Theologie in der Kirche: Eine Untersuchung der methodologischen Grundlagen der Theologie und des Verstaendnisses der Katholizitaet der Kirche bei Avery Kardinal Dulles und bei Leo Kardinal Scheffczyk 9783653003475

Wer sich mit der Frage beschäftigt, wie Theologie funktionieren kann, wird auch die Kirche miteinzubeziehen haben. Diese

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Theologie in der Kirche: Eine Untersuchung der methodologischen Grundlagen der Theologie und des Verstaendnisses der Katholizitaet der Kirche bei Avery Kardinal Dulles und bei Leo Kardinal Scheffczyk
 9783653003475

Table of contents :
Inhalt
Vorwort 9
Einleitung 11
Kapitel I : Die Methode von Avery Dulles 23
1. Zugänge 23
1.1 Avery Dulles’ Theologie ist postcritical 23
1.2 Symbole in Avery Dulles’ Theologie 29
1.3 Symbolische Vermittlung in der Theologie von Avery Dulles 35
1.4 Avery Dulles’ Theologie ist ecclesial-transformative 37
2. Avery Dulles’ Theorie theologischer Modelle 43
2.1 Models I – Der Standpunkt von Models of the Church 44
2.2 Models II – Der Standpunkt von Models of Revelation 49
2.3 Avery Dulles’ Umgang mit Modellen 52
2.4 Die Kombination der Modelle 58
3. Die Einheit der Theologie Dulles’ 63
4. Hinwendung zur Welt: Apologetik bei Avery Dulles 67
4.1 Definition 68
4.2 Aufgaben der Apologetik 69
4.3 Methoden der Apologetik 71
5. Ergebnis: Theologie als Reflexion der symbolischen Vermittlung der göttlichen Selbstkommunikation 81
Kapitel II: Catholic bei Avery Dulles 85
1. Das Wort katholisch 85
1.1 Ursprung und Geschichte des Begriffs „katholisch“ 85
1.2 Das Zweite Vatikanische Konzil 88
1.3 „Study Document On Catholicity And Apostolicity” und „Uppsala-Bericht” 91
1.4 Ergebnis 93
2. Das Lexem katholisch 94
2.1 Drei Bedeutungen 94
2.2 Ein katholisches Prinzip 100
3. Theologische Entfaltung 103
3.1 catholicity - 4 Dimensionen 106
3.2 Catholicism - Zwei Strukturen 120
3.3 Catholic - Ein Zentrum 131
3.4 Ergebnis 134
4. Zur Rezeption von Dulles’ Theorie 138
5. Methodologie und Katholizität 149
Kapitel III : Die Methode von Leo Scheffczyk 153
1. Zugänge 153
1.1 Geschichtlichkeit 155
1.2 Personalismus 166
1.3 Ergebnis 176
2. Scheffczyks Theorie theologischer Sprache und Hermeneutik 177
2.1 Theologische Sprache 178
2.2 Hermeneutik 186
2.3 Kriterien 194
3. Wissenschaft 197
3.1 Wissenschaft 198
3.2 Wissenschaften 204
4. Theologie 212
4.1 Materialobjekt 212
4.2 Formalobjekt 219
5. Ergebnis: Theologie als Reflexion der Polarität von Natur und Gnade 221
Kapitel IV: Katholisch bei Leo Scheffczyk 227
1. Das Wort Katholisch 228
1.1 Theologiegeschichtliche Begriffsklärung 228
1.2 Katholisch als Konkretion des Christlichen 232
1.3 Die Wesensschau 234
1.4 Ergebnis 246
2. Strukturen, Lehr- und Lebenselemente des Katholischen 247
2.1 Katholische Strukturelemente 247
2.2 Katholische Lehrelemente 260
2.3 Katholische Lebenselemente 272
2.4 Ergebnis 276
3. Anfragen 277
4. Methodologie und Katholizität 283
Kapitel V: Probleme in den Entwürfen von Avery Dulles und Leo Scheffczyk 291
1. Das Problem der Begründung der Kriterien in der Theologie von Avery Dulles 291
1.1 Ein Ausweg aus dem Kriterienproblem? 291
1.2 Scheffczyks Kriterien als Ausweg? 296
1.3 Kriterien und Geschichtlichkeit 300
1.4 Die Funktionsweise der Kriterien 301
1.5 Ergebnis 306
2. Leo Scheffczyk: Die ausgebliebene Rezeption 307
2.1 Ursachen für die ausgebliebene Rezeption 308
2.2 Dulles’ neue Apologetik und Scheffczyks Theologie 311
2.3 Eigenarten der Theologie Scheffczyks 315
2.4 Ergebnis 321
Abkürzungs- und 323

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Theologie in der Kirche

Europäische Hochschulschriften Publications Universitaires Européennes European University Studies

Reihe XXIII Theologie Série XXIII Series XXIII Théologie Theology

Bd./Vol. 904

PETER LANG

Frankfurt am Main · Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Wien

Christian Lutz

Theologie in der Kirche Eine Untersuchung der methodologischen Grundlagen der Theologie und des Verständnisses der Katholizität der Kirche bei Avery Kardinal Dulles und bei Leo Kardinal Scheffczyk

PETER LANG

Internationaler Verlag der Wissenschaften

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier.

ISSN 0721-3409 ISBN 978-3-653-00347-5 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2010 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.peterlang.de

Inhalt Vorwort ................................................................................................................ 9 Einleitung ........................................................................................................... 11 Kapitel I : Die Methode von Avery Dulles ...................................................... 23 1. Zugänge ....................................................................................................... 23 1.1 Avery Dulles’ Theologie ist postcritical ............................................... 23 1.2 Symbole in Avery Dulles’ Theologie ................................................... 29 1.3 Symbolische Vermittlung in der Theologie von Avery Dulles ............ 35 1.4 Avery Dulles’ Theologie ist ecclesial-transformative .......................... 37 2. Avery Dulles’ Theorie theologischer Modelle ............................................ 43 2.1 Models I – Der Standpunkt von Models of the Church ........................ 44 2.2 Models II – Der Standpunkt von Models of Revelation ........................ 49 2.3 Avery Dulles’ Umgang mit Modellen .................................................. 52 2.4 Die Kombination der Modelle .............................................................. 58 3. Die Einheit der Theologie Dulles’ .............................................................. 63 4. Hinwendung zur Welt: Apologetik bei Avery Dulles .................................. 67 4.1 Definition............................................................................................... 68 4.2 Aufgaben der Apologetik ...................................................................... 69 4.3 Methoden der Apologetik...................................................................... 71 5. Ergebnis: Theologie als Reflexion der symbolischen Vermittlung der göttlichen Selbstkommunikation ............................................................ 81 Kapitel II: Catholic bei Avery Dulles .............................................................. 85 1. Das Wort katholisch .................................................................................... 85 1.1 Ursprung und Geschichte des Begriffs „katholisch“ ............................ 85 1.2 Das Zweite Vatikanische Konzil........................................................... 88 1.3 „Study Document On Catholicity And Apostolicity” und „Uppsala-Bericht” .................................................................................. 91 1.4 Ergebnis ................................................................................................. 93 2. Das Lexem katholisch.................................................................................. 94 2.1 Drei Bedeutungen .................................................................................. 94 2.2 Ein katholisches Prinzip ...................................................................... 100 3. Theologische Entfaltung............................................................................ 103 3.1 catholicity - 4 Dimensionen ................................................................ 106 3.2 Catholicism - Zwei Strukturen ............................................................ 120 3.3 Catholic - Ein Zentrum ....................................................................... 131 3.4 Ergebnis ............................................................................................... 134 4. Zur Rezeption von Dulles’ Theorie ........................................................... 138 5. Methodologie und Katholizität .................................................................. 149

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Kapitel III : Die Methode von Leo Scheffczyk ............................................. 153 1. Zugänge ..................................................................................................... 153 1.1 Geschichtlichkeit ................................................................................. 155 1.2 Personalismus ...................................................................................... 166 1.3 Ergebnis ............................................................................................... 176 2. Scheffczyks Theorie theologischer Sprache und Hermeneutik ................. 177 2.1 Theologische Sprache ......................................................................... 178 2.2 Hermeneutik ........................................................................................ 186 2.3 Kriterien............................................................................................... 194 3. Wissenschaft .............................................................................................. 197 3.1 Wissenschaft........................................................................................ 198 3.2 Wissenschaften .................................................................................... 204 4. Theologie ................................................................................................... 212 4.1 Materialobjekt ..................................................................................... 212 4.2 Formalobjekt ....................................................................................... 219 5. Ergebnis: Theologie als Reflexion der Polarität von Natur und Gnade ....................................................................................... 221 Kapitel IV: Katholisch bei Leo Scheffczyk.................................................... 227 1. Das Wort Katholisch ................................................................................. 228 1.1 Theologiegeschichtliche Begriffsklärung ........................................... 228 1.2 Katholisch als Konkretion des Christlichen ........................................ 232 1.3 Die Wesensschau................................................................................. 234 1.4 Ergebnis ............................................................................................... 246 2. Strukturen, Lehr- und Lebenselemente des Katholischen ......................... 247 2.1 Katholische Strukturelemente ............................................................. 247 2.2 Katholische Lehrelemente ................................................................... 260 2.3 Katholische Lebenselemente ............................................................... 272 2.4 Ergebnis ............................................................................................... 276 3. Anfragen .................................................................................................... 277 4. Methodologie und Katholizität .................................................................. 283 Kapitel V: Probleme in den Entwürfen von Avery Dulles und Leo Scheffczyk ............................................................................... 291 1. Das Problem der Begründung der Kriterien in der Theologie von Avery Dulles .............................................................................................. 291 1.1 Ein Ausweg aus dem Kriterienproblem? ............................................ 291 1.2 Scheffczyks Kriterien als Ausweg? .................................................... 296 1.3 Kriterien und Geschichtlichkeit .......................................................... 300 1.4 Die Funktionsweise der Kriterien ....................................................... 301 1.5 Ergebnis ............................................................................................... 306

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2. Leo Scheffczyk: Die ausgebliebene Rezeption .......................................... 307 2.1 Ursachen für die ausgebliebene Rezeption ......................................... 308 2.2 Dulles’ neue Apologetik und Scheffczyks Theologie......................... 311 2.3 Eigenarten der Theologie Scheffczyks................................................ 315 2.4 Ergebnis ............................................................................................... 321 Abkürzungs- und Literaturverzeichnis......................................................... 323

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Vorwort Die hier veröffentlichte Arbeit wurde am 20.11.2009 von der Pontificia Università Gregoriana in Rom als Promotionsarbeit angenommen. Für das Zustandekommen der Arbeit danke ich meinem Heimatbischof Dr. Friedhelm Hofmann, der mich für zwei Jahre zum Studium freigestellt hat. Ich danke P. Franz Meures SJ, dem Rektor des Collegium Germanicum et Hungaricum, in dem ich während meiner Studienzeit in Rom gelebt habe. Ich bin meinem Doktorvater P. Joseph Carola SJ zu tiefen Dank verpflichtet, ebenso auch dem Zweitkorrektor meiner Arbeit P. Pawel Kapusta SJ. P. Helmut Engel SJ, der Studienpräfekt des Collegium Germanicum et Hungaricum, war während der Entstehungszeit der Arbeit immer ein aufmerksamer Gesprächspartner. Auch ihm sage ich an dieser Stelle herzlichen Dank. Dieser Dank gebührt auch meinen Mitbrüdern im Collegium Germanicum et Hungaricum und in der Diözese Würzburg.

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Einleitung Das Thema und die Autoren In den Forschungen zum wissenschaftlichen Vorgehen der Theologie spielt die Kirchlichkeit der Theologie eine entscheidende Rolle. Dabei scheint in der gegenwärtigen theologischen Forschung weitgehend Einigkeit zu herrschen, dass Theologie und Kirche miteinander verbunden werden müssen, jedenfalls erscheint ein schroffer Gegensatz nicht vorstellbar. Der Fundamentaltheologe Max Seckler spricht in diesem Zusammenhang von der „ekklesiologische[n] Verortung“1 als konstitutiver Bedingung der Glaubenswissenschaft. Damit meint er nicht die subjektive Kirchlichkeit der einzelnen Theologen, sondern ein wissenschaftstheoretisches Merkmal der Theologie. Denn Theologie ist Wissenschaft vom Glauben der Kirche und die Kirche selbst bringt Theologie hervor, Seckler spricht von einer originären Lebensfunktion der Kirche2. Der Dogmatiker Peter Hünermann nennt in einem ähnlichen Zusammenhang die „Bekenntnisgebundenheit in der christlichen Theologie“3: Theologie ist eine „Wissenschaft vom Glauben, die aber zugleich in die Kommunikation mit den übrigen Wissenschaften verflochten ist“4. Als Wissenschaft vom Glauben ist die Theologie mit dem Bekenntnis, mit den Symbola konfrontiert, die von der Glaubensüberzeugung getragen sind, dass in „Jesus Christus das Wort Gottes 1

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SECKLER, Max, Theologie als Glaubenswissenschaft. In: KERN, Walter u.a. (Hrsg.), Handbuch der Fundamentaltheologie. Band 4. Traktat Theologische Erkenntnislehre mit Schlussteil Reflexion auf Fundamentaltheologie. Tübingen (1988) 22000, 163. Vgl. SECKLER, Theologie als Glaubenswissenschaft, 162: „Die Theologie ist ihrer gesellschaftlichen Verortung nach Theologie in der Kirche, und sie ist ihrem ekklesiologischen Status gemäß Theologie der Kirche“. Vgl. hierzu auch LEHMANN, Karl, Der »intellectus fidei«. Den Glauben denkend verantworten. In: HOPING, Helmut (Hrsg.), Universität ohne Gott? Theologie im Haus der Wissenschaften. Freiburg 2007, 41: „Der Glaube muss zutiefst von dieser zweifachen Verantwortungsbereitschaft geprägt sein, den göttlichen Anspruch und die menschliche Verstehbarkeit seiner selbst zu wahren“. Vgl. hierzu auch RATZINGER, Joseph, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie. Donauwörth 2005, 348: „Der gemeinsame Grund des Taufglaubens, für den das Lehramt einzutreten hat, ist für eine sich recht verstehende Theologie keine Fessel, sondern eine Herausforderung“. Hier erscheint das Lehramt in einer so genannten demokratischen Funktion, nämlich als „die Stimme des einfachen Glaubens und seiner einfachen Ureinsichten“ gegenüber theologischen „Spezialisten“, Ebd. HÜNERMANN, Peter, Die Theologie und die Universitas litterarum heute und gestern. In: HOPING, Helmut (Hrsg.), Universität ohne Gott? Theologie im Haus der Wissenschaften. Freiburg 2007, 67. HÜNERMANN, Die Theologie und die Universitas litterarum heute und gestern, 69.

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schlechthin ergangen ist, dass seine Botschaft die eschatologische Botschaft Gottes ist“5. Bei Hünermann scheint es so, dass in der Bekenntnisgebundenheit der christlichen Theologie sowohl die Kirchlichkeit der einzelnen Theologen als auch das wissenschaftstheoretische Merkmal von der Kirchlichkeit der Theologie ineinander fallen6, weil die Kirche als Sprachgemeinschaft verstanden wird7. Die Erklärung der ekklesiologischen Verortung der Theologie hängt also auch davon ab, wie Theologie und wie Kirche verstanden werden. Das zeigt besonders deutlich die Reflexion der Beziehung der Theologie zur Kirche in der evangelischen Theologie. Christoph Schwöbel, Professor für systematische Theologie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen, erklärt, dass weder „die christliche Kirche noch die christliche wissenschaftliche Theologie […] in sich selbstständige Größen“8 sind. In seiner Konzeption nimmt die wissenschaftliche Theologie ihre Verantwortung für die Kirche auch in der Teilnahme an der Kirchenleitung wahr9. Die Kirche nimmt wiederum ihre Verantwortung für die wissenschaftliche Theologie wahr, indem sie „als Glaubensgemeinschaft eine Kultur des Glaubens pflegt“10. Überlegungen zur Funktionsweise der Theologie müssen demnach die Realität der Kirche berücksichtigen. Aus dieser Beziehung zwischen Kirche und Theologie entstehen eine Vielzahl von Fragestellungen für die historische Theologie, die Pastoraltheologie, die Fundamentaltheologie oder das Kirchenrecht. Aus systematischer Perspektive erscheint vor allem die Frage nach der Beziehung zwischen der Reflexion über Theologie und der Reflexion über Kirche interessant. Denn die Kirche selbst wird in dem theologischen Traktat der Ekklesiologie untersucht und ist damit selbst ein Gegenstand der Wissenschaft, die von der Kirche aus sich selbst heraus hervorgebracht wird (Seckler). Das Ergebnis der Reflexion über die Kirche muss somit auch Einfluss auf das 5

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HÜNERMANN, Die Theologie und die Universitas litterarum heute und gestern, 71. Vgl. hierzu auch DERS., Dogmatische Prinzipienlehre. Glaube – Überlieferung – Theologie als Sprach- und Wahrheitsgeschehen. Münster 2003, 82-86. Vgl. HÜNERMANN, Die Theologie und die Universitas litterarum heute und gestern, 72: „Daraus folgt, dass die Bekenntnisgebundenheit der Theologie-Lehrenden die Wissenschaftlichkeit der Theologie nicht in Frage stellt und limitiert. Durch die Bekenntnisgebundenheit wird vielmehr der formale Charakter der Theologie als Glaubenswissenschaft gewahrt und bewährt“. Vgl. HÜNERMANN, Dogmatische Prinzipienlehre, 82. SCHWÖBEL, Christoph, Was leistet die wissenschaftliche Theologie für die Kirche? In: KIRCHENAMT DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND (Hrsg.), Die Bedeutung der wissenschaftlichen Theologie für Kirche, Hochschule und Gesellschaft. Dokumentation der XIV. Konsultation „Kirchenleitung und wissenschaftliche Theologie“. EKD Texte 90. Hannover 2007, 68. Vgl. SCHWÖBEL, Was leistet die wissenschaftliche Theologie für die Kirche?, 89. Grundlage dafür ist Confessio Augustana, 28. SCHWÖBEL, Was leistet die wissenschaftliche Theologie für die Kirche?, 92.

Verständnis der Kirchlichkeit der Theologie haben. Die Reflexion über die Kirche muss also auch zum Verständnis der Funktionsweise der Theologie beitragen. In der vorliegenden Arbeit sollen dazu die Ausführungen zweier Autoren untersucht werden, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelebt und veröffentlicht haben: der US-amerikanische Theologe Avery Dulles (1918-2008)11 und der aus Oberschlesien stammende Münchener Theologe Leo Scheffczyk (1920-2005)12. Beide Theologen gelten als Vertreter einer traditionsbewussten und konservativen Theologie. Da gegenwärtig eine große Zahl junger Theologiestudierender Interesse an einer solchen Theologie zeigt, scheint es sinnvoll, deren Stärken und Schwächen am Beispiel dieser beiden Theologen zu erörtern. Die Ausführungen von Dulles und Scheffczyk wurden in der deutschsprachigen Theologie bislang nur wenig beachtet, beide Autoren wurden jedoch im Jahr 2001 im Alter von über 80 Jahren von Papst Johannes Paul II. zu Kardinälen erhoben und so für ihr Lebenswerk geehrt. Während aber Avery Dulles in den Vereinigten Staaten als bedeutender Theologe gewürdigt wird, wurde die Theologie von Leo Scheffczyk nur von wenigen Theologen rezipiert13. Zur Beantwortung der Frage nach der Beziehung zwischen theologischer Methode und Ekklesiologie scheinen beide Autoren jedenfalls geeignet. Avery 11

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Zur Biographie vgl. unter anderem: MEYER ZU SCHLOCHTERN, Josef, Der Ehren wert. Bericht über die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Bischof Emilio L. Stehle und Pater Avery Dulles S.J. In: Theologie und Glaube 90 (2000), 385-391; POTTMEYER, Hermann Josef, Laudatio auf Avery Dulles anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde. In: Theologie und Glaube 90 (2000), 406-411. Beide Artikel entstanden anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät Paderborn an Avery Dulles im Jahr 2000. Im Internet hat die Fordham-University eine Seite für Avery Dulles eingerichtet: http://www.fordham.edu/dulles/. Zur Biographie vgl. unter anderem: SARANYANA, Josep-Ignasi, Leo Seheffczyk (19202005). In memoriam. In: Annuario de Historia de la Iglesia 15 (2006), 418-422; GARCÍA TATO, Isidro, Leo Cardenal Scheffczyk in memoriam. In: Revista Augustiniana 46 (2005), 597-612; HAUKE, Manfred, Ganz und gar katholisch. Ein erster Einblick in das theologische Werk von Leo Cardinal Scheffczyk. Buttenwiesen 2003, 10-23; LINNER, Martin, Die Kirche als Person. Verknüpfung der ekklesiologischen Systeme von Humbert Clérissac und Leo Scheffczyk. Excerpta ex Dissertatione ad Doctoratum in Facultate Theologiae Pontificiae Universitatis Gregorianae. Rom 2007, 12 ff. Im Internet hat das Erzbistum München und Freising eine Biographie Leo Scheffczyks zur Verfügung gestellt: http://www.erzbistum-muenchen.de/EMF147/EMF014621. asp. Vgl. GÖRG, Peter H., Scheffczyk. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon: nach Internet am 27. April 2009: http://www.bbkl.de/s/s1/ scheffczyk_l.shtml. Die Sekundärliteratur zu Scheffczyks Theologie, die Görg in diesem im Internet veröffentlichten Artikel aufführt, zeigt, dass sich nur sehr wenige Theologen mit Scheffczyks Theologie befasst haben und dass diese Autoren Scheffczyks Theologie vorbehaltlos zustimmen. Eine kritische Überprüfung der Grenzen der Theorien von Scheffczyk wird von Görg jedoch nicht vorgenommen. Die ausgebliebene kritische Rezeption der Theologie Leo Scheffczyks soll in der vorliegenden Arbeit wenigstens ansatzweise erklärt werden.

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Dulles und Leo Scheffczyk haben sich immer wieder im Lauf ihrer Lehrtätigkeit intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie Theologie funktionieren kann und beide haben ungefähr zeitgleich Veröffentlichungen über das Thema der Katholizität der Kirche vorgelegt, in denen sie erklären, dass es das entscheidende Charakteristikum der Kirche ist, dass in ihr Jesus Christus, der Alles Umfassende, anwesend ist14. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb die Frage nach der Beziehung zwischen der Reflexion über theologische Methode und der Reflexion über ein Merkmal der Kirche (die Katholizität) bei Avery Dulles und bei Leo Scheffczyk gestellt. Dazu werden beide Autoren getrennt untersucht. In einem ersten Schritt wird die Funktionsweise der Theologie bei beiden Autoren systematisch dargestellt. Das Ziel dieser Untersuchung ist jeweils die Beantwortung der Frage, wie Theologie nach Avery Dulles beziehungsweise nach Leo Scheffczyk funktioniert. In einem zweiten Schritt werden dann jeweils die Ausführungen zur Katholizität der Kirche analysiert. Hier geht es darum, zu zeigen, wie die Christusgegenwart in der Kirche erklärt wird und mit der zugrunde liegenden theologischen Methode zusammen hängt.

Der Aufbau der Arbeit Kapitel I: Im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit wird die Funktionsweise der Theologie nach Avery Dulles erklärt. Dazu wird versucht, vom Spätwerk Dulles’ aus eine systematische Sicht auf seine methodologischen Ausführungen zu gewinnen. Im ersten Abschnitt werden deshalb einige Hinweise untersucht, mit denen Dulles seine Theologie selbst beschreibt. So kennzeichnet Dulles selbst seine Theologie als postcritical. Von einer Basis des Vertrauens aus soll in der Theologie der Mensch als ganzer verstanden werden, der in der Wirklichkeit clues finden kann, die auf Gott hinweisen. Dabei ist der Mensch auf eine unausdrückliche Dimension (tacit dimension) seiner Existenz verwiesen, die Dulles allerdings im Rahmen seiner Ausführungen zur postcritical theology nicht weiter erklärt. Diese tacit dimension hat auch in der Symboltheorie Dulles’ große Bedeutung. Im Anschluss an Michael Polanyi spricht Dulles davon, dass Symbole reale und bedeutungsreiche Zeichen sind, die in der tacit dimension funktionieren. Damit ergibt sich aber das Problem, wie die Symbole verstanden werden können und ob dies überhaupt immer möglich ist. Solche Fragen 14

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Avery Dulles’ Buch The Catholicity of the Church wurde 1985 auf der Grundlage eines Vortrags aus dem Jahr 1983 veröffentlicht, Leo Scheffczyks Buch Katholische Glaubenswelt wurde zuerst im Jahr 1977 veröffentlicht.

beantwortet Dulles in seinen methodologischen Schriften jedoch nicht. Für ihn steht nur fest, dass Symbole real sind und nicht jede beliebige Interpretation erlauben, es gibt also ein richtiges Verständnis der Symbole. Wie dies aber möglich ist, erklärt Dulles nicht. Dazu kommt, dass er ein zweites Kennzeichen seiner Theologie einführt, indem er seine Theologie als ecclesial-transformative bezeichnet, die mit der postcritical theology gleichzusetzen sei. Auch hier zeigt Dulles nicht, wie dies möglich sein soll. Sicher ist davon auszugehen, dass es sich bei den beiden Kennzeichen um Ergänzungen handelt, die erst zusammen verstanden die Herangehensweise von Dulles’ Theologie klären. Von Interesse ist aber besonders, wie diese Ergänzung zu verstehen ist. Deshalb werden im zweiten Abschnitt die Modelltheorien Dulles’ untersucht. Denn im Rahmen seiner Arbeit mit Modellen hat sich Dulles mit der Frage beschäftigt, wie unterschiedliche Modelle in eine einheitliche Sichtweise integriert werden können. Dabei bietet Dulles Kriterien zur Bewertung der Modelle an. Bezeichnend ist dabei jedoch, dass er seinen Kriterienkatalog nicht schlüssig begründen kann und dies nicht einmal versucht. Damit stellt sich aber die Frage, wie man von einer ecclesial-transformative theology sprechen kann. Eine weitere Möglichkeit, von verschiedenen Modellen zu einer einheitlichen Sichtweise zu gelangen, besteht in der Kombination der Modelle. Dulles hat in verschiedenen Veröffentlichungen unterschiedliche Methoden dazu vorgeschlagen. Die Kritiken von Michael Cook und Terrence Merrigan zeigen aber deutlich, dass auch dieses Vorgehen problematisch ist. Während in vielen Arbeiten über Dulles das Problem der Einheit seiner Theologie nicht diskutiert wird, stellt sich diese Frage gleich in mehrfacher Weise: Wie kann man verschiedene Modelle oder Theorien aus dem conceptual framework der Kirche heraus beurteilen? Wie sind postcritical und ecclesialtransformative theology miteinander zu verbinden? Mark S. Massa hat die Theologie von Dulles im Anschluss an Arbeiten von Anne-Marie Kirmse und Joseph Komonchak als dialektisch und strategisch bezeichnet. Mit Hilfe der Ausführungen von Massa kann im dritten Abschnitt die Einheit von postcritical und ecclesial-transformative theology bei Dulles beschrieben werden. Ungelöst bleibt dabei aber nach wie vor die Frage, wie das richtige Verständnis der Symbole gewährleistet werden kann. Die Funktionsweise der Theologie bei Dulles lässt sich nur dann ganz beschreiben, wenn man auch seine Apologetik berücksichtigt. Dulles’ ekklesialtransformative Theologie und die Trennung von Kirche und Welt in unterschiedliche conceptual frameworks machen eine Apologetik zwingend notwendig. Da sich Dulles über 40 Jahre lang mit der Apologetik auseinandergesetzt hat, muss dieses Thema für ihn von großer Bedeutung sein. Die Analyse dieser ekkelesial-transformativen Apologetik im vierten Abschnitt zeigt, dass sie bis auf kleinere Ausnahmen mit seinen Ausführungen aus den 60er Jahren überein-

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stimmt. Dulles ist also weniger an der Art und Weise der Verknüpfung der conceptual frameworks interessiert, als vielmehr an der Tatsache, dass dies versucht wird. Im fünften Abschnitt kann deshalb als Ergebnis formuliert werden, dass Dulles die Funktionsweise der Theologie als Reflexion der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation versteht. Dieser real-symbolische Zugang beantwortet die Frage Max Secklers nach der „ekklesiologische[n] Verortung“15 der Theologie als konstitutiver Bedingung der Glaubenswissenschaft: Theologie reflektiert die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation wissenschaftlich und diese Symbole begründen das conceptual framework der Kirche. Die Theologie wird also durch die Reflexion festgelegter Gegenstände bestimmt, nicht durch ihr methodisches Vorgehen. Die subjektive Kirchlichkeit der einzelnen Theologen wird von Dulles durch die Sozialisierung der Menschen im conceptual framework erklärt. Dabei bleiben aber vor allem zwei Fragen bestehen: Es geht um die Frage der Berechtigung und des Ausmaßes von legitimer Verschiedenheit in der Theologie beziehungsweise in der Kirche (also des conceptual framework) und um die Schwierigkeit, wie die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation richtig verstanden, also ins Wort gefasst oder expliziert werden können. Da diese Fragen unbeantwortet bleiben, kann Dulles auch keine Begründung seiner Kriterien zur Bewertung von theologischen Modellen oder Theorien liefern. Kapitel II: Im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit werden die Ausführungen Dulles’ zur Katholizität der Kirche untersucht. Eine besondere Bedeutung hat dabei das Buch The Catholicity of the Church, das beinahe zeitgleich mit Models of Revelation entstanden ist. Im ersten Abschnitt wird die Geschichte des Wortes katholisch nach Dulles dargestellt. Nach Dulles beschreibt katholisch die Fülle der Christusgegenwart in der Kirche, katholisch ist also ein qualitativer Begriff. In Dulles’ Ausführungen spielen drei verschiedene Bedeutungsebenen des Lexems catholic eine wichtige Rolle: die konfessionelle Ebene, die die römischkatholische Kirche beschreibt, die ekklesiologische Ebene, die das Wesensmerkmal Katholizität der Kirche beschreibt und der so genannte Catholicism. Im zweiten Abschnitt wird gezeigt, dass Catholicism ähnlich wie Katholizismus in der Symbolik des 19. Jahrhunderts zu verstehen ist: als eine Grundnorm der römisch-katholischen Kirche zur strukturierten Aufbewahrung und Weitergabe der Christusgegenwart in der Kirche. Im dritten Abschnitt wird Dulles’ theologische Entfaltung der drei Bedeutungsebenen des Lexems catholic dargestellt: Bei der Wesenseigenschaft der Kirche (catholicity) geht es ihm um die Universalität der Kirche in einer 15

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SECKLER, Theologie als Glaubenswissenschaft, 163.

eher abstrakten Weise. Für die zu klärenden Fragen aus dem ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit führen diese Ausführungen von Dulles aber nicht weiter. Denn seine einseitige Betonung der Kontinuität der kirchlichen Tradition im Lauf der Geschichte erlaubt es nicht zu klären, in welchem Maß Unterschiedlichkeit innerhalb des conceptual frameworks der Kirche vorstellbar ist. Außerdem fehlt in seiner Sichtweise der Universalität der Kirche die Ausrichtung der Kirche auf die Zukunft. Das Verständnis der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation ist schließlich nicht nur auf die Vergangenheit hin ausgerichtet, sondern auch auf die Zukunft, letztlich hat die Kirche auch eine eschatologische Dimension. Hier wird aber nicht klar, wie die katholische Fülle der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation in der Kirche von ihrer noch ausstehenden eschatologischen Vollendung unterschieden werden kann. Und deshalb gelingt es Dulles an dieser Stelle auch nicht zu klären, wie das richtige Verständnis der Symbole zustande kommt. Auf der zweiten Bedeutungsebene, zu Erklärung des Wortes Catholicism, untersucht Dulles die Strukturen der Weitergabe der Fülle der Christusgegenwart in der Kirche. Auf dieser Ebene wird die Explikation der Symbole, also wie deren richtiges Verständnis zustande kommt, verständlich: Es ist die Aufgabe der hierarchischen Struktur der Kirche, also des kirchlichen Lehramtes, Richtlinien anzugeben, was alles in das conceptual framework der Kirche integriert werden kann und was nicht. Deshalb beschreibt die Ebene des Catholicism strukturelle Elemente zur Einheit der Kirche, so eine These von Robert R. Spezia. Es zeigt sich aber, dass an dieser Stelle vor allem sakramententheologische Probleme auftreten, wenn man Catholicism nur im Sinn der These Spezias versteht. Deshalb wird der Catholicism im dritten Unterkapitel als die Grundlage verstanden, auf Grund derer sich die Kirche auf Jesus Christus berufen kann. Catholicism beschreibt dabei eine besondere Eigenschaft der römisch-katholischen Kirche: Bei diesem Vorgang spielen Sakramentalität und kirchliche Hierarchie eine wichtige Rolle. Der Catholicism beschreibt aber nicht alle Lebensbereiche der Kirche und ebenso wenig jede mögliche Art und Weise, wie sich die Kirche auf Jesus Christus berufen kann. Auf der dritten Bedeutungsebene des Wortes katholisch werden noch die Ausführungen von Dulles zum Zueinander von römisch und katholisch dargestellt. Fasst man die Ausführungen Dulles’ also zusammen, so zeigt sich, dass seine Theorien zur Katholizität der Kirche und die symbolische Vermittlung viele Gemeinsamkeiten haben. Deshalb kann die Katholizität bei Dulles letztlich als die ekklesiologische Komponente des symbolischen Realismus verstanden werden. Wird dieser Zusammenhang nicht beachtet, dann entstehen Schwierigkeiten bei der Rezeption der Theorien von Dulles (Marzheuser, Maguire).

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Für die Beziehung zwischen der Reflexion über Theologie und der Reflexion über die Katholizität der Kirche bedeutet das, dass sich Dulles’ Ausführungen gegenseitig ergänzen. Seine Erklärungen zur Funktionsweise der Theologie lassen jedoch wichtige Fragen unbeantwortet und seine Ausführungen zur Katholizität benötigen den in den methodologischen Schriften eingeführten Entwurf der symbolischen Vermittlung als Interpretationshilfe. Andernfalls erscheint die Kirche in The Catholicity of the Church fälschlicher Weise als ein einziger hierarchischer und überzeitlicher Komplex. Kapitel III: Im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit wird die Funktionsweise der Theologie nach Leo Scheffczyk dargestellt. Dazu wird ebenfalls versucht, zunächst eine systematische Sicht auf seine methodologischen Ausführungen zu gewinnen. Von besonderem Interesse ist im ersten Unterkapitel seine Erklärung der Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz und der Kirche. Dabei zeigt sich aber, dass die Geschichtlichkeit auf eine weitere Größe verwiesen ist: Geschichtlichkeit und Personalismus stehen bei Scheffczyk in einer polaren Spannung, das bedeutet, dass die beiden Pole nur gemeinsam richtig verstanden werden können. Bei der Erklärung der Personalität des Menschen verweist Scheffczyk besonders auf Ferdinand Ebner. Eine Darstellung der Thesen von Ebner und Scheffczyk hat Martin Lugmayr in seine Arbeit Gottes erstes Wort unternommen. Für Scheffczyk ist die bleibende Wahrheit dem Menschen in seiner geschichtlichen Verfassung zugänglich. Scheffczyk geht es nur darum, zu zeigen, dass der Mensch in Kontakt mit der bleibenden Wahrheit, letztlich also Gott, steht. Zweifel oder Unsicherheiten in der Gottesbeziehung eines Menschen spielen in Scheffczyks Theologie fast keine Rolle. Dabei bleibt auch unklar, ob der Mensch nur als geschichtliches Wesen verstanden werden kann, denn soziale oder psychische Zustände des Menschen spielen in dieser Sichtweise keine Rolle. Wegen der Sicherheit der Gottesbeziehung muss die Frage gestellt werden, wie der Mensch überhaupt von Gott sprechen kann. Im zweiten Abschnitt wird deshalb Scheffczyks Theorie theologischer Sprache und Hermeneutik dargestellt. Auf der Grundlage der Analogie können nach Scheffczyk wahre Aussagen über Gott gemacht werden. Die personale Beziehung zu Gott kann nach ihm sowohl natürlich als auch übernatürlich verstanden werden. Die Polarität von Natürlich – Übernatürlich wird in der vorliegenden Arbeit als Polarität von Natur und Gnade beschrieben, weil diese Redeweise in der gegenwärtigen Theologie geläufiger ist. Versucht man nun zu klären, wie die Theologie nach Scheffczyk funktionieren kann, dann unterscheidet er zwischen verschiedenen theologischen Fächern: In der Dogmatik können aufgrund der Analogie wahre Aussagen über Gott gemacht werden, die Exegese kann dies

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allerdings nicht. Das stellt dann aber die Frage, in wieweit die Exegese für Scheffczyk eine theologische Wissenschaft ist. Er bietet dazu das gläubige Vorverständnis der einzelnen Exegeten an, eine subjektive Gläubigkeit kann aber eigentlich nicht eine theologische Wissenschaft begründen. Das Problem, wie der theologische Charakter der Exegese nach Scheffczyk verstanden werden kann, bleibt auch in der vorliegenden Arbeit ungelöst. Die Redeweise von zwei Polen oder auch Dimensionen (Natur und Gnade) führt außerdem zu der Frage, wie die Dimension der Gnade überhaupt wissenschaftlich untersucht werden kann. Im dritten Abschnitt wird deshalb die Wissenschaftstheorie Scheffczyks untersucht. Da mit der Frage nach der Möglichkeit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Dimension der Gnade das Materialobjekt der Theologie gemeint ist, muss das, was Wissenschaft ausmacht, anhand des Formalobjekts beschrieben werden. Scheffczyk bietet dazu eine „allgemeine Methodizität“ an: Wissenschaftliches Arbeiten besteht für ihn immer in der Deduktion von Folgesätzen aus allgemein anerkannten Prämissen. Aufgrund dieser Bestimmung müsste Scheffczyk aber die einzelnen Prämissen der verschiedenen Wissenschaften erklären und sie miteinander vergleichen können. Es zeigt sich aber, dass er das nicht kann. Gerade seine Sichtweise der Philosophie ist sehr idealisiert. Und andere Wissenschaften können für ihn die Dimension der Gnade niemals erreichen. Deshalb werden im vierten Abschnitt das Material- und das Formalobjekt der Theologie nach Scheffczyk untersucht. Die Darstellung zeigt, dass Theologie nach Scheffczyk in der Polarität von Natur und Gnade funktioniert. Deshalb ist für ihn die Dogmatik das Einheitszentrum der Theologie. Systematisches Arbeiten muss deshalb die Frage nach der Wesenswahrheit stellen. Wie dies aber möglich ist, kann im vierten Abschnitt noch nicht geklärt werden. Die Analyse der Theologie Scheffczyks zeigt auch, dass Manfred Hauke Recht behält, wenn er davon ausgeht, dass bei Scheffczyk Personalismus und erkenntnistheoretischer Realismus wichtige Bestandteile seiner Theologie sind. Es zeigt sich aber, dass die fundamentale Voraussetzung, die Scheffczyk in seinen Ausführungen macht, der erkenntnistheoretische Realismus ist, den er nicht detailliert darstellt. Bei der Darstellung von Schwierigkeiten und Anfragen an die Theologie von Scheffczyk, wie auch bei der Frage danach, weshalb seine Ausführungen nicht rezipiert wurden, muss also diese fundamentale Voraussetzung mitberücksichtigt werden. Kapitel IV: Im vierten Kapitel werden die Ausführungen von Scheffczyk zur Katholizität der Kirche untersucht. Besondere Bedeutung hat hier das Buch Katholische Glaubenswelt, auf das in der Sekundärliteratur zu Scheffczyk immer wieder hingewiesen wird (Hauke, Nebel). Im ersten Abschnitt soll dargelegt werden, was er unter dem Wort katholisch versteht. Hier zeigt sich, dass katholisch für

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Scheffczyk eine Konkretion des Christentums ist. Weil dabei aber die Wesenseigenschaft der Kirche mit der Konfessionsbezeichnung römischkatholisch ineinander fällt, stellt sich auch die Frage, wie in diesem Zusammenhang andere christliche Konfessionen zu verstehen sind. In der römisch-katholischen Kirche kann bleibende Wahrheit real aufgefunden werden. Deshalb will Scheffczyk mittels einer Wesensschau von der geschichtlich konkreten katholischen Kirche auf die Katholizität der Kirche schließen. Diese Wesensschau kennzeichnet er als phänomenologisch. Gerade diese Bezeichnung wirft aber eine Menge Fragen auf: So zeigt sich, dass die erkenntnistheoretischen und hermeneutischen Grundsätze Scheffczyks nur schwer mit denen der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts in Einklang gebracht werden können. Sinnvoller erscheint es, Scheffczyks Wesensschau als thomistisch zu bezeichnen: Gerade die erkenntnistheoretische Voraussetzung Scheffczyks würde sich einerseits gut in dieses System einfügen. Andererseits muss auch berücksichtigt werden, dass Hauke erklärt, Scheffczyk könne keiner theologischen Schule zugeordnet werden, auch nicht dem Thomismus. Weil Scheffczyk zu seiner Wesensschau Struktur-, Lehr- und Lebenselemente der katholischen Kirche auswählt, um so die lebendige Idee des Katholischen zu veranschaulichen, werden im zweiten Abschnitt diese Elemente dargestellt. Scheffczyk behandelt dabei nicht die Frage, inwieweit durch die Auswahl von Elementen das Ergebnis der Wesensschau beeinflusst wird. Deshalb ist es auch nicht weiter überraschend, dass die Katholische Glaubenswelt für Scheffczyk genau gleich strukturiert ist, wie seine Ausführungen zur Funktionsweise der Theologie. In beiden Fällen geht es um die Polarität von Natur und Gnade. Das Katholische sichert dabei die konkrete Zugänglichkeit der bleibenden Wahrheit in der geschichtlich verfassten Welt, die Theologie ist mit dem Auffinden dieser Wahrheit in der Kirche beschäftigt. Besonders wichtig ist, dass für Scheffczyk der Realismus ein Strukturelement der katholischen Glaubenswelt ist, er spricht vom Heilsrealismus. Ob er damit aber nicht nur seine erkenntnistheoretische Voraussetzung in die Struktur der Kirche hineinträgt, reflektiert Scheffczyk nicht. Im dritten Abschnitt werden deshalb verschiedene Anfragen an diese Strukturierung der katholischen Glaubenswelt gestellt. Schließlich muss geprüft werden, ob diese Darstellung das Selbstverständnis der Kirche trifft und ob eine phänomenologische Wesensschau erreicht ist. Dabei zeigt sich, dass die Katholische Glaubenswelt Scheffczyks allenfalls als eine mögliche Darstellung der lateinischen Tradition der römisch-katholischen Kirche verstanden werden kann. Für die Beziehung zwischen der Reflexion über Theologie und der Reflexion über die Katholizität der Kirche bedeutet das, dass in Scheffczyks Ausführungen zur Katholischen Glaubenswelt seine eigene erkenntnistheoretische Voraussetzung als eine Struktur der Kirche verstanden wird. Theologie auf dem Boden der Kirche muss für Scheffczyk realistisch sein. Das zeigt besonders seine Kritik an

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anderen Theologen, bei denen Scheffczyk fragt, ob über der Darstellung der Relevanz des Glaubens für die Gläubigen (das pro me) nicht die reale Ursache (das in se) vergessen werde.

Erträge der vorliegenden Arbeit Die Darstellung der Funktionsweise der Theologie und der Katholizität der Kirche bei Avery Dulles und bei Leo Scheffczyk zeigt, dass man beide Autoren nicht ohne weiteres miteinander vergleichen kann. Dulles betreibt eine realsymbolische Theologie und hat mit seinen Modellen gezeigt, wie verschiedene Theorien in der katholischen Theologie nebeneinander bestehen und sogar als legitim anerkannt werden können. Der Vorteil eines solchen Denkens liegt in der Möglichkeit der Würdigung der Theorien anderer Autoren und im Versuch, sich dem christlichen Glauben mit verschiedenen Perspektiven anzunähern, selbst wenn man dabei vielleicht auch bei einer Vielzahl von Modellen stehen bleiben muss, ohne sie in eine einheitliche Sichtweise integrieren zu können. Die Theologie von Scheffczyk ist von seinem erkenntnistheoretischen Realismus geprägt. Das ermöglicht ihm eine in hohem Maße rechtgläubige Theologie, in der er dem kirchlichen Lehramt besondere Hochachtung zukommen lässt. Seine systematische Aufarbeitung verschiedener Traktate der Dogmatik zeigt, dass er nicht nur ein ausgewiesener Kenner der Theologiegeschichte ist, sondern auch, dass er zu seiner Zeit die Gedanken der kirchlichen Tradition fruchtbar anwenden wollte. Allerdings scheint es, dass Scheffczyks Theologie nur für die hilfreich sein wird, die sich seine erkenntnistheoretische Grundannahme zu Eigen machen. Da er jedoch seine Denkvoraussetzungen nicht reflektiert, verliert Scheffczyk an Kommunikabilität und an Anschlussfähigkeit für Theologen mit anderen Denkvoraussetzungen. In einem ersten Abschnitt des Abschlusskapitels wird versucht, den Kriterienkatalog von Avery Dulles zu begründen. Dabei zeigt sich einerseits, dass man das Problem der Begründung von Kriterien in der Theologie Dulles’ nicht umgehen kann, indem man auf die Ausführungen von Michael Polanyi zum impliziten Wissen verweist und andererseits, dass Scheffczyks hermeneutische Kriterien ebenfalls keine Begründung für den Kriterienkatalog von Dulles bieten können. Eine Hilfe, Kriterien zur Bewertung von Theorien und Modellen auf der Grundlage des conceptual frameworks der Kirche zu finden, könnte in Anwendung von Scheffczyks Kategorie der Geschichtlichkeit bestehen. Deshalb wird in diesem ersten Abschnitt gezeigt, wie die Kriterien begründet werden und funktionieren könnten. In einem zweiten Abschnitt des fünften Kapitels wird versucht zu erklären, warum Scheffczyks Theologie nur von so wenigen rezipiert wurde. Er selbst hat andere Theologen in seinen Veröffentlichungen häufig kritisiert, die von ihm Angegriffenen haben auf seine Ausführungen jedoch nie reagiert. Diese

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Nichtbeachtung Scheffczyks dürfte eine Folge seines erkenntnistheoretischen Realismus sein. Obwohl die bleibende Wahrheit für Scheffczyk nur in der Geschichtlichkeit kategorial greifbar wird, spielt das Moment der Annahme und Aufnahme der bleibenden Wahrheit von Seiten des Menschen in seinen theologischen Ausführungen keine Rolle, da für Scheffczyk die Wahrheit objektiv gegeben ist.

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Kapitel I : Die Methode von Avery Dulles 1. Zugänge Für die Beschäftigung mit seiner Theologie hat Dulles selbst eine Herangehensweise vorgeschlagen. Im Vorwort zu Ross Shecterles Studie The Theology of Revelation of Avery Dulles erklärt Dulles, dass sein Spätwerk ab 1980 als Ausgangspunkt am besten geeignet ist16. Vom Spätwerk aus soll es möglich sein, zu einem adäquaten Verständnis der früheren Schriften zu gelangen. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit auf eine chronologische Darstellung der Veröffentlichungen von Dulles verzichtet. Im folgenden Abschnitt werden zunächst Hinweise von Dulles zur Klärung seiner Theologie untersucht. 1.1 Avery Dulles’ Theologie ist postcritical In dem Buch The Craft of Theology stellt Dulles seine Theologie in einen historischen Kontext17. In diesem historischen Rahmen stellt er verschiedene theologische Systeme dar. Alle diese Systeme sind nach ihrer Beziehung zum so genannten kritischen Zeitalter (critical era) angeordnet. Unter dem kritischen Zeitalter versteht Dulles die Zeit der beginnenden naturwissenschaftlich-empirischen Forschung, die die Autorität des Aristoteles in diesem Bereich zurückwies18. Das „critical program“19 zeigt sich für Dulles besonders deutlich an den naturwissenschaftlichen Forschungen Francis Bacons und Galileis. In der Philosophie zeigt sich die beginnende kritische Einstellung an den Ausführungen von Descartes und Spinoza, die mit Hilfe des methodischen Zweifels zu selbstevidenten Fakten und Prinzipien vorstoßen wollten. Ziel dieser kritischen Philosophie war es, mittels mathematischer Methoden ein allumfassendes System zu konstruieren. In die Theologie wird dieses kritische Programm durch Locke und Hume eingeführt. Gerade bei diesen beiden Autoren wird der Gedanke entwickelt, dass nichts, das nicht dem Zweifel unterzogen wurde, zu glauben ist. In Bezug zu diesem kritischen Programm spricht Dulles von vier verschiedenen theologischen Systemen, deren Eigenschaften er untersucht.

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Vgl. DULLES, Preface. In: SHECTERLE, Ross A., The Theology of Revelation of Avery Dulles, 1980-1994. Symbolic Mediation, New York 1996, xvii. DULLES, The Craft of Theology. From Symbol to System. New York (1992) 32001, 3-15. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 4. Ebd.

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Das erste dieser Systeme ist das präkritische. Für Dulles ist dieses System das der Patristik und der mittelalterlichen Theologie. Dulles weigert sich ausdrücklich, diesem System eine fehlende kritische Reflektion des Glaubens zu unterstellen. Gerade die starke Zurückweisung häretischer Glaubenssätze durch die Kirchenväter und die mittelalterlichen Theologen ist für Dulles ein überaus kritischer Zug ihres Denkens. Als präkritisch erweist sich dieses System nur dadurch, dass innerhalb dieses ersten Systems keine Kritik auf die „canonical sources“20 angewandt wurde. Das bedeutet, dass die Heilige Schrift und lehramtliche Texte eine besondere Autorität im präkritischen System innehatten. Die erste historische Reaktion auf das kritische Programm besteht in der parakritischen Theologie. In dem parakritischen System werden der kritische Zweifel und die rationale Probe nur auf die Wissenschaft und die spekulative Erkenntnis angewandt. Glaube und Religion dagegen gehören einer anderen Ebene an. Glaube und Religion können deshalb aber kein Gegenstand von Wissenschaft sein und sind mit dem Gefühl einer Person und der Willensfreiheit (volition) verbunden. Dieses System wurde nach Meinung von Dulles durch die Philosophie Kants ermöglicht und beeinflusste den lutherischen Pietismus, den liberalen Protestantismus des 19. Jahrhunderts und den protestantischen und katholischen Modernismus. Das dritte theologische System ist die gegenkritische Theologie. Innerhalb dieses Systems wird versucht, mit den Mitteln des kritischen Programms die Wahrheit des Christentums zu beweisen. Damit sollte der Kritizismus mittels strenger syllogistischer Logik ad absurdum geführt werden. Gegenkritisch arbeitet vor allem die Apologetik des frühen 20. Jahrhunderts. Das vierte System ist der postkritische Zugang. Dulles spricht in diesem Kontext nicht mehr von einem System, da eine Vielzahl von verschiedenen theologischen Strömungen darunter zu verstehen ist. Postkritisches Denken und postkritische Theologie bestehen für Dulles darin, den Kritizismus nicht zurückzuweisen, sondern die Errungenschaften kritischen Denkens zu verarbeiten21, ohne in einen kartesischen Rationalismus oder in einen Mathematizismus zu verfallen, wie die gegenkritische Theologie und die Apologetik des frühen 20. Jahrhunderts. Postkritische Theologie soll in diesem Zusammenhang eine Stellung zwischen der kritischen / gegenkritischen und der parakritischen Theologie einnehmen: Es soll der Objektivismus der kritischen und gegenkritischen Theologie und der Subjektivismus der parakritischen Theologie vermieden werden22.

20 21 22

24

Ebd. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 5. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 13.

Abgrenzung von der Neuscholastik Neben der positiven Bestimmung seiner postcritical theology versucht Dulles zusätzlich, seine Theologie negativ gegenüber der Neuscholastik und dem critical program abzugrenzen. Dulles unterscheidet an dieser Stelle begrifflich nicht zwischen Scholastik und Neuscholastik, wie aus dem Abschnitt Limitations of Scholasticism23 hervorgeht. Dennoch zeigen die Ausführungen von Dulles sehr deutlich, dass er von der Neuscholastik spricht. Diese negative Abgrenzung von anderen Systemen trägt zur weiteren Klärung der Theologie von Dulles bei. Dulles nennt zunächst Vorzüge der neuscholastischen Theologie24. Zuerst ist der Umgang der Neuscholastik mit dem kirchlichen Lehramt und vorausgegangenen Theologen zu nennen. Die neuscholastische Theologie war nach Dulles nicht von einem Streben nach Originalität gekennzeichnet. Vielmehr stand die Bereitschaft, von vorausgegangenen Theologen zu lernen, im Vordergrund. Dulles erwähnt ferner die Klarheit der Beweisführungen in der neuscholastischen Theologie und den Aufbau von durchdachten Systemen. Auffallend ist ein Punkt in der Argumentationskette von Dulles. Hier spricht Dulles von „the recognition that not all conclusions were equally certain“25. Es gehört somit zur Stärke der Neuscholastik, Kriterien an die Hand gegeben zu haben, die den Gewissheitsgrad eines theologischen Satzes oder einer These angaben. Eine Art von hierarchia veritatum wäre damit in der Sichtweise von Dulles in der Neuscholastik verankert. Zuletzt erwähnt Dulles noch die pastorale Verantwortung der Theologie. Für Dulles waren sich die neuscholastischen Theologen bewusst, Mitarbeiter an der Artikulation der kirchlichen Lehre zu sein. Gerade in dieser Weise arbeitete die Neuscholastik an der Zukunft der Kirche mit. Diese Vorzüge der Neuscholastik gilt es zu berücksichtigen. Trotz all dieser Vorzüge erklärt Dulles gegenüber der neuscholastischen Theologie: „The thesis method […] could not be described as adequate“26. Diese Kritik wird an zwei Schwachstellen der Neuscholastik verdeutlicht. a) Die Angemessenheit der Neuscholastik innerhalb der katholischen Theologie wurde durch die Forschungen der nouvelle théologie und der modernen Exegese obsolet. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wuchs in der katholischen Theologie die Auffassung, dass die Kirchenväter und die Heilige Schrift in ihrem historischen Kontext interpretiert werden müssen, um sie zu verstehen. Die Thesenmethode der Neuscholastik war dieser Anforderung nicht gewachsen und erweist sich so für Dulles als unangemessen. b) Der zweite Gesichtspunkt betrifft die Angemessenheit der Neuscholastik nach außen. Die Thesenmethode der Neuscholastik 23 24 25 26

Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 44 ff. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 41-52. DULLES, The Craft of Theology, 43. DULLES, The Craft of Theology, 44.

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konnte die Herausforderungen des Gesprächs mit protestantischen Autoren nicht aufnehmen und somit auf wissenschaftlicher Ebene keinen ökumenischen Diskurs führen. Diese Unfähigkeit zum Dialog hängt für Dulles vor allem damit zusammen, dass die Thesenmethode mit Einwänden arbeitet. Diese Einwände wurden aber innerhalb einer These nur negativ diskutiert, um sie zurückweisen zu können. Dulles diagnostiziert damit an der so genannten Thesenmethode der Neuscholastik einen fehlenden Sinn für das Systemdenken der Gegner. Während die Neuscholastik sich selbst als System verstand, konnte sie potentielle Gegner nur Satz für Satz zurückweisen. Eine „confrontation between systems as connected wholes“27 war in diesem Zusammenhang nicht möglich. Der Neuscholastik fehlte sogar der Sinn für die Voraussetzungen einer anderen philosophischen oder theologischen Schule. Für Dulles ist es im neuscholastischen System nicht möglich zu erklären, warum ein Empirist ein Empirist ist und nicht ein Aristoteliker, oder theologisch gewendet, warum ein Lutheraner ein Lutheraner ist und nicht ein Thomist. Damit zeigt sich die Neuscholastik in der Sicht von Dulles als ein in höchstem Maße rechtgläubiges System, das für das Wohl der Kirche arbeitet. Dieses System ist aber autistisch veranlagt und kann so keinen Diskurs mit anderen Systemen innerhalb und außerhalb der katholischen Theologie führen. In dieser Beschränkung zeigen sich die Mängel der Neuscholastik. Durch ihre Isolierung kann die Neuscholastik innerhalb der katholischen Theologie nichts von anderen Forschungsgebieten mit unterschiedlichem Formalobjekt lernen und fachübergreifend nicht zum Wohl der Kirche arbeiten, zum Beispiel im ökumenischen Dialog. Diese Interpretation der Neuscholastik richtet sich in erster Linie nach den Bedürfnissen der Theologie als theoretischer Wissenschaft und der Theologie als kirchlicher Wissenschaft. Die Theologie von Dulles wird sich also gerade auch in diesen beiden Punkten profilieren müssen. Abgrenzung gegenüber dem critical progam Im vorausgegangenen Abschnitt wurde klar, warum Dulles die Thesenmethode der Neuscholastik ablehnt. Der folgende Abschnitt wendet sich der Fragestellung zu, warum Dulles das critical program ablehnt. Dulles nennt zunächst einen pastoralen Grund. Das critical program ist von einer Hinwendung zum Zweifel gekennzeichnet28. Die Gläubigen der Kirche heute sind sich aber sehr wohl bewusst, dass Glaubenssätze angezweifelt werden können. Viel wichtiger erscheint es, zu Überzeugungen angesichts des Zweifels zu stehen. Dulles geht es nicht um einen modernen Fideismus, der angesichts von Herausforderungen zum Durchglauben oder Durchstehen einer Situation ermahnt. Er ist sich bewusst, dass zur Zeit der Glaubenskriege der religiöse 27 28

26

DULLES, The Craft of Theology, 45. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 5 ff.

Fanatismus eigenständige Denker zum Zweifel herausfordern musste. Heute gelte es aber aufzuzeigen, wie Verantwortung aus starken religiösen Überzeugungen erwachsen kann. Das critical program ist somit nicht die Antwort auf die Bedürfnisse der Kirche heute. Außerdem erscheint das critical program nicht widerspruchsfrei. Für Dulles basiert methodischer Zweifel und Kritizismus immer noch auf einer Stufe des Vertrauens. Der methodische Zweifel kritisiert beispielsweise nicht seine „standards of evidence“29. Die Kriterien, die der kritische Philosoph anlegt, um zur Gewissheit zu gelangen, werden selbst wiederum nicht kritisiert. Hier stellt sich auch die Frage nach der konsequenten Durchführbarkeit des critical program. Dulles bestreitet, dass das critical program konsequent angewandt werden kann. Es existiert keine stringente Evidenz für die offensichtlichen Fakten wie die Existenz einer Welt außerhalb unserer selbst oder die Überprüfbarkeit physischer Gesetze und Verhaltensregeln. Deshalb gilt für Dulles: „universal doubt is so repugnant to human nature that it is in fact unrealizable“30. Diese Kritik findet sich auch bei verschiedenen anderen Autoren. So könnte man mit dem Würzburger Philosophen Winfried Weier das cartesische cogito ergo sum daraufhin kritisieren, ob das Subjekt sich wirklich seiner selbst gewiss sein kann und ob die Tätigkeit dieses Subjektes wirklich Denken ist31. Die weitere Kritik von Dulles betrifft die epistemologische Komponente des critical program. Das critical program gibt keinen Aufschluss über die soziale und die unausgesprochene (tacit) Dimension der Erkenntnis32. Der Kritizismus geht vom Individuum aus und weist ihm eine Befehlsposition zu. Dabei zeigt sich die Selbstgenügsamkeit oder die Egozentrik des critical program. Im kritischen System hat nur das Individuum seine Geltung, aber nicht die Gesellschaft, die das Individuum beeinflusst. Das critical program übersieht auch die so genannte raison du cœur. Damit beschreibt Dulles mit den Worten von Blaise Pasqual33 eine grundlegende, jedem Akt vorgängige Vertrauensbasis, die sich nur vorkritisch verstehen lässt34. Die Wirklichkeit zeigt sich in der Sichtweise solcher reasons of the heart als eine Fülle von Hinweisen oder Fingerzeigen (clues), die weder beweisbar, noch bestreitbar sind. Wenn man von der Existenz uninterpretierter visueller Signale ausgeht, dann sind diese für Dulles auf einem tieferen Niveau als dem der expliziten Wachheit zu finden. Es gibt für Dulles keinen Grund, warum Gott der Schöpfer nicht Hinweise auf sich 29 30 31

32 33

34

DULLES, The Craft of Theology, 5. Ebd. Vgl. WEIER, Winfried, Geistesgeschichte im Systemvergleich. Zur Problematik des historischen Denkens. Salzburg 1984, 119-130. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 6. Vgl. PASCAL, Blaise, Pensées. Sur la religion et sur quelques autres sujets, Paris 1754, 1ff. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 6-7.

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selbst inmitten seiner sichtbaren Schöpfung gewähren sollte. Gegenüber dem Kritizismus gibt es dafür aber auch keine apodiktischen Beweise35. Zu dieser tacit dimension der Erkenntnis gehören auch die Fakten der Geschichte, die Daten religiösen Glaubens und andere Elemente, die in einem Erkenntnisakt nicht explizit gewusst werden36, aber das Fundament jeden Erkennens darstellen37. Damit zeigt sich das critical program als ein für Dulles in sich unkonsequentes System, das den Herausforderungen der Gegenwart genau so wenig gewachsen ist wie die Neuscholastik. Dies gilt für den Bereich der Kirche und für jeden Menschen, da der Kritizismus der Natur des Menschen zuwiderläuft. Besonderer Kritik wird die erkenntnistheoretische Komponente des ciritcal program unterzogen, denn der Kritizismus läuft den Grundbedingungen menschlichen Erkennens zuwider. Zusammenfassung Postkritische Theologie ist eine Selbsteinordnung Dulles’ innerhalb unterschiedener theologischer Systeme. Postkritische Theologie sucht das Gespräch und den Gedankenaustausch mit unterschiedlichen theologischen Fächern (im Gegensatz zur Neuscholastik). Sie ist auch gekennzeichnet durch ihre Kommunikationsbereitschaft mit anderen theologischen Ansichten und mit anderen Konfessionen (auch hier im Gegensatz zur Neuscholastik). Postkritische Theologie versteht den Menschen ganzheitlich. Die soziale Komponente menschlichen Daseins ist in der postkritischen Anthropologie von großer Bedeutung (im Gegensatz zum critical program). Die Grundvollzüge des Menschseins sind in der postkritischen Theologie nicht vollkommen intelligibel. Der Mensch bleibt in gewisser Hinsicht ein Mysterium, auch sich selbst gegenüber. Denn die tacit dimension der Schöpfung darf in einer postkritischen Theologie nicht übersehen werden (auch hier im Gegensatz zum critical program). Entscheidend für eine postkritische Theologie im Sinne von Dulles ist eine Basis des Vertrauens. Zweifel kann ebenso wenig Grundlage für menschliches Leben und Zusammenleben wie für die Kirche sein. Postkritische Theologie ist in diesem Zusammenhang eine zeitgemäße, ganzheitliche, orthodoxe Theologie, die den Herausforderungen der Zeit nicht ausweicht. Die tacit dimension ist damit eine der Grundlagen der postkritischen Theologie. Allerdings ist diese Dimension bislang unzureichend bestimmt und mit anderen Begriffen wie reasons of the heart oder clues austauschbar. Bei der Frage nach der Funktionsweise der Theologie von Dulles spielt die tacit 35 36 37

28

Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 29. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 7. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 225. Anmerkung 4.

dimension jedenfalls eine besondere Rolle. Dulles kommt in seinen Überlegungen zur Funktionsweise der Theologie wiederholt auf die tacit dimension zu sprechen. Beispielsweise in seiner Symboltheorie, die für das weitere Verständnis von Dulles’ methodologischen Ausführungen entscheidend ist. 1.2 Symbole in Avery Dulles’ Theologie Unter den verschiedenen philosophischen Ausführungen zu dem Thema Symbol möchte Dulles eigentlich keiner bestimmten Terminologie folgen38. Trotzdem macht er in hohem Maße Anleihen bei dem ungarisch-britischen Chemiker und Philosophen Michael Polanyi39. Generell spricht Polanyi davon, dass subsidiär Gewusstes und fokal Gewusstes zu unterscheiden sind. Unter der subsidiary awareness versteht Polanyi das Wissen, wie etwas funktioniert. Unter der focal awareness versteht Polanyi das Wissen, was geschieht40. Subsidiär Gewusstes ist eine tacit knowledge, denn subsidiary und focal awareness sind vektoriell miteinander verbunden. Zuerst gilt es zu wissen, wie etwas gemacht wird, bevor es zu wissen gilt, was gemacht wird. Jerry H. Gill beschreibt dies in seinem Buch The Tacit Mode folgendermaßen: „In short, we rely on some things in order to focus on others; we attend from some things to others”41. In diesem Zusammenhang spricht Polanyi auch von einer „from-to structure“42. Bei einem Symbol funktioniert die from-to structure so, dass das subsidiär Gewusste von Interesse ist. Polanyi spricht von intrinsic interest. Das fokal Gewusste ist hingegen von keinem intrinsic interest43, denn das fokal Wahrgenommene ist immer nur ein Gegenstand, der nur aufgrund der subsidiären Hinweise zu einem Symbol werden kann44. Um ein Symbol zu verstehen, genügt dies allerdings immer noch 38 39

40

41

42 43 44

Vgl. DULLES, Models of Revelation. Maryknoll, New York (1983) 81992, 141. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 132f.; DERS., Glaube, Glaubensbegründung und Glaubensgemeinschaft. Anregungen aus dem Werk Michael Polanyis. In: Theologie der Gegenwart 28 (1985), 15-18. Vgl. POLANYI, Michael, Personal Knowledge. Towards a Post-Critical Philosophy, Chicago 1974, 55-65. Polanyi verdeutlicht dies mit einem Vergleich: „Think how a blind man feels his way by the use of a stick, which involves transposing the shocks transmitted to his hand and the muscles holding the stick into an awareness of the things touched by the point of the stick”, Personal Knowledge, 55 f. GILL, Jerry H., The Tacit Mode. Michael Polanyi’s Postmodern Philosophy. SUNY series in constructive postmodern thought. New York 2000, 33. POLANYI, The Tacit Dimension, Glouchester, Mass. 1983, x. Vgl. POLANYI, Meaning, Chicago 1977, 71f. Vgl. POLANYI, Meaning, 72 f. Polanyi denkt hier vor allem an Symbole wie zum Beispiel die Flagge eines Nationalstaates, oder einen militärischen Orden. Fokal wird hier nur ein Stück Stoff oder Metall wahrgenommen. Subsidiär erschließt sich erst die volle Bedeutung eines solchen Gegenstandes.

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nicht. Denn die Subsidiaria müssen in die Existenz eines Menschen integriert werden. Andernfalls wird ein Symbol nicht verstanden45. Wenn die Subsidiaria in die Existenz eines Menschen integriert sind, dann gilt für Polanyi: „A belief always works in the eyes of the believer”46. Oder anders ausgedrückt: „Different languages are alternative conclusions“47. Das bedeutet, dass Gruppen unterschiedlicher Menschen mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen (alternative conceptual frameworks) dieselben Fakten zum Teil unterschiedlich interpretieren. Dulles schließt aus der Symboltheorie Polanyis, dass bei einem Symbol eine besondere Art von indwelling erforderlich ist48. Wer ein Symbol verstehen will, darf kein detached observer sein, sondern muss ein engaged participant49 sein. Bei Dulles wird also ein Symbol von Menschen bereits auf der von Polanyi so genannten Ebene der tacit dimension verstanden. Es ist daher nicht möglich, ein Symbol nicht zu verstehen. Es ist nur möglich, ein fokales Objekt zu sehen, das aufgrund fehlender Integration der Subsidiaria, eben nur als dieses sinnlich perzipierte Objekt verstanden wird. Ein Symbol ist bei Dulles deshalb nicht nur ein literarisches Genus. Es gibt für Dulles kosmische / natürliche Symbole (wie etwa die Sonne oder das Licht), persönliche oder historische Symbole (wie etwa David oder das Kreuz) und künstlerische oder liturgische Symbole (wie etwa Gebäude, Bilder oder die Liturgie der Kirche)50. Damit ergibt sich folgende Definition eines Symbols bei Dulles: „A symbol is a sign pregnant with a plenitude of meaning which is evoked rather than explicitly stated“51. Ross Shecterle hat in seiner Arbeit The Theology of Revelation of Avery Dulles darauf aufmerksam gemacht, dass aufgrund dieser Definition Symbole keinen Wahrheitsanspruch begründen können, denn Symbole sind mehrdeutig (multivalent character of symbol) und lassen eine Vielzahl von Interpretationen zu (possibility of a multiplicity of interpretations) 52. Diese Einschätzung hängt mit der Symboltheorie von Polanyi zusammen: Schließlich begründet ein Symbol bei Polanyi conceptual frameworks, aufgrund derer Menschen dieselben Fakten zum Teil unterschiedlich interpretieren. Mit dieser Behauptung würde aber die gesamte Theologie Dulles’ fraglich werden. Denn für Dulles ist die Summe der christlichen Symbole der Inhalt des Christentums53. Der 45 46

47 48 49 50 51 52 53

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Vgl. POLANYI, Meaning, 73. POLANYI, Science, Faith and Society. A Searching Examination of the Meaning and Nature of Scientific Inquiry, Chicago 1964, 61. POLANYI, Personal Knowledge, 112. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 133. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 133; 139f. DULLES, Models of Revelation, 132. Vgl. SHECTERLE, The Theology of Revelation of Avery Dulles, 107. Vgl. DULLES, The Communication of Faith and its Content. Washington, D.C. 1985, 11. Hier heißt es: “the true content of Christianity is the joint meaning of the Christian

Wahrheitsanspruch des Christentums wäre damit von Dulles nicht erklärbar. Eine Auseinandersetzung mit der These Shecterles liegt bislang nicht vor. Der Pädagoge Georg Hans Neuweg hat sich in seiner Habilitationsschrift Könnerschaft und implizites Wissen mit der Bedeutung der tacit dimension bei Polanyi auseinandergesetzt. Neuweg formuliert vier Eigenarten dieses impliziten Wissens: „Der Wissensbesitz ist diagnostizierbar. Implizites Wissen ist lern- und umlernbar. Es kann an einer subjektunabhängigen Wirklichkeit scheitern oder sich an ihr bewähren. Es ist in der Regel sozial vermittelt und nicht bloß individuelles Meinen oder individuelle Intuition“54.

Das bedeutet, dass die These von Shecterle (Symbole bei Dulles können keinen Wahrheitsanspruch begründen) nicht geteilt werden kann. Denn die Symbole bei Dulles funktionieren auf der Ebene der tacit dimension Polanyis, die Neuweg eigens aus pädagogischer Sichtweise als echtes Wissen kennzeichnet. Allerdings ergibt sich an dieser Stelle ein Problem: Denn die Subsidiaria, die zum Verständnis eines Symbols in die Existenz des Menschen zu integrieren sind, führen bei Polanyi zu impliziten, nicht zu explizitem Wissen. Viele Subsidiaria sind dabei gar nicht explizierbar oder verlieren durch Explikation ihre Bedeutung und die Integration der Subsidiaria ist ein Akt, der nicht stellvertretend für einen anderen Menschen geleistet werden kann55. Ein Beispiel: Ein geübter Pianist kann durch verschiedenen Anschlag differenzierte Klänge auf dem Klavier produzieren. Allerdings wird ein Pianist in einem Konzert nicht auf die Bewegungen seiner Muskel (Subsidiaria) achten, sondern auf die Musik, die er spielt (Fokal). Versucht der Pianist nun, einem Schüler das Klavierspielen beizubringen, so ist es ihm nicht möglich, seinem Schüler genau zu erklären, welche Muskelbewegung zu welchem differenzierten Klang führt (ungenügende Explizierbarkeit der Subsidiaria). Ja, das genaue Verständnis der Muskelbewegung stünde eher im Mittelpunkt eines Medizinstudiums, als es

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symbols – a meaning that can never be adequately formulated in language, but is tacitly perceived through reliance on the symbols themselves”. NEUWEG, Georg Hans, Könnerschaft und implizites Wissen. Zur lehr-lerntheoretischen Bedeutung der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie Michael Polanyis. Internationale Hochschulschriften, Band 311. Münster 2004, 24. Vgl. NEUWEG, Könnerschaft und implizites Wissen, 245. Vgl. hierzu auch POLANYI, Knowing and Being: Essays by Michael Polanyi. Herausgegeben von Marjorie Grene. Chicago 1969, 141: „The act of tacit knowing thus implies the claim that its result is an aspect of reality which, as such, may yet reveal its truth in an inexhaustible range of unknown and perhaps still unthinkable ways. […] My definition of reality, as that which may yet inexhaustibly manifest itself, implies the presence of an indeterminate range of anticipations in any knowledge bearing on reality. But besides this indeterminacy of its prospects, tacit knowing may contain also an actual knowledge that is indeterminate, in the sense that its content cannot be explicitly stated“.

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beim Klavierspielen hilft (Bedeutungsverlust der Subsidiaria bei der Explikation). Darüber hinaus muss der Schüler die Subsidiaria selbst integrieren, der Lehrer kann ihm das Üben nicht abnehmen. Aus all dem ergeben sich eine ganze Reihe von Merkmalen des Lernverständnisses bei Polanyi, die Neuweg in seiner Arbeit untersucht56. Auszugsweise können genannt werden: Lernen findet in einer praktischen Situation statt. Der Lernende muss die Autorität des Experten anerkennen. Der Lehrende ist ein Experte, der das, was er lehrt auch selbst kann. Während Polanyis Theorie praktische Lernfelder umschreibt (Klavierspielen, Fahrradfahren, ja sogar ärztliche Diagnostik und so weiter), scheint die Übertragung in die Theologie problematisch. Denn: wie viele Gläubige lernen in einem praktischen Umfeld bei einem Experten die Integration der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation in ihre Existenz? Werden wirklich Lehrende als Experten anerkannt? Ist es wirklich nur bedingt möglich oder gar unsinnig, die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation zu explizieren? Und wenn ja, was wäre dann überhaupt die Aufgabe der Theologie? Die Rezeption Polanyis bei Dulles wirft somit die Frage auf, wie die in die Existenz des Menschen integrierten Subsidiaria expliziert werden können und ob dies möglich beziehungsweise ob es immer sinnvoll ist. Wenn die Subsidiaria nämlich nicht vollständig explizierbar sind, dann müsste das auch für die Symbole gelten. Nur in dieser Formulierung wäre die Anfrage Shecterles gültig. Dulles selbst erklärt deshalb Symbole folgendermaßen: a) Symbole sind nicht Schöpfungen der menschlichen Einbildung57. Symbole haben eine reale Grundlage. Dulles spricht in diesem Zusammenhang im Anschluss an Karl Rahner von Realsymbolen58. In einer deutschen Übersetzung des 9. Kapitels des Buches Models of Revelation (das Kapitel heißt: Symbolic Mediation) entschied sich daher der Übersetzer im Einvernehmen mit Dulles für den Titel Symbolwirklichkeit und Offenbarung59. b) Das Symbol und das Symbolisierte bilden zusammen eine komplexe Realität60. Christus in seiner menschlichen Natur und die Kirche in ihrer sozialen Natur werden von Dulles als Realsymbole bezeichnet: „symbols that contain and mediate the reality they signify“61. c) Symbole besitzen eine doppelte Wahrheit. Die so genannte symbolische Wahrheit besteht in der Kommunikation oder dem Hervorrufen eines transformierten Bewusstseins in dem Menschen, der das Symbol wahrnimmt. Die 56 57 58 59

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Vgl. NEUWEG, Könnerschaft und implizites Wissen, 295. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 266. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, Symbolwirklichkeit und Offenbarung. In: Theologie und Glaube 83 (1993), 310-324. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 266 f. DULLES, Models of Revelation, 267.

zweite Art ließe sich als affirmative Wahrheit beschrieben. Denn Symbole ermöglichen Aussagen, die sich entweder auf die zugrunde liegenden Symbole berufen können oder nicht62. Und das heißt, dass Symbole nicht jeder beliebigen Interpretation zugänglich sind. Symbole können Affirmationen falsifizieren und besitzen somit die Fähigkeit, expliziert zu werden. Die Frage, wie die Symbole expliziert werden können, interessiert Dulles also gar nicht. Symbole können explizite Aussagen verifizieren oder falsifizieren, weil sie real gegeben sind, das Symbolisierte beinhalten und weil die Gruppe derer, die die Subsidiaria in ihre Existenz integriert haben, die Bedeutung der Symbole kennen. Allerdings bedeutet das auch, dass explizites Wissen die Symbole niemals ersetzen kann. Die Explikation und damit auch die Theologie bleiben immer beschränkt, denn Symbole liefern „a meaning that can never be adequately formulated in language, but is tacitly perceived through reliance on the symbols themselves”63. Terrence Merrigan, der Professor für systematische Theologie an der Katholieke Universiteit Leuven, hat vorgeschlagen, die tacit dimension und den symbolischen Realismus bei Dulles in Analogie zu der „real apprehension“ und zu dem „illative sense“ bei Newman zu verstehen64. Der Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass man die Frage nach der Art und Weise der Explikation der Symbole nicht beantworten muss, die aus der Polanyirezeption Dulles’ stammt. Merrigan definiert den Begriff real apprehension bei Newman als: „the wordless, though not non-proponible, experience of a concrete entity“65. Real apprehension spielt in Newmans Schrift Essay in Aid of A Grammar of Assent eine wichtige Rolle66. Merrigan folgt bei seiner Definition der real apprehension Price67, der in diesem Zusammenhang erklärt, dass der Begriff real bei Newman so etwas wie „thingish“68 bedeutet: Eben die Apprehension eines Realen. Für die Übertragung auf die tacit dimension bei Dulles würde dies bedeuten: Es geht um das Erfassen eines wirklichen Dinges. Dieses Erfassen eines wirklichen Dinges ist wortlos, weil für Newman gilt: „There are then two kinds of apprehension or 62

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Vgl. ebd. Hier heißt es: „Revelatory symbols, being dense and concrete, can generate an inexhaustible brood of affirmations. Yet the symbols are not indefinitely malleable. Only some statements can claim to be grounded in the symbols; certain others are excluded by the symbols”. DULLES, The Communication of Faith and its Content, 11. Vgl. MERRIGAN, Terrance, Models in the Theology of Avery Dulles. A Critical Analysis. In: Bijdragen. Tijdschrift voor filosofie en theologie. 54 (1993), 156. Ebd. Vgl. NEWMAN, John Henry, An Essay in Aid of A Grammar of Assent. Notre Dame, Indiana 2006, 29ff. Vgl. MERRIGAN, Clear Heads and Holy Hearts. The Religious and Theological Ideal of John Henry Newman. Louvain theological & pastoral monographs Band. 007. Löwen 1990, 43. PRICE, Henry H., Belief, London 1960, 317.

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interpretation to which propositions may be subjected, notional and real”69. Damit würde der Begriff der real apprehension als Grundlage der tacit dimension bei Dulles erklären: - Die Symbole, die expliziert werden sollen, sind real. - Das Erfassen und Verstehen der Symbole findet auf einer vor-begrifflichen (wortlosen) Ebene statt. Der zweite Vorschlag von Merrigan betrifft den so genannten illative sense. Merrigan definiert illative sense bei Newman als: „the capacity to judge correctly in matters dear to us, […] which draws on the operations of implicit reasoning”70. Merrigan charakterisiert in seiner Studie Clear Heads and Holy Hearts den Begriff illative sense bei Newman als „the way to certitude“71.Wollte man also die Begriffe real apprehension und illative sense als Grundlage der tacit dimension und damit auch der Symbole bei Dulles verstehen, dann folgt, dass der Mensch auf die Wahrheit hin angelegt ist und deshalb auch richtige Urteile fällen kann (illative sense) und dass der Mensch bereits auf einer vorbegrifflichen (wortlosen) Ebene mit Realitäten konfrontiert ist, die er verstehen und in Worte fassen, also explizieren kann (real apprehension). Diese Ausführungen von Merrigan werden von anderen Autoren geteilt. McAree spricht beispielsweise von einem großen Einfluss, den Newman auf Dulles ausgeübt hat72. McAree kennzeichnet gleichzeitig aber den Einfluss von Polanyi auf Dulles folgendermaßen: „a man whom Avery Dulles draws on for the formal structure of his epistemology“73. Denn Dulles orientiert sich sprachlich wesentlich stärker an Polanyi, als an Newman. Dulles spricht eben von tacit dimension im Anschluss an Polanyi und nicht von real apprehension im Anschluss an Newman. Dazu kommt, dass Dulles in seiner Studie Newman nicht einmal auf die real apprehension zu sprechen kommt. Der Begriff illative sense spielt in dieser Studie von Dulles erstaunlicher Weise ebenfalls keine große Rolle74. Es kann hier festgehalten werden, dass sich Dulles sprachlich an Polanyis Ausführungen orientiert. Die Erklärungen von Dulles zur tacit dimension sind aber offensichtlich stärker von Newman beeinflusst, denn die Frage, wie Symbole expliziert werden können – innerhalb der Theorie Polanyis eigentlich eine zentrale Frage –, ist für Dulles von untergeordnetem Interesse.

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NEWMAN, Essay in Aid of A Grammar of Assent, 29. MERRIGAN, Models in the Theology of Avery Dulles, 156. MERRIGAN, Clear Heads and Holy Hearts, 202 ff. Vgl. MCAREE, Francis J., Revelation, Faith and Mystery. The Theology of Revelation in the Writings of Avery Dulles. Rom 1983, 20 ff. MCAREE, Revelation, Faith and Mystery, 27. Vgl. DULLES, Newman. Outstanding Christian Thinkers. New York 2002, 172.

1.3 Symbolische Vermittlung in der Theologie von Avery Dulles Symbole als bedeutungsreiche Zeichen, die nicht völlig rationalisierbar sind, findet Dulles auch in der Heiligen Schrift75. Diese Symbole nennt er „revelatory symbols“76. In der Offenbarung werden diese Symbole vermittelt. Diese symbolic mediation beschreibt Dulles folgendermaßen: „According to this approach, revelation never occurs in a purely interior experience or an unmediated encounter with God. It is always mediated through symbol – that is to say, through an externally perceived sign that works mysteriously on the human consciousness so as to suggest more than it can clearly describe or define. Revelatory symbols are those which express and mediate God’s self-communication”77.

Offenbarung und Gottesbegegnung werden in diesem Kontext als vermittelt verstanden. Die starke Trennung zwischen Gott einerseits und den Menschen andererseits wird immer durch Symbole überbrückt beziehungsweise vermittelt. Das ermöglicht, das Zugehen Gottes auf die Menschen zu erklären und gleichzeitig die Transzendenz Gottes zu wahren. Symbole bieten dabei keine spekulative Erkenntnis, sondern integrierende Erkenntnis. Dulles spricht in diesem Zusammenhang von participatory knowledge78. Die Offenbarung liefert eine participatory awareness79. Symbole und Offenbarung üben eine transformierende Wirkung aus80. Damit führt die Offenbarung aufgrund der symbolischen Vermittlung der Selbstkommunikation Gottes und durch ihre transformative Komponente zu der Möglichkeit einer echten, wenn auch nicht unvermittelten Gottesbegegnung für den Christen. Symbole üben einen Einfluss auf Einstellungen und Verhalten eines Menschen aus und begründen das conceptual framework. Das gilt auch für die Offenbarung: Aufgrund ihrer transformativen Komponente verändert die Offenbarung die Einstellungen und das Verhalten der Menschen. Gerade durch den Glauben wird ein Christ Teil einer Gemeinschaft von Glaubenden und somit an diese Gemeinschaft und an Jesus Christus gebunden. Diese Rückbindung ist für Dulles ein Akt der Loyalität und des Vertrauens. Symbole führen in einen Bereich ein, der diskursivem Denken normaler Weise unzugänglich bleibt. Dabei kann ein Symbol in tiefere Bereiche der Wirklichkeit führen, als das für das kategoriale Denken und die kategoriale Sprache möglich wäre, und so zu neuen Einsichten führen. Ebenso 75 76

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Vgl. DULLES, Models of Revelation, 135 f. DULLES, Models of Revelation, 139; DERS., The Symbolic Structure of Revelation. In: Theological Studies 41 (1980), 56. DULLES, Models of Revelation, 131. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 136. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 138. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 136. Hier heißt es: „[Revelation] introduces us into a new spiritual world, shifts our horizons, our perspectives, our point of view. Christians come to perceive themselves as personally related to God“. Models of Revelation, 138.

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führt die Offenbarung zu Einsichten, die die Vernunft nicht ergründen kann. Die Offenbarung als Selbstkommunikation des transzendenten Gottes bleibt ja selbst immer ein Mysterium. Dulles weist allerdings auch darauf hin, dass der Mysteriencharakter der Offenbarung in keiner Weise die Intelligibilität der Offenbarung beeinträchtigt. Thomas Hughson erklärt in seinem Artikel Dulles and Aquinas, dass es bei Dulles keine klare Trennung zwischen dem Symbolischen und dem NichtSymbolischen geben kann81. Denn wenn Symbole bedeutungsreiche, nicht vollständig rationalisierbare Zeichen sind, ist es schwierig zu erklären, was eigentlich kein Symbol ist. Jedes Wort kann zu einem bedeutungsreichen Zeichen werden. In Kapitel 10 des Buches Models of Revelation (das Kapitel heißt Christ, The Summit of Revelation) entdeckt Hughson dennoch eine solche Trennung zwischen dem Symbolischen und dem Nicht-Symbolischen82. Wenn Dulles erklärt, es sei ein Kennzeichen der so genannten propositionalistcognitive theology, von Jesus Christus als autoritativem Lehrer zu sprechen83, fragt Hughson, ob das die johanneischen Ich-bin-Worte Jesu nicht von der symbolisch strukturierten Offenbarung Gottes ausschließt84. Dann folgt aber auch für Hughson: “if Dulles wishes to keep an interpretative element entirely outside symbolic revelation, the question arises, how can an uninterpreted symbol be revelatory”85. Justin J. Kelly erklärt in seinem Beitrag Knowing By Heart, dass die johanneischen Ich-bin-Worte Jesu „verbal symbols“86 sind. Deshalb bleiben diese Worte Jesu auch immer ein Mysterium und jeder menschlichen Rationalität und Artikulation zu einem gewissen Grad entzogen. Nach Kelly folgt damit, dass Dulles die in der Heiligen Schrift überlieferten Worte Jesu Christi als Elemente der symbolischen Vermittlung der Selbstkommunikation Gottes versteht. Durch das Christusereignis wird die göttliche Selbstoffenbarung erklärt, denn Jesus Christus wird als Modell und Paradigma des Glaubens verstanden87.

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Vgl. HUGHSON, Thomas, Dulles and Aquinas on Revelation. In: The Thomist 52 (1988), 459. Und DULLES, Models of Revelation, 132. Vgl. HUGHSON, Dulles and Aquinas, 459. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 161. Vgl. HUGHSON, Dulles and Aquinas, 460. HUGHSON, Dulles and Aquinas, 471. KELLY, Justin J., Knowing By Heart. The Symbolic Structure of Revelation and Faith. In: O’DONOVAN, Leo J. / SANKS, T. Howland (Hrsg.), Faithful Witness. Foundations of Theology for Today’s Church. New York 1989, 66. Vgl. DULLES, Jesus and Faith. In: KENDALL, Daniel / DAVIS, Stephen T. (Hrsg.), The Convergence of Theology. A Festschrift Honoring Gerald O’Collins, S.J. New York 2001, 281. Hier heißt es: „Although Jesus does not belong to the company of Christian believers, he preeminently exemplifies what we experience as faith“.

1.4 Avery Dulles’ Theologie ist ecclesial-transformative Neben dem bereits dargestellten geistesgeschichtlichen Kontext (postcritical theology), erklärt Dulles seine Theologie auch in einem systematischtheologischen Kontext88. Dazu greift er auf Kriterien zurück, die der lutherische Theologe George Lindbeck in seinem Buch The Nature of Doctrine entwickelt hat89. Lindbeck, der im Jahr 1993 als Professor der Yale Divinity School emeritiert wurde, spricht von drei verschiedenen Arten der Theologie, die er vom jeweiligen Verständnis der kirchlichen Lehre (doctrine) herleitet. In dem Buch The Craft of Theology versucht Dulles wiederum, diese theologischen Typen in der Theologiegeschichte zu verorten, um so die Besonderheiten des jeweiligen Arbeitens herauszustellen. a) Die propositionalist-cognitive theology versteht die Lehrsätze der Kirche als informative Sätze und als objektive Wahrheiten. Dieser theologische Stil findet sich vor allem in der Scholastik und der Neuscholastik wieder90. Unter den Eigenschaften dieser theologischen Art nennt Dulles den instruktionstheoretischen Offenbarungsbegriff der Scholastik und das Interesse an der ontologischen Begründung der hypostatischen Union in der Christologie91. b) Die experiential-expressive theology versteht Glaubenssätze als ausdrucksstarke Zeichen innerer Gefühle der Gläubigen. Diese Art von Theologie zeigt sich an den Ausführungen von Schleiermacher und in der Tradition des katholischen Modernismus92. Die Offenbarung beschreibt privilegierte innere Erfahrungen. Christliche Glaubenssätze gelten als in Sprache gehobene religiöse Affekte93. c) Die cultural-linguistic theology versteht Glaubenssätze als autoritative Sprech- und Verhaltensregeln für die Gemeinschaft der Gläubigen. Kirchliche Lehre wird somit zu einer Tiefengrammatik, die zu einem Sozialisierungsprozess führt94. Diesen Typ identifiziert Dulles mit dem „postcritical turn“95, dem er sich selbst zurechnet. In Bezug auf seine eigene Theologie spricht Dulles bei diesem dritten Zugang von

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Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 17-39. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 17. Vgl. dazu LINDBECK, George A., The Nature of Doctrine. Religion and Theology in a Postliberal Age. Louisville, Kentucky 1984, 30-45. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 17. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 18. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, Postmodernist Ecumenism. (Rez. zu LINDBECK, George, The Church in a Postliberal Age). In: First Things 142 (October 2003), 58. Hier erklärt Dulles: “So conceived, doctrine is not a mere medium for transmitting some antecedent truth or reality, nor is it the expression of an experience that is independent of the doctrine itself. The linguistic system is inseparable from the content and shapes the experience for those who submit to its power.” DULLES, The Craft of Theology, 18.

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einer ecclesial-transformative theology. Somit gilt also für Dulles: postcritical theology = ecclesial-transformative theology. Acht Jahre nach Erscheinen des Buches The Craft of Theology diskutiert Dulles, ob die cultural-linguistic theology wirklich unvereinbar mit der propositionalist-cognitive theology ist96. Das Argument lautet: Wenn die kirchliche Lehre Sprech- und Verhaltensregeln begründet, dann nur deshalb, weil die kirchlichen Lehre eine ontologische Grundlage hat97. In diesem Kontext votiert Dulles für eine Wiederbelebung der mittelalterlichen Analogielehre, um zu Aussagen über die ontologische Grundlage zu kommen98. Letztlich würde das bedeuten, dass die propositionalist-cognitive theology die Voraussetzung für die cultural-linguistic theology ist. Hintergrund für diese neue Einschätzung ist die Auseinandersetzung Dulles’ mit dem Buch The Church in a Postliberal Age von Lindbeck. Es geht Dulles besonders um die Frage, ob Lindbeck nicht zu große Zugeständnisse an den postmodernen Relativismus macht, indem er sich von der propositionalist-cognitive theology und der experiential-expressive theology absetzt99. Lindbeck selbst wiederum kommt zu einem anderen Urteil. Für ihn sind die cultural-linguistic theology und die Affirmation ontologischer Wahrheit im Christentum eng miteinander verbunden ohne jedoch voneinander abzuhängen100. Denn ein Satz wie Christus est Dominus beschreibe nicht nur die ontologische Herrschaft Christi, sondern hinge auch mit den christlichen Glaubensüberzeugungen und Praktiken zusammen. Letztlich beinhaltet die Herrschaft Christi sogar das Leiden des Gottesknechtes101. In einer Rezension zu dem Buch The Craft of Theology von Dulles bezeichnete Lindbeck die Ausführungen von Dulles zur postcritical theology und zur ecclesial-transformative theology deshalb auch als eine (Gegen-)Revolution. Denn Dulles möchte die Vorzüge der Neuscholastik in seine Arbeit integrieren und dabei dennoch Vielfalt zulassen102. 96 97

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Vgl. DULLES, Postmodernist Ecumenism, 59. Vgl. ebd. Hier heißt es: „If we are to worship, speak, and behave as though the Son of God were himself God (as Lindbeck rightly affirms), is it not because the Son really and ontologically is God, whether anyone believes it or not? By inserting the homoousion in the creed, the Council of Nicaea was indeed laying down a linguistic stipulation; but more importantly, it was declaring an objective truth.” Vgl. ebd. Vgl. ebd: „Like Lindbeck and Polanyi, I wish to overcome the limitations of the liberal or critical program without falling into modernist subjectivism. But Lindbeck’s own program concedes too much to postmodernist relativism. I would hope that he could amend his cultural-linguistic theory to give greater attention to the capacity of religious language to disclose the reality of God.” Vgl. LINDBECK, Reply To Avery Dulles. In: First Things 143 (January 2004), 15. Vgl. ebd. Vgl. auch LINDBECK, Response To Bruce Marshall. In: The Thomist 53 (1989), 403-406. Vgl. LINDBECK, Dulles on Method. In: Pro Ecclesia 1 (1992), 54. Hier heißt es: „Thus Father Dulles thinks it is possible to combine what he has the temerity to call the ‘merits’

Revolutionär ist hier die Verbindung von moderner Theologie und Neuscholastik, die heute in der Theologie überwiegend negativ bewertet wird103. Dulles geht in seiner ekklesial-transformativen Theologie einen entscheidenden Schritt weiter als Lindbeck. Denn Dulles führt die Begriffe Symbol und symbolische Kommunikation in seine Überlegungen ein104. Für ihn sind Religionen hauptsächlich durch die von ihnen verwendeten Symbole charakterisiert105. Die Symbole des Christentums stammen aus der Heiligen Schrift oder der lebendigen Glaubenstradition der christlichen Gemeinschaft. Symbole können niemals isoliert betrachtet werden. Symbole bedingen und erläutern sich gegenseitig. Symbole können niemals auf ein einziges Ursymbol zurückgeführt werden. Auch nicht auf Jesus Christus, denn die Person Jesu Christi kann für Dulles nur im alttestamentlichen Kontext verstanden werden106. Im Anschluss an Karl Rahner geht Dulles deshalb von einer symbolischen Wirklichkeitsstruktur aus. Dulles spricht von einem symbolischen Realismus (symbolic realism)107. Er führt aus: „God’s revelation, if it is to come to human beings as embodied spirits, must come to expression through tangible, social, and historically transmitted symbols. The divine selfcommunication, therefore, has a social and symbolic dimension. […] My contention will be that theology is at every point concerned with the realities of communication, and especially with what I have called symbolic communication”108.

Besondere Bedeutung hat das Verständnis der Offenbarung als symbolischer Selbstkommunikation des transzendenten Mysteriums Gott109. Damit verbunden ist die Einsicht, dass jede tiefere Kenntnis der Offenbarung nicht durch Deduktion von Satzwahrheiten (wie bei Lindbeck’s Typ 1) oder durch Artikulation besonderer innerer Erfahrung (wie bei Lindbeck’s Typ 2) ermöglicht wird, sondern nur durch Teilnahme eines Individuums am Leben und an der Liturgie der Kirche. Mit der Teilnahme eines Gläubigen an Leben und Liturgie der Kirche ergibt sich das, was Lindbeck in seinem Buch The Nature of Doctrine als „socializing

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of neoscholasticism (e.g., ecclesial responsibility and logical rigor) with far more pluralism than its countercritical rigidities permitted. The Method of Models provides the way to overcome the theological crisis. Nothing less than a revolution (which its opponents are likely to mistake for a counterrevolution) is being proposed”. Vgl. BEINERT, Wolfgang, Theologie, In: BEINERT, Wolfgang (Hrsg.), Lexikon der Katholischen Dogmatik. Freiburg 51997, 499. Als Charakteristika der Neuscholastik werden hier genannt: „Restauratives Denken ohne systembildende Kraft, defensiver Lehramtspositivismus, Kampf gegen die Aufklärung“. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 18 ff. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 19. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 20. DULLES, The Craft of Theology, 22. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 19.

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processes“110 bezeichnet. Dabei führen unterschiedliche Religionen nach Lindbeck zu unterschiedlichen menschlichen Erfahrungen111 aufgrund unterschiedlicher narrativer Traditionen112. Deshalb kommt Lindbeck auch zu folgendem Schluss: „On the contrary, different religions seem in many cases to produce fundamentally divergent depth experiences of what it is to be human”113. Damit führt die cultural-linguistic theology bei Lindbeck zu einem Verständnis von Religionen als Objektivationen von Basiserfahrungen114. Jeffrey C. K. Goh stellt die Positionen von Dulles und Lindbeck in seinem Buch Christian Tradition Today: A Postliberal Vision of Church and World folgendermaßen gegenüber: Dulles votiere für einen symbolischen Realismus, Lindbeck für eine realistische Erzähltradition (realistic narrative)115. Damit zeigt diese Auseinandersetzung zwischen Dulles und Lindbeck zunächst einmal auf eindrückliche Weise die Brisanz des Lindbeck’schen Sozialisierungsprozesses auf. Offensichtlich sind nicht nur unterschiedliche Religionen unterschiedliche Objektivationen von Basiserfahrungen, sondern auch unterschiedliche Konfessionen, wenn auch jeweils mit einem gemeinsamen Grundelement. Ekklesial-transformative Theologie lässt sich aufgrund dieser Ausführungen folgendermaßen verstehen: a) Ekklesial-transformative Theologie ist mit der postkritischen Theologie gleichzusetzen. Die Ausführungen von Dulles zur postkritischen Theologie sind allerdings eher in einem zeitgeschichtlichen Kontext entwickelt. Die Ausführungen zur ekklesial-transformativen Theologie sind eher in einem systematischen Kontext entwickelt. b) Ekklesial-transformative Theologie geht zunächst von der Annahme aus, dass Religion Menschen verändert (socializing processes). Bei Dulles verändert Religion Menschen aufgrund der Symbole, die gebraucht werden. c) Damit geht die ekklesial-transformative Theologie von einer Trennung zwischen den Religionen untereinander aus und von einer Trennung zwischen der Kirche und der Welt. Diese Trennung wird heute besonders schmerzhaft erfahrbar an den Schwierigkeiten pastoraler Bemühungen und ökumenischer Gespräche. So viel verschiedene Konfessionen auch gemeinsam haben, so treten doch nach Jahrhunderten verschiedener konfessioneller Sozialisationen starke Gegensätze hervor, wie allein schon die Debatte zwischen Dulles und Lindbeck zeigt. Es ist eine Stärke der ekklesial-transformativen Theologie, diese Tatsache kohärent zu erklären. Dulles versteht seine Theologie gerade in diesem Punkt als 110 111 112 113 114 115

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LINDBECK, The Nature of Doctrine, 40. Vgl. ebd. Vgl. LINDBECK, Dulles on Method, 54 ff. LINDBECK, The Nature of Doctrine, 41. Vgl. ebd: „objectifications of […] basic experience”. GOH, Jeffrey, C. K., Christian Tradition Today. A Postliberal Vision of Church and World. Louvain theological & pastoral monographs Band 028. Löwen 2000, 311.

kirchlich und das bedeutet im Rahmen der ekklesial-transformativen Theologie, dass nur der Gläubige in der Kirche tieferen Zugang zur Offenbarung haben kann. Bislang wurde gezeigt, dass Symbole in der ecclesial-transformative theology ein conceptual framework konstituieren können und somit nach den Worten von George Lindbeck socializing processes einleiten. Damit wird aber nur die Starrheit einer Gesellschaft, also der Kirche oder die Einheit einer Wissenschaft, also der Theologie erklärt. Veränderung oder Entwicklung neuer Vorstellungen können in dieser Sichtweise überhaupt nicht integriert werden116. Somit wäre es undenkbar, die Kirche auch als eine geschichtliche Größe zu betrachten. Oder zu erklären, was das Ergebnis mehrerer Jahrhunderte Theologiegeschichte eigentlich ist. Dazu kommt, dass nach Dulles’ eigenen Worten die Theologie heute gar keine wirkliche Einheit darstellt, die Unterschiede zwischen theologischen Schulen sind zu groß geworden117. Darüber hinaus bleibt die Frage nach dem so genannten sozialen Vertrauen ausgeklammert. Damit ist in der Soziologie ein intensives Gefühl der kulturellen Übereinstimmung mit anderen Menschen gemeint. So entsteht ein stabiles Vertrauen zwischen Mitgliedern einer Gemeinschaft. Der US-amerikanische Soziologe Robert D. Putnam hat sich mit diesem Thema auseinander gesetzt und definiert soziales Vertrauen folgendermaßen: „I'll do this for you now, without expecting anything immediately in return and perhaps without even knowing you, confident that down the road you or someone else will return the favor“118. Mit diesem sozialen Vertrauen ist für Putnam auch die Frage nach der Überlebensfähigkeit aller gesellschaftlichen Systeme gestellt, wie Putnam in seinem Buch Making Democracy Work ausführt119. Außerdem wird das Konzept einer Transformation heute sehr kritisch gesehen120. In der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2002 hat Thomas Gensicke die Wertvorstellungen der Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland untersucht. Ein Ergebnis: Die 116

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Vgl. MEULEMANN, Heiner, Soziologie von Anfang an. Eine Einführung in Themen, Ergebnisse und Literatur. Wiesbaden 2001, 181 f. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, x: „The different theological schools have drifted so far apart that what seems false and dangerous to one school seems almost self-evident to another. Theologians lack a common language, common goals, and common norms. […] For the better health of theology I believe that its ecclesial character needs to be more clearly recognized. Theology must serve the Church and be accountable to it”. PUTNAM, R. D., Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community, New York 2000, 134. Vgl. PUTNAM, Making Democracy Work: Civic Traditions in Modern Italy (with Robert Leonardi and Raffaella Nannetti). New York 1993. Vgl. BERGER, Peter L. / LUCKMANN, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt am Main 221980, 181: „Wahrscheinlich sind alle Menschen, wenn sie erst sozialisiert sind, latente ‚Verräter an sich selbst‘“.

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wichtigsten Werte für die Jugendlichen sind private Harmonie und persönliche Unabhängigkeit. Der negative Wert schlechthin ist soziale Konformität121. Genau das aber, soziale Konformität, wäre durch eine ecclesial-transformative theology Grund gelegt. Man könnte hier schließen, dass die Theologie von Dulles eben starr wäre und andere Denker außen vor lässt. Aber das ist falsch. Viel eher müsste man die ecclesial-transformative theology mit den Ausführungen zur postcritical theology in Verbindung bringen. Denn gerade die Themen Vertrauen, Entwicklung, Geschichtlichkeit sind in der postcritical theology von Bedeutung. Die beiden Hinweise zur Theologie (postcritical und ecclesial-transformative), die Dulles miteinander identifiziert, müssen sich gleichzeitig ergänzen. Die Ausführungen zur postcritical theology sind für sich alleine genommen etwas ungenau. Es gibt ja schließlich nur verschiedene Zugänge, die von einem Vertrauen und einer tacit dimension ausgehen. Die Ausführungen zur ecclesial-transformative theology zeigen für sich alleine genommen ein sehr starres Bild von Kirche und Theologie. In der gegenseitigen Ergänzung dieser beiden Hinweise kann man in der Theologie von Dulles die Beziehung zwischen Verschiedenheit und Einheit oder zwischen Diskontinuität und Kontinuität in Kirche und Theologie erklären. postcritical theology… …ist ein Sammelbegriff für verschiedene theologische Systeme. …sucht das Gespräch und den Gedankenaustausch mit unterschiedlichen theologischen Fächern, theologischen Schulen und anderen Konfessionen (im Gegensatz zur Neuscholastik). …versteht den Menschen ganzheitlich.

ecclesial-transformative theology… …versucht die Einheit der Theologie vor dem Auseinanderfallen in verschiedene Schulen zu gewährleisten.

…setzt sich mit der sozialen Komponente menschlichen Daseins und den nicht vollständig intelligiblen Grundvollzügen (tacit dimension) des Menschseins auseinander (im Gegensatz zum critical program). …geht vom Vertrauen als Grundlage des Lebens aus. …ist von der Neuscholastik strikt abgegrenzt.

…geht von Symbolen aus, die als die Grundlage religiösen Zusammenlebens verstanden werden. …geht von der verändernden Kraft des christlichen Glaubens aus.

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…versucht die Kirche als ein einheitliches conceptual framework zu verstehen.

…kann auf die propositionalist-cognitive theology zurückgreifen.

Vgl. GENSICKE, Thomas, Individualität und Sicherheit in neuer Synthese? Wertorientierung und gesellschaftliche Aktivität. In: DEUTSCHE SHELL (Hrsg.), Jugend 2002. Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus. Frankfurt am Main 2002, 146.

Postcritical und ecclesial-transformative theology bei Dulles gehen somit jeweils von der tacit dimension aus. Die postcritical theology versteht von dieser Grundlage aus den Menschen ganzheitlich, erklärt Vertrauen als Grundlage jeglichen Zusammenlebens und gelangt so zur Akzeptanz von verschiedenen Denkansätzen. Für die ecclesial-transformative theology sind die Symbole in der tacit dimension verwurzelt. Von dieser Grundlage aus wird jedes Handeln des Menschen zum einem transformativen Akt, der bei Gruppen zu einem einheitlichen conceptual framework führt. Man kann dies so verstehen, dass die postcritical theology die Offenheit der Theologie für verschiedene Meinungen und die ecclesial-transformative theology die Einheit der Theologie als Wissenschaft gewährleistet. Interessant ist, dass die Offenheit der postcritical theology im Vergleich mit der ecclesial-transformative theology begrenzt ist. Denn es ist die ecclesial-transformative theology, von der aus die Neuscholastik wieder Eingang in das theologische Denken der Gegenwart finden kann und nicht die postcritical theology. Wichtig es, die beiden Theologien nicht als Gegensätze zu verstehen. Viel eher handelt es sich um Ergänzungen, die erst zusammen verstanden die Herangehensweise von Dulles’ Theologie klären. Die Frage ist allerdings, wie diese gegenseitige Ergänzung zu verstehen ist und wie damit die Einheit der Theologie von Dulles verstanden werden kann.

2. Avery Dulles’ Theorie theologischer Modelle Avery Dulles ist vor allem für seine Arbeit mit theologischen Modellen bekannt. Er hat in seinen Schriften immer wieder auf die Berechtigung des Arbeitens mit Modellen hingewiesen und Möglichkeiten gesucht, unterschiedliche Modelle in eine einheitliche Sichtweise zu integrieren122. Ebenso stehen in der Sekundärliteratur über Dulles sehr oft die theologischen Modelle im Vordergrund. So zum Beispiel in dem Artikel Models in the Theology of Avery Dulles. A Critical Analysis von Terrence Merrigan oder in dem Artikel Avery Dulles: Teologo e Cardinale von Donath Hercsik. Trotz dieser starken Akzentuierung der Modelle in der Primär- und Sekundärliteratur führt Dulles aber aus, dass die Verwendung theologischer Modelle „nur ein und nicht einmal ein wesentliches Element dessen [ist], was ich als die richtige Methode der Fundamentaltheologie betrachten würde“123. Dazu kommt, dass Dulles die theoretische Grundlage der Arbeit mit Modellen wenigstens an einer Stelle einer größeren Veränderung

122

123

Vgl. DULLES, Umrisse meiner theologischen Methode. In: BAUER, J. B. (Hrsg.), Entwürfe der Theologie. Graz Styria 1985, 64f.; DERS., The Craft of Theology, 50-52. DULLES, Umrisse meiner theologischen Methode, 66; vgl. hierzu auch DERS., Models of Revelation, viii.

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unterzieht124. In diesem Abschnitt wird deshalb die theoretische Grundlage der theologischen Modelle in Models of the Church (1974) von der Grundlegung der theologischen Modelle in Models of Revelation (1983) unterschieden125.

2.1 Models I – Der Standpunkt von Models of the Church Dulles beginnt seine Auseinandersetzung mit Modellen in Models of the Church mit der Beobachtung, dass Christen die Situation der Kirche grundverschieden beurteilen. Was für die einen bemerkenswerter Forschritt ist, ist für die anderen Preisgabe althergebrachter Traditionen oder eine Verfallserscheinung der Kirche. Für Dulles ist klar, dass es verschiedene Sichtweisen auf die Kirche gibt, weil keine Einstimmigkeit darüber herrscht, was die Kirche ist126. Was die Kirche aber genau ist, kann nicht durch einen rein rational-diskursiven Weg erforscht werden. Definitionen in ihrer klassischen Ausprägung müssen versagen, denn im Herzen der Kirche stößt man nach Dulles auf das Mysterium. Dies bedeutet aber nicht, dass der Intellekt des Menschen einen Mangel aufweist, sondern, dass die Kirche einen inneren Reichtum aufweist. Dieser Reichtum betrifft auch die Aussagen über den Glauben oder die Offenbarung127. Theologische Objekte verweisen in dieser Betrachtungsweise über sich hinaus auf das Mysterium oder das Absolute, beziehungsweise sie sind selbst ein Mysterium. Aufgrund des Mysteriums der Kirche ist es also nicht möglich, von klaren und univoken Begriffen oder von Definitionen128 auszugehen, um die Kirche adäquat zu beschreiben. Damit ist eine deutliche Absage an die neuscholastische oder die barockscholastische Theologie verbunden. Die societas-perfecta-Lehre 124

125

126

127 128

44

Vgl. DULLES, Models of Revelation, xx. Hier heißt es: „Models of the Church […] anticipates to some extent the methodology used in the present book [=Models of Revelation]. But the parallelism is not complete. In this work I am more concerned to surmount the conflicts than I was in Models of the Church, which was designed rather as a synthesis of what others had been saying”. Zu Analysen der einzelnen Modelle vgl. HERCSIK, Donath, Avery Dulles – teologo e cardinale. In: La Civiltà Cattolica. 3677 (2003 III), 360 f; DERS., Die Grundlagen unseres Glaubens. Eine theologische Prinzipienlehre. Reihe Theologie. Forschung und Wissenschaft, Band 15. Münster 2005, 36 ff.; SHECTERLE, The Theology of Revelation of Avery Dulles, 30-40.; STRÍŽENEC, Michal, Models of Revelation in Avery Dulles, Doctoral Dissertation in Sacred Theology. Abstract. Pontificial Lateran University. Rom 2000, 3173; CASSIDY, Richard J, The Models of Avery Dulles and Some References To Lonergan. In: LAWRENCE, Fred (Hrsg.), Lonergan Workshop. Volume 19. Boston 2006, 53-55. Vgl DULLES, The Craft of Theology, 15ff; DERS., Models of the Church. Expanded Edition. New York (1978) 21987, 15ff. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 28. Vgl. DULLES, Models of the Church, 18.

nach Robert Bellarmin gilt hier sogar als höchst gefährlich, weil sie die Kirche nicht in erster Linie als Mysterium erkennt129. Das Gegenteil zu der societasperfecta-Lehre wäre eine apophatische Ekklesiologie. Würde man aber einen solchen Zugang wählen, dann würde man nicht mehr positiv von der Kirche sprechen können130. Und gerade das sollen Bilder ermöglichen131. Es geht Dulles darum zu zeigen, dass zu allen Zeiten Bilder benutzt wurden, um von Mysterien zu sprechen. Besondere Bedeutung für den Gebrauch von Bildern im theologischen Sprechen haben für Dulles das Zweite Vatikanische Konzil und die Äußerungen von Papst Paul VI.132 Aber nicht nur historisch betrachtet ist das Sprechen in Bildern bedeutsam. Psychologisch und soziologisch ist für Dulles klar, dass das Sprechen in Bildern eine bedeutende Rolle für die Menschen spielt133. In ihrer funktionalen und kognitiven Komponente, in ihrem Wortsinn und im metaphorischen Sinn werden Bilder immer interpretiert und verweisen doch über sich selbst hinaus134. Für die Theologie bedeutet dies, dass der Gebrauch von Bildern eine reichhaltige Quelle darstellt. Bilder müssen aber analysiert werden und für den Gebrauch in der Theologie zurechtgelegt werden. Damit ist der erste Schritt getan, der vom Bild zum Modell führt. Bilder sind in der Lage, sich der Wirklichkeit des Mysteriums zu nähern. Wird in der Wissenschaft ein Bild reflektiert und kritisch in seiner Tiefe zu verstehen versucht, dann spricht Dulles von einem Modell135, also von einem Muster136 oder einem Beziehungsfeld, das den reflektierten Blick auf ein 129 130

131 132 133 134 135

136

Vgl. DULLES, Models of the Church, 16; 198. Vgl. DULLES, Models of the Church, 18. Hier heißt es: „we should not fall into the negative phase prematurely, until we have exhausted the possibilities of the positive“; DERS., Models of the Church, 204. Vgl. DULLES, Models of the Church, 18. Vgl. DULLES, Models of the Church, 21 f. Vgl. DULLES, Models of the Church, 20. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, Models of the Church, 23. Ähnlich auch HERCSIK, Avery Dulles, 359: „il modello riveste un ruolo rilevante, nel momento in cui all’interno di esso si colgono alcuni elementi capaci di svolgere una funzione teoretica per l’elaborazione di una nuova teoria esplicativa. […] I modelli teologici, secondo Dulles, aiutano a raggiungere una migliore comprensione dei misteri della fede, illuminando alcuni aspetti di una realtà complessa e polivalente”. Ebenso auch MERRIGAN, Models in the Theology of Avery Dulles, 142: „these images are employed in a process of ‚critical reflection‛ which allows the deepening of one’s theoretical understanding of a reality”. Vgl. WOLTERS, Gereon, Modell. In: MITTELSTRAß, Jürgen (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 2. Stuttgart 22004, 911. Hier wird Modell definiert als: „in Alltags- und Wissenschaftssprache vielfältig verwendeter Begriff, dessen Bedeutung sich allgemein als konkrete, wegen ›idealisierender‹ Reduktion auf relevante Züge, faßlichere oder leichter realisierbare Darstellung unübersichtlicher oder ›abstrakter‹ Gegenstände oder Sachverhalte umschreiben läßt. Dabei tritt die Darstellung der objekthaften Bestandteile hinter der Darstellung ihrer relational-funktionalen Beziehungen

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theologisches Objekt von einem bestimmten Sichtwinkel her ermöglicht. Damit ist auch klar, dass es niemals nur ein einziges Modell geben kann. Eine Vielzahl von Modellen ist unausweichlich, weil es immer verschiedene Blickwinkel auf einen Sachverhalt gibt. In Modellen ist es möglich, sich dem Mysterium der Kirche anzunähern, indem man das Bild von der Kirche als einer Institution analysiert (Modell 1), beziehungsweise das Bilde von der Kirche als einer mystischen communio (Modell 2). Modell 3 besteht in der Analyse des Bildes des Sakramentes. Modell 4 systematisiert das Bild des Herolds. Modell 5 versteht die Kirche unter dem Bild der Dienerin. Diese Modelle werden von Dulles erstens nach ihren bonds of unity überprüft. Damit beschreibt Dulles den Gesichtspunkt der Modelle, der die Einheit der Kirche erklärt. Zweitens überprüft Dulles die Modelle nach den beneficiaries of the Church. Die beneficiaries of the Church sind die Personen, zu deren Wohl die Kirche existiert. Damit verbunden ist auch die Klärung der Frage nach dem Ziel der Kirche. Im letzten Schritt überprüft Dulles die Vorteile (chief assets) und die Nachteile (major liabilities) der einzelnen Modelle. Zur besseren Übersichtlichkeit sollen die Ausführungen von Dulles in der folgenden Tabelle wiedergegeben werden. Models

Bonds of Unitiy

1) Kirche als Institution137

○ Bekenntnis des wahren christlichen Glaubens ○ Gemeinschaft in den Sakramenten ○ Unterwerfung unter die Hirten

2) Kirche als mystische communio138

○ innere Gnaden und die Gaben des Heiligen Geistes

137 138

46

Beneficiaries of the Church ○ die eigenen Mitglieder der Kirche erhalten als Gabe das ewige Leben

○ eigene Mitglieder (Mitglieder aber in einem spirituelleren Sinn als im ersten Modell) ○ Ziel der Kirche ist es, Menschen in die Gemeinschaft mit dem Göttlichen zu führen. Mitglieder der Kirche haben das Ziel ihrer Existenz bereits teilweise erfüllt

Chief Assets

Major Liabilities

○ gute Rezeption in offiziellen kirchlichen Dokumenten der letzten Jahrhunderte ○ Kontinuität mit den christlichen Ursprüngen ○ identitätstiftend für die Mitglieder

○ geringe Tradition in der Heiligen Schrift und der frühen Kirche ○ Überbetonung des Gehorsams im christlichen Leben ○ hinderlich für eine kreative und fruchtbare Theologie ○ übersteigerter Institutionalismus führt zu schwerwiegenden theologischen Problemen ○ in einer Zeit des Dialogs und des Ökumenismus ist dieses Modell keine Antwort auf die Fragen der Zeit. ○ wenig Klarheit bei der Erläuterung der Beziehung zwischen den spirituellen und sichtbaren Dimensionen der Kirche ○ Tendenz zur übergebührlichen Erhöhung und Apotheose der Kirche ○ keine identitätstiftende Kraft und Unklarheit der Mission ○ fehlende Klarheit in der Beschreibung der Kirche als Netzwerk freundlicher Beziehungen und der Kirche als mystische communio der Gnade

○ gute Basis im biblischen Begriff der communio ○ sehr gute Basis in der katholischen Tradition ○ Herausstellung der Dialektik zwischen dem glaubenden Individuum und der Gemeinschaft / dem Heiligen Geist ○ spricht Menschen der Gegenwart stark an

(Struktur) zurück“. Bernhard Lonergan erklärt in seinem Buch Method in Theology. Toronto (1972) 31990, xii: „it [the Model] is simply an intelligible, interlocking set of terms and relations“. Vgl. DULLES, Models of the Church, 40-45. Vgl. DULLES, Models of the Church, 57-61.

3) Kirche als Sakrament139

○ alle sozialen und sichtbaren Zeichen der Gnade Christi, die in glaubenden Christen wirken

○ Menschen, die durch ihren Kontakt mit der glaubenden und liebenden Kirche ihren Glauben besser artikulieren und leben können

4) Kirche als Herold140

○ Glaube als Antwort auf das Evangelium und Verkündigung des Christusereignisses

○ die Hörer des Wortes Gottes. ○ Ziel der Kirche ist es, die Botschaft zu verkünden.

5) Kirche als Dienerin141

○ Sinn für eine Brüderlichkeit unter denen, die im christlichen Dienst für die Welt stehen

○ die Menschen, die nicht zur Kirche gehören

○ bietet die Möglichkeit, das erste Modell mit dem zweiten zu versöhnen ○ erklärt das Wirken der göttlichen Gnade außerhalb der sichtbaren Kirche ○ ermöglicht es, die Ekklesiologie in andere theologische Traktate zu integrieren ○ fördert Loyalität zur Kirche und ihrer Lehre; gleichzeitig bleibt Raum für aufrichtige Kritik ○ gute biblische Grundlage ○ identitätstiftend, klärt die Mission der Kirche ○ fördert eine Spiritualität der Souveränität Gottes und der Distanz der endlichen Menschen ○ ermöglicht eine reichhaltige Theologie des Wortes ○ Angemessenheit an die Situation, in der die Kirche heute steht ○ die Welt braucht die Dienste der Kirche. ○ die Kirche kann sich in den Dienst der Armen und Unterdrückten stellen

○ geringe Tradition in der Heiligen Schrift und der frühen Tradition der Kirche ○ Sakramentalismus lässt nicht genug Platz für diakonia als Aufgabe der Kirche (Mc Brien). Dulles zitiert dieses Argument ohne eigene Stellungnahme ○ schwierig zugänglich für Predigten ○ kaum rezipiert in der protestantischen Theologie

○ durch die Betonung des Wortes Verdunklung der Inkarnation des Wortes ○ durch die Betonung der Zeugenschaft für das Wort Verdunklung der actio

○ keine direkte biblische Begründung. ○ Diener (servant) kann als etwas Erzwungenes verstanden werden ○ Verdunklung der Beziehung der Kirche zum Reich Gottes

Besondere Bedeutung wird oft dem Umstand zugewiesen, dass der Begriff Modell von den Naturwissenschaften übernommen ist142. Ein Gewährsmann für die Übertragung des Konzeptes der Modelle in die Theologie ist für Dulles unter anderem I. T. Ramsey143. Im Anschluss an Ramsey und an den naturwissenschaftlichen Umgang mit Modellen will Dulles die Funktion der Modelle in der Theologie weiter verdeutlichen. Für gewöhnlich sind Modelle in der Naturwissenschaft Reproduktionen der betrachteten Realität. Es gibt aber auch andere Modelle, die nicht bloße Repliken sind. Dulles erklärt diese zweite Art von Modellen folgendermaßen: „They are realities having a sufficient functional correspondence with the object under study so that they provide conceptual tools and vocabulary; they hold together facts that would otherwise seem unrelated, and they suggest consequences that may subsequently be verified by experiment”144.

Leider gibt Dulles keine Konkretion für diese zweite Art von Modellen. Es ließe sich aber an die Zeichnung eines Stromkreislaufes in der Physik beziehungsweise der Elektrotechnik denken oder an die mathematischen 139 140 141 142 143 144

Vgl. DULLES, Models of the Church, 72-75. Vgl. DULLES, Models of the Church, 83-88. Vgl. DULLES, Models of the Church, 97-101. Vgl. HERCSIK, Avery Dulles, 358 f. Vgl. DULLES, Models of the Church, 23. Ebd.

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Formeln der theoretischen Physik. Diese Zeichnungen oder Formeln können als eine Abbildung der Wirklichkeit verstanden werden und können aber auch neues Wissen zur Verfügung stellen, das dann in einem Experiment überprüft werden kann. Für die Modelle in den Naturwissenschaften und für die Modelle in der Theologie gilt für Dulles, dass sie sich dem reflektierten Objekt immer nur annähern können145. Modelle können dabei in den Naturwissenschaften eine explanatory (zur Erklärung von bereits erforschtem Wissen) und eine exploratory dimension (zur Erforschung von neuem Wissen) haben146. Wichtig ist es zu untersuchen, ob die Modelle diese beiden Funktionen auch in der Theologie ausüben können, oder nicht. Der Gebrauch der Modelle auf dem explanatory level stellt in der Theologie kein Problem dar, weil lediglich ein Wissen, das schon da ist, oder ein Glaubenswissen neu zusammengestellt wird147. Auf dem exploratory level könnten die Modelle dann aber zu neuen theologischen Einsichten führen. Diese Rolle der Modelle lässt sich für Dulles nur schwer beschreiben, da die Theologie eben keine experimentelle Wissenschaft ist. Gerade hier zeigt sich für Dulles die Gefahr, die von einem zu großen Zusammengehen von Naturwissenschaft und Theologie ausgehen kann. Im Gegensatz zur Naturwissenschaft muss die Theologie auch immer das level of religious experience beachten, das für die Naturwissenschaft keine Rolle spielt. Die Problematik der Modelle auf dem exploratory level besteht vor allem in der Problematik der Verifikation theologischer Einsichten durch den Rückgriff auf das level of religious experience. Hier zeigt sich der ekklesial-transformative Charakter der Theologie von Dulles. Der oder die Gläubige hat durch die Teilnahme am Leben der Kirche die Gabe der Unterscheidung der Geister, eine Art von connaturalitas, die es ihm oder ihr ermöglicht, den Wert eines Modells kompetent zu beurteilen. Umgekehrt gilt damit aber auch, dass eine Person, der diese innere Verwandtschaft fehlt, die Modelle nicht kompetent beurteilen kann148. Denn ein Mensch, der auf keine religiöse Erfahrung zurückgreifen kann, hat auch nicht die connaturalitas oder das conceptual framework um kompetent über theologische Modelle zu urteilen. 145 146

147 148

48

Vgl. DULLES, Models of the Church, 24. Vgl. ebd. John Fuellenbach schlägt in seinem Buch Church. Community for the Kingdom vor, das explanatory level mit der Bezeichnung models of und das exploratory level mit der Bezeichnung models for gleichzusetzen. Fuellenbach erklärt: „A model of symbolizes what a reality is, while a model for is like a blueprint for a new construction. Models for leave room for alterations and serve as guides for how to construct something in the concrete. The Church, for example is not just a model of communion but a model for a richer historical development of that communion in the settings of different cultures.” FUELLENBACH, John, Church. Community for the Kingdom. Manila (2000) 32004, 109. Vgl. DULLES, Models of the Church, 25 ff. Vgl. DULLES, Models of the Church, 27.

Ein einzelnes Modell ist immer nur partiell und funktional. Deshalb sind einzelnene Modelle nie allein zur Beschreibung des untersuchten theologischen Objektes geeignet149. Denn: Theologische Objekte sind immer Mysterien. Die Models „illumine certain phenomena but not others“150. Aus diesem Grund ist ein Modellpluralismus unausweichlich. Arbeit mit Modellen bedeutet immer, die Stärken der einzelnen Modelle zu analysieren und so aus der Vielzahl von Modellen zu einer Annäherung an das untersuchte Mysterium zu gelangen. Das bedeutet, dass es im Rahmen des Buches Models of the Church nur möglich ist, sich den Mysterien des Glaubens oder den Objekten der Theologie durch den Gebrauch von Bildern nähern. Die Mysterien selbst bleiben dem direkten Zugriff entzogen. Reflektierte Bilder sind schon Modelle. Weder von einer Mehrzahl von Bildern noch von einer Mehrzahl von Modellen kann in dieser Theorie von Dulles aus den 70er Jahren abstrahiert werden. Einzelne Modelle müssen im Licht der anderen Modelle verstanden und korrigiert werden. Nur auf diese Weise ist für Dulles eine Annäherung an theologische Objekte möglich. 2.2 Models II – Der Standpunkt von Models of Revelation In dem Buch Models of Revelation stellt Dulles die Modelle in einen neuen wissenschaftstheoretischen Zusammenhang151. Dabei klärt Dulles nicht, ob diese neue Grundlage für die Modelle nur eine neue Theorie darstellt, die auch auf das Buch Models of the Church übertragen werden könnte. Oder ob die Modelle der Offenbarung im Unterschied zu den Modellen der Kirche von einer anderen theoretischen Grundlage her zu erklären sind. Diese veränderte theoretische Basis soll nun in diesem Kapitel dargestellt werden. Der Ausgangspunkt der Überlegungen von Dulles ist das Problem der Aufbereitung wissenschaftlichen oder theologischen Stoffes. Eine Möglichkeit dafür besteht in der historischen Darlegung der Entwicklung von theologischen Positionen. Dulles hat selbst dieses System beispielsweise in seinem Buch Revelation Theology. A History angewandt. Im Vordergrund dieser Arbeit steht die Frage nach der Kontinuität und der Diskontinuität in der katholischen Tradition152. Diese historische Arbeit stellt Dulles allerdings nicht vollständig zufrieden. Er kommt zu dem Schluss: „after the analysis is done, there still remains the task of seeing how all these properties can be combined in a revelation which is one and undivided”153. Das kann nur bedeuten, dass historische Arbeiten letztendlich in einer systematischen Sichtweise aufgehoben 149 150 151 152

153

Vgl. DULLES, Models of the Church, 28. Ebd. Vgl. MERRIGAN, Models in the Theology of Avery Dulles, 142. Vgl. DULLES, Umrisse meiner theologischen Methode, 55; DERS., Revelation Theology. A History. New York. 1969, 11. DULLES, Revelation Theology, 182.

49

werden müssen. Eine zweite Möglichkeit für die Darstellung eines theologischen Stoffes besteht in Klassifikationen, wie sie Dulles in Models of Revelation durchführt: „Most theologians can be classified according to the way they answer a whole set of interrelated questions”154. Deshalb ist es notwendig von einem „chronological account“155 zu einem „typological survey“156 weiterzugehen. Der Zweck dieser Verlagerung (shift) besteht in der Klärung und der Abgrenzung der verschiedenen Aussagen beziehungsweise der verschiedenen Tendenzen theologischer Positionen. Diese Klassifikationen nennt Dulles „Typologie” und definiert den Begriff folgendermaßen: „a typology, abstracting from the particularities of time, place, and circumstance, focuses rather on the structural features of the systems”157. Damit ist unter einer Typologie eine konstruierte Verallgemeinerung zu verstehen. Unter Auslassung von örtlichen und zeitlichen Einflüssen soll ein System in seiner Struktur betrachtet werden. Dulles ist sich bewusst, dass historische Kontakte das System eines Theologen beeinflussen können. Er weist aber ausdrücklich darauf hin, dass historische Gleichzeitigkeit dazu nicht erforderlich ist. Problematisch an dieser Konzeption ist sicherlich die vollständige Auslassung jeglicher historischer Dimension. Die Frage des Buches Revelation Theology nach der Kontinuität oder der Diskontinuität innerhalb der Kirche spielt in Models of Revelation keine Rolle mehr. Und die Frage bleibt bestehen, ob es überhaupt möglich ist, einen Autor unter Ausschaltung seiner historischen Bindungen zu verstehen. Oder ob man überhaupt bei allen Theologen von einem theologischen System sprechen kann oder nicht, da nicht alle Theologen an einer systematischen Gesamtsicht eines theologischen Traktats gearbeitet haben. Mit Hilfe der Typologie konstruiert Dulles 5 Typen. Beachtung finden dabei nur zeitgenössische theologische Systeme158. Die structural features, nach denen theologische Systeme zu einem Type zusammengestellt werden, sind die beiden Fragen wie und wo sich nach verschiedenen theologischen Systemen Offenbarung ereignet. Aufgrund dieser beiden Fragen kommt Dulles zu den folgenden Typen: 1) Offenbarung als Doktrin. 2) Offenbarung als Geschichte. 3) Offenbarung als innere Erfahrung. 4) Offenbarung als dialektische Gegenwart. 5) Offenbarung als neue Aufmerksamkeit. Diese 5 Typen decken nach Dulles einen Großteil der gegenwärtigen theologischen Diskussionen ab. Voneinander unterschieden sind alle 5 Typen darin, dass sie die Bedeutung der Offenbarung jeweils anders verstehen. Die Konstruktion von Typen führt immer vom Partikulären zum Universalen, vom Konkreten zum 154 155 156 157 158

50

DULLES, Models of Revelation, 25. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 27 ff.

Abstrakten, vom Wirklichen zum Idealen. Da Typen Verallgemeinerungen sind, korrespondieren sie nie vollständig mit den untersuchten Theologen. Deshalb beschreibt Dulles die Typen als Vereinfachung und als Schematisierung, weil sie niemals alle Einzelfälle in den verschiedenen theologischen Systemen einbeziehen können und weil sie immer nur einen Idealfall darstellen, von dem jedes theologische System sicherlich in einigen Punkten abweicht. Der Übergang von den Typen zu den Modellen erscheint in dem Buch Models of Revelation etwas problematisch. Dulles erklärt: „As an ideal case, the type may be called a model. That is to say, it is a relatively simple, artificially constructed case which is found to be useful and illuminating for dealing with realities that are more complex and differentiated”159.

Dulles gibt zwei Gründe an, um die Unterscheidung zwischen Typen und Modellen zu rechtfertigen. Er erklärt, dass Typen Modelle sind, erstens weil die Typen nach structural features konstruiert sind und schematische Prototypen von Offenbarungstheologie sind. Und zweitens liegt aufgrund der structural features jedem Typus schon ein Modell von Offenbarungstheologie zugrunde160. Das heißt dann aber, dass die Modelle wesentlich mehr mit den structural features gemeinsam haben, als mit den Typen, die erst durch die structural features begründet werden. Die theologischen Modelle der Offenbarung hängen auch weniger von Bildern ab, als das noch in Models of the Church der Fall war. Erstens sind die Vorläufer der Modelle in Models of Revelation die Types und nicht die Bilder. Zweitens dienen Bilder jetzt der Veranschaulichung der theologischen Modelle: „Within a given model a certain range of images may be appropriate“161. 159

160

161

DULLES, Models of Revelation, 30. Auch an anderen Stellen gibt Dulles nicht weiter Aufschluss über die Unterscheidung zwischen Typen und Modellen. So heißt es in Umrisse meiner theologischen Methode, 62: „In mehreren meiner Arbeiten bezeichne ich Typen als Modelle. Jeder Typus ist ja in gewissem Sinn auch ein Modell“. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 31: „Our five types, then, are models in the sense of being schematic prototypes of revelation theology. But there is also a second sense in which they may be called models: At the core of each type is a theoretical model of revelation itself”. Vgl. hierzu auch MERRIGAN, Models in the Theology of Avery Dulles, 143f.: “It would seem, that in the first instance, the type is a model constructed by thinkers, such as Dulles himself, to order the variegated reflections of others while, in the second instance, the type is a model implicit in those reflections. In other words, in the first instance one creates types or models while, in the second instance, one is shaped by them whether one is aware of it or not”. Der Übergang von Typen zu Modellen wäre nach Merrigan also erstens dadurch gegeben, dass Modelle und Typen mehr oder weniger dasselbe sind, nämlich schematische Denkkonstrukte. Und zweitens damit, dass theoretische Modelle in jedem Typus vorkommen und damit jeden Denker von sich selbst aus von Typen zu Modellen führen. DULLES, Models of Revelation, 33.

51

Damit ist die Modelltheorie des Buches Models of the Church auf den Kopf gestellt. Während in Models of the Church noch spontan auftretende Bilder die Grundlage der Modelle bildeten, sind es in Models of Revelation schematische Denkkonstrukte, die Typen. Bilder spielen praktisch auch keine Bedeutung mehr bei der Annäherung an das theologische Materialobjekt. Die untersuchte Realität, das Mysterium, erscheint in Models of Revelation jeglicher gedanklicher Annäherung entzogen, weil die Bilder nun nur noch die Funktion der Erläuterung der Modelle haben. Die fünf Typen der Offenbarung (Doktrin, Geschichte, innere Erfahrung, dialektische Gegenwart und neue Aufmerksamkeit) können auch kaum von irgendwelchen Bildern her verstanden werden. Denn welches Bild könnte als Grundlage für Geschichte oder innere Erfahrung benutzt werden? Bei den Modellen der Kirche war diese Annäherung von einem Bild aus möglich (Institution, Herold), obwohl sich auch hier die Frage stellt, welches Bild dem Modell einer Reflexion der mystischen communio der Kirche (Modell 2) zugrunde liegen könnte. Die Modelle der Offenbarung haben aber so fast keine Bindung mehr an die untersuchte Realität, handelt es sich doch nur noch um Schematisierungen von zeitgenössischen theologischen Systemen. Bei allen Unterschieden zwischen der Theorie von Models of the Church und Models of Revelation scheint die Grunddefinition des Modells aber dieselbe zu bleiben. Das heißt ein Modell ist in beiden Fällen ein konstruiertes, kritisch überprüftes Beziehungsfeld, das einen bestimmten Sichtwinkel auf ein Mysterium bietet (Models of the Church) beziehungsweise, das einen durch Leitfragen bestimmten Sichtwinkel auf theologische Systeme bietet (Models of Revelation). 2.3 Avery Dulles’ Umgang mit Modellen Theologische Modelle führen zu der Frage, wie der Theologe mit ihnen arbeiten kann162. Dulles begnügt sich nicht damit, die Modelle einfach nur aufzuzählen und unkommentiert stehen zu lassen. Aus diesem Grund soll nun sein Umgang mit den Modellen dargestellt werden. Der Informationsgehalt der Modelle Modelle stellen Informationen über theologische Ausführungen zur Verfügung und verweisen auf Forschungsdesiderate in der Theologie. Auffallend für die Theologie von Dulles ist vor allem der positive Umgang mit Vorgängern. Ein 162

52

Vgl. hierzu auch: HAIGHT, Roger, Critical Witness. The Question of Method. In: O’DONOVAN, Leo J. / SANKS, T. Howland (Hrsg.), Faithful Witness. Foundations of Theology for Today’s Church. New York 1989, 189: „The real method of Dulles appears when he criticizes various models or constructs his own inclusive position and gives reasons for it“.

positiver Umgang mit Autoritäten ist für Dulles keine Absage an Originalität163. Die Arbeit mit Modellen geschieht bei Dulles deshalb zunächst aufgrund einer Hochachtung vor der Tradition. Als Teil dieser Tradition gilt es für jeden Theologen, neue Einsichten aufgrund einer Kombination von Einsichten der Vorgänger zu gewinnen. Darin besteht die originelle Leistung eines jeden Theologen. Modelle transportieren aber auch Informationen, die nicht vollständig rationalisierbar sind. Dies gilt gerade für Bilder als Grundlage der Modelle in Models of the Church164. Das bedeutet aber auch, dass Modelle selbst in ihrer Gesamtheit niemals ein theologisches Objekt definieren beziehungsweise vollständig umschreiben können165. John Fuellenbach hat im Anschluss an Dulles 5 Eigenschaften theologischer Modelle erarbeitet166: a) das Wissen der einzelnen Modelle ist immer inadäquat. Kein Modell behandelt die Wirklichkeit erschöpfend. b) Modelle sind immer relativ. Ein Modell muss durch die anderen ergänzt werden. Jedes Modell ist auf die anderen bezogen. c) Modelle sind Antworten auf Bedürfnisse. Es sind immer Menschen, die Modelle erarbeiten und Wirklichkeit zu verstehen suchen. d) Modelle haben eine Geschichte. Einsichten von Menschen müssen immer im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung gesehen werden. Modelle können sich verändern und Modelle können aufgegeben werden. e) Modelle sind zeitlich begrenzt. Modelle können aufgegeben werden, neue Modelle können entstehen und alte Modelle können wieder aufgegriffen werden.

163 164

165

166

Vgl. DULLES, Umrisse meiner theologischen Methode, 66. Vgl. MERRIGAN, Models in the Theology of Avery Dulles, 145: „Hence, we are doomed to live with our models because there is no better way to say what we know or what we believe to be true. And, because no exhaustive descriptive/analytical formula is available, one is required to work with a variety of images/models”. Ebenso Pius Benson in seiner Dissertationsschrift The Church in the Theological Writings of Avery Dulles. Impulses for African Theology, Europäische Hochschulschriften Reihe 23, Theologie: Band. 852. Frankfurt am Main 2007, 79: „Since the Church is not stagnant, but a constantly evolving reality, the process of its understanding is equally subject to a progressive unfolding, very much bound up with the accidents of historical age, time and place”. Vgl. KALLINGAL, Joji, The Models Ecclesiology of Avery Cardinal Dulles in the Light of Vatican Council II. Rom 2004, 17. Hier zitiert Kallingal einen Hirtenbrief der Spanischen Bischofskonferenz vom 18. Oktober 1988. Dort heißt es: „The Church cannot be ‘reconstructed’ according to some paradigms or models, since the Church has her permanent origin and foundation in the gift of God in Christ”. Und BARRUFFO, Antonio, Il fondamento delle cose sperate, In: Rassegna di teologia 40 (1999), 921f.: „nessun modello, preso isolatamente, può ,definire’ la fede”. DULLES, The Assurance of Things Hoped For. A Theology of Christian Faith. Oxford 1997, 181; DERS., Models of Faith. In: KESSLER, Michael (Hrsg.), Fides quaerens intellectum: Beiträge zur Fundamentaltheologie. FS für Max Seckler. Tübingen 1992, 412f. Vgl. FUELLENBACH, Church. Community for the Kingdom, 110 f. Und DERS., The Kingdom of God. The Message of Jesus Today. New York (1995) 72003, 61 f.

53

Diese fünf Eigenschaften, die Fuellenbach nennt, orientieren sich hauptsächlich an Models of the Church. Aus der Sichtweise von Models of Revelation ist der Punkt d (Geschichtlichkeit der Modelle) zu kritisieren, denn jeder Typus war in Models of Revelation eine Abstraktion von örtlichen und zeitlichen Umständen. Die Geschichtlichkeit der Modelle kann in dem Buch Models of Revelation keine Rolle spielen. Noch entscheidender als der Informationsgehalt der Modelle sind die Weiterverarbeitung und Bewertung der Modelle aufgrund bestimmter Kriterien167. Kriterien zur Bewertung der Modelle Das Problem bei der Auswahl von Kriterien besteht darin, dass die gewählten Kriterien immer eine Wertewahl (choice of values) voraussetzen168. Das bedeutet, dass die Auswahl eines oder mehrerer Kriterien von vornherein ein Modell bevorzugt und möglicherweise andere zurückweist. Aufgrund dessen schlägt Dulles in Models of the Church einen Kompromiss vor: „To make any real progress we must seek criteria that are acceptable to adherents of a number of different models. Seven such criteria (not all of them equally appealing to all members of all theological schools) come to mind”169.

Damit ist aber klar, dass diese Kriterien von einem persönlichen Standpunkt aus gewählt sind. Dulles kann diese Kriteriologie nicht schlüssig herleiten. Die von Dulles gewählten Kriterien sind die folgenden sieben170. Der besseren Übersichtlichkeit halber werden diese Kriterien in einer Tabelle aufgeschlüsselt. Die Begründung, die Dulles für jedes einzelne Kriterium liefert, wird in derselben Zeile auf der rechten Seite geliefert.

167 168 169 170

54

Vgl. DULLES, Chapter XII The Evaluation of Models. In: Models of the Church. 190-203. Vgl. DULLES, Models of the Church, 190. DULLES, Models of the Church, 191. Vgl. DULLES, Models of the Church, 191f.

Kriterien

Begründung

1)

Basis in der Schrift

2)

Basis in der christlichen Tradition

3)

Fähigkeit zur Klärung der corporate identity und der Mission der Mitglieder der Kirche Fähigkeit zur Vermittlung christlicher Werte und Tugenden Übereinstimmung mit der zeitgenössischen religiösen Erfahrung der Menschen

Dieses Kriterium ist für beinahe alle Christen von großer Bedeutung. Viele Christen sehen in der kirchlichen Tradition einen großen Schatz. Je universaler und konstanter diese Tradition ist, desto überzeugender ist sie auch. Die Theologie hat die Aufgabe, den Glauben und die Mission der Gläubigen zu klären.

4) 5)

6)

Fruchtbarkeit für die Theologie

7)

Fruchtbarkeit für die Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb ihrer Gruppe

Begründung wie bei Kriterium 3). Durch die kulturellen Veränderungen in unserer Zeit werden die Modelle bevorzugt, die der heutigen Glaubenserfahrung Rechnung tragen. Es gilt Probleme zu lösen, die ältere Modelle ungelöst lassen. Es gilt Lehrmeinungen zu einer Synthese zu bringen, die früher als unversöhnlich galten. ― Es werden nur Beispiele für dieses Kriterium angeführt. ―

Es fällt auf, dass jedes Kriterium für sich genommen sinnvoll begründet wird. Dies gilt nicht für das Kriterium Nr. 7. Das ist umso erstaunlicher, weil sich mit Sicherheit auch in den 70er Jahren (also zur Zeit der Erstauflage des Buches Models of the Church) Gründe für das ökumenische Gespräch oder einen interreligiösen Dialog finden ließen. Warum also Dulles das Kriterium Nr. 7 als einziges nicht begründet, muss offen bleiben. Wahrscheinlich erschien es Dulles fraglos evident. Für die Kriterien in ihrer Ganzheit hingegen gilt, dass sie nicht notwendig hergeleitet sind und sich deshalb mit ähnlichen Begründungen austauschen oder abändern ließen. Dazu kommt, dass die Frage, ob diese Kriterien nicht ein bestimmtes theologisches Modell bevorzugen beziehungsweise zurückweisen, unbeantwortet bleibt. Diese Kriterien bleiben in dem Buch Models of Revelation prinzipiell erhalten171. Es werden lediglich die Kriterien Nr. 1 und Nr. 2 aus Models of the Church zusammengezogen zu dem neuen Kriterium Nr. 1 Faithfulness to the Bible and Christian tradition im Buch Models of Revelation. Ebenso werden die Kriterien Nr. 3 und Nr. 4 aus dem Buch Models of the Church zu dem neuen Kriterium Nr. 5 Practical fruitfulness im Buch Models of Revelation zusammengezogen. Ferner werden zwei neue Kriterien eingeführt: Kriterium Nr. 2 Internal coherence und Kriterium Nr. 3 Plausibility. Das Kohärenzkriterium 171

Vgl. DULLES, Models of Revelation, 16f.

55

beschreibt die innere Widerspruchsfreiheit eines Modells. Das Plausibilitätskriterium beschreibt die Kompatibilität zu anderen Lebensbereichen. Interessant ist, dass Dulles seine Kriterien in Models of Revelation neu begründet. Dulles führt aus: „These seven criteria, while genuinely theological, are relatively ‘neutral’ since their acceptance does not presuppose a prior choice of any particular type of revelation theory, though members of certain theological schools might see little or no value in one or another of those criteria. By the same token, the criteria are rather abstract. When one attempts to specify exactly what is meant by fidelity, coherence, and plausibility, or precisely what is adequate to experience and fruitful, or what kind of dialogue is to be desired, disagreements break out. The criteria, therefore, contain certain ambiguities”172.

Die Begründung für die von Dulles vorgelegten Kriterien liegt jetzt also darin, dass Kriterien neutral und abstrakt sind. Die Kriterien sind neutral, weil verschiedene theologische Schulen in dem einen oder anderen Kriterium wenig Wert sehen. Die Kriterien sind abstrakt, weil die Kriterien von den verschiedenen Schulen mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden können. Damit stellen die vorgelegten Kriterien nach der Meinung von Dulles eine Art Provokation oder Anregung für eine weitere theologische Debatte dar173. Ein weiterer Vorschlag von Dulles zur Stütze dieser Kriterien besteht darin, die Kriterien wie die premises of science bei Michael Polanyi zu verstehen174. Dulles zitiert dazu einen Abschnitt aus dem Buch Personal Knowledge. Towards a Post-Critical Philosophy von Michael Polanyi. Dort schreibt Polanyi: „Indeed, when we try to apply any of these formulations for deciding a great question in science, we find that they prove ambiguous precisely to the extent of allowing both alternatives to be equally arguable”175. Dulles scheint mit diesem Zitat andeuten zu wollen, dass die Zwiespältigkeit einer wissenschaftlichen Prämisse unumgänglich ist. Somit bewiese gerade die unterschiedliche Reaktion von verschiedenen theologischen Schulen auf die vorgelegten Kriterien ihre Bedeutung. Nur sind damit die Kriterien immer noch nicht schlüssig hergeleitet. Darüber hinaus scheint der Verweis auf die premises of science mehr als gewagt. Denn für Polanyi gilt im Zusammenhang mit den Prämissen der Wissenschaft: „The rules of scientific procedure which we adopt, and the scientific beliefs and valuations which we hold, are mutually determined”176. Das bedeutet: Wissenschaftliches Vorgehen und wissenschaftliche Überzeugungen und Wertungen hängen voneinander ab. Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass Polanyi unter verschiedenen wissenschaftlichen Überzeugungen nicht nur unterschiedliche naturwissenschaftliche Schulen 172 173 174 175 176

56

DULLES, Models of Revelation, 17. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 17f. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 289. Endnote 46. POLANYI, Personal Knowledge, 165. POLANYI, Personal Knowledge, 161.

versteht. Darin beinhaltet sind auch die Differenzen zwischen Astrologie, Horoskopie und Naturwissenschaften177. Würde diese These von der Zwiespältigkeit so in die Theologie übertragen werden, dann bedeutete dies, dass Anhänger unterschiedlicher Schulen auch zu völlig unterschiedlichen Überzeugungen gelangen würden. Die Dimension der Kontinuität innerhalb der Theologie wäre damit praktisch aufgegeben. Dulles selbst warnt an anderer Stelle ausdrücklich vor dieser Einstellung innerhalb der Theologie178. Damit liefert auch das Buch Models of Revelation keine notwendige Herleitung der Kriterien. In seinem Buch The Craft of Theology führt Dulles dann auch aus, dass die Kriterien nur von einem begrenzten Nutzen (limited utility) seien179. Gleichzeitig bemerkt Dulles in seinem Spätwerk immer öfter, dass katholische Theologie Kriterien braucht. Diese Kriterien kann Dulles allerdings nur als Sondierungen verstehen, die einer weiteren Klärung bedürfen180. Dabei kann es in dem einen oder anderen Fall zu durchaus langwierigen Entscheidungsprozessen kommen181. Die Kriterien, die Dulles in Criteria for Catholic Theology und in Authentische und nichtauthentische Tradition untersucht, dienen aber nicht mehr zur Bewertung theologischer Modelle. Hier versucht Dulles, allgemein gültige Normen für katholische Theologie darzustellen. Solche Normen können aber nur als persönliche Positionierung verstanden werden: „Not all theologians working within the Catholic Church observe all the principles here set forth. But to that extent their theology, in my opinion, falls short of being fully Catholic“182. Damit verzichtet Dulles letztlich auf eine Herleitung seiner Kriterien. Eine Diskussion der Kriterien würde daher immer den persönlichen Standpunkt der Diskussionsteilnehmer berücksichtigen müssen. Es stellt sich allerdings auch die Frage, ob dies den Ansprüchen einer ekklesial-transformativen Theologie wirklich Genüge leistet. Denn entweder können Symbole ein conceptual framework konstituieren, dann aber wird es schwer, verschiedene und gegensätzliche persönliche Standpunkte in das conceptual framework zu integrieren. Oder es herrscht eben keine Einigkeit über allgemein gültige Normen in der Theologie, was nach Dulles’ Beobachtung wohl auch der Realität entspricht, dann wird es aber schwer zu erklären, was ein conceptual framework 177

178 179 180 181

182

Vgl. POLANYI, Personal Knowledge, 167. Hier heißt es auch: „But looking at these disputes more closely it appears that the two sides do not accept the same ‘facts’ as facts, and still less the same ‘evidence’ as evidence. These terms are ambiguous precisely to the extent to which the two opposing opinions differ”. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, x. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 49; LINDBECK, Dulles on Method, 54f. Vgl. DULLES, Criteria of Catholic theology. In: Communio 22 (1995), 315. Vgl. DULLES, Authentische und nichtauthentische Tradition. In: Communio 30 (2001), 519 f. DULLES, Criteria of Catholic Theology, 315.

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überhaupt ist und wie weit es innerhalb eines conceptual frameworks legitime Unterschiedenheit geben kann. 2.4 Die Kombination der Modelle Versucht man, die Modelle zu kombinieren, um zu einer einheitlichen Sichtweise zu gelangen, gibt es nach Dulles nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten. In seinem Buch The Craft of Theology nennt Dulles die folgenden Kombinationen183: 1) die Auswahl eines einzigen Modells bei gleichzeitigem Verwerfen aller anderen. 2) Eklektizistische Auswahl verschiedener Elemente von verschiedenen Modellen zur Beantwortung verschiedener theologischer Probleme. 3) Versuch einer Harmonisierung der verschiedenen Modelle. Die Modelle werden komplementär verstanden. 4) Zurückweisen aller Modelle und Bildung eines neuen Modells. In der Erstauflage des Buches Models of the Church votiert Dulles für die dritte Möglichkeit: Harmonisierung aller Modelle184. Die Modelle bilden in diesem Zusammenhang ein gegenseitiges Korrektiv und sind als komplementär zu verstehen. Dabei ist zu beachten, dass Dulles nicht allen Modellen dieselbe Bedeutung zuschreibt185. Anders urteilt hier Mani Panthalany in seiner Dissertationsschrift The Relationship Between The Universal And Local Church In The Context of Evangelization And Inculturation According To Avery Dulles: „The Church is the sacrament of God which signifies in a historically tangible form the redeeming grace of Christ“186. Damit würde Dulles also nach Panthalany das Modell 3 (Kirche als Sakrament) auswählen und die anderen Modelle zurückweisen. Panthalany greift zum Beleg dieser These auch auf Ausführungen von Dulles zurück, die er im Rahmen der Darstellung dieses Modells in seinem Buch Models of the Church gemacht hat (Seite 72). Hier analysiert Dulles aber die Ausführungen anderer Autoren187. Außerdem erklärt diese These 183 184

185

186

187

58

Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 50. Vgl. DULLES, Models of the Church, 196: „Our method must therefore be to harmonize the models in such a way that their differences become complementary rather than mutually repugnant“. Vgl. DULLES, Models of the Church, 198: „One of the five models, I believe, cannot properly be taken as primary – and this is the institutional model. Of their very nature, I believe, institutions are subordinate to persons, structures are subordinate to life”. PANTHALANY, Mani, The Relationship between the Universal and the Local Church in the Context of Evangelization and Inculturation according to Avery Dulles. Extract from the Doctoral Dissertation in the Faculty of Theology. Pontificia Universitas Urbaniana. Rom 1992, 24. Ebenso Seite 12: „the ecclesial models much esteemed by Dulles are the Church as a sacrament and the Church as a community of disciples.” Letzteres bezeichnet Dulles aber als bridge model zur Integration aller Modelle der Kirche. Vgl. hierzu auch das Vorwort von Martin Marty zu H. Richard Niebuhrs Buch Christ and Culture, das auf eine Vorlesung Niebuhrs aus dem Jahr 1949 zurückgeht. Niebuhr arbeitet

nicht, warum Dulles in seinem Buch Models of the Church dann eine Harmonisierung aller Modelle anstrebt. Die Vorstellung von der Kirche als Sakrament ist an anderen Stellen bei Dulles zu finden, zum Beispiel in The Craft of Theology: „As a great sacrament, it [the Church] extends in space and time the physical body of the Lord. It is not a mere pointer to the absent Christ, but the symbolic manifestation of the present Christ”188. Dieser Gedanke von Dulles ist aber von seiner Theorie der symbolischen Vermittlung bestimmt. Im Jahr 1982 veröffentlichte Dulles A Church to Believe In. In diesem Buch geht Dulles bei der Kombination der Modelle, die aus dem Buch Models of the Church übernommen sind, auf eine andere Weise vor: Ein neues Modell tritt an die Stelle aller anderen Modelle189. Dieses Modell der Kirche als community of disciples ist aber nicht als sechstes Modell der Models of the Church zu verstehen. Denn dieses neue Modell soll die positiven Einsichten aller anderen Modelle integrieren. Gleichzeitig ist dieses neue Modell nur im Licht der anderen Modelle zu verstehen. Es ist ein Tool zur Überprüfung der restlichen Modelle. Aus diesem Grund bezeichnet es Dulles als bridge model190. Dieser Umgang mit Modellen nähert sich der vierten Möglichkeit zur Kombination der Modelle an (Bilden eines neuen Modells). Allerdings werden die vorausgehenden Modelle nicht einfach zurückgewiesen, sondern dienen der Erklärung eines neuen Modells. In Models of Revelation kehrt Dulles in gewisser Weise zum Ideal der Harmonisierung des Buches Models of the Church zurück. Jetzt ist aber die Rede von einer „dialectical retrieval”191 als fünfter Möglichkeit. Bei dieser Vorgehensweise erhält die symbolische Vermittlung eine besondere Bedeutung und wird grundlegend für die Theologie von Dulles192. Mit Hilfe dieser Grundlage soll es möglich werden, zu positiven Einsichten jedem einzelnen Modell gegenüber zu gelangen und so die Modelle in ein Gesamtbild zu integrieren. Dieser Vorgang ist dialektisch, weil die Modelle so in ein neues Beziehungsfeld, das der symbolischen Vermittlung, gestellt und aufgehoben werden. Auf diese Weise entstehen fünf dialektische Pole, die von der Gegenüberstellung von

188 189

190 191

192

auch mit verschiedenen Modellen, er nennt sie types. Marty warnt deshalb: „At the risk of sounding condescending, let me suggest that unless one takes care while reading, Niebuhr can be misread as much as anyone who risks making use of types“, NIEBUHR, H. Richard, Christ and Culture. San Francisco 2001, xvi. DULLES, The Craft of Theology, 35; vgl. auch DERS., A Church To Believe In, 41-52. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 50: „I proposed the concept of “community of disciples” as a tool by which to test and perfect the five ecclesiological models set forth in Models of the Church“. Vg. auch DERS., A Church to believe In, 14. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 50. Ebd: „I accordingly advanced still a fifth solution to which I gave the name ‘dialectical retrieval’. Using the concept of symbolic mediation as a dialectical tool, I attempted to draw maximum value from each of the models and to harmonize them critically”. Vgl. DULLES, The Craft of theology, 22.

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symbolischer Vermittlung und den fünf Modellen gebildet werden193. Dabei entstehen jeweils fünf negative Aussagen, also Zurückweisungen eines Modells aufgrund der symbolischen Vermittlung und fünf positive Aussagen, also Bestätigungen eines Modells aufgrund der symbolischen Vermittlung. Sie werden in der folgenden Tabelle dargestellt: Modell

negative Aussagen

positive Aussagen

Offenbarung als Doktrin Offenbarung als Geschichte

Offenbarung ereignet sich nicht primär in der Form von Propositionen. Offenbarung ist nicht eine Kette von Ereignissen in der Vergangenheit.

Offenbarung als innere Erfahrung

Offenbarung ist nicht ein mystisches Treffen zwischen Gott und der Seele eines Individuums.

Offenbarung als dialektische Präsenz

Offenbarung ist nicht unintelligibel. Sie kann nicht mit einem blinden Sprung in den Glauben akzeptiert werden. Offenbarung ist keine Einladung zur Änderung von Gewohnheiten, den Bedürfnissen einer bestimmten Zeit entsprechend.

Offenbarung besitzt einen kognitiven Wert und kann in Propositionen ausgedrückt werden. Die Hauptsymbole der Offenbarung sind vermittelt durch die Heilige Schrift und die Tradition und im Licht dieser lebendigen und andauernden Tradition und der Schrift zu lesen. Die Symbole der Offenbarung rufen Teilnahme hervor. Deshalb vermitteln sie auch die personale communio Gottes, die auf ihre Weise unvermittelt ist. Die Worte der Schrift und der Verkündigung sind dynamisch.

Offenbarung als neue Achtsamkeit

Die Offenbarung beeinflusst die menschliche Existenz.

Aufgrund dieses Vorgehens erscheint der Gedankengang des Buches Models of Revelation einerseits als ein Zirkelschluss. Denn das Ergebnis (Die Offenbarung steht in dialektischer Spannung zu jedem einzelnen Modell) wird durch die Auswahl der Modelle bereits determiniert. Somit ließe sich das Ergebnis des Buches als Bestätigung der Voraussetzungen lesen. Andererseits ist eine wirkliche Entwicklung in Models of Revelation festzustellen. Die Modelle waren anfangs nur systematisierende Denkkonstrukte und Schematisierungen zeitgenössischer Theologiegeschichte. Jetzt, nach der dialectical retrieval bieten die Modelle in ihrer Gesamtheit einen ausgewogenen Blick auf die Offenbarung als untersuchte Realität. Dies ist möglich geworden durch die Verbindung der Modelle mit der Theorie der symbolischen Vermittlung. Und durch die Anreicherung der symbolischen Vermittlung mit den positiven Einsichten der Modelle. Die Modelle und die symbolische Vermittlung sind somit aufeinander verwiesen und tragen zum gegenseitigen tieferen Verständnis bei. Die symbolische Vermittlung ermöglicht, die Modelle als Einsichten in die untersuchte Realität zu verstehen und die Modelle reichern den eher abstrakten 193

60

Vgl. DULLES, Models of Revelation, 267-269.

Offenbarungsbegriff der symbolischen Vermittlung als Gesamtheit der Symbole der Selbstkommunikation Gottes an. Es bleibt aber die Frage, ob die Zurückweisungen eines Modells aufgrund der symbolischen Vermittlung (also die negativen Aussagen) nicht eher als Widersprüche gegen diese Theorie zu deuten wären. Oder ob Dulles den Beitrag der einzelnen Modelle wirklich ernst nimmt. Das gilt vor allem für das dritte und das vierte Modell, deren Einwände Dulles knapp behandelt194. Shecterle macht in seiner Studie The Theology of Revelation of Avery Dulles auf weitere Fragen aufmerksam. Wenn Symbole unterschiedliche Objektivationen von Basiserfahrungen begründen, dann sind ökumenische Gespräche oder gar interreligiöser Dialog von vornherein gar nicht mehr möglich195. Ebenso ist es nach Shecterle nicht klar, wer diese Symbole für die Glaubensgemeinschaft interpretiert, wer also einen besseren Zugang zu diesen Symbolen hat196. Nach Shecterle kann es bei Dulles auch kein Wachstum im Glauben geben, Dulles konzentriere sich in seinen Schriften auch aufgrund seiner eigenen Biographie nur auf Konvertiten197. Bereits 1993 hat Terrence Merrigan eine ähnliche Kritik an Dulles’ Ausführungen geübt. Merrigan kommt am Ende seines Artikels Models in the Theology of Avery Dulles zu dem Schluss: „Of course, some unanswered questions remain. Who decides precisely who is competent [zur Bewertung der theologischen Modelle]? What if those exercising authority are divorced from the life of the believers? What if, as Dulles acknowledges, those in authority are swayed by an excessive attachment to a limited and limiting model?”198.

Die Fragen von Merrigan und Shecterle weisen insgesamt auf eine Besonderheit der Theologie von Dulles hin: Die Hochachtung des kirchlichen Konsenses. Die 194

195 196

197 198

Vgl. COOK, Michael L., Revelation as Metaphoric Process. In: Theological Studies 47 (1986), 401. Hier erklärt Cook: „Thus the propositional, historical, and experiential models could never be the dominant or paradigmatic models of revelation, and the dialectical and awareness models can only be accepted as belonging together in a tensive interrelationship”. Vgl. DUPUIS, Jacques, Toward a Christian Theology of Religious Pluralism. New York 2001, 237-239. „This summary of one-sided and often narrow theological positions on the subject goes to show […] that too rigid a distinction between the natural and the supernatural (first model), too narrow a concept of salvation history (second model), as well as any unbridgeable gap between the subject and object of revelation (fourth model) inevitably results in limiting the extent of divine revelation to the ambit of biblical religions. On the contrary, concepts such as ‘inner experience’ and ‘new awareness,’ while they do not by themselves imply divine origin, may connote the presence of a free transcendent element”, hier 238. Vgl. SHECTERLE, The Theology of Revelation of Avery Dulles, 195f. Vgl. SHECTERLE, The Theology of Revelation of Avery Dulles, 197; vgl. auch MERRIGAN, The Craft of Theology. In: Louvain Studies 18 (1993), 252. Vgl. SHECTERLE, The Theology of Revelation of Avery Dulles, 202. MERRIGAN, Models in the Theology of Avery Dulles, 157.

61

Theologie von Dulles erklärt, wie kirchliches Zusammenleben funktioniert. Dissens hingegen ist dieser Theologie fremd. Dulles hat zwar eigene Arbeiten zum Thema des Dissenses vorgelegt199, aber diese Arbeiten thematisieren dann genau genommen eine Unmöglichkeit: Das kirchliche conceptual framework hätte seine Integrationsfähigkeit verloren, eine Übertragung des subsidiär Gewussten in das fokal Gewusste hätte versagt, die Kirche hätte ihre ekklesialtransformative Komponente verloren oder geschwächt, statt der trusting receptivity des postkritischen Zugangs hätte sich eine neue kritische Einstellung entwickelt. Diese Hochachtung des kirchlichen Konsenses zeigt sich bei Dulles immer wieder, teilweise in extrem zugespitzten Aussagen wie der folgenden: „Augustinus hatte festgestellt, wie wichtig es sei, die Wahrheit in jeder Häresie herauszufinden. Ich war geneigt, dieses Element von Wahrheit eher in dem zu suchen, was eine bestimmte Gruppe behauptete, als in dem, was sie bestritt. Denn offensichtlich stellen die Menschen Behauptungen über die Dinge auf, von denen sie etwas verstehen, und bestreiten das, wovon sie wenig Ahnung haben“200.

Eigentlich ist diese Aussage problematisch. Erstens besteht eine Häresie nicht unbedingt in der Verneinung eines Dogmas oder eines anderen Glaubenssatzes. Eine Häresie kann auch die Affirmation eines für die Kirche eben häretischen Satzes beinhalten. Zweitens: sicherlich gibt es auch Behauptungen, die Menschen aus Unwissen aufstellen und Anfragen, die Menschen aus Wissen machen. Aber um eine solche Analyse geht es Dulles an dieser Stelle gar nicht. Es zählen die Positivität der Tradition und der Konsens innerhalb eines Modells, einer Gruppe beziehungsweise der Kirche. Dass es in der Kirche trotzdem zu Dissens kommt, ist eine Schwierigkeit für die Theologie von Dulles und für die Kirche. Dulles zeigt dabei aufgrund seiner Hochachtung des kirchlichen Zusammenlebens die verschiedenen Möglichkeiten, zu verstehen, auf welchen unterschiedlichen Ebenen Dissens in der Kirche entstehen kann. In dem Buch The Assurance of Things Hoped For und in Models of Faith verzichtet Dulles auf die Ausarbeitung einer Kriteriologie. Die Modelle oder Positionen werden ohne Rückgriff auf die symbolische Vermittlung auf ihre Vor- und Nachteile hin untersucht. Der Umgang mit den Modellen ist in diesen beiden Fällen sehr pragmatisch. Denn Dulles geht davon aus, dass es in syste199

200

62

Vgl. DULLES, Humanae Vitae and Ordinatio Sacerdotalis. Problems of Reception. In: Church Authority in American culture. The second Cardinal Bernardin Conference. Catholic Common Ground Initiative. New York 1999, 22 ff. Vgl. hierzu auch MASSA, Mark S., Avery Dulles, Teaching Authority in the Church, and the ‘Dialectically Tense’ Middle. An American Strategic Theology. In: Heythrop Journal 48 (2007), 935 ff.; MCDERMOTT, John M., Avery Cardinal Dulles, S.J. The Man in His Times for Christ’s Church. In: MCDERMOTT, John M. / GAVIN, John (Hrsg.), Pope John Paul II on the Body. Human. Eucharistic. Ecclesial. Festschrift Avery Cardinal Dulles, S.J. Philadelphia 2007, 14-18. DULLES, Umrisse meiner theologischen Methode, 61.

matischen Arbeiten möglich ist, den Begriff Glaube zu beschränken, also nur im Sinne eines Modells oder einiger Modelle vom Glauben zu sprechen201. Durch die Beschränkung des Begriffes Glauben wird es möglich, bestimmte Problemkreise zu erörtern oder von einer bestimmten einzelnen Überzeugung zu sprechen202. Außerdem haben Theologen bei der Ausarbeitung einer Glaubenstheologie bisher niemals bestritten, dasselbe zu untersuchen, wie andere Theologen, die zu anderen Ergebnissen über den Glauben kommen203. Aufgrund dieser Beobachtungen folgert Dulles, dass die einzelnen Modelle nicht widersprüchlich sind, sondern sich gegenseitig ergänzen204. Damit kehrt Dulles zur gegenseitigen Harmonisierung der theologischen Modelle zurück.

3. Die Einheit der Theologie Dulles’ In Dulles’ methodologischen Ausführungen nimmt die Beschreibung der Symbole eine zentrale Stelle ein. Dabei kommt er zu zwei unterschiedlichen Folgerungen: In seiner Auseinandersetzung mit Lindbeck kam Dulles zu dem Schluss, dass Symbole Sozialisierungsprozesse initiieren und so das conceptual framework der Kirche begründen (ecclesial-transformative theology). In seiner Auseinandersetzung mit Polanyi kam Dulles zu dem Schluss, dass Symbole auf einer wortlosen Ebene bereits verstanden werden und persönlich zugänglich sind (postcritical theology). Die Ausführungen von Dulles stellen die Frage nach der Einheit seiner Theologie. Das zeigte sich nicht nur an der Beziehung zwischen postcritical und ecclesial-transformative theology, sondern auch an dem Problem der Kriterien zur Bewertung der theologischen Modelle. Es war in beiden Fällen sehr einfach, zu zeigen, dass es Vielfalt in der Theologie gibt, aber eine einheitliche Bewertung der Modelle oder die Einheitlichkeit beziehungsweise das mögliche Maß an Verschiedenheit innerhalb des conceptual frameworks zu bestimmen, erwies sich als sehr schwierig. Ebenso konnten einige Verschiebungen innerhalb der Ausführungen Dulles’ beobachtet werden: die Art und Weise, wie Modelle zu kombinieren sind, wird in verschiedenen Ausführungen unterschiedlich erklärt. Und die Bedeutung der Kriterien zur Bewertung der Modelle wird ebenfalls von Dulles verschieden beurteilt. Es erscheint dabei nicht verwunderlich, dass Dulles diese Akzentverschiebungen vorgeworfen wurden. Richard McBrien hat dies

201

202 203 204

Vgl. DULLES, The Assurance of Things Hoped For, 181. Und DULLES, Models of Faith, 412f. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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anlässlich der Ernennung Dulles’ zum Kardinal sogar auf die Formel gebracht: „Red Hat After Lurch to Right“205. Mark S. Massa hat in seinem Artikel Avery Dulles, teaching Authority in the Church, and the ‘dialectially tense’ middle einige dieser Ausführungen gesammelt, die Dulles einen Ruck nach rechts unterstellen206. Dieser lurch zeigt sich für Massa besonders deutlich an der Entwicklung der Ausführungen Dulles’ zur Lehrautorität in der Kirche. Während Dulles in The Survival of Dogma (1971) noch von two magisteria spricht, dem der Theologie und dem des kirchlichen Lehramts, bezeichnet er in The Craft of Theology (1992) nur noch das kirchliche Lehramt magisterium. Und während Dulles in The Survival of Dogma die Entdeckung dessen, was in der Kirche noch nicht gelehrt wurde als die Aufgabe der Theologie bezeichnet, kommt er in The Splendor of Faith (1999) zu dem Schluss, dass theologische Meinungen nie die kirchliche Lehre konstituieren können. Nach Massa muss man im Anschluss an Joseph Komonchak und AnneMarie Kirmse von einem strategischen und dialektischen Verständnis der Rolle des Theologen in Dulles’ Theologie zu sprechen. Die klassischen Begriffe von konservativ oder progressiv versagen, wenn es darum geht, was die Kirche zu einer bestimmten Zeit braucht207. Strategisch wäre Dulles’ Theologie demnach, weil er auf zeitbedingte Situationen eingeht und andere theologische Ausführungen Ernst nimmt (postcritical theology). Dialektisch wäre diese Theologie, weil Dulles versucht, von dem aus, was er für das katholische Zentrum hält, Theorien zu kritisieren, die sich zu weit von diesem Zentrum entfernen (ecclesial-transformative theology)208. Interessant ist hier vor allem der Artikel All Dressed in Scarlet von Joseph Komonchak, auf den Massa verweist. In diesem Artikel weist Komonchak auf 205

206 207

208

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MCBRIEN, Richard, Red Hat After Lurch to Right. In: National Catholic Reporter (February 16, 2001). Vgl. MASSA, Avery Dulles, 949 Anmerkung 2. Vgl. MASSA, Avery Dulles, 934: “The insights of both Komonchak and Kirmse regarding the ‘dialectically tense’ quality of Dulles’ theological method, in which theology is utilized strategically for elucidating the Catholic theological tradition in ever-changing cultural contexts, together contribute to a potentially valuable model for understanding and evaluating a theological career which has produced over twenty monographs over five decades. Viewed thus, Dulles’ ostensible ‘lurch to the right’ during the past few decades might be most fruitfully understood not primarily as an ideological movement from one point on the left-right spectrum to another, but as a strategic decision made in response to the lived reality of the Catholic community on its faith journey”. Ähnlich KIRMSE, AnneMarie, The Church and the Churches. A Study of the Ecclesiological and Ecumenical Developments in the Writings of Avery Dulles, S.J. New York 1989, 251: „Dulles has tried to maintain a mediating position between conservative and liberal viewpoints. He has attempted to present a balanced view of the issues at hand, describing the assets and liabilities of each side”. Vgl. MASSA, Avery Dulles, 934 f.

eine Vorbemerkung der Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola hin. Dort heißt es in der deutschen Übersetzung: „Damit sowohl der, welcher die geistlichen Übungen gibt, wie der, welcher sie macht, sich gegenseitig mehr helfen und nützen, müssen sie voraussetzen, daß jeder gute Christ mehr dazu bereit sein muß, die Aussage des Nächsten für glaubwürdig zu halten, als sie zu verurteilen“209.

Komonchak erklärt in seinem Artikel, diese Vorbemerkung Ignatius’ träfe auf Dulles’ Theologie zu210. Das zeige sich konkret darin, dass Dulles auf die verschiedenen Stimmen der Theologiegeschichte, auf die getrennten Christen im ökumenischen Dialog und auf die Stimmen von Katholiken in theologischen Gesprächen und Analysen der nachkonziliaren Kirche gehört habe211. Die zitierte Vorbemerkung Ignatius’ bezeichnet Komonchak als methodische Basis für die Theologie von Dulles. Die Aussage des Nächsten eher für glaubwürdig zu halten, als sie zu verurteilen ist für Komonchak Ausgangspunkt jeder Analyse von Verschiedenheit, also jedes Arbeitens mit Modellen. Die unterschiedlichen Modelle funktionieren in verschiedenen conceptual frameworks. Unterschiedliche Bilder, die den Modellen zugrunde liegen, führen zu verschiedenen Konzeptionen und Artikulationen von Wirklichkeit, oder einer Glaubenslehre. Komparative Ekklesiologie im Stil von Dulles führt deshalb zu Bescheidenheit, gegenseitigem Verständnis und Kommunikation. Jedenfalls dann, wenn für alle Beteiligten klar ist, dass kein Modell ein Mysterium ganz beschreiben kann. Diese komparative Ekklesiologie führe dazu, dass Dulles unter Konservativen liberal und unter Liberalen konservativ erscheint. Komonchak spricht in seinem Artikel davon, dass eine ignatianische Regel bei Dulles Basis der Theologie geworden sei. Von einer wissenschaftlichen Ausformung ignatianischer Spiritualität, so beispielsweise Karl Heinz Neufeld über die Theologie von Karl Rahner212, spricht Komonchak aber nicht. Man kann sicher weitere Regeln oder Anweisungen der ignatianischen Spiritualität und theologische Ausarbeitungen von Dulles korrespondieren lassen. So vertrat im Jahr 2003 Robert Spezia in seiner Dissertationsschrift The Ecclesiology of Avery Dulles mit ähnlichen Argumenten die These, dass Dulles’ Theologie auf dem ignatianischen agere contra aufbaue213. Arbeiten mit Modellen komme so einem einseitigen Verständnis zum Beispiel der Kirche zuvor. Spezia unterscheidet aber zusätzlich noch weitere Prinzipien der Theologie von Dulles, zum Beispiel 209 210

211 212 213

IGNATIUS VON LOYOLA, Geistliche Übungen. Freiburg 1991, Nr. 22. Vgl. KOMONCHAK, Joseph A., All Dressed in Scarlet. Avery Dulles Goes to College. In: Commonweal 23 (2001), 9. Vgl. ebd. Da der Artikel nur aus einer Seite besteht, gilt für alle anderen Belegstellen: ebd. Vgl. NEUFELD, Die Brüder Rahner. Eine Biographie. Freiburg 1994, 360. Vgl. SPEZIA, Robert R., The Ecclesiology of Avery Dulles, S.J. A Hermeneutical Key. Dissertatio ad Lauream in Facultate S. Theologiae Apud Pontificiam Universitatem S. Thomae in Urbe. Rom 2003, 173 ff.

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das Prinzip der plurality214 und relativiert damit die Ausführungen von Komonchak. Denn nach Spezia steht nicht ein Element der ignatianischen Spiritualität an der Basis des theologischen Arbeitens von Dulles. Vielmehr liegen nach Spezia unterschiedliche Prinzipien der Theologie von Dulles zugrunde und eines davon ist der ignatianischen Spiritualität entnommen. Anders urteilt wiederum Robert Imbelli in seinem Vorwort zu dem im Jahr 2008 erschienen Sammelband mit Vorträgen von Avery Dulles Church and Society. The Laurence J. McGinley Lectures, 1988-2007. Imbelli erklärt: „in the Ignatian vision, spirituality and theology are inseparable”215. Das bedeutet dann aber, dass eine Unterteilung verschiedener spiritueller und wissenschaftlicher Prinzipien als Ausgangspunkt der Theologie von Dulles, wie sie Spezia vorgelegt hat, unangemessen wäre, weil sie die ignatianische Verbindung von Spiritualität und Wissenschaft übersieht. Imbelli spricht daher von einem ignatianischen Charisma in der Theologie Avery Dulles’216. Damit zeigt sich, dass es einerseits Versuche gibt, die Einheit der Theologie von Dulles unter einem spirituellen Gesichtspunkt zu verstehen. Die verschiedenen Autoren sind aber uneins, welche spirituellen Prinzipien der Theologie von Dulles zugrunde liegen. Aber das erscheint auch gar keine so dringende Frage, wenn man mit Imbelli von einem Charisma, einer Ausstrahlungskraft der ignatianischen Spiritualität auf die Theologie von Dulles und einer Einstellung von Avery Dulles als Jesuit ausgeht. Auf dieser Basis könnten verschiedene Gedanken aus Spirtualität und Wissenschaft genannt werden, die sich in den Arbeiten von Dulles finden lassen, ohne sie in eine Reihenfolge bringen zu müssen. Andererseits könnte man einfacher auch mit Massa von einer strategisch-dialektischen Einheit von postcritical und ecclesial-transformative theology sprechen. Sowohl der so genannte lurch to the right als auch die Einheit und andere Entwicklungen in der Theologie Dulles’ könnten so in Einklang miteinander gebracht werden. Das Zueinander von postcritical und ecclesial-transformative theology in der Theologie Dulles’ ließe sich dann folgendermaßen verstehen: Theologie muss beobachten, wo Uneinigkeiten in der Gruppe derer, die die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation in ihre Existenz integriert haben, entstehen. Um 214

215

216

66

Vgl. SPEZIA, The Ecclesiology of Avery Dulles, 183 ff: „Dulles has used the principle of plurality to transform potential erroneous tendencies of making either/or choices into proper, encompassing both/and decisions. Dulles has employed the principle of diversity such that true unity occurs through embracing complementary elements. Wherever possible, Dulles has sought to hold two truths in mutual priority”, hier 184. Hervorhebungen im Original. IMBELLI, Robert Peter, Foreword, Avery Dulles, Vir Ecclesiasticus. In: DULLES, Avery, Church and Society. The Laurence J. McGinley Lectures, 1988-2007. New York 2008, xvii. Vgl. IMBELLI, Foreword, xv.

solche Probleme zu verstehen, muss die Theologie den Blick auf die Gläubigen richten und verschiedene Meinungen oder auch Theorien zur Kenntnis nehmen. Wenn Theorien nicht mehr von den Symbolen gedeckt sind, müssen Theologen strategisch, vielleicht sagt man besser: pädagogisch, reagieren. Es muss das richtige Verständnis der Symbole entgegengesetzt werden. Verschiedene Zeiten und verschiedene Theorien mit unterschiedlichen Problemen führen dann logischer Weise zu unterschiedlichen strategischen oder pädagogischen Maßnahmen. Die postcritical theology sichert damit den Gegenwartsbezug der Theologie, die ecclesial-transformative theology sichert das richtige Verständnis der Symbole, die wiederum das conceptual framework begründen. Ungelöst bleibt dabei aber nach wie vor die Frage, wie das richtige Verständnis der Symbole gewährleistet werden kann. Eine Besonderheit dieses strategischen Denkens Dulles’ stellt die Apologetik dar. Nach Dulles braucht die Kirche eine erneute Apologetik. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass Dulles’ ekklesial-transformative Theologie und die Trennung von Kirche und Welt in unterschiedliche conceptual frameworks die Apologetik zwingend notwendig macht. Denn wie sollten sonst die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation beziehungsweise deren richtiges Verständnis kommuniziert werden? Die Ausführungen zur Apologetik entstehen darüber hinaus nicht nur aufgrund zeitbedingter Überlegungen Dulles’, denn er hat sich über 40 Jahre lang mit diesem Thema auseinander gesetzt.

4. Hinwendung zur Welt: Apologetik bei Avery Dulles Aus dem bisher Ausgeführten ist klar, dass sich die Kirche durch ein besonderes conceptual framework auszeichnet. Die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation sind nur innerhalb dieses Frameworks verständlich und zugänglich. Die ekklesial-transformative Komponente der Theologie von Dulles stellt gleichzeitig die Frage nach der Möglichkeit der Kommunikation der Botschaft des Christentums217. Aus diesem Grund ist für Dulles die Apologetik von systemim217

Diese Frage stellt Dulles bereits in den 80er Jahren. Vgl. DULLES, The Gospel, The Church and Politics. In: Origins 16 (1986-87), 637: „Christians are constantly faced by the problem of how to relate the two realms in which they live. By faith they belong to the coming eschatological kingdom but by experience they are involved in the transitory kingdom of this world.” Vgl. hierzu auch DERS., The Modern Dilemma of Faith. In: Toward a Theology of Christian Faith. Readings in Theology. Prepared at The Canisianum, Innsbruck by Michael Mooney, Joseph J. Koechler, John Dinges, and Michael C. Scheible. New York 1968, 12 f.: „That there should be crises of faith should surprise no one. Faith is inherently at odds with man’s fallen nature and with all worldly modes of thought“. Dieser Text, der im Jahr 1967 entstand, erinnert mit der starken Gegenüberstellung von Kirche und Welt noch an die neuscholastische Theologie.

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manenter Bedeutung. Apologetik vermittelt die in der Kirche gegenwärtigen und interpretierten Symbole der göttlichen Selbstkommunikation an die verschiedenen conceptual frameworks heute. Dulles legte im Jahr 1963 die Studie Apologetics and the Biblical Christ vor. In dieser Studie kritisiert Dulles die Verwendung der Heiligen Schrift als objektiv-historische Quelle in der zeitgenössischen Apologetik218. Stattdessen schlägt Dulles einen confessional approach vor, der die Heilige Schrift als confessional documents (Bekenntnisdokumente) versteht219. Im Jahr 1971 veröffentlichte Dulles das Buch A History of Apologetics. In dieser Schrift gibt Dulles einen Überblick über die Geschichte der Apologetik. Er erarbeitet keine eigene Theorie, wie Apologetik betrieben werden könnte220. Auf der Basis dieses Buches entstanden Lexikonartikel, beispielsweise für das Dizionario di Teologia Fondamentale221. Im Jahr 2004 veröffentlichte Dulles den Artikel The Rebirth of Apologetics. Dieser Artikel ist für die Ausarbeitung einer Apologetik vor dem Hintergrund einer ekklesial-transformativen Theologie besonders wichtig. Die Arbeiten zur Apologetik stehen im Werk Dulles’ nicht isoliert. Wiederholt hat Dulles Einleitungen zu apologetischen Büchern verfasst222 und sich auch mit nichtkatholischen Apologeten befasst223. 4.1 Definition „In this framework [of revelation and faith] we may consider the task of apologetics, the rational defense of faith. Apologetics cannot and should not attempt to demonstrate the truth of the mysteries of faith, which, as I have said, lie beyond human investigation and are believed on the strength of God’s word, more certain than any logical deduction. But in order to believe we must find reasons for judging that what purports to be God’s word really is his word. To spell out these reasons in a systematic way is the task of apologetics”224.

Die Apologetik lässt sich in diesem Zusammenhang zunächst einmal als rationale Begründung des Glaubens verstehen. Denn die besondere Aufgabe dieser Apologetik ist es, das Wort Gottes vernünftig zu erklären und systematisch 218 219

220 221

222

223 224

68

Vgl. DULLES, Umrisse meiner theologischen Methode, 54. Vgl. DULLES, Apologetics and the Biblical Christ. Woodstock Papers. Occasional Essays for Theology Nr. 6. Westminster 1966, 45 ff. Vgl. DULLES, A History of Apologetics. Eugene, Oregon (1971) 21999, xvii f. Vgl. DULLES, Apologetica. Storia. In: FISICHELLA, Rino / LATOURELLE, René (Hrsg.), Dizionario di teologia fondamentale. Assisi 1990, 60-69. Vgl. DULLES, Preface. In: BRUMLEY, Mark, How Not to Share Your Faith. The Seven Deadly Sins of Catholic Apologetics And Evangelization. San Diego 2002, 7-9; DERS., Foreword. In: REDFORD, John, What Is Catholicism? Hard Questions – Straight Answers, 1999 Huntington, Indiana, 9-14. Vgl. DULLES, Mere Apologetics. In: First Things 144 (June / July 2005), 15-20. DULLES, The Rebirth of Apologetics. In: First Things 143 (May 2004), 18.

darzulegen. Weil sich die Mysterien des Glaubens jeder menschlichen Rationalität entziehen, können sie in erster Linie nur aufgrund Gottes Wort, also aufgrund einer symbolischen Vermittlung, geglaubt werden und weniger aufgrund logischer Deduktion. Zur Begründung der Apologetik verweist Dulles darauf, dass Jesus während seines irdischen Lebens selbst Argumente für den Glauben an sich nannte225 und nennt den Verweis Jesu auf seine Taten und Wunder die Erfüllung der alttestamentlichen messianischen Prophezeiungen. Die ersten Christen hatten nach Dulles auch vernünftige Gründe zum Glauben: Die Selbsterniedrigung Christi am Kreuz und seine Auferstehung versteht Dulles als das wichtigste Zeichen der göttlichen Sohnschaft Jesu für die ersten Christen. Besonders auffallend an der obigen Definition der Apologetik ist, dass sie nur in einem conceptual framework betrachtet werden kann: Dulles verweist auf eine Theologie des Glaubens und der Offenbarung. Die Apologetik erscheint damit als theologische Disziplin, die darlegt, warum Gottes Wort auch wirklich Gottes Wort ist. Als theologische Wissenschaft richtet sich die Apologetik an Menschen außerhalb der Kirche226. Die Apologetik macht die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation rational einsichtig. Apologetik versucht somit, Menschen das conceptual framework des christlichen Glaubens zu näher zu bringen und Menschen zum Glauben zu führen (assent). Eine besondere Rolle unter den Symbolen der göttlichen Selbstkommunikation spielt bei der Apologetik das Wort Gottes und das Christusereignis. 4.2 Aufgaben der Apologetik Die Apologetik richtet sich im Unterschied zur Fundamentaltheologie an Menschen außerhalb der Kirche. In diesem Zusammenhang kommt die Apologetik auch mit Glaubensgegnern in Kontakt227. Dulles bietet einen kurzen geschichtli225 226

227

Vgl. ebd. Vgl. DULLES, The Rebirth of Apologetics, 19: „Unlike apologetics, fundamental theology did not try to speak to unbelievers but contented itself with analyzing for the sake of believers how God brings human beings to assent to His word“. Anders hierzu Grzegorz Dobroczyński. Er spricht in seiner Dissertationsschrift Einsicht und Bekehrung. Ausgangspunkt der Fundamentaltheologie bei Bernard Lonergan von einer apologetischen Dimension der Fundamentaltheologie und stützt sich dabei auch auf Ausführungen von Dulles zum Thema Apologetik. Vgl. DOBROCZYŃSKI, Grzegorz, Einsicht und Bekehrung. Der Ausgangspunkt der Fundamentaltheologie bei Bernard Lonergan. Europäische Hochschulschriften Reihe 23, Theologie: Band. 441. Frankfurt am Main 1992, 16. Die Einschätzung einer apologetischen Funktion der Fundamentaltheologie dürfte in dieser Form von Dulles allerdings nicht geteilt werden. Die Verbindung zwischen Apologetik und Theologie in dem Artikel The Rebirth of Apologetics legt eher eine theologische Dimension der Apologetik nahe. Vgl. DULLES, The Rebirth of Apologetics, 18ff.

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chen Abriss der Aufgaben der Apologetik im Laufe der Kirchengeschichte. Dieser Abriss soll in der folgenden Tabelle dargestellt werden. Zeitalter 1. bis 3. Jahrhundert:

Spätantike:

Mittelalter: Frühe Moderne:

19. Jahrhundert: 20. Jahrhundert:

Aufgaben der Apologetik Verhinderung von Christenverfolgungen durch argumentative Überzeugung der römischen Behörden. Defensive Einstellung der Apologetik. Hauptargumente: Die Christen sind gute Bürger Die Christen gehorchen den Gesetzen Die Christen beten für den Kaiser Aggressivere Haltung gegenüber Philosophen. Hauptaussage: Stoizismus und Neuplatonismus können nicht das bieten, was zu einem gesegneten Leben notwendig ist. Beginn der Auseinandersetzung mit Juden und Muslimen. Hauptaussage: Jesus erfüllte die Prophezeiungen der hebräischen Bibel, Mohammed nicht. Erneute Auseinandersetzung mit Philosophen. Gegen den Skeptizismus: Verteidigung der Möglichkeit für die Vernunft, von Gott, der Seele und Unsterblichkeit etwas zu wissen. Gegen den Rationalismus: Verteidigung der Notwendigkeit einer Offenbarung, da die menschliche Vernunft die Realität von Gott, Seele und Unsterblichkeit nicht aus sich selbst beweisen kann. Auseinandersetzung mit Naturwissenschaftlern und kritischen Historikern. Hauptaufgabe: Darlegung der Verlässlichkeit der Heiligen Schrift. Niedergang der Apologetik

Die Aufgaben der Apologetik waren im Verlauf der Geschichte äußerst vielfältig und beschränken sich nicht auf die Widerlegung wissenschaftlichphilosophischer Thesen. Im 1. bis zum 3. Jahrhundert war die Apologetik für Dulles ausschließlich von der Auseinandersetzung mit römischen Behörden geprägt. In der Auseinandersetzung mit Juden und Muslimen im Mittelalter fand ebenfalls keine Entgegnung auf wissenschaftlich vorgetragene Thesen statt. Erst ab der frühen Moderne bestand die Aufgabe der Apologetik lediglich in der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Entwürfen. Diese Auseinandersetzungen der Apologetik sind für Dulles immer eine kontroverse Aufgabe228. Für den Niedergang der Apologetik im 20. Jahrhundert nennt Dulles vier Gründe. Erstens leitet Dulles die Unpopularität der Apologetik von deren Exzessen ab229. Die Apologetik schien mehr zu versprechen, als sie halten konnte, weil sie ihre Voraussetzungen nicht kritisch überprüfte. Zweitens nennt Dulles die Tendenz der Apologetik zu Zugeständnissen. Drittens tendiert die Apologetik dazu, menschliche Aktivität zu betonen und die Gnade Gottes zu vergessen. Viertens nennt Dulles soziale Faktoren wie den Pluralismus, die keine Apologetik erlauben. Der Niedergang der Apologetik ist für Dulles die Ursache für das Desinteresse der Gegenwart an der Kirche. Dulles führt aus: 228

229

70

DULLES, The Rebirth of Apologetics, 20: „Apologetics has to be somewhat controversial; it should forthrightly defend the settled teaching of the Church“. Vgl. DULLES, The Rebirth of Apologetics, 19.

„This withdrawal from controversy, though it seems to be kind and courteous, is insidious. Religion becomes marginalized to the degree that it no longer dares to raise its voice in public. This privatization has debilitating consequences for the faith of believers themselves. If we do not consider that it is important for others to hear the Christian proclamation, we inevitably begin to question its importance for ourselves. The result is a massive loss of interest in religious teaching. The reluctance of believers to defend their faith has produced all too many fuzzyminded and listless Christians, who care very little about what is to be believed. Their halfhearted religion is far removed from that of the apostles and the martyrs. It is a degenerate offspring of authentic Christianity” 230.

Diese äußerst pessimistische Gegenwartsanalyse von Dulles lässt sich in seinem Sinn folgendermaßen beschreiben: Das conceptual framework der Kirche funktioniert nicht mehr richtig. Die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation werden selbst von Christen in Zweifel gezogen. Die tacit dimension der Wirklichkeit wird heute übersehen und die Zweifel an der Kirche interpretiert Dulles als Wiederaufleben der critical era. Generell besteht die Gefahr, dass das conceptual framework der Kirche von anderen conceptual frameworks überformt und vereinnahmt wird. In diesem kulturellen Zusammenhang bemerkt Dulles ein neues Interesse an der Apologetik, besonders im evangelikalen Raum. Die evangelikalen Apologetiken werden hier nicht weiter untersucht, da sie nicht zur weiteren Klärung des Verständnisses von Dulles’ Apologetik beitragen. 4.3 Methoden der Apologetik In dem Artikel The Rebirth of Apologetics spricht Dulles von zwei verschiedenen Arten, Apologetik zu betreiben. Die erste Möglichkeit, Apologetik zu betreiben, besteht für Dulles in dem so genannten classical approach231. Die zweite Möglichkeit ist die von Dulles vorgeschlagene neue Apologetik. Der classical approach Die Methode des classical approach geht auf das 17. Jahrhundert zurück und blieb bis ins 20. Jahrhundert beinahe unverändert bestehen. Diese Methode soll in der folgenden Tabelle dargestellt werden. Die linke Spalte beschreibt den Rückgriff der Apologetik auf eine bestimmte Wissenschaft. Die rechte Spalte gibt das Ziel der Auseinandersetzung mit einer bestimmten Wissenschaft an. Zugrunde liegende Wissenschaft Philosophie Geschichtswissenschaft

230 231

Zweck der Untersuchung Beweis der Existenz Gottes Beweis der Möglichkeit der Offenbarung Rechtfertigung der biblischen Heilsgeschichte und ihres Höhepunktes in Jesus Christus

DULLES, The Rebirth of Apologetics, 20. Vgl. ebd.

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Dulles bewertet die klassische Apologetik nicht negativ, fordert aber die Beachtung einiger Hinweise232. Auf der ersten Stufe der Apologetik müssen die verwendeten philosophischen Systeme richtig ausgewählt werden. Auf der Grundlage einer rein empirischen Methode wird man die Möglichkeit der Offenbarung nicht aufweisen können. Auf der zweiten Stufe der Apologetik zeigt sich die Schwierigkeit, die Historizität der biblischen Berichte mittels einer objektiven historischen Methode zu beweisen. Auch hier sind die Voraussetzungen der Wissenschaft entscheidend. Wissenschaftler mit agnostischen oder atheistischen Voraussetzungen können die Ergebnisse der Apologetik nicht anerkennen, wenn die Ergebnisse der Apologetik ihren Voraussetzungen widersprechen. Ekklesial-transformative Apologetik Ein großes Problem für die Ausführungen von Dulles liegt in der strikten Trennung zwischen ungläubigen und gläubigen Menschen durch verschiedene conceptual frameworks. Zur Überwindung dieser Trennung ist die Apologetik erforderlich. Gleichzeitig stellt Dulles fest, dass innerhalb der Kirche das conceptual framework nicht mehr unbedingt verständlich ist. Deshalb wäre eine Art von Apologetik, sprich ein Programm für die Neuevangelisation auch innerhalb der Kirche notwendig. Bei dieser neuen Aufgabe der Apologetik verweist Dulles auf Papst Johannes Paul II.233 Die personalistische Anthropologie und das Programm der Neuevangelisation von Papst Johannes Paul II. erscheinen Dulles besonders geeignet bei dieser Aufgabe234.

232

233 234

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Ebd: „This approach can be quite effective with readers who are adept in philosophy and who have some prior interest in Holy Scripture. But it must be practiced with discretion”. Vgl. ebd. Ebd.: „Personalism, he [Pope John Paul II] believes, is the best medicine for awakening the world from its metaphysical slumber. He begins his arguments for the existence of God by reflecting not on the finitude, mutability, contingency, and order of the universe, as was traditionally done, but on the aspirations of the human heart for communion with the divine. In his view human beings are made for transcendent truth, and such turns out to be a person who says of himself, ‘I am the truth.’” Vgl. auch DULLES, The Rebirth of Apologetics, 21: „In his program for the new evangelization as set forth in Redemptoris Missio, Pope John Paul II reminds his readers that the world today looks not so much for arguments as for witnesses – that is to say, for believers who will testify by word and deed to a Lord whom they have encountered in experiences of faith. ,Belief,’ according to the Pope in Fides et Ratio, is often humanly richer than mere evidence, because it involves an interpersonal relationship and brings into play not only a person’s capacity to know but also the deeper capacity to entrust oneself to others, to enter into a relationship with them which is intimate and enduring. This emphasis on personal trust, I believe, holds great promise for the renewal of apologetics”.

Personalismus und Neuevangelisation Die Anthropologie Papst Johannes Pauls II. kennzeichnet den Menschen als Gottsucher. Der Mensch ist bereits als solcher auf transzendente Wahrheit hin geschaffen. Der Sinn menschlicher Existenz liegt damit außerhalb des Menschen. Letztendlich ist die Person Jesu die transzendente Wahrheit und damit auch der Sinn der menschlichen Existenz235. In dieser Sichtweise ist der Mensch von vornherein nicht isoliert zu denken. Zum Menschen gehören seine Freiheit, seine Verantwortung, seine Aktivität und letztendlich auch sein Selbstbewusstsein (self-constituting agent). Die verschiedenen Bereiche menschlicher Tätigkeit und Freiheit erscheinen dabei miteinander verschränkt. Aktivität oder auch Arbeit haben einen transitiven und einen intransitiven Sinn236. Das bedeutet, der tätige Mensch wirkt in seiner Aktivität auf die Umwelt ein (transitiv), gleichzeitig wirkt sich die eigene Aktivität eines Menschen auf eben diesen Menschen selbst aus (intransitiv)237. Die Betonung der intransitiven Komponente der Arbeit steht für Dulles alternativen Gesellschaftsmodellen diametral gegenüber. Denn sowohl der westliche Liberalismus, als auch der sowjetische oder der chinesische Marxismus folgen anderen Prinzipien238. So unterschiedlich diese Gesellschaftsmodelle auch sind, sie alle beinhalten die Tendenz, Personen den Dingen unterzuordnen239. An dieser Stelle wird deutlich, wie sehr die Theorie menschlicher Aktivität bereits auf eine soziale Dimension hinweist. Dulles führt aus: „As the self-expression of the spirit, human activity is essentially related to truth, goodness, and beauty. Although work and culture are always objectified in products of one kind or another, human activity, as an actualization of the subject, is perfective of the agent. The essence of praxis consists in the self-realization of the acting subject, who at the same time renders the nonhuman environment in some way more human. Praxis must therefore be understood as proceeding from the human subject and perfecting it, rather than as degrading the person and turning the agent into a mere instrument”240.

Die menschliche Aktivität verweist nicht nur auf soziale Dimensionen, sondern auch auf die transzendente Dimension. Die Dimensionen des Wahren, des Guten und des Schönen werden in der Aktivität bereits miterfasst. Die Anthropologie von Johannes Paul II. lässt aus diesem Grund eine Trennung zwischen der Anthropologie, der sozialen Dimension und der Dimension der Transzendenz über235

236 237

238 239 240

Vgl. DULLES, The Splendor of Faith. The Theological Vision of Pope John Paul II. Revised and Updated Edition. New York (1999) 22003, 248. Vgl. DULLES, The Splendor of Faith, 173f.; 248. Vgl. DULLES, The Splendor of Faith, 174: „In Wojtyła’s personalist perspective the intransitive dimension is more important than the transitive, because personal subjects are more important than things, including the products of their labour” Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd.

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haupt nicht zu. Dies zeigt sich besonders deutlich am Freiheitsbegriff von Papst Johannes Paul II.241 Freiheit ist in diesem Zusammenhang als Willenseinstellung hin zum Wahren und Guten zu verstehen. Genauer betrachtet bedeutet dies, dass Freiheit nur durch Gott ermöglicht wird. Denn falls der einzelne Mensch nur von individuellen oder sozialen Beweggründen geleitet wird, ist er niemals psychologisch frei242. Manipulation, Zwang, Angst vor einer Strafe oder Hoffnung auf eine Belohung können die menschliche Freiheit beeinträchtigen. Aus diesem Grund muss die innere Freiheit des Menschen wachsen243. Freiheit kann gewonnen werden. Dabei besteht Freiheit nicht in der Abwesenheit von Beweggründen. Ohne Motive wäre Freiheit bedeutungslos. In freien Handlungen folgt der Einzelne dem, was er als gut und wünschenswert bewertet, ohne dabei durch irgendeine Form von Zwang geleitet zu werden244. Der einzelne wählt bei einer freien Entscheidung selbst, nimmt sich als Quelle der eigenen Aktivität wahr und vor allem als verantwortlich für die Ergebnisse dieser Handlung. In diesem Zusammenhang ist auch die These von Dulles aus dem Artikel The Rebirth of Apologetics zu verstehen, dass Papst Johannes Paul II. das Christentum interpersonal versteht245. Dulles führt in dem Artikel The Rebirth of Apologetics aus: „The Church is a place in which human persons enter into communion with one another in Jesus Christ. The Pope thus presents an intersubjective or interpersonal version of Christianity that can be a very attractive alternative to readers who suffer from the anonymity of contemporary collectivism or the isolation of contemporary individualism”246.

Die Kirche ist dabei keine rein menschliche Institution. Sondern diese Gemeinschaft ermöglicht die communio menschlicher Personen untereinander in Jesus Christus247. Bei der Überwindung der Trennung zwischen dem einzelnen 241

242 243

244 245 246 247

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Vgl. DULLES, The Splendor of Faith, 249: „Freedom, according to Wojtyła, is not to be understood primarily in terms of indifference, as in the Molinist system. Rather, he adheres to the Augustinian and Thomistic tradition in which freedom is understood as a voluntary commitment to the true and the good. Sin, as the turning away from the true and the good, is the abuse of freedom. By a responsible use of our own freedom we make ourselves the kind of persons that we are”. Vgl. DULLES, The Splendor of Faith, 187. Vgl. ebd: „One of the benefits of training and discipline is to enhance our zone of inner freedom. By education and exercise we develop the motivation and character that enable us to resist physical and especially psychological pressures”. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, The Rebirth of Apologetics, 21. Ebd. Vgl. DULLES, The Splendor of Faith, 252: „John Paul II understands the Church in personalist terms. It is a living reality constituted by persons who come to themselves by

Ungläubigen und dem Glauben wollte Dulles von einem Personalismus und von einer Theorie der Neuevangelisation ausgehen. Der Personalismus von Papst Johannes Paul II. erschien ihm dazu besonders geeignet. Die Darstellung des Personalismus von Papst Johannes Paul II. ergab für Dulles, dass jeder Einzelne immer schon in eine soziale, aktive und transzendente Dimension eingeordnet werden muss. Neuevangelisation oder Evangelisation überhaupt ist in dieser Sichtweise ein personales, beziehungsweise ein interpersonales Geschehen. Die primären Träger der Weitergabe des Glaubens sind Zeugen. Sekundär wird auf Argumente verwiesen. Diese sekundäre Einstufung der argumentativen Weitergabe des Glaubens kommt einer Absage an die klassische neuscholastische Apologetik gleich. Das Ziel der Evangelisation ist ein personales Vertrauen und der Beginn einer engen, andauernden Beziehung zwischen Personen untereinander248. Damit intendiert die Evangelisation die Transformation von Individuen und Kulturen im Geiste Christi. Diese Evangelisation ist Aufgabe aller Gläubigen, da alle Gläubigen Teil des Leibes Christi sind. Die strikte Trennung zwischen dem Ungläubigen und dem Glauben findet sich im Denken von Johannes Paul II. überhaupt nicht. Die einzelne Person ist immer schon auf die Gesellschaft, die Transzendenz und Christus, beziehungsweise den Glauben verwiesen. Das einzelne ungläubige Individuum mit seinem eigenen conceptual framework, das getrennt vom Glauben der Kirche existiert, ist eher eine Folgerung aus der ekklesial-transformativen Theologie von Dulles. Dulles verweist in seinem Buch The Splendor of Faith darauf, dass Kirche und Welt im Denken von Papst Johannes Paul II. aufeinander verwiesen sind. Die Welt ist auf die Kirche verwiesen und die Kirche auf die Welt249. In diesem Zusammenhang erscheint es logisch, dass Dulles seine Theologie mit den Gedanken von Papst Johannes Paul II. anreichert. Dieses Vorgehen kann zu einer Überwindung der von Dulles konstruierten Dichotomie zwischen Kirche und Welt führen. Besonders hilfreich ist für Dulles in diesem Zusammenhang der Begriff der personalen Zeugenschaft (personal testimony)250. Wird Theologie unter dem Paradigma Zeugenschaft betrieben, dann ändert sich für Dulles die Ausgangsfrage der Apologetik. Die Frage der Apologetik ist nicht mehr, wie der Mensch zu Gott gelangen kann, sondern wie Gott zum Men-

248

249 250

discovering and affirming their own identity. It is a communion of persons, a community of disciples”. DULLES, The Splendor of Faith, 76: „Evangelization does not end with the first proclamation of the gospel but involves the total transformation of individuals and cultures in Christ. It is the task not of a few specialists but, in one way or another, of all Christians. The principal agent of evangelization is the Holy Spirit”. Vgl. DULLES, The Splendor of Faith, 70-71. Vgl. DULLES, The Rebirth of Apologetics, 21.

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schen gelangt. In diesem Kontext kann Dulles die Offenbarung als göttliche Zeugenschaft verstehen, Glauben als Akzeptanz des Wortes Gottes. Die Weitergabe der Offenbarung und des Glaubens funktioniert in den Parametern der Zeugenschaft. Die ganze Geschichte des Christentums lässt sich als lebendiges Zeugnis von Gläubigen verstehen. In diesem Zusammenhang muss sich auch die Herangehensweise der Apologetik ändern. Apologetik befasst sich in diesem theologischen Kontext nicht mehr mit wissenschaftlicher Objektivität. Das Ereignis, das es zu systematisieren und zu erklären gilt, ist die Bezeugung des Glaubens in einem interpersonalen Treffen. Dulles führt aus: „The event is an interpersonal encounter, in which the witness plays an active role, making an impact upon us. Without in any way compelling us to believe, the witness calls for a free assent that involves personal respect and trust. To reject the message is to withhold confidence in the witness. To accept it is a trusting submission to the witness’s authority. To the extent that we believe, we renounce our autonomy and willingly depend on the judgement of others. […] Since the passage from unbelief to Christian faith involves conversion to a radically new outlook, testimony plays an indispensable role. Through the words of His witnesses God can bring us to affirm what we could not have discovered for ourselves”251.

Das bedeutet, dass der Zeuge immer ein Zeuge Gottes ist. Die Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens hängt in diesem Zusammenhang nicht mehr von der Qualität der Argumente ab. Glaubwürdigkeit ist eine Frage des interpersonalen Treffens zwischen dem Zeugen Gottes und dem Ungläubigen. Glaubwürdigkeit ist an den Zeugen selbst gebunden und somit personal, wie in analoger Weise die Glaubwürdigkeit der Offenbarung an Gott gebunden ist und somit in analoger Weise personal zu verstehen ist. Diese Glaubwürdigkeit ist das Maß der Autorität des Zeugen bei der Weitergabe des Glaubens an einen Ungläubigen, wie in analoger Weise das Maß der Autorität Gottes in der Offenbarung. Wichtig bleibt für Dulles in diesem Zusammenhang die ekklesial-transformative Theologie. Der Glaube ermöglicht eine radikal neue Einsichtnahme (outlook). Dabei gelangt der Gläubige im Glauben in eine Dimension, die ihm ohne den Glauben verschlossen bleibt252. Kriterien Dulles versucht, Kriterien zu entwickeln, an Hand derer das religiöse Zeugnis bewertet werden kann. Die Kriterien von Dulles betreffen allerdings nur das persönliche Zeugnis in der Heiligen Schrift253. Dulles erklärt nicht, weshalb er von der Ebene der personalen Zeugenschaft in der Gegenwart auf die Ebene der 251 252

253

76

Ebd. Ebd.: „To demonstrate that belief in religious testimony can be warranted, apologetics is required”. Vgl. DULLES, The Rebirth of Apologetics, 22.

personalen Zeugenschaft in der Heiligen Schrift zurückgeht. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Dulles die Heilige Schrift als Paradigma persönlicher Zeugenschaft versteht254. Diese Kriterien von Dulles255 sollen in der folgenden Tabelle dargestellt werden. Kriterien convergence

firmness

novelty

Bedeutung Die Evangelisten leben in verschiedenen Gemeinschaften und betrachten das Leben Jesu unter verschiedenen Gesichtspunkten. Dennoch stimmen sie alle in den Hauptpunkten überein. Das Neue Testament beinhaltet viele Theologien, aber nur eine Sicht Jesu Christi und des christlichen Lebens. Alle Evangelien stimmen darin überein, dass Jesus mit Vollmacht spricht und agiert, den Erlösertod stirbt und vom Grab aufersteht. Alle Evangelien stimmen darin überein, dass Jesus ein revolutionäres Ideal des menschlichen Lebens geprägt hat. Das beinhaltet Armut, Demut, Nächstenliebe, Ausdauer im Leid. Dieses Ideal wird als Weg zum ewigen Heil beschrieben. Die Autoren des Neuen Testaments versuchen nicht, das Geheimnis Gottes durch menschliche Spekulation zu ergründen. Sie sind Zeugen einer Wahrheit, die mit der Kraft einer Offenbarung ihnen zuteil wurde. Was die Autoren des Neuen Testaments als Gottes Wort kennen gelernt haben, das verkünden sie mit Zuversicht. Die Festigkeit ihrer Überzeugung ist ein Hinweis darauf, dass Gott zu ihnen gesprochen hat und ihnen seine Macht gezeigt hat. Die Botschaft, die die Autoren des Neuen Testaments verkünden, hätten sie selbst niemals akzeptiert. Die Evangelisten waren fromme Juden und dennoch haben sie Jesus Gott genannt und ihn wie Gott, den Vater verehrt.

transformation Die Apostel und ihre Begleiter wurden von der Botschaft, die sie verkündeten, transformiert. Die Apostel haben nicht von der Botschaft Besitz ergriffen, sondern umgekehrt. Die Apostel verkünden nach dem Pfingstereignis die Botschaft von Jesus Christus, nachdem sie sich ängstlich zurückgezogen hatten. Die außerordentliche Dynamik der Apostel ist ein Beweis für Gottes transformierende Kraft. illuminative Die Qualitäten der Botschaft der Apostel sind einer Offenbarung angemessen. power Die Botschaft bietet Einsichten in Leiden und Tod, die keine menschliche Philosophie bereitstellen könnte. Die Botschaft überwindet die Schranken von Nationen, Feindschaft zwischen den Rassen und ethnischen Gruppen. Das Evangelium fördert eine Zivilisation universalen Friedens und universaler Liebe.

Dieser Kriterienkatalog ist überraschender Weise eine exakte Wiederholung der Kriterien der Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift im so genannten confessional approach aus der 1963 vorgelegten Studie Apologetics and the Biblical Christ. Auch in Apologetics and the Biblical Christ spricht Dulles von einer 254 255

Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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Konvergenz des Neuen Testamentes, von der starken Überzeugung (firmness) der Autoren und der beschriebenen Personen des Neuen Testamentes. Das Neue Testament wird als Neuheit beschrieben, die die Apostel transformiert hat, und besondere Qualitäten der christlichen Botschaft werden herausgehoben256. Es fällt auf, dass die von Dulles genannten Kriterien zur Bewertung des religiösen Zeugnisses in der Heiligen Schrift nicht das Problem des interpersonalen Charakters des religiösen Zeugnisses behandeln. Die Kriterien betreffen nur die Apostel und ihr Verhältnis zu ihrer Botschaft und zu Gott. Lediglich das letzte Kriterium (illuminative power) behandelt die Qualitäten der Botschaft selbst. Das Problem der interpersonalen Weitergabe des Glaubens durch die Apostel erwähnt Dulles mit keinem Wort. Anstelle dessen verweist Dulles auf die transformative Kraft der Botschaft der Apostel. Dadurch wird aber die Differenz zwischen Welt und Botschaft beziehungsweise Glaube nur noch erweitert, statt behoben. Die Heilige Schrift wird als Bekenntnisdokument verstanden, also genau so wie in Dulles’ Apologetik der 60er und 70er Jahre. Die Kriterien erweisen sich als hypothetisch, wie das Kriterium der novelty zeigt. Dulles hatte ausgeführt: Die Botschaft, die die Autoren des Neuen Testaments verkünden, hätten sie selbst niemals akzeptiert. Diese Aussage ist allerdings auf der Basis der Heiligen Schrift weder verifizierbar noch falsifizierbar. Dies gilt auch für den Umgang mit der Heiligen Schrift als Bekenntnisdokument. Dulles erklärt diesen Umgang mit der Heiligen Schrift folgendermaßen: „The biblical authors are not professional historians, concerned with reporting exactly what Jesus had said and done on this or that occasion. They are believers aiming to communicate the gospel and evoke faith”257. Aussagbar ist in diesem Zusammenhang nur die Tatsache, dass die Apostel irgendwann diese Botschaft akzeptiert haben. Ob sie vorher diese Botschaft zurückgewiesen haben, oder sie 256

257

78

Vgl. DULLES, Apologetics and the Biblical Christ, 37 ff.: „There are many theologies in the New Testament but only one faith […] In reading the New Testament one cannot fail to be struck by the absolute firmness of its religious witness […] Nothing in the Jewish tradition – the tradition in which Peter and Andrew […] were reared – would have predisposed them to accept what they now proclaim. […] How can one explain, if not through a revelation, that they now so confidently and unanimously look upon this Galilean carpenter as Lord of the universe […] In becoming Christians they have received the power to set the universe on fire with the contagion of their vision, their hope, their inextinguishable love. The word lodged in their minds has become a dynamic force compelling them to go forth and preach to all mankind. Nothing in the formation of most of them – whether as fishermen, tax collectors, or tentmakers – would have made them likely candidates for such a mission […] It [the Christian message] is not the type of message which is easily fabricated by the ingenuity of the wise, let alone by the wanderings of disordered minds. Two thousand years ago it was capable of regenerating an exhausted and disillusioned world. And still today each reader of the Gospels, if he have the least spark of religious concern, feels that it could do the same for him”. DULLES, The Rebirth of Apologetics, 21.

gar ohne eine Offenbarung zurückgewiesen hätten, bleibt unzugänglich, spekulativ und letzten Endes uninteressant. Dieses Kriterium könnte eher als Spekulation beschrieben werden. Der Fundamentaltheologe Gerald O’Collins hat in seinem Buch Fundamental Theology darauf hingewiesen, dass alle möglichen Prinzipien zur Bewertung der Tradition letztendlich nur im gekreuzigten und auferstandenen Herrn verstanden werden können. O’Collins führt aus: „For [the] process of discernment Christian faith suggests a number of criteria which finally converge toward one point – not toward the claims of efficiency, the voice of democracy, or any other immediately attractive principle, but toward the crucified and risen Lord. The ultimate question must be: in the face of these or those particular traditions and fresh developments, what does obedience to the crucified and risen Jesus demand of us?”258

Für O’Collins sind daher alle Kriterien zur Bewertung der Tradition unzulänglich, außer dem Kriterium des gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Das Magisterium, die Heilige Schrift, der Kodex des Vinzenz von Lerinum, alle diese Kriterien können alleine nicht bestehen und verweisen auf den gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Die Sichtweise von O’Collins könnte dabei helfen, die Kriterien von Dulles als in Bezug zur Person des gekreuzigten und auferstandenen Herrn zu verstehen. Aber Dulles entzieht sich an diesem Punkt der Frage nach der Bewertung religiösen Zeugnisses. Weder auf der Ebene der Bewertung religiösen Zeugnisses in der Heiligen Schrift, noch auf der Ebene der Bewertung religiösen Zeugnisses in der Gegenwart kommt Dulles zu irgendwelchen Ergebnissen. Die Ausführungen von Dulles über die Heilige Schrift und die Person Jesu erscheinen als Summarien der Heilsgeschichte, die den Umgang mit der Heiligen Schrift als Bekenntnisdokument verdeutlichen. Damit ist aber letztlich die Überzeugung aus Apologetics and the Biblical Christ wiederholt. Vergleicht man deshalb die beiden Standpunkte von Dulles, so ergibt sich folgendes Bild:

258

O’COLLINS, Gerald, Fundamental Theology. Eugene 2001, 224.

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Apologetics and the Biblical Christ

The Rebirth of Apologetics

1. Die Definition und Aufgabe des Begriffes Apologetik bei Dulles

Historizistische Apologetik: → ist Verteidigung des Glaubens. → ist eine atheologische Wissenschaft. → ist rational. → versteht die Heilige Schrift als Quelle objektiver, historischer Fakten. → antwortet auf wissenschaftlich elaborierte Thesen. Konfessionale Apologetik: → ist Verteidigung des Glaubens. →besteht erstens im Auffinden von Zeichen der Glaubwürdigkeit des Glaubens. → besteht zweitens in der Verbindung dieser Zeichen mit der Wahrheit der Offenbarung. → ist damit eine Grenzgängerin zwischen der Theologie und einer atheologischen Wissenschaft. → versteht die Objekte des Glaubens als Mysterien. → versteht die Heilige Schrift als Bekenntnisdokument. → antwortet auf wissenschaftlich elaborierte Thesen und auf die Fragen ungläubiger Menschen.

Kategorien zur Bewertung der Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift

Konfessionale Apologetik: Konvergenz des Neuen Testaments Starke Überzeugung der Autoren Neuheit der Botschaft des Neuen Testaments Transformation der Apostel Besondere Qualitäten der christlichen Botschaft

Apologetik: → ist die rationale Begründung des Glaubens. → besteht im Auffinden und der systematischen Darlegung des Wortes Gottes. → versteht die Materialobjekte des Glaubens als Mysterien. → ist nicht mit der Fundamentaltheologie gleichzusetzen. → antwortet auf wissenschaftlich elaborierte Thesen und auf die Fragen ungläubiger Menschen. → kann unter Verwendung mehrer Methoden erfolgen: classical approach oder new apologetics. Neue Apologetik als eine mögliche Methode der Apologetik: → verwendet personalistische Anthropologie. → stützt sich auf die Idee der Neuevangelisierung. → überwindet die Trennung der verschiedenen conceptual frameworks zwischen Ungläubigen und Glauben. → versteht die Heilige Schrift als Bekenntnisdokument. Apologetik: Konvergenz des Neuen Testaments Starke Überzeugung der Autoren Neuheit der Botschaft des Neuen Testaments Transformation der Apostel Besondere Qualitäten der christlichen Botschaft

Es fällt auf, dass beide Standpunkte einander entsprechen. Der Vorschlag von Dulles aus Apologetics and the Biblical Christ und der Standpunkt aus dem Artikel The Rebirth of Apologetics stimmen fast vollständig miteinander überein. Drei Divergenzen lassen sich jedoch beobachten: a) Die klassische Apologetik wird in dem Artikel The Rebirth of Apologetics nicht negativ bewertet. Die Apologetik erscheint als eine Disziplin, die mit verschiedenen Methoden arbeiten kann. Eine Methode besteht in der klassischen Apologetik. Eine andere mögliche Methode findet sich in der von Dulles vorgeschlagenen neuen Apologetik. b) In dem Artikel The Rebirth of Apologetics wird das Verhältnis zwischen der Apologetik und der Fundamentaltheologie näher

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geklärt. Apologetik richtet sich im Unterschied zur Fundamentaltheologie an die Menschen außerhalb der Kirche. Damit wird die etwas vage Verhältnisbestimmung aus dem Buch Apologetics and the Biblical Christ geklärt. In dem Buch Apologetics and the Biblical Christ hatte Dulles die Apologetik einerseits als atheologische, andererseits als theologische Wissenschaft charakterisiert. c) In dem Artikel The Rebirth of Apologetics versucht Dulles den Prozess der Glaubensvermittlung in der Gegenwart näher zu verstehen. Die Apologetik kann unter Verwendung des Personalismus und der Neuevangelisation den Vorgang der Glaubensvermittlung verständlich machen. Bei der Theorie des personalen Zeugnisses und der Neuevangelisation greift Dulles dabei auf Gedanken von Papst Johannes Paul II. zurück.

5. Ergebnis: Theologie als Reflexion der symbolischen Vermittlung der göttlichen Selbstkommunikation Wie funktioniert Theologie also für Avery Dulles? Das war ja die Ausgangsfrage der Beschäftigung mit den Beschreibungen seiner theologischen Methode. Es erscheint sinnvoll, Dulles’ Methode als Reflexion der symbolischen Vermittlung der göttlichen Selbstkommunikation zu beschreiben. Theologie und Symbole Symbole sind für Dulles real, sie beinhalten, was sie symbolisieren, transformieren die Menschen, die die Symbole verstehen und stellen Möglichkeiten zur Verfügung, die Symbole in Worte zu fassen. Symbole sind deshalb besonders dazu geeignet, die Offenbarung zu beschreiben und vermitteln deshalb zwischen Gott und den Menschen. Symbole begründen somit das conceptual framework der Gruppe derer, die die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation in ihre Existenz integriert haben. Der Zugang zu den Symbolen geschieht auf einer wortlosen Ebene, der tacit dimension. Man muss sich dabei nicht strikt an die Ausführungen von Polanyi halten, die auch Dulles nur zur Erläuterung dieser Dimension heranzieht. Man könnte deshalb auch einfach nur von den raisons du coeur sprechen oder von clues, die Menschen Zugang zu Wirklichkeiten erschließt, die dem expliziten Wissen verschlossen bleiben. Die Möglichkeit der Explikation der Symbole bleibt deshalb immer auch beschränkt, die Symbole sind niemals ersetzbar. Dieser realsymbolisch orientierte Zugang der Theologie zeigt sich bei Dulles schon sehr früh. Bereits in Models of the Church spricht Dulles davon, dass nur Bilder den Zugang zur Realität der Kirche ermöglichen. Bilder weisen immer über sich selbst hinaus und bleiben für eine Vielzahl von Implikationen offen. Die Analyse und die Reflexion eines Bildes führen deshalb zu dem in der Theologie benutzbaren Modell, das einen reflektierten Einblick in die zugrunde 81

liegende Realität ermöglicht. Ähnlich könnte man deshalb auch sagen, dass die Analyse und Reflexion eines Symbols zu der wissenschaftlichen Reflexion der Grundlagen des conceptual framework der Kirche führt. Die Theologie ist deshalb immer als Grundlagenforschung zu verstehen, die die Fundamente der Kirche methodisch untersucht. Die wissenschaftliche Reflexion der Symbole ist nicht immer vollständig möglich und es gibt dazu verschiedene Möglichkeiten und Methoden, die Dulles allerdings nicht eigens untersucht. Theologie und Kirche Die Theologie muss dem Zusammenleben der Kirche dienen. Dieser praktische Zug der Theologie ergibt sich aus der zentralen Stellung der Symbole als Grundlage jeder theologischen Reflexion und gleichzeitig als Grundlage des conceptual framework der Kirche. Dabei müssen die Vertreter jedes einzelnen theologischen Faches von anderen theologischen Fächern, von anderen Konfessionen und anderen wissenschaftlichen Disziplinen zu lernen bereit sein. Umgekehrt kennt Dulles aber auch eine regulative Funktion des conceptual framework: Wenn Theorien nicht mehr von den zugrunde liegenden Symbolen gedeckt sind, also aus dem Framework herausfallen, dann müssen diese Theorien kritisiert werden. Die Theologie muss deshalb nach Dulles die symbolische Vermittlung der Selbstkommunikation Gottes im conceptual framework der Kirche als grundlegende Größe ansehen. Es kann keine Theologie außerhalb des Frameworks der Kirche geben. Das hat dann aber eine Trennung zwischen der Welt und der Kirche in unterschiedlichen conceptual frameworks zur Folge. Und sogar das eine Framework der Kirche erscheint für Dulles dabei in Gefahr zu sein: Unterschiedliche Sinnangebote und neue Sozialisierungen der Mitglieder der Kirche führen zu einer Vielzahl von Frameworks auch in der Kirche. Zur Überbrückung dieser Kluft wird die Apologetik als theologische Disziplin für Dulles wieder neu interessant und aufgrund seiner ekklesial-transformativen Konzeption der Theologie sogar zu einer Notwendigkeit. Die Tatsache, dass Dulles mehrere Methoden in der Apologetik zulässt, zeigt, dass er weniger an der Art und Weise der Verknüpfung der conceptual frameworks interessiert ist, als vielmehr an der Tatsache, dass dies unternommen wird. Das hohe Maß an Kontinuität in seinen Ausführungen zur Apologetik zeigt darüber hinaus, dass diese theologische Disziplin für Dulles ein Aufgabengebiet der Theologie ist, das für Dulles während seiner gesamten Lehrtätigkeit von Bedeutung gewesen ist. Apologetik ist deshalb mit Sicherheit eine Konsequenz der Vorstellung von der Sozialisierung der Gläubigen in der Kirche, also der ecclesial-transformative theology. Die Apologetik schützt Dulles’ theologische Methode davor, idealistisch oder weltfremd zu erscheinen. Eine Theorie, in der nämlich nur feststünde, dass es ein conceptual framework der Kirche gäbe, das für alle Mitglieder der Kirche gleich ist, scheitert an der Realität. So ergab die 15. Shell Jugendstudie (2006) 82

zur Untersuchung der Situation von Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland, dass in der Gruppe der befragten römisch-katholischen Jugendlichen nur 41% an einen persönlichen Gott glauben, 22% gaben an, es existiere eine überirdische Macht, 23% wissen nicht, was sie glauben sollen und 14% gaben an, weder an Gott noch an eine überirdische Macht zu glauben259. Natürlich kann man nicht erwarten, dass alle Jugendlichen in einem Alter zwischen 12 und 25 Jahren ihren Glauben bereits reflektiert erklären können und mit dem Begriff persönlicher Gott tatsächlich meinen, dass sie sich „von Gott persönlich als Du angeredet [fühlen und von] hier [ihren] unersetzlichen Wert“260 erfahren. Trotzdem zeigt diese Umfrage eine deutliche Unsicherheit von Mitgliedern der Kirche beim Sprechen über ihren Glauben – eine Realität, aufgrund derer man die ecclesial-transformative theology ohne die Apologetik als gescheitert anzusehen hätte. Die Frage Max Secklers nach der „ekklesiologische[n] Verortung“261 der Theologie als konstitutiver Bedingung der Glaubenswissenschaft lässt sich auf der Grundlage der methodologischen Schriften Dulles’ beantworten: Theologie muss kirchlich sein, weil sie die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation wissenschaftlich reflektiert, diese Symbole begründen aber gleichzeitig das conceptual framework der Mitglieder der Kirche. Die Theologie wird damit durch die Reflexion festgelegter Gegenstände bestimmt, nicht durch ihr methodisches Vorgehen. Die Kirchlichkeit der einzelnen Theologen wird von Dulles durch die Sozialisierung der Menschen im conceptual framework erklärt. Offene Fragen Es bleiben allerdings wichtige Fragen ungeklärt. Wie sieht das conceptual framework der Kirche genauer aus? Wie werden die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation expliziert und wie lässt sich das richtige Verständnis dieser Symbole gewährleisten? Ist dies durch wissenschaftliche Diskussion möglich und/oder aufgrund lehramtlicher Entscheidungen? Die Ausführungen von Massa zeigen in diesem Zusammenhang, dass Dulles’ Überlegungen zum Verhältnis von wissenschaftlicher Theologie und kirchlichem Lehramt hier nicht wirklich weiterführen können, weil Dulles im Lauf seiner Lehrtätigkeit hier erstaunliche Entwicklungen gemacht hat. Die Auswahl älterer Untersuchungen Dulles’ und ihr Vergleich mit Erklärungen neueren Datums können somit diese Fragen nicht beantworten. Bislang ist eigentlich nur klar, dass das Framework durch die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation begründet wird und dass es ein richtiges Ver259

260 261

Vgl. GENSICKE, Jugend und Religiosität In: DEUTSCHE SHELL (Hrsg.), Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck. Frankfurt am Main 2006, 210. BALTHASAR, Klarstellungen, Zur Prüfung der Geister. Einsiedeln 1978, 39. SECKLER, Theologie als Glaubenswissenschaft, 163.

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ständnis der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation gibt, das als Richtmaß an verschiedene Theorien oder Modelle angelegt werden kann. Merrigan und Shecterle hatten in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, wer zur Beurteilung theologischer Modelle beziehungsweise zur Interpretation der Symbole für die Glaubensgemeinschaft befähigt ist. Das heißt, es stellen sich für Merrigan und Shecterle vor allem institutionelle Fragen in Verbindung mit diesem Framework. Darüber hinaus müsste aber auch die Frage gestellt werden, in welchem Ausmaß verschiedene Meinungen innerhalb des conceptual frameworks berechtigt sind, was also in das richtige Verständnis der Symbole integriert werden kann und was nicht. Sollten die Ausführungen Dulles’ zur Katholizität der Kirche zu einem besseren Verständnis seiner theologischen Methode führen, dann müssten sie also vor allem das legitime Maß an Verschiedenheit innerhalb des conceptual frameworks der Kirche bestimmen und eine Erklärung der richtigen Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation liefern. Die Beschäftigung mit der theologischen Methode von Avery Dulles führt also vor allem zu zwei Fragestellungen, die aus seinen methodologischen Ausführungen heraus nicht geklärt werden können. Es geht um die offene Frage der Berechtigung und des Ausmaßes von legitimer Verschiedenheit in der Theologie beziehungsweise der Kirche (also des conceptual frameworks) und um die Schwierigkeit, wie die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation richtig verstanden, also ins Wort gefasst oder expliziert werden können. Diese Probleme führen dazu, dass Dulles in seinen Ausführungen zur Methodologie auch keine Begründung seiner Kriterien zur Bewertung von theologischen Modellen oder Theorien liefern kann. Damit bleibt aber letzten Endes unklar, wie Dulles überhaupt von ekklesial-transformativer Theologie sprechen kann. Denn wenn Symbole zu Sozialisierungsprozessen der Gläubigen führen, dann muss es auch Kriterien für die Einheitlichkeit des conceptual frameworks geben

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Kapitel II: Catholic bei Avery Dulles Dulles hat in seinen Überlegungen zur Funktionsweise der Theologie darauf hingewiesen, dass es ein richtiges Verständnis der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation innerhalb des conceptual framework der Kirche gibt und dass in Kirche und Theologie Verschiedenheit legitim ist. Er hat aber die Frage nicht geklärt, wie Symbole richtig verstanden werden und in welchem Ausmaß Verschiedenheit im conceptual framework der Kirche möglich ist. In Dulles’ Ausführungen zur Katholizität der Kirche müssten diese Fragen eigentlich beantwortet werden, denn bei der Katholizität geht es ja um eine Eigenschaft der Kirche, also um die Frage wie die Kirche verstanden wird. Die Untersuchung einer Eigenschaft der Kirche klärt deshalb auch das conceptual framework bei Dulles weiter und damit auch die Art und Weise, wie die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation verstanden werden. Es muss also davon ausgegangen werden, dass sich bei Dulles die Reflexion über Theologie und die Reflexion über Katholizität inhaltlich ergänzen. Anderenfalls kann Dulles wichtige Fragestellungen seiner theologischen Methode nicht beantworten. Deshalb muss zunächst untersucht werden, was katholisch bei Dulles bedeutet.

1. Das Wort katholisch 1.1 Ursprung und Geschichte des Begriffs „katholisch“ Das Adjektiv „katholisch“ ist nicht biblischen Ursprungs262. Dulles nennt eine einzige biblische Belegstelle, in welcher das Wort in einem völlig anderen Sinnzusammenhang vorkommt: In Apg 4,18 findet Dulles: to. kaqo,lou (mh. fqe,ggesqai.), was soviel bedeutet wie „überhaupt (nicht verlauten zu lassen)“263. Die mit dem Wort „katholisch“ verbundene Vorstellung ist für Dulles allerdings sehr gut in der Heiligen Schrift verwurzelt264. Dulles nennt Eph 1,23 und Mt 28,19-20265. Er führt aus: 262

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264

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Zum Begriff katholisch und seiner Verwendung in der Theologiegeschichte vgl. BEINERT, Um das dritte Kirchenattribut. Die Katholizität der Kirche im Verständnis der evangelisch-lutherischen und römisch-katholischen Theologie der Gegenwart. Essen 1964, 23-170. Im Rahmen dieses Kapitels der vorliegenden Arbeit wird nur die Verwendung des Begriffs katholisch bei Avery Dulles untersucht. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church. New York 1985, 13 f; DERS., The Church as ‘One, Holy, Catholic and Apostolic’. In: One in Christ 35 (1999), 20. Vgl. DULLES, Catholicity In: KOMONCHAK, Joseph A. / COLLINS, Mary / LANE, Dermot A. (Hrsg.), The New Dictionary of Theology. Wilmington, DE 21990, 172. Vgl. ebd.

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„the NT […] speaks of the church as ‘the fullness of him [Anmerkung von Dulles: Christ] who fills all in all’ (Eph 1:23). Because of its relationship to Christ, the church has a mission to all nations and to all generations (Mt 28:19-20)”266.

Fülle kommt damit der Kirche zu, weil sie der Leib Christi ist. Diese „katholische“ Fülle ist für Dulles im Neuen Testament untrennbar mit dem Missionsauftrag verbunden. Weitere Belegstellen sind für Dulles in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen zu finden. Er beschreibt den zugrundeliegenden Gedanken folgendermaßen: „the capacity to overcome the division between rich and poor free and slave, male and female, Jew and Gentile, Greek and barbarian“267. Die Vorstellung von Fülle und Christusverbundenheit in der Kirche führt damit also nach Dulles direkt zur Einheit der Kirche und zur Bestimmung der Kirche, alle Völker und Menschen in sich zu vereinen. Das bedeutet dann, dass die ganze Schöpfung in die eine und vollkommene Gottesbeziehung durch Christus berufen ist. Im Rahmen der theologischen Verwendung des Wortes katholisch verweist Dulles auf den Gebrauch des Wortes in der Koine. Hier bedeutet katholisch: „general, total, complete, and perfect“268. Den frühesten christlichen Gebrauch des Wortes katholisch findet Dulles bei Ignatius von Antiochien und im Martyrium Policarpi. In beiden Fällen kann Dulles aber keinen einheitlichen Sprachgebrauch nachweisen. Erst in der Mitte des vierten Jahrhunderts taucht das Wort in präziser Form auf. In den Katechesen von Cyrill von Jerusalem stößt Dulles auf die erste vollständige Diskussion des Adjektivs katholisch. Cyrill nennt fünf Gründe, warum die Kirche katholisch ist: 1) die geographische Ausdehnung der Kirche. 2) die vollkommene und zum Heil notwendige Lehre der Kirche. 3) der vollständige Gehorsam aller Menschen gegenüber der Kirche. 4) die totale Heilung jeder Sünde in der Kirche. 5) der vollkommene Besitz aller Tugenden der Kirche. Damit hat das Adjektiv katholisch bei Cyrill von Jerusalem eine geographische, dogmatische, anthropologische, theologische und ethische Dimension. Dieses weite Wortfeld wurde im Zug der donatistischen Kontroversen fast ausschließlich auf die geographische Komponente beschränkt. Für Augustinus gilt nach Dulles diese Engführung des Begriffs jedoch nicht. Bei Augustinus sei der Begriff katholisch mit einer Spiritualität der christlichen Liebe und mit einer eucharistischen Theologie verbunden.

266 267

268

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Ebd. Ebd. Vgl. hierzu auch LÖSER, Werner, Das Volk Gottes und die Kirche aus Juden und Heiden. Anmerkungen zur Katholizität und Apostolizität der Kirche. In: Catholica 56 (2002), 224: „Judenchristen und Heidenchristen sollten auf je ihre Weise zum Leben dieser einen, durch Katholizität und Apostolizität gekennzeichneten Kirche beitragen. […] Diese Kirche ist das neue Volk Gottes in und aus allen Völkern. Darin besteht seine Katholizität. Die Kirche ist als neuer Zweig auf den Ölbaum Israel aufgepfropft“. DULLES, The Catholicity of the Church, 14.

Nach der Untersuchung des Gebrauchs des Wortes katholisch in der Alten Kirche untersucht Dulles die Verwendung des Wortes katholisch im 16. Jahrhundert. Er beschreibt ihn folgendermaßen: Für die Orthodoxie bedeutete katholisch die Treue zur Fülle des Glaubens, die theologische Übereinstimmung mit den Kirchenvätern und die vollkommene Feier der Liturgie. In der römischkatholischen Kirche wurde katholisch zunächst vorwiegend geographisch verstanden. Später wurde vor allem die sichtbare Einheit mit dem Papst, die sich in der Einheit der Lehren, Riten und der Hierarchie manifestiert, betont. Im protestantischen Bereich wurde zunächst das Wort katholisch von Luther durch das Wort christlich ersetzt. Melanchthon kam jedoch zu der Auffassung, katholisch bedeutet die Treue zur Lehre der Heiligen Schrift und die Übereinstimmung mit der Lehre der Kirchenväter. Die Zeit zwischen der Reformation und dem Zweiten Weltkrieg fasst Dulles unter vier Gesichtspunkten zusammen269. Teilweise überschneiden sie sich, teilweise widersprechen sie sich. Sie werden in der folgenden Tabelle dargestellt. In der linken Spalte wird jeweils die Gruppierung genannt, die eine bestimmten Gebrauch des Wortes katholisch (rechte Spalte) vertrat und/oder vertritt. Gruppierung Griechisch-orthodoxe Theologen Römisch-katholische Gegenreformatoren und Neuscholastiker Tübinger Schule und OxfordBewegung Liberale Protestanten

Katholisch ist… …Festhalten des ganzen apostolischen Erbes, wie es von den Konzilien und Kirchenvätern des 4. und 5. Jahrhunderts ausgedrückt wurde. …die weite geographische Ausdehnung und die sichtbare Einheit unter einer einzigen Hierarchie mit dem Papst an der Spitze. …eine inkarnatorisch begründete, sakramentale Religion, in der das göttliche Leben für die lebendige Kirche vermittelt ist. …eine legalistische, autoritäre, inhumane Religion mit übertriebenen kirchlichen Regulierungen.

Damit zeigen alle vier von Dulles erwähnten Aspekte mehr oder weniger wichtige Teilbereiche, aber auch übertriebene Engführungen des Wortes katholisch. Der für Dulles wichtigste Aspekt ist der der Tübinger Schule und der OxfordBewegung. Denn hier spielt die Idee der Vermittlung eine zentrale Rolle, wie auch in Dulles’ methodologischen Schriften. Zu der Bedeutungsfülle, die das Adjektiv beispielsweise bei Cyrill von Jerusalem hat, kommt aber keiner dieser Aspekte. Dulles arbeitet mit diesen Aspekten auch gar nicht mehr weiter, sondern er nennt heutige Einstellungen zu diesen vier Aspekten270. Die von Dulles genannten heutigen Probleme mit den klassischen Aspekten werden in der folgenden Tabelle wiedergegeben. Links finden sich wiederum die Gruppierung, rechts die heutigen Kritiken gegenüber den Inhalten dieser Gruppierung.

269 270

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 17 f. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 19 f.

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Gruppierung Griechisch-orthodoxe Theologen

Römisch-katholische Gegenreformatoren und Neuscholastiker

Tübinger Schule und OxfordBewegung

Liberale Protestanten

Heutige Kritik an den Positionen Das starre Festhalten an der patristischen Tradition erscheint anachronistisch. Die Tradition des 4. und 5. Jahrhunderts allein erklärt nicht die heutigen Fragen. Die geographische Ausdehnung der römisch-katholischen Kirche erscheint heute nicht mehr beeindruckend: Weltliche Organisationen wie die Vereinten Nationen, oder auch Religionen wie der Islam oder der Buddhismus sind mindestens ebenso räumlich ausgedehnt. Die römisch-katholische Kirche erscheint heute nicht so sehr allumfassend, als vielmehr von der westlichen Kultur geprägt. Die herausgehobene Stellung der Ekklesiologie wird häufig kritisiert. Es wird ein mangelndes Interesse an den Nöten der Menschen vermutet. [sic!] Die ganze Menschheit muss im Heilsplan Gottes aufgehoben sein, nicht nur die Kirche. Die oben genannten Kritikpunkte des liberalen Protestantismus werden auch heute häufig vorgetragen.

Damit ist nach Dulles der Aspekt des Liberalen Protestantismus der einzige, der auch heute noch so vertreten wird. Das hängt damit zusammen, dass dieser Aspekt keine positiven Aussagen gemacht hat, was katholisch bedeutet. Ansonsten zeigt die Kritik an den drei verbleibenden Aspekten vor allem die mangelnde Anpassung der theologischen Ausführungen an die gegenwärtige Zeit (vor allem die Kritik an der griechisch-orthodoxen Theologie). Weitere theologische Anliegen werden vor allem gegenüber der Tübinger Schule und der Oxford-Bewegung vorgebracht, auch wenn die Kritik in diesem Punkt teilweise mit Insinuationen arbeitet (vgl.: das mangelnde Interesse an den Nöten der Menschen, das „vermutet“ wird). Gerade gegenüber dem Liberalen Protestantismus hält Dulles fest: „Catholicity cannot be credible unless it respects the freedom and dignity of every human being and gives scope for initiatives from below”271. 1.2 Das Zweite Vatikanische Konzil Die klassische römisch-katholische Position zur Katholizität der Kirche findet Dulles in einem Brief des Heiligen Offiziums an die katholischen Bischöfe Englands vom 16. September 1864. Dort heißt es: „Und es gibt keine andere katholische Kirche als ‹die›, welche sich, auf den einen Petrus erbaut, in der Einheit des Glaubens und der Liebe zu dem einen verknüpften und zusammengefügten Leib [Anmerkung in DH: vgl.: Eph 4,16] erhebt“ 272.

271 272

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DULLES, The Catholicity of the Church, 20. DH 2888. „Nec alia est Ecclesia catholica, nisi quae super unum Petrum aedificata in unum conexum corpus atque compactum unitate fidei et caritatis assurgit“.

Diese klassische Position besagt, dass die römisch-katholische Kirche hier mit der Kirche Christi gleichgesetzt wird273. Dulles hebt hervor, dass das Zweite Vatikanische Konzil dieser klassischen Auffassung nicht widersprochen hat, sie aber gleichzeitig bemerkenswert nuanciert hat274 und erwähnt in diesem Zusammenhang das subsistit im 8. Kapitel der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium und vor allem das Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio275. In dem 1986 erschienen Artikel Die katholische Ekklesiologie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bemerkt Dulles, dass sich auch weiterhin „die Debatten an der Frage nach der richtigen Interpretation der Aussage, daß die Kirche Christi «in» der römischen-katholischen Kirche «subsistiert»“276 entzünden. Offensichtlich klärt aber das Zweite Vatikanische Konzil nicht völlig eindeutig die Frage nach der Art der Vermittlung der Gegenwart Gottes. Die unterschiedlichen Diskussionsbeiträge sammelt Dulles in seinem Artikel recht schematisch und fügt anschließend sein Argument von Fülle und Partizipation an der Katholizität hinzu: „Die Kirche Christi ist in der römisch-katholischen Kirche in ihrer institutionellen Fülle verwirklicht, aber weil ekklesiale Elemente wie die Bibel, Sakramente und verschiedene Formen von Gebet und Gottesdienst auch jenseits der offiziellen Grenzen der römischkatholischen Kirche gefunden werden können, kann man sagen, daß die Kirche Christi auch in anderen christlichen Gemeinschaften in verschiedenen Maßen und Modalitäten gegenwärtig sei“277.

Aus den genannten Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils kommt Dulles zu folgendem Argument: Weil die Kirche Christi in der römischkatholischen Kirche subsistiert (LG 8), ist die Fülle der Katholizität nur in der Gemeinschaft mit dem römischen Bischof zu finden (UR 4). Aufgrund dieses Gedankens kann die Kirche Christi aber auch in anderen christlichen Gemeinschaften als der römisch-katholischen Kirche präsent sein, nur eben nicht in 273 274

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277

DULLES, The Catholicity of the Church, S. 21. Vgl. ebd. Vgl. hierzu PANTHALANY, The Relationship Between The Universal And Local Church In The Context of Evangelization And Inculturation According To Avery Dulles, 22: „Prior to Vatican II, the Church was looked upon as a gigantic corporation with all true authority centred in the Pope, and flowing downwards through the Bishops to the priest and laity. This monolithic ecclesiology, says Dulles, did not do justice to the idea of catholicity as an identity in diversity”. Anders hier DULLES, Nature, Mission, and Structure of the Church. In: LAMB, Matthew L. / LEVERING, Matthew (Hrsg.), Vatican II. Renewal within Tradition. New York 2008, 25: „Before the council, it is held, the Church was regarded as an institution founded by Christ with definite and immutable structures. After the council the Church was seen as a pilgrim community constantly restructuring itself to suit the times […] All of these generalizations, I maintain, are false”. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 21. DULLES, Die katholische Ekklesiologie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. In: Concilium 22 (1986 / 6), 413. DULLES, Die katholische Ekklesiologie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, 414.

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ihrer Fülle. Von der römisch-katholischen Kirche getrennte christliche Gemeinschaften können an der Fülle partizipieren, wenn sie ihr authentisches christliches Erbe akzeptieren und danach leben. Deshalb kann das Zweite Vatikanische Konzil auch umgekehrt erklären, dass die Traditionen der orthodoxen Kirche zur vollen Katholizität und Apostolizität der Kirche gehören (UR 17). Und ferner, dass katholische Traditionen und Strukturen zum Teil auch in der Anglikanischen Gemeinschaft fortbestehen (UR 13). Damit hat das Wort katholisch in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils eher ökumenische als konfessionelle Bedeutung: „Vatican II’s concept of catholicity may therefore be called cautiously ecumenical rather than narrowly confessional“278. Dieses Argument von Fülle und Partizipation, das Dulles zu einem tendenziell ökumenischen Katholizitätsbegriff (concept of catholicity) des Zweiten Vatikanischen Konzils führt, wird durch ein zweites ergänzt. Die Dogmatische Konstitution Lumen Gentium erklärt im 13. Kapitel, dass alle Menschen zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes berufen sind. Daraus folgt, dass die Missionstätigkeit der Kirche ihrem innersten Wesen entspringt, wie das Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes im 6. Kapitel ausführt. Daraus folgt aber auch eine faktisch begrenzte Katholizität der Kirche (in fact limited). Diese faktisch begrenzte Katholizität der Kirche gilt erstens, weil die Missionstätigkeit der Kirche bislang noch nicht alle Völker und Individuen effektiv erreicht hat. Zweitens hindern die Spaltungen innerhalb der Christenheit die Kirche daran, ihre volle Katholizität wirklich zu leben (UR 4). Dulles erklärt: „In other words, the Catholic Church itself is a less splendid expression than it ought to be of Christ’s universal redemptive power“279. Und drittens missverstehen selbst einige Katholiken die Art von Einheit, die Gott für die Kirche will. Dulles hebt hier besonders die Verbindung von Freiheit und Unterschiedenheit im Zweiten Vatikanischen Konzil hervor und verweist auf die Kapitel 16 und 17 des Dekrets über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio. Dieses Konzept von Freiheit, Einheit und Unterschiedenheit ist für die Aufwertung der Lokalkirchen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil bedeutend geworden280. Deshalb kommt das Zweite Vatikanische Konzil im 11. Kapitel des Dekrets über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus Dominus nach Dulles 278 279 280

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DULLES, The Catholicity of the Church, 21. DULLES, The Catholicity of the Church, 22 f. Vgl. DULLES, Teaching Authority and the Pastoral Office, 214: „Pope John XXIII and the Second Vatican Council espoused principles to offset the excesses of Roman centralism. Throughout the documents of Vatican II one finds counterbalancing principles such as those of collegiality, lay initiative, religious freedom, modernization, cultural pluralism, interreligious dialogue, and ecumenism”; DERS., The Reshaping of Catholicism. Current Challenges in the Theology of Church. New York 1988, 23; PANTHALANY, The Relationship between the Universal and the Local Church, 22 f.

auch zu der Erklärung, dass in einer Teilkirche die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist. Freiheit, Einheit und Unterschiedenheit sind somit wesentliche Bestandteile der Ausführungen des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Katholizität. Beide Konzeptionen, die von der tendenziell ökumenischen Katholizität der Kirche und die von der Freiheit, Einheit und Unterschiedenheit in der Katholizität, fasst Dulles zusammen. Er führt aus: „In summary, Vatican II presents catholicity not as a monotonous repetition of identical elements but rather as reconciled diversity. It is a unity among individuals and groups who retain their distinctive characteristics, who enjoy different spiritual gifts, and are by that very diversity better equipped to serve one another and thus advance the common good. Individual Christians and local churches are bound to one another in mutual service and mutual receptivity. This relationship is founded not upon domination but on a free exchange of trust and respect. Thanks to Christ’s faithfulness to his promise to be with his people, catholicity is never lacking to the Church. […] Vatican II shows a remarkable respect for freedom and diversity, both within the Church and in the larger sphere of human relations”281.

Katholisch gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil heißt damit für Dulles so viel wie reconciled diversity. Es sind gerade die Unterschiede, die das Leben der Kirche bereichern können. Diese Unterschiede müssen aber in gegenseitiger Zuneigung und gegenseitiger Rezeptionsfähigkeit gelebt werden. Hier zeigt sich im Grunde die Tendenz im theologischen Denken Dulles’, Unterschiede hoch zu achten, gleichzeitig aber auch auf die gemeinsame Tradition hinzuweisen. Natürlich spricht Dulles an dieser Stelle nicht von Modellen und ihrer Integration in eine einheitliche Sichtweise, gedanklich kommt diese Sichtweise dem Ergebnis der Untersuchung des Wortes katholisch in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils sehr nahe: Es geht darum, aus dem Reichtum unterschiedlicher Traditionen zu schöpfen, ohne die eine Tradition der Kirche dabei außer Acht zu lassen. Einen deutlichen Unterschied gilt es aber zu den methodischen Ausführungen Dulles’ an dieser Stelle festzuhalten. Das Auffinden der einen Tradition ist in der Theologie natürlich eine intellektuelle Tätigkeit. In der Ekklesiologie und vor allem im Katholizitätsbegriff des Zweiten Vatikanischen Konzils erscheint diese eine Tradition als Aufgabe und als Gnade zugleich: Als Treue Christi zu seiner Verheißung, immer bei dem Volk Gottes zu sein. 1.3 „Study Document On Catholicity And Apostolicity” und „UppsalaBericht” Bereits in der Auseinandersetzung mit dem Adjektiv katholisch in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils klärte sich für Dulles, dass auch 281

DULLES, The Catholicity of the Church, 24 f.

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nicht römisch-katholischen Gemeinschaften auf ihre jeweilige Weise Katholizität zukommt, wenn auch nicht in der Fülle des Begriffs. In ökumenischen Gesprächen und auf der vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1968 wurde über das Verständnis von Katholizität beraten. Für Dulles ist ein Studiendokument282 der Joint Theological Commission und der UppsalaBericht von der vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1968283 von besonderer Bedeutung. Das Studiendokument ist keine offizielle Stellungnahme. Es heißt dort vielmehr: „This study document is not a joint statement, neither is it a doctrinal consensus nor a status quaestionis; it is essentially a tool in the service of joint research”284. Dulles verweist vor allem auf vier Deformierungen von Katholizität, die das Studiendokument herausstellt285. Erstens die Einschränkung der christlichen Gemeinschaft auf bestimmte Rassen, Nationen oder gesellschaftlichen Klassen. Zweitens die Sektenbildung innerhalb der Kirche. Drittens die Überheblichkeit einer Konfession zum Schaden einer anderen. Und viertens die Ausübung von Praktiken und das Aufrechterhalten von Idealen, die der christlichen Identität entgegenstehen. Will man nun positive Aussagen aus diesem Abschnitt gewinnen, dann muss man die Deformierungen umformulieren. Das hieße dann: Die Katholizität der Kirche erfordert, dass die Kirche für alle Menschen offen ist (Punkt 1) und dass keine Trennungen (Punkt 2) von Christen (Punkt 4) provoziert oder verstärkt werden (Punkt 3). Obwohl es sich bei dem Studiendokument um kein offizielles Papier handelt, macht Dulles auf den breiten Konsens aufmerksam, der zwischen Theologen unterschiedlicher Konfessionen erreicht werden kann. Die wichtigste Stellungnahme zur Katholizität der Kirche aus dem evangelischen und orthodoxen Bereich findet Dulles in dem Uppsala-Bericht des Ökumenischen Rates der Kirchen. In der Sektion I Der Heilige Geist und die Katholizität der Kirche heißt es dort im 7. Abschnitt: „Sie [die Katholizität] ist die Eigenschaft, durch welche die Kirche die Fülle, die Integrität und die Totalität des Lebens in Christus zum Ausdruck bringt. Die Kirche ist in allen ihren Teilen und in jeder Hinsicht ihres Lebens, und vor allem in ihrem Gottesdienst, katholisch und sollte in ihnen katholisch sein“286.

Dulles nennt diese Ausführungen zur Katholizität eher qualitativ, denn quantitativ. Darunter versteht er vor allem, dass in dem Uppsala-Bericht die 282

283

284 285 286

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Vgl. JOINT THEOLOGICAL COMMISSION, Study Document on Catholicity and Apostolicity. In: One in Christ 6 (1970), 452-483. Vgl. GOODALL, Norman (Hrsg.), Bericht aus Uppsala 1968. Offizieller Bericht über die vierte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Uppsala 4.-20. Juli 1968. Genf 1968. JOINT THEOLOGICAL COMMISSION, Study Document on Catholicity and Apostolicity, 454. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 25. GOODALL (Hrsg.), Bericht aus Uppsala 1968, 10.

geographische Ausdehnung der Kirche keine Rolle mehr spielt, um zu bestimmen, was katholisch ist. Ebenso ist zu bemerken, dass konfessionelle Engführungen bei der Begriffsbestimmung beiseite gelassen wurden. Nach Dulles ist Katholizität im Uppsala-Bericht als Gabe und Aufgabe zu verstehen. Es finden sich sogar Gedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils hier wieder: In der Katholizität ist Raum für innere Verschiedenheit. Der Uppsala-Bericht widerspricht an keiner Stelle dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dulles bemerkt jedoch einige Unzulänglichkeiten, die er auf die hohe Anzahl unterschiedlicher voneinander getrennter kirchlicher Gemeinschaften im Ökumenischen Rat der Kirchen zurückführt: 1) Der Uppsala-Bericht kann nicht angeben, wo Katholizität subsistiert, also erfahrbar wird. Dadurch bleibt der Begriff sehr abstrakt. 2) Die Kirche wird im Uppsala-Bericht zwar als Zeichen beschrieben, es wird aber nicht angegeben, wie dieses Zeichen mit der Wirklichkeit verbunden ist. 3) Der Uppsala-Bericht erwähnt an keiner Stelle die menschlichen oder sichtbaren Wege der Vermittlung von Gnade. 4) Im Uppsala-Bericht fehlen Kriterien zur Bestimmung von legitimer Unterschiedenheit in der Einheit. 1.4 Ergebnis Die Kirche als katholisch zu bezeichnen, heißt also, einen nicht-biblischen Begriff zu verwenden, dessen Bedeutung aber für Dulles biblisch gut fundiert ist. Erst ab der Mitte des 4. Jahrhunderts kann man nach Dulles von einem einheitlichen Gebrauch des Wortes katholisch sprechen. Katholisch beschreibt Fülle und Einheit in Verschiedenheit, diese Idee hängt biblisch vor allem mit Jesus Christus zusammen, der das eine Haupt der Kirche ist und seiner Kirche den Missionsauftrag an alle Völker gegeben hat. Katholisch heißt also zunächst, dass der Kirche die Fülle der Christusgegenwart anvertraut ist, die sie an andere weiterzugeben hat. Diese katholische Fülle ist in jeder Lokalkirche erfahrbar und führt auch zu einer katholischen Einheit aller an Christus Glaubenden. An diesem Punkt zeigt sich einerseits die faktische Begrenzung der Katholizität der römisch-katholischen Kirche. Weil aber die Fülle der Katholizität in der römisch-katholischen Kirche greifbar ist, können andererseits auch andere Kirchen und kirchliche Gemeinschaften daran partizipieren, wenn sie ihr authentisches christliches Erbe leben. Die legitime Verschiedenheit in der Katholizität erscheint bei Dulles hier als die Verschiedenheit der einzelnen Lokalkirchen, in denen die Fülle der Christusgegenwart greifbar wird. Das legitime Maß an Verschiedenheit ist dann überschritten, wenn die Kirche nicht mehr für alle Menschen offen wäre oder bewusst Spaltungen zwischen Christen geschaffen oder verschärft werden. Die Christusgegenwart führt schließlich zu einer reconciled diversity.

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Übertragen auf die Ausführungen Dulles’ zum conceptual framework der Kirche bedeutet das, dass der Kirche die Fülle der Christusgegenwart in der Gesamtheit der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation anvertraut ist. Die transformative Kraft dieser Symbole kommt dadurch zustande, dass jeder Christ für alle Menschen ein christusförmiger Mensch ist. Diese Christusgegenwart führt zur Einheit des conceptual framework und gleichzeitig zu seiner Öffnung für alle Menschen und für andere Konfessionen. Die Vermittlung des conceptual framework an die „Welt“ ist nicht mit einer Polemik anderen Konfessionen gegenüber zu verwechseln, sondern sie dient der Erklärung und Darlegung der Gegenwart Christi in der Kirche heute. Das richtige Verständnis der Symbole, also ihre Explikation, ist damit allerdings noch nicht geklärt, ebenso auch nicht die Frage in welchem Maß unterschiedliche Interpretationen der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation innerhalb eines Frameworks zulässig sind.

2. Das Lexem katholisch 2.1 Drei Bedeutungen Dulles kennt in seinen Ausführungen drei verschiedene Bedeutungen des Lexems catholic. Es können unterschieden werden: „The term Catholic is frequently used as the proper name of the organized body of Christians that looks to the bishop of Rome as the successor of Peter and as visible head. The term is also used, more often with a small c, to designate a property of the true Church, namely its universality or ‘catholicity.’ […] we shall be discussing Catholic in yet a third sense: the adjectival form of Catholicism considered as a particular type or style of Christianity”287.

Damit bezieht sich das Lexem „katholisch“ bei Dulles erstens konfessionell auf die römisch-katholische Kirche. Zweitens wird katholisch als drittes Wesensmerkmal der Kirche verstanden. Das Adjektiv katholisch hat aber noch eine dritte Bedeutung: Als besonderer type oder Stil von Christentum. Die Verwendung des Begriffes type an dieser Stelle weist auf das Buch Models of Revelation hin288, das erstmals 1983 veröffentlicht wurde289. Wird, wie in Models of Revelation, ein type als ein Modell verstanden, dann folgt, dass Katholizismus bei Dulles auf dieser Bedeutungsebene als Modell von Christentum verstanden werden kann. Katholisch auf dieser Bedeutungsebene ist dann eine Zusammen287 288 289

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DULLES, The Reshaping of Catholicism, 51. Vgl. Kapitel I.2.2 der vorliegenden Arbeit. Ebenfalls im Jahr 1983 hielt Dulles einen Vortrag im Rahmen der Martin C. D’Arcy Lectures in Campion Hall, Oxford University. Dieser Vortrag wurde die Grundlage des Buches The Catholicity of the Church. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, v.

schau von theologischen Inhalten, eine übersichtliche Darstellung von structural features katholischer Gedankenwelt. Für den Fortgang der vorliegenden Arbeit sollen die drei Bedeutungsebenen wie folgt benannt werden: Ebene Konfessionelle Ebene Typologische Ebene Ekklesiologische Ebene

Terminologie catholic (römisch-katholisch) Catholicism (Katholizismus) catholicity (Katholizität)

Katholizität und Katholizismus Die Worte Katholizität und Katholizismus müssen bei Dulles unterschieden werden. Sie sind allerdings aufeinander bezogen. Dulles führt aus: „Catholicity, to be sure, is not the same thing as Catholicism, but the two terms must be related unless the term ‘catholic’ is a pure equivocation“290. Die im deutschen Sprachgebrauch übliche Definition des Begriffes Katholizismus hat Hans Maier im Lexikon für Theologie und Kirche festgehalten. Maier führt aus: „In allgemeinsten Sinn bez. [= bezeichnet] das Wort K. [= Katholizismus] all jene Erscheinungsformen des kath. Christentums, die historisch-kontingenter Natur sind, also „weder zum bleibenden Wesen der Kirche gerechnet noch als dessen notwendige gesch. [= geschichtliche] Ausprägung angesehen werden können“ (K. Rahner)“291

Während man im deutschen Sprachgebrauch wie Maier von einem politischen, sozialen oder auch nationalen Katholizismus spricht292, versteht Dulles Catholicism als a type of Christianity theologisch. Catholicism kennzeichnet damit nicht die säkulare Ausformung christlichen Gedankenguts im Umfeld der römisch-katholischen Kirche. Catholicism kann folgendermaßen verstanden werden: Weil der Katholizismus ein type of Christianity ist, ist Catholicism wesentlich an den structural features interessiert. Deshalb gilt: „the idea of Christianity, rightly understood, is itself Catholic“293. Damit sprengt der Begriff Catholicism die Modelltheorie des Buches Models of Revelation. Denn die structural features des type sind nicht gedankliche Annäherungen an die unter290

291

292 293

DULLES, The Essence of Catholicism. Protestant and Catholic Perspectives. In: The Thomist 48 (1984), 607. MAIER, Hans, Katholizismus. In: KASPER, Walter u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche. LThK3 V. Freiburg 1996, 1368. Vgl. ebd. DULLES, The Essence of Catholicism, 627; DERS., Catholicity and Catholicism. In: Theology Digest 34 (1987), 206: „Catholicism […] is the type of Christianity that makes much of visible continuity in space and time and of visible mediation through social and institutional structures”. Vgl. hierzu auch SPEZIA, The Ecclesiology of Avery Dulles, 137: „However, in Dulles’ ecclesiological usage, Catholicism does not necessarily refer to Roman Catholic. Rather the term is used to refer to the approach to Christianity that has a propensity to embrace certain structural elements that work to unify the Church”.

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suchte Realität, sondern eine Eigenschaft der untersuchten Realität: Christentum ist katholisch. Oder anders ausgedrückt: Die eine Kirche Christi ist katholisch. Es ist hier von entscheidender Bedeutung, die Begriffe nicht zu verwischen. Katholisch im eben ausgeführten Sinne bedeutet für Dulles an dieser Stelle nicht eine konfessionelle Zuweisung. Katholisch in diesem Sinn ist eine genuine oder radikale Eigenschaft des Christentums, also der einen Kirche Christi. Die Dogmatische Konstitution Lumen Gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils erklärt in dem berühmten Kapitel Nr. 8: „Haec Ecclesia [= die Kirche Christi], in hoc mundo ut societas constituta et ordinata, subsistit in Ecclesia catholica“294. Dulles erklärt dieses Zitat: „This statement, in my judgement, implies that Catholicism has identically the same essence as the Church of Christ, ‘which in the creed we avow to be one, holy, catholic and apostolic.’ [Zitat aus LG 8] Wherever these essential properties of Christianity are integrally present, there is the Catholic Church. Catholicism, consequently, is not just one of several legitimate Christian types, nor does it need to be offset, for its own protection, by some countervailing type of Christianity”295.

Die eine Kirche Christi ist im typologischen Sinn katholisch. Der typologisch verstandene Katholizismus ist damit Eigenschaft der einen Kirche Christi. Deshalb sind auch die Wesensmerkmale der Kirche für Dulles Wesensmerkmale des typologischen Katholizismus. So verwirrend es zunächst auch erscheinen mag, aber eine Wesenseigenschaft der Kirche, nämlich die, katholisch zu sein, ist damit auch eine Wesenseigenschaft des typologischen Katholizismus. An dieser Stelle durchbricht Dulles erneut die Modelltheorie von Models of Revelation. Denn der eine type der Kirche Catholicism benötigt keine weiteren types zur Annäherung an die untersuchte Realität. Katholizismus Dulles’ Verständnis des Wortes Catholicism als der Typ von Christentum steht der Verwendung des Wortes Katholizismus im 19. Jahrhundert sehr nahe: In seinem Buch Der christliche Glaube versucht Friedrich Schleiermacher zu zeigen, dass es so etwas wie eine Grundnorm des Protestantismus und des Katholizismus gibt296. Diese Grundnorm bestimmt nach Schleiermacher das 294 295 296

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LG 8 In: AAS 57 (1965) 12. DULLES, The Essence of Catholicism, 627. SCHLEIERMACHER, Friedrich, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Berlin 71960, §24: „Sofern die Reformation nicht nur Reinigung und Rückkehr von eingeschlichenen Mißbräuchen war, sondern eine eigentümliche Gestaltung der christlichen Gemeinschaft aus ihr hervorgegangen ist, kann man den Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholizismus vorläufig so fassen, daß ersterer das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche abhängig macht von seinem Verhältnis zu Christo, der letztere aber umgekehrt das Verhältnis des Einzelnen zu Christo abhängig von seinem Verhältnis zur Kirche“, 137.

Verhältnis des einzelnen Gläubigen zu Christus und der Kirche auf jeweils eigene Art und Weise und konstituiert so den Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholizismus. Ganz ähnlich ist auch die Verwendung des Wortes katholisch in der Symbolik des 19. Jahrhunderts297. In der Symbolik wird aber, wie bei Schleiermacher, katholisch nie alleine untersucht, sondern zusammen mit evangelisch oder protestantisch. So erklärt beispielsweise Heinrich Fries, dass Johann Adam Möhler „die Konfessionen als dialektische Gegensätze [versteht], die sich in der Geschichte darstellen, verwirklichen und entfalten. Aber Gegensätze werden nur erkannt an einem zugrundeliegenden Gemeinsamen, das verschiedene Möglichkeiten des Verständnisses zuläßt“298. Die Aufhebung der Dialektik darf aber bei Möhler nicht hegelianisch verstanden werden. In der Synthese muss „die katholische Kirche als Einheit aller Gegensätze ins Bewußtsein“299 kommen. Im Katholizismus und im Protestantismus sind damit verschiedene Auffassungen vom Christentum gegeben, die für Möhler mit der Bedeutung der Inkarnation zusammenhängen300. Katholizismus ist im 19. Jahrhundert also eine Bezeichnung für eine Grundnorm römisch-katholischer Lehre und römisch-katholischen Lebens, die aufgrund ihrer Integrationskraft die Basis für die zukünftige Einheit der Konfessionen darstellt. Werner Löser nennt deshalb in seinem Artikel Katholizität der Kirche wie Dulles eine dreifache Bedeutung des Wortes katholisch. Löser erklärt: „K. [die Katholizität] ist ein Wesensattribut der Kirche. ‚Katholisch’ ist aber auch die konfessionsspezifische Bezeichnung der ‚römischen’, unter dem Papst geeinten Kirche. Schließlich bezeichnet man in einem weiteren Sinne die Kirchen als ‚katholische’, die

297

298 299

300

Vgl. WAGNER, Harald, Symbolik. In: KASPER, Walter u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche. LThK3 IX. Freiburg 2000, 1162; FRIES, Heinrich, Konfessionen und Ökumene. In: BÖCKLE, Franz u.a. (Hrsg.), Enzyklopädische Bibliothek in 30 Teilbänden. Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Teilband 29. Freiburg 1982, 204 ff.; URBAN, Hans Jörg, Die Frage nach den konfessionellen Prinzipien vom 17. bis 19. Jahrhundert. In: URBAN, Hans Jörg u.a. (Hrsg.), Handbuch der Ökumenik. Band III/1. Paderborn 1987, 209ff. FRIES, Konfessionen und Ökumene, 205. GEISELMANN, Josef Rupert, Johann Adam Möhler. Die Einheit der Kirche und die Wiedervereinigung der Konfessionen. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen den Konfessionen. Wien 1940, 177. Vgl. URBAN, Die Frage nach den konfessionellen Prinzipien vom 17. bis 19. Jahrhundert, 210; MÖHLER, Johann Adam, Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften. Herausgegeben von J.R. Geiselmann. Band I. Köln 1958, 487: „Wir wiederholen es noch einmal, was es heißt: das Wort ist Fleisch, ist Mensch geworden, wurde Luther niemals klar“.

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darin übereinkommen, daß sie das in apostolischer Sukzession stehende Bischofsamt haben und auf die Sakramentalität der Heilsvermittlung Wert legen“301.

Die Zusammenschau oder Gegenüberstellung von Katholizismus und Protestantismus wurde im Lauf des 20. Jahrhunderts und im Fortgang der ökumenischen Bewegung allerdings problematisch. Auf der Ersten Sitzung des Ökumenischen Rates der Krchen 1948 in Amsterdam wurde versucht, alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in diese Gegenüberstellung einzubeziehen302. Katholisch wäre demnach eine Kirche mit Bischofsamt in apostolischer Sukzession, evangelisch wäre eine Kirche mit der Rechtfertigungslehre. Widerstand kam bei diesem Versuch vor allem von Seiten der Anglikanischen Kirchen und der Kirche von Schweden303, die sich nach dieser Definition sowohl als katholisch, als auch als evangelisch verstehen müssten. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass katholisch und evangelisch somit als unüberbrückbare Gegensätze dargestellt werden. In jüngeren Veröffentlichungen von Faith and Order entschied man sich deshalb für den Ausdruck: „hierarchically-ordered churches and those which have a different form of decision-making”304. Für Dulles’ Catholicism bedeutet dies, dass diese Ebene des Wortes katholisch die Grundnorm der konfessionellen Ausprägung der römischkatholischen Kirche beschreibt. Catholicism ist der Typ des Christentums, der durch sichtbare Strukturen der Vermittlung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation gekennzeichnet ist. Die Ebene des Catholicism bei Dulles ist deshalb von den Überlegungen der Symbolik des 19. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst. Hinweise zur Unterscheidung der Begriffsebenen In dem 1985 herausgegebenen Buch The Catholicity of the Church gibt Dulles einige Hinweise, um die Unterscheidung der drei Bedeutungsebenen des Lexems „katholisch“ zu erleichtern. Hinweis 1 besagt: Das Wort Catholic wird entweder als Synonym für die konfessionelle Bezeichnung römisch-katholisch 301

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LÖSER, Katholizität der Kirche. In: BEINERT, Wolfgang (Hrsg.), Lexikon der Katholischen Dogmatik. Freiburg 51997, 302. Vgl. hierzu auch VISSER’T HOOFT, W.A. (Hrsg.), Die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan. Fünfter Band. Genf 1948, 63 f.: „Die eine Seite, die man gewöhnlich ‚katholisch’ nennt, wird gekennzeichnet durch eine starke Betonung der sichtbaren Kontinuität der Kirche in der apostolischen Sukzession des Bischofsamtes. Die andere, die man gewöhnlich ‚evangelisch’ nennt, betont in ihrer Lehre der Rechtfertigung sola fide vor allem die Initiative des Wortes Gottes und die Antwort des Glaubens“. Vgl. VISSER’T HOOFT (Hrsg.), Die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, 73 f. Church and World. The Unity of the Church and the Renewal of Human Community. A Faith and Order Study Document. Faith and Order Paper No. 151. Genf 1992, 62.

verwendet oder in einem weiteren Sinn305. Hinweis 2 besagt: Das Wort Catholic wird groß geschrieben, wenn es sich auf den Katholizismus bezieht. Dulles spricht hier von „Catholicism, as a particular structured form of Christianity“306. Hinweis 3 besagt: catholic wird von Dulles klein geschrieben, wenn es sich als Adjektiv auf die catholicity bezieht. In diesem Sinn wird catholic als drittes Wesensmerkmal der Kirche beschrieben. Hinweis 4 besagt, dass es manchmal schwierig ist, exakt zwischen Catholicism und catholicity zu unterscheiden. Beide Begriffe sind eng miteinander verbunden. Die Begriffe Catholicism und catholicity können auch gar nicht voneinander getrennt werden. Das hängt für Dulles damit zusammen, dass beide Begriffe aus einer griechischen Wurzel stammen und „extensive universality“307 und „qualitative wholeness“308 bedeuten. Damit übersteigen beide Begriffe alle Einschränkungen. Einige Bedeutungskomponenten können aber unterschieden werden. Dulles führt aus: „Catholicity suggests universality in a rather abstract sense, whereas Catholicism is more closely connected with the structures that make for the transmission and retention of that particular fullness which was given in Christ to the apostles and the apostolic community. In this sense, Catholicism may be said to include not only universality, but also unity, holiness, and apostolicity, or, more generally, all that is required for the essential fullness of the Church”309.

Im Catholicism als typologischem Katholizismus muss also auf die gegebenen Strukturen geachtet werden. An dieser Stelle durchbricht Dulles zum dritten Mal die Modelltheorie des Buches Models of Revelation. Catholicism als type of Christianity ist nicht nur an die gedanklichen structural features gekoppelt, die zur Annäherung an eine untersuchte Realität gebraucht werden. Dieser type ist mit den realen Strukturen der transmission (Weitergabe) und retention (Aufbewahrung) der Fülle des Christusereignisses verbunden. Aber auch an dieser Stelle dienen die Strukturen der Annäherung an eine Realität – an die Realität des Christusereignisses. Typologischer Katholizismus dient deshalb dem Verständnis, wie sich das Christentum überhaupt auf das universale concretum, auf Jesus Christus, berufen kann. Versteht man den Catholicism als Grundnorm des Systems der römisch-katholischen Kirche, dann müssen auf dieser Ebene auch die Wesensmerkmale der Kirche, Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität eine Rolle spielen310. 305 306 307 308 309 310

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, vi. Ebd. DULLES, The Catholicity of the Church, 8 Ebd. Ebd. Vgl. DULLES, The Church as ‘One, Holy, Catholic and Apostolic’, 15: „Nearly all the modern authors who have discussed these four properties make the further point that the four are inseparable and mutually coinherent. […] no one of them can be explained without reference to the other three”.

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Ebene Konfessionelle Ebene Typologische Ebene

Terminologie catholic (römisch-katholisch)

Bedeutung Einheit mit dem Bischof von Rom

Catholicism (Katholizismus)

Ekklesiologische Ebene

catholicity (Katholizität)

Grundnorm der römisch-katholischen Kirche zur strukturierten Weitergabe und Aufbewahrung der Christusgegenwart. Anlage der einen Kirche auf Universalität hin

Ein Problem beim Verständnis der verschiedenen Bedeutungsebenen des Begriffs katholisch entsteht bei der Gegenüberstellung von Katholizität und Globalisierung. In dem Artikel The Catholicity of the Church and Globalization definiert Dulles den Begriff catholicity folgendermaßen: „Catholicity is not mere universality [sic!]; it consists rather in communion, which is realized when diversity is taken up into the supernatural unity of the Body of Christ. Members of the Body of Christ all over the world, without loss of their distinctive characteristics, participate in God’s eternal life by sharing the same faith and the same sacraments and submitting to the same pastoral government”311.

In The Catholicity of the Church hatte Dulles noch erklärt: „Catholicity suggests universality in a rather abstract sense”312. Catholicism war dagegen mit den konkreten Strukturen der Vermittlung verbunden. Aber nicht nur der typologische Katholizismus und Katholizität als Wesensmerkmal der Kirche erscheinen in dem Artikel miteinander verknüpft, sondern auch der konfessionelle Begriff katholisch (…the same pastoral government). Als weitere Dimension kommt hier zusätzlich noch die Konzeption des Zweiten Vatikanischen Konzils hinzu: diversity in unity. Dieser Gedanke diversity in unity kann sogar als Zusammenfassung dieser ganzen Passage gedeutet werden: Es sind eben die unterschiedlichen Glieder des einen Leibes Christi, die mit ihren unterschiedlichen Eigenarten an der Vermittlung des Lebens Gottes partizipieren. Offensichtlich versucht Dulles hier, alle Bedeutungsebenen des Wortes catholic mit dem Begriff catholicity wiederzugeben, was dann auch für den Titel des Buches The Catholicity of the Church gilt. 2.2 Ein katholisches Prinzip Wenn Catholicism der Typ des Christentums ist und die Grundnorm der konfessionellen Ausprägung der römisch-katholischen Kirche beschreibt, dann führt das Dulles auch zu der Frage nach der Beziehung zwischen Katholizismus und Protestantismus. Obwohl die Problematik dieser Form von Gegenüberstellung bereits auf der Ersten Sitzung des Ökumenischen Rates der Krchen 1948 in Amsterdam klar wurde, stößt Dulles in der Theologie vor den 311 312

DULLES, The Catholicity of the Church and Globalization. In: Seminarium 2 (2000), 260. DULLES, The Catholicity of the Church, 8.

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80er Jahren des 20. Jahrhunderts und gerade in der ökumenischen Theologie dieser Zeit auf verschiedene Vorschläge, Katholizismus (catholic substance313) mit einem so genannten protestantischen Prinzip anzureichern. Mit diesem protestantischen Prinzip ist ein kritisches oder prophetisches Mandat gemeint, das den Katholizismus vor idolatrischer Hypertrophie und magischen Tendenzen schützen soll. Dulles greift diese Vorschläge im Rahmen seiner Ausführungen auf. Den Begriff der catholic substance weist er aber zurück zugunsten des Begriffes Christian substance314. Innerhalb dieser Christian substance spricht Dulles von zwei Prinzipien. 1) Das Protestantische Prinzip. Hier handelt es sich um eine kritische Norm. Hervorgehoben wird durch das Protestantische Prinzip der Unterschied zwischen Gott und Kreatur. Nichts Endlichem und potentiell Fehlerhaftem darf göttlicher Status zugesprochen werden. 2) Das Katholische Prinzip. Hier kann es sich auch um eine kritische Norm handeln. Prinzipiell kann hier die Kritik des Protestantischen Prinzips wiederum kritisiert werden. Weitaus entscheidender als diese kritische Norm des katholischen Prinzips ist allerdings folgendes: „The Catholic principle is an acceptance of mediation, and indeed of visible mediation. It asserts that God ordinarily comes to us through the structures that are given, especially those to which his gracious promises are attached, such as Incarnation, Scripture, sacrament, and apostolic ministry”315.

Inkarnation, Heilige Schrift, Sakramente und apostolisches Amt sind Beispiele der sichtbaren Vermittlung Gottes im Katholischen Prinzip. Dulles legt an dieser Stelle höchstes Gewicht auf die Idee der sichtbaren Vermittlung. Damit ist allerdings auch klar, dass eine gewisse Gefährdung des Katholischen Prinzips besteht: Magie beruht schließlich auch auf sichtbaren Eindrücken. Das Katholische Prinzip ist zeitlich gesehen die erste Einstellung der Glaubenden. Verdacht und Kritizismus können Glauben nicht begründen. Dieses Argument hat Dulles schon zur Absage an das critical program bewogen316. Viel entscheidender ist in erster Linie eine trusting receptivity317. Erst in zweiter Linie ist Platz für Kritik und sogar für Protest. Eine andere Reihenfolge bedeutet für Dulles Glaubenskorrosion. Das Katholische Prinzip ist allerdings auch der Wertung nach die erste Einstellung der Glaubenden. Denn erstens insistiert das Katholische Prinzip auf sichtbarer Vermittlung und ist deshalb wie das Protestantische Prinzip gegen falsch verstandene Mystizismen und Sektenbildung gerichtet. Gleichzeitig erweist sich das Katholische Prinzip als das weitere Prinzip, denn es richtet sich 313 314 315 316 317

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 5f. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 6. DULLES, The Catholicity of the Church, 7. Vgl.: Kapitel I.1.1 der vorliegenden Arbeit. Vgl.: DULLES, The Catholicity of the Church, 7.

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zusätzlich gegen Individualismus. Und zweitens geraten bei einer Vorrangstellung des Protestantischen Prinzips selbst bedeutende Theologen in größte Schwierigkeiten. Dulles verweist hier auf Paul Tillich318. Das Katholische Prinzip sichert die Strukturen der Vermittlung innerhalb der Kirche319. Das Katholische Prinzip der Vermittlung wird auf die natürliche Theologie (Beachtung der Vermittlung der Gegenwart Gottes in der Natur und im Kosmos) und die Offenbarungstheologie angewandt. Im letzteren Fall spricht Dulles von der Bedeutung der „ecclesial structures by which, in accordance with God’s free promises, the grace of Christ is symbolized and transmitted“320. An dieser Stelle warnt Dulles auch vor einer Verabsolutierung dieser Strukturen. Damit die Strukturen der Vermittlung nicht undurchsichtig (opaque) und beengend (oppressive) werden, ist das Protestantische Prinzip von Nöten. Dieses Protestantische Prinzip ist deshalb für die Gesundheit des Katholizismus von Bedeutung. Damit ist das Protestantische Prinzip nicht rein negativ. Es hat eine wichtige Funktion. Das Protestantische Prinzip wirkt dem Katholischen Prinzip gegenüber nicht feindlich oder auflösend. Es darf allerdings auch genauso wenig missbraucht oder verabsolutiert werden. In diesem Fall gefährdet es das christliche Erbe. Will man das Katholische Prinzip einer der drei Bedeutungsebenen des Lexems catholic zuordnen, dann zeigt sich. Erstens: Das Katholische Prinzip kommt dem typologischen Katholizismus inhaltlich sehr nahe. In den beiden Bereichen spielt die sichtbare Vermittlung der Gegenwart Gottes eine entscheidende Rolle. Oder anders ausgedrückt: Dem Katholischen Prinzip geht es nicht um „universality in a rather abstract sense“321, wie das für Katholizität als Wesensmerkmal der Kirche gilt. Katholisches Prinzip und Catholicism thematisieren bei Dulles die Grundlage des Systems der römisch-katholischen Kirche. Zweitens: Das Katholische Prinzip funktioniert innerhalb der christian substance. Dulles hatte den Begriff der catholic substance, die näheren Gründe gibt er nicht an, zurückgewiesen322. Damit rückt Dulles das Katholische Prinzip näher an das dritte Wesensmerkmal der Kirche, denn auch hier wird katholisch als Attribut der Kirche Christi verstanden. Drittens: Aufgrund der Bedeutung des apostolischen Amtes oder der Sakramente bei der sichtbaren Vermittlung der Gegenwart Gottes im Katholischen Prinzip, hat dieses Prinzip deshalb auch eine Verbindung mit der 318

319 320 321 322

„It is significant, that Tillich, who particularly insisted on the ‘Protestant principle’, had difficulty in accepting the doctrine of the Incarnation”, Dulles, The Catholicity of the Church, 7. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 169. DULLES, The Catholicity of the Church, 170. DULLES, The Catholicity of the Church, vi. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 6.

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konfessionellen Ebene des Wortes catholic. Das Protestantische Prinzip nimmt bei Dulles eine merkwürdige Zwitterstellung ein. Einerseits ordnet Dulles das Protestantische Prinzip deutlich dem Katholischen Prinzip unter. Andererseits ist Dulles nicht bereit, das Protestantische Prinzip komplett in die kritische Dimension des Katholischen Prinzips aufzulösen. Hier zeigt sich deshalb auch die Problematik der Bestimmung des Verhältnisses von Katholizismus und Protestantismus. Ganz ähnlich wie Johann Adam Möhler lehnt Dulles aber den Gedanken ab, dass beide Konfessionen in einer neuen Synthese zusammenzuführen sind323. Das Zueinander von Katholizismus und Protestantismus ist deshalb bei Dulles in der integrativen Kraft der Katholizität, also der Fähigkeit, Unterschiedenheit in Einheit zu begründen, zu suchen. Die drei verschiedenen Bedeutungsebenen des Wortes catholic müssen somit immer in ihrer gegenseitigen Zusammengehörigkeit verstanden werden. Die Anlage der Kirche auf die Fülle und Weitergabe der Christusgegenwart (catholicity) führt Dulles direkt zu der Frage nach den sichtbaren Strukturen der Vermittlung in der Kirche (Catholicism). Da Dulles die Inkarnation, die Heilige Schrift, die Sakramente und das apostolisches Amt zu den Strukturen der sichtbaren Vermittlung Gottes zählt, ist für ihn die Fülle der Katholizität in der römisch-katholischen Kirche (roman-catholic) zu finden. Weil aber beispielsweise die Inkarnation oder die Heilige Schrift auch für die von der römisch-katholischen Kirche getrennten Christen höchste Bedeutung hat, partizipieren andere christliche Gemeinschaften an der Katholizität. Das katholische Prinzip kann deshalb als die Grundnorm des Catholicism, also der Grundlage des Symstems der römisch-katholischen Kirche verstanden werden.

3. Theologische Entfaltung Bereits im vorausgegangenen Abschnitt wurde klar, dass der Begriff katholisch bei Dulles mehrere Dimensionen besitzt, die alle berücksichtigt werden müssen, wenn man ein adäquates Verständnis dieser Eigenschaft der Kirche erhalten will. Dulles versucht selbst, diese Dimensionen so weit als möglich zu systematisieren. Bereits im Jahr 1967 legte Dulles eine erste Systematisierung der Dimensionen der Kirche vor324. In dieser Schrift werden lediglich Dimensionen der Kirche untersucht, die Katholizität spielt in diesen Ausführungen noch keine herausgehobene Rolle. Dulles führt aus: „In entitling this chapter ‘The Dimensions of the Church,’ I am by no means proposing to measure the Church, but rather seeking to call attention to its immensity. St. Paul prayed 323 324

Vgl. Kapitel II. 2.1 der vorliegenden Arbeit. DULLES, The Dimensions of the Church. A Postconciliar Reflection. In: Woodstock Papers. Occasional Essays for Theology. No. 8. New York 1967.

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that the Ephesians might be able to comprehend ‘the breadth and length and height and depth’ of the love of Christ – and then immediately added that it “surpasses knowledge” (Eph 3:18f.). So likewise we may speak in a metaphorical way of the height, depth, breadth, and length of the Church, and seek to comprehend them so far as our capacity allows”325.

Dulles zeigt hier auf, dass ein ultrarealistisches Verständnis die Dimensionen der Kirche gar nicht voll erfassen kann. Die Dimensionen der Kirche beziehen sich vielmehr auf die immensity, das heißt die Unermesslichkeit, Unendlichkeit der Kirche. Bereits hier zeigt sich die Ähnlichkeit zur Katholizität: Dulles will Dimensionen des Unermesslichen ausloten. In dem Buch The Catholicity of the Church wird Dulles die genannten vier Dimensionen tatsächlich auf die Katholizität anwenden326. Das Zitat aus dem Brief an die Epheser stellt vier Dimensionen zur Verfügung. Die Breitendimension, die Längendimension, die Höhendimension und die Tiefendimension der Liebe Christi. Dulles weist darauf hin, dass nach dem Epheserbrief die Liebe Christi alles Verstehen übersteigt. Damit sind die Dimensionen der Liebe Christi nicht vollständig rationalisierbar. Sie können aber gemäß den menschlichen Fähigkeiten rational nachvollzogen werden. Das Epheserzitat spricht von Dimensionen der Liebe Christi. Dulles versucht aus diesen Dimensionen Aussagen über die Kirche zu gewinnen und spricht hier von einem metaphorischen Vorgehen. In The Dimensions of the Church steht die Höhendimension für die Teilhabe am göttlichen Leben327, die Tiefendimension der Kirche für die Teilhabe am Leben sündiger Menschen328. Unter der Breitendimension ist der Umfang der Kirche zu verstehen. Hier geht es um ökumenische Fragestellungen329. Die Längendimension spricht die zeitliche Dimension der Kirche an330: Die Kirche hat eine Geschichte, ja sogar ein dramatisches Leben in unterschiedlichen zeitlichen Epochen331. Am Ende der Ausführungen über die Dimensionen der Kirche aus heißt es: „In a time of widespread suspicion and restlessness it is easy to become impatient with the complexities of the full Christian reality and to find oppositions and conflicts wherever there are tensions and contrasts. To avoid such imbalances, we need to keep out eyes open to the full dimensions of the Church, with all its surprising variety of aspects”332.

Dulles argumentiert hier für eine ganzheitliche Sichtweise der Kirche. Wer die Kirche unter Vorbehalten betrachtet, für den ist es ein Leichtes, Spannungen zu 325 326 327 328 329 330 331 332

DULLES, The Dimensions of the Church, 6. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 30-105. Vgl. DULLES, The Dimensions of the Church, 9. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, The Dimensions of the Church, 10. Vgl. DULLES, The Dimensions of the Church, 16. Vgl. DULLES, The Dimensions of the Church, 17. DULLES, The Dimensions of the Church, 20.

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finden. Dulles muss aufgrund seiner postkritischen und ekklesial-transformativen Theologie gerade diese suspicion and restlessness zurückweisen. Allerdings wird hier nicht für die Bedeutung der Teilnahme am religiösen Leben (wie in der ekklesial-transformativen Theologie) oder für eine Hermeneutik des Vertrauens (wie in der postkritischen Theologie) argumentiert, sondern für eine ganzheitliche Sichtweise der Kirche. Wer also alle Dimensionen der Kirche betrachtet, kommt für Dulles offenbar mit Sicherheit zu einem adäquaten Verständnis der Kirche. Wie aber die Unausgewogenheiten (imbalances) vermieden werden können, wird nicht geklärt. Es wird nicht einmal geklärt, ob Konflikte und Spannungen in der Kirche nicht ein Zeichen für ein lebendiges Zusammenleben der Gläubigen sind, oder warum Konflikte nur negativ verstanden werden. Dulles beschränkt in The Dimensions of the Church die Anzahl der Dimensionen nicht auf vier. Er zählt weitere auf, die sich teilweise mit den genannten vier Dimensionen überschneiden333. In gewisser Weise erinnert das Vorgehen Dulles’ an dieser Stelle an Models of the Church. Dort hatte Dulles gefordert, dass nur alle Modelle zusammengenommen ein adäquates Verständnis der Kirche liefern334. Umgekehrt gilt für Dulles: wer sich durch die Kirche eingeengt fühlt, muss sich selbst fragen, ob er zu einer adäquaten Sichtweise der universalen, katholischen Kirche gekommen ist335. Konsequenter Weise erarbeitet Dulles seine zweite Systematisierung der vier Dimensionen der Kirche in seinem Buch The Catholicity of the Church. Dulles setzt sich in dem Buch The Catholicity of the Church ebenfalls mit dem Brief an die Epheser auseinander. Knapp 20 Jahre nach The Dimensions of the Church gibt es allerdings einige kleinere Abweichungen. Dulles nennt die vier Dimensionen der Liebe Christi und überträgt die vier Dimensionen einfach auf die Kirche. Es wird nicht mehr erörtert, dass es sich um eine metaphorische Sprechweise handelt336. Die Höhendimension der Katholizität versteht Dulles jetzt als das Geschenk des Vaters, der sich durch sein inkarniertes Wort und den Heiligen Geist selbst kommuniziert. Unter der Tiefendimension versteht Dulles jetzt die Verwurzelung der Katholizität in der Natur und im Menschen. Räumliche Universalität versteht Dulles als Breitendimension, zeitliche Ausdehnung als Längendimension. Damit fällt auf, dass vor allem die Tiefendimension aufgewertet ist. Diese Dimension behandelt nicht mehr nur die Teilhabe am Leben sündiger Menschen. Diese Dimension versteht Dulles jetzt auch kosmisch 333 334 335

336

Vgl. ebd. Vgl. Kapitel I.2.4 der vorliegenden Arbeit. Vgl. DULLES, The Dimensions of the Church, 20: „If anyone feels hemmed in by the Church, he would do well to ask himself whether he has ever caught the vision of the full Church, the universal Church, the Catholic Church“ Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 30: „Like the love of Christ, the Church may be viewed as a mystery with four dimensions“.

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(Natur). Die Höhendimension erscheint ebenfalls leicht abgeändert. Hier geht es nicht mehr nur um die Teilhabe am göttlichen Leben, Dulles konkretisiert diese Dimension trinitätstheologisch und legt großen Wert auf die Selbstkommunikation Gottes, also die göttliche Initiative der Vermittlung der Gegenwart Gottes. Im Folgenden soll die Systematisierung der Dimensionen der Katholizität dargestellt werden. 3.1 catholicity - 4 Dimensionen Die catholicity, also das dritte Wesensmerkmal der Kirche, kennzeichnet nach Dulles vor allem die Fülle der Christusgegenwart und deren Vermittlung in der Kirche. Damit geht es der catholicity um Universalität in einem abstrakten Sinn, wie Dulles sich ausdrückt. Diese abstrakte Universalität wird von Dulles durch die vier Dimensionen der Katholizität erläutert. Höhendimension Die Höhendimension kennzeichnet die Katholizität der Kirche als das Geschenk des Vaters, der sich durch sein inkarniertes Wort und den Heiligen Geist selbst kommuniziert. Das heißt: Grund und Ursache der Katholizität der Kirche ist der dreieine Gott. Dulles führt in diesem Zusammenhang einen allgemeinen Grundsatz (general principle) ein. Er lautet: Ein höheres Lebewesen weist eine höhere innere Verschiedenheit auf, als ein niedrigeres. Dulles folgert: Wenn dieser allgemeine Grundsatz wahr ist, so gilt das auch für Gott. Das höchste Wesen ist dann nicht statisch und homogen, sondern dynamisch und vielfältig337. Aufgrund des biblischen Befundes und durch den Hinweis auf die Theologie der Scholastik kommt Dulles zu dem Schluss: Gott ist die unüberbietbare Fülle des Seins338. Damit ergeben sich zwei Charakteristika Gottes: Fülle und differenzierte Einheit: Gott ist nicht statisch oder monoton, sondern Gott besteht in einer dynamischen Interaktion (Gott ist differenziert). Und: alle drei göttlichen Personen sind ein göttliches Wesen, nicht partiell, sondern gesamt, nicht drei Götter, sondern einer 337

338

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 30 ff. Für die Berechtigung der Analogia entis stützt sich Dulles dabei auf die Heilige Schrift. Weish 13,1-9: „denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen“ (Vers 5). Und Röm 1,20: „Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit“. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 31. Dulles verweist an dieser Stelle nur auf den ontologischen Gottesbeweis bei ANSELM VON CANTERBURY, Proslogion, 2: „Convincitur ergo etiam insipiens esse vel in intellectu aliquid quo nihil maius cogitari potest, quia hoc, cum audit, intelligit, et quidquid intelligitur, in intellectu est.” Später verweist Dulles noch auf die coincidentia oppositorum bei Nikolaus von Kues, wie bei Anselm auch hier ohne Stellenangabe.

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(Gott ist Einheit). Durch die Fülle der Liebe Gottes wird diese göttliche Katholizität allen Geschöpfen339 und auch der Kirche zuteil. Aus dieser Überlegung ergibt sich, dass ein religiöser Relativismus, der in Jesus Christus nur das Kultobjekt der Kirche und ein Produkt christlicher Frömmigkeit sieht, völlig unangebracht ist. Jesus Christus kann nur verstanden werden als Quelle und Norm christlicher Existenz340. Deshalb ist die Inkarnation mit höchstmöglichem Realismus aufzufassen: Sie ist für Dulles ein katholisches Ereignis. Das heißt zunächst einmal, dass die Inkarnation ein Ereignis ist, das eine differenzierte Einheit aus der Fülle der göttlichen Katholizität heraus setzt. Die Katholizität Christi folgt aus der Konstitution Jesu Christi als das Inkarnierte Wort (a). Damit verbunden ist der Primat Christi über die gesamte Schöpfung (b) und die Tatsache, dass Jesus Christus das Haupt der Kirche ist (c). Die Inkarnation (a) ist wirklich katholisch, weil gilt: Die Inkarnation ist ein Mysterium der Fülle (Hinweis auf den Johannes-Prolog) und die Inkarnation vereint Gegensätze (Gottheit und Menschheit in Jesus Christus). Jesus Christus als das Haupt der Schöpfung (b) ist katholisch, weil gilt: alle Menschen sind aufgrund der Inkarnation Jesu Christi Brüder und Schwestern und stehen somit in einer neuen Beziehung zu Gott. Dulles bemerkt in diesem Zusammenhang prinzipiell eine Schwäche der westlichen, abendländischen Tradition: Im abendländischen Denken gibt es eine starke Spannung zwischen Leib und Geist, Natur und Person. Deshalb liegt in der westlichen Tradition der Kurzschluss nahe: Jesus Christus ist in die Sphäre des Menschen, aber nicht in die Sphäre des Kosmos eingegangen. Teilhard de Chardin und andere341 trugen zu einer Reintegration dieser beiden von Dulles so genannten Sphären bei. Damit kamen ebenso einige Gedanken des Apostels Paulus wieder zu Ehren342. Wenn also Jesus Christus das universale Prinzip der Schöpfung und der Erlösung ist, dann kommt ihm eine kosmische Katholizität zu: „In his incarnate existence he is, under God, the concrete universal“343. Christus und seine Beziehung zur Kirche (c): Gilt b), dann gilt auch c), da die Beziehung Jesu Christi zur Kirche ein Spezialfall der Beziehung Jesu Christi zur Welt (b) ist. Die Besonderheit der Beziehung Jesu Christi zur Kirche liegt vor 339

340

341 342 343

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 32: „Created beings are likenesses and participations of God’s absolute perfection.” Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 31. Und vgl. DULLES, The Priestly Office. A Theological Reflection. New York 1997, 31: „In the broadest terms, the priestly action of Jesus is one of mediation between God and sinful humanity. His mediation has both a descending and an ascending moment. Human beings, alienated from God by sin, were incapable of performing acts that would placate God and reestablish friendship and communication. God, however, took the initiative through the incarnation“. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 35-38. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 36; 38. DULLES, The Catholicity of the Church, S. 38.

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allem in der Analogie vom Leib: Die Kirche ist der Leib Christi. Die Redeweise von Teilhard de Chardin, der ganze Kosmos sei der Leib Christi kennzeichnet Dulles als nicht schriftgemäß. Jesus Christus ist in der paulinischen Theologie das Haupt der Schöpfung (also der Hochpunkt der Schöpfung), die Schöpfung aber nicht der Leib Christi. Die paulinische Analogie von der Kirche als Leib Christi drückt eine physische Eingliederung durch die Sakramente und vor allem die Eucharistie aus. Die größere Unähnlichkeit der Analogie besteht in der mangelnden Beschreibung der persönlichen und freiheitlich veranlagten Konstitution der Mitglieder und in der mangelnden Ausdrucksfähigkeit der Transzendenz Christi. Statt der bildlichen Bedeutung Haupt = Christus und Leib ≠ Christus gilt: „Christ is in all the members, and they in him“344. Daraus folgt, dass die Katholizität der Kirche eine gegenwärtig reale Partizipation an der Fülle Jesu Christi ist. Das geht so weit, dass Dulles von einer Idiomenkommunikation zwischen Haupt und Leib der Kirche und umgekehrt spricht345. Diese Fülle der Katholizität der Kirche weist aber nach Dulles einige Unvollständigkeiten auf: Die Kirche ist immer auf Jesus Christus verwiesen. Deshalb könnte die Katholizität der Kirche auch catholicitas aliena genannt werden. Die Vereinigung von Gegensätzen besteht darin, dass Jesus Christus als das lebendige Zentrum der Kirche Menschen zu sich zieht und dass gleichzeitig dadurch die Individualität der Einzelnen auf höchst mögliche Weise aktualisiert wird. Die Katholizität der Kirche verweist auf eine weitere Analogie. Dulles führt aus: „the human nature of Christ is to the divine Word analogously what the Church as a human society is to the Holy Spirit”346. Dabei ist zu beachten, dass der göttliche Logos eine menschliche Natur angenommen hat, der Heilige Geist die vielen Mitglieder der Kirche aber nicht hypostatisch mit sich vereint, sondern vielmehr belebt. Deshalb gilt: „The triune God, who communicates himself in the incarnate Word and in the Holy Spirit, is the source and ground of catholicity“347.

344 345

346 347

Ebd. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 40 f. Hier stellt sich auch die Frage, was es heißt, ein Mitglied der Kirche zu sein. Dulles erklärt: „Communio is initially given through the spiritual and sacramental incorporation of all believers into Christ – an incorporation clarified in the mystical-organic theory. Secondly, communio is strengthened and sealed by the societal bonds that are the focus of the juridical-dogmatic approach. Thirdly, communio is expressed and fulfilled through the voluntary commitment and common effort that constitute the principal theme of the psychosociological theory of membership”. DULLES, Church Membership as a Catholic and Ecumenical Problem. In: The Pere Marquette Theology Lecture. 1974. Milwaukee, WI 1981, 53. DULLES, The Catholicity of the Church, 45. DULLES, The Catholicity of the Church, 47.

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Die Höhendimension der Katholizität der Kirche erklärt also aufgrund trinitätstheologischer und christologischer Überlegungen die Berechtigung von differenzierter Einheit in der Kirche und die Tatsache, dass die Kirche real an der Fülle Christi teilhat, weil Jesus Christus das Haupt der Kirche ist. Die Kirche ist immer auf Jesus Christus verwiesen ähnlich wie die Kirche immer auf die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation verwiesen ist. Die Begriffe katholisch und christlich können nicht voneinander getrennt werden. Wird das conceptual framework als katholisch verstanden, dann bedeutet das erstens, dass die göttliche Fülle in der Kirche auffindbar ist, weil die Kirche die Kirche Christi ist. Die Fülle der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation und die gegenwärtige, reale Partizipation an der Fülle Christi gehören also zur Katholizität der Kirche. Die Explikation der Symbole wird damit durch die Christusverbundenheit der Gläubigen und die Anwesenheit des Heiligen Geistes erklärt. Dulles klärt aber noch nicht, wie dieser Vorgang verstanden werden kann. Seine Redeweise von einer Idiomenkommunikation zwischen Haupt und Leib der Kirche kann aufgrund der Vorstellung von der Vermittlung der Gegenwart und der Offenbarung Gottes nicht als direktes Eingreifen Gottes in den Vorgang der Interpretation der Symbole verstanden werden. Das conceptual framework als katholisch zu verstehen heißt zweitens, dass differenzierte Einheit als freiheitliche Konstitution der Mitglieder der Kirche zu verstehen ist. Die Kirche ermöglicht damit also eine einzigartige Beziehung zu Jesus Christus und aktualisiert dadurch die Individualität der einzelnen Menschen. Das mögliche Maß an Verschiedenheit der Anschauungen der zu Jesus Christus gehörenden Mitglieder der Kirche wird damit aber noch zu ungenau beschrieben. Eigentlich wird das Wort Verschiedenheit nur durch das Wort Freiheit ersetzt, ohne zu klären, was das jeweilige Substantiv meint. Tiefendimension Die Tiefendimension der Katholizität klärt die Verwurzelung der Kirche in der Natur und im Menschen und beschreibt so die Natur und besonders die menschliche Natur von einer ekklesiologischen Sichtweise aus348. Die Tiefendimension der Katholizität hat genauso ihre Berechtigung wie die Höhendimension. Erstens geht es um die Natur der Menschen, die Mitglieder der Kirche sind. Zweitens beeinflussen somit anthropologische Gesichtspunkte auch die Ekklesiologie. Dulles beginnt mit einer Beschreibung des Verhältnisses zwischen nature und Christian life, für ihn ein Thema der Rechtfertigung. Er unterscheidet drei unterschiedliche Tendenzen: Der naturalistische Standpunkt (Pelagianismus) setzt auf die Kontinuität zwischen Natur und christlichem Leben. Gnade ist ein gewisser Rahmen günstiger Bedingungen, Erbsünde ist das schlechte Beispiel anderer oder andere moralische Einflüsse. Die Gegenposition dazu besteht im 348

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 48 ff.

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Manichäischen Standpunkt, der auch von extremen Lutheranern und dem Jansenismus geteilt wird. In der christlichen Variante des Manichäischen Standpunkts wird die Natur pejorativ gesehen. Der Mensch kann nichts anderes tun, als sündigen. Die Diskontinuität zum christlichen Leben wird stark betont. Der katholische Standpunkt ist der dritte von Dulles genannte. Katholisch ist die Einschätzung des Verhältnisses zwischen Natur und christlichem Leben als Kontinuität in der Diskontinuität. Hier zeigt sich die Tendenz des Katholischen zur Fülle: Alle Gaben Gottes müssen geehrt werden, also nicht nur die Natur (Kontinuität) oder die Berufung zum christlichen Leben allein (Diskontinuität). In diesem Verständnis ist Gnade dann mehr, als nur die Auslöschung menschlicher Schuld. Die katholische Sichtweise kann die Erlösungstat Gottes nicht nur in einer quasi-juridischen Sprache (Rechtfertigung) ausdrücken. Sinnvoller wäre die Sprachregelung von creation und re-creation. Dabei zeigt sich für Dulles, dass die Beachtung der ganzen menschlichen Natur katholisches Gedankengut ist. Vernunft, Leib, menschliche Freiheit und Schönheit sind für die Katholizität hohe Werte. Die unterschiedlichen Elemente, die im Katholischen geeint werden, sind dann: Die ganzheitlich verstandene menschliche Natur und die göttliche Gnade, die die Sünde unendlichfach zunichte macht. Das bedeutet aber dann auch, dass die Natur nur im Hinblick auf die Gnade verstanden werden kann. Anders ausgedrückt, die Natur ist nur in Hinsicht auf Jesus Christus verständlich. Gleichzeitig heißt diese Einigung von Natur und Gnade, dass das Angebot der Gnade universal ist. Der Gedanke ist in dieser Form aber noch nicht vollständig. Denn: Katholizität legt Wert auf sichtbare Vermittlung Gottes. In der Natur sind aber nur individuelle, unsichtbare, spirituelle Beziehungen zu Gott und seiner Gnade vorhanden. Dies führt Dulles direkt zu der katholischen Einstellung gegenüber nichtchristlichen Religionen. Hier zeigt sich, dass es nicht eine einzige katholische Einstellung gegenüber den nicht christlichen Religionen gibt349. Generell gilt aber: Weil Jesus Christus in die Welt kam, können auch in anderen Religionen Elemente der Wahrheit und Güte gefunden werden. Und diese Elemente konnten sich dann auch ohne Einwirkung des Judentums oder des Christentums entwickeln. Ein „Kanal“ der Vermittlung der Gegenwart Gottes wäre dann die betreffende Religion selber. Dulles hätte somit ein soziales, sichtbares Element der Vermittlung der Gegenwart Gottes gefunden. Die Religionen bleiben damit immer „korrekturbedürftig“. Dulles schreibt ausdrücklich nicht ergänzungsbedürftig, sondern korrekturbedürftig, weil die Religionen menschlichen Verzerrungen ausgesetzt waren und dabei nicht fest in der Selbstoffenbarung Gottes verankert sind. Zum menschlichen Leben gehören auch Kultur und Politik. Diese beiden Bereiche menschlichen Lebens zieht Dulles abschließend in Betracht. Es zeigt 349

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 63.

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sich für Dulles, dass aufgrund der Tiefendimension der Katholizität kein absoluter Gegensatz zwischen Heiligem und Säkularem denkbar ist350. In der katholischen Glaubenswelt handeln die Menschen in den sozialen Strukturen ihrer säkularen Umgebung, weil sie Christen sind. Innerhalb dieses Gedankens ist die Berufung auf Jesus Christus gleich mit der Berufung zum Mittun in der säkularen Umgebung. Die Katholizität sichert die Beziehung zu Jesus Christus aufgrund der Vermittlung seiner Gegenwart. Gleichzeitig schützt die Katholizität davor, Welt und Kirche gleichzusetzen: Die Kirche ist der Leib Christi, die Welt ist die weitere Sphäre von Christi Heilshandeln. Die Tiefendimension der Katholizität folgt den fundamentalen katholischen Prinzipien von Fülle und Vermittlung. Dulles schreibt ausdrücklich: „the fundamental Catholic principles of plenitude and mediation have been kept in view“351. An dieser Stelle fehlt allerdings die versöhnte Verschiedenheit, also das Prinzip, das in der Höhendimension der Katholizität eine so entscheidende Rolle gespielt hat. Später führt Dulles aus: „These principles, as we have seen, are applicable to culture, economics, politics, and religion. In each of these areas the Catholic tendency is to accept provisionally the composition of the pure and the impure, the saintly and the sinful, not in order to rest in what is deficient but in order to pass by means of it into deeper communion with God”352.

Differenzierte Einheit erscheint in diesem Zitat als provisorische Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit ist aber kein taktisches Vorgehen, um andere zu vereinnahmen, sondern ein Weg in die tiefere Gemeinschaft mit Gott. Versöhnte Verschiedenheit könnte somit ein Weg zu Gott sein, weil Gott selbst in versöhnter Verschiedenheit besteht (wenn auch nicht in der geeinten Verschiedenheit von Heiligem und Unheiligem). Die versöhnte Verschiedenheit von Heiligem und Unheiligem kann aber auch ein Weg zu Gott sein, weil letztlich alles Geschaffene auf Gottes schöpferisches Handeln zurückzuführen ist. Demnach wäre die Tiefendimension der Katholizität auch die Tiefendimension der Schöpfung. Insgesamt scheint es an dieser Stelle sinnvoll zu sein, davon auszugehen, dass Dulles unter katholischen Prinzipien Fülle (inklusive der versöhnten Verschiedenheit unterschiedlicher Elemente) und Vermittlung der Gegenwart Gottes versteht. Die Tiefendimension erklärt aufgrund schöpfungstheologischer Überlegungen, dass der Mensch mit Gott in Kontakt kommen kann. Die Schöpfung kann 350

351 352

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 64 f. An dieser Stellt entsteht aber auch umgekehrt die Gefahr, kulturelle Entwicklungen als theologische Größen zu verstehen. Vgl. hierzu MARZHEUSER, Richard, Globalization and Catholicity. Two Expressions of one Ecclesiology? In: Journal of Ecumenical Studies 32 (1995), 181. DULLES, The Catholicity of the Church, 67. Ebd.

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nur im Zusammenhang mit Gottes gnadenhaftem Handeln beziehungsweise im Blick auf die Person Jesu Christi verstanden werden (Fülle). Deshalb kann und muss die göttliche Fülle der Schöpfung vermittelt werden (Vermittlung). Dies bedeutet keine Abwertung der Schöpfung, der Lebensbedingungen der Menschen oder anderer Religionen. Es ist vielmehr ein Aufruf an alle Christen zum aktiven Handeln in der Welt und zum missionarischen Tun, also zur Kommunikation des conceptual framework. Die verschiedenen conceptual frameworks, in denen gegenwärtig Menschen sozialisiert sind, können deshalb alle nur in ihrer Beziehung zum conceptual framework der Kirche verstanden werden. Aus diesem Grund kann die Tiefendimension auch als theologische Grundlage der Apologetik bei Dulles verstanden werden. Schließlich geht es in dieser Dimension um die Bedingung der Möglichkeit und die Notwendigkeit der Mitteilung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation. Breitendimension Die Breiten- und die Längendimension gehören zu den quantitativen oder horizontalen Dimensionen. Diese Dimensionen können nur bestehen aufgrund der qualitativen oder vertikalen Dimensionen, also der Höhen- und der Tiefendimension. Das bedeutet: Die Fülle Gottes und die Ausbreitung der Gaben Gottes (Höhendimension) und dem untergeordnet die gnadenhaft geschenkte Möglichkeit der Natur, diese Gaben überhaupt aufnehmen zu können (Tiefendimension) begründen die Möglichkeit, etwas quantitativ oder horizontal über die Kirche aussagen zu können. Die quantitativen Dimensionen funktionieren als Schutz der Kirche vor Schismen, Sektierereien und partikularistischen Tendenzen. Sie funktionieren geographisch (Breitendimension) und zeitlich (Längendimension). Die Breitendimension muss zunächst die Frage nach Jesu Einschränkung der Verkündigung auf das Volk Israel (Mt 10,6) und Jesu Verbot der Samaritermission (Mt 15,24) beantworten oder zumindest dazu Stellung nehmen. Diese Texte stehen einem geographischen Verständnis von Katholizität ganz klar entgegen. Dulles stellt fest, dass Jesus selbst mit der Heilung der Tochter der syro-phönizischen Frau eine Ausnahme von der Einschränkung der Verkündigung auf das Volk Israel gemacht habe (Mk 7,24-30). In der Kirche wurde das Absehen von der Herkunft aus dem Volk Israel die Regel missionarischen Handelns353. Dulles zählt dabei eine Reihe von Perikopen auf, auf die einen gewissen Universalismus im Denken Jesu hinweisen. Allerdings tut er dies ohne die exegetische Untersuchung des Zeitpunkts der Entstehung der Texte. Es ließe sich also aus historisch-kritischer Perspektive fragen, welche Texte überhaupt

353

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 69 ff.

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auf die Entscheidung zur Heidenmission in der jungen Kirche einwirken konnten und welche Texte erst Ausdruck dieser Überzeugung sind354. Von besonderer Bedeutung für das Denken Jesu könnte nach Dulles das biblische Motiv der Völkerwallfahrt nach Jerusalem gewesen sein. Abgesehen davon ist für die Argumentation von Dulles die Beobachtung wichtig, dass die Katholizität der jungen Kirche inklusiv und expansiv war. Das heißt: Fülle, Vermittlung und die Vereinigung zum Teil gegensätzlicher Elemente finden sich. Die Kirche wird beschrieben als Gottes eigenes Volk (1Petr 2,9-10). Es gibt keine Juden, Griechen, Sklaven oder Freie (Gal 3,27-28), sondern alle sind eins in Christus. Dulles zählt hier noch weitere Stellen auf. Die expansive Komponente der Katholizität der frühen Kirche zeigt sich besonders deutlich in 1Kor 9,16: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde“. Im Gegensatz zu dieser Katholizität der frühen Kirche spricht Dulles auch von der Möglichkeit eines „certain lack of catholicity“355. Das gilt für Dulles gerade von den großen Missionen während des Kolonialismus im 16. Jahrhundert. Die Fehler, die hier begangen wurden, dürfen aber erstens nicht zur Diffamierung einer ganzen Epoche herangezogen werden. Dulles spricht hier nur von „some cases“356 oder „in many cases“357, aber nie von generellen Fehlern. Zweitens: diese Fehler dürfen heute nicht dazu führen, dass die Missionsarbeit aufgegeben wird. Dulles führt aus: „While the mercy of God toward those inculpably ignorant of Christ must not be minimized, this point should not be allowed to cloud the universal significance of the Christian message. The catholicity of the Church became manifest when the Gentiles turned to the gospel as giving the answers to their own questions about the meaning of life and death“358.

Das Evangelium erscheint dabei als eine Größe mit einer transzendenten Dimension. Wird das Evangelium durch das Wirken des Heiligen Geistes weitergegeben und gläubig aufgenommen, dann sichert diese Transzendenz des Evangeliums die Aufnahmemöglichkeit der Botschaft in anderen Kulturen. 354

355 356 357 358

Dulles selbst geht von einer gegenseitigen Verwiesenheit von Exegese (biblical scholarship) und Dogmatik (Dulles spricht einfach von theology. Dieser Ausdruck wird hier nicht benutzt, weil er fälschlicher Weise nahe legen würde, dass Exegese keine theologische Disziplin ist) aus. Nur auf diese Weise kann die historische Exegese die Wirklichkeit Jesu Christi für die Kirche und die systematische Theologie erhellen. Andernfalls droht die Exegese zur Glaubenskorrosion weiter beizutragen. Vgl. DULLES, Church and Society. The Laurence J. McGinley Lectures, 1988-2007. New York 2008, 114 f. Das bedeutet: „conducted in dialogue with philosophy and theology, the historical quest can cast added light on the reality of Christ“, hier 115. DULLES, The Catholicity of the Church, 73. Ebd. Ebd. Ebd.

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Damit ist das Christentum potentiell die Religion der gesamten Menschheit. Jede Einengung des Christentums auf eine bestimmte Kultur oder eine bestimmte Gruppe von Menschen läuft dem Grundgedanken der Katholizität zu wider: „the very basis of the Church is falsified“359. Katholizität verpflichtet demnach zur Ökumene und zur Frage nach der Inkulturation des Christentums in anderen Religionen. Das Problem liegt auch hier wiederum in der Bestimmung von akzeptabler und nicht akzeptabler Unterschiedenheit. Nationale Unterschiede erscheinen Dulles bei dieser Bestimmung als völlig unbedeutend. Von Bedeutung ist die Frage, was mit dem Evangelium und der katholischen Einheit kompatibel ist. Wie dies allerdings festzustellen ist, klärt Dulles nicht. In diesem Zusammenhang entsteht ein neues Problem. Es handelt sich um die Frage, ob ein rationalistischer Humanismus nicht breiter angelegt ist, als die Katholische Kirche. Denn der erstere hält alle Menschen für Schwestern und Brüder, im Neuen Testament hingegen ist nur der Schwester oder Bruder, der in Gemeinschaft mit Jesu Jüngern steht. Dulles beantwortet diese Frage nicht, sondern er verweist auf die gegenseitige Solidarität im Gebet, im Leid und im Leben der Mitglieder der Kirche. Das Argument könnte also folgendermaßen formuliert werden: Wo der rationalistische Humanismus unter Umständen etwas schwärmerisch, auf jeden Fall aber unbestimmt Verwandtschaft konstatiert, da tut das die Katholische Kirche sehr explizit und mit gegenseitigen Verpflichtungen der Mitglieder. Der rationalistische Humanismus kann nur sehr eingeschränkt mit Verpflichtungen operieren, da er keinerlei Handhabe gegen einen anders Denkenden hat. Die Katholische Kirche kann mit Verpflichtungen operieren, weil sie sich auf Jesus Christus beruft. Die Breitendimension erklärt, dass die Kirche geographisch katholisch ist: Jede Kultur und jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, Mitglied der Kirche werden zu können. Dies kennzeichnet schon das Handeln Jesu und der jungen Kirche. Das Evangelium passt zu jeder Kultur, weil es eine transzendente Dimension besitzt, schließlich ist es das Evangelium Christi. Problematisch erscheint auf der Ebene der Breitendimension vor allem, dass Dulles keine Stellung zu dem möglichen Ausmaß an Unterschiedenheit nimmt. Er weist häufig auf die Bedeutung der Verschiedenheit und der Offenheit der Kirche hin, erklärt aber nicht, wie diese Verschiedenheit zu verstehen ist. Das bedeutet, dass die Frage der Inkulturation der Kirche in andere Kulturen auch auf der Grundlage der Breitendimension nicht beantwortet werden kann. Gleichzeitig heißt das auch, dass sich Dulles der Frage nach der legitimen Verschiedenheit innerhalb des conceptual framework immer wieder entzieht.

359

Ebd.

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Längendimension Die Längendimension der Katholizität muss von der Apostolizität der Kirche unterschieden werden360. Apostolizität stellt vor allem sehr spezielle Fragen, zum Beispiel nach der apostolischen Sukzession von Bischöfen oder dem Amt in der Kirche. Die Längendimension der Katholizität stellt die Frage nach der Identität der Kirche im Verlauf der Jahrhunderte. Deshalb kann man beispielsweise von der Ecclesia ab Abel sprechen361. Eine Redeweise, welche die Apostolizität der Kirche alleine nicht erklären würde, ebenso wenig wie die Einschätzung der Kirche als societas perfecta. Es gilt: Zeitliche Kontinuität und räumliche Kontinuität korrespondieren miteinander. Das bedeutet: Die Kirche dehnt sich genauso über Jahrhunderte aus, wie sie sich über Kontinente ausdehnt. Dulles beschreibt die Rolle der Kirche in ihrer geographischen und zeitlichen Ausdehnung folgendermaßen: „In each of these dimensions [spatial and temporal expansion] the Church is a symbolic centre from which the divine fullness of life, as given in Jesus Christ, radiates outwards to all creation, and towards which that life, diffused through all creation, gravitates for its conscious and socially palpable expression”362.

Die Rolle der Kirche ist in dem obigen Zitat als symbolic centre beschrieben. Diese Redeweise schwächt die Rolle der Kirche nicht, sondern erklärt die Rolle der Kirche: Die Kirche stellt zur Verfügung (divine fullness of life), was nur symbolisch vermittelt zugänglich sein kann. Diese Bereitstellung der Symbole 360 361 362

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 87 ff. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 87; 89. DULLES, The Catholicity of the Church, 88. Die Längendimension stellt dabei auch unangenehme Fragen wie beispielsweise die Stellung der katholischen Kirche zur Todesstrafe. Hier erklärt Dulles: „Summarizing the verdict of Scripture and tradition, we can glean some settled points of doctrine. It is agreed that crime deserves punishment in this life and not only in the next. In addition, it is agreed that the State has authority to administer appropriate punishment to those judged guilty of crimes and that this punishment may, in serious cases, include the sentence of death”, DULLES, Catholicism & Capital Punishment, In First Things 140 (April 2001), 31. Da die Todesstrafe in 32 Bundesstaaten sowie in der Bundesjustiz der Vereinigten Staaten von Amerika regelmäßig angewandt wird (vgl. SIERCK, Michael, Die Todesstrafe. Bestandsaufnahme und Bewertung aus kirchlicher Sicht. In: DEUTSCHE KOMMISSION PAX ET JUSTITIA (Hrsg.), Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden. Dokumentation 33. Bonn 1995, 8-11), wurde dieser Beitrag von Dulles von Befürwortern und Gegnern der Todesstrafe sehr kontrovers diskutiert (Vgl. AA.VV., Avery Dulles and His Critics. An Exchange on Capital Punishment. In: First Things 140 (August / September 2001), 7-16). Dulles’ Fazit: „Catholics, in seeking to form their judgement as to whether the death penalty is to be supported as a general policy, or in a given situation, should be attentive to the guidance of the pope and the bishops. Current Catholic teaching should be understood, as I have sought to understand it, in continuity with Scripture and tradition”, DULLES, Catholicism & Capital Punishment, 35.

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der göttlichen Selbstkommunikation wirkt automatisch: Die ganze Schöpfung ist angezogen, um sich bewusst und sozial greifbar auszudrücken. Und dieser historisch greifbare Ausdruck kann nur in der Kirche stattfinden. Und deshalb muss es auch eine zeitliche und räumliche Kontinuität geben, innerhalb derer Unterschiede in eine differenzierten Einheit integriert werden müssen. Dazu stellt Dulles drei Thesen auf: a) die Kirche partizipiert im Laufe ihrer Geschichte wirklich an der Erlösungsgnade Christi. b) diese Partizipation bedingt eine wirkliche Kontinuität zwischen den unterschiedlichen Generationen von Christen. c) In dieser Kontinuität ist es möglich, von unterschiedlichen Charakterzügen verschiedener Epochen zu sprechen. Der distinctive character jeder einzelnen Epoche muss aber in seiner Beziehung zu vorausgegangenen Zeiten verstanden werden363. Die einzelnen Schrift- und Traditionsbeweise sollen an dieser Stelle nicht aufgeführt werden. Für den dargelegten Gedankengang ist Punkt a) entscheidend. Nur wenn a) als richtig erkannt wird, gelten auch b) und c). Deshalb kommt Dulles nach seinen Ausführungen auf diesen Punkt noch einmal zu sprechen. Wird nämlich die Kirche in einer lutherischen Tradition als Magna Peccatrix verstanden, bricht der Gedankengang von Dulles in sich zusammen. Dann partizipiert die Kirche eben nicht voll an der Erlösungsgnade Christi, dann ist Christus von der Kirche abgehoben und die Kirche nur sündig. Dulles weigert sich, dieses „Lutheran axiom“364 einfach als falsch oder häretisch zu bezeichnen. Nach Dulles lässt sich dieses Axiom in die katholische Sichtweise integrieren, aber nur auf einer untergeordneten Ebene. Dulles verweist hier auf das Kapitel, in dem er die Tiefendimension der Kirche untersucht hat: Es gibt eben nur sündige Menschen in der Kirche365. Insgesamt nimmt dieses Lutherische Axiom dann eine ähnliche Stellung ein, wie das Protestantische Prinzip. Beide können nur von untergeordneter Bedeutung sein, tragen aber einige wichtige Hinweise oder auch Kritiken zur katholischen, auf Kontinuität angelegten Geisteswelt bei. Die Längendimension erklärt, dass die Kirche eine zeitliche Einheit darstellt. Diese Einheit ist differenziert: jede einzelne Epoche hat spezielle Eigenschaften, 363

364 365

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 92: „that the different periods of the Church, notwithstanding this continuity, have their own distinctive character, so that the later is able to complement and complete what has been initiated by the earlier”. DULLES, The Catholicity of the Church, 103. Vgl. Ebd. Dulles beschreibt an dieser Stelle die Tiefendimension der Katholizität, weist aber auf das Kapitel 4 seines Buches The Catholicity of the Church hin. Dieses Kapitel thematisiert aber die Breitendimension der Katholizität. In der vorliegenden Arbeit wird diese Diskrepanz als Versehen von Dulles verstanden. Richtiger wäre gewesen, auf Kapitel 3 hinzuweisen: Catholicity from Below.

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die jedoch in ihrer Beziehung zur historischen Einheit der Kirche verstanden werden müssen. Denn es geht um die Einheit in der Teilhabe an der Erlösungsgnade Christi. Ähnlich wie in der Breitendimension nimmt Dulles auch in der Längendimension der Katholizität keine Stellung zum erträglichen Ausmaß an Unterschiedenheit in der Einheit. Ergebnis Die abstrakte Universalität der Kirche (catholicity) kann bei Dulles aufgrund seiner vier Dimensionen folgendermaßen verstanden werden: Weil Gott die Fülle der Liebe ist und Jesus Christus, das Inkarnierte Wort, Haupt der Schöpfung und Haupt des Leibes der Kirche ist und der Heilige Geist die Kirche belebt und weil die ganze Welt von Gott gut geschaffen ist und die Menschen den Ruf Gottes aufnehmen und zu verstehen versuchen können, ist die Kirche eine geographische und zeitliche Konstante, die allen Menschen die symbolisch vermittelte Gegenwart Gottes zugänglich macht. Dabei unterstützt die Ausrichtung der Natur auf Jesus Christus und die Angemessenheit des Evangeliums an alle Kulturen, also das, was man die Transzendenz des Evangeliums nennen könnte, die Missionstätigkeit der Kirche. Denn in der Kirche ist Platz zur Aktualisierung aller menschlichen, kulturellen und zeitbedingten Eigenarten, die dem Evangelium nicht entgegenstehen. Die horizontalen, quantitativen Dimensionen (Breite und Länge) sind also den vertikalen, qualitativen Dimensionen (Höhe und Tiefe) klar untergeordnet. Die Tiefendimension ist wiederum der Höhendimension untergeordnet. Sonst würde der Aspekt der Gnade der göttlichen Selbstkommunikation nicht beachtet. In den quantitativen Dimensionen muss dabei die Kontinuität Vorrang vor der Diskontinuität haben. Sowohl geographisch als auch zeitlich muss zunächst gesehen werden, was Menschen miteinander verbindet, bevor Unterschiede wahrgenommen werden. Innerhalb der vier Dimensionen operieren deshalb auch katholische Prinzipien: Dulles nennt das Prinzip der Fülle (inklusive der versöhnten Verschiedenheit unterschiedlicher Elemente) und der Vermittlung der Gegenwart Gottes. Letzten Endes verweisen diese Prinzipien auf die göttliche Katholizität. Dulles betont in den vier Dimensionen der catholicity sehr stark die Einheit der Kirche. Dadurch entsteht in der Breiten- und Längendimension die Gefahr, dass die katholische Kirche fälschlicherweise als ein zeitloser und homogener Komplex erscheint, der im Lauf der Jahrhunderte nur in Kontinuität zu vorausgegangenen Zeiten steht. Der Hinweis von Dulles auf den distinctive character einer jeden Epoche kann nur erklären, dass es auch eine Art von Diskontinuität zwischen den einzelnen Epochen gibt366. Es müsste aber auch geklärt werden, 366

Vgl. hierzu auch SPEZIA, The Ecclesiology of Avery Dulles, 130 ff. Spezia untersucht in diesem Abschnitt Catholicity as diversity. Er kann aber auch nur zeigen, dass Dulles

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was die Kirche der Gegenwart von der Kirche vorausgegangener Jahrhunderte unterscheidet367, denn die Theologie der Gegenwart steht völlig anderen Herausforderungen gegenüber als die Theologie vor 100 Jahren368. Eine Untersuchung der Kontinuität innerhalb der katholischen Kirche müsste deshalb die Diskontinuität und die Kontinuität einander gegenüber stellen, um zu einer adäquaten Sicht der kirchlichen Entwicklung zu gelangen. Mit der Frage nach der Entwicklung der Kirche ist auch die Frage nach Fehlentwicklungen verbunden369. Die Frage nach Fehlentwicklungen wird in Dulles’ Theorie gar nicht gestellt, denn das Ausmaß an Kontinuität überragt alles andere. Und trotzdem muss beispielsweise die Frage gestellt werden, ob es Zeiten in der Geschichte der Kirche gab, die von Verengungen des Katholischen geprägt waren: Was heißt es zum Beispiel, mit der Zeit des 9. und 10. Jahrhunderts oder mit der Zeit des Renaissancepapsttums in Kontinuität zu stehen370? Das Moment der Diskontinuität müsste in diesem Fall wesentlich stärker betont werden, als das in Dulles’ Theorie ersichtlich ist. Das zeigen alleine schon die weitreichenden Reformen des Konzils von Trient371. Sicher geht es bei diesen

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370

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immer wieder auf die Berechtigung von Verschiedenheit in der catholicity hinweist; wie Verschiedenheit aber genau zu verstehen ist, welches Ausmaß an Verschiedenheit in der einen katholischen Kirche möglich ist, kann Spezia nicht klären. Vgl. hierzu auch die Bewertung der Diskontinuität in Henri de Lubacs Werk Catholicisme: „Erst nachdem wir in der vollen Schärfe empfunden haben, wie sehr wir uns in der Art unserer menschlichen Reaktion sogar auf die Offenbarung, in der Menschlichkeit unserer Denkweise sogar dem Dogma gegenüber notwendig von Paulus oder Origenes, von Thomas und Bossuet […] unterscheiden, können wir auch in ihrer ganzen Tiefe unsere innige Verbundenheit mit ihnen allen im gleichen Dogma ermessen, von dem sie lebten, wie wir heute davon leben“, LUBAC, Henri de, Glauben aus der Liebe. «Catholicisme». Übertragen und eingeleitet von Hans Urs von Balthasar. Einsiedeln 1992. Vgl. hierzu Bernhard Lonergans Einschätzung der Entwicklung der Theologie hin zu einer empirischen Wissenschaft, die die Daten aus Schrift und Tradition interpretieren und nicht nur feststellen muss: Die Theologie „war eine deduktive Wissenschaft in dem Sinn, daß ihre Thesen Schlüsse waren, die aus den durch Schrift und Tradition vorgegebenen Prämissen bewiesen werden mußten. Sie ist zu einer empirischen Wissenschaft geworden in dem Sinn, daß Schrift und Tradition nun nicht mehr Prämissen, sondern Daten liefern“, LONERGAN, Die Theologie in ihrem neuen Kontext. In: SALA, Giovanni B. (Hrsg.), Theologie im Pluralismus heutiger Kulturen. Quaestiones Disputatae 67. Freiburg 1975, 22. Selbst in der Zeit der Missionierung Südamerikas sprach Dulles nur von Fehlern in „some cases“ (DULLES, The Catholicity of the Church, 73) oder „in many cases“ (Ebd.) aber nie von Fehlentwicklungen. Ähnliche Fragen stellt Henri de Lubac in Catholicisme. Lubac hält in diesem Fall die Kirchenväter für das Korrektiv einer verengten Tradition. Vgl. LUBAC, Glauben aus der Liebe, 88 f. Vgl. hierzu auch die Admonitio der Kardinallegaten auf der Zweiten Sitzung des Konzils von Trient (7. Januar 1546): „In allem, was die Reform der Kirche betrifft, zu welchem

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Reformen nicht um Fragen des Glaubens372. Aber es scheint etwas voreilig, Kontinuität so stark hervorzuheben, dass letztlich keine einzige Reform erklärbar und jeder Versuch dazu im Keim erstickt wäre. Die starke Betonung der Kontinuität der Kirche in der Längendimension ist sicher ein Ergebnis der fundamentaltheologischen Arbeit Dulles’ und der Frage nach der Weitergabe der Offenbarung in der Kirche. In seinen Ausführungen zur catholicity zeigt sich aber auch, dass die von Medard Kehl so genannte „eschatologische Perspektive“373 nicht oder nur wenig berücksichtigt wird. In der Höhendimension der catholicity wird beispielsweise nur erklärt, dass die Kirche real an der Fülle Christi teilhat. Dass in Jesus Christus aber bereits das eschatologische Reich Gottes angebrochen ist (Lk 11,20), wird von Dulles kaum thematisiert. Oder in der Tiefendimension der catholicity beschäftigt sich Dulles damit, dass die göttliche Fülle der ganzen Schöpfung vermittelt werden kann. Dass Gott aber die ganze Schöpfung zur Vollendung führen wird (Offb 21,5), ist nicht Gegenstand der Tiefendimension. Gerade auf der Grundlage einer eschatologischen Perspektive hätten sich Dulles Möglichkeiten geboten, die „extensive universality“374 und „qualitative wholeness“375 der Katholizität näher zu untersuchen oder die Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation zu erklären. Es wäre beispielsweise möglich gewesen, ähnlich wie Peter Hünermann das Christusgeschehen als „eschatologisches Ereignis von Glaubenssprache“376 und die Kirche innerhalb der Längen- und Breitendimension auch als „Überlieferungsgemeinschaft“377 mit Sprach- und Wahrheitsinstanzen zu verstehen. Schließlich sind die Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation und das Leben der Kirche nicht nur auf die

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374 375 376 377

Zweck wir hier versammelt sind, laßt uns Ihm nachfolgen, der die Kirche gründete“. Zitiert In: KUTTNER, Stephan, Die Reform der Kirche und das Trienter Konzil. In: BÄUMER, Remigius (Hrsg.), Concilium Tridentinum. Wege der Forschung. Band CCCXIII. Darmstadt 1979, 392. Hervorhebungen von Kuttner. Vgl. hierzu auch JEDIN, Hubert, Der Kampf um die bischöfliche Residenzpflicht. In: BÄUMER, Remigius (Hrsg.), Concilium Tridentinum. Wege der Forschung. Band CCCXIII. Darmstadt 1979, 414 f.: Jedin zeigt, dass in der Vorbereitung dieses Reformdekrets dogmatische Fragen impliziert waren. „Die Residenzpflicht der Bischöfe war also das Zentralproblem, aber niemals hätte es das Konzil so erregen können, wenn es nicht zugleich ein ekklesiologisches Problem wäre“, hier 409 f. KEHL, Medard, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. Würzburg (1992) 21993, 39: „Denn nicht die institutionell verfaßte Kirche ist das Ziel der Selbstoffenbarung Gottes im Alten und Neuen Bund; nicht in ihr sollen alle Wege Gottes mit den Menschen endgültig münden, sondern im Reich Gottes, wo der Gerechtigkeits-, Friedens-, und Lebenswille Gottes sich gerade zugunsten der Armen universal durchsetzen wird“. Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Kirche und Reich Gottes spielt für Dulles keine Rolle. DULLES, The Catholicity of the Church, 8 Ebd. HÜNERMANN, Dogmatische Prinzipienlehre, 59. HÜNERMANN, Dogmatische Prinzipienlehre, 84.

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Vergangenheit hin ausgerichtet, sondern auch auf Zukunft. Und diese Zukunft ist keine unbestimmte Zukunft, sondern das Kommen des Menschensohnes (Mt 25,31ff.) und damit die eschatologische Fülle der göttlichen Selbstkommunikation. Die Fülle der Christusgegenwart in der katholischen Kirche und die Fülle der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation können deshalb eigentlich nicht ohne den Hintergrund ihrer eschatologisch noch ausstehenden Vollendung verstanden werden. Aufgrund der einseitigen Betonung der Kontinuität in den quantitativen Dimensionen der catholicity liefern Dulles’ Ausführungen bislang keine Antwort auf die Frage, in welchem Ausmaß es legitime Verschiedenheit innerhalb des conceptual framework geben kann. Und wegen der geringen Beachtung eschatologischer Fragestellungen in der Ekklesiologie kann Dulles auf der Ebene der catholicity somit nicht zeigen, wie das richtige Verständnis der Symbole im conceptual framework zustande kommt. 3.2 Catholicism - Zwei Strukturen Nach der Untersuchung der Dimensionen der catholicity beschäftigt Dulles die Frage, welche Strukturen das Katholische in der Kirche aufrechterhalten378. Diese Strukturen gehören nach Dulles bereits zur Ebene des Katholizismus379. Denn Dulles hatte erklärt: „Catholicity suggests universality in a rather abstract sense, whereas Catholicism is more closely connected with the structures that make for the transmission and retention of that particular fullness which was given in Christ to the apostles and the apostolic community”380. „Catholicism, a term here taken to mean the set of structures that serves the Church’s catholicity in all its dimensions“381.

Die Strukturen funktionieren nach Dulles im „Catholicism, as a particular structured form of Christianity“382. Katholizismus als Eigenschaft des Christentums klärt, wie sich die Kirche überhaupt auf das universale concretum, auf Jesus Christus, berufen kann. Deshalb spielen hier auch die anderen Wesensmerkmale der Kirche, Einheit, Heiligkeit und Apostolizität, eine Rolle. Die Strukturen müssen folglich sicherstellen: - dass die göttliche Gegenwart (Höhendimension) kontinuierlich vermittelt wird, so dass Gottes Gnade durch Jesus Christus zugänglich bleibt,

378 379 380 381 382

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 106 ff. Vgl.: Kapitel II.2.1 der vorliegenden Arbeit. DULLES, The Catholicity of the Church, 8 DULLES, The Catholicity of the Church, 127. DULLES, The Catholicity of the Church, vi.

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- dass die Gnade des Christusereignisses den Menschen und der ganzen Welt zukommen kann (Tiefendimension), - dass die weltweite Kirche (Breitendimension) nicht auseinander fällt, - dass in der Kirche Kontinuität im Wandel der Zeit (Längendimension) sichergestellt wird383. Damit müssen die Ausführungen Dulles’ zum Catholicism sowohl die Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation als auch das mögliche Ausmaß an Verschiedenheit in der Kirche klären. Anderenfalls können die Strukturen des Catholicism die Dimensionen der catholicity nicht stützen. Bei der sichtbaren Vermittlung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation auf der Ebene des Catholicism stellt die mehrdimensional entfaltete catholicity die theologische Grundlage zur Verfügung, um die Frage nach Vermittlung ging es auf dieser Ebene nicht. Das bedeutet aber nicht, dass die Strukturen lediglich sekundär gültig wären. Da Katholizismus und Katholizität nicht völlig auseinander gehalten werden können, gilt: „Without visible mediations even the spiritual aspects of redemption would be compromised by being isolated from the material. The institutional, according to the Catholic view, is not just tolerated as a necessary evil; it is positively cultivated as having intrinsic religious value”384.

Die beiden Strukturen, die Dulles heranzieht, sind Sakramentalität und Hierarchie. Die Ausführungen von Dulles zu diesen beiden Strukturen sollen nun eigens dargestellt werden. Sakramentale Struktur Für die Ausführungen von Dulles zur sakramentalen Struktur der Kirche sind folgende Gedanken grundlegend: „In modern theology it has become common to contrast Protestant churches as churches of the Word with Catholic churches as churches of the sacrament“385. Diese Gegenüberstellung von protestantischer und katholischer Tradition hat nach Dulles ihre Berechtigung. Die Gegenüberstellung von Wort und Sakrament aber nicht. Denn weder die protestantische noch die katholische Tradition bestreiten den Wert des Wortes Gottes beziehungsweise den Wert des Sakraments. Und keine der beiden Traditionen trennt das Wort Gottes völlig vom Sakrament oder umgekehrt. Dulles votiert hier für eine ganzheitliche Sichtweise: Die Sakramente selbst können als Wort bezeichnet werden, denn es sind Zeichen, die den Sinn und die Intention Gottes, der hier selbst am Werk ist, aussagen. Und umgekehrt: Das Wort Gottes hat sakramentalen Charakter, denn 383 384 385

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 106. Ebd. DULLES, The Catholicity of the Church, 112.

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es ist mit göttlicher Vollmacht ausgestattet. Nach Dulles stößt diese ganzheitliche Sichtweise auf Grenzen, die es zu berücksichtigen gilt. Während das Wort von seiner Bedeutung her konstituiert ist, sind die Sakramente nicht auf eine intelligible Komponente rückführbar. Die Sakramente sind Zeichen und beinhalten die dynamische Gegenwart der bezeichneten Realität386. Und: Die Sakramente sind verbunden mit materiellen Elementen und Gesten, die eine spirituelle Wirkung übermitteln387. Diese Wirkung kommt direkt aus der Vollmacht Christi. Die spirituelle Wirkung der Sakramente dient nicht nur dem persönlichen Heil, sie dient auch zum Aufbau der Kirche in ihrer vielförmigen Einheit. Für Dulles wird in den Sakramenten das Wort in Elementen, Gesten und Personen konkret greifbar (becomes embodied) – wie bei der Inkarnation. Dulles vergleicht hier direkt. Er spricht nicht von einer Metapher. Die in Jesus konzentrierte und inhärente Gnade wurde durch die Himmelfahrt und die Sendung des Heiligen Geistes universalisiert und so das einigende Prinzip der expandierenden christlichen Gemeinschaft. Deshalb sind die Sakramente die sichtbaren Mittel, durch die sich die Kirche als Leib Christi organisch strukturiert. Aus diesem Grund dienen die Sakramente zum Aufbau der Kirche. Dabei ist jedes Sakrament die Aktualisierung des Wesens der ganzen Kirche und enthält gleichzeitig eine spezielle Gnade. Die Taufe aktualisiert die mütterliche Rolle der Kirche, neue Glieder des Leibes Christi zu gebären. Der Getaufte wird eingegliedert (incorporated) in die eine Kirche und den Gliedern des Leibes Christi gleich gestaltet (concorporated). Da Sünde ein Vergehen gegenüber Gott und gegenüber der Kirche ist, trennt manche Sünde auch von der Kirche. Die öffentliche Buße würde die kirchliche Dimension von Sünde und Vergebung besser zeigen als die Privatbeichte, denn Jesus Christus handelt in und durch die Kirche. Er zeigt Gottes Erbarmen gegenüber der Welt, und der Büßer wird wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen. Die Eucharistie ist das Sakrament der Einheit. Es bewirkt Gemeinschaft in der Kirche, es bildet Gemeinschaft zwischen der Menschheit und Gott und sie bringt Leben in die materielle Welt388. Damit müsste die sakramentale Struktur der Kirche die vier Dimensionen der Katholizität folgendermaßen klären und stützen. Die Breitenund Längendimension ist in der folgenden Tabelle zusammengefasst (quantitative Dimension): 386

387

388

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 111: „The concept of sacrament in Catholic theology involves not only signification but also the dynamic presence of the reality signified“. Widerspruch gegen eine spirituelle Wirkung der Sakramente käme hier vor allem vom Thomismus. Diese Schule vertritt eine physisch-instrumentale Wirkursächlichkeit der Sakramente. Vgl. BERGER, David, Thomismus, Große Leitmotive der thomistischen Synthese und ihre Aktualität für die Gegenwart. Köln 2001, 318 ff. Dulles geht auf diese Auseinandersetzungen nicht ein. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 117 f.

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Dimension Höhendimension

Tiefendimension

Wirkung der sakramentalen Struktur Durch die sakramentale Vermittlung der Gnade wird sichergestellt, dass Gottes Gegenwart greifbar ist und bleibt. Letztlich handelt Christus in der Kirche und durch die Kirche. Durch die sakramentale Gnade wird die menschliche Natur unterstützt, Gottes Gegenwart wirklich aufzunehmen und zu verstehen zu versuchen.

Breitendimension Längendimension

Dadurch dass Sakramente gespendet werden, vollzieht sich an allen Orten und zu allen Zeiten die reale Vermittlung der Gegenwart Gottes.

Die Höhen- und Tiefendimension wird also durch die sakramentale Struktur gut erklärt und gewährleistet. In den quantitativen Dimensionen zeigen sich allerdings in Dulles’ Theorie einige Schwachpunkte: a) Die Art und Weise der Sakramentenspendung hat sich im Laufe der Zeit in gewisser Hinsicht geändert. Dulles selbst weist darauf hin, dass in der Alten Kirche die Buße nur öffentlich gefeiert wurde, seit dem Mittelalter wird die Buße aber privat gefeiert. Änderungen gab es auch in den liturgischen Bestimmungen zur Feier der Heiligen Messe. Das bedeutet: die Längendimension braucht eine weitere strukturelle Stütze, die diese Entwicklungen erklären kann. b) Die Art und Weise der Sakramentenspendung ist gegenwärtig auch geographisch unterschiedlich. Es existieren verschiedene Riten und liturgische Gebräuche und zeigen auf beeindruckende Weise die Vielfalt in der Katholischen Kirche. Hier stellt sich aber auch wieder die Frage nach legitimer und nicht legitimer Vielfalt, also nach dem Quantum an Unterschiedenheit, das in der Kirche möglich ist. Das bedeutet: Auch die Breitendimension braucht eine weitere strukturelle Stütze. Dulles findet eine solche Stütze im priesterlichen Amt und in der hierarchischen Struktur. Hierarchische Struktur Im vorausgehenden Abschnitt wurde klar, dass die sakramentale Struktur eine gewisse Ergänzung braucht. Die hierarchische Struktur resultiert aber selbst aus der sakramentalen Struktur, denn sie ist an das priesterliche Amt in der Kirche gebunden. Die hierarchische Struktur ist also selbst wiederum eine Art Stütze der sakramentalen Struktur der Kirche. Die Aufgaben der hierarchischen Struktur liegen in der Bestimmung und Durchführung praktischer Bestimmungen und Regulierungen und in der endgültigen Entscheidung in Glaubensfragen389. Beide Aufgabengebiete betreffen die Frage nach dem Quantum an Verschiedenheit in der kirchlichen Einheit und die Explikation der Symbole der göttlichen Selbstoffenbarung. Diese Aufgaben können im Rahmen der sakramentalen Strukturierung der Kirche nur von sakramental Ordinierten 389

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 118 ff.

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wahrgenommen werden. In der Ordination aktualisiert die Kirche deshalb nach Dulles ihr eigenes Wesen als organisch strukturierter Leib. Diese Aufgaben verweisen natürlich auch auf die Apostolizität der Kirche, vor allem auf die apostolische Sukzession der Bischöfe. Letzten Endes ist apostolische Autorität in Christus dem Herrn Grund gelegt. Die apostolische Sukzession sichert die treue Weitergabe des Wortes, das vertrauensvoll verkündet und in gläubiger Zustimmung angenommen wird. In diesem Kontext nimmt Dulles auch Stellung zur so genannten Hellenisierungshypothese. Dulles führt aus: „To imagine that the Church should never develop beyond her primitive and rudimentary forms and should draw nothing from the surrounding secular culture, would be to ignore all that we have said in these pages about the historicity of the Church and her Catholic openness to the world”390.

In einer späteren Veröffentlichung begründet Dulles das kirchliche Lehramt unter anderem folgendermaßen: „Just as the Christians of the first generation had to rely on the word of the Apostles and their fellow-workers, so the Christians of later generations must continue to rely on the living authority of those who succeed to the place of the Apostles“391. Das bedeutet, dass die Kirche die hierarchische Struktur braucht. Gleichzeitig muss die Kirche diese Struktur richtig gebrauchen392: Es geht um die richtige Vermittlung der Fülle der Gnade Gottes in Jesus Christus, die letztlich für Dulles auf dem Vertrauen der Gläubigen in die kirchliche Hierarchie fußt. Diese Basis des Vertrauens, die in der postcritical theology eine besondere Rolle spielt, ist damit die Grundlage für die Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation innerhalb des conceptual frameworks und deren richtiges Verständnis. Damit überschneiden sich nach Dulles Vertrauen in die Existenz der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation, Vertrauen als Basis des conceptual framework und das Vertrauen in die Hierarchie der Kirche. Die quantitativen Dimensionen werden somit durch die hierarchische Struktur gestützt. Über das Quantum an möglicher Vielfalt in der Einheit entscheidet letzten Endes das kirchliche Lehramt auf der jeweils zuständigen Ebene (Subsidiaritätsprinzip). Die hierarchische Struktur ist dabei weder der Kirche fremd, noch eine beliebige Ergänzung zur sakramentalen Struktur. Die hierarchische Struktur ist auf Jesus Christus gegründet (Ordination) und durch die apostolische Sukzession der Bischöfe gewährleistet.

390 391 392

DULLES, The Catholicity of the Church, 119. DULLES, Magisterium. Teacher and Guardian of the Faith. Naples, FL 2007, 5. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 125.

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Ergebnis Zusammenfassung Wird Catholicism in Anlehnung an die Symbolik des 19. Jahrhunderts als Grundnorm der römisch-katholischen Kirche verstanden, dann heißt das, dass nach Dulles die Quelle oder die Grundlage der römisch-katholischen Konfession in Sakramentalität und dem hierarchisch angelegten Priesteramt besteht. Damit sind zwei Charakteristika genannt, die beispielsweise im Unterschied zur Confessio Augustana die Grundidee des Systems der römisch-katholischen Theologie und Kirche kennzeichnen393. Die Kirche als katholisch zu bezeichnen, heißt also auf der Ebene des Catholicism, dass sichtbare Strukturen der Vermittlung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation existieren und zum Wesen der Kirche dazugehören. Dulles kennt zwei Strukturen zur Vermittlung der vier katholischen Dimensionen. Die sakramentale Struktur schützt und erklärt die Höhen- und Tiefendimension der catholicity. In den quantitativen Dimensionen braucht Dulles eine weitere Struktur, die von der sakramentalen Struktur abhängig ist: die hierarchische Struktur394. Die Frage nach dem zulässigen Quantum an Verschiedenheit in der Einheit beantwortet das kirchliche Lehramt. Es gilt also für Dulles folgende Beziehung: - Die Kirche Christi subsistiert in der Römisch-Katholischen Kirche. - Die Fülle der Katholizität in der Römisch-Katholischen Kirche wird von den vier Dimensionen erklärt. - Die vier Dimensionen werden von den zwei Strukturen gestützt. - Die Strukturen gehören zu der genuinen Eigenschaft des Christentums, also der Kirche Christi.

393

394

Die Confessio Augustana spricht auch von Sakramenten und dem so genannten Predigtamt, gewichtet sie aber anders: „Um diesen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, der den Glauben, wo und wann er will, in denen, die das Evangelium hören, wirkt, das da lehrt, daß wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, wenn wir das glauben“, Confessio Augustana 5. In der lutherischen oder reformierten Theologie ist eine solche zentrale Stellung der hierarchischen Struktur des Christentums nicht denkbar (Vgl. SAUTER, Gerhard, Theologie als Wissenschaft. Historisch-systematische Einleitung. In: SAUTER, Gerhard (Hrsg.), Theologie als Wissenschaft. Aufsätze und Thesen. München 1971, 35 f.). Die Ebene des Catholicism ist für Dulles aber noch nicht mit der konfessionellen Ebene des Wortes katholisch gleichzusetzen. Hier zeigt sich deshalb, dass die Ausführungen von Dulles zur catholicity und zum Catholicism natürlich von der konfessionellen Ebene abhängen. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass Dulles römisch-katholischer Theologe ist, sondern auch von seinen Folgerungen aus LG 8: Die Fülle der Katholizität ist in der römisch-katholischen Kirche auffindbar.

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Die dargestellte Beziehung ist zirkular angelegt. Sie kann als logischer Zirkel verstanden werden395, denn die Erklärung beginnt und endet in der Kirche Christi. Die einzelnen Größen innerhalb des Zirkels bedingen und erklären sich gegenseitig. Die dargestellte Beziehung kann aber auch als hermeneutischer Zirkel verstanden werden396. Jede der einzelnen Größen braucht jeweils ein Vorverständnis, um wechselseitig verstanden werden zu können. Dulles klärt nicht, welcher Auffassung er selbst zustimmt. Er ist eher an einer weiteren Strukturierung des Zirkels interessiert. Es geht um die Frage, ob es innerhalb der Strukturen ein Zentrum geben kann. Bei der Frage nach dem Zentrum des Katholischen stößt Dulles auf die Romanitas. Hier geht es um die nächste Ebene des Wortfeldes katholisch: um die konfessionelle Ebene. Für die Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation und bei der Bestimmung der legitimen Verschiedenheit innerhalb des conceptual framework der Kirche bleibt die Theologie deshalb immer auf die hierarchische Struktur des Catholicism, also das kirchliche Lehramt verwiesen397. Dulles hat sich zwar in seinen Überlegungen zum Zueinander von Lehramt und wissenschaftlicher Theologie stark entwickelt398. Aufgrund der Ausführungen in The Catholicity of the Church kann man aber folgern, dass es für den späten Dulles gar keine wissenschaftliche Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation geben kann. Die Explikation der Symbole wird von der Kirche geleistet und von dem in der sakramentalen und hierarchischen Struktur verankerten Lehramt. Das ist auch gar nicht anders erklärbar. Wenn nämlich die Explikation von Symbolen conceptual frameworks begründet, dann können die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation gar nicht von Individuen expliziert werden ohne dass verschiedene Sichtweisen unvermittelt nebeneinander stehen würden. In einem solchen Fall müsste es dann unterschiedliche Rahmenbedingungen, unterschiedliche Glaubensüberzeugungen und unterschiedliche Interpretationen der zugrunde liegenden Symbole geben. Im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit wurde die Aufgabe der Theologie als die wissenschaftliche 395

396

397

398

Vgl. ALBERT, Hans Traktat über kritische Vernunft. UTB 1609 Tübingen (1978) 51991, 15. Vgl. GADAMER, Hans-Georg, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 21965, 250 ff. Vgl. hierzu auch DULLES, The New World of Faith. New York 2000, 101 f.: „An indispensable role in the transmission and development of doctrine is played by the hierarchical magisterium. Without it the Church would have no way of certifying its corporate faith […] Thanks to their charisms of office, the pope and the whole body of bishops are able, under certain circumstances, to speak with infallibility. We should not allow ourselves to be frightened by the heated controversies surrounding this term. It is simply another way of saying that the Holy Spirit will preserve the Church against using its full authority to require its members to assent to what is false. If this could happen, the truth of revelation would not be preserved in recognizable form”. Vgl. Kapitel I.3 der vorliegenden Arbeit.

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Reflexion der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation gekennzeichnet. Im Zueinander zum kirchlichen Lehramt bedeutet dies, dass die Kirche als ganze durch das kirchliche Lehramt die Symbole expliziert, also ins Wort fasst. Die Theologie untersucht die Symbole wissenschaftlich, beziehungsweise sie arbeitet die vom Lehramt geleistete und immer wieder neu zu leistende Explikation der Symbole wissenschaftlich auf. Die Theologie hat deshalb eine Funktion im Verstehensprozess der explizierten Symbole. Und für diesen Verstehensprozess müsste es deshalb in der Theorie Dulles’ auch subjektunabhängige Kriterien geben, nach denen Theologie funktionieren kann. Letztlich stellt sich damit also die Frage nach der Begründung der Kriterien wieder neu. Anfragen Ein schwerwiegendes Problem entsteht, wenn man nur davon ausgeht, dass die Ebene des Catholicism strukturelle Elemente zur Einheit der Kirche beschreibt399. In diesem Fall stellt sich nämlich die Frage, ob die hierarchische Struktur als Stütze der sakramentalen Struktur des Catholicism ausreicht. Bei der Untersuchung der sichtbaren Strukturen der Vermittlung der Christusgegenwart muss eigentlich nicht nur über das Ausmaß an Verschiedenheit durch das kirchliche Lehramt entschieden werden, es müssen vor allem auch die Sakramente den Gläubigen gespendet werden. Dieser Punkt ist tatsächlich von entscheidender Bedeutung für die Theorie Dulles’, denn nur so kann sichergestellt werden, dass die Fülle der Gegenwart Gottes allen Menschen zu allen Zeiten sakramental vermittelt wird. Hier entstehen aber einige Schwierigkeiten, wenn man mit Dulles nur von einer im hierarchischen Priesteramt verwurzelten Stütze der sakramentalen Struktur ausgeht. Wenigstens drei Problemfelder können hier genannt werden. - Die Spendung und der Empfang der Sakramente: Sakramente müssen nicht nur gespendet werden, sie werden auch gläubig empfangen. Und das bedeutet wiederum, dass die Gläubigen aufgrund ihres allgemeinen Priestertums in der sakramentalen Struktur nicht vollkommen übersehen werden dürfen. - Das Sakrament der Ehe: Hier assistiert der anwesende Diakon, Priester oder Bischof den Partnern. Die Ehe selbst kommt aber durch den Konsens der Partner zustande400. Das aber bedeutet, dass die sakramentale Struktur eigentlich eine weitere Stütze im allgemeinen Priestertum aller Getauften benötigt. 399

400

Vgl. SPEZIA, The Ecclesiology of Avery Dulles, 137: „However, in Dulles’ ecclesiological usage, Catholicism does not necessarily refer to Roman Catholic. Rather the term is used to refer to the approach to Christianity that has a propensity to embrace certain structural elements that work to unify the Church”. Vgl. CIC can. 1057: §1: „Die Ehe kommt durch den Konsens der Partner zustande, der zwischen rechtlich dazu befähigten Personen in rechtmäßiger Weise kundgetan wird; der Konsens kann durch keine menschliche Macht ersetzt werden.“ Vgl. hierzu auch PRADER, Joseph, Die Ehe in der kirchlichen Rechtsordnung. In: LISTL, Joseph / SCHMITZ, Heribert

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- Das Sakrament der Taufe: „Im Notfall kann jeder Mensch, auch ein Nichtchrist, die Taufe gültig spenden, sofern er nur die geschuldete Absicht hat, d.h. zu tun, was die Kirche tut, und die zu gültigen Taufspendung notwendige Materie und Form anwendet“401. Sicher ist zu berücksichtigen, dass der Notfall nicht den Normalfall darstellt. Trotzdem zeigt diese Möglichkeit, dass die sakramentale Struktur im Notfall selbst eine anthropologische Stütze erfordert. Eine Darstellung des hierarchisch verfassten Priestertums stellt deshalb immer auch die Frage nach seiner Beziehung zum allgemeinen Priestertum aller Gläubigen. Das letztere spielt in Dulles’ Theorie aber keine besondere Rolle. Das zeigt sich eigentlich auch schon auf der sprachlichen Ebene seiner Symboltheorie: Symbole bieten keine spekulative Erkenntnis, sondern integrierende Erkenntnis. Dulles spricht in diesem Zusammenhang von participatory knowledge402. Die Offenbarung liefert eine participatory awareness403. Dulles führt nicht weiter aus, in wiefern participatory knowledge und participatory awareness voneinander unterschieden sind. Im Großen und Ganzen dürfte damit dasselbe gemeint sein, denn er erklärt: „To accept the Christian revelation is to involve oneself in a community of faith and thus to share in the way of life marked out by Jesus“404. Mit dem Begriff awareness ist eine der polanyischen Dimensionen wiedergegeben405. Zu der awareness dimension gehört aber bei Polanyi nicht zuerst eine wie auch immer geartete knowledge dimension, sondern die activity dimension406. Input und Output müssen beide im menschlichen Erkenntnisprozess berücksichtigt werden. Allerdings ist für Polanyi die awareness dimension nicht mit Passivität gleichzusetzen. Das würde für ihn letztlich eine intellektualistische Auffassung von awareness bedeuten407. Entscheidend in den Ausführ-

401

402 403 404 405 406 407

(Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Regensburg 21999, 891: „Zur Gültigkeit genügt es, daß der Assistierende die Eheschließenden auf irgendeine Weise nach der Ehewillenserklärung fragt und dieselbe entgegennimmt“. Vgl. auch PRIEMETSHOFER, Bruno, Die Eheschließung. In: LISTL, Joseph / SCHMITZ, Heribert (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Regensburg 21999, 948: „Aus dieser Vorstellung von der Ehe als einem Vertrag folgt auch die im lateinischen Recht vorherrschende Auffassung, daß die Ehepartner, sofern sie beide getauft sind, selbst Spender und Empfänger des Ehesakramentes seien“. HIEROLD, Alfred E., Taufe und Firmung. In: LISTL, Joseph / SCHMITZ, Heribert (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Regensburg 21999, 812. Vgl. hierzu auch CIC can. 861 § 2. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 136. Vgl. DULLES, Models of Revelation, 138. Ebd. Vgl. GILL, The Tacit Mode, 31ff. Vgl. GILL, The Tacit Mode, 39. Hier liegt vermutlich auch der Grund, weshalb Shecterle zu der Auffassung kommt, dass die Symbole keinen Wahrheitsanspruch begründen können.

128

ungen von Dulles ist, dass die Bezeichnung activity vollends aus dem Gedankengang verschwindet. Das ist umso erstaunlicher, als Dulles im Jahr 1974 in der Père Marquette Theology Lecture die psycho-soziologische Sichtweise der Kirchenmitgliedschaft aus der protestantischen Tradition wegen der hohen Bedeutung der Aktivität der Mitglieder ausdrücklich lobt408. Im Gegensatz dazu besteht Aktivität der Mitglieder der Kirche bei Dulles eigentlich nur im Vertrauen und im richtigen Verständnis der Symbole, beziehungsweise der Sakramente. Damit wird aber nicht klar, wie Dulles der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes entspricht, die ausdrücklich eine personal vollzogene Glaubensentscheidung („magis personalem et actuosam adhaesionem fidei“409) von den Mitgliedern der Kirche fordert. Die Ausführungen von Dulles zur Katholizität kommen deshalb eigentlich ohne das allgemeine Priestertum aller Gläubigen aus. Entscheidend ist in dieser Theorie nur, dass Sakramente gespendet werden. Auch der Fall der Ehe oder der Nottaufe wird bei Dulles nicht reflektiert. Gerade hier hätte sich eine Möglichkeit geboten, ein aktives Verständnis der Mitglieder der Kirche in das Katholische zu integrieren, ohne dabei von einer sakramentalen und auch hierarchischen Sichtweise der Vermittlung der Gegenwart Gottes für die ganze Kirche abzurücken. Eine wichtige Rolle könnte dabei das allgemeine Priestertum aller Gläubigen spielen410. Von hier aus hätte man liturgia, martyria und diakonia der Kirche als gemeinsame Vermittlung der Gegenwart Gottes verstehen können411. Das hierarchische Priestertum hätte diesen Dienst der Kirche durch seine spezielle Teilhabe am prophetischen, priesterlichen und pastoralen Priesteramt Christi strukturieren können. Darüber hinaus stellt sich an dieser Stelle die Frage nach Fehlentwicklungen in der Kirche, die Dulles auf der Ebene der catholicity nicht in Betracht gezogen hatte, erneut. Es geht um die Frage nach der Verantwortung der kirchlichen Hierarchie für Missstände oder Fehlentwicklungen. In der bereits zitierten Admonitio der Kardinallegaten auf der Zweiten Sitzung des Konzils von Trient (7. Januar 1546) heißt es: „Wenn wir die Wahrheit sagen wollen, müssen wir zugeben, uns bewußt zu sein, daß wir in unserem geistlichen Amt gefehlt haben und in nicht geringem Grad selbst die Ursache

408

409 410

411

Vgl. DULLES, Church Membership as a Catholic and Ecumenical Problem, 25. Vgl. hierzu auch URBAN, Freikirchen. In: JOHANN-ADAM-MÖHLER-INSTITUT (Hrsg.), Kleine Konfessionskunde. Paderborn 1996, 246-251. GS 7. DULLES, The Priestly Office, 10: „The common priesthood belongs to the whole people of God, not simply to the laity“. Vgl. LG 10.

129

für die Übel gewesen sind, die wir nun aufgerufen sind zu bessern; es ist nicht genug, zu sagen, daß wir einer so großen Aufgabe nicht gewachsen sind“412.

Die Admonitio zeigt damit deutlich, dass in der Geschichte der Kirche die hierarchische Stütze auch zu Fehlentwicklungen geführt hat und kein ausnahmslos sicherer Garant der sakramentalen Struktur ist. Außerdem wird sehr deutlich, dass die hierarchische Stütze nicht einmal alle Missstände der Kirchengeschichte aus eigener Kraft beheben kann. In der Admonitio wird deshalb auf die Christusbeziehung der Konzilsteilnehmer verwiesen413. Damit zeigt sich, dass die sakramentale Struktur und die Höhendimension der catholicity wiederum zu Stützen der kirchlichen Hierarchie werden müssen414. Die Funktion des Catholicism bei Dulles Aufgrund der Anfragen an die Strukturierung des Catholicism bei Dulles stellt sich die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, von einer solchen Größe zu sprechen, denn erstens führt bei der wörtlichen Übersetzung ins Deutsche der Begriff Katholizismus zu einer Vorstellung von historisch-kontingenten Erscheinungsformen der römisch-katholischen Kirche415. Genau das Gegenteil beabsichtigt aber Dulles, Catholicism ist schließlich eine Eigenschaft der einen Kirche Christi. Zweitens zeigt sich, dass die Ausarbeitung dieser Ebene bei Dulles zu vielen Schwierigkeiten führt, wie beispielsweise der Frage nach dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen. Die Funktion der Ebene des Catholicism bei Dulles wird nur dann klar, wenn man nicht nur davon ausgeht, dass Catholicism strukturelle Elemente zur Einheit der Kirche liefert. Die Schwachpunkte eines solchen Verständnisses liegen auf der Hand416. Catholicism bei Dulles muss in erster Linie als die Suche nach der Grundidee des Systems der katholischen Kirche verstanden werden, wie in der Symbolik des 19. Jahrhunderts. Nur so wird verständlich, was diese Ebene eigentlich leisten soll: Sie liefert die ekklesiologische Grundlage der Vermittlung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation als konstitutivem Element römisch-katholischer Theologie nach Dulles. Wird Katholizismus vor allem noch in seiner Gegenüberstellung zum Protestantismus verstanden, dann ist klar, dass Sakramentalität und Hierarchie eine besondere Herausforderung für 412

413 414

415 416

Zitiert in: KUTTNER, Die Reform der Kirche und das Trienter Konzil, 391. Hervorhebungen von Kuttner. Kuttner sieht hier die Ursache dafür, dass das Konzil von Trient – im Gegensatz zu vorausgehenden Konzilien – nicht die Personen der Neuerer nennt, sondern auf die Formulierungen der ersten Konzilien zurückgreift. Vgl. ebd. Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 35: „Christ is dynamically present in the institutional Church and its ministries for the purpose of building up the Church in its second aspect, that is to say as a community or communion of grace”. Vgl. Kapitel II.2.1 der vorliegenden Arbeit. Vgl. oben.

130

das ökumenische Gespräch darstellen. Eine Begrenzung des kirchlichen Lebens auf die Themenfelder Sakramentalität und Hierarchie kann damit bei Dulles aber ausgeschlossen werden: Dulles zeigt nicht auf, wie die ganze Kirche in all ihren Lebensbereichen funktioniert. Er zeigt nur auf, dass Sakramentalität und hierarchisches Priestertum im System der römisch-katholischen Kirche eine tragende Rolle spielen. 3.3 Catholic - Ein Zentrum Dulles unterscheidet auf der konfessionellen Ebene des Wortes catholic drei klassische Positionen, um Römisch und Katholisch miteinander zu verbinden417. Sie sollen in der folgenden Tabelle zusammenfassend dargestellt werden. Die Beziehung zwischen Römisch und Katholisch ist…

… akzidentiell

… einander ausschließend

… notwendig

Grundaussage:

Die Katholische Kirche kann, muss aber nicht römisch sein.

Die Verbindung von römisch und katholisch ist zwingend.

Vertreter:

Jaroslav Pelikan / Teile der Oxford-Bewegung

Wenn „römisch“ mit der modernen päpstlichen Kirche gleichgesetzt wird, dann schließen sich die beiden Begriffe aus. Friedrich Heiler / Wilhelm Stählin

Die Verbindung zwischen Römisch und Katholisch…

… erfolgte wegen historischer Umstände im 4. Jahrhundert

… ist eine a-katholische Häresie. Das Partikulare wird mit dem Universalen vertauscht.

Die Lutherische Gruppe Die Sammlung (mit der Grundaussage: Luther wollte in der römischkatholischen Kirche reformieren) / Dictatus Papae von Gregor VII. / Erstes Vatikanisches Konzil / Apologeten der Römischen Schule des 19. und 20. Jahrhunderts … könnte als fünftes Wesenselement der Kirche (Romanitas) verstanden werden.

Dulles bemerkt ferner verschiedene Begründungen des römischen Primats im Lauf der Geschichte418. Auch sie sollen in der folgenden Tabelle zusammenfassend dargestellt werden. Dabei wird jeweils die Grundthese verschiedener Vertreter wiedergegeben und auf eine Art von Grundkategorie des römischen Primates zurückgeführt.

417 418

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 127-132. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 134-136.

131

Grundkategorie des Primats:

Apostolizität

Grundthese:

Die römische Tradition ist der Eckstein der Wahrheit, weil die Apostel Petrus und Paulus in Rom gelehrt haben.

Vertreter:

Irenäus von Lyon

Mystische Gegenwart des Apostels Petrus im Papst Auf dem Konzil von Chalzedon (451) riefen Konzilsväter nach Verlesen des Tomus Leonis: „Petrus hat durch Leo gesprochen!“

Papst Leo I. Nur in diesem einen Fall!

Macht

Dienst

Der Papst hat den Auftrag / die Vollmacht, Kirche und Staat zu leiten. Die Monarchie ist dabei die idealste Staatsform. Ziel ist die Einheit der Kirche. Papst Bonifaz VIII. bis Erstes Vatikanisches Konzil

Der Primat des Bischofs von Rom steht in Relation zur Katholizität der Kirche.

Zweites Vatikanisches Konzil

Nach Dulles bestimmt das Zweite Vatikanische Konzil den römischen Primat nicht durch Rückgriff auf eine der klassischen Positionen zur Verbindung von Römisch und Katholisch. Der römische Primat kann weder akzidentiell sein, die Branch-Theory wurde 1864 verurteilt419, noch ausschließend. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht aber auch nicht explizit von einer notwendigen Beziehung. Das zeigt sich besonders deutlich an der neuen Aufgabenbestimmung des päpstlichen Primats im Zweiten Vatikanischen Konzil: Aufgabe des Papstes ist der Dienst an der Katholizität der Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil will damit erstens die Position von Katholiken der unierten Kirchen (Dulles spricht von Eastern Catholics) stärken420. Und zweitens: Die Lehre von der Lokalkirche, die in der nachtridentinischen Theologie in Vergessenheit geraten war, wieder aufgreifen. Das hat für Dulles einige Auswirkungen. Dulles erklärt: „Catholicity, therefore, is to be predicated not only of the universal Church but also of the local churches, though always in reference to the universal“421. „[T]he Petrine see and the particular church may each be said to enjoy a certain primacy, and the two primacies, far from conflicting, require one another“422.

Römischer Primat ist für Dulles somit der Dienst des römischen Bischofs an der versöhnt-verschiedenen Einheit (Katholizität) von Lokalkirchen. Diesem Dienst entspricht auch die Beziehung der einzelnen katholischen Lokalkirchen zur Universalkirche. Und davon hängt wieder ab, dass nach Dulles jeder Bischofsstuhl einen gewissen Primat innehat. Die einzelnen Vorrangstellungen bedingen sich aber eben so, wie die Katholizität der Universalkirche und die Katholizität der Lokalkirchen. Der päpstliche Primat erscheint für Dulles 419 420 421 422

Vgl. DH 2885-2888. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 132 ff. DULLES, The Catholicity of the Church, 133. DULLES, The Catholicity of the Church, 136.

132

deshalb im Zweiten Vatikanischen Konzil in verschiedene ekklesiologische Dimensionen gestellt. Der päpstliche Primat korrespondiert mit der relativen Autonomie der Partikularkirche, dem communio-Konzept der Universalkirche und der Betonung der Kollegialität der Bischöfe. Auf diesem Hintergrund kann Dulles die Beziehung zwischen Römisch und Katholisch wieder aufgreifen. Dulles führt aus: „In an authentically Catholic theology ‘Roman’ does not mean Western, Latin, Mediterranean, Southern, or Italian. It simply designates the centre of communion, which happens to be linked, for historical reasons, with the city of Rome“423. Dulles tendiert damit scheinbar eher zu der akzidentiellen Verbindung von Römisch und Katholisch424. Der theologische Hintergrund ist allerdings nicht der von Jaroslav Pelikan oder einigen Befürwortern der Branch-Theory aus der Oxford-Bewegung. Der theologische Hintergrund für Dulles ist der des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das bringt folgende Vorteile mit sich: Die Frage nach der Möglichkeit eines Transfers des päpstlichen Bischofssitzes aus Rom muss nicht beantwortet werden. Es muss nicht der Beweis geführt werden, dass die Ortskirche von Rom so etwas wie einen reineren Glauben hat, als jede andere Lokalkirche. Die historische Entwicklung des päpstlichen Primats kann in diese Sichtweise völlig integriert werden. Das alles ändert für Dulles nichts an der Notwendigkeit des päpstlichen Primats: Analog zur Eucharistiefeier, der ein Priester vorsteht und Christus repräsentiert, ähnlich einer Diözese, die von einem Bischof geleitet wird, so braucht auch die universale Kirche einen Bischof425. Sobald diese Notwendigkeit offensichtlich wurde, gehörte der päpstliche Primat und die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom zum integralen Bestandteil der katholischen Kirche426. Bei der Verbindung von Römisch und Katholisch ist ein weiterer Punkt zu beachten. Dulles nennt Rom das Zentrum, das Einheitsprinzip427 und Katholisch die Peripherie, das Verschiedenheitsprinzip428. Damit ergibt sich, dass Römischer Primat und Katholische Gemeinschaft dialektische Pole sind, die in wechselseitiger Beziehung existieren und wachsen.

423 424

425

426 427

428

DULLES, The Catholicity of the Church, 144. Vgl auch DULLES, Avery, A Church to Believe In: Discipleship and the Dynamics of Freedom. New York 1982, 97f. Vgl. hierzu PANTHALANY, The Relationship between the Universal and the Local Church, 54 ff. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 139; DERS., Catholicity and Catholicism, 206 f: „As the church becomes more international and heterogeneous, the ministry of unity becomes more demanding. This pluralism is an enrichment, but it creates the risk that the church might break up into cultural and political units”. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 145. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 146; DERS., The Reshaping of Catholicism, 74. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 146.

133

3.4 Ergebnis Was bedeutet katholisch? Dulles bietet selbst eine Ergebniszusammenfassung, was katholisch bedeutet429. Dulles nennt fünf verschiedene Bedeutungen. Zwei davon treffen aber nur auf eine bestimmte Gruppe von Theologen zu. Die drei restlichen entsprechen den drei Bedeutungsebenen des Wortfeldes catholic, die in der vorliegenden Arbeit dargestellt wurden430. Die Zusammenfassung von Dulles soll in der folgenden Tabelle dargestellt werden. Bezeichnung bei Dulles

Bedeutung oder Beschreibung bei Dulles

catholic als Adjektiv zu catholicity

Die Katholizität kann mit den 4 Dimensionen beschrieben werden. Universal als Gegenteil zu lokal oder partikular. Gebraucht von Ignatius von Antiochien und dem Martyrium Polycarpi. Wahr oder authentisch als Gegenteil zu falsch oder häretisch. Im Gebrauch bei Kirchenvätern seit dem Jahr 150 n. Chr., heute bei griechisch-orthodoxen Theologen. Dieser type von Christentum betont: sichtbare Kontinuität in Raum und Zeit. sichtbare Vermittlung durch soziale und institutionelle Strukturen. Als Gegenteil wurde oft der Begriff protestantisch charakterisiert. Dulles tendiert eher zu Begriffen wie charismatisch oder mystisch. konfessionelle Bezeichnung

Catholic als Adjektiv zu Catholicism

catholic

Fundstelle in The Catholicity of the Church Kapitel 2-5

Kapitel 6

Kapitel 7

Man kann das Buch The Catholicity of the Church als Fokussierung des Adjektivs catholic lesen. Nach der Einleitung erörtert Dulles die Mehrdimensionalität des Wortes als Wesensmerkmal der Kirche. Im Anschluss daran stellt Dulles die Strukturen dar, welche die Dimensionen stützen. Abschließend geht es um die konfessionelle Zugehörigkeit und den Primat des Papstes. Man wird dadurch aber weder dem Wort catholic noch den Ausführungen von Dulles gerecht. So sind Strukturen nicht nur Stützen der Dimensionen der Katholizität der Kirche. Strukturen gehören genuin zum Christentum dazu. Das hängt damit zusammen, dass die Strukturen bei Dulles sakramental und hierarchisch angelegt sind. Damit gehören sie für Dulles zum Kernbestand des Christentums. Dulles bemerkt selbst immer wieder, dass die Bedeutung des Begriffs katholisch (allumfassend) jeder Definition 429 430

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 185. Vgl. Kapitel II.2.1 der vorliegenden Arbeit.

134

(Abgrenzung) entgegensteht. Der US-amerikanische Philosoph, Logiker und Mathematiker Willard Van Orman Quine hat erklärt: „To define a sign is to show how to avoid it“431. Ohne in eine Diskussion mit der analytischen Philosophie einzusteigen, sollte aber gelten: Das Allumfassende kann nicht vermieden werden, also nicht definiert werden. Deshalb kann man nur schlecht von einer Fokussierung oder Spezialisierung des Begriffs katholisch sprechen. So als wäre eine Bezeichnung des Katholischen weniger speziell als die andere. Darüber hinaus kann bei Dulles nicht immer exakt zwischen den drei unterschiedlichen Bedeutungsebenen unterschieden werden. Auf allen drei Bedeutungsebenen ist aber die Idee sichtbarer Vermittlung der Fülle der Gegenwart Gottes von hoher Bedeutung. Dulles zählt in seiner Zusammenfassung weitere Charakteristika auf: - Der Begriff katholisch ist immer auf etwas Konkretes bezogen432. Denn katholisch sind bei Dulles immer nur konkret existierende Realitäten, also die eine Kirche oder die verschiedenen Lokalkirchen. - Der Begriff katholisch impliziert für Dulles Reichtum, Intensität und die einigende Beziehung unterschiedlicher Dinge. - Der Begriff katholisch beinhaltet in sich selbst Differenzen. Denn im Katholischen sind Gegensätze vereint, die selbst inkompatibel erscheinen wie zum Beispiel die Trinität, die Inkarnation und die Gegenwart des transzendenten Gottes. - Der Begriff katholisch ist dynamisch. Dulles führt aus: „It [=catholicity] designates a fullness of reality and life, especially divine life, actively communicating itself. This life, flowing outwards, pulsates through many subjects, draws them together, and brings them into union with their source and goal. By reason of its supreme realization, which is divine, catholicity assures the ultimate coherence of the whole ambit of creation and redemption”433.

Damit beschreibt der Begriff katholisch die Selbstkommunikation Gottes, vermittelt diese und bringt somit die Gläubigen aus ihrer Unterschiedlichkeit zur Einheit untereinander und mit Gott. Im weitesten Sinn ließe sich der Begriff katholisch deshalb auch vom Kosmos aussagen. Denn der gesamte Kosmos hat Christus zum Zentrum seiner Einheit und seiner Bestimmung. Die Katholizität der Kirche ist eine intensive Teilhabe an der göttlichen Katholizität. Dulles erklärt: „The Church has her catholicity not from herself but from God, who makes himself present in her. Catholicity, however, is not attributed to the Church merely by extrinsic 431

432 433

QUINE, Willard Van Orman, Mathematical Logic. Revised Edition. Cambridge, MA 1981, 47. Hinweis durch: ALBERT, Das Elend der Theologie, Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng. Erweiterte Neuauflage. Stuttgart (1979) 22005, 105. Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 167 ff. DULLES, The Catholicity of the Church, 167.

135

denomination, for Christ is truly present in the Church through the Holy Spirit. The Church, therefore, is a real representation of Christ”434.

Aus diesem Grund kann Dulles die Kirche als Realsymbol bezeichnen, denn die Fülle des göttlichen Lebens ist in ihr wirklich zu finden. Der Begriff katholisch hat bei Dulles damit eine entscheidende Bedeutung bei der Erklärung der realen Vergegenwärtigung Christi. Katholisch und symbolische Vermittlung Im Jahr 1983 veröffentlichte Dulles erstmals Models of Revelation und hielt den Vortrag, der Grundlage des Buches The Catholicity of the Church wurde. In beiden Veröffentlichungen geht es um die Vorstellung einer symbolischen beziehungsweise sakramentalen Vermittlung in der Kirche. Deshalb erscheint es berechtigt, die Ausführungen von Dulles zur Offenbarung mit den Ausführungen zur Katholizität in Beziehung zu setzen:

Fülle

und

Vermittlung

Katholizität

Vermittlung der Symbole der Offenbarung

Gott ist Ursprung der Fülle und differenzierter Einheit (Höhendimension) und die Schöpfung hat Teil an dieser Fülle (Tiefendimension).

Symbole bieten Einsicht in Bereiche, die der menschlichen Vernunft unzugänglich blieben (postkritische Komponente).

Deshalb muss die Kirche die ihr anvertraute Fülle in geographischer und zeitlicher Einheit bewahren.

Symbole führen zu integrierender Erkenntnis (participatory knowledge, transformative Komponente, Grundlage des conceptual framework). Das Symbol und das Symbolisierte bilden zusammen eine komplexe Realität (Realsymbol).

Das geschieht in der Spendung der Sakramente und in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom.

Diese schematische Darstellung der Katholizität nach den Prinzipien Fülle und Vermittlung hat selbstverständlich ihre Grenzen. Man muss zusätzlich in Betracht ziehen, dass alle vier Dimensionen der Katholizität mit Fülle und Vermittlung zu tun haben. Die Spendung der Sakramente in geographischer und zeitlicher Einheit der Kirche hat natürlich mit dem Prinzip Fülle zu tun, denn die Sakramente ermöglichen eine reale Christusbeziehung. Und umgekehrt ist in der Inkarnation und der Sendung des Heiligen Geistes auch das Prinzip der Vermittlung in der Höhendimension der Katholizität verankert. Trotzdem erscheint es sinnvoll, die einzelnen Dimensionen so zu untergliedern. Denn erstens wird in den qualitativen Dimensionen die Fülle der katholischen Kirche 434

DULLES, The Catholicity of the Church, 168.

136

Grund gelegt. Zweitens geht es in den quantitativen Dimensionen hauptsächlich darum, dass diese Fülle den Gläubigen zu allen Zeiten und an allen Orten vermittelt werden kann. An dieser Darstellung zeigt sich erneut die große Bedeutung der symbolischen Vermittlung der Selbstoffenbarung Gottes für die Katholizität der Kirche. Immer wieder kommt Dulles auf allen verschiedenen Ebenen des Katholischen auf die Vermittlung zu sprechen. Er nennt sie allerdings in The Catholicity of the Church sakramental und nicht symbolisch. Man muss hier aber keinen Gegensatz sehen. Die Deutungen des Symbols bei Dulles (das Symbol und das Symbolisierte bilden zusammen eine komplexe Realität, Realsymbol) verweisen deutlich genug auf die Sakramententheologie435. Die Redeweise von sakramentaler Vermittlung im Catholicism kann deshalb auch eine der Grundaufgaben der Kirche bei Dulles näher erläutern: „Die individuelle Dimension des Glaubens muß aber im Gleichgewicht mit der sozialen, gemeinschaftlichen Dimension gehalten werden. Wir streben alle nach Gemeinschaft, auch nach Glaubensgemeinschaft. Der Glaube kann nicht lange überleben, geschweige denn blühen, ohne Unterstützung durch eine gleichgesinnte Gruppe, die Symbole, Rituale und Traditionen bereitstellt“436.

Eine der Aufgaben der Kirche ist es demnach, Symbole, Rituale, Traditionen bereitzustellen, damit der Glaube von den Menschen in Gemeinschaft gelebt werden kann. Die Kirche setzt also durch die Spendung von Sakramenten und durch die hierarchische Festlegung von legitimer Unterschiedenheit und Einheit einen gruppendynamischen Prozess in Gang. So entsteht eine gemeinschaftliche Dimension, innerhalb derer die Vermittlung der Gegenwart Gottes an die Gläubigen heute im Mittelpunkt des Interesses steht. Deshalb untersucht Dulles auf der Ebene der catholicity auch nicht die Frage, wie Entwicklungen und Fehlentwicklungen in der Kontinuität der kirchlichen Tradition verständlich sind. Im Rahmen der symbolischen Vermittlung geht es um die Tradition, in der immer die Symbole zur Verfügung gestellt werden. Die Frage, wie diese Tradition einmal in der eschatologischen Fülle aufgehoben sein wird, stellt in diesem Zusammenhang auch keine echte Frage für Dulles dar. Selbst das allgemeine Priestertum aller Gläubigen spielt in dieser Perspektive keine hervorgehobene Rolle, denn es geht Dulles im Catholicism um die Erläuterung des conceptual framework durch die vom kirchlichen Lehramt zu leistende Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation und die klare Bestimmung des legitimen Maßes an Unterschiedenheit in der kirchlichen Tradition, beziehungsweise im conceptual framework und nicht um die Beschreibung kirchlichen Lebens in seinen verschiedensten Ausprägungen. 435

436

Vgl. MÜLLER, Gerhard Ludwig, Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie. Freiburg 21996, 650 ff. DULLES, Die kirchliche Dimension des Glaubens. In: Communio 24 (1995), 434.

137

Das bedeutet letzten Endes: Katholizität bei Dulles ist die ekklesiologische Komponente des symbolischen Realismus. Die Ausführungen von Dulles zur Katholizität müssen im Rahmen des symbolischen Realismus verstanden werden und umgekehrt: was Dulles von der symbolischen Vermittlung sagt, muss als Reflexion darauf verstanden werden, was Dulles unter katholisch versteht. Das erklärt die hohe Bedeutung struktureller Elemente in Dulles’ Ausführungen zur Katholizität und die Betonung der Kontinuität in den quantitativen, horizontalen Katholizitätsdimensionen. Symbolische, ekklesiale Transformativität und katholische Kontinuität bedingen sich gegenseitig, was direkt zur Vorstellung des kirchlichen Konsenses in Dulles’ Ausführungen zur Katholizität und in den Ausführungen zur Symbolwirklichkeit (postkritische Komponente der ekklesialtransformativen Theologie) führt. Das erklärt auch, weshalb Dulles keine eigene Ausarbeitung einer symbolisch-realistischen Ekklesiologie vorgelegt hat, wie er das für eine Theologie der Offenbarung und des Glaubens getan hat: Die Ausführungen zur Katholizität nahmen diese Stelle der Ekklesiologie schon ein.

4. Zur Rezeption von Dulles’ Theorie Dulles’ Theorie des Wortes katholisch hängt mit den Strukturen der Weitergabe des Glaubens und der hierarchischen Stütze der sakramentalen Struktur, also mit dem Catholicism zusammen. Dies bereitet vielen Autoren aber Schwierigkeiten437. Ebenso scheinen einige Autoren die Mehrdimensionalität der catholicity und das Zentrum des Katholischen nicht in ihre Arbeiten integrieren zu können, selbst wenn sie sich explizit auf Dulles berufen. Marzheuser(1995): Globalization and Catholicity Im Jahr 1995 legte Richard Marzheuser seinen Artikel Globalization and Catholicity vor. In diesem Artikel versucht er zu zeigen, dass Globalisierung und Katholizität einander entsprechen. Die Ausführungen von Marzheuser sind von Interesse, weil er zur Klärung des Begriffs katholisch auf die Ausführungen von Dulles zurückgreift, sie aber an einigen Stellen durch Arbeiten von Francis A. Sullivan438 ergänzt.

437

438

Vgl. DULLES, The Priestly Office, 2 ff. Hier verweist Dulles auf Ausführungen von Hans Küng und Edward Schillebeeckx zum Priestertum. Das Problem dieser Ausführungen und den Grund für ihre Zurückweisung von Seiten der Glaubenskongregation sieht Dulles im Fehlen der hierarchischen Struktur. Nach Küng gilt, so Dulles: „The term ‚hierarchy’ should be abandoned“, hier The Priestly Office, 3. Marzheuser nutzt vor allem: SULLIVAN, Francis A., The Church We Believe In. One, Holy, Catholic and Apostolic. Mahwah, NJ 1988.

138

Nach Marzheuser führt die Globalisierung zu dem Bewusstsein, in einer weiteren Welt zu leben439 und das heißt für ihn: Weil die Kommunikationsmöglichkeiten wachsen und die Welt sozusagen kleiner wird, ändert sich auch die Wahrnehmung der Menschen, wie groß das Maß an Verschiedenheit in der Welt eigentlich ist. Die Theologie muss deshalb die gegenwärtigen kulturellen Eigenarten berücksichtigen. Dazu untersucht Marzheuser vier Aufgaben der Kirche, die allesamt mit der Beziehung der Kirche nach außen zu tun haben: Evangelisierung, ökumenisches Gespräch, interreligiöser Dialog und die Arbeit für Gerechtigkeit in der Welt440. Diese Aufgaben der Kirche überschneiden sich: Nur inkulturierter Glaube ist heute glaubhaft, Evangelisierung und Gerechtigkeitsstreben sind miteinander verbunden, ökumenischer und interreligiöser Dialog stammen aus einer neuen missionarischen Achtsamkeit. Und die vier Aufgaben der Kirche hängen mit der Katholizität zusammen. In seiner Darstellung der Katholizität ist es Marzheuser deshalb wichtig, gerade die Verschiedenheit hervorzuheben. Dazu er hält sich an die vier Dullesschen Dimensionen der Katholizität441. Innerhalb der Dullesschen Dimensionen entdeckt Marzheuser die Charakteristika von Verschiedenheit und Fülle. Katholizität neigt zum inklusiven sowohl – als auch statt zum entweder – oder. Marzheuser folgert: „Thus, catholicity is a dynamic term. It is like the principle of life: When it is present, things are alive; when it is absent, things die and begin to decay. Catholicity is that principle of life for the whole scope of creation and redemption. […] There literally is no limit to the horizon of catholicity”442.

Dieses unbegrenzte Lebensprinzip hat nach Marzheuser ein Gravitationszentrum, das Katholische Zentrum. Es ist die Kraft, die vereint. Dieses Zentrum ist Jesus Christus selbst. Weil Christus das Zentrum ist, kann die Katholizität der Kirche nur im Licht der dreifachen Katholizität Christi verstanden werden: als das Inkarnierte Wort (Höhendimension), als Hochpunkt der Schöpfung (Tiefendimension) und als Haupt der Kirche (Breiten- und Längendimension). Aus der Fülle der Höhendimension gelangt die Kirche automatisch zur Verschiedenheit und umgekehrt. Deshalb gilt für Marzheuser der Gedanke Sullivans: „At that time [zu Beginn der Kirche] the church of Christ was already destined to be the church of all races and cultures“443. Der Übergang von einer rein jüdischen Matrix in die hellenistische Welt ist für Marzheuser genau das, was heute in 439 440 441

442 443

Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 180. Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 179. Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 183 f. Vgl. hierzu auch Kapitel II.3.1 der vorliegenden Arbeit: Die starke Betonung der Einheit in der Katholizität macht es hier eigentlich sehr schwer, das Ausmaß an zulässiger Verschiedenheit in den Ausführungen von Dulles zu bestimmen. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 184. SULLIVAN, The Church We Believe In, 86.

139

analoger Weise geschehen muss: Die Kirche muss die durch die Globalisierung wahrgenommene Verschiedenheit von Kulturen und Anschauungen Ernst nehmen und den Glauben für diese Kulturen verständlich machen. Marzheuser spricht hier von einer „theology of globalization“444, also dem Übergang aus einer rein innerkirchlichen Welt, die von abendländischem Gedankengut geprägt ist in eine globalisierte Welt unter Nutzung der Ressource der Katholizität, die hier Anknüpfungspunkte ermöglicht445. Die vier genannten Aufgaben der Kirche stammen also nach Marzheuser direkt aus der theologischen Reflexion der Katholizität der Kirche. Somit gibt es also Anknüpfungspunkte der Katholizität an die Globalisierung, und umgekehrt. Marzheuser spricht hier von Konvergenzen446. Sie sollen in der folgenden Tabelle dargestellt werden. Dabei werden in der linken Spalte die vier Aufgaben der Kirche genannt, in der Mitte die Begründung, was diese Aufgaben mit der Katholizität der Kirche zu tun haben und in der rechten Spalte die Übereinstimmung mit den vier Dullesschen Dimensionen der catholicity: Die Aufgaben der

…stammen aus der Katholizität, weil…

Evangelisierung

Übereinstimmung mit Dullesschen Dimensionen

Kirche… …das Evangeliums an alle Völker

Breitendimension

verkündet wird Ökumenisches Gespräch

…die Kirche die eine Kirche ist.

Interreligiöser Dialog

…die Kirche die Einheit der gesamten

Tiefendimension

Menschheit voraussetzt. Arbeit für Gerechtigkeit

…die Kirche die Auferstehung des Leibes

in der Welt

und die Erneuerung der zeitlichen Ordnung verkündet.

Die Ausführungen von Marzheuser zeigen in diesem Zusammenhang eine Schwäche: Er kann die Höhendimension der catholicity von Dulles nicht direkt in seine Aufgaben der Kirche integrieren. Das zeigt sich besonders an der Aufgabe der Evangelisierung: Marzheuser weist darauf hin, dass alle Menschen von der Botschaft des Evangeliums angesprochen sind und aufgrund der Katholizität der Kirche keine Ausnahmen von dieser Regel möglich sind. Er spricht aber nicht vom Inhalt der Botschaft, letztlich also nicht von Gott, Jesus Christus oder dem Wirken des Heiligen Geistes. Die Dullessche Breitendimension bietet sicher Anknüpfungspunkte an säkulare Größen. Dulles nennt selbst Vergleiche und spricht sogar davon, dass die Vereinten Nationen noch „breiter“ angelegt sind als die Katholische Kirche, weil sie mehr 444 445

446

MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 181. Man müsste hier aber eigentlich auch berücksichtigen, dass es in der Kirche keine „Theologie des Hellenismus“ gab oder gibt. Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 187.

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Mitglieder haben447. Aber die Breitendimension kann niemals alleine stehen, sie braucht die horizontalen Dimensionen. Im Bereich der Ökumene kennzeichnet Marzheuser wie Dulles die Katholizität als Motivation für ökumenisches Handeln448. Dazu kommt bei Marzheuser aber die Folgerung: Die Katholizität ist auch der Weg zum Erreichen der Ökumene449. Dazu kommt er aus mehreren Gründen: Auch die protestantischen Glaubensgemeinschaften können über die catholicity der Kirche sprechen. Die catholicity ist mehrdimensional und kennt Verschiedenheit in Einheit. Die catholicity ist ein Wesensmerkmal der einen Kirche. Dabei fehlt bei Marzheuser aber die Beziehung zu der Ebene Catholicism, also zu den sichtbaren Strukturen der Vermittlung der Fülle der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation, die bei Dulles niemals vom Wesen der Kirche getrennt werden können und deshalb auch nicht vom Wesensmerkmal der catholicity. Auf der Basis der Tiefendimension der Kirche kann Marzheuser die Beziehung zu den Weltreligionen und die Gerechtigkeit untersuchen. Marzheuser stützt sich dabei ausschließlich auf Ausführungen von Sullivan450. So zeigt er, dass Nicht-Christen eine eigene Berufung haben, und die Berufungen zum Christentum oder einer nicht-christlichen Religion die Menschen vereint, aber nicht gleich sind, denn Religionen unterscheiden, trennen aber nicht451. Oder, dass die eschatologische Gerechtigkeit der ganzen Welt gilt und durch das Heil, das Gott schenkt, erfahrbar wird. Die Kirche entfaltet hier ihre Katholizität als universales Heilssakrament452. Marzheuser kommt zu dem Schluss: „globalization and catholicity mutually confirm one another”453. Das kann auf der Basis der Theologie von Dulles nur 447 448

449 450 451

452

453

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 19. Ross Shecterle hat in seinen offenbarungstheologischen Studien aus dem Jahr 1996 auf eine Kosequenz der so genannten Objektivationen unterschiedlicher Basiserfahrungen hingewiesen: Ökumenische Gespräche oder gar interreligiöser Dialog sind aufgrund dieser jeweils unterschiedlicher Objektivationen gar nicht mehr möglich (Vgl. SHECTERLE, The Theology of Revelation of Avery Dulles, 195f.). Nach Marzheuser sind demgegenüber Ökumene und interreligiöse Gespräche eine Konsequenz der Katholizität der Kirche bei Dulles und Berührungspunkte zwischen Katholizität und Globalisierung (Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 187). Versteht man den Catholicism als die Grundnorm der konfessionellen Ausprägung der römisch-katholischen Kirche, dann wird gerade diese Ebene eine entscheidende Rolle für ökumenische Gespräche spielen müssen. Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 188. Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 189-192. Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 189 f. mit Hinweisen auf SULLIVAN, Salvation outside the Church? Tracing the History of the Catholic Response. Mahwah, NJ 1992, 152-155. Vgl. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 191. mit Hinweisen auf SULLIVAN, The Church We Believe In, 125-133. MARZHEUSER, Globalization and Catholicity, 193.

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unter Auslassung der Höhen- und Längendimension und unter Auslassung des Catholicism erreicht werden. Dulles selbst stellt fünf Jahre nach Marzheuser die Katholizität der Kirche der Globalisierung (Dulles versteht darunter eine säkulare Größe) gegenüber. Dulles kommt nur auf drei der Katholizität und der Globalisierung gemeinsame Prinzipien, die auch ohne die Hilfe der Offenbarung Gottes in ihrem Wert erkannt werden können: Menschenwürde, Solidarität und Subsidiarität454. Das ist weit von einer gegenseitigen Konvergenz zwischen Katholizität und Globalisierung entfernt, wie Marzheuser sie annimmt. Maguire (1986): Catholicism and Modernity Im Jahr 1986 legte Daniel Maguire seinen Artikel Catholicism and Modernity vor455. Diese Ausführungen von Maguire werden für die vorliegende Arbeit interessant, weil eine Diskussion zwischen Maguire und Dulles entstanden ist. Im Verlauf dieser Debatte kritisierte Dulles die Arbeit von Maguire456 und umgekehrt Maguire die Arbeiten von Dulles457. In dem Artikel Catholicism and Modernity stellt Maguire verschiedene katholische Einstellungen gegenüber der Moderne vor. Sie reichen vom Antimodernismus bis zum Aggiornamento458. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begann für Maguire eine verspätete und längst fällige wirkliche Auseinandersetzung mit der Moderne. Besondere Bedeutung hat für Maguire ein Statement von George Tyrell, der sich im Jahr 1909 zum Modernismus bekannte: „By a modernist, I mean a churchman, of any sort, who believes in the possibility of a synthesis between the essential truth of his religion and the essential truth of modernity“459. Modernity kennzeichnet für Maguire den aktuellen Stand des Realen, der tatsächliche Zustand der Gegenwartskultur. Modernity kennt dabei eigene Gesetze und Repressalien für Nonkonformisten: Sie ist „the grand seducer in any age“460. Modernity hat nach Maguire zwei Schwächen, er spricht in diesem Zusammenhang von Sünden: 1) das Heilige und 2) die Gerechtigkeit drohen ihren Wert zu verlieren. Diesen beiden Sünden stehen nach Maguire vier Stärken der Modernity gegenüber. Maguire spricht in diesem Zusammenhang von „sacramental marks“461, denn die Schöpfung ist für ihn das Sakrament des lebenden und sich offenbarenden Gottes: 1) der Feminismus hat herausgestellt, dass Gott den Menschen als Mann und Frau erschaffen hat. 2) kognitive 454 455 456 457 458 459 460 461

Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church and Globalization, 268. Vgl. MAGUIRE, Daniel C., Catholicism and Modernity. In: Horizons 13 (1986), 355-370. Vgl. AA.VV., Four Perspectives. In: Horizons 13 (1986), 371-382. Vgl. MAGUIRE, Author’s Response. In: Horizons 13 (1986), 383-388. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 355-357. Zitiert in: MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 355. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 357. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 360.

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Bescheidenheit und Pluralismus. 3) Freiheitsliebe und Autonomie der Menschen. 4) Bewusstsein für die Geschichtlichkeit des Daseins. Catholicism hat nach Maguire auch Sünden und Sakramente (also: Schwächen und Stärken). Die vier Sünden des Catholicism sind nach Maguire: 1) Authoritarianism, darunter versteht Maguire die Machtstellung des Papstes462 und des Vatikans, die seiner Ansicht nach die meisten Christen heute für theologisch unbegründet halten463. Die Vatikanischen Kontrollmechanismen und die Macht der Kirche führen nach Maguire sogar zu einer Art von Deismus464. 2) Der reductionistic rationalism legt nach Maguire in der Dogmatischen Theologie Dissidenten Schweigepflicht auf465, berücksichtigt nie das Medium zeitgenössischer religiöser Erfahrung und bevorzugt die Formelhaftigkeit von Konzilsdefinitionen. 3) Die Constantinian perversion. In der Konstantinischen Wende konvertierte das Christentum zu Kaiser Konstantin, nicht umgekehrt, so Maguire466. Heute existiert nach Maguire statt des dienenden Jesus im Catholicism die letzte absolute Monarchie. 4) Das Elvira syndrome ist nach Maguire eine fortwährende sexistische Einstellung im Catholicism, die zum ersten Mal auf der Synode von Elvira im Jahr 309 greifbar wird467. Maguire kommentiert diese von ihm diagnostizierten Schwächen des Catholicism nicht weiter. Er fährt damit fort, fünf katholische Stärken herauszustellen. 1) Die Gerechtigkeitstheorie ist eine laut Maguire durch den Catholicism aus der Antike übermittelte Theorie. Sie verhindert Ausbeutung, Unterdrückung und sichert ökonomisches Wohlergehen468. 2) Die Sakramentalität spricht verschiedene Sinne der Gläubigen gleichzeitig an. Die Sakramentenlehre sollte deshalb nach Maguire der kreative Zweig der Theologie sein, gegenwärtige Verkrustungen sollen aufgebrochen werden469. 3) Tradition. Sie ist kein Prokrustesbett, sondern kennzeichnet für Maguire das menschliche Bedürfnis nach Kontinuität470. 4) catholicity. Maguire unterscheidet hier nicht zwischen Catholicism und catholicity. Universalität ist für Maguire eine Stärke. 5) Pneumatische Theologie: Das Neue Gesetz der Christen ist nach Maguire die Gnade des Heiligen Geistes in den Herzen der Gläubigen. Alles andere, auch Konzilientexte oder päpstliche Verlautbarungen sind für ihn sekundär.

462 463 464 465 466 467 468 469 470

Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 361 f. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 361. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 363. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 364. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 365. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 365-367. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 368. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 368 f. Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 369.

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Maguire wünscht abschließend eine Zeit, in der Dialog das Anathema ersetzt471, freiheitliches Reden in der Kirche möglich ist, um die Stärken des Catholicism in die Modernity zu tragen. Zu den Ausführungen von Maguire wäre vieles zu sagen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit interessiert aber nur Dulles’ Kritik an Maguire. Dulles trägt seine Kritik an Maguire auf der Basis seines Buches The Catholicity of the Church vor. Dulles’ Kritik an der Position von Maguire (1986) Dulles stellt in seiner Kritik an der Position Maguires zunächst fest, dass die fünf katholischen Stärken bei Maguire mehr oder weniger mit den vier Dimensionen seiner catholicity übereinstimmen. Dabei korrespondieren Dulles’ Dimensionen mit den katholischen Stärken Maguires folgendermaßen472: Dulles’ Dimensionen Worldwide inclusivness (Breitendimension) Temporal continuity (Längendimension) Participation in the divine (Höhendimension) Imbeddedness in the mundane (Tiefendimension)

Maguires katholische Stärken 4) Catholicity 3) Tradition 5) Pneumatische Theologie 1) Gerechtigkeitstheorie 2) Sakramentalität

Maguire erkennt nach Dulles also die Mehrdimensionalität der catholicity. Den Catholicism „the visible structures whereby the catholicity of the Church is safeguarded and promoted“473 vernachlässigt Maguire allerdings völlig. Wenn Maguire katholische Strukturen nennt, dann tut er das nach Dulles nur negativ. Die kritische Einstellung Maguires widerspricht nach Dulles dem katholischen Selbstverständnis des Papstes seit Leo I. Dadurch ist die Treue Maguires zum Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzil unklar. Sollte Maguire den päpstlichen Primat und die päpstliche Infallibilität nicht akzeptieren, dann könnte er nicht behaupten, als katholischer Theologe in der Kirche zu sprechen. Das heißt also, wer nach Dulles bestimmen will, ob jemand als römischkatholischer Theologe beziehungsweise Theologin gelten darf, der muss auf der konfessionellen Ebene der Katholizität nach Übereinstimmungen mit den Theorien der Theologen suchen. Da Maguire bereits mit der Ebene des Catholicism Probleme hat, kommt er auch zu exorbitanten Anschuldigungen gegenüber dem römischen Bischof und gegenüber päpstlichen Einrichtungen. Der Vorwurf des Deismus ist für Dulles nicht nachvollziehbar. Dulles begründet dies folgendermaßen:

471 472 473

Vgl. MAGUIRE, Catholicism and Modernity, 370. Vgl. AA.VV., Four Perspectives, 375. Ebd.

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„God, in the Roman view, is not an absentee landlord but is almost frighteningly close: we are to hear his voice in particular individuals whom the Holy Spirit has set in positions of authority“474.

Dulles’ eigene Ausführungen zur Katholizität stehen dem Deismusvorwurf Maguires diametral gegenüber. Das hängt vor allem damit zusammen, dass Catholicism in der Dulles’schen Theologie ein type of Christianity ist. Die sakramentale und hierarchische Struktur sind für Dulles keine Zugaben zur Kirche, sondern sie gehören wesentlich zur Kirche. Während Maguire in der hierarchischen Struktur der Kirche die Gefahr angelegt sieht, die Gläubigen von Gott zu trennen – daher der Vorwurf des Deismus –, gehört für Dulles diese Struktur zur Vermittlung der Fülle der Gegenwart Gottes. Maguire hat nach Dulles ein Problem mit jeder Form von Macht475. Die so genannte Constantinian perversion ist für Dulles ein Beispiel. Die Kirche hat, so Dulles, ohne Zweifel kaiserliche Rangabzeichen und Titel bis zu einem gewissen Grad übernommen. Aber: Die starke Stellung des Papstes hat im Lauf der Jahrhunderte die Kirche davor bewahrt, in unterschiedliche Nationalkirchen auseinander zu brechen. Der päpstliche Primat kann nicht abgeschafft werden. Er gehört, in dialektischer Spannung zur bischöflichen Kollegialität, zum Wesen der katholischen Kirche. Dulles kommt zu folgendem Schluss: „My difficulty is that Maguire does not seem to want the hierarchy to act as hierarchy – i.e. to govern with legally binding authority. Whenever the hierarchy exercises its power, Maguire complains of interference and integralism”476.

Dulles fährt fort: Selbst Jesus Christus hat machtvoll gehandelt und Vollmacht an die Jünger übertragen. Diese Vollmacht muss genutzt werden zum Schutz des Lebens und zum Schutz des Glaubens. Maguire übersieht den Unterschied zwischen theologischen Vorschlägen und dogmatischen Glaubensdefinitionen. Der Vorwurf des rationalistic reductionism fällt daher auf Maguire selbst zurück. Dulles kritisiert noch die Stärken der Modernity bei Maguire: Viele der Einstellungen drohen in einen ungesunden Skeptizismus oder Relativismus umzukippen. Die Strömungen, die Maguire aufzählt, können gar nicht untersucht werden: Entweder sie sind zu breit, um in einem Artikel zu behandelt zu werden, wie die Befreiungstheologie. Oder im Fall des Feminismus existieren so unterschiedliche Typen, dass eigentlich geklärt werden müsste, welcher Typ positiv und welcher negativ zu verstehen wäre. Maguire maßt sich nach Dulles beinahe eine päpstliche Stellung an. Beispielsweise erklärt Maguire, Exkommunikation sei in jeder Form passé. Dies ist falsch und unlogisch, erklärt Dulles. 474 475 476

AA.VV., Four Perspectives, 376. Vgl. ebd. Ebd.

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Rassisten oder Menschen, die die Möglichkeit des Heils für Nicht-Katholiken ausschließen, können nicht im Namen der katholischen Kirche sprechen. Das bedeutet: Dulles kritisiert die Ebene der catholicity bei Maguire nicht. Er stellt sogar eine gewisse Übereinstimmung mit seinen Ausführungen fest. Dulles kritisiert das Fehlen der Ebene des Catholicism bei Maguire. Strukturen (sakramental und hierarchisch) werden von Maguire nur negativ verstanden. Das Zentrum (päpstlicher Primat und Infallibilität) ist bei Maguire völlig missverstanden. Historische Kritik kommt hier nur unter negativen Vorzeichen vor. Maguires Kritik an der Position von Dulles (1986) Maguire bedauert in seiner Kritik an Dulles wiederum, dass Dulles die Übereinstimmungen zwischen den Dullesschen Dimensionen und den katholischen Stärken Maguires nicht weiter ausführt477. Statt Gemeinsamkeiten zu berücksichtigen, ginge es Dulles nur um die Frage, ob er (Maguire) auf dem Boden der römisch-katholischen Glaubenslehre stehe oder, ob er noch als katholischer Theologe innerhalb der Kirche sprechen dürfe. Maguires Kritik an Dulles ist manchmal in einem höchst eristischen Ton gehalten. In der vorliegenden Arbeit geht es nur darum, die inhaltlichen Kritikpunkte Maguires darzustellen. - ekklesiologische Differenzen: Nach Maguire versteht Dulles Kirche als „corpus Christi juridicum. The hierarchical dimension is overwhelming“478. Damit kritisiert Maguire einen entscheidenden Punkt in der Theologie von Dulles: Das Verständnis des Catholicism als type of Christianity. Hier zeige sich eine zu positive Einschätzung kirchlicher Macht und damit auch kirchlicher Repressionen gegenüber Andersdenkenden. - methodische Differenzen: Maguire bedauert, dass Dulles verschiedene Möglichkeiten eröffnet, sie aber dann nicht nutzt und obendrein die kritisiert, die diese Möglichkeiten ausschöpfen. Da Maguire hier nicht genau angibt, auf welche Ausführungen Dulles er sich bezieht, kann nur vermutet werden, dass er sich entweder auf die Ausführungen von Dulles zur catholicity bezieht. Hier zeigt sich deshalb das Problem, dass Dulles auf die Berechtigung von Verschiedenheit hinweist, aber nicht angibt, welches Maß an Verschiedenheit in der Einheit der kirchlichen Tradition möglich ist. Oder Maguire bezieht sich auf die Modelltheorie von Dulles, in der Dulles mehrere Sichtweisen auf ein theologisches Objekt ermöglicht. Aber: Die Vielzahl der Modelle muss mit der einen theologischen Tradition verbunden oder ausgesöhnt werden. Damit trifft Maguire einen Kernpunkt Dulles’scher Theologie: den symbolischen Realismus. Letzten Endes bedeutet dieser Kritikpunkt, dass es Dulles eben niemals 477 478

Vgl. MAGUIRE, Author’s Response, 385. MAGUIRE, Author’s Response, 386.

146

erreichen kann, alle theologischen Traditionen in einer ganzheitlichen Sichtweise aufzuheben. - glaubensepistemologische Differenzen: Maguire kritisiert die Überzeugung Dulles’, die katholische Hierarchie könne infallible Definitionen durch das Medium der falliblen Sprache ausdrücken479. Maguire teilt diese Einschätzung nicht: Der Mensch hat nach Dulles eine preconceptual awareness von Gott480. Maguire erklärt dem gegenüber: Die Glaubensdefinitionen können aber niemals dem Glauben und seinen affektiven, mystischen und kontemplativen Wurzeln gerecht werden. Damit verkürzt Maguire aber den höchst interpretationsbedürftigen Begriff preconceptual awareness. Polanyi und Dulles gehen beide von einem tacit knowledge aus. Und dieses Wissen kann sehr wohl mit einer äußeren Wirklichkeit verglichen werden, es kann scheitern oder sich bewähren, es ist nachprüfbar, wie Neuweg in seinen Forschungen über Polanyi ausführt481. Im Prinzip unterschätzt Maguire, wie auch Shecterle seinerseits, die Möglichkeiten des tacit knowledge beim Erkenntnisprozess des Menschen. - weitere Anfragen und Ausblicke: Maguire fragt, ob die Sprache den Glauben in sententia definitiva fassen kann, ob dogmatische Definitionen im Gegensatz zur Heiligen Schrift der theologischen Diskussion entzogen sind und ob dogmatische Definitionen nicht bis zu ihrem Grundbestand theologisch kritisiert werden müssen482. Diese Fragen sind nach Maguire wichtig zur Ausbildung von Bescheidenheit und ökumenischem Respekt und nicht, wie Dulles nach Maguire vermutet, von Agnostizismus. Zusammenfassung In der Auseinandersetzung mit der Theorie Dulles’ zur Katholizität der Kirche zeigen sich im Wesentlichen zwei Problemfelder: erstens eine gewisse Unsicherheit, wie das hierarchische Priestertum und die Ebene des Catholicism in die Katholizität der Kirche integriert werden kann. Während für Dulles in der hierarchischen Struktur die Stütze der sakramentalen Struktur und der quantitativen Dimensionen der catholicity liegt, stieß diese Vorstellung gerade bei Maguire auf starke Ablehnung. Das Problem liegt an dieser Stelle wahrscheinlich weniger an der Bedeutung der kirchlichen Hierarchie selbst, sondern an der zentralen und isolierten Stellung, die Dulles der hierarchischen Struktur zuschreibt ohne dabei auch auf das allgemeine Priestertum aller Gläubigen zu sprechen zu kommen. Marzheuser kam in seinen Ausführungen gar nicht auf diese hierarchische Struktur zu sprechen. Und das, obwohl die 479 480

481 482

Vgl. MAGUIRE, Author’s Response, 387. Vgl. ebd. Maguire zitiert hier: DULLES, The Survival of Dogma. Garden City, NY 1971, 193. Vgl. NEUWEG, Könnerschaft und implizites Wissen, 24. Vgl. MAGUIRE, Author’s Response, 387.

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Ausführungen von Dulles zu catholicity die anderen beiden Ebenen von Catholicism und roman-catholic zwingend erforderlich machen, um überhaupt über das legitime Ausmaß von Einheit und Unterschiedenheit in der Kirche sprechen zu können. Marzheuser will diese Frage aber bereits auf der Ebene der catholicity entscheiden und kommt deshalb zu einer ungenauen Bestimmung von Einheit und Unterschiedenheit in der Kirche, was zu seiner These von der Übereinstimmung zwischen Katholizität und Globalisierung führt. Dies führt zur zweiten Problematik in der Rezeption der Theorie Dulles’: die Frage, wie Unterschiedenheit in der Einheit der katholischen Kirche begründet werden kann. Auch dieser Punkt hängt in Dulles’ Theorie maßgeblich mit dem Catholicism und der hierarchischen Struktur zusammen. Anfragen an die Theorie von Dulles müssen dabei gar nicht aus einer kirchenkritischen Sichtweise, wie der von Maguire, stammen. So kann auch Robert R. Spezia in seiner Arbeit The Ecclesiology of Avery Dulles keine Lösung anbieten, in welchem Maß es Unterschiedenheit in der Einheit der catholicity bei Dulles geben kann, auch er kommt allein auf die kirchliche Hierarchie zu sprechen483. In der Theorie Dulles’ wird diese Frage tatsächlich durch das kirchliche Lehramt beantwortet. Das gilt aber dann für das conceptual framework als Ganzes und nicht für alle verschiedenen Bereiche des Lebens der Kirche. Schließlich kann das kirchliche Lehramt gar nicht in allen Bereichen über das legitime Ausmaß an Verschiedenheit entscheiden und tut dies auch gar nicht. So schreitet das kirchliche Lehramt in der Theologie nur dann als Korrektiv ein, wenn das conceptual framework der Kirche von Theologen verletzt wird484. An die wissenschaftliche Arbeit der Theologen stellt das kirchliche Lehramt natürlich gewisse Anforderungen, es stellt aber nicht in jedem einzelnen Fall konkrete Kriterien auf, nach denen die Wissenschaft funktionieren müsste. Marzheuser kam an dieser Stelle auch nicht weiter. Er konnte nur auf die katholischen Prinzipien von Verschiedenheit und Fülle hinweisen.

483

484

Vgl. SPEZIA, The Ecclesiology of Avery Dulles, 7: „I will show that, according to Dulles’ ecclesiology, the center and sacrament of visible unity in the Church is found in the Petrine office, which supports, sustains and maintains catholicity“. Vgl. KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen. In: SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ (Hrsg.), Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls. Nr. 98. Bonn 1990, Nr. 9: „Der Theologe muß daher bei sich selber Ursprung und Motive seiner kritischen Haltung prüfen und seinen Blick durch den Glauben reinigen lassen, denn Theologie treiben erfordert ein geistliches Bemühen um Redlichkeit und Heiligung“. Nr. 24: „Das Lehramt kann endlich, um dem Volk Gottes möglichst gut zu dienen, wenn es dieses nämlich vor gefährlichen Auffassungen, die zum Irrtum führen können, warnt, bei diskutierten Fragen eingreifen, bei denen neben den sicheren Prinzipien auch Vermutungen und zufällige Dinge im Spiele sind. Oft wird es erst nach einiger Zeit möglich, zwischen dem Notwendigen und dem Zufälligen klar zu unterscheiden“.

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Es zeigt sich also, dass gerade die Ebene des Catholicism in der Theorie Dulles’ Schwierigkeiten bereitet. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass die Bedeutung dieser Ebene oftmals ungenau beschrieben wird: Geht man nämlich einfach davon aus, dass die Vermittlung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation nur über die sakramentale und hierarchische Struktur des Catholicism läuft, dann scheitert eine solche Interpretation an der Realität der Kirche. Geht man aber davon aus, dass Catholicism die Grundnorm der konfessionellen Ausprägung der römisch-katholischen Kirche im Gegenüber zum Protestantismus ist, dann relativiert sich die Einseitigkeit des typologischen Katholizismus: Andere Möglichkeiten der Vermittlung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation sind bei Dulles nicht ausgeschlossen. Aber in Anlehnung an die Symbolik des 19. Jahrhunderts kommt Dulles zu dem Ergebnis, dass es eben ein besonders entscheidendes Charakteristikum der römisch-katholischen Kirche ist, die sichtbare Vermittlung der Gnade Gottes sakramental zu verstehen und damit dem hierarchisch verfassten Priesteramt eine wichtige Funktion in diesem Prozess zuzuweisen. Dieses Charakteristikum der römisch-katholischen Kirche wird besonders bei der Explikation der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation deutlich. Denn nur die Kirche als organisch strukturierter Leib kann die Symbole explizieren. Andernfalls würden verschiedene conceptual frameworks unverbunden nebeneinander stehen. Generell zeigt sich damit, dass die Grundnorm des Systems der römischkatholischen Kirche nicht mit einer Darstellung aller Lebensbereiche der Kirche verwechselt werden darf.

5. Methodologie und Katholizität In der Beziehung zwischen Methodologie und Katholizität klären sich demnach die Ausführungen Dulles’ erst ganz. Untersucht man nur seine methodologischen Darlegungen, dann stellt sich letztlich die Frage, wie überhaupt Einheit und Unterschiedenheit im conceptual framework begründet werden können, beziehungsweise wer die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation eigentlich expliziert und was das richtige Verständnis dieser Symbole ist. Untersucht man die Ausführungen Dulles’ zur Katholizität der Kirche alleine, dann stellt sich das Problem, dass die hierarchische Struktur so zentral und isoliert steht, dass letztlich der lebendige Glaubensvollzug der Gläubigen keine Rolle mehr spielt, das allgemeine Priestertum der Gläubigen nicht berücksichtigt wird, letztlich sogar der Vorwurf nahe liegt, bei Dulles von einem Lehramtspositivismus zu sprechen. Die Theorie von der symbolischen Vermittlung muss bei Dulles auf der Basis der Beziehung zwischen Methodologie und Katholizität folgendermaßen beschrieben werden: In der Höhen- und Tiefendimension der catholicity werden 149

die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation und die Möglichkeit der Aufnahme der Symbole begründet. Diese Symbole müssen zu allen Zeiten und an allen Orten (Längen- und Breitendimension der catholicity) vermittelt werden. Das stellen die sakramentale und die hierarchische Struktur sicher, indem sie die Symbole explizieren und so zur Grundlegung und zur Einheit des conceptual framework beitragen. Diese Ebene (Catholicism) beschreibt nicht alle einzelnen Lebensvollzüge der Kirche, sondern die Grundnorm der römischkatholischen Kirche. In der Kirche kommt es in der Einheit mit dem Bischof von Rom zu einem reichhaltigen Glaubensleben, das zu Sozialisierungsprozessen führt (ecclesial-transformative theology) und von dem sogar andere Konfessionen profitieren können, wenn sie ihr christliches Erbe leben. Die Theologie hat die Aufgabe, in der Einheit des conceptual framework die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation zu verstehen zu versuchen, die lehramtliche Explikation der Symbole zu erklären, ihre Beziehung zu anderen Wissenschaften und theologischen Disziplinen zu klären (postcritical theology) und so zum Wohl des Glaubenslebens der Kirche beizutragen. Die Ausführungen zur Funktionsweise der Theologie und zur Katholizität der Kirche erfordern also einander. Es macht für die Theorie der symbolischen Vermittlung bei Dulles keinen Sinn, beide Themenblöcke voneinander zu trennen. Die Beziehung muss komplementär verstanden werden. Im Rahmen des Systems Dulles’ zeigt die Katholizität der Kirche die notwendige Konkretisierung der methodologischen Ausführungen: Das conceptual framework wird näher bestimmt und es wird geklärt, dass das Lehramt die Instanz zur Explikation der Symbole und zur Bestimmung des Ausmaßes legitimer Verschiedenheit innerhalb des Frameworks ist. Die Ausführungen Dulles’ zur Funktionsweise der Theologie liefern den richtigen Fokus auf die Katholizität der Kirche: Gerade auf der Ebene des Catholicism muss berücksichtigt werden, dass es aufgrund der Theorie der symbolischen Vermittlung bei Dulles nur die sakramentale und hierarchische Struktur als Grundnorm des Systems der römisch-katholischen Kirche braucht. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass das kirchliche Lehramt alle Lebensbereiche der Kirche kontrollieren muss oder für jeden einzelnen Lebensvollzug Regeln und Kriterien bereitstellen müsste. Das kirchliche Lehramt hat die Autorität, in Lebensvollzüge der Kirche korrigierend einzugreifen, vor allem dann, wenn das conceptual framework der Kirche verletzt zu werden droht. Jeder Christ hat aber auch die Verpflichtung, auf seine oder ihre Art und Weise zum Wohl der gesamten Kirche beizutragen. Die katholische Kirche bietet somit aufgrund der lehramtlichen Explikation der Symbole und der Integration der Symbole in das Leben der Gläubigen die Konkretion der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation. Nicht nur in den Sakramenten und im hierarchisch strukturierten Priesteramt, auch in den Gläubigen, in der Kirche als Ganzer wird Gottes Selbstkommunikation, Gottes Selbstoffenbarung konkret greifbar und erfahrbar. Deshalb kann sich die Kirche

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nicht primär als Kontrastgesellschaft485 verstehen, sondern sie muss in erster Linie versuchen, Gottes Offenbarung für alle Menschen zu konkretisieren. Die Kirche kann sich dabei nicht an die Stelle der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation setzen. Sie bleibt immer auf diese Symbole verwiesen, die Explikation der Symbole wird immer nur ungenügend sein, aber auch gleichzeitig die einzige Möglichkeit, mit der Wirklichkeit der Symbole in Kontakt zu kommen. Das bedeutet dann für die Theologie, dass sie sich auch nicht in erster Linie als Kontrastwissenschaft486 verstehen darf. Theologen müssen sich mit gegenwärtig aktuellen conceptual frameworks auseinandersetzen und unterschiedliche Sinnangebote wirklich kennen, um so dazu beizutragen, dass möglichst alle Menschen die Konkretion der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation und die Explikation dieser Symbole in der Kirche verstehen. In der Theologie muss somit eine Art kulturwissenschaftlicher Kompetenz bestehen487. Nur so kann die Theologie mit den wissenschaftlich interessierten Menschen außerhalb und innerhalb der Kirche dialogfähig bleiben beziehungsweise werden. Darüber hinaus muss in der Theologie eine Reflexion gruppendynamischer Prozesse geleistet werden; schließlich ist die Kirche bei Dulles selbst auch ein Ergebnis von Sozialisierungsprozessen. Andere Gruppen sind zwar selber wiederum das Ergebnis von anderen Sozialisierungsprozessen, sie verweisen aber immer über sich hinaus, sie brauchen eine letzte Deutung durch die konkret fassbare göttliche Selbstkommunikation. Andernfalls würde, in der Terminologie von Dulles, die Tiefendimension der catholicity ohne die Höhendimension auskommen. Hier müsste eine theologische Deutung der Suche verschiedener Gruppen nach Gott beginnen. Die Theorie von Dulles fordert also von der Theologie eine Menge Kompetenzen, die heute normalerweise nicht zum Repertoire der Theologen gehören. Gerade in diesem Zusammenhang muss deshalb die Frage nach der Begründung der Kriterien in der Theologie von Dulles erneut gestellt werden.

485

486 487

Vgl. LEHMANN, Religion als Privatsache und als öffentliche Angelegenheit. Die Kirche in der pluralistischen Gesellschaft. In: GABRIEL, Karl / HORSTMANN, Johannes / METTE, Norbert (Hrsg.), Zukunftsfähigkeit der Theologie. Anstöße aus der Soziologie FranzXaver-Kaufmanns. Paderborn 1999, 27. Anders hier SEDMAK, Clemens, Theologie als »Handwerk«. Eine kleine Gebrauchsanweisung. Regensburg 1999, 28. Vgl. SEDMAK, Theologie in nachtheologischer Zeit. Mainz 2003, 47ff. Vgl. HÜNERMANN, Theologie als Kulturwissenschaft. Inkulturation im Horizont der Christentumsgeschichte zwischen Anerkennung und Transformation. In: GABRIEL, Karl / HORSTMANN, Johannes / METTE, Norbert (Hrsg.), Zukunftsfähigkeit der Theologie. Anstöße aus der Soziologie Franz-Xaver-Kaufmanns. Paderborn 1999, 48 f.

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Kapitel III : Die Methode von Leo Scheffczyk 1. Zugänge Im Jahr 2000 hielt Scheffczyk aus Anlass der Verleihung des Ehrendiploms einen Vortrag an der Pontificia Accademia Teologica Romana. Dieser Vortrag wurde im Jahr 2004 in der Katholischen Monatsschrift Theologisches in deutscher Sprache unter dem Titel Erfahrung der Theologie in der Zeit veröffentlicht488. Scheffczyk entwickelt hier „eine Art von theologischer Zeitgeschichte im deutschsprachigen Raum seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts“489. Diese Zeitgeschichte ist von persönlichen Erfahrungen bestimmt und aus der Perspektive von Scheffczyks Spätwerk bewertet. Besondere Bedeutung hat die Zeit der deutschen katholischen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Zeit wurde in Deutschland eine Art von katholischem Personalismus entwickelt490. Für die Frage nach der Funktionsweise seiner Theologie hält Scheffczyk fest: „All diese Einflüsse einer personologisch ausgerichteten Glaubenslehre blieben auf meine Generation nicht ohne Wirkung“491. Im Jahr 2006 veröffentlichte der Professor für Patrologie und Dogmatik an der Facoltà di Teologia di Lugano Manfred Hauke einen Nachruf auf Leo Scheffczyk492. Hauke hebt den Einfluss von Michael Schmaus auf Scheffczyk besonders hervor. Über beide erklärt Hauke: „Für die systematische Darstellung ist wichtig der personalistische Ansatz, der später auch bei Scheffczyk im Zentrum steht“493. Dieser personalistische Ansatz sei bei Scheffczyk mit einem erkenntnistheoretischen Realismus verbunden494. Das bedeutet, dass beim theologischen Sprechen Gott als real erkennbar verstanden wird. Oder, dass die menschliche Person in ihrem realen Selbststand die Voraussetzung für die Relation zu einer anderen Person ist. Eine solche personal begründete Metaphysik 488

489 490

491 492

493 494

Vgl. SCHEFFCZYK, Leo, Erfahrung der Theologie in der Zeit. In: Theologisches 34 (Januar 2004). SCHEFFCZYK, Erfahrung der Theologie in der Zeit, 2. Scheffczyk verweist erstens auf Otto Semmelroths Gedanken, dass verschiedene Elemente zur Konstitution eines Sakramentes als gott-menschlicher Begegnung beitragen: „das Moment der personalen Entscheidung, der Aktualität des handelnden Christus, das Moment der Relation wie auch der Spontaneität des Menschen“ SCHEFFCZYK, Erfahrung der Theologie in der Zeit, 4. Zweitens nennt Scheffczyk Hermann Volk, der die Gnade Gottes nicht in Bezug zur menschlichen Natur, sondern zur Person des Menschen setzt. SCHEFFCZYK, Erfahrung der Theologie in der Zeit, 5. HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk. In: Theologisches 36 (Januar / Februar 2006), 5-28. HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 11. Vgl. HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 18.

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beeinflusst nach Hauke alle systematischen Abhandlungen Scheffczyks. In einer Darstellung der Methode Scheffczyks muss also der Personalismus besonders beachtet werden. Hauke nennt weitere Eigenschaften der Theologie von Scheffczyk: - Das Ineinander von geschichtlicher Entwicklung und Systematik. Wie Ignaz Döllinger fordert auch Scheffczyk, dass die Theologie als Glaubenswissenschaft mit zwei Augen auf ihren Gegenstand blicken müsse: dem philosophischsystematischen und dem historischen Auge495. Die Offenbarung ist in der kontingenten Geschichte ergangen, deshalb muss die Theologie die Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz berücksichtigen ohne dabei in einen Subjektivismus oder Relativismus zu verfallen496. - Hauke erwähnt ferner die geistige Klarheit Scheffczyks auf sprachlicher Ebene497 und seine Fähigkeit, Argumente anderer Autoren zu analysieren. Scheffczyks Werk sei dabei von dem Bestreben gekennzeichnet, eine geistige Synthese zu bieten. Analyse und Synthese entsprechen nach Hauke dem Verhältnis zwischen dem historischen und dem philosophischen Auge der Theologie. Dabei kann Scheffczyk keiner philosophischen oder theologischen Schule zugerechnet werden, auch nicht dem Thomismus498. Im Jahr 1977 veröffentlichte Scheffczyk den Sammelband Schwerpunkte des Glaubens. Im Vorwort zu diesem Sammelband nennt Scheffczyk selbst einige Charakteristika seiner theologischen Arbeit. Hier sind zu erwähnen: - Polarität: Es geht Scheffczyk um eine inklusive Sichtweise des Glaubens499. Diese Polarität, das so genannte katholische sowohl – als auch, darf aber nicht mit einem Dualismus verwechselt werden, es geht um eine polare Ergänzung: in der Theologie darf also nicht nur von Transzendenz oder nur von Immanenz die Rede sein, sondern von Transzendenz und Immanenz. Andernfalls droht die Theologie einseitig zu werden. Wenn aber die Polarität zur Vermeidung von

495

496

497 498 499

Vgl. SCHEFFCZYK, Grundlagen des Dogmas. Einleitung in die Dogmatik. In: SCHEFFCZYK, Leo / ZIEGENAUS, Anton (Hrsg.), Katholische Dogmatik. Band 1. Aachen 1997, 204. Vgl. SCHEFFCZYK, Kirche und Theologie unter dem Gesetz der Geschichtlichkeit? In: DERS., Schwerpunkte des Glaubens. Gesammelte Schriften zur Theologie. Einsiedeln 1977, 13-30; DERS., Erfahrung der Theologie in der Zeit, 11. Vgl. HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 18. Vgl. HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 21. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 8: „Es geht in den folgenden Beiträgen vielfach um das katholische «und» («et») oder um das «sowohl – als auch» («et – et»), d.h. um «Geschichte und bleibende Wahrheit», um Gottes «Transzendenz und Immanenz», um «Schöpfung und Entwicklung», um den «Christus der Geschichte und des Glaubens», um «Wort und Sakrament» in der Kirche, um «Zeitlichkeit und Ewigkeit»“

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Einseitigkeiten notwendig ist, dann zeigt dies, dass es in der Theologie um etwas Unaussprechliches, eben ein Mysterium geht500. - Ein Mysterium ist nach Scheffczyk nichts Irrationales. Es kann mittels einer vom Glauben erleuchteten Vernunft untersucht werden, der Sinn eines Mysteriums kann dargestellt werden, aber es kann nicht vollständig rationalisiert werden. Subjektivismen und Pluralismen müssen zurückgewiesen werden, denn der Theologie geht es um die Wahrheit. Scheffczyk weist deshalb darauf hin, dass seinen Ausführungen „gelegentlich auch ein eristischer Zug“501 eignet. Bei der Frage nach der Funktionsweise der Theologie Scheffczyks kommt also den Ausführungen zur Geschichtlichkeit und zum Personalismus eine besondere Bedeutung zu. Geschichtlichkeit und Personalismus dürfen dabei aber nicht verabsolutiert werden. Eine vom Glauben erleuchtete, vernunftgemäße Theologie nach Scheffczyk muss diese Begriffe in der richtigen Polarität verstehen. Deshalb werden in der vorliegenden Arbeit zunächst diese beiden Grundgrößen untersucht. 1.1 Geschichtlichkeit Geschichtlichkeit darf für Scheffczyk nicht mit Relativismus oder Subjektivismus gleichgesetzt werden502. Es geht vielmehr um eine in der Schöpfung vorgegebene Bedingung menschlicher Existenz. Geschichtlichkeit als Selbstverwirklichung Geschichtlichkeit ist für Scheffczyk mehr als nur Veränderung oder Zeitlichkeit503. Die Dimension der Zeit spielt zwar für die Geschichtlichkeit eine Rolle, denn ohne Zeit könnte es auch keine Geschichte geben. Geschichtlichkeit ist aber für ihn eine „Kategorie, die nur für den Menschen gilt“504.

500

501 502

503 504

Das wiederum bedeutet, dass dieses Mysterium, letztlich das Gottesgeheimnis, zu bewahren und der modernen Welt nahe zu bringen ist. Letzten Endes zeigt sich auch hier eine Polarität: Es geht um das Bewahren und Verständlichmachen des Mysteriums. Das ist möglich, weil der Mensch eigentlich selbst ein „natürliches Geheimnis [ist], das auf das übernatürliche Geheimnis [hin] ausgerichtet ist und von ihm umgriffen wird“, SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 8. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 9. Scheffczyk erwähnt selbst den Relativismus und den Subjektivismus, allerdings ohne genau zu klären, was er darunter versteht. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 13-49. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 17. Die Bezeichnung Kategorie wird an dieser Stelle allerdings nicht geklärt.

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Im Ablauf der Zeit ist das endliche „Geisteswesen“505 Mensch von seiner Vergangenheit bestimmt. Diese Vergangenheit muss sich der Mensch in der Gegenwart in freier Entscheidung aneignen. So gelangt der Mensch zu höherer Selbstverwirklichung in der Zukunft. Damit sind drei Faktoren für die Geschichtlichkeit genannt: vorgängige Prägung, gegenwärtige Freiheitsentscheidung und zukünftige Selbstverwirklichung. Keiner dieser drei Faktoren darf dabei überbewertet werden. Sie ergänzen und bedürfen einander gegenseitig. Zurückgewiesen werden von Scheffczyk der Traditionalismus (Überbewertung der Vergangenheit), die Existentialphilosophie (Überbewertung der gegenwärtigen, freiheitlichen Entscheidung) und die Utopie (Überbewertung der Zukunft). Aufgrund dieser Ausführungen kommt Scheffczyk zu folgendem Ergebnis: „Geschichtlich ist, so verstanden, kein beliebiger Wandel und kein mechanischer Prozeß, sondern die Form der Selbstverwirklichung eines zeitlichen Wesens in der Spannung zwischen vergangenem Ursprung und zukünftiger, zielhafter Vollendung durch freie Entscheidung in der Gegenwart“506.

Geschichtlichkeit meint also bei Scheffczyk die Selbstverwirklichung des Menschen im Lauf der Geschichte. Geschichtlichkeit ist eine menschliche Struktur, die selbst Gottes weltzugewandtes Tun, die Offenbarung, kennzeichnet. So zeigen die Erfahrungen des Volkes Israel im Alten Testament eine Geschichte Gottes mit seinem Volk. Im Christusereignis kommt diese Geschichte zu ihrem einzigartigen Höhepunkt. Im Neuen Testament zeigt vor allem die paulinische Theologie durch die Zuordnung von Schöpfung und Erlösung, beziehungsweise Adam und Christus ein hohes Bewusstsein für die Geschichtlichkeit507. Das Zweite Vatikanische Konzil hat ausdrücklich zur Geschichtlichkeit der Kirche Stellung genommen. In der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium und in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes finden sich eine ganze Reihe von Hinweisen auf die Geschichtlichkeit der Kirche508. Wie der Mensch ist auch die Kirche durch die Vergangenheit konstituiert. In jeder neuen Gegenwart muss 505

506 507

508

Ebd. In einem ähnlichen Zusammenhang spricht Scheffczyk vom Menschen auch als Geistträger. Vgl. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration. Gesammelte Schriften zur Theologie Bd. 2. Einsiedeln 1980, 116. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 17. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 19: „Darin [im Zusammen von Adam und Christus] lag die Erkenntnis eingeschlossen, daß Gott den Menschen sein Geheimnis in zeitlicher Weise enthüllte, unter Berücksichtigung des je vorwaltenden Verständnisses der Menschen, aber auch unter Aufruf ihrer eigenen, freien Entscheidung für sein Wort“. Geschichtlichkeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil beinhaltet nach Scheffczyk „die Verpflichtung zur Aktualisierung und Verlebendigung des Evangeliums in jeder neuen Zeit, was besonders eine Aufgabe der Theologie ist“ SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 14.

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die Kirche die Zeichen der Zeit erkennen und in Zukunft eine immer vollkommenere Selbstverwirklichung anstreben. Das letzte und höchste Ziel wird die Kirche dabei aus eigener Kraft nicht erreichen, das Eschaton wird Gabe Gottes sein, es strahlt aber auch jetzt schon in der Gegenwart auf. Geschichte und Kirche sind damit eng miteinander verbunden. Scheffczyk spricht von der Kirche als „einer in der Geschichte bewegten, aber diese Geschichte auch bewegenden Existenz“509. Diese Charakterisierung der Kirche bringt Vorteile mit sich. So steht die Kirche in ihrem geschichtlichen Selbstverständnis als Volk Gottes außenstehenden Menschen näher als eine rein „statisch verfasste Anstalt des Heils“510. Andererseits legt Scheffczyk Wert darauf, dass die Identität der Kirche im Lauf der Geschichte gewährleistet bleibt. Die Geschichtlichkeit der Kirche Die Kategorie Geschichtlichkeit wird bei Scheffczyk in einem sehr weiten Zusammenhang verstanden: anthropologisch (der Mensch ist geschichtlich verfasst), soziologisch (menschliche Gesellschaft ist geschichtlich zu verstehen), ekklesiologisch (die Kirche ist auch eine geschichtliche Größe). Es ließen sich darüber hinaus noch weitere Implikationen aufzählen: gnadentheologisch (Gott selbst ist in der Geschichte präsent), offenbarungstheologisch (das weltzugewandte Handeln Gottes nimmt auf die Konstitution des Menschen Rücksicht) oder schöpfungstheologisch (der Mensch ist geschichtlich konstituiert, weil Gott selbst ihn so erschaffen hat). Aufgrund dieser Zusammenhänge untersucht und bewertet Scheffczyk die Geschichtlichkeit genau. Zunächst zeigen sich Vorteile des Verständnisses der Geschichtlichkeit der Kirche511: Von der Kirche als einer geschichtlichen Größe zu sprechen ermöglicht… … auch von der

… die Verbindung der

… eine intensivere

… ein besseres

Selbstverwirklichung

Kirche mit der

Anwesenheit der Kirche

Verständnis der Nöte

der Kirche in der Zeit zu

geschichtlich verfassten

in der Welt zu fordern.

aller Menschen.

sprechen.

Welt zu verstehen.

Alle diese Aspekte betreffen die Beziehung der Kirche zu der von Gott geschichtlich geschaffenen Welt. Die Aspekte erläutern damit aber auch die Kirche selbst. Wenn nämlich die Nöte der Menschen in der Gegenwart besser verstanden werden, dann versteht die Kirche sich auch selbst besser. Denn die Gläubigen sind Menschen, endliche Geisteswesen, die von ihren jeweiligen Nöten nicht getrennt verstanden werden können. Wenn dem so ist, dann muss aber die Geschichtlichkeit der Kirche zu ihrer Selbstverwirklichung in der Zeit 509 510 511

SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 15 f. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 16. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 21.

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dazugehören. Letzten Endes muss die Kategorie der Geschichtlichkeit der Kirche christologisch verstanden werden: „Im Grunde ist ja ein solches [geschichtliches] Verständnis und die Anwendung der Kategorie der Geschichtlichkeit nur eine Fortführung des inkarnatorischen Prinzips des Christentums, das ja nicht anderes besagt als die Annahme und immer tiefere Durchdringung des Menschlichen durch das Göttliche“512.

Diese Fortführung des inkarnatorischen Prinzips in der geschichtlich verstandenen Kirche hat zwei Ursachen. a) Die hypostatische Union vereint göttliche und menschliche Natur in einer Person. Die Kirche ist analog dazu aus Menschen gebildet und besitzt eine göttliche Prägung. b) Analog zur hypostatischen Vereinigung der menschlichen Natur mit der göttlichen Person des Logos ist die Kirche mit der Person Jesu Christi verbunden513. Das bedeutet: In der geschichtlichen Verfassung der Kirche zeigt sich, dass das Menschliche vom Göttlichen durchdrungen ist. Die Kategorie der Geschichtlichkeit ist damit nichts Neues. Geschichtlichkeit ist eng mit dem Christentum verbunden514. Aufgrund der menschlichen Komponente kann Scheffczyk auch von Fehlentwicklungen in der Kirche sprechen515. Wenn man von der Geschichtlichkeit der Kirche spricht, treten deshalb auch Schwierigkeiten auf. Scheffczyk kennzeichnet sie folgendermaßen:

512 513

514 515

Ebd. Vgl. SCHEFFCZYK, Aspekte der Kirche in der Krise. Um die Entscheidung für das authentische Konzil. Quaestiones non dispuatae, Band 1. Siegburg 1993, 45. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 21. „Weil zur Geschichtlichkeit wesentlich auch die freie menschliche Annahme des Vorgegebenen und das heißt die menschliche Entscheidung hinzu gehört, ist sie immer auch von den Möglichkeiten der Fehlentscheidung, des Irrtums, der Fehlentwicklung umgeben“, SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 24 f. Scheffczyk weist auf mehrere dieser Fehlentwicklungen hin: gnostische Einflüsse auf die Kirche im 2. Jahrhundert oder der Arianismus der Synode von Konstantinopel im Jahr 360. Solche Fehlentwicklungen gab es aber nicht nur in der Antike. In den 90er Jahren weist Scheffczyk auf falsche Demokratisierungsversuche der Kirche und die bleibende Bedeutung der Kontinuität mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hin (Vgl. SCHEFFCZYK, Aspekte der Kirche in der Krise, 21-23). Gegenüber der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre weist Scheffczyk auf die Bedeutung des Rechtfertigungsdekrets des Konzils von Trient hin (Vgl. SCHEFFCZYK, Ökumene. Der steile Weg der Wahrheit. Quaestiones non dispuatae, Band 7. Siegburg 2004, 261 ff.) und zeigt, so Hauke, dass „Treue zum Papsttum auch für einen Kardinal eine kritische Komponente in sich tragen kann“ (HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 20). Scheffczyk hebt die Kontinuität mit den Ökumenischen Konzilien besonders hervor. Der höchsten Lehrautorität der Kirche (Ökumenische Konzilien und infallible Lehräußerungen des Papstes) kommt Infallibilität zu. Das ist aber keine Ausnahme von der Geschichtlichkeit der Kirche. Hier zeige sich vielmehr die göttliche Prägung der Kirche.

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„Mit der Übernahme der Denkstruktur der Geschichtlichkeit ist nämlich vor allem ein Problem gegeben, das das geschichtliche Denken von Anfang an begleitet: Es ist die Gefahr des Relativismus und des Subjektivismus in der Wahrheitsauffassung“516.

Mit dem Subjektivismus ist für ihn vor allem die Einstellung verbunden, dass die Kirche in der Gegenwart ihren Höhepunkt in der Entwicklung erreicht hätte. Dieses Denken widerspricht aber Scheffczyks Vorstellung von Geschichtlichkeit: Die Selbstverwirklichung der Kirche oder auch eines einzelnen Menschen ist nicht auf die jeweilige Gegenwart hin ausgerichtet, sondern auf die immer neue Zukunft. Letzten Endes verharmlose der Subjektivismus die Kategorie der Geschichtlichkeit und komme damit von der Geschichtlichkeit zu einem mythischen, geschichtslosen Denken. Subjektivismus und Relativismus verbindet die Auffassung, dass alles dem Wechsel unterworfen ist. Nur Veränderung wäre dann noch denkbar, alles erscheint „der Willkür des Menschen ausgeliefert“517. Aber auch der Evolutionismus, der Biologismus, die idealistische Philosophie und die Geschichtswissenschaft518 sprechen von einem immerwährenden Wandel. Christentum kann somit – so befürchtet Scheffczyk – verstanden werden als ein Niveau von Religion, das zugunsten eines höheren, zeitlich späteren Niveaus überwunden werden muss. Mit der Person Jesu Christi ist aber etwas Unüberholbares in der Geschichte gegeben. Im oben ausgeführten Sinn des Subjektivismus und Relativismus ist das wiederum völlig unverständlich, es gibt ja nur Wandel. Und genau an dieser Stelle liegt für Scheffczyk das Problem der Geschichtlichkeit und der relativistischen und subjektivistischen Konsequenzen, die direkt aus der Geschichtlichkeit folgen. Eine mögliche Antwort auf dieses Problem wird in der Theologie häufig gegeben. Sie betrifft das Verhältnis von Inhalt und Ausdruck: Der Ausdruck kann sich ändern, nicht aber der Inhalt des Glaubens. Scheffczyk weist diesen Gedankengang zurück519. Sein Argument lautet: Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob man die Wandlung der eucharistischen Gaben bei der Feier der Heiligen Messe als Transsubstantiation versteht oder beispielsweise als Transsignifikation. Ein anderer Ausdruck führt hier zu einem anderen Inhalt. Das bedeutet: Der äußere Ausdruck einer Glaubenswahrheit ist nicht ohne weiteres austauschbar. Die Kategorie der Geschichtlichkeit darf also nicht isoliert verstanden werden. Es genügt hier nicht der Hinweis auf ein richtiges Verständnis von Geschichtlichkeit, denn der Subjektivismus und der Relativismus sind mögliche 516 517 518

519

SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 26. Ebd. Auch hier verzichtet Scheffczyk auf die Auseinandersetzung mit den hinter diesen Begriffen stehenden Theorien. Ebd.: „Das [die Austauschbarkeit des Ausdrucks] trifft deshalb nicht zu, weil dieser andere Ausdruck, das heißt die Art und Weise, wie der Mensch über die Glaubenswahrheit spricht und von ihr denkt, tatsächlich entscheidend dafür ist, wie die Wahrheit in Erscheinung tritt und was aus ihrem Gehalt wird“.

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logische Folgerungen der Geschichtlichkeit. Geschichtlichkeit selbst braucht ein polares Gegenüber. Der Begriff Geschichtlichkeit muss ergänzt werden im Sinne des katholischen sowohl – als auch. Geschichtlichkeit und Wahrheit Es gilt, „das Moment des Wandels im Denken mit dem Moment des Unwandelbaren der Wahrheit sinnvoll zu verbinden“520. Die Geschichtlichkeit braucht im anthropologischen und im ekklesiologischen Bereich ein polares Gegenüber. Wahrheit im menschlichen Leben: Es liegt nach Scheffczyk auf der Hand, dass die Frage nach bleibenden Wahrheiten die Existenz bleibender Wahrheiten bereits voraussetzt521. Damit kommt er zu einem ähnlichen Argument wie der kritische Rationalist Hans Albert: Existenzbehauptungen lassen sich „aus logischen Gründen ohnehin nie falsifizieren, sondern bestenfalls verifizieren“522. Das bedeutet: Wer die Frage nach der Existenz von Wahrheit stellt, kommt bestenfalls zur Verifikation, nicht zur Falsifikation (Albert). Beziehungsweise aus Scheffczyks Perspektive: Wer die Frage nach der Existenz von Wahrheit stellt, verifiziert die Existenz von Wahrheit. Der Unterschied der beiden Ausführungen liegt darin, dass bei Scheffczyk die Wahrheitsfrage selbst bereits die Verifikation der Existenz von Wahrheit darstellt, bei Albert die Existenzfrage nur potentiell verifiziert werden kann. In der Verifikation der Existenzfrage stimmen beide Ausführungen überein, in der Möglichkeit (prinzipiell - potentiell) unterscheiden sich beide. Da bei Scheffczyk jede Fragestellung auf Verifikation hin angelegt523 ist, müsste er allerdings auch die Schwierigkeit erklären, dass auch unsinnige Fragen oder Fragen nach der Existenz von Phantasieprodukten gestellt werden können. Solche Fragen sind nämlich nicht auf Verifikation hin angelegt. Ohne auf solche Schwierigkeiten einzugehen begründet Scheffczyk seine Position erstens mit der Tatsache, dass überhaupt eine Frage gestellt wird: Nur

520 521 522

523

SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 27. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 36. ALBERT, Das Elend der Theologie, 81. So lässt sich die Frage, ob ein einzelnes Element mit der Eigenschaft x existiert, nur dann abschließend überprüfen, wenn man dieses einzelne Element auch gefunden hat. Wird das einzelne Element nicht gefunden, bleibt die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, es zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich zu finden. Albert fügt hier „bestenfalls“ ein, weil auch die Behauptung, es existiert eine Insel mit dem Namen Atlantis, ein Existenzurteil darstellt. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 37: „Jede Fragestellung ist auf Bewahrheitung und Verifizierung eines Sachverhaltes aus und ist von der Überzeugung getrieben, daß solche Bewahrheitung möglich ist“.

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wenn man auf eine Wahrheit aus wäre, stellt man auch eine Frage, sonst nicht524. Die Wahrheit ist also letzten Endes ein Grundbedürfnis des Menschen525. Und zweitens werde sowohl im Leben des modernen Menschen und der Gesellschaft als auch in den Naturwissenschaften Wahrheit schlicht vorausgesetzt. Es wäre demnach inkonsistent, einerseits von unumstößlichen Naturgesetzen zu sprechen und gleichzeitig im Bereich des Geistes, der Sitte und des Glaubens einen Freiraum von allen Gesetzmäßigkeiten anzunehmen526. Neben physikalischen Tatsachenwahrheiten gibt es für Scheffczyk auch historische Tatsachenwahrheiten. Es ist schließlich möglich, eine wahre Angabe von Daten und Orten in der Geschichtswissenschaft zu machen, abgesehen von der Möglichkeit von Ungenauigkeiten und Fehlern. Deshalb sei es nicht konsequent, Denkwahrheiten bleibende Wahrheit abzusprechen. Positiv ausgedrückt bedeutet dies: Denkwahrheiten sprechen eine immerwährende Wahrheit aus. Der Grund dafür liegt im menschlichen Erkennen: „Erkennen ist ein eigentümlicher Akt der Empfängnis des Geistes vom Sein her, das in diesem Akt als das Universale (im Gegensatz zum Einzelnen), als das Unbedingte (im Gegensatz zum Bedingten) und als das Notwendige (im Gegensatz zum Zufälligen)

524

525 526

In diesem Zusammenhang weist Scheffczyk auf Ludwig Wittenstein hin. Wittgenstein erklärt im Tractatus logico-philosophicus: „Wenn sich eine Frage überhaupt stellen lässt, so kann sie auch beantwortet werden“ WITTGENSTEIN, Ludwig, Tractatus logicophilosophicus. London 1922, 6.5. Die Konsequenz des Satzes bei Wittgenstein ist allerdings nicht so klar, wie Scheffczyk sie interpretiert. Denn eine Frage ließe sich eben rein sprachlich über alles Mögliche und Unmögliche bilden. Letzten Endes ist dieser Satz von der Positivität jeder Frage bei Wittgenstein im Tractatus zu ergänzen durch die Regulierung: „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen“, WITTGENSTEIN, Tractatus, 7. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 37. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 42 ff. In der aktuellen Forschung wird die Frage nach der zeitlichen Konstanz der Naturkonstanten kontrovers diskutiert. Vgl. hierzu UZAN, Jean-Philippe, The fundamental constants and their variation: observational status and theoretical motivations. arXiv:hep-ph/0205340v1: nach Internet am 12. Dezember 2008: http://arxiv.org/PS_cache/hep-ph/pdf/0205/0205340v1.pdf: „The developments of high energy physics theories such as multi-dimensional and string theories provide new motivations to consider the time variation of the fundamental constants. The observation of the variability of these constants constitutes one of the very few hopes to test directly the existence of extra-dimensions and to test these high energy-physics models”; BARROW, John D., Varying Constants (arXiv:astro-ph/0511440v1): nach Internet am 12. Dezember 2008: http://arxiv.org/PS_cache/astro-ph/pdf/0511/0511440 v1.pdf.: „These theoretical developments, together with the appearance of new observational probes of the constants of physics at high redshift, coupled with recent rapid progress in direct laboratory probes of the stability of atomic systems that depend sensitively on the value of the fine structure constant here and now, promise to create an exciting new focal point in our quest to understand the nature (as well as the number) of the fundamental constants of Nature”.

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erfaßt wird. Wo ein solcher Erkenntnisakt einmal stattgefunden hat, d.h. wo der Mensch etwas wahrhaft erkannt hat (ein falsches Erkennen gibt es nicht!), kann das «Produkt» dieser Empfängnis niemals mehr verleugnet oder aus der Welt geschafft werden“527.

Dieses Verständnis von Wahrheit und Erkenntnis hat wichtige Konsequenzen, denn erstens ist damit beispielsweise die Denkwahrheit der Existenz Gottes nicht revidierbar: Gott wurde als der Universale, Unbedingte und Notwendige erkannt. Im Gegensatz dazu wird ein Phantasieprodukt nicht erkannt, weil es offensichtlich nicht universal, unbedingt, notwendig und wahr ist. Eine Denkwahrheit kann nach Scheffczyk subjektivistisch bestritten werden, sie kann sogar vergessen werden, aber sie kann nicht revidiert werden. Am Ende eines Erkenntnisprozesses wird eine universale, bleibende Wahrheit artikuliert, die unumstößlich ist. Das Problem: die Wahrheit der Existenz Gottes ist damit genauso verstanden wie die Wahrheit der Existenz der Gravitationskraft, denn letztere ist auch universal und unbedingt (sie wirkt schließlich überall) und notwendig, also nicht zufällig. Zweitens kann Scheffczyk das Phänomen des Atheismus nicht erklären. Es bleibt unklar, warum eine mehr oder weniger große Anzahl von Menschen eine Denkwahrheit (nämlich die der Existenz Gottes) nicht anerkennen. Scheffczyk kommt damit dem Vorwurf Friedrich Nietzsches gefährlich nahe, Gott sei nichts anderes als „eine viel zu extreme Hypothese“528 und damit ein Denkverbot. Denn über der Affirmation der Wahrheit von Gotteserkenntnis droht das Verständnis der Ungeheuerlichkeit und die Einzigartigkeit dieser Erkenntnis verloren zu gehen529. Wahrheit in der Offenbarung: Wenn man von bleibender Wahrheit in der Offenbarung spricht, dann geschehe dies nicht aus einem „dogmatischen Sicherheitsbedürfnis“530. Die Existenz von Wahrheit gehört für Scheffczyk zur Geschichtlichkeit dazu, denn Entwicklung 527 528

529

530

SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 45 f. NIETZSCHE, Friedrich, Der europäische Nihilismus. In: In: COLLI, Giorgio / MONTINARI, Mazzino, Kritische Studienausgabe (KSA) in 15 Bänden. München 1999. Band 12, 212; vgl. hierzu auch DERS., Menschliches, Allzumenschliches, KSA 2, 29 f.: „Es ist wahr, es könnte eine metaphysische Welt geben; die absolute Möglichkeit davon ist kaum zu bekämpfen […] aber mit ihr kann man gar Nichts anfangen, geschweige denn, dass man Glück, Heil und Leben von den Spinnenfäden einer solchen Möglichkeit abhängen lassen dürfte“. „Gott ist eine faustgrobe Antwort, eine Undelicatesse gegen uns Denker –, im Grunde sogar bloss ein faustgrobes Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!“, NIETZSCHE, Ecce Homo, KSA 6, 278. Vgl. hierzu auch CONGAR, Yves, Situation und Aufgabe der Theologie heute. Paderborn 1971, 81 f.: „Wir sind uns wohl bewußt, daß die angeführten Faktoren, die eine neue theologische Situation kennzeichnen, eigentlich eine Darlegung des Atheismus erforderlich machten, ja mehr noch, eine Darstellung der Glaubensschwierigkeiten“. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 28.

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ist nur dann möglich, wenn es ein Wesen gibt, das sich entwickelt. Bleibende Wahrheit in der Offenbarung gehört also zur Geschichtlichkeit dazu. Ansonsten könne man nur von Vergänglichkeit sprechen, die aber im Gegensatz zur Geschichtlichkeit nicht gestaltet oder beeinflusst werden kann. Entwicklung gibt es auch in der Kirche: Scheffczyk nennt die Dogmenentwicklung. Eine bleibende Wahrheit kann im Lauf der Geschichte verschiedene Ausdrucksformen annehmen. Allerdings können „Aussageform und Aussageeinheit (der Wahrheit) nicht streng voneinander“531 getrennt werden. Im Lauf der Dogmenentwicklung kann die Aussageform prinzipiell verändert werden. Dies muss aber immer im Blick auf die ausgesagte bleibende Wahrheit geschehen532. Letzten Endes geht Scheffczyk damit offensichtlich über das von ihm in Frage gestellte Verhältnis von Inhalt und Ausdrucksform533 nicht hinaus. Er ersetzt es nur durch neue Ausdrücke: Bleibende Wahrheit und Geschichtlichkeit. Es geht Scheffczyk um die in der Geschichtlichkeit ausgesagte bleibende Wahrheit. Die Grundlage dafür findet er534 in der Dogmatischen Konstitution Dei Filius des Ersten Vatikanischen Konzils „Daher ist auch immerdar derjenige Sinn der heiligen Glaubenssätze beizubehalten, den die heilige Mutter Kirche einmal erklärt hat, und niemals von diesem Sinn unter dem Anschein und Namen einer höheren Einsicht abzuweichen“535. Aufgrund dieser Konzilsaussage kann das Dogma nicht wie ein „totes Petrefakt“536 verstanden werden. Die Dogmenentwicklung muss auf den Sinn des Dogmas als bleibender Wahrheit achten. Scheffczyk spricht in diesem Zusammenhang auch von der Intentionalität des Dogmas537. Deshalb kann die polare Ergänzung von Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit neu formuliert werden: 531 532

533 534 535

536 537

SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 48. Konkret charakterisiert Scheffczyk alles, was zur Offenbarung dazugehört als bleibend, weil es sich hier um Heilstaten und Heilsworte Gottes handelt. Dazu gehören beispielsweise: Kirche, Sakramente und Glaubensbekenntnis. Beispiele für geglückte Dogmenentwicklungen sind für Scheffczyk die Entwicklung der trinitarischen Gotteslehre im Ersten und Zweiten Ökumenischen Konzil oder auch die Jahrhunderte andauernde Entwicklung der Mariendogmen. Vgl. SCHEFFCZYK, Grundlagen des Dogmas, 156 f. Vgl. oben; SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 26. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 29. DH 3020: „Hinc sacrorum quoque dogmatum is sensus perpetuo est retinendus, quem semel declaravit sancta mater Ecclesia, nec umquam ab eo sensu altioris intelligentiae specie et nomine recedendum“. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 29. Vgl. ebd. Wenn Scheffczyk an dieser und anderen Stellen (vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche – heute noch verstehbar? Grundzüge einer dogmatischen Hermeneutik. Berlin 1973, 164) von Intentionalität spricht, ist das nicht korrekt, denn überlicherweise wird darunter die „Gerichtetheit eines psychischen Aktes auf einen Sachverhalt“ (GETHMANN, Carl F., Intentionalität. In: MITTELSTRAß, Jürgen (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. EPhW II. Stuttgart 22004, 259) verstanden. Vgl. hierzu auch BRENTANO, Franz, Psychologie vom empirischen Standpunkt. Buch I. Leipzig 1874, 124;

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„der Sinn eines Seienden [ist] eine konstante Größe […], die Sinnerfüllung dagegen [ist] dynamisch und bewegt […] So sind die Dogmen bezüglich ihres genuinen Sinnes als bleibend zu betrachten, vermögen aber eine immer neue Sinnerfüllung zu erfahren, die sich (ideal verstanden) immer mehr der endgültigen Sinnerfüllung in der revelatio gloriae annähern sollte“538.

Bleibende Wahrheit und Geschichtlichkeit verhalten sich wie Inhalt und Aussageform, beziehungsweise wie Sinn und Sinnerfüllung. Die einzelnen Begriffspaare sind dabei jeweils aufeinander verwiesen. Der bleibenden Wahrheit kommt aber ein höheres Gewicht zu: schließlich ist die Sinnerfüllung am bleibenden Sinn zu orientieren. Es ist aber falsch, die Aussageform von vornherein als austauschbar zu verstehen. Denn die Aussageform ist die geschichtlich fassbare Gestalt der bleibenden Wahrheit. So kann zum Beispiel der Begriff homoousios des Ersten Ökumenischen Konzils als geschichtlich fassbare Gestalt der Intention der geoffenbarten exklusiven Beziehung Jesu Christi zum Vater verstanden werden. Diese geschichtlich fassbare Gestalt der bleibenden Wahrheit ist aber nicht von vornherein austauschbar. Sinnerfüllung, der Versuch der persönlichen Aneignung und Anwendung einer Wahrheit, ist dabei subjektiv. Bei diesem Vorgang der persönlichen Aneignung wird in der katholischen Theologie die kirchliche Tradition wichtig. Denn hier zeigt sich die Geschichte der persönlichen Aneignung einer Offenbarungswahrheit. In der Tradition wird „der lebendige Sinn für das Ursprüngliche und darum Bleibende in der Kirche“539 deutlich. Die Aneignung muss persönlich sein, weil die Glaubenswahrheit keine mathematische Wahrheit ist, sondern eine personale Wahrheit. Was aber eine personale Wahrheit ist, kann momentan noch nicht geklärt werden. Offensichtlich versucht Scheffczyk aber damit zu erklären, dass die Wahrheit der Existenz Gottes eben doch von der Wahrheit der Existenz der Schwerkraft zu unterscheiden ist. Personale Wahrheit muss also eine Art von Spezialfall der bleibenden Wahrheit sein und mit einer Person zu tun haben. Die Frage ist nun, wie dieser Unterschied verstanden werden kann.

538 539

HUSSERL, Edmund, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch. Herausgegeben von W. Biemel. Den Haag 1950, 357; HEIDEGGER, Martin, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs. In: JÄGER, Petra (Hrsg.), Gesamtausgabe Abt. 2 Vorlesungen Bd. 20. Frankfurt am Main 31994, § 5 ff. Scheffczyk meint im Unterschied dazu die Intention, also die Absicht, in der ein Text geschrieben wurde. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 30. Ebd.

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Ergebnis Die Reflexion über Geschichtlichkeit ist eine der Grundlagen der Theologie von Scheffczyk, weil Geschichtlichkeit die Selbstverwirklichung des Menschen beschreibt und damit auch die Kirche. Denn die Gläubigen sind Menschen. Geschichtlichkeit ist sogar ein Kennzeichen der Offenbarung, denn selbst Gott nimmt in seinem der Welt zugewandten Tun auf die in der Schöpfung Grund gelegte Konstitution des Menschen Rücksicht. Geschichtlichkeit muss aber verbunden werden mit der bleibenden Wahrheit, die sich geschichtlich manifestiert. Die bleibende Wahrheit zeigt sich nach Scheffczyk als personale Wahrheit. Diese Wahrheit muss vor ihrer geschichtlichen Manifestation bestehen, sie ist aber nur in der Geschichte erfahrbar. Dies kann in der folgenden Tabelle zusammenfassend dargestellt werden: Bleibende Wahrheit Geschichtlichkeit Inhalt Aussageform Sinn Sinnerfüllung Objektive Denkwahrheit Subjektive Aneignung der Wahrheit

können nicht vollständig voneinander getrennt werden!

Vorgängige personale Wahrheit

Geschichtliche Manifestation

An dieser Darstellung zeigen sich aber auch einige Schwierigkeiten der Ausführungen Scheffczyks. So bleibt unklar, was Geschichtlichkeit nun ist. Scheffczyk sprach von der Geschichtlichkeit als einer Kategorie, die nur den Menschen betrifft, als einer menschlichen Struktur oder auch als einer Denkstruktur. Damit müsste die Geschichtlichkeit einerseits als ontologische Kategorie „die Struktur der [menschlichen] Wirklichkeit“540 ausdrücken. Andererseits müsste die Geschichtlichkeit als eine Denkstruktur verstanden werden, also als eine Art von

540

WOLTERS, Kategorie. In: MITTELSTRAß, Jürgen (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 2. Stuttgart 22004, 368.

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strukturierter Annäherung, wenn nicht gar als Abbildung der Wirklichkeit541, die für Scheffczyk objektiv gegeben zu sein scheint. Wenn Geschichtlichkeit unabhängig von diesen Überlegungen eine in der Schöpfung Grund gelegte menschliche Konstitution ist, dann stellt sich die Frage, ob nicht auch andere Charakteristika menschlicher Existenz hier eine Rolle spielen müssten. So zum Beispiel die Frage nach der Herkunft eines Menschen: Nimmt ein Südamerikaner die Wirklichkeit oder die bleibende Wahrheit genau gleich wahr, wie ein Südostasiat? Und wenn ja, warum? Oder die Frage nach der sozialen Stellung eines Menschen: Spielt es für die Selbstverwirklichung eines Menschen wirklich keine Rolle, ob er oder sie aus armen oder aus reichen Verhältnissen stammt? Und wenn es korrekt ist, dass die Kirche eine geschichtliche Größe ist, weil die Gläubigen Menschen sind, dann müssten eigentlich auch weitere Charakteristika menschlicher Existenz (wie zum Beispiel Geschlecht, Alter Bildungsstand, Gesundheit und so weiter) für die Kirche eine beachtliche Rolle spielen. Für die Funktionsweise der Theologie Scheffczyks stellt sich besonders die Frage nach der Beziehung zwischen Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit. Ist die bleibende Wahrheit, ist die Gotteserkenntnis tatsächlich ausreichend beschrieben, wenn man Erkenntnis als „Akt der Empfängnis des Geistes vom Sein her“542 versteht? Oder müsste man, um mit Karl Rahner zu sprechen, nicht auch den „Abgrund der Unbegreiflichkeit Gottes“543 thematisieren? Der Mensch ist als endliches Geisteswesen für Scheffczyk in seiner Geschichtlichkeit auf den so genannten Kern des Humanum verwiesen. Im diesem Kern des Humanum hat der Mensch Zugang zu der personalen, unabänderlichen Wahrheit. Die Kategorie Geschichtlichkeit verweist damit auf eine weitere Grundgröße der Theologie Scheffczyks: auf den Personalismus. 1.2 Personalismus In allem Wandel der Geschichtlichkeit gibt es nach Scheffczyk im Menschen einen Kern, der sich nicht wandelt. Würde man das Wesen des Menschen außer Acht lassen, könnte man nur von Veränderung sprechen, nicht aber von 541

542

543

Vgl. MITTELSTRAß, Jürgen, Denken. In: MITTELSTRAß, Jürgen (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 1. Stuttgart 22004, 449. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 45. Vgl. hierzu auch RAHNER, Karl, Thesen zum Thema: Glaube und Gebet. In: RAHNER, Karl, Sämtliche Werke. Band 25. Freiburg 2008, 388: „Den Mut, Gott in einer säkularen Welt, in einer Welt des ‚Todes Gottes’, der ‚Abwesenheit Gottes’ anzureden, schöpft der christliche Mensch offensichtlich aus seiner Verbundenheit mit Christus, aus seiner Teilnahme am Leben und am Tod des geschichtlichen Jesus“. RAHNER, Christentum an der Schwelle zum dritten Jahrtausend. In: RAHNER, Karl, Sämtliche Werke. Band 31. Freiburg 2007, 261.

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Selbstverwirklichung oder Geschichtlichkeit. Im Kern des Humanum hat der Mensch Zugang zu der personalen, unabänderlichen Wahrheit544. Der Fragecharakter Scheffczyk erklärt, dass es eine Fähigkeit des Menschen ist, Fragen zu stellen und spricht dabei vom „Fragecharakter des Menschseins“545. Im Fragen geht der Mensch über sich selbst hinaus und interessiert sich für etwas anderes. Wird die Fähigkeit, Fragen zu stellen als Eigenschaft des Menschen verstanden (Charakter), so folgt für das Wesen des Menschen: Der Mensch ist wesentlich offen für anderes. Menschsein ist somit dynamisch und immer auf eine Antwort hin orientiert. Die Bedeutung des Fragecharakters des Menschen zeige sich für den christlichen Glauben und die Theologie aber erst dann, wenn die Offenheit für das Unendliche, also Gott, thematisiert wird, denn auch der Humanismus könnte den Fragecharakter des Menschen akzeptieren ohne aber letzten Endes auf die christliche Botschaft zu sprechen zu kommen. Für Scheffczyk ist klar: Der Mensch kann nicht als Wissender verstanden werden, dessen einzige Fragen technische Schwierigkeiten wären. Hier ist die Würde des Menschen gleichzeitig übertrieben und verletzt. Übertrieben, weil der Mensch aus seinem eigenen Wissen heraus leben könne und alles selbst bewirke. Verletzt, weil der Mensch letztlich alleine um sich selbst kreist. In einem solchen Menschenbild finde deshalb auch die christliche Botschaft keinen Platz mehr. Der Fragecharakter darf aber auch nicht übertrieben werden. Die Fähigkeit, eine Frage zu stellen, kann nämlich auch zu einem unendlichen Regress führen und letztlich wird dann überhaupt keine Antwort mehr erwartet. Die Unendlichkeit wäre nicht mehr die Grundmotivation des Fragens, es gebe stattdessen nur noch unendliches Fragen. Die Motivation zur Frage Der Fragecharakter des Menschseins, die Fähigkeit, überhaupt eine Frage zu stellen, resultiert aus der Freiheit des Menschen. Die der Frage zu Grunde liegende Motivation hängt mit der Offenheit für das Unendliche zusammen, muss aber weiter geklärt werden. Scheffczyk spricht in diesem Zusammenhang von einem „tieferen Ermöglichungsgrund“546. Sein Gedankengang kann folgendermaßen dargestellt werden: a) Eine Frage ist „ein Wortgeschehen im weitesten Sinne“547. Schließlich wird eine Frage verbal gestellt oder eine Frage wird in Gedanken verbal artikuliert. Auf jeden Fall wird in der Frage etwas Geistigem Ausdruck verliehen. Damit 544 545 546 547

Vgl. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 113-136. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 113. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 116. Ebd.

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begründet das Fragen ein Verhältnis eines Geistträgers zu einem anderen Geistträger. b) Die Frage setzt ein Vorwissen voraus. Ansonsten wird eine Frage sinnlos, was wiederum die Frage als solche diskreditieren würde. Dieses Vorwissen muss nicht explizit sein. Es genügt, das Vorwissen als unthematisch und vorbegrifflich zu charakterisieren, es stellt nach Scheffczyk ein „Wissen um Sein und Sinn“548 zur Verfügung; er spricht hier auch von einer „erleuchteten Unwissenheit“549. Der Fragende weiß also in der existentiellen Frage implizit, was er explizit sucht, nämlich Sinn. c) Nicht jede beliebige Frage verweist den Menschen auf den Kern des Humanum. Nur existentielle Fragen kommen in Betracht, um auf diesen Kern zurückzuweisen550. Solche existentiellen Fragen zeigen, dass der Mensch von etwas Fraglosem existentiell betroffen ist. Wenn eine Frage aber eine Beziehung herstellt, dann konstituiert die existentielle Frage nach Sinn und Sein damit eine Beziehung zu Sinn und Sein. Statt von Sinn und Sein kann Scheffczyk hier auch von Wahrheit sprechen: Damit wird die Wahrheit als Geistträger, als eine personale Größe verstanden, also als personale Wahrheit. Denn eine Frage konstituiert eine Beziehung zwischen zwei Geistträgern oder Personen: „Das Fragen-Können setzt somit voraus, daß der Mensch für das Sein und die Wahrheit offen ist. Diese Offenheit ist ein Angelegtsein auf die Wahrheit, das als personalworthafte Beziehung auf ein personales Gegenüber in dieser Beziehung hinweist“551.

548

549 550

551

Ebd. Vgl. hierzu auch SAUTER, Was heißt: nach Sinn fragen? Eine theologischphilosophische Orientierung. München 1982, 7: „Aber je länger desto mehr bin ich überzeugt, daß die Sinnfrage weit davon entfernt ist, die Frage nach Gott neu zu wecken, wie es seit Jahren hingestellt wird“. Nach Sauter enthält sich Jesus selbst der Sinnfrage. Bei der Erzählung von der Heilung eines Blindgeborenen in Joh 9 fragen die Jünger, ob der Blindgeborene oder seine Eltern gesündigt hätten. Jesu Antwort: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden“ (Joh 9,3). Sauter erklärt dazu: „Damit ist kein geheimnisvoller, göttlicher Sinn der Krankheit aufgedeckt. Jesus sagt vielmehr, daß auch dieser Blinde zur Schöpfung Gottes gehört, und seine Heilung macht dies in bestimmter Weise deutlich. […] Wer sich der Sinn-Frage enthält, wird also nicht einfach hinnehmen, was er vorfindet. Er wird auch nicht nur anfragen, sondern mit seinem Fragen widersprechen, ja anklagen und protestieren. Doch mit alledem können wir den Raum der Schöpfung nicht verlassen – wenn wir uns nicht dahin versteigen wollen, nur das als sinnhaft gelten zu lassen, was wir nach Ursache und Wirkung überblicken und so wenigstens geistig disponieren oder steuern können“, SAUTER, Was heißt: nach Sinn fragen?, 148. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 116. Ebd.: „Der Fragende ist ein Suchender, der weiß, was er sucht und von diesem Wissen geleitet wird. In jeder menschlichen, existentiellen Frage bekennt sich der Mensch betroffen von etwas Fraglosem, nämlich vom alles umfassenden Sein und Sinn, dem sich die Frage verdankt“. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 116 f.

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Das Angelegtsein auf die persönliche Wahrheit, beziehungsweise die Offenheit oder das unthematische Vorwissen brauchen nochmals eine „VorausSetzung“552. Denn die Anlage des Menschen auf die Wahrheit kann keine Eigenleistung des Menschen sein. Die Voraussetzung muss auch worthaft gedacht werden. An dieser Stelle zeigt sich der Kern des Humanum, das „Wesenskonstitutiv des Menschseins“553: Es liegt in der Zurede, der Berufung, im Anruf- und Anredecharakter. Das heißt: „Der Mensch ist ein Angerufener, bevor er ein Fragender werden kann“554. Damit ist letztlich der Anruf Gottes die Grundmotivation für den Fragecharakter des Menschen. Der Anrufcharakter und die Responsorialität Der Anrufcharakter erklärt und ermöglicht für Scheffczyk den Fragecharakter des Menschseins. Denn erst durch den Anruf wird der Mensch auf Wahrheit ausgerichtet und die Freiheit des Menschen aktiviert. Freiheit ohne einen vorausgehenden Anruf ist leer. Hier werde keine Intentionalität erkennbar. Damit ist gemeint, dass die Selbstverwirklichung des Menschen in der Geschichtlichkeit keine Finalität hätte. Man könnte deshalb von einer abstrakten Freiheit sprechen. Erst im Anruf erkennt der Mensch Inhalt und Wertfülle der personalen Wahrheit und seines eigenen Lebens. Der Anrufcharakter ermöglicht das, was man konkrete Freiheit nennen könnte und ist damit der Ursprung des Menschseins. Das zeigt sich zum Beispiel am Schöpfungsbericht der Priesterschrift (Gen 1,1-2,4a). Schöpfung wird in der Priesterschrift als Wort- oder Rufgeschehen verstanden. Das ermöglicht die Verbindung mit dem Anrufcharakter des Menschseins. Zwei Eigenarten des Anrufs werden dabei deutlich: a) Die unüberbrückbare Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf. Die Schöpfung im Anruf ist eine souveräne Tat Gottes. Diese Tat konstituiert das Geschöpf aus dem Nichts. Diese Differenz bleibt allerdings so nicht alleine stehen. Auch hier ist eine polare Ergänzung nötig. Deshalb folgt ebenso: b) Die Konstitution einer inneren Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf555. Alleine schon der Anruf konstituiert eine Beziehung zwischen dem Anrufenden und dem Angerufenen. Im Schöpfungsbericht der Priesterschrift wird dies vor allem an der Gottunmittelbarkeit des Menschen und an der Gottebenbildlichkeit des Menschen deutlich. Der Mensch des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes lebt in Gottunmittelbarkeit, weil er als einziges Lebewesen den Hoheitsauftrag über die Schöpfung erhalten hat: Der Mensch soll als 552 553 554 555

SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 117. Ebd. Ebd. Der Ursprung der Sprache liegt deshalb für Scheffczyk „in der Korrespondenz des endlichen Geistes mit dem absoluten Geiste“ SCHEFFCZYK, Von der Heilsmacht des Wortes. Grundzüge einer Theologie des Wortes. München 1966, 58.

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Beauftragter Gottes handeln. Und der Mensch im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht ist explizit Gott ebenbildlich geschaffen. Hier zeigt sich der Inhalt der Berufung des Menschen: Menschsein ist auf Gott bezogenes Sein als die Intentionalität oder die Finalität des Menschseins. Und Menschsein ist ein „Sein im Worte“ beziehungsweise im „Rufe Gottes“556. Menschliche Personalität als responsoriales Sein Dem traditionellen Verständnis der Person liegt eine individuelle und inkommunikable Komponente zugrunde. So lautet die Definition einer Person nach Boethius: „Persona est naturae rationalis individua substantia“557. Scheffczyk kritisiert hier die einseitige Betonung des „es-haften“558 Substanzcharakters und das fehlende Moment der Relation. Im Prinzip handelt es sich hier wieder um polare Ergänzungen, die beide berücksichtigt werden müssen: Substanz und Relation. Die Ursprünglichkeit und die unverletzbare Würde der Person kann aber nur durch das Lebensverhältnis zum Absoluten begründet werden. In der worthaften „Erhebung des Menschen zum Du

556

557

558

SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 118. Für Scheffczyk ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen durch seine Geistigkeit begründet (Vgl. SCHEFFCZYK, Schöpfung als Heilseröffnung. Schöpfungslehre. In: SCHEFFCZYK, Leo / ZIEGENAUS, Anton (Hrsg.), Katholische Dogmatik. Band 3. Aachen 1997, 230 f). Geistigkeit darf aber nicht mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen gleichgesetzt werden. Denn Geistigkeit ist eine neutrale Anlage des Menschen. Gleichzeitig verhindert die Geistigkeit des Menschen ein rein aktualistisches Verständnis der Gottebenbildlichkeit: „Mit anderen Worten: Das Ebenbild Gottes im Menschen darf nicht als neutrale Fähigkeit dargestellt werden, sondern es muß deutlich werden die innere Hinordnung des Menschen auf Gott […] Achtzugeben ist freilich darauf, die Gottebenbildlichkeit nicht als bloße Beziehung zu erklären: die Beziehung zu Gott muß ein seinsmäßiges Fundament besitzen in der Geistigkeit des Menschen“ (HAUKE, Ganz und gar katholisch, 75 f). Ebd. Scheffczyk zitiert: Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, c.3. Vgl. auch SCHEFFCZYK, Schöpfung als Heilseröffnung, 257. Das Boethius entgegengesetzte Extrem hat Martin Buber ausgearbeitet (Scheffczyk zitiert: Buber, Ich und Du. Heidelberg 1923, 18 f. Vgl. SCHEFFCZYK, Schöpfung als Heilseröffnung, 258). Bei Buber gibt es nur noch Relation, er versteht die Person aktualistisch. SCHEFFCZYK, Schöpfung als Heilseröffnung, 257. In seinen späteren Schriften äußert Scheffczyk diese Kritik am traditionellen Personverständnis nicht mehr. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Heilsverwirklichung in der Gnade. Gnadenlehre. In: SCHEFFCZYK, Leo / ZIEGENAUS, Anton (Hrsg.), Katholische Dogmatik. Band 6. Aachen 1997, 389 ff: Durch das teleologische Verständnis der Natur bei Aristoteles und Thomas und durch die Universalität des Geistes sei die Menschennatur auf das Sein im Ganzen ausgerichtet. Deshalb kann im traditionellen Personverständnis ein relationales Element entwickelt werden. Besondere Bedeutung hat hier für Scheffczyk THOMAS DE AQUINO, Summa Theologiae. Textus Leoninus Romae 1888 editus. I q. 29 a. 3 co.; DERS., Quaestiones disputatae de potentia. Textus Taurini 1953 editus. q. 9 a. 3 co.

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Gottes“559 wird der Personcharakter des Menschen grundgelegt. Und erst so wird der Mensch „zum personalen Ich“560. Damit gewinnt der Personbegriff eine dialogische Komponente. Besondere Bedeutung bei dieser Neufassung des Personbegriffs hat für Scheffczyk Ferdinand Ebner. Scheffczyk zitiert öfters in seinen Ausführungen die folgende Stelle bei Ebner: „Gott schuf den Menschen, das heißt nichts anderes als: Er sprach zu ihm. Er sprach ihn schaffend zu ihm: Ich bin und durch mich bist Du. Indem Gott so zu ihm sprach und durch das Wort in der Göttlichkeit seines Ursprungs das Ich (es in seiner Bestimmung zum Du schaffend) in ihn hineinlegte, wurde der Mensch seiner Existenz und seines Verhältnisses zu Gott sich bewußt“561.

Aufgrund der Verbindung von Existenz und Verhältnis kommt Ebner zu einem neuen Verständnis der Person, das Scheffczyk aufgreift562. Wird das neue Personenverständnis dem traditionellen Verständnis gegenübergestellt563, dann zeigt sich: Traditionelles Verständnis von Person

Dialogisches Verständnis von Person

Der Mensch ist Person,

Weil er als unmittelbar vor Gott stehendes Wesen für Gott offen ist, (= Weil der Mensch Person ist)

weil er eine für sich stehende, geistige Natur

kommt dem Mensch Geistigkeit zu.

besitzt.

559 560 561

562

563

SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 119. Ebd. EBNER, Ferdinand, Das Wort und die geistigen Realitäten. Wien 1952, 39. Bei Scheffczyk unter anderem in: Schöpfung als Heilseröffnung, 258. Und Glaube als Lebensinspiration, 119. Weitere Belegstellen nennt LUGMAYR, Martin, Gottes erstes Wort. Untersuchungen zur Schöpfungstheologie bei Leo Scheffczyk. Frankfurt am Main 2005, 99. Fußnote 45. Vgl. die Paraphrase Bernhard Caspers über Ebners Personverständnis: „Wir beide sind vielmehr erst, was wir selbst sind […] durch das Verhältnis: »das Ich und das Du sind in ihm«. Andererseits gilt jedoch ebenso, daß das Verhältnis, das Wort, nichts ist »ohne das Ich und Du«“ CASPER, Bernhard, Das dialogische Denken. Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner und Martin Buber. München 22002, 208. Eine Untersuchung des Einflusses Ebners auf Scheffczyk hat Martin Lugmayr in seiner Dissertationsschrift Gottes erstes Wort vorgelegt (Vgl. LUGMAYR, Gottes erstes Wort, 93-104). Lugmayrs Ergebnis ist unter anderem: Ebner versteht die Person in ihrer Relation im Sprechen zu einem Du. Dabei löst Ebner aber die Eigenständigkeit oder die Subsistenz einer Person nicht in der Relation auf. Vgl. SCHEFFCZYK: Glaube als Lebensinspiration, 120.

171

Das dialogische Personenverständnis kehrt damit den Begründungszusammenhang des traditionellen Verständnisses um. Ebenso kommt die traditionelle Aufteilung zwischen genus proximum (für sich stehend) und differentia specifica (geistige Natur) im dialogischen Verständnis nicht vor. Im dialogischen Verständnis genügen die unmittelbare Beziehung zu Gott und die Offenheit für Gott zur Grundlegung des Personbegriffs. Deshalb gilt für das dialogische Personverständnis: „Der Mensch ist dadurch Person, daß er von Gott angerufen ist und sich dem göttlichen Du gegenüberfindet“564. Der Vorteil des traditionellen Personverständnisses liegt in der Sicherung der Substanz, Scheffczyk spricht von Selbstand. Das dialogische Verständnis sichert die Beziehung. Die Relationalität darf allerdings nicht ausschließlich gelten. Der erkenntnistheoretische Realismus Scheffczyks fordert hier die grundlegende Sicherung des Selbstandes in der Beziehung: Im Anruf Gottes ist der Mensch offen für Gott. Und dies sichert wiederum den Selbstand des Menschen, die „Subsistentialität“565. Wenn der Mensch durch den Anruf Gottes und die Offenheit für Gott als Person konstituiert wird, so muss der Anrufende selbst Person sein. Gott ist demnach ein Ich, eine Person. Die Personalität Gottes kann aber nicht erst durch den Anruf an den Menschen zustande kommen. Sonst wäre Gott nicht mehr der Ursprung, der Absolute. Aber die Person Gottes muss auch relational verstanden werden. Deshalb zeigt der Personcharakter Gottes die Bedeutung des ursprünglichen, innergöttlichen Wortgeschehens der immanenten Trinität. Diese göttliche „Überpersonalität“566 verbietet gleichzeitig jeden „Anthropomorphismus des Personbegriffes in seiner Übertragung auf Gott“567. Wenn Gott den Menschen anredet und damit ein Ich-Du-Verhältnis konstituiert, dann muss dies vom innergöttlichen Wortgeschehen abhängig sein. Die Anrede des Menschen ist als Verlängerung des innergöttlichen Dialogs zu verstehen, die Anrede des Menschen ist ein „verendlichter Abglanz“568 des innergöttlichen Wortgeschehens. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen ist deshalb eine „endliche Entsprechung […] der göttlichen Selbstwirklichkeit im Medium des Geschöpflichen“569. Dies hat auch Konsequenzen für die Begegnung mit anderen Menschen. Diese Dimension wird vom traditionellen Personverständnis gar nicht erfasst. Es genügt aber nicht, die soziale Komponente des menschlichen Daseins nur akzidentiell zu verstehen. An diesem Punkt distanziert sich Scheffczyk auch von den Ausführungen Ebners: „das mitmenschliche Du [wird bei Ebner] nur als 564 565 566 567 568 569

Ebd. Ebd. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 122. Ebd. Ebd. Ebd.

172

Durchgangspunkt der Bewegung des Menschen zu Gott“570 bewertet. Das widerspricht aber letzten Endes der Würde der anderen menschlichen Person. Wenn nämlich Gottebenbildlichkeit ein verendlichter Abglanz der göttlichen Personhaftigkeit ist, so muss es auch im Endlichen ein Äquivalent zur innergöttlichen Ich-Du Beziehung geben. Das ist die menschliche Gemeinschaft, die Mitmenschlichkeit. Diese Einschätzung Scheffczyks von der Unterbewertung des mitmenschlichen Du bei Ebner kritisiert Lugmayr571. Bernhard Casper weist in seiner Studie Das Dialogische Denken darauf hin, dass bereits Martin Buber und H. Cullberg diese Kritik an Ebner vorgebracht haben572. Gegenüber der Kritik Bubers erklärt Casper: Ebners Werk ist fragmentarisch, inchoativ und polemisch573. Das heißt, Ebner hat kein geschlossenes System ausgearbeitet und große Teile des Werkes Ebners wurden erst zwischen 1963 und 1965 aus dem Nachlass veröffentlicht574. Die These über die Unterbewertung des Du bei Ebner wird von anderen Autoren also nicht geteilt. Anders bei der Analyse der Gemeinschaft. Hier stellt Lugmayr einen großen Unterschied zwischen Scheffczyk und Ebner fest: „Mit Sicherheit hat aber Ebner der menschlichen Gemeinschaft, dem ‚Wir’ als eigenem Wert kein besonderes Augenmerk zugewendet, er bleibt bei der ‚Ich-Du’-Relation stehen, im Unterschied zu Leo Scheffczyk“575. Casper zeigt dagegen, dass nach Ebner der Mensch „in der Sprache als in dem Gespräch“576 besteht. Das bedeutet, dass Sprache und Gespräch bei Ebner auch in einer Gemeinschaft von mehr als zwei Personen verstanden werden kann. Ich und Du sind in diesem Zusammenhang Variablen für mehrere mögliche Gesprächsteilnehmer577. Die Sprache ist für Ebner nicht nur ein Zwischen in einem konstruierten Fall, bei dem ein Gespräch zwischen 570 571 572 573 574 575 576

577

SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 123. Vgl. LUGMAYR, Gottes erstes Wort, 101. Vgl. CASPER, Das dialogische Denken, 237. Vgl. CASPER, Das dialogische Denken, 249. Vgl. CASPER, Das dialogische Denken, 251. LUGMAYR, Gottes erstes Wort, 102. CASPER, Das dialogische Denken, 223: „Dieses [die Sprache oder das Gespräch] ist das Zwischen, das sich zuschickt, indem es der Freiheit zweier oder mehrerer Partner bedarf und im Sich-Zuschicken die Wirklichkeit des Seins meiner selbst und deiner selbst eröffnet“. In diesem Zusammenhang spielt auch der Offenbarungsbegriff bei Ebner eine Rolle. Vgl. EBNER, Die Wirklichkeit Christi. In: Schriften. Erster Band. Fragmente. Aufsätze. Aphorismen. Posthum herausgegeben von Franz Seyr. München 1963, 531: „was wir Offenbarung nennen, kann im letzten Grunde nichts anderes als eine Erfahrung des Menschen sein, seine innere Erfahrung Gottes und seines Willens“. Das heißt laut Casper, dass alle Gespräche im Leben eines Menschen mit verschiedenen Gesprächsteilnehmern als ein Medium der Offenbarung verstanden werden können (Vgl. CASPER, Das dialogische Denken, 243).

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einem Ich und Du stattfindet. Sprache betrifft die Grundlegung der gesamten menschlichen Existenz, eines gesamten Lebens mit den verschiedensten Sprachvollzügen. Deshalb ist die Sprache auch die Voraussetzung der menschlichen Gesellschaft: „Sozietät im menschlichen Sinne ist nicht die Voraussetzung der Sprache, sondern hat selbst vielmehr diese, das in den Menschen gelegte Wort, zur Voraussetzung ihres Bestandes“578. Die Ausführungen Scheffczyks zu Ebners angeblicher Unterbewertung des mitmenschlichen Du könnten auf die Beschäftigung Scheffczyks mit Buber zurückgeführt werden. Gleichzeitig ist zu beachten, dass Scheffczyk die 1952 veröffentlichte Ausgabe des Werkes Das Wort und die geistigen Realitäten benutzt. Unter Umständen kannte Scheffczyk nicht alle weiteren posthumen Veröffentlichungen aus dem Nachlass Ebners. Trotz der hohen Bedeutung Ebners für Scheffczyks Personverständnis fällt aber auch auf, dass Scheffczyk nicht immer auf Ebner zurückgreift. In den schöpfungstheologischen Arbeiten Der moderne Mensch vor dem biblischen Menschenbild aus dem Jahr 1964, Die Welt als Schöpfung Gottes aus dem Jahr 1968 und Einführung in die Schöpfungslehre aus dem Jahr 1975 erwähnt Scheffczyk Ferdinand Ebner nicht. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Aber personalistische Theologie wurde von verschiedenen Theologen dieser Zeit betrieben579. Die Ähnlichkeit beinhaltet aber noch keine Genealogie. Das bedeutet, dass Scheffczyk bei Ebner Ausführungen finden konnte, die sich in hohem Maße mit seinen eigenen Vorstellungen deckten. Aber die Ausführungen Ebners können nicht als einziger Einfluss auf Scheffczyks Personverständnis verstanden werden. Es genügt nicht, die Würde des Mitmenschen und der Gemeinschaft sicherzustellen. Die Würde der ganzen Schöpfung muss berücksichtigt werden. 578

579

EBNER, Das Wort und die geistlichen Realitäten, 12 f. Aus diesem Grund ist für Ebner „eine menschliche Gemeinschaft […], in der das Vertrauen aufs Wort, die Gebundenheit an das einmal gesprochene Wort, die in jedem vorausgesetzt wird, bis auf den letzten Rest geschwunden wäre“ überhaupt nicht vorstellbar (EBNER, Versuch eines Ausblicks in die Zukunft. In: DERS., Schriften. Erster Band, 751 f.). Vgl. hierzu auch WUCHERERHULDENFELD, Augustinus Karl, Personales Sein und Wort. Einführung in den Grundgedanken Ferdinand Ebners. Wien 1985, 163: „So sehr mit Philologie [hier wörtlich als Liebe zum Wort zu verstehen] eine existentiell-persönliche und religiöse Einstellung des einzelnen Menschen gemeint ist, so ist sie doch nur konkret in ihrer kommunikativen, die zwischenmenschlichen Beziehungen im gesellschaftlichen Bereich grundlegenden Bedeutsamkeit. Daß überhaupt die gesellschaftliche und politische Dimension in Ebners ganzem Denken nicht nur latent gewesen ist, zeigt spätestens der vielsagende Titel ‚Versuch eines Ausblicks in die Zukunft [der Menschheit (Anmerkung von Wucherer-Huldenfeld)]’, den Ebner 1929 seiner Umarbeitung der ,Pneumatologischen Fragmente’ gegeben hat“. So legte beispielsweise 1973 Joseph Ratzinger das Werk Dogma und Verkündigung vor und versteht Person auch als Relation (RATZINGER, Dogma und Verkündigung, 210 ff). Außerdem wurde in der vorliegenden Arbeit bereits auf Scheffczyks Ausführungen zu Semmelroth und Volk hingewiesen: SCHEFFCZYK, Erfahrung der Theologie in der Zeit, 5.

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Denn der Schöpfungsbericht der Priesterschrift zeigt die Erschaffung der ganzen Schöpfung durch das Wort Gottes580. Deshalb muss die ganze Schöpfung in die personale Gottesbeziehung integriert werden. Der Gottesbezug des Menschen wird durch die materielle Welt vermittelt. Das ist kein Mangel, sondern höchste Konkretion und entspricht dem Menschen als leib-geistiger Einheit. Deshalb muss das göttliche, der Welt zugewandte Rufgeschehen zeitlich unbegrenzt und kontinuierlich verstanden werden. Das durch den Ruf Konstituierte wird durch den Ruf und die Anrede auch erhalten. So kann die Geschichtlichkeit des Menschen in den Personalismus integriert werden: Der Anruf Gottes begründet und erhält den Menschen in seiner geschichtlichen Verfassung und erreicht seine Vollendung in der eschatologischen Endgültigkeit. In der Christologie zeigt sich ein Spezialfall der personalen Beziehung zwischen Geschöpf und Wort Gottes581: Die Beziehung wird zur hypostatischen Union gesteigert. Wort und Antwort fallen hier zusammen. Deshalb wird erst in Jesus Christus das vollkommene Berufensein deutlich. Diese Überlegungen führen Scheffczyk zu dem Verständnis vom Menschen als „responsoriales Sein“582, denn Menschsein muss als Angerufensein und Antwort-sein verstanden werden. Dies soll in der folgenden Tabelle dargestellt werden583: Angerufensein

Antwortsein

Konstituiert eine rein formale Beziehung, ein

Konstituiert eine material-inhaltliche Beziehung als

personales Gegenübersein: Gott ruft jeden

Wort des Menschen auf Gott hin: Die Antwort auf

Mensch persönlich an.

Gottes persönlichen Anruf ist eine Freiheitsentscheidung jedes einzelnen Menschen.

„Die im Ruf Gottes

… muß zu einer

begründete

Bewegung des Menschen

Beziehung des

auf Gott hin, d.h. zu einer

Menschen zu

Antwort werden“

Gott…

(Scheffczyk, Glaube als Lebensinspiration, 127).

Konstitution

580 581

582 583

Konkretion

Vgl. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 123 f. „Der menschgewordene Logos ist nicht nur die totale und radikale Verlautbarung des Rufes Gottes an die Menschheit. Der Gottmensch ist in seinem Sein zugleich die vollkommene Offenbarung dessen, was Menschsein als Berufensein von Gott und für Gott besagt“, SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 125. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 126. Vgl. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 126 f.

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Wird das Menschsein als Angerufensein und Antwortsein verstanden, dann erklärt das nach Scheffczyk die gesamte Realität des Menschseins. Das gilt auch für die Beziehung des Menschen zu Gott: Da der Inhalt der göttlichen Anrede Gott selbst ist, muss die Antwort des Menschen Selbsthingabe implizieren. Das gilt für die Beziehung des Menschen zum Mitmenschen, denn die Antwort des Menschen an Gott führt in die geschöpflich soziale Wirklichkeit. Die geschöpfliche Wirklichkeit impliziert dann auch die Beziehung des Menschen zur gegenständlichen Welt. Ein mythisches Verständnis der Welt lehnt Scheffczyk ab. Sakralisierung der Weltzuwendung des Menschen und der Weltarbeit entsprechen nicht der Antwort des Menschen an Gott. Es geht um die innere Einheit von horizontaler und vertikaler Beziehung des Menschen. 1.3 Ergebnis Nach Scheffczyk ist der Kern des Humanum im Angerufensein des Menschen von Gott begründet. Der Anruf Gottes konstituiert den Menschen und macht ihn zu einem Abglanz der göttlichen Personalität. Dieser Kern des Humanum darf aber nicht von seiner Konkretion getrennt werden: Der Mensch muss auch als Antwortsein verstanden werden. Nur so erklärt sich zum Beispiel die Tatsache der Sünde als der Verweigerung der Antwort, als negative Antwort des Menschen zu Gott584. Diese Konkretion kann aber nur geschichtlich verstanden werden. Antwortgeben ist eine Tat des Menschen, die von Gott begründet und unterstützt wird. Das bedeutet: Die Antwort des Menschen an Gott ist die geschichtliche Selbstverwirklichung des Menschen. Statt von Personalität zu sprechen, könnte man deshalb auch von Responsorialität bei Scheffczyk sprechen585. Geschichtlichkeit und Personalität sind also so miteinander verbunden, dass die Personalität die Grundlegung des Menschseins, Geschichtlichkeit die Gestaltung des menschlichen Lebens erklärt. Beide Begriffe überschneiden sich dabei, denn Grundlegung des Menschseins kann nicht von der Gestaltung des Menschseins abgetrennt werden. Personalität und Geschichtlichkeit konstituieren eine Polarität im Sinn des katholischen sowohl – als auch. Für die Arbeitsweise der Theologie bedeutet das, dass die Theologie maßgeblich damit beschäftigt sein muss, die bleibende Wahrheit in ihrer geschichtlichen Konkretion zu entdecken und zu verstehen. Der Gottesbezug des Menschen wird durch den Anruf Gottes begründet und durch die materielle Welt und die menschliche Gesellschaft vermittelt. Deshalb hat die Theologie prinzipiell mit allen Lebensbereichen und mit allen Erfahrungen des Menschen zu tun. Soziale oder psychische Zustände der Menschen untersucht Scheffczyk zwar nicht eigens, aber die geschichtliche Selbstverwirklichung eines einzelnen 584 585

Vgl. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 127. Fußnote 22. Mündliche Mitteilung des Leiters des Leo-Scheffczyk-Zentrums in Bregenz P. Johannes Nebel FSO.

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Menschen und damit das Antwortsein auf den Anruf Gottes hängen natürlich auch von solchen Faktoren ab. Die Theologie müsste somit zu einer Art von Universalwissenschaft werden, die die ganze Schöpfung als Konkretion der personalen Wahrheit untersucht. Aufgabe der Theologie wäre demnach die Reflexion aller in der Schöpfung auffindbarer Gegebenheiten. Diese Arbeit ist erstens wegen des Arbeitsumfangs und wegen der ständig veränderten geschichtlichen Situation immer unvollendet. Und zweitens stellt diese Beschreibung der Theologie die Frage nach der Beziehung zwischen der Reflexion über die Offenbarung und der Reflexion aller in der Schöpfung auffindbarer Gegebenheiten. Diese Beschreibung der Theologie führt auch dazu, dass die Erkenntnis Gottes oder überhaupt die Möglichkeiten, von Gott zu sprechen, geklärt werden müssen. In einer Theologie, die die Gegebenheiten der Schöpfung reflektiert, kann eigentlich nicht nur die Sicherheit der Gotteserkenntnis beschrieben werden. Es müsste hier auch Glaubenszweifeln Rechnung getragen werden, da auch Zweifel den Stand der geschichtlichen Selbstverwirklichung eines Menschen anzeigen. Angesichts des Zweifels geht es also um die Frage, wie überhaupt von Gott gesprochen werden kann, wenn Gott der ganz Andere in Person ist. In der Theologie muss deshalb eine Sprachtheorie und eine Hermeneutik erarbeitet werden.

2. Scheffczyks Theorie theologischer Sprache und Hermeneutik In dem 1995 erschienenen Artikel Zum Problem der Sprache in der Theologie erklärt Scheffczyk, wie von Gott gesprochen werden kann: Aussagen über Gott sind möglich aufgrund der Analogie. So wird das Mysterium Gottes beibehalten und gleichzeitig werden wahre Aussagen über Gott gemacht586. Das analoge Sprechen von Gott ist gegenwärtig aber nicht problemlos, denn Voraussetzungen, um analog von Gott zu sprechen, sind Metaphysik und realistische Erkenntnistheorie. In der Gegenwart sind diese Voraussetzungen aber nicht mehr selbstverständlich. Außerdem wird die Sprache, die als eine Grundgröße personalistischer Theologie zu gelten hat, in traditionellen Untersuchungen zur Analogie zu wenig berücksichtigt. Wenn die Glaubenskrise des 20. Jahrhunderts von „vielen als Sprachkrise gedeutet“587 wird, dann muss das in der Theologie zu einer Auseinandersetzung mit Sprache und Hermeneutik führen: 586

587

Vgl. SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie. In: FILA, B. / ERDÖ, P. (Hrsg.), Teológus az Egyházban. Emlékkönyv Gál Ferenc 80. születésnapja alkalmából. Studia Theologica Budapestinensia 12. Budapest 1995, 133ff. SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 138. Scheffczyk widerspricht an dieser Stelle Rudolf Bultmann: Reden von Gott kann nur als Reden vom Menschen möglich sein (Bultmann, Glauben und Verstehen, 33). Die Theologie darf nach

177

„Die Hermeneutik aber konzentriert ihr bemühen [sic!] auf das Verstehen der Botschaft unter den Bedingungen einer gänzlich auf das geschichtliche Dasein des Menschen bezogenen Welt, in die auch die Offenbarungswahrheit eingefügt werden, d.h. dem Weltund Selbstverständnis des Menschen zugeordnet werden muß. Dabei werden die Sprache und der sprachliche Ausdruck weniger beachtet als das von ihnen Gemeinte und der auf die Existenz des Menschen bezogene Sinngehalt“588.

Aufgabe der Hermeneutik ist also, das Gemeinte oder die Intention eines Textes verständlich zu machen. Das gilt auch für die Offenbarungswahrheit. Als bleibende Wahrheit ist sie unveränderlich. Dennoch ist die Offenbarung in der Geschichte ergangen und wird von geschichtlich verfassten Menschen aufgenommen und weitergegeben. Hermeneutik zu betreiben heißt, die Offenbarungswahrheit der geschichtlichen Selbstverwirklichung des Menschen zuzuordnen, also den Menschen verständlich zu machen. Man könnte deshalb auch sagen, dass Hermeneutik für Scheffczyk innerhalb der Polarität von Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit funktioniert. Während die Theologie aber damit beschäftigt ist, die bleibende Wahrheit in ihrer geschichtlichen Konkretion zu entdecken und zu verstehen – es muss also ein Kontakt mit Wahrheit bestehen –, untersucht die Hermeneutik nur den Sinn und die Intention eines Textes. Deshalb kann sich die Hermeneutik der bleibenden Wahrheit immer nur annähern. 2.1 Theologische Sprache In der theologischen Sprache sollen wahre Aussagen über Gott gemacht werden. Die Theologie wird dieser Aufgabe gerecht, wenn sie sich als „Gleichnisrede von Gott“589 versteht. Diese Gleichnisrede von Gott hat große Bedeutung für den Menschen, denn der Mensch existiert schließlich aufgrund des Anrufs Gottes und verwirklicht sein Leben in einer ganzheitlichen Antwort an Gott. Die Gleichnisrede von Gott eliminiert deshalb auch nicht die anthropologische Dimension der Theologie und sie verobjektiviert Gott nicht, weil die Aussagen analogen Charakter haben. Scheffczyk gibt eine objektive und eine subjektive theologische Begründung590 für die Theologie als Gleichnisrede von Gott:

588 589

590

Scheffczyk nicht aufhören, über Gott zu sprechen. Glaubensaussagen sind nicht nur Aussagen über den Menschen und seine Befindlichkeit. Theologie ist auch „sermo sive ratio de Deo“ (SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 141). Wenn die Theologie aber auch Vernunftrede von Gott ist, dann kommt dem Phänomen der Sprache eine besondere Bedeutung zu. Schließlich ist es die Sprache, durch die analoge Aussagen über Gott gemacht werden. SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 138. SCHEFFCZYK, Der Gott der Offenbarung. Gotteslehre. In: SCHEFFCZYK, Leo / ZIEGENAUS, Anton (Hrsg.), Katholische Dogmatik. Band 2. Aachen 1996, 85. Vgl. SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 144f. „Das angebliche Verbot, über Gott direkte Aussagen zu machen, erweist sich auch als gegenstandslos,

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Objektive theologische Begründung

Subjektive theologische Begründung

Aus der Analogie der Schöpfung zu Gott heraus kann

Aus dem geschenkten Glauben heraus kann die

Gleichnisrede von Gott betrieben werden.

Theologie als Gleichnisrede legitim sprechen.

Grundlage: Analogia entis

Grundlage: Analogia fidei

Scheffczyk kennzeichnet die subjektive theologische Begründung nicht als subjektive Meinung. Subjektiv besagt hier, dass es um den Glauben geht, der der menschlichen Person, einem Subjekt, geschenkt ist. Objektiv heißt, dass es um etwas Gegenständliches geht, eben um die Schöpfung Gottes, die – im Gegensatz zu Gott – im Erkenntnisakt verobjektiviert werden kann. Die analogia entis und die analogia fidei begründen somit die Berechtigung der Theologie, wirkliche und wahre Aussagen über Gott zu machen. Und zwar von der Welt der Gegenstände her (analogia entis) und von der Welt der Subjekte und des Glaubens her (analogia fidei)591. Theologische Aussagen sind aber auch in der analogia entis mit dem Glauben verbunden, denn der Glaube an Gott ist in der Geschichtlichkeit und im Personalismus Grund gelegt: Glaube ist in diesem Zusammenhang als Angesprochensein und Antwortgeben des Menschen von Gott her zu verstehen, aber auch nicht identisch mit der personalen Dimension des Antwortgebens an Gott. Gleichnis- oder Bildrede ist für jede religiöse Sprache grundlegend. Religiöse und wissenschaftlich-theologische Sprache sind also aufeinander bezogen, müssen aber auch voneinander unterschieden werden. Durch ihre Fachsprache darf die Theologie nicht vom Glaubensleben isoliert werden, eine übertrieben elaborierte Fachsprache gilt es zu vermeiden. Ansonsten wäre der Bezug zum Glauben nicht mehr erkenntlich. Entscheidend für die wissenschaftlichtheologische Sprache sind: a) eine die Wirklichkeit treffende Semantik. Was von Gott ausgesagt ist, muss auch wirklich eine Bedeutung und eine reale Grundlage haben. b) Die Pragmatik: Die Sprache der Theologie muss auf eine Handlung bezogen sein592. Und c) die Geschichtlichkeit: Die theologische Sprache muss auf die gegenwärtige Zeit bezogen sein.

591

592

wenn diese Aussagen aus dem Glauben kommen, der als personaler Akt immer auf die Person Gottes geht und somit in der dauernden Relation zu Gott steht“, hier 145. Dabei kann Gott nicht verobjektiviert werden: „Für den christlichen Glauben war der ‚persönliche Gott’ immer der Dreieinige. Damit war die Personvorstellung von vornherein in das Geheimnis einer ‚Überpersonalität’ gehoben, in dem die Grenzen des Personalen eingeschränkt und positiv aufgehoben wurden“ SCHEFFCZYK, Gott-loser Gottesglaube? Grenzen und Überwindung der nichttheistischen Theologie. Regensburg 1974, 232. Scheffczyks Pragmatik ist hier semiotisch zu verstehen. Thomas Zoglauer erklärt die semiotische Pragmatik in seiner Einführung in die formale Logik für Philosophen folgendermaßen: „Jeder Umgang mit Zeichen stellt eine Handlung dar. Durch Sprachakte möchte ein Sprecher seinem Gesprächspartner etwas mitteilen oder ihn zu einer Handlung auffordern“ (ZOGLAUER, Thomas, Einführung in die formale Logik für Philosophen. UTB

179

In der religiösen Sprache wird der in der Glaubenserfahrung erfasste „Gegenstand“593 zum Ausdruck gebracht. Das geschieht nach Scheffczyk a) im Bekenntnis, b) im Zeugnis, c) in der Mission und d) in performativer Weise594. Pragmatik beziehungsweise Performativität thematisieren dabei jeweils den handlungsbezogenen Aspekt der Sprache. Die Bereicherung des Glaubenslebens ist somit auch ein Ziel der wissenschaftlichen Theologie. Die religiöse Sprache geht der wissenschaftlich-theologischen Sprache voraus, weil Theologie ohne Glauben unmöglich ist. Religiöse Sprache und theologische Sprache besitzen beide Aussagecharakter, denn in der Liturgie werden im Lobpreis und im Bekenntnis objektsprachliche Aussagen beispielsweise über die Trinität gemacht. Der Aussagecharakter der religiösen Sprache ist „einschlußweise und konnotativ“595. Der Aussagecharakter der theologischen Sprache ist hingegen formell und ausdrücklich. Vor allem aufgrund der Rezeption der Philosophie in der Theologie bildet sich eine Fachsprache aus. Eindeutige Vorrangstellung muss aber der Offenbarung zukommen, die durch philosophische Konzepte adäquat ausgesagt werden muss. Innerhalb der Beziehung zwischen religiöser und wissenschaftlich-theologischer Sprache bevorzugt die religiöse Sprache die metaphorische Rede. Die theologische Sprache bevorzugt die Analogie. Für die Metapher gilt, dass Symbole oder Chiffren auf das Bezeichnete hinweisen, ohne „ohne den Anspruch [zu] erheben, einen gemeinsamen Wesensgehalt zu treffen“596. Im Gegensatz dazu erhebt die Analogie diesen Anspruch. Würde das Konzept von Metapher in die Theologie übertragen, dann würde das dem erkenntnistheoretischen Realismus nicht gerecht werden.

593 594

595 596

1999. Göttingen 2005, 11). In der Pragmatik zeigt sich deshalb die soziale und kommunikative Funktion der Sprache, auch der theologischen. SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 146. Vgl. ebd. Das Wort „performativ“ ist in diesem Zusammenhang ebenso zu verstehen, wie das Wort „Pragmatik“: Es geht hier um eine Handlung, um ein Geschehen, um die soziale und kommunikative Komponente der Sprache im Gegensatz zum Informationscharakter der Sprache. Scheffczyk greift hier auf einen Begriff von John Langshaw Austin zurück, den Begründer der Sprechakttheorie. Austin gebraucht den Begriff „Performativum“ in seinen späteren Ausführungen allerdings nicht mehr, weil performative Sprechakte auf konstative Sprechakte zurückgeführt werden können. Außerdem haben konstative Äußerungen wie eine Antwort zum Teil auch performativen Charakter (Vgl. LORENZ, Kuno, Performativum. In: Mittelstraß, Jürgen (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 3. Stuttgart 22004, 85). SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 148. SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 150.

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Religiöse Sprache

Wissenschaftlich-theologische Sprache

Gott wird zum Ausdruck gebracht:

Von der theologischen Fachsprache wird

- im Bekenntnis

gefordert:

- im Zeugnis

- Wirklichkeit treffende Semantik

- in der Mission

- Pragmatik

- im performativen Sprechakt

- Geschichtlichkeit Aussagecharakter

einschlussweise und konnotativ Metaphorisches Sprechen

formell und ausdrücklich Analogie

Offenbarung: Schrift und Tradition: Die personale, worthafte Beziehung zwischen Gott und Mensch kann sowohl natürlich-geschöpflich, als auch übernatürlich-gnadenhaft verstanden werden597. Denn personale Beziehung des Menschen zu Gott ist in der Schöpfung Grund gelegt und diese personale Beziehung kennzeichnet auch die Offenbarung Gottes598. Die Offenbarung beansprucht und aktiviert damit die geschöpflich vorgegebene Realität des Menschen. Entscheidend für die Aufnahme des Gotteswortes ist für Scheffczyk aber die menschliche Sprache599. Erst im Menschenwort wird die Offenbarung Gottes für den Menschen verständlich. Die Offenbarung hat deshalb geschichtlich-menschlichen Charakter. Das bedeutet, 597

598

599

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 56: „Bei all dem hält sich Gott an die von ihm selbst gesetzte Ordnung, nach der das Übernatürlich-Gnadenhafte niemals das NatürlichGeschöpfliche außer Kurs setzt oder gar zerstört, sondern es beansprucht und aktiviert“. Während das Wort übernatürlich in der gegenwärtigen Theologie nur selten benutzt wird (Vgl. FIGURA, Michael, Übernatürlich. In: KASPER, Walter u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche. LThK3 X. Freiburg 2001, 337 f.), benutzt Scheffczyk dieses Wort immer wieder (Vgl. SCHEFFCZYK, Entschiedener Glaube – befreiende Wahrheit. Ein Gespräch über das Katholische und die Kirche mit Peter Christoph Düren. Buttenwiesen 2003, 8; DERS., Die Theologie und die Wissenschaften. Aschaffenburg 1979, 246 f.; DERS., Die Theologie und die Wissenschaften, 304 f.). Scheffczyk bezieht hier das Übernatürliche auf das Transzendente, die Offenbarung und das Heil. Die Polarität von Natur und Übernatürlichem ist bei Scheffczyk mit der bei anderen Theologen häufiger gebrauchten Redeweise von der Polarität von Natur und Gnade gleichzusetzen. Vgl. SCHEFFCZYK, Von der Heilsmacht des Wortes, 22: „Von der Worthaftigkeit des menschlichen Seins ausgehend, wird die fundamentale Offenbarung ein personaler Anspruch an den Menschen; […] Im Medium des Wortes betrachtet, kann die Schöpfung des Menschen als naturhafte Begründung des Dialogs zwischen dem geistigen Geschöpf und dem Schöpfer verstanden werden; die Erlösung als Wiederaufnahme des Gesprächs des Menschen mit dem Gott der erbarmenden Liebe“. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 57 ff. In der Sprache des Menschen konvergieren deshalb alle Vorstellungen, Bilder, Gedanken und Erfahrungen des Menschen. Die Offenbarung weist immer die „inkarnatorische Einheit von ‚Gotteswort’ im ‚Menschenwort’“ (Dogma der Kirche, 57) auf.

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dass das Wort Gottes für Menschen nur in seinem „geschichtlichen Kontext“600 erfahrbar ist. Das Wort Gottes ist aber von seinem geschichtlichen Kontext nicht einfach ablösbar. Scheffczyk überträgt die christologische Formel von Chalzedon auf die inkarnatorische Einheit von Gotteswort im Menschenwort. Das Wort Gottes und der geschichtliche Kontext, der das Menschenwort prägt, sind unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und ungesondert. Das heißt, das Offenbarungswort hat einen Ort in der urchristlichen Gemeinde, nämlich die geschichtlichen Umstände des Offenbarungsempfängers. Gleichzeitig ist das Wort Gottes im menschlichen Wort auffindbar. Die Verbindung ist charakterisiert als Immanenz bei gleichzeitiger Transzendenz. Das bedeutet, dass man in der Heiligen Schrift das Gemeinte (Gotteswort) in dem Gesagten (Menschenwort) auffinden muss. Und an dieser Stelle setzt die Arbeit der Hermeneutik ein. Da in der Heiligen Schrift die „sogenannte ‚ipsissima vox’ der Propheten, aber auch Jesu und selbst der Apostel nicht erhalten“601 sind, müssen zwei zeitlich getrennte Stadien unterschieden werden: a) der personale Anruf des Offenbarungsempfängers durch Gott, beziehungsweise die Entwicklung des Verständnisses für das Wort Gottes im geschichtlich verfassten Menschen. Und b) die Niederschrift zu einem späteren Zeitpunkt. Das heißt „die reine Wortoffenbarung [muss] der schriftlichen Fixierung vorausgehen“602. Da der Heiligen Schrift die höchste Autorität zukommt, muss sich sachlich sowohl die Kirche als auch die mündliche Tradition der Heiligen Schrift beugen. Die Heilige Schrift ist somit die erstrangige Instanz „allen hermeneutischen Bemühens um das Verständnis der Offenbarung und des Glaubens“603. Und: die Heilige Schrift ist menschlichem Zugriff weitestgehend entzogen, sie ist schrift600 601 602

603

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 58. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 63. Ebd. Gründe für die schriftliche Fixierung der Wortoffenbarung sind: a) ein rein mündliches Traditionsprinzip bietet weniger Sicherheit als die schriftliche Fixierung. Und b) die schriftliche Fixierung erzeugt ein Gegenüber der Kirche, eine Ur-kunde (SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 64 f). Die Heilige Schrift bietet deshalb ein normatives Gegenüber, das der Kirche das Festhalten an ihrem Ursprung ermöglicht. Probleme der schriftlichen Fixierung der Wortoffenbarung: a) die zeitliche Distanz zwischen der Wortoffenbarung und der Niederschrift. Scheffczyk antwortet mit dem Hinweis auf die Inspiration der Hagiographen und ergänzt: der Hagiograph ist mit der werdenden Kirche verbunden. Gleichzeitig leben Augen- und Ohrenzeugen in der ersten und zweiten Generation der frühen Christen. Damit ist für Scheffczyk Kontinuität zwischen der Wortoffenbarung und der schriftlichen Fixierung gewährleistet. b) Der mangelnde Anredecharakter der schriftlichen Fixierung. Scheffczyk erklärt aber auch, dass die Heilige Schrift aus der persönlichen Anrede Gottes entstammt (Wortoffenbarung) und „auf die lebendige Verkündigung in der Gemeinde ausgerichtet ist“ (SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 68). SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 69.

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lich fixiert. Da aber die ipsissima vox Jesu nicht erhalten ist, kann der Glaube der Christen nicht auf die ipsissima vox Jesu verpflichtet sein, „wohl aber auf das Wort des ‚biblischen Christus’“604. Das Zueinander von Gotteswort und Aussage der Heiligen Schrift kann nach Scheffczyk nur inkarnatorisch beziehungsweise sakramental verstanden werden. Die im Menschenwort ergangene Offenbarung (Wortoffenbarung) und die im schriftlichen Menschenwort bezeugte Offenbarung (Heilige Schrift) sind geschichtlich. Durch die inkarnatorische Einheit von Gotteswort und Menschenwort in der Heiligen Schrift kann das Gotteswort in der Heiligen Schrift nicht vollständig ausgesagt werden. Gotteswort ist „immer neuer Ausgestaltung bedürftig“605. Das menschliche Moment der Heiligen Schrift ist an eine geschichtliche Situation gebunden. Sobald sich die geschichtliche Situation ändert, benötigen Menschen auf einem geänderten geschichtlichen Selbstverwirklichungsniveau neue Eingestaltungen des Göttlichen für die neue geschichtliche Situation. Die Heilige Schrift zeigt sowohl hohe Normativität, als auch ein hohes Maß an Dynamik, die relativ Neues im Gegensatz zum absolut Neuen jeder Zeit ermöglicht. Die Überlieferung der Heiligen Schrift, die Tradition, hat objektiv nur interpretativen Charakter. Es geht nicht mehr um etwas Neues. Es geht um eine geschichtliche Neuaussage der bleibenden Wahrheit. Subjektiv, vom gläubigen Menschen aus, kann von dieser Überlieferung „etwas Neues bezüglich der Schrift“606entdeckt werden. Die Überlieferung trägt die Heilige Schrift aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Deshalb ist die Tradition Auslegungsprinzip der Heiligen Schrift. Dieses Prinzip verhindert subjektivistische Verengungen und verhindert eine wie auch immer gedachte Unmittelbarkeit des Menschen zu der in der Heiligen Schrift ausgedrückten Wahrheit. Als Auslegungsprinzip ist die Tradition der Heiligen Schrift sachlich untergeordnet, gnoseologisch aber vorgeordnet607. Der lebendigen Überlieferung kommt deshalb auch Normativität zu.

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607

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 71. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 86. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 87. Vgl. auch SCHEFFCZYK, Tradition und Weihevorbehalt, 120. f.: „das Ganze des von den Aposteln übermittelten Gotteswortes [ist] sowohl in der mündlichen Überlieferung als auch in der inspirierten Heiligen Schrift gegeben […] in jeder der beiden Formen [ist] zwar das Ganze enthalten, aber doch nicht in der gleichen Weise ausgesagt“. Vgl. Scheffczyk, Dogma der Kirche, 91 f.

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Dogma und Geschichtlichkeit Innerhalb der Überlieferungsgeschichte (Tradition) hat das Dogma eine herausragende Stellung: Das Dogma ist ein „Wachstumsknoten“608 in dem geschichtlichen Organismus der Tradition. Das bedeutet, ein Dogma darf nicht isoliert verstanden werden. Nach Scheffczyk ist sogar der Begriff Dogmengeschichte missverständlich, weil man eben nicht ein Dogma aus einem anderen logisch ableiten kann. Ein Dogma muss vielmehr in der Überlieferungsgeschichte und in seiner inneren Verbindung zur Heiligen Schrift verstanden werden. Entscheidend sind also die geschichtliche Verfasstheit und die Schriftgemäßheit des Dogmas. Spuren von Wachstumsknoten der Überlieferung finden sich schon in der Heiligen Schrift: die Bekenntnisformeln des Neuen Testaments. Die verschiedenen Bekenntnisformeln haben mindestens zwei Gemeinsamkeiten: a) die notwendige Verpflichtung des Gemeindelebens auf das „Dogma“, also auf die Lehre der Apostel. Und b) die Bezeugung des Glaubens vor Gott und den Menschen609. Die Bekenntnisformeln sind Vorbereitungen dessen, was später in der Kirche Dogma genannt wird. Für das Dogma bedeutet dies wiederum: Ein Dogma ist nichts der Geschichtlichkeit Enthobenes. Das Dogma ist „tief in die früheste Überlieferung eingebettet“610. Überlieferung, Dogma und Heilige Schrift bilden deshalb für Scheffczyk eine Einheit. Innerhalb der Überlieferung entsteht die Autorität der Kirche aus der Autorität der Apostel. Die Autorität der Kirche hat eine diakritische Funktion: die Kirche unterscheidet zwischen wahrer und falscher Lehre, beziehungsweise in der geschichtlichen Situation der Gegenwart zwischen wahrer und falscher Interpretation der Heiligen Schrift. Diese gnoseologische Autorität ist in der Menschwerdung Christi begründet und der darin ergangenen eschatologischen Heilszusage Gottes an die Menschheit. Der Unfehlbarkeitsanspruch der Kirche darf also nicht unangemessen gesteigert werden, er ist für Scheffczyk die Konsequenz des eschatologischen Bundes Gottes. Aus der Schriftgemäßheit und der geschichtlichen Verfassung des Dogmas folgen für Scheffczyk einige Motive oder Strukturen des kirchlichen Dogmas611:

608 609

610 611

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 94. Scheffczyk erwähnt darüber hinaus verschiedene literarische und stilistische Eigenarten der Bekenntnisformeln. Besondere Bedeutung haben für Scheffczyk in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Heinrich Schlier zu den so genannten Präsymbola im Neuen Testament. Scheffczyk verweist besonders auf: SCHLIER, Kerygma und Sophia. Zur neutestamentlichen Grundlegung des Dogmas. Die Zeit der Kirche, Freiburg 1955, 205-231. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 97. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 101-105.

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Motiv

Erklärung

Antihäretisch-eristisches

Das Dogma ist gegen Häresien gerichtet zur Artikulierung des von Gott

Motiv

geschenkten und von den Aposteln überlieferten Glaubens.

Konfessorisches Motiv

Das Dogma wird in der Liturgie zum Bekenntnis des eigenen Glaubens verwendet.

Hermeneutisches Motiv

Das Dogma ist ein Wachstumsknoten im Entwicklungsprozess eines tieferen Schriftverständnisses.

Doxologisches Motiv

Das Dogma ist ein Lobpreis Gottes.

Die verschiedenen Motive oder Strukturen zeigen die Verbindung des geschichtlichen Dogmas mit der Heiligen Schrift auf: Das antihäretischeristische Motiv des Dogmas zeigt, dass Dogmen gegen Häresien gerichtet sind, die sich selbst auf die Heilige Schrift berufen. Die Heilige Schrift kann in diesem Falle ihre normative Funktion nicht ausüben. Denn die Häresie entsteht auf einem anderen geschichtlichen Selbstverwirklichungsniveau als dem des Hagiographen. Die konkreten Probleme und Schwierigkeiten späterer Zeiten können aufgrund der menschlichen Komponente der Heiligen Schrift nicht immer vollständig erklärt werden. Mit dem antihäretisch-eristischen Motiv ist das hermeneutische Motiv eng verbunden. Auch hier geht es um die Aktualisierung des Schriftwortes im Kontext einer veränderten geschichtlichen Situation. Das doxologische und konfessorische Motiv bringen jeweils ein Bekenntnis oder einen Lobpreis Gottes zum Verstehen. Denn Bekenntnis und Lobpreis beinhalten immer auch ein Lehrelement, das mit ausgesagt wird. Auch hier wird Glaube zum Verstehen gebracht. Ein Dogma ist deshalb die „Aktualisierung des Schriftwortes für die neue Situation und für das epochale Glaubensverständnis“612. Oder anders ausgedrückt: das Ziel des Dogmas ist immer Modernität. Diese Modernität gilt natürlich nur für die jeweilige geschichtliche Epoche. Eine andere geschichtliche Epoche muss diese Modernität erst wieder entdecken und zugänglich machen. Und das ist Aufgabe der Hermeneutik. Ergebnis Die Untersuchung theologischer Sprache dient also bei Scheffczyk hauptsächlich dazu, aufzuzeigen, dass über Gott gesprochen werden kann und dass in der geschichtlich verfassten Sprache bleibende Wahrheit aufgefunden werden kann. Seine Erklärung ist besonders von der Analogielehre bestimmt: Aufgrund der Ähnlichkeit der Schöpfung mit dem Schöpfer (analogia entis) und auf der Grundlage des Glaubens (analogia fidei) kann von Gott gesprochen werden. Theologie funktioniert deshalb als Gleichnisrede von Gott. Grundlage seiner Auseinandersetzung mit der Analogie ist der Personalismus. Der Mensch 612

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 103.

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steht sowohl natürlich-geschöpflich (Grundlage für die analogia entis) als auch übernatürlich-gnadenhaft (Grundlage für die analogia fidei) in personaler Beziehung zu Gott. In der Heiligen Schrift wird die übernatürlich-gnadenhafte Anrede Gottes auf dem geschichtlichen Selbstverwirklichungsniveau des Hagiographen sprachlich fixiert. Die Tradition der Kirche vermittelt die Heilige Schrift an nachfolgende Generationen in anderen geschichtlichen Situationen. In Auseinandersetzungen mit Häresien, aber auch zum Lobpreis Gottes, entstehen in dieser Tradition Wachstumsknoten, die Dogmen, die das vom Hagiographen ausgedrückte Gotteswort auf einem neuen geschichtlichen Selbstverwirklichungsniveau verbindlich ausdrücken. Scheffczyk selbst hatte in seinen Untersuchungen erklärt, dass die Voraussetzungen der Analogielehre (Metaphysik und realistische Erkenntnistheorie) gegenwärtig nicht mehr gegeben sind. Deshalb versucht er eine Art von Neubegründung der Analogielehre auf der Basis des Personalismus. Damit kann er sich auch größtenteils aus der Metaphysik heraushalten, gleichzeitig muss er aber auf die realistische Erkenntnistheorie zurückgreifen; es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass er eine neue Erkenntnistheorie entwickeln würde. Problematisch ist dabei vor allem, dass Scheffczyks ganze Theologie nach Hauke auf dem erkenntnistheoretischen Realismus beruht, Scheffczyk aber gleichzeitig erklärt, dass die realistische Erkenntnistheorie nicht mehr zu den „verbindlichen Voraussetzungen“ 613 der Gegenwart gehört. Aber nicht nur das, wegen seiner Erklärung, auf der Grundlage der Analogie können wahre Aussagen über Gott gemacht werden, muss Scheffczyk eigentlich auch erklären, was er unter Wahrheit versteht. Aufgrund dieser Schwierigkeiten kommt Scheffczyk zu einer Umformulierung der Analogielehre, er spricht von der inkarnatorischen Einheit von Gotteswort im Menschenwort. In der Theologie muss deshalb diese inkarnatorische oder sakramentale Einheit von Gotteswort und Menschenwort in der Heiligen Schrift und in den Dogmen untersucht werden. 2.2 Hermeneutik Die Offenbarung Gottes als Anrede des Menschen von Gott ist ohne personale Sprachlichkeit und Geschichtlichkeit nicht vorstellbar. Das Wort Gottes kann deshalb in der Geschichte verstanden werden. Scheffczyk weist zum wiederholten Mal auf die Gefahr hin, dass ein rein geschichtliches Verständnis des Wortes Gottes zu einer Relativierung der bleibenden Wahrheit führen kann614. Im Grunde genommen weist diese Position wiederum auf die Gefahr eines unausgeglichenen Verhältnisses der beiden Polaritäten Geschichtlichkeit 613 614

Vgl. SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 133. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Auslegung der Heiligen Schrift als dogmatische Aufgabe. In: AA.VV., Was heißt Auslegung der Heiligen Schrift? Regensburg 1966, 140.

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und bleibender Wahrheit hin. Deshalb wird die Hermeneutik an dieser Stelle interessant. Die Aufgabe der Hermeneutik ist es aber, das Gemeinte in dem Gesagten aufzufinden. Demnach müsste es für das hermeneutische Vorgehen auch möglich sein, Mittel und Wege zu finden, um das Gemeinte (Gotteswort) im Gesagten (Menschenwort) ansatzweise verstehen zu können. Exegese und Dogmatische Schriftauslegung Gotteswort und Menschenwort sind nach Scheffczyk inkarnatorisch oder sakramental miteinander verbunden. Deshalb versteht Scheffczyk die Exegese als eine hermeneutische Wissenschaft, denn es geht in der Exegese um den Aufweis des Gemeinten in dem Gesagten, um das Freilegen der „göttlichen Sache“615 im menschlichen Wort der verschiedenen Hagiographen. Die Exegese muss für Scheffczyk historisch-kritisch arbeiten, sonst verliert sie ihren Charakter als Wissenschaft616. Die Exegese muss schließlich das Menschenwort untersuchen, „in dem Gotteswort ergangen ist“617. Entscheidend ist dabei, dass die Exegese in einer gläubigen Grundhaltung betrieben wird. Der Glaube ist für den Exegeten ein Vorverständnis „für die Textinterpretation, die die historischkritische sein muß“618. Der Exegese kommt keine Normfunktion für den Glauben zu. Die Exegese leistet also weder eine Begründung noch eine Widerlegung des Glaubens, denn sie nähert sich dem Gotteswort nur approximativ, weil sie sich hauptsächlich mit dem Menschenwort beschäftigt, das Gotteswort ist aber nur inkarnatorisch im Menschenwort zugänglich. Eine Aufgabe der Exegese besteht deshalb darin, die Relativierung des Wortes Gottes, das sakramental mit dem menschlichen Wort verbunden ist, zu verhindern. Diese Aufgabe ist ohne den kirchlichen Glauben des Exegeten nicht zu bewältigen619. 615 616 617

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619

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 72. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 72 f. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 73. Neuere exegetische Arbeitsweisen wie beispielsweise New Literary Criticism oder die Kanonische Schriftauslegung (Vgl. OEMING, Manfred, Biblische Hermeneutik. Eine Einführung. Die Theologie. Einführungen in Gegenstand, Methoden und Ergebnisse ihrer Disziplinen und Nachbarwissenschaften. Darmstadt 1998, 70-82) erwähnt Scheffczyk nicht. Es kann aber angenommen werden, dass Scheffczyk neue exegetische Zugänge nicht ablehnt, solange sie der hermeneutischen Aufgabenstellung entsprechen. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 73. „Der Exeget kann dieses Gemeinte, das heißt das göttliche Selbstwort, eben nur freilegen, es aber mit menschlich-wissenschaftlichen Mitteln nicht einfangen und mit Glaubensgewißheit fixieren“, SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 76. Vgl.: SCHEFFCZYK, Die ontologischen und dogmatischen Vorgegebenheiten der existentialen Schriftinterpretation. In: HOFFMANN, Fritz / SCHEFFCZYK, Leo / FEIEREIS, Konrad (Hrsg.), Sapienter ordinare. Festgabe für Erich Kleineidam. Erfurter Theologische Studien, Band 24. Leipzig 1969, 143: „Ein nichtchristlicher Philologe, mag er auch mit allen Kenntnissen und Fähigkeiten seines Faches ausgestattet sein, würde aus

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Der Wissenschaftscharakter der Exegese stellt die historisch-kritische Arbeit der Exegese sicher. Dadurch wird die Exegese hermeneutische Wissenschaft. Das Vorverständnis der Exegeten stellt die Lektüre und Erklärung der Bibel im Licht des Glaubens der Kirche sicher. Dabei ist der Glaube der Kirche für die Exegese „keine innere und positive Norm“620. Sonst wäre die Exegese nur Dogmatik in einer anderen Form. Der Glaube der Kirche ist für die Exegese „die Bedingung der Möglichkeit für die heilshaft-gläubige Interpretation der Schrift“621. Das bedeutet: Ohne den Glauben der Kirche kann der Exeget die Heilige Schrift nicht „gläubig-erkennend“622 auslegen. Für die Exegese stellt sich damit aber die Frage, ob wirklich nur das gläubige Vorverständnis, also die subjektive Kirchlichkeit der einzelnen Wissenschaftler die Exegese zu einer theologischen Wissenschaft macht, oder ob hier nicht auch wissenschaftstheoretische Merkmale genannt werden müssten. Scheffczyk kann auch die Arbeitsweise der Exegese nicht ganz erklären. Er kann beispielsweise nicht darlegen, warum Biblische Archäologie von Interesse für die Exegese ist oder, warum man sich bei der Exegese des Alten Testaments auch für Altorientalistik zu interessieren hätte. Bei diesen Arbeitsbereichen der Exegese geht es – in der Terminologie Scheffczyks – darum, das gesagte Menschenwort biblischer Texte besser in seinem geschichtlichen Kontext zu verstehen, nicht aber in erster Linie um den Aufweis des Gemeinten im Gesagten. Der Glaube der Kirche ist innere und positive Norm für die dogmatische Schriftauslegung, die nämlich vom Dogma ausgeht623. Die Dogmatik kann weder von der Heiligen Schrift, noch von der Tradition oder dem Dogma getrennt werden. Die Dogmatik darf aber das Dogma nicht in die Schrift hineintragen. Das würde erstens bedeuten, dass die normierende Funktion der Heiligen Schrift außer Kraft gesetzt wird. Und zweitens, dass ein späterer geschichtlicher Ausdruck des Gotteswortes (das Dogma) dem geschichtlichen

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der biblischen Urgeschichte niemals eine Schöpfung herauslesen […] Das ist überhaupt nur möglich, weil der christliche Schrifterklärer dieses Buch aus der Hand der Kirche empfängt und es in ihrem Geiste wie im Lichte ihres Glaubens liest“. Hier stellt sich aber die Frage, wie ein nichtchristlicher Philologe den Satz „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (Gen 1,1) sonst verstehen sollte. Es sind verschiedene Sachverhalte, ob ein Philologe diesem Satz keine reale Grundlage zuschreibt, oder ob er oder sie die Fähigkeit hat, zu zeigen, dass ein Text in die Gattung der Schöpfungsberichte einzuordnen ist. Ebd. Ebd. Ebd. Für den Glauben der Kirche gilt nach Scheffczyk, was auch für die Tradition gilt: Als Auslegungsprinzip sind der Glaube der Kirche und die Tradition der Heiligen Schrift sachlich untergeordnet, gnoseologisch aber vorgeordnet. Hier zeigt sich auch der bedeutendste Unterschied zur dogmatischen Schriftauslegung: Für den Dogmatiker ist der Glaube der Kirche die innere und positive Norm. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogmatik. In: NEUHÄUSLER, Engelbert / GÖSSMANN, Elisabeth (Hrsg.), Was ist Theologie? München 1966, 200.

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Ausdruck des Gotteswortes in der Heiligen Schrift vorgezogen würde. Die Präsymbola des Neuen Testaments zeigen, dass das Dogma „der Schrift nicht nur nachfolgt, sondern ihr in einem gewissen Sinne auch vorausgeht und dann in die Schrift eingeht“624. Deshalb ist es nach Scheffczyk möglich, das Dogma auf die Heilige Schrift zurückzuführen625. Gemeint ist hier, dass die bleibende Wahrheit des Gotteswortes, die von der Heiligen Schrift und vom Dogma menschlich ausgesagt wird, auch die Verbindung von Heiliger Schrift und Dogma ermöglicht. Das Dogma bringt aber Gotteswort in einer anderen Sprache als die Heilige Schrift. Das Dogma ist an eine andere Denkform angepasst als die geschichtliche Sprache der Heiligen Schrift. Die Dogmatik darf deshalb nicht nach wörtlicher Übereinstimmung zwischen dem Dogma und der Heiligen Schrift suchen626. Außerdem muss umgekehrt „dem dogmatischen Weg von der definierten Glaubensformel zur Schrift der Rückweg von der Schrift zum Dogma entsprechen“627. Dieser Rückweg ist besonders wichtig, weil die definierte Glaubensformel sprachlich sehr reduziert und extrem scharf formuliert ist. Das hängt mit dem antihäretischen Motiv des Dogmas zusammen. Darüber hinaus gibt das Dogma nicht Auskunft über den Zusammenhang der Offenbarungswahrheiten. Alle diese Schwierigkeiten der dogmatischen Formulierung können durch die Anreicherung des Dogmas aus der Heiligen Schrift behoben werden. Denn die Ergebnisse der biblischen Theologie sind für Scheffczyk nicht der ferne geschichtliche Grund des Dogmas, sondern „lebendige Fermente“628. Diese Fermente gilt es aufzunehmen, weil auch das heutige Glaubensverständnis an der Heiligen Schrift orientiert ist. Der Unterschied zwischen Exegese und dogmatischer Schriftauslegung besteht für Scheffczyk folglich darin, dass a) Exegese nicht inhaltlich vom Glauben der Kirche ausgeht und deshalb auch keine glaubensverbindlichen Aussagen machen kann. Und b): die dogmatische Schriftauslegung vom Dogma der Kirche ausgehen muss und deshalb nur dann glaubensverbindliche Aussagen machen kann, wenn sie den Glauben der Kirche auslegt629. In der Dogmatik wird deshalb die ganze Dynamik des Gotteswortes im Lauf der Geschichte und der Tradition untersucht630. Aufgrund der Analogie der theologischen Sprache 624 625 626

627 628 629 630

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 95. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogmatik, 202. Ebd.: „Selbst wenn die Schrift für alle Glaubenswahrheiten als suffizient angenommen werden darf, besagt das nicht, daß sie diese Wahrheiten alle in gleicher Ausdrücklichkeit und Prägnanz darbietet. Es wird in vielen Fällen nur möglich sein, in der Schrift die Ansatzpunkte, die Spuren und organischen Keime nachzuweisen, aus denen das betreffende Dogma langsam erwuchs“. SCHEFFCZYK, Dogmatik, 203. Ebd. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 116. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 77.

189

kommt die Dogmatik, im Gegensatz zur Exegese, in Kontakt mit der bleibenden Wahrheit und geht deshalb über die hermeneutische Fragestellung hinaus. Vorverständnis und hermeneutischer Zirkel Scheffczyk hatte erklärt, dass die Exegeten mit einem gläubigen Vorverständnis arbeiten müssen. Was er darunter versteht, klärt er zunächst gegenüber dem Existentialismus Bultmanns. Das Vorverständnis ist mehr, „als ein bloßes existentiales Selbstverständnis des Menschen“631. Vorverständnis ist ein „vorgegebener Sinnzusammenhang“632, der aus den einzelnen Erfahrungen des Menschen gewonnen wird, es hängt also mit der persönlichen geschichtlichen Selbstverwirklichung eines jeden Menschen zusammen. Deshalb kann ein Vorverständnis nicht einfach von einem Menschen auf andere Menschen übertragen werden. Es gibt keine Garantie für die Vermittlung eines christlichen Vorverständnisses, denn jeder Mensch entscheidet frei darüber, welche Erfahrungen er machen will und welche nicht, andernfalls handelt ein Mensch unter Zwang. Als vorgegebener Sinnzusammenhang aus Erfahrungen ist das Vorverständnis nicht nur auf das Selbstverständnis des Menschen gerichtet, sondern auf die ganze Wirklichkeit. Persönliche Beziehungen zu anderen Menschen, zur Welt und zu Gott sind mit zu berücksichtigen. So erfährt sich der Mensch im Bezug zum anderen als Angeredeter und Sprechender. Im Bezug zur Welt erfährt sich der Mensch als Abhängiger und „als Wesen, das am Material der vorgegebenen Welt seine Freiheit wirken soll“633. Und der Mensch erfährt sich gegenüber Gott als kontingentes Wesen, „das von einem absoluten Personalen angezogen wird“634. Wenn der Mensch in Kontakt mit dem Offenbarungswort kommt, müssen auch alle Grundbezüge des Menschen mitberücksichtigt werden. Dass dem Menschen aber der Gottesbezug vorgegeben ist, bedeutet nicht, dass das ebenso auch für das Gottesverständnis gilt. Die Fähigkeit, Gott zu verstehen, ist für Scheffczyk transzendental im Menschen angelegt und auf die menschlichen Erfahrungen und vor allem seine Willensentscheidung angewiesen, um kategorial fassbar zu werden635. Der Begriff transzendental besagt hier, dass der Mensch auf den Empfang der Gnade Gottes vorbereitet ist, ohne diese Gnade selbst einfordern zu können und dass der Mensch eine gewisse Eigenleistung erbringen muss, um Gott ansatzweise zu verstehen. Scheffczyk legt Wert darauf, dass das Gottesverständnis anders als der personale Gottesbezug nicht natürlich 631 632 633 634 635

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 127. Ebd. Ebd. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 128. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 129: „Damit ist gesagt, daß dem Menschen das Gottesverständnis nicht wie eine naturhafte Größe gegeben ist, daß es aber auch keine ihm fremde, von außen übertragene Größe ist“.

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im Menschen angelegt ist. Das bedeutet, dass die Fähigkeit, Gott zu verstehen, nicht die Ursache des Vorverständnisses sein kann. Für Scheffczyk hängt das Vorverständnis mit dem Kern des Humanum zusammen. Das heißt, das Vorverständnis soll prinzipiell unabhängig von dem ÜbernatürlichGnadenhaften erklärbar sein: Im Angerufensein des Menschen von Gott wird das Vorverständnis für jeden Verstehensprozess strukturiert und ausgeprägt, also auch für das „Verstehen von Aussagen der Offenbarung und des Glaubens“636. Das Vorverständnis ist dabei so strukturiert, dass im Laufe vieler Erkenntnisprozesse ein Sinnzusammenhang ausgearbeitet wird. Generell ist zu erwarten, dass sich Neues in diesen Sinnzusammenhang einfügt. Wo dies nicht möglich ist, ist vom Menschen ein hohes Maß an Flexibilität gefordert. Aufgrund dieser Ausführungen ist es jetzt auch möglich, das gläubige Vorverständnis der Exegese genauer zu bestimmen. Es handelt sich dabei um die Gesamtheit der Erfahrungen des Exegeten. Diese Erfahrungen schließen die Beziehung zum anderen, zur Welt und zu Gott mit ein. Letzten Endes müssten aber zu diesen Erfahrungen auch die persönlichen Erfahrungen eines Exegeten im Leben der Kirche mit hinzu gehören. Aus all dem hat der einzelne Exeget einen vorgängigen Sinnzusammenhang zu erarbeiten, innerhalb dessen er die Offenbarungsaussagen integrieren kann und sein Vorverständnis unter Umständen an die neuen Aussagen anzupassen hat. Jetzt wird auch die Vermutung Scheffczyks verständlich, es könnte bei seinem Verständnis des Vorverständnisses ein Zirkelschluss vorliegen. Seine Vermutung ist aus mehreren Gründen berechtigt. Denn erstens sind Glaubenserfahrungen auch Erfahrungen, die in der Gesamtheit der Erfahrungen eines Menschen berücksichtigt werden müssten. Und zweitens, nimmt das ÜbernatürlichGnadenhafte direkten Einfluss auf das Vorverständnis des Menschen, es sei denn man wollte die Glaubenserfahrungen und Erfahrungen von Exegeten in der Kirche zum Natürlich-Geschöpflichen zählen. Trotz allem liegt hier nach Scheffczyk kein illegitimer Zirkelschluss vor. Es zeige sich vielmehr eine besondere Problematik des Verstehensvorgangs: „die merkwürdige Zirkelstruktur des Verstehens“637. Im Vorverständnis muss also ein Vorentwurf ausgearbeitet werden, damit der Mensch das Ganze eines Textes oder einer Aussage überhaupt verstehen kann und umgekehrt das Ganze wiederum den Vorentwurf bestätigt, präzisiert oder einfach verändert. Dieses Verfahren ist als hermeneutischer Zirkel bekannt. Dieser hermeneutische Zirkel ist nach Scheffczyk für die Arbeitsweise der Theologie besonders entscheidend. So beispielsweise der Zirkel zwischen Heiliger Schrift und Dogma bei der Arbeitsweise der Dogmatik. Dieser hermeneutische Zirkel zeigt sich aber auch schon im Glaubensakt selbst. Denn 636 637

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 131 SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 138.

191

jeder einzelne Glaubensakt setzt eine ganzheitliche Glaubensauffassung als Vorstruktur voraus und der Glaube an eine bestimmte Wahrheit (wenn man überhaupt an eine Wahrheit glauben und dabei die anderen sozusagen vergessen könnte) setzt wiederum als Vorstruktur den Glauben selbst voraus. Das gilt nach Scheffczyk aber auch für den so genannten „Einstieg in den übernatürlichen Glauben“638. Dem übernatürlichen Glauben geht ein allgemeiner Glaube voraus, der den Menschen auf den übernatürlichen Glauben vorbereitet. Die Erklärung einer Entwicklung vom Unglauben zum Glauben ist für Scheffczyk aufgrund der Zirkelstruktur des Verstehens nicht möglich. Im Unglauben muss deshalb im Fall eines Übergangs zum Glauben ein gläubiges Vorverständnis als Ansatzpunkt für den Glauben vorhanden sein639. Dogma und Interpretation Zur Interpretation der veränderten Ausdrucksgestalt des geoffenbarten Gotteswortes (also des Dogmas) müssen die Grundlagen aus der Heiligen Schrift nachgewiesen werden, aus denen das Dogma entstand. Und gleichzeitig muss der Reichtum des ursprünglichen Offenbarungszeugnisses der Heiligen Schrift in die Erklärung des Dogmas eingebracht werden. Dogmatische Schriftauslegung ist damit der erste Grundbestandteil der Interpretation eines Dogmas. Das Dogma steht in der Tradition der Kirche und nimmt innerhalb der Tradition eine herausgehobene Stellung ein. Die Interpretation des Dogmas muss deshalb auch diese geschichtliche Struktur des Dogmas berücksichtigen. Dazu gehört die Frage nach der geschichtlichen Ausdrucksform und der Sprache des Dogmas, die gerade im Fall der altkirchlichen Dogmen nicht mehr die Sprache der Gegenwart ist. Das Ziel dieser Arbeit ist ein hermeneutisches: es geht um das Erkennen des Gemeinten in dem Gesagten. Die kritische Funktion dieser Arbeit liegt in der Unterscheidung von unechter und echter Tradition, zwischen menschlichen traditiones und der göttlichen, verbindlichen Tradition. Scheffczyk kennzeichnet an anderer Stelle diese Arbeit der Dogmatik als positiv-symbolisch. Denn es geht um letztlich um den Aufweis, ob ein Dogma (ein Symbolon) wirklich ein Dogma ist640. Neben der Schriftgebundenheit der Dogmeninterpretation und der Aufnahme der Tradition in die Interpretation des Dogmas ist für Scheffczyk ein weiterer Punkt entscheidend: der Gegenwartsbezug der Dogmeninterpretation. Das 638 639

640

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 143. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 144. Die natürlichen Anlagen des Menschen haben eine vorbereitende Funktion für den übernatürlichen Glauben. Natürlicher Glaube und übernatürlicher Glaube sind deshalb für Scheffczyk sowohl in Kontinuität als auch in Diskontinuität zu sehen. Kontinuität aufgrund der vorbereitenden Funktion des natürlichen Glaubens. Diskontinuität aufgrund der absoluten Neuheit und Ungeschuldetheit des Gotteswortes in der Offenbarung. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 64. Fußnote 37.

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Dogma ist ja schließlich zum Zeitpunkt der Definition auf der Höhe der geschichtlichen Selbstverwirklichung des Menschen. Dieser Modernitätsbezug darf nicht nur historisch verstanden werden, er gilt auch für die jeweils neue Gegenwart. Denn Interpretation ist ein nie abschließbarer Vorgang. Es gibt also eine Zukunftsausrichtung der Dogmeninterpretation. Aufgrund dieser Zukunftsbezogenheit der Dogmeninterpretation gilt ferner, dass bei der Auslegung des Dogmas dem Menschen für das eigene Schicksal und für die eigene Existenz Hoffnung vermittelt wird. Es wird durch die Interpretationsarbeit ein „Ausblick auf die Vollendung gewährt“641. Die Zukunftsausrichtung der Interpretation weist den Interpretationsvorgang prinzipiell als unabschließbar aus. Erst in der eschatologischen Vollendung ist dieser Interpretationsvorgang abgeschlossen. Weil also das Dogma die geschichtliche Neufassung des ergangenen Gotteswortes ist, wird im Versuch des Freilegens des Gotteswortes Hoffnung gestiftet. Ergebnis Die Untersuchung der Hermeneutik dient für Scheffczyk vor allem zur Klärung der Frage, wie in der Geschichtlichkeit bleibende Wahrheit aufgefunden werden kann. Ein wesentlicher Bestandteil theologischen Arbeitens ist dabei für ihn die Exegese. In der Exegese bearbeitet ein Theologe mit gläubigem Vorverständnis die Texte der Heiligen Schrift historisch-kritisch, um sich so dem darin enthaltenen Gotteswort anzunähern. Problematisch bliebt hier die Klarstellung, was die Exegese als Wissenschaft zu einer theologischen Wissenschaft macht. Die subjektive Gläubigkeit eines Exegeten kann dies eigentlich nicht alleine begründen, denn in diesem Fall würde ja ein Altphilologe, der gläubiger Christi ist, theologische Exegese betreiben, wenn er sich in seinem Fachbereich mit der Heiligen Schrift auseinandersetzt. Es kann deshalb nicht geklärt werden, was Hermeneutik und Exegese unterscheidet, oder ob die Exegese bei Scheffczyk als eine hermeneutische Wissenschaft bezeichnet werden muss oder kann. Für die Funktionsweise der Theologie heißt das, dass die Exegese aus den Überlegungen herausfallen muss, denn in der Exegese geht es nicht um die Frage nach der Beziehung (oder der Polarität) von Natur und Gnade, sondern darum, aus dem Gesagten heraus sich dem gemeinten Gotteswort anzunähern. Ein weiterer von Scheffczyk untersuchter Bestandteil ist die Arbeitsweise der Dogmatik. Sie ist (im Unterschied zur Exegese) nicht nur mit der Heiligen Schrift beschäftigt, sondern auch mit der Tradition der Kirche und den Dogmen der Kirche. Da in der Heiligen Schrift und in einem Dogma das oder ein Gotteswort bleibend ausgesagt ist, kann die Dogmatik diese geschichtlichen Ausdrucksweisen miteinander korrespondieren lassen. Ein einzelnes Dogma kann so auf Aussagen der Heiligen Schrift zurückgeführt werden und die Texte 641

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 113.

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der Heiligen Schrift bereichern ein meist knapp formuliertes Dogma. Das heißt, dass die Dogmatik inhaltlich vom Glauben der Kirche ausgeht und insofern auch hermeneutisch arbeitet. Aber auch die Dogmatik kann sich dem Gotteswort genau so wie die Exegese immer nur approximativ annähern, wenn man die aus dem erkenntnistheoretischen Realismus Scheffczyks folgende Analogielehre nicht teilt. Denn auch in einem Dogma ist das Gotteswort schließlich inkarnatorisch mit dem Menschenwort verbunden, genau so wie in der Heiligen Schrift. Dass der Glaube der Kirche die innere und positive Norm der Dogmatik darstellt, wie Scheffczyk erklärt, ist vielleicht weniger eine Beschreibung der Dogmatik als vielmehr eine Herausforderung an jeden einzelnen Dogmatiker: Der Glaube der Kirche könnte eigentlich nur in seiner eschatologischen Vollendung die Norm der Dogmatik sein. In der Zeit bis zur eschatologischen Vollendung können nur die definierten Glaubenssätze der geschichtlich verfassten Kirche und die Heilige Schrift die Norm der Dogmatik sein. Das Gotteswort ist damit auch für die Dogmatik ohne die Annahme der Berechtigung der Analogielehre nicht unvermittelt oder ungetrennt vom Menschenwort auffindbar. Die gesamte Theologie funktioniert bei Scheffczyk wie die Hermeneutik in der Polarität von Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit, er spricht auch von der Polarität von Natürlich-Geschöpflichem und Übernatürlich-Gnadenhaftem. Aufgrund der Möglichkeit, in der menschlichen Sprache wahre Aussagen über Gott zu machen, kann das Übernatürlich-Gnadenhafte in der Theologie untersucht werden. 2.3 Kriterien Aufgrund seiner Ausführungen über Sprache und Hermeneutik kommt Scheffczyk zu Kriterien für gültige Interpretationen des Gotteswortes in der Theologie. Er strebt hier keine Vollständigkeit an, sondern hebt repräsentative Typen hervor642. Zunächst drei unzureichende Kriterien: 1) Allgemeinverständnis: Eine Interpretation muss an den Hörer oder Leser und die Zeitsituation angepasst sein. In diesem Kriterium wird besonders betont, dass Menschen geschichtlich verfasst sind. Es muss aber als unzureichend eingestuft werden, weil die polare Ergänzung zur Geschichtlichkeit, die bleibende Wahrheit, in diesem Kriterium zu wenig Berücksichtigung findet. 2) Orthopraxie: Eine Interpretation oder eine Aussage muss sich am Handeln der Kirche bewähren. Dieses Kriterium hebt den performativen Charakter der Sprache hervor. Es muss allerdings auch als unzureichend eingestuft werden, weil eine Handlung zunächst keine Wahrheit bestätigen oder hervorbringen kann. 642

Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 158 ff.

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3) Gesellschaftliche Anerkennung: Eine Interpretation muss sich an der Akzeptanz der Mehrheit einer Gesellschaft bewähren. Dieses Kriterium zielt vor allem darauf ab, dass ein Dogma in der Kirche, der Gemeinschaft der Glaubenden, akzeptiert werden muss. Es muss allerdings auch als unzureichend eingestuft werden, weil „die letzte Frage nach Wahrheit oder Falschheit einer Aussage oder einer Interpretation“643 keine Mehrheitsentscheidung ist. Diese drei Kriterien werden von Scheffczyk als unzureichend eingestuft644. Die unzureichenden Kriterien sind damit nicht falsch, sie haben aber keine konstitutive Bedeutung für eine korrekte Interpretation, nämlich für das hermeneutische Bemühen um den Aufweis des Gemeinten in dem Gesagten. Scheffczyk nennt ein gültiges Kriterium, nämlich die originalgetreue Übersetzung. Wenn Menschen Sinn und Wahrheit einer gegenwärtigen wie einer historisch zurückliegenden Aussage prinzipiell verstehen können (das ist vermutlich eine Voraussetzung des erkenntnistheoretischen Realismus), dann kann auch eine geschichtliche Entsprechung zum Sinn eines Textes ausgearbeitet werden. Die originalgetreue Übersetzung ist deshalb als Idealfall einer Interpretation anzusehen: als Identität der Interpretation mit dem Gesagten. Damit scheint das Scheffczyksche Kriterium aber unerfüllbar. Wenn man nämlich die geschichtliche Verfassung des Menschen Ernst nimmt, dann wird man selbst bei einer wortwörtlichen Übersetzung eines Textes der Heiligen Schrift oder eines Dogmas nicht davon sprechen können, dass Übersetzung, die immer auch Interpretation ist, und Originaltext miteinander identisch sind. In einer geschichtlich verstandenen Welt ist Identität von Text und Interpretation eigentlich gar nicht denkbar. Jedes Wort, das Menschen sprechen und schreiben, wird von einem anderen Menschen aufgrund seiner oder ihrer geschichtlichen Erfahrungen auf sehr eigene Weise verstanden. Ein einfaches Beispiel: Zwei Menschen werden auf das Wort Hund ganz unterschiedlich reagieren, wenn einer der beiden eine Tierhaarallergie hat oder als Kleinkind von einem Hund gebissen wurde. Eine Identität von Aussage und Interpretation eines so simplen Satzes wie Ich führe meinen Hund spazieren ist deshalb unmöglich, die unterschiedlichen Lebenserfahrungen von Menschen verhindern dies: Einer der beiden wird daran denken, dass er mit seinem Hund an der frischen Luft ist, der oder die andere wird an seine / ihre schlechten Erfahrungen mit Hunden oder an Medikamente denken. Wenn schon ein so einfacher Satz aufgrund unterschiedener geschichtlicher Selbstverwirklichung so 643 644

SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 161. Das bedeutet nicht, dass Scheffczyk diese Kriterien ablehnt. Die drei unzureichenden Kriterien haben eine regulative Funktion für jede sachgemäße Neuinterpretation. Die Erfahrungen eines Menschen, seine Taten und die Akzeptanz der menschlichen Gemeinschaft müssen bei einer Neuinterpretation berücksichtigt werden, aber „eben immer nur insoweit, als sie der Wahrheit zum Ausdruck verhelfen und sie nicht verstellen“ (SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 162).

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unterschiedlich aufgefasst wird, dann können 2000 Jahre alte Texte von Menschen vergangener Zeiten und heute gar nicht exakt gleich aufgefasst werden. So zeigt das Wort Kai,saroj schon allein durch die Tatsache, dass es heute keinen römischen Kaiser gibt – zur Zeit der Hagiographen aber schon – verschiedene geschichtliche Selbstverwirklungsniveaus. Dass man den Sinn einer Aussage oder eines Textes verstehen kann, muss dadurch nicht in Frage gestellt werden. Sehr wohl aber die These, dass Interpretation und Text jemals identisch sein können. Wenn man davon ausgeht, dass es diesen Idealfall gibt, ergibt sich die Schwierigkeit, was Theologie, Predigt oder Verkündigung dann eigentlich soll. Das sind vermutlich auch die Gründe, weshalb Scheffczyk das Kriterium der Identität als theoretisches Kriterium kennzeichnet und von einer wesentlichen Identität mit dem Gesagten spricht645. Geschichtlichkeit und erkenntnistheoretischer Realismus stehen sich offensichtlich in der Theologie Scheffczyks gegenüber. Ob man hier aber von einer Polarität sprechen kann, ist nicht klar. Der Idealfall kann somit niemals eintreten. Es kann immer nur Interpretationen geben, die diesem Idealfall nicht entsprechen. Deshalb weitet Scheffczyk das Identitätskriterium aus auf das Kriterium der Kontinuität. Kontinuität bedeutet hier: Strukturgleichheit und Intentionalitätsgleichheit: „Man könnte dieses Kriterium [der Kontinuität] auch als das der Strukturgleichheit oder als das der gleichen Intentionalität bezeichnen. Danach können die Merkmale einer ursprünglichen Wahrheit oder Idee später verschieden angeordnet werden, aber es muß die gleiche Struktur bleiben, und das gleiche sinnhafte Telos oder die gleiche Intentionalität gewahrt sein“646.

Strukturgleichheit heißt Erhaltung der Proportionen. Eine solche Strukturgleichheit, Scheffczyk spricht auch von Typusgleichheit647, kann sehr variabel sein. Wichtig ist, dass die Einzelteile einer Aussage oder einer Interpretation sich so ineinander fügen, dass die Intention des Ganzen bestehen bleibt. Scheffczyk erläutert dies an Hand eines Beispiels: Spricht man von der Gottesherrschaft auch als einer real-präsentischen, ist die Strukturgleichheit gewahrt. Denn das endzeitliche Ereignis der Gottesherrschaft wird von dieser Aussage nicht in Frage gestellt. Spricht man dagegen wie Immanuel Kant von dem Gottesreich als „Verbindung der Menschen durch die Tugendgesetze“648, kann von einer Intentionalitätsgleichheit nicht mehr gesprochen werden. Hier fehlt schon die freie Tat Gottes, ohne die Gottes Herrschaft gar nicht möglich wäre. Dadurch wird dieses Beispiel aber für die Theologie nichtssagend, denn eine komplette Ausblendung Gottes aus der Eschatologie ist selbstverständlich 645 646 647 648

Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 163. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 164. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 165. Ebd.

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nicht möglich. In vielen Diskussionen geht es aber um nuanciertere Probleme, die durch ein derart grobes Beispiel nicht erläutert werden können. Eine Neuinterpretation muss sich nach Scheffczyk einer alten Interpretation gegenüber als überlegen erweisen. Die Glaubenserkenntnis muss wirklich gesteigert werden. Dabei darf weder das Neue sofort verdächtigt werden, noch das Alte strikt abgelehnt werden. Widerspruchsfreiheit für eine Interpretation zu konstatieren genügt deshalb nicht. Soll wirklich das Wort Gottes in einem neuen geschichtlichen Ausdruck gefasst werden, dann stellt sich immer die Frage nach der Typen- oder Strukturgleichheit mit dem ganzen christlichen Erbe. Da die Kirche das Subjekt des Glaubens und des Glaubenverstehens ist, müssen alle Kriterien immer im Rahmen der Kirche verstanden werden. Das Kriterium der Strukturgleichheit hat deshalb einen diachronen und einen synchronen Charakter: es geht um die Feststellung der Einheit einer Interpretation mit dem Ursprung und dem Verlauf der geschichtlichen Entwicklung und um die Einfügung einer Interpretation in den lebendigen Organismus des kirchlichen Glaubenslebens. Wenn die Theologie aber in der Polarität von Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit, von Natürlich-Geschöpflichem und ÜbernatürlichGnadenhaftem oder einfach von Natur und Gnade funktioniert, und wenn die Kirche das Subjekt des Glaubens und des Verstehens des Glaubens ist und nicht die einzelnen Theologen, dann muss sich Scheffczyk auch mit Anfragen auseinandersetzen, ob die Theologie wirklich eine Wissenschaft sein kann.

3. Wissenschaft Scheffczyk hat sich im Lauf seiner Lehrtätigkeit als Professor für Dogmatik immer wieder mit der Wissenschaftstheorie auseinandergesetzt. Bereits im Jahr 1967 veröffentlichte er in der Festschrift für Michael Schmaus den Beitrag Die Grenzen der wissenschaftlichen Theologie649. Im Jahr 1979 legte Scheffczyk das Buch Die Theologie und die Wissenschaften vor650. Im Jahr 1997 folgte mit dem Ersten Band der Katholischen Dogmatik Grundlagen des Dogmas ein erneuter Beitrag Scheffczyks zur theologischen Wissenschaftstheorie651. In dem Vorwort zu dem im Jahr 2003 erschienenen Buch Entschiedener Glaube – befreiende Wahrheit erklärt Scheffczyk: „Wo der Glaube als Lichtung eines neuen Lebens in der befreienden Kraft der Gnade erfaßt wird, muß sich dieses Licht auch der Theologie als Glaubenswissenschaft

649

650 651

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Grenzen der wissenschaftlichen Theologie. In: SCHEFFCZYK, Leo / u.a. (Hrsg.), Wahrheit und Verkündigung. Michael Schmaus zum 70. Geburtstag. München 1967, 1287-1313. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften. Vgl. SCHEFFCZYK, Grundlagen des Dogmas, 206-250.

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mitteilen. Dem entspricht […] das Bestreben, den Glauben von seiner erkenntnishaften Seite ins Licht zu rücken und seinen Wahrheitsanspruch durch klare Konturierung der Inhalte, durch vernunftgemäße Begründung und durch eine ins Transzendente und Übernatürliche weisende Sinnerhellung vor dem modernen Menschen einzulösen“652.

Die Theologie ist also mit dem Glauben verbunden und sie ist eine Wissenschaft. Man könnte an dieser Stelle von den polaren Ergänzungen Glaube und Wissenschaft sprechen, die Theologie ist eben Glaubenswissenschaft. Die gegenteilige These, dass Glaube und Wissenschaft keine polaren Ergänzungen sind, sondern sich vielmehr gegenseitig ausschließen, wird von Vertretern der modernen Wissenschaftstheorie immer wieder vorgebracht. Der Theologie wird damit – im Gegensatz zur Religionswissenschaft oder auch der Religionssoziologie – der Wissenschaftscharakter abgesprochen, weil sie mit dem Glauben der Kirche verbunden ist653. Wenn Scheffczyk also erklärt, dass wissenschaftliche Theologie in der Polarität von Natur und Gnade funktioniert, dann muss er auch klären, was überhaupt eine Wissenschaft ist, wie die Theologie als Wissenschaft verstanden werden kann und was die Theologie mit verschiedenen Wissenschaften verbindet. 3.1 Wissenschaft Wenn man klären will, was Wissenschaft ist, dann ist das nach Scheffczyk heute nicht ohne weiteres möglich. Die moderne Wissenschaft kann für ihn nicht als einheitliches Phänomen verstanden werden654. Seit der geistesgeschichtlichen Wende der Forschungen von Kopernikus, Galilei und Newton könne nur davon 652 653

654

SCHEFFCZYK, Entschiedener Glaube – befreiende Wahrheit, 8. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 193 ff.; 92 f. Tatsächlich erklärt beispielsweise Gerhard Schurz in seiner im Jahr 2006 erschienen Einführung in die Wissenschaftstheorie, dass die dogmatisch-bekenntnishaften „Anteile der Theologie“ (SCHURZ, Gerhard, Einführung in die Wissenschaftstheorie. Reihe: Einführungen in die Philosophie. Darmstadt 2006, 37) außerhalb des Bereichs der Wissenschaft liegen: Die Theologie verstößt gegen das Kriterium der Wertneutralität, denn sie setzt fundamentale Wertannahmen voraus (vgl. SCHURZ, Einführung, 39f.; 44). Die Theologie verstößt gegen das Abgrenzungskriterium, denn Theologie macht Aussagen über Gott (vgl. SCHURZ, Einführung, 15f.; 44). Schurz verweist die Theologie in die nichtwissenschaftlichen Disziplinen oder in die geistigen Betätigungsfelder und erklärt: Sätze geistiger Betätigungsfelder sind nicht kognitiv sinnlos, wie Rudolf Carnap erklärt hat. Die Wissenschaftstheorie lehnt geistige Betätigungsfelder nicht ab, sondern kennzeichnet sie aufgrund der mangelnden empirischen Überprüfbarkeit ihrer Aussagen als nichtwissenschaftlich. Die Abgrenzung von Wissenschaften und geistigen Betätigungsfeldern stellt keine Eliminierung der geistigen Betätigungsfelder dar, wie Carnap gefordert hat. Ziel der Abgrenzung ist vielmehr die Erklärung der Erfolgsgeschichte der empirischen Wissenschaften „im Vergleich zu Ethik, Religion oder Kunst“ (SCHURZ, Einführung, 44). Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 61.

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gesprochen werden, dass die Naturwissenschaft nicht mehr an der Wesenserkenntnis der Dinge interessiert sei655. Was Wissenschaft aber ist, lässt sich alleine schon aufgrund der Entwicklung unterschiedlicher Forschungsgebiete und Methoden nicht klären656. Diese Vielfalt der Wissenschaften könnte pluralistisch verstanden werden, das wäre dann gleichzeitig ein Schutz vor geistiger Erstarrung, denn eine Wissenschaft als Grundlage aller Wissenschaften kann es in diesem Verständnis nicht geben. Als theologischen Vertreter dieser Richtung nennt Scheffczyk Karl Rahner657. Für Rahner ist der Pluralismus der Wissenschaften und der Theologie unüberwindbar, so Scheffczyk658. Das Vorgehen, die Theologie im Rahmen eines pluralistischen Wissenschaftsverständnisses auch als Wissenschaft auszugeben, sei aber zum Scheitern verurteilt659. Denn erstens lehnen M. Gatzemeier660 und Hans Albert661 explizit dieses Vorgehen ab. So fordert Gatzemeier von der Theologie den Aufweis von Wahrheiten, die nicht bezweifelt werden können und die in jeder Wissenschaft gegeben sein müssen662. Albert kritisiert an der Theologie das Begründungsverfahren der Sätze, das nach seinem Münchhausen-Trilemma als dogmatischer Abbruch charakterisiert wird663. Zweitens mache Pluralismus nur das Auseinanderdriften der Wissenschaft verständlich. Die Ausdifferenzierung verschiedener Wissenschaften braucht nach Scheffczyk aber ein Einheitsmoment: Wie es in der Geschichte nicht nur Veränderung gibt, sondern immer auch etwas, das sich verändert, genau so gibt es im Bereich der Wissenschaften Differenzierungen, gleichzeitig aber auch etwas, das sich ausdifferenziert. Wissenschaftstheoretischer Pluralismus ist für Scheffczyk ein Extrem, das durch ein wissenschaftliches Einheitskonzept ergänzt werden muss. Beide Polaritäten sind in diesem Zusammenhang als Extreme charakterisiert, die für sich alleine genommen falsch sind. In der Analogie findet Scheffczyk eine Möglichkeit, beide Polaritäten miteinander zu verbinden664. 655 656 657

658 659 660 661 662 663 664

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 48. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 61 ff. Scheffczyk verweist auf: RAHNER, Der Pluralismus in der Theologie und die Einheit des Bekenntnisses in der Kirche. In DERS., Schriften zur Theologie. Band 9. Einsiedeln 1970, 12. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 61. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 62. Vgl. Ebd. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 120-126. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 62. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 121. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 67: „Die Anwendung der Analogie, des Prinzips des Unähnlich-Ähnlichen, ist gleicherweise davon entfernt, die Vielheit der Wissenschaften in einem zwanghaften Einheitskonzept aufzugeben wie diese in einen unbegrenzten Pluralismus auseinandertreten zu lassen“.

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Analoge Wissenschaft Analogie ist nach Scheffczyk für das Verständnis von Wissenschaft grundlegend. Denn sie verhindere das pluralistische Verständnis von Wissenschaften als zusammenhangslosem Konglomerat genau so wie das gegenteilige Extrem, Wissenschaften als Ausgliederung einer Grundwissenschaft zu verstehen. Die Analogie geht dabei von der vorgegebenen Vielfalt der Wissenschaften aus und anerkennt die immense Pluralität von Sachgebieten und Methoden. In der Pluralität und Verschiedenheit wissenschaftlicher Methoden zeigen sich aber auch Ähnlichkeiten: Eine „allgemeine »Methodizität«“665 wissenschaftlichen Arbeitens besteht darin, dass aus gesicherten Prinzipien Folgesätze abgeleitet werden. Wissenschaft arbeitet nach Scheffczyk also immer deduktiv, das ist die grundlegende Ähnlichkeit verschiedener wissenschaftlicher Fächer. Gesicherte Prinzipien oder Axiome bilden die Basis jeder Wissenschaft. Diese Axiome können nicht bewiesen werden oder der Beweis führt zu einem regressus in infinitum. Das gelte für die Dogmen der Theologie ebenso wie beispielsweise für die Naturgesetze in der Physik666. Für den deduktiven Prozess der Ableitung von Folgesätzen können im Rahmen des analogen Verständnisses der Wissenschaften Postulate aufgestellt werden. 1) Kontrollierbarkeitspostulat. Wenn aus wahren Axiomen Folgesätze deduziert werden, dann muss der Wahrheitsanspruch der Folgesätze nachprüfbar sein. Die Nachprüfbarkeit wird nach Scheffczyk ermöglicht durch eine angemessene Sprache, klare Begrifflichkeit und gleich bleibende Terminologie667. 2) Kohärenzpostulat. Einzelne aus Axiomen deduzierte Folgesätze werden zu einem „einheitlichen Ganzen von Sätzen“668 oder zu einem System verbunden. Dabei muss der notwendige Zusammenhang der einzelnen deduzierten Folgesätze sichergestellt sein. 3) Postulat der Widerspruchsfreiheit. Das Kohärenzpostulat ist mit dem Postulat der Widerspruchsfreiheit eng verbunden. Denn die deduzierten Sätze müssen nicht nur zusammenhängen, sie dürfen sich auch nicht widersprechen. Das Postulat der Widerspruchsfreiheit kann auf alle Wissenschaften ausgedehnt werden. Die Folgesätze einer Wissenschaft können denen einer anderen Wissenschaft nicht „endgültig und definitiv“669 widersprechen. Deshalb werden hier auch weitere Kriterien interessant, die für wissenschaftliches Arbeiten eine bedeutende Rolle spielen: Kommunikabilität, Intersubjektivität und Allgemein665 666

667 668 669

SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 68. Ein Unterschied zwischen Dogmen und den Naturgesetzen liegt hier aber darin, dass Naturgesetze empirisch überprüfbar sind, die Dogmen der Theologie aber nicht. Vgl. ebd. Ebd. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 69.

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gültigkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse. Das bedeutet, wissenschaftliche Ergebnisse müssen prinzipiell mitteilbar sein. Die allgemeine Methodizität der Deduktion wird durch die Postulate erweitert zu einer strukturellen Methodizität der Wissenschaften670. Hierin sieht Scheffczyk das „letztlich Verbindende und Gemeinsame aller Wissenschaften (trotz der unterschiedlichen Sachbereiche und Methoden)“671. Alles wissenschaftliche Arbeiten ist letztlich auf eine weitere Grundgröße fixiert, nämlich dem Streben nach Wahrheit672. Wahrheit in der Wissenschaft Wissenschaft ist der Wahrheit verpflichtet. Die wissenschaftstheoretischen Postulate machen überhaupt keinen Sinn, wenn Wahrheit keine Rolle spielen würde. Kontrollierbarkeit, Kohärenz und Widerspruchsfreiheit können nur dann ausgewiesen werden, wenn logisch wahre Aussagen gemacht werden können. Im Rahmen der analog verstandenen Wissenschaft kann die Wahrheit ebenfalls als analog verstanden werden. Das heißt für Scheffczyk: „Da die Wahrheit vom Begriff der Erkenntnis abhängig ist, die Erkenntnisweisen in den Wissenschaften aber verschieden sind, ändert sich auch der Sinn von Wahrheit“673. Dieser unterschiedliche Sinn von Wahrheit der verschiedenen Wissenschaften soll in der folgenden Tabelle dargestellt werden. Scheffczyk unterscheidet dabei zwischen Idealwissenschaften und Realwissenschaften und unterteilt die Realwissenschaften wiederum in Natur- und Geisteswissenschaften. Wissenschaft Idealwissenschaften

Wahrheit ist… (Logik, Mathematik)

… Übereinstimmung der Erkenntnisse mit logischen Vernunftgesetzen.

Naturwissenschaften Realwissenschaften

… Zurückführung der empirischen Erscheinungen auf ihre letzten Wirkursachen.

Geisteswissenschaften

… Verstehen von Sinn und Wert personaler Wirklichkeit.

Scheffczyk versteht die Theologie als eine Geisteswissenschaft. Wahrheit in der Theologie liegt deshalb im Verstehen von Sinn und Wert personaler Wirklichkeit, „die sich für die Theologie zuletzt zwischen Menschen und Gott begibt“674. Die in der obigen Tabelle dargestellten Wahrheitsauffassungen zeigen 670 671 672 673 674

Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 70. Ebd.

201

dabei eine Gemeinsamkeit: Wahrheit ist zu verstehen als „Beziehung und die Übereinstimmung zwischen dem Denken und dem Gegenstand, zwischen dem Gedanken und dem Sein“675. Wenn also in der Logik eine Übereinstimmung der Erkenntnisse mit einem Vernunftgesetz angezielt wird, dann tritt ein Gedanke in Übereinstimmung mit dem Sein. Wenn in der Naturwissenschaft eine empirische Erscheinung auf ihre letzte Wirkursache zurückgeführt wird, dann kommt es zu einer Übereinstimmung zwischen Denken und dem Gegenstand. Und wenn in der Geisteswissenschaft Sinn und Wert personaler Wirklichkeit das Ziel der Untersuchung ist, dann wird, dann kommt das Denken in Beziehung mit dem Sein. Der „Wahrheitsbegriff [kann] niemals [als] ein rein immanentistischer“676 verstanden werden und die Theologie kann damit nicht aus dem Kreis der Wissenschaften ausgeschlossen werden. Ergebnis Scheffczyk definiert Wissenschaft und damit auch die Theologie als Wissenschaft auf der Grundlage ihres methodischen Vorgehens. Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Wissenschaften ist für ihn die Arbeitsweise der Wissenschaft immer deduktiv. Die Deduktion ist die wissenschaftliche Methode, die zu einer Ähnlichkeit in aller Unterschiedenheit der Wissenschaften führt. Und dieses Verhältnis von Ähnlichkeit und Unterschiedenheit kennzeichnet Scheffczyk als analog. Die Deduktion nimmt dabei für Scheffczyk in jedem wissenschaftlichen Arbeitsvorgang eine zentrale Stellung ein. Im Gegensatz dazu kennzeichnet beispielsweise Bernhard Lonergan nur die neuscholastische Theologie als deduktive Wissenschaft. Die Neuscholastik versuchte Thesen anhand von Prämissen zu beweisen, die aus der Heiligen Schrift und der Tradition gewonnen waren. Die gegenwärtige Theologie ist für Lonergan aber eine empirische Wissenschaft, sie findet keine Prämissen in Schrift und Tradition, sie findet Daten, die zu interpretieren sind677. Außerdem schließt Scheffczyks Verständnis der Deduktion als allgemeiner Methodizität die Induktion komplett aus dem wissenschaftlichen Vorgehen aus. Während beispielsweise selbst Karl Popper,

675 676 677

Ebd. Ebd. Vgl. hierzu LONERGAN, Die Theologie in ihrem neuen Kontext, 22 f.: „Das Datum […] muß im Lichte zeitgenössischer Techniken und Vorgangsweisen interpretiert werden. War einst der Schritt von den Prämissen zu den Schlüssen kurz, einfach und sicher, so ist heute der Weg von den Daten zur Interpretation lang, schwierig und bestenfalls wahrscheinlich. Eine empirische Wissenschaft erbringt keine Beweise. Sie akkumuliert Informationen, entwickelt Verständnis, beherrscht ihr Material immer vollständiger, aber sie schließt nicht die Aufdeckung weiterer relevanter Daten, das Auftreten neuer Einsichten, das Erreichen einer umfassenderen Perspektive aus“.

202

der den Induktionsschluss für unzulässig hält678, auf die Bedeutung der Induktion im wissenschaftlichen Arbeiten hinweist und sie mit seiner eigenen Herangehensweise, dem Falsifikationismus, in Verbindung bringt679. Dabei hat Scheffczyks Vorstellung von der Theologie, die in der Polarität von Natur und Gnade funktioniert, eine Ähnlichkeit mit dem induktiven Vorgehen: Theologie wird nämlich von Theologen betrieben, die aus ihrer geschichtlichen Situation heraus (also aus dem Besonderen) versuchen, das Gotteswort (also das Allgemeine) zu verstehen. Sicherlich kann aus der Geschichtlichkeit heraus nicht auf Gott und sein Wort geschlossen werden, aber auf der Grundlage der Analogia entis kann nach Scheffczyk immerhin Gleichnisrede von Gott betrieben werden680. Alois Felder untersucht in seiner Arbeit Wort – Strukturprinzip der Theologie sehr knapp das methodische Vorgehen in Scheffczyks Theologie und er erklärt, dass „die Heilsgeschichte auf einem induktiven Weg adäquater erfaßt werden“681 kann. Felder relativiert diese Aussage aber gleich: „der induktive Weg [bewegt sich] im Führungsfeld einer angestrebten Gesamtschau“682. Das bedeutet dann aber, dass Scheffczyks eigenes Vorgehen auch nicht ausschließlich als Deduktion von Folgesätzen aus Prämissen beschrieben werden kann. Selbst wenn jede Wissenschaft aus gesicherten Prinzipien Folgesätze ableitet, dann muss auch die Anfrage geklärt werden, ob die Prinzipien der Theologie und die Prinzipien anderer Wissenschaften nicht doch unterschiedlich sind. Schließlich kann man die Dogmen oder den Glauben der Kirche nicht wie empirisch nachprüfbare Naturgesetze verstehen.

678 679

680 681

682

Vgl. POPPER, Karl R., Logik der Forschung. Tübingen (1935) 51973, 20 ff. Vgl. hierzu Poppers Beschreibung der Induktion in On Sources of Knowledge and of Ignorance. In: FINDLAY, J. N. (Hrsg.), Studies in Philosophy. British Academy Lectures. London 1966, 188: „In view of all this I suggest that the Baconian (as well as the Aristotelian) method of induction is the same, fundamentally, as Socratic maieutic; that is to say, the preparation of the mind by cleansing it of prejudices, in order to enable it to recognize the manifest truth, or to read the open book of Nature”. Hier Poppers Erklärung seiner eigenen Herangehensweise: „The question about the sources of our knowledge can be replaced in a similar way. It has always been asked in the spirit of: ‘What are the best sources of our knowledge-the most reliable ones, those which will not lead us into error, and those to which we can and must turn, in case of doubt, as the last court of appeal?’ I propose to assume, instead, that no such ideal sources exist - no more than ideal rulers and that all ‘sources’ are liable to lead us into error at times. And I propose to replace, therefore, the question of the sources of our knowledge by the entirely different question: ‘How can we hope to detect and eliminate error?’”, POPPER, On the Sources of Knowledge and of Ignorance, 206. Vgl. Kapitel III.2.1 der vorliegenden Arbeit. FELDER, Wort – Strukturprinzip der Theologie. Zur «Theologie des Wortes» bei Leo Scheffczyk. Dissertationen / Theologische Reihe. Band. 66. St. Ottilien 1993, 61. Ebd.

203

3.2 Wissenschaften Im vorausgehenden Abschnitt wurde klar, was Scheffczyk unter Wissenschaft versteht und dass die Theologie aufgrund ihrer deduktiven Arbeitsweise nicht aus dem Kreis der Wissenschaften eliminiert werden kann. Deshalb ist die Beziehung der Theologie zu anderen Wissenschaften darzustellen. Dabei geht es um die Frage, wie die einzelnen Wissenschaften aus gesicherten Prinzipien Folgesätze ableiten und ob ein Unterschied zwischen diesen grundlegenden Prinzipien festgestellt werden kann. Theologie und Philosophie Philosophie und Theologie sind eng miteinander verbunden683, denn beide Wissenschaften fragen „nach den Gründen, nach dem Ganzen und nach der Wahrheit […], die Wahrheit [ist] aber letztlich nur eine“684. Außerdem arbeiten Theologie und Philosophie bei der Frage nach der Wirklichkeit und Wahrheit der Dinge für Scheffczyk mittels der Wesenseinsicht, die über die Empirie hinausreicht. So gibt es eine durchgehende Verbindung zwischen Theologie und Philosophie. Beide Wissenschaften stehen miteinander in Kontakt und zwar „in ihrem ganzen Umfang und ihrer vollen Ausdehnung“685. Gleichzeitig müssen Theologie und Philosophie auch voneinander unterschieden werden, denn die beiden Wissenschaften arbeiten unter anderen Voraussetzungen, sie fragen unter einem jeweils anderen Aspekt nach der Wahrheit. Philosophie wird von Scheffczyk als „Geist- oder Seinsphilosophie oder als anthropologische Philosophie“686 charakterisiert. Die Reduktion der Philosophie auf Methodologie oder Wissenschaftstheorie entspricht nicht seinen Erwartungen. Die Philosophie hat deshalb eine besondere Aufgabe: Sie vermittelt die Ergebnisse der Tatsachenwissenschaften an die Theologie. Denn bevor die Theologie Stellung zu naturwissenschaftlichen Fakten nehmen kann, muss der Sinn dieser Fakten erschlossen, beziehungsweise die Relevanz dieser Fakten für die von Theologie und Philosophie untersuchte Wahrheit ausgewiesen sein:

683

684 685 686

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 268 ff. Vgl. hierzu auch DERS., Von der Heilsmacht des Wortes, 25 f. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 271. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 268. Ebd.

204

Philosophie erschließt die Fakten auf Sinn, Wesen,

Deutungen zulassen.

Relevanz für die Wahrheit. Untersuchung des Sinns: •

z.B.: Evolution als Faktum

ist Evolution ein irrationales Geschehen?



oder müssen die Ursachen der Evolution als unbekannt angesehen werden?

Theologie Die Theologie bezieht Position

Tatsachenwissenschaften fördern Fakten zu Tage, die viele

Die Theologie hat zu den Tatsachenwissenschaften deshalb nur eine mittelbare Beziehung. Nur zur Philosophie hat die Theologie eine unmittelbare Beziehung. Das hat wiederum einige Konsequenzen: die Theologie ist auf die Aufarbeitung des Stoffes durch die Philosophie angewiesen. Deshalb kann die Theologie umgekehrt „nichts von dem ausschließen, was die Philosophie an Erkenntnissen über die natürlichen Gründe und den Sinn von Welt und Mensch erfaßt hat“687. Aufgrund dessen kann die Theologie leicht in Abhängigkeit von der Philosophie geraten. Andererseits droht die Philosophie zur ancilla theologiae zu werden. Der Dienstcharakter der Philosophie darf aber nicht negativ verstanden werden: keine Wissenschaft kommt ohne Dienstcharakter aus. Die Philosophie kann die Offenbarung nicht selbst philosophisch aufarbeiten oder aus philosophischen Prinzipien zu erklären versuchen. Aus diesen Gründen ist es entscheidend, die Unterschiede zwischen Theologie und Philosophie klar zu benennen: a) Philosophisches Fragen erhält seinen Antrieb „aus der Wirklichkeit selbst“688 und aus der Folgerichtigkeit des Denkens und nicht aus einer Autorität wie der Offenbarung oder dem kirchlichen Dogma. Das hängt für Scheffczyk mit der Eigengesetzlichkeit des Vernunftdenkens und der Würde der Schöpfung zusammen. b) Der Gegenstand beider Wissenschaften ist deutlich voneinander verschieden. Die Theologie hat als Gegenstand den Gott der geschichtlichen übernatürlichen Offenbarung. Dieser Gegenstand liegt aber vollkommen außerhalb des natürlichen Denkens, innerhalb dessen sich die Philosophie bewegt. c) Das Übernatürliche oder das Überrationale ist nicht transzendental im Menschen oder im menschlichen Denken angelegt. Das heißt, dass Überrationales nicht aus dem Rationalen deduziert oder expliziert werden

687 688

SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 272. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 280.

205

kann689. Andernfalls würden Philosophie und Theologie, beziehungsweise Glauben und Wissen zusammenfallen. Philosophie und Theologie können deshalb auch nach der Art der Erkenntnis und der Evidenz der Ergebnisse unterschieden werden. Dies soll in der folgenden Tabelle dargestellt werden: Philosophie…

Theologie…

…kommt zu notwendiger, rational erzwungener

…setzt

Erkenntnis.

Zustimmung zur Annahme des Geglaubten voraus.

…kommt

zu

Erkenntnissen,

die

als

evident

beziehungsweise bis zu einer Widerlegung durch

rationale

Erkenntnis

und

willentliche

…kommt zu keiner Evidenz, weil der Gegenstand des Glaubens nicht vollständig rationalisierbar ist.

neue Einsichten als faktisch gesichert gelten.

Die Philosophie kann nach Scheffczyk demnach rationale Zustimmung erzwingen690. Die Theologie kann dies aufgrund ihrer Verbindung mit dem Glauben nicht. Denn zur Annahme des Glaubens gehören auch die Willensentscheidung von Seiten des Menschen und die göttliche Gnade. Rationale Erkenntnis alleine genügt bei der Theologie nicht. Theologisches Erkennen gründet in der „vom Gnadenlicht erleuchteten Vernunft“691. Die Philosophie ist universal auf alles Denkmögliche ausgerichtet. Denn der menschliche Geist ist aufgrund seiner Universalität auf das Sein im Ganzen ausgerichtet. Die Theologie muss bei der erkenntnismäßigen Auslegung der Offenbarung die Ergebnisse der Philosophie verarbeiten und dann „das heilshafte Wort im natürlichen Denken auch zur Wirkung kommen“692 lassen. Für Scheffczyk zeigt sich die Bedeutung der Beziehung zwischen Philosophie und Theologie vor allem am philosophischen Problemdenken. Philosophisches Problemdenken nimmt „die bleibenden Fragen des Menschen“693 auf, versucht sie zu klären und weiterzudenken. Im Gegensatz dazu darf in der Theologie nach Scheffczyk nie nur ein einzelnes philosophisches System rezipiert werden. Theologie und Humanwissenschaften Die Beziehung der Theologie zu den Humanwissenschaften wird unterschiedlich beschrieben. In Melchior Canos Werk De locis theologicis finden sich die 689 690

691 692 693

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 281. Das erklärt aber nicht, warum es unterschiedliche philosophische Schulen gibt, die sich einander widersprechen. Wenn Scheffczyk also von Philosophie spricht, dann meint er wahrscheinlich eine idealisierte philosophia christiana. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 282. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 285. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 292.

206

Humanwissenschaften unter den theologischen Erkenntnisquellen694, aber als loci extranei aufgeführt, das heißt als Wahrscheinlichkeiten, die für die theologische Erkenntnis „nur eine äußere und entferntere Geltung“695 haben können. Im Gegensatz dazu spielen die Humanwissenschaften im 20. Jahrhundert eine wesentlich bedeutendere Rolle für die Theologie. Das geht soweit, dass bereits von der Theologie als ancilla biologiae oder ancilla medicinae gesprochen wurde696, um in ethischen Fragen die Abhängigkeit der Theologie von den Humanwissenschaften zu verdeutlichen. In diesem Fall liefern die Humanwissenschaften ihre Erkenntnisse direkt an die Theologie. Humanwissenschaftliche Erkenntnisse werden zu theologischen Inhalten: „Wenn die Moral – und in Konsequenz das theologische Denken insgesamt – von neurophysiologischen Vorgängen kausal-analytisch abgeleitet wird, dann ist das Wesen des Sittlichen zerstört, das gerade in der Selbstverantwortlichkeit bezüglich geistiger Werte und Güter besteht“697.

Mit anderen Worten: eine vollständige Integration von humanwissenschaftlichen Ergebnissen in die Theologie kann es nach Scheffczyk ebenso wenig geben wie eine vollständige Identifikation zwischen Theologie und Philosophie. Aus diesem Grund ist die Zuordnung von Humanwissenschaften und Theologie zu untersuchen. Theologische Anthropologie und Humanwissenschaften beschäftigen sich mit dem Menschen als Materialobjekt. Allerdings wird dieses Materialobjekt „unter einem anderen Aspekt betrachtet“698. Das heißt: das Formalobjekt ist unterschieden. Die Theologie muss „den Menschen als Wesen der Transzendenz zu Gott hin sehen […] nicht nur in Bezug auf den Gott der Natur und der Schöpfung, sondern vor allem in Bezug auf den Gott der Gnade, der Erlösung und des »übernatürlichen« Heils“699. Auch hier kann nicht von einer Einheit von Natur und Gnade gesprochen werden. Deshalb ist für Scheffczyk die Formel „Theologie ist Anthropologie“700 missverständlich. Die Bedeutung der Humanwissenschaften für die Theologie ist deshalb ebenso zu verstehen wie die Bedeutung der unzureichenden Kriterien für die Interpretation der Dogmen. Beiden kommt nur eine „regulative Bedeutung“701 zu. Das bedeutet: Humanwissenschaften können das theologische Denken nicht normativ beeinflussen. 694 695 696

697 698 699 700 701

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 296. Ebd. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 295. Scheffczyk erwähnt in diesem Zusammenhang besonders das Werk Wie frei ist der Mensch? von P. Chauchard. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 299 f. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 300. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 304. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 304 f. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 304. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 306.

207

Und Humanwissenschaften sind keine inneren Prinzipien der Theologie. Trotzdem können die Humanwissenschaften als Indikatoren verstanden werden. Scheffczyk erklärt: „Solche Indikatoren haben nicht die Aufgabe, die theologischen Aussagen inhaltlich zu erfüllen und material zu bestimmen. Aber sie setzen Richtmarken, nach denen das theologisch zu Sagende auf die menschliche Wirklichkeit auszurichten und auch umgekehrt von ihr her zu erhellen ist“702.

Die Humanwissenschaften bringen in die Theologie keine Inhalte ein, wie zum Beispiel moralische Normen. Aber die Humanwissenschaften können Voraussetzungen, Bedingungen und Modalitäten für einen sittlichen Akt oder eine theologische Aussage anzeigen. Wenn also eine humanwissenschaftliche Studie vorgelegt wird, dann kann das für die Moraltheologie eine Voraussetzung sein, zu einem bestimmten Problem Stellung zu beziehen. Oder wenn in den Humanwissenschaften über die Forschung mit menschlichen Stammzellen diskutiert wird, dann zeigt das der Theologie, dass Stellung bezogen werden muss. Dadurch werden theologische Äußerungen nicht inhaltlich von den Humanwissenschaften gefüllt, die Theologie wird aber sehr deutlich auf die menschliche Wirklichkeit ausgerichtet. Dadurch wird aber auch die vermittelnde Rolle der Philosophie von Scheffczyk selbst in Frage gestellt. Wenn nämlich von Theologen verlangt ist, in einer Diskussion Stellung zu einem bestimmten Sachverhalt zu beziehen, dann können die Theologen nicht erst warten, bis Philosophen alle möglichen Konsequenzen eines Themas aufgearbeitet haben. Der von Scheffczyk geforderte Kontakt der Theologie mit der menschlichen Wirklichkeit ginge so verloren. Theologie und Naturwissenschaften Ebenso wie zu den Humanwissenschaften kann die Theologie zu den Naturwissenschaften nur eine mittelbare Beziehung haben. Denn als Tatsachenwissenschaften liefern die Naturwissenschaften Fakten, die eine Vielzahl von Deutungen ermöglichen. Die Naturwissenschaften sind „dem empirisch faßbaren und erfahrbaren Wirklichkeitsbereich“703 zugeordnet. Deshalb basieren sie auf empirischer Erfahrung und mathematischer Berechnung und Analyse. In der naturwissenschaftlichen Forschung müssen die funktionalen Zusammenhänge verschiedener „Erscheinungen“704 hergestellt werden. Dabei bedienen sich die Naturwissenschaften der Kausalität, der Statistik oder der Stochastik. Eine Naturwissenschaft ist für Scheffczyk deshalb ein System von Kausalitätsverknüpfungen. Selbst wenn im mikrophysikalischen Bereich kein Determinismus feststellbar 702 703 704

Ebd. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 312. Ebd.

208

ist, gilt für das Scheffczyk das Dictum Werner Heisenbergs: „Das Vertrauen in den kausalen Ablauf der Ereignisse, die als objektiv vom Betrachter unabhängig betrachtet wurden, ist damit zu einem Grundpostulat der neuen Naturwissenschaft erhoben worden“705. Wenn die Naturwissenschaften als System von Kausalitätsverknüpfungen verstanden werden, dann folgt, dass sich die Naturwissenschaften nicht mit dem Wesen der Dinge und Geschehnisse beschäftigen, sondern mit der Erklärung der Zusammenhänge, beziehungsweise deren mathematischer Berechnung. Naturwissenschaften verleihen deshalb Einsicht in den Ablauf beobachtbarer Phänomene und bieten Einsicht, wie dieser Ablauf zu beeinflussen ist. Dieses Machtwissen der Naturwissenschaften steht dem Heilswissen der Theologie gegenüber. Trotz dieser schroffen Gegenüberstellung muss sich die Theologie mit den Naturwissenschaften beschäftigen, sonst wird die Theologie subjektivistisch und wertlos, und sie verliert ihre wissenschaftliche Ausweisbarkeit. Wahrheit in den Naturwissenschaften ist Zurückführung der empirischen Erscheinungen auf ihre letzten Wirkursachen. Dieses Verständnis hat mit Richtigkeit zu tun. Denn Naturwissenschaften untersuchen die Übereinstimmung von Phänomenen und passen sie in ein logisches System ein, das wieder aufgegeben werden kann, wenn die Tatsachen durch ein System nicht mehr erklärt werden können. Die naturwissenschaftliche Richtigkeit ist deshalb eine Sachwahrheit. Theologische Wahrheit dagegen ist personale Wahrheit, die eine personale Antwort erfordert. Die personale Wahrheit besteht in der Entsprechung zu etwas personal Erfasstem, beispielsweise der personalen Wahrheit der Offenbarungszeugnisse. Deshalb kann die theologische Wahrheit als Heilswahrheit, als Geheimnis bezeichnet werden. Denn die menschliche Vernunft muss eine personale Wahrheit nicht teilen. Im Gegensatz dazu ist die naturwissenschaftliche Richtigkeit eine evidente Vernunftwahrheit, der nicht widersprochen werden kann. Naturwissenschaftliche Richtigkeit ist durch innere Notwendigkeit eine Sachwahrheit. Das bedeutet, dass Theologie und Naturwissenschaften sachlich und methodisch auf verschiedenen Ebenen arbeiten. Diese Ebenen dürfen aber nicht nebeneinander oder übereinander angeordnet werden. Es muss vielmehr die Beziehung zwischen Naturwissenschaften und Theologie geklärt werden. Die Theologie wird hier von Scheffczyk „als neue Dimension verstanden […], in welcher die Erfassung der Naturgegebenheiten in der Erstreckung von Höhe und Tiefe möglich ist“706. In der Beziehung zwischen Naturwissenschaften und Theologie zeigen sich also verschiedene Dimensionen der Wirklichkeit, die ausdifferenzierter ist, als dass dies ein rein empirisches Weltbild erklären könnte. Die Grenzen dieser Dimensionen sind nicht geschlossen. Die Natur705 706

HEISENBERG, Werner, Das Naturbild der heutigen Physik. Hamburg 1955, 34. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 321.

209

wissenschaft kann in Offenheit für die Theologie verstanden werden und die Theologie kann gerade in Grenzfragen auf die Naturwissenschaften angewiesen sein. Naturwissenschaften und Theologie berühren sich nicht in allen Punkten, aber gerade Grenzfragen können das gegenseitige Verständnis von Theologie und Naturwissenschaften vertiefen. Dabei geht es Scheffczyk nicht darum, naturwissenschaftliche Daten in die Theologie zu integrieren. Das wäre für Scheffczyk ein intrinsezistischer Fehler. Von verschiedenen Dimensionen der Wirklichkeit zu sprechen, oder auch von einem mehrdimensionalen Weltbild, zeigt aber auch Entsprechungen zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Wissenschaftliche Befunde von Naturwissenschaften können demnach gar nicht mit der Theologie harmonisiert werden. Es geht eher um den Aufweis der Widerspruchsfreiheit naturwissenschaftlicher Befunde mit der Theologie. Für das Verhältnis von Naturwissenschaften und Theologie bedeutet dies: Die Naturwissenschaften sind prinzipiell offen für die Antworten der Theologie. Und die Theologie ist auf die Naturwissenschaften verwiesen „als natürliche […] Voraussetzung für die Offenbarungserkenntnis der Schöpfungswirklichkeit“707. Grenzüberschreitungen gilt es zu vermeiden. Die Theologie kann keine naturwissenschaftlichen Aussagen machen und die Naturwissenschaften können keinen religiösen oder sittlichen Anspruch erheben708. Ergebnis In seiner Darstellung der Beziehung zwischen Philosophie und Human- und Naturwissenschaften zur Theologie untersucht Scheffczyk nicht die Prinzipien dieser Wissenschaften. Damit können deren Prinzipien auch nicht mit denen der Theologie in Verbindung gebracht werden. Gerade bei seiner Darstellung der Philosophie kommt Scheffczyk zu einem sehr idealisierten Verständnis dieser Wissenschaft. Entscheidend ist für Scheffczyk die Polarität von Natur und Gnade. Philosophie, Human- und Naturwissenschaften funktionieren in der Dimension der Natur. In der Theologie wird aber auch eine neue Dimension untersucht, nämlich die der Gnade. Deshalb können andere Wissenschaften keine Normen für theologische Arbeit zur Verfügung stellen. Letztlich vertieft Scheffczyk damit aber den Unterschied der Theologie zu anderen Wissenschaften. Denn jetzt stellt sich eigentlich die Frage, ob die Dimension der Gnade überhaupt wissenschaftlich untersucht werden kann oder nicht. Dass Scheffczyk an dieser Frage nicht interessiert ist, zeigt sein Verständnis von Wissenschaft: Wenn man nämlich nur davon ausgeht, dass Wissenschaft in der Deduktion von Folgesätzen aus gesicherten Prämissen (allgemeine Methodizität der Wissenschaft) besteht, dann ist klar, dass aus den Dogmen der Kirche als gesicherten Prämissen Folgesätze deduziert werden können. Dann müsste aber 707 708

SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 323 Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 324 f.

210

auch die Astrologie eine Wissenschaft sein, in der aus dem „Horoskop eines Menschen nach gewissen Regeln Aussagen oder Vorhersagen über seinen Charakter und sein Schicksal“709 gewonnen werden. Einzige Bedingung wäre nur, dass deduktives Vorgehen nachgewiesen werden kann. Wissenschaft kann demnach nicht nur als Deduktion von Folgesätzen aus gesicherten Prämissen verstanden werden. Dadurch würde nämlich jeder Vorgang, der als Deduktion beschrieben werden kann, gleich als wissenschaftlich charakterisiert. Die Untersuchung von Prämissen stellt ein noch viel größeres Problem dar. Es können nämlich gar nicht alle Prämissen aller Wissenschaften einzeln aufgezählt werden und wenn man das trotzdem versuchen würde, dann könnte man die einzelnen Prämissen der verschiedenen Wissenschaften auch gar nicht miteinander vergleichen. Auf welcher Grundlage sollte man die Prämissen der Physik mit denen der Altphilologie vergleichen? Außerdem arbeitet die Theologie nach Bernhard Lonergan gar nicht mehr mit der Deduktion von Folgesätzen aus Prämissen. Peter Hünermann geht zur Begründung des Wissenschaftscharakters der Theologie von der „formalen Perspektive bzw. Annahme einer vorausgehenden Axiomatik“710 aus, also von „formalen Bedingungen, die für jede Wissenschaft gelten“711. Das zeigt, dass Scheffczyks Vorgehen, Wissenschaft und damit auch die Theologie als Wissenschaft auf der Grundlage ihres methodischen Vorgehens zu bestimmen, Erfolg versprechend ist und auch mehrere Jahrzehnte nach Scheffczyks Veröffentlichung Die Theologie und die Wissenschaften so vertreten wird712. Allerdings kann wissenschaftliches Vorgehen nicht nur mit Deduktion gleichgesetzt werden. Wenn man die Frage stellt, ob die Dimension der Gnade wissenschaftlich untersucht werden kann, dann genügt es dabei nicht, zu erklären, dass der Glaube der geschichtlich verfassten Kirche oder die Dogmen der Kirche die Prinzipien oder Prämissen der wissenschaftlichen Theologie sind. Man muss auch erklären, dass der Glaube die freie Zustimmung eines Menschen erfordert und eine entscheidende Funktion für das Welt- und Selbstverständnis der Gläubigen hat. Es wäre deshalb wichtig zu zeigen, wie die Theologie in der Polarität von Natur und Gnade funktionieren kann.

709

710 711 712

THIEL, Christian, Astrologie. In: MITTELSTRAß, Jürgen (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 1. Stuttgart 22004, 200. HÜNERMANN, Die Theologie und die Universitas litterarum heute und gestern, 63 Ebd. Hünermanns Artikel erschien im Jahr 2007, also 30 Jahre nach Die Theologie und die Wissenschaften.

211

4. Theologie Die Theologie kann nach Scheffczyk ihren Charakter als Glaubenswissenschaft nur bestimmen, wenn sie ihren Gegenstand nachweist und erklärt, dass dieser Gegenstand vom gläubigen Denken erfasst werden kann. Die Theologie muss deshalb ihren Gegenstand, also ihr Materialobjekt aufzeigen713 und ihr Formalobjekt ausweisen. 4.1 Materialobjekt Der Aufweis des Gegenstandes Der Aufweis des Gegenstandes der Theologie, also die Existenz Gottes zu begründen, kann nach Scheffczyk nur möglich sein, wenn man es als Möglichkeit der menschlichen Vernunft ansieht, Gott zu erkennen714. Er verweist auf das Erste Vatikanische Konzil. In der Dogmatischen Konstitution Dei Filius heißt es: „Dieselbe heilige Mutter Kirche hält fest und lehrt, daß Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiß erkannt werden kann“715. In der neueren Theologie wird vom „Gottesgedanken in der Menschheit“716 gesprochen. Der Mensch wird so als jemand verstanden, der auf Gott hin 713

714 715

716

Scheffczyk verweist auf den Kritischen Rationalisten Hans Albert, der sich in seinem Buch Traktat über kritische Vernunft mit der Theologie auseinandergesetzt hat. Albert bezieht dezidiert Stellung gegen die Wissenschaftlichkeit der Theologie und erklärt: „In dieser sich modern nennenden Theologie wird um das Existenzproblem [Gottes], wenn es überhaupt auftaucht, so herumgeredet, daß man keine Klarheit darüber gewinnen kann, was der betreffende theologische – manchmal auch philosophische – Autor wirklich glaubt“, ALBERT, Traktat über kritische Vernunft, 143. Da Existenzbehauptungen „aus logischen Gründen“ (ALBERT, Das Elend der Theologie, 81) wenn überhaupt nur verifiziert, aber nie falsifiziert werden können, gilt nach Albert: Die Beweislast für die Existenz Gottes liegt auf Seiten der Theologie. Für Scheffczyk ist deshalb die Frage nach der Existenz Gottes sowohl ein Punkt „der höchsten Spannung zum natürlichen Wissenschaftsdenken“ (SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 227), gleichzeitig aber auch der Ort der engsten Berührung zwischen Theologie und anderen Wissenschaften. Scheffczyk spricht aber nicht von einem Gottesbeweis, er spricht von einem Aufweis des Gegenstandes der Theologie. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 228. DH 3004: „Eadem sancta mater Ecclesia tenet et docet, Deum, rerum omnium principium et finem, naturali humanae rationis lumine e rebus creatis certo cognosci posse“. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 228. Scheffczyk nennt Pannenbergs Ausführungen über die Erfahrung Gottes als Totalsinn des menschlichen Lebens, Peukerts Ausführungen über das Betroffensein von einem Unbedingten im Handeln an Mitmenschen und in der Gesellschaft, sowie Rahners Transzendenzerfahrung im Innern der Menschen.

212

ausgerichtet ist. Wenn die Ausführungen des Ersten Vatikanischen Konzils gelegentlich als zu sicher kritisiert werden717, so ist das nur so zu verstehen, dass in der neueren Theologie (im Unterschied zur logisch-intellektuellen Konzilsdefinition des Ersten Vatikanums) der Gottesgedanke tiefer mit dem menschlichen Dasein verbunden wird. Deshalb kann Scheffczyk als Konsens in der neueren Theologie formulieren: „Gott ist Inhalt und Gegenstand einer natürlichen Erkenntnis der Vernunft oder der Erfahrung, welche Momente ja beim Menschen nicht total voneinander zu trennen sind“718. Dieser Gottesgedanke ist im menschlichen Dasein, in der Geschichte des Menschen und im mitmenschlich-sozialen Bereich verankert. Deshalb kann dieser Gottesgedanke als allgemein und intersubjektiv ausgewiesen werden. Und dieser Gottesgedanke kann das Fundament einer Gotteslehre und einer wissenschaftlichen Theologie werden, Scheffczyk spricht hier zunächst von einer natürlichen Theologie und erklärt diese natürliche Theologie folgendermaßen: a) Die natürliche Theologie kann kein eigener und selbstständiger Bereich der Theologie sein. Denn die beiden Dimensionen Gnade und Natur können nicht vollständig voneinander getrennt werden. b) Die natürliche Theologie kann nicht die Ursache sein, die „aus der Theologie eine Glaubenswissenschaft macht“719. Hier liegt sonst die Gefahr nahe, dass der Glaube aus dem Wissen abgeleitet wird. c) Der Gottesbegriff in der natürlichen Theologie ist unvollkommen, leer und abstrakt. Es fehlt die Fülle des Gottesverständnisses der Heiligen Schrift. Schließlich können die Dimensionen Gnade und Natur nicht vermischt werden. d) Aber die natürliche Theologie ist die Bedingung für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Glauben. Denn Wissenschaftlichkeit muss immer auf die Dimension der Natur zurückgeführt werden. Damit ist die natürliche Theologie die Bedingung für die Theologie als Wissenschaft. In der Theologie muss der Gottesgedanke ausgelegt, entfaltet und begründet werden. Theologische Entwürfe, in denen aber nur die Dimension der Natur ohne ihre polare Ergänzung, nämlich die Dimension der Gnade, verarbeitet wird, lehnt Scheffczyk ab. Die Theologie darf keine religiös-existentiell vertiefte Anthropologie oder eine idealistisch überhöhte Geschichtsphilosophie werden. Nur in der Polarität von Natur und Gnade nimmt das Natürliche für Scheffczyk eine besondere Funktion ein: „Wenn die »natürliche Theologie« in dieser Weise das Ganze der Theologie usurpiert und sich als dieses Ganze ausgibt, verliert das »Natürliche« freilich den Charakter eines Kriteriums für die Wissenschaftlichkeit der Theologie und seine besondere wissenschaftstheoretische Funktion. Dagegen gewinnt es im Aufbau einer Theologie, die sich nicht auf die Eindimensionalität des Natürlichen beschränkt, die vielmehr mit der 717 718 719

Vgl. ebd. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 230. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 232.

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umgreifenden Dimension der »übernatürlichen« Offenbarung Gottes und des Glaubens ernstmacht, eine besondere wissenschaftstheoretische Bedeutung. Es vermag aufzuzeigen, daß der Gottesgedanke (als Gedanke von einem Existierenden) im Bereich der menschlichen Vernunft und Erfahrung gelegen ist, daß er daraufhin auch wissenschaftlich ausgelegt, entfaltet und begründet werden kann. Dieses Begründungsverfahren geschieht nicht in einem Vorraum der Offenbarungstheologie […] Es darf vielmehr als der der Offenbarungstheologie immanente Ausgangspunkt angesehen werden, der von der Offenbarungstheologie nicht nur vorausgesetzt wird, sondern von ihr mitgesetzt ist“720.

Scheffczyk braucht also die natürliche Theologie, um zwei Vorgänge miteinander zu verbinden. Der erste ist die Fähigkeit des Menschen zur wissenschaftlichen Tätigkeit und der zweite ist der Gottesgedanke, der in allen Menschen und in allen menschlichen Lebensbezügen zu Tage tritt. Diese beiden Vorgänge werden von Scheffczyk als natürlich gekennzeichnet, das heißt, sie gehören zu der Dimension der Natur und können nicht zur Dimension der Gnade gerechnet werden. In der wissenschaftlichen Theologie spielt aber die Dimension der Gnade auch eine Rolle. Und deshalb muss die natürliche Theologie mit der von ihm so genannten Offenbarungstheologie in Verbindung gebracht werden. Nur so kann die Wissenschaftlichkeit der Theologie für ihn sichergestellt werden. Offensichtlich muss in der wissenschaftlichen Theologie natürliche Theologie betrieben werden, und diese dann in Polarität mit der Dimension der Gnade gesetzt werden. Mit einem zweistöckigen Weltbild, das zu einem extrinsezistischen Auseinanderfallen von Schöpfung und Heil führt721, hat dies zwar nichts zu tun, Scheffczyks Polarität von Natur und Gnade sichert schließlich auch die Verbindung der beiden Dimensionen. Aber es stellt sich die Frage, in wieweit man klären kann, was alles zur Dimension der Natur beziehungsweise der Gnade zu rechnen ist. So ist die wissenschaftliche Tätigkeit von Menschen mit Sicherheit bei Scheffczyk ein Tun im Bereich der Dimension der Natur. Aber müsste man nicht auch in diesem konkreten Bereich menschlicher Tätigkeit eine Beziehung zur Dimension der Gnade herstellen, um beide Dimensionen nicht auseinander fallen zu lassen? Offensichtlich versteht Scheffczyk die Dimensionen von Natur und Gnade als Mengen, die mit Elementen gefüllt sind, die jeweils einer der beiden Dimensionen zuzuordnen sind. Wissenschaftliche Tätigkeit wäre also ein Element der Dimension der Natur. Die einzelnen Elemente einer Dimension scheinen dabei keine Beziehung zu der jeweils anderen Dimension zu haben, wissenschaftliche Tätigkeit wird von Scheffczyk nur in der Dimension der Natur verstanden. Die Dimensionen Natur und Gnade stehen dafür miteinander in 720 721

SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 231 f. Die Verwendung des Wortes Übernatürlich führt nach Pesch zu dieser Gefahr. Vgl. PESCH, Otto Hermann, Übernatürlich. In: RAHNER, Karl u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche. LThK2 X. Freiburg 1965, 440.

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Polarität. Hier muss man aber auch nach anderen Elementen fragen. So kann Gott, Glaube oder Theologie offensichtlich nicht nur in der Dimension der Gnade, sondern auch in der Dimension der Natur eine Rolle spielen. Schließlich kennt Scheffczyk sowohl das Wort natürliche Theologie als auch Offenbarungstheologie. Wenn Scheffczyks Redeweise von den Dimensionen von Natur und Gnade auch nicht zu einem extrinsezistischen Auseinanderfallen führt, so doch mindestens zu einem höchst komplexen System von Begriffen. Dies wird an der Verwendung des Wortes Glaube bei Scheffczyk deutlich, das in beiden Dimensionen eine Rolle spielt. Glaube und Vernunft Wenn die Theologie in der Polarität von Natur und Gnade funktioniert, dann müssen natürliche Theologie und Offenbarungstheologie verbunden und gleichzeitig unterschieden werden. Damit stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen Glaube und Vernunft. Scheffczyk geht von einem natürlichen Glauben aus. Darunter ist eine Überzeugung zu verstehen, ein Fürwahrhalten, das im Prozess des Denkens eine entscheidende Rolle spielt722. Natürlicher Glaube ist nicht religiöses Fürwahrhalten. Natürlicher Glaube kann auch nicht mit dem natürlichen Gottesgedanken gleichgesetzt werden723. Natürlicher Glaube bietet nur Einsicht in den natürlichen Erkenntnisprozess. Im natürlichen Glauben kommen deshalb sowohl Glaube als auch Wissen vor. Im Grunde genommen handelt es sich hier um das gleiche Verfahren wie bei den Ausführungen Scheffczyks zur natürlichen Theologie: zwei Tätigkeiten fallen in einen Bereich zusammen, der als Element der Dimension der Natur verstanden wird, um dann in Beziehung zur Dimension der Gnade gesetzt zu werden. Glaube und Wissen sind demnach in allen Wissenschaften vertreten, denn in jedem wissenschaftlichen Erkenntnisprozess liegt ein Glaubensmoment begründet724. Während Hans Albert den natürlichen Glauben als Laster ablehnt, findet Scheffczyk bei Karl Popper einige Ausführungen zum natürlichen Glauben. Gegenüber dem Positivismus zeigt sich für Popper die Bedeutung eines metaphysischen 722

723 724

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 234 f.: „in jedem Erkenntnisvorgang, sei es auf seinem Grunde, sei es in seinem Verlauf, [findet sich] auch ein Moment natürlichen Glaubens […], das nicht von der Art reflexer Gewißheit ist und doch kein Irrationales darstellt, weil es hier um die Zuneigung des Willens zu einem Wert geht“, hier 235. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 235. Vgl. ebd. Diese Auffassung wird auch in der modernen Physik geteilt. Albert Einstein beispielsweise verweist auf die vorgefasste Meinung des Forschers, ohne die Gesetzmäßigkeiten in der Fülle von Erscheinungen überhaupt nicht erkannt werden könnten. Vgl. HOLTON, Gerald, Themata. Zur Ideengeschichte der Physik. Braunschweig 1984, 149.

215

Glaubens725. Das Auffinden von Hypothesen kann Popper mit einem Raten gleichsetzen: „Wir wissen nicht, wir raten“726. Und dieses Raten ist nach Popper geleitet „von dem unwissenschaftlichen, metaphysischen (aber biologisch erklärbaren) Glauben, daß es Gesetzmäßigkeiten gibt, die wir entschleiern, entdecken können“727. Der natürliche Glaube begründet und ermöglicht nach Scheffczyk demnach die Theologie ebenso wie jede andere Wissenschaft. Deshalb gilt für ihn: „Die Behauptung, daß die Theologie als natürliche Form eines mit dem natürlichen Glauben verbundenen Wissens begründet werden könne, ist insofern gesichert, als viele natürliche Wissenschaften zugeben, daß sie einen solchen Glauben als tragende Wert-, Ordnungs- und Weltanschauungsvorstellung auch voraussetzen“728.

Dieser natürliche Glaube wird von allen Wissenschaften vorausgesetzt. Gleichzeitig wird dieser natürliche Glaube aber nirgends thematisiert und ausgearbeitet. Hier kann die Aufgabe der Theologie einsetzen. Es stellt sich aber zusätzlich die Frage, ob und wie der natürliche Glaube in Analogie zum theologischen Glauben steht. Oder warum Widerspruch zum Glauben mit ethischer, religiöser und personaler Qualität möglich ist, wenn natürlicher, neutraler, eshafter Glaube an etwas wie Sinn oder einen Grund in den Wissenschaften möglich ist? Diese Möglichkeit des Widerspruchs gegen den theologischen Glauben muss geklärt werden. Deshalb stellt Scheffczyk den natürlichen Glauben, er spricht hier auch vom neutrischen Glauben, dem theologischen Glauben, er spricht hier vom personhaften Glauben, gegenüber729:

725 726 727 728 729

Vgl. POPPER, Logik der Forschung, 13. POPPER, Logik der Forschung, 223. Ebd. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften,237. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften,238 f.

216

Neutrischer Glaube…

Personhafter Glaube…

…ist ein gläubiges Fürwahrhalten mit neutraler Struktur.

…ist ein gläubiges Fürwahrhalten mit personaler Struktur.

…thematisiert Wahrheit, Ordnung, das Eine als Gesetz, oder eine Norm. Es geht um ein sachhaft, neutrisches, abstraktes Etwas.

…thematisiert dieselbe Wahrheit oder Ordnung wie der neutrische Glaube aber diese Wahrheit wird verstanden: • als Person • als Du • als Begegnendes.

…erkennt Wahrheit, abstrahiert dabei aber von der Person, von dem in der Wahrheit entgegenkommenden Du.

…kennt die Abstraktion des neutrischen Glaubens nicht, sondern nur personal strukturierte Hinneigung. Im personhaften Glauben steht das Ich als Erkennendes im Mittelpunkt. Ein Ich muss aber in Beziehung zu einem Du gesetzt werden. …folgert: „Ich erkenne Wahrheit“.

…folgert: „Es gibt sachliche Wahrheit“.

Der Unterschied zwischen dem neutrischen Glauben und dem personhaften Glauben scheint hier möglichst gering gehalten. Die Frage, ob dies berechtigt ist, stellt Scheffczyk nicht. Das heißt dann aber, dass der Satz Ich glaube, dass die Hypothese x richtig ist ebenso mit Glauben zu tun hat wie der Satz Ich glaube an Gott. Der einzige Unterschied wäre, dass im ersten Fall neutrischer Glaube und im zweiten Fall personhafter Glaube vorliegt. Und Scheffczyk spricht tatsächlich von einem minimalen Unterschied730: Der personhafte Glaube fügt im Gegensatz zum neutrischen Glauben die Person des Menschen mit ein. Und weil die Person nur in ihrem Selbststand und in ihrer Beziehung adäquat verstanden werden kann, ermöglicht der personhafte Glaube die Relation eines Ich mit einem Du, letztlich dem Du Gottes. Damit ist der Personalismus eine Grundgröße der Wissenschaftstheorie bei Scheffczyk. Damit stellen sich aber einige Fragen. Erstens: kann bei der Analyse des neutrischen Glaubens wirklich von der Person des Menschen abgesehen werden oder ist das nicht eine Vereinfachung? Schließlich ist es ein Mensch, der neutrisch glaubt (oder wie man diesen Vorgang überhaupt noch benennen kann), und der auch im Erkenntnisprozess Person ist. Und zweitens: kommt der neutrische Glaube wirklich zu der Folgerung, es gebe sachliche Wahrheit, also die sachliche Wahrheit oder Richtigkeit einer Theorie? Schließlich hat Karl Popper, auf den Scheffczyk an dieser Stelle zurückgegriffen hat, auch von einem metaphysischen (aber biologisch erklärbaren) Glauben an Gesetzmäßigkeiten gesprochen. Dabei kommt Popper aber nicht zu dem Schluss, am Ende dieses Glaubens und der wissenschaftlichen Arbeit stünde als Ergebnis fest, dass eine Theorie wahr oder richtig ist, sondern dass eine Hypothese überprüft, der 730

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 239.

217

Falsifikation ausgesetzt werden muss. Deshalb auch Poppers Frage: „How can we hope to detect and eliminate error?”731 Und drittens: Ist der personale Glaube, den Scheffczyk auch als theologischen Glauben bezeichnet, tatsächlich ohne das Zeugnis der Heiligen Schrift und die Tradition der Kirche erklärbar? Der Unterschied zwischen der Theologie und anderen Wissenschaften besteht für Scheffczyk grundsätzlich darin, dass entweder ein abstrakter Erkenntnisprozess im neutrischen Glauben vollzogen oder ein personaler Glaubensprozess thematisiert wird. Der Unterschied zwischen neutrischen und personalem Glauben ist für ihn die natürliche „Wurzel der Theologie“732: Die Ausweitung des neutrischen Glaubens zum personalen Glauben kann nicht erzwungen werden, aber wegen dieser Ausweitung dürfte der Theologie der Wissenschaftscharakter nicht abgesprochen werden, der bereits in der natürlichen Theologie Grund gelegt wurde. Das zeige das Postulat der Widerspruchsfreiheit: Kein Gesetz der Logik und der Ethik wird in dieser Ausweitung verletzt. Im Gegenteil: „Die Einschränkung des natürlichen Fürwahrhaltens auf einen neutrischen Glauben ist viel weniger begründet als die Ausweitung dieses Glaubens zu einem personalen“733. Ergebnis Natürliche Theologie ist damit der „Ermöglichungsgrund der Theologie als Wissenschaft“734. Die Beziehung zwischen natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie kann Scheffczyk dadurch erklären, dass Natur und Gnade aufeinander verwiesen sind ohne ineinander zu fallen735. Theologie erhält damit in der Dimension der Natur ihren Wissenschaftscharakter. Diesen Wissenschaftscharakter behält die Theologie, wenn sie die Dimension der Gnade untersucht736. Wissenschaftlichkeit kann der Theologie nur dann abgesprochen werden, wenn ein empirischer Wissenschaftsbegriff zugrunde gelegt wird. Aber dann fallen neben der Theologie auch andere Geisteswissenschaften aus dem Bereich der Wissenschaft heraus. Wenn man von den Dimensionen von Natur und Gnade sprechen möchte, dann zeigen Scheffczyks Ausführungen, wie schwierig, wenn nicht gar 731 732 733 734 735 736

POPPER, On Sources of Knowledge and of Ignorance, 206. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 240. Ebd. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 242. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 245. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 246 f.: „Die Theologie ist Wissenschaft, insofern sie, vom natürlichen Gottesgedanken ausgehend, die übernatürliche Offenbarung im Glauben als der Vernunft folgend (obsequium rationi consentaneum: DS 3009) erfaßt, sie in ihrem Sinn mit den Mitteln (Methoden) der Vernunft aufschließt und ein gewisses Verständnis von ihr erarbeitet, das freilich innerhalb der Bereiches des übernatürlichen Glaubens bleibt“.

218

unmöglich es ist, von der Dimension der Natur aus in der theologischen Reflexion auf die Dimension der Gnade zu kommen. Das zeigte sich sowohl an seinen Ausführungen zum natürlichen Gottesgedanken als auch zum neutrischen Glauben: Dass es diesen Gottesgedanken gibt und dass im wissenschaftlichen Arbeiten auch eine Art von Glaube oder Vertrauen notwendig ist, ist eigentlich klar. Von hier aus aber auf den dreieinen Gott zu kommen, erscheint unmöglich, wenn man davon ausgeht, dass die Dimensionen von Natur und Gnade nicht nur miteinander in Beziehung stehen, sondern eben auch voneinander unterschieden werden müssen. Diese Schwierigkeiten können behoben werden, wenn man beispielsweise mit Karl Lehmann davon ausgeht, dass der Glaube das Denken braucht, „wenn er sich treu bleiben will“737. Auf diese Weise muss man gar nicht zwischen neutrischem Glauben und dem personhaftem Glauben unterscheiden: Denken gehört zum christlichen Glauben immer schon dazu, damit er Glaube ist. Die Dimensionen von Natur und Gnade können hier gar nicht vollständig voneinander unterschieden werden. 4.2 Formalobjekt In der Theologie wird mit verschiedenen Methoden gearbeitet. Es stellt sich allerdings auch die Frage, in wie weit die Theologie, wie jede andere Wissenschaft auch, eine Einheit darstellt, in wieweit Vielfalt innerhalb der notwendigen Einheit der Theologie berechtigt ist738. Auch Einheit und Vielfalt in der Theologie bilden somit eine Polarität. Methodische Vielfalt und Einheit der Theologie Die Vielfalt theologischer Disziplinen, Richtungen und Schulen kann ein Zeichen für die Lebendigkeit und die berechtigte Vielfalt theologischen Arbeitens sein. Das gilt aber nur solange eine innere Einheit erkennbar bleibt und aus dem Nebeneinander kein Gegeneinander wird. Denn „nicht die Vielfalt des Wissens [kreiert] die Wissenschaft […], sondern die gegliederte Einheit des Wissens“739. Dieser Grundsatz muss besonders für die Theologie als Glaubens737 738

739

LEHMANN, Der »intellectus fidei«, 39. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 327: Die Einheit der Theologie ist für Scheffczyk sogar ein Kriterium für die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Genitivtheologien (Scheffczyk nennt: Theologie der Welt), Bindestrichtheologien (Scheffczyk nennt: Prozess-Theologie) und Adjektivtheologien (Scheffczyk nennt: Politische Theologie) stellen für Scheffczyk ein Problem dar. Theologie ist schließlich Glaubenswissenschaft. Verschiedene Theologien bringen den Glauben aber jeweils auf verschiedene Art zum Ausdruck. Damit führen unterschiedliche Theologien zu der Frage, ob man den verschiedenen Ausarbeitungen einen gemeinsamen Namen (Theologie) geben kann oder nicht. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 328.

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wissenschaft gelten. Denn der Glaube, den die Theologie wissenschaftlich auslegt und begründet, kann nur einer sein. Für die verschiedenen Disziplinen der Theologie mit ihren unterschiedlichen Aufgaben nennt Scheffczyk folgende Methoden: „die philosophische Methode der Wesenserkenntnis der Wahrheit“740 wird in der systematischen Theologie benutzt, die historische Methode „zur Erhebung der grundlegenden Offenbarungstatsachen“741 und empirische Methode „zur Applizierung des Glaubens auf das Leben der Kirche in der sogenannten »Praktischen Theologie«“742. Bedeutung der Systematik Zur Systematik zählt Scheffczyk die theologischen Fächer Fundamentaltheologie, Dogmatik und Moraltheologie743. Diese Fächer bilden für ihn das „Einheitszentrum“744 der Theologie, denn die systematischen Disziplinen sind jene Fächer, in denen „der Glaube als solcher zum Glaubensverständnis und zum Glaubenswissen erhoben wird“745. Das heißt, dass in den systematischen Fächern der Glaube der Kirche untersucht wird und die Arbeit der Theologie in der Polarität von Natur und Gnade betrieben wird. Weil es in den systematischen Fächern besonders um die Untersuchung des Glaubens der Kirche geht, kommt innerhalb der Systematik der Dogmatik eine besondere Bedeutung zu. Schließlich muss die gesamte Theologie mit dem Glauben verbunden sein und die geschichtliche Konkretion des Glaubens im kirchlichen Dogma berücksichtigen. Da die Dogmatik aber die Dogmen der Kirche untersucht, sind diese Ergebnisse auch für andere Disziplinen entscheidend. Das systematische Arbeiten ist nicht nur ein ordnendes, klassifizierendes oder katalogisierendes Vorgehen. Dies gehört zu jeder anderen theologischen Disziplin ebenso wie zur Systematik. Im Gegensatz zu dem Verständnis von systematischem Denken als katalogisierende Arbeit führt Scheffczyk aus: „Systematisches Denken zielt zuallererst darauf, die Frage nach der Wahrheit zu stellen, genauer: die Frage nach der Wesenswahrheit, nicht nur nach Tatsachenwahrheiten oder nach Richtigkeiten. [… Systematisches Denken] trifft vielmehr Wesensurteile über das, was notwendig und bleibend Wahrheit ist, auch wenn nicht verkannt werden soll, daß die Wahrheit »geschichtlich« ist“746. 740 741 742 743 744 745 746

Ebd. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 328 f. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 329. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 332. Vgl. ebd. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 333. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 337 f. Wird systematisches Arbeiten als Frage nach der Wesenswahrheit verstanden, charakterisiert das nach Scheffczyk das zentrale Anliegen der gesamten Theologie. Denn der Theologie geht es insgesamt um die Erkenntnis der Wahrheit der Offenbarung und um analoges Erkennen Gottes.

220

Die Systematik beschäftigt sich also mit der bleibenden Wahrheit, die im geschichtlichen Wandel aufgefunden werden kann. In diesem Zusammenhang wird in der Dogmatik versucht, die systemimmanenten Beziehungen des Glaubens der Kirche, also der bleibenden Wahrheit, zu verstehen. Die Fundamentaltheologie bringt den Glauben als bleibende Wahrheit ins Gespräch mit nichttheologischen Wissenschaften und die Moraltheologie erarbeitet die ethischen Auswirkungen des Glaubens auf die Person des Menschen. Systematisches Arbeiten als Frage nach der Wesenswahrheit zeigt aber auch die notwendige Begrenzung der Systematik. Aufgrund der Geschichtlichkeit der Offenbarung ist die Systematik auf die historischen Disziplinen angewiesen. Denn in den historischen Disziplinen wird der geschichtliche Charakter der Offenbarung untersucht747. Die praktischen Disziplinen übernehmen die Aufgabe, die Konsequenzen des Glaubens der Kirche für die gegenwärtige geschichtliche Situation der Kirche und in ihr Heilshandeln zu erläutern748. So zeigt sich nach Scheffczyk die Einheit und Geschlossenheit der Theologie als einer Wissenschaft mit vielen verschiedenen Methoden und Disziplinen. Es bleibt aber die entscheidende Frage bestehen: Was ist Wesenserkenntnis und wie kann mit dieser Methode gearbeitet werden?

5. Ergebnis: Theologie als Reflexion der Polarität von Natur und Gnade Die Theologie Scheffczyks kann als Reflexion der Polarität von Natur und Gnade verstanden werden. Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie ist für Scheffczyk die Deduktion von Folgesätzen aus der Konkretion des Glaubens der Kirche im Dogma. Deshalb ist die Dogmatik das Einheitszentrum der Theologie. Die Polarität von Natur und Gnade Die Theologie von Leo Scheffczyk funktioniert in der Polarität von Natur und Gnade. Natur und Gnade werden als Dimensionen verstanden, die aufeinander bezogen sind – Natur kann nur in Beziehung mit der Gnade verstanden werden und umgekehrt –, gleichzeitig müssen beide Dimensionen aber auch unterschieden werden, denn mit der Gnade tritt etwas völlig Neues zur Natur

747 748

Offenbarung ist in der Kirche konkret im Dogma greifbar. Deshalb teilt Scheffczyk explizit den Gedanken Erik Petersons, der im Jahr 1925 erklärt hat: „Eine Theologie, die nicht wesentlich vom Dogma bestimmt ist, ist vielmehr darum Phantasterei, weil in ihr die Offenbarung in Christus nicht konkret zum Ausdruck kommt“ (Peterson, Was ist Theologie, 150. Zitiert bei SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 341). Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 342 f. Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 344.

221

hinzu. Grundlage dieses Gedankens kann die christologische Formel von Chalzedon sein, die Scheffczyk auf die Polarität von Natur und Gnade überträgt. Das heißt dann, dass Natur und Gnade unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und ungesondert existieren. Natur und Gnade können eine inkarnatorische oder sakramentale Einheit bilden, wie es zum Beispiel in der Zuordnung von Gotteswort im Menschenwort in der Heiligen Schrift deutlich wird. Natur und Gnade können aber auch als Beziehung verstanden werden, wie zum Beispiel bei der Schöpfung des Menschen aus dem Wort Gottes: Der Mensch steht als Angerufener in einer personaler Beziehung zu Gott und verwirklicht sich selbst im Lauf der Geschichte, indem er auf diesen Ruf antwortet. Die Dimension der Gnade wird für die Theologie wissenschaftlich untersuchbar durch die Einführung der Analogie. Von der Schöpfung und vom Glauben der Kirche aus können wahre Aussagen über Gott gemacht werden, deshalb wird in der Theologie Gleichnisrede von Gott betrieben. Theologische Sprache hat einen Wirklichkeitsbezug, Scheffczyk nennt dies den Aussagecharakter der theologischen Sprache. Die Polarität von Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit In der Polarität von Natur und Gnade gibt es eine weitere Polarität, die von Geschichtlichkeit (Natur) und bleibender Wahrheit (Gnade). Die systematischen Disziplinen der Theologie haben die Aufgabe, die bleibende Wahrheit des Gotteswortes, die im geschichtlichen Wandel aufzufinden. Die historischen Disziplinen wie Exegese und Kirchengeschichte übernehmen die Aufgabe, den geschichtlichen Charakter der Offenbarung zu untersuchen, die praktischen Disziplinen übernehmen die Aufgabe, die Konsequenzen des Glaubens der Kirche in einer speziellen geschichtlichen Situation zu untersuchen. Damit ergibt sich aber die Schwierigkeit, den theologischen Charakter der historischen und praktischen Disziplinen der Theologie zu begründen. Scheffczyk bietet das gläubige Vorverständnis der einzelnen Theologen als Lösung dieses Problems an. Das kann aber nicht wirklich ausreichen, denn subjektive Gläubigkeit kann eigentlich nicht eine theologische Wissenschaft begründen. In der Polarität von Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit funktioniert die Hermeneutik. Theologie hat also immer auch eine hermeneutische Komponente. Insbesondere die Exegese, der es um das Auffinden des Gemeinten im Gesagten geht, kann bei Scheffczyk eigentlich nur als hermeneutische Wissenschaft verstanden werden. Aber auch die Dogmen der Kirche und die Dogmatik haben eine hermeneutische Komponente, es geht um das Verstehen der Geschichte der subjektiven Aneignung der geschichtlich greifbaren bleibenden Wahrheit in der Kirche. Der Unterschied zur Hermeneutik liegt aber darin begründet, dass im Dogma der Kirche und deshalb auch in der

222

Dogmatik wahre Aussagen über Gott auf Grund der Analogie gemacht werden können. Die fundamentale Voraussetzung Scheffczyks Manfred Hauke behält Recht, wenn er davon ausgeht, dass in Scheffczyks Theologie der Personalismus und der erkenntnistheoretische Realismus im Zentrum stehen749. Allerdings scheint es so, dass die fundamentale Voraussetzung, die Scheffczyk macht, der erkenntnistheoretische Realismus ist, den er nirgends detailliert darstellt750. Aufgrund dieser Annahme kommt Scheffczyk eben zu dem Schluss, dass die Analogie wahre Aussagen über Gott macht und begründet so die Möglichkeit, die Dimension der Gnade der wissenschaftlichen Theologie zugänglich zu machen. Der Personalismus hingegen ist für Scheffczyk zur Darstellung der Beziehung zwischen Mensch und Gott in den Dimensionen von Natur und Gnade interessant beziehungsweise zu einer Erklärung der Analogielehre, die weitestgehend versucht, ohne die klassische Metaphysik auszukommen oder zur Erklärung des personhaften Glaubens, der in der Theologie Gegenstand der Untersuchung wird. Der Personalismus hat in der Theologie von Scheffczyk also eine erklärende und darstellende Funktion und erlangt dadurch eine hermeneutische Aufgabe: Es geht um den Versuch, die in Schöpfung und Offenbarung grundgelegte Beziehung des Menschen zu Gott in neuer Weise darzulegen. Wenn man so will, geht es also im Personalismus um die hermeneutische Beziehung zwischen Gemeintem und Gesagtem. Scheffczyk gelingt es, Inhalte der Theologiegeschichte mit Hilfe des Personalismus und der Kategorie der Geschichtlichkeit neu zu formulieren. Schwierigkeiten Die Schwierigkeit bei der Beschäftigung mit Scheffczyks Theologie liegt deshalb im erkenntnistheoretischen Realismus begründet. Wird diese Erkenntnistheorie nicht geteilt, dann verlieren die Ausführungen Scheffczyks an Relevanz. Geht man nämlich davon aus, dass in der Theologie der Gegenwart 749 750

HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 11. Vgl. hierzu auch RAHNER, Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums. Freiburg (1976) 6. Auflage der Sonderausgabe 1991, 28 f.: „In der Erkenntnistheorie – besonders in der Verteidigung des sogenannten Realismus, der Abbildtheorie der Erkenntnis oder der Lehre von der Wahrheit als der Korrespondenz einer Aussage mit einem Gegenstand – sind immer und von vornherein […] Verständnismodelle gegenwärtig, und sie werden dort als selbstverständlich vorausgesetzt. In all diesen Verständnismodellen ist das Erkannte das von außen Kommende, das andere, das sich nach eigenem Gesetz von außen meldet und sich in die empfangende Erkenntnisfähigkeit einbildet. Die Erkenntnis hat in Wirklichkeit aber eine viel komplexere Struktur“.

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der mögliche Zweifel der Menschen an der Existenz Gottes dargestellt, verarbeitet und beantwortet werden muss751, dann wird Scheffczyks erkenntnistheoretisch-realistische Auffassung vom Erkennen als eigentümlichen „Akt der Empfängnis des Geistes vom Sein her“752 oder seine Analogielehre, nach der wahre Aussagen über Gott gemacht werden können, wenig hilfreich sein. Dabei kommt es auch zu Spannungen zwischen der Geschichtlichkeit und dem erkenntnistheoretischem Realismus. Das zeigt sich besonders deutlich an den hermeneutischen Kriterien Scheffczyks, wenn er davon ausgeht, dass eine Interpretation eine wesentliche Identität mit dem Gesagten herstellen könnte. Die Schwierigkeit liegt hier weniger darin, dass der Sinn einer Aussage oder eines Textes verstanden werden kann, sondern in der Identität. In einer geschichtlich verstandenen Welt, in der jeder Mensch von seinen Lebenserfahrungen mitbestimmt ist, kann es überhaupt keine Identität von Aussage und Interpretation geben. In solchen Fällen räumt Scheffczyk dem erkenntnistheoretischen Realismus einerseits einen klaren Vorrang ein: Identität von Aussage und Interpretation ist wesentlich möglich. Wobei davon ausgegangen werden kann, dass das Wort wesentlich hier so etwas meint wie im Großen und Ganzen und sich nicht auf ein wie auch immer geartetes metaphysisches Wesen der Identität bezieht. Andererseits differenziert Scheffczyk sein Identitätskriterium – wahrscheinlich aufgrund der Spannung dieser erkenntnistheoretisch-realistischen These mit der Geschichtlichkeit. Identität von Aussage und Interpretation wird deshalb ausgeweitet zur Strukturgleichheit. Dabei stellt sich dann aber die Frage, wie die Struktur einer Aussage oder eines Textes beziehungsweise einer Interpretation ermittelt werden kann und wer die Strukturgleichheit von Text und Interpretation überprüfen kann. In einer erkenntnistheoretisch-realistischen Sichtweise müsste diese Frage allerdings bedeutungslos werden. Wenn Wahrheit in der realen Übereinstimmung von Denken und Sein besteht, dann ist die Gleichheit der Struktur von Text und Interpretation für jedermann offensichtlich. Theologie und Kirche Für die Theologie Scheffczyks ist die Verbindung mit der Kirche entscheidend. Schließlich untersucht die Theologie das Wahre und Bleibende in der Kirche753. Die Theologie ist nur dann Theologie, wenn sie den Glauben der Kirche untersucht. Während Scheffczyk also Wissenschaft anhand ihres methodischen Vorgehens beschreibt, versteht Scheffczyk die Theologie als Reflexion bestimmter Materialobjekte. Weil also die Theologie auch mit der Dimension 751 752 753

Vgl. CONGAR, Situation und Aufgabe der Theologie heute, 81 f. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 45. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 30.

224

der Gnade beschäftigt ist, muss gerade in der Systematik mit einer so genannten Wesensschau gearbeitet werden. Wie dies allerdings funktioniert, ist noch nicht klar. Die „ekklesiologische Verortung“754 der Theologie als konstitutiver Bedingung der Glaubenswissenschaft ist deshalb bei Scheffczyk denkbar einfach zu beschreiben: Der Glaube der Kirche ist die vorgegebene Norm der Dogmatik und damit für Scheffczyk der Theologie. Der Glaube der Kirche wird dabei geschichtlich konkret fassbar im Dogma der Kirche. Die subjektive Kirchlichkeit einzelner Theologen spielt vor allem bei der Bestimmung des theologischen Charakters der Exegese eine – allerdings kaum ausreichende – Rolle. Interessant ist vor allem die Beobachtung, dass Scheffczyks Theologie in einer realistischen Sichtweise eigentlich keine Fragen offen lässt. So kann zum Beispiel der theologische Charakter der Exegese nach Scheffczyk folgendermaßen erklärt werden: Weil in der Theologie der Glaube der Kirche die vorgegebene Norm ist und weil der Heiligen Schrift sachliche Normativität für den Glauben der Kirche zukommt755, ist die historisch-kritische Untersuchung der Heiligen Schrift eine Arbeit, die von theologischem Interesse sein muss. Schließlich geht es um die Untersuchung der sachlichen Norm des kategorial fassbaren Materialobjekts der Theologie. Jetzt kann auch geklärt werden, warum Scheffczyk die Geschichtlichkeit als eine Kategorie kennzeichnet, die nur für den Menschen gilt: In der Geschichtlichkeit steht der Mensch in Kontakt mit der bleibenden Wahrheit, mit Gottes Anrede. In der Geschichtlichkeit, in der Dimension der Natur findet der Mensch, wenn man es mit den Worten Karl Rahners ausdrücken möchte, die konzeptuelle Auslegung und begriffliche Theoretisierung756 der Dimension der Gnade. So wird die Offenbarung Gottes nach Scheffczyk für den Menschen erst im Menschenwort verständlich, also konzeptuell ausgelegt. Oder die Heilige Schrift, sie bietet die sakramentale Einheit von Gotteswort im Menschenwort, also die begriffliche Theoretisierung des Gotteswortes. Geschichtlichkeit ist also die kategoriale Erscheinungsform der bleibenden Wahrheit. Dabei ist die Kategorie der Geschichtlichkeit nicht wie bei Rahner mit der Transzendentalität des Menschen verbunden, also mit den apriorischen Bedingungen menschlichen Erkennens757, sondern mit der real zugänglichen bleibenden Wahrheit. Das bedeutet dann, dass die Geschichtlichkeit bei Scheffczyk die aposteriorischen 754 755 756

757

SECKLER, Theologie als Glaubenswissenschaft, 163. Vgl. SCHEFFCZYK, Dogma der Kirche, 91 f. Vgl. RAHNER, Transzendenzerfahrung aus katholisch-dogmatischer Sicht. In: RAHNER, Karl, Schriften zur Theologie. Band 13. Einsiedeln 1978, 213. Vgl. RAHNER, Theologie und Anthropologie. In: RAHNER, Karl, Schriften zur Theologie. Band 8. Einsiedeln 1967, 44; PUNTEL, L. Bruno, Zu den Begriffen ‚transzendental’ und ‚kategorial’ bei Karl Rahner. In: VORGRIMLER, Herbert (Hrsg.), Wagnis Theologie. Erfahrungen mit der Theologie Karl Rahners. Freiburg 1979, 190.

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Bedingungen menschlicher Erkenntnis thematisiert. Apriorisch hingegen steht der Mensch in realem Kontakt mit der bleibenden Wahrheit. Wenn die Theologie für Scheffczyk das Wahre und Bleibende in der Kirche untersucht, dann muss die Kirche eigentlich auch als Konkretion des Wahren und Bleibenden verstanden werden, das mit der real zugänglichen bleibenden Wahrheit verbunden werden muss. Denn die geschichtlich verfasste Kirche stellt dann die Kategorialisierung der bleibenden Wahrheit dar, auf die jeder geschichtlich verfasste Mensch angewiesen ist, um real mit der bleibenden Wahrheit in Kontakt zu kommen. Und das stellt die Frage nach der Verbindung von bleibender Wahrheit und Kirche.

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Kapitel IV: Katholisch bei Leo Scheffczyk Bei der Frage, wie Wahrheit und Kirche verbunden sind erhält man in Scheffczyks methodologischen Schriften zunächst die Auskunft, dass es das analoge Sprechen der Theologie ermöglicht, von der geschichtlichen Konkretion in der Kirche aus auf die bleibende Wahrheit zu schließen. Sucht man nach einer ekklesiologischen Grundlage für diesen Gedanken, dann werden seine Ausführungen zur Katholizität der Kirche interessant. Leo Scheffczyk hat mehrere Beiträge zum Thema der Katholizität der Kirche verfasst758. Eine besondere Stellung nimmt dabei das Buch Katholische Glaubenswelt. Wahrheit und Gestalt aus dem Jahr 1977 ein. Manfred Hauke bezeichnet das Buch Katholische Glaubenswelt als das typischste und originellste Werk Scheffczyks759. Johannes Nebel, der Leiter des Leo-Scheffczyk-Zentrums in Bregenz, nennt das Buch Katholische Glaubenswelt eines „seiner [Scheffczyks] berühmtesten und markantesten Bücher“760. Die besondere Bedeutung dieses Buches liegt nach Hauke und Nebel im Ansatzpunkt. Scheffczyk geht von der Katholischen Kirche als sichtbarer Größe aus, um so „das Wesen des Christentums zu erschließen, und zwar als lebendige Wirklichkeit und als konkrete Gestalt“761. Hier zeigt sich die Beziehung zwischen real zugänglicher bleibender Wahrheit und ihrer geschichtlicher Konkretion (Gestalt) besonders deutlich. Denn das Katholische ist in der Kirche „eine geprägte Form und eine greifbare Realität“762. Das bedeutet, dass das Wort katholisch nicht eine abstrakte Eigenschaft der Kirche beschreibt, sondern die konkrete und lebendige katholische Glaubenswirklichkeit763, die mit der Wahrheit in Kontakt steht.

758

759

760 761 762 763

Vgl. NEBEL, Johannes, Leo Kardinal Scheffczyk. Ein biographisch-theologisches Portrait. In: SCHEFFCZYK, Leo, Katholische Glaubenswelt. Wahrheit und Gestalt. Mit einem Interview mit Papst Benedikt XVI. Paderborn (1977) 32008, xxi. Fußnote 35. Vgl. HAUKE, Nachruf, 17; DERS., Introduzione all’opera teologica e alla mariologia del cardinale Leo Scheffczyk. In: SCHEFFCZYK, Leo, Maria, crocevia della fede cattolica. Collana di Mariologia 1. Lugano 2002, 14 f.; DERS., Ganz und gar katholisch, 24. NEBEL, Leo Kardinal Scheffczyk. Ein biographisch-theologisches Portrait, xxi. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 1. Ebd. Innerhalb dieser katholischen Glaubenswirklichkeit ist es möglich, von der Ausgestaltung, also von dem sichtbaren Gepräge „in einer Art von ‚phänomenologischer Schau’ aus der Erscheinung auf das Wesen zu schließen“ (SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 1). Scheffczyk spricht in diesem Zusammenhang auch von „Wesensschau“ (Katholische Glaubenswelt, 2). Dabei muss der Lebenswirklichkeit und der als lebendiger Kraft verstandenen Wahrheit eine besondere Bedeutung zukommen. Hier wird die Andersartigkeit der katholischen Glaubenswirklichkeit gegenüber anderen Religionen und Konfessionen besonders deutlich hervorgehoben. Aber genau das ist nach Scheffczyk

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1. Das Wort Katholisch 1.1 Theologiegeschichtliche Begriffsklärung In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es problematisch geworden, das Wort katholisch genau zu bestimmen764. Scheffczyk nennt als Gründe a) die differenzierte historisch-kritische Forschung über den Begriff katholisch, b) geschichtliche Tatsachen wie die Kirchenspaltung und c) den „aus dem rationalistischen Positivismus […] übernommenen Pluralismus“765. Die historisch-kritische Forschung hat verschiedene Inhalte des Begriffs katholisch in der Geschichte der Theologie erarbeitet und der Pluralismus steht einem einheitlichen, allumfassenden Sinn der einen Kirche ebenso gegenüber wie die faktische Spaltung der Kirche766. Die Kirche muss aber für Scheffczyk als ein von Gott gewirktes, allumfassendes, katholisches Ganzes verstanden werden, das dem menschlichen Denken zu vermitteln ist. Dabei ist die Kirche als Mysterium zu verstehen, das nach seiner dem Denken zugewandten Seite eine gegliederte Einheit erkennen lässt. Vor allem der Tübinger Theologe Johann Sebastian Drey hat die katholische Glaubenswirklichkeit als eine „in der Offenbarung Gottes grundgelegte Einheit“767 dargestellt. Ebenso verweist Scheffczyk auf die Ausführungen eines Schülers von Drey, Franz Anton Staudenmaier768. Die Ausführungen von Drey und von Staudenmaier müssen nach Scheffczyk vor allem vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit der Epoche der Aufklärung verstanden werden. Deshalb treffen Drey und Staudenmaier das „Gegenwartsanliegen nicht ganz […], das viel weniger theoretisch-

764 765 766

767

768

notwendig. Denn nur die Kenntnis des eigenen Wertes und der eigenen Art führe zu einem echten ökumenischen Gespräch. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 5 ff. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 6. Ebd.: „Für das katholische Glaubensbewusstsein und sein Verständnis von Kirche muss ein solcher Schwund des Ganzheitsdenkens besonders gefährdend wirken, weil es vom Ursprung her auf eine solche Ganzheit angelegt ist und eine solche Ganzheitsausrichtung gleichsam in seinem Wesensgefüge trägt. „Katholizität“ enthält nun einmal in sich den Anspruch auf Ganzheit, auf das ‚Allumfassen’ der Heilswahrheit und der Heilswirklichkeit“. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 8. Scheffczyk verweist auf: DREY: Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems. In: GEISELMANN (Hrsg.): Geist des Christentums und des Katholizismus. Mainz 1940, 235-331. Scheffczyk verweist in: Katholische Glaubenswelt. Aschaffenburg 21978, 17 lediglich auf S. 305 der Ausführungen von Drey. Vgl. ebd. Scheffczyk verweist unter anderem auf: STAUDENMAIER, Enzyklopädie der theologischen Wissenschaften. Mainz 1840.

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wissensmäßig ausgerichtet ist […], als vielmehr religiös-existentiell von der Frage nach der Catholica betroffen ist“769. Vor allem durch die Einführung der Kategorie der Geschichtlichkeit in die Theologie ergibt sich für Scheffczyk die neue Fragestellung, wie überhaupt katholisch zu verstehen ist. So versteht Rudolf Bultmann das Urchristentum als Verbindung von spätjüdischer Religion, heidnischem Hellenismus und vorderasiatischen Religionen770. Das Christentum als ein ursprüngliches Ganzes, so Scheffczyk, ist deshalb bei Bultmann nicht erkennbar. An die Stelle der Kirche als einheitliches, ursprüngliches Ganzes treten bei Bultmann die Elemente, in denen sich „das moderne Existenzverständnis ausdrückt“771. Für ein katholisches Glaubensdenken sei das aber nicht akzeptabel. An dieser Stelle kritisiert Scheffczyk auch Karl Rahner: Durch die Konzeption einer von Rahner so genannten partiellen Identifikation der Mitglieder der Kirche würde der Anspruch der Katholizität preisgegeben772. Hier muss allerdings auch klar gestellt werden, dass die erwähnte partielle Identifikation keine Forderung Rahners ist, sondern die Beschreibung eines Phänomens, das mit Hilfe der traditionellen Begriffe Schisma und Häresie nicht verstanden werden könne773. Man kann theoretisch Rahner anfragen, ob dieses beschriebene Phänomen existiert, ob es korrekt beschrieben ist oder ob die Bezeichnung dieses Phänomens als partielle Identifikation sinnvoll ist. Es ist aber nicht klar, inwiefern durch die Beschreibung eines Phänomens ein Anspruch der Katholizität preisgegeben wäre. Die Kritik Scheffczyks kann eigentlich nur anlässlich einer der weiteren Ausführungen Rahners verstanden werden. Rahner erklärt nämlich, dass die Kategorialisierung der bleibenden Wahrheit in der 769 770

771 772

773

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 8. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 9. Scheffczyk verweist auf: BULTMANN, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen. Zürich 1949, 7. Ebd. Vgl. ebd. Scheffczyk verweist auf: RAHNER, Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance. Freiburg 1972, 106. Vgl. hierzu auch SCHEFFCZYK, Mariologie und Anthropologie – zur Marienlehre Karl Rahners. In: BERGER, David (Hrsg.), Karl Rahner: Kritische Annäherungen. Quaestiones non dispuatae, Band 8. Siegburg 2004, 311: „Grundsätzlich wäre daraus zu schließen, dass der Glaube der Christen nicht allen Glaubenswahrheiten zustimmen muss […] Das den ganzen Glauben umfassende katholische Glaubensprinzip droht hier der Selektion anheimzufallen“. Vgl. besonders RAHNER, Schisma in der katholischen Kirche? In: RAHNER, Karl, Schriften zur Theologie. Band 9. Einsiedeln 1970, 448-452: „Wir meinen das Phänomen der bloß partiellen Identifikation vieler einzelner Katholiken mit ihrer Kirche. Das gemeinte Phänomen ist sehr komplex und existiert in sehr vielen und auch wesentlich verschiedenen Abwandlungen. Gemeint ist, um es einfach zu sagen, daß ein Katholik im Zusammenhang mit der Kirche lebt, «praktiziert» (wenigstens in einem gewissen, wenn vielleicht auch bescheidenen Umfang), jedenfalls aber nicht daran denkt, aus der Kirche in einer gesellschaftlich manifesten Weise auszuscheiden, aber auf der anderen Seite nicht unerhebliche Vorbehalte gegenüber seiner Kirche macht“, hier 448.

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Kirche immer inadäquat sein muss und geschichtlich formulierte Glaubenssätze letztlich nicht die bleibende Wahrheit fassen können774. Das steht allerdings in gewisser Spannung zu Scheffczyks Konzept des analogen Charakters der theologischen Sprache: So sehr die Dogmen der geschichtlich verfassten Kirche auch im analogen Sprechen als inadäquat eingestuft werden müssen (es gibt ja schließlich eine größere Unähnlichkeit in der Ähnlichkeit), so muss doch von diesen Dogmen auf die bleibende Wahrheit geschlossen werden können. Scheffczyk verweist ferner auf weitere historische Kritiken an der katholischen Glaubenswirklichkeit bei Paul Althaus und Friedrich Heiler. So versteht Althaus die katholische Kirche als Konglomerat von Judaismus („Das Evangelium bleibt in der Gefangenschaft gesetzlichen Denkens, unter der Herrschaft des Rechtsverhältnisses zwischen Gott und dem Menschen“775), Paganismus („Die Sakramente wirken auf das Personleben, aber nicht auf personhafte Weise“776) und Romanismus („Nicht das Evangelium und der Glaube allein sind heilsnotwendig, sondern auch die Unterordnung unter den Papst und die Hierarchie“777). Die Ausführungen von Althaus stammen aus dem Paragraphen 23 seines Buches Die christliche Wahrheit und zeigen „Grundzüge evangelischer Kritik an der römisch-katholischen Kirche“778. So wird bereits an dieser Stelle klar, dass Scheffczyk die Konfessionsbezeichnung katholisch und die Katholizität als Wesenseigenschaft der Kirche grundsätzlich als Einheit versteht. Anderenfalls würden die kontroverstheologisch gehaltenen Ausführungen von Althaus in einer dogmatischen Auseinandersetzung um die Katholizität eine eher untergeordnete Rolle spielen. Die große Herausforderung zu verstehen, was katholisch heißt, entstand nach Scheffczyk durch die Reformation und die daraus resultierende abendländische Kirchentrennung: „Es ist im Hinblick auf dieses Geschehen [die Reformation] faktisch nicht zu bestreiten, daß der Begriff des ‚Katholischen’ seit der Glaubensspaltung gleichsam in diese Spaltung hineingezogen wurde und von einem Merkmal für die universale Kirche Christi zu einem konfessionell begrenzten Anspruch herabgemindert erschien, der die konfessionelle Tönung selbst dort beibehält, wo man ihn nicht konfessionell gebrauchen möchte“779. 774

775 776 777 778 779

Vgl. RAHNER, Schisma in der katholischen Kirche?, 451: „Die Bleibendheit und Kraft der Kirche kommen doch nach christlicher Überzeugung letztlich nicht aus der Eindeutigkeit von menschlich formulierten Glaubenssätzen und von unerbittlichen Rechtsnormen (sosehr beide ihre Notwendigkeit und ihr Recht haben), sondern aus der Macht des Geistes, der sich vieler menschlicher Mittel bedient und sich mit keinem von ihnen adäquat identifiziert“ ALTHAUS, Paul, Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik. Gütersloh 31952, 232. Ebd. ALTHAUS, Die christliche Wahrheit, 233. ALTHAUS, Die christliche Wahrheit, 231 SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 10.

230

Das Wort katholisch kann also seit der Reformation nicht mehr ohne eine konfessionelle Zuweisung gebraucht werden. Kritikern, die sich gegen einen apologetisch-konfessionellen Gebrauch des Begriffes katholisch aussprechen, hält Scheffczyk entgegen, dass der Begriff schon vor der Reformation eine „Tendenz zur Unterscheidung und zur apologetischen Absetzung von anderen, selbst von anderen christlichen Bekenntnissen“780 hatte. Allerdings ist auch klar, dass katholisch zu keiner Zeit nur quantitativ verstanden wurde. Scheffczyk argumentiert: Wenn der Begriff katholisch eine räumliche oder eine schon erreichte Universalität ausgedrückt hätte, wäre er im zweiten oder im dritten Jahrhundert überhaupt nicht verstanden worden. Viel eher ist der Begriff katholisch in dieser Zeit als qualitatives Kennzeichen der wahren, authentischen und orthodoxen Kirche zu verstehen. Dieser qualitative Begriff war nach Scheffczyk erstens als Gegensatz zu anderen Gemeinschaften zu verstehen: Die Kirche Christi ist genau so für das Ganze bestimmt wie Christus selbst. Katholisch hat also eine christologische Dimension. Und zweitens: während die Trennung der Kirche faktisch und akzidentiell zu verstehen ist, ist die Katholizität wesentlich, innerlich und qualitativ. Daraus folgt: „Von dieser Einsicht aus ist man berechtigt, alle jene Formulierungen, die vom Wesen des Christentums als solchem sprechen, ohne seiner Katholizität Erwähnung zu tun, kritisch zu beurteilen“781. In der evangelischen Theologie ist es ebenfalls üblich geworden von der Katholizität zu sprechen. Bei dem schweizerischen reformierten Theologen Fritz Buri wird katholisch verstanden als eine existentielle Haltung, die „das ganze Dasein des einzelnen umfaßt, und zugleich universal ist, weil sie in analoger Weise jeden einzelnen, d.h. alle, umspannt“782. Bei dem deutschen evangelischen Theologen Gerhard Rödding bedeutet Katholizität, dass das „Heil der ganzen Welt angeboten wird und auch einen Anspruch hat, von der ganzen Welt gehört zu werden“783. Die Ausführungen von Buri aus dem Jahr 1973 und die Ausführungen von Rödding aus dem Jahr 1974 weisen bereits eine beträchtliche Verschiedenheit auf. Insgesamt zeigt sich, dass katholisch bei verschienen Konfessionen und Theologen nicht univok gebraucht wird. Trotzdem erscheint es nach Scheffczyk prinzipiell möglich, den Begriff vom Allumfassenden, des Katholischen zu klären. Eine rein theologiegeschichtliche Begriffsklärung kann dies aufgrund der aufgezeigten Differenzen unter den Theologen aber nicht gewährleisten. Wenn man den Sinn des Wortes katholisch

780 781 782

783

Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 12. BURI, Dogmatik im Dialog. Gütersloh 1973, 40. Zitiert in: SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 13. RÖDDING, Dogmatik im Grundriß. Gütersloh 1974, 138. Zitiert in: SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 12.

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genauer verstehen möchte, dann ist ein letzter Grund, ein Ursprungspunkt für dieses Wort anzugeben. 1.2 Katholisch als Konkretion des Christlichen Der Versuch, vom Christentum ausgehend katholisch zu definieren, muss nach Scheffczyk scheitern, denn der Begriff christlich unterliege der Gefahr, konturlos und substanzlos zu werden. Das Christentum wird so eine rein religionsphilosophische Größe, und letztlich in eine allgemeine Religionsgeschichte hinein aufgelöst. Das hängt damit zusammen, dass das Christentum nur dann konkret erfasst werden kann, wenn das „Bekenntnismoment“784 mitberücksichtigt wird. Scheffczyk erklärt in diesem Zusammenhang, dass man heute nur vom protestantischen, orthodoxen und katholischen Christentum sprechen kann, „wie unbefriedigend dies zunächst auch erscheinen mag“785. Anders ausgedrückt: Es ist nicht möglich, „das Spezifische des Christlichen zu formulieren“786. Wenn Jesus Christus beispielsweise als der humane Jesus oder der soziale Jesus bezeichnet wird, so ist kein Glaube mehr möglich. Glaube braucht die Anerkennung der Gottheit. Der ganze Christus ist „nur im Glauben (der Kirche) zu gewinnen“787. Das heißt dann, dass der Begriff christlich nicht als Ursprungspunkt für den Begriff katholisch ausgegeben werden kann. Autoren, die das trotzdem versuchen, werden von Scheffczyk kritisiert. Ohne weitere Angabe von Kritikpunkten erwähnt werden das Werk Vom Wesen des Christentums von Michael Schmaus, bei dem Scheffczyk seine Habilitationsschrift angefertigt hatte, das Werk Einführung in das Christentum von Joseph Ratzinger, das Werk Einführung in den Glauben von Walter Kasper und die Werke Gegenwart des Christentums und Grundkurs des Glaubens von Karl Rahner788. Für Scheffczyks Argumentationsgang ist der von ihm so genannte „Grundsatz des Pacianus“789 entscheidend. Diesen Grundsatz hat Pacianus von Barcelona in einem Brief folgendermaßen ausgedrückt: „Christianus mihi nomen, catholicus cognomen“790. Scheffczyk erklärt zu diesem Grundsatz: 784 785 786 787

788

789 790

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 14. Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 22. SCHEFFCZYK, Der Einziggeborene. Christusbekenntnis und Christusverehrung. Quaestiones non dispuatae, Band 9. Siegburg 2004, 74. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 22. Fußnote 41. Scheffczyk bringt dabei keine konkreten Kritiken. Einziger Kritikpunkt ist gegenüber allen genannten Autoren, dass sie vom Christentum aus versuchen zu klären, was katholisch bedeutet. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 22. Pascanius, Epistula ad Sympronianum 1,4. In: Kirsch, C. (Hrsg.), Enchiridion fontium historiae ecclesiasticae antiquae. Freiburg 1950, 627. Zitiert in: SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 22.

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„Zur Zeit, da es noch keine Konfessionen im neuzeitlichen Sinne gab [Pacianus starb um 392], konnte dieser Beiname keinen abgrenzenden, exklusiven Sinn an sich tragen. Er war vielmehr Ausdruck für etwas Spezifisches am Christentum und Mittel zu seiner Individualisierung und Konkretisierung“791.

Das bedeutet, dass für Scheffczyk vor allen konfessionellen Zuweisungen mit katholisch eine Konkretisierung des Christentums gegeben ist. Diese Konkretisierung muss beachtet werden, wenn die ganze Realität des Christentums beschrieben werden soll. Allerdings muss dazu die heutige Konfessionsbezeichnung katholisch benützt werden. Wahrscheinlich hat der Begriff katholisch bei Pacianus aber doch einen abgrenzenden, exklusiven Sinn gegenüber den Novatianern792. Aber das ist nicht einmal die Hauptschwierigkeit dieses Gedankens von Scheffczyk. Problematisch erscheint vielmehr aus systematischer Perspektive, dass bei Scheffczyk die Katholizität als Wesenseigenschaft der Kirche (oder als Konkretion des Christentums) mit der Konfessionsbezeichnung römisch-katholisch so ineinander fällt, dass an dieser Stelle konsequenter Weise andere Konfessionen von der Konkretisierung des Christlichen komplett ausgeschlossen erscheinen müssen793. Offensichtlich ist für Scheffczyk nur die römisch-katholische Kirche die empirisch greifbare Konkretion des Christentums, während dies aber nicht für andere christliche Konfessionen gilt. Dabei hebt das Ökumenismusdekret Unitatis Redintegratio des Zweiten Vatikanischen Konzils, um nur ein Beispiel 791 792

793

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 22. Vgl. hierzu LUMPE, Adolf, Pacianus von Barcelona. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon: nach Internet am 13. Juni 2008: http://www.bbkl.de/ p/pacian_b_v_b.shtml.: „Wir besitzen von ihm [Pacianus] drei Briefe an den Novatianer Sympronianus, der einen Briefwechsel mit P. [Pacianus] begonnen hatte und ihm dabei auch einen Traktat zusandte, in dem er den novatianischen Standpunkt vertrat, daß es nach der Taufe keine weitere Bußmöglichkeit gebe, weshalb die Kirche keine Lossprechungsgewalt von schweren Sünden habe; dagegen verteidigt P. unter Berufung auf die Heilige Schrift in Anknüpfung an Tertullian und Cyprian die Vollmacht der Kirche zur Wiederaufnahme schwerer Sünder. In Epist. 1, 4 steht der durch die Behauptung des Sympronianus, die Novatianer seien die wahren »catholici«, veranlaßte bekannte Ausspruch »Christiano mihi nomen est, catholico vero cognomen«“. Im Gegensatz dazu heißt es in UR 4: „Auf der anderen Seite ist es notwendig, daß die Katholiken die wahrhaft christlichen Güter aus dem gemeinsamen Erbe mit Freude anerkennen und hochschätzen, die sich bei den von uns getrennten Brüdern finden. Es ist billig und heilsam, die Reichtümer Christi und das Wirken der Geisteskräfte im Leben der anderen anzuerkennen, die für Christus Zeugnis geben, manchmal bis zur Hingabe des Lebens: Denn Gott ist immer wunderbar und bewunderungswürdig in seinen Werken.“ („Ex altera parte necessarium est Catholicos cum gaudio agnoscere et aestimare bona vere christiana, a communi patrimonio promanantia, quae apud fratres a nobis seiunctos inveniuntur. Divitias Christi et virtutum opera agnoscere in vita aliorum, qui pro Christo testimonium ferunt, quandoque usque ad sanguinis effusionem, aequum et salutare est: Deus enim semper mirabilis est et mirandus in operibus suis”).

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zu nennen, die Bedeutung der ostkirchlichen Tradition hervor: Bei der Suche nach der Konkretion der christlichen Wahrheit darf die ostkirchliche Tradition nicht übersehen werden794. Wenn Scheffczyk nur den römisch-katholischen Standpunkt in seine Überlegungen aufnimmt, dann geschieht dies auch, weil er diesen konfessionellen Standpunkt darstellen will. Denn im Gegensatz zu einer Vielzahl von evangelischen Darstellungen der eigenen Konfession bemerkt er, dass es in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nur wenige Darstellungen der römisch-katholischen Konfession gibt795. Das könnte dann heißen: Während andere Konfessionen auch als Konkretionen des Christentums verstanden werden können, geht es in der Katholischen Glaubenswelt um eine Darstellung der römisch-katholischen Konkretion des Christentums. Deshalb kann der Gedankengang Scheffczyks folgendermaßen verstanden werden: Die Katholizität der Kirche ist verbunden mit der Vorstellung von der Konkretion des Christentums in der geschichtlich kategorialisierten Welt. Bleibende Wahrheit (letztlich Jesus Christus) kann demnach in der geschichtlich verfassten Kirche aufgefunden werden. Da die Kirche Christi in der römisch-katholischen Kirche subsistiert796, muss auch die Frage gestellt werden, wie die bleibende Wahrheit in der römisch-katholischen Glaubenswelt verstanden und begrifflich theoretisiert werden kann. 1.3 Die Wesensschau Methodische Vorüberlegungen Außerhalb der geschichtlichen Konkretion ist ein „Rücksprung“797 zu Jesus Christus nicht möglich, ohne die Person Jesu humanistisch, allgemein menschlich zu verstehen und damit falsch zu verstehen. Deshalb muss es möglich sein, eine Darstellung der Katholizität der Kirche beziehungsweise eine Darstellung des Christentums bei der geschichtlichen Konkretion des 794

795 796 797

Vgl. Hierzu UR 17: „Gerade gegenüber den authentischen theologischen Traditionen der Orientalen muß anerkannt werden, daß sie in ganz besonderer Weise in der Heiligen Schrift verwurzelt sind, daß sie durch das liturgische Leben gefördert und zur Darstellung gebracht werden, daß sie genährt sind von der lebendigen apostolischen Tradition und von den Schriften der Väter und geistlichen Schriftsteller des Orients und daß sie zur rechten Gestaltung des Lebens, überhaupt zur vollständigen Betrachtung der christlichen Wahrheit hinführen“. („Ad traditiones theologicas authenticas Orientalium quod attinet, agnoscendum est eas eximio quidem modo in Sacris Scripturis radicatas esse, vita liturgica foveri et exprimi, viva apostolica traditione scriptisque Orientalium Patrum ac spiritualium auctorum nutriri, ad rectam vitae institutionem, immo ad christianam veritatem plene contemplandam tendere“). Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 23. Vgl. LG 8. Diesen Zusatz bringt Scheffczyk an dieser Stelle allerdings nicht. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 23.

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Katholischen zu beginnen, also mit einer Darstellung der römisch-katholischen Kirche798. Eine Möglichkeit dazu besteht in der Analyse religiös-existentieller „Gehalte des katholischen Glaubens“799. Bei dieser Art von Darstellung steht vor allem die lebendige Gläubigkeit im Mittelpunkt, die das wesentlich Katholische erschließen soll. Diese Methode hat nach Scheffczyk vor allem der Breslauer Dogmatiker Bernhard Poschmann als einer der Ersten angewandt. Scheffczyk erklärt zu dem ekklesiologischen Trakt Die Lehre von der Kirche von Poschmann: „Das Neuartige [der Ekklesiologie Poschmanns] lag in der problemgeschichtlichen Durchleuchtung der Zeugnisse und ihrer Befragung im Horizont eines Glaubensverständnisses, in das auch das Anliegen der Gegenwart eingeht, so daß die Dogmengeschichte zur Erkenntnisquelle eines sich vertiefenden Glaubensbewußtseins wurde. […] Aber hier geht es dann [in einem weiteren Schritt] um die aus den historischen Fakten und Daten allein nicht zu gewinnende Wahrheits- und Wesensfrage“800.

Kurz gesagt: Poschmann beachtet die Kategorie der Geschichtlichkeit und relativiert dabei die Wahrheitsfrage nicht. Diese Balance kann Poschmann aber nicht immer halten. So kritisiert Scheffczyk, wenn auch sehr vorsichtig und zurückhaltend, das im Jahr 1949 veröffentlichte Buch Katholische Frömmigkeit von Poschmann: Grundlagen, Geisteshaltung und Formen des katholischen Glaubens freizulegen und auf den lebendigen Vollzug hin auszurichten, lässt a) den Konzentrationspunkt des katholischen Glaubens nicht deutlich werden. Und b): Neben der lex orandi muss die lex credendi berücksichtigt werden. Denn es geht für Scheffczyk in der katholischen Glaubenswelt auch um die Wahrheit als Lehre und Dogma801. Eine zweite Methode ist nach Scheffczyk nur theoretisch möglich. Die Methode besteht darin, die Dogmen der Kirche zusammen zu stellen und anzuordnen. Auf diese Art und Weise könnte man zu einem „Grund- oder Wurzeldogma“802 gelangen. Diese Methode wird als nicht situationsgemäß zurückgewiesen. Denn a) Es würden nur „Einblicke in das Denken des 798

799 800

801

802

Da Scheffczyk nicht die Frage stellt, ob dazu auch andere christliche Konfessionen untersucht werden müssen, bleibt diese Frage in der vorliegenden Arbeit auch ausgeklammert. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 26. SCHEFFCZYK, Vorwort. In: POSCHMANN, Bernhard, Die Lehre von der Kirche. Geschichtlich beleuchtet und dogmatisch dargelegt. Herausgegeben von Gerhard Fittkau. Quaestiones non dispuatae, Band 4. Siegburg 2000, 6. Sicherlich handelt es sich bei dem Buch Katholische Frömmigkeit von Poschmann im Unterschied zu dem ekklesiologischen Buch Die Lehre von der Kirche nicht um einen dogmatischen Traktat. In dieser sehr zurückhaltenden Kritik Scheffczyks werden ebenso Heinrich Schliers Buch Ein Versuch über ein Prinzip des Katholischen und B. Scherers Buch Katholische Fülle genannt. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 27.

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Glaubens“803 gegeben werden. Und b) Lehre und Dogma der Kirche wären bei dieser Methode verabsolutiert und als Wesen des katholischen Christentums ausgegeben: Gelebte Frömmigkeit und dogmatischer Glaube dürfen aber nicht als Gegensätze verstanden werden. Insgesamt kritisiert Scheffczyk an dieser Stelle aber ein sehr einseitiges Dogmenverständnis. Er selbst hatte in seiner im Jahr 1973 veröffentlichten Hermeneutik ein reicheres Verständnis von Dogma ausgearbeitet und auf doxologische, hermeneutische und konfessorische Motive neben dem antihäretischen Motiv hingewiesen. Das hätte bedeuten können, das Dogma als Teil des Glaubenslebens der Kirche wie des einzelnen Gläubigen zu verstehen, statt ein sehr einseitiges Dogmenverständnis zu kritisieren. Die von Scheffczyk geforderte Einheit von Frömmigkeit und dogmatischem Glauben hätte dann auch schon auf einem adäquaten Verständnis des Dogmas aufbauen und vertieft werden können. Bei der Suche nach einer möglichen Methode, um von der geschichtlichen Konkretion auf die bleibende Wahrheit in der Kirche zu schließen, stößt Scheffczyk auf das protestantische Prinzip, das sola. Im Gegenüber zum protestantischen sola steht die katholische Formel et-et804. Aber die Formel et-et ist ein Schema, eine Abstraktion, das erst dann zu weitreichenderen Einsichten führt, wenn sie inhaltlich gefüllt ist, so Scheffczyk. Außerdem genügt es bei der Frage nach der bleibenden Wahrheit nicht, nur polare Ergänzungen auszuweisen, die dann komplementär zu verstehen sein sollen. Da systematische Theologie die „Frage nach der Wesenswahrheit“805 stellt, muss bei der Untersuchung der Katholizität der Kirche eine „Wesensbestimmung“806 des Katholischen erarbeitet werden. Synthetische Wesensschau „Gerade wenn man davon überzeugt ist, dass der Katholizismus ein komplexes ‚System’ darstellt, […] muss man als erste methodische Anforderung an das Verfahren zu seiner Wesenserfassung die Auffindung seiner Grundkraft, seiner geistigen Entelechie, seiner ‚Idee’ postulieren. Wenn hier nach der ‚Idee’ gefragt wird, so ist diese wohl zu unterscheiden vom ‚Begriff’ oder von einem formalen Prinzip. […] Unter der Lebenskraft oder der ‚Idee’ des Ganzen ist nicht etwas Abstraktes verstanden wie beim ‚Begriff’, sondern der dem betreffenden Seienden innewohnende Logos, die innerste lebendige Wahrheit, das Urbild, nach dem sich alle Ausgestaltungen richten und von dem sie durchdrungen sind“807. 803 804

805 806 807

Ebd. Scheffczyk verweist in diesem Zusammenhang immer wieder auf Paul Tillich. Vgl. Katholische Glaubenswelt, 28; DERS., Das Wesen des SCHEFFCZYK, katholisch/protestantischen Gegensatzes und des Versuch seiner Überwindung in der Theologie Paul Tillichs. In: Forum Katholische Theologie 16 (2000), 253. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 337. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 29. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 30.

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Unter einer Wesensschau versteht Scheffczyk den Versuch, vom kategorial Greifbaren aus die bleibende Wahrheit in der katholischen Kirche untersuchen. Die Wesensschau nimmt deshalb bei Scheffczyk ein ähnliche Stellung ein wie die Analogie: vom Kategorialen aus kann auf Wahrheit geschlossen werden – mit dem Unterschied, dass die Analogie diesen Vorgang in der theologischen Sprache bezeichnet und die Wesensschau diesen Vorgang in der Systematik kennzeichnet. Eine Wesensschau kann nicht nur in der Aneinanderreihung verschiedener inhaltlich gefüllter et-et-Formeln bestehen, denn so würde die Entelechie, die Idee des Ganzen nicht verständlich werden. In der Wesensschau wird also das Wesen der katholischen Kirche gesucht und geschaut, aber nicht als eine abstrakte Größe, sondern als Urbild, das alle kategorialen Erscheinungen durchdringt808. Ein geschichtlich-empirischer Denkansatz kann in zwei Schritten vorgehen: alle geschichtlichen Erscheinungsformen müssen durchgegangen werden und aus diesen Erscheinungsformen muss das Bleibende herausgefunden werden. Scheffczyk weist auch diese Methode zurück: Es ist gar nicht möglich, alle geschichtlichen Erscheinungsformen der Kirche durchzugehen. Die geschichtlichen Erscheinungen der Kirche sind außerdem noch nicht abgeschlossen. Dazu kommt, dass viele der auswählbaren Erscheinungen gar nicht auf einen Nenner gebracht werden können, wenn man keine Idee des Ganzen zugrunde legt. Die skizzierte Methode widerspricht ferner Scheffczyks Ausführungen zur Geschichtlichkeit. Denn die bleibende Wahrheit ist nicht aus der Geschichtlichkeit abzuleiten, sie ist ein polares Gegenüber und eine Ergänzung der Geschichtlichkeit. Das Problem dieses geschichtlichen Ansatzes ist demnach, dass die zugrunde liegende, strukturierende und vorgängige bleibende Wahrheit nicht integriert werden kann. Dies könnte höchstens in einem zweiten Schritt geschehen, in dem dann die bleibende Wahrheit thematisiert werden müsste. Die von Scheffczyk gewählte Methode lässt sich

808

Dass Scheffczyk die Idee des Ganzen dem abstrakten Begriff gegenüberstellt, kann als Antwort auf Rahners Buch Grundkurs des Glaubens verstanden werden, das ein Jahr vor der Katholischen Glaubenswelt veröffentlicht wurde. Im Grundkurs des Glaubens spricht Rahner vom Begriff des Christentums. Er erklärt: „Wir nennen diesen Versuch eine Einführung in den Begriff des Christentums, um dadurch auch anzudeuten, daß es hier nicht um eine mystagogische Einweihung ins Christentum gehen kann, sondern um eine begrifflich denkende Bemühung um Theologie und Religionsphilosophie auf der ersten Reflexionsstufe. Es handelt sich um den Begriff, nicht um die Sache unmittelbar, weil und obwohl hier, wie nirgends, Begriff und Sache voneinander entfernt sind und andererseits der Begriff, um verstanden zu werden, nirgends so sehr die Hinwendung zur Sache selbst verlangt wie hier“, RAHNER, Grundkurs des Glaubens, 26. Das heißt: Während bei Rahner die untersuchte Sache und der davon abstrahierende und kategorial fassbare Begriff unterschieden werden müssen, geht Scheffczyk davon aus, dass die Idee der kategorial fassbaren Größe innewohnt.

237

demgegenüber als eine Verbindung von hermeneutischem und geschichtlichem Denken darstellen. Dies soll in der folgenden Tabelle gezeigt werden809. Ebene der geschichtlichen Ausgestaltungen des

Ebene der bleibenden Wahrheit, der Idee

Katholischen Zum Deuten der

…muss man ein

Ausgestaltungen, der

Vorverständnis von der

Erscheinungen…

Idee haben.

An der Analyse der

…muss das endgültige

Gestalten und

Verständnis dieser Idee

Ausformungen…

gewonnen werden.

Hier sieht man deutlich, dass die von Scheffczyk vorgeschlagene Methode geschichtlich strukturiert ist. Denn die geschichtlichen Erscheinungen und Ausformungen der Kirche müssen durch die bleibende Wahrheit, die Idee polar ergänzt werden. - Die Methode ist stark von Scheffczyks Hermeneutik beeinflusst. Das Vorverständnis als Summe der Erfahrungen eines einzelnen Menschen in seiner Beziehung zu anderen, zur Welt und zu Gott ist zur korrekten Erfassung der geschichtlichen Wirklichkeit unumgänglich. - Die Methode ist zirkular angelegt. Das heißt, die bleibende Wahrheit in der Kirche, beziehungsweise das Wesen oder die Idee ist ansatzweise, naturhaft und transzendental im Menschen angelegt und braucht menschliche Erfahrungen und die Willensentscheidung des Menschen, um kategorial fassbar zu werden, damit so in der Deutung und der Analyse der Erscheinungen ein endgültigeres Verständnis erarbeitet werden kann. - Die Methode ist vom erkenntnistheoretischen Realismus beeinflusst. Die Idee oder das Wesen des Katholischen bestimmt alle geschichtlichen Erscheinungen der katholischen Kirche. Anderenfalls könnte die hermeneutische Zirkelstruktur nicht aufrechterhalten werden. Dabei durchdringt die Idee oder das Wesen des Katholischen nicht nur die Glaubensinhalte, sondern auch die Strukturen und Formen des Katholischen810. Da aber nicht alle geschichtlichen Erscheinungen untersucht werden können, stellt Scheffczyk Strukturelemente, die Lehr- und die Lebenselemente der katholischen Kirche dar. 809 810

Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 30 f. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 31.

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Die der Methode der Wesensschau zugrunde liegende subjektive Denkeinstellung darf deshalb nach Scheffczyk nicht analysierend, abstrahierend oder theoretisierend sein. So würde nur eine Sichtweise auf die Katholische Kirche geboten, die vom Denken ausgeht und die letzten Endes die volle Wirklichkeit der katholischen Lebenswelt nicht mehr verstehen könnte. Stattdessen fordert Scheffczyk einen synthetischen Blick, um mit den Augen des Herzens das Wesentliche zu erfassen: „Die Darstellung eines ‚göttlichen Ganzen’, wie es der Katholizismus seinem Selbstverständnis nach ist, kann nur in der Art einer Skizze oder eines Grundrisses gelingen, der jedoch nicht einer Konstruktion entspringt, sondern aus einer phänomenologischen Sicht […] der gegebenen Wirklichkeit und aus einem Kontakt mit ihr kommt“811.

Vier Punkte sind in diesem Zitat von entscheidender Bedeutung: a) Die Wesensschau erstrebt keine Vollständigkeit der Darstellung des Katholischen. Das korrespondiert mit dem Mysteriencharakter theologischer Materialobjekte, der eine erschöpfende Darstellung nicht zulässt. b) Die Wesensschau ist kein Denkkonstrukt. Eine rationalistische Sichtweise auf die Kirche wird von Scheffczyk zugunsten des Wirklichkeitskontakts abgelehnt. Das heißt, dass man die Kirche nicht intellektuell, quasi von außen, verstehen kann, sondern nur aufgrund der Teilnahme am kirchlichen Leben, durch Kontakt mit der Wirklichkeit der Kirche, durch das Erleben der Kirche. c) Die Wesensschau entsteht aus einer phänomenologischen Sichtweise der vorgegebenen und erlebten Wirklichkeit. d) Katholizismus ist ein göttliches Ganzes, so Scheffczyk. Das bedeutet, dass die menschlichen Sünden nicht zum Wesen der Kirche hinzugerechnet werden können, obwohl Scheffczyk menschliche „Runzel und Makel“812 in der Kirche nicht abstreitet. Phänomenologische Wesensschau Der Begriff phänomenologisch, den Scheffczyk zur Erläuterung seiner Wesensschau verwendet, führt aber zu einigen Problemen. Dan Zahavi verweist in seinem Buch Phänomenologie für Einsteiger auf die große Bandbreite von Vertretern dieser philosophischen Strömung. Zahavi kennzeichnet außerdem die Phänomenologie als Eckstein der Kontinentalphilosophie813. Auf die vielen Divergenzen in der Phänomenologie hat vor allem Paul Ricœur aufmerksam gemacht, indem er von einer Geschichte der Husserl-Häresien gesprochen hat814. Scheffczyk selbst versucht näher zu bestimmen, was er unter Phänomenologie 811 812 813 814

Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 32. Vgl. ZAHAVI, Dan, Phänomenologie für Einsteiger. UTB 2935. Paderborn 2007, 7 f. Vgl. RICŒUR, Paul, A l’école de la phénoménologie. Paris 1986, 156.

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versteht, indem er auf ein Unterkapitel des Buches Was ist Philosophie? Dietrich von Hildebrands hinweist815. Dieses Unterkapitel beschäftigt sich mit dem existentiellen Wirklichkeitskontakt in der Phänomenologie816. Und genau an dieser Stelle sind Differenzen zwischen dem phänomenologischen Denken und dem erkenntnistheoretisch-realistischen Denken Scheffczyks festzustellen. Edmund Husserl, der Begründer der Phänomenologie817, hat immer wieder auf die Bedeutung der phänomenologischen-transzendentalen Reduktion hingewiesen. So auch beispielsweise in seinen Vorlesungen des Sommersemesters 1925 Phänomenologische Psychologie818. Diese phänomenologische Reduktion ist die Voraussetzung zum Verständnis der Husserlschen Phänomenologie819. Husserl erklärt: „Es ist die prinzipielle Eigenart der transzendentalen Reduktion, daß sie vorweg und mit einem Schlage, in einem universalen theoretischen Willen diese transzendentale Naivität, die noch in der reinen Psychologie herrscht, inhibiert, daß sie das ganze aktuelle Leben mit diesem Willen umgreift: dieser Wille gebietet, keine transzendentale Apperzeption, keine wie immer beschaffene transzendente Geltung zu bestätigen, sie „einzuklammern“ und nur zu nehmen als was sie in sich selbst ist, als rein subjektives Apperzipieren, Meinen, als geltend Setzen u.s.w.“820.

Gerade das von Husserl erwähnte Inhibieren der transzendentalen Naivität lässt sich aber nur schwer mit dem von Scheffczyk vertretenen erkenntnistheoretischen Realismus vereinen. Denn der Scheffczyksche theologische erkenntnistheoretische Realismus geht von der realen Gegebenheit und Erkennbarkeit aller theologischen Materialobjekte aus. Das gilt ebenso für die Verehrung in der Liturgie und im persönlichen Glaubensleben. Die Phänomenologie kennt aber in ihrer Hinwendung zum Gegenstand nur den Willen „zu sehen und adäquat zu beschreiben“821. Alles andere muss eben als subjektives Apperzipieren verstanden werden. In der phänomenologischen Reduktion wird das phänomenologische Ich als „’uninteressierter Zuschauer’ etabliert“822. Und nur in dieser Interesselosigkeit kann der Grund für die 815 816

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Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 31. Vgl. HILDEBRAND, Dietrich von, Was ist Philosophie? In: DIETRICH VON HILDEBRAND GESELLSCHAFT (Hrsg.), Gesammelte Werke. Band 1. Regensburg 1976, 205. Vgl. RÖMPP, Georg, Husserls Phänomenologie. Eine Einführung. Wiesbaden 2005, 9 ff.; THIEL, Phänomenologie. In: MITTELSTRAß, Jürgen (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 3. Stuttgart 22004, 118. Vgl. HUSSERL, Phänomenologische Psychologie. Vorlesungen Sommersemester 1925. Herausgegeben und eingeleitet von W. Biemel. Den Hag 1962, 187 f. Vgl. HUSSERL, Phänomenologische Psychologie, 188. HUSSERL, Phänomenologische Psychologie, 274. HUSSERL, Cartesianische Meditationen. Eine Einleitung in die Phänomenologie. Herausgegeben, eingeleitet und mit Registern versehen von Elisabeth Ströker. Hamburg 3 1995, 37. Ebd.

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Hinwendung zur Welt nach Husserl verstanden werden. Denn in der phänomenologischen Reduktion wird der Seinsanspruch eingeklammert, nicht jedoch das Seinsphänomen823. In diesem Zusammenhang ist auch der von Husserl geprägte Begriff der Epoché zu verstehen. Ulrich Claesges erklärt diesen Begriff im Historischen Wörterbuch der Philosophie folgendermaßen: „E. [Epoché] bedeutet das Außer-Vollzug-Setzen des die natürliche Einstellung als solche definierenden universalen Seinsglaubens […] Damit werden zugleich alle theoretischen Vormeinungen hinsichtlich der thematisierten Gegenstände ausgeschaltet“824.

Gerade hier zeigt sich des Weiteren, dass es schwer sein dürfte, Scheffczyks hermeneutisches Vorverständnis mit der phänomenologischen Ausschaltung aller theoretischen Vormeinungen zu vereinbaren. Während Scheffczyk den realen Kontakt mit der Wirklichkeit fordert825, wird in der Husserlschen Phänomenologie dieser Kontakt nur als vorurteilsfreie Reduktion alles Transzendenten in Bewusstseinsinn verstanden. Erst im Vermeinten, kann „sich das ›wahre Sein‹ des vorher mit allen Rätseln des Erkenntnisproblems behafteten Seienden enthüllen“826. Nur so wird die Grundlage für apodiktische Evidenz827 in der Phänomenologie gelegt. Dietrich von Hildebrand, auf den Scheffczyk verweist, hat sich besonders mit einer religiös ausgerichteten Ethik im Anschluss an Max Scheler beschäftigt828. Max Scheler erklärt im Anschluss an Husserls phänomenologische Reduktion und Epoché die Phänomenologie vor allem als Einstellung. Scheler erklärt: „An erster Stelle ist Phänomenologie weder der Name für eine neue Wissenschaft noch ein Ersatzwort für Philosophie, sondern der Name für eine Einstellung des geistigen Schauens, in der man etwas zu er-schauen oder zu er-leben bekommt, was ohne sie verborgen bleibt: nämlich ein Reich von «Tatsachen» eigentümlicher Art. […] Das Erlebte und Er-schaute ist «gegeben» nur in dem er-lebenden und er-schauenden Akt selbst, in seinem Vollzug“829.

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Vgl. VERWEYEN, Hansjürgen, Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes. Zum Problem einer transzendentalphilosophischen Begründung der Fundamentaltheologie. Düsseldorf 1969, 95; THIEL, Wesensschau. In: MITTELSTRAß, Jürgen (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 4. Stuttgart 22004, 675. CLAESGES, Ulrich, Epoché II. In: RITTER, Joachim (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 2. Darmstadt 1972, 595. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 31. RÖMPP, Husserls Phänomenologie, 26 f. Vgl. HUSSERL, Cartesianische Meditationen, 19; 23. Vgl. WALDENFELS, Bernhard, Einführung in die Phänomenologie. UTB 1688. München 1992, 27. SCHELER, Max, Phänomenologie und Erkenntnistheorie. In: SCHELER, Max, Gesammelte Werke. Band 10. Berlin 1957, 380.

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Das bedeutet, dass für Scheler in der Phänomenologie eine Einstellung Grund gelegt ist: Nur in dem Akt des Er-lebens ist das Er-lebte für Scheler gegeben. Und aus diesem Akt heraus, aus diesem Sicherheben über die „gefährlichen Selbstverständlichkeiten“830 kann die Phänomenologie in unmittelbarsten „Erlebnisverkehr mit der Welt selbst“831 kommen. Aus diesem Gedanken heraus kritisiert Scheler Wilhelm Wundt, der das Buch Logische Untersuchungen von Edmund Husserl unter anderem als tautologisch rezensiert hat832. Scheler erklärt: a) ein phänomenologisches Buch ist in einer völlig anderen Einstellung als der Wundts zu lesen. Denn b): Phänomenologie teilt keine Beobachtung mit, sie beweist nicht induktiv oder deduktiv. Und c): Der Sinn der Phänomenologie besteht darin, dem Rezipienten etwas „zur Er-schauung zu bringen, das seinem Wesen nach nur und nur erschaut werden kann“833. Phänomenologie hat damit die Funktion eines Zeigestabes für Scheler. Das zu Erschauende kann niemals in Definitionen, Urteilen oder Begriffen erfasst werden. Am Ende einer phänomenologischen Untersuchung müsste deshalb nach Scheler die Aufforderung stehen: „Jetzt sieh hin, dann siehst du es!“834 In genau diesem Gedankengang argumentiert auch von Hildebrand, wenn er vom Talent spricht, das der phänomenologische Zugang erfordert835. Hildebrand erklärt: „Phänomenologie ist der äußerste Gegensatz zu der antiqualitativen Tendenz mancher Denker, die von dem Vorurteil getäuscht sind, etwas sei um so weniger rational und intelligibel, je mehr es an qualitativer Fülle besitzt. Im Gegensatz dazu schließt Phänomenologie eine volle Rezeptivität für den Wesensduft geistiger und kultureller Entitäten in ihrer ganzen existentiellen und qualitativen Fülle ein. Wiederum müssen wir den radikalen Gegensatz zwischen der phänomenologischen Schau und jeder bloßen Beschreibung betonen“836.

Das bedeutet: Nach von Hildebrand muss man als Grundlage der Phänomenologie das Talent verstehen, die qualitative Fülle einer Entität zu erschauen. Dies kann dann analog zu der Einstellung gesehen werden, dass das Erschaute nur im erschauenden Akt gesehen werden kann (Scheler), beziehungsweise zur Husserlschen transzendentalen Reduktion und Epoché als Grundlage der Phänomenologie. Gleichzeitig ist damit der Begriff phänomenologisch für die erkenntnistheoretisch-realistische Arbeit Scheffczyks offen. Denn Scheffczyk argumentiert von der qualitativen Fülle des Begriffs katholisch her. Hier gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass der 830

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ARNDT, Martin, Einleitung, In: SCHELER, Max, Schriften zur Anthropologie. Herausgegeben von Martin Arndt. Stuttgart 2001, 8. SCHELER, Phänomenologie und Erkenntnistheorie, 380. Vgl. SCHELER, Phänomenologie und Erkenntnistheorie, 391. Ebd. SCHELER, Phänomenologie und Erkenntnistheorie, 392. Vgl. HILDEBRAND, Was ist Philosophie?, 206. Fußnote 14. HILDEBRAND, Was ist Philosophie?, 206 f.

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erkenntnistheoretische Realismus bei Scheffczyk nicht philosophisch begründet ist und somit nur schwer mit der Phänomenologie in Beziehung gesetzt werden kann. Denn Scheffczyk denkt immer von der realen Zugänglichkeit theologischer Materialobjekte aus. Die Phänomenologie hingegen, und besonders Husserl, versucht, den Weltkontakt der Philosophie gegenüber den Ausführungen Immanuel Kants philosophisch zu begründen837. Was das hermeneutische Vorverständnis betrifft, so könnte man dieses Vorverständnis ebenfalls bereits mit der Schelerschen Einstellung zur Phänomenologie in Beziehung setzen. Denn in beiden Fällen handelt es sich um etwas der phänomenologischen Schau Vorgängiges: nämlich die Bedingung der Möglichkeit der korrekten Schau einer Wirklichkeit. Diese Überlegungen zeigen allerdings auch die Schwierigkeiten einer philosophisch orientierten Annäherung an die Theologie Scheffczyks. Denn philosophische Fragestellungen spielen in Scheffczyks Theologie nur eine untergeordnete Rolle und dienen an dieser Stelle nur zur Erklärung seines Vorgehens. Thomistische Wesensschau? Walter Hoeres hat in seiner im Jahr 1969 zuerst veröffentlichten Studie Wesenseinsicht und Transzendentalphilosophie auf den Unterschied zwischen dem klassischen erkenntnistheoretischen Realismus und der Transzendentalphilosophie hingewiesen838. Hoeres spricht in dieser Studie von dem erkenntnistheoretischen Realismus des Thomas von Aquin und kennzeichnet Thomas als Vorläufer der Phänomenologie. Damit sind drei für Scheffczyk bedeutende Begriffe (Wesenseinsicht, erkenntnistheoretischer Realismus und phänomenologisches Arbeiten) bei Hoeres als scholastisch gekennzeichnet. Hoeres erklärt: „Die Lehre von der Wesenserkenntnis, die von Aristoteles begründet und von der Scholastik entfaltet wurde, hat stets beide scheinbar widersprechenden Erfahrungen umspannt und auf einen Nenner gebracht: dass einerseits das Wesen im Einzelding entdeckt wird, dessen Bestimmung es ist und dass es andererseits für sich betrachtet werden kann“839.

Das bedeutet: Die Wesensschau, die Scheffczyk in phänomenologischer Weise angeht, könnte auch aus der thomistischen-scholastischen Tradition heraus verstanden werden. Für Hoeres ist vor allem das Ineinander von geistiger und sinnlicher Erkenntniskraft in der Erkenntnislehre des Thomas von Aquin ausschlaggebend. Von hier aus kann die scholastische Tradition „die ontologischen Bedenken gegen die Erkenntnis des Wesens im Einzelding durch 837 838

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Vgl. RÖMPP, Husserls Phänomenologie, 9 f. Vgl. HOERES, Walter, Wesenseinsicht und Transzendentalphilosophie. Thomas von Aquin zwischen Rahner und Kant. Quaestiones non dispuatae, Band 5. Siegburg 2001, 7 ff. HOERES, Wesenseinsicht und Transzendentalphilosophie, 80.

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die tiefe phänomenologische Erfahrung der Einheit des sinnlich-geistigen Bewusstseins“840 überwinden. Die Wesenserkenntnis fördert deshalb „Strukturen und Sachverhalte des Einzelseienden“841 zu Tage. Die Wesensbestimmungen sind unmittelbar und direkt auf die Sache bezogen. Eine Reflexion des Wesens zeigt die „strikte, gefügte Einheit […] und seine Offenheit für weitere Bestimmungen, die jedoch durch das Wesen vorgezeichnet sind“842. Damit könnten sowohl die Strukturelemente des Katholischen bei Scheffczyk in der thomistisch-scholastisch inspirierten Wesenserkenntnis untersucht werden, als auch die Lebens- und Lehrelemente (Sachverhalte des Einzelseienden). Der erkenntnistheoretische Realismus Scheffczyks würde sich problemlos in die scholastische erkenntnistheoretische realistische Tradition einfügen. Estanislao Arroyabe hat sich in seiner im Jahr 1988 erschienenen Studie Das reflektierende Subjekt. Zur Erkenntnistheorie des Thomas von Aquin mit einer Rekonstruktion der Erkenntnistheorie des Thomas von Aquin beschäftigt. Arroyabe erklärt: „Die Definition drückt also [bei Thomas von Aquin] das Wesen einer Sache aus, ihre ‚quidditas’, ihre Washeit. Aber diese Begriffe kreisen um einen weiteren, grundlegenderen, nämlich den der Form, weil quidditas, Washeit, nicht anders als durch die Form zu erreichen ist“843.

Dieses Ineinanderfallen von Definition und Wesen einer Entität bei Thomas könnte deshalb als Widerspruch zu Scheffczyks qualitativer Fülle des Begriffs katholisch verstanden werden. Allerdings gilt für Thomas von Aquin auch, dass es die Aufgabe des intellectus agens ist, die Form von den phantasmata, also den Sinneseindrücken, zu abstrahieren844. Und durch diese Verstandestätigkeit gelangt der Mensch zu einer strukturierten Wahrnehmung, wie Arroyabe sich ausdrückt845. Bei Thomas von Aquin heißt es: „Ex multis intellectis intelligentis

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HOERES, Wesenseinsicht und Transzendentalphilosophie, 81. Vgl. hierzu auch BERGER, Thomismus, 186: Sein und Wesenheit sind bei Thomas von Aquin „sachlich verschieden, wenn auch […] nicht trennbar“; THOMAS DE AQUINO, De ente et essentia. Textus a L. Baur Monasterii Westfalorum 1933 editus Caput 3.: „Omnis autem essentia vel quiditas potest intelligi sine hoc quod aliquid intelligatur de esse suo; possum enim intelligere quid est homo vel Phoenix et tamen ignorare an esse habeat in rerum natura“. HOERES, Wesenseinsicht und Tranzendentalphilosophie, 81. HOERES, Wesenseinsicht und Tranzendentalphilosophie, 86. ARROYABE, Estanislao, Das reflektierende Subjekt, Zur Erkenntnistheorie des Thomas von Aquin. athenäum monografien. Philosophie. Band 253. Frankfurt am Main 1988, 19. Vgl. THOMAS DE AQUINO, Super Boetium De Trinitate. Textus a Bruno Decker Lugduni Batauorum 1959 editus. pars 1 q. 1 a. 3 co. 3.: „Intellectus autem agens non facit intelligibilia formas separatas quae sunt ex se ipsis intelligibiles, sed formas quas abstrahit a phantasmatibus, et ideo huiusmodi sunt, quae primo intellectus noster intelligit“. Vgl. ARROYABE, Das reflektierende Subjekt, 21.

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scientia integratur“846. Damit ist der Begriff Wesen bei Thomas keinesfalls auf eine rationalistische Sichtweise eingeschränkt. Es geht darum, in den intensivsten Wirklichkeitskontakt zu kommen. Das geht soweit, dass im Thomismus von einer universalen Realität gesprochen wird, die vom intellectus erreicht wird. So zum Beispiel Reginald Garrigou-Lagrange in seiner im Jahr 1947 herausgegebenen Schrift L’éternelle vie et la profondeur de l’âme: „The mind, intellect, differs from all sense powers, external and internal, because it has as primary object not mere accidental facts, external or internal, color, for example, or sound, or tactile resistance, but rather intelligible and universal reality. By reason of this object the mind knows the raison d’être of things, the causes of events, and their purpose or goal”847.

Manfred Hauke meint, man könne, Scheffczyk keiner theologischen Schule zuzuordnen. Dabei hat Hauke vor allem auch den Thomismus ausgeschlossen848. Die obigen Ausführungen sollen und wollen dieser These auch nicht widersprechen, denn Scheffczyk selbst verweist in seinen Ausführungen nicht auf Hoeres oder einen Vertreter der thomistischen Tradition. Was sich allerdings an dieser Stelle zeigt, kann als eine Prägung verstanden werden: So wurde an der Universität in Breslau, an der Scheffczyk studierte, unter anderem auch eine an Thomas von Aquin ausgerichtete Theologie unterrichtet849. Und Michael Schmaus, bei dem Scheffczyk seine Habilitationsschrift anfertigte, hat selbst wiederum über Thomas von Aquin gearbeitet850. Überhaupt scheint Schmaus die Thomaslektüre Scheffczyks geprägt zu haben. Hauke weist auf ein Negativbeispiel hin: Scheffczyk hat von Schmaus die These übernommen, Thomas leite die drei göttlichen Personen aus dem einen Wesen Gottes ab. Die Korrektur dieser These erfolgte erst nach der Zeit, in welcher der Dominikaner Richard Schenk bei Scheffczyk als Assistent tätig war. Wenn Scheffczyk „kein Thomist im strengen Sinne der theologischen Schule“851 ist, so wird man dennoch festhalten müssen, dass er sich als Student wie auch als Professor immer wieder mit Thomas von Aquin auseinandergesetzt hat und dass seine

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THOMAS DE AQUINO, Summa contra Gentiles. Textus Leoninus emendatum ex plagulis de prelo Taurini 1961 editus. lib. 1 cap. 48 n. 7. GARRIGOU-LAGRANGE, Reginald, Life Everlasting. A Theological Treatise on the Four Last Things. Death, Judgement, Heaven, Hell. Rockford, IL 1991, 6. In der vorliegenden Arbeit wird die im Jahr 1991 wiedergedruckte englische Übersetzung verwendet. Sie erschien erstmals im Jahr 1952. Vgl. HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 20 f. Vgl. SCHEFFCZYK, Berufung als Ruf aus der Zeit. In: Müller, M. (Hrsg.), Wen(n) Gott ruft… 23 Berufungsgeschichten. Aachen 1997, 115. HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 7. Vgl., HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 12. HAUKE, Nachruf auf Leo Kardinal Scheffczyk, 21.

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erkenntnistheoretischen Voraussetzungen in hohem Maß mit denen des Thomismus übereinstimmen. 1.4 Ergebnis Versucht man, den Begriff christlich zu erläutern, so ist das nach Scheffczyk nicht in einer allgemeinen Weise möglich, weil das Christentum nur in der Konkretion einer Konfession greifbar ist. Versucht man, den Begriff katholisch als Konkretion des Christlichen zu erklären, so ist das auch nicht ohne weiteres möglich, weil verschiedene geistesgeschichtliche Entwicklungen heute ein univokes Verständnis des Katholischen verhindern, dabei muss natürlich besonders an die Spaltung der Kirche gedacht werden. Die einzige Möglichkeit zu bestimmen, was Katholisch bedeutet, ist nur über eine Wesensschau möglich. Hier müssen die geschichtlichen Verwirklichungen der lebendigen Idee des Katholischen in der römisch-katholischen Kirche mit Blick auf die qualitative Fülle des Begriffs katholisch untersucht werden. Da nicht alle geschichtlichen Erscheinungen in der römisch-katholischen Kirche dargestellt werden können, will Scheffczyk vor allem die Strukturen zusammen mit den entscheidenden Lehr- und Lebenselementen der römischkatholischen Kirche phänomenologisch untersuchen. So soll ein ausgewogenes Bild der lebendigen Idee des Katholischen gezeigt werden. Wenn man diesen Gedanken anders formulieren will, kann man sagen: Es soll von der konfessionellen Bestimmung des Wortes katholisch (römisch-katholisch) auf die Wesenseigenschaft der Kirche (Katholizität) geschlossen werden. Das ist möglich, weil für Scheffczyk die Idee des Katholischen (also die These, dass Katholisch die Konkretion des Christlichen in der geschichtlich erfahren Welt darstellt) die geschichtliche Erscheinung der römisch-katholischen Kirche durchdringt und deshalb prinzipiell auffindbar ist. Dabei entsteht aber das Problem, dass das Ergebnis von der Auswahl der Struktur-, Lehr- und Lebenselemente maßgeblich beeinflusst wird. Weil für Scheffczyk verschiedene geistesgeschichtliche Entwicklungen für die Wesensschau zu überwinden sind, gerät er einerseits deutlich in die Nähe Max Schelers, der den Menschen beispielsweise als Exzentriker852 oder als „Unzeitgemäßen“ beschrieben hat853. Andererseits würde Scheffczyk den Wunsch Schelers, jeden Morgen das Leben neu anzufangen „ohne irgendwelche Bindungen, die von früher Erlebtem herrühren“854 als unmöglich ansehen. Denn für die Wesensschau ist nach Scheffczyk ein hermeneutisches Vorverständnis

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Vgl. SCHELER, Der Mensch als der Exzentriker des Lebens. In: SCHELER, Max, Gesammelte Werke. Band 2. Berlin 51966, 289-296. ARNDT, Einleitung, S. 8. HILDEBRAND, Max Scheler als Persönlichkeit. In: Hochland 26 (1928/29), 76.

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unerlässlich. Und dieses Vorverständnis muss wesentlich vom Leben und der Lehre in der katholischen Glaubenswelt geprägt sein. Die Wesensschau, die Scheffczyk als Methode zur Untersuchung der Katholizität der Kirche vorschlägt, hat dabei einen deutlich induktiven Charakter. Er will „ohne eine streng beweisende Deduktionsmethode“855 vorgehen und von der geschichtlichen Konkretion aus bleibende Wahrheit untersuchen. Das zeigt deutlich, dass selbst in Scheffczyks eigener Arbeitsweise wissenschaftliches Vorgehen nicht immer als deduktiv beschrieben werden kann856.

2. Strukturen, Lehr- und Lebenselemente des Katholischen 2.1 Katholische Strukturelemente Die Frage nach einer Struktur des Katholischen führt zu einigen Problemen. Abgesehen von der Frage nach der Möglichkeit einer Wesensschau stellt sich vor allem die Frage, was eine solche Struktur ist, und wie man die Struktur mittels der von Scheffczyk angewandten Methode erfassen kann. Die erste Frage danach, was eine Struktur ist, wird von Scheffczyk wiederholt beantwortet: Eine Struktur ist eine Gestaltkraft857. An anderer Stelle antwortet er: Strukturen sind Formelemente, der Stil, die Bedingungen, die inneren Voraussetzungen für jede inhaltliche Aussage858. Die zweite Frage, wie sich eine Struktur erkennen lässt, kann man folgendermaßen umformulieren: Wo muss man innerhalb der geschichtlichhermeneutischen Zirkelstruktur der Scheffczykschen Methode für die Wesensschau innehalten, um einen festen Ausgangspunkt zu gewinnen? In der Funktion als Denkansatz wird deshalb das katholische et-et interessant859. Der Denkansatz: das katholische et-et Bereits in dem im Jahr 1966 zuerst veröffentlichten Artikel Die Einheit des Dogmas und die Vielheit der Denkformen stellt Scheffczyk fest: Es gibt „keine genuin christliche oder katholische Denkform, die als einzig angemessene oder auch nur bevorzugte Auffassungsform der Offenbarung ausgegeben werden

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SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 31. Vgl. hierzu Kapitel III.3.1 der vorliegenden Arbeit. Vgl. SCHEFFCZYK, Strukturen katholischen Glaubensdenkens. In: BRANDMÜLLER, Walter. (Hrsg.), Das eigentlich Katholische. Profil und Identität. Grenzen des Pluralismus. Aachen 1997, 9. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 33. Scheffczyk hatte das et-et zunächst als ungenügend und inhaltsleer beschrieben.

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könnte“860. Eine Denkform ist für ihn ein strukturierendes Prinzip, „das alle gedanklichen Inhalte prägt, das ihnen eine eigentümliche Gestalt, eine Ordnung und einen Typus verleiht“861. Denkformen können aus der Philosophie stammen, aber ebenso aus allen möglichen menschlichen Traditionen und Erfahrungen. Scheffczyk spricht hier von „anthropologische[n] Grundstrukturen“862. Weil jede Denkform eine anthropologische Grundstruktur ist, müssen sie vor der göttlichen Fülle der Offenbarung versagen. Wird dennoch versucht, die Offenbarung mittels einer einzelnen Denkform zu untersuchen, so droht die Gefahr, dass die Glaubenslehre nicht mehr richtig verstanden werden kann, denn der rationalen Untersuchung des Glaubens liegt dann nur noch eine philosophische Sichtweise beziehungsweise eine menschliche Erfahrung oder Tradition863 zugrunde. Wenn man von Denkformen sprechen will, dann müsste der dienende Charakter dieser anthropologischen Größen gegenüber der göttlichen Offenbarung berücksichtigt werden. Außerdem sollen die verschiedenen Denkformen füreinander offen sein, damit der grundlegende Sinn eines Dogmas verstanden werden kann. Nur so wäre es kein Problem, von Denkformen zu sprechen864: „So kann es keinen Zweifel geben, dass es innerhalb des Katholizismus immer wieder besondere Denkstile und Denkformen gegeben hat, die alle legitim waren und die eine Wahrheit unter verschiedenen Aspekten verstanden. Von daher wird es allerdings problematisch, von einer einzigen katholischen Denkform zu sprechen“865.

Eine Denkform ist für Scheffczyk eine genau umrissene geschichtliche, philosophische oder methodische Grundstruktur. Das verleiht einer Denkform einen speziellen oder individuellen Charakter. Das katholische et-et kann aber nicht einer speziellen theologischen Schule oder einem bestimmten Autor zugewiesen werden. Es ist ein universal geltendes Charakteristikum. Deshalb handelt es sich bei dem katholischen et-et auch nicht um eine Denkform, sondern um einen Denkansatz: Dieser Denkansatz des et-et gilt für verschiedene Denkformen. Deshalb stünde der Denkansatz auch über den philosophischen Voraussetzungen der einzelnen Denkformen. So kann Scheffczyk erklären, dass das et-et eine Bedeutung für die katholische Glaubenswelt als Ganze habe. Der katholische Denkansatz et-et lässt sich dann auch dem reformatorischen allein gegenüberstellen. Auch das allein ist in diesem Zusammenhang als Denkansatz zu verstehen, denn es kann in verschiedenen theologischen und philosophischen Denkformen aufgefunden werden und lässt sich bei den verschiedensten 860 861 862 863 864 865

SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 106. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 34. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 35. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 111. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 36. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 37.

248

protestantischen und reformierten Theologen antreffen. Scheffczyk weist mehrfach darauf hin, dass diese Gegenüberstellung von katholischem und reformatorischem Denkansatz nicht wertend zu verstehen ist: „Deshalb darf man den zur Unterscheidung herangezogenen protestantischen Denkansatz auch nicht so verstehen, als ob sich hier ‚katholische Fülle’ und ‚protestantische Einseitigkeit’ (das hieße dann gleich ‚Häresie’) gegenüberstünden; denn was das evangelische Glaubensdenken damit erstrebt, ist nichts weniger als eine ebensolche Fülle, die eben in der Reduktion, Konzentration und Verwesentlichung der immer als Gefahr empfundenen Dualität oder Vielheit besteht“866.

Für Scheffczyk lässt sich deshalb die Verschiedenheit des katholischen und protestantischen Denkansatzes so erklären: Der protestantische Ansatz entspricht einem zentrierenden Denken, der katholische Ansatz entspricht einem elliptischen Denken. Die Kennzeichnung des katholischen, elliptischen Denkens übernimmt Scheffczyk aus dem Buch Hans Urs von Balthasars Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie. Der katholische Ansatz wurde von Scheffczyk zunächst als inhaltsleer beschrieben. Und tatsächlich liegt diesem Ansatz offensichtlich nur eine elliptische Struktur zugrunde, die immer wieder inhaltlich gefüllt werden muss. Damit wäre der katholische Denkansatz einer Gefahr ausgesetzt, die das reformatorische allein nicht kennt: die Unentschiedenheit, das Hin- und hergehen zwischen den Gegensätzen. Das katholische et-et ist deshalb für Scheffczyk wiederum polar zu ergänzen mit einem Einheit stiftenden Moment. Das gilt für ihn wenigstens aus zwei Gründen: - In einer so genannten phänomenologischen Wesensschau zeigt sich das katholische Denken als sehr einheitlich und kennt Konsequenzen für Glaube und Moral. Es schwankt also gerade nicht unentschieden hin und her. - Füllt man die elliptische Struktur des et-et mit der Beziehung zwischen Gott und Mensch, dann würde sich in dieser Weise eine Gleichstellung von Schöpfer und Kreatur ergeben. Dies lehnt Scheffczyk vor allem aus gnadentheologischen Gründen ab. Das elliptische Denken des et-et wird von Scheffczyk mit seiner Analogielehre in Verbindung gebracht. Die Analogie liegt jeder theologischen Sprache zugrunde und zeigt, dass „Gott als das auch in der ‚Polarität’ zum Geschöpf hin Überragende anerkannt“867 werden muss. Wenn es also ein Einheit stiftendes Moment in der Beziehung zwischen Gott und Mensch gibt, man könnte auch von Natur und Gnade sprechen, dann muss dieses Moment Gott selbst sein oder direkt aus Gottes gnadenhaftem Handeln stammen. Bei Scheffczyk heißt es: die „einigende Kraft [muss] in Gott selbst gelegen“868 sein. 866 867 868

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 42. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 46. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 47.

249

Als dieses Einheit stiftende Moment kennzeichnet Scheffczyk in deutlicher Abhängigkeit von Erich Przywara den Grundsatz Deus semper maior. Insgesamt stellt sich dann der katholische Denkansatz für Scheffczyk folgendermaßen dar869:

Die polare Spannung des etet, das elliptisch-analoge Denken empfängt…

…durch die Entscheidung für die umfassende göttliche Wirklichkeit…

… seine eindeutige Bestimmtheit, seine Festigkeit und seine Ausgewogenheit.

Der so formulierte Denkansatz lässt gemäß dem Gesetz der Analogie und gemäß dem Grundsatz Deus semper maior Gott die Prärogative. Scheffczyk warnt allerdings ausdrücklich davor, den Denkansatz als harmonisierend zu verstehen oder einen romantischen Allzusammenhang zu konstatieren. Schließlich ist gerade durch die Entscheidung für Gott die Wirklichkeit unter das Zeichen des Kreuzes gestellt. Aufgrund der von Scheffczyk genannten Entscheidung für die umfassende göttliche Wirklichkeit kommt er auch zu dem Schluss, dass dieser Denkansatz „etwas Subjektiv-Innerliches“870 ist. Ferner spricht er von einer transzendentalen Gegebenheit. Eigentlich hatte für Scheffczyk zuerst gegolten: „Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach heutigem Begriffsverständnis und Wortgebrauch die ‚Denkform’ etwas Spezielles und Individuelleres meint, etwas, das eine viel bestimmtere zeitliche, philosophische und methodische Ausrichtung bei sich hat (die sich theologiegeschichtlich z.B. in den verschiedenen theologischen Schulen zeigte), sollte man dieses für das katholische Glaubensdenken irgendwie zeitüberhoben und universal geltende Charakteristikum [das et-et] nicht als ‚Denkform’ bezeichnen“871.

Es kann an dieser Stelle nicht genügen, auf den Komparativ hinzuweisen und zu erklären: Die Denkform ist individueller als der Denkansatz, der nicht der Zeit überhoben und universal, sondern subjektiv und innerlich ist. Die Widersprüchlichkeit einer solchen Aussage tritt offen zu Tage. Ebenso wenig ist es ausreichend darauf hinzuweisen, dass Scheffczyk den katholischen Denkansatz als transzendental charakterisiert und dabei den Begriff transzendental in

869 870 871

Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 51. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 52. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 39.

250

Anführungsstriche setzt872. Denn der Begriff transzendental kann bei Scheffczyk nicht für die Beziehung des Menschen zu Gott stehen, sonst könnte der Mensch seine Gottesbeziehung nie verlieren oder auch nur akzidentiell Christ sein873. Eine Möglichkeit, diese Stelle zu verstehen, kann folgendermaßen aussehen: a) die Denkform ist und bleibt individuell, speziell und in verschiedenen theologischen Schulen unterschiedlich. Und b): Der Denkansatz des et-et ist und bleibt universal und der Zeit überhoben. Aber c): Der Denkansatz des et-et ist der katholischen Glaubenswelt (ein Zusatz, den Scheffczyk nicht bringt) subjektiv und innerlich. Und d): Der Denkansatz des et-et stellt für andere Strukturen der katholischen Glaubenswelt so etwas wie eine transzendentale Gegebenheit dar. Schließlich liegt der Denkansatz den übrigen Strukturen sozusagen a priori zugrunde. Universalität, Heilsrealismus und Heilsmysterium Universalität Der Begriff katholisch, also universal, stammt aus der altgriechischen Philosophie und kennzeichnet einen allgemein anerkannten philosophischen Satz874. Bereits bei Ignatius von Antiochien und im Martyrium Polycarpi wird der Begriff katholisch als qualitatives Kennzeichen der Kirche verstanden. Katholisch kennzeichnet hier nach Scheffczyk, dass Jesus Christus in der Kirche anwesend ist und dass in der Kirche Wahrheit aufgefunden werden kann. Auch Augustinus habe katholisch keineswegs bloß quantitativ verwendet, der quantitative, geographische Gebrauch dieses Wortes bei Augustinus sei eher rhetorisch zu verstehen. Der Akzent des Katholizitätsbegriffs von Augustinus liege aber deutlich in einer theologischen und qualitativen Überlegung: „Der hier vertretene Universalismus ist demnach eine innere, eine aus der Tiefe kommende, konkret eine in der Liebe Christi gründende Allheit, die nicht durch innere Vorbehalte, z.B. nicht einmal durch ein elitäres Bewusstsein, begrenzt werden darf“875.

In den ersten Jahrhunderten des Christentums wird der Begriff katholisch also hauptsächlich qualitativ verstanden, eine quantitative Bedeutung wird zwar mitbedacht, ist jedoch eher als zweitrangig zu verstehen. Und der Begriff katholisch wird in einer christologischen Dimension verstanden. Die Beziehung 872 873 874

875

Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 52. Vgl. Kapitel III.2.2 der vorliegenden Arbeit. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 53. Scheffczyk bringt für diese Behauptung aber keine Belege. Anscheinend schließt er sich Yves Congar an. Vgl. CONGAR, Die Wesenseigenschaften der Kirche, Die Wesenseigenschaften der Kirche. In: FEINER, Johannes / LÖHRER, Magnus (Hrsg.), Mysterium Salutis. Grundriss heilsgeschichtlicher Dogmatik. Einsiedeln 1972, 478 f.. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 56.

251

zwischen qualitativer und quantitativer Bedeutung erscheint bei Scheffczyk folgendermaßen: Die äußere Katholizität wird mit der quantitativen, geographischen Dimension der Kirche gleichgesetzt. Die innere Katholizität mit der qualitativen, theologischen Universalität der Kirche. Die äußere Katholizität erscheint dabei als „ein gewisser Reflex der inneren, qualitativen Katholizität“876. Allerdings bleibt es nicht bei einem einheitlichen Gebrauch des Begriffs katholisch. Gerade im 17. Jahrhundert, so Scheffczyk, sprechen Robert Bellarmin und andere Theologen von einer zeitlich-sukzessiven Universalität. Das bedeutet, dass die Kirche im Lauf der Geschichte identisch bliebe und sukzessive bei allen Völkern Verbreitung findet. Die Nachteile dieses quantitativen Verständnisses der Katholizität liegen auf der Hand: In der Antike gab es Mysterienkulte, die weite Verbreitung fanden. Und in der Gegenwart finden einige Weltreligionen ebenso weite Verbreitung wie das Christentum. Deshalb müssen die letzten Kriterien der Universalität der Kirche wesentliche, innere, qualitative sein: Die Universalität der Kirche hängt für Scheffczyk mit der christlichen Gottesvorstellung zusammen und ist bereits mit dieser Gottesvorstellung verwirklicht877. Allerdings warnt er auch davor, in theologisch plumper Weise Gott mit dem Christentum und Christus mit der Kirche zu identifizieren. Scheffczyk nennt deshalb drei theologische „Wurzeln“878 für die Universalität von Christentum und Kirche. Erstens: die pneumatologische Wurzel. Die „Universalität des Christentums und der Kirche [wird] auf die Sendung des Geistes im Pfingstereignis“879 zurückgeführt. Der Heilige Geist ist das „Prinzip des Verbindenden in der Gottheit, als die Kraft des Umfassens von Vater und Sohn, als Macht, die aus dem Ich und Du zwischen Vater und Sohn eine neue Totalität des Wir machte“880. Wenn auch der Personcharakter des Heiligen Geistes in den Formulierungen Prinzip, Kraft und Macht nur schwer zum Vorschein kommt, so erscheint es durchaus berechtigt, anzunehmen: Wenn der Heilige Geist der Kirche gesandt wird, dann wirkt dieses verbindende Prinzip, die umfassende Kraft und die Macht des Wir auch in der Kirche. Allerdings gerät in der pneumatologischen Wurzel allein „das Moment der Sichtbarkeit, der Leiblichkeit und der Konkretion“881 zu kurz. Deshalb führt Scheffczyk als zweites an: die christologische Wurzel. Mit dem „Christusereignis“882 ist die Sendung des Heiligen Geistes verbunden und 876 877 878 879 880 881 882

Ebd. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 59 f. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 64. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 62. Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 63. Ebd.

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erst „der Gottmensch als Einheit von Göttlichem und Menschlichem garantiert den wahren Heilsuniversalismus und ist die wesentliche Kraft zur Abwehr jedes Partikularismus“883. Was hier unter Partikularismus zu verstehen ist, bleibt weitgehend unklar, die christologische Wurzel wiederholt bei Scheffczyk anscheinend die Einsicht Augustinus’, nach der die Universalität der Kirche in der Person Jesu Christi und in seiner Liebe gründet. Aber für sich alleine genommen und isoliert verstanden „könnte [das] Christusereignis die Universalität im zeitlichen und geschichtlichen Sinne kaum begründen“884. Die Frage, ob in der Theologie überhaupt etwas isoliert verstanden werden kann, erscheint hier von Scheffczyk nicht bedacht. Sein Gedanke ist der folgende: Wenn es eine Geschichte vor Jesus Christus gibt, dann müsste diese Zeit auch von der Universalität des Christusereignisses erfasst werden. Das aber erscheint Scheffczyk nicht ohne weiteres vorstellbar, denn wenn Jesus Christus eine Wirkungsgeschichte in Gang gesetzt hat, kann sie sich nicht auf eine Zeit vor Jesus Christus beziehen, sondern nur auf die darauf folgende Zeit. Deshalb folgt drittens: die schöpfungstheologische Wurzel. Da bereits die Schöpfung eine christologische Dimension hat, wird die zeitliche Universalität des Christusereignisses gewährleistet. Scheffczyk verweist in diesem Zusammenhang besonders auf die paulinische und die johanneische Theologie885. Die Kirche als katholisch zu bezeichnen, heißt also zunächst, den „Universalismus der christlichen Heilshoffnung“886 zu betonen. Aufgrund der pneumatologischen Wurzel ist das Prinzip des Verbindenden im dreieinen Gott auch in der Kirche gegeben, aufgrund der christologischen Wurzel ist die Verbindung des Natürlichen mit dem Gnadenhaftem auch in sichtbarer Weise gesichert und aufgrund der schöpfungstheologischen Wurzel ist die ganze Materie „vom Heil ergriffen“887. Damit ist Scheffczyks Konzept der strukturellen Universalität der Katholischen Glaubenswelt mit der Vorstellung von der Polarität von Natur und Gnade verknüpft. Heilsrealismus Mit der Struktur der Universalität ist die Struktur des Heilsrealismus eng verbunden. Scheffczyk weist an dieser Stelle explizit darauf hin, dass dem Begriff Heilsrealismus keine philosophischen Begriffsbestimmungen zugrunde

883 884 885 886 887

Ebd. Ebd. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 64. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 69. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 68.

253

liegen888. Die heilsrealistische folgendermaßen:

Struktur

des

Katholischen

erklärt

er

„Das Heil, das selbst eine göttliche Realität ist, verbleibt nicht in seinem göttlichen Ansich-Sein, in erhabener göttlicher Ferne. […] Damit ist behauptet, daß sich das Übernatürliche und Göttlich-Geistige der ihm unterlegenen Wirklichkeit des sichtbar Materiellen bedient und sich in ihr ausdrückt, sie aber dadurch zugleich in das Heil erhebt“889.

Mit real im Sinn des Heilsrealismus ist somit nicht das Heil, die Erlösung oder gar Gott selbst gemeint, sondern die reale Möglichkeit, in der Schöpfung dem Heil Gottes zu begegnen. Im Heilsrealismus macht Scheffczyk also eindeutig erkenntnistheoretische Voraussetzungen und damit ist diese Struktur maßgeblich von einer philosophischen Verwendung des Begriffs ‚Realismus’ beeinflusst. Und das erscheint auch gar nicht anders möglich. Wenn Scheffczyk nämlich die in der strukturellen Universalität begründete Verbindung von Natur und Gnade untersuchen will, dann muss er auch erklären, wie die Dimension der Gnade überhaupt zugänglich ist. Die Zugänglichkeit der Gnade wird durch den erkenntnistheoretischen Realismus gesichert. Scheffczyk führt auch Gegenpositionen zum Heilsrealismus an, die der These widersprechen, Gott und dem von ihm gewirkten Heil könne real begegnet werden. Wenn zum Beispiel der Idealismus vom Christentum als Vernunftreligion spricht, so wäre nicht nur der Heilsrealismus, sondern auch das Heil selbst und letzten Endes auch Gott eingeschränkt. Oder der Existentialismus als Gegenposition zum Heilsrealismus: Hier wäre automatisch der „Grund zu einer doketischen Auffassung vom Heil“890 gelegt. Der Heilsrealismus hat bei Scheffczyk eine christologische Dimension. Dabei wird das Christusereignis (gegenüber nicht näher genannten Theologen) „ganz realistisch genommen“891: „Wenn aber dieses Heilsereignis [das Christusereignis] oder diese Heilswirklichkeit als zeitlich, geschichtlich und als real-diesseitig verstanden wird, dann müssen von diesem Zentrum auch alle Auswirkungen des Urereignisses als ‚Epizentren’ real verstanden werden“892. Das bedeutet, der Realismus der katholischen Glaubenswelt bleibt nicht beim Christusereignis stehen, sondern integriert auch die so genannten Epizentren wie 888

889 890 891 892

Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 73: „Bei den genannten Verwendungen des Begriffs handelt es sich um spezifisch philosophische Begriffsbestimmungen, die nicht gemeint sind, wenn in der Theologie vom Heilsrealismus die Rede ist“. Dass aber Theologie und Philosophie „in ihrem ganzen Umfang und ihrer vollen Ausdehnung“ (SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 268) miteinander in Kontakt stehen, scheint damit nicht berücksichtigt. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 73 f. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 77. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 79. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 80.

254

Leben, Wirken, Wunder, Leiden, Kreuz und Auferstehung Jesu. Damit kann der Heilsrealismus dann auch die bleibende Gegenwart Christi in Wort, Sakrament, Lehre und apostolischem Amt in der Kirche erklären. Diese Wirklichkeiten beziehungsweise Heilstatsachen sind für den Glaubenden „objektiv und unabhängig von seinem Wirken ‚außer sich’ gegeben“893. Die Wirklichkeit des Heils ist damit bei Scheffczyk objektiv und nicht aus der Subjektivität des Glaubenden heraus ableitbar beziehungsweise davon abhängig. Damit sind aber einerseits ganz eindeutig philosophische Implikationen in die Struktur der katholischen Glaubenswelt integriert. Das ist eigentlich kein Problem, denn gerade erkenntnistheoretische Überlegungen spielen bei der Beschreibung von Erkenntnis selbstverständlich eine entscheidende Rolle. Wichtig ist aber, dass Scheffczyk seine erkenntnistheoretische fundamentale Voraussetzung894 direkt in seine Sichtweise der Struktur der katholischen Kirche integriert und so zu einer negativen Beurteilung des Existentialismus und des Idealismus kommt. Andererseits ist zu beachten, dass Scheffczyks erkenntnistheoretische fundamentale Voraussetzung für ihn ein Strukturelement der katholischen Kirche darstellt. Der Heilsrealismus ist deshalb für Scheffczyk nicht an eine philosophische Voraussetzung gebunden, sondern gehört zur „Theologie auf dem Boden der Kirche“895 dazu. Und von dieser Grundlage aus versucht Scheffczyk dann auch, andere Theologen zu kritisieren. Heilsmysterium Bei der katholischen Gottesvorstellung sichert die Struktur des Heilsrealismus die Möglichkeit, Gottes Heil in der geschichtlichen Welt zu begegnen. Diese Struktur braucht allerdings eine polare Ergänzung nach dem bereits erwähnten Grundsatz Deus semper maior, beziehungsweise Scheffczyks Analogielehre. Und diese Ergänzung ist in der Struktur des Heilsmysteriums gegeben. Er charakterisiert den Begriff Mysterium in seinen Ausführungen folgendermaßen: „Im […] theologischen Sinn ist das896 Mysterion das Geheimnis des göttlichen Lebens, das auch nach erfolgter Offenbarung das menschliche Denken übersteigt und von ihm nicht vollkommen erfasst werden kann, aber dem Menschen doch ein gewisses Verständnis vermittelt. In diesem Sinne ist das Mysterion weder etwas rein Rationales noch auch etwas Irrationales, der Vernunft völlig Entzogenes oder gar ihr Fremdes und Feindliches“897. 893 894 895 896

897

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 81. Vgl. Kapitel III.5 der vorliegenden Arbeit. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 201. Der Artikel „das“ fehlt in der dritten Auflage. Im Gegensatz dazu: Katholische Glaubenswelt. Aschaffenburg 1978, 129. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 89 f. Trotzdem wird in der Theologie der 70er Jahre nach Scheffczyk auf den Gebrauch des Begriffs Mysterium weitgehend verzichtet.

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Das bedeutet: Der Begriff Mysterium kennzeichnet die Beziehung zwischen den Dimensionen von Natur und Gnade weiter. Denn der Mensch steht mit Gott real in Beziehung und er kann Gott ansatzweise verstehen, aber nur in der geschichtlich verfassten Welt. Gott bleibt dabei immer der Deus semper maior. Das gilt auch für jeden Glaubenden. Denn auch der Glaube kann nie vollständig kategorialisiert werden. Und gleichzeitig besitzt der Glauben „eine der Vernunft zugewandte Seite“898, die seine theoretische Auslegung ermöglicht. Die Übervernünftigkeit des Mysteriums fällt so mit der Übernatürlichkeit der Gnade zusammen. Denn auch hier zeigt sich, dass die Dimensionen Gnade und Natur aufeinander bezogen sind. Die Natur besitzt eine Ausrichtung auf die Gnade: Weil die Vernunft auf das Unendliche hin angelegt ist, grenzt sie damit an die Dimension der Gnade an. Gleichzeitig steht der Mensch immer vor der incomprehensibilitas Gottes. Dieser komplementäre Charakter, diese polare Ergänzung bleibt in Scheffczyks Theologie eine Grundstruktur der katholischen Glaubenswelt. Die sakramentale und christologische Struktur Die sakramentale Struktur In der sakramentalen Struktur werden die Strukturen Heilsrealismus und Heilsmysterium miteinander verbunden. Denn im Glauben ist die „Möglichkeit der Realgegenwart Christi und seines Heilswerkes im Symbol oder im Sakrament der Kirche“899 behauptet. Das bedeutet, in der sakramentalen Struktur der Katholizität geht es um die Realgegenwart Christi und seines Handelns (Heilsrealismus), aber Realgegenwart im Zeichen oder im Symbol (Heilsmysterium): „Man kann die volle Bedeutung des Sakramentes nicht würdigen, wenn man nicht beides ernst nimmt, die Heilsgegenwart, genauer die Christusgegenwart und ihre Bindung an das Zeichen, an das Symbol oder an das Bild“900. Diese beiden Dimensionen der sakramentalen Struktur kommen nach Scheffczyk auch in der geringen Bedeutungsverschiedenheit zwischen dem griechischen musth,rion und dem lateinischen sacramentum zum Ausdruck. So betont das Wort musth,rion den Charakter des Heilsmysteriums. Das Wort sacramentum betont dagegen die Riten und die Handlungen, die das Mysterium entfalten. Wie dem auch sei, entscheidend ist, dass diese beiden Dimensionen in

898 899

900

Dabei übersieht er anscheinend, dass für ein bedeutendes deutschsprachiges Standartwerk bezeichnender Weise der Titel Mysterium Salutis gewählt wurde. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 91. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 101. Vgl. hierzu auch LINNER, Die Kirche als Sakrament. Die Ekklesiologie von Leo Kardinal Scheffczyk. In: Theologisches 38 (Mai / Juni 2008), 161 ff. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 104.

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der sakramentalen Struktur enthalten sind. Ein Rücksprung in die irdische Lebenszeit Jesu, wie ihn beispielsweise Kierkegaard fordert, ist nicht nur unmöglich, sondern aufgrund der sakramentalen Struktur auch nicht notwendig. Denn die „in der Verklärung lebende menschliche Natur Christi“901 kann über Raum und Zeit hinweg die sakramentalen Zeichen als Werkzeuge zum Handeln benutzen. Dabei ist in der sakramentalen Struktur der katholischen Glaubenswelt nicht nur von den Sakramenten die Rede. Die sakramentale Struktur erstreckt sich auf die ganze Kirche, auf das Leben der Gläubigen und letzten Endes auch auf die Sakramentalien, die Heilige Schrift und das kirchliche Amt. So zeigt sich die sakramentale Struktur der Kirche darin, dass die Kirche eine „äußere Gemeinschaft von Menschen [ist und] in ihrem Inneren eine geheimnishafte Vereinigung mit dem menschgewordenen Christus bildet“902. Damit stützt die sakramentale Struktur die Einheit von göttlichem und menschlichem Element in der Kirche (Struktur des Heilsrealismus). Die sakramentale Struktur verhindert gleichzeitig die monophysitische „Einheit zwischen Christus und der Kirche“903, (Struktur des Heilsmysteriums). Die Heilige Schrift zeigt sich als allgemein heilsbedeutsames Symbol ebenfalls sakramental strukturiert. Denn die Heilige Schrift beinhaltet das Wort Gottes (Struktur des Heilsrealismus). Die Heilige Schrift ist aber nicht identisch mit dem Wort Gottes (Struktur des Heilsmysteriums): Sie ist Gotteswort im Menschenwort. Im kirchlichen Amt werden die Werke Christi weitergeführt, deshalb können die Ämter als „Symbole Christi“904 verstanden werden, da „Christus als Letzthandelnder hinter ihnen steht“905. Die sakramentale Struktur wird damit von dem „GottMenschliche[m] als Urstruktur“906 gestützt und getragen. Die christologische Urstruktur Die Christologie, die Frage nach dem Gottmenschen, ist „das Zentrum der katholischen Glaubenswelt“907. Von hier aus wird auch der Heilsrealismus, also die Leib- und Welthaftigkeit der katholischen Glaubenswelt verständlich. Das hängt bei Scheffczyk mit dem erkenntnistheoretisch realen Verständnis der Inkarnation zusammen, nach dem die hypostatische Union als „Konsequenz aus dem Glauben an die Realität Gottes und an die Realität des Menschen“908 verstanden wird. Wenn es nämlich überhaupt eine Beziehung zwischen Gott und 901 902 903 904 905 906 907 908

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 107. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 110. Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 114. Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 118. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 119. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 123.

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Mensch geben kann, dann muss auch die radikalste Möglichkeit dieser Beziehung denkbar sein: die Einheit. Oder anders ausgedrückt: die hypostatische Union ist der unüberbietbare Höhepunkt der Beziehung zwischen Göttlichem und Menschlichem. In der Person Jesu Christi wird „das Ganze [also Gott] in einem Teil gegenwärtig, offenbar und anschaubar“909. Und diese Feststellung hat dann auch entscheidende Konsequenzen für das Leben der Menschen, also für die Lebenselemente der Katholischen Glaubenswelt. Gleichzeitig ist die hypostatische Union für Scheffczyk der Einheitspunkt aller Strukturlinien: - Das Gottmenschliche (eine Bezeichnung Scheffczyks für die Einheit von Gottheit und Menschheit in der Person Jesu Christi)910 ist die Bedingung für die Universalität der katholischen Glaubenswelt. Denn nur aufgrund der hypostatischen Union wird das Menschliche zum Göttlichen, also zur Universalität erhoben. - Das Gottmenschliche ist die Bedingung für die katholische Denkstruktur et-et. Denn aufgrund der hypostatischen Union kann kein Dualismus zwischen Gott und dem Menschen konstruiert werden. - Das Gottmenschliche ist die Bedingung für die Entscheidung des Menschen für Gott. Denn in der hypostatischen Union hat Gott sich frei für die Menschheit entschieden. - Das Gottmenschliche ist die Bedingung für den Heilsrealismus. Denn in der hypostatischen Union ging Gott ganz in die menschliche Realität ein. Das gilt dann entsprechend auch für die Struktur des Heilsmysteriums und die sakramentale Struktur. Denn wie die christologische Struktur die Urstruktur aller Strukturen ist, so kann Scheffczyk Jesus Christus selbst als Ursakrament bezeichnen911. Dem entspricht dann auch die Kennzeichnung der Beziehung zwischen göttlichem und menschlichem Element in der Heiligen Schrift als inkarnatorisch beziehungsweise als sakramental: als unterschiedene Einheit oder Beziehung. Ergebnis Wenn man mit Scheffczyk davon ausgeht, dass die Idee des Katholischen (also die Ebene der Katholizität) in der römisch-katholischen Kirche geschichtlich konkret und erfahrbar wird und deshalb die römisch-katholische Kirche von der Idee des Katholischen durchdrungen ist, dann kann man durch die Untersuchung der Strukturen der römisch-katholischen Kirche auch die Struktur des Katholischen, also die Wesenseigenschaft Katholizität verstehen. Die römischkatholische Kirche und damit auch die Katholizität der Kirche sind für Scheffczyk von einem christologischen Strukturelement geprägt, Scheffczyk 909 910 911

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 124. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Und DERS., Aspekte der Kirche in der Krise, 24 ff.

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spricht vom Gott-Menschlichem als Urstruktur: Mensch und Gott stehen in der hypostatischen Union in personaler Einheit. Bereits an dieser Stelle wird deshalb deutlich, dass die Dimensionen von Natur und Gnade, die in seinen methodischen Ausführungen eine so große Rolle gespielt hatten, auch in Scheffczyks Katholischer Glaubenswelt eine tragende Funktion ausüben. Es geht schließlich um das Zueinander oder, im Fall des christologischen Strukturelements, das Miteinander von menschlicher und göttlicher Wirklichkeit. Die Polarität von Natur und Gnade wird in Scheffczyks Katholischer Glaubenswelt besonders anhand der Polarität von Heilsrealismus und Heilsmysterium deutlich. Hier geht es ihm darum zu erklären, dass in der Kirche eine reale Begegnung mit Gott möglich ist, dass es aber eine Begegnung mit Gott ist. Gott kann aber vom Menschen niemals völlig verstanden werden, er bleibt ein Mysterium. Diese Polarität spielt auch im sakramentalen Strukturelement die entscheidende Rolle. Das geht so weit, dass Scheffczyk hier einen Unterschied zwischen dem lateinischen sacramentum und dem griechischen musth,rion in diese polare Struktur mit einbezieht. Die Polarität von Natur und Gnade wird auch an Scheffczyks Denkansatz der katholischen Glaubenswelt deutlich. In einer Polarität darf keiner der beiden Pole verabsolutiert werden. Beide Pole müssen berücksichtigt werden, um zu einem ausgewogenen Bild eines Mysteriums zu gelangen. Wie bei der analogen Sprache der Theologie muss auch in der Polarität von Natur und Gnade der Gnade ein Vorrang eingeräumt werden: Das et-et ist mit dem Grundsatz Deus semper maior so zu ergänzen, wie es beim analogen Sprechen eine größere Unähnlichkeit der Aussage in der Ähnlichkeit gibt. Das heißt dann aber auch, dass in der Polarität von Heilsrealismus und Heilsmysterium die Struktur des Heilsmysteriums stärker betont werden muss. Damit ist die Katholische Glaubenswelt bei Scheffczyk gleich strukturiert, wie seine Ausführungen zur Funktionsweise der Theologie: In der Polarität von Natur und Gnade sichert das Katholische die Konkretion der bleibenden Wahrheit in der geschichtlichen Welt; die Theologie ist in der Polarität von Natur und Gnade mit dem Auffinden der bleibenden Wahrheit in der geschichtlich verfassten Kirche beschäftigt. Scheffczyks theologisches Denken kreist damit letzten Endes um die eine Frage, wie das Zueinander der Dimensionen von Natur und Gnade verstanden werden kann. Dabei spielt der Realismus bei Scheffczyk eine wichtige Rolle. Wahrheit und ihre Konkretion sind real zugänglich und objektiv, also unabhängig vom Subjekt, erkennbar. Im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass diese Unterscheidung der Dimensionen Natur und Gnade nicht immer vollständig möglich ist. Das fiel vor allem bei Scheffczyks Unterscheidung zwischen

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natürlichem und personhaftem Glauben auf912. In seiner Katholischen Glaubenswelt untersucht Scheffczyk nach den Strukturelementen die Lehr- und Lebenselemente des Katholischen. Von besonderem Interesse ist deshalb die Frage, ob und wie Scheffczyk das Zueinander von Natur und Gnade in diesen Strukturinhalten darstellen kann. 2.2 Katholische Lehrelemente Nach den Strukturelementen beschäftigen Scheffczyk die Glaubensinhalte. Denn in einer phänomenologischen Betrachtung der katholischen Kirche kann die so genannte fides quae nicht unberücksichtigt bleiben. Allerdings ist es kaum möglich, einen vollständigen Überblick aller Glaubensinhalte der katholischen Kirche in einem Buch zu liefern. Anstelle eines quantitativen Überblicks beschäftigt sich Scheffczyk deshalb wiederum mit einer qualitativen, exemplarischen Auswahl. Außerdem will Scheffczyk diese Lehrelemente in „verhältnismäßiger Kürze“913 entfalten. Und tatsächlich benötigt er dafür lediglich 82 Seiten914. Die von Scheffczyk getroffene Auswahl der wichtigsten Lehrelemente der katholischen Glaubenswelt ist selbstverständlich von der aufgezeigten Strukturierung der katholischen Glaubenswelt abhängig. Der Lehransatz: das Dogma Ein Dogma915 ist ein Wachstumsknoten in der Tradition der Kirche. Bei der Entstehung und bei der Interpretation eines Dogmas muss die Beziehung zur Heiligen Schrift beachtet werden. Ein Dogma ist damit „eine Elongatur des Christusgeschehens als Wortgeschehen“916, weil es die Aktualisierung des Schriftwortes im Kontext einer veränderten geschichtlichen Situation ist. Im Dogma sind wie in der Heiligen Schrift göttliches Element, also die bleibende Wahrheit, und menschliches Element, also die geschichtliche Ausformung, inkarnatorisch beziehungsweise sakramental miteinander verbunden. Das Christusdogma ist die Zentralwahrheit der katholischen Glaubenswelt, weil auch die christologische Struktur als Urstruktur der katholischen Glaubenswelt ausgewiesen wurde. Deshalb ist das „Dogma der Kirche wesentlich eines“917. Das bedeutet: wie alle Strukturelemente in der christologischen Struktur zusammenlaufen, so laufen auch alle Lehrelemente in der Christologie zusammen, „weil der menschgewordene Logos einer ist, kann 912 913 914

915 916 917

Vgl. Kapitel III.4.1 der vorliegenden Arbeit. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 127. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 127-208. In der zweiten Auflage sind es 112 Seiten. Vgl. Scheffczyk: Katholische Glaubenswelt. Aschaffenburg 21978, 179-291. Vgl. hierzu auch Kapitel III.2.1 der vorliegenden Arbeit. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 136. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 136.

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die Mehrzahl der Dogmen letzten Endes nur die Entfaltung des Einen sein“918. Das bedeutet, dass die katholische Glaubenswelt christologisch oder inkarnatorisch ausgerichtet ist. Und das wiederum heißt, dass Scheffczyk in der Ekklesiologie die Ausstrahlung dieses einen Wurzeldogmas nach allen Seiten hin darstellen will. Die wesentlichen katholischen Strukturinhalte Das christologische Lehrelement Im Zentrum der katholischen Glaubenswelt steht also das Christusgeschehen. Dabei soll das Christusgeschehen beziehungsweise der Christusglaube mit dem Trinitätsglauben verbunden sein. Denn der Trinitätsglaube ist für Scheffczyk die seinshafte Grundlage für den Christusglauben. Der Christusglauben ist die erkenntnismäßige Grundlage für den Trinitätsglauben. Wenn Christus als „der vollkommene Offenbarer des Vaters wie des Heiligen Geistes“919 verstanden wird, so ist dies für Scheffczyk nur ein Element und keineswegs das einzige des Christusglaubens. In dieser Offenbarung zeigt sich Gott als Liebe, wie es vor allem 1 Joh 4,16 auf den Punkt bringt: ~O qeo.j avga,ph evsti,n. Dass Gott Liebe ist, bedeutet nach Scheffczyk: Gott ist diese Liebe unabhängig von der Schöpfung. Und diese Liebe ist keine egoistische Selbstliebe, sie ist deshalb „nur als interpersonale Liebe“920 denkbar: „Gott ist in seinem Wesen personales Liebesgeschehen; er ist als vollkommen Lebendiges nicht von statischer Natur, sondern von personaler Dynamik. Personale Dynamik kann sich aber nicht einpersonal vollziehen, sondern sie kann nur interpersonal geschehen; sie ereignet sich zwischen einem ‚Ich’ und einem ‚Du’, die in der Beziehung zueinander als Frucht noch etwas Höheres gewinnen, nämlich das personale ‚Wir’“921.

Hier zeigt sich die enorme Bedeutung des Personalismus für Scheffczyks Trinitätstheologie. In der Trinitätstheologie sieht er auch die Grundlage für die Christologie. Denn ein starrer Monotheismus kann nicht mit der Inkarnation in Verbindung gebracht werden. Die Beziehung Gottes zum Menschen könne im so genannten starren Monotheismus nur iuridisch oder moralisch verstanden werden. Zum Verständnis des Christusereignisses müssen die Einteilungen Christologie von oben beziehungsweise Christologie von unten überwunden werden. Diese Einteilungen können höchstens als Orientierungshilfen nützen. Denn die so genannte Christologie von unten weist das Problem auf, den Christus des Glaubens und den Christus der Kirche nicht mehr zu erreichen. Und die Christologie von oben weist das Problem auf, die „menschlich918 919 920 921

Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 137. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 138. Ebd.

261

geschichtliche Realität des Gottmenschen“922 zu entwerten und zu verkürzen. Hier zeigt sich wieder die strikte Trennung zwischen den Bereichen des Göttlichen (Christologie von oben) und des Menschlichen (Christologie von unten). In Scheffczyks Theologie muss aber eine wechselseitige Verwiesenheit dieser beiden Bereiche erkennbar werden. Deshalb erklärt er: a) Der historische Jesus hat für die Entstehung des Glaubens eine bleibende Bedeutung. Und b) für jeden Theologen ist Jesus schon immer der Christus des Glaubens. Denn andernfalls wird eben nicht Exegese, sondern Literaturwissenschaft, nicht Kirchengeschichte, sondern Profangeschichte, nicht Dogmatik, sondern Religionswissenschaft betrieben. Und so zeigt sich im Bereich theologischen Arbeitens: „In Jesus Christus ist das endgültige Heilswort und Heilswerk des Vaters an der Menschheit zu sehen“923. Die entscheidende Frage ist in diesem Zusammenhang für Scheffczyk die Frage nach der Person Jesu Christi. Und hier wird deutlich, dass Jesus Christus nicht als höherer Mensch begriffen werden kann. Denn: „Der formelle Glaube geht auf Gott“924. Wenn versucht wird, sich der Person Jesu Christi gedanklich zu nähern, dann haben viele moderne Erklärungsversuche nach Scheffczyk die Formel von Chalzedon „im Rücken“925. So weist zum Beispiel Rahners heilsgeschichtliche Umschreibung des Naturbegriffs in der Christologie eine deutliche „Abkünftigkeit von Chalkedon“926 auf. Diese Abkünftigkeit legitimiert die Rahnersche Formulierung, so Scheffczyk. Allerdings erscheinen Scheffczyk die Rahnerschen Formulierungen zu kompliziert, um „dem modernen Menschen wirklich eingängiger“927 zu sein. Deshalb fordert Scheffczyk: Die Formel von Chalzedon ist heute weder abgeschafft noch nutzlos, um sich der Person Jesu Christi gedanklich zu nähern. Aber: Der Naturbegriff darf in dieser Formel nicht statisch verstanden werden, sondern er muss dynamisch verstanden werden. Außerdem darf nicht der Eindruck entstehen, dass das Heilsmysterium vollständig rationalisierbar wäre – dies ist eine Forderung aus der katholischen Struktur des Heilsmysteriums. Auferstehung Um die Person Jesu Christi richtig zu verstehen, dient die korrekte Interpretation der Auferstehung Jesu Christi Scheffczyk als „Schlüssel“928. Dabei weist Scheffczyk auf zwei verfehlte Interpretationen der Auferstehung 922 923 924 925 926

927 928

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 147. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 149. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 150. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 155. Ebd. Scheffczyk verweist vor allem auf: RAHNER: Die Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung. In: Schriften zur Theologie. Band 5. Einsiedeln 1962, 212. Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 156.

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Jesu hin und spricht hier von einer „Hinweg-Interpretation“929. Scheffczyk erklärt: „So ist für die existentialistische Auffassung (um einmal die Gegensätze herauszuheben), Auferstehung ein Impuls für ein radikaleres Selbstverständnis des Menschen, das sich im punctum mathematicum der Glaubensentscheidung ereignet. Für das idealistische Denken dagegen ist Auferstehung eine Verheißung, die aus der Geschichte Gottes mit der Welt kommt und auf die Verwandlung dieser Geschichte aus ist. Aber auch nach diesem Konzept hat sich an Christus selbst nichts ereignet. Es ist an ihm nur der Charakter dieser unserer Geschichte offenbar geworden, die auf Hoffnung ausgerichtet ist“930.

Diese Interpretationen können nicht den Scheffczykschen Kriterien genügen. Denn weder die existentialistische Auffassung, gemeint ist hier die Theologie Bultmanns, noch die idealistische Auffassung, gemeint ist hier die Theologie Moltmanns, haben nach Scheffczyk dieselbe Intention, denselben Fokus wie die biblischen Auferstehungsberichte, nämlich die Tatsache, dass Jesus Christus von den Toten auferstanden ist beziehungsweise, dass Jesus Christus von Gott Vater auferweckt wurde. Scheffczyk argumentiert in diesem Zusammenhang folgendermaßen: Wenn sich an Jesus Christus nichts real ereignet hat, dann fehlt die Basis für den subjektiven Glauben (existentialistische Auffassung) und für die universalgeschichtliche Hoffnung (idealistische Auffassung). Außerdem zeigt sich an dieser Stelle erneut, dass die historisch-kritische Methode der Exegese, als Grundlage der genannten existentialistischen und idealistischen Auffassung nicht zum Auferstehungsglauben durchdringen kann. Damit verfehlen die existentialistische und die idealistische Auffassung die katholische Struktur des Heilsrealismus, also der realen Erfahrbarkeit des Heils. Die heilsrealistische Auffassung beschreibt deshalb die Auferstehung als ein Ereignis „‚in’ und ‚über der Geschichte’“931. Damit ist die Struktur der Heilsrealismus und die Struktur des Mysteriums gesichert. Und dieses Ereignis besteht „für den heilsrealistischen Auferstehungsglauben darin, daß Gott hier an Jesus Christus, an den Jüngern wie an der Welt in einer Weise handelte, die allem subjektiven Glauben vorangeht und ihm den Grund seines Entstehens bietet“932. Deshalb muss und kann in der heilsrealistischen Auffassung auch das Wunder anerkannt werden. Und in diesem Verständnis erweist sich die Auferstehung als ein „theologischer Topos“933, der mehr zu erklären vermag, als nur die Person Jesu Christi. In der im Jahr 1976 herausgegebenen Studie Auferstehung kann Scheffczyk die Auferstehung deswegen auch als Prinzip des christlichen Glaubens verstehen, denn von der Auferstehung aus können 929 930 931 932 933

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 157. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 159 f. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 169. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 168. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 170.

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Verbindungslinien in alle dogmatischen Traktate gezogen werden. Damit geht es Scheffczyk aber letzten Endes weniger um die Klärung der Person Jesu Christi, als vielmehr um die reale Erkennbarkeit des Gnadenhaften, Übernatürlichen und Übergeschichtlichen, „das sich in der Auferstehung Christi ereignete“934. Das ekklesiologische Lehrelement Die Spannung von Heilsrealismus und Heilsmysterium muss auch in der Ekklesiologie aufrechterhalten werden. Dabei wurde vor allem von der katholischen Theologie nach dem Konzil von Trient die Sichtbarkeit der Kirche stark betont. Die Definition der Kirche nach Robert Bellarmin (coetus fidelium) sei zwar nicht in erster Linie institutionell zu verstehen. Später erklärt Scheffczyk aber trotzdem, dass diese Bestimmung Robert Bellarmins „den Blick vornehmlich auf die äußere, rechtliche und institutionelle Seite der Wirklichkeit der Kirche“935 lenkte. Erst mit Johann Adam Möhler wurde begonnen, die Wirklichkeit der Kirche wieder differenzierter und tiefer zu sehen. Und diese Tendenz gipfelt in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils: „… die Kirche als der Leib Christi ist eine sichtbare Größe, auch wenn ihre Sichtbarkeit nicht von der gleichen Art ist wie etwa die einer rein irdischen Gesellschaft oder eines Staates. Ihr volle Sichtbarkeit bezeigt sie natürlich nur dem Gläubigen, ähnlich wie ein Sakrament nur für den ein wirkliches Heilszeichen ist, der daran glaubt […] Alle diese Bezeichnungen streben einem qualitativen Zentrum, einer wesentlichen Bestimmung zu, die in den Bildern ‚Volk Gottes’ und ‚Leib Christi’ zu sehen sind“936.

Das bedeutet: In der Beziehung zwischen Heilsmysterium und Heilsrealismus spielt die sakramentale Struktur der Kirche eine entscheidende Rolle. Scheffczyk legt dabei Wert auf die Ähnlichkeit der Kirche zu einem Sakrament, ausdrücklich spricht er davon, dass die Kirche ähnlich wie ein Sakrament ist. Damit will Scheffczyk dem Ausdruck des Zweiten Vatikanischen Konzils „veluti sacramentum“937 gerecht werden. Ferner kommt den beiden biblisch begründeten Begriffen Volk Gottes und Leib Christi weitreichende Bedeutung zu, um die Strukturen Heilsrealismus und Heilsmysterium weiter zu konkretisieren. Zwischen den beiden Begriffen Volk Gottes und Leib Christi darf dabei kein Gegensatz konstruiert werden. Ebenso dürfen die beiden Begriffe aber auch nicht miteinander identifiziert werden. So erlaubt es der Begriff Volk Gottes, die Kirche zunächst „als geschichtliche, menschliche Größe“938 zu verstehen. Dieses 934 935 936 937 938

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 167. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 172. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 174. LG 1. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 175.

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Volk Gottes muss aber in engem Zusammenhang mit dem Reich Gottes verstanden werden. Das Volk Gottes ist Träger oder Keimzelle des Reiches Gottes, das schon angebrochen, aber noch nicht ganz verwirklicht ist. Das Volk Gottes wird weiter beschrieben als gemeinschaftliches Sein, interpersonale Existenz und vitale communio: „Dieser Gemeinschaftsgedanke […] geht aber zuletzt nicht auf die natürliche Dialektik von Individuum und Gemeinschaft zurück. Er besitzt einen viel tieferen theologischen Grund. Er reicht zuletzt in das Trinitätsgeheimnis hinein, wo das wesentliche Ineinander von Person und Gemeinschaft vorgebildet ist“939.

In dem trinitätstheologischen Charakter des Volk-Gottes-Begriffs ist die Konvergenz mit dem Leib-Christi-Begriff gegeben. Ekklesiologie und Christologie sind damit zuletzt im Trinitätsgeheimnis Grund gelegt. Deshalb schließt sich Scheffczyk den Ausführungen Ratzingers an, der in dem Artikel Kirche der zweiten Auflage des Lexikon für Theologie und Kirche erklärt hat: Das Volk Gottes ist das genus der Kirche, der Leib Christi die differentia specifica940. Insgesamt zeigt sich, dass beide Begriffe, Volk Gottes und Leib Christi, miteinander verbunden sind, aber dennoch zwei verschiedene Aspekte der Wirklichkeit der Kirche beschreiben: Der Volk-Gottes-Begriff betont das horizontale Sein der Kirche, der Leib-Christi-Begriff betont die vertikale „Lebenseinheit mit Christus in der Kraft des Geistes“941. Auch hier ist wieder die unterschiedene Einheit und gegenseitige Verwiesenheit von Heilsrealismus (horizontales Element) und Heilsmysterium (vertikales Element) fundamental. Und deshalb können wiederum beide Elemente in der Sichtweise der Kirche als Sakrament zusammengeführt werden. Wenn Scheffczyk von der Kirche gleichsam als einem Sakrament spricht, dann benutzt er den Begriff Universalsakrament oder den Begriff Ganzsakrament. Die Materie dieses Universalsakraments sind nach Scheffczyk die „lebendigen Menschen, die in einer lebendigen Gemeinschaft verbunden sind“942. Die innere Gnade des Universalsakraments ist „der auferstandene und erhöhte Herr […], der in diesem Leibe auch das unsichtbare Haupt bildet“943. Damit kann man erklären, dass Jesus Christus in der Kirche gegenwärtig ist und gleichzeitig aber nicht mit der Kirche identisch ist. Das heißt, dass die Kirche keine physische Einheit mit Jesus Christus darstellen kann. Das Gegenteil, eine bloß moralische Einheit würde die Verbindung von Christus mit der Kirche aber auch nicht beschreiben. Die Einheit der Kirche mit Christus ist für Scheffczyk 939 940

941 942 943

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 176. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 177. Scheffczyk verweist auf: RATZINGER, Kirche. In: LThK2. Band 6 (1961), 176. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 177. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 177. Ebd.

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deshalb eine dynamische, instrumentale und organische. Denn die Kirche hat wie auch die Sakramente einen instrumentalen Charakter. Das bedeutet, die Kirche ist „das bleibende und lebendige Instrument oder Organ des Heilswirkens Christi“944. Und die Kirche gehört zu Christus analog wie der vom Logos angenommene menschliche Leib zu Jesus Christus gehört. Das heißt dann: „Die Kirche ist in ihrem tiefsten Wesen eine dynamische Ausstrahlung des jetzt beim Vater verklärten Leibes Christi, sie ist das mit dem verherrlichten Christus eng verbundene, aber nicht einfach mit ihm identische Organ zur Ausbreitung der Lebensfülle Christi“945. Bei der Ausbreitung der Lebensfülle Christi spielt die Sichtbarkeit und die rechtliche Verfassung der Kirche eine bedeutende Rolle. Denn es geht hier um die leibhafte, geschichtliche und soziale Vermittlung des Heils in der Kirche. Und aus diesem Grund kann selbst die rechtliche Verfassung der Kirche bei Scheffczyk nicht vom Mysteriencharakter der Kirche getrennt werden. Eucharistie Aus der Verbindung von Kirche und Christus ergibt sich ein weiteres Lehrelement, das eine weitere Konkretisierung des Universalsakraments Kirche darstellt: die Beziehung zwischen Kirche und Eucharistie. Dabei weist Scheffczyk darauf hin, dass die Eucharistie „die in Taufe und im Glauben geschlossene Gemeinschaft der Kirche aufs neue bezeichnet, aber auch von neuem bewirkt“946. Deshalb wird die Eucharistie auch als Bedingung der Möglichkeit der mystisch-geistigen Einheit von Christus und Gläubigen verstanden. Individuell und sozial ist die Eucharistie somit, wie es in der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium heißt, als Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens zu verstehen947. Die Eucharistie ist der Brennpunkt christlichen Daseins, denn hier laufen alle Strukturen der katholischen Glaubenswelt in höchster Intensität zusammen. Die Eucharistie ist das Ereignis, in dem der Umfang der katholischen Glaubenswelt deutlich wird. Denn in der Feier der Eucharistie kommen allgemeines und hierarchisches Priestertum zusammen, die Einheit der Ordnungen der Kirche wird sichtbar: „So ist die Eucharistie der höchstmögliche diesseitige Ausdruck der inneren und sichtbaren (sakramentalen) Einheit der Kirche“948. Anhand der Eucharistie werden vor allem auch Lebenselemente der katholischen Glaubenswelt sichtbar, denn die Eucharistie erfordert die „höchstmögliche Disposition [der Gläubigen] und die fundamentale Einheit mit der Kirche“949. Somit zeigen sich bei der 944 945 946 947 948 949

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 178. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 179. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 181. Vgl. LG 11. Bei Scheffczyk in: Katholische Glaubenswelt, 181. Ebd. Ebd.

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Eucharistie die grundlegenden Elemente der sakramentalen Struktur besonders deutlich: Heilsrealismus, Heilsmysterium und Universalismus. Darüber hinaus wird hier der „Katholizismus […] als Lebenswirklichkeit“950 sichtbar. Was die Verbindung von Christus und Kirche betrifft, so kann Scheffczyk anhand der Eucharistie erklären: - In der Eucharistiefeier gehen die Gläubigen in das Opfer Christi mit ein. Das heißt: Die Eucharistie ist „Opfer Christi und Opfer der Kirche zugleich“951. Denn die Kirche opfert in der Eucharistie zusammen mit Christus und durch Christus (äußeres Opferzeichen). Und die Kirche geht in der Eucharistie in die Opfergesinnung Christi mit ein (geistig, innerliche Disposition). Deshalb geht es in der Eucharistie für Scheffczyk um die „totale Selbsthingabe an den Vater“952. - In der Eucharistie feiert die Kirche das vollendetste Mahl, weil Christus als Gabe und Geber anwesend ist. Und in der Eucharistie feiert die Kirche das vollkommenste Opfer, weil das Opfer Christi, jetzt nicht mehr auf blutige Weise, vergegenwärtigt wird. Aus diesen Gründen erklärt Scheffczyk: Die Eucharistie ist das „innerste, zentralste und konzentrierteste Zeichen katholischen Glaubens“953. Die mariologische Konkretion Wenn Scheffczyk die Eucharistie als innerstes Glaubensgeheimnis der katholischen Glaubenswelt versteht, dann gibt es auch ein am weitesten herausragendes, ein externstes oder exponiertestes Glaubensgeheimnis. Und das ist das mariologische Lehrelement. Das bedeutet keine Abwertung der Mariologie. Das Mariengeheimnis erscheint als das externste Glaubensgeheimnis der katholischen Glaubenswelt, weil das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in „Verbindung mit der Mutterschaft Mariens erst seine tiefste Verankerung in der Geschichte, in Welt und Menschheit“954 gewinnt. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang vor allem die Superlative: das Mariengeheimnis ist das externste, exponierteste Geheimnis, weil es die tiefste Verankerung der Menschwerdung in der Schöpfung sichert. Im Gottesmuttertitel wird „das Göttliche sogar mit menschlicher Mütterlichkeit und Mutterschaft in Verbindung gebracht“955. Und das bedeutet wiederum: - Die Mariologie hat vor allem eine Verbindung mit der heilsrealistischen Struktur der Kirche. Denn im Mariengeheimnis zeigt das göttliche Heilswerk 950 951 952 953 954 955

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 182. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 184. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 185. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 189. SCHEFFCZYK, Maria. Mutter und Gefährtin Christi. Augsburg 2003, 195. SCHEFFCZYK, Maria. Mutter und Gefährtin Christi, 103. „Sie [Maria] ist die stärkste, letzte Garantie für die Konkretion des Göttlichen im Geschöpflichen, des Übernatürlichen im Natürlichen“, SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, hier 197.

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„seinen ganz entscheidenden Zug auf das Leibliche, auf das Materielle und Kreatürliche der Welt“956. - In der Mutterschaft Mariens fällt Maria eine „aktive Bedeutung im Vollzug der Erlösung zu“957. Die Konsanguinität, also die Blutsverwandtschaft Mariens mit Christus ist für sich alleine genommen nicht heilsbedeutsam. Aber eine Differenzierung zwischen Konsanguinität und Mutterschaft Mariens ist nicht zulässig. Denn: Mutterschaft und Blutsverwandtschaft Mariens gründen „in einer tiefen geistig-personalen Beziehung“958. - Die Gottesmutterschaft hat eine ekklesiologische Bedeutung. Anton Ziegenaus, ein Schüler Scheffczyks, spricht davon, dass mit der Menschwerdung und der gleichzeitig beginnenden Gottesmutterschaft „die Kirche nicht nur intentional eingeschlossen [ist], sondern bereits real gegeben“959 ist. Ziegenaus kennzeichnet dabei im Anschluss an Scheffczyk Maria als „Urzelle der Kirche“960. - Aus diesen Gründen kann Scheffczyk davon sprechen, dass Maria ein Reflektor ist, „der das Ganze widerspiegelt“961. Und das bedeutet, dass das Mariengeheimnis als das externste Glaubensgeheimnis der katholischen Kirche eben das Ganze der Glaubensgeheimnisse widerspiegeln kann962. Der „Marienglaube“963 der katholischen Glaubenswelt muss theologisch begründet sein. Dabei ist es für Scheffczyk nicht möglich, der Mariologie aufgrund der hierarchia veritatum nur eine Randstellung zuzuweisen964. Das 956 957 958

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SCHEFFCZYK, Maria. Mutter und Gefährtin Christi, 103 f. SCHEFFCZYK, Maria. Mutter und Gefährtin Christi, 104. SCHEFFCZYK, Blutsverwandtschaft. In: BÄUMER, Remigius / SCHEFFCZYK, Leo (Hrsg.), Marienlexikon. Band 1. St. Ottilien 1988, 514. ZIEGENAUS, Anton, Maria. Mutter der Kirche. In: ZIEGENAUS, Anton, Verantworteter Glaube. Theologische Beiträge. Band 2. Buttenwiesen 2001, 184. Vgl. ebd. SCHEFFCZYK, Das Mariengeheimnis in der katholischen Kirche. In: SEYBOLD, Michael (Hrsg.), Maria im Glauben der Kirche. Extemporalia. Band 3. Eichstätt 1985, 15. Ziegenaus erklärt in dem Artikel Der Ort Mariens innerhalb der katholischen Theologie, dass die Mariengestalt „eine zentrale Bedeutung im Zusammenhang [des] katholischen Glaubens“ (ZIEGENAUS, Der Ort Mariens innerhalb der katholischen Theologie. In: ZIEGENAUS, Anton, Verantworteter Glaube. Theologische Beiträge. Band 1. Buttenwiesen 1999, 327) hat. Dabei greift Ziegenaus auch auf das vorangegangene Zitat Scheffczyks zurück. Doch es wäre verfehlt, hier einen sachlichen Widerspruch zu konstruieren. Auf der wörtlichen Ebene spricht Ziegenaus von einem zentralen Ort Mariens in der katholischen Glaubenswelt, Scheffczyk vom externsten Ort der katholischen Glaubenswelt. Auf der sachlichen Ebene geht es Scheffczyk und Ziegenaus um die Konkretisierung der Einigung von Gott und Mensch in der Inkarnation. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 193. Vgl. hierzu auch die Kritik Scheffczyks an Karl Rahners Mariologie: SCHEFFCZYK, Mariologie und Anthropologie. Zur Marienlehre Karl Rahners, 315: „Aber kein theologischer Minimalismus kann der Wahrheit des Glaubens wie dem Anspruch der

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heißt, Maria darf nicht nur exemplarisch für die Realisierung des Menschseins vor Gott in der Welt verstanden werden. Die heilsgeschichtliche Realität zeigt, dass „die Marienlehre gleichsam ein Exponent, eine herausragende Ausformung des katholischen Glaubens ist“965. Denn in der Inkarnation ist eine einzigartige Beziehung Mariens zu Jesus Christus Grund gelegt und realisiert. In dieser Beziehung sind wichtige Lehr- und Strukturelemente erkennbar. Scheffczyk nennt unter anderem: - Die menschliche Mitverantwortung am göttlichen Erlösungswerk. - Die Stellung der Kirche vor Gott in der Haltung des Empfangens. - Das fürbittende Gebet in der Gemeinschaft der Heiligen. - Die heilsrealistische Sichtweise der Erlösung, die auch die Leiblichkeit umfasst. Scheffczyk versteht seine Ausführungen als Mariologie mit heilsgeschichtlicher Ausrichtung. In dieser heilsgeschichtlichen Mariologie wird die „seinsmäßige Stellung und Bedeutung [Mariens] in der Heilsordnung“966 aus ihrer besonderen Bedeutung bei der Inkarnation und ihrer besonderen Beziehung zu Jesus Christus hergeleitet. Dabei wird ausdrücklich eine Mariologie zurückgewiesen, die zunächst die individuelle Person Mariens und ihre Privilegien betrachtet. Die Privilegien Mariens sind bei Scheffczyk zwar auch real zu verstehen, aber sie müssen in Zusammenhang mit dem Auftrag, dem Dienst Mariens verstanden werden. Dieser Dienst Mariens hat eine ekklesiologische Bedeutung: Die Gottesmutterschaft Mariens wird als „Exemplarursächlichkeit für das Muttersein der Kirche“967 verstanden. Denn die Kirche empfängt Christus beständig, trägt Christus in sich und führt Christus neue Glieder zu, sie erweitert den geistig-mystischen Leib Christi. Die Kirche ist somit, wie Maria, die Mutter der Gläubigen. Die Mutterschaft Mariens ist das Zentrum der Mariologie Scheffczyks. Die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens bildet „einen besonderen Prüfstein für die Bedeutung (wie auch für die heutige Angefochtenheit) des Marienglaubens“968. Die Leugnung der realen Jungfräulichkeit Mariens kann nach Scheffczyk nur auf der Basis einer weltanschaulichen Prämisse erfolgen, die nicht aus der katholischen Glaubenswelt stammt. Historische Kritik kann die Jungfräulichkeit Mariens weder beweisen noch widerlegen. Denn bei der Jungfräulichkeit Mariens handelt es sich um ein Glaubensgeheimnis, das theologisch erschlossen werden muss. Und hier zeigt sich der radikale

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Glaubenswissenschaft genügen. Im Hinblick auf die erkennbaren Sinnverschiebungen im Mariendogma wird man eher von einer Reduktion sprechen dürfen, die eine Parallele hat in der allgemeinen Schrumpfung des Christlichen in einer ‚weltlichen’ Welt“. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 194. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 195. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 197. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 198.

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Neuansatz Gottes mit der Schöpfung, die exklusive Hingabe Mariens an Gott in Jesus Christus und die Haltung der Empfänglichkeit Mariens gegenüber Gottes Gnade. Gerade die Haltungen der Empfänglichkeit und Hingabe Mariens verweisen wiederum auf ihren ekklesiologischen Charakter969. Ergebnis Nach Scheffczyk gibt es ein zentrales Dogma der katholischen Glaubenswelt und das ist das Christusdogma. In der hypostatischen Union sind Gottheit und Menschheit in unüberbietbarer Weise geeint. Von hier aus ergeben sich sowohl die Urstruktur der katholischen Glaubenswelt als auch das Wurzeldogma der katholischen Glaubenswelt. Dieses Christusdogma wird nach mehreren Seiten hin entfaltet. Die Eschatologie spielt hierbei eine eher untergeordnete Rolle, das zeigt sich vor allem daran, dass es kein eschatologisches Lehrelement in der Katholischen Glaubenswelt gibt970. Entscheidend ist, dass bei Scheffczyk die Polarität von Heilsrealismus und Heilsmysterium beziehungsweise von Natur und Gnade in allen Entfaltungen des Christusdogmas starke Berücksichtigung finden. Das zeigt sich besonders an Scheffczyks Gebrauch von polaren Begriffen wie zum Beispiel der Christologie von unten und der Christologie von oben, eucharistisches Mahl und Opfer, Volk Gottes und Leib Christi. Die Struktur des Heilsmysteriums erscheint bei Scheffczyk allerdings etwas stärker gewichtet als die Struktur des Heilsrealismus: Beispielsweise in der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Gott kommt in dieser Beziehung nach dem Grundsatz Deus semper maior eine Vorrangstellung zu, denn es ist die Gnade Gottes, die dem Menschen die Gottesbeziehung ermöglicht. Oder bei den eucharistischen Begriffen Opfer und Mahl: ein schroffer Kontrast kann bei diesen beiden Begriffen nicht festgestellt werden. Aber ohne den Opfercharakter 969

970

Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 203: „Diese schlichte Parallelisierung zwischen der Jungfräulichkeit Mariens und der Kirche muß allerdings auf den eigentlichen Vergleichspunkt hin näher befragt werden. Der Vergleichspunkt ist nämlich die Totalhingabe an Christus. Sie ist identisch mit der Jungfräulichkeit, die sowohl die Kirche wie auch Maria verwirklicht, und vermittels derer beide fruchtbar werden, d.h. Christus und seine Glieder hervorbringen“. Damit verbunden ist auch die Tatsache, dass Scheffczyk keine Eschatologie vorgelegt hat. Antonio Nitrola hat in seinem Buch Trattato di escatologia auf eine Besonderheit der Eschatologie aufmerksam gemacht und die metaphorische Sprache als Grundlage der Eschatologie gekennzeichnet, vgl. NITROLA, Antonio, Trattato di escatologia. 1. Spunti per un pensare escatologico. Saggi di teologia, Band 28. Milano 2001, 251. Bei Scheffczyk kann die metaphorische Sprache aber nur in der religiösen Sprache, also der Grundlage der theologisch-wissenschaftlichen Sprache Anwendung finden. Allerdings existiert ein Manuskript Scheffczyks von einer Eschatologievorlesung, die er an der Ludwig-Maximilians-Universität in München gehalten hat. Dieses Manuskript befindet sich im Leo-Scheffczyk-Zentrum in Bregenz, es ist aber nicht veröffentlicht (Hinweis durch P. Johannes Nebel, FSO).

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wird der Mahlcharakter der Eucharistie sinnlos, so Scheffczyk. Denn wo das Opfer Christi nicht vergegenwärtigt wird, braucht auch kein eucharistisches Mahl gefeiert zu werden. Die Christologie von oben ist stärker gewichtet als die Christologie von unten. Denn für jeden Theologen muss der historische Jesus schon immer der Christus des Glaubens sein (hermeneutisches Vorverständnis). Und der Begriff Leib Christi erscheint ekklesiologisch bedeutender als der Begriff Volk Gottes, obwohl Scheffczyk hier keine Wertung vornimmt. Es handelt sich hierbei schließlich um zwei biblische Begriffe. Eine gewisse Berechtigung hat es aber doch, bei Scheffczyk von einer Vorrangstellung des Leib-Christi-Begriffs vor dem Volk-Gottes-Begriff zu sprechen. Denn das tiefste Wesen der Kirche ist eine „dynamische Ausstrahlung des jetzt beim Vater verklärten Leibes Christi“971. Diese Überlegungen können folgendermaßen dargestellt werden: In der Struktur des Heilsrealismus In der Struktur des Heilsmysterium Christologie von unten Christologie von oben Volk Gottes Leib Christi Mahl Opfer Gottesmutter Jungfräulichkeit

Der externe Charakter der Mariologie bei Scheffczyk zeigt sich jetzt besonders deutlich. Denn hier wird der Heilsrealismus stärker gewichtet als das Heilsmysterium: Der Gottesmuttertitel Mariens ist nach Scheffczyk von zentraler Bedeutung. Das Dogma der immerwährenden Jungfräulichkeit Mariens ist der Prüfstein für das Dogma der Gottesmutterschaft. Dabei will Scheffczyk die Jungfräulichkeit Mariens nicht eliminieren oder unterbewerten. Aber es zeigt sich die besondere Bedeutung der Mariologie für die Theologie Scheffczyks: Die Mariologie ist die eindeutigste heilsrealistische Konkretion der gesamten Theologie und Glaubensgeheimnisse. Oder anders ausgedrückt: In Maria zeigt sich für Scheffczyk am deutlichsten die reale Diesseitigkeit des Heils. Allerdings können nicht alle Scheffczykschen polaren Begriffspaare in dieser Tabelle untergebracht werden. Beispielsweise seine Ausführungen über die Heilige Schrift. Sie ist nach Scheffczyk Gotteswort im Menschenwort. Die Aufteilung in Heilsrealismus und Heilsmysterium muss hier versagen, denn Gotteswort ist in der Geschichtlichkeit der Schöpfung ergangen und wäre damit sowohl real zugänglich als auch ein Heilsmysterium. Und das Menschenwort ist und bleibt Menschenwort, aber es beinhaltet eben Gotteswort. Dass diese Aufteilung zwischen Heilsrealismus und Heilsmysterium an dieser Stelle nicht funktioniert, bedeutet nicht, dass Scheffczyks Theologie an dieser Stelle nicht 971

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 179.

271

die Polarität von Natur und Gnade beziehungsweise von Heilsrealismus und Heilsmysterium untersucht. Es hängt mit der sakramentalen oder inkarnatorischen Einheit von Natur und Gnade in diesen beiden Begriffspaaren zusammen. Heilsrealismus und Heilsmysterium, beziehungsweise Natur und Gnade können also auch in Scheffczyks Ausführungen nicht immer vollständig unterschieden werden. Dass dies trotzdem seine Idealvorstellung ist, zeigen seine Ausführungen zum Glauben in Die Theologie und die Wissenschaften, die aber dann zu einem sehr komplexen System von Begriffen führt und letzten Endes zu einer wenig überzeugenden Aufteilung von natürlichem Glauben und personhaftem Glauben972. 2.3 Katholische Lebenselemente Von den Lehrelementen der katholischen Glaubenswelt können die Lebenselemente nicht getrennt werden. Zur fides quae gehört die fides qua dazu973. Das bedeutet, die Lehrelemente und Lebenselemente stehen wiederum in einem polaren Verhältnis zueinander. Genauer gesagt wird hier zwischen geschichtlich zugänglicher bleibender Wahrheit und geschichtlicher Verwirklichung der Wahrheit im Leben der Gläubigen vermittelt. Deshalb ist die Wahrheit für Scheffczyk immer „etwas Lebendiges“974. Vielleicht ist das Neutrum an dieser Stelle von Scheffczyk etwas unglücklich benutzt. Denn die Urstruktur, das Urdogma der katholischen Glaubenswelt stammt schließlich aus der Christologie. Von daher müsste man eigentlich besser sagen: die Wahrheit ist in der katholischen Glaubenswelt jemand Lebendiger, nämlich Jesus Christus. Dabei zeigt sich aber auch, dass die Wahrheit nicht automatisch das Leben der Gläubigen befruchtet: „Obgleich der Glaube in sich schon lebendige Wahrheit und eine den Menschen erfüllende Kraft darstellt, übersetzt er sich nicht gleichsam automatisch in die Lebenswelt der Gläubigen. Es bedarf dazu der Mitwirkung des Menschen, der den Glauben als Lebensganzheit in der Kraft der Gnade ausformt“975.

In der katholischen Glaubenswelt ist der Mensch zur Mitwirkung an der Lebensverwirklichung, also der Umsetzung, des Glaubens in der Kraft der Gnade Gottes aufgerufen. Das widerspricht einer quietistischen, passiven Haltung gegenüber Gottes Handeln ebenso wie dem anderen Extrem der Werkgerechtigkeit, die die eigene Leistung gegenüber der Gnade überbewertet. 972 973

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Vgl. Kapitel III.4.1 der vorliegenden Arbeit. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 209: „die Trennung zwischen Lehrglauben und Lebensverwirklichung, zwischen Glauben und Leben [ist] dem katholischen ‚System’ widersprechend und widernatürlich“. Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 210.

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Aufgrund dieses Zueinanders von Glaube und Leben kommt Scheffczyk auf drei mehr oder weniger grundlegende polare Begriffspaare: a) die Lebensganzheit aus Natur und Gnade b) die Kirchlichkeit der katholischen Glaubenshaltung, die sich in der Polarität von persönlicher und gemeinschaftlicher Gottesbeziehung zeigt, und c) die Polarität von Aktion und Kontemplation. Damit erzielt Scheffczyk sicherlich keine Vollständigkeit über alle katholischen Lebenselemente. Aber er zeigt eine mögliche Systematisierung katholischer Lebenselemente: die vertikale Polarität im Leben der Kirche und der Gläubigen (Natur-Gnade), die horizontale Polarität der Kirche (persönlicher GottesbezugGemeinschaft) und eine vertikal zu Gott aufsteigende und gleichzeitig horizontale Polarität (Aktion-Kontemplation). Alle diese Polaritäten thematisieren einen Teil der übergreifenden katholischen Einheit von Glaube und Leben. Natur und Gnade Die Polarität von Natur und Gnade ist bei Scheffczyk nicht nur in der Funktionsweise der Theologie und in der Strukturierung der katholischen Glaubenswelt ein Ausgangspunkt, sondern auch bei der Beschreibung des Lebens der Gläubigen. Die Polarität Natur und Gnade kann folgendermaßen beschrieben werden: a) Natur und Gnade sind keine sich gegenseitig ausschließenden Größen. Und b) Die Verbindung von Natur und Gnade kann nicht als bloß äußerliche beschrieben werden, obwohl Gnade das Vollendende und Natur das Begrenzte ist. Scheffczyk folgert: „Darum kann die Verwirklichung des übernatürlichen Glaubens im natürlichen Leben nicht ein plötzliches, punktuelles Ereignis sein, in dem sich die Erlösung (als Wahrheit und Gnade verstanden) schlagartig vollendet. Diese Verwirklichung ist vielmehr auf Wachstum, auf Entwicklung und Entfaltung angewiesen. Der Glaube als Wahrheit und als Gnade ist darum nach katholischem Verständnis nicht nur eine einmalige Gabe. Er ist für das Leben auch eine dauernde Aufgabe“976.

Bereits an dieser Stelle zeigt sich erneut der Schwachpunkt einer kontinuierlichen Aufteilung von theologischen Inhalten und kirchlicher Strukturen in die beiden Dimensionen Natur und Gnade. So ist die Redeweise von einem übernatürlichem Glauben insofern verwirrend, als zum Beispiel der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi immer schon Auswirkungen auf das Leben der Gläubigen haben muss. Eine strikte Trennung zwischen natürlichem Leben und übernatürlichem Glauben ist deshalb extrem künstlich. Scheffczyk zieht allerdings aus der Verbindung von übernatürlichem Glauben und natürlichem Leben eine weitere Konsequenz. Im natürlichen Leben der Gläubigen muss der übernatürliche Glaube konkret werden. Denn wenn der Glaube eine dauernde Lebensaufgabe ist, dann folgt daraus, dass der Mensch 976

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 212.

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Verantwortung für das Heilsgeschehen mit übernimmt. Letztlich führt der Katholik damit das Tun Christi weiter, so Scheffczyk. Denn Christus hat „auch als Mensch erlöserisch zur Verherrlichung Gottes und zum Heil der Menschen“977 gewirkt. Das Zueinander von Natur und Gnade ist deshalb dynamisch zu verstehen. Denn die Gnade Gottes initiiert den Glauben, und die menschliche Aktivität besteht anfänglich „im Grunde nur in der Haltung des Annehmens“978. Aber die Inaktivität des Menschen, der die Gnade annimmt ist „ein durchaus aktives Tun“979. Der Mensch soll sich nämlich aufschließen, öffnen, das Empfangene konkretisieren und mitvollziehen. Dieses aktive Tun ist deshalb „die aktive Haltung demütiger Offenheit, die mehr Gott zum Wirken kommen lassen will als selbst wirken zu wollen“980. Um diesen Gedanken zu veranschaulichen verweist Scheffczyk auf die Heilige Theresa von Lisieux, die von der Bereitschaft des Herzens, demütig zu werden, gesprochen hat. Der Wunsch des Mitwirkens am Heilswerk Gottes zeigt sich für Scheffczyk aber auch in Julia Verhaeghe, der Gründerin der Geistlichen Familie „Das Werk“, dem Scheffczyk selbst angehörte. In einem Artikel über Julia Verhaeghe zitiert Scheffczyk aus Aufzeichnungen Julia Verhaeghes vom 18. Januar 1986. Dort heißt es: „Ich wurde zutiefst zu einer Bekehrung und Läuterung meines ganzen Wesens hingezogen, die es ermöglichen sollte, dass ich meine Sendung als Glied des Mystischen Leibes Christi in Treue zu diesem Licht erfüllen könne“981. Später schreibt Scheffczyk über Julia Verhaeghe: „Sie vernahm […] den Ruf zur restlosen Selbsthingabe an den Erlöser und zur apostolischen Teilnahme am Erlösungswerk im Opfer des eigenen Herzens und des Lebens“982.

An diesen Personen, der Heiligen Theresa von Lisieux oder auch an Julia Verhaeghe zeigt sich für Scheffczyk konkret die Aktivität der Hingabe. Deshalb bedeutet dies umgekehrt: Kein Christ ist von diesem Beitrag der aktiven Hingabe dispensiert. Kirchlichkeit Das Leben in der katholischen Glaubenswelt hat eine soziale Dimension, die Ursprung und Ziel der Konkretisierung des Glaubens ist. Aber nicht nur das: die 977 978 979 980 981

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SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 213. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 215. Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 215 f. VERHAEGHE, Aufzeichnungen vom 18. Januar 1986. Zitiert in: SCHEFFCZYK, Begegnung mit Mutter Julia. Abschnitte aus einem Zeugnis. In: DIE GEISTLICHE FAMILIE „DAS WERK“ (Hrsg.), Sie liebte die Kirche. Mutter Julia Verhaeghe und die Anfänge der Geistlichen Familie „Das Werk“. Bregenz 2005, 295. SCHEFFCZYK, Begegnung mit Mutter Julia, 298.

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Kirche ist nach Michael Schmaus auch das „transindividuelle Subjekt des Handelns“983. Scheffczyk folgert: „Es ist eine katholische Grundüberzeugung, dass es so etwas gibt wie das Einstehen des einen für den anderen oder die Überleitung der Gnade auf den anderen, die Heilung eines Gliedes durch die Funktion des anderen“984. Als Glieder des Leibes Christi gehören die Gläubigen also zusammen. Als Haupt ist Christus „der Vermittlungspunkt, über den die Kräfteströme der Gnade fließen“985. Hier zeigt sich die katholische Kirchlichkeit. Denn der Mensch wird als das gerettet, was er ist, eine Person. Das Heilstun, Scheffczyk spricht auch vom Heilsstreben des Menschen, ist „immer durch die Kirche vermittelt“986. Und so folgt: Vollendung allen individuellen und personalen Heilsstreben muss in der Gemeinschaft, in der Kirche geschehen. Dabei kann nicht davon gesprochen werden, dass sich die Kirche in eine unmittelbare Gottesbeziehung einschaltet. Denn: „Keiner wird durch eine Zwischenschaltung ferngehalten“987, so Henri de Lubac, den Scheffczyk zitiert. Deshalb ist in der katholischen Glaubenswelt die gemeinschaftlich gefeierte Liturgie die wichtigste Gebetsform. Das ist keine Entwertung des persönlichen Gottesbezugs und des Privatgebets. Denn die Liturgie wird „von der Person unter Einsatz ihrer Subjektivität vollzogen, allerdings in gliedhafter Einordnung in ein höheres Ganzes“988. Letzten Endes besagt dies, dass in der Kirche niemals eine vertikale, irdisch-empirische Komponente gegen die horizontale Komponente ausgespielt werden darf. Und gerade durch die Konzeption der Kirche als Leib Christi wird für Scheffczyk verständlich, dass jede Person als Individuum in der Kirche gemeinschaftlich mit anderen und mit dem auferstandenen und erhöhten Herrn verbunden ist. Aktion und Kontemplation Bei der Polarität von Aktion und Kontemplation schließt sich Scheffczyk Thomas von Aquin an und kennzeichnet das aktive Leben als Disposition für das beschauliche Leben989. Von dieser als natürlich ausgegebenen Grundlage schließt Scheffczyk auf das übernatürliche Leben im Glauben. Hier gibt es eine Vorrangstellung des beschaulichen Gebets. Dabei kann es für Scheffczyk aber

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SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 223. Ebd. Ebd. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 226. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 231. Scheffczyk zitiert: LUBAC, Katholizismus als Gemeinschaft. Einsiedeln 1943, 296. Ebd. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 241; Thomas de Aquino: Scriptum super Sententiis. Lib. 3 d. 35 q. 1 a. 3 qc. 3 co.: „Vita autem activa est dispositio ad contemplativam“.

275

nicht um „eshafte Kontemplation östlicher Religionen“990 gehen, sondern „um die Erfahrung Gottes, wie er an der Gestalt seines gekreuzigten und erhöhten Christus aufleuchtet“991. Erst von diesem Punkt aus, kann im Sinne des katholischen et-et der Weltbezug der katholischen Glaubenswelt bestimmt werden. Diese beiden Größen fallen zwar nicht zusammen aber sie stehen auch nicht beziehungslos nebeneinander. Es zeigt sich aber eine grundsätzliche Differenz zwischen Heilsgeschehen und Weltgeschichte, die Scheffczyk sehr pointiert vorträgt: „An diesen Grundsatz muss sich die Kirche bei ihrem Wirken zur Fortsetzung der Erlösung in der Welt halten, das nicht mit einem politischsozialen Werk identisch ist, obgleich es auch diesem in bestimmter Weise verbunden ist“992. Diese in derartiger Pointierung vorgetragenen Ausführungen sind heute schwer nachvollziehbar. Sie müssen auch vor dem Hintergrund der Biographie Scheffczyks gelesen werden. Das Weltgeschehen zu der Zeit von Scheffczyks Jugend war von der Terrorherrschaft des Dritten Reiches und dem Zweiten Weltkrieg gekennzeichnet993. Dieses Weltgeschehen muss vom Heilsgeschehen real unterschieden verstanden werden. Trotz allem erklärt Scheffczyk, dass katholisches Denken den Weltauftrag der Kirche nicht vernachlässigen darf. Scheffczyks theologische Ausführungen kreisen also auch hier um ein ausgewogenes Verhältnis von Schöpfung und Erlösung, also geht es letztlich wieder um Natur und Gnade994. 2.4 Ergebnis Die katholische Glaubenswelt lässt sich für Scheffczyk in einer phänomenologischen Wesensschau strukturieren. Der Struktur liegt dabei eine christologische Urstruktur zu Grunde. In der hypostatischen Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus wird die Beziehung zwischen Gott und Mensch in der katholischen Lebenswelt in analoger Weise begründet. Lehr- und Lebenselemente füllen die katholische Struktur. Dies kann folgendermaßen veranschaulicht werden:

990 991 992 993

994

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 243. Ebd. Ebd. Vgl. hierzu NEBEL, Das Heil und die Heilssendung der Kirche gemäß der Theologie Leo Kardinal Scheffczyks. In: BREID, Franz (Hrsg.), Heilung an Seele Leib durch Christus und die Kirche. Referate der 19. Internationalen Theologischen Sommerakademie 2007 in Aigen. Wydawnictwo 2007, 34 ff. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 250.

276

Christologische

Katholischer Denkansatz et-et (+Deus semper maior)

Urstruktur der

Katholische Universalität Heilsmysterium – Heilsrealismus

Katholischen Glaubenswelt

Sakramentale Struktur

MARIOLOGIE

Aufgrund der besseren Übersichtlichkeit der Tabelle wurden nicht alle von Scheffczyk genannten Elemente eingefügt. Es wird aber hier sehr deutlich sichtbar, dass die christologische Urstruktur der katholischen Glaubenswelt zu allen Strukturen, Lehr- und Lebenselementen hinführt. Der katholische Denkansatz ist von den Struktur, Lehr- und Lebenselementen getrennt, weil das et-et die Voraussetzung zur Beschreibung der verschiedenen Polaritäten ist. Das et-et muss aber mit dem Grundsatz des Deus semper maior ergänzt werden, weil andernfalls die Entelechie des Katholischen nicht integriert werden kann. Katholisch, also universal, erweist sich die katholische Glaubenswelt aufgrund der der Anwesenheit Christi in der Kirche. Diese Anwesenheit muss aber sakramental verstanden werden, das heißt in der polaren Spannung zwischen Heilsrealismus und Heilsmysterium. Eine Besonderheit weist die Mariologie als Lehrelement der katholischen Glaubenswelt auf. Im mariologischen Lehrelement wird der Heilsrealismus stark betont, das zeigt sich für Scheffczyk an der Bedeutung des Gottesmuttertitels Mariens. Damit ist die Mariologie die heilsrealistische Konkretion in der katholischen Glaubenswelt, die auch wiederum als externstes Lehrelement eine besondere Bedeutung im Verständnis der Urwahrheit Jesus Christus für die Gläubigen heute innehat.

3. Anfragen Zwei Anfragen Zwei entscheidende Fragen bleiben bei Scheffczyks Katholischer Glaubenswelt ohne zufrieden stellende Antwort: 1) Ist diese Systematisierung der katholischen Glaubenswelt bei Scheffczyk sinnvoll? Das heißt: Trifft Scheffczyk das Selbstverständnis der katholischen Kirche wirklich? Zu dieser Frage liegen zurzeit keinerlei Kritiken aus der Sekundärliteratur vor. Es gibt zwar hierzu einige wenige Ausführungen, die Scheffczyk eine gelungene Systematisierung und denkerische Durchdringung 277

der katholischen Kirche attestieren995. Andererseits muss auch berücksichtigt werden, dass einige Bereiche kirchlichen Lebens und Selbstverständnisses bei Scheffczyk wenig Berücksichtigung finden. Das gilt beispielsweise für die hierarchische Verfassung der Kirche. Scheffczyk erwähnt zwar die Hierarchie in der Kirche, meistens aber in Zitaten oder Zusammenfassungen von Ausführungen anderer Autoren. Auf jeden Fall ist aber gerade für eine phänomenologische Wesensschau die hierarchische Dimension der Kirche kaum genügend beschrieben. Und dabei ist doch gerade die hierarchische Struktur der katholischen Kirche ein sehr auffälliges Charakteristikum, das auch immer wieder Gegenstand von Kritik wurde und wird, und alleine schon deshalb eigentlich unübersehbar ist. Eine intensivere Beschäftigung mit der Hierarchie wäre gerade dann notwendig, wenn man die Kirche adäquat sehen und beschreiben möchte. Ähnliches ließe sich auch über die fast vollständige Ausblendung der Ökumene in Scheffczyks Katholischer Glaubenswelt sagen. Ist die ökumenische Bewegung996 wirklich vom Wesen und den innersten Strukturen der Kirche abtrennbar oder fehlt in einem solchen Fall nicht ein ganz entscheidender Teil? Ebenso sind die unierten Ostkirchen in der Katholischen Glaubenswelt überhaupt nicht berücksichtigt997. Dabei zeigt sich doch gerade an diesen Teilkirchen die Vielfalt der römisch-katholischen Kirche besonders deutlich. 2) Ist jetzt wirklich eine phänomenologische Wesensschau erreicht? Wäre es jetzt etwa möglich, mit dem bereits erwähnten Ausspruch Max Schelers zu sagen: „Jetzt sieh hin, dann siehst du es“998? Scheffczyk hat sich zwar an die 995

996

997

998

Vgl. hierzu Papst Benedikt XVI. in einem Interview. In: SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, xi; NEBEL, Leo Kardinal Scheffczyk – ein biographisch-theologisches Portrait, xxi ff.; HAUKE, Ganz und gar katholisch, 24 ff.; DERS., L’opera teologica del card. Leo Scheffczyk. In: Studi cattolici 519 (Maggio 2004), 398 f. DERS., Karl Rahner nella critica di Leo Scheffczyk. In: LANZETTA, Serafino M. (Hrsg.), Karl Rahner. Un’analisi critica. La figura, l’opera e la recezione teologica di Karl Rahner (19041984). Siena 2009, 267f. Vgl. UR 1. Interessanter Weise hat sich Scheffczyk mit der Ökumene sehr intensiv auseinandergesetzt und für einen geistlichen Ökumenismus plädiert, um „die Vereinigung innerlich vorzubereiten, auch wenn sie äußerlich noch immer auf Hindernisse stößt“ (SCHEFFCZYK, Ökumene 115). Leider finden sich ähnliche Ausführungen aber nicht in dem Buch Katholische Glaubenswelt. Vgl. HINTZEN, Georg, Die katholische Kirche. In: JOHANN-ADAM-MÖHLER-INSTITUT (Hrsg.), Kleine Konfessionskunde. Konfessionskundliche Schriften des Johann-AdamMöhler-Instituts Nr. 19. Paderborn 1996, 22 f.: „Unierte Ostkirchen sind diejenigen katholischen Kirchen östlicher (orthodoxer und altorientalischer) Tradition, die mit der lateinischen Kirche in voller Kirchengemeinschaft stehen. Sie bekennen denselben Glauben wie diese und erkennen den Primat des Papstes an, haben aber in Liturgie, Spiritualität, Verfassung und Kirchenrecht ihre eigene ostkirchliche Tradition weitgehend beibehalten“. SCHELER, Phänomenologie und Erkenntnistheorie, 392.

278

qualitative Fülle des Begriffs katholisch gehalten, im Anschluss an von Hildebrand999. Aber Scheffczyk gibt weder sich selbst noch dem Leser Aufschluss, ob die philosophische Vorlage jetzt eingehalten, erreicht oder erfüllt ist. Bei Scheffczyk zeigt sich zwar immer wieder das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit Philosophie, anderen Wissenschaften und zeitbedingten Gedanken und Äußerungen. Aber im Aufbau, in seinen ureigensten Ideen stehen nur theologische Inhalte in traditioneller Terminologie in der Mitte. Die Philosophie als natürliche Wissenschaft kann nach Scheffczyk die Übernatürlichkeit des Glaubens nicht einholen. Andere Wissenschaften können für ihn nur eine regulative, quasi beratende Funktion einnehmen oder sie dienen zur kritischen Auseinandersetzung. Theologische Entwürfe, die sich an die Ergebnisse anderer Wissenschaften zu sehr anlehnen, lehnt Scheffczyk ab. Es bleibt hier allerdings dann die Frage offen, wer eigentlich bewertet, ob ein theologischer Entwurf zu sehr von anderen Wissenschaften beeinflusst ist. Nicht Wesensschau, sondern konfessionelle Selbstdarstellung? Die Katholische Glaubenswelt Scheffczyks kann deshalb als eine mögliche konfessionelle Selbstdarstellung der lateinischen Tradition der römischkatholischen Kirche verstanden werden. Eine phänomenologische Wesensschau der katholischen Kirche wird in diesem Werk allerdings nicht geliefert. Dazu bleiben viele wichtige Bereiche des kirchlichen Selbstverständnisses unbeachtet. Und deswegen scheint die legitime Vielfalt der römisch-katholischen Kirche in den verschiedenen polaren Strukturen Scheffczyks unterzugehen. Sicherlich könnte man hier einwenden, dass eine Untersuchung der hierarchischen Verfassung der Kirche vor allem im Rahmen einer Darstellung der Apostolizität der Kirche interessant ist, oder, dass eine Untersuchung von Kontinuität und Diskontinuität innerhalb der Tradition der Kirche eine fundamentaltheologische Aufgabe darstellt. Aber diese beiden Themengebiete müssten in einer phänomenologischen Wesensschau der römisch-katholischen Kirche eigentlich Berücksichtigung finden. Die Ausklammerung von Themengebieten wie Ökumene und Eschatologie oder das Fehlen einer phänomenologischen Untersuchung der legitimen Vielfalt der einzelnen Teilkirchen innerhalb der katholischen Kirche, ergibt sich aufgrund der Tatsache, dass die Katholizität der Kirche mit der konfessionellen Bezeichnung römisch-katholisch scheinbar exklusiv ineinander fällt und die Konkretion des Christentums darstellt, Scheffczyk unterscheidet jedenfalls nicht zwischen der konfessionellen Ebene des Wortes katholisch und der Ebene der Weseneigenschaft. Durch die

999

Vgl. HILDEBRAND, Was ist Philosophie?, 206. Fußnote 14.

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Ausklammerung anderer Konfessionen1000 wird aber eine sehr künstliche katholische Glaubenswelt geschaffen, da wichtige Fragen der Zeit völlig unbeachtet bleiben. Sicher beeinflussen gegenwärtige Fragen nicht das Wesen der Kirche, wenn man mit Scheffczyk unter dem Wesen eine der Zeit überhobene Größe versteht. Aber Fragen der Zeit beeinflussen die Kirche wesentlich1001, weil sie, in den Worten Scheffczyks, die geschichtliche Selbstverwirklichung der Menschen betreffen. Insgesamt scheint es deshalb so, dass man entweder eine phänomenologische Wesensschau der römisch-katholischen Kirche liefern kann oder eine Untersuchung der Katholizität der Kirche, weil es sich hierbei um unterschiedliche Differenzierungen einer Größe handelt: Man kann eben entweder eine adäquate Sichtweise auf die römisch-katholische Kirche versuchen, aber phänomenologisch, also sehend und beschreibend, wird man alleine schon bei dieser Aufgabe sicher zu keinem Ende kommen1002. Sinnvoller erscheint es dann doch, UR 11 zu folgen und den katholischen Glauben tiefer und richtiger auszudrücken zu versuchen. Oder man kann sich damit beschäftigen, was es heißt, dass die Kirche katholisch, also universal, ist. Aber in diesem Fall muss man das, was andere Konfessionen mit der römischkatholischen Kirche gemeinsam haben, diesen Konfessionen auch als authentisches Erbe zusprechen und darf nicht über andere Christen hinweg sehen, so als ob es keine anderen Konfessionen neben der römisch-katholischen Kirche gäbe. Was bedeutet katholisch? In dem Artikel Die Kirche als Sakrament wirft Martin Linner weitere Fragen an Scheffczyks Ekklesiologie auf, denn Linners „Ausführungen werden zeigen, dass sein [Scheffczyks] Schaffen als Theologe der ‘Catholica’ auf zwei Pfeilern basiert: Theologie der aktuellen Gegenwart und der lebendigen Tradition“1003. Linner bleibt in seinen Ausführungen aber eine Antwort schuldig. Das liegt an mehreren Faktoren: 1000

Scheffczyk verzichtet ja auch auf die Fragestellung, ob und wie man auch in der anglikanischen, lutheranischen oder orthodoxen Theologie von der sakramentalen, der ekklesiologischen oder der christologischen Struktur sprechen kann. 1001 Vgl. GS 1. 1002 Hier müssten dann eigentlich auch soziale und geographische Unterschiede berücksichtigt werden, denn wer die römisch-katholische Kirche in Deutschland phänomenologisch beschreibt, beschreibt nicht unbedingt die römisch-katholische Kirche in Ländern der so genannten Dritten Welt. 1003 LINNER, Die Kirche als Sakrament, 161. Im Jahr 2007 veröffentlichte Martin Linner seine Promotionsschrift Die Kirche als Person. Die Arbeit ist allerdings bislang nur in einem Auszug veröffentlicht, der nicht die Untersuchung Linners zur Ekklesiologie Scheffczyks beinhaltet.

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- Was heißt Theologie der aktuellen Gegenwart? Ist damit eine Theologie gemeint, die aktuelle Fragen der Gegenwart beantwortet? Wenn dem so ist, dann muss aber auch geklärt werden, was die Fragen der Gegenwart eigentlich sind, und das ist alles andere als ein leichtes Unterfangen. Oder ist mit der Theologie der aktuellen Gegenwart ein Dienst der Theologie für die Verkündigung und die pastorale Arbeit gemeint? Wenn das aber so ist, dann gerät die Theologie Scheffczyks in die Nähe der Pastoraltheologie. Das muss aus seinen methodischen Schriften heraus aber abgelehnt werden. Oder ist Theologie der aktuellen Gegenwart ein Schlagwort dafür, dass die Theologie Scheffczyks der Gegenwart etwas Wichtiges mitzuteilen hat? Und wenn ja, dann warum und was? Man könnte die Theologie der aktuellen Gegenwart auch heilsrealistisch verstehen. Die Grundaussage wäre dann, dass Scheffczyk in seiner Theologie den Heilsrealismus besonders klar herausstellt. Wenn dem so ist, dann muss dem Heilsrealismus aber auch die Struktur des Heilsmysteriums an die Seite gestellt werden1004. - Was heißt als Theologe der ‘Catholica’? Ist damit gemeint, dass Scheffczyk römisch-katholischer Theologe ist, oder soll das heißen, dass Scheffczyks Ausführungen zur Katholischen Glaubenswelt besonders in der Struktur des Heilsrealismus und in der Kontinuität der lebendigen Tradition zu untersuchen sind? Deshalb erscheint es eher angebracht, zu sagen, der Begriff katholisch thematisiert bei Scheffczyk das Zueinander von Natur und Gnade, beziehungsweise die geschichtliche Konkretion der bleibenden Wahrheit in der Kirche. Das geht klar aus der Strukturierung der katholischen Glaubenswelt bei Scheffczyk hervor. Hier steht die aus der Christologie abgeleitete polare Spannung zwischen Heilsrealismus und Heilsmysterium im Mittelpunkt der Ausführungen Scheffczyks. Diese sakramentale Struktur durchzieht die katholische Glaubenswelt in ihren Struktur-, Lehr-, und Lebenselementen. Dem 1004

Johannes Nebel hat während der Sommerakademie in Aigen im Jahr 2007 den Vortrag Das Heil und die Heilssendung der Kirche gemäß der Theologie Leo Kardinal Scheffczyks gehalten. Die Akademie stand unter dem Thema Heil und Heilssendung der Kirche. Aufgrund dessen ist der heilsrealistische und personalistische Charakter der Ekklesiologie Scheffczyks bei Nebel stark betont. Gleichzeitig zeigt sich bei Nebel auch, dass sich das Übernatürliche und das Heilsreale in der Theologie Scheffczyks einander polar gegenüber stehen. Die Aufarbeitung dieser grundlegenden Verbindung oder besser unterschiedenen Einheit stellt Nebel auch im Bereich von Scheffczyks Christologie und Sakramententheologie fest. Natürliches und Übernatürliches gehören hier in Polarität zusammen: „Denn so konsequent personal gefasst, ist Gnade und Heil die große Bewegung göttlicher Zuneigung zu seiner Kreatur, und die Wirklichkeit des Sakramentalen, wurzelnd in Christus und ausgeweitet in der Kirche, ist in diese umfassende personale Dynamik eingeborgen als der entscheidende Faktor, durch den sich das Übernatürliche und Personale realistisch und konkret auswirkt“, NEBEL, Das Heil und die Heilssendung, 68 f.

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entspricht auch der polare Charakter des katholischen Denkansatzes et-et bei Scheffczyk. Und letztlich auch die Anlage des katholischen Dogmas und der Heiligen Schrift als Gotteswort im Menschenwort. Hieraus folgt, dass eben das Zueinander von Natur und Gnade zentral für die katholische Glaubenswelt ist. Dieses Zueinander von Natur und Gnade geht in der Theologie Scheffczyks so weit, dass Scheffczyk beispielsweise zwischen Religion (sie gehört zum Bereich der Natur) und Offenbarung (sie gehört zum Bereich der Gnade) unterscheidet1005. Deshalb ist katholisch bei Scheffczyk ein qualitativer Begriff, der auf die Gottesvorstellung der katholischen Glaubenswelt verweist. Universalität gewinnt die katholische Glaubenswelt aus ihrer pneumatologischen, christologischen und schöpfungstheologischen Wurzel. Das bedeutet: in der Sendung des Heiligen Geistes auf die junge Kirche, in der sakramentalen Anwesenheit Christi in der Kirche und in der Ausrichtung der Schöpfung auf Christus und damit auch auf die Kirche hin, gewinnt die Kirche eine allumfassende Bedeutung. Und hier liegt auch der Grund, warum in der katholischen Glaubenswelt die Tendenz zu bemerken ist, dass die Polarität von Heilsrealismus und Heilsmysterium zugunsten des Heilsmysteriums tendiert. Das entspricht dem Grundsatz Deus semper maior, denn Gott hat die Prärogative. Das ist mit Sicherheit eine Ableitung aus der Lehre von der hypostatischen Union. Lediglich in dem mariologischen Lehrelement zeigt sich für Scheffczyk eine deutliche Vorrangstellung des Heilsrealismus vor dem Heilsmysterium. Und das verleiht der Mariologie ihren eigentümlichen Charakter: als externste Glaubenswahrheit und als Reflektor aller Lehrelemente. Wenn katholisch bei Scheffczyk im Zueinander von Natur und Gnade als geschichtlicher Konkretion der bleibenden Wahrheit in der Kirche verstanden wird, und Theologie als die rationale Durchdringung dieser Beziehung, dann erklärt dies die immense Bedeutung von Begriffen wie Übernatur, Natur, Göttliches oder Menschliches in der Theologie Scheffczyks. Und damit verbunden die Ablehnung der Transzendentaltheologie. Denn die Transzendentaltheologie läuft nach Scheffczyk letztlich Gefahr, dem Menschlichen ein Anrecht, eine ontologische Grundlage für die Gottesbeziehung zuzuschreiben1006. Das muss Scheffczyk aus gnadentheologischen Gründen ablehnen. Das erklärt die hohe Bedeutung der Analogie in der Theologie Scheffczyks. Denn nur durch analoges Sprechen können Aussagen über Gott in der wissenschaftlich-theologischen Sprache gemacht werden. Der erkenntnistheoretische Realismus Scheffczyks sichert in diesem Zusammenhang, dass der Mensch wirklich etwas von der Offenbarung wissen kann und die Offenbarung eine reale Gegebenheit darstellt. Deshalb kann 1005

Vgl. SCHEFFCZYK, Religion und Offenbarung. Die Neuheit des Christlichen in der Welt des Religiösen. In: WALDENFELS, Hans (Hrsg.), Theologie. Grund und Grenzen. Festgabe für Heimo Dolch zur Vollendung des 70. Lebensjahres. Paderborn 1982, 177-189. 1006 Vgl hierzu auch HAUKE, Karl Rahner nella critica di Leo Scheffczyk. 270 ff.

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Scheffczyk auch von einer phänomenologischen Wesensschau in der katholischen Glaubenswelt sprechen. Denn wenn das Katholische die Konkretion des Christentums und die Konkretion der bleibenden Wahrheit in der geschichtlich verfassten Kirche beschreibt, dann kann die Wahrheit auch über ihre geschichtlichen Ausformungen untersucht werden. Und an der exakten Beschreibung und Auswertung dieses sinnlich greifbaren Kristallisationspunktes der Begegnung von Natur und Gnade muss Scheffczyk gelegen sein.

4. Methodologie und Katholizität In Scheffczyks Darlegungen zur Katholizität klärt sich die erkenntnistheoretische Voraussetzung seiner Ausführungen zur Funktionsweise der Theologie. Denn der Realismus ist für Scheffczyk eine Struktur der katholischen Glaubenswelt und wäre deshalb für jede Theologie auf dem Boden der Kirche von entscheidender Bedeutung. Dabei entsteht aber eine Menge von Fragen. Eine realistische Erkenntnistheorie gehört nämlich nach Scheffczyks eigenen Worten nicht mehr zu den „verbindlichen Voraussetzungen“ 1007 der Gegenwart. Das bedeutet dann aber, dass nicht nur Scheffczyks eigene Vorstellung von der Funktionsweise der Theologie heute keine verbindlichen Voraussetzungen mehr vorfindet, sondern die Kirche selbst, insofern sie eine heilsrealistische Struktur hat, keine Voraussetzungen mehr für die Verkündigung des Evangeliums finden könnte. Prediger und Katecheten müssten also vor allem den Heilsrealismus der Kirche erklären. Dann ist aber nicht mehr klar, warum Scheffczyk von einem Wesensunterschied zwischen Wissenschaft und Verkündigung spricht1008, weil die Verkündigung und die Theologie vor genau denselben Herausforderungen stehen. Eine weitere Frage betrifft das Verhältnis von religiöser Sprache und wissenschaftlich-theologischer Sprache bei Scheffczyk. Er selbst hatte erklärt, dass die religiöse Sprache auf einer methaphorischen Redeweise beruhe, die wissenschaftlich-theologische Sprache aber auf der Analogie1009. Scheffczyk erklärte, dass Symbole oder Chiffren in der metaphorischen Redeweise auf das Bezeichnete hinweisen, „ohne den Anspruch [zu] erheben, einen gemeinsamen Wesensgehalt zu treffen“1010. Die analoge Sprache der wissenschaftlichen 1007

Vgl. SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 133. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 78: „Der dogmatisch-wissenschaftliche Dienst an der Verkündigung ist nicht schon die Verkündigung selbst, auch nicht in einer noch unentfalteten Vorform. Der Wesensunterschied zwischen Wissenschaft und Verkündigung kann nicht überdeckt werden“. 1009 Vgl. Kapitel III.2.1 der vorliegenden Arbeit. 1010 SCHEFFCZYK, Zum Problem der Sprache in der Theologie, 150. 1008

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Theologie erhob im Unterschied dazu diesen Anspruch. In der heilsrealistischen Struktur der Kirche ist dieser Unterschied aber nicht mehr verständlich. Denn wenn die Inkarnation in der katholischen Glaubenswelt „ganz realistisch genommen“1011 wird, dann muss auch der Wesensgehalt des Bezeichneten ausgesagt werden können. Und wenn die Heilstatsachen objektiv und unabhängig gegeben sind, dann muss man in der religiösen Sprache auch von diesen Tatsachen sprechen können. Eine weitere Frage betrifft den aus der Analogie gewonnenen Grundsatz Deus semper maior, denn innerhalb der sakramentalen Struktur der katholischen Glaubenswelt tendiert die polare Spannung nach Scheffczyk nicht zum Heilsrealismus hin, sondern zum Heilsmysterium. Interessanter Weise scheint Scheffczyk selbst diesen Grundsatz an einigen Stellen nicht exakt zu befolgen. Wenn er zum Beispiel nur von der Sicherheit der Gotteserkenntnis spricht1012, dann gerät die Struktur des Heilsmysteriums etwas aus dem Blickfeld heraus. Denn Gott ist der Transzendente, der erkannt werden kann. Auch das Erste Vatikanische Konzil benutzt hierfür die sprachliche Form: „Deum […] certe cognosci posse“1013. Damit entsteht bei Scheffczyk die Gefahr, dass Gott dem Menschen vollkommen offensichtlich zu sein scheint. Dann wäre aber auch kein Aufweis der Existenz Gottes notwendig, der wiederum bei der Begründung des Wissenschaftscharakters der Theologie eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Offensichtlichkeit Gottes bei Scheffczyk ist zwar eine Folge seines erkenntnistheoretischen Realismus, sie führt aber auch dazu, dass das vielschichtige Phänomen des Atheismus in der katholischen Glaubenswelt überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden kann1014. Ja, der Atheist, der aus 1011

SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 79. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 45 f.; vgl. hierzu auch Kapitel III.1.1 der vorliegenden Arbeit. 1013 DH 3004. 1014 Vgl. im Gegensatz dazu GS 21: „Die Kirche kann, in Treue zu Gott wie zu den Menschen, nicht anders, als voll Schmerz jene verderblichen Lehren und Maßnahmen, die der Vernunft und der allgemein menschlichen Erfahrung widersprechen und den Menschen seiner angeborenen Größe entfremden, mit aller Festigkeit zu verurteilen, wie sie sie auch bisher verurteilt hat. Jedoch sucht die Kirche die tiefer in der atheistischen Mentalität liegenden Gründe für die Leugnung Gottes zu erfassen und ist im Bewußtsein vom Gewicht der Fragen, die der Atheismus aufgibt, wie auch um der Liebe zu allen Menschen willen der Meinung, daß diese Gründe ernst und gründlicher geprüft werden müssen.“ Interessanter Weise wird im lateinischen Text nicht das Wort damnare, das die Übersetzung verurteilen erwaten lässt, gebraucht, sondern das Wort reprobare: „Ecclesia, fideliter tum Deo tum hominibus addicta, desistere non potest quin dolenter perniciosas illas doctrinas actionesque, quae rationi et communi experientiae humanae contradicunt hominemque ab innata eius excellentia deiiciunt, omni firmitate reprobet, sicut antehac reprobavit. Abditas tamen in atheorum mente negationis Dei causas deprehendere conatur et, de gravitate quaestionum quas atheismus excitat conscia necnon caritate erga omnes homines ducta, eas serio ac profundiori examini subiiciendas esse censet.“

1012

284

welchen Gründen auch immer, nicht an Gott glaubt, kann bei der Annahme einer vollen Offensichtlichkeit Gottes nur entweder als böswillig (er / sie will die Wahrheit nicht begreifen) oder als intellektuell beschränkt (er / sie kann die Wahrheit nicht begreifen) verstanden werden. Durch eine solche Beurteilung würde aber weder die in GS 21 genannte Liebe zu allen Menschen gefördert, noch die geforderte Aufarbeitung der Ursachen des Atheismus für die Theologie erleichtert. Für Scheffczyks Theologie lassen sich aus der Beziehung zwischen Methodologie und Katholizität zwei Richtlinien ableiten, die seine Kritik an anderen Autoren verständlich machen. - Der katholische Denkansatz et-et muss berücksichtigt sein (Richtlinie 1). Das gilt besonders für die polare Spannung von Heilsrealismus und Heilsmysterium, denn die sakramentale Struktur nimmt in der katholischen Glaubenswelt eine zentrale Stellung ein. - Der aus der Analogie gewonnene Grundsatz Deus semper maior muss berücksichtigt sein, denn innerhalb der sakramentalen Struktur tendiert die polare Spannung hin zum Heilsmysterium (Richtlinie 2). Diese beiden Richtlinien können durch die Postulate wissenschaftlichen Arbeitens weiter konkretisiert werden: Kontrollierbarkeitspostulat, Kohärenzpostulat und Postulat der Widerspruchsfreiheit1015. Aber bei diesen Postulaten handelt sich dann um allgemeinwissenschaftliche Anforderungen an vorgetragene Theorien. Die beiden Richtlinien spielen für Scheffczyk eine wichtige Rolle. Das kann beispielsweise anhand der Kritik Scheffczyks an Karl Rahner gezeigt werden. So erklärt Scheffczyk in seinem 1977 erschienen Artikel Christentum als Unmittelbarkeit zu Gott: „Es [das Buch Karl Rahners Grundkurs des Glaubens] ist anders formuliert, der Versuch, die Gottunmittelbarkeit so tief in das eigene Wesen des Menschen zu verlegen, daß er [Karl Rahner] sie ohne jede Extrinsizität, ohne jeden Anflug von Heteronomie, ohne jede Herausforderung durch eine Dualität als das gänzlich Eigene, als sein eigentliches Selbst versteht“1016.

Scheffczyk konkretisiert diese Kritik an Rahner beispielhaft anhand dreier Punkte: Sünde, Christ-sein und Jesus Christus:

1015 1016

Vgl. Kapitel III. 3.1 der vorliegenden Arbeit. SCHEFFCZYK, Christentum als Unmittelbarkeit zu Gott. Erwägungen zu Karl Rahners «Grundkurs des Glaubens». In: Internationale katholische Zeitschrift Communio 6 (1977), 448 f.

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Kritik Scheffczyks an Karl Rahner

Scheffczyks Gegenvorschlag

Sünde

Der Mensch kann eine transzendentale Beziehung zu Gott überhaupt nicht verlieren.

Christ-sein

Der Mensch kann aufgrund seiner vorgängigen transzendentalen Beziehung zu Gott nur akzidentiell Christ sein. Die Transzentaltheologie kann die Einmaligkeit des Christusereignisses nicht stringent klären.

Sünde ist als das Verweigern der Antwort des Menschen auf Gottes Anrede zu verstehen. Der Sünder bleibt dabei immer noch Mensch, Ebenbild Gottes, aber er ist ein dunkles Bild, er steht nicht im Dialog mit Gott. Christ-sein wird als Anteil an der Herrlichkeitsexistenz Christi verstanden1017.

Jesus Christus

Jesus Christus wird als Höhepunkt der dialogischen gott-menschlichen Beziehung verstanden: die Beziehung wird zur hypostatischen Union „radikalisiert und überboten“1018.

Das bedeutet: - Die von Scheffczyk vorgetragene Kritik geht von der Richtlinie 1 (Beachtung des et-et) aus, denn die transzendentale Gottesbeziehung führe zu einer Gottunmittelbarkeit, ohne die Struktur des Heilsmysteriums auch zu berücksichtigen. Diese intrinsezistische Sicht kennzeichnet nach Scheffczyk das gesamte Werk Rahners1019. Das heißt dann, dass Rahner nach Scheffczyk nur einen Pol thematisiert, statt von einer polaren Struktur zu sprechen. - Wenn Jesus in den Worten von Rahner „am radikalsten Mensch”1020 ist, oder Christ-sein nur a posteriori verstanden werde, dann gerät für Scheffczyk die Richtline 2 (Beachtung des Deus semper maior) in Gefahr. Die Prärogative des Heilsmysteriums vor der Struktur des Heilsrealismus fordert Scheffczyk in anderer sprachlicher Form ein, wenn er erklärt: „Deutlich erscheint hier das ‚in se’ der Glaubenswahrheit auf das ‚pro me’ ausgerichtet“1021. Das Heilsmysterium, also das in se, muss aber nach Scheffczyk die Grundlage für das pro me sein. Diese Forderung des erkenntnistheoretischen Realismus stellt 1017

Vgl. SCHEFFCZYK, Von der Heilsmacht des Wortes, 274. SCHEFFCZYK, Glaube als Lebensinspiration, 125. 1019 SCHEFFCZYK, Christentum als Unmittelbarkeit zu Gott, 442: „Es ist seit je das Anliegen des theologischen Denkens K. Rahners, das Zentrale des Christentums zu treffen, aber (darüber hinaus) es auch als das Zentrum des Menschen aufzuweisen“. Vgl. hierzu auch FELDER, Wort – Strukturprinzip der Theologie, 453: „Die fundamentale Bedeutung der ‚Theologie des Wortes’ bei Scheffczyk liegt darin, daß der Extrinsezismus […] durch die personale Beziehungsgröße des Wortes in den verschiedensten Traktaten der Theologie – vor allem in der Gnadentheologie – überwunden werden kann, ohne dabei in einen Intrinsezismus zu verfallen“. 1020 RAHNER, Zur Theologie der Menschwerdung. In: RAHNER, Karl, Schriften zur Theologie. Band 4. Einsiedeln 1960, 151. 1021 SCHEFFCZYK, Mariologie und Anthropologie, 303. 1018

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Scheffczyk auch gegenüber anderen Autoren wie Rudolf Bultmann1022 und Jürgen Moltmann1023. Das Argument Scheffczyks ist dabei immer ähnlich: Ohne das Heilsmysterium fehlt „der wirkliche Grund“1024 für das pro me. Anhand dieser Kritikpunkte stellt sich allerdings auch die Frage, ob Scheffczyk die ganze Theologie von Rahner beurteilt, oder ob er eigentlich nur einen abstrakten transzendentaltheologischen Ansatz beziehungsweise bei Bultmann einen existentialistischen oder bei Moltmann einen nach seinen Worten idealistischen Ansatz mit jeweils ähnlichen Argumenten kritisiert. Denn im Verständnis der Menschheit Jesu Christi als Realsymbol Gottes1025 zeigt sich für Rahner ein reziprok, transzendentales Verhältnis zwischen Anthropologie und Christologie1026. Rahner erklärt: „Wenn Gott sich selbst aus sich heraussagt in das Leere des Nichtgöttlichen, Theologie außer sich betreibt, dann ist das, ,was herauskommt’, genau nichts anderes als die Anthropologie, die er als seine eigene Selbstaussage in der Inkarnation treibt, und die Anthropologie ist für diese Theologie nicht ein vorgegebenes Vokabular, sondern das aus ihr selbst entspringende“1027.

Die Anthropologie als Vokabular der göttlichen Selbstaussage kann bei Rahner Gott aussagen und nicht nur den Menschen, weil der Mensch von Gott erschaffen ist1028. John O’Donnell erklärt in seiner Studie Karl Rahner. Life in the Spirit: „According to Rahner the greater self-expression is the condition of possibility for the lesser. In other words the Incarnation is the condition of possibility for the creation […] the goal of the creation is nothing other than the Incarnation”1029. Aus dem bisher Gesagten folgt dann eben, dass Jesus für Rahner „am radikalsten Mensch”1030 ist. Für die Definition des Menschen in der theologischen Anthropologie ergibt sich dann bei Rahner folgendes: Der Mensch ist „in urursprünglicher Definition: das mögliche Anderssein der Selbstentäußerung Gottes und der mögliche Bruder Christi“1031. Das bedeutet 1022

Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 158. Vgl. SCHEFFCZYK, Katholische Glaubenswelt, 161. 1024 Ebd. 1025 Vgl. KASPER, Walter, Jesus der Christus. Mainz 111992, 56; O’DONNELL, John, Karl Rahner. Life in the Spirit. Rom 2004, 41. 1026 Vgl. RAHNER, Probleme der Christologie von heute. In: RAHNER, Karl, Schriften zur Theologie. Band 1. Einsiedeln 1954, 184. Fußnote 1; BATLOGG, Andreas R., Vom Mut, Jesus um den Hals zu fallen, In: AA.VV., Der Denkweg Karl Rahners. Quellen – Entwicklungen – Perspektiven. Mainz 2003, 291. 1027 RAHNER, Zur Theologie der Weihnachtsfeier. In: RAHNER, Karl, Schriften zur Theologie. Band 3. Einsiedeln 1956, 44. 1028 Vgl. ebd. 1029 O’DONNELL, Karl Rahner. Life in the Spirit, 40 f. 1030 RAHNER, Zur Theologie der Menschwerdung, 151. 1031 RAHNER, Theologische Anthropologie. In: Sacramentum Mundi. Band 1. Freiburg 1967, 185. 1023

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wiederum, dass für Rahner die Christologie die Erfüllung der Anthropologie ist. Bei Scheffczyk hingegen ist die Christologie der Urgrund der Anthropologie und der gesamten katholischen Dogmatik. Der Hauptunterschied zwischen den Ausführungen Scheffczyks und Rahners liegt vermutlich in der zugrunde liegenden Erkenntnistheorie der beiden Autoren. Interessant ist hier die Beobachtung Scheffczyks über die Mariologie Rahners: Die mariologische Grundidee muss für Rahner „enger mit dem Menschen verbunden sein […], damit er [der Mensch] das Ganze zu verstehen möge“1032. Das heißt, dass der Vorwurf Scheffczyks, Rahners Theologie sei intrinsezistisch, die Erkenntnistheorie Rahners mitberücksichtigen müsste und hier zeigt sich, dass Rahner „auf die apriorischen Bedingungen des Subjekts für die Erkenntnis jegl. Glaubenswahrheit“1033 reflektiert. Rahner steht damit in der Tradition der Erkenntnistheorie der Neuzeit, die seit Descartes anhand der Analyse und der Selbstbeobachtung des Individuums die „Bipolarität von Subjekt und Objekt erheblich verschärft“1034 hat. Scheffczyk steht andererseits in der Tradition, die seit dem Vorsokratiker Parmenides kein von der Außenwelt isoliertes Ich kennt und die Existenz der Außenwelt auch nicht bezweifelt, insofern also realistisch angelegt ist1035. Für die Theologie, die auf solchen Erkenntnistheorien fußt, ergeben sich dann logischer Weise auch unterschiedliche Schwierigkeiten und Gefahren:

1032

SCHEFFCZYK, Mariologie und Anthropologie, 305. GRESHAKE, Gisbert, Anthropologie. Systematisch-theologisch. In: KASPER, Walter u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche. LThK3 I. Freiburg 1993, 728. Vgl. hierzu auch LEHMANN, Rahner. In: KASPER, Walter u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche. LThK3 VIII. Freiburg 2001, 807: „Anthropologisch betrachtet, ist ‚Gnade’ [bei Rahner] keine dinghafte Realität im Menschen, sondern eine Bestimmung des geistigen Subjekts, das durch die Gnade in die Unmittelbarkeit zu Gott selbst gelangt. Nur so, indem Gnade v. Subjekt her begriffen wird, wird diese nicht mythologisch od. verdinglicht verstanden. Das ‚Objektivste’ der Heilswirklichkeit, Gott u. seine Gnade, erscheint zugleich als das Subjektivste des Menschen“. Ähnlich auch NEUFELD, Rahner. In: FISICHELLA, Rino (Hrsg.), Dizionario di Teologia Fondamentale. Assisi 1990, 895: „per Rahner non si tratta di una teologia della rivelazione nel senso abituale del termine. Sempre più evidente emerge come nucleo del suo lavoro teologico la difficoltà del nostro tempo di trovare un accesso alla verità di Gesù Cristo e alla fede”. 1034 SCHNEIDER, Norbert, Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert. Klassische Positionen. Stuttgart 2006, 13. Vgl. hierzu auch KNOEPFFLER, Nikolaus , Der Begriff ‚transzendental’ bei Karl Rahner. Zur Frage seiner Kantischen Herkunft. Dissertatio ad Doctoratum in Facultate Philosophiae Pontificiae Universitatis Gregorianae. Oeniponte 1992, 178-184. 1035 Vgl. die Aussage des Parmenides nach dem Zeugnis von Simplikios: „Man soll es aussagen und (an)erkennen, daß Seiendes ist; denn es ist nun einmal so, daß es ist, nicht aber, daß Nichts ist: ich fordere auf, dies gelten zu lassen“ (Mansfeld, J., Die Vorsokratiker I. Stuttgart 1987, 316 f.), zitiert in: SCHNEIDER, Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert, 13. 1033

288

So wird auf die Gefahr hingewiesen, die Transzendentaltheologie könne das unableitbare Gotteswort durch die apriorischen Verstehensbedingungen „erdrücken“1036 oder die Gotteserfahrung auf das „anthropologisch allgemein Plausible“1037 reduzieren. Scheffczyks Kritik an Rahner würde sich gut in diese Kritik einfügen. Allerdings argumentiert die vorgetragene Kritik eher allgemein über einen abstrakten transzendentaltheologischen Zugang als über die Theologie Rahners1038, was alleine schon durch Rahners umfangreiches Schaffen eine schwer zu bewältigende Aufgabe ist. Für eine realistisch angelegte Theologie ergibt sich vor allem die Gefahr der Objektivierung des Transzendenten. Die Frage nach der Möglichkeit einer vom Subjekt abgelösten Darstellung der Offenbarung erörtert Scheffczyk beispielsweise gar nicht und der Preis dafür erscheint sehr hoch, denn man könnte mit Husserls Worten von einer transzendentalen Naivität1039 sprechen. Scheffczyks Theologie fußt damit nicht auf der Überwindung des SubjektObjekt-Dualismus, die beispielsweise die Systemtheorie von Humberto Maturana und Niklas Luhmann geleistet habe1040, sondern auf dem Rückgriff auf antike oder mittelalterliche Erkenntnistheorie1041. Dies schränkt die Wirkung von Scheffczyks Theologie deutlich ein. Geht man nämlich davon aus, dass das Objekt einem Subjekt gar nicht ohne weiteres verfügbar ist und dass die Annahme oder die Erkenntnis eines Objekts durch ein Subjekt das Objekt maßgeblich mitbestimmt, dann werden Scheffczyks Ausführungen wenig hilfreich sein. Scheffczyk setzt sich zwar mit der Annahme des Wortes Gottes durch die Person des Menschen in der Geschichtlichkeit auseinander, für die reale und objektive Zugänglichkeit und Verständlichkeit des Gotteswortes und der bleibenden Wahrheit spielt dies für Scheffczyk aber keine Rolle.

1036

GRESHAKE, Anthropologie, LThK3 728. LANGEMEYER, Georg, Theologische Anthropologie. In: BEINERT, Wolfgang (Hrsg.), Lexikon der Katholischen Dogmatik. Freiburg 51997, 504. Langemeyer entkräftet dieses Argument, indem er darauf hinweist, dass die Humanwissenschaften keine allgemeingültige Bestimmung des Menschen mehr bieten können. 1038 Vgl. RAHNER, Bemerkungen zu: Hans Küng, Im Interesse der Sache. In: RAHNER, Karl (Hrsg.), Zum Problem Unfehlbarkeit. Antworten auf die Anfrage von Hans Küng. Quaestiones disputatae 54. Freiburg 1971, 66: „Noch etwas sei zu ‚meiner’ Theologie. Wenn man sie genau betrachtet, ist sie nicht so sehr eine ‚transzendental-philosophische’, sondern eher die Anwendung jener vom Ersten Vatikanum empfohlenen Methode, nach der der Sinn eines Dogmas sich eigentlich nur dann […] enthüllt, wenn man es immer neu und eindringlich mit Glaubensaussagen konfrontiert, also ‚analogia fidei’ mehr als ‚analogia entis’ betreibt“. 1039 Vgl. HUSSERL, Phänomenologische Psychologie, 274. 1040 Vgl. SCHNEIDER, Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert, 197-208. 1041 Vgl. hierzu auch NEBEL, Leo Kardinal Scheffczyk, xxvii. 1037

289

Kapitel V: Probleme in den Entwürfen von Avery Dulles und Leo Scheffczyk 1. Das Problem der Begründung der Kriterien in der Theologie von Avery Dulles In Kapitel I und II der vorliegenden Arbeit wurde geklärt, dass Dulles die Kriterien zur Bewertung theologischer Modelle nicht schlüssig herleiten kann und dass der Versuch, Kriterien als persönliche Stellungnahmen eines Theologen zu verstehen, den Anforderungen der ecclesial-transformative theology nicht gerecht wird1042. Dieses Kriterienproblem hat allerdings weitreichende Konsequenzen. Denn, falls Dulles keine wirklichen Kriterien innerhalb eines conceptual frameworks angeben kann, stellt sich die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, von Sozialisierungsprozessen und einem conceptual framework zu sprechen oder ob das nicht das Wunschdenken eines Theologen ist. Einerseits legt Dulles in seiner Theologie nämlich starken Wert auf die Kontinuität innerhalb der kirchlichen Tradition. Andererseits kann er keine Kriterien herleiten oder er macht Kriterien von der persönlichen Stellungnahme eines Theologen abhängig. Das bedeutet, dass das Kriterienproblem die Frage nach der Kohärenz der Theologie Dulles’stellt. 1.1 Ein Ausweg aus dem Kriterienproblem? Eine Möglichkeit, das Kriterienproblem zu umgehen, besteht im Verweis auf das implizite Wissen nach Michael Polanyi, mit dessen Theorie Dulles die Symbole erklärt. Deshalb kann man versuchen, auch die Kriterien auf der Basis der tacit dimension zu verstehen. Denn die Unterscheidung zwischen subsidiary awareness und focal awareness liegt bei Polanyi jedem Erkenntnisprozess zugrunde, also dann auch der Erkenntnis dessen, was sich auf die Symbole der göttlichen Selbstkommunikation beziehen kann und was nicht. Berücksichtigt man hier noch, dass die Subsidiaria nur ungenügend explizierbar sind, beziehungsweise in der Explikation sogar ihre Bedeutung verlieren können, dann folgt daraus, dass die Kriterien möglicherweise nicht explizierbar sind: Als subsidiär Gewusstes stehen sie den Glaubenden zur Verfügung und werden auch benützt. Versucht man aber, die Kriterien fokal bewusst zu machen, das bedeutet, sie von der subsidiary awareness in die focal awareness zu setzen, dann treten Schwierigkeiten auf. Diese Schwierigkeiten werden noch verschärft, wenn man Kriterien als Merkmale versteht, die von außen an Theorien angelegt werden, um die Richtigkeit oder die Kohärenz einer Theorie aufzuzeigen. 1042

Vgl. Kapitel I. 2.3 der vorliegenden Arbeit.

291

Insgesamt heißt das: Wenn man nachweisen kann, dass die Kriterien bei Dulles als Subsidiaria verstanden werden können, dann wird die Frage nach der Begründung der Kriterien bedeutungslos, weil die Subsidiaria das explizite Wissen mitkonstituieren. Können Dulles’ Kriterien als Subsidiaria verstanden werden? Versucht man Dulles’ Kriterien als Subsidiaria zu verstehen, dann muss man fragen: Auf was verlassen sich Menschen, um beispielsweise die Modelle der Kirche, der Offenbarung oder andere Theorien zu bewerten? Dass Dulles selbst diese Frage so nicht stellt, zeigt deutlich seine Begründung der Kriterien in Models of the Church. Denn Dulles’ Wunsch, Kriterien zu finden, die von Anhängern unterschiedlicher Modelle geteilt werden können1043, setzt voraus, dass Kriterien von außen an die Modelle angelegt werden können, um die einzelnen Modelle zu beurteilen. Nach Polanyi hingegen müsste man jedes einzelne Modell als conceptual framework betrachten, das durch Aneignung (nämlich die Integration der Subsidiaria in die Existenz der Anhänger) begründet wird. Will man nun ein Modell beschreiben, so muss man dieses Modell als ein strukturiertes Ganzes verstehen, dessen einzelne Elemente nicht außerhalb des Kontextes des Modells beschrieben werden können. Das wiederum heißt, dass Anhänger jedes einzelnen Modells ihre eigenen Kriterien hervorbringen1044, die sich an der Wirklichkeit bewähren müssen oder scheitern können. Überträgt man deshalb die Theorie Polanyis in die Theologie, so müsste man ein hohes Maß an Diskontinuität unter den Anhängern verschiedener Modelle akzeptieren. Im Gegensatz dazu geht es aber gerade dem späten Dulles darum, Kriterien zu finden, die aus dem conceptual framework der Kirche heraus gewonnen sind. In der Terminologie Polanyis müsste hier also gefragt werden: Worauf verlassen sich Christen, um beispielsweise die Modelle der Kirche zu bewerten? Untersucht man die Begründung der einzelnen Modelle in Models of the Church1045, zeigt sich:

1043

Vgl. DULLES, Models of the Church, 191. POLANYI, Personal Knowledge, 71: „To affirm anything implies, then, to this extent an appraisal of our own art knowing and the establishment of truth becomes decisively dependent on a set of personal criteria of our own which cannot be formally defined. […] The ideal of an impersonally detached truth would have to be reinterpreted, to allow for the inherently personal character of the act by which truth is declared“. 1045 Vgl. DULLES, Models of the Church, 191. 1044

292

Kriterien

Begründung

Models of the Church

Models of the Church

Models of Revelation

1) Basis in der Schrift

Dieses Kriterium ist für beinahe alle

1) Faithfulness to the Bible and

Christen von großer Bedeutung.

Christian tradition

2) Basis in der

Viele Christen sehen in der

christlichen Tradition

kirchlichen Tradition einen großen

Kriterien

Schatz. Je universaler und konstanter diese Tradition ist, desto überzeugender ist sie auch.

Die ersten beiden Kriterien aus Models of the Church werden von Dulles tatsächlich so begründet, dass sie zeigen, worauf sich Christen verlassen, um ein Modell der Kirche zu beurteilen. Christen verlassen sich dabei, wie sie die Kirche verstehen, auf die Heilige Schrift und die christliche Tradition, beziehungsweise sie hängen sogar von diesen beiden Größen ab. Wollte man jetzt fragen, wie ein Kriterium genau angewendet wird, oder was gewährleistet sein muss, damit ein Kriterium wirklich erfüllt ist, erhält man keine Antwort, denn die Kriterien sind nicht völlig explizierbare Subsidiaria, die aus der Betrachtung der subjektunabhängigen Wirklichkeit heraus entstehen und dem Betrachter teilweise vorgegeben sind, aber auch von ihm abgeändert werden können. Fragt man weiter, wer genau entscheidet, ob ein Kriterium erfüllt ist und wie viele Betrachter den Wert eines Kriteriums bejahen müssen (Dulles unterscheidet hier ja: die Schrift ist für beinahe alle Christen von Bedeutung, die Tradition für viele Christen), dann ist diese Frage falsch gestellt, denn Polanyis Theorie untersucht eben Personal Knowledge, also persönliches Wissen. Die Begründung des Kriteriums 5 aus Models of the Church (Übereinstimmung mit der zeitgenössischen religiösen Erfahrung der Menschen) passt sich in das Verständnis des persönlichen Wissens gut ein: Durch die kulturellen Veränderungen in unserer Zeit werden die Modelle bevorzugt, die der heutigen Glaubenserfahrung Rechnung tragen1046. Gerade dieses Kriterium kommt dem Verständnis Polanyis von religiöser Erfahrung sehr nahe1047, das sich aber gerade dadurch auszeichnet, dass jegliche historische Dimension

1046 1047

DULLES, Models of the Church, 192. Vgl. POLANYI, Meaning, 156: It is therefore only through participation in acts of worship – through dwelling in these – that we see God. Got is thus not a being whose existence can be established in some logical, scientific, or rational way before we engage in our worship of him. God is a commitment involved in our rites and myths. Through our integrative and imaginative efforts we see him as the focal point that fuses into meaning all the incompatibles involved in the practice of religion. But, as in art – only in a more whole and complete way – God also becomes the integration of all the incompatibles in our own lives”.

293

bewusst weggelassen wird1048, was natürlich wiederum die Kriterien 1 und 2 relativiert. Das heißt aber auch, dass die Intention Dulles’, verschiedene Modelle in einem übergeordneten framework zu beurteilen, Polanyis Verständnis von Religion entgegensteht, denn Religion kann für Polanyi nur auf persönlicher Erfahrung basieren. Dazu kommt, dass einige Kriterien bei Dulles so begründet werden, dass sie gar nicht mehr deutlich erkennen lassen, dass Kriterien als Subsidiaria verstanden werden müssen1049: Kriterien

Begründung

Models of the Church

Models of the Church

Kriterien Models of Revelation

3) Fähigkeit zur Klärung

Die Theologie hat die Aufgabe, den

5) Practical fruitfulness

der corporate identity und

Glauben und die Mission der

der Mission der Mitglieder

Gläubigen zu klären.

der Kirche 4) Fähigkeit zur Vermittlung christlicher Werte und Tugenden

Natürlich ist es sinnvoll, dass die Theologie die Gläubigen in ihrem Glauben und ihrer Sendung bestärkt und unterstützt. Wenn man allerdings Kriterien als Subsidiaria versteht, dann müsste man das Verhältnis umkehren: Weil die Gläubigen die Subsidiaria in ihre Existenz integriert haben, können sie Subsidiaria bis zu einem bestimmten Grad explizieren und intellektuell verantworten. Das wäre der Sinn der Polanyischen from-to-structure. Die Begründung, die Dulles liefert, setzt damit voraus, dass explizites Wissen Merkmale zur Verfügung stellt, die im Prozess der Integration der Subsidiaria in die Existenz der Menschen stabil, also unverändert bleiben. Persönliches Wissen kann aber nur durch persönliche Erfahrung entstehen, nicht durch intellektuelle Einsicht. Ein ganz ähnliches Problem entsteht, wenn man die Kriterien 2 (Internal coherence) und 3 (Plausibility) aus Models of Revelation heranzieht. Denn nur der, der die Subsidiaria integriert hat, kann entscheiden, ob ein Kriterium kohärent, beziehungsweise plausibel ist: „A belief always works in the eyes of the believer”1050. Glaube kann deshalb nur als persönlich vollzogener Glaube verstanden werden, der auf dieser erfahrungsbezogenen Grundlage dann zum Teil fokussiert, also explizit werden kann.

1048

Vgl. GILL, The tacit Mode, 148. DULLES, Models of the Church, 192. 1050 POLANYI, Science, Faith and Society, 61.

1049

294

Schwächen des Verständnisses der Kriterien als Subsidiaria Kriterien nach Polanyi zu verstehen würde bedeuten, a) Diskontinuität in der Kirche aufgrund unterschiedlicher persönlicher Erfahrungen der Gläubigen gelten zu lassen, b) Theologie als nachträgliche Explikation von subsidiär Gewusstem zu verstehen und c) sich auf ein Modell Dulles’ festzulegen, das die Erfahrung thematisiert, zum Beispiel das Modell 3 Offenbarung als innere Erfahrung aus Models of Revelation. Nur wer diese Konsequenzen zu übernehmen bereit ist, wird von Kriterien als Subsidiaria sprechen können. Dulles’ Wunsch nach Kriterien aus dem conceptual framework der Kirche wäre damit aber ad absurdum geführt. Statt einer wie auch immer gearteten Verarbeitung, also Aussöhnung der Modelle, untereinander, müsste man schließlich ein Modell wählen und die anderen darin integrieren. Positive Einsichten des Verständnisses der Kriterien als Subsidiaria Kriterien können nicht von außen zur Bewertung von Modellen oder Theorien herangetragen werden. Das würde nämlich bedeuten, dass man selbst einen übergeordneten Standpunkt einnimmt, aufgrund dessen man dann Modelle oder Theorien beurteilen kann. Wer deshalb beispielsweise kirchliche Traditionen beurteilt, der muss sich auch die Frage nach seinem eigenen Standpunkt, nach seinem eigenen conceptual framework, stellen. Kriterien bleiben demnach entweder fraglos, bedingt explizierbar oder verlieren ihre Bedeutung bei der Explikation. Das würde die immense Bedeutung der hierarchischen Struktur in The Catholicity of the Church erklären: Es ist der Versuch, an dieser Stelle greifbare, überpersonale Kriterien zur Verfügung zu stellen, die über legitime Verschiedenheit in der Kirche entscheiden. Dieses Vorgehen kann dann aber nur von den Christen geteilt werden, die im conceptual framework der katholischen Kirche leben. Denn entweder erscheint es einsichtig, dass das Lehramt eine herausgehobene Rolle bei der Stütze der sakramentalen Struktur hat, oder diese Bedeutung ist Kritikern gegenüber nur bedingt erklärbar. Gegenüber dieser Absicherung des frameworks nach außen stellen systemimmanente Anfragen an die Darstellung des conceptual frameworks, also der katholischen Kirche bei Dulles, die eigentliche Schwierigkeit in Dulles’ Theologie dar, weil sie auf demselben framework basieren, wie Dulles’ Ausführungen. Das ist eine Folge der Vernachlässigung der Diskontinuität innerhalb der Kontinuität der Tradition in Dulles’ The Catholicity of the Church. Hätte es Dulles nämlich geschafft, Verschiedenheit in einem conceptual framework zu bestimmen, dann hätte man auch von der Veränderbarkeit innerhalb dieses frameworks sprechen können. Ergebnis Eine Herleitung der Kriterien als Subsidiaria nach Polanyi kommt für die Theologie Dulles’ nicht in Frage, weil so die Kontinuität innerhalb der Kirche

295

verloren zu gehen droht. Gleichzeitig steht aber fest, dass Kriterien nicht von außen an ein conceptual framework angelegt werden können, weil so die Einheit des conceptual frameworks nicht mehr Ernst genommen wird. Kriterien müssten demnach aus der Realität der Kirche gewonnen werden, um zu klären, ob eine Theorie dieser Realität angemessen ist. 1.2 Scheffczyks Kriterien als Ausweg? Wenn es um die Frage nach dem angemessenen Verständnis der einer Theorie zugrunde liegenden Realität geht, also um eine hermeneutische Frage, dann bietet es sich eigentlich an, die hermeneutischen Kriterien Scheffczyks mit den Kriterien Dulles’ in Verbindung zu bringen, da nach dem Verständnis der beiden Autoren die Kriterien mit der Realität der Kirche zusammenhängen. Zuerst können deshalb die Kriterien Dulles’ mit denen Scheffczyks verglichen werden, um zu klären, ob Dulles’ Kriterien mit der Hermeneutik Scheffczyks begründet werden können. Anschließend kann geprüft werden, ob Scheffczyks Kriterium der Strukturgleichheit eine Möglichkeit bietet, die Strukturen des Dullesschen conceptual frameworks mit seinen Modellen zu vergleichen. Ein Versuch zur Begründung der Kriterien Dulles’ Will man die Kriterien Dulles’ mit denen Scheffczyks in Beziehung setzen, dann muss man zunächst die nach Scheffczyk unzureichenden Kriterien (Orthopraxie, Allgemeinverständnis und gesellschaftliche Anerkennung) in Dulles’ Kriterienkatalog auffinden. Unzureichende Kriterien sind nicht falsch, sie sind nach Scheffczyk nur eben nicht echte Kriterien für die hermeneutische Aufgabe des Nachweises der Korrektheit einer Neuinterpretation beziehungsweise das Auffinden des Gemeinten im Gesagten. Im Fall der Auslegung der Heiligen Schrift oder eines Dogmas der Kirche wäre das Gemeinte das Gotteswort und das Gesagte das Menschenwort. Im Fall der Kriterien zur Bewertung der Modelle der Kirche muss man also fragen: mit welchem Kriterium von Dulles kann die bleibende Wahrheit des Gotteswortes von der geschichtlichen Ausgestaltung unterschieden werden? Eine Untersuchung dieser Fragestellung kann folgendermaßen aussehen:

296

Kriterien (Dulles)

Hermeneutische Fragestellung (Scheffczyk)

1) Basis in der Schrift

Die Basis eines Modells in der Heiligen Schrift und der Tradition ermöglicht es in Scheffczyks Hermeneutik, ein Modell mit der bleibenden Wahrheit des Gotteswortes in Beziehung zu setzen.

2) Basis in der christlichen Tradition

3) Fähigkeit zur Klärung der corporate identity und der Mission der Mitglieder der Kirche 4) Fähigkeit zur Vermittlung christlicher Werte und Tugenden 5) Übereinstimmung mit der zeitgenössischen religiösen Erfahrung der Menschen 6) Fruchtbarkeit für die Theologie

Bei all diesen Kriterien bleibt die hermeneutische Frage nach dem Gotteswort im Menschenwort ausgeklammert. Aus der Perspektive Scheffczyks müssen diese Kriterien genau so als unzureichend gekennzeichnet werden wie die Kriterien Orthopraxie, Allgemeinverständnis und gesellschaftliche Anerkennung.

7) Fruchtbarkeit für die Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb ihrer Gruppe

Somit bleiben zwei vollgültige Kriterien Dulles’ übrig: die Basis eines Modells in der Heiligen Schrift und in der Tradition der Kirche, was nicht weiter verwunderlich ist, denn nach Scheffczyk besteht die hermeneutische Aufgabe im Aufweis der bleibenden Wahrheit des Gotteswortes in dem Gesagten. Erfahrungen von Gläubigen, Vermittlung von Werten oder auch die Fruchtbarkeit einer theologischen Aussage oder eines Modells für die Theologie entsprechen dieser hermeneutischen Aufgabe aber nicht. Das bedeutet: Die Kriterien von Scheffczyk eliminieren einen Großteil der Kriterien Dulles’. Da aber nur noch die Basis eines Modells in Schrift und Tradition als vollgültige Kriterien verbleiben, können die Kriterien Scheffczyks nur eine weitere Ausfaltung dieser beiden Dullesschen Kriterien darstellen und die Hermeneutik Scheffczyks nur eine Grundlage für diese beiden Kriterien bieten. Die Begründung der beiden ersten Kriterien Dulles’ erfolgt dann analog zu den Ausführungen Scheffczyks zur Geschichtlichkeit der Wortoffenbarung1051: Die Offenbarung ist in einem geschichtlichen Kontext ergangen, in der schriftlichen Fixierung der Wortoffenbarung ist Gotteswort sakramental, beziehungsweise inkarnatorisch im Menschenwort auffindbar. Die Dynamik des Gotteswortes führt zu immer weiteren Versuchen, das Gotteswort in geschichtlich veränderten Zeiten zu verstehen, besonders deutlich wird dies ersichtlich an den Dogmen als Wachstumsknoten in der Tradition der Kirche. Die Funktionsweise der Kriterien stellt allerdings eine gewisse Schwierigkeit dar. Wie will man die Basis eines Modells in der Heiligen Schrift oder in der 1051

Vgl. Kapitel III. 2.1 der vorliegenden Arbeit.

297

Tradition der Kirche nachweisen? Eine Hilfestellung kann hier das Scheffczyksche Kriterium der Strukturgleichheit bieten. Strukturgleichheit müsste dann aber so verstanden werden, dass jedes Modell in Strukturgleichheit zur Heiligen Schrift und zu den Texten der Tradition der Kirche stehen muss. Das kann ein Modell aber nicht liefern. Denn in Konzilsdokumenten finden sich beispielsweise verschiedene ekklesiologische Entwürfe; im Gegensatz dazu entsteht ein Modell der Kirche für Dulles dann, wenn ein einziges Bild der Kirche reflektiert wird. Legt man zur Bewertung eines Modells die gesamte Heilige Schrift zugrunde, von der gesamten (!) Tradition ganz zu schweigen, dann stellt sich die Frage, wie die Basis eines Modells in Schrift und Tradition nachgewiesen werden kann. Die Frage, die sich für Dulles’ Theologie stellt, muss also lauten: Kann die Struktur des conceptual framework an die Modelle der Kirche angelegt werden? Strukturgleichheit mit dem conceptual framework? Aus all dem folgt für die weitere Ausfaltung der beiden verbliebenen Dullesschen Kriterien: Ein Modell ist dann im conceptual framework der katholischen Kirche eine korrekte Interpretation, wenn die Einzelteile eines Modells sich so ineinander fügen, dass die Struktur- beziehungsweise Typengleichheit mit der zugrunde liegenden Realität, also beispielsweise der Kirche, beziehungsweise dem conceptual framework bestehen bleibt. Werden deshalb die Modelle dem conceptual framework der katholischen Kirche gegenübergestellt, dann müssen berücksichtigt werden: a) die vier Dimensionen: Höhendimension (= göttliche Selbstkommunikation), Tiefendimension (= Möglichkeit, Gottes Selbstkommunikation aufzunehmen), Breitendimension (= geographische Universalität) und Längendimension (= zeitliche Universalität). b) Die zwei Strukturen: sakramentale Struktur (zur Stütze der göttlichen Selbstkommunikation und der Möglichkeit, Gottes Selbstkommunikation aufzunehmen) und die hierarchische Struktur (zur Stütze der geographischen und zeitlichen Universalität). c) Das Zentrum der katholischen Kirche: die Beachtung der Einheit mit dem Bischof von Rom. Versuchsweise soll hier das erste Dullessche Modell aus Models of the Church untersucht werden. Dulles beschreibt das Modell 1 folgendermaßen1052:

1052

Vgl. DULLES, Models of the Church, 40-45.

298

Bonds of Unitiy ○ Bekenntnis des wahren christlichen Glaubens ○ Gemeinschaft in den Sakramenten ○ Unterwerfung unter die Hirten

Beneficiaries of the Church ○ die eigenen Mitglieder der Kirche erhalten als Gabe das ewige Leben

Chief Assets

Major Liabilities

○ gute Rezeption in offiziellen kirchlichen Dokumenten der letzten Jahrhunderte ○ Kontinuität mit den christlichen Ursprüngen ○ identitätstiftend für die Mitglieder

○ geringe Tradition in der Heiligen Schrift und der frühen Kirche ○ Überbetonung des Gehorsams im christlichen Leben ○ hinderlich für eine kreative und fruchtbare Theologie ○ übersteigerter Institutionalismus führt zu schwerwiegenden theologischen Problemen ○ in einer Zeit des Dialogs und des Ökumenismus ist dieses Modell keine Antwort auf die Fragen der Zeit.

Hier zeigt sich: a) Die göttliche Selbstkommunikation und die Möglichkeit, Gottes Selbstkommunikation aufzunehmen, scheinen in diesem Modell kaum berücksichtigt, viel eher stehen institutionelle Fragestellungen im Vordergrund. Gemeinschaft in den Sakramenten: Die geographische und zeitliche Universalität stehen im Mittelpunkt dieses Modells als Bonds of Unity. b) Die sakramentale und die hierarchische Struktur werden besonders beachtet und von Dulles als Bonds of Unity verstanden. c) Unterwerfung unter die Hirten: Die Einheit mit dem Bischof von Rom wird in diesem Modell ebenfalls stark betont. Das Problem dieses Vorgehens liegt hauptsächlich darin, dass die Ausgangsfrage der Kriterien nach der Basis eines Modells in der Schrift und der Tradition eliminiert ist, weil diese Frage für die Strukturierung des conceptual framework in Dulles’ The Catholicity of the Church keine Rolle gespielt hat. Die systemimmanenten Anfragen an Dulles’ conceptual framework müssen bei diesem Vorgehen ebenfalls außen vor gelassen werden und stellen weiterhin das Hauptproblem für Dulles’ Theologie dar. Außerdem ist auch klar, dass kein Modell dem conceptual framework wirklich genügen kann, denn Dulles bewertet Modelle aus seinem conceptual framework heraus und versucht sie miteinander zu versöhnen. Die Frage nach der Funktionsweise der Kriterien kann auf diesem Weg also nicht gelöst werden. Ergebnis Auch die Verbindung der Kriterien Dulles’ mit der Hermeneutik Scheffczyks führt zu keinem befriedigenden Ergebnis. Denn die Scheffczykschen Kriterien eliminieren einen Großteil der Kriterien Dulles’. Außerdem bleibt völlig unklar, wie die Kriterien wirklich funktionieren können. Das hängt auch mit der Formulierung der Kriterien bei Dulles zusammen. Die ungelöste Frage lautet vor allem, was nach Dulles als Basis eines Modells in der Heiligen Schrift und der Tradition gelten kann.

299

1.3 Kriterien und Geschichtlichkeit Die Begründung der Kriterien bei Dulles1053 legt die Vermutung nahe, dass Dulles nach subjektunabhängigen Merkmalen sucht, die zur Bewertung von Modellen oder auch kirchlichen Traditionen dienen können. Deshalb muss eine Größe gesucht werden, aufgrund derer man Kriterien zumindest erklären kann, um sie an Modelle und Theorien anlegen zu können. Die Kriterien sollen ja schließlich nicht von außen an Theorien herangeführt werden. Eine Möglichkeit für eine theologische Grundlage der Kriterien kann in der Scheffczykschen Kategorie der Geschichtlichkeit gesehen werden. Nach dieser Kategorie konstituieren den Menschen die vorgängige Prägung, die gegenwärtige Freiheitsentscheidung und die zukünftige Selbstverwirklichung1054. Da die Kirche aber aus Menschen gebildet wird, die zusammen den Leib Christi bilden, muss diese Geschichtlichkeit auch für die Kirche eine Rolle spielen. Kriterien, die aus der Wirklichkeit der Kirche stammen, sollten also auch die Kategorie der Geschichtlichkeit respektieren. Untersucht man Dulles’ Kriterien, so zeigt sich: Kriterien Dulles

Geschichtliche Verfassung des Menschen Scheffczyk

1) Basis in der Schrift 2) Basis in der christlichen Tradition

vorgängige Prägung

3) Fähigkeit zur Klärung der corporate identity und der Mission der Mitglieder der Kirche 4) Fähigkeit zur Vermittlung christlicher Werte und Tugenden 5) Übereinstimmung mit der zeitgenössischen religiösen Erfahrung der Menschen

gegenwärtige Freiheitsentscheidung

6) Fruchtbarkeit für die Theologie 7) Fruchtbarkeit für die Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb ihrer Gruppe

zukünftige Selbstverwirklichung

Das bedeutet: man kann ohne größere Schwierigkeiten die Dimensionen des Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezugs in der Kriterien Dulles’ nachweisen. Etwas schwer wird man sich vielleicht mit der Bezeichnung zukünftige Selbstverwirklichung tun. Aber gerade die Theologie als wissenschaftliches Unternehmen und die Beziehung der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb der Kirche können ohne weiteres als Selbstverwirklichungen verstanden werden. Die eschatologische Dimension 1053 1054

Vgl. DULLES, Models of the Church, 191. Vgl. Kapitel III.1.1 der vorliegenden Arbeit.

300

kirchlicher und menschlicher Existenz ist sowieso in diesem Kriterienkatalog leider nicht berücksichtigt. Insgesamt gibt es aber keinen Grund, in diesem Kriterienkatalog einen Gegensatz von Natur und Gnade zu konstruieren. Zukünftige Selbstverwirklichung kann auch als gnadenhaft geschenkte zukünftige Selbstverwirklichung verstanden werden. Durch die Einführung der Kategorie der Geschichtlichkeit kann eine Grundbedingung menschlicher und damit auch kirchlicher Existenz angegeben werden. Auf dieser Basis können Kriterien sinnvoll im conceptual framework der Kirche strukturiert werden. Andere Möglichkeiten zur Strukturierung sind dabei nicht ausgeschlossen. Auf jeden Fall müssen Kriterien auf diese Weise nicht von außen an Modelle oder Theorien angelegt werden, die im conceptual framework der Kirche überprüft werden sollen. Neue Kriterien können jederzeit eingefügt werden, solange sie die Geschichtlichkeit der menschlichen und kirchlichen Situation berücksichtigen. Dass dadurch auch falsche Kriterien eingefügt werden können, kann nicht verhindert werden. Dadurch droht natürlich auch dieses Vorgehen fragwürdig zu werden. Geltung können neu hinzugefügte Kriterien aber nur erlangen, wenn sie weder den Vergangenheits-, noch den Gegenwarts- noch den Zukunftsbezug überbewerten. Nur so kann versucht werden zu verhindern, dass traditionalistische, existentialistische oder utopische Ausschlusskriterien eingefügt werden. Die Auffassung, dass ein Kriterienkatalog vollständig sein kann, muss damit aufgegeben werden. 1.4 Die Funktionsweise der Kriterien Einige Beispiele: Dulles kritisiert das Modell 1 aus Models of the Church wegen der geringen Basis in der Heiligen Schrift1055. Offensichtlich hat Dulles das Kriterium 1 (Basis in der Heiligen Schrift) hier so benutzt, dass er von verschiedenen Graden oder Stufen sprechen kann. Denn wenn es möglich ist, von einer geringen Basis in der Heiligen Schrift zu sprechen, dann muss man auch von einer guten oder sehr guten Basis eines Modells in der Heiligen Schrift sprechen können. Jedes Kriterium würde dann aber wie eine Skala funktionieren, auf der man den Wert eines Modells für ein bestimmtes Kriterium eintragen könnte. Das ist aber kein einfaches Vorgehen, denn die Frage, was alles nötig ist, um von einer Basis in der Heiligen Schrift zu sprechen, wird von Dulles nicht geklärt, noch viel weniger wird von Dulles erklärt, was notwendig ist, um von einer geringen, guten oder sehr guten Basis eines Modells in der Heiligen Schrift zu sprechen. Die einfachste Möglichkeit, die Kriterien zum Funktionieren zu bringen, besteht deshalb darin, die Kriterien negativ zu formulieren. Das heißt: Wenn ein Modell oder eine Theorie keine Basis in der Schrift und in der christlichen 1055

Vgl. oben und DULLES, Models of the Church, 40-45.

301

Tradition hat, dann muss man das Modell kritisieren beziehungsweise ausschließen. Selbstverständlich können hier auch die restlichen Kriterien von Dulles integriert werden. Der Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass es relativ einfach zu handhaben ist. Das Ziel der Kriterien wäre der Ausschluss oder, weniger radikal, die Kritik eines Modells oder einer Tradition aufgrund einer fehlenden Komponente. Der Nachteil dieses Vorgehens besteht darin, dass Dulles zunächst eigentlich die Stärken anderer Autoren in den Blick nehmen möchte. Formuliert man die Kriterien negativ, dann erhält man Richtlinien, die angeben, was für den Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug der Kirche nicht dienlich ist. Das negativ formulierte Kriterium (keine Basis in der Heiligen Schrift) kann dabei nicht graduell interpretiert werden: Entweder hat eine Theorie keine Basis in der Heiligen Schrift, oder eine Theorie hat eine vielleicht nur geringe Basis in der Heiligen Schrift. Dann kann die Theorie aber aufgrund des negativ formulierten Kriteriums nicht kritisiert werden. Die Folge: das negativ formulierte Kriterium stützt eine Theorie in höherem Maße als das positiv formulierte Kriterium. Dulles’ Suche nach den Stärken einer Theorie oder eines Autors ließe sich also besser mit dem negativ formulierten Kriterium überprüfen. Ein großer Vorteil dieser negativ formulierten Kriterien besteht außerdem darin, dass der Kriterienkatalog nicht vollständig sein muss. Weist man nämlich ein Modell oder eine Theorie aufgrund eines oder mehrerer negativ formulierter Kriterien zurück, dann ändert ein weiteres Kriterium an dieser Tatsache auch nichts. Umgekehrt gilt aber, wenn man ein Modell oder eine Theorie aufgrund aller negativ formulierten Kriterien nicht zurückweisen konnte, dann bleibt die Möglichkeit eines Ausschlusses durch ein weiteres Kriterium ebenfalls nicht ausgeschlossen. Das Problem dieser negativ formulierten Kriterien besteht darin, dass man jetzt nur noch ja-nein-Antworten erhalten kann. Oftmals stellen sich in der Theologie aber differenziertere Fragen. Ein weiteres Beispiel: Dulles kritisiert das Modell 1 aus Models of the Church wegen der Überbetonung des Gehorsams im christlichen Leben. Das negativ formulierte Kriterium 4 (keine Fähigkeit zur Vermittlung christlicher Werte und Tugenden) kann in diesem Fall aber nicht greifen, denn mit dem Gehorsam wird selbstverständlich ein Wert vermittelt. Auch in diesem Fall wird ein Modell also durch ein negativ formuliertes Kriterium besser gestützt, als durch ein positiv formuliertes Kriterium, das irgendwie verschiedene Abstufungen kennt. Ebenso fraglich ist es aber, das Modell 1 aufgrund des negativ formulierten Kriteriums 5 (keine Übereinstimmung mit der zeitgenössischen religiösen Erfahrung der Menschen) zu kritisieren. Denn vielleicht gibt es ja einen Katholiken, der sich die Überbetonung des Gehorsams im christlichen Leben wünscht. Die Schwierigkeit besteht hier unabhängig von der positiven oder negativen Formulierung der Kriterien in dem Bezug auf alle Menschen oder alle Christen. Solche Universalurteile können aber immer nur falsifiziert

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werden. Demgegenüber müssen sich Kriterien auf Einzelurteile zurückziehen. Zum Beispiel: keine Übereinstimmung mit dem Begriff Freiheit in der Enzyklika Veritatis Splendor von Johannes Paul II. Oder Universalurteile müssen dadurch überprüfbar gemacht werden, dass sie auf eine genau abgegrenzte Gruppe bezogen werden. Zum Beispiel: keine Übereinstimmung mit den zeitgenössischen religiösen Erfahrungen aller Katholiken in einer konkreten Pfarrgemeinde. Dulles’ Kriterien stützen also eine zu überprüfende Theorie besser, wenn sie negativ formuliert werden. Die negative Umformulierung der Kriterien führt außerdem dazu, dass man bei der Überprüfung der Modelle nur ein einziges Element finden muss, das einem negativ formulierten Kriterium widerspricht, um die Kritik durch dieses Kriterium zurückzuweisen. Durch die Beschränkung der Kriterien auf konkrete Urteile bleiben die Kriterien überprüfbar. Der Erkenntnisgewinn einer Antwort (ja / nein) hängt dabei von der Qualität eines Kriteriums ab. Die Vollständigkeit des Kriterienkatalogs spielt keine Rolle mehr, wenn man die Kriterien negativ formuliert. Die negativ formulierten Kriterien sollen jetzt an einige Theorien Dulles’ angelegt werden, um ihre Funktionalität zu überprüfen: a) Ist es sinnvoll, dass Dulles drei verschiedene Bedeutungsebenen des Adjektivs catholic unterscheidet? Es geht hier vor allem um die Frage nach dem Sinn der Ebene des Catholicism, die sich so bei keinem anderen Autor findet. Eine Untersuchung des Catholicism bei Dulles mit den negativ formulierten Kriterien kann folgendermaßen aussehen. In der folgenden Tabelle finden sich links die negativ umformulierten Kriterien Dulles’, in der Mitte der Versuch einer Antwort mittels dieser Kriterien und rechts der Versuch einer kurzen Erläuterung dieser Antwort:

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Negativ formulierte Kriterien nach Dulles 1) keine Basis in der Schrift

Erläuterung -

2) keine Basis in der christlichen Tradition

Ja

3) keine Fähigkeit zur Klärung der corporate identity und der Mission der Mitglieder der Kirche 4) keine Fähigkeit zur Vermittlung christlicher Werte und Tugenden 5) keine Übereinstimmung mit der zeitgenössischen religiösen Erfahrung der Menschen (Universalurteil!) 6) keine Fruchtbarkeit für die Theologie

Ja

7) keine Fruchtbarkeit für die Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb ihrer Gruppe

Ja

Dieses Kriterium ist in diesem Fall nicht anwendbar. Die Heilige Schrift kennt das Adjektiv katholisch nicht, kann also auch keine Richtlinien für die Verwendung angeben. Es sind keine anderen Autoren bekannt, die die strukturellen Elemente der Weitergabe der Christusgegenwart in der Kirche als Catholicism bezeichnen. Die Bedeutungsebene des Catholicism ist nur schwer erklärbar. Es ist nicht ersichtlich, welche besondere Klärung der Mission der Kirche hier sichtbar wird oder welche Werte hier vermittelt werden können.

Ja

-

Vielleicht existiert ein Christ, der dies als zeitgenössische religiöse Erfahrung beschreibt, vielleicht auch nicht.

Ja

Die Ausführungen von Maguire und Marzheuser zeigen, dass in Dulles’ Theorie viele Probleme zu Tage treten können. Falsche Nuancen und Auslassungen von Dimensionen führen zu zum Teil katastrophalen Ergebnissen. In der deutschsprachigen Theologie versteht man unter Katholizismus gegenwärtig eine weltliche Größe. Die Bedeutungsebene des Catholicism ist nur schwer erklärbar. Es ist nicht ersichtlich, wie Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb der Gruppe dadurch gestärkt werden können.

Das bedeutet, der Sinn von Dulles’ Konzept des Catholicism muss stark in Frage gestellt werden. Zur Funktionsweise der einzelnen Kriterien: Hier zeigt sich, dass nicht jedes Kriterium immer anwendbar sein muss. - Kriterium 1: Gerade bei der Frage nach Fachtermini in der Theologie des 20. Jahrhunderts kann die Heilige Schrift keine Antwort geben, da es um eine Frage der „Etikettierung“ geht, nicht um die zugrunde liegende Realität1056. - Kriterium 2: Dulles hat in The Catholicity of the Church auf Cyrill von Jerusalem hingewiesen, der fünf Gründe annimmt1057, weshalb die Kirche katholisch ist. Das ist aber etwas anderes, als drei Bedeutungsebenen des Wortes katholisch zu unterscheiden. Sollte es jetzt gelingen, einen Autor zu finden, der vor Dulles auch von dieser dritten Bedeutung des Wortes katholisch im Sinn von Dulles’ Catholicism spricht, dann wäre dieses Kriterium nicht zur Kritik an Dulles geeignet. 1056

Das heißt, die Aufbewahrung und strukturierte Weitergabe des Christusereignisses in der Kirche hat selbstverständlich eine biblische Grundlage. Die Bezeichnung dieses Vorgangs als Catholicism (und das ist ja die Frage) aber nicht. Warum sollte man diesen Vorgang nicht in die catholicity integrieren? 1057 Vgl. DULLES, The Catholicity of the Church, 13 f.

304

- Kriterium 5: Man sieht deutlich, dass man mit der religiösen Überzeugung aller Menschen nicht fundiert argumentieren kann. Hier können nur Vermutungen ins Gespräch gebracht werden. Würde man jetzt eine überschaubare Gruppe von Christen auswählen, die man anfragen könnte, ob ihre religiösen Überzeugungen mit der Catholicism-Theorie von Dulles übereinstimmen, könnte man eine fundierte Antwort geben. - Kriterien 3,4 und 7: Die Bedeutungsebene des Catholicism ist nur schwer erklärbar. Das schränkt die Wirkung dieser Theorie natürlich deutlich ein. Es ist deshalb wesentlich einfacher, davon auszugehen, dass Catholicism nach Dulles keine Fruchtbarkeit für die Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb ihrer Gruppe ermöglicht, als umgekehrt, diese Fruchtbarkeit nachzuweisen. Außerdem wäre hier anzufragen, ob so ein Nachweis nicht die Grenzen der Theologie sprengt, denn nur eine interdisziplinäre Forschung von Theologie und Sozialwissenschaften könnte wirklich so einen Nachweis führen. b) Dulles’ Konzept der symbolischen Vermittlung: „revelation never occurs in a purely interior experience or an unmediated encounter with God. It is always mediated through symbol – that is to say, through an externally perceived sign that works mysteriously on the human consciousness so as to suggest more than it can clearly describe or define.”1058 Eine Untersuchung des symbolischen Vermittlung kann folgendermaßen aussehen: Negativ formulierte Kriterien nach Dulles 1) keine Basis in der Schrift 2) keine Basis in der christlichen Tradition 3) keine Fähigkeit zur Klärung der corporate identity und der Mission der Mitglieder der Kirche 4) keine Fähigkeit zur Vermittlung christlicher Werte und Tugenden 5) keine Übereinstimmung mit der zeitgenössischen religiösen Erfahrung der Menschen (Universalurteil!)

Erläuterung Nein Nein Nein

Nein Ja

6) keine Fruchtbarkeit für die Theologie

Nein

7) keine Fruchtbarkeit für die Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb ihrer Gruppe

Ja / Nein

1058 1059

Es lassen sich in der Heiligen Schrift und in der Tradition der Kirche Zeugnisse für die Vermittlung der Gegenwart Gottes finden. Die ecclesial-transformative theology baut gerade auf diesen Ideen auf.

Die religiösen Erfahrungen von Buddhisten basieren nicht auf einem Glauben an Gott, folglich stimmen sie auch nicht mit der Idee einer symbolischen Vermittlung überein1059. In der Philosophie, in der Theologie, in Mythologien gibt es eine Unzahl von Auseinandersetzungen mit dem Symbol. Siehe unten.

DULLES, Models of Revelation, 131. KEOWN, Damien, Buddhism: A Very Short Introduction. Oxford 2000, 4: „If belief in God […] is the essence of religion, then Buddhism cannot be a religion”.

305

Hier zeigt sich erneut die Problematik des Kriteriums 5 als Universalurteil. Denn die zeitgenössische religiöse Erfahrung der Menschen ist ein so weites Feld, dass eigentlich alles darunter fällt. Das geht so weit, dass aufgrund des Kriteriums 5 eine Theorie, die im conceptual framework der katholischen Kirche bewertet werden soll, aufgrund buddhistischer Überzeugungen abgelehnt werden kann. Außerdem kann nicht immer jedes Kriterium eindeutig mit ja oder nein beantwortet werden. Die Frage nach Fruchtbarkeit für die Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb ihrer Gruppe (Kriterium 7) ist in diesem Zusammenhang nicht konkret genug, um beantwortet zu werden. Denn einerseits konstituiert die symbolische Vermittlung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation das conceptual framework. Durch die Sozialisierungsprozesse und die Integration der Symbole in die Existenz eines Menschen wird die Stabilität einer Gruppe erklärt und eine Abgrenzung nach außen hin vorgenommen. Wer nämlich nicht Teil der Gruppe ist, nimmt auch nicht an den Sozialisierungsprozessen teil. Andererseits ist die Öffnung des conceptual frameworks ein systemimmanentes Anliegen Dulles’, wie seine Bemühungen auf dem Gebiet der Apologetik zeigen. Die Fruchtbarkeit für die Beziehungen der Kirchenmitglieder zu Menschen außerhalb ihrer Gruppe zeigt sich somit eher in der rationalen Darlegung und Ausfaltung des Glaubens. 1.5 Ergebnis Versucht man demnach die Kriterien Dulles’ theologisch zu begründen, dann kann man mit der Scheffczykschen Kategorie der Geschichtlichkeit arbeiten. Denn Geschichtlichkeit ist eine Grundgröße menschlicher und somit auch kirchlicher Existenz. Die einzelnen Kriterien müssen dabei in den Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug der Kirche eingeordnet werden. Die Gesamtheit der Kriterien kann damit aber nicht erklärt werden, denn schließlich können immer neue Kriterien gefunden werden, die sich in die Geschichtlichkeit der Kirche einordnen lassen. Diese Offenheit des Kriterienkatalogs hat den Vorteil, dass er flexibel gegenüber neuen Theorien bleibt, die mit den bisher bekannten Kriterien nicht bewertet werden können. Der Nachteil dieses Vorgehens besteht darin, dass die Scheffczyksche polare Spannung zwischen Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit hier nicht deutlich herausgestellt ist und nicht verhindert werden kann, dass Kriterien angelegt werden, die nicht dem conceptual framework der Kirche entstammen oder nicht dazu passen. Deshalb muss jedes neue Kriterium daraufhin geprüft werden, ob es entweder den Vergangenheits-, oder den Gegenwarts- oder den Zukunftsbezug der Kirche überbetont. Bei der Funktionsweise der Kriterien zeigte sich, dass es sehr schwer ist, anzugeben, wann ein Kriterium erfüllt ist, beziehungsweise, wer dies überhaupt entscheidet. Diese Schwierigkeit wurde dadurch noch verschärft, dass Dulles

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von verschiedenen Graden der Erfüllung eines Kriteriums (geringe Basis in der Heiligen Schrift) auszugehen scheint. Um die Kriterien handlicher zu machen, können sie deshalb negativ formuliert werden. Diese Umformulierung führt dazu, dass man nur ein einzelnes Element finden muss, um die Kritik durch ein negativ formuliertes Kriterium zurückweisen zu können. Der Erkenntnisgewinn eines Kriteriums besteht in einer ja- oder nein-Antwort und hängt von der Qualität eines Kriteriums ab. So hat sich gezeigt, dass es sinnlos ist, Universalurteile als Kriterien zu benutzen. Denn bei Universalurteilen kann eigentlich nur mit Vermutungen gearbeitet werden. So überzeugend Universalurteile auch klingen mögen (zum Beispiel: alle Menschen wollen Gott erkennen), sie bleiben immer nur falsifizierbar. Niemand kann nämlich ausschließen, einen einzelnen Menschen irgendwo zu finden, der einem Universalurteil widerspricht. Die einzelnen Kriterien müssen deshalb möglichst konkret und überprüfbar sein. Der Wert eines Kriteriums zur Bewertung einer Theorie oder eines Modells hängt dabei auch von der zu bewertenden Theorie selbst ab. Das gilt sogar für das Kriterium, das nach der Basis einer Theorie in der Heiligen Schrift fragt. Dieses Kriterium kann zur Überprüfung des Sinns von theologischen Fachtermini im 20. Jahrhundert nur dann eine Rolle spielen, wenn die zugrunde liegende Realität untersucht wird.

2. Leo Scheffczyk: Die ausgebliebene Rezeption In der Auseinandersetzung mit der Theologie Scheffczyks fällt auf, dass es kaum kritische Untersuchungen seiner Theologie gibt. Es scheint, dass Scheffczyks Theologie entweder von einigen Autoren vollständig geteilt wird, oder von der Mehrzahl der Theologen nicht beachtet wird. Der geringe Umfang an kritischer Sekundärliteratur zu Scheffczyks Theologie ist aus mehreren Gründen verwunderlich: a) Scheffczyk war zunächst in Tübingen, später in München Professor für Dogmatik und hat zu fast allen Themengebieten der Katholischen Dogmatik Veröffentlichungen vorgelegt. b) Scheffczyk hat in seinen Schriften andere Autoren wie Rudolf Bultmann und Jürgen Moltmann auf evangelischer Seite und Karl Rahner, Edward Schillebeeckx und Hans Küng auf katholischer Seite immer wieder heftig kritisiert. Erwiderungen auf Scheffczyks Beanstandungen oder umgekehrt Kritiken an seinen theologischen Ausführungen sind mir aber nicht bekannt. Diese ausgebliebene kritische Rezeption kann prinzipiell viele Ursachen haben. Man könnte einerseits fragen, ob Scheffczyks Ausführungen für die gegenwärtige theologische Forschung vielleicht uninteressant sind. Aber selbst wenn man dies so sieht, erscheint es doch überraschend, dass auch diese Kritik von keinem Autor vorgebracht wird. Man könnte andererseits fragen, ob 307

Scheffczyks Ausführungen unhinterfragbar sind und keine Kritik ermöglichen. Die Ausführungen in Kapitel III. und IV. der vorliegenden Arbeit zeigen aber das Gegenteil: Man kann beispielsweise anfragen, ob Scheffczyks Strukturierung der Katholischen Glaubenswelt wirklich eine phänomenologische Wesensschau darstellt und ob Scheffczyk wirklich das Wesen der Kirche treffend beschreibt. Kritik ist hier jederzeit möglich und erscheint auch berechtigt. 2.1 Ursachen für die ausgebliebene Rezeption Die erkenntnistheoretische Voraussetzung In der Darstellung von Scheffczyks Methodologie und seinen Ausführungen zur Katholizität der Kirche wurde deutlich, dass seine fundamentale Voraussetzung der erkenntnistheoretische Realismus ist. Gotteserkenntnis und bleibende Wahrheit ist bei Scheffczyk real und objektiv verfügbar. Von dieser Basis aus kritisiert Scheffczyk so unterschiedliche Theologen wie Rahner, Moltmann und Bultmann mittels des Arguments, dass die Relevanz eines Glaubensgeheimnisses für den Glaubenden (das pro me) von der realen Gegebenheit des Glaubensgeheimnisses (dem in se) abhängt. Geht man aber davon aus, dass das in se eines Glaubensgeheimnisses immer nur einem Subjekt gegeben ist, dass es also immer nur im pro me auffindbar ist, dann verliert das Argument Scheffczyks seine Schlüssigkeit1060. Es ist beispielsweise für Dulles eine Eigenart der patristischen und mittelalterlichen präkritischen Theologie, davon auszugehen, dass die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche objektiv die Offenbarung enthält, so dass alle Theorien daran gemessen werden konnten1061. Der Akt der Annahme

1060

Vgl. hierzu KAUFMANN, Franz-Xaver, Zukunftsfähigkeit der Theologie. Abschließende Bemerkungen. In: GABRIEL, Karl / HORSTMANN, Johannes / METTE, Norbert (Hrsg.), Zukunftsfähigkeit der Theologie. Anstöße aus der Soziologie Franz-Xaver-Kaufmanns. Paderborn 1999, 163: „Während die ältere Philosophie von realistischen, d.h. im Grundsatz eindeutigen Erkenntnismöglichkeiten der Wirklichkeit ausging, ist unsere gegenwärtige kognitive Situation durch das Bewußtsein einer Multiperspektivität möglicher Erkenntnis und daraus folgender Uneindeutigkeit aller unserer Wirklichkeitsvorstellungen geprägt“. 1061 Vgl. DULLES, The Craft of Theology, 4: „In the patristic and medieval periods Greek philosophy, including Aristotelian logic, was used to refute heresy, reconcile the authorities, and establish particular doctrines as consonant with revelation. Everything was measured against divine revelation as enshrined in the canonical Scriptures and in the definitions of popes and councils. But criticism was not leveled at the canonical sources themselves. A privileged position was given to authoritative statements of the word of God. In this qualified sense the theology of the early centuries may be called precritical”.

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des Glaubens von Seiten des Glaubenden darf in einer zeitgenössischen Theologie aber nicht unberücksichtigt bleiben1062. Weitere Ursachen Als weitere Ursache für die ausgebliebene kritische Rezeption von Scheffczyks Theologie kann auf die Sprache Scheffczyks verwiesen werden. Wenn es richtig ist, dass in der gegenwärtigen Theologie das Wort übernatürlich nur selten benutzt wird1063, dann stellen die Ausführungen Scheffczyks eine Ausnahme dar1064. Dazu kommt der von Scheffczyk selbst so beschriebene eristische Zug seiner Ausführungen: „Deshalb wird diesen Ausführungen gelegentlich auch ein eristischer Zug eignen, der am Ende auch den innerkirchlichen Disput aufnimmt. Dies soll aber nicht nach Art der alten Apologetik geschehen, sondern in der Weise der Rechenschaftsablage über einen verantworteten Glauben gemäß dem Wort: «Seid allezeit zur Verantwortung bereit einem jeden gegenüber, der von euch Rechenschaft über eure Hoffnung fordert» (1Petr 3,15)“1065.

Damit versteht sich Scheffczyk selbst als einen streitbaren Theologen, der Fragen und Ausführungen anderer Autoren bewusst mit seiner Theologie zu konfrontieren sucht. Dass es dabei auch zu einer Abgrenzung von anderen Theologen kommen muss, versteht sich von selbst. Zu dieser theologischen Eristik kommt sein Umgang mit der Philosophie. So will Scheffczyk in dem Buch Katholische Glaubenswelt nur mittels eines knappen Verweises in einer Fußnote klären, was er unter dem komplexen Begriff phänomenologisch versteht1066. Dabei hat sich vor allem auch gezeigt, dass Scheffczyks Ausführungen nicht unbedingt immer auf die zugrunde liegende Realität bezogen sind, sondern auf eine, wenn man so will, idealisierte Vorstellung davon, die so wohl von nicht allen Kollegen Scheffczyks geteilt werden konnte. So kann die Philosophie in Die Theologie und die Wissenschaften nur als „Geistoder Seinsphilosophie oder als anthropologische Philosophie“1067 verstanden werden, die Forschungsergebnisse der Tatsachenwissenschaften auf Sinn, Wesen und Relevanz für die Wahrheit überprüft und so für die Theologie 1062

Vgl. hierzu die Beschreibung der postcritical theology von DULLES, The Craft of Theology, 7 f.: „For the postcritical theologian the affirmations of faith cannot be rightly probed except from within the horizon of faith […] To the believer, however, the formulations of faith are binding and meaningful insofar as they express aspects of a total vision or idea that can never be fully objectified. The contents of faith are known not by merely detached observation but by indwelling or participation”. 1063 Vgl. FIGURA, Übernatürlich, LThK3 337 f. 1064 Vgl. Kapitel III.2.1 und Kapitel IV.3 der vorliegenden Arbeit. 1065 SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 8f. 1066 Vgl. Kapitel IV.1.3 der vorliegenden Arbeit. 1067 SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 268.

309

aufbereitet und darüber hinaus Zustimmung zu ihren Erkenntnissen rational erzwingen kann1068. Welche Philosophie kann all diesen Anforderungen aber wirklich gerecht werden? Scheffczyk selbst gibt dazu keine Antwort. Eine ähnlich idealisierte Vorstellung zeigt sich auch in Scheffczyks Katholischer Glaubenswelt, denn die Wesensschau der katholischen Kirche kommt bei Scheffczyk beispielsweise ohne Berücksichtigung der Ökumene oder der hierarchischen Struktur der Kirche aus. Gerade diese Beispiele verdeutlichen, dass Scheffczyk nicht unbedingt an einer „zeitgeschichtlich orientierte[n] Situationsanalyse“1069 interessiert ist, sondern zum Beispiel in Die Theologie und die Wissenschaften eine rationale Darlegung der Theologie als Glaubenswissenschaft vorlegen will1070. Das heißt dann übertragen auf a) die Katholische Glaubenswelt, dass es Scheffczyk nicht um eine Analyse der Kirche mit all ihren zeitgeschichtlichen Problemen und Aufgaben geht, sondern um die rationale Darlegung der Kirche, die katholisch ist. Das widerspricht natürlich zunächst einmal der Idee einer phänomenologischen Wesensschau, aber eine solche Wesensschau legt Scheffczyk ohnehin nicht wirklich vor. Der Ausdruck phänomenologische Wesensschau erscheint deshalb eher als ein Zugang zur Erklärung der katholischen Kirche1071. Übertragen auf b) das Buch Dogma der Kirche bedeutet das, dass Scheffczyk nicht die heutige Problemsituation des Verstehensprozesses des kirchlichen Dogmas untersucht, sondern eine rationale Darlegung des Dogmas der Kirche bietet, insofern hier das Gotteswort greifbar wird. Denn obwohl sich Scheffczyk intensiv mit der Hermeneutik auseinandersetzt, geht er so gut wie nie auf zeitspezifische Probleme im Prozess des Verstehens ein. Von Interesse erscheint Scheffczyk vor allem die ausgeglichene Polarität von Geschichtlichkeit und bleibender Wahrheit. Fasst man diese Beobachtungen zusammen und überträgt sie auf die Theologie Scheffczyks, dann folgt, dass die Absicht von Scheffczyks Theologie die „Rechenschaftsablage über einen verantworteten Glauben“1072 ist. Und obwohl Scheffczyk die alte Apologetik explizit zurückweist, gerät er damit deutlich in die Nähe von Dulles’ neuer Apologetik.

1068

Vgl. III.3.2 der vorliegenden Arbeit. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 9. 1070 Vgl. ebd.: „Die nachstehenden Überlegungen sind vielmehr von der Frage angetrieben, wie die Theologie, die im Glauben gründet, sich grundsätzlich zugleich als Wissenschaft verstehen und wie sie diesen ihren Anspruch gegenüber den anderen Wissenschaften ausweisen kann“. 1071 Vgl. Kapitel IV.3 der vorliegenden Arbeit. 1072 SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 9. 1069

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2.2 Dulles’ neue Apologetik und Scheffczyks Theologie Wenn Scheffczyks Theologie in Beziehung zu den Ausführungen Dulles’ zur neuen Apologetik gesetzt werden kann, dann würde das die Schwierigkeit der Rezeption von Scheffczyks Theologie erklären. Denn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nimmt das Interesse an der Apologetik rapide ab1073. Es stellt sich allerdings die Frage, wie diese Untersuchung möglich sein soll. Man könnte hier zunächst versuchen, Scheffczyks Argumentationen als apologetisch auszuweisen. Dieses Vorgehen müsste aber von vornherein scheitern, da nicht wirklich klar ist, was unter dem Begriff apologetisch zu verstehen wäre: die alte Apologetik, die Scheffczyk explizit ablehnt oder die neue Apologetik Dulles’, die Scheffczyk wohl gar nicht gekannt hat1074. Deshalb erscheint es Erfolg versprechender, anders herum anzufangen und zu versuchen, Grundzüge von Dulles’ neuer Apologetik einigen Grundzügen der Theologie Scheffczyks gegenüberzustellen. Es geht hier nicht darum, Scheffczyk posthum zu einem apologetischen Autor zu erklären. Vielmehr geht es darum, aufgrund einer Ähnlichkeit der Grundstrukturen von Dulles’ neuer Apologetik und Scheffczyks Theologie die ausgebliebene Rezeption der letzteren zu erklären. Ein Versuch, Gemeinsamkeiten zu finden Für Dulles ist Apologetik die rationale Begründung des Glaubens, sie besteht im Auffinden und der systematischen Darlegung des Wortes Gottes1075. Genau das sind aber für Scheffczyk die Aufgaben der Theologie, denn die systematischen Fächer der Theologie müssen den Glauben verständlich auslegen. Diese Arbeit wird von Scheffczyk als wissenschaftlich charakterisiert und ist somit rational1076. Damit zeigt sich: - Sowohl Dulles als auch Scheffczyk geht es um die Auslegung des christlichen Glaubens. Die Apologetik Dulles’ soll den Glauben für ungläubige Menschen darlegen und somit das conceptual framework der Kirche verständlich machen. Die Systematik bei Scheffczyk soll den Glauben rational darlegen und wird damit zum Bezugspunkt für die unterschiedlichen theologischen Disziplinen. Dabei wird die Theologie als Wissenschaft auch öffentlichkeitswirksam, denn nach Scheffczyk haben Wissenschaften immer einen Einfluss auf die Gesellschaft1077. Der Glaube und die wissenschaftlich rationale Auslegung des Glaubens haben also immer auch einen Bezug zur Welt. Eine rein apologetische Verteidigungshaltung der Welt gegenüber einzunehmen, ist nach Scheffczyk

1073

Vgl. Kapitel I.4.2 der vorliegenden Arbeit. Der Artikel The Rebirth of Apologetics wurde im Mai des Jahres 2004 veröffentlicht. 1075 Vgl. Kapitel I.4.1 der vorliegenden Arbeit. 1076 Vgl. Kapitel III.4.2 der vorliegenden Arbeit. 1077 Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 9.

1074

311

falsch1078, aber damit ist schließlich auch nicht die Intention von Dulles’ neuer Apologetik getroffen. - Während in Dulles’ Apologetik der Glaube für die Menschen außerhalb der Kirche ausgelegt wird, ist die theologische Darlegung des Glaubens nach Scheffczyk für Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche von Belang. Die Auslegung des christlichen Glaubens kann in Dulles’ Apologetik die verschiedensten Formen annehmen. Die einzige wirkliche Einschränkung, die Dulles für das Vorgehen der Apologetik macht, lautet, dass die Mysterien des Glaubens nicht bewiesen werden sollen, was ohnehin nicht möglich sei. Für Scheffczyk hängt die Auslegung des christlichen Glaubens entscheidend mit der Frage nach Wahrheit zusammen: Es geht um die bleibende Wahrheit des Gotteswortes, das im geschichtlichen Wandel auffindbar ist. - Bei Dulles und Scheffczyk nimmt das Wort Gottes eine herausragende Stellung ein. Für Dulles ist das Wort Gottes die Bedingung des Glaubens. Glaubensgewissheit kann niemals durch reine Logik gewonnen werden, sondern nur aufgrund des Wortes Gottes. Bei der Erklärung der Vermittlung der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation erhält in der Apologetik vor allem das Wort Gottes Bedeutung. Gottes Wort zum Verstehen zu bringen und Gründe dafür angeben, warum hier wirklich Gott zu hören ist, ist die Hauptaufgabe der Apologetik und, so Dulles, ein Desiderat in der gegenwärtigen Theologie1079. In Scheffczyks Hermeneutik findet sich aber ebenfalls keine Begründung, die erklären könnte, warum Gotteswort in der Heiligen Schrift oder im Dogma der Kirche greifbar ist. Viel eher ist Scheffczyk daran interessiert festzustellen, dass das Gotteswort sakramental im Menschenwort greifbar wird. Auch Scheffczyks hermeneutisches Kriterium (Strukturgleichheit) zeigt, dass er daran interessiert ist, dass das Gotteswort möglichst treu ausgelegt und weitergegeben wird, aber nicht daran, Gründe anzugeben, warum Gotteswort wirklich Gotteswort ist. Diese Frage hat in der Theologie Scheffczyks keine Relevanz. Es ist für Scheffczyk fraglos evident, dass Menschen dem Wort Gottes in der Heiligen Schrift real begegnen können1080. - Den Ausführungen von Dulles und Scheffczyk liegt damit ein Realismus zugrunde: Die Mysterien können real eingesehen werden, das Wort Gottes kann real gehört beziehungsweise aufgefunden werden. Das einzige Problem im Verständnis der Symbole der göttlichen Selbstkommunikation liegt für Dulles im conceptual framework der Menschen außerhalb der Kirche. Kritische Philosophie führt nur zu Zweifel, der kein Zusammenleben und keinen Glauben ermöglicht, Unverständnis für das conceptual framework der Kirche führt dazu, dass Gottes Heilsgegenwart in der Welt nicht mehr erfahren wird. Auch bei Scheffczyk liegt das Problem im Verstehensprozess des Gotteswortes auf der 1078

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 10. Vgl. Kapitel I.4.1 der vorliegenden Arbeit. 1080 Vgl. Kapitel III.2 der vorliegenden Arbeit. 1079

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Seite des Menschen. Der Akt der Erkenntnis Gottes kann beispielsweise bestritten werden, aber die erkannte Wahrheit kann nicht revidiert werden, sie ist real1081. Die Stärke dieses Realismus ist es, dass eine sehr korrekte Theologie auf dieser Grundlage ausgearbeitet werden kann. Die Schwäche des Realismus ist, dass der Zweifel der Menschen eigentlich nicht berücksichtigt werden kann. Zweifel an Gott, oder die Erfahrung des Schweigens Gottes, sind deshalb in einer realistischen Theologie nur schwer verständlich. - Besonders auffällig ist das Interesse von Dulles und Scheffczyk an einer personalistischen Anthropologie als Antwort auf die Frage, wie Gott mit dem Menschen in Kontakt kommt. Dulles greift dabei auf Ausführungen von Papst Johannes Paul II. zurück und erklärt, dass jeder einzelne Mensch nur im Zusammenhang mit allen seinen sozialen, aktiven und transzendenten Bezügen verstanden werden kann. Wenn diese Lebensbereiche des Menschen nicht alle berücksichtigt werden, kommt es zu einer massiven Beschneidung der Freiheit und der Würde des Menschen. Der Gottesbezug des Menschen muss also deshalb beachtet werden, weil ohne die transzendente Dimension des Menschen der Mensch selbst nicht verstanden werden kann. Bei Scheffczyk konstituiert der Gottesbezug den Menschen. Vom Menschen zu sprechen und dabei gleichzeitig davon auszugehen, dass dies ohne Bezug auf Gott geschehen könnte, ist für Scheffczyk eigentlich nicht vorstellbar. Gottes Anrede begründet die Existenz des Menschen, seine Beziehung zu Gott und die geschichtliche Selbstverwirklichung des Menschen, als responsoriales Sein Gottes Ruf zu beantworten. Das bedeutet, der Personalismus dient bei Dulles dazu, den Menschen in seiner Ganzheit zu verstehen, bei Scheffczyk dient der Personalismus dazu, die Schöpfung des Menschen zu verstehen. - Bei Dulles spielt die Neuevangelisierung eine wichtige Rolle. Die Apologetik soll sich am Paradigma des persönlichen Zeugnisses orientieren und von dieser Grundlage aus den christlichen Glauben verständlich darlegen. Wie dies geschehen kann, klärt Dulles allerdings nicht1082. Während für Dulles die Apologetik als theologische Disziplin mit der Evangelisierung zusammenhängt, ist für Scheffczyk die Verkündigung von der Theologie unterschieden1083. 1081

Vgl. Kapitel III.1.1 der vorliegenden Arbeit. Vgl. hierzu auch SCHEFFCZYK, Das Dogma im Leben des Glaubens. In: Theologisches 29 (März 1999), 141: „Zwar schafft der dogmatische Satz als solcher oder die Formel allein nicht schon die Begegnung mit dem lebendigen Gott als Wahrheit und Leben. Der inhaltlich bestimmte Aussageglaube jedoch stellt das unentbehrliche Medium dar, vermittels dessen es zur Begegnung mit dem einzig wahren Gott der Offenbarung kommt“. 1082 Im Gegensatz dazu hat sich beispielsweise René Latourelle ausführlich mit diesem Thema beschäftigt. Vgl. LATOURELLE, René, Teologia della rivelazione. Assisi 1986, 372 ff.; DERS., L’uomo e i suoi problemi alla luce di Cristo. Assisi 1995, 367 ff. 1083 Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 78: „Der dogmatisch-wissenschaftliche Dienst an der Verkündigung ist nicht schon die Verkündigung selbst, auch nicht in einer

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Wissenschaft kann einerseits den existentiellen Glaubensvollzug nicht sichern, denn Wissenschaft ist ein rationales Unternehmen. Andererseits zeigt sich, dass Theologie als Wissenschaft nur dann wirklich betrieben werden kann, wenn sie aus einem lebendigen Glaubensvollzug heraus betrieben wird. Ebenso kann das Dogma allein nicht den lebendigen Glaubensvollzug sicherstellen, aber das kirchliche Dogma ist das Medium, das das in der Offenbarung ergangene Gotteswort zugänglich macht. Die Dogmatik muss deshalb die inneren Glaubensbezüge so durchdringen, dass sie von der Pastoraltheologie aufgearbeitet werden können und den Menschen verkündet werden können. Die Dogmatik gibt dabei die Richtlinien vor, an die sich die pastoraltheologische Aufarbeitung und die nachfolgende Verkündigung zu halten haben. Dabei muss die Dogmatik für Scheffczyk die bleibende Wahrheit erklären. Anderenfalls macht die Dogmatik die Kirche überflüssig, gefährdet die Arbeit der Verkündigung und kreist nur noch um eigene Erfahrungen, statt den Offenbarungsglauben denkerisch zu durchdringen. Damit wird die Dogmatik oder die Theologie dann aber zu einer Philosophie, die aber mit dem Anspruch auftreten würde, den Glauben der Menschen zu erklären. Mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten? An all diesen Punkten zeigt sich, dass Scheffczyks Theologie nicht mit der Apologetik Dulles’ verglichen werden kann. Die einzelnen Schwerpunktsetzungen sind zu unterschiedlich. Aber Scheffczyks Theologie und Dulles’ Apologetik haben viele gemeinsame Grundüberzeugungen. So zum Beispiel die reale Zugänglichkeit der Mysterien des Glaubens, die Bedeutung einer personalistischen Anthropologie, die Notwendigkeit der Erläuterung des Glaubens der Kirche und die grundsätzliche Frage, wie Gott dem Menschen begegnet und nicht umgekehrt, wie der Mensch Gott erfahren kann. Während aber Dulles’ postkritische Theologie auf der Grundlage philosophischer Überlegungen von Michael Polanyi (20. Jahrhundert) die Bipolarität von Subjekt und Objekt zu überwinden versucht1084, reflektiert Scheffczyk seinen erkenntnistheoretischen Realismus nicht weiter. Gotteserkenntnis ist bei Scheffczyk genauso real verfügbar wie für die Theologie der Scholastik. Damit müsste man Scheffczyks Theologie in der Terminologie von Dulles als präkritisch kennzeichnen1085. Ganz ähnlich gilt dies auch für die anderen angesprochenen gemeinsamen Grundüberzeugungen von Dulles und Scheffczyk. Während Dulles die personalistische Anthropologie zur korrekten noch unentfalteten Vorform. Der Wesensunterschied zwischen Wissenschaft und Verkündigung kann nicht überdeckt werden“. 1084 Vgl. MAI, Helmut, Michael Polanyis Fundamentalphilosophie. Studien zu den Bedingungen des modernen Bewusstseins. München 2009, 94 ff. 1085 Vgl. Kapitel I.1 der vorliegenden Arbeit.

314

Beschreibung der Menschen einsetzt und insofern phänomenologisch vorgeht, benutzt Scheffczyk den Personalismus als reales schöpfungstheologisches Paradigma für den Menschen. Während Dulles die Darlegung des Glaubens für eine Notwendigkeit der Verkündigungsarbeit der Kirche hält, geht Scheffczyk wesentlich weiter und sieht die rationale Durchdringung des Glaubens als die Aufgabe der systematischen Theologie. Für eine komparative Theologie, die nach den Stärken anderer Ansätze sucht, ist deshalb in Scheffczyks Ausführungen wenig Platz. Fasst man dies alles zusammen, dann folgt, dass Scheffczyk an vielen Fragestellungen nicht interressiert ist, die in der gegenwärtigen Theologie eine wichtige Rolle spielen. Damit verliert er auf die Kommunikationsfähigkeit mit Autoren, die seine Voraussetzungen nicht teilen. Das beantwortet zwar die Frage, warum sich nur wenige Autoren mit Scheffczyk beschäftigt haben, aber nicht die Frage, warum es keine kritischen Auseinandersetzungen mit seiner Theologie gibt. 2.3 Eigenarten der Theologie Scheffczyks Es ist bezeichnend, dass man verschiedene Eigenarten in Scheffczyks Theologie finden kann. Einige Beispiele, die das verdeutlichen: a) Dulles hatte die Methode der klassischen Apologetik in The Rebirth of Apologetics erklärt als philosophisches und geschichtswissenschaftliches Vorgehen. Philosophisch sollte Gottes Existenz und die Möglichkeit der Offenbarung bewiesen werden, geschichtswissenschaftlich sollte erklärt werden, dass, warum und wie der Höhepunkt der biblischen Heilsgeschichte Jesus Christus ist1086. Ein Vergleich dieser Ausführungen Dulles’ mit Scheffczyks Begründung der Theologie in Die Theologie und die Wissenschaften zeigt: Dulles’ classical approach der Apologetik • Beweis der Existenz Gottes (philosophisch)



Beweis der Möglichkeit der Offenbarung (philosophisch)

Scheffczyks Grundlegung der Theologie Aufweis der Existenz Gottes (natürliche Theologie): „Gott ist Inhalt und Gegenstand einer natürlichen Erkenntnis der Vernunft oder der Erfahrung, welche Momente ja beim Menschen nicht total voneinander zu trennen sind“1087. Natürliches und Übernatürliches sind nicht voneinander zu trennen, fallen aber auch nicht in eines. Deshalb gilt: Der Aufweis der Existenz Gottes in der so genannten natürlichen Theologie ist „der der Offenbarungstheologie immanente Ausgangspunkt […], der von der Offenbarungstheologie nicht nur vorausgesetzt wird, sondern von ihr mitgesetzt ist“1088.

1086

Vgl. Kapitel I.4.3 der vorliegenden Arbeit. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 230. 1088 SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 232.

1087

315



Rechtfertigung der biblischen Heilsgeschichte und ihres Höhepunktes in Jesus Christus (geschichtswissenschaftlich)

Der personhafte Glaube bezieht die Person des Menschen in den neutrischen Glauben mit ein1089. In der Person des Menschen wird die Gottesbeziehung des Menschen deutlich. In Jesus Christus ist diese Beziehung zur hypostatischen Union gesteigert.

Das bedeutet: Spuren der Dulles’schen klassischen Apologetik können im Werk von Scheffczyk nachgewiesen werden. Allerdings zeigen sich auch hier einige unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Der Beweis der Existenz Gottes, Scheffczyk spricht von einem Aufweis, geschieht in Die Theologie und die Wissenschaften nicht als philosophische Überlegung, sondern fußt auf der so genannten natürlichen Theologie. Die Möglichkeit der Offenbarung wird von Scheffczyk in diesem Zusammenhang gar nicht bewiesen, es wird einfach darauf hingewiesen, dass eine Trennung von Natur und Gnade nicht möglich sei und zu einem Extrinsezismus führen müsste. Der Höhepunkt der Heilsgeschichte in Jesus Christus wird nicht geschichtswissenschaftlich beschrieben, sondern nur über den Personalismus. Die von Dulles beschriebenen Hilfswissenschaften der klassischen Apologetik werden damit von Scheffczyks Theologie allesamt nicht berücksichtigt. Aber die Frage der von Dulles dargestellten klassischen Apologetik werden interessanter Weise in Scheffczyks Theologie beantwortet. Eine Eigenart von Scheffczyks Theologie kann also folgendermaßen umschrieben werden: Es werden Fragen der Theologiegeschichte mit Hilfe von theologischen Überlegungen beantwortet, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts an Einfluss gewonnen haben, wie beispielsweise der Personalismus1090. Weil die Fragen der klassischen Apologetik in der theologischen Diskussion der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts aber deutlich an Bedeutung verloren hatten, versuchte Scheffczyk selbst, die Relevanz seiner Gedanken gegenüber den Anfragen des Kritischen Rationalismus herauszustellen1091, war damit aber in der theologischen Debatte seiner Zeit offensichtlich nicht erfolgreich. b) Scheffczyks Ekklesiologie kann als sakramentale Ekklesiologie verstanden werden1092. Das wird nicht zuletzt auch an der sakramentalen Strukturierung der katholischen Glaubenswelt deutlich1093. Dementsprechend müsste es möglich 1089

Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 239. Vgl. SCHEFFCZYK, Erfahrung der Theologie in der Zeit, 5. 1091 Vgl. SCHEFFCZYK, Die Theologie und die Wissenschaften, 114ff; 185f; 197f. 1092 Vgl. LINNER, Die Kirche als Sakrament, 172ff. Vgl. hierzu auch SCHEFFCZYK, Die Kirche – das Ganzsakrament Jesu Christi. In: LUTHE, Hubert (Hrsg.), Christusbegegnung in den Sakramenten. Kevelaer 1994, 84: „So ist sie [die Kirche] tatsächlich erst das wirklich universale Organ und Zeichen der göttlichen Gnade und des gottmenschlichen Lebens Christi. Sie erst ist das Sakrament der ganzen Menschheit […], weil in ihr die sakramentale Gegenwart des Gottmenschen prinzipiell auf die ganze Menschheit ausgedehnt erscheint. Sie ist die umfassendste Vergegenwärtigung des in der Welt weiterwirkenden Lebens Christi“. 1093 Vgl. Kapitel IV.2.1.3 der vorliegenden Arbeit. 1090

316

sein, Scheffczyks Ausführungen in das Modell 3 (Kirche als Sakrament) von Dulles’ Models of the Church einzuordnen. Dulles hatte das dritte Modell folgendermaßen erklärt1094: Bonds of Unitiy ○ alle sozialen und sichtbaren Zeichen der Gnade Christi, die in glaubenden Christen wirken

Beneficiaries of the Church ○ Menschen, die durch ihren Kontakt mit der glaubenden und liebenden Kirche ihren Glauben besser artikulieren und leben können

Chief Assets

Major Liabilities

○ bietet die Möglichkeit, das erste Modell (Kirche als Institution) mit dem zweiten (Kirche als mystische communio) zu versöhnen ○ erklärt das Wirken der göttlichen Gnade außerhalb der sichtbaren Kirche ○ ermöglicht es, die Ekklesiologie in andere theologische Traktate zu integrieren ○ fördert Loyalität zur Kirche und ihrer Lehre. Gleichzeitig bleibt Raum für aufrichtige Kritik

○ geringe Tradition in der Heiligen Schrift und der frühen Tradition der Kirche ○ Sakramentalismus lässt nicht genug Platz für diakonia als Aufgabe der Kirche (Mc Brien). Dulles zitiert dieses Argument ohne eigene Stellungnahme ○ schwierig zugänglich für Predigten ○ kaum rezipiert in der protestantischen Theologie

Hier zeigen sich einerseits viele Übereinstimmungen mit Scheffczyks Theologie: Die Loyalität zu Kirche und zum Dogma spielt für Scheffczyk eine herausragende Rolle. Ebenso kann die Integration der Ekklesiologie in andere theologische Traktate als eine Eigentümlichkeit von Scheffczyks Ekklesiologie genannt werden, obwohl Scheffczyk eigentlich eher Traktate wie die Christologie oder die Mariologie in die Ekklesiologie integriert. Andererseits kann Scheffczyks Ekklesiologie nicht nur als ein Element des Modells Kirche als Sakrament verstanden werden. Scheffczyk versteht die Kirche eben auch als Leib Christi1095, Gemeinschaft des Heiligen Geistes1096 oder als communio1097 und integriert auf diese Weise verschiedene Bilder der Kirche in seine Sichtweise von der Kirche als Universalsakrament oder Ganzsakrament. Diese Fähigkeit einer sakramentalen Ekklesiologie zur Integration anderer Modelle beschreibt auch Dulles. Dulles erwähnt aber nur die Modelle Kirche als Institution und Kirche als mystische communio. Auffällig ist hierbei, dass Scheffczyks Ekklesiologie Facetten der Kirche zeigt, die in Dulles’ Modellkatalog überhaupt nicht berücksichtigt sind, zum Beispiel: Kirche als Volk Gottes und Leib Christ oder Kirche als Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Diese biblisch fundierten Bilder von der Kirche werden von Scheffczyk im Rahmen seiner Theologie so zusammengestellt, dass sie zur Erklärung der polaren Spannung von 1094

Vgl. DULLES, Models of the Church, 72-75. Vgl. SCHEFFCZYK, Aspekte der Kirche in der Krise, 39ff. Vgl. hierzu auch Kapitel IV.2.2.2 der vorliegenden Arbeit. 1096 Vgl. SCHEFFCZYK, Aspekte der Kirche in der Krise, 52ff. 1097 Vgl. SCHEFFCZYK, Aspekte der Kirche in der Krise, 69ff.; DERS., Katholische Glaubenswelt, 176.

1095

317

Heilsrealismus und Heilsmysterium beitragen. So steht das Bild der Kirche vom Volk Gottes eher in der Struktur des Heilsrealismus, also der Diesseitigkeit des Heils. Das Bild der Kirche vom Leib Christi steht eher in der Struktur des Heilsmysteriums, also der Jenseitigkeit des Heils. Eine weitere Eigenart der Theologie Scheffczyks kann also folgendermaßen umschrieben werden: Es werden biblische Bilder von der Kirche, aber auch verschiedene Überlegungen aus der Theologiegeschichte in ein Gedankensystem integriert. Und dieses System kreist um die Frage nach der Beziehung und dem Verständnis von Natur und Gnade. Polaritäten Sicherlich ließen sich noch weitere Eigenarten der Theologie Scheffczyks aufzählen. Diese Beispiele sind keineswegs vollständig. Aber für die Frage nach der ausgebliebenen kritischen Rezeption von Scheffczyks Theologie erscheinen diese Beispiele sehr aufschlussreich. Es zeigt sich nämlich tatsächlich eine Art von Ungleichzeitigkeit, oder um einen Ausdruck von Scheffczyk zu benutzen, von Polaritäten in seiner Arbeitsweise: - einerseits die Offenheit für die Fragen einer Theologie (Dulles’ klassische Apologetik), die mit den Schlagworten „[r]estauratives Denken ohne systembildende Kraft, defensiver Lehramtspositivismus [oder] Kampf gegen die Aufklärung“1098 umschrieben wird, und andererseits die Bedeutung des theologischen Personalismus in der Theologie Scheffczyks und damit eines theologischen Gedankens aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Dulles’ neue Apologetik). - einerseits das ausgeprägte Systemdenken Scheffczyks über das Zu- und Miteinander von Natur und Gnade, andererseits die Bedeutung von Bildern aus der Heiligen Schrift zur Beschreibung der Kirche. - einerseits das Interesse Scheffczyks an Fragen der Theologiegeschichte, die zu seiner Zeit als überholt galten, andererseits das Interesse an den Anfragen des Kritischen Rationalismus an die Theologie des 20. Jahrhunderts. Des Weiteren können genannt werden: einerseits das Interesse von Scheffczyk an der Geschichtlichkeit, andererseits der (wenn man es in den Worten von Dulles formulieren möchte) präkritische erkenntnistheoretische Realismus; einerseits die Bedeutung der Tradition für Scheffczyks Theologie, andererseits der von ihm selbst so beschriebene eristische Zug seiner Ausführungen gegenüber anderen Autoren; einerseits das Interesse Scheffczyks an philosophischen Ausführungen, wie dem Kritischen Rationalismus in Die Theologie und die Wissenschaften, andererseits in demselben Buch die Beschränkung der Aufgabe der Philosophie auf eine Geist- oder Seinsphilosophie oder auf eine anthropologische Philosophie. 1098

BEINERT, Theologie, LKD 499.

318

Ergebnis Diese Polaritäten führen dazu, dass Scheffczyks Theologie prinzipiell eine breite Basis für höchst unterschiedliche Beurteilungen bietet. Es lässt sich beispielsweise die innere Kohärenz der Gedanken anfragen: Ist es sinnvoll, von einem modernen Gedanken wie der Geschichtlichkeit auszugehen und gleichzeitig einen antiken oder mittelalterlichen erkenntnistheoretischen Realismus zugrunde zu legen? Man kann aber auch die Ausführungen Scheffczyks als anachronistisch anfragen: Ist es tatsächlich sinnvoll, in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Theologie so zu betreiben, dass sie den Anfragen der neuscholastischen Apologetik gerecht wird? Gleichzeitig muss aber auch festgehalten werden, dass Scheffczyks Theologie eine ausgeprägte gedankliche Geschlossenheit zugrunde liegt, die auf einen „missionarischen Einsatz für den Glauben sowie ein kämpferisches Zeugnis für seine Wahrheit“1099 hinzielt und dass eben diese Polaritäten die Theologie Scheffczyks vor Anfragen schützen: Wer beispielsweise den erkenntnistheoretischen Realismus Scheffczyks als anachronistisch kennzeichnet, der muss sich gleichzeitig mit Denkansätzen wie dem Personalismus bei Scheffczyk beschäftigen, der wohl kaum als anachronistisch verstanden werden kann. Wer beispielsweise die innere Kohärenz der Theologie Scheffczyks aufgrund der Verbindung von erkenntnistheoretischem Realismus und Personalismus anfragt, der muss sich gleichzeitig mit der gedanklichen Geschlossenheit seiner Theologie auseinandersetzen. Das bedeutet: Während der Mehrzahl der Autoren Scheffczyks Theologie anachronistisch und deshalb irrelevant erscheint1100, kennzeichnen andere diese Theologie als bahnbrechend1101. Es ist aber nicht klar, ob von so unterschiedlichen Positionen eine wissenschaftliche Diskussion der 1099

SCHEFFCZYK, Entschiedener Glaube, befreiende Wahrheit, 31. Vgl. hierzu die Rezension Herbert Vorgrimlers zu einem Beitrag Scheffczyks über die Mariologie Karl Rahners, die hier vollständig zitiert sei: „Der greise Kardinal und ehemalige Dogmatiker Leo Scheffczyk beschäftigt sich mit Rahners Mariologie. Er nennt sie ‚nicht ohne theologischen Tiefgang’ (303). Sich selber versteht er als mariologischen Maximalist im Unterschied zu dem mariologischen Minimalisten Rahner. Kein Zweifel, daß im Haus des Vaters Platz für beide ist“, VORGRIMLER, Herbert, Eine Nachlese zum Rahner-Jahr. In: Münsteraner Forum für Theologie und Kirche. 2004: nach Internet am 27. März 2008: http://www.muenster.de/~angergun/vorgrimlersnachlese.pdf, 3. Interessanter Weise erwähnt Vorgrimler hier die Kritik Scheffczyks an Rahner überhaupt nicht. Scheffczyk hatte am Ende seines Beitrags erklärt: „Aber kein theologischer Minimalismus kann der Wahrheit des Glaubens wie dem Anspruch der Glaubenswissenschaft genügen. Im Hinblick auf die erkennbaren Sinnverschiebungen im Mariendogma wird man eher von einer Reduktion sprechen dürfen, die eine Parallele hat in der allgemeinen Schrumpfung des Christlichen in einer ‚weltlichen’ Welt“, SCHEFFCZYK, Mariologie und Anthropologie, 313. 1101 Vgl. NEBEL, Das Heil und die Heilssendung, 33. 1100

319

Ausführungen Scheffczyks möglich sein wird und genau das wäre ja die Basis für eine echte Rezeption in der Theologie. Das zeigt besonders der Vergleich von Dulles’ Erklärung der Neuscholastik in The Craft of Theology1102 mit der Beschreibung der Theologie Scheffczyks in dem im Internet verfügbaren Artikel Scheffczyk von Peter H. Görg. Dulles’ Einschätzung der Neuscholastik (merits und limitations) 1) Respektvoller Umgang mit dem kirchlichen Lehramt und der theologischen Tradition

2) Klarheit der Beweisführungen, Aufbau von durchdachten Systemen

3) Pastorale Verantwortung der Theologie

4) Mangelnde Interpretation der Heiligen Schrift und der kirchlichen Tradition im historischen Kontext 5) Unfähigkeit zum Dialog mit protestantischen Autoren

Einschätzung der Theologie Scheffczyks in einem Artikel von Peter H. Görg „Scheffczyk vereinte in seiner Lehrtätigkeit eine gründliche Kenntnis der Überlieferung und eine kritische Offenheit für alle neuen Entwicklungen“ „Er verstand es, die Analyse geschichtlicher Sachverhalte mit der synthetischen Zusammenschau der Glaubenslehre zu verbinden“ „Hinzu kamen mannigfaltige Aufgaben, die über das universitäre Geschehen hinausgingen“ „Er bemühte sich, das Bleibende im Wandel der Zeit und die unverrückbaren Wesensmerkmale der katholischen Lehre zu demonstrieren“ „Besonders die Auseinandersetzung mit der protestantischen Theologie war ein Anliegen des Theologen, der bis zu seinem Lebensende in über 70 Publikationen immer wieder zu ökumenischen Fragen Stellung nahm“

Hier sieht man deutlich, dass die von Dulles so genannten merits der Neuscholastik in Scheffczyks Theologie fraglos umgesetzt sind. Görg hat aber große Probleme, die limitations der Neuscholastik in der Theologie Scheffczyks zu erläutern. So kann er nur davon sprechen, dass sich Scheffczyk bemühte, „das Bleibende im Wandel der Zeit […] zu demonstrieren“. Wie aber das in se eines Glaubensgeheimnisses in der Geschichtlichkeit Christen verfügbar wird, wird hier nicht aufgezeigt und noch weniger, wie man Theologen und Theologinnen antwortet, die den erkenntnistheoretischen Realismus Scheffczyks nicht teilen. Solche unreflektierte Voraussetzungen finden sich bei Scheffczyk häufiger: a) Bei seiner Demonstration des Bleibenden im Wandel der Zeit spielte die Personalität des Menschen eine wichtige Rolle. Im Kern des Humanum ist der Mensch von Gott angesprochen und so wird seine Existenz Grund gelegt1103. In diesem Zusammenhang diskutierte Scheffczyk aber auch nicht die Frage, ob das Individuum oder das ganze Volk Gottes Adressat der göttlichen Anrede ist. Oder anders herum ausgedrückt, wie die Anrede des Individuums von Seiten Gottes 1102 1103

Vgl. Kapitel I.1.1 der vorliegenden Arbeit. Vgl. Kapitel III.1.2 der vorliegenden Arbeit.

320

von der Anrede der ganzen Kirche von Seiten Gottes unterschieden werden kann. b) Bei der Bestimmung des Wissenschaftscharakters der Theologie unterschied Scheffczyk zwischen verschiedenen Arten von Glauben, was zu einem sehr komplexen Begriffssystem geführt hat1104. Ob es aber gerechtfertigt ist, zwischen dem von ihm so genannten neutrischen und dem personhaften Glauben zu unterscheiden und sie gleichzeitig als fast identisch zu verstehen, untersucht Scheffczyk nicht. Ebenso bleiben die Fragen offen, ob der Glaube losgelöst von der Geschichte des Menschen verstanden werden kann und wie die Person des Menschen in den Glaubensprozess integriert werden kann. Aufgrund solcher Voraussetzungen, die allesamt vom erkenntnistheoretischen Realismus getragen sind, verliert Scheffczyk die Dialogfähigkeit mit denen, die seine Voraussetzungen nicht teilen. 2.4 Ergebnis Wenn man die ausgebliebene Rezeption der Theologie Scheffczyks erklären möchte, dann kann man nicht mit der Angemessenheit einer Theologie an die Zeit argumentieren. Denn hier würde sich die Frage stellen, wie man überhaupt in der Lage ist, die Erfordernisse der Gegenwart zu bestimmen. Eine solche Untersuchung müsste dann aber auch historisch und soziologisch fundiert sein1105. Einfacher und Erfolg versprechender erscheint es deshalb, die Frage nach der ausgebliebenen Rezeption mit Eigenarten der Theologie Scheffczyks selbst zu begründen. Will man Scheffczyks eigenes theologisches Arbeiten mit einem Ausdruck aus seiner Theologie als polar bezeichnen, dann kann das erklären, warum Scheffczyks Theologie von der Mehrzahl der Theologen nicht rezipiert wurde, von einigen wenigen hingegen als bahnbrechend verstanden wird. Entscheidend ist dabei gar nicht, wer Scheffczyks Theologie wie charakterisiert, sondern vielmehr, dass es anscheinend möglich ist, seine Theologie so unterschiedlich zu beurteilen. Wer also der Ansicht ist, dass Scheffczyks Theologie uninteressant ist und viele Fragen der gegenwärtigen theologischen Forschung nicht aufgreift, der wird sich nicht weiter mit den Ausführungen Scheffczyks beschäftigen. Sollte dennoch eine Kritik vorgetragen werden, gibt es sofort viele Gegenargumente 1104 1105

Vgl. Kapitel III.4.1 der vorliegenden Arbeit. Scheffczyk selbst würde ein solches Vorgehen wohl auch ablehnen, allerdings wahrscheinlich mit anderen Argumenten. Vgl. SCHEFFCZYK, Schwerpunkte des Glaubens, 13: „Eine Diagnose der eigenen Zeit ist nicht weniger schwierig als ein kritisches Selbsturteil und wahre Selbsterkenntnis. Der seiner eigenen Epoche verhaftete Mensch besitzt keinen überhobenen Standpunkt, von dem aus er seine Gegenwart mit letzter Gültigkeit beurteilen könnte. Er befindet sich inmitten eines Stromes, von dem er nur einen geringen Teil überblickt, so daß er Richtung, Gefälle und Wendungen nicht sicher zu erfassen vermag“.

321

aus Scheffczyks eigener Theologie heraus, die dieser Wertung widersprechen. Die Folge: Es wird überhaupt keine Kritik vorgetragen. Wer dagegen Scheffczyks Theologie für bahnbrechend hält, der wird kaum echte Gesprächspartner finden: Es existieren keine Vergleiche der Theologie Scheffczyks mit anderen Autoren, die klären könnten, was jeweils die Stärke und was die Schwäche der einzelnen Ausführungen sind; es gibt keine Untersuchungen, welche die Einheitlichkeit und die Zielsetzung der Theologie Scheffczyks darstellen und vieles anderes mehr. Scheffczyks erkenntnistheoretischer Realismus ermöglicht ihm eine Theologie, die offen für die kirchliche Tradition ist und die viele Fragen der Theologiegeschichte und der Gegenwart kohärent beantwortet. Das ist eine Stärke seiner Theologie. Wer aber den Realismus nicht teilt und wer davon überzeugt ist, dass in der Theologie Antworten niemals so gegeben werden können, „daß sie keine Fragen mehr zulassen, daß sie jeden Zweifel ausschließen“1106, für den wird Scheffczyks Theologie wenig hilfreich sein.

1106

FRIES, Abschied von Gott? Herausforderung und Chance des Glaubens. Herderbücherei Band 1747. Freiburg 1991, 21.

322

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

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