, aber alles ist durch das Handeln Gottes bestimmt, d. h. alles ist Wort Gottes. Erasmus ist in Luthers Augen ein unchristlicher Skeptiker und unbiblischer Pragmatiker 151 , der aus der Offenbarung eine theoretische Wahrheit macht, die aus der dunklen Tiefe der Schrift heraufgeholt wird, und der dadurch die Offenbarung in etwas Unsicheres verwandelt. Dem will Luther die Offenbarung als eine in der Schrift bezeugte Wahrheit gegenüberstellen, die völlig klar ist, wenn man die von der Schrift selbst gegebene Prämisse akzeptiert und zwischen „Scriptura seu creatura Dei" und „Deus ipse" unterscheidet, d. h. zwischen Gott selbst, der Geist und daher unergründlich ist, und seinem Offenbarungsmittel, das das Geschehen der Geschichte ist, das Gott durch Gesetz und Evangelium wirkt. Gottes Werke, d.h. der Inhalt der 149

WA 50, 659, 5—12 (Vorrede zum 1. Bande der Wittenberger Ausgabe etc. 1539). Vgl. R. Josefsons klärende Untersuchung 1953, bes. S. 156 ff. 150 WA 18, 606, 2 (De servo arbitrio 1525). 151 „Absint a nobis Christianis Sceptici et Academici . . . " : ib. 603,22. „Spiritus sanctus non est Scepticus . . . " : ib. 605, 32.

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

Schrift, sind klar und deutlich genug, so daß der Mensch durch sie nicht nur Gott und seine Macht kennenlernen kann, sondern auch den Ursprung und die Bestimmung der Dinge152. Die Dunkelheit der Schrift kommt für Luther nicht von der Unklarheit der Schrift bzw. der göttlichen Offenbarung, sondern vom Menschen, der durch die Sünde im Gegensatz zu Gott und seiner Offenbarung steht. Hat man, meint Luther, Gott als den Geist, d. h. den in Christus offenbaren Gott kennengelernt, so ist die Voraussetzung dafür geschaffen, daß man den ewigkeitsgeladenen Inhalt des Äußeren, von dem die Schrift zeugt, entdecken kann153. Da der Glaube die rechte Weltbetrachtung besitzt, darf man das Evangelium nicht geheimhalten; es gehört nicht in den „Winkel", sondern es ist eine „öffentliche" Sache. Es soll in die Welt hinausgehen, um dort zu leuchten und Christus offenbaren. Wenn Christus auferstanden ist, muß die Wiederherstellung der Schöpfung durch ihn ausgeteilt werden, damit alle teil erhalten an Gottes in Christus geoffenbartem Willen und vollendetem Schöpfungswerk154. Daher darf das Wort, d. h. der klare Inhalt der Schrift (veritas et doctrina) niemals verborgen oder verschwiegen werden, denn durch das Wort wurde alles im Anfang geschaffen und durch das Wort errichtet Christus heute seine Herrschaft auf Erden155. Der Unterschied zwischen der Schrift und anderen historischen Büchern besteht deshalb für Luther darin, daß die letzteren nur Chroniken sind, die bestimmte Ereignisse wiedergeben, ohne deren Beziehung zu Christus aufzuzeigen. Im geschichtlichen Bericht schildert der Erzähler somit nur das äußere Geschehen156. Die Schrift dagegen gibt die innere, wirkliche Bedeutung der äußeren Ereignisse wieder157. Alle Geschichte ist also in gewissem Sinne Geschichte der göttlichen Offenbarung, aber erst wenn der Glaube den äußeren Ablauf transparent macht und der Mensch in Einklang mit dem Willen Gottes und der Bestimmung seiner 1 5 2 Ib. 606. „In bibliis stehet alles geschrieben, was der creator gered hat a conditio mundo": W A T i 1, 593, 23 f. (1530). „Scriptura ergo nihil aliud est quam signum, per quod Christum cognosco": W A 11, 223, 24 (Predigten 1523 Lk 2, 12 ff. Rörer). 1 5 3 W A 18, 6 0 5 , 1 5 — 3 4 (De servo arbitrio 1525). 1 5 4 W A 10/III, 1 4 3 , 1 6 — 1 9 (Predigten 1522), W A 12, 292, 33 (Ep. S.Petri gepred. und ausgeh 1523 Kap. 1 , 2 0 ) , ib. 5 5 6 , 1 8 ff. (Predigten 1523 Mk 1 6 , 1 6 ) , W A 17/11,160, 5 — 1 8 (Fastenpostille 1525 L k 8 , 4 f f . ) und W A 29, 3 0 6 f . (Predigten 1529 J o h 2 0 , 2 1 f f . Rörer). 1 5 5 „Veritas et doctrina semper, palam, constanter praedicanda, nunquam obliquanda caelandave est, nullum est enim in ea scandalum. Est enim virga rectitudinis . . . cum dicat Christus: Ite in universum mundum, non ait: ite aliquo et aliquo non, sicut Erasmus": W A 1 8 , 6 2 8 , 2 7 — 3 5 (De servo arbitrio 1525). iss W A 42, 430 f.; W A 43, 513 und 543. 1 5 7 W A 14, 566 f. Luther verneint also nicht die Möglichkeit, sondern betont die Bedeutung eines rein phänomenologischen Studiums der Schrift. „Ad enarrandum prophetam opus est duplici cognicione, Prima Grammatica, et haec potest ut potentissima haberi. Altera magis necessaria, videlicet cognicio historiae, et haec non solum est sciencia rei factae, ut verba sonant in Uteris et sillabis, sed simul complectitur Rhetoricen et dialecticen, ut silicet figurae et circumstanciae diligenter animadvertantur" : W A 3 1 / 1 1 , 1 , 1 — 1 1 (Vorl. über Jesaias 1527—30). Nichts hält uns also davon ab, die Schrift als ein Buch wie alle anderen zu betrachten, das Sätze und Bedeutungsinhalte, die grammatisch und sprachlich analysiert werden können, sowie Schriftgruppen enthält, die inhaltlich Unterschiede untereinander aufweisen. Diese Betrachtungsweise der Schrift steht f ü r Luther in Obereinstimmung mit der Eigenart der Schrift, solange sie der „Sache", d.h. der Rechtfertigung sola

3. Deus absconditus et revelatus

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Schöpfung steht, kann man von Heilsgeschichte sprechen, d. h. von der Geschichte der Wiederaufrichtung der gefallenen Schöpfung 158 . Wenn Luther die Rechtfertigung sola fide zum hermeneutischen Prinzip macht, geht er also davon aus, daß Christus wirklich in der Schrift ist, so wie er in der gesamten Schöpfung ist. Wer Christus nicht als „finis omnium et centrum" 159 betrachtet, kann ihn auch nicht in der Schrift entdecken — und umgekehrt. Die christologische Schriftauslegung Luthers hängt also mit seinem Schöpfungs- und Inkarnationsgedanken zusammen. Seine Hermeneutik lehnt den Gedanken ab, die Schrift sei ein metaphysisches, von der Geschichte und damit dem lebendigen Christus losgelöstes Offenbarungsmedium. Luther versucht durch ein Studium des tatsächlichen historischen Sinns der Schrift zum wirklichen Sinn der Geschichte vorzustoßen und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß alle Wirklichkeit geschenkt wurde, damit der Mensch durch sie die Macht und Liebe des Schöpfers, der in Christus sich als ein „Deus vestibus" offenbart, kennenlerne160.

3. D e u s a b s c o n d i t u s e t r e v e l a t u s Wenn wir Luthers Formel „Deus absconditus et revelatus", welche zu den umstrittensten Problemen der Lutherforschung gehört, als Thema für den Schlußabschnitt dieses Kapitels wählen, hat das zwei Gründe. Erstens verhilft uns die Kenntnis von Luthers Begriff der „absconditas Dei" zu einem vertieften Verständnis seiner Auffassung vom Gottesbild der Offenbarung. Zweitens leitet dieser Begriff über zu der Problematik des nächsten Kapitels, indem er ein Eindringen in die Fragen erleichtert, die der Zusammenhang zwischen seinem Offenbarungs- und Versöhnungsbegriff aufwirft 1 . fide, dient: s. z.B. WA 50, 3, 3—5, 38 (Vorrede zu R. Barns, Vitae Romanorum pontificum 1536) und WA 42, 35 f. (Gn 1,14). Da die ganze Welt voll der Gottesworte ist, kann rein prinzipiell auch die Profangeschichte als Ausdruck des Handelns Gottes gelesen und gedeutet werden: WA 50, 385, 14—26 (Vorrede zu Hist. Galeatii Capellae 1538). 158 „Liviane historie exhibent virtutum spectra quedam sive simuladira, que ipse in aliis efficere non possunt. Euangelium vero exhibet virtutum spectra, ut simul sit instrumentum, quo deus immutet nos, innovet See." : WA 9, 440, 13—16 (Predigten 1519—21 Poliander). „Ista historia est semel facta in praesentia personae Christi. Sed semper fit ab initio mundi et adhuc usque ad finem mundi, non solum in Ecclesia, sed cuilibet Christiano in sua persona": WA 49, 334, 15ff. (Predigten 1544 Mt 8,23ft". Rörer). iss WA 3, 368, 18 (Dictata 1513—16). „Hec omnia Christus simul: Opus dei literaliter est creatura mundi et gesta veteris legis": ib, 369, 2. Vgl. A. Siirala 1956, S. 216, wo auch angedeutet wird, daß Christus, weil er auch Schöpfer ist, in aller Wirklichkeit gegenwärtig ist: WA 46, 554, 20—34 (Auslegung des 1. und 2. Kap. Joh 1537—38 Dr Joh 1,1. 3). Er ist aber nicht in der äußeren Schöpfung lokalisierbar. Sowohl Gottes allgemeines wie auch sein spezielles Wirken zielen beide auf die Erlösung des Menschen. 160 WA 40/III, 202 ff. (In X V Ps graduum 1532/33 Ps 127, 1) und WA 3, 620, 3 (Dictata 1513—16). 1 Daß man überhaupt ein Problem darin sah, daß Luther Gott als den gleichzeitig Offenbaren und Verborgenen darstellt, hängt ohne Zweifel damit zusammen, daß man den Reditfertigungs- und Liebesgedanken vom Schöpfungsgedanken isoliert hatte. Das gilt nicht zuletzt für die ältere Lutherforschung, die in ihrer Abhängigkeit vom idealistisch15

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Löfgren, Schöpfung

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Kapitel V : Offenbarung u n d Wiederherstellung

Wie der Mensch sich das leibliche Leben nicht selber geben kann, so auch nicht das geistliche und ewige Leben, zu dem er geschaffen ist. Er „vermag nit auss nicht machen icht", weil er in allem als Empfangender vor Gott seinem Schöpfer, der in Treue zu seinem Werk offenbarend und versöhnend mit seiner Schöpfung in Gemeinschaft tritt, dastehen muß2. Deshalb wacht der Verborgenheitsgedanke auch über des Menschen Verantwortung als Geschöpf Gottes, von der er sich nicht zu lösen vermag3. Gerade weil Gottes Verborgenheit mit zu Gottes Göttlichkeit gehört („Deus est, qui absconditus est. Hoc est eius proprium")4 und also die Gestalt der Offenbarung Gottes hier in der Zeit stets die der Verborgenheit ist, wird alle menschliche Existenz vor Gott gestellt und von Gott gefordert. „Homo abscondit sua ut negat, Deus abscondit sua ut révélât."5 Der Mensch erhöht sich also nicht über die Schöpfung, weil er unabhängig von Gott ist, sondern weil er als Gottes Geschöpf ein Gottesbewußtsein besitzt. Aber nur im Gehorsam gegen den verborgenen Gott steht er in der Gemeinschaft mit dem Herren des Lebens, der ihn von seinem Fall wieder aufrichtet, d. h. Gott wird offenbar als der im Wort gegenwärtige Schöpfer des rechten Gottvertrauens des Menschen6 und er verleiht dem Menschen dann auch den rechten Blick für die Schöpfung1. Im vorigen Abschnitt haben wir diesen Zusammenhang zwischen anthropozentrischen Gottesbild der liberalen Theologie, trotz bewußten Strebens, Luther rein historisch zu verstehen, die Tiefe und Breite seiner Theologie der Schöpfung nicht auszudrücken vermochte. Aber dies könnte gewissermaßen audi von der neueren Lutherforschung mit ihrem einseitigen Ansatzpunkt im zweiten Artikel gesagt werden. Siehe auch unten, Anm. 14. 2 WA 7,547,1—9 (Das Magnificat 1521). Siehe audi unten Kap. VI, 3, in welchem Offenbarung und Versöhnung unter dem zusammenfassenden Gesichtspunkt des creatioex-nihilo-Gedankens betrachtet werden. 3 Der Gedanke, daß Gott nicht nur im Bewußtsein des Menschen, sondern auch in der äußeren Schöpfung gegenwärtig ist, ist die Position, von der aus sich Luther gegen den „fleischlichen" Geistbegriff der Schwärmer wendet: s. E.Schott 1931, S.602. Wer Luther in seiner Auseinandersetzung mit den Schwärmern für theologisch inkonsequent hält und hier einen Bruch mit seiner reformatorischen Grundanschauung sehen will, möge sich die Frage stellen, ob er nicht etwa selbst, wie die Schwärmer zu Luthers Zeit — vielleicht unbewußt — Äußeres und Inneres in so ausschließlichen Gegensatz stellt, wie es für einen realistischen Schöpfungsglauben unmöglich ist: s. z.B. E.Borsch, Geber, Gabe, Aufgabe. Luthers Prophetie in den Entscheidungsjahren seiner Reformation 1520—25 (FGLP, 10. R., Bd. XIII), München 1958. 4 WA 44, 110, 23 f. (Gn 32, 31b. 32). H . B a n d t 1958, S.197, und H.R.Gerstenkorn, Weltlich Regiment zwischen Gottesreich und Teufelsmacht, Bonn 1956, S. 13, sowie E. Thestrup Pedersen 1959 (s. o. Kap. V, 2, S. 195 f.) sehen nur diejenige Seite der Verborgenheit, die mit dem Fall zu tun hat, d.h. den Deus in cruce absconditus, und übersehen dabei, daß die äußerste Konsequenz einer soldien Betrachtungsweise notwendig einen Anflug von Spekulation in sich schließt, da sie Gott als nudus vor dem Fall ansieht. Vgl. dagegen V.Vajta 1952 und H.Olsson 1942, die den doppelten Sinn der Verborgenheit berücksichtigen. 5 WA 1,138,13 f. (Sermone 1514—17 Mt 11, 25). Deshalb müssen wir „parvuli" werden, um „apti" f ü r Gottes Offenbarung zu werden: ib. 139, 39. 6 Vgl. auch WA 39/11, 345, 28—346,23 (Die Prom.disp. Petrus Hegemon 1545). 7 WA 38, 53,16—25 (Summ, über die Psalmen . . . 1531—33 Ps 104). Siehe audi WATi 2, 282,11—14 (1531): „Alle Creaturen Gottes sind den Gottlosen zugleich offenbar und verborgen . . . Offenbar aber sind sie ihnen, denn sie sehen sie fur Augen. Verborgen, denn

3. Deus absconditus et revelatus

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Gottesbild und Weltbetrachtung entwickelt. Hier stellen wir nun die eigenartige Struktur des Gottesbildes bei Luther eingehender dar. Geht man einzig von dem Gedanken aus, daß Gott sich hinter seinem Zorn verbirgt und sonst offenbar ist, dann bekommt der Offenbarungsbegriff leicht einen Charakter, der von einer Luther fremden, einseitig erkenntnismäßigen Betrachtung herrührt. Akzeptiert man indessen, daß die Offenbarung mehr ist als rationale Erkenntnis über Gott, die Welt und den Menschen, so fällt gewiß neues Licht auf Luthers Vorstellung vom Deus absconditus 8 . Wie schwierig es ist, mit Luthers absconditus-Begriff zurechtzukommen, zeigt sich in der kürzlich veröffentlichten Abhandlung von H. Bandt (1958). Die Stärke von Bandts Untersuchung liegt in der durchgehend „christologischen" Prüfung, der er den absconditus-Begriff unterzieht. Wenn indessen Luthers Offenbarungsbegriff aus einer Luther fremden einseitigen erkenntnismäßigen Betrachtungsweise begriffen wird, so wird die Christusoffenbarung leicht als ein menschliches Erkenntnisprinzip betrachtet, das der Mensch auf die Wirklichkeit anwenden kann ohne Rücksicht auf Gottes Handeln darin, und nicht als eine Erfahrung des Menschen, in der er gerechtfertigt und aus seinem Fall aufgerichtet wird. Luthers Auffassung von Gottes Verborgenheit ist gewiß in dem Sinne christologisch bestimmt, daß er sich in der Rechtfertigung als der im Zorn Verhüllte und in seinem Gegensatz Verborgene offenbart, d. h. als Retter des Menschen aus der Not des Falles, und daß der Mensch im Glauben an den in Christus verborgenen Gott eben das wird, wo%u er bestimmt war. Wenn aber Bandt zusammenfassend konstatiert, daß Luthers Verborgenheitsbegriff drei verschiedene Modifikationen aufweist — nämlich (1.) Gottes verborgenes Wirken in der Weltgeschichte im Unterschied zu seinem Offenbarungshandeln in Christus, (2.) Gottes Verborgenheit für den Menschen des Unglaubens im Gegensatz zu seinem Offenbarsein für den Menschen des Glaubens und zuletzt (3.) Gottes verborgenen Ratschluß im Gegensatz zu seinem offenbaren Heilswillen 9, dann ist zwar gegen diese Aufteilung an und für sich nichts einzuwenden, aber man vermißt doch die systematische Verbindung der drei verschiedenen Arten der Verborgenheit Gottes. Daß dies letztlich seinen Grund in einem mangelnden Verständnis von Luthers Schöpfungstheologie hat, zeigt sich unter anderem darin, daß Bandt die formal-erkenntnismäßige Betrachtungsweise nicht von der heilsgeschichtlichen unterscheidet 10 . Die richtige Einschätzung von Luthers Grundgedanken, daß man Gott nicht entrinnen kann, fehlt nicht ganz bei Bandt, denn in seiner Beurteilung Luthers grenzt er sich durchaus von der sie sehen und erkennen den Schöpfer in den Creaturen nicht." Vgl. auch WATi 3, 424,11— 30 (1537), w o die Beziehung der Kreatur zum Menschen als analog derjenigen des Menschen zu Gott betrachtet wird. 8 Einzig aus der Zusammengehörigkeit des „involutus"-Begriffes und des „absconditus"BegrifTes wird audi die Entsprechung Tod-Leben bzw. Sünde-Gerechtigkeit bei Luther verständlich: s. z.B. die Auslegung von Hebr 12,11 in der Hebräerbriefvorlesung (1517/18); dort werden Gericht und Gerechtigkeit, Zorn und Gnade, Tod und Leben, Übel und Gut einander gegenübergestellt, ebenso wie opus alienum und opus proprium, verborgen und offenbar. Alle diese Begriffe gehören für Luther systematisch zusammen: WA 57(3), 7 9 , 1 3 — 80,11. 9 10 H . Bandt 1958, S. 83 f. Ib. S. 51.

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

üblichen barthianischen Verwerfung des absconditus-Begriffes bei Luther ab11. Aber er geht mit einem von der barthianischen Theologie herrührenden Vorurteil an das Problem der Offenbarung heran und übersieht deshalb, daß für Luther Gottes Verborgenheit nicht einfach mangelnde Gotteserkenntnis ist, sondern eine Verborgenheit, die den Menschen in unentrinnbare Verantwortung vor den Schöpfer ruft. Luthers Distinktion zwischen Deus absconditus und Deus revelatus läßt sich in seinem ganzen Werk finden. In den frühesten Schriften beschäftigt Luther vor allem die Frage nach dem Menschen als dem Ziel der Offenbarung Gottes. Wem offenbart sich Gott? 12 In seinen späten Schriften, gelegentlich aber auch schon in De servo arbitrio (1525), geht es dagegen bereits um den Inhalt der Offenbarung. Was offenbart Gott? 13 Die ältere Lutherforschung beschäftigte sich hauptsächlich mit der ersten Frage, d. h. der nach dem Inhalt der Offenbarung, und zwar vom Gesichtspunkt des Gottesbildes aus. Die neuere Lutherforschung mit ihrer auf die Erkenntnis ausgerichteten Betrachtungsweise scheint indessen immer mehr bei der anderen Frage, der nach dem Ziel der Offenbarung als der wichtigsten zu verweilen14. 11 Siehe K.Barths Kirchliche Dogmatik I I / l , Zollikon-Zürich 1940, S. 608f., und II/2 (1942), S. 70 f. 12 Christus ist für Luther gleichzeitig Subjekt und Empfänger der Liebesoffenbarung Gottes. „Alsso ist Christus, des lebens und gnaden bild widder des tods und sund bildt, unsser trost, das sagt Paulus l . C o r i n : 15 [V. 57]. Gott sey lob und dande, das er unss yn Christo geben hatt ubirwindung der sund und des todts" : WA 2, 690, 6—9 (Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben 1519). Hier tritt also audi der Gedanke hervor, daß Christus das „Bild" Gottes ist, indem er die Offenbarung empfängt: „Er [Christus] ist das lebendig und unsterblich bild widder den tod, den er erlitten, und dodi mit seyner ufferstand von todtenn ubirwunden yn seynem leben. Er ist das bild der gnaden gottis widder die sund, die er auff sich genommen und durch seynen unubirwindlidien gehorsam ubirwunden. Er ist das hymelisdi bild, der vorlassen von gott, alss eyn vordampter, und durch seyn aller mechtigist liebe die hell ubirwunden, bezeugt, das er der liebst sun sey und unss allen dasselb zu eygen geben, sso wir alsso glauben": ib. 691, 15—21. Derselbe Gedanke in der Hauspostille 1544 zu Joh 14, 9 f. : „ . . . Er sey des Vatters ebenbild . . . " (WA 52, 342,19. 27). 13 „[Distinguendum est] inter Deum praedicatum et absconditum" : WA 18, 685, 25 f. (De servo arbitrio 1525). 14 Th. Harnadc, der als einer der ersten ernsthaft nach der Einheit in Luthers Gottesbild gefragt hat, möchte den darin von ihm konstatierten Gegensatz dadurch überwinden, daß er den Deus absconditus als Schöpfergott und den Deus revelatus als Erlösergott versteht: ders., Luthers Theologie mit besonderer Beziehung auf seine Versöhnungs- und Erlösungslehre, 2 Bde. 1862; neue Ausgabe München 1927, S. 87, 90, 93 u. ö. Auf diesen allzu einfachen Nenner dürften jedoch die Luthertexte, sobald man sie kritisch sichtet und untersucht, nicht zu bringen sein. Gott ist ja nach Luther verborgen nicht nur als der Schöpfer, sondern auch als der Erlöser, und er offenbart sich ja nicht nur als Erlöser, sondern auch als Schöpfer. Albr. Ritsehl hat jeden Versuch aufgegeben, dem Gedanken der Verborgenheit Gottes irgendeinen religiösen Wert abzugewinnen und diesen vielmehr zu einem Überbleibsel in Luthers Theologie erklärt, das aus der nominalistisdien Vorstellung Gottes als „exlex", als über alle Gesetze erhaben, stamme. Gottes Verborgenheit sei ein „metaphysischer Rest" in Luthers im übrigen „religiösem" Gottesbegriff : ders., Geschichtliche Studien zur diristl. Lehre von Gott II (Jahrbüchcr für deutsche Theologie Bd. 13, 1868), S. 67ff.; s. auch ders., Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung I: Die

3. Deus absconditus et revelatus

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Für Luther ist indessen die grundlegende Frage, soweit wir sehen können, eine ganz andere, die nach der Gestalt, der Art und Weise der Offenbarung. Wie offenbart sich Gott? Hat man diese Frage zutreffend beantwortet, so hat man auch die Möglichkeit, die rechte Antwort auf die beiden anderen Fragen zu finden. Die Kritik, die sich von römischer Seite gegenwärtig gegen Luthers Offenbarungsbegriff richtet, pflegt seine starke Betonung der Souveränität Gottes, bei der dem Menschen anscheinend keine eigene Bedeutung beigemessen wird, als eine Folge der für Luther verhängnisvollen Abhängigkeit vom Nominalismus, der sogenannten via moderna, zu erklären, also aus seiner Opposition gegen die ältere scholastische Tradition, die sogenannte via antiqua. Von selten der evangelischen Forschung wurden Stellung und Bedeutung des Nominalismus noch wenig geklärt. Auch wir nehmen hier nicht Stellung zum Nominalismus, sondern versuchen Geschichte der Lehre, Bonn 1903 4 . Ferd. Kattenbusch, der zunächst im großen und ganzen Ritschis Lutherdeutung folgte, versuchte aufzuzeigen, daß Luther zwar ein religiöses Interesse an dem Theologumenon von der Verborgenheit Gottes hatte, es freilich dann doch nur zum Ausdruck bringen konnte mit Hilfe der nominalistisch-scholastisch-spekulativen Gottesvorstellung: s. ders., Luthers Lehre vom unfreien Willen und von der Prädestination, 1875; neue Aufl. Göttingen 1905. Er hat später sein Lutherbild revidiert (s. Kattenbusch 1920), teilweise unter dem Einfluß von C. Stange und E. Hirsdi, die den Gegensatz zwischen Deus absconditus und Deus revelatus überhaupt nicht als eine unlösbare Spannung in Luthers Gottesbild empfanden, sondern durch diesen Gegensatz die zwei verschiedenen Seiten einer letztlich einheitlichen religiösen Betrachtungsweise gewahrt sahen: s. E. Hirsdi 1918, C. Stange 1928, S. 159—219, und ders., Die Gottesanschauung Luthers (ZsystTh Jg. 8, 1931, S. 45—89). Nicht zuletzt zeigt aber der Wandel des Lutherbildes bei Kattenbusch an, wie der 1. Weltkrieg das idealistische Gottesbild ins Wanken gebracht hat. Vgl. dazu J. v. Walter 1940, S. 27, W. v. Loewenidi, Zehn Jahre Lutherforschung (Theologie und Liturgie, Kassel 1952), S. 141; s. auch: O. Wolff, Die Haupttypen der neueren Lutherforschung. Diss. Tübingen (Tübinger Studien z. Syst. Theol. 7), Stuttgart 1938. Hirsch und Stange wurden bald unterstützt von anderen Forschern, in Schweden u. a. von R. Bring 1929. Mit den nach dem Ersten Weltkrieg entdeckten Lutherhandschriften (siehe hierzu W. v. Loewenich 1952, S. 125) hatte man nun auch eine starke textliche Grundlage für das schon früher von Hirsch und Stange eingeführte neue Verständnis der religiösen und antispekulativen Intention in Luthers absconditus-Begriff. Doch fand auch die Ritschlsche Lutherbeurteilung noch Nachfolger, in gewisser Hinsicht z.B. F.W.Schmidt und K . H o l l , die zu zeigen versuchten, daß die Gedanken um den Deus absconditus bei Luther durchleuchtet seien vom Liebesbegriff; Luther sei ein Nominalist „höherer Ordnung": s. Schmidt, Der Gottesgedanke in Luthers Römerbriefvorlesung (ThStKr H . I I I , Gotha 1921, S. 117ff.), und K. Holl 1921, S. 40 u. ö. Während jene Lutherforscher sich hauptsächlich mit dem Inhalt der Offenbarung (Gottes Liebe) bei Luther beschäftigen, schlägt plötzlich der dialektische Theologe F. Gogarten einen neuen Weg ein und betont gegen Holl das Numinose in Luthers absconditus-Begriff. Nicht mehr nach dem Inhalt der Offenbarung wird nun gefragt, sondern nach der existentiellen Entgegennahme der Offenbarung Gottes. Der Orientierungspunkt ist die Frage: „Wem offenbart sich Gott?" Siehe F. Gogarten, Nachwort zu seiner Neuausgabe von Justus Jonas' Übersetzung von De servo arbitrio, München 1924. (Diese Fragestellung ist seitdem eine der wichtigsten geworden, und bei H . Bandt ist sie ganz in den Vordergrund getreten.) Aber ob man nun wie Th. Harnack die Einheit im Gottesbild durch Teilung zu retten sucht oder wie Ritsehl durch Abstriche oder mit Hirsch durch den Gedanken einer inneren Dialektik im Gottesbild oder mit Gogarten durch den Gedanken eines dialektischen Verhältnisses von Gott und Mensch — man gelangt doch nicht zu einer eigentlichen Einheit in Luthers absconditus-Begriff.

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

ganz aus seinen eigenen Äußerungen zu verstehen, was Luther dachte, und zwar von seiner eigenen Auffassung der Theologie seiner Zeit her15. Ebenso wie die Nominalisten verwendet Luther zwar oft den Ausdruck „voluntas seu potestas Dei absoluta et ordinata", wenn er den Unterschied zwischen Gottes mittelbarem und unmittelbarem Willen oder Macht ausdrücken will. Aber dabei bleibt er sich doch des Unterschiedes zu den Nominalisten, deren rein auf die transzendente Majestät Gottes gerichtete Verwendung des Begriffs er oft kritisierte, stets bewußt, denn er denkt hierbei im Gegensatz zu diesem immer vom Ereignis der Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung her1®. Was Luther meint, kommt am klarsten zum Ausdruck in einem anderen Begriffspaar, das er mit Vorliebe verwendet, wenn er einerseits von „cooperatio naturae" andererseits von „Gottis Arm" redet. Es zeigt sich hier, daß die Verborgenheit Gottes bei Luther nicht in einen metaphysischen Rahmen hineingestellt ist, sondern in ein göttliches Offenbarmgs- und Heilshandeln, wodurch der Mensch in die Verantwortung vor Gott gestellt ist, aus der er sich nicht eigenmächtig entlassen kann17. Während also bei den Nominalisten Gott in seiner potestas absoluta und der Mensch in Gottes potestas ordinata zum Subjekt wird, bleibt für Luther Gott auch in der potestas ordinata letztlich der im äußeren Geschehen zwar der Vernunft Verborgene, aber doch machtvoll Gegenwärtige, nämlich der fordernde Gott. Luthers Auseinandersetzung mit Erasmus zeigt u.a., wie wir gleich sehen werden, daß diese Verborgenheit Gott nicht nur dem rationalen Zugriff entzieht, sondern auch den Menschen zu einer Gott verantwortlichen Person macht. Denn da Gott in der Welt vor und unabhängig von unserer Erkenntnis gegenwärtig ist, kann der Mensch nicht selber über die Wirklichkeit verfügen, sondern ist sowohl an Gott gebunden als ihm auch für sein Handeln verantwortlich. Dem Menschen, der von Gott geschaffen und in die vom Schöpfer gegebene Wirklichkeit eingesetzt ist, ist Gott offenbar und verborgen zugleich. Die Situation des Menschen wird immer — auch wenn sie von Liebe zu Gott geprägt ist — als Furcht gekennzeichnet18. Gottes Souveränität ist von solcher Art, daß er des Menschen Vernunft verborgen ist, so daß dieser immer gezwungen wird, über die Dinge zu herrschen und gleich15 Natürlich sind Luthers Bezüge zu der nominalistisdien Schultheologie von großer Bedeutung für seine theologische Entwicklung. Aber andererseits muß man sich die Distanz gerade in der Grundkonzeption Luthers vor Augen halten, die ihn von jener Theologie trennt. Wie wir im vorigen Abschnitt unserer Darstellung sahen, gibt Luthers Anschauung von der Gegenwart Gottes in der Schöpfung seinem Offenbarungsbegriff die eigentümliche Färbung, die ihn nicht nur von dem der älteren, sondern audi dem der jüngeren Scholastik abhebt und so den Weg freimacht für ein erneuertes Verständnis von Gottes Beziehung zur Welt. Der umstrittenen Frage nach Luthers Verhältnis zum Nominalismus können wir hier nicht in dem erforderlichen Ausmaß nachgehen: s. hierzu Leif Grane, Gabriel Biels Lehre von der Allmacht Gottes (ZThK 1956, S. 53 ff.). Luther selbst ist sich seiner Distanz zum Nominalismus wohl bewußt. E r versteht seinen absconditus-Begriff als eine direkte Auslegung des biblischen Sdiöpfungsrealismus. 16 Daß Luthers personales Gottesbild eine Folge seines Nominalismus ist, wird von J . v. Walter (1940) zwar behauptet, aber nicht bewiesen. 17 Siehe J . v. Walter 1940, S. 124 und 142, H . Olsson 1939, S. 309 f., H . - W . Krumwiede 1952, S. 109, und G. Rost 1958, S. 13. 18 J . v. Walter 1940, S. 102.

3. D e u s absconditus et revelatus

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zeitig die Forderung zu erfüllen, auf Gott als den Herrn zu vertrauen (vgl. oben Kap. II)19. Nur in dem Maße, in dem die Menschen Gegenstand göttlichen Handelns werden, begegnen sie dem Willen Gottes und werden — indem Gott sich so offenbart — „ministri et cooperatores dei", so daß sie sagen können, daß „per nos gubernat deus mundum". Luther kann dies mit einem scholastischen Ausdruck eine „Instrumentalis causa" nennen20. Er stellt sich darunter indessen nicht vor, daß Gott im Himmel sitzt und seine Geschöpfe unten auf der Erde dirigiert, sondern denkt sich, daß er selbst durch äußere geschaffene Mittel und Einrichtungen in seine Schöpfung eintritt und in ihr wirkt21. In der Offenbarung ist also Gott selbst Subjekt und „die creaturn sind nur die hand, röhre und mittel, dadurch Gott alles gibt" 22 . Schon in Kapitel II berührten wir Luthers Anschauung, daß Gottes Wille nur in einer konkreten Situation offenbar wird, sonst aber verborgen bleibt. Das systematische Problem der Offenbarung Gottes wird indessen dadurch, daß der Sündenfall dabei theologisch berücksichtigt werden muß, noch mehr kompliziert. Auf Grund der Sünde wird Gott nun noch in einem anderen Sinne ein verborgener. Im ersten Fall kommt die Verborgenheit daher, daß Gottes Schöpferwerk immer noch weitergeht, solange Gott als Gebieter und Schöpfer gegenwärtig ist. Erst wenn die Schöpfung vollendet ist, ist auch Gottes Wille ganz offenbart23. Dieser Gott — Gott in seiner Majestät — war immer verborgen und wird es bis zum Jüngsten Tage sein24. Der Gott, der seinen Willen in der Schöpfung kundtut und den Menschen in die Verantwortung vor sich ruft, ist auch im Zorn gegenwärtig, bleibt jedoch dem Glauben ein Deus revelatus. Wer indessen Gott in seinem Zorn über die Welt des Falls nicht im Glaubensgehorsam kennenlernen will, dem bleibt Gott der zornige Deus absconditus25. In bezug auf die absconditas Gottes spielt also sowohl der Gedanke des unablässigen Schöpferhandelns Gottes als auch der Gedanke von Gottes Widerstand gegen die Sünde eine Rolle. Wenn Gott schafft, wird sein Wille kundgetan und die Schöpfung in Gebrauch genommen mit der Zielrichtung, die Gott ihr gibt. Der Mensch wird damit zum „cooperator" Gottes, weil Gott der Schöpfer ist. Dieses „Cooperieren" läßt sich nur im Gehorsam gegen Gottes geoffenbarten Willen richtig verwirklichen. Gehorcht der Mensch Gottes mandatum, so herrscht er auch über sein dominium und dient damit seinem Mitmenschen. Der Mensch steht damit in Gottes „potestas ordinata" und gibt durch sein „Cooperieren" Gott die Ehre im 19 W A 7, 585, 33—587, 7 (Das Magnificat . . . 1521) und WA 15, 3 7 2 , 2 5 — 3 7 3 , 1 7 (Der 127.Psalm ausgelegt . . . 1524). 20 WA 40/III, 2 1 0 , 1 4 f.; 219, 5 ff. (In X V . Ps Graduum 1532/33 Ps 127). 21 „Qui igitur est in regimine, est quasi incarnatus Deus": WA 43, 514, 8 f . (Gn 27,11—14). 22 W A 30/1,136, 8 f. (Der Große Katechismus 1529). 23 „Haec sunt opera divina, quae non intelliguntur, nisi impleta et consumata. Interea vero, dum fiunt, non possunt, nisi sola fide apprehendi, simpliciter enim id retinendum est, C r e d o i n D e u m p a t r e m o m n i p o t e n t e m , creatorem coeli et terrae etc.": W A 44, 300, 9—12 (Gn 37, 30—33). Vgl. auch unten Anra. 68. 24 W A 18, 712,25—381 (De servo arbitrio 1525). 25 G. Aulén 1941 2 , S. 226 ff. (dt. 1930, S. 228 ff.).

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Kapitel V : Offenbarung und Wiederherstellung

Äußeren26. Der Wille Gottes ist also nicht auf den menschlichen Willen angewiesen, sondern aus lauter Liebe zu seinem Geschöpf würdigt er dieses der freien Mitarbeit. Nun handelt indessen Gott in einer Schöpfung, die von ihm abgefallen ist, und in der ein böser Wille seinem guten Willen gegenübersteht. Darum ist nicht alles, was in der Welt geschieht, Ausdruck des eigentlichen Willens Gottes. Die Schöpfermacht des Armes Gottes „wirt in der schlifft genennet sein eygen gewalt", sagt Luther in seiner Auslegung des Magnificat (1521)27 ; nur durch ihn wird Gottes eigentlicher Wille verwirklicht28. Aber das geht „stil und heymlich zu, das sein niemant gewar wirt. . . denn allein durch den glauben" 29 . Wenn der Mensch nun im Ungehorsam gegen Gottes kundgetanen Willen ihm nicht die Ehre gibt, „wirckt got solch werck nit, lessit gehen und wirckt öffentlich durch die creaturn"30. Gottes „öffentliches Wirken durch die Kreaturen" wird hier also in Gegensatz gesetzt zu Gottes Wirken durch seinen „Arm". Aber dieser Gegensatz bedeutet noch lange nicht, daß Gott nicht auch im Ungläubigen der Alleinwirksame wäre, sondern nur, daß dem gläubigen Menschen, der im äußeren Geschehen das Wirken Gottes sieht und seine helfende Allmacht und die eigene Ohnmacht erkennt, Gottes „Arm" offenbar wird; er allein darf erfahren, „wie got alszo gesynnet sey, das er ferne von den weyszen und klugen sey, und nah bey den unweyszen"31. Wo Gott die Ehre nicht gegeben wird, da wirkt er nur „öffentlich durch die creaturn" und bleibt dabei als Herr der Geschichte verborgen, denn da sind nicht „die rechten werck, damit man yhn erkennen kan, denn es lauffen der creatur krefft mitunder, unnd sind nit blosz eygen gottis werck, wilche müssen sein, das niemandt mit yhm wirck, szondern er allein" 32 . Gott als der Herr der Geschichte bleibt also dem Unglauben verborgen. „Alszo sehenn wir in allen historien und erfarung, wie er ein reich auffwirfft, das ander nyder, ein Furstenthumb erhebt, das ander vordruckt." 33 In Gottes allgemeiner Weltregierung sieht man nur ein äußeres Geschehen, z.B. daß der Stärkere den Schwächeren besiegt. Nun kann Gott aber durch seinen „Arm" dieses „gewöhnliche" Geschehen des menschlichen Lebens in der Welt des Falls durchbrechen. Dies geschieht aber „stil und heymlich", d.h. verborgen für den ungläubigen Menschen34. Allein dem Glauben sind Gott und seine Herrschaft erkennbar, auch in der eigenen Niederlage. „Da lessit er die frumen krafftlosz werden und unterdruckt, das ydermann meynet, es sey mit yhm ausz, es hab ein end"; wenn es jedoch ganz hoffnungslos aussieht, kann Gott seine allmächtige Hand ausstrecken, und „ist er (Gott) am sterckisten da" 35 . Zwar ist die menschliche Kraft an sich 2 9 W A 42, 517, 10—518, 37 (Gn 1 3 , 1 4 — 1 5 ) . „Sic scilicet Deo placuit, suam gloriam ostendere per creaturas, sed diverso modo": W A 43, 69, 2 2 f . (Gn 1 9 , 1 4 ) . „Manet igitu? regula . . . quod Deus non amplius vult agere secundum extraordinariam, seu . . . absolutam potestatem. sed per creaturas suas, quas non vult esse otiosas . . . Hanc vocant Dei ordinatam potestatem, cum scilicet ministerio vel Angelorum vel hominum": ib. 71, 7 — 1 4 (Gn 1 9 , 1 4 ) . E. Seeberg 1932, S. 96, sieht in diesen Gedanken Luthers einen Einfluß der „positivistischen" Franziskanertheologie, die Gottes Offenbarung aus Gottes Statut und Willen herleitet. 2 7 W A 7, 585, 23 (Das Magnificat . . . 1521). 2 8 Ib. 586 f. 2» Ib. 585, 24 3 0 Ib. 588, 9 f. 3 1 Ib. 587, 20 f. ff. 3 2 Ib. 5 8 8 , 1 0 — 1 3 . S3Ib.590,9ff. 34 Ib. 585, 24. 35 I b . 5 8 6 , 8 f f .

3. Deus absconditus et revelatus

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nicht böse, aber wenn sie „Gottes Arm" in der Geschichte nicht sehen will, führt sie zum Unglauben, gibt Gott nicht die Ehre und wird zur bösen Macht, die Gottes Willen entgegensteht. Gott wird nämlich nur dem Glauben „offenbar" als der helfende Gott; dem Unglauben bleibt er „verborgen", nämlich dem, der Gott im Leiden die Ehre verweigert, die dem allmächtigen Schöpfer immer zukommt. Gott offenbart sich als Liebe nur dem Glauben, der Gott wiederum von Herzen liebt. Aber Voraussetzung des Glaubens ist, daß Gott bereits am Menschen in den äußeren Dingen im Zorn gehandelt hat. „Es mag yhe niemant got loben, er hab ihn dann zuvor Heb, szo mag yhn niemant lieben, er sey ym dann auffs lieblichst und aller best bekant. Szo mag er nit alszo bekant werden denn durch seine werck ynn unsz erzeygt, gefuelet unnd erfaren . . . wie er ein solcher got ist, der ynn die tieffe sihett, und nur hilfft den armen . . . unnd die gar nichts seint . . . Darumb hat got auch den tod auff unsz gelegt und das Creutz Christi. . ," 36 Also auch im äußeren Geschehen und menschlichen Leiden ist Gott dem Glauben durch die innere Offenbarung gegenwärtig als Deus revelatus. Im Gegensatz dazu ist Gott dem Unglauben gegenwärtig als Deus absconditus. Gott ist also nicht erst durch den Glauben, sondern jener entdeckt Gott als den Erlöser37. Die gleiche Auffassung von Gottes Offenbarungshandeln begegnet uns in „De servo arbitrio" (1525). Gottes Schöpfergegenwart in aller Weltwirklichkeit ist verborgen, wird aber dem Glauben erkennbar. Wenn Luther in dieser Schrift die Gebundenheit des menschlichen Willens betont, so richtet er sich ja bekanntlich gegen die Auffassung des Erasmus von der Entscheidungsfreiheit des menschlichen Willens für Gott und gegen die Konsequenz dieser Auffassung, daß Gottes Beziehung zur gefallenen Welt die einer machtlosen Abwesenheit sei38. Nach Luther sind alle Menschen, auch die, die Gottes Herrschaft nicht anerkennen, an ihn gebunden39. Da der Mensch ohne Gottes Schöpferwillen nicht leben kann40, ist er ständig auf Gottes schenkende Schöpfermacht in seiner allgemeinen Offenbarung angewiesen41. Auch der gottlose Wille, ja sogar der böse Wille Satans sind ohne Gottes allgemeines Wirken in der Schöpfung schlechthin „nichts". Sie können nie etwas anderes werden als „creatura et opus Dei", in denen Gott „mit Notwendigkeit" wirkt 42 . Gott regiert den ganzen Weltenlauf als Deus omnipotens43. Luther will also mit seiner Unterscheidung von Gottes Verborgensein für den Unglauben und seinem Offenbarsein für den Glauben nur festhalten, daß allein dem demütigen Glauben Gottes Liebe offenbart wird. Luther sagt darum auch in Ib. 548, 2—13. Gottes Handeln durch seinen A r m hat, wie G. Buchwald 1941, S. 59 f., zeigt, bei Luther eine deutliche Spitze gegen das römische ex opere operato: auch in der cooperatio des Menschen im Äußeren kann Gott in ein direktes inneres Handeln und Helfen eintreten. Gott durchbricht das Äußere, Regelmäßige, um dem Bösen zu widerstehen, genauso wie er das Äußere verordnet, um dem Bösen zu widerstehen. G. Wingren 1948 2 (dt. 1952) hat dieses Wechselspiel von Statischem und Elastisch-Dynamischem in Luthers Berufsauffassung klar herausgestellt. 3 8 W A 1 8 , 7 5 0 , 8 ff. (De servo arbitrio 1525). 3 9 Ib. 7 5 2 , 1 2 4 0 Ib. 718, 21 f. ff. 4 1 Ib. 753, 29—33. 4 2 Ib. 709, 1 5 — 2 1 . 4 3 Ib. 784, 3 6 f f . ; 719, 24 ff. 38 37

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De servo arbitrio, daß er die scholastische Unterscheidung zwischen „voluntas Dei ordinata et absoluta" für leer und nutzlos achte44, weil sie von der falschen Voraussetzung ausgehe, es gäbe im Menschen einen unzerstörten Rest, der ihn befähige, Gut und Böse zu kennen und sich frei für Gott zu entscheiden. Dieser Sachverhalt muß immer, wenn Luther von jener Unterscheidung Gebrauch macht, im Auge behalten werden. Luther verweist auch in De servo arbitrio auf Gn 1,31 („Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war sehr gut") und gibt der Stelle die Deutung, die wir schon in Kapitel I kennenlernten45. Gott ist allein gut, darum weiß auch er allein, was gut ist. Nur wer mit Gottes Augen schaut, d.h. wer Gottes Gnade, Vergebung und Heiligen Geist empfangen hat, kann in allem Geschehen erkennen, was Gottes guter Wille ist, und Gut und Böse recht unterscheiden lernen46. Gott ist also in seinem Wirken in der gefallenen Welt allen Menschen verborgen außer denen, die sich seinem geoffenbarten Willen unterwerfen47. In der Welt des Falls vollzieht sich alles Geschehen so, daß die Vernunft entweder sagen muß: es gibt keinen Gott, oder aber: er handelt willkürlich und ungerecht48. Darum kann der Mensch nur im leidenden und ständig angefochtenen, aber auf Gottes Liebe in Christus gerichteten Glauben an der Gewißheit der Macht und Güte des göttlichen Willens festhalten49. Luthers Thema in De servo arbitrio ist deshalb letztlich „pro gratia contra liberum arbitrium" 50 , d.h. Gottes absconditas hat ihren Grund nur darin, daß der natürliche Mensch Gott nicht die Ehre geben will. Nur der Glaube sieht in allem Geschehen, d.h. also auch in Kreuz und Leiden, Gottes verborgene Gegenwart. Ja gerade dann, wenn der Mensch seine eigene Ohnmacht erlebt, offenbart Gott seine Allmacht. Aber das geschieht nur, wenn man den im Kreuze Christi offenbarten Versöhnungswillen der Liebe sich gefallen läßt und annimmt. In der humanitas, infirmitas und stultitia Christi ist Gottes heilsame Gnade und Liebe gegeben. Nur verborgen in der Torheit des Kreuzes und der Menschheit Christi, verborgen in diesen visibilia, ist er als der erlösende Gott gegenwärtig. Christus ist der höchste Ausdruck für die potestas absoluta, d. h. für Gottes neuschaffendes Handeln durch seinen „Arm", in Christus allein wird Gott in Wahrheit gegenwärtig und bekannt. Zugleich ist Christus aber auch der Inbegriff der potestas ordinata, durch die Gott in der Welt des Falls geehrt wird, d.h. also der alleingültige Ausdruck für den willigen Gehorsam des Glaubens, durch den die cooperatio des Menschen mit Gott verwirklicht wird61. Die Offenbarung für den Glauben und die Offenbarung in Christus sind also letztlich ein und dasselbe. Außerhalb von Christus, d. h. dem ungläubigen Menschen ist Gott verborgen. Nur dem gläubigen Menschen, der in Christus lebt, ist er offenbar. Nun aber rechnet ja Luther, wie wir sahen, auch mit einer allgemeinen Gotteserkenntnis, die sowohl Christen als auch Heiden gemeinsam ist. Daß es sich nun 45 S. o. Kap. I, 3, S. 46 Ib. 719, 14—35. ff. 46 W A 18, 708,19—709, 4. W A 2 3 , 1 5 1 , 1 — 2 4 (Daß diese Wort Christi . . . 1527). 4 8 W A 18, 78 4, 36—39. 49 Ib. 784, 35—785, 19. s 0 Ib. 771,17. 51 Nur die Gotteserkenntnis ist also richtig und wahr, die den Glauben und damit den neuen Menschen schafft: s. H. Bornkamm 1953 2 , S. 78. 44

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hier nicht um eine niedere Stufe von Erkenntnis handelt, die dann durch den Glauben vervollständigt wird, und daß der Glaube auch nicht eine Art sechster Sinn ist, den nur einige wenige Menschen besitzen, darf nicht die Tatsache verschleiern, daß Luther immer betont, alle Menschen seien von Gott geschaffen und deshalb insofern gleich, als sie Gegenstand des Handelns Gottes sind. Der Unglaube verdunkelt daher nicht völlig das Licht der Natur (lumen naturae) oder die „naturliche vernunfft", die Gemeingut aller Menschen ist52. Dieses „Licht" wird freilich nicht als ein dem Menschen eigenes Vermögen angesehen, sondern rührt von dem allgemeinen Wirken Gottes in der Schöpfung her: „Gott habs yhn offinbart". Vom Licht der Gnade (lumen gratiae) unterscheidet es sich aber dadurch, daß es keine das Gewissen und den Willen eines Menschen erfüllende Erkenntnis ist. Die Heiden lassen ihr Licht nur „mit dem munde leucken" und „wollen das liecht ynn yhrem hertzen dempffen" 53 . Sie wissen, daß es Gott gibt, aber sie wissen nicht, „was er gegen yhn gesynnet ist" 54 . Der Heide kann sicherlich ahnen, daß Gott ein Helfer in der Not ist, aber er hat nicht die Gewißheit, daß sein Gott gerade ihm helfen will und kann 55 . Das Gottesbewußtsein tritt so zwar nicht erst mit dem Glauben an Christus in Funktion, aber es erhält durch ihn erst seinen rechten Inhalt. Wohl ist die Offenbarung allgemein, aber die durch sie entstandene allgemeine Gotteserkenntnis besitzt der Mensch nicht unabhängig von Gott, sondern sie rührt eben daher, daß Gott gegenwärtig ist und in allem Geschehen handelt. Daß diese Gotteserkenntnis nicht zur wahren Erkenntnis führt, hat seinen Grund in der Sünde, darin daß Gott in seinem Wort nicht recht empfangen wird, d. h. also im menschlichen Widerstand und Mißbrauch der Schöpfung. In den Operationes in Psalmos (1519/1521) heißt es entsprechend: „Creatura tota data est ad erigendum illuminandumque hominem. At ipse illa utitur ad excecandum et incurvandum seipsum." 56 Der ungläubige Mensch, der auf Grund der verborgenen Gegenwart Gottes in der Schöpfung weiß, daß Gott existiert, weiß darum noch nicht, „wilcher er sey, der da recht Gott heyst", sondern betet sein eigenes erdichtetes Traum- und Phantasiebild an, das nur ein „idolum cordis" und „verum figmentum" ist57. Daß Luther einerseits unbefangen von einem allgemeinen, durch die Schöpfung gegebenen Gottesbewußtsein im Lumen naturale reden kann, andererseits diesem aber nie konstitutive Bedeutung für den Glauben an Christus beimißt, ja den Gedanken der Anknüpfung gänzlich verwirft, rührt daher, daß Luther den ersten Artikel nie von den anderen isoliert sieht und deshalb zwei Dinge nie aus den Augen verliert: nämlich das eine, daß der Mensch des Sündenfalls zwar von Gott geschaffen, aber vom Teufel oder Unglauben beherrscht und somit in seinem Gottesbewußtsein nie neutral ist, sondern im Gegensatz zu Gott steht, und das andere, daß der Glaube an das Evangelium ganz und gar Gottes neuschaffendes Werk, Gottes 52 53 54 55 56 57

WA 19, 205,27ff. (Der Prophet Jona ausgelegt 1526 Kap. 1,5). Ib. 206,1—30. WA 30/1, 192, 13 (Der Große Katechismus 1529). WA 19,205,27—206,1. WA 5, 70,16ff. (Operationes in Psalmos 1519—21 Ps 2,11). WA 14, 587,16—588, 25 (Deuteronomion Mosi cum annotationibus 1525 Dt 4,3).

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creatio ex nihilo ist, denn „sie natura cum lumine suo est disposicio ad lumen gracie sicut tenebre ad lucem . . ." 58 . Den oben bezüglich der Operationes in Psalmos dargelegten Gedankengang findet man auch in der Heidelberger Disputation (1518) und zwar dort wie folgt ergänzt: „Quia enim homines cognitione Dei ex operibus abusi sunt, voluit rursus Deus ex passionibus cognosci et reprobare illam sapientiam invisibilium per sapientiam visibilium, ut sic, qui Deum non coluerunt manifestum ex operibus, colerent absconditum in passionibus, Sicut ait I. Corinth. I [V. 21]. Quia in Dei sapientia non cognovit mundus Deum per sapientiam, placuit Deo per stulticiam praedicationis salvos facere credentes."59 Wer nicht Gott als seinen Erlöser liebt, kann Gott also nicht offenbar werden als der liebevolle Vater. Wer ihn nicht ehren will im Gehorsam des Glaubens, verliert die wahre Erkenntnis Gottes. Gott ist also zwar in allen seinen Geschöpfen gegenwärtig, aber durch Unglauben geht man seiner verlustig. Dadurch, daß der Mensch die Schöpfung mißbraucht, wird Gott in dem Sinne verborgen, daß er sich nur dem Geringen und Niedrigen offenbart, oder, wie Luther in Verbindung mit der eben zitierten Stelle aus den Operationes in Psalmos sagt: „Quare rursus deus utitur creatura tota ad excecandum et ineurvandum hominem. Haec est crux Christi et praedicationis illa stulticia, qua salvos facit credentes"60, d.h. dem Glauben, der nicht nach Sicherungen im Sichtbaren sucht, um dadurch Gott zu beherrschen, sondern seine eigenen Gedanken und Anstrengungen aufgibt und statt dessen von Gottes Macht und Weisheit sich erfüllen läßt, dem wird Gott in Wahrheit offenbar. Der Glaubende weiß sich auch im Leiden getragen vom Liebeswirken der Allmacht Gottes durch seinen „Arm" und kann daher auch im Kreuz und Leiden der göttlichen Liebe gewiß sein, die „non invenit sed creat suum diligibile" 61 . Nur wer in der Glaubensgemeinschaft mit Christus lebt, kann auch im Leiden Gott die Ehre geben und seine unmittelbare heilsame Gegenwart in der gefallenen Welt erfahren. In seinen Vorlesungen über den Propheten Jesaja (1527 —1530) sagt Luther zu Kap. 45, V. 15 (Vere tu es absconditus Deus), daß wie in der Geschichte Israels nur in der Not Gottes „mirabilis redempeio", Gottes „verborgene" Weisheit recht erfahren und gepriesen werden könne, und wie einst dem Propheten die Wiederaufrichtung des Tempels von Jerusalem verheißen wurde, so könne man auch heute Gottes wunderbares, aber verborgenes Handeln gerade in der Katastrophe erfahren62.

W A 57(3), 143, 14 f. (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 H e b r 3 , 7 ) . W A 1, 362, 5 — 1 1 (Disputado Heidelbergae habita 1 5 1 8 ) . M W A 5, 7 0 , 1 8 ff. (Operar, in Psalmos 1 5 1 9 — 2 1 Ps2,ll). 6 1 W A 1, 354, 35 (Disputado Heidelbergae habita 1 5 1 8 ) . 6 2 „ ,Vere deus absconditus.' Haec sunt v e r b a prophetae, ubi iam praedixerat istas consolaciones, rapitur iam in stuporem verbi dei q. d. Liber hergot, wie gehestw m y t uns sso wunderlich umb. Est enim res incomprehensibilis, quam racio non potest attingere. Nonne haec est mirabilis redempeio, promitti restauracionem Hierusalem, templi etc. Ibi caro nihil videt, concludit: Ex nihilo nihil fit, et tarnen omnia futura videmus per verbum consolacionis in hoc Nihilo. Ita videmus deum et eius Consilia incomprehensibilia. Ita hodie spectamus in verbo ecclesiae dei processum contra omnium thirannorum v i m et Consilia. Quia fides rerum non apparencium argumentum, contraria debent apparere": W A 3 1 / 1 1 , 3 6 4 , 2 1 — 3 0 (Vorlesung über Jesaja 1 5 2 7 — 1 5 3 0 Jes 4 5 , 1 5 ) . 58

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Im Glauben an Christus wird der Mensch also einer Erkenntnis von Gott und der Schöpfung teilhaftig, die ihn aufrichtet und ihn Gott die Ehre geben läßt für das, ivas dieser schon als der verborgene Gott des Zornes an ihm gewirkt hat. Die Art und Weise der Offenbarung, ihr Wie, ist also die im Wort geschenkte Redemptio. Gottes Offenbarung hat stets das Heil des Menschen zum Ziel. Sie ist aber nicht etwa das Resultat der Wahrheitssuche des Menschen oder seines ethischen Handelns, sondern die Offenbarung der in Christus geschenkten Wahrheit und des in der Gemeinschaft mit ihm gegebenen rechten ethischen Handelns, d. h. in Christus ist die Gestalt der Offenbarung identisch mit ihrem Inhalt, ihr Wie mit ihrem Was. Damit haben wir zwei wichtige Gesichtspunkte erarbeitet: erstens, daß Gott sich im Äußerlichen dem Gläubigen ivie dem Ungläubigen Menschen „offenbart". Für beide wird das Bild des Menschen von Gott, d. h. der Inhalt der Offenbarung, vom Gehorsam bzw. vom Widerstand gegen Gott bestimmt. Die Voraussetzung dafür, daß der Mensch im Äußeren Gottes Güte und Liebe erkennt, ist, daß er ihn annimmt als den im Wort verborgenen Retter. Das Was der Offenbarung wird damit bestimmt von des Menschen Verhalten zu ihrem Wie, d. h. : ob der Mensch tatsächlich Gott als seinen Schöpfer und Erlöser erkennt, hängt davon ab, wie er sich zum Ärgernis des in der Schöpfung bzw. in der Torheit des Kreuzes verborgenen „Deus absconditus" (oder „vestitus") stellt. Zweitens haben wir festgestellt, daß Gott sowohl dem Glauben als auch dem Unglauben „verborgen" ist. Dem Unglauben ist er insofern verborgen, als dieser nicht die im Kreuze Christi verborgene Liebe Gottes sieht. Dem Glauben ist er in dem Sinne verborgen, daß die Christusoffenbarung nicht das Erleben der vollkommenen Schau Gottes ist, sondern nur dem Glauben Gottes im Wort zugesagte Vergebung und Liebe vermittelt. Nun bleibt noch zu sehen, welche Bedeutung bei Luther der Verborgenheit Gottes für den Glauben zukommt, wenn er diese zum Gedanken der Verborgenheit des praedesanierenden Gottes in Beziehung setzt. Wenn Luther am Schluß von De servo arbitrio das Problem der Praedestination behandelt, greift er damit die Frage nach der Suffizienz der geschichtlichen Offenbarung auf, d. h. er stellt damit die Frage, ob Form und Inhalt der Christusoffenbarung dem Glauben hier und jetzt adäquater Ausdruck für Gottes ganzen Willen sein können. Außer den beiden „Lichten", dem Licht der Natur und dem Licht der Gnade, spricht Luther an dieser Stelle auch vom Licht der Herrlichkeit, vom „lumen gloriae". Daß der Gute leiden muß, während es dem Bösen hier im Leben gut geht, wird zwar im Licht der Gnade erklärt, aber wie Gott den Menschen, der ohne seine Gnade ja gar nicht an ihn zu glauben vermag, verurteilen kann, das, sagt Luther, wird uns erst im Licht der Herrlichkeit offenbart 63 . Auch der Glaube steht also vor einem Dunkel, das die Offenbarung nicht gan^ durchleuchten kann. Bedeutet nun dieses Unvermögen ein Dilemma oder verhilft es zu einer theologisch bedeutsamen Grenzziehung? Da Offenbarung für Luther nicht identisch ist mit rationaler Einsicht in den Ablauf des Weltgeschehens, sondern nur dem unter Gesetz und Zorn stehenden 63

WA 18, 785, 20—786, 20 (De servo arbitrio 1525).

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Kapitel V : Offenbarung u n d Wiederherstellung

Menschen die Erkenntnis der aktuellen Heilsgegenwart Gottes in der Liebe schenkt, so wird der Gedanke von Gottes verborgenem Ratscbluß unterstrichen durch den Gedanken, daß Gott nur da ist, wo er aktuell handelt, und der Mensch stets hingewiesen auf Gottes Handeln hier in der Zeit. Weil Gottes Souveränität also nicht eine stets wirksame Kausalität oder willkürlich wählender Gotteswille ist, sondern die persönlich handelnde Allmacht, die alles durch und zu Christus geschaffen hat, und weil Gott in seinem Ratschluß schon im Anfang bestimmt hat, daß der Mensch sein Kind und Mitarbeiter sein soll, wird dem Menschen eine Gottesgemeinschaft verheißen, die im ewigen Leben vollendet wird, eine Gemeinschaft, die nicht einmal der Tod auflösen kann64. Zwar verwirklicht Gott nun die Bestimmung des Menschen dadurch, daß er das Leben aus dem Tode schenkt. Glaube an Gott ist aber darum nicht nur Glaube an die hinter dem Zorn verborgene Liebe, sondern auch Glaube an Dinge, die noch nicht sichtbar sind, oder mit den Worten der Vulgata : „Est autem fides sperandarum substantia rerum, argumentum non apparentium" (Hebr 11,1). Der Glaube richtet sich also auch auf das, was noch nicht ganz offenbar ist: „Ut ergo fidei Locus sit, opus est, ut omnia quae creduntur, abscondantur"65, und der Gegensatz verborgen — offenbar kann darum bei Luther dem Gegensatz sichtbar — unsichtbar gleichgesetzt werden86. Der Glaube lebt sozusagen im Grenzgebiet zwischen der Welt des Sichtbaren, wo Gott schon gnädig gegenwärtig ist, und der Welt des Unsichtbaren, wo er sich in seiner Herrlichkeit offenbaren wird. Glaube ist ein Hängen zwischen Himmel und Erde, ein „mit Christus gekreuzigt werden" oder „den sabbat feyren"67. Aber — und das ist wichtig — dieser Glaube ist kein anderer Glaube als der, welcher im Gehorsam gegen Gottes in jeder konkreten Situation offenbaren Willen zum Ausdruck kommt und in dem Leben und Seligkeit angeboten werden. Dieser Wille Gottes ist in seiner Fülle ja nicht bekannt, sondern nur in seinem Hervortreten in der Schöpfung, die noch vor sich geht. Gottes Verborgenheit für den Glauben kann daher niemals einfach bedeuten, daß des Menschen Blick vom Geschehen in der Welt abgewendet wird, sondern öffnet im Gegenteil seine Augen für die ewigkeitsgeladene Wirklichkeit, in der wir jetzt leben. Hier handelt Gott, hier soll er geehrt werden, hier soll ihm geglaubt und gehorcht werden. Erst wenn Gottes Taten ganz und gar abgeschlossen, beendet sind, kann alles, was geschehen ist, auch gänzlich verstanden werden68. Aber schon jetzt handelt M „Uber das lehret er uns weyter nicht allein, wer und woher wir sind, sonder auch, w o wir hin gehören. Das zeigt uns hie an das wortlin vater, das er zugleich wil vater und almechtiger sein. Die thier können Ihn nicht vater nennen, Aber wir sollen yhn vater nennen und seine kinder heissen . . . So sind wir nu vil ein hoher und schöner sdiopffung Denn andere, das wir nidit allein gottes Creatur sind und sein werde, sonder sollen mit unserm trater auch ewig leben": W A 4 5 , 1 6 , 6 — 2 3 (Predigten 1 5 3 7 1. Art.). 65 W A 1 8 , 6 3 3 , 7 — 2 3 (De servo arbitrio 1525). «β W. Eiert 1 9 5 2 2 , S. 63. " W A 57(3), 1 8 5 , 2 — 8 (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 Hebr 6 , 1 2 ) und W A 8 , 1 5 , 2 0 — 2 1 , 4 (Deutsche Ausi, des 67. [68.] Psalms 1521 V. 13). 68 » . . . iam vides quod non cernuntur dei opera, nisi priusquam opera completa fuerint": W A 9 , 3 7 5 , 3 3 f . (Predigten 1 5 1 9 — 2 1 Poliander G n 2 5 , 24). Vgl. oben Anm. 23.

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Gott gnädig, und darum ist der Mensch auf dieses Handeln angewiesen. Eben dies will der Unglaube ja nicht annehmen, denn „fides vitae in morte exercetur" und „Alsso scheinen alle gottes wercke nerrisch in unsren ogen"®9. Der Glaube, der in Christus das wahre Sein des Menschen und das Ziel der Wirklichkeit entdeckt, wagt aber aus dem „Unsichtbaren" heraus zu leben, d. h. er lebt in Gottes Offenbarungshandeln in Christus und verwirklicht das, wozu Gott den Menschen bestimmt hat 70 . In diesem Zusammenhang muß Luthers Kritik der scholastischen spekulativen Gotteserkenntnis gesehen werden. Diese versucht nämlich dem vorzugreifen, was Gott erst im lumen gloriae offenbaren wird. Gegen diese „Theologia gloriae" setzt Luther seine „Theologia crucis", die wir nun gleich näher untersuchen werden. Luthers absconditus-Begriff ist von jener spekulativen Betrachtung so weit entfernt, daß er sogar im Gegenteil gegen die Spekulation eingesetzt werden kann. Jede Beschreibung Gottes, die den Anspruch erhebt, total zu sein, endet in der Spekulation. Sie versucht nämlich die Verborgenheit Gottes für den Glauben aufzuheben und geht damit über die Offenbarung Gottes hinaus, die hier und jetzt geschieht. Solche Spekulation läßt keinen Raum für Taten Gottes, die noch nicht ausgeführt sind und versucht Gottes verborgenen Ratschluß zu ergründen. Dadurch wird dann auch die Verantwortung des Menschen verringert, indem man Gottes im Kreuze Christi kundgetanen und offenbarten Willen verachtet und wie Eva im Paradies nach der verbotenen Frucht greift. Die Erkenntnis, die Gott in Christus schenkt, offenbart also Gott als den Vollkommenen, den Menschen aber als den, der noch geschaffen wird und deshalb auf die Vollkommenheit warten muß, ist also zunächst nur Wiederherstellung der ursprünglichen Erkenntnis des Menschen, d. h. sie läßt Gott Raum, noch größere Geheimnisse zu offenbaren, und macht den Menschen zu einem glaubenden Wesen, d. h. zu einem Geschöpf, das Gott fürchten und dienen soll, ohne alles zu wissen, das ständig nur von Gott empfängt, weil es ja noch täglich von seiner Schöpferhand geformt wird. Nun erst verstehen wir den inneren Zusammenhang des Verborgenheitsbegriffes mit dem Gedanken von Gott dem Schöpfer. Die Art und Weise der Offenbarung hier im Leben ist stets die der Verborgenheit, weil die Verborgenheit erst dann enden kann, wenn der Mensch ganz fertig geschaffen ist, d. h. wenn er in seinem eigenen Tod die Vollendung des Lebens erfährt. Erst dann ist die Menschwerdung vollendet. Aber durch den Glauben ist die Grenze zwischen Zeit und Ewigkeit schon jetzt durchbrochen. Auch die Verborgenheit des prädestinierenden Gottes hängt zusammen mit dem Schöpfungsglauben, daß alles von Gott und zu Gott geschaffen ist. Auf Grund der Sünde steht der Glaube hier im Leben noch 68

Ib. 392, 8 f. und WA 18, 633, 23 (De servo arbitrio 1525). „Huius rei evidens exemplum est futurum in morte": WA 57(3), 237, 17—238,10 (Hebr 11, 24 f.). „Dan dy natur mack desse greulidie bilde nidit leyden, w o nicht etwas hoers kompt, dan die natur ist. H i c necessaria est fides, ut clausis oculis contemnat has horrendas imagines . . . " : WA 9, 3 9 2 , 1 3 f f . (Predigten 1519—21 Poliander). Das Begriffspaar Verheißung-Erfüllung gehört in diese Gedankenlinie: W A 57(3), 235, 24ff. (Hebr 11,8), W A 10/1,1, 384, 5 — 3 8 6 , 1 9 (Kirchenpostille 1522 Lk 2, 33—40) und WA 11,16, 4— 17, 6 (Predigten 1523 Lk 2, 22 ff.). 70

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Kapitel V: Offenbarung und Wiederherstellung

unter dem Zeichen des Zornes und des Kreuzes. Da Gott sich in der Schöpfung offenbart, muß jede Beschreibung dialektisch sein in dem Sinne, daß sie nicht vollständig sein kann, denn andernfalls gerät man in willkürliche Spekulationen und greift der künftigen vollkommenen Gotteserkenntnis vor; und Gottes Verborgenheit wird deshalb dadurch qualifiziert, daß er der in seinem Werk gegenwärtige Schöpfer ist, der sich in Gesetz und Evangelium offenbart und, solange er schafft, sowohl dem Glauben als auch dem Unglauben verborgen ist. Solange er als der Schaffende verborgen ist, ist er also in dem Sinne der fordernde Gott, daß er den Menschen in eine unlösbare Beziehung zu sich, zur Welt und zum Mitmenschen setzt. Dem gefallenen Menschen ist er nur der verborgene Gott des Gesetzes und des Zornes, dem wiedergeborenen Menschen ist er der im Evangelium von Christus offenbarte Gott, der in seiner Verborgenheit nicht nur die vollkommene Gerechtigkeit fordert, sondern dem Glauben auch das gibt, was der gefallene Mensch selber nicht zu verwirklichen vermag, die „iustitia coram Deo" und die Verheißung der „vita aeterna". Erst im Gehorsam des Glaubens gibt man Gott recht in seiner Forderung, ihm ganz zu vertrauen, dem Nächsten zu dienen und frei zu sein vom Götzendienst der geschaffenen Dinge. Im Glauben begegnet man Christus als dem einzigen, der verwirklicht hat, wozu Gott den Menschen bestimmt hat, der über die gefallene Welt, die Sünde, das Gesetz und den Tod den Sieg davontrug. Gott selbst hat sich in Christus damit als der liebevolle Vater offenbart, als der, der in der Vereinigung des Glaubens mit Christus selber gibt, was er fordert. Im Christusgeschehen wird aber nicht nur Gottes Liebe geoffenbart, sondern auch sein Zorn versöhnt. Christus ist demnach sowohl das Offenbarungs- wie auch das Versöhnungswort. Des Menschen Gerechtigkeit ist eine von Gott geschaffene und geschenkte Gerechtigkeit. Durchs Wort erhält der Mensch Anteil an Christi Versöhnungswerk, Christi Tod und Auferstehung. Davon wollen wir nun im nächsten Kapitel sprechen.

K A P I T E L VI

Versöhnung und Vollendung 1. O p u s D e i a l i e n u m et p r o p r i u m Unsere Untersuchung des Verborgenheitsgedankens ergab, daß Luther Gott immer 2ugleich als Person und als Inbegriff der Schöpferallmacht sieht. Wenn deshalb Gott in der Rechtfertigung seine Gerechtigkeit schenkt, hat das seinen Grund einfach darin, daß er selbst das Schöpfungswort ist. Wenn in der früheren Lutherforschung die Frage des Zusammenhangs zwischen Gottes Liebe und Gottes Zorn gestellt wurde, vergaß man aber oft, wie auch bei der Behandlung des absonditas-Begriffs, dem Wechselverhältnis von Schöpfung und Offenbarung bzw. Schöpfung und Versöhnung genügend Aufmerksamkeit zu schenken1. Der „irrationale" Zug in Luthers Gottesbegriff wurde als ein mit seiner evangelischen Grundanschauung unvereinbarer Hang zum Spekulativen abgetan und so mißdeutet. Aber auch wenn man in der neueren Lutherforschung die enge Zusammengehörigkeit zwischen Kreuzestheologie und Worttheologie bei Luther verneint, übersieht man, daß für Luther das Wort von der im Leiden des Menschen gegenwärtigen versöhnenden Liebe Gottes ein schöpferisches Wort ist. Am Kreuz Christi wird Gottes Liebe und Zorn dem gefallenen Menschen als die Kraft, die in Schwachheit vollendet wird, offenbart; dort am Kreuz nimmt Luther die beiden gegensätzlichen Motive des göttlichen Handelns wahr, die auch für Gottes Tat am konkreten Menschen bestimmend sind2. Weil somit die Versöhnung für Luther in ihrer engen Verbindung nicht nur mit dem Gedanken an Gottes Liebe zum Menschen, sondern auch mit seinem Gegensatz zur Sünde und mit seinem Heilsplan mit der Schöpfung gesehen wird, die ja gerade in der Inkarnation des Wortes zum Ziel kommt3, liegt in Christi Sieg am Kreuz nicht nur der eigentliche Sinn der Inkarnation, die also gleichzeitig Passion bedeutet, sondern auch der Schöpfung. Versöhnung ist Vollendung der Schöpfung. 1 Zur heutigen Forschungslage siehe L. Pinomaa, Der Zorn Gottes in der Theologie Luthers (Annales Academiae Scientiarum Fennicae Bd. XLI, 1), Helsinki 1938, und M. Doerne, Gottes Ehre am gebundenen Willen (Lutherjahrbuch Jg. X X , 1938, S. 45—92), mit Rücksicht auf die ältere Lutherforschung (Th. Harnack, A. Ritsehl und R. Seeberg). 2 „Igitur opus Dei alienum sunt passiones Christi et in Christo crucifixio veteris hominis et mortificatio Adae, Opus autem Dei proprium resurrectio Christi et iustificatio in spiritu, vivificado novi hominis": WA 1,112, 37—113,1 (Sermone 1514—17). Daß die Iustificatio sowohl Versöhnung des schuldbeladenen Menschen als audi Vivificado und Befreiung von der Macht des Bösen bedeutet, taucht auch beim älteren Luther wieder auf. 3 Vgl. W. v. Loewenidi, Luthers evangelische Botschaft, München 1948 2 .

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Löfgren, Schöpfung

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Kapitel V I : Versöhnung und V o l l e n d u n g

Auf diesen Zusammenhang werden wir im nächsten Abschnitt vom Gesichtspunkt des Menschenbildes der Versöhnung her näher eingehen, hier aber zunächst vom Gesichtspunkt des Gottesbildes, und erst im dritten Abschnitt werden wir, zusammen mit diesen beiden Gesichtspunkten das Weltbild der Versöhnung eingehender behandeln. Daß Luther Gottes Liebe und Zorn nie als bloße göttliche Eigenschaften auffaßt, sondern immer als beim konkreten Menschen gegenwärtige und wirksame Mächte sieht, ist ein Grund dafür, daß seine Kreuzestheologie schon in ihren ersten Anfängen eine ganz andere Färbung bekommt als z.B. bei Augustin. Bei diesem wird die Frage nach dem Bösen zu einem metaphysischen Problem und ist letztlich an einem eudämonistisch bestimmten Heilsgedanken orientiert. Weil somit für ihn die Glückseligkeit des Menschen die Triebkraft allen Geschehens ist, wird auch der Erlösergedanke von des Menschen Streben nach Befreiung vom Bösen bestimmt 4 ; bei Luther dagegen ist er von Gottes Überwindung der Verderbensmächte, die gerade mitten im Bösen geschieht, bestimmt; das Leiden wird in Gottes Heilsplan eingeordnet, und weil Gott damit nicht als das metaphysische Ziel des menschlichen Strebens betrachtet wird, sondern als der in seinem geistlichen und weltlichen Regiment in Gericht und Gnade Gegenwärtige 5 , ist die Versöhnung für Luther die aktuelle Erfahrung von Gottes Handeln durch das opus alienum und proprium®, und die Dialektik zwischen Gottes fremdem und seinem eigentlichen Werk somit zwar auf der Erfahrung des Menschen gegründet 7 , aber der Glaube, der dadurch erschaffen wird, ist nicht nur als eine Form menschlicher Erkenntnis verstanden (denn die Erfahrung als menschliche Erkenntnis führt nur ins Gericht Gottes hinein 8 , sie gibt nur eine cognitio legalis Dei und stellt den Menschen vor den zornigen Gott) 9, sondern als die Entgegennahme von Gott selbst, der sich als das von außen kommende Wort der Erlösung offenbart. Der Glaube ist somit eine Erfahrung, in der das, was als Zorn erscheint, in der inneren, von Gott geschaffenen Gewißheit des auf das Wort hörenden Menschen mit Danksagung, d.h. als Ausdruck der schöpferischen Liebe Gottes, empfangen werden kann. Weil die Welt auf Grund der Sünde ein Reich des Zornes Gottes geworden ist10, kann also der Mensch zwar niemals der Zornesstrafe Gottes entgehen, so4

A . H a m e l 1934, S. 84—89. Siehe G . A u l é n 1941 2 , S. 231 ff., und H . B a n d t 1958, S. 172 f. Luthers Abstand v o n Augustin wird am deutlichsten in der Zweireichelehre, die nicht wie bei Augustin nur v o n der einen Dimension „Erde — Himmel" geprägt ist, sondern v o n den drei Dimensionen (1) Kirche — Staat, (2) geistlich — weltlich und (3) dem H a n d e l n des Christen „für sich" — „für andere": s. H . B o r n k a m m 1958, S . 3 5 f f . 8 „Sciamus igitur D e u m abscondere se sub specie pessimi Diaboli ideo ut discamus bonitatem, misericordiam, potentiam D e i non posse comprehendi speculando, sed experiendo": W A 44, 429, 2 4 f f . ( G n 4 1 , 4 0 ) . Vgl. W A T i 6, 20, 20—21, 34; 2 3 — 3 3 , 3 8 ; 2 8 , 3 6 — 3 1 , 1 5 (Aurifaber). 7 B . L o h s e 1958, S. 69 f. 8 Der Glaube ist deshalb „ardua et difficilis" und muß geschaffen werden: s. H . Ivarsson 1956, S. 39 ff. 9 W A 40/1, 37, 5 f. (Galaterbriefvorlesung 1531); vgl. ib. 257, 3. 10 W A 18, 7 6 6 , 1 — 7 6 7 , 1 8 (De servo arbitrio 1525). D a s weltliche Regiment muß Diener dieses Zorns sein: „Aber das weltliche reich, wilchs ist nichts denn Goettlidis zorns diener 5

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lange er in Gottes geschaffener Welt lebt, doch bleiben er und die Welt immer zugleich im lebenspendenden Schöpfungsprozeß 11 , solange Gott es will 12 , aber Gott regiert sie um der Sünde willen nicht nur, indem er sein eigentliches Werk ausführt, d.h. Leben und Erhaltung, Barmherzigkeit und Liebe schenkt, sondern auch indem er den Menschen sein fremdes Werk schmecken läßt, d.h. ihn straft und tötet b2w. ihn unter seinen anklagenden Zorn stellt13. Das Offenbarwerden der Sünde des Menschen und der Zorn Gottes haben also mit dem Wirken Gottes in der Welt und dessen Entgegennahme von Seiten des Menschen %u tun1*. Der Mensch weiß nicht aus sich selbst, was ihm fehlt. Erst durch den Arzt erfährt er seine Krankheit 15 . Daß auch das Leiden und das Böse von Gott dem Arzt gesandt sind und eine heilende Funktion haben, das würde der Mensch des Falles von sich aus nicht einsehen, wenn Gott es nicht offenbarte. Also muß man das Vertrauen auf den Arzt setzen, man muß ihn gewähren lassen, wenn man geheilt werden will. E s ist der Sieg des Glaubens im Leiden, wenn man unterscheiden kann zwischen dem Bösen und dem Zorn Gottes, wenn man sich selbst als einen Teil des Bösen, das Gott bekämpfen muß, erkennen lernt und so Gott gerade im Leiden die Ehre geben kann, weil man nun weiß, daß in seiner guten Hand das Leiden zum Heil wird 16 . Gottes fremdes Werk offenbart also nicht nur die böse Gesinnung des Menschen, sondern bewirkt auch sein Verderben und führt die Strafe und den Bann des Zornes Gottes aus. Gottes Zorn ist ein opus. Ebenso offenbart Gottes eigentliches Werk nicht nur Gottes Gnade, sondern teilt sie zu und bewirkt die Gerechtigkeit und das Leben des Menschen 17 . Gottes „ K r a f t " ist nämlich nichts, was er für sich selbst hätte ohne ständige Beziehung zu seinem Handeln 18 ; derselbe, der zum Süniiber die boesen und eyn rechter vorlaufft der hellen und ewiges todtes, soll nicht barmhertzig, sondern strenge, ernst und zornig seyn ynn seynem ampt und werde": WA 18, 389,31—34 (Sendbrief . . . 1525). 11 Vgl. oben Kap. 1,2. 12 WA 46, 558, 20—26 (Ausi, des 1. und 2. Kap. Joh 1537—38 J o h l , 3 ) . 13 „Est vero mors undique, quiequid aspexerint et senserint. Inter vitam et mortem miserrime distenduntur: mortem exhorrent, vitam non habent": WA 5, 207, 32 ff. (Operationes in Psalmos 1519—21). Siehe L.Pinomaa 1938, S. 73 ff. 14 „Wie mag man aber yhn basz [besser] erkennen denn ausz seynen eygen werdeen?": WA 7, 577, 26f. (Magnificat . . . 1521). 15 WA 56, 229ff. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 3,5). 16 WA 8,103, 35 ff. (Latomus 1521). 17 „Ira dei est vera non ficta, non iocus, si esset falsa, esset misericordia ficta, quia qualis ira, talis misericordia, quae remittit, sed istum iocum avertat deus a nobis. Nimis vera ira, sic vera misericordia. Sic Christus verissime assumpsit iram dei in se et portavit pro nobis. Sic non solum exemplar in se accepit, sed verissimum pretium est, quod impensum pro nobis": WA 26, 37, 31—36 (Predigten 1528 ITim 2, 5). 18 In seiner Streitschrift gegen Latomus (1521) unterscheidet Luther zwisdien dem Gesetz, das allen Menschen die innere Verderbnis (Sünde, Verderbnis der Natur, Schuld) bzw. das äußere Übel (Zorn, Tod, Verdammnis, Strafe) offenbart, und dem Evangelium, das entsprechend dem Gläubigen die innere Gerechtigkeit (Iustitia Dei) und die äußere Gnade Gottes (Gratia Dei) offenbart und so bei ihnen das Gesetz durchbricht: WA 8,103, 37— 107, 36. „Ecce istum modum intelligendi et loquendi simplicem et Paulinum ego quaero et volo habere in tractatu peccati et gratiae": ib. 107, 37 f. 16*

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Kapitel V I : V e r s ö h n u n g und V o l l e n d u n g

der macht, straft und tötet, kann deshalb als „factor" oder „autor" 19 der Gerechtigkeit betrachtet werden20. Weil nämlich der Mensch ebensowenig, wie er sich das Leben geben kann, sich seine Sünde vergeben und das Böse wiedergutmachen kann21, offenbart sich Gott selbst als der in der Sündenstrafe des Menschen Gegenwärtige, um ihn dort selber mit sich zu versöhnen und sein Schöpfungswerk zu vollenden; Gott wird dem Glauben als die unter der Zornesstrafe gegenwärtige Liebe und damit letztlich als ein aus dem Nichts schaffender und aus dem Tode lebenspendender Herr offenbar. Damit wird zwar die heilsgeschichtliche Perspektive gewissermaßen durchbrochen. Vor Gott ist der konkrete Mensch simul justus et peccator. In dieser Hinsicht ist Luther ganz und gar von der paulinischen Theologie geprägt, aber weil Luther — wie wir schon früher angedeutet haben — den Totalitätsaspekt wie auch den Partialaspekt wahrnimmt, und weil er ganz selbstverständlich die johanneische und die paulinische Versöhnungslehre als eine Einheit betrachtet, wird sein Versöhnungsgedanke auch vom Gedanken an den fleischgewordenen Logos geprägt. Im folgenden werden wir die enge Zusammengehörigkeit zwischen dem Versöhnungswerk Christi als Wiederherstellung der gefallenen Schöpfung und als Erfüllung der Verheißung des ewigen Lebens bzw. der Sündenvergebung und Vollendung des Schöpfungswerkes betrachten. An Christi Kreuz wird die Vollendung der Menschwerdung dessen, der das Schöpferwort und das Leben ist und gibt, offenbart. Bevor wir aber auf diese Frage eingehen, wollen wir zunächst an die schon zu Beginn aufgeworfene Frage nach der Wechselbeziehung zwischen Luthers Theologie des Wortes und seiner Theologie des Kreuzes wieder anknüpfen. E. Bizer hat kürzlich in seiner Untersuchung „Fides ex auditu" die These aufgestellt, daß Luther erst in der Zeit der Vater-Unser-Auslegung von 1518 sich definitiv über seine reformatorische Entdeckung der iustitia Dei als einer geschenkten Gerechtigkeit klargeworden sei22. Das Neue liege darin, daß „iustitia" nicht aufgefaßt werde als die humilitas, durch die der Mensch mit Christi Leiden vereint wird, sondern als eine durch das sakramental begriffene Wort vermittelte, geschenkte Gerechtigkeit. Bizer meint darum einen Gegensatz zwischen der Kreuzestheologie des jungen Luther und der Worttheologie des reformatorischen Luther feststellen zu können. Bizer hat hier zweifelsohne etwas Fundamentales in Luthers theologischer Entwicklung angedeutet. Aber die Frage ist, ob dieses Neue eine totale Veränderung der Grundhaltung in Luthers eigener Theologie bedeutet, oder ob dies nicht möglicherweise nur eine Präzisierung seiner eigenen Position gegenüber der Theologie seiner Zeit bedeutet23. In diesem Abschnitt soll zunächst untersucht Ib. 67, 37. Ib. 50, 2 6 f f . Siehe audi L. Pinomaa 1938, S. 80—95. Vgl. oben Kap. IV. 2 1 H. Bornkamm 1953 2 , S. 187. 2 2 E. Bizer 1958. 2 3 Siehe hierzu D.Löfgren (Rez. von Bizer 1958) 1959. Audi H.0stergaard-Nielsen will den inneren Zusammenhang zwischen der Conformitas-Theologie des jungen Luther und der Wort-Theologie des älteren Luther verneinen: s. ders. 1957, S. 1 5 4 f f . ; Luther sei v o r 1520 nodi „Metaphysiker". 19

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werden, ob die Versöhnung als eine im Wort geschenkte Gabe in Gegensatz zu seiner Theologie des Kreuzes steht, während der spezielle Akzent der Theologie des Wortes beim reiferen Luther erst im nächsten Abschnitt genauer dargelegt werden wird. Der Grundgedanke in Luthers theologia crucis ist — ausgedrückt mit den Worten seiner Resolutiones (1518) —: „Quando deus incipit hominem iustificare, prius eum damnat . . . quem vult sanare, percutit, quem vivificare, occidit" (1. Sam2,6f.; Dt 32,39) 2i . Die Situation des unter dem Gesetz stehenden Menschen ist dementsprechend bereits der Beginn des Versöhnungswerkes. „In ista autem conturbatione incipit salus." 25 Gott handelt als Versöhner anscheinend widersinnig, indem er sein eigentliches (lebenspendendes) Werk durch sein fremdes (tötendes) Werk durchführt 26 . Diese Vorstellung von Gottes Handeln in Gegensätzen findet man jedoch nicht nur beim jungen Luther, sondern sie ist in seinem ganzen Schrifttum bezeugt 27 , und die Vorstellung von der Erlösung als einem neuschaffenden Handeln Gottes findet man nicht nur beim älteren Luther. Schon beim jungen Luther sind somit der Versöhnungs- und der Schöpfungsgedanke in naher Verbindung zueinander gesehen. Jedenfalls ist Luthers Kirchenbegriff in Dictata super Psalterum (1513 bis 1516) an dem Gedanken von Gott als dem Schöpfer orientiert. Dort findet man auch den öfter wiederkehrenden Gedanken, daß Gott teils durch direktes Eingreifen in die Geschichte handelt, teils dadurch daß er seine geschaffenen Werke benutzt. Er unterscheidet zwischen „opera manuum Dei" und „Opera Dei", oder zwischen den Werken, die Gott alleine tut („Opera creationis, iustificationis, redemptionis sc. quando facit creaturas, sanctos et beatos") und denjenigen, die Gott durch die Menschen ausgeführt haben will28. Nun ist es interessant, zu beobachten, wie Luther das näher bestimmt. Er unterscheidet zwischen „opera manuum Dei seu facta" und „opera Dei seu agibilia" 29 , um damit zu betonen, daß Gottes Werk (opus suum) sowohl etwas ist, was der Mensch tut, als auch etwas, was Gott durch ihn ausführt 30 . „Facta Dei" oder „opera manuum eius" sind, so heißt es, Christus und die Kirche 31 . Schöpfung und Gesetz bzw. „Creatio totius mundi et omnia figuralia veteris legis" sind keine Stücke, die beziehungslos neben dem Evangelium und der Kirche stehen. Sie sind „opera significativa". Im Vergleich zu ihnen sind Evangelium und Kirche 24

25 WA 1, 540, 8 ff. Ib. 540,18 f. WA 24, 569, 31 (Ober das l.Buch Mose 15J7 Gn32,l), WA 25,190,27ff. (Jesaiavorl. 1527—29) und WA 19, 154, 22—33 (Jesaiaausl. 1526 Jes 9, 6). 27 1516: WA 1,112,10—23 (Ps 19, 2). 1517: WA 57 (3), 79, 13ff. (Hebr 12,11). 1519: WA 9, 343, 35 (Gn 6,14). 1521: WA 7, 547, 1—9 (Magnificat). 1524ff.: WA 16, 446,15ff. (Ex 20, 5). 1526: WA 19,154, 31 ff. (Jes 9, 6; Ps 4, 4; 68, 36). 1527/29: WA 25,190, 27ff. (Jes 28, 21 ff.). 28 WA 3,154, 3—13 (Ps 27 [28], V. 4), WA 4, 240 f.; 331 f., 444. 29 WA 3, 155, 38—156, 10 (V. 5). 30 Ib. 246,19—23 (Ps 43 [44], V. 11); vgl. WA 1, 540, 18 und WA 4, 87, 24. 31 WA 3, 368,15—369,10 (Ps 63 [64], V. 10). 26

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„facta" oder „impletiones eorundem, quod in Christo inceptum est impleri et nunc impletur et in fine implebitur" 32 . Ebenso, wie die rechte cooperado, die Gott die Ehre gibt, nur im Glauben geschehen kann, so sind auch die „opera Dei" solche Taten, die von den Gläubigen (opera fidei moralia) ausgeführt werden. „Opera manuum Dei" dagegen sind „sancti et ecclesia Christi"33. Durch diese, die ja Werke der Schöpferhand Gottes sind, bekommt Gott also seine Ehre dadurch, daß er durch sie wirkt 34 . Das geschieht „in omnes passiones et mortes et tribuíationes"35. Ebenso wie Christi Verkündigung des Evangeliums (evangelisare) „opus actionis Dei" war, wird nun auch die Kirche als die Frucht der Verkündigung Christi (opus factionis) durch Gottes Wirken in ihr (per opus actionis sue) konstituiert. Darum ist die Kirche „novum celum et nova terra" und die Frommen sind „partes integrales huius mundi et opera manuum eius seu facta". Zum Schluß heißt es dann: „Quia verbum dei est instrumentum, quo operans efficit istam facturam, sicut ait: ,Verbo domini coeli firmati sunt etc.' Sicut et prima creatio verbo dei facta est velut medio actionis"36. Auch wenn die „fides Christi" erst später (vielleicht doch schon in der Römerbriefvorl. 1515/16) ganz deutlich als eine „fides ex auditu" konzipiert ist 37 , so tritt doch schon in der ersten Psalmenvorl. (1513—16) zumindest der enge Zusammenhang zwischen Schöpfung und Erlösung deutlich zutage. Das Wort der Kirche ist also das Wort, welches das Schöpferwerk vollendet. Weiter sehen wir aber auch, daß dies die Aktivität des Menschen nicht ausschließt. Das Böse, das menschliches Tun und zugleich Strafe des Zornes Gottes ist (vgl. oben Kap. IV), ist das Mittel zur Vernichtung des Menschen der Sünde. Im Hebräerbriefkommentar (1517/18) wird betont, daß die Strafe Gottes im äußerlichen Geschehen letztlich nur den bußfertigen Empfang der Gnade Gottes durch den Menschen zum Ziel hat, d. h. hier soll der Nullpunkt des Menschen erreicht werden, an dem er Gott für alles die Ehre gibt, hier soll die Vereinigung mit Christus vollzogen werden, die den Menschen zum Gott wohlgefälligen Kind macht38. Noch stärker als vorher wird aber hier betont, daß die neue Geburt des Menschen im Glauben immer das Sterben des alten Menschen einschließt: „cum fides i.e. vita Christiani magis sit operario Dei quam nostra i. e. verissima passio nostra . . . Wie mehr leiden vnd drucken, je besser Christen. Tota vita Christiani est in fide i. e. in cruce et passionibus." 39 Die Neuschöpfung des Menschen ist also identisch mit seinem Leiden. Es ist aber deutlich, daß es hier nicht um eine rationale Einsicht des Menschen, sondern um ein Handeln Gottes am Menschen geht, das in der erkämpften Gewißheit des Ib. 375, 29ff. (Ps 65 [66], V. 5); vgl. ib. 1 5 6 , 1 1 — 1 4 (Ps 27 [28], V. 5). 34 Ib. 79, 4 f. (Ps 91 [92], V.5). Ib. 542, 9 f f . (Ps 76 [77], V 14). 35 Ib. 87, 21—25 (Ps 92 [93], V. 4) ; 170,9—12 (Ps 103 [104], V.24); vgl. W A 3 , 4 1 6 r . und W A 57 (3), 1 1 8 , 1 6 f f . (Hebr 2, 7). 36 WA 4 , 1 8 9 , 2 — 1 9 1 , 4 1 (Ps 103 [104], V. 23 ff.). 37 Siehe W A 56, 413—428 (Rom 10, 2 ff.). Siehe auch unten Kap. VI, 2. 38 W A 57 (3), 42,17—21 (Hebr 7, 28); vgl. audi W A 39/1, 249, 25—250,17 und W A 44, 429, 5—430, 40 (Gn 41, 40). 89 WA 57 (3), 61, 10—13 (Hebr 11,1). 32

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Herzens, die aus Gottes Wort geholt ist, das dem Menschen verheißt, daß er glauben darf, und so den neuen Menschen schafft. Jedenfalls handelt es sich nicht um eine verdienstliche Tat des natürlichen Menschen. Im Gegenteil entdeckt man schon in den früheren Schriften oft eine klare christologische Durchführung, wenn die Einheit der neuen Geburt und der Versöhnung dargestellt wird. Luther bindet somit schon in der Heidelberger Disputation (1518) geradezu das „johanneische" und das „paulinische" Motiv zusammen: Wiedergeboren muß der Mensch werden, sage Christus nach Johannes [Joh3,7], und das sei für ihn identisch mit dem, was Paulus sagt: sterben muß der Mensch, und mit Christus auferweckt werden [Rom 6,4]. Das „Sterben" bedeute: ständig den Tod gegenwärtig spüren und täglich sich in ihn hinein begeben40. Sich in den Tod begeben ist also nicht dasselbe wie sich nach dem Tod sehnen, nach ihm trachten. Gott will im Sterben ja nicht den Tod des Menschen, sondern nur seinen Gehorsam im Tode und im Leiden, wie Christus gehorsam war. Da Gott der alleinige „auctor" von Tod und Leben ist, bleibt der eigenwillige Zugriff nach dem Leben und das eigensinnige Aufsuchen des Todes untersagt. Doch, wenn sich Gott als der durchs Gesetz Strafende erweist, will sein Zorn verstanden sein als der Zorn auf die widergöttliche Unnatur des Menschen. Nicht aus der Frage, wie Gott und Mensch vereint werden sollen, erwächst also Luthers Versöhnungstheologie, denn für ihn ist Gott ja schon dadurch bei seinem Geschöpf gegenwärtig, daß er es schafft und erhält; die Frage lautet für Luther vielmehr: wie kann Gott im Tode, der ja Ausdruck seines Zornes ist, dennoch gegenwärtig sein als der Liebende? oder präziser: kann überhaupt von einer Einheitlichkeit in Gottes Heilshandeln an seinem Menschen die Rede sein? Als Herr der Geschichte wird Gott als Zorn und Liebe erfahrbar41, der Glaube weiß aber, daß Gott nicht anders handeln und reden kann, als es seine Natur ist, d. h. alles Geschehen, das von Gott ausgeht, muß letztlich „eitel wohltat" sein. Die Gewißheit, daß Gott eitel Liebe ist, wird aber nur in Christus gegeben42. In einer Auslegung von 1 Joh4,16b (Gott ist die Liebe . . . ) 1532 sagt Luther dementsprechend, daß Gott erstlich der ganzen Welt das Leben gibt, einem jeglichen seinen Leib und alle Gliedmaßen, Gesundheit, Licht, Luft, Wasser, Feuer, Essen, Trinken, und alle Notdurft, daß einem jeglichen Himmel und Erde dienen muß. „Was ist nu das alles denn eitel brunst und ein glüender backofen voller liebe?" Dann geht die Auslegung in eine Schilderung des Handelns Gottes in Christus für die Menschheit über. Auch in dessen Leiden und Tod beweist Gott seine Liebe. Sogar als die Menschen seinen Sohn kreuzigen, hört Gott nicht auf zu lieben und sich hinzugeben. Christus offenbart damit als Versöhner der Menschen, daß Gott auch im menschlichen Leiden gegenwärtig ist und auch in diesem Leiden die Ehre haben will. Aber nur am Kreuz Christi ist dies verwirklicht. Ja, hier „in der Tiefe" erreicht Gottes Liebe ihre Höhe. Da liebt Gott durch seinen Sohn die Menschen, die ihn kreuzigen. Gottes Liebe ist damit offenbart als die sich verW A 1, 3 6 3 , 3 1 — 3 7 . „Denn . . . die Historien [beschreiben] nichts anders denn Gottes werck, das ist gnad und zorn . . W A 50, 3 8 5 , 1 5 f. (Vorrede zu Historie Galeatii Capellae 1538). 4 2 W A 3 3 , 1 4 9 f. (Wochenpredigten über J o h 6 — 8 1530 fi. Kap. 6, 45). 40 41

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schwendende und frei schenkende Liebesmacht, die den Lobgesang hervorbringt, und somit Gott allein die Ehre gibt. Gott hat alle Gewalt in Händen, und diese Allmacht zeigt sich in seiner Selbsthingabe als versöhnende Macht, die die böse Welt durch Selbstentäußerung, das Starke durch Schwachheit, das Weise durch das Törichte, das Böse durch Gutes, den Haß durch Liebe und das Verderben durch sein Sterben überwindet43. In allem Leiden, das dem Menschen widerfährt, sind Gottes Zorn und Liebe gegenwärtig, so daß auch der konkrete Mensch genau so wie Christus getötet wird und vor der Forderung steht, Gott auch im Leiden zu preisen. Christus ist somit „Dominus omnium", der freiwillig Gott im Sterben die Ehre gibt 44 , und Gottes Handeln in Gegensätzen am konkreten Menschen hat zum Ziel, Gott in Christus zu offenbaren und die Menschen damit „conformes Christo" zu machen45. Für Luther steht es immer fest, daß Gott derselbe ist und bleibt und sein Handeln in Gericht und Gnade, Liebe und Zorn ja nur dem einen Ziel seiner unveränderlichen Treue und Huld dient: der Versöhnung der gefallenen Welt mit sich selber und damit der Vollendung der Schöpfung. Der Gegensatz, der für das menschliche Denken aus dem doppelten Handeln Gottes entsteht, ist deshalb letztlich kein wirklicher, kontradiktorischer Gegensatz, sondern erscheint nur als ein solcher „ynn unsser erkenntnis und empfindung"46. Gottes und des Menschen Handeln stehen hier nicht im Gegensatz zueinander, weil ja durch das göttliche Handeln der Mensch zur conformitas mit Christus und damit zur wahren cooperario umgeschaffen wird. Erst wenn er sich als Gegenstand göttlichen Handelns erlebt, wird er sich seiner Verantwortung vor seinem Schöpfer voll bewußt. Er lernt auf einmal Gott und sich selber kennen, d.h. er merkt: Ich bin ein geschaffener Mensch, aber ein gefallenes Wesen, das der Rettung bedarf. Gottes Gegenwart im Leiden rückt ihn heraus aus dem objektiven, neutralen Betrachten der Wirklichkeit und reißt ihn damit aus der Verdammnis, nur toter Stein ohne Verantwortung zu sein. Gottes liebende Gegenwart auch im Leiden erkennt also der Mensch nicht von sich aus. Aber der Weg zu solcher Einsicht führt immer über das Leiden, der Mensch bekommt Gottes Liebe um der Sünde willen nur in ihrer im Gegensatz verborgenen Gestalt zu spüren. Und wie wir sahen, hängt diese Verborgenheit zusammen mit Gottes Wirken. „Das Mysterium des in der verborgenen Gnade 4 3 W A 3 6 , 4 2 2 — 4 3 0 (Predigten 1532 1 J o h 4 , 1 6 — 2 1 ) . Vgl. auch ib. Rörers Hs. und W A 2 3 , 6 9 9 — 7 1 9 (Predigten 1527 Eph 4, 8 — 1 0 ) . 4 4 W A 3, 8 2 f . ; 104 f.; 160ff. (Dictata 1 5 1 3 — 1 6 ) . Beim älteren Luther ist Christi Sieg als ein Geschehen „pro nobis" kräftiger betont; als dominus mundi „dient" er uns: s. W A 1 5 , 5 1 8 , 2 5 — 3 1 (Pred. 1524), ib. 553, 2 9 f . , W A 20, 540, 2 2 — 3 4 (Pred. 1526 M t 2 2 , 3 4 f f . ) und W A 12, 4 3 1 , 2 8 — 4 0 (Pred. 1523 Mt 12, 38 ff.). Siehe audi W A 4, 76 und W A T i 1 , 1 0 1 , 8ff. (1532). Vgl. R . B r i n g 1929, S.258ff., H . L i n d r o t h 1933, S.114ÎÏ., und unten Kap. VI, 2.

W A 4 2 , 1 8 7 , 3 6 — 4 0 ; vgl. ib. 1 8 7 , 1 3 — 1 6 (Gn 4, 4). Daß der Grund des Gegensatzes und der Veränderlichkeit nicht in Gott gesucht werden darf, sondern „ynn unszerm erkenntnisz und empfindung" ( W A 7, 5 5 4 , 1 1 ) , ist für Luther nicht ein abstrakt-philosophisches Postulat, sondern eine Glaubenserfahrung in der Anfechtung. Vgl. unten Kap. VI, 3. 45 4e

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wirkenden Gottes ist der eigentliche Kern der Lehre vom opus Dei."47 Nicht zwischen Göttlichem und Menschlichem an sich, sondern in Gottes Liebe zu seinem Geschöpf und seinem Zorn über die Sünde besteht also der unvereinbare Gegensatz. Der Mensch gibt im Leiden Gott die Ehre nur, weil er vor Gott zur Verantwortung für seine Sünden gezogen wird und weil er sich damit selbst als vor Gott verantwortliche Person erlebt. Das Tun des Menschen ist in dieser Hinsicht nichts anderes, als Gott Gott sein zu lassen, und seine Gerechtigkeit, Gott recht zu geben48. Zu dem Begriffskomplex „opus Dei proprium et alienum" gehört auch Gottes Handeln „zur Rechten" und „zur Linken". Das Bild ist dem 109. Psalm (Vulgata) entnommen. Durch die „linke Hand" wird eine „terra morientium" 49 aufgerichtet, die „die sichtliche und leibliche reich oder guter" 50 umfaßt, durch die „rechte" Hand eine „terra viventium"51, die „ain gaistlich verborgen reich sey" 52 . Das Sitzen Christi zur Rechten des Vaters bedeutet, daß durch Christus der Mensch in das Reich Gottes eingesetzt ist, daß er bei dem auferstandenen und lebendigen Herrn der Schöpfung ist. Im Großen Genesiskommentar wird die Vorstellung von Christus als dem Herrn über das Reich zur Rechten mit dem Gedanken von Christus als dem Zertreter der Schlange und dem Vollender der Schöpfung verbunden53. Wenn Luther deshalb sagt, daß die Christen „allein mit der lincken hand hie sein, dort mit der rechten" sein sollen54, meint er allerdings nicht, daß die Lebensgemeinschaft mit Christus erst in der Auferstehung am Jüngsten Tage erfahren wird. „Gottes rechte hand" sei nicht „ein sonderlicher ort, wie den schwermern trewmet, da Christus leib sitze, sondern sey die gewalt Gottes selbs"55, die den Menschen jetzt und hier trifft, indem Gott selbst heruntersteigt und um W. Maurer 1949, S. 102. Siehe W A 7, 556, 30—557, 5 (Magnificat . . . 1521). Dies wird bei H. J . Iwand 1941 besonders klar dargelegt. Der Gedanke ist dem jungen Luther nicht ganz fremd: s. W A 4 , 2 4 0 f.; 3 3 1 ; 444, W A 1 , 1 1 2 ; 175. 4» W A 3 , 1 5 1 , 26 (Dictata 1 5 1 3 — 1 6 ) . Vgl. auch W A 1 , 6 9 2 , 3 (Ausi, des 109. [110.] Psalms 1 5 1 8 V. 1), W A 36, 3 8 5 , 2 — 1 1 (Predigten 1532 Mt 11, 2 f f . ) und W A 3 8 , 4 7 0 , 39— 4 7 1 , 4 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538). 5 0 W A 1 , 6 9 2 , 9 f. (Ausi, des 109. [110.] Psalms 1518). 5 1 W A 3 , 1 5 1 , 26. 5 2 W A 1, 6 9 2 , 9 . In den „Dictata" sind „links" und „redits" auf Leib und Seele (dextera = anima, sinistra = corpus) angewandt: W A 4 , 2 1 8 , 2 9 f f . Der Gedanke steht offensichtlich mit der Anschauung vom Geist des Menschen als dem Träger des Gottesbewußtseins und des Lebensprinzips im Zusammenhang. 5 3 „Nos in novo Testamento sumus tanquam in tertio Mundo, habemus autem illustrius Exemplum, ipsum Christum, Liberatorem nostrum, ascendentem ad coelos, cum aliis multis Sanctis": W A 42, 257, 3 6 f f . (Gn 5, 21—24). „Nunc, cum vitam amiserimus, ostendit nobis haec Historia restitutionem Paradisi et vitae non desperandam esse" : ib. 256, 34 f. „Sed in novo Testamento vere exundat misericordia Dei; etsi enim huiusmodi Historias non abiicimus, Tarnen habemus longe maiores, nempe ipsum Filium Dei ascendentem ad coelos et sedentem ad dexteram Dei. In eo videmus caput Serpentis plane contritum esse et vitam iterum restitutam, quam in Paradiso amisimus. Hoc longe plus est, quam quod Henoch et Elias translati sunt. Et tarnen voluit Deus hoc modo originalem Mundum et sequentem, qui Legem habuit, consolari": ib. 258, 1 1 — 1 7 ; s. audi Luthers Auslegung des 110.Psalms, W A 1, 690 ff. (1518). 47

48

64 55

W A 37, 3 4 6 , 2 6 f. (Predigten 1534 Rörer). W A 23, 143, lOff. (Dass diese W o r t Christi . . . 1527).

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Kapitel VI : Versöhnung und Vollendung

unsertwillen leidet56. Durch dieses Handeln Gottes hat der Mensch im Glauben vorgreifend schon teil am Heil und am Leben, wenn er schon jetzt gerichtet und getötet wird. Er würde nämlich Gott gar nicht suchen, wenn Gott ihn nicht zuvor schon gesucht hätte 57 ; der „Deus absconditus in passionibus" beweist sich in Christus als die Macht, die da richtet, aber auch erlöst58. Der Begriffskomplex „Gottes väterliches Spiel" gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Gottes fremdes Werk, das er bei den Seinen durchführt, ist vom Glauben her gesehen ein väterliches Spiel, ein „paternus ludus", durch das der Mensch in das Versöhnungswerk hineingezogen und darin geübt wird, auf Gottes Macht zu vertrauen 59 . Gottes Zorn äußert sich also nie darin, daß Gott ganz unbekannt bleibt oder sich dem Menschen ganz entzieht, sondern darin, daß er ihn sich selbst, d.h. letztlichdem Tode, überläßt. Damit aber steht dann Gott als der Zornesgott da, der seine Liebe und Gnade, und d. h. im Grunde sein schaffendes und lebenspendendes Wort, vom Menschen abzieht, damit er erfährt, daß er ganz und gar abhängig ist von Gott 60 . Gott scheint sich freilich im Leiden des Menschen selber zu widersprechen. Aber der Widerspruch im Handeln Gottes zielt auf das Heil und die Vollendung des Menschen. Er wird durch Gottes opus alienum dazu getrieben, sich die Hilfe des Geistes Gottes zu erbitten. Gottes Gnade und Liebe sind also auch im Bösen gegenwärtig, das dem Menschen widerfährt. Darum ist die Gnade kein menschliches Besitztum fern vom Leiden, fernab vom Zorn Gottes, weil es keine Gnade gibt ohne vorherige Anfechtung und keine Anfechtung, ohne daß der Zorn Gottes im Leiden real erfahren würde 61 . Dieser Weg von der Anfechtung, der Erfahrung des Zornes Gottes zum Glauben und Empfang seiner Gnade ist für Luther unumkehrbar, d.h. es kann und darf niemals zum verfügbaren Wissenbestand werden, Gottes Zorn sei nur subjektive Sinnestäuschung oder vorübergehende Verstellung, denn dann gäbe es keine Anfechtung und — was weit schlimmer ist — keine Erfahrung der Rettungs- und Liebesmacht Gottes mehr! 62 Der Zorn wird also nicht als ein menschliches Mißverständnis von Gottes transzendenter und absoluter Liebe verstanden, sondern als Gottes versöhnende Gegenwart im Leiden des Menschen. Die Liebe ist —• wie der Zorn — ein Beziehungsbegriff. Darum ist sie bei Gott selbst nicht weniger real, und darum gibt es für den Menschen die Liebe Gottes wirklich nur, wenn sie sich ihm selbst zuneigt. Solche Gedanken müssen als bloße theologische Spekulation erscheinen, versteht man sie nicht von Luthers Schöpfungs- und Wortbegriff her: Für uns ist 55

57 Ib. 155—157. R. Hermann 1926, S. 617. WA 1,362, 4—33. Indem Christus kraftlos am Kreuz wird, überwindet er Sünde, Tod und Teufel, Welt, Hölle und alles Übel: WA 7, 585 f. (Magnificat 1521). 59 WA 44, 467,20 ff. (Gn42,6b,7); ib. 586,7 (Gn45, 3a), ib. 466 f., ib. 470 (Gn42,6f.) und WATi 6, 32,26—37 (Aurifaber). 60 WA 44, 548 (Gn 43, 23) und 266 (Gn 37,15—17). „So sollen wir wissen, das Gott ein wuenderlidier Herr ist, Sein handwerck ist, aus bettler Herrn machen, gleich wie er audi nichte alle ding macht ..." : WA 30/11, 575, 25 ff. (Dass man Kinder zur Schule halten soll 1530). 61 62 U.Mann 1957, S. 176f. H.Rückert 1952, S.233. 58

1. Opus Dei alienum et proprium

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Gott nur in seinem Wort, d. h. nur für den Glauben des Menschen. Der Glaube stellt die zerbrochene Beziehung zu Gott wieder her, macht das Böse gut, das Verborgene offenbar und das Unsichtbare gegenwärtig und wirklich 63 . Nur vom Totalitätsaspekt her ist der Zorn Gottes gewissermaßen eine rein „fiktive" Größe; weil nur er Gottes opus alienum im Lichte der geschenkten Liebe Gottes sehen kann, bleibt ihm die Liebe Gottes auch mitten im Zorn genau so Realität wie der Zorn Gottes für den Ungläubigen mitten in der Liebe64. Die dialektische Spannung in Gottes Handeln beruht demnach nicht auf der überlegenen Willkür seiner Souveränität, wie die Occamisten meinten, und auch nicht auf der Unzulänglichkeit des Geschaffenen, wie die neuplatonisch orientierte augustinische Theologie glaubte. Durch die Versöhnung müssen ja nicht zwei völlig verschiedene Größen zusammengebracht werden, weil Gott in der Schöpfung, die er versöhnt, schon als der Gott der im Zorn wirkenden Liebe gegenwärtig ist. Der gefallene Mensch ist nicht von Gott geschieden, sondern von seiner Liebe und damit vom ewigen Leben, und Versöhnung ist für Luther deshalb das Schaffen des neuen Menschen, der (wie Christus) durch den Tod zum Leben geht 65 . Für Luther wird es also möglich, den Gedanken von Gottes gnädiger Gegenwart auch in seinem Zorn theologisch fruchtbar zu machen, weil er nicht den Menschen an sich, sondern nur den Menschen als Sünder im Gegensatz zu Gott stehen sieht. Zwar kann der Mensch somit nie kraft seiner selbst und durch seine selbstgewählten Taten und Werke sich die Gerechtigkeit und das Leben ohne Rücksicht auf Gottes schaffende, schenkende Gerechtigkeit erwerben, aber er wird doch immer als ein in das Versöhnungswerk Christi Hineingezogener geschaut. Wenn man durch das Hervorheben des Souveränitätsgedankens im Lutherschen Gottesbild nur die göttliche Aktivität im Versöhnungswerk Christi betont, steht man in Gefahr, Luthers Vorstellung von Gottes Souveränität und Liebe zu bloß abstrakten Ideen zu machen. Auch wenn man Luthers Versöhnungslehre im Gegensatz zu der Anselmschen Versöhnungstheorie sieht, deren wirkliche Schwäche ja ihre theoretisierende und objektivierende Tendenz ist, verblassen hierbei doch die göttliche Liebe und der göttliche Zorn leicht zu bloß metaphysischen Größen. Auch wird man so dem genuin Lutherschen Anliegen nicht gerecht, daß die Offenbarung gerade auf den Menschen, auf seine Erlösung aus dem Gefängnis des Todes, auf die Wiederherstellung seines schöpfungsgewollten Menschseins und auf seine wunderbare Vollendung im Einswerden mit Gott hinzielt, was alles jetzt schon im Prozeß der „transformado de claritate in claritatem ad imaginem Christi" anhebt 66 . Auf diesen Gedanken werden wir unten (Kap. VI, 2) 63 „Fides . . . rapit nos in invisibilia . . . " : WA 43, 367, 28 f. Vgl. P. Meinhold 1936, S. 402 fî. mit Belegstellen. M Die „Objektivität" der Liebe Gottes wird am deutlichsten in Luthers Abendmahlsauffassung. Christi Gegenwart ist real: R. Josefson, Luth, nattvardsuppf. 1943, S. 341. c5 W. Maurer 1949, S. 94. Vgl. audi unten Kap. VI, 3. 06 W A 7 , 1 0 7 , 1 0 f f . (Assertio . . . 1520). Christi humanitas „sancta scala est nostra, per quam ascendimus ad Deum cognoscendum [Gn 28 und Joh 6] " : W A 57 (3), 99, 3 f. Siehe W. Joest 1951, w o der Totalitätsaspekt: „transitus" = „simul iustus et peccator" und der Partialaspekt „progressus" = „partim iustus et peccator" als zwei augenscheinlich syste-

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Kapitel V I : V e r s ö h n u n g u n d V o l l e n d u n g

näher eingehen. Hier sei nur betont, daß, wenn man schon die Vorstellung Luthers ernst nehmen will, daß Gottes Eigenschaften nur in und durch seine Schöpfung offenbart werden, man dann auch die Versöhnung weder als antagonistischen Prozeß noch als bloße satisfactio und die Schöpfung weder als etwas in sich Neutrales noch als eine von einer feindlichen Macht besetzte Welt betrachten kann. Die Offenbarung in Christus bedeutet vielmehr für Luther, wie wir gesehen haben, ganz im Gegenteil die Botschaft davon, daß Gott die Welt niemals verlassen hat, daß er dablieb, um durch Christus seine Schöpfung zu befreien und sie aktiv einzuspannen in sein Befreiungswerk. Weil das Böse für Luther letztlich nicht nur eine fremde Macht, sondern auch Gott selber — gegenwärtig in seinem Zorn — ist, wird die menschliche Kraft, die durch Gottes fremdes Werk niedergebrochen wird, als Ausdruck der Kraft verstanden, die eben nicht auf Gottes Schöpfermacht vertraut, sondern sie durch eigenes Vermögen ersetzen will und darum Gott widersteht67, und der Zorn richtet sich darum nicht gegen den Menschen als Menschen, sondern gegen die Verachtung und den Mißbrauch der Liebe und Gnade Gottes68. Luther braucht niemals die Souveränität Gottes zu betonen, um dadurch die Niedrigkeit des Menschen hervorzuheben, sondern nur, um zu unterstreichen, daß der Mensch bestimmt ist, das Heil von Gottes Gnade zu empfangen. Auch braucht er umgekehrt nie die Niedrigkeit des Menschen zu betonen, um Gottes transzendente Souveränität herauszustellen, sondern nur, um Gottes hingebende Liebe zu dem Sünder zu kennzeichnen69. In diesem Zusammenhang ist es interessant, festzustellen, daß Luther den Zorn Gottes nicht nur als „ein verzerend Fewer" charakterisiert, sondern auch als ein göttliches Schweigen. In seiner Predigt über das Deuteronomium (1529) verweilt Luther lange bei der Auslegung von Kap. 4,24ff., um über die bestürzenden Ereignisse seiner Zeit zu sprechen. Die Ursache von Hungersnot, Krieg, Türkengefahr, Irrlehren und allem Bösen sei, daß Gott das Evangelium, sein schaffendes Wort, den Menschen weggenommen habe70. Damit läßt er seinen Zorn gegenwärtig sein als ein „ignis consumens" : „Haec est maxima plaga, quod deus verbum aufert." 71 matisdi nicht völlig zu vereinende, aber dodi bei Luther immer nebeneinanderstehende Aspekte dargelegt werden. Nur wenn man die heilsgeschichtlidie Perspektive bei Luther ernstnimmt, werden die beiden Aspekte gleich wichtig. Besonders deutlich wird dies, wenn man die Heiligung bei Luther von nur einem dieser Aspekte her zu beschreiben versucht. Zur Diskussion dieser Frage s. A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung in der früheren evangelischen Theologie Luthers ( U U Ä 1952, 2), Uppsala 1952, und neuerdings B. Hägglund 1959, S. 348—361 mit dort angeführter Literatur. 67 W A 1 , 2 7 1 , 2 1 — 2 7 (Predigten 1518 Joh 9 , 1 — 3 8 ) , W A 4 2 , 4 6 4 und 468. «8 W A 29, 507, 4—32 und W A 37, 5 0 5 , 2 4 — 3 0 (Predigten 1534 Rörer Lk 19, 41 ff.). M „Sed deus credentibus hanc aeternam poenam remittit, et commutât earn in tales poenas, quales r e c e n s u i , . . . quia aut probant, aut humiliant, aut emendant, aut Dei gloriam illustrant": ib. 492, 2 0 — 2 3 ; vgl. ib. 464; 468; 491. 70 W A 28, 557 ff. 7 1 Ib. 5 6 1 , 2 f.; 5 6 2 , 1 0 . Vgl. W A T i 6, 32, 12—23 (Aurifaber), w o es heißt, das erste Zeichen dafür, daß Gott ein Land strafen wolle, sei es, wenn er ihm die reine und lautere Lehre und seinen Führer entzieht, so daß dann der Pöbel selbstsicher und zügellos wird. Siehe auch G. Wingren 1958, S. 78—81 (dt. 1960, S. 72—75).

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Daß Gottes Schweigen keine Untätigkeit bedeutet, sondern höchste Aktivität, die äußerste Form seines Zornes ist, wird aber vor allem deutlich an Jesu Kreuz, wo Gott keine Antwort gab auf das „lama asabthani". Stellvertretend für alle Menschen ist der Mensch Jesus das eine Opfer des Zornes Gottes, er allein mußte sterben ohne Gott und sein Wort. Daß dieser besondere Akzent konstitutiv ist für Luthers Christologie und Versöhnungslehre, darauf hat besonders V. Vajta hingewiesen72. In Luthers Auslegung von Gal 3,13 heißt es daher: „Sed videamus nunc, quo modo in hac persona duo extreme contraria concurrant."73 Der konkrete historische Christus hat den Kampf zwischen peccatum und iustitia, mors und vita, maledictio und benedictio durchlitten, und das bedeutet nun auch eine Neuschöpfung der ganzen Kreatur. „Et haec circumstantia: ,In Semetipso' facit duellum istud mirabilius et illustrius; ostendit enim tantas res (scilicet, ut maledictio, peccatum, mors destruantur et in locum illorum benedictio, iustitia, vita subrogentur) debere gerì in unica illa persona Christi atque ita per earn mutari totam creaturam,"74 Wie der Zorn nicht nur das Niederwerfen des Menschen, sondern auch Zerstörung der äußerlichen Schöpfung bedeutet (vgl. oben Kap. IV), so bedeutet also auch Gottes Versöhnungstat nicht nur eine Veränderung des ganzen Menschen, sondern auch der gesamten äußeren Schöpfung, so daß man überall Gottes Liebe erfahren kann. Christi Versöhnung ist ein Neuschaffen des Menschen durchs Wort und damit auch ein Neuschaffen der ganzen Schöpfung bzw. das Offenbarwerden der göttlichen Liebe. Die Bewegungsrichtung der versöhnenden Liebe Gottes wird in der neuen Beziehung des Menschen zur Mitschöpfung fortgesetzt, wenn er nämlich entdeckt, daß Gott dem Menschen das Leben gab, nicht damit er es allein für sich behalte, sondern um den anderen frei zu dienen und es dann selber wieder von Gott zu empfangen. Weil aber in der Welt des Falles dieser Dienst am Nächsten entweder verweigert oder nur gezwungen geleistet wird, muß sich hier Gottes Zorn und Liebe so äußern, daß der, der sein Leben behalten will, es verlieren wird, wer es aber verliert und verschwendet im Dienst am Nächsten, es erst recht gewinnt. Luthers Versöhnungslehre wird also nicht recht verstanden, wenn man sie nur als statisch-juristisch bzw. metaphysisch-dualistisch definiert, und das Versöhnungswerk Christi bedeutet daher keine Auflösung des Handelns Gottes in Liebe und Zorn75. In seinem Leiden trägt Christus zwar stellvertretend die Sünde der ganzen Welt und wird damit von Gottes Zorn über die Sünde getroffen, aber das Wort von Christus ist gerade deshalb ein Versöhnungswort, das dem konkreten Menschen den Zorn und die Liebe Gottes über die Welt offenbart, d. h. daß er mit Christus sterben muß. Indem Zorn und Tod Christus treffen, treffen sie die gesamte Menschheit. „Das Wort vom Sterben Christi ist daher ein richtendes Wort (Gesetz). Das richtende Wort des Gesetzes zieht die Menschheit in die Gemeinschaft des Todes Christi hinein. Es gehört daher zu Christi fortgesetztem Versöhnungswerk, daß wir mit Christus sterben, indem wir vom Wort des Gesetzes über den Tod Christi für unsere Sünden gerichtet werden; denn wer sich vom Gesetz richten läßt, hat mit Christus den Zorn Gottes auf sich 72 73 75

V. Vajta 1952, S . 1 3 0 f . W A 40/1, 438, 32 f. (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 3, 13). Vgl. H.Olsson 1934, S. 155 f., und R. Johannesson 1947, S. 145 ff.

74

Ib. 440, 26—30.

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K a p i t e l V I : V e r s ö h n u n g und V o l l e n d u n g

genommen und steht darum auch in der Gemeinschaft des Christus Victor. Mitten im Tode wird der Menschheit das Leben geschenkt." 76 Wenn Luther gelegentlich den Menschen des Glaubens bzw. Christus und die Kirche im Anschluß an Petrus Lombardus „microkosmos" oder „mundus" nennt, so meint er, daß nur beim Menschen der Wille Gottes mit der Welt richtig verstanden werden kann, daß sich in ihm das Heil der ganzen Schöpfung widerspiegelt. Mit diesen Hilfsbegriffen will Luther also betonen, daß, weil der Mensch ursprünglich das Ebenbild Gottes war, durch das alles andere Gegenstand des besonderen Wohlwollens Gottes wurde, diese Gottebenbildlichkeit, die im Fall zerstört ist, nur durch den Menschen Christus wieder offenbart werden kann und Gottes eigentliches Werk und sonderlicher Ratschluß im Glauben an ihn, den Auferstandenen, erkennbar werden77. Christus ist Dominus mundi, „ein Herr des lebens, gerechtickeit, alles guts und selickeit"78, in dem allein jener Ratschluß Gottes bei der Schöpfung Adams ganz verwirklicht ist, auf dem allein Gottes Wohlgefallen ruht und in dem allein Gott darum erkannt wird. Wenn der Mensch gerecht ist, werden auch Gott und die ganze Welt gut, wenn der Mensch das rechte Gottesbild besitzt, werden auch sein Menschen- und Weltbild recht. Das in Christus ausgeführte Versöhnungswerk war der Sieg der Liebe Gottes über den Zorn und damit zugleich auch Schöpfung des neuen Menschen und der neuen Welt, in welchen Gott geehrt bzw. als Herr über Leben und Tod erkannt wird. Im menschlichen Leiden ist Gottes eigentliche Gesinnung — die Liebe — hinter seinem Zorn verborgen, der tötet; wo aber der Mensch Gott im Tode die Ehre gibt, da hat der Tod seinen Stachel verloren, und die Liebe, die das Leben gibt, hat gesiegt. Dort wird dem leidenden Menschen offenbar, daß Gottes rechter Name Liebe ist 79 . Die Versöhnung wird somit nicht nur als Gottes Sieg über den V. Vajta 1952, S. 132. Siehe u. a. folgende Belegstellen, w o die Vorstellung vom Menschen als „mundus" oder als „microcosmos" entweder expressis verbis vorkommt oder dodi zumindest der Gedankenführung zugrunde liegt. W A 9, 6 7 , 1 5 ff. (Randbem. zu P. Lombardus 1510/11), W A 3, 2 0 3 , 1 3 — 3 2 (Dictata 1 5 1 3 — 1 6 Ps 35 [36], 12), W A 4, 599, 10—35 (Sermone ca. 1 5 1 4 — 20 J o h 3 , 1 6 ) , W A 5 6 , 1 7 4 , 1 2 f. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 1, 20), W A 57 (3), 158, 20 f. (Hebr 4, 4), W A 2 0 , 1 9 4 , 5 (Vorl. über den Pred. Salomo 1526 Rörer Kap. 12, 3), W A D B 4, 5 1 1 , 31 (Lateinischer Psalter Kunheim 1529), W A 31/11, 4 1 9 , 1 — 6 (Vorl. über Jesaias 1527—30 Jes 5 1 , 1 6 ) , W A 46, 561, 33—562, 6 (Ausi, des 1. und 2. Kap. Joh 1 5 3 7 — 1538 Joh 1 , 4 ) , W A T i 5, 55, 29—56, 25 (J. Mathesius 1540), W A 42, 51, 15—26 ( G n l , 2 7 ) und ib. 9 8 , 2 0 — 9 9 , 1 1 ( G n 2 , 22). Beim jüngeren Luther ist diese Vorstellung unkritisch übernommen. Der ältere Luther wehrt sich jedoch ausdrücklich gegen eine rein ontologische Verwendung dieses Begriffes; „mundus" bedeute nur, daß das Evangelium „in der ganzen Welt" gepredigt werden soll, d.h. f ü r alle Menschen und an allen Orten: s. W A 10/III, 1 4 3 , 1 7 — 1 4 4 , 1 0 , W A 15, 550, 20—551, 25 und W A 17/1, 257, 20—259, 3. Die Ubiquitätslehre und die Vorstellung von Christus als dem „Dominus mundi" spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle: s. W A 12, 431, 29—40, W A 20, 5 2 0 , 1 2 — 3 4 und W A 1 5 , 5 5 3 , 2 7 — 3 4 . „Sic hi quando putabatur periturus resurget et fit dominus omnium . . . ut simus domini omnium creaturam, non per nos, sed per dominum etc.": W A 15, 518, 25—31 (Predigten 1524). 76

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W A 30/1,186, 23 f. (Großer Katechismus 1529). Vgl. oben A n m . 7 7 . „Gott zörnet darum mit seinen Kindern nicht, wenn er sie gleich züchtiget und strafet. Mit den Gottlosen (die Christum f u r Gottes Sohn und der Welt Heiland nicht erkennen, sein Wort verachten und lästern), zörnet er . . . " : W A T i 6 , 2 8 , 3 6 — 2 9 , 1 (Aurifaber). 78 79

2. Deus incarnatus et crucifixus

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Teufel betrachtet, sondern auch als seine Gegenwart beim Menschen in Gericht und Gnade, durch die Gott ihn „christusgleich" schafft und damit wirklich zum Menschen macht. In Christi Kreuz sieht Luther Zorn und Liebe, Sünde und Gnade, Leben und Tod, Gesetz und Evangelium zusammengebracht80. Die am Kreuz offenbarte Liebe Gottes bedeutet, wenn sie im Glauben empfangen wird, die Vollendung des Einswerdens von Gott und Mensch81. Ist der Versöhnungstod Christi somit als ein schöpferisches Handeln Gottes verstanden, das dem konkreten Menschen im Wort angeboten wird, so sieht Luther auch keinen Gegensatz zwischen Wort- und Kreuzestheologie, denn im Wort wird Gott in dem eigenen Leiden des Menschen empfangen und geehrt als der am Kreuz leidende Gott der Liebe, der die ganze Schöpfung mit sich selbst versöhnt, indem er den Menschen in die Vollendung der Schöpfung einbezieht: „Du must ym hunger mitten in die durfft kummen sein, und erfaren, was hunger unnd durfft sey, das nit da sey vorrahd noch hulff bey dir odder menschenn, szondern allein bey got . . . Darumb sind wir Christen unnd haben das Euangelium . . . das wir dadurch zu durfft und nydrigung, und alszo in unsz auch got, zu seinen wercken kummen muge." 82 Eine Theologie des Wortes ohne das Kreuz ist also für Luther ebensowenig möglich, wie eine Theologie des Kreuzes ohne das Wort.

2. D e u s i n c a r n a t u s et c r u c i f i x u s Wie wir im vorigen Abschnitt sahen, dürfte es kaum richtig sein, daß der jüngere Luther sich das Leiden des Christen als etwas vom „Wort" Losgelöstes vorstellte, sondern daß Christus auch beim jungen Luther die nova creatio Gottes ist, welche die Neuschöpfung des konkreten Menschen bewirkt. Zwar ist der Gedanke, daß der Christ im Leiden mit Christus konform wird, hier auffallend stark in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt, aber den conformitas-ChristiGedanken als solchen findet man auch beim gereiften Luther wieder. Wenigstens scheint es uns ungerechtfertigt, wenn man, wie das die von der Existenzialphilosophie geprägte Lutherdeutung mit Vorliebe zu tun pflegt, einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der theologia crucis des jüngeren und der Theologie des Wortes beim späteren Luther sehen will 1 . 80 „Denn in hoc Christo cognoscuntur omnia, omnes creaturae, tota divinitas; hic est summa fortitudo et summa infirmitas coniuncta, mors et vita, iustitia et peccatum, gratia et ira Dei": W A T i 4, 6 1 4 , 1 4 f f . (1540) und ib. 6 1 6 , 2 4 — 2 8 : „Wer Gott in Christo nicht findet, der findet ihn nimmermehr, er suche ihn, w o er -wolle; verstehet viel weniger, was sein Wille und Wesen ist. In ihm aber erkennen wir Alles, die ganze Gottheit und Menschheit; das ist, wir sehen in ihme zugleich die höheste K r a f t oder Macht, und die höheste Schwachheit, Leben und Tod, Gerechtigkeit und Sünde, Gottes Gnade und Zorn." 8 2 W A 7, 593, 30—594, 7 (Magnificat 1521). W A 40/11, 360, 24 f. Siehe u. a. F. Buri, Kreuz und Ring. Die Kreuzestheologie des jungen Luther und die Lehre von der ewigen Wiederkunft in Nietzsches „Zarathustra", Bern 1947, S. 14 f., 20 ff. und 1 1 9 ff. Buri meint, daß eine „programmwidrige Unschriftgemäßheit" der eine Grund dafür sei, daß man in dem „dogmatisierten Endzustand der lutherischen Rechtfertigungslehre" den ursprünglichen Sinn und Gehalt der Kreuzestheologie des jungen Luther kaum 81

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Kapitel VI : Versöhnung und Vollendung

Beim älteren Luther wird zwar die „Austeilung" der Versöhnung 2 als Sündenvergebung oder Imputation stärker betont, das Interessante ist aber, wie wir sehen werden, daß diese Akzentverschiebung keine völlige Aufhebung des oben angedeuteten Konformitätsgedankens — Gottes Gegenwart im Leiden des Menschen — bedeutet. Waren wir aber im vorigen Abschnitt mehr von dem Interesse geleitet, die grundsätzliche Übereinstimmung des jüngeren mit dem älteren Luther hervorzuheben, so wollen wir doch nun hier auch die charakteristische Ausprägung der Versöhnungslehre beim älteren Luther betrachten. Die Theologie des gereiften Luther zeichnet sich ja vor allem durch die Polemik gegen den meritum-Gedanken der römischen Kirche aus, und die Akzentverschiebung in seiner Theologie, die daraus folgt, verrät eine vertiefte Einsicht in die Beziehung zwischen Christus und dem Christen. Wir wollen deshalb hier zunächst die Frage stellen, welche Folgen Luthers Auseinandersetzung mit Rom für seine Sicht der Aneignung Christi bzw. der Einheit des Menschen mit Christus hat. Wir wählen dabei zu unserem Ausgangspunkt die interessante Beobachtung, daß Christi Inkarnation und Passion als ein einheitliches Geschehen aufgefaßt werden. Christus ist für Luther das fleischgewordene Wort, die Manifestation des Herniedersteigens der Souveränität Gottes in die Schöpfung. Dieses Wort wird, wie wir schon im vorigen Kapitel sahen, aufs neue da „inkarniert", wo Christus noch heute zum Menschen kommt; das Wort ist „spiritualis adventus Christi" 3 . Im Wort wird also nicht nur von Christus berichtet, sondern er selbst mit seinen Taten kommt und schenkt den Auferstehungssieg bzw. das Herabsteigen in die Niedrigkeit, ja es schafft sogar den Glauben, der nie Besitz wird, sondern Geschenk, „fides ex auditu" zw. „usus sacramenti" bleibt 4 . Dieser Gedanke hängt mit Luthers Vorstellung vom Christus nicht nur als Verkünder dessen, daß Gott wirklich durch ihn spricht, sondern auch als Verwirklicher dessen, was Gott in ihm für die Menschheit ausführte, zusammen. Weil somit Luther Christi Werk als ein kontingentes göttliches Geschehen „pro nobis" versteht, ist für ihn „Deus incarnatus" immer zugleich der im Wort gegenwärtige mehr wiedererkennen kann, weil er „in sein Gegenteil verkehrt worden ist". Der Glaube an die Rechtfertigung „ex sola iustitia Christi" auf Grund der Anrechnung der Gerechtigkeit Christi unter Niditanrechnung der eigenen Ungerechtigkeit ist nicht mehr „aus eignem Brande die eigne Lehre". Aus dem se ipsum resignare ad infernum pro Dei volúntate ist hier „ein enger Glaube", „ein harter, strenger Wahn", ein „Leier-Lied" geworden: S. 120 f. Siehe audi R. Prenters Auseinandersetzung mit der in der modernen Theologie gewöhnlichen Trennung zwischen Worttheologie und Kreuzestheologie in: Zur Theologie des Kreuzes bei Luther (LuthRs 9. Jg., 1959, S.270—283). W i r können hier nicht die ganze Frage nach dem Verhältnis zwischen dem alten und jungen Luther beantworten, sondern nur eine Verbindungs- bzw. Entwicklungslinie andeuten, die sich von unserem Thema her ergibt. 2 „Die erwerbunge ist eyn mal geschehen am creutze, Aber die austeylunge ist offt geschehen vorhyn und hernach von der wellt anfang bis ans ende . . . durch seyn wort" : W A 18, 203, 34—37 (Wider die himmlischen Propheten . . . 1525). 3 W A 45,424,37£F. (Conciunculae quaedam . . . 1937 Mt 2 1 , 1 — 9 ) und ib. 425, 8; 426, 1 . 9 ; vgl. W A 10/1, 2 , 1 0 9 f . (Adventspostille 1522), w o Christi „adventus" als Inkarnation, Glaube im Herzen und Hereinbrechen des Jüngsten Gerichts verstanden wird. 4 Siehe hierzu V. Vajta 1952, S. 240—253.

2. Deus incarnatus et crucifixus

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„Deus crucifixus"5. Wie Christus nicht nur Offenbarer, sondern auch Verwirklicher der göttlichen Gegenwart im Menschlichen ist, weil er ja das Wort Gottes ist, so haben entsprechend Wort und Sakrament als „Verlängerung" dieses Inkarnationsgeschehens nicht nur die Funktion der Mitteilung (annunciatio), sondern sie teilen auch aus, was sie sagen. In dem durchs Wort geschaffenen Glauben wird demnach Gott „pro nobis" aufs neue gegenwärtig und zugleich Christi Erniedrigung dem^Menschen geschenkt; Christus „venit per verbum" als der einzige, der nach Adams Fall ohne Sünde ist, als derjenige, der „des wybs samen, der da solt der schlangen hewbt zutrettenn", und als derjenige, der „eyn herr ubir alle ding" gesetzt ist, aber nun in der Gestalt der Armut und der Geringheit je und je zum leidenden Menschen kommt 6 . Auch wenn Christi Menschwerdung beim jüngeren Luther als Ausdruck der Zuneigung Gottes zu der Schöpfung bzw. als eine Neuschöpfung betrachtet wird, und auch wenn die Einheit zwischen Inkarnation und Passion hervorgehoben wird, so ist doch jenes einheitliche Geschehen nicht wie beim älteren Luther so eindeutig am gehörten und gepredigten Wort orientierf . Wenn Luther also Inkarnation und Passion immer verbindet, geschieht das ganz folgerichtig vom Gedanken der Versöhnungstat Christi als der Vollendung der Menschwerdung bzw. vom Gedanken der Entäußerung Christi her, durch welche die gefallene Menschheit wieder in die Lebensgemeinschaft mit Gott aufgenommen wird. Die Aneignung dieses Geschehens ist aber, wie wir gesehen 5 Wie wir auch unten näher darlegen werden, ist es für Luther typisch, die Einheitlichkeit des Werkes Christi zu betonen; zu Christi Werk rechnet er somit seine Geburt (WA 15, 782,33), Taufe (WA 49,676,1), Versuchung (s.o. Kap.V.2, Anm.77 sowie unten Anm. 12), und Predigertätigkeit (WA 10/1,2,154,10), seine Angst und sein Leiden (WA 17/1, 347 ff.), seine Auferstehung (WA 49,353,12 f.) und Himmelfahrt (WA 45,443,15 f.), und das alles wird „im Wort" ausgeteilt und bedeutet also Erlösung und Leben „pro nobis" : s. WA 17/1,183, 30—192, 13, WA 49, 353, 21—354,16; 356,16ff.; 358, 8—19 und WA 9, 659, 14ff.; 661, 26ff. Schon in Luthers Römerbriefvorlesung 1515/16 ist die Einheit zwischen Inkarnation und Passion in Christi Erlösungswerk vorausgesetzt: s. z.B. WA 56, 414, 26— 415, 5 (Rom 10, 6) und ib. 99, 26—100, 23. 6 WA 10/1, 1, 471, 3—27 (Kirchenpostille 1522 Gal 3, 23—29) und WA 27, 438,6 f. (Predigten 1528 Mt 21,1 Rörer). 7 Siehe die Darstellung von Christi Versöhnungswerk in den Operationes 1519/21 (WA 5,598—624 Ps22); vgl. hiermit WA 7, 595, 30ff. (Magnificat 1521), ib. 596, 17ff., 597, 30 f., WA 31/1, 353 ff. (Psalmenausl. auf der Koburg 1530 Ps 22) und WA 38, 25, 6—12 (Summarien über die Psalmen 1531/33). Interessant ist die für den jungen Luther charakteristische Ausprägung des Inkarnationsgeschehens in der Römerbriefvorlesung 1515/16 (WA 56,167, 13—22 Rom 1,3): „Sed non solum Euangelium de humilitate filii Dei loquitur, qua seipsum exinaniuit, immo etiam de gloria et potestate . . . Vt sicut se secundum formara Dei Exinaniuit vsque in carnis inanitatem nascendo in mundum, ita secundum formam serui se impleuit vsque in plenitudinem diuinitatis ascendendo in çelum." Vgl. ib. 169,12ff.: „Evangelium non est solum, quod Mattheus, Marcus, Lucas, Johannes scripserunt . . . Quia Expresse dicit, Quod Euangelium sit verbum de filio Dei incarnato et passo et glorificato" (Rom 1, 4). Auch wenn Luthers spätere evangelische Grundhaltung ziemlich früh spürbar ist (s. z.B. in den Dictata 1513/16: WA 3,134—139; 383, 1 ff., WA 4, 289, 35 f.), so ist der Christus praesens doch sogar noch in der Hebräerbriefvorlesung 1517/18 zwar inkarnatorisch, aber wohl kaum schon eindeutig vom gepredigten Wort her verstanden: s. z.B. WA 57 (3), 147, 10—150, 3 (Hebr 3,13 f.).

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Löfgren, Schöpfung

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Kapitel V I : V e r s ö h n u n g und V o l l e n d u n g

haben (oben Kap. V), ganz an Wort und Sakrament gebunden, wie ja auch Christus immer als „verbum" bzw. „sacramentum" aufgefaßt wird. Wenn aber beim älteren Luther Inkarnation und Passion betonter vom ausgeteilten Wort her verstanden werden, so hängt das systematisch mit Luthers Auffassung vom Werk Christi zusammen, d. h. das Wort ist Vermittler des Werkes Christi als der Wiederherstellung und Vollendung des Schöpfungswerkes. Das Evangelium ist an den konkreten Menschen gerichtet, damit er in seinem Sterben unterm Gesetz in die Vollendung der imago Dei einbezogen werden möge. „Per Euangelium agitur ut imago illa reparetur." 8 Von unserem Thema aus ist es deshalb besonders wichtig, daß man sich klar darüber wird, wie Luther sich das Verhältnis zwischen Christi Opfertod und der Schöpfung bzw. dem Fall des Menschen vorstellt. Der enge Zusammenhang zwischen Adam und Christus ist für Luther ein Theologumenon, das in der zeitgenössischen Theologie zwar nicht geleugnet wurde und das daher besonders der jüngere Luther nie breit auszuführen brauchte, dennoch ist es für das Verständnis der Ausschließlichkeit des „pro nobis" im Versöhnungswerk Christi wichtig, daß man die Frage stellt, wie Luther sich diesen Zusammenhang näher denkt. Gerade dann wird nämlich Luthers scharfe Polemik gegen jede vom meritum-Gedanken geprägte Passionstheologie erst recht verständlich. Hier kann nun zunächst an das erinnert werden, was schon in Kapitel II und III vom Menschen des Ursprungs bzw. des Falles gesagt wurde. Wie nämlich Adams Gehorsam nie als verdienstliche Tat aufgefaßt werden konnte, weil er ja nur das einzig angemessene Verhalten gegenüber Gottes mandatum war, so ist auch Christi Gehorsam in der Versuchung und am Kreuz nicht nur darum versöhnend, weil er eine verdienstliche Tat ist, sondern weil er „pro nobis" bzw. Gott zur Ehre geleistet wurde, weil er freier Gehorsam des wahren Menschen (purus homo) in der Liebe war. Damit ist Christus „dominus omnium" geworden, der dem Menschen die Reinheit des Ursprungs zurückgibt 9 . 8 WA 4 2 , 4 8 , 1 1 (Gn 1, 26). „Scilicet, quod homo est creatura Dei, carne et anima spirante constans, ab initio ad imaginem Dei facta, sine peccato, ut generaret et rebus dominaretur, nec unquam moreretur, Post lapsum vero Adae subiecta potestati diaboli, peccato et morti, utroque malo suis viribus insuperabili et aeterno. Nec nisi per filium Dei Iesum Christum liberanda (si credat in eum) et vitae aeternitate donanda" : WA 39/1,176, 7—13 (De homine 1536); vgl. ib. 108, 5—15 (Disp. de iustificatione 1536). 9 WA 5, 614, 8 f. (Operationes 1519/21 P s 2 2 , 7 ) , i b . 6 1 4 , 2 6 und WA 15, 518,28 ff. (Predigten 1524): „Haec victoria nobis donata est, ut Paulus [1.Kor 15, 57], per Euangelium: quando credo hanc Christi victoriam non ideo partam, ut ipse servaret, sed ut ipse salvarer, ut simus domini omnium creaturarum, non per nos, sed per dominum etc." Eine Passionspredigt aus dem Jahre 1538 leitet Luther mit folgenden Worten ein: „Magna res facta est in ista hebdomade nec minor hac re, quae facta initio mundi, cum celum et. Illic terra, celum creata, sed per lapsum, quem diabolus riet etc. ist totum genus verderbt et omnes creaturae finster und dunckel. Ideo ista hebdomas est, in qua das verderbt genus humanum recuperatur etc. Et incipitur hic die besserung und vernewerung. Adam per filium dei, qui lapsum nostrum wider zurecht brecht": W A 46, 2 4 1 , 4 — 1 0 (Predigten 1538 Rörer). „Sed ista persona electa, ut non solum istam mortem sdimeckte, sed etiam auffsauffte. Istud discrimen aller marter Adae filii erga dei martyrium": WA 41, 522, 12 f. (Predigten 1536 Rörer Mt 26, 30). „In horto hebt sich sein leiden. Quia in horto cepimus

2. Deus incarnatus et crucifixus

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In Luthers Versöhnungslehre findet man alle traditionellen Motive wieder vorgebracht. Von unserm Thema aus ist es aber besonders interessant, zu beobachten, daß Luther Christi Gehorsam im Leiden betont. Christus wurde nicht — wie man bisweilen meint — mehr Mensch, weil sein Leiden tiefer war, sondern sein Leiden war so tief, weil er Gott war, und Christi Leiden war nicht deshalb versöhnend, weil er Gott war, sondern weil er in seinem Leiden der gehorsame Mensch war10. Die „victoria" Christi bedeutet deshalb eine Veränderung der ganzen Welt (mutari totum mundum) und offenbart damit Christus als den wahren Menschen, ja die Vollendung des Menschen. Christus hat wirklich unter dem Gesetz der Sünde und des Todes gestanden, aber weil er im Unterschied zu Adam ohne Schuld war, hat im Menschen Christus „gott den fall umbkert"11. „Tentatus enim [Christus] est per omnia"; weil er aber ein „rechtschaffener" Mensch war, der nicht das Seine suchte, sondern im Leiden für die Menschen eintrat b^w. Gott die Ehre gab, hat er dem Vater Wohlgefallen, „es ist kein feil oder etwas taddelichs an solcher liebe und gehorsam, Philip, am ij [2,8], gewesen, sondern alles rechtschaffen. Daher hat Gott an uns, die wir an Christum gleuben und dieser gnade und warheit durch jn teilhafftig werden, auch einen wolgefallen." 12 Christus hat freiwillig das Gesetz auf sich genommen. In seinem Leiden und Sterben sind deshalb alle Werte umgekehrt: „Postremo vides subiectum Christum inferno, Sathanae, morti. Was do oben sol liegen, das ligt unten. Econtra. Das leben ist iczt der tod. Der hymmel ist die hei, die gerechtigkeyt yn Christo ist iczunder ssunde. Omnia contraria apparent."13 Aber durch Gottes gnädige Gegenwart in Christi freiwillig leidender Menschheit wurden Sünde, Tod und Teufel besiegt. „Factaque sunt propter nostra peccata. Illa quomodo per Christum superata sint . . ." 14 Wenn beim älteren Luther Christi Überwindung des Todes als ein im Wort „für uns" offenbartes Geschehen betont wird, so bedeutet dies wenigstens nicht eine Aufhebung oder eine Verringerung jenes konkret-historischen Versöhnungspeccare, et passio cepit" : W A 29, 233, 7 f. (Predigten 1529). A u f f a l l e n d ist aber, daß Luther alles, was Christus tut, als eine „ f ü r uns" geschehene Rettungstat sehen kann: s. o. Anm. 5. Vgl. auch W A 20, 540, 8, W A 1 5 , 6 8 1 , 23 f., W A 3 7 , 1 1 8 , 1 — 1 0 , W A 36, 2 1 6 , 12—29, W A 15, 649, 17, W A 1 1 , 1 6 7 , 1 und W A 34/11, 408, 3 f f . Christus erniedrigt sich, um den Niedrigen zu helfen: W A 1 1 , 1 4 f f . ; 89, 26 und W A 9, 582, 7 . 1 0 , und die Verachtung der in den Augen der Vernunft unansehnlichen Gabe des Evangeliums ist deshalb Verachtung Christi in seiner Niedrigkeit „für uns": W A 32, 207, 3 4 — 2 0 8 , 20 und W A 27, 440, 2 0 — 4 4 3 , 34. 1 0 W A 40/1, 440, 7 — 1 2 . „Es ghet nicht mit spiegelfechten zu, sed ernst, et hoc testatur der schweis": W A 41, 523, 10 f. (Predigten 1 5 3 6 Rörer M t 26, 30). „ . . . der Ewangelist sagt, er hab angefangen zu trawren und zu zagen. Secht, da myest ir Christum hye ain f e y n pur lautter menschen . . . bleyben lassen": W A 10/III, 72, 3 2 f f . (Predigten 1522). 1 1 Ib. 75, 2 1 — 7 6 , 5. Vgl. auch W A 5, 604 (Operationes 1519/21 Ps 22, 2). 1 2 W A 4 6 , 6 4 1 , 1 5 — 2 0 (Ausi, des 1. und 2. K a p . Johannis 1537/38 J o h 1 , 1 4 b ) . Vgl. W A 5, 6 1 2 , 2 0 f f . : „Tentatus enim est per omnia. Et ipse sensus, sine tarnen consensu tentationis huius, cogit eum prorumpere in haec verba, quo nostram istam tentationem in semetipso vincerei" (Operationes 1519/21 Ps 22, 5). Vgl. auch W A 8, 87, 4 — 1 0 (Latomus 1 5 2 1 ) und oben K a p . V , 2, A n m . 77. 1 3 W A 29, 253, 2 9 — 3 2 (Predigten 1529 M t 27, 54). 1 4 Ib. 253, 32 f., W A 32, 2 9 , 1 (Predigten 1530).

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geschehens. Dagegen bedeutet die neue Betonung des Wortes eine deutlichere Hervorhebung des „pro nobis" der Versöhnung Christi1B. Da der konkrete Mensch die Gerechtigkeit nicht selbst zustande bringen kann, gibt es keinen Weg zum Himmel an der leidenden Menschlichkeit Christi vorbei16. Christi Leiden hat das Leiden des Christen umgewandelt und Versöhnung heißt deshalb Einswerden mit Christi Leiden. Wird somit der konkrete Mensch immer auf die im Wort angebotene Versöhnung Christi hingewiesen, so wird dennoch des Menschen eigenes Leiden damit nicht als ein bloß biologisches Geschehen abgewertet. Christus hat nämlich durch sein Kreuz alles menschliche Leiden und Mühsal zu Heiligtümern umgewandelt17. Auf diese Frage, die ja mit Luthers Auffassung des Menschlichen bei Christus zusammengehört, werden wir bald zurückkommen. Hier mag nur soviel gesagt werden, daß Luther daran liegt, daß der Christ dem Wort nicht deshalb Gehorsam leisten soll, um selbst angenehm vor Gott zu werden (denn das hieße ja Christi Tod „pro nobis" für unvollständig halten), sondern nur um Gott %u ehren und anderen helfen. Christi Werk „pro nobis" und das „diligere proximum" des Gebotes Gottes gehören also eng zusammen. Es ist nicht so, wie die Papisten glauben, daß der Himmel geschlossen wird, weil Gott willkürlich zürnt, sondern Gott ist zornig, weil der Mensch den Himmel sich selbst verschließt, indem er nur sich selbst und nicht Gott und dem Nächsten dient18. In der äußeren Not, die den Menschen umgibt, begegnet ihm nämlich immer Gottes mandatum, das ihm befiehlt, seinen Nächsten zu lieben und sich selbst für ihn hinzugeben. Wer aber seinem Nächsten nur mit einer Nebenabsicht beisteht, hat noch nicht verstanden, was die Menschwerdung bedeutet, denn dadurch, daß man für andere da ist, steht man im Machtbereich der in Christus geoffenbarten und verwirklichten, sich selbst hingebenden Liebe, die nicht fragt, warum dieses oder jenes getan werden muß, sondern ganz einfach hilft, weil Gott so befohlen hat19. Das, was Christus zum wahren, zum neuen Menschen macht, dem Gott mit seinem Wohlgefallen begegnet, ist sein Leben und Sterben für andere. Das Beispielhafte bei Christus war sein gehorsames Leiden als Dienst an anderen, ein Dienen, das der Mensch des Falls zwar niemals recht verwirklichen kann, das aber immer von ihm gefordert wird 20 . 1 5 W A 15, 518, 28 ff., angeführt oben A n m . 9 ; s. auch W. von Loewenich 1954, S. 125 mit Belegstellen. 1 6 W A 57 (3), 99, 3 f f . (Hebr 1, 2) und W A 27, 228, 5 ff. (Predigten 1528 Lk 1 5 , 1 Rörer); vgl. W A 37, 43, 6—25 (Predigten 1533) und W A 1 6 , 1 4 3 , 28—144, 32 (Predigten über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 — 2 7 Kap. 9 , 1 6 ) . 1 7 W A 5, 619, 5—24. Vgl. auch W A 27, 228, 5 ff. und W A 18, 689, 1 8 — 6 9 1 , 1 9 (De servo arbitrio 1525). 1 8 W A 8 , 4 6 6 , 30—467, 32 (De abroganda missa privata Martini Lutheri sententia 1521). 1 0 „Nu mocht ymand fragen, wie man wissen kan, das wir uns des kindts im herczen durch einen rechten glauben annemen . . . Dis zceichen ist nicht anders, dan so wir menschen uns unser under eynander selber annemen, so wir anzeihen vnd kleydenn uns in unsers nechsten fleisch etc.": W A 9, 532, 3 f f . (Predigten 1 5 1 9 — 1 5 2 1 Poliander). 20 Siehe W A 1 6 , 1 4 0 , 23—147, 33 (Predigten über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 — 2 7 Kap. 9, 16), W A 9, 533, 3 ff. (Predigten 1 5 1 9 — 2 1 Poliander) und W A 37, 605, 7. 26 (Predigten

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„Im Glauben" werden deshalb auch die konkreten Glaubenswerke des Menschen in das göttliche Gnadenhandeln einbezogen; wenn immer Gehorsam geleistet wird, ist er also nicht als menschliche Leistung, sondern als Inkarnation bzw. Schöpfung Gottes zu verstehen, als Erfüllen der Forderung des göttlichen mandatum bzw. als Besiegen der Macht des Aufruhrs und des Mißbrauchs. Liebe und Hoffnung heißen deshalb: das Herz bei Gott haben und die Hände in den Gütern21. Das Versöhnungswerk Christi wird in der Liebe und Hoffnung bzw. in der Nachfolge Christi, in der man gute Werke tut, ohne nach eigenem Vorteil zu fragen, konkretisiert. Wo dies Ereignis wird, handelt Gott selbst, weil er selbst als Creator Spiritus im Tun des Menschen, der an sich zum Guten nicht fähig war, gegenwärtig ist 22 . Wie Gott, der „infinitus Deus" ist, in der Menschwerdung Christi „finitus homo" wird, so steigt er also auch noch heute selbst in den Glauben und die Liebe der Menschen herab, um den Menschen zur Vollkommenheit zu gestalten. Die Vollkommenheit, die damit verwirklicht wird, ist nie menschlicher Besitz, sondern Gottes Tat, und sie geschieht genau wie die Inkarnation durch den Geist des Schöpfers „ex nihilo" 23 . Wenn Luther die Menschheit Jesu ganz ernst nahm 21 und er deswegen auch das Leiden des konkreten Christen eng mit der Versöhnungstat und dem stellvertretenden Leiden Christi zusammenband, bedeutete das für für ihn also noch lange nicht, daß, wie die mittelalterliche Passionsfrömmigkeit nahelegte, menschliches Leiden an und für sich den Menschen „angenehme fur Gott" machen kann25. Wie das Leiden Christi stellvertretendes Leiden war, so soll auch das Leiden des konkreten Menschen nicht ihm selbst dienen, sondern seinen Nächsten. Luther polemisiert nicht gegen die Aktivität des Menschlichen in der Versöhnung Christi, 1534): „Hic videtis Christum propositum nobis Christianis, quod tota eius vita hingericht zw eitel dinst, guten werdcen, zu helfien und raten . . . Est nobis scriptum in Exemplum." Vgl. WA 45, 326, 35 fi. (Predigten 1537) und WA 17/1, 56,15 (Predigten 1525). 21 WA 29, 394,2—27 (Pred. 1529). Luther polemisiert auch in dieser Predigt gegen die Schwärmer, die er übrigens oft gerade wegen ihrer Christologie, die er leer und ketzerisch findet, angreift: s. z.B. WA 54, 158ff. (Kurzes Bekenntnis 1544). 22 WA 32, 28,11—29,17 (Pred. 1530). Hoffnung und Liebe sind „imago totius Christianae vitae": WA 27, 420, 2 (Pred. 1528 Mt 9,18 ff.). Glaube, Hoffnung, Liebe sind also nicht als eigene Werke des Menschen zu betrachten, sondern als das vom Wort gewirkte Offensein für Gott und für die Erkenntnis der „Nichtigkeit" des Menschen vor Gott, als die Bereitschaft,die „via crucis",die „via compendii" zu gehen: WA 1,123,36 (Sermone aus den Jahren 1514—1517) und WA 7, 538 ff. (Magnificat 1521).Die Leidensnachfolge des Christen wird besonders klar ausgedrückt in WA 32, 28ff. (Predigten 1530 Rörer), wo es u.a. heißt: „ . . . sondern das audi sein leiden ein Exempel sey, welchem wir ynn unserm leiden sollen nachfolgen . . . das wir jhm gleichförmig werden": ib. 29,1—6. 23 Siehe W A 4 5 , 435f. (Conciunculae . . . 1537). „Angelus declarat, Quo marito sit impraegnanda, scilicet non viro aliquo, sed ipso creatore et Spiritu sancto, qui omnia ex nihilo creavit et vivificai assidue, Qui ex nihilo facit omnia, Etiam ex utero virginis filium creare potest, Hoc est de spiritu sancto concipere" : ib. 436, 29—32. Hierzu s. auch unten Kap. VI, 3. 24 „das Christus sso gar schlecht, eynfelltig dahergieng, Eynes armen tsymmermaiio» unnd eyner armen wittwe sson, datzu nitt vom priesterstand odder auss den gelerten, ssonder eyn leye und gemeyner handwercksgesell" : WA 10/1, 2,150, 6—9 (Adventspostille 1522 Mt 11, 2—11). 25 WA 10/III, 185,18 (Predigten 1522 Lk 16,19—31).

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sondern nur gegen eine als meritum aufgefaßte Aktivität des Menschen bzw. gegen die bloß mitleidsvolle Betrachtung Christi in der mittelalterlichen Passionsfrömmigkeit, die das Menschliche auf eine falsche Weise betonte26. Wenn Gottes Schöpfungs- und Versöhnungswerk somit zwar in Christus geschehen und ausgerichtet, aber doch immer dem konkreten Menschen „ausgeteilt" werden muß, so wird das Wort also nicht bloß als das im Kirchenraum gepredigte Wort verstanden, sondern als der Geist Gottes in allem Geschehen, in welchem Tod, Versuchung, Teufel und alles Übel durch den Glauben und Gehorsam überwunden und besiegt werden bzw. Gott die Ehre gegeben und dem Nächsten gedient wird. Genau wie Geburt und Leben eines Menschen die aktuelle Annahme der im Anfang geschehenen Schöpfung bedeuten, so ist auch der durchs Wort geschaffene Glaube eines Menschen, der sich in der Selbsthingabe für andere konkretisiert, die aktuelle Annahme der auf Golgatha vollbrachten Versöhnung Christi27. Die Versöhnung darf deswegen nicht nur als historisches Ereignis in der Geschichte und ebensowenig bloß als die in der Predigt dargebotene Gabe Gottes betrachtet werden, sondern beide müssen zusammen gesehen werden. Die passio Christi ist als „sacramentum" und „exemplum" am konkreten Menschen gegenwärtig, der nur so Gottes Kind sein kann28. 29

WA 9, 655, 8 ff. (Predigten 1519—1521 Poliander). „Das werck ist geschehen und ausgericht, denn Christus hat uns den schätz erworben und gewonnen durch sein leiden, sterben und aufferstehen etc. . . . Das nu solcher schätz nicht begraben bliebe, sondern angelegt und genossen wuerde, hat Gott das wort ausgehen und verkuenden lassen, daryn den heiligen geist geben . . . So bleibt der Heilige geist bey der heiligen gemeine odder Christenheit bis auff den iuengsten tag, dadurch er uns holet, und brauchet sie dazu, das wort zufuren und treiben, dadurch er die heiligung machet und mehret, das sie teglich zuneme und starck werde ym glauben und seinen fruechten, so er schaffet": WA 30/1, 188,9—190,17 (Der Große Katechismus 1529); vgl. ib. 191,17—22: „Das ist nu der Artidtel, der da ymerdar ym werde gehen und bleiben mus. Denn die schepffung haben wir nu hynweg, so ist die Erlösung auch ausgerichtet, aber der Heilige geist treibt sein werde on unterlas bis auff den iuengsten tag . . . Denn er seine Christenheit noch nicht allezusamen bracht noch die Vergebung ausgeteilet hat." 28 „ . . . oportet, ut peccatum absit, et hoc fit, quando cogito, quae Christus mea causa tulit. U n d das heyst das leyden Christi gezogen ynns leyden. Es ist eyn unterscheyd praedicare passionem Christi et usum passionis. Diabolus primum eciam praedicat, secundum vero spiritussanetus tantum. Sicut dominus eripuit me a peccato, alsso legt er die straff der sunde auff den alten Adam, wie woll es weh thut. Eyn unchristlich hertz interim cogitât, es sey nicht recht etc. Christianus est filius dei secundum fidem ut Christus secundum naturam. Sed sicut Christus in cruce pendens non sentit divinitatem, sed ut purus homo patitur, alsso gehets auch dem Christen menschen secundum externam naturam, ut non sentiat fidem, quae me fecit esse filium dei . . . Tum fit, ut sentías in corde, quod Christus vidit kegenwertiglich, nempe solem non lucere propter se etc. ut dicas: omnia mihi inimica sunt, sed tamen omnia adhuc salva sunt, tum fides exercetur . . . Sed haec passio contingit Christiano, das der alte Adam wol sterbe, ut in ilio ostendatur potentia verbi et fidei, tum fit certus fidem potentiorem omnibus creaturis, item, quod fides sit potentia dei, non humana potentia, quae timet sonans folium . . . H a e c scripta sunt, ut discamus, non ut legamus tantum, ut discamus naturam fidei, ne desperemus in medio tribulationis, ut discas posse te consistere in medio tribulationis per hanc fidem. D a muss man Christum abmahlen und yhm ynns hertz sehen . . . Et haec est secunda pars, ut Christi passio tractetur pro sacramento, das es myr zu gut ist geschehen, deinde pro 27

2. Deus incatnatus et crucifixus

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Luthers Versöhnungsbegriff verleiht also ebenso wie sein Offenbarungsbegriff der Aktualität des Christusgeschehens Ausdruck. Christi Versöhnung ist sowohl ein historisches Geschehen, das in der konkreten Situation des Menschen Jesu sich ereignet hat, als auch etwas, was in der Aneignung des Wortes am Menschen als ein Handeln Gottes in Gericht und Gnade verwirklicht wird. Erst als Offenbarungs- wie auch als Versöhnungswort werden „efficacitas", „virtus", „fructus" und „energia" des Wortes von Christus empfangen, d.h. erst dann wird das Wort mitten in der Herrschaft des Todes ein schaffendes und lebenspendendes Wort 29 . Dieses Wort ist für Luther Christus, der da spricht: „Mors, non habet vim in me, quia sum persona innocens: Ibi mors damnatur." 30 Weil das Schöpferwort in Christus Mensch wurde 31 , kann Luther auch von Gott sagen, er selber sei beides, Verkünder wie auch gehorsamer Hörer des Wortes 32 . „Redemptio facta" und „redemptio praedicata" wollen also genauso in eins gesehen sein wie die Schöpfung „im Anfang" und Gottes Schaffen jetzt und hier, aber sie sind auch ebenso geschieden wie Gottes allgemeine (verborgene) Gegenwart in der Schöpfung und seine spezielle (offenbarte) Gegenwart im Wort und Sakrament. So wie nicht die allgemeine, sondern nur die spezielle Offenbarung zu Gott führt, so führt auch der Weg zu Gott nicht über die Werke des Menschen, sondern nur über das Versöhnungswort, das er zu empfangen hat. Als der in der redemptio praedicata gegenwärtige Creator Spiritus hat Gott allein die Initiative im Versöhnungswerk, weil er der Herr des Lebens ist 33 . Offenbarung und Versöhnung ist also Gottes Kommen „von außen" zum sündigen Menschen, der schuldig dasteht und darum niederfallen und Gott in allem die Ehre geben muß. Schöpfung und Versöhnung sind in diesem Sinne das eigene Werk des Geistes Gottes „on mittel", d. h. eine creatio ex nihilo 34 . Andererseits kommt ja Gott zu seinem eigenen Werk und wirkt der Geist nie „on mittel" in dem Sinne, als ob er ohne den „im Wort" verkündigten Christus etwas ausrichte35, weil es die fortdauernde Inkarnation des Logos ist, Gottes eigenes Werk mit dem Ziel, die Schöpfung über sich selbst hinaus zu Gott zu führen 36 . In sich selbst ist der Mensch gefallen und unter Gottes Zorn geraten und schon zum Tode verurteilt. Durch Christus wird er nun allerdings aus der Ungerechtigkeit und dem Tode zur Gerechtigkeit und zum Leben geführt, d. h. zu dem, wozu exemplo, ut et ego patiar, non secundum animam, sed secundum veterem adamum, ita ut ex aetherna passione fiat temporalis, quia perpetuo coactus fuissem haec sustinere et pati in animo. Melius ergo est, ut hoc ad tempus patiaris, ut liber sis in aethernum etc": W A 17/1, 72, 25—74, 20 (Predigten 1525 Mt 27, 45 f.). 2 9 Siehe W A 15, 5 1 7 — 5 2 0 (Predigten 1524). 3 0 W A 2 7 , 1 1 6 , 1 3 — 2 6 (Predigten 1528) und ib. 124, 3 1 — 1 2 5 , 4. 3 1 W A 17/11,316, 26 ff. (Festpostille 1527 Joh 1 , 1 — 1 4 ) . 3 2 „Ipse est enim qui loquitur, et ipse est qui audit et omnia in omnibus operatur" : W A 5 , 2 5 8 , 39 f. (Operationes 1519/21). 3 3 E. Thestrup-Pedersen 1959, S. 141. 3 4 W A 7, 546, 24 (Das Magnificat 1521). 35 W A 31/1, 9 9 , 1 6 f f . (Auslegung des 118. Psalms 1529—30). 36 W A 9, 3 4 9 , 1 3 ff. (Predigten 1 5 1 9 — 1 5 2 1 Poliander).

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er von Gott bestimmt war37. Im Wort empfängt er die Vergebung der Sünden, so daß, wenn der Priester spricht: „reconcilio animam tuam cum Deo"38, der Geist „ym wort, wasser und Christus leib" empfangen wird und seine Früchte „ynn seinen heiligen auff erden" trägt39. Der Creator Spiritus oder das verbum Dei kommt durch das Hören des Menschen als ein erlösendes Wort und wirkt so im empfangenden Glauben und seinen Früchten neuschaffend und versöhnend unter den Menschen40. Durch den Glauben beginnt so die Vereinigung mit Christi göttlicher Natur und seiner Auferstehung, im Leiden und Sterben aber das seinem Tod und seiner menschlichen Natur Gleichwerden41. Inhalt und Ziel des Glaubens ist der „filius incarnatus" bzw. „Christus crucifixus"42, in dem Gott das getan hat und noch für den Menschen tut, was allein er kann: die Macht des Bösen überwinden43, indem er dem Menschen in seinem Leiden begegnet und ihn, während der Glaube an Gottes Güte mit dem Zweifel an der Macht des Guten über die Gewalt der Sünde und des Todes kämpft, in Christi Versöhnungswerk hineinzieht44. In der Theologie des Wortes beim älteren Luther bleibt also genauso wie in der Kreuzestheologie des jüngeren Luther nicht nur Gottes Souveränität und Initiative im Versöhnungswerk, sondern auch die Verantwortung des Menschen gewahrt. Christus befreit den Menschen zu dem Leben, zu dem er von Anfang bestimmt ist, d. h. er wird nicht nur zum wirklichen irdischen, sondern auch zum wahren „himmlischen" Menschen, d.h. das Ziel ist nicht menschliche Selbstentwicklung und Selbstbildung, sondern die Wiederherstellung und Vollendung der Schöpfung Gottes46. Im Tode des Menschen wird der Creator Spiritus, der in Christus die offenbarende und versöhnende Liebe war, als die den konkreten Menschen versöhnende Macht der Liebe gegenwärtig46. Damit ist gewiß nicht jede Grenze zwischen „objektiver" und „subjektiver" Versöhnung aufgehoben, wie ja auch Christi 37 „Primum, cum creatus essem, hette idi wol allerley gut, leib etc. sed serviebam peccato, morti etc. da kam Christus, qui mortem passus, ut liberarer a morte et fierem ipsius filius et ducerer in iustitiam, vitam etc. Herr sey hie so viel als erloeser etc.": W A 30/1, 9 0 , 1 3 — 1 6 (Predigten 1528 Rörer). 8 8 W A 43, 525, 3 — 1 9 (Gn 27, 28). 3 9 W A 2 3 , 1 9 3 , 1 7 — 3 3 (Dass diese W o r t Christi . . . 1527). 4 0 Siehe auch W A 7, 553, 3 0 — 5 5 6 , 1 0 (Magnificat 1521). 4 1 W A 26, 340, 35—348, 31 (Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, 1528). 4 2 „Vera vita speculativa est audire et credere verbum vocale ac nihil velie scire ,nisi Christum et eum crucifixum'" : W A 4 3 , 72, 2 2 f . (Gn 1 9 , 1 4 ) . „Ordinatam potentiam hoc est filium incarnatum amplectemur, ,in quo reconditi sunt omnes thesauri divinitatis'. A d puerum illum positum in gremio matris marie, ad victimam illam pendentem in cruce nos conferemus, Ibi vere contemplabimur Deum, ibi in ipsum cor Dei introspiciemus, quod sit misericors" : ib. 73, 2 — 7 (Gn 1 9 , 1 4 ) . 4 3 „Quod fieri non potuit, nisi ipse per suam personam, qui est imago Dei, peccatum (quod mortis est regnum et victoria) tolleret a nobis" : W A 39/11, 340, 25 f. (Die Prom.disp. 1545); vgl. W A 34/1,149, 1 3 — 1 6 (Predigten 1531 L k 2 , 2 2 f f . ) und W A 37, 3 6 , 1 — 4 6 , 1 8 (Predigten 1534). 4 4 Siehe hierzu weiter unten Kap. VI, 3. 4 5 W A 42, 21 ff. (Gn 1, 6) und ib. 4 8 , 1 1 — 1 6 (Gn 1 , 2 6 ) . 4 8 W A 8 , 6 9 , 1 9 — 2 2 (Latomus 1521).

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Passion und der Christen eigenes Leiden nicht einfach identifiziert werden dürfen47. Die Objektivität der Versöhnung, ihr „extra nos", beruht nicht so sehr auf dem historischen „prae" und die Subjektivität nicht allein in der heute vollzogenen gläubigen Aneignung durch das menschliche Subjekt. Das Objektive liegt eher darin, daß Gott allein im Versöhnungswerk geehrt wird als der Verwirklicher dessen, was in Christus für den Menschen zu jeder Zeit geschieht, und das Subjektive darin, daß dieses Handeln Gottes auf den Menschen zielt und erst dann zu seinem Ziel gekommen ist, wenn der Mensch in seinem Leiden das „pro me" der Versöhnungstat glaubt. Die Aktivität des Menschen in der Versöhnung besteht also nicht lediglich darin, daß er in seinem Innern oder in seinem Bewußtsein Christi vollendete Tat sich selbst vergegenwärtigt, sondern sie liegt gerade darin, daß er dem Worte Gottes zuhört und es annimmt in seiner Situation als Mitmensch und als vor Gott verantwortliche Person. Der Abstand zwischen Christus und dem Menschen wird nicht, wie die Papisten und Schwärmer glauben, lediglich durch die eigene Handlung oder Gesinnung des Menschen überbrückt48, sondern durch die das gan^e Leben des Menschen in der Welt neubestimmende Aktivität des Geistes Gottes49. Wenn Luther im Galaterbriefkommentar 1535 Christi Sieg am Kreuz „praecipuus locus Christianae doctrinae" nennt50, tut er dies, weil er in ihm beides zusammengefaßt sieht: den Sieg der Liebe Gottes über die Mächte des Zornes und die Vollendung des Menschlichen in Christus. Der konkrete Leidenskampf des Menschen Christus versöhnte Gott51. Aber Christi Sieg war auch der Sieg Gottes über die Mächte des Verderbens, die den konkreten Menschen jetzt töten. Christus ist deshalb das Haupt der Menschheit geworden, der Herr der Schöpfung, in dem alle, die an ihn glauben, ewiges Leben bekommen. Christus ist nicht gebunden an die Gesetze von Raum und Zeit und darum in aller Wirklichkeit verborgen gegenwärtig. Auferstehung und Himmelfahrt Christi bedeuten nicht, daß er die Schöpfung verlassen hat, sondern daß er überall herrscht, und nicht fern von den Menschen ist, die er auch durch die Selbstentäußerung ihres Leidens für andre hindurch zu Söhnen Gottes machen will 52 . In Luthers Lehre von der „communicatio idiomatum" kommt jener Gedanke, daß Gott nicht nur seine Gegenwart dem Menschen offenbart, sondern zugleich auch seinen Heilsplan verwirklicht, zur Geltung. Gott ist in Christus nicht nur in das Menschliche hinabgestiegen, sondern hat es auch zu seinem Ziel, zur voll4 7 » . . . ne misceas tuam passionem passioni Christi, sed discernas ut coeleste et terrestre, aurum et terram": W A 29, 2 3 0 , 1 f. (Predigten 1529). 4 8 Ib. 226 4 9 Ib. 278 ff. ff. 5 0 W A 40/1, 4 4 1 , 1 3 (Gal 3 , 1 3 ) ; vgl. Rörers Hs. ib. 440, 1 1 — 4 4 1 , 1 : „Das heist Victoria ut loh. Ista sunt capitalia nostrae theologiae, quae obscuraverunt Sophistae." 5 1 „ . . . dare vitam in seipso, das mus divinitas; Annihilare et creare est divinae maiestatis" (ib. 441, 6 f.) „ . . . persona divina et humana, quae suscepit legis damnationem per me" (ib. 4 4 8 , 1 f.). Wie V. Vajta zeigt (1952, S. 129 ff.), wird man Luthers Versöhnungsgedanken nicht gerecht, wenn man etwa wie z.B. G . A u l é n und H . L i n d r o t h nur das dualistische Motiv und damit nur Christi göttliche Natur hervorhebt. 5 2 W A 45, 4 4 3 , 1 5 f f . , W A 20, 3 8 2 , 1 9 f F . und W A 46, 394, 9 f f . Vgl. auch W A 40/11, 2 7 3 , 4 ff. und V. Vajta 1952, S. 163 ff.

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kommenen Gerechtigkeit und zum ewigen Leben geführt53. Christus ist demnach der Arzt des gefallenen Menschengeschlechts, er ist gesandt, alles Böse zu heilen, in das der Satan die Menschen durch die Sünde gebracht hat, und sie zu vollenden zur ewigen Herrlichkeit, die sie verloren haben54, er befreit von den Mächten „diabolus", „peccatum" und „mors"55, er ist „dominus noster", der Leben und Seligkeit zurückgibt56. Wir sehen also, daß für Luther in Christi Versöhnungswerk der Gedanke der Vollendung des Menschen sichtbar wird. In Christus sind sowohl Wiederherstellung wie Vollendung zusammengefaßt, beim konkreten Menschen aber noch nicht; er wird zwar durch das Hören des Wortes vom Fall wiederhergestellt, aber seine Vollendung wird nicht fernab von seinem eigenen Tod und seiner eigenen Auferstehung gegeben. Daß die Versöhnung des Menschen in Christi Sieg über die Macht des Bösen bzw. in seiner Erfüllung des Gesetzes, dem die Menschheit nach Adams Fall nicht mehr gehorchen konnte, besteht, haben wir schon angedeutet57. Wie durch Adam die Sünde in die Welt kam, so ist nun durch Christus dem Menschen die Gerechtigkeit zurückgegeben. Christus — der zweite Adam — versöhnt in seinem Leiden den Menschen mit Gott58. Wenn der Fall darin bestand, daß Adam sich nicht damit begnügte, gottähnlich zu sein (imago Dei), sondern gottgleich werden wollte (sicut Deus), so wird nun Gott in Christus sicut Adam, damit dieser wieder imago Dei wird (vgl. oben Kap. III). Christi Geburt bedeutet für Luther, daß eine neue Schöpfung Gottes begonnen hat, sein Tod, daß sie vollendet wurde. Wiederherstellung und Vollendung werden also aufeinander bezogen, genauso wie Adams Gerechtigkeit im Paradies im Gehorsam dem Wort gegenüber und seine Vollendung in der vita aeterna zusammengehörten (s. o. Kap. II). Im Wort begegnet Gott dem konkreten Menschen mit seiner Gnade59, läßt ihn an Christi Erfüllung des Gesetzes, an Christi Sieg über den Teufel80, an der Wiederherstellung des ursprünglich guten Verhältnisses des Menschen zu Gott und damit Siehe T. Bohlin 1952, S. 330. W A 4 2 , 1 0 8 , 8 — 1 6 (Gn 3 , 1 ) und W A 39/1,176, 7—13 (De homine 1536). 5 5 Ib. 1 7 6 , 1 0 f. 5® „Qui servaverit mandata Dei, salvabitur. Sed nemo potest servare. Ergo nemo salvabitur; et per consequens nemo potest intrare in regnum Dei. Oportet igitur, ut illud semen promissum et exhibitum, quod contrivit caput serpentis, nos salvet, qui est Christus Iesus, cui cum Deo patre et spiritu sancto sit gloria in saecula saeculorum. Amen" : W A 39/1, 1 1 9 , 2 8 — 1 2 0 , 4 (Disp. de iustificatione 1536). 5 7 Siehe W A 42, 25 5ff. (Gn 5, 21—24), w o Christus u. a. als αρχηγός της' ζωής [Apg. 3 , 1 5 ] bezeichnet wird (ib. 256, 3); vgl. auch ib. 256, 3 1 — 3 5 : „Si enim Adam non pecasset, non essemus nos homines mortui, sed sicut Henoch sine timore et dolore rapti ex hac animali vita ad aliam meliorem et spiritualem vitam. Nunc, cum vitam amiserimus, ostendit nobis haec Historia restitutionem Paradisi et vitae non desperandam esse." Siehe audi W A 3 0 / 1 , 1 8 6 , 2 1 (Großer Katechismus 1529) und A. Siirala 1955, S. 309. 5 8 W A 4 2 , 1 6 3 , 34 f. ( G n 3 , 1 9 ) und ib. 187, 36 (Gn 4, 4). 5 9 W A 8, 53, 8—33 (Latomus 1521). 60 „Alsso wirtt das erst gepott von uns durch Christus blutt erfüllet und gott recht grundlich gedienet": W A 1 0 / 1 , 1 , 6 7 5 , 1 4 f . (Kirchenpostille 1522 Mt 2 , 1 — 1 2 ) . Siehe auch W A 1 9 , 1 3 8 , 2 9 — 1 3 9 , 3 0 (Jesajaausl. 1526 Jes 9, 3). 53

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auch zu den Mitmenschen und seinem Dominium teilhaben. „Die ehre hatt Adam durch den bössen geyst gestolen unnd yhm selb tzugeeygent . . . Die Ehre hatt Christus gott erwidder bracht.. ."β1 Weil aber der konkrete Mensch nur im Wort und Glauben mit Christus vereinigt ist, ist seine Gerechtigkeit nur eine fremde, die ihre Erfüllung erst im ewigen Leben haben wird. Nur in Christi Tod und Auferstehung ist deshalb das Gebot, zu dienen und zu herrschen ganz verwirklicht. Deshalb ist für Luther Glaube niemals dasselbe wie bloße Freiheit vom Gesetz und Zorn, sondern vielmehr Gottes Schöpfer- und Erlösermacht erkennen und zu bekennen: „Christianus enim non convenit nisi gloriam dei praedicare et confiteri, id est nostram impossibilitatem et dei possibilitatem." 62 So wenig Christi Menschwerdung vor seinem Tod beendet war, so wenig kommt das Leben des Christen zur Vollendung, wenn er sich nicht im eigenen Tode willig unter Gottes Herrschaft durch Christus beugt 63 . Der beim jungen Luther so oft wiederkehrende Gedanke, daß die Erniedrigung des Menschen seine Erhöhung bedeutet 64 , findet sich also auch beim älteren Luther65. Gott nimmt sich der Niedrigen an um Christi willen66. Das Sterben ist zwar nicht nur Strafe, es führt auch den Menschen zur Erfahrung der Gegenwart Gottes „in der Tiefe" 67 . Schon in der Schöpfung begegnet Gott als die schenkende Liebe, aber in Christus kommt diese erst zu ihrem Ziel, indem er durch ihn ewiges Leben und Seligkeit schenkt. Christus ist das initium der neuen Kreatur, zu der der ¡Mensch geschaffen war, aber deren er nur durch den Glauben an Christi Versöhnungstod in seinem eigenen Sterben teilhaftig werden kann68. 81

Siehe ib. 88, 7—90,14 (Lk2, 14): „Dreyerley ordenen sie [die Engel] ynn dissem gesang [Gloria in Exelsis Deo] : Die Ehre, Den friden, Das wolgefallenn odder gutten willen. Die ehre geben sie gott, den frid der erden, das wolgefallen den menschen . . . anthropis eudokia, hominibus beneplacitum . . . da soll man auch anheben, auff das gotte ynn allen dingen der rhum und die ehre geben werd, alss dem, der alle ding thutt . . . Die ehre hatt Adam durch den boessen geyst gestolen und yhm selb tzugeeygent . . . Die Ehre hatt Christum gott erwidder bracht . . . Das ander ist der frid auff erdenn . . . Darum heyst unsser herr Christus eyn kunig des frides . . . das er unss frid macht ynnwendig gegen gott ynn unsserm gewissen durch den glawben . . . und ausswendig gegen den menschen . . . durch die liebe. Das dritte ist der gutte wille der menschenn . . . das yhm lessit allis gefallen, was yhm widderferet, es sev gutt odder bosse" : vgl. oben Kap. III, 2, Anm. 27—30, und Kap. V, 1, S. 176. 62

WA 8, 56, 9 ff. Siehe hierzu audi unten Kap. VI, 3. Dieser Zusammenhang wird besonders von C. Stange stark hervorgehoben: s. ders., 1928, S. 348—434. 64 WA 4, 87, 39 ff. (Dictata super Psalterim 1513—16) und WA 57(3), 118,16—18 (Hebräerbrief Vorlesung 1517 Kap. 2, 5 ff.). M Zur Erniedrigung Christi gehört nicht nur das Leiden, sondern auch seine Geburt und Tätigkeit: WA 24, 574,17—29 und WA 15, 780, 25ff.; vgl. WA 7, 239,12ff. und ib. 252ff. e6 WA 9, 419, 7 ff., WA 21, 515, 22—35 und WA 34/11, 407, 11 ff. 67 WA 7, 547—549 (Magnificat 1521). 68 Für Luther sind also Erfüllung und Wiedergutmachung gleich wichtig, ja identisch. Der Akzent fällt aber nicht wie bei Irenaeus auf den Gedanken, daß Adam erst in Christus fertiggeschaffen wurde, und Adams Sünde wird deshalb auch nicht wie bei Irenaeus geradezu entsdiuldigt, weil er noch ein Kind war: s. O. Cullman, Die Christologie des Neuen Testaments, Tübingen 1958 2, S. 195 ff. Vgl. auch unten Anm. 82. 63

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Die Versöhnung mit Gott bedeutet also sowohl Zurückgeben von etwas Ursprünglichem als auch etwas Neues. Wer in der Sündenvergebung lebt, gibt nicht nur Gott die Ehre und erfüllt das mandatum, sondern empfängt Leben und Seligkeit mitten im Tode: „Adam sol durch des Weibes Samen vom Tod erlöset sein und leben. Und Adam sol sterben und zu Erden werden. Und keine Vernunfft kan diese ungleiche Sprüche vereinigen und zusamen stimmen. Aber Adam vergleichet sie also, das er mit festem Glauben im Hertzen fasset das Wort von der Verheissung von Christo und gleubet, das er werde leben, wenn er gleich stirbt."69 Die Versöhnung zeigt sich in der Berufsarbeit des Menschen als eine neuschaffende Kraft im Dienst für den Nächsten, in gottbefohlenen Werken. Wie es der Wille Gottes war, daß Adam und Eva im Paradies versucht wurden, um sich dadurch in der Kindschaft zu üben70, so soll auch der konkrete Mensch in der Welt des Falls Gottes Güte und Fürsorge für Leib und Seele kennenlernen, indem er in der Nachfolge Christi sich übt71. Wenn Luther das Werk der Vollendung mit dem Bild vom Schneider, der einen Rock macht72, oder vom Teig, der durchsäuert wird73, oder vom Winter, der allmählich in den Sommer übergeht, umschreibt74, so zeigt das erstens, wie sehr er die Erlösung auf die Schöpfung, und zwar auf die ganze Schöpfung bezogen sieht, und zweitens, wie es ihm darum ging, die Vollendung sowohl als Präsens als auch als Futurum hervorzuheben. Systematisch hängt diese Vorstellung mit dem zusammen, was wir bereits von Adam als dominus mundi und von Christus als Besieger der Mächte dieser Welt W A 49, 402, 25—29 (Predigten 1544). „Quod Domino sic placuit, ut periclitaretur Adam et exerceret vires suas. Sicut adhuc hodie, cum baptisati et in regnum Christi translati sumus, non vult Deus nos ociosos esse, vult exerceri verbum et dona sua. Ideo permittit nos infirmos a Satana cribrari" : WA 42, 109,15—18 (Gn 3,1). 71 W A 27, 253—259, W A 45,114—117, W A 2 9 , 402 ff. und W A 52, 675,13 fi. Eine gute Zusammenfassung des Zusammenhanges zwischen Schöpfung und Fall bzw. Wiederherstellung und Vollendung findet man in W A 15, 664, 2—681, 6 (Predigten 1524 Lk 19, 41 fi.). 72 „ . . . quando saretor facit tunicam, non dicitur vere facta. Sic Christi opus, donec in terris ghet, nondum completum, die extremo videbimus completum. Christianus habet den forteyl, etsi peccatum sentiatur, tarnen dominatur eius, sed dahin bringt ers nicht, ut omni careat peccato. Et Christus regnat suo spiritu hic, ut vincat. Christus ligt ergo in Schlacht in dem werde": W A 20, 560,2—7 (Predigten 1526 Rörer J e r 2 3 , 5). 73 „Primitiae sind da, fermentum quidem mixtum in pastam sed non totum perfermantatum, fermentatur autem": W A 40/1, 537, 3 f. (Galaterbriefvorlesung 1531 Rörer Kap. 3,25). 74 „Es ist lang gnug Winter gewesen, Nu wil ein mal audi ein schoener Sommer komen, und ein solcher Sommer, der nimer mehr auffhoeren wird, Zu welchem nicht allein alle heiligen, sondern auch die lieben Engel sich frewen, J a auch alle Creaturn warten und sich engstlich darnach sehnen (wie Sanct Paulus zun Roemern am 8. sagt [Rom 8,19]), das ein mal ein ewiger Sommer und darinn alles new werde, Denn es ist himel, erde, sonn, stern, lufft und alle Creatur muede der bosheit der weit, die sie sehen und tragen mus, als der es leid ist, das sie so schendlich missbraucht wird und der weit und Teuffei zu allen sunden und boesem dienen mus, Und wolt gerne mit uns des schendlichen wesens los sein und new himel und erden werden (wie Sanct Petrus aus Esaia sagt) darinn eitel gerechtigkeit wonen wird . . . " : W A 34/11, 481, 25—36 (Predigten 1531 Lk 21, 25). 69

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gesagt haben. Das Versöhnungswerk kann sich nicht nur im Inneren des Menschen vollziehen, sondern wirkt auch in seinem dominium weiter. Das Neue im Christenleben, die Willigkeit und Siegesfreude, der neue Realismus und die neue Sachlichkeit im Verhältnis zu den vergänglichen Dingen, fließt aus dem Glauben an Christi Überwindung der Versuchung und sein stellvertretendes Leiden75. Wer Gott den Schöpfer fürchtet, braucht nämlich vor dem Geschaffenen nicht zu erschrecken und kann deshalb auch Gott recht dienen : er kann dann erst recht tun und recht hoffen, in rechter Freiheit und echtem Gehorsam. „Time deum (thue recht) et fide in eum (hoffe gnade). Hoc est: Simul est timendum et fidendum, non successive."74 Damit ist nicht nur die Einheit des Gläubigen mit dem verherrlichten Christus betont, sondern auch die Distanz zu ihm gewahrt. Die neue Schöpfung ist hier im Leben nur ein Werk der Verborgenheit, und die wahre Kirche nichts anderes als ein Senfkorn (Mt 13,31), das in der Erde liegt und nur durch Gottes wunderbare Schöpfermacht Frucht trägt77. Das Gesetz (mandatum Dei, siehe oben Kap. II, 2) wird nicht durchs Evangelium aufgehoben, sondern nur in des Menschen geduldigem Harren auf Gott unterm Gesetz der Sünde und des Todes (lex peccati et mortis, s. o. Kap. IV, 3) erfüllt. „Denn das lebendige wort Christi, wenn mans prediget, gibt den geyst, welcher mit dem lebendigen fewr schreybt das gesetz gotts ynn unsser hertz . . ,"78 Wenn also der ältere Luther auf eine viel radikalere Weise als der jüngere die Versöhnung als ein neuschaffendes Handeln Gottes sieht, in das der Mensch em's S. o. Kap. V, 2, Anm. 77 und oben Anm. 9 und 12. WATi 1, 260, 4 f.; vgl. WA 28, 573, 3: „Si gratiam non vis, habebis condemnationem et iram" (Pred. üb. d. 5.Buch Mose 1529 Dt 4,28). Wer Gottes Schöpfermacht recht schätzen kann, „der wird so bald ynnen, das er kein ädern regen und nicht ein gedancken haben kan, gott mus es wircken, das sein leben gantz in seiner hand nit stehet, sonder gantz blos yn gottis handt WA 12, 442,1—4 (Predigten 1523). „Darumb lerne ich, woe her ich kumme und woher ich alle ding habe. Sequitur Conclusio. Si haec omnia dei dona sunt, merito in dei honorem uti, Creatori in illis laudem dicere. Wyr wurden myt unssern ougen, oren, reden, weyp und kindt etc. nidit sso leychtlich ssundigen, sed illis in gloriam et laudem dei uteremur. Haec continet in se verbum .Creator'. Quisquís hunc articulum credit, in conspectu omnium creaturarum illum exercet. Si videt Arborem fructus ferentem, videt deum creatorem. Ergo simplicissime exponam. Vos docciores in quolibet verbo potestis excogitare: .Credo in deum Patrem omnipotentem.' Haec studiosis relinquo pervestiganda. Vos parentes simpliciter Creatorem deum filiis proponite, sicut supra. Si omnes Universitates audiretis, non audiretis tantum fidei expromere in hoc articulo. Ita dicunt: Schoepper, Schoepper, was meher? Tu autem te creaturam dei omnia a creatore sumentemque crede gratiasque deo usu illorum age. Si haec scieris, doccior eris omnibus doctoribus Universitatum" : WA 30/1, 87, 28—88, 26 (Der erste Artikel ausgelegt in Luthers Katechismuspredigten 1528). „Darumb stehet ein solcher glaubiger mensch ynn solcher freud und fröligkeit, das er sych for keyner creatur lesst erschrecken, yst aller dingen herr, unnd furcht sich allein vor Gott, seynem herrn, der ym hymmel ist": WA 12, 442, 23—26; vgl. ib. 443, 8 : „Also ists widerumb, wenn er nicht glaubt und sycht das alle creaturn ynn Gottis gewalt stehen, so ist kein kreatur, die yhn nit erschreckt, das er sych vor allen furchten muss." 77 WA 38, 563,1—564, 4 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538). 78 WA 8, 539, 27 (Vom Mißbrauch der Messe 1521); s. auch A. Siirala 1956, mit Belegstellen S. 298 ff. 76

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bezogen wird, nur indem er in den natürlichen Ordnungen der Welt im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes geübt wird, so hängt das mit einer klareren Fixierung des Werkes Christi „pro nobis" zusammen, das zu einer schärferen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium führt. Wie kürzlich G. Heintze klar gezeigt hat, wird jedoch das Gesetz nie vom Evangelium isoliert, und das Evangelium immer am ersten Gebot orientiert, so daß das erste Gebot das Evangelium sozusagen in der Form des Gesetzes gibt 79 . Gegen H. kann aber eingewandt werden, daß die Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium auch von Luthers Auffassung der Situation des Menschen vor der Auferstehung der Toten her verstanden werden muß. Weil die Vollendung erst im lumen gloriae verwirklicht wird 80 , behält das Gesetz auch für den Glaubenden seine Bedeutung. Gesetz und Evangelium werden jetzt durch verschiedene Mittel ausgeteilt, um die Selbstgerechtigkeit des Menschen zu zerbrechen bzw. den Glauben zu erwecken81. Durchs Evangelium befreit Christus schon jetzt ganz und gar von der Tyrannei des Gesetzes über das Gewissen, von seinem Fluch über den Leib aber erst im leiblichen Tode 82 . In der Welt des Falles, wo der Tod herrscht, strömt das Leben wieder dem Menschen zu, nur weil Gott ihn in das Kraftfeld von Gesetz und Evangelium hineinstellt. Der Christ ist durch den Glauben in die Weltherrschaft Christi hineingezogen 83 , ist aber noch selbst der Sündenvergebung bedürftig. Seine Existenz gründet sich nur auf Christus, nicht auf eigenes Verdienst oder Heiligkeit 84 . Wenn man das Gesetz richtig, d. h. im Licht des Evangeliums, versteht85, wird die Forderung Gottes an den Menschen erst in ihrer Tiefe sichtbar und scheint die Distanz zu Christus immer größer zu werden86. „Christiani sind ynn eim 70

G. Heintze 1958. Vgl. dagegen die Darstellung bei A. Siirala 1956. „Zum ersten die Lere von Gesetz oder Zehen geboten, Zum andern von der Gnade Christi . . . " : WA 45,145, 31 (Predigten 1537 Mt 22,34ff.). „Denn welche der beiden eine untergehet, die nimpt audi die ander mit sich, Und widerumb, wo die eine bleibt und recht getrieben wird, bringet sie die ander auch mit sich . . . " : ib. 145, 33 ff. 81 Siehe hierzu H . Ivarsson 1956, bes. S. 35 ff. 82 WA 8, 88,37—89,10 (Latomus 1521), ib. 103,35—39; 104,22—25 und 105,36—106,8. Weil das Gesetz mit der Schöpfung gegeben ist, stehen alle unter dem Gesetz, solange sie von Gott geschaffen werden. Gott offenbart sidi deshalb im Gewissen des Menschen schon vor der Predigt des Evangeliums. Und weil der Christ nicht fertiggeschaffen ist vor der Vollendung, hat das Gesetz für dieses Leben eine bleibende Bedeutung. Siehe ib. 128,22 ff. Vgl. oben Anm. 68. 83 „Sedet [Christus] in dextera patris et nos dextera cum ipso regno sumus et sinistra hic agimus in terris": W A 4 1 , 7 3 , 2 9 f . (Predigten 1535); vgl. WA 31/1, 471, 30—472,17 (Kleinere Arbeiten über Psalmen 1530—32 Ps 23) und WA 57 (3), 111,18 (Hebräerbriefvorl. 1517/18 Hebr 1,13). 84 WA 11, 222,20—25 (Predigten 1523 L k 2 , l l ) und WA 37,214,19 ff. 85 „legem autem per se nemo intelligit nisi explicetur, hoc autem facit Euangelium": WA 1,114, 34 (Sermone aus den Jahren 1514—1517). „Lex est tradita supra rationem hominis": WA 40/1, 306, 3 (Galaterbriefvorlesung 1531 Kap. 2, 21). 88 „Ideo wird Christus zorniger in puniendo über die Christen quam über die heiden. Illos punit bello, fame, peste etc. Es ist aber nur der fuchssdiwantz, sed quando aufert praedicatores veros . . . das ist die redit straff und steuppe": WA 37, 145, 15—19 (Predigten 1533 Lk 10, 25 ff.). Erst wenn Jesus das Schiff bestiegen hat, fängt der Sturm wirklich an. Siehe die Stellenangaben über der Perikope Lk 21, 25 ff. bei G. Heintze 1958, S. 143, Anm. 182. 80

2. Deus incarnatus et crucifixus

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steten zittern, die furchten sie [sich] zu seer."87 Wer nicht über seine Sünden erschrickt, wenn Christi Leiden verkündigt wird, hat — sagt Luther — eine Christus-entleerte Seele88. So muß also der Christ, auch wenn er in Christi Versöhnungstat und seine Menschwerdung einbezogen ist, auf die Vollendung warten. Er bleibt simul iustus et peccator. „Sic discernenda Christi [passio] ab omnibus passionibus." 89 Das Leiden des Christen ist nur irdisch, Christi Leiden aber war himmlisch90. Auf der einen Seite betont also der ältere Luther, daß im Glauben des wiedergeborenen Menschen und im zweiten Gebrauch des Gesetzes eine reale Vereinigung mit Christi Tod und Auferstehung sich ereignet91. Auf der anderen Seite ist der Sieg Christi etwas einzig Dastehendes, an dem man nur durch die ständige Flucht ins Wort von Christus teilhaben kann. Gottes Zorn wird nämlich erst in Christus recht erkannt, wenn der Mensch sieht, daß seine Sünde Christus tötet92. Christus ist der Spiegel des ganzen Gesetzes93, aber „exemplum" kann Christus nur dann recht werden, wenn sein Werk offenbar wird als „sacramentum" 94 . Wo das Evangelium recht verkündigt wird, kann aber das Kreuz nie ausbleiben95, denn der Christ befindet sich immer noch im Versöhnungskampf, obgleich er im Glauben bereits einen Vorschmack von Christi Sieg bekommt 96 . Der conformitas-Christi-Gedanke steht also zwar beim älteren Luther nicht so im Vordergrund wie beim jüngeren, aber die Zueignung von Christi Versöhnung ist, wie wir gesehen haben, nicht als etwas nur Inneres, als ein passives Hören des Wortes verstanden97. „Christus anziehen" ist zwar nicht bloß „Christus nachfolgen", sondern bedeutet vor allem, Christus als „sacramentum" empfangen, aber dies schließt auch in sich, daß man Christus als „exemplum" in Dienst an W A 27, 449, 11 (Predigten 1528). „Si non timet aut dolet, doleat saltem. se non dolere ñeque timere: multum prava enim sunt haec signa, mortuam esse animam et Christo vacuam et a diabolo possessam": W A 1, 3 3 6 , 1 7 — 2 0 (Duo sermones de passione Christi 1518). „Si vis omnino sine passione esse, non es Christianus": W A 2 7 , 1 0 7 , 28 (Predigten 1528). 89 W A 4 5 , 6 2 , 25 f. (Predigten 1537). 90 W A 29, 228, 15 f. (Predigten 1529). „Differentia ista est: Omnes sancti cum sua passione haben Gott gedienet sua passione et dederunt bonum exemplum. Se nemo eorum bluts tropffen vel schweis pro nobis . . . Ideo eius passio non tantum exemplum ut aliorum Sanctorum, sed 1 sdiatz und kost, quo redempti, qui cum peccatum non haberet, omnia nostra in se": W A 4 5 , 60, 22—61, 6 (Predigten 1537). 9 1 Siehe hierzu G. Wingren 1 9 4 8 2 , S. 70 (dt. 1952, S. 50). 92 W A 2, 138, 15—32, ib. 137, 22—29 (Ein Sermon von der Betrachtung des heil. Leidens Christi 1519). 93 W A 9, 649 ff. (Predigten 1521), ib. 652, 3 f. 94 W A 1, 337, 9—20 (Duo sermones de passione Christi 1518). 9 5 W A 1 1 , 1 8 , 1 f. (Predigten 1523). 9 6 „Sihe, das glewstu nu, das ynn Christo sey eyn solch leben, das audi yhm todt blieben ist und den todt ubirwunden hatt sso leuchtet dyr das liecht recht, unnd bleybt dyr auch ynn deynem tod eyn liecht und leben. So muss folgen, das eyn solch leben und liecht muege keyn creatur seyn: denn keyn creatur mag den todt widder ynn yhr selb noch ynn eynem andemn ubirwindenn": W A 1 0 / 1 , 1 , 2 0 9 , 2 — 7 (Kirchenpostille 1922 J o h l , 1—14). 97 Vgl. dagegen H. 0stergaard-Nielsen 1958, S. 156 f. 87

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Kapitel V I : V e r s ö h n u n g und V o l l e n d u n g

anderen empfängt 98 ; denn beim konkreten Menschen muß in diesem Leben das Gebot Gottes wenn nicht immer realisiert, so doch die Macht seiner Forderung erfahren werden, nämlich das Gebot, das in Christus geoffenbart ist: „Wir sind ein ider dem andern einen tod schuldig." 99 Nachfolge Christi bedeutet demnach sowohl ständige Hinwendung zum Wort der Verheißung als auch ständige Einübung des Glaubens und ständiges Abtöten des Fleisches. Nachfolge Christi ist also nicht menschliche imitatio von etwas Vergangenem, sondern Dienst an anderen im Gehorsam gegenüber Gottes mandatum. Dabei läßt gewiß Gott das Licht von Christi Sieg über dem Weg des Christen scheinen, aber die Vollendung dieses Geschehens findet erst im leiblichen Tod und der Auferstehung am Jüngsten Tage statt100. Das Werk der Versöhnung geschieht also nicht unabhängig von der äußeren Schöpfung, in der der Mensch durchs Gesetz zum Dienst an anderen aktiviert und gleichzeitig durch das Gesetz selbst in die Situation der Anfechtung undjdes Sterbens getrieben wird. Wie Luther sich nicht eine Theologie des Kreuzes ohne Wort denken kann, so kann er sich auch nicht eine Theologie des Wortes ohne Kreuz denken. Das Kreuz ist dem Menschen auferlegt, weil Gott ihn „ex nihilo" neuschaffen will. Davon haben wir im nächsten Abschnitt zu sprechen. Im Sterben und in der tentatio (in ihrer doppelten Bedeutung von „Versuchung" und „Prüfung") wird des Menschen Schöpfung „ex nihilo" vollendet.

3. C r e a t i o ex n i h i l o Wir haben nun Luthers Versöhnungsgedanken von zwei verschiedenen Aspekten her behandelt, dem des Gottesbildes und dem des Menschenbildes. In diesem Abschnitt werden wir diese zwei Aspekte der Versöhnung zusammen mit dem Weltbild der Versöhnung herausstellen, indem wir an Teil A und Β anknüpfen und gleichzeitig unser Augenmerk auf das richten, was den Versöhnungs- und den Offenbarungsgedanken miteinander verbindet. Den Ausgangspunkt dafür bildet Gottes Schöpferhandeln, wie es sich dem unter Gesetz und Evangelium stehenden Menschen vor der Auferstehung der 98 WA 40/1,540. „Was heyst aber Christum antziehen? Die unglewbigen haben hie schnell geantwortet, es heysse Christo nachfolgen und seynem exempel gleych werden . . . Es ist offenbar, das die da taufft werden, haben noch nie zuuor Christo nachfolget, ssondern heben ynn der tauffe an, Christo nachzufolgen. Drumb muss Christus zuuor antzogen seyn ehe man yhm folget. U n d muss gar viel eyn ander ding seyn, Christum antziehen, denn Christus exempell folgen": W A 10/1, 1, 475, 3—11 (Kirdienpostille 1522). 89 WATi 4, 5 1 1 , 4 ; vgl. WA 23, 341 ff. (Ob man vor dem Sterben fliehen möge 1527) und unten Kap. VI, 3, Anm. 139. 100 „Deinde oportet expurgare peccatum, ut indies fortior in fide, spe, charitate brunstiger, ut possem leiden, himel, erden und leib, leben umb Christi willen lassen, ut mihi non solum serviat remissione peccatorum, per meritum, sed etiam suo exemplo, das ich peccatum ausfege, Das thut donum Spiritus sancti in nobis post fidem. Sic etiam sol je lenger je demütiger werden, gehorsamer, mehr furchten parentes, et familia Dominos": WA 49, 9 5 , 1 4 — 2 0 (Predigten 1540 Mt 27, 62).

3. Creatio ex nihilo

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Toten und dem Jüngsten Gericht darstellt, d. h. Gottes Schöpferhandeln gesehen aus der Perspektive der Anfechtung und der eschatologischen Vollendung. Zu Beginn unserer Untersuchung wiesen wir darauf hin, daß Luther den Ausdruck „creatio ex nihilo" sowohl zur Bezeichnung der Schöpfung „im Anfang" als auch der Erlösung verwendet. Am Ende unserer Untersuchung wollen wir nun wieder an diese Beobachtung anknüpfen, um zusammenfassend die in unserer Darstellung behandelten verschiedenen Aspekte der Theologie der Schöpfung bei Luther in ihrer systematischen Einheit hervortreten zu lassen. Den Ausdruck creatio ex nihilo, bezogen auf die Erlösung des Menschen, hatte Luther in der spätmittelalterlichen deutschen Mystik vorgefunden; er stand dort jedoch, wie W. Maurer nachgewiesen hat, in einem ganz anderen Bedeutungszusammenhang1. Da Gott als einziger schaffen kann, handelt es sich für Luther im Gegensatz zur via negativa stets um einen souveränen Akt Gottes, wenn er von creatio ex nihilo spricht. Im Voraufgehenden wurde versucht zu zeigen, daß Schöpfung, Sündenfall und Erlösung für Luther nicht nur der Vergangenheit angehörende Daten der Heilsgeschichte sind, sondern auch ein Geschehen beim konkreten Menschen jetzt und hier bezeichnen. Wir versuchten auch zu zeigen, in welcher Weise Luther den Menschen als von Gott in eine äußere Wirklichkeit mit den Dingen unter sich und dem Nächsten neben sich hineingestellt sieht. Dadurch bleibt Adams Leben in der Welt begrenzt, aber gerade in dieser Begrenzung hebt die Vollendung seiner ursprünglichen Gerechtigkeit, die im Sündenfall verlorenging, aber in Tod und Auferstehung Christi verwirklicht wird, an; erst in ihm ist das Schöpfungswerk vollendet. Durch das Zeit und Raum durchbrechende Offenbarungs- und Versöhnungshandeln Gottes besitzt jedoch der konkrete Mensch schon jetzt Gemeinschaft mit dem Gott des Lebens; im Wort Gottes, das sowohl Gesetz wie Evangelium ist, schmeckt er schon das ewige Leben, in welchem die Menschwerdung vollendet ist, wie auch den Tod und das Jüngste Gericht. Der Tod ist somit auf Grund des Falles zwar ein unausweichliches Übel, aber durch den Tod Christi ist er zur Durchgangsstation zum ewigen Leben geworden. Bei der Behandlung des Sündenfalls (Teil B) stellten wir fest (Kap. IV, 1), daß Luther gerade vom aktualen Sündenverständnis her auch den Tod des gefallenen Menschen und das psycho-physische Übel in der Welt des Falles mit der Sünde in Verbindung bringt. Sowohl dieser Gedanke wie auch Luthers massive Teufelsvorstellung, die mit seinem aktualen Verständnis der Sünde als schuldhafter Willensbewegung gegen Gott in eine innere Beziehung gesetzt wurde (Kap. IV, 2), überrascht und befremdet zunächst. Die Verbindung von Sünde und psychophysischem Übel scheint besser mit dem von Luther gerade abgelehnten Resultats1 W. Maurer 1949. Dieser meint, Luther stehe der altkirchlichen „Mysterientheologie" nahe: s. ders. S. 3 6 f f . und 57. Luthers Stellung zur Mystik verdiente in diesem Zusammenhang eine eingehendere Darstellung. W i r weisen hier nur auf folgende Arbeiten hin: H. Hering, Die Mystik Luthers im Zusammenhange seiner Theologie und in ihrem Verhältnis zur älteren Mystik, Leipzig 1879, O. Scheel 1 9 1 6 f., Α. V. Müller, Luther und Tauler auf ihren theologischen Zusammenhang neu untersucht, Bern 1918, und E. W o l f , Luther und Staupitz (QFRG Bd. 9), Leipzig 1927.

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Löfgren, Schöpfung

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Kapitel VI : Versöhnung und Vollendung

denken zusammenzustimmen, da es sich ja beim Übel doch um objektive Gegebenheiten handelt, die meist in keinem erklärlichen Zusammenhang mit dem aktuellen persönlichen Verhalten zu Gott zu stehen scheinen. Auch von der Teufelsvorstellung Luthers her hätte man wohl etwas anderes erwartet. Entweder wird die Sünde aktual als schuldhafte Willensbewegung des Menschen aufgefaßt, oder aber sie wird als Zustand metaphysischen Verhängnisses verstanden und die Schuld auf den Teufel als den Urheber dieses Zustandes abgeschoben. Daß für Luther dieses Entweder-Oder gerade nicht besteht, haben wir im Zusammenhang der Darstellung von „Schöpfung und Fall" schon gezeigt. Es bleibt nun hier noch die Frage zu beantworten, inwiefern die Ablehnung jener Alternative auch mit seiner Versöhnungslehre zusammenhängt. Wir haben auch gesehen, daß Luther die Gesetzesordnung nie als Bedingung für die Gerechtigkeit des Menschen vor Gott gelten läßt, sondern vielmehr die Rechtfertigung „sola fide" immer als ein Durchbrechen der Gesetzesordnung, die auf Grund der Sünde über die Welt des Falles herrscht, sieht. Gottes freie Gnade geht allem anderen voraus und dieselbe Gnade ist es, die sich im souveränen Akt der Sündenvergebung des Menschen annimmt. Der Mensch ist vor Gott „simul iustus et peccator". Wir haben aber auch gesehen, daß dies nicht den Gedanken an ein Wachsen des Menschen ausschließt. Adam war zum vollkommenen ewigen Leben geschaffen, seine Vollendung sollte jedoch erst kraft eines göttlichen Schöpfungsaktes „ex nihilo" geschehen. Das „simul iustus et peccator" und das „sola fide" wollen somit letztlich Gottes Schöpfertum wahren und seine Ehre als Schöpfer hüten. Dieser Zusammenhang soll hier zunächst dargelegt werden2. Gott bleibt, der er von Anfang war, wenn er den Menschen erlöst: „Deum delectat ex tenebris lucem, ex nihilo facere etc. Sic creavit omnia. Sic iuvat desertos, iustificat peccatores, vivificat mortuos, salvai damnatos. Ergo qui consentit eius naturae et obtemperat, is rectus vir." 3 Der Wesenszug des Schaffens Gottes („Ut eius naturae, ex nihilo omnia creare. E t propriissima ejus natura: vocat, quae non, ut sint") wird in Christus bestätigt („Et eius officium proprium, quia est Deus: ex nihiJo omnia . . . " ) 4 ; in der Sterbensnot lernt der Mensch erst recht Gott und die Kreatur kennen: „Denn zu gleich, als ym anfang aller Creaturn er die weit ausz nichts schuff, davon er schepffer und almechtig heysset, szo bleibt er solcher art zu wircken unvorwandelt, unnd sein noch alle seine werck bisz ansz ende der weit alszo gethan, das er ausz dem, das nichts, gering, voracht, elend, tod ist, etwas, kostlichs, ehrlich, selig und lebendig macht, Widderumb allesz was etwas kostlich, ehrlich, selig, lebendig ist, zu nichts, gering, voracht, elend und sterbend macht. Auff wilche weisze kein Creatur wircken kan, vormag nit ausz nicht machen icht. Alszo das sein äugen nur ynn die tieffe nit ynn die hohe sehen." 5 In seiner Lehre von der Anfechtung erfährt Luthers creatio-ex-nihilo-Begriff seine eigentümliche Profilierung und Konkretisierung. Hier werden die im Vorausgehenden dargelegten Aspekte der Lutherschen Theologie der Schöpfung zu2 Siehe den interessanten neuerschienenen Aufsatz von P . Althaus, Der Schöpfungsgedanke bei Luther, 1959, S. 12. 3 W A 4 0 / I I I , 1 5 4 , 1 5 — 1 8 (In X V . P s a l m o s graduum 1532/33 Ps 1 2 5 , 1 ) . 4 Ib. 9 0 , 1 0 (Ps 122, 3). 5 W A 7, 547, 1—9 (Das Magnificat 1521).

3. Creatio ex nihilo

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sammengeschaut. „Anfechtung" bzw. „tentado" darf also nicht als Ausdruck für die rein persönliche religiöse Erfahrung Luthers verstanden werden, sondern will gesehen sein als integrierender Bestandteil jeder christlichen Existenz und damit jeder christlichen Theologie. In der Anfechtung wird nämlich der konkrete Mensch in den göttlichen Akt der Vollendung der Schöpfung einbezogen. Sie ist aber auch der Schnittpunkt des Offenbarungs- und des Versöhnungswerkes Gottes. Stellt man die Anfechtung in diesen Zusammenhang hinein, so wird auf jeden Fall deutlich, was Luther meint, wenn er sagt, daß Gott sich gerade in der Anfechtung, dem Leiden und dem Tod des Menschen als der Schöpfer aus dem Nichts offenbare. Die Anfechtung muß jedoch vor allem in engem Zusammenhang mit Luthers Christologie gesehen werden. „Im Wort" wird offenbar, daß Gott bzw. der Geist dem angefochtenen Menschen so gegenwärtig ist, wie er auch Christus in dessen Anfechtung und Überwindung, Tod und Auferstehung begegnete, und der Mensch wird dadurch von Gott selbst gelehrt und erzogen zu glauben, d.h. von der Selbstgerechtigkeit (Gesetz) zur Glaubensgerechtigkeit (Evangelium) seine Zuflucht zu nehmen6. Es gibt deshalb keine rechte christliche Existenz ohne Anfechtung. Ihr wohnt aber immer ein dialektisches Moment inne, vergleichbar der Dialektik von Gesetz und Evangelium im Worte Gottes, denn sie ist immer Gefahr und Hilfe zugleich. In der Anfechtung wird der Mensch einerseits versucht, „Hülfe, Trost und Seligkeit" bei den geschaffenen Dingen und in eigenen Werken zu suchen 7 ; er wird damit in die Bewegungsrichtung des Falks, weg von dem vollen Vertrauen auf Gott und dem Gehorsam gegenüber seinem Wort gerissen. Der Mensch der Abgötterei und Werkgerechtigkeit ist ja der Mensch des Falles, der glaubt, sein Leben und Heil selbst erwerben zu können. Da aber die guten Werke des Menschen frei von selbstsüchtiger Bindung an die Dinge, Gott zur Ehre und dem Nächsten zum Nutzen geschehen sollten, muß der Mensch alles Eigenen entäußert werden, um die Kraft Gottes kennenzulernen. Daher stellt Gott selbst den Menschen durch die Anfechtung in das Kraftfeld zwischen seinem Gesetz und seinem Evangelium, in die Spannung zwischen dem Zorn und der Liebe hinein, damit er dort in der Anfechtung in seiner eigenen Schwäche gleichzeitig die wirkliche Kraft der Liebe Gottes erleben möge 8 . Daß — wie wir gesehen haben — der Zorn und das Gesetz den Menschen in seiner gesamten Lebensexistenz, also nicht nur in seinem Inneren, im Urteil des β „Gott kan man zu viel nicht geben; quibus adimimus omnem iusticiam et tribuimus creatori qui facit ex nihilo": W A 4 0 / 1 , 1 3 1 , 4 f . (Galaterbriefvorlesung 1531). Siehe Luthers Predigt am Sonntag Exaudi 1524 über Joh 15,26 ff. (Rörers Hs.) in W A 15, 554—558. Vgl. W A 17/1,260, 4—35; 262,11—26; 263, 22—264, 3 (1525) und W A 40/1, 282,16—283, 17 (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 2, 20), ib. 360 und W A 44,470, 36—471, 4 (Gn 42,6b). » . . . quia sensibus non experimur, sed per afflictiones" : W A 11, 70,13. » . . . was gelust den got, das er den Teuffei alzo an uns hetzt? Ideo ut Euangelium veniat ad suas vires, ...": W A 20, 461, 23 f. 7 E. Schott 1955, S. 42. 8 „In verbis servamus istam distinctionem, sed quando ventum ad usum, rem vitam, affectum": W A 40/1, 251, 2 f . (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 2,17). Siehe auch W A 3, 549, 30.

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Gewissens treffen, hängt folglich damit zusammen, daß Gott der Schöpfer aller Dinge ist. Nicht nur in den Störungen und Krisen in der menschlichen Gesellschaft sondern auch im psycho-physischen Übel in der Welt des Falls ist deshalb der Zorn Gottes gegenwärtig als ein Ausdruck der Unausweichlichkeit und Unüberwindlichkeit der Sünde und des Todes. Gott muß daher selbst schaffend eingreifen, um den Menschen zu retten. Damit ist also die Anfechtung nicht nur ein „notwendiges Übel", sondern auch der Ort, an dem Gottes Gnade begegnet. Der Mensch ist immer versucht, den Glauben an Gottes Gnade und Liebe aufzugeben, weil all das Böse, das sich ereignet, der menschlichen Vorstellung von einem gerechten Gott zu widersprechen scheint. Das Dilemma ist eben gerade, daß man in der Welt des Falles nicht immer einzusehen vermag, daß man zu recht leidet und nur empfängt, was die eigenen Taten verdienen. So ist für Luther das Leiden nie grausamer Zufall eines blinden, ungerechten Schicksals. Es gibt keine rationale Erklärung für das Böse, weil es keine endgültige Hilfe und Befreiung im Geschaffenen gibt. Niemand kann ja dem Tode entgehen. Aber nicht nur dies. Keinem, der wirklich seinem Nächsten dienen und über die Dinge herrschen will, bleibt es erspart, unverschuldet zu leiden. Das mandatum Gottes läßt sich in der Welt des Falls nicht ohne Schmerz und Selbstentäußerung erfüllen. Der innere Widerstand des natürlichen Menschen gegen das Leiden entspricht ganz dem äußeren Widerstand, den die äußere Schöpfung dem Menschen in Gestalt von allerlei gesellschaftlicher Unordnung und psycho-physischem Übel entgegensetzt. Der Unwille gegen unverschuldetes Leiden zeigt zumindest, daß man sich in der Welt des Falles befindet, daß man von Unnatur umgeben und selbst in Unnatur gefangen ist. Die Begegnung mit Christus bedeutet daher, daß man mit einem konfrontiert wird, der sich willig dem Tode hingab, ohne seine Überzeugung aufzugeben, daß dieser ein Übel ist. Im Widerwillen gegen unverschuldetes Leiden tritt der Unterschied zwischen Christus, dem wahren Menschen, und dem Sünder zutage, der nicht gerecht ist und nicht wie Christus in der Anfechtung durch das Übel auf Gott vertraut und ihm die Ehre gibt. In der Spannung zwischen der Forderung und dem Unvermögen, Gott in der Stunde der Versuchung zu gehorchen, entsteht die Anfechtung und tritt die Gespaltenheit der menschlichen Existenz ans Licht 9 . Die Anfechtung ist also etwas Böses, und soll deshalb nicht gesucht werden 10 . Sie ist der Angriff des Teufels auf den konkreten Menschen, den er wie Adam vom 9

„In iusticia fidei non potest conscientia cadere aut esse remorsus conscientiae. Si est, signum, quod sumus extra iusticiam Christianam" : WA 40/1, 47, 5 f. (Galaterbriefvorlesung 1531). 10 Vgl. L. Pinomaa 1940, S. 88 f. P. beschreibt ausführlich, wie sidi die Bedeutung der Anfechtung beim jungen Luther entwickelt hat. Die erste Psalmenvorlesung wird zusammengefaßt: „Die Anfechtung (1) führt die Theologie vom Spekulativen weg, (2) lehrt den Menschen Selbsterkenntnis, (3) läßt ihn erkennen, daß Gott allein gut ist, (4) lehrt ihn, den Herrn anzurufen, (5) läßt ihn Gottes H i l f e erfahren, (6) lehrt ihn, sich über diese H i l f e zu freuen, (7) lehrt ihn, dafür zu danken, (8) trägt dazu bei, daß die Tugend wächst, und (9) führt deswegen dazu, daß sie erbeten werden soll." Die Anfechtung zeigt also hier

3. Creatio ex nihilo

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Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes zu scheiden sucht11. Die fleischliche Anfechtung wie auch die Prädestinationsanfechtung sucht den Menschen heim, solange er in der Welt des Falls lebt12. Andererseits geschieht ja die Versuchung durch den Teufel immer mit Gottes Billigung. Wie wir bereits sahen, ist es für Luther ein grundlegender Gedanke, daß das Böse sich für Gottes Zwecke brauchen läßt. Während der Teufel den Menschen von dem sicheren Gottvertrauen hinwegjagt, treibt Gott ihn in der Anfechtung aus der falschen Sicherheit heraus, in der er wie Adam schon im voraus im Stande der Vollkommenheit (sicut Deus) leben will13. In der Anfechtung wird der Mensch also sowohl in die Bewegungsrichtung des Falls wie in die der Versöhnung hineingerissen14. Der Mensch befindet sich in der Situation Adams, wenn er versucht wird, an Gottes Gnade und Liebe zu verzagen; gleichzeitig aber tut Gott in der Anfechtung ein ihm fremdes Werk, um sein eigentliches Werk, Leben und Erlösung, wirken zu können. Die Anfechtung kann daher als Zeichen der Liebe Gottes betrachtet werden15. Die Auserwählten Gottes sind den Anschlägen des Bösen stets am stärksten ausgesetzt16. Gott wirft den Menschen in die Anfechtung hinein, um ihn in die Bewegungsrichtung der noch deutlich die Nähe zur Mönchsfrömmigkeit, die das Leiden aufsucht. Die Römerbriefvorlesung steht ihr nicht mehr so nahe. Vgl. Pinomaa 1940, S. 184 ff. Aber noch 1520, im Sermon von den guten Werken, finden sich gelegentliche Anlehnungen an den Leidensbegriff der Mönchsfrömmigkeit. Zu einer direkten Polemik gegen das selbstgewählte Leiden gelangt Luther erst wenige Jahre später in der Auseinandersetzung mit den Schwärmern, die ein geplagtes und verzehrtes Antlitz vom Christen forderten: s. G. Wingren, 1948 2 , S. 62 (dt. 1952, S. 45 f.), und G. Ljunggren 1928, S. 120. Wie W. Maurer überzeugend nachgewiesen hat, liegen jedoch im Prinzip alle evangelischen Grundgedanken Luthers in seiner zweiten Psalmenvorlesung vor. Sie werden dann erst später (in den reformatorischen Hauptschriften) in polemischer und volkstümlicher Weise entwickelt: s. Maurer 1949. 11 „Quia omnis tribulatio pro peccato contra nos pugnat. Peccatum enim exercitum habet totum mundum, deinde nos ipsos. Adversarii enim sunt arma peccati, Roma. 6. et Hiob 41. Et L u c e i l . : .Universa eius arma aufferet'": WA 57(3), 76,12—15 (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 Hebr 12,4). „So treibt mich der Teuffei durch eine sunde, dass mir die weit zu enge wird": WATi 5, 406,12f. „Omnes creaturae militant piis conscientiis in salutem": WA 14,116, 26f. (Predigten über das l.Buch Mose 1523/24). 12 Jedes Alter hat seine besondere Versuchung (tentatio): „Junge gesellen tentatur cum virginibus, viri tentatur cum auro, 30 anno, die 40 jerigen cum honore et gloria, 60 jerigen gedenckhen: Wer ich nun frumb": WATi 2,149,1—3 (1532). Die schwerste Anfechtung ist jedoch der Zweifel an Gottes Gnade: „Fidei tentatio est gravissima": WATi 3, 520, 27f. 13 Vgl. A. Pinomaa 1940, S. 184, betreffend firmitas als Ausdruck für die Geborgenheit im Geist ( = imago Dei) und securitas als Ausdruck für falsche Sicherheit ( = sicut Deus). Letzteres sieht Luther bei den Päpstlichen: „Der Bapst hat es Gott auch nach than, wolt y hm gleich werden": WA 16, 459, 23 f. 14 Luthers diesbezügliche Terminologie, die Begriffe probatio und tentatio und die Begriffe tribulatio und desperatio wechselweise benutzt, ist untersucht von P. T. Bühler, Die Anfechtung bei Luther. Diss. Zürich 1942, S. 79—88; s. auch bei H.Beintker, Die Überwindung der Anfechtung bei Luther. Eine Studie zu seiner Theologie nach den Operationes in Psalmos 1519—21 (ThA Bd. 1), Berlin 1954, S. 64 ff. Die Prädestinationsanfechtung taucht auf in der zweiten H ä l f t e der Römerbriefvorlesung: s. E.Wolf 1927, S. 180, und E. Vogelsang, Der angefochtene Christus bei Luther (AKG 21), Berlin 1932, S. 31 f. 15 WA 9, 588, 34—589,1 und 589,12ff. (Predigten 1519—21 Poliander Mt 4,1 ff.). 1β WA 57(3), 232, 23 (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 Hebr 11, 5).

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Kapitel VI: Versöhnung und Vollendung

Versöhnung hineinzuziehen17; wer schon in der Welt der Sünde und des Todes das Jüngste Gericht schmeckt, ist selig. „Oportet autem nos talia pati, quia nos parturimus extremum diem."18 Die Anfechtung entsteht aus dem geistigen und leiblichen Bösen, das dem Menschen widerfährt. Die Qual der Anfechtung besteht jedoch in der Seelennot, in der Gott und Teufel, Gesetz und Evangelium, Leben und Tod, Liebe und Zorn gleichzeitig im Innern des Menschen um die Herrschaft kämpfen. In der Anfechtung spricht der Teufel mit der Autorität des anklagenden Gesetzes19; erst wenn sie überwunden ist, läßt sie sich auch als Ausdruck der Liebe Gottes ansehen; nur die Vereinigung des Glaubens mit Christi Sieg in der Versuchung verleiht die Gewißheit, daß der Angriff („affligere") des Teufels und des Bösen durch die Gnade Gottes nicht zum Verderben des Menschen führt20. In der Anfechtung dringt das Gesetz in das Gewissen des Menschen ein und vollbringt ein ganz anderes Werk als in seinem bürgerlichen Gebrauch, im sozialen Zusammenleben, im weltlichen Regiment. Dort trägt das Gesetz dazu bei, dem Menschen irdischen Segen zu bringen, dort schafft es Leben und Gesundheit, indem es die Menschen zwingt, einander zu dienen. In seinem geistlichen oder theologischen Gebrauch dagegen ist das Gesetz tötend, denn es scheidet den Menschen von der inneren Lebensgemeinschaft mit Gott. In seinem „bürgerlichen" Gebrauch bekämpft das Gesetz die Sünde außerhalb der Menschenherzen und schafft äußere Sicherheit und äußeres Leben, in seinem „theologischen" Gebrauch aber offenbart das Gesetz das innere Verderben des Menschen und bewirkt Anfechtung und Tod21. Die beiden „usus" des Gesetzes können jedoch nicht getrennt werden, ebensowenig wie der Mensch aufhört, Christ zu sein, wenn er im weltlichen Regiment tätig ist, oder aufhört Mensch zu sein, der Funktionen in der Welt ausübt, wenn er Christ ist. Es handelt sich in beiden Fällen um das gleiche göttliche Gesetz. Im einen Fall richtet sich das Gesetz gegen die Sünde und den Teufel in den äußeren sozialen Verhältnissen, im andern stehen der Teufel und das Böse in gewissem Sinne als Ankläger (diabolus) auf selten des Gesetzes. In der Anfechtung hat daher das Werk des Gesetzes eigentlich keinen Wert an sich. Nur für den Teufel ist das Gesetz Selbstzweck. Das Böse bewirkt ja den Zweifel an der Gnade Gottes und damit den geistlichen Tod des Menschen22. 1 7 „Quia Deus instituit tollere per Christum, quicquid diabolus intulit per Adam. Intulit autem diabolus peccatum et mortem": W A 56, 3 2 2 , 2 6 f . (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 6, 3). 1 8 W A T i 2, 62, 21 f. (1532). 1 9 „Fidei tentatio est gravissima, quia cum fides debeat omnes alias tentationes et calamitates vincere, si illa in tentationibus succumbit, omnes aliae etiam minimae hominem obruunt": W A T i 3, 5 2 0 , 2 7 — 3 0 (1530); vgl. W A 9, 589, 15 fi. (Predigten 1 5 1 9 — 2 1 Poliander), W A 38, 1 9 7 , 1 8 — 1 9 8 , 12 (Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe 1533), W A T i 1, 6 1 , 1 9 f f . (1531), ib. 66, 3 5 — 3 9 ; 6 7 , 1 4 f f . (1532) und ib. 275, 21 (1533). 2 0 W A 38, 471 f. (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538). 2 1 Siehe u . a . W A 40/1, 607 f. (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 4, 8) und G. Wingren 1948 2 , S. 70 f. (dt. 1952, S. 50). 2 2 „ . . . putamus Deum nos nec nosse, nec velie curare, aut cogitare de exitu tentationis" : W A 44, 4 2 9 , 1 0 f. ( G n 4 1 , 4 0 ) . Siehe audi W A T i 6, 49, 21—24, W A 24, 23, 27 ff. (Ober das 1. Buch Mose 1527. Vorrede).

3. Creatio ex nihilo

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Gottes Ziel in det Anfechtung ist jedoch nicht der Tod, sondern das Leben. Die tötende Kraft des Gesetzes vernichtet die eigene Auffassung des Menschen von Recht und Unrecht. Sie zwingt ihn, seiner eigenen Vernunft zu entsagen und auf eine höhere Gerechtigkeit zu vertrauen, eine Gerechtigkeit, die nicht von dieser Welt ist23. „Per Legem enim cognitio peccati, per cognitionem autem peccati humilitas, per humilitatem gratia acquiritur. Sic opus alienum Dei inducit tandem opus eius proprium, dum facit peccatorem, ut iustum faciat."24 Die Anfechtung ist also das unumgängliche Kreuz des Christen, in dem er durch Gottes Gnade zur rechten Glaubensgemeinschaft mit dem Gott der Schöpfung und der Erlösung, der aus dem Nichts schafft, hingezogen wird. „Practica requiritur, hoc est, Crux, quae redigat carnem in nihilum, ut homo de auxilio suo desperet et se reiiciat in auxilium divinum idque patienter et cum spe expectet."25 Gottes opus alienum offenbart das Gleichsein des Menschen mit Adam, der dem Wort Gottes nicht gehorchen wollte, und gleichzeitig sein Christus-Gleichsein, in welchem seine Selbstgerechtigkeit zunichte wird26. Gott will den Menschen durch eine fremde Gerechtigkeit gerecht machen, die nicht seine eigene ist, sondern von Gott stammt, und die darum ihre Heimat nicht hier auf Erden hat, sondern vom Himmel kommt. Damit dies aber geschehen kann, muß der selbstgerechte Adam alles Eigenen entblößt werden27. „Sed hanc (die Kraft des Menschen) Deus penitus evacuauit per Christi Crucem, vt daret virtutem suam."28 Des Menschen eigene Kraft ist die „Weisheit des Fleisches", der Eigenwille des Menschen, der in allem nur seinen eigenen Vorteil sucht, indem er sich selbst zum letzten Maß und Ziel aller Dinge macht, sich selbst an die Stelle Gottes setzt29. 23

WA 18, 677, 7 fi. (De servo arbitrio 1525). WA 1,361,2—5 (Heidelberger Disputation 1518). 25 W A 4 0 / I I I , 150,245. (In X V Psalmos graduum 1540 Dr. Ps 124[125],8). Vgl. audi ib. den ganzen Zusammenhang. 26 „ . . . ut destruatur et euellatur de affectu et complacentia interiori nostra coram oculis nostris": WA 56,158, 4 f. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 1,1). 27 WA 56,159, 9—12 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 1,1). 28 Ib. 170, 9 f. (Rom 1,16). 29 „ ,Prudentia Carnis' Est electio boni proprii et vitatio mali proprii et reprobatio boni communis et electio mali communis. Hec est prudentia, que dirigit Carnem i.e. concupiscentiam et voluntatem propriam, Que seipso fruitur et aliis omnibus utitur, etiam ipso Deo; se in omnibus querit et sua. Hec facit hominem esse sibiipsi obiectum finale et vltimum et Idolum": ib. 361,11—16 (Rom 8,7). Besonders in der Heidelberger Disputation 1518 kommt der Gedanke, man müsse das Gesetz als einen „Töter" der menschlichen Weisheit, des menschlichen Willens ansehen, deutlich zum Ausdruck. Siehe hierzu K. Stürmer, Gottesgerechtigkeit und Gottesweisheit bei Martin Luther. Diss. Heidelberg, Mannheim 1939, S. 25ff., und E. Sdilink 1955, S. I f f . Ratio und voluntas gehören ja eng zusammen, ja, sind hier identisch (s. B. Lohse 1958, S. 71 und 73 f.) und stehen deshalb gleich nebeneinander unter dem Gericht Gottes; der ganze Mensch ist gefallen (ib. S. 70). Luther faßt deshalb immer ratio und voluntas als gegen Gott gerichtet in dem einen Wort liberum arbitrium zusammen. WA 18, 776,27ff. (De servo arbitrio 1525). Mit Hilfe seiner Vernunft bzw. seines — wie er glaubt — freien Willens sucht der gefallene Mensch seine eigene Gerechtigkeit zu schaffen: WA 40/1,603,2ff. (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 4, 8). Die ratio und der Wille (die ja dem Menschen die Herrschaft über die Schöpfung verleihen), müssen deshalb in ihrer pervertierten Ausrichtung gegen Gott getötet werden, d. h. nicht die recta ratio seu voluntas: vgl. oben Kap. V, 2 und B. Lohse 1958, S. 77. 24

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Kapitel VI : Versöhnung und Vollendung

Vor allem anderen flieht die „Weisheit des Fleisches" den Tod, in welchem der Mensch ja alles Eigenen, seines eigenen Willens und seiner eigenen Weisheit, aller eigenen Sicherungen und aller eigenen Geborgenheit beraubt wird. Deshalb flieht der gefallene Adam in Gottes Schöpfung hinein, entflieht Kreuz und Not und allem, was ihn zu Selbstaufopferung und Selbsthingabe zwingt. So lange man sich nicht in die Bewegungsrichtung des stellvertretenden Leidens hineinziehen lassen will, steht man abseits des neuschaffenden Werkes „ex nihilo" der göttlichen Versöhnung 30 . Luther sagt bisweilen, daß wir lernen sollen, „den Tod verspotten und verlachen" 31 , gelegentlich sagt er aber auch, mit dem Tode sei nicht zu spaßen32. Das nimmt sich ja wie ein offensichtlicher Widerspruch aus, wird jedoch vom Versöhnungsgedanken her erklärlich. Der Tod ist gleichzeitig etwas Böses und Unnatürliches und etwas, das man bejaht im Glauben an Christus, der vom Tod %um Leben ging. Der Tod ist etwas Individuelles 33 , in welchem das Ich dem Unbekannten ausgeliefert wird. Während aber der Gottlose den Tod nur als einen Naturablauf auffaßt, sieht der Gläubige in ihm den Zorn Gottes34. „Man soll nicht scherzen mit dem Tode. Mors est iudicium et ira Dei." 38 Der Tod selbst ist das geringste von allen Übeln36. Daher sollst du, mahnt Luther, „den todt nit yn yhm selbs noch yn dir odder deyner natur . . . ansehen odder betrachten, du bist anders vorloren und wirst mit yhn ubir wunden" 37 . Eine rechte Todesfurcht erweist sich nicht in Flucht vor dem Tode, sondern in Furcht vor dem Zorne Gottes im Tode. Gott soll man nämlich nicht entfliehen, sondern ihn fürchten. Sterben ist, in einen tiefen und dunklen Abgrund gestürzt werden, aber Gott wohnt in der Tiefe, um dort „aus dem Nichts" zu schaffen. „Darumb bleibt got allein solchs ansehen, daß ynn die tieffe, not und jamer sihet, und ist nah allen den, die ynn der tieffe sein . . . Darumb hat got auch den tod auff unsz alle gelegt, und das Creutz Christi mit untzelichen leydenn unnd notten, seinen aller libsten kindernn und Christenn geben, ja auch zu weilen ynn sund fallen lessit, auff das er ja viel zu sehen hette ynn die tieffe, vielen helffen, viel wircken, sich einen rechten schepffer erzeigen." 38 30 „Si sentis te mortem horrere et non potius amare, Signo certissimo scias te adhuc in ,prudentia carnis' Inuolutum": W A 56, 364, 27 f. (Römerbriefvorlesung 1515/16 Rom 8,7). 3 1 W A T i 6, 3 0 2 , 2 9 . 3 2 Ib. 301, 4—13. Nur Menschen, die in der abgründigen securitas gefangen sind, „sterben auch dahin wie die klotze, da widder synn nodi gedancken ynn ist": W A 2 3 , 3 7 1 , 2 2 (Ob man v o r dem sterben fliehen möge 1527). 3 3 „Wir seindt allsampt zu dem tod gefodert und wirt keyner f ü r den andern sterben, Sonder ein yglicher in eygner person f ü r sich mit dem todt kempffen": W A 10/III, 1 , 7 — 9 (Predigten 1522). 34 „Fromme, gottselige Christen werden mehr v o n Tode geschreckt, die doch nicht sollten geschreckt werden, sondern die Gottlosen sollte der Tod schrecken; aber dieselben leben und gehen sicher dahin, gedenken nichts an Tod": W A T i 1 , 1 0 4 , 24—27 (1532). 3 5 W A T i 6, 3 0 1 , 1 0 f. 3 8 „Mors omnium malorum est minimum, et ipsa ratio est, quod dicitur nisi his, qui timent earn, velut lex non est lex nisi his, qui sunt sub lege": W A T i 2, 3 2 2 , 1 fi. (1531); vgl. W A T i 6, 200, lOff.; 201, 9 f f . und 2 0 3 , 1 — 1 4 (1538). 3 7 W A 2, 689, 3—6 (Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben 1519). 38 W A 7, 547, 3 3 — 5 4 8 , 1 6 (Das Magnificat . . . 1521).

3. C r e a t i o ex nihilo

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In seiner Leichenrede auf Friedrich den Weisen (1525) sagt Luther, daß Gott bei der Auferstehung der Toten allen menschlichen Unglauben und menschliche Vernunft zuschanden werden lassen wird: „Wenn du die vernunfft da zu rat nimpst, wirstus nimer mehr gleuben, Gott aber wird aida seine Göttliche gewalt und Majestet beweisen, wie er gethan hat, da er Himel und Erden aus nichts geschaffen hat, Sprach nur ein wort, da stunds bald da." 39 Gerade im Tode erweist sich Gott vor dem Glaubenden als der Schöpfer aus dem Nichts. Darauf zu vertrauen — daran will der Teufel den angefochtenen Menschen hindern. Dann sieht er nur Gottes Zorn und Gericht und ist blind dafür, daß Gott „per se omnia facta, ut homo cogitet suis viribus nihil fieri"40. Die Aufgabe des Gesetzes im Gewissen des Menschen besteht darin, ihn zum Verzweifeln an sich selbst und zum Vertrauen auf die Schöpfermacht Gottes zu bringen. Damit dies geschehen kann, muß der Mensch jedoch zuerst seine eigene Sünde und Hilflosigkeit einsehen, er muß gedemütigt werden. „Ad quid ergo lex? Vt humiliet superbos." 41 Gott zürnt daher dem Menschen und züchtigt ihn, denn nichts Unreines kann ins Himmelreich eingehen. Der Zorn Gottes tötet und vernichtet das, was ihm widersteht. „Ein solches Zunichtewerden geschieht durch Kreuz, Leiden, Tod und Schmähung. Gott tötet, um lebendig zu machen, er demütigt, um zu erhöhen 42 . Denn nur der Demütige kann erhöht, nur was leer ist, kann gefüllt, was niedergerissen ist, aufgebaut werden. Es ist, wie die Philosophen sagen: Form kann nicht gegeben werden, wo nicht Mangel an Form besteht und die bisherige Form entfernt ist, und die Vernunft als reine Möglichkeit keine Form empfangen, sofern sie nicht im Prinzip ohne Form und einer leeren Tafel gleich ist 43 . Alle Art äußerer Not, wie Krankheit, Krieg, tyrannische Obrigkeit, Teuerung u.a.m., aber auch innere Not wie Anklage des Gesetzes vor dem Gewissen richtet 3 9 W A 17/1, 2 1 9 , 3 3 — 3 6 (Predigten 1 5 2 5 ) . F . K . S c h u m a n n weist audi darauf hin, d a ß Luther den v o n der Todesfurcht Angefochtenen zum Glauben an Gottes Schöpfermacht r u f t : s. ders. 1 9 5 6 , S. 1 1 5 f f . und 1 2 6 f f . 4 0 W A 1 4 , 1 1 8 , 1 6 (Predigten über das 1. Buch Mose 1523/24). U n t e r dem Gesetz, da sich Gott als der Tötende zeigt, w i r d der Mensdi angefochten, weil er G o t t nicht als seinen Erlöser erfährt. Durchs Evangelium macht G o t t lebendig, schafft den Glauben, der auf seine Schöpfermacht vertraut. D e r Ungläubige kann wohl einsehen, daß Gott prima causa ist, daß er Himmel und Erde geschaffen hat und ein helfender G o t t ist. A b e r der Ungläubige sieht nicht, daß Gott gerade sein S d i ö p f e r und H e l f e r ist. „Was hilfft dichs, das gott got ist, w a n er dier nit eyn got ist?": W A 2 , 1 3 7 , 6 ; vgl. oben K a p . V, 2. Gott kann aber erst dann mein H e l f e r werden, wenn ich v o r ihm ein Nichts geworden bin, denn „gloria Dei et nostra können nicht bey samen in einem bett ligen": W A 31/1, 3 6 1 , 25. Vgl. W A 40/11, 4 4 8 , 1 : „ . . . deus non potest laudari, nisi nos ista damnemus" (Galaterbriefvorlesung 1 5 3 1 ) . Vgl. ib. 2 7 2 , 1 2 : „Damus deo honorem, dicimus nos nihil, infirmos, peccatores." N u r der Glaube kann also Gottes Forderung und seine Gabe, sein Töten und sein Ersdiaffen zusammen sehen, nur er kann Gott die volle Ehre geben, indem er ihn seinen creator ex nihilo sein l ä ß t : vgl. O . Gühloff 1939, S. l O f f . 4 1 W A 56, 3 6 , 1 0 (Rom 3, 20). „Da Demütigung im Sinne v o n Selbstanklage und Sündenbekenntnis das Bewußtsein der eigenen Sünde einschließt, ist sie eine Sdiöpfung von Gottes W o r t im Gesetz" (Übers.): R. Josefson 1 9 3 9 , S . 4 8 . 4 2 W A 57(3), 1 2 2 , 1 5 f. (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 Hebr 2, 9). 4 9 W A 56, 2 1 8 , 1 3 — 2 1 9 , 1 1 (Rom 3, 7).

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Kapitel V I : V e r s ö h n u n g u n d V o l l e n d u n g

s i c h a l s o letztlich g e g e n d e n alten M e n s c h e n , der d a d u r c h aus der L e b e n s l a g e der Sicherheit h i n a u s g e t r i e b e n w i r d i n die der D e m u t u n d d e s E m p f a n g e n s . I n der A n f e c h t u n g lernt m a n , d a ß e i g e n e W e r k e nichts v e r m ö g e n : „ . . . u n s e r o d e r des G e s e t z e s W e r k m a c h e n u n s n i c h t z u einer n e u e n Creatur G o t t e s . " 4 4 D e m M e n s c h e n , der seine e i g e n e S c h w ä c h e e i n g e s e h e n hat, bleibt nichts anderes z u t u n ü b r i g , als n a c h K r a f t , H i l f e u n d E r b a r m e n z u r u f e n u n d z u s e u f z e n 4 5 . E i n s o l c h e s R u f e n h ö r t G o t t i m m e r , es ist i n W i r k l i c h k e i t ein A u s d r u c k f ü r die „ N i c h t i g k e i t " d e s M e n s c h e n ; e b e n diese H i l f l o s i g k e i t ist das „nihil", das die A n f e c h t u n g b e w i r k t 4 6 . W e n n G o t t unsere G e b e t e n i c h t g l e i c h b e a n t w o r t e t , k a n n das e i n Z e i c h e n dafür sein, d a ß u n s e r e e i g e n e n G e d a n k e n u n d Pläne n o c h n i c h t z e r b r o c h e n sind. D e n n es ist das W e s e n G o t t e s , erst z u zerstören u n d z u v e r n i c h t e n , w a s i n u n s ist, b e v o r er seine G a b e n schenkt. „ D e r H e r r t ö t e t u n d m a c h t l e b e n d i g , f ü h r t i n d i e H ö l l e u n d w i e d e r h e r a u s " ( I S m 2 , 6 ) . D i e s W o r t zitiert L u t h e r e b e n da, w o er b e t o n e n will, d a ß m a n erst i m v o l l s t ä n d i g e n G e ö f f n e t s e i n G o t t g e g e n ü b e r , w e n n m a n m i t d e n e i g e n e n P l ä n e n a m E n d e ist u n d d i e s e l b s t g e w ä h l t e n W e r k e ruhen, f ü r G o t t e s P l ä n e u n d W e r k e e m p f ä n g l i c h wird. Die Neuschöpf mg geschieht nur in der Demut,

die ein dem Wirken des Geistes Gottes Geöffnetsein ist".

„ A d p r i m a m gratiam

sicut et ad g l o r i a m s e m p e r n o s h a b e m u s p a s s i u e sicut m u l i e r a d c o n c e p t u m . Q u i a e t n o s s u m u s s p o n s a Christi." 4 8 I n dieser E n t g e g e n n a h m e des G n a d e n w e r k e s 44 WATi 6,148,10 und WA 18, 317,22—319,8 (De servo arbitrio 1525). Vgl. G.Wingren 1948 2 , S. 202 (dt. 1952, S. 123 f.). 45 W A 40/1, 582, 2 ff. (Galaterbriefvorlesung 1531), ib. 586,1 fT. und 592, I f f . „ . . . w e r nicht bettet noch Gott anrufft jnn seiner not, der helt jhn gewislich nicht f u r einen Got, gibt ihm auch nicht seine Gottliche ehre, die wir jhm dodi schuldig sind, als seine Creat u r a " : WA 31/1, 98, 30ff. (Ausi, des 118. Psalms 1529/30). 46 „Wenn aber die stund unnd stett kompt, das creatur nit weytter vormugen zu helffen u n d alle deyn vormugen zu kurtz wirt, Sihe, da gehet alsbald gottis wort ann; denn da hatt er gepotten: w y r sollen yhn f u r eynen gott halten, das ist: alles gutten tzu yhm vorsehen . . . Alsso lessen w y r Mat. 4 [V. 7], da der teuffei Christum anfacht, Er sollt sich ernydderlassen vom tempel: Neyn, sprach er, es ist geschrieben: D u sollt gott nit vorsuchen, als sollt er sagen: Ich k a n wol die Staffel hynabsteygen, ist nit nott . . . " : W A 10/1, 1 , 6 1 6 , 1 8 — 6 1 7 , 3 (Kirdienpostille 1522 M t 2,12). Siehe audi W A 3 2 , 4 9 0 , 2 8 u n d W A 43, 517 f. 47 W A 10/1,1, 82, 8 (Kirchenpostille 1522 L k 2 , l — 1 4 ) : „das Euangelion wirt nicht prediget denn alleyn den armen, damit er on tzweyffel will, es sey eyn predigt nur f u r die armen, denn es ist yhe der gantzen wellt predigt, und Marci, vit. spricht er: Gehet h y n ynn alle wellt, und predigt das Euangelion aller creaturn [Mk 16,15]. Szo sind disse armen gewisslich nicht die bettler und leyplichen armen, ssondern die geyst armen, das sind, die nicht begeren, nodi liebhaben die gutter, ia viel mehr, die tzurschlagene, arme hertzen, die durch qual yhrer gewissen nach hulff und trost sso fast vorlangen und sich sehnen, das sie widder tzeytlidi gut noch ehre begeren; yhn ist mit nichten geholffen, denn w o sie nur eynen gnedigen got haben mochten. D a ist redit geystlich armut, das sind sie, den solche predigt eben ist und ynss hertz schmeckt, den ists, als ob sie auss der helle und vom todt erlosset weren": WA 10/1, 2,159, 35—160, 9 (Adventspostille 1522 M t 11, 5). Siehe auch W A 56, 357, 14ff. (Rom 8, 26), WA 57(3), 138, 7ff. (Hebr 3,1) und ib. 190, 9ff. ( H e b r 7,1—3). L. Pinomaa will die richtungweisende neue Grundhaltung Luthers, daß er jedes theologische Problem unter dem Gesamtaspekt des Gottesverhältnisses sieht, so daß dieses den ganzen Menschen ergreift und ihn in seiner Nichtigkeit vor Gottes Majestät stellt, schon im letzten Teil der ersten Psalmvorlesung entdecken: s. ders. 1940, S. 143. 48 W A 56, 379, 2—3 (Römerbriefvorlesung 1515/16 R o m 8, 26).

3. Creatio ex nihilo

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Gottes wird der Mensch „eine Mutter Gottes"49. Inkarnation und Anfechtung gehören also zusammen.

Die Demut wird jedoch nicht als eine Auslöschung des Menschlichen oder eine verdienstvolle Tugend angesehen, sondern als Offenbarung der Kraft Gottes in menschlicher Schwäche50. Schon in den Römerbriefvorlesungen (1515/16) unterscheidet Luther ausdrücklich zwischen der als meritum aufgefaßten humilitas ( = griechisch ταπείνωσις) und der als ein der Gnade Gottes Geöffnetsein verstandenen Demut ( = griechisch ταπεινοφροσύνη)51. Für Luther gelten die Begriffe „glauben", „hören" und „nichtig werden" als Synonyme für humilitas; sie bedeuten, daß der Mensch nicht länger an sein Eigenes glaubt oder darauf vertraut, sondern sich der Hilfe und Kraft Gottes im Wort ausliefert; man glaubt an das, was das Wort sagt: daß Gott in seinem fremden Werk sein eigentliches ausführt52. Wie der durch die Anfechtung gewonnene Glaubensgehorsam und die Demut beschaffen sein sollen, liest Luther gern an Jesu Mutter Maria ab. Ihr Leben war erfüllt von Anfechtungen, wie schon das Geschehnis mit dem Zwölfjährigen im Tempel zeigt53. Sie unterwarf sich freiwillig dem Gesetz, obgleich für sie, die bereits demütig war, keine Notwendigkeit dazu vorlag54. Damit gibt sie Gott die Ehre, sie läßt die ihr zukommende Ehre an Gott weitergehen. Bei dem Besuch bei ihrer Verwandten Elisabeth werden deren rühmende Begrüßungsworte nur zum 49

WA 9, 519,23 ff. (Sermo de nativitate domini 1520). „Sicut homo, antequam creatur, ut sit homo, nihil facit aut conatur, quo fiat creatura, Deinde factus et creatus nihil facit aut conatur, quo perseveret creatura, Sed utrunque fit sola volúntate omnipotentis virtutis et bonitatis Dei nos sine nobis creantis et conservantis, sed non operatur in nobis sine nobis, ut quos ad hoc creavit et servavit, ut in nobis operaretur et nos ei cooperaremur, sive hoc fiat extra regnum suum generali omnipotentia, sive intra regnum suum singulari virtute spiritus sui. Sic deinceps dicimus : Homo antequam renovetur in novem creaturam regni spiritus, nihil facit, nihil conatur, quo paretur ad earn renovationem et regnum; Deinde recreatus, nihil facit, nihil conatur, quo perseveret in eo regno, Sed utrunque facit solus spiritus in nobis, nos sine nobis recreans et conservans recreatos, ut et Iacobus dicit: Voluntarle genuit etc. (Jak 1,18); loquitur de renovata creatura. Sed non operatur sine nobis, ut quos in hoc ipsum recreavit et conservât, ut operaretur in nobis et nos ei cooperaremur. Sic per nos praedicat, miseretur pauperibus, consolatur afflictos. Verum quid hinc libero arbitrio tribuitur? imo quid ei relinquitur nisi nihil? et vere nihil": WA 18, 754,1—17 (De servo arbitrio 1525). Siehe audi R. Josefson 1939, S. 16. 50

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WA56,471, 18—472,13 (Rom 12,16). Vgl. auch WA 4, 633, 20: „Humilitas grece Tapinosis, teutonice vorachten standt" (Sermone 1520?). Auf diese Demut und nicht die Möndisfrömmigkeit beziehe sich Jesu Wort in Mt 11, 29: WA 38, 528,15—23 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538). Siehe außerdem W. v. Loewenidi 1929, S. 178, und R. Josefson 1939, S. 16. Wie J. zeigt (S. 13), hat Luther den Begriff humilitas aufgegriffen im Sinn des typischen Mönchsideals, von dem er sich später jedoch (schon in der Römerbriefvorlesung 1515) entfernt und schließlich freigemacht hat. Vgl. W. v. Loewenich, Luthers Theologia crucis (FGLP 2.R., Bd. II), München 1929, S. 176, und A.Hamel 1934, S.41. 52 Siehe z.B. WA 57(3), 142, 22—143, 22 (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 Hebr 3, 7). 53 WA 17/11,19,12—18; 20, 31 f. (Fastenpostille 1525 Lk 2,42—52) und WA 45,429,2 —13 (Coniunculae etc. Lk2,42—52). 54 WA 9, 477,10 ff.; 565,29f. (Predigten 1519—21 Poliander Lk2,22), W A l l , 1 4 , 7 f . (Predigten 1523 Rörer Lk2,22ff.), WA 20, 243, 5 ff. (Predigten 1526 Lk 2, 22ff.) und WA 49,186, 5 f. (Predigten 1540 Mt 2, 7 ff.).

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Kapitel VI : Versöhnung u n d Vollendung

Anlaß für Maria, Gott zu preisen55. Ihre wahre Demut zeigt sich im Dienen. Obgleich sie von Elisabeth „Mutter des Herrn" genannt wird, dient sie ihrer Verwandten, wäscht die Windeln des kleinen Johannes usw.56 Das Evangelium ist für Luther immer die Botschaft von Gottes Gegenwart in dem dem Gesetz unterworfenen Menschen, der aus der Hölle der Anfechtung und Verdammnis emporgehoben wird, um in der Gemeinschaft mit Gott zu einem neuen Geschöpf gestaltet zu werden. Ein gutes Beispiel hierfür findet man in Luthers Auslegung des Propheten Jona (1526). Auf dem Schiff schläft Jona in seinen Sünden und vernimmt nicht die Stimme des Zornes Gottes im Brausen des Sturmes und der Wogen67. Er ist ein Beispiel für die, welche durch ihre Gottabgewandtheit „so gröblich sündigen wider Gott"58. Als der Sturm ihn aufweckt, begreift er jedoch, daß Gott ihn sucht. „Denn also tut der Rewel, wenn der kompt und beyst und schreckt das gewissen. So ist alle Welt dennfrum, on er alleyne ist eyn sunder."59 Von der Stimme des Gewissens getroffen, muß Jona „der sunden zarte tugent", die stumme Scham lernen60. Erst als das Sündenbekenntnis über seine Lippen kommt, zieht wieder Trost und Befreiung in sein bedrücktes Herz ein61, aber in der Todesangst vor der äußeren Gefahr muß er doch zuerst in seinem Inneren die volle Tiefe des göttlichen Zornes kennenlernen62. Aus dieser Verzweiflung führt nur ein Weg heraus : „Die hende auffgehaben und flux geruffen: Hilff, Gott, meyn herr! etc. So wirstu als bald fulen, das es besser wird." Wo der Mensch rufen und beten kann, ist der 55

WA 45, 105, 10—106,2; 107,4—109,5 (Predigten 1537 Lk 1,39 ff.). WA 17/1, 321,10—20 (Predigten 1525 Lk 1,39 ff.), WA 27, 235, 8 f. (Predigten 1528) und WA 36, 209, 3—12 (Predigten 1532). Hier wird deutlich humilitas nicht als ein verdienstliches Werk gegen Gott, sondern als die Bereitwilligkeit, den Menschen zu dienen, ohne den Gedanken einer Verdienstlichkeit verstanden. Im Leiden wird der Mensch mit dem Evangelium selbst gleichgestaltig: „Also geschieht es audi, wenn man das Evangelium verfolgt, so acht man es auch nit, aber vor got ist es gross, wölte got, das wir unser äugen herunder Hessen und giengen nit uberhyn, sunder gedechten, das ist Lazarus." Wie es Lazarus ging, so geht es auch dem Evangelium und dem Christen hier in der Welt. Sie werden zu dem Nichts, das man verachtet, aber Gott schafft durch dieses Nichts ein Neues, vor Gott Großes: WA 12, 595,11—37 (Predigten 1523). Zu Marias Demut gehört auch, daß sie „gelassen aller creatur" war, sie war im Gegensatz zu den meisten Menschen nicht hingegeben an die geschaffenen Dinge: s.o. Anm. 49. Aber schon hier grenzt sich Luther gegen die Mönchsfrömmigkeit ab, die in Weltflucht und selbstgewählter Armut ein Verdienst sah. Für Luther bedeutet die christliche Demut Nachfolge Christi, aber nicht Weltflucht (sie würde ja ignorieren, daß Gott seinen Kampf mit dem Teufel durch das Gesetz in den weltlichen Ordnungen kämpft), sondern innere Freiheit von dieser Welt (des Teufels Welt, die das Geschaffene vergötzt). So noch deutlicher WA 11,132, 16—133, 7 (Predigten 1523 Rörer), WA 12, 599,12—28 (Predigten 1523) und WA 20, 438, 4ff. (Predigten 1526). Eigentum ist ja ein Teil von Gottes „benedictio temporalis", die Gott in seiner Schöpfung gibt; sofern es zum Lebensunterhalt, zur Ehre Gottes und zum Dienst am Nächsten gebraucht wird, ist es etwas Gutes (Gottes Welt; Gottes gute Schöpfung): WA 27, 201,1 ff. (Predigten 1528). Man darf also den Besitz in Demut annehmen, d.h. annehmen, ohne ihn zu seinem Götzen zu machen. 56

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WA 19, 209, 30 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526). Vgl. H . Bornkamm 1948, S. 60 f. WA 19,199, 23. 5 60 » Ib. 210,14—17. Ib. 211,1. 61 62 Ib. 215, I f f . Ib. 217, 26.

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Tod nicht länger Tod, die Hölle nicht länger Hölle 63 . Erst langsam gelingt es Jona dann, im Gebet alle verzagten Gedanken zu überwinden 64 . Schließlich greift Gott ein und rettet auch aus der äußeren Not, was jedoch nicht hindert, daß Jona sich bald darüber beklagt, daß Gott auch den gesetzlosen Städten der Unbeschnittenen Gnade erweist. Hier erhebt sich die Frage: „Wie kan solcher glaube und solche untugent beyeynander stehen?" 65 Jona klagt: „Denn ein Jude sein und doch predigen, das Judenthum unnöttig sey und on das wol gotts gnade zu kriegen sey, das ist eben so viel, als wolt ein Jude seyne eygen Juden zu nichte und unnütze machen und die heyden erheben."66 Am Ende muß Jona sich doch „meystern lassen und also mit schänden und gedemutiget widder heym zihen, doch mit grosser frucht und nutz seyns Verstandes"67. Glaube bedeutet also für Luther, dem Gesetz des Zornes Gottes unterworfen sein und so unter Kampf und Pein Gottes unverdiente Gnade kennenlernen, welche die Herrschaft des Gesetzes durchbricht, ohne dessen Anspruch auf den Menschen hier in der Zeit gänzlich aufzuheben. Die Offenbarung ist für Luther nicht nur „Gerechterklärung" (imputado) 68 und die Versöhnung nicht nur „Genugtuung" (satisfactio)69, sondern von einem Rechtfertigungsgedanken her bestimmt, der auf Wiederherstellung und Vollendung ausgerichtet ist 70 . „Imo sumus tantum primitiae creationis, accepimus tantum primitias Spiritus. In haec vita nostra regeneratio est tantum initium regenerationis. Est salus vita, regeneratio, scilicet reputante Deo . . ," 71 Das Werk des Evangeliums geschieht in der Zerknirschung des Menschen unter dem Gesetz und in diesem seinem Entblößtsein schafft Gott „aus dem Nichts" einen neuen Menschen und eine neue Welt. Da die „Kraft Gottes" nur in dem wirken kann, was sie schafft, und da der Mensch vor Gott keine absolute Größe ist, sondern sein Eigentum, kann er nicht Gegenstand des göttlichen Handelns sein, ohne gleichzeitig getötet bzw. geschaffen zu werden. Und da der Mensch gefallen und Gott zornig ist, muß die Gerechtigkeit, in welcher der Mensch vor Gott lebt, derartig sein, wie Gott sie schenkt, indem er „aus dem Nichts" schafft. „Deus est humilium, afflictorum, desperatorum, nihilorum, quia natura sua: ex nihilo facere, implere evana, Esurientes cibare, miseros consolari, peccatores iustifìcare, mortuos (vivificare), quia creator ex nihilo facit omnia." 72 Die Rechtfertigung geschieht daher niemals abseits der Anfechtung durch das fremde Werk des Gesetzes: „. . . potest edificare M Ib. 229, 27 ff. Ib. 222, 14 f. Ib. 239, 30 f. «« Ib. 242, 9—12. 6 7 Ib. 243, 30 ff. 8 8 Vgl. dagegen U. Saarnivaara, Luther Discovers the Gospel. New Light upon Luther's W a y from Medieval Catholicism to Evangelical Faith, St. Louis 1951, bes. S. 10 f. 69 Vgl. dagegen P. Althaus 1948, S. 260. 70 Siehe hierzu die interessante Analyse „der vier Formen des Rechtfertigungsgedankens" nach Kattenbusch in ZsystTh Jg. 10, 1932/33, S. 28—61). 71 W A 39/1, 234, 2 5 — 2 3 6 , 2 4 (Die Promotionsdisp. v o n Palladius und Tilemann 1537). Vgl. auch Luthers Thesen de lege 1535 ( W A 39/1,48 ff.). 7 2 W A 40/1, 488, 3—6 (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 3 , 1 9 ) ; vgl. ib. 442, 5 f. (Gal 3 , 1 3 ) : „ . . . cuius est solius destruere peccatum et creare iustitiam, dare vitam. Das ist ia creatio." 63

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destructos, erigere et consolari tristes, Et in ipsa morte. Et eius officium proprium, quia est deus: ex nihilo omnia . . ," 73 In Kreuz und Pein des Angefochtenen liegt also seine Erlösung verborgen. „. . . igitur afflictiones Christianorum sunt quoque salus Ecclesiae, crux et oppressio est exaltado et triumphus Ecclesiae. Faciant igitur hostes Ecclesiae, quicquid Übet, certum est, quo plus opprimimur, eo magis erigimur. Christus enim dux noster et caput nostrum vere nulli malo cedit, habet enim infinitam potentiam, qua deiectos erigit, mortuos vivificai, oppressos facit, ut opprimant. Quia enim Deus est hoc eius proprium est officium, ex nihilo facere omnia et ex eo, quod est, facere nihil." 74 Rechtfertigung ist die Wiedereinsetzung des gefallenen Menschen ins ,,Paradies" und geschieht dadurch, daß er unter dem Gesetz und dem Zorn in der Welt des Falls getötet wird, um Gottes Gerechtigkeit, die den Ungerechten gerecht macht, erfahren75. Die Rechtfertigung allein aus dem Glauben wird also von der Vorstellung her verstanden, daß Gott der Schöpfer aus dem Nichts sei: „. . . nihil et omnia sunt unsers herrgots materia. Nam ipse ex omnibus facit nihil et ex nihil facit omnia. Haec opera sunt creatoris, non nostra . . . Deus destruit omnia et ex nihilo facit hominem et deinde iustificat." 76 Es gibt somit eine Entsprechung zwischen Leben und Tod, Gesetz und Evangelium, Verdammnis und Seligkeit 77 . Das Leben wird durch seinen Gegensatz, den Tod, gewonnen. „Alle Werk Gottes sind begriffen im Magnificat. Wenn ein Ding hohe empor kommet, so ists nichts ; und wiederüm, wenns am niedrigsten und verachtesten ist, so kömmets wieder herfur und empor. Also zur Zeit Samuelis, da die Arche und Lade Gottes hinweggenommen war, meinet man, es wäre nu aus mit Israel und Gottesdienste; aber sie worden gleichwol erhalten." 78 Gott läßt die Weisheit der Weisen zuschanden werden, denn das, worauf wir Menschen unser Vertrauen setzen, unsere Weisheit, unsere Macht, unser Reichtum, unsere Pläne, all das „kehrets Gott stracks um, daß es den Krebsgang gewinnet. Und wenn ers nicht thäte, so verlöre er die Ehre und Herrlichkeit seiner Majestat" 79 . Wenn daher die Schrift an vielen Stellen betone, daß man W A 40/III, 90, 9 f. (In X V Psalmos graduum 1532/33 Ps 122, 3). Ib. 9 0 , 2 5 — 3 1 . 75 Vgl. Luthers eigene Worte über seine Entdeckung der „iustitia Dei" : „Donec miserente Deo meditabundus dies et noctes connexionem verborum attenderem, nempe: Iustitia Dei revelatur in ilio, sicut scriptum est: Iustus ex fide vivit, ibi iustitiam Dei coepi in elligere eam, qua iustus dono Dei vivit, nempe ex fide, et esse hanc sententiam, revelari per euangelium iustitiam Dei, scilicet passivam, qua nos Deus misericors iustificat per fidem, sicut scriptum est: Iustus ex fide vivit. Hic me prorsus renatum esse sensi, et apertis portis in ipsam paradisum intrasse. Ibi continuo alia mihi facies totius scripturae apparuit. Discurrebam deinde per scripturas, ut habebat memoria, et colligebam etiam in aliis vocabulis analogiam, ut opus Dei, id est, quod operatur in nobis Deus, virtus Dei, qua nos potentes facit, sapientia Dei, qua nos sapientes facit, fortitudo Dei, salus Dei, gloria Dei" : W A 5 4 , 1 8 6 , 3 — 12 (Praefatio 1545). Siehe audi W A 50, 225—228 (Art. Smalc. Von der Buße 1537). 7 8 W A 39/1, 470, 1 — 9 (Die zweite Disputation gegen die Antinomer). 7 7 W A 42, 2 2 8 , 1 8 — 2 7 (Gn 4 , 1 5 . 1 6 ) . 7 8 W A T i 1, 575, 2 2 — 2 6 ; ib. 5 7 5 , 1 7 f. (Erste H ä l f t e der 1530er Jahre). 78 Ib. 5 7 6 , 1 7 ff. Wie wir oben sahen, besteht Gottes Ehre und Majestät eben darin, daß er als Schöpfer handelt. Unsere Weisheit, unser Reichtum und unsere Macht sind ja Teil seiner guten Gaben, die er über seine Schöpfung ausstreut. Wenden wir sie statt zu Gottes 73 74

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„geistlich arm" sein soll, sei dies von dem Gedanken her zu verstehen, daß Gott der Schöpfer aus dem Nichts sei: genau wie er im Anfang alles aus dem Nichts schuf, so müsse man erst all der Dinge beraubt werden, auf die man sich verläßt, um dann, aller eigenen Gerechtigkeit und allen eigenen Vermögens entblößt, Gottes „Es werde" hören zu dürfen80. Erst wenn der Mensch ein Nichts vor Gott wird, kann Gott einen neuen Menschen aus ihm schaffen. „Wie wir auch darumb Christen heyssen, das wyr nichts von uns selbs haben, sonder alles durch yhn uns geschencket wirt." 81 Seine Sünde vermag man jedoch nicht völlig einzusehen, bevor Christus sich nicht als Sieger über den Tod offenbart hat. Christus muß durch das gepredigte Wort gemalt werden, damit der Sünder Christi Gerechtigkeit schmecken kann. Erst in der Begegnung mit Christus sieht der Mensch seine eigene Sünde ganz und gar. Im Vergleich mit ihm tritt seine eigene Ungerechtigkeit um so stärker hervor. Aber schon die Schuld, die vor der Offenbarung Christi unter dem Gesetz erlebt wird, wird offenbar durch die Stimme Gottes im Gewissen82. Gottes Zorn und Liebe sind ja beide in der Schöpfung gegenwärtig, durch das Gesetz, das fordert, daß der Mensch Gott fürchte und liebe83, aber auch in aller menschlichen Kraftlosigkeit und Not, um den Menschen seine Kraft und Hilfe erfahren zu lassen84. In der Anfechtung wirkt Gott, „das der mensch sich und got erkennen lerne, Sich erkennen, das er nichts vormag, dan sundigen und ubel thun, Got erkennen, das gottis gnaden stercker sey, dan alle creaturen, und also lerne sich vorachten und gottis gnaden lobenn und breysen" 85 . Andererseits betont Luther auch, daß der Sünder an und für sich nicht dieses „Nichts" ist, sondern der Sünder, der seine Sünde bekennt. „. . . ita nihil nobis relictum est nisi peccatum, stulticia, malicia, perditio et confusio, ac per hoc non possumus nobis in ullo piacere aut idolum facere, redacti in nihilum, ex quo et venimus, remanente solo deo omnia in omnibus." 86 Gott liebt ja nicht die Sünde, sondern dem Sünder, und an ihn will er handeln. Gottes neuschaffendes Werk geschieht daher nicht an dem sicheren Sünder, sondern an dem angefochtenen Sünder. Gerade die Menschen, die sich ihrer Sünde bewußt sind, sind Gegenstand des Wohlgefallens Gottes. Die Gnade in der Anfechtung ist, daß diese in Gottes Offenbarungs- und Versöhnungshandeln hineingestellt ist. „Deus, quando irascitur peccatoribus, tum irascitur duris et insensatis. Sed sentientibus peccatum heist der text so: ,Beneplacitum est'. " 8 7 „. . . sentio peccatum et peccavi: Confide, quia vult tales, qui sentiunt peccatum, quia alias neminem salvaret."88 Ehre zu unserer eigenen Ehre an, so daß Gott nicht länger unser Gott und Schöpfer sein kann, dann muß Gott dadurch seiner Allmacht Ehre und Majestät erweisen, daß er seine gute Schöpfung zerstört und tötet. So fordert und nimmt er sein Eigentum, das wir mißbraucht und verdorben haben, zurück. 80 WA 9, 330, 7—331, 8 (Predigten 1519—21 Poliander). 81 WA 12, 537, 16 ff. (Predigten 1523 IKor 4,15). 8 2 H. Bornkamm 1953 2 , S. 195 f. 8 3 J. v. Walter 1940, S. 102. 8 4 WA 7, 560 ff. (Das Magnificat 1521). 8 5 WA 2,125,19—22 (Deutsche Auslegung des Vaters Unsers 1519). 88 WA 1, 428,1—4 (Decern praecepta . . . 1518). Vgl. hierzu O. Gühloff 1939, S. 16. 87 WA 40/11, 334, 7 f. (Enarratio Psalmi LI 1532 Ps 52, 3). 8 8 Ib. 363, 7 f.

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Wer sein Herz vor Gott verhärtet, wird von der versöhnenden Kraft der Offenbarung ausgeschlossen, ihn beherrscht „superbia", er vertraut auf die „Klugheit des Fleisches", aber der Angefochtene verbleibt in der Demut, die das nihil ist, in welchem Gott redet und den neuen Menschen schafft89. Die humilitas, welche die Jungfrau Maria auszeichnete, bestand, wie wir sahen, darin, daß sie nicht der Hochmut ob ihrem Auserwähltsein überkam, sondern daß sie Gott die Ehre gab. Maria vertraute nicht auf die Gabe Gottes, sondern verließ sich ganz auf den Geber90, sie ließ die Lobpreisung Elisabeths zu Gott zurückkehren (respexit)91. Daher, sagt Luther, sollen wir aus dem Beispiel Marias lernen, Gott allein die Ehre zu geben 92 . Sündenbekenntnis ist also nicht Selbstbespiegelung, sondern die Entdeckung dessen, was Gott vermag, seiner Gnade und seiner Forderungen. „Darumb sollen eyns Christen werck nit gericht seyn auff vordienst . . . ssondern auff nutz und durfft der andern, das er yhe nit yhm selb, ssondern nur seinem nehisten hie auff erde lebe und wirck . . ., denn er hatt durch seynen glauben fur sich selb schon gnug und ist reych, voll und selig." 93 Bevor der Mensch von der Offenbarung in Christus getroffen wird, tragen und erhalten ihn Gottes Gebote94. In der Begegnung mit Christus aber entdeckt er sein falsches Ausgerichtetsein auf sich selbst, das sich abwendet von Gott und dem Nächsten. „Der selb glaub lebt und webt, der dringt durch und endert den gantzen menschen, der zwingt dich, das du must furchten, szo du hoch bist, und getrost seyn, szo du nidrig bist." 95 Wie wichtig die Unterscheidung von humilitas und praesumptio ist, veranschaulicht Luther u. a. in der Auslegung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1 —16)96. Die „praesumptio" der Juden bestand darin, daß sie Gott nicht die Ehre gaben, indem sie Gottes Offenbarung in Christus nicht annahmen97. Aber in diesem Gleichnis wird nach Luthers Auslegung auch vor der „desperado" des Menschen, seinem Verzweifeln an Gottes Erlösermacht, gewarnt 98 . Beide sind gleich verwerflich, denn sie schließen das Evangelium aus und damit auch Gottes Werk der Neuschöpfung. Aber „wo gottis ehre ist, da muss frid seyn" 99 . Wer durch Gottes Offenbarung im Wort gelernt hat, daß er von sich 8 8 „Igitur recedere a Deo et appropinquare fit duobus modis, scilicet interius et exterius, seu cognoscendo Deum et ignorando Deum. Per cognitionem fit in timore et reverenda recessus, et haec est humilitas, qua homo suum nihil agnoscit et Deo relinquit omne bonum, non audet sibi, aliquid arrogare. Per ignorantiam fit in contemtu et securitate recessus: est superbia": W A 1 , 6 3 , 2 3 — 2 7 (Sermone aus den Jahren 1514—17). 90 W A 20, 452, 21 f. (Predigten des Jahres 1526). 9 1 W A 15, 643, 40 f. (Predigten des Jahres 1524). 9 2 W A 1 1 , 1 4 3 , 5 f.; 217, 22 (Predigten des Jahres 1533); W A 10/III, 316, 8—318, 7 (Predigten 1522). 93 W A 1 0 / 1 , 1 , 3 7 7 , 8—13 (Kirchenpostille 1522 Gal 4 , 1 — 7 ) . 9 4 Siehe A. Siirala 1956, S. 188. 95 W A 7, 553, 33—35 (Das Magnificat 1521). Siehe audi W. Maurer 1949, S. 92. 9 8 In der Auslegung 1 5 1 7 ist der Skopus des Gleichnisses humilitas ( W A 1 , 1 3 4 , 8 ff.), aber 1523 liegt der Ton auf der Abweisung der Werkgereditigkeit ( W A 1 1 , 1 3 , 23 ff.). Noch deutlicher tritt das in der Fastenpostille 1525 hervor ( W A 17/11,136, 36). 87 W A 27, 39, 34 (Predigten des Jahres 1528). 8 8 Ib. 38, 24. 99 W A 10/1,1, 8 9 , 1 2 f. (Kirchenpostille 1522).

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aus nichts ist, daß er in allem von der Gnade Gottes abhängt, der verliert die sklavische Furcht100 und wird von Gottesfurcht erfüllt. Dann hat man keine Sorge mehr um Dinge, die Gott selbst hier im Leben wie auch in der Vollendung schenkt, d.h. das irdische wie auch das ewige Gut empfängt man aus Gottes Schöpferhand101. Wer auf Gott vertraut und ihm die Ehre gibt, hat teil an Christi Wiederherstellungs- und Versöhnungswerk. Er hat den Glauben, den die erste Tafel des Gesetzes fordert und den das Evangelium im Herzen des Menschen schafft. „Wer Gott gleubet, der gibt jm seine Ehre, als das er warhafftig, allmechtig, weise, gut sey. Also erfüllet der glaube die ersten drey Gebot, vnd macht den Menschen gerecht fur Gott, Das ist denn der rechte Gottesdienst."102 Der Glaube, der nicht auf irgend etwas Geschaffenes vertraut, sondern einzig auf den Schöpfer, der nicht das Werk des Menschen ansieht, sondern das Werk Gottes, ist also die Schöpfung Gottes durch die Offenbarung im Evangelium. Glaube ist nicht bloß „cognitio", sondern auch „creatura". „Die gotliche gepurt ist nu nichts anderss, denn der glaub . . . Wenn denn nu das Euangelium k o m p t . . . da geht auss seyn alltis liecht unnd geht ynn eyn newes liecht, der glawbe . . . Sihe, sso ist er new gepornn auss gott, durch das Euangelium, ynn wilchem er bleybt, und lessit seyn liecht und dunckel faren." 103 Bei dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1—13) sagt Luther, daß das Öl in der Lampe der rechte Glaube sei, den Gott schafft und macht. Die Lampe ohne ö l ist der eingebildete Glaube, „der Wahn im Herzen", er ist „ein creatur des menschenn, darumb ist er gleich wie der schäum auff dem wasser oder der gest auff dem bösen bier" 104 . Die törichten Jungfrauen sind die Menschen, die zwar das Evangelium hören, aber „wollen yhren Eigen gutdunckel auch etwass gross lassen geltenn"105. Es stehen also immer die Schöpfungsimpotenz des menschlichen Unglaubens und die Schöpfungspotenz der göttlichen Gnade einander gegenüber. Wenn der Mensch sich selbst von der Offenbarung im Evangelium ausschließt, muß Gott durch das Gesetz diese „Torheit des Fleisches" anfechten und töten. In der Not und Entäußerung des Menschen liegt seine Rettung. Dort wird die Offenbarung des Gesetzes in die des Evangeliums verwandelt. Dort wird das Schöpfungswerk „ex nihilo" vollendet10®. Gott will nicht, „ut permaneas in perturbatione"107. Wenn das Gesetz den alten Menschen tötet, wird im Glauben an das Evangelium das Leben des neuen Men100 D e r Priesen, den der Mensch in Gott erfahren kann, ist „fructus fidei": W A 29, 6 7 5 , 1 7 ff., 676, 8 ff. und 23 (Predigten 1529). 1 0 1 Die Schöpfung selbst predigt uns nach Luther dieses Vertrauen. Unsere Kinder, sagt er, seien das große Beispiel d a f ü r : sie haben das volle Vertrauen, so daß wir sagen können, in ihnen haben wir Christus selbst in unserm Heim: W A 3 7 , 1 5 9 , 22; 1 6 1 , 2 8 (Predigten 1533 Mt 18, 3). Siehe auch W A 27, 3 4 6 , 1 ff. (Predigten 1528 Mt 6, 24 ff.). 102 W A D B 7 , 4 3 (Randglosse Luthers zur seiner Deutschen Bibelübersetzung Rom 4, 15—25). 1 0 3 W A 10/1, 1, 231, 16—232, 9 (Kirchenpostille 1522 Joh 1 , 1 — 1 4 ) . 1 0 4 W A 10/III, 355, 20—28 (Predigten 1522 Mt 15, 8). ios W A 45, 387, 23 f. (Viel fast nützlicher Punkt 1537 Rom 1, 5). 1 0 6 W A 7, 547, 1—8 (Magnificat 1521). 107

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W A 40/1, 5 2 2 , 1 1 (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 3, 23). 7647

Löfgren, Schöpfung

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Kapitel VI : Versöhnung und Vollendung

sehen geschaffen. „Lex te affligit, ut vivifeceris per Christum." 108 Der Glaube weiß ja, daß „Deus non est deus tristitiae, sed deus solatìi et laetitiae" 109 . Das Evangelium bewirkt eine völlige Umwertung der Situation unter dem Gesetz. „Quod in conspectu Dei vita est, in nostro conspectu mors est, Quod apud nos temporale est, apud Deum non est temporale, Quod apud nos aeternum est, apud Deum non est aeternum."110 Die Klugheit des Menschen zeigt sich nun im Licht des Evangeliums ganz im Gegenteil als sein Verderben111. Die „Klugheit des Fleisches" wird nun abgelöst durch die „Klugheit des Geistes" (prudentia spiritus), die von nichts anderem regiert wird als der Liebe, die nicht ihr Eigenes sucht, sondern Gott U2 . „Quomodo autem haec fiant, facile est dicere, sed solius spiritus est efficere et solius experti cognoscere. Hic enim facit, ut tarn multa subito dispareant et nihil fiant, nihil ab anima estimentur."113 Der „Trost" des Evangeliums schafft Vertrauen in Anfechtung und Leiden, aber dieser Trost ist der der göttlichen Liebe und der Gegenwart des ewigen Lebens Gottes beim Menschen als einer Schöpfung aus dem Nichts. Der Trost des Evangeliums und die Vergebung Gottes haben ihre Kraft darin, daß sie das lebenspendende Wort des allmächtigen Schöpfers im Herzen des Menschen einpflanzen114. Daß sich also für Luther „imputare" und „creare" nicht trennen lassen, wird ferner noch durch den Gedanken unterstrichen, daß das Evangelium das Gesetz aus dem Gewissen des Menschen heraustreibt und ihn auf den Dienst am Nächsten und das Herrschen über die Erde verweist. Gottes „Gerechterklärung" schließt also auch „Gerechtmachung" in sich; diese Bewegung von Gott zum Menschen ist aber unumkehrbar; das rechte Tun des Menschen schließt nicht Gottes Gerechterklärung in sich. Das Gesetz ist erfüllt, wenn es aus dem Herzen des Menschen herausgetrieben ist, und dies kann nur Gott selbst tun. Der Christ tut nicht gute Werke, um vor Gott gerecht erklärt zu werden, sondern weil er gerechterklärt ist. Christi Gerechtigkeit kann man nicht nachahmen, sondern nur als Gabe empfangen. Von hier aus muß Luthers Polemik gegen die scholastische Formel „fides charitate formata" verstanden werden. Sie ist Verneinung der göttlichen Gnade gegen den Sünder. Weil Gottes Gnade das große Wunder ist, sind gute Werke des Christen ebenso selbstverständlich, wie daß ein guter Baum gute Früchte trägt. 1 0 8 Ib. 522, 7. „Wult dominus, ut poenitentiam agamus . . . Nolo mortem peccatoris" : W A 39/1, 4 1 1 , 6 — 1 0 (Die erste Disputation gegen die Antinomer 1537). 1 0 9 W A B R 5, 3 7 4 , 1 9 f . „Non vult Deus tristitiam": W A 4 0 / 1 1 , 1 1 7 , 1 1 (Galaterbriefkommentar 1535). 1 , 0 W A 40/III, 534, 1 2 — 1 5 (Enarratio Psalmi X C 1534/35). 1 1 1 Vgl. die einleitenden Sätze in Luthers Römerbriefvorlesung W A 56, 3 f. (1515/16 Rom 1 , 1 ) . 1 1 2 Ib. 3 6 2 , 1 8 — 3 6 3 , 2 (Rom 8, 7). 1 1 3 Ib. 363, 2—7. Maria (Lk 10, 38) sucht das einzig Notwendige, während Martha „per illa gradiens et perfringens in multis turbatur, obliuiscens posteriora, Sed extendens se in anteriora" : ib. 363, 6 f. Aber auch die, die freiwillig alles Eigene aufgeben, stehen in der Versuchung. Sie rühmen sich natürlich nicht ihres Eigentums, aber vielleicht ihrer Armut. „Ideo multis laboribus opus est, v t ,prudentia carnis', tarn multis laqueis irretita, per prudentiam spiritus superetur continuis preeibus et lachrymis": ib. 363, 11 ff. 1 1 4 Vgl. den berühmten Trostspruch Luthers an Dr. Jonas in W A T i 4, 545 (1543).

3. C r e a t i o ex nihilo

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Er soll nicht gute Werke tun, er tut sie.115 In einer Predigt (1523) sagt Luther daher, daß derjenige, der Gott als den Schöpfer und Lebenspender recht kennengelernt hat, auch die Einheit von Gott als Schöpfer und Gott als Erlöser erfährt, und daß dies ganz selbstverständlich eine neue Wirklichkeitssicht bedeutet: „Wer das verstehet, der wird so baldt ynnen, das er kein ädern regen und nicht ein gedancken haben kan, gott mus es wircken, das sein leben gantz in seiner hand nit stehet, sonder gantz blos yn gottis handt, dann so ich das glaub, das er die gantz weit aus nichts gemacht, sonder allein als auff seinem wort und gebott gestanden sey, so mus ich ya bekennen, das ich auch ein stuck, von der weit unnd seyner schepffung sey, darumb mus folgen, das yn meiner macht nicht stehet ein hand zu regen, sonder allein, das Gott alles yn mir thue und wirck . . . Darumb stehet ein solcher glaubiger mensch ynn solcher freud und fröligkeit, das er sych vor keyner creatur leszt erschrecken, yst aller dingen herr, unnd furcht sych allein vor Gott, seynem herrn, der ym hymmel ist." Wer im Glauben an den Schöpfer lebt, kann willig auf alles verzichten, denn seine Rettung liegt in nichts Geschaffenem, sondern im Schöpfer. „ . . . Wenn er yn der weit ein grosser herr wer und wurde gesetzt über al königreich, das man yhm gebe alle wollust und freudt auff erden, so nimbt er sych sölchs nichts an, fragt auch nichts darnach, wenn yhm schon sölchs alles widder genomen wird, wenn er setzt sein vertrawen nicht auff yrgent ein creatur, sonder auff Got allein."11® Dies bedeutet aber nicht eine Aufhebung des Gesetzes für das äußere Leben, denn nur als unter dem Gesetz Stehender kann der Mensch das Wunder des Evangeliums erfahren. Da die Anfechtung unter dem Gesetz im Dienst der Menschwerdung steht, lassen sich deshalb Luthers oft wiederholte Worte von der Hilfe des ersten Gebots in der tiefsten Anfechtung117 nicht, wie P. T. Bühler meint, einzig von der durch den Glauben gewonnenen Zusammenscbau von Gesetz und Evangelium her verstehen118. Bei Bühler vermißt man eine Berücksichtigung der 1 1 5 „Sic tria et Septem non debent esse decern, sed sunt decern . . . Ita iustus non debet bene v i v e r e et bene facere, sed bene v i v i t et bene facit" : W A 57(2), 105, 2 4 — 2 7 (Galaterbriefvorlesung 1516/17 Gal 5, 23). Fides informis ist nur ein eingebildeter Glaube: W A 40/1, 421 f . ; s. auch ib. 239, 18 ff. und 240, 2 9 f f . 1 1 6 W A 1 2 , 4 4 2 , 1 — 4 4 3 , 3 (Predigten des Jahres 1523). W e r dagegen diesen Glauben an den Schöpfer nicht hat, lebt in einer ständigen, wenn audi vielleicht unterdrückten Furcht v o r dem Geschaffenen. G e w a h r t er im Geschaffenen nicht den Schöpfer, dann w i r d er es leicht in Eigenliebe mißbrauchen oder audi v o n ihm Schaden erleiden, sei es auch nur dadurch, daß es ihm genommen w i r d . W e r nicht den Schöpfer zum Gott hat, muß ja, wie w i r sahen, das Geschaffene zum Gott haben. A b e r das Geschaffene ist kein gnädiger, sondern ein zorniger G o t t : ib. 443, 8 f f . 1 1 7 „Iustus autem, qui seit, deum non modo promisisse et praevenisse, sed etiam praecepisse, ante omnia opera in se credi et sperari, nec ideo resurgit, quia operibus nititur, nec ideo iacens manet, quia cecidit, sed promissi et praecepti dei memor misericordiam propitiam ante oculos habet, quam solam ante oculos habere iussit, quando dixit „Ego dominus deus tuus" : W A 5 , 4 0 0 , 1 — 6 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 — 2 1 Ps 1 4 , 1 ) . 1 1 8 P . T . Bühler 1942, S. 1 2 4 ff. Bühler hat darum die Frage nach dem 1. Gebot im Ganzen der Lutherschen Theologie auch nicht gelöst. Sie w u r d e lange und eingehend in der Lutherforschung diskutiert. Siehe u . a . K . H o l l , 1 9 3 2 e , S. 6 7 ff., H . M . M ü l l e r , Erfahrung und Glaube bei Luther, Leipzig 1922, S. 23 und S. 9 0 ; ders., D e r christliche Glaube und das 1. Gebot (ThBl 6. Jg., 1 9 2 7 , Sp. 2 6 9 — 2 8 1 ) ; ders., Glaube an Gott den Schöpfer als Glaube

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Kapitel V I : Versöhnung und Vollendung

für Luther typischen Dialektik zwischen dem antagonistischen (vgl. o. Kap. IV) und dem restituierenden Moment in seiner tentatio-Theologie. Die Anfechtung ist ja für Luther gleichzeitig die Bewegungsrichtung des Falls (in dem das Gesetz der Sünde und des Todes in seiner ganzen Kraft wirkt) und der Versöhnung (in der Gottes mandatum im Evangelium seine wirkliche Erfüllung erreicht). Nur dadurch, daß er in der Anfechtung steht und ihr mit Hilfe des Geistes Gottes standhält, wird ja der Mensch zu dem, wozu er geschaffen wurde; in der Anfechtung wird die Kraft des Gebotes (mandatum) erfahren. „Drumb sihe, wie eynen gnedigen gott und vatter wir haben, der unss nit allein sund vorgebung zu sagt, ssondern auch gepeut bey der aller schweresten sund, wir sollen glauben, sie seyn vorgeben, und unss mit dem selben gepott dringt zum froehlichen gewissen, und mit schrecklicher sund unss von den sunden und boessen gewissen treibet." 119 Wenn Luther den Angefochtenen auf das erste Gebot verweist, so verweist er ihn auf die neuschaffende, das Gebot Gottes erfüllende Kraft des Evangeliums, in welcher der Mensch „in Christus", „im Wort", „coram Deo" lebt und %um Ebenbild Gottes geschaffen wird. Wenn Luther andererseits gelegentlich sagt, daß man doch nicht immer so getröstet wird, wie man es in der Verheißung des ersten Gebotes zufolge werden müßte 120 , bedeutet das nur, daß man noch nicht vollkommen ist und deshalb nicht immer den von Gott gebotenen Glauben zu empfangen vermag, d.h. daß die Anfechtung hier im Leben ihren Charakter der Bewegungsrichtung sowohl zum Fall hin als auch zur Vollendung hin beibehält; denn diese Spannung hört erst in der völligen Vereinigung mit Christus in der Auferstehung der Toten auf. Bis dahin steht der Christ unter den beiden Regimenten Gottes, in denen Gott und Satan in einem unaufhörlichen Kampf um den Menschen zusammenstoßen. Aber nur dadurch, daß man unter den beiden Regimenten steht, hat man Hoffnung auf Befreiung und Sieg. Gottes Wort ist sowohl Gesetz als auch Evangelium 121 . an Christus bei Luther. Die Frage der Erfüllbarkeit des 1. Gebotes (ThBl 7. Jg., 1928, Sp. 37—48); H . Bornkamm, Christus und das 1. Gebot in der Anfechtung bei Luther (ZsystTh 5. Jg., 1927, S. 453—477); F. Gogarten, Theologie und Wissenschaft (ChrW 38. Jg., 1924, Sp. 34 ff., 71 ff., 121 fF.). Siehe auch die neueste Untersuchung zum Anfechtungsproblem bei Luther von H.Beintker 1954, bes. S. 31 ff., wo K . H o l l gegen unberechtigte Angriffe verteidigt wird, wo aber die traditionelle Fragestellung nicht überwunden ist, weil Beintker die These der „Eigengeständigkeit" der Rechtfertigungslehre Luthers vertritt und deren Zusammenhang mit dem Schöpfungsgedanken übersieht. 1 1 9 WA 2, 717, 36—40 (Sermon von der Buße 1519). Vgl. H. Bornkamm 1948, S. 151, und O. Gühloff 1939. Letzterer gibt eine ausführliche Beschreibung von der Stellung des 1. Gebotes in Luthers Schöpfungsdenken, ohne sich doch von modernen, lutherfremden Denkkategorien ganz freizumachen. 1 2 0 Siehe WATi 1, 200, 20. 1 2 1 Bei der Auslegung des großen Gastmahls (Lk 14,11—24) betont Luther, daß die Einladung teils ein „compellere", d.h. „frisch die sündt an das gewissen treyben, damit der mensch erkenn, wie er nichts sey" — teils aber auch ein „compellere intrare", d.h. „die mahnung des Evangelium": glaube an Christus! Dies Evangelium ist die größte Gabe, der größte Trost. „Die weyl es dann ziert und köstlich ist, so fordert es auch die leut, die es darfür halten und setzen etwas dran, es sey was es wöl." Gleichzeitig grenzt Luther die Einladung des Evangeliums ab von der Wirkung des Gesetzes „in das gewissen", das ohne Gewalt geschieht, im Gegensatz zu dem „eusserlichen treyben" im weltlichen Regiment. Er betont aber nicht nur die Eigenart des Evangeliums gegenüber dem Gesetz, sondern auch

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Wenn Luther den Glauben als Gehorsam dem ersten Gebot gegenüber beschreibt, d. h. als einen Glauben, der von Gott befohlen und deshalb auch von ihm geschaffen ist, so will er auch betonen, daß der erlösende Glaube nicht entstehen kann in der Isolierung des Menschen von der äußeren Not, die ihn umgibt, und der inneren Not, die diese notwendigerweise verursacht, ganz gleich, ob der Mensch sich vom Äußeren isoliert oder selbst mitten drin steht. Denn einzig in der Not kann ja Gott nahe sein als der Schöpfer aus dem Nichts, als der Helfer des Menschen gegenüber seinen Feinden Gesetz, Sünde, Tod und Teufel, die überall vorhanden sind und denen man deshalb nicht zu entfliehen vermag 122 . „Drumb hat die gegenseitige Bezogenheit von Gesetz und Evangelium aufeinander: daß nämlich das Evangelium es möglich macht, die Forderung des Gesetzes nach Glauben zu erfüllen: WA 12,600,22—601,17 (Predigten 1523). „Luther unterscheidet also ein zweifaches Gebieteneines, das dem Menschen zum Spiegel der Sünde wird, ihn anklagt, ,tötet' und verdammt, und ein Gebieten, das den Menschen unter die Gnade fordert. Dieses Gebieten ist Schenken und bleibt dennoch Gebieten": vgl. O. Gühlhoff 1939, S.7. Siehe auch H . Ivarsson 1956, der den ermahnenden Sinn der Predigt dem „reytzen und locken" gegenüberstellt (S. 119 u. ö.). „Die Ermahnung ist ein evangelischer Imperativ mit Schöpfungscharakter" (Übers.) : ib. S. 121. In „Wider die Sabbather" (1538) sagt Luther, daß das 1. Gebot für Juden und Heiden gelte. Der Dekalog ist gewiß den Juden in einer bestimmten historischen Situation gegeben; kein anderes Volk teilt ihn mit den Juden. „Wir Heiden können nicht sagen noch gleuben . . . , das er uns aus Egypten odder ins Land Canaan gefurt habe" : WA 50, 334,37 ff. Aber das 1. Gebot bleibt doch gültig für alle Völker. „Du bist mein Gott, unser aller Gott und zu gleich schepffer, der zwar die kinder Israel aus Ägypten gefüret hat, Mich aber nicht, sondern mich aus meinem Egypten und aus meinem Elende gefurt. Also bleibt das erste gebot gemeine beide, Jüden und Heiden": ib. 331, 30—33. Im 1. Gebot stehen folglich alle zugleich vor der Forderung, auf Gott als den Retter in der Not zu vertrauen, und vor der Gabe, die mitten im Sterben durch das Evangelium geschenkt und im Glauben empfangen wird. „Fides igitur conciliât contraria . . . sed virtus eius est mortem occidere, infernum damnare, esse peccato peccatum, diabolo diabolum, adeo ut mors non sit mors, etiamsi omnium sensus testetur adesse mortem . . . " : WA 43,219,28. Der Glaube ist also der „Mittler" zwischen Leben und Tod: „Haec fidei vis est, quae ita médiat inter mortem et vitam, et transmutât mortem in vitam et immortalitatem, quam seit donatam per Christum" : ib. 219, 8 ff. (Gn 22 11a). 122 „ . . . wo aber erfarenn wirt, wie er ein soldier got ist, der ynn die tiefïe sihett, und nur hilfft der armen, vorachten, elenden, jamerichen, vorlassenen, unnd die gar nichts seint, da wird er szo hertzlich lieb, da geht das hertz über fur freudenn . . . " : WA 7, 548, 5—9 (Das Magnificat 1521). „Siehe, alsso wart Christus kraftloss am Creuz und eben da selb thet er die groste macht, übirwand die sund, tod, weit, helle, teuffei und allis ubel. Alszo haben alle Marterer starck gewessen und gewonnen, alsso gewinnen audi noch alle leydenden und vordruckten": ib. 586,15—18. „So lerne, das idi helfen kan, wo niemand helffen kan, scilicet ynn auffuren ex Aegypto, ex peccato, morte": WA 36, 347, 26ff. (Predigten 1532 Mt 9,18 ff.). Der Zusammenhang zwischen der Anfechtung des Christen und Christi Kreuz ist besonders deutlich beim jungen Luther: siehe W. v. Loewenich 1929, S. 15. Christus ist darum für Luther nicht moralisches Vorbild im gleichen Sinn wie f ü r die mittelalterliche imitatio-Frömmigkeit, in welcher Christus vor allem Vorbild war. Bei Luther bedeutet Nachfolge Christi vor allem, daß der Christ eins ist mit Christus. So wie Christus früher als Meister seinen Jüngern vorangegangen ist, so geht er audi noch heute als Meister voran. Der Ton liegt darauf, was Christus für uns getan hat — er ist beides : Gabe (WA40/1,130, I f f . = Galaterbriefkomm. 1553) und Exempel (WA 15,450,6—15 = Predigten 1535), beides: „Sacramentum" und „exemplum": WA 10/1,1,12,12—13, 2 (Kirdienpostille 1522). Vgl. W. v. Loewenich 1954, Zitatenhinweise S. 121. Diesen prinzipiellen Akzent findet man schon in dem „descensus-Motiv" des jungen Luther: der Christus „extra

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Kapitel V I : V e r s ö h n u n g u n d V o l l e n d u n g

g o t . . . das Creutz Christi mit untzelichen leydenn unnd notten, seinen aller liebsten kindernn und Christenn geben, . . . auff das er ja viel zu sehen hette ynn die tieffe, vielen helffen, viel wircken, sich einen rechten schepffer erzeigen." 123 In einer Predigt des Jahres 1544 vergleicht Luther Gott mit einem Säemann: er trägt die Menschen wie Körner in seinem Tuch (dem Gesetz) und streut sie in die Erde (den Tod). Sonne, Regen und Wind, die das Wachstum schenken, sind das Wort, das Sakrament und der Heilige Geist124. Und in einer Predigt des Jahres 1531 wird der Mensch des Glaubens einem Landmann verglichen, der sagt: „Gleich wie ich jtzt Korn see, Bönen setze, Also seet und pflantzet mich Gott durch die Tauffe und durchs Wort. Darumb bin ich seine Bone und Korn. Wenn ich nu sterbe und verfaule, So wird aus diesem stinckenden, verweslichen Leibe ein wolriechender, unverweslicher Leib werden." 125 Derselbe Gott, der in der Schöpfung Leben und Wachstum schenkt, schafft also durch das Wort das neue Leben, das im leiblichen Tode nicht verloren werden soll. Durch die Taufe wird der Mensch wiederhergestellt, ja, er wird sogar zu einem neuen, vollkommenen Leben geboren, in dem er coram Deo lebt. Bevor man zu diesem Leben vordringt, ist man aber mitten im Tode, man stirbt und vermodert in der Erde wie alles geschaffene Leben. Es sieht aus, als sei kein Leben mehr vorhanden, aber im Glauben an Christus besitzt man die Hoffnung, am Jüngsten Tage zum ewigen Leben auferweckt zu werden126. Im Wort kommt Christus selbst zu dem angefochtenen Menschen, und gibt ihm teil am Sieg über den Tod. Luther verweist deshalb den Angefochtenen immer darauf, Hilfe und Trost im verkündeten Wort und in den Sakramenten zu suchen. Das Wort verheißt Trost und Vergebung, die Sakramente bestätigen das mit ihrem „Siegel", und darauf kann der angefochtene nos" wird durch den Glauben „Christus in nobis"; „opera eius, que in nobis et pro nobis operatur": W A 4, 208, 19 f. (Dictata 1 5 1 3 — 1 6 Ps 106). „Christus pro nobis factus est peccatum, maledictum, excommunicatio et anathema": W A 3, 236, 3 3 f . Vgl. auch ib. 4 1 1 , 3 3 , 5 4 8 , 3 3 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 — 1 6 ) . Zu Christi „descensus ad inferos" s. u . a . ib. 121, 32; 134, 2; 136, 14; 166, 25; 303, 33 und 623, 2. Luther denkt sich Christi Höllenfahrt nicht nur als eine Fahrt zu einem Höllenort. Christi descensus bedeutet v o r allem einen descensus in die Nöte der Anfechtung und Gottverlassenheit: s. z.B. W A 5, 207, 497, 590 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 — 2 1 ) und W A 1, 291, 2 2 — 3 1 ; 558, 25—559, 5 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 — 1 6 ) . Das descensus-Motiv in Luthers Versöhnungslehre behandeln ausführlich S. Lerfeldt, Forsoningen i Luthers Teologie (Dansk Teologisk Tidskrift 6. Jg., 1943, S. 5 ff.)» und P. Althaus, Niedergefahren zur Hölle (ZsystTh Jg. 19, 1942, S. 365—384), S. 371 ff. 1 2 3 W A 7, 548, 1 2 — 1 6 (Das Magnificat 1521). Vgl. W A 1 9 , 1 5 4 , 2—155, 6 (Die Epistel des Propheten Jesaia 1526 Jes 9, 6). 1 2 4 „Unser HERR Gott ist ein guter Ackerman, Der tregt uns alle in seinem Tuch, Das ist: in seinem Gesetz, Weil wir alle Sünder sein und ubertretter seiner Gebot, so müssen wir auch alle sterben. Aber wie das Korn im Frühjahr aufgeht, so sollen auch wir, Gottes Aussaat, zum Leben auferstehen." Das Schöpfungsgeschehen in der Totenauferstehung ist also ähnlich wie das im Wachsen der Saat: „Dazu bereitet uns der Regen, die Sonne und der Wind, Das ist: das Wort, die Sacrament und der heilige Geist": W A 49, 426, 3 6 f f . und 428, 40 f. (Predigten 1544). 1 2 5 W A 34/11,124, 29—32 (Predigten 1531 Tit 2 , 1 3 ) . Vgl. auch W A 45, 23, 1 — 1 5 (Predigten 1537) und ib. 80, 24 (Jak 1 , 1 8 ) . 1 2 6 W A 4 2 , 1 4 6 , 27—35.

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Mensch vertrauen, denn hinter der Verheißung und dem Siegel steht der Herr Christus, der die Erfüllung des mandatum Dei ist127. Wenn der Mensch im Glauben den im Wort zum Heil des Menschen kommenden Christus ergreift, dann schweigt das Gesetz, dann entweicht es aus dem Gewissen und macht dem Evangelium von Christi Sieg Platz. Dadurch wird dem Menschen die Möglichkeit wiedergeschenkt, das zu werden, was seine Bestimmung in der Schöpfung war. Das Gesetz fährt zwar fort, auch den Glaubenden in seinem Verhältnis zu den äußeren Dingen und zum Nächsten zu bestimmen, aber das Evangelium erringt die Alleinherrschaft in seinem Herzen. Die ursprüngliche Ordnung wird wiederhergestellt und die Schöpfung wiederaufgerichtet128. Das ist das Christusgeschehen: „Da kombt nu Jhesus Christus, Gottes szon, und hebt die Creatur wider auff, die der teuffei durch die sund szo verterbet hat und bringt sie wider zurecht."128 Mit dem Gesetz müssen auch der Teufel und die Vernunft des alten Menschen, die ihm in der Anfechtung den Tod brachten, weichen, und dies bedeutet zunächst eine vollkommene Verwandlung des Menschen. „Sihe, wenn nu das liecht, die vornunfft, der allte dunckel, tod ist, finster, unnd ynn eyn new liecht vorandert worden, szo musz denn auch yhm folgen und vorandert werden das gantz leben und alle krefft des menschen."130 Das Leben des Menschen erhält nun eine andere Dimension, er ist nun auch auf die Hoffnung der neuen Welt, des ewigen Lebens ausgerichtet, das er, und nur er unter allen geschaffenen Wesen, in seiner Eigenschaft als imago Dei besitzt131. Er setzt nun sein Vertrauen auf den Schöpfer aus dem Nichts und hat in ihm sein Leben und seine Seligkeit132. Die Anfechtung darf aber nicht als etwas lediglich Inneres aufgefaßt werden, sie geschieht nicht abseits vom Leben in der Welt, unter anderen Menschen, weil Gott fortfährt, den Menschen in einer beständigen Buße und Erneuerung zu üben. Wenn Luther in seinen 95 Ablaßthesen sagt: „Dominus et magister noster Iesus Christus dicendo ,Penitentiam agite etc.' omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit"133, dann ist die Buße nicht als menschliche Anstrengung, als Vorbedingung der Gnade aufgefaßt, sondern als ein beständiges Gebet um Sündenvergebung, in welchem Gott selbst den Menschen in sein neuschaffendes Versöhnungshandeln hineinbindet. Wie wir gesehen haben, betont Luther zwar erst in den zwanziger Jahren in klarem Gegensatz zur Theologie seiner Zeit, daß die Buße, da sie durch Gott gewirkt ist, in Gottes beiden Regimenten, dem weltlichen und dem geistlichen, geschehen muß, in welchen beiden ja Gott gebietet und befiehlt, und auf diese Weise den Menschen von einem „Bild" des Teufels (imago Diaboli) zu einem „Bild" Gottes (imago Dei) umformt134 und so die Neuschöpfung, durch welche man vom Tod zum Leben geführt wird, geschehen W A 27, 1 3 4 , 2 2 — 1 3 6 , 1 0 (Predigten 1538 M k 6 , 14 ff.). „Durch die predig kompt er herab, sso kommen wir durdi den glawben hynauff" : 129 W A 4 5 , 1 8 , 5 ff. (Predigten 1537). W A 12, 565, 20 f. (Predigten 1523 Mk 16, 16). 1 3 0 WA10/I, 1 , 2 3 3 , 7 ff. (Kirchenpostille 1522 Joh 1 , 1 — 1 4 ) . 1 3 1 W A 46, 561, 37 ff. (Auslegung des 1. und 2. Kap. Johannis 1537 Joh 1 , 4 ) . 1 3 2 W A 12, 4 3 9 , 1 6 — 2 6 (Predigten 15 2 3). 1 3 3 W A 1, 2 3 3 , 1 0 (Die 95 Thesen 1517). « ι W A 40/1, 650, 23—26 (Galaterbriefkommentar 1535 Gal 4 , 1 9 ) . Siehe auch G.Hillerdal 1954, S.35. 127

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läßt135. Aber diese rein prinzipielle Auffassung von Gottes Art, in Gericht und Gnade am Menschen zu handeln, findet sich ja, wie wir sahen, bereits in seiner Christologie, so wie sie uns in Luthers früheren Schriften begegnet. Was uns bei dem älteren Luther begegnet, ist daher nur eine konsequente Entwicklung von Gedanken, die mit seiner Auffassung von Gottes Schöpfungshandeln zusammenhängen136. Luthers Auffassung von der Beziehung der Kirche und des einzelnen Christen zur äußeren Schöpfung unterscheidet sich nämlich grundsätzlich von der mittelalterlichen; denn die Erlösung ist seiner Christologie entsprechend die Wiederherstellung und Vollendung der Schöpfung und nicht die Überhöhung der Natur zur Übernatur. Gott der Schöpfer, Erlöser und Vollender ist für Luther in der Kirche, die ein Teil der ersten Schöpfung »«¿/der neuen Welt ist: „Wo die heilige Christliche kirche ist, da findet man Gott schepffer, Gott erlöser und Gott heiligen geist." 137 Bei der Beantwortung der Frage, was denn das genuin Reformatorische in Luthers Theologie sei, vergaß man wohl selten, auf die konstitutive Bedeutung der Christologie hinzuweisen, wohl aber schenkte man der Tatsache zu wenig Beachtung, daß eben diese Christologie ihren heilsgeschichtlichen Akzent durch die enge Verknüpfung mit der schon dargestellten „immanenten" Trinitätslehre erhielt. Das Bedeutsame an dieser theologischen Zusammenschau beruht indes nicht nur darauf, daß Luther hierdurch den Anschluß an die alte Kirche wiedergefunden hat, sondern auch darauf, daß es ihm auf diese Weise gelingt, das paulinische Schriftelement mit dem johanneischen zu verschmelzen, so daß durch diese Synthese eine Elimination des heilsgeschichtlichen Gedankens durch einen radikalen Paulinismus verhindert wird. Gleichzeitig aber muß man feststellen, daß dieser Zusammenhang nicht immer expressis verbis zum Ausdruck kommt. Vergleicht man z.B. Irenaeus und Luther, so merkt man, wie Luther in höherem Grade als Irenaeus von der paulinischen Terminologie mit ihrer Konzentration auf Begriffe wie ζ. B. lex und iustitia bestimmt ist. Vergleicht man aber Luther mit dem Ν. T. als Ganzem, so muß doch festgestellt werden, daß man ihm Gewalt antun würde, wollte man ihn nur als Paulinisten verstehen. Zwar sah Luther in den paulinischen Briefen die legitime Zusammenfassung des Evangeliums, aber gerade diese Ansicht beweist doch, daß für ihn Paulus nicht über den anderen Büchern des Kanons, sondern in ihrer Mitte steht. In Paulus entdeckte er ja nur das, was ihm in der ganzen Schrift als das eine Wort Gottes entgegentrat138. 135 W A 2, 728, 27ff. (Ein Sermon von dem Sakrament der Taufe 1519). W A 6, 5 2 7 , 1 5 (De captivitate 1520); W A 29, 314, 3—315,13 (Predigten 1529 Rörer); ib. 230, 15; 300, 12—301,1 und WATi 2, 375,25 ff. (1531). Zu Luthers Kritik der päpstlichen Bußauffassung siehe W A 29, 320, 24—321, 2 (Predigten 1529). 1 3 8 Eine Bestätigung dieser Beobachtung liefert die neuerschienene Untersuchung von E. Cranz, An Essay on the Development of Luther's Thought on Justice, Law, and Society (Harvard Theological Studies X I X . Harvard Theological Review 1959), Cambridge-Lon137 W A 38, 374, 34 f. (Eine einfältige Weise zu beten 1535). don 1959. 138 Siehe Luthers Worte in Praefatio 1545 (WA 54, 186, 9—13), angeführt oben Anm.75. Vgl. auch W A 56, 409, 4—8 (Römerbriefvorlesung 1515/16), W A 30/1,192, 25—34 (Großer Katechismus 1529) und W A 8,107, 37 f. (Latomus 1521).

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Hier wollen wir nun an das anknüpfen, was oben über die Bedeutung der Christusgemeinschaft für die Christen in ihrer Beziehung zur Welt gesagt wurde. Aus der Gemeinschaft mit dem Christus praesens im schöpferischen Wort entsteht nach Luther die „communio sanctorum". „Also will er uns menschen in einander flechten, das wir alle ein fleysch und eyn corperr werden." 139 Die Neuschöpfung ist eine „geystlich gepurtt", bei der die Menschen „eynander selber geporen" werden 140 . Das aber kann nicht in Isolierung von der Umwelt geschehen, sondern bedarf notwendigerweise der Selbsthingabe an die anderen in den von Gott dem Schöpfer befohlenen Werken. Diese Einsicht rückt also für Luther immer mehr in den Vordergrund. Bisweilen sieht man diese kräftige Betonung der guten Werke als ein erst spät in die Luthersche Theologie eingedrungenes heterogenes Element an und betrachtet dieses „Lob" des Gesetzes und der guten Werke nur als einen taktischen Schachzug im Kampf Luthers gegen Schwärmer, Antinomer und die ethische Laxheit, die Luther in vielen Gemeinden bei seinen Visitationsreisen entdecken mußte 141 . Es fragt sich jedoch, ob hier nicht ein direkter systematischer Zusammenhang mit dem besteht, was wir oben vom Glauben als einer Neuschöpfung, die in der Anfechtung unter Gesetz und Evangelium geschehen muß, sagten. Durch die Taufe wird man, wie wir früher gezeigt haben, aus dem Lebenszusammenhang der Sünde und des Todes in einen Zusammenhang des Lebens und der Seligkeit hinübergeführt. „Ex baptismo fit novus homo." 142 Die Erneuerung geschieht zwar nicht aus des Menschen eigener Kraft heraus, doch tritt er durch den Glauben in Gottes Schöpferhandeln ein und bekommt darin eine entscheidende Rolle zugeteilt143. Für Luther sind daher Rechtfertigung und Heiligung beide in der Taufe beschlossen144, wie ja diese für ihn oft einfach Abbild dessen ist, was Christus für seine Brüder tat, Abbild seines Offenbarungs- und Versöhnungswerkes. So wie „Christus der starck kam in seiner ersten tzukunfft (wan vorhynn hat der teuffei das regiment über die gantzen welt) do ist er alss ein falscher fürst geschwecht worden. Also ist ess itzund vor der andren tzukunfft" 145 . „Darumb musen wir uns teglichen üben in der heilygen geschrifft. . . das teuffels haubt tzur knurszen." 146 In der Kirchenpostille (1522) betont Luther daher: „In diszen tzweien steht das gantz chrystlich leben. Glaub got, Hylff deynem nechsten." 147 Die Rechtfertigung bedeutet also hier genau wie schon in der Heidelberger Disputation (1518), in der ja gerade der Leidensgedanke klar hervortritt, daß der Mensch 139

W A 9, 533, 21 (Predigten 1519—21 Poliander). Ib. 532, 9 f. Vgl. auch oben Kap. VI, 2, Anm. 99, und WA 38, 564, 22ff. (Annotationes . . . 1538 Mt 13, 33). Die communio sanctorum als Liebesgemeinsdiaft ist Voraussetzung für Luthers Rat an den Angefochtenen, bei den christlichen Brüdern H i l f e zu suchen: WA 40/1,493, 3—7 (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 3,19). 141 Siehe z.B. E.Borsch 1958 und G.Heintze 1958. 142 WA 20, 3 8 8 , 2 0 (Predigten 1526 Mk 16). Vgl. WA 2, 728 ff. (Ein Sermon von dem Sakrament der Taufe 1519), WA 19, 537ff. (Das Taufbüchlein auffs Neue zugerichtet 1526) und WA 12, 42 ff. (Das Taufbüdilein verdeutscht 1523). 143 W A 30/11,116, 26—34 (Vom Kriege wider die Türken 1529) und ib. 117,1—5. 144 WA 2, 734, 2—13 (Ein sermon von dem Sacrament der Taufe 1519). 145 W A 10/III, 353, 11 ff. (Predigten 1522 Mt 2 5 , 1 ff.). 146 147 Ib. 360, 9 ff. Ib. 361,13 f. 140

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solange er hier in der Welt lebt, im Zusammenhang der Liebe und des stellvertretenden Leidens steht, wo er getötet wird, um sich selbst bei Christus wiederzufinden, bei ihm, der die versöhnende Kraft der „verlorenen" Liebe offenbarte. Christus ist durch den Glauben in uns, ja eins mit uns148. Der Glaube ist daher stets „operatio seu instrumentum Christi"149. Beim älteren Luther ist es charakteristisch, daß der Glaube ausdrücklich als zu Gott aufsteigend gedacht ist, während die Werke dagegen auf der Erde bleiben, zum Nächsten hinabsteigen150; bei dem jüngeren Luther wird dagegen der Mensch in der tentatio mehr einseitig als vor Gott stehend aufgefaßt. Immer herrscht jedoch der Gedanke, daß der Glaube keine Früchte trägt, wenn der Mensch nicht in der tentatio verbleibt151. Der ältere Luther betont aber stärker, daß die Früchte des Glaubens nicht selbstgewählte Werke sind, wie das z. B. bei der Weltflucht der Schwärmer und den Keuschheitsgelübden der Mönche der Fall war152, sondern der Gehorsam gegenüber dem mandatum Gottes153, das den Glauben und auch die Liebe schafft und befiehlt: „Hanc fidem comitatur initium creaturae novae." 154 Luthers immer stärker zugespitzte Betonung der Notwendigkeit der Werke hat also nichts mit einem Rückfall in eine nomistische Betrachtungsweise zu tun, sondern ist eine folgerichtige Entwicklung seiner Auffassung der Rechtfertigung allein durch den Glauben als einer creatio ex nihilo; die Gültigkeit des Gesetzes im Äußeren darf niemals als aufgehoben angesehen werden, wenn das Evangelium das Innere des Menschen befreit. Im Glauben ist man zwar frei von allem Gesetz, man ist ein freier Herr aller Dinge und niemand Untertan, aber „Wer nu dächte, wie grosse ehr dise widerschopfung wer, der wurde Im wol lassen gnugen In allen stände und wesen, wie es Im unser herr Gott bescheeret hett"155. Wenn die „communicatio idiomatum" zwischen der göttlichen Allmacht Christi und seinem menschlichen Dienen gerade darin besteht, daß er in das Menschliche herabstieg, in seine Niedrigkeit und Armut, dann muß auch der Christ, der im Glauben Herr aller Dinge ist, zum Diener aller werden158. Die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem geschieht immer aufs neue durch die Werke der Liebe. Die Liebe aber ist kein donum superadditum zum Glauben, sondern sie gehört zu diesem so untrennbar wie das Menschliche zum Göttlichen in Christus und ist die gehorsame Antwort auf die Gabe des äußeren Lebens, auf Gottes Gebot in den mandata, im Beruf. Glauben ist — wie wir ja sahen — in dem 1 4 9 Ib. 364, 15 f. W A 1, 3 6 4 , 2 3 f. (Heidelb. Disp. 1518). Siehe z.B. W A 32, 31, 5—36, 20 (Sermon vom Leiden und Kreuz 1530). Siehe hierzu audi G. Wingren 1948 2 , S. 2 4 2 f f . mit angeführten Belegstellen (dt. 1952, S. 146 ff.). 1 5 1 W A 15, 429, 4 (Predigten 1524 Lk8,4ff.). 1 5 2 W A 17/1, 5 1 , 1 (Predigten 1525 Rörer L k 8 , 4 f f . ) . Vgl. W A 32, 5 1 2 , 1 6 — 5 1 3 , 37 (Wochenpredigten über Mt 5 — 7 1530—32). 1 5 3 Luther nennt das „der gemeine orden der Christlichen liebe, darynn man nicht allein den dreyen orden, sondern auch ynn gemein einem iglichen dürfftigen mit allerley wolthat dienet, als speisen die hungerigen, trencken die dürstigen etc. vergeben den seynden, bitten f ü r alle menschen auff erden, leiden allerley böses auff erden etc.": W A 26, 5 0 5 , 1 1 — 1 5 (Bekenntnis . . . 1528). 1 5 4 W A 39/1, 83, 39 (Die 3. Thesenreihe über Rom 3, 28 1536). iss W A 45, 20, 9 ff. (Predigten 1537, Von den Artikeln des Glaubens). 1 5 6 W A 46, 2 8 3 , 1 7 — 2 8 4 , 4 (Predigten 1538 Joh 13). 148 150

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Wort stehen, das Gesetz u n d E v a n g e l i u m ist, in d e m „Hörbereich" leben, in w e l c h e m der Wille G o t t e s verkündigt wird „ w i e i m H i m m e l also auch auf Erden". Glauben ist nicht nur, mit Christus i m H i m m e l sein, sondern auch hier auf E r d e n sein Kreuz und seine Schmach teilen. D a aber Christus in seinem Leiden anderen diente, m u ß auch das „ K r e u z " und die tentatio des Christen geschehen, i n d e m er anderen dient u n d nicht seiner eigenen Heiligkeit 1 5 7 . Daher betont Luther, daß B u ß e Trauer über die Sünde sein soll u n d nicht Furcht v o r Strafe. Christus befreit daher auch nicht v o n der Strafe — d e m Ü b e l — (und daher auch nicht v o n der A n f e c h t u n g ) , sondern nur v o n der Sündenschuld u n d der Furcht v o r der Macht des Bösen. I m Glauben hat der M e n s c h alles, dessen er bedarf 1 5 8 . I m Glauben ist L e b e n u n d Seligkeit mitten in der A n f e c h t u n g und T o d , die den M e n s c h e n in der W e l t des Falls überfällt, in der aber Christus gegenwärtig wird als die in aller N o t v e r s ö h n e n d e Liebe 1 5 9 . Wir sehen somit, daß die A n f e c h t u n g , so w i e sie uns beim jungen w i e auch beim älteren Luther begegnet, v o n seiner Christologie her bestimmt ist. O b g l e i c h man feststellen m u ß , daß b e i m späteren Luther die Lehre v o m Gesetz u n d v o n d e n g u t e n Werken durch die neue Frontstellung eine andere Akzentuierung erfährt, handelt es sich dabei d o c h nur u m eine konsequente E n t w i c k l u n g der schon in der T h e o l o g i e des jüngeren Luther angelegten Gedanken. Wir haben n u n festgestellt, daß das Geschehen der A n f e c h t u n g für Luther seine D y n a m i k v o m Widerstreit der Ereignisse, S c h ö p f u n g u n d Fall b z w . Wieder157 «when Luther inserts the little word alone and speaks of 'justification by faith alone', this does not mean any ladt of interest in works. The situation is rather the contrary. H e is precisely interested in the purity of works when he inserts the word 'alone' . . . Therefore works must not be done by a person who veiledlv pursues his own salvation, but they must be done by a person who already is saved, and who is certain of his righteousness before God. Sudi saved, righteous and jubilant people are created by the Gospel, through which Christ Himself comes and gives Himself to man, so that man can lay hold upon Him, as the ring lays hold upon the precious stone": G. Wingren, Justification by Faith in Protestant Thought (Scottish Journal of Theology Vol.9, 1956, S. 376. 158 Luthers geringes Interesse an Jesu Heilungswundern hängt eng zusammen mit seinem Verständnis vom Sieg des Glaubens im Leiden. Die Erlösung kann nicht in der Heilung des biologischen Lebens liegen, da der leibliche Tod zur Menschwerdung gehört. Deshalb sagt er: „miracula, quae fiunt in anima, maiore quam quae in corpore": WA 41,19, 9 (Pred. 1535 Mt 8,14). Der Glaube des Hauptmanns (Mt 8,10) war ein größeres Wunder als die Heilung seines Knechtes (18,2; 21,1); Jairus' Glaube war ein größeres Wunder als das, was mit seiner Toditer geschah: WA 27,423,7 (Pred. 1528 Mt 9,18ff.); die Sündenvergebung war ein größeres Wunder als die Heilung des Lahmen: WA 34/11,332,19 (Pred. 1531 Mt9). Man darf diese Akzente Luthers freilich nicht in Richtung auf einen Spiritualismus verstehen. Luther ordnet Glauben und Sündenvergebung, Inneres, Geistliches nicht spiritualistisdi dem Äußeren, Leiblichen vor und über, sondern bezieht sie aufeinander wie Christi Gottheit und Menschheit. In diesem Sinn ist der Glaube das eigentliche Wunder und das beste Werk: WA 10/1, 2,159, 20—39 (Adventspostille 1522 Mt 11, 2—10). Siehe auch oben Kap. I, 3, S. 21 f. 150 „Szo sind wir bey yhm [Christus] da oben, und er bey uns hie unten": WA 12, 565, 19 f. (Predigten 1523). Die Abneigung in der modernen Theologie dagegen, Gott im Irdischen und Menschlichen zu sehen, ist vor allem die Folge einer falschen Christologie. Ob Gott vom Weltlichen völlig getrennt ist oder ob er im Irdischen repräsentiert wird von Kräften, Spiegelbildern oder Analogien — man muß nach der Christologie der jeweiligen Theologie fragen und sehen, wie die Zweinaturenlehre erfaßt ist.

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Herstellung und Vollendung des Menschen und vom Kampf Gottes mit dem Teufel um den Menschen erhält. Luthers Auffassung von der Anfechtung bedeutet also eine konsequente Anwendung seiner Anschauung, daß das Offenbarungsund Versöhnungsgeschehen gerade in der Situation des konkreten Menschen vor der Auferstehung der Toten und vor dem Jüngsten Gericht, in der Situation, in welcher der Mensch „ex nihilo" zur Gleichheit mit Christus geschaffen wird, sich ereignet. Bevor wir nun unsere Darstellung abschließen, sei noch kurz auf den Zusammenhang hingewiesen, der von diesem Punkt aus zwischen Luthers Theologie der Schöpfung und seiner Eschatologie sichtbar wird. Das ewige Leben besitzt der Mensch ja schon im Glauben und in der Sündenvergebung. Solange er aber im Schöpfungsprozeß steht, muß er angefochten werden. Daß Gott das Leben durch den Tod schenkt, daß er Herr des Lebens wie des Todes ist, läßt sich daher niemals zu einem rein rationalen Prinzip machen, sondern ist ein Wunder, das geglaubt werden muß160. Der Auferstehungsglaube ist deshalb eine verborgene Weisheit, weil er eigentlich nicht von dieser Welt ist, sondern ein Vorgriff, eine Hoffnung, auf die Vollendung in Gottes ewigem Reich, wo Christus zur rechten Hand des Vaters sitzt. „Da werden wir denn kein anfechtung mehr haben, sondern von allem ubel erlöset sein, trawren, weinen, leid, schmertzen, tod wird nicht mehr sein auch keine sunde mehr jnn unserm Fleisch wonen, sondern wird gantz rein sein, on allen unflat, böse lust und begierde, Inn summa: Wir werden reichlicher und besser wider empfahen, das wir jnn Adam verloren haben, denn wirs gehabt hetten im Paradis, Gott von gantzem hertzen lieben etc. jm dancken, loben und preisen jnn ewigkeit, Amen." 161 Die Verborgenheit des Glaubens hängt somit eng zusammen mit der Verborgenheit der Herrschaft und Herrlichkeit Gottes hier in der Zeit. Der Glaube sieht Leiden und Tod in einer anderen Sicht als die Vernunft, da er sich bereits mit Christus im Himmel befindet162. Daß aber der Glaube im Himmel sei, ist hier im Grunde nur ein anderer Ausdruck dafür, daß Christus in der Selbstpreisgabe des glaubenden Menschen hier auf Erden ist. Wie Gott in Wort und Sakrament als den larvae seines Offenbarungshandelns verborgen gegenwärtig ist, so ist das ewige Leben des Christen, unter äußerer Niedrigkeit verborgen, schon hier wirksam als köstlicher Schatz des Glaubens. Dieser Schatz ist jedoch in irdenen Gefäßen verborgen (2. Kor 4,7). Er wird nicht zum sicheren Besitz, solange Gottes Versöhnungs- und Wiederherstellungswerk noch vor sich geht. Deshalb wird der Mensch hier in der Zeit 1 8 0 „Wilchen er will frum machen, den macht er zu eim verzweifelten sunder. Wilchen er wil klug machen, den macht er zum narren. Wilchen er wil starck machen, den macht er schwach. Wilchen er wil lebendig machen, den steckt er dem tod ynn rächen. Wilchen er wil gen hymel füren, den sendet er ynn abgrund der hellen und so fort. Welchen er zu ehren, zur selickeit, zur hirschafft, hoch und gros bringen wil, den macht er zu allen schänden, verdampf, zum knecht, nydderig und klein. Es heist und gehet hie der sprudi: ,Die ersten die letzten; die letzten die ersten.' Wer gros wil sein, der sey klein. Wer forne gehen wil, der gehe hinden. Das ist nu der wundersam und seltzamer konig, der denn am nehesten ist, wenn er am fernesten ist. Und denn am fernesten, wenn er am nehesten ist": W A 1 9 , 1 5 4 , 2 2 — 3 3 (Die Epistel des Propheten Jesaia etc. 1526). 161 162

W A 17/1, 225, 3 3 — 2 2 6 , 2 (Predigten 1525). W A 40/1, 282, 2 1 — 2 8 3 , 1 7 (Gal 2 , 2 0 ) und unten Anm. 165.

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noch von Versuchungen und allen Früchten des Unglaubens geplagt163 und ihm die Gottebenbildlichkeit nur im ständigen Kampf gegen Sünde, Tod und Teufel in der Welt des Falles wiedergeschenkt. Weil das weltliche Regiment eine Herrschaft des Gesetzes ist, das nur imstande ist, eine äußere Ordnung und Gerechtigkeit aufrechtzuhalten, da es nicht die Seele befreit, sondern nur den Leib züchtigt, ist das Leben des Christen immer von Sehnsucht nach etwas anderem erfüllt. Und da das geistliche Regiment nur das Gewissen befreit, nur innere Gerechtigkeit schafft, und da der Glaube verborgen ist, der Christenmensch hier im Leben also niemals mehr werden kann als simul iustus et peccator, so ist er einer dialektischen Spannung ausgesetzt, die einer befreienden Auflösung harrt. Luthers Lehre von Geset^ und Evangelium kann also nicht nur im Licht der Offenbarung, sondern muß auch im Licht der Eschatologie verstanden werdenle4. Auferstehung und Jüngstes Gericht bedeuten somit das Einswerden mit Christus, das etwas Neues im Vergleich zur natürlichen Geburt bedeutet.165 Erst das Eschaton schenkt die Vollendung des Gottesbildes, die vollkommene Einheit mit Christus, durch welche auch die gesamte übrige Schöpfung erneuert wird 166 . Der Schöpfungsgedanke und die Eschatologie gehören bei Luther eng zusammen : „Darumb wenn man sagt, himel und erden sey ein gescopf oder werck, das gemacht sey von dem, der da heist ein einiger Gott und aus nichts gemacht, das ist ein kunst über alle kunst . . . Das es also alles aus dem nichts in ein wesen und widerumb aus dem wesen In ein nichts sol gebracht werden, bis es alles auff ein Neues herrlicher und schöner gemacht wird. Das, sag ich, wissen wir und die heilig schrifft lerets und bildets den kindlin also fur im glauben mit den Worten: Ich glaub an Gott vater schopfer etc."167 Wie wir sahen, erzeugt die Neuschöpfung des Menschen durch den Glauben nicht nur das rechte „bild" von Gott, sondern auch die rechte Anschauung von den Dingen und dem Nächsten und schenkt damit dem Glaubenden einen größeren Freimut seiner Lebensaufgabe, seinem Beruf hier in der Welt gegenüber, und das Eschaton wird deshalb für das Leben, das der Mensch hic et nunc lebt, bestimmend und schließt sowohl die Entdeckung ein, daß Gottes Güte hier im Leben dargereicht wird, als auch die Erkenntnis, daß der innerste Sinn des Lebens im Tode verborgen liegt. Der Mensch bezieht daher letztlich seine Kraft zum Gehorsam nicht aus sich selbst oder irgend etwas Geschaffenem, sondern aus dem Glauben an die Auferstehung der Toten, die ja das Ende des Sterbens bedeutet168. Eine solche Eschatologie schließt die Vorstellung vom Evangelium als einem „neuen Gesetz" für das Handeln des Christen und vom Glauben als einer dem Menschen neu geschenkten Kraft zur Pflichterfüllung aus. Luther spricht wohl W A 40/1, 3 6 4 , 1 8 ff. (Gal 3, 6). Vgl. audi W A 42, 4 8 , 1 1 — 3 7 (Gn 1, 26). E.Thestrup Pedersen 1950, S.32. 1 6 5 Siehe z.B. W A 21, 22, 2 7 — 3 0 (Winterpostille 1528 Lk 21, 25—33). 1 6 8 „Ideo hoc die ist ein newes angefangen, quod Christus per resurrectionem suam alles genewet, geschewret, Sonn, Mond et nos, alles, rein und glüw gemacht auffs beste": W A 49, 353, 12 ff. (Predigten 1544 Mk 1 6 , 1 ) . Vgl. auch W A 42, 76, 7 ff. (Gn 2 , 1 2 ) . 1 8 7 W A 4 5 , 1 3 , 1 1 — 2 1 (Predigten 1537). 1 6 8 Siehe Luthers Predigt über die Auferstehung der Toten ( l . K o r 15) in W A 36, 478— 696 (1532/33), bes. S. 666—687. 163 164

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gelegentlich vom Evangelium als einem „Gesetz", aber nicht als von einem Gesetz, durch das der Mensch seine eigene Vollkommenheit bereitet, sondern als von einem Gesetz, das den Menschen lehrt, was man tun muß, um für die Seligkeit bewahrt zu werden, und von einem Gesetz, das die Schuld sühnt, d. h. gerade nicht zur Flucht vor dem Gericht antreibt. Das Evangelium beläßt den Menschen in der Anfechtung und im Leiden, es gebietet ihm zu glauben anstatt zu schauen, zu dienen anstatt zu herrschen, d.h. in allem das hinterlistige „quare" des Versuchers von sich zu weisen, das Adam zu Fall brachte1®9. Der Glaube hat das „initium creaturae", d. h. Christi Tod und Auferstehung zum Ziel, er ist Hoffnung auf die Vollendung der Schöpfung, „perfectio creaturae", Hoffnung darauf, Christi Versöhnungstod einverleibt und dereinst von den Toten auferweckt zu werden. Ein solcher Mensch wird in jedem Augenblick, den Gott schenkt, zur Gleichheit mit Christus geschaffen, denn er ist ja in der Hand des Schöpfers das nihil, aus dem der neue Mensch hervortritt, indem er vom Tod zum Leben, vom Gesetz zum Evangelium geht170. In der Anfechtung sind somit das Jüngste Gericht und die Auferstehung der Toten schon verborgen enthalten, weil Gott in ihr sein Offenbarungs- und Versöhnungshandeln beginnt. Die Vollendung ist schon angebrochen. In der Taufe zu leben, die ja ein Wort und ein Bild des Todes und der Auferstehung Christi ist, heißt deshalb, in der Anfechtung geübt und in das Eschaton einbezogen zu werden. Die Taufe ist Tod, aber da Christus, der wahre Mensch, in dessen Fußtapfen zu wandern der Getaufte berufen ist, das Wort von Anfang ist, das Fleisch ward und nun %ur Rechten des Vaters sitzt, bedeutet sie gleichzeitig Leben·, das Eschaton ist nichts nur Futurisches und der Glaube kein passives Warten, sondern konkrete Nachfolge dort, wohin Gott den Menschen durch sein Wort hic et nunc stellt. In der Welt des Falles kann das mandatum Gottes nur verborgen unter der lex peccati et mortis erfüllt werden, d. h. nur dort, wo man nicht nur von Schöpfung und Leben, sondern auch von Fall und Tod umgeben ist; der Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes wird nicht ohne die geduldige Selbsthingabe an die anderen verwirklicht171. Damit jedoch tritt man in Gottes Werk der Versöhnung und Vollendung ein, das von Christus verwirklicht wurde, uns aber in der Taufe zugeeignet wird. Daß die Taufe das ganze Leben hindurch währt, bedeutet also einerseits, daß sie Gottes Gericht über Adam, der fiel und sterben mußte, offenbart; andererseits aber bildet sie auch den Tod in der Gestalt ab, die er bei Christus hatte, als den Tod im Gehorsam am Kreuz, der die Schöpfung mit Gott versöhnt und damit Tod in Leben verwandelt. Die Taufe offenbart den Zorn wie auch die Liebe Gottes in Christus, der die Welt richten wird. Das Jüngste Gericht jedoch ist für den Glauben nur das letzte von vielen Gerichten172. Alles, was hier vom Wort und Geist Gottes 1 8 9 „ . . . Illi filii dei habent omnes adflicciones. Impii filii sathanae sunt in summa prosperitate . . . Las das ,Quare' nicht yns hercze kummen": W A 31/11, 361, 4—21 f. (Vorlesung über Jesaias 1527—30 Jes 45, 9). 1 7 0 W A 40/11, 25 f. (Galaterbriefvorlesung 1531 Gal 5, 5) und W A 40/III, 564, 4 ff. (Enarratio Psalmi X C 1534/35 Ps 9 0 , 1 0 ) . Vgl. J . H a a r 1939, S . 8 7 und 97. 1 7 1 T.Siegfried 1930, S.87. 1 7 2 W A 42, 3 0 8 , 1 6 — 4 0 (Gn 6 , 1 3 ) . Vgl. W A 26, 41, 3 ff. (Vorl. über den l . T i m 1528).

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sich nicht richten läßt, wird im Jüngsten Gericht von Gottes vernichtendem Zorn getroffen werden. Dann sollen die Verächter des Evangeliums erfahren, daß Gott kein „gokelmenlin" ist, das man nicht ernst zu nehmen braucht173. Dann wird offenbar, daß der Gott der Versöhnung, der hier in der Zeit mit seiner Gnade und Liebe in menschlicher Schwäche und Not gegenwärtig zu sein beschloß, der Herr der Wahrheit und Gerechtigkeit war, der solchen Spöttern „die rechte restitution geben wird"; denn auf Erden ist in dieser Sache kein Richter 174 . Wer in der Taufe lebt, läßt sich also schon hier im Leben von dem Zorn und dem Gericht treffen, ohne deshalb an Gottes Macht zu verzweifeln. Gerade darum wird die Taufe zur Einsetzung des Menschen in das Geschehen der Versöhnung, die dem Menschen die ewige Seligkeit der Vollendung schenkt, in der das Gericht aufgehoben ist und die Frucht der Versöhnung geschenkt wird. Die Taufe ist Vorgriff auf das Jüngste Gericht und damit letztlich Gnade. Da aber die Taufe das ganze Leben hindurch währt, muß man beständig im Glauben alles Eigenen entblößt werden, und weil Gott der Schöpfer aus dem Nichts ist, geht man damit vom Tod zum Leben. Das Gesetz und die Eschatologie gehören also für Luther ebenso zusammen wie die Verborgenheit und die Eschatologie (Kap. V, 3). Das Handeln des Menschen hier in der Welt macht ihn nicht selbst vollkommen, sondern zwingt ihn, in der Situation zu verbleiben, in der Gott weiterhin „ex nihilo" schaffen kann. Unter dem Gesetzesregiment Gottes schmeckt er die Qual des Zornes, aber da die Liebe Gottes unter dem Zorn verborgen ist, steht er im Zusammenhang der Versöhnung und dem Gehorsam des stellvertretenden Leidens175, durch den das Gesetz in der Welt des Falls gleichzeitig erfüllt und durchbrochen wird176. Wenn das Gesetz durch das Evangelium völlig aufgehoben würde, wäre nicht nur das Leben in der Welt des Falls unerträglich, sondern ließe sich auch der Gehorsam, von dem hier die Rede ist, nicht verwirklichen. Wie wir gesehen haben, unterstehen zwar alle dem Gesetz und werden damit erhalten und dem Jüngsten Gericht entgegengeführt, aber der Christ unterwirft sich dem willig und wird dadurch in der Welt des Falls zum Zeugen der Macht der Versöhnung und der Vollendung des ewigen Lebens. Jet^t verstehen wir auch, warum Luther die Dialektik £wischen Geset% und Evangelium so stark betont, ohne daß deshalb die heilsgeschichtliche Perspektive aufgegeben wird. Gesetz und Evangelium sind vom Wiederherstellungs- und Vollendungsgedanken her begriffen. Im 1 7 3 W A 51, 586, lOff. (Vermahnung zum Gebet wider die Türken 1541). Vgl. W A 5, 350 (Operationes in Psalmos 1519—21 Ps 10, 16). 1 7 4 W A 51, 524, 3 und ib. 5 2 6 , 6 f. (Wider Hans Worst 1541). 1 7 5 „Scilicet viña ista numerata expugnare et vincere et in iustitiae obedientia triumphare": W A 39/11, 2 3 6 , 2 4 f . (Die Prom.disp. v. H.Hieronymus etc. 1543). 1 7 6 Ein Christ kann also nicht Defaitist werden, denn er steht ja in dem neusdiafïenden Wirken Gottes, das schon jetzt in seiner willigen Zusammenarbeit mit Gott wirksam ist. „Media via incedendum. Si deus vocat ad magistratum, in familiam, volo facere, quod possum. Si lacio, quod possum, cum omni diligentia, dicam: Mitte etc. Si aliter, deo gratias dico: Deus, hoc non meum donum, sed tuum. Hie potest regere in politia et oeconomia et manet in tranquillitate cordis et habet succesum e t c . " : W A 40/III, 212, 9 — 2 1 3 , 1 (In X V Psalmos graduum 1532/33 Hs Ps 1 2 7 , 1 ) .

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Kapitel V I : V e r s ö h n u n g u n d V o l l e n d u n g

Glauben an das Evangelium ist der Mensch wiederhergestellt, aber auch ein novus homo und ins Eschaton einbezogen, dies wird jedoch erst in der völligen Abtötung des alten Menschen ganz offenbar. Christus ist der Herr der Schöpfung zur Rechten des Vaters. Dorthin zieht er die Christustreuen, die die Freude der Vollendung mit ihm teilen sollen. Bis dahin wird hier in der Zeit aber weiter gekämpft. Die Schöpfung ist nicht vollendet, bevor nicht alle Versöhnug „ausgeteilt" ist. Wie wir gesehen haben, hebt die Durchbrechung des Gesetzes schon dort an, wo Gott das natürliche Leben schafft, dessen Freiheit jedoch ständig von allen Menschen mißbraucht wird, und die Neuschöpfung durchs Evangelium findet also dort statt, wo gleichzeitig die erhaltende und die tötende Macht des Gesetzes wirkt. Der Gehorsam gegenüber dem Worte Gottes muß im Stand und Beruf ausgeübt werden, sonst nämlich ist er kein wirklicher Gehorsam, sondern bloß ein selbstgewähltes Leiden. Luther unterstreicht also die neuschaffende Macht des Versöhnungsgeschehens, indem er gleichzeitig die Unausweichlichkeit und die Unzulänglichkeit des Gesetzes betont. Weil aber, wie wir auch gesehen haben, die Erfüllung und die Durchbrechung des Gesetzes als eine göttliche Neuschöpfung „ex nihilo" verstanden wird, münden weder Luthers Ethik noch sein Schöpfungsdenken in eine innerweltliche Zielsetzung, sondern in die eschatologische Vollendung ein, ohne daß dabei die „christliche" von der „natürlichen" Ethik getrennt würde. Das Jüngste Gericht ist für Luther das Gericht über befohlene, aber ausgebliebene Werke in der alltäglichen menschlichen Gemeinschaft; hier auf Erden soll der Glaube an Gott, der Dienst am Nächsten und das Gebrauchen der gottgegebenen Güter dieser Welt ohne Gedanken an Verdienstlichkeit und deshalb oft im Verzagen verwirklicht werden, d. h. als ein Vorgriff auf das Gericht, das hier im Leben nichts anderes ist als eine verkleidete Gnade"1. Von diesem Gesichtspunkt aus wird auch verständlich, warum Luther trotz seines Pessimismus hinsichtlich der Möglichkeiten einer Weltverbesserung doch zu vernünftigem Handeln aufruft, damit die Verhältnisse dieser Welt gebessert werden178. Obgleich er vor einer Bindung an das Irdische warnt, weiß er doch gleichzeitig, daß das Handeln des Menschen in der Welt in der Gemeinschaft mit anderen und im Gebrauch der Dinge in einer direkten Beziehung zum Einbruch des Jüngsten Gerichts steht. Z. B. bezeichnet er es als eine große Sünde, die der göttlichen Strafe nicht entgehen wird, daß man zu seiner Zeit die Erziehung der Jugend vernachlässigte179. Luther fühlt sich häufig berufen, selbst bei der Lösung konkreter sozialer Fragen einzugreifen180, und motiviert das dann so: „Darumb will ich reden . . . weyl ich lebe, bis das Christus gerechtigkeyt aus breche wie ein glantz." 181 In „Kinder zur Schule halten" (1531) heißt es dementsprechend: „Aber Siehe oben Kap. II, 2 und G. Wingren 1958 (dt. 1960), Kap. I, B, 2. Besonders deutlich hervorgehoben in: Kinder zur Schule halten 1530 ( W A 30/11, 5 1 7 ff.). In dieser Schrift wird audi von einer „creatio ex nihilo" gesprochen in Verbindung mit dem Gedanken, daß Gott aus einem Kind eines gemeinen Mannes einen bedeutenden Amtmann schaffen kann: ib. 575, 25—576, 24. 1 7 9 Ib. 586, 20—24. 1 8 0 W A 15, 2 7 , 1 2 ff. (An die Burgesmeyster . . . 1524). 1 8 1 Ib. 27, 21 ff. 177

178

3. Creatio ex nihilo

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uns Christen lasst dencken und thun, als weren wir Lot in Sodoma und Daniel zu Babylon, das wir doch helffen, wo wir jmer koennen, die wir wissen, das wir nicht umbsonst erbeiten . . . wenn er komen wird (das Gott wolt baiti) zu richten die Lebendigen und Todten" 182 . In diesem Zusammenhang läßt sich auch Luthers Auffassung von der Predigt verstehen, die nach ihm nicht nur Sündenvergebung, sondern auch konkrete Werke „austeilt". Nicht nur den Seelen der Menschen soll hier in der Zeit geholfen werden „von sunden, tod vnd teuffei", sondern auch „alle stende berichtet vnd vnter weiset, wie sie eusserlich ynn yhren amptern vnd Stenden sich halten sollen, damit sie fur Gott recht thun . . ." All dies wird gesagt „von den wercken vnd wünden, die dein son thut" im Predigtamt, welches „kan die betrübten trösten, rat geben, bose sachen schlichten, yrrige gewissen entrichten, friede helffen halten, Sunen, vertragen . . ," 183 Für Luther hängen also letztlich die beiden „usus" des Gesetzes und die Eschatologie eng zusammen. Im Gehorsam gegenüber dem Gesetz bzw. im Glauben an Christus wird das Gericht schon hier bejaht. Und eben dies verleiht Luthers Offenbarungs- und Glaubensbegriff seinen beweglichen, das Gesetz durchbrechenden Charakter184. Luthers Sehnsucht nach dem Jüngsten Tage ist nicht lediglich eine Sehnsucht hin weg aus dieser Zeit mit ihrer Bosheit, sondern eine Sehnsucht nach dem „dies redemptionis", den er in den „miseria ecclesiae" bereits angebrochen sieht, die für „nostris et novissimis temporibus" kennzeichnend sind185. Durch die Herrschaft des Gesetzes in der Welt des Falles ist das Gericht bereits angebrochen. In der gläubigen Bejahung des Gerichtes aber liegt Versöhnung. Die Taufe ist volle und ganze Befreiung vom Tode. Aber die Taufe ist nicht, wie die Novatianer meinten, ein einmaliger Akt, sondern ständiger Empfang der Gnade Gottes188. Die Taufe ist deshalb von der Anfechtung nicht getrennt. Die Übung der Taufe bedeutet Anfechtung. Anfechtung bewirkt aber zugleich durch das Stehen im Wort bzw. in der Gemeinschaft mit Christus die Versöhnung. Luther kann sogar sagen, daß „eyn Christen schmeckt odder sihet den tod nicht, das ist, er fulet yhn nicht, erschrickt nicht so dafür und gehet sanfft und still hyneyn, als entschüeff er und störbe doch nicht. Aber eyn gotloser fulet yhn und entsetzt sich dafür ewiglich . . . Diesen unterscheyd macht das wort Gotts. Eyn Christ hats und hellt sich dran ym tode, drumb sihet er den tod nicht, sondern das leben und Christum ym wort" 187 . W A 30/11, 521, 32—39 (Kinder zur Sdiule halten 1530). Ib. 537, 3 — 5 3 8 , 3 . Ib. 539, 5—540, 6. In Luthers Torgauer Predigt (1544) wird der Zusammenhang zwischen Gottesdienst und Nächstenliebe stark betont: W A 49, 588—615 (Lk 1 4 , 1 — 1 1 ) . 1 8 4 P. Althaus, Luthers Wort vom Ende und Ziel des Menschen (Luther. Mitteilgn. d. Luthergesellsch. 1958, S. 47—108), S . 1 0 4 . 1 8 5 So schon in W A 3 , 4 4 4 , 1 1 (Dictata 1 5 1 3 — 1 6 Ps 69 [70], V . 5 ) . Vgl. W A 30/11,143 (Vom Krieg wider die Türken 1529). 1 8 6 W A 26, 507, 7 — 1 6 (Vom Abendmahl Christi 1528). Vgl. auch W A 56, 326, 28—327, 8 (Römerbriefvorlesung 1515/16 Kap. 6 , 1 0 ) , 57(3), 1 8 1 , 1 8 (Hebräerbriefvorlesung 1517/18 K a p . 6 , 6 ) und ib. 306, 23 ff. 1 8 7 W A 17/11, 234, 36—235, 3 (Fastenpostille 1525 Joh 8, 51). 182

183

20

7647

Löfgren, Schöpfung

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Kapitel VI : Versöhnung und Vollendung

Zusammen mit allen anderen Menschen steht also der Christ unter dem Gesetz Gottes. Aber das Leben des Christen unter dem Gesetz ist von der neuschaffenden Kraft der Versöhnung durchleuchtet. Dieser Zusammenhang zwischen Luthers Schöpfungsdenken und seiner Eschatologie wird also von Bedeutung für seine Ethik. Obwohl er sich der Unmöglichkeit, das Böse radikal heilen zu können (denn das geschieht ja erst im Jüngsten Gericht), voll bewußt ist, fühlt Luther sich beständig verpflichtet zu tun, was in seinen Kräften steht, um das Böse in all seinen Formen zurückzuhalten188. Im Glauben ist der Mensch von seinem Fall wiederaufgerichtet. Aber der Glaube darf nie zu Ruhe und Sicherheit werden, „semper sumus in motu, semper iustificandi, qui iusti sumus" 189 . Dieser Gedanke steht also bei Luther in Verbindung mit dem Gedanken des Gehorsams hinsichtlich befohlener Werke. Da Glauben heißt, ein Mensch des Gehorsams sein, muß alles vom Glauben durchdrungen werden190. Das Leben der Rechtfertigung wird zwar erst in der Auferstehung der Toten vollendet, aber Christi Versöhnungswerk ist schon in seinem Anfang beim Gläubigen191. Dessen Handeln offenbart daher, „das der glaube recht und nicht faul noch falsch, sondern thettig und lebendig ist" 1 9 2 . Der Gehorsam des Glaubens in bezug auf die von Gott befohlenen Werke bedeutet ein „incipere" und gehört damit dem ewigen Reich der Vollendung an; unsere Werke „certificant non tantum alios, sed etiam nos ipsos de nostra fide"193. Natürlich handelt es sich hier nicht um Einsicht und Feststellung im üblichen Sinne, sondern um eine „verborgene" Erkenntnis 194 . Es ist ein Handeln, das in Gottes Offenbarung durch Christus beschlossen ist, durch den der Mensch des Ursprungs nicht nur wiederhergestellt, sondern auch vollendet worden ist. Die Situation des Menschen hier im Leben ist immer durch Zwietracht gekennzeichnet, aber das ist keine Zwietracht in ihm selber, sondern der Gegensatz zwischen ihm und Gott bzw. die Feindschaft mit dem Nächsten und den Dingen 195 . Darum schließt die Rechtfertigung Versöhnung in sich; diese aber 1 8 8 W A 5, 345, 5 — 3 0 , W A 6, 469, 6 ff., W A 8, 679, 2 2 — 3 4 , ib. 6 7 7 , 1 6 und 6 8 0 , 1 6 f. H . Hermelinks These, Luthers Gedanke von der „Sammlung" der ernsten Christen sei in seiner esdiatologischen Stimmung begründet (s. ders., Zu Luthers Gedanken über Idealgemeinden und von weltlicher Obrigkeit [ Z K G 29, 1908, S. 2 6 7 — 3 2 2 ] ) , wird von Karl Müller verworfen: s. ders., Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther, Tübingen 1910, bes. S. 3. Hermelink sagt aber richtig, daß die Christen nach Luther als Kirche immer unter „Heiden" leben müssen, um diese zu gewinnen (S. 313). Vgl. W A 10/11, 3 9 , 1 0 — 1 3 . lee W A 4, 3 6 4 , 1 4 f. (Dictata 1 5 1 3 — 1 6 ) . Beim jungen Luther wird die Bewegung des Glaubens gegen die Vollendung mit den anthropologischen Termini „caro" — „spiritus" dargestellt. Interessant ist aber, daß schon hier initium und consummatio sich in der Bewegung des Glaubens begegnen. „Homo cum consummaverit, tunc incipiet": W A 3, 4 7 , 4 ; vgl. auch W A 4 , 1 9 1 , 20ff. und W A 3, 46, 36ff. Auch beim älteren Luther werden Versöhnung und Vollendung aufeinander bezogen: Christus ist gestorben, „auff das jdi sein eygen sey vnd jn seynem reych vnder jm leb vnd jm diene jn ewiger gerechtikeyt vnschuld vnd seligkeyt . . . " : W A 30/1, 2 4 9 , 1 7 — 2 0 (Der Kleine Katechismus 1529). Vgl. H.Rückert 1952, S. 233. 1 8 0 „Nam si fides vere in te, pénétrât omnia membra et feget aus quod in corpore malum . . . " : W A 27, 125, 35 f. (Predigten 1528 Rörer). 1 9 1 W A 2, 44, 32. 1 9 2 W A 38, 2 2 7 , 9 f. 1 9 3 W A 39/1, 293, 8 f. 1 9 4 Vgl. R . Josefson 1953, S. 145. 1 9 5 Ib. S. 130.

3. Crea tío ex nihilo

307

kann nur durch die Neuschöpfung erfolgen, die Gott aus dem völligen Zusammenbruch des Menschen geschehen läßt: „Nos oportet destruí et difformari, ut Christus formetur et solus sit in nobis" 198 . „Novitas regenerado" ist also nicht Bedingung der Versöhnung, sondern ihre Frucht 19 '. Die Versöhnung führt hin zu der „via crucis", auf der man gezwungen wird, alles Eigene abzulegen, um durch die enge Pforte des Todes in das Reich Gottes zu kommen, durch welche Christus als Versöhner und Vollender der Schöpfung vorausging. Wohl sind alle zeitlichen Güter Gottes gute Schöpfung, aber sie vermögen doch dem Menschen kein ewiges Leben zu verleihen. Alles Irdische ist dem Gesetz und der Vergänglichkeit unterworfen. Und doch ist die geschaffene Welt nichts Eigengesetzliches oder Neutrales. Alles Geschaffene ist zwar nur etwas Vorübergehendes verglichen mit dem Himmlischen und Unvergänglichen, aber nur im Kontakt mit den geschaffenen Dingen, die „vol Bibel" sind, wird die Gottesgemeinschaft des Menschen verwirklicht, durch welche er in seine himmlische Bestimmung wiedereingesetzt wird 198 . Die Wiederherstellung und die Vollendung des gefallenen Menschen geschehen also durch Gottes offenbarendes und versöhnendes Werk in Christus. Aber wie die Schöpfung und das Leben, so ist auch die Wiederherstellung und Vollendung ein göttliches Schöpferwerk „ex nihilo". Im Glauben ist der Schaden des Falls geheilt, aber die Vollendung wird erst im Tode geschenkt. Die alte Welt geht unter und gibt Raum für eine neue. Wenn Luther sagt, der Mensch im Glauben fürchte den Tod nicht, so meint er nicht, daß er dem Tode stoisch entgegengehe, sondern daß er in der Anfechtung und Qual vor dem Tode in der Welt des Falls letztlich die Gnade Gottes schmecke, durch die das Schöpfungswerk vollendet wird 199 . Tentatio heißt für Luther, in der Welt des Falles leben, aber im Gehorsam wird die tentatio das Kreuz, das den Christen emporhebt zur Gemeinschaft des ewigen Lebens mit Christus in der neuen Welt. Anfechtung und Tod gehören zusammen wie Glaube und Auferstehung. Und doch bezeichnen beide Gegensatzpaare keinen metaphysischen Dualismus, denn ohne Tod gäbe es kein ewiges Leben, ohne Anfechtung keinen rechten Glauben, ohne Aufgeben dieser Welt keine ewige Welt. Dadurch wird der Mensch geübt, auf Gott allein zu vertrauen. Hier entdeckt er Gott als seinen Schöpfer. Luther sagt deshalb: „ . . . ich bin durch viel ubung . . . dahin komen, das ich schier anhebe zu gleuben, Gott sey schepffer himels und der erden" 200 . Anfechtung und Tod des Menschen dienen also in Gottes Hand der Menschwerdung und dem Offenbarwerden des Schöpfers-ausdem-Nichts, denn in der Anfechtung erfährt man gleichzeitig die eigene Machtlosigkeit und die Schöpfermacht Gottes. In seinem Absterben erfährt der Mensch W A 2, 548, 28. Vgl. W. v . Loewenich 1929, S. 148—196. W A 39/11, 242, 23 (Disp. v. Hieronimus etc. 1543) und ib. 232, 13. Siehe audi W A 6, 208, 6—2C9, 23 (Von den guten Werken 1520). ι»» W A 4 9 ) 4 3 4 ) 16—438, 35 (Predigten 1544). 1 9 9 „Zum dritten ist da Tentatio, anfechtung. Die ist der Prüfestein, die leret dich nicht allein wissen und verstehen, sondern auch erfaren, wie redit, wie warhafftig, wie süsse, wie lieblich, wie meditig, wie tröstlich Gottes wort sey, Weisheit über alle Weisheit": W A 50, 6 6 0 , 1 — 4 (Vorrede zum 1.Bande der Wittenb. Ausg. etc. 1539). 200 W A 50, 4 2 , 1 0 f. (Vorrede zu Ambrosius . . . 1536). 198

197

20*

308

Kapitel V I : V e r s ö h n u n g u n d V o l l e n d u n g

im Glauben Gott als den Schöpfer und Vollender des Menschen, den Gott, der ihn aus Gnade in die neue Welt hineingeboren werden läßt, für die er von Anfang bestimmt war. Der Glaube „consummat divinitatem, et ut ita dicam, creatrix est divinitatis, non in substantia Dei, sed in nobis" 201 . Er macht das Ende zum Anfang, den Tod zum Leben202. Der Christ weiß, daß, genau wie er in Schmerzen und Angst ins Leben hineingeboren wurde, auch der Tod „eyn new gepurt" ist, mit Angst verbunden, aber so ist auch der Tod „die enge pforte, der schmale steyg zum leben . . . alsso ym sterben auch muss man sich der angst erwegen und wissen, das darnach eyn grosser räum und freud seyn wirt" 203 . W A 40/1, 360, 24 f. S. o. Kap. VI, 2, Anm. 80. 203 W A 2, 685, 20—686, 8 (Sermon von der Bereitung zum Sterben 1519). Vgl. auch W A 4 3 , 1 4 7 , 5 — 1 2 (Gn 21, 8): „Credimus resurrecturam carnem nostram in extremo die . . . enim nos quoque verbum et easdem spirituales consolationes, quas Abraham habuit. Sicut igitur ante centum annos nihil fuimus, ita, cum mors aboleverit carnem nostram, caro nostra iterum E X N I H I L O emerget et vivet. Sic praesentia, quae iam habemus palpabiliter nos decent de futuris, quae habituri sumus." 201

202

BIBELSTELLEN Gn 1

12, 27, 35, 37, 38,40,167,179 25, 26, 31, 37, 1,1 40, 47, 178,179 9 1 , 1 - -6 27, 29, 30, 34, 1,2 36, 39, 53, 112, 158, 194, 197, 199, 200 1,3 30, 33, 34, 49, 168, 176, 199, 222 46, 47, 48 1,4 1,5 34, 222 50, 100, 219, 1,6 264 1 , 6 - -10 41 168 1,7 38, 50, 202 1,9 1,10 28, 43, 46, 47 44, 77, 121 1,11 1,11-- 1 3 53 1,14 43, 54, 58, 89, 216, 217, 225 1,14—19 41 1,15 76 1,19 202 1,20 27, 34, 35 1,21 46, 47, 50 1,22 43 1,23 52 1,24 77 1,24—27 93 1,25 46 1,26 61, 67, 68, 70, 76, 77, 79, 83, 89, 91, 92, 93, 94, 102, 112, 168, 178, 186, 258, 264, 301 1,27 48, 102, 103, 105, 169, 254 1,28 53, 85, 91, 93, 101, 123, 178 1,29 77

1,30 1,31 2,1 2,1—3 2,2 2,3 2,3—7 2,7 2,8 2,9 2,11 2,12 2,15 2,16 2,17 2,18 2,19 2,20 2,21 2,22 2,23 2,26 3,1

3,1—5 3,6 3,7 3,7—19 3,8 3,9 3,10 3,11

124 46, 77, 176 38, 42, 50,138, 139, 196 88, 139 45,52,121,139 45, 61, 68, 88 89 28, 52, 53, 61, 67, 68, 69, 70, 91, 93 40, 102, 123 44, 80, 88,102, 103,183 145 147, 301 77, 87, 88,144, 145 47, 68, 80, 88, 100, 144 61, 64, 67, 70, 82, 89, 91, 93, 100, 101, 123 85, 89 77 40, 89, 91 31, 42, 51, 55, 56,63, 64, 89 254 63, 144 51 70, 76, 80, 82, 83, 100, 101, 102, 133, 140, 146, 265, 268 103 89,99,103,111, 123 89, 91, 92, 101, 111, 156 154 76, 112, 156, 157 147 100, 146, 147 146

3,12 3,13 3,14 3,15 3,15--19 3,17ff. 3,17--19 3,18 3,19 3,20 3,24 4 4,1 4,4 4,5- 7 4,6 4,7 4,9 4,10 4,11 4,15-- 1 6 4,16 4,17 4,23 4,24 4,26 5,21-- 2 4 6 6,1 6,3 6,5 6,11 6,14 6,22 7,11-- 1 2 7,16-- 2 4 9,12-- 1 6 9,20—22 lOf.

104, 156 89, 156, 157 51, 75, 149 89, 134, 148, 157, 159, 177 145 121, 134, 144, 145, 159 88, 145, 146 158 29, 85, 89, 93, 142, 145, 152, 266 89 89,158 107,110 114,155 110, 140, 245, 248, 266 155 174 22, 71,102 104 134 42,145 286 44 134 134 134 179 134, 141, 146, 221, 249, 265 102 106, 107, 140, 159 184 174, 200 121,154 245 81 50 182 63, 76, 221 134 107

310

Bibelstellen

11 107 11,1—4 108 11,5 107 11,10 186 12,4a 196 12,18 f. 151 13,14—15 232 15,7 221 16,13—14 217 17,10—11 196 17,22 171 17,23—27 196 18,9 63 18,13 81,88 19,14 185, 232, 264 19,18—20 185 19,21—22 185 20,17—18 185 155 21,1—3 21,8 308 21,17 vor 21, 21, 26 22,11a 293 22,13 41,43 22,16b 206 22,16c—18 133 23,1 215 23,1—2 194, 215 23,5 f. 72 25,17 92, 146, 147 25,21b 179 25,24 238 27,11—14 199, 231 27,28 264 28 251 30,9—11 221 31,10—16 121, 132 32,1 245 32,31b—32 226 35,2 103 35,8 85 37,15—17 250 37,30—35 30, 231 41,40 278 41,42 246 42,6 b—7 179, 250, 275 42,22—24 188 43,23 250 45,3 a 250 46,28 57,199 49,11 f. 147 68,36 245 Ex 3,6 7,2

205 198

130 130,1 130,4 139,1

45 305 246 99, 126 214 12, 32, 89, 90, 98 24, 67 47 141 302 32,154 47 246 246 171 202 189 51 126, 184, 246 294 185 154, 249 176 53,177 172,176 23 88 86,180 40 40 41 190, 225 204 174, 286 188 279 274 231 76, 106, 155, 211, 213, 303 195 195 172 29

Jesaja 9,3 9,6 28,21 ff. 37,16—19 38,6—10 45,9 45,15 51,16

266 245, 294 245 191,198 133 302 236 294

7,3 13,18 20,5 20,14 33,20

203 200 205, 245 205 199

Dt 4,3 4,24 ff. 4,28 6,16 7,1 9,16 20,2 32,39

68 70,5 77,14 78 82,1 90

85, 235 252 269 82 57 260 82 245

1. Sam 2,6 f.

245

1. Chron 17,17

214, 215

90,2 90,3 90,7 90,10 90,12 90,16 92,5 93,4 94 101,5 102 102,28 104 106 110 110,1 110,2 110,3 110,4 115,3 117 118 119,28 119,121 119,94 121,1 122,1 122,3 124 125 125,1 127 127,1

Ps 1,1 2,2 2,3 f. 2,11 2,12 3,6 4 5,1 10,16 14,1 18,6 19,2 22 22,2 22,5 22,7 28,4—5 28 36,12 38 44,11 45,3 51 52,3 59 63 63,5—6 64,10 64,15 66,5

104 108 157 235, 172 177 180 136 303 291 180 176, 245 257 259 259 174, 245, 171 254 175 245 182 179 287 171 108 184 245 44 264

236

178

258 246

311

Bibelstellen

J er

23,5

268

Jon 1,5

87, 205, 235

Hab 1,3

213

2. Makk 7,28

24

Mt 1,1 ff. 2,1—12 2,12 3 3,1 4 4,Iff.

174,175 188 169, 183, 282 169 168 106 33, 106, 167, 200, 203, 213, 277 4,7 282 5,7 84,188 5,18 71 6,24 ff. 86,87,111,112, 289 7,12 81,84 7,16 112 7,16—20 112 8,1 192 8,10 299 8,13 95, 149, 163 8,23 ff. 126, 225 9 299 9,1 ff. 177 9,1—8 198 9,18 261 9,18ff. 299 10,7 ff. 113 11,2 ff. 249 11,2—11 261, 299 11,5 282 11,25 226 12,38 ff. 248 13,33 297 13,47 126 15,8 289 203 16,1 16,24 114 18,5 182 18,7 127 18,13 289 18—24 127 19,22 149

21,1 21,1—9 22,1 ff. 22,34 ff. 25,1—13 26,30 26,47—50 26,60 27,54 27,62 Mk 6,14ff. 7,31 8,1 ff. 14,34 16 16,1 16,14 16,15 16,16 Lk 1,26 ff. 1,39 1,46 2,1 2,1—14 2,7 2,10 2,10 f. 2,11 2,12ff. 2,13 2,14 2,15 2,21 2,22 2,22 ff. 2,33—40 2,36—37 2,42—52 3,22 5,1 ff. 6,36—42 7,1 ff. 7,36 ff. 8,4 10,23 10,23 ff. 10,25 ff. 10,34 ff.

257 256 114 84, 248, 270 289 258, 259 113 85 251 272 295 57,87,127,140, 195 57 113 297 195, 203, 301 57,195 282 224 182 284 107 110 134, 218, 266, 282 283 190 110 110,270 111,224 111 110, 176, 179, 267 210 195 264, 283 239 239 185 283 176 126 186 193,194 86 102,298 205 84,195 270 191, 290

ll,14ff. 14,1—11 14,11—24 14,16 15,1 15,8 ff. 16 16,1 ff. 16,9 16,19ff. 16,19—31 17,15 19,41 20,21 ff. 21,25 21,25—33 22,7 ff. 22,19 24,27 ff. 24,36—47 27,45 f. Joh 1 1,1 1,1—3 1,1—14

1,2 1,3 1,4 1,5 1,9 1,11 1,13 1,14 1,18 1,30 1,32 2,13 3,1 ff. 3,8 3,11 3,16 3,18 3,19 3,32 3,35 4,47 ff.

114,178 305 292 113 260 114 113 186,187 86,112,135 86,109,110 261 179 252,268 224 268, 270 301 174 93 221 221 263 167,189 23, 34 255 33,34,175,178, 184, 199, 205, 263, 271, 289, 295 51 29, 38, 42, 94, 180, 243 50, 102, 165, 179, 191, 254, 295 56 169 176 188 58,63,214,259 193, 199, 205, 206 146 56 201 178 45, 103, 217 102 26, 254 148 104 198 176 82

312

Bibelstellen

6 6,24 6,29 6,45 7,41 8,46 ff. 8,51 9,1—38 13 14,9 f. 15,4 16,15 20,19 21,20

251 86 168 247 112 93 305 252 298 228 184 196 168 112

Apg 6,8—14

199

Rom 1,1 1,3 1,5 1,16 1,17 1,19 1,20 2,11 2,12 3 3,4 3,5 3,7 3,19 f. 3,20 3,28 4,7 4,15—25 4,17 5,4 5,14 6,3 6,6 7,10 7,17 8 8,3 8,7 8,19 8,20 8,26 8,28 8,32 9,16

279, 290 257 289 279 11,149 203 254 200 204 189 155 243 281 190 281 155, 298 187 289 24, 33 85 101,159 170, 278 203 80 102 139 104,105 156, 279, 280, 290 58, 64, 94, 222, 268 109 178, 282 116,158 34,180 189

10,2 ff. 10,6 11,33—36 11,35 12,16 14,8

246 189, 191, 257 35,39,132,194 23 283 210

l.Kor 1,21 4,15 10,4 15 15,44 f. 15,45 15,57 2. Kor 3 Gal 1,4 2,6 2,16 2,17 2,18 2,19 2,20 2,21 3,3 3,6 3,10 3,13 3,19 3,22 3,23 3,25 4,1-7 4,6 4,8 4,9 5,5 5,14 5,19 f. 5,23 6,17 8,21

1. Thess 5,23

71

l.Tim 2,5 4,13 6,16

243 174 199

236 287 167 301 83, 93 168 258

Tit 2,13

294

l.Petr 1,3 1,5 2,13 2,13—17

181 178 93 98

168

2. Pett 1,10 1,19

185 196

Hebt 1,2 1,3 1,8 1,13 2,7 2,9 3,1 3,5 3,7 3,12 3,13 4,4 4,12 6,12 7,1—3 7,28 10,5 10,19 11,1 11,3 11,5 11,8 11,24 12,4 12,11 12,15

126, 260 43,44 167 270 246 281 282 187 236,286 178 85, 106, 257 45, 71, 254 71,167 238 282 246 53,163 170 138, 246 24 277 187 239 138,277 245 138 283, 294

130 106, 169, 173, 200, 213 169,173 275 133 152 272, 300 270 84 187, 301 90 10, 253, 265, 285 285, 297 133 134, 285 368 288 143,186 190, 193, 203, 205,278,297 186 302 98 102 291 175 140

Eph 4,8—10

248

Jak 1,18

Kol 1,3—14 1,16b

174 34

l.Joh 3,2 171 4,16—21 134, 248

PERSONENREGISTER Alanen, Y., 76 Alin, F., 22 Altenstaig, J., 22 Althaus, P., 15, 48, 52, 55, 80,90,144,169,183,274, 285, 294, 305 Ambrosius, 116 Anrup, Ν. E., 118 Anselm, 251 Aristoteles, 9,25, 51, 53, 54 Atkinson, J., 10 Augustin, 24,27,31,35,37, 40, 52, 64, 98, 108, 109, 116, 117, 118, 119, 120, 123, 149, 150, 214, 242, 251 Aulén, G., 15, 105, 128, 142, 173, 231, 242, 265 Aukrust, T., 173 174 Bachmann, Ph., 68 Bandt, H., 81, 177, 226, 227, 229, 242 Barth, H., 52 Barth, Κ., 40, 47, 48, 52, 129, 188, 191, 228 Bauer, Κ., 149, 150, 180, 220 Beintker, Η., 277, 292 Berge, W., 129, 130 Besoldus, H., 182 Beyer, H. W., 199, 214 Bizer, E., 173, 244 Blanke, F., 29 Bohlin, Torgny, 7, 62, 177, 182, 207, 208, 266 Bohlin, Torsten, 128, 129, 182, 211 Böhmer, H„ 177 Bonaventura 35 Bonhoefïer, D., 22, 41, 42, 47, 49, 50, 79, 101, 111, 112,145,147 Bornkamm, H., 10, 23, 44, 68, 200, 214, 216, 234, 242, 244, 284, 287, 292

Borsch, E., 226, 297 Bring, R., 14, 23, 36, 49, 65, 66, 69, 75, 82 115, 128, 129, 131, 132, 134, 138, 163, 182, 197, 199, 229, 248 Brinkel, K., 122, 176, 187, 191, 192, 193 Brunner, E., 106 Brunstädt, F., 125, 188, 204, 206, 208, 209 Buchwald, G., 26, 58, 76, 233 Bühler, P. T., 277, 291 Bultmann, R., 67 Buri, F., 255 Congar, M.-J., 166 Cranz, E., 296 Cullmann, O., 267 Dahlbäck, G., 104 Deutelmoser, Α., 208 Dietrich, V., 13 f., 38, 42 Dilthey, W., 24 Doerne, M., 108, 183, 241 Ebeling, G., 55, 67, 150, 173 Eiert, W., 29, 32, 57, 78, 84, 131, 134, 212, 216, 238 Ellwein, E., 11 Engelland, H., 22 von Engeström, S., 129, 149, 166, 215 Erasmus, 116,125,134,166, 211, 215, 222, 223, 230, 233 Ferré, Ν., 208 Frey, F., 193 Frick, R., 181 Gerstenkorn, H. R., 226 Gerstenmaier, E., 39, 98, 99, 120

Gloege, G., 62 Gogarten, F., 46, 84, 229, 292 Gottschick, W., 191 Grane, L., 230 Gühloff, O., 82, 187, 281, 287, 292, 293 Gunkel, H., 27 Gyllenkrok, Α., 252 Haar, J., 31, 177, 302 Hägglund, B., 63, 78, 217, 252 Haikola, L., 23, 63, 68, 73, 76, 77, 80, 87, 100, 101, 116, 124, 145, 150, 151, 152, 155 Hamel, Α., 104, 242, 283 Harnack, Th., 141, 228, 229 241 Heckel, J., 110, 129 Heidegger, M., 67 Heim, K., 54 Heintze, G., 14, 190, 202, 270, 297 Hengstenberg, H. E., 55 Hering, H., 273 Hermann, R., 62, 100, 116, 152, 189, 191, 219, 250 Hermelink, H., 306 Hilarius, 37, 40 Hillerdal, G., 15, 47, 128, 216, 295 Hirsch, E., 22, 35, 67, 74, 171, 208, 211, 229 Holl, K., 29, 30, 183, 187, 214, 229, 291, 292 Holte, R., 109 Horstmeier, M., 191 Irenaeus, 24, 142, 267, 296 Ivarsson, H., 186, 242, 270, 293 Iwand, H., 80, 82, 119, 249 Jakob, G., 76 Jervell, J., 91

314 Jetter, W., 34, 104, 126, 169, 170, 177, 178, 180 Johannesson, R., 64, 253 Jonas, E., 53, 55 Josefson, R., 39, 69, 75, 91, 124, 171, 172, 177, 197, 204, 223, 251, 281, 283, 306 Joest, W., 15, 42, 52, 63, 87, 147,185,190, 251 Karlstadt, 174 Kattenbusch, F., 30, 176, 183, 220, 229, 285 Klaus, B., 13 Koehler, W., 29, 30, 130 " Kohlmeyer, E., 183, 216 Krumwiede, H.-W., 23, 34, 50,51,106,111,201,202, 216, 217, 218, 220, 230 Künneth, W., 15, 208 Lambert, G., 27 Lammers, H., 70, 71, 135 Latomus, 97, 119, 153, 243 Lau, F., 44, 76, 219 Lerfeldt, S., 66, 111, 177, 294 Lilje, H„ 216, 220 Lindroth, H., 24, 201, 248, 265 Lindström, H., 188, 199 Link, W., 25, 62, 101, 212 Ljunggren, G., 67, 98, 115, 116, 118, 119, 132, 133, 136, 142, 146, 148, 149, 151, 152, 277 Löfgren, D., 46, 74, 83, 165, 190, 244 Logstrup, K.-E., 46 Lohse, B., 14, 58, 74, 83, 242, 279 Lombardus, P., 53, 73, 74, 148 von Loewenich, W., 11,15, 55, 71, 229, 241, 260, 283, 293, 307 Lyra, S., 27 Mann, U., 42, 187, 203 Marcion, 24 Maurer, W., 15, 73, 146, 249, 251, 273, 277, 288 Meinhold, P., 12ff., 30, 31, 33, 73,134, 217, 218, 251

Personenregister Meissinger, Κ. Α., 91 Melanchthon, 13 Metzke, E., 171, 189, 199 Müller, Α. V., 273 Müller, Η. M., 291 Müller, J., 118 Müller, K„ 306 Müller-Bardorf, J., 216 Munter, C. J., 189 Niggs, W„ 220 Nojgaard, N., 104 Normann, S., 71 Nygren, Α., 24, 31, 65,104, 108, 109 7 Obendiek, H„ 100, 114, 124, 128, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 140, 141, 187, 191 Occam, 251 Olsson, H., 49, 75, 76, 84, 146, 170, 182, 183, 226, 230, 253 Origines, 24 0stergaard-Nielsen, H., 8, 46, 105, 112, 173, 174, 186, 212, 216, 220, 244, 271 Osterloh, E„ 22 de Paillerets, M., 166 Pauck, W., 184 Pedersen, J., 26, 27 Pelikan, J., 14 Persson, P. E., 49, 57, 174, 209 Pflanz, H . H . , 118, 155, 158, 216 Pinomaa, L., 71, 241, 243, 244, 276, 277, 282 Prenter, R., 15, 40, 57, 63, 101, 173, 177, 182, 214, 256 Przywara, E., 217 v. Rad, G., 27 Refoulé, F.-R., 166 Rendtdorff, R., 26 Ringgren, H., 27 Ritsehl, Albr., 228,229,241 Ritsehl, O., 177, 191 Rost, G., 41, 52, 83, 230 Rückert, H„ 85, 250, 306

Runestam, Α., 22, 81, 128, 129, 211 Rupp, G„ 134, 184 Saarnivaara, U., 285 Sannwald, Α., 191 Schäfer, E., 220 Scheel, O., 75, 273 Schempp, P., 174 Schlink, E., 78, 92, 208, 217, 220, 279 Schmidt, F. W., 229 Schmidt, H. W., 48 Schott, E., 29, 63, 67, 68, 102, 105, 116, 148, 226, 275 Schumann, F.-K., 35, 36, 47, 55, 68, 91, 281 Schwenckfeld, 174 Seeberg, E., 12, 14, 34, 55, 80, 81, 91, 170,177, 183, 218, 232 Seeberg, R., 191, 207, 208, 214, 218, 241 Siegfried, Th., 191, 302 Sii rala, Α., 36, 81, 82, 84, 94, 110, 145, 146, 147, 166, 198, 199, 201, 215, 225, 266, 269, 270, 288 Silén, S., 39,101,116 Simonsson, T., 54 Skydsgaard, Κ. E., 15 Sommerlath, E., 173 Stammler, G., 218, 220 Stange, C., 11, 73, 90, 98, 229, 267 Staritz, Katarina, 31 Stomps, Magda, 89, 91, 93, 103, 104, 105, 108, 157, 220 Stürmer, Κ., 279 Sundby, O., 15, 85, 200 TertuUian, 91, 116 Theophilus, 24 Thestrup Pedersen, E., 14, 141, 174, 181, 183, 187, 195, 196, 201, 202, 220, 226, 263, 301 Thielicke, H., 55, 99 Thieme, K., 105 Thimme, H., 170 Thomas v. Aquin, 57, 64, 209

Personenregister Tiililä, O., 129 Titius, Α., 54 Tömvall, G., 82, 83, 128, 137, 146, 166 Troeltsch, E., 177 Vajta, V., 82, 88, 128, 183, 218, 226, 253, 254, 256, 265 Vogelsang, E., 74,173,277

von Walter, J., 55, 71, 229, 230, 287 Watson, P. G., 82 Weiße, Chr. H., 191 Wiegand, W., 188 Williams, N. P., 118 Wingren, G., 7, 14, 24, 32, 35, 41, 46, 47, 48, 58, 60, 67, 83, 84, 87, 112, 128, 138, 141, 142, 146, 169, 175, 178, 182, 186, 188,

315 190, 219, 233, 252, 271, 277, 278, 282, 298, 299, 304 Wolf, E., 49, 50, 137, 197, 273, 277 Wölfel, E., 221 Wolff, O., 229 Wünsch, G., 135 Zöckler, O., 120 Zwingli,J174

SACHREGISTER

Abendmahl 29, 36, 57, 171, 172 f., 177 f., 186, 213 Aberglaube 131 Abgötterei 70, 85,112,135, 235 Ablaßthesen Luthers 295 abusus 97, 105—114, 112, 125, 151, 235 f. acta — facta 245f. Adam 39, 42, 61, 100 —, alter 263, s. auch vetus homo Adiaphora 136 adjutorium gratiae 116 adventus Christi 176, 180 —, spiritualis 256 affectus 75 f. Akt und Sein 22, 31, 39,47, 49f., 53, 122 Aktualität des Handelns Gottes 11, 25, 27, 31 f., 37 ff., 50ff., 54, 91, 98, 116, 181 f., 249f., 262 Aktualität des Sündenfalls 98 ff., 118f., 125, 181 f., 273 ff. Allegorie 126 Allgegenwart s. Gegenwart Gottes Allmacht Gottes 25, 48 f., 133, 197, 211, 212, 238, s. auch Souveränität Gottes Allwirksamkeit Gottes 36, 66, 165f., 202, 211 Altes Testament 10 Amt 114, 185 analogia entis 217 Anbetung 68, s. auch Ehre Gottes Anfang der Welt 29ff.,38f., 54, s. auch unter Schöpfung Anfechtung 250, 272—308 — Prädestinationsanfechtung 277

Anknüpfungspunkt im Menschen 206f., 235 Anselmsche Versöhnungslehre 251 ff. Antagonistisches Motiv 28, 49 f., 128—141, 134, 252ff., 292 Anthropologie 68 ff, 78 —, philosophische 63 f., 71 —, theologische 64 —, scholastische 64, 66 —, trichotomische 71 f. s. auch Mensch, Philosophie Anthropomorphismus 30 Antinomer 297 Äon 130 Apologeten 24 Arbeit 45, 82, 144, s. auch vocatio Aristotelismus 25, 53 f., 209, 217 Arm Gottes 230, 232ff. Artikel — 1. Glaubensartikel 7,9f., 11,37 f., 68, 90, 164 — 2. Glaubensartikel 9,90, 164f., 226 — die drei Glaubensartikel 9, 35 Aseität Gottes 23, 88 Asketismus 85f., 113, 126, 284, 298 Auferstehung 60, 92, 177, 188, 257, s. auch Ewiges Leben Aufruhr gegen Gott 28, 97—105, 123, 125, 135, 151, 196, 203, s. auch Sündenfall Auszug aus Ägypten 293 Baum der Erkenntnis 80, 239, s. auch Gut u. Böse Baum des Lebens 43, 92 beatitudo 93 Begierde s. concupiscentia

benedictio (s. auch Segen) — corporalis 44 — aeterna 44 Beruf s. vocatio Beschneidung 51 Bewegung in der Schöpfung 40f., 69f., 138, 189 Bewußtsein 122, 190—193, 226 — Gottesbewußtsein226f. 235 Bibel, s. Schrift, Heilige Bild, „das himmlische" 36, 94, 149, 153, 168, 220, 228, 264 bona externa 154 bona media oder bona corporis et persona 154 bona spiritualia scilicet et interna 154 Böse, das — Ursprung des, 50, 106, 113, 159 —, die Macht des, 115—159 — im Herzen d. Menschen 88, 102, 246 — als Gefangenschaft und Eigenschaft 124, 153 •—, Befreiung von dem 242, s. auch Christus — als Strafe 246, 252, s. auch poena et culpa, s. auch Übel Buße 118, 295 f. causa efficiens et finalis 43, 57, 157, 222, 223, s. auch Kausalität causa Instrumentalis 231 Chaos 26f., 146 Christi, mitleidsvolle Betrachtung 262 Christokratie 129, s. auch Christus als Herr d. Welt Christologie 166,171,173f., 190, 214f., 246, 253, 275 —308, 295, 299

Sachregister christolog. Grundstruktur d. Wortes 169—176, 225 Christozentrizität 197, 198, 222 Christus — als Schöpfer 33 ff., 46, 59, 126, 131, 180 — als finis omnium et centrum 59, 180, 223, 225 — als telos der Schöpfung 199ff.,223 — als Mensch 105, 180, 251ff.,253, 259ff.,261 — als Gott u n d Mensch 172, 180f„ 183, 185, 249f., 251 ff., 264ff., 299 — d. Verherrlichte 201,213 — als sacramentum 170, 180f., 262f., 271, 293 — als exemplum s. Ch. als Vorbild — Sieger über den Teufel 210, 248f., 250, 266, 293 — praesens 173 f., 213, 257 — als Haupt der Gläubigen 135, 302 — als Vorbild 66, 170, 262f., 271, 293 — als der 2. Adam 152,168, 176, 258 f., 266 f. — als Wiederherstellet der Schöpfung 92 f., 152, 164f., 181 f., 248 — als Vollender 249f.,258ff. — als Herr der Welt 127, 129, 157, 181, 183, 210, 224, 248, 254, 258, 266, 270 — zur rechten Hand Gottes 157, 249 f., 271, 300, 302, 304 — das himmlische Bild, s. oben Bild, „das himmlische" — Victor 254, 258, 265 Christuszeugnis (im A.T. u. N.T.) 10, 225, s. auch Schrift, Heilige u. Hermeneutik cognitio generalis Dei 193, s. auch Offenbarung cognitio legalis 204ff., 242 cognitio propria et vera Dei 193

communicatio idiomatum 182, 265ff., 298 f. communio sanctorum 297 concupiscentia 103f., 116, 119 conformitas Christi 244, 246f., 248, 255, 261, 271 conserva tio s. Erhaltung consummatio 306 cooperatio 25, 42, 49, 68, 100, 194, 212, 230, 246, 248 coram Deo 148, 151, 152, 159, 218, 240, 292 coram hominibus 151, 218 corpus Christi 134 creatio ex nihilo 9,18, 21— 37, 23ff.,26, 33, 39, 48 f., 66,100,178 f., 180,235f., 250, 261, 272—308, s. auch Schöpfung, Schöpfer, Schöpfungsgedanke Creator Spiritus 9, 44f., 48, 69 f., 168 f., 221, 261, 263 — „Spiritus sanctus non corrumpit, aut destruit naturam..." 188. s. auch Heiliger Geist creatura bona 45—60 s. auch unter Schöpfung culpa et poena 115—125 Darwinismus 54 Decalog — 1.—2. Tafel des 106, 204, 270, 293 Deismus 51 f., 208, 211 desperatio 108, 277 Deus absconditus 204 — et revela tus 225—240 Deus absolu tus 30, 215 Deus in cruce absconditus 226 Deus ipse 204 ff. Deus nudus et vestitus 193—225 Deus praedicatus 204 diabolus 143, 266, 278, s. auch Teufel Dingen, Verhältnis d. Menschen zu, s. uti — fruì, abusus und mandatum Dei dominium 70f., 76f., s. auch Mensch als Herr der Schöpfung

317 dominus mundi s. unter Mensch Donatismus 174 Dualismus 24, 26f., 28, 49, 73,128—141,265. s. auch Antagonistisches Motiv Ebenbild Gottes s. imago Dei Eden 77, 123, s. auch Paradies Egozentrizität 65, 104f., 197, s. auch Eigenliebe Ehe 85 f. Ehre Gottes 44, 48, 50 f., 57, 70, 76f., 79f., 81 f., 109ff., 179,182,189,193, 233, 237, 248, 267, 281 Eigengesetzlichkeit der Ordnungen 202f. Eigenliebe 103 ff. Einheit in Gottes Handeln 22, 35ff., 247 Einheitlichkeit des Werkes Christi 257 f. Ekklesiologie 182ff. Eltern 202 Engel 41, 70, 92 —, gefallene 100, 132 Entartung der Kreatur 114, 116, 120 ff., 130, 144 ff., 152, 155, s. auch Unordnung Entwicklung in der Schöpfung 41 f., s. a. Wachsen Erbgerechtigkeit 124 Erbschuld 116, 123 Erbsünde 101, 118, 123, 124 Erfahrung 35, 58, 75, 220, 242 Erfüllung 90, 267 Erhaltung 21,41 f., 47,49f., 89, 219 Erkenntnis 63, 76, 80, 91, 227f., 242 f., s. auch notitia Dei error erga Deum 103 Erschaffung aus dem Nichts s. creatio ex nihilo Erschrecken des Menschen vor der Natur 156f., 291 Erziehung 172, 304f. Eschatologie 30, 74, 299— 308, s. auch Vollendung

318 eschatologisches Element im Worte Gottes 168,186 —193 Ethik 82,190 —, christliche—natürliche 304, 306 Eudämonismus 108f., 242 Eva s. Weib Evangelium 152 f., 154,159, 163f., 175,181 Ewigkeit 59 Exegese 221 f. ex opere operato 233 Fall s. Sündenfall Feiertag 68, 70 fides charitate formata 290 fides Christi 94, 246 fides ecclesiae 192 f. fides ex auditu 246, 256 fides infantium 191 ff., 289 fides informis 291 fiducia 192 f. figurale Deutung der Schöpfung 37, 58 ff. Fleisch 69, 71, 102 Fluch 125, 143 Flucht vor Gott 156f. fomes peccati 117 f. Freiheit •— Gottes 194, s. auch Souveränität Gottes — der Kreatur 48 — des Menschen 67 f., 70, 84, 108, 211 — des Christenmenschen 211, 269, 298, s. auch Wille Fruchtbarkeit 43 Früchte des Glaubens 264, 298 fructus passionis 175 Furcht vor Gott s. Gottesfurcht Gebet 45 Gebot 79—89 —, das erste, 81 f., 266, 291—294 — der Liebe s. lex naturae — der Nächstenliebe und Kreuz Christi 260, s. auch Gesetz u. mandatum Dei Gebrauch der Dinge s. uti — frui und Nächster

Sachregister Geburt 28, 41 f., — Christi 257, 266 — neue 94, 246, 308, s. auch Neuschöpfung Gegenwart Gottes — in Christus 198 — in der Schöpfung 21 f., 37, 54, 65, 84, 87, 166, 193ff., 199ff., 209 — in Liebe und Zorn 21 f., 107f., 158f., 190, 240, 247 f. — in den Gnadenmitteln 177, 251 —, verborgene 36, s. auch Verborgenheit Gottes Gehorsam 80ff., 135,189f., 247 — Christi 164, 228, 247, 258—272 Geist des Menschen 69, 71 f., 102 — und Materie 73 Gemeinschaft — mit Gott 59, 152 — mit Christus 147f., 153f. 181, 189, 246ff., 249, 271f. Genesis 9, 11 Genesisauslegungen Luthers (allg.) 11 Genesis kommentar, Großer 9, 12ff„ 81 Gerechterklärung — Gerechtmachung 290 Gerechtigkeit 21 —, innere — äußere 69, 92, 148, 151, 159 —, ursprüngliche 62, 70f., 91 f., lOOf., 143,144f. —, fremde 62, 164, 178, 187, 240, 241, 244 —, geschenkte, s. fremde G. Gericht — Gottes 124, 143, 145, 149, 152, 155, 157 —, Jüngstes 158,273,302 f. Geschichte —, Gott als Herr der 194, 232 ff. —·, Gottes Handeln in der 30, 50, 225 —, Luthers Auffassung von der 30, 216f., 220, 225 — Israels 236

Gesetz —, Gottes 158, 163 f. —, das jüdische 51 — der Schöpfung 51, 79ff., 245 — der Sünde u. des Todes s. lex peccati et mortis —, natürliches s. lex naturae —, menschliches 83 f. —, Erfüllung des 185,203, 265 ff., 268 —, Durchbrechung des 188 f., 203, 274 — und Evangelium 21 f., 29,80,81,130,159,163f. 179 f., 181 f., 189f., 198, 201, 240, 243, 270, 275, 299, 301 — und Freiheit 87 —, 1. und 2. Gebrauch des, 203 f., 271, 278, 305 —, bleibende Bedeutung des 270f., 291 f. Gesetzmäßigkeit s. unter Natur Gewalt, Gebrauch von 107 Gewissen 76, 84, 200, 270 Glaube 81 — und Werke 185f., 189f., 261, 298f. —, Erweckung des 163, 175f., 178 f. —, Vergebungs- 82 —, Schöpfungs- 82, 92 s. auch Gebot und Gehorsam — und Wort Gottes 163— 193 — und Liebe 178, 261 ff. Hoffnung - Liebe 261 —, Wachsen des G. 190— 193, 262 Glaubensgerechtigkeit 186, s. auch Gerechtigkeit Gloria in Exelsis Deo 267 Gnade Gottes 165 —, zuvorkommende 77 •—-, erhaltende 219, s. auch Erhaltung Gnostiker 24 Goldene Regel s. lex naturae

Sachregister Gott — als Ursprung der Schöpfung 23 f. — als Herr der Schöpfung 25, 50 ff. — als Herr der Geschichte 221, 232 — versuchen 219 Gottesbild — des Glaubens 225—240 — der Versöhnung 242— 255, 254 Gottesdienst 88, 145, 200, 205 — im A . T . 194f., 286 f. Gotteserkenntnis s. notitia Dei Gottesfurcht 77, 230 Gottes Handeln in Gegensätzen 245—255 Gottes Handeln „zur Linken" und „zur Rechten" 249 f. gubernatio s. Vorsehung Gut und Böse 68, 106, 211, 234 —, Kampf zwischen 21, 71, 134f., s. auch Antagonistisches Motiv, Baum der Erkenntnis Gutsein der Schöpfung s. unter Schöpfung Hamartologie — Luthers 97—159 — des Augustin 116 f. — der Scholastik 117 f. —, paulinische 119f., 127 Harren der Kreatur (Rom 8) 64, 94, 139, 222, 268 Hauptstück des Katechismus 164 Heiden 110, 203, 234f. Heil s. Ewiges Leben Heiliger Geist 35, 45, 47, 76, 167, 172, 262 — Wort und Geist 49, 53 — Frucht des Geistes 185 f. —, Sünde gegen 184 Heiligung 252, s. auch Wachsen des Menschen Heilsgeschichte 9f., 29, 35, 40, 61 f., 78, 90,218,225, 244, 252, 295, 303 f.

Hermeneutik 221 f., 225 s. auch unter Schrift Herodes 127 Herrlichkeit s. lumina Herz 69, 71, 102 Himmel — Erde 199, 238, 242 Himmelfahrt Christi 249, 257 Hochmut s. superbia Hölle 98 f. Höllenfahrt Christi 294 homo — spiritualis — politicus 69, 168, 199 — coram Deo — coram hominibus 38, 55, 62, 69 —, totus 69, 73, 102, s. auch Mensch humilitas 281—285, 288 Idealismus 191, 225, 229f. ignorantia facti, adfecta, supina seu crassa 151 imago — coelestis 219. s. auch Christus, das himmlische Bild — Dei 53, 61—94, 66ff„ 70, 76 f., 79, 89, 91, 102, 105, 112, 113, 144, 155, 168ff:, 176, 178f., 182, 184, 192, 254, 258, 264, 266, 292, 295 — Diaboli 94, 102, 105, 112, 155, 295 — hominis 110, s. auch Abgötterei imitatio 195, 272, 293 imputatio 178, 285, 290 incurva tus in se 104 f. ingrati tudo 103 initium s. Anfang, Schöpfung, Neuschöpfung, Christus Inkarnation 36, 51 f., 57 f., 171, 180ff., 192f., 210, 217, 283 — und Passion 241, 255— 272 inoboedientia 126, s. auch Aufruhr und Abusus Intellekt 67, 72 invidia llOff., 144 iustitia s. Gerechtigkeit

319 Jerusalem 28 Johanneische — Schriften 9 ff. — Theologie 9 ff., 244, 247, 296 Jona 284f. Judaismus 110 Judas 85 Kain 107,110, 145 Kausalität 23 ff., 49, 207, s. auch causa . . . Kind 122, 192 — Gottes 81, llOf., 134, 176, 194, 262 —, Adam als 267 Kindertaufe 192 f. Kirche — im Paradies 80, 88, 92 — nach Pfingsten 107 f. —, wahre 134, 269, 306 — wird geschaffen durch die Verkündigung 182 — steht im Gegensatz zu der Welt des Falles 183 —, Universalität der 184 — als Zeuge 183 f. — soll nicht regieren 187 — und Staat 122 — als die neue Schöpfung 245 f. —, Verborgenheit der 269 Kosmologie s. Weltbild Kosmos s. Welt Kreuz — Christi 223, 234, 236 f., 239, 241, 250, 253, 258, 265, 279 — des Christen 115, 135, 279, 299 — Torheit des K. 234 — Theologie des K., s. theologia crucis larvae Dei 30, 87,138,166, 184, 200, 213, 223 —, Wort und Sacrament als 300 s. auch unter Wort, Taufe, Abendmahl — diaboli 138,171 Leben 46,f. 50, 61, 63, 80, 82, 107, 144, s. auch vita —, täglich von Gott empfangenes 78, 83, 99f.

320 —, Ewiges 45,64f., 67,70, 80, 83, 88, 89—94, 98f., 152f., 155, 159, 164f., 177, 238, 300 —, irdisches ·— himmlisches 157 — und Tod 21, 26, 28, 32, 43 f., 90, 99 f., 101, 102, 139 f., 142, 146ff., 243, 251, 254f., 278, 293 Leib und Seele 67, 69 ff. Leiden 85 — stellvertretendes 152, 253, 261 —, unausweichliches 152 —, unverschuldetes 276 — Christi 210, 257, 262 — des Menschen 233, 236, 261 —, selbstgewähltes 277, s. auch Kreuz lex — peccati et mortis 81, 90, 141—159, 155, 157, 189, 190 — naturae 81, 84, 87, 102 s. auch Gesetz u. mandatum Dei — spiritualis 202 liberum arbitrium in externis 87 f. s. auch Wille des Menschen libido 111 Liebe — Gottes 21, 23, 57 — zu Gott 108 f. —, eheliche 85 f. —, natürliche 86 —, Nächstenliebe 109, s. auch Nächster —, verlorene 298 Logos 29,33f., 36,171,244, 256, 263 lumen gloriae s. lumina •—• gratiae s. lumina —, naturae s. lumina lumina, die drei 30, 207 f., 235—240, 270 Luther —, der junge und der ältere 8,29,35, 58 f., 108, 126,134,165,170f.,172ff., 177, 215, 228 ff., 241, 244f., 248, 254ff., 256f., 264, 269f., 276f., 298f.

Sachregister — und Irenaeus 296 — und Augustin 108f., 242, 251 Lutherdeutung —, ältere 207, 225f., 228f., 241 —, schwedische 7f., 208 —, römisch-katholische 229 —, existenzialistische 67, 255 f. —, kontinentale 8 Luzifer 132, 139, s. auch Teufel Mächte s. Tod, Sünde, Teufel, Gut und Böse, Antagonistisches Motiv Majestät Gottes 194, s. auch Souveränität Gottes mandatum Dei 79—89,106, 123, 135, 144, 154, 157, 186, 190, 211, 231 manducatio indignorum 189 Manichäismus 60, 132, s. auch Dualismus Mann und Weib 111, s. auch Weib Maria, Mutter Jesu, 185, 283 f., 288, 290 Materie 9,27,48, 53, s. auch unter Geist Mensch — Erschaffung des M. 39 — als Herr der Schöpfung 58, 63, 65, 67f., 70, 75, 77 ff, 106, 113, 155, 211, 231 —, natürlicher 56 — Natur des M. 61—94, 65—69, 76, 239 —, innerer und äußerer 69 f., 76 f., 88, 92, 139 f., 142,147,166f., 170,178, 200, 226, 278 — des Ursprungs 62 ff, 66, 70f., 76f., 80 —, der alte, s. vetus homo —, der neue, s. no vus homo — des Falls 71, 120, 148, 243, s. auch unter homo, Tier

Menschenbild — des Glaubens 167—193 — der Versöhnung 242, 254, 255—272 Menschwerdung s. Inkarnation metus mortis 156f., s. auch Todesfurcht microcosmos 254 ministerium verbi 174,177, 184 Mirakel s. Wunder Mißbrauch s. abusus Mitmensch s. Nächster Modalismus 47, 214 Mönch 85, 112, 277 Monismus 27 Mystik 273 Nachfolge Christi 261,268, 272, 284, 293 Nächster 70f., 77, 80, 85ff., 109, llOff., 135,172,188, 211, 231, 253, 260—272, 290 Natur 43 —, Gesetzmäßigkeit der 49, 51, 219 — und Gott 49 —, Ordnung der 52, s. auch Schöpfung, Wunder, Mensch natura corrupta 42, 119, 151 Naturauffassung 64, 217 nécessitas s. Notwendigkeit Neuplatonismus 25, 59 Neuschöpfung 52 f., 58, 67, 101,139f., 158, 159,163, 177 f., 180, 212, 222, 234ff, 246f., 253, 267, 281 Nichtigkeitsbegriff, philosophischer 145 Nimrod 107 Nominalismus 30,73,116f., 211, 217, 228ff., 234, 251 non posse non peccare 117 notitia Dei 91, 234, s. auch Offenbarung Notwendigkeit 48f., 116, 233 nova creatura 267, 283, s. auch Neuschöpfung Novus homo 62, 179, 254

Sachregister Obrigkeit 202, s. auch Regimente Occamismus s. Nominalismus oeconomia 51, 76, 201 Offenbarung 45, 57, 80, 84, 98, 100, 163 —, allgemeine — besondere 193,198ff, 204,212, 225, 233 —, Ziel, Inhalt und Gestalt der 227—240, s. auch unter Schöpfung Ökonomie in Gottes Handeln 35 f. omnipotentia Dei s. Allmacht und Allwirksamkeit Gottes ontisch s. personal Ontologie 64, 67 ff., 220 •—, scholastische 25, 217 opera manuum Dei 179, 245 f. Opfer 253 opus Dei proprium et alienum51,56,144,187,190, 201, 241—255, 277, 283 O r d n u n g s. unter Natur und Schöpfungsordnung ordo naturae s. Natur Orthodoxie (lutherische) 39 Pantheismus 50, 199 Papisten 84, 101, 110 Paradies 40, 70, 77, 88, 91, 98 f. —, verlorenes 112, 158 —, wiedergewonnenes 177, 266, 300 Parainese 187 Partialaspekt — Totalitätsaspekt 244, 251 f., s. auch totus h o m o partim Justus et peccator 251 f. passio s. Leiden Passionsfrömmigkeit, mittelalterliche 261 ff. Paternus ludus 250 Paulinische — Schriften 9 ff. — Theologie 9 ff., 243 f., 247, 296 peccata — actualia 116, 151 21

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Löfgren, Sdiöpfung

— mortalia 118 — venialia 118 peccatum habitúale 151 — originale 107, 177, s. auch Sünde und Sündenfall perfectio creaturae 302 personal — ontisch 22, 46, 48f., 53, 130, 138, W O WS Pfingsten 107 Phänomenologie 67ff.,72f., 218 f. Philosophie 25, 43 53 f., 216 f. Piatonismus 31 poena et culpa 115—125 politia 51, 76, 201, 303 posse non peccare 116 Potentialität der Kreatur 52 Prädestination 209, 237— 240, 277 praesumptio s. Aufruhr gegen Gott Predigt 56, 171, 177 f. — des Gesetzes 84, 206, 305 — des Evangeliums 224, 246f., 262, 282, 305 — über Christus 262, 287, 295, s. auch Wort Gottes und Gebot Predigtamt 174, 177 Predigttätigkeit Christi 257 privatio 125 probatio 277 progressus 251 f., s. auch Wachsen „pro m e " und „pro nobis" 183,213,243,248,265 ff., 259 ff., 270, 294 Psalter 10, 11 punctum mathematicum32, 174, 246 ratio illuminata 91, s. auch unter Vernunft Ratschluß Gottes 64 realized eschatology 207 Realpräsenz 36 reatus 116 Rechtfertigung 29, 39, 53, 62, 66 f., 78, 92,177,184, s. auch sola fide Rechtfertigungslehre 66

321 — und Schöpfungslehre 21 recreado 283 s. auch Neuschöpfung rectitudo s. Gerechtigkeit redemptio facta — redemptio praedicata 262 f. Reformatorische Entdekkung Luthers 165, 175 — Hauptschriften Luthers 11 regnum — Dei invisibile 137 f. — diaboli 136 ff. regenerado 307 Regiment 136 —, weltliches — geistliches 139f., 184, 200ff., 213, 216, 244 f., 292, 295, 300 f. — , Unterschied der R. 203, 221, 278 P.eich Gottes und des Teufels 136 ff. Reichtum 110 f., s. auch uti — frui, abusus und benedictio renovatio 283 resignare ad infernum 256 restitutio 168, 167—186, 205, 249, 266, 292, s. auch Wiederherstellung und Vollendung „reytzen und locken" 293 Ruhe 45, 83, 88f., 238 Sabbath s. Feiertag, Schöpfungstage, Ruhe sacramentum — exemplum s. Christus Samen der Schlange 134 sanctificatio 183 satisfactio 252ff., 285, s. auch Versöhnung Scholastik 48 f., 54,64,101, 207ff., 239 Schöpfer — und Geschöpf 66, 79, 81 ff, 87, 188, 230 —, der aus dem Nichts schaffende 9, s. auch creatio ex nihilo, s. auch Creator Spiritus Schöpfung, Gutsein der 45—60, 57

322 —, Ursprung und Ziel der 48f., 53f., 60 — vor dem Fall 66, s. auch Mensch des Ursprungs — in der Zeit 29 ff. — fortwährende S. Gottes, 21, 37ff., 53 — und Offenbarung 21, 153 ff. — nach dem Fall 44, 49, 77 f. — und Gesetz s. unter Gesetz — und Erlösung 21 f., 26, 39, 101, 165, 188, 197f., 214, 268 — , erfüllt von Gottes Wort 34, 58 ff, 81, 87, 222 s. auch creatio ex nihilo, Aktualität, Wiederherstellung, Christus und Neuschöpfung Schöpfungsbefehl 76f., 83 Schöpfungsbegriff — der Bibel 25 ff. —, jüdischer 51 —, arianischer 51 —, mohammedanischer 51 Schöpfungsbericht, jüdisches Verständnis des S.9 — , Luthers Auslegung des s.26ff.,33,39 f.,79 f. 99ff. Schöpfungsordnung 22, 154, 201 ff., 214 Schöpfungstag 40, 45, s. auch Feiertag und Ruhe Schrift, Heilige 174 —, Auffassung Luthers von der 8 ff., 220—225 — als Einheit 8f., 11, 224f. —, Auslegung der H. S. 217, 225 —, geistliche Auslegung der H. S. 54, 149 —, buchstäbliche Auslegung der H. S. 119, 224 —, allegorische Auslegung der H. S. 220 Schuld 46, 98, 101, 115— 125, 129 f., 142, 146ff, 157 Schuldbekenntnis 154 f. Schwärmer 84, 146, 187, 195, 213, 222, 226, 297

Sachregister Schweigen Gottes 252f., s. auch unter Wort Seele 67ff., 71 f., 94 Segen 41, 52, 88, 123, 144 Semipelagianismus 66, 104 servum arbitrium s. Wille Sexualität 111 signum s. Zeichen similitudo 67, 91 simul iustus et peccator 62, 159,187, 244, 251 f., 271, 274, 301, s. auch Gerechtigkeit, Sünde Sintflut 40, 121, 158 Skepsis 2.23 f. sola — fide 167, 180, 187, 204, 224 f., 273, 286, 299, s. auch Rechtfertigung — scriptum 167 Souveränität Gottes 23, 26, 48, 51, 107, 147, 159, 230f., 238, 251 f., 256 speculatio maiestatis 195 f., 239 Spiritualismus 146 Stand 114, 201, 202, 298 Strafe s. Gericht Gottes, poena et culpa und Böse —, ewige 252 Sünde 32, 86, 155 —, Macht der 100, 155, 178 — gegen den H. Geist 184 Sündenfall 21, 28, 58, 85, 89 f., 97—114, 146, 196, 212, 231, s. auch unter Aktualität superbia 101, 103ff„ 107, 288 synteresis 71 Tag, Jüngster 158 Taufe 169—172,176f.,186f., 294, 297 f., 302—305 — Christi 257 telos s. Christus tentatio 277, 298f., s. auch Versuchung Testament, Neues 10 Teufel 42, 49, 56, 85, 87, 99,100,113f., 123,125— 141,145,159,164,195f., 210, 235, 258, 273f.

theologia — naturalis 204 — revelationis 204 — crucis 165, 239, 241, 242f., 244—255,264,272 — gloriae 239 Theologie — des Wortes 165, 241, 244—255, 256, 264, 272 — der Ordnungen 22, 208 s. auch Schöpfungsordnung — und Pilosophie 215— 220

— und Naturwissenschaft 54 —, Dialektische 47, 191, 229 —, Lunder 104f., s. auch Lutherdeutung, schwedische —, Natürliche 51 Theozentrizität 65f., 104, 190, 197, 198 Thomismus 51 Tier 34 —, Erschaffung 27 —, Mensch und 67f., 70ff., 76 f., 84, 218 Tischreden 11 Tod — und Fall des Menschen 95—159 — des Menschen und der Tiere 98, 121, 141 — Christi, ohne Schuld 210, s. aucn Leben und Tod Todesfurcht 280ff., s. auch metus mortis Todesmächte 44 Töten der Vernunft 178 totus homo s. homo Traduzianismus 67 transitus 40, 157, 251 f., s. auch Wachsen Treue Gottes 30, 42, 51 f. tribulatio 277 Trinität 34ff., 45, 167f., 182, 214f., 218, 296 Turmbau zu Babel 107 Übel 119, 124, 153, 273, 276, s. auch Böse Ubernatur 101

Sachregister — Natur — Ü.117f., 125 Übung 88, 185, 268 Unausweichlichkeit Gottes 166, 203 Unglaube 124, 155, 232 f. Unordnung, soziale 107, 112ff., 130 Urgeschichte s. Schöpfungsbericht Ursache und Wirkung s. Kausalität Ursprung s. Anfang, Gott — und Ziel s. unter Schöpfung Urzustand 118, 120, 150, s. auch Mensch des Ursprungs usus — verbi 175 f. — sacramenti 256 uti — frui 86 f., 97 vani tas 103 Verantwortlichkeit 49f.,81, 102, 125, 166, 190, 211, 222,226,228,230ff., 239, 248 f., 272 verba Dei res sunt 33 ff. Verborgenheit Gottes 193 bis 240 — des Willens Gottes 80f., 185, s. auch Gegenwart Gottes verbum externum 194fF. Verdammnis, ewige 145 Verderbensmächte 133 Verdienst (meritum) 66, 110, 185, 256, 258, 262 Vergänglichkeit 32 Vergebung der Sünden 55, 60, 137, 172f., 218, 264, 274 Verheißung 90, 145, 165, 181, 194f., 247 — vom Samen des Weibes 157, 266, 268 —, Bogen der 157 — des ewigen Lebens, s. Ewiges Leben Verheißung — Erfüllung 239 Verhüllung 30, 193—196 s. auch larvae Dei, Verborgenheit Veritas et doctrina 224 21*

Verkündigung s. Predigt Vernunft 51,67,69,72—78, 80, 84, 98, 135 —, rechter Gebrauch der 74, 84 — und Offenbarung 204 ff. Versöhnung 128f., 163f., 247 —, objektive — subjektive 254 f. Versuchung — Adams 97 ff., 100 — Christi 93 f., 210, 257, 282 —, die Welt voll von 126 — des Menschen 210,277f. vestigium Dei 53 vetus homo 94, 179, 241, 281

via antiqua — via moderna 229 f. — crucis 261 — negativa 273 vis efficax 158, s. auch Wille visio Dei 30, 93, s. auch Ewiges Leben und lumina vita aeterna s. Ewiges Leben — animalis et spiritualis 83, 150, 226, 266 Vitium 106, 116, 124 viva vox s. Wort vocatio 112f., 201, 298, s. auch Arbeit Vollendung 30, 41, 45, 54, 74, 93f., 135,141 f., 144, 147,163 f., 180,231,239f., 244, 248, 251, 265, 268 f., 273 —, Erwartung der 187 f., 239 f., 299—308, s. auch unter Schöpfung, ewiges Leben voluntas s. Wille — seu potestas Dei absoluta et ordinata 230—234 Vorsehung 44, 50 Wachsen des Menschen 149, 185, 192 f., 251, s. auch unter Glaube Weib 77, 85, 144, 239 Weisheit des Fleisches 279f., 290

323 Welt —·, erste, zweite, dritte 158, 249, 307 —, Erschaffung der 28, 38ff., 46, s. auch Christus als Schöpfer — als Kosmos 52 — als personhafter Begriff 127 ff. — Beziehung des Christen zur 297 f. —, sichtbare und unsichtbare 58 f., 72 f., 131, 236, 238 — des Falles 107f„ l l l f . , 125—141, 145, 146ff., 152, 155, 242, 270 Weltbild 54 — des Glaubens 193—225, 198, 215 — der Versöhnung 242, 254, 272 Weltflucht s. Asketismus Weltperson s. homo politicus Weltverbesserung 304f. Werkgerechtigkeit 186,203 „Widerspiel'' 157 Widerstand der Kreatur gegen den Menschen 78, 144 ff. Wiederaufrichtung s. Wiederherstellung Wiedergeburt 45,169 f., 177 Wiedergutmachung s. Wiederherstellung, Vollendung und Versöhnung Wiederherstellung 58, 62, 90, 92 f., 94, 101, 158, 159, 163, 224, 239, 244, 266, s. auch Vollendung, Neuschöpfung Wille — Gottes 23, 27 f., 58, 63, 65, 80f., 146 — des Menschen 65, 71, 73ff., 87,91,102,157,233 Willkür Gottes s. Nominalismus Wirklichkeitsauffassung des Glaubens 189 Wiiklichkeitsbegriff 25 Wohlgefallen Gottes 45 ff., 49, UOf., 176, 254, 267, 287

324 Wort — Gottes 33 ff., 53, 80 •—, gepredigtes 171, 173f., 246 f. —, Hören der, 45, 68, 89ff., 92 f., 163, 175ff., 181, 246, 264, 266 —, schöpferisches33ff.,38, 43, 49f., 56, 82,147,167, 180,182, 222, 246f., 247, 263 •— Gott zieht sein W. zurück 44, 250f., 252f. —, Ungehorsam gegen das 97 f., 105 f., 135, 254, 303

Sachregister —, gelesenes 173 f. —, Austeilung des 262 — und Tat 30, 33 ff., 178 — und Glaube 163—193 — und Sakrament 169 ff. Wunder 37, 50, 54—57, 92, 299 Zeichen 57, 59, 171, 173, 186, 195, 224 Zeit und Ewigkeit 29 ff., 47 f. Zeitbegriff 29—32, 37 ff. Zeugnis für Christus 183 ff., 303

Zeugung s. Geburt Ziel der Schöpfung 202. s. auch Christus Zorn Gottes 29, 47, 98, 107 f., 115, 121 f., 124, 140ff, 149, 156 ff., 189, 231, 240, 241—256 —, ist nicht fiktiv 250f., s. auch Gegenwart Gottes als Zorn und Liebe Zungenreden 57 Zweinaturenlehre s. unter Christus Zweireichelehre 242, s. auch Regimente

LITERATUR (Abkürzungen nach „Religion in Geschichte und Gegenwart" sowie „Evangelisches Kirchenlexikon") A l a n d , K., Hilfsbuch zum Lutherstudium, Gütersloh-Berlin 1956. A l a n e n , Y., Das Gewissen bei Luther (Annales Academiae Scientiarum Fennicae Β X X I X , 2), Helsinki 1934. A l i n , F., Studier öfver Schleiermachers uppfattning af det evangeliska skapelsebegreppet (LUA, N. F., AFD 1, Bd. 4, Nr. 4), Lund 1909. A l t e n s t a i g , J., Lexicon Theologicum, Antverpiae 1576. A l t h a u s , P., Communio Sanctorum. Die Gemeinde im lutherischen Kirchengedanken (FGLP 1. R., Bd. I), München 1929. —, Unsterblichkeit und ewiges Sterben bei Luther (Studien d. Apologet. Seminars in Wernigerode H. 30), Gütersloh 1930. —, Luther und die politische Welt (Schriftenreihe der Luthergesellsch. H. 9), Weimar 1937. —, Niedergefahren zur Hölle (ZsystTh Jg. 19, 1942, S. 365—384). —, Grundriß der Dogmatik I und II (Grundrisse zur evangelischen Theologie H. 1), Gütersloh, I. Teil 19473 und II. Teil 19493. —, Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik. Bd. II, Gütersloh 1948. —, Gebot und Gesetz. Zum Thema „Gesetz und Evangelium" (BFChrTh Bd. 46, H. 2), Gütersloh 1952. —, Die letzten Dinge. Lehrbuch der Eschatologie. Gütersloh 1956*. —, Luthers Wort vom Ende und Ziel des Menschen (Luther. Mitteilgn. d. Luthergesellsch. 1958, S. 47—108). —, Der Schöpfungsgedanke bei Luther (Bayerische Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse. Sitzungsberichte J g . 1959, H. 7, S. 3—18), München-Nördlingen 1959. A n r u p , N. E., Augustinus' lära om arvsynden. En dogmhistorisk Studie. Diss. Lund 1943. A t k i n s o n , J., Luthers Einschätzung des Johannesevangeliums (Lutherforschung heute. Referate und Berichte des 1. Internationalen Lutherforschungskongresses Aarhus, 18.—23. August 1956, hrsg. von V. Vajta, Berlin 1958, S. 49—56). A u g u s t i n u s , Α., De spiritu et littera —, Confessiones. —, De Genesi ad litteram. A u k r u s t , T., Forkynnelse og Historie. En Studie i sporsmâlet om Kristi realpresens, Bergen 1956. A u l é n , G., Den kristna försoningstanken. Huvudtyper och brytninger, StockholmLund 1930 ( = Aulén 1930). •—, Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens (ZsystTh 8. Jg. 1930, S. 501—538). —, Den kristna gudsbilden genom seklerna och i nutiden, Stockholm-Uppsala 1941 2 ; dt. Das christliche Gottesbild in Vergangenheit und Gegenwart. Eine Umrißzeichnung, Gütersloh 1930. —, Lundensisk teologisk tradition (SvTK J g . 30, 1954, S. 229—245). —, För eder utgiven. En bok om nattvardens offermotiv, Stockholm 1956.

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Literatur

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f ORSCHUNC6N ZUR KIRCH€N= U N D D O C M 6 N C 6 S C H I C H T 6 Band 1: V I L M O S V A J T À

Die Théologie öee Gotteeöienftee bei Lutger 3. Auflage, 394 Seiten, brosch. 22,80 DM Band 2: H A N S - W A L T E R K R U M W I E D E

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23,—DM

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Die Präöeftinationelebre öee Dune Shotue im Zusammenhang der scholastischen Lehrentwicklung 149 Seiten, brosch. 12,40 DM Band 5: G O T T H A R D N Y G R E N

Dae Präöeftinattoneproblem in öer Theologie Äuguftine 307 Seiten, brosch. 19,80 DM Band 6: I N G E B O R G R Ö B B E L E N

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im deutschen evangelisch-lutherischen Gesangbuch des 17. und frühen 18. Jahrh. 482 Seiten, Ln. 24,— DM Band 7: W E R N E R K R U S C H E

Dae Wirhen öee Heiligen Geiftee bei Cabin 358 Seiten, Ln. 26,— DM Band 8: B E R N H A R D L O H S E

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Eine Untersuchung über die ratio in der Theologie Luthers 141 Seiten, brosch. 13,50 DM Band 9: M A R T I N E L Z E

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